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Vogelwarte 54 (2016) 287

Deutsche Ornithologen-Gesellschaft

149. Jahresversammlung 28. September - 03. Oktober 2016

Wissenschaftliches Programm

Zusammengestellt von Kathrin Hüppop © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

288 Wissenschaftliches Programm

Inhalt Wissenschaftliches Programm

Albrecht F & Töpfer T (Bonn): Morphologische Charakterisierung und systematisches Auftreten lateraler Apterien am Vogelkopf 361 Arbeiter S, Helmecke A, Tanneberger F & Bellebaum J (Greifswald, Angermünde): Wiesenmahd und Wachtelkönigschutz in eutrophen Flussauen 314 Blüml V & Sandkühler K (Osnabrück, Hannover): Die Bedeutung niedersächsischer Hochmoore für Brut- und Gastvögel 308 Barthelmes K-D (Greifswald): Nahrungsanalyse von Eisenten im Greifswalder Bodden 296 Barwisch I, Sandow LM, Kolbe J, Mewes W, Modrow M, Zielosko G, Höltje H & Schmitz-Ornés A (Greifswald, Karow, Bernau, Erfurt): Teilzeit oder Fulltime? – Untersuchungen zum Brutverhalten Eurasischer Kraniche 379 Baumgart W (Berlin): Zur Entstehungsgeschichte des Buches „Greifvögel, Artproblem und Evolutionstheorie – ökofunktionell betrachtet“ 325 Bellebaum J, Langgemach T & Scheller W (Angermünde, Buckow, Teterow): An der Belastungsgrenze? Schreiadler und Windenergienutzung 342 Berger-Geiger B & Galizia CG (Radolfzell, Konstanz): Früh übt sich… Intime Einblicke in Familien- und Sozialverband der Wiesenweihen Circus pygargus in der Serena-Steppe/ Südwestspanien – Lohnender Einsatz von Wildkameras und GSM-GPS-Loggern 405 Blew J, Grünkorn T, Reichenbach M & Nehls G (Husum, Oldenburg): Vogel-Kollisionen an Windenergie-Anlagen – um welche Arten geht es? 341 Böhm F, Schwarz D, Massen JJM & Bugnyar T (Grünau/Österreich, Graz/Österreich, Wien/Österreich): Meat and greed – effect of pair bond quality on breeding success in Corvus corax and Corvus corone 367 Bötsch Y, Tablado Z & , Jenni L (Sempach/Schweiz): Einfluss von Freizeitaktivitäten auf das Ansiedlungsverhalten von Waldvögeln – ein experimenteller Nachweis 345 Braun MP, Bahr N & Wink M (Heidelberg, Ahlden): Phylogenie und Taxonomie der Edelsittiche (Psittaciformes: Psittaculidae: Psittacula), mit Beschreibung von drei neuen Gattungen 322 Brust V & Hüppop O (Wilhelmshaven): BIRDMOVE – Ein neues Projekt zur Erforschung des Kleinvogelzuges über der Nordsee 393 Cimadom A, Schmidt YP, Schulze C, Jäger H & Tebbich S (Wien/Österreich, Puerto Ayora/Galapagos/Ecuador): Leben am Limit: Der Einfluss eines invasiven Parasiten und Habitat-Management auf den Bruterfolg von Darwinfinken 344 Cimiotti DV, Dierichsweiler P, Hoffmann M & Hötker H (Bergenhusen, Hamburg): Konsequenzen eines Massensterbens überwinternder Austernfischer auf eine lokale Brutpopulation 400 Coppack T, Weidauer A, Erdmann F, Lemke H, Andersson A, Sjöberg S & Muheim R (Einbeck, Horst, Greifswald, Lund/Schweden): Der Ausbau eines automatisierten Radio-Telemetrie-Netzwerks im Bereich der südwestlichen Ostsee 392 Dorsch M, Kleinschmidt B, Žydelis R, Heinänen S, Morkūnas J, Quillfeldt P & Nehls G (Husum, Gießen, Kopenhagen/Dänemark, Klaipėda/Litauen): Satellitentelemetrische Untersuchungen an Sterntauchern in ihrem Überwinterungsgebiet auf der deutschen Nordsee 385 Eichstädt, W (Meiersberg): Die Geschichte der Ornithologie in Mecklenburg und Vorpommern 293 Eilers A & Schmitz-Ornés A (Leipzig, Greifswald): Von Sümpfen und Hühnern: Brutreviergrößen und Vegetationspräferenzen heimischer Porzana-Arten in wiedervernässten Poldern 314 Emmenegger T, Schulze M, Bauer S & Hahn S (Sempach/Schweiz, Halle a. d. Saale): Prävalenz und Intensität von Vogelmalaria-Infektionen des Bienenfressers in Sachsen-Anhalt 375 Engler M, Merling de Chapa M, Lakemann M, Müskens G, van der Horst Y, Zollinger R, Schreven K, Wirth H & Krone O (Berlin, Köln, Groesbeek/Niederlande, Hamburg): Beutespezialisierung beim Habicht Accipiter gentilis – Ein Vergleich der Nahrungsspektren urbaner und ruraler Populationen 376 Enners L, Chagas AL, Guse N, Schwemmer P, Voigt C & Garthe S (Büsum): Was passt auf einen Löffel? – Nahrungswahl von Löfflern im schleswig-holsteinischen Wattenmeer 377 Essel S, Bastian H-V, Bastian A & Tietze DT (Bad Vilbel, Kerzenheim, Heidelberg): Wo verbringen Bienenfresser Merops apiaster ihren Tag? 406 Festetics A (Göttingen): Der „Donald Duck“ unter den Wasservögeln – Brutparasitismus, Riesenei und Megapenis bei der Ruderente Oxyura leucocephala; ihre Ausrottung, Ansiedlung und „Hege mit der Büchse“ 316 Flade M (Brodowin): Der Einfluss von großflächigem Ökolandbau und naturschutzorientierter Forstwirtschaft auf die Bestandstrends von Brutvögeln: Ergebnisse 20jährigen Brutvogelmonitorings im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin 330 © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

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Fließbach K, Schwemmer P & Garthe G (Büsum): Sensitivität von Seevögeln gegenüber Schiffsverkehr in Nord- und Ostsee 346 Frahnert S & Eckhoff P (Berlin): Der Beitrag Johann Christoph Gundlachs zur Erforschung der Avifauna Puerto Ricos 414 Fritz J & Unsöld M (Mutters/Österreich, München): Kampagne gegen illegale Vogeljagd in Italien im Kontext des LIFE+ Projektes zur Wiederansiedlung des Waldrapps 332 Frommolt K-H (Berlin): Akustische Erfassung von Vögeln in einem Moor-Renaturierungsgebiet 307 Gallmetzer N, Dreschke T, Tritthart M, Schütz C, Glas M, Habersack H & Schulze CH (Wien/Österreich): Auswirkungen eines Flussrenaturierungsprojektes auf die Habitatverfügbarkeit für überwinternde Entenarten im Nationalpark Donau-Auen, Ostösterreich 346 Ganter B & Rösner H-U (Husum): Lebenslange Reproduktion bei arktischen Alpenstrandläufern: eine Langzeitstudie 397 Garthe S, Schwemmer P, Borrmann RM & Kottsieper J (Büsum): BIRDMOVE – Ein neues Projekt zur Erforschung des Zuges von See- und Küstenvögeln über Nord- und Ostsee 394 Gast O, Stuckas H, Belkacem AA, Martens J, Wink M & Päckert M (Studenec/Tschechische Republik, Dresden, Djelfa/Algerien, Mainz, Heidelberg): Neues von afrikanischen Spatzen – Brutbiologie, Ökologie und Populationsgenetik von Haussperling Passer domesticus, Weidensperling P. hispaniolensis und deren Hybriden in Nordafrika 324 Glaubrecht M (Hamburg): Die Evolution von Arten bei Vögeln: Ernst Mayr und das Erbe der „Berliner Schule“ 322 Gorgon G & Gamauf A (Wien/Österreich): Gibt es morphologische Veränderungen an Greifvögeln und Eulen aufgrund des Klimawandels? 378 Graszynski K (Berlin): Kann man mit Hilfe automatischer Überwachungskameras auch Schreiadler Aquila pomarina, die keinen Kennring tragen, individuell erkennen? 359 Grendelmeier A, Flade M, Pasinelli G (Sempach/Schweiz, Eberswalde, Sempach/Schweiz): Die Samenmast: wie sie Mäuse, Raupen, Eichelhäher und Waldlaubsänger verbindet 373 Grüneberg C, Dröschmeister R, Sudfeldt C, Trautmann S & Wahl J (Münster, Bonn): Von 1979 bis heute: Erfolge und Defizite der Vogelschutzrichtlinie für die Vogelbestände in Deutschland 353 Grünkorn T (Husum): Ursachenforschung zum Rückgang des Mäusebussards in Schleswig-Holstein 397 Hauff P & Kovacs H (Neu Wandrum, Schwerin): Einhundertfünfzigjährige Geschichte des Seeadlers Haliaeetus albicilla in Mecklenburg-Vorpommern, dargestellt an zwei Regionen: Insel Rügen und Ostufer der Müritz 413 Hegemann A, Hasselquist D & Nilsson J-Å (Lund/Schweden): Hat der Fang von fütternden Altvögeln negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Jungvögel? 340 Heinicke T, Modrow M, Lange S & Nowald G (Groß Mohrdorf, Bernau, Bissendorf): iCORA – das „internet-based Crane Observation Ring Archive” stellt sich vor 317 Heinicke T, Modrow M, Nowald G, Blahy B, Haferland HJ, Henne E, Kettner A, Kraatz U, Lehrmann A, Niemeyer F, Obracay K & Obracay T (Groß Mohrdorf, Bernau, Steinhöfel, Geesow, Blumberg, Röbel, Wagenfeld, Sulingen): Aufenthaltsorte deutscher Kraniche Grus grus zur Rastzeit und im Winter – eine Datenanalyse mit iCORA 311 Heinicke T (Samtens): Zum Auftreten der Waldsaatgans Anser fabalis fabalis in Mecklenburg-Vorpommern – Verbreitung, Bestandsentwicklung und Schutzbedarf 298 Hering J, Eilts HJ, Fuchs E, Habib M &Megalli M (Limbach-Oberfrohna, Berlin, Chemnitz, Hurghada/Ägypten, Port Said/Ägypten): Die Witwenstelze Motacilla aguimp auf dem Nassersee – Leben zwischen Wüste und Wasser 407 Herold B (Kietz): Geht es noch etwas nasser? – Brutvögel wieder-vernässter Niedermoore Mecklenburg-Vorpommerns 306 Herrmann C (Güstrow): Küstenvögel und Küstenvogelschutz in Mecklenburg-Vorpommern 294 Hoffmann J (Kleinmachnow): Effekte unterschiedlicher Landbewirtschaftung auf revieranzeigende Vogelarten 335 Holte D, Köppen U & Schmitz-Ornés A (Greifswald): Todesursachen in Ringfundmeldungen: ein Analyseansatz unter Berücksichtigung der Landnutzung in Deutschland 347 Höltje H, Bridge D, Johansson US, Kaldama K, Leito A, Mewes W, Ojaste I, Politov DV, Popken R, Stanbury A, Tofft J, Väli Ü, Schmitz-Ornés A & Haase H (Greifswald, Langport/Großbritannien, Stockholm/Schweden, Tartu/Finnland, Karow, Moskau/Russland, Ruinen/Niederlande, Bovrup/Dänemark, Sandy/Großbritannien): Grus grus …-Mus? – Zur Populationsstruktur westeuropäischer Kraniche 318 © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

290 Wissenschaftliches Programm

Inderwildi E & Muller W (Zurich/Schweiz): Der Wachtelkönig in der Schweiz: 20 Jahre Einsatz für den heimlichen Wiesenbrüter 334 Jähnig S, Vallino C, Rosselli D, Rolando A & Chamberlain D (Turin/Italien, Pragelato/Italien): Auswirkungen von horizontalen und vertikalen Habitatstrukturen auf Vogelgesellschaften im Bereich der alpinen Baumgrenze 343 Joosten H & Tanneberger F (Greifswald): Moore und ihre Bedeutung für Klima und Biodiversität – ein Überblick von Europa bis Vorpommern 303 Kadletz K, Nebel C, Gamauf A, Haring E, Tiefenbach M, Sackl P, Winkler H-C & Zachos FE (Wien/Österreich, Graz/Österreich) Genetische Diversität der rückläufigen Blaurackenpopulation Coracias garrulus in Österreich 347 Keller V, Bauer H-G, Franch M, Herrando S, Kipson M, Milanesi P & Voříšek P (Sempach/Schweiz, Radolfzell, Barcelona/Spanien, Prag/Tschechien): EBBA2: Der zweite europäische Brutvogelatlas macht Fortschritte 409 Kettner A, Modrow M, Nowald G, Heinicke T, Haase M & Schmitz-Ornés A (Groß Mohrdorf, Greifswald): Geschlechterverhältnis bei Nestlingen des Kranichs Grus grus in Mecklenburg-Vorpommern 400 Kinser A & Freiherr von Münchhausen H (Hamburg): Greening für Greife. Eine kritische Würdigung der 1. Säule der EU-Agrarpolitik ab 2015 339 Kolbe J, Sandow LM, Mewes W, Modrow M, Zielosko G, Höltje & Schmitz-Ornés A (Greifswald, Karow, Bernau, Erfurt): Enttarnt – Tätern auf der Spur! Wildkameras identifizieren störende Einflüsse auf brütende Kraniche 380 Köppen U (Greifswald): Acht Jahrzehnte Vogelwarte – ein historischer Exkurs 390 Krause J, Hauswirth M, Merck T & Steitz M (Insel ): Seevogelschutz auf dem Meer 353 Krause J & Merck T (Insel Vilm): Auf hoher See – Naturschutz für‘s Meer 330 Kreft S (Berlin): Altitudinalbewegungen von Vögeln im Nationalpark Carrasco und Umland, Bolivien – eine feldornithologische Erhebung 386 Kubetzki U, Rail JF & Garthe S (Hamburg, Québec City/Kanada, Büsum): Nahrungssuche im dreidimensionalen Raum: Horizontale und vertikale Flugmuster von Basstölpeln aus Bonaventure Island in Québec, Kanada 381 Kürten N, Vedder O, Bouwhuis S & Bairlein F (Oldenburg, Groningen/Niederlande, Wilhelmshaven): Maternale Effekte auf die Körperzusammensetzung von frisch geschlüpften Flussseeschwalbenküken 402 Lachmann L, Kreiser K, Mayr C & Richter K (Berlin, Brüssel): Blickpunkt Brüssel: Perspektiven für die Umsetzung der EU-Vogelschutzrichtlinie nach dem „Fitness-Check“ 354 Lehrmann A, Mewes W & Nowald G (Röbel/Müritz, Karow, Groß Mohrdorf): Die Bestandsentwicklung, Verbreitung und Siedlungsdichte des Kranichs Grus grus in Mecklenburg-Vorpommern von 1967 bis 2015 296 Lehrmann A, Mewes W & Nowald G (Röbel/Müritz, Karow, Preetz): Kranichschutz Deutschland – Landesarbeitsgruppe Mecklenburg-Vorpommern 302 Lenschow U (Güstrow): Das Moorschutzprogramm Mecklenburg-Vorpommern – ein Überblick 305 Li L, Fritz A, Tietze DT & Storch I (Freiburg im Breisgau, Heidelberg): Wie sehen die räumlichen Verbreitungsmuster lokaler Vogelvielfalt auf der östlichen Qinghai-Tibet-Hochebene aus? 372 Mähler M (Nägelstedt): Die – Kleine Insel, große Vielfalt 299 Matthes J, Neubauer M, Meyburg B-U & Matthes H (Rostock, Berlin, Eberswalde): Der Schreiadler Aquila pomarina und die Landschaftsentwicklung in Deutschland in den letzten 50 Jahren 357 Melter J, Belting H, Hönisch B & Raude N (Belm, Hüde): Kükenverluste von Uferschnepfen am Dümmer 381 Mendel B, Peschko V & Garthe S (Büsum): Offshore Windparks: Himmel oder Hölle für Helgoländer Brutvögel? Erste Ergebnisse des Projektes HELBIRD 368 Mewes W & Nowald G (Plau am See, Preetz): Die Brutorttreue von Kranichen in Mecklenburg-Vorpommern (Nordostdeutschland) 310 Meyburg B-U & Meyburg C (Berlin, Paris/Frankreich): Flughöhenmessung beim Schreiadler Aquila pomarina im Brutgebiet mittels GSM-GPS-Telemetrie zur Abschätzung des Kollisionsrisikos mit Windenergieanlagen und Flugkörpern 389 Meyburg B-U, Meyburg C & Matthes J (Berlin, Paris/Frankreich, Rostock): Wieviel Fläche benötigt ein Schreiadler Aquila pomarina zum erfolgreichen Brüten – Neue Ergebnisse der GPS-Telemetrie 358 Meyer N, Jeromin H & Hötker H (Bergenhusen): Vom Moor ins Wirtschaftsgrünland: Ansätze zum Schutz des Großen Brachvogels Numenius arquata in landwirtschaftlich genutztem Grünland 318 © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

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Michel V, Naef-Daenzer B, Keil H & Grüebler MU (Zürich/ Schweiz, Oberriexingen, Sempach/Schweiz): Beeinflusst die Habitat-Qualität den Bruterfolg des Steinkauzes Athene noctua direkt oder indirekt? 372 Neu A, Ferger SW, Töpfer T, Böhning-Gaese K & Schleuning M (Frankfurt, Radolfzell, Bonn): Funktionale Diversität und Identität von Vogelgemeinschaften entlang von Höhengradienten und anthropogenen Vegetationsveränderungen am Kilimandscharo, Tansania 371 Neumann R, Metzger B, Lisovski S & Hahn S (Stäbelow, Xemxija/Malta, Davis/USA, Sempach/Schweiz): Als Backpacker nach Indien 394 Nipkow M & Herkenrath P (Hannover, Recklinghausen): Vogelartenschutz 2020: Anforderungen an den Vogelschutz in Deutschland im Licht der EU-Vogelschutzrichtlinie 355 Nowald G, Lehrmann A & Donat R (Groß Mohrdorf, Röbel, Luckau/Görlsdorf ): Umwelt, Mensch und Kranich in den letzten 40 Jahren 304 Oelke H (Göttingen): C14-Datierung von Adéliepinguinen Pygoscelis adéliae im Ross Meer Sektor der Antarktis (Cape Crozier) 364 Päckert M, Frahnert S & Eckhoff P (Dresden, Berlin): Die Vogelsammlungen von Walter Stötzner und Hugo Weigold in den Naturkundlichen Museen Berlin und Dresden 415 Päckert M, Martens J, Sun YH, Renner S & Strutzenberger P (Dresden, Mainz, Peking/China, Wien/Österreich): Differenzierungszentren und phylo-geographische Muster an den Rändern des Tibet-Plateaus 362 Pârâu LG, Braun M, Schroeder J & Wink M (Heidelberg, London/Großbritannien): Halsbandsittiche in Europa: ein demografischer Überblick 399 Pârâu LG & Wink M (Heidelberg): Genomik – Tools und mediterrane Küche: Welche Neuntöter landen auf dem Grill? 344 Peschko V, Markones N & Garthe S (Büsum): Raumnutzung von Basstölpeln, Trottellummen und Dreizehenmöwen in der Deutschen Bucht 375 Piedrahita P, Bairlein F & Wagner H (Guayaquil/Ecuador, Wilhelmshaven, Aachen): Jagdverhalten von Schleiereulen auf Santa Cruz, (Galapagos, Ecuador): eine Pilotstudie 369 Riechert J & Becker PH (Wilhelmshaven, Jade): Wer kümmert sich um den Nachwuchs? Einfluss von Brutphase, Tageszeit, Hormonen und Räuberdruck auf das geschlechtsspezifische Brutverhalten bei Flussseeschwalben 402 Saccavino E, Krämer J & Tietze DT (Frankfurt/Main, Heidelberg): Morphologische Anpassung südwestdeutscher Amseln an das Stadtleben? 382 Sander M & Heim W (Potsdam): Maximale Flugdistanzen des Gelbbrauen-Laubsängers Phylloscopus inornatus an einem Zwischenrastplatz in Fernost-Russland 394 Sandow L-M, Barwisch I, Kolbe J, Mewes W, Modrow M, Zielosko G, Höltje H & A. Schmitz-Ornés A (Greifswald, Karow, Bernau, Erfurt): Wie warm hat's ein Kranichei? Erfassung der Bruttemperatur mit Hilfe von Datenloggern 380 Schäfer JE, Janocha MM, Klaus S & Tietze DT (Frankfurt am Main, Heidelberg): Einflüsse auf den Gesang dreier häufiger Singvogelarten in Frankfurt am Main 367 Schaub T, Meffert PJ & Kerth G (Potsdam, Lohme, Greifswald): What affects the occupancy rate of nest-boxes for Common Swifts Apus apus on renovated buildings? 349 Schirmer S, Becker JB & von Rönn J (Greifswald, Frankfurt/Oder, Sempach/Schweiz): Lebenszeitreproduktionserfolg von Nachtigallen, Sprossern und ihren Hybriden in Sympatrie 328 Schlaich AE (Scheemda/Niederlande): Welche Faktoren beeinflussen Bewegungsmuster von Wiesenweihen während der Überwinterung? 384 Schmidt J-U, Eilers A, Schimkat M, Timm A, Krause-Heiber J, Siegel S & Nachtigall W (Dresden, Leipzig, Neschwitz, Hettstedt, Koblenz): Faktoren für den Erfolg selbstbegrünter einjähriger Brachen als Bruthabitat für den Kiebitz Vanellus vanellus in industrialisierten Agrarlandschaften Mitteleuropas 336 Schmidt K-H (Schlüchtern): Fremde Eier im Nest, was nun? 398 Schmidt L, Thomsen K-M & Hötker H (Bergenhusen): Habitatpräferenzen der Bekassine in Schleswig-Holstein 320 Schmitz-Ornés A (Greifswald): Lachmöwenweibchen zeigen ihre Individualität: Farbmuster, Form und Größe der Eier 383 Schulze CH, Dabitz NR, Flieder M, Polleres T & Wimmer S (Wien/Österreich): Nehmen Blüten besuchende Kolibris Ansitzjäger wie Schlangen und Gottesanbeterinnen als potentielles Prädationsrisiko wahr? 365 Seifert N, Tegetmeyer C & Schmitz-Ornés A (Jeeser, Greifswald): Living on the edge – Populationsgröße, Habitatwahl und Aktionsraum des Zwergsumpfhuhns im Senegal Delta, NW Senegal 316 © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

292 Wissenschaftliches Programm

Signer J, Edelhoff H, Engler J & Gottschalk E (Göttingen, Gent): Abgrenzen von Territorien mittels Telemetriedaten anhand des Beispiels Rotmilan Milvus milvus 338 Skibbe A, Batycki A, Goławski A, Kniola T, Kotlarz B, Schidelko K, Stiels D & Szymański M (Köln, Poznań/Polen, Siedlce/Polen, Wicko/Polen, Bonn, Bytów/Polen): Großräumige Bestandserfassung der Waldschnepfe Scolopax rusticola 404 Spanke T, Ganchev T, Jahn O, Jung J & Töpfer T (Bonn, Varna/Bulgarien): Audio libraries of the Western Rock Nuthatch Sitta neumayer for semi-automated sound classification 384 Sperger C & Fritz J (Innsbruck/Österreich, Mutters/Österreich): Flugstrategien bei migrierenden Waldrappen 388 Stark H, Boos MB & Liechti FL (Sempach/Schweiz, Wilshausen/Frankreich): Vogelzug über Calais, Nordfrankreich, im Herbst 2014: Ein neuer Ansatz zur Analyse von Radardaten 395 Stiels D, Schidelko K, Brambilla M, Engler JO, Quillfeldt P & Strubbe D (Bonn, Trient/Italien, Gent/Belgien, Göttingen, Gießen, Kopenhagen/Dänemark, Antwerpen/Belgien): Artverbreitungsmodelle in der Ornithologie – Stand der Forschung, Herausforderungen und Ausblick 363 Stubbe M & Stubbe A (Halle/Saale): Der Schreiadler Aquila pomarina in Sachsen-Anhalt 360 Tegetmeyer C, Thoma M, Herold B & Tanneberger F (Greifswald, Bern/Schweiz, Angermünde): Zustand, aktuelle Entwicklungen und zukünftige Herausforderungen in den Brut- und Überwinterungsgebieten des global bedrohten Seggenrohrsängers Acrocephalus paludicola 312 Thomas A & Heim W (Leipzig, Potsdam): Die Weidenammer verschwindet – Welche Gefahren drohen im Brutgebiet? 350 Tietze DT, Koglin S & Wink M (Heidelberg): Liegt der Anpassung von Singvögeln an das Stadtleben eine veränderte Genexpression zugrunde? 361 Unsöld M & Fritz J (München, Mutters/Österreich): Wiederansiedlung des Waldrapps Geronticus eremita in Europa: Anpassung der Methoden an das Verhalten der Vögel 351 Unsöld M & Fritz J (München, Mutters/Österreich): Artenschutzprojekt Waldrappteam: Potenzial und Risiken von Prägung als Methode für den Artenschutz 365 Vogl S, Mähler M & von Rönn JAC (München, Nägelstedt, Sempach/Schweiz): Vorhersage der Vogelzugintensität mit künstlichen neuronalen Netzen 395 von Rönn JAC, Köppen U, Lokki H, Martens S, Saurola P, Schaub M & Grüebler MU (Sempach/Schweiz, Greifswald, Helsinki/Finnland, Itzehoe): Großräumige Variation von Demografie und Populationsregulation bei einer weit verbreiteten Zugvogelart 399 Waringer BM, Reiter K & Schulze CH (Wien/Österreich): Die Bedeutung von Auwäldern als Lebensraum für Halsbandschnäpper: Eine Fallstudie aus dem Nationalpark Donau-Auen (Niederösterreich) 382 Weidauer A, Coppack T, Steffen U & Grenzdörffer G (Horst, Einbeck, Rostock): Zum Einfluss des Stichproben-Designs auf die Ermittlung von Wasservogelbeständen mittels luftbildgestützter Zählmethoden 410 Wellbrock AHJ, Eckhardt LRH, Fürst-Ingargiola M, Prima M (†), Bauch C, Rozman J & Witte K (Siegen, Gehrde, Groningen/Niederlande, München): „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da.“ – Nächtliche Aktivität von Mauerseglerbrutpaaren am Nest 369 Winkler H (Wien/Österreich): Welche Probleme löst die parataxonomische Artbildung? 325 Winkler H & Winkler VC (Wien): Vom Schwanz her aufgezäumt – reverse engeneering von Stützschwänzen 329 Wink M, Frias R & Bairlein F (Heidelberg, Wilhelmshaven): Welche Gene machen einen Vogel zum Zugvogel? 387 Wink M (Heidelberg): Neue Trends in der DNA-Forschung 326 Woog F, Köhn S, Pollmann M & Weinhardt M (Stuttgart): Bauchgefiederfärbung bei Graugänsen – ein Merkmal für die Altersbestimmung? 363 Wulf T & Heim W (Bernburg, Potsdam): Entdeckung des Gesangs der Mandschurenralle Coturnicops exquisitus und Vorkommen im Muraviovka Park (Fern-Ost-Russland) 412 Ziegler U, Michel F, Fast C, Eiden M, Keller M & Groschup MH (Greifswald-Insel ): Untersuchungen zu Viruskrankheiten bei Wildvögeln am Friedrich-Loeffler-Institut 300 © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

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Themenbereich „Ornithologie in Mecklenburg-Vorpommern“

• Vorträge

Eichstädt, W (Meiersberg): Die Geschichte der Ornithologie in Mecklenburg und Vorpommern

✉✉Werner Eichstädt, Dorfstr. 110, D-17375 Meiersberg, E-Mail: [email protected]

Neumann (1987) teilt die erste Phase zur Geschichte der Carl Wüstnei (1843-1902) und dem Pastor Gustav Clo- Ornithologie im damaligen Mecklenburg (der Name dius (1866-1944) geprägt. Vorpommern war bis 1989 aus dem Sprachgebrauch im Mit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert (Neu- Wesentlichen verschwunden) in mehrere Perioden ein. mann 1987) traten naturschutzrelevante Aktivitäten in Die erste und Frühperiode war durch den Privatdozen- den Vordergrund. Horst Wachs (1888-1956) bemühte ten Siemssen (1768-1833), Rostock, repräsentiert. Der sich um die Vogelinsel , Friedrich Lind- Pastor Heinrich David Friedrich Zander (1800-1876) ner (1864-1922) und Ernst Hübner (1859-1930) um prägte die folgende Periode in Mecklenburg. In Vor- Hiddensee und die Werderinseln am . Auf der pommern waren Wilhelm Schilling (1790-1874) und Greifswalder Oie hatte Walter Banzhaf (1901-1941) Christian Friedrich Hornschuch (1793-1850) in Greifs- mit Planbeobachtungen des Vogelzugs begonnen. Er wald tätig. Albrecht von Maltzan (1813-1851) betrieb war seit 1928 im städtischen Naturkundemuseum in die Gründung des „Vereins der Freunde der Naturge- Stettin als Kustos für Wirbeltiere und Geologie tätig. schichte in Mecklenburg“ voran, dessen „Archiv des Ihm verdanken wir eine Reihe gehaltvoller Publika- Vereins“ auch heute noch erscheint. Auf Eugen Ferdi- tionen zur Greifswalder Oie. 1936 wurde die Vogel- nand von Homeyer (1809-1889) geht eine „Systemati- warte Hiddensee unter Leitung von Richard Stadie sche Übersicht der Vögel Pommerns“ zurück. (1907-1972) gegründet. Der Autodidakt Paul Robien Die dritte Periode (Neumann 1987) wird von Alexan- (1882-1945) gründete die „Naturwarte Mönne“ bei der von Homeyer (1834-1903), dem Schweriner Baurat Stettin. Er fasste 1928 seine Beobachtungen in der

Abb. 1: Teilnehmer der Tagung zum 25-jährigen Bestehen der OAMV 10.04. bis 12.04.2015 in Salem am Kummerower See. Foto: R. Feige © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

294 Themenbereich „Ornithologie in Mecklenburg-Vorpommern“ • Vorträge

„Avifauna von Pommern“ zusammen. Dazu erschie- Nach 1989 löste sich der Kulturbund der DDR nen zwei Ergänzungen. An der Universität Rostock war auf. Am 25.08.1990 wurde auf dem Recknitzberg bei Rudolf Kuhk (1901-1989) tätig. Er hatte zuvor in Ros- Rostock die Ornithologische Arbeitsgemeinschaft tock und Münster auf Wunsch seines Vaters Pharmazie Mecklenburg-Vorpommern (OAMV) gegründet, die studiert, ehe er in Rostock noch Naturwissenschaft anfangs noch im NABU-Landesverband arbeitete. belegte. Nach intensiver Durchforschung des Landes Am 02.04.1995 beschloss dann die Mitgliederver- publizierte er seine Dissertation „Die Vögel Mecklen- sammlung die selbständige Rechtsform mit Einzel- burgs“ (Güstrow 1939). Nach dem zweiten Weltkrieg mitgliedschaft. Innerhalb kurzer Zeit waren über 400 waren Ornithologen wie Friedrich Thiede und Werner Mitglieder registriert. 1997 lud die OAMV zur 130. Kaiser in Demmin und Schwerin tätig. Sie sammelten DOG-Mitgliederversammlung nach Neubrandenburg erste Interessierte um sich. ein. Viele angereiste Ornithologen konnten bei den In Serrahn bei Neustrelitz hatte der Förster und Berin- Exkursionen die Besonderheiten der Landschaften des ger Hubert Weber (1917-1987) ein Revier übernommen. Landes Mecklenburg-Vorpommern und die besonderen Dieses Revier war der Grundstock für eine Vogelschutz- Beobachtungsmöglichkeiten kennen lernen. Jährlich station und später die Biologische Station des Institu- finden Mitgliederversammlungen der OAMV, jeweils tes für Landschaftsforschung und Naturschutz (ILN) verbunden mit einer Fachtagung, statt. Zum 25. Jah- der DDR. Hier tagte bald die Arbeitsgruppe „Avifauna restag der Gründung gab es eine mehrtägige Tagung Mecklenburg“. Werner Kaiser aus Schwerin und der Stu- in Salem am Kummerower See. Zahlreiche Gäste aus dent Ulrich Brenning aus Rostock schickten die ersten befreundeten Verbänden nahmen daran teil. Die Orni- Beobachtungsberichte nach Serrahn, bevor das erste thologen des Landes beteiligten sich an zwei weiteren Heft des “Ornithologischen Rundbriefs Mecklenburgs“ Kartierungen auf Messtischblatt-Quadrantenbasis. Die erschien. Die Ornithologen im Land waren in den Fach- Ergebnisse sind in zwei Atlanten niedergelegt. Regel- gruppen des Kulturbundes zusammengeschlossen. In mäßig erscheint der „Ornithologische Rundbrief für den drei Bezirken Rostock, Schwerin und Neubranden- Mecklenburg-Vorpommern“, ergänzt durch eine Reihe burg bestanden innerhalb der Bezirksfachausschüsse bis von recht gehaltvollen Sonderheften. zu 42 Fachgruppen für Ornithologie (und Naturschutz). Als Ergebnis der Arbeit erschien 1977 die „Vogelwelt Literatur: Mecklenburgs“ (1987 in einer dritten Auflage mit Ergeb- Neumann J 1987: Zur Geschichte der ornithologischen For- nissen einer Messtischblattquadrantenkartierung 1978 schung in Mecklenburg. In: Klafs G & Stübs J (Hrsg) Die bis 1982). Vogelwelt Mecklenburgs: 11-17. Fischer, Jena.

Herrmann C (Güstrow): Küstenvögel und Küstenvogelschutz in Mecklenburg-Vorpommern

✉✉Christof Herrmann, Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie MV, Goldberger Str. 12, D-18273 Güstrow, E-Mail: [email protected]

Bereits in den Jahren 1909/10 entstanden in Mecklen- Nach dem 2. Weltkrieg wurden neue, zuvor unbe- burg-Vorpommern auf Initiative privater Vereine (u. a. kannte Brutgebiete „entdeckt“ und zum Teil kurzfristig Verein Jordsand, Ornithologischer Verein Köthen, Bund unter Schutz gestellt (Barther Oie und Insel 1963, für Vogelschutz Stuttgart, Internationaler Frauenbund Böhmke und Werder 1971, Rustwerder/ 1971). für Vogelschutz Charlottenburg) die ersten „Seevogel- Gleichzeitig gingen einige große Salzwiesenkomplexe freistätten“. Die ersten Schutzgebietsausweisungen auf durch Umwandlung in Intensivgrasland als Küsten- gesetzlicher Grundlage folgten in den 1920er Jahren vogellebensraum verloren (Nehls & Herrmann 2009). (Langenwerder 1924; Peenemünder Haken, Struck und Nach der politischen Wende 1989 wurde das Schutzge- sowie einige Gebiete der Insel Hiddensee 1925). bietssystem vervollständigt. Gegenwärtig befinden sich Nach Verabschiedung des Reichsnaturschutzgesetzes im alle bedeutsamen Küstenvogelbrutgebiete in Schutzge- Jahr 1935 wurden weitere Küstenvogelbrutgebiete unter bieten. Schutz gestellt, u. a. die (1939) und die Insel Mit der Gründung der „Kommission Seevogelschutz“ (1940). im Jahr 1963 (später in „Kommission Küstenvogelschutz © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 295 der DDR“ umbenannt) wurden die notwendigen Struk- bzw. als Platzkonkurrent für Seeschwalben (Lachmö- turen für eine zentrale Koordination der Schutzge- wen) wurden die drei Möwenarten als Gefahr für andere bietsbetreuung geschaffen. Neben der Durchführung Küstenvogelarten angesehen und ab Beginn der 1960er von Managementmaßnahmen und der Erfassung der Jahre Maßnahmen zur Regulation ihrer Bestände durch- Brutbestandszahlen setzte sich die Kommission auch für geführt. In den 1980er Jahren setzte sich jedoch zuneh- die Unterschutzstellung weiterer Brutgebiete ein. Ihre mend die Erkenntnis durch, dass die Möwenbekämp- Aufgaben wurden nach der politischen Wende von der fung als Schutzmaßnahme für andere Arten unnötig „AG Küstenvogelschutz MV“ übernommen (Nehls & und nicht erfolgsversprechend war (Herrmann 2009). Herrmann 2009). Der Brutbestand des Kormorans Phalacrocorax carbo Die langjährige intensive Betreuung der Küstenvogel- sinensis lag in Mecklenburg-Vorpommern vom Ende der brutgebiete und die detaillierte Erfassung und Doku- 1950er bis Anfang der 1980er Jahre bei 700 bis 1.000 mentation ihrer Brutbestände ermöglicht ein umfas- Paaren. Ab den 1980er Jahren setzte dann – wie auch im sendes Bild langfristiger Bestandsentwicklungen und Ostseeraum insgesamt – ein rascher Bestandsanstieg ein. Veränderungen des Artenspektrums. Die lange Bestandsstagnation war offensichtlich nicht die Zu den ausgestorbenen Arten gehören Lach- Folge von Verfolgungsmaßnahmen, sondern der damals seeschwalbe Gelochelidon nilotica, Seeregenpfeifer hohen Pestizidbelastung (insbesondere DDT und PCB). Charadrius alexandrinus und Steinwälzer Arenaria Als neue Arten, die sich erst in der 2. Hälfte des 20. Jh. interpres. in Mecklenburg-Vorpommern als Brutvögel etabliert Der Rückgang von Alpenstrandläufer Calidris alpina haben, sind Schwarzkopf- Larus melanocephalus, und Kampfläufer Philomachus pugnax begann offen- Herings- Larus fuscus und Mantelmöwe Larus marinus sichtlich bereits in der 2. Hälfte des 20. Jh. (Herrmann sowie die Eiderente Somateria mollissima zu nennen 2012). Inzwischen sind beide Arten als Brutvögel aus (Herrmann 2012). dem Ostseeraum nahezu verschwunden. Klimaverän- derungen nach dem Ende der „kleinen Eiszeit“ könnten Die wichtigsten gegenwärtigen Aufgaben des Küstenvo- für den beobachteten Arealrückzug eine wesentliche gelschutzes in Mecklenburg-Vorpommern sind Rolle spielen. • Schutz der Brutgebiete vor menschlichen Störungen, Einst verbreitete Arten wie Kiebitz Vanellus vanel- • Wiederherstellung „verlorener“ Brutgebiete durch lus und Rotschenkel Tringa totanus haben infolge von Renaturierungsmaßnahmen, Veränderungen der Landnutzungen und Zunahme der • Gewährleistung eines angepassten Beweidungsre- Prädatorendichte erhebliche Bestandsrückgänge zu ver- gimes für Salzwiesenlebensräume sowie zeichnen. Betreute Küstenvogelinseln, auf denen die • Freihaltung der Brutgebiete von Raubsäugern. Anwesenheit von Raubsäugern durch gezielte Bejagung nicht zugelassen wird, dienen diesen Arten gegenwärtig Literatur als Refugialräume. Herrmann C 2009: Das „Möwenproblem“ im 20. Jahrhundert: Die Brandseeschwalbe Sterna sandvicensis ist erst im Eine Darstellung der historischen Entwicklung in Deutsch- 20. Jh. in den Ostseeraum eingewandert und hat 1957 land sowie der Bestandslenkung an der Ostseeküste der erstmalig in Mecklenburg-Vorpommern gebrütet. In DDR. Vogelwelt 130: 25-47. Herrmann C 2012: Biodiversität als dynamischer Prozess: den 1970er bis 1990er Jahren lag ihr Brutbestand bei Langfristig Veränderungen der Küstenvogelwelt in Meck- mehr als 1.000 Paaren. Mit dem Rückgang der Lach- lenburg-Vorpommern. Ornithol. Rundbr. Mecklenbg.- möwe Larus ridibundus, mit der die Brandseeschwalbe Vorpomm. 47, Sonderh. 1: 17-42. stets vergesellschaftet brütet, nahm auch ihr Brutbe- Herrmann C, Gregersen J, Larsson R, Larsson K, Elts J & stand ab. Der Rückgang der Art in M-V spiegelt eine Wieloch M 2011: Population Development of Baltic Bird regionale Verschlechterung der Brutplätze wider, die Species: Sandwich Tern (Sterna sandvicensis Lath., 1787). Ostseepopulation insgesamt hingegen ist langfristig HELCOM Environment Fact Sheet: http://www. stabil (Herrmann et al. 2011). helcom.fi/baltic-sea-trends/environment-fact-sheets/biodi- Sturm- Larus canus und Lachmöwe nahmen im Zuge versity/population-development-of-sandwich-tern/ (letzter der Schutzbemühungen ab Beginn des 20. Jh. deutlich Aufruf: 24.10.2016). Nehls HW & Herrmann C 2009: Betreuung und Brutbe- zu. Die Silbermöwe Larus argentatus wanderte erst im standsmonitoring in den Küstenvogelschutzgebieten 20. Jh. in den Ostseeraum ein, ihr Bestand stieg ab den Mecklenburg-Vorpommerns von den Anfängen bis zur 1950er Jahren rasch an. Als Prädatoren für Gelege und Gegenwart. Ornithol. Rundbr. Mecklenbg.-Vorpomm. 46, Küken anderer Küstenvögel (Sturm- und Silbermöwen) Sonderh. 2: 101-112. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

296 Themenbereich „Ornithologie in Mecklenburg-Vorpommern“ • Vorträge

Barthelmes K-D (Greifswald): Nahrungsanalyse von Eisenten im Greifswalder Bodden

✉✉Karen-Doreen Barthelmes, Institut für Landschaftsökologie und Botanik der Universität Greifswald, Soldmannstraße 23, D-17487 Greifswald, E-Mail: [email protected]

Die Ostseeküste von Mecklenburg-Vorpommern bie- Im Verdauungstrakt von 53 (98 %) der untersuchten tet jährlich wertvolle Rast- und Überwinterungsplätze 54 Eisenten wurde Heringslaich nachgewiesen. Dieser für eine Vielzahl von Zugvögeln. Hierzu zählen vor erreichte einen Gesamtmassenanteil von 59 % (ca. 116 g allem die Pommersche Bucht, der Adlergrund und Laich) in den Speiseröhren und Drüsenmägen. Daneben der Greifswalder Bodden. Reiche Muschelgründe bil- befanden sich im oberen Bereich des Verdauungstraktes den für die rund fünf Millionen Wasservögel eine gute noch organische (Muschel- und Schneckengehäuse: 6 % Nahrungsgrundlage, um über den Winter zukommen. mit ca. 8 g) und anorganische Reste (Steine, Kies und Dazu kommt im April die Wanderung des Herings, der Sand: 36 % mit ca. 68 g). Im Bereich des Muskelmagens seine Laichgründe im Greifswalder Bodden hat. Es lie- konnten noch 24 g Heringslaich zusätzlich gefunden gen zahlreiche Beobachtungen vor, dass vor allem Mee- werden. resenten den leicht zugänglichen und proteinreichen Die sonst im Winter bevorzugten Muschelarten, vor Heringslaich als Nahrungsquelle nutzen. Zwischen 1985 allen Mya arenaria und Mytilus edulis, waren zwar in und 1990 wurden mehrere 10.000 Eisenten Clangula 46 Eisenten (85 %) vertreten, konnte aber nur für zwei hyemalis beim Fressen von Laich im Greifswalder Bod- der untersuchten Eisenten als Nahrung identifiziert wer- den beobachtet. den, bei denen sich noch ganze Gehäuse im Verdau- Im April 2011 wurden 54 Eisenten von der Freester ungstrakt befanden. In den restlichen Proben waren die Fischereigenossenschaft aus ihren Stellnetzen gebor- Muschelgehäuse zu fragmentiert und ganze Gehäuse zu gen. Diese Eisenten wurden in Absprache mit dem klein, um sie als Nahrungsquelle gezielt einzubeziehen. Forschungs- und Technologiezentrum Westküste (FTZ Es wird eher davon ausgegangen, dass die Muschelfrag- Büsum) im Deutschen Meeresmuseum Stralsund hin- mente beim Fressen des Heringslaichs von den Sand- sichtlich ihres Nahrungsspektrums untersucht. Nach becken zusammen mit Sand und Kies aufgenommen einer Aufnahme des Gesamtzustandes der ertrunkenen wurden. Vereinzelt fraßen die Eisenten auch Krebstiere, Exemplare wurden die Inhalte von Speiseröhre/Drüsen- vor allen Rithropanopeus harrisii, eine ursprünglich an magen, Muskelmagen und Darm analysiert. der Ostküste Nordamerikas beheimatete Krabbe.

Lehrmann A, Mewes W & Nowald G (Röbel/Müritz, Karow, Groß Mohrdorf): Die Bestandsentwicklung, Verbreitung und Siedlungsdichte des Kranichs Grus grus in Mecklenburg-Vorpommern von 1967 bis 2015

✉✉Andreas Lehrmann, Müritzpromenade 14, D-17207 Röbel/Müritz, E-Mail: [email protected]

In Mecklenburg-Vorpommern (MV) brüten etwa 45 % Anfangs war hauptsächlich die Landschaftszone des deutschlandweiten Kranichbestandes. Damit kann „Höhenrücken und Mecklenburgische Seenplatte“ im man neben Brandenburg dieses Bundesland als Kern- Binnenland von MV besiedelt. Mit der Bestandszu- gebiet für den Kranich ansehen. Die erste flächende- nahme breitete sich der Kranich besonders nach Nor- ckende Erhebung der Brutplätze und Brutpaare wurde den aus, so dass auch bald das „Küstenland“ Brutvor- durch eine Fragebogenaktion von Gerhard Meyer kommen aufwies und die Insel Rügen 2001 den ersten in den Jahren 1962 bis 1967 vorgenommen, bei der Brutnachweis vermelden konnte. Analog stieg auch die etwa 190 Paare ermittelt wurden. Ausgehend von die- Siedlungsdichte von anfangs 0,8 Paaren/100 km² (1967) sem Tiefstand nahm der Bestand in den 1970er und auf 18,5 Paare/100 km² (2015). 1980er Jahren langsam zu, um dann in den 1990er und Der Kranichbestand ist inzwischen so groß, dass 2000er Jahren stark anzusteigen. 2015 wurden etwa eine flächendeckende Erfassung in Zukunft nicht mehr 4.250 Paare erfasst. möglich sein wird. 2015 wurde eine Probeflächener- © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 297

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Abb. 1: Bestandsentwicklung des Kranichs in Mecklenburg-Vorpommern von 1967 bis 2015.

fassung auf der Basis von Messtischblatt-Quadranten 0,6 gesunken ist. Diese um ca. 30 % geringere Fort- eingeführt. Sie soll Trendberechnungen und auf einer pflanzungsziffer führt immer noch zu einem weiteren größeren Flächengrundlage auch Hochrechnungen Bestandsanstieg. zum Bestand ermöglichen. Die Flächenverteilung • Gutes Angebot an Bruthabitaten. Kraniche bevorzu- wurde nach der Landschaftsausstattung und in diesen gen in Deutschland das Brüten in Feuchtgebieten, Regionen ansässigen Kartieren vorgenommen. Von die im Wald liegen (z. B. Erlenbrüche). Mit dem 42 im Jahr 2015 vergebenen Probeflächen wurden 30 Anstieg und der Verdichtung des Bestandes waren (71 %) bearbeitet und rund 200 Brutplätze kartiert. Die die Waldreviere zunehmend besetzt, und die Brut- ersten Ergebnisse deuten an, dass der Brutbestand in paare wichen auf andere geeignete Brutplatztypen MV höher einzuschätzen ist als bisher bekannt. im Offenland (Acker- und Grünlandsölle) und an Folgende fünf im Komplex wirkende Ursachen wer- Seen (Verlandungszonen) aus. Neue Bruthabitate den für die positive Bestandsentwicklung verantwort- sind in den letzten 20 Jahren insbesondere durch lich gemacht: vielfältige Wiedervernässungsmaßnahmen entstan- • Nationaler und internationaler Schutz. Der Kranich den. ist in Europa streng geschützt. Durch Wiedervernäs- • Verändertes Zug- und Überwinterungsverhalten. sungen von Feuchtgebieten sind sowohl neue Brutha- Kraniche überwintern heute vermehrt in Frankreich bitate als auch neue Schlafplätze auf den Zugrouten und bei günstigen Bedingungen in Deutschland. Das entstanden, die als Trittsteine dienen. hat zur Folge, dass die Verluste während des Zuges • Anpassungsfähigkeit. Der Kranich hat eine soziale abnehmen und die Rückkehr in das Brutgebiet früher Lebensweise. Die Jungen bleiben über neun Monate stattfinden kann. im Familienverband und lernen von den Altvögeln. Sie leben ab August/September in einer größeren Weiterführende Literatur Gemeinschaft mit den sich anfangs sammelnden und Mewes W 2010: Die Bestandsentwicklung, Verbreitung und später dann rastenden und überwinternden Krani- Siedlungsdichte des Kranichs Grus grus in Deutschland und chen zusammen. In dieser Zeit lernen die Jungvögel seinen Bundesländern. Vogelwelt 131: 75-92. vieles vom Verhalten der Altvögel, wodurch es ihnen Mewes W 2014: Die Bestandsentwicklung, Verbreitung und gelingt, sich relativ schnell auf Veränderungen und Siedlungsdichte des Kranichs Grus grus in Mecklenburg- Vorpommern von 1967 bis 2013. Ornithol. Rundbr. auf Aktivitäten des Menschen in der Landschaft ein- Mecklenbg.-Vorpomm. 48, Sonderh. 1: 29-43. zustellen. Schwarz R & Boldt A 2014: Die Bestandsentwicklung der Brut- • Relativ hohe Reproduktion. In den 1990er Jahren kraniche in der südwestlichen Müritzregion in den letzten hatten die Kraniche eine Fortpflanzungsziffer von 50 Jahren. Ornithol. Rundbr. Mecklenbg.-Vorpomm. 48, 0,9 flüggen Jungen pro Brutpaar, die heute auf etwa Sonderh. 1: 48-54. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

298 Themenbereich „Ornithologie in Mecklenburg-Vorpommern“ • Vorträge

Heinicke T (Samtens): Zum Auftreten der Waldsaatgans Anser fabalis fabalis in Mecklenburg-Vorpommern – Verbreitung, Bestandsentwicklung und Schutzbedarf

✉✉Thomas Heinicke, European Bean Goose project, Gingster Str.18, D-18573 Samtens, E-Mail: [email protected]

Bis zum Beginn der 2000er Jahre war das zeitliche, Januar 2015 dokumentiert werden (Jan 2005: 35.016, räumliche und zahlenmäßige Auftreten der Waldsaat- Jan 2006: 45.858, Jan 2009: 17.600, Jan 2011: 9.180, Jan gans in Mecklenburg-Vorpommern (MV) aufgrund 2013: 11.150). Hinsichtlich der räumlichen Verbreitung fehlender Erfassungen und bedingt durch erhebliche sind die Waldsaatgänse noch weitgehend im bekann- Bestimmungsschwierigkeiten weitgehend unklar. Daher ten Winterareal anzutreffen. Allerdings hat sich der wurde im Winter 2003/2004 mit flächendeckenden Zäh- Verbreitungsschwerpunkt stark nach Vorpommern lungen in MV überwinternder Waldsaatgänse begon- und hier auf den Bereich Rügen verschoben, wo mitt- nen (Heinicke 2004). Anfangs wurden Zählungen lerweile allein fast ein Drittel aller Waldsaatgänse in jeweils zur Monatsmitte zwischen Oktober und März MV überwintert. Der Winterbestand hat sich hier von und im Folgejahr nochmals im Oktober, November 5.755 Vögeln im Januar 2007 (Maximum: 11.007 im und Januar durchgeführt. Aufgrund der festgestellten Kältewinter 2005/2006) auf 2.337 Vögel im Januar 2016 Überwinterungsphänologie mit Rastmaxima im Mitt- stark reduziert. winter (Heinicke 2004, 2007) und wegen des großen Die drastischen Bestandsrückgänge sind nicht nur zeitlichen und finanziellen Aufwandes wurden nachfol- in Mecklenburg-Vorpommern, sondern auch in Bran- gende Zählungen auf den Monat Januar reduziert und denburg und Polen nachweisbar. Dagegen haben die im Rahmen eines speziellen Monitoring (2006, 2009, Winterbestände in Schweden und Dänemark in gerin- 2011, 2013, 2015) fortgeführt. Hierdurch lassen sich gerem Ausmaß abgenommen. Aufgrund der starken Aussagen zur Entwicklung des räumlichen Auftretens internationalen Rückgänge wurde durch das „Agree- und zur Bestandsgröße in MV überwinternder Vögel ment on the Conservation of African-Eurasian Migra- treffen. Zusätzlich werden auf Rügen, einem der Haupt­ tory Waterbirds“ (AEWA) eine Umstufung der Wald- rastgebiete in Deutschland, seit 2003/2004 alljährlich saatgans vorgenommen, die eine Bejagung nur noch Zählungen jeweils Mitte November und Mitte Januar erlaubt, wenn diese nachhaltig erfolgt. Hierzu wurde durchgeführt, um nähere Angaben zum Bestandstrend 2015 ein International Single Species Action Plan für die in MV zu gewinnen. Die letzte Erfassung in MV im Waldsaatgans verabschiedet (Marjakangas et al. 2015), Januar 2015 wurde dankenswerter Weise durch den der die Grundlagen für ein künftiges „adaptive harvest DDA finanziell unterstützt. management“ legen soll. Da es trotz der dringend notwendi- gen Feldzählungen zur sicheren Tren- nung von Wald und Tundrasaatgänsen kein organisiertes Gänsemonitoring in MV gibt und es an geeigneten Beob- achtern mangelt, wurden alle Zählun- gen in Eigenregie durchgeführt. Die Erfassungen erfolgten jeweils in einem Zeitraum von 14 Tagen Mitte bis Ende Januar, wobei räumlich benachbarte Rastgebiete an denselben bzw. direkt aufeinanderfolgenden Tagen aufge- sucht wurden. Die Erfassungen erfolg- ten als Tageszählungen auf Feldflächen zur sicheren Artansprache sowie als ergänzende Schlafplatzzählungen zur Ermittlung von Gesamtbeständen. Anhand der Zählungen konnte ein kontinuierlicher Rückgang des Über- winterungsbestandes von 30.000 Abb. 1: Räumliche und zahlenmäßige Verbreitung der Waldsaatgans Anser bis 40.000 Vögeln Mitte der ersten fabalis fabalis im Mittwinter 2015 in Mecklenburg-Vorpommern als Ergebnis Dekade des 21. Jh. auf 8.139 Vögel im der im Januar 2015 durchgeführten speziellen Zählungen. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 299

Im Zuge der Erstellung dieses Planes wurden vier Hauptfaktoren für die starken Bestandseinbrüche zu Teilpopulationen definiert, wovon drei in Europa über- sein (Marjakangas et al. 2015). wintern. Die in Deutschland und Polen überwinternden Mecklenburg-Vorpommern als Hauptüberwinte- Vögel stammen danach vorrangig aus Brutgebieten in rungsgebiet der westsibirischen Waldsaatgänse ist daher Westsibirien. Der Winterbestand dieser Population ist dringend aufgefordert, endlich adäquate Schutzmaß- aktuell auf weniger als 12.000 Vögel abgesunken, wes- nahmen für diese gefährdete Gänseart zu etablieren. Als halb Deutschland und insbesondere MV eine besonders vordringliche Maßnahme sollte daher in allen Haupt- starke Verantwortung für den Schutz dieser Gänseart rastgebieten die Jagd auf Gänse ab Oktober eingestellt zukommt. werden. Bislang fehlen in Mecklenburg-Vorpommern spe- zifische Schutzmaßnahmen für die Waldsaatgans. Es Literatur besteht lediglich eine Beschränkung der Gänsejagd Heinicke T 2004: Neue Erkenntnisse zum Auftreten der an Schlafplätzen im Rahmen der Landesjagdzeiten- Waldsaatgans Anser fabalis fabalis in Mecklenburg-Vor- Verordnung, während eine Jagd auf Feldflächen unbe- pommern. Orn. Rundbrief Meckl.-Vorp. 45: 3-18. schränkt ist. Insbesondere die regelmäßige Vergesell- Heinicke T 2007: Saatgans Anser fabalis. In Heinicke T & schaftung mit den häufigeren Gänsearten führt zu Köppen U (Hrsg) Vogelzug in Ostdeutschland I – Wasser­ regelmäßigen Abschüssen im Zuge der Gänsejagd in vögel Teil 1. Ber. Vogelwarte Hiddensee 18 (Sonderh.): 87-103. MV. Obwohl keine Unterscheidung in der Jagdstatistik Marjakangas A, Alhainen M, Fox AD, Heinicke T, Madsen J, erfolgt, muss von jährlichen Abschüssen von mehreren Nilsson L & Rozenfeld S 2015: International Single Species hundert Tieren ausgegangen werden. Durch intensive Action Plan for the Conservation of the Taiga Bean Goose Bejagung entlang des gesamten Zugweges von Russland Anser fabalis fabalis. AEWA Technical Series No. XX. Bonn, bis nach Mitteleuropa scheint Überbejagung einer der Germany.

Mähler M (Nägelstedt): Die Greifswalder Oie – Kleine Insel, große Vielfalt

✉✉Mathias Mähler, Nägelstedt, E-Mail: [email protected]

Die Greifswalder Oie – eine 54 Hektar kleine Insel in Grenzbrigade Küste der Nationalen Volksarmee der DDR der Ostsee, zwölf Kilometer östlich von Rügen und als Beobachtungsposten. Dieser Umstand machte weitere zehn Kilometer nördlich der Insel gelegen. umfassende ornithologische Studien nahezu unmöglich Auf einer Länge von 1.550 m und einer maximalen und so liegen aus dieser Zeit auch kaum Daten über die Breite von 570 m bietet sie eine Vielzahl verschiedenster Vogelwelt und das Zuggeschehen auf der Insel vor. Dies Lebensräume. Geprägt wird die Insel von halboffenen, sollte sich erst mit der politischen Wende 1989 ändern, in ehemals landwirtschaftlich genutzten Flächen mit zahl- deren Folge die militärisch bedingten Zugangsbeschrän- reichen beerentragenden Sträuchern wie z. B. Holunder, kungen zur Insel entfielen. 1990 wurde die Insel unter Weißdorn und Brombeere. Daneben finden sich hier Naturschutz gestellt und seit 1993 betreut der Verein auch ein seit Jahrzehnten ungenutzter Laubmischwald, Jordsand nun das Naturschutzgebiet Greifswalder Oie kleine Schilfgürtel und an der Ostseite der Insel eine im Auftrag des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Die unbefestigte Steilküste. Durch ihre geografische Lage Mitarbeiter des Vereins kümmern sich auf der Insel um vor der vorpommerschen Küste ist die Greifswalder Oie die Umsetzung der Schutzgebietsverordnung, betreuen prädestiniert für die Erforschung des Vogelzuges über und informieren die Tagesbesucher und arbeiten an der Ostsee. Bereits in den 1930er Jahren erforschte Wal- verschiedenen wissenschaftlichen Projekten. Seit 1994 ter Banzhaf im Auftrag des Naturkundemuseums Stettin betreibt der Verein Jordsand hier in enger Zusammen- den Vogelzug auf der Greifswalder Oie. Aus seiner For- arbeit mit der Beringungszentrale Hiddensee (LUNG schungsarbeit aus den Jahren 1929 bis 1937 resultierten Mecklenburg-Vorpommern) eine Beringungsstation mehrere Veröffentlichungen, die das Potenzial der Insel zum Registrierfang von durchziehenden Kleinvögeln. für die Vogelzugforschung unterstreichen. In den folgen- Jährlich werden auf der Oie zu den Hauptzugzeiten von den Jahrzehnten wurde die Oie jedoch zunehmend mili- Mitte März bis Mitte Juni und von Anfang August bis tärisch genutzt, zunächst von der Heeresversuchsanstalt Mitte November durchschnittlich ca. 20.000 Vögel mit Peenemünde für Raketenversuche und später von der Japannetzen gefangen und anschließend beringt. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

300 Themenbereich „Ornithologie in Mecklenburg-Vorpommern“ • Vorträge

Ziegler U, Michel F, Fast C, Eiden M, Keller M & Groschup MH (Greifswald-Insel Riems): Untersuchungen zu Viruskrankheiten bei Wildvögeln am Friedrich-Loeffler-Institut

✉✉Ute Ziegler, FLI, Institut für neue und neuartige Tierseuchenerreger, Südufer 10, D-17493 Greifswald-Insel Riems, E-Mail: [email protected]

Die durch Insekten übertragbaren Viruskrankheiten In enger Zusammenarbeit mit den veterinärmedizini- bei Mensch und Tier finden im Zusammenhang mit schen Landesuntersuchungsämtern, dem Bernhard- der Diskussion um mögliche Auswirkungen des Klima- Nocht-Institut für Tropenmedizin, der Aktionsge- wandels zunehmende Beachtung. Zu diesen durch sog. meinschaft zur Bekämpfung der Stechmückenplage Arbo-Viren (arthropod-borne) verursachten Erkran- (KABS) und dem Naturschutzbund (NABU) wurde kungen werden seit längerer Zeit Überwachungsstudien das Virus bisher (2011 bis 2015) bei Wild und Zoo- auch an Wildvögeln am Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) vögeln in Südwestdeutschland festgestellt. Hierbei lag durchgeführt. das Hauptepidemiegebiet im Bereich der nördlichen Das West-Nil Virus (WNV) ist ein von Mücken über- Oberrheinebene und in den benachbarten Gebieten tragenes virales Pathogen mit weltweiter Bedeutung und der Pfalz und des Neckartales, Einzelnachweise gab es eines der am meisten verbreiteten Flaviviren überhaupt. auch bis in den Kölner Raum (Nordrhein-Westfalen). WNV wird hauptsächlich in einem enzoo­tischen Zyk- Im Jahr 2015 wurden erstmals zwei positive USUV- lus zwischen ornithophilen Mücken und bestimmten Nachweise in Berlin bei zwei Bartkäuzen nachgewiesen Wildvogelarten aufrechterhalten, die i. d. R. daran nicht (Ziegler et al. 2016). erkranken. Aber es gibt Vogelarten (z. B. Raben und In diesem Jahr (2016) zeigt das USUV eine sehr starke Greifvögel), welche besonders empfänglich für eine Aktivität. Betroffen ist vor allem das Dreiländereck WNV-Infektion sind, die sich bis hin zu tödlichen Enze- Deutschland-Niederlande-Belgien, wobei in Nord- phalitiden entwickeln kann. Menschen und Pferde sind rhein-Westfalen gehäufte Fallzahlen insbesondere vom sog. Fehlwirte (dead-end-hosts) der Erkrankung und Niederrhein und aus dem Raum Aachen zu verzeichnen können milde fieberhafte Symptome (West-Nil-Fieber) sind. Ein weiteres vermehrtes Auftreten von USUV- bis hin zu schweren Gehirnentzündungen mit tödli- infizierten Vögeln ist im Raum Leipzig nachgewiesen. chem Ausgang entwickeln. Das WNV hat sich in den Neben Einzelfunden von USUV-positiven Vögeln im letzten Jahren besonders stark nach Süd- und Südost- bekannten Epidemiegebiet in Südwestdeutschland in europa ausgedehnt und breitet sich tendenziell immer der Region entlang des Rheins von Freiburg bis Köln weiter nordwärts aus. sind in diesem Jahr auch weitere Einzelfälle im Raum Das Usutu-Virus (USUV), ein mit dem WNV sehr eng Halle sowie in Dresden, Berlin und Saarbrücken gefun- verwandtes Arbo-Virus, hat sich mittlerweile in Europa den worden (Abb. 1). etabliert. Neuere retrospektive Studien haben ergeben, Die seit vielen Jahren am FLI durchgeführten Unter- dass USUV außerhalb Afrikas bereits 1996 in Italien suchungen an Blutproben von Wildvögeln auf das nachgewiesen werden konnte (Weissenböck et al. 2013). Vorkommen von verschiedenen Arboviren wurden Markant bleibt jedoch der Eintrag des Virus 2001 nach in den letzten Jahren auch verstärkt auf die süd- und Österreich, wo es in den nachfolgenden Jahren im Osten südwestlichen Bundesländer ausgedehnt. So konnten des Landes zu einem massiven Vogelsterben, vorrangig seit 2007 bisher mehr als 5.000 Wildvogelblutproben bei Amseln Turdus merula, führte. Als Hauptvektor für untersucht werden. Die Ergebnisse dieser Studien an das Virus in Europa gelten ornithophile Culex-Mücken. Wildvögeln zeigen keinen Hinweis auf eine derzeit Das Virus zirkuliert ebenfalls in einem Vogel-Stechmü- vorkommende WNV-Infektion in Deutschland. Die cken-Vogel-Kreislauf. USUV-Infektionen verlaufen bei wenigen nachgewiesenen WNV-Antikörper bei den den meisten Vögeln symptomlos, jedoch tritt bei hoch- Wildvögeln stammen ausnahmslos von Zugvögeln empfänglichen Vogelspezies wie Amseln oder Bartkäu- (überwiegend Mittel- bis Langstreckenzieher) mit zen Strix nebulosa häufig auch eine deutliche klinische mutmaßlichem Kontakt zum Virus im Überwinte- Symptomatik mit vielen Todesfällen auf (Becker et al. rungsgebiet. Es gibt derzeit einige vereinzelte USUV- 2012; Ziegler et al. 2016). USUV wird nur ein marginales Antikörperfunde in den einheimischen Standvögeln, zoonotisches Potenzial zugeschrieben. aber eine Ausprägung einer Herden-Immunität, wie Nach dem Auftreten von USUV in einem Mücken- damals in Österreich, lässt sich derzeit für Deutschland pool in Weinheim 2010, hat sich das Virus in den letzten nicht erkennen (Ziegler et al. 2012, 2015). Diese Wild- Jahren besonders in Südwestdeutschland unter Wild- vogelstudien werden auch über das Jahr 2016 hinaus vögeln, wiederum vorrangig Amseln, weit verbreitet. weitergeführt. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 301

Abb. 1: Verbreitung des Usutu- Detection of USUV 2016 Virus (USUV) bei Vögeln in ( 12.10.2016 ) Deutschland im Jahr 2016 (Stand n = 56 12.10.2016). Karte: Bundesamt = 1 für Kartographie und Geodäsie (BKG), www.bkg.bund.de/DE/ Home/home.html

Literatur Nile virus infections in Germany. Zoonoses Public Health Becker N, Jöst H, Ziegler U, Eiden M, Höper D, Emmerich 59: 95-101. P, Fichet-Calvet E, Ehichioya DU, Czajka C, Gabriel M, Ziegler U, Jöst H, Müller K, Fischer D, Rinder M, Tietze DT, Hoffmann B, Beer M, Tenner-Racz K, Racz P, Günther S, Danner KJ, Becker N, Skuballa J, Haman HP, Bosch S, Fast Wink M, Bosch S, Konrad A, Pfeffer M, Groschup MH & C, Eiden M, Schmidt-Chanasit J & Groschup MH 2015: Schmidt-Chanasit J 2012: Epizootic emergence of Usutu Epidemic spread of Usutu virus in southwest Germany in virus in wild and captive birds in Germany. PloS One 7(2): 2011 to 2013 and monitoring of wild birds for Usutu and e32604. West Nile viruses. Vector Borne Zoonotic Dis. 15: 481-488. Weissenböck H, Bakonyi T, Rossi G, Mani P & Nowotny N Ziegler U, Fast C, Eiden M, Bock S, Schulze C, Höper D, Ochs 2013: Usutu virus, Italy, 1996. Emerg. Infect. Dis. 19: 274- A, Schlieben P, Keller M, Zielke DE, Luehken R, Cadar D, 277. Walther D, Schmidt-Chanasit J & Groschup MH 2016: Evi- Ziegler U, Seidowski D, Angenvoort J, Eiden M, Müller K, dence for an independent third Usutu virus introduction Nowotny N & Groschup MH 2012: Monitoring of West into Germany. Vet. Microbiol. 192: 60-66. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

302 Themenbereich „Ornithologie in Mecklenburg-Vorpommern“ • Poster

• Poster

Lehrmann A, Mewes W & Nowald G (Röbel/Müritz, Karow, Preetz): Kranichschutz Deutschland – Landesarbeitsgruppe Mecklenburg-Vorpommern

✉✉Andreas Lehrmann, Müritzpromenade 14, D-17207 Röbel/Müritz, E-Mail: [email protected]

Kranichschutz und Kranichforschung Sammel- und Rastplätze In MV haben in Mecklenburg-Vorpommern gibt es etwa 4.250 Kranichpaare. (MV) eine lange Tradition. Erste sys- Nicht alle Räume des Bundeslan- tematische Erfassungen rastender des sind gleich gut kartiert. Weil Kraniche begannen in den 1950er es künftig nicht mehr möglich sein Jahren in der Müritzregion. Bereits wird, eine flächendeckende Erfas- Mitte der 1960er Jahre fand die erste sung abzusichern, wird an einer flächendeckende Erfassung des Kra- Probeflächenkartierung gearbei- nichbrutbestandes im heutigen Bun- tet, um Trendberechnungen und desland MV statt. Das sich aus diesen Hochrechnungen vornehmen zu und weiteren darauffolgenden Akti- können. Ab August jeden Jah- vitäten herausgebildete Netzwerk von res werden an festgelegten Zähl- Kranichschützern ist Grundlage unse- terminen die sich sammelnden rer heutigen Landesarbeitsgruppe und rastenden Kraniche an über (LAG) Meck­lenburg-Vorpommern, 70 Schlafplätzen erfasst. Mitte die aktuell aus 70 aktiven Mitgliedern Oktober können das gleichzeitig besteht und sich einmal im Jahr zu bis zu 150.000 Ex. sein. Zwischen einer Arbeitstagung trifft. Ein für der LAG und den staatlichen drei Jahre gewählter Vorstand aus Naturschutzbehörden in MV vier Mitgliedern leitet die Geschicke besteht eine gute und teilweise der LAG. Drei besondere Aufgabenbereiche werden intensive Zusammenarbeit. So finden die Kenntnisse zu von der LAG bearbeitet: 1. Monitoring der Kranich- den Brutvorkommen sowie den Sammel- und Rastplät- brutplätze und deren Schutz 2. Probeflächenkartierung zen in naturschutzrelevanten Entscheidungsfindungen der Brutplätze und Kranichpaare 3. Monitoring der Berücksichtigung. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 303

Schwerpunktthema „Vögel der Moorlandschaften“

• Plenarvorträge

Joosten H & Tanneberger F (Greifswald): Moore und ihre Bedeutung für Klima und Biodiversität – ein Überblick von Europa bis Vorpommern

✉✉Franziska Tanneberger, Universität Greifswald, Partner im Greifswald Moor Centrum, Soldmannstr. 15, D-17487 Greifswald, E-Mail: [email protected]

Moore sind ein prägender Teil der Landschaft Nord- letzten Wildnisgebiete. Manche Vogelarten beeinflussen deutschlands ebenso wie vieler anderer Teile Deutsch- Moore als Ökosystem, z. B. Schmarotzerraubmöwen (die lands und Europas. Ihre Entwicklung ist untrennbar mit den „skua mounds“ einen eigenen Moortyp hervor- mit dem Angebot von Wasser verbunden: Neben den bringen können), Gründelenten (Diasporenverbreitung nur durch Niederschlagswasser gespeisten Hochmooren von Moorpflanzen) und Gänse (Einfluss auf Vegetation gibt es eine Vielzahl von grund- und oberflächenwasser- und Kohlenstoffhaushalt in arktischen Mooren). gespeisten Moortypen. In Europa werden zehn Haupt- Moore werden seit Jahrtausenden durch den Menschen Moorregionen unterschieden (Joosten et al. 2017), deren genutzt. Neben einigen Formen der torferhaltenden charakteristische Moortypen und Vogelarten im Vortrag Moornutzung (z. B. Schilfmahd) überwiegen Land- und vorgestellt wurden. Allen Mooren gemeinsam ist, dass sie Forstwirtschaft sowie Torfabbau, die auf Entwässerung Kohlenstoffsenken sind, d. h. dauerhaft in ihren Torfen basieren und damit zu Torfsackung und schwund führen. Kohlenstoff speichern können. Moore nehmen nur 3 % Europa ist der Kontinent mit den größten Verlusten an der Landfläche der Welt ein, enthalten aber zweimal mehr natürlichen Mooren: Etwa 10 % der maximalen Moorflä- Kohlenstoff als die gesamte Biomasse aller Wälder der che im Holozän sind schon in Mineralboden umgewan- Erde. Moorböden stellen mit 1,2 Milliarden Tonnen Koh- delt. Von den verbliebenen 594.018 km2 Moorfläche ist lenstoff den größten terrestrischen Kohlenstoffspeicher die Hälfte (286.550 km²) degradiert (Joosten et al. 2017). Deutschlands dar (Roßkopf et al. 2015). Damit ist Europa (neben Südostasien) ein globaler Hot-

Moore unterscheiden sich von anderen Ökosystemen spot für anthropogene CO2-Emissionen aus Böden, die durch den hohen Wasserstand, die starken Temperatur- weltweit 5 % der Gesamtemissionen ausmachen (Joosten schwankungen an der Oberfläche, den niedrigen Sauer- 2009). Obwohl Moore nur 7 % der landwirtschaftlich stoffgehalt, die Akkumulation von giftigen Substanzen, genutzten Fläche Deutschlands ausmachen, sind sie für die Nährstoffarmut und die stärkere Azidität als in der die Freisetzung von mehr als einem Drittel der land- Umgebung. Natürliche Moore haben eine große Bedeu- wirtschaftlichen Treibhausgasemissionen verantwortlich tung für die biologische Vielfalt: Sie bieten einzigartige (Umweltbundesamt 2016). Lebensräume für Arten, die sich an die feuchten und Großflächige Wiedervernässungsprogramme fanden speziellen Bedingungen angepasst haben und sind oft z. B. in Mecklenburg-Vorpommern, aber auch in Weiß- die letzten naturnahen Refugien für seltene und bedrohte russland (51.486 ha) und Russland statt. Europaweit Arten. Natürliche Moore erbringen außerdem zahlrei- wurden aber bisher < 1 % der degradierten Moorfläche che weitere ökologische Leistungen für die Gesellschaft, wiedervernässt (194.500 ha; Joosten et al. 2017). Wie- beispielsweise den Rückhalt von Schadstoffen und die dervernässung kann mit der nassen Bewirtschaftung Regulierung des Lokalklimas sowie des Wasserhaushalts. von Mooren (Paludikultur) verknüpft werden (Wicht- Historische Beschreibungen z. B. aus Brandenburg und mann et al. 2016). Zu den Effekten von Wiedervernäs- die derzeitige Besiedlung von naturnahen Mooren insbe- sung und „nasser“ Nutzung auf die Biodiversität liegen sondere in Osteuropa spiegeln die Vielfalt und Häufigkeit Ergebnisse aus ersten Forschungsprojekten vor, und von heute seltenen Pflanzen, Vögeln und Arthropoden Fallbeispiele für Synergien zwischen Klimaschutz und wider. Für Vögel ist insbesondere die Großflächigkeit von Vogelschutz wurden im Vortrag vorgestellt. Mooren, ihre oftmals typische Kurzrasigkeit (schon vor Zukünftige Herausforderungen in Bezug auf Moore Schaffung von Wiesen!) und ihr Reichtum an Vegetati- liegen insbesondere in der Landknappheit (Verlust natur- onsstrukturen und Wasserflächen relevant. Moore bil- naher Moore und fortgesetzte intensive entwässerte Nut- den ein globales Netzwerk von Gebieten mit ähnlichen zung), dem Klimawandel (Verlust naturnaher Moore und Bedingungen für Rast/Überwinterung und sind oft die Arealverschiebungen) und dem Landnutzungswandel © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

304 Schwerpunktthema „Vögel der Moorlandschaften“ • Plenarvorträge

(Integration von Biodiversitätsschutz). Lösungsansätze Nordic Council of Ministers, Copenhagen. umfassen u. a. das strenge Schützen naturnaher Moore Joosten H 2009: The Global Peatland CO2 Picture. Peatland und ihrer seltenen Vogelarten und die Schaffung von status and drainage related emissions in all countries of the Pufferzonen, den Zusammenschluss mit Verbündeten world. Wetlands International, Ede. (z. B. unter der Ramsar-Konvention, Barthelmes et al. Joosten H, Tanneberger F & Moen A 2017: Mires and peat- lands of Europe: Status, distribution, and nature conserva- 2015) und generell das bessere Erkennen von Mooren, tion. Schweizerbart Science Publishers, Stuttgart. Klarheit bei Begriffen (sind manche „Wiesenbrüter“ Roßkopf N, Fell H & Zeitz J 2015: Organic soils in Germany, nicht eigentlich „Moorvögel“?) sowie mehr Austausch their distribution and carbon stocks. Catena 133: 157-170. zwischen Moorkundlern und Ornithologen. Umweltbundesamt 2016: National Inventory Report, Ger- many - 2016. Literatur Wichtmann W, Schröder C & Joosten H 2016: Paludikultur Barthelmes A, Couwenberg J, Risager M, Tegetmeyer C & - Bewirtschaftung nasser Moore. Kimaschutz - Biodiver- Joosten H 2015: Peatlands and climate in a Ramsar con- sität - regionale Wertschöpfung. Schweizerbart Science text – A Nordic-Baltic perspective. TemaNord 2015: 544. Publishers, Stuttgart.

Nowald G, Lehrmann A & Donat R (Groß Mohrdorf, Röbel, Luckau/Görlsdorf ): Umwelt, Mensch und Kranich in den letzten 40 Jahren

✉✉Günter Nowald, Kranich-Informationszentrum, Lindenstraße 27, D-18445 Groß Mohrdorf, E-Mail: [email protected]

Der charismatische Kranich war ursprünglich über ganz Seit den 1990er Jahren wird der Kranichzug durch Europa als Brutvogel verbreitet. Anthropogene Einflüsse ein europäisches Farbberingungsprojekt erforscht. wie die Jagd und die Entwässerung von Feuchtgebieten Durch die Farbberingung und Besenderung zeigte verdrängten den Kranich aus den meisten Ländern sich in den letzten 15 Jahren eine deutliche Verkür- Süd- und Mitteleuropas. Seit den 1970er Jahren wan- zung der Zugdistanzen in die Überwinterungsgebiete delte sich der negative Trend. Noch vor 40 Jahren flogen (z. B. Winter 1996/97 = 2.087 km, 2014/15 = 968 km; etwa 45.000 Kraniche auf dem westeuropäischen Zugweg, Medianwerte). Immer mehr deutsche Kraniche über- heute sind es mit 375.000 Vögeln acht Mal so viel (Abb. 1). wintern nicht mehr im Südwesten Spaniens, sondern Entsprechend stieg auch die Zahl der Brutpaare. Aller- bleiben aufgrund neu entstandener Schlafplätze (rena- dings verlief der Anstieg in Nordeuropa langsamer als turierte und künstliche Gewässer) und wegen der war- in Mittel- und Osteuropa. In Schweden ging man 1980 men, schneefreien Winter in Frankreich oder sogar von 12.500 Paaren aus. 2010 hatte sich der Bestand auf in Deutschland. Satellitentelemetrie und GPS-GSM/ 30.000 Paare verdreifacht. Im selben Zeitraum stieg der GRSM Sender geben noch tiefere Einblicke in das Bestand in Estland allerdings von 350 auf 7.000 (20fach) Verhalten der Kraniche (Zugtage, -distanzen, -höhen, und in Deutschland von 700 auf 7.650 Paare (11fach) an. -geschwindigkeiten, -orte, Kurzzeitrast, …). Analog stieg auch die Zahl der Rastvögel in den korre- Nach der Wiedervereinigung gründeten die ost- spondierenden Rastregionen. In der Darß-Zingster Bod- und westdeutschen Kranichschützer mit der Luft- denkette und auf Rügen, dem bedeutendsten Rastgebiet hansa Umweltförderung 1991 die Arbeitsgemein- für skandinavische Vögel, erhöhte sich der Maximalbe- schaft „Kranichschutz Deutschland“. Monitoring und stand gleichzeitig rastender Kraniche um das Dreifache Forschungsprojekte werden seitdem von hunderten von 24.000 im Jahr 1985 auf heute 73.000. Im Rhinluch, ehrenamtlichen Mitarbeitern durchgeführt, die in Lan- Hauptrastgebiet für osteuropäische Kraniche, stieg der desarbeitsgruppen organisiert sind. Mit der Gründung Maximalbestand von 7.100 im Jahr 1985 auf aktuell der gemeinnützigen Kranichschutz Deutschland GmbH 131.000 Vögel (18fach). Künstliche und renaturierte (Gesellschafter: NABU, WWF) und der Eröffnung des Feuchtgebiete sowie eine veränderte landwirtschaftliche Kranich-Informationszentrums in Groß Mohrdorf Bewirtschaftung haben in zahlreichen Regionen für neue werden zunehmend auch internationale Schutz- und oder geeignetere Rastgebiete gesorgt. Aktuelle Entwick- Forschungsprojekte durchgeführt. In Äthiopien gibt lungen mit dem verstärkten Anbau von Energiepflan- es beispielsweise seit 2007 ein Kooperationsprojekt zen (vor allem Raps) und der Klimawandel (trockene mit der BAG Afrika des NABU und der EWNHS ein Frühjahre mit Extremwetterereignissen) könnten den Monitoringprojekt zur Bestandserfassung von Klun- positiven Trend umkehren. kerkranichen Bugeranus carunculatus, Grau- und Jung- © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 305

400.000

350.000

300.000

250.000

200.000

150.000

100.000

50.000 Abb. 1: Anzahl der 0 Kraniche auf dem west- s s s s s 9 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 1 2 3 4 5 ie ie ie ie ie 9 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 1 1 1 1 europäischen (schwarz) 0 0 0 0 0 9 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 7 8 8 9 9 1 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 und baltisch-ungari- ly te ly te r la r la schen Zug­weg (grau). ea ea

fernkranichen Anthropoides virgo sowie vom Schwar- die Stichprobe für gesicherte Aussagen noch zu klein. zen Kronenkranich Balearica pavonina. Die Ergebnisse wurden unter anderem für die Zonierung des neuen Weiterführende Literatur Biosphärenreservates am Lake Tana genutzt. Im Rah- Nowald G 2010: Colour marking and radio tracking of Eurasian men eines türkisch-deutsch-amerikanischen Koopera- cranes Grus grus in Germany and Europe – an overview. tionsprojektes wird in der Türkei seit 2014 eine bisher Vogelwelt 131: 111-116. kaum beschriebene bedrohte Unterart, der Grus grus Nowald G, Weber A, Fanke J, Weinhardt E & Donner N 2013: Proceedings of the VIIth European Crane Conference. Crane archibaldi, erforscht, um Schutzmaßnahmen zu konzi- Conservation Germany, Groß Mohrdorf. pieren. Erste Ergebnisse deuten an, dass diese Unterart Nowald G, Heinicke T & Kettner A im Druck: Journal der in Anpassung an den bergigen Lebensraum kompakter Arbeitsgemeinschaft Kranichschutz Deutschland - Das Kra- und kurzbeiniger erscheint. Außerdem verlassen sie ver- nichjahr 2015/16. AG Kranichschutz Deutschland, Kranich- mutlich auch im Winter nicht die Türkei. Allerdings ist Informationszentrum, Groß Mohrdorf.

• Vorträge

Lenschow U (Güstrow): Das Moorschutzprogramm Mecklenburg-Vorpommern – ein Überblick

✉✉Uwe Lenschow, Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie Mecklenburg-Vorpommern, Goldberger Straße 12, D-18273 Güstrow

Im Jahre 2000 wurde durch den Landtag ein Moor- schutz sowie ökonomische und soziale Zielstellungen schutzkonzept für das moorreiche Bundesland Meck- (geordneter Rückzug aus unrentablen Standorten) lenburg-Vorpommern mit einer Laufzeit bis zum Jahre formuliert. Vorangegangen waren diesem politischen 2020 beschlossen. Darin wurden ökologische Zielstel- Beschluss Erhebungen zur Situation der Moore und der lungen zum Boden-, Klima-, Gewässer- und Natur- Moornutzungen. Mitte der 1990er Jahre waren 62 Pro- © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

306 Schwerpunktthema „Vögel der Moorlandschaften“ • Vorträge zent der Moore in Mecklenburg-Vorpommern (über Für die Vögel der Moorlandschaften ergaben sich die 180.000 ha) stark entwässert. Unentwässerte Moore gravierendsten Standortveränderungen durch die Rena- außerhalb der Wälder waren sehr selten geworden. Die turierung tiefliegender Polderflächen, vor allem in den Treibhausgasemissionen trocken gelegter Moorstand- Flusstalmoorsystemen von Peene, Trebel und Recknitz. orte machen in Mecklenburg-Vorpommern ca. 30 % der Insgesamt wurden bis 2015 landesweit ca. 28.000 ha Gesamt-Treibhausgasemissionen aus. Die entwässerten Moorflächen wiedervernässt. In der technischen Aus- Moorkörper sind teilweise deutlich gesackt und liegen führung haben sich Vorzugsvarianten ergeben: Wasser oftmals unter dem Wasserspiegel der Vorfluter. aus dem Einzugsgebiet wird nach Möglichkeit in das Schwerpunkte des Moorschutzkonzeptes sind der Vernässungsgebiet eingeleitet. Fanggräben in Hangla- Schutz der verbliebenen naturnahen Moore sowie die gen werden verschlossen. Im Binnenland (an Fluss- und Renaturierung von Mooren, für die Mecklenburg-Vor- Seeufern) bleiben Deiche/Verwallungen erhalten, um pommern eine besondere Verantwortung wahrnimmt. für einen Übergangszeitraum den Wasseraustausch Möglichst große Teile des Moorgrünlands sollen exten- zwischen wiedervernässtem Moorbereich und dem siv und mit hohen Wasserständen bewirtschaftet wer- angrenzenden Gewässer zu minimieren, überschüssiges den. Entsprechende Förderprogramme zur Umsetzung Wasser wird durch Rohre mit oder ohne Rückschlag- dieser Zielsetzungen werden angeboten. Geänderte öko- klappen abgeführt. In den nutzungsfreien Renaturie- nomische Rahmenbedingungen, neue wissenschaftli- rungsgebieten bilden sich Mudden bzw. Torfe, die im che Erkenntnisse und die Umsetzung der europäischen Laufe der Jahrzehnte wieder über den Wasserspiegel Umweltrichtlinien führten im Jahre 2009 zur Überar- anwachsen. Die vernässten Moorstandorte unterliegen beitung des Moorschutzkonzepts. Fragen des Anbaus dabei einem steten Vegetationswandel, ebenso wurde nachwachsender Rohstoffe, Möglichkeiten der Siche- ein Wandel der Vogelgemeinschaft nach der Wieder- rung ganzjährig hoher Moorwasserstände auf Offen- vernässung beobachtet. landstandorten, die prämienfähig bleiben, die Optimie- In den nächsten Jahre sollen vorrangig Moorstand- rung der Wasserversorgung/-haltung von Waldmooren orte vernässt werden, die danach weiter als extensives sowie die Möglichkeiten, die renaturierte Moore für den Grünland genutzt werden. Damit soll auch den starken Natur-Tourismus bieten, sind neu oder vertieft in dieser Populationsrückgängen bei den Wiesenbrütern entge- Konzeptfortschreibung behandelt. gengewirkt werden.

Herold B (Kietz): Geht es noch etwas nasser? – Brutvögel wieder-vernässter Niedermoore Mecklenburg- Vorpommerns

✉✉Benjamin Herold, Zoologisches Institut und Museum, Universität Greifswald, Soldmannstraße 23, D-17489 Greifswald, E-Mail: [email protected]

Flusstalmoore sind der charakteristische Niedermoor- Welchen Einfluss haben Wiedervernässungen auf typ der jungen Moränenlandschaft Nordostdeutsch- Brutvögel unter Berücksichtigung von Vegetation, lands. Sie waren ursprünglich durch eine sehr spezielle Hydrologie? Welche naturschutzrelevanten Erwartun- Avifauna mit Arten wie Seggenrohrsänger Acrocephalus gen können mit umfassenden Wiedervernässungen paludicola, Doppelschnepfe Gallinago media und Tüp- verbunden werden und welche Rahmenbedingungen felsumpfhuhn Porzana porzana gekennzeichnet. sind dafür erforderlich? Die Umwandlung in intensive landwirtschaftliche Um diese Fragen zu beantworten, erfolgte auf 21 Wie- Produktionsflächen zerstörte 95 % der nordostdeutschen dervernässungsflächen mit einer Gesamtfläche von Flusstalmoore. Bestandseinbrüche fast aller wiesenbrü- 2.167 ha eine Analyse von Brutvogelbestand, Vegetation tenden Limikolenarten, der Sumpfohreule Asio flam- und Hydrologie. Für ausgewählte Arten wurden Habi- meus, von Kornweihe Circus cyaneus und Wiesenweihe tatpräferenzen ermittelt. Desweiteren dienten recher- Circus pygargus, aber auch des Tüpfelsumpfhuhns und chierte Siedlungsdichteuntersuchungen auf naturnahen, das drohende Aussterben des Seggenrohrsängers waren brachliegenden, intensiv und extensiv bewirtschafteten die Folge. Im Rahmen verschiedener Förderprogramme Niedermoorstandorten dazu, die Ergebnisse überregio- wurden in Mecklenburg-Vorpommern über 20.000 ha nal einzuordnen. Definierte Leitarten für Flusstalmoore Moore wiedervernässt. dienten der naturschutzfachlichen Bewertung. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 307

Wiedervernässte Flusstalmoore besitzen artenreiche Anhebung des Wasserstandes knapp über Flur ist der Brutvogelgemeinschaften von hohem Schutzwert. Stark Schlüsselfaktor für die Ansiedlung von Leitarten und gefährdete und zum Teil verschwundene Arten siedeln die meisten gefährdeten Arten. Zum einen entspricht sich wieder an. Die meisten Leitarten und gefährdeten dies den Bedingungen in naturnahen Flusstalmooren, Arten benötigen Wasserstände knapp über Flur. Für die zum anderen ist hierdurch langfristig die Rahmenbe- Wiederansiedlung von Leitarten ist die Entwicklung von dingung für die Entwicklung von Seggenrieden und eine Seggenrieden besonders bedeutsam. Die permanente nachhaltige Nutzung gegeben.

Frommolt K-H (Berlin): Akustische Erfassung von Vögeln in einem Moor-Renaturierungsgebiet

✉✉Karl-Heinz Frommolt, Museum für Naturkunde - Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung, Invalidenstraße 43, D-10115 Berlin, E-Mail: [email protected]

Akustische Aufzeichnungen sind gut geeignet, um Vögel Auf jeder der 15 Minuten dauernden Einzelaufnahmen in schwer zugänglichen Gebieten zu untersuchen. Im waren zumindest drei Vogelarten zu hören. Das akusti- vorliegenden Beitrag werden die Ergebnisse bioakusti- sche Monitoring erbrachte Nachweise seltener nachtak- scher Erfassungen im nordwestlich des Kummerower tiver Vogelarten wie Kleines Sumpfhuhn Porzana parva, Sees (Mecklenburg-Vorpommern) gelegenen Polder TüpfelsumpfhuhnPorzana porzana und Sumpfohreule „Große Rosin“ vorgestellt. In dem Polder wurde 2006 Asio flammeus. Der Einsatz von Mustererkennungsalgo- mit der Abschaltung des Pumpwerkes Aalbude die rithmen erlaubte die effektive Suche nach Rufen ausge- Moorrenaturierung eingeleitet. Seit 2008 werden im wählter Arten. Durch die akustische Erfassung konnte Gebiet kontinuierlich bioakustische Untersuchungen für das Gebiet die Bestandentwicklung der Rohrdom- durch das Museum für Naturkunde Berlin durch- mel Botaurus stellaris über acht Jahre verfolgt werden. geführt. Seit 2012 erfolgt während der Brutzeit eine Die Anzahl rufender Männchen variierte von zwei bis systematische automatisierte akustische Erfassung. 17. Als Ursache für die Bestandsschwankungen werden Dabei werden täglich 90 Minuten mit einem Vierkanal- Habitatveränderungen und Witterungseinflüsse gese- Recorder in sechs Zeitintervallen aufgezeichnet. Der hen. Die akustischen Aufzeichnungen erlauben auch Schwerpunkt liegt auf der Erfassung nachtaktiver Arten, detailliertere Angaben zur Phänologie einzelner Arten. jedoch werden auch abendliche und morgendliche Akti- Insbesondere das Muster der Rufaktivität von Kleinem vitätsphasen mit erfasst. Die Tonaufzeichnungen des und Tüpfelsumpfhuhn mit Phasen hoher Rufaktivität ersten Erfassungsjahres konnten komplett ausgewertet und Ruhephasen erlauben den Schluss, dass diese Arten werden. Durch Abhören aller Aufzeichnungen, unter- auch im Gebiet gebrütet haben. Das Potenzial eines kon- stützt durch spektrographische Visualisierung, konnten tinuierlichen bioakustischen Monitorings als nichtin- insgesamt 61 Vogelarten festgestellt werden. Obwohl vasive Erfassungsmethode wird diskutiert. Bei gezielter die meisten Aufnahmen nachts gemacht wurden, war Anwendung können Informationen gewonnen werden, auf keiner Aufnahme wirkliche Stille zu vernehmen. die mit traditionellen Methoden nicht erfasst werden. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

308 Schwerpunktthema „Vögel der Moorlandschaften“ • Vorträge

Blüml V & Sandkühler K (Osnabrück, Hannover): Die Bedeutung niedersächsischer Hochmoore für Brut- und Gastvögel

✉✉Volker Blüml, BMS-Umweltplanung, Freiheitsweg 38A, D-49086 Osnabrück, E-Mail: [email protected]

Hochmoore wurden im moorreichen Niedersachsen Die Bedeutung von Hochmooren für den Vogelar- über Jahrhunderte als für den Menschen lebensfeind- tenschutz in Niedersachsen drückt sich auch in der liche Landschaftsformen angesehen und in großem Ausweisung zahlreicher EU-Vogelschutzgebiete aus, Umfang durch Torfabbau, Kultivierung, land- und die entsprechende Lebensräume enthalten. Trotz der forstwirtschaftliche Nutzung zerstört oder beeinträch- bekannten großen Bedeutung für Brut- und Gastvögel tigt. Mit dem Niedersächsischen Moorschutzprogramm und zahlreicher gebiets und artbezogener Bestandser- wurden ab Anfang der 1980er Jahre großflächig die fassungen stand eine zusammenfassende Darstellung Zielsetzung Wiedervernässung nach Torfabbau und zur Bedeutung von Hochmooren für den Vogelarten- dauerhafte Sicherung für den Naturschutz verfolgt. schutz bislang aus. Bis zum Jahr 2040 sollen etwa 27.000 ha entsprechend Hier werden teils wiederholte Brutbestandserfassun- hergerichtet sein. Ziel des Landes Niedersachsen ist es gen (2001-2015) aus 24 räumlich getrennten Untersu- zudem, etwa 80.000 ha nicht abgetorfte Hochmoorflä- chungsgebieten in 12 EU-Vogelschutzgebieten und sie- chen als Naturschutzgebiet zu sichern. ben weiteren Hochmooren vergleichend ausgewertet (s. Neben dem primären Ziel, das Wachstum torfbilden- auch Blüml & Sandkühler 2015). Anhand vorliegender der Vegetation wiederzubeleben und die Hochmoore Biotoptypenkartierungen wird zudem die Bedeutung zu regenerieren, stehen die Sicherung und Wiederher- der unterschiedlichen Hauptlebensräume für Brutvo- stellung der Lebensraumfunktionen für eine von Natur gelarten analysiert. Außerdem wird die Bedeutung von aus eher arten- und individuenarme, aber spezialisierte Hochmooren für Gastvögel dargestellt, zu denen teils Pflanzen und Tierwelt im Vordergrund. In den letzten ebenfalls systematische Erfassungen vorliegen. Jahren rückt zunehmend auch die Verringerung klima- Wiedervernässte Hochmoore haben eine herausra- relevanter Emissionen aus bislang entwässerten Mooren gende Bedeutung für den Brutvogelartenschutz: Natur- in den Focus. nahe Hochmoore (Abb. 1) und gehölzarme, nasse Wie-

Abb. 1: Naturnaher Hochmoorbereich in der Tinner Dose, Landkreis Emsland. Lebensraum u. a. von Großem Brachvogel Numenius arquata, Rotschenkel Tringa totanus, Feldlerche Alauda arvensis und Wiesenpieper Anthus pratensis. Foto: V. Blüml © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 309 dervernässungsflächen sind wichtige Bruthabitate u. a. cus cyaneus, Sumpfohreulen Asio flammeus und Raub- für die Limikolenarten Großer Brachvogel Numenius würger Lanius excubitor. arquata, Rotschenkel Tringa totanus und Bekassine Gal- Für den Vogelartenschutz ist die Schaffung dauer- linago gallinago, die außerdem Hochmoorgrünland als haft nasser, gehölzarmer Wiedervernässungsflächen von Brut- und Nahrungshabitat nutzen. entscheidender Bedeutung. Offene Wasserflächen soll- Der vom Aussterben bedrohte Goldregenpfeifer Plu- ten in der Regel nur temporär entstehen. Mit der suk- vialis apricaria sowie die nur sporadisch in Niedersach- zessiven Herrichtung weiterer Torfabbauflächen werden sen brütenden Alpenstrandläufer Calidris alpina und diese aber in den nächsten Jahrzehnten in vielen Gebie- Bruchwasserläufer Tringa glareola kommen ausschließ- ten ohnehin noch weiter vorzufinden sein. Trockenere lich in Hochmooren vor. Moorrandbereiche mit einzelnen Gehölzstrukturen Große Bedeutung haben nasse Hochmoorlebens- bedürfen auch als Vogellebensräume einer gezielten räume auch für den sich derzeit stark ausbreitenden Dauerpflege, Hochmoorgrünland einer regelmäßigen, Kranich Grus grus. Im Rahmen der Wiedervernässung extensiven Nutzung. Forstlich möglichst ungenutzte, entstehen zumindest für einige Jahre überstaute Flä- strukturreiche Moorwälder können sich dort als Ent- chen, die wichtige Ersatzlebensräume für Wasservogel- wicklungsziel anbieten, wo eine nachhaltige Wieder- arten nährstoffarmer bis mäßig nährstoffreicher Feucht- vernässung und Entwicklung naturnaher Hochmoore gebiete darstellen können, u. a. Löffel- Anas clypeata und oder Dauerpflege von Offenlebensräumen nicht sinnvoll Knäkente A. querquedula, Lachmöwe Larus ridibundus möglich ist. und Schwarzhalstaucher Podiceps nigricollis. Unterschiedliche Erhaltungsziele im Hinblick auf die Moorrandbereiche mit trockeneren Offenlandgebie- Erfordernisse aus der FFH- und der EU-Vogelschutz- ten sowie Gehölzstrukturen sind u. a. für Ziegenmel- richtlinie, des sonstigen Tier- und Pflanzenartenschut- ker Caprimulgus europaeus und Raubwürger Lanius zes sowie des Ressourcenschutzes können in der Regel excubitor bedeutsam. Sekundäre Moorwälder können weitgehend harmonisiert werden. Sie bedürfen aber bei hinreichendem Strukturreichtum sowohl wichtige einer differenzierten Berücksichtigung in umsetzungs- Teillebensräume für Brutvögel halboffener Landschaf- orientierten Managementplänen mit Festlegungen für ten darstellen, als auch eine arten- und individuenreiche ggf. unterschiedliche Entwicklungsziele in Teilräumen. Waldvogelgemeinschaft beherbergen. Die Datenbasis zu Brut- und insbesondere auch Gast- Für Gastvögel haben überstaute Bereiche vielerorts vogelvorkommen in Hochmooren muss weiterhin fort- eine hohe Bedeutung als Schlafplatzgewässer mit z. T. geschrieben und verbessert werden. international bedeutsamen Rastbeständen von Krani- chen sowie nordischen Gänsen Anser spp. und Schwä- Literatur nen Cygnus spp. Hinzu kommt die Rastplatzfunktion Blüml V & Sandkühler K 2015: Bedeutung niedersächsischer u. a. für Enten und Limikolen. Hochmoore sind zudem Hochmoore für Brutvögel. Informationsd. Naturschutz Nie- wichtige Überwinterungsgebiete für Kornweihen Cir- dersachs. 35: 119-177. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

310 Schwerpunktthema „Vögel der Moorlandschaften“ • Vorträge

Mewes W & Nowald G (Plau am See, Preetz): Die Brutorttreue von Kranichen in Mecklenburg-Vorpommern (Nordostdeutschland)

✉✉Wolfgang Mewes, Grüner Weg 3, D-19395 Plau am See, OT Karow, E-Mail: [email protected]

Aussagen zur Brutorttreue und Partnertreue bei Kra- in Metern berechnet. So lag für jedes Weibchen ein mitt- nichen Grus grus sind nur dann möglich, wenn man lerer Abstand zu dem Schwerpunkt vor, durch den die die Individuen identifizieren kann. Im Rahmen eines Nistplatztreue bestimmt wird. Bei 45 % der Weibchen Brutplatzmonitorings in Mecklenburg-Vorpommern betrug der Abstand 0 bis 20 m (sehr große Nistplatz- wurde von 2005 bis 2016 in einem 341 km² großen treue), bei 35 % 21 bis 40 m (große Nistplatztreue) und Untersuchungsgebiet (Mewes & Rauch 2012) mit einer bei 20 % > 40 m (mittlere bis geringe Nistplatztreue). Siedlungsdichte von 40 BP/100 km² die Brutorttreue Brutorttreue und Partnertreue sind eng miteinander getestet. Die Weibchen wurden an ihren Gelegen iden- verbunden. Die Partnertreue kann dann überwacht wer- tifiziert (Mewes & Rauch 2010; Höltje et al. 2016). Einige den, wenn das Männchen beringt ist, was bei einigen Paa- Männchen waren beringt. Die Weibchen wurden dann als ren der Fall war. Manchmal übernehmen starke Männ- treu zu ihrem Brutplatz bzw. Brutrevier bezeichnet, wenn chen ein Brutrevier mit dem dort siedelnden Weibchen, sie im nächsten Jahr dort wieder nachgewiesen werden wodurch es zu Umpaarungen kommt. Teilweise werden konnten. Wurde ein anderes Weibchen festgestellt, war es aber auch Paare aus ihren Revieren verdrängt, was einen neu. An insgesamt 674 kontrollierten Brutplätzen traten Revierwechsel zur Folge hat. Diese Fälle sind allerdings in elf Jahren zu 86 % dieselben Weibchen des Vorjahres selten (jährlich < 5 %). bzw. der Vorjahre auf. Das beweist eine große Brutort- Es ist vorteilhaft für Kranichpaare, wenn sie jedes treue. In nur 14 % der Fälle wurden andere Weibchen Jahr dasselbe Brutrevier nutzen können. Sie kennen ihr nachgewiesen (Abb. 1). Revier und die Brutplätze und damit die Störungen und Kraniche besitzen gewisse Vorlieben, ihre Nester jähr- Gefahren. Langzeitige Brutorttreue und Partnertreue lich an bestimmten Orten innerhalb der Brutplätze zu haben wahrscheinlich einen positiven Einfluss auf die errichten. Die Wahl dieses Standortes wird beeinflusst Reproduktion. durch die Brutplatzgröße, die jährlichen Wasserbedin- gungen und die Konkurrenz von Brutnachbarn. An extre­ Literatur men Brutplätzen (tiefes Wasser, wenig zur Verfügung Höltje H, Mewes W, Haase M & Schmitz-Ornés A 2016: stehendes Nistmaterial etc.) benutzen Kraniche jedes Genetic evidence of female specific eggshell colouration Jahr denselben Standort. Bei Nestkontrollen wurden die in the Common Crane (Grus grus). J Ornithol. 157: 609-617. Koordinaten des Neststandortes mit einem GPS-Gerät Mewes W & Rauch M 2010: Die Identifizierung brütender Kranichweibchen Grus grus anhand ihrer Gelege. Vogelwelt ermittelt. Um Aussagen zur Nistplatztreue zu ermögli- 131: 93-102. chen, wurden 50 Weibchen ausgewählt. Aus den Nest- Mewes W & Rauch M 2012: Der Schlupferfolg von Kra- koordinaten jedes Weibchens (im Mittel 7,3) wurden nichgelegen Grus grus in einem Untersuchungsgebiet in der Schwerpunkt (Mittel alle Hoch- und Rechtswerte) Mecklenburg-Vorpommern in den Jahren 2003 bis 2012. bestimmt und die jährlichen Abstände zu diesem Punkt Vogelwelt 133: 195-212.

100% 90%

n 80% e

h 70% c b i 60% e w

h 50% c i

n 40% a r 30% K 20% 10% Abb. 1: Revier- bzw. Brutplatz- 0% treue bei Kranichweibchen in 6 7 8 9 0 1 2 3 4 5 6 0 0 0 0 1 1 1 1 1 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 den Jahren 2006 bis 2016 (n = 674 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 kontrollierte Brutplätze, im Mittel treue Weibchen neue Weibchen 61 pro Jahr). © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 311

Heinicke T, Modrow M, Nowald G, Blahy B, Haferland HJ, Henne E, Kettner A, Kraatz U, Lehrmann A, Niemeyer F, Obracay K & Obracay T (Groß Mohrdorf, Bernau, Steinhöfel, Geesow, Blumberg, Röbel, Wagenfeld, Sulingen): Aufenthaltsorte deutscher Kraniche Grus grus zur Rastzeit und im Winter – eine Datenanalyse mit iCORA

✉✉Thomas Heinicke, Kranichinformationszentrum Groß Mohrdorf, Lindenstrasse 27, D-18445 Groß Mohrdorf, E-Mail: [email protected]

Seit 1989 werden in Deutschland regelmäßig Kraniche bar, Stand August 2016). Funde aus Deutschland (n = der heimischen Brutpopulation mit Farbring-Kombinati- 52.835) stammen vorrangig aus Mecklenburg-Vorpom- onen aus sechs Ringen (drei Ringe als Ländercode am lin- mern (30.039), Brandenburg (11.835) und Niedersach- ken Bein, drei Ringe als Individualcode am rechten Bein) sen (10.002), die zugleich die maßgeblichen Brut- und farbmarkiert, um beispielsweise Daten von Kranichen aus Rastbestände in Deutschland beherbergen (Boldt 2015; Durchzugs- und Überwinterungsgebieten oder Angaben Donat 2015). Außerhalb Deutschlands erfolgten insge- zu Überlebensraten und zum Ansiedlungsverhalten zu samt 16.025 Wiederfunde, die sich auf 13 europäische erlangen. Bis einschließlich 2016 wurden in Deutschland Länder verteilen. Der Großteil der Funde stammt aus 1.840 Kraniche (zum Großteil nichtflügge Jungvögel und Frankreich (10.446) und Spanien (5.436). nur eine kleine Anzahl von Altvögeln) beringt, die meis- Anhand der bislang vorliegenden Wiederfunde ten davon in folgenden Schwerpunktgebieten: gehören die in Deutschland brütenden Kraniche aus- schließlich zur westeuropäischen Zugpopulation, die • Schorfheide-Chorin und Uckermark (Brandenburg): in Deutschland, Frankreich und Spanien überwintert. 735 Beringungen seit 1994, Mittels Kernel-Homerange-Analyse wurden außerhalb • Goldberg-Parchim (Mecklenburg-Vorpommern (MV): Deutschlands der Lac du Der-Chantecoq in Nordost- 500 Beringungen seit 1989, Frankreich, Rastplätze in Zentralfrankreich, das Gebiet • Nordvorpommern/Rügen (MV): 334 Beringungen um Arjuzanx in Südfrankreich, die Laguna de Gallocanta seit 1999, in Nordost-Spanien und die Extremadura im Südwesten • Müritz (MV): 170 Beringungen seit 2003 und von Spanien als die wichtigsten Rast- und Überwinte- • Diepholzer Moorniederung (Niedersachsen): 56 rungsgebiete für deutsche Kraniche ermittelt (Abb. 1). Be­ringungen seit 2009. Je nach Brutherkunft in Deutschland werden unter- Die Wiederfunddaten werden seit 2009 in der online- schiedliche Rastgebiete innerhalb der Bundesrepublik Datenbank iCORA (internet-based Crane-Observation aufgesucht. Insbesondere brandenburgische Kraniche Ring Archive) digital erfasst und verwaltet. Von den ziehen vorrangig über Rastgebiete in Brandenburg und in Deutschland beringten Kranichen gelangen bislang Sachsen-Anhalt/Thüringen nach Frankreich und Spa- über 90.000 Wiederfunde (davon 68.860 digital verfüg- nien, während die Kraniche aus Nordvorpommern und aus dem Binnenland Mecklenburgs zuerst in Richtung der Diepholzer Moorniederung und erst anschließend weiter nach Frankreich ziehen. Dadurch ziehen die hei- mischen Kraniche in zwei verschiedenen Zugkorridoren über Südwestdeutschland nach Frankreich. Zugleich werden je nach Brutherkunft unterschied- lich weit entfernte Überwinterungsgebiete aufgesucht. In Nordost-Brandenburg markierte Kraniche ziehen tendenziell am weitesten und überwintern bis nach Südwest-Spanien (Extremadura), während Vögel aus der Region Goldberg-Parchim meist nur bis Nordost- Spanien (Laguna de Gallocanta) und Kraniche aus der Müritz-Region meist nur bis nach Südfrankreich zie- hen. In Nordvorpommern beringte Kraniche fliegen größtenteils nur bis Nordost-Frankreich (Lac du Der Chantecoq), während in Niedersachsen brütende Vögel bereits im Umfeld der Brutgebiete überwintern. Abb. 1: Wiederfunde in Deutschland markierter Kraniche Generell zeigen die heimischen Kraniche ein sehr flexi- Grus grus in Europa und Ermittlung der Hauptrast- und bles Zugverhalten und versuchen in zunehmender Zahl Überwinterungsgebiete mittels Kernel-Homerange-Analyse. bereits in Deutschland (v. a. in der Region um Diepholz © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

312 Schwerpunktthema „Vögel der Moorlandschaften“ • Vorträge und im Großraum Berlin) zu überwintern (s. Donat Literatur 2015). Sowohl für Brutkraniche aus Brandenburg als auch Boldt A 2015: Die Entwicklung des Kranichbrutbestandes in aus Mecklenburg-Vorpommern zeigt sich insbesondere Deutschland bis 2014 und die Einführung der Kartierung seit Anfang der 2000er Jahre eine kontinuierliche Verkür- von Kranichbrutplätzen auf Probeflächen. Das Kranichjahr zung der Zugwege. Heimische Brutkraniche reagieren 2014/2015. Journal AG Kranichschutz Deutschland: 11-15. daher durch Zugwegverkürzung, späteren Abzug und Donat R 2015: Die Kranichrast in Deutschland im Herbst 2014. Das Kranichjahr 2014/2015. Journal AG Kranich- zeitigere Rückkehr sowie häufigere Überwinterung in der schutz Deutschland: 16-23. Nähe der Brutheimat auf den Klimawandel.

Tegetmeyer C, Thoma M, Herold B & Tanneberger F (Greifswald, Bern/Schweiz, Angermünde): Zustand, aktuelle Entwicklungen und zukünftige Herausforderungen in den Brut- und Überwinterungsgebieten des global bedrohten Seggenrohrsängers Acrocephalus paludicola

✉✉Cosima Tegetmeyer, Universität Greifswald, Partner im Greifswald Moor Centrum, Soldmannstr. 15, D-17489 Greifswald, E-Mail: [email protected]

Der Seggenrohrsänger Acrocephalus paludicola ist der gang, hier können aber aktuell dank Habitatverbesse- seltenste und der einzig global bedrohte Singvogel Kon- rungen im Zuge eines EU-Life Projektes wieder stei- tinentaleuropas. Auf der Roten Liste der IUCN wird gende Zahlen singender Männchen verzeichnet werden. er als „vulnerable“ gelistet, auf europäischem Level In mehreren Brutgebieten haben sich diese seit 2013 ver- sogar als „endangered“. Die globale Population wird doppelt oder sogar verdreifacht (Z. Preiksa, pers. Mitt.). auf 13.000 bis 16.000 singende Männchen geschätzt Der Seggenrohrsänger überwintert in Westafrika; (BirdLife International 2016). Der Seggenrohrsänger folglich ist auch dort die Existenz von adäquaten Rast- ist heute der seltenste Brutvogel Deutschlands. Die und Überwinterungsgebieten entscheidend für das Art ist streng stenotop und brütet heute nur noch in Überleben der Art. ausgedehnten naturnahen mesotrophen Niedermooren Südlich der Sahara treten Seggenrohrsänger in flach oder ähnlich strukturierten Feuchtgebieten Mittel- und überfluteten Habitaten mit einer homogenen grasarti- Osteuropas. Europäische Brut- und Rastgebiete mit den gen Vegetation von ca. 0,6 bis 1,5 m Höhe auf. Solitär- letzten Seggenrohrsängervorkommen stehen heute fast bäume treten in geeigneten Habitaten auf, Baumsavan- vollständig unter Schutz, trotzdem verschlechtern sich nen oder Gebüsche sowie Reinbestände von Rohrkolben weiterhin viele Habitate durch die Veränderung oder Typha australis werden jedoch gemieden. Eine dauer- Aufgabe ihrer Nutzung. Seggenrohrsänger, die in Moor- hafte Überflutung der Flächen bis zum Frühjahrszug gebieten in Ostpolen, Weißrussland und Nordukraine ist eine Voraussetzung für die Eignung der Habitate als brüten, bilden die sogenannte „Kernpopulation“. Deren Überwinterungsgebiet (Tegetmeyer 2015). Bestandszahlen sind unterschiedlich gut erfasst; zumin- Das einzig gut erforschte Überwinterungsgebiet des dest in Ostpolen sind sie in den vergangenen zehn Jah- Seggenrohrsängers ist das Djoudj Gebiet, ein temporär ren dank großer EU-Life-Projekte weitgehend konstant künstlich überflutetes Feuchtgebiet in und rund um den geblieben sind (OTOP BirdLife Polen, unveröff. Daten). 16.000 ha großen „Djoudj National Park“ im Senegal- Die Pommersche Subpopulation zeigt insgesamt seit delta. Dort überwintern bis zu maximal 20 % der glo- 1997 einen anhaltenden Bestandsrückgang und ist aktu- balen Population (Tegetmeyer et al. 2014). Ein weiteres ell mit weniger als 20 singenden Männchen nach den potenzielles Überwinterungsgebiet im Senegaldelta ist IUCN-Kriterien als „critically endangered“ einzustufen. das Ndiaël Reserve, 30 km westlich des Djoudj National- Auch die Anzahl besiedelter Brutgebiete hat stark abge- parks. Das ca. 47.000 ha große Ramsar-Gebiet mit der- nommen (1997: 13, 2015: zwei). Es besteht ein Risiko zeit ca. 10.000 ha Feuchtgebietshabitaten steht derzeit des Erlöschens innerhalb weniger Jahre (Bellebaum & auf der sogenannten Montreux-Liste, der Ramsar Mon- Tanneberger 2016). Als eine wichtige Ursache wird ein treux Record (Register der Ramsar-Gebiete in einem nicht ausreichend guter Zustand mehrerer Brutgebiete ökologisch schlechten Zustand; The Ramsar Convention angesehen (Tanneberger et al. 2014). Im Jahr 2016 nahm on Wetlands 2011), und soll im Zuge eines durch die sowohl die Anzahl der besiedelten Gebiete (drei) als Afrikanische Entwicklungsbank finanzierten Wieder- auch die Gesamtzahl (1.113 singende Männchen) im vernässungsprojektes revitalisiert werden (OLAG 2016). Vergleich zum Vorjahr wieder leicht zu. Im Januar 2016 wurden dort 750 ha potenzielles Seggen- Auch die Litauische Population zeigte einen Rück- rohrsängerhabitat identifiziert (Tegetmeyer et al. 2016). © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

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Abb. 1: Die Überwinterungsgebiete des Seggenrohrsängers. Dargestellt sind Nachweise zwischen Dezember und Februar mit dem Jahr des letzten Nachweises und potenzielle Überwinterungsgebiete (nach Buchanan et al. 2011).

Weitere Überwinterungsgebiete sind die Überflutungs- of the globally threatened Aquatic Warbler Acrocephalus ebenen des Inneren Nigerdeltas in Mali (Foucher et al. paludicola using remote sensing. Ostrich 82: 81-85. 2013) und kleinere Feuchtgebiete in Mauretanien, im Foucher J, Boucaux M, Giraudot É, André A, Lorrillière R & Senegal und vermutlich in Ghana. Diese sind mögli- Dugué H 2013 : Nouveaux sites d’hivernage du Phragmite cherweise durch derzeit weiträumige und schnell fort- aquatique Acrocephalus paludicola. Ornithos 1: 1-9. Tanneberger F, Knöfler V, Linke W, Tegetmeyer C & Klos- schreitende Landnutzungsänderungen (Walther 2016) kowski J 2014: Rapid changes in vegetation structure of und Staudammprojekte (Zwarts & Frerotte 2012) im Aquatic Warbler habitats in Pomerania – outcomes of tar- Sahel bedroht. geted five year habitat management. Plant Diversity and Trotz der kritischen Situation zeigen die in einigen Evolution 130: 303-313. Brutgebieten positiven Bestandsentwicklungen nach Tegetmeyer C 2015: The Aquatic Warbler (Acrocephalus palu- Einführung von gezielten Managementmaßnahmen dicola) in the Djoudj National Park area – Aspects of its und die lokal verfolgten Schutzmaßnahmen in Afrika, wintering ecology. Greifswald University. Dissertation. dass noch große Handlungsspielräume für den Schutz Tegetmeyer C, Frick AN & Seifert 2014: Modelling habitat dieser Art bestehen. Diese werden weltweit im Aqua- suitability in the Aquatic Warbler wintering ground Djoudj tic Warbler Conservation Team (AWCT) von BirdLife National Park in Senegal. Ostrich 85: 57-66. Tegetmeyer C, Herold B & Thoma M 2016: Monitoring of International vernetzt. Aquatic Warbler habitats in the Ndiaël Basin. 58 S. https:// africanbirdclub.org/sites/default/files/2014_Aquatic_War- Literatur bler_Senegal.pdf Bellebaum J & Tanneberger F 2016: Wasser und Wiesen für Walther BA 2016: A review of recent ecological changes in the den Seggenrohrsänger -Schutzmaßnahmen im National- Sahel, with particular reference to landuse change, plants, park Unteres Odertal. Natur und Landschaft 91: 353-358. birds and mammals. African Journal of Ecology 3: 268-280. BirdLife International 2016: Acrocephalus paludicola. http:// Zwarts L & Frerotte JL 2012: Water crisis in the Inner Niger www.iucnredlist.org/details/summary/22714696/0 on Delta (Mali) – Causes, consequences, solutions. A&W- 15.09.2016 (letzter Aufruf: 15.9.2016). report 1832. Altenburg & Wymenga ecological con- Buchanan GM, Lachmann L, Tegetmeyer C, Oppel S, Nelson sultants. Feanwâlden. http://www.altwym.nl/uploads/ A & Flade M 2011: Identifying the potential wintering sites file/490_1369389376.pdf. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

314 Schwerpunktthema „Vögel der Moorlandschaften“ • Vorträge

Eilers A & Schmitz-Ornés A (Leipzig, Greifswald): Von Sümpfen und Hühnern: Brutreviergrößen und Vegetationspräferenzen heimischer Porzana- Arten in wiedervernässten Poldern

✉✉Alexander Eilers, E-Mail: [email protected]

Bis heute ist sehr wenig bekannt über die Lebensraum­ lenburg-Vorpommern) zwischen 2008 und 2010 unter- ansprüche der drei in Deutschland vorkommenden sucht wurden. Im Mittelpunkt stand dabei die Unter- und stark gefährdeten Vertreter der Gattung Porzana suchung (1) der Raumnutzung zur Brutzeit, (2) der – Tüpfelsumpfhuhn P. porzana, Kleines Sumpfhuhn quantitativen Vegetationszusammensetzung innerhalb P. parva und Zwergsumpfhuhn P. pusilla. Dies wird häu- der Reviere, (3) der Habitatpräferenzen sowie (4) der fig mit ihrer versteckten und heimlichen Lebensweise interspezifischen Unterschiede der hier betrachteten begründet, welche die Beobachtung dieser Vogelarten Sumpfhuhnarten. Hierzu haben wir die Vögel nachts erschwert. Doch bereits 1924 machte der Schweizer von Hand einzeln und gezielt gefangen, beringt und Ornithologe Hans Noll hierfür vielmehr ihre Selten- mit einem Radiosender versehen. Durch die anschlie- heit und Nachtaktivität sowie den für den Beobachter ßende telemetrische Lokalisation konnten Daten zur schwer zugänglichen Lebensraum verantwortlich. Die Raumnutzung von insgesamt 34 Individuen gesammelt Arten besiedeln ein weites Spektrum an Feuchthabita- werden. Innerhalb dieser Räume erfolgten umfangreiche ten mit variierenden Wasserständen und einer über- Vegetationsaufnahmen und die Erfassung der Wasser- wiegend dichten Hydrophytenvegetation. Aber gerade stände. Für die Analyse der Habitatpräferenzen wurden diese Kombination macht diese Arten so faszinierend auf Grundlage von Luft- und Satellitenfotos flächende- und interessant zugleich. In diesem Vortrag stelle ich ckende Vegetationskarten der Untersuchungsgebiete ein Projekt vor, in welchem die Habitatansprüche dieser erstellt und ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen deutliche Arten in wiedervernässten, ehemals landwirtschaftlich Unterschiede zwischen den Arten in allen untersuchten intensiv genutzten, Poldern entlang der Peene (Meck- Parametern, welche im Detail vorgestellt werden.

Arbeiter S, Helmecke A, Tanneberger F & Bellebaum J (Greifswald, Angermünde): Wiesenmahd und Wachtelkönigschutz in eutrophen Flussauen

✉✉Susanne Arbeiter, Universität Greifswald, Zoologisches Institut und Museum, Johann-Sebastian-Bach-Straße 11/12, D-17487 Greifswald, E-Mail: [email protected]

In Deutschland brüten Wachtelkönige Crex crex haupt- jeweils ein Streifen von ca. 10 m Breite stehen gelassen sächlich in landwirtschaftlich genutzten Wiesen. Im wird, in dem die Vögel überleben können (Mammen Nationalpark Unteres Odertal, der den größten Wach- et al. 2005). Voraussetzung dafür ist, dass keine Nester telkönigbestand Deutschlands beheimatet, konnte die oder weniger als 14 Tage alte Junge auf der Fläche anwe- Wiesenmahd als wichtigster Auslöser für eine Abwan- send sind (Tyler et al. 1998). Zur jährlichen Festlegung derung von Wachtelkönigmännchen aus dem Brutge- der spät oder „wachtelkönigfreundlich“ zu mähenden biet ermittelt werden (Bellebaum et al. 2014). Jedoch Flächen ist die Erfassung von Wachtelkönigvorkommen werden Flächen, auf denen die Nutzung ganz ausbleibt, entscheidend für einen wirksamen Schutz. Dazu findet schon nach wenigen Jahren nicht mehr besiedelt (Mam- Mitte Mai und Mitte Juni jeweils eine Erfassung aller men et al. 2005), d. h. zum Erhalt der Habitatqualität ist Rufer statt. Die Mahd mit Schutzstreifen sollte in der eine regelmäßige Mahd notwendig. Regel nach dem 15.7. auf Flächen stattfinden, auf denen Aufgrund ihrer langen Brutsaison, sind Wachtelkö- rufende Wachtelkönige nur im Mai festgestellt wurden. nige von Mai bis August auf späte Mahdtermine und Wo Wachtelkönige auch im Juni vorkommen, muss schonende Mähverfahren angewiesen. Daher wurde noch bis Ende August mit flugunfähigen Jungvögeln im Unteren Odertal seit 2009 schrittweise eine „wach- gerechnet werden und die Mahd aufgeschoben werden. telkönigfreundliche“ Mähweise eingeführt, bei der alle Wir ermittelten mit einem statistischen Modell eine Flächen in 100 m breiten Blöcken gemäht und am Ende geringe Entdeckungswahrscheinlichkeit rufender © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

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Abb. 1: Mähblockbreite bei Erstbeob- achtung und Zufluchtsorte adulter und juveniler Wachtelkönige während der Mahd auf Flächen mit (n = 44) und ohne Schutzstreifen (n = 40). Vorgewende sind ca. 20 m breite gemähte Runden um die gesamte Fläche. Wenn möglich, wurde bei Beobachtung die Mahd bereits früher gestoppt (1.530 m Streifen). Die Anzahl der beobachteten Vögel ist in den Säulen angegeben.

Männchen, die in Verbindung mit stetiger Abwan- Vögel als eine bis zur Flugfähigkeit aller Jungen aufge- derung den Anteil der entdeckten Vögel erheblich schobene Mahd. Eine wachtelkönigfreundliche Mäh- begrenzte (Arbeiter et al. im Druck). Mit zwei Zählun- weise ermöglicht jedoch eine Nutzung vor dem Ende gen pro Saison lag die kumulative Entdeckungswahr- der Brutzeit, zumindest auf Flächen mit frühen Bruten. scheinlichkeit nur bei 58 % (95 %CrI = 44-71 %). Mit Damit verringern sich sowohl finanzielle Einbußen für acht Zählungen im Abstand von zehn Tagen wurden die Landwirte als auch eine Veränderung der Vegetation 86 % (95 %CrI = 78-94 %) aller im Laufe der Brutsaison durch mehrjährige Spätnutzung. Da bisher nur breitere anwesenden Vögel entdeckt (Arbeiter et al. im Druck). Streifen (1.530 m) vorübergehend als Lebensraum für Somit können wiederholte Zählungen im Mai und Juni flugunfähige Jungvögel dienten (Arbeiter et al. 2013) und die Entdeckungswahrscheinlichkeit von besiedelten Flä- die meisten Vögel bereits ab 30 m Breite die Deckung das chen erhöhen, aber für eine verlässliche Bestandsschät- erste Mal verlassen, sollten zehn Meter als absolute Min- zung ist eine Auswertung mit hierarchischen Modellen destbreite für Schutzstreifen betrachtet werden (Arbeiter für offene Populationen erforderlich, besonders wenn et al. accepted; Tyler et al. 1998). nur wenige Zählungen stattfinden. Während der Mahdbegleitungen zur Überprüfung Literatur der Wirksamkeit von Schutzstreifen wurden insgesamt Arbeiter S, Roth T, Helmecke A, Haferland HJ & Bellebaum J 98 fliehende Wachtelkönige registriert (51 Jungvögel, im Druck: How to count a vagabond? – Population estima- 41 Altvögel, sechs Vögel unbestimmten Alters). Die tion in the Corncrake Crex crex. Vogelwelt. meisten Jungvögel wurden bei einer Mähblockbreite Arbeiter S, Helmecke A & Bellebaum J angenommen: Do ≤ 30 m das erste Mal beobachtet (Abb. 1). Diese verlie- Corncrakes benefit from refuge strips? Bird Conservation ßen mehrmals kurz die Deckung und kehrten danach International. Arbeiter S, Helmecke A, Franke E, Sadlik J, Haferland HJ, Tan- in den Mähblock zurück. Durch solche wiederholten neberger F & Bellebaum J 2013: Die letzten 10 Meter für den Fluchtversuche oder durch die Flucht unter den bereits Wachtelkönig – Mahd mit Schutzstreifen im Nationalpark gemähten Schwad, sind Wachtelkönige einem erhöhten Unteres Odertal. Vogelwarte 51: 270-271. Risiko ausgesetzt, durch die Mähmaschinen zu sterben Bellebaum J, Helmecke A, Koffijberg K & Arbeiter S 2014: Wo oder Opfer von Prädation zu werden. Im Gegensatz zu man nicht mäht, da lass Dich ruhig nieder – verlängern den Altvögeln überquerten flugunfähige Jungvögel selten Schutzmaßnahmen die Aufenthaltsdauer von Wachtelkö- > 20 m bereits gemähte Flächen und verblieben nach dem nigen? Vogelwarte 52: 252-253. mehrfachen vollständigen Umfahren der Fläche (Vor- Mammen U, Bahner T, Bellebaum J, Eikhorst W, Fischer S, gewende) im Inneren der Fläche. 22 % der Altvögel und Geiersberger I, Helmecke A, Hofmann J, Kempf G, Küh- 49 % der Jungvögel überlebten nachweislich die Mahd nast O, Pfützke S & Schoppenhorst A 2005: Grundlagen und Maßnahmen für die Erhaltung des Wachtelkönigs in zehn Meter breiten Schutzstreifen (Abb. 1). Somit und anderer Wiesenvögel in Feuchtgrünlandgebieten. BfN stellen Schutzstreifen eine nützliche Alternative zum Skripten 141. Schutz von Wachtelkönigen dar, besonders auf großen Tyler GA, Green RE & Casey C 1998: Survival and behaviour Flächen, auf denen eine Mahd von innen nach außen of Corncrake Crex crex chicks during the mowing of agri- nicht durchführbar ist. Schutzstreifen retten aber weniger cultural grassland. Bird Study 45: 35-50. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

316 Schwerpunktthema „Vögel der Moorlandschaften“ • Vorträge

Seifert N, Tegetmeyer C & Schmitz-Ornés A (Jeeser, Greifswald): Living on the edge – Populationsgröße, Habitatwahl und Aktionsraum des Zwergsumpfhuhns im Senegal Delta, NW Senegal

✉✉Nina Seifert, Vogelwarte Hiddensee, Universität Greifswald, E-Mail: [email protected]

Das Wissen um die ökologischen Ansprüche einer du Djoudj (PNOD) ermittelten wir auf der Basis Art ist die Voraussetzung für erfolgreiche Schutzmaß- von Satellitenbildern und Fangdaten mit Hilfe von nahmen. Das trifft vor allem auf Arten zu, die durch Regressionsmodellen die Vorkommenswahrschein- Verlust ihrer primären Lebensräume im Bestand lichkeit und Populationsdichte der Art. Die mittlere abnehmen. Informationen über Habitatqualität Größe der Aktionsräume des Zwergsumpfhuhns ermöglichen die Ableitung sowohl von spezifischen umfasste 1,77 ± 0,86 ha, wobei große Unterschiede Management-Maßnahmen als auch der Populati- in der Ausdehnung zwischen verschiedenen Habitaten onsgröße, was unerlässlich ist zur Ermittlung und bestanden. Sowohl auf der individuellen als auch auf Priorisierung von Schutzzielen. Das Zwergsumpf- Populationsebene bevorzugte die Art Saumstrukturen huhn Zapornia pusilla gilt als eine der am wenigsten wie Rindertrampelpfade und Randbereiche entlang untersuchten Brutvogelarten der westlichen Palä- von offenen Wasserstellen oder bestimmter Pflanzen- arktis. Bezüglich seiner ökologischen Ansprüche bestände während die Artenzusammensetzung von hinsichtlich Habitatwahl und Größe und Dynamik nachgeordneter Bedeutung war. Wir identifizierten seiner Aktionsräume liegt nur anekdotisches Wissen insgesamt 9.516 ha geeignetes Habitat innerhalb des vor . Wir nutzten einen mehrskaligen Ansatz, um die Djoudj Gebietes, was eine potenzielle Zwergsumpf- Habitatansprüche der Art in den Sümpfen des Senegal huhn-Population von 10.714 Tieren (3.146 bis 17.408) Deltas, NW Senegal zu ermitteln. Auf individueller beherbergen könnte. Obwohl globale Populations- Ebene berechneten wir „Manly selection“-Indizes für schätzungen der Art nur sehr vorläufig sind, gehen 17 radiotelemetrierte Individuen und berücksichtig- wir davon aus, dass das Senegal Delta und der PNOD ten dabei sowohl eine 2. als auch eine 3. Ordnung der eine große Bedeutung für die afrikanische und mög- Habitatwahl. Für das gesamte Untersuchungsgebiet im licherweise auch europäische Population des Zwerg- und in der Umgebung des Parc National des Oi­seaux sumpfhuhns hat.

Festetics A (Göttingen): Der „Donald Duck“ unter den Wasservögeln – Brutparasitismus, Riesenei und Megapenis bei der Ruderente Oxyura leucocephala; ihre Ausrottung, Ansiedlung und „Hege mit der Büchse“

✉✉Antal Festetics, Abteilung Wildtierwissenschaften der Universität Göttingen, Büsgenweg 3, D-37077 Göttingen

Himmelblauer Höckerschnabel und „Türkensattel“- anzusiedeln und weshalb die Auswilderung scheitern Haltung des balzenden Erpels erinnern an Walt Dis- musste. Die Fremdansiedlung der Amerikanischen neys „Donald Duck“. Der spiralig aufgerollte Penis Ruderente Oxyura jamaicensis in England hingegen der Ruderente übertrifft ihre Körperlänge, und das war so erfolgreich, dass sich diese Art bis Spanien Ei dieser sonderbaren Art ist nicht kleiner als das ausbreiten und sich dort mit der einheimischen Art einer Gans. Haben diese merkwürdigen Phänomene O. leucocephala sexuell vermischen konnte. Um ein etwas mit Brutparasitismus zu tun? Rekordhalter genetisches Artsterben zu verhindern, werden nun im Fremdgehen beim Eierlegen ist die nahe ver- die „Amerikaner“ und ihre Bastarde mit „Europäern“ wandte Kuckucksente, die es auf mehr als ein Dut- durch Waidmänner mit der Waffe exekutiert. Ist das zend Wirtsvogelarten gebracht hat – von Nestflüch- notwendiger Artenschutz oder riskanter Aktionis- tern bis Nesthockern und sogar einer Greifvogelart. mus? Kritisch beleuchtet sollen aber schließlich auch Berichtet wird über das letzte Brutvorkommen der so fragwürdige Begriffe wie „freie Nischen“, „Neozoa“ Ruderente in Mitteleuropa, den Versuch, sie wieder oder „Invasive“ Spezies werden. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 317

• Poster

Heinicke T, Modrow M, Lange S & Nowald G (Groß Mohrdorf, Bernau, Bissendorf): iCORA – das „internet-based Crane Observation Ring Archive” stellt sich vor

✉✉Thomas Heinicke, Kranichinformationszentrum Groß Mohrdorf, Lindenstrasse 27, D-18445 Groß Mohrdorf, E-Mail: [email protected]

Seit 1989 werden in Deutschland regelmäßig Kraniche zur Datenverwaltung durch Administratoren der Berin- Grus grus farbmarkiert, um Daten aus Durchzugs- und gungsprojekte untergliedert. In Ergänzung zu Fundmel- Überwinterungsgebieten oder Angaben zu Überlebens- dungen an die Beringungszentralen ermöglicht iCORA raten und zum Ansiedlungsverhalten zu erlangen. Seit eine exakte Fundverortung mittels Kartenfunktion den 2000er Jahren sind die Beringungs- und Ableseaktivi- sowie die Erhebung verschiedener Zusatzinformati- täten stark angestiegen, sodass die Verwaltung und Bear- onen (Mitbeobachter, Nahrungshabitate, Verhalten, beitung der zahlreichen Beringungs- und Wiederfund- Truppgrößen, sozialer Status, Verwandtschaftsverhält- daten nicht mehr manuell bewerkstelligt werden kann. nisse). Neben den vorrangig verwendeten Farbkombi- In Anlehnung an die Webseite www.geese.org/Gan- nationen (Ländercode aus drei Farbringen am linken zen/index.jsp, die sich mit farbberingten Gänsen und Bein, Individualcode aus drei Farbringen am rechten Schwänen beschäftigt, wurde daher für die Meldung Bein; verwendete Ringfarben: weiß, gelb, rot, blau, grün, und Verwaltung von Beringungs- und Wiederfund- schwarz und braun) können jetzt auch Ablesungen von daten des Kranichs von Kranichschutz Deutschland farbigen Fußringen mit alpha-numerischem Code sowie (NABU, WWF, Lufthansa Group) die webbasierte Ablesungen von Metallringen gemeldet werden. Für Datenbank iCORA (internet-based Crane Observation die MelderInnen besteht neben der Fundübermittlung Ring Archive) begründet. Die von der Norddeutschen die Möglichkeit, die Lebensgeschichte des gemeldeten Stiftung für Umwelt und Entwicklung (NUE) finanziell Kranichs anzusehen bzw. als pdf mit Auflistung von unterstützte Programmierung von iCORA wurde 2008 Beringungs- und Wiederfunddaten sowie integrierter realisiert und die Website 2009 für die Nutzer unter Fundkarte herunterzuladen. Als weitere nutzerfreund- www.icora.de freigeschaltet. Seit September 2016 ist die liche Tools wurden z. B. eine download-Funktion der deutlich überarbeitete Version 3 der Datenbank online. eigenen Meldungen, ein email-Tool zur automatischen Die Datenbank ist in ein „Frontend“ (www.icora.de) Benachrichtigung bei neuen Funden sowie einfache zur Eingabe von Wiederfunddaten (Ablesungen, Fest- Statistiken entwickelt. Im Zuge des aktuellen Updates stellungen besenderter Vögel) sowie in ein „Backend“ wurden zudem eine Fotogalerie sowie ein Infomenü für Kurznachrichten ergänzt. Webseite und Datenbank erlauben aktuell eine Nutzung in fünf Spra- chen: deutsch, englisch, französisch, spanisch und estnisch. Im Zuge der geplanten Integration des türkischen Beringungsprojektes wird im Winter 2016/2017 auch türkisch als weitere Sprache eingeführt. Die Zahl der Mel- derInnen hat sich sehr positiv entwi- ckelt und beträgt aktuell über 2.100. In iCORA sind aktuell ca. 3.300 Beringungsdatensätze und etwa 89.000 Wiederfund-Datensätze (seit 2014 mehr als 9.000 pro Jahr) gespei- chert, die vom Backend mit speziellen Admin-Zugängen durch die Projekte verwaltet werden. Hier wird eine obli- gatorische Datenvalidierung durchge- führt, um glaubwürdige Funddaten Abb. 1: Startseite der online-Datenbank iCORA auf www.icora.de. von fehlerhaften zu trennen. Einzig- © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

318 Schwerpunktthema „Vögel der Moorlandschaften“ • Poster artig ist zudem die Möglichkeit, Beringungs- und Sen- melden. Diese Funddaten werden von iCORA jetzt derpatenschaften zu administrieren. automatisch nach Eingang an die jeweiligen Projekte Zum iCORA-Start waren nur Beringungen und weitergeleitet. Zwecks verbesserten Datenaustauschs Wiederfunde in Mecklenburg-Vorpommern bering- wurde neben verschiedenen Export-Möglichkeiten ter Vögel enthalten. Mittlerweile hat sich der Umfang für die teilnehmenden Beringungsprojekte auch der Datenbank erheblich erweitert. Neben allen Berin- eine Schnittstelle zum einfachen Datenaustausch mit gungsprojekten aus Deutschland sind weitere europä- den Beringungszentralen entwickelt. In Zukunft soll ische Kranich-Projekte integriert: Tschechien, Polen iCORA als gesamteuropäische Datenbank weiterent- (Farbkombinationen), Estland, Lettland, Litauen und wickelt werden. Dazu werden aktuell entsprechende Frankreich. Mittlerweile lassen sich auch Daten der Gespräche mit bislang nicht teilnehmenden Projekten Beringungsprojekte aus Skandinavien über iCORA geführt.

Höltje H, Bridge D, Johansson US, Kaldama K, Leito A, Mewes W, Ojaste I, Politov DV, Popken R, Stanbury A, Tofft J, Väli Ü, Schmitz-Ornés A & Haase H (Greifswald, Langport/Großbritannien, Stockholm/ Schweden, Tartu/Finnland, Karow, Moskau/Russland, Ruinen/Niederlande, Bovrup/Dänemark, Sandy/ Großbritannien): Grus grus …-Mus? – Zur Populationsstruktur westeuropäischer Kraniche

✉✉Henriette Höltje, AG Vogelwarte, Soldmannstr. 23, D-17489 Greifswald, E-Mail: [email protected]

Das Ziel der vorliegenden Studie war die Untersuchung rung der positiven Populationsentwicklung innerhalb der westeuropäischen Population des Grauen Kranichs Europas wäre die Berücksichtigung möglicher Subpo- Grus grus auf das Vorhandensein genetischer Popula- pulationen jedoch von Bedeutung. Mit Hilfe von Mikro­ tionsstrukturen. In den letzten Jahren konnte sich der satelliten wurden insgesamt 148 Individuen aus neun Kranich dank einer Vielzahl ineinandergreifender Brutpopulation (Schweden, Finnland, Russland, Est- Bemühungen zunehmend nach Südwesten hin aus- land, England, Dänemark, Niederlande, Mecklenburg- breiteten. Diese Tendenz lässt eine homogenisierende Vorpommern, Brandenburg) untersucht. „Bayes’sches Wirkung auf die Gesamtpopulation in Europa vermu- Clustering“ und eine „Discriminant Analysis of Prin- ten. Dem gegenüber steht jedoch die Heimattreue des cipal Components“ (DAPC) lassen vermuten, dass sich Kranichs. Die Ansiedlung geschlechtsreifer Jungvögel in die westliche Gesamtpopulation aus zwei, eventuell drei unmittelbarer Nähe zu ihrem Ursprungsort begünstigt Subpopulationen zusammensetzt. Diese Struktur wird die Entwickelung einer Populationsstruktur in Über- im Zusammenhang mit den Zugrouten diskutiert, da einstimmung mit den bekannten Brutpopulationen. In diese eine bessere Übereinstimmung mit den Resultaten Hinblick auf zukünftige Projekte zur weiteren Förde- zeigen als die Brutpopulationen.

Meyer N, Jeromin H & Hötker H (Bergenhusen): Vom Moor ins Wirtschaftsgrünland: Ansätze zum Schutz des Großen Brachvogels Numenius arquata in landwirtschaftlich genutztem Grünland

✉✉Natalie Meyer, Goosstroot 1, D-24861 Bergenhusen, E-Mail: [email protected]

Viele Bestände des Großen Brachvogels gingen in den tatzerstörungen und, damit verbunden, eine Verlage- letzten Jahrzehnten stark zurück. Die Art wird von der rung der Bruthabitate vom Moor ins Wirtschaftsgrün- IUCN auf der Vorwarnliste der gefährdeten Arten gelis- land in den 1980er Jahren, gingen die Bestände auch in tet (IUCN 2012). Geringe Reproduktionsraten werden Schleswig-Holstein stark zurück (Hötker et al. 2005). als Hauptverursacher des Rückgangs diskutiert, wohin- Seit Anfang der 1990er Jahre befindet sich der Bestand gegen die Mortalität adulter Vögel stabil zu sein scheint jedoch auf einem scheinbar stabilen Niveau, was ver- (Roodbergen et al. 2012). Durch fortschreitende Habi- mutlich auf die Durchführung von Schutzmaßnahmen © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 319

Zaungebiet Kontrollgebiet 100 % 0,6

en )

Nachhaltiger Bruterfolg: r a

eb 80 % l 0,41-0,62 0,5 a p er b er ü vi e

en 0,4 60 % R k ü e/ l K i

d en

n 0,3 v u 40 % Ju g l ( o g f 0,2 l o er f f p er t u 20 %

l Schlupferfolg (MARK) u h 0,1 r c B S Kükenüberleben 0 % 0 Bruterfolg un un aun a a Z Z Z it m hne hne o o Abb. 1: Mittelwerte und Standardabweichungen der Untersuchung 2013-2016 für Zaun- sowie für Kontrollgebiete. Für die Kükenüberlebensrate sowie den Bruterfolg (Anzahl flügger Küken/Revierpaar) wurde keine Unterscheidung zwischen Gelegen innerhalb bzw. außerhalb von Zäunen gemacht. Der Schlupferfolg wurde mit MARK korrigiert. im Hauptbrutgebiet, der Eider-Treene-Sorge-Niederung werden, wohingegen er innerhalb der Kontrollgebiete zu erklären ist. (88 Gelege) in keinem Jahr ausreichend war (0,17 Unser Projekt startete 2013 mit dem Ziel, demographi- ± 0,03), um als populationserhaltend zu gelten (Abb. 1). sche Datenlücken zu schließen und den Schutz der Art Wir schlussfolgern, dass die kombinierte Methodik aus zu gewährleisten. Die untersuchte Population umfasst Einzelgelege-Zäunung und einer Kooperation mit den derzeit 80-100 Brutpaare, die teilweise innerhalb des Landwirten dazu beitragen kann, die Reproduktionsrate SPA Eider-Treene-Sorge-Niederung (DE1622-493) auf des Großen Brachvogels in der Eider-Treene-Sorge-Nie- meist intensiv genutztem Grünland brüten. Neben derung auf ein bestandserhaltendes Niveau zu steigern. einem Bruterfolgsmonitoring und der Farbberingung erfolgten auch Tests gezielter Maßnahmen zur Verbes- Literatur serung des Bruterfolges. Es wurden Elektrozäune zum Grant M C, Orsman C, Easton J, Lodge C, Smith M, Thompson Schutz von Einzelgelegen vor Bodenprädatoren einge- G, Rodwell S & Moore N 1999: Breeding success and causes setzt. Innerhalb zweier Zaungebiete (3.387 ha) wurden of breeding failure of curlew Numenius arquata in Northern jeweils ca. 50 % aller Gelege gezäunt. Zusätzlich hierzu Ireland. Journal of Applied Ecology 36: 59-74. wurden die Vögel durch den seit langen Jahren bewähr- Hötker H, Köster H & Thomsen KM 2005: Brutzeitbestände der Wiesenvögel in Eiderstedt und in der Eider-Treene- ten „Gemeinschaftlichen Wiesenvogelschutz“ geschützt Sorge-Niederung/Schleswig-Holstein im Jahre 2001. Corax (Jeromin & Evers 2015). Diese freiwillige Maßnahme 20: 1-17. mit monetärem Ausgleich für teilnehmende Land- IUCN 2012: IUCN Redlist, www.iucnredlist.org (09.04. 2013). wirte schützt Wiesenvögel vor Gelege und Kükenver- Jeromin H & Evers A 2015: Gemeinschaftlicher Wiesenvogel- lusten durch landwirtschaftliche Praktiken. Innerhalb schutz 2015. Projektbericht für das Ministerium für Ener- der Kontrollgebiete (4.402 ha) fand ausschließlich ein giewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume Schutz gegen Verluste durch die Landwirtschaft statt. des Landes Schleswig-Holstein, Micheal-Otto-Institut im Als Erfolgsmaß wurde der Bruterfolg (flügge Küken/ NABU, Bergenhusen. Revierpaar) ermittelt. Derzeit gilt als bestanderhalten- Kipp M 1999: Zum Bruterfolg beim Großen Brachvogel der Bruterfolg ein Wert zwischen 0,41 und 0,62 (Grant et (Numenius arquata). LÖBF-Mitteilungen 3: 47-49. Roodbergen M, van der Werf B & Hötker H 2012: Reveal- al. 1999; Kipp 1999). Weiterhin wurde der Schlupferfolg ing the contributions of reproduction and survival to the mit dem Programm MARK geschätzt (White & Burn- Europe-wide decline in meadow birds: review and meta- ham 1999), sowie die Kükenüberlebensrate ermittelt. analysis. Journal of Ornithology 153: 53-74. In den drei Jahren der Studie wurden 39 % von White GC & Burnham KP 1999: Program MARK: Survival 120 Gelegen innerhalb der zwei Zaungebiete gezäunt. estimation from populations of marked animals. Bird Study Hier konnte der Bruterfolg auf 0,40 ± 0,22 erhöht 46: 120-139. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

320 Schwerpunktthema „Vögel der Moorlandschaften“ • Poster

Schmidt L, Thomsen K-M & Hötker H (Bergenhusen): Habitatpräferenzen der Bekassine in Schleswig-Holstein

✉✉Luis Schmidt, Michael-Otto-Institut im NABU, Goosstroot 1, D-24861 Bergenhusen, E-Mail: [email protected]

Die Brutbestände der Bekassine Gallinago gallinago sind präferierten Bekassinen signifikant solche Flächen, die in den letzten Jahrzehnten in Schleswig-Holstein (Höt- als extensive Rinderweide genutzt wurden (bei Meidung ker et al. 2013) wie in ganz Deutschland (Gedeon et al. reiner Mahdflächen; Abb. 1), eine entsprechend unein- 2014) in einem Maße zurückgegangen, das eine zügige heitliche Vegetationsstruktur aufwiesen und sowohl Entwicklung und Umsetzung wirksamer Schutzmaßnah- über zugewachsene als auch offene Ufer verfügten. men erforderlich macht. Zu der dafür notwendigen Wis- Weiter besetzten Bekassinen signifikant bevorzugt dort sensgrundlage und insbesondere zu einem gezielten Flä- Reviere, wo der Flächenanteil von Schlamm- und Flach- chenmanagement soll die hier vorgestellte Untersuchung wasserflächen, von Vegetation mittlerer Höhe (20-40 cm) der Habitatpräferenzen der Bekassine im Brutgebiet bei- sowie von Flatterbinsen Juncus effusus vergleichsweise tragen. Konkret identifizierten wir auf zwei räumlichen groß war. Ein Effekt von Störkulissen konnte im Unter- Skalen Habitataspekte, die für das Brutvorkommen der suchungsgebiet nicht nachgewiesen werden. Art in Schleswig-Holstein entscheidend sind: Auf beiden Skalenebenen bestätigen wir damit die Erstens modellierten wir auf Basis von Zählungs- zentrale Bedeutung nasser Flächen und feuchter, wei- daten für 188 Wiesenvogelgebiete (mittlere Flächen- cher Böden, in denen Bekassinen nach Nahrung sto- größe = 585 ha) den Einfluss von Boden- und Vege- chern können (vgl. Green 1988; Smart et al. 2008). Ein tationstyp, Flachwasser, Grüppen (flachen Entwäs- Mosaik aus höherer Vegetation, die Deckung bietet, und serungsfurchen), Offenheit und Zerschnittenheit der niedrigerer Vegetation, die Nahrungssuche am Boden Landschaft, sowie Flächengröße, -relief und -höhe auf erlaubt, wird ebenfalls präferiert (vgl. Hoodless & Baines Brutbestände in Großgebieten. Auf dieser großräumi- 2006). Extensive Beweidung mit Rindern kreiert diese gen Ebene hatten der Anteil organischer Böden, die lückige, schüttere Vegetationsstruktur. Die Flatterbinse Gesamtgröße der Flachwasserflächen und die Größe als horstig wachsender Staunässezeiger integriert die gegrüppten Grünlands im Gebiet wesentlichen positi- Aspekte Feuchtigkeit und Vegetationsstruktur. ven Einfluss auf das Brutvorkommen von Bekassinen. Auf Basis dieser Untersuchung sind unsere zentralen Zweitens verglichen wir die Aufenthaltsorte revier- Empfehlungen für ein bekassinenfreundliches Flächen- anzeigender Bekassinen mit Zufallspunkten in deren management daher Vernässung sowie außerhalb der Umgebung (Umkreis von einem Kilometer) und ana- Brutzeit extensive Beweidung mit Rindern. lysierten, inwieweit Flächennutzung, Vegetationshöhe Wir danken allen Zählerinnen und Zählern für die und -zusammensetzung, Flachwasser- und Schlammflä- Daten zu Bekassinenbrutbeständen. Das Ministerium chen, Uferstruktur, sowie Abstände zu Schilf, Gehölzen für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und länd- und Bauwerken kleinräumig die Brutansiedlung von liche Räume des Landes Schleswig-Holstein finanzierte Bekassinen bestimmen. Auf dieser lokalen Skalenebene diese Untersuchung.

40 Abb. 1: Häufigkeit ver- Bekassine * schiedener Flächennut- 30 zungstypen an Bekassi- Zufallspunkt nen- und Zufallspunkten (jeweils n = 59). Die Ver- e l l

ä teilungen beider Punkte- F

l typen unterschieden sich

h 20 a

z signifikant (Exakter Test

An * nach Fisher, p < 0,05). *: Die Verteilung für die 10 Nutzungstypen Mahd und (extensive) Rinderweide unterschied sich jeweils signifikant von der für 0 die summierte Gesamt- heit der übrigen Katego- keine Mahd Reetmahd Rinderweide Acker rien (Exakter Test nach Flächennutzung Fisher, post hoc, p < 0,01). © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 321

Literatur Proceedings of an International Symposium of the Wetlands Gedeon K, Grüneberg C, Mitschke A, Sudfeldt C, Eikhorst W, International Woodcock and Snipe Specialist Group, 25-27 Fischer S, Flade M, Frick S, Geiersberger I, Koop B, Kra- November 2003, Nantes, France. International Wader Stud- mer M, Krüger T, Roth N, Ryslavy T, Stübing S, Sudmann ies 13: 95-101. Wetlands International, Wageningen. SR, Steffens R, Vökler F & Witt K 2014: Atlas deutscher Hötker H, Jeromin H & Thomsen KM 2013: Wiesenvögel in Brutvogelarten. Stiftung Vogelmonitoring Deutschland und Schleswig-Holstein 2013. Projektbericht für das Ministe- Dachverband Deutscher Avifaunisten, Münster. rium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und länd- Green RE 1988: Effects of environmental factors on the timing liche Räume des Landes Schleswig-Holstein. Michael-Otto- and success of breeding of common snipe Gallinago gal- Institut im NABU, Bergenhusen. linago (Aves: Scolopacidae). J. Appl. Ecol. 25: 79-93. Smart J, Amar A, O’Brien M, Grice P & Smith K 2008: Chang- Hoodless A & Baines D 2006: Breeding density and habitat ing land management of lowland wet grasslands of the UK: use of Common Snipe in upland Britain. In: Ferrand Y impacts on snipe abundance and habitat quality. Anim. (Hrsg) Sixth European Woodcock and Snipe Workshop – Conserv. 11: 339-351. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

322 Schwerpunktthema „Artbildung und Evolution“ • Plenarvortrag

Schwerpunktthema „Artbildung und Evolution“

• Plenarvortrag

Glaubrecht M (Hamburg): Die Evolution von Arten bei Vögeln: Ernst Mayr und das Erbe der „Berliner Schule“

✉✉Matthias Glaubrecht, E-Mail: [email protected]

Bis heute gehört die Frage, was Arten eigentlich sind, langjährigen Kurator für Ornithologie am Berliner wie wir sie gegeneinander abgrenzen und wie sie ent- Museum für Naturkunde, einen höchst einflussreichen stehen zu den großen und längst nicht vollständig Mentor und Vorläufer hatte. Auf ihn und den ebenfalls gelösten Rätseln der Evolutionsbiologie. Mit dem dort in den 1920 bis 1930er Jahren tätigen Bernhard deutsch-amerikanischen Evolutionsbiologen Ernst Rensch (1900 bis 1990) gehen die wesentlichen Ideen Mayr (1904-2005) verbunden ist zum einen das Konzept zum biologischen Artkonzept und zur geographischen „biologischer“ Arten – im Gegensatz etwa zu lediglich Speziation zurück. Der Vortrag zeichnet den weitrei- morphologisch umfassten Arten oder (phylo-)genetisch chenden konzeptionellen Einfluss der „Berliner Schule“ verstandenen Spezies; zum anderen das Konzept ihrer um Stresemann, Rensch und Mayr nach, den letzterer geographisch bedingten Entstehung (allopatrische Spe- dann in der „New Synthesis“ mit anglo-amerikanischen ziation), im Unterschied zur sympatrischen, also einer Entwicklungen zur modernen Evolutionsbiologie ver- etwa ökologisch bedingten Artenentstehung. Vergessen schmolz. Zudem werden vor diesem Hintergrund ist dabei heute meist, dass Ernst Mayr – der gelegent- aktuelle Impulse zur Debatte um die Delimitierung lich auch als „Darwin des 20. Jahrhunderts“ bezeich- von Arten und zur Speziationsforschung am Beispiel net wird – in Erwin Stresemann (1889 bis 1972), dem von Vögeln beleuchtet.

• Vorträge

Braun MP, Bahr N & Wink M (Heidelberg, Ahlden): Phylogenie und Taxonomie der Edelsittiche (Psittaciformes: Psittaculidae: Psittacula), mit Beschreibung von drei neuen Gattungen

✉✉Michael P. Braun, Universität Heidelberg, Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie (IPMB) Abt. Biologie, Im Neuenheimer Feld 364, D-69120 Heidelberg, E-Mail: [email protected]

Die Gattung Psittacula, schlanke, langschwänzige alt- Die phylogenetische Analyse zeigte eine Überra- weltliche Papageien mit überwiegend rotem Schnabel schung: Der Rosenbrustbartsittich P. alexandri ist mit und einer Halsbandzeichnung bei Männchen, lässt sich Psittinus und Tanygnathus näher verwandt als mit anhand morphologischer Kriterien wie z. B. des Färbungs- den meisten anderen Psittacula-Arten (Abb. 1). Die musters des Kopfbereichs oder des Vorhandenseins eines paraphyletische Gattung Psittacula wurde nach streng roten Schulterflecks in Untergruppen gliedern. Zusätzlich monophyletischen Regeln in Gruppen aufgetrennt. Die wurden die beiden kurzschwänzigen Papageien-Gattun- Gattung Psittacula Cuvier, 1800, besteht demnach nur gen Psittinus und Tanygnathus in die phylogenetische noch aus den Arten Psittacula alexandri, P. derbiana und Analyse von zwei Markergenen (mitochondriales cytb P. caniceps, die Typusart ist Psittacus alexandri Linna- und Kerngen RAG1) mit einbezogen. Diese beiden Gat- eus, 1758. Die Gruppe zeichnet sich durch einen breiten tungen kommen in angrenzenden Bioregionen vor und schwarzen Bartstreifen, einen schwarzen Zügelstreifen zeigen die typische Diagnose von Psittacula nicht. und das Fehlen eines Nackenbandes aus, Männchen © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 323 haben rote Oberschnäbel, Weibchen bei den meisten rot, Unterschnabel braun, Weibchen matter gefärbt mit Taxa komplett schwarze Schnäbel. Auf Basis von mono- braunem Schnabel und kürzerem Schwanz; Verbrei- phyletischen Gruppen und taxonomischen Kriterien tung: Malaiische Halbinsel bis Borneo und Sumatra; werden zwei alte Gattungsnamen wieder verwendet Himalayapsitta Braun, gen. nov., feminin (Hima- und drei neue Gattungen benannt. layapsitta himalayana, H. finschii, H. cyanocephala, Palaeornis Vigors, 1825 (Palaeornis eupatria, H. roseata), Typusart: Psittacus himalayanus Lesson, P. w ardi ), Typusart: Psittacus alexandri Linnaeus, 1766 1831. Der Name leitet sich vom Diversitätszentrum (fehlbestimmt) = Psittacus eupatria Linnaeus, 1766. dieser Gruppe im südlichen Himalaya ab. Diagnose: Diagnose: roter Schulterfleck; größte Arten innerhalb roter Schulterfleck; kleinste Arten innerhalb des Ver- des Verwandtschaftskreises, sehr langer Schwanz, sehr wandtschaftskreises; helle Schwanzspitze; zwei Arten großer Schnabel; Sexualdimorphismus: Männchen mit mit Sexualdimorphismus, zwei monochrome Arten: breitem schwarz-rosafarbenem Halsband, Weibchen Männchen mit leuchtendem oder dunklem Kopfmus- ohne Halsband; Verbreitung: Südasien und Seychellen; ter, ausgeprägtem schwarzen Halsband, orangem Ober- Belocercus Müller & Schlegel, 1839 (Belocercus lon- schnabel, Weibchen mit dunkler Kopffärbung und teil- gicauda), Typusart: Psittacus barbatulatus Bechstein, weise reduziertem Schulterfleck; Verbreitung: südlicher 1811 = Psittacus longicauda Boddaert, 1783. Diag- Himalaya und Südasien; nose: ohne roten Schulterfleck; mittelgroße Art, sehr Nicopsitta Braun, gen. nov., feminin (Nicopsitta colum- langer Schwanz; Sexualdimorphismus: Männchen mit boides, N. calthrapae), Typusart: Palaeornis columboides schwarzem Zügelstreif, schwarzem horizontalem Bart- Vigors, 1830. Der Name wurde zu Ehren von Nicole streif, grünem Oberkopf und rosenfarbenen Wangen, Braun gewählt, der Frau von MPB. Diagnose: kein roter das Halsband erreicht den Nacken nicht, Oberschnabel Schulterfleck; mittelgroße Arten, N. calthrapae mit kur-

Abb. 1: Phylogramm der Verwandtschaft innerhalb der Gattung Psittacula sensu lato (Psittacula, Tanygnathus, Psittinus) mit kombiniertem Datensatz (cytb, RAG1). Bayesianische Analyse, maximum clade credibility tree, HKY model. Posterior probabilities sind als Werte dargestellt. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

324 Schwerpunktthema „Artbildung und Evolution“ • Vorträge zem Schwanz; Sexualdimorphismus: Männchen mit borealis (Neumann, 1914) mit größerem, leuchtend grauen Gefiederpartien, besonders an Kopf und Rücken, roten Oberschnabel wird von der afrikanischen Clade dunkles oder schwarzes Halsband, roter Oberschnabel, Alexandrinus krameri (Scopoli, 1769) mit Subsp. par- teilweise gelbe Ränder der Flügeldecken, Weibchen virostris (Souancé, 1856) mit kleinerem, schwärzlichen dunkler mit grauem Kopf und schwarzem Schnabel; Oberschnabel getrennt. Juvenile grünlicher mit hellem Schnabel; Verbreitung: Psittacula alexandri integriert phylogenetisch den lokal in Westindien und auf Sri Lanka; Chinasittich Psittacula derbiana, daher wird eine Spal- Alexandrinus Braun, gen. nov., maskulin (Alexandri- tung in zwei Arten vorgeschlagen: Psittacula alexandri nus krameri, A. echo, A. eques, A. exsul), Typusart: Psit- (Linnaeus, 1758) mit Subsp. kangeanensis Hoogerwerf, tacus krameri Scopoli, 1769. Der Name leitet sich von 1962 und dammermani Chasen & Kloss, 1932 mit kom- Alexander dem Großen ab, der die ersten Papageien plett rotem Schnabel in beiden Geschlechtern und Psit- nach Europa brachte. Diagnose: kein roter Schulter- tacula fasciata = (Statius Müller, 1776) mit Subsp. abbotti fleck; mittelgroße Arten; Sexualdimorphismus: Männ- (Oberholser, 1919), cala (Oberholser, 1912), perionca chen mit schwarz-rosafarbenem Halsband, rötlichem (Oberholser, 1912) und major (Richmond, 1902) mit Oberschnabel, Weibchen ohne Halsband; Verbreitung: schwarzem Schnabel bei den Weibchen. Südasien, Afrika und Indischer Ozean; Auf Artebene wird eine Spaltung des paraphyle- Literatur tischen Halsbandsittichs in zwei Arten vorgeschla- Braun MP 2014: Parrots (Aves: Psittaciformes): Evolutionary gen, er integriert phylogenetisch Alexandrinus echo history, phylogeography, and breeding biology. Dissertation, (A Newton & E Newton, 1876). Die asiatische Clade Faculty of Natural Sciences and Mathematics. Heidelberg Alexandrinus manillensis (Bechstein, 1800) mit Subsp. University.

Gast O, Stuckas H, Belkacem AA, Martens J, Wink M & Päckert M (Studenec/Tschechische Republik, Dresden, Djelfa/Algerien, Mainz, Heidelberg): Neues von afrikanischen Spatzen – Brutbiologie, Ökologie und Populationsgenetik von Haussperling Passer domesticus, Weidensperling P. hispaniolensis und deren Hybriden in Nordafrika

✉✉Oliver Gast, Institute of Vertebrate Biology, Czech Academy of Sciences, Studenec, Czech Republic, E-Mail: [email protected]

Die Populationen des Italiensperlings Passer italiae auf Weidensperlingen aus der gesamten Paläarktis einbezo- dem italienischen Stiefel und auf diversen Mittelmeerin- gen. In den algerischen Populationen sind die Haus- und seln sind phänotypisch intermediär zwischen Haussper- Weidensperlinge räumlich durch ihre Nistplatzpräferenz ling P. domesticus und Weidensperling P. hispaniolensis. getrennt. In den Stadtzentren bilden Haussperlinge und Seit der genetische Nachweis für deren Hybridstatus phänotypische Hybriden Mischpopulationen und sind geführt wurde, gilt der Italiensperling als ein heraus- ausschließlich Gebäudebrüter. Die Brut beginnt früh ragender Sonderfall für hybridogene Artbildung bei Mitte März, und es können bis zu drei Bruten pro Saison Vögeln. Überall dort wo die beiden Elternarten auf dem großgezogen werden. Die Weidensperlinge dagegen brü- eurasischen Kontinent sympatrisch vorkommen, sind ten in großen Populationen auf den landwirtschaftlichen Hybridindividuen äußerst selten. In Nordafrika sieht die Flächen außerhalb der Städte und nutzen Buschbestände räumliche Verteilung der drei Phänotypen jedoch völlig als Nistplatz. Der Brutbeginn ist etwa einen Monat später anders aus: Dort besteht insbesondere in Algerien ein als bei den Haussperlingen, weswegen die Weidensper- komplexes Mosaik aus Mischpopulationen, die bislang linge maximal zwei Bruten pro Saison durchführen. kaum erforscht sind. Der Genfluss zwischen den Hybriden und den Eltern- In einer freilandökologischen Studie aus zwei Brutpe- arten einerseits aber auch zwischen den Elternarten rioden wurden Beobachtungsdaten zur Brutphänologie andererseits ist überraschend hoch. Mitochondriale und Habitatpräferenz in zwei Untersuchungsgebieten in Introgression findet stark unidirektional statt. Die neu- Algerien erhoben. Die genetische Variation und das Aus- trale Variation von 13 Mikrosatellitenloci als auch eines maß möglichen Genflusses wurden anhand dreier Marker z-chromosomalen Markers weist die gesamten algeri- untersucht. In die statistische Auswertung wurden sym- schen Populationen als genetisch intermediär aus, inklu- patrische und allopatrische Populationen von Haus- und sive der phänotypischen Haus- und Weidensperlinge. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 325

Diese Ergebnisse führen zum einen erstmalig den den Eiszeiten wiederholt miteinander im Genaustausch genetischen Nachweis für die Hybridisierung der beiden standen und in Eurasien heute ein komplexes räumliches Sperlingsarten in Nordafrika. Zum anderen stellen sie in Muster genetischer Variation aufweisen. Frage, ob nur ein einziges (prähistorisches) Hybridisie- Diese Studie wurde mehrfach gefördert durch die rungsereignis zu einer heute stabilisierten Hybridform Universität Djelfa. J. Martens erhielt wiederholte För- im Mittelmeerraum geführt haben kann. Vielmehr liegt dermittel durch die Feldbausch-Stiftung und die Wag- nahe, dass Haus- und Weidensperling während und nach ner-Stiftung (beide Universität Mainz).

Winkler H (Wien/Österreich): Welche Probleme löst die parataxonomische Artbildung?

✉✉Hans Winkler, Konrad Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung, Austrian Ornithological Centre, Savoyenstraße 1A, A-1160 Wien, Österreich, E-Mail: [email protected]

Ich bezeichne als Parataxonomie eine in jüngerer Zeit kür in der taxonomischen Praxis beim Abgrenzen von wieder um sich greifende Bewegung, die vorgibt, Taxo- allopatrischen Formen und höherer taxonomischer nomie mit quantitativen und objektiven Methoden Einheiten hinzuweisen und daraus das Recht auf die zu betreiben. Im speziellen Fall der taxonomischen eigene Willkür abzuleiten. Diese philosophisch frag- Abgrenzung von Arten handelt es sich um eine Objek- würdige Einstellung bekommt einen spezifisch ethi- tivierung subjektiver Kriterien, die vor allem vom Briten schen Aspekt, wenn Wissenschaftler, die zum HBW Nigel Collar und seinen Mitstreitern betrieben wird. Ich beitragen, ohne Begründung gezwungen werden, eine werde nachzuweisen versuchen, dass es sich hier um bestimmte Taxonomie zu akzeptieren. Die taxonomi- Pseudowissenschaft handelt, die zu enttarnen notwen- sche Freiheit, die sich Parataxonomen aufgrund des dig ist, weil die einflussreiche Artenliste, die im Rahmen Willkür-Arguments nehmen, bedeutet nicht, dass die des Handbook of the Birds of the World (HBW) ver- Entscheidungen chaotisch oder zufällig sind. Sie bildet breitet wird, diesen Prinzipien folgt. Auch die Behaup- vielmehr die Grundlage dafür, Ziele zu verfolgen, die tung, man folge dem Biologischen Artkonzept kann ich in erster Linie mit dem Naturschutz, aber vielleicht an konkreten Beispielen widerlegen. Diese nehme ich auch mit der birdwatching-Industrie zu tun haben. in erster Linie aus der Liste der Nicht-Singvögel und Diese Form der Parataxonomie soll daher Probleme insbesondere der Spechte. Ein wesentliches Argument lösen, die wenig bis nichts mit der Namensgebung zu der Vertreter dieser para-wissenschaftlichen Strömung tun haben, die für den wissenschaftlichen Umgang mit besteht darin, auf die manchmal unübersehbare Will- der Vielfalt der Vögel nötig ist.

Baumgart W (Berlin): Zur Entstehungsgeschichte des Buches „Greifvögel, Artproblem und Evolutionstheorie – ökofunktionell betrachtet“

✉✉Wolfgang Baumgart, Guhlener Zeile 9a, D-13435 Berlin, Deutschland, E-Mail: [email protected]

Anliegen dieses Buches (Baumgart 2015) ist es, in 60 Jahre zurückreichender Freilandbeobachtungen an unserem evolutionstheoretischen und artkonzeptio- Greifvögeln. Eine Vorstellung des Buches erscheint mir nellen Denken verankerte, in einem evolutionistisch- geboten, weil seit der Typologie-Kontroverse zu Beginn gradualistischen Entwicklungsverständnis begründete der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts funktionelle Fehleinschätzungen zu überwinden und aufzuzeigen, Aspekte im Evolutionsdiskurs kaum noch Beachtung wie unter gleichberechtigter Berücksichtigung des öko- finden (Baumgart 2000). Das könnte zu Verständnis- funktionellen Kompartimentes artlicher Realität Arten problemen gegenüber meinen Betrachtungen führen, qualitativ erfassbar und diskontinuierliche Evolutions- die es auszuräumen gilt. abläufe verständlich vermittelbar werden. Diese Zielset- Für das Erfassen des dualen Charakters artlicher Rea- zung erwuchs im Verlauf weltweiter, inzwischen über lität boten Kleinschmidts Formenkreise (Realgattun- © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

326 Schwerpunktthema „Artbildung und Evolution“ • Vorträge gen), insbesondere die der Hiero- und Wanderfalken die nicht nur in ihrer Lebensweise viele konfunktionelle, (Kleinschmidt 1912-1927, 1923-1937; Baumgart 2001) konvergent entstandene Züge aufweisen, sondern auch sofern sie nicht in seinem Sinne als Verwandtschafts- in der Ausbildung von Größenordnungen, des rever- gruppen und superspezifische Einheiten, sondern als siblen Sexualdimorphismus und signalwirksamen oft polyphyletisch geformte, systematisch irrelevante Gefiedermerkmalen ein hohes Maß an funktionellen, Funktional- und Leistungskategorien interpretiert bisher vielfach verwandtschaftlich gedeuteten Überein- werden, einen tragfähigen Ansatz. Sichere Verwandt- stimmungen zeigen. Die Integration ökofunktioneller schaftsausschlüsse ermöglicht inzwischen die Genetik. Aspekte in unser artkonzeptionelles und Evolutionsver- Neben den Großfalken als Referenzarten fanden bei der ständnis sollte daher als Zukunftsaufgabe Gegenstand Konzipierung eines entsprechenden Ordnungssystems einer dritten Darwinschen Revolution sein, durch die auf der Grundlage Ökofunktioneller Positionen (ÖFPs), die Realität von Typen akzeptierbar sowie eine weitere durch die der Platz von Arten ohne Berücksichtigung Verifizierung unseres Evolutionsverständnisses und die von Verwandtschaftsbeziehungen auf der Grundlage Lösung des Artproblems auch im Sinne des im Disput ihres komplex optimierten Leistungsprofils umrissen von Laland & Wray (2014) erörterten Erfordernisses wird, auch die Habichte, Bussarde und Weihen umfas- eines Überdenkens der Evolutionstheorie möglich wird. send Berücksichtigung. Daraus wird zudem die Bedeutung qualitativer Leis- Literatur tungsdifferenzierungen und -typisierungen für die artli- Baumgart W 1992: Die Arealgrenzen als Leistungsgrenzen che Existenz und Artbildung ersichtlich sowie deutlich, und ihre Rolle im Artbildungsprozeß bei Vögeln (Modell- wie der Phänotyp, leistungs- und effektivitätsorientiert, vorstellungen). Falke 39: 294-302. anderen Gesetzmäßigkeiten als der durch evolutionis- Baumgart W 1998: Leistungsdifferenzierungen bei Greifvö- tisch-gradualistische Zufallsabläufe dominierte Geno- geln und ihre Bedeutung für artliche Existenz und Artbil- typ unterliegt. Arten werden somit ökofunktionell als dung. Zool. Abh. Mus. Tierkd. Dresden Bd. 50, Suppl. 11: optimierte und stabilisierte Leistungseinheiten definier- 125-137. bar, die durch alternative Leistungsoptimierung sowie Baumgart W 2000: Zur Realität des Typs, Otto Kleinschmidt dadurch erwachsende Ineffektivitäts- und Instabilitäts- und konzeptionelle Trugschlüsse im arttheoretischen Den- ken des 20. Jahrhunderts aus greifvogelkundlicher Sicht. lücken der Selbstabgrenzung unterliegen. Das führt zu Greifvögel und Falknerei 1999: 143-170. diskontinuierlichen Evolutionsabläufen (Baumgart Baumgart W 2001: Reflections on Kleinschmidt’s raptor work. 1998). Zugleich erwächst so ein dialektisches Verständ- Falco 18: 4-6. nis für das Wesen von Arten, parapatrischen und Unter- Baumgart W 2015: Greifvögel, Artproblem und Evolutions- arten sowie auch dafür, wie vorangepasste Individuen theorie ökofunktionell betrachtet. Neumann-Neudamm, in funktionalevolutiven Abläufen durch überschreiten Melsungen. der als Leistungsgrenze wirksamen Arealgrenze eigen- Kleinschmidt O 1912/27: Falco Peregrinus. Berajah, Zoogra- ständig die zur Artbildung erforderliche geographische phia infinita. Halle. Isolation erlangen können (Baumgart 1992). Kleinschmidt O 1923/37: Falco Hierofalco (KL.). Berajah, Greifvögel sind für solche Betrachtungen deshalb von Zoographia infinita. Halle. Laland K & Wray G 2014: Does evolutionary theory need a herausragender Bedeutung, weil sich bei ihnen die auf- rethink? Nature 514: 161-164. gezeigten leistungsmäßigen Differenzierungsprozesse Wink M & Sauer-Gürth H 2004: Phylogenetic Relationships im modellhaft gut erfassbaren lokomotorischen Bereich in Diurnal Raptors based on nucleotide sequences of mito- abspielen. Hinzu kommt, dass wir als Greifvögel zwei chondrial and nuclear marker genes. In: Chancellor RD & gut separierte Ordnungen – die Accipitriformes und Meyburg BU (Hrsg) Raptors Worldwide. WWGBP/MME Falconiformes – erfassen (Wink & Sauer-Gürth 2004), Berlin & Budapest: 483-498.

Wink M (Heidelberg): Neue Trends in der DNA-Forschung

✉✉Michael Wink, Universität Heidelberg, IPMB, INF 364, D-69120 Heidelberg, E-Mail: [email protected]

In allen Bereichen der Biologie führt die methodi- Die Erforschung der Evolution und Großsystematik sche Weiterentwicklung der DNA-Analytik zu neuen der Vögel (Avian Tree of Life) hat in den letzten Jahren Erkenntnissen und Hypothesen. Die DNA-Forschung durch die Genomsequenzierungen mittels Next Genera- ist inzwischen auch in der Ornithologie angekommen tion Sequencing (NGS) gewaltige Fortschritte gemacht. (Kraus & Wink 2015). Die Arbeit von Jarvis et al. (2014) war ein Durchbruch, © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 327

Laufvögel, Tinamus Hühnervögel Entenvögel Kolibris, Segler, Nachtschwalben Tauben Stelzenrallen Flughühner Turakos Kuckucke Trappen Kraniche Watvögel , Möwenvögel, Alkenvögel , Rallen Flamingos, Lappentaucher Tropikvogel, Sonnenralle Seetaucher Störche Fregattvogel, Tölpel, Kormorane Reiher, Ibisse, Schuhschnabel, Hammerkopf, Pelikane Pinguine Albatrosse Sturmvögel, Sturmschwalben Hoatzin Neuweltgeier, Greifvögel Falken, Papageien, Sperlingsvögel Seriema Eulen, Hornvögel, Rackenvögel , Tukane, Spechte

Abb. 1: Phylogenomischer Stammbaum der Vögel (nach Prum et al. 2015). da erstmals ein genomischer Stammbaum über NGS- von den gleichzeitigen Analysen von mitochondri- Daten erstellt wurde (Wink 2015). Leider wies die alen und nukleären Genen profitiert. Taxonomische Phylogenierekonstruktion einige Fehler auf, sodass sie Konsequenzen sind die Eliminierung von para-und schon 2015 durch eine verbesserte Phylogenomanalyse polyphyletischen Gruppen und das Splitten von Arten, ersetzt werden konnte (Prum et al. 2015; Abb. 1). In so dass die Gesamtartenzahl von aktuell über 10.300 diese Analyse flossen fast 200 Arten aus allen Ordnun- Vogelarten auch zukünftig kontinuierlich ansteigen gen und vielen wichtigen Familien ein. Es wurden die wird. Schon jetzt gibt es große Veränderungen der Nucleotidsequenzen von 259 Kerngenen analysiert, die taxonomischen Bezeichnungen; jedoch sollten wir pro Art 390.000 Nucleotide lang waren. nicht vergessen, dass dieses Forschungsgebiet im Aber auch Taxonomie und Systematik innerhalb Fluss ist und es jedes Jahr weitere neue Erkenntnisse von Ordnungen, Familien und Gattungen haben geben wird. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

328 Schwerpunktthema „Artbildung und Evolution“ • Poster

Für die Analyse von phylogeographischen Zusam- sind, dass funktionelle Gene geschädigt werden. Die menhängen, die evolutionär häufig jung sind, kommt Analyse der Telomerlänge erlaubt Einblicke in Fragen neben mtDNA- und Mikrosatellitenanalysen zuneh- des Alterns und der Fitness bei Vögeln. Da die Ery- mend die Analyse von SNPs (Single Nucleotide Poly- throzyten bei Vögeln Zellkerne aufweisen, lassen sich morphisms) und Genomsequenzierung (RadSeq) zum Telomerlängen auch anhand von Blutproben analysie- Einsatz, die eine bessere Auflösung liefern. Bei den ren (Stier et al. 2015). genomischen Analysen (RadSeq, SNP), liegen die Kos- ten vergleichsweise hoch und die bioinformatorische Literatur Auswertung stellt eine Herausforderung dar. Mikro­ Jarvis ED et al. 2014: Whole-genome analyses resolve early satelliten und SNP-Analysen sind auch die aktuellen branches in the tree of life of modern birds. Science 346: Methoden, um Sozialsysteme der Vögel zu erhellen. 1320-1331. Somit sind DNA-Analysen wichtige Werkzeuge zur Kraus RH & Wink M 2015: Avian genomics: fledging into the Erforschung der Artbildung und Evolution der Vögel. wild! J. Ornithol. 56: 851-865. NGS liefert aber auch die Möglichkeit, tiefer in die Prum RO, Berv JS, Domburg A, Field DJ, Townsend JP, Lem- Physiologie, Biochemie, Entwicklungsbiologie, Öko- mon EM & Lemmon AR 2015: A comprehensive phylogeny logie und Verhalten der Vögel einzudringen. Neben of birds (Aves) using targeted next-generation DNA sequen- cing. Nature 526: 568-573. Genomanalysen steht hier die Analyse gewebe- und Stier A, Reichert S, Criscuolo F & Bize P 2015: Red blood entwicklungsspezifischer Transkriptome (RNASeq) cells open promising avenues for longitudinal studies of im Vordergrund. ageing in laboratory, non-model and wild animals. Exp. Telomere flankieren die Enden aller Chromosomen. Gerontoloy 71: 118-134. Mit jeder Zellteilung werden die Telomere kürzer, bis sie Wink M 2015: Der erste phylogenomische Stammbaum der unter Stress oder im Verlauf des Alterns soweit abgebaut Vögel. Vogelwarte 53: 45-50.

• Poster

Schirmer S, Becker JB & von Rönn J (Greifswald, Frankfurt/Oder, Sempach/Schweiz): Lebenszeitreproduktionserfolg von Nachtigallen, Sprossern und ihren Hybriden in Sympatrie

✉✉Saskia Schimer, Greifswald, E-Mail: [email protected]

Hybridzonen zwischen nahe verwandten Arten ermög- ihren Hybriden. Wir schätzten Lebenszeitreprodukti- lichen als natürliches Experiment die Untersuchung von onserfolg (LRS) als Maß für die Fitness von männlichen Artbildungsprozessen im Freiland. Präzygotische Bar- Individuen in dieser Population. Der LRS bezeichnet rieren gegen Genfluss wie Arterkennungsmechanismen die Summe aller produzierten Nachkommen über das und Partnerwahlverhalten sind bei Vögeln im Vergleich gesamte Leben eines Individuums. Als Näherung für zu postzygotischen Barrieren wie Hybridsterilität bzw. die tatsächliche Zahl von Nachkommen pro Jahr wurde geringere Fertilität und reduzierte Lebensfähigkeit gut die Brutgröße zum Zeitpunkt der Beringung der Nest- untersucht (Price 2008). Nachtigallen und Sprosser sind linge als Datengrundlage der Schätzung verwendet. In nur unvollständig durch präzygotische Isolation getrennt Ermangelung von Daten zur genetischen Vaterschaft und eignen sich daher zur Untersuchung von postzy- wurden die Nestlinge ihren sozialen Vätern zugeordnet. gotischen Isolationsmechanismen. Die Brutgebiete der Die Artzugehörigkeit oder der Hybridstatus der Männ- beiden Arten überlappen sich in Mittel- und Osteuropa chen wurde morphologisch bestimmt. Für die Schät- in einer Hybridzone, in der gemischte Paare vorkommen zung verwendeten wir ein Hidden-Markov-Modell mit und lebensfähige Nachkommen produzieren. unterschiedlichen Detektionswahrscheinlichkeiten für Das Untersuchungsgebiet in Frankfurt/Oder liegt in Altvögel mit unterschiedlichem Reproduktionserfolg der Hybridzone und einer von uns (JB Becker) sammelte (Gimenez et al. 2012), welches wir um Detektions- zwischen 1973 und 2005 morphologische, brutbiologi- wahrscheinlichkeiten für Nester mit und ohne Brut­ sche und Fang-Wiederfang-Daten von den dort sym- erfolg erweiterten. Die Parameterschätzung wurde patrisch vorkommenden Nachtigallen, Sprossern und mittels Markov-Chain Monte Carlo-Simulationen in © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 329

JAGS durchgeführt. Der LRS von männlichen adulten chen wirken und der Einfluss auf männliche F1-Hybride Nachtigallen, Sprossern und ihren F1-Hybriden unter- nicht sehr groß sein sollte. schied sich kaum. Damit einhergehend wurden auch keine Unterschiede in den Überlebenswahrscheinlich- keiten und der Reproduktionszeit gefunden. Nach der Literatur Gimenez O et al. 2012: Estimating demographic parameters Überschreitung der Artbarriere zwischen Nachtigall using hidden process dynamic models. Theor. Popul. Biol. und Sprosser zur Bildung der F1-Hybriden, scheinen die 82:307-316. männlichen F1-Hybride bei Rückkreuzungen keinen Haldane JBS 1922: Sex ratio and unisexual sterility in animal Fitnessnachteil zu haben. Dieses Ergebnis unterstützt hybrids. J. Gen. 12: 101-109. die Regel von Haldane (1922), nach der postzygotische Price T 2008: Speciation in birds. Roberts, Greenwood Vil- Isolationsmechanismen besonders auf die Hybrid-Weib- lage, Colorado.

Winkler H & Winkler VC (Wien): Vom Schwanz her aufgezäumt – reverse engeneering von Stützschwänzen

✉✉Hans Winkler, Konrad Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung, Veterinärmedizinische Universität Wien, Österreich, E-Mail: [email protected]

Spechte (Picidae) und Baumsteiger (Dendrocolaptidae) “Kletter­vogel” einen Freiheitsgrad zuviel hat, um mecha- sind Vogelgruppen, bei denen kleine bis große Formen nisch eindeutig zu sein. Hier stellen wir Messergebnisse sogenannte Stützschwänze entwickelt haben, was all- vor, die zeigen, dass bei Spechten die Vertikalkräfte gemein als Beispiel für Konvergenz zitiert wird. Von vom Vogel in der Tat dynamisch verändert werden. Die dieser spricht man, wenn in unterschiedlichen Stamm- morphologische Ausprägung der Schwänze in den unter- linien aufgrund gleicher selektiver Bedingungen gleiche suchten Gruppen ist recht unterschiedlich. Mit biome- Merkmalsausprägungen entwickelt werden. Im konkre- chanischen Modellen versuchten wir den „Zweck“ jener ten Fall sind dies die Anforderungen, die sich aus dem Bauformen zu erschließen. Die oberflächliche Ähnlich- Klettern auf mehr oder weniger vertikalen Oberflächen keit der Stützschwänze von Baumsteigern und Spechten ergeben. Wie Winkler & Bock (1976, J. Ornithol.: 397- scheint demnach nur oberflächlicher Ähnlichkeit in der 418) in einer biomechanischen Analyse zeigten, sind Funktion zu entsprechen und demnach auch nur einem jene Anforderungen nicht eindeutig, weil das System ebenso oberflächlichen Konvergenzkonzept.

Abb. 1: Dynamischer Verlauf der Kraft an der Schwanzspitze eines Bunt- spechts. Die der Schwerkraft entgegen- gesetzte Kraftkomponente (Kraft F2 in Abb. 3 in Winkler & Bock 1976: J. Orn. 117, 397-418) ausgedrückt als Prozent- satz des Körpergewichts wird angezeigt. Messungen mithilfe einer geteilten vertikalen Unterlage, deren oberer Teil (Ansatz der Füße) mit einer Wiegeein- richtung verbunden war. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

330 Themenbereich „Vogel- und Naturschutz“ • Plenarvortag

Themenbereich „Vogel- und Naturschutz“

• Plenarvortag

Krause J & Merck T (Insel Vilm): Auf hoher See – Naturschutz für‘s Meer

✉✉Jochen Krause, Bundesamt für Naturschutz, Abteilung II 5 Meeresnaturschutz, E-Mail: [email protected]

Lange Zeiten waren die Meere aufgrund ihrer Größe, eingeschränkt und so kann der Biodiversitätsschutz der schieren physikalischen Kräfte und der großen Dis- der Meere nur erreicht werden, wenn die nationalen tanzen vor einer anthropogenen Überformung weitge- Bemühungen mit den Nachbarstaaten abgestimmt und hend verschont geblieben. Doch dies hat sich ausgehend zusammen mit europäischen Recht und internationa- von den Küsten immer mehr geändert. Gleichzeitig lem Vorgaben umgesetzt werden. Der Vortrag stellt vor, mit den wachsenden menschlichen Ansprüchen an welche Schritte Deutschland bei der Entwicklung von das Meer wurden aber auch Vereinbarungen gesucht raumwirksamen Maßnahmen, Fischereiregulierungen und in Kraft gesetzt, um die Biodiversität der Meere zu und Eingriffsbewertungen zum Schutz der küstenfer- schützen und zu erhalten. Fernab der Küsten gelten die nen Biodiversität bereits unternommen hat und welche souveränen Hoheitsrechte der Küstenstaaten nur noch noch ausstehen.

• Vorträge

Flade M (Brodowin): Der Einfluss von großflächigem Ökolandbau und naturschutzorientierter Forstwirtschaft auf die Bestandstrends von Brutvögeln: Ergebnisse 20jährigen Brutvogelmonitorings im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin

✉✉Martin Flade, Brodowiner Dorfstr. 60, D-16230 Chorin, E-Mail: [email protected]

Eine Hauptaufgabe der UNESCO-Biosphärenreser- seit über 15 Jahren nahezu flächendeckend umgesetzt vate besteht darin, Modelle ökologisch nachhalti- werden. Die Landwirtschaft ist seit den frühen 1990er ger Landnutzungen zu entwickeln, zu erproben und Jahren zu über 95 % auf Ökolandbau umgestellt, zusätz- wissenschaftlich zu begleiten. Im Biosphärenreservat lich werden auf den Ökolandbauflächen gezielte Natur- Schorfheide-Chorin (1.300 km²) im Nordosten Bran- schutzmaßnahmen umgesetzt, die zuvor im Rahmen denburgs hat sich seit 1990 die größte zusammenhän- von Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben gestestet gende Ökolandbauregion Deutschlands entwickelt, die wurden (Stein-Bachinger et al. 2010). Besonders in zurzeit über 14.000 ha an ökologisch bewirtschaftetem den Wäldern, aber auch im Offenland wurde zudem Ackerland und etwa 5.000 ha extensiv genutzten Grün- ein breites Spektrum von wasserbaulichen Maßnahmen landes umfasst (45 % der Landwirtschaftsfläche). In den umgesetzt (Staumaßnahmen, Seespiegelanhebungen), Wäldern wurden naturschutzorientierte Verfahren der und wertvolle Steppenrasen und Moorwiesen durch Buchenwaldbewirtschaftung entwickelt und im Landes- spezielle Pflegemaßnahmen erhalten, vergrößert und wald erfolgreich eingeführt (Praxishandbuch Natur- in ihrem Zustand verbessert (Vertragsnaturschutz). Die schutz im Buchenwald, Winter et al. 2015). Bewirtschaftung der Tiefland-Buchenwälder erfolgt In einem Referenzgebiet von etwa 100 km² Fläche spätestens seit 2002 naturschutzorientiert. im Südosten des Biosphärenreservats konnten die Seit 1995 wird im gesamten Biosphärenreservat ein Schutz- und Entwicklungsziele des Biosphärenreservats Brutvogelmonitoring gemäß der Methodik des DDA- © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 331

Monitorings häufige Brutvögel durchgeführt (Punkt- In der vorliegenden Untersuchung wird die Stopp-Zählungen und Linienkartierungen, Sudfeldt et Bestandsentwicklung der Brutvögel im Referenzgebiet, al. 2010, 2012). Im Referenzgebiet Choriner Endmoräne im gesamten Biosphärenreservat und in Deutschland wurde durch den Verfasser ab 1997 mit dem Brutvo- verglichen. Zum einen werden die 20jährigen Trends gelmonitoring begonnen (vier Punkt-Stopp-Routen mit (1995-2014 bzw. 1997-2016) betrachtet. Signifikante insgesamt 64 Zählstopps, fünf Kontrollen; 1997-2000 Zu- und Abnahmen wurden für Deutschland und das auch Revierkartierung auf 196 ha Offenland und 40 ha Biosphärenreservat anhand der TRIM-Indexkurven Buchenwald). und des 95 %-Vertrauensbereiches ermittelt. Für das Insgesamt liegt dazu folgendes Vergleichsdatenma- Referenzgebiet (keine Datenlücke) wurde für jede Art terial vor: die Summe der Maximalwerte pro Zählstopp und Jahr • Deutschland: Jährlich bis zu 327 PS-Routen im Zeit- ermittelt; die Signifikanz des Trends wurde hier mittels raum 1990-2010; ab 2005 Linienkartierungen auf Rangkorrelation (nach Spearman) geprüft. Zusätzlich 1 x 1 km Quadranten, jeweils drei km Streifenlinien- wurde die Verschiedenheit des Kurvenverlaufs der drei Transekt, jährlich vier Begehungen (aktuell 1.500 LK- räumlichen Ebenen gegeneinander ebenfalls mittels der Quadranten bearbeitet). Rangkorrelation (zweiseitig) getestet. • BR Schorfheide-Chorin: Punkt-Stopp-Zählungen ab Ein Unterschied zwischen zwei Kurvenverläufen 1995, zurzeit 23 PS-Routen mit insgesamt 454 Stopps; wurde dann akzeptiert, wenn der Trend unterschiedlich ab 2006 zusätzlich 10 Linienkartierungs-Quadranten; war (Zunahme, gleichbleibend, Abnahme) UND der die Daten 1995-2015 standen zur Auswertung zur Kurvenverlauf signifikant verschieden war (Rangkor- Verfügung. relation). Die möglicherweise sehr verschiedene Trend-

Bestandsentwicklung im Choriner Endmoränenbogen im Vergleich mit Deutschland günstiger etwa gleich ungünstiger, aber nicht abnehmend ungünstiger, abnehmend 0 20 40 60 80 Anzahl Arten

Bestandsentwicklung im Choriner Endmoränenbogen im Vergleich mit Deutschland nach bevorzugten Lebensräumen

Moore, Röhricht, Gewässer

günstiger Siedlungen etwa gleich ungünstiger, aber nicht abnehmend Agrarlandschaft ungünstiger, abnehmend

Wälder u. Gehölze

0 5 10 15 20 Anzahl Arten

Abb. 1: Bestandsentwicklung von 123 spärlichen bis mäßig häufigen Brutvogelarten im Referenzgebiet „Choriner Endmo- räne“ (südöstliches Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin, eigene Punkt-Stopp-Daten) im Vergleich mit Deutschland (DDA-Monitoring häufige Brutvögel). „Günstiger“ heißt z. B.: Im Referenzgebiet zunehmend, in Deutschland höchstens gleichbleibend; oder: im Referenzgebiet gleichbleibend, in Deutschland abnehmend. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

332 Themenbereich „Vogel- und Naturschutz“ • Vorträge stärke der Zu- oder Abnahmen blieb unberücksichtigt. der Dörfer und der Agrarlandschaft sowie überraschen- Für einige seltenere Arten wurden zum Vergleich die derweise auch Langstreckenzieher und deutschlandweit Trendangaben im Portal „Vögel in Deutschland online“ gefährdete Arten profitieren besonders von der verän- des DDA herangezogen. derten/modifizierten Landnutzung. Im Ergebnis kann gezeigt werden, dass vorhandene Brutvogelmonitoring-Daten erfolgreich genutzt wer- Literatur den können, um die Bestandsentwicklung auf unter- Stein-Bachinger K, Fuchs S, Gottwald F, Helmecke A, Grimm schiedlichen räumlichen Ebenen zu vergleichen und J, Zander P, Schuler J, Bachinger J & Gottschall R 2010: die Management-Effekte großer Schutzgebiete auf Naturschutzfachliche Optimierung des Ökologischen Land- baus „Naturschutzhof Brodowin“. Naturschutz Biol. Vielfalt Landschaftsebene zu bewerten. Entgegen den Erwar- 90, Bonn-Bad Godesberg. tungen sind die Bestandstrends im Biosphärenreservat Sudfeldt C, Wahl J, Mitschke A, Flade M, Schwarz J, Grüne- – bis jetzt – nur graduell besser als in Deutschland, mit berg C, Boschert M & Berlin K 2010: Vogelmonitoring in immer noch deutlich mehr Abnahmen (43 Arten) als Deutschland – Ergebnisse und Erfahrungen. Naturschutz Zunahmen (26 Arten). 25 Arten haben sich im Trend Biol. Vielfalt 83, Münster. günstiger, 14 Arten ungünstiger als in Deutschland ent- Sudfeldt C, Dröschmeister R, Wahl J, Berlin K, Gottschalk T, wickelt, wobei vor allem bei Arten der Dörfer und der Grüneberg C, Mitschke A & Trautmann S 2012: Vogelmo- Agrarlandschaft die günstigeren Trends überwiegen. nitoring in Deutschland – Programme und Anwendungen. Im Referenzgebiet sind die Bestandstrends dagegen Naturschutz Biol. Vielfalt 119, Münster. insgesamt eindeutig besser als im gesamten Biosphären- Winter S, Begehold H, Herrmann M, Lüderitz M, Möller G, Rzanny GM & Flade M 2015: Praxishandbuch – Natur- reservat und in der Normallandschaft. 31 zunehmende schutz im Buchenwald. Naturschutzziele und Bewirt- Arten stehen 25 abnehmenden Arten gegenüber. Bei schaftungsempfehlungen für reife Buchenwälder Nord- 39 Arten war der Trend günstiger, bei nur vier ungüns- ostdeutschlands. Ministerium für Ländliche Entwicklung, tiger als in Deutschland (Abb. 1). Insbesondere Arten Umwelt und Landwirtschaft Brandenburg, Potsdam.

Fritz J & Unsöld M (Mutters/Österreich, München): Kampagne gegen illegale Vogeljagd in Italien im Kontext des LIFE+ Projektes zur Wiederansiedlung des Waldrapps

✉✉Johannes Fritz, Waldrappteam, Schulgasse 28, A-6162 Mutters, Österreich, E-Mail: [email protected]

Im Rahmen eines von der Europäischen Gemeinschaft können so einer Untersuchung bzw. Behandlung zuge- kofinanzierten LIFE+ Projektes werden Waldrappe führt werden. Geronticus eremita wieder in Europa angesiedelt. Das Die übermittelten Positionen werden in Echtzeit auf Projekt basiert auf einer 12-jährigen Machbarkeitsstudie. der App Animal Tracker veröffentlicht. Diese App ist Zielsetzung ist die Gründung einer migrierenden Popu- nicht nur Grundlage für das Monitoring, sondern auch lation mit drei Brutkolonien im nördlichen Alpenvorland eine effiziente Möglichkeit für die Öffentlichkeitsarbeit und einem gemeinsamen Wintergebiet in der südlichen und Bewusstseinsbildung (Pschera 2014). Toskana, verbunden durch einen gemeinsamen Migra- Im Herbst werden die Vögel auf ihrem Weg durch tionskorridor. Die Population besteht aktuell aus annä- Italien von geschulten und entsprechend ausgestattete hernd 90 freilebenden Individuen (Stand Oktober 2016). Task Teams eskortiert, deren Aufgaben der Schutz der Im Zeitraum der Machbarkeitsstudie war der illegale Vögel und die Öffentlichkeitsarbeit an Zwischenstopps Abschuss der Waldrappe während der Herbstmigration der Vögel ist. Zudem können die Teams im Falle eines die primäre Mortalitätsursache. 71 % der Verluste wur- Abschusses rasch vor Ort sein. den dieser Ursache zugeordnet (Fritz & Unsöld 2015). So gelang es 2012, einen italienischer Jäger zu iden- Deshalb wird im Rahmen des LIFE+-Projektes eine tifizieren, der zeitgleich zwei Waldrappe in der Pro- umfangreiche Kampagne gegen illegale Vogeljagd in vinz Livorno abgeschossen hatte. Gegen ihn wurde Italien implementiert. ein Strafprozess eingeleitet, der im September 2016 Wesentliche Grundlage der Kampagne ist die Aus- mit einem Schuldspruch endete. Der Jäger wurde zu stattung aller Vögel mit GPS-Sendern, die ein konti- einer Geldstrafe und zum Entzug des Jagdscheins nuierliches Monitoring ermöglichen. Seitdem sind die verurteilt. Damit war ein wichtiger Präzedenzfall für Todesursachen größtenteils bekannt. Meist werden die Folgeprozesse geschaffen, der zudem den Weg für eine verendeten oder verletzten Vögel auch aufgefunden und Zivilklage gegen den Wilderer ebnet. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 333

Abb. 1: Ein abgeschossener Waldrapp wird von Daniela Trobe, einer Mitarbeiterin des Waldrappteams, geborgen. Foto: G. Bedini

Der umfangreichste Teil der Kampagne dient der rer Vogel wurde angeschossen. Diese Vorfälle haben Bewusstseinsbildung bei Jägern. Im Herbst 2014 fand international zu erheblicher öffentlicher und media- in Italien eine Veranstaltung in Anwesenheit von Jane ler Resonanz geführt. Auf Facebook folgten mehr als Goodall statt, bei der Repräsentanten der beiden wich- 160.000 Personen der Berichterstattung. Die erhebli- tigsten italienischen Jagdverbände Waldrappe adoptier- che Sensibilisierung wird genutzt, um die Kampagne ten und Gentle Agreements unterzeichneten, in denen weiter auszubauen. Unter anderem wird derzeit eine sie sich für die Wiederansiedlung der Waldrappe aus- internationale Petition gegen die illegale Jagd in Italien sprechen und Unterstützung beim Kampf gegen die Wil- lanciert. derei zusichern. Die Kooperationen mit Jagdverbänden Ziel der Kampagne ist nicht mehr nur der Schutz der konnte in Folge erweitert und konkretisiert werden. Waldrappe. Mithilfe der Waldrappe als Indikatorart Des Weiteren wird durch umfangreiche Informa- wird der Umfang der illegalen Jagd in Italien aufge- tionsarbeit ein möglichst breites Bewusstsein für das zeigt. Die zunehmende Bekanntheit des Projektes und Projekt und die Waldrappe geschaffen. Besonders die breite Sympathie für diese Vogelart sollen genutzt effizient ist dafür die Präsentation des Projektes im werden, um den Umfang der illegalen Vogeljagd in Rahmen von Jagdmessen in Italien. Allein 2016 wurde Italien insgesamt und nachhaltig zu reduzieren. das LIFE+-Projekt bei 13 Messen präsentiert, die ins- Das Projekt wird mit 50 % Unterstützung des Finan- gesamt von mehr als 70.000 Personen besucht wurden, zierungsinstruments LIFE der Europäischen Union insbesondere Jäger. (LIFE+12-BIO_AT_000143, LIFE Northern Bald Ibis) Die Maßnahmen haben inzwischen zu einer deutli- durchgeführt. chen Reduktion der Verluste durch illegale Abschüsse geführt. In den ersten beiden Jahren des LIFE+-Pro- Literatur jektes waren 22 % der Verluste durch illegale Vogeljagd Fritz J & Unsöld M 2015: Internationaler Artenschutz im verursacht, was im Vergleich zur Machbarkeitsstudie Kontext der IUCN Reintroduction Guidelines: Argumente eine deutliche Reduktion darstelle. zur Wiederansiedlung des Waldrapps Geronticus eremita in Leider hat sich dieser Prozentsatz aktuell etwas Europa. Vogelwarte 53: 157-168. erhöht. Im Herbst 2016 wurden während der Mig- Pschera A 2014: Das Internet der Tiere: Der neue Dialog zwi- ration zwei Vögel durch Wilderei getötet. Ein weite- schen Mensch und Natur. Metthes & Seitz Verlag, Berlin. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

334 Themenbereich „Vogel- und Naturschutz“ • Vorträge

Inderwildi E & Muller W (Zurich/Schweiz): Der Wachtelkönig in der Schweiz: 20 Jahre Einsatz für den heimlichen Wiesenbrüter

✉✉Eva Inderwildi, BirdLife Schweiz, Wiedingstrasse 78, Postfach, CH-8036 Zürich, Schweiz, E-Mail: [email protected]

Der Wachtelkönig Crex crex war einst ein verbreiteter letzten 20 Jahren zahlreiche Daten zur Art gesammelt Brutvogel in der Schweiz. Gegen Ende des 19. und vor werden konnten. Mitarbeiter von BirdLife Schweiz allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts gingen seine sowie Wildhüter und freiwillige Helferinnen und Helfer Bestände drastisch zurück und die Art verschwand prak- suchen jedes Jahr die wichtigsten Wachtelköniggebiete tisch ganz aus dem Schweizer Mittelland. Zwischen 1970 ab. Hinzu kommen Zufallsbeobachtungen aus anderen und 1995 wurden nur noch sporadisch Wachtelkönige Regionen der Schweiz. gemeldet und es fanden praktisch keine Bruten statt. Seit Beginn des Artenförderungsprogramms von 1996 lancierte BirdLife Schweiz deswegen ein Arten- BirdLife Schweiz hat die Anzahl der in der Schweiz förderungsprogramm für den Wachtelkönig. Einjährige beobachteten Wachtelkönige deutlich zugenommen. Verträge mit den Landwirten, dort, wo rufende Wachtel- Ein Teil dieser Zunahme ist vermutlich durch die inten- könige auftreten, ermöglichen es dieser Art zu Brüten, sivere Suche nach Wachtelkönigen bedingt. Es traten ohne durch eine zu frühe Mahd gestört zu werden. Bei aber nicht nur mehr Vögel auf, sondern ein Großteil Zustandekommen des Vertrags darf auf mindestens der stationären Tiere hatte dank der Verträge auch die einem Hektar Wiesland um den Rufplatz des Wachtel- Möglichkeit, ungestört zu brüten. In den letzten 20 Jah- königs das Gras frühestens Mitte August gemäht wer- ren schwankte die Anzahl der jährlich in der Schweiz den. Die Mahd erfolgt wachtelkönigfreundlich, sodass beobachteten Wachtelkönige zwischen 12 und 87 rufen- ein Ausweichen der Tiere vor dem Mähwerk möglich den Männchen. Insgesamt wurden 659 Wachtelkönige ist. Im Rahmen des Artenförderungsprogramms findet zur Brutzeit gemeldet und 56 auf dem Durchzug im auch ein umfassendes Monitoring statt, wodurch in den Herbst. 55,1 % dieser Tiere waren stationär, das heißt,

100

Total 90 Stationär Mögliche, wahrscheinliche, sichere Bruten 80 Mit Verträgen

70

60

50

40

30

20

10

0 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Abb. 1: Anzahl der von 1996 bis 2015 in der Schweiz beobachteten Wachtelkönige, der stationären Vögel, der Vögel mit Brutmöglichkeit und der Individuen mit Verträgen. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 335 sie blieben mindestens fünf Nächte an einem Standort. Überwinterungsgebieten im Mai zum Teil auch schon Die meisten Wachtelkönige (76,3 %) ließen sich erst gemäht sind. In höheren Lagen sind die Wiesen exten- im Juni und Juli (zweite Hälfte der Brutsaison) in den siver und geeigneter, bieten aber erst im Juni eine aus- Schweizer Wiesen nieder und traten vor allem in den reichende Vegetationshöhe an. höheren Lagen zwischen 1.000 und 2.000 m ü. M. auf (75,6 % aller Brutzeit-Beobachtungen). Die Situation hat Literatur sich somit im Vergleich zum Anfang des 20. Jahrhun- Heer L, Maumary L, Laesser J & Müller W 2000: Artenschutz- derts stark verändert: Damals kamen die Wachtelkönige programm Wachtelkönig in der Schweiz: Bestand, Ökologie, hauptsächlich im Mai an und ließen sich in Wiesen in Lagebeurteilung und Schutzmaßnahmen. Schweizer Vogel- tiefen Lagen nieder. Die aktuelle Bewirtschaftung der schutz SVS/BirdLife Schweiz, Zürich. Wiesen erklärt die späte Ankunft sowie den Rückzug Inderwildi E & Müller W 2015: Auswirkungen eines lang- auf höhere Lagen: Zu Beginn der Wachtelkönigbrut- fristigen Artenförderungsprogramms auf Verbreitung und Bestand des Wachtelkönigs Crex crex in der Schweiz. Orni- saison im Mai bieten nur die Wiesen in tiefen Lagen thologischer Beobachter 112: 23-40. eine ausreichende Wuchshöhe. Diese Wiesen sind aber Inderwildi E 2016: Population trend, time of arrival and alti- heute so intensiv bewirtschaftet (stark gedüngt), dass tudinal distribution of the Corncrake Crex crex in Switzer- sie vermutlich zu dicht für den Wachtelkönig sind und land – the results of 20 years of conservation. Die Vogelwelt außerdem zum Zeitpunkt seiner Rückkehr aus den 136: 107-112.

Hoffmann J (Kleinmachnow): Effekte unterschiedlicher Landbewirtschaftung auf revieranzeigende Vogelarten

✉✉Jörg Hoffman, Stahnsdorfer Damm 81, D-14532 Kleinmachnow, E-Mail: [email protected]

Landwirtschaftliche Produktion zielt auf hohe und lang- Bis 1991 existierte auf keinem der Äcker der Modell- fristig gesicherte Erträge. Sie setzt auf möglichst effizi- region ökologischer Landbau und betrug der Anteil der ente Bewirtschaftungsmethoden. Strategische Ziele der Kleinstrukturen 5,6 %. Ab 1991 wurden 25,2 % der Flä- Bundesregierung sind dabei die Ernährungssicherung che der Äcker auf ökologischen Landbau umgestellt, durch nachhaltige Nutzungen. Es soll der Flächenan- somit das 20 %-Ziel für Ökolandbau übertroffen. Die teil des Ökolandbaus von aktuell rund 6 % auf 20 % übrigen Äcker (65,2 %) wurden weiterhin konventionell steigen, auch weil durch ökologische Nutzungen der bewirtschaftet. Der Anteil der Kleinstrukturen wurde Biodiversitätsschutz in landwirtschaftlichen Gebieten auf 9,6 % erhöht. Dies entspricht nahezu dem Natur- besser erreicht werden kann. Ziel der Naturschutzver- schutzziel von 10 %. Greening-Auflagen der Betriebe bände sind zudem 10 % Kleinstrukturen in den Agrar- wurden erfüllt. gebieten. Gegenwärtig hält die negative Entwicklung der Summarisch hat die Vielfalt revieranzeigender Arten Biodiversität in den deutschen Agrargebieten ungebro- in der Modellregion von 1991 zu 2015 von 59 auf 56 chen an, wie dies der Vogelindikator „Artenvielfalt und und im Mittel je 100 ha von 28 auf 26 leicht abgenom- Landschaftsqualität“ und weitere Biodiversitätsindika- men. Die Anzahl revieranzeigenden Individuen ist um toren dokumentieren. Es steht die Frage, ob die aktu- 33 % gesunken. Dabei hat die Feldlerche Alauda arven- elle Ausrichtung der landwirtschaftlichen Produktion sis einen drastischen Rückgang um 53 % aufzuweisen, sowie die strategischen Ziele erfolgversprechend für alle weiteren Arten um 12,5 %. Einzelne Arten zeigen die Biodiversität in den deutschen Agrargebieten sind. teils unterschiedlich gerichtete Veränderungen. Starke Darauf bezogen wurde eine Modellregion (400 ha) in Rückgänge wurden z. B. bei Dorngrasmücke Sylvia com- Ackerbaugebieten ausgewählt. In dieser erfolgten flä- munis, Bluthänfling Carduelis cannabina, Gelbspötter chendeckende Untersuchungen der Nutzungen und Hippolais icterina und Heckenbraunelle Prunella mod- der revieranzeigenden Vogelarten nach der Methode ularis beobachtet, leichte Zunahmen bei Grauammer der Revierkartierung für landwirtschaftliche Gebiete Emberiza calandra und Heidelerche Lullua arborea. Bei (Hoffmann et al. 2012) in 1991 und erneut in 2015. Die konventioneller Bewirtschaftung (a) mit hohem Anteil Modellregion ist in vier Teilgebiete (Variante a) bis d) je der Kleinstrukturen traten größte Verluste auf. Trotz 100 ha) gegliedert (Tab. 1), was die Verschiedenartigkeit Erhöhung des Anteils der Kleinstrukturen um 1,35 % der Agrarlandschaft von reich strukturiert bis ausgeräumt auf 14,88 % reduzierte sich die Artenvielfalt um 30 %, und die damit assoziierte Biodiversität charakterisiert die Anzahl der revieranzeigenden Individuen um 55 % (Hoffmann & Kretschmer 1994, Kretschmer et al. 1995). und die der Feldlerchen um 88 %. Die Anlage von Puf- © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

336 Themenbereich „Vogel- und Naturschutz“ • Vorträge

Tab. 1: Bilanz der Flächen und Nutzungen Variante a) bis d) der Modellregion in Brandenburg, Deutschland. a) konventionell, b) konventionell, c) konventionell, d) Umstellung ab viel Kleinstrukturen (ökologisch auf Kleinstrukturen mit 1991 auf ökologisch, Parameter 5,38 ha), wenig viel Pufferflächen mäßig Kleinstruk- Kleinstrukturen turen 1991 zu 2015 1991 zu 2015 1993 zu 2015 1991 zu 2015 86,47 / 85,12 99,84 / 98,67 93,68 / 82,36 97,51 / 95,57 Äcker (ha) (-1,35) (-1,17) (-11,32) (-1,94) 13,53 / 14,88 0,16 / 1,33 6,32 / 17,64 2,49 / 4,43 Kleinstrukturen (ha) (+1,35) (+1,17) (+11,32) (+1,94) Intensität chemischer Zunahme Zunahme Zunahme ohne Pflanzenschutz mechanische Beikraut­ kein Trend kein Trend kein Trend Zunahme regulierung Erträge Zunahme Zunahme Zunahme kein Trend ferstreifen um bestehende Kleinstrukturen (c) führte bei Ergebnisse weisen bei gegebenen Nutzungsintensivie- konventioneller Nutzung zu ausgeglichener Bilanz der rungen darauf hin, dass 25 % Ökolandbau und 10 % Artenvielfalt, jedoch erfolgte auf Äckern ein Rückgang Kleinstrukturen nicht ausreichend sind, um auf Vogel- der Feldlerche um 59 %. In ausgeräumter Landschaft schutz gerichtete Biodiversitätsziele in Ackerbaugebie- (d) erhöhte die Etablierung von Hecke mit Feldweg die ten zu erreichen. Artenvielfalt auf geringem Niveau, während Feldlerchen um 33 % seltener wurden. Ökologischer Landbau mit Literatur Etablierung von Gehölzen (+1,9 %: Hecken, Obstbaum- Hoffmann J, Berger G, Wiegand I, Wittchen U, Pfeffer H, Kie- reihen) führte zum Anstieg der Artenvielfalt und revier- sel J & Ehlert F 2012: Bewertung und Verbesserung der Bio- anzeigender Individuen ohne Feldlerche. Der Bestand diversität leistungsfähiger Nutzungssysteme in Ackerbauge- der Feldlerche sank um 43 %. bieten unter Nutzung von Indikatorvogelarten. Berichte aus Unter allen Nutzungsbedingungen nahm die Abun- dem Julius Kühn-Institut 163: 215 S. http://pub.jki.bund.de/ danz der Feldlerche ab, wies jedoch aktuell bei ökolo- index.php/BerichteJKI/article/viewFile/1809/2150 gischer Bewirtschaftung die höchsten Abundanzen auf. Hoffmann J & Kretschmer H 1994: Einfluß der Struktur von Da bei konventioneller Bewirtschaftung ohne Pufferflä- Saum- und Kleinbiotopen intensiv genutzter Ackerflächen auf das Artenspektrum und die Siedlungsdichte der Brut- chen an Kleinstrukturen starke Rückgänge der Struk- vögel. Archiv für Nat. Lands. 33: 1-15. turarten zu verzeichnen waren, jedoch mit Pufferflä- Kretschmer H, Pfeffer H, Hoffmann J, Fux I & Schrödl G chen und im ökologischen Landbau ohne Pufferflächen 1995: Strukturelemente in Agrarlandschaften Ostdeutsch- nicht, können als Ursache Auswirkungen von Pestiziden lands – Bedeutung für den Biotop- und Artenschutz. ZALF- und mineralischer Düngung angenommen werden. Die Berichte 19, Müncheberg.

Schmidt J-U, Eilers A, Schimkat M, Timm A, Krause-Heiber J, Siegel S & Nachtigall W (Dresden, Leipzig, Neschwitz, Hettstedt, Koblenz): Faktoren für den Erfolg selbstbegrünter einjähriger Brachen als Bruthabitat für den Kiebitz Vanellus vanellus in industrialisierten Agrarlandschaften Mitteleuropas

✉✉Jan-Uwe Schmidt, TU Dresden, Institut für Geographie, Helmholtzstr. 10, D-01069 Dresden, E-Mail: [email protected]

Selbstbegrünte einjährige Brachen gelten als Hoffnungs- bisher kaum wissenschaftliche Untersuchungen zum träger für den Kiebitzschutz in der Agrarlandschaft Erfolg der gemeinhin als „Kiebitzinseln“ bezeichneten und sind Bestandteil verschiedener Agrarumweltpro- Flächen vor. Im sächsischen Bodenbrüterprojekt wur- gramme, z. B. in England und Sachsen. Dennoch liegen den von 2010 bis 2015 insgesamt 61 Kiebitzinseln und © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 337

3,0 Vegetation Abb. 1: Ergebnisse der Mo- dellierung für Faktoren, schütter und welche die Ansiedlung von 2,5 niedrig Kiebitzen beeinflussen (In- terpretationshilfe: die Werte auf der Hochachse sind im

n Tradition e Sinne von Multiplikations- r 2,0 o t Feldlache Flächentyp faktoren zu interpretieren,

ak Distanz zu Kiebitzinsel d. h. ein Einflussfaktor von F

r Vertikalstrukturen 1,0 steht für keine Verän- e

d 1,5 derung der Zielvariablen s Fläche s

u Kompaktheit „Ansiedlung von Kiebitzen“,

n ein Faktor von 2,0 bedeu- i Alter E 1,0 tet eine Verdoppelung der Kulturhöhe Wahrscheinlichkeit, dass Kulturart Kontrast sich Kiebitze ansiedeln; die 0,5 wichtigsten Faktoren mit dem größten Einfluss fin- den sich daher rechts oben 0,0 im Diagramm). 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0 Relative Bedeutung der Faktoren

ebenso viele Vergleichsflächen untersucht. Dabei wur- Prognostiziert man die potenzielle Ansiedlung, so den Kiebitze und andere Vogelarten erfasst, Pflanzen- kann bei Einhaltung der vier oben genannten Haupt- arten kartiert sowie den Erfolg der Flächen potenziell faktoren im Mittel mit einem Kiebitzbrutpaar je 2 ha beeinflussende Faktoren dokumentiert. Die Daten wur- Kiebitzinsel gerechnet werden. Für deren Schlupferfolg den mittels generalisierter linearer gemischter Modelle ist die Anlage der Flächen in Wintergetreide vorteilhaft, (GLMM) statistisch ausgewertet. Zudem erfolgten Erhe- wo der Schlupf junger Kiebitze dreimal wahrscheinli- bungen zur Praktikabilität und zur Akzeptanz der Maß- cher war als auf Kiebitzinseln in Winterraps, was mit nahme. Ziel war es, Informationen für eine erfolgreiche den schlechteren Sichtbedingungen im schnell wach- Umsetzung als Agrarumweltmaßnahme zu gewinnen. senden Winterraps zu erklären ist. 65 % der untersuchten Kiebitzinseln wurden von Neben dem Kiebitz profitierten die Feldlerche Alauda Kiebitzen genutzt, während die Besiedlung auf Ver- arvensis und insbesondere die Wiesenschafstelze Mota­ gleichsflächen mit 37 % deutlich geringer war. 64 Kie- cilla flava von den Flächen, wobei letztere auf 65 % der bitzpaare brüteten auf 26 der 61 Kiebitzinseln, nur 18 Kiebitzinseln, aber nur auf 17 % der Vergleichsflächen Paare nutzten neun der 61 Vergleichsflächen zur Brut. vorkam. Von den 140 Pflanzenarten, die auf den Kie- Auch der Schlupferfolg war auf Kiebitzinseln signi- bitzinseln gefunden wurden, waren die meisten häufige fikant höher (24 erfolgreiche Bruten auf elf Flächen Ackerwildkräuter. Mit dem Blauen Wasser-Ehrenpreis gegenüber nur drei Bruten auf zwei Vergleichsflächen). Veronica anagallis-aquatica und dem Acker-Filzkraut Lediglich auf vier Kiebitzinseln konnten flügge Junge Filago arvensis wurden auch zwei Arten der deutschen nachgewiesen werden. Roten Liste festgestellt. Die Modellierung der steuernden Faktoren ergab, 43 der 61 Kiebitzinseln wurden von den Landwirten dass eine erfolgreiche Kiebitzinsel folgende Merkmale korrekt umgesetzt. 14 der 15 Betriebe wiederholten die besitzen sollte: (1) große Fläche (mind. 2 ha), (2) ange- Maßnahme mindestens einmal, acht Landwirte blieben legt an einem traditionellen Kiebitzbrutplatz, (3) spär- bis zum Abschluss des Projekts dabei. licher Bewuchs und (4) ausgestattet mit einer Wasser- Kiebitzinseln können einen wertvollen Beitrag zum lache (Abb. 1). Bestandserhalt des Kiebitzes in großflächigen Acker- Insbesondere die Größe der Kiebitzinseln ist offenbar baugebieten leisten. Für die Landwirte bieten sie als entscheidend für deren Erfolg. Von den 64 Kiebitzpaa- Agrarumweltmaßnahme eine sinnvolle Alternative zur ren, die auf Kiebitzinseln brüteten, taten dies 51 auf 17 Drainage der Nassstellen. Weitere Untersuchungen Flächen > 1,8 ha (n = 31), lediglich 13 Paare brüteten auf sind insbesondere zur Verbesserung der Schlupfrate neun der 30 kleineren Flächen. Kiebitzinseln ab ca. 3 ha (z. B. durch Schutz vor Bodenprädatoren) und zur Eig- (n = 5) wurden stets zum Brüten genutzt, wobei bei zehn nung der Flächen für die Jungenaufzucht erforderlich der 22 Paare auch Junge schlüpften. (z. B. durch Anlage einer permanenten Feldlache). © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

338 Themenbereich „Vogel- und Naturschutz“ • Vorträge

Signer J, Edelhoff H, Engler J & Gottschalk E (Göttingen, Gent): Abgrenzen von Territorien mittels Telemetriedaten anhand des Beispiels Rotmilan Milvus milvus

✉✉Johannes Signer, Abteilung Wildtierwissenschaften, Georg-August-Universität Göttingen, Büsgenweg 3, D-37077 Göttingen, E-Mail: [email protected]

Die schnelle technische Weiterentwicklung von GPS- (Worton 1989) mit Referenzbandbreite zu berechnen Sensoren ermöglicht es, Positionsdaten von Vögeln in und dann einen zufälligen Isoplethen (hier 50 %) für großer Anzahl und hoher zeitlicher Auflösung zu sam- die Berechnung von Territorien heranzuziehen. Diese meln. Ein beliebtes Werkzeug zur Auswertung von Posi- Herangehensweise ist leicht automatisierbar, enthält tionsdaten sind sogenannte Aktionsräume oder Streif- jedoch ebenso wie der manuelle Ansatz einen hohen gebiete. In diesem Beitrag haben wir drei verschiedene Grad an Subjektivität, da dem 50 % Isoplethen keine methodische Ansätze zur Abgrenzung von Territorien theoretische Rechtfertigung zu Grunde liegt. Als dritten anhand von Telemetriedaten verglichen. Im ersten Ansatz haben wir die Methode von Vander Wal und wurden Territorien manuell nach visueller Inspektion Rodgers (2012) zur Berechnung von Kernarealen von abgegrenzt. Diese Herangehensweise birgt ein hohes Streifgebieten herangezogen. Wir haben wieder einen Maß an Subjektivität in sich und kann bei mehreren Kerndichteschätzer mit Referenzbandbreite verwendet Tieren arbeitsaufwändig werden, da eine Automatisie- und die normalisierten Streifgebietsgrößen gegen die rung nur schwer möglich ist. Der zweite Ansatz bestand Nutzungsintensität aufgetragen. Anschließend haben darin, Streifgebiete mit einem Kerndichteschätzer wir den Punkt berechnet, an dem die Streifgebietsgröße

Abb. 1: Territoriengrößen abgeleitet aus monatlichen Streifgebietsschätzern anhand des zufälligen gewählten 50 % Isoplethen (durchgezogene Linie) und der Vander-Wal-Methode (gestrichelte Linie) für vier männlich Rotmilane aus dem Landkreis Göttingen. Für die Vögel 3318, 3820 und 4332 ist die Brutsaison deutlich mittels der Vander-Wal-Methode zu erkennen. Die Abweichende Raumnutzung von Vogel 5084 kann mit dem Verlust der Brut erklärt werden. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 339 schneller ansteigt als die Nutzungsintensität. Der so logischen Erwartungen, dass der Raumanspruch dann ermittelte Punkt grenzt das Streifgebiet von seinem am höchsten ist, wenn der Nahrungsbedarf der Jun- Kern­areal ab (das wir hier mit einem Territorium gleich- gen am höchsten ist: Den maximalen Nahrungsbedarf gesetzt haben). Dieser Ansatz bietet mehr Objektivität erreicht die Brut von Ende Mai bis zum Unabhängigwer- da der Isopleth aus den Daten abgeleitet wird; des Wei- den Ende Juli. Danach geht der Raumanspruch zurück teren ist dieser Ansatz leicht zu automatisieren. (Abb. 1). Dies ist für drei von vier Vögeln zu beobach- Wir haben die zwei automatisierbaren Ansätze (50 % ten. Das abweichende Muster von Vogel 5084 ist mit Isoplethen und Vander-Wal-Methode) anhand eines dem Verlust der Brut zu erklären. Zusammenfassend Beispiels von vier Rotmilanen aus dem Landkreis Göt- können wir feststellen, dass die Methode von Vander tingen, die benachbarte Reviere bewohnen, angewendet. Wal & Rodgers (2012) biologisch sinnvolle Ergebnisse Die Vögel wurden von Mai bis August 2016 telemetriert. liefert. Die Frage, ob Territorien den Kernarealen von Für jeden Vogel und Monat hatten wir zwischen 500 und Streifgebieten entsprechen, bedarf weiterer Klärung. Die 6.000 Ortungen zur Verfügung. Als erstes haben wir hier präsentierten Ergebnisse sind ein erster Versuch, überprüft ob die unterschiedlichen Anzahl an Ortun- Territorien abzugrenzen, und sollten als Denkanstoß, gen ein Problem für die Streifgebietsschätzung darstellt, Territorien datenbasiert von Telemetriedaten abzulei- indem wir mittels einer linearen Einfachregression den ten, angesehen werden. Effekt der Anzahl an Ortungen auf die Streifgebiets- größe festgestellt haben, dieser war nicht vorhanden. Literatur Wir haben dann für jeden Vogel und Monat einen Kern- Vander Wal E & Rodgers AR 2012: An individual-based quan- dichteschätzer (mit Referenzbandbreite) berechnet und titative approach for delineating core areas of animal space die Streifgebietsgröße am 50 % Isoplethen und an dem use. Ecological Modelling 224: 48-53. Isoplethen, der mit der Vander-Wal-Methode bestimmt Worton BJ 1989: Kernel methods for estimating the utilization wurde, berechnet. Die Ergebnisse entsprechen den bio- distribution in homerange studies. Ecology 70: 164-168.

Kinser A & Freiherr von Münchhausen H (Hamburg): Greening für Greife. Eine kritische Würdigung der 1. Säule der EU-Agrarpolitik ab 2015

✉✉Andreas Kinser, Deutsche Wildtier Stiftung, Christoph-Probst-Weg 4, D-20251 Hamburg, E-Mail: [email protected]

Gemeinsame Agrarpolitik der EU: Mit dem Start der delt werden und das Dauergrünland einer Region darf neuen Förderperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik gegenüber 2012 um nicht mehr als 5 % abnehmen. Aller- der EU (GAP) im Jahr 2015 gilt ein neuer Rahmen dings: Diese Regelungen umfassen nicht die temporär für viele Naturschutzbelange in Wald und Offenland. als Ackerfutter oder Brache genutzten Flächen, die als Dieser Rahmen hat einen erheblichen Einfluss auf den Acker gewidmet sind. Greifvogelschutz: Die Verfügbarkeit von Beutetieren, die Die wohl wichtigste Vorgabe im Rahmen des Gree- Bejagbarkeit von Nahrungsflächen, die Anreicherung nings ist die verpflichtende Umsetzung von mindes- von Umweltgiften oder der Schutz von Brutstätten wird tens 5 % ökologischer Vorrangflächen (ÖVF). Viele durch Entscheidungen der Agrarpolitik beeinflusst. Mit besonders geeignete Nahrungshabitate der Greifvögel Blick auf die Halbzeitbewertung der laufenden und den werden im Rahmen des Greenings als ÖVF anerkannt. Start der nächsten Förderperiode der EU im Jahr 2021 ist Dies sind: es daher besonders wichtig, die Regelungen der 1. Säule • brachliegende Fläche auf Ackerland, der GAP (Direktzahlungen) aus Sicht des Natur- und • Streifen beihilfefähiger Flächen entlang von Waldrän- Artenschutzes kritisch zu hinterfragen und Vorschläge dern (max. 10 m breit), für mögliche Verbesserungen zu unterbreiten. • Pufferstreifen entlang von Gewässern (max. 20 m breit) und Umsetzung des Greenings: Mit dem „Gesetz zur Durch- • Feldränder (max. 20 m breit). führung der Direktzahlungen“ hat der Bund im Sommer Auf brachliegenden Flächen und Feldrändern darf 2014 das sogenannte „Greening“ beschlossen. Neben während des Antragsjahres keine landwirtschaftliche der Vorgabe zum Anbau von mindestens drei unter- Erzeugung stattfinden, der Aufwuchs muss jedoch ein- schiedlichen Kulturen (Anbaudiversifizierung) muss mal im Jahr gemäht werden, dies jedoch nicht im Zeit- noch bestehendes, umweltsensibles Dauergrünland raum vom 1. April bis zum 30. Juni. Da Greifvögel wie grundsätzlich erhalten werden. Anderes Dauergrün- der Schreiadler für eine erfolgreiche Jagd besonders zur land darf nur noch mit einer Genehmigung umgewan- Zeit der Jungenaufzucht möglichst kurzrasige Flächen © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

340 Themenbereich „Vogel- und Naturschutz“ • Vorträge benötigen, sollte die Mahd oder das Mulchen zwischen dem 1. und 15. Juli erfolgen. Im Rahmen des Greenings werden auch mehrschnittige Flächen mit kleinkörnigen Leguminosen, wie z. B. Luzerne oder Rotklee, als ÖVF anerkannt. Sie sind besonders wertvolle Nahrungsflä- chen für Greifvögel.

Kritik: Mit der aktuellen Förderperiode der GAP wurde es versäumt, die Agrarpolitik konsequent auf ökologi- sche und soziale Ziele auszurichten. Das Greening hat in der 1. Säule zwar eine Brücke zwischen Agrarsubven- tionen und Umweltstandards geschlagen; den Verlust an Biodiversität in unseren Agrarlandschaften hat es jedoch keinesfalls gestoppt. Der positive Effekt des gut gedachten Greenings hat vor allem durch die Aufnahme von Zwischenfrüchten als ÖVF massiv an Bedeutung verloren: Sie gehörten bereits zu Vor-Greening-Zeiten zur guten fachlichen Praxis und ihre Anbaufläche stieg Abb. 1: Die Lebensräume des Schreiadlers sind ein besonders zwischen den Jahren 2010 (Vor-Greening) und 2015 um gutes Beispiel für den Einfluss der Agrarpolitik auf unsere lediglich 20 % (DESTATIS 2011). Das Instrument der heimischen Greifvögel. Foto: T. Krumenacker ÖVF muss daher entweder quantitativ auf mindestens 7 % ausgeweitet oder qualitativ verbessert werden, z. B. Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen (AUKM) auf durch Verändern der Gewichtungsfaktoren und Einfüh- freiwilliger Basis anbieten. Und dafür bedarf es einer ren ökologisch wertvoller Flächentypen. Umschichtung wesentlicher Finanzmittel aus der 1. in Wirklich substanzielle Veränderungen in der Art die 2. Säule der GAP. der Landbewirtschaftung werden jedoch erst gelingen, wenn Natur- und Artenschutz nicht als Randeffekt der Literatur Direktzahlungen, sondern als echter Einkommensef- DESTATIS (Statistisches Bundesamt) 2011: Land- und fekt aus freiwilligen betriebswirtschaftlichen Entschei- Forstwirtschaft, Fischerei. Bodennutzung der Betriebe dungen der Betriebe begriffen werden. Dafür muss einschließlich Zwischenfruchtanbau. Landwirtschaftszäh- jedoch die 2. Säule der GAP entsprechend attraktive lung / Agrarstrukturerhebung 2010. Fachserie 3, Reihe 2.1.2.

Hegemann A, Hasselquist D & Nilsson J-Å (Lund/Schweden): Hat der Fang von fütternden Altvögeln negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Jungvögel?

✉✉Arne Hegemann, Department of Biology, Lund University, Ecology Building Sölvegatan 37, SE-223 62 Lund, Schweden, E-Mail: [email protected]

Das Fangen, Beringen und Blutproben nehmen von fluss auf den Bruterfolg hat. Neuere Untersuchungen Vögeln ist eine der am weitesten verbreiteten Methoden zeigen jedoch, dass Stress während der Nestlingsphase in der Vogelforschung. Es wird allgemein angenommen, die physiologische Entwicklung von Jungvögeln erheb- dass dadurch keine langfristig negativen Folgen für die lich beeinflussen kann, selbst wenn sich Gewicht oder Vögel entstehen. Werden Altvögel gefangen, wenn sie Größe nicht verändern. Vor diesem Hintergrund haben Jungvögel versorgen, kann dies jedoch nicht nur den wir das Wachstum und die Physiologie von jungen Vogel selbst, sondern auch dessen Nachwuchs betref- Dohlen Corvus monedula in Relation zu Fangversu- fen. So kann es zu einer kurzfristigen Minderung der chen der Altvögel untersucht. Wir haben Jungvögel aus Fütterungsrate und damit zum Gewichtsverlust der Kästen, an denen wir die Altvögel gefangen haben, mit Jungvögel kommen. In der Regel ist dieser Effekt nur Jungvögeln aus Kästen, an denen keine Fangversuche von kurzer Dauer und es wird allgemein angenommen, stattfanden, verglichen. Nach dem Fangen der Altvögel dass das Fangen von Altvögeln keinen negativen Ein- zeigten sich kurzfristig negative Auswirkungen auf die © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 341

Körpermasse. Zum Zeitpunkt des Ausfliegens konnten lung zu, ob das Fangen von Altvögeln am Nest negative wir jedoch keine Unterschiede in Grösse oder Gewicht Auswirkungen auf die Entwicklung der Jungvögel hat. zwischen beiden Gruppen finden. Daneben haben wir Hieraus werden sich ggf. arten- und naturschutzfachlich auch Parameter des Immunsystems und die Länge der relevante Empfehlungen ergeben. Darüber hinaus kön- Telemore gemessen, da diese Parameter Einfluss auf die nen die aus der Studie hervorgehenden Ergebnisse auch zukünftige Überlebenswahrscheinlichkeit haben. Die für die Beurteilung von anderen Störungen in Nestnähe Ergebnisse werden im Vortrag vorgestellt. Die Daten (z. B. Tourismus) wertvoll sein. Dieses Projekt wurde dieser Studie lassen eine neue und fundierte Beurtei- von der DO-G finanziell unterstützt.

Blew J, Grünkorn T, Reichenbach M & Nehls G (Husum, Oldenburg): Vogel-Kollisionen an Windenergie-Anlagen – um welche Arten geht es?

✉✉Jan Blew, BioConsult SH GmbH & Co. KG Schobüller Str. 36, D-25813 Husum, E-Mail: [email protected], www. bioconsult-sh.de

Ziel des vom BMWi geförderten Forschungsvorhabens Sturnus vulgaris, Kiebitz Vanellus vanellus, Silbermöwe „Ermittlung der Kollisionsraten von (Greif-)Vögeln Larus argentatus, Goldregenpfeifer Pluvialis apricaria und Schaffung planungsbezogener Grundlagen für die und Feldlerche Alauda arvensis. Es dominieren deut- Prognose und Bewertung des Kollisionsrisikos durch lich solche Vogelarten, die die Windparkflächen zur Windenergieanlagen, (Kurztitel PROGRESS)“ war die Rast und Nahrungssuche nutzen. Diese Arten wur- Ermittlung und Bewertung des Ausmaßes von Kol- den auch während des Projekt-Teils der Verhaltens- lisionen von Vögeln an Windenergieanlagen in den beobachtungen häufig erfasst, es konnte allerdings bei norddeutschen Bundesländern sowie die Abschätzung den dahingehend geprüften Arten Mäusebussard und möglicher Auswirkungen auf Populationsebene ausge- Goldregenpfeifer kein signifikanter Zusammenhang wählter Arten. In dieser größten in Nordeuropa zu die- zwischen Flugaktivität und Kollisionsopferzahlen sem Thema durchgeführten Studie wurden die aktuell festgestellt werden. Dagegen kommen Vogelarten des verbesserten Methoden zur Schätzung der Anzahl von nächtlichen Breitfrontenzuges (z. B. Drosselarten) unter Kollisionsopfern einschließlich der Faktoren Suchauf- den Funden kaum vor. wand, Sucheffizienz und Abtragerate angewendet Eine Hochrechnung der ermittelten Kollisionsraten (N-Mixture-Modelle). anhand aktueller Zahlen von Windenergieanlagen Während der insgesamt fünf Untersuchungsperioden ergibt, dass bei den sehr häufigen und verbreiteten (à 12 Wochen) wurde in 55 Windparksaisons entlang Ringeltauben und Stockenten jährlich über 10.000 von Transekten wöchentlich nach Kollisionsopfern Individuen in Norddeutschland kollidieren können, gesucht. Der insgesamt geleistete Streckenaufwand was ca. 0,5 % bzw. 5 % des norddeutschen Brutbe- betrug 7.672 km; 158 Kollisionsopfer (Vögel) gingen standes dieser Arten repräsentiert. Die Jagdstrecken in die Auswertung ein. Eine wesentliche Erweiterung eines Jahres liegen bei diesen Arten um den Faktor erfuhr die Suche nach Kollisionsopfern durch parallele 15 höher. Bei den Greifvögeln, die im Vergleich zur Verhaltensbeobachtungen. Es wurden Vantage Point Populationsgröße häufiger mit WEA kollidieren, erge- Beobachtungen durchgeführt, bei denen in jedem ben sich andere Zusammenhänge. So beträgt beim Windpark die entsprechenden Flugbewegungen stan- Mäusebussard die Mortalität durch die Windkraft- dardisiert erfasst wurden. Insgesamt erfolgten in der nutzung in etwa 14 % des Brutbestandes von Nord- Datenbank der Zielarten > 19.000 Beobachtungseinträge deutschland. Auch wenn die Windenergienutzung nur und in der Datenbank der Sekundärarten > 17.000 Ein- einen Faktor unter zahlreichen Mortalitätsursachen träge aus über 3.500 Beobachtungsstunden. Hierdurch (Straßenverkehr Stromfreileitungen, Prädation durch war u. a. ein Vergleich der prognostizierten Anzahl von insbesondere den Uhu) und Umweltveränderungen Kollisionsereignissen aus dem BAND-Modell mit den (Nahrungsverknappung durch Grünlandumbruch, Ergebnissen der Kollisionsopfersuchen möglich. Pestizide) darstellt, sind diese Auswirkungen offen- Die beiden am häufigsten gefundenen Arten waren die bar von Bedeutung und erfordern zusätzliche Arten- weit verbreiteten Arten Ringeltaube Columba palumbus schutzmaßnahmen. Der Schlussbericht des Projektes und Stockente Anas platyrhynchos, gefolgt von Mäuse- wird unter http://www.bioconsult-sh.de/de/projekte/ bussard Buteo buteo, Lachmöwe Larus ridibundus, Star progress/ zugänglich gemacht. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

342 Themenbereich „Vogel- und Naturschutz“ • Vorträge

Bellebaum J, Langgemach T & Scheller W (Angermünde, Buckow, Teterow): An der Belastungsgrenze? Schreiadler und Windenergienutzung

✉✉Jochen Bellebaum, Wiesenstr. 9, D-16278 Angermünde, E-Mail: [email protected]

Die starke Zunahme der Anzahl von Windenergieanla- unversehrt (Langgemach & Meyburg 2011). Da nur sehr gen (WEA) ist besonders für Greifvögel eine Gefahr, da wenige systematische Kollisionsopfersuchen an Wind- diese überdurchschnittlich häufig mit den Rotorblättern parks im Brutgebiet stattfanden, ist die tatsächliche Zahl kollidieren (Bellebaum et al. 2012; Blew et al. 2016). Für von Schreiadler-Kollisionen unbekannt. den kleinen deutschen Bestand des Schreiadlers Aquila Individuenverluste durch Kollisionen sind besonders pomarina stellte Scheller (2007) zudem einen verrin- für den Erhalt der kleinen deutschen Population eine gerten Bruterfolg mit zunehmender Anzahl von WEA Gefahr (vgl. Böhner & Langgemach 2004). Wir haben innerhalb von drei Kilometer um den Brutplatz fest. eine einfache Schätzung der vertretbaren zusätzlichen Da Schreiadler ihre Nahrung oft auch mehr als 3 km Mortalität nach der Methode des „potential biological vom Horst entfernt suchen, empfiehlt die LAG VSW removal“ (PBR, Bellebaum & Wendeln 2010) vorge- (2014) einen Mindestabstand von 6.000 m zwischen nommen. Mit einer angenommenen maximalen Popu- WEA und Schreiadlerbrutplätzen. Die verbindlichen lationswachstumsrate von 1,021,04 und einer Popula- Regelungen der Bundesländer Mecklenburg-Vorpom- tionsgröße von 292311 Individuen im Herbst ergaben mern und Brandenburg sehen einen Mindestabstand sich jährliche Verluste von 12 Individuen (bei einem von 3.000 m sowie einen Prüf- bzw. Restriktionsbereich „recovery factor“ f = 0,3 für gefährdete Arten) oder von 6.000 m um den Brutplatz zum Freihalten der Nah- 1,53 (f = 0,5 für ungefährdete Arten) als nicht kritisch. rungsflächen und Flugkorridore vor. Darin sind jedoch auch Verluste durch andere Ursachen Eine Auswertung der jährlichen Besiedlung und der als WEA enthalten, auch die offenbar regelmäßigen Entfernung zu WEA von insgesamt 153 ausgewiesenen Abschüsse von Schreiadlern auf dem Zug (Meyburg & Waldschutzarealen (115 in Mecklenburg-Vorpommern Meyburg 2009). und 38 in Brandenburg) zeigt seit dem Jahr 2000 einen Kollisionen von Schreiadlern mit WEA kommen deutlichen Anstieg der Zahl von Brutplätzen, in deren immer wieder vor, inzwischen auch im polnischen Umgebung Windparks errichtet wurden (Abb. 1). Aktu- Kern­areal, aber ihre Häufigkeit im Brutgebiet ist unbe- ell ist nur ein geringer Anteil der Brutplätze weiter als kannt. Das Kollisionsrisiko ist an WEA in weniger 6 km vom nächsten Windpark entfernt. als 3 km vom Brutplatz besonders hoch, es muss aber Europaweit wurden bisher zehn Schreiadler als Kol- auch an weiter entfernten WEA von einem nicht sicher lisionsopfer an WEA gefunden, davon vier in Deutsch- bekannten Kollisionsrisiko ausgegangen werden. land, drei in Polen und drei außerhalb der Brutzeit. Verluste schon sehr weniger Individuen könnten den Außerdem überstand ein Vogel eine Kollision äußerlich deutschen Brutbestand beeinträchtigen, die Schwellen- 140

120

100 e

ätz keine WEA bis 80 6 km utpl r

B WEA 3-6 km

ahl 60 Abb. 1: Anzahl der nz

A WEA <3 km jährlich besetzten Brut­plätze des Schrei- 40 adlers in Deutschland besetzte in unterschiedlichen Brutplätze 20 Abständen zu Wind- energieanlagen (WEA) (Differenz zur Linie 0 oben durch Daten­ 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 lücken). © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 343 werte nach der PBR-Methode könnten bereits durch Ergebnisse einer Populationsmodellierung. Vogelwelt 125: Abschuss auf dem Zug erreicht werden. Für präzisere 271-281. Aussagen über die Belastungsschwelle der deutschen Blew J, Grünkorn T, Reichenbach M & Nehls G 2016: Vogel- und auch der globalen Population sollten nicht nur Kollisionen an Windenergie-Anlagen – um welche Arten Kollisionshäufigkeiten, sondern auch Überlebensraten geht es? Vogelwarte 54: 341. LAG VSW (Länderarbeitsgemeinschaften der Vogelschutz- anhand von Daten aus Farbberingung und Telemetrie warten) 2014: Abstandsempfehlungen für Windenergiean- genauer ermittelt werden. lagen zu bedeutsamen Vogellebensräumen sowie Brutplät- Unterstützt durch die Deutsche Wildtier Stiftung. zen ausgewählter Vogelarten. Ber. Vogelschutz: 51: 15-42. Langgemach T & Meyburg B-U 2011: Funktionsraumanalysen Literatur – ein Zauberwort der Landschaftsplanung mit Auswirkun- Bellebaum J & Wendeln H 2010: Schwellenwerte: Wieviele gen auf den Schutz von Schreiadlern (Aquila pomarina) Offshore-Windparks verkraften unsere Zugvögel? Vogel- und anderen Großvögeln. Ber. Vogelschutz 47/48: 167-181. warte 48: 337-338. Meyburg B-U & Meyburg C 2009: Todesursachen von Schrei- Bellebaum J, Korner-Nievergelt F, Dürr T & Mammen U 2012: adlern. Falke 56: 382-388. Kollisionskurs – Rotmilanverluste in Windparks in Bran- Scheller W 2007: Standortwahl von Windenergieanlagen und denburg. Vogelwarte 50: 246-247. Auswirkungen auf die Schreiadlerbrutplätze in Mecklen- Böhner J & Langgemach T 2004: Warum kommt es auf jeden burg-Vorpommern. Naturschutzarb. Meckl.-Vorp. 50(2): einzelnen Schreiadler Aquila pomarina in Brandenburg an? 122.

Jähnig S, Vallino C, Rosselli D, Rolando A & Chamberlain D (Turin/Italien, Pragelato/Italien): Auswirkungen von horizontalen und vertikalen Habitatstrukturen auf Vogelgesellschaften im Bereich der alpinen Baumgrenze

✉✉Susanne Jähnig, Dipartimento di Scienze della Vita e Biologia dei Sistemi, Via Accademia Albertina 13, I-10123 Torino, Italien, E-Mail: [email protected]

Der Klimawandel sowie der Rückgang der Almbewirt- in unterschiedlichen Höhen, von welchem ein Index schaftung gehören zu den Hauptgefährdungsursachen für strukturelle Diversität (vertikale Habitatstruktur) der Vogeldiversität in den europäischen Alpen. Sie sind abgeleitet wurde, geschätzt. Die anschließende Daten- ursächlich für die Höhenverschiebung der Baumgrenze analyse erfolgte unter der Verwendung von generalisier- und den daraus resultierenden Verlust von offenen ten linearen Modellen. Unsere Untersuchungen zeigten Lebensräumen in der subalpinen Höhenstufe. Während einen nicht-linearen Zusammenhang zwischen dem die Verschiebung der Baumgrenze und deren Einfluss Deckungsgrad der Strauchschicht und dem Vogelar- auf die Vögel im alpinen Grasland schon in aktuellen tenreichtum sowie der Gesamtabundanz. Ein Strauch- Untersuchungen thematisiert wurde, ist bislang wenig bestand von ca. 60 % stellte dabei das Optimum dar, darüber bekannt, welche wesentlichen Habitatmerk- um die maximale Zahl an Vogelarten zu beherbergen. male im Bereich nahe der Baumgrenze zur Förderung Jene Punkte, welche nur durch einen Habitattyp gekenn- der Vogeldiversität beitragen. Dabei hält gerade die- zeichnet waren, zeigten dagegen eine tendenziell gerin- ser „Übergangsbereich“ in den alpinen Hochlagen die gere Gesamtartenvielfalt. Darüber hinaus konnten wir größte Diversität vieler Artengruppen bereit. einen positiven Zusammenhang zwischen struktureller Das Ziel unserer Studie ist es, jene Habitateigen- Diversität und Vogelartenreichtum als auch -vielfalt schaften zu identifizieren, welche die Vogelvielfalt im feststellen. Zukünftige Maßnahmen zur Maximierung Übergangsbereich zwischen Baumgrenze und alpinem des Vogelartenreichtums im Übergangsbereich nahe der Grasland beeinflussen. Mit ihrer Hilfe soll versucht wer- Baumgrenze sollten einen Strauch-Deckungsgrad von den, zukünftige Naturschutzmaßnahmen zu entwickeln, ungefähr 60 % unterstützen sowie die strukturelle Diver- die die potentiellen negativen Effekte, verursacht durch sität der Vegetation fördern. Das Aufrechterhalten der das Vordringen der Baumgrenze, kompensieren kön- horizontalen und vertikalen Habitatdiversität in dem nen. Wir führten Punktzählungen im Übergangsbereich Lebensraummosaik rund um den Bereich der alpinen (2.000 bis 2.400 m) nahe der Baumgrenze in den ita- Baumgrenze stellt dabei ein wirksames Instrument­ des lienischen Alpen durch. An jedem Punkt wurde der Naturschutzes dar, um dem Einfluss von Klimawandel Deckungsgrad der verschiedenen Habitate (horizontale und Landnutzungsänderungen im hochalpinen Raum Habitatstruktur) sowie der Vegetationsdeckungsgrad entgegen treten zu können. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

344 Themenbereich „Vogel- und Naturschutz“ • Poster

Cimadom A, Schmidt YP, Schulze C, Jäger H & Tebbich S (Wien/Österreich, Puerto Ayora/Galapagos/ Ecuador): Leben am Limit: Der Einfluss eines invasiven Parasiten und Habitat-Management auf den Bruterfolg von Darwinfinken

✉✉Arno Cimadom, Department für Verhaltensbiologie, Universität Wien, Wien, Österreich, E-Mail: [email protected]

Invasive Parasiten sind eine Gefahr für die Biodiver- P. downsi und die Managementmaßnahmen des GNP sität und können zum Aussterben von Endemiten auf den Bruterfolg der Darwinfinken mit einem expe- führen. Der invasive Nestparasit Philornis downsi ist rimentellen Ansatz untersuchen. In drei Gebieten mit für die endemische Vogelgemeinschaft der Galapa- unterschiedlichem Management (nicht kontrolliertes gos Inseln eine der Hauptgefährdungsursachen. Wir Gebiet, Gebiet mit Langzeitmanagement, kürzlich kon- konnten bereits zeigen, dass P. downsi den Bruterfolg trolliertes Gebiet) erhoben wir die Nahrungsverfüg- zweier Darwinfinken, dem Laubsängerfink Certhidea barkeit und den Bruterfolg der beiden Darwinfinken. olivacea und dem Kleinen Baumfink Camarhynchus Zusätzlich manipulierten wir die Parasitenintensität parvulus, extrem reduziert. Das Hauptvorkommen in den Nestern durch Injektion geringer Mengen beider Darwinfinken auf der Insel Santa Cruz sind von Insektiziden, was uns erlaubt, den Einfluss von die letzten Reste des Scalesia-Waldes im Hochland. P. downsi separat zu messen. Durch die experimentelle Diese Waldrelikte sind aber von eingeschleppten Pflan- Reduktion von P. downsi stieg der Bruterfolg von 5 % zenarten bedroht, die wiederum durch den Galapagos auf 60 %. Aufgrund des insgesamt sehr niedrigen Bru- Nationalpark (GNP) mit Herbiziden bekämpft werden. terfolgs im Jahr 2015, konnten wir keinen Effekt der Unsere Daten zeigen aber, dass der Einsatz von Her- Managementmaßnahmen auf den Bruterfolg messen. biziden einen zusätzlichen negativen Einfluss auf den Das Habitat-Management hatte aber einen Einfluss auf Bruterfolg hatte. Wir vermuten, dass diese Manage- die Arthropodenabundanz. Im kürzlich kontrollier- mentmaßnahmen zu einer Reduktion der Arthropo- ten Gebiet war sie am geringsten. Unsere Experimente denabundanz führen, da es durch den Herbizidein- zeigen klar den verheerenden Einfluss von P. downsi satz zu einem kompletten Verlust des Unterwuchses auf den Bruterfolg der Darwinfinken. Die Manage- kommt. Diese potentielle Reduktion des Nahrungs- mentmaßnahmen des GNP zur Kontrolle der invasiven angebots während der Jungenaufzucht könnte somit Pflanzen scheinen sich kurzzeitig negative auf Nicht- einen zusätzlichen Stressfaktor für die ohnehin schon Zielarten, wie Arthropoden und Vögel, auszuwirken. durch P. downsi geschwächten Küken darstellen. In Vorläufige Ergebnisse deuten aber auf einen insgesamt unserer aktuellen Studie wollen wir den Einfluss von positiven Effekt der Restorationsmaßnahmen hin.

• Poster

Pârâu LG & Wink M (Heidelberg): Genomik – Tools und mediterrane Küche: Welche Neuntöter landen auf dem Grill?

✉✉Liviu Pârâu, Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie, Universität Heidelberg, E-Mail: [email protected]

Obwohl es eine langjährige Praxis ist, wurde das Fan- an dieses Problem ist schwierig. Der Neuntöter Lanius gen von Zugvögeln im Mittelmeerraum erst in den collurio ist ein fleischfressender mittelgroßer Sper- letzten Jahrzehnten zur erheblichen Bedrohung für lingsvogel, der in Europa, Westasien und im südlichen europäische Brutvögel. Es gibt zunehmend Beweise Afrika weit verbreitet ist. In den letzten Jahrzehnten für den illegalen Vogelfang im großen Maßstab mit sind jedoch mehrere Populationen zurückgegangen. nicht-selektiven Methoden, und die Herangehensweise Gründe hierfür sind unter anderem die Jagd entlang © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 345 der Zugrouten, der Verlust des Lebensraums und die Projekt wollen wir (i) Einzelnukleotid-Polymorphis- Folgen des Klimawandels, wie z. B. schwerwiegende men (SNPs) mittels Genomanalyse (Next Generation Dürreperioden in Afrika. In diesem Zusammenhang Sequencing) identifizieren, die spezifisch für Brutpo- ist die funktionelle Konnektivität durch Austausch von pulationen im gesamten Verbreitungsbereich sind. Individuen und Genfluss von entscheidender Wich- Desweiteren werden wir die Sequenzierungsergebnisse tigkeit. Auch wenn eine Anzahl genetischer Studien verwenden, um (ii) die genetische Struktur der Art über lokale Populationen existieren, fehlt uns weiter- aufzuklären und letztlich (iii) die Herkunft der gefan- hin der Überblick über die genetische Diversität des genen Neuntöter im Mittelmeerraum, insbesondere Neuntöters. Mit diesem neuen ambitionierten DO-G entlang der nordafrikanischen Küste, bestimmen.

Bötsch Y, Tablado Z & , Jenni L (Sempach/Schweiz): Einfluss von Freizeitaktivitäten auf das Ansiedlungsverhalten von Waldvögeln – ein experimenteller Nachweis

✉✉Yves Bötsch, Schweizerische Vogelwarte Sempach, Seerose 1, CH-6204 Sempach, Schweiz, E-Mail: [email protected]

Freizeitaktivitäten draußen in der Natur erlangten in um bis zu 21 % geringer war als in den Kontrollflächen. den letzten Jahrzehnten höchste Beliebtheit und im Ein ähnlicher Einfluss auf die Artenzahl war ebenfalls Speziellen sind Wälder dabei ein beliebtes Ziel. Um sichtbar. Diese Effekte zeigten sich jedoch nur bei Stand- zu untersuchen, ob und auf welche Weise die Brutort- vögeln und Kurzstreckenziehern, nicht aber bei Lang- wahl von Waldvogelarten durch diese Freizeitaktivitäten streckenziehern. Die Langstreckenzieher wurden durch mitbeeinflusst wird, reicht eine reine Feldstudie nicht ihre späte Ankunft im Brutgebiet in ihrer Brutortwahl aus. Gewisse Freizeitaktivitäten (Laufen, Mountainbike nicht von der experimentellen Störung beeinflusst. Eine fahren) sind nämlich auf Infrastrukturen wie Wege und für Brutgilden spezifische Analyse zeigte einen starken Straßen angewiesen, wodurch bei Feldstudien Einflüsse Effekt auf Offenbrüter, nicht aber auf Boden- oder Höh- einerseits der menschlichen Störung und andererseits lenbrüter, was dafür spricht, dass ebenso individuelle einer Veränderung des Habitats durch Zerschneidung wie artspezifische Störungstoleranzen zu den erwähnten nicht klar auseinander zu halten sind. Durch eine expe- Effekten führten. Es wurde gezeigt, dass bereits geringe rimentelle Studie jedoch kann allein der Faktor Mensch Störungsintensitäten während empfindlichen Phasen – ohne den Einfluss einer Habitatveränderung – getestet wie der Revierbildung zu substanziellen Einbußen in werden. der Dichte sowie der Artenzahl von Waldvögeln führen Wir entschieden uns daher, mittels eines klassischen kann. Experiments mit Versuchs- und Kontrollflächen, den Individuen, die aufgrund menschlicher Anwesenheit Einfluss der menschlichen Störung während der Revier- fehlen, aber bei menschlicher Abwesenheit ein Gebiet bildung auf die Brutortwahl zu untersuchen. Dazu besiedeln würden, sind kaum zu erfassen, wären aber wanderten wir während der Revierbildungsphase von wohl sehr interessant in Bezug auf ihre Personalität. Anfang März bis Mitte April bis zu dreimal täglich in Nicht nur für Schutzgebietsverantwortliche, welche kleinen Gruppen (1-4 Personen) durch die Versuchsflä- die Besucherlenkung während der Revierwahl strikter chen (auf einem schlangenförmigen Transekt, um eine durchsetzen könnten, sondern auch für Forscher ist es homogene Störung der Versuchsfläche zu garantieren). wichtig zu bedenken, dass wiederholte Begehungen früh Drei darauf folgende Kartier-Rundgänge (April bis Juni) in der Brutzeit zu Veränderungen in der Brutvogel- zeigten, dass die Brutvogeldichte in den Versuchsflächen Diversität führen können. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

346 Themenbereich „Vogel- und Naturschutz“ • Poster

Fließbach K, Schwemmer P & Garthe G (Büsum): Sensitivität von Seevögeln gegenüber Schiffsverkehr in Nord- und Ostsee

✉✉Katharina Fließbach, Forschungs- und Technologiezentrum Westküste (FTZ), Universität Kiel, Hafentörn 1, D-25761 Büsum, E-Mail: [email protected]

Die deutsche Nord- und Ostsee sind wichtige Rast- Seevögeln sowie das Ausmaß des durch Schiffsverkehr und Nahrungsgebiete für eine große Zahl von See- verursachten Habitatverlusts. vögeln. Der Schiffsverkehr in diesen Seegebieten ist In diesem Beitrag (1) analysieren wir artspezifische bereits heute intensiv und stellt für störungsempfindli- und gebietsspezifische Fluchtdistanzen einer Reihe che Seevogelarten aufgrund des verursachten Habitat- von störungsempfindlichen Seevögeln, (2) bewerten verlusts und der störungsbedingten Energieeinbußen die energetischen Folgen von Störungen basierend auf eine Gefährdung dar. Mit der zunehmenden Errich- der artspezifischen Dauer und Form der Störungsre- tung und dauerhaft erforderlichen Unterhaltung von aktion und (3) entwickeln einen Sensitivitätsindex für Offshore-Windparks wird der Schiffsverkehr zukünf- Schiffsverkehr für Seevögel. Hierfür werden während tig noch weiter zunehmen. Einen möglichen Rahmen schiffsbasierter Zählungen von Seevögeln die durch das für die Berücksichtigung von Naturschutzinteressen eigene Schiff hervorgerufenen Fluchtdistanzen und die bei der Planung von anthropogenen Aktivitäten auf zeitliche Dauer der Fluchtreaktionen gemessen und mit See bietet die aktuelle Weiterentwicklung der Meeres- Umwelt- und Gebietsparametern in Beziehung gesetzt. raumordnung. Nach wie vor fehlt es dabei jedoch an Die gewonnen Erkenntnisse werden in Form von Sen- ausreichendem Wissen über die Auswirkungen von sitivitäts- und Risikokarten räumlich abgebildet, die es Schiffsverkehr auf Seevögel. Daher untersuchen wir der Meeresraumordnung ermöglichen, die negativen den Einfluss von vorbeifahrenden Schiffen auf Verbrei- Effekte von Schiffsverkehr für Seevögel in zukünftigen tungsmuster und individuelle Fluchtreaktionen von Planungsschritten angemessen zu berücksichtigen.

Gallmetzer N, Dreschke T, Tritthart M, Schütz C, Glas M, Habersack H & Schulze CH (Wien/Österreich): Auswirkungen eines Flussrenaturierungsprojektes auf die Habitatverfügbarkeit für überwinternde Entenarten im Nationalpark Donau-Auen, Ostösterreich

✉✉Nina Gallmetzer, Division of Tropical Ecology and Animal Biodiversity, Rennweg 14, A-1030 Vienna, Austria, E-Mail: [email protected]

Bei Flussrenaturierungen ist es unerlässlich, damit ver- Nachweise der jeweiligen Entenarten während unserer bundene ökologische Veränderungen zu quantifizieren. Erhebungen erzeugt. Berücksichtigt wurden dabei nur Wir untersuchten die Auswirkungen verschiedener Raster außerhalb einer Pufferzone von einem Raster flussbaulicher Maßnahmen (Uferrückbau, Buhnenrück- um „Anwesenheitsdaten“. GAMs wurden getrennt für bau, Stabilisierung der Flusssohle) in einem 3 km langen verschiedene Durchflussklassen berechnet. Als erklä- Abschnitt der Donau östlich von Wien (Österreich) auf rende Variablen dienten Wassertiefe, sowie oberflächen- die Habitatverfügbarkeit zweier überwinternder Enten­ nahe und sohlnahe Strömungsgeschwindigkeit. Diese arten, Stockente Anas platyrhynchos und Schellente abiotischen Variablen wurden für das gesamte Unter- Bucephala clangula. Für beide Arten stellt die Donau suchungsgebiet mittels hydrodynamischer Modelle ein wichtiges Überwinterungsgewässer dar. Wasservo- berechnet. Räumliche Autokorrelation wurde durch gelbestände wurden entlang der Flussstrecke sowohl vor bivariate Thin-Plate Splines basierend auf den Raster- (Winter 2005/2006) als auch nach (2014/2015) Durch- Koordinaten korrigiert. Die erklärenden Variablen führung der Renaturierungsmaßnahmen erhoben. Die Wassertiefe, oberflächennahe sowie sohlnahe Strö- Wasservogeldaten liegen in einer räumlichen Auflösung mungsgeschwindigkeit zeigten eine starke Kollinearität von 10 m × 10 m großen Rastern vor. Die Berechnung und wurden somit in getrennten Modellen bewertet. ökologischer Nischenmodelle für die beiden häufigsten Alle drei erwiesen sich als statistisch signifikante Prä- Entenarten Stock- und Schellente erfolgte mittels Gene- diktoren für das Auftreten der beiden Entenarten. Die ralisierter Additiver Modelle (GAMs). „Abwesenheits- oberflächennahe Strömungsgeschwindigkeit wurde daten“ wurden durch Zufallsauswahl von Rastern ohne als erklärende Variable mit dem besten Prognosewert © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 347 identifiziert, knapp gefolgt von sohlnaher Strömungs- gen der Habitatverfügbarkeit für Stock- und Schellente geschwindigkeit. Ein Vergleich der Verteilungen der auf. Unser Ansatz, der sich als ein nützliches Instrument verfügbaren Strömungsgeschwindigkeiten vor und zur Vorhersage der Habitatverfügbarkeit für Wasser- nach Umsetzung der Renaturierungsmaßnahmen für vögel erwiesen hat, ist höchstwahrscheinlich auch auf verschiedene Durchflussklassen in den resultierenden andere Organismen in Flussökosystemen (z. B. Fische, Nischenmodellen zeigt keine signifikanten Veränderun- Makrozoobenthos) anwendbar.

Holte D, Köppen U & Schmitz-Ornés A (Greifswald): Todesursachen in Ringfundmeldungen: ein Analyseansatz unter Berücksichtigung der Landnutzung in Deutschland

✉✉Daniel Holte, Greifswald, E-Mail: [email protected]

Die Möglichkeiten, wie Vögel und andere wildlebende reszeit und Landnutzung analysiert. Hierfür haben Tiere ums Leben kommen, sind vielfältig und hängen wir die Anteile der Landnutzungstypen (künstliche unter anderem stark davon ab, inwieweit der Mensch Oberflächen (wie z. B. Gebäude oder Straßen), Land- in deren Lebensräume eindringt und diese überformt. wirtschaft (ohne Wiesen und Weiden) und Grünflä- Wir haben die gemeldeten Todesursachen von Indi- chen) in einem Radius von 1.500 m um den jeweiligen viduen aus vier Greifvogelarten, die in Deutschland Fundort erfasst und deren Effekt auf die Todesursa- beringt und tot wiedergefunden worden sind, ana- chen mithilfe eines multinomialen Modells getestet. lysiert: Habicht Accipiter gentilis, Sperber Accipiter Während sich die Todesursachen von Mäusebussarden nisus, Mäusebussard Buteo buteo und Turmfalke Falco unabhängig von der Landnutzung zeigen, treten vor tinnunculus. Um große Schwankungen in Wieder­ allem bei Habichten und Sperbern zum Teil deutliche fundwahrscheinlichkeit und Meldequalität inner- Unterschiede zwischen den Landnutzungszusammen- halb der in Deutschland gesammelten Ringfunde zu setzungen auf. Auch im jahreszeitlichen Verlauf zeigen kompensieren, wurden drei möglichst repräsentative sich Unterschiede. Insgesamt stellen Kollisionen die Regionen für die Analyse ausgewählt. Die bekannten häufigste Todesursache für diese Greifvogelarten in Todesursachen wurden für jede Art in Bezug auf Jah- Deutschland dar.

Kadletz K, Nebel C, Gamauf A, Haring E, Tiefenbach M, Sackl P, Winkler H-C & Zachos FE (Wien/ Österreich, Graz/Österreich) Genetische Diversität der rückläufigen Blaurackenpopulation Coracias garrulus in Österreich

✉✉Kerstin Kadletz, Naturhistorisches Museum Wien, Burgring 7, A-1010 Wien, Österreich, E-Mail: [email protected]

Aufgrund weitreichender Habitatverluste schrumpfte der österreichischen Brutpopulation. Obwohl sich die die österreichische Blaurackenpopulation rasant von Reproduktionsrate erfolgreicher Paare nicht wesent- ca. 270 Paaren in den 1950er Jahren auf zwei Brutpaare lich verändert hat und sogar über dem europäischen und acht Nichtbrüter im Jahr 2016 in der Südoststei- Durchschnitt liegt, ist der Anteil nicht reproduzie- ermark zusammen (Tiefenbach 2015). Dieses isolierte render Paare hoch, was auf eine geringere Fertilität Vorkommen liegt etwa 250 km von der nächstgele- zurückgeführt werden könnte. Bislang wurden keine genen Population in Ungarn entfernt. Da seit 2002 Untersuchungen über die genetische Variabilität die- Nestlinge und Altvögel beringt werden, ist bekannt, ser Population durchgeführt, aber in Hinblick auf die dass immer dieselben Individuen nach Österreich geringe Populationsgröße in Österreich, kombiniert zurückkehren. Ein Austausch mit anderen Popula- mit keiner oder im besten Fall nur geringer Immigra- tionen wurde nie beobachtet, es gibt im Gegenteil tion aus anderen Populationen, erscheint eine geneti- Belege für die Verpaarung nah verwandter Vögel in sche Verarmung sehr wahrscheinlich. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

348 Themenbereich „Vogel- und Naturschutz“ • Poster

Abb. 1: Haplotypennetzwerk, basierend auf 36 Haplotypen eines 469 bp langen Fragments der mitochondrialen Kontrollre- gion. Die Farben entsprechen den Ländern in der Legende, die Kreisgröße korreliert mit der Haplotypenfrequenz. Insgesamt beinhaltet das Netzwerk 101 Sequenzen/Individuen. Ein Strich entspricht einer Mutation.

Ziel dieser Untersuchung ist es, die genetische Varia- derpopulationen für eine mögliche Supplementierung bilität der isolierten österreichischen Blaurackenpopu- mithilfe von Nestlingen zu ermitteln, um die genetische lation in Hinblick auf eine bestehende bzw. zu erwar- Diversität zu erhöhen (“genetic rescue”, Kadletz in Vorb.). tende Inzuchtdepression zu bestimmen. Dazu werden Erste, auf mitochondrialen DNASequenzen basie- Blutproben von Nestlingen aus den vergangenen Jahren rende, Ergebnisse bestätigen eine kontinuierliche mit historischen Museumsproben verglichen, die aus Abnahme der genetischen Variabilität während der einer Zeit stammen, als die Blauracke noch weit in Öster- letzten 135 Jahre bis hin zum gegenwärtigen Mono- reich verbreitet war. Zusätzlich werden auch Proben aus morphismus in Österreich. Da es sich bei mitochon­ anderen Teilen des europäischen Verbreitungsgebietes dri­aler DNA um ein rein maternal vererbtes Genom einbezogen. Das Ergebnis soll helfen, potentielle Spen- handelt, sind derzeit keine Rückschlüsse auf Inzucht © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 349 und Inzuchtdepression möglich. Nukleäre, extrem stimmung handelt oder ob es keine klare genetische variable Mikrosatellitenloci sollen für weitere Unter- Differenzierung der beiden Unterarten gibt, ist bisher suchungen verwendet werden, um den Grad der Inzucht auf Basis der vorliegenden Daten nicht zu entscheiden. und das Verwandtschaftsverhältnis der noch lebenden Bemerkenswert ist, dass neben dem heutigen österrei- Individuen zu klären. chischen Monomorphismus die genetische Diversität Das Haplotypen-Netzwerk, welches auf mitochon­ der benachbarten Blaurackenpopulationen in Ungarn drialer DNA aus 10 verschiedenen Ländern (Spanien, und Serbien erhalten geblieben ist. So ist die genetische Österreich, Ungarn, Tschechische Republik, Rumänien, Diversität der rezenten ungarischen Population ähnlich Serbien, Bulgarien, Türkei, Aserbaidschan und Iran; hoch wie die der historischen in Österreich, jedoch bis- Abb. 1) basiert, zeigt keine geographische Trennung der her konnte nur ein gemeinsamer Haplotyp (Coga_6) Blaurackenpopulationen. Nur die Blauracken-Unterart nachgewiesen werden. C. garrulus semenowi, welche in den südöstlichen Tei- len des asiatischen Verbreitungsgebiets beheimatet ist, Literatur ist von den typisch europäischen C. garrulus garrulus Tiefenbach M 2015: Endbericht uber Monitoring und genetisch abgesetzt – mit Ausnahme eines Museumsex- Managementmaßnahmen zur Verbesserung der Über- emplars, welches in Österreich gesammelt wurde und lebenssituation der Blauracke in der Steiermark im Jahr der Unterart C. garrulus semenowi genetisch ähnlich 2015. Graz. Amt der Steiermärkischen Landesregierung. zu sein scheint. Ob es sich hierbei um eine Fehlbe- GZ: ABT13-50E-33/2001-262.

Schaub T, Meffert PJ & Kerth G (Potsdam, Lohme, Greifswald): What affects the occupancy rate of nest-boxes for Common Swifts Apus apus on renovated buildings?

✉✉Tonio Schaub, Institut für Biochemie und Biologie, Universität Potsdam, Potsdam, E-Mail: [email protected]

Seit einigen Jahren ist in vielen Teilen Europas eine scheinlichkeit sank mit zunehmender Anzahl Nachbar- deutliche Zunahme (energetischer) Gebäudesanie- Nisthilfen. Dieses Ergebnis steht in gewisser Hinsicht im rungsaktivitäten zu beobachten. Neben den erwünsch- Widerspruch zu einer Vielzahl anekdotischer Berichte ten positiven Effekten im Hinblick auf den Klima- über Mauersegler-Kolonien mit sehr geringen Abstän- schutz können solche Maßnahmen jedoch negative den zwischen den Brutplätzen. Denkbare Nachteile von Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Brutplätzen geringen Nestabständen sind jedoch ein erhöhter Para- von gebäudebrütenden Vogelarten wie dem Mauerseg- sitenaustausch sowie ein höheres Risiko des Einflugs in ler Apus apus haben. Aufgrund der Bestimmungen des die falsche Bruthöhle. Mauersegler bevorzugten zudem Bundesnaturschutzgesetzes werden in Deutschland in Nisthilfen an der Dachkante der Gebäude sowie solche, großem Ausmaß Nisthilfen als Ersatzmaßnahmen für die bei solchen Bautätigkeiten zerstörten Brutplätze angebracht. Studien bezüglich des Erfolgs dieser Ersatzmaßnahmen und möglicher Einflussfaktoren auf die Besiedlungswahrscheinlichkeit fehlen bisher jedoch weitgehend. Im Sommer 2013 wurden 477 als Ersatzmaßnahmen installierte Nisthilfen für Mauersegler in der Universitäts- und Hansestadt Greifswald, Mecklenburg-Vorpommern, auf ihre Besiedlung kontrolliert. 116 (24,2 %) dieser Nisthilfen erwiesen sich als von Mauerseglern besetzt. Mit dem statistischen Verfahren „boosted regression trees“ wurde untersucht, ob acht verschiedene Eigen- schaften der Nisthilfen einen Einfluss auf die Besied- lungswahrscheinlichkeit besaßen. Die Anzahl direkter Abb. 1: Fast flügge Mauersegler-Jungvögel in einem Nistkas- Nachbar-Nisthilfen (Abstand weniger als 1 m) erwies ten (Modell Schwegler Nr. 18). Greifswald, Juli 2013. sich als einflussreichster Faktor: Die Besiedlungswahr- Foto: T. Schaub © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

350 Themenbereich „Vogel- und Naturschutz“ • Poster die sich höher als 11 m über dem Erdboden befanden. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend wird empfoh- An Nord-Fassaden waren Nisthilfen mit etwas höherer len, Nisthilfen für Mauersegler mit einigen Metern Wahrscheinlichkeit angenommen als an anderen Fas- Abstand voneinander und möglichst hoch am Gebäude saden. Zudem wiesen extern angebrachte Nisthilfen anzubringen. Zur Überprüfung der hier gewonnenen eine höhere Besiedlungswahrscheinlichkeit auf als in Ergebnisse ist jedoch die Durchführung weiterer Stu- die Wärmedämmung eingesenkte Nisthilfen. Zwischen dien wünschenswert. Besonders wertvoll wären weiter- unterschiedlichen Nistkastentypen konnten keine nen- führende Untersuchungen zum Bruterfolg von Mauer- nenswerten Unterschiede festgestellt werden. seglern in Nisthilfen.

Thomas A & Heim W (Leipzig, Potsdam): Die Weidenammer verschwindet – Welche Gefahren drohen im Brutgebiet?

✉✉Alexander Thomas, Fichtestraße 17, D-04275 Leipzig, E-Mail: [email protected]

Die Weidenammer Emberiza aureola war einst eine der Im Zuge des Amur Bird Projekts werden seit 2013 häufigsten Singvogelarten der Paläarktis, ihr Brutgebiet Studien über die Weidenammer im Muraviovka Park erstreckte sich von Skandinavien bis Kamtschatka. Die in Fernost-Russland durchgeführt, um diese Wissens- Bestände dieser Vogelart haben jedoch in den letzten lücken zu schließen. So wurden sowohl 2015 als auch Jahrzehnten einen Rückgang von rund 90 % erlebt, und 2016 alle gefundenen Reviere mittels GPS-Punkt aufge- die Grenze des Brutgebiets verschob sich um mehr als nommen, um einen generellen Überblick über die Ver- 5.000 km nach Osten (Kamp et al. 2015). Dieser starke breitung der Art im Park zu erlangen. Auch kann so die Bestandseinbruch wird zum großen Teil auf die starke Besetzung der Reviere zwischen den Jahren verglichen Bejagung zur Zugzeit in China beziehungsweiße in den werden, was bei einer Änderung Rückschlüsse auf die südostasiatischen Überwinterungsgebieten zurückge- Bedürfnisse der Weidenammer zulässt. Zudem wurden führt, jedoch sind die genauen Ursachen nicht bekannt. für die Reviere Habitatparameter aufgenommen, sodass Aktuelle Informationen zur Größe der Restbestände, in Bezug auf Vegetationstyp, Vegetationshöhe, Deckung zum Bruterfolg und zu Überlebensraten fehlen weitest- und Feuchte des Bodens die zur Brutzeit bevorzugten gehend, jedoch ist wegen der möglichen Zerstörung der Habitattypen aufgezeigt werden können. Die Territorien Brutgebiete durch Trockenlegung und damit verbun- liegen demnach in Habitaten mit Weidengebüschen von dene Feuer sowie durch Wandel in der Landnutzung 138 bis 212 cm Höhe, die nicht zu dicht stehen dürfen, auch hier mit einer Bedrohung zu rechnen. Daher wurde damit in offenen Bereichen auf dem Boden gebrütet die Art im Jahr 2013 von der IUCN auf „Endangered“ werden kann. Für den Bau und die Tarnung des Nests hochgestuft (BirdLife International 2016). wird eine Krautschicht von 30 bis 80 cm Höhe benötigt.

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i 3 v e R 2 Abb. 1: Anzahl der Weiden­ ammer-Reviere pro Transekt in abgebrannten und nicht 1 abgebrannten Flächen, Daten erhoben durch Punkt-Stopp- nicht abgebrannt abgebrannt Zählungen. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 351

Durch die Lage der Weidengebüsche an Rändern von wurden lokal brütende Weidenammern mit individuel- Sumpfgebieten ist der Boden meist feucht, aber nicht len Farbring-Kombinationen versehen, um Überlebens- durchnässt. raten von adulten und juvenilen Tieren sowohl wäh- Es konnte gezeigt werden, dass einige der im Vor- rend der Brutsaison als auch über die Jahre hinweg zu jahr besetzten Reviere durch menschgemachte Feuer ermitteln. Von insgesamt neun farbberingten Vögeln aus und Beweidung mit Pferden inzwischen kein geeigne- 2015 konnten im Frühjahr 2016 drei Individuen wieder- tes Bruthabitat mehr darstellen und dort keine Wei- gefunden werden, weitere 27 Weidenammern wurden denammern mehr vorkommen. Auch von den 2016 mit Farbringen versehen. Zur Erforschung der Zugwege besetzten Revieren war gut ein Drittel abgebrannt und statteten wir 2016 zusätzlich 19 adulte Männchen mit Punkt-Stopp-Zählungen haben ergeben, dass sich in Geolokatoren aus. den abgebrannten Bereichen geeigneten Habitats sig- Die Ergebnisse dieser Studien werden hoffentlich in nifikant weniger Weidenammer-Territorien befinden als Zukunft dazu beitragen, dass diese bedrohte Vogelart in den nicht verbrannten Gebieten (Abb. 1). sowohl auf ihren Zugwegen als auch im Brutgebiet bes- Es soll in einer mehrjährigen Studie der Bruterfolg der ser geschützt werden kann. Weidenammer im Park untersucht werden. Dazu wurde 2016 die genaue Methodik im Umgang mit den verwen- Literatur deten Thermologgern (iButton) entwickelt, sodass der BirdLife International 2016: Species Factsheet: Emberiza Brutverlauf über die Temperatur im Nest untersucht aureola (Yellow-breasted Bunting). http://www.birdlife. werden konnte (Hartmann & Oring 2006). So kann org/datazone/speciesfactsheet.php?id=8954 (abgerufen beispielsweise ermittelt werden, ob der Bruterfolg in am 16.10.2016). Hartman CA & Oring LW 2006: An inexpensive method for abgebrannten Gebieten geringer ist als in nicht abge- remotely monitoring nest activity. J. Field. Ornithol. 77: brannten Gebieten und so die menschgemachten Feuer 418-424. weiter zum Rückgang dieser Spezies beitragen. Auch soll Kamp J et al. 2015: Global population collapse in a superabun- der Bruterfolg von verschiedenen sympatrisch vorkom- dant migratory bird and illegal trapping in China. Conserv. menden Bodenbrütern verglichen werden. Außerdem Biol. 29: 1684-1694.

Unsöld M & Fritz J (München, Mutters/Österreich): Wiederansiedlung des Waldrapps Geronticus eremita in Europa: Anpassung der Methoden an das Verhalten der Vögel

✉✉Markus Unsöld, Zoologische Staatssammlung München, Münchhausenstraße 21, D-81247 München, E-Mail: [email protected]

Bei Wiederansiedlungen stellt die Anpassung der ermöglicht die Ausbildung einer Nestrangordnung und Methodik an die Verhaltensweisen der jeweiligen Art verhindert übermäßige Nestlingsaggressionen. Die Auf- eine große Herausforderung dar. Das Waldrappteam zucht mehrerer Vögel pro Nest scheint eine sexuelle hat im Rahmen einer zwölfjährigen Machbarkeitsstu- Prägung auf die menschlichen Zieheltern zu verhin- die seine Methoden sukzessive optimiert und insbe- dern; einzeln aufgezogene Waldrappe erwiesen sich sondere an das artspezifische Zug- und Flugverhalten dagegen als sexuell fehlgeprägt. Um ein gleichzeitiges des Waldrapps angepasst. Seit 2014 wird im Rahmen Flüggewerden und damit eine homogene Gruppe für des Europäischen LIFE+ Wiederansiedlungsprojektes das anschließende Flugtraining zu erreichen, beträgt mit Jungvögeln von über Generationen in Zoohaltung der Altersunterschied aller Tiere maximal acht Tage. gezüchteten Waldrappen eine neue Zugtradition initi- Die starke Bindung zu den Zieheltern wird beim Flug- iert und so fast 400 Jahre nach der Ausrottung in Europa training und der menschengeleiteten Migration (HLM) eine migrierende Waldrapp-Population aufgebaut. im Spätsommer genutzt; ohne sie würden die Jungvögel Mit der Elternprägung von wenige Tage alten Nestlin- den Ultraleichtflugzeugen nicht folgen. gen beginnt die Handaufzucht. Zwei „individualisierte“ Ab Mitte August setzt die genetisch fixierte Zugstim- Zieheltern, denen die Vögel später überall hin folgen mung ein, was sowohl hormonell als auch durch tägliche werden, sind bis zur endgültigen Freilassung die ein- Gewichtsmessungen ermittelt werden kann. Ab diesem zigen Bezugspersonen für sie. Pro Nest werden je zwei Zeitraum startet die HLM. In mehreren Etappen, die bis vier Nestlinge mit einem Altersabstand von min- der Länge der Flugstrecken von besenderten syrischen destens einem Tag aufgezogen. Der Altersunterschied Waldrappen entsprechen, werden die Vögel Richtung © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

352 Themenbereich „Vogel- und Naturschutz“ • Poster

Süden geführt. Dabei werden nach jedem Flugtag meh- Wissenschaftliche Projekte zum Zugverhalten wäh- rere Pausentage eingelegt, die den natürlichen Rastpau- rend der HLM lieferten nicht nur Daten real ziehender sen entsprechen und die Leistungsfähigkeit der Jungtiere Vögel, die ausgewertet und in verschiedenen Publikati- erhalten. Die neue Flugroute wurde den bereits selbstän- onen veröffentlicht wurden. Sie zeigten auch, dass sich dig ziehenden, besenderten Waldrappen angepasst. die angewandten Methoden bewähren, und konnten Im aktiven Flug schließen sich Waldrappe in V-For- andererseits dazu genutzt werden, die Methoden noch mation zusammen und optimieren so ihren Energie- besser den Fähigkeiten und der Leistung der Vögel haushalt. Bei einsetzender Thermik ändern sie ihren anzupassen. Bei den HLMs 2015 und 2016 konnte die Flugstil und wechseln Höhe gewinnendes Thermik- Anzahl der geführten Waldrappe verdoppelt werden. kreisen mit Strecke machendem Segelflug ab. Durch Ab 2017 sind weitere Änderungen geplant, um die auf langsamen Langstreckenflug (extra großer Schirm, Effizienz der HLM zu steigern. Erhöhung des Tankinhalts) angepasste Fluggeräte sind Mit 50 % Unterstützung des Finanzierungsinstru- bis zu acht Stunden dauernde und über 360 km weite ments LIFE der Europäischen Union (LIFE+12-BIO_ Flüge möglich, ohne die Vögel zu überfordern. AT_000143, LIFE Northern Bald Ibis).

Abb. 1: Änderung der Flugroute (links) während der HLM (rechts); orange = Routenführung der HLM 2008-2011; grün = neue Route ab 2016 anhand der Senderdaten selbständig ziehender Waldrappe. Karte: Google Maps. Foto: N. Henrich © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 353

Symposium „EU-Vogelschutzrichtlinie“

• Vorträge

Grüneberg C, Dröschmeister R, Sudfeldt C, Trautmann S & Wahl J (Münster, Bonn): Von 1979 bis heute: Erfolge und Defizite der Vogelschutzrichtlinie für die Vogelbestände in Deutschland

✉✉Christoph Grüneberg, Dachverband Deutscher Avifaunisten e. V., An den Speichern 6, D-48147 Münster, E-Mail: [email protected]

Die Vogelschutzrichtlinie verpflichtet die Mitglied- Anser fabalis fabalis oder Eisente Clangula hyemalis. Von staaten der Europäischen Union zum Schutz aller den bei uns brütenden Triggerarten, das sind alle Arten, wildlebenden Vogelarten – der Brutvögel ebenso wie die für die Ausweisung der Europäischen Vogelschutz- der Rastvögel. Um die Wirksamkeit der Umsetzung gebiete maßgeblich waren, erreichen 95 % innerhalb der Vogelschutzrichtlinie bewerten zu können, muss- der Schutzgebietskulisse Anteile von mindestens einem ten die Mitgliedstaaten Ende 2013 erstmals detailliert Fünftel ihres hiesigen Brutbestandes, immerhin knapp Auskunft über die Bestandssituation „ihrer“ heimischen die Hälfte sogar mehr als 60 %. Trotzdem ist der Anteil Vogelarten geben. Maßgebliche Kennwerte sind die abnehmender Arten in den letzten 25 Jahren höher als Bestandsgröße und das Verbreitungsgebiet sowie deren bei allen einheimischen Brutvogelarten. Gleichzeitig lag zeitliche Veränderungen, sowohl für ganz Deutschland, auch der Anteil zunehmender Arten deutlich über dem als auch für die NATURA2000-Schutzgebietskulisse. aller Arten. In den vergangenen 12 Jahren haben sich Für die 248 heimischen Brutvogelarten hat sich die die Trendverhältnisse jedoch umgekehrt: Der Anteil Bestandssituation seit Ende der 1990er Jahre spürbar abnehmender Arten ist angestiegen, der zunehmen- verschlechtert: Jede dritte bei uns brütende Vogelart der Arten ging dagegen zurück. Im Vergleich zu allen erlitt Bestandsrückgänge. Vor allem häufige und weit Brutvogelarten zeigte sich diese Entwicklung bei den verbreitete Singvogelarten unserer Normallandschaft Triggerarten jedoch nur in abgeschwächter Form. Bei weisen negative Trends auf. Im Vergleich dazu fällt die den rastenden und überwinternden Wasservogelarten Bilanz bei den in Deutschland überwinternden Was- halten sich mit Ausnahme der Hochseearten alle Arten servögeln insgesamt positiver aus. Trotzdem besteht in zu mindestens 20 % innerhalb von Europäischen Vogel- einigen Fällen dringender Handlungsbedarf, beispiels- schutzgebieten auf. Auch hier ist es rund die Hälfte der weise für Zwergschwan Cygnus bewickii, Waldsaatgans Arten, die Populationsanteile von über 60 % erreicht.

Krause J, Hauswirth M, Merck T & Steitz M (Insel Vilm): Seevogelschutz auf dem Meer

✉✉Jochen Krause, Bundesamt für Naturschutz (BfN), Außenstelle Insel Vilm, E-Mail: [email protected]

Die seit 1978 gültige Vogelschutzrichtlinie wird erst rastenden, mausernden und überwinternden Seevö- seit der Änderung des BNatSchG im Jahre 2002 auch geln auf dem Meer zu bemessen, Verfahren entwickelt in den küstenfernen Meeresgebieten der Nord- und worden, um die Auswirkungen von Aktivitäten einzu- Ostsee in Deutschland umgesetzt. Die Vogelschutz- schätzen und Planungsinstrumente in der Überarbei- richtlinie wird seit 2008 in ihren Zielen durch die Mee- tung um den Schutz von Seevögeln in ausreichendem resstrategie-Rahmenrichtlinie und deren Ziele auch Maße umsetzten. Der Vortrag gibt eine Übersicht über für Seevögel ergänzt. Seitdem sind Forschungs- und die erreichten und die noch ausstehenden Schritte. Monitoringprogramme in Kraft, um den Zustand von © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

354 Symposium „EU-Vogelschutzrichtlinie“ • Vorträge

Lachmann L, Kreiser K, Mayr C & Richter K (Berlin, Brüssel): Blickpunkt Brüssel: Perspektiven für die Umsetzung der EU-Vogelschutzrichtlinie nach dem „Fitness-Check“

✉✉Lars Lachmann, NABU, D-10108 Berlin, E-Mail: [email protected]

Die Vogelschutzrichtlinie bildet den rechtlichen Rahmen drei beauftragten Instituten durchgeführt. Er beinhaltete für den Vogelschutz in den Mitgliedstaaten der Euro- neben umfangreicher Literaturrecherche eine detaillierte päischen Union (EU). Neben der Fauna-Flora-Habitat- Befragung von Ministerien, Behörden, Wirtschaftsver- Richtlinie stellt sie eine der beiden zentralen Säulen des tretern und Naturschutzverbänden in allen EU-Staaten, Arten- und Naturschutzes in der EU dar. Die Mitglied- mündliche Anhörungen in zehn ausgewählten Mitglied- staaten haben sich mit der Verabschiedung der Richtli- staaten, und eine öffentliche Online-Befragung. Letztere nie sowohl zu einem strengen Artenschutz „sämtlicher verzeichnete mit über 500.000 Teilnehmern die größte wildlebender Vogelarten…“, als auch zur Einrichtung Beteiligung in der Geschichte der EU. Über 90 Prozent von Schutzgebieten (sog. Special Protection Areas, SPAs) der teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger sprachen für bestimmte, in Anhang I gelistete Arten und Zugvo- sich für eine Beibehaltung, aber bessere Umsetzung der gelarten verpflichtet. Hinzu kommen die Verpflichtung Richtlinien aus; die Forderungen von Landnutzer- und zur Pflege und Gestaltung der Lebensräume „in- und (Vogel-) Jagdverbänden zur Schwächung der Richtlinien außerhalb von Schutzgebieten“, zur Wiederherstellung fanden dagegen nur wenige Unterstützer. Im Zuge der zerstörter und Neuschaffung von Lebensstätten, sowie weiteren Beratungen unterstützten auch die EU-Umwelt- Rahmenbedingungen für die Jagd auf die in Anhang II minister, das EU-Parlament und der Ausschuss der Regi- gelisteten Vogelarten (Europäische Union 2009). Die onen diese auch von den Umweltverbänden vertretene Richtlinie dient damit auch der Erfüllung völkerrecht- Position (Mayr & Weyland 2016). licher Verpflichtungen, insbesondere aus der Bonner Obwohl die fast 700 Seiten starke Evaluationsstudie und Berner Konvention (Mayr 2004; Bunge & Schu- seit März 2016 vorliegt will die EU-Kommission erst im macher 2016). Die über 5.200 EU-Vogelschutzgebiete Herbst 2016 ihre Schlussfolgerungen und Empfehlun- (SPAs) bilden gemeinsam mit den FFH-Gebieten das gen zur künftigen Umsetzung der Richtlinien vorstellen Natura-2000-Netzwerk, mit etwa 27.000 Gebieten auf 18 (Mayr 2016). Der NABU, der die Arbeit der deutschen Prozent der Fläche der EU-Staaten das größte Schutz- Naturschutzverbände zum „Fitness-Check“ der EU- gebietsnetzwerk der Welt. Die Vogelschutzrichtlinie hat Naturschutzrichtlinien koordiniert, hat aus der politi- bereits zu deutlichen Bestandserholungen insbesondere schen Diskussion und den wesentlichen im Zuge der bei Arten des Anhang I geführt, stößt jedoch aufgrund Evaluierung gewonnenen Erkenntnissen über Umset- von Finanzierungs- und Durchsetzungsmängeln und zungserfolge und defizite Forderungen an die künftige gegenläufiger Effekte der Agrarpolitik an ihre Grenzen. Vogelschutzpolitik der EU, aber auch der nationalen und Viele Vogelarten der Agrarlandschaft erleiden EUweit regionalen Ebene abgeleitet. Zu den Kernforderungen massive Bestandseinbrüche. In Deutschland nahmen gehören die Beibehaltung der Richtlinien und ihrer sowohl die rechtliche Umsetzung der Richtlinie als auch Anhänge in der jetzigen, in jahrelanger Vollzugspraxis die Ausweisung der SPAs 30 Jahre in Anspruch, insbe- bewährten Form, die Verbesserung von Schutz und sondere der erforderliche Rechtsschutz der Gebiete und Management der SPAs und deren Finanzierung, sowie die Managementpläne zu ihrer Pflege sind bis heute nicht bessere Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten auf allen vollständig (Mayr 2009). Behördenebenen, etwa bei der Bekämpfung illegaler Ver- Im Rahmen ihres REFIT-Programms beschloss die folgung von Vögeln. Da der von der EU bisher verfolgte EU-Kommission im Herbst 2013, die beiden Natur- Ansatz, Naturschutz über eine Integration in andere EU- schutzrichtlinien einem sogenannten Fitness-Check zu Programme wie denen für Landwirtschaft und Regio- unterziehen, das heißt sie nach dem Muster aller Fitness- nalentwicklung zu finanzieren, als gescheitert angesehen Checks auf Wirksamkeit, Effizienz, Relevanz, Kohärenz werden muss, fordern die Naturschutzverbände einen und EU-Mehrwert zu überprüfen. Der neue EU-Kom- eigenständigen EU-Naturschutzfonds mit jährlich ca. 12 missionspräsident Jean-Claude Juncker erteilte im Sep- bis 15 Mrd. Euro. Damit könnten auch die Naturschutz- tember 2014 Umweltkommissar Vella allerdings den leistungen von Landwirten gezielter und besser honoriert Auftrag, die Richtlinien auf eine mögliche „Zusammenle- werden (NABU et al. 2016). Ein wesentlicher Faktor zur gung“ und „Modernisierung“ zu prüfen, worin die Natur- Verbesserung des Vogelschutzes könnte der von den schutzverbände eine massive Gefahr für eine Schwächung Naturschutzverbänden geforderte „Fitness-Check“ der der Richtlinien und Kürzungen ihrer Anhänge zuguns- Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) sein, in die bis ten Junckers Ziel des Abbaus von „Wirtschaftshemm- heute etwa 43 Prozent des EU-Haushaltes fließen, derzeit nissen“ sahen. Der Fitness-Check wurde 2015/2016 von etwa 60 Mrd. Euro pro Jahr (Mayr 2016). © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 355

Literatur NABU et al. 2016: Umweltverbände fordern EU-Naturschutz- Bunge T & Schumacher J 2016: Europäische Naturschutz- fonds. Finanznot bedroht Europas Naturerbe: 15 Milliarden Richtlinien: taugliche Objekte für REFIT? Natur und Recht Euro jährlich gefordert. Gemeinsame Pressemeldung von 38: 307-316. BBN, BUND, DNR, NABU und WWF vom 15.09.2016 zum Europäische Union 2009: Richtlinie 2009/147/EG des Euro- 33. Deutschen Naturschutztag, link: https://www.nabu.de/ päischen Parlamentes und des Rates vom 30. November news/2016/09/21233.html 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten. ABl. EU Nr. L 20, S. 7 ff. Genauere Informationen zum Fitness-Check der Mayr C 2004: 25 Jahre EG-Vogelschutzrichtlinie in Deutschland Naturschutzrichtlinien auf der Website der Europäi- – Bilanz und Ausblick. Natur und Landschaft 79: 364-370. schen Kommission: Mayr C 2009: 30 Jahre EG-Vogelschutzrichtlinie – Rückblick http://ec.europa.eu/environment/nature/legislation/ und Lehren für die Zukunft des Vogelschutzes. Berichte fitness_check/index_en.htm zum Vogelschutz 46 (Schwerpunktheft 30 Jahre Vogel- Da der NABU „national focal point“ der deutschen schutzrichtlinie): 21-39. Naturschutzverbände (BUND, DNR, WWF) für den Mayr C 2016: „Fitness Check“: Der Druck auf die EU-Kom- Fitness Check ist, finden sich auf der NABU-Website mission wächst weiter. Naturschutz und Landschaftsplanung 48: 302. viele weitergehende Informationen und links. In einem Mayr C & Weyland R 2016: Die Naturschutzrichtlinien: speziellen Naturschätze-Blog berichten die Referenten Bewährt und doch auf dem Prüfstand. Natur und Recht des NABU zeitnah über wichtige Ereignisse: 38: 96-100. http://www.nabu.de/naturschaetze

Nipkow M & Herkenrath P (Hannover, Recklinghausen): Vogelartenschutz 2020: Anforderungen an den Vogelschutz in Deutschland im Licht der EU- Vogelschutzrichtlinie

✉✉Markus Nipkow, Staatliche Vogelschutzwarte im Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), Göttinger Chaussee 76A, D-30453 Hannover, E-Mail: [email protected]

Die EU-Vogelschutzrichtlinie (VSchRL) hat den Vogel- der Brutzeit strikt verbietet. In der Praxis sind jedoch schutz in Deutschland auf eine neue Grundlage gestellt. oftmals Ausnahmen festzustellen, wie etwa durch die Der gesetzliche Vogelartenschutz ist durch die Umset- Unteren Jagdbehörden der Länder, die in teilweise gro- zung der Richtlinie wesentlich gestärkt worden. So ßem Umfang die Bejagung von Ringeltauben Columba sind heute auch Arten, die jahrhundertelang verfolgt palumbus auch während der Brutzeit erlauben, wenn wurden, geschützt und die Hürde für die Erteilung von sie der Vermeidung von Schäden an landwirtschaftli- Ausnahmegenehmigungen vom Schutz ist hoch. Ins- chen Kulturen diene. Eine Bewährungsprobe steht der besondere hat die VSchRL durch die Ausweisung und VSchRL auch im Hinblick auf den Schutz nordischer den strengen Schutz der Europäischen Vogelschutzge- Gänse bevor, wenn im Rahmen eines Europäischen biete die langfristige Sicherung wesentlicher Teile des Gänsemanagement-Konzeptes ein Managementplan für Naturerbes ermöglicht. Am Beispiel der Bundesländer die Weißwangengans Branta leucopsis entwickelt wer- Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen werden die den soll (Hintergrund ist eine entsprechende Resolution Erfolge, Probleme und Perspektiven für Schutz und der Vertragsstaaten des Afrikanisch-Eurasischen Was- Management der Vogelschutzgebiete dargestellt. servogelabkommens (AEWA), die im November 2015 Drei wesentliche Elemente der VSchRL werden kri- verabschiedet wurde). tisch gewürdigt: Ihre Bedeutung für den direkten Arten- Von elementarer Bedeutung für den Vogelartenschutz schutz, für den Gebietsschutz und für die ökologische ist bis heute die Ausweisung Besonderer Schutzgebiete Gestaltung von Lebensräumen. So haben die in den für Arten des Anhang I der VSchRL bzw. für Zugvo- Artikeln 7 und 8 getroffenen Regelungen eine ganz- gelarten. Bestandsentwicklungen der vergangenen 25 jährige Jagdverschonung derjenigen Vogelarten mani- Jahre aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zei- festiert, die nicht im Anhang II der Richtlinie stehen, gen, dass Brutvogelarten, für welche die Länder EU- darunter alle Greifvögel und Eulen. Auch hinsichtlich Vogelschutzgebiete ausgewiesen haben, in größerem einer Verkürzung von Jagdzeiten gibt die Richtlinie Umfang positive Bestandstrends entwickelt haben als einen wichtigen Rahmen vor, indem sie die Jagd wäh- die übrigen Arten. Doch es finden sich unter ihnen auch rend des Heimzuges in die Brutgebiete und während zahlreiche Arten mit stark rückläufigen Bestandszah- © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

356 Symposium „EU-Vogelschutzrichtlinie“ • Vorträge

50 Anhang I und Zugvogelarten (n = 92) 45 übrige Arten (n = 100) 40 35 30 25 20 15 10 5 0 Zunahme >20% Zu- oder Abnahme Abnahme >20% Abnahme >50% <20%

Abb. 1: Bestandstrends (1990 bis 2014) und deren Häufigkeit (y-Achse, in %) von Arten des Anhang I der EU-VSchRL sowie regelmäßig vorkommender Zugvogelarten für die Niedersachsen EU-Vogelschutzgebiete ausgewiesen hat (blau, n = 92), im Vergleich zu den übrigen Brutvogelarten (grau, n = 100). len (s. Abb. 1). Daten aus Niedersachsen verdeutlichen, bzw. benachbarte Regionen ausgehen können, ist auch dass nur etwa ein Drittel der „wertbestimmenden Vogel- eine Verbesserung der Habitatqualitäten innerhalb der arten“ maßgeblich über das Instrument des Gebiets- Schutzgebietskulisse erforderlich. Hier wird in den nächs- schutzes erreicht werden kann. Dazu zählen nach wie ten Jahren ein erhöhter Handlungsbedarf gesehen. Nach vor hochgradig bedrohte Arten wie die Uferschnepfe Ansicht der Vogelschutzwarten Niedersachsens und Limosa limosa oder die Zwergseeschwalbe Sternula albi- Nordrhein-Westfalens ist die Umsetzung von Arten- frons, deren Bestände sich mittlerweile fast vollständig schutz- und Artenhilfsmaßnahmen zur Verbesserung auf die EU-Vogelschutzgebiete konzentrieren. der Lebensräume gegenüber weiteren Nachmeldungen Zweifellos ist dem Diversitätsverlust in der sog. prioritär. Der derzeitige Nachholbedarf betrifft insofern „Normallandschaft“ auch in den kommenden Jah- nicht nur die hoheitliche Sicherung von Gebieten im ren besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Und die Netzwerk von Natura 2000, sondern auch deren Manage- Vogelschutzgebiete haben einen günstigen Erhaltungszu- mentplanung. Um hier zeitnah substanzielle Fortschritte stand vieler vormals gefährdeter Vogelarten ermöglicht. erzielen zu können, müssen zuständige Behörden und Doch damit von den europäischen Vogelschutzgebieten Institutionen in den nächsten Jahren auch finanziell und wieder positive Impulse auf die umgebende Landschaft personell entsprechend ausgestattet sein. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

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Symposium „Schreiadler“

• Vorträge

Matthes J, Neubauer M, Meyburg B-U & Matthes H (Rostock, Berlin, Eberswalde): Der Schreiadler Aquila pomarina und die Landschaftsentwicklung in Deutschland in den letzten 50 Jahren

✉✉Joachim Matthes, Vorwedener Weg 1, D-18069 Rostock, E-Mail: [email protected]

Ein halbes Jahrhundert Arbeit am und mit dem Schrei- lichster Art. Im Interesse der Einführung industriemä- adler lassen es geboten erscheinen, sich mit der in die- ßiger Agrarproduktion verschwand in der Folgezeit die ser Zeit stattgefundenen Landschaftsentwicklung im überwiegende Mehrzahl dieser Strukturen, die ja alle nordostdeutschen Flachland kritisch auseinanderzuset- auch Lebensraum für die Offenlandschaft bewohnenden zen. Mit Landschaft ist hier die agrarisch genutzte Offen- Vertreter unserer Fauna und Flora waren. Vor allem wur- landschaft gemeint, die keineswegs eine Natur- sondern den über komplexe Meliorationsprogramme die Agrar- vielmehr eine Kulturlandschaft ist. Diese Kulturland- flächen auf große hindernisfreie Schläge getrimmt, das schaft war einst einer der artenreichsten Lebensräume heißt Entwässerungsanlagen verschwanden bis auf grö- für unsere heimische Fauna und Flora im Herzen Mittel- ßere zentrale Vorfluter alle unter der Erde. Desgleichen europas. In dieser Kulturlandschaft sucht der Schreiadler verschwanden sämtliche Feldraine, Feldwege, Hecken überwiegend seine Nahrung, im geringeren Maße wird und dergleichen (DO-G & DDA 2011). Die ursprünglich auch der Wald zum Beuteerwerb genutzt. in der Agrarfläche häufig vorkommenden kleinen und Synchron mit den in der Agrarlandschaft stattfinden- kleinsten Grünlandareale wurden trockengelegt, umge- den Veränderungen hat die Art im Laufe der Jahrzehnte widmet und in die Ackerfläche integriert. ihr Verhalten offenbar stark verändert. So beklagen Schließlich rückte man auch den größeren Moorge- langjährig mit der Betreuung der Brutplätze befasste bieten zu Leibe. Auch sie wurden fast ausnahmslos tro- Mitstreiter, dass die Schreiadler immer „unsichtbarer“ ckengelegt und nach Umbruch in Saatgrasland verwan- würden, also schwerer und seltener zu beobachten seien. delt mit drei bis vier Schnitten pro Jahr. Bis zur Wende Nach der Erinnerung verhielt sich dies in den 1960er (1989/1990) war auf diese Weise die Lebensraumqualität bis 1985er Jahren an den meisten Brutplätzen anders. (ökologische Wertigkeit) der nordöstlichen Agrarland- Daher waren wir, wie übrigens andere ältere Ornitho- schaft auf 50 % gesunken. logen (Wendland 1959) auch, früher der Auffassung, dass Erhalten blieb noch eine deutlich größer Fruchtar- Schreiadler eher kleine Aktionsräume in der Brutzeit tenvielfalt und auch ein vergleichsweise hoher Anteil haben. Erste Ergebnisse einer 1994 bis 1997 durchgeführ- an Feldfutterbau. Auf diese Weise waren bis zu diesem ten Studie mittels VHF-Telemetrie (Radiotracking) hatte Zeitpunkt mit Ausnahme der Flora noch keine größeren zu einem Zeitpunkt, als die Veränderung der Agrarland- Einbußen bei der Fauna der Agrarlandschaft zu beob- schaft in negativer Richtung bereits fortgeschritten war, achten. Lediglich beim Schreiadler waren erste Aufga- ergeben, dass die home ranges von Männchen mit Brut­ ben von Brutplätzen festzustellen, durch Trockenlegung erfolg in Mecklenburg-Vorpommern (Mittel 2,7 km²) und z. T. Beackerung von Grünland im Nahbereich größer waren als die in Lettland (1,1 km²) (Scheller et dieser Brutplätze. al. 1999). Seither hat sich die ökologische Wertigkeit der Die Zeit 1990 bis 1997 brachte, politisch gewollt, eine Agrarlandschaft im Nordosten Deutschlands weiterhin gewisse Entspannung in dieser Entwicklung. Umfang- massiv verschlechtert (Flade 2012). Dieses Phänomen reiche Flächenstilllegungen über Bracheprogramme kann als defizitäre Ausstattung der Agrarlandschaft mit führten zu einer gewissen Erholung der Feldtierfauna. Beuteobjekten interpretiert werden. Die ökologische Wertigkeit der Agrarlandschaft stieg Was also ist passiert? Bis etwa Ende der 1960er Jahre wieder auf etwa 60 %. war die Agrarlandschaft noch annähernd in dem Zustand, Mit Beendigung des Bracheprogramms setzte bald wie sie sich bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges entwi- eine sehr moderne Landbewirtschaftung ein, mit ckelt hatte. Kennzeichnend war ein großer und dauerhaft weitaus höherem Ertragsniveau als vorher. Sie kehrte bestehender Strukturreichtum, insbesondere, typisch für sich mehr und mehr ab von der guten fachlichen Pra- die eher feuchte bis nasse Jungmoräne Vorpommerns, xis (reduzierte Fruchtfolgen und Fruchtartenvielfalt, viele offene Entwässerungen über Gräben unterschied- reduzierte Standzeiten der Stoppelflächen nach der © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

358 Symposium „Schreiadler“ • Vorträge

Halmfruchternte und Energieraps etc.; DO-G & DDA www.do-g.de/fileadmin/do-g_dokumente/Positionspapier_ 2011; Krumenacker et al. 2016). Die Güllewirtschaft Agrarvögel_DO-G_DDA_2011-10-03.pdf hielt regional stark Einzug. Insbesondere das Begüllen DRV (Deutscher Rat für Vogelschutz) & DDA (Dachverband von Grünland führte zu verstärkter Aufgabe langjährig Deutscher Avifaunisten) 2012: Regenerative Energiegewin- bestehender Schreiadlerbrutplätze. nung und Naturschutz. www.dog.de/fileadmin/dog_doku- mente/Eckpunktepapier_regenerative_Energiegewinnung_ Ab 2007, mit der Verabschiedung des Erneuerbare- Stand_06-02-2012.pdf Energien-Gesetzes, nahm der Maisanbau (Energiemais) Flade M 2012: Von der Energiewende zum Biodiversitäts- enorme Ausmaße an (Dauermaisanbau; DRV & DDA Desaster – zur Lage des Vogelschutzes in Deutschland, 2012, Flade 2012; Krumenacker 2016). Daher liegt die Vogelwelt 133: 149-158. gegenwärtige ökologische Wertigkeit der Agrarfläche Krumenacker T 2016: Neue Rote Liste der Brutvögel Deutsch- Nordostdeutschlands inzwischen bei max. 10 %. Ange- lands: Sinkflug vieler Arten hält an. Falke 63(10): 20-24. sichts von Forderungen nach Artenvielfalt und Biodi- Krumenacker T, Matthes H & Rohde C 2016: Schreiadler in versität ein unhaltbarer und leider aber kaum noch Deutschland: Vom Allerweltsvogel zum Opfer der Ener- umkehrbarer Zustand (Flade 2012). giewende? Falke 63(3): 12-20. Scheller W, Bergmanis U, Meyburg BU, Furkert B , Knack A & Röper S 1999: Raum-Zeit-Verhalten des Schreiadlers Literatur (Aquila pomarina). Acta Ornithoecologica 4: 75-236. DO-G (Deutsche Ornithologen-Gesellschaft) & DDA (Dach- Wendland V 1959: Schreiadler und Schelladler. Aquila poma- verband Deutscher Avifaunisten) 2011: Positionspapier zur rina und Aquila clanga. Neue Brehm-Bücherei 236. A. aktuellen Bestandssituation der Vögel der Agrarlandschaft. Ziemsen, Wittenberg.

Meyburg B-U, Meyburg C & Matthes J (Berlin, Paris/Frankreich, Rostock): Wieviel Fläche benötigt ein Schreiadler Aquila pomarina zum erfolgreichen Brüten – Neue Ergebnisse der GPS-Telemetrie

✉✉Bernd-Ulrich Meyburg, Postfach 330451, D-14199 Berlin, E-Mail: [email protected]

Der Schreiadler ist die gefährdetste deutsche Adler- Raumnutzungsintensität. Es zeigt sich, dass die Größen art und so stark wie keine andere in Deutschland des Streifgebiets (home range) von Paar zu Paar, aber vom Aussterben bedrohte Vogelart in die Mühlen der auch von Jahr zu Jahr bei einzelnen Tieren sehr unter- Energiewende geraten. Angesichts der Seltenheit und schiedlich sind. Gefährdung sowie der Habitatansprüche ist der Schrei- Ferner wurde untersucht, ob telemetrierte Adler adler die einzige Vogelart, für die die Länderarbeitsge- Windparks aufsuchen und wie sie sich dort verhalten. meinschaft der Vogelschutzwarten (LAGVSW) einen Beim derzeitigen Auswertungsstand der Untersuchun- empfohlenen Mindestabstand („Tabubereich“) von 6 km gen ist die Durchsetzung eines Tabubereichs von min- bei Windenergieplanungen nicht zuletzt aufgrund vor- destens 6 km um Schreiadlerbrutplätze bei Windener- angegangener Telemetriestudien der Verfasser verlangt. gieplanungen dringend erforderlich. Aufgrund einer Abstandsregelungen tragen dem Vorsorgeprinzip Rech- kürzlich durchgeführten umfangreichen Schlagopfer- nung. Die Abstandsempfehlungen der LAGVSW dienen studie in Norddeutschland wurde die Verlustrate von als Abwägungsgrundlage in der Regional- und Bauleit- Mäusebussarden errechnet. Da sich beide Arten bei planung sowie in immissionsschutzrechtlichen Verfah- der Nahrungssuche sehr ähnlich verhalten und somit ren der sachgerechten Entscheidungsfindung. Sie sind das Risiko praktisch gleich groß sein dürfte, haben wir als Mindestanforderung zu verstehen. Die Abwägung in einer vergleichenden Betrachtung eine Schlagopfer­ im Einzelfall bleibt bei jedem Vorhaben erforderlich. rate für den Schreiadler von 0,0053 Schreiadler pro Seit 2004 wurden ArgosGPS- und seit 2012 GSMGPS- Windenergieanlage und Jahr errechnet. Geht man von Sender überwiegend bei Alt aber auch Jungadlern ein- dieser Zahl aus, so würde dies bedeuten, dass jährlich gesetzt. Bisher wurden nur Einzelergebnisse publiziert. im Durchschnitt ca. 5,4 adulte Schreiadler-Männchen Diese laufenden Studien dienen u. a. der Verifizierung in Mecklenburg-Vorpommern allein durch Windener- bereits bestehender Abstandsempfehlungen. Für die gieanlagen zu Tode kommen würden, sowie auch deren Berechnung der genutzten Flächen wurden die sog. Junge, also mindestens 10 Individuen. Der jährliche Kernelmethode oder Kerndichteschätzung und die Rückgang der Schreiadlerbrutpaare würde – setzt man Minimum-Convex-Polygon-Methode (MCP) heran- die Modellrechnung als weitgehend realistisch voraus gezogen. Eine Kernel-Darstellung zeigt weitgehend die – beim derzeitigen Bestand an Windenergieanlagen im © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 359

Durchschnitt 2,73 % betragen, d. h. in ca. 37 Jahren sehr wahrscheinlich ein noch früheres Verschwinden wäre der Schreiadler in Mecklenburg-Vorpommern der Art bedeuten würde. Ähnlich liegen die Verhält- ausgestorben. Folgt man den beabsichtigten Planun- nisse in Brandenburg, wenn nicht bestandsunterstüt- gen, so soll sich die Zahl der Windenergieanlagen in zende Maßnahmen und weiterer Schutz vor der neuen den nächsten 20 Jahren verdoppeln, was die Situation Gefahr durch den Waschbär verstärkt durchgeführt für den Schreiadler weiter erheblich verschärfen und werden.

Graszynski K (Berlin): Kann man mit Hilfe automatischer Überwachungskameras auch Schreiadler Aquila pomarina, die keinen Kennring tragen, individuell erkennen?

✉✉Kai Graszynski, Schreberstr. 8A, D-14167 Berlin, E-Mail: [email protected]

Mit Hilfe automatischer sogenannter „Wildkameras“ stellung der höchsten Empfindlichkeit der Infrarot- können Kennringe bei Schreiadler-Zweitjungvögeln Bewegungsmelder. Dies führt natürlich zu einer gro- abgelesen werden, so dass eine Kontrolle der Jungadler ßen Zahl von Aufnahmen (auch Leeraufnahmen), aus in der Freiflug-Phase der Aufzucht mit der Hacking- denen man sich dann die geeignetsten heraussuchen Methode möglich ist (Graszynski et al. 2011). Auch muss. Am besten funktioniert diese Methode Mitte Jungvögel, die im Rahmen des Jungvogel-Managements April, wenn die Adler ausgehungert vom Frühjahrs- in früheren Jahren aufgezogen wurden, lassen sich so zug in den Revieren ankommen. Als Nebeneffekt wird an geeigneten Futterstellen nachweisen. Damit hat sich hierbei möglicherweise auch eine Verbesserung der diese Methode als geradezu essentiell für den Erfolg des Versorgung mit Nährstoffen gerade zu Beginn der Jungvogel-Managements erwiesen. Brutzeit erreicht, die in unseren durch die intensive In der vorliegenden Untersuchung wird geprüft, ob Landwirtschaft, den Energiepflanzen-Anbau und man mit dieser Methode auch Schreiadler ohne Kenn- Entwässerung verschlechterten Schreiadler-Revieren ring individuell erkennen und damit Einblicke in die immer wichtiger wird. Populationsdynamik der Schreiadler-Brutpopulation Es zeigte sich, dass in drei der vier untersuchten gewinnen kann. Hierzu wurden in den Jahren 2012 Reviere im fünfjährigen Untersuchungs-Zeitraum stets bis 2016 jedes Frühjahr (einige auch zusätzlich spä- dieselben Paare anwesend waren und meist erfolgreich ter im Jahr) in vier Schreiadler-Revieren die anwe- zur Brut schritten. In einem Revier wechselte 2015 senden Schreiadler mit automatischen Wildkameras das Weibchen. Dies war deutlich zu erkennen, da das und mit Hilfe von ausgelegten Hühnchen als Köder „neue“ Weibchen neben einem ungewöhnlich hellen erfasst und die morphologischen Unterschiede der Kopf helle Augen zeigte, das „alte“ dagegen insgesamt einzelnen Individuen registriert. In allen vier Revie- dunkler war und braune Augen hatte. Zugleich stellte ren gelang auch die Darstellung beider Partner eines sich nach drei erfolglosen Brutjahren 2015 hier wieder Paares gemeinsam auf einem Foto, so dass auch die Bruterfolg ein. Das Männchen war vor allem an einer Unterscheidung der Geschlechter nach der Größe um die Pupille kreisförmig angeordneten charakte- möglich war. Als zuverlässigstes Merkmal zur Unter- ristischen graubraunen Zeichnung der Iris in allen scheidung der einzelnen Adler erwies sich Farbe und fünf Beobachtungsjahren als identisch erkennbar. Struktur der Augen und z. T. Eigentümlichkeiten des Nach Meyburg et al. 2005 und mittlerweile allgemein Gefieders. Mit dieser Methode ist es möglich, die Indi- akzeptiert sind Schreiadler-Weibchen frühestens mit viduen in den meisten Revieren zu unterscheiden und vier und Männchen mit fünf Jahren geschlechtsreif. Schlüsse auf Partner- (bzw. Orts) Treue zu ziehen. Die Da sieben der acht kontrollierten Schreiadler seit 2012 Schwierigkeiten liegen hierbei in der Abhängigkeit von gebrütet haben, müssten sie 2016 mindestens 10 Jahre günstigen Lichtbedingungen für die Fotos, sowie in alt gewesen sein. Dies unterstützt die Auffassung, dass der Qualität der kleinen Kamera-Objektive, die nicht Schreiadler nach den verlustreichen Jungvogel-Jahren immer alle Struktur-Feinheiten erkennen ließen und als Adulte eine relativ hohe Lebenserwartung haben aufgrund der kurzen Brennweite zwar keine Fokus- (Langgemach et al.2011, Meyburg et al.2009). Hierbei sierung erfordern, jedoch verzeichnen, so dass Grö- sind jedoch „neue“ Negativfaktoren, wie Abschuss auf ßenvergleiche zur Geschlechtsbestimmung schwierig den Zugwegen, Todesfälle durch technische Einrich- sein können. Es wurde versucht, dem durch Erhöhung tungen, wie Windkraftanlagen, Leitungen, Fahrzeuge der Anzahl von Aufnahmen zu begegnen, durch Ein- etc., Gefahren, die laufend zunehmen, nicht berück- © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

360 Symposium „Schreiadler“ • Vorträge sichtigt. Rückschlüsse auf mögliche Entwicklungs- Graszynski K, Langgemach T, Meyburg BU, Sömmer P, Berg- bedingte Farbveränderungen im Gefieder ließen sich, manis U, Hinz A, Börner I & Meergans M 2012: Jungvogel- vor allem auch wegen der begrenzten Qualität der Auf- management beim Schreiadler. In: Kinser A & v. Münch- nahmen, nicht sicher schließen. Jedenfalls waren keine hausen H (Hrsg) Der Schreiadler im Sturzflug – Erkennt- für Jungvögel charakteristischen Gefiedermerkmale nisse und Handlungsansätze im Schreiadlerschutz: 74-85. Deutsche Wildtier Stiftung, Hamburg. feststellbar und mehrere Individuen behielten braune Langgemach T & Böhner J 2011: Modellierung der Popula- Augen, was früher als Merkmal für junge Schreiadler tionsdynamik des Schreiadlers Aquila pomarina in Bran- galt, bis zum Schluss. denburg: Welchen Effekt haben Jahre mit extrem niedriger Reproduktion? Vogelwelt 132:93-100. Literatur Meyburg BU, Bělka T, Danko S, Wójciak J, Heise G, Blohm Danko S, Meyburg BU, Bělka T & Karaska D 1996: Individuelle T & Matthes H 2005: Geschlechtsreife, Ansiedlungsentfer- Kennzeichnung von Schreiadlern Aquila pomarina: Metho- nung, Alter und Todesursachen beim Schreiadler Aquila den, bisherige Erfahrungen und Ergebnisse. In: Meyburg pomarina. Limicola 19:153-179. BU & Chancellor D (Hrsg) Eagle studies: 209-243. WWGBP, Meyburg BU & Meyburg C 2009: Todesursachen von Schrei- Berlin, London & Paris. adlern. Der Falke 56: 382-388.

Stubbe M & Stubbe A (Halle/Saale): Der Schreiadler Aquila pomarina in Sachsen-Anhalt

✉✉Michael und Annegret Stubbe, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Institut für Biologie, Bereich Zoologie, Domplatz 4, D-06099 Halle/Saale, E-Mail: [email protected]

Erste Nachweise des Schreiadlers aus dem Mittelelbe- gefunden. Junghasen Lepus europaeus und Feldhams- Gebiet von Sachsen-Anhalt gehen auf Mitte des 19. Jh. ter Cricetus cricetus gehören in das Beutespektrum, die zurück, wo die Art bis Anfang der 1930er Jahre brütete. Feldmaus Microtus arvalis ist jedoch das wichtigste Zwischen 1965 und 1975 gelangen dort im Lödderit- Beuteobjekt. Als größte Schlagopfer unter den Vogel- zer Forst erneut Brutnachweise. Aus dem nördlichen arten wurden Haustauben Columba livia f. domestica Harzvorland war die Art zwischen 1870 und 1930 aus ermittelt. dem Fallstein, dem Hohen Holz und Drömling bekannt. Der Lebensraum in der Magdeburger Börde unter- Seit 1979 ist der Schreiadler Brutvogel im 1.300 ha gro- scheidet sich grundlegend von jenen in Nordostdeutsch- ßen Laubmischwald Hakel am Rande der Magdeburger land und dem Elbegebiet. In der intensiv genutzten und Börde. Es ist der zurzeit westlichste Vorposten im Areal Gewässer armen Agrarlandschaft dominieren von einst der Art. 1990 gelang der Brutnachweis in einer weiteren über 30 Kulturpflanzenarten seit Beginn der 1990er Waldinsel der Magdeburger Börde, dem Hohen Holz. Jahre nur noch fünf bis sechs, darunter Mais, Raps, ver- Bis 2015 wurden im Hakel auf 43 verschiedenen Bäu- schiedene Wintergetreide, Zuckerrüben und Kartoffeln. men (34 × Eiche, 6 × Rotbuche, 2 × Linde, 1 × Lär- Das Offenland ist ab Mitte Mai zu 70 bis 80 % weitge- che) 76 Bruten registriert, darunter 40 erfolgreiche hend dem Zugriff der Greife auf Beute entzogen. Weitere (52,6 %). Zwischen 1993 und 2001 wurden jährlich anthropogene Störgrößen sind zahlreiche Windparks, drei bis vier Bruten erfasst. Die mittlere Entfernung z. T. weit unter der geforderten Mindestentfernung von zwischen zwei Schreiadlerhorsten betrug 2,3 km 6 km von Schreiadlerbrutplätzen. Zur Minimierung des (1,5 bis 2,55 km). In erster Linie werden Waldränder Gefährdungspotentials gehören Horstschutzzonen, die bis in eine Tiefe von 250 m besiedelt (Ausnahme bis mindestens fünf Jahre nach Ausblieben einer Brut von 900 m). Von 47 Bruten wurde die Gelegegröße bekannt der Forstwirtschaft zu respektieren sind. Mit Kunststoff- (28 × 2, 18 × 1 und 1 × 3 Eier). Potentielle Prädatoren manschetten werden gegenwärtig die Horstbäume im des Schreiadlers im Hakel waren/sind Baummarder unteren Stammbereich ummantelt, um Waschbären den Martes martes, Waschbär Procyon lotor und Habicht Aufstieg zu verwähren. Ein erprobtes Management zur Accipiter gentilis. Die Analyse von Beuteresten aus Aufzucht von zwei Jungvögeln sollte künftig auch in Horsten erbrachte 89 % Säugetiere, 11 % entfielen auf Sachsen-Anhalt in Erwägung gezogen werden, um eine Vögel. In Gewöllen wurden auch Reste von Laufkäfern arg bedrohte Art im Bestand zu fördern. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 361

Themenbereich „Physiologie, Morphologie, Biogeographie“

• Vorträge

Tietze DT, Koglin S & Wink M (Heidelberg): Liegt der Anpassung von Singvögeln an das Stadtleben eine veränderte Genexpression zugrunde?

✉✉Dieter Thomas Tietze, IPMB und Heidelberg Center for the Environment, Universität Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 364, D-69120 Heidelberg, E-Mail: [email protected]

Die Urbanisierung der Landschaft birgt durch die Anwe- novo die passenden Referenztranskriptome gebildet und senheit von Menschen, Lärm, Licht, Schadstoffen und annotiert haben. vielen anderen Einflüssen zahlreiche neue Herausforde- Mit diesen annotierten Referenztranskriptomen und rungen für Vögel. Aus diesen Herausforderungen können den bis jetzt zur Verfügung stehenden Daten können phänotypische Anpassungen erfolgen, die bereits von vie- nun erste Abschätzungen zu differenziell exprimierten len Autoren nachgewiesen und erläutert wurden (Gil & Genen oder unterschiedlich häufig auftretenden Merk- Brumm 2014). Ein zugrundeliegender Mechanismus sol- malen wie biologische Prozesse, molekulare Funktionen cher Anpassungen kann, neben genetischen Mutationen, oder zelluläre Komponenten gemacht werden. Daraus eine veränderte Genexpression darstellen. Es bietet sich können Hypothesen erstellt werden, die zukünftig also an, die Genexpression von Vogelpopulationen, die anhand der hier annotierten Referenztranskriptome der sich im urbanen Raum etabliert haben, mit der Genex- Amsel und der Kohlmeise mit statistisch belastbaren pression von ruralen Vogelpopulationen zu vergleichen. differenziellen Genexpressionsanalysen untersucht wer- Zu diesem Zweck wurde je eine männliche Amsel den können. Somit legt diese Arbeit einen Grundstein Turdus merula und Kohlmeise Parus major in der zum Verständnis der Mechanismen bei der Verstädte- Stadt Heidelberg und im Odenwald gefangen. Aus den rung von Singvögeln. Geweben wurde die mRNA und mittels Next Gene- ration Sequencing (RNASeq) sequenziert. Zu diesen Literatur Arten liegen allerdings noch keine annotierten Refe- Gil D & Brumm H 2014: Avian urban ecology: behavioural and renzgenome bzw. -transkriptome vor, so dass wir de physiological adaptions. Oxford University Press, Oxford.

Albrecht F & Töpfer T (Bonn): Morphologische Charakterisierung und systematisches Auftreten lateraler Apterien am Vogelkopf

✉✉Frederik Albrecht, Theodor-Litt-Straße 39, D-53121 Bonn, E-Mail: [email protected]

Vögel in tropisch-heißen bis ariden Lebensräumen das isolierende Gefieder kommt den Kopf-Apterien eine haben verschiedene physiologische Anpassungen möglicherweise hohe Bedeutung für die Regulierung und Verhaltensstrategien entwickelt, um Hitzestress der Körpertemperatur zu. Das Freilegen unbefiederter zu entgehen. Eine dieser Anpassungen, die bisher Hautbereiche am Kopf könnte somit eine relativ ein- kaum untersucht wurde, ist die Abgabe überschüssi- fache Methode sein, um insbesondere das Gehirn vor ger Körperwärme über exponierte Oberflächen der Überhitzung zu schützen. Gesichtshaut und seitlichen Kopf-Apterien (apteria Dieser Beitrag stellt Ergebnisse einer Studie zur Mor- temporalia). Solche unbefiederten Hautbereiche tau- phologie und zum Vorkommen lateraler Apterien am chen bei Vögeln in verschiedenen Ausprägungen auf, Vogelkopf vor. Dazu wurden an Präparaten aus orni- von kräftig gefärbten und gut sichtbaren Hautstellen thologischen Sammlungen die Ausprägung bzw. die bis hin zu unauffälligen Bereichen nackter Haut, die Größe der Kopf-Apterien untersucht. Die so gewon- vom Nachbargefieder verdeckt werden. Besonders im nenen Daten dienen als Basis für die phylogenetische, Hinblick auf die ausgedehnte Körperbedeckung durch geographische und klimatische Interpretation dieses © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

362 Themenbereich „Physiologie, Morphologie, Biogeographie“ • Vorträge

Merkmals und seiner Ausprägungszustände. Im Vor- Zusammenfassend liefert dieses Projekt einen wichtigen trag werden schließlich verschiedene Hypothesen zum theoretischen Hintergrund für weitere empirische Stu- evolutionären Ursprung dieses Merkmals sowie mög- dien, um ökophysiologische Anpassungen von Vögeln liche Besiedlungsszenarien arider Habitate diskutiert. auch in evolutionärer Hinsicht besser zu verstehen.

Päckert M, Martens J, Sun YH, Renner S & Strutzenberger P (Dresden, Mainz, Peking/China, Wien/ Österreich): Differenzierungszentren und phylo-geographische Muster an den Rändern des Tibet-Plateaus

✉✉Martin Päckert, Senckenberg Naturhistorische Sammlungen Dresden, E-Mail: [email protected]

Tibet ist das größte und höchstgelegene Plateau der Den „ältesten Tibeter“ innerhalb der Passeroidea stellt Welt und umfasst mit seinen Ausläufern eine Fläche der Rosenschwanzgimpel Urocynchramus pylzowi dar, von 2,3 Millionen km². Die Gebirgswälder an seinen der sich bereits vor etwa 25 Millionen Jahren im ausge- Süd- (Himalaya) und Osträndern zählen zu den arten- henden Oligozän von seinen nächsten Verwandten den reichsten Regionen der Nordhalbkugel. Dort erstrecken Webervögeln und Prachtfinken abgespalten hat. An den sich auf engstem Raum über lokale Höhengradienten Rändern des Tibet-Plateaus lassen sich in vielen Sing- von nur wenigen Kilometern unterschiedliche Vegeta- vogelgattungen deckungsgleiche phylogeographische tionsgürtel vom subtropischen immergrünen Laubwald Muster erkennen. Dazu gehören Ost-West Disjunkti- am Fuß der Berge über die gemäßigten Nadel- und onen im Himalaya oder Nord-Süd Disjunktionen im Mischwälder unterhalb der Baumgrenzen und den halb- Hengduanshan-Gebirgszug und den weiter nördlich offenen Buschlandschaften oberhalb bis zu den alpinen angrenzenden Gebirgen in China. Am Südostrand des Lebensräumen. Insbesondere in den Waldbiotopen ist Tibet-Plateaus und südwärts in Richtung der Gebirge die Artenvielfalt im Himalaya und den angrenzenden Nord-Myanmars lässt sich eine breite Übergangszone Gebirgszügen im Osten für fast alle Organismengrup- der Avifaunen des Himalaya und Indochinas erkennen. pen sehr hoch. Für die Passeroidea lassen sich anhand Hier liegen die Regionen größten Artenreichtums im phylogenetischer Analysen geographische Differen- Ost-Himalaya und den angrenzenden Gebieten in zierungszentren in der Tibet-Plateau-Region ausma- Yunnan und Nord-Myanmar mit bislang unerkannten chen, von wo aus sich Arten über die Plateau-Region kryptischen Arten (Biodiversitäts-Hotspot). Für deren hinaus ausbreiteten (z. B. Schneesperlinge und Stein- Erkennung spielen außer klassisch morphologischer sperlinge). Vertreter anderer Artengruppen wander- Techniken genetische und bioakustische Herangehens- ten aus benachbarten Diversifizierungszentren in die weise eine herausragende Rolle. Plateau-Region ein, z. B. Braunellen aus der Nordost- Diese Studie erhielt eine dreijährige Förderung Paläarktis. Der zeitliche Ursprung dieser Radiationen durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG liegt für die untersuchten Zielartengruppen einheitlich (PA1818/31). J. M. wurde von der Feldbausch-Stiftung, im mittleren Miozän vor 15 bis 10 Millionen Jahren. Fachbereich Biologie, Universität Mainz, gefördert. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 363

• Poster

Stiels D, Schidelko K, Brambilla M, Engler JO, Quillfeldt P & Strubbe D (Bonn, Trient/Italien, Gent/Belgien, Göttingen, Gießen, Kopenhagen/Dänemark, Antwerpen/Belgien): Artverbreitungsmodelle in der Ornithologie – Stand der Forschung, Herausforderungen und Ausblick

✉✉Daniel Stiels, Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig Adenauerallee 160, D-53113 Bonn, E-Mail: [email protected]

In den letzten Jahren haben sogenannte Artverbrei- von Vögeln. Wir gehen auf Fallbeispiele ein und disku- tungsmodelle (species distribution models = SDMs) in tieren die besonderen Herausforderungen und Mög- der ornithologischen Forschung enorm an Bedeutung lichkeiten von Vogel-SDMs wie die hohe Mobilität gewonnen. Eine Vielzahl von Vogelarten und orni- und das Vorhandensein saisonaler Nischen, die bei thologischen Themen waren dabei Gegenstand von Vögeln wohl wie bei nur wenigen anderen Artengrup- Analysen. Mittlerweile hat diese Methodik so umfas- pen in einen Gesamtkontext gesetzt werden können. sende Anwendungsmöglichkeiten gefunden, dass wir Da wir damit dennoch weiteren relevanten Aspekten dies zum Anlass genommen haben, einen aktuellen von Vogel-SDMs natürlich nur unzureichend gerecht Überblick über einige Schwerpunktbereiche ornitholo- werden können, befindet sich momentan ein Sonder- gischer Artverbreitungsmodelle zu geben. Gegenstand heft des „Journal of Avian Biology“ in Vorbereitung. einer aktuellen Übersicht sind daher insbesondere Darin werden weitere Übersichtsartikel und zahlreiche Anwendungen von SDMs aus den Bereichen 1) Vogel- Anwendungsbeispiele Platz finden. Wir hoffen auf eine schutz, 2) nicht-heimische Vogelarten, 3) Seevögel interessierte Leserschaft und würden uns über Rück- sowie 4) Diversitätsmuster und 5) Nischenevolution meldungen freuen.

Oelke H (Göttingen): C14-Datierung von Adéliepinguinen Pygoscelis adéliae im Ross Meer Sektor der Antarktis (Cape Crozier)

✉✉Hans Oelke, Johann Friedrich Blumenbach-Institut für Zoologie & Anthropologie, Georg-August-Universität Göttingen, E-Mail: [email protected]

Bei dem Forschungsaufenthalt in der Pinguingroßko- Jahren vor 1950, d. h. sie stammen aus dem Zeitraum lonie Cape Crozier (77°28´00´´S, 169°19´00´´E) im von 675 bis 1350. Die Altersbestimmung verlegt somit Australsommer 1970/1971 (Oelke 1975) hatte ich die die Brutstätten der Pinguine weit in historische Zei- Möglichkeit, oberflächennahe gefriergetrocknete Kör- ten zurück. Sie wirft allerdings viele weitere Fragen auf perreste von Pinguinen eines unbekannten Massen- (erste Besiedlung der Antarktis durch Pinguine, klima- sterbens und Knochenreste von Pinguinen aus ober- tologische, geologische Einflüsse). Die Literaturabwä- flächennahen Sedimentschichten der Strandterrasse gungen konnten aus vielen Gründen (berufliche, poli- zur Radiokarbon-Datierung an die Bundesanstalt für tische Verpflichtungen) nicht weiter verfolgt werden. Bodenforschung, damals das Niedersächsische Landes- Sie mögen wegen der zwischenzeitlich fortgeschrittenen amt für Bodenforschung nach Hannover (Labor Prof. Forschungen auch Lösungen näher gebracht worden A. Mebus Geyh) zu überführen. Um Störungen durch sein. Die USA Station Cape Crozier ist allerdings seit den radioaktiven Fallout der Atomwaffenversuche um mehr als 20 Jahren geschlossen. 1950 auszuschließen, stellte uns das British Museum Unter Danksagung der DFG, der NSAP USA Washing- in London einige Adéliepinguine aus den Antarktis- ton, dem Alfred Wegener Institut für Polar- und Meeres- expeditionen von Captain F. Scott 1902 und 1905 zum forschung, dem Institute for Polar and Marine Research, Vergleich zur Verfügung. Bremerhaven, Dr. Plötz und Dr. Ulrich Wirth, Insti- Die Untersuchung in der Bundesanstalt ergab für die tut f. Biologie & Zoologie, Universität Freiburg. Cape Crozier-Pinguinproben ein Alter 600 bis 1275 Das Poster ist meinem Cape Crozier Kollegen und © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

364 Themenbereich „Physiologie, Morphologie, Biogeographie“ • Poster

Freund Prof. Dr. Roberto Schlatter gewidmet, der nach Oelke H 1975: Breeding behaviour and success in a colony langer Krankheit am 30.5.2016 in Valdivia, Chile verstarb. of Adélie penguins Pygoscelis adėliae at Cape Crozier, Ant- arctica. In: Stonehouse B (Hrsg) The Biology of Penguins. MacMillan, London, New York, Johannesburg, Madras: Weiterführende Literatur 363-395. Harkness LD 1979: Radiocarbon dates from Antarctica. Brit. Spellenberg IF 1970: Abandonned penguin rookeries near Antarct. Surv. Bull. 47: 43-49. Cape Royds Ross Island Antarctica and carbon14 dating Harrington HJ & Mckellar IC 1958: A radiocarbon date for pen- of penguin remains. NZJ Sci. 13: 380-385. guin colonisation of Cape Hallet. NZJ Geophys 1: 571-576. Stonehouse B 1970: Recent climatic change in Antarctica sug- Hebert D 1980: Kohlenstoff-14-Datierung antarktischer Pin- gested from carbon-14 dating of penguin remains. Palaeo- guinbrutstätten. Beitr. Vogelk. 26: 335-341. geographic Palaeoeclimatol.4:341-343.

Woog F, Köhn S, Pollmann M & Weinhardt M (Stuttgart): Bauchgefiederfärbung bei Graugänsen – ein Merkmal für die Altersbestimmung?

✉✉Friederike Woog, Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart, Rosenstein 1, D-70191 Stuttgart, E-Mail: [email protected]

Graugänse Anser anser sind am Bauch unterschied- Fangs Fotos von den Unterseiten der Tiere angefertigt. lich stark gefleckt. Manche Autoren vermuten, dass Mit einem am Museum entwickelten Computerpro- der Grad der Fleckung als Merkmal für die Altersbe- gramm wurde der prozentuale Anteil der Flecken auf stimmung der Gänse verwendet werden könnte. Dies den Fotos der Gänsebäuche ermittelt. Das Alter der wurde im Rahmen eines langfristigen Beringungs- Gänse war zum Teil durch die Beringung als Gössel projekts an Graugänsen in Stuttgart untersucht. Der bekannt, das Geschlecht wurde am Verhalten oder mehrmalige Fang des gleichen Individuums über die molekulargenetisch bestimmt. Wir präsentieren erste Jahre ermöglichte, die Entwicklung der Bauchgefie- Ergebnisse unserer Analysen und diskutieren ob die derfärbung mit zunehmendem Alter zu verfolgen. Fleckung primär vom Alter abhängig ist oder indivi- Dazu wurden zwischen 2012 und 2016 während des duell variiert.

Abb. 1: Analysemethode der Bauchbefiederung der Gans: Abb. 2: Bauchflecken einer Gans im 4. Jahr. Hierbei wurde eine Ellipse um den zu untersuchenden Bereich gesetzt und die Schwarzen Punkte makiert. Das Programm errechnete dann den prozentualen Anteil der Flecken. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 365

Themenbereich „Verhalten“

• Vorträge

Schulze CH, Dabitz NR, Flieder M, Polleres T & Wimmer S (Wien/Österreich): Nehmen Blüten besuchende Kolibris Ansitzjäger wie Schlangen und Gottesanbeterinnen als potenzielles Prädationsrisiko wahr?

✉✉Christian H. Schulze, Department of Botany and Biodiversity Research, University of Vienna, Rennweg 14, D-1030 Vienna, Austria, E-Mail: [email protected]

Vögel wie Kolibris, welche auf Nahrungsquellen angewie- mit einem neuen, aber ungefährlichen Objekt eine sen sind, die sie relativ vorhersagbar regelmäßig aufsu- ähnliche Reaktion wie gegenüber einem potenziel- chen, sind potenziell eine attraktive Beute für Ansitzjäger. len Prädatoren auslöst. Kolibris reagierten sehr stark In dieser Untersuchung wurde experimentell getestet, auf die Prädatoratrappen, wohingegen eine nur sehr ob Blüten besuchende Kolibris Schlangen und große schwache Reaktion gegenüber an den Versuchspflan- Gottesanbeterinnen als potentielles Prädationsrisiko zen angebrachten Taschentüchern beobachtet werden wahrnehmen. Bisher sind nur anekdotische Beobach- konnte. Zudem war die Verhaltensantwort deutlich tungen überliefert, dass Kolibris von diesen Prädatoren stärker bei Konfrontation mit Schlangen als gegen- an Nektarquellen erbeutet werden. Unklar bleibt jedoch, über Gottesanbeterinnen. Nur kleinere Kolibriarten, ob derartige Prädationsereignisse häufig genug auftre- die potenziell eher in das Beutespektrum von großen ten, um eine Selektionsdruck in Richtung einer schnellen Mantiden fallen könnten, reagierten ähnlich heftig auch Erkennung dieser Prädatoren zu bewirken. auf diese Attrappen. Das oftmals sofortige Erkennen der Um dies zu untersuchen, wurden im pazifischen Tief- Attrappen sowie die zum Teil sehr starken Reaktionen land Costa Ricas Freilandexperimente mit an Blüten (hektischer Schwirrflug, komplettes Aufspreizen des exponierten Attrappen beider Prädatoren durchgeführt. Schwanzes, Einstellen jeglicher Blütenbesuchsaktivität) Als Kontrolle dienten nichtmanipulierte Nektarquellen gegenüber den exponierten Prädatoren deuten auf ein und solche, an denen Taschentücher angebracht waren. bisher unterschätzes Prädationsrisiko für Kolibris durch Dadurch konnte getestet werden, ob die Konfrontation solche Ansitzjäger hin.

Unsöld M & Fritz J (München, Mutters/Österreich): Artenschutzprojekt Waldrappteam: Potenzial und Risiken von Prägung als Methode für den Artenschutz

✉✉Markus Unsöld, Zoologische Staatssammlung München, Münchhausenstraße 21, D-81247 München, E-Mail: [email protected]

Als Prägung bezeichnet man Lernvorgänge, die nur in als „auf den Menschen fehlgeprägt“. Deshalb treten bei einem bestimmten Zeitfenster (sensible Phase) statt- verschiedenen Projekten die Personen nur verdeckt auf finden können, und ohne dass dabei Belohnung oder und es wird mit Attrappen gearbeitet. Andererseits kön- Bestrafung eine Rolle spielen. Insofern unterscheidet nen Prägungsvorgänge auch eine wichtige und zent- sich Prägung grundlegend von anderen Lernformen. rale Methode bei Artenschutzprojekten sein. So wird Zudem gelten Prägungsvorgänge als irreversibel, durch im Rahmen des LIFE+ Projekts zur Wiederansiedlung sie Gelerntes wird lebenslang behalten bzw. die erwor- der Waldrappe in Europa (www.waldrapp.eu) die Prä- benen Auslöser werden bevorzugt. gung auf den Menschen im Rahmen der Handaufzucht Bei vielen Wiederansiedlungsprojekten spielen Prä- gezielt eingesetzt (Lingenhöhl 2010). Allerdings ist es gungsvorgänge eine wichtige Rolle. Von menschlichen wesentlich, insbesondere die beiden bei der Aufzucht Zieheltern aufgezogene Tiere gelten oftmals pauschal wichtigsten Prägungsformen zu unterscheiden: © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

366 Themenbereich „Verhalten“ • Vorträge

Abb. 1: Anne-Gabriele Schmal- stieg in der Rolle der „individu- alisierten Ziehmutter“ bei der Aufzucht von Waldrappen. Foto: D. Zupanc

Die Küken vieler Vogelarten verfügen über kein Spiegeln sexuelle Fehlprägungen zu vermeiden. Bei der angeborenes Erscheinungsbild ihrer Eltern, sondern Aufzucht von Arten, die in Geschwistergruppen auf- müssen sie nach dem Schupf erst kennenlernen. Diese wachsen, wie z. B. bei Gänsen oder auch dem Waldrapp, sogenannte Nachfolge- oder Elternprägung muss bei erfolgt in der Regel keine sexuelle Fehlprägung. Von den Nestflüchtern innerhalb der ersten Stunden nach dem über 150 im Rahmen des Wiederansiedlungsprojektes Schlupf erfolgen (akustisch evtl. bereits im Ei begin- handaufgezogenen Waldrappen haben sich alle Vögel, nend), bei Nesthockern wie dem Waldrapp Geronti- die die Geschlechtsreife erreichten, ausschließlich mit cus eremita kann sie sich über mehrere Tage oder gar Artgenossen verpaart. Wochen ziehen. Die Elternprägung bezieht sich auf ein „Individualisierte Zieheltern“ (Abb. 1) bieten gegen- oder wenige Individuen, nicht auf die Art. Die Rolle über „verdeckten Zieheltern“ mehr Reize für die Tiere der Eltern können auch Individuen einer völlig anderen (leichtere Erkennung ihrer Bezugspersonen), erlauben Art einnehmen, auch menschliche Zieheltern, wobei eine einfachere physische und psychische (z. B. Groo- der Prägungsvorgang sich dann nicht, wie teils ange- ming) Versorgung und ermöglichen eine enge Bindung nommen wird, auf Menschen per se bezieht, sondern zu den Zieheltern, die noch lange nach der Aufzucht für der Eigenart der Nachfolgeprägung entsprechend ganz Monitoringmaßnahmen genutzt werden kann. Ein gro- individuell auf diese Zieheltern. Bei einigen Arten hält ßer Nachteil ist der kaum mögliche Ersatz beim Ausfall die Bindung zu den Eltern über die Aufzuchtphase an, der Zieheltern. etwa bei der Graugans Anser anser (Lorenz 1988); auch Eine der jeweiligen Art angepasste Handaufzucht handaufgezogene Waldrappe bleiben gegenüber ihren bietet vielfältige Möglichkeiten für den Artenschutz: menschlichen Zieheltern sehr vertraut, selbst wenn sie • Wiederansiedlung im Freiland verschwundener bereits verpaart sind, und unterscheiden sie zuverläs- Arten, z. B. Kalifornischer Kondor Gymnogyps cali- sig von anderen Menschen. Dies ermöglicht spätere fornianus. Monitoringmaßnahmen wie z. B. den Austausch der • Stützung von Beständen ziehender Arten, z. B. Schrei- Senderakkus. kranich Grus americana. Als sexuelle Prägung bezeichnet man die Aneignung • Tradierung von Migrationsrouten durch menschen- von Kenntnissen über adäquate Sexualpartner; sie legt geleitete Migrationen bei kontinental oder gar welt- fest, zu welcher Art gehörig sich das Individuum fühlt. weit ausgestorbenen Zugvögeln, z. B. Waldrapp. Eine Besonderheit der sexuellen Prägung ist der große Mit 50 % Unterstützung des Finanzierungsinstru- zeitliche Abstand zwischen dem Prägungsvorgang und ments LIFE der Europäischen Union (LIFE+12-BIO_ der Ausführung der zugehörigen Verhaltensweisen. So AT_000143, LIFE Northern Bald Ibis). kann es bei einzeln aufgezogenen Jungtieren zu Fehl- prägungen kommen, die aber erst beim geschlechts- Literatur reifen Tier erkennbar sind. Besonders Vogelarten, die Lingenhöhl D 2010: Vogelwelt im Wandel. Trends und Pers- natürlicherweise als „Einzelkinder“ aufwachsen wie pektiven. WILEY-VCG, Weinheim. große Greife, aber auch Kraniche, sind dafür besonders Lorenz K 1988: Hier bin ich – wo bist du? Ethologie der Grau- anfällig. Bei ihnen versucht man mit Handpuppen und gans. Piper, München. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 367

Schäfer JE, Janocha MM, Klaus S & Tietze DT (Frankfurt am Main, Heidelberg): Einflüsse auf den Gesang dreier häufiger Singvogelarten in Frankfurt am Main

✉✉Dieter Thomas Tietze, IPMB und Heidelberg Center for the Environment, Universität Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 364, D-69120 Heidelberg, E-Mail: [email protected]

Wir wollten überprüfen, ob Ergebnisse früherer Studien Wir diskutierten, wieso die Urbanität und der Umge- unter anderem zur Gesangsanpassung an Umgebungs- bungslärm keinen Effekt auf die Gesangsvariablen hatten lärm (Slabbekoorn & Peet 2003; Brumm 2004) auch für und stellten Ideen vor, wie das Wetter Gesangsmerkmale die Großstadt Frankfurt am Main gezeigt werden können. beeinflussen kann. Wir schlagen vor, dass vergleichbare Ergänzend entwickelten wir einen kontinuierlichen Urba- Studien in weiteren Großstädten durchgeführt und dass nitätsgradienten (Ziege et al. 2015) mithilfe von Haupt- vorherige Studien wiederholt werden, um eine fortge- komponentenanalysen zur Untersuchung der Variabilität schrittene Anpassung an die Bedingungen der Stadt im von Gesangsmerkmalen entlang von Urbanität. Erstmals Vergleich zu früheren Jahren zu überprüfen. Zuletzt studierten wir auch den Einfluss von verschiedenen Wet- empfehlen wir, Wetterparameter in künftigen Studien zu termerkmalen auf Gesangsparameter. Dafür nahmen wir berücksichtigen und den Effekt meteorologischer Varia- den Gesang von drei häufigen Singvogelarten – Blau- blen auf Tonausbreitung und somit auf den Vogelgesang meise Cyanistes caeruleus, Kohlmeise Parus major und weiter zu untersuchen. Amsel Turdus merula – auf. Wir vermaßen verschiedene Gesangsmerkmale und führten statistische Analysen und Modellierungen entlang einer Vielzahl erklärender Varia- Literatur blen durch, darunter die Urbanitäts- und Wetterparame- Slabbekoorn H & Peet M 2003: Birds sing at a higher pitch in ter. Erstaunlicherweise fanden wir keine Korrelationen urban noise. Nature 424: 267. mit Urbanitätsparametern, insbesondere keine mit dem Brumm H 2004: The impact of environmental noise on song amplitude in a territorial bird. Journal of Animal Ecology Umgebungslärm. Dagegen fanden wir viele Korrelatio- 73: 434-440. nen mit Wetterparametern, die meisten mit Luft- und Ziege M, Brix M, Schulze M, Seidemann A, Straskraba S, Bodentemperaturen, aber auch einige mit dem Luftdruck Wenninger S, Streit B, Wronski T & Plath M 2015: From und der relativen Luftfeuchtigkeit. multifamily residences to studio apartments: shifts in bur- Unsere Ergebnisse zeigen, dass Vögel ihren Gesang row structures of European rabbits along a rural-to-urban unterschiedlich an die Wetterbedingungen anpassen. gradient. Journal of Zoology 295: 286-293.

• Poster

Böhm F, Schwarz D, Massen JJM & Bugnyar T (Grünau/Österreich, Graz/Österreich, Wien/Österreich): Meat and greed – effect of pair bond quality on breeding success in Corvus corax and Corvus corone

✉✉Friederike Böhm, Grünau/Österreich, E-Mail: [email protected]

Partnerschaften über eine komplette Brutsaison oder gar Raben- und Nebelkrähe C. corone & C. cornix). Dazu über mehrere Jahre hinweg sind bei vielen Vogelarten wurden sämtliche affiliative, agonistische und selbstbe- verbreitet. Das gemeinsame Aufziehen der Jungen erhöht zogene Verhaltensweisen der Paarpartner von jeweils die Überlebenschancen des Nachwuchses und damit den sieben Raben- und sechs Krähenpaaren in Käfighaltung reproduktiven Erfolg der Eltern. Es gibt einige Hinweise aufgenommen. Genannte Verhaltensweisen zwischen darauf, dass Unterschiede in der Qualität der Paarbin- den Partnern wurden zusätzlich in einem experimen- dungen Variationen im Bruterfolg voraussagen können. tellen Teil untersucht, ebenso wie Toleranz und Koor- Der Fokus dieser Studie liegt auf der Paarbindungs- dination um eine Nahrungsquelle herum. Dafür wurde Qualität und deren Einfluss auf den Bruterfolg am Bei- hoch attraktives Futter entweder auf einer Seite oder spiel zweier monogam lebender Corviden-Arten: Kolk- auf zwei Seiten der Voliere platziert, welches sich ein- rabe Corvus corax und Aaskrähe (genauer: Hybride aus fach entnehmen ließ oder am Untergrund befestigt war. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

368 Themenbereich „Verhalten“ • Poster

Damit gelang es, den Grad der Monopolisierbarkeit des tungen noch andauern. Die ersten Ergebnisse deuten Futters zu verändern. Beobachtungen und Experimente darauf hin, dass es keinen Artunterschied bezüglich der wurden während allen Reproduktionsphasen, von März Toleranz an einer Futterquelle gibt. Auch gibt es bisher bis Juli 2016, durchgeführt. Weiterhin gab es im August keinen signifikanten Unterschied zwischen Brutpaaren eine Vergleichsphase nach dem Entfernen der Jungen und Nichtbrütern in Bezug auf Toleranz am Futter. Bei aus den Volieren. der Monopolisierbarkeit des Futters gibt es allerdings Im Poster werden nur vorläufige Ergebnisse aus zwei artübergreifend einen starken Geschlechter-Effekt zu von vier Versuchsphasen präsentiert, da die Auswer- Gunsten der Männchen.

Mendel B, Peschko V & Garthe S (Büsum): Offshore Windparks: Himmel oder Hölle für Helgoländer Brutvögel? Erste Ergebnisse des Projektes HELBIRD

✉✉Bettina Mendel, Hafentörn 1, D-25761 Büsum, E-Mail: [email protected]

In den letzten zwei Jahren sind alle drei genehmig- u. a. digitale Erfassungsflüge während verschiedener ten Windparks nördlich von Helgoland in Betrieb Jahreszeiten durchgeführt. Dabei wird das Vogel- und gegangen. Sie befinden sich in einer Entfernung von Säugervorkommen innerhalb der Windparks und bis zu 20-40 km nordwestlich von Helgoland und liegen einem Umkreis von ca. 10 km um die Windparks herum somit in einem Bereich, der von Helgoländer Brut- erfasst. Die Analyse der Verbreitungsmuster gibt Auf- vögeln regelmäßig aufgesucht wird. Die drei Wind- schluss darüber, ob und in welchem Maße bestimmte parks sind durch freie Korridore räumlich vonein- Seevogelarten die Windparks meiden oder möglicher- ander getrennt (1 km bzw. 4 km Abstand zwischen weise durch diese angelockt werden. Mit Hilfe von sta- den einzelnen Parks). Daher kann erstmalig erforscht tistischen Habitatmodellen ist es möglich, diejenigen werden, ob die Tiere diese Korridore stärker nutzen Faktoren zu ermitteln, die die Verbreitung der Vögel auf als die angrenzenden Windparks. See beeinflussen. Dabei zeigten erste Ergebnisse, dass Um die Auswirkungen dieses Windpark-Clusters auf nicht nur die Entfernung zu einem Windpark, sondern die Verteilungsmuster und Verhaltensweisen von Seevö- auch die Entfernung zur Kolonie und die Wassertiefe geln und Meeressäugern zu untersuchen, werden inner- einen Einfluss auf die Verteilungsmuster der Seevögel halb des vom BMWi geförderten Projektes HELBIRD haben können.

Abb. 1: Windpark nördlich von Helgoland. Foto: V. Peschko © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 369

Piedrahita P, Bairlein F & Wagner H (Guayaquil/Ecuador, Wilhelmshaven, Aachen): Jagdverhalten von Schleiereulen auf Santa Cruz, (Galapagos, Ecuador): eine Pilotstudie

✉✉Hermann Wagner, Institut für Biologie II, RWTH Aachen, Worringerweg 3, D-52074 Aachen, E-Mail: [email protected]

Die Galapagos-Inseln sind ein Biodiversitäts-Hotspot. Gewölle, Tageseinstände, Nistplätze, Nester, Skelette) Schleiereulen Tyto alba punctatissima sind zusammen und fanden solche an 25 Plätzen; davon waren elf Tages- mit der Sumpfohreule Asio flammeus die einzigen einstände und drei Brutplätze mit Jungvögeln. Zudem Eulenarten Galapagos. Das terrestrische Nahrungsnetz wurden 103 Gewölle gesammelt und analysiert. Zwei auf den Galapagos Inseln ist recht einfach mit nur weni- adulte Schleiereulen wurden mit GiPSy 5 Sendern der gen Arten, so dass dort die Rolle von Top-Prädatoren Firma Technosmart markiert, um ihre Jagdflüge hoch- gut untersucht werden kann. Insbesondere interessiert aufgelöst zu erfassen. Die Bewegungsmuster zeigen, dabei, welchen Einfluss die Greifvögel auf gefährdete dass beide Eulen hauptsächlich im immer gleichen endemische Säugetier- und Vogelarten haben. Gebiet jagten, aber durchaus ihre Tageseinstände von Dazu untersuchten wir in dieser Pilotstudie die Nah- Tag zu Tag wechselten. Die Eulen entfernten sich bei rung und das Nahrungssuchverhalten von Schleiereu- ihren nächtlichen Jagdflügen nicht weiter als 500 m vom len mittels Telemetrie auf Santa Cruz, der Insel mit der Tageseinstand, blieben damit also immer innerhalb der höchsten Dichte an Schleiereulen. 10 % der 986 km2 landwirtschaftlichen Zone. Auch wenn beide Vögel in Fläche von Santa Cruz ist landwirtschaftlich genutzt. etwa in derselben Fläche jagten, waren ihre Jagdflüge Die vor allem im Zentrum der Insel gelegene landwirt- voneinander unabhängig, wobei eine der Eulen immer schaftliche Fläche ist umgeben von einer ausgedehnten viel früher ausflog als die andere. Innerhalb einer Trockenzone, die etwa 73 % der Inselfläche ausmacht. Nacht legten die Eulen 10 bis 20 Stopps ein. Keiner der In der Trockenzone liegt die größte Siedlung der Insel, besenderten Vögel flog in die Nähe der Tageseinstände Puerto Ayora, mit etwa 20.000 Einwohnern. Wir unter- benachbarter Schleiereulen, der eine 500 m nördlich, suchten Schleiereulen in Puerto Ayora und in der land- der andere 500 m östlich vom Tageseinstand der besen- wirtschaftlichen Zone. derten Vögel. Auch wenn diese Daten vorläufig sind, Wir suchten zunächst nach Anzeichen für das Vor- vermitteln sie einen ersten Eindruck der Jagdstrategie kommen von Schleiereulen (lebende Vögel, Federn, von Schleiereulen auf Galapagos.

Wellbrock AHJ, Eckhardt LRH, Fürst-Ingargiola M, Prima M (†), Bauch C, Rozman J & Witte K (Siegen, Gehrde, Groningen/Niederlande, München): „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da.“ – Nächtliche Aktivität von Mauerseglerbrutpaaren am Nest

✉✉Arndt Wellbrock, Department Chemie und Biologie, Naturwissenschaftlich-Technische Fakultät, Universität Siegen, Adolf-Reichwein-Straße 2, D-57068 Siegen, E-Mail: [email protected]

Außerhalb der Brutzeit sind Mauersegler Apus apus In der ersten Pilotstudie wurde in einer Brutkolo- für fast neun Monate ununterbrochen in der Luft und nie innerhalb einer Autobrücke bei Olpe (Kreis Olpe, es wird angenommen, dass sie während des Fluges NRW) ausgewertet, inwieweit die nächtliche Akti- nur kurze Ruhe- bzw. Schlafphasen haben (Weitnauer vität von der Umgebungstemperatur abhängt. Dazu 2005; Rattenborg 2006). Nach ihrer Ankunft im Brut- wurden zehn Nächte im Zeitraum April bis Juni 2013 gebiet verbringen Mauerseglerpaare nahezu während ausgewählt, in denen die Temperatur im Inneren der der gesamten Brutzeit die Nacht zu zweit am Nistplatz Brücke nachts im Mittel zwischen 15 und 8 °C lag. Bei (Lack 1956). Es ist bisher wenig darüber bekannt, ob 16 Brutpaaren wurde die Anzahl von Positionswechseln Mauersegler in der Nacht am Nest ebenfalls aktiv sind (Änderung der Ausrichtung der Kopf-Schwanz-Achse) und welche Verhaltensweisen sie zeigen. Dies haben wir beider Brutpartner als Maß für die Aktivität ermittelt. im Rahmen zweier Pilotstudien anhand von Infrarot- Ab einer Umgebungstemperatur von 12,5 °C sank die Videoaufnahmen untersucht. Anzahl der Positionswechsel im Median von etwa 8 auf © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

370 Themenbereich „Verhalten“ • Poster

Abb. 1: Mauerseglerpaar im Nest nachts um 1:40 Uhr. Infrarotaufnahme aus einem Nist- kasten in der Brutkolonie in der St. Christo- phorus Kirche in Gehrde, Kreis Osnabrück.

0 Bewegungen pro Stunde und Paar bei 8,5 °C. Dabei Platzwechsel 3-5/Stunde und Platztausch 0-2/Stunde. gab es keinen Hinweis darauf, dass Brutpartner häufiger Zu Kopulationen (1-3/Nacht) kam es nur vor und wäh- in kälteren Nächten übereinander im Nest saßen anstatt rend der Legephase. nebeneinander, um Wärmeverluste zu reduzieren (vgl. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Mauer- Lack 1956). Einfluss auf die Anzahl der Bewegungen in segler (abgesehen von kalten Nächten) die ganze Nacht kalten Nächten hat vermutlich die Fähigkeit des Mau- hindurch aktiv sind. Demnach ist anzunehmen, dass erseglers, in Tagesschlaflethargie (Torpor) zu gehen. ihre Schlafphasen nur kurz andauern, wie es auch außer- Einen Hinweis darauf fanden wir in einer vorherigen halb der Fortpflanzungsperiode der Fall sein dürfte. Ob Untersuchung der Nesttemperatur, die in kalten Näch- Mauersegler in inaktiven Phasen tatsächlich schlafen ten (unter 10 °C), auch bei brütenden Paaren, um bis und dabei ähnlich Delfinen, Enten und Fregattvögeln zu 14 °C absank (Wellbrock et al. 2013). zeitweise eine Gehirnhälfte aktiv bleibt (Rattenborg In der zweiten Pilotstudie in einer Brutkolonie in der 2006; Rattenborg et al. 2016), kann jedoch nur ein St. Christophorus-Kirche in Gehrde (Kreis Osnabrück) Elektroenzephalogramm (EEG) belegen. wurde im Detail untersucht, wie häufig verschiedene Um die einzelnen Bewegungsparameter zu verdeutli- Verhaltensweisen wie Positionswechsel, Platzwechsel chen, wurde ein kurzer Film aus Nistkastenaufnahmen innerhalb des Nistkastens, Platztausch mit dem Part- in Gehrde erstellt, der unter https://youtu.be/LiJ2HJ- ner im Nest, Putzbewegungen (eigener Körper und g1r9M zu finden ist (Abb. 1). Die Videoaufzeichnungen Fremdputzen) und Kopulationen in der Nacht waren. aus Gehrde wurden der Fachgruppe Ökologie und Ver- Dazu wurden Videoaufnahmen mit höherer Auflösung haltensbiologie an der Universität Siegen vom Heimat- als in der ersten Studie aus zwei Nistkästen ausgewertet verein Gehrde im Artland e. V. aus dem Projekt „Neu- (27 bzw. 23 Nächte im Jahr 2011). Zudem wurde die ansiedlung des Mauerseglers“ zur Verfügung gestellt, nächtliche Aktivität der beiden Brutpaare vor, während welches als Projekt der UNDekade Biologische Vielfalt und nach der Eilegephase bis zum Schlupf der Küken 2015 ausgezeichnet wurde (http://www.undekade-bio- analysiert. Es zeigte sich, dass vor allem Putzbewegun- logischevielfalt.de). gen sehr häufig waren. Einer der Brutpartner (bei beiden Brutpaaren) putzte sich selbst während der Nacht im Literatur Durchschnitt alle 1 bis 1,5 Minuten. Bei einem Paar Lack D 1956: Swifts in a tower. Methuen & Co Ltd, London. könnte der Anstieg an Mauerseglerlausfliegen Crata- Rattenborg NC 2006: Do birds sleep in flight? Naturwissen- erina pallida im Nest von 12 auf 26 Parasiten in der schaften 93: 413-425. Inkubationsphase zu häufigeren Putzen als vor und Rattenborg NC, Voirin B, Cruz SM, Tisdale R, Dell’Omo G, während der Eiablage geführt haben. Die Brutpartner Lipp H-P, Wikelski M & Vyssotski AL 2016: Evidence that putzten sich gegenseitig häufiger vor der Legephase (im birds sleep in mid-flight. Nature Commun. 7: 12468. Weitnauer E 2005: “Mein Vogel”. Aus dem Leben des Mauer- Mittel etwa alle 1,5 Minuten) als während oder danach seglers Apus apus. 6. Aufl., Basellandschaftlicher Natur- und (alle 3,5 bzw. 13 Minuten), was darauf hindeutet, dass Vogelschutzverband, Liestal. das Fremdputzen ein Bestandteil des Paarverhaltens Wellbrock A, Bauch C, Witte K & Rozman J 2013: Energie- sein könnte. Deutlich seltener fanden alle übrigen Ver- sparen mal anders – Heterothermie beim Mauersegler Apus haltensweisen statt: Positionswechsel 12-16/Stunde, apus während der Brutsaison. Vogelwarte 51: 273-274. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 371

Themenbereich „Ökologie“

• Vorträge

Neu A, Ferger SW, Töpfer T, Böhning-Gaese K & Schleuning M (Frankfurt, Radolfzell, Bonn): Funktionale Diversität und Identität von Vogelgemeinschaften entlang von Höhengradienten und anthropogenen Vegetationsveränderungen am Kilimandscharo, Tansania

✉✉Alexander Neu, Senckenberg, Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F), Senckenberganlage 25, D-60325 Frankfurt (Main), E-Mail: [email protected]

Es gibt ein wachsendes Interesse daran, die Beziehun- die Nahrungssuche-Präferenzen der Vogelarten auf gen zwischen Biodiversität und den Funktionen der dem morphologischen Merkmalsraum der gesamten ökologischen Gemeinschaften zu untersuchen. Ein Gemeinschaft ab. Als zweites beurteilte ich die funktio­ Ansatz, um die funktionale Bedeutung von Biodiver- nale Struktur entlang beider Umweltgradienten. Ich sität zu studieren, ist die Analyse der funktionalen zeigte, dass die Morphologie die Nahrungsgewohnhei- Vielfalt von Lebensgemeinschaften. Die funktiona- ten der Vogelarten wiedergab. Die FD Indizes sanken len Rollen von Artgemeinschaften können durch die entlang des Höhengradienten, aber es gab keinen signi- funktionalen Merkmale der vorkommenden Arten fikanten Trend von FD mit abnehmender Vegetations­ bestimmt werden. Die Vielfalt von funktionalen heterogenität. Es gab aber eine deutliche Zunahme der Merkmalen in einer Gemeinschaft wird als Funkti- FD von den natürlichen (hohe Vegetationshetero­ onale Diversität (FD) definiert und beschreibt Wert, genität) zu den landwirtschaftlichen (niedrige Vege- Bereich und Verteilung der funktionalen Merkmale tationsheterogenität) Lebensraumtypen in den unteren in einer Gemeinschaft, während die funktionale bewaldeten Höhenstufen. FI veränderte sich entlang Identität (FI) Veränderungen in der Dominanz der des Höhengradienten und der Vegetationsheteroge- spezifischen Merkmale in einer Gemeinschaft angibt. nität, was gerichteten Veränderungen von einzelnen Bisher haben nur sehr wenige Studien FD und FI von Merkmalen entlang beider Gradienten entspricht. Tiergemeinschaften gleichzeitig entlang verschiede- Meine Ergebnisse zeigen, dass die Spezialisierung der ner Umweltgradienten analysiert. Ich untersuchte die funktionalen Rollen in den unteren Höhenstufen grö- Auswirkung des Höhengradienten und den Verlust der ßer ist als in den oberen und dass ein Austausch von Vegetationsheterogenität durch anthropogene Einflüsse Arten entlang beider Gradienten direkte Änderungen in unterschiedlichen Lebensraumtypen auf FD und FI auf bestimmte Funktionstypen hat. Abschließend zeige von Vogelgemeinschaften am Kilimandscharo, Tansa- ich, dass morphologische Merkmale geeignete Werk- nia. Ich maß neun morphologische Merkmale an Bäl- zeuge für die Beschreibung der Variabilität in Gemein- gen von 182 Vogelarten, die sich auf deren Flugleistung, schaften sind und dass die FD und FI dieser Merkmale Nahrungsaufnahme und bipedale Fortbewegung bezo- gute Indikatoren für funktionale Veränderungen in den gen. Ich kombinierte die Messungen mit Punkt-Stopp- Gemeinschaften entlang von Umweltgradienten sind. Zählungen von 54 Untersuchungsflächen entlang von Änderungen von FD und FI können wichtige, bisher Höhengradienten und in unterschiedlichen Lebens- unbekannte Auswirkungen auf Ökosystemfunktionen raumtypen am Kilimandscharo. Zuerst bildete ich über aufzeigen, die von Vogelarten auf dem Kilimandscharo eine Hauptkoordinatenanalyse die Ernährungs- und und in anderen Gebieten ausgehen. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

372 Themenbereich „Ökologie“ • Vorträge

Li L, Fritz A, Tietze DT & Storch I (Freiburg im Breisgau, Heidelberg): Wie sehen die räumlichen Verbreitungsmuster lokaler Vogelvielfalt auf der östlichen Qinghai- Tibet-Hochebene aus?

✉✉Li Li, Chair of Wildlife Ecology and Management, University of Freiburg, D-79106 Freiburg, E-Mail: [email protected]

Die Qinghai-Tibet-Hochebene ist das höchste alpine Vogeldiversität in Bezug zu Habitatstruktur und Land- Ökosystem der Welt und beherbergt eine vielfältige Flora schaftsgestaltung setzen zu können, verwendeten wir und Fauna. Über die Beziehung zwischen Vögeln und Drohnen zur Aufnahme hochauflösender Orthofotos ihren Lebensräumen auf der Hochebene ist jedoch wenig des Untersuchungsgebiets. Wir berechneten 2D- und bekannt. Unter den einschränkenden Umweltbedingun- 3D-Habitatcharakteristika im 200 m-Radius um die gen des Hochlands wird das alpine Weideland traditionell Zählpunkte. Wir testeten insbesondere folgende Hypo- für Wanderweidewirtschaft genutzt und die Landschaft thesen: (1) Die Vogelvielfalt korreliert mit horizontaler ist weitgehend überformt durch die Folgen von Viehbiss Habitatheterogenität und vertikaler Habitatkomplexität. und -tritt. In den Brutperioden 2014 und 2015 führten (2) Die Vogelvielfalt zeigt ein unimodales Muster ent- wir Vogelerfassungen im Untersuchungsgebiet Nyanpo lang des Störungsgradienten. (3) Die Vogelvielfalt steht Yutse im Osten der Hochebene durch. Wir untersuchten unter dem Einfluss des Randeffekts. Unsere Ergebnisse 140 Flächen verschiedener Habitattypen durch standar- zeigen, dass die lokale Vogeldiversitäten auf der östlichen disierte zehnminütige Punktzählungen, wobei jede Flä- Qinghai-Tibet-Hochebene durch vielfältige Umwelt- und che sechsmal besucht wurde. Um die Verbreitung der anthropogene Faktoren reguliert wird.

Michel V, Naef-Daenzer B, Keil H & Grüebler MU (Zürich/ Schweiz, Oberriexingen, Sempach/Schweiz): Beeinflusst die Habitat-Qualität den Bruterfolg des Steinkauzes Athene noctua direkt oder indirekt?

✉✉Vanja Michel, Universität Zürich, Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften, Schweiz, E-Mail: [email protected]

Die Nahrungsverfügbarkeit im Revier brütender Vögel nahmen wir während vier Jahren 25.654 Telemetrie- hat sowohl direkte als auch indirekte Auswirkungen Ortungen auf, womit wir die Größen von 213 Som- auf fitnessrelevante Merkmale. Sowohl die Gelege- mer- und 118 Winterrevieren abschätzen konnten. Die größe als auch das Überleben der Jungvögel werden elterliche Reviergröße im Sommer hing hauptsächlich direkt durch Unterschiede in der Nahrungsverfügbar- von der Fragmentierung des Habitats und somit von der keit beeinflusst. Zusätzlich kann sich die Verteilung Verteilung reichhaltiger Futterquellen ab. Im Gegensatz der Nahrung in der Nähe des Nests indirekt auf den dazu waren die Gelegegröße und das Überleben der Bruterfolg auswirken, indem sie die Reviergröße der Jungvögel abhängig vom Anteil an nahrungsreichem Eltern beeinflusst. Vögel in Revieren mit niedriger Habitat innerhalb des Reviers. Unsere Erwartung, dass Habitat-Qualität müssen während der Brutversor- Altvögel mit kleinem Revier einen höheren Bruterfolg gung größere Distanzen zurücklegen, was wiederum aufweisen als solche mit größerem Revier, wurde nicht zu reduzierten Fütterungsraten und somit zu gerin- bestätigt: weder die Gelegegröße noch die Kondition gerem Überleben sowie schlechterer Kondition der der Jungvögel beim Ausfliegen war mit der Reviergröße Jungvögel führen kann. der Eltern korreliert. Während die Reviergröße von der Um den relativen Einfluss von direkten und indirek- Nahrungsverteilung beeinflusst wurde, hing der Bruter- ten Effekten des Nahrungsangebots auf den Bruterfolg folg von der Nahrungsmenge ab. Folglich scheint sich von Steinkäuzen Athene noctua zu bestimmen, ermittel- der erhöhte Aufwand, welcher mit der Nutzung eines ten wir die Zusammensetzung des Habitats im Umkreis großen Reviers verbunden ist, nicht negativ auf den um das Nest und erfassten den Bruterfolg. Außerdem Bruterfolg auszuwirken. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 373

Grendelmeier A, Flade M, Pasinelli G (Sempach/Schweiz, Eberswalde, Sempach/Schweiz): Die Samenmast: wie sie Mäuse, Raupen, Eichelhäher und Waldlaubsänger verbindet

✉✉Alexander Grendelmeier, Seerose 1, CH-6204 Sempach, Schweiz, E-Mail: [email protected]

Weitreichende ökologische Vorgänge wie kurzfristige in April/Mai und dem Raupenbestand des gleichen Jah- explosionsartige Zunahmen von Ressourcen können res. Samenmasten scheinen daher einen indirekten und viele Glieder einer Nahrungskette über Jahre beeinflus- negativen Einfluss auf den Waldlaubsängerbestand zu sen (Yang et al. 2010). In unseren gemäßigten Zonen haben, da die Samenmast Populationsvergrößerungen zählen Samenmasten einer oder mehrerer Baumarten bei Waldnagern auslöst, welche von Waldlaubsängern zu den wichtigsten Antriebskräften eines Waldökosys- gemieden werden. Ausserdem sind hohe Bestände von tems und bieten vielen Arten eine wichtige, temporäre Waldnagern mit erhöhtem Auftreten von Raubsäugern Nahrungsquelle (Schmidt & Ostfeld 2008). Mit einem assoziiert, welche Waldlaubsängernester während der Langzeit-Datensatz aus Deutschland evaluierten wir wie Jagd auf Nager zufällig finden und ausrauben. Ebenfalls die Samenmast (Quercus robur, Q. petraea und Fagus syl- achten Waldlaubsänger auf die Präsenz von Eichelhä- vatica zusammengefasst, Abb. 1a), Waldnager (Myodes hern, welche wichtige Nestprädatoren sind. Vermut- glareolus, Apodemus flavicollis und Apodemus sylvati- lich schätzen Waldlaubsänger im Brutgebiet mögliche cus zusammengefasst, Abb. 1b), Eichelhäher (Garrulus Prädationsrisiken ab, indem sie das Vorkommen von glandarius, Abb. 1c), Raupen (Tortrix viridana, Lyman- Waldnagern und Eichelhähern evaluieren. Wenn das tria monacha und Dendrolimus pini zusammengefasst, kumulative Risiko zu hoch eingeschätzt wird, könnte Abb. 1e) und Waldlaubsänger (Phylloscopus sibilatrix, dies zur Folge haben, dass Waldlaubsänger ihre Suche Abb. 1f) zusammenhängen. Mit der lasso-Methode, nach einem geeigneterem Bruthabitat fortsetzten und einem Modelreduktions- und Variablenselektions- lokale Populationsgrößen deshalb von Jahr zu Jahr Verfahren konnten wir die vielen in Betracht gezogenen schwanken. Variablen auf die Wichtigsten reduzieren. Unsere Studie trägt zum Verständnis bei, wie ver- Wir fanden, dass der Waldnagerbestand positiv mit schiedene Arten auf verschiedenen trophischen Stu- der Samenmast im vorangehenden Herbst und der fen und in verschiedenen Jahren durch die Samenmast Anzahl Schneetage im vorangehenden Winter sowie verbunden sind. Wir konnten auch zeigen, wie wichtig negativ mit der Anzahl Frosttage im vorangehenden Art- und Ökosystembasierte Studien sind, denn obwohl Winter korrelierte. Samen, die in Lager im Boden Reaktionen von Samenkonsumenten global gleich oder angelegt werden, sind schnell und ohne hohes Risiko sehr ähnlich sein können (verschiedene Nagetiere), ist erreichbar, wodurch ein höheres Winterüberleben und dies nicht immer der Fall. Der Eichelhäher zeigte eine Winterreproduktion ermöglicht werden. Eine Schnee- gegensätzliche Reaktion zu Samenmasten im Vorjahr decke schützt vor Raubtieren und tiefen Temperatu- im Vergleich zu verwandten Arten in ähnlichen Samen- ren, welche sich beide negativ auf den Nagerbestand mastsystemen in z. B. in den USA (Koenig et al. 2009). auswirken können. Der Eichelhäherbestand korrelierte Abschließend ist es wichtig, Konsequenzen der Samen- negativ mit der Samenmast im vorangehenden Herbst mast, dessen Häufigkeit durch die Klimaveränderung und negativ mit dem Eichelhäherbestand des Vorjah- zuzunehmen scheint, zu verstehen, da sie im Zusam- res. Dichteabhängige Bestandesregulierung scheint menhang mit der top-down Kontrolle von alternativen beim Eichelhäher wichtig zu sein. Samenmasten resul- Beutetieren wie dem Waldlaubsänger durch Prädatoren tieren wahrscheinlich in hohem Winterüberleben für und der bottom-up Kontrolle von Samenkonsumenten Adulte und Juvenile, was letztendlich zu überhöhten wie Nagern und Eichelhähern steht. lokalen Beständen und Evasionen führen könnte. Der Raupenbestand korrelierte mit keinen von uns in Literatur Betracht gezogenen Faktoren. Eventuell war die Vari- Koenig WD, Krakauer AH, Monahan WB, Haydock J, Knops abilität oder Stärke dieser Faktoren nicht hoch genug JM & Carmen WJ 2009: Mast-producing trees and the geo- um eine Reaktion des Raupenbestandes hervorzurufen. graphical ecology of western scrub-jays. Ecography 32:561- Alternativ könnte es eine Reaktion der Raupen gege- 570. Schmidt KA & Ostfeld RS 2008: Numerical and behavioral ben haben, welche sich aber nicht über den Bestand, effects within a pulse-driven system: consequences for sondern über andere Lebensbereiche, wie Entwicklung, shared prey. Ecology 89:635-646. zeigt. Der Waldlaubsängerbestand korrelierte negativ Yang LH, Edwards KF, Byrnes JE, Bastow JL Wright AN & mit Beständen von Waldnagern und Eichelhähern des Spence KO 2010: A meta-analysis of resource pulse-con- gleichen Jahres, aber auch positiv mit der Regenmenge sumer interactions. Ecological Monographs 80:125-151. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

374 Themenbereich „Ökologie“ • Vorträge

Abb. 1: Jährliche Variation von a) Samenbehang, b) Nagerbestand, c) Eichelhäherbestand, d) Beginn der Haselblüte, e) Raupenbestand und f) Waldlaubsängerbestand während 16 Jahren. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 375

Peschko V, Markones N & Garthe S (Büsum): Raumnutzung von Basstölpeln, Trottellummen und Dreizehenmöwen in der Deutschen Bucht

✉✉Verena Peschko, Forschungs- und Technologiezentrum Westküste (FTZ), Universität Kiel, Hafentörn 1, D-25761 Büsum, E-Mail: [email protected]

Basstölpel, Trottellummen und Dreizehenmöwen land Basstölpel, Trottellummen und Dreizehenmöwen gehören zu den Brutvögeln der Insel Helgoland, die in gefangen und mit GPS-Geräten ausgestattet. Über einen großen Zahlen in den Steilfelsen im Norden der Insel Zeitraum von mehreren Tagen bis Wochen nahmen die brüten. Mangels weiterer geeigneter Brutfelsen befinden Geräte die geographische Position, die Uhrzeit, die Flug- sich auf Helgoland die einzigen Kolonien dieser Arten in höhe ebenso wie Bewegungsdaten mittels Beschleuni- der südlichen Nordsee. Bisher ist jedoch wenig darüber gungssensoren auf. bekannt, wie Basstölpel, Trottellummen und Dreizehen- Anhand dieser Daten können individuelle Unter- möwen die Deutsche Bucht während der Brutzeit nut- schiede in der Raumnutzung untersucht werden. Dabei zen. Die Kenntnis über wertvolle Nahrungs- und Rast- wird deutlich, welche Gebiete der Deutschen Bucht zur gebiete sowie über das Verhalten der Tiere ist jedoch von Nahrungssuche genutzt werden, in welchen Gebieten sie entscheidender Bedeutung, um mögliche Veränderun- sich hauptsächlich zur Rast aufhielten und welche Flug- gen im Verhalten oder in den Bestandszahlen der Tiere routen die einzelnen Tiere nutzten. Des Weiteren birgt erklären zu können. Dabei spielen auch Reaktionen auf der Vergleich zwischen den verschiedenen Arten einen anthropogene Aktivitäten eine zentrale Rolle. besonderen Informationsgehalt, da somit Rückschlüsse Die hier vorgestellte Studie setzt telemetrische Metho- auf komplexere ökologische Zusammenhänge gezogen den ein, um einen detaillierten Einblick in die Raumnut- werden können. Die Nutzung der Meeresgebiete durch zung dieser auf Helgoland brütenden Seevogelarten zu die drei Arten wird zudem im Zusammenhang mit den erhalten. Dazu wurden während der Brutzeit auf Helgo- bereits existierenden Offshore Windparks betrachtet.

• Poster

Emmenegger T, Schulze M, Bauer S & Hahn S (Sempach/Schweiz, Halle (Saale)): Prävalenz und Intensität von Vogelmalaria-Infektionen des Bienenfressers in Sachsen-Anhalt

✉✉Tamara Emmenegger, Schweizerische Vogelwarte, Seerose 1, CH-6204 Sempach, Schweiz, E-Mail: [email protected]

Migrierende Tiere sind für das Verständnis von Wirt- sowie zur Variation zwischen den Jahren. In der späten Parasit-Interaktionen von besonderem Interesse: Zie- Nestlingszeit wurden genutzte Bruthöhlen markiert, hende Tiere sind auf ihren Wanderungen mehr poten- die Adulten mit Röhrenfallen gefangen und eine tiellen Vektoren und Parasiten ausgesetzt als stationäre Blutprobe aus der Flügelvene entnommen. Nestlinge Individuen in einem Brutgebiet. Es wird daher ange- wurden während der Jungvogelberingung im Rahmen nommen, dass Migranten – im Gegensatz zu residen- des Bienenfresser-Beringungsprogramms der Vogel- ten Tierarten – stärker von Parasiten und/oder einer warte Hiddensee beprobt. Von jeder Blutprobe wurden diverseren Parasitenfauna betroffen sind. klassische Blutausstriche zur lichtmikroskopischen Vor diesem Hintergrund überwachten wir den Befall Untersuchung angefertigt. Der Fang der Altvögel mit mit Vogelmalaria an Europäischen Bienenfressern Röhrenfallen ermöglicht ihre Zuordnung zu einer Brut Merops apiaster in vier Brut-Kolonien in Sachsen- und deren Nestlingen und somit Schlussfolgerungen Anhalt (D). Bei koloniebrütenden Bienenfressern über potentielle Parasitenübertragung durch lokale können leicht beide Geschlechter der Adulten und Vektoren im Brutgebiet. Die Nestlinge wurden nach die Nestlinge effizient beprobt werden. Die Studie der Beprobung wieder in die entsprechende Höhle über drei Jahre ermöglicht verlässliche Aussagen zur zurückgesetzt und Altvögel ausserhalb der Höhle geschlechts- und altersspezifischen Malaria-Prävalenz freigelassen. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

376 Themenbereich „Ökologie“ • Poster

Abb. 1: Brutwand mit Markierung und Röh- renfalle (links oben); Blutprobenentnahme mit Mikrokapillare (links mittig); Blut- ausstrich im Feld vor Giemsa-Färbung (links unten); altersspezifische Malaria-Prävalenz (infi- zierte Individuen in %) für 2jährige (violett) und 3jährige oder ältere Bienenfresser (grau) der Jahre 2013-2015 (rechts oben); Intensität der Malaria-Infektionen (infizierte Erythrozy- ten in %) für denselben Untersuchungs­zeit­ raum (rechts unten). Fotos: T. Emmenegger (links oben und unten), J. Weiss (links mittig)

10,6 % der adulten Bienenfresser waren mit Vogel- infektionen waren über drei Jahre konstant. Obwohl die malaria infiziert (Abb. 1), jedoch keiner der in 2014 Nestlinge dank Röhrenfallen ihren Eltern zugeordnet untersuchten Nestlinge (n = 50). Die Infektionsrate der werden konnten, sind – aufgrund fehlender Infektio- Altvögel war unabhängig von Alter und Geschlecht. Mit nen der Jungen – keine definitiven Aussagen über die 0,02 % infizierten Erythrozyten war die mittlere Infek- Übertragungsgebiete der Parasiten möglichmöglich. tionsintensität vergleichsweise gering (Abb. 1). Eine Infektion in der Bruthöhle (Übertragung durch Bei Bienenfressern, die in Mitteldeutschland brü- Mücken und andere stechende Dipteren) erscheint ten, scheint es weder eine erhebliche Akkumulation eher unwahrscheinlich, kann aber wegen der teilweise von Infektionen über die Lebenszeit noch geschlechts- sehr langen Inkubationszeit von Malariaparasiten spezifische Infektionswahrscheinlichkeiten zu geben. nicht vollständig ausgeschlossen werden. Sowohl die Prävalenz als auch die Intensität der Malaria­

Engler M, Merling de Chapa M, Lakemann M, Müskens G, van der Horst Y, Zollinger R, Schreven K, Wirth H & Krone O (Berlin, Köln, Groesbeek/Niederlande, Hamburg): Beutespezialisierung beim Habicht Accipiter gentilis – Ein Vergleich der Nahrungsspektren urbaner und ruraler Populationen

✉✉Marc Engler, Leibniz-Institut für Zoo-und Wildtierforschung, Alfred-Kowalke-Straße 17, D-10315 Berlin, E-Mail: [email protected]

Seit einigen Jahrzehnten besiedelt der Habicht Accipiter ein Habitat mit guten Lebensbedingungen. Nach der gentilis nicht zuletzt aufgrund der stark voranschrei- „optimal foraging theory“ kann die Spezialisierung tenden Urbanisierung auch zunehmend deutsche auf eine Beuteart durch Reduzierung der Jagddistan- Großstädte wie Berlin, Köln und Hamburg. Parkanla- zen und zeiten den Jagderfolg steigern und somit den gen, Friedhöfe und gelegentlich Innenhöfe bieten dem Bruterfolg maximieren. Faktoren wie Größe, Gewicht, Habicht genug Lebensraum. Wegen der geringen ille- Mobilität und Abundanz haben dabei einen Einfluss galen Verfolgung, des teils hohen Grünflächenanteils auf die Auswahl des Beutetiers. Untersuchungen zum sowie des alljährlichen Nahrungsangebots erweist sich Nahrungsspektrum des Habichts können daher helfen, dieser Lebensraum für den Habicht anscheinend als ihr erhöhtes Vorkommen in Städten zu erklären. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 377

Wir vermuten, dass die hohe Dichte an Stadttauben habichte besaßen ein deutlich breiteres Nahrungsspekt- Columba livia f. domestica im urbanen Lebensraum mit rum als urbane Habichte. Die Nahrung von Stadthabich- der Entwicklung der Habichtpopulation in Verbindung ten setzte sich größtenteils aus Stadttauben zusammen. steht und sich im Nahrungsspektrum widerspiegeln Auch der Bruterfolg unterschied sich zwischen den urba- sollte. Um dies zu untersuchen, wurden während der nen und ruralen Populationen. Urbane Habichte hatten Brutsaison von Anfang März bis Anfang Juli Beutereste einen signifikant höheren Bruterfolg als rurale Habichte. an ausgewählten urbanen und ruralen Horsten gesam- Die Spezialisierung auf verschiedene Taubenarten hat melt und morphologisch und genetisch bestimmt. Vor- anscheinend einen positiven Effekt auf den Bruterfolg läufige Ergebnisse zeigen, dass sich das Beutespektrum der Habichte und ist damit eine mögliche Erklärung für von urbanen und ruralen Habichten unterschied. Land- die erfolgreiche Besiedlung urbaner Lebensräume.

Enners L, Chagas AL, Guse N, Schwemmer P, Voigt C & Garthe S (Büsum): Was passt auf einen Löffel? – Nahrungswahl von Löfflern im schleswig-holsteinischen Wattenmeer

✉✉Leonie Enners, Hafentörn 1, D-25761 Büsum, E-Mail: [email protected]

Mit dem neuen Jahrtausend haben sich die ersten Brut- Hallig Oland und Trischen unterscheidet. Im Zuge der paare des Löfflers Platalea leucorodia im schleswig-hol- Löfflerberingung in Schleswig-Holstein wurden zwei steinischen Wattenmeer angesiedelt. Nach Hallig Oland, verschiedene Methodenansätze verfolgt. Ausgespiene Trischen und Föhr brüteten 2009 auch auf der Hallig Nahrungsreste der Küken wurden eingesammelt, um Südfall erstmals Löffler. Seit der Ansiedlung steigt der die Beutearten zu identifizieren und Rückschlüsse auf Brutbestand insgesamt an. die Größe der Beutetiere ziehen zu können. Zusätzlich Zur Nahrungssuche bewegen Löffler ihren breiten wurde Löfflerküken Blut abgenommen, um mittels der Schnabel im flachen Wasser seitlich hin und her, um stabilen Isotopenanalyse das Nahrungshabitat (Süßwas- kleine Fische und Krebstiere zu erbeuten. Untersu- ser oder mariner Lebensraum) und die Trophieebene chungen zur Nahrungswahl von Löfflern im Watten- der Beuteorganismen zu untersuchen. Während aus- meer wurden bisher allein in den Niederlanden mittels gespiene Nahrungsreste die aufgenommene Nahrung stabiler Isotopenanalysen durchgeführt (El-Hacen et al. der letzten ein bis zwei Tage reflektiert, spiegelt die 2014). Bisher lagen keine regionalen Daten zur Nah- stabile Isotopenanalyse die aufgenommene Nahrung rungswahl von Löfflern im schleswig-holsteinischen der letzten drei Wochen wider. Die Kombination bei- Wattenmeer vor. Im Rahmen des interdisziplinären der Methoden ermöglicht es, ein umfassendes Bild der BMBF-Verbundprojektes STopP („Vom Sediment zum Nahrungswahl der Löffler im schleswig-holsteinischen Top-Prädator“) soll daher u. a. untersucht werden, wel- Wattenmeer zu erhalten. che Beutearten und Größenklassen als Nahrung von Erste Ergebnisse zeigen, dass Löffler im schleswig- Löfflern in Schleswig-Holstein genutzt werden und ob holsteinischen Wattenmeer Fische, Garnelen und See­ sich die Nahrungswahl zwischen den Kolonien Föhr, ringelwürmer als Hauptbeute nutzten (Abb. 1). Fische

Abb. 1: An-/Abwesenheit der Beuteorganismen in den Nahrungsresten der Löfflerküken. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

378 Themenbereich „Ökologie“ • Poster stellten die wichtigste Nahrungsressource dar und Föhrer Löffler waren Stichlinge, während Löffler von umfassten eine Größe von 3 bis 13 cm. Stichlinge und Oland und Trischen Stinte als Hauptbeute nutzten. Plattfische wurden dabei am häufigsten verfüttert, wobei Stichlinge und Stinte in den Nahrungsresten die größte Literatur Biomasse darstellten. El-Hacen EM, Piersma T, Jouta J, Overdijk O & Lok T 2014: Im Vergleich der Kolonien zeigte sich, dass Oländer Seasonal variation in the diet of Spoonbill chicks in the Löffler zur Kükenzeit mariner und auf einem höheren Wadden Sea: a stable isotopes approach. J. Ornithol. 155: Trophielevel fraßen als Föhrer Löffler. Hauptbeute der 611-619.

Gorgon G & Gamauf A (Wien/Österreich): Gibt es morphologische Veränderungen an Greifvögeln und Eulen aufgrund des Klimawandels?

✉✉Anita Gamauf, Biozentrum, Department für Integrative Zoologie, Althanstr. 14, A-1090 Wien, Österreich, E-Mail: [email protected]

Seit Beginn der Industrialisierung in der zweiten Hälfte morphologischen Änderungen nachweisbar sind. Dazu des 19. Jahrhunderts kam es weltweit zu einem Anstieg würde man vor allem eine Verringerung der Maße des der Durchschnittstemperatur in der erdnahen Atmo- Flugapparates (Flügellänge, Kipp), der mit Zug- und sphäre. Als eine zu erwartende Reaktion von Vogel- Dispersionsverhalten einhergeht, erwarten. arten auf die globale Erwärmung wurden morpho- Die Datengrundlage bildeten 1.080 Bälge von fünf logische Veränderungen in Form von abnehmender häufigen heimischen Greifvogel- und Eulenarten (Sper- Körpergröße bei zunehmenden Umgebungstempera- ber Accipiter nisus n = 379, Habicht Accipiter gentilis turen vorhergesagt (Sheridan & Bickford 2011). Bis- n = 107, Mäusebussard Buteo buteo n=258, Turm- herige vorwiegend an kurzlebigen Singvögeln gewon- falke Falco tinnunculus n=121, Waldkauz Strix aluco nene Erkenntnisse waren allerdings widersprüchlich n = 180; Abb. 1) aus einem Untersuchungszeitraum von (Yom-Tov et al. 2006; Gardner et al. 2009; Salewski 135 Jahren (1880 bis 2015). Alle gesammelten Vögel et al. 2014). stammen aus dem klimatisch homogenen Norden Ziel dieser Untersuchung war es zu überprüfen, ob und Osten Österreichs (Naturhistorisches Museum bei langlebigen Beutegreifern diese prognostizierten Wien, Biologiezentrum Linz). Insgesamt wurden sie-

Abb. 1: An Vogel- bälgen genommene morpho­metrische Maße bilden die Daten­grundlage die- ser Untersuchung. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 379 ben morphologische Merkmale pro Balg vermessen Demnach scheinen auf den ersten Blick Anpassun- (Flugapparat: Flügellänge, Kipp = Handschwingenpro- gen an die Hauptbeutetier-Kategorien (agile Vögel, im jektion, Schwanzlänge; Killing Apparat: Schnabellänge Gegensatz zu weniger agilen Kleinsäugern, Reptilien, und -höhe, Länge der Hinterkralle, Tarsuslänge). Da Insekten) bei Beutegreifern langfristig bedeutsamer zu Angaben zum Körpergewicht nur unvollständig vor- sein als der Temperaturanstieg. handen waren, konnte dieser Faktor nicht berücksich- Die Hypothese, dass morphologische Veränderun- tigt werden. Mit Hilfe von Regressionsmodellen und gen in Form abnehmender Körpergröße bei mitteleu- Pearson-Korrelationen wurden Abhängigkeiten und ropäischen Beutegreifern auftreten, konnte somit nicht Zusammenhänge zwischen Jahr (1880 bis 2015) und verifiziert werden. Es ist auch fraglich, ob dies ohne Individuum, Temperatur und Individuum sowie den zusätzliche (jahreszeitlich korrigierte) Gewichtsanga- einzelnen morphologischen Merkmalen untereinander ben möglich ist. Unter Umständen reagieren langlebige unter Beachtung von Alter und Geschlecht untersucht. Arten auch weniger extrem als kurzlebige Taxa. Bei Unter Berücksichtigung aller morphologischen künftigen Untersuchungen zu dieser Thematik sollten Merkmale waren signifikante Veränderungen und jedenfalls weitere potenzielle Umwelteinflüsse (z. B. Trends in dem untersuchten Zeitraum nicht konsis- Veränderung des Nahrungsangebotes und der durch- tent. Nur bei vier der fünf Arten wurden signifikante schnittlichen Beutetiergröße, Habitatveränderung usw.) Zusammenhänge zwischen dem „Flugapparat“ (Flü- verstärkt berücksichtigt werden. gellänge, Kipp, Schwanzlänge) und dem untersuch- ten Zeitraum (Sperber, Habicht) bzw. der Temperatur Literatur (Mäusebussard, Turmfalke) gefunden. Bei jedem der Gardner JL, Heinsohn R & Joseph L 2009: Shifting latitudi- Maße war eine Zunahme, nie eine Abnahme, zu ver- nal clines in avian body size correlate with global warming zeichnen. Bezogen auf den „Killing Apparat” waren in Australian passerines. Proceedings of the Royal Society signifikante Zusammenhänge lediglich bei zwei Arten B 276: 3845-3852. nachweisbar (Mäusebussard, Waldkauz). Bei allen fünf Salewski V, Siebenrock KH, Hochachka WM, Woog F & untersuchten Arten ergaben sich jedoch zusätzlich Fiedler W 2014: Morphological change to birds over 120 intra­spezifisch signifikante Korrelationen zwischen years is not explained by thermal adaptation to climate change. PLoS One 9(7): e101927. doi:10.1371/journal. den einzelnen morphologischen Merkmalen. Beim pone.0101927 Vergleich mit aus dem Untersuchungsgebiet stam- Sheridan JA & Bickford D 2011: Shrinking body size as an menden Beutelisten dieser Arten wurden die meisten ecological response to climate change. Nature Climate und stärksten Korrelationen bei den auf Vogeljagd spe- Change 1: 401-406. zialisierten Prädatoren (Sperber, Habicht) festgestellt, Yom-Tov Y, Yom-Tov S, Wright J, Thorne CJR & Du Feu deutlich geringere bei den „flexibleren“ Generalisten R 2006: Recent changes in body weight and wing length (Mäusebussard, Turmfalke, Waldkauz). among some British passerine birds. Oikos 112: 91-101.

Barwisch I, Sandow LM, Kolbe J, Mewes W, Modrow M, Zielosko G, Höltje H & Schmitz-Ornés A (Greifswald, Karow, Bernau, Erfurt): Teilzeit oder Fulltime? – Untersuchungen zum Brutverhalten Eurasischer Kraniche

✉✉Isabel Barwisch, AG Vogelwarte, Zoologisches Institut und Museum, Universität Greifswald, E-Mail: [email protected]

Für die Entwicklung geeigneter Konzepte zum Schutz chung 17 Brutplätze des Eurasischen Kranichs in Meck- und zur langfristigen Erhaltung bestimmter Arten sind lenburg-Vorpommern mittels Wildkameras überwacht. Kenntnisse über das Verhalten von essenzieller Bedeu- Anhand von Bildaufnahmen wurden einzelne Aspekte tung. Für derartige Forschungen stand der Eurasische des Brutverhaltens der Kraniche analysiert. In Hinblick Kranich Grus grus schon länger im Focus der Wissen- auf Unterschiede zwischen den Tageszeiten, Brutplatzty- schaft. Auch wenn bestimmte Verhaltensweisen bereits pen und individuellen Variationen der untersuchten Kra- genau untersucht werden konnten, sind beim Brutver- nichpaare, stehen die allgemeinen Brutabläufe im Focus halten, welches für den Arterhalt von großer Bedeutung der Auswertung. Insbesondere die Häufigkeit der Brutab- ist, noch eine Reihe von Fragen offen. Im Frühjahr und lösung sowie die investierte Zeit in die Bruten einzelner Frühsommer 2016 wurden im Rahmen einer Untersu- Individuen sind die zentralen Aspekte der Untersuchung. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

380 Themenbereich „Ökologie“ • Poster

Kolbe J, Sandow LM, Mewes W, Modrow M, Zielosko G, Höltje & Schmitz-Ornés A (Greifswald, Karow, Bernau, Erfurt): Enttarnt – Tätern auf der Spur! Wildkameras identifizieren störende Einflüsse auf brütende Kraniche

✉✉Jessica Kolbe, AG Vogelwarte, Zoologisches Institut und Museum, Universität Greifswald, E-Mail: [email protected]

Störungen oder gar Prädation während der Brut zählen hen der Kraniche und Aufschluss bei Gelegeverlust. Es zu den bedeutendsten Einflussfaktoren auf den Brut­ konnten sowohl potenzielle Prädatoren, wie Waschbär erfolg einer Art und führen häufig sogar zum Verlust und Fuchs als auch Störungen durch Enten, Rehe, Men- ganzer Gelege. Der Eurasische Kranich Grus grus gilt schen und fremde Kraniche ausgemacht werden. Bei als sehr sensibel und verlässt nicht selten sein Nest beim der Auswertung der Kameraaufzeichnungen wurden Auftreten von Störungen. 2016 wurden insgesamt 17 auch die Abwehrversuche der Brutvögel hinsichtlich Brutverläufe in zwei Untersuchungsgebieten in Meck- erfolgreicher bzw. missglückter Verteidigung des Gele- lenburg-Vorpommern mit Hilfe von Wildkameras ges berücksichtigt. Die gewonnenen Ergebnisse sollen überwacht. Ziel war die Identifizierung potenzieller aufzeigen, welche Prädatoren bzw. Störungen die poten- Störungen und Prädatoren. Das gewonnene Bildmate- ziell größte Gefährdung des Bruterfolgs einheimischer rial gibt seltene Einblicke in das heimliche Brutgesche- Kraniche derzeit darstellen.

Sandow L-M, Barwisch I, Kolbe J, Mewes W, Modrow M, Zielosko G, Höltje H & A. Schmitz-Ornés A (Greifswald, Karow, Bernau, Erfurt): Wie warm hat's ein Kranichei? Erfassung der Bruttemperatur mit Hilfe von Datenloggern

✉✉Laura-Marie Sandow, AG Vogelwarte, Zoologisches Institut und Museum, Universität Greifswald, E-Mail: [email protected]

Die Inkubation als kritische Phase in der Brutbiologie sowie die Abwesenheitszeit bzw. die Verweildauer der von Vögeln hat essenzielle Bedeutung für den Repro- Altvögel auf ihrem Gelege. Im Untersuchungsgebiet duktionserfolg. Derzeit weiß man nur wenig über in Mecklenburg-Vorpommern konnten erfolgreich natürlich auftretende Variationen von Inkubationsbe- 14 Thermologger-Eier in insgesamt 17 Gelegen aus- dingungen. Der Eurasische Kranich Grus grus ist am gebracht werden. Zusätzlich wurde in der Nähe der Nistplatz sehr sensitiv und neigt dazu, bei Auftreten Nester jeweils eine Kamera installiert, um die Gründe von Störungen sein Nest zu verlassen. Um den Brut- auftretender Störungen des Brutverlaufes identifizieren verlauf und die Inkubationstemperatur brütender Kra- zu können. In der Auswertung wurden die Bruttempe- niche besser untersuchen zu können, wurden Versuche raturen der Wald- und Offenlandhabitate verglichen mit Temperatur-Datenloggern in Kunsteiern unter- und in Zusammenhang mit dem aufgezeichneten Bild- nommen. Ziel war die Erfassung der Bruttemperatur, material interpretiert. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 381

Kubetzki U, Rail JF & Garthe S (Hamburg, Québec City/Kanada, Büsum): Nahrungssuche im dreidimensionalen Raum: Horizontale und vertikale Flugmuster von Basstölpeln aus Bonaventure Island in Québec, Kanada

✉✉Ulrike Kubetzki, Universität Hamburg, Martin-Luther-King-Platz 3, D-20146 Hamburg, E-Mail: [email protected]

Vögel nutzen zur Nahrungssuche den dreidimensiona- von Vögeln mit Windenergieanlagen in den Vordergrund len Raum. Während die horizontalen Flugmuster für getreten. Im Rahmen einer langfristigen Kooperation mehrere Vogelarten inzwischen gut untersucht sind, zwischen der Universität Kiel und dem Canadian Wildlife weiß man über die Flughöhen von nahrungssuchenden Service wurden 2016 im kanadischen Québec die Flug- Vögeln für die meisten Arten noch nichts. Dies gilt insbe- höhen von Basstölpeln untersucht. Die dortige Kolonie sondere für Seevögel, die sich auf dem Meer der direkten Bonaventure Island gehört mit rund 50.000 Brutpaaren Beobachtung weitgehend entziehen. Dabei sind Daten zu den größten Basstölpel-Kolonien der Welt. Insgesamt zu Flughöhen von großer Bedeutung, z. B. zur Einschät- 17 Küken fütternde Altvögel wurden zur Brutzeit Mitte zung von Wettereinflüssen auf die Tiere, für energetische Juli mit solarbetriebenen GPS-Datenloggern ausgerüstet, Betrachtungen, aber auch für ein besseres Verständnis die speziell für Höhenmessungen programmiert wurden. von Nahrungssuchstrategien. In den letzten Jahren sind Die ersten Ergebnisse der Studie wurden im Posterbeitrag vor allem Risikoabschätzungen zu möglichen Kollisionen präsentiert.

Melter J, Belting H, Hönisch B & Raude N (Belm, Hüde): Kükenverluste von Uferschnepfen am Dümmer

✉✉Johannes Melter, BIO-CONSULT, Dulings Breite 6-10, D-49191 Belm, E-Mail: [email protected]

Im EU-Vogelschutzgebiet V 39 „Dümmer“ wurden in suchung der räumlichen Unterschiede der Prädation den letzten Jahrzehnten umfangreiche Maßnahmen zwischen verschiedenen Gebietsteilen. Von 2008 bis zur Optimierung der Feuchtwiesen als Lebensraum 2016 konnten am Dümmer insgesamt 243 Uferschnep- u. a. für die Uferschnepfe Limosa limosa durchgeführt. fenküken kurz nach dem Schlupf besendert werden. Aktuell läuft auch hier das LIFE+ Projekt Grünland­ Von diesen wurden mindestens 82 Küken prädiert. extensivierung und Wiedervernässung für Wach- 86 Sender blieben trotz intensiver Nachsuche unauf- telkönig Crex crex und Uferschnepfe in Niedersach- findbar; bei diesen „verschollenen“ Sendern ist ebenfalls sen (LIFE 10/NAT/DE/011; www.wiesenvoegel-life. Prädation wahrscheinlich. In den beiden Teilgebieten de). Bruterfolgskontrollen ergaben, dass es trotz der des EU-Vogelschutzgebietes Ochsenmoor (südlich des umfangreichen Habitatgestaltung (z. B. großflächige Dümmers gelegen) und Osterfeiner Moor (nördlich des Vernässung) am Dümmer in etlichen Jahren immer Dümmers) wurden zu verschiedenen Zeitpunkten Maß- wieder zu hohen Gelege- und Kükenverlusten bei nahmen zum Prädationsmanagement durchgeführt. Es Wiesenvögeln, v. a. auch der Uferschnepfe, kam. Valide werden die Verursacher der Prädation dargestellt und Daten zu den Verursachern lagen nicht vor. Deshalb die Daten der beiden Teilgebiete verglichen. werden am Dümmer begleitende Untersuchungen zur Kükenaufzucht an Uferschnepfen durchgeführt. Mittels Literatur Radio-Telemetrie der Küken lassen sich Erkenntnisse Hönisch B, Artmeyer C, Melter J & Tüllinghoff R 2008: erzielen, die über die reine Beobachtung der Vögel im Telemetrische Untersuchungen an Küken vom Großen Rahmen der klassischen Bruterfolgsermittlung nicht zu Brachvogel Numenius arquata und Kiebitz Vanellus vanel- erreichen sind. Die Kükentelemetrie hat sich als geeig- lus im EU-Vogelschutzgebiet Düsterdieker Niederung. Vogelwarte 46: 39-48. nete Methode zur Untersuchung von Verlustursachen Teunissen W, Schekkermann H, Willems F & Major F 2008: erwiesen (Hönisch et al. 2008; Teunissen et al. 2008). Identifying predators of eggs and chicks of Lapwing Vanellus Mittels der Besenderung sollen u. a. folgende Fragen vanellus and Black-tailed Godwits Limosa limosa in the Neth- untersucht werden: 1. Ermittlung der relevanten Ver- erlands and the importance of predation on wader reproduc- lustursachen. 2. Bestimmung der Prädatoren. 3. Unter- tive output. Ibis 150: 74-85. www.wiesenvoegel-life.de/ © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

382 Themenbereich „Ökologie“ • Poster

Saccavino E, Krämer J & Tietze DT (Frankfurt/Main, Heidelberg): Morphologische Anpassung südwestdeutscher Amseln an das Stadtleben?

✉✉Dieter Thomas Tietze, IPMB und Heidelberg Center for the Environment, Universität Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 364, D-69120 Heidelberg, E-Mail: [email protected]

Die fortschreitende Urbanisierung verändert in zuneh- ren Flügeln einhergeht. Dazu wurden in Frankfurt am mendem Maße Landschaften und Lebensräume. Habi- Main und Heidelberg sowie in den angrenzenden Mit- tatverlust, Licht-, Lärm- und Luftverschmutzung sowie telgebirgen Taunus bzw. Odenwald entlang von Urba- veränderte klimatische Bedingungen, aber genauso neu nitätsgradienten, die von den Stadtzentren bis in die entstandene Futterquellen sind auch für Vögel neue angrenzenden Wälder reichten, Amseln gefangen und Heraus­forderungen. Verschiedene Studien haben gezeigt, ihre Flügel vermessen. Um einen mehrstufigen oder gar dass sie mit physiologischen, verhaltensbiologischen und kontinuierlichen Urbanitätsgradienten als erklärende morphologischen Anpassungen auf die veränderten Variable zu bilden, wurden in den Städten neben innen- Bedingungen reagieren. Gut belegt ist das veränderte städtischen Bereichen auch Orte mit Vorstadtcharakter Zugverhalten bei städtischen Amseln Turdus merula: und städtischer Wald untersucht sowie verschiedene Durch Freiland- und Laborbeobachtung sowie genetische Urbanitätskenngrößen erhoben. und isotopenbasierte Analysen konnte nachgewiesen Tendenzen zu stumpferen Flügeln in der Stadt in werden, dass diese deutlich häufiger auch den Winter in Verbindung mit verringertem Zugverhalten lassen ihren Brutgebieten verbringen (z. B. Partecke & Gwinner sich vermutlich auf bessere klimatische Bedingungen 2007). Diese Studien untersuchten jedoch nicht, ob und zurückführen, die den Amseln ermöglichen, den Win- wie sich das reduzierte Zugverhalten in der Morphologie ter in ihren Brutgebieten zu verbringen. Dies geht mit und speziell in der Flügelform niederschlägt. Seebohm’s höheren Temperaturen und einer verbesserten Nah- Regel zu Folge sollte sich dies in Form von stumpferen rungsverfügbarkeit einher. Aber auch andere Faktoren Flügeln widerspiegeln. Vergleichende Untersuchungen an können eine Rolle spielen. einer reinen Waldpopulation aus Stand- und Zugvögeln (Fudickar & Partecke 2012) sowie zwischen Stadt- und Literatur Landvögeln entlang eines Urbanitätsgradienten in meh- Evans KL, Gaston KJ, Sharp SP, McGowan A & Hatchwell reren europäischen Städten (Evans et al. 2009) konnten BJ 2009: The effect of urbanisation on avian morphology dies nicht zeigen. Dieser Ansatz verwendete jedoch nur and latitudinal gradients in body size. Oikos 118: 251-259. Fudickar AM & Partecke J 2012: The flight apparatus of migra- die Flügellänge als solche, nicht aber auch den Kipp’schen tory and sedentary individuals of a partially migratory song- Abstand, der – geteilt durch die Flügellänge – anzeigt, wie bird species. PLoS ONE 7: e51920. spitz der Flügel ist. Partecke J & Gwinner E 2007: Increased sedentariness in Euro- Ziel unserer Arbeit war zu prüfen, ob das reduzierte pean Blackbirds following urbanization: A consequence of Zugverhalten von Amseln in der Stadt mit stumpfe- local adaption? Ecology 88: 882-890.

Waringer BM, Reiter K & Schulze CH (Wien/Österreich): Die Bedeutung von Auwäldern als Lebensraum für Halsbandschnäpper: Eine Fallstudie aus dem Nationalpark Donau-Auen (Niederösterreich)

✉✉Barbara Waringer, Department für Botanik und Biodiversitätsforschung, Abteilung für Tropenökologie und Biodiver- sität der Tiere, Rennweg 14, CH-1030 Wien, Österreich, E-Mail: [email protected]

Der Halsbandschnäpper Ficedula albicollis (HBS) gehört in Auwäldern unterschiedlicher Nutzungsgeschichte zu den wenigen insektivoren Langstreckenziehern, mit ausschließlich natürlichen Nisthöhlen erfasst. Über deren Bestände europaweit leicht zunehmen (BirdLife den gesamten Zeitraum der Besetzung von Territorien International 2016). In dieser Studie wurden die Habitat­ wurde jeder Zählpunkt sechs Mal begangen, um die zeit- ansprüche einer HBS-Population in einem der größten liche Abfolge der Besetzung von Territorien zu doku- verbleibenden Auwälder Mitteleuropas im Nationalpark mentieren. Zudem wurden alle Meisen, Spechte und Donau-Auen untersucht. Dazu wurden im April/Mai Kleiber notiert, um ihre mögliche Bedeutung als Brut- 2015 HBS an 147 zufällig ausgewählten Zählpunkten konkurrenten und/oder Höhlenlieferanten für HBS zu © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 383 analysieren. Weiterhin wurden innerhalb eines Radius ren Kronenrauigkeit festgestellt werden konnten. Als von 50 m verschiedene Vegetationsparameter (Anzahl weitere bedeutende Faktoren stellten sich Vorkommen Totholzstämme, Baumkronenrauigkeit), der Waldtyp des Buntspechts Dendrocopos major (negativer Effekt), (Hartholzau vs. Weichholzau), das Alter des Waldbe- Höhlenverfügbarkeit (positiver Effekt) und Totholz- standes, Landschaftsvariablen (Distanz zu Gewässern stämme mit einem Durchmesser > 20 cm (negativer und Offenland), die Verfügbarkeit von Spechthöhlen Effekt) heraus. Territorien mit höherer Baumkronen- und die Dichte an Fluginsekten (Flashpohler 1997) rauigkeit (Daten aus LiDAR-Befliegung) wurden zudem berücksichtigt. auch tendenziell früher besetzt als solche mit einer Insgesamt konnten an 57 % der Zählpunkte innerhalb homogeneren Baumkronenschicht. eines Radius von jeweils 50 m in der Summe 84 Territo- Die vorliegende Studie zeigt nicht nur die große rien festgestellt werden. Die resultierende Populations- Bedeutung von Auwäldern für den HBS auf, sondern dichte (7,28 Territorien pro 10 ha) in Auwäldern entlang liefert zudem Hinweise auf das hohe Potenzial von der Donau östlich von Wien liegt damit sicherlich über Remote Sensing-Daten für Habitatnutzungsanalysen dem Durchschnitt für mitteleuropäische Laubwälder. von Waldvogelarten. Die für die Territorienwahl wichtigen Habitatvariablen wurden mittels einer Modellselektion ermittelt (verall- Literatur gemeinerte lineare Modelle mit HBS-Inzidenzen als BirdLife International 2016: Ficedula albicollis. http://www. Zielvariable). Die Oberflächenrauigkeit der Baum- birdlife.org/datazone/species/factsheet/22709315 (Zugriff kronenschicht erwies sich als der beste Prädiktor für am 15.09.2016). ein HBS-Vorkommen, wobei die Art mit höherer Flashpohler DJ 1998: A technique for sampling flying insects. Wahrscheinlichkeit an Zählpunkten mit einer höhe- J. Field Ornithol. 69: 201-208.

Schmitz-Ornés A (Greifswald): Lachmöwenweibchen zeigen ihre Individualität: Farbmuster, Form und Größe der Eier

✉✉Angela Schmitz-Ornés, Zoologisches Institut und Museum, Universität Greifswald, E-Mail: [email protected]

Die große Variabilität von Eischalenfarbmustern könnte weitere ökologische Fragen gestellt werden, wie z. B.: verschiedene Gründe und Auswirkungen haben. Farbe Zeigt intraspezifischer Brutparasitismus den Grad von und Fleckung der Schale sind eventuell unter Einfluss Stress in einer Population an? Variiert der Brutparasi- sexueller Selektion entstanden, als Indikator der Qua- tismus abhängig vom Ort des Nestes in der Kolonie? lität von Weibchen. Im Falle von interspezifischem In der Brutsaison 2015 haben wir 35 Gelege aus der Brutparasitismus wurde nachgewiesen, dass sich die Kolonie der Insel Böhmke im Achterwasser von Use- Morphologie der Eier (hauptsächlich das Farbmuster) dom (Mecklenburg-Vorpommern) fotografiert. Da die der parasitären Art und der Wirtsart in koevolutionä- Kamera UV-sensitiv ist, konnten Bilder gemacht werden, rer Weise verändern kann. Für Arten mit inter- oder die den kurzwelligen Bereich des Wahrnehmungsspek- intraspezifischem Brutparasitismus ist die Erkennung trums von Vögeln einschlossen. Eischalen-Farbmuster der eigenen Eier essenziell für den Bruterfolg. Die Lach- waren innerhalb von Gelegen signifikant ähnlicher als möwe Larus ridibundus ist eine langlebige, monogame zwischen Gelegen. Weil wir wegen der Möglichkeit von Art, die am Boden in Kolonien unterschiedlicher Größe Brutparasitismus aber nicht annehmen können, dass die brütet. Weibchen legen sehr unterschiedliche Eier und Eier in einem Nest immer von lediglich einem Weibchen intraspezifischer Brutparasitismus ist bekannt. Auf- gelegt wurden, müssen genetische Kontrolluntersuchun- grund des Sozialsystems dieser Art ist zu erwarten, dass gen durchgeführt werden. Die Resultate dieser morpho- ihre Eier individuelle „Farb-Fingerabdrücke“ zeigen. Da logischen Untersuchungen bilden somit die Hypothese Lachmöwen auf engem Raum brüten, haben sie eventu- für die DNA-basierten Tests. Wir erwarten, intraspezi- ell Mechanismen entwickelt, um ihre Eier zu erkennen. fischen Brutparasitismus in den Nestern nachzuweisen, In dieser Arbeit untersuchten wir, ob Lachmöwen- in denen die Eier eine hohe morphologische Variation weibchen individuelle Ei-Morphologien bezüglich aufweisen. Wir hoffen, mit unserer Forschungsarbeit Größe, Form und vor allem Farbmuster haben. Falls unter der Verwendung neuer Methoden bestehende dies der Fall ist, könnte man anhand der Gelege das ökologische Informationen von Lachmöwenkolonien Ausmaß von intraspezifischem Brutparasitismus in zu ergänzen, um ihre Brutökologie besser zu verstehen einer Kolonie schätzen. Auf dieser Grundlage könnten und naturschutzrelevante Fragen anzusprechen. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

384 Themenbereich „Ökologie“ • Poster

Schlaich AE (Scheemda/Niederlande): Welche Faktoren beeinflussen Bewegungsmuster von Wiesenweihen während der Überwinterung?

✉✉Almut Schlaich, Dutch Montagu‘s Harrier Foundation, Scheemda, Niederlande, E-Mail: [email protected]

Viele Langstreckenzieher verbringen mehr als die Hälfte besenderten Wiesenweihen wollen wir untersuchen, ob des Jahres in ihren Überwinterungsgebieten. Wiesen- die Vögel den Wechsel zwischen aufeinanderfolgenden weihen Circus pygargus überwintern in der Sahelzone, Gebieten abhängig von den vorherrschenden ökologi- wo sie im Mittel vier verschiedene Gebiete nutzen, zu schen Bedingungen terminieren. Findet der Wechsel denen sie in aufeinanderfolgenden Jahren Ortstreue von einem ins nächste Gebiet in trockeneren Jahren zeigen. Heuschrecken, die Hauptnahrung von Wiesen- früher statt, da die Austrocknung auch die Nahrungs- weihen während der Überwinterung, sind abhängig von verfügbarkeit einschränkt? Sind Gebiete, in denen grüner Vegetation. Diese nimmt im Laufe der Überwin- natürliche Habitate überwiegen, stabiler als rein land- terungsperiode von Norden her stets mehr ab, da dann wirtschaftlich genutzte Landschaften und findet des- Trockenzeit ist und die Sahelzone vom Rande der Sahara halb ein Wechsel eher zur selben Zeit statt? Zusätzlich ausgehend immer mehr austrocknet. Die Wiesenwei- wollen wir mögliche Konsequenzen für nachfolgende hen bewegen sich deshalb schrittweise nach Süden und Perioden diskutieren, beispielsweise ob ein verfrühter besuchen Gebiete, wo es noch grüner ist und deshalb Wechsel in einem trockenen Jahr das Abzugsdatum und auch noch mehr Nahrung zu finden ist. Mit Hilfe von die Ankunft im Brutgebiet beeinflusst.

Spanke T, Ganchev T, Jahn O, Jung J & Töpfer T (Bonn, Varna/Bulgarien): Audio libraries of the Western Rock Nuthatch Sitta neumayer for semi-automated sound classification

✉✉Tobias Spanke, Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig, Adenauerallee 160, D-53113 Bonn, E-Mail: [email protected]

Die Erfassung von Biodiversität und Artverbreitungen mehrerer Testbibliotheken konnten wir bestätigen, dass wird traditionell durch Feldbeobachtungen realisiert, die berechneten Modelle in der Lage waren, Audiodaten die zeitaufwändig und kostspielig sind. Diese Vorge- mit Felsenkleiber-Signalen automatisiert zu identifizieren. hensweise erfasst darüber hinaus nur einen Teil der Wir beobachteten, dass der Umfang an Vokalisationsvari- für ein Monitoring infrage kommenden Spezies. Im anten, die in der Bibliothek der Felsenkleiberrufe vorhan- Hinblick auf das derzeitige globale Artensterben ist den waren, ausschlaggebend für eine hohe Identifikations- die Entwicklung innovativer Monitoring-Methoden rate ist. Eine geringe Repräsentation einzelner Ruftypen ein wichtiger Ansatz, um mehr Informationen über die innerhalb des Audiomaterials hatte einen stärkeren Ein- Umwelt und ihre Beschaffenheit zu erhalten, als mit fluss auf falsch-positive Identifikationen als die Komple- traditionellen Methoden möglich ist. xität der Vokalisation an sich. Das Erstellen von digitalen Aus Audiodaten, die mit Hilfe von autonomen Rekor- Detektoren für lautäußernde Arten ist ein vieldiskutiertes dern im griechischen Hymettus aufgenommen wurden, Thema innerhalb der Bioakustik. Nur ein Detektor mit erstellten wir eine sehr hochwertige Tonbibliothek mit extrem hoher Treffergenauigkeit und gleichzeitiger Stör- Vokalisationen des Felsenkleibers Sitta neumayer. Ein geräuschtoleranz kann für ökologische Freilandstudien zusätzliches Set von Tonaufnahmen beinhaltete akus- eingesetzt werden. Die limitierenden Faktoren für sol- tisches Material, das ausschließlich Hintergrundgeräu- cherart Detektoren sind derzeit die Verfügbarkeit geeig- sche ohne die Zielart umfasste. Auf der Basis menschli- neter Audiobibliotheken und technische Limitationen im cher Spracherkennung erstellten wir für beide Corpora Bereich der Spracherkennung. Kontinuierliche Verbes- ein Hidden-Markov-Model, welches die akustischen serungen frei zugänglicher Spracherkennungs-Software Eigenschaften von Zielart und Hintergrundgeräuschen und der Aufbau qualitativ hochwertiger Tondatenban- widerspiegelt. ken ermöglichen derzeitigen Forschungsprojekten, den Unsere Ergebnisse zeigen, dass es möglich ist, die genannten Einschränkungen entgegenzuwirken. Dieser komplexen Variationen von Felsenkleiber-Gesängen Trend verspricht interessante Anwendungsgebiete für die mit mathematischen Modellen zu beschreiben. Anhand ökologische Bioakustik in der Zukunft. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 385

Themenbereich „Vogelzug“

• Vorträge

Dorsch M, Kleinschmidt B, Žydelis R, Heinänen S, Morkūnas J, Quillfeldt P & Nehls G (Husum, Gießen, Kopenhagen/Dänemark, Klaipėda/Litauen): Satellitentelemetrische Untersuchungen an Sterntauchern in ihrem Überwinterungsgebiet auf der deutschen Nordsee

✉✉Monika Dorsch, BioConsult SH, Schobüller Str. 36, D-25813 Husum, E-Mail: [email protected]

Sterntaucher kommen im Frühjahr in großen Zahlen winterungsgebiet in Bezug auf Nutzung von Gebieten in den Offshore-Bereichen der deutschen Nordsee vor mit und ohne Offshore-Windparks analysieren sowie und nutzen dabei auch Bereiche, die für den Ausbau weitere Fragestellungen zu Zugmustern, Brutgebieten der Offshore-Windenergienutzung von zunehmendem und Ortstreue der Sterntaucher beantworten. Die Daten Interesse sind. Hieraus ergibt sich ein Konfliktpotenzial, der besenderten Sterntaucher zeigen, dass diese beste- da Sterntaucher Gavia stellata wie Seetaucher allgemein hende Offshore-Windpark-Gebiete fast komplett mei- sehr empfindlich auf Störungen reagieren und Unter- den. Die Bewegungsmuster und Aktionsräume (Home suchungen an bereits bestehenden Windparks darauf Ranges) im Überwinterungsgebiet sind individuell sehr hindeuten, dass die Windparkbereiche von Seetauchern verschieden und deuten auf eine hohe Mobilität der gemieden werden. Unser Forschungsvorhaben verfolgt Tiere hin. Auch hinsichtlich der Ortstreue zum Über- daher das übergeordnete Projektziel, die Auswirkun- winterungsgebiet wurden individuelle Unterschiede gen von Offshore-Windparks auf Habitatnutzung und festgestellt. Während ein Teil der besenderten Stern- Bewegungsmuster von Sterntauchern zu untersuchen taucher im zweiten Winter früh in den Bereich des und in Bezug auf die Offshore-Windkraftplanung pla- Fanggebiets auf der Nordsee zurückkehrte, verbrachten nungs-, bewertungs- und genehmigungs-relevante Wis- andere den Winter in der Irischen See, vor der britischen senslücken zu schließen. Küste oder in der Ostsee. Der Einzugsbereich der in Seit März 2015 wurden in zwei Frühjahrssaisons bis- der deutschen Nordsee überwinternden Sterntaucher lang insgesamt 36 Sterntaucher im Bereich des Sylter ist sehr groß. Die potenziellen Brutgebiete der auf der Außenriffs auf der deutschen Nordsee gefangen und deutschen Nordsee gefangenen Sterntaucher erstrecken mit Satellitensendern ausgerüstet. Mittels dieser Daten sich von Westgrönland über Norwegen bis zur Yamal- konnten wir die Bewegungsmuster der Vögel im Über- und Taimyr-Halbinsel Sibiriens.

Abb. 1: Sterntaucher Gavia stellata mit Satellitensender. Der Vogel wurde innerhalb des DIVER-Projekts im Frühjahr 2016 westlich von Sylt besendert. Foto: C. Burger © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

386 Themenbereich „Vogelzug“ • Vorträge

Kreft S (Berlin): Altitudinalbewegungen von Vögeln im Nationalpark Carrasco und Umland, Bolivien – eine feldornithologische Erhebung

✉✉Stefan Kreft, Urbanstr. 28A, D-10967 Berlin, E-Mail: [email protected]

Altitudinalwanderungen von Vögeln und anderen Tie- scher Einflüsse, wie im Südwinter häufig aus dem süd- ren tragen erheblich zur räumlich-zeitlichen Dyna- lichen Südamerika eintreffende Kaltluftschübe. Anders mik in Ökosystemen tropischer Gebirge bei. Tropi- als bei vielen anderen Taxa war der Wissensstand zur sche Gebirge sind nicht nur wegen dieser altitudina- Taxonomie und Ökologie der Avifauna Boliviens aus- len Tierwanderungen interessant für die biologische reichend. Auch ihre hohe Mobilität prädestiniert Vögel Forschung. Sie bieten auch besondere Gegebenheiten für Untersuchungen zur Ökologie von Altitudinalbe- wie z. B. unterschiedliche Ökotone in unmittelbarer wegungen. Aus naturschutzfachlicher Sicht spielen sie Nachbarschaft (Terborgh 1985). Tropische Gebirge eine bedeutende Rolle in tropischen Ökosystemen, sind zudem wissenschaftlich reizvoll und naturschutz- unter anderem als Bestäuber und Samenausbreiter. Für fachlich wichtig als Diversitäts- und Endemismuszen- Bolivien existiert noch keine feldornithologische Studie tren (Kier et al. 2005). Für die Menschen und mithin zum Thema Altitudinalbewegungen. für Problemstellungen des Naturschutzes kommt Die umfassenden feldornithologischen Arbeiten Gebirgswäldern, vor allem als bewaldeten Quellge- erstreckten sich über die Jahre 2000 bis 2003. Ein bieten der großen Flüsse in den intensiv bewirtschaf- Gunstfaktor bestand in der Existenz eines komplet- teten Niederungen, hohe Bedeutung unter anderem bei ten und über weite Strecken sehr gut erhaltenen der Bereitstellung von Trinkwasser, der Pufferung des Wald-Höhentransekts vom Tiefland (bei 300 m) bis Abflusses und beim Erosionsschutz zu (Price 2011). zur Waldgrenze (ca. 3.500 m) und darüber hinaus im Wegen ihrer Unwegsamkeit weisen Waldökosysteme Nationalpark Carrasco und seinem Umland, Depart- der Gebirge mancherorts bis heute einen überdurch- ment Cochabamba. Ein weiterer Gunstfaktor war die schnittlich guten Erhaltungszustand auf. Allerdings intensive Zusammenarbeit mit der Gastinstitution, führen Bevölkerungswachstum und immer bessere Fundación Amigos de la Naturaleza (F.A.N. Boli- technische Möglichkeiten der Erschließung auch in via). Im Austausch gegen logistische Beratung und Gebirgen zu einem wachsenden Nutzungsdruck auf ortskundige sowie fachliche Kenntnisse flossen im die Wälder (z. B. Hostettler 2002). Rahmen des Dissertationsprojekts erzielte Daten und Als Beitrag zum Verständnis dieser Waldökosysteme Erkenntnisse in Naturschutz-Planungsprojekte ein, und zu ihrer Erhaltung wurden Altitudinalbewegungen die seinerzeit bei der F.A.N. bearbeitet wurden (z. B. von Vögeln in einem Bergwald in Bolivien im Rahmen Ibisch & Kreft 2007). Die Feldforschungen wurden eines Dissertationsprojekts untersucht. Bolivien liegt mit ergänzt durch umfassende Erhebungen bereits exis- seinem gesamten Territorium innerhalb der tropischen tierender Daten zum Zweck der Klassifizierung des Wendekreise. Eine Besonderheit seiner Lage ergibt sich Wanderstatus lokaler Artbestände. Hinzu kam eine durch das periodische Wirken außertropischer klimati- Zusammenschau publizierter Funddaten. Die Lage des

Abb. 1: Wald-Transekt bei 2.900 m im Nationalpark-Carrasco (Bolivien). © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 387

Untersuchungsgebiets eröffnete zudem die Möglich- schutzvision für die Biodiversität im Biokorridor Amboró keit, die südwinterlichen Kaltluftschübe zu dokumen- – Madidi (CAM): 141-190. Editorial FAN, Santa Cruz, tieren und ihre potenzielle Rolle als Steuerungsfaktor Bolivien (auf Spanisch). https://www.researchgate.net/pub- von Altitudinalbewegungen zu prüfen. lication/308467835_Vision_de_Conservacion_de_la_Bio- Die Ergebnisse des Dissertationsprojekts sind in an diversidad_del_Corredor_Amboro_-_Madidi (zugegriffen: 17. Oktober 2016). anderer Stelle in deutscher Sprache dokumentiert (Kreft Kier G, Mutke J, Dinerstein, E, Ricketts TH, Kuper W, Kreft H 2016). Internationale Publikationen sind in Planung. Die & Barthlott W 2005: Global patterns of plant diversity and Dissertation wurde gefördert durch ein Stipendium der floristic knowledge. Journal of Biogeography 32: 1007-1116. Graduiertenförderung der Universität Hamburg, ein Sti- Kreft S 2016: Altitudinalbewegungen von Vögeln in den pendium des Deutschen Akademischen Austauschdiens- Anden. Mit einer Feldstudie im Nationalpark Carrasco tes (DAAD) und ein Forschungsgeld der Gesellschaft für (Bolivien). Dissertation an der Mathematisch-Naturwissen- Tropenornithologie (GTO). Der Autor dankt Herrn Prof. schaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Univer- Dr. Hermann Mattes und Herrn Prof. Dr. Ingo Hahn sehr sität Münster. https://repositorium.unimuenster.de/docu- herzlich für die Betreuung der Dissertation. ment/miami/9429154d-56c2-4118-b46f-4a676210beca/ diss_kreft.pdf Price MF, Gratzer G, Duguma LA, Kohler T, Maselli D & Romeo Literatur R 2011: Mountain forests in a changing world. Realizing Hostettler S 2002: Tropical montane cloud forests: a challenge values, addressing challenges. FAO/MPS and SDC, Rom. for conservation. http://bft.cirad.fr/cd/BFT_274_19-31.pdf www.mountainpartnership.org/fileadmin/user_upload/ (zugegriffen am 17. Oktober 2016). mountain_partnership/docs/FAO_Mountain-Forests-in-a- Ibisch PL & Kreft S 2007: Die bio-ökologischen Funktionen Changing-World.pdf (zugegriffen: 17. Oktober 2016). und Prozesse, Funktionalität und Services in Ökosyste- Terborgh J 1985: The role of ecotones in the distribution of men. In: Ibisch PL, Araujo N & Nowicki C (Hrsg) Natur- Andean birds. Ecology 66: 1237-1246.

Wink M, Frias R & Bairlein F (Heidelberg, Wilhelmshaven): Welche Gene machen einen Vogel zum Zugvogel?

✉✉Michael Wink, Universität Heidelberg, IPMB, INF 364, D-69120 Heidelberg, E-Mail: [email protected]

Das Zugverhalten von Vögeln ist genetisch determiniert. Funktion von Neuronen und Synapsen beteiligt sind, Schon seit Jahren suchen mehrere Arbeitsgruppen nach eine veränderte Genexpression zur Zugzeit beobach- Genen, die einen Zugvogel von einem Standvogel unter- tet: Period circadian protein 2, Hsp90, cryptochrome scheiden, und Genen, die zur Zugzeit aktiviert werden. 1, cryptochrome 2, exitary amino acid transporter, Ruegg et al. (2014) und Delmore et al. (2015) haben neurexin, cAMP regulated phosphoprotein, K voltage eine Liste von 25 Genen durch Genomsequenzierung gated ion channel, glucose transporter, SRSF protein identifiziert, die möglicherweise mit dem Vogelzug in kinase, copine4, dopamine receptor, glutamate receptor Zusammenhang stehen. Dazu haben sie die Genome 3, glutamate receptor 2, parvalbumin variant 3.DE, und von Zwergdrosseln Catharus ustulatus analysiert. Einen collagen alpha-2. Ob und wie diese Gene am komplexen anderen Ansatz wählten Boss et al. (2016), die sich die Zuggeschehen beteiligt sind, müssen weitere Untersu- Genexpression bei Fitislaubsängern Phylloscopus tro- chungen zeigen. chilus trochilus und P. t. acredula mittels Microarray- Analysen genauer anschauten. Beim Vergleich von Literatur ziehenden einjährigen Fitislaubsängern mit adulten Boss J, Liedvogel M, Lundberg M, Olsson P, Reischke N, Brutvögeln konnte ebenfalls ein Satz an Kandidaten- Naurin S, åkesson S, Hasselquist D, Wright A, Grahn M genen identifiziert werden. & Bensch S 2016: Gene expression in the brain of a migra- In unserem eigenen Projekt mit Steinschmätzern tory songbird during breeding and migration. Movement Oenanthe oenanthe haben wir die Transkriptome von Ecology 4:4. DOI 10.1186/s40462-016-0069-6 sechs Organen (Gehirn, Haut, Leber, Muskel, Darm, Delmore KE, Hübner S, Kane NC, Schuster R, Andrew RL, Fettgewebe) von Vögeln außerhalb der Zugphase und Câmara F, Guigó R & Irwin DE 2015: Genomic analysis of a migratory divide reveals candidate genes for migration zur Zugzeit mittels RNASeq sequenziert. Die von Ruegg and implicates selective sweeps in generating islands of dif- et al. (2014), Delmore et al. (2015) und Boss et al. (2016) ferentiation. Molecular Ecology 24: 1873-1888. beschriebenen Kandidatengene finden wir auch in den Ruegg K, Anderson EA, Boone J, Pouls J & Smith TB 2014: Steinschmätzertranskriptomen. Im Gehirn wurde bei A role of migration-linked genes and genomic islands in den folgenden Kandidatengenen, die teilweise an der divergence of a songbird. Molecular Ecology 23: 4757-4769. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

388 Themenbereich „Vogelzug“ • Vorträge

Sperger C & Fritz J (Innsbruck/Österreich, Mutters/Österreich): Flugstrategien bei migrierenden Waldrappen

✉✉Christian Sperger, Defreggerstrasse 36, A-6020 Innsbruck, Österreich, E-Mail: [email protected]

Im Rahmen eines von der Europäischen Gemeinschaft kommt es nun zum synchronen oder asynchronen Flü- kofinanzierten LIFE+-Projektes werden migrierende gelschlag. Zudem konnte anhand desselben Datensatzes Kolonien des hochgradig gefährdeten Waldrapps Geron­ gezeigt werden, dass der Formationsflug ein Beispiel für ticus eremita wieder angesiedelt. Von menschlichen reziproke Kooperation ist (Voelkl et al. 2015). Zieheltern aufgezogene Waldrappe werden darauf trai- Während der MGM im Jahr 2014 von Grödig (Salz- niert, einem Ultraleicht-Fluggerät zu folgen. Im Herbst burg) in die WWF Oasi Laguna di Orbetello (Toskana) des ersten Jahres lernen sie die Zugroute, indem sie dem wurden Waldrappe abermals mit Datenloggern ausge- Fluggerät Richtung Süden folgen. stattet, um diesmal die Flugstrategien unter verschiede- Im Rahmen einer zwölfjährigen Machbarkeitsstudie nen Rahmenbedingungen zu untersuchen. Die Daten- konnten diese menschengeleiteten Migrationsflüge logger zeichneten sekündlich Positionsdaten mithilfe (MGM) weitgehend dem natürlichen Migrationsver- satellitengestützter Navigationssysteme (GNSS), sowie halten angeglichen werden. Dadurch bieten sie auch Daten von Beschleunigungssensoren in einem 36 Hz einzigartige Rahmenbedingungen für die Grundlagen- Rhythmus auf. Gegenwärtig werden diese Daten ausge- forschung zum Vogelflug und Vogelzug. wertet und mit digitalen Geländemodellen sowie Wet- So ist es im Rahmen der MGM erstmals gelungen, terdaten überlagert. Ziel ist es zu zeigen, wie die Vögel anhand von empirischen Daten nachzuweisen, dass während eines Fluges kontinuierlich ihre Flugtechnik sich Waldrappe beim V-Formationsflug energieeffizi- den äußeren Rahmenbedingungen anpassen. Dabei ent verhalten, indem sie in einem bestimmten Winkel wechseln sich aktives Fliegen, welches meist in einer und Abstand voneinander fliegen (Portugal et al. 2014). V-Formation (Abb. 1) stattfindet, Kreisen in diversen Dies tun sie, da sich vom vorausfliegenden Vogel Luft- Aufwinden und Gleitflüge ab. verwirbelungen wellenartig ausbreiten. Diese Luftwir- Es soll nun untersucht werden, inwieweit die Vögel bel setzen sich aus einem Auf- („upwash“) und einem diese Aufwinde nutzen, um daraus Flughöhe zu generie- Abwind („downwash“) zusammen. Die Vögel waren ren und diese wiederum in einen energiesparenden Gleit- während der MGM mit Datenloggern ausgestattet, die flug umwandeln zu können. Besonderes Augenmerk soll GNSS-Daten und Daten von Beschleunigungssensoren dabei auf das sich unter den Vögeln befindliche Gelände aufzeichneten. Mithilfe dieser Daten konnte bewiesen und die zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden Wetterbe- werden, dass die Vögel meist ihre Flügelschläge so set- dingungen gelegt werden. Erste Ergebnisse zeigen, dass zen, dass diese im Bereich des optimalen „upwash“ statt- die Vögel meist unabhängig vom Fluggerät kreisen und finden. Je nach Position zum vorausfliegenden Vogel sich die für sie idealen Aufwinde selbst suchen. Auch

Abb. 1: Vögel in V-Formation. Foto: M. Unsöld © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 389 konnte im Datensatz eine Vielzahl an Flugsequenzen in Literatur V-Formation und Gleitflug gefunden werden. Portugal SJ et al. 2014: Upwash exploitation and downwash Das Projekt LIFE+ Reason for Hope wird mit 50 % avoidance by flap phasing in ibis formation flight. Nature Unterstützung des Finanzierungsinstruments LIFE der 505: 399-402. Europäischen Union (LIFE+12-BIO_AT_000143, LIFE Voelkl et al. 2015: Matching times of leading and following Northern Bald Ibis) durchgeführt. suggest cooperation through direct reciprocity during V-for- mation flight in ibis. Proc. Nat. Acad. Sci. 112: 2115-2120.

Meyburg B-U & Meyburg C (Berlin, Paris/Frankreich): Flughöhenmessung beim Schreiadler Aquila pomarina im Brutgebiet mittels GSM-GPS- Telemetrie zur Abschätzung des Kollisionsrisikos mit Windenergieanlagen und Flugkörpern

✉✉Bernd-Ulrich Meyburg, Postfach 330451, D-14199 Berlin, E-Mail: [email protected]

Die Flughöhen von Vögeln sind schwer genauer zu berücksichtigt, wenn es mehrere Datensätze kurz hin- ermitteln. Dies gelang bisher fast nur punktuell, jedoch tereinander in ähnlicher Höhe gab (siehe Abb. 1). War kaum über längere Strecken und mittels größerer Mess- der zeitliche Abstand in einzelnen Fällen zu den vor- reihen. Sehr unterschiedliche Methoden wurden einge- angegangenen und den nachfolgenden Ortungen (was setzt (Übersicht siehe Thaxter et al. 2015). Am ehesten insbesondere morgens und abends vorkam, wenn die finden sich Angaben bei Greifvögeln vom Zug, nicht Akkus der Sender nicht gut aufgeladen wurden) zu groß, jedoch aus den Brutgebieten in Europa. Lediglich Schel- so wurden diese verworfen. Einzelwerte in sehr großer ler & Küsters (1999) machten Schätzungen bei direkten Höhe, die gelegentlich vorkommen, wurden stets als Beobachtungen. Selbst in neuesten Publikatio- nen im Zusammenhang mit Windparks wird meist auch nur auf direkte Beobachtung mit dem Fernglas und Höhenschätzungen zurückgegrif- fen (z. B. Grünkorn et al. 2016). Da Schreiadler sehr anfällig dafür sind, mit Windenergieanlagen (WEA) zu kollidieren, wurden von uns 2012 und 2013 drei adulte Männchen an verschiedenen Brutplätzen in Mecklenburg-Vorpommern und ein Brutpaar in Brandenburg mit experimentellen GSM-GPS- Sendern mit Solarbetrieb (Masse 25 g) besendert, die in bis zu vier Brutperioden pro Vogel GPS- Ortungen in großer Zahl übermittelten. Dabei wurden auch die Flughöhe, die Richtung und die Geschwindigkeit im Flug erfasst (Meyburg & Meyburg 2013). GSM ist ein Standard der Tele- kommunikation. Da insbesondere die Höhenangaben bei GPS-Geräten eine gewisse Streubreite aufwei- sen, wurden diese mit der Fluggeschwindigkeit und richtung verglichen. Alle größeren Flug- höhen wurden einzeln manuell überprüft und auf die Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit hin betrachtet, um Falschübertragungen möglichst herauszufiltern. Dabei wurde bei den Ortungen insbesondere der zeitliche Abstand zu den vor- angegangenen und zu den nachfolgenden Ortun- Abb. 1: Die Flughöhe eines Schreiadler-Männchens (Sender-Nr. gen betrachtet und die Plausibilität unter Berück- 00219) in bis zu 1.600 m Höhe über Grund am 27.7.2013 zwischen sichtigung jahrelanger Erfahrungen mit der Art 13:55 Uhr (MESZ) und 14:24 Uhr (MESZ). Angezeigt werden die im Feld abgeschätzt. Insbesondere Ortungen in einzelnen Ortungspunkte mit den jeweiligen Flughöhen. Die Steig- mehreren hundert Metern Höhe wurden nur höhe betrug im Durchschnitt 2,1 m/sec. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

390 Themenbereich „Vogelzug“ • Abendvortrag

Übertragungsfehler gewertet und nicht berücksichtigt. gestellten Flughöhen der Adler bis zu 1.600 m, die mit Insgesamt wurden 73.465 Datensätze ausgewertet. einer Steiggeschwindigkeit von 2,1 bis 2,4 m/s erreicht In 48,9 % der Fälle wurde Flugaktivität festgestellt, die werden, sind in Anbetracht der Seltenheit der Art in restlichen Ortungen erfolgten bei sitzenden Individuen. den Brutgebieten eher unwahrscheinlich. Das einzige Erwartungsgemäß fliegen die Adler im Brutgebiet nicht Weibchen der fünf untersuchten Altadler wurde jedoch so hoch wie auf dem Zug, wo erheblich größere Flug- bei einer Kollision mit einem Kleinflugzeug getötet. Aus höhen erreicht werden. Maximal wurden 1.600 m über der Slowakei sind zwei Attacken von Schreiadlern auf dem Boden (GND) in Deutschland ermittelt. 59,7 % Gleiter bekannt geworden (Mikiara 1990). der ermittelten Flughöhen lagen unterhalb von 200 m (GND), also der Höhe, welche die Rotoren hoher WEA Literatur derzeit erreichen. Der Mittelwert der Flughöhen der Grünkorn T, Blew J, Coppack T, Krüger O, Nehls G, Potiek A, einzelnen revierhaltenden Tiere schwankte zwischen Reichenbach GA, von Rönn J, Reichenbach M & Weiten- 188 und 288 m (GND), der Median zwischen 145 und kamp S 2016: Ermittlung der Kollisionsraten von (Greif) 271 m. Vögeln und Schaffung planungsbezogener Grundlagen für Eine der drei gängigen Jagdmethoden des Schreiad- die Prognose und Bewertung des Kollisionsrisikos durch lers ist der Suchflug über offenem Gelände (Meyburg et Windenergieanlagen (PROGRESS). Schlussbericht zum al. 2016). Während dieser Flugjagd sind die relativ lang- durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie sam über dem Gelände sich bewegenden Vögel quasi in (BMWi) im Rahmen des 6. Energieforschungsprogrammes Vorausrichtung blind, weil sie aufmerksam das Gelände der Bundesregierung geförderten Verbundvorhaben. Martin G 2011: Understanding bird collisions with man-made unter sich inspizieren. In der offenen Landschaft werden objects: a sensory ecology approach. Ibis 153: 239-254. dann die WEA vielleicht nur zufällig wahrgenommen, Meyburg B-U & Meyburg C 2013: Telemetrie in der Greif- noch weniger aber die rotierenden Rotorblätter (Martin vogelforschung. Greifvögel und Falknerei 2013: 26-60. 2011). Da Schreiadler häufig im Suchflug unterhalb von Neumann-Neudamm, Melsungen. 200 m nach Beutetieren auf der Erde Ausschau halten, Meyburg B-U, Boesman P, Marks JS & Kirwan GM 2016: Les- sind sie durch WEA, insbesondere im Umkreis von ser Spotted Eagle (Clanga pomarina). In: del Hoyo J, Elliott Brutplätzen, kollisionsgefährdet. Das Adlerauge befin- A, Sargatal J, Christie DA & de Juana E (Hrsg) Handbook det sich seitlich am Kopf, beim Menschen hingegen of the Birds of the World Alive. Lynx Edicions, Barcelona. sind die Augen nach vorn gerichtet. Viele Vogelarten Mikiara S 1990: Lesser Spotted Eagle attacking a glider. Buteo nutzen viel stärker seitliche Sehfelder. Möglicherweise 5: 101-102 (in Slowakisch). Scheller W & Küsters E 1999: Flughöhen von Greifvögeln ist das Gesichtsfeld des Schreiadlers nach vorn recht und Vogelschläge in Deutschland. Vogel und Luftverkehr eingeschränkt. 19: 76-96. Flughöhenmessungen sind nicht nur ausschlaggebend Thaxter CB, Ross-Smith VH & Aonghais SCP 2015: How high für die Beurteilung des Kollisionsrisikos des Schrei- do birds fly? A review of current datasets and an appraisal adlers mit Windkraftanlagen, sondern z. B. auch mit of current methodologies for collecting flight height data: Flugkörpern. Zusammenstöße mit Fluggeräten bei fest- Literature review. BTO Research Report No. 666.

• Abendvortrag

Köppen U (Greifswald): Acht Jahrzehnte Vogelwarte Hiddensee – ein historischer Exkurs

✉✉Ulrich Köppen, Beringungszentrale Hiddensee, Landesamt für Umwelt-, Naturschutz und Geologie Mecklenburg- Vorpommern, An der Mühle 4, D-17493 Greifswald-Eldena, E-Mail: [email protected]

Schon Mitte des 19. Jahrhunderts erschienen erste hier der Vogeljagd zur Zerstreuung der Sommergäste, Nachrichten über die reiche Vogelwelt der Rügen west- was den Thüringer Pfarrer und Vogelkundler Friedrich lich vorgelagerten Insel Hiddensee. Überregional war Lindner 1910 zu einer Kampagne „zur Rettung der diese kleine Insel wohl lange Zeit überhaupt nur weni- Vogelwelt Hiddensees“ veranlasste. Daraufhin agierten gen Vogellieb­habern bekannt. Der um die Jahrhun- zeitweise vier verschiedene Vogelschutzvereine aus ganz dertwende beginnende Tourismus bediente sich auch Deutschland auf der Insel. Lindners bereits 1915 unter- © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 391

Abb. 1: Ein Meilenstein in der Geschichte des europäischen Fachbereichs – EURING und die Beringungszentralen der sozialistischen Länder halten im September 1987 in Greifswald eine gemeinsame Generalversammlung ab; Gruppenbild der Teilnehmer aus über 30 Ländern mit Mitarbeitern der Vogelwarte auf der Insel Hiddensee. Foto: M. Löffler breiteter Vorschlag, neben Helgoland und Rossitten eine logischer Forschungsansätze wissenschaftliche Grund- dritte deutsche Vogelwarte auf Hiddensee einzurichten, lagen für den Schutz, die Nutzung und die Regulierung wurde 1936 auf Betreiben des Greifswalder Botanikers von Vogelbeständen zu erarbeiten. Folglich wurde und Ökologen Erich Leick Wirklichkeit. Die Ornitholo- u. a. die inhaltliche und technische Qualifizierung der gische Abteilung seiner „Biologischen Forschungs­anstalt Beringungsmethode energisch vorangetrieben, was Hiddensee“ gegen vielfache Widerstände zur dritten auf der von der Vogelwarte ausgerichteten EURING- deutschen Vogelwarte zu machen, bedurfte allerdings Generalversammlung 1987 in Greifswald besondere bester Beziehungen zum Preußischen Innenministerium. Anerkennung fand. Richard Stadie leistete als einziger fester Mitarbeiter der Die politischen Umbrüche des Jahres 1990 zeitigten mit neuen Vogelwarte unter schwierigsten Bedingungen ein der Auswechslung des gesamten Personals wie auch der immenses Arbeitspensum in Forschung und Lehre. Bei institutionellen Abtrennung der Beringungszentrale weit- Kriegsausbruch 1939 rückte er sofort freiwillig ein… reichende Konsequenzen für die Vogelwarte. Im Juli 1993 1948 musste Hans Schildmacher als neu berufener übernahm Andreas Helbig deren Leitung. Sein früher Leiter der Vogelwarte Hiddensee ganz von vorn begin- Tod 2005 unterbrach ein weltweit beachtetes Forschungs- nen. Er tat das im politisch wie materiell komplizierten programm im Bereich der Populationsgenetik und der Umfeld der frühen DDR mit Energie und Ideenreich- Stammesgeschichte der Vögel, das sich bis dahin u. a. der tum. Von Hause aus Physiologe setzte er entsprechende Phylogenie, Systematik und Evolution von Zweigsängern, fachliche Akzente, wirkte aber auch an gesetzlichen Greifvögeln und Großmöwen gewidmet hatte. Regelungen zur wissenschaftlichen Vogelberingung in 2006 zog die Vogelwarte nach Greifswald um, wo der DDR mit, gipfelnd in der Beringungsanordung von sie als Arbeitsgruppe des Zoologischen Instituts der 1964, mit der die Vogelwarte Hiddensee zur nationalen Universität von Angela Schmitz-Ornés und Martin Beringungszentrale aufstieg. Haase geleitet wird. Ökologische und phylogenetische 1973 übernahm der Biologe Axel Siefke die Leitung Fragen in der Vogelwelt sowie bei Schneckenarten ste- der Vogelwarte mit dem Credo, mittels populationsöko- hen im Mittelpunkt der Forschungsarbeiten. Auf orni- © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

392 Themenbereich „Vogelzug“ • Abendvortrag thologischem Gebiet fanden u. a. Untersuchungen zu Die 1994 von der Vogelwarte abgetrennte Beringungs- Vorkommen, Biologie und Ökologie der Rallenarten zentrale Hiddensee existiert bis heute fort als von den in den Flusstälern Mecklenburg-Vorpommerns beson- fünf östlichen Bundesländern gemeinsam finanzierte dere Beachtung. Einrichtung am LUNG Mecklenburg-Vorpommern.

• Poster

Coppack T, Weidauer A, Erdmann F, Lemke H, Andersson A, Sjöberg S & Muheim R (Einbeck, Horst, Greifswald, Lund/Schweden): Der Ausbau eines automatisierten Radio-Telemetrie-Netzwerks im Bereich der südwestlichen Ostsee

✉✉Tim Coppack, Marktstraße 42, D-37574 Einbeck, E-Mail: [email protected]

Die radio-telemetrische Erfassung des Kleinvogelzugs blierte Datenbanken. Mit weiteren Empfangsstationen wird nach wie vor von der geringen Sendeleistung limi- im Küstenhinterland könnte das Spektrum der lösbaren tiert und liefert an den wenigen bisher vorhandenen wissenschaftlichen Fragen nochmals erheblich erweitert Empfangsstationen meist nur Punktdaten zu Abflugzeit werden, insbesondere hinsichtlich möglicher Unter- und Zugrichtung (z. B. Sjöberg et al. 2015). Um diesen schiede im Zugverhalten über Land und See (Breit- technischen Limitationen zu begegnen, wurde 2016 der front- versus Schmalfrontzug), zur Orientierung und Aufbau eines europaweiten automatisierten Empfangs- – damit verbunden – zur unterschiedlichen Verteilung netzwerks initiiert (siehe http://www.canmove.lu.se/ ziehender Vögel im bodennahen Luftraum sowie zur article/automated-radiotelemetry-in-europe). Ziel ist Nutzung von Rastgebieten. die Etablierung eines allgemein zugänglichen, großräu- Ein Radio-Telemetrie-Netzwerk in Mecklenburg- migen Telemetrie-Messnetzes, um größere Stichproben Vorpommern wäre nicht nur für die ornithologische markierter Vögel mit verbesserter zeitlicher und räumli- Grundlagenforschung von hoher Bedeutung, sondern cher Auflösung verfolgen zu können. Zum Einsatz kom- auch für naturschutzfachliche Fragestellungen relevant, men dabei für jedermann einsehbare Empfängersysteme z. B. für die Bewertung des Kollisionsrisikos von Vögeln (z. B. https://sensorgnome.org) sowie frei verfügbare in Windparks (Coppack et al. 2013). Derzeit basieren Softwareapplikationen und Datenbankstrukturen (z. B. fast alle Aussagen zur Kollisionswahrscheinlichkeit von http://motus.org). Zugvögeln auf sporadisch erhobenen Beobachtungen Im Bereich der südwestlichen Ostsee, wo sich der und Radardaten, die nur gelegentlich über Zugrufe eine Vogelzug entlang der Meeresenge zwischen der skan- Artansprache erlauben. Zudem ist die Durchführbarkeit dinavischen Landmasse und Deutschland konzentriert, dieser Methoden an Schönwetterperioden gebunden, ist ein dichtes Empfangsnetzwerk (und eine Ausweitung was die Aussagekraft der Ergebnisse einschränkt. Die des Markierungsaufwands) besonders lohnend. Hinzu Variabilität von Zugwegen in Bezug zu Planungsgebie- kommt, dass sich in diesem Raum die skandinavischen ten sowie das Ausmaß der Bündelung des Vogelzugs Zugwege mit den Ost-West-Routen entlang der südli- in Küstennähe und an Land ließen sich auf Artniveau chen Ostseeküste kreuzen, wodurch sich das Potenzial erst mit der quantitativen Markierung und Verfolgung für zukünftige Forschungsprojekte deutlich erhöht. von Individuen über ein stationäres Empfangsnetzwerk Die südwestliche Ostsee ist ein Gebiet mit beson- nachvollziehen. derer Bedeutung für den Vogelzug, und bereits sechs Empfangsstationen (Abb. 1) würden einen wesentli- Literatur chen Teil eines Hauptzugkorridors abdecken. Eine mit Coppack T, Sjöberg S, Schulz A, Schleicher K, Weidauer A, dem regelmäßigen Vogelfang auf Falsterbo (Herbstzug) Muheim R, Åkesson S & Alerstam T 2013: Tracking needles und auf der Greifswalder Oie (Frühjahrzug) einherge- in a misty haystack – The challenge of assessing impacts of offshore wind farms on night-migrating songbirds at the hende Besenderung von Singvögeln könnte um weitere species level. Naturvårdsverket Rapport 6546: 45. Fangstationen erweitert werden (z. B. Hiddensee, Darß, Sjöberg S, Alerstam T, Akesson S, Schulz A, Weidauer A, Zingst, Küstenhinterland), um die Datendichte zu erhö- Coppack T & Muheim R 2015: Weather and fuel reserves hen. Auf „Senderebene“ existiert mit dem Beringungs- determine departure and flight decisions in passerines mig- wesen hierzu ein hohes personelles Potenzial sowie eta- rating across the Baltic Sea. Animal Behaviour 104: 59-68. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 393

Abb. 1: Die Messanordnung für die stationäre Radiotelemetrie von Vö- geln im Ostseeraum war bislang auf zwei Standorte beschränkt: Falster- bo/Schweden und Offshore-Platt- form FINO 2 (siehe Sjöberg et al. 2015). Es ist vorgesehen, entlang der Küste Mecklenburg-Vorpommerns unter Nutzung der bestehenden In- frastruktur des Internen Messnetzes Küste (IMK) zusätzliche Empfangs- stationen (Warnemünde, Zingst, Varnkevitz, Göhren, Koserow) zu in- stallieren. Diese Stationen würden in annähernd äquidistanter Anordnung zusammen mit den bisher installier- ten Stationen und weiteren Stationen in Dänemark (Gedser, Møn) ein un- tereinander kalibrierbares Messnetz bilden. Zusätzliche Standorte in Deutschland (rote Kreuze) sind aus ornithologischer Sicht von beson- derem Interesse (blaue gestrichelte Vektoren: bisher dokumentierte Ab- flugrichtungen im Herbst; rote gestri- chelte Vektoren: über Triangulation messbare, potenzielle Zugwege).

Brust V & Hüppop O (Wilhelmshaven): BIRDMOVE – Ein neues Projekt zur Erforschung des Kleinvogelzuges über der Nordsee

✉✉Vera Brust, Institut für Vogelforschung „Vogelwarte Helgoland“, An der Vogelwarte 21, D-26386 Wilhelmshaven, E-Mail: [email protected]

Die deutschen Meeresgebiete werden regelmäßig von ders kleine Telemetriesender (ca. 0,4 g schwer), um Landvögeln auf ihren Wanderungen zwischen den die Zugwege einzelner Vögel im Bereich der deut- Brutgebieten in Nordeurasien (vor allem Skandina- schen Nordsee zu verfolgen. Diese Sender können vien) und den Rast- und Überwinterungsgebieten, im Umkreis von etwa 10 km von speziell dafür auf- die sich bis weit auf die Südhalbkugel erstrecken kön- gestellten Empfangsstationen automatischen geortet nen, überflogen. Vor allem dank langjähriger Berin- werden. Wir planen, die gesamte deutsche Küstenlinie gung und Beobachtung an den Küsten und auf Inseln durch eine Kette von Empfangsstationen abzudecken haben wir über die generellen Reiserouten und Zug- und später auch Offshore-Standorte mit einzubezie- zeiten vieler Arten inzwischen einen guten Überblick. hen. So wollen wir erforschen, an welche inneren und Das jeweilige individuelle Zugverhalten ist allerdings äußeren Bedingungen individuelle Zugentscheidun- selbst innerhalb einer Art durch eine hohe Variabili- gen geknüpft sind. Welche Rollen spielen z. B. Kör- tät gekennzeichnet. Während sich beispielsweise ein perkondition, Alter und Geschlecht der Vögel oder Individuum für den kürzeren Flugweg über die offene das Wetter bei der Entscheidung der Küstenlinie zu See entscheidet, wählt ein anderes eine der Küstenli- folgen oder den – meistens nächtlichen – Flug über nie folgende Route. Aber warum ist das so? Gerade das offene Meer zu wagen? Welche anderen Struktu- bei den kleineren Singvogelarten, die zumeist nachts ren, wie z. B. Inseln, ziehen Zugvögel an oder werden ziehen und zu leicht sind, um einen Satelliten-Sender aktiv umflogen? zu tragen, wissen wir wenig über solche individuellen In Anbetracht der zahlreichen Offshore-Windparks, Entscheidungen. die in der Deutschen Ausschließlichen Wirtschafts- In unserem Projekt widmen wir uns dieser Thema- zone bereits betrieben werden und noch entstehen tik jetzt mit neuester Technologie. Wir nutzen beson- sollen, erhoffen wir uns von unserer Studie auch die © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

394 Themenbereich „Vogelzug“ • Abendvortrag

Möglichkeit, das Gefährdungspotenzial dieser neuen schutzfachlichen Bewertungskriterien der Effekte von Strukturen für ziehende Singvögel besser abschätzen Offshore-Windparks auf Vogelpopulationen weiter zu können. So tragen wir dazu bei, dass die natur- verbessert werden.

Garthe S, Schwemmer P, Borrmann RM & Kottsieper J (Büsum): BIRDMOVE – Ein neues Projekt zur Erforschung des Zuges von See- und Küstenvögeln über Nord- und Ostsee

✉✉Stefan Garthe, Hafentörn 1, D-25761 Büsum, E-Mail: [email protected]

In Kooperation mit dem Institut für Vogelforschung umfasst die Telemetrie von Küsten- und Seevögeln. Für „Vogelwarte Helgoland“ und Avitec Research untersucht das Projekt wurden Arten ausgewählt, bei denen es bei das Forschungs- und Technologiezentrum (FTZ) West- der Nahrungssuche, während der Ruhephasen und auf küste der Universität Kiel die potenziellen Auswirkun- den Zugwegen zu Konflikten mit Offshore-Windener- gen von Offshore-Windenergieanlagen auf Zugvögel. gieanlagen kommen kann. Die Verwendung von räum- Mithilfe moderner Telemetriesysteme werden Bewe- lich und zeitlich hochauflösenden GPS-Datenloggern gungsmuster einzelner Tiere in den deutschen Meeres- mit GSM-Funktion ermöglicht es, individuelle Bewe- gebieten über längere Zeiträume erfasst. Die erhobenen gungsmuster aufzuschlüsseln. Anhand dieser Daten Daten helfen, Kollisionsrisiken, Barriere- oder Anlo- kann eine detaillierte Bewertung der artspezifischen ckungseffekte sowie mögliche Lebensraumverluste zu Interaktionen mit den Offshore-Windenergieanlagen ermitteln und die naturschutzfachlichen Kriterien zur erfolgen und verbesserte Handlungsempfehlungen zur Bewertung dieser Effekte weiterzuentwickeln. Lösung potenzieller Konflikte gegeben werden. Es wer- Der vom FTZ bearbeitete Teilbereich des Projektes den erste Ergebnisse aus dem Projekt vorgestellt.

Neumann R, Metzger B, Lisovski S & Hahn S (Stäbelow, Xemxija/Malta, Davis/USA, Sempach/Schweiz): Als Backpacker nach Indien

✉✉Roland Neumann, Kritzmower Weg 1, D-18198 Stäbelow, E-Mail: [email protected]

Karmingimpel Carpodacus erythrinus ziehen als eine 20 Karmingimpel mit Geolokatoren ausgestattet und von wenigen in Europa brütenden Vogelarten im Winter im Folgejahr fünf davon zurückbekommen. Der zeit- nach Südasien. Zugverlauf sowie Winterquartier waren liche Verlauf des Zugs ist durch eine hohe Plastizität bisher nicht sicher bekannt. 2013 wurden bei Rostock und teilweise enorme Zugleistungen gekennzeichnet.

Sander M & Heim W (Potsdam): Maximale Flugdistanzen des Gelbbrauen-Laubsängers Phylloscopus inornatus an einem Zwischenrastplatz in Fernost-Russland

✉✉Martha Maria Sander, Zeppelinstraße 43, D-14471 Potsdam, E-Mail: [email protected]

Der Ostasiatische-Australasiatische Zugweg wird von schenrastplatz in der Amur Region fliegen können, noch der größten Diversität und Anzahl von Zugvögeln ist bekannt, wie viele Zwischenstopps sie im Herbst auf genutzt und beherbergt außerdem, verglichen mit ihrem Zugweg nach Südostasien einlegen müssen. Diese anderen Zugwegen, die höchste Anzahl gefährdeter Studie soll erste Informationen über die Route und die Zugvogelarten (Yong et al. 2015). Bis jetzt ist unklar, Stop-over ecology kleiner Singvogelarten liefern, die im wie weit die dort vorkommenden Singvögel vom Zwi- Amur Gebiet vorkommen. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 395

Das Untersuchungsgebiet Muraviovka Park in Fernost jedoch, in Hinblick auf die gesamte Flugstrecke, zu Russland liegt am Mittelstrom des Amur Flusses. Von vernachlässigen. Somit sind beide Annäherungen für 2011 bis 2015 wurden im Rahmen des Amur Bird Pro- die Schätzung von maximalen Flugdistanzen geeignet jects alljährlich von August bis Oktober Vögel beringt. und eine erste Analyse der Zugmuster ist mithilfe dieser Der Gelbbrauen-Laubsänger Phylloscopus inornatus ist Methode für eine Vielzahl von Arten möglich. Die fettes- eine der am häufigsten gefangenen Vogelarten an diesem ten Gelbbrauen-Laubsänger erreichen eine Reichweite Zwischenrastplatz (n = 2.067). Mithilfe der Formeln aus zwischen 670 und 1.135 km und müssen daher auf ihrer Delingat et al. (2008) gesamten Zugstrecke von ca. 4.700 km vier- bis fünfmal Y = 100 x U x ln(1+f) zwischendurch rasten. Genauere Untersuchungen des Zugwegs und Lokalisierungen der Zwischenrastplätze mit f = (m - m0)/m0, und Roberts et al. (2005) (m - m ) x E sollen in folgenden Studien zusätzlich mit Geolokato- Y= 0 f x U ren durchgeführt werden. Diese würden einerseits zur FMR Validierung der hier getroffenen Vorannahmen zur mit m = individuelle Körpermasse in g, m0 = individu- maximalen Flugdistanz und andererseits zur Analyse elle Magermasse in g, wurden maximale Flugdistanzen der realisierten Zugroute und der Lokalisierung der in km (Y), welche auf individuellen größenkorrigier- Zwischenrastplätze verschiedener Singvogelarten im ten „relative fuel loads“ (f in g) basieren, berechnet. Untersuchungsgebiet eingesetzt werden. Es wurden eine konstante Fluggeschwindigkeit von U = 55,6 km/h (Roberts et al. 2005) angenommen, Literatur in der zweiten Gleichung nach Roberts et al. (2005) Delingat J, Bairlein F & Hedenström A 2008: Obligatory bar- zusätzlich metabolische Konstanten wie der energe- rier crossing and adaptive fuel management in migratory tische Wert von Fettgewebe (Ef) von 9 kcal/g sowie birds: the case of the Atlantic crossing in Northern Wheatears eine metabolische Rate während des Fluges (FMR) von (Oenanthe oenanthe). Behav. Ecol. Sociobiol. 62: 1069-1078. 0,9 kcal/g/h verwendet. Roberts D, Parrish J & Howe F 2005: Repeats, returns, and Die Differenz der mittleren Reichweite pro Fettklasse estimated flight ranges of Neotropical migratory birds in Utah riparian habitat. USDA Forest Service Gen. Tech. Rep. zwischen beiden Formeln beträgt ca. 190 km und steigt PSW-GTR-191: 690-697. mit steigendem fuel load an. Die Annäherung von Yong D, Liu Y, Low B, Española C, Choi C & Kawakami K Delingat et al. (2008) ist sensibler gegenüber dem fuel 2015: Migratory songbirds in the East Asian-Australasian load als die von Roberts et al. (2005). Flyway: a review from a conservation perspective. In: Bird Der Unterschied zwischen beiden Schätzungen ist Conservation International 25: 1-37.

Stark H, Boos MB & Liechti FL (Sempach/Schweiz, Wilshausen/Frankreich): Vogelzug über Calais, Nordfrankreich, im Herbst 2014: Ein neuer Ansatz zur Analyse von Radardaten

✉✉Herbert Stark, Schweizerische Vogelwarte, Seerose 1, CH-6204 Sempach, Schweiz, E-Mail: [email protected]

Im Rahmen von Umweltverträglichkeitsprüfungen bekommt man einen Hinweis auf die Größe der Vögel. sind Radarsysteme zur Untersuchung des Vogelzuges Singvögel können in verschiedene Gruppen aufgeteilt inzwischen weit verbreitet. Die meisten Radarsysteme werden, wie z. B. große Singvögel mit einer Frequenz erlauben aber kaum eine Unterscheidung zwischen von 9 bis 11 Hz oder die kleinsten Singvögel wie Gold- Vogelechos und anderen Echos. Die Flugwege von hähnchen mit einer Frequenz größer 22 Hz. Basierend fliegenden Objekten, besonders während der Nacht, auf dieser Software präsentieren wir einen Datensatz für werden oft ohne jede Klassierung der Echos aufge- verschiedene Vogelgruppen und zeigen die zeitliche und zeichnet. Das liegt an fehlenden Details wie z. B. der räumliche Verteilung des Vogelzuges an der Kanalküste Flügelschlagfrequenz. Mit einer neu entwickelten Soft- in der Nähe von Calais in Nordwestfrankreich (Tarding- ware ist es nun möglich, einen hohen Anteil an auf- hen 50,87°N/1.62°E; 0 m über dem Meeresspiegel) im gezeichneten Echos automatisch zu klassieren. Dabei Herbst 2014. werden Daten wie die Flügelschlagfrequenz, die Länge der Schlagphasen und pausen ausgegeben (typisch für Literatur Singvögel). Im Fall von ziehenden Wasservögeln werden Bruderer B, Peter D, Boldt A & Liechti F 2010: Wing‐beat keine Daten zu Schlagphase und -pause aufgezeichnet characteristics of birds recorded with tracking radar and (Bruderer et al. 2010). Mit der Flügelschlagfrequenz cine camera. Ibis 152: 272-291. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

396 Themenbereich „Vogelzug“ • Abendvortrag

Vogl S, Mähler M & von Rönn JAC (München, Nägelstedt, Sempach/Schweiz): Vorhersage der Vogelzugintensität mit künstlichen neuronalen Netzen

✉✉Stefanie Vogl, Verein Jordsand e. V., Bornkampsweg 35, D-22926 Ahrensburg, E-Mail: [email protected]

Der individuelle oder gruppenspezifische Ablauf des auf die Zug- bzw. Rastintensität von Rotkehlchen zu Vogelzuges besteht üblicherweise aus der variablen Wie- untersuchen. Wir verwenden Neuronale Netzwerke, da derholung der Sequenz von Aufbruch (z. B. von einem diese Modelle auch stark nicht-lineare und komplexe Rastgebiet), Flug und Rast (Unterbrechung des Fluges). Beziehungen zwischen Zielvariable (Zugintensität) und Lokale und großräumige Wetterbedingungen können Eingabevariablen (Wetterdaten) abbilden können, ein- Einfluss auf alle Teile dieser Sequenz haben und dadurch fach zu trainieren sind und die Möglichkeit bieten, den zu einer starken Verdichtung von Vögeln an einem Rast- Einfluss von Input-Variablen mit und ohne Zeitverzö- platz oder in der Luft führen. Die Intensität des Vogelzu- gerung zu untersuchen. Die Modelle wurden mit Daten ges wird – im engeren Sinne – durch die Anzahl der Vögel der Wegzugsaisons der Jahre 1999 bis 2013 trainiert und im Luftraum über einer Fläche beschrieben. Etwas weiter in der Folge auf die Wegzugsaison 2014 angewendet. gefasst beschreibt auch die Anzahl der Vögel an einem Zur Modellierung wurden sowohl klassische Input- Rastplatz die Intensität des Vogelzuges (dann eher Ras- Output Modelle (Feedforward Neuronale Netze) als tintensität). Vorhersagen der Intensität des Vogelzuges auch rekurrente Neuronale Netze verwendet. Letztere in quasi Echtzeit sind von großem Interesse in Anwen- sind besonders geeignet, um komplexe Systeme mit aus- dungsbereichen wie der Luftfahrt und dem Betrieb von geprägter zeitlicher Dynamik, also z. B. Zeitreihen mit Windkraftanlagen an Land und auf See. Üblicherweise Systemgedächtnis, konsistent abzubilden. wird die Vogelzugintensität an einem Ort mit Radarge- Wir können zeigen, dass die meisten Modelle den räten gemessen und (meist lineare) Regressionsmodelle Beginn und das Ende von Zugwellen von Rotkehlchen für die Vorhersage verwendet (z. B. van Belle et al. 2007). gut vorhersagen. Die besten Modellergebnisse konn- Eine andere Form der „Messung“ der Vogelzugintensität ten insgesamt mit den rekurrenten Neuronalen Net- bieten Fangdaten von Beringungsstationen. zen erzielt werden. Da sehr hohe Zugintensitäten als In unserer Untersuchung nutzen wir Zeitreihendaten relativ seltene Ereignisse in den Trainingsdaten wenig zur Zug- bzw. Rastintensität von Rotkehlchen Eritha- vorhanden sind, ist es schwierig, die absolute Intensi- cus rubecula auf der Insel Greifswalder Oie (Anzahl tät (Anzahl gefangener Rotkehlchen pro Tag) für Tage gefangene Individuen pro Tag an der Beringungssta- mit hoher Zugintensität für die Zukunft vorherzusa- tion). Zusätzlich verwenden wir lokale Wetterdaten von gen. Allerdings lassen sich mit Hilfe eines „quantile der Insel (Deutscher Wetterdienst), sowie großräumige mapping“-Verfahrens bei einer anschließenden Bias- Wetterdaten (NCEP Reanalysis data provided by the korrektur der Modellvorhersagen diese Fehler in der NOAA/OAR/ESRL PSD, Boulder, Colorado, USA) Zugintensität von Rotkehlchen auf der Insel Greifswal- aus möglichen Aufbruchs- und nächsten Rastgebieten der Oie erfolgreich korrigieren. von Rotkehlchen, die auf der Greifswalder Oie ras- Literatur ten, um 1) die tägliche Zug- bzw. Rastintensität von Van Belle J, Shamoun-Baranes J, van Loon E & Bouten W 2007: Rotkehlchen (Anzahl gefangene Individuen pro Tag) An operational model predicting autumn bird migration auf der Insel vorherzusagen und 2) den Einfluss von intensities for flight safety. Journal of Applied Ecology 44: meteorologischen Parametern an verschiedenen Orten 864-874. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 397

Themenbereich „Populationsbiologie“

• Vorträge

Grünkorn T (Husum): Ursachenforschung zum Rückgang des Mäusebussards in Schleswig-Holstein

✉✉Thomas Grünkorn, E-Mail: [email protected]

Der Brutbestand des Mäusebussards Buteo buteo ist Rückgang/schlechter Erreichbarkeit des Hauptbeutetie- auf Probeflächen im Landesteil Schleswig dramatisch res Feldmaus Microtus arvalis. 2. Geringerer Bruterfolg gesunken. Der Bestand von drei Probeflächen betrug durch Prädation von Jungvögeln durch Uhu Bubo bubo 2014 und 2015 lediglich etwa 30 % des Bestandes der und/oder Habicht Accipiter gentilis in der Nestlingszeit. Jahrtausendwende. Auch der Bruterfolg ist aktuell gerin- 3. Geringerer Bruterfolg durch geringeren Schlupferfolg ger. Der Verlust zwischen der ursprünglich festgestell- (z. B. durch Umweltgifte). Der Schlupferfolg war 2015 ten Eizahl des Vollgeleges und der späteren Jungenzahl hoch, aus einer Stichprobe von insgesamt 30 gelegten zum Zeitpunkt der Beringung war in einem neueren Eiern schlüpften 27 Küken (90 %). Im Mäusejahr 2015 Zeitraum (1998 bis 2003 und 2014 bis 2015) gegenüber verhungerten keine Jungvögel in der Aufzuchtsphase einem deutlich früheren Zeitraum (1967 bis 1976, Daten und von den zehn mit Videokameras beobachteten Bru- von V. Looft) auf der gleichen Untersuchungsfläche sig- ten waren sechs erfolgreich (5, viermal 3und 2 flügge nifikant höher. Der Bestandsrückgang könnte demnach Jungvögel). Bei zwei Bruten gab es keinen Schlupferfolg durch einen geringeren Bruterfolg begründet sein. In und in zwei Bruten wurden die Jungvögel durch Uhus einer dreijährigen Untersuchung (2015 bis 2017) wird prädiert. Es wurden die Ergebnisse von zwei Untersu- mit Hilfe von zehn Videokameras am Nest geprüft, chungsjahren mit unterschiedlicher Feldmaushäufigkeit welche der folgenden Hypothesen den aktuell gerin- dargestellt und eine vorläufige Gewichtung der drei geren Bruterfolg bewirkt haben kann: 1. Geringerer Hypothesen vorgenommen, die den aktuell geringeren Bruterfolg durch Veränderung der Landnutzung mit Bruterfolg bewirken können.

Ganter B & Rösner H-U (Husum): Lebenslange Reproduktion bei arktischen Alpenstrandläufern: eine Langzeitstudie

✉✉Barbara Ganter, Schückingstr. 14, D-25813 Husum, E-Mail: [email protected]

Für die Untersuchung der Muster bei lebenslanger (n = 265). Als Bruterfolgskategorien verwenden wir: Reproduktion in Tierpopulationen sind Langzeitstudien (1) sicher kein Erfolg, (2) Erfolg möglich, (3) flügge mit markierten Individuen notwendig. Bei Watvögeln Jungvögel sicher und (4) Jungvögel kehren als Rek- gibt es bisher nur wenige solcher Studien. Wir befassten ruten zurück. uns zu diesem Thema mit einer arktischen Brutpopu- Alpenstrandläufer in dieser Studie wurden bis 16 Jahre lation des Alpenstrandläufers Calidris alpina an der alt (Mindestalter), die durchschnittliche Lebensdauer Nordspitze Norwegens. Diese kleine, geografisch gut im Gebiet betrug 4,7 Jahre für Männchen und 3,9 Jahre abgegrenzte lokale Population wurde mehr als 25 Jahre für Weibchen. Der Unterschied rührt vorwiegend daher, lang intensiv untersucht und besteht fast nur aus farb- dass mehr Weibchen als Männchen nur ein Jahr im beringten Individuen. Gebiet verbleiben. Dies muss kein Effekt unterschied- Von 1991 bis 2016 wurden mehr als 500 Alpen- licher Mortalität sein, sondern könnte auch auf unter- strandläufer farbberingt, davon liegt für mehr als 300 schiedlicher Ortstreue beruhen. der vollständige Lebenslauf vor. Für die Analysen wur- Der Großteil der Alpenstrandläufer beginnt im Alter den jedoch nur Vögel aus Jahrgängen verwendet, aus von einem Jahr mit dem Brüten. Der Bruterfolg ist im denen gegenwärtig keine Vögel mehr am Leben sind ersten Lebensjahr etwas unterdurchschnittlich, erreicht © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

398 Themenbereich „Populationsbiologie“ • Vorträge im zweiten Jahr etwa den langjährigen Durchschnitt genutzt, die 50 % der flüggen Jungvögel produzieren. und steigert sich mit zunehmender Lebensdauer. Anzei- Diese lag bei den Alpenstrandläufern unserer Studie chen für Seneszenz beim Bruterfolg gibt es nicht. nahe bei den Schätzungen zweier anderer Studien an Circa 60 % der Vögel produzierten mindestens einmal Watvögeln (Holland & Yalden 1994; Herman & Colwell im Leben flügge Jungvögel, ca. 30 % mindestens einen 2015), aber unterschied sich deutlich von den Werten Rekruten, d. h. einen Jungvogel, der als Brutvogel ins bei anderen Vogeltaxa (Newton 1989). Gebiet zurückkehrte. Die mittlere Anzahl von Rekruten pro Vogel lag bei 0,5; allerdings ist unbekannt, wie viele Literatur Jungvögel sich in anderen Gebieten angesiedelt haben. Herman DM & Colwell MA 2015: Lifetime reproductive success of Snowy Plovers in coastal northern California. Im Untersuchungsgebiet selbst liegt der Anteil der Condor 117: 473-481. Zuwanderer bei etwas mehr als der Hälfte, und umge- Holland PH & Yalden DW 1994: An estimate of lifetime kehrt werden auch im Gebiet erbrütete Jungvögel zum reproductive success for the Common Sandpiper Actitis Brüten emigriert sein. hypoleucos. Bird Study 41: 110-119. Als Maß für die Ungleichverteilung des Bruterfol- Newton I 1989: Lifetime reproduction in birds. Academic ges in der Population wurde die Anzahl der Brutvögel Press, London.

Schmidt K-H (Schlüchtern): Fremde Eier im Nest, was nun?

✉✉Karl-Heinz Schmidt, Ökologische Forschungsstation Schlüchtern, Georg-Flemming-Str. 5, D-36381 Schlüchtern, E-Mail: [email protected]

In einer Langzeituntersuchung an einheimischen Höh- den Höhlenbrüter-Arten: Kohlmeise Parus major, Blau- lenbrüter-Arten sind anhand von Eimaßen und Jung- meise Cyanistes caeruleus, Tannenmeise Periparus ater, vogelgefieder sogenannte „Misch-Bruten“ festgestellt Kleiber Sitta europaea sowie Trauerschnäpper Ficedula worden. Bei diesen bebrütet ein Weibchen nicht nur hypoleuca. die eigenen Eier, sondern auch die Eier fremder Arten. Grundlage der Untersuchung ist die Erfassung der Dazu wurden folgende Fragestellungen untersucht: brutbiologischen Parameter einer Höhlenbrüter-Popu- • Wie kommt es zu solchen Misch-Bruten? lation über 43 Jahre in ca. 1.000 Nistkästen im Raum • Sind alle Höhlenbrüter-Arten in gleichem Maße Schlüchtern (Hessen). betroffen? Die durch Übernahme fremder Gelege entstehenden • Wie hoch ist der Anteil fremder Eier bei den Misch- Mischbruten treten aufgrund von Abwehrmechanismen Bruten? selten auf. Sie konnten jedoch bei allen untersuchten • Gibt es Abwehrstrategien gegen die fremden Eier bzw. Vogelarten nachgewiesen werden, wobei die beiden häu- die fremden Jungen? figsten Arten (Kohl- und Blaumeise) auch an den meisten • Wie unterscheiden sich Schlüpfrate und Bruterfolg Mischbruten beteiligt sind. Schlüpfrate und Bruterfolg der eigenen und der fremden Eier? eigener und fremder Gelege bzw. Jungvögel sind abhängig Untersucht wurden diese Fragestellungen bei folgen- von den an der Mischbrut beteiligten Arten.

Abb. 1: Junger Kleiber und junge Kohlmeise, beide etwa zehn Tage alt. Foto: J. Fuchs © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 399 von Rönn JAC, Köppen U, Lokki H, Martens S, Saurola P, Schaub M & Grüebler MU (Sempach/Schweiz, Greifswald, Helsinki/Finnland, Itzehoe): Großräumige Variation von Demografie und Populationsregulation bei einer weit verbreiteten Zugvogelart

✉✉Jan von Rönn, Schweizerische Vogelwarte, Seerose 1, CH-6204 Sempach, Schweiz, E-Mail: [email protected]

Räumliche Umweltvariation erfordert vielfältige Anpas- bis zum Nordkap. Europäische Brutpopulationen über- sungen von weit verbreiteten Arten. Dies gilt in beson- wintern in Afrika südlich der Sahara. In Nordeuropa derem Maße für langstreckenziehende Vogelarten mit brütende Rauchschwalben überwintern vor allem in großem Jahreslebensraum. Verschiedene Brutgebiete, Südafrika, während Brutvögel aus Südeuropa vor allem Zugstrecken und Winterquartiere bedingen erhebliche in Zentral- und Westafrika den Winter verbringen. Größenvariation der Jahreslebensräume von unter- Mit Hilfe von Mixture-Modellen und Integrierten schiedlichen Brutpopulationen. Großräumige Umwelt- Populationsmodellen analysierten wir Langzeitdaten variation in den Brutgebieten ist bei weit verbreiteten zum Bestand, zur Reproduktion und zur Sterblichkeit Arten häufig mit vielfältigen lokalen Anpassungen im von Rauchschwalben, welche in lokalen Populationsstu- Bereich der Brutbiologie verbunden. In ähnlicher Form dien in Mittel- und Nordeuropa gesammelt wurden. Wir sollten unterschiedliche Zugwege und Winterquartiere schätzten diverse demografische Parameter (Brutzeit- zu entsprechenden Anpassungen führen. Wie sich – vor punkt, Brutgröße, Anzahl Jahresbruten, Produktivität, diesem Hintergrund – demografische Raten und deren Überleben und Immigration) und untersuchten deren Einfluss auf die Dynamik von lokalen Brutpopulationen Zusammenhänge mit der lokalen Populationsdynamik in zwischen entfernten Brutpopulationen weit verbreiteter den Untersuchungsgebieten. Die Ergebnisse werden vor Vogelarten unterscheiden, ist wenig bekannt. dem Hintergrund von räumlicher Umweltvariation und Die Rauchschwalbe Hirundo rustica ist eine Zugvo- unterschiedlichen Winterquartieren diskutiert. Sie bieten gelart mit nordhemisphärischer Brutverbreitung. In Einblicke in die Anpassungsfähigkeit im Rahmen der Evo- Europa brüten Rauchschwalben vom Mittelmeerraum lution von Lebensgeschichten weit verbreiteter Vogelarten.

• Poster

Pârâu LG, Braun M, Schroeder J & Wink M (Heidelberg, London/Großbritannien): Halsbandsittiche in Europa: ein demografischer Überblick

✉✉Liviu Pârâu, Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie, Universität Heidelberg, E-Mail: [email protected]

Gebietsfremde Arten (Neozoen) gelten heutzutage als duen überwacht: Die Gesamtzahl ist deutlich gestiegen, eine der größten Bedrohungen der Artenvielfalt. Eine dennoch konnten sich einige Subpopulationen nicht eta- Anzahl dieser gebietsfremden Arten haben sich weit ver- blieren. Es existieren wertvolle demografische Daten, die breitet und haben weitreichenden Einfluss von der Ver- jedoch unabhängig voneinander sind. drängung der lokalen Fauna bis hin zur Verringerung der Während unserer Studie haben wir diese Daten landwirdschaftlichen Produktion. Der Halsbandsittich gesammelt und den Status für 90 Populationen von Psittacula krameri ist unter den zwölf etablierten nicht- Halsbandsittichen in zehn Ländern aktualisiert. Ferner heimischen Papageienarten in Europa die am häufigsten haben wir Informationen aus Publikationen und Vogel- vorkommende. Dennoch zeigen empirische Studien, dass atlanten gesammelt und Experten aus 27 Ländern kon- diese Art vernachlässigbare Auswirkungen auf die lokale taktiert. Unsere Ergebnisse zeigen eine positive demo- Vogelfauna hat. Seit 1970 haben sich Halsbandsittiche grafische Entwicklung der Halsbandsittichpopulation auf dem gesamten Kontinent in mehr als 100 Städten auf dem gesamten Kontinent, mit einer im Vergleich etabliert. In Westeuropa wurden die Populationen durch zu West- und Mitteleuropa schnelleren Ausbreitung in mehrere Langzeitprogramme zur Zählung der Indivi- den südlichen Ländern. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

400 Themenbereich „Populationsbiologie“ • Poster

Cimiotti DV, Dierichsweiler P, Hoffmann M & Hötker H (Bergenhusen, Hamburg): Konsequenzen eines Massensterbens überwinternder Austernfischer auf eine lokale Brutpopulation

✉✉Dominic Cimiotti, Michael-Otto-Institut im NABU, Goosstroot 1, D-24861 Bergenhusen, E-Mail: [email protected]

Im Jahr 2012 führte ein plötzlicher Kälteeinbruch zu Meldorfer Bucht lebend gesichtet. Zwei von uns beringte einem Massensterben von hunderten Austernfischern Austernfischer wurden tot gefunden, einer vor Ort und Haematopus ostralegus im Wattenmeer Schleswig- einer im südlichen Wattenmeer. An Hand von Gewich- Holsteins. Basierend auf Sektionen und Ringfunden ten adulter Austernfischer und Eimaßen wurden keine wurde vermutet, dass überwiegend immature Vögel Hinweise auf Carry-over-Effekte in die Brutsaison 2012 nördlicher und östlicher Herkunft von dem Massen- gefunden. Der Kälteeinbruch führte weder in unserer sterben betroffen waren (Schwemmer et al. 2014). Die Population noch im gesamten Wattenmeer Schleswig- Ergebnisse unserer Populationsstudie an einer lokalen Holsteins zu einem starken Einbruch der Brutbestände Brutpopulation zeigen jedoch, dass die lokale Überle- des Austernfischers im Jahr 2012. Dies bedeutet, dass bensrate adulter Brutvögel in der Brutsaison 2012 deut- Nichtbrüter frei gewordene Reviere besetzt haben lich verringert war. könnten. In Ergänzung zu bereits publizierten Studien Wir haben seit dem Jahr 2010 in der Meldorfer Bucht, bietet unsere Untersuchung eine alternative Sichtweise in der die meisten toten Austernfischer gefunden wur- auf die Geschehnisse während des Kälteeinbruchs und den, 71 adulte Brutvögel farbig beringt und 563 Able- unterstreicht die Bedeutung der Überwachung von sungen dieser Vögel erbracht. Eine MARK-Analyse Überlebensraten. zeigt, dass die lokale Überlebensrate zwischen den Brut- perioden 2011 und 2012 (0,61 ± 0,07) niedriger war als Literatur zwischen anderen Jahren (0,75 ± 0,08 bis 0,96 ± 0,05). Schwemmer P, Hälterlein B, Geiter O, Günther K, Corman Die Überlebensrate im Jahr 2012 war rund 30 % niedri- VM & Garthe S 2014: Weather-related winter mortality of ger als normal. Fünfzehn farbberingte Individuen wur- Eurasian Oystercatchers (Haematopus ostralegus) in the den zu Beginn oder während des Kälteeinbruchs in der Northeastern Wadden Sea. Waterbirds 37: 319-330.

Kettner A, Modrow M, Nowald G, Heinicke T, Haase M & Schmitz-Ornés A (Groß Mohrdorf, Greifswald): Geschlechterverhältnis bei Nestlingen des Kranichs Grus grus in Mecklenburg-Vorpommern

✉✉Anne Kettner, Kranich-Informationszentrum, Lindenstraße 27, D-18445 Groß Mohrdorf, E-Mail: [email protected]

Bisher gibt es weltweit nur wenige Untersuchungen Bereits seit 1999 werden Kraniche in Mecklenburg- zum Geschlechterverhältnis in der Familie der Kraniche Vorpommern (MV) vom Kranichschutz Deutschland (Gruidae). Diese Studie zeigt erstmalig Ergebnisse zum mit einer farbigen Ringkombination gekennzeichnet, primären und sekundären Geschlechterverhältnis beim so dass diese durch Sichtbeobachtung individuell iden- Kranich Grus grus. Es wird zwischen dem Geschlechter- tifiziert werden können. Hierfür werden flugunfähige verhältnis nach der Befruchtung beim Gelege (primär), Kraniche, vor allem Jungkraniche im Alter von vier und nach dem Schlupf bei Nestlingen (sekundär) und im zehn Wochen, aber auch mausernde Altvögel gefangen. geschlechtsfähigen Alter (tertiär) unterschieden. Bei Im Zuge der Beringung werden die Vögel vermessen über 60 % der Vogelarten, so auch bei Kranichen, ist die und gewogen, sowie Federproben mit einem Blutkiel Geschlechtsbestimmung anhand der äußeren Erschei- entnommen. Am Zoologischen Institut und Museum nung nur schwer möglich (Bermùdez-Humaràn et al. der Universität Greifswald werden die Federproben 2002). Während das Geschlecht bei Altvögeln anhand einer genetischen Geschlechtsbestimmung nach Wen- ihrer Verhaltensweisen zugeordnet werden kann, ist das Bin et al. (2009) mit der Primerkombination A+B (4 Pri- bei Nestlingen bislang kaum gelungen (Mikkulainen mer) unterzogen. 1999). Es wird daher auf molekulargenetische Unter- Während der Beringung wird zusätzlich die Famili- suchungen zurückgegriffen. engröße dokumentiert. Hierdurch ist es möglich, das © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 401

Geschlechterverhältnis in Abhängigkeit der Familien- Bundeslandes sowie zwischen den Jahren des Untersu- größe zu betrachten und somit herauszufinden, ob es chungszeitraums. Diese sollten in weiteren Studien näher geschlechtsspezifische Unterschiede in der Mortalität untersucht werden. während der ersten Lebenswochen (bis zur Berin- Das sekundäre Geschlechterverhältnis von 1,14 und gung) gibt. Weiterhin können durch die Analyse des das primäre Geschlechterverhältnis von 1,10 zeigen Geschlechterverhältnisses der Geschwisterpaare (hier: einen leichten, jedoch nicht signifikanten Überschuss Nachkommen des gleichen Geleges) Rückschlüsse auf an Männchen, welcher vom primären zum sekundären das primäre Geschlechterverhältnis gezogen werden, Verhältnis geringer wird. Es könnte folglich vermutet da das Gelege eines Kranichpaares in 94,6 % aller Fälle werden, dass der „Überschuss“ an männlichen Nach- aus zwei Eiern besteht (Modrow unveröff.). In Mecklen- kommen eine evolutionäre Anpassung an eine mögliche burg-Vorpommern wurde von 1999 bis 2015 von insge- erhöhte Mortalität dieser ist. Da es jedoch bislang keine samt 458 flugunfähigen Jungkranichen das Geschlecht Vergleichsstudien zum Geschlechterverhältnis oder der mittels DNA-Analyse bestimmt. geschlechtsspezifischen Mortalität des Kranichs gibt, 244 (53,3 %) aller Nestlinge sind männlich und sollten zukünftige Studien diese Vermutung prüfen. 214 (46,7 %) weiblich, wodurch sich ein sekun- Wir danken allen Mitgliedern der Landesarbeits- däres Geschlechterverhältnis (Männchen:Weibchen) gruppe MV für ihr Engagement für Kranichschutz von 1,14 ergibt. Eine signifikante Abweichung von Deutschland, insbesondere Dr. Wolfgang Mewes und einem Geschlechterverhältnis von 1:1 und damit einer Andreas Lehrmann. Sie lieferten durch intensives Brut- zufälligen Verteilung konnte nicht nachgewiesen werden monitoring sowie Beringungsaktivitäten in Teilen von (χ2 = 1,97, df = 1, p = 0,05). 381 Nestlinge der Stichprobe MV wertvolle Informationen für den Kranichschutz, so konnten eindeutig einer Familiengröße zugeordnet wer- auch für diese Studie. den. Hiervon konnten 102 Geschwisterpaare und 177 Einzelvögel festgestellt werden. Innerhalb der Geschwis- Literatur terpaare waren 107 (52,5 %) Nestlinge männlich und Bermùdez-Humaràn LG, Garcia-Garcia A, Leal-Garza CH, 97 Nestlinge weiblich (47,5 %). Das ungefähre primäre Riojas-Valdes VM, Jaramillo-Rangel G & Montesde-Oca- Geschlechterverhältnis von 1,10 ist folglich ähnlich dem Luna R 2002: Molecular sexing of monomorphic endan- sekundären Verhältnis. gered Ara birds. Journal of Experimental Zoology 292: Es wurden 43 gemischte (42,2 %), 32 rein männli- 677-680. che (31,4 %) und 27 rein weibliche (26,5 %) Geschwis- Miikkulainen A 1999: Field identification of sex and age of crane chicks. In: Prange H, Nowald G & Mewes W (Hrsg) terpaare festgestellt. Demnach sind bei Kranichen Proceedings of the 3rd European Crane Workshop. Mar- Mischgelege am häufigsten. Eine signifikante Abwei- tin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. European Crane chung von einem zufälligen Geschlechterverhältnis der Working Group, Halle/Saale. Geschwisterpaare konnte jedoch nicht gefunden werden Wen-Bin B, Sheng-Long W, Hong-Xia Z, De-Qin L, Musa HH (χ² = 3,00, df = 2, p = 0,05). & Guo-Hong C 2009: Sex identification of seven species of Das Geschlechterverhältnis der untersuchten Fami- cranes in China by PCR. Journal of Animal and Veterinary lien mit nur einem Jungvogel beträgt 1,06. Der Anteil Advances 8: 1137-1140. der Männchen ist mit 51,4 % etwas niedriger als bei den Sekundäres Geschlechterverhältnis nach Familiengröße Geschwisterpaaren. Folglich 120 ist die Mortalität von Männ- Beobachtet (Stichprobe) Erwartet (Zufall) chen bis zum beringungsfähi- gen Alter etwas, jedoch nicht 100 signifikant, höher als bei den Weibchen. 80 Beim sekundären Geschlech­ ­ terverhältnis konnten keine signifikanten Unterschiede in 60 der Häufigkeit des Vorkom- mens von männlichen oder 40 weiblichen Nestlingen in MV festgestellt werden, was bei 20 einer monogamen Spezies wie dem Kranich nicht zu erwar- ten war. Jedoch gibt es in den 0 untersuchten Daten auffäl- 1 Juv._männlich 1 Juv._weiblich 2 Juv._männlich 2 Juv._weiblich lige Abweichungen zwischen Abb. 1: Geschlechterverhältnis bei Kranichfamilien mit einem (n=177) und zwei Nest- den Regionen innerhalb des lingen (n=204). © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

402 Themenbereich „Populationsbiologie“ • Poster

Kürten N, Vedder O, Bouwhuis S & Bairlein F (Oldenburg, Groningen/Niederlande, Wilhelmshaven): Maternale Effekte auf die Körperzusammensetzung von frisch geschlüpften Flussseeschwalbenküken

✉✉Nathalie Kürten, Institut für Vogelforschung „Vogelwarte Helgoland“, An der Vogelwarte 21, D-26386 Wilhelmshaven, E-Mail: [email protected]

Asynchrones Schlüpfen hat zur Folge, dass sich die der Küken zu bestimmen. Dabei war die Wiederhol- Küken in Alter und Gewicht unterscheiden, und könnte genauigkeit (± Standardfehler) zwischen diesen drei somit eine Adaptation an variable und unvorhersehbare Scans sehr hoch (Fettmasse: 0,885 ± 0,021; Mager- Nahrungsbedingungen sein. Bei Nahrungsknappheit masse: 0,976 ± 0,004). Die Fettmasse der Küken inner- sterben nämlich zuerst die jüngsten Küken, in welche halb eines Geleges nahm mit der Legefolge deutlich noch wenig investiert wurde, da nur die älteren und ab (χ2 = 9,075, Δdf = 2, p = 0,011), wohingegen die stärkeren Küken Nahrung von den Eltern erhalten. Magermasse innerhalb eines Geleges keinen Unter- Folglich wird das asynchrone Schlüpfen für die Arten schied aufwies (χ2 = 0,480, Δdf = 2, p = 0,787). Die von Vorteil sein, die zum Zeitpunkt der Eiablage nicht Zeitspanne zwischen dem Schlupf und der Messung, wissen, wie sich die Nahrungsbedingungen während während die Küken fasteten, hatte ebenfalls einen der Kükenaufzuchtphase entwickeln. Die Strategie der Effekt auf die Körperzusammensetzung der Küken. Brutreduzierung wird durch verschiedene maternale Während die Fettmasse der Küken in der Zeitspanne Effekte auf den Embryo unterstützt, aber wie sich die stetig abnahm (χ2 = 24,081, Δdf = 1, p < 0,001), blieb maternalen Effekte auf die Körperzusammensetzung die Magermasse relativ konstant (χ2 = 0,005, Δdf = 2, von frisch geschlüpften Küken auswirken, ist weitest- p = 0,944). Die mit der Legefolge sinkende Fettmasse gehend unerforscht. Die Untersuchung der Fett- und legt nahe, dass die maternalen Effekte Auswirkungen Magermasse gibt einen wichtigen Einblick. Dafür haben auf die Fettmasse der Küken im Ei haben, damit bei wir 120 frisch gelegte Eier mit bekannter Legefolge von einem knappen Nahrungsangebot in der Kükenauf- 48 Paaren der Flussseeschwalbe Sterna hirundo unter zuchtphase die Brutreduzierung zügig erfolgt. Dies gleichen Bedingungen in Inkubatoren ausgebrütet. wird durch den Effekt des Fastens unterstützt, denn Noch bevor die Küken Nahrung aufnehmen konnten, die sinkende Fettmasse über die Zeit weist daraufhin, führten wir mit einem Magnetresonanztomographen dass diese als erstes zur Energiegewinnung abgebaut (EchoMRIᵀᴹ) eine Messung, bestehend aus drei Scans wird und somit ein entscheidender Faktor für das pro Individuum, durch, um die Fett- und Magermasse Überleben der Küken sein könnte.

Riechert J & Becker PH (Wilhelmshaven, Jade): Wer kümmert sich um den Nachwuchs? Einfluss von Brutphase, Tageszeit, Hormonen und Räuberdruck auf das geschlechtsspezifische Brutverhalten bei Flussseeschwalben

✉✉Juliane Riechert, Institut für Vogelforschung „Vogelwarte Helgoland“, An der Vogelwarte 21, D-26386 Wilhelmshaven, E-Mail: [email protected]

Geteilte Brutfürsorge ist im Tierreich weit verbrei- tem Räuberdruck verlassen wird (Sudmann et al. 1994). tet, aber die Beiträge von Männchen und Weibchen Das Brutverhalten von Vögeln ist unter anderem durch unterscheiden sich häufig sowohl zwischen- als auch Hormone gesteuert, welche die eigene Kondition und innerartlich deutlich. Das kann sich auf verschiedene die Umweltbedingungen verknüpfen und das Verhal- Phasen der Brutzeit oder auch der Tageszeit beziehen. ten anpassen, um letztlich den Lebensbruterfolg zu Die unterschiedlichen elterlichen Rollen und der damit maximieren. Wir haben die elterliche Anwesenheit verbundene Aufwand bringen geschlechtsabhängige am Nest mit einem automatischen Erfassungssystem Differenzen in der Physiologie oder der Reaktion auf bei Flussseeschwalben Sterna hirundo untersucht, geänderte Umweltbedingungen mit sich. Bei langle- wobei eine Plattenantenne unter dem Nest eingegra- bigen Arten sollte das eigene Überleben im Sinne der ben wurde, welche die IDs beider Brutvögel aufzeich- Fitnessmaximierung allerdings immer im Vordergrund net. Die Anwesenheit wurde in Beziehung gesetzt zu stehen, was z. B. dazu führt, dass die Brut bei erhöh- Geschlecht, Brutphase (Inkubation, Aufzucht), Tages- © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 403 zeit, Hormonwerten (Prolaktin und Kortikosteron) und was im Vergleich zu den Eiern auf die größere Empfind- dem Reproduktionserfolg. Darüber hinaus haben wir lichkeit kleiner Küken gegenüber Temperaturschwan- ein Jahr mit Räuberdruck durch eine Waldohreule Asio kungen zurückzuführen ist. In der Kükenphase hing der otus mit Jahren ohne nächtliche Beraubung verglichen. Hormongehalt der Männchen mit der Anwesenheit am Während des Eulenjahres 2005 haben wir die Nestan- Nest zusammen und deutet auf eine geänderte Rollen- wesenheit in der Mitte der jeweiligen Inkubationsphase verteilung hin: Leicht gesteigertes Kortikosteron kann erfasst und in den Vergleichsjahren (2008, 2009, 2010 die Aktivität der Väter bei der Nahrungssuche fördern, und 2012) die Anwesenheit beider Eltern zusätzlich bis da sie in den ersten Tagen hauptverantwortlich für die zwei Tage nach dem Schlupf des letzten Kükens aufge- Nahrungsversorgung sind. Die Mütter hingegen hudern nommen. Die Blutentnahme zwecks Hormonmessung die Küken, was nicht zu einer Änderung in Prolaktin- erfolgte mit hungrigen Raubwanzen Dipetalogaster oder Kortikosteronwerten führte. Geringeres Prolaktin maxima, die in einem künstlichen perforierten Ei dem der Väter weist auf weniger Kontakt mit den Küken Vogel ins Nest gelegt werden. Innerhalb von 20 Minuten und eine schlechtere Kondition aufgrund des hohen saugt die Wanze in etwa 0,5 ml Blut, das ihr mit einer Aufwandes hin (Riechert et al. 2014). Wir zeigen, dass Kanüle entnommen wird (Riechert et al. 2014). Flussseeschwalben während der Inkubations- und Auf- In allen Jahren hat sich gezeigt, dass Weibchen sich zuchtphase ein flexibles System geschlechtsabhängiger stärker an der Bebrütung beteiligen als Männchen (siehe Brutfürsorge haben, welches sich in den Hormonwer- auch Wiggins & Morris 1987), vor allem nachts und in ten widerspiegelt, die das Verhalten und letztlich den der Kükenphase (Abb. 1). Die Männchen sind nachts Reproduktionserfolg beeinflussen. allerdings auch am Nest und bewachen es, so dass wir von einem vergleichbaren Aufwand beider Eltern aus- Literatur gehen. Bei Anwesenheit der Eule haben die Eltern die Riechert J, Chastel O & Becker PH 2014: Regulation of breed- Gelege nachts häufig komplett verlassen, aber auch tags- ing behaviour: Do energy demanding periods induce a über wurden sie viel seltener registriert (Abb. 1). Das change in prolactin or corticosterone baseline levels in the zeigt die große Nervosität der tagaktiven Seeschwalben Common Tern (Sterna hirundo)? Physiol. Biochem. Zool. gegenüber nachtaktiven Räubern (Wendeln & Becker 87: 420-431. 1999), die kaum angegriffen werden. Während der Inku- Sudmann S, Becker PH & Wendeln H 1994: Sumpfohreule bationsphase stellten wir keinen Einfluss der elterlichen Asio flammeus und Waldohreule A. otus als Prädatoren in Anwesenheit auf den Schlüpferfolg fest. Im Eulenjahr Kolonien der Flußseeschwalbe Sterna hirundo. Vogelwelt 115: 121-126. erfolgte der Schlupf jedoch sechs Tage später und war Wendeln H & Becker PH 1999: Does disturbance by noctur- deutlich geringer, vor allem weil einige Gelege verlas- nal predators affect body mass of adult Common Terns? sen wurden. Der Ausfliegeerfolg in den anderen Jahren Waterbirds 22: 401-410. wurde dagegen durch höhere Anwesenheit der Eltern in Wiggins DS & Morris RD 1987: Parental care of the Common den ersten Tagen nach Schlupf der Küken begünstigt, Tern Sterna hirundo. Ibis 129: 533-672.

Abb. 1: Anwesenheit (als Anteil, Mittelwert mit Standardfehler) der Flussseeschwalben am Nest während der Inkubation und Aufzucht am Tag und in der Nacht. In rot die Weibchen und dunkelbau die Männchen in den Jahren ohne Eule, in orange die Weibchen und hellblau die Männchen im Eulenjahr. Die Stichprobengröße betrug 59 Paare im Eulenjahr und in den Ver- gleichsjahren 33 Paare in der Inkubation und 46 in der Aufzucht. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

404 Themenbereich „Feldornithologie, Avifaunistik“ • Poster

Themenbereich „Feldornithologie, Avifaunistik“

• Poster

Skibbe A, Batycki A, Goławski A, Kniola T, Kotlarz B, Schidelko K, Stiels D & Szymański M (Köln, Poznań/ Polen, Siedlce/Polen, Wicko/Polen, Bonn, Bytów/Polen): Großräumige Bestandserfassung der Waldschnepfe Scolopax rusticola

✉✉Andreas Skibbe, Rösrather Str. 725, D-51107 Köln, E-Mail: [email protected]

Erfassungen der Waldschnepfe sind oft mit vielen Westdeutschland und Ostpolen mindestens einmal methodischen Problemen verbunden. Daher sind die relative Dichte der Waldschnepfe ermittelt (Abb. 1). Häufigkeitseinschätzungen oft mit unbekanntem Feh- Die meisten Probeflächen lagen in Nordrhein-Westfalen ler behaftet. Vor allem großflächige Bestandsangaben und Pommern. Wir definieren die relative Dichte als auf Länderniveau werden wahrscheinlich sehr häufig die Anzahl der gehörten, vorbeifliegenden Männchen unterschätzt und sind darüber hinaus wegen unter- an einem Abend mit guten äußeren Bedingungen im schiedlicher Methodik nur schwer untereinander zu Zeitraum zwischen Anfang Mai und Anfang Juli. vergleichen. Die mittlere relative Dichte betrug 4,7 Männchen pro Um in einem ersten Schritt Daten über großflächige Abend (Spanne 0 bis 11 Vögel). Die Ergebnisse deuten Bestandsangaben zu erhalten, haben wir in ausgedehn- darauf hin, dass die Dichte eher von lokalen Habitatfak- ten Wäldern (n = 35) bei 84 Begehungen zwischen toren als von der geografischen Lage abhängt. In einem

Abb. 1: Verteilung der unter- suchten Wälder (n = 35) und relative Dichten der Wald- schnepfe in Deutschland und Polen. Die Höhe des roten Balkens in der Legende ent- spricht 5,5 Vögeln/Begehung. Maximal wurden 11 Vögel/ Begehung festgestellt. Karte: ArcMap 10.2.2 (© Esri, Red- lands, CA). © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 405 zweiten Schritt sollen Vergleiche zwischen kleinräumi- Literatur gen Synchronerfassungen und der parallelen Erfassung Chodkiewicz T, Kuczyński L, Sikora A, Chylarecki P, Neu- relativer Dichten eine Umrechnung auf die tatsächliche bauer G, Ławicki Ł & Stawarczyk T 2015: Ocena liczebności Abundanz ermöglichen. Die ersten Vergleiche deuten populacji ptaków lęgowych w Polsce w latach 2008-2012. Ornis Polonica 56: 149-189. auf großräumig deutlich höhere Dichten hin, als sie bis- Gedeon K, Grüneberg C, Sudfeldt C, Eickhorst W, Fischer S, her angenommen wurden (Gedeon et al. 2016; Grü- Flade M, Frick S, Geiersberger I, Koop B, Kramer BM, Krü- neberg et al. 2014; Chodkiewicz et al. 2015). Bisherige ger T, Roth N, Ryslavy T, Stübing S, Sudmann SR, Steffens Hochrechnungen für Deutschland und Polen weisen R, Vökler F & Witt K 2014: Atlas deutscher Brutvogelar- auf bisher mehrfach unterschätzte Bestände hin. Die ten. Stiftung Vogelmonitoring & Dachverband Deutscher gewonnenen Daten zeigen großräumige Dichten, die Avifaunisten, Münster. eher in einer Größenordnung liegen, wie sie mit ähn- Grüneberg C, Sudmann SR, Weiss J, Jöbges M, König H, Laske licher Methodik auch für Großbritannien angegeben V, Schmitz M & Skibbe A 2012: Die Brutvögel Nordrhein- Westfalens. NWO & LANUV, Münster. werden (Hoodless et al. 2009). In den nächsten Jah- Hoodless AN, Lang D, Aebischer NJ, Fuller RJ & Ewald JA ren soll die angewandte Umrechnungsfaktormethodik 2009: Densities and population estimates of breeding Eur- genauer geprüft und die Stichprobe der Erfassungen asian Woodcock Scolopax rusticola in Britain in 2003. Bird erhöht werden. Study 56: 15-25.

Berger-Geiger B & Galizia CG (Radolfzell, Konstanz): Früh übt sich… Intime Einblicke in Familien- und Sozialverband der Wiesenweihen Circus pygargus in der Serena-Steppe/Südwestspanien – Lohnender Einsatz von Wildkameras und GSM-GPS-Loggern

✉✉Brigitte Berger-Geiger, Moengalstr. 17, D-78315 Radolfzell, E-Mail: [email protected]

Seit 17 Jahren haben wir während der Brutzeit (Mai/ Kameras lieferten jedoch z. T. überraschende Ergeb- Juni) in der Serena-Steppe/Extremadura Wiesenwei- nisse: So wurden in einigen Nestern ganz regelmäßig hen-Nester lokalisiert und Schutzmaßnahmen durch- die Männchen beobachtet, sogar beim Füttern der Jung- geführt. Im Untersuchungsgebiet findet sich eine vögel. Insbesondere bei Temperaturen > 30 °C waren beachtliche Konzentration an Wiesenweihen-Kolonien Männchen im Nest aktiv bei der Beschattung der Eier unterschiedlicher Größe (bis zu 30 Brutpaare/Kolonie). und auch der Jungvögel. Tiefe Temperaturen von bis Wiederholt konnten wir in kleineren Kolonien neben zu 0 °C in den Morgenstunden überstanden frisch den Brutpaaren auch Paare feststellen, die genauso wie geschlüpfte Jungvögel problemlos, selbst wenn sie über Brutpaare die Nahrungsübergabe im Flug praktizier- eine Stunde allein im Nest verbrachten. Weibchen erzo- ten. Wir konnten jedoch definitiv ausschließen, dass ein gen die Jungvögel recht unterschiedlich: Während ein Nest mit Jungvögeln versorgt wurde. Der Einsatz von Weibchen einen verbleibenden Jungvogel (drei Jung- GSM-GPS-Loggern brachte uns in diesem Jahr neue vögel wurden prädiert – allerdings bevor die Kamera Erkenntnisse den Austausch zwischen verschiedenen gestellt wurde) noch bis zum Alter von ca. 25 Tagen Kolonien betreffend. fütterte, legte ein anderes Weibchen den Jungvögeln Brüten im Verband erscheint vorteilhaft, wenn mög- (der jüngste war im Beobachtungszeitraum ca. 15 Tage liche Prädatoren von möglichst vielen Individuen der alt) das Futter nur ins Nest. Aufgrund der Augenfarbe Wiesenweihen attackiert und vertrieben werden kön- (jüngere Weibchen mit dunkler Iris, ältere Weibchen mit nen. In den letzten vier Jahren war die Prädation im heller Iris) konnten wir sehen, dass ältere Weibchen im Untersuchungsgebiet extrem hoch, der Bruterfolg lag Vergleich mit jüngeren Weibchen bis zu sechs Wochen zwischen 0,3 und 1,1 flüggen Jungvögeln/Brutpaar. früher mit dem Gelege beginnen. Um einen Einblick in das Brutgeschäft und evt. auch Wir versahen fünf Weibchen mit GSM-GPS-Log- die Prädationsereignisse zu bekommen, wurden 2016 gern. Bei einem Logger-Gewicht von 15 g wurden nur fünf Dörr-Wildkameras zur Nestüberwachung einge- Weibchen besendert, die mindestens 340 g schwer setzt. Insgesamt zehn Nester – zum allergrößten Teil waren. Drei der Logger lieferten zuverlässig Bewe- eingezäunt – wurden über einen Zeitraum von drei bis gungsdaten bis zum Flüggewerden der Jungvögel. 25 Tagen überwacht. Kein Prädationsereignis konnte Der Homerange eines Weibchens ist sehr eng bis die im Überwachungszeitraum dokumentiert werden. Die Jungvögel ein Alter von ca. 6 bis 8 Wochen erreicht © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

406 Themenbereich „Feldornithologie, Avifaunistik“ • Poster

Abb. 1: Flugbewegun- gen von Weibchen 5005 nach Prädation des ei- genen Nests (rot) in benachbarte Kolonien (gelb, türkis). haben. Zwei der Logger lieferten uns weitere Daten Die Übernahme eines Nests durch ein dominanteres auch für die Migration (am 15.10. befanden sich beide Weibchen konnten wir 2014 schon einmal anhand von Weibchen in Mali). Flügelmarken belegen. Ein Weibchen (Logger 5005), dessen Nest kurz nach Das Weibchen mit Logger 4400 flog nach dem Flüg- der Besenderung prädiert wurde, besuchte über meh- gewerden des nach einer Teilprädation verbliebenen rere Tage eine 10 km weiter entfernte Kolonie. Danach einzigen Jungvogels am 16.7. zielgerichtet 200 km nach wählte es eine andere, 2 km vom ursprünglichen Nest Osten. Es hielt sich dort in einer bislang unbekannten entfernte Kolonie. Das Bewegungsmuster, das wir Kolonie (sie konnte aufgrund der GPS-Daten ermittelt von dort erhielten, legt die Vermutung nahe, dass das werden) drei Wochen lang auf. Es flog dann wieder Weibchen ein anderes Nest „adoptiert“ oder zumin- in die Ursprungskolonie zurück, bevor es am 7.8. die dest bei der Versorgung der Jungvögel mitgeholfen hat. Migra­tion Richtung Südspanien/Afrika startete.

Essel S, Bastian H-V, Bastian A & Tietze DT (Bad Vilbel, Kerzenheim, Heidelberg): Wo verbringen Bienenfresser Merops apiaster ihren Tag?

✉✉Dieter Thomas Tietze, IPMB und Heidelberg Center for the Environment, Universität Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 364, D-69120 Heidelberg, E-Mail: [email protected]

Der Bienenfresser ist eine von vielen Arten, die im Im Rahmen einer Masterarbeit wurde in einer seit Zuge des Klimawandels ihr Verbreitungsgebiet nord- 2011 besiedelten rheinland-pfälzischen Brutkolonie bei wärts verlagert haben. So brütet die Art seit mehr als Eisenberg mit zuletzt 26 Brutpaaren im Jahr 2016 die 25 Jahren wieder regelmäßig und mit wachsenden Raum-Zeit-Nutzung telemetrisch und die Brutbiologie Bestandszahlen in Deutschland (Bastian & Bastian mittels Endoskop untersucht. Die von der DO-G geför- 2016). Die bisherigen Untersuchungen zum Bienen- derte Pilotstudie erlaubte die Ausstattung von fünf Bie- fresser konzentrierten sich vor allem auf dessen Are- nenfressern mit Transmittern, deren Signale geortet und alausweitung, die Brutbestandsentwicklung und die so die Positionen der Tiere im Gelände bestimmt werden Phänologie. Viele artenschutzrelevante Aspekte wie die konnten. Für die Positionsbestimmung der Tiere wurde Raum-Zeit-Nutzung, die Aufschluss über den genutz- dabei die Methode der Triangulation angewendet, bei ten Lebensraum und Bewegungsradius des Bienenfres- der von zwei verschiedenen Standorten aus eine Kreuz- sers geben kann, und die Brutbiologie der Vogelart peilung erfolgte, sowie die Verfolgung der Tiere auf Sicht sind noch weitestgehend unbekannt und wurden in („Homing-In“). Ziel war die Beschreibung von Raumnut- Deutschland noch nicht systematisch untersucht. zungsmustern in Abhängigkeit vom Geschlecht über die © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 407

Phasen der Brutzeit hinweg sowie die Identifikation dafür diesem Jahr ungünstigen starken Niederschläge sorg- verantwortlicher ökologischer Faktoren. ten jedoch für eine Verzögerung und Verschiebung Der untersuchte Zeitraum lässt sich in zwei Phasen im Brutgeschäft, so dass einzelne Paare noch bis Mitte unterteilen: Die erste Phase reicht von der Brutzeit bis August mit der Jungenaufzucht beschäftigt waren. Die zum Ausflug der flüggen Jungvögel, die zweite umfasst orografische Lage des Brutstandortes lenkte die Rich- das Umherstreifen in den nachfolgenden Wochen bis tung des Ausfluges der Bienenfresser entlang eines zum Transmitterverlust. Die Brutzeit zeichnet sich nordöstlich verlaufenden Bachtals. Durch die tagsüber durch eine Regelmäßigkeit aus, die mit der Rückkehr stattfindende Aufteilung in kleinere Gruppen zeigten der Alttiere täglich kurz nach Sonnenaufgang gegen sich Unterschiede in der Raumnutzung bei Männchen 6:30 Uhr zur Kolonie beginnt. und Weibchen. Die besenderten Weibchen blieben als Unabhängig vom Geschlecht hielten sich die Tiere Verbund zusammen und flogen deutlich weitere Stre- während des Tages im direkten Umfeld der Brutkolonie cken, teilweise bis zu 14 km bis an den Haardtrand. auf. Ein geschlechtsspezifischer Verhaltensunterschied Die Männchen waren im Durchschnitt nicht weiter zeigte sich erst mit einsetzender Dämmerung, wenn die als 5 km vom Brutstandort entfernt. Die aufgesuchten Weibchen zum Hudern der Küken nachts die Brutröhre Habitate entsprachen bei beiden Geschlechtern jedoch aufsuchten. Im Gegensatz dazu verbrachten die Männ- dem gleichen Typ. Präferiert wurden offene Feld- und chen die Nächte auf Schlafbäumen, hauptsächlich auf Wiesenflächen mit einem hohen Insektenangebot, an exponiert stehenden Pappeln, in knapp 3 km Entfernung denen sich Sitzwarten wie vereinzelte Baum- und vom Brutstandort. Diese Schlafgebiete wurden während Buschgruppen oder Stromleitungen befanden. Diese des gesamten Untersuchungszeitraumes aufgesucht. Mit ersten Untersuchungen dienen als Pilotstudie zur Heranwachsen der Küken flogen die Weibchen abends Raum-Zeit-Nutzung des Bienenfressers und lassen ebenfalls zu den Schlafbäumen und nach dem Ausflug noch keine allgemeingültigen Aussagen zu, zeigen ebenso die Jungvögel. Mit fortschreitender Brutsaison aber erste Muster. Die Identifikation zugrundeliegen- ließ sich eine langsame Erweiterung des Aktionsradius der ökologischer Faktoren erfolgt in der weiterfüh- beobachten. Die Jagdgebiete dehnten sich vom direkten renden Auswertung. Grubenbereich auf umliegende Felder und Waldgebiete aus. Mit Beginn der zweiten Phase des Beobachtungs- Literatur zeitraumes wurde die Kolonie nach und nach von den Bastian A & Bastian H-V 2016: Bienenfresser nach wie vor Brutpaaren und deren flüggen Jungen verlassen. Die in im Aufwind. Falke 63(6): 28-33.

Hering J, Eilts HJ, Fuchs E, Habib M &Megalli M (Limbach-Oberfrohna, Berlin, Chemnitz, Hurghada/ Ägypten, Port Said/Ägypten): Die Witwenstelze Motacilla aguimp auf dem Nassersee – Leben zwischen Wüste und Wasser

✉✉Jens Hering, Wolkenburger Straße 11, D09212 Limbach-Oberfrohna, E-Mail: [email protected]

Bei Untersuchungen zur Brutvogelwelt des Nassersees dokumentieren sowie fütternde Altvögel und gerade in Südägypten im April und Mai 2016 suchten wir flügge Junge beobachten. gezielt nach Vorkommen der Witwenstelze Motacilla Auf fünf gehölzfreien und demzufolge extrem son- aguimp. Bisher lagen lediglich Angaben zu Brutvor- nenexponierten Inseln gelangen Nestfunde. Dabei han- kommen bei Abu Simbel vor, allerdings ohne nähere delte es sich um vier besetzte und drei „alte“ Nester aus Hinweise zur Brutbiologie (Baha el Din 1994; Alström & dieser Brutsaison. Alte und neue Nester (Zweitbrut?) Mild 2003). Es war auch unbekannt, wie weit verbreitet waren in drei Fällen jeweils zwei, drei und vier Meter diese Stelzenart heute im nördlichsten Teil ihres Bruta- voneinander entfernt. Als Neststandort dienten stets reals ist (Cramp 1988; Goodman & Meininger 1989). Bis kleine Höhlungen im Fels unterschiedlich hoch über Anfang des 20. Jahrhunderts wurde über regelmäßige dem Wasser. Das Nistmaterial bestand fast ausschließ- Beobachtungen im damals hier existierenden Niltal bis lich aus Ährigem Tausendblatt Myriophyllum spicatum, hin zum ersten Katarakt nahe Assuan berichtet (z. B. teils waren auch getrocknete Algen und Federn mit ein- Adams 1864; Shelley 1872; Gurney 1876; Russel 1905). gebaut. Die Tausendblattstengel hingen meist aus der Auch Meinertzhagen (1930) registrierte im Februar Nisthöhle, so dass die Nester leicht zu finden waren. Der 1928 einige Paare bei Assuan. Wir konnten nun an äußere Durchmesser der Nester lag bei 13,5 bis 19,5 cm, verschiedenen Stellen im Nassersee mehrere Nester durchschnittlich 15,5 cm (n = 6), und die Nesthöhe bei © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

408 Themenbereich „Feldornithologie, Avifaunistik“ • Poster

4,5 bis 8,5 cm, durchschnittlich 6,3 cm (n = 6). Eine erhielten wir von Peter H. Barthel, Olaf Geiter, Herbert Nestmulde war nicht messbar. In den besetzten Nestern Grimm, Heidi Hering, Dick Hoeck, Dieter Saemann, befanden sich einmal zwei Eier sowie einmal drei ca. Karl Schulze-Hagen und Niels Sigmund. Auch ihnen fünf Tage alte Junge und einmal ein etwa elf Tage alter allen sei herzlich gedankt. Jungvogel. Zwei vermessene Eier liegen in der für die Witwenstelze bekannten Toleranzspanne. Auch Form Literatur und Färbung lassen keine Unterschiede erkennen (Keith Adams AL 1864: Notes and observations on the birds of Egypt and Nubia. Ibis 6: 1-36. et al. 1992). Es konnten je einmal gerade flügge und Alström P & Mild K 2003: Pipits & Wagtails of Europe, Asia ältere Jungvögel beobachtet werden. Mehrmals waren and North America. Christopher Helm, London. auch Gesang und Warnrufe der Altvögel zu vernehmen. Baha el Din M 1994: African Pied Wagtail breeding at Lake Entsprechend der gefundenen Nester mit Gelege und Nasser, Egypt. Birding World 7: 186. Jungvögeln sowie flüggen Individuen ist eine Hauptle- Cramp S 1988: Handbook of the Birds of Europe, the Middle gezeit der auf dem Nassersee nistenden Witwenstelzen East and North Africa. Vol. 5. Oxford Univ. Press, Oxford. im April und Mai als wahrscheinlich anzunehmen. Goodman SM & Meininger PL 1989: The Birds of Egypt. Die insgesamt 38 Nachweise an verschiedenen Stellen Oxford Univ. Press, Oxford. des Nassersees sprechen für einen beachtlich hohen Gurney JH 1876: Rambles of a naturalist in Egypt and other Brutbestand. Ob demnach die Witwenstelze im südli- countries. Jarrold, London. Keith S, Urban EK & Fry CH 1992: The Birds of Africa. Vol. 4. chen Ägypten heute seltener brütet als im ehemaligen Acad. Press, London. Meinertzhagen R 1930: Nicholl’s Birds Niltal, ist aufgrund der spärlichen historischen Daten of Egypt. London. spekulativ. Vermutlich sind die sicher meist von Präd- Russel F 1905: Birds seen in Egypt in December, January and atoren freien, teils sehr kleinen Inseln ein Garant für February. Zoologist, Ser. 4, 9: 208-212. erfolgreiche Bruten (s. auch Baha el Din 1994). Als Shelley GE 1872: A handbook to the birds of Egypt. John van Nistplatzkonkurrent kommt lediglich der Haussper- Voorst, London. ling Passer domesticus in Frage, der meist kolonieartig ebenfalls in den Felspartien nistet. Da abgesehen von unseren Stu- Alexandria Port Said Assuan ´ Suez R dien bisher keine Daten zur Verbrei- Kairo tung und Brutbiologie der Witwen- Ägypten stelze aus Nordafrika vorliegen, sind Hurghada für 2017 weitere Untersuchungen Luxor geplant. Es sollen insbesondere der Assuan nördliche und erstmals der östli- che Teil des Nassersees kontrolliert Sudan werden. Zudem sind detaillierte Copyright © ESRI 1992-2002, ArcView GIS 3.3 Nahrungsanalysen vorgesehen. Eine erste Stichprobe hat ergeben, dass bei der Jungvogelfütterung sehr wahrscheinlich Larven von Köcherfliegen (Trichoptera) und Käfern (Coleoptera) eine große Rolle spielen, die vorzugsweise im Spülsaum und auf den großen Tep- pichen aus Myriophyllum spicatum und Ceratophyllum demersum auf- genommen werden. Für die Unterstützung bei der Feldarbeit danken wir Ramadan R Fox, Mourad, Tabschun und Bes- sam sowie der Firma „Lake Nasser Abu Simbel Adventure“, insbesondere Steven Ägypten

Mayor. Finanzielle Hilfe erhielten Kilometer wir vom NABU Deutschland, Lars 0 25 50 100 150 Sudan Teile dieses Dokuments enthalten geistiges Eigentum von Esri und dessen Lizenzgebern und werden hierin mit deren Genehmigung Lachmann. Der Geschäftsbereich verwendet. Copyright © 2015 World Physical Map: "http://services.arcgisonline.com/arcgis/servicesWorld_Physical_Map" & World Imagery: Sport Optics von Carl Zeiss stellte "http://services.arcgisonline.com/ArcGIS/rest/services/World_Imagery/MapServer" Esri und dessen Lizenzgeber. Alle Rechte vorbehalten. freundlicherweise optische Geräte Abb. 1: Brutzeitnachweise der Witwenstelze auf dem Nassersee im April/Mai 2016. zur Verfügung. Anderweitige Hilfe Rote Kreise = Nestfunde, gelbe Kreise = Beobachtungen. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 409

Keller V, Bauer H-G, Franch M, Herrando S, Kipson M, Milanesi P & Voříšek P (Sempach/Schweiz, Radolfzell, Barcelona/Spanien, Prag/Tschechien): EBBA2: Der zweite europäische Brutvogelatlas macht Fortschritte

✉✉Verena Keller, Schweizerische Vogelwarte, Seerose 1, CH6204 Sempach, Schweiz, E-Mail: [email protected]

Der zweite europäische Brutvogelatlas (European 2015 fokussierte auf die zeitlich standardisierten Bege- Breeding Bird Atlas EBBA2) hat zum Ziel, die aktuelle hungen. Da diese Daten vor allem in westeuropäischen Verbreitung und relative Häufigkeit der Brutvögel in Ländern primär aus Monitoringprogrammen stam- Europa zu dokumentieren und die Veränderungen seit men, während im übrigen Europa gezielte Aufnahmen dem ersten Atlas aufzuzeigen, der auf Daten der 1980er für den Atlas durchgeführt werden, ist die Heterogeni- Jahre fußte. Die Feldarbeit zu EBBA2 konzentriert sich tät der Daten hoch. Dies stellt für die Modellierungen auf die Jahre 2013 bis 2017 und ist in vielen Ländern eine besondere Herausforderung dar. Erste Modelle bereits weit fortgeschritten. Die Datensammlung unter Einbeziehung einer Reihe von Umweltvariablen fokussiert auf zwei Ebenen. Für die 50 km × 50 km zeigen dennoch bereits sehr vielversprechende Resul- großen Atlasquadrate sollen wie beim letzten Atlas tate, obwohl die Datenbasis vor allem im Osten und möglichst alle Arten gefunden und die Wahrschein- Südosten noch sehr lückenhaft war (Abb. 1). lichkeit des Brütens gemäß internationalem Atlascode Die Bereitschaft, an diesem Großprojekt mitzuarbei- angegeben werden. Zusätzlich liefern standardisierte ten, ist in ganz Europa hoch. Die Förderung durch Stif- Begehungen von ein bis zwei Stunden Länge Daten, tungen, insbesondere die MAVA-Stiftung, ermöglichte die für die Modellierung der relativen Häufigkeit mit dem Atlaskoordinationsteam, die fachliche und finanzi- einer Auflösung von 10 km × 10 km verwendet werden elle Unterstützung in 19 Ländern vor allem in Ost- und (Herrando et al. 2013). 2014 wurde eine Pilot-Daten- Südosteuropa zu verstärken. Trotz des großen Einsatzes sammlung mit dem Ziel durchgeführt, erste Daten lokaler Organisationen und Personen braucht es in eini- zusammenzustellen und die Datenübermittlung und gen dieser Länder in der Brutsaison 2017 jedoch weitere allfällige Schwierigkeiten zu evaluieren. Alle außer zwei Unterstützung durch ornithologisch versierte Personen Ländern stellten Daten zu den gewünschten fünf Arten aus den „westlichen“ Ländern. Es besteht die Möglich- zur Verfügung. Die zweite Pilot-Datensammlung von keit, in Absprache mit den auf der Internetseite www.

Abb. 1: Modellierte Karte der relativen Häufigkeit (zunehmend von hellblau zu rot) von Nachtigall Luscinia megarhynchos (links) und Sprosser L. luscinia (rechts) basierend auf der Pilot-Datensammlung von 2015. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

410 Themenbereich „Feldornithologie, Avifaunistik“ • Poster ebba2.info aufgeführten nationalen Koordinatoren die betreuten Kartentool ausgewiesen und die dafür not- Bearbeitung von Quadraten inklusive standardisierter wendigen methodischen Hinweise zur Datensammlung Aufnahmen zu übernehmen und die dortigen Atlas- geliefert. lücken schließen zu helfen. Daneben ist auch die Auf- nahme von nicht standardisierten Beobachtungen aus Literatur anderen Urlaubs- oder Forschungsreisen wertvoll (Ver- Herrando S, Voříšek P & Keller V 2013: The methodology of vollständigung der Artenlisten in den Atlasquadraten). the new European breeding bird atlas: finding standards Die in Verbindung mit der Internetplattform Ornitho across diverse situations. Bird Census News 26: 6-14. erstellte Applikation NaturaList erlaubt die Erfassung Herrando S, Keller V, Voříšek P, Kipson M, Franch M, Anton über das Mobiltelefon (auch Offline) auch in Ländern, M, Pla M, Villero D, Sierdsema H, Kampichler C, Telenský die über kein Ornitho-Portal verfügen. Doch auch eine T, Gillings S, Johnston A, Gottschalk T, Guélat J, Sattler T, Brotons L, Titeux N, Jiguet F, Kéry M & Milanesi P im Übermittlung mit Excel-Dateien ist möglich. Auf der Druck: High resolution maps for the new European Bree- Internetseite des europäischen Atlas (www.ebba2.info) ding Bird Atlas. A first provision of standardised data and werden die Regionen, in denen noch größere Lücken pilot modelled maps. Proceedings of the 20th EBCC Con- bestehen, auf einem von den nationalen Koordinatoren ference, Halle 2016. Vogelwelt.

Weidauer A, Coppack T, Steffen U & Grenzdörffer G (Horst, Einbeck, Rostock): Zum Einfluss des Stichproben-Designs auf die Ermittlung von Wasservogelbeständen mittels luftbildgestützter Zählmethoden

✉✉Alexander Weidauer, Dorfstraße 47, D-18519 Horst, E-Mail: [email protected]

Die luftbildgestützte Vogelerfassung stellt heute eine im Flugzeug montierte Kamera (Phase One iXA 180, sinnvolle Ergänzung zu der bisherigen beobachter- 80 MPX; 100 mm Objektiv, Schneider-Kreuznach LS) basierten Kartierungspraxis im marinen Bereich dar speicherte entlang der Flugbahn digitale Orthofotos (Kulemeyer et al. 2011; Coppack et al. 2015). Monat- mit einer Grundfläche von 200 m × 150 m und einer liche oder jährliche Bestandszählungen stellen aller- Bodenauflösung von 2 cm. Die Position des Flugzeugs dings schnappschussartige Stichproben einer meist wurde synchron und kontinuierlich zur Bildauslösung unbekannten Grundgesamtheit dar. Die Güte lokaler über ein GPS (Leica GPS1200) protokolliert. Die auf- Populationsschätzungen hängt daher wesentlich von einanderfolgenden Fotos wurden in Flugrichtung mit dem Grad der räumlichen und zeitlichen Abdeckung, einer Überlappung von 30 % aufgenommen. Die Bild- sowie von der Verteilung des Erfassungsaufwands rela- überlappung benachbarter Transekte lag bei rund 20 %. tiv zur Verteilung der jeweiligen Art ab. Hier testen wir Die Befliegung fand bei geeigneten Wetterbedingungen die statistische Aussagekraft verschiedener Stichpro- statt: Windgeschwindigkeit < 5 m/s, Seegang (sea state) ben-Designs (Grid-Design: äquidistante Erfassung an < 3, Sichtweite > 5 km. Die digitalen Bilddateien wurden Knotenpunkten eines Rasters, Linientransekt-Design: georektifiziert, georeferenziert und in GIS überführt. kontinuierliche Erfassung entlang getrennter Fluglinie; Die Überlappungsbereiche bzw. die durch Lichtrefle- vgl. Abb. 1) auf der Grundlage eines lückenlosen Bildda- xionen betroffenen Bildbereiche wurden herausge- tensatzes aus der südwestlichen Ostsee, der die vollflä- schnitten. Das resultierende Bildmaterial wurde syste- chigen Verteilungen individueller Eiderenten Somateria matisch mit einer Betrachtungssoftware nach Vögeln mollissima, Eisenten Clangula hyemalis und Trauerenten durchsucht. Jeder gefundene Vogel wurde auf Artni- Melanitta nigra abbildete. veau bestimmt und in einer GIS-basierten Datenbank Das Untersuchungsgebiet (46,75 km²) lag in der verortet. Für die Simulationen der Ergebnisvariabilität Wismarbucht, westliche Ostsee (SPA, UM MV 2006), der Abdeckungsgrade und Sampling-Designs wurde das und umfasste einen Wassertiefengradienten von etwa Untersuchungsgebiet in Rasterzellen mit 38 Zeilen und 3 m im Süden bis etwa 20 m im Norden (Abb. 1). Am 49 Spalten in einer Ost-West-Konfiguration und mit 12. März 2014 wurde das Gebiet innerhalb von vier 29 Zeilen und 59 Spalten in einer Nord-Süd-Konfigu- Stunden mit einem zweimotorigen Flugzeug (Partena- ration gruppiert. Jede Zelle hatte eine Grundfläche von via P68C) aus einer Höhe von ca. 420 m bei 180 km/h 200 m × 150 m und entsprach dem Phase One iXA180 vollständig photogrammetrisch erfasst. Der Flugplan Fußabdruck. Für verschiedene Flächenabdeckungs- beinhaltete 33 parallele Transekte von je 8,5 km Länge, grade (zwischen 10 und 50 %) wurde die artenspezi- die in nordsüdlicher Orientierung ausgerichtet waren fische Abundanz jeweils für die Grid- und Linientran- und das gesamte Untersuchungsgebiet abdeckten. Eine sekt-Konfigurationen berechnet. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 411

Die Varianz der berechneten Abundanz stieg mit werden; die relative Abweichung der Abundanzwerte abnehmender Flächenabdeckung überproportional an. erreichte Fehlerraten von ≥ 50 %. Bereits bei 25 % Abdeckung variierten die Abundanz- Bei nicht-randomisiert verteilten Wasservogelarten werte aus Linientransekt-Erfassungen von Trauer- und bietet eine Grid-basierte Bilderfassung aus biologischer Eisenten um 10 bis 40 % des Basiswerts. Die Fehlerrate und statistischer Sicht Vorteile bei Abdeckungsraten korrespondiert mit dem von Nord nach Süd verlau- von < 25 %. Um Erfassungsfehlerraten von weniger fenden Tiefengradienten. Abundanzberechnungen als 50 % zu gewährleisten, waren mit Linientransek- auf der Grundlage des Grid-Designs zeigten bei einer ten Flächenabdeckungen von > 25 % notwendig. Beim Abdeckung von 25 % zum Teil geringere Fehlerraten Grid-Design reichten hingegen Flächenabdeckungen (10 bis 20 %, vgl. Abb. 1). Bei einer Abdeckung von 10 % von 12 bis 15 % aus, um vergleichbare Resultate zu konnten Vogelbestände kaum noch verlässlich geschätzt erzielen. Die Ergebnisse dieser Studie legen nahe, dass

Abb. 1: Mittels lückenloser digitaler Luftfotografie erfasste Verteilung rastender Eider,- Eis- und Trauerenten über einem Wassertiefengradienten in der Wismarbucht (12. März 2014, oben) sowie Beispiele der möglichen Linientransekt- und Grid-Konfigurationen bei einer Flächenabdeckung von 25 % (rechts). Die Box-Plots (unten) vergleichen die Bestimmungs- genauigkeit der Abundanz durch unterschiedliche Sampling-Methoden für die Abdeckungsgrade 25 % und 11 % relative zur realen Abundanz (bei annähernd 100 % Flächenabdeckung). © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

412 Themenbereich „Feldornithologie, Avifaunistik“ • Poster

Flächenabdeckungen von ≤ 10 % für die quantitative Literatur Bestandserfassung von aggregierten Meeresenten mit Coppack T, Weidauer A & Kemper G 2015: Erfassung von luftbildgestützten Methoden nicht ausreichen. Seevogel- und Meeressäugerbeständen mittels georeferen- Gefördert durch das Bundesministerium für Wirt- zierter Digitalfotografie. AGIT - Journal für Angewandte schaft und Energie (BMWi) im Rahmen des Projekts Geoinformatik 1: 358-367. Kulemeyer C, Schulz A, Weidauer A, Röhrbein V, Schleicher „AVI-Image: Entwicklung einer photografischen K, Foy T, Grenzdörffer G & Coppack T 2011: Georeferen- Methode zur objektiven Quantifizierung von Rastvo- zierte Digitalfotografie zur objektiven und reproduzierba- gelbeständen auf See“ (Förderkennzeichen: 0325572). ren Quantifizierung von Rastvögeln auf See. Vogelwarte 49: 105-110.

Wulf T & Heim W (Bernburg, Potsdam): Entdeckung des Gesangs der Mandschurenralle Coturnicops exquisitus und Vorkommen im Muraviovka Park (Fern-Ost-Russland)

✉✉Tom Wulf, Bernburg, E-Mail: [email protected]

Im Juni 2016 konnte im Muraviovka Park/Amur Region rungen unterscheiden sich allerdings deutlich von denen (Fern-Ost-Russland) erstmalig der Gesang der Mand­ der Gelbralle. Neben dem Gesang konnten drei weitere schurenralle Coturnicops exquisitus aufgenommen Ruftypen registriert und aufgenommen werden. Die Ton- werden. Durch die Verwendung der Tonaufnahme aufnahmen wurden auf www.xeno-canto.org zugänglich als Klangattrappe konnten insgesamt vier Individuen gemacht. Ein Fund von Eierschalen in einem Revier der gefangen und beringt werden. Zusätzlich wurden die Mandschurenralle stimmt mit den Beschreibungen zu Reviere der drei weiteren dort vorkommenden Rallen- dieser Art überein. Sollten genetische Untersuchungen arten (Mandarinsumpfhuhn Porzana paykullii, Zwerg- die Herkunft belegen, stellt dies wohl den ersten Brut- sumpfhuhnPorzana pusilla und Asienwasserralle Rallus nachweis in Russland seit 1869 dar. Erste Untersuchungen indicus) unter Verwendung einer Klangattrappe kar- zu der Ökologie der dort vorkommenden Rallenarten tiert und Habitatparameter aufgenommen. Die global stellt die Mandschurenralle als eine Art dar, die im Ver- gefährdete Mandschurenralle ist eine der am schlech- gleich zu den anderen Arten, trockenere Seggensümpfe testen untersuchten Rallenarten der Region. Aus der mit einer hohen Deckung an toten Gräsern bevorzugt. Vergangenheit liegen lediglich zwei Nachweise vor (Juni Auch niedriger Aufwuchs von Weiden wird toleriert. 2013 und Juni 2015). Die in Seggensümpfen lebende Durch menschlich verursachte Feuer, die in der Region Rallenart hat in Ost-Asien zwei Verbreitungsschwer- häufig sind, werden solche Habitatstrukturen zerstört punkte. Eines zwischen SO-Russland und NO-China und stellen somit eine Bedrohung für die Art dar. befindet sich ca. 330 km südöstlich vom Muraviovka Park entfernt. Das zweite Vorkommen liegt in Russland nördlich der Mongolei ca. 900 km westlich vom Park. Das neu entdeckte Vorkommen im Muraviovka Park befindet sich zwischen den beiden bekannten Verbreitungs- schwerpunkten. Es ist wahrscheinlich, dass die Mandschurenralle weitaus häu- figer in der Region vorkommt als bisher angenommen. Der Gesang unterschei- det sich stark von den Angaben in der zugänglichen Literatur über diese Art. In der Vergangenheit wurde angenom- men, dass der Gesang der Mandschu- renralle ähnlich wie der Gesang der nordamerikanischen Coturnicops-Art, der Gelbralle Coturnicops noveboracen- sis, sei. Die aufgenommenen Lautäuße- Abb. 1: Mand­schurenralle Coturnicops exquisitus. Foto: A. Thomas © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 413

Themenbereich „Geschichte der Ornithologie“

• Poster

Hauff P & Kovacs H (Neu Wandrum, Schwerin): Einhundertfünfzigjährige Geschichte des Seeadlers Haliaeetus albicilla in Mecklenburg- Vorpommern, dargestellt an zwei Regionen: Insel Rügen und Ostufer der Müritz

✉✉Peter Hauff, Lindenallee 5, D-19073 Neu Wandrum, E-Mail: [email protected]

Seit über 150 Jahren gibt es im Norden Deutschlands BP besetzt. In ganz MV (ohne Rügen!) waren um 1850 und dort in Mecklenburg-Vorpommern das bedeu- nur 38 BP bekannt, jeweils die Hälfte in Vorpommern tendste Seeadlervorkommen. In zwei Regionen, Insel und der Mecklenburgischen Seenplatte. Um 1900 gab Rügen und Ostufer der Müritz, ist die wechselhafte es in M-V noch 15 bis 20 geschätzte Brutpaare. Geschichte der Seeadler seit etwa Mitte des 19. Jahrhun- Auf Rügen stieg der Bestand von 1900 (drei Paare) derts genauer bekannt. Deren weitere Bestandsentwick- bis 1950 um elf Paare auf 14 Paare an. Davon kehrten lung ist für den Großraum Mecklenburg-Vorpommern fünf Paare wieder in ehemalige Brutreviere zurück, (M-V) beispielhaft. weitere sechs Paare gründeten völlig neue Ansiedlun- Region 1, Insel Rügen: Um 1850 waren auf Rügen elf gen. In MV verlief die Entwicklung ähnlich wie auf Brutplätze (BP) bekannt (Oehme 1958), die wahrschein- Rügen; der Gesamtbestand stieg von 15 BP 1900 auf lich dem Gesamtbestand auf Rügen gleichzusetzen sind. 85 bis 90 BP bis 1950 an. Um die Mitte des 20. Jahrhun- Ende des 19. Jahrhunderts waren davon nur noch drei derts begann der durch DDT verursachte Einbruch der Bruterfolge und die Bestandsentwicklung kam für rund 30 Jahre zum Stillstand. Auf Rügen verwaisten in dieser Zeit sieben Brutplätze; der Bestand Mecklenburg- Vorpommerns verharrte bei 85 bis 90 BP. Nach dem gestaffelten Verbot der DDT- Anwendung von Anfang bis Mitte 1970 nahm der Anteil erfolgreicher Bruten gegen Ende der 1970er Jahre wieder zu, und um 1980 begann der Bestandsanstieg der noch immer anhält. Der Gesamtbe- stand umfasste 2015 in MV 364 BP, davon 35 BP auf Rügen, ca. 10 % vom Bestand in MV. In Abb. 1 wird die wechselhafte Entwicklung der Vorkommen auf Rügen im 20. Jahrhundert bis 2015 (Hauff 2013, erg.) dargestellt. Ähnlich wie auf Rügen verlief die Entwicklung in den letzten 150 Jahren in der Region 2 am Ostufer der Müritz, dem jetzigen Gebietsteil des Müritz- Nationalparks. Dort entwickelten sich die Vorkommen der Seeadler von zwei BP in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts (Oehme 1958) auf sechs BP bis gegen 1950 und von 1980 bis 2015 auf 17 BP. Durch die Projektgruppe Seeadler beim Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie (LUNG) wurden 2015 im Rah- Abb. 1: 35 Brutplätze des Seeadlers auf Rügen von 1900 bis 2015. men des jährlichen Monitorings 364 Brut- © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

414 Themenbereich „Geschichte der Ornithologie“ • Poster plätze in MV erfasst. Die Vorkommen in beiden Regionen gen konnte, wird dies in einem ausführlicheren Beitrag zeigen auch in den größeren Dichteregionen eine homo- nachgeholt. gene Besiedelung, so auf Rügen im Großraum der Bod- denlandschaften an der vorpommerschen Ostseeküste Literatur und am Ostufer der Müritz in der Mecklenburgischen Oehme G 1958: Die Verbreitung des Seeadlers Haliaeetus Seenplatte. Der lange auf Rügen bekannte 10 %-Anteil des albicilla (L.) in Deutschland mit populationsstatistischen Bestandes von MV lässt erkennen, dass es im 19. Jahr- Beiträgen und Untersuchungen zur Wahl der Brutbiotope. hundert bereits 100 Brutplätze in Mecklenburg und dem Dipl. Arb. Univ. Greifswald: 1-141. Hauff P 2013: Niedergang und Aufschwung des Seeadlers Hali- damaligen Vorpommern gegeben haben muss. aeetus albicilla in Mitteleuropa und an einigen Brutplätzen Da die Darstellung der einhundertfünfzigjährigen in Mecklenburg-Vorpommern. Ornithol. Beobachter 110: Geschichte der Seeadler hier nicht ausführlicher erfol- 319-334.

Frahnert S & Eckhoff P (Berlin): Der Beitrag Johann Christoph Gundlachs zur Erforschung der Avifauna Puerto Ricos

✉✉Sylke Frahnert, Museum für Naturkunde, Leibniz Institute for Evolution and Biodiversity Science, Invalidenstr. 43, D-10115 Berlin, E-Mail: [email protected]

Der auf Kuba lebende, deutsche Naturforscher Johann auf der Insel. Über weltweite Kontakte wurden seine Christoph Gundlach (1810-1896) führte zwischen 1873 Kenntnisse schnell international bekannt. Mit seinen und 1876 zwei Expeditionen nach Puerto Rico durch. Dokumentationen und seiner Sammlung liegen uns Er studierte dabei über anderthalb Jahre die Ornitholo- heute umfassende Belege einer Avifauna vor, die sich gie der Insel und legte eine umfassende Sammlung an. bereits kurze Zeit später durch ein starkes Bevölke- Durch ihn wurde die Liste der auf Puerto Rico lebenden, rungswachstum und die Entwaldung auf der Insel bekannten Vogelarten auf 153 erweitert. Von Gundlach deutlich veränderte. Ausführliche Beschreibungen von selbst und aufgrund seiner Sammlungen von der Insel Gundlachs Reise nach Puerto Rico, seiner Sammlun- wurden insgesamt sechs neue Vogelarten beschrieben. gen von der Insel sowie der Bedeutung seiner Erkennt- Die ornithologischen Ergebnisse sandte Gundlach auch nisse erfolgten durch Wiley et al. (2014) und Frahnert an Jean Cabanis, der sie bearbeitete und einschließlich et al. (2015). der Beschreibungen neuer Arten vorrangig im Journal für Ornithologie veröffentlichte. Gundlachs Forschung auf Puerto Rico ist von beson- Literatur derer Bedeutung, da er über seine Studien auf Kuba Frahnert S, Aguilera Román R, Eckhoff P & Wiley JW 2015: Juan Christóbals collections of Puerto Rican birds with spe- bereits mit der Avifauna der Karibik umfassend ver- cial regards to its types. Zoosyst. Evol. 91: 177-189. traut war und so seine Beobachtungen in besonderer Wiley JW, Frahnert S, Aguilera Román R & Eckhoff P 2014: Weise taxonomisch bewerten konnte. Darüber hinaus Juan Christobal Gundlachs ornithological contributions unterstützte er mit seinen Kenntnissen lokale Natur- to the knowledge of Puerto Rican Birds and his influence forscher und Forschungseinrichtungen auf Puerto on the development of the natural history in Puerto Rico. Rico und förderte damit die naturkundliche Forschung Archives of Natural History 41: 251-269. © Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Partner; download www.do-g.de; www.zobodat.at

Vogelwarte 54 (2016) 415

Päckert M, Frahnert S & Eckhoff P (Dresden, Berlin): Die Vogelsammlungen von Walter Stötzner und Hugo Weigold in den Naturkundlichen Museen Berlin und Dresden

✉✉Martin Päckert, Senckenberg Naturhistorische Sammlungen Dresden, Königsbrücker Landstraße 159, D-01109 Dresden, E-Mail: [email protected]

Die Sammlungen von Hugo Weigold und Walter Stötz- dem Material der zweiten Stötzner’schen Expedtion in ner stellen wesentliche Bestände asiatischer Vogelarten die Mandschurei (1927 bis 1929) ist Weigolds Samm- in den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen lung heute noch ein wichtiger Grundstock der ornitho- Dresden und im Museum für Naturkunde Berlin dar. logischen Forschung an beiden Museen. Im Zuge der Die erste größere Lieferung chinesischer Vogelbälge digitalen Erfassung von Sammlungsbeständen wurden an beide Museen stammte von der Stötzner’schen in den vergangenen Jahren Metadaten für etwa 2.500 Setzschwan Expedition aus den Jahren 1913 bis 1915. von Weigold gesammelte Belegexemplare in die hausei- Obwohl diese Reise ursprünglich für vier Jahre ausge- genen Datenbanken eingegeben. Ein Schwerpunkt der richtet worden war, wurde sie durch den Ausbruch des Arbeiten liegt auf der Georeferenzierung der Fundorte Ersten Weltkrieges vorzeitig beendet. Von allen Expedi- und der korrekten Lokalisierung der historischen ein- tionsteilnehmern blieb nur Hugo Weigold weitere drei gedeutschten chinesischen Ortsnamen. Die Objektdaten Jahre in China, wo er als Hilfslehrer in Guangzhou flossen u. a. in kartografische Arbeiten ein, wichtige arbeitete. Von dort aus unternahm er weitere Sammel- Serien chinesischer Vogelbälge wurden für taxono- reisen in die Umgebung von Peking und kehrte erst 1919 misch-systematische Arbeiten z. B. an Laubsängern wieder nach Deutschland zurück. Seine Vogelsamm- und Meisen bearbeitet. Eine Sonderausstellung anläss- lung zählte zu dieser Zeit mehrere tausend Exemplare, lich des 100jährigen Jubiläums der Stötzner Expedition die zu etwa gleichen Teilen an die Naturkundemuseen nach Sichuan und Tibet wurde von September 2015 bis Dresden und Berlin abgegeben wurden. Zusammen mit April 2016 im Japanischen Palais in Dresden gezeigt.