Des Reiches Strasse
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Lauchstädt Ein Tempel Weimars Wenn Goethe heute, wie so oft zwischen den Jahren 1791 und 1811, im Sommer nach Lauchstädt fahren würde, um dort den Brunnen zu trinken und das Spiel seiner Weimarer Truppe zu leiten, so müßte er zwischen Freyburg an der Unstrut und seinem Ziel in der Gegend des Geiseltales ein Stück durch die Luft fahren. Die alte Straße hört hier plötzlich auf, und das Erdreich ist tief ausgehöhlt: hier sind die Braunkohlengruben, die das Leunawerk versorgen. Bergbau hat ihn, der selbst in Ilmenau die Silbergruben wieder in Tätigkeit zu bringen versuchte, stets lebhaft interessiert. Er würde also die Anlagen höchst bemerkenswert finden und dafür auch den Umweg in Kauf nehmen, den der neue Straßenzug verlangt. Dann aber würde die Nähe von Lauchstädt ihn freuen, die Dürre der Gegend hört auf, und an dem kleinen Bach, der sich durch Wiesen und Felder zur Saale schlängelt, ist das hohe Wachstum der Bäume von Lauchstädt entfaltet, in deren Hut das kleine Theater liegt, das nach Goethes Angaben hier errichtet wurde. Goethe hat drei Bühnen gebaut: das alte und das neue Komödienhaus in Weimar sowie das Sommertheater in Bad Lauchstädt bei Halle. Der erste Bau brannte nieder, der dann errichtete Neubau wurde zu Beginn unseres Jahrhunderts pietätvoll abgerissen. Ein Zeugnis blieb bestehen: das Goethe-Theater in Lauchstädt. Durch zwei Jahrzehnte, 1791- 1811, hat Goethe – mit kurzer Unterbrechung durch die Kriegsläufte hier Sommer für Sommer die Weimarer Schauspieler gastieren lassen, auf damals kursächsischem Boden, vor einem Publikum, das zumeist aus Halle, dazu aus Leipzig und aus kleinen Städten des östlichen Thüringen kam. Der Erfolg war so groß, daß im Jahr 1802 vom Weimarer Hoftheater ein besonderer Bau errichtet wurde, aus Fachwerk, wie das Festspielhaus in Bayreuth. Die Ausmaße der Bühne waren so gewählt, daß die Weimarer Dekorationen ohne weiteres verwandt werden konnten. Der Entwurf stammt von Schinkels großem Vorläufer, dem Berliner Friedrich Gentz, der auch den Neubau des Weimarer Schlosses errichtet hat, eines der edelsten Werke des deutschen Klassizismus. Der Lauchstädter Bau ist ein Meisterwerk: in der wunderbaren Ausgeglichenheit der Proportion spürt man die feine, man möchte sagen noble Hand des Meisters, vor allem aber in der „stillen Größe“, mit der dem griechisch breiten Giebel die flache Überwölbung des Zuschauerraumes eingefügt ist. Mit bescheidensten Mitteln hat die künstlerische Gestaltung hier eine ausgewogene Geschlossenheit erreicht, deren Harmonie der inneren Bedeutung des Bauwerks entspricht: ein Tempel Weimars zu sein. Der Einweihung maß Goethe programmatische Bedeutung bei. Er schrieb dafür ein besonderes Festspiel, das beziehungsreich aus der Atmosphäre von Lauchstädt entwickelte allegorische Stück „Was wir bringen“, das auch bei Aufführungen unserer Zeit seine Wirkung nie verfehlt. Das Motiv von Philmon und Baucis, das Goethe im zweiten Teil des Faust verwandte, taucht zum erstenmal auf. In die bescheidene Hütte des alten Paares tritt eine bunte Gesellschaft ein, deren mit echt Goethescher Freude an Zauberkünsten geschilderte Hauptfigur sich als Gott Merkur entpuppt. Durch den Gott verkündet der Dichter das Bekenntnis zum Klassizismus, der an Stelle imitierter Wirklichkeit die allgültige Verbindung von Wahrheit und Schönheit erstehen läßt: Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehn, Und haben sich, eh man es denkt, gefunden. Aus leicht begonnener Unterhaltung erhebt sich die Sprache der Götter: „Sterne, auf einen Bettlermantel gestickt“, schrieb Schiller an seinen Freund Körner nach Dresden. Zur Eröffnungsfeier war eine glänzende Gesellschaft versammelt: von Halle Friedrich August Wolf, Wegbereiter der Klassiker in allen Fragen der Antike, dazu als Komponist des Festspiels Reichardt, der als Freund der ersten Romantiker im Geistesleben der Zeit eine bedeutsame Rolle spielt, von Jena die Philosophen Schelling und Hegel, und, aus dem Heerlager der Romantik, Caroline Schlegel und beide Brüder, die das „allerliebste, höchst interessante Vorspiel“ begeistert aufnahmen. Aus Weimar war Goethe selbst mit Christiane und seinem Sohn August gekommen sowie Heinrich Meyer, sein Berater auf dem Gebiet der bildenden Kunst. Auf das Vorspiel, darin die berühmtesten Weimarer Kräfte, darunter Carl Augusts erwählte Freundin, die Jagemann, mitwirkten, folgte Mozarts Oper „Titus“, in der neben der genannten Künstlerin Benda als römischer Kaiser auftrat. Die Vorstellung begann um fünf Uhr, so daß am Abend Christiane Zeit zum Tanzen blieb. Was die Weimarer in Lauchstädt boten, war mehr als Unterhaltung: es war das Ergebnis von Goethes Lebensarbeit für die Bühne, war eine Probe des einheitlichen Ensemble- Spiels des Weimarer Theaters und somit in jeder Hinsicht das Programm des Klassizismus. Für das Theaterpersonal, das Goethe somit auch im Sommer zusammenhielt, war es eine wichtige Schulung, vor einem besonders empfänglichen, aber auch kritischen Publikum aufzutreten, das neu gewonnen werden mußte. Die Weimarer Schauspielschule war auf Dauer und Tradition gestellt; auf gepflegtes Zusammenspiel legte Goethe den größten Wert. „Das angeborene Naturell soll sich mit Freiheit hervortun, um sich nach und nach durch gewisse Regeln und Anleitung einer höheren Bildung entgegenführen zu lassen.“ das war des Meisters oberstes Gesetz. So ist es kein Zufall, daß er bald nach der Eröffnung des Lauchstädter Neubaus, im Jahre 1803, die Regeln für Schauspieler formulierte, die in der Forderung des Klassizismus gipfeln: Kunstwahrheit, nicht Naturwahrheit, in heutiger Zeitsprache: Allgemeingültigkeit, nicht Allgemeingeschmack. Zugleich lag ihm daran, daß die Schauspieler mit einem gebildeten und anregenden Publikum, wie der vornehme Badeort es bot, ständig zusammenkämen, wobei sie „durch Enthusiasmus belebt und durch gute Behandlung in der Achtung gegen sich selbst gesteigert würden.“ Vor allem aber verfolgte er durch die Gastspiele in Weimars weiterem Umkreis eine Ausstrahlung des dort Erreichtem auf ein größeres Gebiet. In Lauchstädt war ihm die Nähe von drei damals führenden Universitäten Mitteldeutschlands wichtig, von Jena, das auf der Höhe seines Ruhmes stand, von Leipzig, der Hauptuniversität von Kursachsen, von Halle, wo Männer wie Friedrich August Wolf, Schleiermacher und Steffens wirkten, und das noch immer seinen Platz als erste Universität von Preußen behauptete. Goethe legte auf die Anteilnahme der Studenten besonderen Wert, da ihm die Jugend das angenehmste Publikum war: Noch sind sie gleich bereit zum Weinen wie zum Lachen, Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein: Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen, ein Werdender wird immer dankbar sein. Und die Jugend war dankbar. Arnim, Eichendorff, die Historiker Dahlmann und Raumer haben in Lauchstädt entscheidende Eindrücke von der Weimarer Kunst empfangen, viele Studenten und junge Schauspieler sind in Lauchstädt Goethe begegnet, beglückt sahen sie Schiller, der im Jahre 1803 der ersten Aufführung der „Braut von Messina“ persönlich beiwohnte. In Eichendorffs Tagebüchern und Dichtungen wird die große Zeit von Lauchstädt lebendig, und in der Schilderung der klassischen Epoche Deutschlands im letzten Band von Gustav Freytags Ahnen läßt der Dichter seinen Helden das Lauchstädter Theater eifrig besuchen. So hatten die Klassiker Weimars nahe Halle, Wittenberg und Leipzig die Stätte sich geschaffen, von wo aus die Saat ihrer Arbeit und ihrer Ideen über den Bezirk des Weimarer Herzogtums hinaus auf ganz Deutschland wirken konnte. * In seiner geschickten Art, jeden Menschen auf seinen Platz zu stellen, hat Goethe auch seiner Gefährtin Christiane Vulpius bei der Lauchstädter Unternehmumg die rechte Stelle angewiesen. Ihrer Neigung, sich im Wirbel der tanz- und trinkfreudigen Geselligkeit rings um die Schauspieler zu verlieren, legte er gewissermaßen Zügel an, indem er sie nutzte. Er gab Christiane die Mission, gleichsam seine Gesandtin bei dem lustigen Volk der Komödianten zu sein. So fühlte sie sich im Strudel der Geselligkeit nicht in Gegensatz zu dem auf Würde bedachten Geheimbderath, sondern als seine Vertreterin. Sie nahm sich zusammen und nützte, indem sie eine Verbindung zwischen dem gestrengen Intendanten und seinen Schauspielern und Sängern schuf, zugleich dem ganzen Unternehmen. Erfreut über die Einfügung in seinen Arbeitsbereich schreibt er ihr, die ihm aus Lauchstädt häufig nach Weimar berichtet hat: „Ohne Dich könnte und möchte ich das Theaterwesen nicht weiterführen.“ In der Güte seines Herzens übersieht er in ihren Briefen die auf dem Boden des Weimarer Dialektes phonetisch erwachsene Rechtschreibung, wenn sie etwa dem Dichter der Iphigenie am Tag nach der Aufführung seines Dramas mitteilt, sie sei in „Effejeniche“ gewesen. Aus den zwei Jahrzehnten Lauchstädt-Weimarer Theatergeschichte ragen drei Tage besonders hervor: 1802 die Einweihung des Neubaus mit der programmatischen Verkündigung des Klassizismus, im folgenden Jahr die Huldigung für Schiller nach der Erstaufführung der „Braut von Messina“, im Sommer 1805 die Trauerfeier, die Goethe dem verstorbenen Freund gerüstet hat. Die Bühne stellte die Werkstatt des Glockengießers vor: der unter wechselnder Rezitation vorgenommene Guß gab die sichtbare Handlung, während zum Schluß Amalie Malcolmi, die vordem als Maria Stuart aufgetreten war, Goethes Epilog zu Schillers Glocke vortrug, das Hohelied auf die Freundschaft der beiden Großen von Weimar. Die Hörer empfanden die unmittelbare Nähe des Heimgegangenen, als von der Bühne, die seine Triumphe gesehen, die Worte erklangen: Doch hat er, so geübt,