„Deutschlands schönste Autobahnstrecke“ Der -Albaufstieg/ -abstieg am Drackensteiner Hang

Autobahn – München, kurz nach der Anschlussstelle Mühlhausen: Ein langsam fahrender LKW voraus, Geschwindigkeitsbegrenzung, lästiges Zurück- schalten in den dritten Gang, plötzlich fehlt die Gegenfahrbahn. Nur wenigen Autofahre rinnen und Autofahrern ist bewusst, dass sie sich gerade auf einem historischen Autobahnabschnitt befinden, der einst sogar als „Deutschlands schönste Autobahnstrecke“ gepriesen wurde. Der Autobahnauf- und -abstieg am Drackensteiner Hang ist das einzige denkmalgeschützte Autobahnteilstück in Baden-Württemberg und eines der wenigen bundesweit. Martin Hahn

Die Baugeschichte der Strecke, die den Steilhang mutung von Natursteinbrücken, in den Naturstein - der Schwäbischen Alb mit der unkonventionellen, stützmauern sowie bei der Beibehaltung der ja revolutionären Lösung der Teilung der Fahrstre- Fahrbahnneigung, der -steigung und der Kurven- cken und mit zahlreichen Brücken und Tunnels be- radien bei den Brückenbauwerken werden die wältigt, ist facettenreich. In der historischen Fo- Bemühungen von Bonatz und der Bauleitung zur tosammlung des ehemaligen Landesamts für Stra- optimalen landschaftlichen Einbettung der Auto- ßenwesen Baden-Württemberg ist der Bauverlauf bahn sichtbar. Dieser harmonischen Integration eindrucksvoll dokumentiert. Begonnen wurde die in die Steilhänge des Albtraufs im oberen Filstal von der Obersten Bauleitung der Kraftfahrbahnen war auch die Aufteilung in eine Aufstiegs- und in Stuttgart geplante Strecke 1936. Für die Kunst- eine Abstiegsstrecke geschuldet, ließen sich doch bauten wurde architektonischer Rat von Paul zwei schmale Bänder am Hang besser anpassen als Bonatz eingeholt, der diese Beratungstätigkeit zu- ein breites Band mit großen Stützmauern. vor schon für ein weiteres epochales Verkehrs- Der Albabstieg mit dem Nasenfelstunnel, der be- bauwerk des Landes, den Neckarkanal, geleistet rühmten Drachenlochbrücke und fünf weiteren hatte. Im traditionellen Motiv der Bogenbrücken Brücken in einheitlicher Gestaltung als spektaku- mit Parabelform, in der steinmetzmäßigen Ober- läre Brückenfolge wurde 1937 fertiggestellt. Der 1 Drachenlochbrücke flächengestaltung dieser Betonbrücken in der An- Albabstieg war zunächst im Gegenverkehr befahr - am Albabstieg. bar. Am Albaufstieg waren der Lämmerbuckel- büro Leonhardt-Andrä (Stuttgart). Jeder Pfeiler ist tunnel durchgestochen und die beiden wichtig- für sich freistehend und besteht aus zwei bogen- sten Brücken (Todsburg- und Malakoffbrücke) teil- förmigen Kragarmen, was einen leichteren Über- weise fundamentiert, als 1941/42 die Arbeiten bau ermöglichte. kriegsbedingt eingestellt wurden. Der Lämmerbu - Besonderes Kennzeichen der Autobahnplanung ckel tunnel wurde im Zweiten Weltkrieg als Rüs- am Albtrauf ist die zeittypische optimale land- tungsfabrik genutzt, die Drachenlochbrücke zer- schaftliche Einfügung der Trasse, die Betonung stört, wovon eindrucksvolle Bruchstücke am Berg- und Inszenierung landschaftlicher Eigenheiten fuß noch heute Zeugnis ablegen. (z.B. „Steinernes Weib“) und ihre bewusste Ein- 1955 bis 1957 erfolgte schließlich die Fertigstel- beziehung in das Erlebnis „Autofahrt“. Kleine lung des Albaufstiegs, wobei die Ingenieure sich Parkplätze entlang der Strecke sollten zur Aussicht damals rühmten, die 1938 entworfene, eher harte ins Filstal einladen. Ganz im Gegensatz zur heuti- Linienführung aus Kreisbögen und Zwischengera- gen, durch die immense Verkehrsbelastung ver- den durch eine dynamischere, fahrerfreundlichere ständlicherweise negativen Wahrnehmung wurde neue Linienführung mit Kreisbögen und so ge- die Autobahn damals als Bereicherung für die nannten Klothoiden (Übergangsbogen bei Kurven Landschaft gesehen: „Die Autobahn wurde also im Straßenbau) verbessert zu haben. Die Proble- nicht eine Zerstörung der Landschaft, sie brachte matik des Brückenbaus im geologisch schwierigen im Gegenteil neue Werte“ (: Leben Gehängeschutt des Albtraufs zeigt sich besonders und Bauen 1950); „Kühnheit und Schönheit dieser eindrucksvoll an der Todsburgbrücke, deren Fun- Straße und ihrer eindrucksvollen Brückenbauten damente ebenso tief gründen wie die Brücken - sprechen für sich. Die selten glückliche Harmonie, bögen hoch sind. In der Senkkastenbauweise, ei- die Straße und Landschaft zu einer Einheit werden gentlich für den Bau von Brückenpfeilern im Was- lassen, sichern dem Albaufstieg eine Sonderstel- ser entwickelt, wurden die Fundamente bis zu lung im Autobahnbau in unserem Vaterland.“ 25 m in den Boden getrieben, bis sicherer Bau- (Innenminister Victor Renner anlässlich der Einwei - 2 Faltblatt „Deutschlands grund erreicht war. Die Todsburgbrücke erscheint hung der Komplettstrecke 1957). schönste Autobahn - zwar optisch heute als Bogenbrücke wie in den Diese Verbindung von Straße und Landschaft strecke“ des Landes - 1930er Jahren geplant, erfuhr aber bei der Fertig- drückt sich auch darin aus, dass 1941 eine „Ver- verkehrsverbands stellung 1955 bis 1957 eine grundlegende Ände- ordnung zum Schutz von Landschaftsbestandtei- Württemberg, um 1960. rung der Konstruktionsart durch das Ingenieur- len und Landschaftsteilen entlang der Reichsauto-

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bahn Stuttgart– München“ erlassen wurde, das Thomas Zeller: Straße, Bahn, Panorama. Verkehrs- heißt die Landschaft zusammen mit der Autobahn wege und Landschaftsveränderung in Deutschland fortan geschützt wurde. von 1930 bis 1990, Frankfurt 2002. Der Autobahn-Albaufstieg/ -abstieg am Dracken- Landesarchiv Baden-Württemberg (Hrsg.): Kultur- steiner Hang ist authentisches und zugleich solitä- landschaft Autobahn. Die Fotosammlung des Landes - res Beispiel für eine Autobahnplanung der 1930er amts für Straßenwesen Baden-Württemberg, Stutt- und 1950er Jahre in schwierigem Berggelände, gart 2011. „ein technisches Meisterwerk, das seinesgleichen Der Albaufstieg, Stuttgart 1957 (Broschüre zur Eröff- sucht.“ (Landesverkehrsverband Württemberg, nung der Gesamtstrecke, Archiv Abt. 4 Straßenwesen um 1960). Der Autobahnabschnitt ist ein hoch- und Verkehr des Regierungspräsidiums Stuttgart). wertiges Dokument für die damalige Vorstellung Paul Bonatz: Leben und Bauen, Stuttgart 1950. 4 Kunstbauten am vom „Erlebnis der “ und ein erst- Autobahn-Albaufstieg/ klassiges Zeugnis der Geschichte des Straßenbaus -abstieg: Nasenfelstunnel, im Land. Der Autobahn-Albaufstieg/ -abstieg am Dr.-Ing. Martin Hahn Fischerhäusle- und Drackensteiner Hang ist deshalb ein Kulturdenk- Regierungspräsidium Stuttgart Todsburgbrücke, im mal aus wissenschaftlichen (verkehrs-, bau- und Landesamt für Denkmalpflege Uhrzeigersinn. kulturgeschichtlichen) und künstlerischen Grün- den. Seine Erhaltung liegt wegen seines hohen dokumentarischen und exemplarischen Wertes sowie seines Originalitäts- und Seltenheitswertes (Teilung der Fahrstrecken und zahlreiche Kunst- bauten) im öffentlichen Interesse. Als „Schrittmacher des Fortschritts“ könnte der Autobahnabschnitt am Drackensteiner Hang wie viele Verkehrsdenkmale in Deutschland auch „Op- fer des Fortschritts“ (Jan Gympel, 1999) werden, da er wegen der ständig steigenden Verkehrszah- len durch einen neuen Albaufstieg ersetzt werden soll. Konservatorisches Ziel ist es auch bei der Neu- planung, dieses bundesweit wichtige Kulturdenk- mal der Verkehrsgeschichte des 20. Jahrhunderts in Substanz und Erscheinungsbild zu erhalten.

Literatur und Quellen

Jan Gympel: Schrittmacher des Fortschritts – Opfer des Fortschritts? Bauten und Anlagen des Verkehrs, Band 60 der Schriftenreihe des Deutschen National- komitees für Denkmalschutz, Bonn 1999.

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