Helene Weber (1881-1962): Ein Frauenleben Für Die Politik
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Porträt Erhard H. M. Lange Helene Weber (1881-1962): Ein Frauenleben für die Politik Keine nach dem Zweiten Weltkrieg an führender Stelle wirkende Parlamentarie rin vermochte auf eine derart umfassende parlamentarische Tätigkeit zurückzubli• cken, wie die aus Elberfeld stammende nordrhein-westfälische Landtags- und spätere Bundestagsabgeordnete Helene Weber (CDU). 1 Unter den vier Frauen, Abb. 8: Helen e Weber (ca. 1950) 1 Wenn auch bisher noch keine umfassende Biografie über Helene Weber vorliegt, so befassen sich doch mit ihr eine größere Anzahl kleinerer Beiträge, von denen hier nur eine Auswahl genannt sei: Wilhelm Bettecken, Helene Weber, in: Wuppertaler Biographien, 14. Folge, Wuppertal 1984, S. 84-89; Michael Braun, Helene Weber, in: Günter BuchstabiKlaus Gotto (Hg.), Die Gründung der Union. Traditionen, Entstehung und Repräsentanten, München 1981 , S. 145-156; Paul Jansen, Helene Weber 1881-1962, in: Christen zwischen Niederrhein und Eifel, Bd. 3, Aachen 1993, S. 171-186; Angela Keller-Kühne, Protestantin Elisabeth Schwarz haupt und Katholikin Helene Weber: Zwei weibliche Pole in der Union?, in: Elisabeth Schwarz haupt (1901-1986). Portrait einer streitbaren Politikerin und Christin, Hg. Hessische Landes regierung, Freiburg-Br. u.a. 2001, S. 186--193; Marlene Lenz, Helene Weber, in: Christliche Demokraten der ersten Stunde, Bonn 1966, S. 403-419; Regine Marquardt, Helene Weber (1881-1962). "Mehr Politik im kleinen Finger als mancher Mann in der ganzen Hand", in: dieselbe, Das Ja zur Politik. Frauen im Deutschen Bundestag ( 1949-1961). Ausgewählte Bio graphien, Opladen 1999, S. 69-101 (dazu S. 287-289; S. 308-310); RudolfMorsey, Helene Weber (1881-1962), in: Zeitgeschichte in Lebensbildern, Bd. 3, Mainz 1979, S. 223-234; Eli sabeth Pregardier, Engagiert- drei Frauen aus dem Ruhrgebiet Albertine Badenberg, Helene Weber, Antonie Hopmann, Annweiler am Trifels 2003; dieselbe, Helene Weber ( 1881-1962). Sozialpolitikerin und Frauenrechtlerin, in: Alfred Pothmann (Hg.), Christen an der Ruhr, Bott- Geschichte im Westen (GiW) Jahrgang 21 (2006), 183-201 © Klartext Verlag, Essen, ISSN 0930-3286 183 Erhard H. M. Lange welche 1948/49 im Parlamentarischen Rat das Grundgesetz mitberieten, war sie die einzige, die bereits dreißig Jahre zuvor der Weimarer Nationalversammlung ange hört hatte. 2 Und auch unter ihren männlichen Ratskollegen gab es nur zwei, nämlich den Berliner SPD-Vertreter Paul Löbe und den inzwischen für die Deutsche Partei wirkenden niedersächsischen Abgeordneten Wilhelm Heile, welche eine derart weit zurückreichende parlamentarische Biografie aufweisen konnten. Kaiserreich, Weimarer Republik, Drittes Reich, Besatzungsherrschaft, Bundesrepublik, dazu zwei Weltkriege, zwei Inflationen und mehrere einschneidende Wirtschaftskrisen begleiteten die wechselvollen persönlichen und politischen Hauptstationen ihres Lebens. Anlässlich des 100. Geburtstages von Helene Weber hat eine ihrer politi schen Weggefährtinnen der Nachkriegszeit, Aenne Brauksiepe, deren Biografie in die Worte gefasst: "Ihr Lebenslauf ist ein Stück deutscher Geschichte von Dichte und Prüfung. Nur wer die Mühsal, Strapaze und Gefährdung am eigenen Leibe erlitten hat, begreift das Erregende, daß sie sich nach Zerreißprobe und Bewährung - in tiefer Gewissensbildung ihrem Glauben treu - immer wieder der Aufgabe stellt, statt zu fliehen. "3 Als ihr "Lebensziel" hatte Helene Weber im Handbuch der Weimarer National versammlung 1919 die Absicht betont, "die Kulturarbeit am deutschen Volke" zu "beeinflussen", und in dem Zusammenhang auf Wege und Methoden zur "Erneue rung der Frauen und der weiblichen Jugend" verwiesen.4 Aus ihrem katholischen rop u. a. 1998, S. 165-188; Saskia Reiche!, Helene Weber (1881-1962), in: Anruf und Antwort. Bedeutende Frauen aus dem Raum der Euregio Maas-Rhein. Lebensbilder in drei Bänden, Bd. 3, Aachen 1991, S. 75-90; Charlotte Rieden, Helene Weber als Gründerinder Katholischen Schule für Sozialarbeit in Köln und als Sozialpolitikerin, in: Rüdeger Baron (Hg.), Sozialarbeit und Soziale Reform. Zur Geschichte eines Berufs zwischen Frauenbewegung und öffentlicher Verwaltung. Festschrift zum 75-jährigen Bestehen der Sozialen Frauenschule Berlin-Schöne• berg ... , Weinheim/Basei 1983, S. 110-143; Thomas Roth, Helene Weber (1881-1962), in: 100 Jahre Frauenstudium, Bonn 1996, S. 148-151; Angelika Schmidt-Koddenberg, Helene Weber (1881-1962), in: Michael Fröhlich (Hg.), Die Weimarer Republik. Portrait einer Epo che in Biographien, Darmstadt 2002, S. 244-255; Roswitha Verhülsdonk, Helene Weber, in: Renate Hellwig (Hg.), Unterwegs zur Partnerschaft. Die Christdemokratinnen, Stuttgart 1984, S. 110-119. Dazu in teilweise veränderter Neuausgabe des erstmals zum 80. Geburtstag von der Zentrale des Katholischen Frauenbundes (Köln) 1961 herausgegebenen Sammelbandes: Anne Mohr!Elisabeth Pregardier (Hg.), Ernte eines Lebens: Helene Weber (1881-1962). Weg einer Politikerin, Annweiler!Essen 1991. -Der Nachlass befindet sich im Institut für Zeit geschichte, München (ED 160). 2 Zu den weiblichen Ratsmitgliedern: Carmen Sitter, Die Rolle der vier Frauen im Parlamenta rischen Rat. Die vergessenen Mütter des Grundgesetzes, Münster 1995. 3 Aenne Brauksiepe, Wer glaubt, stellt sich der Aufgabe, in: die christliche frau 70. Jg. (1981), Nr. 2, S. 37-44, hier S. 39. 4 Nach Joseph Joos, So sah ich sie. Menschen und Geschehnisse, Augsburg 1958, S. 26-32, hier S. 29. 184 Helene Weber (1881-1962) Sozialverständnis heraus wollte sie dabei nicht die Frau von ihrem Frausein schlecht hin emanzipieren, sondern im Sinne eines durchaus traditionellen christlichen Ord nungsbildes deren ureigene Kräfte in das Gemeinwesen einbringen. 5 Es ging ihr mithin in erster Linie um eine gleichberechtigte Anerkennung der Frau im gesell schaftlichen Leben als solche, nicht hingegen um die Überwindung eines frauen spezifischen Rollenverständnisses, wohin die Emanzipationsbestrebungen der Nach folgegenerationell tendieren sollten. Helene Weber, die unverheiratet blieb, stand damit für eine spezifische zeitbedingte Entwicklungsstufe weiblicher Emanzipation im katholisch-konservativen Lager. Dabei verkörperte sie diese Vorstellungen mit Leidenschaft und großer Überzeugungskraft Sie war zu ihrer Zeit die einfluss reichste Politikerin ihrer weltanschaulichen Richtung. Ihre Wirksamkeit bezog sich nicht allein auf die Ebene des Parlaments und der Partei, sondern umfasste ein weites Spektrum gesellschaftlicher Tätigkeiten, so ihr Wirken als Pädagogin, als ehrenamtliche Sozialarbeiterin und als Verbandspolitikerin, dazu spezifisch in den Jahren der Weimarer Republik als Ministerialbeamtin. 6 Dabei war, auf welcher Ebene sie sich auch betätigte, das Soziale im Urteil von Zeitgenossen die Leitlinie ihres Handelns. Doch wenden wir uns zunächst den persönlichen biografischen Ent wicklungslinien zu. Kindheit, Jugend und beruflicher Werdegang Helene Auguste Weber wurde am 17. März 1881 als Tochter des Volksschullehrers Wilhelm Weber (1851-1922) und dessen Ehefrau Agnes Christiane Weber geb. van Gent in der damals noch selbständigen Textilstadt Elberfeld geboren, wo sie mit fünf Geschwistern in einem katholischen Elternhaus kleinbürgerlicher Prägung auf wuchs.7 Ihr Vater, der ursprünglich aus Hessen stammte, hat dort 30 Jahre lang an einer katholischen Volksschule gewirkt, dazu sich als Kirchenvorstand und als mehr jähriger Vorsitzender der Biberfelder Zentrumspartei betätigt.8 So gewann die Tochter schon früh eine Anschauung des politischen Katholizismus, der in dem Umfeld stark von der katholischen Soziallehre her bestimmt wurde, welche durch die päpstliche 5 So Brauksiepe, Aufgabe (wie Anm. 3), S. 42. 6 Zu dem letzterwähnten Aspekt: Ilone H. Winkelhausen, Helene Weber- erste Frau Deutsch lands in leitender Position in einem Ministerium, dem Preußischen Wohlfahrtsministerium, in: Hugo Maier (Hg.), Who is who der Sozialen Arbeit, Freiburg-Br. 1998, S. 609-611. 7 Mitteilungen durch Stadtarchivar Dr. Uwe Eckardt, Stadtarchiv Wuppertal v. 12. 11. 1997, auf der Grundlage standesamtlicher Unterlagen; ferner Marquardt, S. 72. 8 Nachruf zu Lehrer Wilhelm Weber, in: Bergische Tageszeitung v. 3. 6. 1922; dazu auch Roger Baecker, Die christliche Politikerin Helene Weber, in: Bergische Blätter, 9. Jg., Nr. 14 (12.7.1986),S.10. 185 Erhard H. M. Lange Enzyklika "Rerum Novarum" (1891) von Papst Leo XIII. eine richtungweisende Grundlage fand. Die aus den Niederlanden stammende Mutter, deren Vater in einem kleinen friesischen Städtchen als Stadtrat wirkte, öffnete der Heranwachsenden und ihren Geschwistern den Blick über die nationalen Grenzen hinweg. 9 Helene Weber selber absolvierte nach dem Besuch der Höheren Mädchenschule in Elberfeld die Lehrerinnenbildungsanstalt in Aachen und war danach zunächst in Haarern bei Aachen und dann in ihrer Heimatstadt Elberfeld als Volksschullehrerin tätig. Da sich inzwischen die Universitäten zunehmend auch für Frauen öffneten, nahm sie dann aber im Jahre 1905 noch ein Universitätsstudium auf und studierte bis 1909 erfolgreich in Bonn und Grenoble die Fächer Geschichte, Französisch, Volkswirtschaft und Philosophie. Ihr ausgeprägtes soziales Interesse wurde dabei auch in der Themenwahl der während des Studiums angefertigten Seminararbeiten sichtbar: So im Fach Geschichte über "Die soziale Frage im 19.Jahrhundert", in Philosophie über "Die materialistische Geschichtsauffassung" oder in Französisch über "Die soziale Komödie". 10 Nach der Erlangung der Berechtigung für das Lehramt an Höheren Schulen trat sie 1909 eine Stelle als Lehrerin in einem neu eingerichteten