Petra Holz Zwischen Tradition und Emanzipation CDU-Politikerinnen in bundesrepublikanischen ­Parlamenten 1945 bis 1957

In der politikgeschichtlichen Historiographie Politikerinnen aller Parteien waren Ende der Bundesrepublik zur Nachkriegszeit kamen der 1940er/Anfang der 1950er Jahre an den Frauen lange Zeit, wenn überhaupt, nur im Diskussionen um die Ausgestaltung der rechtli- Bild der Trümmerfrau vor. Auch die historische chen Konsequenzen beteiligt, die sich aus dem Frauen- und Geschlechterforschung verortete das Gleichberechtigungsartikel ergaben. Maßgeblich Engagement von Frauen zunächst vor allem im involviert an dessen Umsetzung waren vor allem sogenannten vorpolitischen Raum. Allerdings die Politikerinnen der Regierungsfraktionen. Die wurde zur Beschreibung ihrer Aktivitäten bereits Analyse der hierbei geführten Debatten ver- ein erweiterter Partizipationsbegriff zugrunde deutlicht, dass insbesondere die Politikerinnen gelegt, der die Relevanz des politischen Han- der CDU ihr Engagement auf zweierlei Weise delns von Frauen in den bis dahin häufig als begründeten: Entweder argumentierten sie mit ›unpolitisch‹ apostrophierten Vorfeldorganisa- Rekurs auf ›Gleichheit‹ oder aber mit Verweis auf tionen, wie Vereine und Verbände, hervorhob. die ›Differenz‹ zwischen den Geschlechtern. Dadurch fielen allerdings Parlamentarierinnen wie auch generell Frauen, die sich in den etab- lierten politischen Organisationen engagierten, 1. Politische Partizipation der durch das eng gefasste Raster.1 ersten Politikerinnengeneration Demgegenüber möchte sich die folgende in CDU und FDP Darstellung explizit mit denjenigen bürgerlichen Politikerinnen beschäftigen, deren Parteien in Am 12. Juli 1948 berichtete die Goslarer Ratsfrau der ersten Legislaturperiode des Bundestages die Else Brökelschen an , Vorsitzende Regierung stellten. Konkret soll danach gefragt der CDU-Frauenunion: werden, welches Rollenverständnis und welchen Politikbegriff die Politikerinnen der CDU und »Augenblicklich sitze ich als einzige Frau in FDP ihrem politischen Handeln zugrunde leg- einem Ratsherrenkollegium mit absoluter ten, wie sie ihr Engagement vor sich, ihrer weib- CDU-Mehrheit und betreue die Fürsorge. lichen Wählerschaft und vor den männlichen Der Landesfrauenausschuss ist eine recht Parteigenossen legitimierten. Und nicht zuletzt: unfruchtbare Angelegenheit. Es fehlt jede Welche Bedeutung hatte die Diskussion um die Resonanz, die Suche nach ›Frauenfragen‹ hat politische Partizipation und um den sozialen und etwas Gequältes. Ob die Ziele und Aufgaben gesellschaftspolitischen Ort von Frauen für die der alten Frauenbewegung, nach denen – ein- Demokratisierung der Gesellschaft der Bundes- gestanden oder uneingestanden – doch auch republik in der Nachkriegszeit? die Frauenausschüsse der Parteien … ihre Erörtert werden diese Fragestellungen am Arbeit ausrichten, nicht vielleicht doch nur Beispiel der Debatte, die um die Durchsetzung dem bürgerlichen Zeitalter verbunden sind? und Realisierung von Art. 3 Abs. II des Grundge- Ich sehe da nicht klar.«2 setzes (»Männer und Frauen sind gleichberech- tigt«) geführt wurde.

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Quelle: Internet-Portal "Westfälische Geschichte" / http://www.westfaelische-geschichte.de/web919 An diesem Schreiben werden gleich mehrere auf das ihnen seit dem Kaiserreich vertraute Punkte deutlich: Vielfach war jeweils nur eine Konzept der »Geistigen Mütterlichkeit« zurück- sogenannte Alibifrau3 in den verschiedenen griff. Auf diese Weise ließ sich das eigene Enga- Gremien der CDU vertreten, die dann meist als gement in dem als ›wesensfremd‹ begriffenen Vertreterin ihres Geschlechtes, nicht aber als Feld der Politik begründen. So formulierte es bei- Fachfrau für die behandelten Sachfragen wahr- spielsweise Julie Rösch, Abgeordnete des Bun- genommen wurde. Hinzu trat die ausgesprochen destages, während des Karlsruher Parteitages föderale Struktur der Union. So fürchteten die im Jahre 1951. »Bei aller Härte, die die politische meisten Landesverbände Nachteile, wenn sie Arbeit mit sich bringt, sollen wir das Frauliche etwa im Parteivorstand von einer Frau vertre- und Mütterliche hineintragen.«8 ten wurden.4 brachte diesen Eine Folge dieses Politikkonzeptes war eine Sachverhalt bereits Anfang September 1949 Arbeitsteilung, die den Frauen diejenigen Poli- in einer Fraktionssitzung auf den Punkt: »Jeder tikfelder beließ, die sich in den Jahren zuvor als sagt, es muß eine Frau dabei sein, aber keiner die klassischen Frauenthemen etabliert hatten: will sie übernehmen.«5 Dabei war auch er keines- Familie, Bildung und Soziales – Themen, mit wegs bereit, eine Frau in einer herausgehobe- denen sich innerhalb der Partei nur selten poli- nen Position zu akzeptieren. So auch nicht seine tische Meriten für die eigene Karriere gewin- geschätzte Parteifreundin aus Kölner Tagen: Als nen ließen, obgleich die Frauen in der CDU Helene Weber 1949 als eine von fünf Kandida- organisatorisch gut aufgestellt waren. Neben ten für die Vertretung Nordrhein-Westfalens im der Jungen Union gehörten sie zu eine der ers- Parteivorstand vorgeschlagen wurde, konterte ten zonenübergreifenden Unterorganisationen der »Alte«: der Partei: 1948 fand die erste konstituierende Sitzung in statt, der Bundesfrauen- »Das ist von Ihnen, Frau Dr. Steinbiß, sicher ausschuss gründete sich 1951 in Königswinter gut gemeint, aber ich glaube nicht, dass es und seit 1956 war die Frauenarbeitsgemein- richtig ist. So sehr ich Frau Weber schätze, es schaft der CDU/CSU Deutschlands (FAG) der ist doch unmöglich, dass das Land NRW, das organisatorische Rahmen der Unionsfrauen.9 volkreichste Land mit der ganzen Industriear- Innerparteilich verfügte die FAG über ein eige- beiterschaft, durch eine Frau alleine vertreten nes Antragsrecht auf den Parteitagen und ihre wird. Das geht doch nicht.«6 beiden gleichberechtigten Vorsitzenden waren qua Amt Mitglied im Bundesvorstand der Par- Schließlich wurde – als es sich mehr als ein Jahr- tei. Die organisatorischen und strukturellen zehnt später nicht vermeiden ließ, eine Frau mit Voraussetzungen für eine erfolgreiche poli- einem Ministeramt zu betrauen – das Gesund- tische Arbeit waren also durchaus gegeben. heitsministerium extra neu geschaffen, um der Dennoch blieb das Bild der ersten Politikerin- von der Frauenunion und vielen Frauenverbän- nengeneration in der CDU blass, inhaltliche den in Deutschland unterstützten Juristin Dr. Arbeitsschwerpunkte sind kaum in der Erinne- nicht das Justizministe- rung präsent, im Vordergrund stand der müh- rium überlassen und keinen Mann »ausbooten« same und wenig erfolgreiche Kampf um perso- zu müssen.7 nalpolitische Berücksichtigung,10 wie auch die Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwun- Politikerinnen selbst das politische Geschäft derlich, dass die überwiegende Mehrheit der als mühselig und nicht selten unbefriedigend nach 1945 politisch aktiven Frauen in der CDU empfanden.

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Quelle: Internet-Portal "Westfälische Geschichte" / http://www.westfaelische-geschichte.de/web919 Wie konnte es dazu kommen? man dem am besten entgegnet mit einer Ver- Auch in der CDU fühlten sich die Frauen in der sammlung, in der es Kaffee und Kuchen gibt unmittelbaren Nachkriegszeit von der besonde- und wo man einen Spätheimkehrer sprechen ren politischen Situation in die Verantwortung lässt. Dann ist im Nu die Stimmung verflo- genommen. Stärker noch als nach dem verlore- gen und der gefühlsmäßige Widerstand der nen Ersten Weltkrieg waren die Männer nach Frauen gegen die Wehrgesetze ist in kürzester dem Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg Zeit aufgehoben.«14 in weiten Teilen moralisch diskreditiert – und zunächst auch physisch abwesend. Ziel war daher die »Stärkung des Einflusses der Frau auf 2. Gleichheit oder Differenz: die Gestaltung der Gesamtpolitik unseres Hei- Helene Weber und Elisabeth matlandes«, wie es programmatisch auf einem Schwarzhaupt als ­Vertreterinnen frühen Treffen der hessischen CDU-Frauen im unterschiedlicher Richtungen Jahre 1947 formuliert wurde.11 Allerdings konnten sich die hessischen Sowohl Helene Weber als auch Elisabeth CDU-Frauen in den folgenden Jahren in der Schwarzhaupt verkörpern wie kaum eine andere Gesamtpartei nicht durchsetzen. Mit der fort- Politikerin in der Union die unterschiedlichen schreitenden Übernahme der Geschicke der Vorstellungen von der Rolle und politischen Auf- Frauenorganisation der CDU/CSU durch Helene gabe der Frauen in der bundesrepublikanischen Weber und die Vertreterinnen der katholischen Nachkriegsgesellschaft. Am Beispiel ihrer Bio- rheinisch-westfälischen Unionsfrauen war schon grafien lassen sich gleich mehrere gegensätzli- bald wieder von den ›besonderen Aufgaben‹ che Punkte aufzeigen, die charakteristisch sind der Frauen die Rede, die ›ergänzend‹ neben den für das oft widersprüchliche Handeln christ- Männern wirken sollten. So formulierte Helene demokratischer Politikerinnen generell. Weber Weber auf der konstituierenden Sitzung der FAG war katholisch, Schwarzhaupt evangelisch. Sie im Mai 1948, die Frauen sollten sich »instinkt- gehörten unterschiedlichen politischen Gene- sicher« gegen die kommunistische Bedrohung rationen an. Weber (Jahrgang 1881) durchlief wenden und ihren Einfluss innerhalb der Familie ihre Sozialisation im Kaiserreich; Schwarzhaupt geltend machen.12 hingegen war 20 Jahre jünger (Jahrgang 1901). Nur wenige Frauen in der CDU forderten Ihre Jugend war geprägt von den unruhigen demgegenüber ein »Denken, vor allem kausales Jahren der Weimarer Republik. Weber hatte den Denken« ein.13 Die meisten hingegen plädier- klassischen Frauenberuf der Lehrerin ergriffen ten für ein emphatisches Sicheinfühlen, so dass und war im katholischen Fürsorgewesen tätig die Treffen der Unionsfrauen häufig genug von gewesen; Schwarzhaupt hatte Jura studiert und männlichen Parteikollegen despektierlich als avancierte zur evangelischen Oberkirchenrätin. ›Kaffeekränzchen‹ wahrgenommen wurden – so Sie hatte sich während der Weimarer Republik etwa der erste Ministerpräsident Nordrhein-West- in der DVP, Weber im Zentrum engagiert. Ihre falens, Franz Meyer, im September 1956 anläss- parteipolitischen Orientierungen entsprachen lich der Debatte zur Wiederbewaffnung: dabei den Erfahrungen und Prägungen im jeweiligen Elternhaus. Beide waren in der Zeit »Es ist nicht zu verkennen, dass viele Frauen des Nationalsozialismus beruflich tätig geblie- darunter leiden, dass wir die Wehrpflicht ben, hatten sich aber auf ganz unterschiedli- geschaffen haben. Ich habe festgestellt, dass che Weise mit den Herausforderungen und

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Quelle: Internet-Portal "Westfälische Geschichte" / http://www.westfaelische-geschichte.de/web919 Bedrohungen dieser Zeit auseinandergesetzt. »Vielleicht hängt es damit zusammen, dass Weber zog sich ganz auf die katholische Ver- bei mir die Selbstverständlichkeit eines bandsarbeit zurück und versuchte, durch Rei- Kampfes um die Macht nicht so eingewurzelt sen den Kontakt unter den katholischen Frauen ist wie bei den Männern, denen ich in der Poli- aufrecht zu erhalten. Schwarzhaupt hingegen tik begegnet bin. Ich kann nur sagen, dass ich machte in der evangelischen Kirchenverwal- mich in einem vergleichbaren Gremium von tung Karriere und versuchte dort, Freiräume zu Frauen … mehr zu Hause gefühlt habe.«16 verteidigen. Beide Politikerinnen engagierten sich bereits in den ersten Nachkriegsjahren wieder in der Politik. In der Diskussion um die 3. Die Diskussion um den Gleichbe­rechtigung, an der beide Politikerin- ­Gleichberechtigungsgrundsatz im nen an maßgeblicher Stelle beteiligt waren, Grundgesetz (Art. 3 Abs. II GG) sollte sich ­zeigen, dass sie jeweils für ganz unterschiedliche Geschlechtervorstellungen Am 1. September 1948 waren unter den ins- eintraten. Während Weber, ausgehend vom gesamt 65 von den Ländern entsandten Dele- Konzept der ›Geistigen Mütterlichkeit‹, von der gierten, die in im Museum König zur traditionellen Vorstellung der ›Differenz‹ zwi- Verfassungsgebenden Versammlung der drei schen den Geschlechtern ausging, favorisierte Westzonen zusammenkamen, nur vier Frauen: Schwarzhaupt ein Frauenbild, das sich am Elisabeth Selbert und , beide SPD, Ideal der sozialen, kulturellen und politischen und die beiden »frommen Helenen«: Helene Wes- ›Gleichheit‹ orientierte. sel vom Zentrum und Helene Weber, Mitglied der Eine Aussage Webers aus einem Interview CDU. anlässlich Ihres 80. Geburtstages 1961 soll ihre Ob die »ausführlichen und erregten« Debat- Haltung verdeutlichen: ten, die hier in den kommenden Wochen und Monaten zur Frage der Gleichberechtigung der »Man darf die Frau eben nicht so rational Geschlechter geführt wurden, nur ein »Quasi- sehen, wie das beim Manne möglich und not- Stürmlein« waren,17 wie der spätere Bundesprä- wendig ist, sondern man muss die politische sident vermerkte, oder ob es sich Ausbildung einer Frau verbinden mit ihrem um einen veritablen Wirbelsturm handelte, der Gemüt und auch mit der religiösen Verant- die junge Bundesrepublik durchlüftete, hing wortung.«15 sicherlich nicht zuletzt von der eigenen Einstel- lung ab. Mit Sicherheit aber war es nicht nur ein Die religiöse Verantwortung war sicherlich auch Kampf um Formulierungen, wie in den Publikati- Elisabeth Schwarzhaupt gegeben, diese verhin- onen der Union auch Jahre später noch behaup- derte aber nicht, dass sie, wie viele christdemo- tet wurde.18 Vielmehr ging es um fundamental kratische Politikerinnen, ein Fremdsein in der gegensätzliche Zielvorstellungen: Diskutiert Politik verspürte. Diese ›Fremdheitserfahrung‹ wurde, wo der gesellschaftspolitische Platz der führte sie aber nicht auf eine vermeintlich vor- Frauen in der deutschen Nachkriegsgesellschaft gegebene, spezifisch weibliche Wesenhaftigkeit zu verorten und wie die gesellschaftliche und zurück, sondern mit dem Topos von der ›Fremd- politische Partizipation der Frauen in der Bun- heit‹ hinterfragte sie vielmehr ihre eigene indivi- desrepublik zu begründen sei. Entsprechend duelle Disposition sowie generell die Sinnhaftig- groß war die Resonanz, die die Beratungen zu keit des politischen Machtkampfes: dieser Frage in der Öffentlichkeit fanden.19

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Quelle: Internet-Portal "Westfälische Geschichte" / http://www.westfaelische-geschichte.de/web919 Helene Weber hatte dem ungeliebten Artikel In den nun nachfolgenden Diskussionen um erst nach langem Zögern im Parlamentarischen die Angleichung des Bürgerlichen Gesetzbuches Rat zugestimmt, nachdem sie sich zunächst für (BGB) an das Gleichberechtigungsgebot des die Formulierung des Redaktionsausschusses Grundgesetzes erwuchs Weber mit der Frank- des Parlamentarischen Rates eingesetzt hatte, furter Oberkirchenrätin Elisabeth Schwarzhaupt die auf dem entsprechenden Artikel 109 der eine Gegenspielerin in den eigenen Reihen, die Weimarer Reichsverfassung von 1919 beruhte: es verstand, die progressiven Strömungen inner- »Alle Männer und Frauen haben dieselben halb der weiblichen Unionsmitglieder hinter sich staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.« Jetzt zu vereinen. Mit ihrem Antrag auf Streichung des war zwar nicht mehr von den nur »grundsätz- männlichen Letztentscheidungsrechtes aus den lich« gleichen Rechten und Pflichten die Rede familienrechtlichen Bestimmungen des BGB wie sie noch die Formulierung von 1919 beinhal- konnte Schwarzhaupt sich auch des Beifalls der tete, und die dadurch eher den Charakter einer SPD gewiss sein. Allerdings sollte es noch bis Richtlinie denn eines Grundsatzes besaß. Wei- zum Jahre 1957 dauern, bis schließlich mit Hilfe terhin war aber auch in dieser Formulierung vor- der Gerichte die strittigen Paragraphen 1356 und gesehen, dass die Gleichheit der Geschlechter 1628 und damit sowohl das Letztentscheidungs- lediglich auf die klassischen droits politiques, recht des Ehemanns wie des Vaters aus dem die staatsbürgerlichen Rechte, zu beschränken BGB gestrichen werden konnten.21 sei. Der Antrag Elisabeth Selberts »Männer und Helene Weber hatte in dieser Zeit immer wie- Frauen sind gleichberechtigt«, von ihrer Partei- der versucht, trotz aller Kontroversen innerhalb freundin Frieda Nadig im Grundsatzausschuss der eigenen Partei ein einheitliches Bild der am 30. November 1948 eingebracht, platzte Unionsfrauen in der Öffentlichkeit zu vermitteln. dementsprechend in diese Diskussion hinein Doch gelang ihr dies nur zum Teil: Ihrer Behaup- wie eine Bombe.20 tung, die Mehrheit der katholischen Frauen sei Auch die Frauen in den Landesverbänden für die Beibehaltung der christlich-patriarchali- der Union hatten die Frage der Gleichberech- schen Ehe, wurde bei den wenigen Treffen der tigung der Geschlechter nicht immer im Sinne Unionsfrauen zu dieser Thematik heftig wider- Helene Webers in ihren Ausschüssen diskutiert. sprochen. Stattdessen sprach sich die Mehrheit Erwähnt sei an dieser Stelle nur der Entwurf der Teilnehmerinnen beim Treffen des Bundes- der baden-württembergischen Juristin Dr. Maria frauenausschusses im Juli 1952 in Königswinter Friedemann-Fritzle, in dem die Punkte ›Gleich- für die Streichung des ehemännlichen Stichent- heit vor dem Gesetz‹, ›Gleichstellung der häusli- scheides aus. Zwar akzeptierten viele Frauen die chen Arbeit mit der Berufsarbeit‹ und der ›Lohn- traditionelle Geschlechterrollenverteilung in der gleichheit‹ hervorgehoben wurden. Schließlich Ehe, sie leiteten aber entgegen der Argumenta- kam es zu den bekannten »Waschkörbe­weisen« tion Webers aus der Priorität der Mutterrolle in Eingaben an den Parlamentarischen Rat und der Erziehung auch das Recht zur Ausübung der zu der schließlich einstimmigen Annahme elterlichen Gewalt ab, womit sie sich deutlich der Selbertschen Formulierung im Hauptaus- gegen die Position ihrer Partei und der katho- schuss am 3. Dezember 1948. Die Formulierung lischen Kirche stellten.22 Zu einer Abstimmung Helene Webers, in Anlehnung an das Aristote- kam es in Königswinter nicht. Gegenüber der lische Gleichheitsverständnis, wonach Gleiches Öffentlichkeit war die Diskussion im Nachhin- gleich, Verschiedenes aber nach seiner Eigenart ein zum privaten Meinungsaustausch erklärt zu behandeln sei, hatte sich nicht durchgesetzt. worden. Die Presse hatte man vorausschauend

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Quelle: Internet-Portal "Westfälische Geschichte" / http://www.westfaelische-geschichte.de/web919 schon vor Beginn der Debatte des Saales ver- Anmerkungen wiesen. Hatte Weber in dieser Auseinandersetzung  1 Vgl. Thomas Kühne, Staatspolitik, Männerpoli- stets für eine gesetzliche Fixierung des ehemänn- tik, Frauenpolitik, in: Geschlechtergeschichte und Allgemeine Geschichte. Herausforderungen und lichen Vorrechts gestritten, plädierte Schwarz- Perspektiven, hg. von Hans Medik und Anne-Char- haupt dafür, dass die Vormundschaftsgerichte lott Trepp, Göttingen 1998, S. 173–235; Rebekka in strittigen Ehefragen entscheiden sollten. Sie Habermas, Frauen- und Geschlechtergeschichte, in: sah klar die Grenzen staatlicher Gesetzgebung: Kompass der Geschichtswissenschaften, hg. Von Joachim Eibach und Günther Lottes, Göttingen »Wieweit hat staatliche Gesetzgebung die 2002, S. 231–245.  2 Institut für Zeitgeschichte (IfZ), Nachlass Helene Macht, Leitbilder für die Struktur der Familie Weber ED 160/9. Zu Else Brökelschen vgl. auch: Deut- in einer sich wandelnden Gesellschaft auf- scher – Wissenschaftliche Dienste (Hg.), zustellen, wieweit kann staatliches Recht in Parlamentarierinnen in Deutschen Parlamenten 1949– einem konfessionell gemischten Volk christ- 1993 (= Materialien Nr. 122), Bonn 1993, S. 127. liche Überzeugungen übernehmen, und wie  3 So etwa Elisabeth Schwarzhaupts Einschätzung der wird die Eigenständigkeit der Familie gegen- eigenen Position nach Ihrer Ernennung zur ersten 23 Ministerin der Bundesrepublik 1961, in: Elisabeth über dem Staat am besten gewahrt.« Schwarzhaupt, Abgeordnete des Deutschen Bundes- tags. Aufzeichnungen und Erinnerungen. Bd. 2, hg. In den Debatten um die Gleichberechtigung vom Deutschen Bundestag, Boppard 1983, S. 267. der Geschlechter waren erstmals die Grenzen 4 F rank Bösch, Macht und Machtverlust. Die traditioneller gesellschaftlicher Leitbilder wie Geschichte der CDU, München 2002, S. 242 f. auch die Gebrochenheit überkommener Weib- 5 F raktionssitzung vom 1.9.1949, zit. nach: Auftakt zur Ära Adenauer. Koalitionsverhandlungen und lichkeitsvorstellungen und Frauenbilder bei den Regierungsbildung 1949, bearb. von Udo Wengst konservativen, kirchlich geprägten Politikerinnen (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus deutlich geworden. Die Frage, inwieweit die Not- und der politischen Parteien. 4. Reihe: Deutschland wendigkeit einer Neubestimmung des Ortes von seit 1945. Bd. 3), Düsseldorf 1985, S. 179. Frauen in Gesellschaft und Familie ernst genom- 6 E bd. Die Bielefelder Ärztin Dr. Victoria Steinbiß men würde, war ein wesentlicher Faktor für das gehörte während der ersten drei Legislaturperioden dem Deutschen Bundestag an. weitere Gelingen von Demokratisierung und 7 V gl. Bösch, Macht, S. 242. Modernisierung der westdeutschen Gesellschaft. 8 B ericht über die Tagung des Bundesfrauenausschus- Die Politikerinnen in der CDU waren an dieser ses der CDU in Königswinter am 22./23.9.1951, Neubestimmung maßgeblich beteiligt. Sie hat- in: Archiv für Christlich-Demokratische Politik ten innerhalb der Frauen-Union wie auch in ihrer St. Augustin (ACDP), IV-003-001/2. Gesamtpartei und sogar darüber hinaus in der 9 Alle weiblichen CDU-Mitglieder waren gleichzeitig Mitglied in der FAG (Mitte der 1960er Jahre waren Öffentlichkeit um die »richtige« Formulierung – dies bereits 35.000 Mitglieder). Das Mitgliederver- nicht nur im Gesetzestext – gerungen. hältnis in der CDU machte 1946 knapp 10 %, 1997 knapp 25 % Frauen aus. 10 V gl. Bösch, Macht, S. 243. 11 IfZ, NL Helene Weber ED 160/11. 12 E bd., ED 160/7. 13 Gabriele Strecker 1948, zitiert nach: Irene Stoehr, Der Mütterkongreß fand nicht statt. Frauenbewe- gung, Staatsmänner und Kalter Krieg 1950, in: WerkstattGeschichte 17 (1997), S. 79.

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Quelle: Internet-Portal "Westfälische Geschichte" / http://www.westfaelische-geschichte.de/web919 14 20.9.56, Die Protokolle des CDU-Bundesvorstandes Eine rechtsdogmatische Untersuchung zu Artikel 3 1953–1957, bearb. Von Günter Buchstab (= For- Absatz 2 des Grundgesetzes, Baden-Baden 1996; schungen und Quellen zur Zeitgeschichte. Bd. 8), Marianne Feuersenger, Die garantierte Gleichbe- Stuttgart 1986, S. 1046 f. rechtigung. Ein umstrittener Sieg der Frauen, Frei- 15 Helene Weber, Warum ich in die Politik ging, in: Das burg/Br. 1980. Ruhrwort vom 18.3.1961. Zur Biographie Helene 20 Zu Elisabeth Selbert vgl. u. a. Gisela Notz, Frauen Webers vgl. u. a.: Birgit Sack, Zwischen religiöser Bin- in der Mannschaft. Sozialdemokratinnen im Par- dung und moderner Gesellschaft. Katholische Frau- lamentarischen Rat und im Deutschen Bundestag enbewegung und politische Kultur in der Weimarer 1948/49 bis 1957, Bonn 2003, S. 80–110. Republik (1918/19–1933), Münster 1998, S. 421; 21 § 1356 (BGB): »Dem Manne steht die Entscheidung Heide-Marie Lauterer, Helene Weber (1881–1962), in allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden in: Frauen in Marburg. Bd. 3, hg. vom DGB Kreis Angelegenheiten zu: er bestimmt insbesondere Mittelhessen, Marburg 1996, S. 183–186; Regine Wohnort und Wohnung«. § 1628 (BGB): »Neben Marquardt, Das Ja zur Politik. Frauen im Deutschen dem Vater hat während der Dauer der Ehe die Mut- Bundestag 1949–1961, Opladen 1999, S. 69–101. ter das Recht und die Pflicht, für die Person des Kin- 16 Elisabeth Schwarzhaupt. Abgeordnete im Deutschen des zu sorgen; zur Vertretung des Kindes ist sie nicht Bundestag, S. 276. Zur Biographie Schwarzhaupts berechtigt. … Bei einer Meinungsverschiedenheit siehe vor allem: Heike Drummer/Jutta Zwilling, Eli- zwischen den Eltern geht die Meinung des Vaters sabeth Schwarzhaupt. Eine Biographie, in: Elisabeth vor.« Vgl. Gabriele Müller-List (Bearb.), Gleichberech- Schwarzhaupt. Porträt einer streitbaren Politikerin tigung als Verfassungsauftrag. Eine Dokumentation und Christin (1901–1986), hg. von der Hessischen zur Entstehung des Gleichberechtigungsgesetzes Landesregierung, Freiburg 2001, S. 14–136. vom 18. Juni 1957, hg. von der Kommission für 17 Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Akten und Geschichte des Parlamentarismus und der politi- Protokolle. Verhandlungen des Hauptausschusses, schen Parteien (= Dokumente und Texte. Bd. 29), 42. Sitzung (18.1.1949), Bonn o. J., S. 542. Düsseldorf 1996. 18 So etwa im Katalog zur Ausstellung anlässlich des 22 ACDP, IV-003–001/2. Insbesondere die katholi- fünfzigjährigen Bestehens der Frauen-Union: Angela sche Kirche gehörte in diesen Diskussionen zu den Keller-Kühne/Sabine Klein, 50 Jahre Frauen-Union vehementesten Befürwortern einer Beibehaltung der CDU, hg. vom Archiv für Christlich-Demokra- des bisherigen Paragraphen 1628. Vgl. ausführlich tische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V., hierzu: Lukas Rölli-Alkemper, Familie im Wiederauf- Meckenheim 1998, S. 67. bau. Katholizismus und bürgerliches Familienideal 19 Zur Geschichte des Parlamentarischen Rates: Wer- in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1965, ner Sörgel, Konsensus und Interessen. Eine Studie Paderborn 2000, bes. S. 536–581. zur Entstehung des Grundgesetzes für die Bundes- 23 E lisabeth Schwarzhaupt, in: Frau und Politik. Mit- republik Deutschland, Stuttgart 1969, sowie: Ute teilung der Vereinigung der Frauen der Christlich- Sacksofsky, Das Grundrecht auf Gleichberechtigung. Demokratischen Union 3 (1957), S. 4 f.

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