Pandoras Gaben
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BORIS ROMAN GIBHARDT PANDORAS GABEN Konsum, Luxus und die neue Muße im Umfeld der klassischen Ästhetik Konsum, Luxus und die neue Muße im Umfeld der klassischen Ästhetik 1. Materielle Verführungen „Lesen Sie in dieser Hieroglyphe nicht auch deutlich, daß Luxus nie gemißbraucht, die Büchse nie geöffnet werden darf, wenn er nicht unglücklich machen soll?“1 Diese Warnung ereilt den Leser auf den ersten Seiten des von Friedrich Justin Bertuch in Weimar herausgegebenen Almanachs namens Pandora (1787). Der Pandora-Mythos fungiert in dem mode- und marktorientierten Blatt freilich nicht als ernst gemeinte Luxus-Schelte, sondern als „Hieroglyphe“ eines zeitgemäßen und angemessenen Umgangs mit kommerziellen Dingen zur Verschönerung des Lebens. Als „Symbol der Cultur des Menschen“, als schillerende Verbindung von „Luxus und Unheil“,2 wird die mythische Namensspenderin des Weimarer Alma- nachs in diesem Sinn neu gedeutet und mit der „Pandora an der Seine“ identifi- ziert, als Alter ego der allmählich zur tonangebenden Metropole avancierenden Stadt Paris und der dortigen Vergnügungswelt. Zwischen gefährlicher Verführung und sinnvoll-modernem Komfort „hieroglyphisch“-ungewiss changierend, stellte in der Wahrnehmung der Autoren diese urbane Warenwelt offenbar eine längst ge- öffnete „Büchse“ der Pandora dar; sie sollte aus der Weimarer Distanz heraus auch als Menetekel der Zukunftskultur gelesen werden.3 Diese Reizkulisse wurde zusätz- lich durch aktuelle Verwerfungen stimuliert, etwa die Halsbandaffäre, diesem „Haupt der Gorgone“ im Zeichen entfesselten Luxus-Lasters, die laut Johann Wolfgang von Goethe eine „düstre Vorbedeutung“ des Zeitalters der Revolutionen gewesen sei4 und die „Liederlichkeit im Ungeheuern“ gleichsam symbolisch-„hiero- 1 Pandora Oder Kalender des Luxus und der Moden für das Jahr 1787. Weimar [u. a.] 1787, S. 8f. 2 Pandora. In: Antike Mythen in der europäischen Tradition. Hg. v. Heinz Hofmann. Tübin- gen 1999, S. 127-151; Erwin Panofsky: Die Büchse der Pandora – Bedeutungswandel eines mythischen Symbols [1956]. Frankfurt am Main 1992; Gerhard Vogel: Der Mythos von Pandora. Die Rezeption eines griechischen Sinnbildes in der deutschen Literatur. Hamburg 1972. 3 Journal des Luxus und der Moden. Hg. v. Friedrich Justin Bertuch / Georg Melchior Kraus (Januar 1804), S. 5. Im Text fortan auch „Mode-Journal“ genannt. 4 Johann Wolfgang von Goethe: Campagne in Frankreich 1792. In: Ders.: Goethes Werke. Hg. i. A. der Großherzogin Sophie von Sachsen. Weimar 1887-1919, Bd. 33, S. 3-271, hier: S. 261 und S. 264. 158 BORIS ROMAN GIBHARDT gly phisch“ zusammenfasse.5 Dass die Herausgeber ihren Almanach nach der Ge- stalt der Unheils-Bringerin Pandora benannten, macht vor diesem materiellen Hintergrund zusätzlich Sinn. Freilich glätteten sie das Dämonische zur amüsanten Lustbarkeit für die deutsche Leserschaft, bei der ausgerechnet „Eventail[s] à la Ca- gliostro“ beliebt waren.6 Maßstäbe der Beurteilung zu liefern, war also nicht Ziel dieses Unterhaltungsalmanachs, wohl aber mit hoher Sensibilität die urbane Ge- genwartskultur zu registrieren und sie in Symbolen vor Augen zu stellen. So wird das „Auffliegen“ der Warengüter als zwiespältigen Glücksboten aus der Büchse der Pandora zum literarisch reflektierten Sinnbild des Luxus-Getriebes, gleichsam zum modernen Schicksalsrad der Fortuna im Auf und Ab der modischen Obsessionen und bald der Aktienkurse pointiert; noch in der Metapher von der „Glücks-Pando- ra“ als Tombola ist es ironisch beschwichtigt gegenwärtig.7 Ikonografisch passend, zierte die ersten Jahrgänge des Weimarer Journal des Luxus und der Moden, dessen zugehörige Ergänzung dieser Almanach war, das Emblem des Handelsgottes Mer- kur, dem traditionell die Büchse der Pandora beigegeben ist. Dass die neue Markt- realität, mit der sich die aufgeschlossene Leserschaft solcher Journale als potentielle Käuferschicht konfrontiert sah, in der Tat etwas von einem ungewissen Glücksspiel hatte, zeigt sich in der Vielfalt der Anwendungsmöglichkeiten fremder Dinge und Waren aus der Großstadt. Die in der sich formierenden deutschen Bürgergesell- schaft wie nie zuvor begehrten Luxusgüter aus der aufstrebenden Metropole Paris wurden entsprechend als Gaben und Attribute der „Allschenkenden“ Pandora gedeutet,8 womit bereits die ganze Skala einer solchen Dialektik des Fortschritts angesprochen ist: Nicht nur hat die Druckgrafik des mit kolorierten Mode-Kupfer- stichen ausgestatteten Weimarer Journals die ursprüngliche historische Pandora – so hieß im 17. und 18. Jahrhundert die von Händlern mitgeführte Gliederpuppe zur Demonstration von Mode – abgelöst, sondern auch die Ausbreitung der Mo- den hat sich durch das effiziente Korrespondentennetz der Mode-Journale be- schleunigt, wie es Journal-Herausgeber Friedrich Justin Bertuch in der Metapher von den „auffliegenden“ Mode-Neuigkeiten auf den Punkt bringt. Die Pariser Pandora bleibt die programmatische Figur des Mode-Journals weit über dessen Gründungszeit hinaus, als moderne Personifikation französischer Hegemonie in Fragen des Geschmacks wie der Politik – Pandora als arbiter elegan- tiarum und Tyrannin des Schönen. Schon die materielle äußere Gestaltung des Al- manachs – seine Aufbewahrung in einer Schachtel, sein betont kleines Duodez- Format – spielt raffiniert mit der Ähnlichkeit von Buch und Büchse. Allerdings täuscht die bibliophile Aufmachung nur vor, dass es hier um gelehrtes Wissen ge- 5 Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang. Hg. v. Klaus Herwig. München 1998, Bd. 2, S. 1969 und S. 1138. 6 Journal des Luxus und der Moden (Mai 1786), S. 191. 7 Vgl. Journal des Luxus und der Moden (März 1804), S. 157. 8 Vgl. Angela Borchert: Ein Seismograph des Zeitgeistes. Kultur, Kulturgeschichte und Kul- turkritik im Journal des Luxus und der Moden. In: Das Journal des Luxus und der Moden. Kultur um 1800. Hg. v. ders. / Ralf Dressel. Heidelberg 2004, S. 73-104, hier: S. 81..