Plenarprotokoll 934

BUNDESRAT Stenografischer Bericht 934. Sitzung

Berlin, Freitag, den 12. Juni 2015

Inhalt:

Glückwünsche zu Geburtstagen ..... 205 A 5. Gesetz zur Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen und zur Entlastung von Ländern und Kommunen Zur Tagesordnung ...... 205 C bei der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern (Drucksache 227/15) 222 D Begrüßung des Vorsitzenden des Hohen Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel Rates der Gebietskörperschaften der Repu- 104b Absatz 2 Satz 1 sowie Artikel 106 blik Mali, Oumarou Ag Mohamed Ibrahim Absatz 3 Satz 3 und Absatz 5a Satz 3 Haidara, und einer Delegation ..... 213 D GG ...... 222 D

1. Wahl des Vorsitzenden des Rechtsaus- 6. Kleinanlegerschutzgesetz (Drucksache schusses – gemäß § 12 Absatz 3 GO BR – 226/15) ...... 222 C (Drucksache 210/15) ...... 205 D Beschluss: Kein Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 GG ...... 237*D Beschluss: Senator Dr. (Ham- burg) wird gewählt ...... 205 D 7. Neuntes Gesetz zur Änderung des Bun- desverfassungsgerichtsgesetzes (9. BVerf- 2. Gesetz zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsge- GGÄndG) (Drucksache 229/15) .... 222 C setz) (Drucksache 222/15) ...... 221 D Beschluss: Kein Antrag gemäß Artikel 77 Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff Absatz 2 GG ...... 237*D (Thüringen) ...... 221 D 8. Gesetz zum Internationalen Erbrecht Dr. Helmuth Markov (Brandenburg) 237*A und zur Änderung von Vorschriften zum Erbschein sowie zur Änderung sonstiger Beschluss: Kein Antrag gemäß Artikel 77 Vorschriften (Drucksache 230/15) ... 222 C Absatz 2 GG ...... 222 C Beschluss: Zustimmung gemäß Arti- kel 108 Absatz 5 Satz 2 GG .....238*A 3. Viertes Gesetz zur Änderung des Rind- fleischetikettierungsgesetzes (Drucksa- 9. Gesetz zur Neuregelung der Unterhalts- che 224/15) ...... 222 C sicherung sowie zur Änderung soldaten- rechtlicher Vorschriften (Drucksache Beschluss: Kein Antrag gemäß Artikel 77 231/15) ...... 222 C Absatz 2 GG ...... 237*D Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 85 4. Gesetz über die Feststellung eines Nach- Absatz 1 Satz 1 GG ...... 238*A trags zum Bundeshaushaltsplan für das 10. Zweites Gesetz zur Änderung des Erneu- Haushaltsjahr 2015 (Nachtragshaushalts- erbare-Energien-Gesetzes (Drucksache gesetz 2015) (Drucksache 225/15) ... 222 C 232/15) ...... 222 D Beschluss: Kein Antrag gemäß Artikel 77 Beschluss: Kein Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 GG ...... 237*D Absatz 2 GG ...... 222 D

Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon: (02 21) 97 66 83 40, Telefax: (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-7999 II Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015

11. Erstes Gesetz zur Änderung des Informa- 16. Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung tionsweiterverwendungsgesetzes (Druck- der Transparenzrichtlinie-Änderungs- sache 233/15) ...... 222 C richtlinie – gemäß Artikel 76 Absatz 2 Beschluss: Kein Antrag gemäß Artikel 77 Satz 4 GG – (Drucksache 194/15) ... 222 C Absatz 2 GG ...... 237*D Beschluss: Keine Einwendungen gemäß Artikel 76 Absatz 2 GG ...... 238*B 12. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes – gemäß Artikel 76 17. Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung Absatz 1 GG – Antrag der Länder Schles- der Hospiz- und Palliativversorgung in wig-Holstein und Rheinland-Pfalz ge- Deutschland (Hospiz- und Palliativge- mäß § 36 Absatz 2 GO BR – (Drucksache setz – HPG) (Drucksache 195/15) ... 216 C 217/15) ...... 222 D Barbara Steffens (Nordrhein-West- Dr. (Schleswig-Hol- falen) ...... 216 C stein) ...... 223 A Lucia Puttrich (Hessen) ..... 217 D Mitteilung: Überweisung an den Aus- Sabine Bätzing-Lichtenthäler (Rhein- schuss für Agrarpolitik und Verbrau- land-Pfalz) ...... 219 A cherschutz ...... 223 D Annette Widmann-Mauz, Parl. 13. Entschließung des Bundesrates zur Ver- Staatssekretärin beim Bundes- ordnung über die Anforderung an die Be- minister für Gesundheit .... 220 A fähigung des in der Lebensmittelüberwa- Beschluss: Stellungnahme gemäß Arti- chung und Tabaküberwachung tätigen kel 76 Absatz 2 GG ...... 221 C Kontrollpersonals (Lebensmittelkontroll- personalverordnung) – Antrag des Lan- 18. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Schleswig-Holstein gemäß § 36 Ab- des Berufsqualifikationsfeststellungsge- satz 2 GO BR – (Drucksache 218/15) .. 223 D setzes und anderer Gesetze (Drucksache Mitteilung: Überweisung an den Aus- 196/15) ...... 222 C schuss für Agrarpolitik und Verbrau- Beschluss: Stellungnahme gemäß Arti- cherschutz ...... 223 D kel 76 Absatz 2 GG ...... 238*D

14. Entschließung des Bundesrates zur Ver- 19. Entwurf eines Gesetzes zur Einführung besserung der Wohnsituation auf Inseln einer Speicherpflicht und einer Höchst- – Antrag des Landes Niedersachsen – speicherfrist für Verkehrsdaten – gemäß (Drucksache 180/15) ...... 223 D Artikel 76 Absatz 2 GG – (Drucksache Cornelia Rundt (Niedersachsen) .. 223 D 249/15) ...... 226 B Beschluss: Die Entschließung wird ge- Prof. Dr. Angela Kolb (Sachsen- fasst ...... 224 D Anhalt) ...... 226 B Eva Kühne-Hörmann (Hessen) .. 227 C 15. Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung Dr. Helmuth Markov (Brandenburg) 228 C des nationalen Bankenabwicklungs- rechts an den Einheitlichen Abwick- Prof. Dr. Winfried Bausback (Bayern) 230 A lungsmechanismus und die europäi- (Thüringen) 231 C, 240*C schen Vorgaben zur Bankenabgabe Christian Lange, Parl. Staatssekre- (Abwicklungsmechanismusgesetz – Abw- tär beim Bundesminister der Justiz MechG) – gemäß Artikel 76 Absatz 2 und für Verbraucherschutz ... 232 C Satz 4 GG – (Drucksache 193/15) Irene Alt (Rheinland-Pfalz) ....240*A in Verbindung mit Stefan Studt (Schleswig-Holstein) . 240*C Mitteilung: Eine Stellungnahme wird 37. Verordnung über die Erhebung der Bei- nicht beschlossen ...... 233 C träge zum Restrukturierungsfonds für Kreditinstitute (Restrukturierungsfonds- 20. a) Entwurf eines Gesetzes zu dem Proto- Verordnung – RStruktFV) (Drucksache koll von Nagoya vom 29. Oktober 207/15) ...... 224 D 2010 über den Zugang zu genetischen Peter Friedrich (Baden-Württem- Ressourcen und die ausgewogene und berg) ...... 225 A gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile zum Beschluss zu 15: Stellungnahme gemäß Übereinkommen über die biologische Artikel 76 Absatz 2 GG ...... 226 A Vielfalt (Drucksache 202/15) Beschluss zu 37: Zustimmung gemäß Ar- tikel 80 Absatz 2 GG in geänderter Fas- b) Entwurf eines Gesetzes zur Umset- sung – Annahme von Entschließungen 226 B zung der Verpflichtungen nach dem Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 III

Nagoya-Protokoll und zur Durchfüh- 26. Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll rung der Verordnung (EU) Nr. 511/ vom 24. Juni 2010 zur Änderung des am 2014 sowie zur Änderung des Patent- 25. und 30. April 2007 unterzeichneten gesetzes (Drucksache 197/15) ... 222 C Luftverkehrsabkommens zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Beschluss zu a): Keine Einwendungen der Europäischen Gemeinschaft und ih- ... gemäß Artikel 76 Absatz 2 GG 238*B ren Mitgliedstaaten (Drucksache 204/15) 222 C Beschluss zu b): Stellungnahme gemäß Beschluss: Keine Einwendungen gemäß Artikel 76 Absatz 2 GG ...... 238*D Artikel 76 Absatz 2 GG ...... 238*B

21. Entwurf eines Gesetzes über die interna- 27. Bericht der Bundesregierung über die tionale Zusammenarbeit zur Durchfüh- Umsetzung der Neuregelung zum Grün- rung von Sanktionsrecht der Vereinten dungszuschuss mit dem Gesetz zur Ver- Nationen und über die internationale besserung der Eingliederungschancen Rechtshilfe auf Hoher See sowie zur am Arbeitsmarkt (Drucksache 168/15) . 222 C Änderung seerechtlicher Vorschriften (Drucksache 198/15) ...... 222 C Beschluss: Stellungnahme ...... 239*A

Beschluss: Keine Einwendungen gemäß 28. Entlastung der Bundesregierung wegen Artikel 76 Absatz 2 GG ...... 238*B der Haushaltsrechnung und der Vermö- gensrechnung des Bundes für das Haus- 22. Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Än- haltsjahr 2013 (Drucksache 256/14, zu derung des Binnenschifffahrtsaufgaben- Drucksache 256/14, Drucksache 581/14, gesetzes (Drucksache 199/15) .... 222 C Drucksache 170/15) ...... 222 C Beschluss: Keine Einwendungen gemäß Beschluss: Erteilung der Entlastung ge- Artikel 76 Absatz 2 GG ...... 238*B mäß Artikel 114 GG und § 114 BHO . 239*B

23. Entwurf eines Gesetzes zu dem Überein- 29. a) Tätigkeitsbericht 2012/2013 der Bun- kommen vom 25. Januar 1988 über die desnetzagentur – Telekommunikation gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen mit und zu dem Protokoll vom 27. Mai 2010 Sondergutachten der Monopolkom- zur Änderung des Übereinkommens über mission – Telekommunikation 2013: die gegenseitige Amtshilfe in Steuersa- Vielfalt auf den Märkten erhalten – ge- chen (Drucksache 200/15) ...... 222 C mäß § 121 Absatz 1 und Absatz 2 TKG – (Drucksache 812/13) Beschluss: Stellungnahme gemäß Arti- kel 76 Absatz 2 GG ...... 238*D b) Tätigkeitsbericht 2012/2013 der Bun- desnetzagentur – Post 24. Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll mit vom 14. Oktober 2014 zur Änderung und Sondergutachten der Monopolkom- Ergänzung des Abkommens vom 7. Sep- mission – Post 2013: Wettbewerbs- tember 1999 zwischen der Bundesre- schutz effektivieren – gemäß § 47 Ab- publik Deutschland und der Republik satz 1 PostG und § 121 Absatz 2 TKG Usbekistan zur Vermeidung der Doppel- i.V.m. § 44 PostG – (Drucksache 813/ besteuerung auf dem Gebiet der Steuern 13) ...... 222 C vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksache 201/15) ...... 222 C c) Tätigkeitsberichte 2012/2013 der Bun- Beschluss: Keine Einwendungen gemäß desnetzagentur – Telekommunikation Artikel 76 Absatz 2 GG ...... 238*B und Post mit den Sondergutachten der Monopolkom- 25. Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll mission vom 14. Oktober 2005 zum Übereinkom- Telekommunikation 2013: Vielfalt auf men vom 10. März 1988 zur Bekämpfung den Märkten erhalten widerrechtlicher Handlungen gegen die und Sicherheit der Seeschifffahrt und zu dem Post 2013: Wettbewerbsschutz effekti- Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Pro- vieren – Drucksachen 18/209 und 18/ tokoll vom 10. März 1988 zur Bekämp- 210 –  fung widerrechtlicher Handlungen ge- Stellungnahme der Bundesregierung – gen die Sicherheit fester Plattformen, gemäß § 121 TKG und §§ 44, 47 die sich auf dem Festlandsockel befin- PostG – (Drucksache 145/15) .... 233 D den (Drucksache 203/15) ...... 222 C Beschluss zu a) und b): Kenntnisnahme . 239*B Beschluss: Keine Einwendungen gemäß Artikel 76 Absatz 2 GG ...... 238*B Beschluss zu c): Stellungnahme .... 234 A IV Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015

30. a) Zwanzigstes Hauptgutachten der Mo- 34. Verordnung zur Änderung der Honigver- nopolkommission 2012/2013 – gemäß ordnung und anderer lebensmittelrecht- § 44 Absatz 3 GWB – (Drucksache 324/ licher Vorschriften (Drucksache 108/15) 234 B 14) Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 80 b) Zwanzigstes Hauptgutachten der Mo- Absatz 2 GG nach Maßgabe der be- nopolkommission 2012/2013 schlossenen Änderung – Annahme ei- Stellungnahme der Bundesregierung ner Entschließung ...... 234 B – gemäß § 44 Absatz 3 GWB – (Druck- sache 181/15) ...... 234 A 35. Erste Verordnung zur Änderung der Ers- ten Verordnung zur Durchführung von Beschluss zu a) und b): Stellungnahme . 234 B EU-Sonderstützungsmaßnahmen im Sek- tor Obst und Gemüse im Jahr 2015 31. Vorschlag für eine Verordnung des Euro- (Drucksache 148/15) ...... 222 C päischen Parlaments und des Rates über die Tierzucht- und Abstammungsbestim- Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 80 mungen für den Handel mit Zuchttieren Absatz 2 GG ...... 239*C und deren Zuchtmaterial in der Union sowie für die Einfuhr derselben in die 36. Zweite Verordnung zur Änderung blau- Union zungenrechtlicher Vorschriften (Druck- COM(2014) 5 final sache 149/15) ...... 222 C – gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG – Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 80 (Drucksache 49/14, zu Drucksache 49/14) 222 C Absatz 2 GG ...... 239*C Beschluss: Stellungnahme ...... 239*A 38. Erste Verordnung zur Änderung der 32. Mitteilung der Kommission an das Euro- Zweiten Bundesmeldedatenübermitt- päische Parlament, den Rat, die Europäi- lungsverordnung (Drucksache 175/15) . 222 C sche Zentralbank, den Europäischen Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 80 Wirtschafts- und Sozialausschuss und Absatz 2 GG ...... 239*C den Ausschuss der Regionen: EU-Justiz- barometer 2015  39. Verordnung zur Änderung der Personal- COM(2015) 116 final ausweisverordnung, der Personalausweis- – gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG – gebührenverordnung und der Ersten ...... (Drucksache 92/15) 222 C Bundesmeldedatenübermittlungsverord- Beschluss: Stellungnahme ...... 239*A nung (Drucksache 219/15) ...... 234 B Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 80 33. a) Verordnung zur Bestimmung der Ren- Absatz 2 GG ...... 234 C tenwerte in der gesetzlichen Renten- versicherung und in der Alters- 40. Erste Verordnung zur Änderung der Gor- sicherung der Landwirte zum 1. Juli leben-Veränderungssperren-Verordnung 2015 (Rentenwertbestimmungsverord- (Drucksache 136/15) ...... nung 2015 – RWBestV 2015) (Druck- 234 C sache 206/15) ...... 215 A (Niedersachsen) .. 234 C Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. b) Einundzwanzigste Verordnung zur Staatssekretärin bei der Bundes- Anpassung des Bemessungsbetrages ministerin für Umwelt, Natur- und von Geldleistungen nach dem schutz, Bau und Reaktorsicherheit 235 C Bundesversorgungsgesetz (21. KOV- Anpassungsverordnung 2015 – 21. KOV- Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 80 AnpV 2015) (Drucksache 205/15) Absatz 2 GG nach Maßgabe der festge- legten Änderung – Annahme einer Ent- c) Siebenundvierzigste Verordnung über schließung ...... 236 A, C das anzurechnende Einkommen nach dem Bundesversorgungsgesetz (Sie- 41. Verordnung zur Änderung der Berufsför- benundvierzigste Anrechnungsverord- derungsverordnung – gemäß Artikel 80 nung – 47. AnrV) (Drucksache 174/15) 222 C Absatz 2 GG – (Drucksache 208/15) Erwin Sellering (Mecklenburg-Vor- Mitteilung: Absetzung von der Tagesord- pommern) ...... 215 B nung ...... 205 C Beschluss zu a): Zustimmung gemäß Arti- kel 80 Absatz 2 GG – Annahme einer 42. Elfte Verordnung zur Änderung der Fe- Entschließung ...... 216 B rienreiseverordnung (Drucksache 184/15) 222 C Beschluss zu b) und c): Zustimmung ge- Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 80 mäß Artikel 80 Absatz 2 GG ....239*C Absatz 2 GG ...... 239*C Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 V

43. Benennung von zwei Mitgliedern des ringen und Brandenburg, Bremen, Stiftungsrates der Stiftung „Humanitäre , Niedersachsen, Nordrhein- Hilfe“ für durch Blutprodukte HIV-infi- Westfalen gemäß § 36 Absatz 2 GO BR – zierte Personen – gemäß § 8 Absatz 1 (Drucksache 273/15) HIVHG – (Drucksache 4/15) ..... 222 C Beschluss: Zustimmung zu den Empfeh- b) Entschließung des Bundesrates: „Ehe lungen des Gesundheitsausschusses in für alle – Entschließung für eine voll- ständige Gleichbehandlung von gleich- Drucksache 4/1/15 ...... 239*D geschlechtlichen Paaren“ – Antrag der Länder Niedersachsen, Baden-Würt- 44. Benennung eines Mitglieds des Kurato- temberg, Brandenburg, Bremen, Ham- riums der Stiftung „Haus der Geschichte burg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland- der Bundesrepublik Deutschland“ – ge- Pfalz, Schleswig-Holstein, Thüringen mäß § 7 Absatz 3 des Gesetzes zur Errich- gemäß § 36 Absatz 2 GO BR – (Druck- tung einer Stiftung „Haus der Geschichte sache 274/15) ...... der Bundesrepublik Deutschland“ – 205 D (Drucksache 244/15) ...... 222 C Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz) .. 206 A Beschluss: Zustimmung zu dem Vor- (Baden-Würt- schlag in Drucksache 244/15 ....239*D temberg) ...... 207 A Bodo Ramelow (Thüringen) ... 209 A 45. Vorschlag des Bundesministers der Justiz Prof. Dr. Winfried Bausback (Bayern) 210 A und für Verbraucherschutz für die Er- nennung einer Bundesanwältin beim Barbara Steffens (Nordrhein-West- Bundesgerichtshof – gemäß § 149 GVG – falen) ...... 211 D (Drucksache 246/15) ...... 222 C Cornelia Rundt (Niedersachsen) .. 212 D Beschluss: Zustimmung zu dem Vor- Katharina Fegebank (Hamburg) .. 214 A schlag in Drucksache 246/15 ....239*D Mitteilung zu a): Überweisung an die zu- 46. Verfahren vor dem Bundesverfassungs- ständigen Ausschüsse ...... 215 A gericht (Drucksache 213/15) ..... 222 C Beschluss zu b): Die Entschließung wird Beschluss: Von einer Äußerung und ei- gefasst ...... 215 A nem Beitritt wird abgesehen ....240*A Nächste Sitzung ...... 236 C 47. a) Entwurf eines Gesetzes zur Einfüh- rung des Rechts auf Eheschließung für Beschluss im vereinfachten Verfahren ge- Personen gleichen Geschlechts – ge- ...... mäß Artikel 76 Absatz 1 GG – Antrag mäß § 35 GO BR 236 A/C der Länder Rheinland-Pfalz, Baden- Württemberg, Schleswig-Holstein, Thü- Feststellung gemäß § 34 GO BR .... 236 B/D VI Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015

Verzeichnis der Anwesenden

Vorsitz: Berlin:

Präsident Volker Bouffier, Ministerprä- Michael Müller, Regierender Bürgermeister sident des Landes Hessen Frank Henkel, Bürgermeister und Senator für Amtierende Präsidentin Dr. Angelica Inneres und Sport Schwall-Düren, Ministerin für Bun- desangelegenheiten, Europa und Medien und Dilek Kolat, Bürgermeisterin und Senatorin für Bevollmächtigte des Landes Nordrhein-West- Arbeit, Integration und Frauen falen beim Bund – zeitweise – Thomas Heilmann, Senator für Justiz und Ver- braucherschutz

Schriftführerin: Brandenburg: Prof. Dr. Angela Kolb (Sachsen-Anhalt) Dr. Helmuth Markov, Minister der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz

Schriftführer:

Prof. Dr. Winfried Bausback (Bayern) Bremen:

Ulrike Hiller, Staatsrätin für Bundes- und Euro- paangelegenheiten und Integration, Bevoll- mächtigte der Freien Hansestadt Bremen Amtierende Schriftführerin: beim Bund und für Europa

Ulrike Hiller (Bremen)

Hamburg:

Baden-Württemberg: , Präsident des Senats, Erster Bürger- meister Winfried Kretschmann, Ministerpräsident Katharina Fegebank, Zweite Bürgermeisterin Peter Friedrich, Minister für Bundesrat, Europa und Senatorin, Präses der Behörde für Wis- und internationale Angelegenheiten und senschaft und Forschung Bevollmächtigter des Landes Baden-Württem- berg beim Bund Dr. Till Steffen, Senator, Präses der Behörde für Justiz und Gleichstellung , Minister für Verkehr und Infrastruktur

Hessen:

Lucia Puttrich, Ministerin für Bundes- und Euro- Bayern: paangelegenheiten und Bevollmächtigte des Landes Hessen beim Bund Horst Seehofer, Ministerpräsident Tarek Al-Wazir, Minister für Wirtschaft, Energie, Dr. Marcel Huber, Leiter der Staatskanzlei und Verkehr und Landesentwicklung Staatsminister für Bundesangelegenheiten und Sonderaufgaben Priska Hinz, Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Prof. Dr. Winfried Bausback, Staatsminister der Justiz Eva Kühne-Hörmann, Ministerin der Justiz Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 VII

Mecklenburg-Vorpommern: Saarland:

Erwin Sellering, Ministerpräsident Annegret Kramp-Karrenbauer, Ministerpräsi- dentin Lorenz Caffier, Minister für Inneres und Sport Anke Rehlinger, Ministerin für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Verkehr

Jürgen Lennartz, Staatssekretär, Chef der Niedersachsen: Staatskanzlei und Bevollmächtigter des Saar- landes beim Bund Cornelia Rundt, Ministerin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration

Stefan Wenzel, Minister für Umwelt, Energie und Klimaschutz Sachsen: Dr. Fritz Jaeckel, Staatsminister für Bundes- und Peter-Jürgen Schneider, Finanzminister Europaangelegenheiten und Chef der Staats- kanzlei Christian Meyer, Minister für Ernährung, Land- wirtschaft und Verbraucherschutz Petra Köpping, Staatsministerin für Gleichstel- lung und Integration

Nordrhein-Westfalen: Sachsen-Anhalt: Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin Prof. Dr. Angela Kolb, Ministerin für Justiz und Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Gleichstellung Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbrau- cherschutz Hartmut Möllring, Minister für Wissenschaft und Wirtschaft Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bun- desangelegenheiten, Europa und Medien und Bevollmächtigte des Landes Nordrhein-West- falen beim Bund Schleswig-Holstein: Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Wei- Torsten Albig, Ministerpräsident terbildung Dr. Robert Habeck, Minister für Energiewende, Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume Emanzipation, Pflege und Alter Stefan Studt, Minister für Inneres und Bundes- angelegenheiten

Rheinland-Pfalz:

Malu Dreyer, Ministerpräsidentin Thüringen:

Doris Ahnen, Ministerin der Finanzen Bodo Ramelow, Ministerpräsident

Eveline Lemke, Ministerin für Wirtschaft, Klima- Heike Taubert, Finanzministerin schutz, Energie und Landesplanung Anja Siegesmund, Ministerin für Umwelt, Ener- Ulrike Höfken, Ministerin für Umwelt, Landwirt- gie und Naturschutz schaft, Ernährung, Weinbau und Forsten Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff, Minister für Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Ministerin für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie und Chef der Staatskanzlei

Irene Alt, Ministerin für Integration, Familie, Heike Werner, Ministerin für Arbeit, Soziales, Kinder, Jugend und Frauen Gesundheit, Frauen und Familie VIII Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015

Von der Bundesregierung: Peter Bleser, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Ernährung und Landwirt- Dr. Helge Braun, Staatsminister bei der Bundes- schaft kanzlerin

Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bun- Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin desminister der Justiz und für Verbraucher- beim Bundesminister für Gesundheit schutz

Gabriele Lösekrug-Möller, Parl. Staatssekretä- Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin rin bei der Bundesministerin für Arbeit und bei der Bundesministerin für Umwelt, Natur- Soziales schutz, Bau und Reaktorsicherheit Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 205

(A) (C) Redetext

934. Sitzung

Berlin, den 12. Juni 2015

Beginn: 9.32 Uhr Liebe Frau Kollegin, dann machen wir es jetzt rich- tig: Wir haben uns Sie bis zum Schluss aufgehoben, damit wir donnernd applaudieren können. Herzli- Präsident Volker Bouffier: Meine Damen und Her- chen Glückwunsch und alles Gute! ren, ich begrüße Sie sehr herzlich zur 934. Sitzung des Bundesrates. Seien Sie alle herzlich willkommen (Lebhafter Beifall) geheißen! Wir kommen dann zur Tagesordnung. Sie liegt Ih- Wir haben die große Freude, heute Morgen mit ei- nen in vorläufiger Form mit 47 Punkten vor. ner Damentrias zu beginnen. Zwei haben heute, eine hatte gestern Geburtstag. Wir haben in der Vorbesprechung Punkt 41 einver- nehmlich von der Tagesordnung abgesetzt. Ich beginne mit Frau Kollegin K r a f t , die heute ihren Geburtstag feiert. Wir wünschen Ihnen im Na- Wir haben uns verständigt, dass wir nach Punkt 1 men des Hauses Glück und Segen, vor allen Dingen die Punkte 47, 33 a) und 17 – in dieser Reihenfolge – stabile Gesundheit und viele gemeinsame Stunden behandeln. Die Punkte 15 und 37 werde ich mitei- (B) (D) mit uns. Seien Sie herzlich beglückwünscht! nander verbinden. Im Übrigen soll die Reihenfolge unverändert bleiben. (Heiterkeit und Beifall) Gibt es noch Wünsche zur Tagesordnung? – Das ist Ebenso heute Geburtstag hat Frau Staatsministerin nicht der Fall. Petra K ö p p i n g aus Sachsen. Verehrte Frau Kolle- gin, auch Ihnen alle guten Wünsche! Es ist nicht Dann haben wir sie so festgestellt. mangelnde Kreativität, sondern einfach die Wahr- Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 1: heit: Es ist schön, dass Sie Ihren heutigen Geburtstag mit uns feiern. Alles Gute sowie Glück und Segen! Wahl des Vorsitzenden des Rechtsausschusses (Drucksache 210/15) (Beifall)

Weil ich gerade so im Zug bin: Gestern schon – of- Die betreffenden Ausschüsse schlagen uns vor, fensichtlich gut überstanden – hatte Frau Staatsrätin Herrn Senator Dr. Till S t e f f e n (Hamburg) zum - Ulrike H i l l e r aus Bremen Geburtstag. Frau Vorsitzenden des Ausschusses für das laufende Ge schäftsjahr zu wählen. Staatsrätin, nachträglich noch einmal alle guten Wünsche! Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzei- (Beifall – Zurufe) chen. – Danke schön!

Habe ich etwas vergessen? – Herr Kollege, das ist Herr Kollege, Sie sind damit einstimmig zum Vor- unverzeihlich! Aber als Mann wären Sie ohnehin erst sitzenden des Rechtsausschusses gewählt worden. nach den drei Damen drangekommen. Herzlichen Glückwunsch! Ich wünsche Ihnen viel Er- folg für Ihre Arbeit. (Zurufe – Malu Dreyer [Rheinland-Pfalz]: Gestern hatte Frau Lemke!) Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 47 a) und b):

– Frau Lemke? – Jetzt haben Sie mich aber voll er- a) Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des wischt, vor allen Dingen das gesamte Protokoll des Rechts auf Eheschließung für Personen glei- Hauses! Das wird zur unverzüglichen Entlassung al- chen Geschlechts – Antrag der Länder Rhein- ler Beteiligten führen, sehr verehrte Frau L e m k e . land-Pfalz, Baden-Württemberg, Schleswig- Holstein, Thüringen gemäß § 36 Absatz 2 GO (Heiterkeit) BR – (Drucksache 273/15) 206 Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 Präsident Volker Bouffier (A) (C) b) Entschließung des Bundesrates: „Ehe für alle – Anders als in vielen anderen Ländern wurde in Entschließung für eine vollständige Gleichbe- Deutschland die Rechtsentwicklung leider fast immer handlung von gleichgeschlechtlichen Paaren“ nicht durch den Gesetzgeber, sondern durch das – Antrag der Länder Niedersachsen, Baden- Bundesverfassungsgericht bestimmt. Das hatte damit Württemberg, Brandenburg, Bremen, Ham- zu tun, dass wir politisch eigentlich nie Einigkeit ge- burg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, funden haben, um die notwendige Rechtsentwick- Schleswig-Holstein, Thüringen gemäß § 36 Ab- lung tatsächlich umzusetzen. Das Bundesverfas- satz 2 GO BR – (Drucksache 274/15) sungsgericht stellte immer wieder fest, dass es nicht begründbar sei, aus dem besonderen Schutz der Ehe Dem Antrag unter Punkt 47 a) sind die Länder abzuleiten, dass andere Lebensgemeinschaften im Brandenburg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen Abstand zur Ehe auszugestalten oder mit geringeren und Nordrhein-Westfalen beigetreten. Rechten zu versehen sind. Nach meiner Auflistung beginnt Frau Ministerprä- Gilt der Satz „Wer Rechte hat, muss auch Pflichten sidentin Dreyer aus Rheinland-Pfalz. Sie haben das haben“, gilt doch umgekehrt auch der Satz „Wer die Wort. gleichen Pflichten übernimmt, muss auch die glei- chen Rechte bekommen“! Nichts anderes gilt letzt- lich für die umstrittene Frage der Adoption. Wie bei Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz): Guten Morgen, heterosexuellen Partnern ist dabei das Kindeswohl Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Da - entscheidend. Wenn man auch hier verfolgt, was men! Liebe Kollegen und Kolleginnen! „Nichts ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge- mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist“ – richts schon heute selbstverständlich ist – die Adop- das hat das Votum in Irland sehr eindrucksvoll ge - tion auch für gleichgeschlechtliche Paare –, weiß zeigt. man doch, dass dieser letzte Schritt überfällig ist.

Das irische Volk hat klar Ja gesagt zur Öffnung der Für mich ist auch entscheidend, dass sich das Be- Ehe. Das ist eine gute Nachricht. Die Menschen in Ir- wusstsein in der Bevölkerung längst gewandelt hat. land haben zum Ausdruck gebracht: Es gibt keinen Selbst in der Umgangssprache wird die Lebenspart- Grund, gleichgeschlechtlichen Paaren die Ehe weiter nerschaft als „Ehe“ bezeichnet. Welcher Mensch auf vorzuenthalten. Dass dieser Impuls aus einer katholi- der Straße sagt, bitte, „Lebenspartnerschaft“! Diese schen Bastion wie Irland kommt, mag kurios erschei- künstliche Unterscheidung wurde schon im Jahr nen, ist aber nur konsequent; denn es entspricht auch 2001 den homosexuellen Paaren nicht gerecht. Sie ist christlicher Vorstellung, auf Dauer füreinander ein- heute erst recht aus der Zeit gefallen. Wir sollten das zustehen und Verantwortung zu übernehmen. akzeptieren und handeln. Wir sind davon überzeugt, dass dieser Schritt richtig ist. (B) Auch ich selbst als Christin, als Katholikin, habe (D) das Verständnis, dass man die Bibel, wenn sich Men- Wir im Bundesrat waren für die Öffnung der Ehe, schen lieben und auf Dauer füreinander einstehen, und wir sind es heute mehrheitlich – denke ich – im- eigentlich nicht christlicher interpretieren kann. Dass mer noch. Im Jahr 2013 haben wir eine Initiative ge- sich unsere Kirchen dabei unterschiedlich schwertun, startet und einen Gesetzentwurf in den Bundesrat ist auch klar. Dennoch glaube ich: Es ist Zeit, dass wir eingebracht. Damals stimmte erstmals ein deutsches die Ehe für alle öffnen. Ich bin fest davon überzeugt, Verfassungsorgan für die Öffnung der Ehe für dass Deutschland zu diesem Schritt längst bereit ist. schwule und lesbische Paare. Darauf können wir heute stolz sein. Zustimmung zu diesem Projekt gibt Im Jahr 2001 hat die rotgrüne Bundesregierung die es längst über alle Fraktionen hinweg. Große Teile in Einführung der Lebenspartnerschaft gesetzlich er- der CDU denken heute genauso. möglicht. Seitdem hat sich das Bewusstsein in der Bevölkerung sehr geändert. Es geht daher nicht darum, die letzte konservative Bastion – in Anführungszeichen – zu halten oder zu Es ist daher gut, dass das Bundeskabinett zuletzt schleifen, sondern darum, etwas für die Menschen zu den Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des tun, was einigen sehr helfen und niemandem scha- Rechts der Lebenspartner beschlossen hat. Er schafft den wird, und endlich zu erfüllen, was in Artikel 3 zwar keine umfassende rechtliche Gleichstellung von unseres Grundgesetzes steht, dass nämlich alle in un- Ehe und Lebenspartnerschaft, macht aber viele serem Land gleiche Rechte haben. kleine weitere Schritte auf dem Weg dorthin. Es gibt immer noch Dinge, die Menschen, die in einer Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, die Länder ha- gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben, verwehrt ben heute erneut die Chance zu zeigen, dass der bleiben. Vor allem dürfen sie die Ehe nicht eingehen. Bundesrat die gesellschaftliche Realität in diesem Das ist aus unserer Sicht eine klare Diskriminierung, Land rechtzeitig erkennt und handelt. Ich bin froh die man heutzutage kaum mehr verstehen kann. und auch ein wenig stolz, dass Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, Thüringen den aktualisierten Deshalb überrascht es mich nicht, dass die Bevöl- Gesetzesantrag wieder mit uns einbringen und Bran- kerung in Umfragen seit Jahren mehrheitlich dafür denburg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nord- ist, die Ehe zu öffnen. Ich bin fest davon überzeugt: rhein-Westfalen ihm beigetreten sind. Gäbe es in Deutschland einen Volksentscheid, wür- den die Menschen in unserem Land klar für die Öff- Den Entschließungsantrag, der unsere Zielrichtung nung der Ehe votieren. und Motivation ebenfalls beschreibt, stellen wir ge- Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 207 Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz) (A) (C) meinsam mit acht Ländern. Den übrigen Ländern Satzes bestand: Die Ehe ist ein Bund zwischen zwei reichen wir bewusst die Hand: Lassen Sie uns ge- Menschen. meinsam die ureigenen Interessen der Länder wahr- nehmen und Politik für die Menschen machen – im Die lange Liste der Staaten – von Finnland bis Uru- Sinne der Gleichstellung! Deutschland würde es gut guay –, die die Gleichstellung längst vollzogen ha- anstehen, wenn wir nicht wieder vom Bundesverfas- ben, belegt schlagend: Die Toleranz gegenüber sungsgericht an irgendeinem Tag getrieben würden, gleichgeschlechtlichen Lebensweisen und Partner- sondern wenn wir, die politischen Akteure, die richti- schaften wird international immer mehr zu wirklicher gen Entscheidungen treffen. – Herzlichen Dank. Akzeptanz. Es gilt nun, diese Akzeptanz rechtlich auch bei uns weiter zu festigen. Dafür gibt es viele gute Gründe: Präsident Volker Bouffier: Vielen Dank, Frau Kol- legin! Zum einen bin ich der festen Überzeugung, dass es dem liberalen Verfassungsstaat überhaupt nicht zu- Als Nächster hat der Ministerpräsident von Baden- steht, sich in die persönliche Lebensführung von an- Württemberg, Herr Kollege Kretschmann, das Wort. deren einzumischen oder sie zu beschränken. Das geht klar aus Artikel 2 des Grundgesetzes hervor. Winfried Kretschmann (Baden-Württemberg): Sehr Dort heißt es nämlich: geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung sei- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Landesregie- ner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte rung von Baden-Württemberg ist der Auffassung, anderer verletzt und nicht gegen die verfas- dass nicht länger damit gewartet werden darf, die sungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz vollständige Gleichbehandlung gleichgeschlechtli- verstößt. cher Paare durchzusetzen. Dass gleichgeschlechtliche Ehen die Rechte ande- Zum einen wollen wir die Bundesregierung hier rer verletzen, ist evident nicht der Fall. Gegen die und heute auffordern, bestehende Benachteiligun- verfassungsmäßige Ordnung verstoßen sie ebenfalls gen gleichgeschlechtlicher Paare zu beenden und im nicht. Und den Irrtum, dass sie gegen das Sittenge- Bundesrecht festzulegen, dass sie künftig genau die- setz verstoßen, haben wir nach der wirklich schlim- selben Rechte genießen wie die verschiedenge- men Geschichte, die die Homosexuellen erfahren ha- schlechtlichen Paare. ben, Gott sei Dank überwunden. Also gibt es für den Darüber hinaus haben wir zusammen mit Rhein- liberalen Verfassungsstaat gar keinen Grund, die land-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen einen Rechte solcher Menschen einzuschränken. Er hat meiner Ansicht nach dafür kein Mandat. (B) Gesetzentwurf eingebracht, durch den im Bürgerli- (D) chen Gesetzbuch zum Ausdruck gebracht werden Das gilt ganz besonders dann, wenn solche Ge- soll, dass auch Personen gleichen Geschlechts heira- setze geeignet sind, den Begriff von Familie zu er- ten können. weitern und damit die Familie zu stärken. Der Staat Schon vor zwei Jahren hat der Bundesrat einen unterstützt und fördert sozial gesinnte und tätige Ge- entsprechenden Gesetzentwurf beschlossen. Dieser meinschaften aller Art. Warum sollte er diese Unter- wurde vom Deutschen Bundestag leider nicht aufge- stützung ausgerechnet gleichgeschlechtlichen Le- griffen. Es war nicht nur der Gesetzentwurf aus dem bensgemeinschaften verwehren? Jahr 2013, der im Bundestag der Diskontinuität an- Das Bundesverfassungsgericht hat 2013 in seinem heimgefallen ist; schon seit das Bundesland Berlin im Urteil zum Sukzessivadoptionsrecht festgestellt, dass Jahr 2000 seinen Entschließungsantrag gestellt hatte, gleichgeschlechtliche Lebenspartner mit Kind durch- kommt das Thema politisch nicht voran. aus eine Familie nach Artikel 6 Absatz 1 Grundge- setz bilden. Dieser Absatz lautet: Kontinuierlich unsicher ist bis heute die Rechtslage für Menschen geblieben, die mit anderen gleichen Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Geschlechts verbindlich und auf Dauer zusammenle- Schutze der staatlichen Ordnung. ben wollen. Da es in unserer Verfassung keine Legaldefinition Kontinuierlich unentschlossen sind die Bemühun- von „Ehe“ gibt, obliegt es der Politik oder dem Bun- gen der Bundesregierung geblieben, der veränderten desverfassungsgericht, „Ehe“ und „Familie“ der Le- gesellschaftlichen Realität endlich vollständig Rech- benswirklichkeit rechtlich anzugleichen. nung zu tragen. Ich ziehe natürlich die politische Entscheidung im- Die kontinuierliche Angleichung des Rechts an die mer vor. Der erste Interpret der Verfassung sind die zeitgenössische Lebenswirklichkeit haben uns hinge- Parlamente. Jedoch gibt es auch viele juristische gen andere europäische Länder gerade in jüngster Gründe dafür, dass die gegenwärtige Beschränkung Zeit vorgemacht, zuletzt das katholische Irland, das von Ehe und Adoption nicht haltbar ist. Der Europäi- einen Gesetzentwurf in einer Volksabstimmung mit sche Gerichtshof für Menschenrechte hat schon 2008 mehr als 62 Prozent Zustimmung angenommen hat. entschieden, dass homosexuellen Menschen der Slowenien hat in diesem Jahr ein konsequentes Ge- Zugang zur Adoption nicht verwehrt werden darf. In setz zur Gleichstellung verabschiedet, das im We- dieselbe Richtung zeigen der schon erwähnte Arti- sentlichen aus der Hinzufügung des neuen schlichten kel 2 des Grundgesetzes, aber auch der Artikel 3, der 208 Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 Winfried Kretschmann (Baden-Württemberg) (A) (C) den Gleichheitsgrundsatz und das Diskriminierungs- ist durch den jüngsten erfreulichen Trend der Libera- verbot verstärkt. lisierung bestärkt worden. Sie ist auch beflügelt wor- den durch die positive gesellschaftliche Diskussion in Unser Gesetzentwurf stellt Familien heterosexuel- Deutschland, wie ich sie gerade beim Besuch des ler Paare überhaupt nicht in Frage und berührt sie 35. Evangelischen Kirchentages in Stuttgart in gar nicht, weil man entweder das eine oder das an- Debatten mit Kirchenvertretern und Christen ver- dere machen kann. Ganz im Gegenteil: Er stärkt die schiedener Konfessionen erleben konnte. „Klüger Familien insgesamt, indem wir vielfältige Formen ak- geworden sind wir bei gleichgeschlechtlichen zeptieren, wie sie heutzutage eben gelebt werden. Partnerschaften“, sagte der Kirchentagspräsident Und Vielfalt bedeutet ja keine Konkurrenz, sondern Andreas B a r n e r in seiner Abschlussrede auf dem eine Erweiterung von Möglichkeiten. Kirchentag, und er fügte hinzu: „Gegen Liebe kön- Die Familie erfüllt unglaublich viele positive Funk- nen wir Christen uns nicht stellen.“ tionen, die sich im Laufe der Sozialgeschichte immer Unsere erneuerte Initiative ist aber auch notwendig wieder veränderten und sich weiter verändern wer- geworden durch die in letzter Zeit immer drängen- den. Sie bietet – selbstverständlich immer nach ihren dere Grundsatzfrage, was denn die unabdingbaren Möglichkeiten – emotionale Geborgenheit, häusli- Werte unserer westlichen Demokratie eigentlich aus- chen Schutz, soziale Vernetzung und wirtschaftliche macht. Absicherung. Ganz wichtig erscheint mir, dass sie der am besten geeignete Ort ist, Kinder aufzuziehen. In 70 Ländern der Welt werden Homosexuelle ver- folgt, geächtet und bestraft, sogar mit dem Tode. Ge- Familie nur als Institution der Fortpflanzung zu se- gen diese grauenhaft menschenfeindliche Praxis hen und zu definieren, diskriminiert zunächst auch können wir als am besten einwirken, indem wir Men- heterosexuelle kinderlose Ehepaare. Die biologische schen gleichgeschlechtlicher Orientierung bei uns Definition von Familie mag in agrarischen Gesell- ohne jedes Wenn und Aber rechtlich und faktisch schaften noch nahegelegen haben. Heute aber trägt gleichstellen und in die Normalität unseres Alltags sie zur Diskriminierung von Familien als Verantwor- aufnehmen. Es ist die Verpflichtung der Demokraten, tungsgemeinschaften und von Ehen bei, die aus Zu- die unantastbare Würde jedes Menschen und seine neigung und Liebe geschlossen werden, gleichgültig Rechte zu achten und zu schützen. zwischen welchen Geschlechtern – immerhin eine große Errungenschaft der Neuzeit und der Moderne. Es ist die Akzeptanz der Verschiedenheit von Men- schen, die die Idee der europäischen Aufklärung aus- Was kann uns denn Besseres passieren, als Struk- turen wechselseitiger Verantwortung in unserer Ge- macht und die ein demokratisch verfasstes Gemein- sellschaft auszubauen und zu stärken! wesen auszeichnet. (B) (D) Wir wollen, dass gleichgeschlechtliche Paare Kin- Ich kann durchaus nachvollziehen, wenn sich man- der adoptieren können, dass sie mit allen Pflichten che Menschen nicht sofort von ihren traditionellen und Rechten Verantwortung auch für Kinder wahr- Vorstellungen von Familie, von festen Frauen- und nehmen können. Ich will aber darauf hinweisen, dass Männerrollen lösen können. Es wird eine gewisse sich das quantitativ wohl in einem bescheidenen Zeit und Geduld brauchen, alte Denkmuster zu er- Rahmen bewegen wird. Auch das sollte man beden- neuern. Das war bei den Debatten über die Emanzi- ken. pation und die Rechte von Frauen auch der Fall. Das heißt: Kinder brauchen Familie! Zur Adoption Ein solches Umdenken kann man natürlich nicht stehende Kinder haben ihre Herkunftsfamilie verlo- verordnen. Man kann und muss ihm aber den pas- ren oder können von dieser nicht betreut werden. senden Rechtsrahmen geben. Das ist die Verpflich- Wir alle wissen, dass Kinder in Familien allemal bes- tung, die der Staat hat. Und man muss informieren ser aufwachsen als in Heimen – auch in Familien Al- und aufklären. Meine Landesregierung wird deshalb leinerziehender, erziehender Großeltern oder Patch- in den nächsten Tagen einen Aktionsplan „Für Ak- work-Familien jeder Couleur. Genauso gilt das für zeptanz und gleiche Rechte“ vorlegen. Er wird die gleichgeschlechtliche Elternpaare. Uns liegen keine gesellschaftliche Diskussion zum Thema Homo- und Erkenntnisse vor, dass gleichgeschlechtliche Eltern Transphobie anstoßen und den Gedanken der Vielfalt ungeeignet sein könnten, für das Wohl von Kindern und der Weltoffenheit voranbringen. zu sorgen. Homosexuelle sind selbstverständlich vollwertige Wenn uns solche Erkenntnisse nicht vorliegen, Mitglieder der Gemeinschaft und vollwertige Bürger können wir das auch nicht als Argument dagegen unseres Gemeinwesens. Niemand darf an den Rand heranziehen, jetzt das Institut der Ehe auf gleichge- der Gesellschaft gedrängt werden. Das sehe ich als schlechtliche Paare auszuweiten. Der moderne Ver- christliche Verpflichtung an. Jesus Christus hat im- fassungsstaat kann doch nicht auf Grund irgendwel- mer Menschen vom Rand angenommen und in die cher Spekulationen Menschen grundlegende Rechte Mitte der Gesellschaft geholt. Deswegen fühle ich verwehren! Das steht ihm meines Erachtens über- mich auch als Katholik damit sehr, sehr gut aufgeho- haupt nicht zu – wie auch immer man das persönlich ben, auch wenn es in Differenz zu meiner Kirchen- einschätzen mag. führung steht. Meine Damen und Herren, unsere schon lange be- Menschen unterschiedlicher sexueller Orientie- stehende Grundhaltung in der Gleichstellungsfrage rung gleichzustellen, ihnen die Möglichkeit der Ehe- Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 209 Winfried Kretschmann (Baden-Württemberg) (A) (C) schließung zu geben, ihnen das Recht auf Adoption worden. Damit haben wir die Möglichkeiten des Zi- einzuräumen: Das sind meiner Ansicht nach Men- vilstandes eröffnet. Wir sehen allerdings, wie viele schenrechte, die wir endlich gewähren müssen. Ich Gesetze „hintendran“ wieder geändert werden hoffe deswegen auf Unterstützung unserer Initiati- mussten, nur um halbwegs angepasst eine Fast- ven. – Danke schön. Gleichstellung zu erreichen. Als das eingeführt worden ist, hat es aber auch in Präsident Volker Bouffier: Vielen Dank, Herr Kol- Thüringen nicht zum Abbau der Diskriminierung ge- lege! führt. Die Öffnung der Standesämter für die Verpart- nerung wurde nicht zugelassen. Vielmehr hat man Als Nächster hat der Ministerpräsident von Thürin- eine Stelle im Landesverwaltungsamt eingerichtet, gen, Herr Kollege Ramelow, das Wort. bei der dann die Pseudo-Verpartnerung oder die Form gewählt worden ist, dass die Partner, die sich Bodo Ramelow (Thüringen): Werte Kolleginnen entschieden haben, ein Leben lang zusammenleben und Kollegen! Vor dem Gesetz sind alle Menschen zu wollen, vor ihrer Familie und den Menschen, die gleich. Wenn man die aktuelle Diskussion über die sie begleiten, erklären, die Verantwortung für ihr ge- Ehe für alle auf sich wirken lässt, kann man ein biss- meinsames Leben übernehmen zu wollen. Selbst da chen das Gefühl bekommen, als ob es Gleichere und hat man noch Schwellen von Diskriminierung einge- Ungleichere gibt. baut. Ich schließe mich vollinhaltlich den Worten des Nun gibt es eine Diskussion, eine Initiative in ei- Kollegen Kretschmann an, der aus seiner katholi- nem erzkatholischen Land, und auf einmal sagt die schen Sicht klar zum Ausdruck bringt, dass staatliche Bevölkerung dort, der Staat solle den Gleichrang der Institutionen die zivilgesellschaftliche und zivilstand- unterschiedlichen sexuellen Orientierungen ermögli- liche Frage zu beantworten haben. Als evangelischer chen. Bei der Verpartnerung oder in dem Ehevertrag, Christ kann ich mich dem nur anschließen und sa- der dort geschlossen wird, unterwerfen sich beide gen: Es geht nicht um das heilige Sakrament der Ehe. Partner dem Schutz des Staates, der für die Ehe ge- Das ist Angelegenheit unserer Kirchen und Reli- währt wird; sie wollen ihn mit all den Rechten und gionsgemeinschaften. Sie haben darüber zu ent- Pflichten, die daran gebunden sind, einhalten. Wir scheiden. Da gibt es durchaus unterschiedliche Sicht- haben darüber zu entscheiden, dass alle Rechte und weisen und Entwicklungen. Pflichten für alle gleichermaßen zugänglich sein müssen. Kollege Kretschmann hat schon angesprochen, in wie vielen Staaten der Erde Menschen heute nur we- Ich verstehe den Einwand, dass damit der Famili- enschutz aufgelöst werden könnte; denn darin ist im- (B) gen ihrer sexuellen Orientierung sogar mit dem Tode (D) bedroht sind. In Thüringen haben wir angesichts des mer intendiert, dass die Familie aus Mann, Frau und Ettersbergs und des KZ Buchenwald gut in Erinne- drei Kindern besteht. Das ist der Gedanke der 50er rung, was es hieß, mit dem Rosa Winkel in den Tod und 60er Jahre. Daran gebunden ist auch das Ehe- getrieben zu werden. Für das NS-Regime reichte die gattensplitting. sexuelle Orientierung aus, um zu sagen, auch diese Ich verstehe nicht, warum wir in der heutigen Zeit Menschen hätten den Tod verdient. keine steuerrechtliche Form finden, bei der die Kin- Diese Diskriminierung, die in einer tödlichen Logik dererziehung gestärkt wird. Ich weiß nicht, warum des NS-Regimes endete, führte nach 1945 weiterhin ich einen Steuervorteil habe, nur weil ich verheiratet zu einer Diskriminierung – mit dem § 175 des Straf- bin. Ich weiß, warum ich verheiratet bin. Ich bin froh, gesetzbuchs. Die einen oder anderen werden sich an dass es die Möglichkeit gibt, damit wechselseitig le- die Debatten in Westdeutschland erinnern und daran, benslange Verantwortung zu übernehmen. Aber ich wie weit der Weg war, aus der Logik des Strafgesetz- weiß nicht, warum der Staat mich dafür steuerlich buches und der strafgesetzlichen Diskriminierung besserstellt. Wir müssen darüber diskutieren, dass den Mitmenschen, die eine gleichgeschlechtliche se- der Staat diejenigen besserstellt, die Kinder erziehen xuelle Orientierung hatten, den Weg aus den Hinter- und damit eine besondere Verantwortung für uns zimmern zu ermöglichen. alle, für die Zukunft übernommen haben. Es gab einmal einen großen Skandal um einen ho- Das ist aber mit der Zulassung der Ehe für alle hen Armeeangehörigen. Da hat es gereicht, dass die überhaupt nicht gemeint und davon auch nicht tan- Geheimdienste ihm unterstellt haben, er sei homo- giert. Deswegen müssen wir auch über eine Moder- sexuell. Daraufhin wurde er aus sämtlichen Füh- nisierung des Ehebegriffs in Bezug auf das Steuer- rungsebenen entfernt. So lange ist es also noch nicht recht reden. Ich plädiere für eine viel nachhaltigere her, dass die Frage der gleichgeschlechtlichen Orien- Diskussion, weil ich mir einen viel höheren Schutz tierung zu einer strafrechtlichen und mit dem Straf- für Kinder wünsche und dass der Staat dort mehr recht zu einer gesellschaftlichen Ächtung geführt Verantwortung übernimmt. hat. In Bezug auf Personenstandsfragen und Zivil- Ich bin froh und dankbar, dass in den letzten standsfragen hat der Gesetzgeber – die Bundesländer 20 Jahren der Diskussionsprozess immer weiter zur gemeinsam mit dem Bundestag – und die Bundes- Annäherung der Positionen geführt hat. Mit dem regierung die Verantwortung, die Diskriminierung zu Wort „Verpartnerung“ ist ein erster Schritt gemacht beenden. Diskriminierung heißt hier, dass wir nach 210 Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 Bodo Ramelow (Thüringen) (A) (C) der Ehe als gemeinsame Lebensform eine zweite Ka- aus meiner Sicht inhaltlich so, dass das, wenn über- tegorie definieren. Dieser Vorgang ist anachronis- haupt, nur über eine Verfassungsänderung möglich tisch. Die Akzeptanz unterschiedlicher Lebensweisen wäre. gehört in das Gesetzgebungsverfahren aufgenom- men. Deswegen haben wir gemeinsam mit anderen Die Anträge erwecken den Anschein, als läge bei Bundesländern die Initiative ergriffen. Ich finde es der Frage des Abbaus der Diskriminierung gleichge- gut, dass der Entwurf jetzt eingebracht wird bezie- schlechtlicher Lebensgemeinschaften noch vieles im hungsweise dass wir das Gesetzgebungsverfahren Argen. Sie tun so, als gäbe es in der Behandlung auf den Weg bringen. gleichgeschlechtlicher Partnerschaften noch zahlrei- che unerträgliche und in der Sache nicht gerechtfer- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten nicht tigte Unterschiede, die man nur durch eine Öffnung von neuen Formen der Diskriminierung reden, son- der Ehe für alle beseitigen könnte. dern wir sollten der Ehe für alle das Wort reden. Ehe für alle bedeutet eine dauerhafte Pflicht beider Part- Hohes Haus, damit werden 15 Jahre Rechtspolitik ner, die ihr Jawort geben, zur Pflege, Fürsorge und einfach ausgeblendet. Der Deutsche Bundestag hat Verantwortung. Wir müssen Gleichrangigkeit ge- sich bekanntlich im Jahr 2000 für einen anderen Weg währen, was das Erbschaftsrecht, aber auch die Mög- zum Abbau von Benachteiligungen entschieden. Er lichkeit betrifft, Kinder großzuziehen, Verantwortung ist dabei bereits weit vorangeschritten. Gleichge- für Kinder zu übernehmen. schlechtlichen Paaren wurde mit der eingetragenen Lebenspartnerschaft eine eigene Rechtsform zur Ver- Lassen Sie uns in diesem Sinne gemeinsam einen fügung gestellt, und diese wurde im Laufe der Zeit großen Schritt nach vorne gehen und eine besondere überall dort, wo es sachgerecht erschien, an die Ehe Form der Diskriminierungsgeschichte in der Bundes- angeglichen. republik Deutschland beenden! – Vielen Dank. Es beginnt bei den allgemeinen Wirkungen der eingetragenen Lebenspartnerschaft, die denen der Präsident Volker Bouffier: Vielen Dank, Herr Kol- Ehe entsprechen. Es setzt sich fort beim Unterhalts- lege! recht, dessen Ansprüche an die eherechtlichen An- sprüche angeglichen sind. Es endet beim Erbrecht, Als Nächster hat Staatsminister Professor das dem eingetragenen Lebenspartner in gleicher Dr. Bausback aus Bayern das Wort. Weise zusteht wie dem Ehepartner, dem Beamten- recht und last, but not least, beim steuerrechtlichen Prof. Dr. Winfried Bausback (Bayern): Herr Präsi- Ehegattensplitting, wobei die Aufzählung selbstver- dent! Hohes Haus! Worum geht es heute bei den bei- ständlich nicht abschließend ist. den Anträgen? Sie, Frau Ministerpräsidentin Dreyer, (B) Mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz haben wir uns (D) Sie, Herr Ministerpräsident Kretschmann, und Sie, unserer Verantwortung als Rechtspolitiker gestellt. Herr Ministerpräsident Ramelow, haben so getan, als Zu dieser Verantwortung gehört es, aktuellen gesell- gehe es um den Abbau von Diskriminierungen schaftlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen und gleichgeschlechtlicher Paare. Partnerschaften, in denen Menschen füreinander ein- In der heutigen Debatte geht es aber nicht darum, stehen und verlässlich Verantwortung und Fürsorge die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Lebens- füreinander übernehmen, einen rechtlichen Rahmen gemeinschaften zu beseitigen, es geht um einen An- und damit einen institutionellen Schutz zu geben. griff auf die Ehe als wichtiges, in einer langen Ver- fassungstradition gewachsenes Institut unserer Auf diesem Weg schreiten wir weiter voran, Kolle- ginnen und Kollegen, und das ist gut und richtig. freiheitlichen Verfassung und als wichtiges Prolego- Dementsprechend wurde im Koalitionsvertrag ver menon unserer Gesellschaft. Es geht, so leid es mir - tut, um ein durchsichtiges politisches Manöver in ei- einbart, rechtliche Regelungen, die gleichgeschlecht- nem Bereich, der, weil er zu wichtig ist, nicht einem liche Lebenspartnerschaften schlechterstellen, zu solchen Manöver unterzogen werden sollte. beseitigen. Ganz in diesem Sinne hat die Bundesre- gierung erst jüngst, am 27. Mai 2015, einen Gesetz- Um ungerechtfertigte Benachteiligungen gleichge- entwurf vorgelegt, der eine umsichtige und differen- schlechtlicher Partnerschaften abzubauen, ist es zierte weitere Angleichung des Rechts der nicht erforderlich, die Ehe für alle zu öffnen, wie es eingetragenen Lebenspartnerschaften an das der die Anträge fordern, und damit grundlegende Werte Ehe vorsieht. Damit ist der Gesetzgeber längst auf unserer Verfassung und unserer Gesellschaft in dem richtigen Weg, wenn Ziel des Weges wirklich ist, Frage zu stellen. Dafür ist es nicht nötig, unter der Diskriminierungen zu beseitigen. Flagge der Gleichbehandlung einen Grundwert zu tangieren, dem unsere Verfassung, Herr Ministerprä- Frau Ministerpräsidentin, Herren Ministerpräsi- sident Kretschmann, aus gutem Grund allerhöchsten denten, mit den heute vorgelegten Anträgen, die Sie Rang einräumt, den es an dieser Stelle zu verteidigen begründet haben, wollen Sie aber in Wahrheit etwas gilt: Das ist der besondere Schutz von Ehe und Fami- anderes. Sie wollen mit einem Federstrich die Ehe für lie, niedergelegt in Artikel 6 Absatz 1 unseres Grund- alle öffnen, Ehe und eingetragene Lebenspartner- gesetzes. schaft völlig gleichsetzen. Das geht aus der Sicht Bayerns einen entscheidenden Schritt zu weit, das ist Kolleginnen und Kollegen, wer eine Ehe so öffnen nicht notwendig, um Diskriminierung zu bekämpfen. will, wie Sie es vorschlagen, der verändert Artikel 6 Indem Sie Dinge gleichsetzen, die nicht gleich sind, Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 211 Prof. Dr. Winfried Bausback (Bayern) (A) (C) tangieren Sie einen Grundwert unseres Zusammen- Entgegen einem vielfach erweckten Eindruck sieht lebens. dies auch das Bundesverfassungsgericht so, ja fordert es geradezu. Es hat hierzu beispielsweise in einer Ich erinnere daran: Verantwortliche Rechtspolitik Entscheidung aus dem Jahr 2008 Folgendes ausge- kann und muss beides leisten, zum einen gesell- führt – ich zitiere –: schaftliche Entwicklungen mitvollziehen und gestal- ten, zum anderen unsere Grundwerte bewahren und Das gesetzgeberische Anliegen, das Rechtsins- schützen. Das erfordert im Einzelfall schwierige Ab- titut der Ehe, die unter dem besonderen Schutz wägungsentscheidungen. Sie kann sich der Gesetz- von Art. 6 Abs. 1 GG steht, als Form des recht- geber aber nicht durch den bereits zitierten einfa- lich abgesicherten Zusammenlebens aus- chen Federstrich ersparen, wie ihn die Antragsteller schließlich Mann und Frau, also Partnern ver- heute vornehmen wollen. schiedenen Geschlechts, vorzubehalten, ist von hohem Gewicht. In Konsequenz dieser Zielset- Hier kommt nach meiner Überzeugung eine beson- zung hat der Gesetzgeber das Institut der Ein- ders wichtige Aufgabe verantwortlicher Rechtspolitik getragenen Lebenspartnerschaft geschaffen, ins Spiel. Bei aller Achtung und Berücksichtigung um auch gleichgeschlechtlichen Paaren eine der Lebenswirklichkeit gilt es, unsere Grundwerte zu rechtlich abgesicherte Partnerschaft zu ermögli- wahren und zu verteidigen. Das Recht wird eben chen. nicht nur durch Entwicklungen geprägt, sondern es vermag auch umgekehrt Entwicklungen zu prägen. Meine Damen und Herren, ich komme zum Aus- Richard v o n W e i z s ä c k e r hat es einmal so aus- gangspunkt zurück. Die vorliegenden Anträge se- gedrückt: Es gibt eine normative Kraft des Fakti- geln unter der Flagge vermeintlicher Beseitigung von schen, aber es gibt eben auch eine faktische Kraft Diskriminierungen. Da gleichgeschlechtliche Part- des Normativen. nerschaften aber, wie dargelegt, in nahezu allen we- sentlichen Bereichen schon gleichgestellt sind, geht Wo Grundwerte im Spiel sind, meine Damen und es in Wahrheit gar nicht um Gerechtigkeit, sondern Herren, muss die Rechtspolitik diese Grundwerte es geht um politische Taktik. Man will diejenigen, die schützen. Das Institut der Ehe ist ein Wert an sich. die Grundwerte von Ehe und Familie verteidigen, in Die Ehe ist und bleibt die Grundlage für Familien, in die Ecke der Rückschrittlichkeit, der Reaktionäre denen Kinder bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen. stellen. Sie ist eine Form des Zusammenlebens, ohne die auf Dauer kein staatliches Gemeinwesen existieren Unsere gesellschaftlichen und verfassungsrechtli- kann, Herr Ministerpräsident Kretschmann. Die Ehe chen Grundwerte eignen sich aber nicht als Einsatz ist, um mit dem ehemaligen Bundesverfassungsrich- auf dem politischen Pokertisch. Daher ist der Ent- ter und Verfassungsrechtler Udo Di F a b i o zu schließungsantrag genauso wie der Gesetzentwurf (B) (D) sprechen, „eine Lebensform des Menschen, ein so- aus der Sicht Bayerns abzulehnen. Ich appelliere an zialer Raum der Nähe, von dem der Zivilisationspro- Sie, sich bei der Abstimmung entsprechend zu ver- zess immer neu seinen Ausgangspunkt nimmt“. Bei halten. – Vielen Dank. aller rechtlicher Angleichung: Ehe und Lebenspart- nerschaft sind nicht dasselbe. Wir tun gut daran, bei- Präsident Volker Bouffier: Vielen Dank, Herr Kol- des auseinanderzuhalten. lege! Das wird nach wie vor auch durch die Verfassung Als Nächste hat das Wort Frau Ministerin Steffens gefordert. Die nach Artikel 6 Absatz 1 des Grundge- aus Nordrhein-Westfalen. setzes besonders zu schützende Ehe ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungs- gerichts nun einmal das staatlich beurkundete und Barbara Steffens (Nordrhein-Westfalen): Herr Prä- auf Dauer angelegte Zusammenleben von Mann und sident, meine Damen und Herren! Herr Professor Frau. Wenn wir diesen grundgesetzlich geschützten Bausback, ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Rede, Wert der Ehe hochhalten, bedeutet das nicht, die Le- weil sie deutlich gemacht hat, warum eine solche Ini- benswirklichkeit zu verkennen. Wie die Rechtspolitik tiative und die Debatte darüber notwendig sind und der vergangenen 15 Jahre zeigt, wissen wir um die warum wir diese Debatte gerade mit Vertretern Ihrer Lebensrealitäten. Insbesondere respektieren und an- Position sehr intensiv führen müssen. erkennen wir – das ist wichtig und richtig – das in Sie haben eine Reihe von Wörtern und Redewen- den Lebenspartnerschaften dokumentierte Verant- dungen verwendet, die zeigen, dass Sie von einer wortungsbewusstsein und tragen dem durch weitge- ganz anderen Motivation ausgehen. Sie sagten, Herr hende Anpassung der Rechte Rechnung. Kretschmann habe so getan, als ob es um den Abbau Aber, um nochmals Di Fabio zu zitieren: von Diskriminierung gehe, und auch andere hätten so argumentiert. Sie wissen natürlich, dass der Nicht- Freiheit im modernen Sinn bedarf der kulturell zugang zur Ehe eine Diskriminierung von gleichge- verankerten Institutionen. Diese in ihrer Eigen- schlechtlich Liebenden darstellt. Diese Einschätzung art zu schützen, ist kein konservativer Abwehr- ist deshalb gerechtfertigt, weil diese – wenn auch in reflex gegen Veränderung, sondern Respekt vor der Sonderform der eingetragenen Lebenspartner- den kulturell gewachsenen und erprobten For- schaft – zwar dieselben Pflichten wie Eheleute und men der Verbindung von Freiheit und Lebens- dieselbe Verantwortung füreinander haben, nicht glück. aber dieselben Rechte bekommen. 212 Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 Barbara Steffens (Nordrhein-Westfalen) (A) (C) Wenn wir uns ansehen, wie lange die Diskussion Ich glaube, dass wir unsere Diskussion hier an die auf der Bundesebene schon geführt wird, dann wis- Diskussion in der Bevölkerung anpassen müssen. sen wir: Es reicht. Nicht nur die Entscheidung in Ir- Umfragen haben schon 2013 ergeben, dass mehr als land, sondern auch die Debatte bei uns und die Stim- zwei Drittel der Bevölkerung für die Öffnung der Ehe mung in der Bevölkerung zeigen uns, dass wir auch sind; also muss dieser Schritt auch politisch vollzogen hier die Öffnung der Ehe brauchen. werden. Auf der Bundesebene diskutieren wir seit 25 Jah- Ich finde aber, dass wir die Augen nicht davor ver- ren darüber; damals hatten die Grünen die erste Ini- schließen dürfen, dass auch nach Öffnung der Ehe tiative in den Bundestag eingebracht. Das war da- das Problem der Homophobie, das in unserer Gesell- mals die erste Diskussion über die Öffnung der Ehe. schaft vorhanden ist, nicht beseitigt sein wird. Wir in Ich finde, heute ist ein guter Zeitpunkt, um die bean- Nordrhein-Westfalen haben uns auf den Weg ge- tragte Öffnung der Ehe zu vollziehen. Wenn man sich macht – Baden-Württemberg geht ihn jetzt auch – die Protokolle der damaligen Debatten anschaut, und gemeinsam mit den Betroffenen, mit der Com- stellt man fest, dass einige der Redner von damals die munity einen „Aktionsplan für Gleichstellung und Wortgeber für die Argumente von heute sind. Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“ entworfen. Gerade weil wir immer noch Sonderfor- Wir haben einen langen Weg hinter uns. Seit 2001 men haben und damit das Signal setzen, diese seien gibt es das Lebenspartnerschaftsgesetz. Das war ein etwas anderes, ist es wichtig, dass wir weiterhin kon- Schritt in die richtige Richtung, sozusagen die erste tinuierlich gegen die in der Gesellschaft vorhandene Etappe auf dem Weg zu einer vollständigen Gleich- Homophobie auftreten und ihr etwas entgegenset- stellung. Letztere brauchen wir noch. Dafür müssen zen; denn es gehört zu den Grundrechten eines je- wir die gesetzliche Grundlage schaffen. den, in einer gleichgeschlechtlichen Lebensform zu Wenn ich Revue passieren lasse, welches Familien- leben. Das Recht, die Ehe einzugehen, möchten wir bild Sie in Ihrem Redebeitrag gezeichnet haben, Herr auch diesen Menschen ermöglichen. Deswegen ist es Professor Bausback, dann komme ich zu dem Ergeb- wichtig, dass wir die Öffnung der Ehe heute, nach nis, dass genau dieser Punkt Gegenstand der Kontro- 25 Jahren Diskussion, auf den Weg bringen. verse in der öffentlichen Diskussion ist. Es geht um Ich bin froh darüber, dass wir in den Ausschüssen die Frage: Haben wir noch das Bild einer Familie weitere intensive Diskussionen führen werden. Dabei – und wollen wir es auch rechtlich untermauern –, die wird es insbesondere um die Frage gehen, ob Ihre ausschließlich aus Vater, Mutter und Kind bestehen Rechtsauffassung, Herr Professor Bausback, dass wir kann, oder entspricht unser Familienbild der Fami- eine Grundgesetzänderung brauchen, zutrifft. Sie lienrealität in unserem Land? In Ihrem Beitrag war wissen, dass viele Rechtsauffassungen konträr dazu nur von der Verantwortungsgemeinschaft von Vater, (B) stehen; demnach wäre eine Verfassungsänderung (D) Mutter und Kind beziehungsweise von der Ehe zwi- nicht notwendig. Die Diskussion wird auf Ausschuss- schen Mann und Frau die Rede. Alleinerziehende und Menschen in gleichgeschlechtlichen Lebensfor- ebene geführt. men kamen bei Ihnen nicht vor. All das ist für Sie Das ist aber nicht Kern der Diskussion. Sie müssen nicht gleichwertig mit Familie. Mit dieser Haltung über Ihren Schatten springen, den Menschen die ge- verkennen Sie die Lebensrealität und die Tatsache, wünschten Lebensformen ermöglichen und hier die dass viele Menschen andere Lebensmodelle wählen. Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben bewir- Ihr Ehebild und Ihre Vorstellung von Familie waren ken. – Herzlichen Dank. in der Vergangenheit, als wir eine andere gesell- schaftliche Realität hatten, völlig berechtigt. Die Rea- lität hat Sie überholt. Der besondere rechtliche Präsident Volker Bouffier: Vielen Dank, Frau Kol- Schutz der Ehe muss sich auf alle Eheformen bezie- legin! hen, die in unserer Gesellschaft gelebt werden. Das Nach Ihnen hat Frau Ministerin Rundt aus Nieder- heißt, wir brauchen tatsächlich die Öffnung der Ehe, sachsen das Wort. nicht aber weitere kleine Veränderungen an allen Gesetzen, die aus weiteren Veränderungen des Ge- setzes über eingetragene Lebenspartnerschaften re- Cornelia Rundt (Niedersachsen): Herr Präsident! sultieren. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Mi- nisterpräsidentin Dreyer hat in ihrer Rede zu dem Sie haben des Weiteren klar gesagt, die Initiative Gesetzentwurf des Landes Rheinland-Pfalz zur recht- zur Öffnung der Ehe bedeute die Demontage der tra- lichen Gleichstellung von homosexuellen mit hetero- ditionellen Familie. Ich knüpfe an die Redebeiträge sexuellen Partnerschaften bereits einen Abriss gege- von Ministerpräsident Kretschmann und Ministerprä- ben. sidentin Dreyer an: Die traditionelle Familie wird da- mit nicht demontiert. Die Ehe wird nicht abgeschafft, Mit unserer aktuellen Entschließung fordern wir sondern um eine Form erweitert. Wir hätten den Fa- die Bundesregierung auf, die nach wie vor beste- milienschutz auch nach Öffnung der Ehe. Vor allen hende Benachteiligung gleichgeschlechtlicher Paare Dingen würden die Kinder den vollständigen Schutz zu beenden und die vollständige Gleichbehandlung und die Geborgenheit, die eine Familie gibt, erleben, der Ehe von gleich- und verschiedengeschlechtlichen ob sie nun in einer Ehe aus Mann und Mann oder Paaren im gesamten Bundesrecht herzustellen. Dies Frau und Frau groß werden. umfasst die Öffnung der Ehe durch Änderung des Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 213 Cornelia Rundt (Niedersachsen) (A) (C) Bürgerlichen Gesetzbuches und damit die Schaffung hier geht. Die vollständige rechtliche Gleichstellung eines vollen gemeinschaftlichen Adoptionsrechts ist nämlich erst der Anfang. auch für gleichgeschlechtliche Paare. Diskriminierungsverbote und Rechtsangleichun- Die Niedersächsische Landesregierung hat am gen allein reichen nicht aus, um Abwertung, tief ver- 2. Juni eine entsprechende Bundesratsinitiative auf wurzelten Vorurteilen und irrationalen Ängsten zu den Weg gebracht, der erfreulicherweise die Länder begegnen. Von Ausgrenzung betroffen sind übrigens Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Ham- nicht nur Lesben und Schwule, sondern auch Bisexu- burg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schles- elle sowie intergeschlechtliche und transgeschlecht- wig-Holstein und Thüringen beigetreten sind. liche Menschen, die ich an dieser Stelle auch gern benennen will. Gleichgeschlechtlichen Paaren ist bis heute die Ehe verwehrt, was eine konkrete rechtliche, vor allen Die rechtliche Gleichstellung ist eine notwendige, Dingen aber auch symbolische Diskriminierung von aber nicht hinreichende Bedingung, um tatsächliche Menschen auf Grund ihrer sexuellen Identität dar- Gleichstellung zu erreichen. Um eine Kultur der stellt. Wertschätzung und Akzeptanz, der Freude an Viel- falt auf den Weg zu bringen, ist die vollständige Es geht uns ausdrücklich nicht um einen Angriff rechtliche Gleichbehandlung aber notwendig. auf die Ehe – das will ich in Richtung Bayern sagen –; Die Liste der Prominenten, die von Bundeskanzle- denn niemandem wird etwas weggenommen, nie - rin und CDU-Chefin Angela M e r k e l die Öffnung mand wird schlechtergestellt. der Ehe fordern, ist lang. „Mehr als 150 Persönlich- Der grundrechtliche Schutz von Ehe und Familie ist keiten aus Politik, Sport, Kultur, Wissenschaft und uns ebenfalls sehr wichtig, aber wir interpretieren Wirtschaft hätten die Internet-Petition ,Es ist Zeit!‘ Ehe und Familie zeitgemäß, nicht rückwärtsgewandt. unterschrieben, um eine Abstimmung im Bundestag Angesichts des gesellschaftlichen Wandels und der ohne Fraktionszwang zu erreichen“, schrieb „Spiegel damit verbundenen Änderung des Eheverständnisses Online“ am 1. Juni. gibt es keine haltbaren Gründe, gleichgeschlechtli- Niedersachsen hat dies bereits im Jahr 2013 im che und nicht gleichgeschlechtliche Paare unter- Landtag umgesetzt. Damals wurde die Abstimmung schiedlich zu behandeln und an dem Ehehindernis auch in der CDU-Fraktion freigegeben. Ich würde der Gleichgeschlechtlichkeit festzuhalten. mich freuen, wenn Gleiches auch im Bundestag pas- sieren könnte. Als wir zu demselben Thema an gleicher Stelle vor zwei Jahren zusammenkamen, gingen wir noch da- Die Niedersächsische Landesregierung unterstützt von aus, dass auch in Deutschland die Öffnung der wie vor zwei Jahren vorbehaltlos die vollständige (B) Ehe für lesbische und schwule Paare bevorstehe. Lei- Gleichstellung von Lesben und Schwulen und geht (D) der ist es dazu nicht gekommen. Vielmehr hat aus- mit ihrer Bundesratsinitiative sowohl rechtlich als schließlich das Bundesverfassungsgericht die Berli- auch gesellschaftlich in die Offensive, um eine Öff- ner Politik bei diesem Thema salamischeibchenweise nung der Ehe in Deutschland endlich auf den Weg zu bestimmt – durch Entscheidungen zu Gunsten von bringen. – Vielen Dank. Lebenspartnerschaften, zum Beispiel zur rechtlichen Gleichstellung beim Ehegattensplitting, beim Famili- Präsident Volker Bouffier: Vielen Dank, Frau Kol- enzuschlag für verpartnerte Beamtinnen und Beamte legin! oder im Grunderwerbsteuerrecht. Bevor wir unsere Debatte mit dem Beitrag der Viel getan hat sich dagegen in diesen zwei Jahren Zweiten Bürgermeisterin der Freien und Hansestadt auf europäischer Ebene, sei es in Frankreich, in Hamburg fortführen – Frau Kollegin Fegebank, einen Luxemburg, in England und in Schottland, sei es kleinen Moment noch; Sie kommen gleich dran –, – wie jüngst – in Irland oder demnächst in Finnland. möchte ich die Aufmerksamkeit des Hauses auf die Alle diese Länder haben in der Zwischenzeit die Öff- Ehrentribüne lenken. Wir haben die Freude, dass der nung der Ehe für alle beschlossen, das heißt, inzwi- Vorsitzende des Hohen Rates der Gebietskörper- schen haben insgesamt 14 europäische Staaten die schaften der Republik Mali, Seine Exzellenz Herr Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet. Oumarou Ag Mohamed Ibrahim Haidara, mit einer Wir alle sollten an der Charta der Grundrechte der hochrangigen Delegation Platz genommen hat. Ex- EU festhalten und sie ernst nehmen. Insbesondere zellenz, wir freuen uns, dass Sie mit Ihrer Delegation dem darin formulierten Grundsatz der Würde des heute zu Gast sind. Ich heiße Sie im Bundesrat herz- Menschen und dem Gleichheitsgrundsatz sollten Ta- lich willkommen. ten folgen. (Beifall) Wir brauchen endlich die volle rechtliche Gleich- Wir haben einen intensiven Austausch zwischen stellung; denn eines muss klar sein: Solange der der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Staat selber diskriminiert, also unterscheidet, leistet Mali. Auch in sehr schwierigen Fragen haben wir er- er sowohl direkt als auch indirekt einen Beitrag zur folgreich zusammengearbeitet. Sie haben Gespräche gesellschaftlichen Diskriminierung. Die Bundesre- in Erfurt, in Weimar und in Berlin geführt. Wir freuen gierung muss sich dessen bewusst sein, damit wir uns, dass Sie erneut im Bundesrat sind; damals waren uns endlich der Arbeit widmen können, um die es Sie noch in Bonn zu Gast. Ich wünsche Ihnen einen 214 Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 Präsident Volker Bouffier (A) (C) erfolgreichen Aufenthalt. Ihnen und den Bürgerin- hen, die für mich deutlich machen, dass Sie mit Ihrer nen und Bürgern Ihres Landes alles Gute! Argumentation in einer Zeit stehen geblieben sind, die nichts mehr mit dem Jahr 2015 zu tun hat. Meine Damen, meine Herren, ich begrüße bei die- ser Gelegenheit auch unsere Zuhörerinnen und Zu- Sie sprachen von einem Angriff auf die Ehe. Die hörer. Einen besonderen Gruß will ich aussprechen: Ehe wird aber als solche nicht angegriffen, sondern Wie Sie wissen, haben wir anlässlich des Tages der erweitert, und zwar für Menschen, die füreinander Deutschen Einheit am 3. Oktober – im vergangenen einstehen wollen, die Verantwortung füreinander Jahr fand er in Hannover statt – immer Gäste und übernehmen wollen, im Hier und Jetzt, im Alter, die veranstalten Preisausschreiben. Ich freue mich sehr, gemeinsam Kinder erziehen wollen, die gemeinsam dass diese Initiative im Volk gut ankommt, und be- Familie leben wollen. Die Familie und die Ehe sind grüße Frau Karin und Herrn Thies W i l l e k e aus durch das Grundgesetz geschützt. Hier geht es nur Lehrte. Das sind die Gewinner. Sie sind heute bei darum, die Ehe für Menschen, die den Wunsch ha- uns. Sie haben einen Berlin-Aufenthalt gewonnen, ben, zusammenzuleben und füreinander einzuste- und der Höhepunkt dieses Aufenthalts ist natürlich hen, zu erweitern. der Besuch des Bundesrates. Sie argumentieren, der Schutz der Grundrechte (Heiterkeit) Einzelner sei durch den Angriff auf die Ehe nicht Seien Sie herzlich willkommen! Wir freuen uns, mehr gewährleistet. Dieses Argument läuft ins Leere, dass Sie heute alle dabei sind. weil es genau darum geht, für Freiheit und Selbstbe- stimmung des Einzelnen einzustehen und Diskrimi- (Beifall) nierung abzubauen. Der Wert der Ehe wird dadurch, Wir setzen die Debatte nun fort. Nächste Rednerin dass sie sowohl für zwei Männer oder zwei Frauen ist die Zweite Bürgermeisterin der Freien und Hanse- als auch für einen Mann und eine Frau möglich wird, stadt Hamburg, Frau Kollegin Fegebank. Bitte sehr. betont.

Dass sich in den vergangenen Jahren viele kleine Katharina Fegebank (Hamburg): Herr Präsident! Schritte in Richtung Gleichstellung ergeben haben, Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei so vielen promi- ist nicht nur dem Engagement des Gesetzgebers zu nenten Zuschauern ist man bei seiner Jungfernrede verdanken, sondern es sind natürlich Entscheidun- gleich doppelt nervös. gen des Bundesverfassungsgerichts gewesen, die im- Auch von mir ein herzliches Willkommen hier in mer und immer wieder Druck auf die politische De- diesem Haus! batte gemacht haben.

(B) Wenn man am Ende der Debatte über ein solch Ich glaube, dass die Gesellschaft hier schon viel (D) entscheidendes Thema spricht, kann man wenig weiter ist. Spätestens – das haben meine Vorredne- neue Argumente vorbringen. Eigentlich kann man rinnen und Vorredner bereits angesprochen – mit nur alte schärfen und besonders hervorheben. Ich dem Referendum in Irland ist ein bestimmtes Mo- möchte mit der Frage beginnen, was sich für hetero- mentum erreicht worden. In den Wochen nach dem sexuelle Paare änderte, würde man die Ehe für alle Referendum habe ich in der Debatte bei uns in Ham- öffnen. Für diese Menschen änderte sich nichts; aber burg festgestellt, dass nunmehr erwartet wird, dass für viele andere Menschen, die seit vielen Jahren da- die Politik den nächsten Schritt geht. Ich verstehe rauf warten, rechtlich vollständig gleichgestellt zu auch die Ungeduld, ich verstehe das Unverständnis werden, wird sich vieles verändern, was die Aner- von Schwulen und Lesben, von homosexuellen Paa- kennung und die Akzeptanz angeht. Ich finde, das ren, die meinen, dass jetzt etwas passieren muss. müssen wir bei unseren politischen Debatten immer im Hinterkopf haben. Zwölf Länder in Europa haben die Ehe für alle. Auch Brasilien und Uruguay sind angesprochen wor- Der Hamburger Senat hat sich sehr früh, schon im den. Wir waren einmal weit vorn, und wir lassen uns Jahr 1999, auf den Weg gemacht. Frau Ministerin jetzt von anderen europäischen Ländern abhängen. Steffens sprach soeben an, dass wir bereits seit Ich finde, wir müssen auch aus diesem Haus ein 25 Jahren die Debatte über die vollständige Gleich- Signal senden. Deshalb freue ich mich, dass der stellung gleichgeschlechtlicher Paare führen. Die Hamburger Senat sowohl die Entschließung als auch Hamburger Ehe von 1999 mündete im Jahr 2001 in den Gesetzentwurf nicht nur unterstützt, sondern das bundesweite Lebenspartnerschaftsgesetz. Diesen auch Mitantragsteller ist, um nun einen Schritt vo- Kampf, die Auseinandersetzung für die vollständige ranzukommen. Gleichstellung führen wir immer wieder auf unter- schiedlichen Ebenen. Die Gesellschaft ist viel weiter als einige politische Kräfte. Ich finde, jeder und jede sollte nach seiner Ich muss sagen, dass ich in der heutigen Debatte Fasson glücklich werden. Der Staat sollte sich nicht kein stichhaltiges Argument gehört habe, das sich einmischen. Er sollte die Rahmenbedingungen dafür gegen die Öffnung der Ehe und gegen die vollstän- schaffen, dass es möglich ist, Diskriminierung abzu- dige und umfassende rechtliche Gleichstellung ge- bauen und zur vollständigen Gleichstellung zu kom- richtet hätte. men. Das passt in eine moderne Gesellschaft, die Ich habe Ihnen, Herr Staatsminister Bausback, sehr nach vorn guckt und nicht im Gestern stehen bleibt. – genau zugehört und möchte auf einige Punkte einge- Vielen Dank. Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 215

(A) (C) Präsident Volker Bouffier: Vielen Dank, Frau Kol- schließt sich zwar, aber sie schließt sich nur sehr legin! langsam. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Das ist mit Blick auf das, was Union und SPD 2013 bei der Bildung der heutigen Bundesregierung ver- Punkt 47 a) Ich weise die Vorlage unter dem einbart haben, nämlich die vollständige Rentenan- Rechtsausschuss Aus- – federführend – sowie dem gleichung bis Ende des Jahrzehnts, ein sehr kriti- schuss für Frauen und Jugend, Ausschuss für dem scher Befund. Der Vertrag, den Union und SPD Familie und Senioren Innenausschuss und dem seinerzeit geschlossen haben, trifft klare Aussagen. mitberatend – zu. – Ich zitiere: Ausschussberatungen zu der Vorlage unter Der Fahrplan zur vollständigen Angleichung, Punkt 47 b) haben noch nicht stattgefunden. Nieder- gegebenenfalls mit einem Zwischenschritt, wird sachsen hat beantragt, bereits heute in der Sache zu in einem Rentenüberleitungsabschlussgesetz entscheiden. Wer für die sofortige Sachentscheidung festgeschrieben: ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Mehrheit. Zum Ende des Solidarpakts, also 30 Jahre nach Herstellung der Einheit Deutschlands, wenn die Damit kommen wir zur Entscheidung in der Sache. Lohn- und Gehaltsangleichung weiter fortge- Ich frage daher, wer die Entschließung fassen schritten sein wird, erfolgt in einem letzten möchte. Ihr Handzeichen bitte! – Das ist die Mehr- Schritt die vollständige Angleichung der Ren- heit. tenwerte. Damit hat der Bundesrat die Entschließung gefasst. Es heißt weiter: Ich rufe Tagesordnungspunkt 33 a) auf: Zum 1. Juli 2016 wird geprüft, wie weit sich der Angleichungsprozess bereits vollzogen hat und Verordnung zur Bestimmung der Rentenwerte in auf dieser Grundlage entschieden, ob mit Wir- der gesetzlichen Rentenversicherung und in der kung ab 2017 eine Teilangleichung notwendig Alterssicherung der Landwirte zum 1. Juli 2015 ist. (Rentenwertbestimmungsverordnung 2015 – RWBestV 2015) (Drucksache 206/15) Meine Damen und Herren, die aktuelle Entwick- lung der Rentenwerte zeigt bereits heute sehr deut- Das Wort hat der Ministerpräsident von Mecklen- lich, dass wir allein über die Lohnentwicklung bis burg-Vorpommern, Herr Kollege Sellering. Ende 2019 nicht zum Ziel kommen werden. Wir brau- chen eine gesetzliche Regelung. Und die Zahlen zei- (B) Erwin Sellering (Mecklenburg-Vorpommern): Sehr gen sehr deutlich: Wir brauchen 2017 einen Zwi- (D) geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! schenschritt. Nur so werden wir zu einer Lösung Wir beraten heute über die Verordnung der Bundes- kommen, die in Ost und West die notwendige Akzep- regierung zur Bestimmung der Rentenwerte in der tanz der Bevölkerung findet. gesetzlichen Rentenversicherung. Ich habe mich deshalb sehr gefreut, dass der Bun- Die Verordnung sieht vor, dass die Renten zum desrat im Februar einen Beschluss gefasst hat, in dem 1. Juli in den westdeutschen Ländern um 2,1 und in wir die Bundesregierung zur Einrichtung einer Bund- den ostdeutschen Ländern um 2,5 Prozent steigen. Länder-Arbeitsgruppe aufgefordert haben, um ge- Ich denke, das ist eine gute Nachricht für alle Rent- meinsam Lösungsvorschläge für dieses zugegebener- nerinnen und Rentner in ganz Deutschland. Ange- maßen komplizierte Thema zu erarbeiten. Ich bin sichts einer Preissteigerungsrate von aktuell 0,7 Pro- sehr dankbar dafür, dass der damalige Antrag die zent bedeutet das eine tatsächliche Besserstellung Unterstützung nicht nur der ostdeutschen Länder ge- für die meisten Rentnerhaushalte bei uns im Land. funden hat – das ist eine Selbstverständlichkeit –, sondern dass auch eine Reihe westdeutscher Länder Die Bundesregierung folgt mit dem Vorschlag der zugestimmt hat. Das zeigt: Die Rentenangleichung ist gesetzlichen Vorgabe, die die Entwicklung der Ren- nicht allein ein Ost-Anliegen, sondern eine wichtige ten sehr weitgehend an die Entwicklung der Löhne Frage für ganz Deutschland. koppelt. Selbstverständlich wird Mecklenburg-Vor- pommern – wie Sie alle, nehme ich an – zustimmen. Leider hat die Bundesregierung bislang auf das von uns ausgesandte Signal nicht reagiert. Im Ge- Meine Damen und Herren, ich möchte auf Folgen- genteil! Es hat vor einigen Tagen Äußerungen des des hinweisen: Bundesfinanzministers gegeben, die man zumindest so verstehen kann, als ob einige in der Bundesregie- Die Kopplung der Renten an die Löhne ist der rung das Ziel der Rentenangleichung bis Ende des Grund dafür, dass der Anstieg in den ostdeutschen Jahrzehnts und Prüfung eines Zwischenschritts noch Ländern etwas stärker ausfällt als in den westdeut- einmal in Frage stellen wollen. Dazu sage ich klar: schen. Aber man darf sich dadurch nicht täuschen Das wäre eine fatale Entscheidung. lassen: Auch nach der Anpassung bleibt der Renten- wert Ost mit 27,05 Euro deutlich hinter dem Renten- Es hat schon einmal eine Bundesregierung gege- wert West mit 29,21 Euro zurück. Der Rentenwert Ost ben, nämlich die aus Union und FDP, die zu Beginn liegt damit bei 92,6 Prozent des Rentenwerts West. ihrer Amtszeit eine Lösung des Problems angekün- Das bedeutet: Die Schere zwischen Ost und West digt hatte und den Worten dann keine Taten folgen 216 Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 Erwin Sellering (Mecklenburg-Vorpommern) (A) (C) ließ. Das darf nicht noch einmal passieren. Wir müs- Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17: sen jetzt eine Lösung für die Rentenangleichung fin- den. Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland Deshalb begrüße ich es, dass uns heute eine Emp- (Hospiz- und Palliativgesetz – HPG) (Drucksa- fehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialpolitik che 195/15) vorliegt, die unseren Beschluss vom Februar bekräf- tigt. Ich sage: Wir brauchen diese Arbeitsgruppe. Wir Zunächst hat Frau Ministerin Steffens aus Nord- sollten frühzeitig mit der Suche nach Lösungen be- rhein-Westfalen das Wort. ginnen. Deshalb werbe ich sehr für die Ausschuss- empfehlung. Manchmal muss man Signale eben zweimal aussenden, damit sie bei der anderen Seite Barbara Steffens (Nordrhein-Westfalen): Herr Prä- auch wirklich ankommen. sident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hospizar- beit und Palliativmedizin brauchen ein solides Fun- Ich bitte Sie alle, dies zu unterstützen. Das ist – da dament; denn schwerstkranke und sterbende können Sie sicher sein – eine Bitte aller ostdeutschen Menschen müssen sich auf eine gute, würdige Ver- Ministerpräsidenten. Die Kollegen Haseloff und sorgung am Lebensende verlassen können. Tillich, die heute nicht anwesend sein können, haben mich ausdrücklich gebeten, auch in ihrem Namen Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, dafür die not- klarzumachen, dass dies eben keine A/B-Problema- wendigen Strukturen zu schaffen. Für Menschen, die tik, sondern parteiübergreifend unser gemeinsames an einer lebensverkürzenden Krankheit leiden und Anliegen ist. sich mit dem eigenen Sterben und Tod auseinander- setzen, ist es wichtig, dass es Menschen gibt, die für Meine Damen und Herren, wir feiern im Herbst sie da sind. Wir wissen, dass diese Lebensphase von 25 Jahre deutsche Einheit. Ich bin fest davon über- großen Ängsten geprägt ist, besonders von der Angst zeugt, dass wir eine positive Bilanz ziehen können. vor Schmerzen, die ihnen unter Umständen nicht Die ostdeutschen Länder haben einen gewaltigen genommen werden. Sie brauchen diese Menschen, Aufholprozess durchlaufen. Sie haben enorm an damit sie ihnen die Schmerzen lindern, ohne über- Wirtschaftskraft gewonnen. Die Arbeitslosigkeit ist flüssige und belastende Therapieversuche zu unter- so niedrig wie nie zuvor. Ich denke, dass wir auch nehmen, Menschen, die mit ihnen offen über ihre eine positive Bilanz des Zusammenwachsens von Ost Ängste sprechen und so den Prozess des Abschied- und West ziehen können. Aber es gibt noch einige nehmens erleichtern und begleiten. Sie brauchen Punkte, die zu erledigen sind, um die innere Einheit Menschen, die sie darin unterstützen, so viel wie zu vollenden. Dabei steht für mich die Angleichung möglich weiterhin selbst zu entscheiden und damit der Renten an erster Stelle. ein Stück Lebensqualität zu erhalten, die Rat auch (B) (D) Dies ist in Ostdeutschland nicht allein ein Thema für die Angehörigen haben, damit auch diese in die- für die ältere Generation, die unmittelbar betroffen ser Phase stark sind und begleitet werden. ist. Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass auch viele Der heute zur Debatte stehende Gesetzentwurf eb- Jüngere die unterschiedlichen Renten in Ost und net den Weg für eine bessere Hospiz- und Palliativar- West als Ungerechtigkeit betrachten. Deshalb halte beit vor Ort. ich es für sehr wichtig, dass wir die Rentenanglei- chung gerade jetzt, 25 Jahre nach der deutschen Ein- Es ist richtig und wichtig, dass der Gesetzentwurf heit, erkennbar voranbringen. Lassen Sie uns den auch den Palliativbereich in Pflegeheimen in den Weg, den wir im Februar gemeinsam eingeschlagen Blick nimmt. Nur: Die gute Intention des Gesetzent- haben, fortsetzen! – Vielen Dank. wurfs kommt im Bereich der pflegerischen Versor- gung durch Pflegeheime leider zu kurz. Verbesserun- gen in der Hospiz- und Palliativversorgung erreichen Präsident Volker Bouffier: Vielen Dank, Herr Kol- wir nur dann, wenn wir einerseits ausreichende Qua- lege! lifikation und Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. und Mitarbeiter sicherstellen, andererseits eine an- gemessene Struktur, Organisation, Vernetzung der Wir kommen zur Abstimmung. Hierzu liegen Ihnen Einrichtungen mit unterschiedlichen Fachexpertin- die Ausschussempfehlungen vor. Die beteiligten nen und -experten aus dem ambulanten und statio- Ausschüsse empfehlen unter Ziffer 1, der Verord- nären Bereich, der Ärzteschaft, den Hospiz- und Pal- nung zuzustimmen. liativdiensten gewährleisten. Wer dieser Empfehlung folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das scheint mir einstim- Wir brauchen Multiprofessionalität und die Vernet- mig zu sein. zung der Strukturen; denn die Auswirkungen des de- mografischen Wandels verändern die stationäre wie Der Bundesrat hat der Verordnung zugestimmt. die ambulante Pflege. Vor allen Dingen verändern sie die Struktur der Pflegebedürftigen in den Pflegehei- Wir haben noch über die Entschließung unter Zif- men. Das hat mit unserer höheren Lebenserwartung fer 2 der Ausschussempfehlungen zu befinden. Wer und damit zu tun, dass die Menschen länger in der dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist eigenen Häuslichkeit und anderen Strukturen leben die Mehrheit. wollen. Deswegen ist der versorgungsintensive Be- Damit ist die Entschließung gefasst. darf in der stationären Pflege bezüglich Pflegeleis- Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 217 Barbara Steffens (Nordrhein-Westfalen) (A) (C) tungen und medizinischer Leistungen sehr viel höher derungen haben. Nach meiner Überzeugung dürfen geworden. wir die Pflegebedürftigen, ihre Angehörigen oder die Träger der Sozialhilfe damit nicht alleine lassen und 40 Prozent der Menschen sterben in der stationären sie finanziell weiter belasten. Wir müssen die Frage Pflege. Wir wissen, dass in einem großen Teil der der Finanzierung gemeinsam stellen. Sie reicht über Pflegeheime die Verweildauer mittlerweile drei bis das SGB XI hinaus. fünf Monate beträgt. Diese letzte Phase, diese letzte Begleitungsphase ist eine Kernaufgabe der Mitarbei- Ich habe es schon gesagt: Die Vorschriften der ter und Mitarbeiterinnen in den Pflegeheimen. Da- §§ 28 und 75, um die es in dem Gesetzentwurf geht, durch ist die Personalintensität gewachsen. beziehen sich auf den stationären, aber auch auf den ambulanten Versorgungsbereich. Das wird nicht Dadurch verändern sich die Anforderungen an den Beruf. Der Gesetzentwurf formuliert zu Recht die Er- wirklich mit in den Blick genommen. Die Menschen wartung, dass „bei der Erbringung von Pflegeleistun- wollen mehrheitlich ambulant versorgt werden. Sie gen den Bedürfnissen sterbender Menschen nach ei- möchten zu Hause sterben. Dafür müssen wir die ner umfassenden medizinischen, pflegerischen, Rahmenbedingungen schaffen. Auch wenn man in psychosozialen und spirituellen Betreuung und Be- unserer Runde fragen würde, wo man die letzte Le- gleitung, die der individuellen Lebenssituation und bensphase verbringen möchte, wenn man den Ort dem hospizlich-palliativen Versorgungsbedarf“ ent- wählen dürfte, würde nicht das Krankenhaus ge- spricht, Rechnung zu tragen ist. nannt, nicht das Pflegeheim, sondern die eigene Häuslichkeit, das Zuhause. Ja, diese Erwartungen sind wichtig. Die Erforder- nisse wird der Gesetzentwurf aber leider nicht reali- Wir müssen gerade für die ländlichen Regionen sieren können; er wird ihnen nicht gerecht. Denn mit Rahmenbedingungen schaffen, damit die ambulante einer begrifflichen Erweiterung der §§ 28 und 75 des Hospiz- und Palliativversorgung gewährleistet wer- SGB XI muss mehr einhergehen als eine reine ge- den kann. Das bietet der Gesetzentwurf nicht. setzgeberische Klarstellung. Das Personal in den Wenn darauf hingewiesen wird, das könnte mit der Pflegeheimen ist schon heute über die Grenzen hi- zweiten Reformstufe der Pflegegesetzgebung, mit naus belastet. Das wissen alle, die sich mit Pflege be- dem zweiten Pflegestärkungsgesetz, erfolgen, glau- fassen. An der Situation der Pflegefachkräfte geht ben selbst Optimisten nicht, dass das zu leisten ist; der Gesetzentwurf leider vorbei. Er benennt die neue Aufgabe, die neuen Anforderungen an die stationäre denn die finanziellen Mittel dafür sind in Gedanken Pflege, sagt aber nichts dazu, wie sie ohne zusätzli- und Konzepten schon jetzt mehrfach verausgabt wor- che finanzielle und personelle Ressourcen geleistet den. Hierfür wird es wahrscheinlich nicht reichen. werden soll. (B) Meine Damen und Herren, das Land Nordrhein- (D) Es ist mir unverständlich, dass wir der zunehmen- Westfalen hat in den Gesundheitsausschuss einen den Überforderung des Personals in den Pflegehei- Entschließungsantrag eingebracht, der Bestandteil men seit Jahren zusehen. Wir wissen, dass wir eine der vorliegenden Beschlussempfehlung ist. Darüber bessere Versorgung brauchen und leisten könnten, bin ich sehr froh. Wir werden aber über die Ausge- wenn wir eine andere Personalstruktur hätten. Die staltung, insbesondere über die Finanzierungsfragen, Verantwortung, hierfür die Rahmenbedingungen zu intensiv diskutieren müssen. setzen, schieben wir aber immer weiter hinaus. Das Wenn wir die Situation der Menschen in ihrer letz- demotiviert auch die Pflegekräfte. Wir kennen die ten Lebensphase nicht gemeinsam so verbessern, Beschreibung der Arbeitssituation und die Proteste dass ihnen die Ängste genommen werden und sie die der Pflegekräfte in allen Ländern. Sie sind es müde, bestmögliche Versorgung haben, öffnen wir den immer wieder die katastrophalen Bedingungen zu Raum für Sterbehilfedebatten wieder; darüber müs- beschreiben, unter denen sie zum Teil arbeiten müs- sen wir uns im Klaren sein. Ich denke, es herrscht sen. Sie verlieren langsam die Hoffnung und den Glauben an die Politik, dass wir gemeinsam Ände- Konsens unter uns, dass wir das nicht wollen. Deswe- rungen bewirken. gen müssen wir dem Gesetz dazu verhelfen, die nö- tige Wirkungskraft zu entfalten. – Herzlichen Dank. Wir müssen aber auch die pflegebedürftigen Men- schen und ihre Angehörigen vor finanzieller Überfor- derung schützen. Weil wir in der Pflegeversicherung Präsident Volker Bouffier: Vielen Dank, Frau Kol- das Teilkaskoprinzip haben, tragen sie einen sehr legin! großen Teil der Kosten. Als Nächste hat Frau Staatsministerin Puttrich aus Hessen das Wort. In stationären Einrichtungen kommen die Kosten der medizinischen Behandlungspflege hinzu; denn sie werden nicht über das SGB V erbracht. Es gibt Lucia Puttrich (Hessen): Herr Präsident! Sehr ge- derzeit keine klaren Regelungen. Wenn wir das nicht ehrte Damen und Herren! Ich möchte kurz daran an- ändern, werden die Mehrkosten unweigerlich von knüpfen, was die Vorrednerin zum Schluss angespro- den Pflegebedürftigen beziehungsweise den Trä- chen hat; denn im Herbst dieses Jahres steht eine gern der Sozialhilfe zu übernehmen sein. Also brau- Entscheidung des Deutschen Bundestages zum chen wir dringend eine Antwort auf die Frage der Thema „Sterbehilfe“ an. Es wird verschiedene Grup- Refinanzierung dessen, was wir an fachlichen Anfor- penanträge geben. Die Abgeordneten werden 218 Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 Lucia Puttrich (Hessen) (A) (C) voraussichtlich ohne Fraktionszwang abstimmen. Der alleinstehend sind, Menschen, die keine Familie ha- Bundesrat hat in der Vergangenheit schon Vor- ben. Auch wenn Familie vorhanden ist, kann es schläge gemacht, die unter anderem aus Hessen und Gründe geben, warum die letzte Lebensphase im ge- dem Saarland kamen. Die Segnungen der Medizin wohnten Umfeld nicht möglich ist. Deshalb ist es ermöglichen es, dass wir älter werden, länger leben, richtig, dass als Alternative stationäre Einrichtungen dass aber auch das Sterben länger dauert. Auch wir zur Verfügung stehen. haben uns in den letzten Wochen und Monaten damit auseinandergesetzt und in der Hessischen Landes- Die Hessische Landesregierung hat für die Be- vertretung Veranstaltungen insbesondere zum Be- schlussempfehlung, über die heute abgestimmt wird, reich „Sterbehilfe“ durchgeführt, um die ethischen Vorarbeiten geleistet. und rechtlichen Fragen zu beleuchten. Ich begrüße es, dass in dem Gesetzentwurf auf die Heute geht es im Bundesrat aber nicht um Sterbe- lange Geschichte der Hospizbewegung zurückge- hilfe, sondern um das Hospiz- und Palliativgesetz. Es blickt wird. Das erkennt an, dass Sterben und Tod soll den Menschen das Leben in der letzten Lebens- nicht weiter Tabus sein dürfen und dass die Bedürf- phase ermöglichen. Sie sollen erfahren, dass das Le- nisse und Wünsche sterbender Menschen durch Hin- ben auch von Todkranken noch Lebensqualität hat. wendung und medizinische Hilfe befriedigt werden müssen. In dieser Lebensphase geht es insbesondere Die Bundesregierung hat in ihrem Gesetzentwurf um den Respekt zwischen Angehörigen sowie den Wert darauf gelegt, dass sowohl die ambulanten als ehrenamtlich und den hauptamtlich Tätigen. Diese auch die stationären Hospizeinrichtungen gestärkt Lebensphase ist schwierig und fordert sowohl die werden. Das halten wir für richtig. Ich begrüße es Angehörigen als auch diejenigen, die pflegen. außerordentlich, dass neben den Personalkosten Sachkosten, zum Beispiel Fahrkosten ehrenamtli- Schließlich wird sich der Bundesrat dafür einset- cher Helfer – die in diesem Bereich sehr große zen, dass die Information der Bevölkerung verbessert Dienste leisten –, erstattet werden. Selbstverständlich wird. Ich glaube, dass wir gefordert sind, diesen Be- begrüße ich es auch, dass der Mindestzuschuss an reich zu verbessern und auch entsprechende Infor- stationäre Hospize erhöht werden soll. mationen an die Bevölkerung weiterzugeben.

Aber es kann hier nicht nur um Geld gehen. Im Be- Ich wünsche mir, dass die Anregungen des Bundes- reich der Palliativmedizin und der Hospize sind ins- rates Eingang in das Gesetzgebungsverfahren fin- besondere strukturelle Grundlagen zu schaffen und den. zu verbessern. Ich möchte die Stichworte nennen, die Ich hoffe aber auch, dass mit dem Gesetzentwurf, wichtig sind: verbesserte Kooperation und Vernet- über den heute beraten wird, die Debatte über die (B) zung, Koordinierung der verschiedenen Leistungsan- (D) Sterbehilfe versachlicht und die im Herbst stattfin- gebote, Information sowohl der pflegerisch Tätigen dende Abstimmung ein Stück entspannt wird. Uns al- als auch derjenigen, die Betroffene werden können. len muss klar sein: Wichtig ist, Hilfe in der letzten Ob die Maßnahmen ausreichen, wird die Zukunft Phase des Lebens, am Lebensende, zu geben, und zeigen. Aber ich bin mir sicher, dass wir gemeinsam nicht in den Vordergrund zu stellen, dass man Men- die Verantwortung haben, darauf zu achten, dass schen beim Sterben hilft. Sterben und Tod nicht aus dem Alltag ausgegrenzt Für die Hessische Landesregierung verspreche ich, werden. Deshalb kann es nicht das Ziel sein, dass die dass wir die Debatte weiterhin konstruktiv begleiten. letzte Lebensphase nur in stationäre Hospize verlegt wird. Auch an dieser Stelle gilt, dass ambulant vor Am Ende möchte ich eine Bemerkung zu den in stationär gehen muss. Wo immer es möglich ist, sol- vier Wochen anstehenden Beratungen über das len Menschen, die todkrank sind, die letzte Lebens- Krankenhausstrukturgesetz machen. Ich kann heute phase dort verbringen, wo sie es möchten, und das ist schon darauf hinweisen, dass dieses Gesetz nicht nur in der Regel das gewohnte Umfeld. Wie soeben an- Krankenhäuser stärken wird, sondern auch Hospize, gesprochen wurde, wünschen sich dies viele Betrof- indem die Vergütung von Palliativstationen an Kran- fene. kenhäusern verbessert wird und zusätzliche finan- zielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Die Dazu gehört, dass sich die Gesellschaft darauf ein- Gesundheitsminister der Länder hatten vorab Gele- stellt. Wir müssen uns als sorgende Gemeinschaft genheit, ihre Vorstellungen einzubringen. Hierfür verstehen und Konzepte umsetzen, die diesbezüglich möchte ich besonders danken. notwendig sind. Das sind neue Konzepte zum Woh- nen im Alter, die Wiederbelebung von Nachbar- Die Hessische Landesregierung wird im Detail wei- schaftshilfe, die Änderung des gesellschaftlichen Be- tere Anregungen geben. Ich freue mich auf ergebnis- wusstseins. Dazu gehört auch, dass wir verstehen, orientierte und sachliche Gespräche. – Besten Dank. dass die letzte Lebensphase uns alle fordert, und dass wir immer wieder zeigen müssen, dass das Füreinan- der-Sorgen Ausdruck von Solidarität ist. Präsident Volker Bouffier: Vielen Dank, Frau Kol- legin! Sehr geehrte Damen und Herren, wir wissen, dass es nicht jedem Menschen vergönnt ist, in seinem ge- Jetzt hat Frau Staatsministerin Bätzing- wohnten Umfeld zu sterben. Es gibt Menschen, die Lichtenthäler aus Rheinland-Pfalz das Wort. Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 219

(A) (C) Sabine Bätzing-Lichtenthäler (Rheinland-Pfalz): Lebensende, die Verbundenheit mit dem Sterbenden Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und und die Beachtung seiner Selbstbestimmung in den Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mittelpunkt ihrer Arbeit stellt. Von Anfang an war Rheinland-Pfalz begrüßt den Gesetzentwurf zur das Ehrenamt ein sehr wichtiger Teil der Hospizbe- Hospiz- und Palliativversorgung. Er enthält wichtige wegung. Daran möchte ich erinnern und die heutige Weichenstellungen, um die Versorgung der Debatte nutzen, den ehrenamtlichen Mitarbeiterin- Schwerstkranken und Sterbenden in Deutschland nen und Mitarbeitern für diese oft sehr schwierige deutlich zu verbessern. Hier sind ein neues Denken Arbeit herzlich zu danken. und ein neuer Umgang mit der letzten Phase des Le- bens erkennbar. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte daran erinnern, dass die Förderung ambulan- In diesem Jahr, in dem viele Vorhaben des Koali- ter Hospize als Leistung der gesetzlichen Kranken- tionsvertrages in Gesundheit und Pflege umgesetzt kassen im § 39a SGB V auf einer Bundesratsinitiative werden, ist dieser Schwerpunkt besonders wichtig; aus Rheinland-Pfalz beruht. Rheinland-Pfalz hatte denn die Würde des Menschen ist das zentrale Leit- bereits im Jahr 1997 die bundesweit erste Vereinba- prinzip unseres ethischen und gesellschaftspoliti- rung über die Förderung ambulanter Hospizdienste schen Handelns. Das gilt für alle Lebensphasen und durch eine gesetzliche Krankenkasse. vor allem für Situationen, in denen Menschen auf die Unterstützung durch andere angewiesen sind. Mit diesem historischen Rückgriff möchte ich da- rauf verweisen, dass die Länder für die Verankerung Das gilt auch für die letzte Lebensphase eines der Hospizkultur und den Ausbau der Palliativversor- Menschen. Die meisten wünschen sich ein Sterben gung sehr viel leisten. Da sie aber weiterhin Verbes- im vertrauten Umfeld und meinen damit die Familie serungsbedarf sehen, wird sich auf unsere Anregung und die gewohnte häusliche Umgebung. Es ist des- auch die Gesundheitsministerkonferenz in diesem halb unser Anspruch, sterbende Menschen und ihre Jahr mit der Hospiz- und Palliativversorgung in Familien in dieser Phase zu begleiten, wenn sie es Deutschland beschäftigen. wünschen. Und wenn Sterben mit Krankheit verbun- den ist, brauchen die Betroffenen die bestmögliche Weil sich jeder Mensch mit dem Thema „Sterben, medizinische Behandlung. Tod und Trauer“ auseinandersetzen muss, ist auch eine öffentliche Diskussion darüber sehr wichtig. Die Länder haben bereits sehr viel in den Aufbau Deshalb liegt ein Schwerpunkt der Empfehlungen der Versorgung investiert. Der Gesetzentwurf unter- der Länder zum vorgelegten Gesetzentwurf darin, stützt den weiteren Weg, jeder Bürgerin und jedem Beratung der Menschen in verschiedenen Stufen an- Bürger ein Sterben in Würde und nach den eigenen zubieten sowie die Öffentlichkeitsarbeit für die be- Vorstellungen zu ermöglichen. (B) sonderen Angebote am Lebensende zu verstärken. (D) Rheinland-Pfalz hat als eines der ersten Länder die Die Bürgerinnen und Bürger sollen sich sicher sein, Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterben- in allen Lebenssituationen auf eine gute Medizin, der Menschen unterzeichnet. Die Charta verfolgt vor Pflege, Betreuung und Begleitung vertrauen zu kön- allem das Ziel, die Rahmenbedingungen so zu gestal- nen. ten, dass das Leiden schwerstkranker sterbender Menschen in medizinischer, psychischer und seeli- Bei der Schaffung neuer Beratungsangebote, wie scher Hinsicht so weit wie möglich gemildert werden der Hospiz- und Palliativberatung durch die Kran- kann. kenkassen, ist es sinnvoll, die Nutzung bereits vor- handener Strukturen zu ermöglichen, um viele Infor- Die Orientierungsdebatte zur Sterbehilfe im Rhein- mationen aus einer Hand zu bekommen. Hier stellen land-Pfälzischen Landtag im März 2015 hat einen wir uns vor, dass die Krankenkassen die Beratung fraktionsübergreifenden Konsens gezeigt, nämlich und Hilfestellung für ihre Patienten in Fragen der den Hospizgedanken zu fördern; denn wir wissen aus Hospiz- und Palliativversorgung auch den Pflege- Staaten, in denen aktive Sterbehilfe möglich ist, dass stützpunkten übertragen können, die beispielsweise Motiv der Menschen, sich für aktive Sterbehilfe aus- in Rheinland-Pfalz über eine sehr gut ausgebaute In- zusprechen, oft die Angst vor Hilflosigkeit und Wür- frastruktur verfügen. delosigkeit im Alter und bei schweren Erkrankungen ist. Ich bin mir sicher, dass wir einen großen Teil die- Die Versorgungsplanung am Lebensende ist für ser Ängste nehmen können, wenn wir über ein sehr alle Menschen wichtig, nicht nur für Menschen in gutes Versorgungsnetz im Gesundheitsbereich und stationären Pflegeeinrichtungen, wie im Gesetzent- in der Pflege verfügen und darüber aufklären. Jeder wurf vorgesehen. Auch die Versorgung im häusli- Mensch mit einer schweren, lebensbegrenzenden Er- chen Bereich muss aufgenommen werden. krankung muss sich darauf verlassen können, im Krankenhaus, im Hospiz, in einer stationären Pflege- Wichtig ist es, den Zugang aller gesellschaftlichen einrichtung und zu Hause Zugang zu allgemeiner Gruppen zu den bestehenden Angeboten und Mög- oder spezialisierter Palliativversorgung zu haben, lichkeiten der hospizlichen Begleitung und palliati- wann immer er sie im Laufe seiner Erkrankung benö- ven Versorgung herzustellen. Aus diesem Grund tigt. wird die Bundesregierung aufgefordert, die Umset- zung des Hospiz- und Palliativgesetzes mit einer Die Hospizbewegung ist in diesem Prozess eine der breit angelegten Öffentlichkeitskampagne zu beglei- tragenden Säulen, die die Würde des Menschen am ten. 220 Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 Sabine Bätzing-Lichtenthäler (Rheinland-Pfalz) (A) (C) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bitte Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern sollen ge- Sie, den Empfehlungen des federführenden Gesund- stärkt werden. heitsausschusses zuzustimmen. Diese werden dazu beitragen, den vorgelegten Gesetzentwurf zu opti- Es ist richtig: Die Versicherten müssen über beste- mieren. Es gilt im Weiteren auch darauf zu achten, hende Angebote der Hospiz- und Palliativversorgung dass die Hospizbewegung einen bürgerschaftlichen gezielt informiert werden. Ursprung hat. Pflegeheimbewohnern muss eine individuelle Ver- sorgungsplanung für die letzte Lebensphase ermög- Gestorben wird an vielen Orten: zu Hause, in stati- licht werden. onären Pflegeeinrichtungen und in Einrichtungen der Behindertenhilfe. Immer noch stirbt die Hälfte al- Ich sage ausdrücklich: Das ist ein erster Schritt. ler Menschen in einem Krankenhaus. Hospiz ist eine Hier sind wir Vorreiter in Europa. Deshalb ist es eine Haltung. Hospiz brauchen und können wir alle. – wirklich große Neuerung, die wir für unser Land ein- Vielen Dank. führen wollen. Meine Damen, meine Herren, wir können auf der Präsident Volker Bouffier: Vielen herzlichen Dank, insgesamt positiven Entwicklung der Hospiz- und Frau Kollegin! Palliativversorgung der letzten Jahre aufbauen. Vie- les ist bereits in Bewegung. Dazu beigetragen hat Für die Bundesregierung hat nun die Parlamentari- nicht nur, dass über alle Parteigrenzen hinweg Ver- sche Staatssekretärin Frau Kollegin Widmann-Mauz besserungen der Hospiz- und Palliativversorgung auf das Wort. einem breiten politischen Konsens aufbauen konn- ten. Dazu beigetragen hat vor allem, dass die vielen Akteure in diesem besonderen Feld der Gesundheits- Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin politik mit großem Engagement in ihrem jeweiligen beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Präsident! Verantwortungsbereich aktiv für Fortschritte einge- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregie- treten sind und weiterhin eintreten. Dazu gehören rung und die Koalitionsfraktionen messen dem wei- auch die Länder und Kommunen, die die Hospiz- und teren Auf- und Ausbau der Hospiz- und Palliativver- Palliativversorgung in vielfältigen Aktionen in den sorgung in Deutschland hohe Bedeutung zu. Deshalb Regionen vorangebracht haben. Dafür möchte ich haben wir das erste Hospiz- und Palliativgesetz auf mich heute in diesem Kreis ausdrücklich bedanken. den Weg gebracht. Es freut mich sehr, dass laut der Beschlussvorlage Wir wollen erreichen, dass die Palliativmedizin und die Länder unseren Gesetzentwurf begrüßen und un- die Hospizkultur möglichst überall dort verwirklicht (B) terstützen. Ich kann Ihnen versichern: Wir werden (D) werden, wo Menschen sterben – zu Hause, aber auch Ihre weitergehenden Vorschläge zu unserem Gesetz- in Krankenhäusern und in Pflegeheimen, in den entwurf sorgfältig prüfen. Städten und auf dem Land. Hierzu sieht der Gesetz- entwurf gezielte Maßnahmen vor, die die Betreuung, In diesem Zusammenhang erlauben Sie mir noch die Versorgung und die Begleitung schwerstkranker ein Wort zur Hospizbewegung! Menschen in ihrer letzten Lebensphase verbessern. Unser Ziel ist es, dass ein möglichst flächendecken- Die Hospizbewegung ist durch bürgerschaftliches des Angebot an Hospiz- und Palliativleistungen zur Engagement entstanden und wird vielerorts von Eh- Verfügung steht, auch in strukturschwachen und renamtlichen getragen. Das ist eine wichtige Grund- ländlichen Regionen. bedingung, die wir bei der Erarbeitung des Gesetzent- wurfs mit den Verbänden im Forum „Palliativ- und Dementsprechend zielen die Maßnahmen darauf Hospizversorgung in Deutschland“ beachtet haben. ab, in strukturschwachen und ländlichen Regionen die Palliativversorgung weiter auszubauen und die Mit dem Gesetzentwurf stärken wir die Zusam- Hospizbewegung zu unterstützen. menarbeit und die Vernetzung der verschiedenen Berufsgruppen und ehrenamtlich Tätigen in der me- Wir wollen erreichen, dass die Vernetzung von An- dizinischen, pflegerischen und hospizlichen Versor- geboten der medizinischen und der pflegerischen gung; denn neben der Arbeit der ausgebildeten Pfle- Versorgung sowie der hospizlichen Begleitung si- gekräfte und der Ärztinnen und Ärzte werden chergestellt und die Kooperation der daran beteilig- Ehrenamtliche auch weiterhin eine bedeutende Rolle ten Leistungserbringer gewährleistet wird. einnehmen, wenn es darum geht, Menschen in ihrer letzten Lebensphase zu begleiten. Die gezielten Wir wollen die Palliativversorgung als Teil der Re- Maßnahmen zur Förderung ambulanter Hospizarbeit gelversorgung in haus- und fachärztlicher Versor- und stationärer Hospize sowie zur Vernetzung der gung sowie im Rahmen der häuslichen Kranken- verschiedenen Angebote sind damit gleichzeitig An- pflege verankern und die spezialisierte ambulante erkennung und Stärkung von ehrenamtlichem Palliativversorgung – besser bekannt unter der Ab- Engagement. kürzung SAPV – flächendeckend verbreiten. Ich freue mich auf die gemeinsamen Beratungen in Die finanzielle Förderung stationärer Hospize und der kommenden Zeit und bedanke mich für die Un- ambulanter Hospizdienste soll verbessert, die Pallia- terstützung und die breite Zustimmung zu unserer tivversorgung und die Hospizkultur in stationären Initiative. Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 221

(A) (C) Präsident Volker Bouffier: Vielen Dank! Als Nachbar beider Länder muss mich das hoffentlich nicht besorgen. Frau Parlamentarische Staatssekretärin, bei allem Verständnis für Gender und sonstige Bemühungen, (Heiterkeit) möchte ich allein wegen der Korrektheit des Proto- Ich halte jedenfalls fest: Es gibt keine Mehrheit. kolls klarstellen: Sie haben Ihre Rede mit „Frau Prä- sidentin“ begonnen. Noch ist es ein Präsident! – Das Damit kommen wir zu den Ausschussempfehlun- dient nur dem Protokoll. gen: (Heiterkeit) Ziffer 2! – Mehrheit. Wir haben heute Morgen eine engagierte Debatte Ziffer 3! – Minderheit. darüber geführt, wie wir nicht diskriminieren und al- Ziffer 4! – Minderheit. les möglichst intelligent regeln. – Spaß beiseite, das dient nur dem Protokoll. Ziffer 5! – Mehrheit. Bevor wir zur Abstimmung kommen, will ich zwei Ziffer 6! – Mehrheit. Bemerkungen machen. Die erste Bemerkung – viel- Ziffer 7! – Mehrheit. leicht ist das auch Ihnen aufgefallen – geht an uns alle, die zweite geht an die Zuhörer, insbesondere an Ziffer 9! – Mehrheit. die Schülerinnen und Schüler, die ich herzlich be- Ziffer 11! – Mehrheit. grüße. Ziffer 12! – Mehrheit. Es geht um ein Thema, das extrem ernst ist: Hos- piz- und Palliativgesetz, also würdiges Sterben. Dazu Ziffer 14! – Mehrheit. haben – ich erwähne das, damit kein Missverständnis Ziffer 15! – Mehrheit. aufkommt – ausschließlich Frauen gesprochen. Es ist aber ein Thema, das uns alle angeht. Ich will das be- Ziffer 16! – Mehrheit. wusst sagen, damit nicht der Eindruck entsteht, dass Bitte Ihr Handzeichen für alle noch nicht erledigten es nur Frauen angeht. Ich habe nämlich festgestellt, Ziffern der Ausschussempfehlungen! – Das ist die dass das bei unseren Zuhörern zum Thema geworden Mehrheit. ist. Das ist ganz und gar nicht der Fall, sondern es liegt daran, dass die Zuständigkeiten in den einzel- Damit hat der Bundesrat zu dem Gesetzentwurf, nen Landesregierungen so sind, wie sie sind, und wie soeben beschlossen, Stellung genommen. sich die Anwesenheit heute so ergeben hat. Das Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: möchte ich zum einen sagen. (B) Gesetz zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz) (D) Zum Zweiten kommen wir jetzt zur Abstimmung. (Drucksache 222/15) Ich habe es neulich schon einmal gesagt: Das, was wir jetzt machen, ist für jemanden, der nicht alles ge- Herr Minister Professor Dr. Hoff aus Thüringen hat nau vorbereitet bekommen hat, nicht zu durch- sich zu Wort gemeldet. Bitte sehr. schauen. Wir stimmen über bestimmte Ziffern ab. Die Bun- Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff (Thüringen): desregierung hat den Gesetzentwurf vorgelegt, der Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- gen! Mit dem vorgelegten Gesetz zur Tarifeinheit soll Bundesrat nimmt dazu Stellung. Zur Erarbeitung der laut Bundesregierung die Funktionsfähigkeit der Ta- Stellungnahme hat es eine Reihe von Ausschusssit- rifautonomie gesichert, der Schutz-, Verteilungs-, Be- zungen gegeben, in denen bestimmte Veränderun- friedungs- und Ordnungsfunktion tariflicher Normen gen und Ergänzungen des Gesetzentwurfs angeregt Rechnung getragen und damit der Zersplitterung des wurden. Darüber stimmen wir jetzt ab; das sind die Tarifvertragssystems entgegengewirkt werden. Um berühmten Ausschussempfehlungen. Ich rufe nicht das zu erreichen, sieht die Bundesregierung Ände- auf, worum es jeweils geht. Aber gehen Sie bitte da- rungen im Tarifvertragsgesetz und im Arbeitsge- von aus, dass alles sehr sorgfältig beraten wurde. Wir richtsgesetz vor. in der Plenarsitzung sind nur dazu aufgerufen, die Dinge nach der Aussprache zuzuordnen, damit jeder ( V o r s i t z : Amtierende Präsidentin weiß, wie es weitergeht. Das nur, damit Sie, wenn ich Dr. Angelica Schwall-Düren) jetzt die einzelnen Ziffern aufrufe und wir unter- Kernziel des Gesetzes ist es – so wird es formuliert –, schiedlich abstimmen, nicht glauben, das wär’s. Tarifkollisionen, also die Überschneidung der Gel- Wir kommen zu den Ausschussempfehlungen und tungsbereiche verschiedener Tarifverträge verschie- zu dem bayerischen Antrag zu dem Entwurf eines dener Gewerkschaften in einem Betrieb, zu vermei- Hospiz- und Palliativgesetzes. den. Jede Bahnfahrerin und jeder Bahnfahrer hat in den letzten Wochen und Monaten wahrgenommen, Ich möchte mit dem bayerischen Antrag beginnen. worum es bei den Rahmenbedingungen des Gesetzes Wer ihm zustimmt, den bitte ich um das Handzei- geht. chen. – Das ist eine ganz merkwürdige Kombination: Bayern und Thüringen. Der Grundsatz der Tarifeinheit „ein Betrieb, ein Ta- rifvertrag“ wird dazu gesetzlich geregelt. Die Funk- (Heiterkeit) tionsfähigkeit der Tarifautonomie soll sichergestellt 222 Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff (Thüringen) (A) (C) werden. Aber die Diskussion hat gezeigt, dass die prägt. Zwei Partner in unserer Koalition sehen das Positionen völlig differieren. Gesetz sehr kritisch, ein Partner hält es für zustim- mungsfähig. Bei der Frage nach Anrufung des Ver- In nicht ganz alltäglicher Einheit haben sich der mittlungsausschusses wird sich Thüringen deshalb DGB und die Bundesvereinigung der Arbeitgeber- enthalten. verbände in einer öffentlichen Anhörung des zustän- digen Bundestagsausschusses am 4. Mai 2015 klar für den Gesetzentwurf ausgesprochen. Amtierende Präsidentin Dr. Angelica Schwall- Düren: Vielen Dank, Herr Minister Professor Hoff! Ein ehemaliger Präsident des Bundesverfassungs- gerichts hat mit den beiden Institutionen gemeinsam Eine Erklärung zu Protokoll*) hat Minister die Position vertreten, dass der Gesetzgeber die Dr. Markov (Brandenburg) abgegeben. Pflicht habe, die durch das Grundgesetz garantierte Der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik emp- Koalitionsfreiheit gesetzgeberisch auszugestalten, fiehlt, den Vermittlungsausschuss nicht anzurufen. weil die Tarifautonomie ein von Normen geprägtes Ein entsprechender Landesantrag liegt ebenfalls und zweckgebundenes Grundrecht sei. Deshalb nicht vor. müsse der Gesetzgeber den unterschiedlichen Inte- ressen der zur Normsetzung befugten Parteien einen Ich stelle daher fest, dass der Bundesrat zu dem Rahmen setzen, der im Fall von Tarifkollisionen zu Gesetz einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des rechtssicheren und rechtsklaren Regelungen führe. Grundgesetzes n i c h t stellt. Aus dieser Sicht sei die im Gesetzentwurf vorgese- hene Auflösung von Tarifkollisionen kein Eingriff in Zur gemeinsamen Abstimmung nach § 29 Absatz 2 die Koalitionsfreiheit im „engeren verfassungsrecht- der Geschäftsordnung rufe ich die in dem Umdruck ) lichen Sinn“, wie Professor P a p i e r ausführte, son- 5/2015** zusammengefassten Beratungsgegen- dern eine Ausgestaltung des Tarifvertragssystems. stände auf. Es sind dies die Tagesordnungspunkte: Ein anderer ehemaliger Richter des Bundesverfas- 3, 4, 6 bis 9, 11, 16, 18, 20 bis 28, 29 a), 29 b), 31, sungsgerichts, nämlich Professor D i F a b i o , ver- 32, 33 b), 33 c), 35, 36, 38 und 42 bis 46. tritt ausdrücklich eine andere Meinung. Er hält den Wer den Empfehlungen und Vorschlägen folgen Gesetzentwurf zur Tarifeinheit für verfassungsrecht- möchte, den bitte ich um das Handzeichen. lich hochproblematisch, weil dieser einerseits das Streikrecht kleinerer Gewerkschaften weitgehend Dann ist so beschlossen. beseitigt und andererseits die in Artikel 3 Absatz 3 Wir kommen zu Punkt 5 der Tagesordnung: Grundgesetz geschützte Koalitionsfreiheit kleinerer Gewerkschaften in Frage stellt. Gesetz zur Förderung von Investitionen fi- (B) nanzschwacher Kommunen und zur Entlastung (D) Der Arbeitsrechtler Professor Wolfgang D ä u b l e r von Ländern und Kommunen bei der Auf- kritisiert, dass die Arbeitgeber künftig durch legale nahme und Unterbringung von Asylbewerbern Maßnahmen die Struktur der Arbeitnehmerseite so (Drucksache 227/15) verändern könnten, dass die vom Arbeitgeber favori- sierte Gewerkschaft die Mehrheit im Betrieb habe. Es liegen keine Wortmeldungen vor. Damit würde die Unabhängigkeit der Gewerkschaf- Der Finanzausschuss empfiehlt dem Bundesrat, ten eingeschränkt. Auf die Rahmenbedingungen des dem Gesetz zuzustimmen. Wer ist dafür? – Das ist Arbeitskampfes würde negativ Einfluss genommen. eine große Mehrheit. Es sei zudem fraglich – auch darauf hat Professor Dann ist so beschlossen. Däubler in der von mir bereits genannten Anhörung des Deutschen Bundestages hingewiesen –, wie fest- Wir kommen zu Punkt 10 der Tagesordnung: gestellt werden könne, welche Gewerkschaft denn Änderung des Erneuer- die Mehrheitsgewerkschaft sei. Zweites Gesetz zur bare-Energien-Gesetzes (Drucksache 232/15) Wenn man das konsequent zu Ende denkt, dann Gibt es Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. wird das Tarifeinheitsgesetz zu Entsolidarisierung und zu einem stärkeren Wettbewerb von Gewerk- Ich stelle fest, dass der Bundesrat einen Antrag auf schaften untereinander führen, das heißt nicht zu Be- Einberufung des Vermittlungsausschusses n i c h t triebsfrieden, sondern zu intensiveren Kontroversen stellt. im Betrieb, gegebenenfalls zu noch intensiveren Ar- beitskampfmaßnahmen außerhalb derjenigen Rege- Tagesordnungspunkt 12: lungen, die das Tarifvertragsgesetz vorsieht. In der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Tier- Geschichte der Bundesrepublik Deutschland – mein schutzgesetzes – Antrag des Landes Schleswig- Ministerpräsident hat einen Aspekt dazu ausgeführt – Holstein gemäß § 36 Absatz 2 GO BR – (Druck- kennt man aus den 60er Jahren das, was gemeinhin sache 217/15) „wilde Streiks“ genannt wird. Vielleicht erinnern Sie sich daran; ich war damals nicht Zeitzeuge. Insofern Dem Antrag Schleswig-Holsteins ist Rheinland- setzt das Gesetz keine Anreize zur Kooperation. Pfalz beigetreten. Sie merken: Es gibt zwei Sichtweisen auf ein Ge- setz. Auch die Thüringer Koalition ist von der diffe- *) Anlage 1 renzierten Sichtweise auf das vorgelegte Gesetz ge- **) Anlage 2 Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 223 Amtierende Präsidentin Dr. Angelica Schwall-Düren (A) (C) Wir haben eine Wortmeldung von Herrn Minister soll, gehen wir einen Schritt weiter und beantragen, Dr. Habeck (Schleswig-Holstein). Sie haben das die Nerztierhaltung in Deutschland zu verbieten. Wort. Bereits 1985 haben sich die Kirchen eindeutig zum Halten von Tieren positioniert; darauf nehme ich Dr. Robert Habeck (Schleswig-Holstein): Vielen auch mit Blick auf die Debatte zum ersten Tagesord- Dank, Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und nungspunkt der heutigen Sitzung Bezug. Deren Ver- Herren! Die Änderung, die wir beantragen und die treter haben damals anlässlich einer Anhörung im heute an die Ausschüsse überwiesen wird, scheint Landwirtschaftsausschuss gesagt, dass das Quälen nur ein kleines Detailproblem im Bereich des Nut- von Tieren zur Gewinnung von Luxusprodukten zens von Tieren und des Tierschutzes anzusprechen. „gänzlich unannehmbar“ sei. Das Kommissariat der Gleichwohl ist die Debatte, wie wir mit schmerz- und deutschen katholischen Bischöfe nannte es nicht zu leidempfindlichen Wesen umgehen, daran festzuma- verantworten, dass Tiere, die fühlende Wesen sind, chen. ohne ernste Gründe, etwa zum Vergnügen oder zur Herstellung von Luxusprodukten, gequält oder getö- Es ist inzwischen in der Gesellschaft keine Frage tet werden. Zwecke wie die Gewinnung von Luxus- mehr, dass Tiere, zumal Wirbeltiere, schmerz- und produkten sind nach der christlichen Ethik der leidempfindlich sind und dass wir eine ethische Mitgeschöpflichkeit, so die Kirchen, als auch nach Grundverpflichtung haben, ihnen keinen Schmerz, unseren allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen kein Leid über das erträgliche Maß hinaus zuzumu- ungeeignet, die Tötung von Pelztieren zu rechtferti- ten. So ist es auch im Tierschutzgesetz verankert. gen. Gleichwohl nutzen wir Tiere. Wir melken sie, wir Wir bringen den Gesetzentwurf ein in der Hoff- essen ihre Produkte, wir mästen sie, wir schlachten nung, dass der Bundesrat die Kraft hat, den Gesetz- sie, wir transportieren sie, und wir halten sie, um aus gebungsprozess noch einmal in Gang zu setzen. ihnen Mäntel zu machen. In dem Gesetzentwurf geht Viele Länder in Europa haben die Nerztierhaltung es darum, die Haltung von Pelztieren, besonders verboten oder sind dabei, sie zu verbieten. Ich hoffe Nerzen, zu verbieten. sehr, dass in den Ausschüssen entsprechend beraten wird und der Bundesrat ein klares ethisches Signal Das Tierschutzgesetz definiert die Rahmenbedin- aussendet. – Vielen Dank. gungen für die Haltung von Tieren so, dass es einen vernünftigen Grund dafür geben muss. Ein vernünfti- ger Grund ist nach meiner Auffassung und nach Auf- Amtierende Präsidentin Dr. Angelica Schwall- fassung unserer Landesregierung bei der Haltung Düren: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Habeck! von Pelztieren nicht gegeben. Es gibt Alternativen, (B) Weitere Wortmeldungen liegen uns nicht vor. (D) sich warm anzuziehen. Ich weise die Vorlage dem Ausschuss für Agrar- Nun kann man darüber streiten, ob bei allen ande- politik und Verbraucherschutz zu. ren Nutzungsformen der Tiere ein vernünftiger Grund gegeben ist. Genau das ist die gesellschaftli- Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 13: che Frage, die zu bewerten ist. Solange wir Fleisch Entschließung des Bundesrates zur Verordnung essen, werden wir Tiere – Schweine und Rinder – hal- über die Anforderung an die Befähigung des in ten müssen, die dann geschlachtet werden. der Lebensmittelüberwachung und Tabaküber- Bei den Nerzen stellt sich die Sache aber auch im wachung tätigen Kontrollpersonals (Lebensmit- Konkreten anders dar. Bereits 2005 hat der Gesetzge- telkontrollpersonalverordnung) – Antrag des ber eine Verordnung erlassen, wonach die Käfige Landes Schleswig-Holstein gemäß § 36 Ab- deutlich vergrößert werden mussten. Allerdings hal- satz 2 GO BR – (Drucksache 218/15) ten sich die Nerztierhalter nicht daran. Die Verord- Wir haben keine Wortmeldungen. nung ist zehn Jahre alt und wird nicht umgesetzt mit dem Verweis darauf, dass es zu teuer ist. Das sage ich Ich weise die Vorlage dem Ausschuss für Agrar- nicht ganz ohne Ironie, wenn man weiß, was Nerz- politik und Verbraucherschutz zu. mäntel kosten. Die Verdoppelung der Käfiggröße ist offensichtlich zu teuer für die Haltung. Tagesordnungspunkt 14: Entschließung des Bundesrates zur Verbesse- Um die Verordnung durchzusetzen, hat ein Kreis in rung der Wohnsituation auf Inseln – Antrag des Schleswig-Holstein, in dem Nerze gehalten werden, Landes Niedersachsen – (Drucksache 180/15) gegen die Nerztierhalter geklagt. Das Gericht hat den Nerztierhaltern insofern recht gegeben, als es Ich erteile das Wort Frau Ministerin Rundt aus Nie- gesagt hat: Eine Einschränkung der Berufsausübung dersachsen. kann nicht durch eine Verordnung erfolgen, sondern nur durch ein Gesetz. Cornelia Rundt (Niedersachsen): Frau Präsidentin! Wir bringen heute diesen Antrag ein, um endlich Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ost- das nachzuvollziehen, was schon unsere Vorvorvor- friesischen Inseln sind etwas ganz Besonderes. Wer gänger eigentlich wollten: dass Nerze ausreichend dort Urlaub macht, der denkt wohl gelegentlich da- Platz bekommen. Da dieser nicht gewährt werden ran, wie schön es sein könnte, immer dort zu leben. 224 Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 Cornelia Rundt (Niedersachsen) (A) (C) Für die Insulaner selber ist aber gerade das Woh- die die Begründung von Wohnungseigentum einem nen oft ein Problem, insbesondere für diejenigen, die Genehmigungsvorbehalt unterwerfen. kein Wohneigentum haben und zur Miete wohnen. Auf den Inseln sind Mietwohnungen knapp und Der Genehmigungsvorbehalt wird von Investoren teuer. Das trifft diejenigen, die auf bezahlbaren Miet- allerdings vielfach umgangen. Anstelle von Woh- wohnraum angewiesen sind: Menschen mit kleinen nungseigentum nach dem Wohnungseigentumsge- Einkommen, Menschen mit niedrigen Renten, aber setz wird Bruchteilseigentum begründet. Anders als auch die auf den Inseln – zum Beispiel in der Gastro- bei dem „normalen“ Kauf einer Eigentumswohnung nomie – Beschäftigten. erwerben die Eigentümer dabei keinen bestimmten realen Anteil an einem Objekt, sondern lediglich ei- Die Nachfrage nach solchen Wohnungen wird mit nen ideellen Anteil an einem gemeinsamen Objekt. den Baumaßnahmen auf den Inseln derzeit nur unzu- Dieses Ausweichen ist nach geltender Rechtslage reichend erfüllt. Vor dem Hintergrund des Tourismus nicht durch Satzung verhinderbar. Diese Gesetzes- – nicht nur auf den Inseln, sondern auch in anderen lücke gilt es nun zu schließen. entsprechend geprägten Gebieten der Bundesrepu- blik – wird vorrangig im höherpreisigen Segment ge- Die antragstellenden Länder möchten mit ihrer baut. Häuser lassen sich in diesen attraktiven Lagen Bundesratsinitiative erreichen, dass bezahlbarer teuer vermieten oder verkaufen. Wohnraum zum Beispiel auf den Ostfriesischen In- seln, aber auch in anderen touristisch geprägten Ge- Der Bau von preiswerten Wohnungen mit bezahl- bieten erhalten wird. Dies soll durch eine Änderung baren Mieten lohnt sich für Investoren dort nur we- des Baugesetzbuches erfolgen, nach der auch das so- nig, so dass für Haushalte mit kleinen und mittleren genannte Bruchteilseigentum der Genehmigung der Einkommen nicht genügend bezahlbarer Wohnraum Gemeinden unterliegen soll. zur Verfügung steht. Das behindert in erheblichem Maße die Besetzung freier Stellen auf den Inseln Ich freue mich, dass der Bund bei den Beratungen – zum Beispiel im Tourismusgewerbe – und damit die über den niedersächsischen Entschließungsantrag si- wirtschaftliche Entwicklung. gnalisiert hat, sich der beschriebenen Problematik bei der anstehenden Novellierung des Baugesetz- Vor diesem Hintergrund hat im Jahr 2014 eine In- buches anzunehmen, damit sich der Wohnungsbau in selkonferenz mit den Bürgermeistern der Ostfriesi- touristisch geprägten Gebieten – also auch, wenn Sie schen Inseln stattgefunden. Dabei ging es hauptsäch- mir den kleinen Werbeblock erlauben, auf den Ost- lich um den Bau von Mietwohnungen auf den Inseln friesischen Inseln – wieder lohnt. Das würde uns ei- und um Ausnahmen von den Förderbedingungen für nen wichtigen Schritt weiterbringen, um die Woh- den Wohnungsbau. Für geplante Bauvorhaben hat nungssituation für die einheimische Bevölkerung und (B) sich gezeigt, dass eine wirtschaftliche Darstellung für die dort Beschäftigten deutlich zu verbessern. – (D) der Bauvorhaben mit höheren Förderbeträgen und Vielen Dank. für die Inseln verträglichen Anfangsmieten möglich ist. Aktuell sind diese Planungen zum Beispiel auf den Inseln Borkum und Norderney so weit fortge- Amtierende Präsidentin Dr. Angelica Schwall- schritten, dass mit dem Bau der Wohnungen nach der Düren: Vielen Dank, Frau Ministerin Rundt! Urlaubssaison im Herbst begonnen werden kann. Die beteiligten Ausschüsse empfehlen, die Ent- Viele Fremdenverkehrsgemeinden stehen vor dem schließung zu fassen. Wer die Entschließung fassen Problem, dass sie sich einerseits über die Errichtung möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist neuer Häuser in zentralen Lagen ihrer Ortschaften die Mehrheit. freuen, aber gleichzeitig befürchten, dass durch den Verkauf der Wohnungen an Auswärtige „tote Zonen“ Damit hat der Bundesrat die Entschließung gefasst. geschaffen werden; denn erfahrungsgemäß besteht Zur gemeinsamen Beratung rufe ich die Punkte 15 die Gefahr, dass diese Zweitwohnungen die überwie- und 37 auf: gende Zeit des Jahres leer stehen. Heruntergelas- sene Rollläden können über Monate hinweg den Ein- 15. Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des na- druck unbewohnter Straßenzüge vermitteln. tionalen Bankenabwicklungsrechts an den Ein- heitlichen Abwicklungsmechanismus und die Zu berücksichtigen sind auch die Unterhaltungs- europäischen Vorgaben zur Bankenabgabe (Ab- und die sonstigen Kosten der Infrastruktureinrichtun- wicklungsmechanismusgesetz – AbwMechG) gen, die von den betroffenen Gemeinden vorgehal- (Drucksache 193/15) ten und unterhalten werden müssen. Zudem wird Bauland für Zweitwohnungen verbraucht und damit in Verbindung mit der örtlichen Bevölkerung für den Bau von Dauer- wohnungen entzogen. 37. Verordnung über die Erhebung der Beiträge zum Restrukturierungsfonds für Kreditinsti- Auf den Ostfriesischen Inseln ist seit Jahren ein tute (Restrukturierungsfonds-Verordnung – Verdrängungsprozess zu verzeichnen, der insbeson- RStruktFV) (Drucksache 207/15) dere aus städtebaulichen Gründen unerwünscht ist. Deshalb haben viele Gemeinden auf der Grundlage Wir haben eine Wortmeldung. Ich erteile das Wort des § 22 des Baugesetzbuches Satzungen erlassen, Herrn Minister Friedrich aus Baden-Württemberg. Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 225

(A) (C) Peter Friedrich (Baden-Württemberg): Frau Präsi- Neben der Finanzierung des Mittelstandes werden dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die sie oft auch von Versicherungsunternehmen zur An- Bundesregierung legt mit dem Entwurf eines Ab- lage von Kundenvermögen genutzt. Nach meinen In- wicklungsmechanismusgesetzes und der Restruktu- formationen liegen die Ausfallquoten solcher Papiere rierungsfonds-Verordnung zwei Regelungen vor, mit im Promillebereich. denen die Bankenunion weiter umgesetzt werden soll. Durch die angestrebte Regelung werden diese Pa- piere benachteiligt, komplexe Finanzprodukte dage- Im Grundsatz begrüßen wir beide Vorhaben mit gen privilegiert. Das sind zum Beispiel viele Deri- Blick auf die Stärkung des Finanz- und Bankensek- vate, die im Investmentbanking eine große Rolle tors. Auch wenn in der Öffentlichkeit momentan eher spielen – also genau die Finanzprodukte, die die die Auswirkung der Finanzkrise auf den Staat bezie- Finanzkrise maßgeblich ausgelöst haben, Produkte, hungsweise die öffentliche Hand im Fokus steht, die äußerst komplex sind und wegen der in einem sollte die Finanzwelt doch nicht völlig aus unserem Produkt zusammengefassten Vielzahl weiterer, oft Blick geraten; denn es gilt weitere Vorsorge zu tref- ebenfalls bereits komplexer Produkte selbst von fen, damit sich eine solche Krise nicht wiederholen Fachleuten kaum noch verstanden werden. kann. Vor allem wollen wir vermeiden, dass Steuer- zahler für künftige Schieflagen in Anspruch genom- Zu befürchten ist, dass die vom Bund beabsichtigte men werden. Daher ist die Bankenunion, wenn Sie so Regelung ohne Not Produkte des Investmentban- wollen, auch Hilfe zur Selbsthilfe. kings befördert und das Geschäft vom stabilen Spar- Sanierungs- und Abwicklungspläne, die im Notfall kassen- und Genossenschaftsbankensektor in den zur Anwendung kommen, sollen die Risiken für die Bereich des Investmentbankings transferiert. Finanzmärkte und damit auch für die Staaten mög- Wir halten eine solche Regelung aus den genann- lichst gering halten. ten Gründen für kontraproduktiv. Auf unseren Vor- Ein wichtiger Teil dieses Systems ist ein einheitli- schlag hin hat der Finanzausschuss des Bundesrates cher Banken- und Abwicklungsfonds, der sich aus eine entsprechende Überprüfung verlangt. Ich bitte der Bankenabgabe speist. Er wird im Krisenfall nach Sie herzlich, diesem Vorschlag zuzustimmen. Abschreibungen von Eigenkapital und nachrangigen Forderungen herangezogen. Lassen Sie mich noch kurz auf die Restrukturie- rungsfonds-Verordnung, die unter Tagesordnungs- Die Vorgaben der Europäischen Union gelten un- punkt 37 behandelt wird, eingehen! Auch diese mittelbar und bedürfen daher keiner nationalen Um- Regelung ist in gewisser Weise Bestandteil der Ban- setzung. Allerdings sind Anpassungen verschiedener kenunion. (B) nationaler Regelungen an das neue europäische (D) Recht notwendig. Diese werden mit dem vorliegen- Mit der Verordnung wird erneut deutlich, dass mit den Gesetzentwurf geregelt. der notwendigen Absicherung großer Finanzkon- zerne auch Nachteile für kleine und mittlere Bankin- Trotz der insgesamt positiven Bewertung des Vor- stitute verbunden sein können. Die Landesregierung habens der Bundesregierung muss ich auf eine Rege- von Baden-Württemberg hat sich in der Vergangen- lung verweisen, die aus meiner Sicht vollkommen heit immer wieder dafür starkgemacht, gerade für verfehlt und im Übrigen durch das europäische Recht diese Institute passgenaue Lösungen zu finden. nicht vorgegeben ist. Nachvollziehbar begründet haben wir dies mit der In § 46f des Gesetzes über das Kreditwesen sollen Tatsache, dass sie für die Finanzwelt weder auf vier neue Absätze eingefügt werden, durch die bei der Grund ihres Geschäftsmodells noch auf Grund ihrer Insolvenz oder Abwicklung von Kreditinstituten be- Finanzkraft ein Risiko darstellen. stimmte unbesicherte Schuldtitel nachrangig gegen- über anderen Verbindlichkeiten behandelt werden. Leider sind wir gemeinsam – wir alle hatten dieses Betroffen von dieser Schlechterstellung sind Inhaber- Anliegen – auf der europäischen Ebene nur bedingt schuldverschreibungen, Orderschuldverschreibungen, damit durchgedrungen. Die komplette Heraus- diesen Schuldtiteln vergleichbare Rechte, die ihrer nahme von kleinen und mittleren Finanzinstituten Art nach auf den Kapitalmärkten handelbar sind, war auf der europäischen Ebene nicht durchsetzbar. Schuldscheindarlehen und Namensschuldverschrei- bungen. Diese nachrangig zu behandelnden Schuld- Immerhin ist es gelungen, dass Institute mit einer titel werden im Insolvenz- beziehungsweise Abwick- Bilanzsumme bis zu 300 Millionen Euro nur einen lungsfall vorrangig verwertet. Deshalb sind sie am eher bescheidenen pauschalen Beitrag leisten müs- Markt sehr viel schwerer zu platzieren. Darüber hi- sen. Außerdem gibt es für Institute mit einer Bilanz- naus führt das höhere Risiko zu einem höheren Zins- summe bis zu 3 Milliarden Euro die Möglichkeit, von satz. dieser Sonderregelung zu profitieren, und zwar da- durch, dass sie für den 300 Millionen Euro nicht Bedeutsam sind diese Instrumente traditionell ins- überschreitenden Teil ihrer Bemessungsgrundlage besondere für die Finanzierung des Mittelstandes. ebenfalls nur den Pauschalbetrag entrichten müssen. Außerdem haben sie sich bewährt, und sie sind rechtlich einfach ausgestaltet. Deshalb werden sie in Dass die Bundesregierung diese Möglichkeit jetzt großem Umfang auch von den Landesbanken gehan- nutzt, begrüßen wir sehr. Wir kommen den genann- delt. ten Instituten damit ein Stück weit entgegen. 226 Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 Peter Friedrich (Baden-Württemberg) (A) (C) Zusammenfassend kann ich feststellen: wenn es um die Erfassung ihrer persönlichen Daten geht. Das bedeutet für die Politik die besondere Ver- Wir in Baden-Württemberg tragen die Vorhaben antwortung, dass die Freiheit nicht im Zuge überbor- der Bundesregierung mit, soweit sie zur Umsetzung dender Sicherheitserwägungen aufs Spiel gesetzt der europarechtlichen Vorgaben notwendig sind. Ei- werden darf. In jedem Fall muss vermieden werden, ner europarechtlich nicht vorgegebenen Bevorzu- dass bei den Bürgerinnen und Bürgern auch nur der gung von Investmentbanken können wir aber kei- nesfalls zustimmen. – Vielen Dank. Eindruck einer dauerhaften Überwachung, eines dauerhaften Überwachtseins entsteht.

Amtierende Präsidentin Dr. Angelica Schwall- Das hat auch das Bundesverfassungsgericht in sei- Düren: Vielen Dank, Herr Minister Friedrich! nem Judikat zur Vorratsdatenspeicherung deutlich herausgestellt. Ich bin der Meinung, dass der vor- Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über liegende Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Punkt 15, das Abwicklungsmechanismusgesetz. M a a s diesen Vorgaben gerecht wird. Hierzu liegen Ihnen die Ausschussempfehlungen Unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung vor. Zur Einzelabstimmung rufe ich auf: zeichnet sich gerade dadurch aus, dass jedermann Ziffer 3! – Mehrheit. nur die Lebenssachverhalte von sich selbst preisgibt, die er auch preisgeben will. Damit ist zugleich eine Ziffer 4! – Minderheit. Tabuzone abgesteckt, in die der Staat nicht eingrei- Ziffer 5! – Mehrheit. fen darf. Daran soll sich auch in Zukunft nichts än- dern. Nun die noch nicht erledigten Ziffern der Aus- schussempfehlungen! – Mehrheit. Wir müssen aber feststellen, dass wir es heute mit einer völlig anderen Kommunikation zu tun haben. Damit hat der Bundesrat entsprechend Stellung Sie läuft größtenteils über das Internet, wird über genommen. Smartphones, Handys, mobile Computer abgewi- Wir kommen zu Punkt 37, der Restrukturierungs- ckelt. Wir können uns leicht vorstellen, dass sich das fonds-Verordnung. in Zukunft weiterentwickelt und es ungeahnte elek- tronische Kommunikationsformen geben wird. Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussemp- fehlungen und ein Landesantrag vor. Unser Leben erscheint ohne elektronische Kommu- nikation nicht mehr denkbar. Handy, Smartphone, In- Bitte zunächst Ihr Handzeichen für Ziffer 1 der ternet sind Bestandteile des Alltags geworden. Wir Ausschussempfehlungen! – Mehrheit. alle profitieren davon und möchten, dass diese neuen (B) Bitte Ihr Handzeichen für den Landesantrag! – Technologien weiterentwickelt werden. Wir möchten (D) Mehrheit. sie in vielen Bereichen nicht mehr missen. Damit hat der Bundesrat der Verordnung, wie so- Wenn damit aber ein zentraler Bereich unseres all- eben festgelegt, zugestimmt. täglichen Lebens betroffen ist, dann ist auch klar, Wir kommen zu den Entschließungen. Ich rufe da- dass uns diese Entwicklung vor neue Herausforde- her die noch nicht erledigten Ziffern der Ausschuss- rungen stellt. Angesichts der Bedeutung der über das empfehlungen auf. Ihr Handzeichen bitte! – Mehr- Netz abgewickelten Kommunikationsprozesse wäre heit. es beinahe naiv zu glauben, dass sich immer alle an die vorgegebenen Regeln halten, wie das ja auch in Damit hat der Bundesrat die Entschließungen ge- der realen Welt nicht der Fall ist. Das heißt, wir ha- fasst. ben es hier auch mit neuen Formen von Straftaten Punkt 19 der Tagesordnung: und mit Straftätern zu tun, die sich in vermeintlicher Anonymität bewegen, was wiederum unsere Ermitt- Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer lungsbehörden vor neue Herausforderungen stellt. Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten (Drucksache 249/15) Die meisten Bundesländer haben heute schon Zen- tren für Cyberkriminalität gebildet, um mit der tat- Wir haben eine ganze Reihe von Wortmeldungen. sächlichen Entwicklung Schritt zu halten, um die Ich darf zunächst Frau Ministerin Professor Dr. Kolb Kräfte zu bündeln, um sich neuen Sachverstand im (Sachsen-Anhalt) das Wort erteilen. Hinblick auf bestimmte technische und technologi- sche Prozesse anzueignen. Aber – das muss ich an Prof. Dr. Angela Kolb (Sachsen-Anhalt): Meine sehr dieser Stelle sagen – wir stoßen immer wieder an geehrten Damen und Herren! Sowohl im Bundestag Grenzen. als auch im Bundesrat wird heute über den Gesetz- Gestern hat es in vielen Bundesländern Durchsu- entwurf zur Einführung einer Speicherpflicht und ei- chungen gegeben, weil ein sogenannter Kinderporno- ner Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten diskutiert. ring aufgeflogen ist. Solche Nachrichten haben wir Hinter diesem etwas spröden Thema verbirgt sich al- viel öfter gehört, als es die Vorratsdatenspeicherung lerdings eine hochemotionale Debatte über die Vor- noch gab; denn über die Ermittlung weiterer IP- ratsdatenspeicherung. Adressen war es möglich, Netzwerke auffliegen zu Die Debatte zeigt eindrucksvoll, wie sensibel die lassen. Heute bestätigen mir die Ermittlungsbehör- Bürgerinnen und Bürger in Deutschland reagieren, den, die Staatsanwälte in unserem Bundesland, dass Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 227 Prof. Dr. Angela Kolb (Sachsen-Anhalt) (A) (C) dies mehr oder weniger dem Zufall unterliegt und bedingt nötig zu beeinträchtigen. – In diesem Sinne letzten Endes davon abhängt, bei welchem Anbieter danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. die Betreffenden ihre Anschlüsse registriert haben. Art und Dauer der Speicherung sind sehr unter- schiedlich. In den Fällen, in denen Telekommunika- Amtierende Präsidentin Dr. Angelica Schwall- Düren: Vielen Dank, Frau Ministerin! tionsunternehmen Daten gespeichert haben, können die Ermittlungsbehörden über die Regelungen der Ich erteile Frau Staatsministerin Kühne-Hörmann StPO darauf zugreifen. Aber es gibt heute viele Tele- (Hessen) das Wort. kommunikationsunternehmen, die die Daten gar nicht mehr beziehungsweise nur für kurze Zeit spei- chern, so dass die Straftäter nicht zu greifen sind, Eva Kühne-Hörmann (Hessen): Sehr geehrte Frau weil IP-Adressen nicht ermittelt werden können. Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her- ren! Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf die vom Das gilt nicht nur für das uns alle sehr stark berüh- Gesetzentwurf ebenfalls erfasste Datenhehlerei len- rende Thema „Kinderpornografie“, sondern auch für ken. Das ist deshalb notwendig, weil ein Gesetzent- Phishing, für Datenklau im Internet, für den Klau wurf, der im Bundesrat zweimal mit großer Mehrheit persönlicher Daten bis hin zu ganz neuen Formen beschlossen worden ist, leider nur halbherzig umge- des Betrugs. setzt wurde.

Die Behörden müssen in der Lage sein, den neuen Ich bin zwar froh und begrüße es, dass der Bundes- Erfordernissen mit rechtlichen Instrumenten Rech- justizminister nach nunmehr zwei Jahren der hessi- schen Forderung nach Einführung eines Straftatbe- nung zu tragen. Wir müssen leider feststellen, dass standes der Datenhehlerei nachkommt. Aber gerade unsere StPO noch nicht im 21. Jahrhundert ange- die wesentlichen Punkte sind nicht in den Gesetzent- kommen ist. Mit Postbeschlagnahme kommt man wurf übernommen worden. heute nicht mehr weit. Es ist höchste Zeit, sich den Herausforderungen Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich unserer modernen Informationsgesellschaft zu stel- möchte an dieser Stelle betonen, dass die Telekom- len, in der inzwischen der Großteil der täglichen munikations-, die Verbindungsdaten für viele Ermitt- Kommunikation in digitaler Form abgewickelt wird. lungsbehörden die einzige Möglichkeit sind, Täter zu Fakt ist seit langem, dass unsere persönlichen Daten ergreifen. Genau darum geht es bei dem vorgelegten in unseren diversen Accounts – vom Onlinebanking Gesetzentwurf. Es geht nicht darum, die Kommuni- über E-Mail-Dienste bis hin zu sozialen Netzwer- kation selbst zu erfassen. Die Erfassung von Gesprä- ken – immer öfter von Internetkriminellen miss- chen ist und bleibt tabu. Es geht auch nicht darum, braucht werden und ein lückenloser Schutz unserer (B) dass der Staat Daten sammelt, sondern bei Verdacht Daten vom deutschen Strafrecht bisher nicht ausrei- (D) auf schwere Straftaten soll gemäß dem Richtervorbe- chend gewährleistet ist. halt – nur auf richterliche Anordnung – auf die ge- speicherten Daten zurückgegriffen werden können. Seit Jahren verzeichnen die kriminellen Aktivitä- Das ist letzten Endes die Möglichkeit für die Ermitt- ten, wie unberechtigte Kontoabhebungen oder Be- lungsbehörden, denjenigen zu ergreifen, der sich trügereien unter falschem Namen, einen deutlichen einer Straftat schuldig gemacht hat. Zuwachs oder stagnieren auf hohem Niveau. Aus diesem Grund ist es erforderlich, das deutsche Straf- In der Konsequenz heißt das: Wenn es uns nicht recht an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Ich möglich ist, diejenigen, die im Internet beziehungs- begrüße es ausdrücklich, dass nun mit der Einfüh- weise über elektronische Kommunikation Straftaten rung der Datenhehlerei eine bedeutende Strafbar- verüben, zu verfolgen, kapituliert der Rechtsstaat an keitslücke geschlossen werden soll. dieser Stelle ein Stück weit. Das ist eine Botschaft, Leider übernimmt der Gesetzentwurf der Bundes- die ich als Justizministerin den Bürgerinnen und Bür- regierung nur Fragmente des hessischen Vorschlags gern nicht vermitteln möchte; denn hier geht es um und entwertet dadurch letztlich das eigene Anliegen. das Sicherheitsbedürfnis der Bürgerinnen und Bür- Deshalb möchte ich darauf hinweisen, dass die in ger, die ein Recht auch darauf haben, sich im Internet § 202d Absatz 3 StGB-E vorgesehene Tatbestands- sicher zu bewegen. Um nicht weniger, aber auch um ausschlussregelung meiner Meinung nach in der von nicht mehr geht es in diesem Gesetzentwurf. der Bundesregierung vorgesehenen Form die Daten- hehlerei in weiten Teilen leerlaufen lassen wird. Wir haben im Vergleich zu früheren Regelungen Denn hiernach sollen die Personen von der Strafbar- mit zehn Wochen eine sehr moderate Speicherfrist. keit ausgenommen werden, die Datenhehlerei bege- Insoweit bin ich der Meinung, dass hier sehr behut- hen, um ihren grundsätzlich rechtmäßigen berufli- sam mit den technischen Möglichkeiten umgegan- chen Pflichten nachzugehen. Deren Datenhandel ist gen wird. grundsätzlich frei und jedermann erlaubt. Nahezu alle Menschen sind in ihrem Beruf mit den im neuen Wir – damit spreche ich, glaube ich, auch für den § 202d StGB bezeichneten Daten befasst. Bundesgesetzgeber – nehmen die Sorgen der Bürge- rinnen und Bürger ernst, wir setzen uns damit ausei- Nach dem Entwurf der Bundesregierung würde nander. Aber wir wollen mit diesem Gesetzentwurf sich beispielsweise ein Mitarbeiter einer Auskunftei auch ein Mehr an Sicherheit schaffen, ohne die – denken Sie an Creditreform – nicht der Datenhehle- grundrechtlich garantierten Freiheiten mehr als un- rei strafbar machen, wenn er gestohlene Daten an- 228 Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 Eva Kühne-Hörmann (Hessen) (A) (C) kaufte, um seine eigenen Kunden über deren Inhalt sie im weiteren Gesetzgebungsverfahren noch Gehör zu informieren. Dass das nicht richtig sein kann, finden. – Vielen Dank. liegt, glaube ich, auf der Hand. Da der Umgang mit Daten nicht nur für Auskunfteien, sondern für die meisten Menschen zum Beruf gehört, würde dieser Amtierende Präsidentin Dr. Angelica Schwall- Tatbestand letztlich kaum zur Anwendung gelangen. Düren: Vielen Dank, Frau Staatsministerin! Ich erteile Herrn Minister Dr. Markov (Branden- Es ist richtig, dass die Bundesregierung den Schutz burg) das Wort. der freien Presse gewährleisten will. Der jetzt vorge- schlagene Weg ist jedoch der falsche und schießt weit über das Ziel hinaus. Dr. Helmuth Markov (Brandenburg): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Ich will an dem Entwurf der Bundesregierung auch Herren! „Einen Staat, der mit der Erklärung, er wolle kritisieren, dass die tatsächliche Bedrohungslage Straftaten verhindern, seine Bürger ständig über- durch Internetkriminalität völlig unterschätzt wird. wacht, kann man als Polizeistaat bezeichnen“ – das Im Gegensatz zu den Anfangszeiten der Internetkri- stammt nicht von mir, es ist ein Zitat des konservati- minalität, in denen es oft nur jugendliche Hacker wa- ven ehemaligen CDU-Bundesinnenministers und ren, die sich in der Szene etablierten, sind heute ins- späteren Präsidenten des Bundesverfassungsge- besondere arbeitsteilig strukturierte Gruppen am richts, Ernst B e n d a , aus dem Jahr 2007. Nach Werk. Die Hacking-Angriffe erfolgen heute, wie Sie dieser Definition lugt der Polizeistaat also bereits alle wissen, auch aus politischen oder terroristischen durch unsere Tür, und wir sind nicht mehr weit da- Motiven. Denken Sie nur an den Angriff auf den von entfernt, absolut gläsern für Staat und Internet- französischen Fernsehsender! unternehmen zu werden. Einer solchen Kriminalität werden aber Strafober- Dem Bundesrat liegt der Entwurf eines Gesetzes grenzen von zwei beziehungsweise drei Jahren Frei- zur Einführung einer Speicherpflicht und einer heitsstrafe in den hier einschlägigen §§ 202a und b Höchstspeicherfrist vor. Schon die Bezeichnung des StGB oder aber beim neuen Straftatbestand der Da- Gesetzentwurfs ist missverständlich. In der Sache tenhehlerei nicht mehr gerecht. Die Strafrahmen be- geht es darum, die Vorratsdatenspeicherung wieder dürfen der Ausdifferenzierung im oberen Bereich, einzuführen, nachdem das Bundesverfassungsgericht wie bereits verschiedene Studien belegt haben und sie im Jahr 2010 für verfassungswidrig erklärt und wie ich es jetzt wieder dem Rechtsausschuss vorge- auch der Europäische Gerichtshof 2014 darin einen schlagen habe. schweren Verstoß gegen die Europäische Grund- rechtecharta gesehen hat. (B) Gerade in den Fällen, in denen die Täter gewerbs- (D) mäßig oder als Mitglied einer Bande handeln, haben Im Kern verpflichtet der Gesetzentwurf Telekom- wir es mit organisierter Kriminalität zu tun, der der munikationsunternehmen, eine Vielzahl von Daten Rechtsstaat angemessen begegnen muss. Dazu ge- ohne konkreten Anlass zu speichern und sie den für hört auch die Schaffung von Versuchsstrafbarkeiten. die Gefahrenabwehr und Strafverfolgung zuständi- Wieso der Versuch der Hehlerei eines Computers gen Behörden zur Verfügung zu stellen, wenn diese strafbar ist, der Versuch der Hehlerei der auf dem sie für ihre Ermittlungen benötigen. Computer befindlichen Daten jedoch nicht, ist völlig Die Bundesregierung meint, der Gesetzentwurf ge- unverständlich. Eine Erklärung hierzu gibt es in dem nüge den verfassungsrechtlichen und europarechtli- Gesetzentwurf nicht. chen Vorgaben der Gerichte. Dieser Sinneswandel Meiner Meinung nach muss endlich weitgehender wundert mich; denn noch im letzten Jahr sah der Bun- Gleichlauf der neuen „digitalen“ Tatbestände mit desjustizminister für die Vorratsdatenspeicherung den alten „analogen“ Regelungen hergestellt wer- keine Zukunft mehr. Er hat das sehr öffentlichkeits- den. Hinzu kommt, dass wir die organisierte Internet- wirksam allerorten kundgetan. Noch im Dezember kriminalität nur dann angemessen bekämpfen kön- sagte der Minister, er lehne die anlasslose Vorratsda- nen, wenn wir den Strafverfolgungsbehörden die zur tenspeicherung ganz entschieden ab, schließlich ver- Strafverfolgung notwendigen Mittel zur Verfügung stoße sie gegen das Recht auf Privatheit und den Da- stellen und so annähernd Waffengleichheit herstel- tenschutz. len. Wie will man Internetkriminelle effektiv verfol- Ich räume ein, dass die Regelung an einigen Stel- gen, wenn die Ermittlungsbehörden noch nicht len entschärft wurde. So sollen E-Mail-Dienste nun einmal die Möglichkeit haben, deren Telekommu- von der Speicherpflicht ausgenommen sein. Die nikation zu überwachen? Wenn die Strafrahmen Speicherdauer ist von sechs Monaten auf höchstens nach meinem Vorschlag angepasst und die Qualifi- zehn Wochen begrenzt worden. kationstatbestände der gewerbs- und bandenmäßi- gen Begehungsweise als schwere Straftaten an- Dies ändert jedoch nichts daran, dass viele Men- erkannt würden, hätten die Ermittlungsbehörden schen in diesem Land die Vorratsdatenspeicherung – anders als nach der derzeitigen Rechtslage – diese weiterhin für rechtlich fragwürdig und rechtspoli- Möglichkeit. tisch verfehlt halten. Darunter sind sehr viele hono- rige – linker Gesinnung unverdächtige – Rechts- Obwohl ich weiß, dass diese Vorschläge heute experten sowie die mehr als 100 000 Teilnehmer des nicht zur Abstimmung stehen, so hoffe ich doch, dass Deutschen Evangelischen Kirchentages. Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 229 Dr. Helmuth Markov (Brandenburg) (A) (C) Nach einer aktuellen Umfrage lehnen 79 Prozent Gespeicherte Daten hätten weder den möglichen der Bevölkerung solche Regelungen ab, liebe Frau Anschlag in Oberursel noch den Anschlag auf den Kollegin; denn unbestreitbar ist im Ausgangspunkt, Boston-Marathon verhindert, genauso wenig wie dass die anlasslose Speicherung der Telekommunika- denjenigen auf das Redaktionsbüro von „Charlie tionsdaten auf Grund ihrer hohen Streubreite einen Hebdo“ in Paris. Zwölf Monate werden die Daten besonders schweren Eingriff darstellt. Sie erfasst alle dort gespeichert, aber als Präventivmaßnahme waren Bürgerinnen und Bürger ohne Anknüpfung an ein sie wirkungslos. zurechenbar vorwerfbares Verhalten, ohne dass eine Wir laufen also Gefahr, dass wir unsere reale Frei- – wenn auch nur abstrakte – Gefährlichkeit oder ein heit gegen die unbewiesene Hoffnung auf mehr sonst wie qualifizierter Anlass vorliegen müsste. Die Sicherheit eintauschen. Speicherung bezieht sich, wie das Bundesverfas- sungsgericht ausgeführt hat, auf Alltagshandeln, das Gerade weil der Gesetzentwurf auch in Fachkrei- im täglichen Miteinander elementar und für die Teil- sen als „stumpfes Schwert“ angesehen wird, be- nahme am sozialen Leben in der modernen Welt un- fürchte ich, dass man mit der Verabschiedung des verzichtbar ist. Gesetzes die Büchse der Pandora öffnet. Die Da- tenskandale der vergangenen Jahre im Zusammen- Ein Satz des Verwaltungsratschefs von Google, Eric hang mit der NSA-Affäre zeigen, dass gespeicherte S c h m i d t , zeigt, wie gefährlich die Aufhebung Informationen ein unüberschaubares Missbrauchsri- jeglicher Privatsphäre ist. Er sagt: „Wenn es etwas siko bergen. gibt, von dem Sie nicht wollen, dass es irgendjemand erfährt, sollten sie es vielleicht ohnehin nicht tun.“ Die Erfahrung lehrt auch, dass zwischen der Ein- Das ist eine Haltung, die vollkommen inakzeptabel führung sicherheitspolitischer Instrumente und ihrer ist. Verschärfung ein kurzer Weg liegt. Mit unbelegten Sicherheitsversprechen wird versucht, einen Einstieg Selbstbestimmung ist eine elementare Funktions- in die legale Massenüberwachung zu begründen. bedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungs- Hier gilt es den Anfängen zu wehren. fähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens; so hat es das Bun- Über ein technisch überaus komplexes und poli- desverfassungsgericht gesagt. Das gilt auch für die tisch hochumstrittenes Thema wie die Vorratsdaten- digitale Welt. Letztlich birgt die Vorratsdatenspeiche- speicherung darf man unterschiedlicher Meinung rung die Gefahr, dass die Unschuldsvermutung aus- sein. Es gehört jedoch – zumindest nach meinem Ver- gehebelt wird. Daran ändert nichts, dass nach dem ständnis – zum Wesen der Demokratie, dass man ab- vorliegenden Entwurf die Speicherfrist auf einen kür- weichende Meinungen zur Kenntnis nimmt und dem zeren Zeitraum begrenzt ist. Widerstreit der Argumente Raum und Zeit lässt. (B) Ich verstehe das Urteil des Europäischen Gerichts- Es irritiert mich sehr wohl, dass die Bundesregie- (D) hofs aus dem Jahr 2014 so, dass eine massenhafte rung und die sie stützende Bundestagsmehrheit diese Speicherung der Verbindungsdaten sämtlicher Bür- Gepflogenheiten gerade hier nicht beachten möch- ger nur schwerlich mit den EU-Grundrechten verein- ten. Das Gesetz soll im verkürzten Verfahren verab- bar ist. Der Europäische Gerichtshof verlangt, dass schiedet werden. Dies ist eine Unart, welche die Län- sich der Eingriff in das Grundrecht auf Schutz der der nicht hinnehmen sollten. Es schadet der Qualität personenbezogenen Daten auf das absolut Notwen- der Gesetzgebung und wirft massive Fragen zum de- dige beschränkt. Die Verhältnismäßigkeit des Ein- mokratischen Prozess auf. Die Verschiebung auf ei- griffs steht auch hier auf Grund der umfassenden nen Termin nach der Sommerpause ist nur der Tat- Speicherpflicht in Frage. sache geschuldet, dass auf Grund europarechtlicher Vorgaben beim Erlass technischer Vorschriften eine Nicht umsonst gab es bislang keinen weiteren Vor- dreimonatige Stillhaltefrist unumgänglich ist. Das an- stoß der Kommission, eine neue Vorratsdatenspeiche- gestrebte Verfahren erweckt auf jeden Fall den Ein- rungsrichtlinie auf den Weg zu bringen. Mir ist auch druck, dass man eine sehr ausführliche Debatte über nicht bekannt, dass die Bundesregierung eine ent- die anlasslose Vorratsdatenspeicherung nicht führen sprechende Initiative in Brüssel angeregt hätte. will. Bitte nehmen wir zur Kenntnis, dass die Verfas- Einen Sachgrund kann ich nicht erkennen. In sungsgerichte mehrerer europäischer Länder – heute Deutschland gibt es seit fünf Jahren keine Vorratsda- in Belgien, kürzlich in den Niederlanden, in Bulga- tenspeicherung mehr, ohne dass der Rechtsstaat hier- rien, in Rumänien, in Österreich und in Tschechien – durch bleibende Schäden erlitten hätte. Auch der die Vorratsdatenspeicherung gekippt haben! Koalitionsvertrag im Bund zwingt nicht zum Han- Von ausschlaggebender Bedeutung ist weiterhin deln, obwohl dies gerade von Seiten der Union im- die Frage, ob dieses Gesetz überhaupt erforderlich mer behauptet wird. Dort verständigte man sich ist. Bisher hat keiner der Befürworter einen Zusam- lediglich darauf, die Vorratsdatenspeicherungsricht- menhang zwischen der Einführung der Vorratsdaten- linie umzusetzen. Indem der Europäische Gerichtshof speicherung und der Aufklärungsquote von Strafta- diese kassierte, ist diese Selbstverpflichtung hinfäl- ten nachweisen können. lig. Mehr noch: Technisch versierte Nutzer – hierzu Da die Bundesregierung die Vorratsdatenspeiche- dürfte ein Großteil der Cyberkriminellen zählen – rung für grundsätzlich mit der EuGH-Rechtspre- können die Erfassung ihrer Daten verhindern. chung vereinbar hält, muss sie davon ausgehen, dass 230 Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 Dr. Helmuth Markov (Brandenburg) (A) (C) eine weitere Richtlinie erlassen wird. Deren Vorga- Diejenigen, die argumentieren, man hätte damit ben sind heute aber überhaupt noch nicht absehbar. den Anschlag in Paris nicht verhindern können, blen- Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass den aus, dass die französische Polizei und die franzö- sich die deutsche Vorratsdatenspeicherung in Bälde sischen Behörden nach dem Anschlag sehr schnell wiederum als Makulatur erweisen wird. die Verbindungs- und Kommunikationswege der Ter- roristen nachvollziehen konnten. Meine Damen und Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung stellt die Herren, das ist ja wohl ein wesentlicher Aspekt, um Bürger unter Generalverdacht und zerstört die Ver- weitere Straftaten zu verhindern! traulichkeit unserer sozialen Kommunikation. Sie un- tergräbt zwischenmenschliches und staatliches Ver- Der Staat hat den Auftrag – und da stehen wir in trauen. Wer heute noch immer das Argument der besten Tradition der französischen Erklärung der gebraucht, die Einschränkung der Privatsphäre sei Menschenrechte, die ein Grundrecht auf Sicherheit ihm egal, weil er ja nichts zu verbergen habe, der vorsah –, seine Bürger zu schützen. Bayern hat sich kann genauso gut den Satz äußern: Das Recht auf deshalb immer mit Nachdruck für die Wiedereinfüh- freie Meinungsäußerung interessiert mich nicht; rung der Verkehrsdatenspeicherung ausgesprochen. denn ich habe ja gar nichts zu sagen. Herr Staatssekretär Lange, ich begrüße es sehr, George O r w e l l nannte sein „1984“ einen uto- dass nunmehr endlich ein Gesetzentwurf vorliegt pischen Roman. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Wir und wir nicht mehr über das Ob, sondern über das sind auf dem Weg, ihn eines Besseren zu belehren. Wie einer Verkehrsdatenspeicherung diskutieren. Das ist ein wichtiger und richtiger Schritt zur Verbes- Brandenburg stimmt der vorliegenden Empfehlung serung der strafprozessualen Ermittlungsmöglichkei- nicht zu. ten. Meine Damen und Herren, wie Sie wissen, hätte Amtierende Präsidentin Dr. Angelica Schwall- Bayern sich und hätte ich mir gewünscht, dass der Düren: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Markov! Gesetzentwurf in einigen Punkten noch weiter geht.

Ich erteile das Wort Herrn Staatsminister Professor Warum sollen zum Beispiel ausgerechnet die Ver- Dr. Bausback (Bayern). kehrsdaten der E-Mail-Kommunikation, Frau Kolle- gin Kolb, auf Dauer von der Speicherpflicht ausge- nommen werden, obwohl heutzutage doch ein großer Prof. Dr. Winfried Bausback (Bayern): Frau Präsi- Teil der Kommunikation per E-Mail stattfindet und dentin! Kolleginnen und Kollegen! Der berühmte diese auch bei der Planung, Vorbereitung und Durch- amerikanische Philosoph Benjamin F r a n k l i n hat führung von Straftaten eine wichtige Rolle spielt? (B) einmal sinngemäß gesagt, wer seine Sicherheit auf (D) Was spricht dagegen, Herr Staatssekretär Lange, Kosten der Freiheit gewinnen wolle, werde beides bei allen Delikten, bei denen sogar das Abhören des verlieren. Von unserem großen Philosophen Inhalts der Telekommunikation zulässig ist, auch Zu- H u m b o l d t stammt die Erkenntnis, dass Freiheit griff auf die bloßen Verkehrsdaten, also die äußeren ohne Sicherheit nicht möglich ist. Beides ist kein Ge- Umstände der Kommunikation, zu erlauben? Nach gensatz, sondern beschreibt das Spannungsverhält- dem Entwurf fallen Delikte wie Computerbetrug oder nis, in dem wir Rechtspolitiker uns hier bewegen. – Frau Kollegin Kolb, Sie haben das eindrucksvolle Dank der in Deutschland vor 25 Jahren möglich ge- Beispiel der Kinderpornografie-Ringe genannt – die wordenen Wiedervereinigung und dank des Beseiti- Verbreitung von Kinderpornografie aus dem Anwen- gens der SED-Unrechtsdiktatur können wir heute dungsbereich der Verkehrsdatenspeicherung he- feststellen, dass dieser Ausgleich zwischen Freiheit raus, obwohl doch gerade hier die Verkehrsdaten der und Sicherheit unabhängig von den Detailfragestel- wichtigste und häufig einzige Ermittlungsansatz lungen, die wir immer wieder zu beantworten haben, sind. in unserem Staat in angemessenem Ausmaße wahr- Bayern hat im Rechtsausschuss entsprechende An- genommen wird. Es kann keine Rede davon sein, träge gestellt. Diese haben leider keine Mehrheit ge- Herr Kollege Markov, dass der Polizeistaat durch ir- funden. Es bleibt damit bei empfindlichen Lücken für gendeine Luke oder um eine Ecke schauen würde. den Freiheitsschutz, was ich bedauere. (Dr. Helmuth Markov [Brandenburg]: Das hat Erlauben Sie mir bei dieser Gelegenheit ein paar Herr Benda gesagt!) Worte in Richtung derer, die die Verkehrsdatenspei- cherung grundsätzlich ablehnen. Ihre Argumente Der Wegfall der Verkehrsdatenspeicherung hat zu tragen nicht, auch wenn sie gebetsmühlenartig im- erheblichen und gefährlichen Lücken bei der Straf- mer wiederholt werden. verfolgung geführt. Frau Kollegin Kolb hat das ein- drucksvoll dargestellt. Die Planung, die Vorbereitung Es trifft nicht zu, dass unsere Verfassung der Ver- und die Absprache, aber auch die Durchführung von kehrsdatenspeicherung grundsätzlich entgegenste- Straftaten erfolgen heutzutage in weitem Umfang per hen würde. Das Bundesverfassungsgericht hat 2010 Telefon oder Internet. Das gilt von Cybercrime-Delik- klargestellt, dass eine solche Regelung unter Beach- ten bis hin zu terroristischen Anschlägen. Alle, die tung der verfassungsrechtlichen Vorgaben grund- das ausblenden wollen, streuen den Menschen Sand sätzlich mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die in die Augen. Spielräume, die uns das Gericht lässt, müssen wir im Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 231 Prof. Dr. Winfried Bausback (Bayern) (A) (C) Interesse der Sicherheit und der Freiheit der Men- Anja Siegesmund (Thüringen): Frau Präsidentin! schen nutzen. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Von Hannah A r e n d t stammt der Satz: Politik ist Frei- Auch die Entscheidung des EuGH sieht in einer heit. – Ich denke, damit stimmen so gut wie alle Kol- Verkehrsdatenspeicherung grundsätzlich ein legiti- leginnen und Kollegen im Saal überein. Politik ist mes Mittel, das geeignet und erforderlich ist, aber aber nicht die Freiheit, anlasslose Datenspeicherung verhältnismäßig ausgestaltet werden muss. zu betreiben; denn diese schützt weder unsere Daten noch die Bürgerinnen und Bürger. Herr Bausback, Dass durch die Verkehrsdatenspeicherung alle sehen Sie es mir nach, ich glaube, Ihre Argumenta- Bürger unter Generalverdacht gestellt würden, ist tion ist es, die in die Irre führt. schlicht falsch. Es geht nicht um Gesprächsinhalte – darauf hat Frau Kollegin Kolb sehr eindrucksvoll Um es gleich vorwegzunehmen: Thüringen lehnt hingewiesen –, sondern nur um Daten über Dinge die Vorratsdatenspeicherung entschieden ab. Ich will wie die, wer mit wem gesprochen hat, nicht darum, das auf zwei Ebenen begründen, zum einen gesell- was besprochen wurde. Nicht der Staat speichert die schaftspolitisch, zum anderen juristisch. Daten, sondern der Telekommunikationsanbieter. Wenn eine Firma wie die Deutsche Telekom die Da- Die Liste jener, die den vorgelegten Gesetzentwurf ablehnen, ist lang. Sie geht von Juristen über die Da- ten der über sie abgewickelten Telekommunikations- tenschutzbeauftragte bis hin zu Berufsgeheimnisträ- vorgänge für einige Wochen speichert, stellt das nie- gern und vielen anderen mehr, von den Netzpolitike- manden unter Generalverdacht. rinnen und -politikern ganz zu schweigen. Übrigens speichern Telekommunikationsfirmen Der neue Gesetzentwurf der Bundesregierung zur auch heute schon derartige Daten, um zum Beispiel Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspei- die Telefonrechnung zu erstellen, wenn keine Flat- cherfrist für Verkehrsdaten lässt Zweifel an der Ver- rate vereinbart ist, oder um Störungen beheben zu einbarkeit mit höherrangigem Recht aufkommen. Mit können. Urteil vom April 2014 hat der Gerichtshof der Euro- päischen Union die europäische Richtlinie zur Vor- Die Strafverfolgungsbehörden dürfen erst auf diese ratsdatenspeicherung wegen Verstoßes gegen den Daten zugreifen, wenn der konkrete, durch Tatsa- Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für ungültig er- chen belegte Verdacht einer schweren Straftat be- klärt. In seiner Entscheidung geht der Gerichtshof steht. Ob dies der Fall ist, muss vorher von einem Ge- davon aus, dass eine gesetzliche Grundlage für eine richt geprüft werden. Hier geht es also nicht um den Vorratsdatenspeicherung auch voraussetzt, dass gläsernen Bürger, die gläserne Bürgerin oder einen nicht nur die Verwendung, sondern bereits die Spei- Orwell'schen Überwachungsstaat. Wer so argumen- cherung der Daten beschränkt sein muss. Diesem Er- (B) tiert, führt die Menschen bewusst in die Irre. (D) fordernis kommt der Gesetzentwurf der Bundesregie- Neben den Regelungen zur Verkehrsdatenspeiche- rung meiner Meinung nach nicht nach. rung sieht der Gesetzentwurf die Einführung eines Zum Beispiel sind Daten von Berufsgeheimnisträ- Straftatbestandes der Datenhehlerei vor. Auch dies gern, wie Ärzten oder Strafverteidigern, die auf be- begrüße ich ausdrücklich; denn damit wird endlich sonderen Schutz angewiesen sind, weiterhin nicht eine Strafbarkeitslücke geschlossen, Frau Kollegin bereits von der Speicherung ausgenommen. Der Ge- Kühne-Hörmann. Die Gefahr für die Daten der Bür- setzentwurf verbietet lediglich den Abruf dieser Da- ger droht nämlich nicht vom Staat oder von den ten, und das auch nur, soweit sich der Abruf gegen Strafverfolgungsbehörden, sondern vor allem von den Berufsgeheimnisträger selbst und nicht gegen Kriminellen, die zum Beispiel mit gestohlenen Kre- dessen Kommunikationspartner richtet. Hinreichen- ditkartendaten schwunghaften Handel betreiben. der Schutz der hochsensiblen Daten könnte aber nur Dem muss ein Riegel vorgeschoben werden. dadurch gewährleistet werden, dass sie gar nicht erst gespeichert werden. Der Bundesrat hat hierzu bereits im letzten Jahr ei- nen Gesetzentwurf verabschiedet und beim Bundes- Der Gesetzentwurf sieht nur Ausnahmen für Daten tag eingebracht. Der Gesetzentwurf der Bundes- des E-Mail-Verkehrs und der anonymen telefoni- regierung, Herr Staatssekretär Lange, bleibt leider schen Beratungsdienste für seelische oder soziale hinter diesem Entwurf des Bundesrates zurück. Frau Notlagen vor. Diese marginalen Ausnahmen dürften Kühne-Hörmann hat sehr richtig und eindrucksvoll kaum ausreichend sein, um die Bedenken hinsicht- auf die Defizite hingewiesen. Der Entwurf der Bun- lich der Speicherung der Daten sämtlicher Teilneh- desregierung stellt aber natürlich einen Schritt in die mer an der elektronischen Kommunikation auszuräu- richtige Richtung dar. – Vielen Dank für Ihre Auf- men. Zu dem gleichen Ergebnis kommt laut der merksamkeit. gestrigen Meldung in den Medien auch der Wissen- schaftliche Dienst des Bundestages in zwei aktuellen Gutachten. Amtierende Präsidentin Dr. Angelica Schwall- Düren: Vielen Dank, Herr Staatsminister Professor Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müs- Bausback! sen uns vor Augen halten, dass wir alle von der Vor- ratsdatenspeicherung betroffen sind. Das Ausmaß, Ich erteile das Wort Frau Ministerin Siegesmund die Dauer und die Streubreite, die mit einer Speiche- (Thüringen). rung nahezu aller Verkehrsdaten verbunden sind, so- 232 Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 Anja Siegesmund (Thüringen) (A) (C) wie die Schwere des Grundrechtseingriffs unter an- formation, in der es darum geht, das Verständnis im derem in die informationelle Selbstbestimmung sind Umgang mit den eigenen Daten in den Mittelpunkt mit keinem anderen Mittel der Gefahrenabwehr oder der Debatte zu rücken. Diese Debatte muss stattfin- Strafverfolgung vergleichbar. den. Darauf den Hauptschwerpunkt zu legen, das ist die große Aufgabe. Angesichts dieser Tragweite müsste man eigentlich erwarten, dass der Nutzen und der Mehrwert der Meine sehr geehrten Damen und Herren, ange- Vorratsdatenspeicherung für die Gefahrenabwehr sichts der Schwere des Grundrechtseingriffs und an- oder die Strafverfolgung wissenschaftlich ausrei- gesichts der komplexen verfassungs- und europa- chend belegt sind; denn man sollte meinen, dass die rechtlichen Fragen ist die Vorratsdatenspeicherung Bundesregierung nur dann auf solch intensive Weise insgesamt nicht nur abzulehnen, vielmehr müssen in die Grundrechte ihrer Bürgerinnen und Bürger wir klären, ob in einem Rechtsstaat die Frage, ob ein eingreift. Nur dann dürfte sie das tun. Indes, dem ist Staat massenhaft Daten über seine Bürgerinnen und nicht so. Bürger sammeln und speichern darf, um sie gegebe- nenfalls sogar gegen sie zu verwenden, etwas zu su- Gegenwärtig liegen keine gesicherten empirischen chen hat. Wir sagen dazu sehr klar Nein. – Herzli- Erkenntnisse zu dieser Frage vor. Die kriminologi- chen Dank. sche Abteilung des Max-Planck-Instituts für auslän- disches und internationales Strafrecht hat in einem im Jahr 2011 veröffentlichten Gutachten mögliche Amtierende Präsidentin Dr. Angelica Schwall- Schutzlücken durch den Wegfall der Vorratsdaten- Düren: Vielen Dank, Frau Ministerin Siegesmund. speicherung untersucht. Danach konnte bei der Be- trachtung insbesondere des Jahres 2008, in dem Vor- Ich erteile das Wort Herrn Parlamentarischen ratsdaten grundsätzlich zur Verfügung standen, für Staatssekretär Lange (Bundesministerium der Justiz keinen der untersuchten Deliktbereiche eine mit der und für Verbraucherschutz). Abfrage zusammenhängende Veränderung der Auf- klärungsquote im Hinblick auf das Vorjahr oder die Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Folgejahre beobachtet werden. minister der Justiz und für Verbraucherschutz: Vie- Die Bundesregierung nimmt mit der anlasslosen len Dank, Frau Präsidentin! – Meine sehr verehrten Speicherung von Verkehrsdaten letztlich in Kauf, Damen und Herren! Sie beraten heute über den Ge- dass auch all jene Bürgerinnen und Bürger Eingriffe setzentwurf der Bundesregierung zur Einführung ei- in ihre informationelle Selbstbestimmung hinnehmen ner Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für müssen, die eben keinerlei Anlass dazu gegeben ha- Verkehrsdaten. Hierbei geht es um etwas, das in der ben. Das kehrt ein grundlegendes Prinzip im Staat- politischen Debatte nicht immer wohlgelitten ist, (B) Bürger-Verhältnis um. Enttäuschend ist dabei vor al- nämlich um einen Kompromiss zwischen Freiheit auf (D) len Dingen, dass die Bundesregierung dies ohne der einen Seite und Sicherheit auf der anderen Seite, nach außen hin erkennbaren Zwang und vergleichs- um einen Kompromiss zwischen dem Recht auf un- weise leichtfertig tut. Zu einer solchen Einschätzung kontrollierte Telekommunikation und dem Anspruch kommt man zwangsläufig, wenn man bedenkt, dass auf effektive Strafverfolgung. die Bundesregierung keine gesicherten empirischen Der Gesetzentwurf verpflichtet Telekommunika- Erkenntnisse darüber hat, ob die Vorratsdatenspei- tionsunternehmen, Verbindungsdaten ihrer Nutzer cherung einen bedeutenden Unterschied und Mehr- für zehn Wochen zu speichern. Für Standortdaten gilt wert für die Arbeit der Polizeien, Staatsanwaltschaf- eine vierwöchige Speicherpflicht. Die Daten müssen ten und weiterer staatlicher Behörden hat. unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen gespei- Auf großes Unverständnis stößt bei uns auch die chert werden. Erhoben werden dürfen sie nur unter Eile, mit der die Bundesregierung das parlamentari- engen Voraussetzungen: zur Verfolgung besonders sche Verfahren vorantreibt. Das Bundesverfassungs- schwerer Straftaten und zur Abwehr von konkreten gericht hat in seinem Urteil vom März 2010 die ge- schweren Gefahren. setzlichen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung Über die Höchstspeicherfrist wird in der Öffentlich- aufgehoben. Das Urteil liegt seit mehr als fünf Jahren keit viel geredet. Der Gesetzentwurf ist Gegenstand vor. Eine besondere Dringlichkeit des Gesetzge- intensiver Diskussionen. Ich meine, das ist gut so. bungsvorhabens ist also nicht erkennbar. Stattdessen wären vor einer Beschlussfassung über den Gesetz- Fest steht: Beide Seiten haben gute Argumente. entwurf eine gründliche fachliche Beratung sowie Wir sollten uns aber auch fragen, meine Damen und eine intensive Beteiligung vor allem der Strafverfol- Herren, ob hier manche Übertreibungen angebracht gungs- und Gefahrenabwehrbehörden sowie der Te- sind. Der gläserne Bürger, Herr Minister Markov, lekommunikationsanbieter angezeigt gewesen. Das wird auch von Ihnen beschworen. Sie sagen, die ge- konnte in dem verkürzten Verfahren gar nicht durch- samte Bevölkerung stehe unter Generalverdacht. geführt werden. Solche Parolen verschleiern den Blick auf das, worum es in dem Gesetzentwurf in Wirklichkeit geht. Im Übrigen wird die Schnelle des Verfahrens in keiner Weise der intensiven und langjährigen Dis- Ziel unseres Gesetzentwurfs ist nicht die staatliche kussion gerecht, die ein Großteil der Gesellschaft Überwachung unbescholtener Bürgerinnen und Bür- geführt hat. Wir befinden uns mitten in einem ger. Im Gegenteil, der Entwurf enthält an vielen Stel- gesellschaftlichen Veränderungsprozess, einer Trans- len Schutzvorkehrungen, um genau das zu verhin- Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 233 Parl. Staatssekretär Christian Lange (A) (C) dern. Die Speicherung der Daten erfolgt beim Meine sehr verehrten Damen und Herren, bin ich Provider – nicht beim Staat –, dem es streng verboten davon überzeugt, dass der Rechtsausschuss und der ist, sie zu irgendeinem anderen Zweck zu verwen- Innenausschuss Ihres Hauses aus diesen guten Grün- den. Die Erhebung erfolgt anlassbezogen und im den keine Einwendungen gegen den Gesetzentwurf Einzelfall. Die Erstellung von Bewegungs- und Per- geltend gemacht haben. Dafür möchte ich mich herz- sönlichkeitsprofilen wird erschwert, indem für Stand- lich bedanken. – Ich danke Ihnen auch für die Auf- ortdaten eine kürzere Speicherfrist – vier Wochen – merksamkeit. vorgesehen ist. Amtierende Präsidentin Dr. Angelica Schwall- Ein anderes Beispiel: Wir schaffen erstmals eine Düren: Vielen Dank, Herr Staatssekretär! ausdrückliche Rechtsgrundlage für die sogenannte Funkzellenabfrage. Funkzellenabfragen sind ein Je eine Erklärung zu Protokoll*) haben Frau wichtiges Ermittlungsinstrument. Ist eine besonders Staatsministerin Alt (Rheinland-Pfalz) für Frau Mi- schwere Straftat begangen worden, kann man mit nisterpräsidentin Dreyer, Minister Studt (Schleswig- Hilfe der Funkzellenabfrage zum Beispiel herausfin- Holstein) und Frau Ministerin Siegesmund (Thürin- den, welche Mobiltelefone sich zur Tatzeit am Tatort gen) abgegeben. befunden haben. Funkzellenabfragen sind aber aus Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschuss- grundrechtlicher Perspektive nicht ganz unproble- empfehlungen. Ich rufe auf: matisch, weil sie immer unterschiedslos alle Personen betreffen, die sich in der fraglichen Funkzelle aufge- Ziffer 1! – Minderheit. halten haben, also unabhängig davon, ob sie Be- Ziffer 2! – Minderheit. schuldigte in einem strafrechtlichen Ermittlungsver- fahren sind. Ziffer 3! – Minderheit. Damit hat keine Ziffer eine Mehrheit erhalten. Im Gesetzentwurf wird nun die besondere Bedeu- tung der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Funkzel- Ich frage daher, wer dann dafür ist, gegen den Ge- lenabfragen unterstrichen und das Bewusstsein dafür setzentwurf keine Einwendungen zu erheben. Ihr geschärft, dass von der Maßnahme unvermeidbar Handzeichen bitte! – Minderheit. auch unbescholtene Bürger betroffen sind. Übermä- Damit hat der Bundesrat eine Stellungnahme ßige Abfragen können auf diese Weise verhindert n i c h t beschlossen. werden. Wir kommen zu Punkt 29 c) der Tagesordnung: Meine Damen und Herren, an diesen Beispielen Tätigkeitsberichte 2012/2013 der Bundesnetz- sieht man sehr deutlich: Es geht in dem Gesetzent- agentur – Telekommunikation und Post (B) wurf nicht darum, Sie und mich zu überwachen. Es mit den (D) geht schlicht und einfach darum, ein Instrument, das Sondergutachten der Monopolkommission  den Staatsanwaltschaften und der Polizei schon Telekommunikation 2013: Vielfalt auf den heute zur Verfügung steht, etwas zu verbessern. Ver- Märkten erhalten  kehrsdatenabfragen sollen zukünftig nicht mehr ins und  Leere gehen, wenn es um Daten aus den letzten zehn Post 2013: Wettbewerbsschutz effektivieren – Wochen geht. Gegenstand dieser Abfragen sind Be- Drucksachen 18/209 und 18/210 – schuldigte in Strafverfahren, nicht Bürgerinnen und Stellungnahme der Bundesregierung (Druck- Bürger, bei denen die Behörden neugierig sind, mit sache 145/15) wem sie wohl gerade telefoniert haben. Gespeicherte Verkehrsdaten sollen erhoben werden können, wenn Ich sehe keine Wortmeldungen. dies erforderlich ist, um eine schwere Straftat aufzu- Damit stimmen wir ab über zwei Landesanträge klären oder eine erhebliche Sicherheitsgefahr abzu- und die Ausschussempfehlungen. wenden. Wir beginnen mit den Ausschussempfehlungen. Dass in diesen Fällen die Erhebung von Verkehrs- Hierbei wird auf Wunsch eines Landes über Ziffer 1 daten möglich und erfolgversprechend ist, gewähr- Buchstabe f getrennt abgestimmt. leistet unser Gesetzentwurf. Er gewährleistet es mit Zunächst frage ich deshalb: Wer stimmt der Ziffer 1 Augenmaß und beachtet dabei die Vorgaben sowohl ohne den Buchstaben f zu? – Mehrheit. des Bundesverfassungsgerichts als auch des Ge- richtshofs der Europäischen Union. Bitte Ihr Handzeichen für Ziffer 1 Buchstabe f! – Mehrheit. Frau Ministerin Siegesmund, wir freuen uns ganz Weiter mit Ziffer 2! Wer stimmt zu? – Mehrheit. besonders, dass der schleswig-holsteinische Daten- schutzbeauftragte, Thilo W e i c h e r t von den Grü- Jetzt zu dem Landesantrag in Drucksache 145/2/15, nen, unseren Gesetzentwurf als „validen Kompro- bei dessen Annahme Ziffer 3 der Ausschussempfeh- miss“ gelobt hat. lungen entfällt! Wer stimmt dem Landesantrag zu? – Mehrheit. (Anja Siegesmund [Thüringen]: Unser Damit entfällt Ziffer 3. Landesbeauftragter aber nicht!)

Das deutsche Vorgehen hat er sogar als „stilbildend“ für andere europäische Staaten bewertet. *) Anlagen 3 bis 5 234 Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 Amtierende Präsidentin Dr. Angelica Schwall-Düren (A) (C) Weiter geht es mit dem Landesantrag in Drucksa- Der Innenausschuss empfiehlt, der Verordnung zu- che 145/3/15, bei dessen Annahme Ziffer 4 entfällt. zustimmen. Wer ist dafür? Bitte das Handzeichen! – Wer stimmt dem Landesantrag zu? – Minderheit. Das ist die Mehrheit. Dann frage ich: Wer stimmt der Ziffer 4 zu? – Mehr- Dann ist so beschlossen. heit. Nun sind wir bei Punkt 40 angelangt: Damit hat der Bundesrat entsprechend Stellung genommen. Erste Verordnung zur Änderung der Gorleben- Veränderungssperren-Verordnung (Drucksa- Wir sind bei den Punkten 30 a) und b) angelangt: che 136/15) a) Zwanzigstes Hauptgutachten der Monopol- Ich darf Herrn Minister Wenzel (Niedersachsen) kommission 2012/2013 (Drucksache 324/14) das Wort erteilen. b) Zwanzigstes Hauptgutachten der Monopol- kommission 2012/2013 Stefan Wenzel (Niedersachsen): Frau Präsidentin! Stellungnahme der Bundesregierung (Druck- Sehr geehrte Damen und Herren! Niedersachsen sache 181/15) wird einer befristeten Verlängerung der Gorleben- Wir haben keine Wortmeldungen. Veränderungssperre heute zustimmen, verbunden mit der Forderung an die Bundesregierung, unver- Wir stimmen ab über die Ausschussempfehlungen. züglich eine gesetzliche Regelung zur frühzeitigen Auf Wunsch von zwei Ländern wird dabei über Ziffer 1 Sicherung von Standortregionen oder Planungsge- nach Buchstaben getrennt abgestimmt. Ich rufe auf: bieten für potenzielle Orte zur Lagerung hoch radio- Ziffer 1 Buchstabe a! – Mehrheit. aktiven Mülls zu erarbeiten. Dafür haben wir die nö- tigen Plenaranträge eingebracht. Buchstabe b! – Mehrheit. In dem mühsamen Prozess der Suche nach dem si- Buchstabe c! – Mehrheit. chersten Ort in Deutschland muss verlorengegange- Buchstabe d! – Minderheit. nes Vertrauen zurückgewonnen werden. Hinter uns liegen fast 40 Jahre harter gesellschaftspolitischer Bitte Ihr Handzeichen zu den Buchstaben e und f Konflikte. gemeinsam! – Mehrheit. Mit der Verlängerung der Veränderungssperre um Weiter mit Ziffer 2! Wer stimmt zu? – Mehrheit. zehn Jahre wären alte Sonderrechte aus der Zeit vor Damit hat der Bundesrat zu den Vorlagen entspre- dem Standortauswahlgesetz verfestigt worden. Die zentrale Voraussetzung für ein ergebnisoffenes und (B) chend Stellung genommen. (D) wissenschaftsbasiertes Auswahlverfahren, wie es in Wir kommen zu Punkt 34: § 1 des Standortauswahlgesetzes heißt, die Prämisse einer sogenannten weißen Landkarte, wäre in Frage Verordnung zur Änderung der Honigverord- gestellt. Andere potenziell geeignete Orte wären nung und anderer lebensmittelrechtlicher Vor- schriften (Drucksache 108/15) weiterhin ungeschützt Veränderungen ausgesetzt, die ihre Nutzung für eine Erkundung in Frage stellen Ein schönes Thema. – Wir haben keine Wortmel- könnten. Am Ende könnte die Suche nach einem si- dungen. cheren Ort für die Lagerung hoch radioaktiven Mülls durch die Macht des Faktischen in der alten Sack- Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussemp- gasse landen. Für das Gelingen eines Auswahlver- fehlungen vor. Daraus rufe ich auf: fahrens zur komparativen Suche nach dem sichersten Ziffer 1! – Mehrheit. und damit bestmöglichen Ort in Deutschland ist es aber entscheidend, dass zum Zeitpunkt der Auswahl Damit hat der Bundesrat der Verordnung entspre- potenziell geeignete Orte auch tatsächlich zur Verfü- chend zugestimmt. gung stehen und nicht bereits durch konkurrierende Es bleibt noch abzustimmen über eine empfohlene Nutzungen unbrauchbar gemacht worden sind. Entschließung. Ich rufe auf: Hierüber waren wir uns in der Atommüllkommis- Ziffer 2! – Mehrheit. sion einig. Differenziert diskutiert haben wir dage- gen über die Frage, ob wir dafür eine Verlängerung Ziffer 3! – Mehrheit. der Gorleben-Veränderungssperre überhaupt brau- Damit hat der Bundesrat eine Entschließung ge- chen. Ein Teil der Kommissionsmitglieder vertrat die fasst. Auffassung, dass wir die Gorleben-Veränderungs- sperre nicht mehr – auch nicht befristet – brauchen, Wir kommen zu Punkt 39: weil wir die im Gesetz vorgesehene Offenhaltung Verordnung zur Änderung der Personalaus- auch nach Bergrecht ermöglichen können. weisverordnung, der Personalausweisgebüh- In der Diskussion ging es dabei weniger um unter- renverordnung und der Ersten Bundesmelde- schiedliche rechtliche Auffassungen als um die datenübermittlungsverordnung (Drucksache Frage, welchen Wert man der Vertrauensbildung in 219/15) den Suchprozess im Verhältnis zur Rechtssicherheit Wir haben keine Wortmeldungen. beimisst. Bei einer Frage, meine Damen und Herren, Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 235 Stefan Wenzel (Niedersachsen) (A) (C) liebe Kolleginnen und Kollegen, die auch für sehr Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei viele nachfolgende Generationen von Bedeutung ist, der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau geht es um Vertrauen als zentrale Kategorie und um und Reaktorsicherheit: Sehr geehrte Frau Präsiden- die Gleichbehandlung aller potenziell geeigneten tin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich, Orte zur Lagerung hoch radioaktiver Abfälle. Das dass wir im Rahmen der intensiven Gespräche im Standortauswahlverfahren steht und fällt mit der Vorfeld der heutigen Bundesratssitzung trotz diver- Glaubwürdigkeit des gesamten Prozesses. Eine iso- gierender Ausgangspositionen eine Konsenslösung lierte Veränderungssperre und ein gleichzeitiger Ver- gefunden haben, die sowohl die gesetzlich gefor- zicht auf die Sicherung anderer möglicher Standorte derte Sicherung des Salzstockes Gorleben gewähr- würden diesen Prozess schwer belasten. leistet als auch dem Anliegen einer möglichst frühzeitigen rechtlichen Sicherung aller sonstiger Damit das Standortauswahlverfahren an Glaub- potenzieller Endlagerstandorte Rechnung trägt. würdigkeit gewinnt, brauchen wir eine Regelung, die eine Gleichbehandlung aller in Betracht kommenden Zur gesetzlich vorgegebenen Sicherung des Salz- Endlagerstandorte sicherstellt. Hier ist die Bundes- stockes Gorleben gegen Eingriffe Dritter hat die Bun- regierung gefordert. Sie muss unter Beteiligung der desregierung den heute zu beratenden Entwurf der Atommüllkommission unverzüglich eine Regelung Ersten Verordnung zur Änderung der Gorleben-Ver- erarbeiten, die eine frühzeitige Sicherung von Stand- änderungssperren-Verordnung eingebracht. Er ent- ortregionen oder Planungsgebieten ermöglicht. hält im Wesentlichen die Verlängerung der bestehen- den Verordnung. Mit der rechtzeitigen Verlängerung Meine Damen und Herren, wir sehen in der heute wird die im Standortauswahlgesetz normierte Offen- vorliegenden Entschließung mit Maßgabe einen kon- haltungspflicht mit dem Ziel der Einbeziehung des struktiven Kompromiss, weil die Befristung mit der Standortes Gorleben in das Auswahlverfahren Forderung nach einer Regelung zur Gleichbehand- rechtssicher umgesetzt. lung erfolgt. Entscheidungen zur sicheren Lagerung hoch radioaktiver Abfälle haben Folgen für viele In diesem Zusammenhang bekräftige ich, dass die nachfolgende Generationen. Deshalb braucht es Verlängerung keine Vorfestlegung auf den Salzstock Konsens über Verfahren und Prozesse nicht nur in Gorleben beinhaltet. Diese Überzeugung lag auch dem im Jahr 2013 erzielten Endlagerkonsens zu- der Gegenwartsgesellschaft, sondern auch zwischen grunde, wonach lediglich sichergestellt werden heute lebenden Generationen und künftig lebenden sollte, dass der Standort Gorleben in den Endlager- Generationen. suchprozess einzubeziehen ist. Der Salzstock Gorle- Ich hoffe, dass der heutige Beschluss die Arbeit der ben nimmt wie jeder andere potenzielle Standort auf (B) Atommüllkommission voranbringt. Erfreulich ist es den nach dem Standortauswahlgesetz festgelegten (D) deshalb auch, dass das Bundesumweltministerium, Entscheidungsgrundlagen, die die Endlagerkommis- Frau Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter, den Kom- sion erarbeitet, an dem Auswahlverfahren teil. promiss mitträgt. Die Bundesregierung wird sicherstellen, dass auch Meine Damen und Herren, besonders danken künftige Standorte im Auswahlverfahren umfassend möchte ich all denjenigen, die sich um eine Lösung gesichert werden. Aus diesem Grunde werden wir dieses Konflikts bemüht haben. Das Ergebnis zeigt, zügig gesetzliche Regelungen vorlegen, die eine dass es in der Kommission und hier im Bundesrat den frühzeitige Sicherung von Standortregionen oder Pla- ernsthaften Willen zur Lösung schwieriger Probleme nungsgebieten für potenzielle Endlagerstandorte er- gibt. möglichen. Entsprechende Regelungen werden wir jetzt schnell erarbeiten. Mit der in dem vereinbarten Die Herausforderungen sind allerdings noch ge- Kompromiss vorgesehenen befristeten Verlängerung waltig. Aber heute wird ein weiterer wichtiger Schritt wird uns die dafür erforderliche Zeit gegeben. – womöglich sogar mit breiter Mehrheit – gegangen. Vor diesem Hintergrund bin ich davon überzeugt, Kein Land der Erde hat bislang ein Lager für die dass die erzielte Verständigung sowohl den Beden- dauerhafte Lagerung hoch radioaktiven Mülls in Be- ken gegen eine Verlängerung der Veränderungs- trieb genommen. Das weltweit erste Pilotprojekt, die sperre als auch dem bestehenden Bedürfnis nach ei- Asse, ist schwer havariert; der Müll muss zurückge- ner lückenlosen und frühzeitigen Sicherung holt werden. Daraus müssen wir lernen. – Meine Da- potenzieller Standorte im Standortauswahlverfahren men und Herren, ich danke Ihnen herzlich fürs Zuhö- hinreichend Rechnung trägt. ren. Das erzielte Ergebnis zeigt, dass Konsensbereit- schaft bei der Endlagersuche besteht. Dies ist ein gu- Amtierende Präsidentin Dr. Angelica Schwall- tes Zeichen für die noch anstehenden Aufgaben im Düren: Vielen Dank, Herr Minister Wenzel! Rahmen der Endlagersuche. Sie sind wahrlich nicht einfach und können ohne politischen und gesell- Ich erteile Frau Parlamentarischer Staatssekretärin schaftlichen Konsens nicht gelingen. Es ist somit ein Schwarzelühr-Sutter (Bundesministerium für Um- gutes Zeichen für die Vertrauensbildung und zeigt, welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit) das dass wir die Aufgaben ernst nehmen. – Herzlichen Wort. Dank. 236 Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015

(A) (C) Amtierende Präsidentin Dr. Angelica Schwall- Ich rufe den Landesantrag in Drucksache 136/3/15 Düren: Vielen Dank, Frau Staatssekretärin! auf. Wer ist dafür? – Auch das ist die Mehrheit. Wir kommen zur Abstimmung. Ihnen liegen die Damit entfällt Ziffer 3. Ausschussempfehlungen sowie zwei Landesanträge Der Bundesrat hat, wie soeben festgelegt, eine Ent- vor. schließung gefasst. Ich beginne mit dem Landesantrag in Drucksache Dann haben wir unsere Arbeit für heute geleistet, 136/2/15. Wer stimmt zu? – Das ist die Mehrheit. meine Damen und Herren. Die Tagesordnung der Wir kommen zur Schlussabstimmung: Wer der Ver- heutigen Sitzung ist erledigt. ordnung, wie soeben festgelegt, zustimmen möchte, Die nächste Sitzung des Bundesrates berufe ich ein den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die auf Freitag, den 10. Juli 2015, 9.30 Uhr. Mehrheit. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Dann ist so beschlossen. Die Sitzung ist geschlossen. Es bleibt abzustimmen über eine Entschließung, wobei die Empfehlung unter Ziffer 4 entfällt. (Schluss: 12.51 Uhr)

Beschluss im vereinfachten Verfahren (§ 35 GO BR)

Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Europarats im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2014 sowie vom 1. Juli bis 31. Dezember 2014 (Drucksache 138/15) Ausschusszuweisung: EU Beschluss: Kenntnisnahme (B) (D)

Feststellung gemäß § 34 GO BR Einspruch gegen den Bericht über die 933. Sitzung ist nicht eingelegt worden. Damit gilt der Bericht ge- mäß § 34 GO BR als genehmigt. Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 237*

(A) (C) Anlage 1 gleichsam für eine Benachteiligung ihrer Mitglieder, indem sie daran gehindert werden, ihr Grundrecht Erklärung auf Koalitionsfreiheit wahrzunehmen.

Für die Notwendigkeit dieses Gesetzes wurden Dr. Helmuth Markov von Minister viele Szenarien herangezogen, die – Sie gestatten (Brandenburg) mir diesen Vergleich – vielfach an die Debatten über zu Punkt 2 der Tagesordnung die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes er- innern. Dem vorliegenden Gesetz zur Tarifeinheit kann durch das Land Brandenburg nicht zugestimmt wer- Es bestünde, so hieß es, die Gefahr, dass Tarifplu- den. Zu begründen ist dies vor allem damit, dass die ralität zu einem Unterbietungswettbewerb führen Rechte kleinerer Gewerkschaften nach Artikel 9 Ab- würde, Arbeitgeber sich andauernden Arbeitskämp- satz 3 des Grundgesetzes im Allgemeinen unverhält- fen ausgesetzt sehen müssten und erhebliche prakti- nismäßig eingeschränkt werden und die Regelung sche Schwierigkeiten erwachsen könnten. All diese der Tarifeinheit nach dem Mehrheitsprinzip in das Thesen sind widerlegbar. Eine ausufernde Welle von verfassungsrechtlich garantierte Streikrecht dieser neugegründeten Spartengewerkschaften ist nicht zu Gewerkschaften eingreift. erwarten, wie das DIW bestätigt, und Unterbietungs- konkurrenzen kann man durch andere Möglichkei- In Artikel 9 Absatz 3 heißt es: „Das Recht, zur ten – insbesondere Kontrollmöglichkeiten – wirksam Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirt- unterbinden. Schlussendlich lässt die Sorge um fort- schaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für währende Arbeitskämpfe außer Acht, dass auch die jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abre- Arbeitgeberseite ein aktiver Teil von Tarifverhand- den, die dieses Recht einschränken oder zu behin- lungen ist und dabei nicht selten die entsprechenden dern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maß- Abschlüsse durchaus mitkoordiniert. So bleibt auch nahmen sind rechtswidrig.“ Damit garantiert das mit der Beschlussfassung des Deutschen Bundesta- Grundgesetz Gewerkschaftsvielfalt, die aus meiner ges – wie Professor Dr. Wolfgang Däubler es in einem Sicht eine Vielfalt von Tarifverträgen mindestens im- Gutachten formulierte – offen, ob das Gesetz zur Ta- pliziert. rifeinheit dem Anspruch gerecht wird, die Rechte einzelner Gewerkschaften gestaltbarer zu machen, Diese nun in ein gesetzliches Korsett zu zwängen, oder ob es sie nicht vielmehr einschränkt. das insbesondere kleinere Gewerkschaften mit sehr spezifischen Mitgliedsstrukturen dieses Grundrech- (B) tes beraubt, erachte ich als äußerst problematisch, da (D) es automatisch mit einer Einschränkung des Streik- rechtes einhergeht. Streik aber ist ein legitimes Mit- tel, um Forderungen und Regelungen in Verhandlun- Anlage 2 gen um neue Tarife durchzusetzen.

Von diesem Recht können kleine Gewerkschaften Umdruck 5/2015 keinen Gebrauch machen, wenn eine Kollision der Geltungsbereiche absehbar ist und somit die Mehr- Zu den folgenden Punkten der Tagesordnung der heitsregelung greifen kann. Das Mehrheitsprinzip 934. Sitzung des Bundesrates möge der Bundesrat wird zum Fallstrick, weil der Arbeitgeber die Ver- gemäß den vorliegenden Empfehlungen und Vor- hältnismäßigkeit eines Streikes gerichtlich prüfen schlägen beschließen: lassen kann. Geht es dabei um den Tarifvertrag einer Minderheitengewerkschaft, der nach dem eben be- nannten Mehrheitsprinzip keine Aussicht auf ein Wirksamwerden hat, ist auch ein Streik nicht verhält- nismäßig. Hier liegt die eingangs beschriebene Ein- schränkung der Rechte von kleinen Gewerkschaften I. begründet, die ich nicht mittragen kann. Zu den Gesetzen einen Antrag auf Anrufung des Darüber hinaus greift das Gesetz zur Tarifeinheit Vermittlungsausschusses nicht zu stellen: auch in die Grundrechte des Einzelnen ein. Eindeu- tig regelt das Grundgesetz die Freiheitsrechte für Punkt 3 „jedermann und alle Berufe“ und schützt damit nicht Viertes Gesetz zur Änderung des Rindfleischeti- mehr und nicht weniger als das Recht des Einzelnen, kettierungsgesetzes (Drucksache 224/15) sich frei zu organisieren. Das vorliegende Gesetz be- schneidet dieses Grundrecht, sofern Arbeitnehmerin- Punkt 4 nen und Arbeitnehmer Mitglieder einer sogenannten Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum Minderheitsgewerkschaft sind. Die oben beschriebe- Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2015 nen Umstände sorgen mit der zu befürchtenden (Nachtragshaushaltsgesetz 2015) (Drucksache Diskriminierung einzelner kleiner Gewerkschaften 225/15) 238* Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015

(A) (C) Punkt 6 Punkt 24 Kleinanlegerschutzgesetz (Drucksache 226/15) Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 14. Oktober 2014 zur Änderung und Ergänzung Punkt 7 des Abkommens vom 7. September 1999 zwi- Neuntes Gesetz zur Änderung des Bundesverfas- schen der Bundesrepublik Deutschland und der sungsgerichtsgesetzes (9. BVerfGGÄndG) Republik Usbekistan zur Vermeidung der Dop- (Drucksache 229/15) pelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksache Punkt 11 201/15) Erstes Gesetz zur Änderung des Informations- weiterverwendungsgesetzes (Drucksache 233/15) Punkt 25 Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Übereinkommen vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher II. Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschiff- Den Gesetzen zuzustimmen: fahrt und zu dem Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Protokoll vom 10. März 1988 zur Bekämp- Punkt 8 fung widerrechtlicher Handlungen gegen die Si- Gesetz zum Internationalen Erbrecht und zur Än- cherheit fester Plattformen, die sich auf dem derung von Vorschriften zum Erbschein sowie zur Festlandsockel befinden (Drucksache 203/15) Änderung sonstiger Vorschriften (Drucksache 230/15) Punkt 26 Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll vom Punkt 9 24. Juni 2010 zur Änderung des am 25. und Gesetz zur Neuregelung der Unterhaltssicherung 30. April 2007 unterzeichneten Luftverkehrsab- sowie zur Änderung soldatenrechtlicher Vor- kommens zwischen den Vereinigten Staaten von schriften (Drucksache 231/15) Amerika und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten (Drucksache 204/15)

(B) (D) III.

Gegen die Gesetzentwürfe keine Einwendungen IV. zu erheben: Zu den Gesetzentwürfen die in den zitierten Emp- Punkt 16 fehlungsdrucksachen wiedergegebenen Stellung- Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Trans- nahmen abzugeben: parenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie (Drucksa- che 194/15) Punkt 18 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Be- Punkt 20 a) rufsqualifikationsfeststellungsgesetzes und an- Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll von Nagoya vom 29. Oktober 2010 über den Zugang derer Gesetze (Drucksache 196/15, Drucksache zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene 196/1/15) und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nut- zung ergebenden Vorteile zum Übereinkommen Punkt 20 b) über die biologische Vielfalt (Drucksache 202/15) Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Ver- pflichtungen nach dem Nagoya-Protokoll und zur Punkt 21 Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 511/2014 Entwurf eines Gesetzes über die internationale sowie zur Änderung des Patentgesetzes (Drucksa- Zusammenarbeit zur Durchführung von Sank- che 197/15, Drucksache 197/1/15) tionsrecht der Vereinten Nationen und über die internationale Rechtshilfe auf Hoher See sowie Punkt 23 zur Änderung seerechtlicher Vorschriften (Druck- sache 198/15) Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Januar 1988 über die gegenseitige Amts- Punkt 22 hilfe in Steuersachen und zu dem Protokoll vom Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung 27. Mai 2010 zur Änderung des Übereinkommens des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes (Druck- über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen sache 199/15) (Drucksache 200/15, Drucksache 200/1/15) Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015 239*

(A) (C) V. VIII.

Zu den Vorlagen die Stellungnahmen abzugeben Den Vorlagen ohne Änderung zuzustimmen: oder ihnen nach Maßgabe der Empfehlungen zuzu- stimmen, die in der jeweils zitierten Empfehlungs- drucksache wiedergegeben sind: Punkt 33 b) Einundzwanzigste Verordnung zur Anpassung Punkt 27 des Bemessungsbetrages und von Geldleistun- Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung gen nach dem Bundesversorgungsgesetz der Neuregelung zum Gründungszuschuss mit (21. KOV-Anpassungsverordnung 2015 – dem Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungs- chancen am Arbeitsmarkt (Drucksache 168/15, 21. KOV-AnpV 2015) (Drucksache 205/15) Drucksache 168/1/15) c) Siebenundvierzigste Verordnung über das an- zurechnende Einkommen nach dem Bun- Punkt 31 desversorgungsgesetz (Siebenundvierzigste Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Anrechnungsverordnung – 47. AnrV) (Druck- Parlaments und des Rates über die Tierzucht- und sache 174/15) Abstammungsbestimmungen für den Handel mit Zuchttieren und deren Zuchtmaterial in der Union Punkt 35 sowie für die Einfuhr derselben in die Union COM(2014) 5 final Erste Verordnung zur Änderung der Ersten Ver- (Drucksache 49/14, zu Drucksache 49/14, Druck- ordnung zur Durchführung von EU-Sonderstüt- sache 245/15) zungsmaßnahmen im Sektor Obst und Gemüse im Jahr 2015 (Drucksache 148/15) Punkt 32 Mitteilung der Kommission an das Europäische Punkt 36 Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank, Zweite Verordnung zur Änderung blauzungen- den Europäischen Wirtschafts- und Sozialaus- rechtlicher Vorschriften (Drucksache 149/15) schuss und den Ausschuss der Regionen: EU-Jus- tizbarometer 2015 COM(2015) 116 final Punkt 38 (Drucksache 92/15, Drucksache 92/1/15) Erste Verordnung zur Änderung der Zweiten Bun- desmeldedatenübermittlungsverordnung (Druck- sache 175/15) (B) (D) Punkt 42 VI. Elfte Verordnung zur Änderung der Ferienreise- Entlastung zu erteilen: verordnung (Drucksache 184/15)

Punkt 28 Entlastung der Bundesregierung wegen der Haushaltsrechnung und der Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 2013 (Drucksa- che 256/14, zu Drucksache 256/14, Drucksache IX. 581/14, Drucksache 170/15) Entsprechend den Anregungen und Vorschlägen zu beschließen:

Punkt 43 VII. Benennung von zwei Mitgliedern des Stiftungsra- Von den Vorlagen Kenntnis zu nehmen: tes der Stiftung „Humanitäre Hilfe“ für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen (Drucksa- Punkt 29 che 4/15, Drucksache 4/1/15) a) Tätigkeitsbericht 2012/2013 der Bundesnetz- agentur – Telekommunikation Punkt 44 mit Benennung eines Mitglieds des Kuratoriums der Sondergutachten der Monopolkommission – Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepu- Telekommunikation 2013: Vielfalt auf den blik Deutschland“ (Drucksache 244/15) Märkten erhalten (Drucksache 812/13) b) Tätigkeitsbericht 2012/2013 der Bundesnetz- Punkt 45 agentur – Post mit Vorschlag des Bundesministers der Justiz und für Sondergutachten der Monopolkommission – Verbraucherschutz für die Ernennung einer Bun- Post 2013: Wettbewerbsschutz effektivieren desanwältin beim Bundesgerichtshof (Drucksa- (Drucksache 813/13) che 246/15) 240* Bundesrat – 934. Sitzung – 12. Juni 2015

(A) (C) X. wirkungen des Gesetzes spätestens drei Jahre nach Inkrafttreten zu evaluieren. Zu den Verfahren, die in der zitierten Drucksache bezeichnet sind, von einer Äußerung und einem Bei- tritt abzusehen:

Anlage 4 Punkt 46 Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht Erklärung (Drucksache 213/15) von Minister Stefan Studt (Schleswig-Holstein) zu Punkt 19 der Tagesordnung Die Landesregierung Schleswig-Holsteins lehnt Anlage 3 die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung als problematischen Eingriff in die Grundrechte Erklärung grundsätzlich ab. Sie setzt sich daher auch im Bun- desrat gegen jede Form der Vorratsdatenspeicherung ein. von Staatsministerin Irene Alt (Rheinland-Pfalz) zu Punkt 19 der Tagesordnung

Für Frau Ministerpräsidentin Malu Dreyer gebe Anlage 5 ich folgende Erklärung zu Protokoll: Rheinland-Pfalz spricht sich dafür aus, dass die Erklärung Anwendung und die Auswirkungen des Gesetzes drei Jahre nach seinem Inkrafttreten evaluiert wer- von Ministerin Anja Siegesmund den. (Thüringen) zu Punkt 19 der Tagesordnung Die Sicherheitsbehörden brauchen effektive Mit- tel, um gegen schwerste Kriminalität vorgehen zu Der Freistaat Thüringen hat Zweifel an der Verein- können. Allerdings sind auch die verfassungsrechtli- barkeit des Gesetzentwurfs mit höherrangigem chen Vorgaben, unter denen eine Speicherung von Recht. Im Hinblick auf das Urteil des Gerichtshofs (B) Telekommunikationsverkehrsdaten aller Bürgerin- der Europäischen Union vom 8. April 2014 ist insbe- (D) nen und Bürger denkbar wäre, sehr ernst zu nehmen. sondere fraglich, ob die vorgesehene anlass- und ver- Der Gerichtshof der Europäischen Union und das dachtslose Speicherung der Verbindungsdaten sämt- Bundesverfassungsgericht haben festgestellt, dass es licher Bürgerinnen und Bürger mit den EU- sich bei der anlasslosen Speicherung dieser Daten Grundrechten vereinbar ist. Darüber hinaus liegen um einen besonders schweren Eingriff in die Grund- gegenwärtig keine gesicherten empirischen Erkennt- rechte der Bürgerinnen und Bürger handelt. Die Si- nisse darüber vor, ob mit der flächendeckenden Vor- cherheitsbelange des Staates und der Bevölkerung ratsdatenspeicherung die Ziele der Gefahrenabwehr sowie die Eingriffe in die Grundrechte der Bürgerin- und der Strafverfolgung überhaupt erreicht werden nen und Bürger müssen zu einem verhältnismäßigen können. Angesichts der Schwere des mit der weitrei- Ausgleich gebracht werden. chenden Speicherpflicht verbundenen Grundrechts- eingriffs und der komplexen verfassungs- und euro- Um überprüfen zu können, inwieweit das beab- parechtlichen Fragen bedarf der Gesetzentwurf einer sichtigte Gesetz, sofern es den verfassungsrechtli- eingehenden fachlichen Beratung unter Beteiligung chen Anforderungen genügt, seinen Zweck erreicht, der Praxis. Dies ist in dem gegenwärtigen verkürzten erscheint es angezeigt, die Anwendung und die Aus- Verfahren nicht möglich.