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Sendung vom 06.08.1999

Hans Abich ARD-Programmdirektor und Intendant Radio a.D. im Gespräch mit Sybille Giel

Giel : Ich begrüße Sie sehr herzlich bei Alpha-Forum. Heute ist bei uns Hans Abich zu Gast. Er war zuerst Filmproduzent, dann Fernsehberater, Programmdirektor, schließlich Intendant bei „Radio Bremen“ und im Anschluß daran bis 1978 Programmdirektor beim „Deutschen Fernsehen“. Seitdem ist er Privatier mit tausend Nebenjobs. Herr Abich, herzlich willkommen. Abich: Danke schön. Giel: So viele Tätigkeiten: Welche war Ihnen denn die wichtigste? Abich: Immer diejenige, die ich gerade machte. Im Rückblick war vielleicht doch der gesamte ARD-Bezug am wichtigsten. Aber die aufregendste Zeit war damals die Spielfilm-Zeit. Giel: Wie sind Sie zum Film gekommen? Abich: Aus Versehen, per Zufall, genauer gesagt über einen Freund – der allerdings selbst ein Laie war. Giel: Sie haben ja eigentlich Jura studiert. Abich: Ja, eigentlich ja. Giel: Sie haben also Jura studiert und dieses Studium auch abgeschlossen. Wie kam es dann zu diesem Schritt hin zum Film? Abich: 1945 war man entweder ganz frei oder ganz gelähmt. Dieser Freund kam zu mir - es war überhaupt ein Wunder, wenn man einen Freund lebend wiedergetroffen hat – und fragte mich, ob wir zusammen etwas machen wollen. Ich sinnierte noch darüber, was er denn damit meinen könnte, da sagte er mir, wir sollten zusammen Filme machen. Ich war verwundert darüber und habe ihn gefragt, was ich denn dabei machen sollte. Er sagte nur: "Juristen werden immer gebraucht." Ich war freilich noch gar kein abgeschlossener Jurist: Ich war noch im Referendariat. Jedenfalls war es so, dass dabei wiederum in mir etwas gezündet haben muss, denn ich sagte zu ihm: "Da sollten wir doch gleich nachdenken, was wir machen wollen." Giel: Wie machte man denn in Deutschland nach dem Krieg Filme? Abich: Indem man sich z. B. darüber irrte, dass neu erscheinende Bücher lange auf sich warten lassen würden. Ich glaubte, die Besatzung würde Bücher nicht so sehr schnell wieder erlauben. Demgegenüber glaubten wir, dass die Leute sehr wohl ins Kino gehen würden: Damit – so dachten wir – wären wohl auch die Besatzungsmächte einverstanden. Aufgrund der Abschottung im Dritten Reich hatten wir natürlich vom internationalen Film keine Kenntnis: Wir hatten keine Ahnung, welch wunderbare Filme es mittlerweile in der Welt gab. Deswegen dachten wir uns, dass wir für Deutschland wohl ganz gute Filme machen könnten. Giel: Was war dann Ihr erster Film? Abich: Das war ein Film nach dem Buch "Draußen vor der Tür" von Wolfgang Borchert. Dieser Film hatte dann den Verleihtitel "Liebe '47": Er gilt, glaube ich, als bemerkenswert – und er war Lehrgeld, das wir bezahlen mussten, denn er war ein Totalverlust, weil ihn keiner sehen wollte. Einige Leute wollten ihn schon sehen, aber das waren eben nur sehr wenige. Und damit waren wir dann eigentlich schon wieder fertig mit dem Thema "Film". Giel: Und dann? Abich: Dann muss man Glück haben: Beim zweiten Mal muss man Glück haben – und das hatten wir. Giel: Was war denn Ihr zweiter Film? Abich: Das war die "Nachtwache". Diesen Film machten wir zusammen mit einer Firma, zu der der Regisseur Harald Braun gehörte, der "Neuen Deutschen Filmgesellschaft". Diese Firma war zunächst nicht angesprungen auf dieses Projekt, und als Braun von mir hörte, dass wir das gerne machen würden, fragte er mich, und so haben wir uns dann zusammengetan. Giel: Von was handelt die "Nachtwache"? Abich: Heute würde man das unter das Stichwort eines ökumenischen Versuchs einordnen: Das war eine Thematik, die damals vielleicht sogar auf der Straße gelegen hat, die aber im Kino bis dahin nicht vorgekommen ist. Es geht darum, wie Menschen nach 1945 mit Fragen des Glaubens, mit Fragen der Gottesfurcht – oder wie immer wir das auch nennen wollen –, umgehen und welche Unterschiede dabei zwischen den beiden Konfessionen als solchen und welche Unterschiede zwischen den Konfessionen und der Welt, dieser anderen Wirklichkeit, bestehen. Dafür hatten wir ein geschicktes, ein schönes und Menschen-beleuchtendes Drehbuch. Giel: Was wollten Sie mit Ihren Filmen in so einer Zeit erreichen? Das war ja eine Zeit, in der alles zusammengebrochen war. Abich: Wir waren natürlich – sonst dürfte man so etwas gar nicht anfangen – Idealisten. Wir wollten dabei helfen, diese schlimmen Zeiten zu überwinden. Daher wandten wir uns dem Menschen zu, der sich vielleicht wieder zur eigenen Bestimmung durchringen könnte: Dazu braucht der Mensch ja thematische Hilfen. Im Blick zurück klingt das nun so, als ob wir das damals schon alles gewußt hätten, aber wir hatten eben irgend etwas in der Richtung im Sinn – mehr kann ich dazu nicht sagen. Wir wollten jedenfalls keine schlechten Filme machen. Giel: Glauben Sie, das ist Ihnen gelungen? Abich: Nein, nicht voll, denn erstens einmal gelingt einem nicht jeder Film und zweitens haben wir im Lauf der Zeit in so einer Art von Auf- und Abbewegung Filme produziert. Wir hatten also Erfolge und Mißerfolge – und auch mittlere Erfolge. Wir haben natürlich auch nicht mit jedem Thema das getroffen, woran uns wirklich gelegen war. Aber wir sind schon ziemlich anständige Produzenten geworden. Wir gehörten freilich nicht so ganz voll zur Branche, denn wir haben diese Branche immer etwas mit Respekt belächelt – und uns selbst natürlich noch mehr. Uns haben die Leute interessiert, die wir damals so als Newcomer um uns versammeln konnten. Giel: Wer war damals dabei, den man jetzt noch kennt? Abich: Sie meinen Menschen? Giel: Ja. Abich: Alle, die lebten und nach vorne dachten. Sie müssen sich das ungefähr so wie in einem Sandkasten vorstellen. In dieser Universitätsstadt Göttingen haben wir mit unserem Vorhaben, Filme machen zu wollen, für so viel Aufsehen gesorgt, dass damals alle alten Fachleute, die ihre Kräfte wieder freisetzen wollten, ankamen und sich das ansahen. Sie haben uns am Anfang nicht viel zugetraut, dann jedoch immer mehr: Das war eine ganz einmalige Begegnung zwischen Neu und Alt. Giel: Ihr erster Film war, wie gesagt, ein Reinfall. Ihr zweiter Film musste aber auch finanziert werden: Wie haben Sie das dann hinbekommen? Abich: Ja, das blieb für lange Zeit ein Geheimnis, bis es dann nach einem gewissen Zeitabstand ausgeplaudert werden konnte. Wir haben von Banken Kredite bekommen, weil wir sie mit unserer Begeisterung angesteckt haben: Das geschieht bei Banken an sich nicht so schnell. Außerdem hatten wir eine weitere Quelle erschlossen: Das war das Gedankenverdienst meines Freundes Rolf Thiel, denn er sagte, dass so ein Thema doch die Kirchen interessieren müsste. Er sagte dazu auch noch etwas, das ich als ganz unstatthaft empfunden habe: "Wir sollten die Kirchen ein bißchen zur Kasse bitten." Ich fragte ihn, wie wir das denn machen sollten. Durch Nachdenken kam er auf die Idee der Bürgschaften – nicht für alles, aber so ein bißchen für die Beträge in dieser gefährlichen Spitze, wofür wirklich der Produzent gerade stehen muss. Und tatsächlich: Von drei beherzten Landesbischöfen bekamen wir eine finanzielle Unterstützung. Wir boten ihnen auch - das war nun meine Idee gewesen, damit das Ganze auch ein wenig Spaß macht, wenn es ein Erfolg werden würde – eine kleine Gewinnbeteiligung an. Das spielte sich eben mit Leuten wie Niemöller, Lilie und Held ab. Aber wir legten – auch vom Thema her – Wert darauf, dass die finanziell nicht beteiligte katholische Kirche in dem Film quasi nicht bloß als zweite Geige auftrat. Giel: Sie haben sich dann später in sehr vielen Einrichtungen der Kirche sehr stark engagiert, z. B. im GEP, im „Gemeinschaftswerk der Evangelischen Kirche“ und dann später auch noch in der Firma „Eikon“, der Produktionsfirma der Evangelischen Kirche. Hatte das damit etwas zu tun? Abich: Ja, ich habe davon vielleicht so einen kleinen "Schlag" behalten: Das hatte sicher damit zu tun. Giel: Was haben Sie da gemacht? Abich: Meist war ich unter diesen kirchlichen Leuten der einzige Fachmann, der vom Film kam – und solche Kirchenräte hörten ganz gerne auf so jemanden, den sie da jeweils dabei hatten. Ich habe das ein paar Jahre lang gemacht. Wir haben dabei wiederum versucht, die Branche für die Kirchen etwas ambitionierter darzustellen. Das wurde dann wirklich eine fruchtbare Zusammenarbeit. Giel: Sie waren bei der „Eikon“ ja auch Verwaltungsratsvorsitzender. Abich: Ja, und beim Gemeinschaftswerk für eine Weile auch stellvertretender Vorsitzender. Giel: Was macht man da konkret? Abich: Oh, das kennen Sie auch! Sitzungen macht man. Und man versucht eben, gute Projekte zu fördern. Giel: Was glauben Sie, wie die Kirche im Medium Fernsehen oder im Medium Film überhaupt aufscheinen kann? Abich: Damals ist es so gewesen – und das könnte man auch wirklich nachweisen: Wenn man als Filmproduzent erlebt hat, dass die beste Fachkritik, die präziseste und fast auch die liberalste Kritik aus den beiden Konfessionen kam, war man wie vom Donner gerührt. Da hat man sich dann gesagt, dass das Gesprächspartner sind, mit denen man so eigentlich gar nicht gerechnet hatte. Diese Kritik war damals nämlich wirklich sehr gut: streng, aber gut. Giel: Was waren in dem Zusammenhang Ihre größten Anliegen? Abich: Ach... Giel: Das ist sicherlich ein großes Wort. Was waren denn möglicherweise Ihre kleinen Anliegen? Was wollten Sie erreichen? Abich: Jeder Film hat ein eigenes Anliegen und hat mit seiner eigenen Zeit etwas zu tun. Es ging darum, wie wir uns entwickeln – auch in politischer Hinsicht. In zwei Worten kann ich das eigentlich gar nicht sagen. Wir wollten gute Filme machen, und wir wurden dann ja auch "Problemfilmer" genannt. Bei diesem Begriff des "Problemfilms" war auch eine Schattenseite mit dabei: Das war zwar ein Lob, aber so ganz koscher waren wir der Branche eigentlich nicht. Giel: Vom Film zum Hörfunk und zum Fernsehen: Wie kamen Sie nach Bremen? Denn Ihre nächste Station war ja Bremen, wo Sie zunächst einmal als Fernsehberater angefangen haben. Abich: Es war schon erstaunlich, warum mich die Leute in Bremen überhaupt haben wollten. Es hing wohl damit zusammen: Ich hatte bis dahin eine einzige Hörfunksendung gemacht. Dabei war es um diesen Film "Nachtwache" gegangen. Der Mann, der das damals im Radio mit mir gemacht hat, war Programmdirektor in Bremen geworden: Das war Heinz Friedrich, der spätere DTV-Verleger. Er hatte mich seinem Intendanten empfohlen. Für mich war es freilich kurios, dass das Fernsehen einen Menschen vom Film haben wollte: Offenbar hielten sie das für ungefähr dasselbe. Warum aber Bremen auf mich zugekommen ist, wird vielleicht noch deutlicher, wenn ich Ihnen das Folgende erzähle: Das klingt wie eine Anekdote, aber es ist die reine Wahrheit – das wußte ich damals freilich nicht. In der Kantine des „Norddeutschen Rundfunks“ saßen zufällig Mitarbeiter aus Bremen, die hörten, wie sich am Nebentisch Leute über Spielfilme unterhielten. "Na, der Abich wird vielleicht auch bald Pleite gehen", hat dabei einer gesagt. Diese Mitarbeiter sind dann pflichtschuldigst nach Bremen zurückgefahren und haben ihrem Haus gemeldet: "Ihr sucht doch einen Fernsehberater: Man hört, der Abich, der aus Göttingen, der soll vielleicht kaputt gehen." Ich ging zwar nicht kaputt – aber schon hat mich dann Herr Friedrich angerufen, ob er mich in München besuchen könnte. Ich schlug ihm vor, nach Bremen zu kommen, aber er bestand darauf, nach München zu kommen. Und so entstand diese Zusammenarbeit. Während ich da in Bremen die Leute noch beriet - ziemlich ohne Erfolg, wie ich fand – , sagte dann Friedrich eines Tages zu mir, er möchte von Bremen weggehen, weil er einen Verlag mitbegründen könne. Es ging um diesen wunderbaren DTV-Verlag, und er hatte schon einen dieser Buchdeckel von Piatti mit dabei. Ich sagte nur: "Um Gottes willen." Er aber meinte zu mir: "Sie könnten doch hier meine Arbeit in Bremen fortsetzen." Ein Zufall jagte also den anderen: Ich machte das dann nämlich auch in gewisser Hinsicht. Ich machte das wirklich eine Weile als Pendler zwischen München und Bremen. Giel: Waren Sie da nicht arrogant und haben gesagt: "Ich komm' doch vom Film, was will ich da mit Fernsehen oder dem Hörfunk?" Abich: Nein. Das hätte zwar sein können, und der Verdacht ist berechtigt, aber so war es nicht. Mir ging es nämlich wirklich anders. Ich will da nun nicht zu sehr sortieren, aber ich kam ja aus einer mir neuen Branche, die freilich sehr bewegend war, weil diese Spielfilmbranche eben eine sehr sonderbare Branche ist – auch in Deutschland. Nun kam ich aber in eine Kohorte bei „Radio Bremen“, die für mich deshalb ungeheuer reizvoll war, weil mir die Mitarbeiter durch die Bank kompetent schienen. Ich will meinen alten Kollegen vom Film nicht zu nahe treten, denn das waren ja Abenteurer usw., aber dort in Bremen gab es zwar sehr eigenwillige, aber auch sehr kompetente Leute: Ich war damit plötzlich in einer wirklich guten Gesellschaft. Ja, die Arbeit in Bremen hat mir Spaß gemacht. Giel: Sie haben ja dort Ihre Erfahrungen aus dem Film auf den Hörfunk und auf das Fernsehen übertragen: Was waren dabei die Elemente der Veränderung während Ihrer Zeit bei „Radio Bremen“? Was wollten Sie verändern? Abich: Ich ging ja nicht zum Verändern dorthin, sondern ich ging zum Lernen dorthin. Mein Schicksal war es mehrfach: Dort, wo ich als redlicher Lehrling gerne gelernt hätte, war ich sofort Direktor. Das ist ein Zutrauen in die eigene Person, das man nicht so schnell einlösen kann. Ich habe durch diese Programm-Mitarbeit beim Fernsehen und beim Hörfunk jeweils sehr viel lernen können. Aber damals gab es ja auch noch keine festen Ansichten darüber, was Erfolg ist. Ich erwähne hier einmal eine extreme Meinung aus der damaligen Zeit, die mir gut gefallen hat. Ein Kollege fragt einen anderen Kollegen während der Programmkritik, was er sich denn gestern abend bei seiner Radiosendung eigentlich gedacht hätte. Der gefragte Kollege stutzt ein wenig, und - bevor er antworten kann - fragt der andere Kollege noch einmal nach: "An wen hast du denn überhaupt gedacht?" Er meinte, an welches Publikum jener gedacht hätte. Darauf sagte dann der Kollege: "Vielleicht an einen Menschen." So etwas hat mir gefallen. Das ist natürlich gegen jede Regel der Kunst, aber gut, so war es damals eben. Kurz, ich habe dort nicht gleich irgendwelche Dinge geändert, sondern ich habe gelernt. Und erst danach habe ich es mir auch zugetraut, bestimmte Dinge anzuregen. Giel: Was können Ihrer Ansicht nach das Medium Fernsehen und das Medium Hörfunk leisten? Abich: Damals habe ich diese beiden Medien schon als sehr unterschiedlich empfunden. Ich war ja auch quasi in zweierlei Schulen gewesen. Wenn Sie mich das damals gefragt hätten - aber damals wären Sie dafür noch zu jung gewesen –, dann hätte ich gesagt, dass es doch auf der Hand liegt, was sie leisten können. Sie können sich an die Menschen wenden – und es kommt auch eine Resonanz zurück. Bei „Radio Bremen“ gab es darüber hinaus auch noch so eine zusätzliche regionale und lokale Stimmung: Das Liberale, das Föderale, das Selbständige usw. war dort eine große Nummer. Das Fernsehen war dabei fürs Erste zwar noch etwas rührend, aber man wollte doch von den Kollegen lernen. Ich bedauerte sehr, dass die Trennung zwischen Hörfunk und Fernsehen schon vollzogen war, als ich dorthin gekommen bin. Ich glaubte immer, dass man das in einer kleinen Anstalt nur in Sachgebiete, aber nicht zwischen den Medien aufteilen sollte. Aber die Entwicklung hätte mir in meiner Ansicht auch gar nicht Recht gegeben: Die Trennung zwischen Hörfunk und Fernsehen ist ja geblieben. Aber immerhin machte ich für beide Medien diese Programmarbeit. Tja, wie haben wir uns empfunden? Wir waren natürlich pädagogisch gesonnen und aufklärerisch: Ja, wir rangen um Humanität, ohne dabei die Leute gleich überzustrapazieren. Aber wir haben doch auch versucht, sie eben ein wenig vor die Brust zu klopfen usw. Giel: Was ist denn anders geworden? Sie haben ja nie aufgehört, die Medien zu beobachten. Abich: Das ist so gewaltig anders geworden, dass das alles fast nicht wiederzuerkennen ist. Aber ich möchte damit nicht sagen, dass der Fortschritt ein Rückschritt sei oder dass der Fortschritt eine reine Übertreibung sei oder dass das heute eine ganz andere Denkart geworden wäre. Aber warum sollte ich mich hier im Gespräch eigentlich zurückhalten: nein, ich will etwas Bitteres sagen. Ich glaube, dass die heutigen Medienverantwortlichen - insbesondere beim Fernsehen - dabei sind – und schon weit fortgeschritten sind damit –, den Menschen, für den die Programme erdacht und gemacht werden, gegen den reinen Konsumenten auszutauschen. Das ist das Härteste, was ich hier sagen möchte. Unter dieser Schwelle kann ich aber auch sehr viel Löbliches sagen, z. B. dass es heute auch bessere Programme als früher gibt. Aber die Menge des Nicht- Guten ist für jemanden wie mich natürlich erdrückend: Unsereiner sucht sich das Programm ja noch aus. Der Erfolg, den es heute sehr stark und eindrucksvoll gibt, kommt einerseits von der Konkurrenzsituation her und andererseits deswegen, weil das Publikum das auch mag, was gesendet wird. Nur, wir hätten damals gesagt, dass man dem Publikum die Schwelle des Mögens hoch legen muss. Heute ist es demgegenüber so, dass allein die Berufung auf den Erfolg schon den nächsten Erfolg auslöst. Giel: Das ist auch ein Kreislauf: Die Macher sagen ja gerne, dass der Zuschauer das so haben will. Und so entstehen dann Sendungen, über deren Schönheit und Güte sich ganz bestimmt trefflich streiten läßt. War das früher anders? Abich: Ich muss bei der Rückschau natürlich immer vorsichtig sein, dabei nicht zu idealisieren. Das Früher und das Heute sind natürlich zwei Zeiteinteilungen, die relativ grob sind: Man kann es aber nicht anders aufteilen. Ich bin z. B. davon überzeugt, dass schon einmal die achtundsechziger Zeit - da waren Sie noch ein Kind, nicht wahr... Giel: Ja, da war ich sechs Jahre alt. Abich: ...für jemanden, der so lange zurückblicken kann wie ich, eine ganz enorme Wandlung gebracht hat. Damals gab es einen emanzipatorischen Vorgang, der sicherlich auch manchmal geschmerzt hat. Die Macher von damals, also die Revolutionäre, sagen heute ja oft, sie wären ganz erfolglos geblieben: Aber nein, sie waren damals äußerst erfolgreich, denn ihr Erfolg ging bis in die älteren, erwachsenen Jahrgänge hinein, denn auch die haben dazugelernt. Insgesamt war das also eine Zeit, in der Ältere von den Jüngeren etwas lernen konnten. Das war eine sehr schöne Sache. Ich denke, heute ist die Machbarkeit zu einer gewissen Erschwernis geworden, denn gemacht werden kann heute fast alles. Demgegenüber konnte früher noch nicht alles gemacht werden: Man traute sich auch nicht zu, schon alles machen zu können. Giel: Gibt es denn Dinge, die Ihrer Ansicht nach im Fernsehen auf keinen Fall gemacht werden sollten? Gibt es Sendungen, die auf keinen Fall gesendet werden sollten? Abich: Nein, das würde ich nicht sagen, denn so etwas hängt doch zu sehr vom Einzelnen ab. Für mich persönlich gibt es wirklich schwer erträgliche Sachen: Aber das hängt mit der Massierung des Ähnlichen zusammen. Man muss sich dabei vielleicht auch noch eines vergegenwärtigen: Zu meiner Zeit hatten die Redakteure ihre Arbeit auf dem Königsweg gemacht. Heute schaut es ja so aus, als würde der Redakteur hinter sich selbst treten – auch das kann man natürlich nicht verallgemeinern, denn auch da gibt es glanzvolle Ausnahmen – und sagen: "Wir wollen kein Redakteursfernsehen und wir wollen kein Redakteursradio, sondern wir wollen ein Publikumsmedium sein." Das ist die Berufung auf die, denen man gefallen kann, mit denen man es auch treiben kann und die es einem nicht so heimzahlen. Wenn in den Studios auch noch zusätzlich bestimmte Zustimmungsriten - wie z. B. gewünschter Applaus – eingeführt sind, dann denke ich mir manchmal doch: Um Gottes willen, sind denn die Medien beim Einsammeln der Aufmerksamkeit aller traurigen Arbeitslosen ankommen? Ich möchte hier abbrechen, denn das klingt zu anklägerisch. Ich will nur noch Folgendes sagen. Die Tatsache, dass eben genug ferngesehen wird, müsste dazu führen, dass doch mehr Ausnahmeerfolge eintreten. Die geprüften Erfolge will ich hier ja gar nicht bekritteln, aber es darf darunter nicht das Experiment des Minderheitsprojekts leiden. Giel: Was meinen Sie denn, was Bildung im Fernsehen machen kann? Wir sind hier ja bei „BR-Alpha“, im Bildungskanal des „Bayerischen Rundfunks“: Wie wichtig ist Bildung für Fernsehen, für Hörfunk, für die Medien? Abich: Sie ist wichtig, aber die beiden daran beteiligten Seiten müssen auch Geduld aufbringen. Der aussendende Teil darf nicht sagen: "Ihr werdet euch doch wohl noch von uns bilden lassen!" Und der andere Teil, das Publikum, darf nicht sagen: "Ach, mir ist das aber doch etwas zu schwer. Und überhaupt, die wollen mir da etwas beibringen und das will ich nicht." Stattdessen muss es so sein, dass man sich per Lust darauf einlassen muss: Dann ist das sehr gut. Für mich ist die Bildung natürlich eine absolut dazugehörige Aufgabe, selbstverständlich. Giel: Sie haben gerade das Stichwort "Lust" erwähnt: Läßt sich denn die Lust im Fernsehen vermitteln? Abich: Ja. Giel: Wie geht das? Abich: Das geht besonders an den schwierigen Stellen. Die Projekte, die eigentlich fast nicht gehen können, offerieren oft eine erstaunliche Beherrschung der Mittel. Die Macher hatten dabei oft den Sensus: Das machen wir – und das machen wir gut. Das ist auch heute noch so: Bei Ausnahmeproduktionen geht das immer bestens. Giel: Nach Ihrer Tätigkeit bei „Radio Bremen“ sind Sie nach München gekommen. Ihre Stelle hieß damals "Programmdirektion Deutsches Fernsehen". Das war im Jahr 1978. Abich: Nein, ich glaube, das war im Jahr 1973. Giel: Richtig, Entschuldigung. Sie waren hier in den Jahren von 1973 bis 1978. Abich: Sie wären nämlich sonst schon an meinem "Ende" angelangt. Giel: Ja, da wäre ich dann einen Schritt zu weit, denn eigentlich möchte ich Sie gerade auch nach diesen fünf spannenden Jahren befragen. Wie ist es dazu gekommen? Abich: Erstens einmal ist es so gewesen, dass ich überhaupt per Zufall öfter meine Tätigkeit gewechselt habe – obwohl das natürlich alles letztlich in einem Medienzirkel gelegen ist. Ich glaube, es kam so: Ich war ja nicht nur fünf Jahre lang Intendant bei „Radio Bremen“ gewesen, sondern all die Jahre vorher schon Programmdirektor. Ich fühlte mich dann zwar noch nicht wirklich ausgequetscht, aber ich hatte eigentlich schon so viel gelernt dort, dass ich auch einmal wieder etwas anderes hätte machen können. Es gab dann auch eine Gesetzesänderung - das ist ganz interessant, denn jetzt gerade gibt es ja wieder eine. Nur ist es diesmal umgekehrt, denn heute geht es um das Kollektiv des Direktoriums – und ich, der ich wohl sehr freizügig geleitet habe, war doch auch ein Stück weit autoritär gesonnen, wie ich einmal annehme. Ich will das auch gar nicht beschönigen. Es war jedenfalls so, dass mir das neue Gesetz, das da gekommen ist, nicht "nach der Mütze war". Mir wurde zwar schon immer gesagt, dass dieses Gesetz nicht meinetwegen zustande gekommen ist, sondern dass man es gemacht hat, weil es ja vielleicht einmal jemanden geben könnte, der vielleicht ... Vielleicht haben daher meine Kollegen in der ARD auch gespürt, dass ich Bremen wohl bald einmal „Valet“ sagen würde. Das war keine Drohung von mir, sondern hatte ganz einfach mit meiner Vita zu tun, mit meinem Lebenslauf. Es wurde zu der Zeit auf dieser Stelle auch ein Nachfolger gesucht, weil mein verehrter Vorgänger Lothar Hartmann schon die Pensionsgrenze erreicht hatte: Da wurde dann ich gewählt von den Kollegen und da musste ich dann „Radio Bremen“ nur fragen, ob ich ein Jahr eher weggehen könnte. Das ließen sie auch zu, und ich stand dann vor der interessanten Erfahrung, ob meine bisherigen Kollegen als meine künftigen Arbeitgeber bestimmte Wandlungen durchmachen würden. Ich glaube, die haben wiederum auch beobachtet, ob ich mich ändern würde. Es wird wohl beides schon so gewesen sein. Wir waren nicht ohne Konfliktstoff: Ich bin eigentlich eher ein friedfertiger Mensch, aber ich schätze die Konflikte schon auch und finde auch manchmal Mißverständnisse direkt fruchtbar. In diese neue Position bin ich ganz ohne eigene Truppen gegangen: Hier musste ich überreden, überzeugen und notfalls mit einer Stichstimme auch ein klein wenig eine Mehrheit hervorrufen – oder eben auch fallweise mit Anstand untergehen. Giel: Sie zogen also von Bremen nach München und waren dann Programmdirektor. Es heißt immer, der Programmdirektor des „Deutschen Fernsehens“ ist ein König ohne Land: Stimmt das? Abich: Ja, das stimmt. Giel: Beschreiben Sie das doch bitte ein wenig. Die ARD ist ja nicht einfach zu koordinieren. Sie hatten damals neun Kollegen? Abich: Im Fernsehen. Wenn Sie aber das Radio und die Bundesanstalt mit dazu zählen, dann waren wir zwölf. Giel: Gab es da Kämpfe oder war da alles ganz friedlich? Abich: Sie müssen bedenken, dass schon vorher mein Intendant in Bremen eine Weile lang krank gewesen ist. Er starb dann auch. Ich musste ihn jedenfalls vertreten, und so bin ich damals in diese Gemeinschaftsaufgabe der ARD viel stärker hineingekommen, als ich das ansonsten allein in Bremen gewesen wäre. Ich bin so jemand, der ganz gerne nicht bloß die eigene Fahne hochhält, sondern auch Kräfte sammelt für eine angeblich gute Sache. Vielleicht haben daher meine Kollegen gedacht, dass ich das ganz gut machen könnte. Denn ich selbst hatte ja nicht kandidiert oder so etwas. Diese Arbeit hier konnte ich mir aus der langen Konferenzzeit etwas vorstellen – aber auch wiederum nicht richtig. Ich hatte einen Fünfjahresvertrag und ich habe danach dann aufgehört. Die ARD hat sich deswegen ein wenig gewundert, denn ein "anständiger Kollege verlängert seine Verträge". Ich fand das aber gar nicht: Ich fand eher, ein anständiger Kollege geht dann auch mal. Zu den fünf Jahren kann ich sagen, dass ich, glaube ich, in drei Jahren nur Freude hatte und vielleicht auch Freude entwickeln konnte. In den anderen zwei Jahren, die noch blieben, herrschte dann zwar auch keine Trübseligkeit, aber ich merkte schon, dass ich mir manchmal mit zwei Methoden etwas mehr Gehör verschaffen musste. Die eine Methode bestand darin, eine Sache etwas schärfer zu formulieren, wenn ich sie durchbringen wollte. Die zweite Methode war, diese Stichstimme anzuwenden. Eigentlich kann man ja Programmarbeit nicht parlamentarisch machen: Ich hatte auch nicht allzu viel Widerstände, aber ich glaube schon, dass mich meine ARD-Umwelt für etwas eigensinnig genommen hat, gerade weil ich keine Truppen hatte. Giel: Was macht denn eigentlich ein Programmdirektor? Abich: Ja, der macht etwas ganz Einfaches – eigentlich. Aber das muss er mit einer gewissen Begabung für Kommunikation und Partnerschaft machen: Er nimmt die Programmvorschläge entgegen und hat dann einen klugen Mitarbeiter oder auch mehrere, die ihm sagen, wann dafür die besten Plätze seien, denn schließlich besitzen wir ja ein Sendeschema. Ich zumindest habe es so gemacht, dass ich alle paar Jahre diese Struktur nachhaltig verändert habe, ansonsten aber haben wir so gearbeitet, dass sich das Publikum an uns und die Programmstruktur möglichst gewöhnt hat. Die Konkurrenzsituation von heute gab es damals ja noch nicht. Es gab lediglich das ZDF, mit dem wir in reizvoller Konkurrenz standen: miteinander und auch gegeneinander. Viel mehr als das macht so ein Programmdirektor nicht. Darüber hinaus muss er eben noch Überzeugungsarbeit bei Beschwerdefällen usw. entwickeln. Und er muss still in sich drin den Egoismus ertragen, den die einzelnen Anstalten natürlicherweise besitzen: Er ist ja der Einzige, der immerzu an das Ganze denkt, an die ganze ARD. Giel: Sie sind damit auch ein Vermittler gewesen. Abich: Ja, natürlich. Es ist so: Der ARD-Programmdirektor ist das, was für ein oder zwei Jahre ein ARD-Vorsitzender an einer anderen Stelle ist. So ungefähr ist das. Da konnte man schon etwas bewirken, aber man konnte auch erleben, wie damals die von mir selbst ja ungeheuer geschätzten Dritten Fernsehprogramme von den einzelnen Anstalten forciert worden sind – während man dem Gemeinschaftsprogramm gegenüber nicht diesen Elan aufbrachte. Ich kann das hier nun nicht alles im Einzelnen schildern. Giel: Es ist also so, dass ein jeder zunächst einmal an das eigene Programm denkt und dann erst am Schluß das gemeinsame erste Programm kommt. Abich: Ja, so habe ich das ein wenig empfunden. Da musste ich doch ein bißchen gegensteuern. Giel: Konnten Sie da ausgleichen? Sind Sie ein Ausgleicher? Abich: Um mich herum versammelt sich Friedfertigkeit – mit Ausnahmen, die von meiner Umwelt dann auch erkannt werden. Ich bin nicht so nachgiebig, dass deswegen immerzu Friedfertigkeit herrschen würde. Ich war wohl auch manchmal schwierig, wie ich vermute. Ich weiß das aber nicht so genau. Giel: Sie werden aber immer als positiv beschrieben, als sehr klug, sehr gerecht, als guter Chef. Wenn man zwischen den verschiedenen Anstalten so viel ausgleichen und dabei auch noch darauf schauen muss, dass man sein eigenes Programm ausfüllt, muss man da manchmal auch Kompromisse eingehen, die nicht mehr ganz in Ordnung sind? Kam so etwas vor? Abich: Man geht sicherlich auch Kompromisse ein, die gefährlich sind. Aber Kompromisse, die nicht mehr in Ordnung sind, gehe ich eigentlich nicht ein, nein. Das ist natürlich auch nur ein kleiner Unterschied. Das Riskante ist an einem Kompromiss also immer mit dabei. Aber die Grundform, auf der ich genauso wie meine früheren und auch späteren Kollegen ruhen konnte, war die, dass in der ARD bis auf den heutigen Tag – nun wird das freilich anders – die großen und die kleinen, die starken und schwachen, die roten wie die schwarzen, die einen wie die anderen Anstalten gleiche Rechte haben: Keiner kann den anderen aufgrund seiner bloßen Stärke über den Tisch ziehen. Diese Tugenden werden auch dann nicht schlagartig weg sein, wenn sich das Stimmrecht ändern wird. Ich weiß nicht genau - weil ich nicht wirklich auf dem Laufenden bin -, ob sich dieses Stimmrecht schon verändert hat mittlerweile: dass die mittleren und die kleinen Anstalten eine andere Stimmgewalt bekommen – ähnlich wie im Bundesrat. Aber trotz dieser möglichen Veränderung wird das alles auch in Zukunft nicht ganz verloren sein. Giel: Wie wichtig sind denn diese kleinen Anstalten? Die ARD steht ja mitten in einer Strukturreform: Ein Teil der Ministerpräsidenten möchte, dass die kleinen Anstalten eventuell aufgelöst werden oder daß sie sich zusammenschließen sollen. Wie wichtig ist z. B. „Radio Bremen“, der „Saarländische Rundfunk“ oder der SFB? Abich: Ich stehe natürlich im Verdacht der Parteilichkeit und der Liebhaberei, denn es war für mich wirklich ungeheuer wertvoll, das in der kleinsten dieser Nußschalen ausprobiert zu haben. Aus dieser Zeit besitze ich immer noch ein ungeheuer großes Dankbarkeitsgefühl dafür, dass die großen Brüder wie der NDR, der WDR oder meinetwegen der BR einem die eigene Schwäche nicht haben spüren lassen. Sie haben uns gelobt, obwohl man sich doch eigentlich denken konnte, dass die "Kleinen" ja doch nichts zustande bringen. Wir mussten da also keine Not leiden. Heute ist es mit den Existenzfragen allerdings so, dass es dabei ja nicht nur auf die guten Sitten innerhalb der ARD ankommt, sondern auch darauf, ob die Länder selbst sagen, dass sie weiterhin eine eigene Anstalt besitzen wollen oder nicht. Bis jetzt hat noch kein Land gesagt, dass es das nicht mehr braucht. Wenn das aber so wäre, dann würde sich natürlich alles ändern. Jeder könnte dann sagen, dass er gar keine eigene Entscheidungsbefugnis in dieser Frage besitzt. Denn das wäre dann die Entscheidung der Länderparlamente und Länderregierungen. Da müssten wir also schon warten, bis Bremen eines Tages sagen würde, dass sie dort keine eigene Anstalt mehr benötigen. Aber wie Bremen mit der jetzigen Situation leben kann, das ist wirklich ein Problem und eine Frage, zu der ich auch keinerlei kluges Wort weiß. Giel: Glauben Sie, dass es für die Menschen wichtig ist, eine eigene Anstalt ganz in der Nähe zu haben? Das Wort "Anstalt" klingt so merkwürdig: Ich meine damit eben das eigene Radio oder den eigenen Fernsehsender. Abich: Wenn man das einmal gehabt hat, dann will man darauf natürlich nicht mehr verzichten. Darin steckt ja auch ungeheuer viel Nachkriegsgeschichte: Es ist ja gewaltig, was z. B. auch ein Ministerpräsident wie Reinhold Maier in Baden-Württemberg gelernt hat von dem, was uns die klugen Besatzungsoffiziere an Philosophie über den freien und demokratischen Rundfunk hinterlassen haben. Denn unser eigenes Verdienst war das ja alles nicht. Giel: Sie haben 1978 die ARD verlassen und gesagt: "Ich mag jetzt nicht mehr, fünf Jahre sind genug, ich möchte Privatier werden, ich möchte nachdenken." Ein Privatier sind Sie freilich nicht ganz geworden, denn Sie haben noch ganz viele andere Sachen im Anschluß daran gemacht. Abich: Ja, aber ich finde schon, dass ich mir dieses Private in den letzten Jahren etwas angelernt habe. Aber ich habe danach ja auch nicht wirklich ganz andere Sachen gemacht: Ich habe keine Liebhabereien, die über diese Sache ganz abseitig hinausgehen und aus mir noch etwas Neues machen würden. Nein, nein, ich bin da wirklich anhänglich. Und diese freie Zeit war schon etwas besonders Schönes. Ich habe dann ja auch Fortbildung und Ausbildung machen können. Ich hatte plötzlich keine Direktoren oder "Oberpriester" mehr um mich herum, sondern es waren nun junge Leute. Es war auch nicht so, dass ich jungen Leuten etwas beigebracht hätte: Die jungen Leute haben mir etwas beigebracht. Giel: Darauf bezieht sich gleich meine nächste Frage: Wie wichtig ist Ihnen Fortbildung und was lernen Sie von jungen Leuten? Abich: Ja, da muss man sich gar nicht so viel Mühe geben, wie ich mir vielleicht vorgestellt hatte, wann und wie ich von jungen Leuten etwas lernen würde. Nein, nein, das bekommt man ganz leicht mit, wenn man sie nicht bevormundet, wenn man projektweise Gemeinschaftsarbeiten macht, wenn man zuhört und wenn man sie in ihren Noch-Unvollkommenheiten auch mag. Giel: Haben sich denn die Nachwuchsjournalisten verändert? Sind sie nun weniger gebildet, weniger klug, oberflächlicher? Abich: Das würde ich nicht wissen. Ich treffe nun ja kaum noch Nachwuchs in des Wortes eigenster Bedeutung. Die Nachwuchslinge, die ich wiedertreffe und die ich gerne treffe, sind mittlerweile schon schwer erwachsene Leute geworden. Giel: Was haben denn Ihrer Meinung nach die privaten Sender verändert? Sie haben das ja hautnah miterlebt und waren da auch mittendrin, denn Sie haben ja ein sehr langes Medienleben, auf das Sie zurückblicken können. Abich: Ja, erstaunlich. Also, diese Frage kann ich noch beantworten, sollten Sie aber von mir hören wollen, wie ich die Zukunft als solche beurteile, dann müsste ich mich ziemlich zurückhalten: Das soll man auch Achtzigjährige gar nicht fragen, denn die besitzen einen besseren Rückblick in die Vergangenheit als einen Blick nach vorne. Wie soll ich das nun ausdrücken hinsichtlich Ihrer Frage nach den Privaten? Der Zugang dazu ist wirklich schwierig. Ich versuche es einmal so: Die Privaten kamen und wurden zuerst einmal belächelt. Das ging aber nicht lange so, denn schon bald wurden sie gefürchtet, weil sie ja tolle Sachen machten und auch Publikum hatten. Unsereinem – ich war da ja schon quasi draußen, aber mir ging das genauso – ging das zu dem Zeitpunkt ja so: "Um Gottes willen, unser Publikum läuft uns weg! Was müssen wir den Zuschauern oder Zuhörern angetan haben, dass sie das machen?" Ich habe dann aber doch recht bald gemeint und gesagt, dass wir die Privaten nicht unterschätzen sollten. Denn sie werden eines Tages auch echte Ambitionen haben und nicht nur dieser bei ihnen eingebauten Notwendigkeit frönen, Geld zu machen. Ich finde, dass sie das auf je unterschiedliche Weise auch gemacht haben. Heute gibt es ja auch viel mehr Ausgleich zwischen dem öffentlich-rechtlichen und dem privat-kommerziellen System: freilich um den Preis, dass sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten auch manches abgeguckt haben. Auch das ist freilich nicht als eigentlicher Vorwurf meinerseits aufzufassen. Denn es ist ja so, dass sich die anderen auch etwas von uns abgeguckt haben. Giel: Sind die öffentlich-rechtlichen durch diese Konkurrenz lebendiger oder doch nur oberflächlicher geworden? Abich: Lebendiger sind sie sicher geworden und sie sind auch temporeicher geworden, das ist keine Frage. Wie war nun Ihr zweiter Ausdruck? Giel: Oberflächlicher. Abich: Unsere Kunst, die Kunst auf dem Bildschirm, neigt ja zur Oberfläche, aber ob sie in den Jahren seither oberflächlicher geworden ist, würde ich nicht einmal sagen. Alles ist vielleicht gefallsüchtiger geworden: Alles muss immerzu gefallen. Da gibt es eben immer dieses Generalstichwort: "Das Publikum will uns so!" Aber trotzdem geschehen auch da immer wieder einmal Dinge, die außergewöhnlich sind. Ich will das also überhaupt nicht unterschätzen: Ich will nur sagen, dass die Öffentlich-Rechtlichen nicht zu viel Ähnlichkeit auf diesem Gebiet entwickeln dürfen, denn die öffentlich- rechtlichen und die privaten Sender ruhen ja auf zwei verschiedenen Fundamenten. Giel: Wir haben nun viel über Medien gesprochen: Medien werden von Menschen gemacht, für Menschen gemacht. Sie haben ganz viele Menschen kennengelernt, die in den Medien tätig sind. Da wir gerade von den privaten Fernsehsendern gesprochen haben: Wie ist Leo Kirch? Abich: Ein heiterer Mensch sagte mir eines Tages, ich sollte einmal mit Leo Kirch im Wald spazierengehen. Ich wußte zu dem Zeitpunkt noch gar nicht, wer Leo Kirch ist. Diese Person wollte mir aber einen guten Ratschlag geben, weil sie Leo Kirch kannte. Also habe ich Leo Kirch bei einer Kinoeröffnung oder so etwas Ähnlichem kennengelernt. Er wirkte auf mich äußerst bescheiden: Ich wußte da auch noch nicht, welche Macht er eines Tages entfalten wird. Bei einer Filmverhandlungssitzung innerhalb der ARD – ich war da selbst noch neu in diesem Gremium – fragte ich dann auch einmal die dabei sitzenden Intendanten: "Wollen wir denn nicht den Filmhandel unter die eigenen Fittiche nehmen?" Da wurde mir dann aber doch von den Hauptkennern der Materie bedeutet, dass wir das nicht mehr schaffen würden, denn da wäre uns Herr Dr. Kirch weit voraus: Das war eine Betrachtungsweise, zu der ich selbst weiter nichts sagen konnte. Um nicht etwa als Filmfritze in Interessenkollisionen zu kommen, habe ich mich auf dieses Gebiet dann auch später nicht eingelassen. Ich habe aber durch die persönliche Bekanntschaft mit ihm die mutigen, manchmal auch übermütigen und manchmal auch bedrohten Strecken seines Lebens mit verfolgt. Er gefiel mir immer und er gefällt mir auch immer noch, aber ich komme trotzdem nicht hinter sein Rätsel – das steht mir auch nicht zu –, wie er diese Machtentfaltung sozusagen mit seiner persönlichen Liebenswürdigkeit zu paaren vermag. Denn das kann er. Darüber hinaus ist er auch noch ein Kopfarbeiter. Ich habe ihn nämlich nie mit Papieren gesehen: er weiß alles im Kopf. Deswegen ist er natürlich auch sehr imposant. Ich sehe ihn nun nur noch sehr selten, aber wenn ich ihn dann einmal frage, ob er denn durch diese Attacken der Gerichte und der Staatsanwaltschaft nicht ramponiert werde, sagt er: "Ja, schon, aber sie haben mir nichts nachgewiesen. Insofern werden mir also meine Geschäftspartner treu bleiben." Er sieht daher seine Geschäfte nicht als beendet an: Das wird für uns alle noch sehr interessant sein. Giel: Ganz zum Schluß unserer Sendung muss ich Sie aufgrund Ihrer Lebenserfahrung doch noch danach fragen, ob Sie glauben, dass das Jahr 2000 etwas ändern wird. Wird das einen Einschnitt geben? Abich: Ich denke, dieser Einschnitt wird dadurch kommen, dass der Mensch in der Mehrzahl bei solchen Zahlen sozusagen markierungssüchtig wird. Ich glaube nicht, dass wir die Kraft haben zu sagen: "Das Jahr 2000 ist beliebig." Nein, wir springen ja auch an allen Ecken auf dieses Datum an. Was das dann aber bewirkt, weiß ich nicht. Vielleicht wird es kluge Leute geben, die sagen werden, dass wir über dieses Jahr 2000 doch ganz gut weggekommen sind. Andere werden freilich sagen: "Habt ihr den Unterschied nicht gemerkt?" Wir erleben ja nun wirklich jeden Tag etwas Neues und wir erleben jeden Tag auch etwas Altes. Ich möchte mich daher auf eine Prognose nicht einlassen, zumal das auch ein Zeitpunkt ist, über den ich wirklich in persona nicht verfüge. Giel: Herr Abich, mit diesem Ausblick möchte ich mich herzlich bedanken bei Ihnen für dieses Gespräch. Das war Alpha-Forum, vielen Dank fürs Zuschauen.

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