Porträt

Erhard H. M. Lange Helene Weber (1881-1962): Ein Frauenleben für die Politik

Keine nach dem Zweiten Weltkrieg an führender Stelle wirkende Parlamentarie­ rin vermochte auf eine derart umfassende parlamentarische Tätigkeit zurückzubli• cken, wie die aus Elberfeld stammende nordrhein-westfälische Landtags- und spätere Bundestagsabgeordnete Helene Weber (CDU). 1 Unter den vier Frauen, Abb. 8: Helen e Weber (ca. 1950)

1 Wenn auch bisher noch keine umfassende Biografie über Helene Weber vorliegt, so befassen sich doch mit ihr eine größere Anzahl kleinerer Beiträge, von denen hier nur eine Auswahl genannt sei: Wilhelm Bettecken, Helene Weber, in: Wuppertaler Biographien, 14. Folge, 1984, S. 84-89; Michael Braun, Helene Weber, in: Günter BuchstabiKlaus Gotto (Hg.), Die Gründung der Union. Traditionen, Entstehung und Repräsentanten, München 1981 , S. 145-156; Paul Jansen, Helene Weber 1881-1962, in: Christen zwischen Niederrhein und Eifel, Bd. 3, 1993, S. 171-186; Angela Keller-Kühne, Protestantin Elisabeth Schwarz­ haupt und Katholikin Helene Weber: Zwei weibliche Pole in der Union?, in: Elisabeth Schwarz­ haupt (1901-1986). Portrait einer streitbaren Politikerin und Christin, Hg. Hessische Landes­ regierung, Freiburg-Br. u.a. 2001, S. 186--193; Marlene Lenz, Helene Weber, in: Christliche Demokraten der ersten Stunde, 1966, S. 403-419; Regine Marquardt, Helene Weber (1881-1962). "Mehr Politik im kleinen Finger als mancher Mann in der ganzen Hand", in: dieselbe, Das Ja zur Politik. Frauen im Deutschen ( 1949-1961). Ausgewählte Bio­ graphien, Opladen 1999, S. 69-101 (dazu S. 287-289; S. 308-310); RudolfMorsey, Helene Weber (1881-1962), in: Zeitgeschichte in Lebensbildern, Bd. 3, Mainz 1979, S. 223-234; Eli­ sabeth Pregardier, Engagiert- drei Frauen aus dem Ruhrgebiet Albertine Badenberg, Helene Weber, Antonie Hopmann, Annweiler am Trifels 2003; dieselbe, Helene Weber ( 1881-1962). Sozialpolitikerin und Frauenrechtlerin, in: Alfred Pothmann (Hg.), Christen an der Ruhr, Bott-

Geschichte im Westen (GiW) Jahrgang 21 (2006), 183-201 © Klartext Verlag, Essen, ISSN 0930-3286

183 Erhard H. M. Lange welche 1948/49 im Parlamentarischen Rat das Grundgesetz mitberieten, war sie die einzige, die bereits dreißig Jahre zuvor der Weimarer Nationalversammlung ange­ hört hatte. 2 Und auch unter ihren männlichen Ratskollegen gab es nur zwei, nämlich den Berliner SPD-Vertreter Paul Löbe und den inzwischen für die Deutsche Partei wirkenden niedersächsischen Abgeordneten Wilhelm Heile, welche eine derart weit zurückreichende parlamentarische Biografie aufweisen konnten. Kaiserreich, Weimarer Republik, Drittes Reich, Besatzungsherrschaft, Bundesrepublik, dazu zwei Weltkriege, zwei Inflationen und mehrere einschneidende Wirtschaftskrisen begleiteten die wechselvollen persönlichen und politischen Hauptstationen ihres Lebens. Anlässlich des 100. Geburtstages von Helene Weber hat eine ihrer politi­ schen Weggefährtinnen der Nachkriegszeit, , deren Biografie in die Worte gefasst: "Ihr Lebenslauf ist ein Stück deutscher Geschichte von Dichte und Prüfung. Nur wer die Mühsal, Strapaze und Gefährdung am eigenen Leibe erlitten hat, begreift das Erregende, daß sie sich nach Zerreißprobe und Bewährung - in tiefer Gewissensbildung ihrem Glauben treu - immer wieder der Aufgabe stellt, statt zu fliehen. "3 Als ihr "Lebensziel" hatte Helene Weber im Handbuch der Weimarer National­ versammlung 1919 die Absicht betont, "die Kulturarbeit am deutschen Volke" zu "beeinflussen", und in dem Zusammenhang auf Wege und Methoden zur "Erneue­ rung der Frauen und der weiblichen Jugend" verwiesen.4 Aus ihrem katholischen

rop u. a. 1998, S. 165-188; Saskia Reiche!, Helene Weber (1881-1962), in: Anruf und Antwort. Bedeutende Frauen aus dem Raum der Euregio Maas-Rhein. Lebensbilder in drei Bänden, Bd. 3, Aachen 1991, S. 75-90; Charlotte Rieden, Helene Weber als Gründerinder Katholischen Schule für Sozialarbeit in Köln und als Sozialpolitikerin, in: Rüdeger Baron (Hg.), Sozialarbeit und Soziale Reform. Zur Geschichte eines Berufs zwischen Frauenbewegung und öffentlicher Verwaltung. Festschrift zum 75-jährigen Bestehen der Sozialen Frauenschule Berlin-Schöne• berg ... , Weinheim/Basei 1983, S. 110-143; Thomas Roth, Helene Weber (1881-1962), in: 100 Jahre Frauenstudium, Bonn 1996, S. 148-151; Angelika Schmidt-Koddenberg, Helene Weber (1881-1962), in: Michael Fröhlich (Hg.), Die Weimarer Republik. Portrait einer Epo­ che in Biographien, Darmstadt 2002, S. 244-255; Roswitha Verhülsdonk, Helene Weber, in: Renate Hellwig (Hg.), Unterwegs zur Partnerschaft. Die Christdemokratinnen, Stuttgart 1984, S. 110-119. Dazu in teilweise veränderter Neuausgabe des erstmals zum 80. Geburtstag von der Zentrale des Katholischen Frauenbundes (Köln) 1961 herausgegebenen Sammelbandes: Anne Mohr!Elisabeth Pregardier (Hg.), Ernte eines Lebens: Helene Weber (1881-1962). Weg einer Politikerin, Annweiler!Essen 1991. -Der Nachlass befindet sich im Institut für Zeit­ geschichte, München (ED 160). 2 Zu den weiblichen Ratsmitgliedern: Carmen Sitter, Die Rolle der vier Frauen im Parlamenta­ rischen Rat. Die vergessenen Mütter des Grundgesetzes, Münster 1995. 3 Aenne Brauksiepe, Wer glaubt, stellt sich der Aufgabe, in: die christliche frau 70. Jg. (1981), Nr. 2, S. 37-44, hier S. 39. 4 Nach Joseph Joos, So sah ich sie. Menschen und Geschehnisse, Augsburg 1958, S. 26-32, hier S. 29.

184 Helene Weber (1881-1962) Sozialverständnis heraus wollte sie dabei nicht die Frau von ihrem Frausein schlecht­ hin emanzipieren, sondern im Sinne eines durchaus traditionellen christlichen Ord­ nungsbildes deren ureigene Kräfte in das Gemeinwesen einbringen. 5 Es ging ihr mithin in erster Linie um eine gleichberechtigte Anerkennung der Frau im gesell­ schaftlichen Leben als solche, nicht hingegen um die Überwindung eines frauen­ spezifischen Rollenverständnisses, wohin die Emanzipationsbestrebungen der Nach­ folgegenerationell tendieren sollten. Helene Weber, die unverheiratet blieb, stand damit für eine spezifische zeitbedingte Entwicklungsstufe weiblicher Emanzipation im katholisch-konservativen Lager. Dabei verkörperte sie diese Vorstellungen mit Leidenschaft und großer Überzeugungskraft Sie war zu ihrer Zeit die einfluss­ reichste Politikerin ihrer weltanschaulichen Richtung. Ihre Wirksamkeit bezog sich nicht allein auf die Ebene des Parlaments und der Partei, sondern umfasste ein weites Spektrum gesellschaftlicher Tätigkeiten, so ihr Wirken als Pädagogin, als ehrenamtliche Sozialarbeiterin und als Verbandspolitikerin, dazu spezifisch in den Jahren der Weimarer Republik als Ministerialbeamtin. 6 Dabei war, auf welcher Ebene sie sich auch betätigte, das Soziale im Urteil von Zeitgenossen die Leitlinie ihres Handelns. Doch wenden wir uns zunächst den persönlichen biografischen Ent­ wicklungslinien zu.

Kindheit, Jugend und beruflicher Werdegang

Helene Auguste Weber wurde am 17. März 1881 als Tochter des Volksschullehrers Wilhelm Weber (1851-1922) und dessen Ehefrau Agnes Christiane Weber geb. van Gent in der damals noch selbständigen Textilstadt Elberfeld geboren, wo sie mit fünf Geschwistern in einem katholischen Elternhaus kleinbürgerlicher Prägung auf­ wuchs.7 Ihr Vater, der ursprünglich aus Hessen stammte, hat dort 30 Jahre lang an einer katholischen Volksschule gewirkt, dazu sich als Kirchenvorstand und als mehr­ jähriger Vorsitzender der Biberfelder Zentrumspartei betätigt.8 So gewann die Tochter schon früh eine Anschauung des politischen Katholizismus, der in dem Umfeld stark von der katholischen Soziallehre her bestimmt wurde, welche durch die päpstliche

5 So Brauksiepe, Aufgabe (wie Anm. 3), S. 42. 6 Zu dem letzterwähnten Aspekt: Ilone H. Winkelhausen, Helene Weber- erste Frau Deutsch­ lands in leitender Position in einem Ministerium, dem Preußischen Wohlfahrtsministerium, in: Hugo Maier (Hg.), Who is who der Sozialen Arbeit, Freiburg-Br. 1998, S. 609-611. 7 Mitteilungen durch Stadtarchivar Dr. Uwe Eckardt, Stadtarchiv Wuppertal v. 12. 11. 1997, auf der Grundlage standesamtlicher Unterlagen; ferner Marquardt, S. 72. 8 Nachruf zu Lehrer Wilhelm Weber, in: Bergische Tageszeitung v. 3. 6. 1922; dazu auch Roger Baecker, Die christliche Politikerin Helene Weber, in: Bergische Blätter, 9. Jg., Nr. 14 (12.7.1986),S.10.

185 Erhard H. M. Lange Enzyklika "Rerum Novarum" (1891) von Papst Leo XIII. eine richtungweisende Grundlage fand. Die aus den Niederlanden stammende Mutter, deren Vater in einem kleinen friesischen Städtchen als Stadtrat wirkte, öffnete der Heranwachsenden und ihren Geschwistern den Blick über die nationalen Grenzen hinweg. 9 Helene Weber selber absolvierte nach dem Besuch der Höheren Mädchenschule in Elberfeld die Lehrerinnenbildungsanstalt in Aachen und war danach zunächst in Haarern bei Aachen und dann in ihrer Heimatstadt Elberfeld als Volksschullehrerin tätig. Da sich inzwischen die Universitäten zunehmend auch für Frauen öffneten, nahm sie dann aber im Jahre 1905 noch ein Universitätsstudium auf und studierte bis 1909 erfolgreich in Bonn und Grenoble die Fächer Geschichte, Französisch, Volkswirtschaft und Philosophie. Ihr ausgeprägtes soziales Interesse wurde dabei auch in der Themenwahl der während des Studiums angefertigten Seminararbeiten sichtbar: So im Fach Geschichte über "Die soziale Frage im 19.Jahrhundert", in Philosophie über "Die materialistische Geschichtsauffassung" oder in Französisch über "Die soziale Komödie". 10 Nach der Erlangung der Berechtigung für das Lehramt an Höheren Schulen trat sie 1909 eine Stelle als Lehrerin in einem neu eingerichteten Lyzeum in an. Von dort wechselte sie schließlich 1911 als Studienrätin (damals Oberlehrerin genannt) an die Kaiserin-Augusta-Schule in Köln. Der späteren Schilderung einer ihrer Schülerinnen zufolge dürfte sie eine vorzügliche Pädagogin gewesen sein, welche den Lehrstoff fesselnd und mit bleibendem Eindruck, dazu mit menschlicher Wärme darzustellen vermochte. 11 Deutlich erkennbar war überdies ihre besondere Vorliebe für die französische Kultur, wie sie auch in dem für Studentinnen ihrer sozialen Herkunft seinerzeit durchaus bemerkenswerten Auslandsstudium in Frank­ reich zum Ausdruck gekommen war. Seit Beginn ihrer Tätigkeit in Bochum und in der Folgezeit in Köln wandte sich Helene Weber zudem verstärkt der aktiven Sozialarbeit zu. Eine der jungen Frauen, die sich damals von Helene Weber angesprochen fühlten, hat später die Kölner Zeit als einen "Markstein" in deren Leben bezeichnet, sei doch hier "der radikale Durch­ bruch ihrer sozialen Berufung" erfolgt. 12 Große Bedeutung besaßen dabei für sie die Lehren des katholischen Sozialreformers Carl Sonnenschein, den sie bereits aus

9 Speziell auch zu dem vorliegenden Aspekt: Morsey (wie Anm. 1), S. 224. 10 Zum Studium u.a. Rieden (wieAnm. 1), S. 113f. 11 Luise Jörissen, Als Oberlehrerin in Köln, in: Mohr/Pregardier (Hg.) (wie Anm. 1), S. 13-21 (Die einstige Schülerin von Helene Weber wurde später Gründerin der Sozialen Frauenschule in Santiaga [Chile] und in Lima [Peru]. Von 1946 bis 1970 hatte sie die Leitung der Landes­ stelle Bayern des Katholischen Fürsorgevereins inne). 12 Sibille Hartmann/Hedwig Dietlein-Rust, Beginn der Sozialarbeit, in: ebd., S. 23-30, hier S. 27 [Hedwig Diet1ein-Rust].

186 Helene Weber (1881-1962) Biberfeld persönlich kannte. 13 Enge Kontakte pflegte sie auch zu den Christlichen Gewerkschaften und zum Volksverein für das katholische Deutschland, zu dem Son­ nenschein gleichfalls in enger Beziehung stand. Ihr aktives Wirken galt insbesondere bedürftigen sowie bedrängten Frauen und Mädchen vornehmlich aus der Industrie­ arbeiterschaft, aber auch der Weiterbildung von Schülerinnen und Studentinnen, die den Weg zur Sozialarbeit beschreiten wollten. Im Rahmen ihres Wirkens bot ihr zunächst vor allem der 1903 gegründete Katholische Frauenbund Deutschlands (1920 umbenannt in Katholischer Deutscher Frauenbund) eine institutionelle Platt­ form.14

Eintritt in die aktive Politik

Ausgehend von ihrem sozialen Engagement traten nunmehr auch verstärkt all­ gemeine politische Fragen in ihr Blickfeld. Seit 1912 ist ihre Betätigung in einer Frauenstimmrechtsorganisation belegt. So wurde sie Vorstandsmitglied der Kölner Ortsgruppe des Frauenstimmrechtsverbandes für Deutschland. 15 Allerdings bezogen sich dessen Aktivitäten lediglich auf die Ausweitung des Wahlrechts auf Frauen im Rahmen des vorhandenen politischen Systems einschließlich der Fortgeltung des undemokratischen und unsozialen preußischen Dreiklassenwahlrechts. 16 Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Jahre 1914, dessen von der deutschen Regierung propagierten Ziele Helene Weber - hier durchaus ein Kind ihrer Zeit - zunächst uneingeschränkt begrüßte, führte zu einer erheblichen Ausweitung ihrer

13 Dazu Joos [=Freund und Fraktionskollege in der Nationalversammlung und im Reichstag] (wie Anm. 4), S. 26f.- Zu Carl Sonnenschein u.a.: Wemer Krebber (Hg.), Den Menschen Recht verschaffen. Carl Sonnenschein - Person und Werk, Würzburg 1996; Wolfgang Löhr, Carl Sonnenschein (1876-1929), in: Zeitgeschichte in Lebensbildern, Bd. 4 (1980), S. 92-113; Winfried Pesch, Carl Sonnenschein (1876-1929), in: Michael Fröhlich (Hg.), Die Weimarer Republik. Portrait einer Epoche in Biographien, Darmstadt 2002, S. 188-198. 14 Heide-Marie Lauterer, Parlamentarierinnen in Deutschland 1918119-1949, Königstein-Ts. 2002, S. 42f.; Lenz (wie Anm. 1), S. 403 f.- Die im Text erwähnte Umbenennung erfolgte, um die Zweigvereine, die nach der Oberschlesien-Abstimmung nicht mehr zum Deutschen Reich gehörten, nicht auszuschließen.- Dazu Birgit Sack, Zwischen religiöser Bindung und moderner Gesellschaft. Katholische Frauenbewegung und politische Kultur in der Weimarer Republik ( 1918/19-1933 ), Münster 1998, Anm. 2 zu S. 2. Im folgenden Text wird jeweils die Bezeichnung "Katholischer Deutscher Frauenbund" verwandt. 15 Lauterer (wie Anm. 14), S. 56; Sack, Bindung (wie Anm. 14), S. 34f.; ferner Petra Holz, Zwischen Tradition und Emanzipation. Politikerinnen in der CDU in der Zeit von 1945 bis 1957, Königstein-Ts. 2004, S. 44ff. 16 Holz (wie Anm. 15), S. 276; Lauterer (wie Anm. 14), S. 56; Sack, Bindung (wie Anm. 14), S. 400.

187 Erhard H. M. Lange sozialen Tätigkeit. 17 In Köln gründete sie im Rahmen des Katholischen Deutsche Frauenbundes die Kriegszentrale für Heimarbeit und sorgte so dafür, dass Frauen, welche durch die Kriegsereignisse sozial auf sich alleine gestellt waren, nicht ohne Einkünfte blieben. Außerdem bildete sie in dieser Zeit Fabrikfürsorgerinnen aus, die den in der Kriegsproduktion tätigen Frauen sozial zur Seite stehen sollten. Im Jahre 1916 rief sie gemeinsam mit Hedwig Dransfeid' 8 in Köln die erste Soziale Frauenschule (Wohlfahrtsschule) des Katholischen Deutschen Frauenbundes ins Leben. 19 Obwohl ihr der damalige Erste Beigeordnete Kölns, , die Leitung eines neueingerichteten Lyzeums anbot, ließ sie sich aus dem Schuldienst beurlauben und übernahm stattdessen die Leitung der Sozialen Frauenschule, die bald nach Aachen verlegt werden sollte. So ist die Entstehungsgeschichte des neuen Berufsbildes der Sozialarbeiterin wesentlich auch mit dem Namen Helene Weber verbunden. Gleichzeitig beteiligte sie sich maßgeblich an der Gründung des Vereins Katholischer Sozialbeamtinnen, zu dessen Vorsitzenden sie gewählt wurde. Immer wiedergewählt, sollte sie dieses Amt bis zu ihrem Tode innehaben.20 Angesichts ihrer politisch traditionellen Grundhaltung dürfte wohl die These nicht ganz von der Hand zu weisen sein, dass auch Helene Weber, so wie andere Vertreter konservativer und bürgerlicher Parteien, das Ende des Kaiserreichs eher mit Wehmut wahrgenommen hat. Mag sie daher der neuen Ordnung auch zunächst nur als "Vernunftrepublikanerin"21 begegnet sein, so fand sie sich doch nach dem Zusammenbruch der Monarchie sogleich bereit, dem Neuaufbau zu dienen. Nachdem sie inzwischen der Zentrumspartei beigetreten war und ihr öffentliches Wirken ihr bereits einige Bekanntheit eingebracht hatte, entschloss sie sich nach der Einführung des Frauenwahlrechts, für ein Abgeordnetenmandat zu kandidieren. Mitte Januar 1919 wurde sie für das Zentrum in die Verfassunggebende National-

17 Der vorliegend zum Ausdruck kommenden Widerspruch zwischen der wiederholt bezeugten "Frankophilie" Helene Webers und ihrer inneren Zustimmung zum Kriege wird insbesondere bei Marquardt (wieAnm. 1), S. 74, problematisiert. 18 Hedwig Dransfeld war Vorsitzende des Katholischen Deutschen Frauenbundes (1912-1924) und Reichstagsabgeordnete bis zu ihrem Tode im Jahre 1925.- Zu Hedwig Dransfeld u. a.: Marianne Pünder, Hedwig Dransfeld (1871-1925), in: Westfälische Lebensbilder, Bd. 12, Münster 1979, S. 145-161 ; Hedwig Wassenberg, Von der Volksschullehrerin zur Volkslehre­ rin- Die Pädagogin Hedwig Dransfeld (1871-1925), Frankfurt-M. u. a. 1994. 19 Zum Nachfolgenden: Rieden (wieAnm. l), insbes. S.ll8ff. 20 Dazu aus der Sicht der verbandspolitischen Weggefahrtinnen: Jenny Bachem/Maria Braune: Geschichte der Berufsbewegung katholischer Fürsorgerinnen, in: Mohr/Pregardier (wie Anm. 1), S. 37-49. 21 So u. a. Holz (wie Anm. 15), S. 276; Sack, Bindung (wie Anm. 14), S. 171 ff.; dieselbe, Katholizismus und Nation: Der katholische Frauenbund, in: Ute Planert (Hg.), Nation, Politik und Geschlecht. Frauenbewegungen und Nationalismus in der Moderne, Frankfurt-M./New York 2000, S. 292-308, hier S. 299.

188 Helene Weber (1881-1962) versammlung gewählt, die von Anfang Februar 1919 bis Sommer 1920 hauptsächlich in Weimar tagte. Wie der Historiker Rudolf Morsey später in einem biografischen Beitrag bemerkt hat, war das für die damals 37-Jährige "ein neuer Lebensabschnitt, der sich aufs engste mit der nur 14 Jahre lang währenden Existenz der Weimarer Republik verknüpfte". 22 Dieses betraf nicht nur ihr politisches, sondern auch ihr berufliches Wirken, dazu äußerlich markiert durch einen Umzug in die damalige Reichshauptstadt Berlin. Denn parallel zu ihrer parlamentarischen Tätigkeit wurde sie 1919 zur Referentin und ein Jahr später zur Ministerialrätin in dem nach dem Kriege neu geschaffenen preußischen Wohlfahrtsministerium ernannt, das zunächst Adam Stegerwald, der Vorsitzende des interkonfessionell-christlichen Deutschen Gewerkschaftsbundes, leitete, gefolgt von Heinrich Hirtsiefer, der wie sein Amts­ vorgänger gleichfalls der Zentrumspartei angehörte. Helene Weber war damit eine der ersten Frauen in einem der höheren preußischen Verwaltungsämter, die bisher als Domäne der Männer angesehen wurden.

Abgeordnete in der Weimarer Republik

Als Abgeordnete der Nationalversammlung galt ihre Aufmerksamkeit vor allem der Ausarbeitung des zweiten Hauptteils der Verfassung über die "Grundrechte und Grundpftichten" der Deutschen (Art. 109-165).23 Ob allerdings auch der sog. "Gleichberechtigungsartikel" der Verfassung (Art. 109), der wie die Grundrechte der Weimarer Reichsverfassung schlechthin weitgehend deklaratorisch blieb, damals bei ihr, wie manche behaupten, eine besondere Beachtung fand, mag man bezweifeln. Dreißig Jahre später, als Abgeordnete des Parlamentarischen Rates, vermochte sie sich bei den Grundgesetzberatungen jedenfalls nicht mehr seiner Existenz zu erin­ nern. "Hat der Gleichheitssatz in der Weimarer Verfassung gestanden?", so ihre in den Protokollen festgehaltene Frage in einer der zahlreichen Sitzungen des Grund­ satzausschusses, wo erneut das Thema auf der Tagesordnung stand. 24 Das sprach nicht gerade für eine intensive Beschäftigung mit dem Gegenstand, weder 1919 noch 1948. Ihre volle Aufmerksamkeit hatte in der Nationalversammlung vielmehr der Erarbeitung der Kulturartikel der Verfassung gegolten.25

22 Morsey (wie Anm. 1), S. 225. 23 Zum Wirken He1ene Webers in der Nationalversammlung u. a.: Marquardt (wie Anm. 1), S. 77ff. 24 Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle, Band 5/11: Ausschuß für Grund­ satzfragen (Bearb. Eberhard Pikart/Wolfram Werner), Boppard-Rh. 1993, S. 742 (= 26. Sit­ zung v. 30. 11. 1948). 25 Hierzu verweist Lauterer (wie Anm. 14), S. 363, auf eine bemerkenswerte Parallele bei den Grundgesetzberatungen: "Aus Webers politischer Korrespondenz in der Zeit des Parlamenta-

189 Erhard H. M. Lange Dabei wird man überdies ihre Bedeutung für die inhaltliche Gestaltung der Ver­ fassung in der Nationalversammlung nicht überschätzen dürfen. Denn sehr bald hatte sie hier zur Kenntnis nehmen müssen, dass ihre Möglichkeiten für sie als par­ lamentarischer Neuling und zusätzlich als Frau, die sich nicht in den traditionellen politischen Netzwerken der Männer bewegen konnte, 26 begrenzt waren. So beklagte sie in dieser Zeit, dass sie "von morgens früh bis abends spät" nur Reden höre, ohne das Empfinden zu haben, "wirklich notwendig zu sein und etwas zu leisten". Noch nie sei sie so müßig gewesen wie gerade jetzt als Abgeordnete. 27 Allerdings wusste sie bald auch, wenn es ihr notwendig erschien, ihre eigenen Vorstellungen zur Geltung zu bringen. Bei der Schlussabstimmung über den Ver­ sailler Friedensvertrag gehörte sie in der Nationalversammlung zu einer kleinen Minderheit innerhalb der Zentrumsfraktion-dieAbstimmung hatte man zuvor vom sog. "Fraktionszwang" freigegeben, welche gegen das Vertragswerk stirnmte. 28 Eine besondere Bedeutung besaß dabei für sie der sogenannte "Kriegsschuldartikel", wel­ cher den Deutschen die alleinige Verantwortung für den Ausbruch des Ersten Welt­ krieges aufbürdete. Offenbar befürchtete sie, dass ein derartiges Abkommen eine Aussöhnung der ehemaligen Kriegsgegner unmöglich machen würde, abgesehen von einer betonten nationalen Grundhaltung, die sie in dieser Zeit bestirnmte. 29 Nach der Tätigkeit in derNational versammlung gehörte Helene Weber von 1921 bis 1924 dem Preußischen Landtag an und seit der 2. Wahlperiode von 1924 bis 1933 dem Reichstag (Wahlkreis Düsseldorf Ost).30 In der Reichstagsfraktion des Zentrums zählte sie in der weitestgehend von Männem bestimmten Gemeinschaft neben Hedwig Dransfeld und Christine Teusch, der späteren nordrhein-westfälischen Kultusrninisterin, bald zu den bekanntesten weiblichen Abgeordneten. Bereits 1925 wurde sie zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt und übernahm nach dem

rischen Rates geht hervor, daß sie sich auf das Thema Elternrecht und Kulturpolitik intensiver vorbereitet hatte, als auf die Frage der Gleichberechtigung". 26 Zur vorliegenden Problematik der ersten weiblichen Parlamentsabgeordneten: Lauterer (wieAnm. 14), S. 76ff. 27 Aus einem Brief Helene Webers an Albertine Badenberg v. 17. 2. 1919, zitiert nach Lauterer (wie Anm. 14), S. 76. Allerdings stand Helene Weber mit solcherlei Empfindungen nicht allein, wie etwa entsprechende Ausführungen der DDP-Abgeordneten Gertrud Bäumer bele­ gen.- Gertrud Bäumer: Eindrücke von der Nationalversammlung, in: Die Frau 1919, Heft 6, S. 165-168. 28 Dazu u. a. Lauterer (wie Anm. 14), S. 128 ff. Demgegenüber hat Helene Weber allerdings später (1929) festgestellt, dass die Unterschrift unter den Versailler Vertrag "der beste Weg zur Befreiung Deutschlands" gewesen sei (Lauterer, S. 131). 29 Zur betont nationalen Grundhaltung von Helene Weber in den Jahren der Weimarer Republik: Sack (wieAnm. 14), S. 172ff. 30 Bernd Haunfelder, Reichstagsabgeordnete der Deutschen Zentrumspartei 1871-1933. Bio­ graphisches Handbuch und historische Photographien, Düsse1dorf 1999, S. 368 f.

190 Helene Weber (1881-1962) Tode von Hedwig Dransfeld (1925) zusätzlich den Vorsitz des Reichsfrauenbeirats ihrer Partei. 31 Im selben Jahr wurde sie überdies in den Fraktionsvorstand des Zen­ trums berufen. Neben sozialpolitischen Anliegen waren es vor allem Probleme der Jugendwohl­ fahrt, der Frauenbildung und des Familienrechts, die ihre besondere Aufmerksamkeit fanden. Dabei entsprachen diese Themenfelder nicht nur ihren parlamentarischen Schwerpunkten, sondern auch ihrem Aufgabengebiet im preußischen Wohlfahrts­ ministerium, dem sie bis 1932, als sie nach dessen Auflösung in das preußische Kultusministerium versetzt wurde, angehörte. Hier übernahm sie nunmehr das Referat "Jugendpflege". So war Helene Weber auf den verschiedenen Ebenen, zu denen neben den Parlamenten und der Ministerialverwaltung auch ihr Wirken auf der Verbandsebene zu zählen ist, u. a. maßgeblich an der Entstehung der Reichsfür• sorgepflichtverordnung, des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes und des Reichsjugend­ gerichtsgesetzes beteiligt. 32 Die Grenzen progressiver Sozialpolitik waren für sie allerdings dort erreicht, wo diese mit der vorherrschenden katholischen Wertethik in Konflikt geriet. Daher trat sie damals entschieden gegen jegliche Strafmilderung bei Abtreibung ein. Auch befürwortete sie die Wiedereinführung der Zölibatsklausel für Frauen in das Beamtenrecht, der zufolge verbeamtete Frauen mit dem Tage ihrer Eheschließung aus dem öffentlichen Dienst entlassen werden konnten. 33 Bereits in den Jahren der Weimarer Republik entwickelte Helene Weber als Abgeordnete jene Eigenschaften, welche ihr selbst bei politischen Gegnern hohen Respekt, ja in gewisser Weise Sympathien einbrachten. "Sie war sich stets der Achtung und des Respektes auch ihrer männlichen Kollegen sicher und zwar ohne Unterschied der Partei", konstatierte der einstige sozialdemokratische Reichstags­ abgeordnete Paul Löbe anlässlich eines Rückblicks zu ihrem 80. Geburtstag. 34 Dabei erwies sie sich als eine begnadete Rednerin, welche ihre Hörerschaft "mitzureißen"

3t Dazu Lauterer (wieAnm. 14), S. 159f. 32 Dazu u. a.: Marquardt (wie Anm. 1) , S. 77 ff. , insbes. S. 80; Rieden (wie Anm. 1), S. 123 ff. 33 Marquardt (wie Anm. 1), S. 80. - Nachdem das Reichsgericht im Jahre 1921 die zunächst gängige "Zölibatsklausel" des Beamtenrechts aufgrund des Art. 128 II WRVerf. für verfas­ sungswidrig erklärt hatte, war durch die Personalab bau-Verordnung des Jahres 1923 bereits wieder ein jederzeitiges Kündigungsrecht für verheiratete Beamtinnen vorgesehen worden. Durch Gesetz sollte im Gefolge der Weltwirtschaftskrise dann die Zölibatsklausel erneut uneingeschränkt in das Beamtenrecht eingeführt werden. -Zur einschlägigen Debatte: Ute Gerhard, Unerhört. Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung, Reinbek 1990, S. 345; Claudia Hahn, Der öffentliche Dienst und die Frauen- Beamtinnen in der Weimarer Repu­ blik, in: Frauengruppe Faschismusforschung (Hg.), Mutterkreuz und Arbeitsbuch. Die Geschichte der Frauen in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus, Frankfurt-M. 1981, S. 49-77. 34 Christine Teusch, Paul Löbe, , Die Parlamentarierin, in: Mohr!Pregardier (wie Anm. 1), S. 71-80, hier S. 79.

191 Erhard H. M. Lange vermochte "durch die Gewalt der Gedanken und die Wärme ihrer Persönlichkeit". 35 Sie wurde geschätzt wegen ihrer von Kenntnis getragenen Sachlichkeit und ihrer Grundsatztreue, aber auch wegen ihres rheinischen Humors, mit dem sie ihre Sache zu verfechten pftegte. 36 Letztlich sollte sie sich diese Eigenschaften bis ins Alter hinein bewahren. So bemerkte nach dem Kriege der Journalist Walter Henkels mit dem ihm eigenen Gespür für das Atmosphärische im Hinblick auf die inzwischen über siebzigjährige Bundestagsabgeordnete: "Sie debattiert gern, steuert in der Par­ lamentsdebatte manches vernünftige Wort bei, und wenn sie - völlig frei sprechend -Zwischenrufe pariert, was ihr immer ein besonderes Vergnügen bereitet, dann hat man ihr tiefes Vertrautsein mit allem Parlamentarischen schnell erkannt. Ihr rhei­ nischer Tonfall in der Rede hat etwas Gemüthaftes, und ihr Naturell wird immer wieder umleuchtet von einem gehörigen Schuß rheinischen Humors. "37

Während der NS-Herrschaft (1933 bis 1945)

Nach der Regierungsübernahme durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 zählte Helene Weber innerhalb ihrer Fraktion zu den entschiedensten Gegnern einer Zusammenarbeit mit den neuen Machthabern. In der fraktionsinternen Probeab­ stimmung zum Ermächtigungsgesetz votierte sie den überwiegenden Aussagen in der Literatur zufolge gegen eine Zustimmung, 38 schloss sich dann aber in der am 23. März 1933 im Plenum stattfindenden Schlussabstimmung dem zustimmenden

35 So das Urteil von Elisabeth Mleinek, Eigenständige Frauenbildung, in: Mohr/Pregardier (wie Anm. 1), S. 147-155, hier S. 152f. 36 Sou. a.: Minna Schumacher-Köhl, Staatsbürgerliche Bildung der Frau, in: Mohr/Pregardier (wieAnm. 1), S. 139-145, hier S. 143. 37 Walter Henkels, Helene Weber, in: derselbe, Zeitgenossen. Fünfzig Banner Köpfe, Harnburg 1953, S. 232-235, hier S. 233. Weiter diesbezügliche Urteile späterer politischer Wegge­ fährten : Brauksiepe, Aufgabe (wie Anm. 3), insbes. S. 37 ff.; Lenz (wie Anm. 1), insbes. S. 412f.; dazu aus der Sicht der Parlamentsjoumalistin: Fides Krause-Brewer, Helene Weber, in: dieselbe, Vom Brahmsee bis Shanghai. Begegnungen mit Leuten von Format, München/ Harnburg 1987, S. 53-59, insbes. S. 54ff. 38 Sou. a. Braun (wie Anm. 1), S. 151; Lauterer (wie Anm. 14.), S. 200f.; Lenz (wie Anm. 1), S. 409; Morsey (wieAnm. 1), S. 229; entsprechend Bettecken (wieAnm. 1), S. 86.Allerdings findet dieser Umstand bezeichnenderweise in der biografischen Skizze ihres Fraktionskollegen Joseph Joos (wie Anm.4) keine Erwähnung und auch Christine Teusch, deren Votum gelegent­ lich selber zu den Gegenstimmen gezählt wird, äußerte sich später zurückhaltend, zumal die Probeabstimmung schriftlich und geheim erfolgt sei [Christine Teusch: Die Parlamentarierin, in: Mohr/Pregardier (wie Anm. 1), S. 71-80, hier S. 73]. Entsprechend zurückhaltend auch Marquardt (wie Anm. 1), S. 81 (Helene Weber sei "vermutlich" unter denjenigen gewesen, die sich gegen eine Zustimmung gewandt hätten, entsprechende Belege seien dafür jedoch "nicht vorhanden").

192 Helene Weber (1881-1962) Mehrheitsvotum ihrer Fraktion an. Wenig später wurde sie im Sommer 1933 auf­ grund des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" aus dem Öffentlichen Dienst entlassen. Mit Bitterkeit hat sie sich dabei später der letzten Monate im preußischen Kultusministerium erinnert: "Freunde besaß man nicht mehr, nur noch angsterfüllte Kollegen." 39 Beruflich und parlamentarisch kaltgestellt, blieb Helene Weber nur noch eine Tätigkeit, nämlich die inzwischen hauptamtliche Wahrnehmung des Vorsitzes des Berufsverbandes der katholischen Fürsorgerinnen, der sich- nunmehr ohne arbeits­ rechtliche Vertretungsmöglichkeit-nach Umbenennung in Hedwigsbund unter das schützende Dach der katholischen Kirche zu stellen versuchte. Persönlich bewegte sie sich in dieser Zeit vor allem in dem gegenüber dem Nationalsozialismus kri­ tischen Umfeld des katholischen Milieus, dabei häufig das Land durchreisend. 40 So gut es ging, versuchte sie, ihre Gesprächspartner zu einer kritischen Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus zu ermuntern. Hierzu erinnerte sich Weih­ bischof Augustinus Protz später eines Auftritts von Helene Weber anlässlich einer Tagung der Diözesanjugendseelsorge im Jahre 1936 in Bad Soden, wie diese damals mit einem "unerhörten Freimut" aus einer Fülle von Detailkenntnissen heraus "die verführerisch gängigen Parolen der damaligen Machthaber beiseite räumte" und Wege aufgezeigt habe für eine kluge, kompromisslose Jugenderziehung und Jugend­ bildung auf christlicher Grundlage.4' Nach der Zerstörung ihrer Wohnung in Berlin durch Luftangriff zog sie 1944 zu ihrer Schwester nach Marburg an der Lahn. Hier gelang es ihr, sich der nach dem Hitlerattentat vom 20. Juli 1944 gegen einstige politische Gegner der Nationalso­ zialisten einsetzenden Verhaftungswelle erfolgreich zu entziehen. Später vermied sie es, sich nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus als Hitler-Gegnerin darzustellen. "Eigentlich hätten wir uns alle", so selbstkritisch die einstige Reichs­ tagsabgeordnete, "wie eine Mauer gegen den Nationalsozialismus stellen müssen. Ich werfe mir das heute vor, daß ich nicht die letzte am Schafott gewesen bin. Eine Ahnung von diesem Grauenhaften haben wir in einem gewissen Umfange doch gehabt. "42

39 Helene Weber, Vom ,Amt' zur ,Aufgabe' (1951), in: Mohr/Pn!gardier (wie Anm. 1), S. 99- 104, hier S. 100; zur Haltung von Helene Weber während der Hitler-Diktatur auch: Lauterer (wie Anm. 14), S. 233 ff.; Lenz (wie Anm. 1), S. 410 f.; Marquardt (wie Anm. 1), S. 81 ff.; Morsey (wieAnm. 1), S. 230f. 40 Zu den ausgeprägten Reiseaktivitäten von Helene Weber in dieser Zeit: Helene Weber, ebd., S. 104; H. G., Einige persönliche Erinnerungen, in: Mohr/Pn!gardier (Hg.) (wie Anm. 1), s. 51-52. 41 Nach Bettecken (wie Anm. 1), S. 87. 42 Zitiert nach Marquardt (wie Anm. 1), S. 85.

193 Erhard H. M. Lange Kriegsende und Neubeginn

Unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches betätigte sich Helene Weber in Marburg beim Aufbau eines Sozialen Hilfswerks (später: Jugendgemein­ schaftswerk), das vornehmlich den von den Kriegsschauplätzen zurückströmenden jungen Menschen soziale Hilfe leistete. 43 Doch ihre eigentliche Aufgabe sah sie bei den Menschen im einstigen Industrierevier an der Ruhr, das nun zu einem Groß• teil in Trümmern lag. Bald nach Kriegsende begab sie sich von der alten Univer­ sitätsstadt Marburg aus nach Essen, wo sie im Frauenbundhaus am Hedwig-Drans­ feld-Platz, das sie 1932 selber begründet hatte, eine dauerhafte Bleibe fand. 44 Von hier aus begann sie u. a. den Berufsverband Katholischer Fürsorgerinnen, dessen Vorsitz sie übernahm, zu reorganisieren. 45 Eine gleichfalls aktive Rolle spielte sie beim Wiederaufbau des Katholischen Deutschen Frauenbundes. Als Vorstandsmit­ glied nahm sie dabei nicht nur wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung dieses Verbandes, sondern auch auf die Arbeit der sich in Westdeutschland wieder oder auch neu organisierenden Frauenverbände schlechthin. Zudem schloss sie sich der neu gegründeten Christlich-Demokratischen Union an und gewann sehr bald eine führende Stellung in der Frauenarbeit der Partei, dabei seit 1948 als Vorsitzende der von ihr mitbegründeten Frauenarbeitsgemeinschaft der CDU/CSU.46 Als die Briten nach der Gründung des Landes Nordrhein-Westfalen im Herbst 1946 den ersten Landtag ins Leben riefen, gehörte Helene Weber zu den zweihundert zunächst noch von diesen ernannten Mitgliedern und arbeitete hier vor allem im Wohlfahrtsausschuss mit. Zusätzlich wurde sie in den im Frühjahr 1947 erweiterten Zonenbeirat der Britischen Zone berufen, dem es oblag, den Briten bei der Durch­ führung einer zoneneinheitlichen Politik beratend zur Seite zu stehen. Obwohl sie dann aber nach den ersten Landtagswahlen von 1947 nicht mehr dem nordrhein­ westfälischen Landesparlament angehörte, wurde sie von diesem im Sommer 1948 in den in Bonn tagenden Parlamentarischen Rat entsandt, um an den Beratungen zum Grundgesetz teilzunehmen. Dabei war sie in der 27-köpfigen CDU/CSU-Fraktion die einzige Frau. Für ihre Benennung hatte im letzten Augenblick Konrad Adenauer als Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalens gesorgt, als er

43 Vermerk Ordensakte zu Helene Weber v. 18. I. 1956, HStA DüsseldorfNWO 2391-2400. 44 Helene Weber, in : Erwin Dickhoff, Essener Köpfe. Wer war was?, Essen 1985; Lauterer (wie Anm. 14), S. 290. 45 Dazu u. a. Jenny Bachem/Maria Braune, Geschichte der Berufsbewegung katholischer Für­ sorgerinnen, in: Mohr/Pregardier (wie Anm. !), insbes. S. 47-49. 46 Dazu Holz (wie Anm. 15), insbes. S. 78-87; Lauterer (wie Anm. 14), S. 315-317.

194 Helene Weber ( 1881-1962) erfuhr, dass in keinem anderen Landesparlament an die Aufstellung eines weiblichen Vertreters der Union gedacht worden war. 47

Im Parlamentarischen Rat

Wie bereits in der Deutschen Nationalversammlung von Weimar, so widmete sich Helene Weber auch im Parlamentarischen Rat vor allem kulturpolitischen Fragen sowie Aspekten von Ehe und Familie, ferner der Frage einer Gleichberechtigung der Geschlechter, wozu sie als Mitglied des Grundsatzausschusses hinreichende Gelegenheit fand. 48 Neben Adolf Süsterhenn wirkte sie als maßgeblicher kultur­ politischer Sprecher der Union. In dem Zusammenhang hielt sie enge Kontakte zu den Vertretern der katholischen Kirche, vor allem zu Prälat Böhler, dem wichtigsten Mitarbeiter von Kardinal Frings in allen kultur- und schulpolitischen sowie die Kirche betreffenden verfassungspolitischen Fragen.49 Ihr Grundrechtsverständnis leitete sich aus den Prinzipien des christlichen Naturrechts her. Auch war sie stark um eine grundgesetzliche Verankerung des sogenannten Elternrechts für den Bereich der Schulen bemüht. In Fragen einer vollen Gleichberechtigung der Geschlechter verhielt sie sich indessen eher zögernd und versuchte weitergehende Vorstellun­ gen von Frauen selbst aus dem eigenen politischen Lager zu bremsen.50 Ihre Vor­ behalte betrafen vor allem Forderungen, die über die an sich nicht mehr strittige

47 Dazu u. a. Schreiben der stellvertretenden Vorsitzenden der Frauenarbeitsgemeinschaft CDU/CSU, Elisabeth Meyer-Spreckels, an Konrad Adenauer als Vorsitzendem der CDU der Britischen Zone v. 26. 7. 1948; Antwortschreiben Konrad Adenauer an Frau Elisabeth Meyer­ Spreckels v. 2. 8. 1948 (Durchschlag), beides im Archiv Stiftung-Bundeskanzler-Adenauer­ Haus (StBKAH) 07.26; ferner Schreiben von Frau Stephy Roeger (Geschäftsführung Frau­ enarbeitsgemeinschaft CDU/CSU) an Konrad Adenauer v. 27. 6. 1948; Antwortschreiben Konrad Adenauer an Frau Stephy Roeger v. 31. 7. 1948 (Durchschlag), beides StBKAH. 7.27. Zur Entsendung von Helene Weber in den Parlamentarischen Rat auch Holz (wie Anm. 15), S. 120-123. 48 Während Helene Weber im Plenum und im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates eher zurückhaltend das Wort ergriff, zählte sie im Grundsatzausschuss zu den aktivsten Teilnehmern, was generell ihrer parlamentarischen Arbeitsweise entsprach, ihre Tätigkeit vornehmlich auf die arbeitsintensive Ausschussarbeit zu konzentrieren. - Zur Tätigkeit der CDU-Politikerin im Parlamentarischen Rat u. a. Sitter (wie Anm. 2), passim; dazu die kurze Charakterisierung bei Carlo Schmid, Erinnerungen, Bern u.a. 1979, S. 410. 49 Dazu u. a. Burkhard van Schewick, Die katholische Kirche und die Entstehung der Verfassun­ gen in Westdeutschland 1945-1950, Mainz 1980, passim. 50 Zum Nachfolgenden vor allem die auch die partei-und verbandsinternen Willensbildungspro­ zesse berücksichtigende, problemorientierte Studie Holz (wie Anm. 15), insbes. S. 123-138; mit entsprechender Tendenz: Lauterer (wie Anm. 14), S. 354ff.; Marquardt (wie Anm. 1), S. 87ff.

195 Erhard H. M. Lange staatsbürgerliche Gleichheit und über die Lohngleichheit hinausgingen und eine formale volle Gleichstellung der Frau im Ehe- und Familienrecht zum Gegenstand hatten. Dabei waren ihre Vorstellungen stark durch das aus dem 19. Jahrhundert tradierte Bild einer patriarchalischen Familienstruktur geprägt, welches der Frau in der Familie vornehmlich eine dienende Funktion zuwies und ihr dort, wo sie unverheiratet blieb, im Sinne des dem konespondierenden Konzepts einer "geistigen Mütterlichkeit" 51 mit Vorliebe sogenannte frauenspezifische öffentliche Aufgaben­ felder zuerkannte. Nicht eine formale Gleichheit galt es also nach Überzeugung von Helene Weber herzustellen, sondern eine Gleichwertigkeit der Rollenmuster, bei der vor allem die Würde und der Eigenwert der Frau eine hinreichende Anerkennung fand. Erst nach langem Zögern und unter dem Druck der Öffentlichkeit, selbst aus dem eigenen, politisch nahestehenden weiblichen Umfeld, bewegte sie sich nach und nach- mehr aus pragmatischen Erwägungen und wohl auch mit Blick auf den anstehenden Bundestagswahlkampf, als aus innerer Überzeugung- schließlich auf das von der Sozialdemokratin Elisabeth Seibert nachhaltig vertretene Gegenkonzept einer formalen Gleichberechtigung der Frau zu. 52 So fanden die vier "Mütter" des Grundgesetzes am Ende doch noch zu einer einheitlichen Linie, die in der Formulie­ rung "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" (Art. 3, Abs. II GG) ihren Nieder­ schlag fand. 53 Für Helene Weber war das vor allem ein taktischer Schritt um einer notwendigen Verständigung mit den Sozialdemokraten willen. Innerlich hatte sie sich indessen keineswegs von ihren ursprünglichen Vorstellungen, die auf "Gleich­ wertigkeit" nicht hingegen auf "Gleichheit" des weiblichen Geschlechts hinzielten, losgesagt. 54 Obwohl sie im Grundgesetz nicht alle ihre Vorstellungen insbesondere in kulturpolitischer Hinsicht verwirklicht fand, gab sich Helene Weber schließlich mit dem Ergebnis zufrieden.

51 Dazu u. a. Holz, ebd., S. 10, 32 und 39 ff., welche u. a. darauf hinweist, dass Helene Weber sich statt der Wendung "geistige Mütterlichkeit" auch gerne des Begriffs "Hingabefähigkeit" bediente. Ferner Sack, Bindung (wie Anm. I 4), S. 170 und 403 ; zur Gesamtentwicklung: Ute Gerhard, Gleichheit ohneAngleichung. Frauen im Recht, München 1990, S. 73-103 ("Gleich­ berechtigung oder weibliche Eigenart- Das Programm der alten Frauenbewegung"). 52 Marquardt (wie Anrn. 1), S. 88. 53 Barbara Böttger, Das Recht auf Gleichheit und Differenz. Elisabeth Seibert und der Kampf der Frauen um Art. 3.2 Grundgesetz. Mit einem Vorwort von Ute Gerhard, Münster 1990.- Zu Elisabeth Seibert u. a. Erhard H. M. Lange, Dr. jur. Elisabeth Seibert (SPD), in : derselbe, Wegbereiter der Bundesrepublik. Die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates. Neunzehn historische Biografie, Brühl-Rheinland 1999, S. 177-188 (L.). 54 Lauterer (wie Anm. 14), S. 362f.

196 Helene Weber (1881-1962) Politikerin in der Adenauer-Ära

Bei den ersten Bundestagswahlen von 1949 zog Helene Weber, inzwischen im Alter von 68 Jahren, in das Bonner Parlament ein, dem sie ununterbrochen vier Legislatur­ perioden bis zu ihrem Tode angehören sollte. Für viele galt sie in dieser Zeit als "einflußreichste Frau der Union", auch wenn ihre von vielen Frauenorganisationen unterstützten Initiativen wiederholt an dem in diesen Fragen "konservativen Ver­ halten" ihrer Parteikollegen einschließlich Konrad Adenauers scheiterten. Ihren Nei­ gungen und Kenntnissen entsprechend gehörte sie im Bundestag u. a. dem Sozial-, dem Lastenausgleichs- und dem Familienrechtsausschuss, in welchem sie den Vor­ sitz innehatte, an. 55 Dabei setzte sie sich vor allem ein für eine soziale Ausgestaltung des Lohn- und Steuerrechts, die Förderung junger Familien und eine tendenzielle Gleichberechtigung der Frau, bei der allerdings ihrem Ordnungsbild entsprechend im Zweifelsfall dem Mann die Letztentscheidung zufiel. In traditionellen Bahnen bewegte sich auch ihre distanzierte Haltung gegenüber der Berufstätigkeit verheira­ teter Frauen. So setzte sie sich zunächst, dabei freilich vergeblich, auch für die Nachkriegszeit für die Aufnahme einer Zölibatsklausel für weibliche Beamte in das Bundesbeamtengesetz ein. Dem steht allerdings nicht entgegen, dass sie gleichfalls vehement dafür eintrat, Frauen stärker als bisher bei politischen und administrativen Schlüsselstellungen zu berücksichtigen. Nachdem ihre Bitten in den Jahren zuvor nichts gefruchtet hatten, zwang sie zusammen mit anderen weiblichen Abgeord­ neten ihrer Fraktion Konrad Adenauer bei der Regierungsbildung 1961 mittels eines dreifachen "Go-Ins" endlich zur Aufnahme einer Frau in das Kabinett: wurde erste Bundesministerin. 56 Zu einem weiteren Schwerpunkt wurde die Buropapolitik Seit Aufnahme der Bundesrepublik in den Europarat im Sommer 1950 gehörte Helene Weber der Bera­ tenden Versammlung dieser Organisation zunächst als stellvertretendes Mitglied und von 1961 bis zu ihrem Tode als ordentliches Mitglied anY Hinzu kam seit 1955 die ordentliche Mitgliedschaft in der Versammlung der Westeuropäischen Union.5 8 Auch im übernationalen Bereich galt dabei ihr Hauptinteresse den sozialen Fragen. Maß-

55 Rieden (wie Anm. 1); S. 130ff.; Marquardt (wie Anm. 1), S. 89ff. Zur Bonner Abgeord­ netentätigkeit von Helene Weber auch die anschauliche Schilderung ihrer Fraktionskollegin Brauksiepe, Im Deutschen Bundestag, in: Mohr/Pregardier (wie Anm. 1), S. 109-120. 56 Hanna-Renate Laurien, Elisabeth Schwarzhaupt (1901-1986), in: Hans Sarkowicz (Hg.), Sie prägten Deutschland. Eine Geschichte der Bundesrepublik in politischen Portraits, München 1999, S. 69-83, hier S. 69f.; ferner Holz (wie Anm. 15), S. 263f.; Krause-Brewer (wie Anm. 37), S. 55 ff.; Marquardt (wie Anm. 1), S. 93. 57 Nach Haunfelder (wieAnm. 30), S. 369; dazu Rieden (wieAnm. 1), S. 132f. ("Helene Weber als Sozialpolitikerin im Europarat"). 58 Nach Haunfelder, ebd.

197 Erhard H. M. Lange geblich war sie am Zustandekommen der vom Europarat verabschiedeten "Euro­ päischen Sozialcharta" beteiligt. Auch wenn sie während der Weimarer Republik trotz ihrer an sich frankophilen Neigungen zeitweise noch die Rückkehr des Elsass in das Deutsche Reich erhofft hatte,59 so war ihr nach dem Zweiten Weltkrieg die Aussöhnung mit Frankreich eine Herzensangelegenheit. Neben ihren parlamentarischen Funktionen nahm Helene Weber auch im fort­ geschrittenen Alter zusätzlich eine Vielzahl von Aufgaben innerhalb ihrer Partei sowie im Verbands- und Organisationswesen wahr. In ihrem Hang zur Ämterhäu• fung stand sie insofern vielen ihrer männlichen Kollegen nicht nach. 60 So gehörte sie- abgesehen von ihrer bereits erwähnten Vorsitzendenfunktion im Berufsverband Katholischer Fürsorgerinnen- u. a. dem Vorstand des Vereins für öffentliche und pri­ vate Fürsorge an. Parteiintern hatte sie zunächst nach dessen Gründung Anfang der fünfziger Jahre zusammen mit einer Vertreterirr der evangelischen Konfession den Vorsitz des Bundesfrauenausschusses der CDU inne. Entsprechend verhielt es sich nach dessen Umbildung zur Frauenvereinigung der CDU (1956/57) bis 1958. Danach wurde Helene Weber zur Ehrenvorsitzenden der Vereinigung gewählt.6I Auf europä• ischer Ebene beteiligte sie sich maßgeblich im Rahmen der Europäischen Frauen­ union. Von 1950 bis 1958 gehörte sie zudem dem Vorstand der Internationalen Liga der Katholischen Frauenverbände und der Internationalen Vereinigung des Sozialen Dienstes (Union Internationale de Service Social) an. Ihrem internationalen Ansehen war es dabei zuzuschreiben, dass die letztgenannte Organisation ihren Weltkongress 1953, an dem Vertreter und Vertreterinnen aus rund 40 Staaten teilnahmen, in Köln abhielt. 62 Nach dem Tode von Elly Heuss-Knapp, der Gattin des ersten Bundesprä• sidenten, übernahm Helene Weber zudem im Jahre 1952 auf deren zuvor geäußerten Wunsch hin den Vorsitz im Kuratorium des Deutschen Müttergenesungswerkes. 63

59 Dazu die bei Josef Hofmann, Journalist in Republik, Diktatur und Besatzungszeit Erin­ nerungen 1916-1947, bearbeitet und eingeleitet von Rudolf Morsey, Mainz 1977, S. 57, geschilderte Begebenheit. - Zur ausgeprägt nationalen Grundhaltung von Helene Weber in den Jahren der Weimarer Republik siehe oben Anm. 29. 60 So Gabriele Strecker, Überleben ist nicht genug. Frauen 1945-1950, Freiburg-Br. 1981 , S. 101. 6t Holz (wieAnm. 15), S. 87ff. 62 Vermerk Ordensakte (wie Anm. 43); Morsey (wie Anm. 1), S. 232. 63 Dazu u. a. /Antonie Nopitsch, Das Deutsche Mütter-Genesungswerk- ein Ver­ mächtnis von Elly Heuss-Knapp, in: Mohr/Pregardier (wie Anm. 1), S. 121-127.

198 Helene Weber (1881-1962) An der Schwelle des Wandels der Zeiten

In ihren letzten Lebensjahren - inzwischen nach Konrad Adenauer und Rudolf Pferdmenges dem Höchstalter nach an dritter Stelle - wurde es Helene Weber aus gesundheitlichen Gründen indessen immer schwerer, ihre Ämter wahrzunehmen. Doch die körperlichen Beschwernisse des Alters waren für sie kein Anlass, ihren zahlreichen Aufgaben und Ämtern zu entsagen. Aus ihrem stark religiös bestimmten Grundverständnis heraus gab es für sie vergleichbar etwa der Wirksamkeit in einem kirchlichen Orden keinen Ruhestand. 64 So endeten viele ihrer Ämter, dabei auch ihr Abgeordnetenmandat, erst mit ihrem Tode. Als sie am 25. Juli 1962 nach langer schwerer Krankheit in einem Bonner Kran­ kenhaus verstarb, fand sie über Parteigrenzen hinweg respektvolle Anerkennung als eine der bedeutenden Frauengestalten des deutschen Parlamentarismus im 20. Jahrhundert. Damals schrieb ihr sozialdemokratischer Abgeordnetenkollege im Pressedienst seiner Partei: "Frau Helene Weber wird immer genannt werden müssen, wenn Beispiele gesucht werden, wie Menschen, die vom Bewußtsein ihrer Sendung erfüllt sind, über sich selbst hinauswachsen." 65 Zahlreiche Ehrungen waren ihr im Laufe ihres Lebens zuteil geworden. Im Hinblick auf ihre Verdienste um die Frauenbildung und die Jugendpflegearbeit in Preußen hatte ihr bereits 1930 die Universität Münster als erster Frau die Ehrendok­ torwürde des Dr. rer. pol. verliehen. Zu ihrem 75. Geburtstag hatte sie das Große Ver­ dienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland erhalten. Zum 80. Geburtstag, den sie 1961 in der Zentrale des Frauenbundes in Köln in Anwesenheit höchster Repräsentanten des Staates, der Kirche und gesellschaftli­ cher Organisationen beging, war das Schulterband hinzu gekommen. Auch war sie mit der einst von Leo XIII. gestifteten päpstlichen Auszeichnung "Pro Ecclesia et Pontifice" geehrt worden.66 Und doch lässt sich nicht übersehen, dass ihre Leitbilder und politischen Vorstel­ lungen in den Augen vieler der Jüngeren, auch aus ihrer eigenen Partei, inzwischen eher als unzeitgemäß empfunden wurden; fiel es ihnen doch schwer, diese auf die soziale Wirklichkeit der Gegenwart zu beziehen. 67

64 Dazu die aussagekräftige Schilderung bei Strecker (wie Anm. 60), S. 101 ff., wie sie seiner­ zeit Helene Weber- vergeblich- klarzumachen versucht habe, "daß sie doch gelegentlich an ihren wahrhaft wohl verdienten Ruhestand denken müsse". 65 Ernst Paul, Helene Weber- ein erfülltes Leben, in : Sozialdemokratischer Pressedienst 1962, Heft !52 (26. 7. 1962), S. 6. 66 Morsey (wieAnm. 1), S. 233 ; Rieden (wieAnm. 1), S. 111, 135; Helene Weber, in: Munzin­ ger-Archiv!Internationales Biographisches Archiv- Personen aktuell 40/62. 67 Strecker (wie Anm. 60), S. 101 ff. ("Alte Frauen in der Politik") [Die Velfasserin, Jg. 1904, war Leiterin des Frauenfunks beim Radio Frankfurt bzw. beim Hessischen Rundfunk und von

199 Erhard H. M. Lange Schließlich war Helene Weber im ausgehenden 19. Jahrhundert in einem traditio­ nell kirchlich gebundenen katholischen Milieu sozialisiert worden und hatte von hier ihre maßgeblichen Leitbilder empfangen, die sie, wie sich zeigte, in ihrem Wesens­ kern sowohl für die eigene Person als auch im Hinblick auf ihre politischen Ziele mit geradliniger Konsequenz über die Zeiten hinweg in die Gegenwart zu tradieren trachtete. 68 Dabei wurzelte ihr Weltbild tief und unverrückbar im religiösen Glauben, der wie jeder echte Glauben zwar taktisch bedingte Wendungen zuließ, jedoch kein endgültiges Abgehen von den durch diesen vorgegebenen Zielen.69 Dazu zählte für sie die nicht zuletzt auch in den katholischen Traditionen des 19. Jahrhunderts begründete religiös geprägte Vorstellung von einer natürlichen Verschiedenheit der Rolle der Geschlechter: dem Patriarchat des Mannes und der Mutterschaft der Frau, sei es der natürlichen Mutterschaft im Rahmen von Haus und Familie oder sei es im übertragenen Sinne einer "geistigen" Mutterschaft in Beruf und Politik. Hierzu gab es für sie nur ein Entweder-Oder, verlangte doch ihrer Auffassung nach jeder dieser beiden Lebensentwürfe die "ganze Hingabe" der Persönlichkeit der Frau.70 In ihrem Grundverständnis hatte die Entscheidung der Frau für eine aktive Rolle in der Politik die Ehelosigkeit zur Folge. "Politik als Lebensaufgabe und als alleiniger Lebensbereich", 71 diesem Leitbild hat Helene Weber selber mit bemerkenswerter Konsequenz entsprochen. "Sie lebte eben nur für die Politik, hatte nichts, gar nichts anderes als die Politik, mit der sie mystisch verheiratet war", so Gabriele Strecker aus dem Kreis der politisch nachwachsenden Generation. 72 Den verheirateten Par­ lamentarierinnen hingegen warf Helene Weber vor, "Mann und Kinder verlassen" zu haben, nur um in den Parlamenten mitzuarbeiten. 73

19 54 bis 1962 CD U-Abgeordnete im hessischen Landtag]; ferner Keller-Kühne (wie Anm. 1) , S. 186f.; Marquardt (wieAnm. 1), S. 100f. 68 Vgl. Keller-Kühne, ebd., S. 187; Marquardt (wie Anm. 1), S. 98 f.; Lauterer (wie Anm. 14), S. 363 (hier speziell bezüglich der Kontinuität der Vorstellungen zur Gleichberechtigung im Hinblick auf die Zeit der Weimarer Republik). 69 Marquardt (wie Anm. 1), S. 99 f. ("Verpflichtung ihrem katholischen Glauben und dem Klerus gegenüber"); Rieden (wie Anm. 1), S. 135 ("tiefe Religiosität als Urgrund und Kraftquelle ihres Schaffens"). 70 Lauterer (wieAnm. 14), S. 78, auf der Grundlage des Beitrags von Helene Weber, Am Schei­ deweg. Die Frage des Doppelberufes der Frau, in: Mitteilungen des Reichsfrauenbeirats 1931, Heft 2, S. 63-66. 71 So bei Marquardt (wie Anm. 1), S. 94ff. 72 Strecker(wieAnm. 60), S. 102; dazu auch Marquardt (wieAnm. 1), S. 95 ("Helene Weber, die einen abgegrenzten Privatbereich kaum kannte").- In verallgemeinernder Perspektive: Christi Wickert, Politik vor Privatleben. Zum Selbstverständnis alleinstehender Parlamentarierinnen in der Weimarer Republik, in: Elisabeth Flitner/Renate Valtin (Hg.), Dritte im Bund. Die Geliebte, Reinbek 1987, S. 196-215. 73 Helene Weber, Zeitenwende, in : Mitteilungen des Reichsfrauenbeirates der deutschen Zen­ trumspartei 1930, Heft 9110, S. 1, zitiert nach Lauterer (wie Anm. 14), S. 112.

200 Helene Weber (1881-1962) Dabei fiel der Frau, sofern sie sich für die Politik entschied, als ihr gemäß die Aufgabe zu, in einer von Männern bestimmten Welt- vergleichbar der Mutter in der Familie - ausgleichend zu wirken und dem Gemeinwohl mütterliche Züge zukom­ men zu lassen. Christine Teusch, mit der Helene Weber insofern voll und ganz über• einstimmte, hat dafür in den Jahren der Weimarer Republik das Bild einer "Mater patrie" beschworen, die mehr sei als eine "Gewählte", nämlich eine "Erwählte", dabei "mit klugem, leidenschaftslosen Blick, mit helfender, fester Hand, mit gütigem opferstarken Herzen". 74 Das Leitbild, dem es als Politikerin nachzustreben galt, ent­ sprach insofern für Helene Weber wie auch für die um sieben Jahre jüngere Christine Teusch eher dem einer "Dienerin des Herrn", die sich auf eine transzendente Sphäre marianischer Glaubensgewissheit bezog, oder, um es in säkularen Wendungen zu formulieren, es war religiös-mystisch konnotiert. 75 "Ein Frauenleben für die Politik", so lässt sich der politische Lebensweg von Helene Weber wohl auch im Sinne ihres eigenen Grundverständnisses zusammen­ fassend kennzeichnen, eine Formulierung, welche Politikerinnen der Gegenwart jed­ weder politischer Couleur, die dabei sind, sich zu "ganz normalen Abgeordneten" zu entwickeln,76 für sich selber wohl als deplaziert zurückweisen würden. Möglicher• weise wäre dem die Gegenfrage beschieden, was wohl von einem "Männerleben für die Politik" zu halten sei. Doch es kennzeichnet gerade das historische Umfeld und das politisch-soziale Milieu, in dem Helene Weber in ihren letzten Lebensjahr­ zehnten gewirkt hat: Sie war eine Frau an der Schwelle des Wandels der Zeiten. Dabei hat sie sich, wie immer man das werten mag, dem sich verändernden Zeit­ geist, soweit er die Substanz ihres Denkens betraf, nie unterworfen. Sie blieb sich treu ein Leben lang.

74 Christine Teusch, Die Sozialpolitik des Zentrums, in: Georg Schreiber (Hg.), Jahrbuch des Zentrums, Mönchengladbach 1928, S. 462-488, hier S. 475; dazu Lauterer (wie Anm. 14), S. 110f. Entsprechend Helene Weber, die sich gelegentlich für den vorerwähnten Aspekt des Begriffs "Mutter des Volkes" bediente. -Sack, Bindung (wie Anm. 14), S. 171 ff. Zusätzlich übertrug Helene Weber das Bild auch auf die Kommunalpolitik, wo sie u. a. davon sprach, die Frau solle "die ,Mutter der Stadt' werden, die weise und starke und hilfsbereite Mut­ ter". - Helene Weber, Die Frau und die Kommune. Mitteilungen des Reichsfrauenbeirats der deutschen Zentrumspartei 1930, Heft 5/6, S. 1 f. , zitiert nach Lauterer (s. o.), S. 111. 75 Zur religiös-mystischen Transzendierung des eigenen politischen Wirkens: Lauterer, ebd., S. 112. 76 Ebd., S. 379.

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