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Küstenvögel und Küstenvogelschutz in Mecklenburg- Vorpommern

Christof Herrmann

HERRMANN , C. (2010): Küstenvögel und Küstenvogelschutz in Mecklenburg-Vorpommern. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 41: 179-191.

Die Arbeit gibt eine kurze Zusammenfassung der Geschichte des Küstenvogelschutzes in Mecklenburg-Vorpommern seit der Errichtung der ersten „Seevogelfreistätten“ in den Jahren 1909/10 bis zur Gegenwart. Die nun schon langjährige Betreuung der Brutgebiete und die damit verbundene Erfassung der Brutbestände ermöglichen es, für zahlreiche Vogelarten recht genaue, langfristige Bestandstrends darzustellen. Die hier vorgestellten Beispiele illus - trieren die hohe Dynamik der Brutbestände der Küstenvögel. Auch die Zusammensetzung der Arten ändert sich: Sowohl Rückzug als auch Einwanderungen sind zu beobachten. Ein allgemeiner Niedergang der Küstenvögel lässt sich aus den vorliegenden Daten nicht ableiten. Abschließend werden die wichtigsten Aufgaben und Herausforderungen des Küstenvogel - schutzes in der Gegenwart dargestellt: Schutz der Brutgebiete vor menschlichen Störungen, Wiederherstellung „verlorener“ Brutgebiete durch Renaturierungsmaßnahmen, Gewährleis - tung eines angepassten Beweidungsregimes für Salzwiesenlebensräume sowie Management von Raubsäugern, insbesondere auf Inseln und Halbinseln.

C. H., AG Küstenvogelschutz MV, c/o Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie Mecklenburg-Vorpommern, Goldberger Str. 12, D-18273 Güstrow, Christof.Herrmann@lung. mv-regierung.de

Küstenvogelschutz in Mecklenburg-Vor - sengebiete der Insel erreicht werden. Zu den pommern – eine hundertjährige Ge - ersten Schutzgebieten, die zu jener Zeit in Meck - schichte lenburg-Vorpommern geschaffen wurden, gehörten weiterhin die Werderinseln und der , die ab Die reich gegliederten Boddenküsten Mecklen - 1909 durch den Ornithologischen Verein Cöthen burg-Vorpommerns mit ihren dynamischen Anlan - mit einem Vogelwärter besetzt wurden. Auf Hid - dungsgebieten, Inseln und Halbinseln bieten für densee und den Inseln der westrügenschen Bodden Küstenvögel eine große Vielfalt an geeigneten waren ab den Jahren 1911-1914 der Bund für Vo - Brutplätzen. Die Bemühungen, diese Brutplätze zu gelschutz Stuttgart (Vitter Wiesen, Gellen und schützen, reichen nun schon mehr als ein Jahr - Gänsewerder), der Ornithologische Verein hundert zurück. Die Gründung des „Vereins Jordsand (Fährinsel) und der Internationale Frauenbund für zur Begründung von Vogelfreistätten an den deut - Vogelschutz Charlottenburg (Bessin, , schen Küsten, Hamburg“ im Jahr 1907 war für und Mährens) aktiv ( SCHULZ 1947). den See- und Küstenvogelschutz in Deutschland zweifelsohne ein herausragendes Ereignis. Zwei Neben dem Schutz und der Betreuung der Brutko - Jahre nach seiner Gründung wurde der Verein lonien durch Vogelwärter bemühten sich die Orni - auch in Mecklenburg aktiv: Die von seinem Vorsit - thologen auch um eine Einstellung der Bejagung zenden Prof. Franz Dietrich initiierten Bemühungen der Küstenvögel. Auf der Insel Poel erreichte Prof. zur Unterschutzstellung des Langenwerders waren Dietrich im Jahr 1911, dass sich die Jagdinhaber von Erfolg gekrönt, und bereits ab 1910 wurde für 5 Jahre verpflichteten, Möwen, Seeschwalben, die Insel durch einen Vogelwärter betreut. Im glei - Limikolen und Mittelsäger nicht mehr zu bejagen chen Jahr konnte auch der Schutz einiger Salzwie - und die Jagd auf diese Arten auch durch andere 180 HERRMANN : Küstenvögel und Küstenvogelschutz in Mecklenburg-Vorpommern

nicht zuzulassen. Diese Vereinbarung wurde später auf dem , der Fährinsel und in anderen um weitere 5 Jahre verlängert ( SCHULZ 1947, B RENNING Schutzgebieten ( SCHULZ 1947, D OST 1959). 1964). Auf der Insel schloss der „Inter - nationale Frauenbund“ im Jahr 1910 Verträge mit Ab den 1950er bis zum Anfang der 1970er Jahre den Jagdpächtern ab, in denen diese sich gegen wurden weitere Küstenvogelbrutgebiete „entdeckt“, eine Entschädigung zur Einhaltung einer Jagdruhe deren Bedeutung zuvor überhaupt nicht bekannt von März bis August verpflichteten ( SCHULZ 1947). war. Das betrifft z. B. die Inseln und sowie die großen Salzwiesen an der Darß- Der Schutz der Küstenvogelbrutgebiete erfolgte in Zingster Boddenkette, aber auch die Salzwiesen - den Anfangsjahren durch private Vereine, denen gebiete am Greifswalder Bodden und . es gelang, Gemeinden, Grundeigentümer, lokale Für den Vogelhaken/Zudar, die Insel und die Behörden und andere Akteure von ihren Ideen zu Kooser Wiesen, den Struck und die Freesendorfer überzeugen. Gesetzliche Unterschutzstellungen Wiesen, den Großen Wotig und die Inseln Böhmke wurden erst mit dem Erlass von Naturschutzgesetzen und Werder datieren die ersten Informationen möglich. In Mecklenburg-Schwerin wurde das erste über Brutbestände aus dem Zeitraum 1962 bis Naturschutzgesetz im Jahr 1923 verabschiedet und 1970. Die „neu entdeckten“ Gebiete wurden zum am 02.07.1924 auf dieser Grundlage der Langen - Teil kurzfristig unter Schutz gestellt, so z. B. die werder als Vogelfreistätte ausgewiesen. Der Lan - Inseln Barther Oie und Kirr (1963), die Inseln genwerder ist damit das älteste staatliche Schutz - Böhmke und Werder (1971) und der Rustwerder gebiet in Mecklenburg-Vorpommern. In Preußen, auf Poel (1971). Für einige der großen Salzwiesen - zu dem Vorpommern seinerzeit gehörte, wurde komplexe konnte die Erkenntnis ihrer Bedeutung 1920 mit der Änderung des § 34 des Feld- und als Brutgebiet für Wiesenlimikolen leider nicht ver - Forstpolizeigesetzes die rechtliche Grundlage für hindern, dass sie gegen Ende der 1960er Jahre der die Ausweisung von Naturschutzgebieten geschaf - Komplexmelioration unterzogen und damit als fen. Die ältesten Naturschutzgebiete in Vorpommern Wiesenvogellebensraum nahezu wertlos wurden sind der Peenemünder Haken, Struck und (NEHLS & H ERRMANN 2009). sowie einige Gebiete der Insel Hiddensee, die 1925 unter Schutz gestellt wurden. Im Jahr 1929 wurden Nach der politischen Wende 1989 wurde das auch die Werderinseln und der Bock als Natur - Schutzgebietssystem durch Ausweisung weiterer schutzgebiet ausgewiesen. Zu der Zeit hatte das bedeutsamer Brutgebiete vervollständigt (z. B. die Gebiet jedoch seine Bedeutung für brütende Küs - Insel Koos, Kooser und Karrendorfer Wiesen, tenvögel bereits weitgehend verloren, da infolge Großer Wotig). Gegenwärtig befinden sind alle zunehmender Verlandung, Aufspülung und Auf - bedeutsamen Gebiete entweder im Nationalpark forstung der Bock für Füchse und Wildschweine Vorpommersche Boddenlandschaft sind als leicht zugänglich geworden war und diesen Prä - NSG geschützt. datoren günstigen Lebensraum bot. Die Betreuung der Brutgebiete wurde im Laufe Auf der Grundlage des Reichsnaturschutzgesetzes der Zeit erheblich erweitert und verbessert. Dazu von 1935 wurden weitere Küstenvogelbrutgebiete hat nicht zuletzt auch die Gründung der „Kom - unter Schutz gestellt. So wurde die Heuwiese 1939 mission Seevogelschutz“ im Jahr 1963 beigetragen, Naturschutzgebiet, die Insel Beuchel folgte 1940. die später in „Kommission Küstenvogelschutz der Die Insel Pulitz im Kleinen Jasmunder Bodden DDR“ umbenannt wurde. Die Kommission war ein wurde wegen ihrer Kormorankolonie 1937 zum beratendes Organ zwischen dem Rat des Bezirkes Naturschutzgebiet erklärt. Rostock, der Vogelwarte Hiddensee und dem Institut für Landschaftsforschung und Naturschutz In den Gebieten, die nicht durch Vogelwärter (ILN) Halle, Zweigstelle . Ihr gehörten betreut und bewacht wurden, stand der Schutz je - neben den genannten Institutionen auch mehrere doch vielfach nur auf dem Papier. Fischer und Be - ehrenamtliche Mitglieder an. Die Vogelwarte Hid - wohner des Umlandes sammelten weiterhin die densee, ab 1964 „Zentralstelle für den Küstenvo - Eier der Küstenvögel, wie z. B. auf der Heuwiese gelschutz der DDR“, übernahm die Koordination und in den Jahren des Zweiten Weltkrieges auch und Sekretariatsführung. Zu den Aufgaben der Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 41 (2010) 181

Abb. 1: Die gegenwärtig betreuten Küstenvogelbrutgebiete in Mecklenburg-Vorpommern. – Breeding sites of coastal birds in Mecklenburg-Western which are surveyed and managed by the “Working Group for Coastal Bird Conservation” (AG Küstenvogelschutz).

Kommission gehörte die Organisation und Koordi - sind auch zu Beginn der 1990er Jahre keine Da - nation der Betreuung der Brutgebiete, die Durch - tenlücken entstanden. führung von Schutz- und Managementmaßnahmen sowie die Erfassung der Brutbestandszahlen. Auch die Unterschutzstellung von mehreren Brutgebieten Langfristige Bestandsentwicklungen ist ihrer Initiative zu verdanken ( NEHLS & H ERRMANN von Küstenvögeln in Mecklenburg-Vor - 2009). pommern Die nun schon langjährige Betreuung der Brutgebiete Mit dem Ende der DDR stellte die „Kommission und die damit verbundene Bestandserfassung Küstenvogelschutz“ ihre Arbeit ein. Erst im Januar haben einen Datenfundus geschaffen, welcher 1994 wurde am damaligen Landesamt für Umwelt recht genaue Darstellungen der Bestandsentwicklung und Natur – heute Landesamt für Umwelt, Natur - unserer Küstenvögel über lange Zeiträume ermög - schutz und Geologie – in ihrer Nachfolge die AG licht. Die Trends der einzelnen Arten sind dabei Küstenvogelschutz MV gegründet. Das System der recht unterschiedlich. Betreuung der Küstenvogelbrutgebiete war jedoch so fest etabliert, dass es auch in den Jahren ohne Zu den Arten, die sich langfristig auf dem Rückzug zentrale Leitung weiter funktionierte. Die Betreuer befinden und deren Aussterben in naher Zukunft der Küstenvogelbrutgebiete sandten ihre Berichte wahrscheinlich ist, gehört der Alpenstrandläufer weiterhin an die Vogelwarte Hiddensee. Somit Calidris alpina schinzii. Diese Art war zu Beginn 182 HERRMANN : Küstenvögel und Küstenvogelschutz in Mecklenburg-Vorpommern

auf nur noch 80-90 BP ( HOLZ 1982, N EHLS 1987). Auf die - sem Niveau verblieb der Be - stand bis 1990, nahm da - nach jedoch kontinuierlich auf gegenwärtig nur noch 8 BP ab (Abb. 2). Der Trend in Mecklenburg-Vorpom - mern entspricht damit dem Trend im Ostseeraum ins - gesamt, wo von der einst überall verbreiteten, häufi - gen Art gegenwärtig nur noch ein Restbestand von etwa 700-800 BP verblieben ist (HELCOM 2009). Die Ur - sachen für diesen schnellen Abb. 2: Brutbestandsentwicklung des Alpenstrandläufers Calidris alpina schinzii in Rückzug der schinzii -Unter - Mecklenburg-Vorpommern 1970-2008. – Population development of the Dunlin art aus ihrem baltischen Ver - Calidris alpina schinzii in Mecklenburg- 1970-2008. breitungsgebiet liegen of - fensichtlich in großräumigen Faktoren, wie z. B. dem Kli - mawandel. Die Zerstörung von Lebensräumen dürfte den Trend regional beschleu - nigt haben, ist jedoch of - fensichtlich nicht der ent - scheidende Faktor, da auch verstärkte Bemühungen um einen Erhalt bzw. eine Wie - derherstellung von Lebens - räumen seit den 1990er Jahren in mehreren Ländern des Ostseeraumes den Rück - gang nicht aufhalten konn - ten (HELCOM 2009). Ein ähnlicher Verlauf der Be - standsentwicklung ist auch Abb. 3: Brutbestandsentwicklung des Säbelschnäblers Recurvirosta avosetta in Meck - für den Kampfläufer Philo - lenburg-Vorpommern 1955-2008. – Population development of the Avocet Recurvi - machus pugnax festzustel - rosta avosetta in Mecklenburg-Western Pomerania 1955-2008 . len. Dessen Brutbestand in Mecklenburg-Vorpommern des 20. Jh. in Mecklenburg-Vorpommern offen - umfasste Anfang der 1980er Jahre noch 60-70 sichtlich sowohl an der Küste als auch im Binnenland brütende ♀. In den letzten Jahren (2003-2008) ein weit verbreiteter, häufiger Brutvogel ( FROMHOLZ wurden hingegen nur noch 1-2 brütende ♀ fest - 1913, SCHULZ 1947, N EHLS 1987). In den 1950er gestellt, so dass mit einem endgültigen Verschwinden Jahren hielt sich noch ein Gesamtbestand von der Art in naher Zukunft zu rechnen ist. schätzungsweise 200-250 Brutpaaren (BP). Groß - räumige Meliorationsmaßnahmen auf den Salz - Ganz anders hingegen ist der Verlauf der Be - wiesen entlang der Boddengewässer führten ab standsentwicklung des Säbelschnäblers Recurvirosta Ende der 1960er Jahre zu einem weiteren Rückgang avosetta . Diese Art war in der ersten Hälfte des Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 41 (2010) 183

20. Jh. in Mecklenburg-Vor - pommern ein sehr seltener Brutvogel. Nach Errichtung einer Vogelfreistätte im Süd - teil der Insel Hiddensee sie - delten sich dort auf dem Gänsewerder bereits 1911 die ersten Säbelschnäbler an. Der Gänsewerder blieb für lange Zeit der einzige bekannte Brutplatz der Art in Mecklenburg-Vorpom - mern mit einem schwan - kenden Bestand von 7-15, max. 20 BP ( SCHULZ 1943, 1947). Erst in den 1930er Jahren wurden auch einzel - ne Brutvorkommen auf Poel und den Salzwiesen der Wis - mar-Bucht festgestellt (SCHULZ 1943). Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die ersten Brutvorkommen 1955 auf der Barther Oie und Heuwiese gemeldet. Auch wenn die Brutbe - standserfassungen in den 1950er Jahren vermutlich nicht ganz vollständig wa - ren, ist der kontinuierlich zunehmende Trend bis zum Ende der 1970er Jahre zwei - felsohne zutreffend. Seit dieser Zeit liegt der Bestand in allen Jahren bei über 100 Abb. 4: Brutbestandsentwicklung des Rotschenkels Tringa totanus auf Inseln mit BP und erreichte im Jahr Raubsäugerkontrolle (Kirr und Barther Oie; unten) sowie auf Salzgrasländern mit 2007 mit 285 BP einen bis - Festlands anbindung (Struck und Freesendorfer Wiesen, Großer Wotig; oben) im herigen Höhepunkt (Abb. Zeitraum 1970-2008. Während die Brutbestände auf den Inseln seit Anfang der 3). 1990er Jahre relativ konstant geblieben sind, ist auf den Salzgrasländern mit Fest - landsanbindung ein starker Rückgang zu beobachten. – Population development of Für eine Reihe von Wiesen - the Redshank Tringa totanus on islands with control of predatory mammals (Kirr limikolen ist schon seit län - and Barther Oie) and in salt meadows connected to the mainland (Struck and Free - gerem ein Rückzug auf In - sendorfer Wiesen, Großer Wotig) during the period 1970-2008. Whereas the bree - seln zu beobachten, auf de - ding population on the islands remained about constant, it strongly declined in salt nen durch z. T. jahrzehnte - meadows with free access for predatory mammals. lange gezielte Bejagung von Raubsäugern der Prädationsdruck mehr oder we - den Salzwiesen der Boddenküsten und Feuchtwiesen niger nachhaltig vermindert werden konnte. Dies des Binnenlandes, der Kiebitz auch auf Ackerflächen, betrifft z. B. Kiebitz Vanellus vanellus , Rotschenkel weit verbreitet. Während die Arten auf den raub - Tringa totanus und Uferschnepfe Limosa limosa . säugerfreien Inseln nach wie vor in hohen Dichten Diese Arten waren in der Vergangenheit auch auf brüten, sind sie auf Flächen mit ungehindertem 184 HERRMANN : Küstenvögel und Küstenvogelschutz in Mecklenburg-Vorpommern

bei der Uferschnepfe sind die Rückgänge nicht ganz so hoch, da diese Arten auch in der Vergangenheit überwiegend auf den Inseln des Küstengebietes anzu - treffen waren und die Ver - luste auf den Festlandflä - chen und im Binnenland dementsprechend, bezogen auf den Gesamtbestand, weniger ins Gewicht fallen.

Die Lachmöwe Larus ridi - bundus erlebte, bedingt durch den Schutz ihrer Brut - kolonien und verbesserte Abb. 5: Brutbestandsentwicklung der Lachmöwe Larus ridibundus in den Küstenko - Nahrungsverfügbarkeit, im lonien Mecklenburg-Vorpommerns 1965-2008. – Population development of the 20. Jh. einen langanhalten - Black-headed Gull Larus ridibundus in the coastal colonies of Mecklenburg-Western den Bestandsaufschwung. Pomerania 1965-2008. Dieser Aufschwung kehrte sich jedoch ab Anfang der 1980er Jahre in eine rasche Abnahme um. Der Brutbe - stand in den Küstenkolonien Mecklenburg-Vorpommerns nahm von mehr als 66.000 BP im Jahr 1981 auf nur noch 8.200 BP im Jahr 2004 ab. In jüngerer Zeit hat sich der Bestand an der Küste auf einem Niveau von 8.200-9.500 BP stabilisiert (Abb. 5). Als Ursache für den Bestandsrückgang wird ein Mangel an Jungvogel - nahrung in der Aufzucht - phase durch Veränderungen in der Landwirtschaft an - Abb. 6: Brutbestandsentwicklung der Sturmmöwe Larus canus in den Küstenkolonien genommen ( BELLEBAUM Mecklenburg-Vorpommerns 1959-2008 unter dem Einfluss der Bestandslenkungs - 2002). Die in den 1970er maßnahmen von 1966 bis 1985. – Population development of the Common Gull und 1980er Jahren prakti - Larus canus in the coastal colonies of Mecklenburg-Western Pomerania 1959-2008 zierten Maßnahmen zur Be - under the influence of population control activities during the years 1966-1985. standslenkung dürften für die Populationsentwicklung Zugang für Raubsäuger nur noch sporadisch an - der Lachmöwe hingegen, wenn überhaupt, nur zutreffen (Abb. 4). Die Bestandsverluste sind ins - von untergeordneter Bedeutung gewesen sein. besondere beim Kiebitz erheblich: Die Brutvogel - kartierung 1994/98 weist ge genüber der Kartierung Ein ganz ähnliches Bild zeigt auch die Bestands - von 1978/82 einen Rückgang um 60-70 % aus entwicklung der Sturmmöwe Larus canus . Allerdings (PRILL & S TEGEMANN 2006). Beim Rotschenkel und führten bei dieser Art massive Reduzierungsmaß - Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 41 (2010) 185

nahmen durch Tötung von Altvögeln mit α-Chloralose auf der Insel und in weiteren Kolonien bereits Mitte der 1970er Jahre zu einem sehr kurz - fristigen Bestandsrückgang. Nach 1985 wurden die Re - duzierungsmaßnahmen ein - gestellt, der Bestand stieg jedoch nicht wieder an, son - dern fiel weiter auf das ge - genwärtige Niveau von 2.500-3.000 BP ab (Abb. 6). Auch bei der Sturmmö - we sind Änderungen in der Nahrungsverfügbarkeit in der Aufzuchtsphase der Jun - Abb. 7: Brutbestandsentwicklung der Silbermöwe Larus argentatus in den Küsten - gen durch Veränderungen kolonien Mecklenburg-Vorpommerns 1957-2008 unter dem Einfluss von Bestands - in der Landwirtschaft, aber lenkungsmaßnahmen von 1962 bis 1991. – Population development of the Herring auch Verringerung des Nah - Gull Larus argentatus in the coastal colonies of Mecklenburg-Western Pomerania rungsangebotes außerhalb 1957-2008 under the influence of population control activities during the years der Brutzeit durch verbes - 1962-1991. serte Abfalllagerung und -behandlung, wahrscheinliche Ursachen für die Zu den Arten, die schon immer die besondere Bestandsentwicklung. Aufmerksamkeit und Zuwendung der Küstenvo - gelschützer erfahren haben, gehören zweifelsohne die Seeschwalben. Die Brutbestandsentwicklung Die Silbermöwe Larus argentatus drang erst im der Küsten- Sterna paradisaea und Brandseeschwal - Laufe der ersten Hälfte des 20. Jh. als Brutvogel in be Sterna sandvicensis in Mecklenburg-Vorpommern die Ostsee vor. Noch in den 1940er Jahren brütete wurde in jüngerer Zeit von HERRMANN & N EHLS sie an der deutschen Ostseeküste nur in geringer (2009) bzw. HERRMANN et al. (2008) detailliert dar - Anzahl an 5-7 Stellen ( SCHULZ 1947). Im Jahr 1960 gestellt, so dass an dieser Stelle auf die genannten betrug der Bestand in Mecklenburg-Vorpommern Publikationen verwiesen werden kann. erstmalig mehr als 100 BP. Da die Silbermöwe auch als Prädator von Gelegen und Küken anderer Die Bestandsentwicklung der Zwergseeschwalbe Küstenvogelarten in Erscheinung tritt, wurde sie Sternula albifrons ist durch sehr starke Schwan - zu jener Zeit als „Problem Nr. 1 des Küstenvogel - kungen charakterisiert. Zu Beginn des 20. Jh. brü - schutzes“ ( GOETHE 1965) sowohl an der Nordsee- teten allein auf dem Langenwerder mehr als 50 als auch an der Ostseeküste massiv bekämpft. In Paare ( SCHULZ 1947, B RENNING 1964). Für die Fährinsel Mecklenburg-Vorpommern begannen Maßnahmen sind für 1912 27 BP überliefert, für die Werderinseln zur Bestandslenkung der Silbermöwe im Jahr 1962 und den Bock 12-53 BP ( SCHULZ 1947). Weiterhin und wurden ab 1969 intensiviert. Dadurch gelang sind aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg Brut - es, in den 1970er Jahren den Bestandsanstieg zu - vorkommen auf dem Gänsewerder, dem Bessin nächst zu stoppen und die Zahl der Brutpaare in und der Insel belegt ( FROMHOLZ 1913, S CHULZ den 1980er Jahren auf einem Niveau von 500- 1947). In den 1920er Jahren nahm die Zwergsee - 1.000 BP zu halten. Nach Einstellung der Bekämp - schwalbe offensichtlich nicht nur auf dem Lan - fungsmaßnahmen ab 1992 nahm der Bestand in genwerder ab, wo sie zeitweise ganz verschwand den Küstenkolonien auf 2.600-2.900 BP zu und bzw. nur noch gelegentlich mit 1-2 BP brütete hat sich seit 2002 auf diesem Niveau stabilisiert (SCHULZ 1947, B RENNING 1964). Ende der 1930er (Abb. 7). Jahre war sie an unserer Küste offensichtlich ein 186 HERRMANN : Küstenvögel und Küstenvogelschutz in Mecklenburg-Vorpommern

stand von unter 50 BP aus - zugehen ist. Eine kontinu - ierliche, annähernd vollstän - dige Bestandserfassung liegt erst ab dem Jahr 1973 vor, als die Vogelwarte Hidden - see auf dem Bessin mit po - pulationsökologischen Un - tersuchungen an Zwergsee - schwalben und Sandregen - pfeifern begann (Abb. 8). Davor gibt es für den Bessin nur sehr wenige Zahlen von sporadischen Besuchen von Ornithologen, so dass ge - nauere Bestandsangaben nicht möglich sind. Neben Abb. 8: Bestandsentwicklung der Zwergseeschwalbe Sternula albifrons in Mecklen - dem Bessin ist die Insel Lan - burg-Vorpommern 1973-2008. – Population development of the Little Tern Sternula genwerder der einzige stän - albifrons in Mecklenburg-Western Pomerania 1973-2008. dige Brutplatz der Zwerg - seeschwalbe in Mecklen - burg-Vorpommern, wäh - rend alle anderen Gebiete nur unstetig besetzt sind. In den 1980er und 1990er Jahren war die Zwergsee - schwalbe noch als Brutvogel auf zahlreichen Spülfeldern oder selbst küstennahen Äckern ( HOLZ & H ERRMANN 1982) anzutreffen. In den letzten Jahren ist jedoch, wohl als Folge des hohen Raubsäugerdruckes, ein Rückzug der Art auf nur noch wenige Brutplätze zu verzeichnen (Langenwerder, Bessin, Insel Kirr sowie Sand - Abb. 9: Brutbestandsentwicklung der Flussseeschwalbe Sterna hirundo in den Küs - bänke vor dem Bock). Aus tenkolonien Mecklenburg-Vorpommerns 1963-2008. – Population development of dem Raum des Greifswalder the Common Tern Sterna hirundo in Mecklenburg-Western Pomerania 1963-2008. Boddens ist die Art seit 1999 ganz verschwunden. recht seltener Brutvogel. Nach SCHOENNAGEL (1939) beherbergte zu jener Zeit der Bessin auf Hiddensee Die in der Abb. 8 erkennbaren starken Bestands - mit nur etwa 10 Paaren die größte Ansiedlung der schwankungen sind kaum durch Veränderungen Art auf pommerschem Boden. Auf den anderen der Populationsgröße zu erklären, sondern eher damals besetzten Brutplätzen (Gänsewerder und durch die hohe Flexibilität der Zwergseeschwalbe südliche Gellenspitze, , Heuwiese, , Dän - bei der Brutplatzwahl. Umsiedlungen über große holm) waren ebenfalls nur wenige Brutpaare an - Entfernungen selbst innerhalb einer Brutsaison zutreffen ( SCHOENNAGEL 1939, S CHULZ 1947), so dass sind für die Zwergseeschwalbe belegt, wobei ins - zu jener Zeit wahrscheinlich von einem Gesamtbe - besondere ein Austausch von Vögeln mit Brutplätzen Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 41 (2010) 187

in Schleswig-Holstein, Dänemark und Polen durch jährlich mit bis zu 13 BP in unseren Küstenvogel - eine Reihe von Ringfunden nachgewiesen wurde kolonien angetroffen wird. Die Art brütet regelmäßig (SCHMIDT 1981a,b). Vorübergehende Bestandsrück - auf der Heuwiese, der Barther Oie und dem Pa - gänge in Mecklenburg-Vorpommern wie z. B. in genwerder sowie sporadisch auf der Insel Beuchel, den Jahren 2001-2005 dürften somit in erster dem Kirr und anderen Brutplätzen. Linie auf Umsiedlungen der Vögel zu Brutplätzen außerhalb Mecklenburg-Vorpommerns zurückzu - Die Heringsmöwe Larus fuscus unternahm 1943 führen sein. einen ersten erfolglosen Brutversuch auf der Insel Langenwerder ( WACHS 1943), trat dann jedoch für Der Verlauf der Brutbestandsentwicklung der Fluss - lange Zeit nicht mehr als Brutvogel in Erscheinung. seeschwalbe Sterna hirundo in den Küstenkolonien Erst 1974 wurde ein Brutpaar auf der Greifswalder (Abb. 9) zeigt, ähnlich wie bei der Lachmöwe Oie festgestellt ( NEHLS 1988). Seitdem brütet die (Abb. 5), mit der die Flussseeschwalbe zumeist Art in den meisten Jahren mit 1-3 BP auf der auch vergesellschaftet brütet, einen starken Be - , der Insel Ruden, der Heuwiese standsanstieg bis Anfang der 1980er Jahre, ab Be - oder auf dem Pagenwerder. ginn der 1990er Jahre jedoch einen kontinuierlichen Rückgang. Allerdings ist dieser Trend nur zum Teil Die Schwarzkopfmöwe Larus melanocephalus hat auf eine Abnahme der heimischen Brutpopulation erstmalig 1951 auf dem Langenwerder gebrütet zurückzuführen. Parallel zum Rückgang an der und ist seit Ende der 1950er Jahre in Mecklen - Küste nahm die Flussseeschwalbe an den binnen - burg-Vorpommern ein regelmäßiger Brutvogel mit ländischen Brutplätzen zu. Ringfunde belegen die bis zu 10 BP. Umsiedlung von der Küste ins Binnenland. Der Gesamtbestand in Mecklenburg-Vorpommern, der Zu den Arten, die in jüngerer Zeit sporadisch in 1989 mit 2.700 und 1990 2.500 BP sein Maximum unseren Küstenvogelbrutgebieten auftreten, gehört erreichte, hat sich seit Mitte der 1990er Jahre auf auch die Zwergmöwe Larus minutus , die 1987 einem Niveau von 1.200-1.600 BP stabilisiert ( NEU - erstmalig mit 4 BP auf dem Kirr gebrütet hat. BAUER 2006). Die hier vorgestellten Beispiele langfristiger Trends In den letzten Jahren haben sich auch einige Arten, zeigen sehr unterschiedliche Entwicklungen. Die die früher nicht zur Brutvogelwelt unserer Küste Brutbestände unserer Küstenvögel unterliegen in gehörten, etabliert. Die Eiderente Somateria mol - einer sich ständig wandelnden Umwelt einer hohen lissima brütete erstmals 1985 auf der Insel Lan - Dynamik. Auch die Zusammensetzung der Arten genwerder. Seitdem ist sie regelmäßig in der Wis - ändert sich: Sowohl Rückzug als auch Einwanderung mar-Bucht, auf der Heuwiese und gelegentlich sind zu beobachten. Ein allgemeiner Niedergang auch auf der Greifswalder Oie anzutreffen. Im Jahr der Küstenvögel lässt sich aus den vorliegenden 2008 erreichte der nachgewiesene Brutbestand Daten hingegen nicht ableiten. Voraussetzung für 28 brütende Weibchen. Der bedeutendste Brutplatz den langfristigen Bestand einer lebendigen und ist die Insel in der Wismar-Bucht. An der reichen Vogelwelt ist allerdings die Sicherung der Ostseeküste Schleswig-Holsteins ist ein ähnlicher Brutgebiete. Küstenvögel verfügen natürlicherweise Trend festzustellen. Hier brütete die Eiderente erst - nur über ein begrenztes Angebot an geeigneten malig 1986, im Jahr 2008 betrug der Bestand Brutlebensräumen, die eines besonderen Schutzes bereits ca. 50 brütende Weibchen ( BERNDT et al. und ggf. auch Managements bedürfen. 2002, W. KNIEF pers. Mitt.). Der zunehmende Trend an der deutschen Ostseeküste steht im Gegensatz zu dem starken Populationsrückgang im Ostseeraum Gegenwärtige Herausforderungen für insgesamt, der in der zweiten Hälfte der 1990er den Küstenvogelschutz Jahre einsetzte (HELCOM 2009). Schutz der Brutgebiete vor menschlichen Stö - rungen Eine weitere neue Brutvogelart an unserer Küste ist die Mantelmöwe Larus marinus , die 1984 erst - In den Anfangsjahren des Küstenvogelschutzes, malig auf dem Ruden brütete und seit 1993 all - aber auch in den Kriegs- und Nachkriegsjahren 188 HERRMANN : Küstenvögel und Küstenvogelschutz in Mecklenburg-Vorpommern

der beiden Weltkriege, waren die Vögel vor allem derprogramm „Naturschutzgerechte Grünlandnut - durch Eiersammeln bedroht. Zu Beginn des 20. zung“. Dennoch gibt es in einigen Gebieten Pro - Jahrhunderts waren zudem Jagdausflüge zu den bleme, insbesondere mit Landwirten, die das För - Vogelkolonien ein beliebter Zeitvertreib der Bade - derprogramm nicht in Anspruch nehmen (z. B. gäste. Bereits ab jener Zeit führte auch der som - Struck und Freesendorfer Wiesen). Eine Verpflichtung merliche Badebetrieb zunehmend zu Störungen in zur naturschutzgerechten Bewirtschaftung besteht den Brutgebieten. Mit der Ausweisung von Schutz - in diesem Fall selbst in Schutzgebieten nicht, da gebieten wurden das Eiersammeln und die Vogeljagd die Schutzgebietsverordnungen keine entsprechen - in den Brutgebieten unterbunden und sonstige den Regelungen treffen. Einige Gebiete sind auf - Störungen reduziert. Jedoch kommt es auch heute grund ihrer schwierigen Bewirtschaftungsverhältnisse noch regelmäßig zu Störungen durch illegale Hand - oder aufgrund von Zielfestlegungen zur „unge - lungen (illegales Betreten, Anlegen mit Booten, störten Naturentwicklung“ durch die Nationalpark - Kitesurfen u. a. Erholungsaktivitäten). Die Verbes - verwaltung gegenwärtig ungenutzt (z. B. Borner serung des Vollzugs der Schutzbestimmungen wird Bülten). Hier besteht ein Potenzial zur Wiederher - für einige Brutgebiete von den Vogelwärtern re - stellung von Lebensräumen für Küstenvögel. gelmäßig angemahnt. Raubsäugermanagement in den Brutgebieten Wiederherstellung „verlorener“ Gebiete: Re - naturierung von Küstenüberflutungsräumen Schon in der Vergangenheit wurden Verluste von Gelegen und Jungvögeln durch Raubsäuger als Eindeichung und Entwässerung der Salzwiesen ein wesentlicher Gefährdungsfaktor für unsere entlang der Boddenküsten haben im Laufe des Küstenvögel angesehen und verschiedene Schutz - 20. Jh. insbesondere den Lebensraum der Wiesen - maßnahmen umgesetzt. Zu diesen gehörte neben limikolen deutlich verkleinert. Schon in den 1930er der Bejagung auch der Schutz der Gelege durch Jahren wurden die Bemühungen zur Gewinnung Nesthauben und Elektro-Zäune ( SIEFKE 1989). Ab landwirtschaftlicher Nutzflächen verstärkt. Die größ - Mitte der 1990er Jahre nahm die Raubsäugerdichte ten Verluste an Salzwiesenflächen waren jedoch jedoch nochmals erheblich zu. Die Ursachen dafür im Rahmen der Komplexmeliorationsmaßnahmen liegen u. a. in der Ausrottung der Tollwut infolge der DDR in den 1960er und 1970er Jahren zu ver - von Immunisierungsprogrammen Anfang der 1990er zeichnen. Von den einstmals ca. 43.400 ha Salz - Jahre, die zu einem erheblichen Anstieg der Popu - wiesen waren bis zum Anfang der 1990er Jahre in lation des Fuchses Vulpes vulpes führte ( BELLEBAUM Mecklenburg-Vorpommern nur noch 6.600 ha 2003, G ORETZKI 2005). Weiterhin wanderten in den übrig geblieben ( HERRMANN & H OLZ 1997). 1990er Jahren Neozoen wie Mink Neovison vison , Marderhund Nyctereutes procyonoides und Wasch - Nach 1990 konnten einige Gebiete durch Renatu - bär Procyon lotor ein und erhöhten den Prädati - rierungsmaßnahmen zurückgewonnen werden, z. onsdruck in den Brutgebieten ( GORETZKI 2005). B. die Karrendorfer Wiesen und die Ziesemündung Ohne ein entsprechendes Raubsäugermanagement am Greifswalder Bodden sowie die Wiesengebiete ist ein Bruterfolg der Küstenvögel heute nahezu an der Peenemündung (Wiesen bei Kamp und Bu - ausgeschlossen und ihr langfristiges Überleben an gewitz). Weitere Projekte sind als Ausgleichsmaß - unserer Küste folglich gefährdet. nahmen für Eingriffsvorhaben geplant (z. B. Mell - nitz-Üselitzer Wiek als Ausgleichsmaßnahme für Vor diesem Hintergrund bildet das Raubsäuger - die neue Rügenanbindung, Sundische Wiese auf management gegenwärtig einen Schwerpunkt der der Halbinsel als Ausgleichsmaßnahme für Arbeit der AG Küstenvogelschutz in Mecklenburg- die Sturmflutsicherung Ostzingst). Vorpommern. Grundlage der Aktivitäten ist die 2006 von der AG erarbeitete und beschlossene Angepasste Beweidung der Salzwiesenge - „Strategie eines Raubsäugermanagements in den biete Küstenvogelschutzgebieten von Mecklenburg-Vor - pommern“. Diese Strategie verfolgt das Ziel, in Zur Gewährleistung einer angepassten Beweidung den wichtigsten Brutgebieten den Einfluss von verfügt die Naturschutzverwaltung über das För - Fuchs, Mink, Marderhund, Steinmarder Martes Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 41 (2010) 189

foina , Waschbär, Iltis Mustela putorius , Dachs Meles Priorität 2: Gebiete, in denen Raubsäuger zwar meles und Wildschwein Sus scrofa soweit wie einen erheblichen negativen Einfluss auf die Küs - möglich auszuschließen. tenvogelbestände ausüben, aber die Aussichten für ihre Kontrolle gering sind. Erfahrungen aus den 1990er Jahren haben gezeigt, dass in den Gebieten, in denen eine Zuwanderung Priorität 0: Gebiete, in denen eine Raubsäuger - von Raubsäugern aus dem Umland uneingeschränkt kontrolle entweder nicht notwendig ist, da diese möglich ist, auch bei einem erhöhten jagdlichen nicht oder nur sporadisch vorkommen (z. B. sehr Aufwand eine nachhaltige Reduzierung ihres Be - kleine Inseln, die für Raubsäuger keinen geeigneten standes kaum möglich ist. Gute Erfolgsaussichten Lebensraum bieten) oder in denen die Anwesenheit bestehen hingegen auf Inseln, die von Raubsäugern von Haarraubwild keine oder nur geringe Konflikte nur schwimmend oder im Winter über das Eis er - mit den Zielen des Küstenvogelschutzes hervorruft reicht werden können, sowie auf Halbinseln, die (z. B. Kormorankolonie Niederhof) oder in denen nur über eine schmale Landbrücke mit dem Festland aufgrund eines ungeeigneten Gebietsmanagements verbunden sind. Auf diese Gebiete konzentrieren aktuell keine nennenswerten Brutbestände sie - sich dementsprechend die Bemühungen des Raub - deln. säugermanagements. Die „Strategie eines Raub - säugermanagements in den Küstenvogelschutz - Zur Umsetzung der Strategie des Raubsäugerma - gebieten“ klassifiziert die Küstenvogelbrutgebiete nagements wurde innerhalb der AG Küstenvogel - entsprechend der Handlungspriorität in 3 Kategorien: schutz eine „Arbeitsgruppe Raubsäugermanage - ment“ gegründet, der eine Reihe erfahrener und Priorität 1: Inseln und Halbinseln mit hoher Schutz - engagierter Jäger angehören. Diese Arbeitsgruppe bedürftigkeit (hohe Bestände von bodenbrütenden hat für jedes Gebiet der Priorität 1 die Bestandssi - Küstenvögeln), auf denen eine effektive Raubsäu - tuation der Raubsäuger erfasst und ein Bejagungs - gerkontrolle bei entsprechenden Anstrengungen konzept entwickelt. Die Bejagungsmethoden sind möglich ist. Die Bemühungen zur Raubsäugerkon - den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten und den trolle konzentrieren sich auf diese Gebiete. Raubsäugervorkommen angepasst.

Tab. 1: Entwicklung der Brutbestände von Küstenvogelarten auf dem im Zeitraum 2000-2008. Das Raubsäugermanagement wurde im Jahr 2002 begonnen. – Development of breeding numbers of coastal birds on the island Riether Werder during the period 2000-2008. The management of predatory mammals was started in 2002.

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 Graugans Anser anser 5 5 12 4 10 10 12 10 12 Brandgans Tadorna tadorna 5 5 5 5 5 10 7 5 8 Krickente Anas crecca 3 3 3 6 3 5 7 6 7 Stockente Anas platyrhynchos 1 1 7 10 8 8 10 20 Knäckente Anas querquedula 1 4 3 2 3 3 4 4 Löffelente Anas clypeata 4 3 3 4 3 6 5 Tafelente Aythya ferina 4 5 16 Reiherente Aythya fuligula 2 3 4 5 14 Kiebitz Vanellus vanellus 3 5 6 3 6 9 10 14 20 Uferschnepfe Limosa limosa 1 0 1 1 1 3 4 5 8 Rotschenkel Tringa totanus 3 1 1 3 4 6 10 12 15 Lachmöwe Larus ridibundus 30 134 10 250 Flussseeschwalbe Sterna hirundo 1 190 HERRMANN : Küstenvögel und Küstenvogelschutz in Mecklenburg-Vorpommern

In den letzten Jahren ist es zunehmend besser ge - trends for many of the coastal bird species. The lungen, die Inseln und Halbinseln während der examples presented in this article illustrate the Brutzeit von Raubsäugern frei zu halten. Während very dynamic character of our coastal bird popula - auf den Salzwiesen entlang der Boddenküsten die tions. Not only numbers but also the composition Zahl der Brutvögel abnimmt, herrscht auf den of species are changing: some species are strongly raubsäugerfreien Inseln nach wie vor ein reiches declining and will probably disappear, but at the Vogelleben. same time new species are immigrating into our area. The data do not show a general decline of Ein Beispiel für die Erfolge des Raubsäugermana - coastal birds in our region. Finally, the currently gements ist der Riether Werder, eine 82 ha große most important tasks and challenges of coastal Insel direkt an der polnischen Grenze im Oderhaff. bird conservation are briefly described: protection Noch vor wenigen Jahren war die Insel in Bezug of breeding areas against human disturbances, auf Küstenvögel nahezu verwaist. Fuchsfähen restoration of ‘lost’ breeding sites, adequate grazing zogen ihre Jungen auf und auch Wildschweine regimes for coastal salt meadows, and management gelangten in der Brutzeit schwimmend auf den of predatory mammals in breeding areas, especially Werder. Lachmöwen und Seeschwalben waren on islands and peninsulas. verschwunden, nur noch wenige Kiebitze und Rot - schenkel, mitunter auch einzelne Uferschnepfen, unternahmen erfolglose Brutversuche. Im Jahr Literatur 2002 übernahm ein erfahrener Raubwildjäger die BELLEBAUM , J. (2002): Ein „Problemvogel“ bekommt Pro - jagdliche Betreuung der Insel. Seitdem ist diese bleme: Bestandsentwicklung der Lachmöwe Larus ri - frei von Raubsäugern und Wildschweinen, gele - dibundus in Deutschland 1963-1999. Vogelwelt 123: gentliche Ansiedlungsversuche sind nicht von langer 189-201. Dauer. Die Bestände der Küstenvögel haben stetig BELLEBAUM , J. (2003): Bestandsentwicklung des Fuchses zugenommen (Tab. 1). Kiebitz und Rotschenkel in Ostdeutschland vor und nach der Tollwutimpfung. waren 2008 wieder mit 20 bzw. 15 Brutpaaren Z. Jagdwiss. 49: 41-49. vertreten. Die Uferschnepfe, deren Bestand in BERNDT , R. K., B. K OOP & B. S TRUWE -J UHL (2002): Vogelwelt Mecklenburg-Vorpommern insgesamt nur noch Schleswig-Holsteins, Bd. 5, Brutvogelatlas. Neumüns - 40-50 BP beträgt, ist auf dem Riether Werder ge - ter. genwärtig mit 8 BP anzutreffen. Auch Enten haben BRENNING , U. (1964): Geschichte und Bedeutung der Vo - in den letzten Jahren zugenommen. Lachmöwen gelschutzinsel Langenwerder. Wiss. Z. Univ. Rostock sind auf die Insel zurückgekehrt und ein Paar Fluss - 13, Math.-Naturwiss. Reihe, H. 1: 225-256. seeschwalben unternahm 2008 einen ersten Brut - DOST , H. (1959): Die Vögel der Insel Rügen. Wittenberg- versuch. Wer heute den Riether Werder zur Brutzeit Lutherstadt. betritt, fühlt sich in jene Zeiten zurückversetzt, als FROMHOLZ , R. J. (1913): Tagebuchnotizen aus dem Oder - brütende Küstenvögel das Bild der Salzwiesenle - mündungsgebiet. Ornithol. Jahrb. 24: 1-2, 27-45, 91- bensräume an unserer Küste noch allgegenwärtig 108. prägten. GOETHE , F. (1965): 4. Arbeitsbericht der Zentralstelle für den Seevogelschutz beim Institut für Vogelforschung „Vogelwarte Helgoland“ in Wilhelmshaven für die Summary – Coastal Birds and Coastal Zeit vom 1.1.1962-31.12.1965. Ber. Dtsch. Sekt. In - Bird Conservation in Mecklenburg-Wes - tern. Rat Vogelschutz 5: 23-31. tern Pomerania GORETZKI , J. (2006): Kontrolle der Populationsentwicklung This article gives a short summary of the history of des Rotfuchses auf der Insel Rügen. Jahresbericht coastal bird conservation in Mecklenburg-Western 2005. Unveröff. Ber. Bundesforschungsanstalt für Pomerania from the establishment of the first bird Forst- und Holzwirtschaft Hamburg, Institut für Wald - sanctuaries in 1909/10 until today. The long-term ökologie und Waldinventuren Eberswalde. protection and management of breeding sites also HELCOM (2009): Birds. In: Biodiversity in the . include annual surveys of breeding-pair numbers, An Integrated Thematic Assessment on biodiversity providing a comprehensive data basis which makes and nature conservation in the Baltic Sea. BSEP 116B: it possible to show detailed long-term population 71-82. Vogelkdl. Ber. Niedersachs. 41 (2010) 191

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