Dieses Buch widmen Ihnen Erste Bank und Sparkassen Johann Baptist Weber (1776–1848) war katholischer Pfarrer und Mitbegründer der Ersten österreichischen Spar-Casse. 28. Ausgabe, Jahrgang 2016 Haftungserklärung

Trotz sorgfältigster Recherche der Fakten und genauer Kontrolle ist es nicht auszuschließen, dass sich auch Fehler bei der Wiedergabe der Texte eingeschlichen haben. Der Verlag, das Redaktionsteam und die einzel- nen Autoren erklären daher ausdrücklich, dass sie für die Richtigkeit der Zahlen und Texte keine wie immer geartete Haftung übernehmen. Sämt- liche geschlechtsspezifische Bezeichnungen sind selbstverständlich ge- schlechtsneutral zu verstehen und auch so gemeint.

Wien, im Jänner 2016

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4 Impressum

Herausgeber: Österreichischer Rundfunk, Würzburggasse 30, 1136 Wien Erste Bank der Oesterreichischen Sparkassen AG, Am Belvedere 1, 1100 Wien auch für die Inhalte der Erste Bank verantwortlich Eigentümer und Verleger: Dr. Peter Müller Buch- und Kunstverlag Ges. m. b. H., Loschmidtgasse 11, 1210 Wien Dr. Harald Hohenberg Redaktion und für den Inhalt verantwortlich: Redaktion des ORF-TV-Wirtschaftsmagazins ECO Günther Kogler p.a. ORF, Würzburggasse 30, 1136 Wien Gestaltung & Layout: Druckerei Ing. Michael Seitz Lektorat: Werner Egger, Graz Druck: Druckerei Ing. Michael Seitz, 2231 Strasshof Verlagsort: Wien Herstellungsort: Wien www.erstebank.at www.orf.at

5 Inhalt

Das Euro-Jahr 2015: Kein Ende der Schieflage in Sicht 15 von Günther Kogler Steuern, Abgaben und Co: Ziemlich viel ist neu ab 2016 23 von Mag. Bernadette Ritter Die Goldgrube versiegt – Rückzug aus dem Osten 37 von Katinka Nowotny Wo wollen Sie wohnen? Teuer in der Stadt oder billig auf dem Land 43 von Hans Hrabal Russland-Sanktionen: Es gibt hohe Verluste auf beiden Seiten 49 von Mag. Bettina Fink Die Lehre aus „Lux-Leaks“: Steuer sparen einfach gemacht 55 von Hans Wu Wenn sieben Prozent Wachstum zu wenig sind – „qual o problema?“ 61 von Angelika Ahrens Gold glänzt trotz allem verlockend – für die Nationalbanken 75 von Hans Hrabal Wenn Ihr Auto von alleine fährt: Wer sammelt dann Ihre Daten? 81 von Katinka Nowotny Teure Verwaltung: Auch die Länder als Verschwender … 85 von Mag. Bernadette Ritter Das VW-Drama: Der Schwindel, die Reue und die Buße … 91 von Günther Kogler Kulisse und viel Geld – warum Hollywood auf Österreich fliegt 103 von Sabina Riedl Crowdfunding wird erleichtert: Das kleine Geld für große Ideen 111 von Katinka Nowotny Ärger bei Flugreisen: So viel steht ihnen als Passagier zu 119 von Mag. Bettina Fink Vorsorgen für die Pension: So füllen Sie die „Lücke“ 125 von Katinka Nowotny Handwerk zum „Anschauen“: Gute Idee mit Hintergedanken 129 von Hans Wu Der Krimi um Teak Holz, oder: Wie man auch Aktionäre „pflanzt“ 133 von Angelika Ahrens Donau schlägt Nil und Rhein: Erfolgsrezept Binnenschifffahrt 137 von Sabina Riedl

6 Mit gutem Gewissen Geld verdienen – geht denn das? 143 von Katinka Nowotny Flugsicherheit: Bleibt der Mensch als „größter Risikofaktor“ übrig? 151 von Hans Wu Wo ist der „Bäck’ ums Eck“? Der stille Tod des Gewerbes 157 von Werner Jambor Ein Wiener Bezirksduell: „High Noon“ um die U-Bahn 161 von Hans Hrabal Überziehen? Vorsicht vor der Zinsenfalle 165 von Katinka Nowotny Am Anfang steht bloß eine Idee – von „Start-Ups“ und Chancen 169 von Werner Jambor „i-Putin“ und China-Start-Ups: Konkurrenz für Apple und Co. 173 von Hans Wu „Dufte“ Umsätze – wie Nasen auf Neuro-Marketing hineinfallen 177 von Angelika Ahrens Der Dorian Gray aus dem OP: So viel kostet Männerschönheit 181 von Sabina Riedl Zwentendorf: Der Weg von der „Ruine“ zur „Location“ 187 von Werner Jambor Wir sind Weltmeister – und viele wissen davon gar nichts 191 von Mag. Bernadette Ritter

Das langsame Ende des Bankgeheimnisses 204 Michael Sedlak Die globalen Aktienbörsen 2016: Neues Jahr – neue Chancen 212 Franz Gschiegl Zinsausblick 2016: Quantitative Easing ist in Mode 222 Rainer Singer Investieren mit Moral 228 Gerold Permoser Wohnbaufinanzierung: Fixzins oder variabel 236 Katja Fries Der Sparefroh und die Sparkultur in Österreich 244 Alfred Paleczny Interview mit Boris Marte, Leiter des Erste Hub 250

7 Liebe Leserinnen und Leser!

Seit September 2014 steht der Leitzinssatz der Europäischen Zentralbank auf 0,05 Prozent und die meisten ExpertInnen gehen davon aus, dass sich daran bis 2017 nicht viel ändern wird. Daraus resultieren eine gute und eine schlechte Nachricht für Bankkunden. Die gute Nachricht: Kreditzin- sen sind günstig wie noch nie und wer heute eine Wohnung oder ein Haus finanzieren will, bekommt Kredite zu günstigsten Konditionen. In Zeiten wie diesen ist ein Fixzinskredit eine weise Entscheidung, vor allem wenn man langfristige Finanzierungen plant. Die schlechte Nachricht: Sichere Veranlagungen wie Sparbücher bringen nur noch eine Rendite nahe am Gefrierpunkt. Globale Rahmenbedingungen und die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank machen es auch uns nicht möglich, unsere Sparzinsen davon zu entkoppeln. Daher muss man sich aktiver denn je um seine Geldanlage kümmern.

Das aktuelle Umfeld mag nicht einfach sein, aber es gibt Chancen und Möglichkeiten, mehr aus dem eigenen Geld zu machen. Als Bank sind wir bemüht, Ihnen hier Alternativen aufzuzeigen und auch die entsprechen- den Werkzeuge in die Hand zu geben. Das reicht von gemanagten Wert- papier-Lösungen wie You Invest und geht über das 3-%-Sparefroh-Sparen für Kinder bis hin zu Services wie dem neuen digitalen Banking George. Als Retailbank sind unsere Herzstücke die Beraterinnen und Berater. Es braucht viel Vertrauen und Fingerspitzengefühl, um über Finanzziele und das Geldleben zu reden. Wir sind als österreichische Sparkassengruppe vor Ort – dort, wo die Menschen sind. Unsere Mitarbeiterinnen und Mit- arbeiter in den knapp 1000 Filialen kennen die Bedürfnisse und Sorgen unserer Kundinnen und Kunden und stehen bei finanziellen Fragen stets zur Seite. Nutzen Sie unsere Services in den Filialen und lassen Sie sich beim Aufbau ihrer Geldstrategie 2016 von unseren Mitarbeitern - stützen. Diese haben das Know-How, Ihnen mögliche Wege aus dem Zinsdilemma aufzuzeigen.

Das „ECO“-Jahrbuch ist seit vielen Jahren ein Serviceangebot für das Wertvollste, das wir haben – Sie. Unsere Kunden. Es soll Ihnen ein Weg- weiser in Geldangelegenheiten sein, neue Horizonte eröffnen und als

8 Nachschlagewerk zu spannenden wirtschaftlichen Ereignissen dienen. Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen informieren Sie fundiert über die wichtigsten Neuerungen 2016. Wir geben einen Ausblick auf die Zinsentwicklung im neuen Jahr, Servicetipps für Kreditnehmer und infor- mieren zudem über die wichtigsten Änderungen in Finanzierungsfragen und beim Bankgeheimnis. In der aktuellen Ausgabe lesen Sie auch, wie sich Geld mit gutem Gewissen veranlagen lässt und mit welcher Geldst- rategie – vom Sparbuch bis zu Investmentfonds – Sie in den vergangenen Jahren am meisten profitiert hätten.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß bei der Lektüre und viel Erfolg im neuen Jahr!

Thomas Uher Gerhard Fabisch Vorstands- Präsident des vorsitzender Österreichischen der Erste Bank Sparkassen- Oesterreich verbandes

Thomas Uher und Gerhard Fabisch

9 Von links nach rechts:

Mag. Hans Tesch, Sonja Titz, Günther Kogler, Angelika Ahrens, Dr. Christina Kronaus

10 Foto: Hans Leitner / ORF

Von links nach rechts:

Hans Wu, Mag. Bettina Fink, Mag. Bernadette Ritter, Sabina Riedl, Hans Hrabal, Katinka Nowotny

11 Werte Leser! Die wichtigen Themen – richtig aufbereitet! Das Internet und die sozialen Medien verändern unsere Gesellschaft. Die Beziehung der Medienkonsumenten zu den Medienmachern ist eine an- dere geworden. Vertrauen schwindet, Glaubwürdigkeit und Autorität der Medien gehen zunehmend verloren. Und öffentliche Kritik wird verstärkt auch an den Qualitätsmedien geäußert. Für das ORF-Wirtschaftsmaga- zin „ECO“ kann ich Ihnen versichern, dass wir weiterhin wichtige Wirt- schaftsthemen gezielt aufgreifen und heikle und auch umstrittene Inhalte umfassend darstellen.

Was wirklich wichtig ist, das zeigen wir auf jeden Fall. Ob relevant für die Gesellschaft oder von Bedeutung für den einzelnen Zuseher: 131 „ECO“- Beiträge waren es im Jahr 2015. Mit neuen Fakten und Hintergrundin- formationen zu Themen wie Flüchtlingskrise, Arbeitslosenrekorden, der Hypo-Pleite, den Pensionszuschüssen, Griechenland-Hilfen, Euro-Proble- men, der Ukraine-Krise oder den Russland-Sanktionen.

Großes Interesse haben wieder jene Berichte gefunden, die sich mit Ein- kommen und allen Formen der Geldanlage befasst haben: Die Lohnauf- besserungen durch die Steuerreform ebenso wie die Enttäuschungen bei Sparzinsen und Lebensversicherungen. Praktisch regelmäßig setzen wir Unternehmen ins Bild, die durch besondere Aktivitäten auffallen – oder es sogar zum „Weltmeister“ geschafft haben. Zum „ECO“-Themenspek- trum gehören auch Trendthemen; die Bio-Wahrheiten und Bio-Lügen bis hin zu einer hellwachen „Start-Up“-Gründerszene und dem neuen Feld des „Crowdfunding“, der alternativen Form der Projektfinanzierung.

Wesentlicher Teil der Sendungsphilosophie von „ECO“ ist auch, dass die wichtigen Themen richtig aufbereitet werden. Als kleines Redaktions- team bemühen wir uns Woche für Woche, zu dem, was aktuell passiert oder an Neuigkeiten aufkommt, den kompakten Magazin- und Reportage- Hintergrund zu liefern – umfassend betrachtet, verständlich aufbereitet, von Grafiken unterstützt. Und auch bei diesem Bemühen sind wir mit neuen Umständen konfrontiert.

12 Früher waren es Zeitungskritiker und Leserbriefschreiber, die punktuell die Berichterstattung beurteilt haben. Heute werden schon – während die Sendung noch läuft – kritische Kommentare und Beschwerden via Face- book, Twitter oder in persönlichen Blogs abgesetzt. Eine unmittelbare und direkte Kontaktaufnahme, die Chancen bietet, aber auch Zeit in Anspruch nimmt. Denn es tauchen nicht nur Zuseher mit konstruktiven Ideen und Anregungen auf; es melden sich auch Personen, die die Verantwortung von interviewten Wissenschaftlern einfach anzweifeln, ebenso wie TV- Konsumenten, die sich als Fürsprecher für Steuerhinterzieher outen.

Die Wirtschaftsberichterstattung wird schwieriger – und bleibt genau deshalb spannend. Für unser wöchentliches „ECO“-Magazin kann ich Ihnen versichern, dass wir unsere Verantwortung wahrnehmen und Ihr Vertrauen auf glaubwürdige Berichte auch weiterhin rechtfertigen werden.

Wir müssen nicht unbedingt die Ersten sein – aber richtig liegen!

Ihr Hans Tesch Sendungsverantwortlicher ECO Foto: Hans Leitner/ORF

PS: Vieles wird neu sein ab 2016. „ECO“ sendet aus einem neuen Studio- Ambiente. Wir starten mit neuer Signation und präsentieren Fakten in neuer grafischer Bearbeitung.

PPS: Besuchen Sie uns auch auf Facebook, unter ORF „ECO“.

13 Große Worte – gelassen ausgesprochen gesammelt von Günther Kogler

„Ich sage wieder und wieder: Wir können das schaffen und wir schaffen das.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt die Linie der deutschen Flüchtlingspolitik vor.

„Wir waren solidarisch im Weiterwinken der Flüchtlinge nach Deutschland.“ Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) sieht ein: Österreich handelt in der Flüchtlingsfrage nicht anders als Nachbar Ungarn.

„Es ist ein Unterschied, ob wir Jausenstation für durchreisende Flüchtlinge sind oder Dauergäste haben.“ Auch Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) ist froh über die Realitäten.

„Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“ Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel wirkt angesichts wachsender Kritik an ihrem Flüchtlingskurs zunehmend genervt.

„Wir sind jetzt gut in der Übung.“ Ungarns Premier Victor Orban errichtet nach dem Grenzzaun zu Serbien auch noch schnell einen gegenüber Nachbar Kroatien.

„Obwohl ich nicht zu Pessimismus tendiere, befindet sich die EU in keinem guten Zustand. Schönmalerei macht keinen Sinn. Es fehlt der EU an Europa und es fehlt der EU an Union. – Wozu dann noch EU?“ Kommissionspräsident Jean Claude Juncker zur Lage der Union in Straßburg.

14 Das Euro-Jahr 2015: Kein Ende der Schieflage in Sicht von Günther Kogler

„Geht es um die gemeinsame Währung, beginnen Sie bitte, in Zehntel- Prozent und in Millimetern zu rechnen“ – so lautete unsere Analyse im „ECO“-Jahrbuch vor zwei Jahren. Der Rückblick auf das Jahr 2015 zeigt: Die seinerzeitige Feststellung gilt leider immer noch. Besonders schlimm: Die Umstände verschärfen sich. Der kleine Sparer wird bestraft, die gro- ßen Schuldner werden belohnt. Gesund ist so ein System nicht. Aber ein Ende der Schieflage ist nicht in Sicht.

Die Geldschleusen der europäischen Währungshüter sind geöffnet bis zum Anschlag. Seit fast einem Jahr pumpt die Europäische Zentralbank Monat für Monat unglaubliche 60 Milliarden Euro in den Markt. Sie kauft Staats- anleihen und Wertpapiere Sie betitelt ihre geldpolitischen Maßnahmen mit dem technokratischen Begriff „quantitive easing“; mindestens bis zum September des heurigen Jahres soll die „mengenmäßige Lockerung“ der Euro-Schwemme noch andauern. Da sie bisher kaum die gewünschten Effekte zeigt, wird sogar an eine Ausdehnung des Programms gedacht. Stimmen die Berechnungen der Ökonomen, könnte sich am Ende die atem- beraubende Summe von 1,1 Billionen über das Staatsgebiet der Euro-Zone ergossen haben. Geld, das nicht erwirtschaftet, aber schon verbraucht oder verspekuliert wurde, zumindest nutz- und wirkungslos herum liegt.

Die Umstände machen es Leuten mit Geld nicht leicht. Wer nicht still enteignet werden will, muss sich aktiv um sein Bares kümmern. Bloß ein Drittel der Bevölkerung, so erhob das Meinungsforschungsinstitut IMAS für die „Erste Bank“, tut das aber. Auch die ING Diba hat ähnliche Zahlen für Österreich erhoben. Die beliebteste Sparform ist nach wie vor das Sparbuch, gefolgt vom Bausparer; Investments in Immobilien, Wert- papiere oder gar Gold tätigen nur 36 Prozent. Schon etwas höher ist der Anteil jener, die sich „für die Pension“ etwas zur Seite legen (42 Prozent).

Wer von der Passiv- auf die Aktivseite wechseln will, wird in diesem Buch einige Anregungen erhalten. Wie es sich gehört, zeigen wir von „ECO“

15 Frankfurt, Ostend: Die Schleusen der Zentralbank sind weit geöffnet Foto: EZB

immer aber nicht nur die Chancen auf, sondern weisen auch auf die Risiken hin. Für die ganz Tapferen empfiehlt es sich im Übrigen, sich durch unsere Tabellen in dieser Geschichte zu wühlen; es gibt Länder sowohl in der Euro- Zone als auch innerhalb der EU, in denen das Wirtschaftswachstum deut- lich höher liegt, als in Österreich. Das eröffnet bessere Renditechancen, als zu Hause. Wiewohl gesagt werden muss, dass das wirtschaftliche Umfeld überall, wie soll man sagen, „sehr herausfordernd“ ist.

Die Idee, Staaten und Banken Zeit zu geben, Die Praxis zeigt: Alles Budgets und Bücher wieder in Ordnung zu brin- dauert viel zu lange gen, hatte etwas für sich. Für einen beschränk- ten Zeitraum sollte Druck von Regierungen und Bankmanagern genommen werden, um aus dem Crash vor nunmehr acht Jahren die Lehren zu ziehen und die nötigen Reformen einzuleiten. Die Praxis zeigt: Alles dauert viel länger als geplant. Die politischen Eini- gungsprozesse innerhalb der Euro-Zone verbrauchen lähmend lange Jahre. Der (Be)-Reinigungsprozess unter den Geldhäusern findet allgemein nur schleppend, mancherorts gar nicht statt. Am allerschlimmsten: Das viele billige Geld ist für die Euro-Wackelkandidaten genau kein Anreiz, ihre Haushalte in Ordnung zu bringen. Wozu den Bürgern und Wählern Sparpro- gramme und Kürzungen der Sozialsysteme zumuten, wenn neue Schulden in den Budgets ohnehin günstig wie noch nie finanziert werden können?

16 In einem seltenen Anfall von Direktheit ließ sich Österreichs National- bank-Gouverneur Ewald Nowotny im vergangenen Jahr im ORF zu der Aus- sage hinreißen, dass die Europäische Zentralbank mit dem Beschluss für ihr „quantitive easing“-Programm „mehr oder weniger wohl das letzte Pul- ver verschossen“ habe. „Wir sollten sehr vorsichtig sein.“ Nowotny sollte wissen, wovon er spricht; wenn er nicht, wie zuletzt, turnusmäßig aus- setzen muss, ist der OeNB-General stimmberechtigtes Mitglied im EZB- Rat, im Erweiteren Rat, im Aufsichtsmechanismus der Bankenunion und im Risk Board. Er kennt alle Diskussionen und Argumentationslinien.

Denn das ist der Hauptkritik-Punkt an der Politik der EZB: Alle selbst ge- steckten Ziele ihrer Geldwirtschaft gehen nicht auf. Die Konjunktur im Euro-Raum kommt nicht auf Touren; die Arbeitslosenraten in einzelnen Mitgliedsländern bleiben auf einem unzumutbar hohen Niveau; der Euro verliert im Konzert der wichtigen Weltwährungen an Boden – gegenüber Dollar, britischem Pfund, Schweizer Franken und japanischem Yen je nach Kursverlauf und Schwankungsbreite innerhalb nur eines Jahres um bis zu 15 Prozent!

Das größte Übel: Das oberste EZB-Ziel, das Anheizen der Inflation auf einen Wert rund um die zwei Prozent, dieses oberste Ziel wird schon gar nicht erreicht. Wer sich die Mühe macht, sich durch unseren Tabellenteil auf den Seiten 19 und 21 zu ackern, wird feststellen, dass in der gesamten Euro-Zone im alten Jahr gerade einmal der Minimalwert von 0,1 Prozent erreicht wurde. Die Annahmen für die Jahre 2016 und 2017 sind, wohlge- merkt, Prognosen; optimistische noch dazu.

Hätten nicht die Lokomotive Deutschland und ausgerechnet Budgetsünder Frankreich die Es hätte bitter für Deflationslatte gerade noch übersprungen, es die EZB ausgesehen hätte bitter ausgesehen für die Strategie der Europäischen Zentralbank. Die Investitionstätigkeit der Unternehmen bleibt verhalten; viele Firmenchefs wollen nicht in eine abermals dro- hende Abschwungphase hinein investieren. Und der private Konsum stockt ebenfalls; warum soll ich mir heute eine größere Anschaffung leisten, wenn ich ohnehin die Hoffnung habe, dass die Ware im nächs- ten Jahr noch billiger wird? Genau diese Körpersprache verstrahlt die EZB.

17 Natürlich sind die Nationalbanker des Euro-Raumes nicht für alles ver- antwortlich zu machen. Wer konnte ahnen, dass Chinas Wirtschaft ins Stottern gerät, mit einem Wachstum von nur (!) noch über sechs Prozent froh sein wird, wenn ihr „eine sanfte Landung“ auf diesem Niveau gelingt. Wer konnte wissen, dass auch alle anderen Insassen der Boom-Zone der „BRIC-Staaten“ (Brasilien, Russland, Indien und eben China) ins Strau- cheln geraten; teils selbst verschuldet, durch hochriskante politische Abenteuer (Russland), zum anderen Teil, weil Hoffnungen und Erwartun- gen geweckt wurden, die die enormen sozialen Spannungen in bestimm- ten Regionen der Welt einfach ausblendeten (der Rest).

Und wer konnte sich zu Jahresbeginn 2015 schon ausmalen, dass Europa von einem Flüchtlingsstrom ungeahnten Ausmaßes getroffen würde; der verursacht natürlich zunächst einmal nicht kalkulierte Kosten. Schutz- suchende aus Syrien, dem Irak, Afghanistan und Pakistan unterzubringen, allen die jeweilige Landessprache beizubringen, ihnen Zugang zu Gesund- heits- und Sozialsystemen zu gewähren, sie mit den lokal notwendigen Skills und Fähigkeiten auszustatten, kostet im ersten Schwung natürlich einmal Geld. Erst wenn aus den Beitragsempfängern Beitragszahler geworden sind, die Perspektive Arbeit und Zukunft vorfinden, kann die Rechnung der „Willkommenskultur“ aufgehen – sie kann, muss aber nicht.

Das alles war selbstverständlich so nicht vor- Alle Prognosen über hersehbar, hat sämtliche Entwicklungsprogno- den Haufen geworfen sen der vergangenen Jahre über den Haufen geworfen. Aber es ist passiert – und trübt die Aussichten massiv. Der trotzige Ausspruch von Mario Draghi vom Novem- ber 2015, „wir werden alles Notwendige tun, um die Inflation so schnell wie möglich wieder zu erhöhen“ (copyright Bankenkongress Frankfurt, 20.11.2015), deutet eher schon auf leichte Ratlosigkeit auch beim EZB- Chef hin.

Andere Volkswirtschaften haben den Crash des Jahres 2008 besser ver- daut, kommen schneller aus dem Krisenmodus heraus. Die USA etwa, de- ren Modell der Geldschwemme Mario Draghi so gerne kopiert. Dort ist die Wirtschaft wieder recht stabil ins Laufen gekommen, sind die Arbeitslo- senzahlen wieder zurück gegangen, können es die Märkte gar nicht mehr

18 Verschuldung und die Kosten Land Bruttoinlandsprodukt Inflationsrate 2015 2016 2017 2015 2016 2017 Belgien 1,3 1,3 1,7 0,6 1,7 1,5 Deutschland 1,7 1,9 1,9 0,2 1 1,7 Estland 1,9 2,6 2,6 0,1 1,8 2,9 Irland 6 4,5 3,5 0,3 1,4 1,6 Griechenland -1,4 -1,3 2,7 -1 1 0,9 Spanien 3,1 2,7 2,4 -0,5 0,7 1,2 Frankreich 1,1 1,4 1,7 0,1 0,9 1,3 Italien 0,9 1,5 1,4 0,2 1 1,9 Zypern 1,2 1,4 2 -1,6 0,6 1,3 Lettland 2,4 3 3,3 0,2 1,4 2,1 Litauen 1,7 2,9 3,4 -0,8 0,6 2,2 Luxemburg 3,1 3,2 3 0,3 1,7 1,7 Malta 4,3 3,6 3,1 1,1 1,8 2,2 Niederlande 2 2,1 2,3 0,2 1,2 1,5 Österreich 0,6 1,5 1,4 0,9 1,8 2 Portugal 1,7 1,7 1,8 0,5 1,1 1,3 Slowenien 2,6 1,9 2,5 -0,6 0,8 1,4 Slowakei 3,2 2,9 3,3 -0,2 1 1,6 Finnland 0,3 0,7 1,1 -0,2 0,6 1,5 EURO-ZONE 1,6 1,8 1,9 0,1 1 1,6 Bulgarien 1,7 1,5 2 -0,8 0,7 1,1 Tschechien 4,3 2,2 2,7 0,4 1 1,6 Dänemark 1,6 2 1,8 0,4 1,5 1,9 Kroatien 1,1 1,4 1,7 -0,1 0,9 1,7 Ungarn 2,9 2,2 2,5 0,1 1,9 2,5 Polen 3,5 3,5 3,5 -0,6 1,4 1,9 Rumänien 3,5 4,1 3,6 -0,4 -0,3 2,3 Schweden 3 2,8 2,7 0,8 1,5 1,7 Großbrittanien 2,5 2,4 2,2 0,1 1,5 1,7 EU 28 1,9 2 2,1 0 1,1 1,6 USA 2,6 2,8 2,7 0,2 2,1 2,3 Japan 0,7 1,1 0,5 0,8 0,7 1,8 China 6,8 6,5 6,2 - - -

Legende: Die Werte für 2016 und 2017 sind Annahmen der EU-Kommission. Für die Jahreswerte 2015 lag bei der Herbstprognose der EU-Kommission Zahlen- und Ziffernmaterial bis einschließlich September 2015 vor. Quelle: EU-Kommission, Brüssel, basierendend auf aus den Mitgliedsländern überlieferte Daten.

19 Mario Draghi: Wenn der Chef etwas will, wird nicht einmal abgestimmt Foto: EZB erwarten, dass die Zinsen wieder und weiter anziehen. Was nur haben die USA besser gemacht? Was ist anders in Europa?

Die Fehlspekulation: Die Entscheidungsprozesse innerhalb der EU laufen schleppend. Draghi ist als ehemaliger Gouverneur der italienischen Zen- tralbank zwar durchaus europäische Verhältnisse gewohnt, hat als Ex-Vi- zepräsident von Goldman Sachs International mit Sitz in London aber auch andere Zeitabläufe verinnerlicht. Wenn zwei große Euro-Mitgliedsländer wie etwa Frankreich und Italien versprechen, ihre Haushalte „jetzt aber wirklich“ in Ordnung zu bringen, heißt das nicht, dass Paris und Rom so- fort zur Tat schreiten. „Italien muss jetzt in den fünften Gang schalten,“ sagte Ministerpräsident Matteo Renzi ziemlich genau vor einem Jahr in Florenz; auch Frankreichs Francoise Hollande erkannte, dass das „Anlei- heprogramm der EZB die Euro-Länder zu mutigeren Schritten verpflichtet“ – allein, geschehen ist nicht wirklich viel. Ganz im Gegenteil – die Geld- wächter in Frankfurt und auch in der Brüsseller Kommission sind drauf und dran, beiden Budgetsündern „wegen der Flüchtlingskrise“ neuerlich Reformaufschub zu gewährend.

Was bleibt übrig? Politisch das Faktum, dass die EZB (mit Zustimmung der meisten EU-Regierungschefs, weil die untereinander nicht in der Lage sind, Kompromisse zu finden), dass also die EZB macht, was sie will;

20 Prognose der EU-Kommission Land Arbeitslosenrate Budgetdefizit 2015 2016 2017 2015 2016 2017 Belgien 8,6 8,4 7,9 -2,7 -2,6 -2,3 Deutschland 4,7 4,9 5,2 0,9 0,5 0,4 Estland 6,5 6,5 7,6 0,2 0,2 0,1 Irland 9,5 8,7 7,9 -2,2 -1,5 -1,5 Griechenland 25,7 25,8 24,4 -4,6 -3,6 -2,2 Spanien 22,3 20,5 19 -4,7 -3,6 -2,6 Frankreich 10,4 10,4 10,2 -3,8 -3,4 -3,3 Italien 12,2 11,8 11,6 -2,6 -2,3 -1,6 Zypern 15,6 14,6 13,3 -0,7 0,1 0,3 Lettland 10,1 9,5 8,8 -1,5 -1,2 -1,1 Litauen 9,4 8,6 8,1 -1,1 -1,3 -0,4 Luxemburg 5,9 5,8 5,8 0 0,5 0,5 Malta 5,8 5,7 5,8 -1,7 -1,2 -1,1 Niederlande 6,9 6,6 6,3 -2,1 -1,5 -1,2 Österreich 6,1 6,1 6 -1,9 -1,6 -1,3 Portugal 12,6 11,7 10,8 -3 -2,9 -2,5 Slowenien 9,4 9,2 8,7 -2,9 -2,4 -2 Slowakei 11,6 10,5 9,6 -2,7 -2,4 -2 Finnland 9,6 9,5 9,4 -3,2 -2,7 -2,3 EURO-ZONE 11 10,6 10,3 -2 -1,8 -1,5 Bulgarien 10,1 9,4 8,8 -2,8 -2,7 -2,7 Tschechien 5,2 5 4,8 -1,9 -1,3 -1,1 Dänemark 6,1 5,8 5,5 -3,3 -2,5 -1,7 Kroatien 16,2 15,6 14,7 -4,9 -4,7 -4,1 Ungarn 7,1 6,7 6,2 -2,3 -2,1 -2 Polen 7,6 7,2 6,8 -2,8 -2,8 -2,8 Rumänien 6,7 6,6 6,5 -1,2 -2,8 -3,7 Schweden 7,7 7,7 7,4 -1,4 -1,3 -1,2 Großbrittanien 5,4 5,4 5,5 -4,4 -3 -1,9 EU 28 9,5 9,2 8,9 -2,5 -2 -1,6 USA 5,3 4,8 4,6 -4 -3,5 -3,2 Japan 3,4 3,3 3,3 -6,6 -5,7 -5,1 China ------

Legende: Die Werte für 2016 und 2017 sind Annahmen der EU-Kommission. Für die Jahreswerte 2015 lag bei der Herbstprognose der EU-Kommission Zahlen- und Ziffernmaterial bis einschließlich September 2015 vor. Quelle: EU-Kommission, Brüssel, basierendend auf aus den Mitgliedsländern überlieferte Daten.

21 schlimmer, Mario Draghi macht was er will. Über „quantitive easing“ wurde im EZB-Rat nicht einmal abgestimmt.

Rechnerisch bleibt übrig der Umstand, dass alle ordentlich wirtschaften- den Euro-Mitgliedsländer für die unaufgeräumten Haushalte der Bud- getsünder gerade stehen und zahlen. Das ist zwar seit Griechenland nichts wirklich Neues, in dieser Dimension aber bisher unerreicht. Jens Weid- mann, der Chef der störrischen Deutschen Bundesbank, ließ es sich nicht nehmen, auf die realen Auswirkungen des aktuellen EZB-Kurses hinzu- weisen: „Fakt ist, dass mit dem neuen Programm die Notenbanken im EZB-System zu den größten Gläubigern der Euro-Staaten werden. Das birgt das Risiko, dass solides Haushalten vernachlässigt wird". Vereinfacht gesagt: Wenn ohnehin jeder Regierung bewusst ist, dass sie jederzeit die eigene (oder auch benachbarte) Gelddruckmaschine anwerfen kann, was bringt die Damen und Herren Minister und Ministerpräsidenten dazu, sorg- sam mit den Geldern ihrer Steuerzahler umzugehen?

Für die Bürger bleibt die triste Erkenntnis, dass Inflation und Steuer Sparen sich eigentlich nicht lohnt. Das Plus auf fressen Kapitalertrag dem Girokonto war sicherlich noch nie ein Zin- senbringer; aber dass auch Sparbuch-Besitzer und Bausparer durchgehend still enteignet werden, ist in dieser Dimension neu. Die Rechnung ist leider einfach: Inflation plus Kapitalertragsteuern fressen Kapitalertrag komplett; am Ende bleibt weniger übrig, als einge- zahlt wurde – ein Umstand, der nun schon das dritte Jahr in Folge anhält. Dass nach wie vor eine Mehrheit an Sparbuch und Bausparvertrag fest- hält, spricht für die Leidensfähigkeit der Bevölkerung.

Zu Ertrag kommt nur, wer Risiko eingeht – aber das kann nicht das Ge- schäftsmodell einer Geldwirtschaft sein, das für die breite Masse ausge- legt sein sollte. Weder Oma und Opa noch Mutti und Vati sind in der Lage, sich permanent darum zu kümmern, wo ihr mühsam Erspartes zumindest nicht weniger wird. Sie hätten andere Sorgen: unsichere Arbeitsplätze, niedrige Lohnerhöhungen, Angst vor Abstieg und Wohlstandsverlust. Das sollte reichen. Mehr sollte den Bevölkerungen wirklich nicht zugemutet werden.

Das ist die Schieflage des Systems. Sie bleibt erhalten.

22 Steuern, Abgaben und Co: Ziemlich viel ist neu ab 2016 von Mag. Bernadette Ritter

Die gute Nachricht zuerst: Vielen Österreichern wird im kommenden Jahr „mehr im Börserl“ bleiben. Über die Senkung der Lohnsteuer rechnet man im Schnitt mit einer Ersparnis von 1000 Euro pro Person pro Jahr. Auch die Erhöhung der Pensionen um 1,2 Prozent im kommenden Jahr steht fest; verschwindend gering, aber immerhin.

Die schlechte Nachricht, speziell für Bezieher höherer Einkommen: Die Höchstbeitragsgrundlage zur Sozialversicherung steigt. Bitte lesen Sie genau: Bei derart vielen Änderungen wie heuer – Sie sind sicherlich da- von betroffen.

Auch an Kapitalertragsteuer ist künftig mehr an den Fiskus zu bezah- len. Das „Bummerl“ haben aber all jene, die schenken, vererben oder verkaufen. Denn die Änderung der Grunderwerbssteuer-Tarife macht das ab heuer für die Österreicher in den meisten Fällen richtig teuer. Auch sonst gibt es sehr viel Neues. „ECO“ hat die wichtigsten Punkte zusammengetragen.

Steuerreform Mit 1. 1. 2016 haben sich die Tarifstufen geändert. Für ein Einkommen bis 11.000 Euro pro Jahr sind keine Steuern zu bezahlen. Für Einkommen ab 11.000 Euro pro Jahr gibt es ab der Veranlagung für das Jahr 2016 sechs verschiedene Tarifstufen: ‡Über 11.000 Euro bis 18.000 Euro pro Jahr sind 25 Prozent an Lohn- bzw. Einkommensteuer zu zahlen. ‡Über 18.000 Euro bis 31.000 Euro pro Jahr sind 35 Prozent abzuliefern ‡Über 31.000 Euro bis 60.000 Euro pro Jahr wird mit 42 Prozent besteuert. ‡Bei über 60.000 Euro bis 90.000 Euro pro Jahr und Einkommen müssen 48 Prozent an den Fiskus bezahlt werden ‡Bei einem Jahreseinkommen von über 90.000 Euro bis eine Million Euro pro Jahr gilt ein Satz von 50 Prozent.

23 ‡Ein echter „Spitzensteuersatz“ von 55 Prozent für Einkommensteile ab einer Million Euro Jahresbezug kommt, angeblich zeitlich befristet, für die Jahre 2016 bis 2020 zur Anwendung. Wer die österreichische Innen- politik kennt, sollte nicht wirklich an eine Befristung glauben.

Weitere Entlastungen ‡Erhöhung der allgemeinen Absetzbeträge für Arbeitnehmer von derzeit 345 Euro um 55 Euro auf 400 Euro. ‡Erhöhung des Kinderfreibetrages von 220 Euro auf 440 Euro pro Kind. Wird der Kinderfreibetrag von beiden Elternteilen in Anspruch genom- men, beträgt er künftig 300 Euro pro Person. ‡Kleinverdiener, die gar keine Lohnsteuer zahlen, erhalten 50 Prozent der Sozialversicherungsbeiträge bis maximal 400 Euro rückerstattet (als Äquivalent für die bisherige Negativsteuer von bis zu 110 Euro). ‡Bei Steuerpflichtigen mit Anspruch auf die Pendlerpauschale erhöht sich die SV-Rückerstattung auf höchstens 500 Euro. Die Erstattung wird künftig auch Pensionisten zustehen; hier ist sie aber mit maximal 110 Euro begrenzt.

Steuerbefreiungen Einige Änderungen gibt es auch bei den Steuerbefreiungen: ‡Die Steuerbefreiungen für den „Haustrunk im Brauereigewerbe“ sowie für Beförderungsunternehmen (z. B. ÖBB) entfallen. ‡Zuwendungen des Arbeitgebers für das Begräbnis eines Dienstneh- mers, dessen Ehepartner oder Kinder, werden steuerfrei gestellt. ‡Die Gewährung von Rabatten an Mitarbeiter hat bei Lohnsteuerprüfun- gen häufig zu Problemen geführt. Künftig sind derartige Mitarbeiter- rabatte nur noch bis zu 20 Prozent steuerfrei. Voraussetzung ist, dass diese Rabatte „allen Mitarbeitern“ oder „bestimmten Gruppen von Mitarbeitern“ eingeräumt werden. Mitarbeiterrabatte über 20 Prozent bleiben nur dann steuerfrei, wenn sie insgesamt nicht mehr als 1000 Euro pro Jahr und Mitarbeiter betragen. ‡Anlässlich eines Firmen- oder Dienstjubiläums können Mitarbeiter „Sachgeschenke“ bis zu einem Wert von 186 Euro steuerfrei erhalten. Im Gegenzug dafür wird die begünstigte Besteuerung für Diensterfin- dungsprämien gestrichen. ‡Der Freibetrag für Mitarbeiterbeteiligungen wird von 1460 Euro auf 3000 Euro angehoben.

24 Sachbezugsbesteuerung Auch die Sachbezugsbesteuerung „für die kostenlose oder vergünstige Privatnutzung eines Dienstautos“ wurde in wesentlichen Punkten geän- dert. Der Sachbezug für Dienstautos mit einem CO2-Ausstoß von mehr als 130g/km beträgt ab 2016 zwei Prozent der Anschaffungskosten, maxi- mal 960 Euro pro Monat. Der maßgebliche CO2-Emmissionswert für den verringerten Sachbezug von 1,5 Prozent verringert sich von 2017 bis zum Jahr 2020 um voraussichtlich jährlich drei Gramm. Maßgebend für die Einstufung ist das Jahr der Anschaffung.

Elektroauto Neue „Steuerzuckerl“ gibt es seit heuer für Elektroautos: Für Autos mit ei- nem CO2-Wert von Null muss nämlich kein Sachbezug versteuert werden. Weiters können Unternehmen für Elektroautos bis zu einem Kaufpreis von 80.000 Euro einen Vorsteuerabzug geltend machen.

Kapitalertragsteuer Für alle Einkünfte aus Kapitalvermögen wird der Steuersatz ab dem Jahr 2016 auf 27,5 Prozent angehoben (bisher 25 Prozent). Der Steuersatz von 25 Prozent kommt nur noch für Kapitalerträge aus Geldeinlagen zur An- wendung – darunter fallen Sparbuchzinsen und „nicht verbriefte sonstige Forderungen“ bei Kreditinstituten. Ganz schön happig.

Änderungen für Immobilienbesitzer Die Immobilienertragsteuer wird auf 30 Prozent erhöht. Der zweiprozen- tige Inflationsabschlag, der bei der Veräußerung ab dem elften Besitzjahr geltend gemacht werden konnte, soll entfallen. Verbleibt im Privatbereich per Saldo ein Verlust aus der Veräußerung von Grundstücken, kann die- ser Verlust zu 60 Prozent (bisher 50 Prozent) künftig nicht nur im Entste- hungsjahr mit Einkünften aus Vermietung ausgeglichen, sondern auch über 15 Jahre verteilt werden.

Der Abschreibungssatz für Betriebsgebäude wird einheitlich 2,5 Prozent betragen (wirksam für „Wirtschaftsjahre“, die ab dem 1. 1. 2016 begin- nen). Bestehende Gebäudeabschreibungen sind anzupassen. Bei Vermie- tung zu Wohnzwecken soll aber auch im betrieblichen Bereich nur ein AfA-Satz von 1,5 Prozent (der auch weiterhin bei privaten Vermietung- seinkünften anzusetzen ist) zur Anwendung kommen.

25 Der „Verteilzeitraum“ für Instandsetzungsaufwendungen (bzw. bei Option für Instandhaltungsaufwendungen) für Wohngebäude wird von 10 auf 15 Jahre verlängert. Für bereits in der Vergangenheit getätigte Instandset- zungsaufwendungen verlängert sich der „Verteilzeitraum“ entsprechend: das ergibt Spielraum für die steuerliche Gestaltung.

Als (nicht abschreibbarer) Grundwert sind ab 2016 ohne Nachweis 40 Prozent (bisher 20 Prozent) der Anschaffungskosten bei der privaten Vermietung auszuscheiden. Dies soll nur dann nicht gelten, wenn die „tat- sächlichen Verhältnisse offenkundig erheblich abweichen“.

Registrierkassenpflicht Der Kassenschlager der politischen Debatten des alten Jahres. Eine „Re- gistrierkassenpflicht“ gilt ab 1. 1. 2016. Im Zuge der Steuerreform wurde die Registrierkassenpflicht für Unternehmen, die mehr als 15.000 Euro/ Jahr umsetzen und davon mehr als 7500 Euro Barumsätze tätigen, be- schlossen. Das bedeutet, dass jedes betroffene Unternehmen eine elek- tronische Registrierkasse verwenden muss. Alle Daten müssen in einem elektronischen Journal gespeichert werden. Zusätzlich muss jede Regis- trierkasse ab 1. 1. 2017 mit einem Manipulationsschutz versehen werden. Bei jeder Barzahlung muss verpflichtend ein elektronisch signierter Beleg ausgestellt werden.

Die Ausnahme auf Basis der „Kalte-Hände-Regelung“ (z. B. Maronibra- ter, Schneebar, Eisverkäufer) bleibt erhalten, gilt aber nur noch bis zu ei- nem Jahresumsatz von maximal 30.000 Euro. Mobile Gruppen, die nicht unter die „Kalte-Hände-Regelung“ (z. B. Masseure, Friseure, Schneider, Tierärzte) fallen, können ihre mobilen Umsätze händisch aufzeichnen und im Nachhinein in einer Registrierkasse am Betriebsort erfassen.

Entbehrliche Hilfsbetriebe von gemeinnützigen, mildtätigen und kirchlichen Vereinen (z. B. für kleine Vereinsfeste) sollen weiter „mit Kassensturz“ aufzeichnen können. Für Warenausgabe- und Dienstleistungsautomaten sind ebenfalls Erleichterungen vorgesehen. Für die vielfach erforderliche Anschaffung einer Registrierkasse bzw. eines elektronischen Kassensys- tems sollen die betroffenen Unternehmer steuerlich unterstützt werden: Anschaffungskosten von bis zu 2000 Euro sollen sofort abgesetzt werden können (vorzeitige Abschreibung); zudem soll eine (steuerfreie) Prämie

26 von 200 Euro pro Kassensystem, maximal aber 30 Euro pro Erfassung- seinheit, die Kostenbelastung aus der Anschaffung mildern. Bei Vorliegen einer Einzelaufzeichnungspflicht wird zudem eine generelle Beleg-Ertei- lungsverpflichtung geschaffen. Danach sind dem Kunden Belege mit be- stimmten Mindestinhalten verpflichtend auszufolgen. Dies erleichtert die Überprüfbarkeit der einzelnen Geschäftsvorfälle erheblich und reduziert zudem das Risiko von Manipulationen der Aufzeichnungen.

Online-Registrierkasse Zwei Jungunternehmerinnen aus Linz haben sich entschieden, eine kostenlose Online-Registrierkasse anzubieten. Alle Rechnungslegungs- vorschriften werden dabei erfüllt. Das Paket umfasst eine Online-Rech- nungsvorlage, ein Online-Rechnungstool mit integrierter Kundendaten- bank, sowie die Dokumentation der Rechnungen und Umsatzstatistiken. Der User benötigt dann nur einen Computer oder ein Tablet als Eingabe- gerät, einen (Bon-)Drucker und eine Internetverbindung. Optional wird es auch den Drucker geben, der als Bon-Drucker mit dem System gemeinsam genutzt werden kann. Weitere Informationen und Fragen zum Angebot werden auf www.kostenlose-registrierkasse.at beantwortet.

Grunderwerbsteuer Besonders happig: Die Grunderwerbsteuer bei „unentgeltlichen Übertra- gungen“ (also meistens beim Schenken oder Vererben). Die Berechnung der Grunderwerbsteuer (GrESt) wird bei unentgeltlichen Übertragungen künftig vom so genannten Grundstückswert erfolgen. Der Grundstücks- wert ist entweder aus einem geeigneten Immobilienpreisspiegel abzulei- ten oder auf Basis des dreifachen Bodenwerts zuzüglich des Wertes des Gebäudes zu berechnen. Wird durch ein Gutachten ein niedrigerer gemei- ner Wert nachgewiesen, kann dieser angesetzt werden.

Bei allen unentgeltlichen Übertragungen kommt der folgende Stufentarif zur Anwendung:

Grundstückswert in Euro Steuersatz bis 250.000 0,5 Prozent für die nächsten 150.000 2,0 Prozent darüber hinaus 3,5 Prozent

27 Neu ist, dass diese Regelung nicht nur auf unentgeltliche Übertragungen im engeren Familienverband anzuwenden ist, sondern ganz allgemein für alle unentgeltlichen Übertragungen gilt, somit z. B. auch für Zuwendungen von Grundstücken an Privatstiftungen oder Schenkungen an fremde Dritte.

Unentgeltliche Übertragungen zwischen denselben natürlichen Personen in- nerhalb von fünf Jahren werden zusammengerechnet, damit der Stufentarif durch Aufsplittung von Übertragungen nicht mehrfach angewendet werden kann. Die Grunderwerbsteuer kann auf Antrag auf zwei bis fünf Jahre ver- teilt bezahlt werden (mit Zuschlägen von vier bis zehn Prozent). Eine Zusam- menrechnung innerhalb der Fünfjahresfrist erfolgt auch, wenn eine Person von zwei oder mehreren Personen eine wirtschaftliche Einheit erwirbt.

Geregelt wird auch, wie vorzugehen ist, wenn in Zusammenhang mit der unentgeltlichen Übertragung Schulden übernommen werden. Betragen die übernommenen Schulden oder Belastungen bis zu 30 Prozent des Grund- stückswerts, ist der Vorgang als unentgeltlich zu behandeln und die Be- lastungen spielen keine Rolle bei der Berechnung der Grunderwerbsteuer. Betragen die übernommenen Belastungen hingegen zumindest 70 Pro- zent des Grundstückswertes, liegt ein entgeltlicher Vorgang vor, und die Grunderwerbsteuer wird mit 3,5 Prozent der übernommenen Belastun- gen festgesetzt. Liegen die Werte zwischen 30 Prozent und 70 Prozent, ist der Vorgang in einen entgeltlichen Teil und einen unentgeltlichen Teil (zum Stufentarif) aufzuteilen.

Erhöhung des Umsatzsteuersatzes Lieferungen, sonstige Leistungen und Einfuhren, die bisher dem ermäßig- ten Steuersatz von 10 Prozent unterlagen, werden seit Jahresbeginn mit 13 Prozent besteuert. Darunter fallen z. B. die Lieferung und Einfuhr von lebenden Tieren, Pflanzen, Futtermitteln, Holz, Kunstgegenständen wie etwa Gemälde, mehr als 100 Jahre alte Antiquitäten, die Beherbergung in eingerichteten Wohn- und Schlafräumen (Ausnahme: Studenten-, Lehr- lings- und Schülerheime), Umsätze in Verbindung mit dem Betrieb von Schwimmbädern, Theatern, zoologischen Gärten und Naturparks sowie Filmvorführungen und die Umsätze der Künstler.

Ein mit der Beherbergung verabreichtes „ortsübliches Frühstück“ wird weiterhin dem Umsatzsteuersatz von 10 Prozent unterliegen. Der bisher

28 dem ermäßigten Steuersatz von 12 Prozent unterliegende Ab-Hof-Verkauf von Wein beispielsweise wird ebenfalls in den ermäßigten Steuersatz von 13 Prozent überführt. Die Erhöhung des Umsatzsteuersatzes für Beherber- gung und kulturelle Veranstaltungen tritt mit 1. 5. 2016 in Kraft.

Pensionen Pensionisten wird 2016 mehr in der Geldbörse bleiben. Bezieher von Pensionen ab rund 1300 Euro, die Steuer gezahlt haben, profitieren wie Arbeitnehmer von der Steuerreform. Pensionisten, die wegen ihrer niedri- gen Pension keine Steuer gezahlt haben, profitieren rückwirkend für 2015 erstmals von einer Gutschrift, einer Art Negativsteuer.

Pensionserhöhungen Die Anhebung der Pensionen bleibt ebenso mager wir im letzten Jahr. Waren es im letzten Jahr noch 1,7 Prozent so beträgt die heurige Pen- sionserhöhung nur 1,2 Prozent. Einzige Einschränkung: Wer erst 2015 in Pension gegangen ist, profitiert noch nicht von dieser Erhöhung.

Pensionskonto Heuer bekommen auch jene Versicherten die „endgültige Kontoerst- gutschrift“, die 2014 durch nicht vollständige Daten „erst vorläufig“ be- rechnet wurden (d. h. Versicherte, die ihre fehlenden Daten geschickt haben bzw. noch laufend schicken). Aktuell sind noch rund eine Million vorläufige Kontoerstgutschriften offen.

Invaliditätspension Hier gibt es nur marginale Änderungen. Seit 2014 bekommen Personen ab dem Jahrgang 1964 keine befristete Invaliditätspension mehr. Statt- dessen gibt es Rehabilitations- und Umschulungsgeld. Kommt es zu einer Berufsunfähigkeit von mindestens sechs Monaten, sind nun AMS und der zuständige Krankenversicherungsträger für Umschulungen und Rehabi- litation zuständig.

Korridorpension Der Zugang zur Korridorpension wird weiter erschwert. Der Anspruch besteht derzeit für Männer, die das 62. Lebensjahr vollendet und die erforderliche Anzahl an Versicherungsmonaten erworben haben (siehe Tabelle Seite 30).

29 Während letztes Jahr noch 39 Versicherungsjahre notwendig waren, um die Korridorpension in Anspruch nehmen zu können, gelten ab heuer 39,5 Jahre. Für Frauen kommt eine Korridorpension erst ab dem Jahr 2028 in Betracht.

Stichtag im Jahr Versicherungsmonate 2012 450 Monate (37,5 Jahre) 2013 456 Monate (38 Jahre) 2014 462 Monate (38,5 Jahre) 2015 468 Monate (39 Jahre) 2016 474 Monate (39,5 Jahre) 2017 480 Monate (40 Jahre)

Erweiterung Arbeitsteilzeit – Teilpension Die neue Teilpension funktioniert ähnlich wie die bisherige Altersteilzeit. Laut Arbeitslosenversicherungsgesetz werden Personen ab 62 Jahren mit mehr als 39,5 Versicherungsjahren die Möglichkeit haben, ihre Arbeitszeit mit Anspruch auf einen teilweisen Lohnausgleich um 40 bis 60 Prozent zu reduzieren.

Der Arbeitnehmer vereinbart mit dem Arbeitgeber die Arbeitszeitreduktion. Jedoch sinkt das Gehalt im Gegensatz zur Arbeitszeit nur halb so stark. Zum Beispiel senkt ein Arbeitnehmer seine Arbeitszeit auf 50 Prozent, bekommt aber 75 Prozent seines Gehalts. Wenn ein Arbeitnehmer seine Arbeitszeit auf 60 Prozent reduziert, bekommt er 80 Prozent seines Gehalts.

Dem Arbeitgeber wird die Differenz zwischen der Gehaltszahlung und der Arbeitszeit vom Staat als „Bonus“ gutgeschrieben. Aufgrund geltender Übergangsbestimmungen ist die Teilpension jedoch im Moment nur auf Männer anwendbar.

Höchstbemessungsgrundlage für Arbeitslosengeld Ab 1. Jänner 2016 beträgt die Höchstbemessungsgrundlage für Arbeits- losengeld 4440 Euro.

Höhe der Auflösungsabgabe Ab 1. Jänner 2016 beträgt die bei Auflösung eines arbeitslosenversi- cherungspflichtigen Dienstverhältnisses vom Arbeitgeber zu leistende

30 Auflösungsabgabe 121 Euro. Beim „Arbeitsmarktgipfel“ der Regierung im November wurde vereinbart, bei gekündigten Arbeitnehmern 50 plus diese Auflösungsabgabe darüber hinaus zu verdoppeln.

Arbeitslosenversicherungsbetrag für Lehrlinge Ab 1. Jänner 2016 wird für Lehrlinge ein einheitlicher Beitragssatz in der Arbeitslosenversicherung von 2,4 Prozent eingeführt, der über die ge- samte Laufzeit eines Lehrverhältnisses gilt. Dieser Beitragssatz verringert sich bei geringeren Einkommen.

Zuschläge/Abschläge Wer vor dem gesetzlich vorgeschriebenen Alter in Pension gehen möchte – das heißt 65 Jahre bei Männern und 60 Jahre bei Frauen – bekommt 5,1 Prozent pro Jahr weniger an Pension. Bei Inanspruchnahme der Pen- sion zum Regelpensionsalter und, wenn weiter gearbeitet wird, gibt es Zuschläge von 4,2 Prozent.

Ausgleichszulagen/Mindestpension Ebenfalls erhöht wird der Richtsatz für die Ausgleichszulagen, de facto ist das eine Mindestpension. Die Ausgleichszulage macht 2016 monatlich 882,78 Euro brutto aus; für Ehepaare sind es 1323,58 Euro brutto im Monat.

Hacklerpension Das reale Pensionsantrittsalter soll weiter „schrittweise angehoben“ wer- den. 2016 müssen Männer ab dem Jahrgang 1954 45 Beitragsjahre und das 62. Lebensjahr vollendet haben, um abschlagsfrei in den Ruhestand treten zu können.

Bei den Damen kommt es auf den Jahrgang an; bei weiblichen Versicher- ten steigen das Antrittsalter bzw. die erforderlichen Beitragsmonate ab dem Jahrgang 1959. 1959 Geborene benötigen 42 Beitragsjahre; 1960 Geborene 43 Beitragsjahre, um die Langzeitversichertenpension in An- spruch nehmen zu können. Diese Damen könnten somit erst 2018 in die Hacklerpension gehen.

Erhöhung der Höchstbeitragsgrundlagen Die Höchstbemessungsgrundlagen für die Sozialversicherungen werden weiter hinaufgesetzt. Musste man 2015 für ein monatliches Einkommen

31 bis zu 4650 Euro Sozialversicherung zahlen, so sind es ab Jänner 2016 4860 Euro.

Erhöhung der Geringfügigkeitsgrenze Die Geringfügigkeitsgrenze wird von monatlich 405,98 Euro auf 415,72 Euro erhöht.

Pflegegeld Im Jahr 2016 werden alle Pflegegeldstufen um zwei Prozent erhöht. Die Neuberechnung ergibt nun folgende Zuschüsse zu den Pflegestufen:

Stufe monatliche Höhe des monatliche Höhe des Pflegegeldes bis 2015 Pflegegeldes ab 2016 1 EURO 154,20 EURO 157,30 2 EURO 284,30 EURO 290,00 3 EURO 442,90 EURO 451,80 4 EURO 664,30 EURO 677,60 5 EURO 902,30 EURO 920,30 6 EURO 1.260,00 EURO 1.285,20 7 EURO 1.655,80 EURO 1.688,90

Für die Erteilung der Pflegestufe 1 muss ein Pflegebedarf von 65 Stunden nachgewiesen werden; bei Pflegestufe 2 muss ein Bedarf von 95 Stunden pro Monat nachgewiesen werden.

Rezeptgebühr Die Rezeptgebühr wird von 5,55 auf 5,70 Euro steigen. Im „geraden Jahr“ 2016 benötigt man keine Fünf-Cent-Stücke mehr.

Familienbeihilfe Die Familienbeihilfe, Geschwisterstaffel und die erhöhte Familienbeihilfe für erheblich behinderte Kinder sind seit Jahresbeginn um 1,9 Prozent erhöht.

Entlastung von Selbstständigen Die im gewerblichen Sozialversicherungsgesetz (GSVG) vorgesehenen Mindestbeitragsgrundlagen werden mit Jänner 2016 auf das Niveau der Geringfügigkeitsgrenze nach dem ASVG gesenkt. Die Geringfügig- keitsgrenze beträgt 415,72 Euro. Durch diese Neuregelung werden

32 GSVG-versicherte Selbständige, die bei einem niedrigen Einkommen keine Einkommensteuer zahlen, entlastet.

Absetz- und Freibeträge 2016 Steuerpflichtige haben unter bestimmten Voraussetzungen die Möglich- keit, ihre steuerliche Bemessungsgrundlage um so genannte Absetz- und Freibeträge zu mindern. Die Steuerreform sieht ab dem heurigen Jahr einige Anpassungen vor.

‡Alleinverdiener- bzw. Alleinerzieherabsetzbetrag Der Alleinverdiener- bzw. Alleinerzieherabsetzbetrag ist im Falle einer negativen Steuerberechnung, begrenzt mit dem negativen Steuerbe- trag, weiterhin rückzuerstatten. Ergibt sich bei Steuerpflichtigen, die Anspruch auf den Verkehrsabsetzbetrag haben, eine Einkommensteuer unter null, erfolgt nun eine Rückerstattung in Höhe von 50 Prozent (bis- her 10 Prozent) von Pflichtbeiträgen zu gesetzlichen Interessenvertre- tungen sowie von vom Arbeitnehmer entrichteten gesetzlichen. Die Rückerstattung ist jedoch mit maximal 400 Euro pro Jahr begrenzt. Bei Steuerpflichtigen mit Anspruch auf Pendlerpauschale können höchs- tens 500 Euro rückerstattet werden.

‡Sonderausgaben Die Topf-Sonderausgaben (für Versicherungen, Wohnraumschaf- fung und -sanierung) werden abgeschafft und laufen 2020 endgültig aus. Eine Absetzbarkeit bis 2020 ist jedoch noch möglich, wenn der Vertragsabschluss beziehungsweise der tatsächliche Baubeginn zum Beispiel eines Eigenheimes vor dem 1. 1. 2016 liegt. So können zum Bei- spiel Ausgaben für die Schaffung von begünstigtem Wohnraum oder die Sanierung von Wohnraum noch bis zum Jahr 2020 geltend gemacht werden, sofern der der Zahlung unterliegende Vertrag vor dem 1. 1. 2016 abgeschlossen worden ist. Die Sonderausgabenpauschale von 60 Euro läuft ebenfalls mit Jahresende 2020 aus.

Der Arbeitnehmerabsetzbetrag und der Grenzgängerabsetzbetrag wer- den zum sogenannten Verkehrsabsetzbetrag in Höhe von 400 Euro zusammengefasst. Geringverdienende Pendler erhalten zudem einen so genannten Pendlerzuschlag. Der Pendlerzuschlag ersetzt den Pend- lerausgleichsbetrag. Besteht Anspruch auf Pendlerpauschale und liegt

33 das Einkommen unter 12.200 Euro jährlich, erhöht sich der Verkehrsab- setzbetrag auf 690 Euro. Der erhöhte Verkehrsabsetzbetrag vermindert sich zwischen Einkommen von 12.200 und 13.000 Euro gleichmäßig einschleifend auf 400 Euro.

Während im vergangenen Jahr noch Sonderausgaben im Zuge der Steuererklärung dem Finanzamt bekannt gegeben werden mussten, um absetzbar zu werden,, sind ab 1. 1. 2016 Spenden, Kirchenbeiträge und Beiträge für die freiwillige Weiterversicherung und den Nachkauf von Versicherungszeiten automatisch im Rahmen der Veranlagung berücksichtigt.

‡Gesellschaftssteuer Die Gesellschaftssteuer wird abgeschafft.

‡Gerichtsgebührengesetz Es kommt zu einer Neuregelung der Gerichtsgebühren für Rechtsmittel „außerhalb von streitigen Verfahren“. Mit der Novelle sollen die Ge- richtsgebühren für Rechtsmittelverfahren generell neu geregelt werden. Damit soll es zu einer Senkung der Gebühren kommen, wenn Betroffene u. a. in Exekutions- oder Insolvenzverfahren sowie bei Unterhalts- und Pflegschaftssachen ein Rechtsmittel einlegen.

‡Exekutionsverfahren Im Exekutionsverfahren wird künftig statt des gesamten Anspruchs, der mit Hilfe des Verfahrens durchgesetzt werden soll, das meist niedrigere Rechtsmittelinteresse verwendet werden.

‡Insolvenzverfahren Bei bestimmten Insolvenzverfahren wird für Verfahren in zweiter und dritter Instanz eine Fixgebühr geschaffen, die unabhängig vom Streit- wert ist. So kosten Insolvenzverfahren zweiter Instanz künftig nie mehr als 846 Euro.

‡Unterhalts- und Pflegschaftssachen Auch bei Unterhalts- und Pflegschaftssachen soll es eine streitwertun- abhängige Fixgebühr für Verfahren in zweiter und dritter Instanz ge- ben. Ein Rekurs gegen eine Unterhaltsentscheidung kostet so künftig

34 Wer genau hinsieht, kann sich auch im Jahr 2016 einiges an Steuern sparen Foto: EZB

nie mehr als 27,40 Euro. Minderjährige sind weiterhin generell von der Gebühr befreit. Das ist gegenüber der bisherigen Abgabenverordnung eine wirkliche Verbesserung.

‡Senkung der Gerichtsgebühren für Firmenbuch-Abfragen Auch die Gebühren für Firmenbuch-Abfragen sollen aufgrund der Vor- gaben einer EU-Richtlinie reduziert werden. Die Suche im Firmenbuch nach Firmen, Veränderungen oder Urkunden soll künftig kostenfrei sein. So wird auch kleineren Unternehmen der Zugang zu Basisdaten im Fir- menbuch erleichtert.

‡Selbstversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes Ab 1. 1. 2016 ist – wie bei der Selbstversicherung für pflegende An- gehörige – die überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft für die Pflege Voraussetzung (dadurch ist Teilzeitarbeit möglich). Bisher durfte keine Erwerbstätigkeit ausgeübt werden. Die monatliche Beitragsgrundlage wird in Etappen an jene der Selbst- versicherung für pflegende Angehörige angehoben. 2016 beträgt die monatliche Beitragsgrundlage 1323 Euro.

35 Große Worte – gelassen ausgesprochen gesammelt von Günther Kogler

„Wenn man Innenminister war, hat man keine Angst mehr.“ Ex-Ressortchef Franz Löschnak (SPÖ) hat Tipps für Nachfolgerin Johanna Mikl-Leitner.

„Vor der ganzen Bundespolitik habe ich mittlerweile Angst.“ Der Eugendorfer Bürgermeister Johann Strasser (ÖVP) zur Asylpolitik in Wien.

„Ich will nicht das G’scheiterl aus dem Westen sein.“ Salzburgs LH Wilfried Haslauer (ÖVP) glaubt zwar zu wissen, wieviele Flüchtlinge Österreich aufnehmen kann, will es aber nicht sagen.

„Wäre ich Kanzler, würde ich seit Jahren bei jedem EU-Gipfel mit dem Schuh auf den Tisch hauen und nicht mehr aufstehen, bis es eine gemeinsame Lösung gibt.“ Asylproblem EU-weit gelöst – wenn es nach NEOS-Chef Matthias Strolz ginge.

„Migrant sein allein ist kein Programm.“ Alev Korun, türkisch stämmige Abgeordnete der Wiener Grünen, stemmt sich gegen eine eigene Türken-Partei bei der Wien-Wahl.

„Wirklich darauf zu schauen, dass man Diebsgut findet. Sozusagen: Kofferraum auf, Kofferraum zu.“ Einfach erklärt: Burgenlands neuer Vize-LH Johann Tschürtz (FPÖ) und die von ihm geforderten „indirekten Grenzkontrollen“.

„Politik kann manchmal unglaublich dumm sein.“ Was sich viele Bürger oft schon gedacht haben – und Erhard Busek im Originalton.

36 Die Goldgrube versiegt Rückzug aus dem Osten von Katinka Nowotny

Viele Jahre waren die Märkte in Mittel- und Osteuropa eine Goldgrube für Österreichs Großbanken. Doch die Risiken erwiesen sich größer als gedacht. Die Hypo Alpe Adria und die ÖVAG erlitten Schiffbruch; und im- mer mehr Länder bereiten auch der Erste Group, Raiffeisen und der Bank Austria Verluste. Die Institute ziehen sich zurück; nicht unbedingt zum Missfallen der Bankenaufseher.

Es ist mehr als 40 Jahre her, dass die Creditanstalt ihre erste Filiale im Nachbarland Ungarn eröffnet hat. Der Schritt in ein Ostblockland, als vom Zusammenbruch des Kommunismus noch niemand zu träumen wagte, war 1975 eine Pionierleistung, die Österreichs Bankenlandschaft nach und nach veränderte. 1987, bereits unter Michail Gorbatschows Peres- troika, folgten Repräsentanzen in Prag und Moskau und ein Jahr spä- ter in Ost-Berlin. Nach dem Fall der Berliner Mauer im November 1989 gründete die CA, die damals mehr denn je als „monetäre Visitenkarte“ Österreichs galt, Tochterbanken in zahlreichen mittel- und osteuropäi- schen Ländern. Sie wurden der Kern des Ost-Netzwerks der Bank Aus- tria – die später freilich von der italienischen „Unicredit“ übernommen wurde.

Raiffeisen, zunächst über die Zentralbank, dann über Raiffeisen Inter- national (RBI), folgte mit Gründungen in Ungarn, Polen, Slowakei, der Tschechischen Republik, Bulgarien, Kroatien, Russland und der Ukraine. Um die Jahrtausendwende wagte auch die Erste Bank den Schritt nach Osten mit den spektakulären Übernahmen der beiden Sparkas- sen in Tschechien und der Slowakei, Ceska Sporitelna und Slovenska Sporitelna.

Während die viel größeren und finanziell potenteren deutschen Kredit- institute mit dem Aufbau in den neuen deutschen Bundesländern be- schäftigt waren, bauten die kleineren Austro-Banken ein dichtes Netz in einer Region auf, die einst von den Habsburgern regiert wurde und wo

37 Österreich als „engster westlicher Verwandter und Freund“ und nicht als wirtschaftliche Kolonialmacht galt. Das entpuppte sich als Riesenvorteil; die Geschäfte liefen lange Zeit nahezu sensationell.

Die Verflechtung erwies sich als fast perfekte Ehe. Österreichische Insti- brachten Kapital und finanzielle Expertise in die Reformstaaten und trugen entscheidend zum Wirtschaftsaufschwung und zur Verbesserung der Lebensumstände von Millionen von Menschen bei. Und die neuen Märkte im Osten erwiesen sich anfangs als Goldgruben für die Banken, die im Heimatmarkt kaum etwas verdienen konnten. Mehr als jeder an- dere Sektor, der von der Ostöffnung profitierte, brachten die Banken dem Staat Steuereinnahmen, schufen neue, hochqualifizierte Arbeitsplätze und machten Österreich zum einem Vorzeigeland der Eurozone.

Kein anderes Land engagierte sich im Vergleich Ein kleines Land mit zu seiner Größe so stark in der Region wie großem Ost-Engagement Österreich, sagt Elisabeth Springler, Banken- expertin der Fachhochschule Wien. „Zwei Drit- tel der Bilanzsumme der österreichischen Banken geht auf das Konto von Zentral- und Südosteuropa, das ist mehr, als in anderen Staaten der Europäischen Union, wie etwa Deutschland, Italien oder Frankreich. Die sind alle auch sehr engagiert, aber Österreich hat hier nochmal mehr.“

Lang Zeit war dies ein Grund für wirtschaftlichen Stolz; doch in den ver- gangenen Jahren ist der Traum geplatzt. Die Osttöchter sind, obwohl meist immer noch profitabel, zu einer Belastung für den österreichischen Kreditsektor geworden.

Die Institute ziehen sich allmählich zurück. Und die fehlende Dynamik der österreichischen Banken bremst auch die ohnehin geschwächte Konjunk- tur in zahlreichen CEE-Staaten. Waren die österreichischen Banker einst gern gesehene Partner, so sind sie nun in immer mehr Nachbarländern Misstrauen und Anfeindungen ausgesetzt.

Den Anfang vom Ende der Harmonie kam mit dem Kollaps der US-In- vestmentbank Lehman Brothers im September 2008. Damals brach der Kapitalstrom nach Osteuropa abrupt ab. Die Währungen verfielen, was zahlreiche Kreditnehmer mit Fremdwährungskrediten – Unternehmen

38 Die „Central Concert Hall“ in Astana: Nur Banken-Misstöne aus Kasachstan Foto: Ninara auf flickr ebenso wie Haushalte – in Bedrängnis brachte. Das war doppeltes Pech: Fast 90 Prozent aller Kredite waren Fremdwährungskredite.

Im April 2009 warnte der amerikanische Ökonom und Wirtschafts- nobelpreisträger Paul Krugman vor den Gefahren des riesigen Banken- engagements in einer riskanten Region für Österreichs Staatsfinanzen und Konjunktur. Ein Rettungsschirm des Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Union, zu dem auch die USA und Japan beitrugen, verhin- derte eine Verschärfung der Turbulenzen. Aber in den folgenden Jahren mussten Österreichs Banken immer mehr Kreditreserven aufbauen, Beteili- gungen abschreiben – und, in einzelnen Ländern, hohe Verluste einstecken.

Die Hypo Alpe Adria, die ohne jede Sorgfalt Milliardenkredite am Balkan und vor allem in Kroatien vergeben hatte, musste im Dezember 2009 vom Staat gerettet werden und liegt seither wie ein Mühlstein auf dem Geldbeutel der Republik. Die Bawag PSK stieß ihre kleinen Osttöchter rasch ab. Die Volksbanken AG musste ebenfalls aufgefangen werden. Die anderen Banken erhielten zum Großteil staatliche Kapitalspritzen und machten sich daran, ihre Ostgeschäfte zu „konsolidieren“. Das bedeutete in der Realität sanieren, und, wo nötig, reduzieren. Für die Erste Group, Bank Austria und Raiffeisen Bank International (RBI) ist die Ostbilanz recht gemischt.

39 „Über alles gerechnet war es aus heutiger Sicht ein Geschäft“, sagt Andreas Ittner, der für die Bankenaufsicht zuständige Vizegouverneur der Österreichischen Nationalbank. „Aber man muss natürlich sagen, dass es große Unterschiede gegeben hat – und somit auch Übertreibungen. Es gibt Länder, in denen die Österreicher kein Geschäft gemacht haben, so etwa Kasachstan, die Ukraine, Ungarn oder Slowenien. Und es gibt Länder, wo sie sehr gute Geschäfte machen, wie zum Beispiel Tschechien und die Slowakei.“

Die Probleme waren und sind von Land zu Land Herbe Verluste unterschiedlich. In Kasachstan fuhr man herbe in Kasachstan Verluste ein. In Ungarn ist es die rigide Politik der Regierung von Viktor Orban, die Europas höchste Bankenabgabe einführte und die Institute zu einer Konvertierung der Fremdwährungskredite zu schlechten Kursen zwang, die das Geschäft vermiest. In Rumänien stockt die Konjunktur; in der Ukraine verdarben Wirtschaftskrise und später der Konflikt mit Moskau das Geschäft gründ- lich; in Russland lief es lange goldige Jahre für Raiffeisen sehr gut, bis der Ukrainekonflikt harte westliche Sanktionen auslöste.

Als dann die europäischen Bankenaufseher die Kapitalanforderungen an die Banken immer weiter erhöhten, war etwa die RBI gezwungen, ganze Geschäftszweige abzustoßen, um so das Kreditvolumen zu reduzieren und frisches Kapital zu mobilisieren. Die profitable Tochter in Polen steht nun zum Verkauf, doch vorerst ohne realistische Aussichten auf Erfolg. Und der Wahlsieg der rechtskonservativen PiS in Polen, die ähnlich horrende Bankenabgaben und Zwangskonvertierungen von Fremdwährungskrediten wie in Ungarn plant, droht die Veräußerung noch weiter zu erschweren.

Die Erste Group hat den Wert ihrer 2005 um 3,75 Milliarden Euro erworbenen rumänischen Tochter BCR auf null abgeschrieben. In Ungarn konnten 2015 die Belastungen bei der verlustreichen Tochter dank einer Beteiligung des ungarischen Staates und der Osteuropabank EBRD deut- lich reduziert werden. Immerhin bringen die beiden Sparkassentöchter in Tschechien und der Slowakei weiterhin gute Gewinne.

Auch die Bank Austria steht – insgesamt – mit ihrem großen Ost- europageschäft nicht so schlecht da. Bloß ist dies bald nicht mehr eine

40 österreichische Angelegenheit. Denn mit dem Auslaufen des bei der Über- nahme durch die „Unicredit“ auf zehn Jahre geschlossenen „Vertrags der Regionen“ soll die Führung der Ostbanken von Wien nach Mailand und/ oder Bologna übersiedelt werden. Die Bank Austria hofft immer noch, dass „gewisse Headquarter-Funktionen in Österreich bleiben“. Aber von der einst größten österreichischen Bank wird, geht es nach dem Wün- schen der italienischen Eigner, nur noch das höchst ertragreiche Kom- merzgeschäft übrig bleiben.

Die „Unicredit“ will auch das wenig gewinnbringende Privatkundenge- schäft in Österreich loswerden. Einen Käufer hätte es schon gegeben. Die Österreich-Führung der Bank wehrte den drohenden Kahlschlag mit einem Kraftakt in Minute ab. Das Filialnetz wird drastisch reduziert, der Personalstand zurück gefahren, selbst in das Dienst- und Pensionsrecht von 3.300 unkündbaren Bankangestellten soll eingegriffen werden.

So mancher Bankenaufseher sieht den Rückzug aus dem Osten gar nicht ungerne. Das starke Der Rückzug aus dem ausländische Engagement bleibt ein Risiko- Osten wird unterstützt faktor für den Finanzsektor – und die gesamte Volkswirtschaft. So wurde Österreich im November 2015 erstmals in den „Warnmechanismus-Bericht“ der EU-Kommission aufgenommen – freilich gemeinsam mit 17 anderen EU-Staaten. Der Hauptgrund sind die möglichen Folgen der „geopolitischen Entwicklungen in Russland und der Ukraine“ für den Bankensektor. Eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage im Osten würde auch „Kreditwachstum und Darlehenskapazität im Inland“ belasten, hieß es in dem Bericht.

Insgesamt bietet Mittel- und Osteuropa immer noch Geschäftschancen. Der Nachholbedarf für Finanzprodukte ist weiterhin hoch, und die Länder ha- ben höheres Wachstumspotenzial als die alten EU-Mitgliedsstaaten. Aber die Konjunkturaussichten bleiben unsicher; Korruption und mafia-ähnliche Strukturen sind nicht verschwunden; und zunehmend nationalistische poli- tische Entwicklungen schrecken so manche Investoren ab. Osteuropa bleibt abhängig von ausländischem Kapital – in einem ungemütlichen Ausmaß.

Jene Banken, die auf den Osteuropazug nie aufgesprungen sind, bereuen das jetzt nicht. So etwa die Oberbank in Linz. „Vor 25 Jahren, als andere

41 Oberbank-Donau-Forum in Linz: Nicht dem Zug der Lemminge gefolgt Foto: Oberbank/Dietmar Tollerian

Banken nach Osteuropa gegangen sind, sind wir diesem Zug der Lem- minge nicht gefolgt, sondern sind unseren eigenen Weg gegangen“, sagt ihr Vorstandsvorsitzender Franz Gasselsberger. „Wir gingen nach Bayern, wo wir unseren stärksten Wirtschaftspartner vorfinden, wo uns die Men- schen in Mentalität und Sprache sehr ähnlich sind. Und das ist eine wirk- liche Erfolgsgeschichte geworden.“

Aber auch die anderen bereuen ihren „Ausflug in den Osten“ nicht, zumin- dest nicht offiziell „Wir haben im Zeitraum von 2000 bis zum Jahr 2014 einen Vorsteuergewinn, bereinigt um alle Werberichtungen, von 9,3 Mil- liarden Euro gemacht – das ist doch ein Erfolg“, sagt Willibald Cernko, Vorstandschef der Bank Austria. „Jetzt sind wir in einer Korrekturphase und müssen uns in einzelnen Märkten neu ausrichten. Aber in Summe – davon bin ich restlos überzeugt – wird es auch wieder 20 gute Jahre ge- ben. Man muss das alles über einen längeren Zeitraum sehen.“

Doch ob beim nächsten Aufschwung im Osten österreichische Institute noch immer eine bedeutende Rolle spielen, ist ungewisser denn je.

42 Wo wollen Sie wohnen? Teuer in der Stadt oder billig auf dem Land von Hans Hrabal

Wohnen in Österreich ist teuer wie nie. In den kommenden Jahrzehnten wird die Bevölkerung wachsen. Die Preise fürs Wohnen werden abermals anziehen. Bauträger erleben Goldgräberzeiten. Jene, die Wohnungen brauchen, sind nicht in Feierlaune. Aber: Dieser Befund gilt nur für Bal- lungszentren und Nobelgegenden. Es gibt Gegenden in Niederösterreich, da gilt Devise: „Kauf ein Haus und du erhältst ein zweites geschenkt dazu …“

Jahrelang verfiel die alte GEWE-Fabrik, gleich neben der Westbahn- strecke in Wien. Das tausende Quadratmeter umfassende Gelände des längst verblichenen Elektroherstellers in Penzing lag nicht gerade in einer begehrten Wohngegend. Auf der einen Seite die zeitweise sehr stark frequentierte Hütteldorfer Straße, die in der Nacht auch noch das Rotlichtmilieu anzog; auf der anderen Seite die Eisenbahn und der Lärm der vorbeifahrenden Züge.

Nicht nur die Nähe zur Bahn, auch der Denkmalschutz erschwerten eine Renovierung und damit jede zukunftsorientierte Nutzung. Bezirkspolitiker waren ratlos. Investoren und Bauträger ließen von der Fabriksanlage die Hände. Auch die Gemeinde hatte keine Idee. Was blieb, war ein Schand- fleck inmitten des Bezirks, an dem sich jeder irgendwie vorbeischwindelte und hoffte, er würde besser nicht darauf angesprochen.

Das war gestern, als die Preise für Wohnungen in den nicht so noblen Wiener Außenbezirken noch niedrig und die Gewinnmargen für Bauträ- ger eher überschaubar waren. Heute ist alles anders. Aus der ehemali- gen Industrieruine ist ein Vorzeigeprojekt geworden. Der Bauträger WVG hat das Gelände erworben, die alte Fabrik revitalisiert, die alten Gemäuer adaptiert und einhundert nagelneue Wohnungen errichtet.

Die massiv steigende Nachfrage nach Wohnraum und der damit einher- gehende Anstieg der Preise machte es möglich. Jörg Wippel, Eigentümer

43 und Geschäftsführer der WVG, hatte eine gute Nase. Weil das Objekt so lange Zeit ein Ladenhüter war, konnte er die Liegenschaft preisgünstig entwickeln. Die geringen Entwicklungskosten gab er zum Teil auch an die Kundschaft weiter. Die neuen Eigentümer können sich nun über – in Wien gegenwärtig unüblich – günstige Quadratmeterpreise von rund 2700 Euro freuen.

Die Unternehmensberaterin Raffaela Grün etwa hat eine 62 Quadratmeter große Zwei-Zimmer-Wohnung im vierten Stock, mit Terrasse und Blick über den Wienerwald erworben. Dafür hat sie knapp 170.000 Euro be- zahlt. Das ist nicht wenig, gilt in Wien aber im Moment als Mezzie.

Für Neubauwohnungen muss man in der Bundeshauptstadt gegenwärtig im Schnitt 3900 Euro pro Quadratmeter Eigentum berappen. In anderen Landeshauptstädten ist es meist nicht besser. In Salzburg, wo Wohnraum immer schon knapp war, kostet der Quadratmeter durchschnittlich 4400 Euro. In Innsbruck sind es 3700 und in Bregenz 3400. Vergleichsweise noch günstig ist es in Sankt Pölten und in Eisenstadt mit jeweils 1900 Euro pro Quadratmeter. Aber auch dort gehen die Preise bereits spürbar nach oben. Egal, ob es sich um Neubauwohnungen, um Altbau oder einfach um Mietobjekte handelt.

Für jene, die Wohnungen kaufen wollen, herr- Goldgräber-Zeiten schen gegenwärtig schlechte Zeiten. Unter je- für die Entwickler nen hingegen, die Wohnraum entwickeln, bauen oder vermarkten, kommt Goldgräberstimmung auf, vor allem in den Ballungsräumen. Seit Jahren steigen die Preise. Auch wenn sich immer mehr Marktbeobachter die bange Frage stellen, wie lange das noch weiter gehen, wer sich das eigentlich noch leisten kann und ob es nicht schon bald zu einer Überhitzung kommen wird – der Markt boomt. Kunden, fast hat es den Anschein, kaufen, was immer sie kriegen können. Und wenn die Preise ansteigen, dann kaufen sie eben klei- nere Objekte in nicht mehr ganz so optimalen Lagen. Hauptsache kaufen – bevor die Preiss weiter steigt.

Die Entwicklung in der Wiener Innenstadt, also der Bezirke innerhalb des Gürtels, bestätigt diesen Eindruck. Der Trend geht hin zu kleineren, ge- rade noch leistbaren Objekten. Galt früher eine Dreizimmerwohnung mit

44 Bauarbeiten in Wien-Aspern: Eine Seestadt ist zu wenig für die Hauptstadt Foto: APA/Hans Klaus Techt etwa 80 Quadratmetern als jene Größe, die man als typisch für eine Jung- familie mit ein bis zwei Kindern empfand, spricht man nun bereits bei 60 Quadratmetern von „Familienwohnungen“.

Immo-Spezialistin Sandra Bauernfeind, Geschäftsführerin des Makler- büros EHL, präsentiert uns eine dieser „typischen Wohnungen“. Sie ist knapp 65 Quadratmeter groß und liegt im dritten Stock eines tiptop reno- vierten Gründerzeit-Zinshauses, in Gürtelnähe, aber eben innerhalb des Gürtels und damit in begehrter Lage. Ambiente und Zustand sind tadellos. Küche, Bad, WC sind neu. Die Parkettböden glänzen von frischem Lack und die Wände strahlen weiß.

Die Wohnung hat keine Terrasse, ist aber gut strukturiert und verfügt über zwei getrennt begehbare Räume. Die Maklerin strahlt. „Das ist doch ge- nau das Richtige für junge Paare oder Kleinfamilien“, meint sie. Tja. Wäre da nicht der Preis von 5700 Euro pro Quadratmeter. Die nette Wohnung kostet rund 370.000 Euro. Woher junge Paare so viel Geld haben sollen, verrät die Maklerin nicht. Sie verzieht keine Miene. Niemand will ihr etwas vorwerfen – der Markt, der ist eben so. Die Preise, sie werden bezahlt. Es gibt die Generation der Erben und Erbinnen. Und Eltern und Großeltern sind froh, wenn sie ihr Geld im Zweifelsfall in Immobilien anlegen können, weil es auf der Bank ohnehin keine Zinsen gibt.

45 Natürlich – die Wiener Innenstadt ist nicht typisch für das Land. Auch die Situation in den Landeshauptstädten kann nicht auf die Preisentwicklung in kleineren Städten oder gar auf dem Land umgelegt werden. Doch ge- nerell gilt: Wohnen wird immer teurer, ganz egal, wo, ganz egal, ob Eigen- tum oder Miete, Einfamilien- oder Reihenhaus.

Noch 1990 machten die Aufwändungen fürs Aufwand für Wohnen Wohnen, inklusive aller anteiligen Kosten für frisst Einkommen auf Eigentum, für Wohnkredit-Rückzahlungen, für Mieten, Energie, Betriebskosten, durchschnitt- lich 16,5 Prozent des Konsums eines durchschnittlichen österreichischen Haushaltes aus. 2015 betrugen sie 22 Prozent. Nach oben hin ist im in- ternationalen Vergleich durchaus Spielraum. Allein in EU-Durchschnitt betragen die anteiligen Wohnkosten letztes Jahr 24 Prozent. In den gro- ßen Städten geht der Wohnanteil am Einkommen oft an die 40 Prozent.

Auch die Experten gehen davon aus, dass Wohnungen hierzulande ih- ren Preis halten, tendenziell noch weiter steigen. Gertrude Schwebisch von der S-Bausparkasse ist seit Jahren auf die Finanzierung von Groß- wohnprojekten im Wiener Raum spezialisiert. Sie ist überzeugt, dass der Preis für Wohnen weiterhin zulegt. „Die Rechnung ist ziemlich einfach“, meint sie. „Die Wiener Bevölkerung wird in den nächsten Jahren massiv anwachsen. Wien wird bald an der Zwei-Millionen-Marke kratzen. Und wenn man alle vorhandenen Wohnungen mit jenen addiert, die jährlich dazukommen, dann wird es mehr Menschen geben, die Wohnungen su- chen, als es Angebote gibt.“

Zusätzlich sieht die Bankerin auch einen „massiven Wachstumstrend“ im Umland des Ballungszentrums: „Wien hat zuwenig Bauland. Es gibt zuwenige Grundstücke. Die, die es noch gibt, sind jetzt schon unrentabel teuer. All jenen, die sich leistbaren Wohnraum schaffen wollen, bleibt nichts anderes übrig als ins Wiener Umland auszuweichen.“

Die ÖROK, die „Österreichische Raumordnungskonferenz“, erarbeitet im Auftrag der Republik möglichst genaue Bevölkerungsprognosen, die für alle Strategien und Planungen nötig sind. Eliette Fenkel ist für diese Pro- gnosen verantwortlich. Sie geht davon aus, dass Wien bis 2025, 2030 in seinem Bevölkerungsanteil „um etwa 15 Prozentpunkte wachsen“ wird.

46 Nicht nur im innerstädtischen Bereich, auch gegen Norden und Osten hin. Fenkel: „Der 22. Bezirk, Floridsdorf, wächst seit fünf Jahren massiv. Das wird weitergehen, weil dort es noch unverbaute Flächen gibt. Gegen Osten ist derselbe Trend zu beobachten. Wien breitet sich Richtung Bra- tislava und Richtung Ungarn aus. Eisenstadt hat schon leicht angezogen. Das wird weiter zunehmen. Zehn Prozent Wachstum sind auch in den Nord- und Ost-Regionen des Landes ziemlich wahrscheinlich.“

Im Westen sieht es ähnlich aus. Die oberös- terreichischen Industrieregionen, das Inntal Das Inntal gewinnt, und, ganz westlich, das Rheintal werden um Kärnten schrumpft zehn Prozent zulegen; ebenso wie der Großraum um Innsbruck und alle anderen Landeshauptstädte, Salzburg, Graz und selbst Klagenfurt. Neben dem ländlichen Kärnten schrumpfen nur noch die ländlichen Regionen in der Steiermark, vor allem im halbalpinen Be- reich. In Niederösterreich unter den Absteigern: das westliche Waldvier- tel. Überall sonst geht es nach oben – mit der Bevölkerung und mit den Preisen.

Für jene, die noch keine Wohnung besitzen, sind das keine rosigen Aus- sichten. Das betrifft viele Zuwanderer, insbesondere aber die Jugend. Bereits jetzt gehen die Realeinkommen der jüngeren Erwachsenen zu- rück. Deswegen sind auch viele junge Menschen, die eigentlich gerne in der Großstadt leben würden, gezwungen, außerhalb der Ballungsräume nach Wohnraum zu suchen.

Interessant, dass bisher vor allem die Preise für Eigentum überpropor- tional gestiegen sind. In Wien etwa haben die Mieten seit 2010 durch- schnittlich um acht Prozent angezogen. Im selben Zeitraum wurden Eigentumswohnungen (pro Quadratmeter) um 30 Prozent teurer.

Weil die Kluft zwischen Eigentum und den daraus erzielbaren Mieten mo- mentan zu groß ist, können Eigentümer so gut wie keine realen Renditen mehr erzielen. Patrick Schenner ist Geschäftsführer des führenden öster- reichischen Immobilien-Internet-Portals „Immo Scout 24“. Er hat einen ziemlich guten Überblick über die Preise, die in Österreich für Immobilien gezahlt werden. Schenner erachtet das Preisniveau für Eigentum als zu hoch. Insbesondere aus Investorensicht. „Vor einigen Jahren war die

47 Bauen, bauen, bauen: Ein gutes Geschäft nur für die Immobilien-Entwickler Foto: APA/Hans Klaus Techt

Welt für Immobilieninvestoren noch in Ordnung. Wer eine Immobilie zu marktkonformen Preisen kaufte, konnte durch Vermietung das eingesetzte Kapital langfristig wieder zurückverdienen. Das ist heute vorbei.“

Vor allem in Wien, wo die meisten Menschen „auf Miete“ wohnen, mischt die Politik bei der Preisgestaltung mit; mit „Miethöchstgrenzen“ oder einem „mieterfreundlichen Mietrecht“. Wenn Mieten massiv anstiegen, wäre dies für jede Stadtregierung ziemlich peinlich.

Gigantomanische Großprojekte sollen die Trendwende stemmen. Im Nor- den der Bundeshauptstadt wird die „Seestadt Aspern“ aus dem Boden gestampft. 20.000 ziemlich günstige Wohnungen, vor allem für junge Menschen, werden in ziemlich kurzer Zeit auf die grüne Wiese gestellt. Auch rund um den neuen Zentralbahnhof greift eine „Wohnbauoffensive“. Hier entstehen auf engstem Raum 5000 neue Wohnungen.

Wirkliche Abhilfe wird das nicht bringen. Weder für den Wohnungsmarkt insgesamt noch bezüglich des drohenden Anstiegs der Mieten. Von den 15.000 jährlich neu benötigten Wohnungen im Großraum Wien ist die Po- litik noch 5000 Wohnungen pro Jahr „entfernt“. Der Druck auf die Preise also bleibt. Wohnen in Ostösterreich wird in Zukunft teurer werden. „Kauf ein Haus und du erhältst ein zweites geschenkt dazu …“ gilt anderswo.

48 Russland-Sanktionen: Es gibt hohe Verluste auf beiden Seiten von Mag. Bettina Fink

Ende 2015 ging die EU noch einmal in die Verlängerung: Die Wirtschafts- sanktionen gegen Russland wurden um weitere sechs Monate ausge- dehnt. Auch Russland hat im politischen Kräftemessen um die Ukraine seine Gegensanktionen fortgesetzt. Vom Sanktionsreigen betroffen sind in Österreich zahlreiche landwirtschaftliche Betriebe, aber auch über tausend Konzerne und Unternehmen. Das Fazit nach eineinhalb Jahren: Russland steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise. Doch auch in Österreich gibt es viele Verlierer.

Es war im Sommer, als „ECO“ den oststeirischen Obstbauern Peter Koller auf seinem Hof besuchte. Der nahenden Ernte sahen er und viele andere heimische Landwirte mit gemischten Gefühlen entgegen. Jenen Tag, als Russland seine Gegensanktionen einführte, den wird er nicht so bald vergessen. Von heute auf morgen hieß es: keine Milch, kein Fleisch, kein Obst aus Europa mehr. „Ein Donnerschlag“, erinnert sich Peter Koller, „es war ein richtiger Schock für uns, weil jedem bewusst war, wieviel euro- päische Ware nach Russland exportiert wird. Da war uns allen klar, das wird schwierig!“

Aus der Befürchtung wurde Realität: Um 30 Prozent weniger Umsatz hieß es beispielsweise für die heimischen Apfelbauern in der ersten Erntesaison nach den Sanktionen. Weil Russland als Kunde ausfiel, gab es in Europa plötzlich viel zu viele Äpfel. Vor allem Polen, Großlieferant nach Russland, warf seine Ernte zu Dumpingpreisen auf den Markt. Die anderen Anbieter konnten mit den Preisen nicht mithalten. Die Folge: herbe Ver- luste, rote Zahlen. Die Bilanz von Peter Koller fällt bitter aus: „Ein weiteres Jahr Russland-Sanktionen – das bedeutet wohl, dass es uns als kleinen Familienbetrieb danach nicht mehr gibt. Das geht sich wirtschaftlich ein- fach nicht mehr aus.“

Neue Absatzmärkte für heimische Äpfel zu finden ist nicht leicht, bestätigt Rupert Gsöls vom Bundesobstbauverband. Über viele Jahre hatte man den

49 russischen Markt langsam aufbereitet – dann fiel er total aus. So rasch lässt sich Ersatz nicht finden: „Man kann nicht plötzlich kommen und sagen, jetzt nimm bitte meine Äpfel. Man muss mit kleinen Mengen anfangen und einen anderen Markt erobern.“ Das versucht man jetzt etwa im arabischen Raum und begann sich in Richtung China und Mittelmeer zu orientieren. „Da haben wir noch ein wenig Spielraum.“ Doch von heute auf morgen lässt sich nicht alles umstellen. Auch weil die Geschmäcker verschieden sind. „Nörd- liche Länder wollen lieber den grünen Apfel, die südlichen Länder einen gelben. Nach einer Ernte kann man nicht mehr reagieren“, so Rupert Gsöls.

Auch die von der EU angekündigten Entschädigungszahlungen haben nur für wenig Entlastung gesorgt: Sie waren zu niedrig, um für einen echten Ausgleich zu sorgen. Und nicht nur die Obstbauern haben die Gegensank- tionen Russlands massiv zu spüren bekommen. Innerhalb des ersten Jah- res gingen die Russlandexporte auch bei den Fleischlieferanten um 100 Prozent zurück; ein Totalschaden also. Milch und Milcherzeugnisse mussten ein Minus von 89 Prozent wegstecken, Gemüse und Früchte ein Minus von 40 Prozent.

Ein ganz anderes Feld, in dem die Sanktionen Die Industrie stöhnt auch eine Rolle spielen: die Industrie. Der Ölfeld- unter der Bürokratie ausrüster Schoeller-Bleckmann im niederöster- reichischen Ternitz etwa darf russische Kunden in drei Bereichen nicht mehr beliefern: für Bohrungen in der Tiefsee, für Schieferbohrungen und für Bohrungen in der Arktis. Also: Sperre für alle Zukunftstechnologien. Der größte Teil des Geschäfts, die konventionelle Ölförderung, ist von den Sanktionen nicht betroffen. Der Rückgang des Russland-Geschäfts wurde nach dem ersten Jahr auf „zehn bis 20 Pro- zent“ geschätzt – vor allem ausgelöst durch die verlangten aufwändigen Genehmigungsverfahren für Russlandexporte.

„Der Behördenlauf ist enorm, es sind drei Ministerien eingebunden in die Prüfungen der Anträge“, so Gerald Grohman, Vorstand der Schoeller- Bleckmann Oilfield Equipment AG. Geprüft wird vor allem, ob die Waren nichtmilitärischen Zwecken dienen, ob das Material auch dort eingesetzt wird, wofür es vorgesehen ist und auch die Eigentumsverhältnisse bei den empfangenden Kundenorganisationen werden unter die Lupe genommen. „All das braucht seine Zeit.“

50 Der „steirische Apfel“: Ein Opfer der EU-Sanktionen gegen Russland Foto: Obst Partner Steiermark

Das High-Tech-Unternehmen kam aber noch relativ gut davon: Für viele andere Unternehmen ist der Absturz der Exporte von Österreich nach Russland viel dramatischer. Stiegen 2010 die Exporte heimischer Firmen noch um sagenhafte 22 Prozent, 2011 um 15, 2012 und 2013 um jeweils 9 Prozent, kamen 2014 mit Einführung der Sanktionen erste Verluste: minus 8 Prozent, nach dem ersten Quartal 2015 waren es bereits minus 40 Prozent. Alte Geschäfte liefen aus, nur wenige neue kamen hinzu.

Doch die wechselseitigen Strafaktionen sind nur ein Grund für den mas- siven Rückgang der Russland-Exporte. Russland steckte schon vorher in einer Rezession, die sich zur schwersten Wirtschaftskrise seit 16 Jahren auswuchs. Der Ölpreis, Haupteinnahmequelle des Landes, hatte sich fast halbiert – damit sanken die Staatseinnahmen. Und der Rubelkurs fiel in den Keller. Die russischen Konsumenten können sich vieles nicht mehr leisten. Auch ohne Sanktionen hätten Gäste aus Russland wohl seltener Urlaub in Österreich gemacht und auch weniger österreichische Waren gekauft. Was die Henne und was das Ei ist, lässt sich schwer sagen. Fakt ist: Innerhalb nur eines Jahres gingen die Exporte Österreichs nach Russland in der Sparte Holz oder Kork um 75 Prozent zurück, bei Eisen und Stahl waren es minus 70 Prozent, bei elektrischen Maschinen minus 44, im Bereich der Medizin und der Pharmazeutischen Produkte minus 47 Prozent.

51 Oliver Fritz, Forscher am Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO in Wien, hat im letzten Jahr gemeinsam mit Kollegen eine Studie zu den Effekten der Russland-Sanktionen veröffentlicht. Er sah in seinen Berechnungsmodel- len die schlimmsten Befürchtungen bestätigt. „Je länger die Sanktionen andauern, desto mehr Branchen werden betroffen sein. Wenn die Sanktio- nen auf mehrere Jahre ausgedehnt werden, rechnen wir mit einem Rück- gang des Bruttoinlandsproduktes in der EU um 0,8 bis 0,9 Prozent, also eine Dimension, die über 100 Milliarden Euro hinausgeht. Zudem könnten es 2,2 bis 2,7 Millionen Arbeitsplätze sein, die in der EU verloren gehen; das ist eine relevante Größenordnung von ziemlich genau einem Prozent aller Erwerbstätigen.“

Ganz so schlimm wird es möglicherweise nicht kommen. Die kritischen Stimmen innerhalb Europas an den Sanktionen werden lauter; ob heuer im Sommer nochmals verlängert wird, ist schon mehr als fraglich. Aber: Das Fehlen russischer Touristen wurde auch auf dem Wiener Kohlmarkt spürbar – der Edel-Shoppingmeile für die betuchte Klientel mit Marken- bewusstsein. 34 Prozent weniger russische Gäste wurden in der Bundes- hauptstadt seit dem Beginn der Sanktionen registriert.

Der traditionsreiche Juwelier Rozet & Fischmeister verkauft auf dem Kohlmarkt seit Generationen edle Silberwaren und Schmuck. Ein Drittel seines Umsatzes machte er in der Vergangenheit mit russischen Kunden. Innerhalb eines Jahres büßte er deswegen mehr als eine Million Euro an Geschäftsvolumen ein. Das können andere Touristen, etwa aus Asien, nur zum Teil wettmachen. Firmeninhaber Georg Fischmeister trauert den russischen Kunden wirklich nach: Er hält sie für großzügig, schnell ent- schlossen, ausgabefreudig und humorvoll. „Es wird nicht viel gefeilscht, das finanzielle Volumen beim Einkauf ist beachtlich – vor allem bei älteren Männern mit einer jungen Frau an ihrer Seite“, schmunzelt der Juwelier.

Auch im Luxussegment der Hotelerie hinterlassen die ausbleibenden rus- sischen Gäste eine große Lücke, so der Direktor des „Sofitel“ Alexander Moj. Die größte Suite des Hotels, die bis zu 7000 Euro pro Nacht kostet, wird nun deutlich seltener gebucht.

In den russischen Touristen hat der Hoteldirektor vor allem „einen poten- ziell stark wachsenden Markt“ gesehen – der jetzt immer öfter auslässt.

52 „In unserem Restaurant im 18. Stock sind immer wieder einmal russische Gäste für einen Kurztrip vorbeigekommen; eigens mit dem Privatjet ein- geflogen, um hier einen Abend verbringen. So etwas haben wir jetzt nicht mehr; früher war das sehr wohl der Fall.“

Die russischen Gäste sind im Tourismus so et- was wie die Butter aufs Brot. Im ersten Sank- Gäste aus China sind tionsjahr konnte ihr Ausbleiben noch durch auch sehr spendabel andere Touristen relativ gut ausgeglichen wer- den. Auf die will die Hotelbranche auch künftig setzen. „Chinesische Gäste geben etwa doppelt so viel aus wie die russischen. Wir sollten sie viel stärker umwerben, das Problem ist nur, dass die Österreich-Werbung seit Jahren nicht mit mehr Geld ausgestattet wird. Da müsste mehr zur Ver- fügung gestellt werden“, so Michaela Reitterer von der Österreichischen Hoteliersvereinigung.

Auch Russland und sein Präsident Wladimir Putin haben sich im Konflikt mit der EU anderen Märkten zugewandt. Mit China und anderen zentral- asiatischen Staaten sollen die Handelsbeziehungen intensiviert werden. Die Symbolik ist klar: Russland braucht Europa nicht. Für Wirtschafts- forscher Oliver Fritz hat all das langfristig negative Effekte: „Wenn die Handelsströme einmal umgelenkt sind, kann es natürlich sein, dass nach Aufhebung der Sanktionen die Exporte nach Russland nicht in vollen Aus- maß wieder aufgenommen werden können.“

Die russischen Konsumenten werden von ihrem Präsidenten jedenfalls längst zum Kauf heimischer Produkte angehalten. Andere Waren können sich viele Russen auch gar nicht leisten. Auch die russischen Bauern werden verpflichtet, mehr zur Selbstversorgung beizutragen. Privat- wirtschaftliche Unternehmen werden in einer neuen Art von „Planwirt- schaft“ dazu angehalten, die Versorgung in Russland zu fixierten Preisen zu gewährleisten.

Hie wie dort sorgen die Sanktionen jedenfalls für Umbrüche. Eine Rück- kehr zur Normalität zwischen Russland und dem Westen ist unmittelbar nicht in Sicht. Weder politisch noch wirtschaftlich. Daran ändern auch neu geschmiedete Allianzen im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ in Syrien bislang wenig.

53 Große Worte – gelassen ausgesprochen gesammelt von Günther Kogler

„Ich bin kein Magier, dass ich irgendwelche Gebäude herbeamen kann.“ Dennoch: Bitte die Suche nach neuen Flüchtlingsquartieren nicht aufge- ben, Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP).

„Die Regierung hat Handlungsbedarf. Das dauernde Hickhack kann allzu leicht zum Streit auf dem Deck der Titanic werden.“ Seniorenbund-Obmann Andreas Khol (ÖVP) sieht schon den Eisberg.

„Sonst kann ich meinen Taufschein, wenn Sie so wollen, in der Sakristei abgeben.“ Auch der steirische VP-Chef Hermann Schützenhöfer ist als „guter Christ” weiterhin für die Aufnahme von Flüchtlingen.

„Was auch immer die Gründe für die Flucht gewesen sind: Es sind Menschen, die zu uns kommen und wir müssen sie wie Menschen behandeln.“ Kardinal Christoph Schönborn will ebenfalls nicht lange über die Ursachen des Flüchtlingsstroms diskutieren.

„The dictator is coming.“ EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker begrüßt Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban per Handschlag.

„Mir tun Politiker leid. Den ganzen Tag und die halbe Nacht rennen sie als Bedeutungsträger durch die Gegend und können doch nichts Bedeutendes machen. Und jeder kann sie ein Arschloch schimpfen.“ Schriftsteller Peter Turrini weiß, wie es sich anfühlt in der Wirklichkeit.

„Ihr Profil hat sich in Richtung Beliebigkeit verschoben. Es ist bis zur Unkenntlichkeit verzerrt.“ Erwin Buchinger, Ex-Sozialminister, schließt mit seiner SPÖ ab.

54 Die Lehre aus „Lux-Leaks“: Steuer sparen einfach gemacht von Hans Wu

Heimlich kopierte Dokumente aus einer Steuerberaterfirma zeigen die Steuervermeidungstricks von IKEA, Amazon und Co. Es ist entlarvend, wie gut verdienende Großkonzerne ihre Bögen um ihre Abgabepflichten ziehen. Noch entlarvender ist, wie sich Staaten und ganze Volkswirtschaf- ten untereinander konkurrenzieren, um wenigstens ein bisschen des be- gehrten Steuergeldes zu bekommen.

Die Buchhandlung „Leporello“ in der Wiener Innenstadt bereitet sich auf die Weihnachtszeit vor. Auch im Internetzeitalter ist das Buch noch immer ein beliebtes Geschenk zum „Frohen Fest“. Doch so froh klingeln die Kas- sen hier vor Weihnachten dann doch nicht mehr. Seit das Internetzeitalter begonnen hat immer weniger. Der Onlinehandel nimmt den Buchhändlern Jahr für Jahr immer mehr Geschäft weg.

Und der übermächtigen Konkurrenz aus dem Cyberspace nicht genug, vor einem Jahr kam auch ein anderer Wettbewerbsvorteil ans Licht, der Insider lange vorher schon geläufig war: Große Unternehmen wie Ama- zon zahlen lächerlich geringe Steuern. Rotraut Schöberl, die Inhaberin von „Leporello“, die wie viele kleine Einzelhändler hierzulande mit hohen Abgaben zu leben hat, ist darüber nicht gerade erfreut: „Wenn man das liest, ist im ersten Moment Grant da und man fühlt sich ungerecht behan- delt. Man denkt sich: ,Warum geht es bei denen und bei mir nicht?‘ Aber der nächste Gedanke ist bei mir schon immer: Die Kindergärten, Schulen, Museen, Bibliotheken, Pflege, Gesundheitswesen et cetera, unser öster- reichischer Haushalt kann nur funktionieren, wenn Geld hereinkommt. Und wenn die Steuern nicht hier abgeführt werden, sondern woanders, dann fehlt’s.“

Doch wie kommt es, dass der größte Internethändler, auch mit guten Ge- schäften in Österreich, hierzulande kaum Steuern zahlt? Einen der Gründe kann jeder auf seiner letzten Amazon-Rechnung nachlesen. Ein Blick auf die Adresse zeigt: Sie stammt aus Luxemburg.

55 Rätselhaftes Luxemburg. Wirtschaftlich gesehen hat es ja nicht viel zu : ein bisserl Wein, ein bisserl Stahl und trotzdem geht es der Zwergnation sehr gut. Auch im Vergleich zu Österreich. Unsere kleine Alpenrepublik ist rund 84.000 Quadratkilometer groß. Luxemburg ist mit knapp 2600 Quadratkilometer Fläche kleiner als Vorarlberg. Auch in der Einwohnerzahl sind wir um einiges größer: 8,5 Millionen Einwohner gibt es in Österreich, rund 550.000 im beschaulichen „Großherzogtum“.

Knapp mehr als eine halbe Million Einwohner also – die aber ordentlich etwas erwirtschaften müssen. 76.200 Euro beträgt das „Bruttoinlands- produkt“ pro Kopf in Luxemburg und das Miniland ist nach dieser Rech- nungsweise die ökonomische Nummer eins – der ganzen Welt. Im Vergleich dazu: In Österreich erwirtschaftet jeder Einwohner durchschnitt- lich 35.700 Euro im Jahr. Das ist auch nicht schlecht – aber Luxemburg doppelt so fleißig wie Österreich?

Der Unterschied liegt im Steuermodell. Das Das Steuermodell kleine Land mitten in Europa ist Sitz vieler euro- macht die Musik päischer Zentralen ganz großer weltweiter Kon- zerne – die allesamt ihre Vorteile durch die, wie soll man sagen, „besondere Steuerpolitik vor Ort“ ziehen. Das spült viel Geld in das Großherzogtum. Geld, das in anderen europäischen Ländern erwirtschaftet wird; Geld, für das anderswo höhere Steuern hätten be- zahlt werden müssen.

Wie das System funktioniert, das wurde vor einem Jahr durch heimlich kopierte Papiere von der Consultingfirma „Price Waterhouse Coopers“ ruchbar. Die als „Lux-Leaks“ bezeichneten, zum Teil abenteuerlichen Fir- menkonstruktionen von über 300 Unternehmen sind allerdings offiziell abgesegnet von den luxemburgischen Behörden. Wir sind, man vergesse es nicht, im Herzen der Europäischen Union. Unter den „Steuervermei- dern“ befinden sich klingende Konzernnamen wie Apple, Google, IKEA oder Starbucks.

Die Wege, wie Geld von Tochterfirmen in ganz Europa steuersparend zur Mutter geschoben wurde, waren vielfältig und kreativ. Einen Trick hat sich „ECO“ vom Steuerberater Peter Bartos (BD Austria) erklären lassen: „Neh- men wir an, wir haben eine österreichische Firma, die Lizenzzahlungen

56 Jean Claude Juncker und seine „Lux-Leaks“: Der Bock als Gärtner? Foto: EU-Kommission nach Luxemburg leistet. Würden diese Lizenzen in Österreich versteuert, würden 25 Prozent Körperschaftsteuer anfallen. Luxemburg hat eigentlich einen Steuersatz von 29,2 Prozent. Allerdings gibt es dort die spezielle Regelung, dass Lizenzzahlungen, die in Luxemburg anfallen, nur mit rund sechs Prozent versteuert werden. Das führt dazu, dass man statt 25 Pro- zent in Österreich nur noch sechs Prozent in Luxemburg zahlt.“

Doch handelt es sich hier tatsächlich um illegale Deals, die sich interna- tionale Beratungsfirmen mit großzügigen Finanzbeamten irgendwo in der Europäischen Union ausmachen? Wir fragen Günter Robol, den ehema- ligen Leiter von „Price Waterhouse Österreich“, also jener Firma, die die Papiere eingereicht hat: „Erstens betreiben diese Firmen keine Steuer- hinterziehungs-Beratung“, behauptete er. „Das kann sich so eine große Gesellschaft gar nicht erlauben. Großzügig ist aber jener Gesetzgeber, der die entsprechenden Regelungen erlässt, die die Steuerfreiheit oder zumindest die Steuerbegünstigungen zusagt.“

Genau das hat in Luxemburg „eine lange Tradition“, wie der Brüsseler Politikexperte Janis A. Emmanouilidis zu berichten weiß: „Luxemburg ist schon seit geraumer Zeit bei Steuerfragen ein attraktiver Standort; für Individuen als auch für Unternehmen. Das ist etwas, was auch die Po- litik entsprechend forciert hat. Selbst in der Zeit eines Premierministers

57 Juncker hat sich diese Dimension erweitert. Da gab es noch mehr Indi- viduen und Unternehmen, die sich in Luxemburg angesiedelt haben, weil sie Steuervorteile sahen. Das hat sich über mehrere Jahre hinweg, Jahr- zehnte sogar, einfach entwickelt.“

Diese Enthüllungen kamen für Jean Claude Juncker zum denkbar ungüns- tigsten Zeitpunkt. Kurz zuvor war er zum Präsidenten der Europäischen Kommission gewählt worden, sozusagen als kleinster gemeinsamer Nen- ner innerhalb der Blöcke der Union, das konservative Gegenstück zum linken Parlamentspräsidenten Martin Schulz. Der Aufschrei aus Mitglieds- ländern, die unter dem unausgesprochenen Steuerwettbewerb innerhalb eines vorgeblich vereinten Europa nur zweite Sieger sind, bot zum Amts- antritt des Luxemburgers ein unangenehmes Begleitgeräusch.

Selbst „Steuerexperte“ Günther Robol wunderte Jean Claude Juncker: sich: „Man hat ja geradezu den Bock zum Gärt- Der Bock als Gärtner? ner gemacht, indem man den Herrn Juncker, der diese Gesetze in Luxemburg kreiert und sein Land zu einer der interessantesten Steueroasen in Europa gemacht hat, zum Kommissionspräsidenten gewählt hat. Zu jenem EU-Chef, der letztlich Steueroasen austrocknen soll; das ist ja geradezu grotesk.“ Tatsächlich war für wenige Tage Junckers Kür zum Kommissionspräsidenten auf der Kippe gestanden – hätte es einen anderen mehrheitsfähigen Konsens- kandidaten gegeben, die Affäre „Lux-Leaks“ hätte den Langzeitpolitiker hinweggespült.

Zur fragwürdigen Ehrenrettung des Herrn Präsidenten muss erwähnt werden: Luxemburg ist nicht das einzige EU-Land, das auf Kosten an- derer gut lebt. Vor zwei Jahren schon fuhr „ECO“ entlang der Donau ins nur 60 Kilometer entfernte Bratislava. Auch in der Slowakei zahlen die Unternehmen weniger Steuern. Dort fanden wir ein „Unternehmen“, das 200 andere Firmensitze „betreut“. Erstaunlich für uns war, wie bereitwil- lig über „das Geschäft“ Auskunft gegeben wurde. Mitarbeiterin Martina Nagyvathyova erzählte freimütig über die vielen Postkästen in dem an- geblichen „Bürokomplex“: „Wir erledigen hier nur die Postdienste. Falls Post kommt an eine von unseren Firmen, informieren wir die Klienten per Mail. Einige Klienten haben sich eine Weiterleitung der Post organisiert, andere lassen sich von uns die Post scannen.“ So weit also zur gängigen

58 Annahme, „Briefkastenfirmen“ gäbe es nur Offshore, auf den Bermudas, den Niederländischen Antillen oder den British Virgin Islands …

22 Prozent nur beträgt die Körperschaftsteuer in der Slowakei, niedriger als die 25 Prozent von Österreich und erst recht niedriger als im Vergleich zu den 30,2 Prozent in Deutschland. Besonders „auffallend“ sind die mick- rigen 12,5 Prozent, die in Irland und Zypern eingehoben werden. Das sei eben der „Steuerwettbewerb“, heißt es lakonisch – im vereinten Europa, das sich die Solidarität unter den Völkern auf die Fahnen geschrieben hat, greift eben doch jeder nach dem, was er ergattern kann.

Selbst der „Griff in die Trickkiste“ ist kein luxemburgisches Alleinstel- lungsmerkmal. Steuerexperte Peter Bartos weist „ECO“ zum wiederholten Male auf einen Klassiker hin: den so genannten „Double-Irish-with- Dutch-Sandwich“, ein berüchtigtes Standardgericht der, na ja, „Steuer- vermeidungsindustrie“. Hier werden, zum Beispiel, Unternehmensgewinne aus Deutschland über eine Firma in Irland, eine in den Niederlanden und einen zweiten irischen Sitz auf den Bahamas hin und her geschickt. In Deutschland müssten 30,2 Prozent Steuern gezahlt werden; nach end- losen Transaktionen stellen wir fest: Ganz legal, wird am Ende die Ver- steuerung auf 1,23 Prozent gedrückt. So einfach funktioniert die Welt.

Es gibt einen Markt des Steuerwettbewerbs in Europa. Das tut in Zeiten klammer Staats- Hie Steuerwettbewerb, kassen besonders weh. Und was unternimmt da leere Staatskassen die EU dagegen, dass ihre Mitgliedsstaaten sich gegenseitig die Milliarden vom Brot nehmen? Im Endeffekt nicht viel. Jean Claude Juncker wurde vor einen Untersuchungsausschuss zitiert; er leugnete alles, wiewohl er lange Jahre nicht nur Ministerpräsident Luxemburgs war, sondern gleichzeitig auch Finanzminister des Groß- herzogtums. Die Rechnung war eine einfache politische: Wer sprengt sich seinen Kommissionspräsidenten weg, wenn schon das Gesamtkonstrukt Union – Stichworte: Flüchtlingskrise, Euro-Schwäche, Zentrifugalkräfte Großbritannien und Spanien – nahe dem Abgrund steht?

Eine europäische Institution, die sich mit dem Problem beschäftigt, gibt es: die so genannte „Code-Of-Conduct“-Gruppe der Europäischen Kom- mission. Diese erstellt immerhin „Richtlinien“ für mehr Steuerfairness in

59 der EU. Besprochen und beschlossen wird einiges, doch folgen auch Ge- setze daraus? Wolfgang Nolz vom österreichischen Finanzministerium ist sogar Vorsitzender der Gruppe: „Gesetzliche Relevanz hat es nicht, aber politische. Ich würde sagen, alles das, was in dieser Gruppe beschlossen wurde, was abzuschaffen ist, auch tatsächlich abgeschafft wurde. Dass man dann manchmal nach Ersatzlösungen gesucht hat, die dann vielleicht auch wieder problematisch waren, das steht auf einem anderen Blatt.“

Vor allem brauchen diese Beschlüsse viele Jahre und gar Jahrzehnte Zeit, bis sie in die Praxis umgesetzt werden. In der Zwischenzeit sinken die Steuern für große Unternehmen weiter. Die durchschnittlich 40 Prozent Firmenabgaben, die noch 1980 üblich waren, sind heute auf rund 20 Pro- zent geschrumpft. Das findet sogar der ehemalige Wirtschaftsberater Günther Robol unverständlich: „Herr Warren Buffett, einer der reichsten Männer der Welt, sagt selbst: Wir leben in einer Welt, die er nicht mehr versteht. Seine Sekretärin zahlt höhere Einkommensteuern als er.“

Im letzten Jahr wurde auch der so genannte „TAXE“-Ausschuss vom EU-Parlament initiiert; ein Sonderausschuss, der sich ausschließlich mit dem Steuerwettbewerb in Europa beschäftigt. Leicht war die Arbeit nicht, wurde von Mitgliedern oft erwähnt. Finanzbeamte aus den verschiedenen Ländern schwiegen auf Nachfragen zu den Details ihrer Konstruktionen, und die Zusammenarbeit mit der „Code-Of-Conduct“-Gruppe der Kommis- sion, die ähnliche Ziele hat, sei „nicht besonders kooperativ“ gewesen. Zur Befragung wurden auch Vertreter großer Konzerne wie Coca-Cola, McDonald’s, Google, Facebook und Amazon geladen.

Eingeladen wurde auch Kommissionspräsident Jean Claude Juncker und tatsächlich bekam der Ausschuss folgende Aussage zu hören: „Die der- zeitigen Regeln der Unternehmensbesteuerung sind unzureichend und un- gerecht. Manche Unternehmen kommen schlecht weg, während andere sich hinter nationalen Bestimmungen verschanzen und dazugewinnen.“

Noch im November wurde ein Abschlussbericht vom EU-Parlament ver- abschiedet. Gefordert wurde viel. Zum Beispiel: Mehr Transparenz bei Einzelstaaten und Unternehmen, regelmäßige länderbezogene Berichte von multinationalen Firmen und eine einheitliche Bemessungsgrundlage. Keine der Forderungen hat gesetzliche Verbindlichkeit.

60 Wenn sieben Prozent Wachstum zu wenig sind – „qual o problema?“ von Angelika Ahrens

Ein Vierteljahrhundert nahezu haben die wichtigsten Schwellenländer wie Brasilien, China, Russland und Indien die Weltwirtschaft befeuert. Anleger konnten viel Geld damit verdienen. Der Boom war kräftig, die Zuwachs- raten schienen keine Grenzen nach oben zu haben. Doch plötzlich ist der Ofen aus. Was ist geschehen?

„Problemas? Quais problemas?“ Probleme? Welche Probleme? Fernando schüttelt seinen prächtigen dunklen Lockenkopf und schaut mich an. Mein Großcousin, im blau-weißen Karohemd und abgenutzten Jeans, ist wie viele Brasilianer nicht nur einfach lässig, sondern auch ewiger Optimist. Das mag an der Wärme, am schönen Wetter liegen. Oder an den vielen hübschen Frauen, die an der Copacabana ihre knappen Bikinis ausführen. Oder es ist einfach nur seine Lebenserfahrung aus einem Land, in dem viel nicht geht. Und manchmal dann irgendwie doch.

Brasilien, Land der Zukunft, hat schon der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig 1940 geschrieben, aus Begeisterung über ein Land, in dem von Rassenkonflikten nichts zu spüren war. Und aus Dankbarkeit, Schutz gefunden zu haben. „Land der Zukunft“ – das ist seit Jahrzehnten auch der Leitspruch vieler Brasilianer und auch der meisten Neo-Brasilianer. Viele Deutsche und auch einige Österreicher wanderten vor 65 Jahren in das riesige südamerikanische Land aus.

Einer davon war ein Bruder meiner Oma Fanni. Er ist damals mit seiner Familie ebenfalls nach Brasilien gezogen. Er und seine Frau gingen weg, weil zu Hause die vielen Mäuler nicht gestopft werden konnten. Sie hatten gehört, dass es fern von Österreich gratis Land von der Regierung gibt. Also machten sie sich auf nach Rio.

Jahrelang hatte meine Familie nichts aus Brasilien gehört. Erst als mein Großcousin alte Fotos und Briefe auf dem Dachboden gefunden hatte, hat er wieder Kontakt zu uns gesucht – über „Facebook“ übrigens.

61 Dummerweise spricht er kein bisschen Deutsch, nicht eine Silbe. Nur – klar – Portugiesisch spricht er, das ist echt schwer, und ein paar Brocken Englisch und Spanisch. Wir verständigten uns also mit Händen und Ges- ten und meinem bisschen Spanisch via Skype im Internet.

Ich habe dann beschlossen, meine unvermutet aufgetauchten neuen bra- silianischen Verwandten in Rio de Janeiro und Sao Paolo zu besuchen. Darauf habe ich mich gut vorbereitet. Dabei musste ich mir unsägliche Schauergeschichten über Überfälle auf Bekannte anhören, ob ich wollte oder nicht. Selbst in Wien wusste ein Masseur von so einem bösen Er- lebnis zu berichten. Er war mit drei Freunden in einem Lokal in Rio zum Abendessen gewesen, nur zehn Minuten vom Hotel entfernt, erzählte er. Einer von ihnen wollte noch die Bar aufsuchen und dann allein zum Hotel zurück gehen. Er wurde überfallen und landete im Krankenhaus; schwer traumatisiert und mit aufgeschlitzter Brust.

Fazit: Niemals allein in Brasilien unterwegs sein. Auch der Besuch eines schicken Shopping-Centers in Rio de Janeiro findet also nur in Begleitung statt. Fernando, mein Großcousin, fährt mich hin. In das noble Stadtviertel Barra da Tijuca, das am breiten Sandstrand liegt. Aber: Das liegt ganze vierzig Kilometer von der Copacabana entfernt. Rio ist riesig! Die Metropol- region, also Rio mit Umkreis, zählt fast zwölf Millionen Einwohner. Kleine Erledigungen wachsen sich da schon mal zu Tagesausflügen aus.

In Barra da Tijuca wird gerade der Olympiapark In Brasilien wird fertiggestellt. Wie alles im Zusammenhang mit alles sehr spät fertig den Olympischen Spielen im heurigen Jahr wird auch dieses Projekt wahrscheinlich erst im letz- ten Moment fertig. Auch ob der U-Bahn-Ausbau klappt, ist nicht sicher. Die Stadtregierung hatte eine Verlängerung der U-Bahn-Linie von Ipanema bis Barra da Tijuca geplant. Damit sollten die Zuschauer in nur 15 Minuten von Ipanema nach Barra gebracht und vor einer beschwerlichen Anreise be- wahrt werden. „Erwarte dir keine Schnäppchenpreise“, ruft mir Fernando nach, als er mich vor der Shopping Mall absetzt. „Vieles ist in Brasilien sehr teuer. Manchmal weiß ich gar nicht, ob ich mir selbst das leisten soll!“

Seit dem Amtsantritt von Staatspräsidentin Dilma Rousseff ist vieles teurer geworden, besonders im letzten Jahr. Die Preise sind im Schnitt

62 Rio und die ehemalige „Boom“-Region Brasilien: Die Mischung ist hochexplosiv Foto: APA/Birgit Egarter um zehn Prozent gestiegen. Weil alles so viel teurer ist, kaufen die Men- schen auch weniger. Gleichzeitig sind auch Kredite wahnsinnig kostspielig – 30 Prozent Zinsen verlangen die Banken für einfache Konsumkredite. Auch für die Unternehmen sind Kredite sehr teuer, dabei würde das Land viele Investitionen brauchen. Alles in allem ergibt das ein hochexplosives ökonomisches Umfeld – ein Booster für die Wirtschaft sieht anders aus.

Das Einkaufscenter, das ich besuche, hätte alles zu bieten, darunter auch unzählige Geschäfte mit Kindermoden. Herzig, die fröhlichen puppenhaf- ten Kleidchen und Matrosen-Outfits. Da wäre schon etwas für meine kleine Nichte Anea dabei. Doch der Preis ist genau der gleiche wie in Österreich. Wie soll das funktionieren, frage ich mich, wo doch die meis- ten Menschen hier in Brasilien deutlich weniger verdienen als die Men- schen in Österreich?

Weiter in den zweiten Stock. Hier gibt es ein Elektrowarengeschäft, so et- was wie einen österreichischen „MediaMarkt“ bzw. eine „Saturn“-Filiale. Der Verkäufer hat eine große Auswahl an kleinen kompakten Digital- kameras unter der Glastheke anzubieten. Die Preise sind gar nicht so schlimm. 70 Euro für einen Sony-Fotoapparat mit 16 Megapixel – ge- bongt. Doch das Bezahlen wird zum Problem. Nein, meine Kreditkarte ist nicht der Grund. Eine Nummer will er haben, der Verkäufer. Ohne die geht

63 gar nichts, meint er. Ich verstehe nur Bahnhof. Auch eine Bestätigung des Hotels reicht nicht aus, dass ich in der Stadt als Tourist unterwegs bin. „Die Regierung will es genauer wissen“, raunt mir der Verkäufer zu. „Ohne Personennummer, das ist so etwas wie eine Steuernummer, geht hier gar nichts.“

Im Klartext heißt das, wer etwas kaufen möchte, lässt seine persönliche Nummer in die Kasse . Damit hat der brasilianische Staat die Kon- trolle über alles, was verkauft wird und an wen. Nach einer langen Dis- kussion erklärt sich der Verkäufer schlussendlich bereit, mir zu helfen. Er kauft die Kamera unter seiner Steuernummer und seinem Namen. Dann bedeutet er mir, dass ich ihm in den hinteren Teil des Geschäfts folgen soll. Dort muss ich vor einem vergitterten Kassenabteil bezahlen. Das erinnert mehr an eine Bank im Wilden Westen als an einen modernen „MediaMarkt“ in Brasilien.

Das Land hat 2014 die Fußball-Weltmeisterschaft ausgerichtet, jetzt sind die Olympischen Spiele 2016 an der Reihe. Zwei Großereignisse und die Touristen können kaum eine Kamera in einem Shopping-Center kau- fen? Das gibt’s doch wohl nicht. Ich schicke dem österreichischen Wirt- schaftsdelegierten vor Ort ein Mail und schildere ihm mein Erlebnis. „So etwas habe ich noch nie gehört“, antwortet Ingomar Lochschmidt post- wendend. „Wahrscheinlich wollte der Angestellte den Kauf nur für sich selbst nutzen. Das mit der Nummer ist nämlich nur ein Anreiz. Wer sie freiwillig angibt und an das Finanzamt übermitteln lässt, nimmt einmal im Monat an einer Lotterie teil. Und kann dabei einen geringen Prozentsatz des Kaufbetrages zurückbekommen.“ Okay. Da habe ich wohl einen klei- nen Gauner erwischt. Aber zumindest hat er mich und meinen Geldbeutel nicht geschädigt.

Brasilien leidet generell unter zuviel Bürokratie. Wenn eine Firma ihre Produkte von einem Bundesstaat in den nächsten liefern möchte, dann sind unterschiedlich hohe Steuern fällig. Das ist ungefähr so, als wenn ein Salzburger Molkereibetrieb Joghurt nach Wien liefern möchte, doch schon in Oberösterreich muss der Lkw-Fahrer das erste Mal die Rampe runter lassen. In Niederösterreich gibt es wieder eine Kontrolle der Fracht und in Wien, am Zielort, sowieso. Und das Ganze dann noch mit unter- schiedlichen Steuersätzen.

64 Trotz allem wurde das Land am Zuckerhut bis vor wenigen Jahren als „ökonomische Supermacht des 21. Jahrhunderts“ gefeiert. Eine Zeitlang lag die in US-Dollar gemessene Wirtschaftsleistung des Landes sogar vor jener Großbritanniens. Bis 2020 könnte das aufstrebende Land sogar Deutschland locker überholt haben, hieß es. Den Rohstoffen Öl und Erz sei Dank – die südamerikanische Volkswirtschaft galt lange Zeit als Star unter den BRIC-Staaten.

BRIC, das sind die größten und wichtigsten aufstrebenden Nationen: Brasilien, Russland, Brasilien, ein Land fast Indien und China. Sie waren in den letzten so groß wie Europa zwanzig Jahren für westliche Wirtschaftsbosse aussichtsreiche Märkte. Überhaupt, Brasilien das ist ein Land der Su- perlative, ein Land der Kontraste. Das Land bietet soviel Fläche, dass nahezu ganz Europa hineinpasst. Rund 8000 Kilometer Küste; das größte Regenwaldgebiet des Globus; der längste Fluss der Erde; stellenweise so viele Pflanzen- und Tierarten auf nur einem Hektar Land wie in ganz Europa zusammen.

„Hier hat die Natur in einer einmaligen Laune von Verschwendung alles auf einen Raum gedrückt, was sie sonst auf mehrere Länder verteilt“, schrieb schon Stefan Zweig in seinem Buch „Brasilien, Land der Zukunft“. Brasi- lien hätte noch immer alles im Überfluss. Und dennoch stehen dem Land schwierige Jahre bevor.

Allein zwischen den beiden Sport-Großereignissen Fußball-Weltmeis- terschaft und den Olympischen Spielen hat sich Brasilien zum „kranken Mann“ entwickelt. Die Währung befindet im freien Fall; die Anleihen ran- gieren auf Ramschstatus. Hoffnung auf Besserung? Vage bis gar keine. Heute sprechen viele Finanzer vom „neuen Griechenland“, nur „zehnmal größer“.

Was war passiert? Fernando, der mich mittlerweile vor dem Einkaufszen- trum in Barra abgeholt hat, schlägt zornig mit der flachen Hand auf das Lenkrad seines Autos. Für ihn ist alles sonnenklar: „Die Politik ist schuld an der ganzen Misere. Die Korruption hat sich wieder ausgebreitet, bis in die Spitze der Regierung. Die sündhaft teure Fußball-WM war nur ein Symbol dafür. Der Neubau vieler langfristig unbrauchbarer Fußballstadien

65 Stadion in Bau: Auch für die Olympischen Spiele wird alles spät fertig Foto: APA/Birgit Egarter hat viel Geld gekostet. Aber was haben sie dem Volk gebracht? Mit den Prestigeprojekten der Olympischen Spiele ist es genau das Gleiche.“

Apropos Fußball: Das berühmte Maracana-Stadion steht ohnehin auf meinem Sightseeing-Plan. Da fahren wir als nächstes hin. Denn hier werden schon bald die Olympischen Spiele eröffnet. Während wir uns durch die Mega-Stadt stauen, sehen wir immer wieder Bilder des brasi- lianischen „Fußballgottes“ Pele auf Hauswände gesprüht. Der Mann ist schon 75 Jahre alt, sein Markenzeichen ist aber immer noch sein strah- lendes Lächeln.

Wir fahren vorbei an wunderschönen Stränden und Palmen. Die Kronen der Wellen glitzern im Meer. Und dann wieder bunte Häuser; Blumen wach- sen aus alten Mülleimern. Orangenbäume, Bananen- und Bambusstau- den am Straßenrand. Hoch über der Stadt, mehr als 700 Meter über dem Meeresspiegel, breitet die 30 Meter hohe Christus-Art-deco-Statue vom Corcovado ihre Arme über Rio de Janeiro aus. So, als wolle sie alle schüt- zen. Auch die riesigen Slumsiedlungen, die Favelas, mitten in der Stadt.

Zum Beispiel die Favela oben auf den Hügeln, über einem Tunnel, der die verschiedenen Stadtteile verbindet. Durch den fahren wir jetzt durch. Jeder hat sich irgendwie sein Zuhause hingezimmert. Zur Not an einen

66 Berghang, ohne Genehmigung. Aber mit einem Wahnsinnsausblick auf das Meer. Die Stadt duldet es. Hineingehen sollte man in so eine Siedlung allerdings niemals allein. Das hatte ich bereits bei einer Reise in Ecuador kennen gelernt, als ich mit meinem Kameramann mit Bewohnern einer dortigen Favela sprechen wollte. „Ohne Begleitschutz? Impossible!“, wurde uns eindringlich geraten.

Endlich sind wir im berühmten Maracana-Stadion angekommen. Sehr schön. Fernando und ich buchen eine Backstage-Führung. Er deutet auf die Risse an den Wänden. „Komisch“, entfährt es mir, „das ist doch ge- rade alles ganz neu gebaut worden.“ „Nichts hier wird für die Ewigkeit gebaut“, erklärt Fernando, der lange Zeit in der Baubranche gearbeitet hat. „Wenn etwas nicht lange hält, bekommt ein Unternehmer eben bald wieder neue Aufträge.“ Aha, so ist das.

„Im Endeffekt spricht man sich einfach ab. Sem problemas. Es kommt im- mer nur drauf an, wieviel Geld fließt.“ Ich kann es nicht glauben. Wir spa- zieren durch die Spieler-Umkleideräume und dann hinaus auf den „heiligen Rasen“. Oder, besser gesagt, auf den Rand des Spielfelds, weiter dürfen wir Normalsterbliche ja nicht.

Es muss ein unglaubliches Gefühl sein, über diesen Rasen zu sprinten. Manuel, dem Guide im Stadion, bleibt unsere Begeisterung nicht verbor- gen. Wenn wir wollten, könnten wir heute Abend noch bei einem Spiel dabei sein, meint er. Es gebe „noch ein paar Karten“. Das wollen wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Wenn wir schon einmal hier sind. Und wirklich, ich muss sagen: So etwas habe ich noch nie erlebt. Eine fantas- tische Stimmung; keiner der Zuschauer bleibt auf seinem Platz. Alle ste- hen, alle feiern, alle singen und tanzen mit während des gesamten Spiels.

So viel Grund zum Feiern hat Staatspräsidentin Dilma Rousseff nicht. Sie muss ständig neue Rückschläge verkraften. Die Ratingagentur S&P hat die Staatsanleihen des lateinamerikanischen Staates auf „Junk-Status“ heruntergestuft. Also auf die untere Schublade. Im Vergleich zur US-Wäh- rung, dem Dollar, ist der brasilianische Real zuletzt um 35 Prozent gefallen. Das macht den Schuldendienst teurer. Für 2015 prognostizierte der Inter- nationale Währungsfonds ein Schrumpfen der brasilianischen Wirtschaft um drei Prozent.

67 Die Arbeitslosenrate in dem 200 Millionen Einwohner zählenden Subkonti- nent ist eine der höchsten unter allen Schwellenländern. Die Exporterlöse brechen wegen niedriger Rohstoffpreise ein; das Außenhandelsdefizit weitet sich aus; die öffentliche Verschuldung steigt. Das belastet die ganze Region. Brasilien steht für fast die Hälfte der Wirtschaftskraft des südamerikanischen Kontinents und wäre ein wichtiger Markt für alle Nachbarländer.

Als die Stimmung auf dem Siedepunkt angelangt war, unternahm die bei vielen mittlerweile unbeliebte Staatspräsidentin einen Befreiungsschlag. Sie bildete das Kabinett um, entließ Minister, strich 3000 Beamtenstel- len und kürzte das Gehalt der verbliebenen Staatsdiener um zehn Prozent. Doch das ließ die Bürger kalt. Auch Fernando winkt ab. „Die soll sich erst mal selber anschauen.“ Zum zweiten Mal in der Geschichte Brasiliens wird nämlich gegen ein Staatsoberhaupt wegen Korruption ermittelt. Rousseffs Arbeiterpartei soll vor der Wahl 2014 mehr als 170 Millionen Euro vom Staatskonzern Petrobras abgezweigt haben. Der staatlich ge- lenkte Ölkonzern Petrobras ist in harter Währung heute auch nur noch ein Zehntel dessen wert, was ihm die Börse vor sechs Jahren als „Marktka- pital“ zugebilligt hatte. So schnell geht es in Brasilien.

Selbst wenn Rousseff über ein Amtsenthebungsverfahren gestürzt würde: Eine nationale Wirtschaftslage ändert sich nicht über Nacht. Brasilien, mit 8,5 Millionen Quadratkilometern das fünftgrößte Land der Erde, ist zwar reich an Bodenschätzen. Doch wer sich zu sehr auf seine Rohstoffe verlässt, ist auch abhängig von den Weltmarktpreisen. Nur Russland und Venezuela sind noch stärker von Rohstoffen abhängig als Brasilien. „In den fetten Jahren, als die Rohstoffpreise ins scheinbar Unermessliche gestie- gen sind, hat sich die brasilianische Führung an die Einnahmen gewöhnt und immer mehr ausgegeben“, erzählt Fernando. „Und damit ist auch klar, dass es mit den Staatsfinanzen nicht zum Besten steht.“

Die Schuldenquote sieht mit 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für europäische Verhältnisse auf den ersten Blick recht moderat aus. Doch das ist nicht alles, was zählt. Die internationalen Investoren stören die Bestechungsskandale und die Günstlingswirtschaft im Umkreis der Par- tei der Staatspräsidentin. Viel Vertrauen ist zerstört worden. Mittler- weile gibt es auch viel Unmut in der Bevölkerung. Streiks stehen auf

68 der Tagesordnung. Das soziale Gefälle birgt Sprengstoff. Die Geschichte Brasiliens wird deshalb so ausführlich beschrieben, weil sie sozusagen Modellfall für die Probleme in den übrigen BRIC-Staaten ist.

Denn nicht nur in Südamerika ist die Hoffnung der großen Ernüchterung gewichen. Auch Indien, die nach eigenem Bekunden „größte Demokratie der Welt“, konnte die Erwartungen nicht erfüllen. Die Infrastruktur ist im- mer noch veraltet. Lange, halsbrecherische Transportwege erschweren den Handel. Eine marode Infrastruktur, das ist ein Punkt, der auch in Bra- silien verbesserungswürdig wäre.

Und wie in Brasilien blüht auch in Indien die Korruption innerhalb des Staatsapparates. Nicht Klar: Auch in Indien gerade die besten Voraussetzungen für inter- blüht die Korruption nationale Investoren, um in Indien große Ge- schäfte zu machen. Premier Narendra Modi hat in dem Bundesstaat Gujarat zwar einmal vorgemacht, wie mit einer wirtschaftsfreundlichen Politik eine ganze Region vorangebracht werden kann. Dieses Kunststück konnte er aber bisher nicht für das gesamte riesige Land wiederholen.

Modi war im Mai 2014 angetreten, um die indische Wirtschaft „zu entfes- seln“. Österreicher kennen das. Sein Reformprogramm geriet ins Stocken. Lang erwartete Reformen zur Landvergabe und der Mehrwertsteuer scheiterten im Herbst 2015 im Parlament. Dort hat die Opposition die Mehrheit im Oberhaus. Doch das ist noch nicht alles, auch die Arbeitneh- mer bäumten sich auf. Sie streikten gegen die geplante Liberalisierung des Arbeitsmarktes. Modi möchte zum Beispiel durchsetzen, dass Un- ternehmen mit weniger als 40 Mitarbeitern vom Arbeitsrecht ausgenom- men werden. Doch dagegen stemmen sich die Gewerkschaften. Auch die umfassende Privatisierung lehnen sie ab.

Die Banker der großen internationalen Investmenthäuser sind in Wartepo- sition gegangen. Sie schauten vor allem auf die nackten Wirtschaftszah- len und waren enttäuscht. Im zweiten Quartal 2015 beispielsweise ist die indische Wirtschaft nur um sieben Prozent gewachsen. Das war weniger als erhofft. Der indische Transportminister Nitin Gadkari versprach da- raufhin, dass allein sein Infrastrukturprogramm in zwei Jahren für zwei Pro- zent zusätzliches Wachstum sorgen werde. In den nächsten fünf Jahren

69 werde er „allein im Straßenbau Projekte im Gesamtwert von 76 Milliarden US-Dollar“ fertigstellen. Für das Gesamtjahr 2015 erwartete der IWF 7,8 Prozent Wirtschaftswachstum für Indien. Eigentlich enorm viel für unsere Begriffe, für europäische Verhältnisse. Aber für ganze Subkonti- nente wie Indien oder auch für noch größere Schwellenländer wie China sind sieben Prozent Wachstum zu wenig. Wer eine Milliarde bzw. 1,6 Mil- liarden Menschen beherbergt, die fast durchwegs einen unstillbaren Hunger auf Verbesserung ihrer Lebenssituation haben, muss als Volks- wirtschaft mehr bieten; so brutal funktioniert das System.

Überhaupt: „China ist das neue Problemland“, China ist das neue titelte das deutsche „Handelsblatt“ im Herbst. „Problem-Land“ Für viele zunächst unverständlich. Denn China galt ein Vierteljahrhundert lang als Wachstums- treiber für die Weltwirtschaft. Unsere verlängerte und kostengünstige Werkbank eben. Auch viele österreichische Firmen, wie etwa der steirische Chiphersteller AT&S, hatten dort eine Fabrik aufgesperrt. Doch ein riesiges Land wie China benötigt mindestens sieben Prozent Wirtschaftswachstum, damit Millionen von Wanderarbeitern auch Jobs in den Fabriken finden.

Doch Chinas Tage als billige Werkbank sind gezählt. Längst sind viele Un- ternehmen nach Vietnam oder anderswohin weitergezogen. Der Standort China ist in den letzten Jahren teuer geworden. Das Wachstum stößt in dieser Form an seine Grenzen. Die Welt kann oder will derzeit nicht so viele Waren kaufen, wie es China gerne hätte und noch immer produziert. Längst gibt es Überkapazitäten. Die chinesische Wirtschaft muss sich selbst um- bauen hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Sie muss auch Waren für den eigenen Markt herstellen; und die Chinesen sollten vermehrt ihre eige- nen Produkte kaufen. Doch dieser Umbau geht langsamer und schwieriger voran, als viele gedacht hatten – in erster Linie die chinesische Regierung.

Bereits in den letzten Jahren haben sich Experten immer wieder gefragt, wie es mit der Wirtschaft im Reich der Mitte wohl weiter geht. Ob es eine „harte“ oder eine „weiche Landung“ nach dem wirtschaftlichen Höhenflug geben wird? Mit den Abwertungen der Währung im Sommer des Vorjahres musste die chinesische Führung die eigene Wirtschaft vor dem Absturz retten; ihre eigenen Waren wurden auf dem Weltmarkt noch billiger gemacht.

70 Die Schockwellen waren überall auf dem Globus zu verspüren. Sie hatten auch Folgen für europäische Unternehmen, wie etwa VW und Co. Das Land des Drachens ist beispielsweise der größte Automarkt der Welt. Aber wenn die zweitgrößte Volkswirtschaft des Erdballs weniger produ- ziert, wenn weniger konsumiert wird, dann wirkt sich das nicht nur auf einzelne Firmen, sondern auch auf ganze Volkswirtschaften aus, etwa die Europäische Union. Dann werden weniger Rohstoffe gebraucht. Deswe- gen schielen Anleger und Banker weltweit auch immer mit einem Auge nach China. Sie stellen fest: Wirklich berauschende Wirtschaftsnachrich- ten sind rar geworden.

Die Investmentbank JP Morgan erwartet, dass die Arbeitslosigkeit in Schwellenländern erstmals nach sechs Jahren nicht mehr sinken sondern steigen wird. Eine epochale Wende in der Weltwirtschaft bahnt sich an. Das scheinbar grenzenlose Wachstum verebbt; ein Wachstum, das auch Deutschland zu Exportrekorden verholfen hat. Und von dem auch öster- reichische Zulieferer profitiert hatten. Der Internationale Währungsfonds erwartet, dass die Schwellenländer im Durchschnitt nur noch gut vier Pro- zent wachsen werden. Das liegt dramatisch unter den Prognosen – und es ist mehr als „eine Delle“.

In Russland zusätzlich ist die Wirtschaft durch einen Ölpreisverfall gehörig ins Stocken geraten. Moskau steckt in Die Kombination ist für Moskau bedrohlich. Nied- einer „Doppelmühle“ rige Rohstoffpreise, eine politische Isolation, zu- sätzlich die Sanktionen des Westens infolge der Ukraine-Krise ließen auch die russische Wirtschaft in eine Rezession rutschen. Insgesamt rechnete die Regierung mit einem Minus von vier Prozent für 2015. Und das waren die offiziellen Zahlen, die der Kreml zur Veröffentlichung freigab.

Noch im Oktober 2015 rief Präsident Wladimir Putin „das Ende der Wirt- schaftskrise“ aus. Er erklärte, dass „der Höhepunkt erreicht“ sei, dass sich „die Lage stabilisiert“. Allein, der Internationale Währungsfonds und die Weltbank sehen das anders: Beide Institutionen rechnen damit, dass Russland wegen der niedrigen Ölpreise auch heuer noch in der Re- zession verharren wird; mehr noch, dass die Wirtschaftsleistung wei- ter sinkt. Das birgt Sprengstoff. Nicht nur wirtschaftlichen – vor allem politischen.

71 Millionenmetropole Rio: Ende 2015 gab es „die Krise der Weihnachtsmänner“ Foto: APA/Birgit Egarter

„Krisen sind nichts Neues für die Brasilianer. Sie sind schon durch andere Probleme gegangen“, erzählt Ingomar Lochschmidt, der österreichische Wirtschaftsdelegierte. Wir treffen ihn in einem wunderschönen alten Kaf- feehaus im Zentrum von Rio, der „Confeiteria Colombo“. Hier wird die Belle Epoche lebendig. 1894 wurden aus Frankreich riesige Spiegel per Schiff angeliefert. Jugendstillampen und Kaffeehaustische runden das Bild ab; um uns herum Touristen und Einheimische. Ich aber zähle vermehrt Einhei- mische, die sich auf ein Stückerl Kuchen treffen, sich das Leben versüßen.

In den 1980er-Jahren litt das Land unter den Folgen des Ölpreisschocks. Innerhalb von wenigen Jahren brach der Wert der damaligen Landeswäh- rung Cruzeiro ein, dramatisch. Überall im Land gab es Streiks. Damals wie jetzt trifft es immer jene Menschen, die ohnehin mit dem oder um das tägliche Leben kämpfen. Vor fünfzehn Jahren schon warben brasilianische Banken für Kredite, die sie zwecks Finanzierung des täglichen Lebensmit- teleinkaufs anpriesen. Ist das so lange niemandem aufgefallen? Essen auf Pump? Wie lange zahle ich dafür Raten, dass ich heute satt bin?

Fernando schlägt eine der Tageszeitungen auf, die auf einem Tischchen liegen: „Die Krise der Weihnachtsmänner“ ist da zu lesen. Wir schauen uns an: Was es nicht alles gibt? Ende 2015, kurz vor Weihnachten, will sich kaum ein Einkaufszentrum einen Weihnachtsmann leisten, steht zu

72 lesen. Der Direktor der „Schule für Weihnachtsmänner“ in Rio, Limachen Cherem, erzählt der Zeitung „O Globo“: „Die Händler warten bis zum letz- ten Moment. Dann sind die Weihnachtsmänner auch flexibler, was den Lohn angeht. Das ist bitter, denn in Rio verdienen ausgebildete Weih- nachtsmänner in großen Einkaufszentren normalerweise gut.“

Die Schule bietet eine etwa 40-tägige Ausbildung für die Saisonarbeit „als Weihnachtsmann“ für Kandidaten über 50 Jahre an. Fernando schiebt die Brille auf seiner Nasenspitze nach oben und legt witzelnd die Zeitung auf die Seite: „Ich bin jetzt 55 Jahre alt und gehe bald in Pension. Vielleicht gehe ich auch bald in die Weihnachtsmann-Schule.“ Das kann sich mein Großcouisin wohl abschminken. Wegen der hohen Arbeitslosigkeit haben sich im alten Jahr mehr als 200 Kandidaten bei der Weihnachtsmann- Schule angemeldet. Das waren doppelt so viele wie im Jahr davor.

Die wirtschaftliche Lage ist in vielen Branchen schlecht. Die Industrie arbeitet auf einem Stand unter der Weltwirtschaftskrise von 2009. Die Projekte für die Olympischen Spiele haben einigen Unternehmen, darun- ter auch österreichischen Firmen, schöne Aufträge gebracht. Auch der Tourismus profitiert kurzfristig. Aber „extrem viel“ wird es wahrscheinlich nicht sein, meint auch der Wirtschaftsdelegierte.

Was soll’s. Brasilien ist doch das Land der Zukunft. „Weißt du, Probleme kann man ganz einfach ausblenden, kann man wegtanzen“, sagt Fernando. Und so finden wir uns wenig später, sozusagen zur Feier des Tages, in einem richtig tollen Samba-Club wieder. Im „Rio Scenarium“, einem der angesagtesten Hotspots im Szeneviertel Lapa.

In meiner Zeit bei den „Dancing Stars“ habe ich tagelang schweißgebadet Samba-Tanzen geübt. Hier ist alles anders. Die Brasilianer tanzen flocki- ger, leichter und schöner. Ich möchte mir erst einmal anschauen, wie die Einheimischen ihre Schritte zuwege bringen. Viel Zeit bleibt mir nicht. Fernando zieht mich auf die Tanzfläche; Widerstand zwecklos. Er wirbelt mich durch die Luft. Das macht Spaß. Solche Sprünge darf man sich in der nächsten Zeit nicht von Brasiliens Wirtschaft und nicht von einem anderen großen Schwellenland erwarten. BRIC funktioniert nicht mehr.

Den Takt geben andere vor.

73 Große Worte – gelassen ausgesprochen gesammelt von Günther Kogler

„Ich hasse das Wort Lebensmensch.“ Stefan Petzner, der den Begriff irgendwie ins Spiel gebracht hatte, vor dem Hypo-Untersuchungsausschuss.

„Man kann im Sattel sitzen und unter dem Sattel ist kein Pferd. Also: Wo sitzt man dann und wohin bewegt man sich?“ Die Frage, ob SPÖ-Chef Werner Faymann noch fest im Sattel sitzt, beschäftigt den Unternehmer Hannes Androsch hörbar.

„Frauen sind Menschen wie wir.“ Parteiobmann Frank Stronach überrascht bei den ORF- „Sommergesprächen“ sein Publikum mit neuen Erkenntnissen.

„Was soll besser werden, wenn wir wählen gehen?“ Reinhold Lopatka, Klubobmann der ÖVP, immer schon ein Realist.

„In unserem Strafgesetzbuch gibt es kein ausdrückliches Verbot der politischen Prostitution.“ Stronach-Anwalt Michael Krüger hat den Auftrag, zur ÖVP übergelau- fene Mandatare zu bekämpfen, resigniert aber.

„Die Sinnfrage ist nun geklärt.” Kathrin Nachbaur wird Mutter – und kehrt dem Team Stronach den Rücken.

„Der Staat ist ein bewegungsloser Koloss, der hemmt uns bei Entscheidungen.“ Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) erkennt das Problem.

„Es ist eine sehr angenehme Arbeitssituation, wenn der Chef auch Freund ist.“ Josef Ostermayer (SPÖ), Langzeit-Begleiter von Werner Faymann, über das Arbeitsklima im Kanzleramt.

74 Gold glänzt trotz allem verlockend – vor allem für die Nationalbanken von Hans Hrabal

Gold hat in den vergangenen Jahren so manche Rallye erlebt; auch so man- chen Absturz. Momentan dümpeln die Preise wieder müde vor sich hin. Das ändert nichts daran, dass Gold ein Fixstarter für Sparer und Investoren bleibt. Auch die Zentralbanken sind dem Gold seit Jahrhunderten treu. Die OeNB will jetzt den heimischen Goldschatz zurück nach Österreich holen.

Tief unter dem Straßenniveau des Otto-Wagner-Platzes im 9. Wiener Gemeindebezirk gibt es einen geheimen Hochsicherheitstrakt. Er befin- det sich in den Kellern der Österreichischen Nationalbank, die hier seit den Zeiten des Wiener Kongresses ihren Sitz hat. Hier lagert die heimi- sche Zentralbank ihre Währungsreserven. Milliardenwerte, überwiegend in Euro-Banknoten, aber auch in anderen Währungen, zum Beispiel in US-Dollar. Die Geldsafes sind prall gefüllt. Nur ein Raum, der stand zu- mindest im November noch leer. Es ist jener, der für den österreichischen Goldschatz reserviert ist; der Goldschatz der Republik, er befindet sich schon seit Jahrzehnten nicht in Österreich.

Insgesamt umfasst der Goldbesitz der Alpenrepublik momentan 280 Tonnen. Das entspricht einem gegenwärtigen Marktwert von rund neun Milliarden Euro. Details und Volumen des Schatzes entsprechen den Anga- ben der OeNB. Überprüfen kann man die als Einheimischer leider schwer. Nicht einmal, wenn man Zugang in ihre hochsicheren Tresore hätte. Denn schon seit Jahrzehnten befindet sich das rot-weiß-rote Reservegold zum überwiegenden Teil in den Tresoren der „Bank of England“ in London.

Das heimische Zentralbank-Gold hat eine abenteuerliche Geschichte hinter sich. Bis in die 1930er-Jahre lag der Goldschatz still und sicher unter dem Otto-Wagner-Platz und galt als einer der größten in Europa. Grund genug für Hitlers Schergen, den Schatz nach dem Anschluss zu germanisieren und ihn 1938, vom Otto-Wagner-Platz weg, in die Safes der Deutschen Reichsbank in Berlin zu transferieren, wo er dringend benötigt wurde, um die deutsche Rüstung zu finanzieren.

75 Nach dem Krieg blieb vom österreichischen Gold nur noch ein Bruchteil übrig. Nach Wien wurde aber auch dieser goldglänzende Rest nicht über- stellt. Österreich war in vier Besatzungszonen unterteilt. Und unter den Besatzern begann gerade der „Kalte Krieg“. Noch vom Goldraub der Na- zis unter Schock stehend entschied die österreichische Regierung in den 1960er-Jahren das Gold in London zu belassen. Auf Nummer Sicher, auch im Falle eines – damals nicht gänzlich unwahrscheinlichen – Einmarsches der Warschauer-Pakt-Truppen in Europa.

Der freilich fand nie statt. Doch das Gold, es blieb in London. Bis …, ja, bis vor kurzem Kritik an dieser Übung laut wurde. Warum? Wie so oft, wenn es um Währungs- und Wirtschaftsangelegenheiten ging, tat die National- bank alles so, wie die deutsche Bundesbank dies tat; auch die BRD hatte den Großteil ihres Goldes über Jahrzehnte in den Safes der Westalliierten, zumeist in den USA und Großbritannien, verwahrt.

Irgendwann begannen deutsche Experten da- Nur kleine Kärtchen ran zu zweifeln, ob es dort überhaupt noch lag. markieren die Barren Nicht, dass es irgendwelche Beweise für das Fehlen gab. Allerdings auch keine für das Ge- genteil. Denn – so wie auch Geld – haben auch Goldbarren kein Mascherl. Wem die vorhandenen Barren jeweils gehören, wird einfach mit kleinen Kärtchen markiert. Und die sind natürlich ziemlich leicht austauschbar. Jedenfalls wurde Deutschland misstrauisch. Und obwohl es diesbezüg- lich von der Bundesbank oder einer deutschen Regierung nie irgendwel- che offiziellen Statements gab, führte die ganze Diskussion dazu, dass die BRD zumindest einen Teil ihres Goldes heimholte, um es in eigenen Tresoren auf bundesdeutschem Gebiet zu verwahren – und die Öffent- lichkeit zu beruhigen.

Still und leise veränderte sich damit auch das Bewusstsein der öster- reichischen Nationalbanker. Erst transferierte man etwa sechs Tonnen des Staatsgoldes in die Schweiz, nach Zürich. Dann holte man, nach und nach, weitere 50 Tonnen nach Österreich. Langfristig, so bestä- tigte auch OeNB-Gouverneur Ewald Nowotny, möchte man nur noch die Hälfte des Schatzes bei den Briten belassen. Das hätte immerhin Vor- teile. Nowotny: „Da geht es nicht um Sicherheit, sondern um Flexibili- tät. London ist international der wichtigste Goldhandelsplatz. Wenn wir

76 Die Goldbestände der Zentralbanken USA 8130 Tonnen Deutschland 3390 Tonnen Italien 2450 Tonnen Frankreich 2435 Tonnen China 1054 Tonnen Schweiz 1040 Tonnen Russland 1015 Tonnen Japan 765 Tonnen Niederlande 612 Tonnen Indien 558 Tonnen 0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000 8000 9000

Quelle: Münze Österreich

Veränderungen am Goldschatz vornehmen wollen, dann geht das von dort aus am einfachsten.“

Noch liegen in London rund 225 Tonnen. In nächster Zeit sollen weitere 90 Tonnen von der Insel gen Österreich transportiert werden. Die „neue Goldstrategie“ der Nationalbank ist damit auch schon umrissen. Bei der Umsetzung wird nicht gehudelt. Laut dem Gouverneur soll das Gold „bis spätestens 2020“ wieder in heimischen Tresoren glänzen.

Die Rückholaktion ist logistisch allerdings auch trotz des großzügigen Zeitpolsters nicht von schlechten Eltern. Sicherheitsanforderungen für Goldtransporte sind enorm; insbesondere, wenn es um so große Mengen geht. Das weiß man auch in der „Münze Österreich“. Regelmäßig wird von der OeNB-Tochter Gold zugestellt und abgeholt, und zwar nicht zu knapp. Etwa 70 Tonnen des gelben Edelmetalls verarbeitet man jährlich.

Allein 6000 Stück der weltweit erfolgreichen Philharmonikermünze wer- den täglich geprägt. Dazu kommen noch Dukaten und kleine Goldbarren für Anleger. Die „Münze“ fungiert aber nicht nur als Prägeanstalt. Sie ist bis dato auch die sicherste Goldverwahrungsstätte des Landes. In ihren – ebenfalls streng geheimen – Safekammern lagern nicht nur jene Gold- bestände, die die kontinuierliche Produktion gewährleisten sollen – die

77 Goldreserven je Einwohner

Land Einwohnerzahl Gramm Gold pro Einwohner Platz 1: Schweiz 7.779.000 133,7 Gramm Platz 2: Libanon 3.971.000 72,2 Gramm Platz 3: Deutschland 81.882.000 41,6 Gramm Platz 4: Italien 60.055.000 40,8 Gramm Platz 8: Österreich 8.380.000 33,4 Gramm Platz 10: USA 308.241.000 26,4 Gramm Platz 34: China 1.330.000.000 0,8 Gramm

Quelle: World Gold Council

„Münze“ ist auch Hochsicherheitslager im Auftrag der Nationalbank, so- zusagen das österreichische Fort Knox.

Wer sich zuvor schon gefragt hat, wo sich eigentlich jene 50 Tonnen Staatsgold befinden, die bereits im Lande sind, der hat nun die Antwort. Sie liegen am – oder besser gesagt – unter dem Stadtpark. Die Sicher- heitseinrichtungen sind entsprechend. Auf die Sicherheitssysteme ange- sprochen, zwinkert Hausherr Gerhard Starsich, der Generaldirektor der „Münze“, schelmisch und vielsagend. Details spart er aus. Verständli- cherweise. „Wir haben alles, was international state-of-the-art ist. Damit kann man jedoch auch nicht 100-prozentig ausschließen, dass ein Einbre- cher in unsere Gebäude herein kommt. Aber eines ist sicher. Er kommt nie wieder raus, wenn wir es nicht wollen. Und mit dem Gold schon gar nicht.“

Die sichere Verwahrung von Gold ist die eine Sache; ein sicherer Transport allerdings ist eine andere. Die glänzenden Barren sind bei Dieben hoch- begehrt. Das liegt vor allem auch in der Austauschbarkeit von Gold. Es zu stehlen ist ob seines Gewichts und seiner Sperrigkeit zwar schwierig. Hat man es aber einmal erbeutet, dann kann man es einschmelzen und danach so gut wie überall auf der Welt – egal ob in großen oder kleinen Tranchen und Maßeinheiten – verkaufen.

78 Wer Gold transportiert, muss also ein hohes Risiko managen. International gibt es nur wenige Firmen, die sich den hochspezialisierten Markt des Goldtransports teilen. Das schwedische Unternehmen „Loomis“ gilt europaweit als Marktführer. Auch in Österreich arbeitet „Loomis“ für zahl- reiche Banken, Goldhändler, Juweliere – und natürlich die „Münze Öster- reich“. Kernkompetenz ist die Sicherheit. Gepanzerte Fahrzeuge mit schussfester Verglasung, schwer bewaffnetes Begleitpersonal und an- dere martialische Begleitmusik gehören zum Standard.

Die wirkliche Herausforderung bei Werttrans- porten ist die gewissenhafte Planung. Erst Die Planung ist die recht, wenn die Transporte über Grenzen hin- Herausforderung weg gehen und unterschiedliche Transportmit- tel und Routen notwendig sind. Regina Mittermayer-Knopf ist Leiterin der österreichischen „Loomis“-Niederlassung. Wie würde sie 90 Tonnen Gold von London nach Wien befördern, wenn sie den Auftrag dazu bekäme? Mittermayer-Knopf: „Solche Transporte werden in viele Einzeloperationen unterteilt und bestehen meist aus einer Kombination aus Straße-, Schiff-, Bahn- und Luft-Transporten. Der wichtigste Aspekt ist, dass keine Kom- bination und keine Route zweimal verwendet werden, damit das Risiko eines Überfalls verringert wird.“

Gegen Diebe und Überfälle kann man Gold beschützen. Gegen eine andere Art des Zugriffs sind Sicherheitsexperten wie auch Zentralbanker machtlos. Gemeint sind die Zugriffe der Politik. Gerade daran hat der hei- mische Goldschatz in den letzten Jahrzehnten gelitten. Noch Ende der 1980er-Jahre besaß die Republik noch 660 Tonnen Gold, also mehr als doppelt so viel wie heute. Was ist mit den anderen rund 380 Tonnen Gold passiert?

Die Antwort ist keiner politischen Partei angenehm, die seit damals an einer Regierung beteiligt war. Vor allem ab 1993 begann der Staatsschatz massiv zu schrumpfen. So gut wie alle Finanzminister so gut wie aller Re- gierungen bedienten sich immer wieder am Goldschatz, um das Budget zu entlasten. Allein unter der Regierung Schüssel wurden unter Anleitung des damaligen Finanzministers Karl-Heinz Grasser rund 100 Tonnen des Goldes an der Londoner Goldbörse verkauft, hauptsächlich, um das ange- strebte Null-Defizit rechnerisch zu ermöglich.

79 Dies ist deswegen erwähnenswert, als die Nationalbank und damit auch ihr Goldschatz rein rechtlich als unabhängig gelten. Streng genommen könnte ein Finanzminister den Verkauf von Staatsgold jedenfalls nicht auf Zuruf verfügen. Aber, wie so oft, die Realverfassung sieht anders aus. Das muss auch der gegenwärtige OeNB-Gouverneur einräumen, auch wenn ihm das alles andere als angenehm ist. Nowotny bestätigt den Goldschwund und stellt gleichzeitig fest, dass sämtliche Goldverkäufe vor seiner Zeit als OeNB-Chef geschehen sind. „Heute wäre so etwas nicht mehr möglich. Österreich ist Teil des europäischen Währungssystems und damit ist die OeNB Teil der europäischen Zentralbank. Von dort gibt es klare Regeln und strenge Kontrollen.“

Was uns der Gouverneur nicht verrät: Auch der Beitritt in den europäi- schen Währungsklub hat den heimischen Goldschatz verringert. Eine nicht unbeträchtliche Tranche der nationalen Goldreserven mussten der EZB überlassen werden und stellt nun einen Teil der gesamteuropäischen Währungsreserven dar. Österreich ist daran als Euro-Vollmitglied indirekt natürlich Miteigentümer.

Während der staatliche Goldschatz die letzen Jahre reduziert wurde, stocken die privaten Haushalte ihre Goldreserven gegenwärtig massiv auf. Bei der „Münze Österreich“ verzeichnet man seit Monaten Rekord- umsätze. Die Geschäfte mit privaten Gold-Fans, mit Anlegern und Samm- lern, boomen. In den besten Umsatzmonaten des Vorjahres wurden 200.000 Münzen verkauft. Rund zwei Drittel davon wandern in öster- reichischen Privatbesitz. Das ist verwunderlich, als der Goldpreis eigent- lich massiv in den Sinkflug übergegangen ist.

Gerhard Starsich von der „Münze Österreich“ hat aber eine Erklärung für diesen Umstand: „Die internationale Goldnotierung wird in Dollar vorge- nommen. Aus Sicht eines Euro-Investors schaut es deswegen jetzt mit dem Werteverfall bei Gold natürlich besonders schlimm aus. Grund dafür ist aber gar nicht das Gold, sondern der Währungsverlust zwischen Euro und Dollar, weil ja der Euro abgewertet hat.“

Glänzt Gold also immer noch? Für Starsich und eine Unzahl überzeugter Kunden dürfte es jedenfalls so sein. Auch im Keller der Nationalbank wird es bald wieder funkeln. Spätestens 2020.

80 Wenn Ihr Auto von alleine fährt: Wer sammelt dann Ihre Daten? von Katinka Nowotny

Moderne Pkw sammeln tausende Daten und geben die, etwa bei einem Unfall, auch weiter; zum Beispiel die GPS-Daten für die Rettung. Diese Technologie dient der Verkehrssicherheit; sie ruft aber auch Datenschüt- zer auf den Plan. Denn der Zugriff zu den Informationen, die ein Auto so generiert, kann viel Geld wert sein. Und die Lenker müssten in jedem Fall selbst entscheiden, was weitergegeben wird.

Viele moderne Pkw haben einen Parkassistenten, der dem Lenker in Bild und Ton mitteilt, wieviel Platz es noch gibt, bevor man mit dem vorderen oder hinteren Fahrzeug zusammenstößt. Das erkennen die Sensoren des Wagens auf den Millimeter genau. Und seit der VW-Abgasaffäre ist be- kannt, was das eigene Auto noch alles weiß – etwa, ob es im normalen Straßenverkehr unterwegs ist oder gerade auf einem Band, auf dem die Abgaswerte getestet werden.

Aber was wissen die Pkw von heute noch über den technischen Zustand des Fahrzeugs, den Straßenbedingungen, den Fahrstil des Lenkers oder gar die genaue Route? Und was geschieht mit all diesen Daten, die in den tau- senden Mikrochips gespeichert werden, die ein Neuwagen heute enthält?

Nicht erst seit den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden über die massiven Schnüffelaktivitäten des US-Geheimdienstes NSA gibt es Grund, an der Vertraulichkeit solcher persönlicher Daten zu zweifeln. Die Datensammlungen in einem ganz gewöhnlichen Pkw sind ein Schatz, den viele gerne heben würden – die Hersteller, die Versicherungsgesell- schaften, die Straßenbetreiber und auch die Polizei. Und genauso wie beim eigenen PC haben die Verbraucher viel weniger Kontrolle über ihre Daten, als sie vermuten und es gerne hätten.

Wie auch die User im Internet sind Autofahrer selbst willige Komplizen bei der Datenweitergabe. Denn sie ziehen einen Nutzen daraus, der ihnen eine weitgehende Vernetzung schmackhaft macht. Navigationssysteme helfen

81 Mobilität der Zukunft: Das Auto fährt von selbst und generiert pausenlos Daten Foto: Bosch nicht nur die schnellste Route zu finden, sondern warnen vor Staus und Behinderungen – und bei Systemen wie „Waze“ läuft das beispielsweise über die Vernetzung der teilnehmenden Handynutzer.

Es ist angenehm, wenn bei einem Unfall gleich der Pannendienst zur Stelle ist, weil er über den Hersteller bereits informiert wurde. Das automati- sche Notrufsystem „eCall“ wird ab 2018 verpflichtend in allen Neuwagen eingebaut werden. Es spart auch Kosten und Zeit, wenn die Werkstatt gleich Bescheid weiß, was am Fahrzeug beschädigt ist. Immer mehr Kfz- Versicherungen bieten günstigere Tarife, wenn die Lenker es zulassen, dass ihr Fahrstil aufgezeichnet und weitergegeben wird. Moderne Road- pricing-Systeme würden es sogar ermöglichen, dass Autolenker zu Stoß- zeiten höher und bei wenig Aufkommen geringer belastet werden – das beschleunigte den gesamten Verkehr.

Und schließlich nähert sich mit Riesenschritten auch die Vision, dass Autos auf der Straße miteinander kommunizieren und damit gefährliche Bremsmanöver und Auffahrunfälle überhaupt vermieden werden können. Das „selbst fahrende Auto“ ist technisch bereits möglich – die dafür not- wendigen Daten sind über eine ganze Armada von Sensoren ermittelbar – und damit für alle vorhanden. Noch sind erst fünf Prozent aller Pkw in Österreich vernetzt; aber von Jahr zu Jahr werden es mehr.

82 Aber all dieser Datenhunger kann von denen, die den Zugang zu den Infor- mationen haben, auch leicht missbraucht werden. So sind Markenwerk- stätten daran interessiert, als Erste von einem Unfall zu erfahren. Dann können sie dafür sorgen, dass der Wagen auch wirklich zu ihnen zur Re- paratur kommt – und nicht in einer günstigeren Diskontwerkstätte landet, wo keine Originalteile verwendet werden. Auch Tankstellen und Geschäfte würden gerne wissen, wann jemand wo unterwegs ist; sie könnten dann attraktive Werbeangebote übermitteln.

Je mehr Versicherungen über das Fahrverhalten ihrer Kunden wissen, desto mehr werden sie Wer spritzig fährt, zwischen mehr oder weniger defensiven Len- zahlt höhere Prämien kern unterscheiden – und sofort die Prämien erhöhen, wenn etwas spritziger gefahren wird. Die Albtraumvision für viele schließlich ist der Polizeicomputer, der von allen Übertretungen der Straßenverkehrsordnung sofort erfährt – es müssen bloß die GPS-Daten mit der aktuellen Geschwindigkeit verknüpft werden – und automatisch den Strafzettel ausstellt. Und schließlich, das ist dann überhaupt die Hor- rorvorstellung, besteht die Gefahr, dass Hacker die Daten stehlen oder gar die Kontrolle über das Fahrzeug übernehmen. Wenn die PC weltweit vor solchen Zugriffen nicht geschützt werden können, warum sollte das dann bei den Autos anders sein?

„Noch sind wir nicht so weit“, aber bereits jetzt gebe es bedenkliche Ent- wicklungen, sagt Bernhard Wiesinger, der Leiter der ÖAMTC-Interessen- vertretung. Das moderne Auto wisse viel mehr, als es wissen müsse. „Die Analyse zeigt: Neben Fahrerprofil, Fahrzeugortung und Fahrzeit werden auch die vom Mobiltelefon synchronisierten, abgespeicherten Telefon- nummern, Adressen und Mailadressen erfasst und im Speicher abge- legt“, kritisiert er. „Das ist nicht im Sinne der Autofahrer.“ Gemeinsam mit der FIA, dem Zusammenschluss von weltweit 111 Automobilclubs, hat der ÖAMTC daher die Kampagne „My Car My Data“ gestartet, mit der klare Regeln für Datenerfassung und -weitergabe erstellt werden sollen. „Das gläserne Auto ist mit unseren Vorstellungen der Privatsphäre nicht vereinbar.“

Das heißt nicht, dass man die gesamte Datenvernetzung ablehnen soll, meint Gottfried Moser, der technische Schulungsmeister des ARBÖ. Das

83 „eCall“-System, über das bei einem Unfall automatisch die Notrufnummer 112 angerufen wird, sei jedenfalls zu begrüßen. „Am Anfang waren die Leute auch skeptisch bei der Einführung des Sicherheitsgurtes, aber alles, was die Sicherheit des Autos verbessert, ist gut“, sagt er. „Man muss nur wie beim Computer zu Hause einen Virenschutz haben, um sicher zu ge- hen, dass diese Daten nicht gehackt werden. Aber eine Gefahr gibt es: Wenn es zuviel Multimedia im Auto gibt, dann darf das den Fahrer nicht ablenken.“

Auch Hersteller von Softwaresystemen für An einem Unfallbericht Autos warnen vor Panik. „Wir machen Produkte sind viele interessiert für den Kunden, nicht gegen den Kunden“, sagt Harald Trautsch, CEO von „Dolphin Techno- logies“, einem Hersteller von Telematik-Systemen für Kfz-Versicherun- gen. Das bedeutet, dass die Unfallberichte zuerst zum Kunden gelangen, bevor irgendjemand anderer sie zu sehen bekommt. Denn es gebe ja viele, zu viele Interessenten, so Trautsch. „Jeder will bei einem Unfall der Erste vor Ort sein, die Automobilclubs, die Autohersteller, die den Wagen in ihre Werkstatt weiterleiten wollen, und die Versicherung, die möglichst kos- tengünstig und nicht mit Originalteilen reparieren will.“ Es gehe hier um einen riesigen Markt: 170 Milliarden Euro werden jährlich allein in Europa für Reparaturen und Ersatzteile ausgegeben.

Dass Daten auch gestohlen und missbraucht werden können, weiß Trautsch. Aber davor könne man sich schützen. „Niemand kann Daten- missbrauch ganz verhindern, aber man muss es für die Angreifer so aufwändig machen, dass es sich für sie wirtschaftlich nicht lohnt“, er- läutert er.

Um das Datenschutzproblem zu lösen, „müssen Autolenker selbst entscheiden“ können, wieviele und welchen ihrer Daten sie hergeben wol- len“, sagt Stefan Saumweber, ÖAMTC-Experte für vernetzte Autos. „Was wir brauchen ist ,Privacy by default‘ oder ,Privacy by design‘. Irgendwann wird man vielleicht ins Auto einsteigen und es wird einen fragen: Wollen Sie, dass diese Fahrt aufgezeichnet wird?“

84 Teure Verwaltung: Auch die Länder als Verschwender … von Mag. Bernadette Ritter

Wenn Politiker sparen müssen, nennen sie als erste Möglichkeit „die Verwaltung“. Eine Reform der Bürokratie, eine neue Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern und eine Vereinfachung der Organisation könnten „Einsparungen in Milliardenhöhe“ bringen. Wir weisen auf das Wörtchen könnten hin; denn die Realität sieht bei weitem anders aus. Unverdrossen werden in der Alpenrepublik schwindelerregende Summen vergeudet; in einer überbordenden Demokratie, die nicht umzubringen ist, von hartnäckigen Landesfürsten, die kein Quäntchen ihrer Kompetenzen abgeben wollen, auch über atemberaubend kuriose Fehlentwicklungen in kleinen österreichischen Gemeinden. Ganz nach dem österreichischen Motto: „Weil’s schon immer so war!“

Schadenfreude beim Wirt im kleinen Örtchen Laßnitz in der Steiermark. Die Dorfbewohner diskutieren über den Fall eines örtlichen Unternehmers. „Mein Nachbar lebt von der Fischerei. Er braucht zwei Fischereikarten, weil wenn er den Fisch am Flussanfang fängt, dann ist die Bewilligung des Landes Steiermark nötig. Wenn er den Fisch aber 200 Meter weiter bachabwärts fängt, dann fällt das schon in die Kärntner Zuständigkeit“, erzählt Walter Peternell und schmunzelt. Was hier die Dorfgemeinde seit Jahrzehnten als Normalzustand ansieht, ist ein Paradebeispiel für öster- reichische Überbürokratisierung. Denn diese Doppelgleisigkeit ist nur eines von hunderten Beispielen, wie in Österreich Geld verschwendet wird.

Laßnitz: Ein Ort, zwei Länder. Die kleine 260-Seelen-Gemeinde liegt in der Steiermark. Aber eigentlich auch ein bisschen in Kärnten. Die Lan- desgrenze verläuft quer durch den Ort. Deshalb sind 180 Bewohner so genannte „Steirisch-Laßnitzer“, während sich die restlichen 80 „Kärntne- risch-Laßnitzer“ nennen. Auf dieser strikten Trennung beharren alle. Ob- wohl man Tür an Tür wohnt. Der Schmäh rennt, auch wenn die Umstände viel Geld kosten. „Die Kärntnerisch-Laßnitzer sind nicht so schlau wie wir

85 Steirisch-Laßnitzer“, lacht Walter Peternell und lächelt seinem gegenüber zu. Freilich einem Kärntnerisch-Laßnitzer.

Was in der Steiermark bzw. in Kärnten für Erheiterung sorgt – vermutlich auch in allen anderen Bundesländern –, bereitet einem anderen seit Jahr- zehnten Kopfzerbrechen. Wir treffen einen Kenner der Verfassung im Par- lament: Theo Öhlinger. Der Verwaltungsexperte über den Status quo: „Die Länder haben in Österreich Kompetenzen, wobei niemand so recht ver- steht, warum sie diese Macht überhaupt haben. Da gibt es in jedem Bun- desland eigene Landesgesetze, etwa im Baurecht oder für die Jagd, das in dem einen Bundesland bestimmte Regeln aufstellt und in dem Nachbar- bundesland passiert genau dasselbe, aber eben mit anderen Bestimmun- gen, oft sogar mit Ausnahmen oder anderen Schwerpunktsetzungen. Das allein kostet in Summe Millionen. Man soll ja nicht die Länder auflösen; sie hätten nur andere, wichtigere Aufgaben zu besorgen.“

„In welchen Bereichen könnte man denn ganz konkret einsparen?“ interessiert uns. „Man müsste bei verschiedenen Teilgebieten ansetzen“, antwortet Theo Öhlinger. „Die großen Brocken sind sicher die Themen Spitäler und Schulen. Allein in der Schulverwaltung könnte eine Reform zwischen 650 Millionen und eine Milliarde Euro bringen. Noch viel mehr wäre in der Gesundheitsverwaltung drinnen. Da könnte die Politik sogar bis zu drei Milliarden Euro rausholen. Wenn es halt nur endlich einmal je- mand angehen würde.“

Damit nimmt Professor Öhlinger einem Mann die Worte aus dem Mund. Jemandem, der zu den größten Kritikern der öffentlichen Verwaltung zählt. Franz Fiedler war Präsident des Rechnungs- hofs und kennt somit die Besonderheiten der Republik Österreich bis ins Detail. Vor über zehn Jahren fand unter seiner Leitung der so genannte „Österreich-Konvent“ statt. Ein politischer Versuch, um über eine Umstrukturierung der teuren Verwaltung Kompetenzen zu entflechten, klare Aufgabenzuteilungen zu erreichen. 599 Vorschläge hat er während seiner Amtszeit für eine grundlegende Staats- und Verfas- sungsreform vorgelegt. Umgesetzt wurde praktisch nichts.

Franz Fiedler ist sauer: „Zehn Jahre sind jetzt verstrichen. In dieser Zeit hätten wir Milliardenbeträge einsparen können. Vor allem bei den

86 Geld, Geld, Geld: Wenn alle „fördern“, geht der Überblick verloren Foto: Österreichische Nationalbank

Fördergeldern hapert’s gewaltig. Wir gewähren überproportional hohe Förderungen in Österreich. Jedes einzelne Ministerium zahlt, die Länder zahlen, sogar Städte und Kommunen greifen in die Steuertöpfe. Es wäre daher angebracht, das zu durchforsten und eine sinnhafte Verteilung vor- zunehmen. Wieviel bekommt ein Verein, ein in Schieflage geratenes Un- ternehmen, ein Betrieb, der sich ansiedeln will, in Summe! Wobei mir noch wichtiger erscheint zu evaluieren, ob mit all den Förderungen wirklich was erreicht wird – oder ob nur die jeweilige politische Klientel befriedigt wird.“

Vor allem Finanzminister Hans Jörg Schelling hatte im Jahr 2015 eine Mammutaufgabe zu bewältigen. Die Gegenfinanzierung der Steuerreform vom März des alten Jahres war eines der zentralen Themen. Milliarden- beträge fehlten, um die Senkung der Lohnsteuer zu realisieren. Doch wo- her nehmen, wenn nicht stehlen? Dass Unsummen fehlen, wüssten auch die Landeshauptleute. Aber bei wirklichen Veränderungen wollte keiner der neun zustimmen. Klar, einfach und transparent sollte die Verwaltung werden. Ein Wunschdenken. Denn solange sich die Länder querlegen, passiert – nichts. Die größte Sorge der Landesfürsten: Weniger Geld be- deutet weniger Aufgaben bedeutet weniger Macht.

Franz Fiedler erinnert sich an vergangene Tage und kritisiert die Struk- turen in den Ländern heftig: „Es sind nicht nur die Landeshauptleute,

87 Das „Hohe Haus“ und die „Blockade“ aus den Ländern Foto: Parlamentsdirektion/Peter Korrak die sich querlegen, sondern alle Landespolitiker wie Landtagsdirektoren oder Landtagspräsidenten. Damals, während der Verhandlungen im Kon- vent, hat sich ganz deutlich gezeigt, dass sie alle vehement gegen eine Verschiebung der Kompetenzen der Länder zum Bund hin eintraten und damit eine sinnvolle Neuordnung des Föderalismus verhindert haben. Was besonders arg war, die Blockade geschah erst im letzten Moment.“

Wir besuchen Franz Schellhorn in seinem Büro – „der Denkfabrik“ – im Ersten Bezirk. Schon beim Begrüßen sagt er, dass er viel zu dieser Thema- tik sagen möchte und eigentlich auch schon viel dazu gesagt hat. Denn als unabhängiger Wirtschaftsfachmann hat er schon oft versucht Vorschläge oder Anregungen an die Politik heranzutragen. „Immerhin haben wir einen Einnahmenzentralismus, gekoppelt mit einem Ausgabenföderalismus. Das heißt, der Bund nimmt alles ein und verteilt dann auf die Länder. Man kann den Landesfürsten somit nicht einmal einen Vorwurf machen, weil die keinen Anreiz haben wenig auszugeben. Das Geld der anderen gibt sich bekanntlich immer leichter aus als das eigene.“ Er schmunzelt ein wenig. Dann wird der Ökonom wieder ernst. „Das Schlimme ist nur, dass das die teuerste Staatsform ist, die es weltweit gibt. Diese Überbürokratisierung ist der größte Hemmschuh für die wirtschaftliche Erholung ganz Europas. Das hat auch Mario Draghi – der Chef der Europäischen Zentralbank – sehr schön zusammengefasst: Europa leidet an drei Krankheiten – an

88 einem Reformstau, an zu hohen Steuern und an zuviel Bürokratie. Und ich glaube, auf Österreich trifft alles zu.“

Doch wieviel kostet den einzelnen Bürger die teure öffentliche Verwal- tung? Das wollten wir genauer wissen und wandten uns an das Wirt- schaftsforschungsinstitut WIFO. „Jeder Österreicher zahlt für seine Verwaltung im Durchschnitt 400 Euro mehr als der durchschnittliche EU-Bürger“, erklärt uns der Experte Hans Pitlik. „Bei uns scheint man jede Kleinigkeit mit Gesetzen, Verordnungen oder Bescheiden regeln zu müssen. Das kommt teuer. Wir wissen aus internationalen Studien, dass die Regelungsdichte, die uns von der Politik vorgegeben ist, ein gravierender Kostentreiber ist. Wenn die Politik es schafft, ihre Gesetze weniger komplex zu gestalten und der Verwaltung auch mehr Spielraum einräumt, dann erzielen wir automatisch Einsparungen. In Skandinavien ist man da vor Jahren darauf gekommen und dort gab es Einsparungen in Milliardenhöhe.“

Vom fernen Skandinavien wieder zurück in das kleine Örtchen Laßnitz. Von Freiheit in der Verwaltung kann man hier nur träumen. Wir treffen den Bürgermeister der gespaltenen Gemeinde Thomas Kalcher. Er hält ein wei- teres Beispiel für uns parat, das die kuriose Überbürokratisierung in Öster- reich veranschaulicht. „Obwohl meine Bürger alle Laßnitzer sind, haben wir trotzdem zwei getrennte Verwaltungseinheiten. Das ist für manche im Alltag besonders dann mühsam, wenn sie zur Bezirkshauptmannschaft fahren müssen. Denn die Kärntner Laßnitzer sind der Bezirkshauptmann- schaft Sankt Veit an der Glan zugeordnet, die zirka 50 Kilometer entfernt ist. Die Steirisch-Laßnitzer haben’s da besser. Ihre Bezirkshauptmann- schaft in Murau ist nur sechs Kilometer entfernt.“

Und genau solche Verwaltungsstrukturen kosten uns in Summe Milliar- den. Wir wollen wissen, welche Einsparungsmöglichkeiten tatsächlich bestehen, und vereinbaren ein Interview mit Peter Biwald. Als Leiter des Zentrums für Verwaltungsforschung weiß er genau, was, wo, wann und vor allem wie alles passieren müsste. Und auch, welche Millionenbeiträge man damit in der Staatskasse belassen könnte. Sein Schlagwort: flächen- deckende Kooperationen. „Wenn man sich Österreich anschaut, dann ist das nicht nur ein Land der Berge und ein Land am Strome, sondern auch ein Land der Bezirkshauptmannschaften“, so Biwald.

89 Unrecht hat er nicht. Immerhin gibt es im Burgenland neun Bezirkshaupt- mannschaften bei 290.000 Einwohnern. Nicht anders in Oberösterreich: Hier teilen sich 1,4 Millionen Oberösterreicher 18 BH. Spitzenreiter ist je- doch Niederösterreich mit 25 Bezirkshauptmannschaften bei 1,6 Mil lionen Niederösterreichern. „Wenn sich fünf Gemeinden nur eine Verwaltung teilen würden, dann könnte man fünf Prozent der laufenden Ausgaben sparen. Das haben wir errechnet“, erklärt Peter Biwald. „Da reden wir von einem Einsparungspotenzial von 500 Millionen Euro pro Jahr. Ich möchte aber gleich dazusagen, dass das kein Selbstläufer ist. Da muss die Be- reitschaft dazu da sein.“

Wir erinnern uns an das Interview mit Professor Theo Öhlinger. Auch die- ser Experte bekrittelt das fehlende Engagement. Er sieht den mangelnden Fortschritt im Hohen Haus angesiedelt: „Das Problem ist, dass kostenspa- rende Reformen nur langfristig wirken. Politiker aber denken immer nur in Wahlperioden. Von einer großen Reform würden also erste die nächste beziehungsweise übernächste Regierung profitieren. Mit Sparplänen ge- winnt man keine Wähler!“

Ein letztes Mal zum Dorfwirt nach Laßnitz. Die Steiermark ist grundsätz- lich in der Position einer Vorreiterrolle für uns Österreicher. Mit einer so genannten „Gemeindestrukturreform“, also einer ganzen Reihe von Gemeindenfusionen, versuchte man die steirischen Gemeinden dauer- haft in die Lage zu bringen, ihre Aufgaben sachgerechter, effizienter und qualitätvoller zu erfüllen. 2010 gab es noch 542 Gemeinden und damit im Vergleich zu allen anderen Bundesländern die österreichweit kleinstteilige Gemeindestruktur. Seit Jänner 2015 gibt es nur noch 287 Gemeinden. Ein erster Schritt in die richtige Richtung also.

Trotzdem: Der Stammtisch beharrt auf einer eigenen „Gemeinde-Identi- tät“. Ob man sich vorstellen könne, der steirischen Gemeinde eingeglie- dert zu werden und damit dem Verwaltungs-Wirrwarr ein Ende zu setzen, fragen wir im „Kärntner Teil“ der kleinen Gemeinde. „Sie meinen also Stei- risch-Laßnitzer zu werden?“, bekommen wir als Gegenfrage. „Niemals“, lautet die einstimmige Antwort der Kärntner Laßnitzer. Dann wird eine Runde Schnaps bestellt. „Auf Laßnitz“, prosten sich die Dorfbewohner zu.

90 Das VW-Drama: Der Schwindel, die Reue und die Buße … von Günther Kogler

„In my german words: We totally screwed up!“ Der neue VW Passat, der geplante Star dieses Freitagabends im Kongresszentrum im New Yorker Stadtteil Brooklyn, steht im Halbdunkel am Rande der Bühne; die Schweinwerfer der Lichtregie sind ausschließlich auf den Mann in der Mitte, auf Michael Horn, gerichtet, den bis dahin recht erfolgreichen Amerika-Chef des deutschen Volkswagen-Konzerns. Im Zuschauerraum blicken sich Importeure, US-Händler, Journalisten und Promi-Kunden von VW verdutzt an. Der Kalender zeigt den 22. September 2015. Es ist das Managergeständnis des alten Jahres. „Wir haben ordentlich Mist gebaut.“

Was folgt, füllt über Wochen die Titelseiten von Tageszeitungen und Magazinen: die Aufarbeitung einer der größten Lügenaffären der Wirt- schaftsgeschichte. Die Manipulation der Motor-Steuerungssoftware bei Millionen von VW-Modellen, die der deutsche Autobauer einräumen muss, ist so unglaublich, so atemberaubend, dass es zwischendurch auch den ab- gebrühtesten Kommentatoren Sprache und Schrift verschlägt. Noch dazu handhabt das Unternehmen die Affäre schlecht. Wichtige Zeit verstreicht mit der internen Suche nach Schuldigen; statt alle Karten auf einmal auf den Tisch zu legen, müssen im 14-Tage-Rhythmus immer neue Schum- meleien eingeräumt werden; Parade-Unternehmenstöchter wie Audi und Porsche werden mit in die Affäre gezogen; „unerklärliche Ungereimthei- ten“ auch bei den CO2-Angaben müssen zugestanden werden. Nach den kleineren 1,2- 1,6- und 2-Liter-Motoren wird auch bei den großen Drei- Liter-Maschinen eine illegal aufgespielte Software enttarnt – das bringt auch die Flaggschiffe von Porsche und Audi in Misskredit, natürlich den hauseigenen VW-Touareg, aber auch insgesamt 24 Benzinmodelle. Das Kopfschütteln in der Branche kennt kein Ende.

Immerhin handelt es sich bei Volkswagen nicht um irgendeinen Kon- zern. Es ist der europäische Autokonzern, der sich anschickte, der weltgrößte Autobauer zu werden. Der Abgasskandal reißt eine halbe

91 Managergeneration mit in den Abgrund; das Türken der Stickoxydwerte bringt mit einem Schlag den kompletten Markt der Dieselmotoren ins Zwielicht; die Kursschwankungen, die das Geständnis an den Börsen auslösen, vernichten Milliardenwerte – um von mutigen Anlegern in den Wochen darauf gleich wieder neu verdient zu werden. Heerscha- ren von Anwalteien treten auf den Plan, drohen mit Schadenersatzkla- gen, beschuldigen Manager des vorsätzlichen Betruges, fordern für VW-Kunden und VW-Aktienbesitzer horrende Milliardensummen zwecks Wiedergutmachung.

Die Erschütterungen erfassen Politik und Zulassungsbehörden, zwingen die europäischen Gesetzgeber in Brüssel dazu, neue „realistischere“ Ab- gastests für alle Autobauer auf dem Kontinent vorzuschreiben, und irritie- ren sogar das Verhältnis USA und Europa, denn jenseits des Atlantiks wird der deutsche Schwindel öffentlichkeitswirksam an den Pranger gestellt, während in der EU schnell erkannt wird, dass Mäßigung und Zurückhal- tung in der Wortwahl das Gebot der Krise sind – schnell, allzu schnell kann die Affäre für Volkswagen lebensbedrohliche Ausmaße annehmen. Das galt für die letzten Monate des Jahres 2015 sowieso, das gilt aber auch noch heute und mit Sicherheit auch für die nächsten vier, fünf Jahre – so lange wird es vermutlich dauern, bis der Skandal aufgearbeitet ist.

Als „ECO“ den bekannten Coach Roman Braun Wie kann so etwas die vordergründig naive Frage stellt, wie „so überhaupt passieren? etwas überhaupt passieren kann“, zitiert der zu unserer großen Überraschung Hannah Arendts Buch von der „Banalität des Bösen“. Wenn jeder Ingenieur, jeder Tech- niker, jeder Abteilungsleiter und jedes Vorstandsmitglied eines Konzerns nur noch der „Ideologie der Sachlichkeit“ verpflichtet sei, sich nur als kleines Rädchen in einem großen Getriebe fühle, nur Verantwortung für seinen eigenen Zuständigkeitsbereich empfinde, dann wird eine große Lüge ermöglicht.

Immerhin: Die konzerninternen Untersuchungen und die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft geben der gewagten These des Unternehmensbera- ters Recht. Sie hätten „in dem vorhandenen Kostenkorsett“ die Abgas- vorgaben von VW-Chef Martin Winterkorn nicht erfüllen können, gaben mehrere Motortechniker des Konzerns zu Protokoll; es „war technisch

92 Die „Schwindel“-Motoren: Oft reicht einfach eine neue Software Foto: APA/dpa/Julian Stratenschulte einfach nicht möglich“, zitierte die deutsche „Bild“-Zeitung den Chef- Ingenieur. Andererseits habe „niemand den Mut gehabt, diesen Umstand dem Chef mitzuteilen“. Also wurde die Steuerungssoftware umgeschrie- ben; sie musste erkennen, wann ein Motor gerade einen Testzyklus durch- läuft. Und um sicherzustellen, dass bei keinem der Motoren vom Typ EA 189 das Nicht-Erreichen der Abgasvorschriften auffällt, wurde die mani- pulierte Steuerungssoftware eben auf alle Steuergeräte aufgespielt – elf Millionen mal, ebenso oft, wie der EA 189 in seinen unterschiedlichen Varianten in die Modellreihen des Konzerns eingebaut wurde. So begann die Schummelei im Kleinen – und endete nach Jahren als große Affäre.

Das Problem für den Konzern: Während der Jahre 2008 bis 2015 wurde der Motor nach dem hausinternen Baukastenprinzip (um Kosten zu sen- ken) in derart viele Modellreihen und Markentypen eingebaut, dass eine einfache, allgemeingültige „Sanierung“ des Schwindels nicht möglich ist. VW vereint unter seinem Dach Seat, Škoda, Audi, Porsche, MAN und Scania, Bugatti und Bentley, Lamborghini und Ducati. Je nach Modell, Ge- wicht und Jahrgang werden die Abgasnormen von Fall zu Fall manchmal erreicht, manchmal nicht. Oft nützt das Aufspielen einer nicht getürkten Software, oft muss die Abgasreinigung nachgerüstet, nicht selten aber auch muss in Einspritzung, Turbolader und Ausgleichswellen eingegriffen werden. Ein technischer Albtraum – für VW und für alle seine Kunden.

93 Je nach Auslieferungsland (und -Kontinent) gelten auch unterschiedliche Abgaswerte. Was in den USA nach den strengen Regeln vieler Bundes- staaten verboten ist, wird in manchen Ländern des Fernen Ostens niemandem vom Hocker reißen. Die ersten Motorenmodelle mit Vierven- tiltechnik, Abgas-Turbolader, Common-Rail-Einspritzung, Niedrig-Tempe- ratur-Abgasrückführung, Partikelfilter und Oxydationskatalysator sind besonders anfällig, mit der Nachrüstung von Stickoxyd-Speicherkataly- satoren und der Einführung der so genannten „selektiven katalytischen Reduktion“ sieht die Geschichte schon ein bisschen besser aus. Dennoch beanstandete die „Environmental Protection Agency“ (EPA) in den USA das Überschreiten der NOx-Werte bei bestimmten Modellen um das 40-Fache. Das war im Jahr 2013. Nach weiteren Untersuchungen der Universität von West Virginia brandmarkte zu Jahresbeginn 2015 auch das „California Air Resources Board“ (CARB) die VW-Motorenreihe EA 189. Konnte die Affäre im Herbst des Vorjahres die VW-Konzernspitze wirklich „überraschen“? Fragte von den Managern wirklich niemand auf Technikerebene nach? Fehlte tatsächlich allen der Mut, den Chefs reinen Wein einzuschenken?

Der Einschlag in der Automobil-Welt jedenfalls Das Unternehmen ist ist gewaltig. Wenn VW schummelt, machen ein Staat im Staate dann das die anderen nicht auch? Volkswagen beschäftigt weltweit 600.000 Mitarbeiter, ver- bucht im Jahr einen Umsatz von weit über 200 Milliarden Euro, schreibt einen Gewinn von zuletzt 12 Milliarden; das Unternehmen ist nicht nur in Deutschland ein Staat im Staat. „Wenn VW hustet, dann hat das Land Niedersachsen eine schwere Grippe“, lautet bei unserem Nachbarn das geflügelte Wort, das auch auf den Umstand hinweist, dass Volkswagen nicht nur private Eigentümer und Aktionäre hat, sondern auch staatliche (Niedersachen mit 20, das Emirat Katar mit 17 Prozent etwa).

Die Volkswagen AG ist ein echtes „Automobil-Theater“. Alle Eigentümer spielen ihre Rolle. Die Familien Porsche und Piëch, der mächtige Konzern- betriebsrat, das Land Niedersachsen, die arabischen Investoren. Volks- wagen ist eine Marktmacht der Sonderklasse. Wenn, wie derzeit gültig, „Einsparungen bei den Zulieferbetrieben“ ausgerufen werden, verfallen diese zunächst einmal in Schockstarre. Da geht es um Aufträge, um viel Geld, da lehnt sich niemand hinaus.

94 Die Kurse von VW-Stamm und VW-Vorzug

180

160 1

140 3 120 6 7 8 9 10 2 100 4 5 in Euro 14.09 19.09 24.09 29.09 04.10 09.10 14.10 19.10 24.10 29.10 03.11 08.11 13.11 18.11 23.11 28.11 03.12 08.12

VW AG Stammaktie VW AG Vorzugsaktie

1 18. 9. 2015 Die US-Umweltbehörde EPA teilt mit, dass VW bei Dieselfahrzeugen in den USA eine manipulierte Software zum Einsatz gebracht hat, um bei Testmessungen die NoX-Werte nach unten zu drücken. Die VW-Aktie geht in den freien Fall über. Spekulanten wetten auf den Ruin des Konzerns. 2 22. 9. 2015 Michael Horn, Chef der US-Division von VW räumt öffentlich ein: „Wir haben Mist gebaut“. 3 23. 9. 2015 VW-Chef Martin Winterkorn tritt zurück. 4 25. 9. 2015 Der Aufsichtsrat von VW beruft Porsche-Chef Matthias Müller an die Konzernspitze. Gleichzeitig werden in großem Stil eigene Aktien vom Markt aufgekauft. 5 6. 10. 2015 Betriebsversammlung bei VW. „Keine Kündigungen“ in der Stamm- Mannschaft versprechen Matthias Müller und Betriebsratschef Bernd Osterloh, aber ein drastisches Sparprogramm bei Leiharbeitern und Zulieferern. 6 13. 10. 2015 VW gibt weitere drastische Kürzungspläne bekannt. In der Bilanz werden 6,7 Milliarden Euro für „die Folgen der Abgasaffäre“ zurückgestellt. 7 15. 10. 2015 Das Kraftfahrt-Bundesamt in Deutschland ordnet den verpflichtenden Rückruf aller betroffenen Dieselmodelle an. Andere EU-Länder folgen. 8 2. 11. 2015 Die US-Umweltbehörde EPA teilt mit, dass auch die drei-Liter-Motoren innerhalb des Konzerns betroffen sind. Das betrifft vor allem die großen SUV´s von Porsche. 9 5. 11. 2015 Weitere „Unregelmäßigkeiten“ werden von VW eingeräumt; auch die

CO2-Werte bei bestimmten Modellen seien „höher als angegeben“. 10 14. 11. 2015 VW verspricht, alle Nachforderungen von Staaten wegen der geschönten CO2-Werte (KfZ-Steuern in vielen Ländern, NOVA-Abgaben etwa in Österreich) „aus eigener Tasche“ bezahlen zu wollen. VW-Kunden sollten aus der Manipulation „keine Mehrkosten“ entstehen.

95 „Volkswagen Financial Services“: Der profitable Autobauer besitzt Geld Foto: APA/dpa/Valentin Frimmer

Als „ECO“ im November des Vorjahres innerhalb des steirischen Auto- clusters einen Rundruf unternimmt, was denn von den Einsparungsplä- nen des VW-Konzernes zu halten ist, werden wir mit einem Kartell des Schweigens konfrontiert. So lange nicht klar ist, wie sich der Konzern neu aufstellt, welche Strategien er einschlägt, wieviel er bei seinen Zuliefe- rern und bei welchen konkret einsparen will, so lange werden wir „auch keine Antwort erhalten“. Nur Franz Lückler, der Chef des AC Styria, lässt sich zu der trotzigen Aussage hinreißen, „dass es keinen Grund gibt, eine Krise herbei zu reden“.

Freilich gäbe es guten Grund sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Allein im Autocluster in der Steiermark sind 220 Betriebe mit rund 55.000 Be- schäftigten zusammengefasst. Das sind gut ein Drittel aller in Österreich in der Automobil-Industrie Beschäftigten. Wenn VW hustet, hat dann auch die Zulieferindustrie in der Alpenrepublik eine schwere Grippe? „Das müssen Sie verstehen“, entgegnet uns Jost Bernasch, Institutsvorstand an der TU Graz und Geschäftsführer des Kooperationsablegers „virtual vehicle“, einer Forschungseinrichtung, die auch Aufträge von VW, Porsche und Audi erhält: „Die Marktmacht von Volkswagen ist wirklich überwäl- tigend. Aber wir müssen zuerst einmal sehen, mit welchen neuen Leuten wir es bei VW zu tun bekommen werden. Jetzt ist es noch zu früh. Der Konzern wird radikal umgebaut; nicht einmal unsere Kooperationspartner

96 bei VW, die, mit denen wir täglich zu tun haben, wissen, wer ihre neuen Chefs mit Prokura sein werden und was die vorhaben.“ Dass man sich „den Kopf darüber zerbricht, was wir von der Affäre abbekommen werden, ist klar“, das sei in der Branche aber „völlig normal“.

Das „virtual vehicle“ entwirft übrigens immer detailgetreuere Computersimulationen für die Kosten sparen bei in der Branche ungeliebten, aber vorgeschrie- den teuren Crash-Tests benen Crashtests. Statt realer Autos werden virtuelle zerdeppert; das spart unglaubliche Kosten, erfordert aber unend- liche Rechenkapazitäten und physikalische Grundlagenforschung. Frontal- aufprall, Seitenaufprall, versetzter Crash – alles will „errechnet werden“. Die Einsparungseffekte sind riesig. Allein die Kalibrierung eines „Dummy“, jener unglücklichen menschenähnlichen Puppen, die in die zu crashen- den Fahrzeuge gesetzt werden, kostet „pro Person“ an die 100.000 Euro; immerhin sind die „Dummies“ mit rund 100 Sensoren ausgestattet, die Aufprall und Verletzungsgefahr vermessen.

Noch ein weitere Institutsleiter an der Technischen Universität Graz wird nachdenklich, als „ECO“ nachfragt: Helmut Eichlseder, der auf seinen Prüfständen Verbrennungs-Kraftmaschinen aller Art testen kann, sorgt sich um das Image des Dieselmotors an sich. Der Marktanteil der „Selbst- zünder“ liegt innerhalb der Europäischen Union immerhin bei 53 Prozent; in Österreich sind sogar 57 Prozent aller Personenkraftwagen mit einem Dieselmotor ausgestattet. „In den letzten Jahren“, meint Eichlseder, „hat die Technologie der Abgasreinigung derart große Fortschritte ge- macht, dass ein Diesel im Prinzip genau so sauber betrieben werden kann wie ein Benziner. Das Image des ,schmutzigen und rußigen Motors‘ ist Vergangenheit.“

Einzig das Handling bei der Abgasreinigung sei „ein bisschen tricky“, räumt er ein. Der Abluftstrom müsse durch den Zusatz von Harnstoffen gereinigt werden, „und zwar in einer Menge, die ein Zwischendurch-Nach- füllen eines weiteren Betriebsstoffes nötig macht“. Dadurch entstehe natürlich ein Wettbewerbsnachteil im Umgang mit diesen Motoren. „Aber technisch ist das Problem weitgehend gelöst. Techniker und Ingenieure wenden sich schon längere Zeit anderen Schadstoffen zu, die beim Be- trieb von Autos entstehen; dem Bremsstaub etwa, der beim Abrieb der

97 Bremsbeläge anfällt.“ Freilich räumt auch Eichlseder ein, dass die vorge- schriebenen Testzyklen zwecks Zulassung der Motorentypen „hinterfra- genswert sind“. Die Herstellerangaben, was Verbrauch und Kohlendioxyd-Ausstoß betrifft, „sind vom durchschnittlichen Verkehrsteil- nehmer in der Regel nicht erreichbar. Aber diese Testzyklen gelten eben für alle; das ergibt zwar insgesamt ein verzerrtes Bild, aber die Regeln sind für alle gleich.“ Anders liegt der Fall freilich beim aktuellen VW-Schwindel. „Die Werte mit Hilfe einer eigens geschriebenen Software zu manipulieren, das ist schon eine eigene Kategorie.“

Gestützt wird Eichlseders Ansicht im Übrigen Die Kunden haben es auch durch eine Umfrage des Meinungsfor- immer schon geahnt schungsinstituts „market“. Die Linzer fanden he- raus, dass es der Kunde immer schon gewusst haben will: Alle Autohersteller schummeln. Allein beim Verbrauch gaben 19 Prozent (Männer) bzw. elf Prozent (Frauen) der Befragten an, dass sie im täglichen Verkehr „deutlich mehr“ Benzin und Diesel verbrauchen als in den Herstellerprospekten angegeben. „Etwas mehr“ tanken gar 51 bzw. 42 Prozent. Nur 17 Prozent der Lenker und 22 Prozent der Lenkerin- nen sind der Meinung, dass die Herstellerangaben stimmen, fünf bzw. sechs Prozent glauben, günstiger zu fahren und acht bzw. 19 Prozent ha- ben „noch keinen Vergleich“ angestellt. Zusammengerechnet haben also 70 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen den Verdacht, dass die Zahlen geschönt werden. Und was für den Tank gilt, gilt natürlich auch für die Abgaswerte.

„Noch viel nachdenklicher“, so „market“-Chef Werner Beutelmeyer, „müsste die Autohersteller freilich unsere zweite Erhebung stimmen: Nur vier Prozent der Bevölkerung sind der Meinung, dass der Abgas- skandal ausschließlich VW trifft. Die ganz große Mehrheit, nämlich über 90 Prozent der Befragten, sagt, dass mehr oder weniger alle Automobil- firmen tricksen. Unserer Meinung nach handelt es sich also nicht um eine Vertrauenskrise des Volkswagen-Konzerns allein, sondern um eine Vertrauenskrise, die alle Hersteller trifft.“

Wird also doch nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird? Kommt der Weltkonzern aus Wolfsburg mit einem blauen Auge davon? Was den Absatz betrifft, deutet vieles darauf hin. Die Kunden halten der Marke

98 weitgehend die Treue. Erst knapp vor dem Jahreswechsel verbuchte VW rückläufige Verkaufszahlen. Mit minus acht Prozent hielt sich der Rück- gang allerdings in Grenzen. Vorsorglich wurden in den Werken in Deutsch- land und in einer großen Fabrik in Mexiko die „Weihnachtsferien“ um eineinhalb Wochen verlängert. Wie groß sich der Imageschaden tatsäch- lich auswirkt, wird sich allerdings erst zur Jahresmitte 2016 abschätzen lassen; dann ist das Zahlenmaterial valide. Jetzt ist es noch verfälscht, weil immer noch Fahrzeuge ausgeliefert werden, die vor dem Bekannt- werden der Schummelaffäre bestellt wurden.

Extrem teuer werden aber sicher die Kosten für Prozesse, Verfahren, Wiedergutmachung und Rückstellung in der Wiederherstellung der Fahrzeugtüchtigkeit. Bilanz reicht nicht Massenhaft müssen Modelle in die Werkstätten zurückgerufen werden. Die knapp sieben Milliarden Euro, die der Konzern wegen der Affäre bereits in seiner letzten Bilanz zurückgestellt hat, wer- den den entstandenen Schaden und die anfallenden Kosten „vermutlich noch nicht abdecken“, meinen viele Experten.

Richtig teuer wollen es vor allem die USA machen, wo die Trickserei aufgedeckt wurde. Öffentlichkeitswirksam wurde der amerikanische VW-Chef Michael Horn vor einen Ausschuss des US-Kongresses gela- den und mit wirklich unangenehmen Fragen konfrontiert. „Welches Buch werden Sie lesen, wenn Sie im Gefängnis sitzen? Zur Hölle noch mal, was haben Sie sich dabei gedacht? Warum erlaubt Ihnen Amerika über- haupt, hier Autos zu verkaufen? VW ist doch der Lance Armstrong der In- dustrie“, polterte etwa der republikanische Abgeordnete Peter Welch aus Vermont.

Tatsächlich verstehen US-Anwälte in einem so klar liegenden Fall keinen Spaß. Im schlimmsten Fall könnte Volkswagen wirklich für einen gewis- sen Zeitraum untersagt werden, Autos in Nordamerika zu verkaufen. Die Produktionsstätte in Chattanooga im US-Bundesstaat Tennessee, im dem rund 2500 Beschäftigte Arbeit finden, gilt dabei sozusagen als „Faust- pfand“; die Fabrik wurde vor sieben Jahren mit Hilfe eines ordentlichen Zuschusses durch die öffentliche Hand auf die grüne Wiese gestellt. Tennessee überlegt inzwischen, die gewährten 900 Millionen Dollar an Investitionsförderung zurück zu fordern.

99 Schließlich gilt in den USA auch noch der „Clean Air Act“, ein relativ stren- ges Umweltschutzgesetz, dass Strafen pro Fall eines Verstoßes vorsieht. Multipliziert man die rund 460.000 verkauften VW-Autos in den USA mit der Geldstrafe von rund 38.000 Dollar kommt man auf eine atemberau- bende Strafzahlung von 18 Milliarden Dollar. Noch dramatischer liegen die Umstände in Australien: In „Down-under“ hätte der Gesetzgeber die Möglichkeit, eine Strafe von umgerechnet 700.000 Euro pro Fall (also pro verkauftem Auto) zu verhängen.

Noch kurz vor Jahreswechsel handelte VW mit großen Banken einen „Brückenfinanzierungskredit“ in Höhe von 20 Milliarden Euro aus; auf dem normalen Anleihenmarkt waren für die Wolfsburger keine vernünftigen Konditionen mehr zu erhalten. Außerdem drohten die großen Rating-Agen- turen, die auf dem Markt befindlichen Anleihen auf nahezu „“- Status abzustufen. Die als „clean Diesel“ beworbenen VW-Modelle könnten für das Unternehmen rein theoretisch also zum finanziellen Alb- traum werden. Das „politische Pech“, das VW hat, ist: Bei Volkswagen ist tatsächlich Geld zu holen. Der Konzern gilt als einer der profitabelsten Automobil-Hersteller der Welt.

Was sich in Europa sicher ändern wird, sind die Das Vertrauen ist weg – Zulassungsbestimmungen. Bisher vertrauten auch bei den Behörden die Behörden den von den Herstellern selbst gelieferten Daten; vor allem das deutsche Bun- deskraftfahrtamt fragte nicht viel nach, wenn VW wegen eines neuen Modells an die Tür klopfte. Wurde für Deutschland eine Genehmigung er- teilt, galt sie für das ganze Hoheitsgebiet der Europäischen Union; einer der Kernpunkte eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes ist bekanntlich der Abbau von Handelshemmnissen und ein ungehinderter Zugang zum gesamten Markt.

Diesbezüglich werden die Spielregeln sicherlich geändert. Die angelie- ferten Daten werden von unabhängigen Instituten nachgeprüft werden; zudem bastelt die Gesetzgebung in Brüssel an „realistischeren Testzy- klen“. Das wird nach sich ziehen, dass Autofahren in vielen Ländern, auch in Österreich, teurer wird. Da schon jetzt klar ist, dass nicht nur die Stickoxyd-Werte bei VW nicht stimmten, sondern auch die CO2- Angaben geschönt waren (was vielen Kunden bei der Entrichtung der

100 Das „Automobil“-Theater Wolfsburg: Valide Zahlen erst nach dem Winter Foto: APA/dpa/Uwe Zucchi

„Normverbrauchsabgabe“ oder anderer an die CO2-Werte gebundenen Kfz-Abgaben kräftig Steuern sparen half), werden Neuzulassungen mit Sicherheit teurer.

Angesicht aller nur schwer abzuschätzenden Folgen der Affäre gehört eine gehörige Portion Gelassenheit dazu, um der Aufregung mit folgendem Satz zu begegnen, den Bernd Pischetsrieder kurz vor Jahresende 2015 von sich gab. „In einem Hühnerstall ist immer ein Hendl krank“, meinte er lakonisch, als er auf die Krise um VW und die Unruhe unter den Auto- mobil-Herstellern und auch der Zulieferindustrie angesprochen wurde.

Bernd Pischetsrieder sollte es wissen: Er war selbst von 2002 bis 2006 Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG. Derzeit lebt er zurückgezogen in der Südsteiermark und frönt seinem Hobby: Er baut Wein an.

Das entspannt offenbar ungemein.

101 Große Worte – gelassen ausgesprochen gesammelt von Günther Kogler

„Ich bin mein eigener Nachfolger.“ Michael Häupl (SPÖ) eine Woche vor der Wiener Landtagswahl. Noch Fragen?

„Ich glaube, dass wir im Oktober die Überraschung dieser Wahl sein werden.“ ÖVP-Wien-Spitzenkandidat Manfred Juraczka sollte 2015 Recht behalten. Aber ob er das im September wirklich so gemeint hatte …

„Mein Sohn ist jeden Freitag und Samstag in den Discos; den Herrn Strache sieht er nie.“ Michael Häupl (SPÖ) weiß, warum für ihn Rot-Blau nicht in Frage kommt.

„Ich bin nicht verhext.“ FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache stellt seine Freundschaft zu einer Wahrsagerin ins rechte Licht.

„Ich soll die Papp’n halten, wenn der Michi spricht.“ Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) wusste via Großplakat, warum die erste Auflage Rot-Grün in Wien scheiterte.

„Wir müssen ja nicht als Almdudlerpärchen auftreten – bei aller Wertschätzung für dieses Getränk.“ Almdudlermann Michael Häupl hält sich Almdudlerfrau Maria Vassilakou vom Leib.

„Häupls Arroganz ist schon sehr anstrengend.“ Eva Glawischnig (Grüne) zeigt Nerven. Michael Häupl (SPÖ) offenbar auch.

„Ich bin nicht Alice im Wunderland. Ich bin die Vizebürgermeisterin und mache meine Arbeit mit Freude – fast an allen Tagen.“ Maria „Mary“ Vassilakou ahnt bereits ein schlechtes Wahlergebnis.

102 Kulisse und viel Geld – warum Hollywood auf Österreich fliegt von Sabina Riedl

Wochenlang drehte die James-Bond-Crew Anfang 2015 in Österreich; ein Event der Superlative. Ein riesiger Tross von bis zu 600 Mitwirkenden und mit einem Produktionsbudget von rund 500.000 Euro am Tag gastierte in Tirol und der Steiermark – und setzte auch wirtschaftlich eine Geldlawine in Gang. Viele andere Länder bemühten sich im Vorfeld um den Zuschlag für die Dreharbeiten, denn der Werbewert, den ein Kinohit wie „007“ für eine Region bringt, bewegt sich um die 100 Millionen Euro.

Was Altaussee, Sölden und Obertilliach letztlich den Zuschlag brachte? Nicht nur die einmalige Landschaft, gepaart mit moderner Architektur und erstklassiger Infrastruktur vom Fünf-Sterne-Hotel bis zur Spitzengastrono- mie, auch ein lukratives Angebot war ausschlaggebend. Der kolportierte Produktionszuschuss von rund 1,5 Millionen Euro sollte „mit einer Null mehr“ zurückkommen. Statt der angepeilten 15 Millionen Euro ließ die 007-Crew dann doch satte 16 Millionen Euro im Land.

Das Geschäftsmodell der Location Austria, jener Agentur, die Österreichs wunderschöne Drehorte im Auftrag des Wirtschaftsressorts vermarktet, ist überzeugend und solid, wenn nicht immer so lukrativ wie im Falle der jüngsten James-Bond-Produktion: Zehn bis 20 Prozent investieren die Republik oder eine Region in die Produktionskosten eines Films, um 100 Prozent einzunehmen. Vom langfristigen Werbewert ist dabei noch keine Rede.

Doch das Business ist hart umkämpft – viele Länder buhlen mit weit höheren Beträgen um die Gunst der großen Studios. Österreich hatte allein 2014 und 2015 drei große Hollywood-Produktionen zu Gast. Erst im August sprang Weltstar Tom Cruise für „Mission Impossible – Rogue Nation“ vom Dach der Wiener Staatsoper. Der erklärte Wien-Fan Cruise war es auch, der auf eine Premiere in der Wiener Staatsoper drängte und – zumindest für einen Abend im Juli – die Donaumetropole zum Nabel der Filmwelt machte.

103 Damit rückt auch der Traum der heimischen Filmwirtschaft wieder in greifbare Nähe, wie schon in den goldenen 1920er-Jahren wieder ganz vorne im internationalen Filmgeschäft mitzumischen. Die wenigsten wis- sen heute, dass Monumentalfilme aus der Stummfilmära in Wien gedreht und produziert wurden. Einer davon, „Sodom und Gomorrha“, entstand unter der Regie des später nach Hollywood emigrierten Austro-Ungarn Mihaly Kertez auf dem Wiener Laaberg. Besser bekannt wurde er als Michael Curtis und sein Film „Casablanca“ machte ihn später unsterblich.

Sein Frühwerk „Sodom und Gomorrha“, ein fik- 14.000 Komparsen tives Bibelspektakel, sprengte alle bisher dage- zeitgleich auf dem Set wesenen Rekorde. Die Dreharbeiten dauerten drei Jahre, verschlangen das größte Filmbud- get, das je in Österreich verfilmt wurde. Der Streifen musste, weil seine Kulissen zu groß für die Sieveringer „Sascha-Film“ waren, unter freiem Himmel gedreht werden. Gewaltige Monumentalbauten wurden extra für die Ausstattung geschaffen, bis zu 14.000 Komparsen waren zugleich auf dem Set.

Nach dem Kahlschlag, den das Dritte Reich bei den Filmschaffenden in Österreich hinterließ, vergingen Jahrzehnte, bis wieder große Filmklas- siker in Wien entstanden. Einer war der „Dritte Mann“, der im Schmugg- ler- und Geheimdienstmilieu der Nachkriegszeit spielte und in der Wiener Kanalisation gedreht wurde. Bis heute pilgern Fans des Films, der als einer der drei wichtigsten Streifen der Filmgeschichte gehandelt wird, und Touristen aus aller Welt nach Wien, um die „Dritte-Mann-Tour“ zu besuchen. Auch der Soundtrack, das berühmte Zitherthema des Wiener Heurigenmusikers und Komponisten Anton Karas, das 1950 wochenlang die Nummer eins der US-Hitparade belegte, beweist, wie lange die Strahl- kraft eines Hollywood-Blockbusters anhält – und Geld in die heimischen Kassen spülen kann.

Bisher war Obertilliach in Osttirol nur Insidern ein Begriff. Das ver- schlafene, urige Bergdorf in der Einschicht könnte bald einem größeren Publikum bekannt werden, wenn James Bond im neuen Agentenstrei- fen „Spectre“ über die Pisten jagt. Im Jänner 2015 jedenfalls herrschte dort der Ausnahmezustand – ständig zerrissen Explosionen die Stille

104 Tom Cruise und die „Filmhauptstadt“ Wien: Ein Hauch von Hollywood Foto: APA/Herbert Neubauer und Feuerbälle und Rauchsäulen stiegen aus den sonst einsamen, stil- len Wäldern auf. Das passiert, wenn ein Spektakel der Superlative ent- steht.

Die ganze Gemeinde samt Bürgermeister wurde zu Stillschweigen ver- pflichtet, um ja keine Details der Handlung auszuplaudern. Extreme Geheimhaltung eben, wie sie bei einem Doppelnull-Agenten vorausgesetzt werden darf. Hunderte Sicherheitskräfte riegelten die Drehorte ab, nur wenige Bilder gab es von Hauptdarsteller Daniel Craig, die umso schneller ihren Weg in die sozialen Netzwerke fanden. Die Geheimhaltung ist eben auch Teil des Mythos.

Viele Regionen, unter anderen die Dolomiten, buhlten um die Gastgeber- rolle, doch die Wahl fiel nach Monaten der Recherche und Begehungen auf drei Locactions in Österreich: Wie das kam? „Schlussendlich“, schil- dert Arie Bohrer von „Location Austria“ die bangen Monate des Hoffens und Wartens, „waren zwei Faktoren entscheidend. Erstens die richtigen Motive gefunden zu haben, wie in Sölden der Ice Q (ein postmodernes Panoramalokal aus Glas und Stahl mit atemberaubendem Blick), der erst unlängst eröffnet hat, Altaussee mit seiner wunderschönen Landschaft und Obertilliach in seiner Ursprünglichkeit – gepaart mit einem finan- ziellen Anreiz.“

105 Arie Bohrer vermittelt im Auftrag des Wirtschaftsministeriums heimische Drehorte an internationale Filmproduktionen. Dafür muss man schon ein- mal gesperrte Pisten und verdutzte Schiläufer in Kauf nehmen. So wie in Sölden letztes Jahr im Jänner. Da mussten hunderte Crewmitglieder wochenlang verpflegt werden, Hotels und Gastronomie jubelten, denn die Quartiere waren in einem Umkreis von 30 Kilometern ausgebucht.

„Es gibt zwei Faktoren, die wichtig sind“, erklärt Arie Bohrer, „der unmittel- bare volkswirtschaftliche Effekt, der in die heimische Industrie fließt, und das zweite ganz wichtige Element ist die touristische Weiterverwertung. Wenn man einen Film hat wie James Bond, von dem man weiß, dass er jahrzehntelang die Aufmerksamkeit von mindestens einer Milliarde Men- schen auf der Welt erwecken kann, den touristisch weiter zu verwerten, ist natürlich ein Glücksfall sondergleichen für ein Fremdenverkehrsland wie Österreich.“

Der Startschuss für den Dreh von „Spectre“ – zu Deutsch Schreckge- spenst – fiel im Herbst 2014 in den Londoner Pinewood-Studios. „Hierher kommen Riesenbudgets zum Sterben“, scherzte Regisseur Sam Mendes bei der Pressekonferenz, bei der das Geheimnis um die Hauptdarsteller des neuen Agentenstreifens gelüftet wurde. Angeblich würde der neue Bond mit einem Budget „jenseits der 300 Millionen Dollar“ der „teuerste aller Zeiten“ – da gibt es viele große und kleine Gewinner, die daran mit- verdienen. Auch Neo-Bond-Girl Leah Seydoux bestätigte, James Bond sei das größte Franchiseunternehmen im Filmgeschäft.

Ein Doppel-Glücksfall für Österreich: Der zweifache Oscar-Preisträ- ger Christoph Waltz sollte in die Rolle des Bösewichts schlüpfen und schwärmte vom „Mythos Bond“, der ihn schon als kleiner Junge faszi- nierte. Auch das eine willkommene Werbung für das Filmland Österreich. Enthüllt wurde ausschließlich das neue Fahrzeug von James Bond, ein Aston Martin DB-10. Abgesehen von den Schauspielern muss natürlich teuer bezahlen, wer bei „007“ vorkommen möchte.

„Wenn man sich überlegt, dass große Firmen wie Omega, Heineken oder die Autoindustrie zweistellige Millionenbeträge in den Bond-Topf einzah- len, nur damit ihre Produkte gezeigt werden, kann man sich die Dimension ungefähr vorstellen“, so Bohrer.

106 In Obertilliach wurde bis Mitte Februar 2015 gedreht, seither ist wieder Normalität eingekehrt. Auf dem Höhepunkt der Dreharbeiten waren mehr Filmleute vor Ort als Einwohner – sage und schreibe 600! Aber was wird von Bond bleiben, wenn die letzten Kulissen abgebaut sind? „Wenn in den Einstellungen zur Landschaft auch im Insert erscheint, wo wir uns befin- den“, erläutert Werbeprofi Wolfgang Rosam die Strategie, „dann hat das auch den Impact, den Erinnerungswert für den Zuschauer, und dann kön- nen wir bei einem Film wie James Bond, der weltweit erfolgreich ist und lange Zeit gesehen wird, von einem Werbewert von bis zu 100 Millionen und mehr ausgehen. Das heißt, da reden wir von wirklich großen Beträgen.“

Der „Dritte Mann“ – gedreht in Wien 1948 – gilt bis heute als einer der drei besten Filme der Welt. Hauptdarsteller Orson Welles alias Harry Lime und die Filmmusik von Anton Karas sind weltberühmt geworden und das hat auf die Stadt Wien abgefärbt. Bis heute. Die Wiener Kanalisation ist noch immer Pilgerstätte für Filmemacher und Filmtouristen. Die „Dritte- Mann-Tour“ – und das Museum – sind Publikumsmagneten. Die Initia- toren sind bis heute überrascht von dem durchschlagenden Erfolg, weil sich die Besucherzahlen immer noch von Jahr zu Jahr steigern.

Sogar die Crew von „Mission Impossible“ ist zur Begehung in den berühmten Kanal gestie- Cruise auf den Spuren gen. Geplant war einen Teil der Verfolgungs- von Harry Lime jagd mit Tom Cruise auf den Spuren von Harry Lime zu drehen. Doch für die Flucht mit dem Speedboat war die Wiener Kanalisation dann doch zu eng. Harry Lime war ja bekanntlich nur per pe- des unterwegs. Doch es zeigt sich immer wieder, wie der Mythos eines großartigen Drehortes die Jahrzehnte überdauert. „Der Film war ja ein Welterfolg“, schwärmt Arie Bohrer, „dank der Initiative eines fantasie- vollen Magistratsbeamten ist das ein Erfolg und wird im Ausland als die gelungene filmtouristische Verwertung immer wieder zitiert.“

Eine weit erfolgreichere Verwertung eines Hollywood-Streifens, der in Österreich entstand, ist den wenigsten Österreichern bewusst, wohl deshalb, weil der Film als „ein von Amerikanern gedrehter Heimatfilm“ bei uns wenig Anklang fand. Der Film „Sound of Music“ wurde 1965 zum ganz großen Film-Musical-Hit in den USA und ist bis heute einer der be- liebtesten und meistgesehenen Filme der Welt. Julie Andrews eroberte

107 als singende Nonne Maria die Herzen des Publikums und heiratete im Film den Witwer Georg Ludwig von Trapp – soweit die historischen Tatsa- chen. Drehorte waren unter anderen Mondsee, das Schloss Mirabell und der Schlosspark Hellbrunn in Salzburg. Bis heute pilgern jährlich 300.000 Besucher aus aller Welt nach Salzburg, nur um die „Sound of Music-Tour“ mitzumachen, die alle Drehorte des Films abklappert. Das sind immerhin fünf Prozent aller Salzburg-Touristen.

Das große Potenzial des Films hat man im Wirtschaftsministerium er- kannt. Der zuständige Staatssekretär, selbst ein großer James-Bond- und Kinofan, verwaltet die Mittel für die Vermarktung des Filmstandorts Öster- reich. Harald Mahrer bestätigt, dass das Geld für internationale Großpro- duktionen bisher sehr gut investiert war: „Wir haben in den letzten Jahren über 31 Millionen an Förderungen investiert, die Förderungen für die nächste Zeit sind auch gesichert, das schafft eine ganze Menge Arbeits- plätze, 1500 in den letzten paar Jahren, 130 Millionen brutto Wertschöp- fung – da lässt sich auch in Zukunft für Österreich einiges rausholen.“

Auch die heimischen Filmfirmen können, wenn hoher Besuch kommt, zei- gen, was sie können. So wurde Tom Cruise im August 2014 während zehn actiongeladener Drehtage von der Wiener „Dor-Film“ betreut, einer der großen heimischen Filmfirmen. Abgesehen von den vier Millionen Euro, die Paramount bei dieser Gelegenheit in Wien ausgab, geriet der Dreh zur gelungenen Leistungsschau für „Dor-Film“-Chef Danny Krausz. „Wir haben noch auf Film gedreht“, schwelgt Krausz in Erinnerungen, „was für das Ko- pierwerk eine Riesenfreude war, noch einmal 35 mm zu entwickeln. Wir haben mit den unterschiedlichsten Kameras gedreht und auch unser Ko- pierwerk hat sich von seiner besten Seite gezeigt und die Paramount-Leute waren sehr dankbar für die Qualität, die wir ihnen bieten konnten.“

Gelungen ist die unmögliche Mission, Tom Cruise nach Wien zu holen, Marijana Stoisits von der „Vienna Film Commission“, dem Wiener Pen- dant der Location Austria, die bundesweit agiert. Sie hat 2014 auch noch ein weiteres Großprojekt nach Wien geholt: die britisch-amerikanische Produktion „Woman in Gold“.

Der Film erzählt in Starbesetzung die Geschichte Maria Altmanns, der Nichte von Adele Bloch-Bauer, die die Restitution des berühmten

108 Unbezahlbar: Ein „Bond“ in den Tiroler Alpen Foto: Columbia TriStar and MGM Studios/Alexander Tuma

Klimt-Gemäldes ihrer Tante gegen große bürokratische Widerstände erstreitet. In den Hauptrollen Helen Mirren, Ryan Reynolds und Daniel Brühl. Auch Wien ist zur Zeit ein gefragtes Pflaster. Laut Marijana Stoisits könnte man aber noch viel mehr herausholen. „Die 1,5 Millionen im Jahr sind viel zu wenig, das müssten mindestens 4,5 Millionen Euro sein, dann kann ich mir gut vorstellen, dass es in dem Tempo weitergehen würde.“

Dabei ist Film nicht nur Manna für die Filmschaffenden, sondern auch ein Turbo für den Tourismus. Laut einer Umfrage lassen sich bereits zwei von zehn Reisenden von Spielfilmen und Serien zu ihren Reisen inspirieren – mit steigender Tendenz. Sich fühlen „wie im Film“ ist angesagt – das wollen immer mehr.

„Film ist sicher das stärkste Mittel, um Impact zu erzeugen und damit einen höchstmöglichen Werbewert zu erzielen“, resümiert Wolfgang Ro- sam, „also wenn uns wieder so etwas gelingt wie mit „Sound of Music“ oder mit dem „Dritten Mann“, wunderbar für die österreichische Frem- denverkehrswerbung – viele hundert Millionen Euro gespart.“

Mit den Dollars aus Hollywood ließe sich auch bei uns aus einem Land, das Kulisse anbietet, wieder ein echtes Filmland machen – aus einem Nischengeschäft eine Industrie.

109 Große Worte – gelassen ausgesprochen gesammelt von Günther Kogler

„Ich wähle ihn, weil er Austrianer ist.“ Gerhard Zeiler verspricht seine Stimme Michael Häupl. Man weiß ja nie.

„Ich fühle mich niemandem moralisch überlegen.“ Angehört hatte sich das jahrelang aber anders, Frau Grünen-Chefin Eva Glawischnig.

„Tatsächlich denke ich über ein Buch nach. Es heißt: Inside politics.“ Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) will nach ihrem Ausscheiden aus der Politik aus dem Nähkästchen plaudern.

„Ich fühle mich noch relativ frisch. Ich will noch nicht in Pension.“ Vielleicht-Präsidentschaftskandidat Rudolf Hundstorfer (SPÖ) hält sich alle Optionen offen.

„Ich weiß nicht, ob Jörg Haider in den Himmel gekommen ist.“ Stefan Petzner, ratlos. Die meisten Österreicher wissen es auch nicht.

„Ich habe in der Früh gegoogelt: den Begriff ,Ärztekammer begrüßt freudig‘. Da sind nicht viele Treffer heraus gekommen.“ Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) kennt ihre Gegenspieler.

„Ich bin noch nie gescheitert.“ Milliardär Frank Stronach hat immer noch Geld für seine politischen Projekte.

„Reinhold Mitterlehner ist Django nudo, der vom Sattel fällt, wenn Erwin Pröll einmal hustet.“ NEOS-Chef Matthias Strolz wenig schmeichelhaft über die Machtverhältnisse in seiner früheren politischen Heimat.

110 Crowdfunding wird erleichtert: Das kleine Geld für große Ideen von Katinka Nowotny

Ein neues Gesetz sollte der kleinen österreichischen Start-Up-Szene neuen Schwung verleihen: Das so genannte „Alternativfinanzierungsgesetz“ erleichtert Crowdfunding, also das Geld(ein)sammeln von vielen Klein- anlegern beispielsweise über das Internet. Dynamische Jungunternehmer erhalten damit neue Chancen; die Anleger müssen allerdings auch das Risiko bedenken.

Wer früher eine brillante Geschäftsidee, aber kein Geld zu ihrer Verwirk- lichung hatte, der musste sich bei einer Bank um einen Kredit anstellen oder zumindest einen reichen Investor finden, der das Startkapital zur Verfügung stellte. Heute gibt es dank des Internet eine weitere Möglich- keit: Man präsentiert seine Idee auf einer Plattform und sammelt Geld von vielen mutigen Kleinanlegern, die an den Erfolg des Jungunterneh- mers glauben.

„Crowdfunding“ ist in den USA und einigen europäischen Staaten schon weit verbreitet. Zahlreiche innovative Unternehmen wurden auf diese Weise gegründet und haben im besten Fall den Unternehmer ebenso wie seine Investoren glücklich gemacht. Aber es gibt auch Fehlschläge, sogar sehr viele. Die Mehrheit der „Crowdfunding“-Firmen hat die ersten Jahre nicht überlebt.

Das Risiko, das mit dieser Finanzierungsform verbunden ist, hat den öster- reichischen Gesetzgeber lange Zeit davor zurückschrecken lassen, solche Veranlagungen für die breite Masse zu erleichtern, indem er die Schutz- bestimmungen für Privatanleger lockerte. Da aber Emissionen für solche Start-Ups die gleichen strengen Anforderungen wie große Börsengän- ger erfüllen mussten – vor allem einen ausführlichen Prospekt, der von Wirtschaftsprüfern abgesegnet wird –, war die so genannte „Schwarm- finanzierung“ in Österreich ein echtes Minderheitenprogramm. Es blieb ein Schwärmchen, wurde kein Schwarm, kam nie über den Status eines Nieschenproduktes hinaus.

111 Spitzenreiter in Sachen „Crowdfunding“ in Europa sind übrigens die Briten; auf der Insel steckten im Jahr 2014 36 Euro pro Einwohner und Jahr in solcherart finanzierten Projekten. In Schweden waren es 11 Euro, in den Niederlanden 4,6 Euro und in den Nachbarländern Deutschland und Schweiz nur noch 1,7 bzw. 1,5 Euro. Europas Schlusslicht, so die Statistik, war Österreich. 40 Cent pro Einwohner (oder eine Gesamt- summe von bloß 3,6 Millionen Euro) wurden hierorts in „Crowdfunding“ investiert.

Dennoch gab es auch in Österreich einige spannende Unternehmen, die den Crowdfunding-Plattformen im Internet ihre Existenz verdanken: So etwa die Firma „Wohnwagon“, die günstige mobile Wohnhäuser auf Rädern herstellen – oder auch „Kaahee“, ein rötliches Regenerations- getränk, das aus einer peruanischen Frucht hergestellt wird. Auch die „Schneeerlebniswelt“ in der Seestadt Aspern, die – am Rande Wiens – Kindern auf Plastikmatten auch im Sommer Rodel- und Schispaß bietet, wurde von vielen kleinen Anlegern finanziert.

Dieser Sektor soll nun kräftig wachsen. Am 1. September 2015 trat das Alternativfinanzierungsgesetz (AltFG) in Kraft, das „Crowdfunding“ und andere alternative Finanzierungsformen erleichtern soll. Das Gesetz wurde mit den Stimmen aller sechs Parlamentsparteien beschlossen, eine sel- tene Einstimmigkeit im Nationalrat. Es sieht eine erleichterte Prospekt- pflicht für Emissionsvolumen bis zu fünf Millionen Euro vor. Bisher lag die Schwelle bei 250.000 Euro.

Allerdings ist die Summe, die ein einzelner Anleger investieren darf, beschränkt: 5000 Euro im Jahr für alle, die weniger als 2500 Euro netto im Monat verdienen, das Doppelte des monatlichen Nettogehalts für die anderen. Damit soll verhindert werden, dass sich Geringverdiener finan- ziell gefährden.

Vor allem die ÖVP feierte das „Crowdfunding“-Gesetz als „großen Erfolg“. Harald Mahrer, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und treibende Kraft hinter diesem Projekt, sprach von „einem wichtigen Meilenstein auf dem Weg zum Start-Up-Land Nr. 1 in Europa“. Andere zeigten sich reali- tätsnäher und vor allem weniger euphorisch. Die NEOS kritisierten „die strikte 5000-Euro-Grenze“ und einige Wirtschaftsprüfer warnten davor,

112 dass ohne ihre Mitwirkung „Hochstaplern, Betrügern oder auch nur Dilet- tanten Tür und Tor geöffnet“ werde. Sobald der erste Fall, in dem Kleinan- leger ihr ganzes Geld verlieren, in die Medien kommt, würden die Auflagen „rasch wieder verschärft“ werden, prognostizierten sie.

Wie glücklich die Finanzmarktaufsicht (FMA), die ursächlich für die Soli- dität von Anlageangeboten zuständig ist, mit dem neuen Gesetz ist, lässt sich bestenfalls erahnen. Abfällige Bemerkungen über die „Unmöglichkeit einer Schwarm-Intelligenz“ ließen ernste Bedenken erkennen. Immerhin war es ihre Härte gegenüber einem ungewöhnlichen Finanzierungsmodell, die die Reform ausgelöst hat.

Der Vater des „Crowdfunding“ in Österreich ist kein Jungunternehmer, sondern Heini Staudin- Ein „Altunternehmer“ ger, der schon angegraute Gründer, Eigentümer stößt die Sache an und Chef der Schuhfabrik Gea im Waldviertel. Als ihm die Hausbank nach dem Kollaps von Lehman Brothers und dem Ausbruch der Weltfinanzkrise immer weniger Kredit zur Verfügung stellte, suchte Staudinger nach anderen Geldquellen. Er fand sie bei Nachbarn, Freunden und Kunden, die ihm für einen Zinssatz von vier Prozent insge- samt 2,8 Millionen Euro liehen.

Doch für ein solches, selbst gestricktes Geldgeschäft, urteilte die FMA, hätte Staudinger eine Bankkonzession gebraucht. Sie verlangte eine Änderung seines Geschäftsmodells, etwa eine Genossenschaftslösung, zusätzlich müssten natürlich die Sponsoren Kapitalertragsteuer zahlen; aber der bekannt dickköpfige Unternehmer weigerte sich anfangs, die Forderungen in die Tat umzusetzen. Er wurde bestraft, bekämpfte die Bescheide vor Gericht, verlor in allen Instanzen – und kämpfte dennoch weiter.

Am Ende stellte Staudinger sein Geschäftsmodell zwar auf so genannte Nachrangdarlehen um, aber die rechtskräftige Strafe von 2626 Euro weigerte er sich weiterhin zu bezahlen. Im Juni des Vorjahres wurden schließlich per Gerichtsbeschluss Waren im Wert von rund 10.000 Euro gepfändet. Doch diesen Verlust kann Staudinger gut verkraften. Der Streit mit der FMA wurde in den Medien als Kampf zwischen David und Goliath dargestellt; Staudinger wurde über alle Grenzen hinweg berühmt und die

113 Das Parlament und ein neues „Alternativ-Finanzierungsgesetz“ Foto: Parlamentsdirektion/Mike Ranz

Umsätze mit seinen Gesundheitsschuhen und -möbeln schossen in die Höhe. Und obwohl Staudinger mit seinen schon seit 1980 existierenden Unternehmen kein typischer Crowdfunding-Kandidat war, war seine Story der Auslöser für das neue Gesetz.

Heini Staudinger selbst ist über die Entwicklung „erfreut“, hat aber seine Meinung über die Finanzmarktaufsicht nicht geändert. „Ich tue ein wenig über die FMA spotten und sage: Vor drei Jahren sind sie gegen mich an- getreten und haben gesagt, es geht um den Anlegerschutz. Aber wenn die Anleger so wie jetzt ihr Geld herborgen und verlangterweise unter- schreiben, dass sie eh wissen, dass sie die letzten Trotteln sind, dann passt es der FMA.“

Klaus Kumpfmüller, einer der beiden FMA-Vorstände, bittet um Verständ- nis für die oft harte Haltung seiner Behörde gegenüber ungewöhnlichen Anlageformen: „Es ist eine Gratwanderung. Auf der einen Seite gibt es den Wunsch der Unternehmen, möglichst hohe Beträge einzusammeln, auf der anderen Seite muss auch der Schutz des Anlegers gewährleistet sein. Es besteht ja immer eine gewisse Ungleichheit in der Information zwischen dem Unternehmer auf der einen und dem Anleger auf der an- deren Seite. Daher ist es gut, wenn man gewisse Schranken einzieht, um die Anlegerinteressen zu schützen.“

114 Julian Juen entspricht schon viel eher dem Bild des Start-Up-Gründers, für den „Crowdfunding“ gedacht ist. Auf einer Erkundungstour bei der weltberühmten Inka-Stätte Machu Picchu in Peru, wo er Lodges im Stile einer österreichischen Berghütte aufbaute, lernte der 36-jährige Leon- dinger bei einem Schamanen auf 4000 Meter Seehöhe die regenerative Wirkung der Kaktusfeige kennen; deren Saft kann angeblich auch nach einer durchzechten Nacht neue Lebenskräfte einflößen.

Mit der Idee, dieses Produkt als Anti-Hangover-Drink zu vermarkten, kehrte er nach Österreich zurück und machte sich auf die Suche nach dem Startkapital für Entwicklung und Markteinführung. Doch bei den Banken blitzte er ab. Die Crowfunding-Plattform Conda, wo Anleger zwischen 100 und 5000 Euro investieren konnten, bot ihm eine Alternative. Eine erste Finanzierungsrunde brachte 250.000 Euro ein, genug für einen Start.

„Crowdfunding hat für uns zwei Motivationen gehabt“, sagt Julian Juen. „Erstens das Kapital, das man so erhält, und zweitens ist es auch eine starke Form des Community-Marketing. Denn wir sagen, dass jeder, der in Kaahee investiert – und seien es auch nur 100 Euro –, wird sich mit Kaahee identifizieren. Insofern haben wir zwei Fliegen auf einen Schlag erwischt.“

Juen trat auch im Jänner 2014 in der Puls-4-Start-Up-Show „2 Minuten, 2 Millionen“ auf. Dort wurde der Bauunternehmer Hans-Peter Haselsteiner auf ihn aufmerksam. „Ich habe 60.000 Euro investiert im ersten Schritt“, sagt der ehemalige „Strabag“-Chef. „Es ist ein Naturprodukt und nicht wie viele andere Getränke auf diesem Markt bloß reine Chemie, das hat mich angesprochen. Außerdem ist es ein Produkt, das junge Leute schick und cool finden.“

Inzwischen hat Julian Juen für Kaahee eine Million Euro an Beteiligungs- kapital eingesammelt, ist in fast allen österreichischen Supermärkten ver- treten und hat im Inland rund eine Million Flaschen abgesetzt. Der nächste geplante Schritt, sagt Juen, führt nach Deutschland, wo das junge Unter- nehmen die doppelte Menge zu verkaufen hofft.

Auch für Martin Freiberger bot „Crowdfunding“ die beste Chance, seinen Traum von der Selbstständigkeit zu verwirklichen. Von seiner Arbeit vom

115 Schilift auf der Hohen-Wand-Wiese wusste er, wie groß die Nachfrage nach Wintersport in der Großstadt ist – und wie selten die Tage, an denen genug Schnee liegt. In anderen Ländern sah er dann kleine Schi- und Ro- delhügel, ausgelegt mit Plastikmatten statt bedeckt mit Schnee. Damit könnten vor allem Kinder selbst im Hochsommer ein wenig Bergvergnü- gen haben.

Doch die Matten sind teuer und die Banken waren nicht bereit, die Idee einer „Schneeerlebniswelt“ zu finanzieren. „Die Herausforderung beim Crowdfunding war, dass wir ein Projekt hatten, für das es in Österreich noch keine Anlage gegeben hat“, sagt er. „Da musste man Fotos von Referenzprojekten aus anderen europäischen Ländern herzeigen. Und die Banken haben sich schwer damit getan, das Projekt nach ihren Kri- terien zu bewerten.“ 700.000 Euro konnte Freiberger von Kleinanlegern sammeln, um seine Pilotanlage in der neuen Wiener Seestadt Aspern zu errichten, an der Endstation der U2.

Der Standort ist kein Zufall. Entscheidend für den Erfolg sei „die leichte Erreichbarkeit durch öffentliche Verkehrsmittel“ für Kindergärten und Schulklassen. „Wir bringen die Sportanlage zum Kunden. Früher musste der Kunde zur Sportanlage“, sagt Freiberger. Anfragen für die Errichtung weiterer „Schneeerlebniswelten“ gibt es auch aus Linz, Graz und Klagen- furt, außerdem aus München, Zürich und Zagreb.

Dank der neuen vereinfachten Regeln soll es in einigen Jahren noch viel mehr solcher dynamischer, kreativer Jungunternehmer geben, die tau- sende neue Arbeitsplätze schaffen. Sie müssen alle von ihrer Geschäfts- idee überzeugt sein, weil sie sonst auch die Anleger nicht überzeugen können. Bloß: Nicht alle werden am Ende des Tages auch Erfolg haben. Die Absicht des Gesetzgebers war es daher, den potenziellen Verlust für den einzelnen Geldgeber zu begrenzen. Mehr als zehn Prozent seines Finanzanlagevermögens darf kein Investor in ein Projekt stecken, heißt es im Gesetz. Wer leidenschaftlich in „Crowdfunding“ investiert, soll sein Geld zudem möglichst über verschiedene Unternehmen streuen, um das Risiko zu begrenzen.

Die Veranlagung kann in Form von fest verzinsten Darlehen geschehen, die nach einer gewissen Zeit zurückgezahlt werden, oder als geleistetes

116 Eigenkapital. Dann ist der Anleger auch Gesellschafter, also Miteigen- tümer des Unternehmens, und kann später auf Ausschüttungen bei den Gewinnen hoffen. Aber ein Anrecht auf Zahlungen hat er nicht; und im Insolvenzfall ist das Geld komplett verloren.

Kaahee-Gründer Juen ist mit dem neuen Gesetz zufrieden, auch wenn es für ihn „etwas zu spät“ „Facebook wäre bei gekommen ist. „So etwas wie Facebook hätte uns sicher gescheitert“ es in Österreich niemals geschafft, weil sie die Finanzierung nie bekommen hätten“, sagt er. „Und da wir großartige Un- ternehmen in Österreich haben möchten, die auch Arbeitsplätze schaffen, ist es die Aufgabe der Regierung, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit lebendiger als bisher eine Risikokapitalszene entstehen kann.“

Crowdfunding ist als Geburts- und erste Gehhilfe gedacht. Emittenten dürfen laut Alternativfinanzierungsgesetz nicht mehr als fünf Millionen Euro in den ersten sieben Jahren – abzüglich der an die Anleger bereits zurückgezahlten Summen – aufnehmen. Wer mehr Geld braucht, muss einen ordentlichen Kapitalmarktprospekt erstellen.

Deshalb hilft das neue Gesetz nach Meinung vieler Experten auch nicht viel, um ein anderes, vielleicht viel größeres Problem der österreichi- schen Unternehmenswelt zu lösen: das Fehlen von Wachstumskapital für Expansionsschritte von bereits bestehenden Klein- und Mittelbe- trieben. Die Banken sind heute vorsichtiger denn je, zu viel Geld ist in konservativen Privatstiftungen gebunden, die lieber in Zinshäuser als in Unternehmen investieren und die Wiener Börse ist nach einigen Jahren des Aufbruchs wieder in einen Dornröschenschlaf verfallen. Hier herrscht noch viel Nachholbedarf.

Aber das Alternativfinanzierungsgesetz ist ein erster großer Schritt, we- nigstens darin sind sich die meisten Finanzprofis einig. Und wenn einmal neue Unternehmen die frühen Hürden genommen haben und zu Erfolgs- storys geworden sind, dann werden vielleicht auch internationale Investo- ren die Start-Up-Szene in Österreich für sich entdecken – und viele kleine Silicon-Valleys zwischen Boden- und Neusiedlersee sprießen lassen.

117 Große Worte – gelassen ausgesprochen gesammelt von Günther Kogler

„So ist es.“ Burgenlands Neo-Landesrat Norbert Darabos. Die Frage hatte gelautet: Haben Sie nicht auch den Eindruck, dass die SPÖ mit linken Positionen nichts mehr gewinnen kann?

„Über Niessl, den Landeshauptmann im Burgenland, kann ich jedenfalls sagen: Er ist eine Kulturbanause. Er geht lieber zur Operette; zur Oper kommt er nicht.“ Die Ursache für Rot-Blau im Burgenland ist gefunden – zumindest für Regisseur Robert Dornhelm.

„Ich nehme zur Kenntnis, dass manche protestieren. Es sind wenige Burgenländer dabei.“ In Eisenstadt wird gegen Rot-Blau und gegen den burgenländischen Landeshauptmann Hans Niessl (SPÖ) demonstriert.

„Lustig ist es natürlich nicht.“ Wiens SPÖ-Chef Michael Häupl will über Rot-Blau in Eisenstadt nicht lachen.

„Ich bin schon froh, wieder im Burgenland zu sein.“ Offensichtlich wollte er das immer schon – SPÖ-Geschäftsführer Norbert Darabos wird Landesrat im Burgenland.

„Ich soll ein Populist sein? Die SPÖ beschäftigt sich doch nur noch mit Randthemen wie Ampelpärchen und Sexualkunde. Das interessiert in der Stadt wenige und auf dem Land schon gar keinen. Ich mach’ das anders. Sollen sie mich Populist nennen. Ich sehe mich als Pragmatiker.“ „Pragmatiker“ Hans Niessl über seine eigene Bundespartei – oder doch lieber Populist?

118 Ärger bei Flugreisen: So viel steht ihnen als Passagier zu von Mag. Bettina Fink

Wer eine Reise tut, der kann etwas erzählen, heißt es so schön. Doch die Geschichten, die mancher aus dem Urlaub oder von Geschäftsreisen mitbringt, sind nur bedingt vergnüglich. Wer öfter „in die Luft“ geht, kennt das gut: Flüge werden verschoben, überbucht, umgeleitet, zusammen- gelegt. Unangenehm für die Passagiere. Rechtlich sind sie seit einigen Jahren zwar deutlich besser gestellt. Sofern sie sich von den Fluglinien nicht abspeisen lassen – und hartnäckig auf ihre Entschädigung pochen.

Abheben, loslassen, in Vorfreude schwelgen – so etwa hat sich Familie Bergmann ihren Start in den Familienurlaub vorgestellt. Das Ziel: Palma de Mallorca. Als das Flughafen-Taxi gerade losfährt, erhält Josef Berg- mann eine SMS von der Airline: Der Flug verspätet sich um eineinhalb Stunden. Unerfreulich, doch das dicke Ende kam erst noch, berichtet der Familienvater: „Jede Stunde kam die nächste Nachricht, dass der Flug weiter verschoben wird.“

Die Familie, inzwischen längst auf dem Flughafen, wartete bis zum frü- hen Abend – sechs Stunden verspätet kann sie dann doch noch abheben. Die Begründung der Airline: „Technisches Gebrechen.“ Dazu gab es eine schriftliche Bestätigung über die Flugverzögerung – und, ganz kleinge- druckt, die Information, dass die Passagiere in solchen Fällen bestimmte Rechte hätten. „In der Situation sieht man sich schon unter Palmen liegen – und stattdessen hängt man auf dem Flughafen fest. Das ärgert.“

So sehr, dass Herr Bergmann nach seiner Rückkehr beschloss, sich be- raten zu lassen. Er suchte Unterstützung bei „Fairplane“, einer privaten Konsumentenorganisation, die die Rechte von Fluggästen durchsetzt – gegen 30 Prozent Erfolgsprovision. Die Aussage der Juristen war eindeu- tig: Laut Fluggastrechteverordnung der Europäischen Union stehen im Fall von Herrn Bergmann 250 Euro Entschädigung zu. „Denn die Verspätung wurde durch ein ,technisches Gebrechen‘ ausgelöst, also einem Ereignis, das von der Airline beherrschbar wäre.“

119 Grundsätzlich sieht die EU für Passagiere Entschädigungen vor, wenn sich Flüge um mindestens drei Stunden verspäten. Die Höhe der Summe hängt von der Länge der Flugstrecke ab. Bei Flügen bis 1500 Kilometer Distanz, etwa von Wien nach Paris, wären es 250 Euro, bei 1500 bis 3500 Kilo- meter, zum Beispiel nach Kreta, 400 Euro. Ab 3500 Kilometer, etwa nach Thailand, immerhin 600 Euro.

Nicht zahlen müssen die Fluglinien bei außergewöhnlichen Umständen. Dazu zählen Vulkanausbrüche, Streiks oder Unwetter, bei denen beispiels- weise ein Flughafen geschlossen wird. Doch in allen anderen Fällen ver- schenken Passagiere oft viel Geld, rechnen die Experten vor. In Österreich hätten pro Jahr etwa 200.000 Personen Anrecht auf Entschädigung; nur fünf Prozent von ihnen bestehen aber auf einer Ausgleichszahlung. Der Rest verzichtet: in Summe auf rund 72 Millionen Euro pro Jahr.

„Die Konsumenten wissen zuwenig Bescheid über ihre Rechte, und die Fluglinien versuchen abzublocken“, berichtet Mag. Andreas Sernetz, Ge- schäftsführer von „Fairplane“. Das übliche Vorgehen beschreibt er so: Erst hören Passagiere einmal einen Monat lang gar nichts, dann komme ein schönes Standardschreiben mit drei Komponenten: Einer Entschuldi- gung für den Vorfall, einem Hinweis, dass das Entschädigungsersuchen leider abgelehnt werden müsse und am Ende heißt es dann freundlich, man hoffe die Betroffenen bald wieder als Passagier an Bord begrüßen zu können. Seine Bilanz nach rund 100.000 Fällen ist ernüchternd: „Uns liegt kaum ein Fall vor, in dem die Airline gesagt hat, ja, danke, tut uns leid, wir zahlen. Das gibt es so gut wie gar nicht“, so Andreas Sernetz.

All das ist vor dem Hintergrund der angespannten finanziellen Situation in der Branche zu sehen. Massive Billig-Konkurrenz, eine Preisschlacht bei den Tickets, Konflikte mit dem Personal, Streiks – und Sparprogramme soweit das Auge reicht. Für den Luftfahrtexperten Kurt Hofmann sind Flugänderungen in der Reisehochsaison folglich keine Überraschung: „Fluglinien versuchen seit Jahren, die Ticketpreise zu erhöhen, um wirt- schaftlicher zu operieren; das funktioniert nur seit jeher nicht, weil es zu viele Airlines in Europa gibt. Also müssen die Fluglinien günstige Tickets anbieten und sind gleichzeitig permanent gefordert die Flieger auszulas- ten, alles in Betrieb zu halten.“ Sein Fazit: „Alle sind sozusagen am An- schlag unterwegs – das ganze Jahr über.“

120 Wenn der Flug ausfällt, gibt es – meistens – Anspruch auf Entschädigung Foto: APA/dpa/Boris Roessler

Auch bei den Austrian Airlines blieben im letzten Sommer rund 60 Flüge auf dem Boden. Eine „Häufung von Krankenständen“ war eine der Begrün- dungen. Die Passagiere wurden auf andere Flüge und Partner-Fluglinien umgebucht. Im besten Fall kamen die Fluggäste halbwegs pünktlich an, meist waren aber mehrere Stunden Verspätung die Folge. „Das Verschul- den liegt eindeutig bei der Fluglinie“, stellte „Austrian“-Sprecher Mag. Peter Thier klar. „Ob Entschädigung ausbezahlt wird, hängt aber von der Dauer der Verspätung ab“, hieß es. Und wie wir mittlerweile wissen: Erst ab drei Stunden ist ein Anspruch gegeben.

Nicht immer werden Flüge kurzfristig verschoben oder gestrichen. Gerade bei Urlaubsreisen erfährt man oft schon zwei, drei Wochen im Voraus von Änderungen im Flugplan. Und so kann es passieren, dass der bequeme und attraktive Vormittagsflug plötzlich ins frühe Morgengrauen vorrückt. Ärgernisse, die man ebenfalls nicht einfach so hinnehmen muss.

Ein Beispiel: Ein monatelang im Voraus gebuchter Urlaubsflug nach Kreta. Die Abflugzeit in Wien: 9.40 Uhr. Ankunft in Heraklion: 13 Uhr. Ein beque- mer und attraktiver Direktflug für eine Familie mit Kind. Drei Wochen vor- her informiert die Airline lapidar: Der Flug wird geändert; er startet später und sieht nun plötzlich eine Zwischenlandung in Athen mit zwei Stunden Aufenthalt auf dem Flughafen vor. Ankunft am Zielort: vier Stunden später,

121 Umsteigen inklusive. Die Entschädigung liegt zwischen null und 400 Euro – je nachdem, wann die Flugänderung angekündigt wurde, so Dr. Barbara Forster vom Europäischen Verbraucherzentrum Österreich.

„Grundsätzlich muss ich als Passagier nicht hinnehmen, dass mein Flug ein paar Stunden früher oder später weggeht, auch wenn das von den Airlines so suggeriert wird.“ In unserem Beispiel wurde der ursprüngliche Flug gleich vollständig gecancelt; es gab eine neue Flugnummer, eine andere Strecke wurde geflogen: „Da habe ich die Wahl, will ich das an- nehmen oder nicht.“

Und so sehen die Regeln bei einer Annullierung Wer früh informiert konkret aus: Wird man mindestens 14 Tage wird, erhält nichts vorher darüber informiert, gibt es gar keine fi- nanzielle Entschädigung. Allerdings steht dem Passagier in jedem Fall eine Rückerstattung des Tickets zu oder eine „angemessene“ Ersatzbeförderung. Was angemessen ist, ist leider eine Streitfrage, die man oft nur auf dem Klagsweg lösen kann, so Dr. Barbara Forster. Wichtig ist auf jedem Fall, schriftlich mit der Fluglinie Kontakt auf- zunehmen. Es sollte dabei klargestellt werden, ob man den Alternativflug oder das Geld zurück haben möchte. „Wenn der Alternativflug nicht nur zu Verzögerungen führt, sondern auch zu Mehrkosten, dann muss man schriftlich klarstellen, dass man diese Kosten selbstverständlich ebenfalls ersetzt haben will.“

Anspruch auf klassische Entschädigung bei Flugannullierung hat man erst, wenn die Flugänderung 14 bis sieben Tage vorher kommuniziert wird – vorausgesetzt, das Ersatzflugzeug hebt mindestens zwei Stunden früher ab oder kommt mindestens vier Stunden später an. Innerhalb der letzten sieben Tage schließlich steht Entschädigung schon zu, wenn der Ersatzflug mindestens eine Stunde früher startet oder mindestens zwei Stunden später landet.

Alles nicht so einfach. Zumal Flugverschiebungen oft auch einen Ratten- schwanz an Problemen und Folgekosten nach sich ziehen: etwa wenn eine zusätzliche Hotelnacht nötig wird, die Mietautostation bei der Ankunft schon geschlossen hat oder die Fähre weg ist. Da heißt es Rechnungen sammeln – und hartnäckig auf Schadenersatz pochen.

122 Wer beim Reiseveranstalter eine Pauschalreise gebucht hat, wendet sich meist direkt an das Reisebüro, wenn etwas nicht nach Plan läuft. Der Vor- teil: Der Veranstalter muss selbst Alternativen organisieren. Bei Flugver- spätung steht dem Kunden auch eine klar geregelte Gewährleistung zu. Die freilich ist lächerlich knapp bemessen. „Wenn ich mehr als fünf Stun- den Verspätung habe, bekomme ich pro Tag aliquot fünf Prozent für jede weitere Stunde Verspätung retour“, so Martin Bachlechner, Vorstands- direktor der „Verkehrsbüro“-Gruppe. Konkret: Bei einer Pauschalreise um 700 Euro macht das fünf Euro pro Stunde aus; bei fünf Stunden zusätzli- cher Verspätung also gerade einmal 25 Euro.

Nicht viel – und nur die halbe Wahrheit: denn auch Pauschalreisende können sich direkt von Pauschalurlauber den Airlines Geld holen – und sollten das auch erhalten auch Geld tun, so „Fairplane“-Geschäftsführer Andreas Sernetz. „Da geht es um weit höhere Entschädigungssummen. Ob man sich dann beim Reisebüro noch ein paar Euro zusätzlich holt, kann man sich ja überlegen. Aber das andere ist wichtiger.“

Josef Bergmann, der Flugpassagier, den „ECO“ am Anfang unserer Ge- schichte traf, hat seine 250 Euro Entschädigung am Ende eingefordert. Dass er dafür die Unterstützung von Juristen und von Verbraucher- schutz-Organisationen braucht, empfindet er als Zumutung. Ihm schwebt ganz etwas anderes vor: „Ich würde mir erwarten, dass Fluglinien bei Ver- spätungen gleich die entstehenden Ansprüche auf Entschädigung kom- munizieren – und diese dann einfach von sich aus abgelten.“

Das wäre schön. Im Moment können Passagiere allerdings nur selbst auf das Fluggastrecht pochen, wenn die Reise einmal nicht reibungslos verläuft. Sich bei Konsumentenschützern oder der Schlichtungsstelle für Passagier- und Fahrgastrechte des Verkehrsministeriums zu melden, kann jedenfalls nicht schaden. Auch wenn „es Umstände“ macht, zahlt es sich in vielen Fällen aus.

123 Große Worte – gelassen ausgesprochen gesammelt von Günther Kogler

„Ich glaube, autonomes Einparken würde für alle eine Hilfe sein. Aber nur die Frauen werden es zugeben; die Männer nicht.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel eröffnet die Internationale Automobil- Ausstellung in Frankfurt.

„Wenn ich Angst hätte, wäre ich in der Fernsehdirektion falsch.“ Richtige Erkenntnis. ORF-Fernsehdirektorin Kathrin Zechner jubiliert mit dem „Eurovision Songcontest“, stürzt aber mit der neuen „Stadlshow“ ab.

„Sie hat schon Eier gezeigt.“ Beate Meinl-Reisinger (NEOS) ist beeindruckt von Margaret Thatchers seinerzeitigen Umgang mit Männern.

„Nein, Himmelfahrtskommando ist es keines.“ SPÖ-Bundesgeschäftsführer Gerhard Schmid sieht seinen neuen Job bloß als Herausforderung.

„Das nackte Leben ist mir geblieben.“ Auch der x-te Prozess hinterlässt Spuren – der frühere Hypo-Chef Wolfgang Kulterer vor Gericht.

„Die ÖVP wartet nicht, bis sie Mehrheiten hat. Sie ist dauernd auf dem Kriegspfad.“ Ex-ORF-General Teddy Podgorski und die heuer anstehende Wahl der neuen ORF-Geschäftsführung.

„Auf meinem Facebook habe ich eine Zunahme von Likes von 90 Prozent.“ LH Hans Niessl (SPÖ) sieht sich im Burgenland mit Rot-Blau auf dem richtigen Kurs.

„Mit dem Begriff Millionärssteuer waren wir nie sehr erfolgreich.“ Späte Erkenntnis, Herr Sozialminister Hundstorfer (SPÖ).

124 Vorsorgen für die Pension: So füllen Sie die „Lücke“ von Katinka Nowotny

Die Pensionslücke ist heute für jeden Arbeitnehmer Realität: Die staatliche Pension wird immer niedriger als das frühere Gehalt sein. Wieviel man sich beiseite legen muss, um aber Altersarmut zu vermeiden, hängt von Alter, Einkommen und anderen Lebensumständen ab. In einem sind sich die Experten einig: Je früher man beginnt, desto leichter fällt es.

Österreich hat eines der am besten ausgebauten, großzügigsten, aber auch teuersten Pensionssysteme der Welt. Bis zu einem Einkommen, das deutlich über dem Durchschnitt liegt, sieht das Altersvorsorgesystem Ersatzraten von annähernd 80 Prozent vor. Das heißt: Wer durchgehend in seinem Leben gearbeitet hat, sollte im Ruhestand nur auf wenig Einkom- men verzichten müssen. Und wenn das Eigenheim dann schon abbezahlt ist und die Kinder auf eigenen Beinen stehen, dann könnte man einem goldenen Herbst entgegensehen.

Doch für die meisten ist das nur graue Theorie. Wer mehrere Jahre nicht ge- arbeitet hat, sei es wegen Arbeitslosigkeit oder Kindererziehung, muss nach den Pensionsreformen der 2000er-Jahre deutliche Abstriche hinnehmen. Und mehr als 3200 Euro brutto im Monat bekommt ohnehin niemand nach der ASVG-Regelung. Denn auch die Beiträge sind mit der Höchstbemes- sungsgrundlage, die derzeit rund 5300 Euro im Monat beträgt, gedeckelt.

Daher sollte fast jeder während des Erwerbslebens noch etwas beiseite legen, damit er im Alter nicht deutliche Einschnitte im Einkommen hin- nehmen muss. Für Niedrigverdiener geht es darum, der Gefahr der Alters- armut zu entgehen. Gutverdiener müssen sparen, wenn sie auch mit 60 plus den gewohnten Lebensstandard beibehalten wollen. Und viele wol- len schließlich auch noch „etwas übrig haben“, das sie ihren Kindern und Enkeln vermachen können.

In einem sind sich Anlageberater einig: Je früher man beginnt, desto leichter ist es. Und wie man spart – ob mit einer Lebensversicherung, mit

125 gemischten Investmentfonds oder auch nur altmodischen Sparbüchern –, ist weniger wichtig als die Tatsache, dass man es tut. „ECO“ hat mehrere Finanzexperten zu diesem Thema befragt – und drei Arbeitnehmer in un- terschiedlichem Alter und Berufen als Beispiel genommen.

Michael Kogler ist 30 Jahre alt und Werbetexter in Wien. Er verdient gut und hat genügend Zeit, um sich allmählich Geld für sein Alter wegzule- gen. Die Frage ist, ob er dies auch mit der ausreichenden Weitsicht tut.

Verena Brein-Finster ist 40, mehrfache Mutter und teilzeitbeschäftigte Lehrerin. Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie einen Kredit auf ihr Eigen- heim laufen. Wenn sie einmal in den Ruhestand geht, kann sie nur mit einer Mini-Pension rechnen.

Franz Aschauer ist 50 und ist als Facharbeiter in einem Autohaus voll- beschäftigt. Er verdient nicht viel, das aber konstant. Vor Altersarmut fürchtet er sich nicht.

Wie sollen diese drei recht typischen österreichischen Arbeitnehmer für ihren Ruhestand vorsorgen? Genügt die staatliche ASVG-Pension oder müssen sie alle kräftig sparen, damit sich auch später noch alles aus- geht? Die unabhängige Vermögensexpertin Margit Potzgruber rät beim 30-jährigen Michael Kogler zu einem kleinen, aber konstanten Anspar- plan. Bei einem Monatsgehalt von 2000 Euro würde sie „zwischen fünf und acht Prozent, also 100 bis 140 Euro“, auf die Seite legen. „Bei einem 30-Jährigen müsste das für den Start schon mal reichen. Denn wir haben eine rund 30-jährige Laufzeit mit einem sehr schönen Zinseszinseffekt.“

Die Vermögensberaterin Michaela Dvorak-Bubik empfiehlt mehr: „Zehn bis 15 Prozent“ wären bei diesem Alter und Einkommen richtig. Der Rat des Versicherungsmaklers Thomas Schrimpf ist ähnlich, er tendiert aber eher zu 15 Prozent. Und Johann Wally, der Leiter der Ombudsstelle Finanzdienst- leister in der Wirtschaftskammer Österreich, hält überhaupt eine Spar- quote von 20 Prozent für angemessen – eine beachtliche Summe für einen jungen Menschen mit vielen Bedürfnissen schon jetzt in der Gegenwart.

Die Situation bei der 40-jährigen Verena Brein-Finster ist noch komplizier- ter. Denn einerseits hat sie weniger Einkommen und kann daher auch

126 weniger auf die Seite legen. Andererseits wird ihre Pension geringer aus- fallen. Wenn etwa die Ehe nicht hält, dann droht tatsächlich Altersarmut – oder zumindest ein finanziell sehr bescheidener Lebensabend.

Margit Potzgruber rät daher dazu, „bis zu einem Zehntel des Monatsgehalts“ auf die Seite zu le- Wer soll wieviel gen. Michaela Dvorak-Bubik meint, es sollten zur Seite legen nicht weniger als zehn Prozent sein. Thomas Schrimpf geht wieder auf 15 Prozent und Ombudsmann Johann Wally hält sogar 33 Prozent für angemessen.

Wally: „Eine 40-jährige Frau, die verheiratet ist und Kinder hat, Wohnungs- eigentum besitzt und Teilzeit arbeitet, die sollte zumindest ein Drittel weg- legen, da sie sonst mit ihrer Teilzeitarbeit in die Pensionsfalle gerät. Wenn sie 1300 Euro im Monat hat, sollte sie auf jeden Fall 400 Euro weglegen. Denn so viel würden auch ihre Pensionsbeiträge für die staatliche Pension ausmachen, wenn sie vollbeschäftigt wäre. Und das müsste sie mit der Einzahlung abfangen.“

Aber ist diese Empfehlung realistisch? Zumindest für die Lehrerin Verena Brein-Finster ist es das nicht. „Das geht auf keinen Fall. Dann könnten wir uns die Kreditrückzahlungen auf das Haus nicht mehr leisten oder unsere derzeitige Lebenshaltung wäre nicht möglich. An Urlaube bräuchten wir dann überhaupt nicht zu denken. All das wäre nicht mehr drinnen.“ Das Dilemma ist klar: Gut leben und vorsorgen, das geht schwer zusammen.

Auch beim 50-jährigen Franz Aschauer gehen die Expertenmeinungen über die angemessene Sparquote auseinander. Seine „Pensionslücke“ ist dank einer kontinuierlichen Erwerbsbiographie nicht übermäßig groß. Dafür aber hat er auch nicht mehr viel Zeit, sich eine zusätzliche Alters- vorsorge anzusparen.

Die Vermögensberaterin Potzgruber hält acht Prozent für ausreichend, der Versicherungsmakler Schrimpf rät zu 15 bis 20 Prozent, die Beraterin Dvorak-Bubik zu 20 Prozent und mehr – und Ombudsmann Wally emp- fiehlt sogar 25 Prozent. Er hat einen ganz konkreten Vorschlag: „Einem 50-jährigen Facharbeiter mit 1700 netto, der nur noch 15 Jahre zur Pen- sion hat, würde ich auf jeden Fall Immobilien wie etwa eine Garçonniere

127 empfehlen, die er mit einem 15-jährigen Kredit kauft. Die Miete deckt großteils den Kredit ab und er hat mit 65 Jahren mit den Mieteinnahmen wirklich eine Zusatzpension. Er braucht darauf keine Sozialversicherung zu zahlen, sondern nur noch Einkommensteuer.“

Klar: Bei Immobilienerwerb und -verwaltung fallen viele Nebenkosten an. Das gilt aber auch für das so beliebte Produkt der Lebensversicherung, sagt Versicherungsmakler Schrempf. Er hält Lebensversicherungen zwar für grundsätzlich vernünftig. „Allerdings muss man als Kunde auf die Kosten im Hintergrund achten, denn diese können wirklich bis zu 20 oder 25 Prozent betragen“, sagt er.

Dvorak-Bubik neigt eher zu anderen Sparformen. „Eine fixe Lebensversi- cherung hat den Zweck – wie der Name schon sagt – ein Leben zu versi- chern. Möchte ich hingegen etwas ansparen, brauche ich nicht unbedingt den Anteil des Lebensversicherns bezahlen.“ Ihr wichtigster Rat an ihre Kunden lautet: Ersparnisse und Pensionsvorsorge gehören strikt getrennt. Dvorak-Bubik: „Es hat einfach keinen Sinn, wenn Sie sich auf der einen Seite nichts ersparen können, aber für später vorsorgen und dann wegen einer kaputten Waschmaschine auf das Guthaben der Pensionsvorsorge zurückgreifen müssen.“

Die Wahl des Produktes ist weniger wichtig, als es die Finanzbranche oft suggeriert, sagen Experten. Keine Anlageform kann Wunder wirken und jede Art des Sparens ist ein Beitrag zur Altersvorsorge – das altmodische Sparbuch genauso wie ein dynamischer Aktienfonds, der bei einer lang- fristigen Veranlagung auch nicht übermäßig riskant sein muss.

Für Ombudsmann Wally ist der wichtigste Ratschlag, dass man sich bei einem Produkt, für das man sich einmal entschieden hat, auch bleibt. Wally: „Wenn ich mich entscheide etwas zu machen, dann wäre der größte Fehler, Produkte zu wechseln. Dass man ein Produkt nimmt und nach ein paar Jahren sagt ,Hm, da gibt es etwas Besseres, stornieren wir es, legen wir es still, machen wir etwas Neues‘ – dann gibt es nur Ver- luste. Ich entscheide mich einmal für ein Produkt – das ziehe ich durch. Bleibt mir Geld übrig, kann ich es entweder anpassen oder ein zweites Produkt dazunehmen. Aber bitte nicht ein Produkt durch ein anderes er- setzen. Das ist einer der größten Fehler.“

128 Handwerk zum „Anschauen“: Gute Idee mit Hintergedanken von Hans Wu

Auch im Zeitalter automatisierter Produktionsabläufe und komplexer Liefer- strukturen boomt das Handwerk – trotz allem. Als besondere Besucher- attraktion hat sich in den letzten Jahren ein Trend herauskristallisiert: Immer mehr „Schau-Handwerkstätten“ öffnen ihre Tore für das Publikum. Es ist eine pfiffige Idee, nicht ganz frei von unternehmerischen Hintergedanken.

Es ist eine Werkstätte wie aus einer anderen Zeit; in Süßenbrunn, einem dörflich geprägten Stadtteil am Rande von Wien, hat sich der Schuhher- steller „Ludwig Reiter“ auf einem alten Gutshof niedergelassen. Die ehe- maligen Stallungen wurden umgebaut und dienen heute als Platz, wo nach „althergebrachter Art ans Leder gegangen“ wird. Es ist feines Schuhwerk für die betuchte Kundschaft, die hier in der „Manufaktur“ hergestellt wird.

Gerne öffnet man natürlich das herrschaftliche Anwesen für Kunden, die ihrem Produkt „beim Entstehen zusehen“ möchten. Teure Schuhe, gefertigt in einem feudalen Umfeld, bloß eine Frage des Image? Der Geschäftsführer des Familienbetriebs, Till Reiter, will das so nicht verstanden wissen: „Wir residieren hier nicht wie Gutsherren in einem gemütlichen Ambiente, weil wir uns diesen Luxus auf Kosten der Kunden leisten. Wir machen das aus- schließlich für unsere Kunden. Wir haben uns das deshalb so eingerichtet, damit sich nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die Kunden wohlfühlen. Wir demonstrieren damit auch unsere Wertschätzung gegenüber dem Produkt; ein Schuh, bei dessen Fertigung man zusehen kann – da können unsere Besucher auch emotional etwas mit nach Hause nehmen.“

Tatsächlich bekommen die Besucher Schuhhandwerk zu sehen, wie es in Europa nur in vereinzelten „Produktionsreservaten“ überlebt hat: vom Leisten zum fertigen Paar Schuhe, in Arbeitsschritten, die nahezu in Ver- gessenheit geraten sind. Fast alles Schuhwerk, das bei uns getragen wird, wird seit langem schon in Billiglohnländern erzeugt. Aber diesen Schritt zum „Outsourcing“ hat die „Ludwig Reiter Schuhmanufaktur“ eben nie unternommen.

129 Was Wunder, dass die Fertigung in Handarbeit auch mit Stolz hergezeigt wird. „The shoe must go on“, heißt es auf der Website. Frage: Wird Hand- werk hier zum Showact? „Wenn man sagt, es ist wichtig zu wissen, wo die Schuhe hergestellt werden, dann wollen das die Leute auch sehen. Es ist nicht der primäre Zweck, dass wir hier eine Touristenattraktion haben. Wir freuen uns über jeden, der uns sehen will, weil wir auch stolz darauf sind, was wir hier machen. Aber es dient nicht der Unterhaltung.“

Die Schuhmanufaktur „Ludwig Reiter“ versteht Ein Firmensitz wird sich als ein so genannter „inszenierter Firmen- „in Szene“ gesetzt sitz“ – eine für bestehende und potenzielle Kunden offene Produktionsstätte, die über Ar- chitektur und Ambiente „der Marke angepasst“ ist. Solche „Publikums- öffnungen“ haben in Österreich durchaus Tradition. 1995 sperrten die „Swarovski Kristallwelten“ ihre Tore im Tiroler Wattens auf; André Heller kreierte für den Glitzerstein-Hersteller eine Ausstellungsattraktion, die bis zu 700.000 Besucher pro Jahr anzieht.

Auch die VOEST in Linz inszeniert ihr Produkt in einer so genannten „Stahl- welt“. Es ist eine Dauerausstellung, in der den Besuchern der Werkstoff näher gebracht wird, oft kombiniert mit einer Führung im Stahlwerk selbst. Ein Publikumsmagnet ist auch das so genannte „Schoko-La- den-Theater“ von „Chocolatier“ Zotter in der Steiermark; im Grunde eine einfache Tour durch die Produktion an sich, aber in aufwändig gestalteter Inszenierung. Durchaus beliebt auch wegen der unzähligen „Naschsta- tionen“, also Gratisverköstigungen, die die süßen Verführungen der p.t. Kundschaft näher bringen – und einzig und allein dazu dienen, aus jedem Besucher einen Käufer zu machen..

Ein wenig kleiner, aber nicht weniger kulinarisch gestaltet sich auch die „Schau-Bäckerei“ der Wiener Traditionskonditorei Demel. Hier sind die Zuckerbäcker hinter Glas bei der Arbeit zu beobachten. Besucher aus al- ler Welt können zusehen, wie beim ehemaligen „k. u. k Hofzuckerbäcker“ gestrudelt und gebacken wird.

Soviel Transparenz ist neu. Erst 2002 wurde „der Demel“ vom Gastro- nomiekonzern Do&Co übernommen. Die Idee zur Schau-Bäckerei kam von Geschäftsführer Attila Dogudan persönlich und das durchaus mit

130 kommerziellem Kalkül: „Wenn sie sagen, ich habe einen guten Erdbeer- strudel gegessen, dann ist die Geschichte damit erledigt. Wenn sie aber erzählen können, wie dieser Strudel gezogen wird, wie die Erdbeeren mariniert werden, wie die Brösel hineinkommen und in welcher Art dann noch der Zucker darauf gestreut wurde, das ist dann so, wie wenn sie über einen Film, über ein Theaterstück sprechen. Daher gibt es auch die- sen Mehrwert. Abgesehen davon, dass man nichts zu verbergen hat, gibt es auch den kommerziellen Vorteil in der Positionierung einer Marke.“

„Offen gekocht“ wurde in den Gaststätten des Stargastronomen seit je- her; Attila Dogudan setzte immer schon auf „das Vermarktungspotenzial einer sichtbaren Küche“. Die Aufwertung des Produktes lockt Gäste an, die dann auch bereit sind, etwas mehr zu bezahlen: „Das ist definitiv messbar am Geschäftserfolg. Wir können einfach zeigen, dass jedes Pro- dukt jeden Tag frisch zubereitet wird.“

Die Überlegungen der Unternehmer, die Produktion vor den Vorhang zu stellen, sind also nachvollziehbar. Doch warum sind geöffnete Werkstät- ten, Fabriken und Küchen bei den Kunden selbst so beliebt? Woher kommt die Sehnsucht zum sichtbaren Handwerk? „Der neue Trend ist eigentlich gar nicht so neu“, sagt der Wirtschaftspsychologe Ralph Sicher. Er sieht darin den Wunsch der Kundschaft „nach Verständlichkeit in einer immer komplexeren Konsumwelt“.

Eigentlich beruhe der Trend sogar auf Alt- bekanntem. Es ist gar nicht so lang her, dass Auch auf dem Markt der Konsument noch selber Hand angelegt hat: hat man alles angefasst „So hat man ja früher auf dem Markt eingekauft. Man hat alles angefasst, verglichen und am Schluss sich dann für das ent- schieden, bei dem man das Gefühl hatte, genau das brauche ich jetzt für mein Essen. Ähnlich, denke ich, ist es heute, wenn Waren an den Kunden gebracht werden sollen. Die Beziehung zum Unternehmen, zur Marke und zum Produkt wird intensiviert.“

In der Steiermark wird die publikumswirksame Unternehmensöffnung sogar von der Landesregierung organisiert und beworben. Unter dem Motto „Erlebniswelt Wirtschaft“ öffnen momentan 46 Unternehmen per- manent ihre Tore für Besucher. Es sind „organisierte Erlebnispfade“ und

131 „Wandertage“ durch Werkstätten, Fabriken und Lebensmittelbetriebe der grünen Mark.

Zu besichtigen ist sogar ein Großbetrieb, dessen Produkt nicht so leicht verständlich gemacht werden kann wie ein Schuh, ein Erdbeerstrudel oder ein Schmuckstein. Die „Knapp AG“, in der Nähe von Graz, ist Marktführer für die so genannte Intralogistik. Darunter sind die Prozesse zu verstehen, die beispielsweise innerhalb eines Warenlagers ablaufen. So etwas geht lang schon über eine herkömmliche Lagerverwaltung hinaus. Es geht um automatisierte Abläufe, um komplizierte Softwarelösungen und um die Infrastruktur, mit Hilfe derer die Produkte gelagert und bewegt werden.

Das ist vor allem in Zeiten wichtig, in denen immer schneller die richtige Ware zum Konsumenten gelangen soll. Vom Boom des Onlinehandels etwa hat die steirische Firma gut profitiert: Zu 98 Prozent verkauft sie ihre maßgeschneiderten Lösungen im Ausland. Damit ist die „Knapp AG“ ein österreichischer Exportweltmeister. 2700 Mitarbeiter und ein Umsatz von 470 Millionen Euro sind sehenswerte Kennzahlen.

Um die Firma auch im Inland besser bekannt zu machen, hat man sich entschlossen die Türen aufzumachen, erzählt Katrin Pucher, die Leiterin der Abteilung „Integrierte Systeme“: „Die Entscheidung, unseren Betrieb zu öffnen, ist eigentlich sehr schnell gefallen. Die größte Herausforderung war, leicht verständlich zu erklären, was Intralogistik überhaupt bedeutet. Die meisten unserer Besucher haben eine Vorstellung, was Logistik ist, glauben aber gar nicht, wie oft sie und wie leicht sie mit unseren Knapp- Anlagen in Berührung kommen.“ Und so wird den Besuchern bei der Fa- brikstour an diversen Infostopps gezeigt, was alles ausgelöst wird, wenn sie zum Beispiel im Internet einkaufen gehen.

Es ist die „Virtualisierung unserer Wirtschaftsprozesse“, die das Inter- esse an dem, „was dahinter steckt“ weckt, meint Wirtschaftspsychologe Ralph Sicher: „Es wird einem ja auch sehr viel vorgegaukelt. Man kennt es von den Hotel-Webseiten. Da ist natürlich immer das schönste Zimmer ab- gebildet, wird der schönste Blick beworben. Und erst wenn man dann dort ist, sieht man: ‚Ok, so schaut es wirklich aus.‘“ Es gibt viel Misstrauen der Konsumenten in die schöne neue Warenwelt. Ein Misstrauen, dem nur durch mehr Transparenz der Unternehmen begegnet werden kann.

132 Der Krimi um Teak Holz oder Wie man auch Aktionäre „pflanzt“ von Angelika Ahrens

Zwischen Natur und Kultur, Regenwald und Kolonialstil, zwischen Pazifik und Karibik, zwischen Nicaragua und Panama: Costa Rica, das grüne Musterland, hatte es auch zwei Oberösterreichern angetan. Sie witterten ein gutes Geschäft mit Tropenholz, konkret mit Teak. Costa Rica heißt auf deutsch so etwas wie „reiche Küste“. Die Natur- und Artenvielfalt weckt bei den Touristen das Entdeckerfieber. Nur, was ist, wenn niemand die Bäume zählen kann …?

Begonnen hat alles mit einem Urlaub in Costa Rica. Der oberösterreichi- sche Gärtner Klaus Hennerbichler stellt nach ein paar Tagen fest, dass der Club ganz und gar nicht das Richtige für ihn ist. Er langweilt sich ohne Ende, mietet daher nach ein paar Tagen einen Jeep und fährt durch das kleine mittelamerikanische Land. Ein Land, das so viel Ruhe ausstrahlt, das so schön und abwechslungsreich ist. Er hat die Wahl zwischen Kolonialstil-Hotels aus dem 18. Jahrhundert inmitten von Kaffeeplanta- gen im Hochland und kleinen Lodges am Fuße eines Vulkans und traum- haften Stränden. Er kann sogar auf dem Dach des Regenwaldes spazieren zu gehen – auf einem „Skywalk“.

„Besonders gestaunt habe ich über die Teakwälder, denn so etwas war mir bis dahin unbekannt“, wird Klaus Hennerbichler später in einer haus- eigenen Pressemitteilung zitiert; unter dem Titel „Die Wurzeln des Er- folgs“. 1998 kaufte er 38 Hektar Waldfläche im Südwesten Costa Ricas. Die Plantagen liegen auf Hügeln, die Bäume gedeihen laut Aussendung prächtig. Teak braucht zwar feuchten Boden, die Wurzeln des edlen Tropengehölzes sollen aber nicht ständig durch Wasser getränkt werden.

Drei Jahre später kauft Hennerbichler gemeinsam mit einem Landsmann, dem oberösterreichischen Baumeister Erwin Hörmann, mehr als 400 Hektar zu. Eine Fläche unweit der ersten Plantage. Und – die beiden inves- tieren weiter; Teakholz ist eine tolle Sache. Die Bäume haben den Vorteil, dass die Stämme astfrei sind. Und sie haben besondere Eigenschaften,

133 die das Holz so wertvoll machen: Es lässt sich gut verarbeiten. Durch seine natürlichen Öle bleibt die Oberfläche auch ohne Nachbehandlung ansehnlich und wetterfest. Zwar erschwert der Kautschukgehalt das Verleimen und andere Inhaltsstoffe machen Lackierung und künstliche Farbgebung ein bisschen tricky, aber es gibt spezielle Leime und Lacke. Teakmöbel werden häufig mit Teaköl behandelt; das Holz hält viele Jahre und ist sehr beständig gegen Pilze und Insekten, zum Beispiel Termiten. Zudem ist Teak schwer entflammbar. Es wird daher unter anderem gerne im Schiffsbau eingesetzt. Gartenmöbel aus diesem Tropenholz sind eben- falls ein Renner.

Um das Unternehmen „Teak Holz International“ zu finanzieren, holen sich die beiden findigen Oberösterreicher mittels Aktien über die Wiener Börse das nötige Geld. Sie bekommen es; für so manchen Anleger klingt die Geschichte spannend und exotisch. Miteigentümer einer Teakholz- Plantage in so einem wunderschönen Land wie Costa Rica zu sein, hatte seinen Reiz. Und: „Teak Holz International“ lockte mit „wachsenden Invest- ments“ und „steigenden Renditen“.

Die Schönheiten des Landes wurden quasi gratis mitverkauft, per Katalog. Seit dem Börsengang 2007 sammelte das Unternehmen rund 45 Millio- nen Euro bei Anlegern und Gläubigern ein. Die Herren aus Oberösterreich wurden zu stattlichen Plantagenbesitzern. Anfangs sprachen sie stolz von „mehr als zwei Millionen Bäumen“, auf einer Fläche so groß wie der Wörthersee. Im Laufe der Jahre und einige Bilanzen später war nur noch von „1,3 Millionen Bäumen“ die Rede. Der große Schock kam für die Anle- ger Ende 2014: Die Firma geriet in ernsthafte Zahlungsschwierigkeiten. Ein neuer Teak-Holz-Chef, übrigens der siebte seit 2007, sprach plötzlich nur noch von „660.000 Bäumen“. Das heißt, von den ursprünglich bis dahin „bilanzierten Bäumen“ existierten plötzlich nur noch ein Drittel.

Offenbar hatte niemand jemals Pflanzen und Bäume wirklich nachgezählt. Bloß ein Forst-Sachverständiger aus Hollabrunn in Niederösterreich hatte zu Beginn in einem Gutachten den Bestand mittels Stichproben und einem lokalen Zivilingenieur vor Ort hochgerechnet. Der Forstwirt ist mittlerweile verstorben. Die Wirtschaftsprüfungskanzlei „Price Waterhouse Coopers“ zog 2014 ihr Testat für den Jahresabschluss von 2013 zurück; die Bäume in Costa Rica seien „viel zu hoch bewertet worden“.

134 Die „Mission“ in San Jose, Costa Rica: „Eingebung“ während eines Urlaubes Foto: Workingman

Vorliegende firmeninterne E-Mails lassen darauf schließen, dass man im Unternehmen sehr wohl wusste, dass die eigenen Berechnungen bis dahin gewisse Schwächen hatten, schrieb „profil“. Und der „Teak- Holz-International-Gründer“ erklärte, dass es sich um „ein schreckliches Missverständnis“ handeln müsse. Er könne sich alles „nicht erklären“. Schließlich konnte „Teak Holz International“ eine fällige Wandelschuld- verschreibung in der Höhe von 16 Millionen Euro nicht mehr bedienen. Dafür war kein Geld mehr da. Im Sommer 2015 kam das böse Erwachen. Endgültig. Die Firma saß auf einem Schuldenberg von 30 Millionen Euro.

Wo keine Bäume, da auch kein frisches Geld. Im Herbst letzten Jahres brachte das Unternehmen beim Landesgericht Linz den Antrag auf Eröff- nung eines „Sanierungsverfahrens ohne Eigenverwaltung“ ein. Ein klas- sischer Konkurs.

Die Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft ermittelte wegen des Verdachtes der Bilanzfälschung und Betruges, konnte jedoch nichts nachweisen. Die Erste Bank, die das Unternehmen seinerzeit an die Börse begleitete, argumentierte: „Wir sind in so einem Fall nicht für das Bäume- zählen zuständig. Wir schauen nur, dass die rechtlichen Rahmenbedingun- gen für den Börsengang passen. Was im Börsenprospekt steht, ist Sache des Unternehmens. Die müssen dafür sorgen, dass die Angaben stimmen.“

135 Und die Finanzmarkt-Aufsicht? Die Behörde hatte zwar den Kapital- markt-Prospekt geprüft. Aber für mehr als „Rechtschreibfehler“ sah sie sich nicht zuständig; mangels gesetzlicher Richtlinien, ätzten die Medien. Erst seit dem Jahr 2013 gilt ein von der EU vorgegebenes Verfahren. Und erst seither gibt es eine eigene „Prüfstelle für Rechnungslegung“, die Fehler in Bilanzen aufdecken und den Aufsichtsbehörden mitteilen soll.

Für die Anleger kommt das im Fall von „Teak Aus neun Euro wurden Holz International“ alles zu spät. Beim Börsen- dürftige acht Cent gang, im März 2007, legten sie noch neun Euro pro Aktie auf den Tisch. Spätestens mit der „Baumzählung“ 2014 platzten alle Träume. Acht Cent pro Aktie blieben im Herbst übrig. Laut Anlegerschützer Wilhelm Rasinger hätte Teak Holz International „niemals an die Börse gehen“ dürfen. Schon einmal aus dem einfachen Grund, weil Teakbäume fünfzehn bis zwanzig Jahre brauchen, bis man sie „ernten“ kann. Da benötige man „nicht nur Geduld, um das zu erwarten“. Man müsse die Plantagen „in der Zwischenzeit auch be- wirtschaften“. Rasinger: „Wer tut das? Wie ist das gewährleistet?“ Um die lange Durststrecke bis zur Ernte zu überstehen, hätte man „andere Finanzierungen“ gebraucht.

Fazit: In diesem Fall hätten Anleger besser einen Urlaub in Costa Rica gebucht und dort ihr Geld verbraten. Vielleicht sogar in einem „All-inclu- sive-Club“ wie der Gründer, Herr Hennerbichler, seinerzeit. Oder besser noch in einer kleinen Lodge, zum Beispiel am Arenalsee, am Fuße des Vul- kans Arenal, dem jüngsten und aktivsten Vulkan in Costa Rica. Da kann man beim Frühstück eine herrliche frische Papaya genießen und den Blick über den spiegelglatten Binnensee schweifen lassen. Und mit ihm die Gedanken. Mit Blick auf den Vulkan, dessen Kegel in Nebelschwaden ge- hüllt ist. Aufgrund seiner Trichterwirkung sorgt der Vulkan im Seengebiet für kräftige Passatwinde. Surfer und Kitesurfer kommen von überall her.

Am Uferrand stehen Schilder, die vor Krokodilen warnen.

136 Donau schlägt Nil und Rhein: Erfolgsrezept Binnenschifffahrt von Sabina Riedl

Kreuzfahrten liegen seit Jahren im Trend. Reedereien expandieren, locken mit immer luxuriöseren Schiffen und neuen Routen – auf der Hochsee genauso wie auf den Flüssen. Die Donau ist das beliebteste Reiseziel, noch vor dem Rhein oder dem Nil. Mehr als eine Million Passagiere be- reisten 2015 den viel besungenen Donaustrom, gleich zehn Prozent mehr als noch im Vorjahr. Speziell die Wachau gilt als Highlight unter den Fluss- kreuzfahren. Sie ist der meistgebuchte und meistbesuchte Flussabschnitt der Welt. Ein für Österreich erfreulicher Trend, weil er die gesamte heimi- sche Binnenschifffahrt beflügelt.

Die Luxuskabinenschiffe liegen in Dreier- und Viererreihen an der Anlege- stelle des Wiener Handelskais vor Anker. Die Passagiere des äußersten Schiffes müssen über alle anderen klettern, um ein- und auszusteigen. Was in den 1990er-Jahren das Bild der Nilkreuzfahrten prägte, hat sich nach Österreich verlagert. Es sind viel mehr Schiffe unterwegs als früher. Und Wien scheint überhaupt bei Kreuzfahrtpassagieren hoch im Kurs zu stehen. Die „Gefion“ beispielsweise ist das Flaggschiff der norwegischen Reederei Viking Cruises – eines von übrigens 16 Schiffen, die die nor- wegische Linie zum Platzhirsch auf der Donau machen. 200 Passagiere finden auf ihr Platz – und sie ist so nagelneu, dass man an Bord noch die frische Farbe riechen kann.

Ganz offenbar suchen sich die vornehmlich US-amerikanischen und kanadischen Gäste gern die neuesten Schiffe für ihren Europa-Trip aus. Die Ansprüche sind in den letzten Jahren gestiegen. Das Quartier darf nicht abgewohnt sein, die Kabinen nicht beengt und die Speisen müssen knackfrisch sein. Tatsächlich kehren die Touristen nach den Landgängen gerne auf ihr schwimmendes Hotel zurück – die beliebten „River Cruises“ sind Pauschalreisen (allerdings keine billigen) und so will man weder auf im voraus bezahlte Leistungen noch auf die Annehmlichkeiten eines All-in- clusive-Urlaubs verzichten.

137 Luxus pur herrscht unter Deck der „Gefion“. Die Junior-Suite kostet 20.000 Euro für zwei Wochen. Sie bietet Fußbodenheizung im Bad, Be- grüßungschampagner, einen Flatscreen-Fernseher und einen privaten Balkon. Die große Suite gibt es ab 40.000 Euro. Die „Gefion“ ist auf der beliebten Route zwischen Passau und Budapest übrigens restlos ausge- bucht. Als Erstes sind laut Stewart aber immer die teuren Kabinen weg. Das Kreuzfahrtpublikum hat sich verändert. Es ist jünger, betuchter und verwöhnter geworden.

Der Präsident von „Viking Cruises“, der Deutsche Thomas Bogler, bestä- tigt den Kurswechsel in der Kreuzfahrtindustrie: „Da hat sich schon was verändert in den letzten Jahren“, meint er, „man hat den Hotelcharakter auf die Schiffe gebracht, das Anspruchsdenken der Gäste ist ein ganz anderes geworden und dem versuchen wir auf den Schiffen gerecht zu werden. Und das auf einem kleinen Raum, der sich noch dazu bewegt. Wir gehen mit den Schiffsgrößen schon an das Maximum dessen, was der Gesetzgeber zulässt.“ 135 bis 150 Meter misst ein Flusskreuzfahrtschiff und ist für maximal 200 Gäste ausgelegt. Das ist der Grund, warum die Liner aussehen wie lange Schuhschachteln. Der geringe Tiefgang erlaubt keinen Kiel wie bei Hochseekreuzern, die dafür mehrere Stockwerke hoch sein dürfen. Flach und lang sind die Flusskreuzer, um möglichst viele Pas- sagiere auf geringem Raum unterzubringen.

Minigolf, Service, Getränke, alles an Bord ist inklusive, nur die Aktivi- täten an Land sind extra zu berappen. Deshalb sind nicht immer alle bei den Ausflügen dabei. Das hat den Kabinenschiffern den Ruf eingetragen, wenig Geld in den Ländern zu lassen, die sie bereisen. Dennoch profitiert Österreich von den schwimmenden Palästen.

Gerhard Skoff ist Donau-Touristiker der ersten Stunde. Er hat den Aufstieg der Donau zur Nummer eins unter den Flusskreuzfahrt-Destinationen von Anbeginn dokumentiert. Er sieht in der Zunahme der Kreuzfahrtpassagiere einen großen Gewinn für den heimischen Tourismus – selbst wenn bei den Passagieren die Pauschalmentalität herrscht. „Alle Veranstalter auf der Donau, Österreicher, Nicht-Österreicher, Holländer, Deutsche, nehmen eigenes Marketinggeld in die Hand. Hier gibt’s keine Subvention von Linz, Wien, Österreich Werbung, ungarischer Werbung und ich würde diesen Betrag auf rund 60 Millionen US-Dollar schätzen, der hier für diesen Raum

138 an Werbung weltweit investiert wird. Und das kommt letztendlich uns allen wieder zugute.“

Flusskreuzfahrten haben sich in den letzten 20 Jahren verachtfacht. Nach den spektakulären Unfällen der Hochseeschifffahrt wie der „Costa Con- cordia“, die vor der Mittelmeerinsel Giglio auflief und sank, oder dem Brand auf der „Carnival Splendor“ in der Karibik, scheint die Flussschiff- fahrt vom steigenden Sicherheitsbedürfnis der Kunden zu profitieren. Aber auch auf den Flüssen hat sich die Nachfrage nach den Topdestinationen auf Grund der geopolitischen Situation stark verschoben. Früher war der Nil, der längste Fluss der Welt, die unangefochtene Nummer eins. Von den 150 Schiffen, die zwischen Assuan und Luxor auf und ab kreuzten, sind seit der Revolution nur noch 30 unterwegs. Die Angst vor Anschlä- gen hat den Reisenden die Lust auf Ägypten und seine Kulturschätze ver- dorben. Ein ganzer Industriezweig ist seither zusammengebrochen. Heute ist der Nil nur noch Nummer drei unter den beliebtesten Kreuzfahrtzielen. Nummer zwei ist der Rhein – und die ungekrönte Königin der Flusskreuz- fahrten ist nun die Donau.

Das Business boomt. Ein Schiff wie die „Gefion“ kostet 20 Millionen Euro, amortisiert sich aber Amortisation nach schon nach zwei Jahren. Dazu kommt neben nur zwei Jahren dem Sicherheitsaspekt noch ein entscheiden- der Vorteil gegenüber der Hochseeschifffahrt. „Die Binnenschifffahrt“, so Thomas Bogler, „bietet einfach eine dauernd wechselnde Szenerie. Heute sind Sie in der Wachau, morgen im Stadtgebiet von Wien. Auf See müssen sie oft sehr lange Distanzen mit Seetagen überbrücken, wo’s dann auch schwierig ist, den Gast zu unterhalten, zu bespaßen, vor allem jüngeres Publikum. Und bei den Flusskreuzfahrten gibt die Landschaft an sich schon das Programm vor.“

Die Schönheiten der Donau, besonders der Wachau, locken jetzt auch ganz große Fische an. Die „Walt Disney Corporation“ will ab Juli 2016 Fa- milienkreuzfahrten durch die Wachau anbieten. Die achttägigen Cruises sollen von Passau nach Budapest und wieder retour gehen. Dabei sind die Attraktionen aus Österreich, wie die Wachau mit Melk und Dürnstein, Linz und Wien, als Highlights vorgesehen. Man will Familien als Kunden für ein Produkt gewinnen, das bislang nur Senioren ansprach. Ganz im

139 Disney-Stil sind also Programmhöhepunkte wie Greifvogelschauen, Apfel- strudelbacken und Landgänge auf den Spuren von Sänger Blondel und König Richard Löwenherz geplant. Also noch mehr Verkehr auf der Donau. Nicht jeder sieht diese Entwicklung ausschließlich positiv: Denn es fragt sich, wieviel Tourismus verträgt eine Region – vor allem welcher Art?

Barbara Brandner, Donau-Kapitänin und Spross einer alten Wachauer Flößer- und Schifferfamilie war eine der Ersten, die die Ausflugsschifffahrt in der Wachau zu einem einträglichen Wirtschaftszweig machte. „Die Donau“, sinniert sie, „ist eine internationale Wasserstraße und hat Platz für viele. Im Auge behalten muss man meiner Meinung nach die Konzentra- tionen. Der schiffbare Teil der Donau liegt bei 2400 Kilometern, die Wachau hat eine Strecke von 37 Kilometern. Und für die Betriebe in der Wachau ist die Ausflugsschifffahrt der wichtigere, nachhaltigere Partner.“

Ein Passagier auf einem Ausflugsschiff lässt Ein Land-Ausflügler zwischen 50 und 100 Euro an Land – für Näch- lässt viel Geld zurück tigungen, Restaurantbesuche, Weinverkostun- gen, Kulturgenuss. Das bringt der Wachau eine jährliche Wertschöpfung von 40 bis 90 Millionen Euro. Dagegen geben Kreuzfahrttouristen nur 10 bis 20 Euro pro Landaufenthalt aus.

Wer glaubt, dass die Kabinenschifffahrt dieses Manko mit ihren Passa- gierzahlen wettmacht, irrt. Etwas mehr als eine Million Passagiere waren zuletzt auf der Donau unterwegs. Davon schipperten nur 320.000 auf den 170 internationalen Kabinenschiffen, aber mehr als doppelt so viele, nämlich 720.000, bestiegen eines der nur 20 heimischen Ausflugsschiffe. Themenfahrten wie „Genuss am Fluss“, „Ladies Time“, „Sonnwend“- oder „Vollmondfahrten“ sind neben täglichen Linienfahrten das Kerngeschäft der Brandnerschifffahrt. Den größten Gästeanteil stellen die Österreicher, gefolgt von den Deutschen und dem am raschesten wachsenden Markt, den Chinesen.

Seemannsromantik à la Freddie Quinn – allerdings nicht an der Hamburger Waterkant – wird etwa auf dem Neusiedlersee geboten. Eine Reisegruppe aus Würzburg hat sich angesagt, der Juniorchef der Drescherline begrüßt die fünfzig Gäste zur Mulatschak-Fahrt von Mörbisch nach Fertörakos. Solche Ausflugspackages sind die Cash-Cow des Familienunternehmens

140 Die Donau als Publikumsmagnet: Die „Ausflugsschifffahrt“ bringt Geld Foto: Brandner Schifffahrt GmbH

geworden und locken Busladungen von Touristen an. Die Fischerfamilie begann in den 1950er-Jahren mit drei Zillen und zählt jetzt stolze 14 Aus- flugsschiffe. Zwar gibt es lokale Konkurrenz, doch die Zahl der Boote ist limitiert. Diese werden in Mörbisch gebaut, denn ein Tiefgang von nur 60 Zentimetern ist einzigartig auf der Welt – ebenso wie die Region selbst.

„Das Angebot ist sehr vielfältig geworden“, bestätigt Roman Drescher. „Früher haben wir von den normalen Rundfahrtgästen gelebt, dann ist die Fahrradfähre Mörbisch–Illmitz dazugekommen. Mittlerweile bieten wir Li- nienfahrten, Rundfahrten und die Themenfahrten wie „Italienicher Abend“ oder die „Griechenfahrt“.

Auf dem Höhepunkt der Rundfahrt grillt der Kapitän Würstel und Kote- letts aus regionaler Produktion an Deck. Live-Musik, vor allem deutsche Schlager, lassen die Gäste zu vorgerückter Stunde ausgelassen tanzen und schunkeln. Schnaps und Wein fließen in Strömen – sind sie doch im Preis von 22 Euro pro Nase inkludiert.

141 Große Worte – gelassen ausgesprochen gesammelt von Günther Kogler

„We have an agreekment.“ EU-Ratspräsident Donald Tusk verbreitet nach dem x-ten Griechenland- Gipfel gute Laune. Der „Spaß“ kostet alle Europäer abermals 86 Milliarden Euro – mindestens.

„Davon versteht er was.“ Wiens SPÖ-Chef Michael Häupl hat durchaus Respekt vor Werner Faymann – was dessen Fähigkeiten betrifft, Zeitungsinserate aufzustellen.

„Ich habe den Eindruck bekommen, dass ich einen guten Freund gefunden habe.“ Das war bevor noch die EU-Milliarden nach Athen flossen. Der griechi- sche Regierungschef Alexis Tsipras besucht Werner Faymann in Wien.

„Die Schweizer Kurspolitik ist für uns im Grund ein zusätzliches, kostenloses Marketinginstrument.“ Der Geschäftsführer des Tourismusverbands Serfaus–Fiss–Ladis nach dem Ende der Wechselkursbindung des Schweizer Franken an den Euro. Schlagartig wurde ein Schiurlaub in Österreich für Gäste aus der Schweiz um 20 Prozent billiger.

„Die Griechen sind Labormäuse des Neoliberalismus geworden.“ Noch eine Problemerkenntnis, diesmal von Marcus Strohmeier, dem in- ternationalen Sekretär des ÖGB.

„Man kann aus einem Aquarium ja viel, viel leichter eine Fischsuppe machen als aus einer Fischsuppe ein Aquarium.“ Der stellvertretende Grünen-Klubobmann Werner Kogler erklärt als Finanzsprecher seiner Partei den Österreichern die (Finanz-)Probleme in Griechenland.

142 Mit gutem Gewissen Geld verdienen – geht denn das? von Katinka Nowotny

Kann man durch seine Investments die Welt verbessern und die eigene Geldbörse mit dem eigenen Gewissen in Einklang bringen? Genau das versprechen nachhaltige Geldanlagen, die bei der Auswahl von Aktien strikte ethische Kriterien anwenden. Ob das Gewinn kostet, ist umstritten, aber darum geht es den meisten Anlegern, die diese Thematik verfolgen, nicht.

Immer mehr Menschen kaufen Bioprodukte, fahren lieber mit dem öffent- lichen Verkehrsmittel als mit dem eigenen Auto und äußern sich kritisch zu Krieg, Ausbeutung, Umweltzerstörung und Atomkraft. Aber wenn sie Geld für ihre Altersvorsorge beiseite legen, dann kann es passieren, dass dieses in Aktien von Unternehmen investiert wird, die genau von solchen Übeln profitieren.

Wer das nicht will, muss seine Anlagestrategie danach ausrichten. „Nach- haltig investieren“ heißt das entsprechende Schlagwort. Und weil diese Vorstellung immer beliebter wird, gibt es auf dem großen Markt von Fi- nanzprodukten immer öfter Fonds, die eine solche ethisch vertretbare Anlagepolitik verfolgen und dennoch gute Renditen versprechen.

Zu der kleinen, aber wachsenden Gemeinschaft von nachhaltigen Privat- anlegern zählt etwa Gabrielle Erd, eine Theaterpädagogin aus Langen- lois im Waldviertel. „Ich versuche auch im Alltag nachhaltig zu leben, so dass der ökologische Fußabdruck nicht enorm groß wird“, erläutert sie ihr Verhalten. „Ich kaufe biologische Produkte ein und fahre mit dem Rad; und ich wollte auch bei der Geldanlage sichergehen, dass keine Produkte unterstützt werden die etwa mit Kinderarbeit erzeugt werden. Ich wollte auch kein Geld über Umwege in die Rüstungsindustrie investieren.“

Auch Harald Krassnitzer, Schauspieler und „Tatort“-Kommissar, geht bei seinen Investitionsentscheidungen nach ethischen Kriterien vor. „Es ist mir wichtig, dass mit meinem Geld etwas Sinnvolles geschieht, und das

143 sollte auch das Prinzip der Banken sein“, sagt er. „Es soll sich dadurch in meinem Umfeld etwas verändern.“

Erd und Krassnitzer sind nicht allein. Das Volumen an nachhaltigen Invest- ments ist in den vergangenen Jahren dramatisch gestiegen, vor allem seit dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers und dem Beginn der Weltfinanzkrise, die viele Bürgerinnen und Bürger an der In- tegrität der Finanzindustrie hat zweifeln lassen. 2008 veranlagten große und kleine Investoren weniger als eine Milliarde Euro in nachhaltigen Fonds und Vermögensverwaltungsmandaten; 2015 waren es bereits neun Milliarden Euro. Auf ganz Österreich umgelegt sind das knapp sechs Pro- zent des gesamten Veranlagungsvermögens. Nachhaltiges Investieren ist immer noch ein Minderheitenprogramm, aber keine andere Anlageform ist zuletzt so rasch gewachsen wie diese.

Vor allem Privatanleger wie Erd und Krassnit- Vor allem Privatanleger zer tragen zu dieser Entwicklung bei. In nur ei- tragen die Entwicklung nem Jahr ist der Anteil am Gesamtvolumen der nachhaltigen Geldanlagen von 14 auf 23 Prozent gestiegen, berichtet der Fachverband Forum nachhaltige Geldanlagen, (FNG), der dieses Segment genau beobachtet. Aber immer noch stammt der Großteil der Gelder, nämlich 77 Prozent, von institutionellen Investo- ren, darunter betriebliche und öffentliche Pensions- und Vorsorgefonds. Auch so manche wohlhabende Privatstiftung versucht zumindest einen Teil ihres Vermögens in nachhaltige Anlagen zu investieren. Das „gute Gewissen“ lockt also auch die größeren Investoren.

Egal, ob es um Millionen oder nur um ein paar tausend Euro geht: Die entscheidende Frage für alle ist, was „nachhaltiges Investieren“ eigent- lich bedeutet. Werden nur die Aktien von Unternehmen, die in bestimm- ten, besonders umstrittenen Gebieten tätig sind, gemieden oder ist ein Portfolio erst nachhaltig, wenn es ausschließlich aus Papieren besteht, die auch einen gemeinnützigen Zweck verfolgen? Werden Aktien und Anleihen aus ganzen Staaten ausgeschlossen, weil diese bestimmte Kriterien nicht erfüllen, oder reicht es, bestimmte Unternehmen mit ei- nem Bannstrahl zu belegen? Möglich wäre auch eine Strategie, in der die jeweils „Besten“ im Sinne von Nachhaltigkeit und ethischem Verhalten ausgewählt werden.

144 In diesem Bankhaus entscheidet ein Ethikrat darüber, was „nachhaltig“ ist Foto: Schelhammer & Schattera

Bei der österreichischen Bank „Schelhammer & Schattera“ wird schon seit 20 Jahren auf Nachhaltigkeit gesetzt. Kein Wunder, gehörte die Bank bis zur Übernahme durch die „Grazer Wechselseitige Versicherung“ doch mehrheitlich der katholischen Kirche. Hier entscheidet ein eigener Ethikrat, wo investiert wird. „Wir nehmen zum Beispiel keine Länder, die exzessiv in Rüstung investieren“, erzählte uns Michael Martinek im Früh- sommer 2015, als er noch Vorstandsvorsitzender war. „Rüstungsanteile von mehr als 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes eines Landes wer- den bei uns ausgeschlossen.“

Jede ethische Geldanlage hat ihre eigenen Ausschlusskriterien. Rüs- tung und Kernkraft werden bei 90 Prozent der nachhaltigen Fonds, die in Österreich angeboten werden, ausgelassen, Tabak und Pornografie bei 80 Prozent, Tierversuche bei 60 Prozent. Glücksspiel bei 37 Prozent und Alkohol bei 28 Prozent.

Die Erste Bank, deren Kapitalanlagetochter Erste-Sparinvest KAG besonders stark im Markt für nachhaltige Anlagen vertreten ist, hat einen umfassenden Katalog von Ausschlusskriterien sowie Positiv- und Negativkriterien erstellt. So gilt eine Nulltoleranz für Produzenten von Atomenergie und Uran, der Herstellung von genetisch veränder- tem Saatgut, dem bewussten Einsatz von Kinderarbeit, nachgewiesener

145 Bilanzfälschung oder Korruption, der Produktion von Pornografie, militäri- scher Waffen oder Tabakprodukten.

Nicht gekauft werden Wertpapiere von Unternehmen, die vermeidbare Tierversuche betreiben, gegen das Protokoll der Weltarbeitsorganisation ILO oder die Menschenrechte verstoßen, sowie den Betreibern von gewerbsmäßigen Abtreibungskliniken. Bei Unternehmen, die für einige dieser Branchen als Zulieferer oder Dienstleister agieren, ist ein Aus- schluss dann zwingend, wenn die ethisch unerwünschte Tätigkeit mehr als fünf Prozent des Umsatzes ausmacht.

Andere Tätigkeiten sind zwar für die Erste Group Kein Ausschluss, nur ein Grund, die entsprechende Aktie zu vermei- „geringer gewichtet“ den oder geringer zu gewichten, eine Verletzung führt aber nicht automatisch zum Ausschluss. Dazu zählen die Ausbeutung von Umwelt, Mitarbeitern und Gesellschaft, „rote“ – also medizinische – Gentechnologie, Belastung der Umwelt, nachgewiesene Manipulation der Geschäfte wie etwa Kartellrechtsver- stöße sowie alle Papiere aus der Ölindustrie.

Als Anreiz, in ein Unternehmen zu investieren, gelten gute Arbeits- platzbedingungen, ausgeprägte „Corporate Governance“, der Einsatz erneuerbarer Energien, geringe Umweltbelastung sowie Energie- und Wasserverbrauch und ein Fokus auf eine gute Gesundheitsversorgung.

Während die Ausschlusskriterien in feste Regeln gegossen werden können, ist die Einstufung als nachhaltiges Investment oft subjektiv. Wolfgang Pinner, Nachhaltigkeitsexperte bei der Raiffeisen Capital Ma- nagement, beschreibt seinen Zugang so: „Wenn ich gute Unternehmen suche, dann denke ich zum Beispiel an Henkel, wo bei einer Produkt- neuentwicklung auf die Nachhaltigkeit geschaut wird. Ich denke an die Canadian National Railway, ein führender Anbieter von nachhaltigen Transportdienstleistungen, oder ich denke an Umicore, einen belgischen Spezialisten für Recycling.“

Aber genau diese Subjektivität ist jener Punkt, an dem die Kritiker von nachhaltigen Investments einhaken. Einer von ihnen ist Investor und „Bör- senrebell“ Alexander Proschofsky, Chef der „Cube Invest“. „Die größte

146 Schwierigkeit ist sicherlich, dass der Begriff Nachhaltigkeit sehr subjek- tiv ist. Dass heißt, irgendjemand muss darüber entscheiden, was denn nun nachhaltig ist. Zum Beispiel wird oft der Kauf von Aktien aus Staaten ausgeschlossen, wo die Todesstrafe verhängt wird. Das gilt etwa für die USA. Aber damit trifft man auch viele US-Bundesstaaten, die gar keine Todesstrafe haben und schließt die aus. Ich glaube, dass es trotzdem sehr viele nachhaltige Unternehmen in den USA gibt.“

Vor allem seit der Finanzkrise hat das Interesse an nachhaltigen Fonds zugenommen, sagt Wolfgang Pinner von Raiffeisen. Immer mehr Öster- reicher dächten um, wenn sie ihren Anlageberater aufsuchen, und wollten Aktien von grünen, sauberen Firmen. „Derzeit sind ca. vier bis 4,5 Prozent aller Investments nachhaltig geprägt“, sagt er. „Wir haben gemerkt, dass sich bei der Finanzkrise 2008 die Sichtweise der Investoren geändert hat. Investoren haben sich gedacht: Vielleicht ist diese kurzfristige Finanzwelt, in der wir leben, nicht die richtige und sinnhafte.“

Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass die Konzentration auf Nachhaltigkeit den Anleger Der Renditevergleich: nichts kosten muss. Bei Renditevergleichen Gar nicht so schlecht schneiden „nachhaltige Aktien“ nicht schlechter ab, oft sogar besser. Aber Kritiker zweifeln an diesen Berechnungen und verweisen auf die zusätzlichen Kosten für nachhaltige Fonds. „Es kostet mehr, wenn man beweisen muss, dass man nachhaltig agiert“, sagt der Vermögensberater Wolfgang Matejka von Matejka & Partner Asset Ma- nagement. „Das muss man nachweisen und dokumentieren, dann muss es im Unternehmen auch Personen geben, die das auch kontrollieren kön- nen. Und das kostet Geld.“

Ein kurzer Ausflug in die so genannte Portfoliotheorie zeigt, dass auch ohne diese Zusatzkosten die Beschränkung auf Nachhaltigkeit etwas von der Rendite eines Anlageportefeuilles wegschmelzen muss. Wer in Aktien veranlagt, geht immer ein Risiko ein, das sich allerdings durch eine breite Streuung reduzieren lässt. Wer allerdings zahlreiche Branchen und Unternehmenstypen ausschließt, weil sie gewissen ethischen Kri- terien nicht entsprechen, der kann nicht mehr so breit streuen wie ein Investor, dem der ethische Gehalt seiner Veranlagung gleichgültig ist. Durch die Einengung erhöht sich das Risiko; wer dies wieder durch eine

147 vorsichtigere Veranlagungsstrategie ausgleichen will, muss auf etwas Ertrag verzichten.

Der Anleger könnte so finanziell draufzahlen, der Anbieter wiederum könnte vom Label Nachhaltigkeit sehr wohl profitieren. Denn die grüne Plakette auf dem Fonds kommt bei Privatanlegern als Verkaufsargument gut an. Und wem es nicht nur um die letzte Kommastelle bei der Jahres- bilanz geht, der kann auch einen anderen Nutzen aus Nachhaltigkeit zie- hen, räumt selbst Kritiker Alexander Proschofsky ein.

„Nachhaltige Investments sind bis zu einem gewissen Grad ein Marketing- gag“, sagt er. „Es ist ja sinnvoll, dass Nachhaltigkeit in die Unternehmen einzieht; das geschieht auch durch den Druck der Konsumenten, die das zusehends einfordern, durch die Öffentlichkeitswirkung und auch durch die Wünsche der Investoren. Aber die Erwartung, dass ein nachhalti- ges Investment langfristig eine höhere Rendite als ein nichtnachhaltiges Investment bringt, die würde ich nicht haben.“

Und deshalb werben Anbieter von Nachhaltigkeit grundsätzlich nicht mit der Rendite. Das gilt ganz besonders für jene Genossenschaft, die in Wien eine „Bank für Gemeinwohl“ zu gründen versucht. Dieses Institut soll nur gemeinnützige Projekte und Unternehmungen wie etwa Kindergärten und ökologische Landwirtschaft finanzieren.

Dafür suchen die Gründer 40.000 Genossen- „Nachhaltige Fonds“ schafter, die diesen Gedanken mittragen und sind das Kernprodukt das notwendige Startkapital von ungefähr 15 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Das Min- destinvestment beträgt 200 Euro, der Höchstbetrag 100.000 Euro. Die Bank will von keinem noch so nachhaltig denkenden Großaktionär ab- hängig sein. Vorbilder für dieses Modell sind die deutsche GLS Gemein- schaftsbank oder die Schweizer Alternative Bank. 2016, so der Plan, soll die Gründung erfolgen. „Nachhaltige Fonds“ werden dann sicherlich eines der Kernprodukte der neuen Bank sein.

„Die Rendite ist sicherlich nicht das Ziel“, sagt Christine Tschütscher, ein zukünftiger Vorstand. „Natürlich muss eine Bank für Gemeinwohl auch Gewinne machen, wir wollen nachhaltig wachsen und die Zukunft der

148 Bank garantieren, und mit den Gewinnen wollen wir dann aber wieder gemeinwohlorientierte Projekte unterstützen. Gewinn, sagen wir immer, ist nicht der Mittelpunkt – sondern Mittel, Punkt.“

Dieser Zugang spricht nachhaltige Anleger wie die Theaterpädagogin Gabriele Erd an. Sie hat vor zwei Jahren mit ethischen Investments begon- nen. „Das waren bis jetzt zwei gute Jahre“, sagt sie. „Ich bin auch bereit, weniger Rendite einzufahren. Dafür habe ich ein gutes Gewissen.“

So ähnlich denkt Schauspieler Harald Krass- nitzer. „Zu glauben, dass ich mit meinem Geld Rendite soll nur die acht, neun oder sogar zweistellige Prozentzah- Inflation abdecken len erwirtschaften kann, ist ein Irrglaube“, sagt er. „Ich bin froh, wenn die Rendite die Inflationsrate abdeckt. Das Geld muss sich nicht zwingend um ein Vielfaches vermehren.“

Eine solche realistische Erwartungshaltung haben wohl viele ethische Anleger. Und die kann sich wiederum auszahlen. Denn wer nicht auf übermäßige Erträge hofft, der wird auch vernünftiger veranlagen und im Krisenfall große Verluste vermeiden.

Und wenn eine nachhaltige Anlagestrategie auch nur einen kleinen Beitrag zur Verbesserung der Welt liefert, dann haben alle gewonnen. Ein Privat- anleger allein kann nicht viel bewirken, aber wenn aus dem nachhaltigen Investment eine Massenbewegung wird, dann werden Veränderungen spürbar, glaubte auch Michael Martinek, der Ex-Vorstand von Schel- hammer & Schattera. „Ich denke, dass der Konsument noch nicht seine Macht erkannt hat – dass er auch durch seine Geldanlage entscheidend beeinflussen kann, wie sich das Wirtschaft- und Gesellschaftssystem weiterentwickelt. Es macht einen Unterschied, ob man auf kurzfristige Gewinnoptimierung geht, oder auf nachhaltige Strukturen.“

149 Große Worte – gelassen ausgesprochen gesammelt von Günther Kogler

„Natürlich hat das Land keine Westminster-Demokratie – aber es gibt keine politischen Gefangenen.“ Kasachstan und ein Beratervertrag – Ex-SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer (SPÖ) findet das gar nicht so schlecht.

„Ich glaub’, die Leistung ist, ehrlich gesagt, bedeutend mehr wert gewesen.“ Kasachstan, ein Beratervertrag und 400.000 Euro Honorar – Ex-SPÖ- Chef Alfred Gusenbauer kommt final in der „Hochleistungsgesellschaft“ an.

„Er sagt, was er tut. Er tut, was er sagt.“ Sagt Franz Voves – und tritt mit deutlicher Verspätung nach einer Wahlniederlage als steirischer LH ab.

„Die SPÖ hat sich entschieden, mich für fünf Jahre zum Landeshauptmann zu wählen.“ Das überrascht auch den zweiten Verlierer – Hermann Schützenhöfer (ÖVP) übernimmt in der Steiermark den LH-Sessel in der Burg.

„Der Begriff Reformpartnerschaft ist kommunikationsstrategisch als Marke ruiniert.“ Peter Filzmaier, Politologe, kommt mit seiner Analyse über die steiri- sche Landtagswahl um gefühlte Jahre zu spät.

„Wenn ich 22 Stunden in der Woche arbeite, bin ich Dienstagmittag fertig.“ Michael Häupl (SPÖ) vergleicht – seine Arbeitswoche und die aller Lehrer.

„Wir sind nicht die freie Rücklage, in die man beliebig hineingreifen kann.“ GÖD-Chef Fritz Neugebauer antwortet.

150 Flugsicherheit: Bleibt der Mensch als „größter Risikofaktor“ übrig? von Hans Wu

Dramatische Flugzeugabstürze stellen immer wieder die Sicherheit im Flugverkehr in Frage. Dreht dann auch noch ein Co-Pilot durch, in dem er den kurzfristig abwesenden Flugkapitän aus dem Cockpit aussperrt und die Maschine in selbstmörderischer Absicht vorsätzlich zum Absturz bringt, dann sind Panikattacken angesagt. Bleibt der Mensch im High-Tech-Zeit- alter des Flugverkehrs als größte Risikoposten übrig?

Weit verstreute Trümmer einer Maschine, mitten in den französischen Alpen – das waren Bilder, die im Frühjahr vergangenen Jahres alle schockten. Bilder von den Überresten des Germanwings-Flugs 9525, der am 24. März 2015 in den französischen Alpen für alle 150 Insassen töd- lich endete. Nicht nur wegen der albtraumartigen Umstände um den so genannten „Pilotensuizid“, sondern auch wegen der geografischen Nähe tauchte bei vielen Flugreisenden in Westeuropa die Frage auf: Wie sicher ist Fliegen noch?

„Weiterhin sicher“ fühlt sich, wenig überraschend, Hannes Bardach, sei- nes Zeichens Geschäftsführer der Firma „Frequentis“: „Wir haben über hundert Flughafen-Tower in Amerika mit unserer Funk- und Sicherheits- technik ausgerüstet. Wir sind überall auf der Welt tätig. Weil ich weiß, dass unsere Systeme so sicher sind, fühle auch ich mich sicher, wenn ich ein Flugzeug besteige.“

Ein anderes Bekenntnis wäre von dem erfolgreichen Geschäftsmann und Vielflieger auch nicht zu erwarten gewesen. Im 10. Wiener Gemeinde- bezirk, dem Firmenhauptquartier, wird alles, was eine funktionierende Luftraumüberwachung braucht, entwickelt, produziert und rund um den Globus ausgeliefert. Damit verdient Hannes Bardach gutes Geld.

Als Chef und nahezu Alleineigentümer der „Frequentis AG“ steht er einem österreichischen Parade-High-Tech-Unternehmen vor, ist sogar Welt- marktführer in Sachen „digitaler Sprachübermittlung“. Über 210 Millio-

151 nen Euro setzt die „Frequentis AG“ mit 1200 Mitarbeitern weltweit um. Das Geschäft mit der Sicherheit im Flugverkehr boomt. Und es baut darauf auf, dass aus jedem Unfall die Lehren gezogen werden, sagt Bardach. „Die Flugsicherungen rund um die Welt überlegen jetzt: Sind wir ausreichend auch gegen Innentäter geschützt? Es werden sicher neue Verfahren und Prozeduren entwickelt, wahrscheinlich auch technische Vorkehrungen geändert, damit sich so etwas wie bei der Germanwings-Maschine nicht mehr wiederholen kann.“ Fehler erkennen, Fehler ausschalten – das sei das oberste Prinzip in der Luftfahrt. „Fehler können passieren, in der Tech- nik, in der Bedienung – aber kein Fehler darf zweimal geschehen. Nur so können Sie ein Gefühl der Sicherheit bei den Passagieren herstellen“, er- klärt er.

Auch auf eine Statistik müssen die Unfallermitt- Risiko Landung ler achten: jene Flugphasen, in denen die meis- und Sinkflug ten Unfälle passieren. Während des Sinkfluges und während der Landung geschehen 57 Pro- zent aller Katastrophen. Nur noch 24 Prozent ereignen sich während des Starts oder beim Steigen, zehn Prozent in der Roll- und Vorfeldphase und nur noch neun Prozent während des Reiseflugs. Hauptunfallursache fast immer: menschliches Versagen.

An der Technik liege es „immer seltener“, das ist dem „ECO“-Team auch bei den Austrian Airlines bestätigt worden. In der „AUA-Techbase“ auf dem Flughafen Wien-Schwechat dürfen wir eine Sicherheitskontrolle eines Airbus 320 begleiten – demselben Flugzeugtyp wie die verun- glückte Germanwings-Maschine. Es ist ein Routinecheck an einem der Flaggschiffe der Luftlinie, der nach einem genau vorgeschriebenen Zeit- plan und einem straffen Prozedere abgewickelt wird: Vier-Augen-Prinzip, doppelte Unterschriften, vorgegebene Prüfliste inklusive. Sorgfalt und Präzision als oberstes Prinzip.

Fluglinien rund um den Globus stehen nämlich im Zwiespalt; im Kon- kurrenzkampf untereinander und auch gegenüber den so genann- ten Billig-Airlines herrscht Kostendruck. Andererseits werden Technik und Komplexität immer schwieriger handzuhaben. Eine Entwicklung, die auch Gerhard Pitsch, der Chefpilot der Austrian, miterlebt hat: „Seit ich angefangen habe, sind wesentlich mehr Computer in unsere

152 „Frequentis“-Zentrale in Wien: Ein Weltmarkt-Führer in der Luftfahrt Foto: „Frequentis AG“

Cockpits hineingekommen, die einen in der täglichen Arbeit unterstützen. Eine Satellitennavigation beispielsweise, die gab es Ende 1980 noch nicht. In einem modernen A320 sind gleich zwei GPS-Sensoren eingebaut; die machen die Navigation einfacher und natürlich wesentlich genauer. Aber das ist nur einer von -zig Punkten, die sich für die Piloten verändert haben.“

„In seltenen Extremfällen“ freilich könne genau dieser technische Fort- schritt zu Pilotenfehlern führen, meint der Flugpsychologe Wolfgang Kallus von der Uni Graz: „Der Vormarsch der Automatisierung bringt ein Risiko mit sich: Wenn ich alles automatisiert steuere, verliere ich als Pilot Fertigkeiten. Überlegen Sie sich: Was passiert, wenn ich 80 mal mit mei- nem neuen Parkassistenten in die Parklücke gefahren bin und dann fällt er mir aus, weil irgendwo der Bordstein nicht gerade ist? Die Wahrschein- lichkeit, dass man dann gegen den Bordstein fährt oder einen Meter vom Bordstein weg zum Stehen kommt, ist relativ groß. Die Automatisierung nimmt uns die Übung weg. Und wenn die Übung wegfällt, dann ist das ein Problem.“

An der TU in Graz hat „ECO“ ebenfalls eine Flugsimulator-Übung beglei- tet. Hier trainieren Piloten nicht nur Extremsituationen, sondern auch vermeintlich triviale Dinge wie zum Beispiel den Sprechfunkverkehr. Wer

153 glaubt, über den Wolken gäbe es keine Missverständnisse, irrt. In Proze- duren, die angeblich zum Handwerkszeug und zum Alltag gehören, ver- steckt sich manche Falle. Ein ukrainischer Pilot mit mäßigem Englisch wird bei einer Landung in Athen Probleme haben, wenn auch das Funk- gegenüber im Tower auf Englisch bloß radebricht.

Reinhard Braunstingl, Professor an der TU Graz, erzählt uns deshalb von den Routinen in der täglichen Luft-Boden-Kommunikation: „Es ist eine bestimmte Phraseologie, die anzuwenden ist. Und dann basiert alles auch auf dem Prinzip der Rückmeldung. Die Bodenkontrolle gibt Anweisungen oder Informationen und die Piloten lesen das dann zurück, sie bestäti- gen also die Anweisungen. Damit kann der Tower sicher gehen, dass die Anweisung auch verstanden wurde.“

Genau vorgeschriebene Prozeduren, die freilich nichts nutzen, wenn es anderswo mit anderen Dingen nicht so genau genommen wird. Vor vier Jahren mussten binnen weniger Tage gleich mehrere Maschinen der iri- schen Diskont-Fluglinie „Ryan Air“ notlanden. Die Branche wusste von seltsamen „Spritspar“-Vorschriften für die Piloten zu berichten. Erst ein harsches Einschreiten der Flugaufseher bereitete dem Spuk ein Ende.

Bei den Piloten selbst wird im Übrigen auch gespart. Die „Ryan Air“ be- schäftigt, wie sonst nur im Gastgewerbe üblich, Saisonarbeiter. „Lockere Dienstverhältnisse“ also auch beim Traumberuf Pilot? Das sei „in der Branche gang und gäbe“, erzählt uns Flugexperte Kurt Hoffmann: „Es gibt auch freiberufliche Piloten, die eine Art selbstständige Firma haben; die fliegen saisonal auch bei europäischen Linien wie einer „Ryan Air“ oder einer „Air Berlin“. Und die dann, während der anderen Zeit, wenn bei uns keine Hochsaison ist, vielleicht in Fernost oder in Südamerika arbeiten, wo dort wieder mehr Geschäft ist. Der Vorteil für die Fluglinien ist, dass sich die Piloten meistens selber versichern müssen, eben wie Freiberufler und Selbstständige unterwegs sind.“

Diese Praxis der „Piloten-Nomaden“ nimmt sogar zu und steht durchaus in Einklang mit den internationalen Bestimmungen. „ECO“ wird hellhörig und fragt nach, aber: Wie die jeweiligen Dienstverträge oder Beschäftigungs- verhältnisse mit dem Sicherheitsranking der Fluglinien zusammenhängen, das kann auch unser Experte nicht beantworten.

154 „Digitale Sprachübermittlung“: Sicherheits-„Know-how“ aus Österreich Foto: „Frequentis AG“

Im weltweiten Vergleich der Flugsicherheitsplattform JACDEC schneidet die Lufthansa samt österreichischer Tochter Austrian Airlines übrigens mit einem guten 12. Platz ab. Der „beste Europäer“ ist die niederländi- sche KLM auf Platz 5. Die Topränge gehen alle nach Übersee: Air Canada auf Platz 4, die taiwanesische EVA Air auf Platz 3, Platz zwei geht an die „Emirates“ aus den Vereinigten arabischen Emiraten und der Sicherheits- sieger sind die „Cathay Pacific Airways“ aus Hongkong.

Im Hangar der „AUA-Techbase“ treffen wir schließlich auch noch Klaus Schludnig, den Cheftechniker der rot-weiß-roten Fluglinie. Über eine Mil- lion Euro pro Jahr und Flugzeug gibt die Austrian für Wartung und Sicher- heit aus, berichtet er. Das ist bei 80 Maschinen eine schöne Stange Geld. Dazu kommen die Kosten für Schulungen und technische Neuerungen; auch für Flugzeugmechaniker hat sich in den letzten Jahren viel verändert. Immer öfter können Problemzonen und Verschleiß schon im Vorfeld geor- tet werden. „Da hilft die Computerunterstützung. Früher hat man einfach aus den Fehlerbildern gelernt und dann erst Maßnahmen gesetzt. Heute ist es so, dass man vorzeitig und proaktiv Maßnahmen setzt, anhand von Beobachtungen, anhand von Trends.“

Komplexe Technik in der Wartung, in der Flugüberwachung und im Cockpit – trotz tragischer Unfälle, die die Öffentlichkeit erschüttern: Fliegen ist

155 Der absolute Albtraum der Luftfahrt: Wenn der Co-Pilot durchdreht Foto: „Germanwings“ gerade wegen des High-Tech-Aufwandes sicherer denn je zuvor. Wenn die Piloten nur öfter zum Steuerhorn greifen würden, statt den „Flight-Di- rector“ und den Autopiloten auf „On“ zu stellen. Denn wie oft kommt ein Kapitän einer Passagiermaschine heutzutage noch wirklich zum „hän- dischen“ Fliegen? AUA-Chefpilot Gerhard Pitsch zählt zusammen: „Den größten Teil der Starts und Landungen macht man selbst. Starts generell gibt es noch nicht automatisch bei den Flugzeugtypen, die wir haben bei den Austrian Airlines. Selbst händisch geflogen, dass ist individuell vom Piloten abhängig und wie lange er fliegt. Das kann durchaus bei einem Flug einmal fünf oder gar zehn Minuten andauern.“

Eine Diskrepanz im System bleibt übrig, die die Fluglinien selbst auflösen müssen: Die gewonnene Sicherheit ist teuer und kostet Milliarden; nur das Sicherheitsgefühl der Kundschaft steigt nicht. Nach wie vor leidet mehr als die Hälfte aller Passagiere an Flugangst. Und ist froh, wieder heil auf dem Boden angekommen zu sein.

156 Wo ist der „Bäck’ ums Eck“? Der stille Tod des Gewerbes von Werner Jambor

Supermarkt-Ketten wie „Lidl“ und „Hofer“ haben viel Geld in die Hand genommen, täglich ofenfrisches Gebäck zu Kampfpreisen auf den Markt zu bringen. Manche „Hofer“-Filiale sieht aus wie eine Riesenbäckerei mit anschließendem Supermarkt. Eine Marketing-Maßnahme, die uns sagt: „Der frühe Vogel fängt den Wurm.“ Die Großen sperren früher auf und sprechen damit genau jene Kunden an, die bisher beim „Bäck’ ums Eck“ eingekauft haben.

Den kleinen Gewerbetreibenden, die jeden Tag ab halb vier Uhr morgens in der Backstube stehen, schmeckt das naturgemäß nicht. Josef Schrott ist der Innungsmeister der österreichischen Bäcker. Er betreibt seinen Standort auf der Äußeren Mariahilferstraße in der fünften Generation. Daneben gibt es noch weitere vier Filialen in Wien und Freitag und Sams- tag einen Stand auf dem Biomarkt auf der Freyung. Sein Urgroßvater hat das Bäckerhandwerk in Prag erlernt und 1885 in Wien-Fünfhaus die erste Filiale der Bäckerei Schrott gegründet; ein Lottogewinn machte das mög- lich. Den wünscht sich der Urenkel heute wieder – denn es wird immer schwieriger für die Bäcker. Josef Schrott ist mit 50 MitarbeiterInnen ein Großer unter den 120 Bäckereibetrieben in Wien und setzt mit eigener Backstube auf Vielfalt, Qualität und Beratung. Ab sechs Uhr in der Früh gibt es immer frische Hand- und Maschinensemmeln, Schusterlaberl, Wachauer, Salzstangerl, Kümmelweckerl und frisches Brot; und noch viel mehr.

Das Angebot ist nicht nur vielfältiger, sondern eineinhalb Stunden früher verfügbar als in den „Backboxen“ der Supermärkte. Josef Schrott nennt sie – sarkastisch frei übersetzt – die „Rückschachteln“. Frisches Gebäck gibt es heute an jeder Ecke; gleich neben Computern, Werkzeug und Le- bensmitteln – und das zwölf Stunden lang. „Frisch gebacken“, wenn auch als Teigmischung zuvor industriell zubereitet – auf diesen kleinen, aber feinen Unterschied weist der Bäckermeister dann doch gerne hin.

157 Die Bäcker vergleichen das gerne mit „Einfrieren und Auftauen und Mikro wellen-Unkultur“. Natürlich schmeckt auch die Ware aus den Back- boxen, aber sie ist anderes als das frische Gebäck aus den Öfen der Bäcker. In seiner Schulzeit gehörten Bäcker zum Stadtbild, erinnert sich Josef Schrott: „Auf meinem Schulweg gab’s noch vier Bäcker; heute sind es im ganzen Bezirk nur vier.“

Ein Bäcker pro Häuserblock war früher keine Seltenheit; das verstand man unter Nahversorgung. Die „Coffee to go“-Gesellschaft aber zwingt viele Bäcker ihre Läden umzubauen. Auch Josef Schrott hat 35 Plätze in seinem Bäckerei-Café geschaffen und lange Öffnungszeiten eingeführt. Von Montag bis Samstag gibt es ab sechs Uhr Frühstück. Und den Umsatz konnte Josef Schrott mit seinen 50 MitarbeiterInnen nur halten, weil er auch Sonntagvormittag verkauft.

Auch die Registrierkassen-Pflicht spielt eine Eine Rechnungspflicht Rolle: „Ich muss sogar an meinem Marktstand für die Handsemmel in der Innenstadt eine Kassa haben und für jede Handsemmel um 87 Cent oder die Maschinen- semmel um 37 Cent muss ich eine Rechnung stellen. Es wird immer schwieriger, weil die Kleinen Infrastruktur nachrüsten müssen, die bei den Großen ohnehin da ist“, klagt Josef Schrott, „nur die Spezialisierung hilft gegen die Großen.“ So hat er ein Spezialbrot von Wien nach Furth an der Triesting geschickt. Der „Gewürzlaib“ – ein dunkles Mischbrot aus Natursauerteig mit Kümmel und Fenchel – hat sieben Euro gekostet; und der Versand machte zwölf Euro aus.

Bäcker setzen auf Einzigartigkeit, bieten Spezialgebäck an und bedienen den wachsenden Markt für Allergiker. Natürlich könnten sie sich auch auf Pizzateig spezialisieren. Aber lieber führen sie neben Gebäck Spezialmehl und hausgemachte Semmelbrösel in ihren Regalen, als das zu tun, womit ihre Konkurrenz punktet: das „Sortiment erweitern“ und praktisch alles verkaufen, auch wenn es nichts mit dem Kerngeschäft zu tun hat, wie Pizzateig, Brotdosen oder Getreidemühlen.

Seit zehn Jahren sperrt, statistisch gesehen, jede Woche ein österreichi- scher Bäcker zu: Fünfzig sind es Jahr für Jahr. Die Existenzangst steigt, auch wenn manche Angestellte bei den Großbäckern neue Jobs finden.

158 Brot, Gebäck, Kekse: Wie die „Backbox“ das Gewerbe vor Ort bedroht Foto: APA/Barbara Gindl

Mittlerweile trifft der Kampf ums Gebäck aber auch die Großen in Öster- reich. Im alten Jahr gab es namhafte Insolvenzen: „Ringbrot“ in - österreich – sozusagen der „Anker“ von Linz –, „Schramel Brot“ in Wien und das Vorarlberger „Bischof Brot“. In der Steiermark und in Kärnten haben „Kotzbeck-Loh“ und „Valland“ den Kampf ums tägliche Brot verloren.

Die Strategie der Supermarkt-Ketten ist klar: Von 7.40 Uhr in der Früh bis 8 Uhr abends gibt es vermeintlich frisches Brot und Gebäck. Die Kaiser- semmel um 15 Cent, den Knusperspitz um 59 Cent. Wer aktuelle Ange- bote sucht, kommt ein- oder zweimal die Woche. Mit frischem Gebäck wird die „Laufkundschaft“ täglich angelockt. Womöglich in der Früh vor der Arbeit und am Abend vor dem Heimgehen. Die aufwändig gestalte- ten „Entnahmeboxen“, die ständig frisch bestückt werden, werden gut angenommen. Spricht man Kunden an der „Backbox“ an und fragt nach ihrem Kaufverhalten, so antworten die meisten: „Ich würde ja gerne beim Bäcker kaufen, aber bei mir in der Nähe ist keiner.“ Dieses Argument stimmt nur bedingt, denn zum Supermarkt fahren die meisten Einkäufer schließlich auch mit dem Auto. Die Großen punkten mit dem „All-in-one“- Gedanken: Hier gibt es alles. Immer billig. Immer frisch.

Die übermächtige Konkurrenz der Supermärkte mit ihren gut sortierten Fachabteilungen trifft nicht nur die Bäcker. Auch die Fleischhauer kämpfen

159 Auch der „Fleischer ums Eck´“ hat es nicht mehr so leicht wie früher Foto: APA/dpa/Patrick Seeger ums Überleben. In Wien gibt es nur noch einen einzigen Fleischer mit eigener Schlachtung; und auch auf dem Land werden es weniger. Der Fleischkonsum der Österreicher ist mit 65 Kilogramm im Jahr groß und seit zehn Jahren konstant. Der Markt verlagert sich aber – von kleinen Fleischhauereien in die Fachabteilungen großer Supermärkte, wo viele gelernte Fleischhauer noch ein letztes Mal Arbeit finden. Wie vor zehn Jahren sind auch heute noch 12.000 Fleischer beschäftigt, auch wenn im letzten Jahrzehnt ein Viertel der österreichischen Fleischerei-Fach- geschäfte zusperren musste.

Hauptursachen sind Konkurrenzdruck und Preiskampf durch und mit den Supermarkt-Ketten. Dazu kommen schwerwiegende gesetzliche Auflagen: „Das Kennzeichnungspickerl ist oft schon so groß wie die Ware selbst“, klagen Gewerbebetriebe; eine einzige per Gesetz „erforderliche Lebens- mittelanalyse“ kostet 800 Euro. Bei durchschnittlich 25 Frischfleischpro- dukten pro Jahr sind das 20.000 Euro.

Die müssen erst einmal verdient werden. Die Entwicklung geht, vergleich- bar mit den Bäckern, klar Richtung Supermarkt. Wer sich nicht speziali- siert oder Zusatzangebote wie Catering anbietet, verliert. Schade drum.

160 Ein Wiener Bezirksduell: „High Noon“ um die U-Bahn von Hans Hrabal

Bombardier gegen Siemens – wenn es um Aufträge für Straßen- und U-Bahnen geht, ist das ein Duell, das einem Spaghetti-Western alle Ehre machen würde. Doch dieser Western spielt in Wien. Es ist Kampf der Maschinen. Ein Kampf der Ideen. Und ein Kampf der Konzerne. Eine Auseinandersetzung, die mit allen Mitteln geführt wird. Patente. Intrigen. Politischer Einfluss. Es geht dabei um viel. Um Umsatz und Profit. Um Arbeitsplätze. Und um die Ehre.

Es ist der Kampf der beiden Weltkonzerne Bombardier und Siemens. Beide bieten eine geradezu unendliche Palette von Produkten und Dienstleis- tungen an. In vielen Bereichen konkurrenzieren sich die Kanadier (Bom- bardier) mit den Deutschen (Siemens), in vielen Märkten kooperieren sie, oftmals bedienen sie auch ganz anderer Wirtschaftssegmente. In einem Produktbereich aber sind sie die härtesten und unbarmherzigsten Gegner: im Segment der so genannten Light-Trains, also bei Zügen und Zugsys- temen, die den urbanen, weltweiten Schienenverkehr erledigen, anders gesagt: bei Untergrund- und Straßenbahnen.

Und damit willkommen in Wien. Denn beide Weltkonzerne haben ihre Kompetenzzentren in eben diesem Produktsegment just in der öster- reichischen Bundeshauptstadt angesiedelt. Die einen, die von Siemens, befinden sich in Wien-Simmering, auf dem Gelände des traditionsreichen österreichischen Bahn-Produzenten Simmering-Graz-Pauker, den Siemens gekauft hat. Die anderen, die von Bombardier, haben ihr Hauptquartier im 22. Bezirk, in Floridsdorf, auf dem Gelände des ebenfalls traditions- reichen österreichischen Bahnproduzenten Lohner, der von Bombardier übernommen wurde.

Beide Konzerne haben an besagten Wiener Standorten ihr jeweiliges weltweites „Light-Train-Kompetenz-Zentrum“ errichtet. Simmering ge- gen Floridsdorf, das ist Brutalität. Jedenfalls in wirtschaftlicher Hinsicht. Beide Konzerne sind übrigens mit ihren Produkten durchaus erfolgreich

161 auf dem Weltmarkt, auf so gut wie allen Kontinenten. Doch darum geht es nicht. Es geht um die Ehre, den Heimatmarkt, um die Titelverteidigung.

Titelverteidiger auf dem österreichischen Markt ist Siemens, vor al- lem dank seiner herausragenden Position bei den Wiener Straßen- und U-Bahnen. Im Simmeringer Werk arbeiten insgesamt 2000 Menschen. Damit hatte Siemens auch immer schon einen effektiven Arbeitsplatz- hebel bei der Wiener Stadtpolitik zur Hand. Und die, so will es der Zufall, ist gleichzeitig auch wichtigster Auftraggeber. Jedenfalls indirekt, denn direkt sind es die – offiziell ausgegliederten – Wiener Linien, die über hunderte Light-Train-Millionen im Wiener Raum entscheiden.

Siemens ist denn auch seit vielen Jahrzehnten quasi Hoflieferant für alles, was in Wiens öffentlichem Verkehr auf Schiene rollt. Da sind einmal die guten alten klassischen Wiener Straßenbahnen aus den 1960er-und 1970er-Jahren. Sie wurden anfangs noch von SGP produziert. Siemens hat die Lieferungen mit der Übernahme von SGP sozusagen automatisch übernommen. Auch das Nachfolgesystem, die so genannten Niederflur- Straßenbahnen, ging an Siemens. Der ULF, ein seinerzeit ziemlich rich- tungweisendes Niederflurgefährt mit stufenlosem Eintrittsportal, prägt den Wiener Schienenverkehr mittlerweile seit 1997.

Für Siemens ein Millionengeschäft. Aberhun- ULF machte Probleme: derte Straßenbahn-Züge der Marke ULF und Zu „fehleranfällig“ dazu noch Service- und Reparaturaufträge mö- gen den Siemens-Managern vorgekommen sein wie das sprichwörtliche biblische Manna. Und dabei, so scheint es, haben sie es dann übertrieben. Denn irgendwie fiel Siemens bei den Wiener Li- nien in Ungnade. Manche munkeln, ULF sei ganz schön fehleranfällig ge- wesen, die Servicekosten exorbitant hoch. Oft sei knapp die Hälfte aller Züge in der Remise gestanden, wegen Reparaturen. Doch das ist wohl nur eine Seite der Wahrheit. Viele vermuten einfach, dass sich die Siemen- sianer ihrer Sache zu sicher waren. Arbeitsplätze wurden als Argument verwendet, um alle Aufträge zu bekommen; politische Kontakte wurden abgerufen, Druck wurde ausgeübt. Und dann kam, was kommen musste.

Der Herausforderer trat auf den Plan. Mit „nur“ 700 Mitarbeitern konnten die Kanadier den Siemensianern bezüglich Arbeitsplätze und

162 Wertschöpfung nur schwer das Wasser reichen. In puncto Export waren sie für Österreich aber eine Erfolgsstory. Fast die gesamte Wiener Pro- duktion ging ins Ausland. Später wollten auch Graz, Innsbruck Linz mo- derne Bombardier-Niederflur-Straßenbahnen. Die Landeshauptstädte bestellten nur kleine Serien. Und Bombardier bot an und lieferte.

Der Konkurrent aus Kanada pirschte sich heran. Bis es schließlich passierte. Die Wiener Linien „Flexity“ läutete die schrieben wieder einmal neue Straßenbahnen Zeitenwende ein in Niederflur-Technologie aus. Das war 2012. Eine sichere Bank für Siemens? Diesmal lief es anders. Eine Zeitenwende. Bombardier erhielt den Auftrag über 156 Niederflur-Straßenbahnen, Gesamtwert: über 500 Millionen Euro. „Flexity“ heißt das System, das Bombardier in unterschiedlichen Varianten schon seit Jahren international erfolgreich verkaufte.

Seitdem sieht’s für ULF bzw. Siemens traurig aus. Die Simmeringer sind in der Defensive. Und wie das eben ist, kommt das zur Unzeit. Denn bei Siemens läuft’s insgesamt nicht so rosig, international gesehen. Die Münchner Konzernzentrale muss konsolidieren, wo es geht. Österreich hat man zwar lange Zeit in Ruhe gelassen. Doch die Zeiten haben sich geän- dert. Siemens galt hierzulande lange unangreifbar wie ein Flugzeugträger- verband. Manager gingen bei Politikern ein und aus; und wenn die Politiker keine mehr sein wollten, gingen sie eben zu Siemens, als Manager. Unter dem langjährigen ÖVP-nahen Siemens General Albert Hochleitner lief das so. Unter seiner Nachfolgerin, der ehemaligen SP-Staatsekretärin und Wiener Finanzstadträtin Brigitte „Gitti“ Ederer, ebenfalls.

Doch dann kam Joe Kaeser, der neue, deutschamerikanische CEO von „Siemens worldwide“. Und der hatte kein Verständnis mehr für derartige Traditionen. Kaeser will Profit sehen, und wer nichts abliefert, gerät unter Druck. So ist die Situation des gegenwärtigen Siemens-Österreich-Gene- rals Wolfgang Hesoun zu beschreiben. Kaeser will weltweit rund 10.000 Jobs zusammenstreichen, rund 3000 davon in Deutschland. Und Öster- reich? Das ist die bange Frage.

Doch zum Zittern bleibt nur wenig Zeit. Hesoun hat allen Grund seine Mannen zu motivieren. Schon bahnt sich das nächste Duell an. Wieder

163 gibt es eine Ausschreibung der Wiener Linien. Im Frühjahr vergangenen Jahres beschloss das Management, die mittlerweile in die Jahre gekom- menen U-Bahnzüge der ersten Generation, vulgo Silberpfeile, zu ersetzen. Die stammten noch von Siemens-Urahn SGP. Auch die nächste Generation der Wiener U-Bahnzüge, die so genannten V-Modelle (wegen ihrer V-för- migen Schnauze), stammten aus dem Hause Siemens. Normalerweise würde man sagen, auch dieser neue U-Bahn-Auftrag wird wohl wieder an Siemens gehen.

Wenn, ja, wenn die Straßenbahn-Schlappe mit Bombardier nicht ­passiert wäre. Fix is nix. Diesmal geht’s sogar um noch mehr Geld als bei der Straßenbahn. Rund 700 Millionen macht der Erstauftrag für die neuen U-Bahn-Garnituren aus. Wahrscheinliche Folgeaufträge lassen das Ver- gabevolumen auf weit über eine Milliarde Euro schnellen. Wer diesmal gewinnt, der setzt sich im bisherigen Kopf-an-Kopf-Rennen eindeutig an die Spitze.

„ECO“ begab sich dann auch zu den Männern in die Werkshallen, be- sichtigte die Fertigungs- und Montagestraßen und traf jene Manager, auf ­deren Schultern nun also der finale „High-Noon“ ausgetragen wird. Ingenieur Robert Bauer, Werksleiter von Siemens in Simmering, und nun- mehr aufgerufen, die Ehre in ­Sachen U-Bahn-Ausschreibung zu verteidi- gen. Und sein Gegenspieler bei Bombardier, Bruno Kittner. Genau so bullig, überzeugt, tatkräftig. Auf Sieg getrimmt.

Würden die beiden sich privat kennen lernen ohne ihren Auftrag, sie ­säßen wohl zusammen am Stammtisch und hätten ihren Spaß. Zwei Techniker, die aufgestiegen sind und jetzt in ein und derselben Welt leben. Pech: Nur einer kann gewinnen. Der, der diesen 700-Millionen-Auftrag nach Hause bringt.

Nicht nur für diese beiden Manager, auch für hunderte Mitarbeiter und so- gar für beide Konzerne steht einiges auf dem Spiel. Im Laufe des heurigen Jahres wird entschieden. Dann wird man wissen, wer der Sieger ist – im Bezirksduell Simmering gegen Floridsdorf.

164 Überziehen? Vorsicht vor der Zinsenfalle von Katinka Nowotny

Der einfachste Weg für viele zu einem Kredit zu kommen ist – das eigene Bankkonto zu überziehen. Doch liegt nicht rasch wieder Geld auf dem Konto, so wird diese bequeme Finanzierungsform bald zu einer sehr teuren Angelegenheit. Die günstigere Alternative ist oft ein Konsumkredit.

Die Zinsen sind bekanntlich im Keller, Kredite so billig wie noch nie. Doch das gilt nicht für jene Finanzierungsform, zu denen die Österreicher am liebsten und am häufigsten greifen: den Überziehungskredit auf dem eigenen Giro- oder Gehaltskonto.

Das Prinzip ist ganz einfach: Wer durch regelmäßige Eingänge seiner Bank ausreichende Bonität nachweisen kann, erhält in der Regel vertraglich einen Überziehungsrahmen eingeräumt. Bis zu einem bestimmten Betrag, meist sind es mehrere tausend Euro, darf das Konto ins Minus rutschen, ohne dass der Bankkunde ermahnt wird oder irgendetwas tun muss. Das ist die Theorie – die Praxis funktioniert anders.

Rund zehn Prozent aller Bankkunden sind nach Schätzungen über län- gere Zeiträume im Minus, noch viel mehr nutzen diese Möglichkeit „ge- legentlich“. Doch dieses Service ist nicht billig. Bis zu 13,5 Prozent im Jahr betrugen zuletzt bei einigen Kreditinstituten die Überziehungszin- sen. Und obwohl manche Banken als Reaktion auf die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank auch hier ein wenig bei den Konditionen hinuntergegangen sind, ist die Ausschöpfung des Überziehungsrahmens eine kostspielige Art, an Geld zu kommen.

Aber es geht noch teurer: Wer den Kontorahmen dann auch noch über- schreitet, dem verrechnen die Banken zusätzliche drei bis fünf Prozent. Das Ärgerliche daran: Für Guthaben auf dem normalen Bankkonto wer- den derzeit fast keine Zinsen mehr bezahlt, wer 0,25 Prozent erhält, kann schon zufrieden sein. Und von diesen Minibeträgen wird dann auch noch die Kapitalertragsteuer abgezogen.

165 Die Bequemlichkeit der Überziehung ist auch deren größte Gefah- renquelle. Es ist ziemlich leicht ins Minus zu rutschen, wenn man gerade einen neuen Fernseher braucht oder eine Urlaubsreise bezahlt. Und vor- erst scheint es auch nichts zu kosten. Erst zu Quartalsende wird das Konto dann mit den Zinszahlungen belastet – und das bereitet oft eine böse Überraschung. Wer sein Konto ein ganzes Jahr um 1000 Euro über- zieht, zahlt leicht 141 Euro an Sollzinsen. Die Habenzinsen für diesen Zeit- raum betragen läppische 38 Cent.

„Ich glaube, dass die wenigsten Leute wissen, was ihr Überziehungsrah- men ist und was das kostet“, sagt Ulrike Weiß, Konsumentenschützerin in der Arbeiterkammer Oberösterreich. „Ein Prozentsatz ist immer etwas sehr harmloses: 13 Prozent – was soll das schon sein? Aber wenn man sich das dann ausrechnet, sind das über zwei Jahre 1400 Euro und das ist schon eine ordentliche Summe. Da müssen viele Leute in Österreich schon einen Monat dafür arbeiten. Ich befürchte, dass das Gefühl dafür fehlt, wie teuer so etwas werden kann.“ Und wird das Minus nicht rasch abgedeckt, dann wächst es durch die hohe Zinsenbelastung noch weiter. Zinsen auf Zinsen auf Zinsen – ein Teufelskreis, der schon so manchen schwer arbeitenden Bankkunden in den finanziellen Ruin getrieben hat.

Wie groß das Körberlgeld ist, dass sich Banken Das „Körberlgeld“ mit diesen Zinseneinnahmen verdienen, wol- ist ganz beträchtlich len die Institute nicht verraten. Aber es dürfte ganz beträchtlich sein. Die Institute verweisen auf die relativ hohen Verwaltungskosten und das Risiko, das sie tragen, wenn doch recht große Summen ohne Sicherheiten ausgeliehen werden. Außerdem, so heißt es in der Branche, wird niemand dazu gedrängt, sich längere Zeit größere Beträge auf diese Weise auszuborgen. „Ein Über- ziehungsrahmen ist nur für kurzfristige Engpässe gedacht“, sagt ein Spre- cher etwa der Bank Austria.

Ein, zwei Wochen, höchstens einmal einen Monat, dann sollte das Konto wieder auf null gestellt werden. Und wenn das nicht so schnell geht, dann gibt es immer noch die Möglichkeit, einen günstigeren Konsumkre- dit aufzunehmen. Allerdings muss man dann auch die Errichtungskosten einkalkulieren und möglichst verschiedene Angebote vergleichen, also

166 nicht unbedingt bei der eigenen Bank bleiben, sagt Thomas Berghuber, Geschäftsführer der Schuldnerberatung Oberösterreich.

Wer diesen Weg nicht beschreiten will, sollte zumindest wissen, wieviel ihn der Überziehungskredit kostet. Onlinebanken müssen ihre Konditionen im Internet veröffentlichen; die traditionellen Banken nur zum Teil. Für den Chef der Sektion Banken in der Wirtschaftskammer Österreich, Franz Rudofer, ist das kein Problem. „Der beste Weg – und da sind wir einer Meinung mit dem Konsumentenschutz – ist der Kontakt zur Bank. Also die Frage: ‚Wie ist denn mein Überziehungsrahmen, welche Kosten fallen da an?‘ Das wird keine Bank verschweigen. Deshalb wäre auch hier der Ratschlag: Einfach bei der Bank nachfragen, telefonisch oder am Schalter, und dann hat man die volle Information.“

Profis können sogar einen Schritt weiter gehen. Banken lassen gerade bei langjährigen Kunden Oft lassen Banken „mit sich reden“ und sind oft zu einer zumindest auch mit sich reden moderaten Zinssenkung bereit. Und wenn man einmal verglichen hat, dann kommt man ohnehin darauf, dass die Banken ganz unterschiedliche Zinssätze in Rechnung stellen. Bei manchen Insti- tuten sind das nur etwas über vier Prozent, also weniger als einem Drittel der Zinssätze der Spitzenreiter. Wer also oft und gerne überzieht, sollte sich auch einen Bankwechsel überlegen.

Rebecca Barwig, eine Linzer Sekretärin und Alleinerzieherin, hat aus ihren Erfahrungen mit Überziehungskrediten einen anderen Schluss gezogen. Über einen längeren Zeitraum in ihrem Leben war sie allzu oft gerade zu Monatsende im Minus – und hat dann immer wieder lange gebraucht, um finanziell wieder über Wasser zu kommen. Ihr Rat an andere in einer ähn- lichen Situation: „Finger weg davon! Sie erhöhen die Schulden nur. Und es dauert, bis man wirklich da wieder herunterkommt von dem Ganzen und wieder sagen kann, jetzt bin ich wieder im Fluss. Das ist für viele gar nicht machbar. Meine Empfehlung wäre: größte Vorsicht mit den Überziehungszinsen.“

167 Große Worte – gelassen ausgesprochen gesammelt von Günther Kogler

„Mitunter kommt es mir vor, dass nur noch die Pfarrer und die Homosexuellen heiraten wollen.“ Schauspiel-Legende Lotte Tobisch und die offensichtlichen Verwerfungen in der österreichischen Familienpolitik.

„Die Sprache der Frau ist eine andere als die des Mannes. Wenn ich im Auto fahre und ich muss wohin, sage ich: ,Du, ich muss stehen bleiben, ich muss aufs Häusl.‘ Eine Frau sagt: ,Du Schatzi, ich möchte stehen bleiben und einen Kaffee trinken.‘ Also, eine Frau spricht anders.“ Neo-Frauenversteher und ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel.

„Eine besonders linksrevolutionäre Veranstaltung ist es nicht.“ Bedauert IKB-Präsident Rudolf Scholten seine jährliche Einladung zur geheimnisumwobenen Bilderberg-Konferenz?

„Der Uhudler hat sich das nicht verdient.“ Uhudler-Kenner Hans Niessl (SPÖ) über die offenbar unwürdige Diskussion, es handle sich nur um einen Obstwein.

„Zwei Drittel des Weges sind gegangen. Jetzt geht es in den Endspurt.“ Sabine Oberhauser (SPÖ) trotz Chemotherapie als Gesundheitsministerin unterwegs.

„Wir sind für Erarbeiten und dann erst Verteilen. Die andere Seite ist für sofort Verteilen.“ Der Unterschied zwischen ÖVP und SPÖ – leicht fasslich ins Wort ge- kleidet von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP).

„Es wäre vernünftig, wenn der Eurovision Song Contest in Wien zur ständigen Einrichtung würde.“ Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) treibt den ORF in den sofortigen Ruin.

168 Am Anfang steht bloß eine Idee – Von „Start-Ups“ und den Chancen von Werner Jambor

Die Anfänge von Microsoft-Gründer Bill Gates und Apple-Erfinder Steve Jobs sind in der Zwischenzeit wohl jedem bekannt. Ihre Geschichten und Lebensläufe stehen für jugendlichen Erfindergeist „aus der Garage“. Heute, dreißig Jahre nach ihren bahnbrechenden Errungenschaften und Firmengründungen mit all ihren Wendungen, Verdrängungen und Kartellbildungen, fände man die beiden wohl in der „Start-Up-Szene“.

Oft steht am Anfang einer großen Entwicklung eine Frage: Wie kann es sein, dass eine Armprothese 80.000 Euro kostet? Und wie soll sich das ein Normalverbraucher oder ein Minenopfer aus einem der Kriegsgebiete leisten können? Easton La Chapelle, ein 14-jähriger Teenager aus Colorado, fand diese Situation „mehr als verbesserungswürdig“. Nur wenig später nach dieser Erkenntnis war er auch schon ein Star. Seine Alternative zur industriell gefertigten Prothese sollte 500 Dollar kosten.

Heute ist der junge Mann der wohl weltweit bekannteste Vertreter des „Start-Up“-Gedankens, dem raschen Umsetzen einer guten Idee zum ge- fragten Produkt. Oder der Lösung eines Problems als Geschäftsmodell. Klingt einfach, setzt aber Rahmenbedingungen voraus, die im gelernten Geschäftsleben die Ausnahme sind.

Easton war bei seiner Produktentwicklung weder in die Strukturen einer Forschungsabteilung eingebunden noch musste er in einem großen Team unter definierten Laborbedingungen arbeiten. Er bastelte, allein mit der Unterstützung seiner Eltern und Lehrer, in seinem Kinderzimmer an einer technisch aufwändigen Apparatur. So lange, bis er wusste, wie sie einfach und fehlerfrei funktionierte.

Dann wurde schrittweise verbessert. Er erwähnt in seinen Interviews rund um die Welt immer gerne, wie „erstaunt“ er über langfristig vage Aussa- gen zur Marktreife von Innovationen ist: „Schon in zehn Jahren werden wir den Durchbruch erreichen oder schon bald wird es eine brauchbare

169 Alternative zur herkömmlichen Technologie geben. Wer sagt so etwas Un- genaues und meint das auch noch ernst? Haben Leute, die so was sagen, ein Rechenmodell für Entwicklungsprozesse? Warum geht es nicht gleich?“

„Start-Ups“ suchen das Naheliegende und wollen es am liebsten so- fort weltweit vermarkten. Easton hatte anfangs zwar kein kommerziel- les Interesse, war aber trotzdem konkurrenzlos schnell und effizient. Er verwendete Materialien und Technologien, die ihm kostengünstig zur Verfügung standen. Nach dem Baukastenprinzip stellte er mit dem 3-D- Drucker Komponenten her, verband sie mit Modellflugzeugmotoren und schuf mit Angelschnüren ein verblüffend einfaches mechanisches System von Seilzügen. Vom ersten Prototyp zur Serienreife vergingen nicht viele Jahre, sondern nur wenige Monate. Dann ging der naturwissenschaftlich begabte Bastler mit seiner Prothese aus dem Kinderzimmer ins Internet. Millionen von Clicks auf YouTube machten Easton La Chapelle binnen we- niger Tage weltbekannt – und seine Entwicklung international gefragt.

Einmal im Jahr lädt das „Pioneers Festival“ Start-Up-Unternehmen aus der ganzen Welt in die Wiener Hofburg. Zuletzt mit Easton La Chapelle als „Frontman“: Weil es auch thematisch darum ging, „den Weg vom Produkt zur Vermarktung zu verkürzen“, Kontakte herzustellen und klugen Köpfen zu erklären, wie sie ihre Ideen verständlich und mitreißend prä- sentieren können. Andreas Tschas und Jürgen Furian sind die Begründer dieses „Start-Up-Festivals“. 2009 sind sie mit ihrer Idee durchgestartet, Kreative aus aller Welt mit der Industrie und möglichen Privatinvestoren zusammenzubringen.

Auch Martin Pansi ist ein Urgestein der österreichischen Internetszene und startet nicht das erste Mal mit einer guten Idee durch. Wer kann sich nicht an den Internet-Dienst „Sms.at“ erinnern, der uns gezeigt hat, wie rasch die gute Idee von heute schon morgen wieder out ist: „Sms.at ist nicht die Zukunft, wir werden da nicht mehr viel weiterentwickeln“, erkannte Pansy die Bedeutung von Facebook und Co. sehr rasch.

Wir trafen ihn auf dem letzten „Pioneers Festival“ mit einer neuen Geschäftsidee, die das „Smartphone zum Schlüssel“ macht; und wenn morgen der Schlüssel museumsreif geworden ist, dann haben die „Start- Ups“ von heute einen guten Job gemacht. Mit einem simplen System wird

170 man in Zukunft praktisch überall via Blutooth oder WLAN Türen auf- und versperren können. Das System wird innen am Schloss angebracht und funktioniert praktisch im „Plug and play“-Verfahren. Warum sollten Zu- gangsdaten nur für Computer und nicht auch für Schlösser gelten?

Das „Pioneers Festival“ hat auch potente Part- ner aus der Industrie im Boot. Letztes Jahr tra- Fünf Sekunden Zeit, fen „die Pioniere“ vor der Veranstaltung in der „das Ding“ zu erklären Hofburg – bei A1 und in der Österreichischen Wirtschaftskammer – zusammen. Auffällig war, wie schwer es ansons- ten klugen Köpfen fällt, ihr „Ding“ auf den Punkt zu bringen: „Du hast fünf Sekunden“, sagt einer, der schon das dritte Mal dabei ist. „Dann schauen die Gesprächspartner wieder auf ihr Smartphone.“

Der Marktplatz Internet ist ein gutes Biotop für Ideen, Leistungen und Produkte. Easton La Chapelle bringt die Möglichkeiten für „Start-Ups“ auf den Punkt: „Offene Benutzer-Plattformen und moderne Verfahrenstech- niken machen es möglich, dass du heute schnell Erfolg haben kannst. Vielleicht hast du selbst zum Beispiel ein Computerproblem und am Ende findest du die Lösung allein heraus. Entwickle sie weiter und verkaufe das Know-How. Warum nicht? Nicht eine Firma ist verantwortlich für das, was geschieht, sondern du bist es selbst, es liegt an dir. So war es auch bei mir mit der teuren Armprothese, als ich gedacht habe, wieso geht das nicht einfacher und billiger?“

„Einfacher und billiger“ wird auch die Entwicklung von neuartigen Implan- taten. Auch Leopold Berger hat beim „Pioneers Festival“ teilgenommen. Er hat technische Physik studiert und sieht seine Fachrichtung beson- ders gefordert, um „neue Produkte zu schaffen und Prozesse in Gang zu bringen“. Jährlich brechen sich tausende Menschen irgendwelche Kno- chen; ganz komplizierte Brüche müssen oft mit Nägeln und Schrauben stabilisiert werden. In weiteren Operationen müssen sie später wieder entfernt werden. Ein schmerzhaftes und teures Vorgehen, das vor allem für Kinder in der Wachstumsphase problematisch sein kann.

„Bioresorbierbare Implantate“ zur einfachen Behandlung von Knochen- brüchen und Knochenerkrankungen wären eine Lösung. Die Implantate be- stehen aus einer Legierung natürlicher Mineralstoffe wie Zink, Magnesium

171 und Kalzium. Sie werden vom Körper sukzessive absorbiert und müssen später nicht über weitere Operationen wieder entfernt werden. Das Im- plantat wirkt stützend und regt zusätzlich noch das natürliche Wachstum der Knochenzellen an.

Die nächsten Schritte sind klar, erklärt Leopold Berger das „Start-Up“- Modell seiner Arbeitsgruppe: „Die erste klinische Studie ist bereits am Laufen; sobald eine Zertifizierung erteilt wird, kann der Vertrieb der Im- plantate in Europa beginnen. Erste Ansprechpartner sind die Krankenkas- sen, weil sie Interesse an effizienteren Lösungen haben. Und da es derzeit keine exakten Vorgaben darüber gibt, wie Knochenbrüche behandelt wer- den müssen, sind Ärzte und Krankenanstalten die zweite Zielgruppe für die Vermarktung. Realistischerweise wird der Break-Even-Point bis zum Jahr 2020 erreicht sein.“

Viele „Start-Ups“ suchen nicht nur die Anbindung an die Industrie. Sie wollen auch private Geldgeber für ihre Ideen begeistern. Neben traditio- nellen Anlageformen, die sich ja oft als sehr riskant erwiesen haben, gibt es auch für private Anleger Möglichkeiten, in „Start-Ups“ zu investieren. Als Kreditgeber stellen die Anleger den jungen Unternehmen Kapital zur Verfügung – und erhalten dafür eine vergleichsweise hohe Verzinsung. Freilich:Je höher die zu erwartende Rendite, desto höher das Risiko.

Eine andere Option ist, sich als Investor am Unternehmen direkt zu betei- ligen und zum Miteigentümer zu werden. Miteigentümer profitieren von einem positiven Geschäftsverlauf, tragen aber auch das Risiko, wenn das Geschäft schlecht läuft. Auch so etwas soll ja vorkommen. Außerdem ist das eingesetzte Kapital im Normalfall für mehrere Jahre im Unternehmen gebunden; und in den ersten Geschäftsjahren ist keine Dividende zu er- warten. Überschüsse werden in der Aufbauphase von „Start-Ups“ für das Unternehmenswachstum verwendet.

Im heurigen Jahr wird es zwei Veranstaltungen von „Pioneers“ geben: Am 25. März werden 999 Teilnehmer aus aller Welt in Tokio zusammen- kommen und von 23. bis 25. Mai findet wieder das jährliche „Pioneers Festival“ in der Wiener Hofburg statt. Vielleicht interessiert es Sie, was es da zu sehen gibt. Spannend ist es allemal.

172 „i-Putin“ und China-Start-Ups: Konkurrenz für Apple und Co. von Hans Wu

Der Smartphone-Markt wird vor allem von zwei Giganten dominiert: Samsung und Apple. Doch immer mehr Anbieter aus China stehen Gewehr bei Fuß, um ihren Teil vom Kuchen zu ergattern. Auch Russland macht mit einem ganz besonderen Smartphone von sich reden. Lesen Sie das Neueste über – ja, über „i-Putin“ …

Letztes Jahr kam ein Packerl aus Moskau in die „ECO“-Redaktion geschneit. Der Inhalt: ein Smartphone aus Russland, ein Testgerät. Das Besondere an der Leihgabe: Es war ein Handy mit zwei Bildschirmen, vorne und hinten je einer. Und es war bei High-Tech-Fans vor allem durch einen sehr berühmten Werbeträger bekannt geworden. Jawohl, „Zar Wla- dimir“ höchstpersönlich hatte die Neugier der Smartphone-Community erregt.

Wir schreiben das Jahr 2014, Peking. Bei einem Staatsbesuch trifft Wladimir Putin den chinesischen Staatschef Xi Jin-Ping. Neben Gesprä- chen um eine Vertiefung der wirtschaftlichen Kooperationen gibt es auch ein besonderes Gastgeschenk. Es ist das „Yotaphone 2“, der Stolz der russischen Consumer-Electronic-Branche.

Die Bilder dieses besonderen High-Tech-Transfers zweier Großmächte verbreiten sich rasch in den sozialen Medien. Vor allem die Technik- fans staunen über das ungewöhnliche Ingenieurswerk aus Moskau. Der Screen auf der Vorderseite ist ein üblicher hochauflösender, wie er auch bei allen anderen Smartphones zu finden ist. Der Bildschirm auf der Rück- seite dagegen ist ein E-Paper-Display, wie man es auch von den E-Book- Readern kennt. Der Vorteil: Er bleibt immer angeschaltet und spart da- durch trotzdem Strom, weil für viele Tätigkeiten am Smartphone der ener- gieintensive normale Bildschirm nicht eingeschaltet werden muss. Die Experten waren sich einig: Das konnte nur eine Idee sein, die russischen Ingenieuren eingefallen war – und das war überhaupt nicht abschätzig gemeint.

173 Auf der Mobilfunkmesse in Barcelona traf „ECO“ schließlich Vlad Marty- nov, den Chef von „Yotaphone“. Jedes Jahr werden in Spanien die Neuhei- ten der Branche gezeigt; immer bessere Bildschirme, hochauflösendere Kameras und schnellere Computerchips. Doch egal, was geboten wird, „Yotaphone“-Chef Vlad Martynov ist selten zufrieden mit den Angebot der Konkurrenz aus dem Westen und Ostasien.

„Die heutigen Smartphones sind nicht gut genug, weil man dem Handy helfen muss und nicht umgekehrt. Man muss es immer ,aufwecken‘, bevor man bekommt, was man braucht. So darf Technologie nicht sein; Technologie muss proaktiv sein. Wir glauben, dass ein ständiger ange- schalteter Bildschirm besser ist. In Zukunft werden das alle haben.“ Bei der Entwicklung des „Yotaphone 2“ haben ehemalige Nokia-Ingenieure aus Finnland mitgeholfen. Experten, die sich freilich auch in den hohen Entwicklungskosten wiederfinden. Stolzer Endkundenpreis des „i-Pu- tin“: umgerechnet rund 700 Euro. Für den Chef durchaus gerechtfertigt: „Eine Firma, die was Neues macht, die den Markt substanziell verändern will, die muss viel in Forschung investieren. Das erste Apple-iPhone war doppelt so teuer wie jedes andere Top-Handy damals. Weil sie wirkliche Innovation gemacht haben vor acht Jahren.“

Selbstsichere Töne also für einen Newcomer auf einem heiß umfehdeten Markt. Tatsächlich hat dieser im Lauf der Geschichte viele Revolutionen durchlebt. Im Jahr 2000 gab es auf dem Handymarkt vorwiegend west- liche Anbieter. Weit voran der finnische Nokia-Konzern, erst später gefolgt vom amerikanischen Unternehmen Motorola, auf Platz drei schon wieder Schweden mit Ericsson. Noch im Jahr 2007 lagen Nokia und Motorola noch immer auf den ersten beiden Plätzen, neu in den Markt aber traten Anbieter aus Südkorea wie Samsung und LG, die schnell aufschlossen.

Die Veränderung, die alles auf den Kopf stellen sollte, fand sich noch nicht einmal unter den „Top ten“: Apple hatte gerade erst das erste iPhone herausgebracht. Die Smartphone-Revolution, die damals begann, ließ keinen Stein auf dem anderen. Ericsson wurde von Sony geschluckt. Größter Verlierer wurde Nokia; die finnischen Hersteller, die ein Jahr- zehnt lang Technik- und Marktführerschaft innehatten, verschliefen den Trend vollkommen. Mit dem Verkauf der Nokia-Handysparte an Microsoft verschwand Europa endgültig von der Bühne der Mobiltelefonhersteller.

174 Seit dem Siegeszug der Smartphones teilen sich Samsung und Apple die Topplatzierungen auf dem Handymarkt. Doch in den letzten Jahren hat sich erneut viel getan. Eine neue Herstellernation drängt gleich mit mehreren Marken ins Rampenlicht: China. Hersteller aus der Volksrepublik gewinnen tatsächlich immer mehr Marktanteile. Es sind Namen, die hier- zulande kaum bekannt sind: Xiaomi, ZTE oder Huawei.

Im Zweiten Wiener Gemeindebezirk beispiels- weise befindet sich die Österreich-Zentrale von Unbekannte Namen, „Huawei“, einem milliardenschweren Elektro- aber ganz große Ziele nikkonzern aus dem Reich der Mitte. Das Un- ternehmen ist auch hierzulande schon lange tätig. Im Hintergrund, als führender Ausstatter für Mobilfunk-Infrastruktur, bestimmt im Wesent- lichen „Huawei“ das Funktionieren des Funkverkehrs im Handyparadies Österreich. Nun will das Unternehmen hierzulande auch als Smartpho- ne-Hersteller bekannter werden. Die Topgeräte „Mate S“ und „P8“ kom- men tech nisch ohne Mühe an die Spitzenmodelle von „Samsung“ und „iPhone“ heran; jetzt will man der Bekanntheit mit verstärktem Marketing auf die Sprünge helfen. Das ist bei der Beliebtheit der Marken „Samsung“ und „iPhone“ kein leichtes Unterfangen. Der Sprung vom Herausforderer in die Topklasse bedeutet einen beschwerlichen Weg. Das weiß auch Jay Peng, der Chef der Österreich-Dependance von „Huawei“: „So ist die Realität: Der Abstand zwischen den beiden Topherstellern und den Her- ausforderern ist riesig. ,Huawei‘ ist aber eine Firma, die rasch lernt. Wir wollen jetzt einmal die Nummer eins unter den Herausforderern werden. Unser Ziel ist dann: Apple und Samsung direkt anzugreifen. Der Markt ist groß genug für viele Marken.“

Es wäre kein neues Feld für die Hersteller aus China. Die bekannten Smartphone-Hersteller lassen ihre Geräte ohnehin dort produzieren. Die technische Kompetenz wäre also vorhanden. Nur der Ruf als „Werkbank der Welt“ steht bei den Konsumenten noch immer im Weg; China wird mit „Billigprodukten“ in Verbindung gebracht, nicht mit „High-Tech“. Gün- ter Lischka, der Marketingleiter beim Mobilfunker „3“, beobachtet die chinesische Handyindustrie schon seit vielen Jahren und war oft bei den Herstellern vor Ort. Es ist „eine rasante Entwicklung“, die er mitbe- kommen hat; die Vorbehalte der Konsumenten kann er nicht teilen: „Ich glaube, dass das bloß ein Vorurteil ist. Ich stelle hier gerne die Analogie

175 zum Automobilmarkt her: In den 1970er- und 1980er-Jahren wäre es un- vorstellbar gewesen, japanische oder gar koreanische Autos zu fahren. Mittlerweile ist man europaweit von der Qualität diverser ostasiatischer Marken überzeugt. Eine ähnliche Entwicklung, nur in deutlich höherer Geschwindigkeit, sieht man auch bei den Smartphones.“

Ebenfalls aus China kam der Smartphone-Geheimtipp des letzten Jahres: Experten waren begeistert von den Fähigkeiten des „Oneplus One“. Es war das erste Handset eines kleinen chinesischen Start-Ups. Die Hard- ware kann durchaus mit dem „iPhone“ mithalten. Technikfans lieben auch das Betriebssystem, eine Adaption von Android, das mehr Möglichkeiten zur individuellen Anpassung erlaubt.

Bei „Digital Affairs“, einer erfolgreichen Wiener Social-Media-Agen- tur, sind alle Mitarbeiter mit dem Handtelefon aus China ausgestattet; eine Frage des Image, als moderner, technologisch orientierter Internet- Serviceleister. Aber für Geschäftsführerin Judith Denkmayr gab es auch andere, kostenbewusste Überlegungen zum Ankauf des Newcomers: „Einer der Gründe ist ein sehr pragmatischer; ohne Vertrag kostet das ,Oneplus One‘ 300 Euro. Es ist sowohl von der Hardware wie auch von der Software und von der Usability ein sehr hochwertiges Telefon. Und wir können davon ausgehen, dass wir ein Telefon durchschnittlich ein bis eineinhalb Jahre haben. Wenn man überlegt, was ein iPhone im Vergleich dazu kostet, sind das auf eine Firma hochgerechnet die halben Kosten.“

Dabei können das „Oneplus One“ und auch sein Nachfolger, das „Oneplus Two“ gar nicht so leicht erworben werden. Zu kaufen gibt es das Gerät nur „auf Einladung“ eines bestehenden Besitzers. Eine Maßnahme, die dem Hersteller hilft, die Produktion auf die Nachfrage genauer abzustimmen; aber auch ein „Werbegag“, der ganz auf Mundpropaganda baut – und da- durch das Gerät noch interessanter macht.

Schon seit den Erfolgen des „iPhone“ wissen wir: Wenn es um Smart- phones geht, ist Marketing fast genau so wichtig wie die Fähigkeit, ein gutes Telefon zu entwickeln.

176 „Dufte“ Umsätze – wie Nasen auf Neuro-Marketing hineinfallen von Angelika Ahrens

Geschäfte und Unternehmen setzen nicht nur Musik ein, um ihre Ware besser an Frau und Mann zu bringen; immer öfter wird die Kundschaft auch über Düfte angelockt. „Duftmarketing“ wird mittlerweile nicht nur in Modegeschäften eingesetzt, sondern auch in Bäckereien, Fitness-Centern und Arztpraxen. „Beduftet“ wird auch dort, wo man es gar nicht erwar- ten würde.

Pfffft… Wir befinden uns direkt unter dem Wiener Westbahnhof, bei den U-Bahnen. Mein Kamerateam und ich versuchen zu filmen, was eigent- lich nicht zu filmen ist, weil es gar nicht richtig sichtbar ist. Pfffft… das Geräusch kommt aus einer kleinen weißen Spraydose. Gerade flitzt mein Kameramann hinter einem Werbefachmann her, der mit genau dieser Spraydose bewaffnet ist. Genauer gesagt mit einer Deospray-Dose. Wenn Passanten vorbeikommen, versprüht er Deospray; um Werbung für ein neues Deo zu machen. Die Menschen weichen automatisch zurück. Wer will sich schon ansprühen lassen …?

Genau deswegen gestalten viele Firmen das etwas subtiler. So werden zum Beispiel in einer einmaligen Werbeaktion über die Klimaanlage der U-Bahn- Station auf dem Westbahnhof großflächig ätherische Öle versprüht. Über ei- nen kleinen, fast unsichtbaren weißen Schlauch an der Decke. Wer es nicht weiß, bekommt das gar nicht mit. Die Passanten reagieren unterschiedlich: „Wenn Sie mich nicht darauf angesprochen hätten, hätte ich gedacht, das ist meine Nachbarin. Dass es ihr Parfum ist, das ich hier rieche. Dass die ganze Station absichtlich beduftet wird, das hätte ich nicht gedacht“, meint eine befragte Frau. Ein anderer glaubt, dass es „nach Popcorn riecht“. Und wieder eine andere Dame denkt an die Natur, an einen herrlichen Frühlings- tag: „Ich kann’s schwer sagen. Es riecht so blumenartig? Ich würde es als Blumenduft einschätzen. Aber ich kann es echt schwer sagen.“

Tatsächlich ist es unmöglich, an diesem Nachmittag eine eindeutige Antwort von den U-Bahn-Fahrern zu bekommen. Je nach Luftstrom riecht

177 es in der Station – einmal mehr, einmal weniger – nach Citrus-Berga- motte und Maiglöckchen. Die Menschen nehmen bewusst bestenfalls die dazu gehörigen Werbeplakate in der Station wahr. Aber zu diesem Zeitpunkt ist das neue Deo schon unbewusst in vielen Köpfen verankert – sie haben es gerochen und irgendwo in ihrem Unterbewusstsein eine Ahnung davon abgespeichert.

Gezieltes „Duftmarketing“ wird in Österreich immer öfter eingesetzt. Zahnärzte blenden damit den typischen Geruch einer Zahnarztpraxis aus. So wird aus einem Ort voll schlechter Erinnerungen und Schmer- zen leicht eine „Wohlfühlpraxis“. Spezielle Wohlfühlgerüche werden auch in Pflegeheimen versprüht. Der neueste Trend ist aber in Hotels zu beobachten. In Deutschland können sich Gäste in manchen Hotels bereits beim Einchecken an der Rezeption beruhigende oder aphrodisie- rende Düfte auf das Zimmer bestellen – je nachdem, was man vorhat. Supermärkte und Bäckereien versprühen den Duft von frischem Brot. Mit dem Ziel, dass die Kunden mehr kaufen, als auf der Einkaufsliste steht. Künstlichen Organgenduft gibt es auch an Obstständen – aus einem kaum wahrnehmbaren Duftspender. Und in manchem Fastfood- Restaurant kommt der angenehme Geruch eines Holzkohlegrills … richtig: aus einem Duftspender.

Selbst Pressekonferenzen werden bereits „beduftet“. Die Liste an Beispie- len ist lang. Die eindringlichste Duftorgie hat es bisher in den Geschäften von „Abercrombie & Fitch“ gegeben; das habe ich in New York selbst erlebt. Vor dem Laden – ein Typ, der aussieht, wie der Coca-Cola-Mann aus der Werbung; innen – alles dunkel, die T-Shirts und Pullis aber über Spotlights hervorgehoben. Und dazu ein starker Geruch – undefinierbar zwar, aber mir haben ein paar Teile gut gefallen, wollte sie probieren. Erst nach 20 Minuten hat sich mein Gehirn offenbar wieder „eingeschaltet“. Wieder am Haken waren die Kleidungsstücke für mich dann gar nicht mehr so interessant. Alles nur Einbildung?

Waschmittelhersteller machen sich seit Jahrzehnten Gedanken über den Duft ihrer Produkte. Das kennen wir schon. Doch das, was jetzt passiert, ist neu: Weil die Verbraucher die Werbung angesichts einer überbordenden Informationsfülle häufig als störend empfinden, Werbespots im Fernsehen, Radio oder Internet immer öfter wegschalten, setzen Marketingexperten

178 auf Duft. Sie haben in Experimenten herausgefunden, dass Verbraucher stärker und besser auf unterschwellige Werbung ansprechen als auf direkte mit all den Übertreibungen und den vielen Logos.

Die Werber machen sich die Erkenntnisse des „Neuromarketings“ zunutze. Diese Forschungs- Welcher Duft lässt richtung untersucht, wie intuitive Entschei- Kunden einkaufen? dungen bei Konsumenten ablaufen, und stützt sich auf Tests von Psychologen, Ökonomen und Hirnspezialisten. Die Forscher beschäftigen sich auch mit der Frage, welche Düfte die Kunden eher dazu bringen, dass sie etwas kaufen. So spricht Vanilleduft offenbar viele Menschen an. Bei Parfums ist es beispielsweise ein beliebter Duft im Winter. Modegeschäfte versprühen im Frühjahr, wenn es draußen noch kalt, grau und matschig ist, Frühlings- und Sommerdüfte. Dadurch sollen die Kunden länger im Geschäft verweilen – und vielleicht das eine oder andere T-Shirt bereits für schöneres Wetter kaufen, obwohl es eigentlich noch lange nicht soweit ist. In manchem Autohaus setzt man ebenfalls auf Vanille, allerdings auch auf einen Schuss Grapefruit, grünen Tee und Schokokekse. Wer kann dazu schon nein sagen?

Inwieweit sich der Umsatz in den Geschäften durch Duftmarketing wirk- lich steigern lässt, darüber scheiden sich die Geister. Unbestritten ist auf jeden Fall, dass Düfte irgendetwas mit und bei uns anstellen. Dass eine Geruchsinformation sozusagen „direkt ins Gehirn“ führt, bestätigt Hania Bomba, Geschäftsführerin von „RegioPlan Consulting“: „Bei Düften ist es genauso wie bei Licht und Musik. Es ist nachgewiesen, dass das auf das limbische System wirkt. Man versucht also mit Hilfe von Düften bei den Kunden positive Emotionen auszulösen, eine nette Atmosphäre herzustel- len. Der Kunde, die Kundin soll sich wohl fühlen, damit er oder sie länger bleibt – und mehr Geld ausgibt.“

Der Geruchssinn ist aus Sicht der Evolution ein überlebenswichtiger Sinn, der uns zum Beispiel Gefahren rechtzeitig erkennen lässt; den Brand- geruch bei Feuer etwa. Er schützt uns auch davor, dass wir verdorbene Lebensmittel essen. Gerüche spielen auch im Umgang mit anderen Leu- ten eine Rolle: Wenn wir jemanden sympathisch finden, sagen wir auch, „wir können ihn gut riechen“. Das gilt gleichermaßen für Frauen wie für Männer, ist also auch für Paarbeziehungen wichtig.

179 Wir riechen mit jedem Atemzug. Wir können gar nicht anders. Somit sind wir auch für künstliche Duftbotschaften empfänglich. Unser emotiona- les Zentrum im Stammhirn bewertet Gerüche blitzschnell, vollkommen automatisch und leitet sie als Handlungsanweisungen im Körper weiter. Düfte steuern also unser Handeln – nur bewusst sind wir uns dessen nicht. Darin steckt die wahre Macht der Düfte.

„Malen Sie sich aus, wie Sie bei Ihren Kunden auch noch lange nach Ladenschluss in Erinnerung bleiben …“ Mit Sätzen wie diesen versuchen die „Aroma-Designer“, wie sie sich nennen, Geschäftsleute zum Einsatz von Duftmarketing zu überreden. Offensichtlich mit wachsendem Erfolg. Denn viele Läden kämpfen gegen die großen Einkaufscenter wie auch ge- gen den Handel im Internet um ihr Überleben. Die Geschäfte wollen also mit Düften den Kunden ein neues Einkaufserlebnis bereiten.

Allerdings hat es auch schon Studien gegeben, die darauf hindeuteten, dass bestimmte Düfte den Absatz eher hemmen denn fördern. So unter- suchten Wissenschaftler der belgischen Hasselt-Universität, wie sich der Geruch von Schokolade auf das Einkaufsverhalten in Buchläden auswirkt. Zahlreiche Zeitungen titelten bereits: „Schokoduft steigert Buchabsatz.“ Laut den Forschern habe der Kakaogeruch tatsächlich dazu geführt, dass der Absatz von Liebesromanen leicht angestiegen ist. Gleichzeitig aber haben die Kunden Krimis und Thriller im Regal stehen gelassen. Aber ge- nau die wären aber das umsatzstärkste Segment im Buchhandel …

Und noch etwas: Vom „Duftmarketing“ könnte auch eine Gefahr für die Gesundheit ausgehen. Nicht jeder verträgt die „Zwangsbeduftung“ in der U-Bahn und im Geschäft. Immer mehr Menschen leiden bereits unter vie- len Umwelteinflüssen, die auf sie hereinstürzen. Die Zahl der Allergiker steigt überall; und es gibt vermehrt Patienten, die bereits unter „Duftaller- gien“ leiden. Ärzte in Deutschland etwa fordern die Unternehmen bereits dazu auf, auf die flächendeckend künstliche „Beduftung“ zu verzichten – oder über „Warnschilder“ zumindest darauf hinzuweisen.

180 Der Dorian Gray aus dem OP: So viel kostet Männerschönheit von Sabina Riedl

Immer mehr Männer werden kompromissloser, was die eigene Schönheit betrifft; sie wählen den Gang zum Schönheitschirurgen, um ihrem Ideal- bild nachzueifern. Ein fragwürdiger Trend, bisher den Frauen vorbehalten; allerdings einer, der der ästhetischen Chirurgie eine neue Einnahmequelle und eine kaufkräftige Kundenschicht beschert.

Es ist eine seltsames Szenario, das sich uns in den Wiener Ringstraßen- Galerien bietet. Man muss zweimal hinsehen, um zu begreifen, dass es junge Männer sind, die da aufgeregt hin und her schwänzeln. Wir filmen bei einem Casting für den „Design Award 2015“. Junge männliche Models, allesamt sehr androgyn, werden gesucht, um junge Mode auf einer Schau zu präsentieren. Dicht gedrängt in der Umkleide eines Shops ziehen sie sich an und aus, die strengen Blicke der ausstellenden Mode- schöpfer scannen unterdessen das „Material“; auf Außenstehende wirkt der Vorgang demütigend, wie eine Art Fleischbeschau, die man sonst nur von weiblichen Schönheitskonkurrenzen kennt. Doch es geht um sehr begehrte, gut bezahlte Jobs auf dem Laufsteg. Dafür muss man sich einiges gefallen lassen. Nur die Schönsten haben eine Chance. Perfektion wird vorausgesetzt.

Selbst kleine Schönheitsfehler gehen nicht mehr durch, erzählt uns das Ex-Model Wolfgang Schwarz. Heute ist er Chef der Agentur „Look Mo- dels International“ und hat selbst ein Model bei dem Casting im Rennen. In seiner aktiven Zeit war er Jetsetter und Liebling der Topmodels Naomi Campbell oder Claudia Schiffer. In seinem Buch „Verkaufte Schönheit“ nimmt er den Schönheitskult aufs Korn. Damals, in den 1980er-Jahren, war er der erste richtige Schönling unter den männlichen Models. Lange seidige Locken, ein feminines Gesicht und das alles von Mutter Na- tur vorgegeben. Vor ihm war der Typ des Naturburschen gefragt – ein Männermodel musste nicht perfekt sein, nur viril. Einige seiner Kollegen modelten sogar trotz Glatze und hatten für ihre Shootings einen Koffer mit Perücken dabei. Mit einem Pepi auf dem Laufsteg? Das wäre heute

181 undenkbar! Aussehen und Auftreten müssen perfekt sein, von den Haa- ren, den Zähnen, dem gestählten Körper ganz zu schweigen. Klar, dass da manch einer versucht wird, mit einer Schönheits-OP nachzuhelfen, um zu einem Job zu kommen.

Natürlich gibt es Charaktere, die glauben, wenn’s nicht klappt, kann man mit ein bisserl Operieren nachhelfen“, plaudert Wolfgang Schwarz aus dem Nähkästchen. „Manche durchaus erfolgreich, manche weniger. Ich kannte einen sehr erfolgreichen Deutschen, dem hat die Agentur die ge- sunden Backenzähne herausgerissen, damit er eingefallenere Wangen hat. Der hat sich das gefallen lassen. Ich würde mir nie einen gesunden Zahn reißen lassen.“„Reich und schön“, wie Micky Rourke oder George Clooney, waren im Fall der Männerschönheit Trendsetter. Kaum ein Promi, der sich nicht wenigstens Zähne, Haare oder sonst was machen hat las- sen. Schön ist nicht mehr schön genug. Auch auf dem „red carpet“ in Hollywood werden die Männer immer straffer und jünger und die Herren der Schöpfung gehen offenherziger mit ihren Schönheits-OPs um – sehr zur Freude der ästhetischen Medizin, die sich über satte Zugewinne durch die männliche Klientel freuen darf.

Die Zahlen belegen diesen Trend. Weltweit wurden letztes Jahr mehr als 23 Millionen Schönheitseingriffe vorgenommen. Fast vier Millionen in den USA, Brasilien folgt mit mehr als zwei Millionen, Mexiko mit 884.000; Deutschland liegt auf Platz vier mit mehr als 654.000 Eingriffen. In Öster- reich sind es geschätzte 65.000. Der Männeranteil ist dabei kontinuier- lich angewachsen und liegt jetzt bei 15 Prozent. Das ist beachtlich, vor allem wenn man bedenkt, dass vor ein paar Jahren noch der Ausspruch der Tante Jolesch „Was a Mann schöner is als a Aff, is a Luxus“ dem Schönheitsanspruch an die Herren der Schöpfung die Latte nicht gerade hoch legte.

Der prominente Schönheitschirurg Artur Worseg verdankt diesem Trend einen Gutteil seiner Einnahmen – und eine prominente Adresse für seine noble Klinik. In der 52. Etage des Wiener DC-Towers erfüllt er auch die ausgefallensten Verschönerungswünsche seiner Klientel – zu 25 Prozent Männer. Ob diese als Kunden anders sind als Frauen, wollen wir wissen? „Männer geben für sich überhaupt mehr aus und schauen weniger aufs Geld“, schildert der Promi-Doktor, „sind aber als Patienten komplizierter

182 als Frauen. Sie fordern mehr, sie sind wehleidiger, sie beschäftigen sich oft viel mehr mit dem, was sie stört, als Frauen, aber das in einem Aus- maß, das schon fast ein wenig psychopathologisch ist. Ja, Männer sind keine einfachen Patienten“, so sein süffisantes Resümee.

Wir erhaschen einen Blick auf das männliche Er- satzteillager: Längliche, runde, mit Gel gefüllte Gefragt: Implantate Beutelchen liegen da vor uns. Artur Worseg für Wade und Bizeps demonstiert, wofür welches Implantat ver- wendet wird. Dabei unterscheiden sich die männlichen Wünsche doch sehr stark von jenen der Frauen. „Typischerweise gefragt sind Waden- implantate, man kann sie auch als Bizepsimplantate verwenden. Was auch sehr gefragt ist, sind Kinnimplantate, um ein energisches Kinn zu bekommen.“ Selten, aber doch polstert er auch männliche Hinterteile mit Popo-Implantaten auf. Und letztens hatte er einen Patienten, der auf ein Schamhügel-Implantat bestand, wohl um sich mehr Volumen in den Schritt zu mogeln. Ob solcher Tollheiten schüttelt selbst Artur Worseg den Kopf. Der letzte Schrei ist übrigens der „geschummelte Waschbrett- bauch“. Ein Bierbauch wird so geschickt mit dem Absaugröhrchen bear- beitet, dass aus dem Fett ein „falscher Sixpack“ herausziseliert wird. Im Internet kursieren die Fotos dieses grotesken Trends. Ein übergewichti- ger Mittfünfziger posiert in der Badehose und zeigt stolz sechs definierte „Krapferln“, die aus seinem Fettwanst hervortreten.

Wer sind die Kunden von Artur Worseg und Co., die sich für viel Geld um- gestalten lassen? „Junge, selbstverliebte Männer“, so der Beauty Doc, „kommen hauptsächlich wegen des Körpers, das sind interessanterweise meistens sehr schöne Männer, die noch schöner werden wollen, die ohnehin im Fitnesscenter schwitzen und alles für einen perfekten Body tun, aber da und dort noch perfekter sein wollen. Das ist die eine Klientel. Die andere sind die älteren Männer, die eine jüngere Freundin haben und dann plötzlich die Panik kriegen und dann eher wegen des Gesichts kom- men, weil das Goderl hängt oder die Unterlider ein bisschen runterhängen, und die dann versuchen, noch etwas besser zu ihrer jungen Freundin oder Frau dazu zu passen.“

Was sind die meistgefragten Eingriffe und was kosten sie? Brustverklei- nerungen gibt es für 4000 Euro, Fettabsaugungen kosten bis 5000 Euro,

183 Penisverlängerungen 7000, Po-Implantate kosten um die 7000 und Wa- denimplantate 4000 Euro. Maria Deutinger, seit Jahrzehnten die Doyenne der Plastischen Chirurgie in Österreich, sieht diesen Trend sehr kritisch. Sie war Primaria für Wiederherstellende Chirurgie in Österreich und hat ihren Job in der Rudolfstiftung vergangenen Sommer an den Nagel ge- hängt, um bei humanitären Einsätzen in Syrien und im Jemen zu operieren. Dort erfüllt der Beruf des plastischen Chirurgen noch seinen ursprüngli- chen Zweck, Patienten nach Unfällen oder entstellenden Krankheiten wiederherzustellen.„Die ästhetische Chirurgie“, sinniert Maria Deutinger, „ist ja von der so genannten Heilbehandlung, wofür wir Ärzte ja eigentlich da sind, ein bisschen weggegangen. Und insofern müssen Leute, die sich ausschließlich mit Schönheitschirurgie befassen, auch schauen, wie sie zu ihrer Klientel kommen.“

Über einen Mangel an Klienten muss sich etwa Niemand stirbt an die „Moser Medical Group“ keine Sorgen ma- einer Glatze, aber ... chen. Karl Moser ist ein Pionier der Eigenhaar- verpflanzung und lässt seit den 1970er-Jahren auf kahlen Häuptern wieder Haare sprießen. Die neue Haarpracht ist für einen seiner Kunden, den Unternehmer Josef Herndlhofer, auch im Job unverzichtbar. Natürlich stirbt niemand an einer Glatze, doch wie sehr je- mand unter schütterem Haar oder Ge heimratsecken leidet, ist eben indivi- duell. „Wenn man sich wohlfühlt“, so der Unternehmer, „und da gehören nun einmal auch die Haare dazu, und man sich von der Optik her selber schön findet, ist das natürlich ein Vorteil. Dadurch hat man schon im Vor- hinein eine positive Ausstrahlung und kann sich natürlich auch besser und selbstsicherer präsentieren.“

Mit der neuen Technik, bei der ein ganzer Haarstreifen vom Hinter- kopf nach vorne verpflanzt wird, bedarf es nur noch einer Sitzung für mehr Haarfülle. Auf Grund dessen hat sich der Kundenstock um 40 Pro- zent vergrößert. Sein erfolgreiches business model fasst Karl Moser wie folgt zusammen: „Durch den Umstand, dass der Mensch immer älter wird, aber nicht älter ausschauen möchte, tut er etwas und das ist gut so.“ Und gibt dabei, ganz nebenbei, ein kleines Vermögen aus. Wayne Rooney ist das vielleicht auffälligste Testimonial für eine Haar- verpflanzung. Zuvor lichtete sich sein Haupthaar von Jahr zu Jahr und für alle sichtbar, heute ist die Haarlinie bis knapp über die Augenbrauen

184 heruntergerutscht und sieht aus wie mit dem Lineal gezogen. Das Ergeb- nis hat den Stürmerstar von Manchester United kolportierte 30.000 Euro gekostet.

Die Mosers meinen, sie hätten das besser hingekriegt. „Für uns ist das Wichtigste ein natürliches Erscheinungsbild, wir legen sehr viel Wert auf eine natürliche Stirnhaargrenze, sodass nicht einmal der Friseur bemerkt, dass eine Behandlung vorgenommen wurde“, erläutert Claudia Moser ihre Philosophie. Im Gegensatz zu Frauen, die eher zu den Eingriffen ste- hen, die sie vornehmen ließen, wollen Männer auf keinen Fall geoutet werden. Eingriffe an Gesicht und am Kopf sind auch von den Kosten her empfindlich: 10.000 Euro kostet eine Haarverpflanzung, 2000 eine Lid- straffung, pro Lid wohlgemerkt, 4500 eine Nasenkorrektur, 2500 eine Ohrenkorrektur, 800 eine Botox-Behandlung, 6500 ein Facelifting; ein Kinnimplantat gibt's ab 2500 und eine Korrektur des Gebisses um rund 10.000 Euro. Letztere liegt ebenfalls voll im Trend.

Bärbel Reistenhofer ist Kieferorthopädin. Früher hat sie hauptsächlich kindliche Gebisse korrigiert. Heute kommen immer öfter Erwachsene, vornehmlich Männer, in ihre Praxis, die sich ein schönes Gebiss wün- schen und dafür tausende Euro ausgeben. Sie war übrigens die erste Zahnärztin, die die unsichtbaren Kunststoff-Zahnregulierungen aus den USA nach Österreich holte. Der Run auf die perfekten Beißerchen und die unsichtbaren Schienen kommt, wie könnte es anders sein, aus Hollywood. Aber auch bei der Korrektur der Zähne kann man übers Ziel schießen, wie prominente Beispiele aus Sport und Showbiz zeigen. „Wichtig ist“, so Bärbel Reistenhofer, „dass man ein Gebiss funktionell in Ordnung bringt und die Medizin nicht vergisst. Man muss gut damit kauen können, aber auch ästhetisch-individuell muss das Gebiss an das Gesicht angepasst werden.“ Zu perfekt und ebenmäßig wirkt unnatürlich und gerät zum ästhetischen Flop, zum „Klaviergebiss“, wie sie es nennt.

Was spiegelt der Kult um die männliche Schönheit über unsere Gesell- schaft? Klar, die sozialen Netzwerke, wie Facebook oder Instagram haben den Narzissmus noch befeuert. Eitle Selfies und selbstverliebte Insze- nierungen sind uns in Fleisch und Blut übergegangen. Schönheit, so der Psychologe Josef Sawetz, bringt in unserer narzisstischen Gesellschaft aber auch handfeste wirtschaftliche Vorteile. Schöne Männer wirken

185 kompetenter, klettern höher in der Hierarchie und verdienen bis zu 15 Pro- zent mehr als Durchschnittstypen. Allerdings: Wer schlecht schummelt, verliert in großem Stil. „Wenn ein Eingriff sehr gut gemacht ist, authen- tisch und echt aussieht, dann kann man sich wirklich Vorteile verschaf- fen“, so Sawetz. „Wenn aber etwas schiefgeht und man merkt es, man sieht, dass es ist eine Fälschung ist, dann geht der Schuss nach hinten los und man verliert als Person unheimlich viel Ansehen.“

Die Kehrseite, gewissermaßen das hässliche Antlitz der Schönheitsmedizin, ist ihr Imageproblem – nicht nur „der große Reibach“ stört, sondern auch, weil sie aus Gesichtern Masken macht, gelegentlich auch entstellt. Das ist dem Fachverbandschef bewusst – und genau dort braucht die ästhe- tische Medizin dringend selbst ein Lifting. „Weniger ist letztlich mehr“, räumt Boris Todoroff vom Fachverband für Ästhetische Chirurgie ein. „Was unbedingt vermieden werden sollte, sind diese unnatürlich deformierten Gesichter, wie man sie leider immer wieder hauptsächlich bei Prominenten jenseits des großen Teiches sieht.“ Das „Männer-Casting“ ist inzwischen zu Ende gegangen. Gewinner und Verlierer stehen fest, Freude und Enttäu- schung bei den Teilnehmern. Ja, die Konkurrenz sei viel härter geworden, berichtet ein hübscher Jüngling, der offenbar nicht schön genug war. Ein anderer meint, ihm wurde erst unlängst bei den Pariser Schauen gesagt, er sei „zu alt“ für die Shows – dabei sei er erst 23 Jahre alt.

Für Frauen ist die Unerbittlichkeit, ja der Terror des Schönheitswahns und seiner angeschlossenen Industrie nichts Neues, wie es scheint, hat er jetzt auch auf die Männer übergegriffen. Das Verfallsdatum schöner Männer ist auf jenes schöner Frauen gesunken. Somit sollte jetzt die Warnung an alle ergehen: Das Streben nach Schönheit kann Ihre seelische und körperliche Gesundheit gefährden.

186 Zwentendorf: Der Weg von der „Ruine“ zur „Location“ von Werner Jambor

Willkommen in Zwentendorf: Marktgemeinde bei Tulln, Atomkraftwerk außer Dienst, Streitobjekt, Industriedenkmal, Museum, heute Trainings- gelände, Film-Location, Sonnenkraftwerk. Aber eines nach dem anderen. Zwentendorf ist ein Statement gegen das geworden, wofür es ursprüng- lich geplant war: Atomkraft. Erfreulicherweise spielt das 38 Jahre alte Denkmal genug Geld ein, um seine Erhaltungskosten zu decken.

Der gute Geist hinter dieser erfolgreichen „Belebung“ heißt Stefan Zach. Er ist der Pressesprecher des Energieversorgers EVN, dem heutigen Ei- gentümer des AKW Zwentendorf steht seit 1978 für „Österreichs Ausstieg aus der Atomenergie“. Bei einer Volksabstimmung votierte, eine hauch- dünne Mehrheit von 50,47 Prozent gegen die Inbetriebnahme eines be- reits vollständig fertig gestellten Kernkraftwerkes. Bundeskanzler Bruno Kreisky hatte Zwentendorf „zur Chefsache“ gemacht – und mit seinem Rücktritt gedroht, sollte das Atomkraftwerk nicht in Betrieb gehen. Mit dem „Nein“ zur „friedlichen Nutzung der Atomkraft“ wurde eine Investi- tion von, nach heutigem Wert, 378 Millionen Euro praktisch über Nacht in den Sand gesetzt. Sogar die Brennstäbe waren bereits geliefert worden … Sie blieben ebenso im Lande, wie Kreisky Bundeskanzler blieb.

Die Silhouette der „größten Investitionsruine Österreichs“ taugte sehr lange nur als „Denkmal für den Atomausstieg“. Alle Pläne für eine sinn- volle Nachnutzung scheiterten. Friedensreich Hundertwasser wollte den Standort mit einem „Museum der fehlgeleitenden Technologien“ besee- len; die Wiederbelebung als Erlebnisbad; eine Gasturbine sollte installiert werden; und ein Herr namens Udo Proksch sorgte mit einem Plan für „ei- nen Friedhof der senkrecht Bestatteten“ auch nur noch für Kopfschütteln.

„Konservierungsbetrieb“ nannte man die Aufrechterhaltung der höchst aufwändigen Infrastruktur. Erst 2005 kam die Wende. Die EVN übernahm den Standort in der Absicht, wenigstens die Betriebskosten von jährlich mehr als 350.000 Euro durch Einnahmen zu decken, und errichtete zunächst

187 eine Photovoltaik-Anlage auf dem Gelände. Das Sonnenkraftwerk liefert Strom für 100 Haushalte und wurde als Bürgerbeteiligungsprojekt angelegt: 1300 dieser Paneele hat die EVN um je 300 Euro pro Stück an Konsumen- tInnen aus der Umgebung verkauft, die am Gewinn beteiligt wurden.

Aber: Zwentendorf wurde bald zum Anziehungs- Ein Musikfestival punkt für „Open Air“-Veranstaltungen – immer als „Statement“ mit dem Anspruch, den Ort auch gezielt als Sta- tement gegen die Atomkraft einzusetzen. Das jährliche „Tomorrow“-Musikfestival ist ein Fixpunkt in der Musikszene geworden. Der Veranstalter, „Global 2000“, wirbt mit Zwentendorf „gegen Atommülllager“ an unseren Grenzen.

Die regelmäßige Wartung und Nutzung der AKW-Infrastruktur ist wichtig. Vor allem, weil es gilt, den Standort für den Nachnutzer EVN zu erhalten. Die Lage mitten in der Au, direkt an der Donau, ist einzigartig und würde heute nicht mehr für eine industrielle Nutzung zugelassen werden.

Nach und nach wurde auch das Innenleben des weithin sichtbaren Kraft- werksblockes einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ein brach- liegendes und strahlungsfreies Atomkraftwerk mit über 1000 Räumen und einzigartigen technischen Einrichtungen ist eine Attraktion, die man allen zeigen kann und will. Bei Führungen wird der oft gespenstisch an- mutende Apparat sichtbar. Allein die Sicherheitseinrichtungen mit Um- kleideräumen für Spezialausrüstungen, die Schleusen und Schwellen und die unzähligen Wegweiser und Piktogramme, die vor allem Gefahren auf- zeigen.

Der Betonbunker mit funktionsfähiger Kraftwerkstechnik wird immer be- liebter für Führungen, Veranstaltungen und Sicherheitstrainings. Heute ist „good old Zwentendorf“ an 250 Tagen im Jahr gebucht. Nur von Jänner bis März ist winterbedingt geschlossen. Neben Schulklassen und Privat- personen, die an Freitagen auch kostenlos Zutritt ins AKW erhalten, kom- men vor allem Techniker und Kraftwerks-MitarbeiterInnen aus der ganzen Welt ins Tullnerfeld.

Seit der Kraftwerkkatastrophe im japanischen Fukushima boomt auch das Geschäft mit dem Rückbau von Atomkraftwerken. Das stillgelegte AKW

188 Zwentendorf ist heute weltweit die erste Adresse für Trockentrainings unter „nicht radioaktiven Bedingungen“.

Das verhinderte Atomkraftwerk war auch ohne Brennstäbe lange schlecht bestrahlt. Heute hat diese Kulisse viel positive Strahlkraft und liefert auch ideale Bedingungen für Filme, die im Kraftwerks- und Industriemilieu spie- len. In der französisch-österreichischen Koproduktion „Grand Central“ nutzte die Regisseurin Rebecca Zlotowski die gespenstische Stimmung im Kraftwerk als Kulisse für einen Reaktor-Störfall.

Eine Location wie diese ist einzigartig, weil sie praktisch originalgetreu da steht. Ihr Nachbau wäre technisch und wirtschaftlich unmöglich. Einträg- liche Tagesmieten von 10.000 Euro und mehr sind für Filmschauplätze wie diese durchaus üblich. Umso mehr, als Österreich ein begehrtes Land für realistische Kulissen ist. Die Außenaufnahmen für „Grand Central“ wur- den wieder in Frankreich gemacht. Denn dort sehen Atomkraftwerke von außen aus wie überdimensionale helle Rauchfänge.

Auch für den deutschen Fernsehfilm „Restrisiko“ wurde in Zwenten- dorf gedreht. Ausgerechnet bei seinem Erscheinen verschärfte sich in Deutschland die Debatte um die Laufzeit-Verlängerung von Kernkraftwer- ken. Auch Werbefilm-Projekte wurden in Zwentendorf verwirklicht, etwa ein TV-Spot für die Österreichische Post. Er wurde sogar mit dem Staats- preis für Werbung ausgezeichnet und war auch in Cannes erfolgreich. Das „Milieu“ war in diesem Fall nicht Atomkraft, sondern eine futuristische Warte mit vielen Bildschirmen und Kontrolllampen.

Neben den technischen Hot Spots im AKW außer Dienst werden auch die riesigen Hallen und Gänge im Objekt für Events genutzt. Auch hier ist Zwentendorf schon eine bekannte Adresse für ein internationales Publikum, die neutral oder gezielt bespielt werden kann. Derzeit sind die Betriebskosten durch Einnahmen von jährlich rund 400.000 Euro im Jahr mehr als gedeckt; und der Marktwert steigt. Man stelle sich vor, dass hier einmal eine James-Bond-Verfolgungsjagd gedreht wird. Wer hätte sich das gedacht. Das AKW Zwentendorf ist auf dem besten Weg zur Cash- Cow. Nur eben anders als gedacht. Und alles völlig strahlenfrei.

189 Große Worte – gelassen ausgesprochen gesammelt von Günther Kogler

„Die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist nicht schlecht – sie ist sehr schlecht.“ AMS-Vorstand Johannes Kopf über Dinge, die die Politik nicht hören will.

„Die Muppet-Show ist nicht mein Lebensziel.“ Zehn Jahre Schweigen – der frühere ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch will noch immer nichts zur aktuellen Politik sagen.

„Wir waren die Partyschrecks.“ OeNB-Vizegouverneur Andreas Ittner im Hypo-U-Ausschuss über das Selbstverständnis der Kontrollore aus der Nationalbank. Bedauerlicherweise sind in Klagenfurt die Partys weitergegangen.

„Mir wurde schon etwas schlecht, welche Kredite hier vergeben wurden. Die Prognoseberechnungen waren das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt waren.“ Finanzmarktaufsicht-Prüfer Johann Schantl erzählt im Hypo-U- Ausschuss aus dem Nähkästchen.

„Weil es in Österreich nicht verboten ist, schlechte Geschäfte zu machen oder Blankokredite zu vergeben.“ Die frühere Hypo-Staatskommissärin Monika Hutter weiß wenigstens jetzt, warum das Geschäftsmodell Hypo Alpe-Adria scheitern musste.

„Es muss nicht alles so wie in Kärnten enden.“ IV-Generalsekretär Christoph Neumayer malt den Super-Gau an die Wand – wenn die Bundesregierung nicht gegensteuern sollte.

„Ich habe seit meiner Amtsübernahme das Büßergewand nicht ausgezogen.“ Alle für einen, einer für alle – oder: Warum Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) die ortsübliche Hypo-Bekleidung nicht mehr tragen will.

190 Wir sind Weltmeister – und viele wissen davon gar nichts von Mag. Bernadette Ritter

196 Staaten gibt es auf dieser Welt. Österreich liegt – gemessen an den Einwohnern – auf Platz 94. Laut Bruttoinlandsprodukt aber ist unser Land das zwölftreichste der Erde. Und überhaupt: Die Bundeshauptstadt Wien ist im letzten Jahr erneut zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt worden. Die Alpenrepublik kann sich und ihre Leistungen international also sehen lassen. Vor allem unsere Betriebe.

Denn da gibt es noch eine Rubrik. Eine Rubrik, in der wir vielen eine Nasen länge voraus sind. Eine Rubrik, in der wir Österreicher heller strah- len als andere Länder. Eine Rubrik, die uns einen besonderen Titel verleiht: den Weltmeistertitel! Wer nun an Fußball oder den Schizirkus denkt, irrt. Österreichs Unternehmen sind es, die in vielen Branchen und Sparten weltmeisterlich sind. Über die gesamte Alpenrepublik verteilt findet man in jedem Bundesland zumindest einen Weltmeister. Soll heißen: ein Un- ternehmen, das mit seinem Produkt die höchsten Marktanteile weltweit erzielt. „Made in Austria“ nirgendwo anders so viel wie bei uns.

Sie sind skeptisch? Wer an österreichische Exporte denkt, die auf der in- ternationalen Wirtschaftsbühne eine Rolle spielen, vor dessen geistigen Auge taucht höchstwahrscheinlich bestenfalls eine Red-Bull-Dose auf. Gut, wer die Gattin zu Weihnachten mit funkelndem Kristallglas beschenkt hat, dem kommt vielleicht noch Swarovski in den Sinn. Die großen Kapa- zunder sind also offensichtlich. Doch Österreich hat mehr zu bieten. Ich nehme Sie mit auf eine Reise. Eine Reise, die Ihnen die versteckten Super- stars unseres Landes zeigt. Sie werden staunen.

Wir sind am Rande des Wienerwalds in dem 9000-Seelen-Ort Berndorf. Der große Bär, das Firmenwappen, lässt viele an Besteck denken. Das Tafelsilber hat die Niederösterreicher bekannt gemacht. Weltmeister wur- den sie aber mit einem anderen Produkt. Dabei wird noch immer Metall bearbeitet. Bei „Berndorf Band“ produzieren 250 Mitarbeiter Endlos- Metallbänder, ohne die unser Alltag nicht möglich wäre. Jedes Smart-

191 phone, jeder Bürotisch und auch jedes Stück Keks braucht die superdün- nen Metallbänder, um hergestellt oder zumindest über sie befördert zu werden.

Eine Branche setzt besonders auf das techno- „Berndorf Band“ sagt logische Know-How der Niederösterreicher: Die Ihnen nichts? Ein Fehler gesamte Formel eins testet ihre Rennboliden auf Berndorf-Bändern. Dabei dienen die Metall- giganten, in einer Endlosschleife aufgebaut, als „kilometerlange“ Test- strecken. „Die Nummer eins zu sein kann auch Nachteile haben“, erzählt uns CEO Herbert Schweiger. „Wir hatten einen jahrelangen Patentstreit mit einem asiatischen Konkurrenten. Das war wirklich dreist. Bei einer öffentlichen Führung durch unser Werk wurden unsere Maschinen und Technologien heimlich abfotografiert und dann in China nachgebaut. Wir haben geklagt und den Prozess gewonnen. Die Kopie ist eben nur halb so gut wie das Original. Aber seitdem sind wir vorsichtiger geworden.“

Sprach’s und drückt uns den Zettel mit der Geheimhaltungsvereinbarung in die Hand. Wir unterschreiben brav. Und dürfen klarerweise auch nicht alles filmen. Aber einen Einblick in die Arbeit dieses Technologieführers erhalten wir dennoch. „Berndorf Band“ gehört zum Konzern der Berndorf AG. Dazu zählen über 60 Tochter- und Beteiligungsgesellschaften, die rund 2500 Mitarbeiter in mehr als 20 Ländern weltweit beschäftigen. Allein mit den Mega-Metallbändern macht man jährlich 100 Millionen Euro Umsatz. Man hat es mit einem Nischenprodukt geschafft, den Markt weltweit anzuführen.

Als Marilyn Monroe seinerzeit John F. Kennedy Ein Ständchen brachte zum Geburtstag ihr unanständiges Ständchen den Durchbruch hauchte, freute das (vermuten wir) nicht nur den US-Präsidenten. Das Kleid des Weltstars war mit einem Weltmeisterprodukt aus Tirol geschmückt. Tausend kleine Swarovski-Steinchen funkelten auf der verführerischen Robe. Der Auftritt brachte Kennedys Ehefrau Jacky zur Raserei – und den Hersteller der Glitzerwelt an die Spitze. Mittlerweile ist das Familienunternehmen aus Wattens nicht mehr vom Weltmarkt wegzudenken. So gesehen hatte das laszive „Happy birthday, Mr. President“ also gleich in mehrfacher Hinsicht ungeahnte Folgen …

192 Mit einer einzigartigen Schleiftechnik hat es das Tiroler Traditionsunter- nehmen Swarovski in der Zwischenzeit zum führenden Hersteller bei Kris- tallglas geschafft. Bei Swarovski glitzern aber nicht nur die Steine, sondern auch die Bilanzen. Mit rund 2,3 Milliarden Euro Umsatz allein im Bereich des Kristallglases hat der Tiroler Weltmeister erreicht, kon- kurrenzlos auf dem Weltmarkt aufzutreten. Von Argentinien bis in die arabischen Emirate reicht das Vertriebsnetz. In 170 Ländern auf dem Globus kann man die funkelnden Steinchen kaufen. Es ist kein einfaches Geschäft; vor allem eines, das starken (Nachfrage-)Schwankungen un- terworfen ist.

Schon das Vereinbaren eines „Interview- termins“ ist eine Herausforderung. Mit einem Ein Stier fliegt freundlichen, aber bestimmten „Herr Mateschitz um die Welt gibt seit über 20 Jahren keine Fernsehinter- views und das wird sich auch jetzt nicht ändern“, wird unser Wunsch nach einem Gespräch mit dem Dosenmilliardär ausgeschlagen. Nicht zum ersten Mal; „ECO“ stand schon ein paar Dutzend Mal auf der Rückruf- liste. Aber: No way …Dietrich Mateschitz kann es sich leisten, zurückge- zogen zu leben: Sein aufputschendes Getränk ist der meistverkaufte Ener- gydrink der Welt, sein Erfinder mit geschätzten 8,4 Milliarden Dollar Vermögen der reichste Mann Österreichs. „Red Bull“ und Dietrich Mate- schitz legten im Jahr 1987 mit dem Verkauf der ersten Dose in Österreich den Grundstein für eine Erfolgsgeschichte, die bis heute ihresgleichen sucht. 50 Milliarden Dosen wurden seither konsumiert. Mittlerweile wird der Saft, der zumindest seinem Hersteller Superkräfte verleiht, in alle Länder dieser Welt verkauft. Doch nicht die Inhaltsstoffe der Brause ma- chen „Red Bull“ zum Weltmarktführer. Eine ausgeklügelte Marketing- strategie ist es, die die Marke zur drittwertvollsten Getränkemarke der Welt macht. Wohlgemerkt: „Red Bull“ gibt jährlich mehr fürs Marketing aus als die stärkste Marke der Welt überhaupt: Und das ist immerhin Apple. „Am Anfang hat das Zeug niemandem geschmeckt. Es war viel zu süß und viel zu teuer und alle haben uns gesagt, dass es keinen Markt für Energydrinks gibt“, erzählt uns Marketingchef Manfred Hückel, der als „rechte Hand“ von Didi Mateschitz dann doch für ein Interview zur Ver- fügung stand. Sechs Milliarden Dosen werden zur Zeit pro Jahr verkauft. Auf die Frage, warum der Chef denn so medienscheu ist, bekommen wir eine überraschende Antwort: „Wir geben generell als Konzern gar

193 Ein Löschangriff aus Österreich: Die Leondinger „Flughafen-Feuerwehr“ Foto: „Rosenbauer AG“

keine Interviews. Das ist auch mein erstes Interview, seit ich bei ,Red Bull‘ arbeite. Mich wundert, dass der Chef dazu überhaupt ja ge- sagt hat. Sowas hat’s noch nie gegeben.“ Vielen Dank, Herr Mateschitz – und happy Brause.

Egal, ob der Burj Khalifa in Dubai, das BMW- Es leuchtet so schön Werk in Berlin oder der Wiener Flughafen-Ter- aus dem „Ländle“ minal Skylink: Die Beleuchtung stammt immer aus dem Ländle. Die „Zumtobel Group“ ist füh- render internationaler Anbieter von hochinnovativen Lichtlösungen. Von Dornbirn aus überflügelt der Vorarlberger Weltmeister durch Entwicklung, Herstellung und den Vertrieb komplexer Lichttechniken die globale Kon- kurrenz in der Lichtindustrie. Mit mittlerweile 14 Produktionsstandorten auf vier Kontinenten wuchs der börsennotierte Konzern seit seiner Grün- dung vor 100 Jahren zum „Global Player“, der den Weltmarkt von Vorarl- berg aus dominiert. Dabei war die Absturzgefahr zwischendurch enorm; fast hätte „Zumtobel“ die LED-Revolution verschlafen. Gerade noch … Wie man den Weltmarkt erobert, verrät uns CEO Ulrich Schumacher: „Wir mussten eine so genannte Dreimarkenstrategie fahren. Deshalb haben wir uns mit zwei anderen Herstellern zusammengeschlossen und bieten jetzt gemeinsam mit den beiden anderen Firmen – Tridonic und Thorn – ein so umfangreiches Angebot, wie es keiner unserer Konkurrenten hat.“

194 Er lächelt und fügt hinzu: „Für den Otto Normalverbraucher ist es nur Licht. Wir wissen, welche Innovationskraft und welches Know-How da- hinterstecken müssen, damit sich das für den Konsumenten so selbstver- ständlich anfühlt.“

Ob Lippenstift, Anti-Aging-Creme oder After- Shave-Balsam – seine Kunden sind die größten Was das Burgenland Kosmetikkonzerne der Welt. Mit 99,9 Prozent so anziehend macht Exportquote ist der burgenländische Weltmeis- ter Mareto mit Sitz in Parndorf der größte Hersteller von Kunststofftuben für die kosmetische und pharmazeutische Industrie. Die „Mareto GmbH“ erzeugt Lippen-, Lippenpflegestifte und andere Schönheitstübchen auf modernsten Produktions- und Druckanlagen. Gemeinsam mit der Konzern- mutter „Tupack“ produzieren, forschen und entwickeln 1100 Mitarbeiter in den Werken in Wien und Parndorf. Die Weltmeisterstrategie klingt sonderbar: keine Patentanmeldungen. „Wenn Sie sich etwas patentieren lassen wollen, dann müssen sie alles offenlegen und halten es somit der Konkurrenz direkt vor die Nase. Wir behalten unser Know-How lieber hier im Haus als beim Patentamt.“ Vor allem der Standort im Burgendland hat einen besonderen Stellenwert beim Eigentümer des Familienunterneh- mens, Thomas Reisner. „Anfangs hatten wir 70 Mitarbeiter, heute sind es hier 550." Umsatzzahlen gibt der burgenländische World-Champion übri- gens nicht bekannt. Nur soviel: „Wenn ich in den USA bin, dann heißt es immer: Der Rolls-Royce der Tubenindustrie ist da. Das freut einen dann schon sehr.“

„Als ich das Unternehmen von meinem Vater übernommen habe, wurde mir von einem ver- Ein Grazer bringt den meintlichen Experten erklärt, dass wir am Ende Weltmarkt auf Touren der Entwicklung des Verbrennungsmotors ange- kommen sind. Das hat mich sehr verunsichert“, schmunzelt Helmut List. Der Chef des Grazer Konzerns hat zu Recht gut lachen. Unter seiner Füh- rung stieg das Unternehmen in weltmeisterliche Sphären auf. Mit 400 Mit- arbeitern übernahm der Diplomingenieur für Maschinenbau den elterlichen Betrieb –mittlerweile sind 7500 AVLler beschäftigt. Schon die ersten Dieselmotoren wurden bei dem steirischen Weltmeister produziert. Heute ist „AVL List“ Weltmarktführer bei der Entwicklung von Antriebssyste- men. Egal, ob Verbrennungsmotoren oder Hybridfahrzeuge: Der Schlüssel

195 zum Erfolg des Motorenentwicklers ist immer derselbe – Innovation und Technik. Mit 90 erteilten Patenten und registrierten Gebrauchsmustern ist „AVL List“ die Nummer eins in der Liste der Erfinder in Österreich. Über eine Milliarde Euro Umsatz jährlich machen „AVL List“ nicht nur zu einem der erfolgreichsten Unternehmen Österreichs, sondern auch zum führen- den „Global Player“ der Motorenentwickler. Wir fragen Helmut List, wel- ches Geheimnis er uns niemals verraten würde. „Das größte Geheimnis sind die Geheimnisse unserer Kunden“, erwidert er. Ob er damit darauf anspielt, dass AVL – hinter vorgehaltener Hand – für fast alle Rennställe der Formel eins fertigt? Das bleibt offen. Auch welche Rolle das steirische Unternehmen im Abgasskandal um den VW-Konzern spielte; niemand auf der Welt weiß genauer Bescheid darüber, wieviel Stickoxyd und wieviel Kohlendioxyd den Auspuff verlassen, als AVL. Der Grazer Weltmeister weiß eben: Reden ist Silber, Schweigen bringt Geld.

Begonnen hat alles mit Draht und Nägeln in Heugabeln für die Welt: einem kleinen Betrieb in Wolfsberg im Jahr Ein Champ aus Kärnten 1755. Mittlerweile spielt das Kärntner Familien- unternehmen „Offner“ in der Werkzeugindustrie auf dem Weltmarkt mit. Mit der Erzeugung von Landwirtschaftsgeräten. Das Erfolgsprodukt des Weltmeisters: Heugabeln. Mit über 90 Prozent Exportanteil und über drei Millionen verkauften Gabeln jährlich wird von Japan bis Mexiko in nahezu jeder Agrarindustrie ein Produkt aus Kärnten zu finden sein.

Johann Offner hat den Familienbetrieb in achter Generation übernommen. Er erzählt uns bei der Führung durch das Werk, vorbei an bis zu 1000 Grad heißen Öfen, wie es gelingen kann, mit einfachen Mist- und Heugabeln den Weltmarkt zu erobern. „Wir treten im Ausland nicht unter unserem eigenen Namen auf. Das heißt, wir produzieren im Prinzip auch für die Konkurrenz. Unser eigentliches Credo ist aber die Qualität. Wissen Sie, wenn man als Bauer irgendwo in den Bergen die Ernte einholen will, einen Fußmarsch von mehreren Stunden hinter sich hat und dann bricht die Ga- bel, das ist eine Katastrophe. Nicht nur für den Bauern, sondern auch für uns, weil wir diesen Kunden für ewig verloren haben. Das können wir uns nicht leisten.“ Ja, man muss sich schon in seine Kundschaft hinein denken können, um ein „Weltmeister“ zu werden; ein Champ aus Österreich, der auch mit einem ganz alltäglichen Produkt reüssiert.

196 Der weltgrößte Exporteur von Feuerwehrfahr- zeugen produziert in Oberösterreich: die Rosen- Immer wenn’s brennt, bauer AG. Die rund 350 Mitarbeiter fertigen im kommt Rosenbauer Werk in Leonding für den Weltmarkt alles, was Brände bekämpfen kann: Standardlöschfahrzeuge ebenso wie Spezialfahr- zeuge etwa für Flughafen-Feuerwachen. Vor allem im letzten Geschäfts- jahr erreichte der börsennotierte Feuerwehrausrüster einen neuen Spitzenwert beim Auftragseingang. Das bescherte dem oberösterreichi- schen Weltmeister ein sechsprozentiges Plus und in Summe 785 Millionen Euro Umsatz. Zur Umsatzsteigerung hätten „vor allem die US-amerikani- schen Fertigungen sowie die Gesellschaften in Spanien und Singapur“ beigetragen, so Rosenbauer-CEO Dieter Siegel.

„Sprechen, anstecken, senden und fertig.“ Mit diesem Slogan hat der Wiener Weltmeister die High-Tech statt Konkurrenz überflügelt. „Speech Processing „Bitte zum Diktat …“ Solutions“ entwickelt Diktiergeräte. Die Hard- ware stammt von der ehemaligen Konzernmutter Philipps. Die Software aber ist das Weltmeisterprodukt. Denn kein anderer Anbieter schafft es, so schnell und effizient das Gesprochene zu Papier zu bringen. Mit- tels einer App wird in Sekundenschnelle das gesprochene Wort an die Sekretärin (oder ein externes Schreibcenter) gesendet, die sofort mit dem Tippen beginnen kann. „Eine enorme Zeitersparnis für uns“, atmet Anwalt Thomas Angermair auf. „Früher haben wir noch auf Diktierkassetten ge- sprochen, die dann teilweise verloren gegangen sind oder die sich nicht abspielen haben lassen. Das gehört jetzt der Vergangenheit an.“ CEO des Wiener Weltmeisters ist Thomas Brauner. Er ist sich bewusst, dass er den Weltmarkt mit einem Nischenprodukt erobert hat. „Der Dokumenta- tionsbedarf steigt in allen Branchen, wir haben uns einen kleinen Markt zunutze gemacht, der täglich wächst.“

197 Die AutorInnen des ORF-Teiles

Angelika Christine Ahrens Geboren: 24. 3. 1972 in Salzburg, aufgewachsen in Freilassing/Deutschland Schulbildung: Abitur am Rottmayr-Gymnasium Laufen (Abschluss 1991) Bis 1994 Sparkasse Berchtesgadener Land, parallel dazu eine TV/ Radioausbildung; 1994 Brokerbüro Hornblower Fischer New York; 1994–96 Studium an der Europäischen Journalismus Akademie, Donauuniversität Krems (Master of Advanced Studies, Journalism in Print, Radio and Television). Ab 1995 für den ORF (Österreicher Rundfunk) unterwegs zunächst als Volontärin im Aktuellen Dienst Niederösterreich. Ab 2001 Moderation und Gestaltung der Börsenleiste in der »ZiB 13 Uhr«, TV-Beiträge in der »ZiB 1«, »ZiB 2« und „ECO“ sowie seit 2002 Moderation des Wirtschaftsmagazins „ECO“

Mag. Bettina Fink Geboren in Bregenz, Vorarlberg seit 2000: Redakteurin beim Wirtschaftsmagazin „ECO“, zuvor bei der Zeit im Bild 1994–2000: ORF-Landesstudio Vorarlberg, Chefin vom Dienst für die Sendung »Vorarlberg heute«. 1993–94: Freie Journalistin in Berlin. Ständige freie Mitarbeiterin der Tageszeitung »taz«, Kulturberichte für »Die Welt«, Hörfunk-Beiträge für den »Sender Freies Berlin« 1990–93: »Energieinstitut Vorarlberg«, Projektleiterin für Öffentlichkeitsarbeit in der Non-Profit-Organisation. 1989–90: »Vorarlberger Nachrichten«, Bregenz, Redakteurin in den Bereichen Lokales, Kultur und Wirtschaft Studium der Germanistik, Publizistik und Kommunikations- wissenschaften an den Universitäten Salzburg bzw. Innsbruck

Hans Hrabal geb. 19. 9. 1964 Seit Sommer 2010 Redakteur beim Wirtschaftsmagazin „ECO“, ORF 2004–10 Leiter Business Development Neue Medien, ORF 2000–04 Projektleiter Fernsehdigitalisierung, 1998–2000 Redakteur für Konsumentenschutz- und Bürgerservice- Themen beim Vorabendmagazin Willkommen Österreich, ORF 1992–98 Redakteur Wir Bürgerservice, ORF 1988–92 Freier Journalist für TREND, PROFIL, WIENER, Ö3 Studium der Politikwissenschaft und Handelswissenschaft in Wien. Post Graduate-Studien in Washington D.C., Bologna und Berlin

198 Werner Jambor Geboren am 3. Dezember 1958 in Wien Buchhändler, Film- und Fernsehschaffender seit 1982 in den Bereichen Kultur, Wissenschaft, Dokumentation, TV-Magazine und Servicesendungen im ORF tätig seit 1990 auch Produzent internationaler Imagevideos ebenfalls Autor für Kultur-, Wissenschafts- und Wirtschaftsbeiträge in unterschiedlichen Broschüren

Günther Kogler geb. 1956 in Übelbach in der Steiermark; Matura in Graz; Computerausbildung Systemprogrammierer; seit 1982 verheiratet, zwei Kinder 1976 Freier Mitarbeiter »Kleine Zeitung«, 1979 Redakteur für Innenpolitik 1988 Leiter der Lokalredaktion »Kleine Zeitung«, Graz 1989 ORF-Landesstudio Steiermark 1994 ORF Wien, Politikmagazin »Der Report« seit 1998 Vortrags- und Prüfungstätigkeit im Rahmen des »Medienkundlichen Lehrganges« an der Universität Graz 2001 Sendungsverantwortlicher »TV- Diskussionen« seit 2010 stv. Sendungsverantwortlicher „ECO“ Hobbys: Neugier, Architektur, steirischer Weißwein, Flugmaschinen aller Art

Katinka Nowotny Eine gute Portion Neugier, ein wohlwollend kritischer Zugang und Respekt für die Menschen – all das ist mir als Journalistin wichtig. Seit knapp drei Jahren bin ich nun bei „ECO“. Mit Schwerpunkt auf Banken, Versicherungen und Geldanlage. Nicht immer ist es leicht, Wirtschaft verständlich darzustellen. Welche Bilder zeigt man zum Beispiel für »niedrige Zinsen«? All das sind spannende Herausforderungen für uns Wirtschaftsjournalisten. Davor viele Jahre lang als Auslandsjournalistin fürs »Weltjournal« in der ganzen Welt unterwegs: in Nordkorea, Sarajevo oder in New York nach 9/11. 20 Jahre lang habe ich auch für CNN World Report über Österreich berichtet und war dabei das Gesicht aus Österreich. Zahlreiche Journalistenpreise; verheiratet; zwei Kinder und eine begeisterte Ruderin.

199 Die AutorInnen des ORF-Teiles

Sabina Riedl Geboren am 14. 5. 1965 in Wien Aufgewachsen in den USA, in Chapel Hill, North Carolina. 1976–83 Gymnasium in Wien 19, Gymnasiumstraße Ab 1984 Studium am Institut für Übersetzer- und Dolmetscherausbildung / Englisch und Italienisch Seit 1987 Redakteurin im ORF 1998 Staatspreis für Wissenschaftspublizistik für die Dokumentation »Der kleine Unterschied«, ein Feature über Geschlechtsunterschiede in der Sendereihe Modern Times Spezial Seit 1999 als Redakteurin für das Wirtschaftsmagazin „ECO“ im Dauereinsatz Sie ist Mutter einer 15-jährigen Tochter und frönt privat dem Boxsport, Reisen, Kinofilmen, Rockmusik und dem Gitarrespielen.

Mag. Bernadette Ritter Geboren am 6. 12. 1987 in Salzburg Studium der Rechtswissenschaften Gerichtsjahr am BG Meidling/LG Salzburg ORF-Praktika in den Redaktionen »Bürgeranwalt« und „ECO“ Seit 2014: Redakteurin für „ECO“ Hobbys: Bikram Yoga, gutes Essen, Tauchen, Reisen

Mag. Hans Tesch Sendungsverantwortlicher Wirtschaftsmagazin „ECO“. Geboren 1955 in Horitschon, Burgenland; Absolvent der Wirtschaftsuni Wien, Betriebswirtschaft. Journalist mit Leib und Seele. 1979 Freier Mitarbeiter der Zeit-im-Bild-Redaktion, dabei beim Start des Wirtschaftsmagazins „Schilling“. Dann Redakteur und Chefredakteur im ORF-Landesstudio Burgenland. Ab 2010 Leiter des TV-Magazins „ECO“. Sachbuchautor von „So mache ich mich selbstständig“, „Sicher selbstständig“ und „Bauen, kaufen, finanzieren“ im Wirtschaftsverlag Ueberreuter. Projektentwickler und Studienautor. Initiator und Verfasser des „Reise- und Erlebnisführers Mittelburgenland“. Hat als ehrenamtlicher Obmann des Franz-Liszt-Vereines am Wohnort Raiding die Basis für den Bau des Konzerthauses und den heute hochkarätigen Konzertbetrieb geschaffen. Betreiber von www.raiding.at – Liszt and more. „Liest“ gerne Hörbücher und „studiert“ gerne Weinjahrgänge

200 Hans Wu Geboren am 28. 11. 1969 in Wien Sohn von Liu Lee-Chun, Landwirtin, und DI Dr. Wu Zun-Ho, Landwirt 1980–88 BRG XXI Ödenburgerstraße in 1210 Wien 1988–95 Studium der Geschichte an der Uni Wien 1991–2000 Redakteur/Gestalter beim ORF. 2002 Application Research Manager und Trendscout beim Mobilfunkbetreiber ONE GmbH 2003 Produktentwickler beim Mobilfunk-Serviceentwickler Connovation GmbH 2003–07 Produktmanager bei ORF Online 2007–09 Redakteur bei der ORF-Sendung »Wie bitte?« (Alle Porträtfotos der Seiten 2009 Wechsel zur ORF-Wirtschaftssendung „ECO“ 198 bis 201: Hans Leitner/ORF)

Große Worte – gelassen ausgesprochen gesammelt von Günther Kogler

„Die Steuerreform, wie sie derzeit vorliegt, ist ein Schas.“ Der Salzburg Unternehmer Nick Kraguljac ist beim ÖVP- Bundesparteitag auch nicht so richtig von den Neuerungen der „größten Steuerreform aller Zeiten“ überzeugt.

„Es kann doch nicht Schwarzarbeit oder Betrug ein Geschäftsmodell sein.“ Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) wirbt bei seinen Mitgliedern um Registrierkassenpflicht und verstärkte Steuerbetrugsbekämpfung.

„Einer bestellt, der andere zahlt – das muss aufhören.“ Es hat nur neun Monate gedauert, bis Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) das System des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern durchblickt hat.

„Das hat die Regierung wirklich versemmelt.“ Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) über die PR-Arbeit seiner Regierung in Sachen Steuerreform.

201 Boris Marte

Michael Sedlak

Gerold Permoser

Rainer Singer

202 Katja Fries

Alfred Paleczny

Franz Gschiegl

203 DAS LANGSAME ENDE DES BANKGEHEIMNISSES – WAS BEDEUTET DAS FÜR KUNDEN? MICHAEL SEDLAK

Bankenpaket: Kontenregister- und Konteneinschaugesetz

Durch das Bankgeheimnis sollen die berechtigten Interessen der Kunden an der Geheimhaltung von Tatsachen, die dem Kreditinstitut im Rahmen der Geschäftsverbindung zur Kenntnis kommen, gewahrt werden. Es soll dadurch die Vertrauensbasis zwischen dem Kreditinstitut und dem Kunden erhalten werden. Weiters soll der Zugriff Dritter, insbesondere des Staates und Behörden, aber auch sonstiger an einer Auskunft inter- essierter Personen auf diese geheimen Tatsachen ausgeschlossen bzw. insofern beschränkt werden, als der Kunde nur in bestimmten Fällen und unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen vom Bankgeheimnis in Kauf nehmen muss.

Wurde das Bankgeheimnis nun abgeschafft?

Durch das am 7. 7. 2015 im Nationalrat beschlossene so genannte „Bankenpaket“ wurden nun weitere erhebliche Ausnahmetatbestände vom Bankgeheimnis in den § 38 Abs. 2 BWG aufgenommen. Die Ver- pflichtung zur Wahrung des Bankgeheimnisses besteht somit – neben den schon bestehenden Ausnahmen – auch in folgenden Fällen nicht:

204 ‡hinsichtlich der Übermittlungspflicht und der Auskunftserteilung nach dem „Kontenregister- und Konteneinschaugesetz“, ‡gegenüber den Abgabenbehörden des Bundes auf ein Auskunftsverlan- gen nach dem „Kontenregister- und Konteneinschaugesetz“, ‡hinsichtlich der Meldepflicht nach dem „Kapitalabfluss-Meldegesetz“ und ‡für Zwecke des automatischen Informationsaustausches von In- formationen über Finanzkonten gemäß dem „Gemeinsamer Melde- standard-Gesetz“.

Was ist das Kontenregister?

Der Bundesminister für Finanzen hat über die Konten im Einlagenge- schäft, im Girogeschäft sowie über die Depots im Depotgeschäft der Kreditinstitute für das gesamte Bundesgebiet ein Register (Kontenregis- ter) zu führen. Die Kreditinstitute müssen in dieses Kontenregister Kon- tostammdaten des Einlagen-, Giro- und Depotgeschäfts von natürlichen Personen und Rechtsträgern/Unternehmen (insbesondere persönliche Identifikation, Konto-, Depotnummer, Tag der Eröffnung und Auflösung, Bezeichnung des Kreditinstitutes) einmelden. Kontostände oder Kontobe- wegungen werden in das Kontoregister nicht eingemeldet.

Betroffen von der Meldung sind vertretungsbefugte Personen, Treugeber und wirtschaftliche Eigentümer. Bei Losungswort-Sparbüchern ist der identi- fizierte Kunde als Kontoinhaber zu melden, (restanonyme) Sparkonten und Depots sind dann zu melden, wenn eine Identitätsfeststellung des Kunden im Sinne des § 40 BWG erfolgt ist. Die genauen Modalitäten der Inbe- triebnahme des Kontenregisters werden durch eine noch zu erlassende Verordnung geregelt, wobei die erstmalige Übermittlung der Daten mit Stand 1. 3. 2015 zu erfolgen hat.

Wer erhält Einsicht in das Kontenregister?

Es besteht ein elektronisches Einsichtsrecht von Strafgerichten, der Staatsanwaltschaft, den Finanzstrafbehörden, den Abgabenbehörden (Finanzämter, Zollämter, BMF) und dem Bundesfinanzgericht in das

205 Elektronisches Einsichtsrecht haben Strafgerichte, Staatsanwaltschaft, Finanzstrafbehörden, Abgabenbehörden (Finanzämter, Zollämter, BMF) und das Bundesfinanzgericht in das Kontenregister

Kontenregister. Der Kunde hat kein Rechtsmittel gegen die Aufnahme in das Kontenregister. Die betroffenen Personen und Unternehmer ha- ben jedoch ein Recht auf Auskunft, welche sie betreffende Daten in das Kontenregister aufgenommen wurden. Dies kann mittels Abfrage über FinanzOnline erfolgen, über eine durchgeführte Kontenregistereinsicht der Abgabenbehörden wird der Abgabenpflichtige ebenfalls über Finanz- Online informiert.

Im Verfahren zur Veranlagung der ESt, KöSt und USt („normale Steuerer- klärung“) sind sowohl Einsicht als auch Auskünfte grundsätzlich nicht zulässig. Sollte die Abgabenbehörde jedoch Bedenken gegen die Richtig- keit der Abgabenerklärung haben und ein Ermittlungsverfahren einleiten, so ist dem Abgabenpflichtigen vorher Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Wann kann eine Konteneinschau erfolgen?

Im Zuge von behördlichen Ermittlungsverfahren kann unter folgenden Voraussetzungen ein Auskunftsverlangen an das Kreditinstitut betreffend sämtliche Daten aus der Geschäftsverbindung gestellt werden:

206 ‡wenn begründete Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Abgabe- pflichtigen bestehen, ‡wenn zu erwarten ist, dass die Auskunft geeignet ist, die Zweifel auf- zuklären und ‡wenn zu erwarten ist, dass der mit der Auskunftserteilung verbundene Eingriff in die schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen des Kunden nicht außer Verhältnis zu dem Zweck der Ermittlungsmaßnahme steht.

Kann man sich gegen ein solches Auskunftsersuchen wehren?

Ein Auskunftsersuchen ist vom Leiter der Abgabebehörde zu unter- fertigen. Das Bundesfinanzgericht entscheidet durch Einzelrichter mit Beschluss über die Bewilligung einer Konteneinschau und es kann ge- gen den Beschluss des Bundesfinanzgerichtes vom Kunden ein Rechts- mittel (Rekurs) an einen Senat des Bundesfinanzgerichtes eingelegt werden.

Entscheidet das Bundesfinanzgericht, dass die Konteneinschau zu Un- recht bewilligt wurde, dann gilt bezüglich der bei dieser Konteneinschau gewonnenen Beweise ein Verwertungsverbot in dem Abgabenverfahren, in dem das Auskunftsverlangen gestellt wurde. Zusätzlich ist ein Rechts- schutzbeauftragter zur Wahrung des Rechtsschutzes im Abgabeverfahren gesetzlich vorgesehen.

Wie funktioniert das Kapitalabfluss-Meldegesetz und was wird gemeldet?

Das Kapitalabfluss-Meldegesetz besteht aus zwei Teilen, aus der Melde- pflicht an den Bundesminister für Finanzen betreffend bestimmter Kapi- talabflüsse einerseits und bestimmter Kapitalzuflüsse andererseits.

1. Kapitalabfluss

Ein „Kapitalabfluss“ sind ‡die Auszahlung und Überweisung von Sicht-, Termin- und Spareinlagen,

207 ‡die Auszahlung und Überweisung im Rahmen der Erbringung von Zah- lungsdiensten oder im Zusammenhang mit dem Verkauf von Bundes- schätzen ‡die Übertragung von Eigentum an Wertpapieren mittels Schenkung im Inland sowie ‡die Verlagerung von Wertpapieren in ausländische Depots.

Meldepflichtig sind Kapitalabflüsse von Beträgen von mindestens € 50.000.– von Konten oder Depots natürlicher Personen, wobei Kapital- abflüsse von Geschäftskonten von Unternehmen und von Anderkonten von Rechtsanwälten, Notaren oder Wirtschaftstreuhändern ausgenom- men sind.

Auch die Umwidmung eines bestehenden Kontos in ein Geschäftskonto sowie die Überweisung von einem Privatkonto auf ein Geschäftskonto stel- len Kapitalabflüsse dar. Eine Meldepflicht tritt unabhängig davon ein, ob der Kapitalabfluss in einem einzigen Vorgang oder in mehreren Vorgängen, zwischen denen eine Verbindung offenkundig gegeben ist, getätigt wird.

Eine Meldung hat folgende Daten zu enthalten: ‡das verschlüsselte bereichsspezifische Personenkennzeichen für Steuern, Abgaben bzw. Vorname, Zuname, Geburtsdatum, Adresse und Ansässigkeitsstaat sowie ‡Konto- oder Depotnummer und den jeweiligen Betrag.

Eine Meldung ist jeweils bis zum letzten Tag des auf den Kapitalab- fluss folgenden Monats abzugeben, wobei die Meldepflicht für den Zeitraum 1. 1. 2016 bis 31. 12. 2016 und 1. 1. 2017 bis 31. 1. 2017 wahr- zunehmen ist. Die Meldepflicht ist erstmalig für den Zeitraum vom 1. 3. 2015 bis 31. 12. 2015 wahrzunehmen, wobei die Meldung spätestens bis 31. 10. 2016 zu erstatten ist.

2. Kapitalzufluss

Ein Kapitalzufluss umfasst Zuflüsse aus der Schweiz und Liechtenstein von mindestens € 50.000.– auf Konten und Depots natürlicher Personen und liechtensteinischer Stiftungen bzw. stiftungsähnlicher Anstalten für folgende Zeiträume:

208 ‡Kapitalzuflüsse aus der Schweiz für den Zeitraum vom 1. 7. 2011 bis 31. 12. 2012, ‡Kapitalzuflüsse aus Liechtenstein für den Zeitraum vom 1. 1. 2012 bis 31. 12. 2013

Ein „Kapitalzufluss“ ist ‡die Einzahlung und Überweisung von Sicht-, Termin- und Spareinlagen, ‡die Einzahlung und Überweisung im Rahmen der Erbringung von Zah- lungsdiensten (oder im Zusammenhang mit dem Verkauf von Bundes- schätzen), ‡die Übertragung von Eigentum an Wertpapieren mittels Schenkung sowie ‡die Verlagerung von Wertpapieren in inländische Depots.

Eine Vornahme der Meldungen hat spätestens bis 31. 12. 2016 zu erfolgen. Sofern ein Kapitalzufluss von mindestens € 50.000.– auf ein Konto oder Depot im Meldezeitraum vorliegt, sind auch alle anderen im Meldezeit- raum erfolgten Zuflüsse in die Meldung aufzunehmen.

Wie funktioniert die Nachversteuerung von meldepflichtigen Kapitalzuflüssen?

Inhaber von Konten oder Depots, auf denen meldepflichtige Kapitalzu- flüsse verbucht wurden, können bis 31. 3. 2016 dem meldepflichtigen Kreditinstitut unwiderruflich schriftlich mitteilen, die Nachversteuerung dieser Vermögenswerte im Wege einer Einmalzahlung mit Abgeltungs- wirkung vorzunehmen, wobei der Kunde für deren Begleichung den erfor- derlichen Geldbetrag bereitzustellen hat.

Die Einmalzahlung beträgt 38 Prozent der meldepflichtigen Vermögens- werte und ist vom meldepflichtigen Kreditinstitut bis spätestens 30. 9. 2016 einzubehalten und abzuführen. Wenn die Einmalzahlung erfolgt, ent- fällt die Meldeverpflichtung für den zugrunde liegenden Zufluss.

Über die erfolgten Einmalzahlungen ist innerhalb eines Monats nach Ab- lauf dieser Frist dem für die Erhebung der Körperschaftsteuer zuständigen Finanzamt eine Anmeldung vom Kreditinstitut zu übermitteln. Weiters hat

209 Kapitalzuflüsse und Nachversteuerung

das Kreditinstitut über die erfolgte Einmalzahlung eine Bescheinigung an die Konto- oder Depotinhaber auszustellen.

Wenn die Konto- oder Depotinhaber nicht über einen ausreichenden Geld- betrag verfügen, muss das Kreditinstitut diese unter Setzung einer vier- wöchigen Frist auffordern, bis zum 29. 9. 2016 einen ausreichenden Geldbetrag bereitzustellen. Kann das Kreditinstitut die Einmalzahlung nicht vollständig einbehalten, muss dieses seiner Meldeverpflichtung bis spätestens 31. 12. 2016 nachkommen.

Mit vollständiger Gutschrift der Einmalzahlung auf dem Abgabenkonto des Kreditinstitutes gelten – sofern keine der unten stehenden Ausnahmen vorliegt – sämtliche abgabenrechtlichen Ansprüche bezüglich der be- troffenen Zuflüsse als abgegolten und es tritt Strafbefreiung hinsichtlich damit zusammenhängender Finanzvergehen ein.

Ausnahmen: ‡wenn eine Vortat zur Geldwäsche vorliegt ‡oder den Abgaben- oder Finanzstrafbehörden bereits konkrete Hinweise auf nicht versteuerte meldepflichtige Vermögenswerte vorlagen und dem Verfügungsberechtigten dies bekannt ist

210 ‡oder von Seiten der Abgaben- und Finanzstrafbehörden abgabenrecht- liche Ermittlungen geführt werden oder diesbezüglich bereits Verfol- gungshandlungen gesetzt worden sind.

Was ist der Inhalt des „Gemeinsamer Meldestandard-Gesetzes“?

Dieses umfasst die automatische elektronische Meldung von meldepflich- tigen Daten ausländischer Kunden an die Finanzverwaltung, welche diese Daten an die jeweiligen ausländischen Finanzbehörden weiterleitet. Be- troffen sind sowohl ausländische natürliche Personen als auch ausländi- sche Rechtsträger/Unternehmen und es werden insbesondere folgende Daten gemeldet:

‡Name des Anlegers ‡Adresse ‡Ansässigkeitsstaat(en) ‡Steueridentifikationsnummer(n) ‡Geburtsdatum/-ort (bei natürlichen Personen) ‡Konto-/Depotnummer(n) – Einlagen-, Giro- und Depotgeschäft ‡Kontosalden/-werte zum Jahresende ‡Erträge und Veräußerungserlöse

Das Bundesgesetz über die Einrichtung eines Kontenregisters und die Konteneinschau (Kontenregister- und Konteneinschaugesetz – KontRegG) unterliegt, durch die noch nicht vorliegenden Durchführungsverordnungen, möglicherweise noch weiteren Änderungen.

Michael Sedlak ist seit 2001 in der Rechtsabteilung „Recht, Steuern & Konsumentenschutz“ der Erste Bank tätig und dort unter anderem für Fragen zu den Themen AGB, Einlagen, Zahlungsverkehr und Datenschutz-/Bankgeheimnis zuständig. Seit März 2011 leitet er dieser Abteilung.

211 DIE GLOBALEN AKTIENBÖRSEN 2016: NEUES JAHR – NEUE CHANCEN FRANZ GSCHIEGL

Aktienbörse 2015: „Wie gewonnen, so zerronnen“

Das erste Quartal 2015 brachte, nach einem versöhnlichen Börsenjahr 2014, einen Themenwechsel mit Favorisierung der europäischen Märkte mit sich, Russland erholte sich vom Trauma und Chinas Aktien boomten vorerst ohne Ende. Als Branchenprimus präsentierte sich im ersten Halb- jahr der Biotechnologiesektor, der nahezu alle Rekorde brach und sich in den letzten sechs Jahren kursmäßig versechsfachte. Eigentlich war an den meisten Börsen schon im Frühjahr eine durchschnittliche Jahresperfor- mance erzielt worden, dies galt auch gleichlautend für die Anleihemärkte.

Mit einer rasanten Zinswende Mitte April drehten sich die Kurse und damit die Stimmung im Rentensegment und auch die hochgejubelten Dividendenwerte bewegten sich auf einmal im Krebsgang. Mit Kursrück- gängen von zehn Prozent und mehr wuchs die Angst vor einem Ende der Mehrjahreshausse und damit die Sorge vor dem Beginn einer kräftigen Baisse. Vorerst zeigte sich der Börsensommer dann doch von der freund- lichen Seite, im August kippten die Aktienmärkte jedoch – ausgelöst von einem Crash an den heillos überwerteten chinesischen Börsen – und brachten bis Ende September kräftige Verluste. Im Oktober wurde der „Weltuntergang“ dann doch abgesagt und einem der schwächsten Bör- senquartale der letzten Jahre folgte einer der besten Börsenmonate.

212 Mit großem Getöse wurde das massive Anleihekaufprogramm der EZB, der Europäischen Zentral- bank, gestartet

In Summe galt für 2015: „Wie gewonnen, so zerronnen“, wobei schluss- endlich die Performanceskala überwiegend positive Vorzeichen, vor allem an den europäischen Börsen, brachte. Was dürfen wir uns nun für 2016 erwarten?

Draghi als Schutzpatron, Europa auf der Überholspur und China im Börsenrausch …

… So könnte man einige wichtige Fakten des Finanzjahres 2015 zu- sammenfassen. Mit großem Getöse wurde das massive Anleihekauf- programm der EZB, der Europäischen Zentralbank, mit einigen Jahren zeitverzögert zu den USA gestartet. Die Anleiherenditen sackten damit auf ein historisches Tief und da und dort sogar in die Minuszone, der Euro gab versus dem Dollar nach und die europäischen Börsen boomten kräftig. Mitte April hatten sich dann die Renditen von deutschen Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit dem Gefrierpunkt genähert und bei 0,047 Prozent auf dem historischen Tiefst (erreicht am 17. April) eingebremst. Zeitgleich legte der DAX, der deutsche Aktienindex, um über 20 Prozent zu und eilte von einem Rekordhöchst zum nächsten, gefolgt von den meisten anderen europäischen Märkten.

213 Die Chinesen entdeckten ihre Begeisterung für Dividendenwerte und zo- gen die Kurse in Shanghai und Shenzen um über 50 Prozent in wenigen Monaten nach oben. Der Ölpreis, der 2014 noch bei 115 Dollar pro Fass lag, fiel um mehr als die Hälfte auf 45,90, konnte sich dann aber bei 45 bis 55 Dollar stabilisieren. Generell zeigten die meisten Rohstoffe einen Hang zur Schwäche. Ja und dann gab es noch im ersten Quartal 2015 eine kleine Überraschung mit der Aufgabe der Schweizer-Franken-Stütze und damit einen Kurssprung der Währung der Eidgenossen.

Zinswende läutete Stimmungswende ein

Wahre Panikkäufe an den Anleihemärkten, insbesondere in Europa, be- stärkten nicht nur die Haussiers an den Aktienbörsen, sondern führten – nicht zuletzt auch wegen der massiven Anleihekäufe der EZB – zu den erwähnten Zinsrückgängen bis zum Nullpunkt und darunter.

Ohne wirklich neue Tatsachen machten die Renditen dann doch Mitte April eine Kehrtwendung, worauf die Anleihehändler gehörig ins Schwit- zen gerieten. Die Renditen deutscher zehnjähriger Staatsanleihen schos- sen von 0,047 Prozent binnen weniger Tage auf 0,40 Prozent empor und überschritten dann im Juni sogar wieder die Ein-Prozent-Grenze, immer- hin rein mathematisch ein Zinsanstieg um das Zwanzigfache in wenigen Wochen. In der Folge pendelte sich das Renditeniveau dann bei 0,60 Pro- zent wieder ein.

Natürlich rückte wieder das GREXIT-Thema in den Vordergrund, die Angst vor einer vor einer Zinserhöhung, die dann Mitte Dezember auch statt- fand, wurde wieder strapaziert. Über die geringen Erträge risikoloser Papiere wurde ebenso diskutiert wie über die zu hohen Bewertungen der Dividendentitel.

Tatsächlich waren mit der Zinswende eine Kurswende und eben auch Stimmungswende eingetreten. Was gestern noch super war, war nun fad, was gestern tolle Wachstumschancen und Erträge versprach, wurde auf einmal skeptisch hinterfragt, der heitere und wolkenlose Börsenhimmel bekam auf einmal einen grauen Nebelschleier, die „Anlegerkarawane“ wollte einfach nicht mehr gedankenlos weitermarschieren und legte einen

214 Stopp ein. Einige Ängstliche traten den Rückzug an und schon bewegte sich auch die Masse in die andere Richtung.

Das verflixte siebte Börsenjahr?

Naja, die globale Aktienhausse ist im März 2016 exakt sieben Jahre alt und hat fast überall Kursgewinne im Ausmaß von 100, 200 und mehr Pro- zent gebracht, so liegt beispielsweise der DAX, der Deutsche Aktienindex, 175 Prozent über seinem „Nachfinanzcrashtiefst“, der DOW JONES bei 145 und Japans Börse bei 130 Prozent.

Was will man mehr? Einfach erklärt: natürlich noch weitere Kurssteige- rungen … Aber auch an den Börsen wächst nichts ewig in den Himmel.

Ziehen wir nach den Kurseinbrüchen und wechselhaften Entwicklungen im Jahre 2015 das Resümee, so sieht das nicht wirklich schlecht aus. Auch wenn wir uns schweren Herzens fast überall von den Höchststän- den deutlich trennen mussten, bleibt doch den meisten Anleihebesitzern ein kleines Plus, bei den Aktien sieht es generell noch relativ gut aus. Europäische Aktien lagen noch immer bei plus 13 Prozent im Durchschnitt, US-Aktien weisen eine positive Bilanz von drei bis acht Prozent auf und brachten den Euroanlegern noch einen zusätzlichen Dollargewinn von neun Prozent und Japan glänzt mit 15 Prozent.

Zinsen auf dem Gefrierpunkt

Bei den Anleihen ist die Situation der Investoren Richtung Stimmungs- wechsel noch leichter verständlich, wenn die Perspektive nur noch im Substanzerhalt ohne Ertrag liegt, lässt die Begeisterung verständlicher- weise nach, Minuszinsen werden nicht ewig bestehen. Risikolosen Ertrag gibt es eben keinen mehr, wer höhere Erträge will, der muss eben seine Risikobereitschaft überdenken. Anleihekäufer weichen dann in den Be- reich der Unternehmensanleihen und /oder Fremdwährungsanleihen aus oder wählen extrem lange Laufzeiten, wie zum Beispiel eine hundertjäh- rige Anleihe (deren Begebung oft ein Frühwarnsignal für die Rentenmärkte einläutete).

215 Bei den letztgenannten Kategorien ist dabei ernsthaft zu hinterfragen, ob sich der Mehrertrag auf dem Jahrescoupon rechnet, wenn man um die Bonität des Schuldners zittern muss. Verfolgt man die internationalen Börsenstatistiken, so zeigt sich, dass doch nicht allzu viele Anleihebe- sitzer in das Aktiensegment gewechselt sind. In Deutschland ist bei- spielsweise sogar die Anzahl der Aktionäre in den letzten Jahren deutlich rückläufig gewesen. Lieber kein Risiko in Kauf nehmen und dafür ruhig schlafen können bleibt eine entsprechende Devise, die leider auch für Österreich gilt.

Wie sieht es nun aber wirklich mit dem „verflixten siebten Börsenjahr“ aus? Soll man sich schweren Herzens, aber in gutem Einvernehmen von seinen Papieren trennen oder eine befürchtete Krise tapfer durchstehen? Kann man es riskieren bei einer Fortsetzung der Hausse nicht mehr dabei zu sein und zusehen zu müssen, wie andere Investoren weiter Gewinne scheffeln? Wie sieht es mit dem persönlichen Nervenkostüm und, noch wichtiger, dem persönlichen Finanzleben aus?

Bremsbereit unterwegs

Es ist sicher sinnvoll, auch 2016 einfach bremsbereit an den Börsen unter- wegs zu sein, da die Luft doch deutlich dünner geworden ist. Das bedeutet jedenfalls nicht gleich die Umkehr einzuleiten.

Bevor wir die wichtigsten positiven und negativen Börsenargumente für 2016 gegenüberstellen, wollen wir doch wieder einmal darauf hinweisen, dass die Börse am Ende des Tages durch die Erwartungen der aktiven In- vestoren bewegt wird, diese können auf fundamentalen, technischen und psychologischen Faktoren beruhen – in unterschiedlicher Gewichtung und Priorität. Bleiben wir vorerst bei der Börsenstatistik und damit auch den vielbeachteten Kurs-Gewinn-Verhältniszahlen, so muss man schon zuge- ben, dass wir von den historischen Durchschnittswerten an nahezu allen Börsenplätzen schon weit entfernt sind. Die Gewinnerwartungen für 2016 sind zwar ok, aber kaum berauschend. Das Thema der hohen Dividenden- renditen vor allem auch im Vergleich zu den Renditen der Staatsanleihen ist auch seit einiger Zeit schon „gespielt“ worden, wenngleich das Argu- ment durchaus schlagend ist.

216 Aufmerksam und jederzeit bremsbereit sein

Machen wir einen Blick auf die fundamentalen und damit in erster Linie volkswirtschaftlichen Daten, so werden diese eher wechselhaft gemel- det und prognostiziert. Es läuft zwar nirgendwo schlecht, aber kaum wo nachhaltig exzellent. Die USA haben sich vorübergehend wieder als internationale Konjunkturlok präsentiert, zeigen auch tatsächlich gute Fortschritte auf dem Arbeitsmarkt und im Immobiliensektor, hatten aber mit saisonalen Effekten zu kämpfen.

In China hat man sich zwar vom zweistelligen Wirtschaftswachstum schon lange verabschiedet und aber doch eine Prioritätenverschiebung vorgenommen, die nicht mehr von Wachstum um jeden Preis geprägt ist. Nun wurden vom Parteikongress auch 6,5 Prozent als Vorgabe für die nächsten Jahre definiert. Irgendwie scheint jedenfalls den Börsianern ak- tuell die Fantasie zu fehlen, wo es an tollen Erwartungen und Hoffnungen mangelt, steigt die Anfälligkeit auf Kurskorrekturen.

Nach diesen vorsichtigen Argumenten müssen doch die zwei entschei- dend positiven harten Fakten entsprechend gewürdigt werden, näm- lich die rekordhohen Cashbestände, die teils verzweifelt nach Erträgen suchen, und der Mangel an anderen attraktiven Anlagemöglichkeiten – zumindest solange die Zinsen nicht markant steigen.

217 Strategie der Substanzerhaltung

Es reduziert sich daher auf die Strategie der Substanzerhaltung mit Ver- zicht auf Erträge oder der Akzeptanz eines gewissen Risikobudgets. Ge- winnmitnahmen sind sicher nicht unangenehm, über lange Zeitstrecken keine Wertpapiere zu besitzen verschließt natürlich die Chance auf nach- haltige Erträge.

Die „schwarzen Schwäne“ oder Die Top-10-Argumente der Pessimisten für 2016:

1. Die meisten Börsen zeigen sich labil und technisch „angeschlagen“. 2. „Easy money has been made“: Es wird immer schwieriger noch Kurs- gewinne zu erzielen. 3. Die Börsen sind schon stark gelaufen. Nach knapp sieben Jahren Hausse droht demnächst ein kräftigerer Einbruch. 4. „Dieses Mal ist alles anders …“ – die beliebteste und zugleich gefährlichste Entschuldigung bei Überbewertungen. 5. Die Staatsschulden ufern aus und sind nicht mehr in den Griff zu bekommen (GREXIT als Beginn …). 6. Das fragile Finanzsystem wird einem neuen Belastungstest durch große Pleiten unterzogen.

218 7. Der Banken-, Finanz-, Wirtschafts- und Vertrauenskrise folgt eine Sozialkrise. 8. Die Anleihemärkte brechen noch stärker ein und lösen eine allge meine Finanzpanik aus. 9. Politische Instabilitäten (Ukraine, Irak, Somalia etc.) belasten. 10. „Hoffnungsland“ China auf der „Kriechspur“.

Und so lauten die Top-10-Themen, die für eine Fortsetzung der Langfristhausse sprechen:

1. Anhaltende Liquiditätshausse und tiefe Zinsen: Auch wenn schon die Tiefststände in diesem Zyklus gesehen wurden, so bleiben die Zins- niveaus generell weiter niedrig (außer wenn es eine aufkeimende In- flation zu bekämpfen gilt, was erst in den Folgejahren erwartet wird), womit weiter viel Geld an die Wertpapierbörsen fließen wird. 2. Steigende Risikobereitschaft: Wer Erträge erwirtschaften will, muss Risiko nehmen. 3. Viele Anleger sind unsicher, noch keine „Hurra-Stimmung“, wie sie typisch für die letzte Phase der Hausse ist. 4. Anlagenotstand: Auch wenn die Zinsen nun etwas höher sind, müs- sen Pensionskassen, Versicherungen und andere Kapitalsammelstel- len verzweifelt nach Alternativen suchen. 5. Mangelnde Alternativen zu Aktien: Auch Aktiengegner müssen all- mählich erkennen, dass es wenig interessante Alternativen gibt. Bei Anleihen muss man weiter mit Kursrückgängen bei Zinsanstie- gen rechnen, Gold hat den Glanz verloren, Immobilien sind schwerer handelbar und bei Kunstgegenständen ist man auch nicht vor Preis- schwankungen gefeit. 6. Relative Attraktivität: Aktien weisen langfristig die interessantesten Erträge auf, Mut und Ausdauer werden belohnt. Der durchschnittliche Ertrag lag bei den entwickelten Märkten in den letzten 45 Jahren bei ansehnlichen 8,6 Prozent. 7. Korrekturen waren bisher immer Kaufgelegenheiten. 8. Wer bisher gezögert hat, der kann nun verspätet auf den Börsenzug aufspringen. 9. Eine stabile Weltwirtschaftslage hilft den Finanzmärkten. 10. Dividenden bieten eine gute Absicherung.

219 Die Strategietipps für 2016

Wie eingangs erwähnt, sollte man nicht mehr gedankenlos dahinbrau- sen, sondern allmählich wieder aufmerksamer und auch bremsbereit unterwegs sein. Wer hoch investiert ist, der sollte ruhig auch einmal Ge- winne realisieren und etwas Cash aufbauen. Schwache Börsenphasen mit Bewölkung am Börsenhimmel sollten zur Schnäppchenjagd von jenen genützt werden, die noch keine Aktien besitzen. Wer gar keine Aktien besitzt, der sollte jedenfalls dann tiefere Kurse zum Einsammeln nützen.

Unsicherheiten werden auch den weiteren Jahresverlauf prägen, aber grundsätzlich ist es noch nicht zu spät, um auf den Börsenzug aufzusprin- gen, viele Investoren haben die Hausse verpasst und haben noch Nach- holbedarf. Keine Aktien zu besitzen ist nach wie vor ein Fehler, genauso nichts tun und abwarten. Diversifikation nicht vergessen: Risikostreuung bleibt oberstes Gebot, auch wenn sich manche Möglichkeiten als noch so toll präsentieren. Hier bewährt sich der Einsatz von Fonds.

„YOU INVEST“-Fonds– die gemanagte Veranlagungsvariante

Seit über zwei Jahren bieten Erste Bank und Sparkassen mit den „YOU INVEST“-Fonds erfolgreich aktiv gemanagte Veranlagungskonzepte in Form von Dachfonds an (www.youinvest.at). Mit diesen vier Fonds kön- nen Anleger gemäß ihrer Risikobereitschaft einen Aktienanteil von maxi- mal 10, 30, 50 oder 70 Prozent wählen. Je nach Einschätzung durch das Fondsmanagement wird dabei innerhalb der definierten Grenzen aktiv die Aufteilung zwischen Anleihen, Aktien und Cash vorgenommen.

Welche Erträge waren mit den unterschiedlichen Anlageklassen von 1975 bis 2014 zu erzielen?

Eine Studie der ERSTE-SPARINVEST zeigt für den Zeitraum 1975 bis 2014 eine eindeutige Favorisierung von internationalen Aktien. Diese brachten ein durchschnittliches Plus von jährlich 9,1 Prozent, zieht man die Inflation für Österreich von 2,8 Prozent ab, so bleiben real 6,3 Prozent.

220 Der Konfigurator auf www.youinvest.at

An zweiter Stelle liegen Anleihen mit 6,6 Prozent (real: 3,8 Prozent), eine Rendite, die auf die langen Hochzinsphasen zurückzuführen und wohl in den nächsten Jahren nicht zu erwarten ist. Das Sparbuch brachte hin- gegen für den genannten Zeitraum 2,4 Prozent in Österreich, bei Abzug der Inflationsrate rutscht die beliebteste Anlageform von Herrn und Frau Österreicher sogar ins Minus (–0,4 Prozent).

Franz Gschiegl ist promovierter Jurist und seit 37 Jahren Börse- und Finanzmarktexperte. Seit 1991 ist er Mitglied des Vorstands der ERSTE-SPARINVEST sowie der ERSTE IMMOBILIEN KAG. Er hat zahlreiche einschlägige Bücher zu Themen wie Veranlagung, Bank und Börse geschrieben und ist Referent bei diversen Fachveranstaltungen. Außerdem ist Gschiegl ständiger Autor des Monatsmagazins GEWINN.

221 ZINSAUSBLICK 2016: QUANTITATIVE EASING IST IN MODE RAINER SINGER

Die Entwicklung der Eurozone 2015 war bereits ermutigend, in diese Richtung geht es auch 2016 weiter

Mit März 2015 ist die Europäische Zentralbank (EZB) einem Club von großen Nationalbanken (US-Fed, Bank of England, Bank of Japan) beige- treten, die bereits zum so genannten Quantitative Easing (QE) gegriffen hatten, um die Konjunktur und damit die Inflation anzukurbeln. QE umfasst den Ankauf von Wertpapieren, im Wesentlichen Anleihen unterschied- lichster Emittenten, wobei aber Staatsanleihen meist überwiegen. Der ehemalige US Notenbankchef Ben Bernanke erklärt QE so: „Das Problem mit Quantitative Easing ist nur, dass es in der Praxis funktioniert, nicht aber in der Theorie.“ Das Quantitative Easing war notwendig geworden, da das wichtigste Instrument der Notenbanken – der Leitzinssatz – be- reits null Prozent erreicht hatte und somit bei den kurzfristigen Zinsen der Handlungsspielraum der Notenbanken zumindest damals ausgeschöpft war. Seitdem ist auch die Hemmschwelle, negative Zinsen festzusetzen, gefallen.

Was wollen die Notenbanken mit den Wertpapierkäufen bewirken? Im Wesentlichen geht es darum, zusätzliches Geld in den Kreditkreislauf zu bringen und damit die Kreditvergabe zu stimulieren. Dies kann man errei- chen, indem man durch Wertpapierankäufe das längerfristige Zinsniveau

222 Was wollen Notenbanken mit Wertpapierkäufen bewirken?

und somit die Kosten für Kredite senkt oder indem mehr Kapital nach Ver- anlagung sucht und somit von der Angebotsseite Druck auf die Kreditver- gabe entsteht. Im Wesentlichen sollte der von der Notenbank generierte Kapitalüberschuss dazu führen, dass die Anforderungen für die Kreditver- gabe gelockert werden.

Kein anderes Instrument zur Verfügung

Die Auswirkungen von QE sind schwer zu bestimmen. Unbestritten ist, dass ab Mitte 2014 bereits die Aussicht auf QE den Euro massiv gegen- über dem Dollar abschwächte und somit die Konjunktur in der Eurozone stimuliert hat. Aus unserer Sicht gerechtfertigte Zweifel bestehen aber, inwieweit QE dazu beiträgt die Kreditaufnahme zu stimulieren. Zwar steht durch QE mehr Kapital zur Verfügung, wenn aber die Nachfrage nach Krediten aufgrund eines trüben wirtschaftlichen Ausblicks nicht entspre- chend mitzieht, ist dies wirkungslos.

Die Erholung der Kreditaufnahme in der Eurozone hat zwar bereits einge- setzt, verläuft aber langsam. Man wird nie wissen, ob sie ohne QE noch langsamer verlaufen wäre oder nicht. Aus Sicht der EZB dürfte QE aber

223 alternativlos gewesen sein, da ihr keine anderen Instrumente mehr zur Verfügung standen, um dem Rückgang der Inflation Ende 2014 etwas entgegenzusetzen.

Die Stimulierung der Kreditvergabe soll aber dem alles übergeordneten Ziel der EZB einer Stabilisierung der Inflationsrate knapp unter zwei Prozent dienen. Tatsächlich hat die wirtschaftliche Schwächephase zusammen mit dem Verfall des Erdölpreises dazu geführt, dass sich die Inflationsrate deutlich unter diesem Wert bewegt.

Warum ist eine zu niedrige Inflationsrate aus Sicht der EZB schlecht? Der wesentliche Grund ist, dass man damit einem Terrain gefährlich nahe kommt, das man um jeden Preis meiden will, nämlich negativen Inflati- onsraten über einen längeren Zeitraum. Die Risiken anhaltend fallender Preise sind vielleicht nicht unmittelbar erkennbar, freut sich doch jeder Konsument, wenn etwas billiger geworden ist. Tatsächlich können aber die Konsequenzen einer Deflation gravierend sein.

Fallende Löhne, Dämpfung der Nachfrage

Rechnen die Konsumenten einmal mit fallenden Preisen, verschieben sie ihre Käufe, denn „in ein paar Monaten bekommt man es ja billiger“. Eine permanente Verschiebung von Anschaffungen wirkt sich aber negativ auf die Wirtschaft und damit schlussendlich auch auf die Lohnentwicklung aus. Fallende Löhne bewirken eine weitere Dämpfung der Nachfrage und nähren somit die Abwärtsspirale.

Die wahrscheinlich schlimmsten Auswirkungen hat aber die Deflation auf Kreditnehmer, denn während im eben beschriebenen Szenario die Löhne fallen, bleiben die monatlichen Kreditraten unverändert, was einen Teil der Kreditnehmer in Schwierigkeiten bringen kann. Am dramatischsten wä- ren aber die Auswirkungen für die größten Kreditnehmer – die Staaten. Ein Rückgang der Löhne und eine schwache Konjunktur bedeuten für die öffentliche Hand weniger Steuereinnahmen und damit entweder eine hö- here Verschuldung oder den Druck zu sparen, beides Dinge, die zusätzlich die Konjunktur belasten können.

224 Wachstum Eurozone seit 2005

2

1

0

-1

-2

-3 2012 2013 2014 2010 2007 2005 2009 2008 2006 2011 2011

Die Entwicklung der Eurozone 2015 gibt Anlass zur verhaltener Hoffnung Quelle: WKO

Freundliche Wachstumsvoraussichten

Klar ist, dass die EZB für den gewünschten Anstieg der Inflation, ein gutes Wirtschaftswachstum braucht. Die Entwicklung der Eurozone 2015 war in dieser Hinsicht ermutigend. Das Wachstum wird sich aller Wahrschein- lichkeit nach von 0,9 Prozent 2014 auf 1,5 Prozent beschleunigt haben. Wir gehen von einer weiteren leichten Beschleunigung im Jahr 2016 aus. Dabei darf man aber den Ausgangspunkt der Erholung nicht vergessen. Die Finanzmarktkrise, ausgelöst durch die Lehman-Pleite, und die Staats- verschuldungskrise in der Eurozone , ausgelöst durch Griechenland, haben massive Einbrüche der Wirtschaft in der Eurozone ausgelöst, die nur lang- sam wieder aufgeholt werden. Auf realer Basis hat das BIP das Niveau von 2008 erst 2015 wieder erreicht. Zusammen mit einer seitdem gestiegenen Produktivität bedeutet dies eine hohe Arbeitslosenrate in der Eurozone.

Die Arbeitslosenrate ist zwar vom Hoch Mitte 2013 schon gefallen, es wird allerdings noch einige Zeit dauern, bis die Arbeitslosenrate auf ein Niveau absinkt, das in irgendeiner Form Aufwärtsdruck auf die Infla- tion erzeugen könnte. Somit wird die EZB auf absehbare Zeit eine für die Konjunktur unterstützende Geldpolitik betreiben, also die Zinsen niedrig halten und auch das Quantitative Easing fortsetzen. Da jede Kauf- oder Investitionsentscheidung von einer Vielzahl von Faktoren abhängt, lässt

225 Die Konjunktur wird als fragil eingeschätzt sich der spezifische Beitrag der Höhe des Leitzinssatzes dazu nicht genau bestimmen.

In unsicheren Zeiten, etwa bei Angst um den Arbeitsplatz, werden Kon- sumenten weitgehend unabhängig vom Zinsniveau ihre Ausgaben zü- geln. Auch wenn das Zinsniveau sehr niedrig ist, werden Unternehmen nur investieren, wenn sie glauben, für ihre Waren und Dienstleistungen eine Nachfrage zu finden. Unbestritten ist aber, dass niedrigere Zinsen generell die Konjunktur unterstützen, indem sie Kredite günstiger und sparen unattraktiv machen und somit die Nachfrage fördern. Wenn man die Vorlaufzeit, die die Geldpolitik braucht, um zu wirken, und den äußerst niedrigen Ausgangspunkt berücksichtigt, dann gehen wir von einer ersten Zinsanhebung der EZB in der ersten Jahreshälfte 2017 aus.

Bei den längerfristigen Kreditzinsen wird die Zinswende wohl schon deutlich früher einsetzen, da sie von der Rendite (= Verzinsung) länger laufender Staatsanleihen abhängen, die wiederum maßgeblich von den Erwartungen für zukünftiges Wachstum und die Inflationsentwicklung an den Kapitalmärkten bestimmt wird. Eine Erholung der Konjunktur hat in der Eurozone 2015 ohne Zweifel eingesetzt, die sich aber kaum in einem Anstieg Renditen von Staatsanleihen widergespiegelt hat, da die Märkte am Aufschwung zweifeln.

226 Die Konjunktur wird stattdessen als fragil eingeschätzt und Sorgen über die negativen Auswirkungen der Konjunkturverlangsamung in China über- wiegen. Für unsere Erwartungen über die Rendite- und damit Zinsent- wicklung steht der wirtschaftliche Ausblick im Vordergrund. Aus unserer Sicht schätzen die Kapitalmärkte die weitere Konjunktur zu negativ ein und die Erwartungen werden sich anpassen. Unabhängig von QE sehen wir die Eurozone in einem zyklischen Aufschwung, der sich nächstes Jahr fortsetzen sollte. Wir gehen von einer fortgesetzt guten Konjunktur aus, das Wachstum in der Eurozone sollte sich 2016 sogar etwas auf 1,8 Pro- zent beschleunigen. Damit sollten sich die Erwartungen an den Märkten ändern und somit vor allem die Renditen länger laufender Anleihen begin- nen zu steigen, was sich auch schlussendlich in höheren Zinsen für länger laufende Kredite widerspiegeln sollte.

Rainer Singer ist innerhalb des Erste Group Research verantwortlich für die Analyse und Prognose der Zinsentwicklung in der Eurozone und in den USA. Seit 1997 ist er im Kapitalmarktresearch im Bereich Makro, Zinsen, Währungen und Anleihenmärkte tätig.

227 INVESTIEREN MIT MORAL: ETHISCHE ANLAGEFORMEN UND NACHHALTIGES INVESTMENT GEROLD PERMOSER

„Politisch korrekte“ Geldanlage boomt. Den Anlegern geht es neben Ethik und Moral auch um Rendite. Dass dies kein Widerspruch sein muss, zeigen bereits erfolgreiche Fonds

Viele kennen wahrscheinlich das Gleichnis vom Elefanten und den Blinden. Sechs Personen beschreiben denselben Elefanten, aber jeweils aus ihrer persönlichen, unmittelbar ertasteten Perspektive. Das Ergebnis sind sechs komplett unterschiedliche Ideen zur Physis eines Elefanten. Beim Thema ethisches Investieren und Nachhaltigkeit kann man Ähnliches erleben: Da sich die gelebte Praxis stark unterscheidet, sehen die Investoren bald den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr.

Die eine Nachhaltigkeit gibt es nicht. Nachhaltiges Investieren unterschei- det sich je nach Anbieter, Kundengruppe, ethischen Überzeugungen und eingesetzten Prozessen. Für Investoren im Bereich der Nachhaltigkeit be- deutet das ein Stück Verantwortung, da sie sich schlau darüber machen müssen, was sie angeboten bekommen bzw. kaufen. Entsprechend sollen mit diesem Beitrag vor allem zwei Aspekte in den Vordergrund gestellt werden: Einfachheit und Erklärung. Leser, denen das Thema neu ist, soll- ten nach der Lektüre in der Lage sein, zumindest 90 Prozent der auf dem Markt angebotenen Produkte zu kategorisieren.

228 ESG-Analysen – die Basis nachhaltiger Finanzprodukte

Ausgangspunkt der meisten nachhaltigen Anlagekonzepte sind so ge- nannte ESG-Analysen. Dabei werden Unternehmen oder Staaten anhand einer, zwei oder drei der folgenden Kategorien beurteilt:

‡ ( QYLURQPHQWDOZu dieser Kategorie zählen Indikatoren, die zeigen, inwieweit ein Unternehmen oder ein Staat bestimmte Umweltfaktoren berücksichtigt. Die Bandbreite der Themen reicht von Ressourcenver- brauch und Schadstoffausstoß bei Unternehmen bis hin zu Artenschutz und Biodiversität bei Staaten.

‡ 6 RFLDODie Kategorie „Soziales“ deckt ab, wie Unternehmen und Staaten ihre Verantwortung Menschen gegenüber wahrnehmen. Bei Unternehmen geht es dabei unter anderem um den Umgang mit Mitar- beiterInnen, die Lieferantenkette und den KonsumentInnenschutz. Bei Staaten stehen Themen wie Todesstrafe, Gleichheit oder Zugang zu Bildung im Fokus der Analysen.

‡ * RYHUQDQFHUnter dem Begriff „Governance“ versteht man „gute Unternehmensführung“. Typische Themen in diesem Bereich sind Kor- ruption und Betrug, die Organisation der Unternehmensführung sowie deren Kontrolle in allen ihren Aspekten (interne Kontrollsysteme, unab- hängige Aufsichtsräte oder Entlohnungssysteme für Führungskräfte).

Nachhaltigkeits-AnalystInnen setzen bis zu hundert verschiedene In- dikatoren aus den zuvor geschilderten Kategorien ein, um Unterneh- men zu bewerten. Die Summe der Bewertungen ergibt ein so genanntes „ESG-Rating“, das die Qualität eines Unternehmens aus Nachhaltigkeits- sicht aufzeigt.

Der Werkzeugkasten der Nachhaltigkeit

Im nächsten Schritt wird ein Überblick über die im Bereich des nachhal- tigen Investierens eingesetzten Instrumente gegeben. Wir orientieren uns dabei an der folgenden Grafik, die einen Überblick über die typische Werkzeuge und Verfahren gibt.

229 Dem traditionellen Management werden weitere Instrumente hinzugefügt

Ausgangspunkt ist das traditionelle Finanzmanagement. Bei dieser Art des Investierens spielen ESG-Faktoren keine Rolle. Asset Manager und InvestorInnen fühlen sich einzig und allein dem Risiko-/Ertragsdenken verpflichtet.

Der Einstieg in das Thema Nachhaltigkeit wird oft über Minimumstan- dards begonnen – Basisanforderungen, die Finanzprodukte erfüllen müssen. In der Erste Asset Management bedeutet dies das Verbot, in Unternehmen zu investieren, die einen Teil ihres Umsatzes mit geächte- ten Waffen (Streumunition, Landminen, Atomwaffen etc.) erwirtschaften bzw. das Tabu, in Finanzinstrumente zu veranlagen, die der Spekulation mit Nahrungsmitteln dienen.

Im Falle ethischer Ausschlusskriterien werden Gründe definiert, die ein Investment verbieten. Häufig angewandte Kriterien sind Gentechnik und Glücksspiel. Wichtig ist, dass nicht alle nachhaltigen Produkte diesel- ben Ausschlusskriterien aufweisen. Darüber hinaus kann sich die Ein- stellung zu einem Ausschlusskriterium von Land zu Land unterscheiden. Ein Beispiel dafür ist Atomkraft, die in Frankreich oder den USA eher als grüne und in Österreich als eindeutig schädliche Technologie angesehen wird.

Von Korruptions- und Betrugsfällen bis zu Frauenanteil in Vorstand und Aufsichtsrat

Unter Positiv- und Negativ-Screening versteht man eine Analyse von In- vestments anhand von ESG-Kriterien. Unternehmen oder Staaten erhal- ten Punktegutschriften oder -abzüge je nach Ausprägung von Indikatoren wie CO2-Ausstoß, Wasser-, Land- bzw. sonstigen Ressourcenverbrauch,

230 Arbeitsunfälle, Schulungen für MitarbeiterInnen, Korruptions- und Be- trugsfälle, Unabhängigkeit des Vorstands oder Frauenanteil in Positionen wie Vorstand oder Aufsichtsrat. Die Summe dieser Bewertungen, das ES- G-Ratings stellt dann die Eignung des untersuchten Unternehmens oder Staates für ein nachhaltiges Investment dar.

Bei Best-in-Class-Investitionen wird ein Mindestanspruch hinsichtlich der Qualität eines investierbaren Unternehmens definiert. Nur Unterneh- men über dieser Grenze sind investierbar. Wie der Schwellenwert definiert ist bzw. worauf er sich bezieht, kann sich von Fall zu Fall unterscheiden.

Beim Konzept der nachhaltigen Rendite geht es um einen relativ genau messbaren sozialen oder ökologischen Effekt, den ein Unternehmen durch sein Tun hervorruft. Diese Effekte werden unter dem Begriff „Impact“ zusammengefasst. Beispiele hierfür sind die Anzahl der durch eine In- vestition geschaffenen Jobs, die nachgewiesene Reduktion von CO2-E- missionen, die Senkung des Wasserverbrauchs oder die Förderung der lokalen Wirtschaft durch eine Investition. Überspitzt gesagt ist das die Boutiquen-Methode im Bereich der Nachhaltigkeit. Es wird auf klar nach- weisbare, aber auch lokale und enge Effekte abgezielt. Andere Nach- haltigkeitskonzepte sind im Vergleich dazu eher dem Diskonter-Prinzip verpflichtet: Breit angelegt (bei Unternehmen bis zu 100 Indikatoren) und viele potenzielle Investments (z. B. alle Titel des MSCI World All Country-Index) einschließend, dafür aber in ihrer Wirkung weniger gut nachverfolgbar.

Voting und Engagement sind Strategien, die darauf abzielen, Unterneh- men durch aktive Ausübung der Stimmrechte als Aktionäre (Voting) bzw. durch einen aktiven Dialog mit dem Unternehmen zu einem gewünschten Verhalten zu verpflichten (Engagement). Die Ausübung von Stimmrechten zur Beeinflussung von Unternehmen ist eine etablierte Methode. Engage- ment stellt im Vergleich dazu ein neues Thema dar, das davon lebt, dass Unternehmen im ESG-Bereich nach einem guten Image streben und dass viele Themen in diesem Bereich potenzielle Risiken darstellen, die Unter- nehmen reduzieren möchten.

Genau hier setzt der so genannte „Integrative Managementansatz“ an. Dabei geht es um die Berücksichtigung nachhaltiger Faktoren in der

231 Analyse und dem Management von Investments ohne „ideologischen“ Überbau. Diese Methode wird verwendet, weil sie die Performance stei- gern soll. Was für viele immer noch wie ein Widerspruch klingt, nämlich Nachhaltigkeit und gute Performance, ist laut einer zunehmenden Anzahl von Studien zufolge keiner. Gute Unternehmensführung oder „Gover- nance“ (G) etwa ist seit den 1980er-Jahren als Indikator für Outperfor- mance (überdurchschnittliche Wertentwicklung) belegt. Ähnliches lässt sich auch für Ressourceneffizienz (E wie „Environmental“) und soziale Standards (S wie „Social“) belegen. Dazu kommt, dass viele ESG-Faktoren ein Risiko darstellen, wie die Beispiele von Volkswagen (G), Enron (G), Par- malat (G), Petrobras (G), BP (E), Tepco (E), H&M (S) oder Apple (S) zeigen.

Die hier angeführten Werkzeuge können in vielfältiger Art und Weise kombiniert werden, was in der Regel auch der Fall ist. Entsprechend stark unterscheiden sich die nachhaltigen Investmentprozesse verschiedener Anbieter.

Eine andere Möglichkeit, nachhaltige Investments zu kategorisieren, besteht darin, sich über deren Anspruch zu nähern.

‡Traditionelle Investments sind nur einem Ziel verpflichtet, dem maxima- len Ertrag. ESG-Faktoren sind hier meist (aber nicht notwendigerweise) ausgeschlossen. Berechtigung erlangen sie nur über eine verbesserte Performance (siehe „integrativer Managementansatz“). Etwaige nach- haltige Effekte werden in dieser Variante quasi als „Kollateralnutzen“ mitgenommen. ‡Der erste Schritt zum Übergang in den nachhaltigen Bereich besteht darin, dass man ESG-Faktoren mit dem klaren Ziel analysiert, daraus resultierende Risiken zu reduzieren. So würde beispielsweise in Unter- nehmen mit undurchsichtigen Unternehmensstrukturen, schlechter Governance, hohem Ressourcenverbrauch (und dem damit einherge- henden Risiko, von der Ressource abgeschnitten zu werden) nicht in- vestiert, um mögliche Risiken zu reduzieren. ‡In einem nächsten Schritt werden ESG-Themen bewusst als Chancen wahrgenommen. Dies ist zum Beispiel bei Investments in Klimaschutz, Wasseraufbereitung oder alternative Energien der Fall: Weil Wasser immer knapper wird, ist dessen Aufbereitung ein Geschäft der Zukunft und damit eine Chance.

232 ‡Impact Investments verfolgen eng definierte Ziele im Bereich Umwelt oder Soziales. Dabei müssen finanzielle Ziele zwar nicht außer Acht ge- lassen werden, die Renditegenerierung kann bei reinen Impact Invest- ments in den Hintergrund treten. ‡Philantrophie, bei der soziale oder ökologische Anliegen den finanziel- len Gesichtspunkt ganz klar dominieren, unterliegen nicht dem ökono- mischen Primat.

Rasantes Wachstum

In den vergangenen Jahren haben nachhaltige Geldanlagen in Österreich ein rasantes Wachstum erfahren. 2014 erreichten sie einen Höchststand von 9,5 Milliarden Euro. Das stellt einen Zuwachs von 33 Prozent im Ver- gleich zum Vorjahr dar. Als nachhaltige Geldanlagen gelten dabei: nach- haltig verwaltete Publikumsfonds und Spezialfonds sowie Geldeinlagen bei nachhaltig ausgerichteten Spezialbanken.

Seit dem Jahr 2005 ist der nachhaltige Markt mit 25 Prozent p. a. deutlich schneller gewachsen als der allgemeine Fondsmarkt – der seinerseits ein beachtliches Wachstum von 12,5 Prozent p. a. ausweisen konnte.

Wachstum Investmentfonds 8,97 9 8 in € Mrd. 7 6,61 6 5,13 5 4,28 4

3 2,43 2,07 2 1,2 1,4 1,17 1 0,78 0 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Investmentfonds Mandate Sonstige Finanzprodukte

Der Markt für nachhaltige Investmentfonds steigt seit 2010

233 Dank ihres höheren Wachstums konnten nachhaltige Geldanlagen ihren Anteil auf dem Gesamtmarkt im Jahr 2014 auf 5,7 Prozent ausbauen. An- gesichts dieses immer noch niedrigen Wertes überrascht es kaum, dass viele Anbieter von Finanzprodukten sich verstärkt dem Thema Nachhal- tigkeit widmen.

Nachhaltigkeit ist in Österreich nach wie vor ein Thema institutioneller Investoren. Im Unterschied zu anderen Ländern, wie etwa der Schweiz, weisen der Retail- bzw. der Private-Banking-Bereich ein deutliches Auf- holpotenzial auf. Mehr als drei Viertel des Marktes für nachhaltige Invest- mentprodukte sind in institutioneller Hand. Auch das ein Hinweis darauf, dass es den vielfach unterstellten Trade Off zwischen Performance und Nachhaltigkeit so nicht geben dürfte.

Innerhalb des Bereichs der institutionellen Anleger dominieren betrieb- liche Pensionsfonds, gefolgt von öffentlichen Pensions- und Vorsorge- kassen sowie kirchlichen Institutionen und Wohlfahrtsorganisationen. Diese Zusammensetzung überrascht wahrscheinlich angesichts land- läufiger Vorurteile über eine niedrigere Performance von nachhaltigen Investments. Zwar ist bei kirchlichen Organisationen zu erwarten, dass sich ethische Überzeugungen im Veranlagungsverhalten widerspiegeln. Betriebliche Pensionskassen würden jedoch kaum freiwillig auf Perfor- mance verzichten.

Gute Nachricht

Abschließend noch ein Blick auf die Motivationslage nachhaltiger Pro- duktanbieter. Einer Umfrage des „Forum Nachhaltige Geldanlagen“ (FNG) zufolge ist die Nachfrage von institutionellen Investoren der Hauptgrund dafür, dass immer mehr Anbieter nachhaltige Produkte zur Verfügung stel- len. Das sind gute Nachrichten für den Markt, da nicht davon auszugehen ist, dass diese Anbieter bei ihrer Investitionsentscheidung auf Ertrag und Risiko vergessen.

Bereits als zweitwichtigster Punkt werden die Änderungen von gesetz- lichen Rahmenbedingungen genannt. Diese können zu einer verstärkten Nachfrage nach nachhaltigen Produkten führen. Zum einen sind besonders

234 nachhaltige Unternehmen meist Firmen, die von einer Verschärfung ge- setzlicher Rahmenbedingungen wie etwa höheren Umweltnormen pro- fitieren, da sie diese Normen oft bereits erfüllen. Zum anderen werden Anbieter von Finanzprodukten immer stärker in die Pflicht genommen, wenn in einem Produkt Risiken schlagend werden. Entsprechend wichtig ist es, potenziell oft schwer wiegende ESG-Risiken (Volkswagen, Enron, Petrobras, BP, Exxon, Tepco etc.) zu „managen“.

In eine ähnliche Richtung geht der an dritter Stelle gereihte Schlüsselfak- tor: Druck von außen. Wirtschaft und Veranlagung finden nicht im luftlee- ren Raum statt. Sehr oft sind die Träger von Veranlagungsentscheidungen im Blickpunkt von Gremien, Aktionären, Kunden oder der interessierten Öffentlichkeit. Entsprechend wichtig ist es, ESG-Risiken zu kennen und zu steuern bzw. bestimmte Verhaltensweisen auszuschließen. Mit dem zunehmenden Gewicht postmaterieller Faktoren bei Entscheidungen, wie z. B. beim Wahl- oder Konsumverhalten, ist es nur natürlich, dass diese Faktoren auch im Finanzverhalten eine Rolle spielen. Entsprechend spie- geln immer mehr Veranlagungen die nachhaltigen Überzeugungen der Menschen dahinter wider.

Gerold Permoser ist seit Anfang April 2013 Chief Investment Officer der Erste Asset Management. In dieser Funktion verantwortet er die gesamten Asset Management Aktivitäten und Anlagestrategien aller Investmentfonds. Permoser verfügt über Erfahrung im Veranlagungsbereich seit 1997.

235 WOHNBAUFINANZIERUNG: FIXZINS ODER VARIABEL – DAS IST HIER DIE FRAGE KATJA FRIES

Wirtschaftliche und politische Einflüsse bewirken fallende oder steigende Zinsen. Ein genaues Abwägen ist daher umso wichtiger

Bei der Finanzierung einer Immobilie mit meist langen Laufzeiten ist vieles gut zu überlegen und an die eigenen Bedürfnisse anzupassen. Ein wichti- ges Thema dabei ist die langfristige Leistbarkeit der Rate. Bei der Frage, ob ein Kredit zu Beginn leistbar ist, unterstützt die Haushaltsrechnung: Die Gegenüberstellung der monatlichen Einnahmen und Ausgaben zeigt, welcher Betrag für eine Rückzahlungsrate übrig bleibt. Aber wie schaut das in Zukunft aus? Eine der größten Sorgen der Österreicher betrifft den Anstieg der Lebenshaltungskosten. Und genau hier kommt der Fixzins- satz ins Spiel.

Was leistet ein Fixzinssatz? Wann ist er geeignet?

Wirtschaftliche und politische Einflüsse bewirken fallende oder stei- gende Zinsen. Bei einem variablen Zinssatz wirkt sich das direkt auf die monatliche Rate aus. Steigen die Zinsen, steigt auch die Rate, fallen die Zinsen, dann wird die Rate geringer. Damit macht ein Fixzinssatz gerade im aktuell niedrigen Zinsniveau Sinn.

236 Ratenentwicklung bei Fixzinssätzen

€ 789,20 € 816,00 € 765,47 € 766,00 € 738,19

€ 716,00 € 686,64 € 688,97

€ 666,00 € 622,61 € 609,39 € 616,00 € 549,78 € 566,00

€ 516,00

€ 466,00

€ 416,00 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 aktuell

Quelle: Erste Bank

Ein Fixzinssatz liegt meist über den variablen Zinssätzen, wodurch die monatliche Rate etwas höher ist. Dafür kann in der vereinbarten Fixzins- phase mit einer fixen Rate gerechnet werden und es besteht kein Ver- änderungsrisiko. Sowohl variable wie auch Fixzinssätze sind auf einem historisch niedrigen Niveau. Die monatliche Rate für 100.000 Euro auf 20 Jahre hat sich auf Basis eines zehnjährigen Fixzinssatzes seit 2001 um 30 Prozent reduziert. Die obenstehende Grafik zeigt beispielhaft, wie sich der Zinsenanteil und damit die monatlichen Raten in den letzten 15 Jahren verändert haben. Eine Absicherung mittels Fixzinssatz ist vergleichsweise günstig.

Was spricht dafür, jetzt schon in einen Fixzinssatz ein- oder umzusteigen?

Natürlich kann man im Fall von steigenden Zinsen während der Kredit- laufzeit von variabel auf fix umsteigen, jedoch nicht zu diesem niedri- gen Niveau wie aktuell. Wenn der EURIBOR zu steigen beginnt, sind in der Regel Zinserhöhungen bereits in den langfristigen Zinsen, also den Fixzinssätzen, eingepreist. Diese werden in erster Linie durch Erwar- tungen getrieben, d. h. zukünftige Zinserwartungen spiegeln sich in den

237 Fixzinssätzen wider. Es verhält sich ähnlich, wie bei den Immobilienprei- sen: Bereits ein geplanter U-Bahn Bau erhöht die Quadratmeter-Preise.

Bei der Entscheidung für oder gegen einen Fixzinssatz ist die Planung von vorzeitigen Rückzahlungen wichtig. Bereits vorhersehbare vorzeitige Teilrückzahlungen, zum Beispiel bei Ablauf einer Versicherung oder eines Bausparvertrages, können in die Kreditvereinbarung aufgenommen wer- den und sind damit auch während der Fixzinsphase spesenfrei möglich. Nicht vorweg vereinbarte zusätzliche Einzahlungen während einer Fixzins- phase sind mit einer Pönale verbunden. Wenn man sich sowohl gegen steigende Zinsen absichern wie auch das niedrigere variable Zinsniveau nützen möchte, bietet sich auch eine Kreditteilung an. Ein Teil mit variab- ler Verzinsung und ein Teil fix. Beim variablen Teil ist die monatliche Rate etwas niedriger und man kann jederzeit pönalefrei zusätzliche Einzahlun- gen leisten. Beim Fixzinsteil ist man gegen steigende Zinsen abgesichert.

Sicherheitsbedürfnis entscheidet

Die Entscheidung, ob fix oder variabel, hängt sehr stark von der Einschät- zung der Zinsenentwicklung und dem Sicherheitsbedürfnis ab. Ob und wann die Zinsen wieder steigen werden, kann niemand mit Sicherheit sagen. Die Analysten der Erste Bank gehen abhängig von Konjunktur- daten und Inflationsniveau von ersten Zinsenerhöhungen nicht vor 2017 aus. Das bedeutet, wenn man sich jetzt für einen Fixzinssatz entscheidet, dann möglichst langfristig. Auch wenn die Zinsen in den nächsten Jahren nicht steigen, geht es, wie bei einer Versicherung, um Ruhe und Sicher- heit. Auch dann, wenn der Schaden nie eintritt. Das Leben hält oft genug Überraschungen bereit, aber eine fixe Kreditrate kann man sich mit einer etwas höheren Rate langfristig sichern.

Die nachfolgende Grafik zeigt die Entwicklung des EURIBOR seit 1991. Der EURIBOR (EURopean InterBank Offered Rate) bildet oftmals die Basis für variable Zinssätze und ist jener Zinssatz, zu dem renommierte Banken (Primebanks) in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion be- reit sind, anderen Banken Geld zu leihen. Der Zinssatz wird täglich um

238 3-Monats-EURIBOR Bis 1998 3-Monats-VIBOR; danach 3-Monats-EURIBOR 10% Durchschnittswert 3,4% 9% 8% 7% 6% 5% 4% 3% 2% 1% 0% Juli 2015 Jän. 1991 Dez. 1992 Dez. 1994 Dez. 1996 Dez. 1998 Dez. 2000 Dez. 2000 Dez. 2004 Dez. 2006 Dez. 2008 Dez. 2010 Dez. 2012 Dez. 2014

Quelle: Bloomberg

11 Uhr Brüsseler Zeit aus dem Durchschnitt der gemeldeten Zinssätze gebildet.

Aus der Vergangenheit lässt sich nicht mit Sicherheit auf die Zukunft schließen, das haben uns die Krisen der letzten Jahre gelehrt, aber das historisch niedrige Zinsniveau ist erkennbar.

Es gibt auch andere Varianten zur Zinsenabsicherung: ‡das Bauspardarlehen mit Ober- und Untergrenze hat eine fixe und eine variable Zinsphase. Darüber hinaus gibt es eine Zinssatzobergrenze von sechs Prozent (gemäß ABB) für 20 Jahre plus Zuteilungszeitraum. ‡bei einem Zins-Cap nützt man jetzt das niedrigere variable Zinsniveau und kauft zusätzlich eine Absicherung. Mittels einer einmaligen Prämie erwirbt man einen Optionsschein. Damit sichert man sich einen Höchst- zinssatz für die gewählte Laufzeit. Je niedriger der Höchstzinssatz und je länger die Laufzeit umso größer die Prämie.

Niemand kann in die Zukunft schauen, aber eine Zinsabsicherung lässt einen ruhig schlafen – egal, wie turbulent es auf den Märkten zugeht.

239 Wohnkredit und Bauspardarlehen im Vergleich

Der Allrounder Das Sichere flexibelster Kredit, mit Fixzinssatz und mit Hypothek Zinssatz-Obergrenze

s Wohn Kredit s Bauspardarlehen

Zweck Kaufen, Bauen und Kaufen (auch Genos- Sanieren von Eigentum senschaftswohnung), Bauen, Sanieren

Hypothek ja ja

Laufzeit bis zu 30 Jahre bis zu 30 Jahre

Zinssatzvarianten EURIBOR-Bindung, Fix- Fixzinssätze gemäß zinssatz, Zinsgleitklausel aktuellem Angebot

Zinssatz-Absicherung Fixzinssatz oder Fixzinssatz, Zinssatz-Ober- Deckelung (Zins-Cap) grenze 6 % (gem. ABB) für 20 Jahre plus Zuteilung- szeitraum

Rückzahlung monatlich, viertel- oder monatlich halbjährlich, jährlich

Maximaler Kreditbetrag unbegrenzt bis 180.000 Euro pro Person

Die kurze Gegenüberstellung zeigt viele Ähnlichkeiten zwischen einem Wohnkredit und einem Bauspardarlehen – aber wo liegen die Unterschiede?

Verwendungszweck: Egal, ob mit oder ohne Hypothek, ein Wohnkredit muss immer für Wohnzwecke verwendet werden. Ein Bauspardarlehen gibt es zusätzlich auch für Bildung, Pflege oder eine Immobilienrente.

Kreditbetrag: Ein Wohnkredit ist in seiner Höhe grundsätzlich unbe- grenzt, wobei die notwendige Leistbarkeit der Rate in der Praxis die Grenzen setzt. Das Bauspardarlehen können Sie bis zu 180.000 Euro pro Person nützen.

240 Beim Bauspardarlehen ist eine Zinssatzunter- und -obergrenze integriert

Zinssatzgestaltung: Beim Wohnkredit haben Sie die Wahl zwischen variablen und fixen Zinssätzen. Zusätzlich besteht die Möglichkeit einer Zinssatzdeckelung mittels Zins-Cap, für die aber eine einmalige Prämie zu leisten ist. Vorteil hier ist, dass man während der Laufzeit zwischen den Varianten umsteigen kann.

Beim Bauspardarlehen startet man mit einem Fixzinssatz. In der an- schließenden variablen Zinsphase besteht eine Zinssatz-Unter- und -Ober- grenze. Vorteil dabei ist der integrierte Höchstzinssatz von sechs Prozent für mindestens 20 Jahre. Man ist ohne Zusatzprämien langfristig gegen stark steigende Zinssätze abgesichert.

Wollen Sie wissen, ‡wieviel ein gewünschter Kreditbetrag monatlich kostet oder welchen Kreditbetrag Sie z. B. für Ihre derzeitige Miete bekommen? ‡welche Nebenkosten anfallen? ‡ob die Rate im Rahmen der Einnahmen und Ausgaben leistbar ist? ‡welche Förderungen Sie bei der Umsetzung Ihres Projektes unterstützen?

All das kann der neue Wohnbaurechner: www.erstebank.at/wohnkreditrechner oder www.sparkasse.at/wohnkreditrechner

241 Ein „Patentrezept“ bei bestehender Finanzierung in Schweizer Franken gibt es nicht. Wichtig ist das Gespräch mit der Bank

Schweizer-Franken-Kredite – Was tun?

Die Kursentwicklung des Schweizer Franken war von Anfang September 2011 bis zum 15. Jänner 2015 durch den von der Schweizerischen Na- tionalbank (SNB) definierten Mindestkurs von 1,2 Franken pro Euro nach unten abgesichert – nach oben konnte sich der Kurs nur selten bis max. 1,25 von diesem „lösen“.

Nach der Aufhebung des Mindestkurses nimmt die SNB nun keine voll- ständig passive Rolle ein. Vielmehr wird betont, auch weiter aktiv in den Devisenmarkt einzugreifen, wenn es aufgrund der Lagebeurteilung erfor- derlich erscheint.

Als weiteres Instrument werden negative Zinsen eingesetzt.

Somit lässt sich die SNB weitere Handlungsoptionen offen.

Ein „Patentrezept“ was im Fall einer bestehenden Finanzierung in Schwei- zer Franken zu tun ist, gibt es nicht. Wichtig ist das Gespräch mit der Bank, um die persönlich beste Lösung zu finden.

242 Welche Möglichkeiten sind in Betracht zu ziehen: ‡spesenfreie Konvertierung in Euro. ‡Fixzinssatz in Euro, um sich gegen Zinssatzanstiege abzusichern. ‡Laufzeitverlängerung, damit ein durch Konvertierung realisierter Kursverlust trotzdem in der Rate leistbar ist. ‡Umstieg von endfällig auf Ratenzahlung, um das zusätzliche Risiko des Tilgungsträgers zu reduzieren. Dies ist auch möglich, wenn man im Schweizer Franken noch Chancen sieht und nicht in Euro konvertieren möchte. Durch die Ratenzahlung und die damit verbundene Reduzie- rung des Kreditbetrages verringert sich auch Ihr Kursrisiko. Die freie Liquidität aus der aktuell niedrigen Zinsbelastung bietet sich dafür an.

Aber das Einzige, was generell zu empfehlen ist, ist das Gespräch mit den Spezialisten Ihrer Bank, die Sie über alle „Risiken und Nebenwirkungen“ informieren.

Katja Fries hat sich bereits im Rahmen ihrer langjährigen Vertriebstätigkeit auf den Finanzierungsbereich spezialisiert. Seit 2002 ist sie im Private Business Services der Erste Bank für den Bereich Wohnfinanzierungen verantwortlich.

243 DER SPAREFROH UND DIE SPARKULTUR IN ÖSTERREICH ALFRED PALECZNY

Der Sparefroh ist seit Ende der 1950er-Jahre Symbol für Spargesinnung in der österreichischen Alltagskultur

Das Jahr 1955 war für die österreichische Politik das wichtigste Jahr der jüngeren Geschichte. Durch den Staatsvertrag konnte sich unser Land erstmals nach siebenjähriger nationalsozialistischer Schreckensherrschaft und zehnjähriger alliierter Besetzung wieder frei entwickeln.

Vertrauen in den Staat förderte Spartätigkeit

Der dadurch mögliche Wirtschaftsauf- schwung führte zu jener Epoche, die man heute als „Wirtschaftswunderjahre“ be- zeichnet. Die Bevölkerung reagierte auf diese Entwicklung, in dem sie diesem Staat erstmals seit dem Ende des Ersten Weltkriegs Vertrauen schenkte und ein Nationalgefühl entwickelte. Ein kleiner, aber nicht unwesentlicher Teilaspekt die- ses Vertrauens war der Wiederbeginn der

244 Spartätigkeit. Die Diskussion der Anhän- ger einer „Nie wieder sparen“-Mentalität1 und den Sparkassen, die seit 1952 wieder den Weltspartag installiert hatten, ging eindeutig zugunsten der Sparkassen aus. Die Menschen holten ihre Reserven – so sie solche besaßen – „aus dem Strumpf“ und legten sie bei den Kreditinstituten ein. Sie sorgten damit erstmals seit Jahrzehn- ten nicht für schlechte Zeiten vor, sondern sparten optimistisch für eine neue Woh- nungseinrichtung, eine Urlaubsreise oder für das erste Auto. Die Spartätigkeit wurde deshalb nicht mehr als Verhinderer des Konsums, sondern volkswirt- schaftlich als unbedingte Notwendigkeit erkannt, um der Wirtschaft die notwendigen Mittel für Kredite und Investitionen zur Verfügung zu stellen.

Die Geburt des Sparefroh

Nun benötigte man für diese Aufbruch- stimmung ein Symbol und fand es in Deutschland, wo 1955 ein „unscheinbares Männchen“ mit dem Namen Sparefroh ge- zeichnet wurde. Man importierte es nach Österreich, gestaltete es neu und setzte es ab 1956 nicht nur für die Spar- und Wirt- schaftserziehung der Jugend, sondern als Emblem für die Spargesinnung und eine fröhliche Freizeitgestaltung als gleichzei- tiger „Spielefroh“ und „Wanderfroh“ ein. Wie der Weltspartag sollte der Sparefroh aber auch für den sinnvollen Einsatz von Strom und Wasser werben, weil diese damals noch keine un- beschränkten Wirtschaftsgüter waren. Der Werbefachmann Karl Damisch und einige Grafiker gaben ihm sein heute noch bekanntes Aussehen. Die Jugendzeitung „Hallo Sparefroh“ vermittelte der Jugend seine Ziele und erreichte mit einer Auflage von 400.000 Exemplaren bald, dass sein

245 Bekanntheitsgrad nahe dem des Bundespräsidenten war. Erwachsene, die hervorragende Leistung für diese Spargesinnung vorweisen konnten, erhielten den „Goldenen Sparefroh“, wie z. B. der damalige Pädagoge und spätere Wiener Bürgermeister Helmut Zilk.

Veränderte Sparmotive

Die österreichische Bevölkerung der 1950er-Jahre veränderte ihre Spar- motive und -ziele. Der Wirtschaftshistoriker Christian Dirninger hat dies unter dem Titel „Von der Mangel- zur Wachstumsgesellschaft“ treffend formuliert: „Statt der Daseinsvorsorge im Bereich der Grundsicherung wurde dem ,Zwecksparen‘ zur Verbesserung der Lebensgestaltung und dem zusätzlichen Gütererwerb der Vorrang gegeben.“2 Vorsorgesparen gewann erst in den späteren 1980er-Jahren wieder an Bedeutung, ei- nerseits, weil damals die im ASVG 1955 geschaffene erste Säule der staatlichen Pensionsversicherung ins Wanken geriet und anderseits die Versicherungsunternehmen attraktive Ansparsysteme im Rahmen der zweiten und dritten Pensionssäule anboten.

Auch das Ziel des Wertzuwachses beim Sparen hatte in den 1950er- Jahren noch wenig Bedeutung. Man begnügte sich fast ausschließlich mit dem bankeinheitlichen und durch die Sozialpartner geregelten „Eck- zinssatz“, der fast durchwegs unter der Inflationsrate lag. Erst Mitte der 1960er-Jahre wurde durch Verbesserungen des Bausparsystems, durch das Prämiensparen und das verstärkte Anbot des Wertpapiersparens – vorerst durch Anleihen und Investmentfonds – auch das Ertragsdenken der Sparer erweckt bzw. befriedigt.

Ein wichtiges Ziel des Sparbuches war neben dem Ansparen für Kon- sumgüter zweifellos der Aufbau vererbbarer Güter. Erstmals konnte eine Generation ihren Nachkommen auch ein kleines Geldvermögen hinter- lassen, ohne befürchten zu müssen, dass es von Krieg oder Inflation aufgefressen werden würde. Das Sparbuch der Oma für die Enkel wurde dadurch legendär. Die Sicherheit der Spareinlage wurde in den 1960er- Jahren sehr hoch eingestuft, der harte Schilling vermittelte Vertrauen in die Währung. Die bis 2002 bestehende Anonymität der Einlagen, das Bankgeheimnis, der zunehmende Konsumentenschutz und die seit den

246 späten 1980er-Jahren aufgebauten Sicherungseinrichtungen waren wei- tere Sicherheitsfaktoren. Tatsächlich hatte in der Zweiten Republik kein Sparer trotz der Pleiten einiger Banken einen Verlust seiner Einlagen zu beklagen.

Entwicklung der Spareinlagen

In folgenden Jahrzehnten wurde gespart wie noch nie zuvor, die Spareinlagen boom- ten von zehn Millionen Schilling im Jahr 1955 auf 500 Millionen Schilling gegen Ende der 1970er-Jahre. Dabei waren die Österreicher keineswegs Sparweltmeister, die Sparquote bewegte sich in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zwischen acht und zehn Prozent – gemessen am ver- fügbaren Einkommen –, das waren einige Prozentpunkte weniger als in den westli- chen europäischen Industriestaaten. 3 Die realen jährlichen Zuwachsraten der Spa- reinlagen in Österreich bewegten sich in den Jahren 1955 bis 1960 zwi- schen 20 und 30 Prozent, 1960 und 1980 – von den Jahren der Erdölkrisen abgesehen – immerhin noch zwischen 10 und 20 Prozent.

Die Banken und Sparkassen erleichterten ihren Kunden zunehmend das Einzahlen von Spareinlagen. Nach 1955 kam es zu einem großzügigen Ausbau des Filialnetzes, das in den 1970er-Jahren sogar zu einer eu- ropaweit überdurchschnittlichen Bankstellendichte in manchen Regionen führte. Die Automatisierung und das Anbot der Selbstbedienungseinrich- tungen führten zu einer Beschleunigung der Geschäftsabwicklung, War- tezeiten vor den Schaltern beim Sparen gehörten bald der Vergangenheit an. Zugleich nahmen die Servicequalität und das Zinsniveau zu. Nach Auslaufen des Habenzinsabkommens zu Beginn der 1980er-Jahre ent- wickelte sich ein Zinswettbewerb der nun zu Universalbanken mutierten Institute, der zu heute unvorstellbaren Zinsen von täglich fälligen Einlagen in Höhe von 11,4 Prozent im Juni 1980 und auch nachher noch zu hohen „grauen“ Zinsen führte.

247 Der Sparefroh zwischen „Vergessen“ und „Wiederentdecken“ Das Schicksal des Sparefroh war mit der Entwicklung der Spareinlagen eng verbun- den. Seine Blütezeit endete in den 1980er- Jahren, als sich die Sparkassen dem Wertpapiergeschäft zuwandten und die Sparbuchwerbung stark reduzierte. 1989 ging der „Vater“ und jahrzehntelange För- derer dieser Symbolfigur, Karl Damisch, in Pension und mit ihm wäre dem Sparefroh fast das gleiche Schicksal widerfahren. Nur seiner zumindest einge- schränkten Popularität in einigen Sparkassen in den Bundesländern au- ßerhalb von Wien verdankt er sein Überleben. Seine Wiederentdeckung durch die Erste Bank im Jahr 2005 verdankt er unter anderem seiner Beliebtheit bei älteren Personen. Sie gelang auch deshalb, weil in diesen Jahren die großen Wirtschaftskrisen der Jahre 2001/02 und 2008/09 zu einer „Renaissance“ des Sparbuches geführt hatten und diese Sparform einige Jahre lang zum Parken von Geldern verwendet wurden, bevor die Menschen wieder ins riskantere Anlagegeschäft einstiegen.

Wirtschaftskrisen und Renaissanceperioden des Sparbuches

1982 war das letzte Jahr mit einer zweistelligen Zuwachsrate der Sparein- lagen, seither gab es immer nach großen Aktieneinbrüchen (1989, 2001, 2008) ein kurzes Aufflackern der aber nur noch einstelligen Zuwachsraten. Von den ersten 15 Jahren des neuen Jahrhunderts gingen in sieben Jah- ren die Spareinlagen real zurück, seit 2010 sogar kontinuierlich. Trotzdem liegt das Sparbuch bei allen Umfragen nach der populärsten Sparform nach wie vor an der Spitze. Das niedrige Zinsniveau der letzten Jahre hat zwar viele Menschen entweder in das Ausweichen auf Anlageformen mit mehr Risiko oder zur Investition in Grundstücke oder andere Anlage- werte geführt. Die eiserne Reserve der Österreicher liegt aber nach wie vor auf den Sparbüchern und das wird sich auch in den nächsten Jahren

248 nicht ändern. So gesehen wird auch der Sparefroh trotz seiner 60 Jahre nicht in Pension gehen, sondern noch viele Jahre seine Aufgabe weiter erfüllen müssen.

Der Sparefroh ist seit 60 Jahren ein Symbol für die Spargesinnung aller Generationen.

Alfred Paleczny war von 1983 bis 2011 im Österreichischen Sparkassenverband beschäftigt und hat sich neben seiner Tätigkeit in der Mitarbeiterausbildung und der Kommunikation intensiv mit der Sparkassengeschichte beschäftigt. Seit seiner Pensionierung beteiligt er sich als Mitarbeiter der Firma Fourcon GmbH am Aufbau eines historischen Archivs der Erste Bank

1 Siehe dazu Sandgruber, Roman: Banken und Sparkassen im Wiederaufbauboom der 1960er-Jahre, S.351 und Knapp, Horst: Neue Sparformen – neue Sparprobleme. Österreichische Sparkassenzeitung Nr. 20/1955, S.172

2 Dirninger, Christian: Sparen in der Zeit … In: Wer hat der hat. Wien 2009, S.75ff.

3 Mooslechner, Peter: Tendenzen im Sparprozeß. Österreichische Sparkassenzeitung Nr.19/1985, S.309

249 DIGITALISIERUNG UND DIE BANK DER ZUKUNFT INTERVIEW MIT BORIS MARTE, LEITER DES ERSTE HUB

Welche Veränderungen kommen auf die Bankenlandschaft zu?

Boris Marte, Mastermind des Innovationslabors Erste Hub, unterstützt mit seinem Team Erste Bank und Sparkassen bei der Transformation ins digitale Zeitalter. Im Interview erklärt er, warum man Fintechs nicht unterschätzen sollte und warum George nie fertig ist.

Es gibt immer mehr dieser kleinen, wendigen Start-Ups aus dem Finanz- bereich, die Softwarelösungen für einzelne Bankprozesse anbieten: so genannte Fintechs. Wie sehr bedroht das die etablierten Banken?

Boris Marte: Die Investitionen in Fintechs haben sich in den letzten zwei Jahren verdreifacht, das sagt eigentlich schon alles. Es handelt sich mit Sicherheit um einen Hype und ein Drittel der Fintechs wird auch nicht überleben. Einige dieser Unternehmen werden schließlich nur aufgebaut, um rasch wieder verkauft zu werden. Allerdings zeigt sich auch eine un- glaubliche Breite an Kreativität und Lösungen, und es gibt sehr erfolgrei- che Firmen. Dabei zeichnen sich Fintechs allerdings immer noch dadurch aus, dass sie nur sehr spezifische Anwendungen aus der Wertschöp- fungskette einer klassischen Bank herausnehmen und dafür Lösungen anbieten. Bisher hat es daher auch noch kein Fintech-Unternehmen ge- schafft, das gesamte Produktportfolio einer Bank abzubilden.

250 Das digitale Banking wird diverser

Inwieweit können Fintechs mit ihren unterschiedlichen Angeboten eine Bank bereits ersetzen?

Es gibt dazu eine sehr interessante Darstellung mit dem Namen „Unbund- ling Wells Fargo“. Dazu wurden alle Dienstleistungen, die Banken anbie- ten, auf verschiedene Fintechs übertragen. Alles, was eine klassische Bank derzeit leisten kann, ist bereits durch ein Fintech abbildbar. Es zeigt sich also, dass traditionelle Banken zum ersten Mal in der Geschichte mit Konkurrenz konfrontiert sind, die für spezifische Angebote innerhalb ihrer Wertschöpfungskette das bessere Angebot hat.

Für klassische Banken ist es also bereits fünf vor zwölf. Es müssen daher Wege gefunden werden, wie eine traditionelle Retailbank ins 21. Jahrhun- dert gelangt. Es wird hier eine völlig neue Welt gebaut, deren Geschwin- digkeit wir nur mitmachen können, wenn wir es schaffen, einen Raum zu kreieren, der das Wissen außerhalb der Bank und das Wissen innerhalb in einen produktiven Zusammenhang bringt. Und das ist im Wesentlichen die Aufgabe des Erste Hub.

251 Welchen Weg gehen Sie mit dem Erste Hub, um hier konkurrenzfähig zu bleiben gegenüber diesen Fintechs?

Im Gegensatz zu Fintechs bauen wir nicht etwa einfach eine isolierte App für einen bestimmten Anwendungsfall und das war’s. lm Erste Hub müssen wir die Grundvoraussetzungen für ein neues Geschäftsmodell für einen großen Fi- nanzdienstleister mit 3000 Filialen und 50.000 Mitarbeitern in sieben verschie- denen Ländern schaffen. Da ist es falsch davon auszugehen, dass es hilft, mal schnell ein wenig Venture Capital in ein paar Start-Ups zu stecken. Das wird die Transformation der gesamten Bank nicht weiterbringen, sondern nur kurz- fristig dazu beitragen, ein neues Angebot für Kunden unterzubringen. Unser Ansatz ist viel tiefer und breiter und aus meiner Sicht auch professioneller.

Und wie weit sind sie auf dem Weg, diesen digitalen Herausforderungen zu begegnen?

Da gibt es drei unterschiedliche Antworten. Erstens werden Sie kaum eine Bank im deutschsprachigen Raum finden, deren Transformationsprozess so weit fortgeschritten ist und die mittlerweile ein komplettes digitales Ökosystem hat, das auch bereits durch rein digitale Produkte Geld ver- dient. Zweitens haben wir noch viel zu tun, vor allem im Hinblick darauf, gezielt personalisierte digitale Produkte auf den Markt zu bringen. Drittens stehen wir auch im Verhältnis zu dem, was einige Fintechs können, noch ziemlich am Anfang.

George ist ja eine der Antworten auf die Vielfalt der Apps von Fintechs. Sind sie zufrieden mit der Entwicklung?

George ist jetzt seit einem Jahr auf dem Markt und hat bereits über 500.000 Nutzer. Das ist phänomenal und zeigt, was hier noch möglich ist. Start-Ups aus der Fintech-Szene machen bei 10.000 Nutzern schon die Sektflaschen auf. Die suchen sich ein einzelnes Service einer Bank, perfektionieren es digital und müssen dann um jeden Kunden ringen. Und das ist unser Vorteil. Wir haben eine solide Kundenbasis, der wir auch auf digitaler Ebene das Beste anbieten wollen. Und darüber hinaus kann sich jeder Kunde sicher sein, dass wir seine Daten niemals an Dritte weiterge- ben werden, weil wir eben eine Bank sind. Ein Fintech kann sich da schon etwas einfallen lassen, um aus Kundendaten auch Profit zu schlagen.

252 Boris Marte, Leiter des Innovationslabors Erste Hub

Das Datenthema hat im Finanzbereich durch „Big Data“ massiv an Bedeu- tung gewonnen. Welche Rolle spielt das Thema für Sie?

Ich spreche lieber von „Mini Data“, meiner Meinung nach ist immer die kleinstmögliche Applikation auch die sinnvollste. In George gibt es zum Beispiel ein Plug-in, mit dem der Kunde auf die Transaktionsliste seines Kontos der letzten sieben Jahre zugreifen kann. Er kann darin so schnell suchen wie im Zeitraum über einen Monat, die Suche funktioniert so einfach wie bei Google und ist auch semantisch aufgebaut. Diese Daten haben wir, da dies der Regulator von uns verlangt – warum also soll man sie nicht auch dem Kunden zugänglich machen? Wir verkaufen dieses Plug-in für 98 Cent im Monat.

Und was ist mit George 2016 geplant?

Also um es gleich vorweg zu sagen: George ist nie fertig! Wir haben mit George ein Ökosystem geschaffen, das es uns erlaubt laufend neue Funktionen, Produkte und Features anzubieten. Der Plug-in-Store zur Konfiguration für jeden Benutzer ist einmalig im Bankenbereich. Aktuell sind wir zum Beispiel gerade dabei, ein neues Wertpapier-Plug-in zu ent- wickeln. Unser Ziel ist klar: Die Oberfläche von George wird in Zukunft

253 George lernt und entwickelt sich: in Zukunft wird man in George auch Wertpapiere handeln können im Retailgeschäft auch gute Investmentmöglichkeiten anbieten. ln Kom- bination mit den bereits vorhandenen Apps – etwa das Budget-Tool oder der Finanz-Manager – wollen wir im kommenden Jahr die Vision einer in- dividuellen Vermögensplanung unter Zuhilfenahme aller Liquiditätsdaten integriert auf einer Oberfläche umsetzen.

Welche Auswirkungen wird dies auf die Berater im Veranlagungsbereich haben?

Der Berater hat dann eine wunderbare Möglichkeit, mit dem Kunden zu interagieren. Langfristig wird die George-Oberfläche auch die Oberfläche für den Berater sein. Der Kunde kann dann zum Beispiel zu Hause sein Portfolio konfigurieren und danach in der Filiale mit dem Berater darüber sprechen.

Wie viele Plug-ins gibt es aktuell für George?

Es gibt aktuell zwei kostenpflichtige Plug-ins, neben der Suche über sieben Jahre gibt es noch „Snapshot“. Das Plug-in ist eng mit dem Finanz-Mana- ger verzahnt, bildet aber zusätzliche Ausgaben- und Einnahmentrends im eigenen Konto visuell ab. Insgesamt gibt es bereits zehn Plug-ins.

254 Wie kommen George und die Plug-ins bei den Kunden an – können Sie ein paar Zahlen nennen?

Im Schnitt ist der George-User 39 Jahre alt, jeder fünfte ist sogar über fünfzig. Es ist also keineswegs nur etwas für die Jungen, auch speziell von Senioren ist das Feedback sehr gut, weil alles so intuitiv funktioniert. Bemerkenswert ist auch die Entwicklung, dass wir mittlerweile mehr Log-ins auf mobilen Geräten haben als am PC. George ist ja responsive und passt sich jedem Gerät und jeder Bildschirmgröße optimal an. Es gibt aber auch eine eigene George-Go-App mit den wichtigsten Funktionen für unterwegs, die liegt bald bei 200.000 Downloads. Wir haben jetzt 500.000 User, damit ist jeder vierte Online-Banking-Kunde in Österreich George-Nutzer. Bis 2019, zum 200. Geburtstag von Erste Bank und Spar- kassen, wollen wir jeden zweiten Online-Banking-Kunden in Österreich als George-User haben.

Um dieses herausfordernde Ziel zu erreichen, werden Sie sehr viele echte Neukunden brauchen. Wie will man die erreichen?

In den kommenden fünf Jahren wird es ganz einfach werden, die Bank zu wechseln. Der Regulator wird dem Konsumenten die Möglichkeit geben, seinen IBAN zu behalten. Die Banken müssen dann sehr rasch die histo- rischen Kontodaten übertragen. In diesem Moment wird die Wechselbe- reitschaft enorm zunehmen.

Boris Marte leitet den Erste Hub, das Innovationslabor von Erste Bank und Sparkassen. Marte verantwortet damit ein interdisziplinäres Team von rund 50 Mitarbeitern, die im Auftrag der Sparkassengruppe an Innovationen für das Banking der Zukunft arbeiten. Zuvor war Marte Vorstand in der Erste Stiftung und hat die Gemeinwohlaktivitäten der Stiftung wesentlich mitgeprägt.

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