MASARYK-UNIVERSITÄT IN BRÜNN
Philosophische Fakultät
Institut für Germanistik, Nordistik und Nederlandistik
Magisterarbeit
Wiener Dialekt
Bearbeitet von: Petr Šubrt
Eingereicht von: doc. PhDr. Jaromír Zeman, CSc.
Brünn 2010
1
Ich erkläre hiermit, dass ich meine Diplomarbeit selbstständig ohne fremde Hilfe angefertigt habe, und dass ich nur die im Literaturverzeichnis angeführten Quellen verwendet habe.
......
2
An dieser Stelle möchte ich mich bei Herrn doc. PhDr. Jaromír Zeman, CSc. für wertvolle Anregungen und Ratschläge herzlich bedanken.
3 INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG ...... 6
1. DAS ÖSTERREISCHISCHE DEUTSCH ...... 7
2. DIALEKTE ...... 10
2.1 Das Mittel- und Südbairische ...... 11
2.2 Die Mundart als die Volkskunde ...... 12
2.3 Dialekt in Wien früher und heute ...... 14
3. DER ETYMOLOGISCHE HINTERGRUND DER WIENER MUNDART .. 16
3.1 Tschechisch ...... 17
3.2 Jiddisch ...... 19
3.3 Rotwelsch ...... 20
3.4 Andere Sprachen ...... 21
4. WIENERISCHES SCHRIFTDEUSTCH ...... 22
4.1 Lautlehre ...... 22 4.1.1 Die Selbstlaute ...... 23 4.1.2 Die Mitlaute ...... 32
4.2 Formlehre ...... 36 4.2.1 Die Hauptwörter ...... 37 4.2.2 Die Fürwörter ...... 43 4.2.3 Die Zahlwörter ...... 49 4.2.4 Das Zeitwort ...... 51 4.2.5 Das Umstandswort ...... 57 4.2.6 Die Vorwörter ...... 58
4.3 Wortbildung ...... 58
4.4 Satzlehre ...... 59
5. WIENERISCHER DIALEKT IM ALLTAGSLEBEN ...... 62
5.1 Die Wiener und Beziehungen ...... 62
5.2 Die Kommunikation und Stimmung der Wiener ...... 66
5.3 Geld und Arbeit ...... 71
5.4 Essen und Trinken ...... 73
5.5 In den Kaffeehäusern ...... 77
5.6 Sportsprache...... 79
4 5.7 Gaunersprache in Wien ...... 82
ZUSAMMENFASSUNG ...... 85
LITERATURVERZEICHNIS ...... 87
ANHANG ...... 89
5 EINLEITUNG In dieser Zeit schämen sich manche Einwohner der Großstädte, die für Ihre Herkunft so bezeichnende Mundart zu sprechen. Eine ganz andere Situation herrscht jedoch auf dem Lande, wo die Leute auf ihre andere Sprachweise zu Recht stolz sind und diese alltäglich verwenden. In der Stadt gibt es dagegen viele Gesellschaftschichten, denen man seine Sprache folglich anpassen muss. Diejenigen, die zu den höheren Schichten gehören, bedienen sich der Mundart kaum, weil sie den Gebrauch der Mundart für ein klares Zeichen eines ungebildeten Menschen halten. Damit steht auch die viel verbreitete Ansicht in Verbindung, dass die Mundart lediglich eine verdorbene Schriftsprache sei. Diese und auch andere ähnliche Vorurteile werden in dieser Arbeit anhand einer ganzen Reihe von Beispielen erschöpfend widerlegt.
Wenn man kurz die Überlegung über die Schriftsprache im Gegensatz zu der Mundart anstellt, dann muss man drei große deutschsprachige Dichter Goethe, Schiller und Grillparzer erwähnen, die sich trotz ihrer sprachlichen Geschliffenheit normalerweise mit dem Dialekt verständigt haben. In Europa gibt es sogar eine Mundart, die sich in einem Land soweit verbreitet hat, dass man im Alltag nichts anders hören kann. Dies ist in der Schweiz der Fall. Die Schweizer bedienen sich auch des Hochdeutschen, jedoch ausschließlich im Amtsverkehr, in Büchern oder in der Presse. Ihre eigene Mundart „Schwyzerdütsch“ stellt einfach einen wesentlichen Teil ihrer Tradition.
Sowie die Schweizer, haben auch die Wiener die Möglichkeit ihre Mundart als einen unverzichtbaren Teil ihrer Kultur zu schätzen und sich für ihre häufigere Verwendung zunehmend einzusetzen. Die Ursache ist in der langen Tradition sehen, da sich die Wiener Mundart im Rahmen der Aussprache und des Wortschatzes seit dem Jahr 1300 nicht verändert hat. Erst zu Beginn des 20. Jh.s erlebt sie eine Menge von Veränderungen. Das Merkwürdige ist jedoch, dass die Wiener selber diese Veränderung gar nicht wahrgenommen haben.
Dies ist zumindest ein Grund dafür, sich mit diesem Gebiet der Sprache eingehend zu befassen. An dieser Stelle lässt sich der große Wiener Dichter Weinheber zitieren: „Sprach, des is Bluat, und Schrift is Papier.“1 Dies kann man nur
1 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 201
6 folgenderweise interpretieren, dass die Mundart das Lebendige und das dem Menschen Natürliche darstellt und im Gegensatz dazu, man die Schriftsprache, nur als etwas Künstliches wahrnimmt.
Aus den oben genannten Tatsachen lässt sich die Bedeutung des Wiener Dialekts nicht in Frage stellen. Um die ganze Problematik genügend zu erläutern, wird der Einstieg als erstes Kapitel dem österreichischen Deutsch gewidmet, weil gerade das Wienerische und Österreichische viel Gemeinsames haben. Da das österreichische Deutsch meine Lieblingsthematik darstellt, habe ich aufgrund der Gemeinsamkeiten dieser beiden Thematiken die Wiener Mundart zum Thema gewählt. Ich würde gerne von diesem Vorwissen des österreichischen Deutsch Gebrauch machen und bin davon überzeugt, dass es mir helfen kann, mich in die Problematik um so tiefer einzuarbeiten.
Im Weiteren folgt der historisch-sprachliche Hintergrund, der die Sprache nicht nur in der Gegend um Wien, sondern auch österreichweit weitgehend beeinflusst hat. Es ist die Etymologie, die uns verrät, wo man den Ursprung der jeweiligen Wörter finden kann. Dies hat für vorliegende Arbeit eine enorme Wichtigkeit. Bei der Wortbildung, als auch bei den Fremdwörtern, aber genauso in den Kapiteln aus dem Bereich der Alltagsprache lässt sich anhand des Ursprungs des Wortes feststellen, aus welcher Sprache der Ausdruck stammt, was seine ursprüngliche Bedeutung ist und wie sich seine Bedeutung im Laufe der Zeit verändert hat.
Es ist unausweichlich, auch die Grundzüge der Syntax und Morphologie des Wienerischen zu betrachten. Dies wird im Kapitel „Wienerisches Schriftdeutsch“ behandelt, in dem gleicherweise auf die Besonderheiten sowie auf die Unterschiede der deutschen Grammatik aufmerksam gemacht wird. Abschließend folgen zwei Kapitel über die Gaunersprache und im scharfen Gegensatz dazu die Mundartdichtung in Wien. Das Ziel ist einfach die Wiener Mundart als einen unabdingbaren Teil des Lebens der Wiener vorzustellen, wie sie sich entwickelt hat und wie sie noch heute das Leben der Hauptstadt gestaltet
DAS ÖSTERREICHISCHE DEUTSCH
Schon anfangs des 6. Jh.s beginnt die aus den germanischen Stämmen ausgegliederte Volksgruppe der Bayern nicht in die Alpengebiete im Westen, wie die anderen germanischen Gruppen, sondern in den Gebieten des heutigen Österreichs
7 durchzudringen. Infolgedessen unterscheiden sich im Mittelalter die Sprachen in einer raumbezogenen Art und Weise voneinander. Dies hat eine ausschlaggebende Rolle im Rahmen der Verteilung deutscher Dialekte in allen deutschsprachigen Gebieten. Die Tatsache der naheliegenden Sprachräume Bayern und Österreich stellt die Grundlage für ihre gegenseitige Einflussnahme und die damit verbundene sprachliche Verwandtschaft dar. Aufgrund dieser Differenzierung entwickelte sich die bairisch- österreichische Schreibweise, die in der Konfrontation zu Luthers neuhochdeutscher Schreibweise steht und deren Einfluss nicht standhalten konnte. Im 18. Jh. beginnen mit dem Inkraftreten von Maria Theresia regionaler Sprachform schwere Zeiten für die Regionalismen. Man sollte von nun an die Regionalismen vermeiden und sich der allgemein deutschen Sprache bedienen.2
Eine grundsätzliche Veränderung kam mit Gottscheds Grammatisch-Kritischem Wörterbuch, das im Jahr 1807 erscheint und in dem zum ersten Mal die österreichischen Ausdrücke ihren deutschen Äquivalenten entgegengestellt sind. Das Entstehen der Doppelmonarchie 1866 bedeutet die weitgehende Eigenständigkeit des österreichischen Deutsch, wofür die großen Unterschiede insbesondere im Wortschatz, aber auch in der Grammatik typisch sind. Abschließend 1951 erscheint das Österreichische Wörterbuch, das sowohl die schriftsprachlichen als auch die charakteristischen, umgangssprachlichen Ausdrücke enthält, die sich im gewissen Maße vom Binnendeutschen unterscheiden.3
Noch in den 80er Jahren des 20. Jh.s herrscht die Auffassung, dass es sich bei der deutschen Sprache um eine monozentrische Sprache handelt, in der alle sprachlichen Besonderheiten innerhalb des deutschen Sprachraums als falsch ausgelegt werden. Diese These wird mit der plurizentrischen Auffassung vom Germanisten Michael Clyen in Frage gestellt, indem er die Varietäten deutscher Sprache auf eine Ebene stellt und so unter diesen eine gewisse Gleichberechtigung herstellt. So entstehen die österreichische, schweizerische und binnendeutsche Variante.4
2 Wiesinger, P. Die deutsche Sprache in Österreich. In: Wiesinger, P. (Hrsg.). Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau, 1988. S. 11-12
3 Wiesinger, P. Das österreichische Deutsch in Gegenwart und Geschichte, LIT Verlag, Wien, 2006. S. 8
4 Muhr, R., Schrodt R., Wiesinger P. (Hrsg.). Österreichisches Deutsch: linguistische, sozialpsychologische und sprachpolitische Aspekte einer Nationalen Variante des Deutschen. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky, 1995. S. 174
8 Ein stark ausgeprägtes Bereich des österreichischen Deutsch, was unter anderem auch für die Wiener Mundart von großer Bedeutung ist, stellen die Austriazismen dar. Darunter versteht man allgemein die Besonderheiten der deutschen Sprache in Österreich, vorzugsweise im Rahmen des Wortschatzes. Die Austriazismen bezeichnen diejenigen Wörter, die man hauptsächlich in Österreich gebraucht. Es soll jedoch verdeutlicht werden, dass diese Wörter, wenn sie in einem anderen Teil Deutschlands zu hören sind, bereits eine ganz andere Bedeutung haben können. Dies gilt jedoch auch österreichweit, da sich die österreichischen Dialekte mehr oder weniger voneinander unterscheiden. Was die Eigenschaften der Austriazismen anbelangt, lässt sich mit Sicherheit feststellen, dass die Mehrheit dieser Begriffe ihren Ursprung in anderen Sprachen findet, beispielsweise im Tschechischen, Ungarischen, Italienischen u.a. Diesen gemeinsamen Ursprung weisen die meisten Ausdrücke der Wiener Mundart auf, was zu einer Überlagerung des Wienerischen und Österreichischen Wortschatzes führt.
Die bedeutendste Rolle im Rahmen der Austriazismen spielen ohne Zweifel die rein österreichischen Ausdrücke für einige Lebensmittel. Dies wird vor allem in den Jahren 1993 und 1994 das Thema, als die Verhandlungen über Bedingungen zum Beitritt Österreichs zu der Europäischen Union in die finale Phase kamen. Die Betonung wird besonders auf die Erhaltung derjenigen Bezeichnungen gelegt, die typisch und charakteristisch für Österreich sind und sich vom Binnendeutschen weitgehend unterscheiden. So entsteht die sog. Austriazismenliste, die mit spezifisch österreichischen Ausdrücken in das Protokoll Nr. 10 integriert wird und zum festen Bestandteil des Vertrages zwischen der EU und Österreichs wird. Aufgrund dessen, bietet sich die Möglichkeit, diese Termini in der Rechtsprache der EU zu verwenden.5
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass man unter dem österreichischen Deutsch eine Gesamtheit verschiedener sprachlichen Merkmalen versteht, die für Österreichisch kennzeichnend und ausschließlich da gebräuchlich sind. Es sind in erster Linie die Austriazismen, die die Unterschiede zum Binnendeutschen prägen und auf diese Art und Weise der sprachlichen Varietät „Österreichisch“ zur Eigenständigkeit verhelfen.
5 Wiesinger, P. Das österreichische Deutsch in Gegenwart und Geschichte, LIT Verlag, Wien, 2006 (S. 135-136)
9 DIALEKTE
Aus der historischen Sicht stammt die Entwicklung der österreichischen Dialekte aus dem Mittelhochdeutschen. Das Mittelalter gilt allgemein als Blütezeit der Mundarten. Auf dem Gebiet des heutigen Österreichs sind für die weitere Mundartentwicklung folgende Dialekte ausschlaggebend: das Bayerische und das Alemannische. Auch wenn es im Laufe der Jahrhunderte zur Entwicklung der Schrift- und Hochsprache kommt, bleiben einige Sprachgebiete von dieser Veränderung unberührt, in denen sich folglich die Mundarten stark ausprägen können. Dies war allerdings keine willkürlichen Entwicklung, sondern ein aufgrund der Lautgesetze einsetzender und fortlaufender Prozess. Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass diese mittelhochdeutschen Laute bzw. Lautformen von großer Wichtigkeit sind, wenn man die Wörter genau untersucht, was später vor allem im Kapitel der Wortbildung und Etymologie der Fall sein wird.6
In einem bestimmten Sprachraum, dies kann auch eine Stadt oder eine Region sein, kommt es oft zu der Überlagerung mehrerer Mundarten. Die Ursache ist man in den soziologischen Aspekten zu suchen, indem die verschiedenen Sprachen verschiedener Generationen, Arbeitsgruppen oder Stände einander gegenüber gestellt werden und auf diese Art und Weise in ständiger Konfrontation stehen. Die Unterschiede lassen sich sowohl im Wortschatz als auch in der Aussprache finden. Zu schwerwiegenden Unterschieden kommt es, wenn die Hochsprache und die Mundart aneinanderstoßen. Alles, was dazwischen liegt, bezeichnet man als Umgangs- oder Verkehrssprache. Sie unterliegt einem ständigen Einfluss anderer Mundarten, insbesondere in der Stadt. Das führt besonders dann zu einem interessanten Durcheinander, wenn Menschen anderer Städte, oder Gegenden zusammentreffen und ihre Sprechweise einem starken Einfluss unterliegt.7
Um die österreichischen Mundarten übersichtlicher zu machen, muss man nochmals erwähnen, dass trotz der Tatsache, dass sich die Bajuwaren auf dem ganzen Alpen- und Donauland niedergelassen haben, spricht man im bayerischen Gebiet Österreichs kaum über eine einheitliche Sprache. Die Grundlage dafür war der Aufbau
6 Hornung, M., Roitinger, F.: Unsere Mundarten. Wien: ÖBV, 1950, S. 6
7 Hornung, M., Roitinger, F.: Unsere Mundarten. Wien: ÖBV, 1950, S. 8
10 von Herrschaftsgebieten mit dem Sitz des Adels, was sich folglich als gute Bedingung für die Entwicklung der einzelnen Dialekte herausstellte. Diese Gebiete waren isoliert voneinander. Das Vordringen in den Norden war aufgrund der ungünstigen Naturbedingungen nur mit Schwierigkeiten möglich. So bildete sich in der Mitte des bayerischen Sprachgebiets das sogenannte Mittelbairische heraus, im Süden das Südbairische und im Norden das Nordbairische. Für die österreichischen Mundarten haben lediglich das Südbairische und das Mittelbairische die entscheidende Bedeutung.8
Das Mittel- und Südbairische
Das Mittelbairische finden wir besonders Wien, Niederösterreich, Burgenland, Oberösterreich, großteils auch Salzburg und nur zum kleinen Teil in der Steiermark. Im Gegensatz dazu, umfasst das Südbairische den Großteil der Steiermark, zur Gänze ebenfalls Kärnten und Tirol, nur einen kleinen Teil des Burgenlandes und des Salzburger Landes.9
Das wichtigste Merkmal der mittelbairischen Mundart stellt die sogenannte Mitlautschwächung dar, indem der Starklaut zum Schwachlaut wird (p zu b, t zu d: Bsp.: Tag zu Dog; k vor l, n, r, zu g: Bsp.: Knecht zu Gnechd). Des Weiteren werden auch Doppellaute zu einfachen Starklauten oder manchmal auch zu Schwachlauten (Hütte zu Hitn). Die Schwachlaute bleiben entweder erhalten, oder werden zu Reibelauten (Weber zu Wewa), oder verstummen völlig (Bube zu Bua). Des Weiteren sind noch die Verschmelzungs- und Angleichungserscheinungen kurz zu erwähnen, wie es beispielsweise bei Wörtern wie: reden – re’n, oder sieden – sia’n deutlich wird. Das zweite wichtigste Kennzeichen des Mittelbairischen stellt die Vokalisierung des l und r an manchen Stellen dar, d.h. dass aus r und l ein Selbstlaut wird, wie bei Goadn (Garten) oder Woüd (Wald). Diese Spracherleichterung kommt auch beim Schwund der nebentonigen Vokale vor, beispielsweise im Falle der Vorsilbe ge- in der Vergangenheitsform. So werden die anlautenden Verben mit j, l, r, s, sch, f oder Vokal zu g gekürzt: gsunga (gesungen) oder gjogd (gejagt). In gleicher Weise werden die Endsilbenvokale weggelassen, wie in Hos (Hase) oder Bruk (Brücke).10
8 Hornung, M., Roitinger, F.: Unsere Mundarten. Wien: ÖBV, 1950, S. 11
9 Hornung, M., Roitinger, F.: Unsere Mundarten. Wien: ÖBV, 1950, S. 13
10 Hornung, M., Roitinger, F.: Unsere Mundarten. Wien: ÖBV, 1950, S. 13-14
11 Eine Annäherung des Südbairischen an die Schriftsprache erfolgte in einem größeren Maße als die des Mittelbairischen. Die Ursache kann man besonders in der Erhaltung der Starklaute und der Bewahrung von Nebentonsilben finden: Tog (Tag), Doch (Dach), Hose (Hase), gətrogn (getragen). Zum typischen Kennzeichen gehört jedoch die Diphthongierung der aus dem Mittelhochdeutschen kommenden langen e- und o-Laute. Infolgedessen kam es zur allmählichen Entwicklung aus dem langen Mittelhochdeutschen e ein ea und aus langem o ein oa: Schnea (Schnee), Sea (See), roat (rot), Noat (Not). Wenn man also zumindest eines dieser lautlichen Merkmale im Gebiet Österreichs erkennt, kann man feststellen, dass der jeweilige Dialekt seinen Ursprung in der südbairischen Mundart hat.11
Die Mundart als die Volkskunde
Von alters her herrschte im Rahmen der Kulturforschung die Tendenz vor, die jeweilige Kultur in erster Linie vom Standpunkt ihrer Leistungen zu untersuchen. Wenn man diese Erforschung mehr komplex anstellt, darf man die Kenntnisse vom geistigen Leben des betreffenden Volkes nicht außer Acht lassen. Gerade dieser Aspekt stellt den Gegenstand der Volkskunde dar, die sich in mancher Hinsicht der Mundartforschung nähert, weil es eben die Sprache ist, die beide auf einen gemeinsamen Nenner bringt. Die Sprache ist der Träger des geistigen Lebens und der Kultur des Volkes, also kann man daraus schließen, dass sich die Sprachwissenschaft und die Mundartenforschung im Großen und Ganzen weitgehend überlagern.12
Die Sprachwissenschaft hat während ihrer Entwicklung zur Kenntnis genommen, dass man ohne ein fundiertes Wissen über die Mundarten nur mit Schwierigkeiten in der Erforschung der Sprache fortsetzen kann. Die Mundarten bilden die Sprachgeschichte und so wird die Mundartenforschung zum festen Bestandteil der Sprachforschung. Die Mundarten spielen – wie schon mehrmals erwähnt – eine besondere Rolle für die Entwicklung der Schriftsprache. Bevor die Wörter der Mundart in die Schriftsprache eindringen, müssen diese erst ihre Verwendung in der Umgangssprache finden. An dieser Stelle ist es erwähnenswert, die oben genannten Sprachebenen voneinander zu unterscheiden.
11 Hornung, M., Roitinger, F.: Unsere Mundarten. Wien: ÖBV, 1950, S. 15 12 Schikola Hans: Schriftdeutsch und Wienerisch. Wien: Österr.Bundesverlag, 1954, S. 6
12 Unter der Schriftsprache versteht man: „Jene Art der Sprache, die von den Gebildeten im schriftlichen Gebrauche angewendet wird.“13 Es ist anzudeuten, dass kein Mensch die Schriftsprache spricht, weil sie ausschließlich geschrieben wird. Im Gegensatz dazu steht die Umgangssprache, als die Sprache der Gebildeten, die nur mündlich gebraucht wird und so in großem Maße uneinheitlich ist. Ihre Form variiert abhängig von verschiedenen Faktoren, wie zum Beispiel die soziale Schicht, Beruf der Sprecher, oder auch die konkrete Situation, in der man sich befindet und wonach man seine Sprache dem jeweiligen Gesellschaftskreis anpasst. In diesem Falle spricht man auch über die Hochsprache, Vortrags- oder Repräsentationssprache. Die Mundarten hingegen sind differenzierter, je nach dem in welchem Gebiet sie gesprochen werden. In Bezug auf die Häufigkeit lässt sich anmerken, dass Mundarten im Gebirge eher wechseln als in den Ebenen. Dies hat seine Ursache in der hohen Isolation, in der die Gebirgsbewohner leben und dem geringeren Kontakt zur Außenwelt. Die Mundarten variieren dann besonders in der Aussprache, das heißt, dass jede Mundart eigene Artikulationsbasis besitzt, in den Wortformen und im Wortschatz. Abschließend kann man im Rahmen dieser Unterteilung der Übersichtlichkeit halber folgende Beispiele anführen: in Wien sagt man umgangssprachlich „Bub“ anstelle des Wortes „Knabe“, in der Mundart heißt es jedoch „Bub“. Zuweilen kommt es auch dazu, dass auch einige Mundart-Wörter in der Umgangssprache oft eingesetzt werden. Wenn man auch in diesem Fall in Wien bleibt, kann man die Ausdrucksweise für „einen gemütlichen Abend machen“ aufführen, sie klingt umgangssprachlich „drehen gehen“ aber häufiger verwendet man mundartliche Version „drahn gehen“.14
Die ins Gewicht fallende Rolle der Mundarten sieht man besonders in der Förderung des Heimatsgefühls, weil man - wenn auch vielleicht unbewusst– seine jeweilige Mundart mit dem Heimatort in Verbindung setzt und dadurch auch zu ihr eine persönliche Zuneigung bzw. Liebe fühlt. Dies kommt vor allem in Großstädten zum Vorschein, wie es auch in Wien der Fall ist. Die Mundart erfüllt in den größeren Städten noch eine Aufgabe, und zwar hinsichtlich der sozialen Zustände. Hier hilft sie eine Brücke zwischen den sogenannten Gebildeten und den restlichen Schichten zu bauen. In diesem Sinne hilft sie mehr oder weniger den großen Unterschied zwischen den beiden
13 Schikola Hans: Schriftdeutsch und Wienerisch. Wien: Österr.Bundesverlag, 1954. S. 8
14 Schikola Hans: Schriftdeutsch und Wienerisch. Wien: Österr.Bundesverlag, 1954. S. 8-9
13 Gruppen im gewissen Maße zu reduzieren. Es ist allgemein bekannt, dass sogar die berühmte Kaiserin Maria Theresia und alle Mitglieder des Hofes die Wiener Mundart sprachen:15
„Früher ham Kaiser und Herrn si net gschamt, z’redn wia d’gwöhnlichen Leut.“16
Darin liegt der enorme Unterschied zur heutigen Zeit, in der die Gebildeten die Verwendung der Mundart höchst möglich vermeiden, weil sie dies für unfein und für die Sprache der Ungebildeten halten, oder lediglich Bedenken haben, dadurch die Sprache zu verderben.
Dialekt in Wien früher und heute
Wie schon oben angedeutet, war am Wiener Hof zu Maria Theresias Zeiten der Gebrauch der Wiener Mundart Gang und Gäbe. Als sich dann während des Jahrhunderts Hof, Adel und Großbürgertum von der Mundart abwendeten, kam es zwangsläufig zu einer neuen Tendenz. Mundartliche Ausdrücke wurden als derb und alt empfunden. Infolge dessen wurden diese Wörter durch die Schriftwörter ersetzt. In diesem Vorgang lassen sich verschiedene Fremdwörter, Neuerschöpfungen und Bedeutungsübertragungen in den neuen Wortschatz integrieren. So gewann die Schriftsprache allmählich an Bedeutung und infolgedessen waren die Wiener mit ihr in der Schule, im Theater oder in Büchern zunehmend mit ihr konfrontiert. Von nun an wird die Schriftsprache ein Teil des Alltagslebens. Dieses Vorgehen hat in Wien einen großen Einfluss auf die Entstehung und Herausbildung der Umgangssprache. Man versucht die Mundart der Hochsprache anzupassen und so entwickelt sich der mittlere Stand der Sprachformen die Umgangssprache. Einige damalige Wörter, die zu der Mundart, oder zu der Umgangssprache gehören, konnte man bis heute oder vor nicht langer Zeit in Wien oder in ihrer Umgebung hören. Als Beispiel kann man folgende aufführen: Fledricha’l (Flohtrühelein) ist eine scherzhafte Bezeichnung für das Bett, und ein älteres Äquivalent lautet Niaschschl, was die Verkleinerungsform zu Nuatsch – eine ursprüngliche Bezeichnung für den Futtertrog, des Weiteren gibt es auch einige komische Begriffe wie Beåmtnbrandl (Beamtenbraten) für die Knackwurst, oder a
15 Hornung, M., Roitinger, F.: Unsere Mundarten. Wien: ÖBV, 1950. S. 19
16 Hornung, M., Roitinger, F.: Unsere Mundarten. Wien: ÖBV, 1950. S. 19
14 Bladi (eine Geblähte), Mosdhefm (Mosthafen) – beide bezeichnen eine korpulente Frau.17
Geht man nun zur Gegenwart über, bietet sich in erster Linie die Überlegung über den Gebrauch des Wiener Dialekts in der heutigen Zeit an. Wird heute eigentlich noch mundartlich gesprochen? Diese Frage muss man einerseits mit Ja beantworten, andererseits beansprucht das Ausmaß, mit dem die Wiener Mundart gesprochen wird, mehr Aufmerksamkeit.
Schon seit einiger Zeit lässt sich die Tendenz beobachten, dass der Dialekt nicht nur in Wien, sondern auch in seiner Umgebung immer weniger gebräuchlich ist. Diese Entwicklung geht zur Zeit um so schneller, desto mehr die Älteren, die mit Selbstverständlichkeit und Stolz im Dialekt reden, nur im Kontakt mit ihren Altersgenossen sind, und zugleich sich die Jungen schämen, Dialekt zu verwenden. Trotzdem viele Wiener der Meinung sind, dass der Dialekt zu Wien genauso gehört, wie das Riesenrad oder der Stephansdom, stirbt der Wiener Dialekt allmählich aus. Eine ganz andere Situation herrscht jedoch in anderen Bundesländern, wo der Dialekt in der Verkehrssprache Gang und Gäbe ist und wo man darauf sogar stolz ist. Dazu äußert sich auch Manfred Glauninger vom Institut für Österreichische Dialekt- und Namenslexika an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften:
„In Wien wird der Dialekt oft verwendet, um sprachlich aufzufallen oder zu provozieren. Dabei werden auch immer nur einzelne Phrasen eingebaut.“18
Spricht man in Wien Dialekt, wird man von der Umgebung mit Unverständnis angesehen. Eine Ausnahme ist eventuell der Fall, wenn man als Besucher der Stadt identifiziert wird und mit seiner eigenen mundartlichen Variante der Sprache mit Mühe verstanden wird, aber sich versucht anzupassen. Das ist häufig bei den ausländischen Jugendlichen der Fall, die dadurch eine gewisse Zugehörigkeit signalisieren. Es kann auch passieren, dass der im Dialekt redende Besucher in Wien auf Ablehnung stößt, indem ihm ein eingeborener Wiener mit schüttelndem Kopf mitteilt, dass er ihn gar nicht versteht. Das lässt sich nur dadurch erklären, dass sich die eingeborenen Wiener
17 Hornung, M., Roitinger, F.: Unsere Mundarten. Wien: ÖBV, 1950, S. 19-20
18 Blei, Bianca: Da Dialekt und seine Hawara [online]. 2009 [10.3.2010] http://biancablei.viennablog.at/2009/04/29/da-dialekt-und-seine-hawara
15 manchmal von den mit Wiener Dialekt sprechenden Bewohnern distanzieren und offen zugeben, dass deren Mundart nicht verstehen. Sie finden diese Ausdrucksweise mehr oder weniger abstoßend. Auf der anderen Seite weisen diese Leute keine Verständnisprobleme beim Besuch des in Wien so populären Kabaretts auf, wo die Aufführungen fast lediglich im Dialekt verlaufen.19
Die Folge dessen ist, dass man sich immer mehr der Hochsprache bedient. Die in Wien Geborenen haben Angst vor dem Dialekt und die Menschen aus der Umgebung wollen ihre wienerische Abstammung durch ihren eigenen Dialekt nicht verraten. Dieses Verbergen des von Geburt an natürlich angenommenen Dialektes ist ähnlich der Ablehnung des Gebrauchs der eigenen Muttersprache. Im breiteren Kontext könnte diese Situation auch zu dem Verlust eines Teiles der Identität führen, die sich auf die eigene Sprache stützt.
Zum Schluss bietet sich eine kurze Überlegung über die weitere Entwicklung des Dialekts in Wien an. Man kann vermuten, dass der Gebrauch der Wiener Mundart in den folgenden Jahren abnehmen wird. Bereits heute verschwinden einige mundartliche Wörter in Wien aus dem Sprachgebrauch und werden ins Hochdeutsche übertragen. Beispielsweise wird das Wort schieach durch „hässlich“ oder „grausam“ ersetzt, oder man geht nicht heim, anstatt dessen „ nach Hause“ oder „durch die Türe“. Wenn man sich vorstellt, dass die Jugendlichen den Dialekt schon heute kaum benutzen, scheint die Beschleunigung des Dialektverfalls wahrscheinlich. Aber bis dahin, tritt diese Sprachform in der Literatur, Werbung oder Kunst in Erscheinung und erfüllt die Funktion der Belebung der Sprache.
3. DER ETYMOLOGISCHE HINTERGRUND DER WIENER MUNDART
Es kann zuweilen passieren, dass man den wahren Ursprung des jeweiligen Wortes verfolgen möchte, um zu wissen, aus welcher Sprache es kommt, beziehungsweise wie sie eigentlich in die Sprache eingedrungen sind oder wie ihre
19 Von Wolf, Andrea: Gehen wir zu die Vögel? [online]. 2005 [10.3.2010] http://www.wienerzeitung.at/Desktopdefault.aspx?tabID=3946&alias=WZO&lexikon=Dialekt&letter=D &cob=7645
16 ursprüngliche Form lautete. Aus diesem Grunde muss man die Etymologie zu Hilfe nehmen. Man versteht darunter die Lehre von der ursprünglichen Bedeutung der Wörter und ihrer Herkunft. Sie macht sich nützlich, indem sie in erster Linie die Zusammenhänge aufstellt und so die Wörter im breiteren Kontext verstehen lässt.20
Im Laufe der Entwicklung des Wienerischen vom ostmittelbairischen Dialekt ist die Phase der Einmischung verschiedener Sprachen von grundlegender Bedeutung. Es handelte sich nicht nur um Sprachen anderer Nationen, sondern auch weitgehend um Sprachen verschiedener Gruppen oder sogar anderer Umgangssprachen. Zu den wichtigsten Spracheinflüssen gehören im Besonderen Jiddisch, Rotwelsch und Tschechisch. Des Weiteren spielen noch das Französische, durch den Kontakt mit Adeligen, das Italienische - dies wurde von Bauern nach Wien gebracht - und letztlich noch das Ungarische eine Rolle, das seinen Einfluss durch gemeinsame Geschichte hat.21
Tschechisch
Um die Jahrhundertwende war die Anzahl der Tschechen bei 500 000 Wiener Einwohnern zwischen 3000 und 4000, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass es sicher noch mehr gab, die jedoch eingegliedert wurden und so nicht mehr zur tschechischen Volksgruppe gezählt wurden. So konnte sich die tschechische Kultur in Wien frei entfalten und hatte zur Folge, dass das Tschechische bedeutende Spuren im Wienerischen hinterlassen hat. Im Laufe dieser tschechisch-deutschen Sprachkontakte ging die Annäherung beider Sprachen über den lautlichen Bestand hinaus. So wurden folglich auch die Wörter, sowie Teile der Grammatik beider Sprachen im Großen und Ganzen untereinander vermischt. Heutzutage kann man diesen tschechischen Ursprung kaum noch erkennen.22
Das umfassendste Gebiet der Wörter im Wienerischen, bei denen der tschechische Ursprung nicht in Frage gestellt werden kann, stellt die Mehlspeisen dar. Dabei muss man in die Zeit des Ersten Weltkrieges zurückgehen, da damals die Köchinnen in Wien häufig aus Böhmen kamen und auf diese Art und Weise nicht nur
20 Wehle, Peter: Die Wiener Gaunersprache. Wien: Ueberreuter, 1997, S. 38
21 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992, S. 8
22 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992, S. 9
17 die Rezepte sondern auch die Namen der Speisen aus Böhmen mitgebracht wurden. Als Beispiele kann man folgende anführen: Golatschn (gefülltes Hefegebäck), Schkubanky (herausgezupfte und gebackene Teigstücke), Buchteln, Wuchteln (Kuchen), Powidl (Pflaumenmus), usw.23
Wenn man die Küche verlässt, lassen sich weitere Ausdrücke erwähnen wie zum Beispiel: Pfrnak (scherzhaft: große Nase) oder trischacken (verprügeln, schlagen – kommt von držák: Halter, Träger). Einige Wörter werden von Wienern eher als veraltet bezeichnet, wie beispielsweise: Rozumisch haben (Verstand haben), povidalen (tschechisch sprechen) oder tam leschi (dort liegt er). Ein Ausdruck, der jedoch eine eingehende Erklärung benötigt, ist das Wort „Böhmak“. Einerseits wird es von manchen als veraltet eingestuft - abwertend bedeutet es trotzköpfiger Mensch mit schlechten deutschen Sprachkenntnissen, andererseits wird heutzutage ab und zu das Verb „böhmakeln“ benutzt.24
Darunter versteht man das Reden mit tschechischem Akzent, was auf die eingewanderten Tschechen zurückgeht.
„Das Böhmakeln war ein stark sprachschöpferisches Element in Wien, was durch die vielen böhmischen Lehnwörter bewiesen ist. Das Wort selbst stammt von einer verschwundenen Scherzform für den Tschechen: Böhmak.“25
Abschließend lässt sich der Anschaulichkeit halber folgendes Beispiel aufführen: „Was måtschkerst d´denn?“ Diese Frage kann man demjenigen stellen, der allem Anschein nach gekränkt ist. Der Ausdruck „Måtschkern“ ist übersetzbar als „ständig schmollen“ oder „immerfort räsonieren“. In der Wiener Mundart heißt es allerdings Tabak kauen. Die Ähnlichkeit beider Bedeutungen liegt auf der Hand, sie ist nämlich die ständige Mundbewegung, die für beide Tätigkeiten charakteristisch ist. Der Ursprung dieses Wortes ist ebenfalls im Tschechischen zu suchen, da močka im Tschechischen der flüssige Tabaksrest in der Pfeife ist.26
23 Wehle, Peter: Sprechen Sie Wienerisch? Wien: Ueberreuter, 1980, S. 51
24 Glettler, Monika: Böhmisches Wien. Wien: Herold, 1985, S. 106
25 Wehle, Peter: Sprechen Sie Wienerisch? Wien: Ueberreuter, 1980, S. 106
26 Wehle, Peter: Die Wiener Gaunersprache. Wien: Ueberreuter, 1997
18 Der weitgehende Einfluss des Tschechischen auf die Wiener Mundart ist markant, aber es blieb nicht nur bei der Sprache, woran Tschechen aktiv teilnahmen. Darüber hinaus hat das Zusammenleben der Tschechen mit den Wienern zur Folge, dass sich die Familiennamen der Wiener in großem Maße verändert haben. So sind die Personennamen mit tschechischer Herkunft noch heute in Wien gang und gäbe. Diese kann man in folgende Gruppen unterteilen: Standesnamen: Kralik (König), Zeman (Landadeliger), Vejvoda (Herzog), Berufsbezeichnungen: Prowaznik (Seiler), Tesar (Zimmermann), Verben der Tätigkeiten: Dostal (er hat bekommen), Dohnal (er hat eingeholt), Woprschalek (er ist abgeblüht). Zu den häufigsten zählen Novak (ein neu eingezogener Bewohner), Prochazka (Spaziergang), Svoboda (Freiheit) und Novotny (Neumann). Dieser kurze Exkurs in Wiens Realien sollte besonders die Rolle der Tschechen in der sprachlichen und gesellschaftlichen Entwicklung der Hauptstadt Österreichs verdeutlichen. Dies lässt sich durch einen vor dem Ersten Weltkrieg verbreiteten Spruch nachweisen: „Wien ist Wien, aber ohne Tschechen wär`s hin.“27
Jiddisch
Jiddisch hat seinen Ursprung in den mittelhochdeutschen Mundarten, die im Besonderen dem slawischen und hebräischen Einfluss unterlagen. Man spricht auch über die spezifisch jüdische Ausprägung des Deutschen. In der Folge entwickelte sich im 13. Jahrhundert eine geregelte Rechtschreibung. Im 19. Jahrhundert hatte Jiddisch schließlich eine einheitliche Schriftsprache. Im engeren Sinne versteht man unter Jiddisch die Sprache der Juden aus Ost- und Mitteleuropa, die auf Grund ihrer ungenügenden Anpassungsfähigkeit nicht im Stande waren, sich der vorherrschenden Zuständen anzupassen und sich zur massenhaften Migration aus dem deutschen Sprachgebiet nach Osteuropa entschlossen hatten. Die schweren Zeiten für die Weiterentwicklung beziehungsweise die Verbreitung des Jiddischen kamen mit der Judenverfolgung und Massenauswanderung, im Rahmen dessen sie gezwungen waren die Gebiete Ost- und Mitteleuropas zu verlassen. Heutzutage ist diese Sprache nur vereinzelt in New York oder in Moskau zu hören.28
27 Glettler, Monika: Böhmisches Wien. Wien: Herold, 1985, S. 109-110
28 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 8
19 Um ein paar Beispiele für die bessere Anschaulichkeit anzuführen, kann man folgende erwähnen: Rebbach hat ursprünglich zwei Bedeutungen. Erstens stammt es von dem Wort rebajado und bedeutet „herabgesetzt“, zweitens finden wir eine gewisse Ähnlichkeit mit dem jüdischen Ausdruck reiwach, das Zins bedeutet. Auch pejgern hat eine jüdische Herkunft und bedeutet „sterben“ oder „verrecken“. Dies stammt vom Ausdruck pejger (Leiche).29
Des Weiteren findet man im Wienerischen folgende Wörter jiddischer Abstammung: Meloche oder Maloche heißt die Arbeit, mies bedeutet schlecht oder übel, unter Beisl versteht man in Wien eine Kneipe, Hawara ist eine Bezeichnung für einen Freund und als Nebbich wird ein unbedeutender Mensch bezeichnet.30
Rotwelsch
Der Anfang des Rotwelsch geht ins 13. und 14. Jahrhundert zurück. In dieser Zeit gruppierten sich Räuberbanden, die sich vom Staat unabhängig machen wollten und im gewissen Maße so einen eigenen Staat im Staate gründeten. So entstand die Notwendigkeit, eine Geheimsprache zu bilden, um ihre Tätigkeit vor der staatlichen Obrigkeit geheim zu halten. Weil dazu nicht die Sprache der Gebildeten genutzt werden konnte, nahm man die Sprache der jüdischen Händler. Also das Jiddische, das aramäische, hebräische und slawische Elemente beinhaltete. Es stellte die Grundlage für die Entstehung des Rotwelsch dar. Dazu kamen noch alte deutsche Wörter, jedoch oft mit veränderter Bedeutung und ebenso viele Zigeunerwörter. So entwickelte sich das Rotwelsch, die Geheimsprache der Nichtsesshaften des deutschen Sprachraums.31
Weitere Beispiele aus dem Rotwelsch kann man heutzutage in Wien hören: Schmalz (richterlich verhängte Strafe), Marie (Geld), Sargnagel (Zigarette). Einige Ausdrücke drangen sogar in die Hochsprache vor, wie zum Beispiel, wenn man einen guten Rutsch ins neue Jahr wünscht. Im Rotwelsch heißt rosch der Kopf oder Anfang.
29 Wehle, Peter: Die Wiener Gaunersprache. Wien: Ueberreuter, 1997. S. 34-35
30 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 8
31 Wehle, Peter: Die Wiener Gaunersprache. Wien: Ueberreuter, 1997. S. 16-17
20 Mehr Beispiele sind im weiteren Kapitel „Die Wiener Gaunersprache“ zu lesen, da es sich um eine Geheimsprache handelt, die bei Gaunern gebräuchlicher war.32
Andere Sprachen
Zu den weiteren Sprachen, die die Wiener Mundart mehr oder weniger beeinflusst haben, gehören Französisch, Romanisch, Ungarisch und wie schon angedeutet wurde, Zigeunerisch.
Das Französische ist im Wienerischen besonders im Berufsleben zu suchen, so wie beispielsweise Installateur, Coiffeur oder im Haushalt die Wörter Plafond (Zimmerdecke), Beletage (repräsentativer Gästeraum). Auch das Wort gschwuf (Liebhaber) scheint erwähnenswert, was auf die französischen Besatzer Napoleons zurückgeht. Interessant klingt palavern, was aus dem Portugiesischen kommt und so viel wie verhandeln bedeutet.33
Nicht zuletzt lässt sich noch etwas aus der Italienischen Sprache erwähnen, da sich die Italiener in großem Maße in Wien sesshaft machten: Katzelmacher (Menschen, die Lärm machen), gazza (Lärm), Rotzpipn (freches Kind), tschinkwe (wertloses Zeug, Mist).34
Des Weiteren spielt die Sprache der Zigeuner eine wichtige Rolle im Wienerischen, das sie unter anderem das Jiddische und Rotwelsche weitgehend beeinflusst hat. Noch heute sagt man in Wien: „Es håt an Fåden“ als Ausdruck der niedrigen Außentemperaturen. Fadin bedeutet im Zigeunerischen kalt. Auch Tschumpus würde man nicht der Sprache der Zigeuner zuordnen, aber es ist so. Es handelt sich um eine Bezeichnung für Gefängnis, da tschor ein zigeunerischer Ausdruck für einen Dieb ist. 35
Was das Ungarische in Wien betrifft, sieht man häufig auf der Donau Schinakeln (die Kähne) oder Csónak (der Kahn, oder das Schiff). Sehr bekannt ist in Wien das
32 Wehle, Peter: Die Wiener Gaunersprache. Wien: Ueberreuter, 1997. S. 18
33 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 10
34 Wehle, Peter: Die Wiener Gaunersprache. Wien: Ueberreuter, 1997, S. 52-53
35 Wehle, Peter: Die Wiener Gaunersprache. Wien: Ueberreuter, 1997, S. 48
21 Wort Maschekseitn, mit dem die andere Seite oder Rückseite bezeichnet wird, da der andere auf Ungarisch a másik heißt. Zum Schluss finden wir im Wienerischen das Wort Tschinellen, die Bezeichnung für das Musikinstrument die Becken, die jedoch die Wiener für eine kräftige Ohrfeige benutzen: „Dem hob i a Tschinölln umghängt“. Auf den ersten Blick würde man ebenso eine ungarische Herkunft vermuten, aber Tschinelle bedeutet im Türkischen die Schlagbecken, ebenso die Ohrfeige.36
4. WIENERISCHES SCHRIFTDEUSTCH
4.1. Die Lautlehre
Übersicht über die Schreibung der mundartlichen Laute:37 a – das helle a, wie man zum Beispiel in „fad“ ausspricht å – das schriftsprachliche a vor m und n ę – offenes e e – geschlossenes e ǫ – offenes o o – geschlossenes o ö, – offenes ö ö – geschlossenes ö ia – der Zwielaut, den die Mundart z.B. in Dieb spricht. ua – der Zwielaut, den die Mundart z.B. in gut spricht. ea – der Zwielaut, den die Mundar z.B. in Wien spricht. gl, gn, gr, gw – im Anlaut eines Wortes: kl, kn, kr, kw ds – linder z Laut ts – „scharfes” z
Die Laute bilden einen wesentlichen Teil, wenn nicht den wesentlichsten der Mundarten. Einige Wörter werden jedoch anders ausgesprochen, als geschrieben. Es kommt häufig vor, dass entweder ein und derselbe Laut durch zwei Zeichen ausdrückt
36 Wehle, Peter: Die Wiener Gaunersprache. Wien: Ueberreuter, 1997, S. 55
37 Schuster, M., Schikola, H.: Sprachlehre der Wiener Mundart. Wien: ÖBV, 1984, S. 27
22 wird (ei - ai, eu - äu), oder es gibt umgekehrt zwei verschiedene Laute für ein und dasselbe Zeichen (dies ist beispielsweise beim Buchstaben e der Fall). Zur allgemeinen Charakteristik des Wienerischen gehört die Tendenz, die Buchstaben d und t, sowie b und p immer am Anfang der Wörter gleich auszusprechen. So macht der Wiener keinen Unterschied bei der Aussprache b und p in den Wörtern wie Bett, oder Puppe und ebenso gleich klingen t und d in Tag und Dach. Es wird etwas zwischen einem hartem und weichem b oder d ausgesprochen, was jedoch nicht eindeutig festzustellen ist. Die Bedeutung scheint also von großer Wichtigkeit beim Verstehen der Mundarten zu sein. Bevor eine weiterführende Analyse der lautlichen Regeln der Wienerischen Schriftsprache vorgenommen wird, muss erwähnt werden, dass durch die langjährige Entwicklung dieser Großstadt die Wiener Mundart in den Bezirken der Stadt in gewissem Maße variiert. Besonders geprägt ist sie durch die Zuwanderung neuer Bewohner vom Lande mit niederösterreichischem Dialekt. Als Beispiel kann man die Vielfältigkeit bei der Aussprache von Schübel (Haufen) anführen. In Wien hört man Schibl, Schiwi oder Schippi.38
4.1.1. Die Selbstlaute
4.1.1.1. Schriftdeutsches a
In der Wiener Mundart unterscheidet man zwischen einem dumpfen und einem hellen a, dessen Gebrauch durch die folgende Regel näher bestimmt wird. „Das a der deutschen Wörter wird in der Wiener Mundart als dumpfes a gesprochen, das der Fremdwörter als sehr helles a.“ Das dumpfe a kann man als ein Konglomerat zwischen a und o definieren. Beim Schreiben wird dies dann als o mit einem Häkchen darunter geschrieben - ǫ. Ein dumpfes a kann man in diesen Beispielen hören: ǫ wa (aber), Dǫ ch (Dach), Wǫ ssa (Wasser). Diesen gegenüber stehen die Fremdwörter mit dem hellen a: Khasse (Kassa), Massa (Masse) usw. Diese Regeln gelten ebenso im Großen und Ganzen für alle bairisch- österreichischen Dialekte.39
Des Weiteren sind folgende Lautgesetze festzustellen, laut deren ein l nach dem dumpfen a zum i wechselt: Wǫ id (Wald), oder mǫ in (malen). Dies gilt jedoch
38 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 209, 212
39 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 214
23 nicht in dem Falle, wenn ein l zwischen zwei Selbstlauten steht, wie ist es bei Gǫ ling (Galgen). Ein ähnlicher Wechsel erscheint, wenn sich r gleicherweise nach dem dumpfen a in so einen Selbstlaut, den man mit a darstellt, verwandelt: Bǫ or (Bart), oder Hǫ a (Haar). Das r ändert sich allerdings nicht, wenn es zwischen zwei Selbstlauten steht: Fǫ ara (Fahrer). Das dumpfe a unterliegt auch einem Wandel, wenn es vor einem m und n steht und infolgedessen stark nasaliert ausgesprochen wird. Kommt am Wortende das n vor einem a, dann wird es ausgelassen: Håmma (Hammer), oder måna (mahnen). Diese Regeln der Dumpfung aller schriftsprachlichen a in den Wörtern deutscher Herkunft gelten logischerweise ebenso in der anderen Richtung. Wenn also im Wiener Dialekt ein dumpfes a steht, ist anzunehmen, dass in der Schriftsprache wieder ein a erscheint.40
Bei den Fremdwörtern mit a findet man vorerst diejenigen, deren Aussprache ein helles a ist, wie zum Beispiel bei Radio, Frack, Fotograph ua. Folgt ein l dem hellen a, so lautet dies äu. So sagt man in Wien anstatt Ball Bäu. Heutzutage findet man bei allen neuen Fremdwörtern im Wiener Dialekt ein helles a. Dieser Tendenz stehen einige Fremdwörter gegenüber, in denen man ein dumpfes ǫ ausspricht: Grǫ wǫ d (Kroate), Dǫ wǫ g (Tabak), Sǫ lǫ d (Salad).41
Eine ganz besondere Gruppe stellen die Familien- und Ortsnamen dar. In diesen Fällen kommt es oft darauf an, wo man sich genau befindet. Im Allgemeinen gilt, dass man im Rahmen der ländlichen Dialekte dazu tendiert, diese Namen mit dumpfem a auszusprechen wie in Wǫ gna (Wagner), Mǫ la (Maler), Ǫitenmǫ akt (Altenmarkt). Im Gegensatz dazu hört man in Wien diese Beispiele mit hellem a: Wagner, Maler, Altenmarkt.42
Wie hier unbestreitbar zu sehen ist, stellt das a ein Lieblingsvokal der Wiener Art und deshalb bietet sich ab und zu dem Wiener die Möglichkeit, durch die Wahl zwischen dem hellen und dumpfen a den Sinn seiner Äußerung zu variieren. Wenn der Wiener das helle a in einer Redewendung benutzt die ursprünglich eine Drohung ist, so ist diese nicht ernst gemeint: „i reiß dir dä
40 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 215
41 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 216
42 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 217
24 Darmaußa“. Im Falle, dass er seine Aussage ernst meint, würde er eher Dǫ rm sagen. Eine ähnliche Situation herrscht beim Ansprechen eines Vaters. Dies kann entweder Vǫ der oder Vata lauten. Das erste sagt man, wenn es sich um etwas Ernsthaftes handelt, das zweite ist freundlicher aufzunehmen.43
4.1.1.2. Umlaut des a
Heutzutage verfügt die Schriftsprache über zwei Zeichen für den Umlaut, und zwar das ä und das e. Umgangssprachlich werden sie zwar auf gleiche Weise ausgesprochen, aber in der Wiener Mundart wesentlich unterschieden. So stellt man zwei Arten des Umlauts fest, einen vollen und einen gehemmten Umlaut. Im ersten Fall geht es um die Wörter, deren Umlaut aus dem mittelhochdeutschen a kommt und dies dann als geschlossenes e gesprochen wird. Im Gegensatz dazu spricht man die Wörter des gehemmten Umlauts mit hellem a.44
Die erste Gruppe bilden also diejenigen Wörter, die den schon erwähnten vollen Umlaut des mittelhochdeutschen kurzen a mit der Aussprache des geschlossenen e enthalten. Um ein paar Beispiele zu geben, kann man die folgenden anführen: die Epfi (Äpfel), da Bekk (Bäcker). Die zweite Gruppe machen die Wörter des gehemmten Umlauts des mittelhochdeutschen kurzen a aus, die in der Schriftsprache in der Form von ä oder e vorkommen. Ein helles a finden wir in den Wörtern wie Jaga (Jäger), Glachta (Gelächter), wassan (wässern) oder gschmakkich (geschmäckig). Dieses helle a zeigt sich auch in den für Wiener so kennzeichnenden Verkleinerungsformen: Radl (Rädchen), Platzerl (Plätzchen), oder Schwammerl (Schwämmchen). Zu dieser Gruppe gehört eine ganze Reihe von Wörtern der Wiener Mundart, die jedoch in der Schriftsprache kaum zu finden sind: Haksn (das Bein), krakseln (klettern), waxln (wächseln), schtampan (stämpern, hinauswerfen), es happat (es geht nicht vonstatten), si schwantsn (sich schwänzen, sich ärgern). Die letztere Gruppe stellen die Wörter des Umlauts des langen mittelhochdeutschen langen a dar. Dies wird jedoch im Wienerischen ebenso ausgesprochen, wie der gehemmte Umlaut des kurzen a (ein helles a). Stattdessen kann in der Schriftsprache sowohl ä als auch e erscheinen: Khas (Käse), Haring
43 Sassmann, Hans: Wienerisch. Was nicht im Wörterbuch steht. München: Piper Verlag, 1935. S. 18-19
44 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 219-220
25 (Hering), zach (zäh), dran (drehen) oder i dat (ich täte). In dem Falle, dass auf das a ein r folgt, kommt dies am Schluss eines Wortes nicht zum Vorschein, wie bei folgenden Beispielen zu sehen ist: i wa (ich wäre), Jaling (Jährling). Abschließend lässt sich ein Vers eines Kinderspiels anmerken, der die angeführten Regeln noch anschaulicher macht: „Vǫ tta, Vǫ tta, leich ma d Scha, Vǫ tta, Vǫ tta wo is la“ (Vater, Vater leih mir die Schere, Vater, Vater wo ist leer).45
4.1.1.3. Schriftdeutsches e
Diesem Kapitel geht eine kleine Bemerkung voraus. Heutzutage lassen Jüngere den Unterschied zwischen dem offenen und geschlossenen e außer Acht und tendieren eher zum Gebrauch des offenen e. Deswegen wird diese Unterscheidung nach dem Altwienerischen beiseite gelassen und es werden eher die heute gebräuchlichen Regeln und Beispiele aufgeführt.46
Die erste Regel lautet: „Wenn e vor einem l steht, dann wird es zu einem geschlossenen ö“: stön (stellen), Ölent (Elend). Anders ist es in dem Falle, wenn e vor einem r auftritt, da das e zum i wird: fiatich (fertig), miakn (merken). Diese Umwandlung geht auf das Mittelbairische zurück und tritt besonders in Wien und Niederösterreich in Erscheinung. Darüber hinaus ist eine weitere Regel erwähnenswert. Hierbei ändert sich das e vor dem l zum offenen ö: Mö (Mehl), Göd (Geld), Lebzötn (Lebzelten, Lebkuchen).47
Im Allgemeinen erfreut sich das e bei den Wienern nicht großer Beliebtheit und wo es nur möglich ist, wird es umgewandelt oder sogar weggelassen. Dann kann man verkürzte Formen hören wie zum Beispiel: g´rat´n (geraten), b´schieb´n (beschrieben). Eine völlig veränderte Form zeigt sich beim Pronomen er. Das unbeliebte e wird hierbei einfach durch das beliebte a ersetzt. Dies lautet entweder nur a oder ar. Oftmals wird im Wienerischen eine Aussage oder ein Satz des schöneren Klages halber verändert: Da hast as (Da hast du es). Im weiteren Sinne kann man noch zum Schluss das so häufig verwendete Wort „eh“ kurz behandeln. Einerseits ist dieses Wort in der Wiener Mundart Gang und Gäbe, andererseits wird
45 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 220-224
46 Schikola Hans: Schriftdeutsch und Wienerisch. Wien: Österr.Bundesverlag, 1954. S. 19
47 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996, S. 225-226
26 es als Ausdruck der Abneigung oder der Unlust verwendet und bekommt eine negative Bedeutung. Der Wiener benutzt dieses eh in denjenigen Fällen, wenn er durch das Gespräch gelangweilt ist: „Aber schaun S´! Das hab´ ih eh schon g´hört!“ oder nur „Eh schon wissen“.48
4.1.1.4. Schriftdeutsches i
Eine ganze Reihe von Wörtern, in denen in der Schriftsprache ein i auftritt, werden in der Wiener Mundart gleicherweise mit i geschrieben, manchmal auch mit ia. Diese Unterscheidung hat ihren Ursprung in der Tatsache, dass das Mittelhochdeutsche zwei verschiedene Laute hatte – einmal das kurze i und den Zwielaut ie. In der Schriftsprache konnte man für diese nur einen Laut finden. Der Zwielaut ie wies die gleiche Aussprache wie ia in Wien auf. Daraus ergibt sich die folgende Gruppierung.49
Erstens sind die Wörter zu erörtern, die im Mittelhochdeutschen ein kurzes i haben, wie zum Beispiel Bian (Birne). Auch hier gelten gewisse Regeln für den Lautwandel. Vor l ändert sich dieses i zu ü und am Wort- oder Silbenende fällt das l weg: müd (mild), vü (viel), Bücha (Püchler, Kleinkrimineller), wüd (wild), stü (still oder Stiel), Müli (Milch) - heutzutage ist eher Müch gebräuchlich. Des Weiteren wird i vor n nasaliert und am Schluss des Wortes fällt es aus: schwimma (schwimmen), hi (hin).50
Als zweites gibt es Wörter, die im Mittelhochdeutschen ein ie besitzen und im Wienerischen als ia ausgesprochen werden: liab (lieb), Diab (Dieb), wia (wie), Briaf (Brief). Diese haben eine weit verbreitete Bedeutung. Wenn man immer da wo der Wiener ia sagt ie schreibt, macht man meistens keinen Fehler. Des Weiteren gibt es auch Wörter, die diesen Regeln widersprechen. Im Mittelhochdeutschen besitzen sie kein ie, werden aber trotzdem im Wienerischen als ea ausgesprochen. Beispiele hierfür sind i siach (ich sehe), niader (nieder), Sets di nida (Setz dich
48 Sassmann, Hans: Wienerisch. Was nicht im Wörterbuch steht. München: Piper Verlag, 1935, S. 25, 27
49 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996, S. 226
50 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 227
27 nieder).51
Die Wiener lieben das i, da es so wie das a ein rein sangbarer Vokal ist. Als Beweis dafür lässt sich ein Beispiel von May Mayer zitieren: „Di´wia-i fiari schaibn!“ Im Hochdeutschen heißt es „Dich werde ich vorwärtsschieben.“52
4.1.1.5. Schriftdeutsches o
Der Unterschied zwischen der Wiener Mundart und der Schriftsprache ist im Rahmen der Aussprache des o-Lauts unbeträchtlich. In der Schriftsprache gibt es ein geschlossenes o und ein offenes o, die Mundart verfügt demgegenüber lediglich über ein geschlossenes o: Brod (Brot), Nod (Not), rod (rot). Steht ein l am Wortende oder am Schluss einer Silbe, wird es zu oi: Goid (Gold) oder hoi (hohl). Zu den weiteren lautlichen Veränderungen gehört die Änderung vor r zu u: Uat (Ort), Wuat (Wort). Durch diese Zeichen der Wiener Mundart - wie ein geschlossenes o oder die Änderung des o vor m und n zu u – unterscheidet sich das Wienerische vom Rest der mittelbairischen Dialekte.53
Zurzeit ist jedoch bei den jüngeren Wienern die Tendenz zu bemerken, dass sie eher ein offenes o sprechen. So haben die Wörter „Hasen“ und „Hosen“ eine fast identische Aussprache hǫ sn. Und auf die Frage, warum sie es so tun, kann der Wiener freilich erwidern: „Mia in Wean ham holt Zeid, an Vokäu g´müadlich auszuschprechn.“54
4.1.1.7. Schriftdeutsches ö
Auf Grund des mittelhochdeutschen kurzen oder langen ö wird im alten Wienerischen die Unterscheidung dementsprechend zwischen dem geschlossenen e und offenen e vollzogen. Da dieses Kennzeichen jedoch heutzutage vor allem bei den jüngeren Generationen kaum gebräuchlich zu sein scheint, wird diese Unterscheidung der Lautregeln nur kurz angesprochen. Die heutige Tendenz liegt
51 Schikola Hans: Schriftdeutsch und Wienerisch. Wien: Österr.Bundesverlag, 1954. S. 27
52 Sassmann, Hans: Wienerisch. Was nicht im Wörterbuch steht. München: Piper Verlag, 1935. S. 30
53 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 228
54 Sassmann, Hans: Wienerisch. Was nicht im Wörterbuch steht. München: Piper Verlag, 1935. S. 32
28 darin in Wien überall ein offenes ö auszusprechen, ohne beim Gebrauch des offenen oder geschlossenen ö zu schwanken.55
Im Altwienerischen wird in Wörtern mit mittelhochdeutschem kurzen ö ein geschlossenes e ausgesprochen: Lecha (Löcher), oder Dechta (Töchter). Im Gegensatz dazu steht in Wörtern mit mittelhochdeutschem langem ö ein offenes ę: blęd (blöd), Bręsl (Brösel). Diese beiden Gruppen haben gemeinsam, dass vor dem r ein offenes ę steht wie beispielsweise in Ręan (Röhre), hęan (hören). Als eine Besonderheit lässt sich das folgende Beispiel anführen, bei dem der Übergang zur Mundart nicht den vorliegenden Regeln entspricht. Dies ist bei der Verkleinerung Granl (Krone) der Fall, die normalerweise im Dialekt als Krenl bezeichnet wird. Aber man ging allem Anschein nach von der Annahme aus, dass wenn die Verkleinerung zu Fahne Fanl heißt, dann wandelt man die Gråne zu Granl. Dank diesem Fehlschlag konnte das berühmte Wienerlied entstehen “Heit´ hǫ b i schon mein Fanl, heit´is ma ǫ llas ans. Dǫ hǫ pt´s mein letstas Granl schbüd´s ma hawe Dants!“ Im Hochdeutschen lautet dies: Heute habe ich schon mein Fähnlein, heute ist mir alles eins. Da habt ihr meine letzte Krone und spielt mir herbe Tänze.56
4.1.1.8. Schriftdeutsches u
Das schriftdeutsche u wird in der Wiener Mundart entweder zu ua, oder bleibt ein u. Man unterscheidet also erstens die Wörter, die im Mittelhochdeutschen ein kurzes u haben und bei den Wienern ebenso u zu hören ist: Fuks (Fuchs) oder Schmutz (Schmutz). Zweitens steht in den Wörtern, in denen im Mittelhochdeutschen uo vorkommt, der mundartliche Laut ua: Muata (Mutter), Bluad (Blut), Kruag (Krug). Vor einem l wird jedoch dieses uo zu ui: Schdui (Stuhl), Schui (Schule). Ganz anders verhält es sich mit u vor einem m oder n. Es wird in diesen Fällen zu einem hellen, nasalierten a wie in Mam (Muhme). Zu erwähnen ist der Einfluss der Mundarten, der manchmal einen Lautwechsel in der Schriftsprache zur Folge hatte. So ist es beispielsweise in den Wörtern Summer (Sommer) oder trucken (trocken). Im Wienerischen blieb nichtsdestotrotz die
55 Schikola Hans: Schriftdeutsch und Wienerisch. Wien: Österr.Bundesverlag, 1954. S. 30
56 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 230-231
29 mundartliche Variante erhalten.57
4.1.1.9. Schriftdeutsches ü
Wie auch bei den vorherigen Lauten ist ebenfalls bei ü der Ursprung des mittelhochdeutschen Lauts zu bestimmen. Die erste Gruppe stellen jene Wörter dar, die im Mittelhochdeutschen ein ü besitzen, das in der Mundart als i erscheint. Beispiele hierfür sind die Wörter Glikk (Glück), Hittn (Hütte) und Tir (Tür). Der Laut verändert sich vor l zu ü und am Wort- oder Silbenende fällt er vollkommen weg, wie in Mü (Mühe) und fün (füllen). An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass gerade in der Wiener Mundart das u oftmals keinen Umlaut hat. Beispiele hierfür sind hupfm (hüpfen), zupfem (zupfen), Brukn (Brücke), Khuchl (Küche), Lug (Lüge) und Buttn (Bütte). Der letzterwähnte Ausdruck steht für ein offenes Tragegefäß, das für Weintrauben bei der Ernte benutzt wird. In den Weinbergen Wiens kann man also hören: „Hend wek von dea Buttn, ´s san Weimpa drin“ (Hände weg von der Bütte, es sind Weinbeeren drinnen).58
Zu der zweiten Gruppe gehören die Wörter, die vom mittelhochdeutschen üe stammen und in Wien in der Form von ia vorkommen: bliatn (bluten), Mia (Mühe), Biachl (Büchlein) oder die Pluralformen von Mutter Miata und von Bruder Briada. Man spricht auch von grüßen griaßan, was in der Wiener Mundart ein Sprichwort entstehen ließ: I låß eam sche griaßn, schmåizn soll er si´s söber! (Ich lasse ihn schön grüßen, Schmalz soll er sich selber darauf geben).59
4.1.1.10. Schriftdeutsches au, äu und eu
Diese Selbstlaute werden nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Heutzutage sprechen nur die ältesten Wiener in ei beziehungsweise ai, au und äu oder den Zwielaut eu. Die Jüngeren vereinfachen diese Lauten folgendermaßen: aus ei wird ein sehr offenes ä, aus au ein sehr offenes o und aus äu ein sehr offenes ö.60
57 Schikola Hans: Schriftdeutsch und Wienerisch. Wien: Österr.Bundesverlag, 1954. S. 32
58 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 235-236
59 Schikola Hans: Schriftdeutsch und Wienerisch. Wien: Österr.Bundesverlag, 1954. S. 33
60 Schikola Hans: Schriftdeutsch und Wienerisch. Wien: Österr.Bundesverlag, 1954. S. 34
30 Im Altwienerischen wird ein ei für alle Laute, mit der Ausnahme von l, gesprochen: Eigal (Äuglein), Fakeiffa (Verkäufer), Freid (Freude), Heisa (Häuser) und schließlich das charakteristische Kennzeichen des Wienerischen, das Gnäulal (Knäuel).61
4.1.1.11. Schriftdeutsches ei
In erster Linie werden die Wörter mit ei aufgeführt, das seinen Ursprung im mittelhochdeutschen i hat. Bei diesen findet man meistens keine Änderung bzw. keinen Lautwandel: bei (bei), reissn (reißen). Eine Ausnahme macht der Fall wenn l das ei zu äu umwandelt: Wäu (Weile) oder Khäu (Keil). Dies wird schon vorher angedeutet. Der Laut ei kann auch nasaliert werden und zwar in dem Fall, wenn ei vor m oder n vor steht und in der Folge dann n am Wortende schwindet: mein (mein), dein (dein), Wein (Wein).62
Einer größeren Änderung unterliegt jedoch das mittelhochdeutsche ei, das fast in ganz Österreich oa lautet und ausschließlich in der Wiener Mundart zum hellen a wird: Lab (Leib), brad (breit), Schra (Schrei) oder das in der Redensart gebräuchliche Schdrach (Streich) - Schdrach mǫ chn (Streich machen, prahlen). Eine weitere Änderung zeigt sich im Laut l, der das helle a zu einem äu macht wie in häun (heilen) und Säu (Seil). Je nach Sprachgewohnheit wird das a vor m und n stark nasaliert und das n am Wortschluss fällt weg: Ban (Bein), ham (heim). Um diese Lautänderungen zusammenzufassen, lässt sich wieder ein Wiener Lied als Beispiel anführen, in dem - wie es immer bei den Wiener Liedern der Fall ist - eine ganze Reihe von Kennzeichen dieser Mundart auftauchen: Wǫ s hǫ d den des Bia fiar an Fam, vua Mittanǫ chd gemma ned ham. (Was hat denn das Bier für einen Schaum, vor Mitternacht gehen wir nicht heim).63
4.1.1.12. Selbstlaute in den Vorsilben
Widmen wir uns jetzt dem Teil über die Selbstlaute und der Vorsilbe be-. In der Wiener Mundart gibt es lediglich ein paar Wörter mit dieser Vorsilbe. Die
61 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 239
62 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 240
63 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 241
31 Ursache hierfür besteht darin, dass diese Vorsilbe von den Wienern selbst als höflich und nobel identifiziert wird. Aus diesem Grund wird sie von ihnen durch andere ersetzt. Dies zeigt sich im folgenden Beispiel: Du kannst es dir behalten, „Du khånst da´s g´hoidn“. Das Verb „behalten“ lautet dem Wiener eher schriftsprachlich und so wird es durch gehalten ausgetauscht. Zu den Wenigen also, die nichtsdestotrotz in Wien gebräuchlich sind, gehören bedriagn (betrügen), benutsn (benützen), si benema (sich benehmen) oder si beglǫ gn (sich beklagen). Wie schon angedeutet, bietet die Wiener Mundart lediglich einen geringen Anteil der echten mundartlichen Formen dieser Vorsilbe. Einige davon sind bsachd (beseicht, beharnt), bsoffn (besoffen) oder Bschisterer (Pensionsdekret).64
Eine andere, weniger häufig verwendete Vorsilbe stellt ent- dar, die ebenso häufig von den anderen Vorsilben ersetzt wird: griagn (empfangen, in der Bedeutung erhalten) oder gschbian (empfinden, spüren). Die jedoch mehr frequentierte Vorsilbe ist die Vorsilbe er-, an deren Stelle in der Mundart da- steht: daschlǫ gn (erschlagen), si dafånga (sich erfangen), si daschtęßn (sich erstoßen). In diesem Fall handelt es sich um eine typisch mundartliche Vorsilbe, die in großem Maße im Wienerischen erscheint.65
Im Weiteren wird eine große Gruppe der Wörter mit der Vorsilbe ge- besprochen, indem diese Vorsilbe vor b, p, d, t, g und k wegfällt, wie folgende Beispiele zeigen: bitt (gebeten), drad (gedreht), khost (gekostet). In der Vorsilbe ge- fällt das e in dem Fall aus, wenn das Wort mit einem Selbstlaut beginnt wie in gärgat (geärgert), gimpft (geimpft) oder geifat (geeifert). Das e fällt ebenfalls vor anderen Mitlauten, die oben angeführt sind, weg: gfoin (gefallen), ghǫ pt (gehabt), oder ghǫ idn (gehalten). Zum Schluss sei auch auf die Vorsilben ver- und zer- hingewiesen, die im Wienerischen ausnahmslos als fa und za in Erscheinung treten.66
4.1.2. Die Mitlaute
4.1.2.1. Schriftdeutsche p, t und k
64 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 242
65 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 243
66 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 243
32 Eine der Hauptregeln für die Mitlaute stellt die Veränderung von p, t, und k zu b, d und g dar, wenn diese einem langen Selbstlaut folgen wie in zåbln (zappeln), Bred (Brett), wågln (wackeln) und Bugl (Buckel). Es ist dabei zu beachten, dass die Wiener am Wortanfang zwischen b und p, d und t nicht unterscheiden und anstatt dessen einen Laut verwenden, der wie etwas zwischen hartem p und weichem b, hartem t und weichem d klingt. So wird der Anlaut gleicherweise bei den Wörtern wie Dåch (Dach) und Tåg (Tag) ausgesprochen. Angeblich sind sich die Wiener dieser Tendenz nicht bewusst, doch ist sie in ihrer Sprache nachzuweisen. In ähnlicher Weise kommt es auch bei b zwischen zwei Selbstlauten dazu, dass die Wiener kein b sondern ein w aussprechen und dieses selbst oft nicht realisieren, Beispiel dafür sind liawer (lieber) und Lewer (Leber).67
Widmen wir uns nun dem schriftdeutschen k. Hier muss es gesagt werden, dass es im Deutschen kein echtes k wie zum Beispiel in der slawischen Sprachen gibt, sondern eher ein behauchtes k, richtigerweise als kh geschrieben. Die Veränderung tritt allerdings ein, wenn k in Verbindung mit l, n oder r auftaucht und in der Folge als g ausgesprochen wird wie in Gnochn (Knochen), grång (krank) oder grǫ tsn (kratzen). Dieser Wandel erscheint ebenso bei der Position von k nach langem Selbstlaut: wǫ gln (wackeln), haglich (heikel). Unter der Bedingung, dass k nach l oder r auftritt, wird es zu ch: Mǫ rch (Mark), wǫ ichn (walken) oder Khǫ ich (Kalk). Zu ch wandelt sich in großem Maße g um, entweder am Wortende: Wech (Weg), Sǫ ch (Säge) oder in der Nachsilbe -ig: häulich (heilig), wenich (wenig).68
4.1.2.2. Schriftdeutsche l
Im Großen und Ganzen bleibt das l unverändert nur im Anlaut oder zwischen zwei Selbstlauten: leben, lesen, alles, usw. Grundsätzlich kann man nach der anderen lautlichen Umgebung von l folgende Gruppen aufstellen.
Die erste Gruppe machen die Wörter aus, in denen das l dem dumpfen a, o, und u folgt und sich in der Folge zu i ändert: Tåi (Tal), Wåid (Wald), Schui (Schule) oder Goid (Gold). Dies gilt besonders bei einsilbigen Wörtern. Die zweite Gruppe stellen jene Wörter dar, in denen das l nach hellem a, ei, e, i und ü völlig ausfällt und
67 Schikola Hans: Schriftdeutsch und Wienerisch. Wien: Österr.Bundesverlag, 1954. S. 36
68 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 259
33 dabei noch den vorangehenden Selbstlaut verändert. Wenn das helle a dem l vorausgeht, wird es zu äu: kräun (krällen), Äutl (Ältel). Des Weiteren verändert sich die Kombination der Laute ei und l ebenfalls zu äu: Pfäu (Pfeil), Wäu (Weile), oder häun (heilen). Ebenso erscheinen neu entstandene Formen, wenn ein e nach dem l steht und so sich daraus ein geschlossenes oder offenes ö formt: Ködn (Kälte), Hö (Hölle), Mö (Mehl) - wobei in den ersten zwei Beispielen das geschlossene ö steht und im Mö dagegen ein offenes ö. Des Weiteren wird das l nach b, p, m und f zu i: Hummi (Humel), Schaufi (Schaufel), Leffi (Löffel). Die letzen Lautkombinationen stellen l mit i oder ü vor, die sich dann zu einem ü verändern: vü (viel), wüd (wild), Gfü (Gefühl), fün (füllen).69
Letztendlich gibt es noch eine Besonderheit der Wiener Mundart, die besonders erwähnenswert ist. Es handelt sich um das häufig verwendete asó. Es tritt sehr oft auf, wie zum Beispiel in asó a guada Mensch (ein solch guter Mensch). Gleichfalls sagt man jedoch in Wien i mǫ ch des imma asó, was heißt “ich mache das immer so” und noch eine gleich lautende Variante: Ǫissdan, i khum (also i komme). Nun stellt sich die Frage, ob dies asó entweder “ein solch”, oder “also” bedeutet. Da es sich bei asó aber um einen mittelhochdeutschen Ausdruck alsô handelt, der eigentlich eine Zusammensetzung aus all und so darstellt, ist die richtige Bedeutung offensichtlich. Im Wienerischen gibt es allerdings noch eine Variante: Asó, er is grång (Achso, er ist krank). Es handelt sich wieder um eine Zusammensetzung, diesmal von ach und so.70
4.1.2.3. Schriftdeutsches n
Das n unterliegt nur im folgenden Falle einer Veränderung, wenn es am Ende eines Wortes auftritt. Dies wird auf solche Art und Weise vorgenommen, dass das n wegfällt und der vorangehende Selbstlaut nasaliert wird. Bei den jungen Wienern herrscht jedoch die Tendenz vor, diese Näselung völlig abzubauen. So sagen sie beispielsweise Sta (Stein) oder Wei (Wein). Eine Ausnahme macht das Doppel -n aus, bei dem häufig das n erhalten bleibt: Brun (Brunnen), Sun (Sonne).71
69 Schikola Hans: Schriftdeutsch und Wienerisch. Wien: Österr.Bundesverlag, 1954. S. 37
70 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 265
71 Schikola Hans: Schriftdeutsch und Wienerisch. Wien: Österr.Bundesverlag, 1954. S. 39
34 4.1.2.4. Schriftdeutsches r
In der Wiener Mundart wird das r entweder als a-Laut ausgesprochen oder es fällt aus. Wenn man also echt Wienerisch sagen möchte „Hören Sie, Herr“, dann lautet es „Hean S´Hea“. Aber unter Umständen kann man auch die Aussprache des r übertreiben und sagen „Herrn S´ Hearrrr“. Dies soll dann eine gewisse Boshaftigkeit und Unfreundlichkeit der Aussage betonen. Es kommt dementsprechend auf die Einstellung der Sprecher zu seinem Gesprächspartner an. Das kommt ebenso im folgenden Satz zum Ausdruck: „Da head sih bei mia dä G´müadlikeit auf.“ Da wird das r durch a ersetzt und zusätzlich wird das t in “hört” und “Gemütlichkeit” zum weichen d. Gleichfalls wie im vorherigen Beispiel kann die Aussprache anders lauten, wenn jemand in ein ärgerliches Gespräch gerät: „Jatzt hotzi bei miarr owarr dä G´müatlikeit aufg´hearrt“. Wieder erscheint an dieser Stelle das rollende Zungen R.72
Wodurch sich ein Dialekt ebenfalls von der Schriftsprache unterscheidet, ist die unterschiedliche Aussprache in der Verbindung rs, was in Wien eher als rsch lautet: erscht (erst), Durscht (Durst), Pferscher (Pfirsich). Dies gilt jedoch nicht bei der Beugung der Zeitwörter: du fårst (du fährst), oder du wårst (du warst).73
4.1.2.5. Schriftdeutsches h
Letztendlich müssen noch drei Möglichkeiten der Änderung des schriftsprachlichen h erwähnt werden. Erstens kommt es im Besonderen am Ende eines Wortes dazu, dass ein h zu ch wird wie in zach (zäh), Vich (Vieh), leichn (leihen), seichn (seihen). Das ch fällt demgegenüber zuweilen im Auslaut weg: i (ich), mi (mich), glei (gleich) Zweitens taucht größtenteils an Stelle eines h ein g auf und zwar in den Fällen, wenn ein h mit einem n zusammen auftritt.74
„Diese Regel gilt aber außer für “geschehen” nur noch für die Zeitwörter “sehen” und “ziehen”. Es heißt also i sich = ich sehe, aber mia sęgn = wir sehen und gsęgn = gesehen, ebenso i ziach = ich ziehe, dagegen mia ziagn = wir ziehen. Daher lautet auch der beliebte
72 Sassmann, Hans: Wienerisch. Was nicht im Wörterbuch steht. München: Piper Verlag, 1935. S. 34,37
73 Schikola Hans: Schriftdeutsch und Wienerisch. Wien: Österr.Bundesverlag, 1954. S. 39
74 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 262
35 Zuruf der Wiener Ziach ǫ = Ziehe ab!, der die Bedeutung hat Verschwinde!“75
In manchen Wörtern fällt das h sogar völlig aus: Hę (Höhe), Rei (Reihe). Dies ist vor allem in den Zusammensetzungen der Nachsilben -hin und -her der Fall: auffi (aufhin, hinauf), ǫ wi (abhin, hinab) oder aussi (aushin, hinaus).76
4.2 Die Formenlehre
4.2.1. Die Hauptwörter
Dieses Kapitel veranschaulicht, dass die Wiener Mundart in großem Maße aus den älteren sprachlichen Formen hervorgeht. So ist es auch im Falle des Geschlechtsunterschieds zwischen der schriftsprachlichen und mundartlichen Variante. Im Mittelhochdeutschen besitzen einige Wörter ein männliches Geschlecht (Schecke, Spitz, Zwiebel), andere waren beispielsweise sowohl männlich als auch weiblich (Asche, Butter). Daraus ergibt sich, dass sie je nach bestimmten Gebiet oder bestimmter Region unterschiedlich gebraucht werden, entweder männlich oder weiblich. In unserem Fall kommt vorwiegend das männliche Geschlecht in Frage, das im Wienerischen oft an der Stelle des weiblichen steht. Um ein paar Beispiele zu geben, lassen sich diese aufführen: der Butta (die Butter), der Schnękk (die Schnecke), der Zwifi (die Zwiebel). Diesen gegenüber werden einige Ausdrücke in der Mundart in ihrer weiblichen statt männlichen Form verwendet: die Schunkn (der Schinken), die Huasdn (der Husten) oder auch anstatt der sächlichen Form: die Fęttn (das Fett). Ebenso variiert das sächliche Geschlecht im Wienerischen und wird oft zum männlichen: das Månat (der Monat), das Zedl (der Zettel) oder auch weiblich: das Ekk (die Ecke), das Numero (die Nummer).77 Dies war nur ein kurzer Einblick in die Problematik der Nutzung des Artikels im Wienerischen. Erstaunlicherweise herrscht diese bei den Wienern kaum vor. Eine große Rolle spielt dabei der Einfluss der Schule und der Massenmedien, in denen überall eine präzise Einhaltung der Artikel laut der Schriftsprache vorherrscht.
75 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 263
76 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 263
77 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 268, 269
36 Die Biegung der Hauptwörter Bevor wir uns der eigentlichen Beugung widmen, muss man vorerst ein paar allgemeine Anmerkungen zu dieser Problematik vorausschicken. Eine ganze Reihe von Besonderheiten findet man in der Wiener Mundart im Genitiv. Die erste Besonderheit ist, dass der Genitiv im Wienerischen nur vereinzelt gebraucht wird und wenn, dann besonders in den Redensarten: is ned de red, da Mia weat (ist nicht der Rede, der Mühe wert), um Gottas Wün (um Gottes Willen). Eher als diese Genitivform werden zwei folgende Varianten für den zweiten Fall benutzt. Was häufig vorkommt, ist die Umschreibung nach dem folgenden Muster: statt „der Hut des Vaters“ verwendet man „dem Vater sein Hut“, mundartlich in Vatan sein Huad, in der Mehrzahl in Vattan seine Hiad. Die zweite mögliche Variante für den Ersatz des zweiten Falls bietet die auch in der Schriftsprache häufig verwendete Umschreibung durch „von“: da Huad von Vattan (der Hut des Vaters/vom Vater). Im Unterschied dazu werden der dritte und vierte Fall normalerweise ohne die jeweiligen Ausnahmen gebildet. Sie werden im Folgenden an konkreten Beispielen behandelt.78 So wie in der Schriftsprache gibt es auch in der Mundart den bestimmten und den unbestimmten Artikel. Der Übersichtlichkeit und Vollständigkeit halber werden diese in den unten angeführten Tabellen dargestellt. Der bestimmte Artikel:79 Männlich (Sg.) Weiblich (Sg.) Sächlich Mehrzahl für alle Geschlechter (Sg.) gleich der da die di (oder nur das s die di (oder nur d) d) des - der - des - der - dem in der da dem in den denan (in) den in die di (oder nur das s die di (oder nur d) d)
78 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 270
79 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 272
37 Der unbestimmte Artikel:80 Männlich (Sg.) Weiblich (Sg.) Sachlich (Sg.) ein a eine a ein a eines - einer - eines - einem an einer ana einem an einen an eine a ein a
Beugung der männlichen Hauptwörter Die männlichen Hauptwörter kann man der Beugung nach in zwei Gruppen unterteilen. Zu der ersten Gruppe gehören diejenigen Wörter, die einen Umlaut im Plural haben. Der zweiten Gruppe gehören die ohne Umlaut in der Mehrzahl an. Außer ein paar Ausnahmen, gilt im Allgemeinen für beide Gruppen, dass sie überhaupt keine Endung besitzen, außer im dritten Fall im Plural. So kann die Beugung der männlichen Hauptwörter auf diese Art und Weise vorgenommen werden.81 Biegung (der Gast, der Bruder):82 Einzahl Mehrzahl Einzahl Mehrzahl
1. Fall da Gǫ st di Gest 1. Fall da Bruada die Briada
2. Fall - - 2. Fall - -
3. Fall in Gǫ st denan/in Gest 3. Fall in Bruadan denan/in Briadan
4. Fall in Gǫ st di Gest 4. Fall in Bruadan di Briada
In der ersten Tabelle finden wir die Beugung von „der Gast“, was man als Muster annehmen kann, nach dem man die meisten Substantive dekliniert. Auch da gibt es jedoch gewisse Ausnahmen, also Wörter, die man anders dekliniert. Zu diesen gehören die Wörter „Bruder“, „Vater“, sowie alle männlichen Hauptwörter auf -el,
80 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 272
81 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 274
82 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 273, 274
38 oder die, die im Plural die Endung –er besitzen.83 Biegung (der Engel, der Mann):84
Einzahl Mehrzahl Einzahl Mehrzahl
1. Fall da Engl di Engln 1. Fall da Mån di Menna
2. Fall - - 2. Fall - -
3. Fall in Engl denan/in Engl 3. Fall in Mån denan/in Menan
4. Fall in Engl di Engln 4. Fall in Mån di Menna
Aus dem ersten Beispiel „der Engel“ lässt sich eine weitere Regel ableiten. Alle männlichen Hauptwörter mit der Endung –el besitzen in allen Fällen im Plural ein n. Dies stellt einen wesentlichen Unterschied zu der Schriftsprache dar. Anders verhält sich jedoch die Gruppe der Wörter, die im Plural auf –er enden und so nach dem oben angeführten Muster „der Mann“ dekliniert werden.85 An dieser Stelle sind noch zwei Regeln zu bemerken. Die erste heißt, dass in allen Hauptwörtern, die in der Schriftsprache im Plural den Umlaut ä haben, dann in der Mundart ein helles a steht. Diese Tendenz nimmt jedoch schon lange ab. Die zweite Regel ist noch heutzutage von großer Bedeutung und die Wiener machen häufig Gebrauch davon. Dies lautet, dass alle starken (harten) Mitlaute zu schwachen umgewandelt werden, wenn sie am Schluss eines einsilbigen Wortes erscheinen. Die zweisilbigen Wörter bleiben unverändert. So kann man im Wienerischen folgende Formen im Singular und Plural finden: God – Getta (Gott), Khobf – Khepf (Kopf), oder Grånds – Grents (Kranz).86 Die nächste Gruppe der männlichen Hauptwörter mit unterschiedlicher Deklination machen diejenigen, die ein lebendes Wesen bezeichnen. Sie sind oft einsilbig, haben nur im 1. Fall im Singular keine Endung, allerdings in allen anderen Fällen kommt die Endung –n vor. Als Muster dient „der Bäcker“, nach dem man viele Völkernamen (Diak – Türke, Frantsós - Franzose), einiege Fremdwörter
83 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 274
84 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 274
85 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 275
86 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 276
39 (Soidǫ d - Soldat) oder auch Tiernamen (Rǫ ts – Ratte, Rǫ b - Rabe) beugt.87 Eine sogenannte gemischte Beugung haben die Wörter nach dem Muster „der Magen“ und es werden danach auch Wörter mit der Endung –n dekliniert, wie der Tabelle zu entnehmen ist. Beugung (der Bäcker, der Magen):88 Einzahl Mehrzahl Einzahl Mehrzahl
1. Fall da Bekk di Bekkn 1. Fall da Mǫ gn di Megn
2. Fall - - 2. Fall - -
3. Fall in Bekkn denan/in Bekkn 3. Fall in Mǫ gn den Megn
4. Fall in Bekkn di Bekkn 4. Fall in Mǫ gn di Megn
Beugung der sächlichen Hauptwörter Teilt man auch die Hauptwörter nach der Art der Beugung, so kann man in erster Linie die stark gebeugte Gruppe erwähnen, die außer im dritten Fall der Mehrzahl keine Endungen haben. Zu dieser Gruppe gehören: Jǫ a (Jahr), Hǫ a (Haar), einige besitzen einen Umlaut in der Mehrzahl: Hof – Hef (Hof), Glosda – Glesda (Kloster). Des Weiteren unterscheidet man die Wörter, die in der Pluralform auf –er enden, zuweilen mit dem zusätzlichen Umlaut: Blǫ tt – Bletta (Blatt), Haus – Heisa (Haus). Wie schon bei den männlichen Hauptwörtern eine Regel betreffend der Schwächung der einsilbigen Wörter angedeutet wurde, gilt dies ebenso bei den sächlichen Hauptwörtern: Buach - Biachcha (Buch), Schlos – Schlessa (Schloss). Die letzterwähnte Gruppe machen diejenigen sächlichen Hauptwörter aus, die im Singular die gleichen Formen aufweisen, aber im Plural die Endung –n haben. Dieser gemischten Beugung gehören Wörter wie zum Beispiel Aug – Augn (Auge), Hemat – Hematn (Hemd) an, oder die fürs Wienerische so typische Verkleinerungen: Radl - Radln (Rad), Glasl – Glasln (Glas).89
87 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 276, 277
88 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 276, 277
89 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 278, 279
40 Die Beugung der weiblichen Hauptwörter In diesem Kapitel unterscheiden wir drei Gruppen. Zur ersten Gruppe gehören die stark gebeugten weiblichen Hauptwörter, die als Muster „die Kuh“ (siehe Tabelle) haben und in der Mehrzahl häufig den Umlaut aufweisen. Hierzu gehören beispielsweise Bånk – Benk (Bank), Braud – Breit (Braut), Hånd – Hend (Hand). Im Weiteren darf man die gemischte Beugung nicht außer Acht lassen. Diese Wörter nehmen im 1. Fall Singular die Endung –n an, in den anderen Fällen behalten sie jedoch die gleiche Form. Um dies anschaulicher zu machen, wird wieder eine Tabelle mit den jeweiligen Mustern angeführt. In diesem Fall ist „die Birne“ das Musterwort, nach dem sie gebeugt werden.90 Die Beugung (die Kuh, die Birne):91 Einzahl Mehrzahl Einzahl Mehrzahl
1. Fall di Khua di Khia 1. Fall di Bian di Bian
2. Fall - - 2. Fall - -
3. Fall da Khua denan/in Khian 3. Fall da Bian den Bian
4. Fall di Khua di Khia 4. Fall di Bian di Bian
Die letzte Gruppe der weiblichen Hauptwörter bilden diejenigen Wörter, die im 1. Fall Singular kein –n annehmen und zugleich unverändert bleiben, im Plural jedoch die Endung –n haben: Frau – Fraun (Frau), Schuid – Schuidn (Schuld).92
Die Beugung des Eigenschaftsworts Wie in der Schriftsprache muss man auch in der Mundart die Beugung der Eigenschaftswörter nach dem bestimmten, unbestimmten Artikel, oder ohne Artikel unterscheiden. An erster Stelle erwähnen wir die Beugung mit dem bestimmten Artikel, also eine schwache Beugung. Auf gleiche Art und Weise bildet man die Beugung mit dem unbestimmten Artikel, außer der kleinen Änderung im 1. Fall: a guada Mån, a guade Frau, a guads Khind. Im Plural verschwindet der unbestimmte
90 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 280
91 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 279
92 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 280
41 Artikel und das Eigenschaftswort unterliegt einer starken Beugung. Die letzen zwei Tabellen stellen die Muster für die Beugung ohne Artikel dar.93 Die Beugung mit dem bestimmten Artikel (Einzahl)94 männlich weiblich sächlich
1. Fall da guade Mån di guade Frau s guade Khind
2. Fall - - -
3. Fall in guadn Mån da guadn Frau in guadn Khind
4. Fall in guadn Mån di guade Frau a guade Khind
Die Beugung ohne Artikel (Einzahl)95 männlich weiblich sächlich
1. Fall guada Mån guade Frau guads Khind
2. Fall - - -
3. Fall guadn Mån guada Frau guadn Khind
4. Fall guadn Mån guade Frau guads Khind
Mehrzahl96 männlich weiblich sächlich
1. Fall guade Menna guade Fraun guade Khinda
2. Fall -
3. Fall guadn Mennan guadn Fraun guadn Khindan
4. Fall guade Menna guade Fraun guade Khinda
Zu der Beugung ohne Artikel muss noch erwähnt werden, dass die Eigenschaftswörter nach einem vorangestellten Wort nie die Endung –en wie in der
93 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 281
94 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 281
95 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 281
96 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 282
42 Schriftsprache annehmen, sondern lediglich –e: mit grosse Fiass (mit großen Füßen), mit glane Khinda (mit kleinen Kindern).97 Zum Schluss dieser Behandlung müssen bezüglich der Eigenschaftswörter noch einige Besonderheiten angeführt werden. Eine besondere Gruppe bilden diejenigen Wörter, die am Wortende –n oder –m haben. Sie nehmen keine –en Endung bei der Beugung an, sondern die Endung bleibt erhalten und lautet im Wienerischen dann –an: an dinnan Måntl (einen dünnen Mantel), an lången Måntl (einen langen Mantel). Abschließend noch ein kurzer Einblick zu den besonderen Formen der Eigenschaftswörter als Umstandswörter, die in der Wiener Mundart häufig vorkommen. Dabei muss die Mundart die schriftsprachliche Variante in gewissem Maße umformen. So sagt man im Wienerischen statt „Als lachender ist er hereingekommen“ ǫ is a lǫ chata is a einakhumma (er ist lachend hereingekommen), oder „als weinende ist sie fortgegangen“ ǫ is a wanata is´fuatganga (sie ist weinend fortgegangen).98
4.2.2. Die Fürwörter Die persönlichen Fürwörter Bei dem Gebrauch der persönlichen Fürwörter spielt die Betonung eine zentrale Rolle. So kann man in der Mundart das jeweilige Fürwort nach der starken oder schwachen Betonung auswählen. Der Unterschied wird an folgenden Beispielen anschaulicher. Stark betont wird das Fürwort bei: „Mí hǫ d a gsęgn?“ (Mich hat er gesehen?), schwach betont: „Ea hǫ d mi gestan gsegn“ (Er hat mich gestern gesehen). Die Muster der Beugung von persönlichen Fürwörtern werden in der folgenden Tabelle dargestellt, wobei in Klammern die schwach betonte Variante steht.99 Persönliche Fürwörter (1. und 2. Person, Singular, Plural):100 1.Person 1.Person 2.Person 2.Person (Plural) (Singular) (Plural) (Singular)
97 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 282
98 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996, S. 282, 283
99 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996, S. 285
100 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 285
43 1. Fall i ich mia wir du (d) Du és (s) ihr (ma)
2. Fall maina meiner unsa unser daina deiner enga euer
3. Fall mia mir uns uns dia (da) Dir eng euch (ma)
4. Fall mí (mi) mich uns uns dí (di) dich eng euch
Was die Formen der dritten Person reflexiv betrifft, steht im zweiten Fall seina (seiner) und im dritten und vierten Fall si (sich). Wenn jedoch dieses si mit einem vorangegangenen Wort zusammensteht, dann bleibt die schriftsprachliche Variante erhalten: fia sich (für sich).101 Im Gegensatz zu den Hauptwörtern spielt der zweite Fall bei den Fürwörtern eine ganz wichtige Rolle und kommt sehr häufig vor. Manchmal tritt der zweite Fall sogar an die Stelle des dritten Falles: owa meina (ober mir). Dies kann man auch bei einem Auszählvers der Kinder sehen: Hinta meina, fuada meina, ręchts und links güt s nix, węla ned vasteckt is, dęar iss (Hinter mir, vor mir, rechts und links gilt es nichts, wer nicht versteckt ist, der ist es).102 Wenden wir uns dem Fürwort der dritten Person zu, bieten sich die in der Tabelle angeführten Formen an. Persönliche Fürwörter (3. Person):103 männlich weiblich Sächlich Mehrzahl
1. Fall ea er si (s) sie es Es se (si, s) sie (as,s)
2. Fall seina seiner iara ihrer - - - -
3. Fall eam ihm ia ihr eam Ihm eana ihnen
4. Fall eam ihn si (s, as) sie es Es s (si, as) sie (na, n (as,s) oder m)
101 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996, S. 286
102 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996, S. 286
103 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 286
44 Sieht man sich die Tabelle näher an, findet man im 4. Fall des männlichen Geschlechts die Varianten eam, na, n und m. Ihre Verwendung hängt in gewissem Maße von der Bedeutung des Fürwortes und der Stellung der Selbstlaute ab. Ist die Bedeutung geringer, wählt man die Formen na und n: I hǫ b eam gsęgn oder I hǫ b na gsęgn (Ich habe ihn gesehen). Für den Fall, dass das Wort vor dem Fürwort am Ende einen schwachbetonten Selbstlaut hat, verwendet man nichts anders als n: i khauf ma n (ich kaufe mir ihn). Im Gegensatz dazu verwendet man nach einem starkbetonten Selbstlaut entweder eam oder na: i hau eamoder i hau na (ich haue ihn). Auch der Gebrauch der Form as (sie) im 4. Fall des weiblichen Geschlechts unterliegt der Regelung, dass sie lediglich nach t oder d stehen kann: Hǫ sd as gsęgn? Hast du sie gesehen?104 Um die Behandlung der Formen der dritten Person vollständig zu machen, muss man noch die Höflichkeitsformen erwähnen. Höflichkeitsformen:105 1. Fall se (s) Sie
2. Fall - Ihrer
3. Fall eana Ihnen
4. Fall se (s) Sie
Die Tatsache, dass die Form s für verschiedene Geschlechter gebraucht wird, eröffnet die Möglichkeit der Mehrdeutigkeiten. So kann man die mundartliche Aussage „I hop s gsęgn“ auf verschiedene Weise verstehen: „Ich habe es gesehen“, „Ich habe sie (eine Frau) gesehen“, oder „Ich habe sie gesehen (Männer, Frauen oder Kinder)“ und auch „Ich habe Sie gesehen.“ Ähnlich ist es bei „is scho dǫ “, es kann heißen: „Es ist schon da“ oder „Sie ist schon da“.106 Eine Besonderheit des Wienerischen ist die Tendenz, das persönliche Fürwort in der Beugung des Zeitwortes, des Eigenschaftswortes und anderer Wortarten zu integrieren. Es ist dabei so vorzugehen, dass die verkürzte Form des persönlichen Fürwortes mit dem Zeitwort zusammengezogen wird: „Hǫ sst scho
104 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996, S. 287
105 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 287
106 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 287
45 gessn?“ (Hast du schon gegessen?). In diesem Beispiel wird das „du“ mundartlich als d ausgesprochen und folglich mit der Endung –t des Zeitwortes verschmolzen. Aus einem weiteren Beispiel ergibt sich, dass das Fürwort zuweilen auch zweimal auftauchen kann: Hǫ pts es dés? Habt ihr das? Diese Anhängungen erscheinen auch im 3. und 4. Fall der Fürwörter „der, die, das“ oder „welcher, welche, welches“: „Dęa Mån, denst dés Göd gebm hǫ sst“ (Der Mann, dem du das Geld gegeben hast), die Mehrzahl: „Dęa Mån, dens des Göd gebm hǫ pts“ (Der Mann, dem ihr das Geld gegeben habt). Es ist offensichtlich, dass an der Stelle denst nur dent stehen sollte. Dieser Vorgang gilt auch für das Fragewort „wer“: I frǫ g di, węasd bist, wemst as gebm hǫ sst. „Ich frage dich, wer du bist, wem du es gegeben hast.“ Geht man über die Fürwörter hinaus, kann man dieses Anknüpfen der Endungen ebenfalls bei den Bindewörtern, Fragewörtern und sogar den Eigenschaftswörtern finden: opst hęagęhst (ob du hergehst), wånns és khummst (wenn ihr kommt). Bei den Eigenschaftswörtern geht es vor allem um je, so und wie: ję męasd hǫ st (je mehr du hast), je ötasd wiast (je älter du wirst). Der Satz muss allerdings mit je beginnen. Im Weiteren folgen die Beispiele wie: so glansd bist (so klein du bist), wia guads as ęs hǫ pts(wie gut es ihr habt). Abschließend lässt sich noch eine kleine Bemerkung zu den Endungen –sd und –s anführen. Wenn sie nämlich mit „es“ oder „sie“ stehen, dann werden sie zu as. So können die Formen wie griagdsas, griagnsas entstehen, die jedoch sehr häufig mehrdeutig sind. So kann das neuentstandene mundartliche Wort griagdsas beispielsweise folgende Bedeutungen haben: „kriegt sie es, krieg sie sie, kriegt ihr es, kriegt ihr sie, kriegt es sie, kriegt es es.“ Demgegenüber versteht man unter dem zweiterwähnten Ausdruck griagnsas entweder „kriegen sie (oder Sie) sie“ oder „kriegen sie (oder Sie) es.“107
Das besitzanzeigende Fürwort108 Einzahl Mehrzahl
1. Fall mein mein mein meine mein mein meine meine
2. Fall - - - -
107 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 287-288
108 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 289-291
46 3. Fall mei meinem meina meiner mein meinem meinan meinen n
4. Fall mei meinen mein meine mein mein meine meine n
Anmerkung: Ebenso werden dein (dein) und sein (sein) gebeugt.
Einzahl Mehrzahl
1. Fall ia ihr ia ihre ia ihr iare ihre
2. Fall - - - -
3. Fall ian ihrem iara ihrer ian ihrem ian ihren
4. Fall ian ihren ia ihre ia ihr iare ihre
Einzahl Mehrzahl
1. Fall uns unseren unsa unsere unsa unser unsare unsere an
2. Fall - - - -
3. Fall uns unserem unsara unserer unsan unserem unsan unseren an
4. Fall uns unser unsa unsere unsa unser unsare unsere a
Einzahl Mehrzahl
1. Fall enga euer enga eure enga euer engare eure
2. Fall - - - -
3. Fall engan eurem engara eurer engan eurem engan euren
4. Fall engan euren enga eure enga euer engare eure
Einzahl Mehrzahl
1. Fall eana ihr eana ihre eana ihr eanare ihre
2. Fall - - - -
3. Fall eanan ihrem eanara ihrer eanan ihrem eanan ihren
47 4. Fall eanan ihren eana ihre eana ihr eanare ihre
Die Formen der Mehrzahl (in allen Tabellen) gelten für alle Geschlechter. Es geht aus den Tabellen hervor, dass sich die mundartlichen Formen im 1. Fall der Einzahl im Gegensatz zur Schriftsprache zwischen den Geschlechtern nicht unterscheiden. So stehen im 1. Fall die gleichen Formen, egal ob es sich um „meine Frau, mein Man oder mein Kind“ handelt: mein Mån, mein Frau, mein Kind.109 Zum Schluss noch eine Bemerkung zu der Form enga, die die Wiener immer weniger verwenden und durch den aus der Umgangssprache hervorgegangenen Ausdruck „euer“ bevorzugen. Dies spricht man als eicha aus. Allerdings zeichnet sich die Tendenz ab, dass heutzutage die Fürwörter enga und eana durch ia substituiert werden.110 Das hinweisende Fürwort111 Einzahl Mehrzahl
1. Fall da der de die des das de die
2. Fall - - - -
3. Fall den dem dęara der den dem dena den(en)
4. Fall den den de die des das de die
Die Formen der Mehrzahl gelten für alle Geschlechter. Im Unterschied zu der Schriftsprache bezeichnet die Mundart nur „der, die, das“ als hinweisende Fürwörter. Die Formen der hinweisenden Fürwörter variieren von den Artikeln nicht nur durch eine andere Beugung, sondern auch durch eine andere Aussprache. Die Artikel lauten kurz, die Fürwörter hingegen lang und die hinweisende Bedeutung wird dann durch das Anhängen von dǫ akzentuiert: dęado, dedǫ , desdǫ . Wenn dieses Vorgehen verdoppelt wird, dann sehen die Formen folgendermaßen aus: deadǫ da, dedǫ da, desdǫ da, das heißt „der da da“, usw.112 Zu den hinweisenden Fürwörtern gehören auch „solcher, solche, solches“, die dann in der Mundart in zwei Varianten vorkommen können: soicha, soiche,
109 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 291
110 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 291
111 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 292
112 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 292
48 soichas oder soichana, soichane, soicharas. Des Weiteren zählt zu dieser Gruppe „solch ein“, mundartlich so a, aber dies verwendet man häufig mit dem unbestimmten Artikel, wie zum Beispiel: a so a Mendsch (solch ein Mensch).113
Fragefürwörter Im Wienerischen werden die Fragewörter „wer“ und „was“ als wea, wos ausgesprochen, wobei beide auf Grund der jeweiligen Betonung sowohl lang als auch kurz lauten können. Im 3. und 4. Fall von wea finden wir die identische Form wem. Diese steht im Gegensatz zu der Schriftsprache, die im 3. und 4. Fall noch zwischen „wem“ und „wen“ unterscheidet. Es kann für einen Nichtwiener ein bisschen verwirrend wirken, wenn er die Form „wem“ anstatt „wen“ hört.114 Weitere Fragefürwörter stellen „welcher, welche, welches“ dar, die mundartlich wöcha, wöche, wöchas lauten. Diese kommen häufig zusammen mit einem Hauptwort vor: „Wöcha Bua id dǫ gwesn?“ (Welcher Bub ist da gewesen?). Oder werden sie in der Mundart auch mit einem bestimmten Artikel verwendet: da wöche, di wöche, s wöche „welcher? welche? welches?“ Solch eine Konstruktion stimmt jedoch nicht mit den Regeln der Schriftsprache überein.115
4.2.3. Die Zahlwörter Die Grundzahlen Bei den Grundzahlen muss man zuallererst zwischen „eins“, was bei der Aufzählung verwendet wird und im Wienerischen als ans klingt, und „ein, eine, ein“, die in der Mundart ungeachtet des Geschlechts einheitlich als anlauten, unterscheiden. Der Unterschied zwischen beiden liegt darin, dass das Zahlwort lang und stark nasaliert wird, der unbestimmte Artikel hingegen überhaupt nicht oder nur schwach. Wenn die Form an mit einem Hauptwort steht, bildet man den 4. Fall des weiblichen Geschlechts auf diese Art und Weise: „I hǫ b nua an Frau gsęgn“ (Ich habe nur eine Frau gesehen), wenn der Artikel jedoch ohne Hauptwort steht, so sieht
113 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 292
114 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 293
115 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 293
49 die Form folgendermaßen aus: I hǫ b nua ane gsęgn (Ich habe nur eine gesehen). 116 Die Verbindung mit dem Hauptwort spielt auch bei dem Zahlwort „zwei“, in der Mundart dswa, eine große Rolle. Steht dswa entweder ohne Hauptwort oder in Verbindung mit dem hinweisenden Fürwort „der“, unterliegt es im 3. Fall einer Beugung: I hǫ b´s dswan gem (Ich habe es diesen Zweien gegeben) oder I hǫ b´s denan dswan gem (Ich habe es diesen Zweien gegeben). Diese Biegung tritt jedoch nicht ein, wenn dswa mit einem Hauptwort zusammensteht: denan dswa Fraun (diese zwei Frauen). Das Zahlwort „drei“ verhält sich völlig gleich wie „zwei“.117 Gehen wir einen Schritt weiter, hängen die Zahlwörter 3-19 immer eine –e Endung an, wenn sie ohne Hauptwort oder einem Eigenschaftswort erscheinen: dreije, fiare, fümfe, sekse, siwane, ǫ chte, neine, dsene, öfe, dswöfe, dreitsaane, fiatsane, fuchtsane, sęchtsane, siptsane, ǫ chtsane, neintsane. Mi dem Hauptwort hat beispielsweise „vier“ folgende Form: fia Fraun (vier Frauen). Die Zehnerzahlen haben dann die Formen: dswantsk (zwanzig), dreissk (dreißig), fiatsk (vierzig), fuchtsk (fünfzig), sechtsk (sechzig), siptsk (siebzig), ǫ chtsk (achzig), neintsk (neunzig). Die anderen zusammengesetzten Zahlwörter haben statt „und“ einen kurzen a-ähnlichen Laut: anafiatsk (einundvierzig), dswarafiatsk (zweiundvierzig). „Hundert“ heißt hundad und „tausend“ dausnd.118
Die Ordnungszahlen Um ein paar Beispiele anzuführen, kann man folgende erwähnen: da easchte, dsweite, dritte, fiate, fümfe (der erste, zweite, dritte, vierte, fünfe) usw. Die Zehnerzahlen erhalten die Endung –st: dswandsikste, dreissikste, fiatsikste, fuchtsikste usw. Der „hundertste“ lautet hundatste und der „tausendste“ dausnste.119
Andere Zahlwortarten Was die anderen Zahlwortarten betrifft, kommen in der Mundart in hohem Maße die Zusammensetzungen mit –lei, –fach und –mal vor, wie zum Beispiel:
116 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 294
117 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 294
118 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 295
119 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 295
50 analei (einerlei), dswaralei (zweierlei) usw. Manchmal werden die Grundzahlen durch Anhängen von –lei oder –mal variiert und so entstehen die Formen wie anfǫ chch (einfach), dswafǫ chch (zweifach), anmoi (einmal), dswamǫ i (zweimal).120
4.2.3. Das Zeitwort Die Wirklichkeitsform der Gegenwart121 Einzahl Mehrzahl
1. Person i khumm ich komme mia khumman wir kommen
2. Person du khummst du kommst és khummst ihr kommt
3. Person ea khummt er kommt si khumman sie kommen
Einzahl Mehrzahl
1. Person i sǫ g ich sage mia sǫ gn wir sagen
2. Person du sǫ kst du sagst és sǫ kts ihr sagt
3. Person ea sǫ kt er sagt si sǫ n sie sagen
Die oben angeführten Beispiele sollen auf die bedeutenden Unterschiede zwischen den mundartlichen und schriftsprachlichen Formen der Beugung von Zeitwörtern aufmerksam machen. Beginnen wir den Vergleich schon bei den Formen der 1. Person, so merkt man, dass die Endung –e in der Mundart verschwindet. Dies erfolgt ebenso in der 1. und 3. Person der Mehrzahl: mia bindn (wir binden), mia lǫ chchn (wir lachen). Ausnahmen stellen diejenigen Wörter dar, die am Wortende –men, –nen oder –ngen haben: mia rennan (wir rennen), mia singan (wir singen). Des Weiteren kommt in der 2. Person der Mehrzahl die Endung –t vor, wobei die mundartliche Form zusätzlich ein –s anhängt. Eine Besonderheit tritt bei den Fragen der 1. Person Mehrzahl auf, weil dabei die Endungen –n und –an wegfallen und das Fürwort mia zum unbetonten –ma wechselt: Khumma muagn a- ?„Kommen wir morgen auch?“ oder Sǫ g ma s? „Sagen wir es?“. Nur wenn das Fürwort einer schwachen Betonung unterliegt, werden die normalen Endungen
120 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 295
121 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 296
51 benutzt: Khummanma? Sǫ g ma? Beim Wegfall der Endung –e in der 1. und 3. Person Mehrzahl kommt es infolgedessen bei Zeitwörtern mit –b, –d und –p dazu, dass das b und d wegfallen und die Endung –n bei b und p zu m wird: lebm (leben), lǫ dn (laden).122 In der Schriftsprache erhalten in der 2. und 3. Person Einzahl die Wörter einen Umlaut, die im Wortstamm ein a haben. Der Umlaut verschwindet jedoch in der Mundart: i schlǫ g, du schlǫ kst, ea schlǫ kt „ich schlage, du schlägst, er schlägt“. Dies ist im Wienerischen weit verbreitet.123 Die Beugung der starken Zeitwörter, die in ihrem Wortstamm ein e haben, erfolgt auf andere Art und Weise, sodass sich dieses e in der gesamten Einzahl zum i verändert. Es gibt auch einige Ausnahmen, wie bei „melken“, „wiegen“ oder „lesen“. Sonst werden die meisten nach dem folgenden Muster konjugiert:124
Die Beugung (geben):125 Einzahl Mehrzahl
1. Person i gib ich gebe mia gebm wir geben
2. Person du gipst du gibst és gepts ihr gebt
3. Person ea gipt er gibt si gebm sie geben
Der Wunschform der Gegenwart Im Wienerischen kommen die Wunschformen lediglich als Aufforderung in der 1. Person der Mehrzahl vor. Zu den häufigsten gehören: Gemma! „Gehen wir!“, Mǫ ch ma s! „Machen wir es!“. Ansonsten bleiben die Wunschformen nur in den ganz alten Spüchen erhalten: Gott gebs! „Gott gebe es!“, Gott bewǫ a! „Gott bewahre!“.126
122 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 297
123 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 297
124 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 297, 298
125 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 297
126 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 298
52
Die Nennform der Gegenwart Die typische Endung der Nennform –en wandelt sich in der Mundart zu –n: lesn (lesen), raffn (raufen). Es gibt jedoch ein paar Regeln, nach denen man die mundartlichen Formen bildet. Wenn ein n vor einem b oder p steht, verändert sich das n zu m bei gleichzeitigem Ausfall von b: bleibm (bleiben), gebm (geben). Eine ganz andere Endung folgt nach einem m, n oder ng und zwar –a: nema (nehmen), renna (rennen), lana (lehnen). Des Weiteren verschwindet in denjenigen Wörtern ein h, in denen es die Funktion eines Dehnungszeichen übernimmt, und so lauten sie in der Mundart kurz: dran (drehen), gran (krähen), blian (blühen). Die letzterwähnte Regel sagt, dass r und l nach einem hellen a in einsilbigen Worten stumm bleiben: dsan (zerren), fǫ in (fallen), gräun (krällen, kriechen).127
Das Mittelwort der Gegenwart Das Mittelwort wird im Gegensatz zu der Schriftsprache nur vereinzelt gebraucht, so erscheint es im Wienerischen nur sporadisch und zwar ausschließlich bei den Zeitwörtern der Gemütsäußerung: wanat (weinend), lǫ chchat(lachend), dsånat(zahnend). Aus diesen Beispielen lässt sich die Änderung der Endung erkennen, dass sich die schriftsprachliche Endung –end in der Mundart in –ad verwandelt.128
Die Wirklichkeitsform der Mitvergangenheit Diese Form der Mitvergangenheit wird im Wiener Dialekt kaum gebraucht, nur mit einer Ausnahme und zwar die Form von „sein“: i wǫ a (ich war). In der Schriftsprache wird oft in der Mitvergangenheit erzählt: „Gestern ging ich auf der Ringstraße. Da traf ich einen Bekannten. Ich ging mit ihm ins Kaffeehaus“, was eigentlich im Alltag kein Wiener sagt, stattdessen kann man in Wien hören: „Gestern bin ich auf der Ringstraße gegangen. Da habe ich einen Bekannten getroffen. Ich bin mit ihm ins Kaffeehaus gegangen.“129
127 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 299
128 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 299
129 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 300
53
Die Wunschform der Mitvergangenheit Die Beugung (sagen, kommen):130 Einzahl Mehrzahl
1. Person i sǫ gat ich sagte mia sǫ gatn wir sagten
2. Person du du sagest és sogats ihr sagtet sǫ gast
3. Person er sǫ gat er sagte si sǫ gatn sie sagten
Einzahl Mehrzahl
1. Person i kamat ich käme mia kamatn wir kämen
2. Person du kamast du kämest és kamats ihr kämet
3. Person ea kamat er käme si kamatn sie kämen
Wie der oben angeführten Tabellen zu entnehmen ist, werden die Wunschformen der Mitvergangenheit sowohl bei den starken als auch schwachen Zeitwörtern gebildet. Diese mundartlichen schwachen Formen gehen auf das Mittelhochdeutsche zurück, in dem die 1. Person ich sagete war. Wie das Muster in der Tabelle zeigt, bildet man die starken Formen ähnlich wie in der Schriftsprache, zusätzlich erhalten sie noch die Endungen der schwachen Zeitwörter. Ganz anders bildet man die Wunschformen von „sein“ und „tun“, weil man dabei auf die Endung der schwachen Zeitwörter verzichtet. Das Zeitwort „tun“ kann in zwei Varianten vorkommen: i dad und i dęd.131
Die Beugung (Vergangenheitsformen von „sein“ und „tun“):132
Einzahl Mehrzahl
1. Person i wa ich wäre mia wan wir wären
130 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 300, 301
131 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 301
132 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 304, 305
54 2. Person du warsd du wärest és wads/warards ihr wäret
3. Person ea wa er ware si wan sie wären
Einzahl Mehrzahl
1. Person i dad, dęd ich täte mia dadn, dędn wir täten
2. Person du dadasd, du és dadads, dędads ihr tätet dędasds tätest
3. Person ea dad, dęd er täte se dadn, dędn sie täten
Um beide mundartlichen Varianten zu unterscheiden, lässt sich feststellen, dass die Form dad vor allem dann verwendet wird, wenn es eine eigentliche Bedeutung ausdrückt, z.B.: i dad des ned (ich täte das nicht). Im Gegensatz dazu entspricht dęd der schriftsprachlichen Form „würde“, wie in den folgenden Beispielen: i dęd khumma (ich würde kommen), i dęd eam höfn (ich würde ihm helfen).133
Das Mittelwort der Vergangenheit
Ähnlich wie in der Schriftsprache erhalten in der Mundart die schwachen Zeitwörter in der Vergangenheit entweder die Endung –t, nach einer kurzen Silbe, oder –d, nach einer langen Silbe, z.B.: gesǫ kt (gesagt), grett (geredet), oder gmad (gemäht). Demgegenüber ändern sich die starken Zeitwörter von der Nennform der Gegenwart in der Endung nicht, sie enden auf –n, –m oder –a, wie z.B.: glesn (gelesen), blibm (geblieben), gnumma (genommen). Was die Vorsilbe ge- betrifft, entfällt sie vor b, p, d, t, g und k.134
Gehen wir von der Bildung der Wortformen zu ihrer Bedeutung, lässt sich eine Besonderheit bei dem Wort „geraten“ erwähnen, das in der Schriftsprache nur eine Bedeutung hat, und zwar im Sinne von „gedeihen“, „gelingen“. Im Gegensatz dazu findet man in der Mundart drei mögliche Bedeutungen. So kann ein Wiener sagen: des is ma guad grǫ dn (das ist mir gelungen), des kånn i grǫ dn (das kann ich
133 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 302
134 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 302
55 entbehren), Gestan hǫ d s ma grǫ dn (Gestern hat es mir geraten, im Sinne von: Gestern ist es mir beinahe schlecht gegangen). Alle diese drei Bedeutungen haben ihren Ursprung im Mittelhochdeutschen und sind bis heute erhalten geblieben.135
Die zusammengesetzten Zeiten
Fangen wir mit den Formen der Gegenwart an, dann erwähnt man die leidende Form, die wie folgt gebildet wird: i wia gschlǫ gn (ich werde geschlagen). Des Weiteren wird häufig die Wunschform gebraucht wie z. B.: i wuadat (oder wurat) gschlǫ gn (ich würde geschlagen). Die Zukunft wird in der Mundart kaum verwendet, weil man stattdessen eher die Gegenwartsformen bevorzugt. Abschließend kann man noch ein Beispiel der Zukunftsform anführen, z. B.: i wia khumma (ich werden kommen). Abschließend wird an einigen Beispielen in den Formen der Vergangenheit gezeigt, dass diese gleichfalls wie in der Schriftsprache das Hilfszeitwort „haben“ und „sein“ bei sich haben, wie z. B.: i hǫ b gschlǫ gn (ich habe geschlagen), i bin khumma (ich bin gekommen). Die leidende Form heißt i bin gschlǫ n wuan (ich bin geschlagen worden), und die Wunschform lautet dann i häd gschlǫ gn (ich hätte geschlagen).136
Unregelmäßige Zeitwörter
Zum Schluss folgen drei unregelmäßige Wörter, die im Wienerischen häufig vorkommen. Alle in den Tabellen angeführten Formen haben ihren Ursprung im Mittelhochdeutschen, auf den Verlauf ihrer Entstehung wird hier nicht näher eingegangen, da die Regeln schon weitgehend mit zahlreichen Beispielen behandelt worden sind.
Die Beugung (sein, tun, wissen):137
Einzahl Mehrzahl
1. Person i bin ich bin mia san wir sind
2. Person du bist du bist és sats ihr seid
135 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 302-303
136 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 304
137 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 304-305
56 3. Person ea is er ist si san sie sind
Einzahl Mehrzahl
1. Person i dua ich tue mia dan/duan wir tun
2. Person du duasd du tust és dats/duats/deits ihr tut
3. Person ea duad er tut si dan/duan sie tun
Einzahl Mehrzahl
1. Person i was ich weiß mia wissn wir wissen
2. Person du wasd du weißt és wissts ihr wisst
3. Person ea was er weiß si wissn sie wissen
4.2.5. Das Umstandswort
Die Umstandswörter spielen nicht nur in der Schriftsprache, sondern auch in der Mundart eine große Rolle. Die grundsätzliche Gliederung erfolgt nach Bestimmung des Ortes, der Zeit und der Weise. Betrachten wir zunächst die Umstandswörter des Ortes näher, dann muss man vorausschicken, dass man nach den Umstandwörtern mit Wo? Wohin? oder Woher? fragt. Als Antwort kann man folgendes erwarten: dǫ (da), duatn (dort), fo dǫ (von da), drauf (darauf), driwa (darüber), dadsua (dazu), iware (überher, herüber), iwari (überhin, hinüber), ommat (oben), fuan (vorn), drausst (außen). Des Weiteren unterscheidet man die Umstandswörter der Zeit, nach denen man die Frage Wann? stellt. In der gesprochenen Sprache als auch in der Schriftsprache findet man davon nur eine geringe Anzahl, wie beispielsweise dǫ n (dann), dǫ (da), dǫ mois (damals) oder glei (gleich, im Sinne „sogleich“). Die letzte Gruppe stellt die Umstandswörter der Weise dar. Nach diesen fragt man mit Wie? Die Wiener sagen heutzutage sehr oft zum Beispiel: asó (also), soda (so), asóda (also da). Abschließend lässt sich noch ein nicht nur für Wien sondern auch für andere österreichische Dialekte kennzeichnendes Umstandswort erwähnen, und zwar hǫ id (halt). Dies ist in der Schriftsprache eher als „eben“ zu verstehen, wie z. B.: Dǫ khåmma hǫ id niks
57 mǫ chchn (Da kann man eben nichts machen.)138
4.2.6. Die Vorwörter (Verhältniswörter)
In diesem Kapitel muss man vor allem auf eine Besonderheit aufmerksam machen. Im Wienerischen herrscht nämlich allgemein die Tendenz vor, dass man statt „auf dem“ oder „auf den“ am verwendet, z. B.: Leg s am Disch (Leg es auf den Tisch), S ligt am Disch (Es liegt auf dem Tisch). Es wird angenommen, dass man immer in dem Fall „auf“ sagt, wo durch den Begriff eine Aufwärtsbewegung in den Vordergrund gestellt wird, z. B.: I gę aufn Bodn (Ich gehe auf den Boden). Da hat man den Dachboden im Sinne. Demgegenüber kann man auch sagen: Legs am Bodn (Leg es auf den Boden), weil in diesem Fall der Erdboden gemeint ist. Diese Besonderheit ist in der Wiener Mundart so verankert, dass sie sogar in die Umgangssprache eingedrungen ist. So sagt kein Echtwiener „Wir waren auf dem Lande“, sondern eher „Wir waren am Land“.139
4.3 Zur Wortbildung
Die Wortbildung stellt einen umfangreichen Bereich dar, der wegen seiner Komplexität in diesem Kapitel nicht ausführlich behandelt werden kann, weil einerseits diese Problematik in gewissem Maße mit der Schriftsprache im Einklang steht, und andererseits das Gewicht vor allem auf den praktischen Gebrauch der mundartlichen Wörter als auch auf die Wortbildung im Kapitel „Wienerischer Dialekt im Alltagsleben“ gelegt wird. Es werden also im Folgenden allein ein paar typische Eigentümlichkeiten der Wortbildung im Wienerischen erwähnt.
Die erste Gruppe der behandelten Wörter stellt diejenigen dar, die durch die Nachsilbe –er gekennzeichnet sind. Das Wienerische bildet damit die einen Vorgang oder eine Handlung bezeichnenden Hauptwörter, z. B.: Deita (Deuter), Renna (Renner), Rumpla (Rumpler). Darüberhinaus nennen die Wiener den Genierer Scheníra und er lässt sich folgendermaßen charakterisieren: dea khend khan Schenira ned (er kennt es nicht, sich zu genieren).140
138 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 309
139 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 311
140 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 314
58 Die weiteren in der Mundart oft vorkommenden Nachsilben stellen –ling und – ian dar. Die ersterwähnte Nachsilbe hat eine eher abwertende Bedeutung: Hundling kommt vom „Hund“ und gilt als Schimpfwort, Zwidaling (Zuwerling) heißt ein Mensch, der jemandem ånzwidat (zuwider) wird. Die Nachsilbe –ian hat ebenfalls eine abschätzige Bedeutung, wie z.B.: Blędian (Blödian), Dummian (der Dummkopf), Fadian (ein fader, langweiliger Kerl), Schmutsian (Schmutzian – ein geiziger Mensch). Die Namen stehen in Anlehnung an die Heiligennamen (Fabian, Damian, usw.).141
Eine Besonderheit, die sich bei den Wienern großer Beliebtheit erfreut, ist der Gebrauch des Wortes „Mord“ in verschiedenen Zusammensetzungen und soll eine Rolle der Akzentuierung spielen, wie die folgenden Beispiele belegen: Muatsgschra (Mordgeschrei), also ein Geschrei wie bei einer Ermordung, Muatshetz (Mordhetze), Muatsrausch (Mordrausch), Muatskheal (Mordskerl), dies bezeichnet einen vortrefflichen Menschen. Es muss jedoch erwähnt werden, dass all diese Ausdrücke einen gewissen Grad der Expressivität aufweisen.142
Eines der sehr ausgeprägten charakteristischen Zeichen der Wiener Mundart stellt der verbreitete Gebrauch von Verkleinerungen dar. So heißen beispielsweise kleine Dinge im Wienerischen bidsln und daraus wird eine Bezeichnung für einen kleinen Mensch und ebenfalls für eine heikle Arbeit abgeleitet: bitslich. Auf gleiche Art und Weise entstehen die folgenden Ausdrücke: graksln (klettern), bakln (packeln, heimlich verabreden), schnapsln (gerne Schnaps trinken). Eine ganze Reihe von diesen verkleinernden Zeitwörtern stehen im engen Zusammenhang mit dem Geruchssinn, wie z. B.: bekln (böckeln, nach Bock riechen), fischln (fischeln, nach Fisch riechen), mausln (mauseln, nach der Maus riechen).143
4.4. Zur Satzlehre
Über die Problematik der Satzlehre im Rahmen der Wiener Mundart hat man nicht ausreichende Informationen, aber trotzdem kann man an dieser Stelle ein paar
141 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 315
142 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 315
143 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 316
59 spezifische Kennzeichen anführen. Die grundlegende Tatsache ist jedoch die allgemeingültige Tendenz, dass die Mundart statt der Nebensätze Hauptsätze verwendet. Daraus ergibt sich, dass die Zahl der Bindewörter im Wienerischen deutlich geringer ist als in der Schriftsprache. Führen wir die meist gebrauchten Bindewörter mit den dargelegten Beispielen an.144
Wir beginnen mit den Einleitewörtern, die vor allem in der Schriftsprache sehr häufig vorkommen und eine ähnliche Aussprache haben: dass oder das, lautet dǫ ss. Obwohl dieses Einleitewort eine gelegentliche Verwendung findet, weicht man in Wien dieser Konstruktion aus und wählt anstattdessen zwei Hauptsätze, wie es aus den folgenden Beispielen ersichtlich ist: Ea hǫ d gsǫ kt, das a khumma wiad, Ea hǫ d gsǫ kt, ea wiad khumma (Er hat gesagt, dass er kommen wird). So sagt man auch Ea is so gred, i bin eam gǫ a ned nǫ chkumma (Er ist so schnell gerannt, sodass ich ihm gar nicht nachgekommen bin). Das tritt im Wienerischen sogar an die Stelle der Einleitewörter „damit“ oder „um zu“: Ea hǫ d eam wǫ s zǫ id, das a niks sǫ kt (Er hat ihm etwas gezahlt, damit er nichts sagt), Ea is in d Stǫ d gfǫ an, ea wü si Schuach khaufn (Er ist in die Stadt gefahren, er will sich Schuhe kaufen).145
Wie schon erwähnt, findet man in der Mundart im Gegensatz zu der Schriftsprache nur wenige Einleitewörter. Dies ist insbesondere bei den Zeitsätzen der Fall. Nennen wir einige, die sich von den schriftsprachlichen unterscheiden: „als“ wird in der Mundart zu „wie“: Wia i ghuma bin, hǫ ds gregnt (Als ich kam, regnete es), „während“ verändert sich zu „derweil“: Dawäu es fuat wǫ ads, is des gschęgn (Während ihr fort wart, hat das geschehen), oder auch „bevor“ statt „solange bis“. Bei den Vergleichssätzen hingegen muss man das Augenmerk vor allem auf zwei Fälle richten. Erstens tendiert man im Wienerischen dazu, „wie“ oder „als“ durch „als wie“ zu ersetzen, wie in den folgenden Beispielen: Ea khån bfeiffn, ǫ is wia a Grü dswigatst (Er kann pfeifen, wie eine Grille zirpt), Ea is steaka ǫ is wia du glaupst (Er ist stärker, als du glaubst). Zweitens bevorzugen die Wiener „wie“ vor „als“, wenn es sich sowohl um die erste als auch die zweite Stufe der Eigenschaftswörter handelt, wobei die Schriftsprache in der zweiten Stufe einzig und allein „als“ zulässt. Demzufolge lassen die Wiener in der Mundart den
144 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 325
145 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 326
60 Unterschied beiseite und sagen: Eais so gros wia-r-i (Er ist so groß wie ich), und Eais gręssa wia-r-i (Er ist größer als ich).146
Die Nebensätze des Grundes und die Bedingungssätze haben hingegen eine sehr eingeschränkte Auswahl der mundartlichen Einleitewörter. Im ersten Falle steht dem Wienerischen lediglich „weil“ zur Verfügung, z. B.: Ea khån ned´khumma, wäul a grång is (Er kann nicht kommen, weil er krank ist). Weil sich jedoch die Wiener die Nebensätze oder auch jegliche Unterordnung der Sätze ersparen wollen, bedienen sie sich gerne der Variante: Ea khån ned´khumma, wäul ea is grång. So verändert sich die Wortstellung des Nebensatzes zu dem eines Hauptsatzes. In der Mundart sind die Bedingungssätze ebenfalls nicht reich an Einleitewörtern und verfügen gleichfalls nur über eins, und zwar wånn (wann), wie im Beispiel: Wånnst Zeid hǫ sd, khånnst khumma (Wenn du Zeit hast, kannst du kommen).147
Der Bereich der verkürzten Sätze stellt eine Besonderheit der Wiener Mundart dar und diese werden von den Wiener gern benutzt. Man kann eine ganze Reihe von Beispielen anführen, wie z. B.: Khan Wuat mea heißt „Kein Wort mehr“ im Sinne von „Sprich kein Wort mehr“, Jǫ wǫ s d ned sǫ kst „Ja, was du nicht sagst“ in der Bedeutung von „Ja, was sagt du denn da“. Über diese verkürzten Sätze hinaus kann im Wienerischen sogar ein Satz durch ein einziges Wort ausgedrückt werden. So lautet der Satz „Nein, das tue ich nicht“ mundartlich als An Schmǫ an! (Einen Schmarrn!) oder Jǫ , Schnękn! (Ja, Schnecken!). Die ursprüngliche Form lautet „Einen Schmarrn oder Schnecken bekommst du von mir“, damit ist etwas Wertloses gemeint. Verkürzt werden auch die Grußformeln, wie im Beispiel: Hawe d Eare „Habe die Ehre“, im vollen Wortlaut „Ich habe die Ehre, sie zu begrüßen“.148
Eine der weiteren Besonderheiten der Wiener Mundart, die im krassen Gegensatz zu den Regeln der Schriftsprache steht, stellt die doppelte Verneinung dar. Dies geht auf das Mittelhochdeutsche zurück und, wie es bei den Wienern oft der Fall ist, haben sie diese Merkwürdigkeit in ihrer Mundart mit Stolz beibehalten. So sagt man im Wienerischen z. B.: „I hǫ b khan Hunga ned“ (Ich habe keinen
146 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 326
147 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 327
148 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 328
61 Hunger), „I wü khan Brod ned“ (ich will kein Brot mehr).149 Durch diese doppelte Verneinung soll die Aussage betont werden, die durch eine zusätzliche Negation noch mehr akzentuiert wird, wie im folgenden Beispiel:„Des ist ka Guater net!“ oder „Des ist ka Guater net, net?!“ (Das ist kein guter Mensch).150
Zum Abschluss dieses Kapitels sollte man noch auf eine Eigentümlichkeit des Wienerischen hinweisen, die nicht nur der Problematik der Satzlehre sondern auch der Wortlehre angehört. Es handelt sich um die Stellung von „mir“ im Satz, wo man es der Schriftsprache nach nicht erwartet. So kann es beispielsweise passieren, dass die Mutter zum Kind sagt: Gę ma ned in des Zimma (Geh mir nicht in dieses Zimmer), oder Dua ma ned wida mit da Ua schbün (Spiele mir nicht wieder mit der Uhr). Mit diesem „mir“ will die Mutter in diesem Beispiel zum Ausdruck bringen, dass das Kind eine gewisse Tätigkeit gegen ihren Willen nicht machen darf. Des Weiteren kann man die Form in der 2. Person „dir“ in verschiedenen Redewendungen wie folgt finden, z. B.: Bis du da a Gawlia! „Bist du dir ein Kavalier!“ im Sinne „Bist du aber ein Kavalier!“ Eine andere Bedeutung hat dies in den Sätzen wie: Hǫ s da wǫ s schi gsęgn? (Hast du dir so etwas schon gesehen?), oder Glaupst da des? (Glaubst du dir das?). Da wird im Besonderen die Verwunderung artikuliert.151
5. WIENERISCHER DIALEKT IM ALLTAGSLEBEN
5.1. Die Wiener und Beziehungen
Die Wiener Bevölkerung ist von alters her eine gemischte Kultur- und Lebensgemeinschaft, entstanden durch die Heirat des böhmischen Großvaters mit der jüdischen Großmutter aus Lemberg. Der Vater zog um die Jahrhundertwende mit seiner Frau, einer ungarischen Köchin, nach Wien, weil ihm sein Cousin, ein kroatischer
149 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 328
150 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 11
151 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996. S. 329
62 Sattelflicker, erzählte, dass es in der Ziegelfabrik Arbeit für ihn gebe.152
Die Tatsache, dass Wien in der Vergangenheit mehrmals als Ziel mancher Zuwanderungsströme galt, wurde schon erwähnt. Im Jahre 1910 wurde im Rahmen der Volkszählung festgestellt, dass 25 Prozent der Einwohner von Wien böhmischer oder ungarischer Herkunft waren. Daraus lässt sich schließen, dass die Zuwanderer immer eine grundlegende Rolle für Wien spielten. Diese Entwicklung ließ selbstverständlich mundartliche Bezeichnungen für die neuen Bewohner von Wien entstehen.153
Die Typologie der Wiener und der restlichen Bewohner der Welt:154
Der Bazi: ein typischer Wiener
Der Behm: jeder, der aus dem Gebiet Tschechiens eingewandert ist.
Der Gscherte: dies ist eine Bezeichnung für die Besucher Wiens, die oft aus den ländlichen Bundesländern kommen. So kann es dazu kommen, dass der Autofahrer mit niederösterreichischem Kennzeichen von einem Wiener hört: Nå typisch, a Gscherter!155
Der Hawara: ein Busenfreund
Der Krawot: der Kroate
Der Pifke: im weiteren Sinne: jeder Deutsche, ansonsten ist damit eher der Norddeutsche gemeint (verächtlich)
Der Tschusch: eine abwertende Bezeichnung für Ausländer aus dem Südosten Europas, vor allem Balkan und Türkei (im Wienerischen für alle Angehörigen der osteuropäischen und vorderasiatischen
152 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 14
153 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 14
154 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 15
155 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 15
63 Sprachträger)156
Der Ungustl: ein widerlicher, unangenehmer Typ157
Gehen wir von diesem Exkurs der Vielfalt der Wiener Einwohner zu ihren näheren Beziehungen, und zwar im Rahmen der Familie, Freundschaft oder ähnlichen Beziehungen über. Es ist gerade der Familienkreis, wo die Wiener Mundart zu jeder Zeit ausgeprägt erhalten geblieben ist und sich mehr oder weniger weiter entwickelt. Wie es sich erwarten lässt, überwiegen besonders in diesem Bereich die Verkleinerungsformen.
Eine Liste der mundartlichen Ausdrücke für die Familie und Freunde:158
Mandi: der Ehemann (später im Alter: Oita)
Weibi: die Ehefrau (später im Alter: Oite)
Die Mamsch: Mama
Der Våta: Papa
Das Putzi Baby
Das Herzibinkerl: Kosename für ein Baby
Der Pamperletsch (Båmpalędsch): 1. Liebes, entzückendes Kind
2. lästiges ungezogenes Kind, Fratz159
Die Fråtzn: ungezogene Kinder
Der Habara/Hawara: Freund, Bekannter
Der Spezl/Spezi: Busenfreund
156 Hornung, Maria: Wörterbuch der Wiener Mundart. Wien: ÖBV Pädagogischer Verlag, 1998. S. 268- 269
157 http://www.ostarrichi.org
158 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 40
159 Hornung, Maria: Wörterbuch der Wiener Mundart. Wien: ÖBV Pädagogischer Verlag, 1998. S. 111
64 Der Hapschi: Freund, Liebhaber
Die Bagasch: 1. liederliche, arbeitsscheue, schlampige Menschen
2. charakterlose, morallose Menschen
3. auch als Schimpfwort gebraucht: es Bagásch! „Ihr Gesindel“, Węanabagásch „Wiener-Bagage“160
Die Mischpoche: geringschätzige oder spaßhafte Bezeichnung der Verwandtschaft
Die Urstrumpftant: alte, entfernte Verwandte, Des kånnst da Urstrumpftant erzähln „Das nehme ich dir nicht ab“
So sind wir allmählich zu der engsten Beziehung, der Liebe angelangt. Bevor man jedoch in den Zustand der Liebe gerät, muss der Mann vorerst die guatn oder liabn Håsn (hübsche Häschen/Mädchen) treffen, oder eine fesche Gretl (schöne attraktive Frau), eine Kåtz (Mieze) kennenlernen. Die Frauen suchen hingegen vielleicht einen feschen Riegl (stattlicher Mann), einen Restl (Schwergewicht), oder einfach einen Feschak (schöner Mann). Je nach dem ob derjenige oder diejenige resch (schlagfertig, munter) und fesch (hübsch, lustig) oder eher wurlert (kribbelig) wirkt, kann es dann zu einem möglichen Aufriß (erfolgreiche Anmache, oder auch Bekanntschaft) kommen. Wenn die beiden danach gegenseitig die Sympathien bekunden, ist man schoaf auf de Oide (scharf auf die Alte) oder den Hawara (Freund) und man spricht von a schoafe Oide bzw. a schoafa Tüp (ein toller Typ). Dem gegenüber werden die nicht so anziehenden Personen als Tråmpl oder Kråmpn (bei den Frauen), und Wixa (Wichser) oder Trottl (bei den Männern) bezeichnet. Während dieses Spiels der Liebe denken die Mädchen an den Ratschlag ihrer Eltern, der lautet: Låß di net vazahn! (Lass dich nicht verführen!), weil ansonsten die Gefahr droht, dass die Jungs ihr übel gesinnt sein werden, wie z. B.: De hupft mit an jedn in d Hapfn! (Die geht doch mit jedem ins Bett!).161
160 Hornung, Maria: Wörterbuch der Wiener Mundart. Wien: ÖBV Pädagogischer Verlag, 1998. S. 106
161 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 63
65 Das Wienerische in der Liebesbeziehung:162
Aufreißn / aufgåbln / aufzwickn: Bekannschaft machen, kennenlernen
Si einehaun: sich durch Schmeicheleien bei jemandem beliebt machen (sich einschmeicheln)
Füaßln: heimliche Kontakte mit den Füßen unter dem Tisch
Aufgansln: reizen, aufhetzen, sexuell erregen163
(Å)bråtn: jemanden „anbraten“, jemanden für die Liebesspiele anmachen
Pantscherl, Techtlmechtl, Gschpusi: kleine Liebschaften, (geheime) Liebe
An Gschråppn baun: ein Kind zeugen
Ålahna: jemandem den Laufpass geben
Den Håhn gebn: Beischlafverbot, jemanden verlassen
Wenn man einen finanziell gesicherten Partner hat, so stellt er im Sinne einer möglichen Ehe a gute Partie dar, was automatisch nicht von sich selbst a leiwande Partie (eine gut funktionierende Partie) bedeuten muss.164
5.2 Die Kommunikation und Stimmung der Wiener
Die Stimmung der Wiener ist durch ihre Haltung beeinflusst, dass die Welt an und für sich schlecht ist und jegliche Handlung oder Bemühung dies nur noch verschlimmert. Darauf folgt das für die Wiener so typische Raunzn (unzufriedenes quengeln), während dessen sie auf die Fehler der Welt hinweisen und zugleich auch schimpfen. In Wien kann man größtenteils auf die Phlegmatiker treffen, die sagen: Gschegn is gschegn, Madl, wås wanst? (Geschehen ist Geschehen, Mensch, warum also weinen). Sie lassen sich sogar durch eine unangenehme Nachricht nicht aus der Ruhe bringen und erwidern nur: Da verkühl i mi extra, dass i drauf husten kann. (sich verkühlen: sich Probleme einhandeln). Auch ein paar Melancholiker sind unter
162 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 64-65
163 http://www.ostarrichi.org
164 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 66
66 den Wienern zu finden, die ihre Lebensansicht folgenderweise zum Ausdruck bringen: Der Mensch muaß a Freud håbn, und wann er ka Freud hat, muaß er a Mentsch håbn (Der Mensch muss einen Freund haben, und wenn er keinen Freund hat, muss er einen Menschen haben). Der Rest der Wiener gehört der Gruppe der Sanguiniker an, die ihr Leben als Schwanken zwischen es muaß gschehn und da kånnst nix machen verstellen. Er ist ständig gut gelaunt, vor allem wenn er eine Beamtenforellen (Knackwurst) hat, auch wenn auch es 28 Krügeln (Grad Celsius) im Schatten sind.165
Das Thema der Wiener beim Pläuschchen/ Plauscherl166 (belangloses Gespräch) sind meist de Monna (Männer), de Weiba (Weiber), da Vabrecha in da Politik (die Verbrecher in der Politik), da Fuaßboi (Fußball) und des Schifoan (Skifahren). Diese gesellschaftlichen Treffen verlaufen allgemein im Sinne des Grundsatzes: Jeder raunzt für sich alleine. Die Raunzerei ist halt überall und immerhin.167
Die Stimmung und Inaktivität der Wiener:168
Ummadumlanan: untätig herumlungern
A fades Aug håbn: sich langweilen
Knotzn: teilnahms- und interessenlos herumsitzen; knotzn wiara stinkats Gsöchts „herumsitzen wie ein Stück verdorbenes Kassler“
Betropezt: betrübt
Dasig: leicht verwirrt oder schwindlig
Tramhappert: schlaftrunken, zerstreut
Bedient: 1. fertig, im Sinne von körperlich oder geistig fertig
165 Wehle, Peter: Sprechen Sie Wienerisch? Wien: Ueberreuter, 1980. S. 75-76
166 http://www.ostarrichi.org
167 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 71
168 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 71-75
67 2. krank 3. betrunken
Powidl: alles, was den Wiener nicht interessiert, ist ihm powidl des is ma Bowidl „das ist mir gleichgültig“ an Bowidl dsåmdran „Unsinn reden“169
Wurscht: egal, gleichgültig; Dem Wiener ist grundsätzlich alles wurscht.
Ångfressen/ ångspeist/ ånpapperlt: etwas satt haben
Måtschkern: leise schimpfen, fluchen, auch: sich aufregen
Zsåmmprackt: deprimiert, niedergeschlagen
Nebn de Schuach gehn: am Ende sein, neben sich stehen
Åm Sånd sein: in schlechter Verfassung sein, eine Phase der ausgewachsenen Depression
Fäun: sehr schlecht gelaunt sein I fäu aufn Frånz „Ich bin stinksauer auf den Franz“
Jemånd åfäun: auf den Geist gehen
Mia geht des Gimpfte auf: sich fürchterlich aufregen
Einen Karl oder Gaudi machen/haben: Spaß machen/haben
Leiwand: gut, erstklassig, spitzenmäßig; es geht um das höchste Kompliment, was es in Wien gibt. Die Steigerung ist dann urleiwand.
Die Remasuri: eine ausgelassene Feierlichkeit, lärmende Unterhaltung
Der Mulatschak: nächtliche Umtriebe, verbunden mit großem Alkoholgebrauch
In da Wön: die Welle, in da Wöln „in der Welle“, berauscht, meistens durch Drogen und Alkohol170
169 Hornung, Maria: Wörterbuch der Wiener Mundart. Wien: ÖBV Pädagogischer Verlag, 1998. S. 174
170 Hornung, Maria: Wörterbuch der Wiener Mundart. Wien: ÖBV Pädagogischer Verlag, 1998. S. 727
68 Wiglwogl: Unsicherheit, schwankende Haltung vor einem zu fassenden Entschluss: i bin in Wiglwogl „ich weiß nicht, was ich tun soll“.171
Wenn sich der Echtwiener durch seine Hauptstadt bewegt, dann hatscht (geht schleppend) oder latscht (schlurft) er und wenn er sich auf einen unangenehmen Weg machen muss, dann kräut (kriecht) er, wie z. B.: I muaß aufs Finanzåmt kräun. Trifft er auf dem Weg einen Bekannten, sagt er meistens Servus, wobei diese Grußformel je nach dem bestimmten Bezirk variiert. So kann man beispielsweise in Florisdorf Serwas hören, dagegen in Schönbrunn Servuus, wo man sich auch der Kurzform Ssass bedient. Auf dem Amt wird eher unter den Beamten Habedieehre! (Habe die Ehre) gebraucht und gegen Mittag mit Moizeit! (Malzeit!)gegrüßt. Grüßt jedoch der Wiener eine Person höherer Stellung beziehungsweise Ausbildung, verwendet er die Anrede: Herr/Frau Dokta. Sehr häufig fragt man statt Servus: Wie hammas? Worauf der Sprecher entweder nix oder Schmäh als Antwort bekommt.172
Das Wort Schmäh spielt im Wienerischen eine grundlegende Rolle und man versteht darunter „Spaß“, „Ulk“ und „Scherz“. Die Wiener verwenden diesen Ausdruck im Alltagsleben sehr weitläufig, so kann man zum Beispiel den Schmäh führen, und zwar von einem Schmähführer, oder den Schmäh des Partners überreißen, erkennen, weiters einen bestimmten Schmäh rennen lassen, oder mit Schmäh Verkaufgeschäfte betreiben, und wenn der Wiener keinen Schmäh ersinnen kann, dann ist er schmähstad (still, sprachlos). Sehr oft kommt im Wienerischen vor, dass jemand etwas ernst meint, dann sagt er nach seiner Aussage zusätzlich noch Schmäh ohne.173
Während des Gesprächs hat der Sprecher zuweilen die Tendenz, seine eigene Aussage, oder nur einen Teil davon zu betonen. Da bietet das Wienerische eine ganze Menge von Zusammensetzungen, wie z. B.: hipsch schwa (hübsch schwer), ęwich schǫ d (ewig schade), schen blęd (schön blöd). Dazu zählen noch weitere für
171 Hornung, Maria: Wörterbuch der Wiener Mundart. Wien: ÖBV Pädagogischer Verlag, 1998. S. 720
172 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 73, 20
173 Wehle, Peter: Sprechen Sie Wienerisch? Wien: Ueberreuter, 1980. S. 76
69 die Mundart so typische Zusammensetzungen, die die Sprache und dadurch auch die Kommunikation vielfältig machen: bumfoi (ganz voll), hundsmiad (hundemüde), saudumm (dumm wie eine Sau), khasweis (weiß wie Käse). Des Weiteren kann man die Wörter durch wöd (ist von „welt-„ abgeleitet) unterstreichen, wie z. B.: a wöd Füm (ein klasse Film), a wöd Hås (ein steiler Zahn, d.h. ein tolles Mädchen). Die Steigerung erfolgt dann mit der Vorsilbe urwöd-. Das Gespräch kann aber auch schief gehen und so entbrennt sich eine heftige Diskussion, die mit: Då håb i eams einigsågt, net! (Da habe ich ihm aber wirkliche meine Meinung gesagt!) beginnt, danach verläuft der Streit weiter damit, dass der eine dem anderen die Schuld gibt, ihn mit Schmonzes ånzustrudeln (Mist/Unsinn vollzuquatschen), bis zu: Hoit de Gsoschn/ de Pappn/ den Schlapfn, wäu sunst spüns Granada! (Halt den Mund, sonst setzt es was!). 174
Der Streit endet meistens mit der Aufforderung zum Weggehen. Dazu gibt es im Wienerischen bildhafte Ausdrücke in Hülle und Fülle:
„Verschwind! Verroll di! Verteil di! Fåhr å! Ziag å! Vaukaaa! Verkumm! Reiß å wia r a Vierzgerzwirn! Spül a Wolken! Schleich di! Zisch å! Schwing di! Hau di in Åcker! Putz di! Geh di brausen! Geh båden! Hau di in Talon! Tauch å! Måch an Servas! Drah di! Spuck aus! Schwimm ham!“175
Die Übersetzung lautet: „Verschwinde!“ „Geh weg!“, „Hau ab!“.
Was man auch in der Kommunikation hören kann:176
Das Årmutschal: armer, unfähiger Mensch
Der Pleampl: einfältiger Mensch
Der Fetznschädl: Strohkopf
Der Koffa: ein Volltrottel
Der Dolm: Idiot
174 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 21
175 Wehle, Peter: Sprechen Sie Wienerisch? Wien: Ueberreuter, 1980. S. 76
176 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 22
70 Åntritschkerl/ ångschütt: blöde
Der Tilo / Wappla: Dummkopf
Das Weh: unfähiger Typ
Der Ungustl: unsympathischer Mensch
Der Streithansl: streitsüchtiger Mensch
Bist hin in da Marün?: Bei dir sind wohl ein paar Schrauben locker, was?
Hau di üba d´Häusa!: Verschwinde gefälligst!
Kusch!: Halt´s Maul!
Måch Meta!: Mach Meter! Ziehe Leine!
Spü di net mit mia!: Hinweis, dass die angesprochene Person åm Watschnbam rüllt (körperliche Bestrafung)
Zuwefången: jemanden zum Zwecke des Versprügelns an sich ziehen
Schleich di, vaschtest?: Ziehe Leine, klar?
Die Bißgurn: keifende Frau
5.3. Geld und Arbeit
Wie es so ziemlich überall die Gewohnheit ist, so ist ebenso in Wien das Thema „Geld“ ein bisschen tabuisiert. Demzufolge schneidet man dieses Thema im Gespräch lieber nicht an. Die Wiener haben eher die Tendenz, das Wort „Geld“ durch ein mundartliches Äquivalent zu ersetzen, wie z. B.: Plärra (nur sarkastisch verwendet, um die Höhe einer Ausgabe humorig zu beklagen), Schortn, Moneten, Zwirn, Mosch, die Marie, Knedl, Knödl, Knädel, Göd, Gesrtl, Flock,Flins,Flieder,Blära.177 In der Unterwelt und unter Gaunern sagt man jedoch statt Geld: Kies, Flieder, Moos,
177 http://www.ostarrichi.org/
71 Kohlen, Mesimme, Spagat, Zaster.178
Geld und wie man dazu kommt:179
Der Kilo: Einhundert-Schein
Der Fetzn / die Flockn / der Fleck: Tausend-Schein
Die Mille: Million (im Gegensatz zu der Schriftsprache, wo es „ein Tausender“ bedeutet)
Åhebn: Geld entgegennehmen oder ausbezahlt bekommen
Wüvü hebst å im Monat?: Frage nach dem monatlichen Lohn
Reiben: borgen, z.B.: Geh, Reib ma an Kilo
Ausstrahn: Geld durch Unaufmerksamkeit verlieren
Brennen/ brandeln: zahlen
Då brennst ordentlich: Da kannst du ordentlich blechen.
Derfangen: sich aus der finanziellen Misere retten
Spendierhosn åhabn: gewillt sein, sein Geld auszugeben
Nęga: ohne Geld; i bin nęga (ich habe kein Geld)180
Gstopft/ gschtopft: reich, wohlhabend
Geht man von der Geldmenge zum Thema Arbeit über, lässt sich eine kurze Liste der Ausdrücke aufstellen, wie man zu der Arbeit gestellt ist.
Im Arbeitsprozess:181
Håcknstad: arbeitslos
178 Wehle, Peter: Die Wiener Gaunersprache. Wien: Ueberreuter, 1997. S. 47
179 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 30
180 Hornung, Maria: Wörterbuch der Wiener Mundart. Wien: ÖBV Pädagogischer Verlag, 1998. S. 562
181 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 34
72 Die Bude: Arbeitsstätte
Der Hackla: Arbeiter
Hackln: arbeiten; i gę in d-Hǫ ckn (ich gehe in die Arbeit)182
Sandln: sich untätig herumtreiben
Si zeaspragln: fleißig arbeiten
Åzahn: schnell und intensiv arbeiten
Baraban: schwer arbeiten
Ruachln: körperlich schwer arbeiten
Åwezahn: jede Anstrengung tunlichst vermeiden
Laschian: langsam arbeiten
Eineknian: sich hineinsteigern (in die Arbeit)
Kan Haxn ausreißen: sich nicht überanstrengen
Tschinaggln (dschínǫ gln): schwer, hart arbeiten; „dęa hǫ d sei Lebdǫ g nigs ǫ is wia dschínǫ gln miassn“ (der musste sein ganzes Leben lang nichts als hart arbeiten)183
5.4 Essen und Trinken
Die Namen von Papperln (Essen) bereiten dem Besucher der Hauptstadt Österreichs große Schwierigkeiten, vor allem wenn sie dann den Mågnfoaplan (Speisekarte) aufschlagen, um sich etwas zum Essen auszuwählen. Man darf sich jedoch nicht unterkriegen lassen und trotzdem diese weltbekannte Wiener Küche ausprobieren. In Wien erfreuen sich die panierten Speisen großer Beliebtheit, also kann man im Mågnfoaplan beispielsweise das beliebte Båckhendl (paniertes Huhn, in Öl schwimmend gebacken) finden. Dieser Ausdruck ist die Grundlage für die Bezeichnung des dicken Bauches eines Wieners: Båckhendlfriedhof. Er ist dann
182 Hornung, Maria: Wörterbuch der Wiener Mundart. Wien: ÖBV Pädagogischer Verlag, 1998. S. 445
183 Hornung, Maria: Wörterbuch der Wiener Mundart. Wien: ÖBV Pädagogischer Verlag, 1998. S. 267
73 blad oder gfüllt (dick). In Wien gibt es für „essen“ mundartliche Bezeichnungen wie z.B.: habern, eischneidn, oder zwickn.184
Je nach der Intensität unterscheidet man:185
Bapaln/ bapeln: essen (gerne, gut); „wån a nua wǫ s Guads dsan Bapaln hǫ d, is schon dsfridn“186 (wenn er nur etwas Gutes zum Essen hat, ist er schon zufrieden)
Ånhaun: sich vollessen
Ånbåmpfm: sich mit Essen vollstopfen
Si wos hinter die Kullissen schiabn:187 essen
Was ist was in der Wiener Küche:188
Das Gebäck: Sammelbezeichnung für alle kleinen Brotsorten, wie zum Beispiel: Semmel (Brötchen), Soizchtangerl (Salzstangerl)
Der Kaiserschmarrn: Pfannkuchenähnliche Süßspeise
Die Topfenpalatschinke: Quark-Crêpes, oft auch im Kurzform Topfnpala
Das Powidldatschkerl: Kartoffelteig mit einer Füllung aus Pflaumenmus
Der Grammelknödel: Kartoffelknödel mit Griebenfüllung
Das Beuschl: Innereien (Lunge und Herz)
Das Khippfel: halbmondförmiges Gebäck aus feinem Teig, oft gefüllt, erscheint auch in den Zusammensetzungen,
184 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 44
185 Hornung, Maria: Wörterbuch der Wiener Mundart. Wien: ÖBV Pädagogischer Verlag, 1998. S. 40,46
186 Hornung, Maria: Wörterbuch der Wiener Mundart. Wien: ÖBV Pädagogischer Verlag, 1998. S. 117
187 http://members.aon.at/berri/wienerische_idiomen.htm
188 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 44,46
74 z.B.: Nusskhippfel189
Der Fleck: eine Mehlspeise (z.B.: Dswedschgnfleck) oder Teigware. Kommt als Deminutivum in Zusammensetzungen vor, wie z.B: Graudfleckaln, Schinknfleckaln190
Der Besucher Wiens soll sich auch beim Bestellen a Wiener darüber im Klaren sein, dass er keine Würstchen erwarten kann, sondern ein Schnitzel. Diese Besonderheit, dass a Wiener ein Schnitzel, Würste hingegen Frankfurter heißen, ist nicht jedem bekannt. Will man sich jedoch nur ein Stück Frankfurter bestellen, muss man „einen Einspänner“ verlangen. Dies kann beispielsweise oft am Wiaschtlaund (Würstchenstand) passieren. Für die Bestellung bietet sich eine kurze Liste an Auswahlmöglichkeiten an:191
Am Würstelstand:192
Das Burn/heidl/haut: Burenwurst
Bims: Brot
Bråtane: Bratwurst
Brennhaße: Scharfe Burenwurst
Dürre: Billigste Wurstart
Eitrige / Eitafinga: Käsekrainer
Siassa / G´schissana: süßer Senf
Khäu / Keil: dicke Schnitte Brot
Scherzl: Anschnitt des Brotes
189 Hornung, Maria: Wörterbuch der Wiener Mundart. Wien: ÖBV Pädagogischer Verlag, 1998. S. 507
190 Hornung, Maria: Wörterbuch der Wiener Mundart. Wien: ÖBV Pädagogischer Verlag, 1998. S. 357
191 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 46-7
192 http://www.zur-wurst.at/component/glossary
75 Glåtte: Frankfurter Würstel
Siaß oda schoaf?: Süß oder scharf?
Geht der Wiener in das Beisl (Kneipe), bestellt er sich entweder ein Krügl (ein halber Liter Bier), oder ein Seidl (ein Drittel Liter Bier). Am Wiachtlaund kann man jedoch vom Bratlbråda oder Wiaschtlmånn (Verkäufer frischgebratener Würste) die Hülsn (Dose Bier, oder Flasche Bier), Glåsweckerl (Bierflasche), oder Blechweckal (Dosenbier) verlangen. Dank der Tatsache, dass es rund um Wien viele Weinberge gibt, erfreut sich der Wein größerer Beliebtheit bei den Wienern als das Bier. Die Weintrinker gehen hingegen zum Heurigen (der Heurige: diesjähriger Wein, aber auch Stätte, wo er ausgeschenkt wird), wo sie entweder ein Achterl (kleinste ausgeschenkte Menge), ein Vierterl (ein Viertel Liter Wein), oder einen Lita (ein Liter, meist in Karaffen serviert) oder Doppla (Zwei-Liter-Flasche) bestellen. In den Sommertagen trinken die Wiener häufig einen Gschprizter (ein mit Sodawasser verdünnter Wein). Sagt man bei der Bestellung guat gschpritzt, kann man einen kleineren Anteil von Wasser erwarten. Im Wienerischen gibt es eine ganze Reihe von Ausdrücken für „Alkohol trinken“ und demzufolge auch für verschiedene Grade der Alkoholisierung.193
Alkohol und Rausch:194
Ångstrudelt: beschwipst/berauscht sein
Das Schwipserl: erste milde Wirkung
Das Schweigl: mittlerer Rausch verbunden mit der Redefreudigkeit
Der Schwül: ähnlich wie das Schweigl
Der Hådern: schwerer Rausch
Fett, im Öl: „Fett oder im Öl sein“ heißt ein hoher Grad der Trunkenheit
Voifett / blunznfett: voifett bezeichnet eine Steigerung von „fett“, wobei blunznfett den höchsten Grad der Trunkenheit bedeutet
193 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 48
194 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 49
76 Dippln: stetig nippen
Bipperln: trinken
Zua sein: durch den Alkoholgenuss verursachte Verschlossenheit
Schledern: viel, zügig trinken
Fet wia a blunzn/ a haubitzn/ a oberlehra/ a ritta/ a tschik:195 schwerer Alkoholisierungsgrad
Schwassn / trangeln / si an ånahn / si zuaschwaßn:196 sich betrinken
Also Prost, daß die Guagl net varost! Trinkspruch
5.5. In den Kaffeehäusern
Die Geschichte der Kaffeehäuser geht auf die türkische Belagerung im Jahre 1683 zurück. Die Türken hinterlassen die für die Wiener unbekannten dunklen Bohnen, die in der Folge das erste Wiener Kaffeehaus entstehen lassen. Aber erst durch die Zutaten wie Milch und Zucker wird der Kaffee in Wien beziehungsweise die Wiener Kaffeehäuser zum Phänomen und zum unverzichtbaren Teil der Wiener Kultur. Man kann dort das Rascheln der Zeitungen oder heftige Debatten hören, den wohlriechenden Duft frischen Kaffees wahrnehmen/schnuppern, Schach, Billard oder Karten spielen, sich in den Zeitungen der Welt festlesen, oder darin nur schmökern, und vor allem Leute treffen.197
Wenn man so ein Kaffeehaus in Wien besucht, sollte man sich vorher über die Wienerischen Ausdrücke für verschiedene Kaffees im Klaren sein. Auch da unterscheidet sich der Nichtwiener vom Echtwiener, wenn er einen Kaffee bestellt, weil man im Wienerischen keinen Kaffee kennt, sondern „kleine Braune“, „große
195 http://members.aon.at/berri/wienerische_idiomen.htm
196 http://www.ostarrichi.org/
197 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 54
77 Braune“, „Kapuziner“ und andere.198
Die Kaffees in Wien:199
Der Schwarze: Ein Mokka in kleiner/ größerer Schale; „An großn / klan Schwarzn, bittsche“ (einen großen/ kleinen Schwarzen, bitte)
Der Braune: Ein Mokka mit drei Tropfen Milch in kleiner/ größerer Schale; „An großn / klan Braunan, bittsche“ (einen großen / kleinen Braunen, bitte)
Der Kapuziner: Ein doppelter Mokka mit Schlagobers
Der Melange: Ein Mokka mit warmer Milch und Milchschaumhaube
Der Franziskaner: Eine Melange mit Schlagobers
Der Einspänner: Ein Mokka mit aufgesetztem Schlagobers
Die Teeschale: Darf nicht mit einer „Schale Tee“ (Schale mit Tee) verwechselt werden. Dies ist nämlich eine Anlehnung an die Größe der Schale. Die kleinste bezeichnet man „Mokkaschale“, folgt „die Doppelmokkaschale“ und als die Größte „die Teeschale“.
Wie schon erwähnt, kann man unter anderem in den Kaffeehäusern auch Hadern reißen (Karten spielen), was die Wiener für ihre Lieblingsaktivität halten. Ein Wiener der gehobenen Schicht spielt Bridge, Poker, Rummy oder Canasta, wobei der echte Wiener hingegen entweder Zensa, Tarock, Schnapsen und Preference bevorzugt.200
Widmet man sich dem populärsten Kartenspiel näher an, dann muss man Schnapsen, in Deutschland Sechsundsechzig genannt, unbedingt erwähnen. Die Regeln sehen in Kürze folgendermaßen aus:
198 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 54
199 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 55-6
200 Wehle, Peter: Sprechen Sie Wienerisch? Wien: Ueberreuter, 1980. S. 59
78 Wer zu wenig Punkte erreicht, wird Schneider. Wer wenig Punkte, aber mehr als die Hälfte erreicht, ist aus dem Schneider. Wer seinem Gegner jede weitere Möglichkeit einer Fortsetzung nimmt, der „draht zua“, er dreht die Trumpfkarte um und hemmt die Gegenwehr.201
Das Ziel ist es, 66 Punkte zu erreichen. Der noch nicht verwendete Kartenstoß heißt im Wienerischen Talon, wobei dieser Ausdruck auch in mundartlichen Redewendungen auftaucht, wie z.B. in: I hau mi in Talon (Ich verlasse diesen Ort, oder Ich lege mich schlafen).202
Einige Ausdrücke, die man bei diesem Spiel gebraucht, haben ihre Verwendung auch in der Umgangs- und Gaunersprache gefunden. Um ein Beispiel zu zeigen, lässt sich „zuadraht“ erwähnen, womit man im Spiel den Abschluss eines Vorganges angibt. Im Wienerischen heißt dann „zuadrahn“ „abschließen“, wie z.B.: „I draah zua, gehts ham“ (Ich schließe zu, gehen sie nach Hause), dies kann man beispielsweise vom Wirt zur Sperrstunde hören. In der Gaunersprache bedeutet dies jedoch „umbringen“. Auch die Sprüche wie „der macht bei mir kan Stich“ und „jetzt bin i ausn Schnider“, in der Bedeutung „jetzt kann mein Verlust nicht mehr sehr groß sein“, sind in die Mundart vorgedrungen.203
5.6 Die Wiener Sportsprache
Die große Popularität der Sportaktivitäten in Wien ließ den Sportjargon entstehen und daher auch weitgehend entfalten. In diesem Zusammenhang verbreitete sich infolgedessen der Wortschatz der Wiener Mundart in großem Maße durch die aktive Anwendung bei Spielern, Trainern und Zuschauern, wobei die folgende Verbreitung besonders durch die Medien wie Zeitungen, Radio und Fernsehen erfolgte. Für die mundartlichen Sportausdrücke scheint charakteristisch zu sein, dass sie ortsspezifisch entstehen und einem ständigen Bedeutungswandel ausgesetzt sind. Eine große Rolle bei der Neuschöpfung der Sportausdrücke spielen einerseits die Journalisten und Reporter, die durch den Kontakt mit dem Publikum
201 Wehle, Peter: Sprechen Sie Wienerisch? Wien: Ueberreuter, 1980. S. 61
202 Wehle, Peter: Sprechen Sie Wienerisch? Wien: Ueberreuter, 1980. S. 61
203 Wehle, Peter: Die Wiener Gaunersprache. Wien: Ueberreuter, 1997. S. 60
79 die neuen Wörter weitergeben können, andererseits auch diejenigen, die den unteren sozialen Schichten angehören und sich gerne der mundartlichen und umgangssprachlichen Sprachschöpfung bedienen.204
Betrachtet man die Hauptmerkmale der Wiener Sportsprache, muss man an erster Stelle die starke Tendenz erwähnen, englische Ausdrücke zu verwenden. Diese sind im Wiener Dialekt fest verankert. Die Ursache für diesen starken Einfluss des Englischen liegt auf der Hand, denn es waren eben die Engländer, die den Fußballsport in Wien ins Leben gerufen haben und gleichfalls da den ersten Fußballklub gegründet haben. Die von den Engländern gebrauchten Fachausdrücke werden auf diese Art und Weise bald ins Wienerische integriert und von den Wienern angenommen. Als Beispiel kann man folgende in der Mundart erscheinenden Anglizismen anführen: Referee (Schiedsrichter), I geh aufs Match (I sehe mir ein Fußballspiel an), Goalmann, Goalie, Keeper (Tormann). 205
Eines der weiteren typischen Merkmale sind die metaphorischen Ausdrücke. Oft entstehen so nach der bildlichen Ähnlichkeit der Gegenstände neue Wörter, wie z.B.: Kugel, Bladern, Laberln, Ei, Wuchtel (Fußball), Wies´n, Krautacker, G´stetten (Fußballfeld), Gehäuse, Kist´n (Tor). Im Gegensatz dazu kann es dank der Ähnlichkeit der Ideen auch zum Bedeutungswechsel kommen, beispielsweise: zerschmettern, vernichten, schlagen (besiegen), oder hämmern, nageln, bomben (schießen). Neben den Metaphern kommen in der mundartlichen Wiener Sportsprache auch verschiedene Arten der Metonymie vor. In diesem Falle werden die Wörter nicht nach dem Vergleich beurteilt, sondern nach den verschiedensten Zusammenhängen, z.B.: Netz (Fußballtor), Pfeifermann (Schiedsrichter), Rasen (Fußballfeld), Holz (Torstange), Eis (Eishockeyspielfeld), Elfer (Elfmeterpunkt), Fünfer (Fünfmeterstrafraum), Butterbrot (ein leicht abgegebener Schuss), Heißes Eisen (schnelles Motorrad).206
Weiterhin erfolgt die Neubildung der mundartlichen Ausdrücke im Sportgebiet durch Kurzformen oder durch Anhängen der Endung –er oder –erl. Die
204 Wolf, Uwe: Die Wiener Sportsprache. Wien: Univ., 1974. S. 39
205 Wolf, Uwe: Die Wiener Sportsprache. Wien: Univ., 1974. S. 13-15
206 Wolf, Uwe: Die Wiener Sportsprache. Wien: Univ., 1974. S. 40-41
80 Kurzformen lauten: Ball (Fußball), Feld (Fußballfeld) oder Schiri (Schiedsrichter). 207
Die Ausdrücke mit Endungen –er und –erl:208
Schnupfer: ein zu leicht geworfener Ball
Köpfler: mit dem Kopf gespielter Ball
Radler: Radrennfahrer
Roller: ein nur rollender Ball
Kickerl: Fußballspiel
Schusserl: leichter Schuss
Lüfterl: „der Angriff ist ein Lüfterl“ (Die Spieler sind ängstlich, spielen zögernd und unsicher)
Giggerl: zaghafter Schuss
Die Technik im Fußball:209
Die Fetten: Drall des Balles
Ånreißn: kräftig schießen
Der Hadern: Gewaltschuss
Aussteigen lassen: Austricksen des Gegenspielers
Åziagn: sprinten
Gaberln: Jonglieren des Balles mit den Füßen
Die Gurke geben: einem Gegner den Ball durch die Beine schieben
207 Wolf, Uwe: Die Wiener Sportsprache. Wien: Univ., 1974. S. 41
208 Wolf, Uwe: Die Wiener Sportsprache. Wien: Univ., 1974. S. 42
209 Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992. S. 68
81 5.7. Die Gaunersprache in Wien
Wie überall gab es auch in Wien die Unterwelt und diese Gemeinschaft unterschied sich von Anderen nicht nur durch die Lebensweise, sondern auch durch ihre eigene Sprachform. Man spricht von Geheimsprachen, deren Aufgabe es ist, ausschließlich von einem engen Kreis von Menschen verstanden zu werden. Dies ist gerade bei der Gaunersprache in einem hohen Maß ausgeprägt. Die Gaunersprache unterscheidet sich von der Schriftsprache vor allem im Wortschatz. In grammatikalischer und syntaktischer Sicht ähnelt sie jedoch der Alltagssprache. Diejenigen, die sich der Gaunersprache bedienen, sind größtenteils Wiener Gauner - auch Galeristen genannt. Die Bezeichnung Galeristen leitet sich von der Verbrecherkartei, oder auch Fotoalbum der Polizei ab, die als Galerie bezeichnet wird und Wiener Unterwelt bedeutet.210
Viele Wörter der Geheimsprache der Wiener Unterwelt haben ihren Ursprung in Sprachen wie Rotwelsch, Jiddisch, Tschechisch, Zigeunerisch oder Romanisch. Das Tschechische kommt in der Gaunersprache durch folgende Ausdrücke zum Vorschein: kluč (Schlüssel), Nusch (Messer), „Wan i an Gachen kriag, fliagt ma´s Nusch in die Pratzen“ (Wenn ich zornig werde, fliegt mir das Messer in die Hand.). Für das Messer verwenden die Galeristen auch andere Ausdrücke, wie z.B.: Schirm, Krawanka, Griffel, Gurken, Fisch, Feitel, Biene. Des Weiteren spielt noch das Jiddische eine große Rolle für die Sprache der Gauner, wie z.B.: Meloche/ Maloche (Arbeit), Baldower (der Anführer), Schöm/ Schölm (ein falscher Ausweis). Die weiteren Beispiele sind im vorausgehenden Kapitel „Der etymologische Hintergrund der Wiener Mundart“ angeführt.211
Die Gaunerwörter:212
Suacherl: der Untersuchungsrichter
Hackn/ Tschob: Job
Fingerprinten/ klavierspielen: Fingerabdrücke herstellen lassen
210 Wehle, Peter: Die Wiener Gaunersprache. Wien: Ueberreuter, 1997. S. 7-8
211 Wehle, Peter: Die Wiener Gaunersprache. Wien: Ueberreuter, 1997. S. 35, 49
212 Wehle, Peter: Die Wiener Gaunersprache. Wien: Ueberreuter, 1997. S. 12, 80, 81, 91, 63
82 Kieberer: alle Arten von Polizeiorganen
Knast: Geldstrafe
Ed: ein falscher Zeuge
Verdraher: der Hehler
Kieberei/ die Höh: die Polizei
Schieaßling/ Krachen/ Puffer: die Schusswaffe
Sore: Ware, Diebsgut
Schrankler: ein schwerer Einbruch
Kniarer: ein charakterloser Mensch
Koberer: 1. Ein guter Freund 2. Ein Polizist 3. Der Kuppler
Fettn (und Schmalz): 1. Die Haft, die Strafe 2. Der Rausch
Quetschn: 1. Das Arbeitshaus 2. Der kleine Gewerbebetrieb 3. Ein Gasthaus
So kann es folgendermaßen passieren: Am Anfang soll jemand eine Banda (Versammlung der Verbrecher) anen Zünd reib´n (heimlich benachrichtigen), wo ein Mooßmeier (einer der viel Geld besitzt) seinen Wohnsitz hat, weil då pickt wås (bei dem kann man viel Geld vermuten). Sie håb´n also in d´r Gei (haben im Plan), dieses Haus beziehungsweise die Wohnung zusammenzuramsch´n (auszurauben). Wenn die Bande also a schöne Teile måcht (einen großen Einbruch macht), müssen sie jedoch danach garniertes Mooß (gestohlenes Geld) und an Murr´r (gestohlene Sachen) unter sich verteilen, anders gesagt auf dem Schab san (die Beute teilen). Im Falle, dass die Bande von der Poli (Polizei) gefangen wird, werden sie müli san (verhaftet sein) und in der Folge aufreiß´n sie das Knast (bekommen das
83 Strafausmaß) und müssen zuwåchs´n (die Strafe antreten).213
Wenn man die Geheimsprache betrachtet, muss man die auch noch heute verwendete O-Sprache erwähnen. Die einfache Regel, nach der man die Sprache mehr oder weniger beherrschen kann, lautet:
Die Anfangskonsonanten werden weggelassen, der folgende Vokal wird durch ein O ersetzt, der weitere Wortkörper nicht verändert, und an das Wortende werden die Anfangskonsonanten, gefolgt von einem dumpfen e, wieder angestückelt. Also: Wein – Onwe, Madel – Odelme, Strich – Ochstre.214
In der Praxis kann diese O-Sprache beispielsweise folgende Formen haben: „Ich möcht a Ortelve Onwe“ (Ich möchte ein Viertel Wein), „Mei Odlme geht am Ortlge am Ochstre“ (Mein Mädel geht am Gürtel – Straße in Wien – am Strich). In der Folge lassen sich auf ähnliche Weise die Wörter wie Messer – Osserme oder Krachen – Ochenkre bilden.215
Die Gaunersprache ist gleichfalls im Gefängnis gebräuchlich, so nennt man beispielsweise „das Essen“ Schäkel oder Achelputz, „kaufen“ kofen und „essen“ acheln. Eine Variante der Gaunersprache stellt die sogenannte Paragraphensprache dar, die auch einige Galeristen beherrschen und für dessen Verstehen oder die aktive Verwendung die Person gewisse juristische Kenntnis oder Fachausdrücke haben muss. Als ein Beispiel kann man anführen: „I hab an Hundertanasiebziger grissen“. Darunter versteht man die Tatsache, dass der Tatbestand eines Häftlings als Diebstahl eingestuft wird. Im alten Strafgesetz war dem Diebstahlparagraph die Nummer 127 zugeordnet. 216
Abschließend lässt sich feststellen, dass der Gebrauch der Gaunersprache in den letzten Jahren an ihrer Intensität weitgehend abgenommen hat. Dies ist im Hinblick auf eine ganze Reihe der Aspekte transparent und allem Anschein nach auch unausweichlich. In erster Linie verschwindet eine große Anzahl der Wörter,
213 Petrikovits, Albert: Die Wiener Gauner-, Zuhälter- und Dirnensprache. Wien: Böhlau, 1986. S. 95,87, 73, 50, 59, 36
214 Wehle, Peter: Die Wiener Gaunersprache. Wien: Ueberreuter, 1997. S. 71
215 Wehle, Peter: Die Wiener Gaunersprache. Wien: Ueberreuter, 1997. S. 71
216 Wehle, Peter: Die Wiener Gaunersprache. Wien: Ueberreuter, 1997, S. 32, 70
84 die Dinge oder Tätigkeiten benennen, die heutzutage entweder geringe Bedeutung haben oder überhaupt nicht existieren, wie z.B.: der Tschillesgänger (ein Einbrecher, der nur in der Dämmerung arbeitet). Des Weiteren wurden viele Ausdrücke nicht nur ins Deutsche sondern auch ins alltägliche Wienerische integriert. Dies ist beispielsweise der Fall bei Chavrusse (Diebesbande), chaddisch (neu), Chalen (Fenster) und Lechem (Brot). Ein weiterer Aspekt für den Rückgang der Gaunerwörter stellt die Tendenz der Galeristen dar, ihre Ausdrücke, die mit ihrer Vergangenheit verbunden sind, eher durch neue geläufigere Wörter zu ersetzten. Sie wollen auf diese Art und Weise auf ihre ehemalige Identität nicht aufmerksam machen. So sagt man statt püseln oder nappezen das übliche „schlaffen“. Schließlich ist es der fehlende Nachschub, der die Sprache einer Gemeinschaft am Leben hält und die aussterbenden Wörter ersetzt. So werden beispielsweise auch echte Gaunerwörter in die Umgangssprache integriert und folgendermaßen haben sie den Sinn der Geheimhaltung verloren, wie z.B.: Mezzie (lukratives Geschäft), Ezzes (Tipps, gute Ratschläge), Rebbach (der Gewinn). Wenn es auch in den verschiedenen Geheimsprachen zu Änderungen kommt, kann man der Tatsache nicht widersprechen, dass anders denkende Leute immer anders sprechen werden. 217
ZUSAMMENFASSUNG
Die Aufgabe dieser Arbeit ist im Besonderen die Wiener Mundart im Rahmen der Komplexität zu betrachten. Dem Hauptthema ist zum einen eine Behandlung des Österreichischen Deutschs wegen der unscharfen Grenze zwischen diesem und der Wiener Mundart, zum anderen eine weitgehende Behandlung des Einflusses anderer Sprachen auf das Wienerische, was das ausgeprägteste Merkmal des Wienerischen ist. Des Weiteren wird dem historischen Hintergrund eine große Aufmerksamkeit gewidmet, um die Entwicklung dieser Mundart als einen sich über Jahrtausende entwickelten Prozess hervorzuheben. Dank diesem Einstieg in die Problematik soll man ein Vorwissen erwerben, um folgende Themen in einem breiteren Kontext verstehen zu können. Anhand dieser Kenntnisse steigt man in die grundlegenden Kapitel Lautlehre, Satzlehre und Wortlehre ein. Damit soll die allgemeine Annahme widerlegt werden,
217 Wehle, Peter: Die Wiener Gaunersprache. Wien: Ueberreuter, 1997, S. 32, 76-79
85 dass das Wesen der Mundart nicht nur im unterschiedlichen Wortschatz steckt, sondern vielmehr in alle Bereiche der Sprachlehre eingreift. Der letzte Teil dieser Arbeit befasst sich mit der praktischen Anwendung der Wiener Mundart in unterschiedlichen Lebensbereichen. Bei der Auswahl der Beispiele wurde Rücksicht auf die Authentizität genommen, gleicherweise werden die heutzutage verwendeten Ausdrücke vor dem Altwienerischen bevorzugt.
Betrachtet man die Stellung des Wienerischen in der heutigen Zeit, kommt man zu der Schlussfolgerung, dass es sich um eine ambivalente Situation handelt. Auf der einen Seite wird die Wiener Mundart aus Angst der sozialen Determination vermieden, auf anderer Seite kann man die mundartlichen Ausdrücke im Boulevardzeitungen finden und nicht zuletzt erfreut sich die TV-Serie „Ein echter Wiener geht nicht unter“ einer großen Beliebtheit, in der das Wienerische in seiner ausgeprägtesten Form vorkommt. Diese Zwiespältigkeit zeigt sich ebenso darin, dass die älteren wienerisch sprechenden Einwohner als Oberschicht wahrgenommen werden, die Jungen hingegen als Unterschicht. Wie jedoch der praktische Teil dieser Arbeit zeigt, ist der Dialekt auch in der alltäglichen Kommunikation der Jugendlichen und jungen Menschen mehr oder weniger verbreitet, wenn auch heutzutage in gewissen Maße durch englische Elemente bereichert. Dies kann zu der Annahme führen, dass sich unter Jugendlichen daraus in der Zukunft eine englisch-wienerische Mischung entwickeln könnte. Es handelt sich dabei eigentlich um die einzige Möglichkeit des Weiterbestehens der Wiener Mundart, wenn auch in veränderter Form.
„Jede Provinz liebt ihren Dialekt: denn er ist doch eigentlich das Element, in welchem die Seele ihren Atem schöpft.“
Goethe, Dichtung und Wahrheit
86 LITERATURVERZEICHNIS: Beyerl, B., Hirtner, K., Jatzek, G.: Wienerisch, das andere Deutsch. Bielefeld: Rump, 1992 Fetzer, Arthur: Wienerisch-Deutsch, schmutzige Wörter. Frankfurt am Main: Eichborn, 1993 Glettler, Monika: Böhmisches Wien. Wien: Herold, 1985 Hornung, Maria: Wörterbuch der Wiener Mundart. Wien: ÖBV Pädagogischer Verlag, 1998 Hornung, M., Roitinger, F.: Unsere Mundarten. Wien: ÖBV, 1950 Kauffmann, G.: Küss die Hand? Mein Wiener Wörterbuch. Amstetten: Verlag 66, 2003 Muhr, R., Schrodt R., Wiesinger P. (Hrsg.). Österreichisches Deutsch: linguistische, sozialpsychologische und sprachpolitische Aspekte einer Nationalen Variante des Deutschen. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky, 1995 Petrikovits, Albert: Die Wiener Gauner-, Zuhälter- und Dirnensprache. Wien: Böhlau, 1986 Sassmann, Hans: Wienerisch. Was nicht im Wörterbuch steht. München: Piper Verlag, 1935 Schikola Hans: Schriftdeutsch und Wienerisch. Wien: ÖBV, 1954 Schuster, M., Schikola, H.: Das alte Wienerisch. Wien: Deuticke Verlag, 1996 Schuster, M., Schikola, H.: Sprachlehre der Wiener Mundart. Wien: ÖBV, 1984 Schuster, Mauritz: Alt-Wienerisch. Wien: ÖBV, 1985 Wehle, Peter: Die Wiener Gaunersprache. Wien: Ueberreuter, 1997 Wehle, Peter: Sprechen Sie Wienerisch? Wien: Ueberreuter, 1980 Wolf, Uwe: Die Wiener Sportsprache. Wien: Univ., 1974 Wiesinger, P. Die deutsche Sprache in Österreich. In: Wiesinger, P. (Hrsg.). Das Österreichische Deutsch. Wien, Köln, Graz: Böhlau, 1988 Wiesinger, P. Das österreichische Deutsch in Gegenwart und Geschichte, LIT Verlag, Wien, 2006
87 Internetquellen:
Blei, Bianca: Da Dialekt und seine Hawara [10.3.2010]. http://biancablei.viennablog.at/2009/04/29/da-dialekt-und-seine-hawara Sprache in Österreich [10.3.2010]. http://www.ostarrichi.org Zur Wurst, original Wiener Würstelstand [10.3.2010] http://www.zur-wurst.at/component/glossary Von Wolf, Andrea: Gehen wir zu die Vögel? [10.3.2010]. http://www.wienerzeitung.at/Desktopdefault.aspx?tabID=3946&alias=WZO&lexikon= Dialekt&letter=D&cob=7645 Lexikon, wieneriche Idiomen [10.3.2010] http://members.aon.at/berri/wienerische_idiomen.htm
88 ANHANG: Bam Heurign218 De Hausmastarin aus da Favoritnstråssn Viaravierzg, de Horwat, Mizzi und ihr oide Freindin, de Kathi aus’m drittn Stock, hukkan ban Heurign. Noch a poa Viartln sehngans a Ehepoar, wos miteinand si gråd auf an Tisch zawahuckt.
Mizzi: „Du, hearst, de Frau von dem, de kånn an scho load tuan.“
Kathi: „Wieso, manst des?“
Mizzi: „Na, siagst eh, sie s gråd amoi viarzg und ihr Oida hat´n Siebzga scho lång vurbei!“
Kathi: „Schaut åba no recht fesch aus, des Mannsbüd.“
Mizzi: „Scho, åba årbeitn wiard er hoid nimma recht kenna!“
Kathi: „Geh wieso, der håt sicha a guate Pension.“
Mizzi: „Du Trutschal, ned in da Håckn, bei ihr daham in da Hapfn. A Frau mit vierzg håt do a no ihre Gefühle, i was des gånz genau!“
Kathi: „Då siachst, dåss du di überhaupt net auskennst. Wånn ana a guate Pension hat, da kånn man drauf vazichtn!“
Beim Heurigen
Maria Horwat, Hausmeisterin in der Favoritenstraße 44 und Kathi, ihre alte Freundin, aus dem 3. Stock, sitzen beim Heurigen. Nachdem beide bereits ein paar Viertel Wein getrunken hatten, sehen sie ein Ehepaar, das sich gerade an einen Tisch setzt.
Maria: „Du, hör einmal zu, die Frau von dem Mann, die kann einem ja nur leid tun.“
Kathi: „Wieso, glaubst du?“
Maria: „Du kannst dich ja selbst überzeugen, sie ist gerade ein mal vierzig und ihr
218 Kauffmann, G.: Küss die Hand? Mein Wiener Wörterbuch. Amstetten: Verlag 66, 2003. S. 182-183
89 Mann ist sicher schon über siebzig!“
Kathi: „Wirkt aber noch recht rüstig!“
Maria: „Das will ich ja nicht bezweifeln, aber arbeiten wird er halt nicht recht können.“
Kathi: „Wozu auch, er bezieht sicher ein üppige Rente.“
Maria: „Stell dich doch nicht so an, ich meine ja nicht, dass er in der Arbeit nichts mehr zusammenbringt, sondern im Bett! Schließlich hat doch auch eine Frau um die vierzig Jahre noch ihr sexuelles Verlangen. Ich kann dies nur aus eigener Erfahrung bestätigen.“
Kathi: „Da siehst du, dass du dich überhaupt nichts auskennt. Wenn ein Mann eine gute Pension hat, dann brauchst du den Sex nicht.“
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