Göttinger Bibliotheksschriften 29

1 2 Nützliches Vergnügen

Kinder- und Jugendbücher der Aufklärungszeit aus dem Bestand der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen und der Vordemann-Sammlung

Ausstellungskatalog Herausgegeben von Elmar Mittler und Wolfgang Wangerin

Göttingen 2004

3 Ausstellung in der Paulinerkirche vom 5. 12. 2004–20. 2. 2005

Ausstellung und Katalog: Arbeitsgruppe Historische Jugendbuchforschung am Seminar für Deutsche Philologie, Georg-August-Universität Göttingen: Angelika Bochem, Paul Kahl, Wolfgang Vetter, Wolfgang Wangerin

Katalogredaktion: Angelika Bochem (Bilder), Paul Kahl (Texte), Wolfgang Vetter (Bibliografien), Wolfgang Wangerin

Ergänzend zur Ausstellung und zum Katalog erscheint eine CD-ROM mit Illustrationen der ausgestellten Werke, zusammengestellt von Verena Fleischer unter Mitarbeit von Tobias Möller.

Ein Projekt der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen und der Arbeitsgruppe Historische Jugendbuchforschung

Gefördert durch die Sparkasse Göttingen, die VGH-Stiftung Niedersachsen und die Universitätsstiftung Göttingen

Einbandillustrationen: Aus Campes Abeze- und Lesebuch (1807); Exp.-Nr. 15, Bd. 1.

Frontispiz: Aus Ridingers Lehrreiche Fabeln aus dem Reich der Thiere (1774); Exp.-Nr. 13.

Titelvignette: Aus Raffs Geographie für Kinder (1776). Titelvignette von Johann Heinrich Meil; Exp.-Nr. 201.

© Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 2004 Koordination: Dr. Silke Glitsch, Paul Kahl, Dr. Wolfgang Wangerin Umschlag: Ronald Schmidt • Satz: Michael Kakuschke Digital Imaging: Martin Liebetruth • Einband: Burghard Teuteberg

ISBN 3-930457-65-2 ISSN 0943-951X

4 Inhalt

Zum Geleit ...... 7 „Angemessene Nahrung und verständlicher Vortrag für den jugendlichen Geist“. Campe und andere Autoren schreiben Hinweise zur Benutzung der kommentierten Bibliografie . . . . 8 für Kinder

Joachim Heinrich Campe als Pädagoge und Kinderbuchautor Tilmann Köppe ...... 53 „Belehrung, Stärkung der Tugenden, Veredelung des Exponate 13–56 ...... 59 Charakters“. Die Kinderliteratur der Aufklärungszeit „…beglückende Gattinnen, bildende Mütter und Zur Einführung in die Ausstellung. weise Vorsteherinnen des innern Hauswesens“. Nützliches Vergnügen. Kinder- und Jugendbücher der Zur Mädchenliteratur im späten 18. Jahrhundert Aufklärungszeit aus dem Bestand der Dagmar Grenz ...... 73 Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Exponate 57–65 ...... 79 Göttingen und der Vordemann-Sammlung Wolfgang Wangerin ...... 9

Rousseaus Kinder. „Dem Verstande und dem Herzen der Kinder angemessen“ Als die Kinderbücher laufen lernten Gerhard Lauer ...... 17 Campes Robinson und die Robinsonaden Exponate 1–3 ...... 25 Bodo Kayser ...... 83 Exponate 66–92 ...... 91 Die Natur im Käfig. Kindheitsbilder in alten Kinderbüchern Wolfgang Wangerin ...... 27 Lehrreiche Unterhaltungsbücher, verfasst „um in einem jungen Kopfe aufzuräumen“. Realienbücher, Kinderfreunde, Reisebeschreibungen

„Ein geordneter Vorrath aller nöthigen Erkenntniss“. Naturkundebücher, Bildergalerien, Abecedarien Bilder für Kinder Matthias Heinzel ...... 101 Exponate 93–128 ...... 104 Ein Mikrokosmos des Wissens. Das Basedow’sche Elementarwerk Der Kinderfreund Hanno Schmitt ...... 35 Bodo Kayser ...... 117 Exponate 4–11 ...... 42 Exponate 129–142 ...... 122

Das Bilderbuch als unentbehrliches Meuble einer „...einen wünschenswürdigen Geschmack an Kinderstube. Friedrich Johann Justin Bertuchs ernsthaften und nützlichen Unterhaltungen“. Bilderbuch für Kinder Reiseliteratur für Kinder und Jugendliche Antonia Günther ...... 47 Bodo Kayser ...... 127 Exponat 12 ...... 51 Exponate 143–153 ...... 130

5 INHALT

„Die Arbeit ist schwer, sie ist wichtig, „Im Frühling des Lebens“. Herders Vorrede zu und hat die grössten Folgen auf das ganze Leben“ Palmblätter. Erlesene morgenländische Erzählungen für die Jugend Schriften zur religiösen Erziehung und Erbauung Runhild Arnold und Günter Arnold ...... 193 Jürgen Viering ...... 133 Exponate 154–184 ...... 143 „Das Kind ist die schöne Menschheit selbst“. Das Kindheitsbild der Romantiker und ihre Kinderliteratur Berenike Schröder ...... 199 Von Dortgens Reise zur Naturgeschichte für Kinder. Exponate 223–238 ...... 208 Göttinger Kinderliteratur aus dem Umkreis der jungen Universität

August Ludwig (von) Schlözer als Kinderbuchautor Friedrich Hassenstein ...... 157 Schöne Bilder für neugierige Kinder

Sprechende Tiere und mechanische Unterhaltungen. Illustrationen und Illustratoren der Kinderliteratur Kinder- und Jugendbücher Göttinger Autoren Angelika Bochem ...... 213 Wolfgang Vetter ...... 161 Exponate 185–213 ...... 173 Farbtafeln ...... 221

Allgemeines Literaturverzeichnis ...... 246

„Die Seele eines Kindes ist heilig“. Verfasser-, Herausgeber-, Mitarbeiterregister ...... 251 Die Opposition Herders und der (Vor-)Romantik Titelregister ...... 253 „einen gar allerliebsten … Kinderton“. Kinderidylle und Kinderlied im Göttinger Hain Illustratorenregister ...... 256 Paul Kahl ...... 181 Exponate 214–222 ...... 190 Autorinnen und Autoren ...... 258

6 Zum Geleit

Seit etlichen Jahren ist ein wahrer Boom der Kin- Interesse der Göttinger Gelehrten an pädagogi- der- und Jugendliteratur zu beobachten, der schen Fragen war außergewöhnlich groß, und vielleicht am sichtbarsten durch den überwälti- deshalb erwarb die Bibliothek einen wohl einzig- genden Erfolg der „Harry Potter“-Romane von artigen Bestand an Kinder- und Jugendbüchern, J. K. Rowling verkörpert wird. Dass dieses Phä- der gerade vor dem Hintergrund, dass wissen- nomen keineswegs auf das ausgehende 20. und schaftliche Bibliotheken diese Art von Literatur beginnende 21. Jahrhundert beschränkt ist, zeigt zunächst generell gering schätzten und daher der rückschauende Blick auf frühere Zeiten, ins- nicht sammelten, von kaum zu überschätzender besondere auf das 18. Jahrhundert. Er gewährt Bedeutung ist. Für weitere Leihgaben danken wir erstaunliche Einblicke in eine Literatur, die sich der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer in der Aufklärungszeit rasch zu einem großen und Kulturbesitz, dem Brüder-Grimm-Museum Kas- vielfältigen Segment des Buchmarktes entwickelt sel, der Stadtbibliothek Göttingen sowie Christi- und im späten 18. Jahrhundert einen besonde- ane Gräfin zu Stolberg-Stolberg, Wiesbaden, Prof. ren Aufschwung erreicht. Es ist das in der Auf- Dr. Friedrich Hassenstein, Göttingen, und Dr. klärungszeit entwickelte Konzept der Kinder- und Bodo Kayser, Göttingen. Jugendliteratur als einer pädagogischen Literatur, An dem breit gefächerten Katalog haben sich das für ihre weitere Entwicklung im 19. und weit- Wissenschaftler aus Göttingen und ganz Deutsch- gehend sogar im 20. Jahrhundert von großer Be- land beteiligt. Die technische Vorbereitung des deutung ist. medienneutral (im Internet und als Druck) pu- Die Ausstellung Nützliches Vergnügen. Kinder- blizierten Bandes lag in den Händen von Herrn und Jugendbücher der Aufklärungszeit dokumen- Michael Kakuschke. Der Katalog wird durch eine tiert diese Entwicklung. Sie beruht auf Ergebnis- reich bebilderte CD-ROM ergänzt, deren Illust- sen der Arbeitsgruppe Historische Jugendbuch- rationen von Frau Verena Fleischer zusammen- forschung am Seminar für Deutsche Philologie gestellt wurden; die technische Betreuung lag in der Georg-August-Universität Göttingen, die den Händen von Herrn Tobias Möller. Die vor- unter der wissenschaftlichen Leitung von Dr. bereitenden Digitalisierungen übernahm Herr Wolfgang Wangerin in dreijähriger Vorbereitung Martin Liebetruth (GDZ). Herr Wulf Pförtner erarbeitet wurden. Frau Angelika Bochem, Herrn und Herr Arno Westermann meisterten den Aus- Paul Kahl und Herrn Wolfgang Vetter gebührt stellungsaufbau in bekannter Zuverlässigkeit. Ih- besonderer Dank für ihr außergewöhnliches und nen allen sei für ihren aktiven Beitrag zum Ge- unermüdliches Engagement, mit dem sie diese lingen der Ausstellung herzlich gedankt. zeitaufwändige und anspruchsvolle Aufarbeitung „Nützliches Vergnügen“ wünschen wir den betrieben haben. Ermöglicht wurde ihr Einsatz Besuchern der Ausstellung und des begleitenden durch die finanzielle Unterstützung der Sparkas- Vortrags- und Lesungsprogramms, den Lesern des se Göttingen, der VGH-Stiftung Hannover und Kataloges und den Nutzern der CD-ROM, wie der Universitätsstiftung Göttingen, die damit die es der Titel der Ausstellung verspricht. Voraussetzung für das Zustandekommen der Ausstellung und des Kataloges legten. Die Ausstellung stellt eine Auswahl von 238 Exponaten aus den Beständen der Niedersächsi- schen Staats- und Universitätsbibliothek Göttin- Prof. Dr. Dr. h. c. Elmar Mittler gen und der Vordemann-Sammlung des Semi- nars für Deutsche Philologie vor. Sie zeigt erstmals, dass die Kinder- und Jugendliteratur der Aufklärungszeit in besonderer Weise mit Göttin- gen und mit der jungen Georgia Augusta als ei- nem Kind der Aufklärung verbunden war: Das Dr. Wolfgang Wangerin

7 Hinweise zur Benutzung der kommentierten Bibliografie

Die Kinder- und Jugendbücher sind in der Rei- Klammern gesetzt. Titel ohne Verfasserangabe im henfolge ihrer Präsentation innerhalb der Aus- Buch werden im Kommentar entsprechend ge- stellung aufgeführt. Neben den Verfasserschriften kennzeichnet. War ein Erscheinungsjahr nicht zu erscheinen Zeitschriften, Almanache und Bücher ermitteln, wurde so genau wie möglich einge- mit mehr als drei Verfassern bzw. mit anonymem grenzt. und nicht zu ermittelndem Autor unter dem je- Auch Reihen- und Gesamttitel werden in der weiligen Sachtitel. Pseudonyme wurden nach Form der Vorlage übernommen; die Standardi- Möglichkeit aufgelöst. Verfasser mit mehreren sierung betrifft die Bandbezeichnung und Band- Namen erscheinen unter ihrem bekanntesten. zählung. Bei Übersetzungen ist, soweit zu ermit- Bei der Titelwiedergabe wird eine zeitliche teln, der Originaltitel hinzugefügt worden. Dreiteilung vorgenommen. Die Titelblätter vor Der Titelaufnahme folgen bibliographische 1800 sind weitgehend buchstaben- und inter- Notizen zum Titel (Angaben zur Ausstattung, zu punktionsgetreu erfasst. Lediglich bei mehrteili- Abbildungen, Illustratoren usw.), danach der gen Werken und Zeitschriften werden wegen der Besitznachweis und der Kommentar. besseren Lesbarkeit die Bandangaben leicht stan- dardisiert. Auch bei den zwischen 1800 und 1839 Die Verfasser der Kommentare sind: erschienenen Titeln werden die Angaben vollstän- A.B. Angelika Bochem dig in Form der Vorlage übernommen; allein F.H. Friedrich Hassenstein Angaben zu Auflage, Bandzählung, Illustration M.H. Matthias Heinzel und sonstigen Personen wie Bearbeitern etc. kön- P.K. Paul Kahl nen an anderer Stelle als im Buch vermerkt sein. B.K. Bodo Kayser Bei den wenigen Titeln ab 1840 erfolgt die Titel- T.K. Tilmann Köppe aufnahme in leicht verkürzter und standardisier- B. S. Berenike Schröder ter Form. W.V. Wolfgang Vetter Alle bibliographisch ermittelten Angaben J.V. Jürgen Viering werden innerhalb der Titelaufnahme in eckige W.W. Wolfgang Wangerin

8 „BELEHRUNG, STÄRKUNG DER TUGENDEN, VEREDELUNG DES CHARAKTERS“. DIE KINDERLITERATUR DER AUFKLÄRUNGSZEIT

Zur Einführung in die Ausstellung ten sich gleichermaßen an Kinder und ihre Er- zieher. Die großen Pädagogen des achtzehnten Nützliches Vergnügen. Kinder- und Jahrhunderts sind daher in Göttingen vielfältig Jugendbücher der Aufklärungszeit aus vertreten, unter ihnen auch Göttinger Professo- dem Bestand der Niedersächsischen ren, die für Kinder geschrieben haben und häu- Staats- und Universitätsbibliothek fig auch von den Göttinger Verlagen Dieterich Göttingen und der Vordemann- und Vandenhoeck verlegt wurden. Die Zeit der Sammlung Aufklärung ist im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur in Göttingen vorzüglich doku- Wolfgang Wangerin mentiert. Das gilt umso mehr, als es mit der Vorde- mann-Sammlung einen weiteren bedeutenden Vorbemerkung Bestand gibt, der bis in das frühe zwanzigste Jahr- Die Ausstellung Nützliches Vergnügen zeigt Lite- hundert reicht. Auch in dieser Sammlung, un- ratur für Kinder und Jugendliche aus der Zeit der tergebracht in der Bibliothek für Kinder- und Aufklärung, vor allem aus dem letzten Drittel des Jugendliteratur des Seminars für Deutsche Phi- achtzehnten Jahrhunderts. Die ausgestellten Bü- lologie, sind Kinderbücher der Aufklärungszeit cher gehören zum Bestand der Niedersächsischen vielfältig vertreten, auch mit seltenen Werken.1 Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen und Literaturausstellungen sind, didaktisch gese- der Vordemann-Sammlung des Seminars für hen, problematisch. Literatur lässt sich kaum Deutsche Philologie. Alte Kinderbücher sind in ausstellen, sie muss gelesen werden. Was man Universitätsbibliotheken vergleichsweise selten zeigen kann, sind die Bücher, ergänzt durch Text- und wurden kaum je systematisch gesammelt; sie ausschnitte und Erklärungen. Dass für eine Aus- waren kein Gegenstand wissenschaftlichen Inte- stellung die Illustrationen wichtiger sind als die resses. Und was vor über zweihundert Jahren in Texte, liegt auf der Hand. Die Kinderbücher aus die Kinderzimmer oder in die Hände der Haus- der zweiten Hälfte des achtzehnten und aus dem lehrer gelangte, hat die Zeiten nur selten über- beginnenden neunzehnten Jahrhundert sind viel- dauert. Eine Ausstellung alter Kinderbücher, wie fältig illustriert und dort, wo sie farbig sind, noch dieser Ausstellungskatalog sie repräsentiert, ist da- stets handkoloriert. Die besten und bekanntesten her in einer Universitätsbibliothek durchaus nicht Zeichner und Stecher haben für ihr junges Lese- alltäglich. Einen systematischen Bestand, der die publikum erstrangige Illustrationen geschaffen, Geschichte der Kinderliteratur bis heute doku- die einen Schwerpunkt innerhalb der Ausstellun- mentieren könnte, gibt es auch in Göttingen gen bilden, so dass eine Literatur-Ausstellung hier nicht, doch in Teilbereichen sind die Göttinger zugleich zu einer Kunst-Ausstellung wird. Bibliotheken für Zwecke der Lehre und der For- schung vorzüglich ausgestattet. Nützliches Vergnügen. Erziehung als Programm Das gilt vor allem für die Zeit der Aufklä- der jungen Kinderliteratur rung. Die Göttinger Universität, die 1734 mit Campes Robinson der Jüngere (1779), das erfolg- ihren Vorlesungen begann, ist selbst ein Kind der reichste Kinderbuch des achtzehnten Jahrhun- Aufklärung, und die aktuelle pädagogische Lite- derts (Exp.-Nr. 72), hat den Untertitel zur ange- ratur wurde in der jungen und sehr bald berühm- nehmen und nüzlichen Unterhaltung für Kinder. ten Bibliothek großzügig erworben. Das gleiche Schon der Blick auf die Titelseiten zeigt das Pro- gilt für Kinder- und Jugendbücher, umso mehr, gramm der Autoren im letzten Drittel des acht- als sie von theoretischen Publikationen der jun- zehnten Jahrhunderts: prodesse et delectare, nüt- gen pädagogischen Wissenschaft nicht immer zen und erfreuen. Literatur für Kinder will dort, deutlich zu trennen waren. Viele Werke richte- wo sie unterhalten möchte, immer zugleich auch

9 „BELEHRUNG, STÄRKUNG DER TUGENDEN, VEREDELUNG DES CHARAKTERS“

belehren und bilden. Umgekehrt geht es ihr bei Kinderzeitschriften. Sie alle sind in der Ausstel- aller Belehrung immer auch um das Vergnügen lung vertreten. Der Blick auf die Titelseiten ver- der Kinder. Von öder Belehrung und geistlosem rät erstaunliche Übereinstimmungen im pädago- Auswendiglernen will sie nichts mehr wissen. gischen Programm. Wie ist es dazu gekommen? Wenn man verschiedene Titelblätter, wie sie in Die Kinderliteratur ist ein Kind der Aufklä- der Ausstellung zu sehen sind, betrachtet, finden rung, genauer gesagt, der Spätaufklärung. Zwar sich „rührende Erzählungen und Gespräche“, gab es auch zuvor schon Bücher für Kinder, ver- „kleine Geschichten“ wollen „verständlich, nütz- mehrt in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahr- lich und angenehm“ sein. „Lebensbeschreibun- hunderts, in der es vor allem um ‚Kinderzucht‘, gen merkwürdiger Kinder“ sind gedacht als „Mus- nicht selten als schwarze Pädagogik, und um re- ter der Nachahmung für das jugendliche Alter“, ligiöse Unterweisung ging. Aber wenn wir heute „zum Unterricht und Vergnügen“. Es geht um von Kinderliteratur der Aufklärung reden, den- die „Erweckung edler Empfindungen in den zar- ken wir vor allem an die siebziger und achtziger ten Herzen der Jugend“, um „belehrende und Jahre des achtzehnten Jahrhunderts und damit angenehme Unterhaltung“, um die „Beförderung an die Veröffentlichungen, die nach Rousseaus der Kenntnisse“ ebenso wie um die „Bildung des Emile ou de l’Éducation (Deutsche Ausgabe 1762, Herzens“. Solche Untertitel finden sich in allen Exp.-Nr. 2) erschienen sind. Rousseaus Vorstel- Gattungen der jungen Kinderliteratur, bei Bil- lungen von Kindheit und Erziehung haben die derbüchern, Romanen, Robinsonaden, morali- Pädagogik als noch junge Wissenschaft in schen Erzählungen, religiösen Unterweisungen, Deutschland nachhaltig beeinflusst – und mit ihr Kinderliedern und Kinderschauspielen ebenso die Autoren der Kinderliteratur, die zumeist als wie bei Reisebeschreibungen, Ratgebern, ABC- Erzieher, (Haus-) Lehrer, Pfarrer, Kandidaten der und Realienbüchern sowie Bildergalerien und Theologie tätig waren. Sie sind Rousseau keines- wegs in allen Punkten gefolgt, wohl aber in sei- nen Kindheitsvorstellungen. Bei Rousseau sollen Kinder Kinder sein dürfen, bevor sie zu Erwach- senen werden. Das Recht auf Kindheit als einer eigenständigen Lebensphase war neu, die Konse- quenzen erheblich. „Mit der Differenzierung zwischen Kindheit und Erwachsenensein verän- dert sich die erzieherische Zuwendung und mit ihr die Literatur für Kinder.“2 Kinder werden ernst genommen, die Erzieher sollen sich zu ihnen „he- rablassen“ (Salzmann). Die Autoren wollten die „Lehrzimmer“ nicht als „Treibhäuser“ verstanden wissen, in denen jungen „Menschenpflanzen“ die Früchte gewaltsam abgetrotzt würden. Lernen sollte vielmehr aus der Anschauung heraus erfol- gen und auf eigener Einsicht gründen. Solche Vorstellungen waren alles andere als selbstver- ständlich. Sie führten dazu, dass die Kinder- literatur auf den Entwicklungsstand und die Verstehensmöglichkeiten der Kinder Rücksicht nimmt. Die Texte sind damit zumeist anschauli- che Beispielgeschichten. Auch die Illustrationen dienen ausdrücklich der Anschaulichkeit, wie es Comenius mit seinem Orbis pictus vorgemacht Abb. 1 hatte (Exp.-Nr. 4). Heckel: Atlas für die Jugend Trotz dieser neuen Orientierung an den Ver- (1780). Illustriert von stehensmöglichkeiten der Kinder wird Kindheit Johann Esaias Nilson; aber vor allem als eine Zeit der Vorbereitung ver- Nr. 120. standen, der Vorbereitung auf das zukünftige Er-

10 ZUR EINFÜHRUNG IN DIE AUSSTELLUNG wachsenensein. Kindheit heißt Lernen, und im Zeitalter der Pädagogik bedeutet dies, dass auch die sich gerade erst etablierende Kinderliteratur sich der großen Erziehungsidee unterordnet. Kinderliteratur ist Erziehungsliteratur, es geht ihr weniger um ästhetisches Vergnügen als um die Erziehung der Kinder zu nützlichen Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft. Dem hat sich je- des Lesevergnügen unterzuordnen. Die Nützlich- keit der Biene zählt in der Kinderliteratur der Aufklärung mehr als die Schönheit des Schmet- terlings. Fabeln und Beispielgeschichten werden hochgeschätzt, Märchen dagegen gering geach- tet. Vor dem Hintergrund des Übergangs der feu- dalen zu einer bürgerlichen Gesellschaftsordnung und der Wandlung der Familie vom ‚ganzen Haus‘ zur bürgerlichen Kleinfamilie und in einer Zeit des Aufbruchs eines selbstbewusst werden- den Bürgertums erlangt Erziehung auch insofern eine erhebliche Bedeutung, als sie die neuen Werte überhaupt erst allgemein etablieren möchte. Ne- ben dem Erwerb von Kenntnissen spielen daher die Tugenden eine zentrale Rolle, und das Wich- tigste an den kleinen Erzählungen, die Kindern orientieren – sie wollen den Kindern nicht nur Abb. 2 vorgelesen werden, ist ihre moralische Lehre. Der eines, sondern möglichst viele Bücher zu lesen Aus Weißes Kinderfreund bürgerliche Tugendkatalog in den Kinderbüchern geben. Die wichtigsten der in der Ausstellung zu (1771ff); Nr. 133. der Zeit fordert vernünftiges Handeln, Fleiß, sehenden Bücher sind im Geist der philanthro- Tüchtigkeit, Rechtschaffenheit, Wohltätigkeit, pistischen Reformbewegung entstanden, die u.a. Zufriedenheit, Toleranz – aber auch Triebunter- mit den Namen Basedow, Campe, Rochow, Salz- drückung und vor allem Gehorsam. Es gibt kei- mann, Gutsmuths verbunden ist. Die wichtigs- neswegs nur Kinderbücher im fortschrittlichen ten Merkmale philanthropistischer Kinderlitera- Geist der Aufklärung. Wir finden auch Beispiele, tur sind oben bereits erwähnt. Der Mensch ist in denen Pädagogik auf Unterdrückung, Dressur von Natur aus gut; durch Erziehung wird er ver- und Strafe reduziert ist und deren Strafen außer- nünftig, tüchtig, glücklich, durch Erziehung lernt ordentlich drastisch sind. Den Ausgang aus der er seine Fähigkeiten zu entfalten. Die Kinder- Unmündigkeit haben diese Bücher nicht im Blick. literatur, die zu dieser Entfaltung beitragen soll, ist didaktisch sorgfältig durchdacht. Sie berück- Rousseau und die Philanthropisten sichtigt den Erfahrungshorizont der Kinder, weckt Rousseau sagt in seinem Emile, dass „alle durch deren Interesse an erzählten Geschichten, achtet Nachahmung erworbenen Tugenden nur Tugen- auf Anschaulichkeit und spielerisches Lernen. den von Affen“ seien; gegen das Lernen aus (Kin- „Kennzeichnend ist weiter das Ziel, die individu- der-) Büchern, das oft genug ein Auswendiglernen elle Ausbildung des Kindes mit sozialer Erziehung war, lässt sich sein Satz anführen: „Die Lektüre zu verbinden; darin unterscheiden sich die phil- ist die Geißel der Kindheit“. Sein Emile wird mit anthropische und überhaupt die aufgeklärte Pä- zwölf Jahren noch kaum wissen, was ein Buch dagogik in Deutschland von Rousseau und sei- ist. Nur Defoes Robinson darf er im Knabenalter nem radikal individualistischen Erziehungs- lesen, damit er aus diesem Buch lernen möge, konzept: Emile soll allein, isoliert von der Ge- „was man in einer solchen Lage zu wissen nötig sellschaft aufwachsen“.3 Mit diesem Konzept hat“ (hier findet sich die Anregung für Campe, schaffen die Philanthropisten das Grundmuster Defoes Robinson pädagogisch zu bearbeiten). der modernen Kinderliteratur. So sehr sich die Reformpädagogen der Auf- Die philanthropistische Reformbewegung be- klärungszeit, die Philanthropisten, an Rousseau schränkt sich nicht auf das Bücherschreiben und

11 „BELEHRUNG, STÄRKUNG DER TUGENDEN, VEREDELUNG DES CHARAKTERS“

Abb. 3 die „Unbrauchbarkeit und Schädlichkeit der Aus Weißes Kinderfreund Basedow’schen Erziehungs-Projecte“ (Exp.-Nr. 9) (1771ff); Nr. 133. hat er bereits 1771 polemisiert. Empfindsamkeit und Sturm und Drang wir- ken kaum hinein in die Kinderliteratur der Auf- klärungszeit. Herder nimmt mit seinem berühm- ten Vorwort zu der Anthologie Palmblätter. Erle- sene morgenländische Erzählungen für die Jugend (Exp.-Nr. 223 und 224) eine Sonderstellung ein. „Die Seele eines Kindes ist heilig.“ Dem reich entfalteten Innenleben der Kinder und ihrer jun- gen Einbildungskraft, die „nach dem Wunder- baren“ hascht, entsprechen Poesie und Fantasie mehr als die Verstandeskultur der Erwachsenen, die sich in der Kinderliteratur der Aufklärung niederschlägt. Hier und stärker noch in der Kinderliteratur der Romantik seit etwa 1798 of- fenbart sich ein gänzlich anderes Verständnis von Kindheit, Erziehung und Kinderliteratur, dem in der Ausstellung und im Katalog ein eigenes Ka- pitel gewidmet ist – gewissermaßen als erhellen- der Kontrast.

Vorlesen um 1780: Lernen in geselliger Familiensituation Adressaten der Kinderliteratur waren die Kinder des wohlhabenden Bürgertums und ihre Erzie- auf die Kritik am Schulwesen, sie gründete auch her; die übergroße Mehrheit der Bevölkerung selbst Reformschulen, um ihre Ideen umzuset- konnte sich die Bücher nicht leisten, und viele zen, etwa das Dessauer Philanthropin durch Ba- hätten sie auch gar nicht lesen können. Die Au- sedow oder das Internat Schnepfenthal bei Go- toren haben eher an eine Vorlese-Situation ge- tha durch Salzmann. Rochow reformierte das dacht als an das stille Selberlesen der Kinder. Das Grundschulwesen, und Campe gab eine sech- Vorlesen im Familienkreis wird in pädagogischen zehnbändige Allgemeine Revision des gesamten Schriften und in den (häufig sehr ausführlichen) Schul- und Erziehungswesens (1785–1792) heraus Vorreden der Kinderbücher immer wieder gefor- (in die er Rousseaus Emile und Lockes Gedanken dert. Hat der Vater früher aus Bibel und Gesang- über Erziehung aufnahm). Die pädagogischen buch vorgelesen, so sind es jetzt lehrreiche Reali- Vorstellungen der Philanthropisten finden deut- enbücher und moralische Erzählungen, überwie- lichen Niederschlag in ihren Kinderbüchern, die gend ohne religiösen Hintergrund, die gemein- für das Hauslehrersystem, das Vorlesen in der sam gelesen werden. In der Vorrede zu seinen Familie, aber auch für den schulischen Unterricht Unterhaltungen für Kinder und Kinderfreunde gedacht waren. (Exp.-Nr. 20) beschreibt uns Salzmann eine sol- che Vorlese- und Erzählsituation, wie sie in sei- Andere Strömungen nem Schnepfenthaler Internat alltäglich war: „Ihr So beherrschend die philanthropische Kinder- könnt Euren Kindern nicht bessers zu gute thun, literatur in den siebziger und achtziger Jahren war, als wenn Ihr ihnen immer recht viel Gutes er- sie hatte auch ihre Gegner. Genannt seien hier zählt, Eure Kinder bekommen Euch lieb.“ Nach Kästner und Schlözer, die Göttinger Professoren. Tisch bitten ihn seine Kinder: „Lieber Papa! er- Schlözer hat einen öffentlichen Streit mit Base- zählen Sie uns etwas. Ich weis oft nichts. Ich habe dow ausgefochten (siehe hierzu die Kommentare deswegen Weißens Kinderfreund und Abcbuch, zu Exp.-Nr. 9 und 10), ihm missfielen der Kinder- Federsens Erzählungen u. d. g. mir angeschaffet ton und die Vereinfachung der Inhalte. Gegen und unterhalte sie damit.“ Salzmann erklärt den

12 ZUR EINFÜHRUNG IN DIE AUSSTELLUNG erwachsenen Lesern seiner Vorrede das Ziel sei- Modell für die Erziehung in der sich ausbilden- nes Buches: ihnen Geschichten zum Erzählen an den Kleinfamilie, sichert aber auch die Kontrolle die Hand zu geben, die er „bey heitern Abenden über das „richtige“ Verständnis des Gehörten vor Abb. 4 aus meinem eigenen Kopfe genommen, und allem in moralischer Hinsicht. Dass viele Kin- Aus Weißes Kinderfreund meinen Kindern vorgetragen habe“. derbücher sich zugleich an Kinder und ihre Er- (1781–1782) Bd. 23/24; Hier wird eine ideale Familiensituation be- zieher, Eltern oder Hauslehrer richten, ist in die- Nr. 134. schworen, in der erzählt, vorgelesen und über das Gehörte gemeinsam und vernünftig gesprochen wird. Weiße mit seinem Kinderfreund (Exp.-Nr. 133 und 134) und Campe mit seinem Robinson (Exp.-Nr. 72) haben solche Familiensituationen, wie sie auch auf vielen Illustrationen zu sehen sind, in fiktionalisierter Form als Rahmen in ihre Werke aufgenommen. In Campes Robinson heißt es zu Beginn: „Es war einmal eine zahlreiche Fa- milie, die aus kleinen und großen Leuten bestand. Diese waren theils durch die Bande der Natur, theils durch wechselseitige Liebe vereiniget. Der Hausvater und die Hausmutter liebten Alle, als ihre eigenen Kinder, ohngeachtet nur Lotte, die kleinste von Allen, ihre leibliche Tochter war; und zwei Freunde des Hauses , R** und B** thaten ein Gleiches. [...] nach vollendetem Tagewerke, wünschte jeder von ihnen auch etwas zu hören, welches ihn verständiger, weiser und besser ma- chen könte. Da erzählte ihnen dan der Vater, bald von diesem, bald von jenem, und die kleinen Leute alle hörten ihm gern und aufmerksam zu. Eine von solchen Abenderzählungen ist die fol- gende Geschichte des jüngeren Robinsons.“ Dies ist die „treue Darstellung wirklicher Familiensce- nen“; Campe hat hier seine Hamburger Erfah- rungen zugrundegelegt und damit ein gültiges Modell geschaffen (in dem übrigens die Mutter keine Rolle spielt), das auch in Realienbüchern, wie etwa bei Raff, Anwendung findet. In vielen Folgen erzählt Campe seinen Kindern die Insel- episode aus Defoes Robinson, immer wieder un- terbrochen durch vernünftige Gespräche zwi- schen dem Vater/Erzähler und den Zuhörern, die die beabsichtigte Wirkung sichern sollen. Ähnlich ist es in Weißes Kinderfreund. Die fortlaufenden Nummern dieser Zeitschrift mit ihren Erzählungen, Liedern, Rätseln und Kinder- schauspielen werden zusammengehalten durch eine in einer Rahmenhandlung durchgängig auf- tretende Familie (Mentor, die namentlich bekann- ten Kinder und Freunde). Mentor ist hier der Kinderfreund, der Vorleser und Erzähler, der die Fragen der Kinder beantwortet und als „Wissens- vermittler, moralischer Mahner und pädagogi- scher Lenker“4 fungiert. Das ist zugleich ein

13 „BELEHRUNG, STÄRKUNG DER TUGENDEN, VEREDELUNG DES CHARAKTERS“

ser Vorlesesituation begründet. (Vor-)Lesen und Kinder- und Jugendliteratur der Aufklärungszeit. Lernen waren in der Vorstellung der Philanthro- Die z. T. seltenen und häufig reichhaltig illust- pisten eine gesellige, soziale Angelegenheit. Cam- rierten Bücher sind entweder in der Forschungs- pe lässt in seinem Robinson, geradezu bahnbre- bibliothek im historischen Altbau frei zugänglich chend, das Gehörte sogar durch gemeinsame oder v. a. über den Handschriftenlesesaal einzu- Tätigkeiten und Handlungen der Kinder nach- sehen. Viele der Bücher sind von der Bibliothek ahmen und Szenen nachspielen; die Kinder bas- der damals jungen Universität bereits in ihrem teln, flechten, fasten und setzen sich probeweise Erscheinungsjahr angeschafft worden. Die Bibli- den schwierigen Situationen aus, die Robinson othek konnte von Anfang an kontinuierlich er- zu bestehen hat – methodisch gesehen eine Re- werben; vor allem unter Christian Gottlob Heyne, formidee, die in ihrem Grundprinzip zumindest der die Bibliothek seit 1763 jahrzehntelang ge- teilweise auch die gegenwärtige Reformdiskussion leitet hat, waren aus dem Bereich der aufblühen- der Literaturdidaktik bereichern könnte. Den den Kinder- und Jugendliteratur wichtige Erwer- Kindern freilich dürften Robinsons Abenteuer bungen möglich. Im Jahre 1800 hatte die Biblio- ohne die seitenlangen pädagogischen Einschübe thek insgesamt bereits mehr als 133 000 Bände. sehr viel lieber gewesen sein. Mit der Sammlung Deutscher Drucke 1701–1800 fungiert die SUB Göttingen für das achtzehnte Der Bestand der SUB Göttingen und der Jahrhundert als deutsche Nationalbibliothek; seit Vordemann-Sammlung 1990 sind im Bereich der Kinder- und Jugend- Die Bibliothek der Universität Göttingen, 1734 literatur zahlreiche Neuerwerbungen hinzuge- gegründet, eine der großen Bibliotheken der Welt, kommen. Die berühmten Kinderbücher vor al- verfügt über einen umfangreichen Bestand an lem der Philanthropisten sind fast vollzählig vor- handen, häufig in verschiedenen Ausgaben. So etwa Basedows Elementarwerk 1774 (Exp.-Nr. 7, 8) mitsamt den Kupfern von Chodowiecki, Schleuen und Schuster, Bertuchs Bilderbuch für Kinder, zwölf gebundene Ausgaben 1798–1821 (Exp.-Nr. 12), Campes Robinson der Jüngere in zahlreichen Ausgaben (sowie weitere Robinsona- den, Exp.-Nr. 72 ff), seine 28bändige Ausgabe letz- ter Hand (Exp.-Nr. 16), daneben zahlreiche Ein- zelausgaben, Rochows Kinderfreund (Exp.-Nr. 132), Salzmanns Moralisches Elementarbuch mit den Kupfern Chodowieckis (Exp.-Nr. 177), Wei- ßes Wochenblatt Der Kinderfreund (komplett, Exp.-Nr. 133) sowie Der Neue Kinderfreund von Engelhard und Merkel (Exp.-Nr. 135), dazu Lie- der von Overbeck und Weiße (Exp.-Nr. 214, 218), Vertonungen von Hiller und Claudius (Exp.-Nr. 221, 222). Weitere wichtige Autoren sind neben anderen (eine der wenigen Frauen, Exp.-Nr. 61), Feddersen, Funke, Glatz, Gutsmuths, Lavater, Georg Ludwig Jerrer, Raff, Schlözer, Miller, Moritz, Musäus, Rousseau. Schlözers Werke verdankt die SUB z. T. der Schlö- zer-Stiftung. Zum Andenken an Schlözer bewahr- ten dessen Nachkommen den erhaltenen Nach- lass sorgfältig auf, 1939 und 1940 gelangte der Abb. 5 Großteil der Sammlung als Schlözer-Nachlass Aus Weißes und Schlözer-Stiftung in den Besitz der Georgia Kinderfreund (1771ff); Augusta. Dieser Nachlass bildet den wichtigsten Nr. 133. Quellenbestand zur Erforschung von Leben und

14 ZUR EINFÜHRUNG IN DIE AUSSTELLUNG

Werk Schlözers und seiner Nachkommen. Wer- ke der Romantik, die (wie die Kinder- und Haus- märchen) als Exkurs in die Ausstellung aufgenom- men worden sind, sind vielfach vertreten. Der Bestand an Büchern der Aufklärungszeit der Vordemann-Sammlung ist geringer, aber nicht unbedeutend. Dafür reichen die Kinderbücher dieser Sammlung bis ins beginnende zwanzigste Jahrhundert. Einen Schwerpunkt bildet auch hier die philanthropistische Kinderliteratur; unter ih- nen gibt es einige Glanzstücke. Campe, Guts- muths, Salzmann sind vertreten, daneben Clau- dius, Mundt, Fréville, Dassel, Marx u. a. Die Bi- bliothek für Kinder- und Jugendliteratur des Se- minars für Deutsche Philologie verfügt insgesamt über ca. 2500 alte Kinderbücher, etwa die Hälfte davon gehört zur Vordemann-Sammlung. Diese Sammlung wurde der Pädagogischen Hochschule Göttingen 1962 gestiftet und ist mit der Integra- tion der PH in die Universität 1978 in deren Besitz übergegangen. Benannt ist die Sammlung nach dem Einbecker Superintendenten Karl Vor- demann (1850–1931) und seinen beiden Töch- tern Maria (1891–1957) und Gertrud (1894– Vordemann manches Buch für seine eigenen Kin- Abb. 6 1975) Vordemann. Karl Vordemann hat in Leip- der antiquarisch erworben hat – als Weihnachts- Illustration von Ludwig zig und vor allem in Göttingen Theologie stu- oder Geburtstagsgeschenk. Es ist zu vermuten, Richter aus Campes diert, war Pastor in Dorfmark, Atzenhausen bei dass er erst nach und nach zum Sammler gewor- Robinson (erstmals 1848); Göttingen, Gifhorn und schließlich in Einbeck, den ist. Dabei richtete er sein Augenmerk von Nr. 74. einer niedersächsischen Kleinstadt in der Nähe Anfang an auch auf Realienbücher, besonders auf Göttingens. Nach seiner Pensionierung hat Vor- solche mit kostbaren (handkolorierten) Illustra- demann in Göttingen gelebt, ebenso wie seine tionen.5 beiden Töchter. Man kann die Vordemann- Was der Vater gesammelt hat, haben die Töch- Sammlung daher durchaus als eine Göttinger ter bis in die fünfziger Jahre des zwanzigsten Jahr- Sammlung bezeichnen. hunderts hinein ergänzt. Mit der Vordemann- Die Anfänge der Sammlung liegen in den Sammlung wird in Forschung und Lehre vielfäl- Familienbeständen der verzweigten und kinder- tig gearbeitet; zahlreiche Ausstellungen (u. a. in reichen Pastorenfamilie Vordemann. Auch Vor- der Deutschen Bibliothek a. M. und demanns Ehefrau, eine geborene Meißner, stamm- dem Kulturhistorischen Museum Magdeburg) te aus einer norddeutschen Pastorenfamilie (Uel- wurden bislang realisiert.6 zen, Hedemünden in der Nähe Göttingens), in der Kinderbücher offenbar eine große Rolle spiel- Zum Konzept der Ausstellung ten. Christoph von Schmids Werke, in der Vor- Die Ausstellung basiert auf dem Göttinger Be- demann-Sammlung zahlreich vertreten, scheinen stand und enthält, wie auch der Katalog, nur eine aus dem Besitz dieser Familie zu stammen, mög- Auswahl, die unter didaktischen Gesichtspunk- licherweise auch Lossius; beide Autoren wären in ten getroffen wurde. Der Katalog ist daher kein einem Pfarrhaus naheliegend. In Christoph von Bestandsverzeichnis. Neben den Büchern, die Schmids La vieille Noel steht als Eintrag: „Mei- immer nur in einer Ansicht präsentiert werden ner lieben Anna Meißner, 14. Februar 1871“. können, sind kurze charakteristische Textaus- Solche Eintragungen finden sich häufiger, und schnitte zu sehen, dazu weitere Informationen aus ihnen geht hervor, dass Vordemann Kinder- und vor allem die Illustrationen in z.T. großfor- bücher aus seiner Verwandtschaft in größerer Zahl matigen Reproduktionen. Die bekannten Zeich- übernommen hat. Andere Einträge zeigen, dass ner und Stecher des achtzehnten Jahrhunderts

15 „BELEHRUNG, STÄRKUNG DER TUGENDEN, VEREDELUNG DES CHARAKTERS“ haben Illustrationen geschaffen, die ästhetisch gelegt“. Die Museen, Sammlungen und Gärten reizvoll sowie kunst- und sozialhistorisch von gro- der Universität Göttingen, Göttingen 2001. ßem Interesse sind. Ihnen gilt ein besonderes Au- HURRELMANN, BETTINA: Kinderliteratur und Lese- genmerk der Ausstellung und des Katalogs. kindheit im 18. Jahrhundert. Kindheit und Die Gliederung der Ausstellung orientiert sich Lesefähigkeit, in: Grenz 1986, S. 259–290. stärker an ausstellungsdidaktischen, weniger an RUTSCHKY, KATHARINA (HRSG.): Schwarze Päda- systematischen Gesichtspunkten. Die wichtigsten gogik. Quellen zur Naturgeschichte der bürger- Autoren und Gattungen werden in Gruppen zu- lichen Erziehung, Frankfurt a. M. 1977. sammengefasst, die repräsentativ sind für die SCHMITT, HANNO (HRSG.): Visionäre Lebensklug- Kinderliteratur der Aufklärungszeit und vor- heit: Joachim Heinrich Campe in seiner Zeit nehmlich der Philanthropisten. Besonderheiten (1746–1818) [Ausstellung des Braunschwei- bilden dabei die Autoren aus dem Umkreis der gischen Landesmuseums und der Herzog- Göttinger Universität, die Lieder für Kinder so- August-Bibliothek Wolfenbüttel 1996], Wies- wie – als Exkurs – Herder und die Kinderliteratur baden 1996. der Romantik, die sich von der Aufklärung deut- STEINLEIN, RÜDIGER: Die domestizierte Phantasie. lich absetzen. Studien zur Kinderliteratur, Kinderlektüre und Die Ausstellung wird gezeigt im Historischen Literaturpädagogik des 18. und frühen 19. Jahr- Bibliothekssaal der Pauliner Kirche, wie wir ihn hunderts, Heidelberg 1987. aus Heinrich Heines Harzreise kennen. WILD, REINER: Aufklärung, in: Reiner Wild (Hrsg.): Geschichte der deutschen Kinder- und Literaturverzeichnis: Jugendliteratur. Stuttgart 1990, S. 46–98. BÖTTE, GERD-JOSEF [U.A.]: Der Historische Bib- WILD, REINER: Die Vernunft der Väter. Zur Psy- liothekssaal in der Pauliner Kirche. Schatzhaus chographie von Bürgerlichkeit und Aufklärung der Universität und Schaufenster der Wissen- in Deutschland am Beispiel ihrer Literatur für schaft, in: Hoffmann/Maack-Rheinländer Kinder, Stuttgart 1987. 2001, S. 32–46. WANGERIN, WOLFGANG (HRSG.): Pfui, ruft da ein BRÜGGEMANN, THEODOR/HANS-HEINO EWERS: jeder. Alte Kinderbücher aus der Vordemann- Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur von Sammlung der Universität Göttingen. Aus- 1750–1800, Stuttgart 1982. stellungskatalog. München 1989, Göttingen BRUNKEN, OTTO/BETTINA HURRELMANN/KLAUS- 5. Aufl. 1994 [mit zahlreichen farbigen Illus- ULRICH PECH (HRSG.): Handbuch zur Kinder- trationen]. und Jugendliteratur. Von 1800 bis 1850, WANGERIN, WOLFGANG: Von Robinson dem Jün- Stuttgart 1998. geren zum Trotzkopf. Die Kinderbuchsammlung BRUNKEN, OTTO: Kinder- und Jugendliteratur von Vordemann der Georg-August-Universität Göt- den Anfängen bis 1945. Ein Überblick, in: tingen, in: Jahrbuch für finnisch-deutsche Günter Lange (Hrsg.): Taschenbuch der Kin- Literaturbeziehungen 1989, Nr. 21, S. 5–33. der- und Jugendliteratur, Bd. 1, Baltmanns- WANGERIN, WOLFGANG: Sammlung: Universität weiler 2000, S. 17–96. Göttingen, in: Kinder- und Jugendliteratur. Ein EWERS, HANS-HEINO (HRSG.): Kinder- und Lexikon, hrsg. v. Kurt Franz, Günter Lange, Jugendliteratur der Aufklärung. Eine Text- Franz Josef Payrhuber, 18. Erg.-Lfg., Meitin- sammlung [mit einer ausführlichen Einlei- gen 2003, S. 1–9. tung], Stuttgart 1980. GRENZ, DAGMAR (HRSG.): Aufklärung im Kinder- Anmerkungen buch. Studien zur Kinder- und Jugendliteratur 1 Wangerin 1989, 2003. des 18. Jahrhunderts, Pinneberg 1986. 2 Wild 1990, S. 53. HOFFMANN, DIETRICH/WOLFGANG WANGERIN: Die 3 Ebd. Sammlung alter Kinderbücher des Instituts für 4 Klaus Doderer: Art. „Kinderfreund“. In: K.D. Fachdidaktik, in: Hoffmann/Maack-Rhein- (Hrsg.): Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur, länder 2001, S. 119–124. Bd. 2, Weinheim 1984, S. 179. HOFFMANN, DIETRICH/KATHRIN MAACK-RHEIN- 5 Wangerin 2003. LÄNDER (HRSG.): „Ganz für das Studium aus- 6 Katalog: Wangerin 1989 u.ö.

16 Rousseaus Kinder. nach dem achtzehnten Jahrhundert gegeben. Als die Kinderbücher laufen lernten Trotzdem lassen sich für dieses Jahrhundert sig- nifikante Neuerungen ausmachen, so dass es nicht Gerhard Lauer übertrieben ist, wenn man sagt, im achtzehnten Jahrhundert habe die Kinderliteratur das Laufen gelernt. Im Folgenden will ich zeigen, dass diese Kindheit ist eine Erfindung, nicht viel älter als Veränderungen nicht so sehr das Ergebnis eines das achtzehnte Jahrhundert und eigentlich nur sozialen Wandels sind, wie es Ariès glaubt, son- eine Nebenfolge des sozialen Wandels auf dem dern vielmehr das einer Neudefinition des Men- Weg in die Neuzeit. Das Mittelalter und lange schen. Wie es zu ihr kam, ist freilich nicht so ein- noch die Frühe Neuzeit, sie kannten die Kind- fach zu beantworten. Schauen wir uns daher zu- heit nicht als eigenes Lebensalter mit eigenen nächst die Literatur für Kinder bis ins achtzehnte Formen der Zuwendung gegenüber den Kindern, Jahrhundert an, studieren dann die neuen philo- sobald diese aus der Abhängigkeit von Mutter und sophischen Ideen über die Erziehung in diesem Amme entlassen waren. Sie waren kleine Erwach- Jahrhundert und versuchen uns zum Schluss mehr sene, keine Kinder nach unseren Vorstellungen. als einen Kinderreim auf die Bücher für Kinder Erst das achtzehnte Jahrhundert hat den Kindern im achtzehnten Jahrhundert zu machen. eine Kindheit eingeräumt und die kleinen Er- wachsenen als Kinder zu sehen gelernt. – Das alles Bücher für Kinder vor dem Jahrhundert der sind Thesen, sind wirkungsmächtige Thesen. Mit Pädagogik ihnen hat 1960 der französische Historiker Phi- Bücher für Kinder kennt das Zeitalter des Buch- lippe Ariès die Aufmerksamkeit der Geschichts- drucks, ja schon das Mittelalter. Als 1493 in Ba- schreibung auf einen fast unbekannten Kontinent sel Der Ritter vom Turn erstmals in einer deut- der Geschichte gelenkt, den der Kindheit. Sein schen Übersetzung gedruckt wurde, war dies eine Buch Geschichte der Kindheit1 hat diesen Konti- späte Wiederaufnahme eines viel älteren Buches, nent nicht nur (wieder-)entdeckt, sondern ihn das in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahr- auch mit Thesen vermessen, die bis heute nach- hunderts der Chevalier Geoffroy de Latour- wirken. Im Mittelpunkt seiner Geschichte steht Landry für seine drei Töchter geschrieben hatte. das achtzehnte Jahrhundert als das Jahrhundert „Deßhalb so ist es gar ein gut ding“, schreibt er der Erfindung der Kindheit, wie sie uns bis heute einleitend, „das man Kynder jn jrer jugnt zur geläufig ist. Weil erst in diesem Jahrhundert die schule tuge / die bücher der wyßen zu lernen / Kindheit als eigenständiger Lebensabschnitt er- vnnd vnderrichtung jrs heiles zu selen vnd zu funden worden sei, sei es zugleich das Jahrhun- libe“.2 Dem französischen Ritter lag offenbar viel dert der Erfindung der Literatur für Kinder. Das an einer Erziehung, die sich selbstverständlich der ‚Jahrhundert der Pädagogik‘ hat man es genannt. Bücher bediente. Das waren nicht nur Lehrbü- Da zählt die Kinderliteratur dazu. cher, sondern auch solche wie der Ritter vom Turn, Aber stimmt das so, wie es Ariès und viele die uns heute durch ihre drakonische Pädagogik nach ihm behauptet haben? Zweifel an den The- der Abschreckung ebenso irritieren wie durch die sen sind früh und wiederholt formuliert worden. kaum versteckte Schlüpfrigkeit ihrer Geschich- Die neueren Forschungsarbeiten zeichnen ein ten. Das waren Bücher mit erfundenen Geschich- differenzierteres Bild, das allmählich auch unsere ten; ihre Erfindungen waren pädagogisch legiti- öffentlichen Selbstbeschreibungen zu prägen be- miert. Denn nach antiker wie biblischer Traditi- ginnt, wann immer die Rede auf die historischen on bedurfte es des Exempels, um die oft bittere Gründe für unseren Umgang mit Kindern Lehre unter die Menschen zu bringen, große wie kommt. Vor diesem Hintergrund wird auch die kleine. Erfundene Geschichten waren das „Süße“ Geschichte der Literatur für Kinder umgeschrie- an den „Pillen“. Von den „süßen Pillen“ ist daher ben. Neu bewertet wird dabei die Schlüssel- noch bis ins achtzehnte Jahrhundert die Rede, funktion des achtzehnten Jahrhunderts für die wenn unwahre Geschichten beglaubigt werden Entwicklung der Kinderliteratur. Was sich genau mussten. Meist entstammten die Stoffe anderen im achtzehnten Jahrhundert in der Kinderlitera- Kontexten als denen der Erziehung. Liebesge- tur verändert hat, ist mit ‚Erfindung‘ sehr unge- schichten wie jene von der Schönen Magelone und nau umschrieben. Kinderliteratur hat es vor und andere kurzweiligen Historien, nach unseren Be-

17 „BELEHRUNG, STÄRKUNG DER TUGENDEN, VEREDELUNG DES CHARAKTERS“ griffen eher Romane, dienten zunächst der Ein- gänge zwischen beiden daher häufig anzutreffen. übung höfischer Umgangsformen. Die Drucke Die Bearbeitungen des Don Quichote wie dann dann derselben Geschichte, wie jener durch die des Robinson Crusoe zeugen von den Über- Georg Spalatin 1535, kehren die ursprüngliche gängen. Die Unterschiede waren letztlich nicht Aussage in ihr Gegenteil. Jetzt dient die Liebes- wichtig, gemessen an den entscheidenden Auf- thematik nicht der Identifikation mit einem vor- gaben der Literatur, wie sie Humanismus und bildlichen Liebespaar, sondern fungiert als An- Reformation vorsahen: Durch das sanfte Er- lass für die Warnung vor den Folgen der Liebes- ziehungsmittel der Sprache den Menschen zu sei- leidenschaften. Das war Pädagogik und wollte als ner Bestimmung zu führen. Die Rhetorik gab solche auch erkannt sein. Umdeutungen in di- hierzu den Dreischritt vor: Regel (praecepta) – daktischer Absicht gab es für viele Prosavorlagen Beispiel (exempla) – Nachahmung (imitatio). Die des Mittelalters, aber auch zu neuen Stoffen wie civilitas morum, also das sittliche Benehmen, war dem der Geschichte des Doktor Faustus. Die er- das eine Ziel. Es galt dem Menschen als leiblich- fundenen Exempel konnten abschreckend sein soziales Wesen, das der Rede mächtig ist. Das wie das des „Ertzzauberers“ Faustus. Sie konnten andere Erziehungsziel war das Seelenheil. Mit der aber auch Vorbilder abgeben, meist ritterliche Reformation und der ersten Leserevolution des Helden, die schon 1215 Thomasin von Zerklaere sechzehnten Jahrhunderts, als erstmals in Aufla- in seinem Lehrgedicht Der wehlisch gast der Nach- genhöhen gedruckt wurde, die dann erst wieder ahmung empfiehlt. Geschichten, um Kinder zu im neunzehnten Jahrhundert erreicht wurden, erziehen, hat man also schon lange vor dem acht- gewann diese Funktionsbestimmung für Kinder- zehnten Jahrhundert erzählt, abgeschrieben und bücher selbstverständliche Priorität. Katechismen gedruckt. Dabei hat man immer schon unter- und Historienbibeln übten in Lehrgesprächen schieden, ob dies Bücher für große oder kleine und Exempelerzählungen die Grundbegriffe des Leute waren. Glaubens ein. Wir nennen diesen Prozess der Mit den didaktischen Absichten wechselten Durchdringung praktisch aller Lebensbereiche die Stoffe, Bearbeitungen und Intentionen. Der durch die Religion rückblickend Konfessionali- Ritter vom Turn etwa erschien bereits 1536 in ei- sierung. Dieser Prozess betraf die verschiedenen ner vollständig veränderten Fassung gegenüber Konfessionen ungeachtet divergierender dogma- dem Erstdruck von 1493. Jetzt war das Buch als tischer Überzeugungen gleichermaßen. Gleich in Historienbibel für das weibliche Geschlecht ge- welche Schule ein Kind ging, ein so genanntes schrieben, was es ursprünglich mit keiner Silbe Hornbuch bekam es als erstes Buch in die Hand. war. Die immer neuen Umgestaltungen der Vor- Das sind eigentlich Tafeln mit einem Griff unten lagen waren beglaubigt durch die jeweiligen di- dran. Auf den Tafeln waren auf einem, durch daktischen Zielsetzungen, so dass der Stoff dünnes, durchsichtiges Horn geschützten Blatt letztlich nur Einkleidung der Lehre war. Das ent- die Groß- und Kleinbuchstaben des ABC ge- sprach der rhetorischen Tradition der Frühen druckt (oder geschrieben), dazu aber immer auch Neuzeit. Wickrams Romane, wie etwa der noch das „Vater unser“. Lesen lernen und getrennt 1809 von Clemens Brentano bearbeitete Prosa- davon auch Schreiben lernen waren ganz selbst- roman Der Goldtfaden (1557), oder Fénelons verständlich mit der religiösen Unterweisung ver- Fürstenspiegel Aventures de Télémaque, fils d’Ulysse bunden, und das weit über das achtzehnte Jahr- (1690–95) folgen in neuen Bearbeitungen und hundert hinweg. „Ein Büchlein für die Kinder“ Übersetzungen alle dem Verständnis, dass die meint im sechzehnten wie noch neunzehnten Historie der Moral zu dienen habe, selbst wenn Jahrhundert viel eher katechetische Literatur als dies so nicht immer von den Lesern verstanden Roman.3 wurde. Schaut man die Bibliografien zur Kinderlite- Zahlenmäßig dominiert aber nicht die roman- ratur durch, dann sind es nicht die romanhaften hafte Literatur. Nicht erfundene Geschichten, Historien und weltlichen Stoffe, die die Kinder sondern Sittenbücher und Lehrgespräche, Fabeln begleitet haben. Die ABC-Bücher verwenden und Tierepen, Grammatiken und Sachbücher nicht nur vom sechzehnten bis ins neunzehnte bestimmten das Feld der Bücher für Kinder. Die Jahrhundert hinein noch dieselben Holzschnitt- uns so geläufige Grenze zwischen fiktionaler und vorlagen, etwa vom Hahn, der mit Zeigestock die faktualer Literatur war dabei noch fremd, Über- Kinder zur Schule ruft. Ebenso selbstverständ-

18 ROUSSEAUS KINDER. ALS DIE KINDERBÜCHER LAUFEN LERNTEN lich enthält ein ABC-Buch (meist nur ein Bo- Noch die aufgeklärten geographischen Belustigun- gen) auch das (jeweilige) Glaubensbekenntnis gen der Jugend oder astronomischen Belustigungen, und Gebete, wie etwa das AAabcdef, das 1784 der Kurze Inbegriff aller Wißenschaften zum nütz- bei Johann Jacob Adler in Rostock gedruckt wur- lichen Gebrauch eines Kindes von drey bis sechs Jah- de. Das 1860 in Leipzig herausgebrachte Aabcdef ren und die Kurze Vorstellung der ganzen Welt oder übt das Entziffern der Buchstaben und Silben am der Neue Orbis pictus für Kinder,6 alle diese Bü- „Vater unser“, den Zehn Geboten und dem Glau- cher, die im achtzehnten Jahrhundert in immer bensbekenntnis ein.4 Die Beispiele lassen sich größerer Zahl auf den Markt kamen, spiegeln die leicht vermehren. Sie alle belegen, dass „Bücher Ordnung der Welt wider, tun das an den Sachen für Kinder“ eher die rhetorisch ausgerichtete, sitt- orientiert und ganz der Anschaulichkeit hinge- lich-katechetische Literatur meint, als die für Kin- geben. Gemessen an ihrer Zahl sind Märchen- der geschriebene weltliche fiktionale Literatur. Im bücher, die der französischen Märchen-Mode achtzehnten Jahrhundert verstand man unter folgen und deshalb Erwachsenenliteratur sind, Büchern für Kinder daher viel eher die Zweymahl empfindsame Adaptionen von Samuel Richard- zwey und funffzig Auserlesene Biblische Historien5 son oder Übersetzungen der Erzählungen für Kin- (Exp.-Nr. 163–166) des schon zu Lebzeiten für der von Mary Wollstonecraft zu vernachlässigen. seine Kinderbücher berühmten Hamburger Schul- Bücher für Kinder waren im achtzehnten Jahr- rektors Johann Hübner als Romane für Kinder. hundert noch nicht Kinderbücher, wie wir sie Hübners Bücher sind auch insofern beispiel- kennen. Sie haben viel mehr mit Religion und haft für die im achtzehnten Jahrhundert gängige Rhetorik, mit der Ordnung der Welt und der Literatur für Kinder, als er den Text mit Kupfern Ordnung der Ständegesellschaft zu tun, als es uns versieht. Bild und Text – das gehörte schon früh vertraut ist. Sie überschreiten die uns geläufige zu den gattungstypischen Merkmalen der Bücher Unterscheidung von erfundenen und wahren für Kinder. Im Laufe des siebzehnten Jahrhun- Texten ebenso selbstverständlich wie sie den Un- derts und dann erst recht im achtzehnten Jahr- terschied zwischen profaner und geistlicher Lite- hundert verändert sich aber die Begründung. ratur überbrücken. Weltkenntnis und Wissen sollten die Bücher an- Gewiss nimmt die absolute Zahl der Kinder- schaulich unterbreiten. Realienbildung war ge- bücher im letzten Drittel des achtzehnten Jahr- fragt, Anfang des achtzehnten Jahrhunderts wur- hunderts zu. Mit Zeitschriften für Kinder wie de in Halle die erste Realschule durch Christoph Christian Gottfried Böckhs Wochenschrift zum Semler gegründet. Das widersprach nicht der re- Besten der Erziehung der Jugend oder Christian ligiösen Grundausrichtung, sondern ging mit ihr Felix Weißes Wochenblatt Der Kinderfreund zusammen, in Halle mit dem Pietismus, an an- (Exp.-Nr. 133–134) gelingt Texten für Kinder der deren Orten mit radikaleren Glaubensüber- Sprung zum Periodicum. Auch sie sind den Vor- zeugungen. Das Orbis sensualium pictus des tief- stellungen einer zugleich vernünftigen und reli- gläubigen, ja millenaristischen Johann Amos giös begründeten Ordnung verpflichtet. Im Ver- Comenius von 1658 wurde in unzähligen Aufla- hältnis zu den meisten der in Haus und Schule gen nachgedruckt, übersetzt und nachgeahmt gelesenen Bücher nimmt die Zahl jener Litera- (Exp.-Nr. 4). Noch dem Weimarer Verleger Fried- tur, die unserem Begriff des Kinderbuchs nahe rich Justin Bertuch galt es als Vorbild für alle Kin- kommt, dennoch nur langsam zu. Erst im neun- derbücher. Die Welt, die hier zur Darstellung zehnten Jahrhundert sind hier in der zweiten kommt, war bewusst der Lebenswelt der Schüler Leserevolution signifikante Veränderungen zu entlehnt, geordnet nach lateinischen und deut- beobachten. Kurz, die Bücher für Kinder stehen schen Bezeichnungen. Das Buch war Anschau- im achtzehnten Jahrhundert noch überwiegend ungs- wie Übungsbuch zugleich, Lateinfibel und in der Tradition der Frühen Neuzeit, der Rheto- muttersprachliches Lehrbuch, war zum Vorlesen rik und Religion, Ständegesellschaft und Kate- wie zum Abmalen und Abschreiben geeignet. Es chismus näher sind als die Erziehung des Men- enthielt keine Märchen, sondern Sachen. Aber schen. Das legt den Schluss nahe, das Jahrhun- die Ordnung der Sachen war nicht beliebig. Was dert der Pädagogik stelle keineswegs jenen epo- die Kinder durch Abmalen und Abschreiben chalen Bruch in der Geschichte der Kinder- und detailgerecht lernen sollten, war nicht weniger als Jugendliteratur dar, wenn man die Kulturge- die Ordnung der Welt. schichte der Bücher und ihrer Leser in den Blick

19 „BELEHRUNG, STÄRKUNG DER TUGENDEN, VEREDELUNG DES CHARAKTERS“ nimmt, statt in bildungsbürgerlicher Absicht nur bereitet hat, weil er nicht genau wusste, was für den Kanon der außergewöhnlichen Werke. An ein Spiel das war. Lesen soll Freude am Lernen den Zielen einer sittlich-konfessionellen Erzie- erreichen, und das Spiel war der Weg dazu. hung der Kinder und Jugendlichen hat sich auch Daher sollten dem kindlichen Leser auch im achtzehnten Jahrhundert wenig geändert, an „leichte, vergnügliche Bücher, die seinen Fähig- der Didaktik, die sich an der Ordnung der Sa- keiten angemessen sind, in die Hand gegeben chen und den Exempla abarbeitet, auch nicht. werden, Bücher, die Unterhaltung bieten, ihn Kann dann überhaupt von einem epochalen mitreißen und die Mühen seines Lesens beloh- Wechsel in der Geschichte der Kinderliteratur des ne, die aber doch nicht so sind, daß sie seinen achtzehnten Jahrhunderts die Rede sein, wie es Kopf mit völlig unnützem Plunder füllen oder Ariès und andere behauptet haben? Eine der Ant- den Grund zu Laster und Torheit legen“.8 Locke worten, um die außergewöhnlichen Veränderun- zählt zu diesen Büchern für Kinder Äsops Fabeln, gen in der Kinderliteratur des achtzehnten Jahr- möglichst in einer illustrierten Ausgabe, um eine hunderts zu erfassen, ist der Verweis auf zwei Phi- Vorstellung „von den Dingen selbst“9 zu gewin- losophen von europäischem Rang. Der eine ist nen. Weiter zählen der Reineke Fuchs dazu, selbst- der englische Philosoph John Locke, der andere redend auch das „Vater unser“, das Glaubensbe- Jean-Jacques Rousseau. kenntnis und die Zehn Gebote, die auswendig zu lernen sind. Aber die religiöse Bildung soll die Die neuen philosophischen Ideen über Erziehung Freude am Lesen nicht belasten. Ja, Locke ist skep- In Ergänzung zu seinem philosophischen Haupt- tisch, ob die „ausgetretenen Pfade des Hornbuchs, werk, dem Essay concerning Human Understan- des Gebetbuchs, des Psalters, des Testaments und ding von 1690, hat John Locke eine kleinere der Bibel“10 überhaupt für Kinder geeignet sind, Schrift abgefasst: Herrn Johann Lockes Unterricht schlicht deshalb, weil Kinder viele Abschnitte der von Erziehung der Kinder – so hat sie die erste Bibel gar nicht verstehen. Daher empfiehlt er, die deutsche Übersetzung 1708 in Leipzig überschrie- Bibel nur in wenigen Auszügen zu lesen, wie etwa ben. Das Buch war wie für Locke typisch aus ei- der Geschichte von David und Goliath, die kind- nem konkreten Anlass entwickelt, aus einigen gemäß seien, und ansonsten auf die klar vor- Briefen an einen Freund, um diesem bei der Er- strukturierten Katechismen zu setzen, wie sie etwa ziehung seines Sohnes zu helfen. Ziel der Erzie- John Worrington zusammengestellt hat. hung, so Locke, sollte der lebenstüchtige Gentle- Locke folgt bei seinen Vorschlägen für die man sein. Die humanistischen Absichten auf eine richtigen Kinderbücher einer doppelten Traditi- rhetorische Bildung an den Alten und die kon- on, der des Stoizismus und der des Sensualismus. fessionelle Einübung der Seele an Katechismus Der stoischen Tradition der Frühen Neuzeit ist und Historienbibel waren diesem Ziel unterge- Locke verpflichtet, wo er die Erziehung des Gen- ordnet. Erziehung der Kinder umfasste hier die tleman an Tugenden des Gleichmuts und der Ab- richtige Ernährung und Kleidung ebenso wie das härtung orientiert. Das zielt auf die Seele wie den richtige Studium der griechischen und lateini- Leib gleichermaßen. Der sensualistischen Ideen- schen Klassiker. Unter dem Abschnitt über das tradition ist Locke selbst ein Stichwortgeber mit Lesen formuliert Locke Grundsätze, die uns mo- seiner Formulierung: „Ich habe hier aber nur ei- dern erscheinen: „Ich habe mir immer gern vor- nige allgemeine Gesichtspunkte im Hinblick auf gestellt, dass man Kinder das Lernen zu Spiel und die hauptsächlichen Absichten und Ziele der Er- Erholung machen und sie dahin bringen könn- ziehung im Auge gehabt, und die betrafen den te, Verlangen nach dem Unterricht zu tragen, Sohn eines Gentleman, den ich, als er damals sehr wenn man ihn als Sache der Ehre, des Lobes, des klein war, nur als weißes Papier oder Wachs an- Vergnügens und der Erholung oder als Belohnung sah, das man bilden und formen kann, wie man für andere Leistungen hinstellen und wenn man will“.11 Für die Empiristen wie Locke ist der Kinder wegen einer Nachlässigkeit im Unterricht Mensch ein unbeschriebenes Blatt. Die Eindrü- niemals schelten oder zurechtweisen würde“.7 cke, die er von seinen ersten Jahren an sammelt, Lesen sollte ein Spiel sein. Und Locke ist sich nicht bestimmen ihn. Die leiblichen und seelischen zu gut dafür, auch konkrete Spiele wie die Royal- Eindrücke, ob solche der wechselnden Witterung Oak-Lotterie vorzuschlagen, die schon Lockes oder der gelesenen Bücher, hinterlassen daher ihre französischem Übersetzer Pierre Coste Probleme Spuren, so dass die deutschen Übersetzungen von

20 ROUSSEAUS KINDER. ALS DIE KINDERBÜCHER LAUFEN LERNTEN

Lockes Erziehungs-Traktat auch ausdrücklich auf die Wichtigkeit der „ersten sieben Jahre“ hinwei- sen (Exp.-Nr. 1).12 Erziehung muss die richtigen Eindrücke erzeugen, und sie muss dies früh tun. Ein tüchtiges Mitglied der Ständegesellschaft wird daher ein Kind nur dann, wenn es selbst den frei- en Gebrauch seiner eigenen Vernunft früh erlernt hat. Locke war kein Revolutionär in der Bildungs- geschichte. Seine Überzeugungen setzen die Gel- tung der Ständegesellschaft und der Religion vo- raus. Auch die zeitgenössischen Katechismen wis- sen sehr wohl die verschiedene Fassungskraft der Kinder von denen der Erwachsenen zu unter- scheiden. Locke verweist nicht zufällig auf sie. Was neu an Lockes Ideen ist, das ist ihre Einbettung in die Philosophie des Empirismus. Lockes Er- ziehungsschrift ist nur eine Nebenarbeit im Kon- text der sehr viel grundsätzlicheren Untersuchung über den Menschen als vernünftiges Wesen. Lockes Überzeugung, dass der Mensch frei zu dieser Welt geboren ist und alles aus ihr erlernt, gibt ihm als Vernunftwesen eine neue Würde, die über das hinausgeht, was die Überzeugungen der Frühen Neuzeit beglaubigt hatte. Nur haben sich Lockes Ideen keineswegs so unmittelbar durchgesetzt, wie schon ein Blick in die Kinderbuchgeschichte in Deutschland zeigt. Gewiss wurde seine Erziehungsschrift kurz nach ihrem Erscheinen ins Deutsche übersetzt und wie- derholt etwa zusammen mit Fénelons Grundsät- zen über die Erziehung der Mädchen herausge- geben.13 Übersetzungen und Bearbeitungen fin- den sich über das ganze achtzehnte Jahrhundert verteilt. Joachim Heinrich Campes Ausgabe der Rudolphi-Übersetzung von 1787 dürfte die be- kannteste unter ihnen sein.14 Aber von einer durchschlagenden Wirkung auf die Bücher für der Jahrhundertfigur, mit „Freund Jean-Jacques“, Abb. 7 Kinder kann in Deutschland dennoch nicht ge- wie Rousseau von seinen Leserinnen und Lesern Johann Georg Heinrich sprochen werden. Das liegt daran, dass sich Ideen in ganz Europa genannt wurde. Feder, nicht einfach deshalb durchsetzen, weil sie neu Rousseaus Einfluss ist freilich nur schwer kon- gezeichnet und gestochen und anders begründet sind. Lockes Vorstellung kret zu beschreiben. Das liegt vor allem an Rous- von E. Riepenhausen, nach von dem Menschen, der nur mit Sinnen begabt seaus unsystematischen, oft sogar widersprüchli- einem Pastell-Gemälde von die Welt durchstreift, gewann an Überzeugungs- chen Formulierung seiner Ideen, wie an seinem Graff Wratislo. kraft erst in Verbindung mit weiteren Ideen. Da provokativen Lebensstil. Sein Emile wurde gleich ist die schottische Moralphilosophie zu nennen, nach seinem Erscheinen 1762 in Paris verboten. dann die Empfindsamkeit als eine Modebewe- Rousseau konnte sich der Inhaftierung nur durch gung seit den dreißiger Jahren des achtzehnten Flucht entziehen. Noch im selben Jahr folgte die Jahrhunderts, der Pietismus wie die Durchsetzung öffentliche Hinrichtung des Buches durch den aufklärerischer Ideen insgesamt auch in Formen Henker auch in seiner Heimatstadt Genf und der Volksaufklärung. Vor allem gewinnen Lockes vielen anderen europäischen Ländern. Dennoch Ideen an Durchsetzungskraft in Verbindung mit sind seine Schriften und eben auch sein großer

21 „BELEHRUNG, STÄRKUNG DER TUGENDEN, VEREDELUNG DES CHARAKTERS“

Erziehungstraktat Emile im französischen Origi- Das aber hat Auswirkungen auf die Bücher für nal gelesen und in die europäischen Sprachen Kinder. „Ich hasse die Bücher“, schreibt der übersetzt worden, auch ins Deutsche (Exp.-Nr. Schriftsteller Rousseau, der von seinen Büchern 2).15 Das ist für uns ein irritierender Befund, so und vom Notenkopieren lebt, „durch sie lernt dass man meinen könnte, Rousseaus Erziehungs- man nur, über etwas zu reden, was man nicht ideen seien so provokativ für ihre Zeit gewesen, weiß“.18 Bücher sind unlebendig und unanschau- dass sie deshalb der Zensur verfielen. Die Um- lich. Sie stehen zwischen dem Menschen und der stände, die zum Verbot geführt haben, sind aber Natur. Der Mensch bedarf ihrer nicht, um seine bis heute nicht ganz geklärt. Zensur war aller- natürlichen Bedürfnisse zu erkennen. Rousseau dings eine Normalität im achtzehnten Jahrhun- wäre nicht Rousseau, würde er nicht in einer Volte dert und wurde weder von Rousseau noch von doch ein Buch gelten lassen: „Da es nun absolut Locke in Frage gestellt. Die verbotenen Bücher nicht ohne Bücher geht, so gibt es eins, das mei- waren auch schon damals, gerade weil sie verbo- ner Meinung nach die beste Abhandlung über ten waren, von besonderem Interesse und wur- die natürliche Erziehung liefert. Dieses Buch wird den überall gewinnbringend nachgedruckt (vgl. das erste sein, das mein Emile zu lesen bekommt. Exp.-Nr. 3). Rousseaus Erziehungsideen, seine Es wird für lange Zeit das einzige sein, woraus Kritik an der herkömmlichen Collegiumsaus- seine ganze Bibliothek besteht, und dort immer bildung sind keineswegs so radikal neu, dass sie einen besonderen Platz einnehmen. Das wird der ein Verbot legitimiert hätten. Montaigne und Text sein, zu dem alle unsre Unterhaltungen über Locke, auf die Rousseau sich wiederholt bezieht, die Naturwissenschaften nur den Kommentar haben ähnliche Kritik geäußert. Rousseau geht bilden. Es wird zum Maßstab unsrer Urteilsfä- aber einen Schritt weiter. Kritisieren Montaigne higkeit während unsrer Fortschritte und, soweit und Locke die Charakterlosigkeit einer Erziehung, unser Geschmack nicht verdorben wird, wird sei- die die Persönlichkeit auf das Maß eines vernunft- ne Lektüre uns immer Freude machen. Welch losen Höflings reduziert, entwirft Rousseau das herrliches Buch ist denn das? Aristoteles? Plinius? Programm einer negativen Erziehung. „Alles, was Buffon? Nein. Es ist Robinson Crusoe“.19 Rous- Kinder tun, solange sie unter dem Einfluss ande- seau schätzt an Defoes Roman nicht dessen Er- rer stehen, beweise nichts [über ihr wahres We- zählkunst noch sonst formale Qualitäten des sen]“, so schreibt Rousseau an Madame d’Epinay, Buches. Allein seine Geschichte fasziniert Rous- „denn man kann niemals wissen, auf wessen Kon- seau, weil sie als Geschichte eines Schiffbruchs to es zu setzen ist; nur wenn sie keine Amme, die natürliche Erziehung des Menschen zu sich keine Erzieherinnen, keine Lehrer mehr haben, selbst schildert. Der Roman ist Abbild der ge- sieht man sie so, wie die Natur sie gemacht hat, glückten Erziehung, ein Exemplum. Von Robin- und dann erst beginnt die wahre Erziehung“.16 son kann das Kind lernen, ein Mensch zu wer- Rousseau verwirft wie kein zweiter vor ihm die den. „Das sicherste Mittel, sich über Vorurteile Erziehung durch alle Instanzen der Gesellschaft. zu erheben und seine Urteile nach den wahren Von den Ammen bis zu den hohen Schulen sind Verhältnissen der Dinge zu ordnen ist, sich in die alle Institutionen nur dazu angetan, den Men- Situation eines völlig isolierten Menschen zu ver- schen von seiner Natur abzubringen. Eine natür- setzen und über alles so zu urteilen, wie dieser liche Erziehung dagegen lässt den Kindern den Mensch mit Rücksicht auf seinen eignen Nutzen Raum für ihre natürlichen Anlagen. Rousseau urteilen muß“.20 Robinson Crusoe bestätigt nur die glaubt und mit ihm viele im achtzehnten Jahr- philosophische Wahrheit von der natürlichen hundert, dass der Mensch an sich gut sei und nur Erziehung. Kinder brauchen eigentlich keine durch die Ständeordnungen sich selbst entfrem- Bücher. In Rousseaus Welt sind Bücher im ge- det würde. Hinter Rousseaus Ideen steht ein schier glückten Fall eine Wiederholung der natürlichen grenzenloser Optimismus, ein Vertrauen in den Wahrheit. Menschen als Einzelnen, wie ihn kein Jahrhun- Rousseau wurde von seinen Lesern so nicht dert zuvor kannte. Rousseaus berühmte Formu- gelesen, im Gegenteil. Wie kein zweiter Schrift- lierung aus seinen autobiografischen Bekenntnis- steller des achtzehnten Jahrhunderts hatte Rous- sen „einzig und allein ich“17 bestimmt das unbe- seau geradezu gläubige Leser, denen seine Ratschlä- dingte Interesse am Menschen vor aller Gesellig- ge Anweisungen zum glücklichen Leben waren. keit und Gesellschaft. Bücher waren ihnen die Anleitung zum natürli-

22 ROUSSEAUS KINDER. ALS DIE KINDERBÜCHER LAUFEN LERNTEN chen Leben. Joachim Heinrich Campe hat als ei- den radikalen Erziehungsfantasien Rousseaus. ner der vielen Leser des Freundes Jean-Jacques in Darin ist Campe gerade typisch für die Kinderli- seiner Robinson-Bearbeitung Robinson der Jünge- teratur im achtzehnten Jahrhundert. Sie hat we- re. Ein Lesebuch für Kinder von 1779/80 (Exp.- der die pragmatischen Erziehungsgrundsätze Nr. 72–77) Rousseaus Lob von Daniel Defoes Lockes noch die natürliche Erziehung Rousseaus Roman ausführlich zitiert, um sein Buch als eine in neue Bücher für Kinder umgesetzt, zumal Kin- solche natürliche Erziehung der Kinder zu beglau- derbücher wie die Campes eher die Ausnahme bigen. Die Geschichte wird daher auch als eine als die Regel darstellen. scheinbar natürliche Konversation zwischen Vater und Kindern inszeniert, die nur anderer Kinder Erziehung zum Spiel: Bücher für Kinder im wegen aufgeschrieben und zum Druck gegeben achtzehnten Jahrhundert wurde. Die Kinder tun nützliche Dinge, während War also das achtzehnte Jahrhundert gar nicht sie der Geschichte zuhören und den Vater immer die Sattelzeit in der Geschichte der Kinderlitera- wieder mit Fragen bedrängen. Campe folgt Rous- tur, als die dieses Jahrhundert gilt? Die Antwort seau auch in der signifikanten Abweichung der lautet ja und nein. Sie lautet nein, wenn man Stoffvorlage, als auch sein Robinson nicht wie bei glaubt, die Bücher für Kinder hätten im acht- Defoe über einige Gerätschaften vom gestrande- zehnten Jahrhundert ihr frühneuzeitliches Geprä- ten Schiff verfügt, sondern nichts als praktische ge verloren. Noch immer bestimmen religiös-sitt- Arbeit und Gebet in der Natur kennt. Das alles liche Erziehung und rhetorische Schultraditionen soll dann keine erfundene, sondern eine wahre, die Literatur für Kinder. Rechnet man noch für weil pädagogische Geschichte sein: „Ich hoffe die deutschsprachigen Territorien die pietistische nämlich“, schreibt er im Vorbericht zur ersten Literatur ein, die etwa die Hälfte der deutschen Auflage, „durch eine treue Darstellung wirklicher protestantischen Länder dominiert hatte, dann Familienauftritte, ein für angehende Erzieher spielten dort die Ideen eines Locke oder Rous- nicht überflüssiges Beispiel des väterlichen und seau keine nennenswerte Rolle. Die uns geläufi- kindlichen Verhältnisses zu geben, welches zwi- ge Unterscheidung von fiktionaler und faktualer schen dem Erzieher und seinen Zöglingen Literatur bekümmerte wenig. Man stellte sich sehr nothwendig obwalten muß. Wo dieses glückli- wohl auf die Fassungskraft von Kindern ein. Aber che Verhältniß in seiner ganzen Natürlichkeit ein- Kinder waren zuerst Christenmenschen und Stan- mahl eingeführt worden ist, da sinken viele, dem despersonen. Einfach Menschen, wie Rousseau Fortgange der sittlichen Erziehung entgegenste- sich Kinder vorstellte, waren sie für die allermeis- hende Klippen von selbst nieder; wo dieses aber ten der Kinderbuchautoren nicht. nicht ist – nun, da nimmt an seine Zuflucht zu Die Antwort lautet ja, wenn man in den Blick dem Nordweiser oder Kompasser der Erziehungs- nimmt, was noch weit ins achtzehnte Jahrhun- künstelei, dessen Abweichungen so mannichfaltig dert an Gültigkeit besaß, aber in diesem Jahrhun- und durch hinlängliche Beobachtung bei weiten dert von neuen und eben ganz anderen Ideen noch nicht bestimmt sind. Uebrigens enthält diese überlagert wurde. Dazu muss man wissen, wie Absicht den Grund, warum ich lieber wirkliche, dominant bis ins achtzehnte Jahrhundert hinein als erdichtete Personen habe redend einführen, eine negative Anthropologie war. Sie war das Er- und meistentheils wirklich vorgefallene Gesprä- gebnis einer Radikalisierung der spätmittelalter- che lieber habe nachschreiben, als nicht gehalte- lichen Urstandslehre und glaubte, der Mensch ne künstlichere habe machen wollen“.21 habe mit dem Verlust der Gottesebenbildlichkeit Schon Campe hat die antisoziale Provokati- nicht nur einen akzidentiellen Verlust erlitten, on Rousseaus nicht aufgenommen, stattdessen die sondern sei seiner Natur nach korrupt geworden. Idylle einer Familienszenerie als pädagogische Für das Jahrhundert des Barock war die Seele in Ursituation ins Bild gesetzt. Der Erzählsituation einer Art Ausnahmezustand, der Leib von Affek- zwischen Vater und Kindern schenkt der Kon- ten regiert, wie es uns die barocken Bilder zeigen. versationsroman ebenso Aufmerksamkeit wie der Natur konnte hier keinen positiven Leitbegriff eigentlichen Geschichte von Robinson, dem Jün- abgeben, sondern war gerade das, was der Erlö- geren. Campes Lesebuch für Kinder folgt dabei sung bedurfte. Erziehung konnte sich daher nicht mehr den Modellen der lehrhaften Wechselrede, auf die Natur verlassen; das Spiel der Kinder war wie sie seit dem Humanismus üblich waren, als kein unschuldiges Tun.

23 „BELEHRUNG, STÄRKUNG DER TUGENDEN, VEREDELUNG DES CHARAKTERS“

Ganz anders die Auffassung Lockes oder Rous- Kinder und besonders der Prinzen. Worinn die seaus. Für sie war die Natur, die Erfahrung durch Wichtigkeit der ersten sieben Jahre des Lebens die Sinne und die natürliche, durch nichts ver- gezeigt wird, aus dem Französischen, Berlin/ fälschte Entwicklung des Kindes der Garant für Leipzig 1758. seine glückende Erziehung. An die Stelle einer [LOCKE, JOHN:] Herrn Johann Lockens Gedanken negativen trat eine optimistische Anthropologie, von Erziehung der Kinder, von neuem aus dem die dem Menschen als Kind alles zutraut, um sein Engl. übersetzt [...] nach der [...] Ausgabe Glück zu machen. Es genügte, wenn das Kind 1747 verglichen [...] und mit Anmerkungen spielte, um Mensch zu sein. Bei allen Unterschie- begleitet, Wien 1787. den zwischen Locke und Rousseau, allen LOCKE, JOHN: Gedanken über Erziehung, Über- Komplexitäten ihrer philosophischen Entwürfe setzung, Anmerkungen und Nachwort von hat das achtzehnte Jahrhundert von ihnen den Heinz Wohlers, Stuttgart 1970. Optimismus der Kindheit gelernt. Wie Friedrich [ROUSSEAU, JEAN-JACQUES]: Herrn Johann Jakob Justin Bertuch im Vorwort zu seinem Bilderbuch Rousseaus, Bürgers zu Genf, Aemil, oder Von für Kinder schreibt, braucht es nur der Augen als der Erziehung, aus dem Französischen über- Sinne und der Bücher als Spielzeuge, damit das setzet, und mit einigen Anmerkungen verse- Kind im absichtslosen Spiel zum Menschen wird. hen, 4 Teile, Berlin/Frankfurt a. M./Leipzig Das konnte am Ende des achtzehnten Jahrhun- 1762. derts, als 1798 in die ersten Bände von ROUSSEAU, JEAN-JACQUES: Emile oder Über die Er- Bertuchs Bilderbuch (Exp.-Nr. 12) erschienen, ziehung, hrsg. v. Martin Rang, Stuttgart 1963. schon als fraglos akzeptierte Grundüberzeugung ROUSSEAU, JEAN-JACQUES: Bekenntnisse, aus dem gelten. Wenn die Bücher im Laufe des achtzehn- Französischen von Ernst Hardt, mit einer Ein- ten Jahrhunderts zu laufen begonnen haben, dann führung von Werner Krauss, Frankfurt a. M. nicht deshalb, weil sie die Ideen der Philosophen 1985. in Bildergeschichten gefasst hätten. Aber sie ha- WEGEHAUPT, HEINZ: Alte deutsche Kinderbücher ben ein Zutrauen in das Spiel des Lesens gefun- III. Bibliographie 1524–1900, Stuttgart 2000. den, wie es der frühen Neuzeit noch unmöglich WILD, REINER (HRSG.): Geschichte der deutschen war. Bücher für Kinder gingen daher im acht- Kinder- und Jugendliteratur, Stuttgart 1990. zehnten Jahrhundert ihrem Inhalt nach noch tra- dierte Wege, ihrer Funktion nach aber waren sie Anmerkungen das Spielzeug einer sich selbst vertrauenden Na- 1 Ariès 1975 (franz. 1960). tur. Das Laufen haben die Kinderbücher nicht 2 Zitiert nach Wild 1990, S. 1. von den Philosophen gelernt, wohl aber das Ver- 3 Wegehaupt 2000, S. 50, Nr. 460. trauen in die Fähigkeit, Laufen lernen zu kön- 4 Ebd. S. 9f., Nr. 6 und 10. nen. 5 Ebd. S. 163, Nr. 1756. 6 Ebd. S. 109 (Nr. 1125), S. 21 (Nr. 121), S. 191 Literaturverzeichnis: (Nr. 2073) und S. 237 (Nr. 2595). ARIÈS, PHILIPPE: Geschichte der Kindheit, Mün- 7 Locke 1970, S. 186f. chen/Wien 1975. 8 Ebd. S. 191. CAMPE, J[OACHIM] H[EINRICH]: Robinson der Jün- 9 Ebd. S. 192. gere. Zur angenehmen und nützlichen Unter- 10 Ebd. S. 193. haltung für Kinder, Hamburg 1779/80. 11 Ebd. S. 268. CAMPE, JOACHIM HEINRICH: Robinson der Jünge- 12 Locke 1758. re. Ein Lesebuch für Kinder, hrsg. von Johan- 13 [Locke] 1729. nes Merkel und Dieter Richter, München 14 [Locke] 1787. 1977. 15 [Rousseau] 1762. [LOCKE, JOHN:] Herrn Johann Lockes Unterricht 16 Zitiert nach Rousseau 1963, S. 52f. von Erziehung der Kinder, aus dem Englischen 17 Rousseau 1985, S. 37. nebst: Gedanken von Erziehung der Töchter. 18 Rousseau 1963, S. 388. Mit einigen Anmerkungen und einer Vorrede, 19 Ebd. S. 389. Leipzig 1708. 20 Ebd. S. 390. LOCKE, JOHN: Abhandlung von der Erziehung der 21 Campe 1977, S. XIf.

24 ROUSSEAUS KINDER. ALS DIE KINDERBÜCHER LAUFEN LERNTEN

Exponate 1–3 nicht um Drill und enzyklopädische Wissensan- häufung. Bücher für Kinder sollen vergnüglich und den Fähigkeiten der Kinder angemessen sein; sie sol- 1a) John Locke: len die Mühe des Lesens lohnen und mit ihren Inhal- Des Herrn John Locke Gedancken von Erziehung jun- ten die Kinder nicht überfordern. Anlass des Buches ger Edelleute / Aus dem Englischen, und zwar der voll- war Lockes Versuch, einem Freund bei der Erziehung ständigsten Edition übersetzt / und mit Anmerckungen seines Sohnes zu helfen. Ziel der Erziehung sollte der / zugleich auch durchaus mit Titulen derer Materien lebenstüchtige Gentleman sein. versehen von Seb[astian] Gottfr[ied] Starck / LL. Or. W.W./W.V. Prof. Publ. Greiffswald / Bey Johann Wolffgang Fick- weiler. – [Kolophon:] Gedruckt bey Georg Heinrich 2 Jean-Jacques Rousseau: Adolphi, Königl. Univers. Buchdr. 1708. – (14) 447 Herrn Johann Jakob Rousseaus, Bürgers zu Genf, S. 16,5 x 10,5 cm. Aemil, oder Von der Erziehung. Aus dem Französi- Some Thoughts concerning education schen übersetzet, und mit einigen Anmerkungen ver- Das englische Original erschien 1693. Weitere Ausga- sehen. Erster–Vierter Theil. [In 2 Bden.] Berlin, Frank- ben vorhanden. furt und Leipzig [s. n.], 1762. – 17,5 x 11,5 cm. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Emile où de l’éducation Diese Übersetzung stammt aus demselben Jahr wie die 1. – (12) 328 S. erste deutsche Übersetzung, die unter dem bekannte- 2. – 248 (32) S. ren Titel Herrn Johann Lockes Unterricht von Erziehung 3. – 272 S. der Kinder 1708 in Leipzig erschien. Grundlage für 4. – 320 (22) S. die Leipziger Übersetzung war die französische Ausga- Motto auf dem Titelblatt: ,Sanabilibus aegrotamus be, die auch Fénelons Grundsätze über die Erziehung malis; ipsaque nos in rectum genitos natura, si emendari der Mädchen enthielt. Die Greifswalder Übersetzung velimus, juvat. Seneca, de ira L. II. c. 13.‘ Weiteres dagegen basiert auf dem englischen Original. Exemplar vorhanden. W.V. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Rousseaus Erziehungsroman, 1762 erschienen, ist 1b) John Locke: schnell berühmt geworden, wozu in Deutschland die Herrn Johann Lockens Gedanken von Erziehung der vorliegende frühe Übersetzung beigetragen hat. Rous- Kinder, von neuem aus dem Englischen übersetzet, seau war ein großer Anreger der europäischen Kinder- gegen des Herrn Costens französische Uebersetzung, literatur und hat die pädagogische Diskussion und die nach der neuesten pariser Ausgabe von 1747, vergli- Auseinandersetzung um die Kinderliteratur vor allem chen, und mit dessen Anmerkungen begleitet. Leip- durch seine Vorstellungen von Kindheit nachhaltig zig, verlegts Johann Paul Krauß, Buchh. in Wien, 1761. beeinflusst, gerade auch weil er Literatur für den Er- LXVII, (1), 404 S. 19 x 12 cm. ziehungsprozess der Kinder für untauglich hält. Emile Some thoughts concerning education lernt in der ihn umgebenden Natur, d.h. an der Wirk- Mit ornamentaler Titelvignette und Schlussvignette. lichkeit und nicht aus Büchern. Ein Buch freilich darf Dem Text vorangestellt ist ein Vorwort zur Neu- er lesen: Defoes Robinson, was wiederum Campe zu übersetzung von 1761 sowie das Vorwort Lockes vom seiner außerordentlich erfolgreichen Bearbeitung ver- 7.3.1690. anlasst hat. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen In der Vorrede heißt es: „Ich werde von der Wichtig- John Locke (1632–1704), der bedeutendste Vertreter keit einer guten Erziehung wenig reden. Eben so we- des englischen Empirismus, war ein Vorkämpfer per- nig werde ich mich aufhalten, zu beweisen, daß das, sönlicher, religiöser und politischer Freiheit. Seine was im Gebrauche ist, schlecht ist.“ In den vielen bis- Gedanken von Erziehung haben das „Jahrhundert der herigen Schriften sei „der allererste Nutzen, nämlich Pädagogik“, wie man das achtzehnte Jahrhundert schon die Kunst, Menschen zu bilden, doch noch vergessen.“ früh bezeichnet hat, geprägt, auch in Deutschland. Die vorliegende Übersetzung enthält zwei Register, Locke zielt in seiner pädagogischen Schrift auf die etwa: „Aemil kömmt in die Jünglingsjahre III, 168 Herausbildung der Vernunft im Kinde, die nicht an- wie er sich bey seinem Eintritte in die Welt beträgt geboren ist, sondern nur durch Erziehung erworben 218f. seine Aufführung bei dem schönen Geschlechte werden kann. Dabei geht es Locke besonders um das 224“. Gespräch als die rechte Art des Umgangs mit Kindern, W.W.

25 „BELEHRUNG, STÄRKUNG DER TUGENDEN, VEREDELUNG DES CHARAKTERS“

3 Johann Georg Heinrich Feder: Der neue Emil oder von der Erziehung nach bewähr- ten Grundsätzen. Erlangen verlegts Wolfgang Walther. 1768. – (6) 300 S. 16 x 10 cm. Ohne Verfasserangabe. Handschriftliche Ergänzung auf dem Titelblatt: ‚von J. G. H. Feder‘. Auf dem Titelblatt Vignette mit dem Motto: ‚A teneris adsuescere multum est‘. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Feders Ziel war es, Rousseaus Emile „zu einem neuen Werke“ umzuschmelzen. „Die Personen in meiner Geschichte werden Ihnen kenntlich seyn. Den Emil werden Sie am allerwenigsten verkennen; obgleich der vierjährige und der zwölfjährige nicht eine Person, son- dern nur Brüder sind.“ Feder (1740–1821) war 1768 bis 1797 Professor der Philosophie in Göttingen und danach Direktor des Georgianums in Hannover. Er verfasste den Grundriß der philosophischen Wissenschaften nebst der nöthigen Geschichte (1769). In Göttingen war er u.a. Lehrer von Abb. 8 Overbeck. Er schrieb das Vorwort zu Raffs Geographie Feder: Der neue Emil für Kinder (Exp.-Nr. 201, 202). (1768); Nr. 3. W.W.

26 Die Natur im Käfig. Kindheitsbilder in Luft, in den anmuthigsten Thälern und schatten- alten Kinderbüchern reichsten Wäldern, in der Gesellschaft lustiger Brü- der und Schwestern von seiner Gattung genoß. Je- Wolfgang Wangerin ner arme Kleine wurde sogleich an ein Kettchen geleget, und durch Hunger und andere Qualen ge- zwungen, in einem Fingerhute sein bißchen Geträn- Seit es Kinderbücher gibt, dienen sie den Kin- ke heraufzuziehen, sein Futterkästchen selbst auf- dern nicht nur zur Unterhaltung, zur Anregung zumachen und alles zu lernen, was zu einem ge- der Fantasie. Kinderbücher sind immer auch Er- schickten Wasserzieher gehöret. Indessen, da er sich ziehungsbücher gewesen. Kinder lesen und ler- einst in sein Kettchen versitzte, und man es aus nen in ihren Kinderbüchern das, was den Inter- einander winden wollte, entkam er glücklich durch essen und Vorstellungen der Erwachsenen ent- ein offenes Fenster, flog zu seinem Bruder in Wald, spricht; nicht nur, was Kenntnisse betrifft, son- und genoß eine Zeitlang mit ihm der Freuden des dern vor allem, was kindliches Verhalten, was Lebens und der Freyheit. Den nächsten Herbst aber, Tugend und Moral betrifft. Literatur für Kinder da sie Futter suchten, geriethen sie beide durch die musste nützlich sein; und so haben Kinderbü- List eines Vogelstellers in die Gefangenschaft; dieser cher erheblich dazu beizutragen, dass die nach- schloß sie so gleich in einen Bauer ein. Der ältere, wachsende Generation nach den Vorstellungen der von Jugend an Zwang zu ertragen, nicht gelehrt der Alten heranwächst. Ebenso haben Kinderbü- worden war, stieß sich vor Gram und Ungeduld den cher in ihrer Geschichte nicht wenig dazu beige- nächsten Morgen an seinem Gitterchen den Kopf tragen, das bürgerliche Bild von Kindheit, Fami- ein. Der andere schon mit dem Kerker und der Ket- lie und Erziehung zu schaffen und zu festigen; sie te bekannt, fand sich leicht in sein Schicksal, und haben der Domestizierung der Kinder gedient. ward nach und nach so darzu gewöhnt, daß er selbst Welche Kindheitsbilder entwirft die Kinder- die Freyheit nicht verlangte, sich die Geschicklich- literatur? Nur Bilder von gezähmten Kindern – keit, die er gelernt hatte, und die sich bald seinem oder auch andere? Wir haben ein ganzes Muse- Herrn verrieth, zum Zeitvertreibe machte; alt ward um voller Kindheitsbilder im Kopf, die ja beson- und ruhig starb. O! wie oft dankte er dann in sei- ders von der Kinderliteratur geschaffen worden nem zwitschernden Liedchen Gott, daß er ihn gleich sind. „Wenn man von einem Kinde redet“, so in der ersten Kindheit durchs Kreuz Geduld und lesen wir in Goethes Wilhelm Meister „spricht man Stille gelehrt habe. niemals den Gegenstand, immer nur seine Hoff- Ja, meine Kinder, wie viel giebt es nicht Aemter, nungen aus“. Das gilt auch für die Verfasser von Stellen und Umstände, wo sich dieß mancher wün- Kinderliteratur. Um deren Entwürfe, Erfindun- schen möchte, und itzt weit weniger über die Uner- gen, Projektionen, Utopien von Kindheit geht es träglichkeit seufzen würde, wenn seine Jugend nicht mir. Verwechseln wir dabei nicht das Dargestell- zu zwanglos und glücklich gewesen wäre. te mit der Realität; es geht mir nicht um die Sozi- algeschichte der Kindheit. Aber die entworfenen Dies ist der harmlose Text eines Pädagogen und Kindheitsbilder sind nicht weniger interessant als Schriftstellers der Aufklärung. Die Kinderliteratur die Wirklichkeit selbst. kennt drastischere Strafen, nicht nur in Büchern Lesen wir zunächst eine kleine Geschichte, mit Schwarzer Pädagogik. Wir haben es hier mit die den Kindern in Christian Felix Weißes Kin- zwei Zeisigen zu tun, auch mit zwei Teilen des Tex- derfreund erzählt wird. Sie steht im fünften Band tes. Nehmen wir zunächst den ersten Teil. Beide von 1778, im „LXVI. Stück“ (vgl. Exp.-Nr. 133– Zeisige stammen aus dem gleichen Nest. Der eine 134). Welche Vorstellungen von Kindheit finden hat die „Freyheit“, darf sie ,,genießen“ ist „glück- wir in diesem Text? lich“ (dies Vokabular ist schon verräterisch: „ge- nießen“ – das kann nur schief gehen), er ist „lus- Der Zeisig tig“, „in der heitern Luft, in den anmuthigsten Ein kleiner Zeisig hatte einst das Unglück, einem Thälern und schattenreichsten Wäldern“, und er muthwilligen Knaben, gleich aus dem Neste, und ist aufgehoben „in der Gesellschaft lustiger Brü- kaum, da er flicke geworden war, in die Hände zu der und Schwestern“, ohne Kontrolle, ohne Er- fallen, indessen daß sein Zwillingsbruder glücklich ziehung. Welch schöne Idylle, welch ein Lebens- entkam, und seiner ganzen Freyheit in der heitern glück, welche Einheit von Natur und Leben!

27 „BELEHRUNG, STÄRKUNG DER TUGENDEN, VEREDELUNG DES CHARAKTERS“

Unglück und Qualen dagegen für den anderen. forderten Verhaltensweise, den Impulsen und Er wird gezwungen, er muss lernen. Welch ein Affekten nicht mehr unmittelbar nachzugeben, happy end wäre es für ihn, wenn die Geschichte sondern die Folgen erst auf längere Sicht zu be- nach der Flucht zu Ende wäre. Welch eine schö- denken. ne Geschichte wäre es auch für die zuhörenden Thema dieser Fabel ist nicht das Unglück, Kinder. Sie könnten sich freuen an der wiederer- sondern die Vermeidbarkeit des Unglücks – durch langten Freiheit des gefangenen Vogels, der nun Domestizierung, Zähmung, Dressur, durch den gleichfalls die Freiheit, die Natur „genießen“ Sieg der Zivilisation über die Natur. Für Elias wird könnte – was ja doch die eigentliche Bestimmung der psychische Habitus des ,zivilisierten‘ Men- der Vögel ist, nicht der Käfig. schen besonders geprägt durch Selbstkontrolle. Aber es ist ein pädagogischer Text und ein Text Im Prozess der Zivilisation lernt der Mensch, sich der Aufklärung, der die Bedeutung der Erziehung, in einer ganz spezifischen Form stärker zu diffe- des richtigen Lernens demonstrieren will, nicht renzieren und zu spalten. „Er steht sich gewisser- etwa deren Unnatürlichkeit. Also geht unsere klei- maßen selbst gegenüber. Er ,verbirgt seine Passi- ne Fabel weiter. Sie zeigt, wie wichtig es dem Er- onen‘, er ,verleugnet sein Herz‘, er ,handelt gegen zieher/Erzähler ist, dass Natur und Freiheit dem sein Gefühl‘. Die augenblickliche Lust oder Nei- Prozess der Zivilisation unterworfen werden. Im gung wird in Voraussicht der Unlust, die kommen zweiten Teil, nachdem beide Brüder wieder ein- wird, wenn man ihr nachgibt, zurückgehalten; und gefangen worden sind, zeigt sich nämlich, dass das ist in der Tat der gleiche Mechanismus, mit unser Natur- und Freiheitszeisig zu wenig gelernt dem nun immer entschiedener durch Erwachsene hat: Ihm fehlt die Selbstkontrolle, die Fähigkeit – ob es nun die Eltern oder andere Personen sind zur Affektregulierung, er wehrt sich gar. Unser – von klein auf in den Kindern ein stabiles ,Über- zuvor gefangener Unglückszeisig dagegen hat sei- Ich‘ gezüchtet wird“.1 Es mag manchen überra- ne Lektion gelernt (Lernen ist überhaupt das schen, wie sehr die vermeintlich so harmlose Kin- Wichtigste): nämlich sich anzupassen, Zwang zu derliteratur in diesem Prozess mitwirkt. ertragen, sich in sein Schicksal zu fügen, Freiheit In diesem Sinne ist unser kleiner Text aus gar nicht zu verlangen und nicht einmal zu ver- Weißes Kinderfreund symptomatisch. An den missen. Er hat Geduld und Stille gelernt und Kindern, die wir in der Kinderliteratur der Auf- Dankbarkeit. klärung finden, wird vielfach täglich aufs Neue Nun lässt sich den zuhörenden Kindern de- die Natur in Zivilisation gemodelt, wie Dieter monstrieren, welcher Zeisig am Ende den besse- Richter sich ausdrückt.2 Bei ihm lesen wir auch, ren Teil hat. Der eine beugt seinen Freiheitswillen dass das Kinderbild der pädagogischen Bewegung nicht und hat sich nicht beschränken gelernt. Die des achtzehnten Jahrhunderts „Züge einer gigan- Folge oder besser die Strafe: Unglück, Tod. tischen Projektion“ trägt: „Alles, was die Mensch- Der andere Zeisig dagegen hat seinen Frei- lichkeit an gesellschaftlichem Fortschritt erzielt heitswillen aufgegeben, passt sich an und ein. Die hat und noch erreichen soll, wird an den Kin- Folge oder besser die Belohnung: Zufriedenheit, dern exerziert. Sie scheinen unbegrenzt lernfähig, Erfolg und langes Leben. Dieser Zeisig ist der Zei- Wachs in des Schöpfers Hand [...]. Das, was den sig der Aufklärung, oder besser: das Kind, wie es Erzieher an diesen Kindern interessiert, ist nicht sich der Verfasser wünscht. Schon früh lernt es ihr Eigen-Sinn, ihr Eigen-Leben, sondern die „durchs Kreuz Geduld und Stille“. Man könnte Tatsache, daß dieses Leben verwandelt, geläutert, auch sagen: Es lernt seine Unmündigkeit lieben, veredelt werden kann.“ Die schreibende Zunft nicht etwa, mit Kant, aus seiner Unmündigkeit stellt diese Kinderbilder aus: „Zum Exempel sta- herauszutreten. Der andere Zeisig dagegen: Das tuiert.“ Diese Kinder demonstrieren, wie unser wäre der Zeisig der Frühromantik, die nur wenig Zeisig, „den Triumph der Zivilisation über die später ihre Gegenbilder entwirft, ganz seiner Natur“. Auch dort, wo das Kinderleben tödlich Natur folgend, frei, entschlossen, wild, das Le- endet. Beispiele dafür sind nicht selten. Denken ben intensiv genießend mit allem Risiko, auch wir nur an jenes Mädchen aus Bachers Mädchen- dem des frühen Todes, gegen die Einordnungen freund, die „heimliche Sünderinn“, die im Kampf und Konventionen der bürgerlichen Ordnung der Erzieher gegen Onanie abmagern und verfal- und Enge gerichtet. Dieser ungezähmte Natur- len muss, von schwersten Krankheiten geplagt, Zeisig widersetzt sich der so nachdrücklich ge- wie Auszehrung, Wassersucht, verkrümmtes

28 DIE NATUR IM KÄFIG. KINDHEITSBILDER IN ALTEN KINDERBÜCHERN

Rückgrat, Schwindel, Krebs – dies alles als Strafe Die Romantiker setzten oft die fragmentarische, für „ein heimliches und schändliches Laster“. die verunglückte, die nicht zu Ende gekommene Dieses Laster bleibt ungenannt, niemand wird Lebensgeschichte gegen das aufklärerisch-bürger- aufgeklärt. Nur die Qualen des erkrankten Mäd- liche Ideal des „gelungenen“ Lebens, wie wir es chens spielen sich unmittelbar vor den Augen der in Bildungsromanen finden mit ihrer Darstellung Kinder ab, denen diese Geschichte erzählt wird. eines beispielhaften Sozialisationsprozesses, so Die Kinderbücher der Aufklärung sind vol- auch in Campes Robinson (Exp.-Nr. 72). Das gilt ler Warn- und Strafgeschichten. Die Kinder in nicht nur für die Dichtungen. Auch das Leben diesen Büchern kommen rigoros und oft brutal der Dichter gelingt oft nicht, auch sie sind oft zu Tode. Sie werden zum „exemplum eruditio- Suchende, Zerrissene, Gescheiterte. Sie leiden an nis“3, damit die Folgen eigenwilligen Verhaltens der Realität, an den politischen Verhältnissen, eine vorgeführt werden können. Bei Marx (1804, bürgerliche Existenz legte ihnen nur Fesseln an. Exp.-Nr. 46) ist es ein Jüngling, der zu Tode Sie sind daher vielfach getrieben von unerfüllter kommt: „Wollust kürzte sein Leben“. Die Erzie- Sehnsucht, sind ständig auf Wanderschaft, auf der hung der aufsteigenden bürgerlichen Gesellschaft Suche, auf dem Weg nach Hause, mit Heimweh setzt Tugend gegen die Frivolität des Adels; Elias nach einer ganzen, heilen, erlösten Existenz. Es spricht vom „Zaun, mit dem die sexuelle Sphäre liegt auf der Hand, dass diese Romantiker die des Triebhaushalts eingehegt wird“.4 Kinder in einem anderen Sinn entdecken und Auch wenn mein Blick auf die Kinderlitera- entwerfen als die Aufklärung. Werfen wir einen tur der Aufklärung hier vieles außer Acht lassen Blick auf Auszüge aus einem kurzen Text der Früh- muss, so können wir doch festhalten, dass Ver- romantik, auf Wackenroders Über die Kinder- haltensregulierungen, Triebunterdrückung, Do- figuren auf den Raffaelschen Bildern, aus seinen Abb. 9 mestizierung des Freiheitswillens, der Lust, der Phantasien über die Kunst, von Tieck 1799 her- Aus Weißes Kinderfreund Bewegung, der Fantasie, des Kinderspiels, über- ausgegeben. (1771ff); Nr. 133. haupt der Spontaneität in dieser Zeit wichtig waren für einen Prozess der Zivilisation, der dazu führt, dass zu Beginn des neunzehnten Jahrhun- derts als Kulturideal feststeht, was „erwachsen“ heißt (so sieht es Elias). Unser gezähmter Zeisig entspricht diesen Vorstellungen. Er repräsentiert das Ideal, an dem sich die Kinderliteratur der Aufklärung (und beileibe nicht nur der Aufklä- rung, wie wir noch sehen werden) mit ihren Ent- würfen von Kindheit orientiert. Wie anders dagegen die Kindheitsbilder der Frühromantik, die sich schon vor und um 1800 herausbilden! Die Frühromantik entwirft ihre Kindheitsbilder in deutlicher Opposition zur Auf- klärung. Doch werden sie ähnlich bedeutsam wer- den? Wenn ein literarisches Kind der Aufklärung etwas Verbotenes tut, wird es bestraft, findet vielleicht gar den Tod. In der Literatur der Ro- mantik finden wir Beispiele dafür, dass ein Kind, das etwas Verbotenes tut, belohnt wird und z. B. eine fantastische Kinderreise macht, keineswegs in den Tod, sondern ins Schlaraffenland (in E.T.A. Hoffmanns Nußknacker und Mausekönig) oder ins Elfenland (in Tiecks Elfen). „Aberglaube ist bes- ser als Systemglaube“, hat Wackenroder gesagt, natürlich überspitzt, aber es hat Witz und macht die Gegensätze zum Rationalismus der Aufklä- rung deutlich.

29 „BELEHRUNG, STÄRKUNG DER TUGENDEN, VEREDELUNG DES CHARAKTERS“

Beim Betrachten der Raffael’schen Kinderfiguren, ches: „Oh, seid gegrüßt, ihr holden Erinnerun- so lesen wir, treffen wir in uns „süße Gefühle und gen der frohen Kinderzeit, wenn ihr aus den grü- Ahndungen wieder an, die uns vielleicht schon nen Wipfeln der Bäume herabsteigt und mir je- seit der Kindheit verließen“. Weiter lesen wir: nen paradiesischen Traum wieder aufschließt, aus dem man als Knabe so ungern erwacht“. So geht es uns zu mancher Zeit, wenn wir die un- Neu und ebenfalls charakteristisch für die mündige Menschheit betrachten, wenn wir unseren Romantik sind in Wackenroders Text die Epithe- Blick einmal recht eigentlich auf diese verschlosse- ta „unbefangen“, „süß“, „heiter“. Die Kinder nen Knospen heften, in deren unbefangenem Lä- haben „reine Züge“, sie können „innig genießen“. cheln, in ihren süßen heiteren Augen, die jammer- Das goldene Zeitalter wird angesprochen, jenes volle Zukunft schläft; die sich so innig genießen, und mythische frühe Zeitalter der Menschheit mit nichts weiter zu wissen streben. Wenn wir der Kin- seinem paradiesischen Zustand der Harmonie, der holdseeliges Angesicht betrachten, so vergessen der Erfüllung der Sehnsüchte – ein fester Topos, wir gern und leicht die Verwickelungen der Welt, wenn es um Kindheitsentwürfe der Romantik das Auge vertieft sich in den wunderbaren reinen geht. Aus diesem Zeitalter scheinen die Kinder Zügen, und wie Propheten einer schönen Zukunft, herüberzukommen, auf sie wird die Sehnsucht wie zarte Pflanzen, die unerklärlich aus der längst der Erwachsenen nach diesem goldenen Zeital- entflohenen goldenen Zeit zurückgekommen sind, ter projiziert. Auch bei Novalis sind Kinder das stehn die Kinder um uns. [...] goldene Zeitalter, sowohl das verlorene Paradies Dieser Ätherschimmer, diese Erinnerungen der der Vergangenheit als auch das wiedergefundene Engelswelt leben und regen sich noch hell und frisch Paradies, das gelobte Land der Zukunft. Wacken- im Kindergeiste, der dunkle Schatten der Erd- roder meint etwas Ähnliches, wenn er sagt, die gegenstände ist noch nicht verfinsternd in den Glanz Kinder sind „wie Propheten einer schönen Zu- hineingerückt, die irdischen Geschäfte, die hiesigen kunft“, aber wir verstehen ihre Sprache nicht, weil Leidenschaften und Entwürfe, diese träge Liebe und wir sie verlernt haben. Wenn Wackenroder von dieser wilde Haß, alles liegt noch weit zurück, wie der „jammervollen Zukunft“ der Kinder spricht, eine unkenntliche Verzerrung: und darum stehen so meint er damit ihre reale Zukunft. Seine Hal- die Kindlein wie große Propheten unter uns, die tung hat nichts mehr gemein mit dem Erziehungs- uns in verklärter Sprache predigen, die wir nicht optimismus der Aufklärung. Geradezu eine Um- verstehen. Zu oft suchen wir mühsam im Kindes- kehrung alles dessen, was der Aufklärungs- antlitz den künftigen Mann, aber schöner und er- pädagogik und ihren optimistischen Erziehungs- freulicher ist es, im Manne die Spuren seiner Kind- vorstellungen heilig war, ist der Satz, die Men- heit aufzusuchen, und die Glücklichsten sind die schen „sind nicht vorwärts, sondern zurückge- zu nennen, in denen der Stempel sich am wenigsten gangen“. Und schließlich: „das Kind ist die schö- verwischt hat. Denn sind die Menschen nicht ver- ne Menschheit selbst“. dorbene, ungeratene Kinder? Sie sind nicht vorwärts, Wenn Wackenroder von „verschlossenen sondern zurückgegangen; das Kind ist die schöne Knospen“ spricht und die Kinder „zarte Pflan- Menschheit selbst. zen“ nennt, so deutet diese Metaphorik auf ein natürliches Wachsenlassen. „Knospen“ öffnen Wackenroder spricht von „süßen Gefühlen und sich von allein, sie müssen nicht geöffnet wer- Ahndungen“, die uns Erwachsene „vielleicht den. Hier ist Kindheit nichts mehr, was erst sys- schon seit der Kindheit verließen“. Wir sehen tematischer Erziehung ausgesetzt werden müss- schon, „Gefühl“ (statt „Vernunft“) wird eine neue te. Diese Kinder müssen nicht mehr werden wie Leitvokabel; und wir sehen hier auch, dass die die Erwachsenen – nein umgekehrt, die Erwach- Erinnerung an die eigene, verlorene Kindheit eine senen müssen von diesen Kindern wieder lernen. Rolle spielt für die Entwürfe von Kindheits- Die Kinder sind die Überlegenen durch ihre gro- bildern. Es ist freilich oft mehr als nur die Erin- ße Fantasie, ihre Spontaneität, ihr Gefühlsleben, nerung, vielmehr Schmerz und Trauer über den ihre nicht-rationale Existenz, ihre Nähe zum Ur- Verlust, ebenso häufig eine große Sehnsucht (auch sprünglichen und Natürlichen. dies ist ein Schlüsselwort der Romantik) nach dem Wackenroder deutet allerdings auch noch auf verlorenen Paradies der Kindheit. In Tiecks Er- etwas anderes hin, was für die Romantik so wich- zählung Peter Lebrecht (1795) lesen wir Ähnli- tig wird: Die Sehnsucht des Erwachsenen nach

30 DIE NATUR IM KÄFIG. KINDHEITSBILDER IN ALTEN KINDERBÜCHERN dem paradiesischen Zustand der Kindheit ist für der öden Poesie- und Fantasiefeindlichkeit der ihn unerfüllbar – so, „wie durch den dichten Wald Aufklärung gerade Poesie und Fantasie entgegen, oft wunderliche Töne laufen, die wir niemals fin- weil sie in den Kindern selbst enthalten seien. den“, „die uns nur wie aus der Ferne grüßen und Auch das Bild von der Knospe finden wir Abb. 10 locken“, wie es an einer anderen Stelle des Textes bereits bei Herder. Das Aufwachsen der Kinder Illustration aus Matthäi: heißt. soll dem organischen Gang der Natur folgen, der Spaziergänge mit Vorstellungen von Kindheit, wie Wackenro- die inneren Anlagen entfaltet. Solches naturhaft- meinen Zöglingen der sie entfaltet, finden wir besonders auch bei organisches Denken ist das Auffälligste in der Bd. 1–2 (1805–1806); Tieck und Novalis, aber auch bei Hölderlin. Für Erziehungsvorstellung der Frühromantik. Eingrif- Frontispiz aus Bd. 1 von Novalis sind Kinder „voller Reichtum des unend- fe der Erziehung wären nur störend. Dem ent- Johann Heinrich Ramberg, lichen Lebens“, haben das „Gepräge einer wun- spricht, dass die romantische Kinderliteratur keine gestochen von Johann derbaren Welt“. Wir finden in den Kindheits- Erziehungsliteratur ist; zum erstenmal wird die Christian Böhme; Nr. 49. bildern der Frühromantik (und auch später immer wieder) religiöse Züge, Reinheit, fast Ver- klärtheit, insgesamt gesehen eine hohe Idealisie- rung, dennoch sind diese Kindheitsbilder zugleich auch eine politische Projektion. Die Romantik um 1800 denkt progressiv; wenn sie mit den Kin- dern auf das Goldene Zeitalter hofft, dann ver- steckt sich dahinter eine politische Utopie, die Befreiung der Menschheit. Hölderlins Hyperion ist ein Freiheitskämpfer, und im gleichnamigen Roman von 1797 lesen wir: „Daß man werden kann wie die Kinder, daß noch die goldene Zeit der Unschuld wiederkehrt, die Zeit des Friedens und der Freiheit“. Hölderlin hofft auf den Früh- ling der veralterten, verwelkten Menschheit. Die Kinder als die Träger einer erhofften besseren Zukunft – auch diese Vorstellung wird bis in die Gegenwart hinein wiederkehren. Dieser Freiheitstraum der Zeit um 1800 weicht im weiteren Verlauf der Romantik und des Bie- dermeier der Enttäuschung, der Resignation, der politischen Restauration. Was von den Kindheits- bildern bleibt, ist gerade nicht ihr progressiver Anteil, wohl aber das Wunderbare, Engelhafte, das Idyllisch-Reine – dargestellt im abgeschirm- ten, unpolitischen Raum der biedermeierlichen Familie. Herder, der so vieles angeregt hat, hat schon 1786 in seiner berühmten Vorrede zu Palmblät- ter (Exp.-Nr. 223–224) vieles von dem artiku- liert, was wir bei den Romantikern finden. Schon für ihn sind, in einer Zeit der Hochkonjunktur aufklärerischer Pädagogik, Kinder der „Frühling des Lebens“, ein „Morgen voll schöner Bilder“, das „Paradies unschuldiger Hoffnungen und Wünsche“. „Die Seele eines Kindes ist heilig“. Kinder haben eine „jugendliche Einbildungs- kraft“ und lieben den „Glanz des Wunderbaren“. Ihr reich entwickeltes Innenleben steht unter der Herrschaft der Fantasie, und daher setzt Herder

31 „BELEHRUNG, STÄRKUNG DER TUGENDEN, VEREDELUNG DES CHARAKTERS“

Kinderliteratur der Pädagogik entzogen. Roman- nisch und ohne störende Erziehung aufwachsen tiker schreiben keine Fabeln von Zeisigen und zu lassen, verkürzt und z. T. schon im Biedermei- anderen Tieren mit lehrhafter Absicht, keine er auf das Niedliche, fast könnte man sagen, auf Warn- und Strafgeschichten, sondern schauerli- das Possierliche, reduziert – vollends in der trivi- che Gespenstergeschichten, abenteuerliche Mär- alisierten Idylle der Massenliteratur der Gründer- chen, wunderbare Legenden, „die die jugendli- zeit. Wir sehen auch in diesem kurzen Text, dass che Phantasie gänzlich aus dieser Welt entrücken“, die Kinder zwar zart wie Blumen seien, aber wie wir es bei Tieck lesen. Eichendorffs Friedrich durchaus so aufzuwachsen hätten, wie es der in Ahnung und Gegenwart liest „in den Wipfeln Gärtner resp. der Erzieher vorsieht: sittig und still. eines hohen Birnbaumes“, „am Abhange des Das Natur-Kindheitsmuster der Frühromantik Gartens“, allein mit sich, inmitten der Natur. wird durchaus übernommen, aber nicht mehr als Lesen als Abenteuer, als Eingang ins verlorene Gegenentwurf zu den pädagogischen Program- Paradies, jeglicher Kontrolle durch die Erzieher men, in denen Kindheit so oft zerstört und „dem entzogen. Noch in der Aufklärung wurde vorge- Zivilisationsprozeß geopfert wird“.6 Schon Rous- lesen und pädagogisch kommentiert, damit die seau sagte: „Man bildet Pflanzen durch Pflege, Kinder nicht etwa auf die Idee kommen könn- Menschen durch Erziehung“. „Garten“ oder ten, die Texte anders als im Sinne der Erzieher in „Blumen“ als Metapher meint keineswegs immer Gebrauch zu nehmen. Aber all diese Leseherr- natürliche Wildnis, auch nicht immer Natur- lichkeit, die Eichendorff beschreibt, dauert nicht garten. Es kann auch die domestizierte Natur sein, lange: Sein Hofmeister nimmt ihm die „gelieb- der Nutzgarten, in dem gedüngt, beschnitten, ten Bücher“ weg und gibt ihm Campes Kinder- angebunden, das Unkraut gerupft wird, in dem bibliothek zu lesen. es blühen muss und in dem der Gärtner etwas Ganz anders hat Heinrich in Novalis’ Roman ernten will. Gilt nicht auch für uns heute, dass Heinrich von Ofterdingen (1800) aufwachsen dür- wir, die wir Natürlichkeit, Spontaneität, Fantasie fen, ohne von seinen Eltern „die mindeste Be- und Kreativität durchaus als positiven Wert an- schränkung zu leiden“. Sein Vater habe „das Auf- sehen, keinesfalls das Privileg aus der Hand ge- blühen eines Kindes mit demütiger Selbstverleug- ben wollen zu bestimmen, wo Ordnung und nung“ betrachtet, und der Sohn lobt die „andäch- Bezähmung die Grenzen setzen? tigste und bescheidenste Behandlung“ des Vaters. Die Vorstellung von Kindheit und Erziehung, Die „unschuldige Blumenwelt“ ist für Heinrich wie sie vor allem die Frühromantik kurz vor und „die eigentliche Offenbarung der Kindheit“. Blu- um 1800 entfaltet hat, werden auch in der Ro- men sind „die Ebenbilder der Kinder“, und der mantik schon bald sehr viel skeptischer, ja desil- Vater, ein großer Freund des Gartenlebens, geht lusioniert gesehen. Nicht, dass die Wunschbilder in seinem Garten sorgsam, schonend, pflegend nicht die gleichen wären. Brentano lässt in sei- mit ihnen um. Diese fast antipädagogische Hal- nem Gockel-Märchen noch viel später die junge tung hat die spätere Kinderliteratur nirgendwo Braut und den jungen Bräutigam, an der Schwelle aufgegriffen, Blumenkinder dagegen sind seit der des Erwachsenseins, sich einfach wieder in „lau- Romantik zu einem immer wiederkehrenden ter schöne fröhliche Kinder“ verwandeln – mit- Topos geworden, vor allem in den Massen- samt der ganzen Hochzeitsgesellschaft und mit produktionen der Gründerzeit, aber auch im Hilfe eines Wunschringes. Das gelingt leider nur künstlerischen Bilderbuch. Nehmen wir als Bei- im Märchen. Nur die Kunst kann die entschwun- spiel nur Kreidolfs Blumen-Märchen (1898) oder dene Kinderwelt malen, die Literatur sie, darstel- Marie Leskes Illustrirtes Spielbuch für Mädchen lend, zurückholen. Aber der erwachsene Schrei- (1882).5 Im Spielbuch heißt es: ber und Leser bleibt draußen, als Zuschauer. Schon in Tiecks Elfen ist das (wunderbare) „Die Kinder in der Schule klein Kindheitsglück nicht von Dauer, das Paradies des Die sollen wie die Blumen sein, Elfenreiches entschwindet auf immer, durch die Wie Blumen fromm, wie Blumen zart, Schuld der Menschen. Ebenso in E. T. A. Hoff- Von sittiger und stiller Art.“ manns Das fremde Kind. Dieses Kind, eine mär- chenhafte Erscheinung, ist Ausdruck des roman- Das Natur-Kindheitsmuster der Romantik wur- tischen Ideals, aber es bleibt am Ende ebenfalls de schnell um die Vorstellung, die Kinder orga- für immer verschwunden, die romantische, glück-

32 DIE NATUR IM KÄFIG. KINDHEITSBILDER IN ALTEN KINDERBÜCHERN liche, heitere Kindheit ist auf Dauer verloren. Was Sammlung nur den Struwwelpeter (1845), Im den Menschen in Hoffmanns Märchen bleibt, ist Himmel und auf der Erde (1857), Bastian der Faul- der Traum, die Sehnsucht, das Spiel und eben pelz (1854), Der Tolpatsch oder Kinder, nehmt ein Abb.11 die Literatur. Beispiel dran! Eine lehrreiche Geschichte (1850), Aus Weißes Kinderfreund Beide, Aufklärung wie Frühromantik, entwer- Sprechende Tiere (1854) und die Fülle der Mäd- (1771ff); Nr. 133. fen sich ein Kindheitsbild nach ihren Vorstellun- gen und Wünschen, so unterschiedlich sie sind. Das Bild des Kindes in der Literatur der Roman- tik ist ein bewusster Gegenentwurf zu dem der Aufklärung. Aus beiden gemeinsam speist sich die Tradition der Kindheitsbilder der bürgerlichen Ge- sellschaft. Beide gemeinsam bilden Grundmuster unserer Kindheitsbilder noch heute – nicht nur in der Kinderliteratur. Die Romantik hat die disziplinierende Kin- derliteratur nicht abschaffen können, obwohl sie zum erstenmal die Kinderliteratur der Pädagogik entzogen hat. Aber sie hat ihr neue Möglichkei- ten eröffnet, neue Gattungen ebenso wie fantas- tische und wunderbare Inhalte. Wenn Kindheit die Heimat des Wunderbaren ist, dann brauchte die Literatur für sie aus der Volksüberlieferung nur gesammelt zu werden – Märchen, Sagen, Lie- der, Reime, ein Wunderhorn für Mädchen und Knaben, all das, was dem Kind der Aufklärung vorenthalten wurde. Dies blieb der Kinderlitera- tur auch in Zukunft ebenso erhalten wie die Vor- stellungen von Kindern als Engel, als Blumen (Philipp Otto Runge war hier einflussreich), oft trivialisiert. Vor allem die Mädchen waren sanft, zart, in weißen Kleidern, unschuldig. Die Kin- der werden idealisiert, poetisiert, idyllisiert, ver- kitscht, verniedlicht – immer aber werden sie er- zogen. Das revolutionäre, „antipädagogische“ Kindheitsbild der Romantik hat sich in der Kin- derliteratur – natürlich – nicht gehalten. „Das Bild von der unschuldig reinen, der unbeschwer- ten und heiteren Natur des Kindes [...] ist nur die ideologische Kehrseite einer Erziehungs-Pra- xis, die ein einförmiges gehorsames und störungs- freies Wohlverhalten forderte und jede Abwei- chung hart bestrafte.“7 Immerhin gibt es im neunzehnten Jahrhun- dert Kinderbücher ohne bestrafte Kinder, ohne massive Moral. Die disziplinierende Kinderlite- ratur der Jahrhundertmitte und der Gründerzeit, die im neunzehnten Jahrhundert beherrschend wird, knüpft nahtlos an die Disziplinierungslite- ratur des achtzehnten Jahrhunderts an. Die Früh- romantik blieb Episode. Schon im Biedermeier hat Pädagogik wieder Hochkonjunktur. Nehmen wir als bekannte Beispiele aus der Vordemann-

33 „BELEHRUNG, STÄRKUNG DER TUGENDEN, VEREDELUNG DES CHARAKTERS“ chenliteratur mit ihren rigorosen Sozialisations- über zweihundert Jahre später kaum ein Außen- absichten. Noch Kreidolf zeichnete zu einem seiter sein. Dehmel-Text ein Mädchen mit einem Maulkorb. Der noch immer aktuelle Struwwelpeter zeigt, Literaturverzeichnis: dass auch die Kinderliteratur-Szene der Gegen- ELIAS, NORBERT: Über den Prozeß der Zivilisation, wart noch keineswegs frei ist von diesen Kind- 2 Bde., Bern 1969. heitsmustern. Ellen Key und die Kunsterziehungs- EWERS, HANS HEINO (HRSG.): Kinder- und Jugend- bewegung initiierten Gegenbewegungen um literatur der Aufklärung. Eine Textsammlung, 1900; und Schriftsteller wie Keller, Rilke, Peter (Reclams UB 9992), Stuttgart 1980. Weiss zeichnen aus der Erinnerung an die eigene EWERS, HANS-HEINO (HRSG.): Kinder- und Jugend- Kindheit erschütternde Kindheitserfahrungen. literatur der Romantik. Eine Textsammlung, Das Anarchisch-Antipädagogische, das Poli- (Reclams UB 8026), Stuttgart 1984. tisch-Utopische der Frühromantik hat dennoch RICHTER, DIETER: Das fremde Kind. Zur Entste- seinen Reiz behalten (oder wiedergewonnen). Wir hung der Kindheitsbilder im bürgerlichen Zeit- finden Vergleichbares bei Christiane Rochefort alter, Frankfurt 1987. ebenso wie in der Kinderliteratur seit der Acht- UEDING, GERT: Verstoßen in ein fremdes Land. undsechziger Zeit. Nehmen wir Friedrich Karl Kinderbilder der deutschen Literatur, in: Neue Waechters Antistruwwelpeter als Beispiel: Sammlung 1977, H. 4. WANGERIN, WOLFGANG (HRSG.): Pfui, ruft da ein „Darum sei nicht fromm und brav jeder. Alte Kinderbücher aus der Vordemann- wie ein angepflocktes Schaf Sammlung der Universität Göttingen. Mün- sondern wie die klugen Kinder chen 1989, 5. Aufl. Göttingen 1994. froh und frei. Das ist gesünder.“ Anmerkungen Erst in den letzten dreißig Jahren gibt es in gro- Dieser Beitrag erschien zuerst in WANGERIN 1989, ßer Zahl Kinderbücher, die sagen würden: Der S. 13–20. Zeisig gehört in den Wald, nicht in den Käfig. 1 Elias 1969, 2, S. 372. Was er zum Leben lernen muß, lernt er dort – 2 Richter 1987, S. 25f. „in der Gesellschaft lustiger Brüder und Schwes- 3 Ebd. S. 26. tern“. Für Weiße und die Kinderliteratur der 4 Elias 1969, 2, S. 429. Aufklärung freilich war der andere Zeisig das 5 Wangerin 1989, Nr. 190 und Nr. 152. Vorbild. Außerhalb der gegenwärtigen Kinderli- 6 Richter 1987, S. 250. teratur dürfte Weiße mit seiner Vorstellung auch 7 Ueding 1977, S. 354.

34 „EIN GEORDNETER VORRATH ALLER NÖTHIGEN ERKENNTNISS“. BILDER FÜR KINDER

Ein Mikrokosmos des Wissens. kunde sowie Grammatikunterricht.4 Kupfertafeln Das Basedow’sche Elementarwerk und Textabfolge entsprechen sich nur teilweise, da die Textsystematik und die Chronologie der Hanno Schmitt Kupferstiche nicht identisch sind. Ausdrücklich wird hervorgehoben, dass als Leser nur Angehö- rige der „gesitteten Stände“ in Frage kommen, Einführende Hinweise da die Inhalte des Elementarwerkes für den „gro- Bis heute hat das Basedow’sche Elementarwerk ßen Haufen“ zu kompliziert und der Verkaufs- seine Bedeutung als bildungsgeschichtliche Quelle preis zu teuer sei. von großem kulturhistorischem Wert nicht ver- Im weiteren Verlauf dieses Aufsatzes wird vor- loren. Das durch Johann Bernhard Basedow wiegend auf die vom wichtigsten Illustrator der (1724–1790) zunächst in drei Bänden mit 53 Aufklärungspädagogik Daniel Nikolaus Chodo- Kupfertafeln 1770 und vier Jahre später als über- wiecki (1726–1801)5 gezeichneten und teilweise arbeitete zweite Auflage mit 100 Kupfertafeln in gestochenen Kupfertafeln zum Elementarwerk6 Berlin und Dessau erschienene enzyklopädische (Exp.-Nr. 8) Bezug genommen. Neben einer Lehrbuch1 (Exp.-Nr. 7) ist ein wichtiges Grund- Dokumentation der historischen Text- und Bild- lagenwerk zum Selbst- und Weltverständnis der quellen möchte der Beitrag vor allem das durch philanthropischen Pädagogik2. Das Elementar- Basedows Elementarwerk konstruierte und insze- werk sollte die Bildung eines jeden Kindes von nierte Weltverständnis sowie die dabei vermittel- den ersten Kenntnissen bis in das akademische te lebenskundliche Klugheitslehre untersuchen. Studium begleiten. Die dabei angewandte Me- Dabei werden neben Basedows Kommentar- thode nennt Basedow „elementarisch“, weil sie bänden erstmals im bildungshistorischen Zusam- vom leichteren zum schwereren Unterrichtsstoff menhang einige der 1916 bei F. A. C. Prestel in fortschreitet und sich dabei der Individualität der Frankfurt/Main versteigerten Zeichnungen, die Kinder und Spezifik jeder Altersstufe anpassen Chodowiecki für das Elementarwerk schuf, her- sollte. Durch die Kupfertafeln wurde die An- angezogen und reproduziert. Chodowieckis Tech- schaulichkeit und die Motivation des Unterrichts nik ist ohne weiteres aus den Reproduktionen erhöht, wobei Lernen nach philanthropischer erkennbar: Blei, teilweise mit der Feder überar- Überzeugung auch zur Unterhaltung werden beitet oder Feder und Pinsel. Tusche und Sepia konnte. Mit dem Elementarwerk hat Basedow den finden nebeneinander Verwendung. Alle Zeich- erziehungsgeschichtlich interessanten Versuch nungen Chodowieckis haben die Größe der unternommen, Grundkenntnisse der Einzelwis- danach meist durch Spiegelung radierten Kup- senschaften fasslich und der Entwicklung der ferstiche. Einzelne der Zeichnungen lassen nach- kindlichen Vernunft folgend darzustellen. träglich Korrekturen (z.B. Aufkleben von Papier- Der Textteil des Elementarwerkes umfasst in streifen) und handschriftliche Zusätze des Künst- der hier zugrunde gelegten Ausgabe von 1774 lers erkennen. 1631 Seiten.3 Dieser umfangreiche, erläuternde Nach Versteigerung von Chodowieckis Zeich- Kommentar zu den Kupfertafeln besteht aus vier nungen bei F. A. C. Prestel in Frankfurt am Main Bänden und ist in zehn Hauptkapiteln unterglie- wurden 62 von ihnen in einer heute äußerst sel- dert. Im ersten und zweiten Band werden Fragen tenen limitierten, in Pergament oder Ganzleder der Geschichte des Menschen, der Seelenkunde (= gebundenen Liebhaberausgabe reproduziert.7 Auf Psychologie), der gemeinnützigen Logik, der Re- dieser Vorlage beruhen die Abbildungen dieses ligion, der Sittenlehre und der Berufsausübung Aufsatzes. (Bauleute, Gärtner, Tischler usw.) behandelt. Im dritten und vierten Band geht es um Elemente Editionsgeschichte und Entstehungskontexte der Geschichtskunde und ausführlich um Natur- Die 100 Kupfertafeln des Elementarwerkes beste-

35 „EIN GEORDNETER VORRATH ALLER NÖTHIGEN ERKENNTNISS“. BILDER FÜR KINDER

hen aus 269 Einzelbildern. Dieses umfassende und geliefert werden konnten. Schließlich ent- Bildprogramm versucht im Sinne philanthropi- hielt der Vertrag eine beiderseitig wirksame Auf- scher Pädagogik Natur und Welt, Kultur und lösungsklausel, von der aber kein Gebrauch ge- Gesellschaft im Zeitalter der Aufklärung medial macht wurde. zu verlebendigen. Aus heutiger bildungshistori- Basedow hatte schon zwei Jahre vor Vertrags- scher Sicht sind die Kupfertafeln zum Elementar- abschluss, also seit 1767, über das Projekt der lehr- werk nicht nur ein hochinteressantes kulturhis- reichen Kupfertafeln zum Elementarwerk nach- torisches Zeugnis, sondern auch „das erste wirk- gedacht.14 Entscheidend für eine Realisierung war lich künstlerische Erzeugnis für die Jugend“.8 die finanzielle Unterstützung des Unternehmens Die Editionsgeschichte des Elementarwerkes9 durch die aufgeklärte Öffentlichkeit. Diese wusste und der zugehörigen Kupfertafeln ist relativ gut Basedow durch persönliche Begegnungen auf erforscht.10 Chodowiecki arbeitete an der Fer- Reisen, private Bittbriefe, öffentliche Aufrufe, tigstellung der 100 Kupfertafeln von 1769 bis Flugschriften, Zeitungsaufsätze und Bücher zu 1774. Der Geschäftsvertrag zwischen Basedow befördern. Dem Aufruf, das Elementarwerk durch und Chodowiecki wurde am 18. 4. 1769 in Berlin „einen Vorschuß“15 zu unterstützen, folgten Men- abgeschlossen.11 Darin musste Chodowiecki sich schen aus ganz Deutschland und Teilen Europas. vertraglich verpflichten, die Entwürfe der Kupfer- Das war eine akquisitorische Glanzleistung. tafeln zu zeichnen, „gute Kupferstecher“ zur Her- Immerhin wurde das Unternehmen Elementar- stellung der Platten zu engagieren, deren Arbeit werk von 673 Personen und Institutionen unter- zu beaufsichtigen, das Papier zu besorgen sowie stützt: „Die Liste umfasst neben dem dänischen den Druck der Stiche zu überwachen. Die Plat- König Christian VII. und der Zarin Katharina ten sollten so gestochen werden, „daß Sie 2000 II. etliche europäische und deutsche Fürsten und brauchbare und verantwortliche Abdrücke aus- Landesherrn, Minister, mit dem Abt von Ein- halten“. „Für jede 2000 Abdrücke einer Platte, siedeln und dem Abt Felbiger u. a. zwei katholi- nemlich für Zeichnung, Stich, Abdruck, Papier sche Reformer, Adlige, Professoren und Gelehrte Abb. 12 und Aufsicht zahlt[e] der Verfasser [Basedow] 30 wie Sulzer und Ebert, Vertreter der Schulverwal- Zeichnung Chodowieckis rthr. Preuß. = Cour“.12 Das war ein vergleichs- tung, des bürgerlichen Klerus, Candidaten, Re- zu Basedows weise niedriger Preis.13 Chodowiecki war seiner- formpädagogen, zum Beispiel von Rochow, die Kupfersammlung zum seits dazu verpflichtet, die Arbeiten persönlich zu Berliner Aufklärer und Schweizer Freunde Iselin Elementarwerk (1774); überwachen und dafür Sorge zu tragen, dass die und Lavater, verschiedene Gesellschaften, Berli- Nr. 8. ersten 35 Platten zur Ostermesse 1770 gedruckt ner Juden, Bibliotheken und Schulen.“16 Die künstlerische Betreuung des Elementar- werkes durch Chodowiecki war für den Erfolg des Projektes überaus wichtig. Bereits im achtzehn- ten Jahrhundert wurde der Verkaufserfolg von Büchern durch eine Ausstattung mit Kupfersti- chen von Chodowiecki gewissermaßen garantiert. Allerdings stand Chodowiecki beim Abschluss des Vertrages zur Betreuung des Elementarwerkes erst am Beginn seines künstlerischen Erfolges. Die öffentlichkeitswirksame Werbung für das Elemen- tarwerk verhalf ihrerseits selbstverständlich auch Chodowieckis Arbeiten zu einem verstärkten öf- fentlichen Interesse. Basedow vertrat während seiner Akquise übrigens die These, Stiche von minderwertiger künstlerischer Qualität wären zwar nicht wünschenswert, sie müssten aber ak- zeptiert werden, wenn das Geld nicht ausreiche. Aus Chodowieckis zwischen 1770 und 1774 geschriebenen Tagebuch wissen wir u. a., dass Mitglieder der Berliner Aufklärungsgesellschaft, darunter Nicolai, Ramler, Mendelssohn, Spal-

36 EIN MIKROKOSMOS DES WISSENS. DAS BASEDOW’SCHE ELEMENTARWERK ding, Büsching und Sulzer bei der Herstellung einzelner Kupfertafeln zu Rate gezogen wurden.17 Dr. Möhsen, Leibarzt Friedrichs II., übernahm die Durchsicht der medizinischen Teile des Ele- mentarwerkes und Künstlerfreunde Chodowieckis haben für die Gestalt eines Bildhauers und eines Malers mehrmals Modell gestanden. Die Philanthropen haben Chodowiecki als Künstler hochgeschätzt und verehrt. So schrieb Ernst Christian Trapp im April 1776 an Fried- rich Nicolai: „Ich habe die erste Lieferung von Basedows [!] Kupfern eher gehabt, als ich mir Stühle im Haus anschaffte.“18 Auch Julius Lieber- kühn schrieb in seinem für die Medienpädago- gik des Philanthropismus äußerst aufschlussrei- chen Versuch über die anschauende Erkenntnis – Ein Beitrag zur Theorie des Unterrichts19: Der „zau- berische Grabstichel eines Chodowiecki“ begeis- tere, da er „dem Gesichtssinn die feinsten, man- nigfaltigen Objekte aus der sichtbaren Natur mit unbeschreiblicher Genauigkeit und Wahrheit“ veranschauliche. Lieberkühn zählte Chodowieckis beim beobachtenden Umgang mit Kindern und Abb. 13 Arbeiten „zu dem Bezauberndsten und Vollkom- Jugendlichen gewonnene Einsicht richtungs- Zeichnung mensten, was die schönen Künste hervorgebracht weisend: „Alle Vernunft entwickelt sich zuerst an Chodowieckis zu haben“; auch sah er in ihnen „den unsichtbaren den sinnlichen Erfahrungen.“24 Bloße Worter- Basedows Reiz der Tugend“20. Chodowieckis Stiche schie- kenntnis mache müde und lähme die Seelenkraft, Kupfersammlung zum nen deshalb besonders dazu geeignet, „den mo- dagegen „locke die schöne Gestalt den Verstand“ Elementarwerk (1774); ralischen Sinn des Menschen [zu] bilden“ und und „fessele das Herz“.25 Nr. 8. dadurch „Einfluß auf die Empfindung des Schö- Ganz im Sinne dieser Anwendung „der Psy- nen und auf die Bildung des sittlichen Gefühls“21 chologie auf die Theorie des Unterrichts“26 im auszuüben. Philanthropismus unterschied Basedow zwei ver- schiedene Typen von Kupfertafeln des Elemen- Unterricht der Sinne und Empfindungen. tarwerkes in ihrer didaktischen Funktion: Erziehung und Unterricht der Philanthropen sind – Kupfertafeln, mit deren Hilfe Kinder die Be- ohne die Verwendung von Bildern kaum denk- zeichnung für unterschiedliche Gegenstände bar: „Unter allen Künsten aber hat bisher un- (z.B. Musikinstrumente, Strukturen von Mi- streitig die Kunst des Zeichners und Kupferste- neralien, Pflanzen, geometrische Figuren und chers der Pädagogik die bequemsten und wesent- Körper usw.) erlernen konnten. lichsten Dienste geleistet“.22 Basedow begründe- – Kupfertafeln, die zum Unterricht der Sinne te dies vor allem mit folgenden Argumenten: und Empfindungen zu „heilsamen Eindrücken – die Erfahrung lehrt, dass Bilder die Kinder in das Herz der Anschauer“27 geeignet sein erfreuen; sollten. Bei diesen Bildern muss die Phanta- – Moral und Reflexionen anhand von Bildern sie der Betrachter in Verbindung mit dem zu- seien für Kinder inhaltlich und zeitlich inten- gehörigen Kommentartext die im Bild nicht siver erlernbar; dargestellten und deswegen auch nicht beob- – von vielen sinnlichen Dingen könnte ohne achtbaren Bildelemente ergänzend ausfüllen. Bilder nur schlecht eine Vorstellung vermit- In diesen Kontext gehören Darstellungen von telt werden; moralischen, psychologischen, historischen, – durch den Unterricht mit Kupfertafeln wer- politischen und religiösen Zusammenhängen. de der Lehrer leichter verstanden.23 Dieser Typus von medialer Inszenierung in Im Kontext dieser Argumente war für die phil- Bildtafeln des Elementarwerkes soll nunmehr anthropische Erziehungstheorie und -praxis eine an sechs Beispielen im Zusammenspiel von

37 „EIN GEORDNETER VORRATH ALLER NÖTHIGEN ERKENNTNISS“. BILDER FÜR KINDER

Bild und Basedows Originalkommentar vor- Er erzählt der Enkelin viele Geschichten seines gestellt werden. Lebens [...]: ich habe viele gute und einige böse Tage erlebt; werdet nicht verwegen im Glück, (1) Von dem Ehrtriebe – Anerkennung nicht kleinmütig in der Not [...], ertragt die Abb. 12 = 15 / Tafel XXII Schwachheiten der Menschen mit Geduld [...]. Der Originalkommentar zu der aus Tafel XXII Die Kinder hörten mit Wohlgefallen und Folg- entnommenen Abbildung lautet: „Einer der ge- samkeit seine Lehren. Dies gefiel dem Greise. wöhnlichsten Triebe reizt uns, Beifall und Ehre Denn der Trieb nach Beifall und Lob ist allge- zu wünschen [...], das ist die Meinung anderer, mein bei Jungen und Alten. Darum lobt Men- daß wir Gutes zu tun vermögen und geneigt sind. schen, so oft ihr könnt und tadelt weder gegen- Auch die kleinsten Kinder sind für Lob und wärtige noch abwesende.“28 Ruhm empfindlich. Seht jenen Knaben [... auf Abb. 12]. Er weiß, daß es ruhmwürdig sei, schön (2) Vergnügen an der Übereinstimmung – zu schreiben und hat dem Vater seine Schrift ge- Symmetrie zeigt. Sie ist gebilligt worden. Der Vater freut sich Abb. 13 = 8 / Tafel XVIII wie der Sohn [...]. Auch seine Schwester hat das Der Kommentar zu der aus Tafel XVIII entnom- Ihrige an ihrem Nähzeuge mit Fleiß und Sorgfalt menen Abbildung konstatiert zunächst, dass es getan. Die Mutter freut sich einer solchen fleißi- „fast ein allgemeiner Trieb der Menschen sei“, gen Tochter und gibt es ihr durch einen mütter- „Wohlgefallen an gewisser Ähnlichkeit und Ord- lichen Kuß zu erkennen. Der Eltern Beifall, be- nung der Dinge zu haben“. Zur Veranschauli- sonders wenn sie verständig sind, ist fast ein ge- chung dient Abbildung 13: „Da wird ein Kon- wisses Zeichen der kommenden Glückseligkeit zert gehalten.“ Die unterschiedlichsten Saitenin- ihrer Kinder. Zur Rechten sitzt ein erwachsenes strumente spielen zusammen. „Die Töne, wel- Mädchen und bereitet ihren Kopfputz, womit sie che darauf hervorgebracht werden, müssen, wenn am folgenden Tag in Gesellschaft erscheinen will. sie angenehm sein sollen, in einer guten Ordnung, Abb. 14 Auch sie sucht Beifall, auch sie sucht zu gefallen. welche Melodie heißt, aufeinander folgen und Zeichnung Chodowieckis Dieses ist ein natürlicher und untadelhafter Trieb. wenn sie zugleich erschallen harmonisch klingen zu Basedows Denn niemand gefällt, als dadurch, daß er Ver- oder in Harmonie miteinander stehen. Die Mu- Kupfersammlung zum gnügen verursacht. In der Mitte auf dem Lehn- sik ist eine der vorzüglichsten Vergnügen. [...] Elementarwerk (1774); stuhl sitzt der alte Großvater, ein ehrwürdiger Auch die Zuhörer [...] sind sehr vergnügt, aber Nr. 8. Greis. Er hat viel Erfahrung und Weisheit [...]. nicht so sehr als die Mitspieler, welche außer dem Vergnügen ihres eigenen Gehörs noch die Freu- de über ihre eigene Kunst und Fertigkeit [...] ha- ben, auch anderen Vergnügen zu machen. Wie aber unser Gehör durch Melodie und Harmonie vergnügt wird, [...] so genießen wir auch durch das Gesicht manches Vergnügen an Ähnlichkeit und Symmetrie. An dem Gebäude, das ihr seht, findet ihr Ähnlichkeit der Teile, [...] Ähnlichkeit an Größe und anderer Beschaffen- heit [...]. Dieses ist Symmetrie, durch deren An- blick der sehende Mensch sehr ergötzt wird.“29 Nach der Erklärung des Bildes mündet die Kommentierung, wie im ersten hier vorgestell- ten Bildbeispiel, in lebenskundlichen Hinweisen. Diese wurden im Philanthropismus als Klugheits- lehre bezeichnet: „Auch in den menschlichen Gedanken, Neigungen und Taten ist entweder Ordnung und Übereinstimmung oder Unord- nung und Mißhelligkeit. [...] Alle Regeln von Recht und Klugheit sind Regeln von der Über- einstimmung menschlicher Handlungen zu einer-

38 EIN MIKROKOSMOS DES WISSENS. DAS BASEDOW’SCHE ELEMENTARWERK lei Zweck und Wirkung, nämlich zur gemein- den und Hilfe genug [...]. Seht die Miene dieses schaftlichen Glückseligkeit.“30 Bettlers! Ist sie missvergnügt, da die gute Dame ihm ein Almosen reicht? [...] So oft ihr dieses Bild (3) Rechtschaffenheit eines Wagners – Achtbarkeit anseht, so erinnert euch, besonders bei der Men- Abb. 14 = 10 / Tafel XX ge so vieler vergnügter Menschen und bei dem Auch das dritte Beispiel gehört in die philanthro- einzigen weniger vergnügten Bettler der wichti- pische Klugheitslehre. Basedows Kommentar be- gen Wahrheit: Die Natur mischt Gutes mit Bösem; schreibt zunächst die Hauptteile der auf dem Bild aber des Guten weit mehr, des Bösen weit weniger.“33 zu sehenden Kutsche und die verschiedenen Ar- beiten, die zu sehen sind. Danach werden Werk- (5) Religiöse Toleranz – Parteinahme für Juden zeuge wie Säge, Raspel und Meißel erklärt. Abb. 16 = 57 / Tafel LXXX Sodann wird die Vielfalt der Fahrzeuge mit Rä- Dieses Brustbild von Moses Mendelssohn (1729– dern im Kutschenzeitalter vorgestellt: „Es gibt [...] 1786) „nach der Natur gezeichnet“ ist das einzi- Frachtwagen, Lastwagen, Lustwagen, Stuhl- ge Porträt in den Anschauungstafeln. Wie an wagen, Kutschen und Chaisen, davon einige nur weiteren Stellen des Elementarwerks wird auch hinten und oben ein mit Leder und Tuch über- hier durch Bild und Kommentar die religiöse zogenes Gestell haben und Halbchaisen heißen, Toleranz und die Parteinahme des Philanthropis- ferner Karriolen mit zwei Rädern usw. [...] mus gegenüber Juden deutlich sichtbar.34 Im An der Rechtschaffenheit eines Wagners ist Kommentar zum Bild wird der „verehrungs- denen, die seine Arbeit brauchen, viel gelegen, würdige Mann“ Mendelssohn als jemand vorge- weil Lebensgefahr entstehen kann, wenn in ge- stellt, „dessen philosophische und kritische Schrif- wissen Umständen die Achsen oder Räder bre- ten von Juden und Christen aller Sekten mit chen, oder wenn der Wagen leicht umschlägt, gleich großem Beifall gelesen werden. [... Den- welches an der Zusammensetzung seiner Teile noch sei] der alte Nationalhaß zwischen Chris- liegt. [...] Mancher Wagner hat mehr Verstand ten und Juden [...] bisher noch wenig vermin- als viele von denen, für welche er Lustwagen, dert. In einigen christlichen Ländern werden Ju- Abb. 15 Kutschen und Karriolen macht.“31 den gar nicht geduldet, und wenn sie sich heim- Zeichnung Chodowieckis lich darin aufhalten lebendig verbrannt, wie in zu Basedows (4) Die Natur mischt Gutes mit Bösem – Bettelei Spanien und Portugal. Anderswo läßt man sie Kupfersammlung zum Abb. 15 = 18 / Tafel XXIV bald diese, bald jene sehr unangenehmen Bedin- Elementarwerk (1774); Die aus Tafel XXIV entnommene Darstellung gungen unterschreiben, ehe man sie aufnimmt. Nr. 8. eines Bettlers im Berliner Tiergarten kann das positive Denken und den Optimismus der Auf- klärung verdeutlichen. Auch der philanthropische Respekt und eine Parteinahme gegenüber den Schwachen in der Gesellschaft wird sichtbar. Im Originalkommentar des Elementarwerkes steht dazu: „Dieser Platz [der Tiergarten], der mit vie- len Menschen angefüllt ist, kann uns ein wahres Bild von dem Zustande des menschlichen Ge- schlechts geben. Da ist das Böse bei dem Guten, das Laster bei der Unschuld; aber des Guten mehr, der Unschuld mehr. Dort steht ein einziger Krüp- pel und Bettler.32 Und wenn von dieser Art mehr sind, so kann man doch einige Hundert derer, die ihre gesunden Glieder haben und ihr Brot zu verdienen wissen, auf einen einzigen dieser Art rechnen. Und selbst der Krüppel und Bettler ist nicht unglücklich, sondern nur weniger glück- lich. Er lernt mit der Zeit sein hölzern Bein und seine Krücken gut gebrauchen. Die meisten die- ser Verstümmelten oder Brotlosen finden Mitlei-

39 „EIN GEORDNETER VORRATH ALLER NÖTHIGEN ERKENNTNISS“. BILDER FÜR KINDER

Fast nirgends dürfen sie Grundstücke und Län- ihr dieses Buch lest, entgeht der Gefahr dieser dereien besitzen oder solche Künste und Hand- Beschwerlichkeit und Schande durch Gehorsam, werke treiben, wozu sie etwa Lust und Geschick- durch Liebe der Tugend und durch tägliche Bes- lichkeit haben, sondern an den meisten Orten serung.“38 bleibt ihnen nur das Mittel übrig, sich durch eine eingeschränkte Art des Handels und durch Aus- Schlussbetrachtung leihen auf Pfänder und Zinsen zu nähren, wobei Durch Basedows Kommentar und Chodowieckis es ihnen sogar durch die Landesgesetze erlaubt Zeichnungen wird im Elementarwerk die Welt als ist, einen so hohen Zins zu nehmen, welcher unter Kosmos inszeniert und damit konstruiert. In dif- Christen gegen Christen durch eben diese Landes- ferenzierter Form werden relevante Fragen und gesetze verboten ist. Dies geschieht nämlich, weil Probleme der menschlichen Existenz aus der Per- man den Juden die Mittel, auf eine redliche Art spektive einer realistischen und gleichzeitig idea- ihr Brot zu verdienen, abgeschnitten hat. Bei sol- listischen Weltsicht behandelt. Respekt gegenü- chen Umständen kann der gegenwärtige Natio- ber den Lesern aus den verschiedenen Altersstu- nalhaß um desto weniger aufhören.“35 fen und gegenüber denjenigen, die keine gesell- schaftliche Machtposition besitzen, ist ein durch- (6) Gericht und Strafen – politische Bildung gängiges pädagogisches Lehrprinzip. Toleranz Abb. 17 = 28 / Tafel XXXIV gegenüber Andersdenkenden (etwa den Juden) Die abgebildete Gerichtsstube verdeutlicht gesell- ist ganz im Sinne der Aufklärung kein abstraktes schaftliche und staatliche Zusammenhänge. Die Prinzip, sondern lebt aus dem Verständnis für Richter werden von der Obrigkeit, „sie sei ein fremde und andersartige kulturelle Lebensbedin- Monarch oder eine regierende Gesellschaft“, ein- gungen. Die im letzten Kapitel vorgestellten Bil- gesetzt. Sie sollen darüber urteilen, „was den der und Kommentarteile haben viele ähnliche Gesetzen gemäß einer von dem andern zu for- Züge mit heutiger Ratgeberliteratur, so zum Bei- dern habe, ob jemand, der angeklagt ist, ein Über- spiel die Ermutigung zu einer positiven Selbst- treter der Gesetze sei, und welche Strafe der Schul- und Weltsicht. Die darin eingebundene lebens- dige leiden müsse“.36 Die auf dem Bild zu sehen- kundliche Klugheitslehre war Kernbestand des Phi- den Akten und Personen werden in ihrer Bedeu- lanthropismus und der Spätaufklärung des acht- tung bei der Gerichtsverhandlung beschrieben: zehnten Jahrhunderts. Richter, Protokollant, Gerichtsdiener, Advokat, der für die Verteidigung „gedungen“ wurde, „weil Literaturverzeichnis: er die Gesetze versteht und Übung im schriftli- BASEDOW, JOHANN BERNHARD: Vorstellung an Men- chen und mündlichen Vortrag hat. [...] Einer von schenfreunde und vermögende Männer über den drei übrigen Männern ist entweder der Klä- Schulen, Studien und ihren Einfluß in die öf- ger oder der Sachwalter desselben, die beiden fentliche Wohlfahrt (1768), in: Ders.: Ausge- übrigen aber sind vermutlich Zeugen, welche, weil wählte pädagogische Schriften, besorgt von A. sie etwas, das zur Entscheidung der streitigen Sa- Reble, Paderborn 1965, S. 5–80. che gehört, wissen oder zu wissen vorgeben, von BASEDOW, JOHANN BERNHARD: Elementarwerk mit den Richtern vorgefordert sind, ein Zeugnis ab- den Kupfertafeln Chodowieckis u.a. (1774). zulegen. [...] Wenn eine Versicherung des Beklag- Kritische Bearbeitung in drei Bänden, hrsg. von ten, des Klägers oder der Zeugen von großer Theodor Fritsch, Leipzig 1909. Wichtigkeit ist, so befehlen die Richter, dass sie BRÜGGEMANN, THEODOR/EWERS, HANS-HEINO diese Versicherung beschwören müssen. Ein ent- (HRSG.): Handbuch zur Kinder- und Jugend- deckter falscher Eid oder Meineid wird hart und literatur. Von 1750 bis 1800, Stuttgart 1982. zwar mehrenteils am Leib gestraft. CHODOWIECKI, DANIEL: 62 bisher unveröffentlich- In den Gesetzen sind vielerlei Strafen bestimmt, te Handzeichnungen zu dem Elementarwerk z. B. Geldbuße, der Verlust gewisser Vorrechte [...], von Johann Bernhard Basedow. Mit einem Vor- die Landesverweisung, die Gefangenschaft auf wort von Max von Boehn, Frankfurt a. M. 1922. immer oder auf einige Zeit und andere Leib- GILOW, HERMANN: Basedow und Chodowiecki, in: strafen.“37 Am Ende der ausführlichen Erörterun- J. B. Basedows Elementarwerk mit den Kupfer- gen der verschiedenen Strafen steht wieder eine tafeln Chodowieckis u. a. hrsg. von Theodor Klugheitslehre für das weitere Leben: „Kinder, die Fritsch, 3. Bd., Leipzig 1909, S. 3–17.

40 EIN MIKROKOSMOS DES WISSENS. DAS BASEDOW’SCHE ELEMENTARWERK

HOBRECKER, KARL: Alte vergessene Kinderbücher, Berlin 1924. KERSTING, CHRISTA: Die Genese der Pädagogik im 18. Jahrhundert. Campes „Allgemeine Revisi- on“ im Kontext der neuzeitlichen Wissenschaft, Weinheim 1992. LIEBERKÜHN, PHILIPP JULIUS: Versuch über die an- schauende Erkenntniß. Ein Beytrag zur Theo- rie des Unterrichts, Züllichau 1782. SCHMITT, HANNO: Daniel Nikolaus Chodowiecki als Illustrator der Aufklärungspädagogik, in: HANNO SCHMITT/JÖRG-W. LINK/FRANK T OSCH (HRSG.): Bilder als Quellen der Erziehungsge- schichte, Bad Heilbrunn/Obb. 1997, S. 51–76. SCHMITT, HANNO: Vom Naturalienkabinett zum Denklehrzimmer. Anschauende Erkenntnis im Philanthropismus, in: JÜRGEN OELKERS/DANI- EL T RÖHLER (HRSG.): Die Leidenschaft der Auf- klärung. Studien über Zusammenhänge von bürgerlicher Gesellschaft und Bildung, Wein- heim/Basel 1999, S. 103–124. SCHMITT, HANNO: Philanthropismus und Toleranz Anhaltischen Verlagsgesellschaft zu Dessau in Zu- Abb. 16 gegenüber Juden in der Spätaufklärung, in: sammenarbeit mit der Anhaltischen Landes- Abb. 16–17 sind WILLI JASPER/JOACHIM H. KNOLL (HRSG.): bücherei Dessau aus Anlass des 225. Jubiläums des Zeichnungen Preußens Himmel breitet seine Sterne ···* Bei- Philanthropinums, Dessau 1999. Chodowieckis zu Basedows träge zur Kultur-, Politik- und Geistesgeschich- 2 Schmitt 2003, S. 119–143. Kupfersammlung zum te der Neuzeit, Bd. 1, Hildesheim, Zürich, 3 In der in Anm. 1 genannten Ausgabe sind es 1073 Elementarwerk (1774); New York 2002, S. 273–285. Seiten. Nr. 8. SCHMITT, HANNO: Pädagogen im Zeitalter der Auf- 4 Eine sehr gute Zusammenfassung der Inhalte gibt klärung: Die Philanthropen, in: HEINZ-ELMAR Brüggemann/Ewers 1982, Sp. 971–977. TENORTH (HRSG.): Klassiker der Pädagogik. 5 Schmitt 1997. Abb. 17 Von Erasmus bis Helene Lange, Bd. 1, Mün- chen 2003, S. 119–143. SCHULTZ, HELGA: Berlin 1650–1800. Sozialge- schichte einer Residenz, Berlin 1992. STACH, REINHARD: Das Basedowsche Elementar- werk, in: Pädagogica Historica 14, H. 2, Gent 1974, S. 458–496. STACH, REINHARD: Schulreform der Aufklärung. Zur Geschichte des Philanthropismus, Wassenberg 1984.

Anmerkungen 1 Zitiert wird nach der Ausgabe: Johann Bernhard Basedow: Elementarwerk mit den Kupfertafeln Cho- dowieckis u. a. (1774). Kritische Bearbeitung in drei Bänden, hrsg. v. Theodor Fritsch. Leipzig 1909. – Daneben gibt es eine limitierte Auflage der 100 Kupfertafeln unter dem Titel: Anschauen- de Erkenntnis. Daniel Chodowieckis Kupfertafeln zu Johann Bernhard Basedows „Elementarwerk“, mit einem Vorwort von Annette Gerlach. Edition der

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6 Wie Anm. 1, 3. Bd. Mit einer Einleitung von Her- 22 Ebd. S. 115. mann Gilow. 23 Basedow: Anfang der Arbeit am Elementarbuche 7 Chodowiecki 1922. zur Verbesserung des Schulwesens, nach Brügge- 8 Hobrecker 1924, S. 28. mann/Ewers 1982, Sp. 985. 9 Vgl. z.T. wörtlich Schmitt 1997, S. 61ff. 24 Lieberkühn 1782, S. 137. 10 Gilow 1909, S. 3–17, Brüggemann/Ewers 1982, 25 Nachweise und Gesamtzusammenhang vgl. Schmitt Sp. 969–984, Stach 1974, S. 458–496; Stach 1999, S. 108–113. 1984, S. 49–57. 26 Lieberkühn 1782, S. III. 11 Dieser ist vollständig abgedruckt bei Gilow 1909, 27 Basedow (wie Anm. 1), Bd. 1, S. XL. S. 4f. 28 Ebd. S. 141f. 12 Alle Zitate ebd. 29 Ebd. S. 132f. 13 Die fremden Stecher bekamen durchschnittlich 10 30 Ebd. S. 133. Rthl. pro Platte. Vgl. Gilow 1909, S. 12. 31 Ebd. Bd. 2, S. 33f. 14 Gilow 1909, S. 5; dort auch weitere Quellennach- 32 Der Berliner Tiergarten war ein beliebter Aufent- weise. haltsort für Bettler und Invaliden. Diese wurden 15 Basedow 1965, § 58, S. 80. von dort in regelrechten Bettlerjagden mit militä- 16 Kersting 1992, S. 99. Dort auch die schichten- rischer Gewalt in ländliche Regionen vertrieben. spezifische und prozentuale Auswertung der Sub- Die Zahl der Armen stieg in Krisenzeiten (z.B. skribentenliste. 1772) auf über 15 %. Vgl. ausführlich Schultz 17 Vgl. Gilow 1909, S. 8–10. 1992, S. 311–319. 18 Brief Trapp an Nicolai, 16.4.1776. Nachlass 33 Basedow 1909, 1. Bd., S. 327f. Nicolai (75. Band), Staatsbibliothek zu Berlin – 34 Schmitt 2002. Preußischer Kulturbesitz. 35 Alle Zitate Basedow (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 233f. 19 Lieberkühn 1782. 36 Ebd. S. 113. 20 Alle Zitate ebd. S. 116. 37 Ebd. S. 114. 21 Ebd. S. 134. 38 Ebd. S. 119.

Exponate 4–11 Auf dem Titelblatt in runder Vignette: OMNIA SPONTE FLUANT ABSIT VIOLENTIA REBUS. Vordemann-Sammlung 4 Johann Amos Comenius: Zuerst 1658 erschienen. Joh. Amos Comenii Orbis Sensualium Picti Pars Pri- Der Orbis Pictus wurde zu einem Vorbild für die Kin- ma Hoc est: Omnium fundamentalium in mundo derliteratur in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahr- rerum, & in vita actionum, Pictura & Nomenciatura. hunderts. Das Sach- und Lateinbuch erklärt anhand Editio auctior & emendatior, cum Titulorum juxta von Illustrationen Worte und Begriffe. In systemati- atque Vocabulorum Indice. Der sichtbaren Welt Ers- scher Ordnung beschreibt es alle Gegenstände des täg- ter Theil Das ist: Aller vornehmsten Welt-Dinge / und lichen Lebens. Entsprechend dem ideellen Konzept des Lebens-Verrichtungen / Vorbild und Benahmung. Aufs Buches unternimmt der kleine Leser dabei einen Gang neue angelegt / an vielen Orten / neben einem Titel- durch den von Gott wohlgeordneten Kosmos. Als di- und Wörter-Register verbessert; auch mit ganz neuen daktisches Prinzip werden die Dinge als Bilder den / schönern und deutlichem Figuren / versehen. Cum Worten zugeordnet. Das berühmte Buch war bis zum Gratia & Privil. Sacr. Caes. Majestatis, & Sereniss. Regis Ende des neunzehnten Jahrhunderts in zahlreichen Be- Polonis atque Electoris Saxoniae. Norbergae, Sumtibus arbeitungen im Gebrauch. Martini Endteri, Anno Salutis MDCCXXIX. – (16) Johann Amos Comenius (1592–1670) hatte erkannt, 315 (109) S. 156 Abb. 16,5 x 11 cm. dass Bücher für Kinder dem Begriffsvermögen unter-

42 EIN MIKROKOSMOS DES WISSENS. DAS BASEDOW’SCHE ELEMENTARWERK schiedlicher Altersstufen angemessen sein sollten. Bil- zu üben. Oftmals wurde dieser Aufforderung Folge der, zumal solche, die das Kind selbst ausmalen konn- geleistet. Mit viel Fantasie kolorierte ein Kind die Ab- te, sollten dem jungen Leser das Lernen erleichtern. bildungen der vorliegenden Ausgabe. Der Lernende sollte nicht nur mit dem Verstande, son- M.H./A.B. dern auch durch die Schärfung seiner Sinne begreifen: „Wann nun die Sinnen / der Sachen Unterschieden- 5 Johann Bernhard Basedow: heiten wohl zu ergreiffen / fleissig geübet werden / das Vorbereitung der Jugend zur Moralität und natürli- ist so viel / als zur ganzen Weisheitslehre / und weisen chen Religion von Johann Bernhard Basedow Königl. Beredsamkeit / und allen klugen Lebensverrichtungen Dän. Professor. Berlin und Altona [s. n.], 1766. – XVI, den Grund zu legen“ (Vorwort). 126 S. 19 x 12 cm. Der Orbis pictus war derart erfolgreich, dass er zwei Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Jahre nach dem ersten Erscheinen erneut aufgelegt In Frage- und Antwortform werden in acht Kapiteln wurde. Im beginnenden achtzehnten Jahrhundert Themen wie bürgerliche Verbrechen, natürliche Got- wurde das Werk erstmals in größerem Rahmen verän- teserkenntnis und insbesondere Pflichten gegenüber dert: 1719 wurde der ursprüngliche Wortbestand von dem eigenem Stand und anderen Menschen abgehan- ca. 4000 Worten verdoppelt und ein Jahr später wur- delt. Den Verhaltensregeln zugrunde liegt Basedows den neue Holzschnitte verwendet. Weitere Änderun- Glaube an eine „natürliche Religion“. gen folgten, ohne den Grundaufbau des Werkes anzu- A.B. greifen, bis dann Anfang des neunzehnten Jahrhun- derts Nachahmungen mit anderen Konzepten – aber 6 Johann Bernhard Basedow: ähnlichen Namen – auf dem expandierenden Buch- J. B. Basedows Kleines Buch für Kinder aller Stände. markt erschienen. Bis in das neunzehnte Jahrhundert Erstes Stück. Mit drey Kupfertafeln. Zur elementari- hinein erfuhr es weitere Neuauflagen mit den immer schen Bibliothek gehörig. 1771. Mit Chursächs. wieder gleichen Holzschnitten. Erst 1832 ließ Jacob gnädigst. Priv. Bey Freunden des Verfassers und in Eberhard Gailer das Büchlein von Johann Michael Commission bey C. Fritsch in Leipzig. – 77 S. 3 Falt- Voltz und anderen Illustrationskünstlern neu illustrie- kupfer. 19 x 11,5 cm. ren und im lithografischen Verfahren drucken. Erscheinen mit dem 1. Stück eingestellt. Die drei Falt- Im vorliegenden Werk sind alle Detaildarstellungen kupfer sind von Daniel Chodowiecki und Daniel Ber- beziffert und in deutscher und lateinischer Sprache ger. benannt. Im einfachen Holzschnittverfahren sind auch Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen sachliche Vorgänge verdeutlicht, wie z. B. die Entste- Das Buch enthält Leseübungen, die sich an den Ab- hung einer Sonnen- oder Mondfinsternis (Abb. CVI, bildungen der Kupfertafeln im Anhang orientieren. S. 219). Orbis pictus steht mittlerweile als Synonym Im Ansatz zeigt sich hier Basedows Unterrichtsmetho- für Bilderlexika. Der Illustrator der vorliegenden Aus- de, die er im Elementarwerk vervollkommnet. gabe verstand es, einzelne Elemente aus unterschiedli- A.B. chen Vorlagen zu einer gestalterischen Einheit zu ver- schmelzen. So benutzte er für den Holzschnitt ‚die 7 Johann Bernhard Basedow: Erzgrube‘ (S. 138) eine Darstellung von Georg Agricola Des Elementarwerks Erster–Vierter Band. Ein geord- (d. i. Georg Bauer, 1494–1555), die Schmelzöfen und neter Vorrath aller nöthigen Erkenntniß. Zum Unter- Vorherde zeigt. Die Schmelzöfen im Orbis Pictus ha- richt der Jugend, vom Anfang, bis ins academische ben den gleichen proportionalen Aufbau, sind jedoch Alter, zur Belehrung der Eltern, Schullehrer und Hof- seitenverkehrt gezeichnet. Während Agricola auch das meister, zum Nutzen eines jeden Lesers, die Erkenntniß Feuer zeigt, sieht man hier nur den aus den Öffnun- zu vervollkommnen. In Verbindung mit einer Samm- gen entweichenden Rauch. Der Stollen mit den arbei- lung von Kupferstichen, und mit französischer und tenden Bergleuten scheint einem anderen der vielen lateinischer Übersetzung dieses Werks. Mit Chursäch- Bergbücher des sechzehnten Jahrhunderts entlehnt zu sischem gnädigsten Privilegio. Dessau, 1774. Bey C. L. sein. Ein umfassender Überblick bestimmter Tätig- Crusius in Leipzig, auch bey dem Verfasser und seinen keitsbereiche wurde somit möglich. Die Holzschnitte Freunden. – 18,5 x 11,5 cm. wirken zwar derb, lassen aber keine wesentlichen sach- 1. – (16) XVIII, 432 S. lichen Aspekte außer Acht. Der Nutzen des Buches 2. – 509 S. sollte darin liegen, den jungen Leser sowohl in der Le- 3. – 416 S. sefertigkeit als auch in der Handfertigkeit (Vorwort) 4. – 256 S.

43 „EIN GEORDNETER VORRATH ALLER NÖTHIGEN ERKENNTNISS“. BILDER FÜR KINDER

Weitere Ausgaben vorhanden. Kupfertafeln den Text. Berufe werden im dazugehöri- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen gen Umfeld dargestellt. So wird in einer Schreiner- Johann Bernhard Basedow (1723–1790) betrachtete werkstatt gesägt, gehämmert, Holz gespalten und be- das damalige Erziehungswesen mit sehr kritischen arbeitet (Tafel XXI). Beim Bau eines Hauses sind der Augen. Durch die Ideen Rousseaus motiviert und von Maurer, Mörtelmischer und Steinmetz bei der Arbeit. aufklärerischem Gedankengut beflügelt, gab er 1768 In einer Buchdruckerei lässt sich die Arbeit des Dru- eine Schrift mit dem Titel Vorstellung an Menschen- ckers von der des Setzers klar unterscheiden. freunde und vermögende Männer über Schulen, Studien Im zweiten Buch, ‚Von dem Menschen‘, handelt ein und ihren Einfluß in die öffentliche Wohlfahrt heraus, Kapitel ‚Von Spielen und Vergnügungen‘. Diese Spie- die man als grundlegend für den Philanthropismus be- le und Vergnügungen sind durch die Tafel V illust- zeichnen kann. Schon zu diesem Zeitpunkt plante riert. Die dargestellten Kinderspiele zeigen unterschied- Basedow das Elementarbuch für Kinder. Er drang auf lichste Arten des Spiels. Zu sehen sind Knaben und Verbesserung der Methoden und Lehrbücher, sowie Mädchen, die jeweils geschlechtspezifischen Spielen die Errichtung von Lehrerseminaren und Muster- nachgehen. So zielt ein Knabe mit Pfeil und Bogen, anstalten. während drei andere mit Holzschwertern gerüstete Nach großen Bemühungen, einschließlich des Besor- Knaben eine kleine Parade aufführen. Trommel und gens der erforderlichen Geldmittel, gab Basedow 1770 Flöte fehlen nicht. Hintergrund für diese Spiele bildet einen noch unvollständigen Teil des Elementarwerkes ein sehr kultiviert wirkender Park. heraus. Die vorliegende Ausgabe erschien 1774 in vier Gespielt wird auch in einem eingefassten Hof. An ei- Bänden (zu vier Thalern). Die wunderschönen, haupt- nem Torbogen schaukelt ein Mädchen, das von einem sächlich von Daniel Chodowiecki (1726–1801) ge- Jungen angestoßen wird. Zwei mit Peitschen versehe- zeichneten Kupfer, etwa einhundert Stück, verdoppel- ne Knaben reiten, der eine auf einem Schaukelpferd, ten den Preis auf acht Thaler. der andere bewegt sich mit einem Steckenpferd. Ein A.B. größeres Mädchen zieht ein kleineres in einem Pup- penwagen. Kinder spielen ein Tanzspiel, Mädchen spie- 8 Johann Bernhard Basedow: len mit Puppen, man sieht Knaben beim Kreisel trei- Kupfersammlung zu Basedows Elementarwerke für die ben, Fangen spielen, Drachensteigenlassen und beim Jugend und ihre Freunde; Erste Lieferung in 53 Ta- Federballspiel. feln. Zweyte Lieferung in 47 Tafeln von L bis XCVI Daniel Chodowiecki war einer der beliebtesten Illust- [in 1 Bd.] = Receuil d’estampes relatives au Manuel ratoren jener Zeit. Seine Zeichnungen sind dem Stil élémentaire d’éducation = Tabularum aenearum des Rokoko verpflichtet. Nach seinen Vorlagen stachen collectio ad Johannis Bernharda Basedovii Opus ele- Johann David Schleuen, der zu einer Berliner Künstler- mentare in usum juventutis et illius amicorum. J. B. familie gehörte, und der unbekannte Kupferstecher Basedow. Berlin und Dessau [s. n.] 1774. – 96 Taf. Schuster. Quer 26 x 29 cm. A.B. Illustrationen von Daniel Chodowiecki, Johann Da- vid Schleuen und Schuster. Tafel XCIII fehlt. 9 Louis René de Caradeuc de la Chalotais: Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Ludwig Renatus de Caradeuc de la Chalotais König- Basedow beschreibt in der Vorrede zum Elementarwerk lich Französischen General-Procureurs im Parlement seine Intention: „Wohlan also! Ich urtheile oder von Bretagne Versuch über den Kinder-Unterricht aus sachwalte als einer, der verurtheilt werden kann. Um dem Französischen übersetzt. mit Anmerkungen und von den Gründen der Sache anzufangen, sage ich einer Vorrede, die Unbrauchbarkeit und Schädlichkeit erstlich: Die an den meisten Orten herrschende Päda- der Basedowschen Erziehungs-Projecte betreffend. gogie ist noch immer auf Verordnungen und Gewohn- Göttingen und Gotha bey Johann Christian Dieterich heiten, die aus den Jahrhunderten der Unwissenheit 1771. – XCIII, 264 (6) S. entlehnet sind, gegründet, und, wenn man den Zweck Essai d’éducation nationale ou plan d’études pour la und unsere Zeiten bedenkt, der gesunden Vernunft jeunesse zuwider“. Die französische Originalausgabe erschien 1763. Basedow befasst sich in seinem Elementarwerk mit Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen nahezu allen Bereichen des Lebens, die Kinder durch Angebunden: dieses Werk und den begleitenden Unterricht kennen Beylage zum Versuch über den Kinder-Unterricht ent- lernen können. Auf anschauliche Weise illustrieren die haltend eines obersächsischen Pädagogen Gedanken

44 EIN MIKROKOSMOS DES WISSENS. DAS BASEDOW’SCHE ELEMENTARWERK

über das Unbequeme, das Verdächtige und Unbrauch- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Abb. 18 bare der Basedowischen Erziehungsprojecte. [Hrsg. v. Das Elementarwerk wurde überwiegend mit Begeiste- Aus Basedows August Ludwig von Schlözer] Göttingen und Gotha, rung aufgenommen. Es verkaufte sich sehr gut, doch Kupfersammlung zum bey Johann Christian Dieterich. 1771. – (12) 56 S. hatte es auch einige Gegner. So hatte der Göttinger Elementarwerk (1774); 18 x 11,5 cm. Professor August Ludwig (von) Schlözer den Versuch Nr. 8. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen über den Kinder-Unterricht (Exp.-Nr. 9) aus dem Fran- Illustrationen von zösischen übersetzt, um den Wissensstand der Päda- Daniel Chodowiecki, 10 Johann Bernhard Basedow: gogik zu heben. Zugleich nutzte er in seiner Vorrede gestochen von Johann Documentirte Beschreibung der Schlözerischen Thaten die Gelegenheit, Basedow als Hauptvertreter des Phi- David Schleuen und wider das Elementarwerk, den Verfasser und einige lanthropismus zu attackieren: „Er befolgt keine Ein- J. F. Schuster. Beförderer desselben, nebst Anmerkungen zu des Herrn wendungen, und widerlegt sie nicht einmal. Seine de la Chalotais Versuch über den Kinder-Unterricht. Lieblingsgrille, daß man die Kinder fein früh und fein Von Joh. Bernh. Basedow. Bey Basedows Freunden, oft mit dem Zeugungsgeschäfte unterhalten solle, eine und bey C. Fritzsch in Leipzig. 1771. – 88 S. 18 x 11 Grille, gegen die alle Rousseauische Grillen Weisheit cm. sind, herrscht noch in seinem ganzen Elementarbuch:

45 „EIN GEORDNETER VORRATH ALLER NÖTHIGEN ERKENNTNISS“. BILDER FÜR KINDER man lese die folgenden Stellen, die ich unten S. 255 der Stelle bleiben möge“ (S. 4). Dem heutigen Leser folgg. wörtlich, aber ohne Commentar, habe abdru- des Elementarwerks wird der Konflikt zwischen Schlö- cken lassen, und analysiere sie Zeile für Zeile“ (S. zer und Basedow eher als eine Dokumentation des XVII). Denkens und der Anschauungen gegen Ende des acht- Die von Schlözer kritisierte Textstelle lautet: zehnten Jahrhunderts erscheinen. „§ 37 Ein jeder Mensch von denen, die ihr kennt Heinrich Rathmann, der Biograf Basedows (Exp.-Nr. oder kennen lernen werdet, ist als ein kleines Kinde zu 11), wertete den Streit folgendermaßen: „Hier wird einem grössern Menschen angewachsen, und vorher der ganze Plan Basedows zur Verbesserung des Schul- als ein noch kleineres Kind in dem Leibe einer Frauen und Erziehungswesens als eine affaire de finance, als eingeschlossen gewesen. Damals als es zuerst davon eine Wirkung des Eigennutzes und der Gewinnsucht, getrennt ward, wurde es geboren. vorgestellt; hier wird ihm besonders die Auslassung der § 38 Eine Frau heißt zu derjenigen Zeit schwan- Religion, der Geschichte, der Mathematik und der ger, in welcher das allmählich anwachsende Kind noch Literatur aus dem Kinderunterrichte, zur Last gelegt, nicht von ihr getrennt ist. Die Mutter des Kindes ist und die Aufnahme der Zeugungslehre oder vielmehr diejenige, von der es gebohren ist. Keine gebihrt, ohne des Unterrichtes von der Entstehung des Menschen, – vorher schwanger zu sein. Keine wird schwanger, ohne ins Elementarbuch, sehr hart getadelt; auch die Un- eine genaue Gemeinschaft mit einem Manne. Derje- brauchbarkeit, ja sogar Schädlichkeit des Elementar- nige, durch dessen Gemeinschaft die Mutter eines Kin- werkes behauptet“ (S. 59). Übrigens führte die durch des in diejenige Schwangerschaft gesetzt wurde, deren Schlözers Angriff auf Basedow ausgelöste Attacke zu Endigung die Geburt dieses Kindes war, heißt des Kin- einer öffentlichen Kontroverse, die Schlözers damali- des Vater. Ein jeder Mensch, den ihr kennt oder ken- gem Verleger Dieterich offenbar so schadete, dass es – nen werdet, hat Vater und Mutter. Der Vater hat ihn neben strittigen Honorarfragen – u.a. deswegen zum etwa 9 Monat vor der Geburt erzeugt, die Mutter aber Zerwürfnis zwischen Dieterich und Schlözer kam und damals empfangen und nach der Schwangerschaft dieser zum Verlag Vandenhoeck wechselte (vgl. Wilnat gebohren“ (ebd. S. 255). 2000, S. 42f). Basedow verteidigte sich in einer Gegenschrift mit dem A.B./W.V. Titel: Documentierte Beschreibung der Schlözerischen Thaten wider das Elementarwerk. Mit großer Heftigkeit 11 Heinrich Rathmann: vertritt er hier die eigenen Positionen. Nachdem ihn Lebensgeschichte und Charakter Joh. Bernh. Basedows jedoch einige Freunde darauf hingewiesen hatten, dass aus seinen Schriften und andern ächten Quellen dar- er doch um Kritik gebeten hatte, sah er ein, dass man- gestellt. Magdeburg, 1791. Im Verlage der Pansaischen ches verbesserungswürdig sei. Er verkündete bei einer Buchdruckerey. – XIV, 194 S. 17 x 11,5 cm. neuen Herausgabe des Elementarwerks, dass er nun alle Ohne Verfasserangabe. Kritik berücksichtigen werde. Stadtbibliothek Göttingen Basedow bezeichnete die Documentierte Beschreibung Ursprünglich wollte Rathmann einen Artikel über der Schlözerischen Thaten wider das Elementarwerk als Basedow im Magdeburger Wochenblatt schreiben. Die seine ‚Schutzschrift‘. Schlözers Angriff beschreibt er Freunde Basedows ermutigten ihn jedoch, ein Buch mit den Worten: „In Sachen der moralischen und daraus zu machen. So entschloss sich der Autor, unter schriftstellerischen Ehre von uns beyden, gleicht er Hinzuziehung weiterer Quellen den Lebensweg Base- einem ungereizten Herausforderer, der plötzlich den dows mit Berücksichtigung seines literarischen Wer- Mantel ausbreitet in der Gegenwart eines Menschen, kes genauer aufzuzeichnen. Das Werk dokumentiert von dem er nicht einmal gekannt wird, und ihn mit sowohl Basedows persönlichen Lebensweg wie auch der Bedrohung, ihn sonst allenthalben unversehens die Probleme, die er bei der Erstellung seines Elemen- anzufallen, wütend auffordert, sich mit ihm auf dem tarwerkes zu bewältigen hatte. Mantel zu schiessen, damit einer von ihnen gewiß auf A.B.

46 Das Bilderbuch als unentbehrliches res Meuble, als die Wiege, eine Puppe, oder das Meuble einer Kinderstube. Steckenpferd. Diese Wahrheit kennt jeder Vater, Friedrich Johann Justin Bertuchs jeder der Kinder erzogen hat, und von Locke an Bilderbuch für Kinder bis auf Basedow, Campe und Salzmann empfiehlt jeder vernünftige Pädagog, den frühesten Unter- Antonia Günther richt des Kindes durchs Auge anzufangen und ihm so viel gute und richtige Bilder und Figuren als man nur kann vor das Gesicht zu bringen. Bilderbuch für Kinder enthaltend eine angenehme Seit der alte Comenius den ersten glücklichen Sammlung von Thieren, Pflanzen, Blumen, Früch- Gedancken hatte, diesem wesentlichen Bedürf- ten, Mineralien, Trachten und allerhand andern nisse der Erziehung durch seinen famosen Orbis unterrichtenden Gegenständen aus dem Reich der pictus abzuhelfen“.2 Natur, der Künste und Wissenschaften; alle nach In acht ausführlichen Thesen legte Bertuch den besten Originalien gewählt, gestochen und mit im Vorbericht sowohl seine Ansichten zu päda- einer kurzen wissenschaftlichen und den Verstan- gogischen Grundsätzen des geplanten Werkes wie des-Kräften eines Kindes angemessenen Erklärung seine verlegerischen Vorstellungen dar: begleitet – unter diesem Titel stellte der Heraus- „1. Es muß schön und richtig gezeichnete und geber, der Weimarer Verleger Friedrich Johann keine schlecht gestochne Kupfer haben, weil Justin Bertuch (1747–1822) seit 1790 eine nichts wichtiger ist, als das Auge des Kindes, gleich Sammlung vor, deren zwölf Bände für ihr Jahr- vom Anfange an, nur an wahre Darstellung der hundert ein Höhepunkt der Bemühungen um das Gegenstände, richtige Verhältnisse, Eindrücke Kinderbuch werden und auch im neuen Jahrhun- und Begriffe, die es der Seele geben kann, und an dert bleiben sollten. schöne Formen und guten Geschmack zu gewöh- Die bis zu Band zwölf reichende Edition stellte nen. Man kann nicht glauben, wie begierig die in ihrer Art etwas völlig Neues dar, wenn Ber- Einbildungskraft eines Kindes die ersten bildli- tuch auch auf Vorgängern (Comenius: Orbis sen- chen Eindrücke faßt, wie fest sie dieselben hält sualium pictus 1654, vgl. Exp.-Nr. 4) und Zeit- und wie schwer es hernach ist, falsche Bilder und genossen (Basedow: Elementarwerk 1774, Exp.- Begriffe, die sie dadurch empfieng, in der Folge Nr. 7) fußte. Sie waren Bertuch durch seine Stu- wieder wegzuschaffen. Gute oder schlechte Kup- dien und eine Hauslehrertätigkeit bestens be- fer thun hierbey alles, und können bey Kindern kannt, zu einigen Autoren hatte er vielfachen entweder großen Nutzen oder wahres Unheil stif- Kontakt. Mit seinen Kupferstichen samt beige- ten. Ein dergleichen Bilderbuch muß daher gebenen Erläuterungen strebte er Ziele an, die durchaus nicht von einem Zeichner nur aus der weit über die bis dahin üblichen Schriften für Idee hingezeichnet und komponirt werden, denn Kinder hinausgingen und die in den erzieheri- ein Zeichner ist meistens nur in Darstellung Ei- schen Bestrebungen der Zeit auf ein großes Echo ner Art von Gegenständen, z. E. Menschen, zah- stießen. Geschickt agierte er zugleich als Heraus- men Vieh, wilden Thieren, Vögeln, Blumen u.s.w. geber und Verleger und orientierte sich an den ganz Meister, und in allen andern unwahr und Neuerscheinungen seiner Zeit: „Ein zu Paris im manirirt; sondern es muß vom Redacteur mit Jahr 1789 erschienener ähnlicher Versuch, der Sachkenntniß, Auswahl und guten Geschmack, unter dem Titel: Portefeuille des enfants, unter aus einer großen Menge Werke, deren man jedes des Hrn. Cochins Direction, heftweise erschien, für das vollkommenste in diesem oder jenem Fa- der aber nichts weniger als fehlerfrey ist, hat mich che hält, zusammengetragen und sorgfältig kopirt auf den Gedanken geleitet, diese Einrichtung für werden. unsere junge Welt nachzumachen, und so viel als 2. Es muß nicht zu viele und zu sehr verschie- möglich seine Fehler in meinem Bilderbuch für dene Gegenstände auf einer Tafel zusammendrän- Kinder zu vermeiden.“1 Mit seiner bereits im De- gen; sonst verwirrt es die Imagination des Kindes zember 1790 erfolgten Ankündigung bereitete er und zerstreut seine Aufmersamkeit, wenn der geschickt die Leserschaft seines Journals des Lu- Lehrer sie gern auf einen einzigen Gegenstand xus und der Moden auf seine kommende Edition der Tafel heften möchte. Das Auge des lebhaften vor: „Ein Bilderbuch ist für eine Kinderstube ein Kindes sieht ganz anders als das Auge des Man- eben so wesentliches und noch unentbehrliche- nes, das sich beschränken und abstrahiren kann.

47 „EIN GEORDNETER VORRATH ALLER NÖTHIGEN ERKENNTNISS“. BILDER FÜR KINDER

Das Kind aber sieht die ganze Menge höchst ver- mäßig bemittelte Eltern dasselbe nach und nach schiedener Bilder und Gegenstände, die auf der anschaffen, und dem Kinde ganz zum Gebrau- Tafel stehen, alle auf einmal, springt mit seiner che übergeben können. Das Kind muß damit lebhaften Imagination von einem zum andern völlig umgehen können wie mit einem Spielzeuge; über, und so ists dem Lehrer nicht möglich, seine es muß darinn zu allen Stunden bildern, es muß Aufmerksamkeit nur auf Einen Gegenstand zu es illuminiren, ja sogar, mit Erlaubniß des Leh- fixiren. Die Kupfer zu Basedows Elementar-Wer- rers, die Bilder ausschneiden und auf Pappende- ke und noch mehr Stoys Bilderakademie haben ckel kleben dürfen. Der Vater muß ein Bilder- diesen wesentlichen Fehler. buch für Kinder nicht als ein gutes Bibliotheken 3. Es muß die Gegenstände nicht zu klein Werk, das ohnedieß nicht in Kinderhände gehört, darstellen und die auf einer Tafel zusammenge- behandeln, es schonen, und nur zuweilen zum stellten müssen, wo möglich, in Rücksicht ihrer Ansehen hergeben wollen. Kostbare Bilder-Bü- natürlichen Größe richtige Verhältnisse gegen cher, welche Kinder schonen müßen, und nur einander haben. Ein Umstand, den ich fast in zweilen unter strenger Aufsicht zu sehen bekom- allen vernachlässigt gefunden habe. So ist, z.E. men, unterrichten das Kind bey weiten nicht so im neuen Orbis pictus auf Taf. III eine Weintrau- gut, als ein minder kostbares, das es aber immer be so groß als ein Stuhl, ein Beil so groß als ein in den Händen und vor Augen hat. Thurm, und auf Taf. V. ein Eichhorn so groß als 7. Es muß dem Kinde nicht auf einmal ganz, ein Rennthier. Wie soll nun das Kind Ideen von und etwa in einem großen dicken Bande, son- richtigen Verhältnissen der Größe der Dinge be- dern einzeln und nur Heftweise von den Eltern kommen? oder Lehrer übergeben werden, denn dadurch 4. Es muß sehr wenig und nicht gelehrten wird der Genuß und die Freude des Kindes an Text haben; denn das Kind liest und studiert ja demselben gar sehr erhöhet und verlängert; und sein Bilderbuch nicht, sondern will sich damit diese successiven Lieferungen können selbst als amüsiren. Der richtige Nahme und eine kurze eben so viele aufmunternde und belohnende Erklärung des auf dem Kupfer vorgestellten Ge- Geschenke für sein Wohlverhalten, von den El- genstandes; dieß ist Text genug. Das Uebrige muß tern oder dem Lehrer behandelt werden. der Lehrer hinzuthun, wenn er eins oder das andre 8. Es muß, bey aller anscheinenden Regello- Kupfer des Bilderbuchs zur Grundlage einer sigkeit der Anordnung, dennoch eine gewisse Unterhaltung oder Lection mit dem Kinde macht. versteckte Ordnung in der Folge der Gegenstän- Er mag vorher ausführlichere Werke darüber de darinn herrschen, welche der Lehrer alsdann, nachlesen, und sich mit der Materie über die er wenn das Kind reifer wird, benutzen, und es sprechen will, vollständig bekannt machen; denn dadurch auf ein systematisches Arrangement sei- für ihn soll ja das Bilderbuch nicht unterrichtend nes Bilderbuchs führen kann.“3 seyn. Nach diesen Grundsätzen verwirklichte Ber- 5. Es muß wo möglich fremde und seltene, tuch das Erscheinen von zwölf Bänden seines jedoch instructive Gegenstände enthalten, die das Bilderbuches, in denen 1185 Kupferstiche versam- Kind nicht ohnedieß täglich sieht. Jene intereßi- melt waren – in der billigeren Version einfarbig, ren und unterhalten es nur, weil sie den Reitz des in der kostspieligeren ausgezeichnet koloriert, Raren und Wunderbaren haben. Bilder von be- erläutert von mehrsprachigen Bildlegenden, zu- kannten und alltäglichen Dingen reitzen und nächst auf Deutsch und Französisch, der Spra- amüsiren hingegegen das Kind nicht, weil es die che des Hofes; dann aber ab 1802 überdies in Manier und Kunst der Darstellung bey weiten Englisch und Italienisch, um einen noch größe- noch nicht, wie der Mann, fühlen und einsehen ren Kreis von Abnehmern zu erreichen. kann, und blos auf den fremden und neuen oder Anreiz zum Kauf, zum Sammeln und zur schon bekannten Gegenstand sieht, der ihm Freu- Nutzung im oben beschriebenen Sinne bildete de und Zeitvertreib, oder Langeweile macht. An die Lieferung in Heften, die dann in Bänden zu- diese gewiß wichtige Bemerkung scheinen die sammengefasst wurden, mit einer Systematik, die bisherigen Orbis-pictus-Macher wenig oder gar aus der Einteilung in verschiedene Sachgrupppen nicht gedacht zu haben. resultierte. Diese Gruppen waren auf jedem der 6. Es muß gut, aber nicht zu kostbar, und so Blätter vermerkt: Tiere, Pflanzen, vermischte von Preiße und Werthe seyn, daß auch mittel- Gegenstände usw. Sie ermöglichten nach jeweils

48 DAS BILDERBUCH ALS UNENTBEHRLICHES MEUBLE EINER KINDERSTUBE zwanzig Heften ein Register, überdies gab es für hungen zu Repräsentanten des Fürstentums An- die Bände eins bis elf ein Gesamtregister. halt-Dessau und bedeutenden Vertretern des Hilfreich waren dem Unternehmen verschie- deutschen Buchhandels um 1800. Bertuchs In- dene Umstände, die Bertuch geschickt zu nutzen teressen berührten sich mit denen zahlreicher zeit- verstand: Ein von ihm und dem Botanikprofessor genössischer geisteswissenschaftlicher Kapazitä- Johann Georg Carl Bartsch, dem Begründer des ten, mit denen von Publizisten, Künstlern und Botanischen Gartens in , begonnenes natur- Gewerbetreibenden. Allerorten war man an ei- geschichtliches Tafelwerk fand nicht genügend nem lebhaften Gedankenaustausch zu interessan- Subskribenten, so nützte er die anspruchsvollen ten Neuerscheinungen und zu lohnender Lektü- Vorlagen für das neue Bilderbuch. Bertuchs Vor- re interessiert. Bertuch selbst besaß eine umfang- stellung von „schönen und richtig gezeichneten reiche Bibliothek. In dieser befanden sich zahl- Kupfern“ auf den Tafeln, die nicht zu viele und reiche Werke zur allgemeinen Naturgeschichte, nicht zu kleine Gegenstände in den richtigen zur Botanik, Zoologie, Mineralogie und Physik Größenverhältnissen zueinander bieten sollten, sowie zahlreiche Reisebeschreibungen, von denen ließen sich mit Hilfe der von ihm begründeten mehrere mit hochwertigen Kupfern ausgestattet Weimarer Freien Zeichenschule ins Werk setzen. waren. Er kannte einige der Werke, die vor und Neben den leitenden Verantwortlichen, dem neben seinem Bilderbuch bereits populär-natur- Maler Georg Melchior Kraus (1733–1806) und wissenschaftlichen Charakter trugen. Die Buch- dem Kupferstecher Johann Heinrich Lips (1758– bestände der Herzoglichen Bibliothek in Weimar, 1817), war daran eine große Zahl von Lehrern die in den Gesellschaften angelegten Bücher- und Schülern beteiligt, u. a. Henriette Westermay- sammlungen, von Freunden und Geschäftspart- er (1772–1841), Conrad Westermayer (1765– nern empfohlene und entliehene Werke sowie 1834), Christian Gottfried Heinrich Geißler Bücher aus Beständen der Universitäten Göttin- (1771–1844), Christian Carl Ludwig (1776– gen und Jena wurden zur Erarbeitung der Bilder- 1853), Theodor Maximillian Georg Goetz buch-Hefte herangezogen. In Listen und Biblio- (1779–1855), Conrad Horny (1764–1807). Die graphien, auf Zetteln und in Messekatalogen an- Texte, denen Bertuch ebenfalls große Aufmerk- derer Verleger hielt Bertuch ihm zu verschiede- samkeit widmete, werden den Gegenständen ge- nen Interessengebieten einschlägig erscheinende recht, erläutern die Herkunft der seltenen Tiere Titel fest. Fehl- und Dublettenlisten, erstellt nach und Pflanzen. Deren Nützlichkeit wird beson- gründlicher Durchforstung der eigenen Bücher- ders hervorgehoben. Auf den völkerkundlichen schränke, sollten die Vollständigkeit und Aktua- Blättern sind alle Gegenstände und Kleidungs- lität seiner Bestände gewährleisten helfen. Die stücke benannt, die fremdartige Lebensweise der dabei zutage geförderten hochwertigen mit Ab- Menschen wird beschrieben. Als Schrift für diese bildungen versehenen naturwissenschaftlichen Kommentare wählte Bertuch die Antiqua, eine und ethnologisch-geografischen Werke haben die in ganz Europa gebräuchliche und leicht lesbare Einrichtung des ‚Bilderbuchs‘ wesentlich unter- Schriftart ohne Altertümelei. So kommen Bild stützt.“4 und Kommentar den jungen Lesern in ihrer Kürze Für die Erläuterung der Bände hatte Bertuch und Anschaulichkeit nahe, regen ihre Neugier an ebenfalls einen Stab von Helfern zur Seite. Zu- und erweitern ihr Wissen. nächst war dies der Pädagoge Carl Phillip Funke Die Konzeption der Bände und die Auswahl (1752–1807), der am Dessauer Philanthropin tä- der Gegenstände lagen vor allem in den Händen tig und durch eigene Publikationen ausgewiesen Bertuchs, der damit einen großen Kenntnisstand war. Von Bertuch wurde er mit Nachschlagewer- und ein weitgespanntes naturwissenschaftliches ken und Neuerscheinungen aller wichtigen Ge- Interesse offenbarte. Vor allem die Untersuchun- biete unterstützt. Nach seinem Tod 1807 muss- gen Uwe Plötners am Nachlass Bertuchs im Wei- ten mehrere Mitarbeiter für diese Aufgabe gefun- marer Goethe-Schiller-Archiv verdeutlichen Ent- den werden. Bis 1812 war dies teilweise der The- stehungsbedingungen und Voraussetzungen für ologe Georg Heinrich Christian Lippold (1767– das Bilderbuch. „Idee und Erfolg des ‚Bilderbuchs‘ 1841), Funkes Schwiegersohn, sowie eine Reihe resultieren wesentlich aus der aktiven Teilnahme von thüringischen Gelehrten: Der Apotheker und Bertuchs am geistig-kulturellen Leben im Wei- Botaniker August Wilhelm Dennstedt (1776– mar-Jenaer Raum sowie aus seinen engen Bezie- 1826) aus Magdala bei Jena, der Weimarer

49 „EIN GEORDNETER VORRATH ALLER NÖTHIGEN ERKENNTNISS“. BILDER FÜR KINDER

Schriftsteller und Geograf Theophil Friedrich resse an neuen Erkenntnissen und ihrer kind- Ehrmann (1762–1811), der Jenaer Theologe und gerechten abwechslungsreichen Präsentation. Pädagoge Gottfried Erdmann Petri (1783–1850), Mit Recht wird das Bilderbuch für Kinder häu- der Jenaer Medizinprofessor Friedrich Sigmund fig ein Geschichtsdenkmal der Pädagogik ge- Voigt (1781–1850), seit 1806 der Direktor des nannt; freilich war sein Erfolg und die ihm fol- Botanischen Gartens in Jena, sowie dessen Vater, gende nachahmende Konkurrenz letztlich auch der Jenaer Mathematikprofessor Johann Heinrich an der Beendigung des Werkes beteiligt, dessen Voigt (1751–1823). Erscheinen Bertuchs Nachfolger Froriep 1830 Beteiligt an der Redaktion waren nach wie einstellte. Die außerordentliche Würdigung vor neben Bertuch selbst sein Sohn Carl Bertuch Bertuchs in der Rede des Kanzlers Friedrich von (1777–1815). Seit 1801 war er maßgeblich für Müller an seinem Grabe lässt auch die Vorzüge das Bilderbuch verantwortlich. Ihm zur Seite stand seines Bilderbuches für Kinder erkennen: „Am Ludwig Friedrich von Froriep (1779–1847), Grabe des Mannes der sein Leben durch die ei- Medizinprofessor und Schwiegersohn Bertuchs, gentümlichste Lebenskunst zu vervielfachen und der 1818 der Familienfirma beitrat. Seit 1791 in zahllosen Geisteswirkungen zu verewigen ver- hatte sie unter der Benennung „Landes-Indus- stand, [...] ist kein Todesopfer würdiger als die trie-Comptoir“ eine wirtschaftlich und rechtlich Betrachtung seines Strebens, als die dankbare An- besonders geschützte Stellung, die der Vielzahl erkenntnis jener höheren Fügung, die ihm, dem der Bertuch’schen Unternehmungen wie der Vor- Einzelnen, soviel Treffliches und Großes zu voll- bereitung seiner Publikationen sehr zugute kam. bringen vergönnte. [...] Wie ein befruchtender Bertuchs Lebensweg als Kind früh verstorbe- Strom führten seine weltbürgerlichen Verbindun- ner Eltern, als Student und Hauslehrer bis zum gen die Ausbeute vielseitigsten Forschens den ent- hochbezahlten fürstlichen Beamten im Dienst des ferntesten Ländern zu; jeden neuen Lebenskeim Weimarer Herzogs Carl August und schließlich im Gebiet des Wissens verstand er aufs Zweckmä- als freier Unternehmer und größter Arbeitgeber ßigste auszubilden, jede schlummernde Kraft in ist in zahlreichen Untersuchungen der seinem Kreis zu wecken und zu steigern.“6 letzten Jahre ausführlich beleuchtet worden. Das Bilderbuch für Kinder war in der Vielzahl seiner Literaturverzeichnis: Editionen auch von größter wirtschaftlicher Be- BERTUCH, F. J./KRAUS, G. M. (HRSG.): Journal des deutung, wie ein von Uwe Plötner zitierter Brief Luxus und der Moden, 5. Bd., Jahrgang 1790, Bertuchs an seinen Sohn Carl 1801 verdeutlicht: Heft 12. Mit ausgemahlten und schwarzen „Du weist, daß mein Bilderbuch das erste, Kupfertafeln, Weimar 1790. wichtigste und einträglichste Werk unserer Hand- HEINEMANN, ALBRECHT VON: Ein Kaufmann der lung ist, und schnell gefördert und geliefert sein Goethezeit. Friedrich Johann Justin Bertuchs muß, wenn wir nicht schwächere Einnahmen Leben und Werk, Weimar 1955. haben und Schaden leiden wollen [...] Du weist PLÖTNER, UWE: „Du fühlst, wie amüsant und leicht auch, daß ich den Gang der Lieferungen des B.B. die Arbeit ist…“. Friedrich Justin Bertuchs „Bil- von heuer an journalmäßig regulieren [...] will. derbuch für Kinder“(1790–1843), in: GER- Dieß ist aber schlechterdings unmöglich, wenn HARD R. KAISER/SIEGFRIED SEIFERT (HRSG.): Du nicht schärfer und feuriger hinter der Fabri- . Verleger, Schriftsteller cation des B. B. her bist, und die Fertigung der und Unternehmer im klassischen Weimar, Tü- Platten, und des Textes, Druckes und Illuminati- bingen 2000, S. 533–545. on lebhafter betreibst [...]. Es ist ein wichtiges Geschäft, und wir müßen darüber solid, und Anmerkungen pünctlich zu Wercke gehen.“5 1 Bertuch in seinem Journal des Luxus und der Mo- Genannt wird an gleicher Stelle für die Zeit den 5 (1790), Heft 12, S. VIII. von 1815–1831 eine Einnahme von ca. 18000 2 Ebd. S. XXII. Talern. Der materielle Erfolg beweist nicht nur 3 Ebd. S. XXII–XXIV. die Geschicklichkeit des Vertriebs und die Qua- 4 Plötner 2000, S. 536f. lität der Kommentierung und Darstellung aller 5 Ebd., S. 540. Tafeln, sondern auch das große allgemeine Inte- 6 Zit. nach von Heinemann 1955, S. 181.

50 DAS BILDERBUCH ALS UNENTBEHRLICHES MEUBLE EINER KINDERSTUBE

Exponat 12 Illustratoren. Weitere Ausgabe (1792ff) vorhanden. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Friedrich Johann Justin Bertuch (1747–1822) war 12 Friedrich Johann Justin Bertuch: Schriftsteller, später in der Hauptsache aber Verleger Bilderbuch für Kinder enthaltend eine angenehme und ein sehr kompetenter Geschäftsmann, der sich Sammlung von Thieren, Pflanzen, Blumen, Früchten, nach Gründung des ‚Weimarschen Landesindustrie- Mineralien, Trachten und allerhand andern unterrich- comptoirs‘ zum angesehensten Buchhändler und auch tenden Gegenständen aus dem Reiche der Natur, der Verleger der damaligen Zeit entwickelte. Bertuch, des- Künste und Wissenschaften; alle nach besten Origi- sen Schüler in der ‚Fürstlichen freyen Zeichenschule‘ nalen gewählt, gestochen, und mit einer kurzen wis- (später ‚Weimarer Freie Zeichenschule‘) von dem Kup- senschaftlichen, und den Verstandes-Kräften eines ferstecher Johann Heinrich Lips in Weimar ausgebil- Kindes angemessenen Erklärung begleitet. – Bd. 1– det wurden, ließ die Kupfer zu dem Bilderbuch für 10. Mit ausgemahlten Kupfern. Weimar: Im Verlage Kinder nach Vorlagen aus bekannten Realienwerken des Landes-Industrie-Comptoirs, 1798–1821. – 28 x anfertigen. Die Schüler hatten in der Regel keine Vo- 24 cm. raussetzungen für das Handwerk mitgebracht. Sie schu- 1. – 3. Aufl. – 1810. – No. I–XX fen Abbildungen aus den vielfältigen Bereichen des 2. – 3. Aufl. – 1803. – No. XXI–XL Lebens. Berühmte Bauwerke sind ebenso zu sehen wie 3. 1798. – No. XLI–LX Illustrationen von Vögeln, Fischen und Säugetieren. 4. 1802. – No. LXI–LXXX Menschen in Trachten aus den verschiedenen Ländern, 5. 1805. – No. LXXXI–C Pflanzen, Mineralien und Gegenstände sind anschau- 6. 1807. – No. CI–CXX lich dargestellt. 7. 1810. – No. CXXI–CXL Es war Bertuchs Auffassung, dass eine Ordnung be- 8. 1813. – No. CXLI–CLX stimmter dargestellter Dinge ein Kind zu leicht ermü- 9. Bertuch’s Bilderbuch für Kinder. – 1816. – No. den könne, weshalb er das Werk auf Abwechslung und CLXI–CLXXX Vielfältigkeit anlegte. Bertuch war kein Pädagoge, hatte 10. Bertuch’s Bilderbuch für Kinder. – 1821. – No. wohl aber ein Gespür für die Bedürfnisse seiner Zeit- CLXXXI–CC genossen. So wurde das Bilderbuch für Kinder ein groß- [Paralleltit.:] Portefeuille des enfan. Mélange intéressant artiger Erfolg. Der günstige Preis der Hefte sowie die d’Animaux, Plantes, Fleurs, Fruits, Minéraux, schönen Illustrationen und kindgemäßen Texte sorg- Costumes, Antiquités et d’autres Objets instructife et ten für weite Verbreitung. Von 1798 an erschien zum amusans pour la Jeunesse; choisis et gravés sur les Bilderbuch für Kinder ein von Karl Philipp Funke zu- meilleurs originaux, avec de courtes Explications sammengestelltes zwanzigbändiges Kommentarwerk scientifiques et proportionnées à l’entendement d’un für Eltern und Lehrer mit dem Titel Ausführlicher Text Enfant. Rédigé par Mr. Bertuch. zu Bertuch’s Bilderbuche für Kinder, das nach Funkes Tod 1807 unter der Herausgeberschaft von Carl Ber- Der erste Band der ersten Ausgabe erschien 1790. Je- tuch vollendet wurde. Das Kommentarwerk ist eben- der Band enthält 20 Hefte mit je 20 Seiten und 5 ko- falls im Bestand der Niedersächsischen Staats- und Uni- lorierten Kupfertafeln, jede Tafel mit zwei Seiten Er- versitätsbibliothek Göttingen vorhanden. klärungen auf deutsch bzw. französisch. Verschiedene A.B.

51 52 „ANGEMESSENE NAHRUNG UND VERSTÄNDLICHER VORTRAG FÜR DEN JUGENDLICHEN GEIST“. CAMPE UND ANDERE AUTOREN SCHREIBEN FÜR KINDER

Joachim Heinrich Campe als Pädagoge ihren Zöglingen vorfinden, und die je vorrangi- und Kinderbuchautor gen Erziehungsziele. In seiner Schrift Von der nö- tigen Sorge für die Erhaltung des Gleichgewichtes Tilmann Köppe unter den menschlichen Kräften2 unterscheidet Campe mehrere Stufen frühkindlicher Entwick- lung, die sich insbesondere durch ein zeitversetztes Joachim Heinrich Campe (1746–1818) hat ein „Erwachen“ unterschiedlicher „Seelenkräfte“ aus- Leben im Zeichen der Pädagogik geführt. Nach zeichnen: dem Besuch der Klosterschule in Holzminden „Anfangs – und ich getraue mir etwas be- studiert er Theologie in Helmstedt und Halle; stimmter hinzuzusetzen, bis in das dritte Viertel 1769, nach Abschluss des Studiums, geht er nach des ersten Lebensjahres – läßt die Natur von al- Berlin und wird dort von Alexander Georg von len ursprünglichen Kräften des Kindes nicht mehr Humboldt mit der Erziehung von dessen Stief- als drei [...] erwachen, nämlich 1. die unbestimm- sohn Heinrich von Holwede, später auch mit der te Körperkraft, 2. die sinnliche Empfindungskraft von Alexander und Wilhelm von Humboldt be- und 3. das instinktmäßige sinnliche Begehrungs- traut. Von 1776 bis 1777 wirkt Campe als „Edu- vermögen.“3 kationsrat“ an dem von Johann Bernhard Base- Später, im „dritten und vierten Viertel des dow gegründeten Erziehungsinstitut, dem Phil- ersten Jahres erwachen nach und nach auch die anthropin; bis 1785 ist er in und bei Hamburg übrigen ursprünglichen Kräfte des Kindes – Ver- als Erzieher der Kinder bekannter Hamburger stand, Vernunft, Einbildungskraft, Vergleichungs- Bürger tätig und wird 1786 Schulrat in Braun- vermögen, Gedächtnis“.4 schweig-Wolfenbüttel, wo er eine Schulbuch- Aufgabe des Erziehers ist es, die unterschied- handlung eröffnet. lichen „Kräfte“ zu fördern und dabei stets darauf Entstanden sind, insbesondere in der Ham- zu achten, dass sie sich im Gleichgewicht halten: burger und Braunschweiger Zeit, zahlreiche theo- Wird eine der Kräfte ‚vor der Zeit‘ oder bevor- retische Schriften zur Pädagogik und ein umfang- zugt gefördert, so geschieht das auf Kosten der reiches Kinder- und Jugendbuchwerk, in dem anderen Kräfte und damit zum Schaden des Zög- Campe als Autor, Bearbeiter und Herausgeber lings. Campes Schilderung des ‚disproportionier- hervortritt. In seinen Kinder- und Jugendbüchern ten‘ Knaben „von feiner Erziehung“, dessen geis- ist Joachim Heinrich Campe immer zugleich Pä- tige Kräfte auf einseitige Weise befördert wurden, dagoge. Dass dies durchaus seinem Selbstver- lässt denn auch an Drastik nichts zu wünschen ständnis entspricht, wird deutlich anhand der übrig: Vorreden, die den Büchern beigefügt sind. In ih- „Er verbindet gewisse Fertigkeiten des Ver- nen erläutert Campe den pädagogischen Zweck, standes, des Witzes und des Gedächtnisses, nach den das jeweilige Buch zu erfüllen sucht, und er denen man ihn für einen erwachsenen Mann äußert sich zur Art und Weise, in der das Buch halten sollte, mit einer Schwäche des Körpers und seinen Zweck am besten zu befördern verspricht. mit einer Kleinmütigkeit des Herzens, nach de- Nimmt man sie zusammen, stellen diese Vorre- nen man geneigt ist, ihn für einen Säugling zu den ein kleines Kompendium pädagogischer The- nehmen. Er hat unermeßliche Begierden und ei- orie und Methodik dar.1 nen gänzlichen Mangel an Kraft und Geschick- lichkeit, sie zu befriedigen; [...] er hat mächtig Vom Zweck der Erziehung viel Bücherverstand, der ihm zu gar nichts helfen Kinder- und Jugendbücher richten sich naturge- kann, aber von dem gemeinen und praktischen mäß an ein Publikum unterschiedlichen Alters. Menschenverstande, der ihm jetzt und künftig Dementsprechend unterschiedlich sind auch die die größten Vorteile gewähren würde, scheint ihm Fähigkeiten und Fertigkeiten, die Erziehende bei noch gar nichts zuteil geworden zu sein.“5

53 „ANGEMESSENE NAHRUNG UND VERSTÄNDLICHER VORTRAG FÜR DEN JUGENDLICHEN GEIST“

Der ‚einseitige‘ Knabe, so schließt Campe seine dem mag es dennoch an den erforderlichen Fer- – deutlich polemisch getönte – Charakteristik, tigkeiten fehlen, das Gewusste praktisch umzu- ist „ein Inbegriff von Scheinvollkommenheiten setzen, es handlungswirksam werden zu lassen.11 und wirklichen Mängeln, von verkehrter Kultur Deutlich wird das insbesondere am Beispiel mo- und wahrer Rohheit, von hervorstechenden ralischen Wissens. Ein abstraktes Wissen um mo- schimmernden Fertigkeiten auf der einen und von ralische Prinzipien ist nicht gleichbedeutend mit überschwenglichem Unvermögen auf der andern moralischer Kompetenz. Eine im eigentlichen Seite; ein Wesen von disproportionierlicher Aus- Sinne moralisch kompetente Person kennt nicht bildung“.6 nur gewisse moralische Prinzipien, sondern ist Die sich hier abzeichnende Dichotomie von darüber hinaus auch willens, das für gut Befun- „natürlich[,] gut und schön“ auf der einen und dene in die Tat umzusetzen. In der Vorrede des dem „Erkünstelten, Gesuchten, Unnatürlichen“7 Jugendbuches Die Entdeckung von Amerika auf der anderen Seite ist, ebenso wie die Eintei- (1782, Exp.-Nr. 148-149) heißt es dementspre- lung des Kindesalters in Stufen, Gedankengut chend: Rousseaus, dessen Emile, ou de l’éducation (Exp.- „Man wird es übrigens diesem Werke aber- Nr. 2) Campe in der Vorrede des Robinson aus- mals wohl von selbst ansehen, daß meine Haupt- führlich zitiert, und der, neben John Locke, die absicht bei Verfertigung desselben wiederum die einflussreichste Inspirationsquelle der philanthro- mir so angelegentliche gewesen sei, nicht blos den pischen Bewegung darstellt.8 Verstand meiner jungen Leser durch nüzliche und In den Vorreden spiegelt sich das in der Ab- angenehme Kentnisse aufzuklären, sondern vor- handlung systematisch Entwickelte verschiedent- nehmlich auch ihre Herzen zu einer innigen Got- lich wider. Freilich hat Campe hier nicht den The- tesverehrung, zu jeder schönen geselligen Tugend, oretiker und Philosophen, sondern Eltern und zu einem wider alle Mühseeligkeiten und Drang- Erzieher vor Augen. Der strikte argumentative sale des menschlichen Lebens sich männlich stem- Aufbau der Abhandlung – einer Erläuterung der menden Muthe, und zu einer regen Begierde nach Hauptthesen im ersten Teil folgen deren Begrün- gemeinnüzigen und menschenfreundlichen dung im zweiten und Regeln zur praktischen Um- Thaten zu erwärmen.“12 setzung im dritten Teil – ist denn auch zugunsten Das ‚Aufklären‘ und ‚Erwärmen‘, von dem thesenartiger Bemerkungen aufgehoben. In der Campe spricht, ist in materialem Sinne zu ver- Vorrede der Kleinen Seelenlehre für Kinder (1780; stehen. Campe geht es offensichtlich nicht bloß Exp.-Nr. 17, 1831), deren Ziel Campe darin um die Beförderung der kognitiven, emotiven sieht, die für eine jede sittliche und religiöse Er- oder volitiven Vermögen an sich, sondern das ziehung erforderlichen psychologischen Grund- Empfinden der Zöglinge soll auf bestimmte Weise begriffe kindgerecht zu vermitteln, kehrt der geprägt, ihr Wollen auf bestimmte Ziele ausge- Gedanke wieder, „daß die volkommenste Erzie- richtet werden. Die ‚ganzheitliche‘, ausgewogene hung diejenige ist, welche alle phisischen und mo- Persönlichkeit soll die ‚klassischen‘ Tugenden der ralischen Anlagen des Leibes und des Geistes der Frömmigkeit, Standhaftigkeit und eines allgemei- Kinder in dem besten Verhältnisse zu einander nen Altruismus verkörpern. Aus der bereits zi- gleichmäßig auszubilden sucht“.9 Am herkömm- tierten Schrift Von der nötigen Sorge für die Erhal- lichen Schulunterricht findet Campe dagegen aus- tung des Gleichgewichtes unter den menschlichen zusetzen, dass dieser „nur das Gedächtniß der Kin- Kräften geht zudem hervor, worauf eine Erzie- der in Wirksamkeit seze, und alle die übrigen hung, deren Ideal das skizzierte Persönlichkeits- Selenfähigkeiten bald mehr, bald weniger, in un- bild darstellt, abzielt: gestörtem Schlummer ruhen lasse“.10 Was sich „1. Je mehr die ursprünglichen Kräfte eines hier abzeichnet, ist das Projekt einer ‚ganzheitli- Menschen sich dem Ebenmaße nähern, desto chen‘ Persönlichkeitsbildung, das die Förderung größer und ausgebreiteter ist seine Brauchbarkeit der kompletten Trias von ‚Herz‘, ‚Wille‘ und ‚Ver- im bürgerlichen Leben; 2. desto vielfacher, rei- stand‘ – heute mag man von den emotiven, ner, dauerhafter und stärker ist sein Genuß der volitiven und kognitiven Vermögen einer Person Freuden dieses Lebens und 3. desto fähiger und sprechen – einbezieht. Hinter der Forderung nach williger ist er, auch über seine Mitmenschen Freu- einer umfassenden Erziehung steht das Bild ei- den verbreiten und Leiden von ihnen abwehren ner ‚ausgewogenen‘ Persönlichkeit: Wer viel weiß, zu helfen.“13

54 JOACHIM HEINRICH CAMPE ALS PÄDAGOGE UND KINDERBUCHAUTOR

Während das erste und dritte der von Campe schaffen machen, sie mit den sinnlichen Gegen- angeführte Ziele die spätere Eignung des Zög- ständen so wohl im Hauswesen, als auch in der lings als ‚Mitmensch‘ und Bürger betreffen,14 ist Natur, durch den Gebrauch ihrer eignen Sinne das zweite Ziel eudaimonistischer Natur: der bekannt werden lassen, und dabey die grosse und Zögling, dessen Kräfte eine gleichmäßige Ausbil- schädliche Thorheit vermeiden, ihren jungen dung erfahren haben, ist damit instand gesetzt, Verstand durch schimmernde Kenntnisse aus ein glückliches Leben zu führen. Büchern aufzustutzen, um anfangs kleine Wun- der, und nachher grosse Affen voll lächerlicher Vom „Trichter“ zur „Pumpe“15 – Grundzüge der und unseliger Eitelkeit aus ihnen zu machen“.18 Methodik Weitere Gründe gegen ein Lesenlernen vor Während die Theorie der Erziehungsziele, von dem fünften oder sechsten Lebensjahr liegen für der im vorhergehenden Abschnitt die Rede war, Campe im Mangel an für ein jüngeres Alter ge- in den Vorreden der Kinder- und Jugendbücher eigneter Kinderliteratur sowie darin, dass die zumeist nur in kurzen Bemerkungen präsent ist, „Sprachwerkzeuge vor dem fünften Jahre selten nehmen Ausführungen zur Methodik und Didak- schon so geübt sind, daß ihnen die Aussprache tik einen relativ breiten Raum ein. Ja, man kann mancher Silbe nicht noch sehr beschwerlich fal- sagen: Campe nutzt das Medium der Vorrede, len sollte“.19 Seinen Hauptgrund spart Campe um seinen Büchern eine ‚Gebrauchsanweisung‘ nach Art der rhetorischen Klimax bis zuletzt auf: beizugeben. Diese ist an Eltern und Erzieher ge- „Der wichtigste Vortheil aber, den ihr durch Be- richtet und zielt darauf, detailliert über den Nut- folgung meines Raths erreichen werdet, besteht zen und korrekten Gebrauch des Buches zu un- darin, daß eure Kinder, denen das Lesenlernen terrichten. Besonders deutlich werden Campes zum angenehmsten Spiel gemacht wird, zu allen methodische Anliegen in der ausführlichen Vor- nachherigen Studien eine muntere, von Wider- Abb. 19 rede der 1778 erschienenen Fibel Neue Methode, willen und Eckel freye Seele bringen.“20 Kartenausschnitt Kinder auf eine leichte und angenehme Weise Lesen Was sich an dieser Stelle bereits andeutet, ist Neuholland aus Campe: zu lehren.16 Die Vorrede beginnt mit einer um- der vielleicht wichtigste methodische Grundsatz Erste Sammlung ständlichen Ermahnung, das ebendort Nieder- der Campe’schen Pädagogik: Das Lehren und merkwürdiger gelegte nur ja zu beachten und keinen eigenstän- Lernen ist dort am erfolgreichsten, wo es den Reisebeschreibungen, Th. 6 digen Gebrauch von der Fibel zu machen. Der Charakter des Spiels annimmt und nicht als von (1807), gestochen von eigentlichen methodischen Anleitung gehen Seiten des Erziehers oktroyierte Zwangsmaßnah- Thomas Albrecht sodann eine Reihe von „Grundsätzen“ voraus. me erscheint. Entsprechend lautet der erste im Pingeling; Nr. 15, Bd. 22. Der erste Grundsatz betrifft das Alter der Zög- linge. Campe fordert, „daß man das Lesenlernen der Kinder, und alles eigentliche Lernen über- haupt, wenigstens bis in ihr fünftes oder sechstes Jahr verschieben mögte“.17 Als Gründe für diese Altersgrenze führt Campe Verschiedenes an. Zu- nächst verweist er – in Übereinstimmung mit der oben erwähnten Theorie einer natürlichen und gleichmäßigen Entwicklung der menschlichen Vermögen – darauf, dass sich eine zu frühe intel- lektuelle ‚Verbildung‘ negativ auf die natürliche und ausgeglichene Entwicklung des Kindes aus- wirke. Die eigene, empirisch-‚handfeste‘ Erfah- rung des Kindes darf, solange dieses sich noch im frühen Entwicklungsstadium befindet, nicht durch Bücherwissen verdrängt werden: Um „Ver- stand“ und „Herz“ der Kinder angemessen zu bilden, „wird es weit nützlicher seyn, wenn wir sie nur bey unerkünstelter Munterkeit zu erhal- ten suchen, ihnen Zeit und Gelegenheit zu eige- ner Geschäfftigkeit geben, uns viel mit ihnen zu

55 „ANGEMESSENE NAHRUNG UND VERSTÄNDLICHER VORTRAG FÜR DEN JUGENDLICHEN GEIST“ eigentlichen Sinne methodische Hinweis: „Saget genuss. Sind beim Zögling „Gierigkeit“ und „Un- den Kindern nicht, daß sie die Buchstaben, das mäßigkeit“ zur Gewohnheit geworden – und hat Buchstabiren und das Lesen lernen sollen, son- sich die ‚natürliche‘ Strafe wiederholter Bauch- dern saget ihnen, daß ihr das Buchstabenspiel und schmerzen als unwirksam erwiesen –, dann ist es nachher das Silbenspiel mit ihnen spielen wollt.“21 am Erzieher, einzugreifen und zu sagen: „Du hast Alle weiteren methodischen Anweisungen neh- dir den Magen verdorben, du mußt also Rhabar- men sich aus wie Ergänzungen oder Präzisierun- ber nehmen! Oder, du bist krank, du darfst also gen einer Spielanleitung. So muss die Teilnahme heute nicht ausgehen, nicht mit den andern im am „Buchstabenspiel“ freiwillig sein; Spieleifer Garten spielen, dich nicht beschäftigen!“28 Wenn, und Wissbegierde vertragen sich nicht mit Zwang. so führt Campe aus, dem Kind „dieser Tag durch Der Erzieher kann und soll sich vielmehr eines Langeweile und untätiges Stillsitzen zu einem der Tricks bedienen, um das Interesse der Kinder zu unangenehmsten seines Lebens würde, indes sei- wecken. Campe rät ihm, sich bereits einige Tage ne Kameraden der jugendlichen Freuden mehr vor der Einführung des „Buchstabenspiels“ mit als gewöhnlich genössen“,29 so ist einerseits der einem anderen, ähnlichen Spiel zu befassen: „Dies ‚natürliche Zusammenhang‘, der die Strafe mit wird die Folge haben, daß sie [die Kinder] sich dem Vergehen verbinden und so deren Ein- von dem Buchstabenspiele eben dasselbe Vergnü- sichtigkeit gewährleisten soll, gewahrt, und an- gen versprechen, welches ihnen diese vorberei- dererseits das natürliche ‚Strafmaß‘ auf ein wirk- tenden Spiele gewährten, und daß sie also auch sames Maß angehoben. eben so begierig seyn werden, es mit euch zu spie- len.“22 Beendet werden sollte das Spiel, „wenn Stoff, Stil und Sprache die Lust der Kinder am höchsten gestiegen ist“, Bislang ist vornehmlich von den Vorreden der denn so werden „sie kaum die Zeit [...] erwarten Kinderbücher Campes die Rede gewesen. In den können, da wieder von neuem gespielt werden Fabeln, Erzählungen, Romanen und Gedenk- soll“.23 Macht das Kind beim Spiel einen Fehler, sprüchen, dem eigentlichen Inhalt der Bücher so darf es nicht zurechtgewiesen oder gar gestraft also, lassen sich verschiedene Strategien der Um- werden. Campe empfiehlt vielmehr, man solle setzung theoretischer und methodischer Reflexi- über den Fehler „als über eine poßirliche Sache“ on nachweisen. Mit Hans-Heino Ewers kann lachen und ihn anschließend „mit möglichster man hier die Ebenen des Stofflichen, des Stils und Freundlichkeit“ verbessern.24 der Sprache unterscheiden.30 Für die Stoffe gilt, Seinem Verhältnis zum Strafen hat Campe dass sie dem möglichen Erfahrungskreis der Kin- eine eigene Abhandlung gewidmet. In Über das der entnommen oder auf diesen zurückgeführt Zweckmäßige und Unzweckmäßige in den Beloh- sein sollen. Bevorzugt wird die Schilderung an- nungen und Strafen (1788) werden drei verschie- schaulicher, ‚sinnlicher‘ Sachverhalte, abstrakte dene Typen von Belohnungen und Strafen un- und ‚unsinnliche‘ Zusammenhänge treten in den terschieden: Erstens gibt es „natürliche“ Strafen, Hintergrund. Wie dies auch für psychologische welche „die notwendigen guten oder bösen Fol- Zusammenhänge möglich ist, zeigt folgender gen der Handlungen [sind], welche ohne Zutun Ausschnitt aus Campes Kleine Selenlehre für Kin- eines Oberherrn oder Richters von selbst entste- der (1780), in der die Beschaffenheit der Seele hen“; so wird beispielsweise „Unmäßigkeit“ im Gegenstand des Gesprächs zwischen Vater und Nahrungsmittelgenuss durch Bauchschmerzen Kindern ist: ‚bestraft‘.25 Zweitens gibt es „positive“ Strafen, bei „So viel, meine Lieben, habt ihr doch alle wohl denen das Kind „mit Schlägen oder Gefängnis schon längst gewußt, daß nicht dieser unser Leib, gezüchtigt“ wird.26 Von diesem zweiten, drasti- sondern vielmehr unsere Sele es sei, die da lebt schen Straftyp rät Campe, darin Rousseau fol- und thut alles, was wir vornehmen; nicht? gend, energisch ab. Ist der Erzieher gezwungen Johannes. O ja! – Wenn die Sele aus dem Leibe zu strafen, so soll er sich vielmehr an den dritten heraus ist, so liegt er ja da, als ein Klumpen Straftypus halten: die „vermischten, d. i. halb- Fleisch, und kan sich gar nicht mehr bewegen. natürlichen und halbpositiven“ Strafen.27 Diese Vater. Ganz recht; aber wie werden wir es denn intensivieren eine ‚natürliche‘ Strafe und verstär- nun wohl anfangen, um die Sele, die in diesem ken so deren pädagogischen Nutzen. Campes Leibe verborgen ist, kennen zu lernen? – Wie? Beispiel ist erneut der übermäßige Lebensmittel- Wenn einer von euch so gut sein wolte, sich den

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Leib vom Kopf bis zu den Füßen aufschneiden Literaturverzeichnis: zu lassen, damit wir Andern hinein sehen und BLANKERTZ, HERWIG (HRSG.): Bildung und Brauch- bemerken könten, was für ein Ding seine Sele barkeit. Texte von Joachim Heinrich Campe wohl eigentlich sein mag? und Peter Villaume zur Theorie utilitärer Er- Alle. Ei, großen Dank! Das Schneiden thut weh. ziehung, Braunschweig 1965. Diderich: Ja, und was würd’ es uns auch helfen? CAMPE, JOACHIM HEINRICH: Bilder-Abeze. Mit 23 Die Sele kriegten wir ja doch nicht zu sehen! Die Fabeln und illuminierten Kupfern [1778], kan ja nicht gesehen werden.“31 hrsg. und mit einem Nachwort von Dietrich Der komplizierte Sachverhalt der Immaterialität Leube, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1984. der Seele wird hier gewissermaßen ‚handgreiflich‘ CAMPE, JOACHIM HEINRICH: Robinson der Jünge- veranschaulicht. Der Duktus des Gesprächs er- re, zur angenehmen und nützlichen Unterhal- innert dabei an Sokratische ‚Hebammenkunst‘: tung für Kinder [1779], nach dem Erstdruck Der Vater sucht durch geschicktes Fragen und hrsg. von Alwin Binder und Heinrich Ri- Antworten die dem kindlichen Verständnis an- chartz, Stuttgart 1981. gemessenen – da bereits in den Kindern liegen- CAMPE, JOACHIM HEINRICH: Über das Zweckmä- den – Erkenntnisse hervorzulocken. Stil und Spra- ßige und Unzweckmäßige in den Belohnungen che sind bewusst einfach gehalten. Es dominie- und Strafen [1788], hrsg. von Albert Reble, ren einfache, klare Sätze, das Muster von Frage Bad Heilbrunn/Obb. 1961. und unmittelbar darauf folgender Antwort ver- EWERS, HANS-HEINO: Joachim Heinrich Campe als langt zudem keine längeren Aufmerksamkeits- Kinderliterat und Jugendschriftsteller, in: und Konzentrationsspannen. Interjektionen („O“, POHLMANN 1996, S. 9–32. „Ei“), Wortwahl und Syntax nähern den Dialog EWERS, HANS-HEINO (HRSG.): Kinder- und bewusst dem Sprachverhalten von Kindern an.32 Jugendliteratur der Aufklärung. Eine Text- Das Lernen, so kann man die Grundsätze der sammlung. Bibliographisch ergänzte Aufl., pädagogischen Methode Campes zusammenfas- Stuttgart 1990. sen, soll den Zöglingen leicht gemacht werden FERTIG, LUDWIG: Campes politische Erziehung. Eine und angenehm sein. ‚Erziehung‘ versteht sich als Einführung in die Pädagogik der Aufklärung, Unterstützung dessen, was die Natur angelegt hat Darmstadt 1977. und dementsprechend am besten in Übereinstim- POHLMANN, CAROLA U.A. (HRSG.): „Erfahrung mung mit natürlichen Parametern funktioniert. schrieb’s und reicht’s der Jugend“. Joachim Hein- Es nimmt daher nicht Wunder, dass Campe sein rich Campe als Kinder- und Jugendschriftstel- Leben rückblickend in das Zeichen des Gärtners ler (Staatsbibliothek zu Berlin – PK, Aus- rückt. Sein Epitaph, das er selbst entworfen hat, stellungskataloge, Neue Folge 17), Berlin lautet folgendermaßen: 1996.

Hier ruhet Anmerkungen nach einem Leben voller Arbeit und Mühe 1 Die Vorreden der Kinder- und Jugendbücher zum erstenmale Campes sind im von Carola Pohlmann, Rüdiger der Pflanzer Steinlein, Hans-Heino Ewers, Joachim Staron und Joachim Heinrich Campe. Susann Ortleb besorgten Katalog zur Ausstellung Er pflanzte Erfahrung schrieb’s und reicht’s der Jugend, die an- wenngleich nicht immer lässlich des 250. Geburtstages Campes im Jahr mit gleicher Einsicht und mit gleichem Glück, 1996 Bestände der Staatsbibliothek zu Berlin zeig- doch immer te, in chronologischer Reihenfolge neu abgedruckt mit gleichem Eifer und mit gleicher Treue und werden nach dieser verdienstvollen Ausgabe Bäume in Gärten und Wälder, zitiert. Wörter in die Sprache und 2 Die Schrift erschien 1785 in der Allgemeinen Re- Tugenden in die Herzen der Jugend. vision des gesamten Schul- und Erziehungswesens, Wanderer! dem sogenannten „Revisionswerk“, das Campe Hast du ausgeruht unter seinen Bäumen, zwischen 1785 und 1792 herausgab. Insgesamt so gehe hin veröffentlichte Campe fünf eigene Abhandlungen und thue desgleichen!33 im Revisionswerk, dessen Anspruch es war, das

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gesamte Erziehungswesen des achtzehnten Jahr- (s. oben, Anm. 3). hunderts kritisch zu bilanzieren. Umsetzen ließ sich 11 Dieser Gedanke findet sich auch in Robinson der dieser gewaltige Anspruch indessen nicht, und das Jüngere, zur angenehmen und nützlichen Unterhal- Revisionswerk blieb auf den ersten, theoretischen tung für Kinder 1779 (Exp.-Nr. 72). Der Held Ro- Teil (dem ein praktischer Teil hätte folgen sollen) binson hat zwar in Hamburg eine gewisse Ausbil- beschränkt. Der Text Von der nötigen Sorge ist wie- dung – er beherrscht unter anderem das Engli- der abgedruckt in Blankertz 1965. Zitate folgen sche – genossen (vgl. S. 31). Diese ist jedoch ein- dieser Ausgabe. seitig: Robinson fehlt es, wie die in der Rahmen- 3 Ebd. S. 57f. handlung auftretende Figur des Vaters am ersten 4 Ebd. S. 59. Abend ausführt, an „Geschiklichkeit“, die erfor- 5 Ebd. S. 39f. derlich ist, „[w]enn man in Laendern sein Glueck 6 Ebd.; vgl. auch ebd., S. 60ff. machen“ will (S. 22; die Zitate folgen der Ausga- 7 Ebd. S. 64. be Campe 1981; vgl. auch das Nachwort von 8 Campe sucht der Überzeugung, dass die Kindheit Alwin Binder, S. 408). in verschiedene Stufen einteilbar sei, denen jeweils 12 Pohlmann 1996, S. 111f. ein besonderer Buchtyp zu entsprechen habe, 13 Nach Blankertz 1965, S. 47. durch die Zusammenstellung seiner Kinderbücher 14 Vgl. Fertig 1977, zum hier diskutierten Zusam- Rechnung zu tragen. In der Vorrede der Samm- menhang insbes. Kap. II.2 („Der Traum vom gan- lung interessanter und durchgängig zweckmäßig ab- zen Menschen“). gefasster Reisebeschreibungen für die Jugend (1786) 15 „Aus dem Zeichen des Trichters hinaus war die heißt es dementsprechend: „Die zwölf ersten Bänd- Pädagogik auf ihrem Wandelgange in das der Pum- chen der Kinderbibliothek waren für drei Perio- pe gerückt.“ – Mit diesen Worten charakterisiert den der Kindheit, d. i. für sechs- zehn und zwölf- Ludwig Göhring das didaktische Prinzip der Auf- jährige Kinder bestimmt, und hatten eine sich klärungspädagogik. Zitiert nach dem Nachwort hierauf beziehende Abtheilung erhalten“ (Vorre- von Dietrich Leube, in: Campe 1984, S. 72. den, S. 113). Zum Zeitpunkt der Reisebeschrei- 16 Die vollständige Titelei lautet Neue Methode, Kin- bungen, so wird aus dem Folgenden deutlich, der auf eine leichte und angenehme Weise Lesen zu nimmt Campe vom Gedanken, es solle im Kin- lehren, nebst einem dazu gehörigen Buchstaben- und desalter überhaupt eine „litterarische Bildung“ ge- Silbenspiele in sechs und zwanzig Charten, und ei- ben, indessen Abstand. So heißt es: „Allein nach ner Vorrede, welche jeder lesen muss, der dieses Bü- meiner jezigen auf reifere Erfahrung gegründeten chelchen gebrauchen will, Altona 1778. Ueberzeugung sollte die litterarische Bildung der 17 Pohlmann 1996, S. 74. Kinder erst am Ende der Kindheit ihren Anfang 18 Ebd. nehmen. Ich konnte also für junge Kinder nichts 19 Ebd. S. 75. mehr schreiben, weil ich jezt auf das innigste über- 20 Ebd. zeugt bin, daß alles Lesen und schulmäßige Ler- 21 Ebd. S. 76. nen diesem Alter zuverläßig schädlich, und dem 22 Ebd. S. 77. Gange, den die Natur bei der Entwickelung der 23 Ebd. Kindheit beobachtet, allemal zuwider ist“ (Ebd., 24 Ebd. S. 113f.). Der hier berichtete Wandel seiner Über- 25 Campe 1961, S. 18f. Es handelt sich um einen zeugung – aus dem eine verstärkte Hinwendung der Beiträge, die Campe selbst für das „Revisions- zu Rousseau spricht – hat Campe freilich nicht werk“ beigesteuert hat (s. oben, Anm. 3). Die Ab- davon abgehalten, seine früheren Schriften für handlung ist als Reprint zugänglich, s. Campe Kinder in seine Gesamtausgabe aufzunehmen; vgl. 1961, und wird hier nach dieser Ausgabe zitiert. auch Ewers 1996, S. 29f., sowie die Einleitung in 26 Ebd. S. 19. Ewers 1990, S. 37f. 27 Ebd. S. 21. 9 Pohlmann 1996, S. 89. 28 Ebd. 10 Ebd. Campe hat den Gefahren einer „frühreifen 29 Ebd. S. 21f. intellektuellen Ausbildung“ (ebd. S. 88) eine ei- 30 Vgl. zum Folgenden Ewers 1990, S. 38–45. gene Abhandlung gewidmet. Erschienen ist Über 31 Die Kleine Selenlehre für Kinder ist in Ausschnit- die große Schädlichkeit einer allzufrühen Ausbildung ten abgedruckt in Ewers 1990, S. 184–190. Zi- der Kinder (1786) ebenfalls im „Revisionswerk“ tiert nach ebd., S. 184f.

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32 Erreicht wird dieser Effekt ferner durch die Aus- Sie antworten mit einem Verweis auf die damit rufe, die kindliche Impulsivität anzeigen. Auch nei- verbundenen Schmerzen und begründen so ihre gen die Kinder offenbar dazu, die rhetorische Fra- Ablehnung, die eigentlich keiner Begründung be- ge des Vaters, ob sich nicht eines der Kinder auf- darf. schneiden lassen wolle, wörtlich zu nehmen. 33 Zitiert nach Fertig 1977, S. 2.

Exponate 13–56 Nebst Beylagen. Hannover, bei Johan Christoph Rich- ter 1749. – 47 S. 22,5 x 18,5 cm. Widmung an die „Teutsche königl. Gesellschaft Göt- 13 Johann Elias Ridinger: tingen“, die spätere Göttinger Deutsche Gesellschaft. Lehrreiche Fabeln aus dem Reich der Thiere zur Ver- Fein, Garnisonsprediger in Hameln, war seit 1748 besserung der Sitten und zumal zum Unterrichte der Ehrenmitglied der Gesellschaft. Jugend neu entworfen. Erster Versuch. Herausgege- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen ben von Johann Elias Ridinger, Maler in Augsburg, Der Autor erzählt die Fabel anhand einiger Quellen. 1744. – 50 ungez. S. 20 Tfl. 42 x 27 cm. Das Original einer alten Karte, die das Stadtgebiet und [Paralleltit. Latein.:] Fabularum moralium ab anima- die Gegend um Hameln zeigt, zählt zu diesen Quel- libus petitarum incrementis sapientiae naturalis et len. Ein steinernes Denkmal, aus dem damals neuen moralis, itemque emendationi et informationi animo- Tor nach Hameln, ist für ihn eine weitere Quelle. Fein rum iuvenilium dicatarum sylloge prima. leitet die Fabel mit den Worten ein: „Die Stadt Ha- [Paralleltit. Französ.:] Fables morales tirées du royaume meln nennen, heißet bei Fremden schon so viel, als des animaux, pour servir a la correction des moeurs, et die Gedanken von den unglücklichen Kindern rege particulierement a l’instruction de la jeunesse nouvel- machen“ (S.7). Der Rattenfänger, die verlorenen Kin- lement dessinées, premiere partie. der und die Stadt Hameln bilden auch heute noch Enthält 20 kurze Fabeln, Text in deutsch, lateinisch eine gedankliche Verbindung. und französisch. Jede Fabel ist illustriert mit einem A.B. großformatigen schwarz-weißen Kupferstich. Texte von Barthold Hinrich Brockes (1680–1747). 15 Joachim Heinrich Campe: Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Sämmtliche Kinder- und Jugendschriften von Joachim Auf jeder Textseite dieses Buches befindet sich je eine Heinrich Campe. – Ausgabe der letzten Hand. [Bde. Fabel in den oben aufgeführten drei unterschiedlichen 1–4, 7–15, 18–28.] – Braunschweig: In der Schul- Sprachen. Unterhalb des Textes sind sehr schöne Vig- buchhandlung, 1807. – 14 x 9 cm. netten zu sehen. Die dazugehörigen Kupfertafeln sind 1. Abeze- und Lesebuch. Mit vierundzwanzig Kup- von Johann Elias Ridinger gezeichnet. Es handelt sich fern. – 300, (6) S. [Nebent:] Neues Abeze- und hier um sehr gelungene Textergänzungen. Die darge- Lesebuch mit vielen schönen Bildern stellten Tiere sowie die sie umgebende Natur sind sehr 2. Kinderbibliothek. 1. Theil. Mit einem Kupfer. – detailliert und sorgfältig gearbeitet. Besonders auffäl- XII, 228 S. [Kupfer fehlt.] lig ist die Beweglichkeit der Tiere, die dem ganzen eine 3. Kinderbibliothek. 2. Theil. Mit einem Kupfer. – voluminöse und sehr lebendige Note gibt. VIII, 255 S. A.B. 4. Kinderbibliothek. 3. Theil. Mit einem Kupfer. – VIII, 280 S. 14 Christoph Friedrich Fein: 7. Kinderbibliothek. 6. Theil. Mit einem Kupfer. – Die entlarvete Fabel vom Ausgange der Hämelschen VIII, 268 S. Kinder, Eine nähere Entdekkung der dahinter verbor- 8. Seelenlehre für Kinder. Mit fünf Kupfern. – XXIV, genen wahren Geschichte. Von C. F. Fein. La mytho- 191 S. 2 Falttafeln. logie & les fables expliquables par l’ histoire. Banier. 9. Sittenbüchlein für Kinder. Mit einem Kupfer. –

59 „ANGEMESSENE NAHRUNG UND VERSTÄNDLICHER VORTRAG FÜR DEN JUGENDLICHEN GEIST“

(4) 223 S. 18–28 Frontispize: in Bändchen 20, 22, 24 (koloriert), 10. Robinson der Jüngere. 1. Theil. Mit (2) Kupfern. 26 und 27 unsigniert, in Bändchen 18 und 28 von J. – 232 S. P. Veith, in Bändchen 19 und 21 von J. Gerstner und 11. Robinson der Jüngere. 2. Theil. Mit (5) Kupfern. in Bändchen 23 und 25 von F. A. Brückner gestochen, – S. 233–523. in Bändchen 22 eine Faltkarte (Südsee), von T. A. 12. Entdeckung von Amerika. 1. Theil. Mit (2) Kup- Pingeling gestochen und in Bändchen 28 eine fern, [davon l Faltkt.]. – XIV, 328 S. unsignierte Faltkarte (Sibirien). 13. Entdeckung von Amerika. 2. Theil. Mit (2) Kup- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen fern, [davon l Faltkt.]. – 302 S. Die insgesamt 28 Bände – die Bände 5, 6, 16 und 17 14. Entdeckung von Amerika. 3. Theil. Mit (2) Kup- fehlen in der vorliegenden Sammlung – der Ausgabe fern, [davon l Faltkt.]. – 271 S. der letzten Hand entsprechen in der Anordnung 15. Klugheitslehren. Mit einem Kupfer. – VIII, 213 S. Campes Überzeugung, dass Kindheit und Jugend in 18. Erste Sammlung merkwürdiger Reisebeschreibun- verschiedene Stufen einteilbar seien, denen jeweils ein gen. 2. Theil. Mit einem Kupfer. – 342 S. besonderer Buchtyp entsprechen müsse. Der erste 19. Erste Sammlung merkwürdiger Reisebeschreibun- Band, das Abeze- und Lesebuch, richtet sich entspre- gen. 3. Theil. Mit einem Kupfer. – 310 S. chend an Kinder, Bde. 2–7 enthalten die Kinder- 20. Erste Sammlung merkwürdiger Reisebeschreibun- bibliothek mit moralisch belehrenden Dialogen, Ge- gen. 4. Theil. Mit einem Kupfer. – 300 S. dichten und Geschichten. Bd. 8 enthält die Seelenlehre 21. Erste Sammlung merkwürdiger Reisebeschreibun- für Kinder, Bd. 9 das Sittenbüchlein für Kinder. Die gen. 5. Theil. Mit einem Kupfer. – 312 S. Bde. 10 und 11 enthalten Robinson der Jüngere, Bde. 22. Erste Sammlung merkwürdiger Reisebeschreibun- 12–14 die dreiteilige Entdeckung von Amerika. Bd. 15 gen. 6. Theil. Mit einem Kupfer [richtig: 2 Kup- enthält Klugheitslehren, die restlichen (vorhandenen) fern, davon l Faltkt.]. – 299 S. Bde. umfassen die Erste Sammlung merkwürdiger Rei- 23. Erste Sammlung merkwürdiger Reisebeschreibun- sebeschreibungen. Spätere Auflagen der Ausgabe (unter gen. 7. Theil. Mit einem Kupfer. – 332 S. dem Titel Neue Gesamtausgabe der letzten Hand) wur- 24. Erste Sammlung merkwürdiger Reisebeschreibun- den um weitere Bände, insbesondere mit Reisebeschrei- gen. 8. Theil. Mit einem Kupfer. – 322 S. bungen, ergänzt. 25. Erste Sammlung merkwürdiger Reisebeschreibun- T.K. gen. 9. Theil. Mit einem Kupfer. – 292 S. 26. Erste Sammlung merkwürdiger Reisebeschreibun- 16 Joachim Heinrich Campe: gen. 10. Theil. Mit einem Kupfer. – 276 S. Sittenbüchlein für Kinder. Zur allgemeinen Schulen- 27. Erste Sammlung merkwürdiger Reisebeschreibun- cyclopädie gehörig. Von Joachim Heinrich Campe. – gen. 11. Theil. Mit einem Kupfer. – 252 S. Neunte rechtmäßige Auflage. – Braunschweig: in der 28. Erste Sammlung merkwürdiger Reisebeschreibun- Schulbuchhandlung, 1813. – 223 S. 14 x 9 cm. gen. 12. Theil. Mit einem Kupfer [richtig: 2 Kup- Titelkupfer von Wilhelm Arndt. fern, davon l Faltkt.]. – 311 S. Die erste Auflage erschien 1777. In Bändchen l fehlt das Frontispiz. Mit 6 Tafeln von Vordemann-Sammlung W. Arndt nach Junge, die übrigen 17 Tafeln sind un- In kleinen Erzählungen und theoretischen Überlegun- signiert, alle Kupfer sind koloriert; in den Bändchen gen führt der Vater einer fiktiven Familie seinen Kin- 2–7 unsignierte Frontispize; in Bändchen 8 unsigniertes dern die sittlich-moralischen Verhaltensnormen eines Frontispiz und 16 unsignierte Abbildungen auf 4 Falt- emanzipierten christlichen Bürgertums in höchst kon- tafeln; in Bändchen 9 Frontispiz, gestochen von Arndt; zentrierter Form vor. Auch kleinere Sünden werden in Bändchen 10 Frontispiz nach D. Chodowiecki und ausführlich dargestellt; damit wird das Buch zum Tu- eine Tafel von J. J. Coiny; in Bändchen 11 Frontispiz gend-Katalog im wörtlichen Sinne. und ein Kupfer von Hulk nach F. L. Catel, eins von C. M.H. Tardieu l’ainé nach Catel, eins von Coiny und ein unsigniertes; in Bändchen 12 unsigniertes Frontispiz 17 Joachim Heinrich Campe: und Faltkarte (Karibik); in Bändchen 13 unsigniertes Sämmtliche Kinder- und Jugendschriften von Joachim Frontispiz und Faltkarte (Mexiko), von C. F. Vonder- Heinrich Campe. – Vierte Gesammtausgabe der letz- four gestochen; in Bändchen 14 unsigniertes Fronti- ten Hand. Achtes Bändchen. – Braunschweig: Verlag spiz und Faltkarte (Südamerika); in Bändchen 15 Fron- der Schulbuchhandlung, 1831. tispiz von C. Frosch nach Geissler, in den Bändchen 8. Seelenlehre für Kinder. Nebst siebzehn Kupferta-

60 JOACHIM HEINRICH CAMPE ALS PÄDAGOGE UND KINDERBUCHAUTOR feln. – In der Reihe die elfte Original-Auflage. – XVI, 20 Christian Gotthilf Salzmann: 184 S. 15 x 9,5 cm. Unterhaltungen für Kinder und Kinderfreunde von Titelkupfer von J. Jung. 4 Falttafeln mit je 4 Kupfern Chr. Gotth. Salzmann. Erster–Vierter Band [in 2 von Hofmann und David Burkhart. Bden.] neue durchaus umgearbeitete und verbesserte Vordemann-Sammlung Auflage. Leipzig: bei Fr. Chr. Wilh. Vogel, 1811–1812. „Sonach glaube ich annehmen zu dürfen, daß auch – 17 x 11 cm. der freieste Erzieher fremder Kinder wol nicht umhin 1. Mit 1 Kupfer. – 1811. – VIII, 268 S. könne, schon acht- bis zehnjährigen Kindern eine Art 2. 1811. – IV, 272 S. 1 Notenfaltbl. von zusammenhangender Unterweisung in der Reli- 3. Mit Kupfern. 1812. – IV, 248 S. gion und Sittenlehre zu geben, ungeachtet er sich, wenn 4. Mit Kupfern. 1812. – IV, 210 S. er weise ist, nach Möglichkeit bemühen wird, die ge- Jeder Band mit einem Kupferstich als Frontispiz, in lehrten Denkbande, die er dem jungen Geiste anlegen Bd. 1–3 von Friedrich L. Lehmann, gestochen von G. soll, so sehr er kann, zu verstecken“ (Vorrede zur ers- Nagel, Nürnberg (Bd. 1), G. Schule (Bd. 2) und ten Auflage). „Eine Seelenlehre für Kinder ist, wie ich Boettger, Dresden (Bd. 3). Bd. 4 mit unsigniertem wol nicht erst zu sagen nöthig habe, etwas ganz Ande- Frontispiz. res, als eine Seelenlehre für Männer; und von einer Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Seelenlehre für Vernunftforscher oder Philosophen ist Die achtbändige Sammlung von moralischen Beispiel- sie vollends himmelweit unterschieden. Sie maßt sich, geschichten, sokratischen Unterredungen, Briefwech- wie Jedermann sieht, keineswegs weiter etwas an, als seln, kleinen Lustspielen, Reisebeschreibungen, Lie- nur diejenigen Begriffe aus der Seelenlehre auf dem dern und Rätseln erschien erstmals zwischen 1778 und Wege der Erfahrung zu entwickeln, welche bei dem 1787. Außer den Schriften von Joachim Heinrich Zöglinge, als Vorbegriffe, vorausgesetzt werden müs- Campe und Christian Felix Weiße gab es zu der Zeit, sen, wenn er irgend eines zusammenhangenden und als die Unterhaltungen für Kinder und Kinderfreunde auf Vernunftwahrheiten gegründeten Unterrichts in der erschienen, kaum Unterhaltungsbücher für die klei- Religion und Sittenlehre fähig werden soll“ (Vorrede nen Leute. Darum hat sich der Autor Salzmann ent- zur dritten bis siebenten Ausgabe). Interessanterweise schlossen, nun ein weiteres Unterhaltungsbuch für handelt es sich bei allen Kindern, die in Gesprächs- Kinder zu schreiben (Vorwort IV). Die hier erzählten szenen unter Anleitung des Vaters Begriffe und Ge- kleinen Geschichten behandeln auf sehr moralische danken entwickeln, um Jungen. Im Vorwort zur ers- Art Situationen, die ein Kind im Alltag oft erlebt. Mal ten Auflage erläutert Campe seine Methodik. wird eine Feuersbrunst geschildert, mal ein Kirchweih- M.H. fest gefeiert. Salzmann verwandte die Briefform, die erzählende, die dialogische und die dramatische Form. 18 Christian Gotthilf Salzmann: A.B. Erster Unterricht in der Sittenlehre für Kinder von acht bis zehn Jahren. Von C. G. Salzmann. – Wohlfeile, 21 Christian Gotthilf Salzmann: unveränderte Ausgabe. – Schnepfenthal: in der Buch- Ueber die heimlichen Sünden der Jugend von Chris- handlung der Erziehungsanstalt, 1805. – (2) 274 S. tian Gotthilf Salzmann. Zwote verbesserte Auflage. 17,5 x 11 cm. Leipzig, bey Siegfried Lebrecht Crusius, 1787. – (4) Preisangabe auf dem Titelblatt: ‚8 gr. sächsisch‘. 336 S. 17 x 11 cm Die Erstausgabe erschien 1803. Titelblattillustration von Wendel. Auf dem Vorsatz- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen blatt handschriftliche Bemerkungen. Weitere Ausga- Siehe Kommentar nach Exp.-Nr. 29 ben vorhanden. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 19 Christian Gotthilf Salzmann: In dem Vorwort zur dritten Auflage beschreibt Salz- Bibliothek für Jünglinge und Maedchen Von C. G. mann, warum er es für notwendig hielt, dieses Büch- Salzmann Director der Erziehungsanstalt zu Schnep- lein zu schreiben. Er habe, so erklärt er, die „Teutschen fenthal. Wolfenbüttel, im Verlage der Schulbuchhand- auf ein Uebel aufmerksam gemacht“, das die Jugend lung 1787. – 5 (7) 400 S. 17 x 10,5 cm. von der Wurzel her verderbe. Durch sein Werk haben 8 Vignetten im Text. schon viele Kinder und Jugendliche gerettet werden Erstausgabe. können, denn es sei von Direktoren an Gymnasien, Vordemann-Sammlung Schulen, Erziehungsanstalten, Vätern und Hausleh- Siehe Kommentar nach Exp.-Nr. 29. rern gelesen worden.

61 „ANGEMESSENE NAHRUNG UND VERSTÄNDLICHER VORTRAG FÜR DEN JUGENDLICHEN GEIST“

Viele betroffene Menschen haben Salzmann zu die- – 15 x 11 cm. sem Thema Briefe geschrieben, die er in diesem Buch 1. Salzmanns Leben. – VIII, 135 S. [Nebent.]: Aus- an passenden Stellen veröffentlicht. Interessant ist ein feld, Joh[ann] Wilh[elm] und die ältesten Tochter anonymer Brief, in dem der Schreiber die Merkmale des Verewigten (Frau Lenz): Christian Gotthilf skizziert, aus denen zu ersehen ist, ob ein Kind an dem Salzmann, Gründer der Erziehungsanstalt zu Übel leidet. So will der Schreiber wissen, dass diese Schnepfenthal. Erinnerungen an dessen Leben von Kinder sehr blass seien, ihre Augen von schwarzen Rin- Ausfeld, Erzieher zu Schnepfenthal. – Dritte, von gen umgeben seien und ihr Körper schlaff und matt sei. Neuem bearbeitete Auflage. Mit der Vignette auf dem Titelblatt hat Salzmann sa- [2.] Joseph Schwarzmantel oder was Gott thut, das ist gen wollen: „Der Mann, der hier trauernd steht, ist wohlgethan. Ein Unterhaltungsbuch für die Ju- ein Baumgärtner, die Dinge die vor ihm stehen, sind gend von Christian Gotthilf Salzmann. – 200 S. seine Baumschule, die er sorgfältig pflanzte, und von [3.] Ameisenbüchlein oder Anweisung zu einer ver- ihr viele Früchte erwartete, die aber nun zu welken nünftigen Erziehung der Erzieher von C. G. Salz- anfängt; weil das Insekt, das im Vordergrunde kriecht, mann. – Stuttgart: Hoffmann, 1845. – VIII, die Maulwurfsgrille, lateinisch grylla talpa, genannt, 126 S. die Wurzeln zerfressen hat. Darüber trauert der Baum- In Bändchen 1 Porträt Salzmanns als Frontispiz von gärtner.“ (Vorwort). Siegle. A.B. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Siehe Kommentar nach Exp.-Nr. 29 22 Christian Gotthilf Salzmann: Sebastian Kluge ein Volksbuch von C. G. Salzmann. 25 Johann Christoph Friedrich GutsMuths: Leipzig 1790 bey Siegfried Lebrecht Crusius. – (10) Gymnastik für die Jugend. Enthaltend eine praktische 226 S. 18 x 10,5 cm. Anweisung zu Leibesübungen. Ein Beytrag zur nöthigs- Mit Frontispiz von Schubert und Heinrich Müller. ten Verbesserung der körperlichen Erziehung. Von Neuer Einband. Weiteres Exemplar aus demselben Jahr Gutsmuths Erzieher zu Schnepfenthal. Erste–Dritte und weitere Ausgabe vorhanden. Abtheilung. [In 3 Bden] Schnepfenthal, im Verlage Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen der Buchhandlung der Erziehungsanstalt. 1793. – Siehe Kommentar nach Exp.-Nr. 29 XVIII, (10) 663 S. (Durchgängige Zählung) Motto auf dem Titelblatt: ‚Ihr lehrt Religion, / ihr lehrt 23 Christian Gotthilf Salzmann: sie Bürgerpflicht, / Auf ihres Körpers Wohl und Bil- Conrad Kiefer, oder Anweisung zu einer vernünftigen dung seht ihr nicht.‘ T. 1 mit Frontispiz und 9 Kup- Erziehung der Kinder. Ein Buch fürs Volk von Chris- fertafeln von Johann Heinrich Lips, gestochen von tian Gotthilf Salzmann. – 4., verb. Aufl. – Stuttgart: Conrad Westermayr, T. 2 mit 7 Kupfern, T. 3 mit ei- Hoffmann, 1845. – 222 S. 15 x 11 cm. nem Frontispiz und einer Falttafel von J. F. C. Stoelzel Angebunden: gestochen. Christian Gotthilf Salzmann: Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Heinrich Gottschalk in seiner Familie oder erster Re- Siehe Kommentar nach Exp.-Nr. 29 ligionsunterricht für Kinder von 10 bis 12 Jahren, von C. G. Salzmann. – Stuttgart: Hoffmann, 1845. 26 Johann Christoph Friedrich GutsMuths: – 228 S. Spiele zur Übung und Erholung des Körpers und Geis- Angebunden: tes für die Jugend, ihre Erzieher und alle Freunde un- Christian Gotthilf Salzmann: schuldiger Jugendfreuden. Gesammelt und praktisch Heinrich Glaskopf. Ein Unterhaltungsbuch für die Ju- bearbeitet von Gutsmuths, Erzieher zu Schnepfenthal. gend von Christian Gotthilf Salzmann. – Stuttgart: Mit einem Titelkupfer und sechszehn kleinen Rissen. Hoffmann, 1845. – 168 S. Schnepfenthal, im Verlage der Buchhandlung der Er- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen ziehungsanstalt. 1796. – XVI, 492 (12) S. 17,5 x 11,5 Siehe Kommentar nach Exp.-Nr. 29 cm. Frontispiz von C. F. Stoelzel, nach Johann Heinrich 24 Christian Gotthilf Salzmann: Ramberg. 4 unsignierte Kupfertafeln mit Abbildun- Christian Gotthilf Salzmanns Volks-Jugendschrif- gen von Sportanlagen und -geräten. Sinnspruch auf ten. Einzig rechtmäßige Originalausgabe. – [Bänd- dem Titelblatt: ‚Ihr könnt fröhlich seyn und scherzen, chen 1–3, in 1 Bd.] – Stuttgart: Hoffmann, 1845. doch verscherzt die Unschuld nicht.‘

62 JOACHIM HEINRICH CAMPE ALS PÄDAGOGE UND KINDERBUCHAUTOR

Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen lingen // der Erziehungsanstalt // zu // Schnepfenthal Siehe Kommentar nach Exp.-Nr. 29 // Magdalena Salzmann // Friedrich Suden // Georg Abb. 20 Kneuper // Henry Marc // Friedrich Salzmann // Aus GutsMuths Gymnastik 27 Jakob Glatz: Mariane la Carriere // die sich durch ihren Fleis und für die Jugend (1793); Der zufriedne Jakob und sein Sohn von J. Glatz. Mit ihr gutes Betragen // den // Orden des Fleises // und illustriert mit Kupfertafeln einem Kupfer. Leipzig, bei Johann Georg Benjamin mit ihm das Recht zum Bücherlesen, // erwarben. // von Johann Heinrich Lips, Fleischer, 1799. – XII, 296 S. 16,5 x 11 cm. Zugeeignet von // dem Herausgeber.“ Salzmanns Ers- gestochen von Conrad Frontispiz von und nach Johann Caspar Weinrauch. ter Unterricht in der Sittenlehre für Kinder von acht bis Westermayr; Nr. 25. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Siehe Kommentar nach Exp.-Nr. 29

28 Jakob Glatz: Franz von Lilienfeld oder der Familienbund. Ein Buch für deutsche Söhne und Töchter, zur Weckung ihres Sinnes für stille Häuslichkeit und deutsche Redlich- keit und Treue von Jakob Glatz. – Leipzig: bey Fried- rich August Leo, 1811. – 350 S. 17 x 11 cm. Mit 3 Kupfern von Wilhelm Jury. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Siehe Kommentar nach Exp.-Nr. 29

29 Jakob Glatz: Neue Jugend-Bibliothek; oder belehrende und ange- nehme Unterhaltungen für die Jugend beyderley Ge- schlechts; zur Bildung und Veredlung ihres Geistes und Herzens. Von Jacob Glatz, k. k. Consistorial-Rathe. [Bändchen 2–3, 5–6] Wien, Bey Heubner und Volke, 1817. – 269 S. 19 x 12 cm. 2. – 212 S. 3. – 212 S. 5. – 239 S. 6. – 213 S. Jeder Band mit einem Frontispiz von Leopold Beyer. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen

Kommentar zu Exp.-Nr. 18–29 Salzmann (1744–1811) war Pfarrer in , Lehrer am Dessauer Philanthropin und erfolgreicher Schrift- steller. Er begründete 1785 die Erziehungsanstalt Gut Schnepfenthal bei Gotha, eine schnell bekannt gewor- dene Einrichtung mit vielen prominenten Besuchern. 1791 gab es dort 35, 1803 61 Schüler, adlige wie bür- gerliche Söhne, die nach Salzmanns Vorstellungen in einer großen Familie miteinander lebten. Salzmanns Bücher sind mit seinen Erfahrungen in Schnepfenthal eng verbunden. Er schrieb für Kinder und Erzieher, vor allem Erzählungen, und gilt heute als bedeutender Vertreter des Philanthropismus. Auch die Pädagogen Gutsmuths und Glatz waren in Schnepfenthal tätig, Gutsmuths von 1785–1839, Glatz von 1797–1804. Salzmanns Bibliothek für Jünglinge und Mädchen (Exp.- Nr. 19) trägt den gedruckten Vermerk: „Den // Zög-

63 „ANGEMESSENE NAHRUNG UND VERSTÄNDLICHER VORTRAG FÜR DEN JUGENDLICHEN GEIST“ zehn Jahren (Exp.-Nr. 18) ist ein Vorlesebuch, gedacht 1845 erschienenen Volks-Jugendschriften sind in für den frühen Religionsunterricht, der allerdings auf insgesamt sieben Bänden eine Auswahl der populärs- die Sittenlehre beschränkt wird. In insgesamt 44 Ab- ten Schriften; sie dokumentieren den Stellenwert, den schnitten mit durchgehender Handlung werden den Salzmann bis weit ins neunzehnte Jahrhundert hinein Kindern die „ihnen obliegenden Pflichten“ vorgeführt. gehabt hat. Die Sittenlehre entspricht dem ersten Band des Mora- Gutsmuths (auch GutsMuths), Theologe und Päda- lischen Elementarbuches (Exp.-Nr. 177-179). goge, wirkte jahrzehntelang im Geist des Philanthro- Salzmann wünscht sich, das Buch nicht den Kindern pismus in Schnepfenthal. Seine Gymnastik für die Ju- selbst in die Hand zu geben, weil es von ihnen zu gend (1793, Exp.-Nr. 25) ist ein „Beytrag zur nöthigs- schnell „als verbraucht“ angesehen werde; die Kinder ten Verbesserung der körperlichen Erziehung“ und die bemerken nicht die Lehren, „die in die Erzählung ge- erste sportpädagogische Publikation dieser Art. Bahn- hüllt sind“. Die Eltern mögen das Buch verschließen brechend werden seine Spiele zur Übung und Erholung und ganz im philanthropischen Sinn täglich daraus des Körpers und Geistes für die Jugend (1796, Exp.-Nr. vorlesen und eine gemeinsame „Unterredung“ herbei- 26). Das spielpädagogisch fundierte Werk enthält führen. Erst dadurch kommt es „zur angenehmen und „nicht nur Beschreibungen, sondern auch Beurthei- lehrreichen Unterhaltung“, die für beide, Eltern und lungen der einzelnen Spiele“. Der Verfasser beklagt: Kinder, so wichtig sei. „In Pädagogischer Hinsicht ist noch gar keine Samm- Ähnliches gilt für die Bibliothek für Jünglinge und Mäd- lung von Spielen veranstaltet“. „Schämten sich Gelehr- chen (Exp.-Nr. 19), eine Anthologie mit Fabeln, Ge- te, sie zu beschreiben?“ Dieser bemerkenswerten Hal- dichten, Idyllen von Gleim, Gesner, Hölty, Uz, Weiße tung entspricht die ausführliche pädagogische Einlei- und anderen und einem Trauerspiel. Durch die päda- tung; es folgen Bewegungsspiele, Aufmerksamkeits- gogische Zielsetzung der Auswahl sollen u.a. „die und Gesellschaftsspiele, Spiele zur Förderung des Ge- Mode, das Vorurtheil, der Luxus und das Laster“ ge- dächtnisses, der Fantasie und des Verstandes. mieden werden. Die Orientierung an der Natur als Auch Der zufriedne Jakob von Glatz (Exp.-Nr. 27) ist „Ersten Unterrichters der Kinder“ (Vorwort) und an in Schnepfenthal entstanden. Es ist ein Buch für „Jüng- praktischer Arbeit erinnert an Rousseau. linge“. In der Vorrede heißt es: „Ich wollte keinen Mit seinem Buch Ueber die heimlichen Sünden der Ju- Roman, kein ästhetisches Kunstwerk liefern; in einem gend (1787, Exp.-Nr. 21) reiht sich Salzmann ein in einfachen Gewand wollte ich dem Leser einige Wahr- den Kampf der Pädagogen gegen die Masturbation, heiten ans Herz legen, auf seine Gesinnung wirken die er als eine „Pest“ bezeichnet. Er will die rasenden und gute Vorsätze, Sinn für Redlichkeit“ und „für das, Ausschweifungen bei Jünglingen wie Mädchen be- was gut und schön ist“, hervorbringen. Die Haupt- kämpfen, die in den jungen Menschen Zerstörungen person kommt aus dem niederen Stand: „Auch in den und Verwüstungen anrichten. Sebastian Kluges Lebens- niedern Ständen können treffliche Worte gehört, gro- geschichte (Exp.-Nr. 22) ist eine Vorbildgeschichte, Kin- ße Tugenden gefunden werden.“ dern erzählt. Glatz (1776-1831) hat zahlreiche Bücher für Kinder Zu Beginn heißt es: und Jugendliche geschrieben und war im frühen neun- „Vor einiger Zeit lernte ich einen alten Mann kennen, zehnten Jahrhundert einer der bekanntesten Jugend- der hieß Kluge. Von dem wußte das ganze Dorf, daß schriftsteller. Seine Neue Jugendbibliothek (1817, Exp.- er in der Jugend vor der Thür sein Brod gesucht hatte, Nr. 29), mit einem Untertitel ganz im Geist Schnep- und nun hatte er nicht nur selbst sein reichliches Aus- fenthals und des Philanthropismus, beginnt in Band 2 kommen, sondern konnte auch vielen andern Leuten mit einer „Rückerinnerung an eine Reise von Schnep- gutes thun. Ich fragte ihn: ‚Nachbar Kluge, sagt mir fenthal nach dem nördlichen Ungarn“, die der Verfas- nur, wie Ihr es angefangen habt, daß Ihr jetzt in so ser im Jahre 1804 unternommen hatte. Er spricht von guten Umständen seid, da es Euch doch in der Jugend Schnepfenthal als „dem Zirkel treuer Freunde“, „dem so trübselig ging?‘ Er lächelte, drückte mir freundschaft- Kreise einer zahlreichen muntern Jugend“. Dem au- lich die Hand, und sagte: ‚Wenn Er zuhören will, so tobiografischen Kapitel schließen sich in bunter Folge will ich Ihm alles erzählen.‘“ erzählende und sachliche Texte, Rätsel, weise Sprü- Salzmann gilt als guter Erzähler und hat verschiedene che, naturhistorische und technische Unterhaltungen, Romane, auch für erwachsene Leser, verfasst. Joseph Charaden, Anekdoten an – eine Mischung, die aus Schwarzmantel und Heinrich Glaskopf richten sich an Zeitschriften und Anthologien früherer Jahre längst Jugendliche, Conrad Kiefer („Anweisung zu einer ver- bekannt war und Erfolg versprach. nünftigen Erziehung der Kinder“) an Erzieher. Die W.W.

64 JOACHIM HEINRICH CAMPE ALS PÄDAGOGE UND KINDERBUCHAUTOR

30 Georg Karl Claudius: Abb. 21 Neue Unterhaltungen für Kinder. – Drittes Bändchen. Frontispiz von Gutsmuths, Spiele zur Übung Von Georg Carl Claudius. – Hamburg: bei B. G. Hoff- und Erholung (1796); illustriert von Christian mann, 1800. – X. 355 (1) S. 16,5 x 10,5 cm. Friedrich Stölzel nach Johann Heinrich Ein Titelkupfer und eine Titelvignette von Gottlob Ramberg; Nr. 26. Boettger [sen.]. Zum Titelkupfer bemerkt Gutsmuths: „Die Die Erstausgabe der drei Bände erschien 1793–1800. Erziehung, in schöner weiblicher Gestalt, an Vordemann-Sammlung den Altar der Natur gelehnt, neben ihrer Lyrisches, Episches und Dramatisches ist in lockerer Rechten das Symbol der BILDUNG, in ihrer Folge zusammengestellt; einige Abschnitte sind Fort- Linken das der LEITUNG, wacht über die setzungen aus dem ersten Bändchen. Anekdoten, Fa- Spiele der unschuldigen Kinder.“ beln und Epigramme dienen der moralischen Beleh- rung. Der Philanthrop Claudius bemüht sich um ein methodisch angemessenes Vorgehen: In Familien- szenen ziehen die Kinder ihre Lehren unter zurück- haltender Anleitung des Vaters selbst; in anderen Fäl- len bleibt dies den Lesern überlassen. M.H.

31 August von Rode: Briefwechsel einiger Kinder. Dessau, Bey Heinrich Heybruch, 1776. – XII, 119 S. 16 x 10 cm. Ohne Verfasserangabe. Mit einer unsignierten Titelvi- gnette. Weitere Ausgabe vorhanden. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Rode (1751–1837) war u.a. Erzieher des Erbprinzen Friedrich von Anhalt-Dessau. Sein Briefwechsel einiger Kinder hat zum Ziel, den „Kindern nicht sowohl ein Muster, als vielmehr ein Beyspiel von einer Schreibart zu geben, welche in jedem Alter nicht minder ange- nehm als nützlich ist“ (Vorrede). „Die Moral“, die in die Briefe „hineingewebt ist, muß mehr in den Bey- spielen, als in den Worten bestehen“. Der fiktionali- sierte Briefwechsel der Kinder Carl und Sophie (zwi- schen März 1754 und September 1761) hat in phil- anthropischem Geist u.a. Kinder als Vorbilder im Sinn; spielerisches Lernen ist von besonderer Bedeutung. Die Themen entstammen verschiedenen Bereichen des all- täglichen Lebens und sind auf die zukünftigen Rollen als Erwachsene ausgerichtet. W.W.

32 Johann Gottlieb Schummel: Kinderspiele und Gespräche. Erster–Dritter Theil. [In 3 Bden.] Leipzig, bey Siegfried Lebrecht Crusius. 1776–1778. – 16,5 x 10,5 cm. 1. 1776. – XXVI, 292 S. 2. 1777. – 342 S. 3. 1778. – VIII, 452 S. Ohne Verfasserangabe. In allen Teilen gestochenes Frontispiz und Titelvignette; in T. 1 von und nach D. Chodowiecki, T. 2 und 3 unsigniert. T. 1 ist Rochow,

65 „ANGEMESSENE NAHRUNG UND VERSTÄNDLICHER VORTRAG FÜR DEN JUGENDLICHEN GEIST“

T. 2 Weiße, T. 3 Engel gewidmet. Haushalt, durch Feuer, Schießpulver, übermütiges Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Kinderspiel, Einbrechen auf dem Eis, Unterkühlung Schummel (1748-1813), Theologe, Lehrer am Gym- und Essen von giftigen Pflanzen usw. nasium in Breslau, wünscht sich laut Vorrede, dass die A.B./W.V. Kinder sein dreibändiges Werk „nicht ganz ohne Ver- gnügen und Nutzen lesen“. Es enthält vor allem szeni- 35 Karl von Eckartshausen: sche Texte als Spielvorlage für Kinder, die Schummel Ueber Religion, Freydenkerey und Aufklärung eine z.T. mit seinen Schülern zusammen verfasst hat. In Schrift zu den Schriften unsrer Zeiten, der Jugend der Vorrede heißt es dazu: „Gefallen Euch diese Aus- geweiht. Von Karl von Eckartshausen. München, arbeitungen, lieben Kinder, so versucht einmal selbst, bey Johann Baptist Strobl. 1786. – 191 S. 18 x 12 wie es geht! Bittet Eure Lehrer, daß sie euch auch eine cm. Geschichte aufgeben, und schreibt dann nach Her- Mit Frontispiz (Porträt des Verfassers) und Vignette zenslust Briefe und Gespräche: Ihr werdet sehn, ihr im Titelblatt von Georg Michael Weissenhahn. Unter lernt das Briefschreiben und Erzählen spielend; und dem Porträt v. Eckartshausen Zitat von Rousseau: ,Si das ist ja wohl eine gar hübsche Sache, wenn man ei- c’est la raison, qui fait l’Homme c’est le Sentiment qui nen guten Brief schreibt oder eine hübsche Erzählung, le conduit.‘ oder wenn man ein gutes Gespräch machen kann! Das Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen kann einem auf das ganze Leben nützlich seyn.“ Die ambivalente Einstellung des Autors zur Aufklä- W.W. rung kommt in dem Buch klar zur Geltung. „Ich bin, ich sag es frey, mit der Art unserer Aufklärung nicht 33 Vermischte Abhandlungen und Erzählungen zufrieden. Jeder sucht andere zu verbessern, und vergißt für Kinder. Erstes Bändchen. Göttingen, bey Johann auf sich selbst, da doch nur das einzige und beste Mit- Christian Dieterich, 1779. – 150 S. 18 x 11,5 cm. tel einer wahren Aufklärung darin besteht, sich selbst Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen zu verbessern, und durch den Genuß der Seligkeit der Sammlung von moralisch belehrenden Erzählungen Tugend und eigener Selbstverbesserung seinem Neben- und szenischen Darstellungen. In neun Texten wird bruder den Werth der Frömmigkeit zu zeigen. [...] Du, dem jungen Leser an positiven und negativen Beispie- der du also Aufklärer seyn willst, lasse deine eigene len aufgezeigt, was ihm passieren kann, wenn er unge- Selbstverbesserung deine erste Beschäftigung seyn. Die horsam ist, lügt oder leichtsinnig ist. Ist er dagegen Sprache deiner Beyspiele hat mehr Gewalt als dein tugendsam, wird er sehr belohnt. Strafen fallen meist Wort“ (Vorwort). Der Hofrat, Bücherzensor und drastisch aus, der sich falsch verhaltende junge Mensch Schriftsteller von Eckartshausen verstand sich als Ver- stirbt entweder oder erfährt großes Leid. Der Lohn fechter einer „wahren“ Aufklärung, war aber anti- für gute Taten ist ebenso extrem. Ein sich beispielhaft aufklärerisch und konservativ eingestellt. Er beschäf- betragender Knabe bekommt als Lohn von seinem tigt sich mit Themen, für die sich später Romantiker Vater fünfundzwanzig Bände des Kinderfreundes ge- interessieren, wie christliche Theosophie, Magie und schenkt. Okkultismus. A.B./W.V. A.B.

34 Beyspiele von allerley Unglücksfällen zur Be- 36 Friedrich Philipp Wilmsen: lehrung und Warnung besonders für die Jugend. Nebst Kleine Geschichten für die Kinderstube erzählt von einem Anhange über giftige Pflanzen. Mit acht illu- F. P. Wilmsen. Ein Hülfsbuch für Mütter und Erzie- minirten Kupfern. Göttingen, bey Johann Christian herinen. – Zweite, vermehrte und verbesserte Auflage. Dieterich, 1798. – XVI, 168 S. 18 x 11 cm. Mit ausgemalten Kupfern. – Berlin: Verlag der Buch- Ohne Verfasserangabe. Die unsignierten Kupfer zei- handlung von C. F. Amelang, 1828. – 233 S. 17,5 x gen Abbildungen von giftigen Pflanzen (Stechapfel, 11,5 cm. Kleiner und Großer Schierling, Bilsenkraut, Hunds- Mit 8 kolorierten Kupfern (inkl. Frontispiz und Titel- zunge, Wolfskirsche, Einbeere, Gemeiner Kellerhals). kupfer) von Ludwig Meyer junior und L. Wolf. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Sammlung von 90 sehr kurzen Geschichten vorzugs- Wilmsen (1770–1831) war Schüler von Karl Philipp weise für Kinder, aber auch für Erwachsene, durch die Moritz im Grauen Kloster in Berlin und später Leh- der Herausgeber zur Unfallverhütung beitragen will. rer, Pfarrer und Gründer einer Mädchenschule. Seine Geschildert werden zum Teil tödliche Unglücke im Kleinen Geschichten für die Kinderstube (insgesamt fünf-

66 JOACHIM HEINRICH CAMPE ALS PÄDAGOGE UND KINDERBUCHAUTOR zig) sind „aus dem wirklichen Leben genommen“. Sie kleinen Leser erst dann Passagen üben, wenn die ent- sind zum Vorlesen gedacht, richten sich jedoch nicht sprechenden Gegenstände greifbar seien. Den Lehrern wie üblich an die Väter/Erzieher/Mentoren, sondern empfiehlt Wolfram einen nützlichen Unterricht, der an die „Mütter und Erzieherinen“ (Untertitel). Die nicht nur den Umgang mit dem Katechismus, dem kleinen Geschichten führen keine Unarten vor, sie Rechnen und dem Schreiben beinhalte. Eine Ausein- geben Vorbilder. andersetzung mit nützlicher Materie führe zur Ent- W.W. wicklung nachdenklicher Menschen, die das eben Gelernte auch wirklich begriffen, was sich unbedingt 37 Friedrich Philipp Wilmsen: positiv auch auf den Religionsunterricht auswirke. El- Ueber den Umgang mit Menschen. Von Adolf Frei- tern sollten ihre Kinder nicht nur körperlich versor- herrn von Knigge. Herausgegeben von F. P. Wilmsen. gen, mahnt der Verfasser. Die Seelen der Kinder soll- – Neue Auflage. – Hannover: in der Hahn’schen Hof- ten erzogen werden, was wichtiger sei, als die leibliche buchhandlung. – 18 x 11,5 cm. Verpflegung: „Wie sich die Knospe nach und nach 4. Weltton und Weltsitte: ein Rathgeber für junge entwickelt, und endlich eine schöne wohlriechende Männer und Jünglinge bei ihrem Eintritte in die gro- und Fruchtversprechende Blume wird, eben so liegt ße Welt von F. P. Wilmsen. – 1830. – VIII, 212 S. in der Seele eurer Kinder der Verstand, wie ein Keim Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen und wie eine Knospe, verschlossen, die sich nach und Der Band gibt „Bemerkungen, Regeln und Winke [...] nach entwickeln soll“. Bei Spaziergängen durch den durch welche der Neuling bei dem Eintritt in die gro- Wald oder am Fluss erfahren Kinder in Gegenwart ei- ße Welt vor Fehlgriffen“ gesichert wird. Dazu gehören nes Lehrers ihre Umgebung. Von dem Storchen, über „die Darstellungen einer wahren, feinen und vollen- die Sägemühle bis hin zu den Phasen des Mondes wird deten Bildung, die Forderungen der reinen Sitte“. Nach in diesem Werk auf spannende Art, entweder in dialo- eigenem Bekunden Wilmsens handelt es sich um eine gischer oder erzählender Form, Wissen vermittelt. Beilage zu dem von Wilmsen bearbeiteten Werk Knig- A.B. ges Über den Umgang mit Menschen, z.T. in fiktionali- sierter Form. 39 Auswahl Aesopischer Fabeln für die Jugend. W.W. Mit illum. Kupfern. Erster Theil. – Leipzig: bei Fried- rich August Leo, 1805. – 58 S. 12,5 x 10,5 cm. 38 Johann Christian Wolfram: [Paralletit.:] ‚Fables choisies à l’usage des enfants.‘ Unterhaltungen eines Landschullehrers mit seinen Mit 7 kolorierten Kupfern von Christian Gottfried Kindern auf Spaziergängen und in der Schule über Morasch und einem unsignierten Kupfer. Der Text ist merkwürdige Wörter und Sachen aus der Natur und zweisprachig, linke Seite in deutscher, rechte Seite in dem gemeinen Leben. Ein Buch für Eltern, Kinder französischer Sprache. Zahlreiche Seiten fehlen. Der und Schullehrer unter den Bürgern und Landleuten. Titel einer früheren Ausgabe lautete: ‚Auswahl von Zur Uebung der Aufmerksamkeit, zur Beförderung des Fabeln für die Jugend‘. Selbstdenkens und zur Verbreitung nützlicher und Vordemann-Sammlung angenehmer Kenntnisse. Erstes–Viertes Bändchen. [In Sieben der kleinformatigen handkolorierten Kupfer 1 Bd.] Schnepfenthal, im Verlage der Erziehungsan- sind von Morasch signiert. Morasch, dessen beide Beine stalt. 1794–1800. – 16,5 x 10,5 cm. gelähmt waren, betätigte sich zu Beginn seiner Lauf- 1. 1794. – XXVIII, 150 S. bahn als Miniatur- und Porträtmaler. Um 1796 galt er 2. 1795. – X, 147 S. als der einzige Emaillemaler Dresdens. Von Dresden 3. 1797. – 121 S. und Umgebung verfertigte er kolorierte Prospekte. Die 4. 1800. – 156 S. Kupfer im vorliegenden Werk weisen eine spielerische Ohne Verfasserangabe. Bd. 2 mit einer unsignierten Leichtigkeit auf. Diese ergibt sich zum einen aus dem Kupfertafel, Bd. 3 mit einem unsignierten Faltkupfer. freien, offenen Himmel, der über dem Geschehen liegt, Abgebildet sind optische bzw. physikalische Versuchs- zum anderen aus der zarten, in Pastellfarben gehalte- anordnungen. nen Kolorierung. Die abgebildeten Gegenstände er- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen scheinen realistisch. Den Bewegungen der Menschen Wie das Büchlein zu benutzen sei, erklärt der Autor in und der Tiere haftet jedoch etwas Erstarrtes an. Morasch drei gesonderten Vorworten den Kindern, Lehrern und war auch Verfasser und Illustrator des Heftes Karakte- Eltern. Den Kindern macht er klar, dass nur durch ristische Kleidertrachten in Hamburg (um 1796). Anschauung gelernt werden könne. Darum sollen die A.B.

67 „ANGEMESSENE NAHRUNG UND VERSTÄNDLICHER VORTRAG FÜR DEN JUGENDLICHEN GEIST“

40 Johann Andreas Christian Löhr: 42 Rührende Erzählungen und Gespräche. Aus Kleinigkeiten für unsere Kinder. Von J. A .C. Löhr. – den besten neuen Schriftstellern, zur Erweckung edler 2. Ausg. mit 6 Tafeln colorierter Abbildungen. – Leip- Empfindungen in den zarten Herzen der Jugend. zig: Herm. Fritzsche, [1846]. – IV, 294 S. 16 x 12 cm. Reichsstadt Kempten. Verlegt von C. G. B. Fritzsch, Nur 3 kolorierte Tafeln vorhanden. Illustrationen ge- 1783. – 128 S. 16,5 x 11 cm. stochen von Jos. Stöber. Angaben auf dem Titelblatt Mit unsigniertem Titelkupfer. Halbleder mit Rücken- sind teilweise mit Bleistift ergänzt. schild. Auf dem Titelblatt: ‚Was ist Tugend? – Unsre Die Erstausgabe erschien 1807. Pflicht / Frei vor Gottes Angesicht / Thun zu können, Vordemann-Sammlung was man thut / Immer edel, immer gut. Overbeck.‘ Die einzelnen Kapitel stellen in sich abgeschlossene Vordemann-Sammlung Familienszenen dar. Belehrendes wird behutsam ein- „Diese aus unsern besten Erziehungsschriften gesam- gefügt: „Löhr hat in seinen kleinen Geschichten mit- melten Erzählungen und Gespräche [...] sollen nicht unter einen kindlich munteren Ton gefunden, wie er nur junge Herzen auf die angenehmste Weise unter- in seiner Zeit selten ist“ (Dyhrenfurth 1951, S. 71). halten, und unvermerkt dem nützlichsten Unterrich- Die Illustrationen sind besonders sorgfältig und fanta- te öffnen; sondern auch zu vielen frommen, gottes- sievoll koloriert. Die Kupferstiche zeigen Szenen aus dem fürchtigen, menschenfreundlichen Empfindungen Kinderalltag. Ein beschauliches Bild bieten die drei Kin- Anlaß geben“ (Vorrede). In kleinen Geschichten und der auf dem Titelkupfer. Während ein Knabe und ein Szenen demonstrieren Kinder bürgerliche Tugenden Mädchen gemeinsam ein Bilderbuch betrachten, ruht wie Uneigennutz, Wohltätigkeit und Frömmigkeit in das jüngste Kind auf dem Arm der Mutter. Das zweite edelmütig-heldenhafter Weise oder werden durch ei- Kupfer zeigt einen Jungen, der sich im unerlaubten gene Einsicht oder einfühlsame pädagogische Maßnah- Spiel eine Verletzung durch defektes Werkzeug zuzog. men der Eltern von kleineren Charakterfehlern ku- Sehr konzentriert versucht er nun, die Blutung seiner riert. Wunde selbst zu stillen. Der Zeichner der Illustration M.H. verstand es, das Kind so bekümmert darzustellen, wie es der Text des Buches erfordert. Die letzte Abbildung 43 Sylvester Jacob Ramann: zeigt drei Kinder, wie sie einen Freund ihres Vaters Moralischer Unterricht in Sprüchwörtern, durch Bey- mit offenen Armen empfangen. Die Fröhlichkeit der spiele und Erzählungen erläutert für die Jugend von Kinder kommt durch ihre Bewegung zum Ausdruck. Sylvester Jacob Ramann. Collaborator des Evangel. A.B. Ministerii und Conrektor an der Prediger-Schule in Erfurt. Drittes–Fünftes Bändchen [in 1 Bd.] Erfurt, 41 Johann Andreas Christian Löhr: 1792–1797, bey Georg Adam Keyser. – 17,5 x 11 cm. Mancherlei Begebenheiten und Geschichten aus dem 3. 1792. – VIII, 192 S. Leben des kleinen Andreas. Ein Büchlein für Kinder 4. 1793. – IV, 188 S. von J. A. C. Löhr. Neue Ausgabe. – Leipzig: bei Carl 5. 1797. – 180 (2) S. Cnobloch, 1826. – 232 S. 17,5 x 11 cm. Vordemann-Sammlung Frontispiz von Johann Heinrich Ramberg und Carl Die beispielhaften Erzählungen erläutern allgemein August Schwerdgeburth. bekannte Sprichwörter. Ihre Anwendung soll die jun- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen gen Leser vor „Aberglaube und Intoleranz“ (Vorrede) Das Buch enthält kleine Geschichten in der Ich-Form. bewahren. Der Theologe und Schriftsteller Löhr (1764-1823) war M.H. sehr produktiv und wurde im neunzehnten Jahrhun- dert viel gelesen. Er schrieb aber nicht nur Geschich- 44 Kleine Geschichten für Kinder von 6–10 Jah- ten für kleine Kinder, sondern bearbeitete auch histo- ren die gern etwas lesen was ihnen verständlich, nütz- rische, geografische und ethnografische Stoffe für die lich und angenehm ist. Zweyter Theil. Mit einem Jugend. Einige seiner Pseudonyme sind: J. K. Müller, Kupfer. Leipzig 1793 bey Johann Benjamin Georg K. Fr. Schmidt und Philadelphus Alethes. Wie die Fleischer. – (4) 262 S. 16 x 10 cm. meisten der Bücher für kleine Kinder von Löhr ist auch Mit einem Titelkupfer von Johann D. Schubert. dieses von dem außerordentlich beliebten Johann Vordemann-Sammlung Heinrich Ramberg mit einem wunderschönen Titel- Der Autor schreibt für ca. 8–12jährige Kinder beider- kupfer versehen. lei Geschlechts. In einem familiären Rahmen werden A.B. Tugenden und Untugenden zum Zwecke einer sittli-

68 JOACHIM HEINRICH CAMPE ALS PÄDAGOGE UND KINDERBUCHAUTOR chen Erziehung vorgeführt; Sachwissen spielt eine von Fiktion und Sachtext in zahlreichen Charakter- untergeordnete Rolle. Einzelne Passagen sind in dra- bildern verschiedene Laster wie Gefallsucht oder Mode- matische Form gefasst. sucht vor. Der bürgerliche Tugendkanon des ausge- M.H. henden achtzehnten Jahrhunderts erfährt hier eine fast asketische Ausrichtung; neu ist das Ideal der Natür- 45 Johann Karl August Musäus: lichkeit. Aber auch vereinzelte Märchenmotive und der Moralische Kinderklapper für Kinder und Nichtkinder. Hang zu historischer Betrachtung verraten erste ro- Nach dem Französischen des Herrn Monget, von J. C. mantische Tendenzen. Eine auffällige Aufmerksamkeit Musäus. Gotha, 1788. bey Carl Wilhelm Ettinger. – des Autors gilt der „Wollust“; so erklärt ein „sterben- VIII, 111 S. 16,3 x 10 cm. der Jüngling“ in einem „Jammerbrief“ ihr Entstehen: Les Hochets moraux ou contes pour la première en- die „Lesung so mancher abgeschmackten Ritterge- fance schichten, unmoralischer Romane und schlüpfriger Mit unsignierter Titelvignette. Sehr freie Bearbeitung Gedichte“ versetzte ihn in eine „Feen-Welt [...], in der der französischen Vorlage. Wollust und Ueppigkeit ihr Wesen trieben“ (S. 151f). Erstausgabe. Zur Vorbeugung hält Marx einprägsame Rezepte pa- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen rat: „Schaamhaftigkeit und Arbeitsamkeit sind zwey „Das Buch enthält eine Sammlung von Beispieler- treffliche Schutzwehren gegen Wollust“. Und: „Jüng- zählungen in einer Mischung aus Prosa und Vers. Sie ling und Jungfrau vermeidet / einsam allein mit wurde nach Musäus Tod (1735–1787) von Bertuch einander zu seyn“ (S. 60). Die detailreichen Illustrati- herausgegeben, der im Vorbericht angibt, die Kinder- onen sind überaus differenziert und geschmackvoll klapper sei „eine freye Bearbeitung [...] von den liebli- koloriert. chen kleinen Hochets moraux des Hrn. Monget, die M.H. im Jahre 1782 in Paris erschienen, und jedermann kennt“. Inhaltlich hält sich Musäus weitgehend an die 47 Christian Conrad Jakob Dassel: Textvorlage, lokalisiert jedoch einige Erzählungen in Merkwürdige Reisen der Gutmannschen Familie. Ein Deutschland (z.B. Paderborn, , Koblenz) und Weihnachtsgeschenk für die Jugend: Von Chr. Conr. macht gelegentlich satirische Anspielungen auf seine Dassel. Zweiter – Vierter Theil [in 2 Bden.] Hannover, Zeit. Thema des Büchleins ist moralische Belehrung, bei den Gebrüdern Hahn. 1796–1797. – 11,5 x 9 cm. die überwiegend am Beispiel negativ gezeichneter Die Erstausgabe der Teile l – 4 erschien 1795–1797. Kinderfiguren vorgenommen wird. Tugenden und 2. 1796. – (2) 258 S. Mit einem eingeklebten Titel- Untugenden wie Bescheidenheit, Gehorsam, Sparsam- kupfer. keit und Fleiß sowie Vorwitz, Ungehorsam und Nasch- 3. 1797. – (2) 268 S. haftigkeit, Trägheit und Müßiggang, ferner Eitelkeit 4. 1797. – (2) 268 (2) S. und Grausamkeit gegen Tiere werden in den Geschich- Vordemann-Sammlung ten anschaulich geschildert, wobei Fehlverhalten oft „Die Kinder sollen durch Erzählungen mit ,Gegen- drastische Strafen zur Folge hat“ (Brüggemann 1986, ständen aus der Natur und aus dem Leben der Men- S. 165). schen‘ bekanntgemacht werden. ,Belehrung ist Haupt- M.H. zweck, Amüsement nur Nebenzweck‘. Teil 4 enthält ein Register ,geographischen, naturhistorischen und 46 August Friedrich Marx: physischen Inhaltes über alle 4 Theile‘“ (Wegehaupt Das Menschenalter, ein Unterhaltungsbuch für Kin- 1979, S. 60f.). Der Kinderfreund Gutmann reist mit der von sechs bis zehn Jahren in vier Bändchen mit seiner Familie durch nahezu alle Länder der Erde; die- Kupfern. Zweytes Bändchen. Das jugendliche Alter se Eile führt im Vergleich zu ähnlichen Werken der von M. A. Friedrich Marx, Prediger in Liebertwolkwitz Zeit zu einer gewissen Oberflächlichkeit in der Dar- und Grospösna bey Leipzig. – Leipzig: in der Schäfer- stellung. Die Figur des Gutmann wurde von verschie- ischen Buchhandlung, 1804. – X, 171, [i.e. 165] (1) denen Autoren der Zeit verwendet. S. 14,5 x 10,5 cm. M.H. Mit 4 kolorierten Kupfern, davon eines als Frontispiz. 2 Kupfer von Christian G. H. Geißler nach Vorlagen 48 Georg Wilhelm Mundt: von Ziegler. Burgheim unter seinen Kindern. Neue Gespräche und Vordemann-Sammlung Erzählungen für Kinder von acht bis sechzehn Jahren Das seltene Buch führt in einer eigenartigen Mischung über Natur und Menschenleben. Von G. W. Mundt,

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Feldprediger des Dragoner Regiments von Irwing. – dem Verf. für seine Belehrungen die angemessenste zu Erste Sammlung. Zweite verbesserte Auflage. – Halle: sein“ (Vorrede). Der erste Band ist fast ausschließlich Im Verlag der Waisenhaus-Buchhandlung, 1804.– XII, in Monologform gehalten und behandelt Pflanzen, 251 (1) S. 17 x 10,5 cm. Mineralien und Tiere; der zweite, allein den Tieren Vordemann-Sammlung gewidmete Band enthält häufiger kleine eingestreute Geschichten, „Bruchstücke und einzelne Szenen“ aus Geschichten und nutzt oft die szenische Form. einer Pfarrersfamilie belehren über „Naturlehre, Tech- M.H. nologie und Menschenleben“. „Mit dem Weltgebäude ist der Anfang gemacht, weil dadurch die Beobach- 50 Friedrich Anton Levin Matthäi: tung kleinerer Gegenstände wichtiger wird und einen Der Besuch auf dem Lande, oder moralische Erzäh- feierlichen Gang nimmt“ (Vorrede zur ersten Aufla- lungen für die Jugend. Von F. A. L. Matthäi, Pastor in ge). Der durch philanthropische Kinderschriften be- Varlosen. Göttingen, im Vandenhoeck und Ruprecht- einflusste Autor nutzt oft die Alltagserfahrung der Kin- schen Verlage. 1817. – 287 S. 17,5 x 11 cm. der zur Veranschaulichung. Vater- und Kindesrolle sind Frontispiz in Kupferstich von Ernst Ludwig Riepen- im Gespräch relativ gleichberechtigt; in einigen Fäl- hausen. len belehren die Kinder den Vater. „Sollte man hier Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen und da finden, daß die Kinder etwas über ihre Jahre „Nichts hören Kinder lieber als Erzählungen. Warum redeten, so denke sie sich allenfalls der Leser um eini- sollte man nicht dies Gewand gebrauchen, um die ge Jahre älter. Ich bin übrigens der Meinung, daß es in Lehren der Tugend in dasselbe zu kleiden. Lieset das Kinderschriften besser sei, sie etwas zu sich hinauf zu Kind sie, so wird es, indem es in der Erzählung Unter- ziehen, als sich zu sehr zu einem mehr kindischen als haltung findet, sich selbst unbewußt, den Reiz der kindermäßigen Ton herabzustimmen“ (ebd.). Diese in Tugend und das Häßliche des Lasters fühlen“ (Vorre- der Kinder- und Jugendliteratur der Aufklärung ver- de). Der Besuch einer Familie auf dem Lande wird als breitete didaktische Auffassung stand derjenigen eines Rahmenhandlung genutzt für Gespräche zwischen Raff, Löhr u. a. entgegen, die sich bemühten, betont Kindern und ihrem Großvater sowie einem Herrn von kindgemäß zu schreiben. Sickingen. Den Kindern werden belehrende Geschich- M.H. ten erzählt, die vorzugsweise Verhaltensweisen wie Ungehorsam oder Naschhaftigkeit thematisieren, und 49 Friedrich Anton Levin Matthäi: Reisebriefe eines kleinen Mädchens vorgelesen. Den Spaziergänge mit meinen Zöglingen. Herausgegeben Abschluss bilden Beschreibungen fremder Länder und von F. A. L. Matthäi, Lehrer an der Königl. Hof-Töch- ihrer Bewohner. terschule. – Erstes–Zweites Bändchen [in 1 Bd.] Mit Matthäi (1774–1844) arbeitete von 1807 bis 1811 als einem Kupfer. – Hannover: bei den Gebrüdern Hahn, Pfarrer in Parensen und Marienstein und ab 1811 als 1805–1806. – 12 x 9,5 cm. Prediger in Varlosen und Löwenhagen, alle im Land- 1. 1805. – (4) 164 S. kreis Göttingen gelegen. 2. 1806. – 252 S. A.B./W.V. Bd. l enthält Titelkupfer von Johann Heinrich Ram- berg, gestochen von Johann C. Böhme, ein Kupfer, 51 Anne François Joachim Fréville: gezeichnet und gestochen von Boettger aus Dresden Lebensbeschreibungen merkwürdiger Kinder oder und am Ende eine kleine Bibliografie. Bd. 2 enthält Muster der Nachahmung für das jugendliche Alter. ein Kupfer ohne Angaben. Aus dem Französischen des Herrn Fréville. Erstes– Vordemann-Sammlung Fünftes Bändchen. [In 1 Bd.] – Leipzig, bey Salomon Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Linke (Bändchen 2–5: Lincke), 1799. – 18 x 11 cm. „Die Absicht des Verfassers dieser Schrift ist, jüngere 1. – 222 S. Kinder mit den Gegenständen der Natur näher be- 2. – 132 S. kannt zu machen, welche sie täglich sehen, oder von 3. – 196 S. welchen sie oft reden hören. Sollten diese Belehrun- 4. – 104 S. gen ihres Endzwecks nicht verfehlen, so mußten sie in 5. – 138 S. [Nebentit.:] Vermischte Züge kindlicher einem gewissen Zusammenhang und nach einer Stu- Liebe und anderer Tugenden an Kindern. 1800. fenfolge ertheilt werden, welche mit der natürlichen La Vie des Enfans Célèbres Entwicklung des Verstandes der Kinder im genauesten Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Verhältniß steht. Die Form der Spaziergänge schien Das Werk enthält episodische Biografien früh verstor-

70 JOACHIM HEINRICH CAMPE ALS PÄDAGOGE UND KINDERBUCHAUTOR

bener Kinder – unter ihnen der Sohn Ludwigs XVI. 53 Julie Delafaye-Bréhier: Abb. 22 und der Enkel Ludwigs XV. Die anderen sind unbe- Der kleine Reisende nach Griechenland, oder Briefe Aus Löhrs Mancherlei kannt geblieben. Das letzte Bändchen bietet entspre- des jungen Euarist und seiner Familie. Aus dem Fran- Begebenheiten und chende Anekdoten in kurzer Form. zösischen der Frau Julie Delafaye Brehier. Übersetzt Geschichten (1826); M.H. von Dr. H. G. Zehner, drittem Lehrer an dem Gym- Illustriert von Johann nasium zu Hanau. – Erster – Dritter Theil. – Hanau: Heinrich Ramberg und 52 Anne François Joachim Fréville: Gedruckt und verlegt von der E. J. Edlerschen Buch- Carl August Lebensbeschreibungen merkwürdiger Kinder oder handlung, (1826). – 13,5 x 10,5 cm. Schwerdgeburth; Nr. 41. Muster der Nachahmung für das jugendliche Alter. (Jugendbibliothek des Auslandes; Bändchen 1–3) Aus dem Französischen des Herrn Fréville. – Neue Le petit Voyageur en grèce ou Lettres de jeune Euariste Ausgabe. Drittes–Fünftes Bändchen. – Leipzig: bei J. C. et de sa famille Hinrichs, 1810. – 17 x 10 cm. 1. – XVI. 139 S. 3. – (2) 196 S. 2. – 155 S. 4. – 140 S. 3. – 136 S. 5. – 138 S. Vortitelblatt: ‚Jugendbibliothek des Auslandes. In das La Vie des Enfans Célèbres Deutsche übersetzt von einem Vereine praktischer Er- Bändchen 4 und 5 ohne Titelblatt. Bändchen 3 mit zieher und herausgegeben von Dr. Gerh[ard] Friede- einem kolorierten Titelkupfer von Friedrich L. Leh- rich.‘ Jeder Band mit einem kolorierten Titelkupfer mann, gestochen von Riedel. von J. H. Fiedler aus Hanau. Vordemann-Sammlung Vordemann-Sammlung

71 „ANGEMESSENE NAHRUNG UND VERSTÄNDLICHER VORTRAG FÜR DEN JUGENDLICHEN GEIST“

„Die französische Originalausgabe erschien 1824 in 55 Sprüchwörter in Bildern. Ein Bilderbuch für Paris in 4 Bänden. Der Übersetzer hat sie gekürzt und Kinder mit 31 Abbildungen. 2te Auflage. Herausge- in drei Bänden zusammengefasst“ (Wegehaupt 1979, geben von der lithographischen Anstalt Arnz & Co. S. 62). „Ein sechzehnjähriger, geistvoller, unterrichte- Düsseldorf: Arnz, [um 1835]. 31 gez. Bl. 17 x 11,5 cm. ter Jüngling reist mit seinem Vater; sie wollen Grie- Vordemann-Sammlung chenland besuchen. Seine Briefe erwachsen aus den Das Buch sucht allein durch Abbildungen die wörtli- Gefühlen für seine Familie, welche zum Theil in Frank- che Bedeutungsebene bekannter Sprichwörter zu il- reich geblieben ist, aus seinen Beobachtungen, aus sei- lustrieren. Ein Verständnis für ihre übertragene Be- nen eignen Urtheilen, aus den Begebenheiten, die er deutung wird dabei nicht hergestellt. erlebt. [...] Es ist hier, da das alte Griechenland Bil- M.H. dungsquellen ganz anderer Art eröffnet, von dem heu- tigen sehr wenig die Rede“ (aus der Vorrede der Ver- 56 Christoph von Schmid: fasserin). La Guirlande de Houblon; par l’auteur des Oeufs des Zehner hat das Original gestrafft und „das Übersüße Pacques. – Paris; Strasbourg: Chez Levrault, 1832. – des französischen Umgangstons [...] als unsrer Volks- 99 S. 4 z. T. farbige Abb. 12,5 x 8,5 cm. tümlichkeit zuwider und sogar widerlich, größtentheils Ohne Verfasserangabe. Mit 4 Lithografien und einem getilgt“ (Vorwort des Übersetzers). gestochenen Titelblatt von F. G. Levrault. M.H. Die deutsche Originalausgabe erschien erstmals 1823. Vordemann-Sammlung 54 Julie Delafaye-Brehier: Wie auch in den anderen Werken des katholischen Ju- Le pauvre Jacques, ou le Frère adoptif, suivi de la veillée gendschriftstellers Christoph von Schmid wendet Got- bienfaisante, par Mme Julie Delafaye-Brehier, auteur tes Vorsehung das Schicksal der Hauptfigur zum Gu- d’Alice ou la jeune soeur, mère de la famille. – Paris: ten: „an dem mit tödlicher Sicherheit eintreffenden, aber Librairie de l’enfance et de la jeunesse, P.-C. Lehuby, höchst unglaubhaften glücklichen Ende“ (Dyhrenfurth successend de M. Pierre Blanchard, 1837 (Imprimerie 1951, S. 74) führt kein Weg vorbei. Nicht nur in dieser de Beau). – 332 S. 3 Abb. 17 x 10,5 cm. Beziehung bildet Schmid ein Vorbild für die Massen- Auf dem gestochenen Titelblatt: ,Bienheureux les schriftsteller der folgenden Jahrzehnte: Eine eigenartige pauvres d’esprit!. . . Ev. selon S. Matthieu.‘ Mischung von noch aufklärerischem Impetus und hoch- Erstausgabe. romantischer Frömmigkeit findet sich beispielsweise Vordemann-Sammlung auch bei Franz Hoffmann, Gustav Nieritz und ande- Das Erfolgsbuch dieser bekannten französischen Kin- ren. Die Personen sind allzu stilisiert, um lebensecht der- und Jugendbuchautorin des neunzehnten Jahr- wirken zu können; die einfachen Handlungsmuster hunderts ist inhaltlich und formal ein spätes Beispiel mögen allerdings zu der enormen Verbreitung von aufklärerischer Jugendliteratur: Viele Szenen dienen in Schmids Erzählungen beigetragen haben. Im Gegen- erster Linie der moralischen Belehrung; einige sind in satz zu den schlichten deutschen Ausgaben besitzt die- dialogische Form gefasst. ses Exemplar teilweise kolorierte Illustrationen. M.H./W.V. M.H.

72 „…beglückende Gattinnen, rechnen: In Titel und Vorwort werden zwar Mäd- bildende Mütter und weise chen angesprochen, daneben aber auch erwach- Vorsteherinnen des innern Hauswesens“. sene Frauen und ein allgemeines erwachsenes Zur Mädchenliteratur im späten Publikum. Auch strukturell und thematisch un- 18. Jahrhundert terscheidet sich dieser Romantypus nicht von anderen empfindsam-didaktischen Romanen. Dagmar Grenz Joachim Heinrich Campe: „Väterlicher Rath für meine Tochter“ Einleitung Der rezeptionsgeschichtlich bedeutsamste mäd- Im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts chenliterarische Text des späten achtzehnten Jahr- konstituiert sich mit der Verbürgerlichung der hunderts gehört zur Gattung des elterlichen Rats Gesellschaft und unter dem Einfluss der aufklä- und stammt von dem bekannten philanthropi- rerischen Pädagogik nicht nur die Kinder- und schen Pädagogen Joachim Heinrich Campe: Vä- Jugendliteratur, sondern auch die Mädchen- terlicher Rath für meine Tochter […] Der erwach- literatur in ihrer modernen Gestalt. Die ge- senern weiblichen Jugend gewidmet (1789, Exp.- schlechtsspezifische Differenzierung findet zu- Nr. 57).1 Thema sind die Stellung und die Auf- nächst nur in einigen wenigen Genres statt, die gaben der bürgerlichen Frau. Campe unterschei- insgesamt zur moralisch-belehrenden Literatur det dabei zwischen ihrer allgemeinen und ihrer gehören. Moralische Abhandlungen, lehrreiche besonderen Bestimmung, was zu einem grundle- Unterredungen und elterliche Räte und Ver- genden Widerspruch führt. Als Mensch ist die mächtnisse wenden sich an das „junge Frauen- Frau bestimmt zu allem, „was der allgemeine zimmer“ oder die „erwachsnere weibliche Jugend“ Beruf der Menschheit mit sich führt“, und dazu aus bürgerlichem (seltener auch adligem) Stand, gehört die „Beglückung seiner selbst und Ande- um sie auf ihren künftigen Erwachsenenstatus rer, durch eine zweckmäßige Ausbildung [...] al- vorzubereiten. Die Geschlechterdifferenzierung ler seiner Kräfte und Fähigkeiten“.2 Dieser radi- setzt sich also zunächst im Jugendalter durch, zu kal aufklärerische Gleichheitsgrundsatz, der sich dem Zeitpunkt, wo es darum geht, das bürgerli- aus der allgemeinen Menschenrechtsdiskussion che Mädchen auf die von ihr als Frau verlangten herleitet (Campe war ein begeisterter Anhänger Pflichten und Tugenden vorzubereiten, die sich der Französischen Revolution), wird jedoch wie- wesentlich von denen des Jünglings unterschei- der zurückgenommen durch die besondere Be- den. stimmung der Frau, nämlich das, „was das Weib Literatur für jüngere Mädchen ist dagegen dem Manne, der menschlichen und der bürger- noch nicht von der übrigen Kinderliteratur ge- lichen Gesellschaft sein soll“.3 Daraus ergibt sich, schieden. Dabei werden kleine Mädchen als dass die Frauen ihre Kräfte nur insoweit auszu- Leserinnen von den Autoren nicht übergangen, bilden haben, wie es für ihre Aufgabe als „beglü- sondern bewusst mit einbezogen. Eine eigene ckende Gattinnen, bildende Mütter und weise Vor- Literatur für sie wird freilich noch nicht für nötig steherinnen des innern Hauswesens“4 notwendig ist. erachtet. Erst Anfang der neunziger Jahre entwi- Wahre weibliche Verdienste bestehen deswegen ckeln sich in enger Anlehnung an die Lesebü- in der Entwicklung eines „Hausverstandes“, ei- cher der allgemeinen Kinderliteratur die ersten nes sog. „Kernverstandes“ und in dem Erwerb Textsammlungen, die speziell für jüngere Mäd- bestimmter Tugenden, die für die weibliche Be- chen bestimmt sind. stimmung notwendig sind: u.a. „Schamhaftigkeit Neben den moralisch-belehrenden Schriften und Keuschheit, Bescheidenheit, Freundlichkeit für die reifere weibliche Jugend und den Lesebü- und unerschöpfliche Herzensgüte […] und […] chern für jüngere Mädchen spielt noch eine drit- ein liebevolles Hingeben ihres eigenen Willens te Gattung für die Mädchenliteratur des acht- in den Willen des Mannes“5, wobei er als Eiche zehnten Jahrhunderts eine wichtige Rolle – der gesehen wird und sie als Efeu, der ohne die Eiche empfindsam-didaktische Roman in der Nachfolge nicht leben kann6. Richardsons (z.B. Julchen Grünthal 1784 von Alles, was der dreifachen Bestimmung nicht Friederike Helene Unger). Er lässt sich jedoch unmittelbar dient, wird als überflüssig und schäd- noch nicht zur spezifischen Mädchenliteratur lich abgelehnt – so das Erlernen von Fremdspra-

73 „ANGEMESSENE NAHRUNG UND VERSTÄNDLICHER VORTRAG FÜR DEN JUGENDLICHEN GEIST“ chen und die häusliche Lektüre, soweit sie nicht nämlich die Ablehnung einer zu großen Bildung auf moralische Belehrung und Realienwissen ge- der bürgerlichen Frau und die Abwehr der radi- richtet ist; Gelehrsamkeit und „Lesewuth“, vor kal aufklärerischen Forderung nach einer Gleich- allem die Lektüre von Romanen (u.a. von Goethes berechtigung der Geschlechter; zugleich wurde Werther), werden heftig abgelehnt. Dieses Ver- als Bestimmung der Frau ihre Beschränkung auf dikt ist zwar nicht primär geschlechtsspezifisch den häuslichen Tätigkeitsbereich propagiert. Erst orientiert, sondern Ausdruck einer allgemeinen innerhalb dieses Rahmens wurde ihr eine verbes- Haltung des Philanthropismus – nämlich seiner serte Bildung zugestanden. Vor dem Hintergrund Ablehnung des „Wertherfiebers“ und der rous- dieser Entwicklungstendenzen, die die zweite seauistisch geprägten Abkehrung von früh- Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts bestimmen, aufklärerischer Gelehrsamkeit. Dennoch wird kommt dem Paradigma der Geschlechtscharak- diese allgemeine Kritik in spezifischer Weise ge- tere, das sich zwischen 1780 und 1810 durch- gen emanzipatorische Bestrebungen der Frau ge- setzt, eine entscheidende Integrationsfunktion zu. wendet, indem damit der wachsende Bildungs- Die Vorstellung, dass dem Manne und der Frau eifer der Frauen aus den höheren bürgerlichen von Natur aus nicht nur bestimmte physiologi- Schichten bekämpft wird, der als Gefahr für die sche, sondern auch psychologische Eigenschaf- Bindung der Frau ans Haus gesehen wird. Eine ten zukommen – dem Mann vorwiegend Ratio- gelehrte oder in den Künsten bewanderte Frau, nalität und Aktivität, der Frau Emotionalität und so wird offen ausgesprochen, werde kein Interes- Passivität8 –, legitimiert die Unterordnung der se mehr an den monotonen, einfachen, oft Frau unter den Mann und ihre Beschränkung auf schmutzigen oder gar ekligen Haushaltsgeschäf- die häusliche Sphäre mit der ‚moderneren‘ Be- ten haben, da sie befriedigendere Tätigkeiten ken- gründung über die weibliche Natur. Zugleich wird nen gelernt hat: „Oder glaubst du, daß ein Frau- die Forderung nach Gleichberechtigung aufge- enzimmer, welches von dem, eurem Geschlechte nommen, und zwar in der Formel von der Gleich- verbotenen Baume der gelehrten Erkenntniß ein- wertigkeit der Geschlechter. Diesen Ansatz hat mahl gekostet hat, nicht gegen jede einfachere Rousseau bereits 1762 seinen Gedanken über Nahrung des Geistes und des Herzens, welche weibliche Erziehung zugrunde gelegt (im fünf- von der Natur und der menschlichen Gesellschaft ten Buch des Emile, Exp.-Nr. 2). euch recht eigentlich angewiesen wurde, einen Campes Väterlicher Rath nimmt eine Zwi- geheimen Ekel und Widerwillen empfinden wer- schenstellung zwischen der älteren Funktions- de? Glaubst du, daß eine [solche Frau] […] sich bestimmung der Frau als Hausmutter und dem gern mit den unlieblichen Einzelheiten der neueren Paradigma des weiblichen Geschlechts- Wirthschaft, mit dem mühseligen Warten, Rei- charakters ein. So fordert Campe von dem Mäd- nigen, Pflegen und Bilden ihrer Kinder […] wer- chen eine Reihe von emotionalen Leistungen, die de befassen wollen?“7 inhaltlich zum großen Teil mit dem von Rous- Die von Campe postulierte dreifache Bestim- seau dargestellten Geschlechtscharakter überein- mung der Frau ist Teil eines intensiv geführten stimmen; es sind aber noch nicht Eigenschaften, zeitgenössischen Diskurses über die Situation der die ihr von Natur aus zugeschrieben werden (und bürgerlichen Frau und insbesondere über die die die Erziehung nur zu verstärken hat), son- weibliche Bildung, eines Diskurses, der in der dern Tugenden, die sie sich durch moralische Frühaufklärung einsetzte. Die allmähliche Auf- Selbstüberwindung zu erwerben hat. Im Unter- lösung der alten Haushaltsfamilie durch die Her- schied zu Rousseau, nach dem die Frau dazu ge- auslagerung der Arbeit des Mannes – eine Ent- schaffen ist, dem Manne zu gefallen, ist bei Cam- wicklung, die im Bildungsbürgertum ihren An- pe denn auch nicht die erotische Ebene entschei- fang nahm –, veränderte auch entscheidend die dend, sondern es sind die „sittlichen Tugenden“, Rolle der bürgerlichen Frau. Sie erhielt neue die die „Vernunft“ des Mannes befriedigen.9 Erst Verantwortlichkeiten – als Aufseherin des Hau- ganz am Ende (und auch erst in den späteren ses, als Erzieherin der Kinder –, zu denen sie ei- Ausgaben) wird in ein paar nüchternen Sätzen gens erzogen werden musste; auf ihre moralische auf die Notwendigkeit auch der „äußere[n] An- Bildung musste nun größere Sorgfalt gelegt wer- nehmlichkeit“ der Frau eingegangen, durch die den. Seit der Empfindsamkeit entwickelte sich die „körperliche[n] Sinne“ des Mannes „befrie- dazu jedoch eine einflussreiche Gegentendenz, diget“ werden.10

74 ZUR MÄDCHENLITERATUR IM SPÄTEN 18. JAHRHUNDERT

Neben der inhaltlichen Ebene ist auch die dem cken. Auch die Polemik gegen weibliche Gelehr- elterlichen Rat eingeschriebene Kommunikati- samkeit, ebenfalls von großer Heftigkeit getragen onssituation wichtig. Die vermittelten Lehren und von hohem Stellenwert innerhalb des Rat- sind eingebettet in eine fiktive (und autobiogra- gebers,14 schildert die mit der weiblichen Bildung fisch fundierte) Vater-Tochter-Beziehung. Der verbundenen Gefahren in drastischer Weise. Abb. 23 Autor stellt sich als treusorgender Vater dar, der Eine gewisse Relativierung der väterlichen Au- Titelkupfer aus Campe: das Büchlein verfasst habe, um der nun bald torität – ohne dass Campe sich dessen bewusst Vaeterlicher Rath für meine fünfzehnjährigen Tochter einen Wegweiser für ihr gewesen sein mag – findet durch die Konzeption Tochter (1789); Nr. 57. zukünftiges Leben zu geben. Die Ratschläge sei- en ein „Denkmahl“ seiner „Liebe und Treue“ und von ihm unter „lauten Herzensschlägen“ geschrie- ben; und er wisse, dass auch die Tochter das Buch nicht ohne „reges Gefühl und nicht ohne war- men Herzensdank“ lesen werde.11 Die hier an- klingende innige Vater-Tochter-Beziehung wird immer wieder ins Spiel gebracht. Die Liebe des Vaters möchte die Tochter dazu verpflichten, sei- ner Stimme auch über seinen Tod hinaus zu ge- horchen; sie soll von ihr verinnerlicht werden. Dabei wird unterschwellig – manchmal in recht massiver Weise – an kindliche Schuldgefühle ap- pelliert. Neben die väterliche Liebe tritt die Autorität der Vernunft. Der Vater spricht die Tochter als vernünftiges Wesen an und versucht sie in einem klaren, argumentativen und rhetorisch geschul- ten Stil von der Richtigkeit des Gesagten zu über- zeugen. So werden Handlungsanweisungen nicht als Sollensforderungen mitgeteilt, sondern durch einen mehr oder weniger komplexen Begrün- dungszusammenhang abgesichert. Die Forderung nach Keuschheit z.B. wird erst aufgestellt, nach- dem sie durch einen Exkurs über Sinn und Zweck der menschlichen Sexualität begründet worden ist. Dabei spricht Campe – seinem aufklärerischen Anspruch gemäß – offener über Sexualität als andere Pädagogen seiner Zeit.12 Der aufklärerisch- rationale Diskurs hat jedoch eine Kehrseite: Die Argumentationsgänge begründen bzw. führen lediglich aus, was für die väterliche Vernunft bereits feststeht und von ihr nicht in Frage ge- stellt wird, nämlich die weibliche Bestimmung und deren enge Grenzen. Außerdem sind die Ausführungen z.T. von einer geradezu erdrücken- den Wucht und vermischen Rationalität mit lei- denschaftlicher Erregung (scheinbar im Dienste der Vernunft). So werden die Folgen von Verstö- ßen gegen die „Naturgesetze“13 der Keuschheit in düsteren Bildern ausgemalt und um eine Rei- he abschreckender Beispiele ergänzt; und ein de- taillierter Verhaltenskatalog soll der Tochter hel- fen, jegliche sexuelle Regung im Keim zu ersti-

75 „ANGEMESSENE NAHRUNG UND VERSTÄNDLICHER VORTRAG FÜR DEN JUGENDLICHEN GEIST“ der Figur der Tochter statt. Sie wird nicht nur reich von Liebe, Ehe, Familie und Freundschaft. fast durchweg als Zuhörerin in die Darstellung Damit zeichnet sich eine starke Polarisierung mit einbezogen, so durch Anreden oder Fragen zwischen dem weiblichen und dem männlichen des Vaters, sondern auch ihre möglichen Einwän- Wirkungsbereich ab, die auch heute noch nicht de und Fragen werden aufgenommen und in di- überwunden ist (man denke nur an die ge- rekter Rede wiedergegeben: „Wie? werdet ihr sa- schlechtsspezifische Verteilung von Hausarbeit gen, sind wir denn nicht eben so gut Menschen, und Kindererziehung auch in Familien mit be- wie du und deine Geschlechtsverwandten? Dür- rufstätigen Müttern). fen Männer ungestraft sich den Wissenschaften Noch in einer anderen Hinsicht ist der Theo- weihen, warum nicht wir?“15 Durch diese selbst- phron aktuell. Campe beschreibt sehr genau das bewusste Darstellung der Tochter wird der Leserin Phänomen der (‚männlichen‘) Arbeitssucht; eine ein gewisser Freiraum für ihre eigenen Fantasien wirkliche Lösung kann er freilich nicht geben. gelassen – außerhalb der logischen Argumentati- So bleibt seine Forderung, sich das hohe Gut der onsgänge des Vaters und seiner vereinnahmen- „Familienglückseligkeit“ nicht durch Überarbei- den Liebe.16 Nicht nur auf der Ebene der inhalt- tung zu verscherzen,18 sondern immer ein Gleich- lichen Aussage, sondern auch auf der der Kom- gewicht zwischen den verschiedenen menschli- munikationssituation durchziehen den Väterli- chen Fähigkeiten anzustreben und deswegen das chen Rath also verschiedene Widersprüche. im Geschäftsleben absichtlich unterdrückte Ge- fühl im privaten Bereich zu kultivieren und zu Joachim Heinrich Campe: „Theophron“ pflegen, ein bloßes Postulat. Die Ruhepausen, die Der Väterliche Rath für meine Tochter wurde von er fordert, haben ihre Berechtigung letztlich nur Campe als Gegenstück zum Theophron (Exp.-Nr. als Erholung von der Arbeit; damit hat die „Ge- 59) geschrieben. Dieser erschien bereits 1783, schäftsvernunft“ das Gefühl fest im Griff. Wäh- wurde allerdings in der dritten Ausgabe von 1790 rend für das bürgerliche Mädchen Häuslichkeit, (die ich hier zugrunde lege) vollständig umgear- Ehe und Familie die besondere Bestimmung ih- beitet und in dieser Gestalt in die spätere Ge- res Lebens darstellen, werden im Theophron Lie- samtausgabe der Werke Campes aufgenommen. be, Freundschaft und Ehe der Zweckrationalität Der zweite Teil des Theophron (ab 1790) ist des bürgerlichen Berufslebens unterworfen. Das nahezu identisch mit dem zweiten Teil des Väter- zeigt sich auch daran, dass eine Erziehung des lichen Raths; hier wie dort geht es um die Ver- Jünglings zur Ehe (Wahl der Ehegattin, Umgang mittlung von Kenntnissen und Klugheitsregeln mit Frau und Kindern) fehlt und das Thema ‚ge- für den Umgang mit Menschen, wobei noch nicht sellschaftlicher Umgang mit Frauen vor der Ehe‘ (oder kaum) geschlechtsspezifisch differenziert nur im restriktiven Sinne behandelt wird, näm- wird. Anders im ersten Teil: Wird im Väterlichen lich im Zusammenhang mit der Unzucht. Rath das junge Mädchen hier auf ihre besondere Dem Genre des elterlichen Rates entspre- Bestimmung als Hausfrau, Gattin und Mutter chend werden die Lehren auch hier in einer be- vorbereitet, so wird der Jüngling im Theophron stimmten Kommunikationssituation vermittelt. zu Tugenden und Verhaltensweisen erzogen, die Der alte Theophron gibt seinem einzigen Sohn ganz und gar auf das bürgerliche „Geschäftsle- Kleon, der im Begriffe ist, ins Berufsleben zu tre- ben“ abgestellt sind. Struktureller Mittelpunkt ten, Ratschläge für seinen künftigen Lebensweg. seines zukünftigen Lebens ist die Arbeit; sie soll Die Gespräche finden an vier aufeinander- für den Jüngling „der einzige und ausschließen- folgenden Tagen statt und jeweils an unterschied- de Gegenstand aller […] [seiner] Gedanken, Sor- lichen Orten. Insgesamt wird auf die Gesprächs- gen und Bestrebungen sein“.17 Dementsprechend situation freilich nur wenig eingegangen. Auch ist das, was der Vater dem Sohn mit auf den Weg die Vater-Sohn-Beziehung wird weit weniger ge- gibt, in erster Linie eine Arbeitsdiätetik, eine fühlsbetont dargestellt als die Beziehung zwischen Anweisung zum richtigen und erfolgreichen Ar- Vater und Tochter im Väterlichen Rath. Nur die beiten. Alles andere hat sich der Arbeit unterzu- Vorrede an „Meine lieben Kinder“ in der Erst- ordnen, und das ist vor allem der Bereich des ausgabe von 1783 ist von starker Emotionalität Gefühls, der Empfindung und der zwischen- geprägt; sie entfiel allerdings in den späteren Aus- menschlichen Beziehungen, die außerhalb des gaben. Bereits in der frühen Phase der Mädchen- Geschäftslebens existieren, also der private Be- literatur zeichnet sich also als ein Merkmal der

76 ZUR MÄDCHENLITERATUR IM SPÄTEN 18. JAHRHUNDERT

Literatur für Mädchen eine größere Gefühls- licht wird, auch wenn sie selbst nicht deren bestimmtheit ab. Trägerin ist; sie wird zur Muse und Gesellschaf- Interessant ist ein Vergleich zwischen den terin des Mannes (obwohl die Verfasserin ja selbst Frontispizen der Erstauflage des Theophron und eine bekannte Schriftstellerin war). Die der Frau der Erstausgabe des Väterlichen Rathes (Abb. 24 zugestandene Bildung geht zwar über die des und 23).19 Der sitzende Vater im Theophron wird Väterlichen Rathes hinaus; sie bleibt allerdings überragt von dem neben ihm stehenden Sohn; ebenfalls eng begrenzt: Im Mittelpunkt stehen die der Vater hebt zwar warnend den Zeigefinger, es häuslichen Tugenden und die am praktischen ist aber der Sohn, der ihn an der anderen Hand Lebensbezug orientierten Sachthemen, die schö- gefasst hält und selbst mit seiner linken Hand, ne Literatur bleibt randständig. Allerdings wird wenn auch anscheinend sich bei dem Vater rück- sie nicht verboten und es wird sogar die Lektüre versichernd, schräg nach oben auf die Anhöhe von Romanen empfohlen. zeigt – offensichtlich auf die von ihm zu gehen- Sehr viel anders als im Väterlichen Rath ist den Pfade, die jenseits der breiten Landstraße die den Briefen an Lina zugrunde gelegte Kom- verlaufen. Im Väterlichen Rath stehen sowohl munikationssituation. Es ist die mütterliche Vater wie Tochter, wobei die kräftige, große Ge- Freundin, die in ihrer Eigenschaft als Base an Lina stalt des Vaters das Mädchen zart und schutz- schreibt und dabei – obwohl moralisch- beleh- bedürftig erscheinen lässt. Hier ist es der Vater, rend – relativ wenig das Autoritätsverhältnis her- der mit der einen Hand die Tochter an der Schul- vorkehrt. Der Ton ihrer Briefe ist persönlich und ter gefasst hält und mit der anderen Hand – beide subjektiv. Die einseitige Briefkorrespondenz wird stehen an einem Abhang – schräg nach unten in durchbrochen durch die häufige Einbeziehung die Tiefe weist – um von der Anhöhe aus, wie von Linas Antworten, die z.T. wörtlich wieder- sich der Einleitung entnehmen lässt, die Tochter gegeben werden – ebenso wie die Reden von Linas sowohl auf die drohenden Gefahren wie auch die Bruder, so dass sich von einer „Perspektiven- „sichern Pfade“ des vor ihr liegenden Lebens auf- vielfalt“ sprechen lässt.22 Sowohl Lina als auch merksam zu machen.20 die Briefschreiberin treten als individuelle Figu- ren hervor. Die Fiktionalisierung ist so weit ent- Sophie von La Roche: „Briefe an Lina“ wickelt, dass sich sogar eine Handlung abzeich- Die Briefe an Lina (Exp.-Nr. 60–61) von Sophie net. Zur Individualisierung der Erzählweise trägt von La Roche (1785), die vier Jahre vor Campes schließlich das unsystematisch-assoziative Vorge- Väterlichem Rath erschienen, haben Ähnlichkei- hen bei. Es führt zwar oft zu Sprüngen, Wider- ten mit diesem und unterscheiden sich von ihm sprüchen oder zur Unübersichtlichkeit; es trägt in mancherlei Hinsicht. Bei der Bestimmung der aber dazu bei, dass das Gesagte nicht als allge- Rechte und Pflichten der Frau wird im philan- meingültige Norm erscheint, sondern in die per- thropischen Sinne großes Gewicht auf die haus- sönliche Gesprächssituation eingebunden bleibt. frauliche Tätigkeit gelegt; auch die weibliche Ich selbst neige dazu – hier sind sicherlich Gelehrsamkeit wird abgelehnt. Zugleich jedoch generationsspezifische Unterschiede wirksam –, wird die Frau – unter dem Einfluss der Empfind- den aufklärerischen Ansatz von Campes Väterli- samkeit – als gebildete, den Mann veredelnde chem Rath zu betonen, der trotz aller Rück- Gesellschafterin gesehen. Dabei wird eingeräumt, nahmen und Widersprüche auch gegeben ist; dazu dass sie die gleichen geistigen Fähigkeiten wie der gehören der Gleichheitsgrundsatz, der rational- Mann habe. Dennoch sollten die Frauen diese argumentative Charakter und – was hier nicht Fähigkeiten nicht ausbilden, sondern „freywillig“ näher ausgeführt wurde – die realistische, nicht ihrer „ersten Bestimmung“ folgen, die die Natur beschönigende Darstellung der gesellschaftlichen und Gott ihnen gegeben haben, nämlich als „Ge- Situation der Frau. Pellatz hebt dagegen den grö- hülfinnen und Gesellschafterinnen der Männer ßeren (frauen-)emanzipatorischen Gehalt der in dem zweyten Rang der Verdienste stehen [zu] Briefe an Lina hervor:23 u.a. aufgrund der Leer- bleiben“.21 stellen, die der Text der Leserin zur Verfügung Auch hier – wenn auch anders als bei Campe stellt, so dass diese ihn mit eigenen Fantasien – verwickelt sich die Argumentation in mehrfa- auffüllen kann. Die Unterschiede auf der Ebene cher Weise in Widersprüche. Die Frau erscheint der Kommunikationssituation werden von ihr als diejenige, durch die Kultur allererst ermög- dabei in interessanter Weise mit den heutigen

77 „ANGEMESSENE NAHRUNG UND VERSTÄNDLICHER VORTRAG FÜR DEN JUGENDLICHEN GEIST“

Theorien zum ‚weiblichen‘ bzw. ‚männlichen‘ Arbeit in den „Elterlichen Räten“ im ausgehen- Schreiben verknüpft. Unabhängig davon sind den 18. Jahrhundert, in: Aufklärung und Kin- beide Räte rezeptionsgeschichtlich wichtig. Der derbuch. Studien zur Kinder- und Jugend- Väterliche Rath war erfolgreicher, bereits 1808 literatur des 18. Jahrhunderts, hrsg. v. Dagmar folgte die siebte Auflage; bis zum Jahre 1832 er- Grenz, Pinneberg 1984, S. 183–211. schien er, Raubdrucke nicht mitgerechnet, in zehn DIES.: Joachim Heinrich Campe (1746–1818): Auflagen; selbst ins Französische wurde er über- Theophron […], (1783), in: BRÜGGEMANN/ setzt. Bereits kurz nach dem Ersterscheinen lehn- EWERS 1982, Sp. 593–597. ten sich außerdem andere Sittenlehren und elter- DIES.: Joachim Heinrich Campe (1746–1818): liche Räte z.T. eng an ihn an. Die dreifache Be- Theophron […], 3. gänzl. umgearb. Ausg. stimmung der Frau schließlich war – mit unter- (1790), in: BRÜGGEMANN/EWERS 1982, Sp. schiedlichen Abwandlungen und Akzentuierun- 638–649. gen – in der Mädchenliteratur bis in die zweite DIES.: Joachim Heinrich Campe (1746–1818): Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts wirksam. Väterlicher Rath für meine Tochter […] (1789), Die Briefe an Lina, die immerhin eine vierte Auf- in: BRÜGGEMANN/EWERS 1982, Sp. 625–638. lage erhielten, und das darin enthaltene Frauen- DIES.: Sophie von La Roche (1731–1807): Briefe bild, das zwischen Rousseau, der Empfindsam- an Lina (1785), in: BRÜGGEMANN/EWERS keit und dem philanthropischen Bild der Haus- 1982, Sp. 606–612. frau angesiedelt ist, nehmen dagegen bereits Züge DIES.: Mädchenliteratur, in: Taschenbuch der Kin- des Neuhumanismus und der Klassik vorweg. der- und Jugendliteratur, hrsg. v. Günter Lan- ge, Bd. 1. Grundlagen – Gattungen, Balt- Literaturverzeichnis: mannsweiler 2000, S. 332–358. BRÜGGEMANN, THEODOR/EWERS, HANS-HEINO HAUSEN, KARIN: Die Polarisierung der „Geschlechts- (HRSG.): Handbuch zur Kinder- und Jugend- charaktere“ – Eine Spiegelung der Dissoziation literatur. Von 1750 bis 1800, Stuttgart 1982. von Erwerbs- und Familienleben, in: Sozialge- CAMPE, JOACHIM HEINRICH: Theophron, oder der schichte in der Familie in der Neuzeit Europas. erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend, Neue Forschungen, hrsg. v. Werner Conze, 2 Tle., Hamburg 1783. Stuttgart 1976, S. 363–393. DERS.: Theophron, oder der erfahrne Rathgeber für PELLATZ, SUSANNE: Körperbilder in Mädchen- die unerfahrne Jugend, Wien 1792. ratgebern. Pubertätslektüre zur Zeit der Formie- DERS.: Theophron, oder der erfahrne Rathgeber für rung bürgerlicher Kultur, Weinheim/München die unerfahrne Jugend, 3., gänzl. umgearb. 1999. Ausg., Braunschweig 1790. LA ROCHE, SOPHIE VON: Briefe an Lina, Speier DERS.: Väterlicher Rath für meine Tochter. Ein Ge- 1785. genstück zum Theophron, Braunschweig 1789. DIES.: Briefe an Lina als Mädchen, 2., mit einem DERS.: Väterlicher Rath für meine Tochter. Ein Ge- Anh. verm. Aufl., Bd. 1, Leipzig 1788. genstück zum Theophron, 5. Aufl., Braun- DIES: Briefe an Lina als Mutter, Bd. 2, Leipzig schweig 1796. 1795. DERS.: Väterlicher Rath für meine Tochter. Ein Ge- genstück zum Theophron, Ausg. der letzten Anmerkungen Hand, in der Reihe die siebente, Braunschweig 1 Vgl. zu Campe den Aufsatz von Tilmann Köppe 1809. in diesem Band. DERS.: Väterlicher Rath für meine Tochter. 2 Campe 1830, S. 6f. Sämmtliche Kinder- und Jugendschriften. Neue 3 Ebd. S. 6. Gesamtausg. der letzten Hand. 36. Bdchen. 4 Ebd. S. 13. [7. Aufl.], Braunschweig 1830. 5 Ebd. S. 112. GRENZ, DAGMAR: Mädchenliteratur. Von den mo- 6 Vgl. ebd. S. 19. ralisch-belehrenden Schriften im 18. Jahrhun- 7 Ebd. S. 42. dert bis zur Herausbildung der Backfisch- 8 Vgl. Hausen 1976. literatur im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1981. 9 Campe 1830, S. 201 Dies.: Erziehung zum Bürger, Erziehung zum 10 Ebd. Menschen? Der Stellenwert der bürgerlichen 11 Ebd. S. 4f.

78 ZUR MÄDCHENLITERATUR IM SPÄTEN 18. JAHRHUNDERT

12 Vgl. Grenz 1981, S. 62. 19 Siehe Pellatz 1999, S. 110. 13 Ebd. S. 127. 20 Campe 1830, S. 4. Die Frontispize der späteren 14 Vgl. den Umfang (Campe 1830, S. 38–69). Ausgaben des Vätherlichen Rathes und des Theo- 15 Campe 1830, S. 44. phron (ab der 3. Aufl. von 1790) sind verändert. 16 Siehe Pellatz 1999, S. 117. 21 La Roche 1785, S. 235. 17 Campe 1790, S. 176. 22 Pellatz 1999, S. 105 18 Ebd. S. 187. 23 Ebd. S. 92ff.

Exponate 57–65 Mit einem neuen Kupfer von Johann G. Pentzel als Frontispiz. Vordemann-Sammlung 57 Joachim Heinrich Campe: Vaeterlicher Rath für meine Tochter Ein Gegenstück 59 Joachim Heinrich Campe: zum Theophron Der erwachsenern weiblichen Jugend Theophron, oder der erfahrne Rathgeber für die gewidmet von Joachim Heinrich Campe Braunschweig unerfahrne Jugend, von J. H. Campe. Ein Vermächtniß Im Verlage der Schulbuchhandlung 1789 (gedruckt für seine gewesenen Pflegesöhne, und für alle erwachs- in der Schulbuchhandlungs-Druckerei durch E. W. G. nere junge Leute, welche Gebrauch davon machen Kirchner). – XLIV, 510 (2) S. 18 x 11,5 cm. wollen. Wien, gedruckt im k.k. Taubstummeninstitute, Mit einem gestochenen Titelblatt und unsigniertem 1790. – XIV, 268 S. 18,5 x 12,5 cm. Frontispiz. Exemplar der Vordemann-Sammlung mit Auf dem Titelblatt: ‚Inter opus monitusque maduere Ganzledereinband und Goldprägung. genae, Et patriae tremuere manus. Ovidus.‘ Mit ei- Erstausgabe. nem unsignierten Frontispiz, betitelt ‚Vermeide die Vordemann-Sammlung Landstraße‘. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (weitere Die Erstausgabe erschien 1783. Ausgaben vorhanden) Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Campe will das „ewig gegängelte und ewig getäuschte Es handelt sich hier noch nicht um die ebenfalls 1790, Geschlecht“ (Vorwort) anleiten, „beglückende Gattin- allerdings in der Braunschweiger Schulbuchhandlung nen, bildende Mütter und weise Vorsteherinnen des erschienene völlige Neubearbeitung (3. Auflage), son- innern Hauswesens zu werden; Gattinnen, die der gan- dern um einen möglicherweise nicht autorisierten zen zweiten Hälfte des menschlichen Geschlechts, der Nachdruck der 1. Auflage. Das von Beginn an erfolg- männlichen, welche die größern Beschwerden, Sor- reiche Werk erschien in weiteren rechtmäßigen Aus- gen und Mühseligkeiten zu tragen hat, durch zärtliche gaben (in der Vordemann-Sammlung befindet sich u.a. Theilnehmung, Liebe, Pflege und Fürsorge das Leben die 8. Auflage von 1828), aber auch in illegalen Nach- versüßen sollen“ (S. 15). Das Tugendideal ist den drucken. Die Briefe des Grafen Chesterfield hat Cam- Wertvorstellungen eines christlichen, aufgeklärten pe ab der 3. Auflage gestrichen und den Text auch Bürgertums verpflichtet; formal präsentiert sich das darüber hinaus verändert. Buch als durchgängiger Monolog. „Nahe bei W*** lebte noch vor einigen Jahren auf ei- M.H. nem kleinen Landsitze der alte – T h e o p h r o n nenne ich ihn, weil sein wahrer Name nichts zur Sa- 58 Joachim Heinrich Campe: che thut; ein Mann von Erfahrung, der in wichtigen Väterlicher Rath für meine Tochter Ein Gegenstück Geschäften grau geworden war. Den Abend seines ge- zum Theophron Der erwachsenern weiblichen Jugend meinnützigen Lebens hatte er dem Nachdenken über gewidmet von Joachim Heinrich Campe’n Fünfte Menschenwohl, und der Beglückung seiner kleinen rechtmäßige Ausgabe Braunschweig in der Schulbuch- Familie gewidmet. Er hatte einen einzigen Sohn [...]. handlung, 1796. – XX, 528 S. 17,5 x 11 cm. Die Zeit nahete jetzt heran, daß dieser den Schooß

79 „ANGEMESSENE NAHRUNG UND VERSTÄNDLICHER VORTRAG FÜR DEN JUGENDLICHEN GEIST“ seiner Familie verlassen, und in öffentliche Geschäfte (Briefe an Lina; 2) treten sollte. Sein junger Geist war mit den nöthigen Mit einem Frontispiz von Rosmaesler. Kenntnissen ausgeschmückt, sein Herz voll der reins- Der Fortsetzungsband der Briefe an Lina ist ein natur- ten Empfindungen, der besten Vorsätze; aber es fehlt geschichtliches Lehrbuch. In elf Briefen wird ein sys- ihm noch – woran es jungen Leuten immer fehlt – an tematisch gegliederter Überblick über Pflanzen, Tiere E r f a h r u n g“ (Beginn des Theophron). und Mineralien gegeben. Behandelt werden auch die Die Ratschläge beziehen sich besonders auf das „ge- verschiedenen menschlichen Rassen und die mensch- schäftige Leben“ und auf den „künftigen Umgang mit liche Anatomie. Menschen“. W.V. W.W. Angebunden: Marie Sophie von La Roche: 60 Marie Sophie von La Roche: Briefe an Lina als Mutter. Ein Buch für junge Frauen- Briefe an Lina von Sophie von La Roche. Ein Buch für zimmer die ihr Herz und ihren Verstand bilden wol- junge Frauenzimmer die ihr Herz und ihren Verstand len von Sophie von La Roche. Mit einem Kupfer von bilden wollen. Zweyte mit einem Anhange vermehrte Penzel. Leipzig 1797. bey Heinrich Gräff. – 240 S. Auflage. Leipzig 1788. bey Ernst Martin Gräff. – 266 (Briefe an Lina; 3) (2) S. 18 x 10,5 cm. Mit einem Frontispiz von Johann Georg Penzel. Mit einem Porträt der Verfasserin als Titelkupfer, ge- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen stochen von Georg C. Schule. Dieser Band befasst sich mit den Kenntnissen der Die Erstauflage der Bände 1–3 erschien 1785–87. menschlichen Seele. Zugrundegelegt werden die Ilias Vordemann-Sammlung und Odyssee des Homer, die als Enzyklopädie aller „Elterlicher (bzw. freundschaftlicher) Rat für junge Wissenschaften und Künste angesehen werden. Nach- Mädchen aus dem Bürgerstand, in dem dem Mäd- dem Eigenschaften wie Großmut, Menschenliebe, chen für ihre zukünftigen Aufgaben als erwachsene Pflicht und Güte abgehandelt sind, wendet sich die Frau 1. bestimmte Tugenden, 2. Kenntnisse und Re- Autorin ganz anderen Themen wie Berufen und Her- geln (für Kleidung, Haushalt und gesellschaftliche stellungsweisen zu, z.B. der Arbeit in einer Baumwoll- Umgangsformen) und 3. ein bestimmtes Sachwissen oder Wollmanufaktur. Den Abschluss des Buches bil- (z. B. über den Kaufmannsstand, die Heilkunst, die den Erklärungen aus dem Bereich der Musik. Die junge Tätigkeit des Bauern) vermittelt werden. Verbindung Leserin erfährt, was Moll, Diskant oder Takt bedeu- von philanthropisch-utilitaristischem Gedankengut ten. und empfindsamer Grundhaltung“ (Brüggemann/ A.B. Ewers 1982, Sp. 1415f). Zu Beginn ist die Adressatin der Briefe fünfzehn Jahre alt, am Ende steht ihre Ver- 62 Jakob Glatz: lobung. Iduna, ein moralisches Unterhaltungsbuch für die M.H. weibliche Jugend von Jakob Glatz. Erster–Zweiter und letzter Band. – Frankfurth a. M.: bei Friedr. Wilmans, 61 Marie Sophie von La Roche: 1803.– 269 S. 16 x 10 cm. Briefe an Lina als Mädchen. Ein Buch für junge Frau- 1. – 269 S. enzimmer die ihr Herz und ihren Verstand bilden 2. – 240 S. wollen von Sophie von La Roche. Zweyte mit einem In Bd. 1 Frontispiz (‚Die Feuersbrunst‘) und Titelkup- Anhange vermehrte Auflage. Leipzig 1788. bey Ernst fer von Johann Heinrich Ramberg und Böttger. Fron- Martin Gräff. – 266 (2) S. 18 x 11 cm. tispiz in Bd. 2 fehlt, Titelkupfer von Ramberg und (Briefe an Lina; 1) Böttger. Mit einem Porträt der Verfasserin als Titelkupfer, ge- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen stochen von Georg C. Schule. Weitere Ausgabe vor- Neben pädagogischen und religiösen Schriften verfasste handen. Jakob Glatz auch moralische Unterhaltungsbücher, Angebunden: insbesondere für die weibliche Jugend. Hierzu zählt Marie Sophie von La Roche: Iduna, noch vor Theone erschienen. Der in Ungarn Briefe an Lina als Mutter. Ein Buch für junge Frauen- geborene Jakob Glatz war in der Zeit von 1797 bis zimmer die ihr Herz und ihren Verstand bilden wol- 1803 in der Erziehungsanstalt Schnepfenthal bei Chris- len von Sophie von La Roche. Mit einem Kupfer. Leip- tian Gotthilf Salzmann tätig. zig 1795. bey Heinrich Gräff. – XII, 249 (2) S. A.B.

80 ZUR MÄDCHENLITERATUR IM SPÄTEN 18. JAHRHUNDERT

63 Jakob Glatz: Gleichzeitig warnt er vor Bekanntschaften mit unver- Theone. Ein Geschenk für gute Töchter zur Weckung heirateten Männern und ebenso vor „jenen süßen Herrn, und Veredlung ihres sittlichen und religiösen Gefühls die unerfahrne Mädchen gern durch ihre Schmeiche- Abb. 24 von Jakob Glatz. – Erster–Zweyter Band. Ein Seiten- leyen bethören“ (S. 229). Aus Campes Theophron stück zur Iduna, einem moralischen Unterhaltungs- A.B. (1790); Nr. 59. buche für die weibliche Jugend. – Zweyte, verbesserte Auflage. – Frankfurt a. M.: bei Fr. Wilmans, 1810. – 16 x 11 cm. 1. – 317 S. 2. – 306 S. Bd. 1 und 2 mit gestochenen Titelblättern. Bd. 1 mit Frontispiz von Johann Heinrich Lips, Bd. 2 mit unsigniertem Frontispiz und Titelkupfer. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Theone ist wie Iduna ein Unterhaltungsbuch moral- pädagogischen Inhaltes. Zur Zeit der Entstehung Theones war Glatz Pfarrer der Gemeinde der Augsbur- gischen Konfession in Wien. Ferner war er geistlicher Rat im evangelischen Konsistorium. Das letzte der Bücher für die weibliche Jugend, das Glatz schrieb, ist Rosaliens Vermächtnis (Exp.-Nr. 64). A.B.

64 Jakob Glatz: Rosaliens Vermächtnis an ihre Tochter Amanda; Wor- te einer guten Mutter an den Geist und das Herz ihrer Tochter. Ein Bilderbuch für Deutschlands Töchter von Jakob Glatz. – (Neue Aufl.) – Wien, in der F. Haas’schen Buchhandlung, 1816. – VI, 256 S. 17,5 x 11,5 cm. 2 Frontispize von Johann Caspar Weinrauch ‚Liebe zur Natur‘ und ‚Rosaliens Grabmahl‘ betitelt. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen „Den höhern, edleren Sinn, der in dem weiblichen Geschlechte liegt, zu wecken und zu nähren, den Geist auf das Wahre, das Herz und auf das Gute und Heilige zu leiten, und zur Begründung eines edlen weiblichen Charakters bey jungen Leserinnen, die bereits in das reifere Alter getreten sind, mitzuwirken – dieß ist die Absicht der gegenwärtigen Schrift, dieß der redliche Wunsch ihres Verfassers“ (Vorwort). Diese Absicht des Autors gilt auch für die vorangegangenen Schriften wie Iduna und Theone. In dieser Schrift werden Themen angesprochen, die seiner Meinung nach ausschließlich Mädchen oder junge Frauen betreffen: Weibliche Ge- schicklichkeit, Bildung des Geschmackes, Sanftmut, Bescheidenheit, Sittsamkeit und Umgang mit dem männlichen Geschlecht. Hier rät der Autor dazu, den Umgang mit Männern zu pflegen, denn: „In weibli- cher Gesellschaft werden gewöhnlich geringfügige Gegenstände des alltäglichen Lebens abgehandelt, und nur zu leicht artet die Unterhaltung in leidiges Ge- schwätz und nichtwürdige Klätschereyen aus“ (S. 226).

81 „ANGEMESSENE NAHRUNG UND VERSTÄNDLICHER VORTRAG FÜR DEN JUGENDLICHEN GEIST“

Abb. 25 Aus Wilmsens Theodora (1824); Nr. 65.

65 Friedrich Philipp Wilmsen: kämpfen. „Ich bemühe mich, die Gefahren zu schil- Theodora. Moralische Erzählungen für die weibliche dern, welchen das weibliche Geschlecht am meisten Jugend von F. P. Wilmsen. – Berlin: Carl Friedrich ausgesetzt ist, und dabei auf die Zeichen der Zeit hin- Amelang, 1824. – VI, 422 S. 1 Notenfaltbl. 18 x 12 cm. zuweisen, besonders auf die traurige Hinneigung zur Frontispiz von Meno Haas und Wolf. Schwärmerei und zu einer bloßen Gefühlsreligion“ (Vor- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen wort S. IV). Wilmsen ist der Ansicht, dass durch eine Friedrich Philipp Wilmsen möchte mit dieser Schrift gute Erziehung dieser Fehler behoben werden kann. die Fehler des weiblichen Geschlechtes wirksam be- A.B.

82 „DEM VERSTANDE UND DEM HERZEN DER KINDER ANGEMESSEN“

Campes Robinson und die Robinsonaden sind 128 Robinsonaden zwischen 1721 und 1900 publiziert worden, im folgenden Jahrhundert Bodo Kayser weitere 131; in der Mitte der zwanziger, der fünfziger und der neunziger Jahre des achtzehn- ten Jahrhunderts liegen die Spitzen. In den ers- Robinson der Jüngere zur angenehmen und nützli- ten zwei Dritteln des achtzehnten Jahrhunderts chen Unterhaltung für Kinder (Exp.-Nr. 72) wurde dominierten hauptsächlich Bearbeitungen von von Joachim Heinrich Campe 1779 veröffentlicht, geringer Resonanz. Erst im letzten Drittel des der zweite Teil folgte ein Jahr später. Campes Ro- Jahrhunderts sorgte Campe mit seiner Bearbei- binson gilt für viele als die Urform der vielen spä- tung für die bis heute anerkannte Bedeutung als teren Bearbeitungen des Robinsonthemas, er ist Kinderbuch.3 zugleich ein Kinderbuch, das nach pädagogischen Der Robinson Crusoe Daniel Defoes und die Grundsätzen der Aufklärung gestaltet wurde. ersten Bearbeitungen im achtzehnten Jahrhun- Campes Version erfuhr in rascher Folge mehr dert waren kein Lesestoff explizit für Kinder. Si- als zwanzig Ausgaben durch unterschiedliche Be- cher werden auch einzelne Kinder und Jugendli- arbeiter.1 Die Wirkungsgeschichte dieses Werkes, che auf diesen (Abenteuer-) Roman zugegriffen das in späteren Auflagen den Untertitel Ein Lese- haben, wenn er in der Familie vorhanden war buch für Kinder bekam, ist beachtlich gewesen, und die jungen Leser in ihrem Milieu die Frei- wenn es auch heute nicht mehr zum lebendigen heit oder das Recht besaßen, Bücher selbststän- Kanon der Literatur für Kinder und Jugendliche dig zu lesen. Das Signal für die Entwicklung ei- gehört. Mit Neuauflagen bis in die zweite Hälfte nes Kinderbuches gab Jean-Jacques Rousseau mit des zwanzigsten Jahrhunderts, vielen Bearbeitun- dem Werk Emile oder Über die Erziehung 1762, gen und Übersetzungen in fremde Sprachen zählt in dem er seinem Emile Defoes Werk in ausge- Joachim Heinrich Campes Robinson der Jüngere wählten Teilen als einzige Lektüre zugestand. zu den erfolgreichsten Büchern deutscher Spra- Die in der Ausstellung gezeigten Robinsona- che.2 den aus der Zeit zwischen 1745 und 1820 über- Campes Robinson geht auf den Roman The nehmen mehr oder weniger genau das Inselmotiv Life and Strange Surprizing Adventures of Robin- als zentrales Merkmal. Ein junger Mann verlässt son Crusoe zurück, der von Daniel Defoe zuerst sein bürgerliches Elternhaus, begibt sich auf eine in England 1719 veröffentlicht wurde (Exp.-Nr. Seereise, strandet nach einem Sturm als einzig 66). Die erste deutsche Übersetzung der überlebender Schiffbrüchiger auf einer tropischen Urfassung war unter dem Titel Das Leben und Insel, auf der er, je nach Lesart, zwischen weni- die gantz ungemeinen Begebenheiten des berühm- gen und mehr als zwanzig Jahren mit der Bewäl- ten Engelländers Mr. Robinson Crusoe 1720 er- tigung von Naturereignissen überlebt, jahrelang schienen (Exp.-Nr. 67). Von den Abenteuern und mit einem Eingeborenen eine Lebensgemein- Erlebnissen des Robinson Crusoe gibt es schaft bildet, in einigen Varianten eine quasi- inzwischen etwa dreitausend Werke auf der Welt. demokratische Gesellschaft mit mehreren Ge- Sie führen fast alle den Namen Robinson im Ti- strandeten errichtet und schließlich in seine Hei- tel. Die Nach- und Umdichtungen, welche das mat zurückkehrt. Inselmotiv literarisieren, wurden schon in der Die Erzählung des Urtextes ist so angelegt, ersten Blütezeit dieser speziellen Literatur im aus- dass sich leicht ein Entwicklungsroman daraus gehenden achtzehnten Jahrhundert als Robinso- machen lässt. Ein bürgerlich sozialisierter junger naden bezeichnet. Mann wird aus seinem sozialen, kulturellen und politisch-gesellschaftlichen Kontext durch Natur- Vom Urtext zum Kinderbuch gewalt herausgerissen und in eine fast paradie- Nach Recherchen von Hermann Ullrich 1924 sisch zu nennende Umwelt geworfen. In dieser

83 „DEM VERSTANDE UND DEM HERZEN DER KINDER ANGEMESSEN“

ist er auf sich allein gestellt und muss sich, mit Das Kinderbuch als Instruktion für Pädagogen wenigem oder gar keinem Werkzeug ausgestat- Die Varianten der Aufklärungszeit spiegeln auf tet, bewähren.4 Er durchläuft die Entwicklungs- der einen Seite das Bemühen um einen Adressa- geschichte der Menschheit von der Steinzeit über tenbezug, mit dem das neu erwachte Verständnis die Jäger-, Sammler-, Bronze- und Eisenzeit bis für den gewandelten Status der Kinder in der zur Zeit der sesshaften Bauern und Handwerker. bürgerlichen Gesellschaft berücksichtigt werden Er setzt vorhandene Fertigkeiten ein, entwickelt sollte. Auf der anderen Seite präsentierte sich in handwerklich-technologisches Geschick und er- den Werken, besonders in den ausführlichen weist sich schließlich als soziales Wesen mit bür- Vorreden und den Kommentierungen und Re- gerlichen Grundsätzen, indem er den ‚edlen Wil- zensionen in den verschiedenen (Fach-) Zeit- den‘ mit der europäischen Zivilisation bekannt schriften, das wachsende gesellschaftskritische macht, ihn sozialisiert und enkulturiert. Als nach Potential einer kleinen Gruppe von wissenschaft- Jahren des gemeinsamen Aufenthaltes Meuterer lich reflektierenden und praktisch tätigen Päda- auf der Insel landen, bilden die Inselbewohner gogen. Mit der speziellen Adressierung an die eine ideale Gemeinschaft, die auf der Basis von heranwachsende Generation gaben sie in ihren Vernunftregeln lebt. Der Mensch in seinen bei- Kinderbüchern den von ihnen vertretenen Auf- den ursprünglichen Anlagen (der bürgerlichen klärungsideen eine Plattform, die sie sonst unter und der wilden) entwickelt und bildet sich selbst den herrschenden politischen Verhältnissen, in in den Jahren der Bewährung an der Natur zum denen Obrigkeit und Kirche die Meinungsfrei- Modell des aufgeklärten Bürgers seiner Zeit, ver- heit einschränkten, nicht haben konnten. Als innerlicht die wesentlichen Tugenden und das Fachliteratur für ein begrenztes Publikum und im Abb. 26 Vertrauen in die lenkende und fügende Gewalt Handlungsfeld der Kindererziehung boten diese Defoes Robinson Crusoe, Gottes und lebt die Tugend der Brüderlichkeit Druckerzeugnisse Gelegenheit, im Zeitalter des Doppeltitelblatt vor. Zudem missioniert oder vermittelt Robin- aufgeklärten Absolutismus, der französischen (1719–1720); son als Protagonist die Werte und den Wissens- Revolution und der beginnenden Restauration in Illustrationen von Clark kanon des aufgeklärten Bürgertums an Menschen einer speziellen Öffentlichkeit zu wirken und in und Pine; Nr. 66 (Teil 1). aus aller Herren Länder.5 begrenztem Umfange die herrschenden gesell- schaftlichen Verhältnisse zumindest verbal zu re- formieren. Der Robinson Crusoe ist ein „exemplarisches Feld pädagogischen Denkens“. „Während seines Inselaufenthaltes wird sein Glaube gestärkt, sein Wille handlungsmächtig und sein Verstand kri- tisch geschärft. Er gewinnt eine eigene Position zu den drei Wirklichkeitsfeldern Gott, Natur und Menschenwelt, und zwar aufgrund seiner Erfah- rung im Umgang mit den Dingen und Sachver- halten. Dieser Entwicklungsprozeß macht ihn zum Menschen, der in der Welt bestehen kann“. 6 Die Philanthropisten knüpfen an Rousseaus Vorstellung vom Eigenwert der Kindheit an und erweitern sie ins Soziale. „Geleitet vom Glauben an die Vervollkommnung (‚Perfektibilität‘) und Versittlichung des Menschen durch die Allmacht der Erziehung, verfolgen sie zugleich die politisch- sozialen Ziele einer sich entwickelnden bürgerli- chen Gesellschaft, die allgemeine Wohlfahrt und persönliches Glück, Toleranz und Freiheit zu ih- ren Leitbildern erhebt. Voraussetzung für deren Verwirklichung ist die Tüchtigkeit, das individu- elle Leistungsstreben, aber auch die Gemeinwohl- orientierung des einzelnen Bürgers, sein Bemü-

84 CAMPES ROBINSON UND DIE ROBINSONADEN hen um die eigene ‚Veredelung‘ durch Vernunft- gebrauch und Teilhabe an allgemeiner Aufklärung – und das bedeutet auch: allgemeiner Erziehung und Bildung. Ihr kommt die Schlüsselfunktion zu bei der ‚Erziehung des Menschen zum Bürger‘“.7 Der Vater – in sich wandelnder Rolle – und die Familie – auf dem Wege zur Kleinfamilie – nehmen im Erziehungskonzept der Aufklärer zen- trale Rollen ein. In Campes Robinson ist dafür ein besonderes Entwicklungsmodell geschaffen. Die Figur des Vaters und die soziale Gruppe der Familie sind nicht Teil der Erzählhandlung. Im ersten Teil des Robinsonstoffes ist die Hauptper- son allein auf der Insel und Modell für Individu- alität moderner Prägung, bis sie mit dem Erschei- nen Freitags ein soziales Wesen wird. Mit der Übergabe der Insel an die Nachfolger wird das Inselreich zum Modell eines aufgeklärten Sozial- wesens. Der Vater und auch die Familie sind aber fast auf jeder Seite in der Rahmenhandlung prä- sent. Er versammelt seine Tochter sowie fünf Jun- gen unterschiedlichen Alters zu abendlichen Er- zählstunden im Garten und trägt ihnen sowie der ‚Hausmutter‘ und zwei weiteren Erwachsenen die Geschichte Robinsons vor. Campes Ziele, die er durch seine Veränderung der Vorlage erreichen will, lauten: – erkenntnisleitendes Handeln durch angeneh- me Unterhaltung ren Robinson auf seiner Insel in drei Zeiträume. Abb. 27 – sachliche Information und Vermittlung von In dem ersten sollte er [Robinson] ganz allein und Defoes Robinson Crusoe, Grundkenntnissen aller Art ohne alle europäischen Werkzeuge, sich bloß mit Frontispiz (1720); – Orientierung an der Lebenswelt seinem Verstande und mit seinen Händen hel- Illustration von – Darstellung von Gelegenheiten zur Ausbil- fen, um auf der einen Seite zu zeigen, wie hilflos C. Fritzsch; Nr. 67 (Teil 2). dung von Sittsamkeit, Gottesfürchtigkeit und der einsame Mensch ist, und auf der anderen, tugendhaften Empfindungen und wie viel Nachdenken und anhaltende Strebsam- – Weckung geistiger Menschenkraft durch den keit zur Verbesserung unseres Zustandes vermö- Nachahmungstrieb der Kinder.8 gen. – In dem zweiten gesellte ich ihm einen Dieser ‚pädagogisierte‘ Robinson gibt eine Mus- Gehilfen bei, um zu zeigen, wie sehr schon die terbiografie des bürgerlichen Individuums ab. Bis bloße Geselligkeit den Zustand des Menschen zur Veränderung zum reinen Abenteuerstoff in verbessern kann. – Im dritten endlich ließ ich der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ein europäisches Schiff an seiner Küste scheitern illustriert, kommentiert und demonstriert das und ihn dadurch mit Werkzeugen und den meis- Schicksal des Bürgersohnes mit guten Anlagen ten Notwendigkeiten des Lebens versorgen, da- und in der Jugend gewonnenen Fertigkeiten so- mit der große Wert so vieler Dinge, die wir ge- wie gefestigtem Gottesglauben, wie eine ideale ring zu schätzen pflegen, weil wir ihrer nicht ent- Persönlichkeitsentwicklung in der Zeit der Spät- behrt haben, recht einleuchtend würde. Das wa- aufklärung ablaufen kann. Campe konzipierte sie ren die vorzüglichen Zwecke, die ich mir bei die- als Stufenmodell des bürgerlichen Enkultura- ser Arbeit zum Ziele gesetzt hatte“.9 tionsprozesses. Er kennzeichnet drei getrennte Mit seiner Version des Robinsonstoffs präsen- Phasen des insularen Daseins, die jede von erzie- tiert Campe ein Lehrstück aufklärerischer Didak- herischer Bedeutung ist. „Ich zerlegte aber die tik. Den Fluss der Erzählung unterbricht der Va- ganze Geschichte des Aufenthalts meines jünge- ter als Erzähler, Informator und Regulator des

85 „DEM VERSTANDE UND DEM HERZEN DER KINDER ANGEMESSEN“

Geschehens. In der Form des sokratischen Dia- Der Erzählstoff als Modell logs wird Wissen vermittelt und die Fantasie ka- In der Aufklärungszeit bildete die Bearbeitung nalisiert, die durch den Vortrag in Denkbahnen von Vorlagen die zentrale Autortätigkeit, nicht und Vorstellungen geleitet wird, die pädagogisch das genuine Neuschaffen. Die Klassiker der Kin- erwünscht waren. Campe hatte damit eine zeit- der- und Jugendliteratur wurden vielfach durch gemäße Erziehungsschrift gefertigt. Umarbeitungen von Erwachsenenliteratur ge- Campes Robinson der Jüngere gilt in der Ge- schaffen: Was für Erwachsene gut und richtig war, schichte des intentionalen Kinder- und Jugend- so die gängige Auffassung der Pädagogen der Zeit, buchs als ein – für manche Forscher als ihr – be- konnte und musste auch für werdende Erwach- deutender Anfang. Wie andere Kinder- und Ju- sene das Richtige sein. „Kaum ein Buch von Be- gendbücher, die für den bürgerlichen Nachwuchs deutung entging um die Wende des 18. Jahrhun- Abb. 28 geschaffen wurden, waren sie mehrheitlich aber derts seinen pädagogischen Zuschneidern. Ne- Titelblatt von Ludwig auch Anleitungen und Handreichungen für Er- ben Versuchen, die große Literatur zu ver- Richter aus Campes zieher. Denn im späten achtzehnten Jahrhundert kindlichen, finden sich erfreuliche Anläufe unse- Robinson (erstmals 1848); waren Kinder und Jugendliche ausdrücklich mehr rer klassischen Autoren, sich in den Dienst der Nr. 74. Mitleser von Büchern als Selbstleser. Jugendliteraturbewegung zu stellen“.10 Für die Robinsonaden der Aufklärungszeit wurde überwiegend die Campe’sche Version ver- wendet. „Robinson wurde ein Verkaufstitel. Fast jedes Land, jede Stadt oder jeder Stand von Be- deutung besaß seinen bzw. ihren Robinson. […] Um den Inhalt dieser Schriften zu verdeutlichen, sei ein vollständiger Titel angeführt: ‚Der deut- sche Robinson oder Bernard Creutz, das ist eines übelgearteten Jünglings seltsame Lebensbeschrei- bung, darinnen seine Geburt, Auferziehung, Lehr- jahre, höchstgefährliche Reisen, Ordensstand, Hei- raten, Schiffbruch, Judentum, Gewohnheiten und geführte Kriege. – Mit glaubwürdiger Feder beschrie- ben und mit sauberen Kupfern gezieret worden. Hall in Schwaben“.11 Das Lesebuch für Kinder war in erster Linie als ein Vorlesebuch gedacht. Schritt für Schritt sollten Episoden aus dem Buch vorgelesen wer- den oder es sollte erzählt werden, was zuvor me- moriert worden war, um das Eigentliche zu be- wirken: im Gespräch nach sokratischer Methode den Lernprozess des Nachwuchses zu steuern. Dem Lehrenden wird beispielhaft vorgeführt, wie die Entwicklung des begabten Jugendlichen in der direkten Auseinandersetzung mit den Her- ausforderungen der Natur geschehen kann, wie er sich bewährt und die Erfahrungen sammelt, die für ein Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft als notwendig erachtet wurden. Für die Kinder und Jugendlichen als Selbstleser waren die be- lehrenden Sequenzen überflüssig. Sie wurden, wie vereinzelte Berichte aus der Zeit bekunden, über- sprungen, um den Erzählfluss in den Vordergrund zu holen und den Abenteuerbericht aus dem Gesamttext herauslesen zu können. Robinson der Jüngere von Joachim Heinrich

86 CAMPES ROBINSON UND DIE ROBINSONADEN

Campe und der Robinson Krusoe von Johann Carl Wezel (Exp.-Nr. 82), beide 1779 erschienen, wurden zur Initialzündung für mehrere Erzie- hungsschriftsteller, ihre Erfahrungen als Erzieher und ihre Erziehungstheorien mittels Literatur ei- nem größeren Publikum zu vermitteln. Der Kin- derfreund. Ein Wochenblatt (Exp.-Nr. 133–134) von Christian Felix Weiße ist neben den Robin- sonaden dieser Epoche als weiteres Modell für die Ausbildung einer spezifischen Literatur für Kin- der und Jugendliche zu nennen: Beide bildeten Meilensteine in der Entwicklungsgeschichte der Kinder- und Jugendliteratur; beide sind Instru- ment aufklärerisch-philanthropischen Gedanken- guts.

Die anderen Bearbeitungen des Robinsonstoffes in der Aufklärungszeit Im Wesentlichen wird der Rahmen stilbildend, den Campe seinem Robinson mitgab. Sieht man einmal von den unechten Robinsonaden ab, die nur verkaufsfördernd den Terminus nutzten, er- füllen alle angeführten Beispiele mehr oder we- niger die Elemente, die Campe vorgegeben hat: – den Einbau naturkundlichen Wissens – das Heranführen der Kinder an teleologisches Denken im Zusammenwirken mit der göttli- chen Vorsehung – die neuartige, bürgerlich-moralische Erzie- hung – die anleitende Position des Erziehers/Erzäh- lers in der Entwicklung des Heranwachsen- den – das exemplarische Lernen durch Imitation li- terarisierter Erfahrungen mit Naturereignis- sen anstelle von Traktaten und Merksätzen religiös-moralisierender Art – die Grundidee aller Philanthropisten, dass der beiden Varianten verbinden sich grundlegende Abb. 29 Mensch allein durch Erziehung Mensch und Fragen zur Konzeption einer Literatur für die Illustration von Ludwig als solcher Bürger sein kann. heranwachsende Generation, etwa die Adressie- Richter aus Campes Die verschiedenen Robinsonaden, die zwischen rung an eine bestimmte Altersgruppe und die Robinson (erstmals 1848); 1779 und 1820 auf dem Markt waren, hatten Orientierung an deren Verstehensfähigkeiten, die Nr. 74. einen erheblichen Anteil daran, dass sich eine Deklarierung als Lektüre für Erzieher und Zög- besondere Form der Kinder- und Jugendliteratur linge und die Einkleidung von Belehrung in entwickelte, die, getragen vom Gedankengut der Unterhaltung. Während Wezel eine Version für Aufklärung und der französischen Revolution, Jugendliche verfasste, womit zu seiner Zeit die Grundzüge einer Erziehungs- und Unterrichts- Altersgruppe von zwölf bis achtzehn Jahren defi- lehre verbreitete. niert wird, hat Campe seinen Robinson für (jün- Im deutschsprachigen Raum sind die beiden gere) Kinder umgearbeitet, also für die Alters- zeitgleich veröffentlichten Adaptionen des Robin- gruppe zwischen sechs und zwölf Jahren.13 sonstoffes durch Johann Carl Wezel und Joachim Campes Robinson ist ein Kinderbuch für Er- Heinrich Campe die wichtigsten Werke.12 Mit zieher und für Kinder. Es ist ein Lese- und Lern-

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buch, in dem und mit dem die Praxis der moder- 1791, Hammerdörfer 1792, Geiger 1794, Par- nen Erziehung gegen Ende des achtzehnten Jahr- rot 1797 und Wyss 1821 (Exp.-Nr. 80, 83–91). hunderts eine exquisite Veranschaulichung erhal- Einige dieser Werke gebrauchen den Namen Ro- ten hat. „Der pädagogische Grundgedanke einer binson nur zu Werbezwecken; bei diesen Adap- natürlichen, funktionalen Erziehung wird in der tionen fand das charakteristische Merkmal des in- Folgezeit bis in die Gegenwart hinein als literari- sularen Aufenthaltes keinen oder nur wenig Platz sches Motiv aufgegriffen und in unterschiedlicher in der Gesamtkonzeption. Umgekehrt gibt es Weise verarbeitet. Dabei wird auch das Motiv Adaptionen, die Robinson nicht im Titel führen, selbst verschieden gewichtet; bisweilen tritt es aber das entscheidende Merkmal der Inselexistenz sogar in den Hintergrund und macht einer rein aufweisen. auf das Abenteuerliche gerichteten Intention Die meisten Robinsonaden, die nach Campes Abb. 30 Platz.“14 Version und auch in Abgrenzung von seiner Be- Illustration von Im Trend öffentlicher Wertschätzung wurden arbeitung publiziert worden sind, haben auf die Ludwig Richter aus weitere Robinsonaden publiziert. Zum Vergleich Dialoge und damit auf die Einbettung der Ver- Campes Robinson lassen sich herausstellen: Monath 1770, André/ mittlung in familienähnliche Lern- und Er- (erstmals 1848); Nr. 74. Schnabel 1788, Pfeil 1781, Mayer 1791, Müller ziehungssituationen verzichtet oder diese auf ein Minimum reduziert. Sie heben den Erzählfluss wieder hervor und integrieren die Vermittlung aufklärenden (Zusatz-)Wissens in den Text, statt sie in einem weiteren Text neben den eigentli- chen Handlungsstrang zu platzieren. Diese Form der Robinsonaden gibt dem Abenteuer- und Rei- sebericht wieder den ursprünglichen (belehren- den) Charakter; sie befreit das Kinderbuch vom Charakter des Lehrbuchs für Erzieher und un- terstützt die individuelle Rezeption der Inhalte durch stilles Lesen. Campe selbst hat in späteren Auflagen die Familien und Erzieher qualifizieren- den Anteile seiner ersten Kinderbücher reduziert. Das Robinsonthema war in den verschiede- nen Bearbeitungen, die in der Zeit Campes und Wezels und in den folgenden Jahrzehnten erschie- nen sind, in der pädagogischen Intention kon- stant. In der Funktion als Lehr- und Lernbuch für den privaten, häuslichen Bildungsprozess für Kinder gehobener Schichten verbreiteten die ver- schiedenen Varianten das Modell vernunft- geleiteter Förderung von Heranwachsenden zu nützlichen Mitgliedern einer sich erneuernden Gesellschaft. Die Kontexte haben sich in zwei- hundertfünfzig Jahren gewandelt, in denen der Stoff seine zeitspezifische Bedeutung bekam. In groben Zügen kann man rückblickend eine Ver- änderung des Grundansatzes erkennen vom Abenteuer- und Reiseroman für erwachsene Le- ser über das Lehr- und Lernbuch für Erzieher und Zöglinge hin zu einem reinen Abenteuerbuch für Kinder, mehr noch für Jugendliche – von der Urfassung des Daniel Defoe 1719 über deren gekürzte Fassung nach Rousseau 1762, die Ver- änderungen durch Campe und Wezel 1779 und die reich illustrierte Campe’sche Fassung durch

88 CAMPES ROBINSON UND DIE ROBINSONADEN

Abb. 31 Aus Andrés Felsenburg (1788–1789); Nr. 86.

Ludwig Richter 1848 (Campes 40. Auflage, Exp.- Literaturverzeichnis: Nr. 74) bis schließlich zu den verschiedenen Be- arbeitungen durch Franz Hoffmann, Oskar Hö- BRUNKEN, OTTO: Kinder- und Jugendliteratur von cker (Exp.-Nr. 71) u.a. Es gibt bis heute Neu- den Anfängen bis 1945, in: GÜNTER LANGE fassungen des Jugendbuchs, die sich weniger im (HRSG.): Taschenbuch der Kinder- und Jugend- Text als vielmehr durch neue Illustrationen von literatur, Baltmannsweiler 2000, Bd. 1, S. 17– den Vorläufern unterscheiden. Sieht man einmal 96. von der inzwischen auch vollzogenen filmischen EWERS, HANS-HEINO: Joachim Heinrich Campe als Rezeption ab, haben sich die meisten Robinso- Kinderliterat und als Jugendschriftsteller. Wir- naden, die gerade in der Spätaufklärung sehr ver- kungsgeschichte eines Klassikers, in: POHLMANN breitet waren, auf den engen Handlungsraum der 1996, S. 9–32. Erzählung beschränkt, wie sie Defoe und Campe FUNKE, EVA: Bücher statt Prügel. Zur philanthro- vorgegeben haben: die Strandung, das Leben auf pistischen Kinder- und Jugendliteratur, Bielefeld der Insel und die gelungene Rückkehr Robinsons 1988. ins bürgerliche Milieu nach England. Dieser Zu- HOBRECKER, KARL: Alte vergessene Kinderbücher. schnitt des Stoffs wird heute weniger aus päda- Nachdruck der Ausgabe von 1924, hrsg. v. gogischen und literaturästhetischen Gründen als Hubert Göbels, Dortmund 1981. vielmehr zum Zweck der abenteuerlich aufge- POHLMANN, CAROLA U.A. (HRSG): Erfahrung machten Unterhaltung jugendlichen Lesern zuge- schrieb’s und reicht’s der Jugend. Joachim Hein- eignet. rich Campe als Kinder- und Jugendschriftstel- Die Komplexität des Defoe’schen Urtextes ler, Berlin 1996. wird von keinem seiner Nachnutzer erreicht. Alle REINHARD, ANGELIKA: Die Karriere des Robinson deuten den Stoff und seine Konstruktion nach Crusoe vom literarischen zum pädagogischen den jeweils herrschenden pädagogischen Lehren Helden. Eine literaturwissenschaftliche Unter- und Erziehungsvorstellungen um und verschie- suchung des Robinson Defoes und der Robin- ben damit die Akzente. Robinson ist und bleibt son-Adaptionen von Campe und Forster, Frank- bis in die heutige Zeit eine Kunstfigur. furt a. M. 1994.

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STACH, REINHARD: Robinsonaden. Bestseller der Jugendliteratur, Baltmannsweiler 1996. SCHINDLER, STEPHAN K.: Das Subjekt als Kind. Die Einführung der Kindheit im Roman des 18. Jahrhunderts, Berlin 1994. ULLRICH, HERMANN: Defoes Robinson. Die Ge- schichte eines Weltbuches, Leipzig 1924. WEHNER, WALTER: Inselschicksale. Von Robinsons Ei- land zur politischen Utopie zur Medienwelt. Jugendträume – Staatsromane – Fernsehspekta- kel. Robinsonaden aus der Sammlung Dr. Walter Wehner. Online Katalog. 1000 S. über 1700 Bilder. Essen 2001. – http://www.robinsone.de/ index.htm

Anmerkungen 1 Vgl. Pohlmann 1996, S. 135–137. 2 Vgl. Ewers 1996, S. 9–32. 3 Ullrich 1924, S. 23. 4 Leicht wird übersehen, dass der junge Mann sich selbst aus seinem Umfeld herauslöst, indem er das Elternhaus verlässt. Das Bestehen von Abenteu- ern in der Fremde wird zur Trennung, die durch den Schiffbruch nur noch verstärkt wird. 5 Vgl. Reinhard 1994, S. 198. 6 Stach 1996, S. 121. 7 Brunken 2000, S. 27. 8 Vgl. Stach 1996, S. 123. 9 Joachim Heinrich Campe: Robinson der Jüngere, 115. Rechtmäßige Ausgabe, Braunschweig 1890, S. XIII. 10 Hobrecker 1981, S. 82. 11 Stach 1996, S. 121. 12 Beide Autoren kamen übrigens aus dem Kontext philanthropischer Erziehung, d.h. einer speziellen bürgerlichen Erziehungsphilosophie und -praxis, die trotzdem zu unterschiedlichen Bearbeitungen desselben Stoffes führte. Wezels beide Bände sind für die Rezeptionsgeschichte des Robinson interes- sant, haben aber in Konkurrenz mit der Campe’schen wenig Resonanz in der Alltagspraxis von Erziehern und Erziehungstheoretikern gefunden. Ihnen ge- bührt ein Platz in der Genealogie der Robinsona- den. Für die Entwicklung der Gattung der Kin- derbücher nimmt die Version von Campe den zen- tralen Platz ein. 13 In den späteren Ausgaben hat er das geeignete Lese- Abb. 32 alter auf die Altersstufen nach dem zehnten Le- Illustration aus dem Schweizerischen Robinson bensjahr korrigiert. von Wyss (1789/1790); Nr. 91. 14 Stach 1996, S. 106.

90 CAMPES ROBINSON UND DIE ROBINSONADEN

Exponate 66–92 an dem grossen Fluß Oroonoko auf ein unwohntes Eiland gerahten / Acht-und zwanzig Jahre lang darauf gelebet / und zuletzt durch See-Räuber 66 Daniel Defoe: wunderbarer Weise davon befreyet worden. Gött- The Life and strange surprizing adventures of Robin- licher Providentz zum Preise / und curioser Gemüt- son Crusoe, of York, Mariner … Written by Himself. her besonderem Vergnügen / nach der dritten The Second Edition. London: Printed for W. Taylor Engelländis. Edition auf vornehmes Begehren ins at the Ship in Pater-Noster-Row. MDCCXIX–1720. Teutsche übergesetzet. – (4) 424 S. – 19,5 x 12 cm. [2.] Des Lebens und der ganß ungemeinen Begeben- [1.] Who lived eight and twenty Years all alone in an heiten des berühmten Engelländers / Mr. Robin- un-inhabitated Island o the Coast of America, near son Crusoe, Zweyter und Letzter Theil. Worinn the Mouth of the Great River of Oroonoque; dessen fernere Reisen um Drey Theile der Welt Having been cast on the Shore by Shipwreck, herum / mit Verwunderungswürdigen Umständen wherein all the Men perished but himself. With beschrieben werden. Abermals Göttlicher Provi- an account how he was at last as strangely deliver’d dentz zum Preise / und curiöser Gemüther by Pyrates. – MDCCXIX. – (2) 364 S. besonderm Vergnügen / gleich dem Ersten Theile [2.] The farther adventures of Robinson Crusoe; Being / nach dem Englischen Original mit aller Treue the Second and Last Part of his Life, And of the ins Teutsche übergesetzet. – (12) 396 S. Strange Surprizing Accounts of his Travels Round The life and strange surprising adventures of Robin- three Parts of the Globe. […] To which is added a son Crusoe Map of the World, in which is Delineated the Ohne Verfasserangabe. Beide Teile mit Frontispiz von Voyages of Robinson Crusoe. – MDCCXIX. – (6) C. Fritzsch. Titelblatt in beiden Bänden in Rot- und 373 S. Schwarzdruck. In Teil 2 fehlen S. 365/66 und 377/ [3.] Serious Reflections during the Life And Surprising 78. Vorrede in Teil 2 von Ludwig Friedrich Bischer Adventures of Robinson Crusoe: with his vision (Übersetzer). of the Angelick World. – 1720. – (14) 270, 84 S. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen T. 1 mit Titelvignette und Frontispiz von Clark und Erste deutsche Übersetzung der englischen Original- Pine. T. 2 mit Titelvignette und einer Faltkarte (Welt- ausgabe, die zeitgleich mit einer französischen und karte). T. 3 mit einem Faltkupfer als Frontispiz von holländischen herausgegeben wurde. Clark und Pine. B.K. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Eine Ausgabe, die aufgrund des Erfolges bald nach der 68 Daniel Defoe: Erstveröffentlichung erschien und als Besonderheit Des Welt-berühmten Engelländers Robinson Crusoe einen dritten Band einschließt, in dem in einer aus- Leben und gantz ungemeine Begebenheiten, insonder- führlichen Vorrede das Verhältnis von Wahrheit und heit Da er acht und zwanzig Jahre lang auf einer unbe- Fiktion der Erzählung in den beiden Bänden der Erst- wohnten Insul bey dem Einfluß des grossen Strohms ausgabe diskutiert wird. Zudem werden Gedanken und Oroonoko, auf der Americanischen Küste, gelebet hat. theoretische Überlegungen kritisch kommentiert; The- Von ihm selbst in Englischer Sprache beschrieben. men sind u.a. Glück, Ehrbarkeit, Unmoral, Fehlver- Nunmehro aber um seiner Fürtrefflichkeit willen ins halten, Religion, Vorsehung. Teutsche übersetzt und mit artigen Kupfern gezieret. B.K. Erster–Anderer Theil, Franckfurth und Leipzig; bey denen Felßeckerischen Erben [Theil 2: Nürnberg: zu 67 Daniel Defoe: finden bey Adam Jonathan Felßeckers seel. Erben], Das Leben und die gantz ungemeinen Begebenheiten 1745–1746. –17,5 x 11,5 cm. des berühmten Engelländers / Mr. Robinson Crusoe, 1. 1745. – (4) 424 S. [...] Hamburg, gedruckt bey sehl. Thomas von Wie- [2.] Anderer Theil, Welcher dessen Rück-Reise nach rings Erben bey der Börse / im güldenen A, B, C. 1720. seiner Insel, und seine aufs neue gethane Reisen, [Theil 2: Ist auch in Leipzig bei Philip Herteln zu be- auf welchen sich viele wundersame und lesens- kommen] 17 x 10,5 cm. würdige Fata mit ihm zugetragen, in sich hält. Mit [1.] [...] welcher durch Sturm und Schiffbruch / saubern Kupfern. – 1746. – (12) 445 S. (worinn alle seine Reise-Gefährten elendiglich The life and strange surprising adventures of Robin- ertruncken/) auf der Americanischen Küste / vorn son Crusoe

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Ohne Verfasserangabe. Theil 1 mit 6 unsignierten Kup- 71 Daniel Defoe: ferstichen, davon 1 Frontispiz. S. 307–308 und 317– Robinson Crusoe. Nach der Defoe’schen Erzählung 318 photographisch ersetzt. Theil 2 mit unsigniertem für die Jugend bearbeitet von Oskar Höcker. Mit 100 Frontispiz, betitelt ‚Robinson schicket sich zu seiner farbigen Bildern von Prof. Maxim[ilian] Schäfer. – 5. andern Reise‘, und 4 Kupfern. S. 437–444 u. Kupfer Aufl. (9. bis 13.Tsd.) – Berlin: Meidinger, [1899]. – hinter S. 259 photographisch ersetzt. Titelblatt in bei- 229 S. 22 x 15 cm. den Bänden in Rot- und Schwarzdruck. Die erste Auflage erschien 1886. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Vordemann-Sammlung Eine spätere deutsche Übersetzung der beiden Teile Höckers Bearbeitung von 1886 orientiert sich nicht von 1719/1721, die Campe zur Vorlage gedient hat, mehr an Campe, sondern wieder am Original. selbst aber kein Kinderbuch ist. Das Schicksal, sich „Campes ,Robinson‘ wollte der (erzieherischen) Be- unter ungewohnten Lebensumständen mit Gottes deutung der Erzählung durch eingeschobene Zwiege- Hilfe zu bewähren und für das Leben abzuhärten, sollte spräche, voll wissenschaftlicher und moralischer Erör- dem Erbauung suchenden Leser eine bewegte, verwun- terungen, gerecht werden; aber gerade dadurch wirkt derliche Lektüre bieten. Zum besseren Verständnis des jene an sich allerdings musterhafte Umgestaltung der Unbekannten und sicher auch mit aufklärerisch-enzy- Defoe’schen Urschrift in ermüdender Weise. Höcker klopädischer Intention ist ein Glossar als Ersatz eines weiß dagegen in anschaulicher, schlicht natürlicher noch nicht vorhandenen See-Lexikons beigegeben. Darstellung die mannigfaltigen Schicksale des von Ju- B.K. gend auf durch abenteuerlichen Sinn in der Welt um- hergetriebenen Robinson zu erzählen [...], so ist seine 69 Daniel Defoe: einfache, dem kindlichen Verständnis angemessene Die wunderbare Lebensbeschreibung und Erstaunli- Bearbeitung der Urschrift um so faßlicher und ein- che Begebenheiten des berühmten Helden Robinson dringlicher, und daher von um so größerer Wirkung“ Crusoe, welcher acht und zwanzig Jahr auf einer un- (Vorbemerkung an die Erwachsenen). Das Resultat ist bewohnten Insel lebte, die er nachher bevölkert hat. – eine lärmend-bunte Abenteuerrevue nach bekannter Philadelphia: Gedruckt bey Conrad Zentler, in der Höcker´scher Manier. zweyten-, nahe bey der Rehs-Straße, 1809. – 141 S. M.H. 14 x 9 cm. Ohne Verfasserangabe. 7 unsignierte Holzstiche, davon 72 Joachim Heinrich Campe: 1 Frontispiz. Neuer Einband. Robinson der Jüngere, zur angenehmen und nüzlichen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Unterhaltung für Kinder, von J. H. Campe. Neue Ein Beispiel für die Rezeptionsgeschichte des Origi- Auflage. Frankfurt und Leipzig, 1789. – (20) 487 S. naltextes; textlich verkürzte Ausgabe. 17 x 11 cm. B.K. Mit Titelvignette und unsigniertem Frontispiz. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 70 Daniel Defoe: Robinson der Jüngere von J. H. Campe, zuerst 1779 Schicksale Robinson-Crusoe’s von Daniel Foë. Nach erschienen, ist ein (kombiniertes) Lehr- und Lernbuch dem Englischen dargestellt von A. Geyger. – Berlin: für Kinder, Jugendliche und ihre Erzieher. Das Buch Druck und Verlag von A.W. Hayn, (1841). – 124 S. ist im Geist der philanthropischen Pädagogik der 11 x 9 cm. Spätaufklärung konzipiert. Es bietet den klassischen Die Seite 113/14 fehlt zur Hälfte. Robinsonstoff für die Hand des Vaters, Erziehers, Vordemann-Sammlung (Haus-)Lehrers. In vielen Auflagen und Neubearbei- ,,Da nun aber für sehr viele die andern Ausgaben immer tungen hat das Buch bis weit ins 19. Jahrhundert sei- noch zu theuer sind, so hat der Unterzeichnete diese nen Charakter behalten. neue unternommen, damit auch die armen Kinder sich Als belehrendes Abenteuerbuch wurde der Robinson das Buch anschaffen können. Uebrigens ist diese Aus- das wohl bekannteste Kinderbuch seiner Zeit. „Die 1. gabe, wie die meisten andern in deutscher Sprache, Ausgabe mit 2000 Exemplaren erschien 1779 und war eine Bearbeitung des echten englischen Robinson von innerhalb eines halben Jahres vergriffen. Diese sehr Daniel Foe im Auszuge. Und zwar sind nicht gerade freie Bearbeitung des Robinson ist Beginn und für das Thatsachen übergangen, sondern die breite, englische 18. Jahrhundert Höhepunkt der erzählenden Kinder- Darstellung ist vermieden worden“ (Vorrede). literatur in Deutschland“ (Kunze 1964, S. 136). „Cam- M.H. pe hatte ein Buch gesucht, welches zwar ebenso unter-

92 CAMPES ROBINSON UND DIE ROBINSONADEN haltend und anziehend als irgend ein anderes wäre, familie trägt autobiographische Züge des Autors. aber nicht so, wie andere, zu unthätigen Beschauungen, Hauptsächlich hier werden den Kindern die eigentli- zu müßigen Rührungen, sondern unmittelbar zur chen Kenntnisse vermittelt, während die Kerner- Selbstthätigkeit führte; ein Buch, welches den jungen zählung im Grunde nur der Illustration dient. Nach Nachahmungstrieb der Kindersele [...] unmittelbar auf Campes Worten zielt die Umarbeitung darauf, ,,die solche Gegenstände richtete, welche recht eigentlich Umstände und Begebenheiten so zu stellen, daß recht zu unserer Bestimmung gehören, ich meine – auf Er- viele Gelegenheiten zu sittlichen, dem Verstande und findungen und Beschäftigungen zur Befriedigung un- dem Herzen der Kinder angemessenen Anmerkungen, serer natürlichen Bedürfnisse [...] Durch Rousseaus und recht viele natürliche Anlässe zu frommen, got- ‚Emile ou de l’éducation‘ (1762) wurde er auf Robin- tesfürchtigen und tugendhaften Empfindungen daraus son Crusoe gelenkt, fand aber, daß so viel weitschwei- erwüchsen“ (Vorwort). So muss Robinson beispiels- figes, überflüßiges Gewäsche, womit dieser veraltete weise zu Beginn seines unfreiwilligen Inselaufenthaltes Roman überladen ist, die bis zum Ekel gezerte, schwer- bei Campe ohne jedes Werkzeug auskommen und sich fällige Schreibart desselben und die veraltete, oft feh- seine Lebensgrundlage aus dem Nichts erschaffen – er lerhafte Sprache unserer alten deutschen Uebersetzung wird damit auch zum Sinnbild des durch eigene Ar- eben so wenig als so manche, in Rücksicht auf Kinder, beitskraft aufstrebenden Bürgers. oft fehlerhafte moralische Seite desselben, keine Letztlich ist der Erfolg des Buches aber wohl eher durch wünschenswerthe Eigenschaften eines guten Kinder- die spannende Erzählung als durch die ziemlich weit- buches sind“ (Ullrich 1898, S. 68; Gesamtzitat Wege- schweifigen erläuternden Dialoge des Rahmens zu er- haupt 1979, S. 46). klären. Campe gestaltete das englische Vorbild gemäß seinen M.H./B.K. pädagogischen Zielsetzungen konsequent um: der Abenteuerroman Defoes wird in einen Rahmen nach 73 Joachim Heinrich Campe: Vorbild des Kinderfreunds gefasst, und die fiktive Ideal- Robinson der jüngere. Ein Lesebuch für Kinder von

Abb. 33 Doppeltitelblatt aus Des weltberühmten Engel- Länders Robinson Crusoe (1745) von Defoe; Nr. 68. Titelblatt in Rot- und Schwarzdruck.

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Joachim Heinrich Campe. – Ausgabe der letzten Hand. brüchigen; Richter betont in der Nachfolge der Ro- – Reutlingen: Verlag der J. J. Mäkken’schen Buchhand- mantik die idyllische Einheit Robinsons mit der Na- lung, 1821. – 310 S. 12 farb. Bilder. 18,5 x 11 cm. tur. Er stellt die Erlebnisse des Robinson eher als an- Auf dem Titelblatt: (Preis: Ein Gulden rheinisch.) Ti- genehmes Abenteuer denn als Lebenskampf dar. Ein- telblatt beschädigt. Diese Ausgabe ist nicht in der Rei- gebettet in die behagliche Höhle, umgeben von der he der rechtmäßigen Ausgaben bei Vieweg in Braun- Wärme der tierischen Leiber, scheint Robinson etwas schweig erschienen. Mit Illustrationen von Drölse. wehmütig seine ungewollte Einsamkeit zu genießen. Vordemann-Sammlung Richters Figurenzeichnung ist voll Lebendigkeit und Phantasie. Deutlich drückt sich der Einfluss Chodo- 74 Joachim Heinrich Campe: wieckis im filigranen und ein wenig gezierten Stil aus. Robinson der Jüngere. Ein Lesebuch für Kinder, von Die unerlässliche römische Studienreise des Romanti- Joachim Heinrich Campe. – 88. rechtmäßige Aufl. Mit kers unternahm Richter gemeinsam mit Julius Schnorr 37 Illustrationen in Holzstich nach Zeichnungen von von Karolsfeld und Ludwig Maydell von 1823 bis Ludwig Richter. Theil 1–2. – Braunschweig: Vieweg, 1826. Diese Reise bedeutete für Richter die künstleri- 1875. – 16 x 11 cm. (Umschlagtitel: Kleine illustrier- sche Selbstfindung: ,,Der Staub akademischer Antiken- te Ausgabe). säle, der Kram blasser Kunstregeln und Maximen, wie 1. – XIV, 116 S. ich sie von Kindesbeinen an eingesogen und mit Mühe 2. – 156 S. geübt hatte, ward hier abgetan und über Bord gewor- Illustrationen nach den Zeichnungen von Ludwig fen“ (zit. nach Lang 1948, S. 32). Von 1825 bis 1835 Richter, gestochen u.a. von Eduard W. Engelmann, war Richter dann Zeichenlehrer an der Porzellan- Johann G. Flegel, Ludwig Löffler, Georg Mezger, manufaktur in Meißen, später Professor an der Dres- Ludwig Nieper, Albert J. P. Vogel und Carl L. A. We- dener Akademie. Während der Meißener Zeit fand cke. Richter seine endgültige Ausdrucksform: „Die schöne Vordemann-Sammlung harmonische Strichführung hat einem kräftigen Linien- spiel Platz gemacht, das in unendlicher Bewegtheit Kommentar zu Exp.-Nr. 71–74, 92 Formen und Gestalt der Dinge umreißt [...].“ (Lang Die Reutlinger Ausgabe von 1821 (Exp.-Nr. 73) ent- 1948, S. 34). hält zwölf Farbtafeln, darunter ein Titelbild. Alle Ab- Die Holzstiche Richters lassen sich als friedliches Ein- bildungen scheinen Lithografien in der Kupferstich- vernehmen des Helden mit der Umwelt verstehen. manier zu sein. Diese Art der Reproduktion war in Der von Höcker bearbeitete Robinson (Exp.-Nr. 71) der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts wurde von Maximilian Schäfer (Professor an der Kö- durchaus üblich. Im Unterschied zu den späteren Ro- niglichen Kunstschule und am Kunstgewerbemuseum binsonaden sind die Darstellungen von einer unbe- Berlin) illustriert. In der Vorbemerkung wird Schäfers zähmbaren Wildheit. Beispielhaft dafür ist die Illust- Arbeit mit folgenden Worten gewürdigt: Er ,,hat nicht ration zu Seite 173. Ganz im Sinne des Textes ,,Seine nur malerische Bilder geschaffen, sondern auch durch Blicke sprühten Feuer; sein Herz drängte ihn dem Un- viele Einzelheiten unterrichtend auf den Beschauer glücklichen beizuspringen“ stößt Robinson seine Lan- wirken wollen und hat deshalb in größter Gewissen- ze in den Körper des Verfolgers. Dessen zurücksinken- haftigkeit fast alle Gerätschaften, Pflanzen, Tiere, Ne- der Kopf sowie seine nach oben sehenden, weit geöff- ger- und Indianer-Typen aufs zuverlässigste in dem neten Augen verdeutlichen die Dramatik dieses unna- ethnographischen Museum, dem botanischen und türlichen Todes. Der gerettete Freitag verharrt in de- zoologischen Garten etc. nach der Natur gezeichnet“. mütig-ehrfürchtiger Pose, während der nächste Bogen- Bemerkenswert ist auch die historische Darstellung von schütze auf Robinson zielt. Die Aggressivität dieses Gegenständen, die sich auf das ausgehende siebzehnte nächsten Feindes findet ihren Ausdruck in den gro- Jahrhundert bezieht. ßen, starr auf Robinson gerichteten Augen. Die Farb- M.H./A.B. gebung der Illustration wirkt insgesamt recht natür- lich, bis auf die tiefschwarze Hautfarbe der ,Eingebo- 75 Joachim Heinrich Campe: renen‘. Robinson. Ein Lesebuch für Kinder von Joachim Hein- Die Richter’schen Illustrationen (Exp.-Nr. 74) sind rich Campe. Mit 6 Farbdruckbildern von C[arl] erstmals in der 40. Auflage 1848 erschienen. Ganz im Offterdinger, sowie 23 Textbildern von W[alter] Gegensatz zu früheren Illustrationen ist für Ludwig Zweigle. – 28. Aufl. – Stuttgart: Loewes Verl. Ferdinand Richter die Umwelt nicht mehr der Feind des Schiff- Carl, [zwischen 1905 u. 1908]. – 115 S. 25 x 19,5 cm.

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Ohne die Dialoge der früheren Ausgaben. de Konzept des Erfahrungslernens, um eine Reisebe- Vordemann-Sammlung schreibung durch unterschiedliche Regionen zu bie- ten: Sächsische, böhmische und andere Lebenswelten Abb. 34 76 Joachim Heinrich Campe: werden vorgestellt, erfahren, bereist, erwandert, eine Aus Seltsame Begebenheiten Le nouveau Robinson. Livre de lecture pour les enfants Weltreise mit dem Schiff über Ozeane erschließt die eines Hirtenbuben von faisant partie de l’ encyclopédie universelle à leur usage weite ferne Welt mit den für wichtig erachteten allge- Hauffe (1772); Illustration par J. H. Campe. Traduit de l’Allemand. – Revu et meinbildenden Stationen: Städte, Fabriken, Landstri- von Johann Gottlieb corrigé sur la huitième édition originale par l’Abbé J. che oder Sehens- und Merkwürdigkeiten der Natur Fridrich; Nr. 81. D. Grandmottet. Quatrième édition. – Brunswick: dans la Librairie pour les écoles, 1805. – 322 S. 18 x 11 cm. Robinson der Jüngere Eine französische Ausgabe des Campe’schen Robin- son erschien erstmals 1779 in Hamburg. Vordemann-Sammlung

77 Joachim Heinrich Campe: Robinson the younger by J. H. Campe. Translated from the German by John Timaeus, Professor to the Royal College, Lüneburg. – A new edition, revised and corrected by Charles Wagner. A. M. Professor of the Greek and Latin Languages at the University of Marburg. – Brunswick: Printed for the Schulbuch- handlung, 1816. – XII, 412 S. 17,5 x 11 cm. Robinson der Jüngere Eine englische Ausgabe des Campe’schen Robinson erschien erstmals 1799. Vordemann-Sammlung

Robinsonaden zu Lebenszeiten von Joachim Heinrich Campe Von den zahlreichen Robinsonaden, die in den Jahr- zehnten nach der Veröffentlichung des Robinson Crusoe von J. H. Campe im deutschen Sprachraum erschie- nen sind, wurden nur einige für die Ausstellung aus- gewählt. Die Bücher sind meistens marmorierte Halb- leinenbände im Klein-Oktav-Format im Umfang von etwa 200 Seiten auf Bütten in Frakturschrift. Sie wei- sen zumeist ein Frontispiz und weitere drei bis fünf Abbildungen auf. Es handelt sich fast ausschließlich um Holzstiche, die bis auf wenige Ausnahmen nicht koloriert sind. Durchgängig werden die Szenen der Erzählung herausgegriffen, die bis heute zu den Standardabbildungen einer illustrierten Robinsonaus- gabe gehören, wenn diese auf der Grundlage der Ver- sion von Campe fußt: die Strandung Robinsons, der Vulkanausbruch, die Schlafhöhle, die Unterwerfung Freitags, Robinson mit Blätterhut und Schirm, mit dem Lama, im Kampf mit den Eingeborenen sowie die Be- freiung von Freitags Vater, die Landung der Spanier, seltener die Karte der Insel. Wesentlich uneinheitlicher sind die Werke, die den publikumswirksamen Titel verwenden oder das bilden-

95 „DEM VERSTANDE UND DEM HERZEN DER KINDER ANGEMESSEN“ und (Alltags-)Kultur werden als Errungenschaften der segelt er ins Nordmeer, begegnet Tieren und frem- Moderne und auch als Kuriositäten aufgeführt. den Menschen und schildert Jagd- und Lebens- B.K. gewohnheiten. B.K. 78 Georg Friedrich von Parrot: Robinson der Jüngste, Ein Lesebuch für Kinder. Vor- 80 Der neue Französische Robinson oder das ver- züglich in technologischer Hinsicht bearbeitet. Erster änderliche Glück in der ausserordentlichen Begeben- Theil mit 2 Kupfern. Riga 1797 bey Johann Friedrich heit des Grafen Kermalek: Zwey Theile. Frankfurt und Hartknoch. – XVIII, 364 S. 17,5 x 11,5 cm. 2 Faltkten. Leipzig bei Georg Peter Monath, 1770. – 448 S. 17,5 Ohne Verfasserangabe. Eine Faltkarte von Johann x 11 cm. Gottlob Klingner. Ohne Verfasserangabe. Mit Ornamentalvignette und Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen unsigniertem Frontispiz. „Robinson ist der Held der Kinder und muß es seyn; Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen sonst ist der Zweck verfehlt. ‚Wie that Robinson‘? muß Ein weiteres Beispiel für eine aufwändige Pseudoro- jeder Knabe bey jeder wichtigen Handlung sich fra- binsonade, in der das Reisen und gesellschaftliche Le- gen. Die Antwort muß immer die beste Anleitung für ben eines Adeligen zusammen mit seiner Schwester in den gegenwärtigsten Fall enthalten, ohne dass sich das Frankreich geschildert wird. Das Motiv der Seefahrt Kind an einer Ermahnung des Lehrers oder des Va- und (teilweise) der Insel wird verwendet, aber es fehlt ters, der mit ihm las, zu erinnern nöthig habe. der Bezug zu Defoe. Es folgt unmittelbar daraus daß Robinson ein in jeder B.K. Rücksicht sehr gebildeter Mensch seyn soll, würdig das Idol der Jugend zu seyn. [...] Robinson muß alles 81 Christian Gotthold Hauffe: was er unternimmt zu Stande bringen, aber jeden Au- Seltsame Begebenheiten eines Hirtenbuben, Welcher genblick mit neuen Schwierigkeiten zu kämpfen ha- auf seinen Reisen durch Schiffbruch an eine mit Wil- ben.[...] nur es muß nie ein Deus ex machina daraus den bewohnte Insul verschlagen worden; alsdann aber werden; sonst laufen wir Gefahr den Knaben daran zu mit vielem Reichthum wieder in sein Vaterland glück- gewöhnen sich auf das gute Glück weit mehr als auf lich zurückgekommen. Von ihm selbst beschrieben. seine Kräfte zu verlassen. Außer den Materialien die er Frankfurt und Leipzig, verlegts Johann Leopold Mon- der Natur abborgt und allenfalls einigen Werkzeugen, tag und Johann Heinrich Gruner, 1772. – 379 S. 16 x muß Robinson alles aus sich selbst schöpfen, um zu 10 cm. zeigen wie viel der Mensch überhaupt vermag wenn er Ohne Verfasserangabe. Mit Frontispiz von Johann Gott- seine Kräfte gehörig benutzt“ (Vorrede). lieb Fridrich. B.K. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Diese Robinsonade ist in einigen Teilen recht unge- 79 Simon Tyssot de Patot: wöhnlich. So kommt der Hirtenbube nicht aus dem Des Robinson Crusoe Dritter und Vierter Theil, Oder bürgerlichen Mittelstand, sondern aus einem Haus, in seltsame Lebens-Beschreibung Peter von Mesange [d. dem neben der redlichen Mutter der trinkende Vater i. Simon de Tyssot de Patot], Worinnen Er seine Reise herrscht. Während der Schiffsreise des Protagonisten nach Grönland und anderen Nordischen Ländern, werben ihn zwei junge Männer als bezahlten Diener nebst den Ursprung, Historien, Sitten und vornehm- an. Wie sich später herausstellt, diente der junge Hir- lich das Paradies der Einwohner des Poli critici, nebst tenbub, sehr zu seinem Verdruss, zwei verkleideten jun- vielen ungemeinen Curiositäten, artig und wohl gen Frauen. Das Buch ist unterhaltsam und der am beschreibet. Mit vielen Kupfern. Leyden, Bey Peter Schluss noch zu Reichtum gekommene Held erzählt Robinson, 1721. – (4) 624 (8) S. 17,5 x 10,5 cm. in der Ich-Form für offensichtlich ältere Kinder. La Vie, les aventures, et le voyage de Groenland du A.B. Révérend Père Cordelier Pierre des Mésange Mit einem Frontispiz von J. B. Brühl. 82 Johann Carl Wezel: Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Robinson Krusoe. Neu bearbeitet. [2 Bde.] Leipzig, Ein Reisebericht, in dem Robinson außer im Titel im Verlag der Dykischen Buchhandlung 1779–1780. nicht vorkommt. Der Ich-Erzähler beschreibt, erklärt – 14,5 x 9,5 cm. und reflektiert sehr unterschiedliche Begebenheiten. 1. 1779. – XXXIV, 260 S. Nach mehrjährigem Aufenthalt in den Niederlanden 2. – XIV, 308 S.

96 CAMPES ROBINSON UND DIE ROBINSONADEN

Ohne Verfasserangabe. Bd. 1 mit unsignierter Titelvi- gnette und Frontispiz von Christian Gottlieb Geyser nach Klaff, Bd. 2 mit Titelvignette und Frontispiz von Johann August Rosmaesler. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Für die Zwecke der philanthropischen „Unterhand- lungen“ des Dessauer Instituts sollte der Autor schrei- ben, bekam den Robinson zur Hand und entschloss sich, eine zusammenhängende Erzählung zu schaffen, „die alle hauptsächlichen Veränderungen in dem Zu- stande des menschlichen Geschlechts umfaßte“. „Der erste Theil der gegenwärtigen Bearbeitung gab während Robinson’s Aufenthalt auf seiner Insel Bei- spiele von den Veränderungen, die die vier Haupt- urheber der menschlichen Erfindungen, Noth, Zufall, Leidenschaft, Witz, in dem Zustande des Menschen hervorbringt; wie sie die Aufsuchung der Materialien und ihre Anwendungen zum Bedürfniß oder zur Be- quemlichkeit veranlaßt haben“ (Vorrede zum 2. Band). Der Autor setzt sich mit der Campe´schen Bemerkung auseinander, dass der Robinson gut geeignet sei, gegen die verbreitete Empfindsamkeit anzugehen. Ihm geht es darum, „alle Kräfte in dem besten Ebenmaaße“ zu entwickeln. „Dies ist das Geschäfte des Pädagogen: will der Schriftsteller auch das seinige zu diesem Behufe Charaktereigenschaften von Völkern und Nationen. Abb. 35 thun, so muß er’s freilich durch ein Buch bewerkstel- B.K. Wezels Robinson Crusoe, ligen, das den Menschen von der Passivität zur Teil 1 (1779), Titelvignette Thätigkeit hinzuzieht: aber Robinson ist dazu viel zu 84 Christian Friedrich Sander: von Christian Gottlieb schwach. Es muß ein Buch sein, das an Einbildungs- Friedrich Robinson. Ein Lesebuch für Kinder von Geyser nach Klaff; Nr. 82. kraft, Witz, Verstand und Dichtergeist allen die Wage Christian Friedrich Sander. Flensburg und Leipzig, in hält, die die Empfindsamkeit ausgebreitet haben; das der Kortenschen Buchhandlung 1784. – XVII, 132 S. ein Beispiel großer, edler, aufstrebender Thätigkeit 16,5 x 11 cm. enthält, wie sie jeder Jüngling nachahmen kann“. Mit ornamentaler Titelvignette. B.K. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Aus der Vorrede: „So wahr es ist, daß wir nicht leicht 83 Johann Gottlieb Benjamin Pfeil: zween Gegenstände vergleichen, ohne daß einer unter Die glückliche Insel oder Beytrag zu des Captain Cooks seinen Werth herabgesetzt wird, so wenig darf ich doch neuesten Entdeckungen in der Südsee aus dem verlohr- erwarten, daß man bey dem meinigen nicht an Campes nen Tagebuch eines Reisenden. Leipzig, bey Christian und Wetzels Robinson denke. Was hülfe es mir, wenn Gottlieb Hertel, 1781. – (14) 438 S. 18,5 x 11,5 cm. ich es mir auch verbäte? Wenn ich aus der Entstehungs- Ohne Verfasserangabe. Mit ornamentaler Titelvignette. geschichte meines fliegenden Romans bewiese, daß es Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen mir nie habe in den Sinn kommen können, mit ihnen Diese Robinsonade entwickelt eine Staats- oder Gesell- hier wetteifern zu wollen?“ Dieser Robinson ist geschrie- schaftsutopie, das „Ideal eines blühenden Reichs“. Der ben für die „Zöglinge der Dessauischen Erziehungs- Verfasser hat sich in seinen unbeschäftigten Stunden anstalt“ als Fortsetzung von Wezels Robinson. „Sie „dem süßen Traum überlassen, was für ein glückliches wünschten eine Fortsetzung: und ich wurde dazu er- Leben er unter einem Volk führen würde, dessen vor- beten. Da indeß Herr Wetzel durch den Vorgriff das nehmste Triebfeder aller Handlungen, Liebe zu Gott erste Recht an die Verdeutschung des Defoe hatte, so und Hang zur ächten Religion wäre“ (Vorerinnerung). mußte ich mir meinen Stoff selber erfinden. Mein ein- In zwanzig Abschnitten werden u. a. folgende The- ziges Ziel dabey ward, unschädlich zu unterhalten. Herr men behandelt: Staatsgründung, Gesetzgebung, Erzie- Campe wurde von Rousseau erweckt, mehrere große hung, Finanzverwaltung, Militärwesen, Religion und Zwecke durch ein einziges Buch zu erreichen: und

97 „DEM VERSTANDE UND DEM HERZEN DER KINDER ANGEMESSEN“

wenn es das sollte, muste es durchaus ein Werk von Adam Keyser. 1784–1786. – 16 x 10 cm. Umfang und großem Werth werden. Dieser kleine 1. – 1784. – 446 S. dritte Robinson unterscheidet sich also von dem 2. – 1785. – 454 S. Wetzelschen durch eigne Erfindungen, und von dem 3. – 1785. – 470 S. Campischen durch minder wichtigen Zweck.“ Gleich- 4. – 1786. – 526 S. wohl geht es auch hier um moralische Erziehung. Ohne Verfasserangabe. B.K. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Angebunden: Nachdem Wenzel von Erfurt eine Reihe von Aben- Hänschen. Eine Kindergeschichte. Wien und Leipzig, teuern zu bestehen hatte, sich aber noch fern seiner Abb. 36 bey Friedrich August Hartmann, 1783. – 144 S. Heimat aufhält, nimmt er brieflichen Kontakt zu den Frontispiz (1779–1780); Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Mitgliedern seiner Familie auf. Er schreibt seinen Nr. 82 (Teil 1). Schwestern und beantwortet ihre Briefe. Auch seinem Illustration von Christian 85 Christian Friedrich Timme: Vater und seiner Verlobten berichtet er von seinen Gottlieb Geyser nach Wenzel von Erfurt eine Robinsonade. [Erster]–Vier- Abenteuern und Erlebnissen. Ein spannender Roman Klaff. ter und letzter Theil. [In 2 Bden.] Erfurt bei Georg für die Jugend erzählt. A.B.

86 Christian Carl André: Felsenburg, ein sittlichunterhaltendes Lesebuch. Ers- ter–Dritter Theil. Gotha, in der Ettingerschen Buch- handlung, 1788–1789. – 18 x 11 cm. 1. 1788. – (14) 254 S. 2. 1789. – (2) 275 S. 3. 1789. – (82) 100 S. Theil 1 u. 2 ohne Verfasserangabe. Unsignierte Titel- vignette in Theil 1, in Theil 3 von G. A. Liebe. In Theil 3 umfangreiches Vorwort an den Rezensenten der Allgemeinen deutschen Bibliothek, der den 1. Teil offenbar verrissen hatte. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Es handelt sich hier um einen sachlichen Reisebericht mit Beschreibungen, Erklärungen und Reflexionen, die über die fremde Welt aufklären wollen. Die Fassung Andrés ist als didaktisches Gegenstück zu dem fantas- tischen Original Wunderliche Fata einiger Seefahrer von Johann Gottfried Schnabel zu begreifen. Das 1731 er- schienene Werk Schnabels wurde von André derart um- gearbeitet, dass er alles Fantasievolle durch enzyklopä- disches Wissen ersetzte. B.K./A.B.

87 Joseph Müller: Der Steyerische Robinson, oder Reisen oder besonde- re merkwürdige Begebenheiten des Joseph Müller an den Brasilianischen Küsten von Amerika. Wien, bei Johann Georg Mößle. 1791. – 352 S. 17,5 x 12,5 cm. Mit Frontispiz und Titelvignette, beide unsigniert. Weitere Ausgabe vorhanden. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Die Aufzeichnungen eines Fremden, vom Autor einer Zufallsbekanntschaft abgekauft, werden zur Grundla- ge dieses Robinson. Tatsachen und keine „Erdichtung“

98 CAMPES ROBINSON UND DIE ROBINSONADEN liegen der Reise von der Steiermark über Holland, von dort mit dem Schiff nach Ostindien mit verschiede- nen Aufenthalten in fremden Gegenden zugrunde. Abenteuer, Begegnungen mit Fremden und Schilde- rungen des Überlebenskampfes mit feindlich gesinn- ten Einwohnern werden aneinander gereiht. Der Insel- aufenthalt und die Begegnung mit einem Verfolgten, dessen Geschichte als Extrabericht im Muster des Zu- sammentreffens mit Freytag eingebaut ist, lassen das Erzählmuster des Robinson erkennen. B.K.

88 Reisen und Abentheuer der Brüder Robinsons. Zur Unterhaltung für allerley Leser. [Hrsg. von Au- gust Friedrich Mayer.] Auf Kosten des Herausgebers, [Lausanne] und Bern in Commission bey der typogra- phischen Gesellschaft. 1791. – 570 (6) S. 17 x 10 cm. Ohne Verfasserangabe. Herausgeber aus dem Vorwort ermittelt. Mit ornamentaler Titelvignette und einem unsignierten Frontispiz. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Ein Beispiel für eine sogenannte Pseudo-Robinsona- de. „Robinson“ wird als publikumswirksame Bezeich- nung verwendet für eine Sammlung von 25 Geschich- ten über Seefahrer, ihre Abenteuer und Erlebnisse, die Die Rückkehr nach Dresden nach 40 Jahren beschreibt Abb. 37 zu einer „Übersicht der Seefahrer aller Zeiten“ gebün- der Ich-Erzähler so: „wie hatte sich alles verändert, und Wezels Robinson Crusoe, delt werden, wie es im Vorbericht heißt. Die Geschich- wie sah’ ich’s jetzt so lebhaft, was im gewöhnlichen Teil 2 (1780), Titelvignette ten reichen von den Phöniziern bis in die unmittelba- Gange des Lebens so oft vergessen und übersehen wird, von Johann August re Gegenwart; ihre Themen sind Nautik und Schiffs- daß alles dem Wechsel, der Veränderung von Grund Rosmaesler; Nr. 82. technik, Erklärungen zum Import von Pflanzen und aus unterworfen ist; also auch niemand auf seine jetzi- Nahrungsmitteln sowie z.B. Ausführungen zum Um- gen Vorzüge stolz seyn sollte.“ gang mit Naturgewalten. B.K. B.K. 90 Franz Xaver Geiger: 89 Karl Hammerdörfer: Der neue Robinson oder Seefahrten und Schicksale Neuer Sächsischer Robinson. Von Prof. K. Hammer- eines Deutschen. Eine angenehme und lehrreiche Er- dörfer Leipzig bei Voß und Leo. 1792. – IV, 148 S. 18 zählung für den gemeinen Mann. Augsburg, bei Jo- x 11 cm. hann Babtist Merz. 1794. – (2) 218 S. 17,5 x 10,5 (Sammlung der vorzüglichsten Robinsons und Aben- cm. theurer ; 1) Ohne Verfasserangabe. Mit ornamentaler Titelvignet- Erscheinen der Reihe mit diesem Band eingestellt. te und 9 unsignierten Kupfern, davon 1 Frontispiz. Weitere Ausgabe vorhanden. Titelblatt in Rot- und Schwarzdruck. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Das Buch enthält zehn Stationen einer Reise durch Die Ausgabe ist ausdrücklich für die „gemeine Volks- verschiedene Länder Europas. Es werden abenteuerli- klasse, in neuer Schreibweise und durch mehrere Kup- che Reisebegebenheiten erzählt (Verführungen, Begeg- fer verständlich, nützlich und zum Vergnügen aufbe- nungen mit Menschen, Bewährungen in Gefahr und reitet“. Not), aber auch Sitten, Gebäude und Landschaften B.K. vorgestellt und naturkundliches und geografisches Wissen eingestreut. Es geht auch hier um Schiffbruch 91 Johann Rudolf Wyss: und Inselaufenthalt, verbunden mit deutlicher Kritik Der Schweizerische Robinson oder der schiffbrüchige am Adel. Schweizer-Prediger und seine Familie. Ein lehrreiches

99 „DEM VERSTANDE UND DEM HERZEN DER KINDER ANGEMESSEN“

Buch für Kinder und Kinder-Freunde zu Stadt und Wink zur schicklichen Behandlung der Kinder, nicht Land. Herausgegeben von Joh. Rudolf Wyss. [4 Bänd- mit einem vornehmen Seitenblick verachten, weil er chen] – Zürich: Bey Orell, Füßli und Compagnie, nicht neu, oder nicht aus einem breiten System mit 1813–1827. 16,5 x 11,5 cm. gelehrtem Aufwande herbeygeholt ist.“ (Vorrede). 1. Zweyte verbesserte Aufl. Mit Kupfern. – 1821. – B.K. XIV, 292 S. 2. 1813. – 406 S. 1 Kt. 92 Ludwig Hibeau: 3. 1826. – VI, 395 S. Ein weiblicher Robinson. Erzählung für die Jugend. 4. 1827. – XVII, 448 S. Von Dr. Hibeau, Erziehungs-Inspector und Lehrer am Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Luisenstift zu Berlin. – 3. umgearb. Aufl. Mit 6 „Die gegenwärtige Schrift ist, wie der Titel schon sagt, Farbendruckbildern von W[ilhelm] Schäfer. – Berlin: zunächst für Kinder und Kinderfreunde bestimmt. Für Klönne & Meyer, [1874]. – 216 S. 18,5 x 12,5 cm. alle Kinder jedoch ist sie nicht, sondern ausschließlich Die erste Auflage erschien 1865. für diejenigen, welche schon mit einigem Verstande Vordemann-Sammlung lesen, allgemeine naturhistorische und geographische Trotz des Titels ist das Werk keine Robinsonade im Begriffe haben, und überhaupt etwa Kenntnisse besit- eigentlichen Sinn: die vierzehnjährige Anna verlässt vor zen wie man in bessern Stadt- und Land-Schulen sie der Entdeckung einer Lüge das Elternhaus; nach einer der Jugend von 8 bis zu 14 Jahre mitzutheilen pflegt. Odyssee durch exotische Gegenden und nach drei Unter Kinderfreunden versteht der Herausgeber nicht Schiffbrüchen gelangt sie wieder in die Schweizer sowohl solche, die mit philosophischen Untersuchun- Heimat. In weiten Zügen gleicht der Roman eher den gen, Theorien und Vorschlägen zu einer zweckmäßi- moralischen Abenteuererzählungen der Zeit; nur in gen Erziehung sich beschäftigen, als vielmehr Eltern, einer einzigen Episode ist der Roman dem Robinson Lehrer und andere Erwachsene, die gern mit der Ju- nachgebildet. Zeitweise verkleidet sich Anna als Junge gend sich abgeben, die den Charakter und die Sinnes- ,,Dres“ und übernimmt „männliche“ Aufgaben – in art der Kinder zu einem Gegenstand ihres kunstlosen diesen Abschnitten wird die Hauptfigur auch gram- Nachdenkens machen, die geneigt sind denselben nütz- matisch maskulin behandelt. Rein informative Passa- liche Kenntnisse auch nur gesprächsweise beyzubrin- gen sind sehr selten. gen, und die endlich einen schlichten wohlgemeynten M.H.

100 LEHRREICHE UNTERHALTUNGSBÜCHER, VERFASST „UM IN EINEM JUNGEN KOPFE AUFZURÄUMEN“. REALIENBÜCHER, KINDERFREUNDE, REISEBESCHREIBUNGEN

Naturkundebücher, Bildergalerien, Den an Vernunft und Weltlichkeit orientierten Abecedarien Idealen entspricht die häufig auftretende Tendenz der Autoren, dem Aberglauben entgegenzutreten. Matthias Heinzel Immer wieder finden sich ausführliche Passagen, in denen Vorgänge in der Natur, die zu abergläu- bischen Vorstellungen Anlass geben, rational er- Eine spezifische Literatur für Kinder und Jugend- klärt werden. Ein Beispiel dafür ist die berühmte liche entsteht erst zum Ende der Epoche der Auf- Naturgeschichte für Kinder (Exp.-Nr. 204–209) klärung, gegen Ende des achtzehnten Jahrhun- des Göttinger Lehrers Georg Christian Raff von derts. Schon Jahrzehnte zuvor erscheinen Bilder- 1778, ein weiteres das gleichnamige Werk von galerien, Abecedarien, Realienbücher, die Basis- Carl Philipp Funke (Exp.-Nr. 109), das jedoch wissen über Tiere, Pflanzen, Völker, Erdteile, Na- erst zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts er- tionen und vieles mehr für jedermann vermitteln. schien. Auch Johann Christian Bockshammer, der In der Grundkonzeption damit dem berühmten in seinem Astronomischen Kinder-Freund (Exp.- Orbis Pictus (Exp.-Nr. 4) des Johann Amos Co- Nr. 125) von 1784 den systematisch-vernunft- menius verpflichtet, wenden sich die teils sehr um- betonten Ansatz der Zeit mit einer dezidiert fangreichen Werke in Ton, Anrede oder Ductus christlichen Grundhaltung verbindet, tritt aber- jedoch in erster Linie an Leser in jugendlichem gläubischen Erklärungsversuchen entgegen. Ein Alter. Hier sind die Anfänge der Sachbücher für weiteres Beispiel: Anton Friedrich Büschings Kinder und Jugendliche zu finden, wie sie auch (1724–1793) Unterricht in der Naturgeschichte für heute noch aktuell sind; die wesentlichen, nach diejenigen, welche noch wenig oder gar nichts von wie vor gültigen Parameter wurden in dieser äu- derselben wissen (Exp.-Nr. 102), zuerst 1775 er- ßerst fruchtbaren Phase der Kinder- und Jugend- schienen. Dem Autor geht es nicht nur darum, literatur etabliert. Fakten zu vermitteln. Ein fast noch wichtigeres In der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahr- Anliegen Büschings ist es, die Idee der Wohlge- hunderts vollzieht sich eine auffällige Abkehr ordnetheit von Natur und Kosmos zu transpor- von religiös-belehrenden Inhalten. Die reale tieren. Dazu werden besonders Naturerscheinun- Welt drängt jetzt mit Macht in den Mittelpunkt, gen, die beim Menschen Furcht auslösen, aus- auch wenn die Natur als von Gott zweckmäßig führlich untersucht und ihr sachlicher Kern her- geordneter Kosmos präsentiert wird. „Nützlich“ ausgearbeitet. Immer wieder stellt der Autor ist der zentrale Begriff des pädagogisch-philo- heraus, dass die Ordnung in der Natur Ausdruck sophischen Ansatzes, der hinter diesen meist en- der gütigen Weisheit Gottes ist. Büsching, unter zyklopädisch arrangierten Werken steht. Begin- anderem als Professor für Theologie und für Phi- nend in den sechziger Jahren des achtzehnten losophie tätig, ist dabei in der Lage, komplexe Jahrhunderts, entwickelt sich dieses Genre der Sachverhalte so klar zu beschreiben, dass sie auch frühen Realienbücher für Kinder und Jugendli- jüngeren Kindern verständlich sind – eine Qua- che mehr und mehr zu einem System von lität, die bereits seine Zeitgenossen zu würdigen Gebrauchsbüchern, die sowohl für das Haus- wussten. In allen Fällen lautet die Botschaft an lehrersystem eines finanziell solide ausgestatte- die heranwachsende Generation: Die Erklärung ten Bürgertums als auch für öffentliche Schu- der Welt liegt im Diesseits, nicht im Jenseits. len und Erziehungsanstalten konzipiert sind. Die Wenn in den Kinderbüchern der Aufklä- Leserschaft waren damit Kinder und Jugendli- rungszeit die Sachinformation fiktionalisiert über che des gehobenen Bürgertums und ihre Erzie- einen Erzählrahmen vermittelt wird, fällt ein her. Schon früh erreicht diese Entwicklung ih- immer wiederkehrender situativer Kontext auf: ren Höhepunkt; nach 1800 verlor sie an Bedeu- In einer idealtypisierten Familie ist es meist der tung. Vater, seltener ein Erzieher oder väterlicher

101 LEHRREICHE UNTERHALTUNGSBÜCHER, VERFASST „UM IN EINEM JUNGEN KOPFE AUFZURÄUMEN“

Freund, der den Kindern die Welt öffnet. Auch sierte auf älteren Vorlagen und unzuverlässigen diese Figur der idealen Erzieherpersönlichkeit Quellen. Das Resultat: fehlerhafte und aus heu- entspricht in besonderer Weise dem Gedanken- tiger Sicht kuriose Darstellungen. gut der Aufklärung, zumal diese Situation die Ein zweiter Themenschwerpunkt ist die His- Möglichkeit bietet, dass die Kinder im Dialog torie. Ein zeittypisches Beispiel: Johann Matthi- selbst aktiv an der Erarbeitung des Wissens mit- as Schröckhs (1733–1806) Allgemeine Weltge- wirken. Begreift man die Aufklärung als Bewe- schichte für Kinder (Exp.-Nr. 123) vom achten gung, die sich die allseitige, selbstständige Ent- bis fünfzehnten Lebensjahr, also auch für Jugend- wicklung des Menschen zum Ziel gesetzt hat, sind liche. Schröckh, Professor für Dichtkunst, Alt- diese Kinderbücher nicht selten perfekte Umset- philologie und Kirchengeschichte an der Univer- zungen dieser Idee. sität Wittenberg, will die gesamte Weltgeschich- Eine beliebte zeitgenössische Darstellungs- te darstellen, aber zugleich Personen und Bege- variante wählt Johann Jacob Ebert (1737–1805) benheiten besonders herausheben, „die für die in seiner dreibändigen Naturlehre für die Jugend Kinder die einnehmendsten und lehrreichsten (Exp.-Nr. 103). Naturgeschichte und Naturleh- sind“.1 Bewusst verzichtet der Autor auf explizite re werden in 275 Briefen vermittelt. Ebert hat moralische Belehrungen, weil ständiges Morali- allerdings ein älteres Publikum im Blick: zehn- sieren dazu angetan sei, „Geschichte und Sitten- bis zwölfjährige Kinder, vorwiegend aus Famili- lehre zugleich dem Kinde zu verekeln“.2 Das im- en des gehobenen Bürgertums und des Adels. plizite Moralisieren führt Schröckh jedoch kon- Und auch hier ein nunmehr vertrauter Gedanke: sequent fort: Geschichte erscheint bei ihm immer Die Naturlehre, doziert Ebert in der Vorrede, „ist als Taten einzelner großer Persönlichkeiten, de- das beste Mittel wider den Aberglauben, und ren charakterlich-moralische Eigenschaften aus- wider die daraus entstehende unnötige Furcht“. führlich dargestellt werden. Die Methode: Die Es ist bereits deutlich geworden: Den weitaus jungen Leser sollen aus der Darstellung heraus größten Raum im Genre der Realienbücher neh- die moralisch richtigen Lehren selbst ziehen. Der men naturgeschichtliche Werke ein. Das bei vie- Zweck: Die dargestellten Berühmtheiten der len Realienbüchern der Aufklärungszeit unmit- Geschichte sollen Beispiele geben für ein Verhal- telbar ins Auge fallende Merkmal sind dabei die ten, mit dem der Mensch seine von Gott gegebe- teils prächtigen, nicht selten dominierenden Il- nen Gaben zum Wohle der Religion und Mensch- lustrationen. In der heutigen Zeit der Live-Me- heit im Sinne eigener Vervollkommnung einsetzt. dien wie Fernsehen und Internet vielleicht nicht Schröckh verzichtet dabei auf eine zu kindgemä- unmittelbar verständlich, war damals die nicht ße Sprache. Das umfängliche Werk ist dabei selten künstlerisch ausgestaltete Illustration ein „durch eine insgesamt sehr breite und ausführli- unentbehrliches Mittel der Beschreibung – vor che Darstellungsweise geprägt“.3 allem solcher Dinge, die außerhalb des Erfah- Jeder der sechs Bände verfügt über eine Zeit- rungshorizontes der Leser liegen mussten. So in tafel mit den wichtigsten politischen und kultu- dem in der Ausstellung gezeigten Alten Anschau- rellen Daten. Dazu gibt es eine Vielzahl von ungsbuch (Exp.-Nr. 98): Die Illustrationen dieses Kupfertafeln nach Zeichnungen von Christian undatierten Werkes mit vier kolorierten Bildta- Bernhard Rode aus Berlin, die nicht primär be- feln erinnern an sehr viel früher entstandene Vor- sonders bedeutsame historische Vorgänge darstel- bilder. Die Detailtreue und Lebendigkeit der Ta- len, sondern vorwiegend charakterliche Eigen- feln gemahnen an die Tier- und Pflanzendarstel- schaften von Personen der Weltgeschichte anhand lungen Albrecht Dürers, sind ebenso wie diese typischer Szenen zeigen sollen. Die Illustrationen von naturwissenschaftlicher Genauigkeit in Form dienen laut Verfasser als Anregungen zum Ge- und Farbe. Einzelne Darstellungen sind später spräch zwischen Eltern und Kindern. wiederverwendet worden – so der Elefant, der Schröckhs Allgemeine Weltgeschichte war sich in der Gallerie der merkwürdigsten Säugethiere seinerzeit weit verbreitet. Sie wurde ins Französi- (Exp.-Nr. 113) wiederfindet; zwar seitenverkehrt, sche übersetzt, bearbeitet und fand unter ande- aber sonst in allen Details identisch. Nicht immer rem in Raffs Abriss der allgemeinen Weltgeschichte allerdings sind die Darstellungen ähnlich verläss- für Kinder (Exp-Nr. 212) einen Nachahmer. lich. Schließlich lag das Gezeigte oft außerhalb Bezeichnend für die Realienbücher der Auf- der Erfahrung der Autoren und Illustratoren, ba- klärungszeit ist der Grundgedanke, in einem

102 NATURKUNDEBÜCHER, BILDERGALERIEN, ABECEDARIEN

Werk zwar einen thematischen Ausschnitt bei- schicht kann sich jetzt die durch neue Drucktech- spielsweise naturwissenschaftlichen Wissens dar- niken billiger gewordenen Kinderbücher leisten. zustellen, diesen aber komplett – das heißt für In dieser gesellschaftlichen Schicht jedoch ver- den gesamten Bereich der damals bekannten liert die Idealfamilie der Kinderbücher der Auf- Welt. Der Blickwinkel der Autoren, der auch klärungszeit als erzählerischer Hintergrund an derjenige der Leser sein soll, ist also global. Die Glaubwürdigkeit. Auch die erzieherischen Ziele Bedeutung dieses Ansatzes ist nicht zu unterschät- verändern sich: Von nun an geht es weniger um zen in einer Zeit, in der zumindest die Angehöri- die Vermehrung des Wissens und vermehrt um gen gehobener Schichten vielleicht eine Ahnung die sittliche Läuterung der Heranwachsenden.4 von der Vielfältigkeit des Lebens auf dem Plane- ten besaßen, jedoch weit davon entfernt waren, Literaturverzeichnis: darüber halbwegs sichere Erkenntnisse zur Ver- [BAUR, SAMUEL:] Charakteristik der Erziehungsschrift- fügung zu haben. Das wirklich Spannende an steller Deutschlands. Ein Handbuch für Erzieher, diesem Vorhaben der Kinderbuchautoren der Leipzig 1790. Aufklärungszeit war es, dieses zuvor nur wenigen BERTLEIN, HERMANN: Das geschichtliche Buch für die vorbehaltene Wissen in der heranwachsenden Jugend. Herkunft – Strukturen – Wirkung. Zur Ent- Generation möglichst umfassend zu verbreiten. stehung und Bestimmung eines Jugendbuchzweigs, An seine Grenzen stößt der hier skizzierte global Frankfurt a. M. 1974. ausgerichtete Gedanke erst in der zweiten Hälfte GRENZ, DAGMAR: Der Sieg der Menschheit über den Des- des neunzehnten Jahrhunderts – lange nach Ende potismus. Aufklärung und Revolution in der Kin- des hier zu betrachtenden Zeitraumes. Dann der- und Jugendbuchliteratur der Spätaufklärung, nämlich gibt es auf Grund der immer schneller in: Die Schiefertafel 6 (1983), H. 1–2, S. 75–95. zunehmenden Wissensmenge Bestrebungen, die SCHMIDT, EGON: Die deutsche Kinder- und Jugend- Themen regional zu begrenzen. literatur von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Realienbücher machen in der Epoche der Auf- Anfang des 19. Jahrhunderts (Studien zur Geschich- klärung wie in früheren Epochen einen Haupt- te der deutschen Kinder- und Jugendliteratur 2) teil der für Kinder und Jugendliche verfassten Berlin 1974. Werke aus. Nach 1800 jedoch gewinnen freiere WANGERIN, WOLFGANG (HRSG.): Pfui, ruft da ein je- Ideale das Übergewicht, die weniger stark am der. Alte Kinderbücher aus der Vordemann-Samm- Ideal systematisch-sachlicher Bildung und einer lung der Universität Göttingen. München 1989, 5. durch Wissen geprägten, vernunftbestimmten Aufl. Göttingen 1994. Persönlichkeitsentwicklung ausgerichtet waren. SCHRÖCKH, JOHANN MATTHIAS: Allgemeine Weltgeschich- Allerdings wirken die Leitideen der Aufklärung te für Kinder, 6 Bde., Leipzig 1779–1784. in Kinderbüchern noch fort, als sich in der Phi- STOLLBERG, BARBARA: Johann Matthias Schröckh (1733– losophie und Literatur für Erwachsene schon 1808): Allgemeine Weltgeschichte für Kinder. 4 Theile längst die Ideale der Romantik Bahn gebrochen (1779–84), in: BRÜGGEMANN / EWERS 1982, Sp. haben. Dem sich verändernden Wertesystem ent- 1039–1046. spricht eine andere Entwicklung. Gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts setzen sich fiktionale Formen stärker durch, die im neunzehnten Jahr- Anmerkungen hundert die Kinderliteratur schließlich dominie- 1 Schröckh 1779, Vorrede. ren. Dieser Prozess geht einher mit einer Verän- 2 Ebd. derung des Publikums. Nicht mehr nur das ge- 3 Stollberg 1982, Sp. 1045. hobene Bürgertum, auch die aufstrebende Mittel- 4 Wangerin 1989, S. 80.

103 LEHRREICHE UNTERHALTUNGSBÜCHER, VERFASST „UM IN EINEM JUNGEN KOPFE AUFZURÄUMEN“

Exponate 93–128 pold Schrader. Erstes–Drittes Bändchen. Leipzig, 1797–1799. bey Siegfried Lebrecht Crusius. – 16,5 x 10,5 cm. 93 Karl Philipp Moritz: 1. 1797. – XXII, 232 (8) S. Neues A. B. C. Buch welches zugleich eine Anleitung 2. 1797. – IV, 246 (4) S. zum Denken für Kinder enthält mit Kupfern von Karl 3. 1799. – XIV, 254 (2) S. Philip Moritz. Professor bei der Academie der bilden- Frontispiz in T. 1 von Schnorr und Grünter, in T. 2 den Künste in Berlin. Berlin, 1790. Bei Christian von Rosmaesler und C. Schule, in T. 3 von Senff und Gottfried Schöne. – 35 S. 16,5 x 10,5 cm. Grünter. Mit 9 Kupfertafeln. Frontispiz von P. Haas. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Dieses wunderschöne ABC-Büchlein wurde vermut- Das dreibändige Lesebuch ist für Kinder geschrieben, lich so häufig benutzt, dass es sich in einem ziemlich die bereits lesen können und ist als Nachfolge eines abgegriffenen Zustand befindet. Unterhalb der Bilder ABC-Buches gedacht. „Ein Kind, das in seinem Abc- zu jedem Buchstaben befindet sich jeweils ein treffen- buche lesen gelernt hat, lieset immer noch mit Mühe der kleiner Spruch. Es folgen Tafeln, auf denen das und hat überhaupt nur geringe Fortschritte gemacht. kleine und das große deutsche Alphabet sowie das la- Das Buch nun, das man ihm nach dem Abcbuche in teinische Alphabet abgebildet sind. Auch eine Abbil- die Hand giebt, muß sich an dieses anschließen; die dung deutscher Schreibschrift ist vorhanden. Lesestücke müssen mannigfaltig, immer noch leicht, A.B. kurz, und seinem schwachen Verstande angemessen Angebunden: seyn“ (Vorrede, S. VIII). Karl Philipp Moritz: Alle drei Bände enthalten kurze, leichte Geschichten Lesebuch für Kinder von K. P. Moritz als ein Pendant mit Titeln wie etwa: Hermanns Lebensregeln oder Wo zu dessen A B C Buch, welches zugleich eine natürli- kommt das Glas her! Jeder Band hat ein sehr schönes che Anleitung zum Denken für Kinder enthält. Mit Frontispiz, gezeichnet von namhaften Illustratoren. Churfürstl. Sächsisch. Gnädigster Freiheit. Berlin, A.B. 1792. Bey Christian Gottfried Schöne. – 62 S. Farbiges Kupfer am Ende des Buches von J. B. Heiden- 96 Heinrich August Müller: reich. Das nützlichste Buch für kleine Kinder. Oder: Bilder-, Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen ABC- und Lesebuch von H. Müller, Prediger in Woll- Die kleinen Geschichten des Lesebuches eignen sich mirsleben, Ritter. Mit 28 ausgemalten Kupfern und ausgezeichnet dazu, die Lesefertigkeit von Kindern mit den interessantesten, den Fassungskräften des Kindes Anfängerkenntnissen zu vertiefen. Der Band enthält angemessenen Erzählungen. – Fünfte, verbesserte und Erzählungen, Fabeln und Betrachtungen. vermehrte Auflage. – Hamburg: in der Heroldschen A.B. Buchhandlung, [1834] (Gedruckt bei Johann Bernhard Appel). – VIII, 172 (2) S. 17 X 10,5 cm. 94 Méthode Amusante Pour Enseigner L’A, B, C. Mit farbigen Illustrationen auf dem Einband. – 45. eme Edition. – A Paris: chez Mme Deveaux, et Die Erstausgabe erschien 1819. chez Favre, librairie, (1811) (Imprimerie de brasseur Vordemann-Sammlung ainé). – 84 S. 16,5 x 10 cm. Der Autor verbindet in seinem auch für den Gebrauch [Nebentit.:] Abécédaire récréatif, orné de vingt-six in Schulen bestimmten Werk seine aufklärerische, gravures. Propres à piquer la curiosité des Enfants ... philanthropisch ausgerichtete Grundhaltung mit Vordemann-Sammlung Pestalozzis Elementarmethode. Andererseits sind sogar Dieses ABC-Buch war sehr beliebt. Das vorliegende die „Lese-, Denk- und Sprechübungen nach Pestalozzi“ Werk ist eine 45. Auflage. Nicht nur die wunderschö- und die ,,Erzählungen, zu den naturhistorischen Bil- nen Kupfer machen das Besondere des Lesebüchleins dern“ (Inhaltsverzeichnis) von einer ,,naiv-christlichen aus, sondern auch eine Einführung in die Grund- Orientierung“ geprägt, die dem „aufklärerischen Im- kenntnisse der Arithmetik. petus“ (Göbels in Doderer 1975, Bd. 2, S. 507) nicht M.H./A.B. gerade förderlich ist. M.H. 95 Gottfried Leopold Schrader: Elementarisches Lesebuch für Kinder, die schon im A 97 Neues Nationen-Alphabet. – in Mainz: bei Jos. B C Buche lesen gelernt haben von M. Gottfried Leo- Scholz, [um 1835]. – (24) Bl. kolorierte Trachten-Li-

104 NATURKUNDEBÜCHER, BILDERGALERIEN, ABECEDARIEN thographien. 13 x 8,5 cm. Farbig illustrierter Original-Pappband. Vordemann-Sammlung Ein offenbar seltenes ABC-Buch in Form eines Lepo- rellos. Zu jedem Buchstaben des Alphabets wird ein jeweils nationaltypisch gekleideter Mann gezeigt; Frau- en kommen nicht vor. Bewohner fernerer Länder zei- gen ihre Nationaltrachten, während die Kleidung der Mitteleuropäer der Herrenmode der ersten Hälfte der dreißiger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts folgt. Die Kolorationen sind sorgfältig und farbenprächtig ausgeführt. A.B.

98 Altes Anschauungsbuch mit 4 kolorierten Bild- tafeln – o.O., o. J. Quer 18,5 x 24,5 cm. Ohne Verfasserangabe, Titelblatt und Text. Die kolo- rierten Kupfertafeln zeigen Vögel, Fische, Säugetiere, Amphibien und Pflanzen. Vordemann-Sammlung Die Abbildungen erinnern in ihrer Detailtreue und Lebendigkeit an die sehr viel älteren Tier- und Pflanzen- darstellungen Albrecht Dürers. Sie sind von naturwis- senschaftlicher Genauigkeit in Form und Farbe. Ein- zelne Figuren dieses Buches finden sich in der späte- ren Realienliteratur wieder. So enthält die Gallerie der merkwürdigsten Säugetiere (Exp.-Nr. 113, S. 39) ein genaues Abbild des Elefanten, lediglich seitenverkehrt gezeichnet. Die Zuckerrohrstaude diente einem wei- teren Realienbuch, der Neuen Bildergallerie für die Ju- gend, als Vorlage (Exp.-Nr. 118, Heft 5, S. 40). Das läutern die Bildtafeln. Ihre Anordnung folgt einzel- Abb. 38 Alte Anschauungsbuch entspricht vom Illustrationswert nen französischen Begriffen, die in alphabetischer Rei- Moritz: Neues ABC-Buch her den vollendet naturgetreuen Darstellungen der henfolge samt deutscher und englischer Übersetzung (1790); Nr. 93. hohen Kunst des sechzehnten Jahrhunderts. auf Extraseiten eingefügt sind; Ziel ist ein erster an- A.B. schaulicher Zugang zur französischen Sprache. Auf fünf Kupfertafeln sind insgesamt sechzehn Abbil- 99 Bilderbuch ohne Verfasser und Titel. Inhalt dungen aus dem russischen Volksleben zu sehen. Als u.a.: Der Ackermann. Der Anker. o.O., o.J. – 162 S. Illustrator des bekannten Botanikers Pallas hatte Geiß- 13,5 x 10,5 cm. ler diese Reise durch das südliche Russland zwischen 16 Abbildungen auf 4 Kupfern nach Zeichnungen von 1790 und 1798 (Vorwort) unternommen. Ausdrück- Christian Gottfried Heinrich Geißler. S. 9, 10, 19– lich betont der Verfasser des Bilderbuches, dass Geiß- 24, 41, 42, 49–52, 57–60, 67–94, 109–142, 145– ler sich gehütet habe, ,,solche Dinge wieder abzuzeich- 152, 159, 160 fehlen. nen, die schon in andern Büchern“ (Vorwort) abge- Vordemann-Sammlung bildet sind. Ungewöhnlich ist die rahmenlose, offene Der Autor will ,,sowohl manchen Aeltern damit ei- Zeichenweise Geißlers. Die Licht- und Schattenwir- nen Gefallen [...] thun, die ihren gutartigen Kindern kungen seiner Bilder erzielte er durch gekonnte Schraf- gern eine Freude machen, als auch den wißbegierigen furen. Im farbigen Mittelpunkt seiner Kolorierungen kleinen Lesern, die nicht bloß die Bücher um der Bil- steht der Mensch. Die intensive Befassung mit dem der wegen durchblättern, sondern welche die Bilder Menschen führte zu einer gemeinsam mit Joh. Sal. genau ansehn und so lange fragen, bis man ihnen alles Richter herausgegebenen Trachtenkunde der ,,russi- erklärt hat, was sie verstehen können“ (Vorwort). Die schen Volkstrachten“ in den Jahren 1805–1807. szenischen und erzählenden Texte ergänzen und er- M.H./A.B.

105 LEHRREICHE UNTERHALTUNGSBÜCHER, VERFASST „UM IN EINEM JUNGEN KOPFE AUFZURÄUMEN“

100 Friedrich Karl Lang: 4. Die Weltgeschichte für die Jugend. – 64 S. Der Kleine mit dem Guckkasten. Oder schöne Rari- 6. Naturgeschichte der vierfüßigen Thiere für die täten für Knaben und Mädchen, welche sich in der Jugend. – 36 S. Welt umsehen und erfahren wollen, wie solche außer- 7. Naturgeschichte der Vögel für die Jugend. Mit halb der lieben Heimath beschaffen sey. Von Carl Lang. Kupfern. – 36 S. Mit Ansichten merkwürdiger Städte, Berge, Seen u.s.w. 8. Naturgeschichte der Fische und Amphibien für die – Leipzig: bey Karl Tauchniz, (1806). – IV, 148 S. Jugend. Mit Kupfern. – 36 S. 16,5 x 12 cm. 9. Naturgeschichte der Insekten für die Jugend. Mit Mit einem kolorierten Frontispiz von Lang und 8 Kupfern. – 36 S. Kupfern von Johann P. Veith. 10. Botanik oder Pflanzenkunde für die Jugend. Mit Erstausgabe. einem Kupfer. – 36 S. Vordemann-Sammlung 14. Grundsätze der teutschen Rechtschreibung für die ,,Ein kleiner brauner Savojarde, der auf dem Titelkup- Jugend. – 22 S. fer zu sehen ist, belustigt die liebe Jugend mit seinen 15. Logik oder Vernunftlehre für die Jugend. – 28 S. Raritäten. Das Mangelhafte seiner Erklärungen ergänzt 20. Sitten- und Klugheitslehre in Beispielen für die der Vater seinen in Beschauen ersunknen Kindern [sic], Jugend. – 48 S. und so wird auch hier Vergnügen mit Nutzen verwebt“ 21. Räthsel, Charaden und Logogryphen zur Hebung (Verlagsanzeige). Der Junge präsentiert in einem öf- des Scharfsinnes für die Jugend. – 32 S. fentlichen Vortrag acht Bilder aus ganz Europa. Der Band 6–10 mit je einer kolorierten Tafel als Titelblattil- Text ist fast durchgängig gereimt. lustration. Alle Bände ohne Reihentitel und Verfasser. Wie in vielen von Langs Werken für die Jugend ist Sehr wahrscheinlich Erstausgabe. auch hier eine originelle und kindgemäße Konzeption Vordemann-Sammlung unter dem Druck verlegerischer Termine ohne die Der vierte Band beschreibt die Frühgeschichte entspre- nötige Sorgfalt ausgeführt; bei aller Unterhaltsamkeit chend der biblischen Überlieferung. Auch die ande- wirken Versmaß und Reimschema nur selten formal ren Bände behandeln die jeweiligen Sachgebiete nicht vollendet. nach streng wissenschaftlichen Kriterien; der philan- Karl Friedrich Lang arbeitete sowohl als Autor wie auch thropisch geprägte Autor legt dabei im Gegensatz zu als Verleger. Unter dem Pseudonym C. A. Hirschmann vielen seiner Zeitgenossen Wert auf eine ausgespro- kopierte er auch Kupferstiche. Er fertigte auch das Ti- chen kindgerechte Darstellungsweise, die die Informa- telkupfer des Kleinen mit dem Guckkasten an. Es hebt tionsfülle durch kleine Geschichten und Beispiele er- sich gegenüber anderen Illustrationen dieser Zeit gänzt. dadurch ab, dass es viel freie Fläche aufweist, die durch Johann Heinrich Meynier (1764–1825) war nicht nur eine anmutige, lockere Kolorierung gefüllt ist. Schriftsteller und Illustrator, sondern auch Doktor der Die weiteren Illustrationen in diesem Büchlein sind Philosophie und Lektor der französischen Sprache an Kupferstiche von Sehenswürdigkeiten, die der Land- der Universität Erlangen. Im örtlichen Gymnasium schaftszeichner Johann Philipp Veith (1768–1837) an- und an der Universität gab er Zeichenunterricht. Schon gefertigt hat. Veith war ein recht bekannter Künstler, die Menge an Pseudonymen, unter denen er seine der auch für die Meißener Porzellanmanufaktur arbei- Bücher herausgab, spricht für eine außergewöhnliche tete. Schaffenskraft (Georg Ludwig Jerrer, L. K. Inselin, M.H./A.B. K. H. André, W. Gottschalk, Jul. Freudenreich, Felis. Selchow, Jul. Sternberg, Felix Sternau, K. L .Renner, 101 Johann Heinrich Meynier [Pseud.: Georg W. Bescheerer und J. F. Sanguin). Bemerkenswert ist Ludwig Jerrer]: der Sprachstil Meyniers, der den jungen Lesern natur- Wissenschaftlicher Hausbedarf für die Jugend oder geschichtliche Phänomene anschaulich vermittelt. Er kleine Handbibliothek derjenigen Kenntnisse, welcher schreibt zu der Kugelform der Erde: „Wenn nun die jeder gebildete Mensch wissen muß von Dr. G. L. Erde kugelförmig ist, so müssen uns die Menschen, Jerrer. – Bd. 1. 2. 4. 6–10. 14. 15. 20. 21. – Nürnberg: die gerade unter uns wohnen, die Füße zukehren; z.B. bei Friedrich Campe, 1820. – 13 x 11 cm. die Neu-Seeländer sind die Gegenfüßler der Teutschen“ 1. Physische Geographie oder natürliche Erdkunde (Bd. 1, S. 4). Meynier verfeinerte nach und nach seine für die Jugend. – 32 S. Erfahrung als Kupferstecher. Das Frontispiz zur Na- 2. Geographie oder Beschreibung der Erde für die turgeschichte der Vögel ist sehr fein und sorgfältig ge- Jugend. – 52 S. arbeitet. Die Farben der Kolorierung vermitteln einen

106 NATURKUNDEBÜCHER, BILDERGALERIEN, ABECEDARIEN sehr genauen, aber auch ästhetischen Eindruck. Abb. 39 M.H./A.B. Porträt von Büsching, gestochen von 102 Anton Friedrich Büsching: G. F. Schmidt D. Anton Friedrich Büschings Königl. Preuß. Ober- nach einer Vorlage consistorialrath, auch Director des vereinigten Berli- von Erikson. nischen und Cöllnischen Gymnasii Unterricht in der Naturgeschichte für diejenigen, welche noch wenig oder gar nichts von derselben wissen. erläutert durch 39 Kupfer und zum Vergnügen der Kinder herausge- geben. Presburg und Pest [s.n.], 1776. – 38 S. Quer 21,5 x 34,5 cm. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Die 36 unsignierten Kupfertafeln zeigen Abbildungen von vierfüßigen Tieren, Vögeln, Fischen und Insekten und von Emotionen bewegte menschliche Gesichter. Offenbar handelt es sich um ein Kupferwerk mit ei- nem kurzen einführenden Text zu dem erstmals 1775 erschienenen Unterricht in der Naturgeschichte, einem Lehrbuch für Anfänger, das der frühere Göttinger Pro- fessor Büsching während seiner Berliner Zeit als Schul- direktor schrieb. W.V.

103 Johann Jacob Ebert: Naturlehre für die Jugend. Herausgegeben von Johann Jacob Ebert Prof. der Mathem. zu Wittenberg. Ers- ter–Zweyter Band. Mit Kupfern. Leipzig, bey Weid- ser Teile der Naturlehre umfassende Kenntnisse der manns Erben und Reich, 1776–1777. 21 x 13 cm. Mathematik, Geometrie oder Rechenkenntnisse not- 1. 1776. – XXVI, 384 S. Taf. 1–22. wendig seien. Im 59. Brief beschreibt der Autor die 2. 1777. – XXII, 342 S. Taf. 23–34. Herstellung und Funktion unterschiedlicher Luftpum- Ornamentale Titelvignette in beiden Bänden. In Bd. pen. Diese Luftpumpen wurden für den Zweck ge- 1 Frontispiz von C. L. Crusius nach J. W. Mechau. schaffen, die Elastizität und Schwere der Luft zu de- Die Kupfertafeln sind nicht signiert. monstrieren. Doch nicht nur physikalische Grundbe- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen griffe werden in diesem Werk erklärt. Die Beschrei- In Form von Briefen, von denen jeder ein Kapitel aus- bung von Tieren belebt den Schluss des ersten Ban- macht, wird dem jungen Leser das Wissen der Zeit des. Sehr schöne Kupfertafeln illustrieren den Text. nahegebracht. Der Verfasser erläutert im Vorwort zum Der zweite Band, beginnend mit dem 130. Brief, be- ersten Band, warum er diese Form der Mitteilung ge- schäftigt sich mit Vögeln, Fischen und Amphibien. wählt hat. „Durch folgende Briefe, welche an einen Jede Gattung ist in Ordnungen unterteilt, was sich jungen Herrn gerichtet sind, habe ich Eltern und besonders schön am Beispiel der Vögel darstellen lässt. Hofmeistern, welche nicht Gelegenheit hatten, die So teilt der Verfasser die Vögel in sechs Ordnungen Naturlehre ordentlich zu lernen, ein Mittel verschaf- ein: Wasser-, Sumpf-, Gang-, Raubvögel, sowie specht- fen wollen, Kindern von zehn bis zwölf Jahren einen und hühnerartige Vögel. Ähnlich werden Fische und Vorgeschmack von dieser nützlichen Wissenschaft mit Amphibien klassifiziert. Insgesamt sind die Beschrei- leichter Mühe zu geben. Denn daß dieses Alter schon bungen sehr weitreichend und verständlich. geschickt ist, die in gegenwärtigen Briefen vorgetrage- Ein dritter, abschließender Band erschien 1778 und nen Sachen größtentheils zu begreifen, weiß ich aus beschreibt die Insekten, Pflanzen und Mineralien. vielerlei Erfahrungen“. A.B. In den 129 Briefen des ersten Bandes werden nur grundlegende Kenntnisse vermittelt. Ebert weist aus- 104 Naturgeschichte der vornehmsten Säugthiere. drücklich darauf hin, dass für das Verständnis gewis- Ein Spiel- und Lesebuch für Kinder von einem Kin-

107 LEHRREICHE UNTERHALTUNGSBÜCHER, VERFASST „UM IN EINEM JUNGEN KOPFE AUFZURÄUMEN“ derfreunde. Mit Karten und Kupfern. Breßlau, Brieg Vögel, als Sperlinge, Krähen, oft nachtheiligere Fol- und Leipzig, bei Christian Friedrich Gutsch. 1786. – gen gehabt hat. Sie verzehren die Aeser mancher (10) 154 S. 17 x 10,5 cm. Am Ende beigefügt: Mate- größern Thiere, oder Schlangen, Feldmäuse und der- rial zur Herstellung eines Kartenspiels. gleichen, deren Ausbreitung schädlich“ ist (S. 25 f). Ohne Verfasserangabe. Mit unsignierter Titelvignette. Interessant und für Kinder gut verständlich ist die Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Beschreibung des Aufbaus der Vogelkörper. Bestimm- Im Vorbericht zu dieser Naturgeschichte vertritt der te Arten von Vögeln ordnet der Autor speziellen land- Verfasser die Ansicht, dass ein Spiel in den Zwischen- schaftlichen Zonen zu. „Die Natur arbeitet, so weit stunden oder Pausen nützlich sei, dass es auch unter- die menschliche Erfahrung reicht, nach einerley Re- richten könne, auf jeden Fall aber unschädlich sei. Auf geln und Grundsätzen; sie ist freygiebig, aber nicht der ersten Seite des Vorberichtes schreibt er: „Wer mit verschwenderisch; sie ist ordentlich, und doch nicht mir zanken will, daß ich die Menge von Kinderspie- eigensinnig, sondern weiß zu rechter Zeit Ausnahmen len, die bereits das Licht der Welt erblickt haben, noch zu machen, die abermals auf Regeln gegründet sind“ vermehre, den bitt’ ich nur um einen Augenblick Ge- (S. 5). Sehr aufschlussreich ist auch die Literaturliste duld, und um ein geneigtes Gehör. Ich bin so gut über- jener Vorgänger des Autors, die sich mit den gleichen zeugt, als es jemand seien kann, daß man bei der Er- Themen befasst haben. Die Illustrationen am Ende des ziehung, den eigentlichen Unterricht, nicht in immer- Bandes sind bekannten Realienwerken entnommen. währendes Spiel verwandeln, und dadurch in seinen A.B. Zöglingen den Tändelgeist erwecken müsse“. Aus diesem Grunde erfand der Verfasser eine Art Kar- 106 F. A. Scheureck: tenspiel, bei dem je ein Kind als Lehrer fungiert. Die Unterhaltungen in der Naturgeschichte aller Arten ausführliche Anleitung beschreibt er in einem geson- Fische zum nützlichen Gebrauch für die Jugend so- derten Kapitel. Die Karten sind nummeriert und mit wohl aus verschiedenen Schriften berühmter Natur- der Bezifferung der Tiere im Buch identisch. Sinn des forscher zusammen getragen als auch aus eigener Beo- Spieles ist eine Zuordnung der erklärten Tiere zu den bachtung verfertiget von F. A. S. Mit Kupfern. Leipzig entsprechenden Karten. bey J. H. Kaven. 1791. – (42) 375 S. 18 x 11,5 cm. Die Beschreibungen der Tiere sind einfach und auch Ohne Verfasserangabe. Mit 22 unsignierten Falt- für jüngere Kinder verständlich gehalten. So heißt es kupfern. von dem Nilpferd: „Das Nilpferd ist ein großes, plum- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen pes, garstiges Thier“ (S. 130). Der Verfasser gibt hin- Der Autor dieses Realienbuches bezieht sich in seinen sichtlich seiner Orientierung Linné und Raff an. Erklärungen auf das Linné’sche System. Eine allge- A.B. meingültige Grundanatomie wird in der Einleitung zu diesem Büchlein beschrieben: „Der ganze Fisch ist, wie 105 F. A. Scheureck: man aus den Versuchen mit der Luftpumpe wahrge- Unterhaltungen in der Naturgeschichte aller Arten nommen, gleichsam durch und durch mit Luft durch- Vögel zum nützlichen Gebrauch für die Jugend so- drungen, und kann auch ohne die Luft gar nicht le- wohl aus verschiedenen Schriften berühmter Natur- ben: daher die Fische in zugefrornen Weihern sterben, forscher zusammen getragen als auch aus eigener Be- wenn ihnen nicht hin und wieder durch Aufhackung obachtung verfertiget von F. A. S. Leipzig, 1784. Auf des Eises Luft verschafft wird, wo jedermann wahrneh- Kosten des Verfassers. – 464 S. 17,5 x 10,5 cm. men kann, wie sie sich an den gemachten Oefnungen Ohne Verfasserangabe. Mit 50 unsignierten Kupfer- versammlen, und nach der Luft begierig schnappen“. tafeln. Anfangs beschreibt der Verfasser die vier Ordnungen, Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen nach denen er Fische einteilt. Danach werden ihre Das vorliegende Buch ist in zwei Teile gegliedert. Der Kennzeichnungen in 47 Unterpunkten dargelegt. Im erste beschäftigt sich mit den Säugetieren, die die zweite weiteren Verlauf des Buches werden einzelne Fische, Klasse des Tierreiches bilden. Nach dieser Definition wie zum Beispiel die Muräne beschrieben. Sehr kind- gehören die Vögel der dritten Klasse an. In der Einlei- gemäß zeigt der Autor, wie der Aal zu dem Namen tung befasst sich der Autor unter anderem mit der Muräne gekommen ist: „So ist dieser Fisch durch sei- Geschichte der Vögel. Er begründet die Wichtigkeit ne schöne schwarz und weise Marmorirung, und weil der Vögel im Haushalt der Natur folgendermaßen: „Sie er das zarteste und angenehmste Fleisch hat, deßwegen vertilgen unzählbare Heere von schädlichen Inseckten, auch Helena genennet; sonst ist er auch bey den alten daher die Ausrottung mancher angeblich schädlicher Leuten unter dem Namen Mutteraal bekannt gewe-

108 NATURKUNDEBÜCHER, BILDERGALERIEN, ABECEDARIEN sen, welches so viel als Mutteraal seyn soll, weil das Das Werk versucht, einen Mittelweg zwischen „einer Weibchen fast allezeit lebendige Junge bey sich füh- allzustrengen Wissenschaftlichkeit“ und „einer allzu- ret, und sich ungemein stark fortpflanzet. Wir nennen populären Sprache“ (Vorrede) zu finden. ihn izt die Murene“. M.H. Das Büchlein ist durch 22 Tafeln illustriert. Auf jeder Tafel befinden sich die Darstellungen zumeist mehre- 109 Karl Philipp Funke: rer Fische. Naturgeschichte für Kinder. Verfasset von C. Ph. Fun- A.B. ke, herausgegeben von G[eorg] H[einrich] C[hristian] Lippold. Mit Kupfern. – Fünfte, sehr verbesserte und 107 Die Schönheiten der Schöpfung ein naturhis- vermehrte Ausgabe. – Stuttgart: bei August Friedrich torisches Lesebuch für die Jugend Frei bearbeitet nach Macklot, 1820. – VIII, 588 S. 20,5 x 12 cm. dem Englischen mit 56 Abbildungen. Berlin, bey Ernst Mit unsigniertem koloriertem Frontispiz und 7 kolo- Felisch. 1798. – XVI, 151 S. 20,5 x 12,5 cm. rierten Faltkupfern. Die Seiten 1 bis 16 sind hinten The beauties of creation angebunden. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Die Erstausgabe erschien 1808. Der Band befasst sich mit den vierfüßigen Tieren. Es Vordemann-Sammlung handelt sich um die deutsche Übersetzung und Bear- „Die Erzählungen darin werden euch aber auch nütz- beitung des ersten Teils eines fünfbändigen englischen licher seyn, als die abgeschmackten Ammenmährchen Lesebuchs zur Naturgeschichte von George Riley, das und Fabeln von Gespenstern, Kobolten, Wassernixen erstmals 1790 unter dem Titel The beauties of creation, und dergl., womit sonst die Köpfe der armen Kinder or a new moral system of natural and reptiles, insects, so angefüllt wurden, daß sie des Abends, sobald es trees and flowers ... erschien. dunkel ward, allein nicht aus der Stube zu gehen wag- Die Beschreibungen der einzelnen Tiere sind sehr sorg- ten“ (Vorrede des Verfassers). Das postum erschiene- fältig und genau, was äußere Formen, aber auch die ne Nachschlagewerk für den Schulunterricht gibt eine Lebensgewohnheiten angeht. Bei der Erläuterung des ,,Beschreibung aller Naturerzeugnisse, der Thiere, Krokodils beginnt der Autor damit, den Namen aus Gewächse, Steine, Metalle usw.“ (ebd.). Das Werk ist dem Griechischen herzuleiten: „Der Name Crocodill noch ganz der Aufklärungstradition verpflichtet. Fun- ist ein griechischer Name, und bedeutet jemand, der ke ergänzt den detaillierten Sachvortrag durch einige das Ufer fürchtet, und man hat wahrscheinlich die- erlebnishafte Passagen. sem Thiere darum diesen Namen beigelegt, weil man Funke verfasste ein vielbändiges Werk, das Bertuchs das Ufer scheuen muß, wo sich dergleichen Thiere auf- Bilderbuch für Kinder kommentiert. halten“ (S. 132). M.H. Später beschreibt er, wie man dem Biss eines Kroko- dils unter Umständen entgehen kann: „Wenn sie ei- 110 Jakob Glatz: nen zu Lande angreifen, so kann man ihnen durch Naturhistorisches Bilder- und Lesebuch, oder Erzäh- Seitensprünge und schnelle Wendungen entgehen. Es lungen über Gegenstände aus den drei Reichen der giebt sogar dreiste Afrikaner, welche dem Crocodill Natur, Von Jakob Glatz, K. K. Consistorialrathe in auf den Rücken springen, und ihn durch Messerstiche Wien. Nebst dreyhundert Abbildungen von Horny tödten, oder ihm das Maul mit einem Stricke zuschnü- und einer kurzen Erklärung derselben in Versen. – ren“ (S. 143). Ferner erwähnt der Autor, dass die Jäger Dritte, verbesserte Original-Auflage. – Hamburg: Hoff- das Tier essen. Selbst die Geschmacksrichtung kann mann und Campe, 1822. – IV, 372 S. 21 x 13 cm. er beschreiben: Es soll einen unangenehmen Bisamge- Der Band enthält 14 Tafeln mit farbigen Abbildun- schmack haben. gen von Conrad Horny. A.B. Erstauflage 1803. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 108 Franz: Sehr schön in diesem naturkundlichen Buch über Flo- Naturgeschichte der Säugetiere von Dr. Franz. Mit vie- ra, Fauna und Mineralogie für Kinder zwischen sie- len naturgetreuen Abbildungen. – Magdeburg: bei ben und zehn Jahren ist die Art der Vermittlung. Die Robrahn & Comp., o. J. – VIII, 314 S. 37 kolorierte dargestellten Abbildungen werden durch Erklärungen Tafeln. 18,5 x 11 cm. in Versform und Erzählungen von verschiedenen, nicht Vordemann-Sammlung benannten Autoren erläutert. Systematisch aufgebautes, farbig illustriertes Lehrbuch. So heißt es zu der Traube: „Herrlich prangt in der Mitte

109 LEHRREICHE UNTERHALTUNGSBÜCHER, VERFASST „UM IN EINEM JUNGEN KOPFE AUFZURÄUMEN“ der Traube liebliche Fülle, Labung bringend im Herbst, nen leicht über das Bild zu schweben, und die farben- doch wenn sie der Kelter entschlüpfte, Giebt sie den prächtige Vielfalt der Pflanzen (Tafel VII) wird köstlichen Wein, der Menschen Herzen erfreut“ (S. sicherlich manch ein Kind zum Studium der Natur 40f). Dieses Realienwerk setzt sich auch mit einhei- angeregt haben. mischen Pflanzen auseinander. Die sehr zarten Illust- A.B. rationen sind von Horny, der sorgfältig nach der Na- tur zeichnete. 113 Gallerie der merkwürdigsten Säugethiere. Ein A.B. lehrreiches und unterhaltendes Bilderbuch für die Ju- gend. – Vierte verbesserte Auflage. – Zürich: Trachs- 111 Friedrich Philipp Wilmsen: ler’sche Buchhandlung, 1831. – 166 S. 24 kolorierte Benigna oder das Leben der Natur. Eine Vorschule der Tafeln. 15 x 11 cm. Naturgeschichte. Lesebuch für die Jugend von F. P. Erscheinungsvermerk überklebt. Wilmsen. Mit illuminirten Kupfern. – Berlin: Verlag Vordemann-Sammlung von Fr. Aug. Herbig, 1827. – XII, 378 S. 14 x 13 cm. In einem erzählenden Rahmen unterrichtet ,,ein wohl- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen habender Gutsbesitzer [...] seine guten Kinder in nütz- Diese kleine Naturgeschichte ist in Form eines Kalen- lichen Wissenschaften“ (Vorwort). In alphabetischer ders aufgebaut. Die zwölf Monate des Jahres werden Folge werden Aussehen und Eigenschaften der bekann- in ihrer Wirkung auf die Natur und den Menschen testen Säugetiere beschrieben. Die durch den Rahmen dargestellt. Die unterschiedlichen Aufsätze sind so gegebene Vermittlungssituation ermöglicht es, den konzipiert, dass sich das Buch gut für den Unterricht Leser direkt anzusprechen und den Sachtext aufzulo- an Schulen eignete. ckern; die Rahmenhandlung wird jedoch am Ende A.B. nicht wieder aufgenommen. M.H. 112 Friedrich Philipp Wilmsen: Kupfersammlung besonders zu F. P. Wilmsens Hand- 114 Johann Sigmund Stoy: buch der Naturgeschichte für die Jugend und ihre Leh- Bilder-Akademie für die Jugend. Abbildung und Be- rer, aber auch zu jedem anderen Lehrbuche der Na- schreibung der vornehmsten Gegenstände der iugend- turgeschichte brauchbar. – [2. Aufl.] – Berlin: Verlag lichen Aufmerksamkeit – aus der biblischen und Pro- der Buchhandlung von C. Fr. Amelang, 1831. – VIII, fangeschichte, aus dem gemeinen Leben, dem Natur- 62 Taf. – Quer 25 x 30 cm. reiche und den Berufsgeschäften, aus der heidnischen Tafelband zu Wilmsens naturwissenschaftlichem Götter- und Alterthums-Lehre, aus den besten Samm- Hauptwerk für Kinder. Der Band enthält 59 von ur- lungen guter Fabeln und moralischer Erzählungen – sprünglich 62 zumeist kolorierten Tafeln. Die Erst- nebst einem Auszuge aus Herrn Basedows Elementar- ausgabe erschien 1821 mit 50 Kupfern. Es fehlen das werke. In vier und funfzig Kupfertafeln und zweyen Titelblatt und die Vorrede von Heinrich Lichtenstein Bänden Erklärung herausgegeben von J. S. Stoy, Prof. und Fr. Klug. Illustratoren: Müller, Meyer sen., Wachs- der Pädagogik in Nürnberg. Erster–Zweiter Band. [In mann, C. Steglich, Meno Haas, Ludwig Meyer, 2 Bden.] Nürnberg, 1784. gedruckt mit Sixischen Bretzing, Suckow, Weber, Friedrich Guimpel. Schriften, und zu finden bei dem Verfasser, pr. 2 Sammlung Kayser Louisd’ores. – 1208 S. (durchgängige Zählung) Quer Dieser Tafelband zeigt die Tier- und Pflanzenwelt auf 24 x 32 cm. anschauliche Weise. Sehr genau und detailliert sind Tafelband 1 enthält Kupfer 1–24, Tafelband 2 Kupfer Besonderheiten eines Tieres oder einer Pflanze heraus- 25–52. Die Kupfertafeln aus Bd. 1 sind von Chodo- gearbeitet. So sind auch die „Säugethiere“ (Tafel II) wiecki, gestochen von Schellenberg, die aus Bd. 2 von sorgfältig gezeichnet und gestochen und auf eine Penzel, gestochen von Schellenberg. unaufdringliche Art und Weise in die sie umgebende Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Natur eingebettet. Der Entwurf zu dieser Bilder-Akadamie war bereits Vögel, Fische, Amphibien und Pflanzen sind eher auf vor dem Erscheinen des Basedow’schen Elementarwer- konventionelle Art dargestellt. Auf der Tafel V sind kes gemacht. Das versichert der Autor im Vorwort des drei unterschiedliche Vögel zu sehen, die in traditio- ersten Textbandes. Die Grundlage des Werkes bildet neller Manier entweder auf einem abgestorbenen Ast, die biblische Geschichte, worin alle erwähnten und einem Baumstamm oder auf einem Fleckchen grünen dargestellten Ereignisse, Beschäftigungen und histori- Grases sitzen. Schmetterlinge (Tafel V, Insekten) schei- schen Kenntnisse eingebettet werden. In der Haupt-

110 NATURKUNDEBÜCHER, BILDERGALERIEN, ABECEDARIEN

Abb. 40 Aus Stoys Bilder-Akademie für die Jugend (1784). Mit Kupfertafeln im ersten Band nach Daniel Chodowiecki, gestochen von Johann Rudolf Schellenberg. Für den zweiten Band zeichnete Johann Georg Penzel, Schellenberg stach die Kupfer; Nr. 114.

sache war das Werk für Kinder bis etwa dem zwölften ßig Kupfertafeln. Berlin, bei Ernst Felisch. 1793. – Lebensjahr geschaffen. Erwachsene sollten jedoch auch XII, 375 S. 20,5 x 12,5 cm. viel Interessantes in dem Handbuch finden. Ferner war Ohne Verfasserangabe. Mit 32 unsignierten, kolorier- es für den Privatunterricht und einklassige, öffentli- ten Kupfertafeln. S. IX/X falsch gebunden vor S. III, che Schulen gedacht. Beispielhaft soll hier die erste S. XI/XII falsch gebunden nach S. VI. Neuer Einband. Tafel vorgestellt werden. Sie befasst sich mit den Haupt- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen elementen der Erde und ihren Lebewesen. Anhand Sammlung von Sachgeschichten, Fabeln, Sagen, mo- dieser Tafel sollte die Schöpfungsgeschichte im Un- ralischen Erzählungen, Episoden aus der Weltgeschich- terricht behandelt werden. Der Autor bemerkt dazu: te und naturgeschichtlichen Erläuterungen, zusam- „Alle Geschöpfe auf Erden gehören entweder zum mengestellt aus nicht genannten anderen Werken. Thierreich, oder zum Pflanzenreich, oder zum Stein- Der Autor dieses Buches schreibt im Vorbericht: reich“ (S. 3). Der zweite Teil dieses Elementarwerkes „Schon seit einigen Jahren geschahen bei dem Verle- setzt sich mit der Tafel 31 fort. Tafel 35 beinhaltet als ger der gegenwärtigen Schrift häufige Nachfragen nach größtes Bild in der Mitte die Geburt Jesu. Aber auch einem Buche, welches Kindern, die schon Geschmack römische Geschichte und die der römischen Kaiser fin- für Lectüre gewonnen hätten, eine angenehme und den Beachtung. Naturelemente, wie Gewitterwolken lehrreiche Unterhaltung gewähren könnte, und sich und die Sonne, werden ebenfalls durch diese Tafel il- dem früheren Alter durch Abwechslung des Inhalts lustriert. Die Texte in den entsprechenden Textbänden und durch Kupfertafeln empföhle“. Im Nachhinein sind einfach und für Kinder verständlich. So heißt es bittet der Autor um Entschuldigung, dass er diesen über die Sonne: „Die Sonne macht den Tag, und ihre Auftrag vielleicht doch „geübtern Schriftstellern“ hät- Entfernung die Nacht“ (S. 692). te überlassen sollen, weil er der Meinung war, dass das Auch diese Bilderakademie ist ganz im Sinne der Auf- Werk doch einige Fehler aufwiese. klärung im Kampf gegen den Aberglauben abgefasst. Diese Kleine Bilder-Akademie ist in fünf Abschnitte A.B. unterteilt. Der erste Abschnitt vermittelt Vorstellun- gen aus dem menschlichen Leben. Mit einer Fabel- 115 Kleine Bilder-Akademie für leselustige und lehre älterer und neuerer Völker befasst sich der zwei- lernbegierige Söhne und Töchter. Mit zwei und drei- te Abschnitt. Der dritte Abschnitt vermittelt bruch-

111 LEHRREICHE UNTERHALTUNGSBÜCHER, VERFASST „UM IN EINEM JUNGEN KOPFE AUFZURÄUMEN“ stückhaft Wissen aus der Geschichte. Abschnitt Num- 117 Neue Bilder Gallerie für junge Söhne und mer vier zeigt Wissenswertes aus der Naturgeschichte Töchter zur angenehmen und nützlichen Selbst- auf. Im fünften und letztem Teil des Buches finden beschäftigung aus dem Reiche der Natur, Kunst, Sit- sich moralische Erzählungen, Fabeln und Anekdoten, ten, und des gemeinen Lebens. – Zehnter Band mit wie der Autor schreibt, aus der „wirklichen Welt“. 150 Abbildungen. – Berlin: bey Oehmigke dem Jün- Die Themenbereiche dieses Buches sind sittlich und gern, 1802. – XVI, (5) 308 S. 20 x 12 cm. kulturell ausgerichtet. Beispielhaft dafür ist die Tafel, Der Band enthält lediglich 60 statt der angezeigten die Priester, Nonnen und Mönche in unterschiedli- 150 farbigen Abbildungen, einschließlich Frontispiz chen Gewändern darstellt. Die dazugehörige Beschrei- und Titelvignette, auf 20 Kupfertafeln nach C. A. bung ist detailliert und für Kinder verständlich. Sehr Hirschman(n) [d.i. Friedrich Karl Lang]. ansprechend sind auch die Darstellungen und Erklä- Vordemann-Sammlung rungen der „vornehmsten“ Götter der Römer und der Das enzyklopädische Werk erschien in fünfzehn Bän- Griechen. den zwischen 1794 und 1812. Ausgaben erschienen Welcher Illustrator diese Tafeln erstellt hat, ist nicht auch unter dem Titel Neuer Schauplatz der Natur. zu ermitteln. Der Autor selbst macht zu den genutz- Der vorliegende Band informiert in unsystematischer ten Vorlagen folgende Angaben: „Die Quellen, wor- Reihenfolge über Länder, Völker, Tiere und Pflanzen: aus ich schöpfte, namentlich anzuführen, halte ich für Die Kenntnis der Natur soll aufklärerisch wirken: „Wir überflüssig; sachkundige Richter werden sie ohne dies können es nie genug wiederhohlen, daß die Natur kennen“. unerschöpflich in ihren Darstellungen ist, und daß bei A.B. jeder neuen Unternehmung, ihre Geheimnisse zu ent- schleiern, immer wieder neue Schätze zu Tage geför- 116 Bilder-Allerley aus dem Gebiete des Guten, dert werden. […] Möge nur bald ein allgemeiner Frie- Wahren, Nützlichen und Schönen. Ein Wochen- de die Welt beglücken, damit die vereinten Kräfte der geschenk für gute Kinder. Erster–Zweyter Band. Leip- Nationen ungestört an dem Geschäfte des Fortschrei- zig, bey Bornschein und Kompagnie (Bd. 1: bey Hein- tens in der Naturgeschichte wirksam seyn können.“ rich Müller, Kupferstecher.) 1797–1798. – 19,5 x 11,5 (Vorrede der Verfasser). cm. Die detaillierten Illustrationen sind überaus sorgfältig 1. 1797. – IV, VIII, 416 S. koloriert. 2. 1798. – VIII, 412, VIII S. M.H. Bd. 1 enthält 55 von ursprünglich 56, Bd. 2 52 Tafeln und eine Farbtabelle am Ende des Bandes. Verfasser 118 Neue Bildergallerie für die Jugend. – Erster– laut Nachwort im 2. Bd.: J[ohann] L[udwig] Wendler. III. Band. [In 2 Bden.] – Gotha: Carl Hellfahrt’s Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Steindruckerey, 1828–1831. – 293 z.T. farbige Abb. Ein gebundener Band des Bilder-Allerley umfasst 26 Quer 17 x 21 cm. Hefte. Ein Heft besteht aus zwei bis drei illuminierten 1. 3. Aufl. – 1828–1829. – (33) S. 96 Lithografien Kupfertafeln und einem Bogen Text. Ein Heft kostete 2. Enthaltend 96 erklärte Abbildungen wirklich vor- drei Groschen. „Denn es ist die Hauptabsicht dieses handener Gegenstände der Natur und Kunst in 12 Wochenblatts, durch eine außerordentliche Wohl- Heften mit farbigem Umschlag. – 1829–1830. – feilheit, Kindern aus allen Ständen, nicht bloß solchen, 96 (4) S. 96 Lithografien welche unter bessern Glücksumständen geboren, und 3. Enthaltend 96 erklärte Abbildungen der Natur und für die schon so viele theure Bilderwerke geschrieben Kunst aus Vergangenheit und Gegenwart in 12 wurden, nützlich zu werden“ (Vorrede). Heften mit farbigem Umschlag. – 1830–1831. – Interessant ist die offensichtliche Kritik, die in der Vor- 96 (2) S. 101 Lithografien. rede des zweiten Bandes formuliert wird. Dort heißt Mit Illustrationen von C. Inger, Karst, Listemann und es: „Und was soll man erst zu der Nürnbergischen R. Weibezahl. Bilderakademie sagen, wo auf einer Tafel oft mehr als Vordemann-Sammlung zwanzig der heterogensten Gegenstände zu sehen sind? Ursprünglich erschien jeden Monat „ein Heft in Quer- Gerade durch die Menge sinnlicher Gegenstände, wel- quart, mit 8 Abbildungen. Gegenstände der verschie- che man dem Auge des Kindes vorstellt, vermindert densten Art: interessante Städte, Orte, Gebäude, rei- man die Aufmerksamkeit“ (Vorrede). Kritisiert wird zende Gegenden, Schauplätze der Freude und des hier die Bilder-Akademie von Stoy (Exp.-Nr. 114). Schreckens, einheimische und fremde Thiere, Bewoh- A.B. ner ferner Welttheile und Inseln, Pflanzen u. a. m.,

112 NATURKUNDEBÜCHER, BILDERGALERIEN, ABECEDARIEN werden möglichst getreu und naturgemäß dargestellt unterzeichnet. Als Herausgeber wurde Conrad Hein- werden. [...] 12 Hefte machen einen Band, dem ein rich Stage ermittelt. Druckvermerk: Augsburg, ge- allgemein numerirtes und alphabetisches Register an- druckt bey Christian Deckardt. Mit 23 kolorierten gehängt wird. [...] Für die Nützlichkeit unserer Bil- Faltkarten. Frontispiz von Johann Esaias Nilson. dergallerie ist auf mehr als eine Weise gesorgt: Sie lie- Die Erstausgabe erschien 1776 mit dem Untertitel fert nur wirklich Vorhandenes und Wahres aus der ‚nach D. Büschings Lehrart eingerichtet‘. Naturgeschichte, Geographie, Topographie und a. m. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Jedem Hefte wird ein gedrucktes Erklärungsblatt bei- In Frage und Antwort wird der geografische Lehrstoff gefügt, welches die nöthigen Bemerkungen und Be- vermittelt. Das Werk stellt zu Beginn die Frage: „Was schreibungen in der gedrängtesten, doch deutlichsten ist Erdbeschreibung (Geographia)?“ Die Antwort dar- Kürze gibt. Die nicht illuminirten Bilder gewähren auf lautet: „Die Geographie ist die jenige Wissenschaft, dem Kinde zugleich die Gelegenheit, in der Malerei welche uns von der Beschaffenheit des Erdbodens und sich zu üben“ (Vorwort). der auf selbigen befindlichen Geschöpfe Gottes Nach- A.B. richt giebt“ (Einleitung, S. 1). Anschließend werden physische, politische, historische und wirtschaftliche 119 Nicolas Lenglet Dufresnoy: Fragen und Phänomene abgehandelt. 24 sehr schöne, Kurzverfassete Kinder Geographie, in acht und vierzig farbige Karten geben einen entsprechenden Überblick. Lectionen eingetheilet, und mit benöthigten Charten Die erste Ausgabe, herausgegeben von Conrad Hein- versehen. In französischer Sprache ausgefertiget durch rich Stage, war offenbar ein beliebtes Lehrwerk in Schu- den Herrn Abt Lenglet duFresnoy, zum Nutzen der len. Als Vorlage diente ein nicht näher bezeichnetes Jugend in die teutsche (!) übersetzet, nunmehr aber französisches Original. Laut Vorwort dienten dem von neuem übersehen, in vielen Stücken deutlicher Verfasser als Grundlagen für die deutsche Ausgabe des gemachet, mit nicht wenigen nützlichen Zusätzen ver- Jugendatlas’ Johann Christoph Gatterers Abriß der mehret, und insbesonderheit zum Gebrauch für Geographie und Büschings Neue Erdbeschreibung, so- Teutsche eingerichtet. Fünfte, um vieles verbesserte, wie die geografischen bzw. statistischen Werke von Raff, und vermehrte, Auflage. Mit allergnädigster Freiheit. Schlözer und Christian Conrad Wilhelm von Dohm. Nürnberg, bei George Peter Monath, 1764. – (2) 55 In dieser zweiten Auflage wurde lediglich das Kapitel S. 31 x 21,5 cm. über Deutschland inkl. der entsprechenden Karte sehr Methode pour étudier la Geographie gründlich umgearbeitet, d. h. erweitert. Weitergehen- Mit 8 kolorierten Karten auf Doppelseiten von P. C. de Aktualisierungen hat der Verleger aus Kosten- Monath und S. Dorn. Die beiden letzten Karten sind gründen verweigert. unsigniert. A.B./W.V. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Geografisches Lehrbuch mit Landkarten für Kinder 121 Johann Reinhold Forster: und Jugendliche, das erstmals 1736 unter dem Titel Beschreibungen zu den Abbildungen merkwürdiger Géographie des enfants erschien, seinerseits einen Aus- Völker und Thiere des Erdbodens. Zur Beförderung zug für Kinder aus Méthode pour étudier la Géographie der Kenntnisse, zur Bildung des Herzens und Vervoll- von 1719 darstellt, und in Deutschland mehrfach auf- kommnung überhaupt für die Jugend entworfen von gelegt wurde. Für die deutschen Ausgaben wurde der D. Johann Reinhold Forster und Georg Simon Klügel, Teil ‚Teutschland‘ erweitert, der Frankreich-Teil dage- Professor der Naturlehre und Mathematik in Halle. gen gekürzt. Der Lehrstoff wird in Frage und Antwort Halle, beim Kunsthändler Dreißig. (1793). – 126 S. vermittelt. 18 x 11,5 cm. W.V. [Nebentit.:] Karakter Sitten und Religion einiger merk- würdiger Völker, entworfen von D. Johann Reinhold 120 Johann Christoph Heckel: Forster. Atlas für die Jugend und alle Liebhaber der Geogra- Mit 2 Faltkupfern, eines davon koloriert. phie, hauptsächlich nach Büsching und Gatterer. Mit Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 24 illuminirten Landkärtchen. Neue, durchaus ver- Völker- und naturkundliches Anschauungsbuch für besserte und zum theil ganz umgearbeitete Auflage. Kinder unterschiedlicher Altersstufen. Die Texte wer- Augsburg, Bey Conrad Heinrich Stage. 1780. – (15) den durch die angehängten Kupfer veranschaulicht. 472, 38 (8) S. 17,5 x 12 cm. Das Werk erschien in fünf Teilen zwischen 1792 und Ohne Verfasserangabe. Die Vorrede ist mit J. C. H. 1800. Die Teile 1–3 wurden von Forster und Klügel

113 LEHRREICHE UNTERHALTUNGSBÜCHER, VERFASST „UM IN EINEM JUNGEN KOPFE AUFZURÄUMEN“

Abb. 41 bekannte Tiere, wie der Hirsch und der Hase, der See- Aus Schröckhs Allgemeine löwe und das Walross, aber auch das Pferd und der Weltgeschichte für Kinder Fuchs. In der Vorrede legt Forster seine Vorstellungen (1779–1784), zu Kindererziehung und -unterricht dar. Erziehung Kupfertafeln von B. Rode diene der Vervollkommnung des Menschen, der schon und J. C. Krüger, früh geformt werden solle, durch Wissensvermittlung, gestochen von Johann aber auch moralische Belehrungen, die sich am besten Wilhelm Meil; durch die Nachahmungssucht der Kinder vermitteln Nr. 123, Teil 1. ließen. In diesem Sinne will Forster ausdrücklich auch den moralerzieherischen Wert seiner völkerkundlichen Beschreibungen verstanden wissen. W.V./A.B.

122 Johann Heinrich Meynier [Pseud.: Georg Ludwig Jerrer]: Dr. Georg Ludwig Jerrers Neue Bilder-Geographie für die Jugend und zum Selbstunterricht für Ungelehrte. – Vierte, viel veränderte und verbesserte Auflage. Be- sorgt von Karl Friedrich Vollrath Hoffmann. – Nürn- berg: Druck und Verlag von Friedrich Campe, 1831. – XVI, 579 S. 20 Kupfer. 21 x 13 cm. Mit Kupfern, davon eine Titelblattillustration, von Jo- hann M. Voltz und Christian G. H. Geißler, gestochen von Friedrich Fleischmann und Johann Nußbiegel. Die erste Auflage erschien 1818. Vordemann-Sammlung Das Ziel der Erstauflage war es, „bei der Jugend die alte Raff’sche Geographie [Exp.-Nr. 201] zu ersetzen, das Wissenswürdigste und Unterhaltendste von jedem Lande und jedem Volke zu sammeln, und auf eine gemeinsam geschrieben, die beiden letzten Bände von leichte und angenehme Art vorzutragen. Ich wollte Klügel nach Forsters Tod fortgesetzt. Die naturkund- nicht ein trockenes Compendium der Erdbeschrei- lichen Teile wenden sich eher an jüngere, die völker- bung, sondern mehr ein interessantes Lesebuch liefern“ kundlichen an ältere Kinder, aber auch an Erwachse- (Vorrede). In der vierten Auflage ist nach den Worten ne. Den Schwerpunkt der Beschreibungen (100 Sei- des Bearbeiters Hoffmann unter Beibehaltung der ten) bilden im vorliegenden dritten Teil Informatio- Form ,,das Tändelnde, das Weitschweifige und Nichts- nen zu Geschichte und Herkunft, Gesellschaft, Alltags- sagende [...] häufig weggestrichen“ (Vorwort); das Er- leben und religiösen Vorstellungen verschiedener Völ- gebnis ist im Gegensatz zu Meyniers ursprünglichen ker („Zigeuner“, Tahitianer, genannt „O-Taheiter“, Absichten nun ein sachorientiertes Lehrbuch, das der Patagoner und Tschuktschen). In die teilweise sehr sinnlichen Wahrnehmung weniger Rechnung trägt als detaillierten Sachinformationen fließen häufig mora- die Erstauflage. In den Kindern der philanthropischen lisch-belehrende Wertungen ein, die im Kapitel über Idealfamilie des Rahmens hat der Autor seine eigenen die „Zigeuner“ geradezu polemisch werden. Deren Le- Söhne und Töchter verewigt. bensart steht völlig entgegengesetzt zum bürgerlichen M.H. Arbeits- und Nützlichkeitsethos, das Forster ausdrück- lich propagiert. Die nachfolgenden alphabetisch ge- 123 Johann Matthias Schröckh: ordneten Tierbeschreibungen stehen zusammenhang- Allgemeine Weltgeschichte für Kinder, von Johann los zum vorhergehenden Text. Eine Notiz am Ende Matthias Schröckh, Professor der Geschichte zu Wit- des Buches vermerkt, diese habe der „Verleger [...] ge- tenberg. Erster–Vierten Theils dritter Abschnitt. [In 6 wisser Ursachen wegen selbst zusammengetragen, und Bden.] Mit Röm. Kaiserl. allergnädigstem Privilegio. als Anhang beidrucken lassen“. Zu den angekündig- – Leipzig, bey M. G. Weidmanns Erben und Reich, ten „merkwürdigen“ Tieren zählen heute allgemein 1779–1784. – 19,5 X 12,5 cm.

114 NATURKUNDEBÜCHER, BILDERGALERIEN, ABECEDARIEN

1. Alte Geschichte. Mit vier und zwanzig Kupfertafeln. – 1779. – (18) 384 S. 2. Anfang der Neuern Geschichte. Mit zwanzig Kup- fertafeln. – 1780. – (10) 417 S. 3. Fortsetzung der neuern Geschichte. Geschichte der Deutschen. Mit acht und zwanzig Kupfertafeln. – 1781. – (4) 576 S. 4. Abschnitt 1. Fortsetzung der Neuern Geschichte. Mit funfzehn Kupfertafeln. – 1782. – (2) 450 S. 5. Abschnitt 2. Fortsetzung der Neuern Geschichte. Mit neun Kupfertafeln. – 1783. – (2) 433 S. 6. Abschnitt 3. Beschluß der Neuern Geschichte. Mit 4 Kupfertafeln. – 1784. – (4) 380 (42) S. Jeder Band mit einer Zeittafel. Band 1 reicht von der Schöpfung (3984 v. Chr.) bis Christi Geburt, Band 2 von Christi Geburt bis zur Völkerwanderung. Band 3 beschreibt die deutsche Geschichte, Band 4 die italie- nische, französische, spanische und portugiesische, Band 5 die englische, dänische und schwedische, Band 6 die russische, polnische, ungarische und chinesische Geschichte. Bd. 6 enthält ein Gesamtregister zu allen 6 Bänden. Die Kupfertafeln sind von B. Rode und J. C. Krüger, gestochen von J. W. Meil. Erstausgabe. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Weltgeschichte für Kinder zwischen acht und fünf- zehn Jahren. Im Vordergrund der Darstellung stehen historische Persönlichkeiten mit ihren Werken und Taten, wobei ausführliche moralische Bewertungen einfließen. Neben der politischen Geschichte wird auch auf die Kulturgeschichte (Literatur, Kunst, Wissen- schaft, Recht usw.) eingegangen. Illustriert werden die Bände durch zahlreiche von Johann Wilhelm Meil ge- stochene Kupfertafeln nach Zeichnungen von Chris- tian Bernhard Rode aus Berlin. Nach Schröckhs Vor- stellung sollten diese anhand typischer Szenen Cha- rakter und Eigenschaften historischer Persönlichkei- ten zum Ausdruck bringen. Schröckhs Allgemeine Welt- geschichte für Kinder fand zu ihrer Zeit große Verbrei- tung. Sie wurde ins Französische übersetzt, bearbeitet und fand u.a. in Raffs Abriß der allgemeinen Weltge- schichte für Kinder (Exp.-Nr. 212) einen Nachahmer. W.V. Martin Medarus Thoenert. Abb. 42 Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Aus Schröckhs Allgemeine 124 Johann Carl Tutenberg: Erster Teil eines auf mehrere Bände konzipierten Werks Weltgeschichte für Kinder Johann Carl Tutenberg’s Unterhaltende Betrachtung zur Astronomie. Der Lehrstoff über die Himmelskör- (1779–1784); der Himmelskörper, oder des großen Weltall’s; für per wird im Rahmen eines familiären Gespräches prä- Nr. 123, Teil 1. Kinder. Ein Beitrag zur angenehmern wissenschaftli- sentiert. Im Haus eines reichen Kaufmanns führt ein chen Lectüre; Nebst einer Vorerinnerung des Herrn Onkel mit seinen Neffen und seiner Nichte sowie de- Hofrath’s Kästner. Mit zwey Kupfern. Göttingen, bey ren Gefährten Abendunterhaltungen über Geschich- Johann Christian Dieterich. 1782. – XVIII, 492 S. ten aus der Bibel. Den Kindern werden naturwissen- Mit 2 Faltkupfern mit astronomischen Figuren von schaftliche Phänomene erklärt und auch durch einfa-

115 LEHRREICHE UNTERHALTUNGSBÜCHER, VERFASST „UM IN EINEM JUNGEN KOPFE AUFZURÄUMEN“ che Versuche untermauert. Physikalische und astro- lag der Wittwe Vandenhoeck 1778. – (20) 303 (2) S. nomische Sachverhalte sind dem kindlichen Verständ- 18 x 11,5 cm. nis entsprechend dargelegt. Tutenberg war laut Vor- Die 32 unsignierten Faltkupfer am Ende des Bandes wort ein Schüler des Göttinger Mathematikprofessors zeigen 260 geometrische Abbildungen. Abraham Gotthelf Kästner. Der Autor widmete das Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Buch Friederike Henriette Wilhelmine und Jeanette Lehrbuch für Kinder, das in 48 Kapiteln Vorübungen Louise Georgine Heyne, den Kindern von Christian zum eigentlichen Geometrieunterricht in der Schule Gottlob Heyne, u.a. Professor für klassische Philolo- enthält. gie und Leiter der Göttinger Universitätsbibliothek. W.V. W.V./A.B. 127 Anleitung zur Naturlehre oder Experimental- 125 Johann Christian Bockshammer: Physick. Zum Gebrauch und nach den Fähigkeiten Astronomischer Kinder-Freund. Enthaltend: Einen der Kinder eingerichtet. Mit Kupfern. Göttingen, bey Unterricht vom Kalender, dessen Ursprung und Ge- Johann Christian Dieterich, 1782. – (6) 112 S. 18,5 x brauch, ingleichen: von der Eintheilung der Zeit, vom 11,5 cm. Lauf der Sonne, des Mondes und Gestirns; nebst einer Ohne Verfasserangabe. Die 5 Falttafeln zeigen 42 Ab- Beschreibung der Erde, beigefügten Regenten-Tafel, und bildungen von Experimenten und Versuchsanordnun- moralischen Sprüchen auf jede Woche im Jahr. Mit er- gen aus der Physik. läuternden Kupfern. Zweite verbesserte Auflage. Berlin, Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 1785. bey Arnold Wever. – 112 (2) S. 17 x 10 cm. Das Buch folgt in der Beschreibung des Lehrstoffs dem Mit zwei Kupfertafeln. Werk des Göttinger Professors Johann Christian Poly- Die erste Auflage erschien 1784. carp Erxleben (1744–1777) Anfangsgründe der Natur- Vordemann-Sammlung lehre. In elf Abschnitten werden Themen aus der Ex- Das Realienbuch versucht, eine kindgerechte Systema- perimentalphysik erläutert: Bewegungslehre, Grund- tik der Darstellung zu erreichen. Der Sachtext ist u.a. sätze der Statik und Mechanik, flüssige Körper, Luft, mit Ratschlägen angereichert und von einer betont Licht, Wärme, Kälte, Elektrizität, Magnetismus. christlichen und zugleich gegen Aberglauben gerichte- W.V. ten Grundhaltung durchzogen. Johann Christian Bocks- hammer (1733–1804) war Pfarrer. Er schrieb das Büch- 128 Johann Heinrich Moritz Poppe: lein, um kleine Leser über unterschiedliche Kalender- Mechanische Unterhaltungen, oder faßlicher Unter- arten zu unterrichten: „Ich gebe euch, lieben Kindern, richt über interessante Gegenstände aus der Bewe- nicht einen eigentlichen Kalender, aber einen Unter- gungskunst. Ein Lesebuch für die Jugend von Johann richt von demselben in die Hände“ (Vorwort). Heinrich Moritz Poppe. Mit einer Kupfertafel. – Göt- Das Buch befasst sich mit dem „eigentlichen Kalen- tingen: bei Philipp Georg Schröder, 1801. – 156 S. der“, mit Erscheinungen des Himmels und der Son- 17,5 x 11 cm. ne, aber auch mit Pflanzen, Finsternissen und Kome- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen ten. In einem Anhang werden die Geografie der Erde Mechanik-Lehrbuch für Kinder zwischen zwölf und und deren Klimazonen erklärt. Danach beschreibt der sechzehn Jahren. Das unsignierte Faltkupfer enthält Verfasser europäische Kaiser- und Königreiche. Denk- zwölf Figuren aus der Mechanik. Mit seinem Buch will sprüche für jede Woche in einem Jahr bilden den Ab- der Autor die Neigung zum Mathematikstudium för- schluss des Büchleins. So heißt der Denkspruch zur dern (Vorwort). Wie schon bei seinem Werk über op- siebenten Woche: „Kein Mensch verführe dich zu ei- tische Täuschungen ist der Lehrstoff in eine Erzäh- ner bösen That: Thu nichts und rede nichts, als das lung eingekleidet. was Nutzen hat“ (S. 100). Der Ich-Erzähler lernt im Laufe einer Reise eine Fa- M.H./A.B. milie kennen, deren Kinder häuslichen Unterricht in Mechanik erhalten. Themen sind u.a. Hebelgesetze, 126 Johann Nicolaus Müller: Waagen, Geschwindigkeit. Der gebürtige Göttinger Vorbereitung zur Geometrie für Kinder von Johann Autor Poppe (1776–1854) schrieb auch später natur- Nicolaus Müller. Mit einer Vorrede begleitet von Ab- kundliche Titel wie Der astronomische Jugendfreund raham Gotthelf Kästner, Königlich Großbritannischem (1822) und Der physikalische Jugendfreund (1811– Hofrath und Professor der Mathematik und Physik in 1818). Göttingen. Mit 32 Kupfertafeln. Göttingen, im Ver- W.V.

116 Der Kinderfreund Die Monografie, die mit dem programmatischen Titel eines ‚Kinderfreundes‘ in mehreren Varian- Bodo Kayser ten auf dem Büchermarkt zu haben war, war eher ein Lehr- und Lesebuch für den öffentlichen Unterricht in Schulen. Friedrich Eberhard von Als „Kinderfreund“ bezeichnete sich manch ein Rochows Ein Lesebuch zum Gebrauch in Land- aufgeklärter, literarisch wirkender Pädagoge in der schulen mit dem Titel Der Kinderfreund (1776) Zeit der Spätaufklärung. Dieser Kinderfreund ist kann als frühes Beispiel herangezogen werden dem Kinde zugewandt, unterstützt den Prozess (Exp.-Nr. 132). seiner Sozialisation und Enkulturation als Im Grunde repräsentieren beide Werke, Zeit- Bürger(kind) mit Modellen, pädagogischen schrift und Buch, ein Modell dafür, wie von Päd- Grundsätzen und reflektierten und erprobten agogen zusammengetragen und zu zweckmäßi- Handlungsformen, die am aufgeklärten Bild des ger Erziehung nutzbar gemacht wurde, was an Menschen orientiert sind. Mit dem Titel Kinder- brauchbarem Schriftgut schon für Erwachsene freund kamen im letzten Drittel des achtzehnten veröffentlicht war. Fabeln, Beispielgeschichten, und weiter im Laufe des gesamten neunzehnten kurze Erzählungen, Berichte, Schauspiele, Lieder Jahrhunderts auch gleichzeitig Literaturprodukte und Musikstücke, Rätsel, Charaden und auch auf den neu sich bildenden Markt der Kinderli- Naturbeschreibungen wurden in der Spätaufklä- teratur. Seine Autoren waren in der Regel Prakti- rungszeit auch für die neu entdeckte Lesergruppe ker, die sich als Kinderfreunde zu erkennen ga- der Kinder und der Jugendlichen didaktisch auf- ben und ihre Erziehungspraxis zum Nutzen an- bereitet. Ein wesentliches Konstruktionsmerkmal derer dokumentierten. Dieser Literatur mit dem bildet dabei – soweit die Textform dies zuließ – Terminus ‚Kinderfreund‘ im Titel gelten die fol- die Einbettung der Texte in einen familien- genden Ausführungen. ähnlichen Kommunikationskontext. Die beleh- renden Wechselgespräche in Form des sokrati- Verschiedene Erscheinungsformen des schen Dialogs demonstrieren die Botschaft der Kinderfreundes Texte im Sinne des Tugendkatalogs des bürgerli- Der Kinderfreund in literarischer Form trat in chen Zeitgeistes, Zusätze ergänzen die Kenntnis- drei Varianten in der Aufklärungsepoche auf: vermittlung. – als Kinderzeitschrift, die in kurzen Zeitab- Zeitschriften und Monografien haben eine ge- ständen erschien, meinsame, zumindest sehr ähnliche Formen- – als Sammelband der Zeitschrift, sprache. Sie folgen dem Muster der unterhalten- – als Monografie im Charakter eines Lesebuchs. den Wochenschriften, wie sie aus dem englisch- Die Zeitschrift erschien im Umfang einer Lage sprachigen Kulturraum den Gebildeten vertraut (sechzehn Seiten gleich einem Druckbogen); heu- waren: In der Form des Kalenders und Almanachs te würde man von Heftchen sprechen, damals fand das Periodikum in dieser Zeit sein Publi- wurde von einem Stück gesprochen. Sie versorg- kum unter Frauen oder allen Mitgliedern der te Kinder und Erzieher mit Stoff und Exempeln bürgerlichen Familie. Die hauptsächliche Leis- für kontinuierliches Lernen durch Privatlektüre: tung der Autoren und ihrer Herausgeber lag in Wöchentlich, monatlich oder in anderer zeitli- der Gestaltung und Aufbereitung vorhandener cher Erscheinungsweise boten die Zeitschriften Literatur zu Lernmaterial. mit diesem Titel Anregungen, über das Lesen Kenntnisse als Weltwissen zu erwerben, Hand- Der Kinderfreund von Christian Felix Weiße: ein lungsmuster einzuüben, Tugenden auszubilden Prototyp und unterhaltenden Zeitvertreib im Sinne der In der Tradition der ‚Moralischen Wochenschrif- Aufklärungspädagogik zu befördern. Diese Art ten‘ für Erwachsene (und für die Familie), mit der Zeitschrift für Kinder, Jugendliche und ihre deutlicher Anlehnung auch an englische Vorbil- Erzieher wurde in der Epoche der Spätaufklärung der, schuf Christian Felix Weiße von 1775 bis ein anerkanntes Bildungsmittel für den Privat- 1782 den Prototyp für den deutschsprachigen unterricht; Der Kinderfreund. Ein Wochenblatt von Raum mit der Zeitschrift Der Kinderfreund. Ein Christian Felix Weiße (Exp.-Nr. 133–134) gilt bis Wochenblatt. Mehrfach kopiert und plagiiert, um heute als ihr erfolgreichster Prototyp. u.a. auch am buchhändlerischen Erfolg zu parti-

117 LEHRREICHE UNTERHALTUNGSBÜCHER, VERFASST „UM IN EINEM JUGEN KOPFE AUFZURÄUMEN“

gen fanden wie ihre Nachfahren bei der Lektüre dieser Welt, die er vor uns hinstellt“.2 Die Elemente der Zeitschrift sind: 1. Ein fiktiver Verfasser (Mentor) fügt die ver- schiedenen Einzelbeiträge in einen Rahmen, erhöht und gewährleistet den didaktischen Grundsatz, die jungen Leser zu unterhalten. 2. Die verschiedenen Beiträge werden nach dem Prinzip der Fortsetzungsgeschichte organisiert, die Texte über mehrere Lieferungen und in den zu Vierteljahreskonvoluten gebundenen Aus- gaben auch über mehrere Bücher zu verteilen. 3. Mehrere Personen, Kinder und Erwachsene, treten in der fortlaufenden Rahmenhandlung immer wieder auf und werden mit bestimm- ten Aufgaben versehen; sie repräsentieren jeweils unterschiedliche Gebiete des Bildungs- kanons, mit dem die Leser vertraut werden sollen: – Philotheknos gibt den Gelehrten ab, der für Sprachliches, Märchen, Erzählungen und Kinderspiele steht. – Doktor Chronickel ist für das Historische zu- Abb. 43 zipieren, wurden Kinderfreunde wesentliche Tei- ständig, für Moral, Tugenden der verschie- Aus Briefwechsel der Familie le der Kinderliteratur, die sich der jungen Gene- denen Völker. Er hat anschauliche Bilder und des Kinderfreundes ration als „quasi-homogenem Lesepublikum“1 ein kleines Lottospiel erfunden. (1789/1790). widmete: Ein im sozialen Kontext vertrautes – Herr Papillon bringt ein, was mit Natur zu Zu beachten ist die im Medium (Zeitschrift/Zeitung) wurde mit neuen tun hat: Schmetterlinge, Insekten, Steine und Baum hängende Perücke Inhalten bedarfsgerecht und adressatenorientiert Pflanzen. des Mannes. Titelvignette auf den Markt gebracht. Die Moral vermitteln- – Herr Spirit ist der Dichter voll Empfindsam- von Johann Georg Penzel; den Geschichten, die Verhaltensnormen der keit, Edelmut und Menschenliebe, der in die Nr. 137. christlichen Religion, die belehrenden Fabeln und Mythologie einführt und Fabeln zur Beleh- die für das ganze Leben auswendig zu lernenden rung erzählt. Spruchweisheiten wurden im Kinderfreund durch Die Zeitschrift ist durch und durch nach didak- einen neuen Tugendkatalog als weltliches Pen- tischen Gesichtspunkten konstruiert. Sie ist für dant ergänzt, dessen wichtigstes Leitmotiv die die Verwendung im häuslichen Kontext vorgese- Nützlichkeit war. hen. Im Mittelpunkt stehen neben Belehrung und Weißes Zeitschrift sollte durch seine Form Unterhaltung die sittlich-moralische Bildung des junge Leser ansprechen und in einen Lesebann Kindes, die zu sozialem Verhalten befähigen soll, ziehen, mit dem die erzieherischen Absichten des die Unterweisung in der ‚guten Lebensart‘, die Herausgebers und Autors optimal verwirklicht Durchsetzung bürgerlicher Moral- und Tugend- werden konnten. „Weiße hatte weder eine litera- vorstellungen, staatsbürgerliche Unterweisung, rische – er übernahm ein praktikables Muster und die Propagierung einer Erziehung in der Familie schnitt es für sich zurecht – noch eine gesellschaft- und die Erziehung der Erzieher.3 liche Botschaft zu verkünden – dies ist ihm nicht Die Kinder, die den Kinderfreund nutzen, ganz geglückt –, sondern einzig eine pädagogi- haben einen Lehrer, der für gutes Benehmen und sche, er wollte erziehen, lehren und vor allem weitläufigen und gewandten Umgang mit ande- unterhalten. Alles das ist ihm mit dieser utopi- ren im Kreis des neuen Bürgertums zu sorgen hat. schen Landschaft gelungen, wobei nicht zu über- Diese Eigenschaften und Handlungsweisen ver- sehen ist, daß das vornehmste Instrument seiner körpern die fünf Protagonisten im Kinderfreund. Utopie die gescheiten und altklugen Kinder sind, „In der Zeit, da sie [die Kinder] nicht mit dem an denen die Erwachsenen ebensoviel Vergnü- Lehrer beschäftigt sind, unternehmen sie mit

118 DER KINDERFREUND

Mentor und einem oder mehreren der Freunde Ausflüge, kleine Reisen, machen Besuche und führen mit den Freunden Gespräche über The- men, deren Fülle unerschöpflich ist, sie reichen von der Naturgeschichte und Geographie über Sternenkunde, Malerei und Musik, Gartenkunst und Bekleidungsvorschriften bis zu Verhaltens- regeln, aufgelockert durch Erzählungen, Theater- stücke, Gedichte und Rätsel. Die Atmosphäre ist munter und lebendig, die Autorität der Erwach- senen unumstritten, sie zeigt sich vor allem in der Erfahrung und dem Wissen, das sie den Kindern voraushaben, dabei verschlägt es nichts, daß auch die Kinder ihre eigenen Ansichten bisweilen mit Nachdruck vertreten. Es sind immer noch Lehr- und Bildungsgespräche, die aber durch ihren Rhythmus und das Rollenspiel, in das sie einge- bettet sind, die didaktische Absicht in den Hin- tergrund treten lassen“.4 Weiße orientiert sich an der Kultur des nie- deren Adels, der deutlich kritisiert wird, ohne dass jedoch dessen Position in der ständisch organi- sierten Gesellschaft grundsätzlich in Frage gestellt würde. „Weiße bezieht sich in einer historischen bungen von Merkwürdigkeiten und Schauspiel- Abb. 44 Sichtweise auf den Gesellschaftsvertrag, ohne je- texten, Besprechungen und Empfehlungen päd- Doppeltitelblatt aus doch eine aktuell gültige Begründung für die agogisch wertvoller Bücher sowie Spiele, Rätsel, Weißes Kinderfreund Notwendigkeit des Ständestaates zu liefern. An Spruchweisheiten und Bildbeilagen bestimmten (1778); Nr. 133. ihre Stelle setzt er vielmehr die Belehrung über das Konzept der Zeitschrift für Kinder und Ju- den Standesdünkel. Nicht die Berechtigung der gendliche. Ständeordnung steht damit zur Debatte, sondern Von den Vorläufern des Kinderfreundes ist ein die Lehre, die das Kind aus den gesitteten Stän- klar erkennbares Muster auszumachen: Biblische den daraus ziehen soll: Nur eigene Verdienste und historisch-moralische Beispielerzählungen, zählen, nicht aber der Stand, in den man hinein- Gebete, Kinderlieder, Sammlungen von Bearbei- geboren wird“.5 tungen oder Zusammenstellungen von Texten anerkannter Dichter wurden wöchentlich oder Die Intentionen zweiwöchentlich ins Haus gebracht, um in Eine Zeitschrift für Kinder sollte zugleich eine Häppchenform Kinder, Jugendliche und Erwach- Zeitschrift für Erzieher sein und den Erwachse- sene mit Ideen und Praxisbeispielen für die zweck- nen beispielhaft zeigen, wie man mit Kindern mäßige (Selbst-)Erziehung zu bedienen. Vielfach umgeht. Durch Aufmachung, Inhalte und Vor- wurde damit auch dem Umstand begegnet, dass gaben zur Nutzung bot sie pädagogisch-didakti- junge Hauslehrer ohne Vorerfahrung und Fun- sche Anregungen und illustrierte mit Kinder- dus Material für die Erziehungs- und Lehrtätigkeit schauspielen, Gesprächs-, Erzähl- und Lese- in den Familien benötigten. situationen in doppelter Adressierung das Ideal Das periodische Erscheinen, die Portionen des der neuen philanthropisch orientierten bürgerli- abwechslungsreichen und vermehrt auf weltliche chen Erziehung. Alltagsphänomene gerichteten Lesestoffs sollten Wöchentliches oder vierzehntägliches Er- das immer noch nicht so lesegeübte junge Publi- scheinen mit postalischer Anlieferung oder durch kum in seinen Kompetenzen entsprechend dem Vertrieb über die örtliche Buchhandlung, Lese- altersgerechten Entwicklungsstand ansprechen. futter im Umfang mindestens eines halben Bo- Vielleicht noch wichtiger für den Erfolg des Typs gens (acht Seiten), Vermischtes aus Erzählprosa Kinderfreund als Zeitschrift war wohl, dass das in mehreren Fortsetzungen, aus Fabeln, Beschrei- erziehliche Element in die Textstruktur so einge-

119 LEHRREICHE UNTERHALTUNGSBÜCHER, VERFASST „UM IN EINEM JUGEN KOPFE AUFZURÄUMEN“ arbeitet wurde, dass das Selbstlesen gestützt wer- siert erschienen.8 Die einzelnen Lieferungen ha- den konnte. War das „Element der vernünftigen ben, so ist ihre Schätzung, insgesamt wohl mit Erziehung durch einen sittlich überlegenen Er- ca. viertausend Exemplaren schon eine beachtli- wachsenen“6 in den frühen Werken Campes und che Durchschnittsleserschaft von ca. einhundert- seiner Epigonen für die Kinder und Jugendlichen tausend Leserinnen erreichen können. Subskri- als Selbstleser in der Regel hinderlich, konnten bentenlisten schließen die soziale Verteilung die- die Texte der Zeitschriften sowohl vor- als auch ser Leserschaft auf: Zumindest als Käuferschaft still gelesen werden. Dabei muss aber berücksich- überwiegt das mittlere und gehobene Bildungs- tigt werden, dass die wenigsten Kinder für das und Wirtschaftsbürgertum mit knapp sechsund- verstehende Selbstlesen die notwendige Lese- achtzig Prozent, der niedere Adel mit ca. neun fähigkeit und den erforderlichen Bildungs- Prozent und die ‚niederen‘ Stände mit ca. sechs hintergrund besaßen. Prozent. In einem mit Bruchstücke aus meiner Lebens- „Innerhalb der Käuferschaft aus dem ‚gesit- geschichte betitelten Beitrag aus einem Almanach teten‘ Bürgerstand, der ‚nicht bloß mit den Hän- von 1810 heißt es in der Rückschau eines ca. den, sondern auch mit dem Kopfe‘ arbeitet, fällt Vierzigjährigen: „Wie viele nützliche und ange- zunächst der hohe Anteil der Berufsgruppen auf, nehme Bücher sind jetzt in den Händen der Kind- bei denen vor allem ein besonderes pädagogisches heit und Jugend, die eine Nebenstunde lehrreich Interesse den Kauf von Weißes Kinderfreund und angenehm ausfüllen, oder das Herz wohl- veranlaßt haben wird. Hiermit sind nicht nur die thätig beschäftigen! Damals kannte fast niemand berufsmäßigen Pädagogen vom Rektor eines solche Bücher. Wir hatten eine Bibel, einen Ka- Gymnasiums bis zum Hofmeister und Elementar- techismus, und Langen’s Grammatik! Das war der schullehrer gemeint, sondern auch die erstaun- ganze Büchervorrath, und selbst die Kinder wohl- lich große Zahl der Kandidaten und Studenten, habender Aeltern hatten nicht leicht mehr, und meistens der Theologie, denen der ‚Kinderfreund‘ konnten nicht viel mehr haben, namentlich an für den Privatunterricht, den sie gegeben haben unserem Orte nicht, denn die Schriftstellerei die werden, sehr willkommen gewesen sein dürfte“.9 für Kindheit und Jugend so viel Unterhaltung in In einer zeitgenössischen Rezension heißt es: nachfolgender Zeit verschafft hat, begann erst „Der Ton des Ganzen ist nicht der simple, der in damals. Wir hatten offenbar zu wenige auf unser dem Rochowschen Kinderfreund ist und in Bü- Bedürfniß berechnete Schriften. Ob man in nach- chern für kleinere Kinder auch für die meisten folgenden Zeiten dem Bedürfniß nicht allzu viel der größern billig sein sollte; es ist der geschmück- abgeholfen habe, ob nicht durch das unaufhörli- te, oft mit Gedanken und Ausdruck aus der che Lesen, das eigene Wahrnehmen und Bemer- Kindersphäre ausweichende Ton, der aber den ken sey geschwächt, und noch mancher andere geübtern Empfindungen sechzehnjähriger Jüng- Schaden gestiftet worden? Können vielleicht linge und Mädchen faßlich und angenehm sein schon die gereiftern unter den Lesern dieses Al- wird. [...] Es scheint so leicht, für Kinder zu schrei- manachs einigermaßen beurtheilen“.7 ben; aber wenn selbst dieser sonst so treffliche Weißes Kinderfreund erschien nur einige Jah- Verfasser die rechte Sprache oft verfehlt haben re, ermunterte jedoch viele Schreiber zu immer sollte, wie es uns deucht: so wäre wohl allen Kin- neuen Varianten; so gab es für oftmals nur weni- derfreunden zu raten, daß sie die sokratische ge Ausgaben den berlinischen, sächsischen, Methode studieren und langsam eilen möchten, hessischen, niedersächsischen Kinderfreund als ihre Lieblinge mit Originalprodukten und mit Zeitschriften. In Anlehnung an Rochow entstan- Sammlungen zu beschenken.“10 Eine andere Re- den Almanache. Weißes Kinderfreund erschien zension lobt nach kritischem Beginn: „Doch muß auch in gebundener Ausgabe mit den Stücken ich demohngeachtet diesen Kinderfreund als eins eines Vierteljahres. unserer besten Kinderbücher empfehlen. Er lie- Zu Zeiten, da es noch keinen Urheberschutz fert einem Lehrer, der seine Kunst versteht, ent- im heutigen Sinne gab, konnten sich schnell vie- weder die Materien des Unterrichts, die er le Epigonen an den Erfolg anhängen; Hurrel- braucht, oder erinnert ihn wenigstes an das, was mann hat verschiedene autorisierte Auflagen von er aufsuchen und brauchen muß. Und als Lese- Weißes Werk nachweisen können, des Weiteren buch betrachtet, kann wohl nicht leicht eins un- vier Nachdrucke, die fast zeitgleich nicht autori- terhaltender für Kinder sein. Auch hat es in der

120 DER KINDERFREUND

Kinderwelt Epoche gemacht. Der Hr. Verf. ver- Literaturverzeichnis: spricht nur halb und halb, dereinst etwa wieder BRUNKEN, OTTO: Der Kinderfreund. Ein Wochen- mit einem ähnlichen Werk hervorzutreten. blatt. Von Christian Felix Weiße (1726–1804), Freilich haben sich seit den sechs Jahren, da der 24 Teile, Leipzig 1776–1782, in: THEODOR Kinderfreund begann, so viele in dies Handwerk BRÜGGEMANN/HANS-HEINO EWERS (HRSG.): für Kinder zu schreiben gemischt, daß weder auf Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. Von Seiten der Kinder ein Mangel an solchen Büchern 1750 bis 1800, Stuttgart 1982, Sp. 137–155. ist, noch auf Seiten eines Schriftstellers viel Lust FUNKE, EVA: Bücher statt Prügel. Zur philanthro- sein kann, dergleichen zu schreiben. Indessen pistischen Kinder- und Jugendliteratur, Bielefeld wird man von dem Verf. des Kinderfreundes al- 1988. les mit Dank nehmen, was er uns noch geben HURRELMANN, BETTINA: Jugendliteratur und Bür- will“.11 gerlichkeit, Paderborn 1974. Die Zeitschrift bot die Möglichkeit, fremde MONSCHEIN, JOHANNA: Kinder- und Jugendbücher Texte oder Beiträge den didaktischen Überlegun- der Aufklärung. Aus der Sammlung Kaiser gen unterzuordnen. Der Kinderfreund war auch Franz’ I. von Österreich in der Fideikommiss- in diesem Verständnis ein Beispiel für die Kon- bibliothek an der Österreichischen Nationalbi- struktion von intentionaler Literatur. „Ein glück- bliothek, Wien 1994. licher Einfall die Lektüre unter Kindern zu reitzen POHLMANN, CAROLA: Die Darstellung von Eltern- und zu unterhalten. Wenn man den Kindern ein Kind-Beziehungen an ausgewählten Beispielen ganzes Buch, es sey auch noch so geschmeidig, der historischen Kinder- und Jugendliteratur, in: unter die Hände giebt, so werden sie desselben CHRISTA FÖRSTER/CAROLA POHLMANN gar bald überdrüssig. Aber alle Wochen ein Blatt (HRSG.): Respektspersonen. Wandlungen auto- von einem halben Bogen werden sie mit vieler ritären Verhaltens in Elternhaus und Schule, Begierde erwarten, und inzwischen das Stück, das Berlin 1999, S. 35–47. sie schon haben, mehr als einmal durchlesen, bis SCHMIDT, JOACHIM (HRSG.): Von alten Kinderbü- das neue ankommt“.12 chern. Rezensionen und Kritiken, Berlin 1986. Geblieben ist der Modellcharakter sowohl für Kinderzeitschriften als auch für Schulbücher. Im Anmerkungen Übergang zum Schulbuch einerseits und in der 1 Hurrelmann 1974. Form der Zeitung oder Zeitschrift andererseits 2 Monschein 1994, S. 44. konkretisiert sich das Interesse der Aufklärungs- 3 Brüggemann 1982, Sp. 142ff. pädagogik: breite Gebiete des Alltagswissens be- 4 Monschein 1994, S. 38. lehrend und unterhaltend zu veranschaulichen 5 Ebd. S. 155. und zu popularisieren, wenn auch dieses Ansin- 6 Pohlmann 1999, S. 47. nen bis ins zwanzigste Jahrhundert in der Mehr- 7 Taschenkalender 1810, zit. nach Schmidt 1986, zahl der Produkte immer wieder nur die bürger- S.141f. lichen Leserschichten traf. Die vielen kirchlichen 8 Hurrelmann 1974, S. 153–166. Zeitschriften des ausgehenden neunzehnten Jahr- 9 Ebd. S. 173. hunderts, die Beilagen zu den Familien- und 10 Aus der Allgemeinen Deutschen Bibliothek, zit. n. Frauenzeitschriften und nicht zuletzt auch die Schmidt 1986, S. 76f. Zeitschriften für die Arbeiterbewegung waren 11 Ebd. S. 11f. Zeugen des Aufklärungsgedankens bis in unsere 12 Allgemeine Deutsche Bibliothek 1773, zit. bei Hur- Zeit, wenn auch oft mit ideologischer Färbung. relmann 1974, S. 58.

121 LEHRREICHE UNTERHALTUNGSBÜCHER, VERFASST „UM IN EINEM JUGEN KOPFE AUFZURÄUMEN“

Exponate 129–142 131 Niedersächsisches Wochenblatt für Kinder. [Hrsg. Von Johann Lorenz Benzler.] [Jg. 1.] Bändchen 3–4. [In 1 Bd.] – Hannover in der Hofbuchhandlung 129 Bibliothek für Jünglinge, oder gesammelte Sit- der Gebrüder Helwig, 1774. – 17 x 11 cm. tenlehren für alle Scenen des Lebens. Nach der vier- 3. – S. 414–618 ten englischen Ausgabe übersetzt [von Johann Gott- 4. – S. 619–824 (8) fried Gellius]. Leipzig, bey M. G. Weidmanns Erben Jeder Band mit unsignierter ornamentaler Titelvignette. und Reich, 1763. – (10) 464 S. 17,5 x 11 cm. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Handschriftliche Ergänzung auf dem Titelblatt: ‚Chris- In einer zeitgenössischen Rezension des Niedersächsi- tian Felix Weiße‘. Mit Frontispiz in Kupferstich und schen Wochenblattes heißt es: „Wir fangen an, einen Titelvignette von Crusius. Das Werk wurde in einer großen Reichtum an Schriften für die Jugend zu be- zweiten Auflage 1773 in Leipzig von Christian Felix kommen, und diese gehört nicht zu den schlechtern Weiße herausgegeben. Seine Herausgeberschaft für unter denselben. Allenthalben zeigt sich gesunder Ver- diese erste Ausgabe ist nicht sicher. Das Original Con- stand; der Vortrag ist sehr faßlich und den Fähigkei- seils d’un Homme de Qualité à sa fille stammt von George ten der Jugend angemessen. [...] Wir treffen auch eine Savile (Marquis d’Halifax) (1633–1695). ziemlich große Mannigfaltigkeit in der Wahl der Sa- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen chen und in der Einkleidung an. Bald lassen die Ver- Das Buch befasst sich mit Themen, die in den Bereich fasser für Kinder an sich untereinander schreiben, bald der Erziehung fallen. Unter dem Aspekt der Moral sie Unterredungen anstellen, bald kommt eine Fabel werden menschliche Verhaltensweisen ausgeleuchtet. oder ein Lied, bald kommt etwas aus der Naturge- Das Lesen von Büchern beispielsweise fällt in die Ka- schichte, bald aus der Geschichte und bald endlich tegorie „nutzbringender Müßiggang“. In einem eige- etwas aus der Fabellehre vor“ (zit. nach Schmidt 1986). nen Kapitel ordnet der Herausgeber das Lesen als B.K. durchaus positive Beschäftigung ein. A.B. 132 Friedrich Eberhard von Rochow: Der Kinderfreund, oder erster Unterricht im Lesen, 130 Jeanne-Marie LePrince de Beaumont: und bey dem Lesen. von Friedrich Eberhard von Der Frau Maria le Prince de Beaumont nöthige Un- Rochow, auf Reckan. Neueste, verbesserte, korrekteste terweisungen für junges Frauenzimmer, welches in die und wohlfeilste Ausgabe. Halberstadt, in der Dölle- Welt tritt und sich verheurathet, als der Verfolg des schen Buchdruckerey [1798]. – 104 S. 16,5 x 10,5 cm. Magazins für junge Leute, nach deutscher Art einge- Preisangabe auf dem Titelblatt: ‚2 ½ Groschen‘. richtet, von Johann Joachim Schwaben. Theil [1]–4 Die Erstausgabe erschien 1776. [in 1 Bd.] Zweyte und verbesserte Ausgabe. Mit aller- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen gnädigster Freyheit. Leipzig, bey M. G. Weidmanns Das Lesebuch für den Gebrauch in Landschulen (so der Erben und Reich. 1768. 18,5 x 11,5 cm. Untertitel der ersten Ausgabe) enthält kurze Beispiel- [1.] – X, 172 S. geschichten, Gebete, Gedichte und Lieder. Es ist das 2. – 180 S. erste Volksschullesebuch, ein neuartiges, weithin an- 3. – 232 S. erkanntes, bedeutendes Werk, das in vielen Bearbei- 4. – 336 S. tungen und in sehr hoher Auflage bis in die zweite Frontispiz in Theil 1 von Crusius. Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts verbreitet war. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Das stellenweise von der Zensur verbotene Werk rich- Ein im aufkommenden Bürgertum verbreitetes Werk tet sich gegen die Unwissenheit und die Vorurteile der zur Erziehung im Sinne der Aufklärung. Im Verzicht Landleute. Rochow hatte schon einige Jahre zuvor über auf das bis dahin übliche Auswendiglernen bietet das die vernachlässigte Erziehung der ländlichen Jugend Buch in dialogischer Rede zwischen den Erziehungs- ebenso geklagt wie über das Elend der Landbevölke- personen und den Zöglingen von fünf bis dreizehn rung. Jahren ein Modell standesgemäßen Lernens. Die Rochow, geboren 1734 in Berlin, gestorben 1805 in Autorin hat in den vier Bänden ihre eigene Praxis- Reckahn, war Sohn eines königlichen Staatsministers. erfahrung für den Unterricht, die Erziehung und die Er war zunächst Offizier, dann Gutsherr, später Dom- Unterhaltung von Kindern des Adels und des Bürger- herr in Halberstadt. Er stand in reger Verbindung mit tums zusammengetragen. den philanthropischen Pädagogen und unterstützte B.K. nicht nur Basedows Dessauer Philanthropin finanzi-

122 DER KINDERFREUND ell, sondern schuf auf seinen Gütern selbst Muster- schulen für die Landjugend. W.W.

133 Der Kinderfreund. Ein Wochenblatt. [Heraus- gegeben von Christian Felix Weiße]. Theil 1–24. [In 12 Bden.] Neue vermehrt und verbesserte Auflage. Hanau, In Commission in Frankfurt, bey dem Buch- binder Kämpfe, auf dem kleinen Kornmarkt (ab Theil 16: Tübingen [s. n.]). – 1777–1781. – 18 x 11,5 cm. 1. 1777. – VI, (8) 182 S. 2 Kupfertaf. 2. 1778. – VI, 196 S. 2 Kupfertaf. 3. 1779. – VIII, 204 S. 2 Kupfertaf., 2 Notenbl. 4. 1778. – VI, 207 S. 2 Kupfertaf., 1 Notenbl. 5. 1778. – VI, 196 S. 2 Kupfertaf., 1 Notenbl. 6. 1778. – VI, 199 S. 2 Kupfertaf., 2 Notenbl. 7. 1778. – VI, 199 S. 2 Kupfertaf., 1 Notenbl. 8. 1778. – VI, 198 S. 2 Kupfertaf., 1 Notenbl. 9. 1778. – VI, 208 S. 2 Kupfertaf., 1 Notenbl. 10. 1778. – VI, (8) 191 S. 2 Kupfertaf., 1 Notenbl. 11. 1779. – VI, 198 S. 2 Kupfertaf., 1 Notenbl. 12. 1779. – VI, 200 S. 2 Kupfertaf. 13. 1779. – VI, 200 S. 2 Kupfertaf. 14. 1779. – VI, 214 S. 2 Kupfertaf. 3) dass. – S. 97–198. Abb. 45 15. 1779. – VI, 208 S. 2 Kupfertaf. 4) Jakob Friedrich Feddersen: Das Leben Jesu für Kin- Aus Weißes 16. 1780 (!). – VI, 228 S. 2 Kupfertaf. der. Neueste sehr vermehrte Auflage, 1778. – S. Bibliothek für Jünglinge 17. 1779. – VI, 200 S. 2 Kupfertaf., 1 Notenbl. 1–58. (1763). Illustration und 18. 1780. – VI, 200 S. 2 Kupfertaf. 5) dass., S. 59–156 (4). Titelvignette von Crusius; 19. 1780. – VI, 214 S. 2 Kupfertaf., 1 Notenbl. 6) Jakob Friedrich Feddersen: Lehrreiche Erzählun- Nr. 129. 20. 1781. – VI, 196 S. 2 Kupfertaf., 1 Notenbl. gen aus der biblischen Geschichte für Kinder, 21. 1781. – VIII, 212 S. 2 Kupfertaf., 1 Notenfaltbl. 1778. – S. (14) 1–16 (Forts. von „Das Leben Jesu“). 22. 1781. – VI, 214 S. 2 Kupfertaf., 1 Notenbl. 7) dass., S. 17–64. 23. 1781. – VIII, 242 S. 2 Kupfertaf., 1 Notenbl. 8) dass., S. 145–232 (!). 24. 1781. – VI, 208 S. 3 Kupfertaf. 9) Der Neujahrstag. Ein Geschenk für Kinder für das Frontispiz in T. 1–3 und 7–22 unsigniert, T. 4–5 von Jahr 1780. – 64 S. Rein, T. 6 von Georg Leopold Hertel. T. 23 und 24 10) Der gute Christian, ein Spiel für Kinder in einem ohne Frontispiz. Titelkupfer in T. 1–3, 5–6, 8–18, 20– Aufzuge, 1779. – 48 S. 24 unsigniert, T. 4 von Hertel, T. 19 von Schenau und 11) Johann Peter Miller: Anleitung zu Religions- Schmidt. In T. 1–3, 7, 9–23 je 2, in T. 24 3 unsignierte gesprächen mit jungen Christen. 1779. – 72 S. Kupfer, in T. 4, 5 und 8 je ein Kupfer von Rein und 12) Joachim Heinrich Campe: Sittenbüchlein für Kin- ein unsigniertes, in T. 6 2 Kupfer von Hertel. Periodi- der aus gesitteten Ständen. 1779. – S. 1–72. zität wöchentlich. Die vorliegende Ausgabe ist ein 13) dass., S. 73–139 (3). unrechtmäßiger Nachdruck der Ausgabe ‚Leipzig: 14) Johann Jakob Engel: Der Edelknabe. Ein Lustspiel Crusius, 1775–1782‘. Weitere Ausgaben vorhanden. für Kinder in einem Aufzuge. 1779. – 56 S. An folgende Teile sind weitere Titel angebunden [bi- 15) Friedrich Ludwig Heimbert Drude: Das geogra- bliografische Kurzangaben]: phische Spiel, Erste Stunde. 1780. – 72 S. 1) August von Rode: Briefwechsel einiger Kinder. 18) Jakob Friedrich Feddersen: Beyspiele der Weisheit Neue vermehrt und verbesserte Auflage. 1778. – und Tugend aus der Geschichte, mit Erinnerun- VIII, 118 (2) S. gen für Kinder [Zweite Sammlung], 1780, S. 65– 2) Jakob Friedrich Feddersen: Beyspiele der Weisheit 150. und Tugend aus der Geschichte, mit Erinnerungen 20) Erdmann Hannibal Albrecht: Briefe für Kinder für Kinder [Erste Sammlung], 1780. – (6) 96 S. zum Nutzen und Vergnügen. 1782. – XII, 84 S.

123 LEHRREICHE UNTERHALTUNGSBÜCHER, VERFASST „UM IN EINEM JUGEN KOPFE AUFZURÄUMEN“

Unterredungen eines zärtlichen Vaters und seiner Freunde, die auch alle Kinderfreunde sind, mit seinen Kindern, Knaben und Mädchen. Es wird aus der Na- tur- und Menschengeschichte viel für Kinder Interes- santes und Rührendes erzählt; diese machen Anmer- kungen darüber; der Vater und seine Freunde erläu- tern, berichten und dgl. Auch sind Rätsel da, die für Kinderrätsel sehr gut sind“ (zit. nach Schmidt 1986). M.H./B.K.

134 Der Kinderfreund. Ein Wochenblatt. [Heraus- gegeben von Christian Felix Weiße]. Theil 23–24. [In 1 Bd.] mit Römisch. Kaiserl. und Churfürstl. Sächsi- schen allergnädigsten Freyheiten. Leipzig, bey Siegfried Lebrecht Crusius, 1781–1782. – 16 x 10 cm. 23. 1781. – VIII, 242 S. 2 Kupfertaf., 2 Notenbl. 24. 1782. – 208 S. 2 Kupfertaf. In Teil 23 Frontispiz, Titelkupfer und Kupfertafeln unsigniert, in Teil 24 Frontispiz, Titelkupfer und Kup- fertafeln Johann A. Rosmaesler. Erstausgabe. Vordemann-Sammlung

135 Neuer Kinderfreund von [Karl August] Engel- hardt und [Dankegott Immanuel] Merkel. Bändchen Abb. 46 1–12. Wien und Prag bey Franz Haas, 1799. – 17 x Titelblatt aus Engelhardts Neuem Kinderfreund 10,5 cm. (1799); Nr. 136. 1. – 151 S. 1 Notenfaltbl. 2. – 152 S. 1 Notenfaltbl. 22) Claudius, Georg Carl: Kleine Unterhaltungen. Ein 3. – 148 S. 1 Notenfaltbl. Weihnachtsgeschenk für Kinder. Theil [1]–2. (o. 4. – 148 S. 1 Notenfaltbl. J.). [1.] 80 S.; 2. 64 S. (Erstmals 1780 in einem 5. – 160 S. 2 Notenfaltbl. Theil erschienen.) 6. – 163 S. 2 Notenfaltbl. 24) Erdmann Hannibal Albrecht: Briefe für Kinder 7. – 141 S. 1 Notenfaltbl. zum Nutzen und Vergnügen. 1782. – S. 87–164. 8. – 157 S. 1 Notenfaltbl. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 9. – 141 S. 1 Notenfaltbl. Die von Weiße herausgegebene philanthropisch be- 10. – 149 S. 1 Notenfaltbl. einflusste periodische Jugendzeitschrift ist eine Fort- 11. – 159 S. 1 Notenfaltbl. setzung von Adelungs Leipziger Wochenblatt für Kin- 12. – 134 (34) S. der; ihre Form wurde dem englischen Spectator ent- Alle Bändchen mit neuem Einband. Alle Bändchen lehnt. Im Gegensatz zu von Rochows gleichnamigem mit unsigniertem Titelkupfer. Frontispiz in Bändchen Schullesebuch ist das Werk für den häuslichen Ge- 1–3 und 9 von Joseph Gerstner, in Bändchen 4, 7 und brauch bestimmt. Eine Familie mit vier Kindern und 8 von Ludwig Maillard, in Bändchen 10 von János Freunde des Hauses bilden den Rahmen für die viel- Blaschke, Bändchen 5, 6, 11 und 12 unsigniert. Bänd- fältigen Belehrungen, die sich den Idealen eines sich chen 12 enthält das Inhaltsverzeichnis für alle 12 Bänd- emanzipierenden Bürgertums verpflichtet zeigen. Ge- chen. dichte, Erzählungen, Schauspiele und Sachtexte bil- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen den eine populäre Mischung; weitere Auflagen und Die Erstauflage erschien 1794 in Leipzig bei Barth. Nachdrucke sowie Nachahmungen des Kinderfreun- Die „Zeitschrift für Kinder beiderlei Geschlechts zwi- des erfuhren weite Verbreitung. schen 7 und 14 Jahren – so zumindest das Alter der In einer zeitgenössischen Rezension heißt es zu Wei- Kinder des ,Kinderfreundes‘ – will angenehm unter- ßes Kinderfreund: „Sonst enthält dieser Kinderfreund halten, zugleich auch belehren; in Rahmenhandlung

124 DER KINDERFREUND und Inhalt starke Anlehnung an Weißes Kinderfreund; T. 2 und 3 von J. A. Darnstedt gestochen, in T. 4 un- enthält im Rahmen der familiären Situation Gesprä- signiert, in T. 6 von J. G. A. Frenzel, gestochen von che, Reime, Anekdoten, Fragen der Kinder, Darstel- Darnstedt. Titelvignette in T. 1 nicht verifizierbare lung ihrer Tugenden und Untugenden, Meinungen, Signatur, in T. 2 und 3 von J. A. Darnstedt gestochen, Briefe und Tagebuchauszüge“ (Brüggemann 1982, Sp. Theil 6 von J. G. A. Frenzel nach Darnstedt. Weitere 1462). Auch die unterhaltenden Passagen dienen im- Ausgaben vorhanden. plizit immer der Belehrung; das Sachwissen wird je- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen doch nur unsystematisch vermittelt. In bunter Reihen- Sich in der Nachfolge Weißes betrachtend, spricht Karl folge sind u.a. Rätsel, Lieder, Anekdoten eingefügt. Im August Engelhardt ein reiferes Lesepublikum an. dritten Band ist das Lustspiel Die Geister enthalten. Kenntnisreich vermittelt er Inhalte moralischer Na- M.H. tur, die in einem unterhaltsamen Briefstil geschrieben sind. Besonders weist er die Jugend auf den Unter- 136 Neuer Kinderfreund von [Karl August] En- schied des Lebens innerhalb und außerhalb des Eltern- gelhardt und [Dankegott Immanuel] Merkel. Bänd- hauses hin und spricht dabei Probleme an, die außer- chen 3 – 4. [In 1 Bd.] – Wien und Prag bey Franz halb des Elternhauses oft schwer zu bewältigen sind. Haas. 1799. – 17,5 x 11 cm. A.B. 3. – 148 S. 1 Notenfaltbl. 4. – 148 S. 1 Notenfaltbl. 139 Neuer Kinderfreund. Herausgegeben in Ver- Frontispiz in Bändchen 3 von Joseph Gerstner, in Bänd- bindung mit mehreren praktischen Erziehern von chen 4 von Ludwig Maillard. J[ulius] B[ernhard] Engelmann. – Theil 3–4. [In 1 Bd.] Vordemann-Sammlung – Frankfurt am Mayn: Bey J. C. B. Mohr, 1805. – 16,5 x 10,5 cm. 137 Briefwechsel der Familie des Kinderfreundes. 3. – 252 S. [Herausgegeben von Christian Felix Weiße]. Theil 9– 4. – 251 S. Mit drey Kupfern. 1 Notenbl. 10. [In 1 Bd.] Mit allergnädigsten Kaiserl. u. Churfürstl. In Bd. 4 Frontispiz (Porträt Naumann) von Seelmann. Sächsisch. Privilegien. Leipzig, bey Siegfried Lebrecht Crusius, 1789–1790. 18 x 11,5 cm. 9. – 1789. – (10) 324 S. 6 Notenfaltbl. 10. – 1790. – (12) 354 S. Titelvignette in Bd. 9 und 10 von Johann Georg Penzel. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Nach kurzer Unterbrechung bildete der Briefwechsel für mehrere Jahre eine Fortsetzung des zuvor erfolg- reichen Unternehmens einer Wochenzeitschrift für Kinder durch denselben Herausgeber und Verleger. Sie folgt dem traditionellen Muster und steht in Konkur- renz mit anderen Herausgebern, die das einmal ge- weckte Leseinteresse ebenfalls nutzen wollten. B.K.

138 Briefwechsel der Familie des neuen Kinder- freundes, von K[arl] A[ugust] Engelhardt. – Theil 1– 6. [In 2 Bden.] Leipzig, bei J. A. Barth (Theil 4–6: Dresden. Friedrichstadt, beim Verfasser und Leipzig, Abb. 47 bei J. A. Barth), 1799–1802. – 16,5 x 10 cm. Illustration von Schmid 1. 1799. – XIV, 182 S. 1 Notenfaltbl. nach Johann David 2. 1799. – 188 (8) S. Schubert aus 3. 1801. – 190 S. 1 Notenfaltbl. Briefwechsel der Familie des 4. 1802. – 199 S. 1 Notenfaltbl. neuen Kinderfreundes 5. 1802. – 195 S. 1 Notenfaltbl. (1799–1802) von Karl 6. 1802. – 178 (10) S. August Engelhardt; Frontispiz in T. 1 von Schmid nach J. D. Schubert, in Nr. 138.

125 LEHRREICHE UNTERHALTUNGSBÜCHER, VERFASST „UM IN EINEM JUGEN KOPFE AUFZURÄUMEN“

Eine Zeichnung von F. Mieg, auf Marmor gestochen 1. 1807. – IV, 352 S. von Franz Pforr. 2. 1808. – 415, VI S. Vordemann-Sammlung Jedes Bändchen enthält 3 Hefte mit je 4 kolorierten Die erste Ausgabe aller sechs Teile erschien 1803–1807. Kupfertafeln am Ende des Heftes. Erscheinungsweise Das Buch enthält in eine fiktive Gesprächssituation der Hefte zweimonatlich. Bändchen 1 mit den Hef- eingeflochtene Erzählungen. Im Vergleich zu ähnlich ten 1–3 (Januar bis Juni 1807), Bändchen 2 mit den konzipierten Werken des vorhergehenden Jahrzehnts Heften 4–6 (Juli bis Dezember 1808). In Heft 6 sind die belehrenden Momente etwas in den Hinter- Gesamtregister. grund getreten; in den zum Teil bereits abenteuer- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen orientierten Erzählungen deutet sich die spätere Ent- Während ausgiebiger Spaziergänge lernen die Kinder wicklung zur spannungsdominierten Jugendprosa vor- der Familie Glünow die Pflanzenwelt ihrer Umgebung sichtig an. kennen. An kalten Winterabenden versammelt der Auch wenn das Werk noch primär der Aufklärung ver- Hauslehrer Hellberg sie um sich, um ihnen Grundbe- pflichtet ist, so schlägt sich in der Absicht der Ausbil- griffe von den Strukturen der Natur zu vermitteln. Er dung eines poetischen Empfindens schon früh- weist darauf hin, dass häufig auch vom Menschen ge- romantisches Gedankengut nieder. „Unser Zweck war, schaffene Gegenstände ihre Vorbilder in der Flora und so viel wir vermochten, das Schöne mit dem Guten, Fauna haben und auch die Materialien aus der Natur das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, bezogen werden. wir wollten nicht amüsieren, sondern durch Unter- A.B. haltung veredeln und belehren, den heranwachsenden Menschen mit der Welt und ihren Bewohnern bekannt 142 Bildungsblätter oder Zeitung für die Jugend. machen, seinen Geist wecken und stärken und sein Mit Kupfern und Musikbeilagen. – Januar – Dezem- Herz nähren in Wahrheit und Einfalt“ (zitiert nach ber. – Leipzig: bei Georg Voß, 1807. – 1255 S. 25,5 x Wegehaupt 1979, S. 69). 22 cm. M.H. Erscheinungsweise wöchentlich drei Stück, in jedem Monat mit drei Kupfern (Januar bis Mai je zwei schwar- 140 Karl Traugott Thieme: ze und ein koloriertes, ab Juni mit jeweils drei schwar- Gutmann oder der Sächsische Kinderfreund. Ein Le- zen Kupfern) sowie einer Notenbeilage. Illustratoren: sebuch für Bürger- und Land-Schulen von M. Karl Carl Wilhelm Schenck, Georg Christian Schule, Traugott Thieme Rector der Schule zu Löbau. Theil Gapieux, F. Barthel, Gusler (?), de Seve, Gottlieb 1–2. [In 1 Bd.] Leipzig 1794. bei Siegfried Lebrecht Böttger sen., Gustav Georg Endner, I. C. Böhme, Crusius. – 18 x 11 cm. Rauschner, Jeremias Paul Schweyer, Nic. Knupfer, 1. – XVIII, 252 S. Christian Gottlieb Geyser, F. E. Müller jun., Rudolph 2. – 270 S. Müller, Carl Martin, K (?) Hahn, Carl Frosch, Johann Teil 1 mit Titelvignette und Frontispiz von Schubert Georg Penzel, Geisler. Einige Kupfer sind unsigniert. und Grießmann. Weitere Ausgabe vorhanden. Sammlung Kayser Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Der Jahrgang 1807 ist in Halbleder gebunden; er ent- Thiemes Kinderfreund orientiert sich auch aus verle- hält „wöchentlich drei Stücke“ (insgesamt 157), jeweils gerischem Interesse an Christian Felix Weiße. Er ist mit gleichbleibender Titelvignette. Einmal im Monat für den Gebrauch in Schulen ebenso gedacht wie für sind Noten für das Musizieren im Familienkreis bei- die häusliche Erziehung und enthält neben der Dar- gefügt. Gedacht sind die Bildungsblätter für Jugendli- stellung von Tugenden und Untugenden Wissenswer- che beiderlei Geschlechts. Sie enthalten, geprägt durch tes aus der Natur, dem Alltag der Menschen und ihrer die Aufklärungspädagogik, „Interessante Neuigkeiten Umgebung. vornämlich aus der Jugendwelt“, etwa „bemerkenswer- B.K. te Eigenschaften und Charakterzüge jugendlicher See- len“, „Nachrichten von jungen Leuten, welche ein frü- 141 Georg Ernst Wilhelm Crome: hes Opfer des jugendlichen Leichtsinns und der Un- Botanischer Kinderfreund von Georg Ernst Wilhelm vorsichtigkeit wurden“, „Mannichfaltige angenehme Crome der Regensburgischen botanischen Gesellschaft und lehrreiche Kleinigkeiten“. Der Preis des Jahrgangs, Ehrenmitgliede. Bändchen 1–2. Mit zwölf illuminier- „8 Rthlr. Sächsisch, oder 16 Gulden Wiener, oder 14 ten Kupfertafeln. Göttingen, bey Justus Friedrich Gulden 30 Kr. Rheinisch“, war im voraus zu zahlen. Dankwerths, 1807–1808. – Quer 12,5 x 14 cm. W.W.

126 „...einen wünschenswürdigen Geschmack intentionalen (Kinder-) und Jugendliteratur aus- an ernsthaften und nützlichen gestaltet worden ist.3 Unterhaltungen“. Reiseliteratur für Reisebeschreibungen und Robinsonaden hat- Kinder und Jugendliche ten im achtzehnten Jahrhundert Gemeinsamkei- ten, können sogar in der Gattung der Reise- Bodo Kayser literatur zusammengefasst werden. Seereisen, Abenteuer, Wissensdrang und Erforschung der Natur und auch der Menschen anderer Erdteile Rund siebzig Werke hat Bärbel Panzer ermittelt, ließen sich leicht mit dem Inselmotiv verbinden, die im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhun- das der Robinsonade als charakteristisches Ele- derts Reiseberichte als lehrreiche und zugleich ment zu eigen ist. Die fremde Welt wurde aus unterhaltende Lektüre für Kinder und Jugendli- der Sicht der Europäer entdeckend erobert und che beinhalten.1 Reiselektüre wird auch in der in der literarischen Aufarbeitung in aufkläreri- Folgezeit in Form von Erzählungen, Berichten, scher Weise genutzt, um der alten Welt eine bes- Sachdarstellungen und Reiseführern sowohl für sere gegenüber und entgegen zu stellen.4 Dies ging die Altersstufe der Kinder (sechs bis neun Jahre) bis zu Entwürfen eines neuen, utopischen Staats- als auch der Jugendlichen (zehn bis vierzehn Jah- wesens, wie es in Daniel Defoes Robinson Crusoe, re) angeboten. Diese Literatur veranschaulicht James Cooks Berichten seiner Forschungsreisen den Erziehern, wie das Rousseau’sche Konzept der und z.B. in einem Werk konzipiert wurde mit Erfahrung als Erwanderung der Natur und dem dem bezeichnenden Titel: Die glückliche Insel oder Erleben der Umwelt in der Praxis und der Theo- Beytrag zu des Captain Cooks neuesten Entdeckun- rie pädagogischen Handelns funktionieren kann. gen in der Südsee/ aus dem verlornen Tagebuch ei- Bücher mit Reisebeschreibungen waren im Ka- nes Reisenden (Exp.-Nr. 83).5 non der Kinderliteratur, die durch die philanthro- pisch orientierten Pädagogen der Aufklärungszeit Reisen als Erfahrungslernen als Autoren und Verleger publiziert wurden, pro- Seine Sammlung interessanter und durchgängig bate didaktische Materialien für Lehrer, Eltern zweckmäßig abgefaßter Reisebeschreibungen für die und ältere Kinder und Jugendliche.2 Kindern Jugend (Exp.-Nr. 150) begründet Joachim Hein- dienten sie seltener als Praxisanleitung. Bei einer rich Campe wie folgt: „wenn irgend etwas recht geschätzten Auflage von ca. tausend Exemplaren eigentlich dazu geschickt ist, in einem jungen pro Buch, die nur zum einen Teil in private Hän- Kopfe aufzuräumen, seine Welt- und Menschen- de gelangten, zum größeren Teil von den in der kenntniß auf eine leichte und angenehme Weise Zeit verbreiteten Lesegesellschaften und in Leih- zu erweitern, den Hang zu romanhaften Aussich- bibliotheken verwendet wurden, war die unmit- ten ins Leben und zu arcadischen Träumereien, telbare Wirkung auf die Betroffenen selbst, die zu welchen so viel andere Modebücher ihn einla- Kinder und Jugendlichen, gering. den, zu schwächen, ihm frühzeitig einen heilsa- men Ekel gegen das faselnde, schöngeisterische, Vorläufer empfindelnde, Leib und Seele nach und nach Das Reisen war, als es für die bürgerliche Jugend entnervende Geschwätz der besagten Mode- der Spätaufklärung als didaktisches Mittel ent- bücher, und dagegen einen wünschenswürdigen deckt wurde, schon zuvor ein geeignetes Mittel Geschmack an ernsthaften und nützlichen Un- für gehobene Kreise und bestimmte Berufs- terhaltungen einzuflößen; so sind es gewiß sol- gruppen, um Erfahrungswissen zu sammeln und che Reisebeschreibungen, bei deren Auswahl und zu komplettieren. Männliche Mitglieder des Verfertigung man sowol in Ansehung der Sachen, Adels, Angehörige des Militärs, Gelehrte und als auch des Vortrages, dieses jugendliche Alter Kaufleute hatten in den Jahrhunderten zuvor ihre und jene Zwecke einzig und allein im Gesicht eigene sozialtypische Form der (Aus-)Bildungs- gehabt hätte“.6 reise; ihre Eindrücke haben sie auch schriftlich Die Reisebeschreibungen, welche von den zum Gebrauch für andere niedergelegt: Reisebe- Aufklärungspädagogen verfasst worden sind, un- richte waren eine gängige Form der Gebrauchsli- terscheiden sich in Konzeption und Inhalt deut- teratur, ehe diese unter aufklärungsdidaktischen lich von den traditionellen Reisebeschreibungen Zielsetzungen zu einer besonderen Gattung der für Erwachsene. Waren letztere von spezifischen

127 LEHRREICHE UNTERHALTUNGSBÜCHER, VERFASST „UM IN EINEM JUGEN KOPFE AUFZURÄUMEN“

Interessen einzelner (kleiner) sozialer Gruppen Status zugeeignet. „Diese neue Qualität lässt sich geleitet und als Mittel zur Bildung und Ausbil- auf mehreren Ebenen beschreiben: Was die Fas- dung verstanden, wollten die Philanthropen statt sungskraft, die Verstehenskompetenz der Kinder des mehr humanistischen Bildungsmotivs „die angeht, so übernimmt Campe die These Rous- Erziehung der Leser für die ständische Gesell- seaus, nach der Kinder lediglich mit einer sinnli- schaftsordnung, und zwar hier speziell für die chen Vernunft ausgestattet sind. Hieraus ergibt besonderen Zwecke der bürgerlichen Gesellschaft“ sich die Forderung nach Anschaulichkeit, nach erreichen.7 Dazu wurden die neuen Anforderun- restloser Veranschaulichung des Zuübermitteln- gen der Zeit, die bürgerlichen Normen-, Werte- den. Die vorausgegangene Kinderliteraturepoche und Tugendkataloge, Elementarkenntnisse und schloss hierin noch sämtliche Formen der Ver- die Beschreibung der Alltagswelt nach dem Prin- bildlichung ein; als Veranschaulichungsweisen zip der Nützlichkeit als Themenbereiche ausge- galten ihr auch der Vergleich, das Gleichnis und wählt. Für die bürgerliche Gesellschaft waren teils auch noch die Allegorie, so dass ihr die Fabel zweckmäßig: als kinderliterarische Gattung par excellence gel- – Vermittlung von Weltwissen: Die bürgerliche ten konnte. Rousseau bestreitet, dass Kinder den Welt soll durch gebildete Menschen verbes- Bildcharakter, das Uneigentliche literarischer Bil- sert werden. Dazu kann das Wissen beitra- der zu erkennen vermögen; sie nähmen die Bil- gen, das erlesen werden kann. Die Reiseer- der vielmehr wörtlich und seien nicht in der Lage, lebnisse anderer und ihre anschaulichen Bil- zum eigentlich Gemeinten vorzudringen. Die der der Welt ‚draußen‘, die sie besichtigt ha- Campesche Reform bedeutet auf dieser Ebene also ben, können Kindern zugänglich gemacht einen weitgehenden Ausschluß bildlicher Dich- werden, wenn sie wirklichkeitsgetreu und tungsformen aus der Kinderlektüre und eine kindgemäß aufbereitet dargeboten werden. Präferierung realistischer Darbietungsweisen. Was – Vermittlung von Moral: Neben der Verbesse- Kindern an Anschaulichem dargeboten wird, rung der materiellen Lebensumstände galt es, muß als solches auch gemeint sein; anders her- die Kinder und Jugendlichen auch zum sittli- um: das eigentlich Gemeinte muß stets restlos chen Wesen zu bilden, indem sie durch Lek- sinnlich anschaubar gemacht werden, wenn es türe sittlich-moralisch unterwiesen wurden. von Kindern verstanden werden soll“.9 Die Vielzahl der Reisbeschreibungen aus der fer- Die didaktisierten Reisebeschreibungen, wie nen und nahen Umwelt der potentiellen Leser auch Campe sie verfasst hat, eröffneten mehrere verdeutlicht ein wesentliches Anliegen der Auf- bildende Elemente: klärungspädagogen: über möglichst konkrete, – Erfahrung und Begegnung sowohl mit rele- verbildlichende Darstellungen den Nachwuchs vanten realen Objekten, Personen und Pro- auch über die ökonomischen und allgemein- zessen in der Natur und im sozialen und po- gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland litischen Raum und den Aufbruch in die Industriegesellschaft – Beschreibung und Erklärung von Phänome- aufzuklären, wenn dies auch nur vermittelt ge- nen gemäß der aufklärerischen Maxime, schehen konnte.8 Kenntnisse und Elementarwissen sachlich richtig und zweckmäßig zu vermitteln und Anpassung an das Fassungsvermögen der Kinder – politisch-gesellschaftliche Aspekte durch Illus- Die philanthropischen Kinderbuchautoren hat- tration der realen Verhältnisse z.B. deutscher ten das gleiche Problem, wie hundert Jahre spä- Kleinstaatlichkeit mit der Implikation einer ter die Jugendbuchkritiker um die Bewegung der wünschenswerten Veränderung durch orien- Jugendschriftenwarte (die wesentlich deutlicher tierenden Vergleich zu präsentieren. ins Bewusstsein der historischen Jugendbuchfor- Auf diese Weise konnte der aufklärerische Impe- schung getreten sind), aus pädagogischen Moti- tus leichter realisiert werden: statt moralischer ven eine kindgemäße Literatur für Kinder und Werte und christlich-religiöser Lebensmaxime die Jugendliche zu schaffen. Das Verständnis der Ent- weltliche Wirklichkeit vorzustellen und zugleich wicklungsstufe der Kindheit wandelte sich gera- der bekämpften Fiktionalität in den modischen de im Aufklärungszeitalter. Auf der Grundlage Romanen zu begegnen. der Ausführungen eines John Locke und eines Reisebeschreibungen eröffnen die sich erwei- Jean Jacques Rousseau wurde ihnen ein eigener ternde Welt. Die Zeit der großen Entdeckungen

128 „...EINEN WÜNSCHENSWÜRDIGEN GESCHMACK AN ERNSTHAFTEN UND NÜTZLICHEN UNTERHALTUNGEN“. war vorbei, die der kolonialen Eroberungen des Literaturverzeichnis: neunzehnten Jahrhunderts stand noch bevor. Eu- CAMPE, JOACHIM HEINRICH: Sammlung interessanter und ropa nahm die Welt außerhalb seiner Grenzen durchgängig zweckmäßig abgefaßter Reisebeschrei- wahr, das alte Europa wurde klein, Menschen bungen für die Jugend, 1. Theil, Hamburg 1785. wanderten aus, die Menschen auf dem Kontinent EWERS, HANS-HEINO: Joachim Heinrich Campe als blickten auch auf die Menschen jenseits der Meere Kinderliterat und als Jugendschriftsteller, in: Carola und Gebirge mit ihren kulturellen Besonderhei- Pohlmann u.a. (Hrsg.): Erfahrung schrieb’s und ten, der sog. Primitive erweckte das Interesse de- reicht’s der Jugend. Joachim Heinrich Campe als Kin- rer, die die Kultur und Gesellschaft im eigenen der- und Jugendschriftsteller, Berlin 1996, S. 9–32. Lande kritisierten. Die Vorzeichen der großen PANZER, BÄRBEL: Die Reisebeschreibung als Gattung der (französischen) Revolution zeigten sich, die ‚Neue philanthropischen Jugendliteratur in der zweiten Welt‘ der Vereinigten Staaten gelangte ins Be- Hälfte des 18. Jahrhunderts, Frankfurt a. M./Bern/ wusstsein der politisch aufgeklärten Menschen. New York 1983. Das Wissen um die Welt wuchs in doppelter PFEIL, JOHANN GOTTLIEB BENJAMIN: Die glückliche In- Weise. Die ‚Neue Welt‘ wurde zum interessanten sel oder Beytrag zu des Captain Cooks neuesten Ent- Gegenstandsfeld im Kanon des Weltwissens des deckungen in der Südsee/ aus dem verlornen Tage- Bürgertums im beginnenden Industriezeitalter. buch eines Reisenden, Leipzig 1781. Der Mensch bekam als Eroberer, Entdecker und PLETICHA, HEINRICH: Reiseliteratur, in: KLAUS DODERER Erforscher des Fremden einen Eigenwert, der sich (HRSG.): Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur, ins neue Menschenbild des selbstständig handeln- Bd. 3, Weinheim und Basel 1984 (unveränderter den Individuums fügte. Die Didaktik erhielt ein Nachdruck der Ausgabe von 1979), S. 157–160. Modell des spannenden, unterhaltenden Aben- STACH, REINHARD: Robinsonaden. Bestseller der Jugend- teurers. Diese Wirkung sollte aber auch im en- literatur, Baltmannsweiler 1996. gen Raum des unmittelbaren Umfeldes erreicht werden. Die neuen Natur-, Wirtschafts- und Ge- Anmerkungen sellschaftswissenschaften begannen, die traditio- 1 Panzer 1983. nellen Sicht- und Denkweisen zu überwinden. 2 Vgl. Pleticha 1984, S. 157. Die Wanderungen in den Harz (Goeze, Exp.-Nr. 3 Vgl. Panzer 1983, S. 25–56. 144), ins Umland von Dessau (Salzmann, Exp.- 4 Vgl. Stach 1996, S. 22. Nr. 153), die Reisen nach Frankreich oder Eng- 5 Pfeil1781. land (Campe, Exp.-Nr. 150–151), aber auch die 6 Campe 1785, Vorbericht. dreibändige Entdeckung Amerikas (Campe, 7 Panzer 1983, S. 299. Exp.-Nr. 147–148) stehen für das Praxismodell 8 Vgl. ebd. S. 301–304. des Erfahrungslernens durch Reisen und Wandern. 9 Ewers 1996, S. 26f.

129 LEHRREICHE UNTERHALTUNGSBÜCHER, VERFASST „UM IN EINEM JUGEN KOPFE AUFZURÄUMEN“

Exponate 143–153 Die Reise beginnt in Speyer und endet in Paris. Der Reisebericht in Tagebuchform, den eine Mutter ihren Töchtern zu lesen gibt, beschreibt verschiedene Orte 143 Johann Gottlieb Schummel: entlang der Route. Besondere Beachtung widmet die Fritzens Reise nach Dessau. Leipzig, bey Siegfried Leb- Verfasserin den Sitten in Paris. recht Crusius. 1776. – 120 S. 16,5 x 10,5 cm. A.B. Ohne Verfasserangabe. Mit einem unsignierten Titel- kupfer. 146 Christian Carl André: Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Kleine Wanderungen auch Größere Reisen der weib- „Niemand erwarte hier eine recht vollständige Beschrei- lichen Zöglinge zu Schnepfenthal, um Natur, Kunst bung von Basedows Philanthropischen Anstalten [...] und den Menschen immer besser kennen zu lernen. Ich hab es blos mit Kindern und Kinderfreunden zu Leipzig, 1788. Bey Siegfried Lebrecht Crusius. – XIV, Thun: mit jenen am meisten! Ich will ihnen, wenn 144 S. 17,5 x 11,5 cm. mirs gelingt, eine angenehme und nicht ganz unnüze Ohne Verfasserangabe. Mit einem Titelkupfer von Stunde machen: und da mir so eben meine Dessausche Heinrich Müller und einer Kupfertafel mit neun fi- Reise den Stoff dazu gab, so nahm ich ihn, und verar- gürlichen Abbildungen als Frontispiz. beitete ihn nach meinen besten Kräften. Kinder also Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen nur, und Männer, die sich zu Kindern herabstimmen Der Autor wünscht „den künftigen Müttern, welche können, sollen meine Leser und Richter seyn: für andre doch den ersten Unterricht ihren Kindern ertheilen, hab ich nicht geschrieben!“ (Vorerinnerung). mehr Quellen zu angenehmer und nützlicher Beleh- B.K. rung zu eröffnen“ (Vorwort). Während einer Wande- rung der weiblichen Zöglinge vermittelt ihnen ihr 144 Johann August Ephraim Goeze: Begleiter, ein Herr Finkenstein, grundlegende Kennt- Die Harzgegend oder eine kleine Reise von drey Ta- nisse in der Naturkunde. Die Mädchen beobachten gen, zum Unterricht und Vergnügen der Jugend. Von Vögel und Ameisen und lernen den Unterschied zwi- J. A. E. Goeze. [Bd. 1, 3 u. 4 in 2 Bden.] Leipzig bey schen Sommer- und Winterfrucht kennen. Der Hö- Weidmanns Erben und Reich. 1785–1786. – 16 x 10 cm. hepunkt des Ausfluges ist die Besichtigung eines Berg- [1.] 1785. – (10) 172 S. werkes. 3. Dritte kleine Harzreise zum Unterricht und Ver- A.B. gnügen der Jugend. 1786. – (6) 272 S. 4. Vierte Harzreise zum Unterricht und Vergnügen 147 Joachim Heinrich Campe: der Jugend. 1786. – XII, 218 S. Kolumbus oder die Entdekkung von Westindien, ein Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen angenehmes und nützliches Lesebuch für Kinder und Goeze wählt die Form des Reiseberichts, um Kinder junge Leute von J. H. Campe. Mit allerhöchst.- und Jugendliche unterhaltend zu informieren. „Nütz- gnädigst. Kayserl. Privilegio. Tübingen, bey Wilh. lich und angenehm nennt man das, was zugleich un- Heinr. Schramm und Chr. Gottl. Frank. 1783. – (10) terrichtet und belustigt. Beydes erreicht man durch 333 S. 1 Faltkt. 18 x 11 cm. Reisen, wenn sie in dieser Absicht angestellt werden“. Tübinger Nachdruck des erstmals 1781 erschienen In seinen verschiedenen Harzreisen beschreibt er die Titels. Der Text erschien im Rahmen der Gesamtaus- Natur und berichtet aus der Lokalgeschichte, vom gabe der letzten Hand von Campes Sämmtlichen Kin- Handwerk, Handel und Verkehrsformen, von der Le- der- und Jugendschriften (1807) als Bd. 12 unter dem bensweise der Menschen und von seltsamen Ereignis- Titel Die Entdeckung von Amerika, Th. 1 und wurde sen. Die Reiseberichte enthalten eine Fülle kulturhis- hierfür lediglich sprachlich überarbeitet (vgl. Vorrede). torischer wie sozialgeschichtlicher Details. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen B.K. Die Geschichte des Kolumbus ist in der für die Auf- klärung typischen Form einer Gesprächssituation ge- 145 Sophie von La Roche: schrieben. Dialoge zwischen einem Vater und seinen Journal einer Reise durch Frankreich von der Verfasse- Kindern lockern die Erzählung auf. rin von Rosaliens Briefen. Altenburg, in der Richter- A.B. schen Buchhandlung. 1787. – 590 S. 19,5 x 12 cm. Ohne Verfasserangabe. Mit ornamentaler Titelvignette. 148 Joachim Heinrich Campe: Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Die Entdekkung von Amerika, ein angenehmes und

130 „...EINEN WÜNSCHENSWÜRDIGEN GESCHMACK AN ERNSTHAFTEN UND NÜTZLICHEN UNTERHALTUNGEN“. nützliches Lesebuch für Kinder und junge Leute von 149 Joachim Heinrich Campe: J. H. Campe. – Erster – Dritter Theil. [In 1 Bd.] – Die Entdeckung von Amerika. Ein Unterhaltungsbuch Zweite Auflage. Mit Chursächsischer Freiheit. Ham- für Kinder und junge Leute von Joachim Heinrich burg, bei Karl Ernst Bohn 1782. – 15 x 10,5 cm. Campe. – Fünfzehnte rechtmäßige Auflage. Mit Kup- 1. Mit Titelkupfer und Karten. – 400 S. 1 Faltkt. fern und Karten. – Theil 1–3. – Mit Königl. Sächsi- 2. – 376 S. scher Freiheit. – Braunschweig: Verlag der Schulbuch- 3. – 358 S. 1 Faltkt. handlung, 1834. – 15 x 9,5 cm. Bd. 1 mit Frontispiz von Joseph Marchand und 1. – IX, 238 S. 1 Faltkt. M. Madl. 2. – 224 S. Faltkt. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 3. – 200 S. Campe entwarf nach eigenen Worten den „Plan zu Jeder Band mit Frontispiz von Thomas Albrecht einer Folge von angenehmen und lehrreichen Unter- Pingeling. Alle Bände in Ganzleinen und Goldschnitt. haltungsbüchern für das ganze kindische und jugend- Die erste Auflage erschien 1781–1782. liche Alter, weil ich fand, daß es an einer solchen, mit Vordemann-Sammlung Rücksicht auf eine jede Stufe der Kindheit und der Jugend verfertigten, Sammlung von dergleichen Schrif- 150 Joachim Heinrich Campe: ten noch gänzlich fehle. Sammlung interessanter und durchgängig zweckmä- Es kam hierbei vornehmlich auf eine zweckmäßige ßig abgefaßter Reisebeschreibungen für die Jugend von Auswahl und Abstufung, sowol der Materien, als auch J. H. Campe. Theil 1–6. [In 5 Bden.] – 1785–1789. des jedesmahligen Tons an, damit der junge Geist in 17,5 x 10,5 cm. jeglichem Alter beim Lesen dieser Bücher eine ihm 1. Hamburg. In der Heroldschen Buchhandlung. angemessene Nahrung und einen ihm verständlichen 1785. – (44) 294 S. Vortrag fände. Diese Auswahl und Abstufung suchte 2. Wolfenbüttel. In der Schulbuchhandlung. 1786. – ich zu treffen, indem ich zuerst die kleine Kinder- (16) 380 S. bibliothek, und nach dieser den jüngern Robinson er- 3. Braunschweig. In der Schulbuchhandlung. – 1787. scheinen ließ. Robinson aber sollte der Vorläufer von – XXXII, 318 S. Kolumbus, Kortes und Pizarro sein.“ Die Lektüre der 4. Mit Chursächsischer Freiheit. Braunschweig. In der Entdeckung von Amerika „soll auf eine Sammlung Schulbuchhandlung. – 1788. – (4) 318 S. zweckmäßig abgefaßter Reisebeschreibungen“ hinfüh- 5. [Titelblatt fehlt.] – 277 S. ren. 6. 1789. – 270 S. Campes pädagogische „Hauptabsicht [...] ist, nicht bloß Bd. 5 u. 6 zusammengebunden. Bd. 6 mit einem den Verstand meiner jungen Leser durch nützliche und unsignierten Frontispiz, betitelt ‚Neuseeländer‘. angenehme Kenntnisse aufzuklären, sondern vornehm- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen lich auch ihre Herzen zu einer innigen Gottesvereh- Die Reisebeschreibungen erschienen zuerst 1784–1793 rung, zu jeder geselligen Tugend, zu einem, wider alle als Band 13–24 der Kleinen Kinderbibliothek. Geschrie- Mühseligkeiten und Drangsale des menschlichen Le- ben sind sie für zunächst etwa zehnjährige Kinder. Der bens sich männlich stemmenden Muthe, und zu einer Ton der Erzählung soll von Band zu Band anspruchs- regen Begierde nach gemeinnützlichen und menschen- voller werden, „weil meine jungen Leser in der Zwi- freundlichen Thaten zu erwärmen“ (Vorrede). schenzeit von der Erscheinung des einen Theils zu der Noch 1868 erscheint eine überarbeitete Version des des andern, jedes Mal um ein halbes Jahr werden älter dreibändigen Werkes. Im Vorwort betont Campes geworden seyn“. Campe zufolge sind die Beschreibun- Enkel, dass die Überarbeitung des Volksbuchs nach gen geeignet, „in einem jungen Kopfe aufzuräumen, über 80 Jahren erforderlich sei, weil die Jugend mit seine Welt- und Menschenkenntniß auf eine leichte den neuen Erkenntnissen und der veränderten Ge- und angenehme Weise zu erweitern“, ohne dabei in schichtsauffassung vertraut gemacht werden müsse. „das faselnde, schöngeisterische, empfindelnde Ge- „Die Campe’sche Geschichtsauffassung steht, in Ueber- schwätz der [...] Modebücher“ (Vorbericht) zu verfal- einstimmung mit der ganzen Bildung des achtzehnten len: Der durch Romane angeregten ungeordneten Fan- Jahrhunderts, noch auf dem Standpunkte der subjec- tasie setzt Campe eine vernunftorientierte Auseinan- tiven Willkür, des abstracten Idealismus, welcher in dersetzung mit der realen Welt entgegen. der Geschichte nur das sucht und findet, was seinen Einige der Beschreibungen sind aus dem Englischen Idealen und vorgefaßten Meinungen entspricht“. und Französischen übersetzt und gekürzt. M.H./B.K. M.H.

131 LEHRREICHE UNTERHALTUNGSBÜCHER, VERFASST „UM IN EINEM JUGEN KOPFE AUFZURÄUMEN“

151 Joachim Heinrich Campe: 153 Christian Gotthilf Salzmann/Johann Wilhelm Sammlung interessanter und durchgängig zweckmäßig Ausfeld: abgefaßter Reisebeschreibungen für die Jugend von J. H. Reisen der Zöglinge zu Schnepfenthal. [2 Bde.] Buch- Campe. Erster–zwölfter und letzter Theil. [in 6 Bden]. handlung der Erziehungsanstalt Schnepfenthal, 1799 Mit Chursächsischer Freiheit. Braunschweig; Wolfenbüt- – 1803. – 16,5 x 10,5 cm. tel: In der Schulbuchhandlung. 1786–1793. – 16 x 10 cm. 1. Erster Band von C. G. Salzmann. Mit einem Titel- (Kleine Kinderbibliothek, herausgegeben von J. H. kupfer. – 1799. – (2) 218 S. Campe. Theil 7–18) 2. Zweytes Bändchen von J. W. Ausfeld, Erzieher zu 1. Dritte Auflage. – 1791. – (18) 308 (4) S. Schnepfenthal. Mit einem Titelkupfer. – (1803). – 2. 1786. – 380 (15) S. 272 S. 3. 1787. – XXXII, 318 (6) S. 1 Faltkt. Bd. 1 ohne Frontispiz, Bd. 2 mit Titelvignette von 4. 1788. – (4) 352 S. J. Carl Ausfeld und zwei Kupfern als Frontispiz, davon 5. 1788. – (4) 344 S. eine Karte von Hessen. 6. 1789. – (4) 324 S. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 7. 1789. – (10) 364 S. In einer ausführlichen Vorrede spricht Salzmann Kin- 8. 1790. – 372 S. der, Lehrer und Eltern an. 9. 1791. – (4) 312 S. Den Kindern sagt er: „Leset also ja nur wenige Seiten 10. 1792. – VI, 304 S. auf einmal, und sucht lieber das, was ihr gelesen habt, 11. 1792. – (2) 294 S.; recht zu begreifen, zu überdenken, und in euer Ge- 12. 1793. – VIII, 342 S. 1 Faltkt. dächtniß zu fassen, daß ihr es nicht so leicht wieder In Bd. 10 unsigniertes Frontispiz, betitelt ‚Hottentot‘. vergeßt. Dabey bemühet euch aber ja immer, die Sa- Vordemann-Sammlung chen, von welchen im Buche geredet wird, wo mög- lich selbst zu betrachten, und sehet dann noch ob alles 152 Der reisende Kinderfreund nach den glückli- so beschaffen ist, wie es im Buche steht.“ chen Pelju Inseln im stillen Meer. In lehrreichen Er- Gegenstände sollen gesammelt und neben das Buch zählungen für die Jugend. Mit 1 Kupfer. Chemnitz, gelegt werden. bey Wilhelm Starke [o.J.] (1800). – 204 S. 17 x 11 cm. „Die Kinder müssen durchaus von dergleichen Din- Ohne Verfasserangabe. Mit einem farbigen Frontispiz gen keine symbolische, sondern anschauliche Kenntniß von Thoenert. haben, und diese erlangen sie nur durch eigene Betas- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen tung und Beschauung am besten. [...] Die Kinder sol- Zum Vorlesen an Winterabenden wird eine Reise zu einem len ja ihre Aufmerksamkeit an dergleichen Dingen Inselvolk geschildert, das im Zustand des gepriesenen para- üben, sollen nachdenken, vergleichen, unterscheiden diesischen Zeitalters lebt. Zwölf in sich geschlossene Erzäh- und urtheilen lernen, um ihren Verstand zu brauchen lungen, durch Dialoge verbunden, behandeln Themen wie und auszubilden, und das alles kann unmöglich, ohne Seefahrt, Schiffbruch, Essgewohnheiten, Sitten, Ratsver- Versinnlichung, bloß durch die Einbildungskraft be- sammlung, Handwerkswesen, Flora und Fauna, Kriegswesen. wirkt werden.“ B.K. B.K.

132 „DIE ARBEIT IST SCHWER, SIE IST WICHTIG, UND HAT DIE GRÖSSTEN FOLGEN AUF DAS GANZE LEBEN“

Schriften zur religiösen Erziehung und sung dann auch für katholische Kinder und Ju- Erbauung gendliche herausgebracht werden (s. Exp.-Nr. 158, 169, 170, 178). Grundlegend für Reform- Jürgen Viering vorschläge im Methodischen ist, dass Kinder jetzt bewusst als Kinder (mit begrenztem Auffassungs- und Durchhaltevermögen, eigenen Interessen Für uns heute, aus dem Abstand von zweihun- und Bedürfnissen nach Unterhaltung, auch ei- dert Jahren, sehr beeindruckend ist, mit welchem ner eigenen Sprache) wahrgenommen werden; Ernst und anhaltenden Engagement theologische, ihre Eigentätigkeit, eigenes Beobachten und Ver- pädagogische und andere Schriftsteller im Zeit- stehen, soll geweckt werden; erstaunlich ist der alter der Aufklärung sich der Aufgabe widmen, Respekt, mit dem die Schriftsteller den Kindern den christlichen Glauben an die junge Genera- (mit „Werthe Kinder“ und „junge Christen und tion, von kleinen Kindern angefangen (s. z.B. Christinnen“ angesprochen z.B. von Feddersen, Exp.-Nr. 154, 156–157, 169) bis hin zu Jugend- s. Exp.-Nr. 169, Widmung) begegnen. Was die lichen an der Grenze zum Erwachsenwerden (s. Inhalte der christlichen Erziehung angeht, so ist z.B. Exp.-Nr. 172–174), weiterzugeben. Als eine als eine sich durchhaltende Tendenz gewiss Aufgabe von höchstem Rang, auch von ganz neu nahezu überall die Abkehr von den Positionen wahrgenommener Schwierigkeit, begreifen sie einer erstarrten Orthodoxie und dementspre- das. Mit der als Motto diesem Kapitel vorange- chend eine neue Beweglichkeit zu beobachten, stellten Erklärung von Georg Friedrich Seiler aus mit der man den Erfordernissen der eigenen Zeit dem Jahr 1775 (s. Exp.-Nr. 157) wird der Religi- zu entsprechen versucht. Im übrigen aber stehen onsunterricht für Kinder als eine Aufgabe einge- ganz unterschiedliche Positionen nebeneinander, schätzt, die nicht weniger (vielleicht sogar mehr) ist gerade in dem Bereich der christlich-religiö- Aufmerksamkeit und Überlegung verlangt, als die sen Schriften eine über lange Zeiträume hinweg Gestaltung der Predigt. Und Jakob Friedrich Fed- bewahrte Konstanz der Auffassungen neben ex- dersen misst in dem Vorbericht zur dritten Auf- tremen Neuerungen (wie etwa dem Katechismus lage seiner Schrift Das Leben Jesu für Kinder von der natürlichen Religion von Bahrdt, s. Exp.-Nr. 1778 (s. Exp.-Nr. 169) der „Erziehung der Ju- 162, oder einer „Bibel“, in die auch Sokrates und gend“ geradezu heilsgeschichtliche Bedeutung zu, Plato aufgenommen werden, s. Lossius, Exp.-Nr. indem er sie als das „große Gotteswerk“ bezeich- 171) festzustellen; neben Schriften, die zwischen net, bei dem er als Schriftsteller „Mithelfer“ „für „Tugend“ und „Religion“ keinen Unterschied Aeltern und Kinderlehrer“ sein möchte. mehr machen, gibt es dezidiert religiöse Erbau- Das Engagement, dem sich die in dieser Aus- ungsschriften wie die von Lavater (s. Exp.-Nr. stellung präsentierten Schriften zur religiösen 174). Erziehung und Erbauung verdanken, geht in den Die Fülle der Schriften, von denen die Aus- allermeisten Fällen nicht aus einer Oppositions- stellung nur eine schmale Auswahl zeigt, ist stellung zur Aufklärung hervor. Es sind genuin schwer zu überblicken, ihre Vielfalt zunächst ver- aufklärerische Impulse, die zu Reformvorschlägen wirrend. Bei eingehenderer Beschäftigung mit sowohl bei den Methoden als auch bei den In- diesen Schriften ordnen sie sich jedoch zu mehr halten der christlich-religiösen Erziehung führen. oder minder scharf gegeneinander abzugrenzen- Dabei übernehmen die protestantischen Schrift- den Gruppen, die hier nacheinander vorgestellt steller deutlich die Führung. Der Katholizismus werden sollen. hat, hält man sich an die hier zusammengestell- ten Schriften, kaum eine eigene Stimme; bezeich- Katechetische Schriften nend ist, dass eine Reihe von protestantischen Sämtliche hier vorgeführten Schriften setzen sich Schriften in meist nur leicht überarbeiteter Fas- kritisch mit der bisherigen Praxis des Katechis-

133 „DIE ARBEIT IST SCHWER, SIE IST WICHTIG, UND HAT DIE GRÖSSTEN FOLGEN AUF DAS GANZE LEBEN“ musunterrichts auseinander. Luthers Kleiner Ka- mung auch der Sache. Am deutlichsten wird die- techismus, im achtzehnten Jahrhundert und weit se Umorientierung in der Sache bei Basedow. darüber hinaus das grundlegende Werk für den Seine den ersten Band seines Methodischen Un- evangelischen Religionsunterricht, wird ausdrück- terrichts einleitende Abhandlung von dem Unter- lich von der Kritik ausgenommen oder nicht er- richt der Kinder in der Religion (S. III–LXIII) hat wähnt, um orthodoxen Vertretern der Kirche den Rang einer grundlegenden Programmschrift keine Angriffsfläche zu bieten; die Art des Um- für eine zu Recht als ganz „neu“ herausgestellte gangs mit diesem Katechismus jedoch, der Drill „Catechisation“ (S. L). Wenn jetzt das katecheti- nämlich, ihn auswendig zu lernen, ihn zu „me- sche Verfahren auf eigenes Nachdenken und ei- morieren“, gilt jetzt als schwer erträglich. Ganz genes Urteilen abzielt, dann hat das zur Voraus- Unterschiedliches wird zur Verbesserung vorge- setzung, dass religiöse Wahrheiten nicht mehr als schlagen. Franck (Exp.-Nr. 154) bietet einen Ka- einfach gläubig hinzunehmende, vielmehr als techismus in „teutschen Versen“ an, weil die Er- gedanklich nachzuvollziehende, auf Einsichten, fahrung zeigt, dass Kindern Verse „angenehm“ zu denen man vor aller Offenbarung durch eige- sind, sich auch leichter behalten lassen, also eine ne Anschauung und Überlegung gelangen kann, wesentliche Lernhilfe sind. Speziell für kleine aufbauende eingeschätzt werden. Dass es über- Kinder, die das Lesen noch üben müssen, ist der haupt einen Gott gibt, dass dieser Gott allmäch- Curieuse Bilder-Catechismus (Exp.-Nr. 156) be- tig und allgegenwärtig ist, dass dieser Gott mit stimmt. Bilder für ausgelassene Wörter zu ent- der zweckmäßigen Einrichtung der Welt sich dem schlüsseln, ist als für Kinder reizvolle Aufgabe Menschen zugewendet hat, das sind Einsichten, gedacht, gleichzeitig aber sollen sich doch einige zu denen die bloße Vernunft durch Betrachtung „Hauptstücke“ des Glaubens (wie in Luthers Klei- der durch Naturgesetze geregelten Welt hinführt. nem Katechismus) einprägen. Als kindlichen Be- Dass Jesus Christus Gottes Sohn ist, „Gott von dürfnissen und ihrem Fassungsvermögen entge- Gott“, und Erlöser der Menschen, für dieses Wis- genkommend gilt auch die von Seiler (Exp.-Nr. sen ist die Bibel die Erkenntnisquelle, es ist ratio- 157) wie von Miller (Exp.-Nr. 160) praktizierte nal nicht ableitbar, setzt aber doch das Wissen, Gesprächsform. Indem Seiler für diese „Lehrart“ zu dem die Vernunft von sich aus gelangt, voraus auf das Muster der „Sokratischen Gespräche“ (Grundriß, S. 35 und 31). „Die Welterkenntniß“ verweist, wird deren Funktion deutlich: Die Kin- „ist der einzige richtige Weg für die Vernunft zu der sollen zum Nachdenken gebracht werden, sie einer verbindlichen Vermuthung oder morali- sollen Glaubenssätze nicht bloß memorieren, son- schen Gewißheit von dem Daseyn eines einzigen dern auch wirklich verstehen. Selbst bei an- allweisen Gottes und von seiner Vorsehung“, so spruchsvollen, nicht mehr für Kinder, sondern formuliert Basedow seine Grundüberzeugung (S. für Jugendliche bestimmten katechetischen IX). Deshalb ist dies der Anfang jeden Religions- Schriften wie denen von Basedow (Exp.-Nr. 155), unterrichts, dass „die Kinder“ „aufmerksam ge- Miller (Exp.-Nr. 161) und Bahrdt (Exp.-Nr. 162) macht“ werden „auf die Zweckmäßigkeit der ist das Bemühen erkennbar, sich den Verstehens- Werke der Natur“ (VIII, IX). Erst darauf aufbau- möglichkeiten des jungen Publikums anzupassen, end, und das heißt auch: erst in einem fortge- etwa durch Beibehaltung des von den traditio- schrittenen Alter (zwischen dem zehnten und nellen Katechismen her gewohnten Frage-Ant- zwölften Lebensjahr, S. XXXIII), sollen die Kin- wort-Schemas, so bei Basedow (Exp.-Nr. 155) der auch mit der Bibel und den in ihr enthalte- und Bahrdt (Exp.-Nr. 162) oder durch das von nen „Offenbarungen“ (S. XXI) bekannt gemacht didaktischen Überlegungen geleitete Bestreben, werden. Diese „Ordnung“ des Unterrichts muss auf das Wichtige konzentrierte Zusammenfassun- unbedingt eingehalten werden, weil sie „der na- gen zu bieten, so bei Miller (Exp.-Nr. 161) und türlichen Ordnung der menschlichen Erkennt- am entschiedensten bei Basedow (Exp.-Nr. 155), nisse“ entspricht (S. XXI). Basedow wirbt für die- der die Überlegungen der beiden umfangreichen ses Verfahren, indem er sich direkt an die Kate- Bände seines Methodischen Unterrichts überführt cheten wendet: „ich bitte euch um Gottes willen, in den knappen Grundriß der Religion. ihr Catecheten, warum soll ich glauben, was in In Wahrheit sind diese methodischen, auf eine der Bibel steht, ehe ich das Daseyn Gottes weis neue „Lehrart“ zielenden Überlegungen allerdings oder wenigstens stark vermuthe?“ (S. XV, XVI). doch bereits gesteuert durch eine Neubestim- Kinder und Jugendliche von „der Wahrheit des

134 SCHRIFTEN ZUR RELIGIÖSEN ERZIEHUNG UND ERBAUUNG

Christentums“ zu überzeugen, ist für Basedow überhaupt nur möglich, wenn die Anknüpfung bei dem, was auch die Vernunft schon sagt, ge- lingt. Die ihn hierbei leitende Grundüberzeugung ist, „daß die biblische Religion mit der wahren natürlichen in großer Übereinstimmung“ steht (S. XLV). Es ist das für die Aufklärungszeit überhaupt grundlegende Konzept der ‚Natürlichen Theolo- gie‘, das Basedow hier vertritt, ebenso wie Georg Friedrich Seiler (Exp.-Nr. 157), dessen Betonung der „Ordnung des Vortrags“ beim Religions- unterricht die Beinflussung durch den „Ord- nungs“-Begriff von Basedow deutlich zu erken- nen gibt, oder dann, in systematisch strengerer Argumentation, Johann Peter Miller (Exp.-Nr. 161, vgl. auch Exp.-Nr. 159). Carl Friedrich Bahrdt bezeichnet seinen Katechismus der natür- lichen Religion zwar auch noch als „Grundlage jeden Unterrichts in der Moral und Religion“, auf eine eigene Darstellung der „biblischen“ oder „christlichen“ Religion lässt er sich aber gar nicht mehr ein. Die „natürliche“ Religion ist hier als die einzige der Zeit der „Aufklärung“ noch ange- messene verabsolutiert. Christliches begegnet in dung der Paradoxie fordert er selbstbewusst Tole- Abb. 48 dieser nur in einem uneigentlichen Sinn noch ranz auch für ganz unorthodoxe Meinungen und Aus Francks Poetischer „Katechismus“ zu nennenden Schrift lediglich in leitet die Pflicht zur Toleranz geradezu von dem Kinder-Theologie (1745), Spurenelementen, so, wenn Christus (zu Frage Selbstverständnis des Protestantismus ab: „Ich bin Strophe III; Nr. 154. 414, S. 200) „der Weiseste und Tugendhafteste Mitglied der protestantischen Kirche, deren der Menschen“ genannt wird, dem auch der Grundgesetz dieses ist, daß keine einzige Kirche, Charakter eines Vorbilds zuerkannt wird. Anders kein einziges symbolisches Buch, kein einziges als bei Basedow oder Miller gibt es hier nicht Glaubensbekenntniß [...] unfehlbar sey“. „Den einmal in Ansätzen mehr einen Versuch, „natür- Protestanten ist die Stimme einer jeden äußerli- liche“ und „christliche“ Religion miteinander zu chen Kirche [...] etwas Menschliches“. „Wer uns vermitteln. Der Mangel an Bewusstsein für die diese Freyheit raubt oder trüben will, der sucht Problematik dieses Verhältnisses lässt die Religi- uns wieder unter ein Joch zu zwingen“, von dem onslehre verflachen zu einer allgemeinen Tugend- doch gerade Luther die Christen befreit habe (S. und Gesellschaftslehre bis hin zu Regeln für die IV). Dass Basedow hier nicht gegen bloß einge- Gesundheit als Voraussetzung für das angestreb- bildete Gefahren anredet, das musste jedenfalls te triviale „Glück der Zufriedenheit“ (Frage 406, der im Verhältnis zu ihm radikalere (wenn auch S. 195). theologisch flachere) Carl Friedrich Bahrdt erfah- Dass die Erneuerung der Katechetik entspre- ren, der nach unterschiedlichen Disziplinierungs- chend dem Konzept der ‚Natürlichen Theologie‘ maßnahmen, denen er im Lauf seines Lebens auf den Widerstand der orthodoxen Vertreter der ausgesetzt war, 1789 sogar zu Festungshaft ver- Kirche treffen musste, ist sämtlichen hier vorge- urteilt wurde. stellten Verfassern katechetischer Schriften be- wusst. Am offensten angesprochen wird das von Biblische Geschichten („Historien-Bibeln“) Basedow. Er bekennt sich dazu, dass das, was er Neben dem Katechismus war seit der Reformati- im zweiten Band seines Methodischen Unterrichts on die Bibel wichtigstes Mittel der protestantisch über die „biblische Religion“ sagt, in Teilen „pa- geprägten religiösen Erziehung. Die Frage aber: radox“ (= nicht-orthodox) sei. In der diesen Band „Soll man Kinder die ganze heilige Schrift durch- eröffnenden Abhandlung von der Pflicht und Dul- lesen lassen?“ hat noch im achtzehnten Jahrhun-

135 „DIE ARBEIT IST SCHWER, SIE IST WICHTIG, UND HAT DIE GRÖSSTEN FOLGEN AUF DAS GANZE LEBEN“ dert protestantische Eltern immer neu beunru- Dass diese dem Zweck der „erbaulichen“ Wir- higt (Exp.-Nr. 157, S. XXIII). Die Antwort auf kung dienenden Verse dann auch noch in latei- diese Frage sind sehr früh Sammlungen von aus- nischer Übersetzung geboten werden, macht den gewählten biblischen Geschichten für Kinder. Religionsunterricht zugleich zum Lateinunter- Dass Johann Hübner 1714 exakt Zweymal zwey richt, ein Leseunterricht ist er ohnehin. und fünfzig auserlesene Biblische Historien aus dem Hübners Biblische Historien sind zu einem der Alten und Neuen Testament (s. Exp.-Nr. 163) he- erfolgreichsten Bücher des achtzehnten Jahrhun- rausbringt, geschieht in Orientierung an der Zahl derts geworden, und dies wohl nicht zuletzt we- der Wochen im Jahr: Kleine Kinder sollen jede gen der mitgelieferten, im Kern sehr einfachen, Woche mit einer Geschichte vertraut gemacht aber sehr genau an Bedürfnissen des Unterrichts werden, so dass sie den Bibelkurs nach zwei Jah- orientierten Methode der Behandlung der bibli- ren absolviert haben, größeren Kindern werden schen Geschichten. Generationen von Kindern zwei Geschichten pro Woche zugemutet, so dass und Jugendlichen haben die biblischen Geschich- sie den Kurs nach einem Jahr beenden können. ten über dieses Buch kennengelernt, denn nicht Mit dem Kirchenjahr hat das nur insofern etwas nur ist dieses Buch in immer neuen Auflagen zu tun, als durch ein eigens dafür erstelltes Regis- herausgebracht worden (Exp.-Nr. 163–166 als ter die Möglichkeit eröffnet wird, die Geschich- Beispiele), auch das einzelne Buch ist von Gene- ten (statt einfach nacheinander) entsprechend den ration zu Generation weitergegeben worden (s. für die Sonn- und Feiertage vorgesehenen Bibel- Kommentar zu Exp.-Nr. 164). Hübners Biblische texten zu behandeln. Noch wichtiger als diese Historien sind damit auch ein Beispiel für das er- Verknüpfung ist aber die durch ein weiteres Re- staunliche Beharrungsvermögen kirchlicher Tra- gister hergestellte Verknüpfung mit dem Katechis- dition (neben und quer zu allen Veränderungen), musunterricht. Ganz ähnlich, wie die Verfasser sehr spät erst scheint die Resistenz dieses Buchs katechetischer Schriften im achtzehnten Jahrhun- gegen Veränderungen sich zu lockern (s. Exp.- dert, kritisiert bereits Hübner am traditionellen Nr. 166). Katechismusunterricht, dass der Katechismus Der Erfolg von Hübners Biblischen Historien „von denen Kindern nur überhin auswendig ist gewiss nicht unerheblich auch dadurch unter- gelernet, aber denselben nicht gründlich erkläret stützt worden, dass spätere Ausgaben mit Illust- wird“ (Vorrede). Für die Erklärung bietet sich die rationen zu den einzelnen biblischen Geschich- Bibel an, und so enthalten Katechismen ja auch ten erschienen, wofür die Ausstellung mit den bereits Hinweise auf „biblische Sprüche“. Gestützt Ausgaben von 1786 (Exp.-Nr. 164) und 1839 auf langjährige eigene Lehrerfahrung aber glaubt (Exp.-Nr. 166) besonders schöne Beispiele lie- Hübner zu wissen, dass weit eher als „biblische fert. Diese Illustrationen erfüllten ihren Zweck, Sprüche“ für Kinder „biblische Historien“ geeig- Kindern biblische Geschichten nahe zu bringen, net sind, Verstehenshilfen für den Katechismus- auch wenn sie künstlerisch ohne Wert waren (s. unterricht zu bieten. Also mahnt er die Eltern: die Ausgabe von 1814, 163). Sie sind aber mit „um des lieben Catechismi willen“ „den Kindern ihrer offensichtlichen Anknüpfung an ältere Tra- die biblischen Historien bekannt zu machen“ ditionen der Malerei je nach Ausgabe auch unter (Vorrede). Dafür schlägt er nun eine bestimmte künstlerischen Gesichtspunkten interessant. Wie „Methode“ (vgl. den Kommentar zu Exp.-Nr. ein und dasselbe Motiv (z.B. ‚Joseph gibt sich sei- 163) vor, die zunächst darauf abzielt, die bibli- nen Brüdern zu erkennen‘ oder ‚Auferweckung schen Geschichten dem „Gedächtniß“ der Kin- des Lazarus‘) in diesen Kupferstichen und Holz- der einzuprägen. Aber auch der „Verstand“ der schnitten immer wieder neu gestaltet ist, das zu Kinder wird herausgefordert, nämlich dadurch, verfolgen könnte auch unter kunstgeschichtlichen dass aus der jeweiligen Geschichte „Nützliche Gesichtspunkten interessant sein. Lehren“ abgeleitet werden. Und schließlich geht Hübners Biblische Historien sind im achtzehn- es auch um eine Beeinflussung des „Willens“; ten Jahrhundert von so dominierender Bedeutung nicht nur „verständiger“, auch „frömmer“ sollen gewesen, dass andere, die sich wie er an die Zu- die Kinder werden, und dafür setzt Hübner un- sammenstellung von Biblischen Geschichten für ter der Überschrift „Gottselige Gedanken“ „kurtze die religiöse Erziehung von Kindern und Jugend- Verse“ (als besonders geeignet für Kinder, vgl. die lichen gemacht haben, kaum umhin konnten, Argumentation bei Franck, Exp.-Nr. 154) ein. sich auf ihn zu beziehen. So war die 1737 er-

136 SCHRIFTEN ZUR RELIGIÖSEN ERZIEHUNG UND ERBAUUNG scheinende Historien- Kinder- Bet- und Bilder- eingefärbten) Jesus-Frömmigkeit zu erziehen, ist Bibel von Abraham Kyburz (Exp.-Nr. 167) zu- diese Schrift organisiert. Jesus ist dabei morali- nächst vom Verfasser als eine Neubearbeitung von sches Vorbild, („Muster des Guten“), aber doch Hübners Biblischen Historien geplant, die dem auch mehr: Ausdrücklich wendet sich Feddersen Verfasser dann aber doch, weil er manches bei gegen diejenigen, „die Jesum so tief herunter Hübner „mangelhaft“ fand, zu einem ganz neu- würdigen, dass sie ihn nur für einen vorzüglich en Buch geriet (Vorrede). Dass die Kinder die weisen und edeldenkenden Menschen halten“ biblischen Geschichten sich gedächtnismäßig ein- (Vorbericht zur dritten Auflage von 1787). Ent- prägen, gilt Kyburz im Unterschied zu Hübner gegen dieser von Anhängern der Aufklärung (wie gar nicht mehr als erstrebenswert, sie sollen die Bahrdt, s. oben, und vor ihm schon anderen) Geschichten nicht „wie ein Papagey erlernen“, vertretenen Auffassung hält Feddersen an der sondern „den rechten Verstand daraus fassen“, Auffassung von Jesus als göttlichem Erlöser fest, Abb. 49 was hier vor allem heißt, die Geschichten als „Ex- dem „eben die Anbetung“ „wie dem himmlischen Aus Hübner: Zwey mal empel“ begreifen, „Nutz-Anwendungen“ daraus Vater“ geschuldet ist (ebd.). Die gleiche Grund- zwey und fünfzig auserlesene ziehen. Das aber kann man nicht den Kindern einstellung gibt Feddersens für ältere Kinder be- Biblische Historien (1786); selbst überlassen, wie es Hübner aus der Sicht stimmte und enger an der Tradition der „Histo- Nr. 164. von Kyburz tut. Nach Kyburz ist es Aufgabe des- sen, der die Geschichten erzählt, mit der Erzäh- lung zugleich auch jeweils „eine deutliche Erklä- rung und heilsame Erläuterung“ zu liefern. Dabei handelt es sich nicht nur um moralische Lehren, sondern auch um heilsgeschichtliche Erklärun- gen. Außer um den Lerneffekt geht es Kyburz aber auch darum, die Kinder zu unterhalten, „mit Lust“ sollen sie sich auf die biblischen Geschich- ten einlassen, und dafür sind die den Geschich- ten zugeordneten „Kupfer“ ein ganz wesentliches Hilfsmittel, weshalb Kyburz seine „Historien-Bi- bel“ ja auch im Titel zugleich eine „Bilder-Bibel“ nennt, die mit beidem dann eben eine „Kinder- Bibel“ ist. Wie Kyburz, so strebt auch Johann Peter Miller mit seinen Erbaulichen Erzählungen der vornehmsten biblischen Geschichten (Exp.-Nr. 168) Verbesserungen gegenüber Hübners Biblischen Historien an, wobei die durch Kyburz eingeleite- te Tendenz, den Erzähltext als „Exempel“ zu bie- ten und die daraus zu ziehenden Lehren und Nutzanwendungen selbst zu formulieren, sich hier nun deutlich verstärkt Geltung verschafft. Miller geht bei seinen Nacherzählungen mit dem bibli- schen Text ungleich freier um als Hübner und er scheut sich nicht, die Erzählung immer wieder durch schon predigtartige Einschübe zu unter- brechen, oft mit direkter Hinwendung zu den Kindern oder auch den Eltern. Sehr viel weiter noch in der seelsorgerlichen Aufbereitung der biblischen Geschichten geht Jakob Friedrich Fed- dersen mit seiner Schrift Das Leben Jesu für Kin- der (Exp.-Nr. 169). Nicht von den biblischen Erzählungen des Lebens Jesu her, sondern ganz von dem Zweck, die Kinder zu einer (pietistisch

137 „DIE ARBEIT IST SCHWER, SIE IST WICHTIG, UND HAT DIE GRÖSSTEN FOLGEN AUF DAS GANZE LEBEN“ rien-Bibeln“ orientierte Schrift Lehrreiche Erzäh- weitergetrieben. Von der bei Hübner noch zu lungen (Exp.-Nr. 170) zu erkennen. beobachtenden ganz engen Bindung an den Bei dem monumentalen Werk der Moralischen Wortlaut von Luthers Bibel-Übersetzung, von der Bilderbibel von Kaspar Friedrich Lossius (Exp.- die Nachfolger sich immer mehr gelöst haben, Nr. 171), das die Reihe der in der Ausstellung ist bei Lossius nicht einmal die Erinnerung mehr präsentierten „Historien-Bibeln“ abschließt, ist bewahrt. Lossius bietet die biblischen Erzählun- die an der Aufeinanderfolge der „Historien-Bi- gen in einer von eigenem literarischem Ehrgeiz beln“ ablesbare Tendenz hin zu einer immer deut- zeugenden Sprache und auch in gegenüber der licheren Moralisierung (mit Korrekturen bei Fed- Vorlage ganz freier literarischer Gestaltung. Er dersen) an ihr Ziel gelangt, wie schon der Titel zeigt sich dabei durch die zeitgenössische literari- Moralische Bilderbibel anzeigt und wie durch sche Tendenz der ‚Empfindsamkeit‘ beeinflusst, die Zweckbestimmung des Werks in der Vorrede wie sich im Einzelnen an der literarischen Ge- zu Band 1 bestätigt wird, wonach die Aufgabe staltung traditioneller Sujets (‚Versöhnung von der Schrift sein soll, „das Reich der Tugend zu Esau und Jakob‘; ‚Wiedersehen von Joseph mit erweitern, und so das große Interesse der Mensch- seinen Brüdern‘; ‚Abschied von David und Jona- heit zu befördern“. Diese lapidare Erklärung lässt than‘) zeigen ließe, die dann auch die Umsetzung keinen Raum mehr für andere Zweckbestimmun- in die entsprechenden bildlichen Darstellungen gen, wie sie bei früheren Sammlungen biblischer (s. die Kupferstiche zu S. 158, 200, 256) erfah- Geschichten doch immer auch eine Rolle spiel- ren haben. Wie jedes dieser alttestamentlichen ten. Wenn diese Erzählungen im Titel „erbau- Sujets, so ist bei den Geschichten aus dem Neu- lich“ (Exp.-Nr. 168) oder „lehrreich“ (Exp.-Nr. en Testament etwa die Auferweckung des Lazarus 170) genannt wurden, dann war beides doch (Bd. 5, S. 362–372) konsequent als „rührende nicht im ganz engen Sinn und ausschließlich als Szene“ (so der Ausdruck im Text selbst, S. 366) „moralisch“ zu verstehen. Dass die Verengung auf ausgestaltet. Vielleicht lässt sich behaupten, dass das Bloß-Moralische eine Nivellierung und Emotionen, die traditionell in Glaubenszusam- Relativierung des Christlichen, letztendlich eine menhängen begründet und damit gebunden wa- Entchristlichung bedeutet, dafür liefert Lossius ren, hier nun zum Selbstzweck geworden sind und mit der Anlage seines Werks selbst den Beweis, frei flottieren – bis hin zum Abgleiten in den Kitsch. indem er nämlich, gewiss zu Recht, meint, sei- nen „Hauptzweck“, die „Bildung eines tugend- Christliche Ratgeberliteratur haften Charakters“ „bei jungen Menschen“, wie Die enge Verknüpfung von Tugend und Religi- durch „Beispiele, die uns in der Bibel aufbehal- on ist der Leitgedanke auch bei einer Gruppe von ten sind“ (Bd. 1, S. 10), so auch „durch Aufstel- Schriften, die sich an eine bestimmte Gruppe von lung nachahmungswürdiger Beispiele“ aus der Jugendlichen, nämlich Jugendliche an der Gren- nicht-biblischen „Geschichte“ (Sokrates oder ze zum Erwachsenwerden, wenden. Die Bekannt- Plato etwa) erreichen zu können (Einleitung zu schaft mit Katechismus und biblischen Geschich- Bd. 2, S. XVI). Seine christlichen Leser haben ten wird vorausgesetzt, nun geht es darum, dem auf diese Art von „Bibel“ offensichtlich mit einer Jugendlichen, der aus der Obhut der Eltern her- tiefen Irritation und Protesten reagiert, weshalb austritt (oft konkret, indem er aufbricht zu einer Lossius sich gezwungen sieht, in der Einleitung Reise) noch Ratschläge für sein weiteres Leben zu Band 3 seines Werks eine Neudefinition des mitzugeben. Solche an Jugendliche in der Phase Begriffs „Moralische Bilderbibel“ vorzunehmen ihres Selbstständigwerdens gerichtete Schriften (s. Kommentar zu Exp.-Nr. 171). Später hat er bilden im achtzehnten Jahrhundert einen wich- auf den Begriff „Bibel“ dann doch ganz verzich- tigen Sektor des pädagogischen Schrifttums all- tet und für die geplante Fortsetzung der Morali- gemein, als herausragende Beispiele sind etwa schen Bilderbibel den Titel Historischer Bildersaal Joachim Campes Theophron 1783 oder Väterli- oder Denkwürdigkeiten aus der neuern Geschichte. cher Rath für meine Tochter 1796 (Exp.-Nr. 59, Ein Lebens- und Lesebuch für gebildete Stände vor- 57) zu nennen. Wo diese Schriften christlich-re- geschlagen (Bd. 5, Ankündigung). ligiös geprägt sind, gehören sie in den größeren Noch eine andere, an der Abfolge der Samm- Zusammenhang der Erbauungsliteratur. Wäh- lungen von biblischen Geschichten seit Hübner rend die beiden hier gezeigten Schriften von ablesbare Tendenz ist bei Lossius ins Extreme Schönberg (Exp.-Nr. 172) und Diterich (Exp.-

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Nr. 173) die Koppelung von Religion und Tu- cher“ Autorität ausgestattet sind) ein, etwa: „In gend in eher schon stereotyper Weise vorführen, der Wahl der Gesellschaften seyen Sie äußerst be- erwecken die Ratschläge, die Lavater in seinen hutsam“ (S. 46) oder: „Hüten Sie sich, ich bitte Brüderlichen Schreiben an verschiedene Jünglinge Sie, gleich vor anhaltender, ununterbrochener (Exp.-Nr. 174) zu geben hat, den Eindruck, auf Einsamkeit, und vor allzu stürmischer Zerstreu- unzweifelhaft authentischen religiösen Überzeu- ung“ (S. 51). gungen zu basieren. Es ist Lavater selbst, der die- se Authentizität zum Thema macht. Er legt sich „Moralische Erzählungen“ zur Beförderung von selbst die Frage vor, warum er die acht verschie- „Tugend“ und „Religion“ denen Schreiben (an mit Namen, z.T. abgekürzt, „Moralische Erzählungen“ (der Gattungsbegriff genannte Adressaten, jeweils einem bestimmten wird im achtzehnten Jahrhundert selbst verwen- Anlass verdankt, mit Datum versehen) nicht – det, s. z.B. die Vorrede in Salzmanns Moralischem etwa um „Wiederholungen“ zu vermeiden – zu Elementarbuch, Exp.-Nr. 177, sowie die Titelge- einem einzigen zusammengezogen hat, und be- bung bei Lotter, Exp.-Nr. 180) sind Beispielge- antwortet diese Frage mit der Erklärung, dass ein schichten: Was erzählt wird, ist nur dann ange- solches Verfahren seinen „innern Wahrheitssinn“ messen rezipiert, wenn das Erzählte als Beispiel verletzt hätte (S. 6). Er beruft sich auf die „ausge- für eine moralische Lehre verstanden worden ist. machte Erfahrung“, dass „jedwede Schrift, die nur Es ist die gemeinsame Überzeugung aller Verfas- Abb. 50 für Einen, einen uns bekannten, geliebten Men- ser oder Sammler von „Moralischen Erzählun- Aus Hübner: Zwey mal schen gemacht wird, treffender, Wahrheitsreicher“ gen“, dass dieser Typ von Erzählungen in beson- zwey und fünfzig auserlesene sei, und kommt zu dem paradoxen Ergebnis, dass derer Weise für Kinder geeignet ist. Diese Erzäh- Biblische Historien (1786); eine Schrift „gerade um so viel gemeinnütziger lungen bieten „versinnlichte oder anschauliche Nr. 164. ist, je individueller sie war“ (S. 7). Lavater er- weist sich mit dieser Überzeugung, dass gerade das Subjektiv-Individuelle, auch spontan Geäu- ßerte das Siegel der Echtheit trägt, damit dem Anspruch auf „Wahrheit“ gerecht wird, als ein Vertreter der ‚Empfindsamkeit‘, die diese Über- zeugung zum Prinzip einer ganz neuen Art von Literatur (zu denken wäre etwa an Goethes Wert- her) erhoben hat, wobei es im übrigen für Lava- ter wie für die Schriftsteller der ‚Empfindsamkeit‘ unerheblich ist, ob diese Authentizität nicht vielleicht doch eine fiktive ist (Lavater deutet dies einmal an, s. Randbemerkung zu Drittes Schrei- ben. An S.M. 1775). Für Lavater ist dieser Ein- druck der Authentizität wichtig, weil er damit erreicht, dass seine Schreiben als ganz persönli- che Glaubenszeugnisse wahrgenommen werden, die darauf abzielen, bei den Adressaten, seien es der direkt Angesprochene oder spätere Leser, eine eben solche Glaubenshaltung zu wecken oder zu befestigen. Seine Schreiben sind ihm wesentlich Vehikel für das Weitertragen christlicher Glau- bensüberzeugungen, besonders einer sichtlich von persönlicher Ergriffenheit geprägten Christus- gläubigkeit (S. 20: „Wer an Jesus, als an den Sohn Gottes, glaubt“, ist „seelig“, nämlich „Mitgenoß der göttlichen Natur“ wie Jesus selbst). Erst auf dieser Basis lässt Lavater sich dann auch auf an- dere „brüderliche“ Ratschläge (im Unterschied etwa zu Campe, dessen Ratschläge mit „väterli-

139 „DIE ARBEIT IST SCHWER, SIE IST WICHTIG, UND HAT DIE GRÖSSTEN FOLGEN AUF DAS GANZE LEBEN“

Erkenntniß“ (Lotter, Exp.-Nr. 180, S. VII). Kin- „Moralischen Erzählungen“ ist damit gleichwohl dern kann man nicht mit einer abstrakten Sit- angemeldet. tenlehre kommen, moralisch mustergültiges oder Bei Salzmanns Moralischem Elementarbuch fehlerhaftes Verhalten muss ihnen durch Erzäh- (Exp.-Nr. 177) steht die moralische Absicht, „in lungen (am besten auch noch durch beigegebene sechs- bis achtjährigen Kindern dasjenige zu er- Bilder) „anschaulich“ gemacht werden, sie lernen zeugen, was man gute Gesinnung zu nennen durch Anschauung. Dabei haben diese Erzählun- pflegt“, durchaus im Vordergrund (S. III). Die gen (wie die Bilder) für Kinder einen besonderen (fiktiven) Darstellungen alltäglicher Ereignisse aus „Reiz“ (Salzmann, Exp.-Nr. 177): Sie stellen eine, dem Leben der Kaufmannsfamilie Herrmann von Kindern leicht zu bewältigende, intellektu- geraten zu einer zwanglosen Folge von Beispiel- elle Herausforderung dar (die Lehre muss er- geschichten, die nach und nach dann aber doch kannt, jedenfalls nachvollzogen werden), sie be- „alles“, „was in eine Sittenlehre für Kinder ge- schäftigen aber auch die „Einbildungskraft“ und hört“ (Vorrede, S. XXVII), behandeln. Den Be- wirken über die „Einbildungskraft“ auf das weis liefert der der Erzählung vorangestellte Ent- „Herz“ (Lotter, Exp.-Nr. 180, S. VII, VIII). „Mo- wurf der in diesem Buch abgehandelten Sachen, in ralische Erzählungen“ werden deshalb geradezu dem die Begriffe einer „Sittenlehre für Kinder“ formelhaft auch „Erzählungen für Verstand und in systematischer Anordnung vorgestellt werden Herz“ (s. z.B. die Titelgebung bei Müller, Exp.- (mit Verweisen auf die jeweiligen Stellen der Er- Nr. 181) genannt. zählung, an denen sie aufgegriffen werden). Für Dass „Moralische Erzählungen“ als Exempel- die Beantwortung der Frage, ob Salzmann mit Geschichten eine starke Affinität zu den „bibli- seiner Schrift außer auf „gute Gesinnung“ im schen Geschichten“ haben, wie die „Historien- streng moralischen doch auch (wie Feddersen) Bibeln“ sie vorführen, ist evident. So rückt denn auf eine Haltung der „Frömmigkeit“ hinwirken Jakob Friedrich Feddersen seine Sammlung von wollte, ist erhellend, das er sein Moralisches Ele- aus dem wirklichen Leben überlieferten Beispiel- mentarbuch zunächst durchaus unter dem Titel geschichten (Exp.-Nr. 175) auch ausdrücklich in Erste Grundsätze der Religion, in Kindersprache den Zusammenhang mit seinen früheren bibli- übersetzt herausgebracht hat, worauf er selbst in schen Geschichten (Exp.-Nr. 169–170) ein (Vor- seiner Vorrede verweist. Nur auf den Einspruch bericht zu Bd. 1). Ein Verfahren, das bei den „bi- von Freunden hin hat er auf die für ein größeres blischen Geschichten“ längst erprobt und von „Publikum“ möglicherweise „anstößige“ Verwen- daher gewohnt war, wird jetzt auf nicht-biblische dung des Begriffs „Religion“ für eine Erzählung, übertragen. Auch wenn hier nun nach „Tugend“ die überwiegend doch als eine rein „moralische“ und „Frömmigkeit“ unterschieden wird und der wahrgenommen worden ist, verzichtet. Faktisch Akzent stärker zur „Tugend“ hin verschoben ist, ist Religiöses (allerdings im Sinn der „natürlichen so werden doch beide als eng zusammengehörig Religion“) sehr wohl in die „Sittenlehre für Kin- begriffen. Den „Jünglingen“ und „jungen Frau- der“ einbezogen. Gegen Ende des Moralischen enzimmern“, die die „Beyspiele der Weisheit, Elementarbuchs zielt die Erzählung mit einzelnen Frömmigkeit und Tugend“ nicht nur gelesen ha- Beispielgeschichten auf Ausrufe ab wie: „O Gott ben, sondern auch befolgen, wird eine Verhei- wie groß bist du! (S. 354); „O Gott wie gut bist ßung von durchaus religiösem Charakter zuge- du!“ (S. 371); „Allwissender Gott!“ (S. 379); sprochen: Sie werden „glückselig“ sein, „in die- „Gott mein Erlöser“ (S. 391); „Mein Geist ist sem und in jenem Leben“, so die Schluss- unsterblich und geht zu Gott“ (S. 407). Der Il- bemerkung des zweiten Bandes (S. 149). lustrator Chodowiecki hat sehr genau verstanden, Die im Vorbericht zu Band 2 aufgeworfene dass es Salzmann darauf ankam, die Vermittlung Frage, ob die Erzählungen nicht vielleicht „so von Tugenden als Garanten für das als höchster abgefaßt seyn“ sollten, dass junge Leser „die Moral Wert angesehene bürgerliche Familienglück denn ohne große Schwierigkeit von selbst heraus brin- doch um die religiöse Dimension zu erweitern, gen“ können, wird von Feddersen zwar negativ und so hat er exakt zu den zitierten Aussprüchen beschieden: „Lange moralische Predigten müssen Kupferstiche angefertigt, so wie er andererseits freilich nicht gehalten werden, aber mit kurzen Szenen bürgerlichen Familienlebens mit seinen Winken ist es auch nicht gethan.“ Ein früher Glücksmomenten und auch Störungen durch Zweifel an der penetranten Lehrhaftigkeit der nicht-tugendhaftes Verhalten der Kinder in meis-

140 SCHRIFTEN ZUR RELIGIÖSEN ERZIEHUNG UND ERBAUUNG

terhaften kleinen Bildern festgehalten hat. Eine verzeichnis und vermeidet damit eine allzu auf- Abb. 51 „Bilder-Bibel“ ganz eigenen Typs ist so zustande dringliche Lehrhaftigkeit. Die Einheit von „Tu- Kyburz: Historien-Bibel gekommen. gend“ und „Frömmigkeit“ führt auch der kleine (1737). Ausdrücklich beides, „sittliche“ und „religiö- Roman von Heinrich August Müller (Exp.-Nr. Catharina Sperlinging geb. se Wahrheiten“, sollen die von Christoph Ludwig 181) vor, die rührende Geschichte verselbststän- Heckel und Lotter zusammengestellten Erzählungen der Ju- digt sich jedoch gegenüber der Lehrabsicht und Philipp Gottfried Harder gend in Beispielen vor Augen führen. „Sittlich- hätte wohl auch ganz unabhängig davon ihre waren maßgeblich an der keit“ gilt hier sogar als in der „Religiosität“ be- Leser gefunden. Illustrierung beteiligt; gründet (Exp.-Nr. 180, S. VII und IX). Das Ver- Nr. 167. trauen ist ungebrochen, dass „Gleichniße“ in be- Fiktionale Erzählungen als „Lehrbücher“ der Religion sonderer Weise geeignet sind, das „Herz für alles Dass das fiktionale Erzählen eigene Aufmerksam- Gute“ zu gewinnen (S. VII, VIII), doch lässt keit auf sich zieht, lässt sich bereits bei Salzmanns Lotter als Herausgeber die „Gleichniß“-Erzählun- Moralischem Elementarbuch feststellen. Vollkom- gen stärker für sich selbst sprechen; er beschränkt men in der Lehrabsicht gehen schon diese klei- sich, gerade anders als Feddersen (s. oben), auf nen Erzählungen aus dem Leben einer Familie bloße „Winke“ (S. IX) für die Deutung durch nicht auf. Das Interesse seiner Leser an der Er- von ihm vorgeschlagene Doppeltitel im Inhalts- zählung als solcher ist Salzmann durchaus be-

141 „DIE ARBEIT IST SCHWER, SIE IST WICHTIG, UND HAT DIE GRÖSSTEN FOLGEN AUF DAS GANZE LEBEN“ wusst, er hat es gezielt bei seiner Schrift Heinrich nis des inneren Afrika zu einem Einsiedler. Das Gottschalk in seiner Familie oder erster Religions- ist der Beginn einer Romanhandlung, die sich unterricht für Kinder (Exp.-Nr. 182) eingesetzt, dem zeitgenössischen Typ der Robinsonaden zu- die schon durch ihren Doppeltitel zu erkennen ordnen lässt. Auch hier rechnet der Autor mit ei- gibt, dass beides beabsichtigt ist: bei den jungen nem doppelten Leseinteresse, dem Interesse an Lesern Neugier zu wecken auf die Geschichte des der Geschichte, deren Erzählung auch hier auf Heinrich Gottschalk u n d ihnen „Religions- die Erregung von Spannung und Rührung hin unterricht“ zu erteilen. angelegt ist, und dem Interesse an dem Religions- Dass die Schrift ein „Lehrbuch“ (als solches unterricht, wie er im Gespräch (das erinnert an von Salzmann selbst bezeichnet) ist, lässt sich die Gesprächsform der katechetischen Schriften gewiss nicht bezweifeln. Sie führt zunächst im von Seiler, Exp.-Nr. 157, und Miller, Exp.-Nr. fiktiven Rahmen der erzählten Geschichte eine 160) zwischen dem greisen Einsiedler und den Folge von Lehrstunden für Kinder vor, die ein beiden Kindern sich entwickelt. Für Lossius ist Kurs in der „Natürlichen Religion“ sind. Die diese Rahmenhandlung gewiss nur das Mittel, um Kinder lernen durch die Betrachtung von „Natur- den Religionsunterricht für Kinder interessant und gegebenheiten“: „Hier wirkt Gott“ (S. 72); unterhaltsam („zum [...] Vergnügen“) zu machen, „allenthalben“ ist er „in seinen Wirkungen auch die Vorteile der Gesprächsform zu nutzen. zugegen“ (S. 85); diese Einsicht wird überführt Auch hier aber geht doch die Rahmenhandlung in die persönliche Überzeugung: „Gott ist bey nicht vollkommen in der ihr zugedachten Funk- mir“ (S. 89). An diesen Kurs schließen sich die tion auf. Sowohl Salzmann als auch Lossius tragen Erzählungen des Großvaters Heinrich Gottschalk einem zunehmenden Interesse an fiktionalen Er- aus seinem Leben an. Das Fazit aus all seinen zählungen Rechnung. Es ist die verspätete Reak- „Erfahrungen“ (S. 391) ist, dass auch „widrige tion auf eine Entwicklung, in deren Verlauf fikti- Schicksale“ „Fügungen eines weisen und guten onales Erzählen sich längst von der Dienst- Gottes sind, wodurch gewiß etwas Gutes bewirkt funktion gegenüber direkter Belehrung emanzi- wird“ (S. 343). Ein auf Erfahrung gegründetes piert hatte. Diese Emanzipation war keineswegs „Vertrauen“ auf Gott (S. 383), das auch über die gleichbedeutend mit einer Absage an religiöse Grenze des Todes hinwegträgt (die Erzählung Anliegen, nur gehen religiöse Anliegen jetzt ein endet mit dem Tod Heinrich Gottschalks), soll in das fiktionale Erzählen selbst, sie verwandeln den Kindern (innerhalb wie außerhalb der Fikti- sich (in Texten der Romantik etwa) in Literatur. on) vermittelt werden. Unabhängig von dieser Absicht aber stellt die Erzählung (mit Motiven Literaturverzeichnis: wie Schiffbruch, Befreiung aus der Sklaverei u. BRÜGGEMANN, THEODOR/EWERS, HANS-HEINO dgl.) doch so etwas wie einen Abenteuerroman (HRSG.): Handbuch zur Kinder- und Jugend- dar, der spannend ist: So wollen die Kinder wis- literatur. Von 1750 bis 1800, Stuttgart 1982. sen, „wie es Herrn Gottschalk in seiner Sclaverey DODERER, KLAUS (HRSG.): Lexikon der Kinder und weiter gegangen sey“ (S. 166). Auch auf Rühr- Jugendliteratur, Weinheim 1975–1982. effekte hin ist die Erzählung angelegt. FRANZ, KURT/LANGE, GÜNTER/PAYRHUBER, FRANZ- Ähnliches lässt sich sagen über die Schrift von JOSEF (HRSG.): Kinder- und Jugendliteratur – Caspar Friedrich Lossius Gumal und Lina (Exp.- Ein Lexikon, Meitingen 1995ff. Nr. 183, 184). Das breit angelegte Werk bietet PETER-PERRET, SYBILLE: Biblische Geschichten für eine umfassende Einführung zunächst in die „na- die Jugend erzählt. Studie zur religiösen Kin- türliche Religion“ (Bd. 1), dann in die „christli- der- und Jugendliteratur des 18. Jahrhunderts, che“ (Bd. 2 und 3), es folgt damit genau jener Essen 1990. „Ordnung“ des Religionsunterrichts, die Basedow REENTS, CHRISTINE: Die Bibel als Schul- und Haus- in seinem katechetischen Werk von 1764 (Exp.- buch. Werkanalyse und Wirkungsgeschichte ei- Nr. 155) gefordert hatte. Dieser Religionsunter- ner frühen Schul- und Kinderbibel im evange- richt aber ist eingebettet in eine fiktive Rahmen- lischen Raum: Johann Hübner, Zweymal zwey handlung. Zwei miteinander befreundete Kinder, und funffzig Auserlesene Biblische Historien, der Gumal und Lina, gelangen auf der Flucht vor dem Jugend zum Besten abgefasset ... Leipzig 1714 Vater des Mädchens, der Gumal, Sohn eines geg- bis Leipzig 1874 und Schwelm 1902, Göttin- nerischen Fürsten, töten lassen will, in der Wild- gen 1984.

142 SCHRIFTEN ZUR RELIGIÖSEN ERZIEHUNG UND ERBAUUNG

Exponate 154–184 Privil. Buchhändl. 1764. – 18 x 11,5 cm. [1.] U. d. T.: Johann Bernhard Basedows Königl. Dän. Profess. Methodischer Unterricht der Jugend in 154 Johann Georg Franck: der Religion und Sittenlehre der Vernunft nach Poetische Kinder-Theologie, darin der Kern der H. dem in der Philalethie angegebenen Plane. – LXII, Schrift in 100 Strophen in Gestalt eines Glaubensbe- 272 S. känntnisses kürzlich verfasset worden; wobei alle Worte [2.] U. d. T.: Methodischer Unterricht in der überzeu- mit biblischen Sprüchen, die zum Theil umschrieben genden Erkenntniß der biblischen Religion zur und erkläret sind, bewiesen werden, den Kindern im fortgesetzten Ausführung des in der Philatelie an- Christenthum zum Nutz und zur Erbauung aufgesetzet gegebenen Plans. – XXXII, 224 S. von Johann Georg Franck, Past. zu Northeim mit ei- [Nebst.:] Grundriß der Religion, welche durch Nach- ner Vorrede Herrn Jacob Wilhelm Feuerleins, der H. denken und Bibelforschen erkannt wird, In Fragen Schrift Doct. Generalsuperint. und Prof. Theol. Prim. und Antworten, nebst einigen Zusätzen. – 144 S. zu Göttingen. Von einigen Lutherischen Catechismis Gestochene Titelvignette in beiden Teilen (betitelt vor Lutheri Catechismis. Göttingen bey Abraham Van- ‚Denket selbst‘ bzw. ‚Leset selbst.‘, signiert mit „Fr.sc.“) denhoeck 1745. – (34) 384 (20) S. 18,5 x 11,5 cm. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Titelblatt in Rot- und Schwarzdruck. Den „Namen eines kleinen Catechismus“ will Base- Erstausgabe. dow ausdrücklich auf den Grundriß der Religion, der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen auf die beiden Bände des Methodischen Unterrichts als Kinderkatechismus, der „die Glaubens- und Lebens- dritter Teil folgt, angewendet wissen (Bd. 1, S. XLIX). Lehren der Christlichen Religion“ (Vorrede des Verf.) Dieser Grundriß bietet, ganz in der Tradition des Ka- in Form von hundert jeweils vierzeiligen gereimten techismus, die Glaubensinhalte in der Form von Fra- Strophen bietet (die Kennzeichnung der Kinder-The- gen und Antworten, auch soll er „nach gehöriger Er- ologie als „poetische“ bezieht sich auf diese Versifizie- klärung“ durchaus „memorirt“ werden (ebd.). rung). Die Strophen sind durchsetzt mit Anmerkungs- Der Grundriß basiert auf den beiden Bänden des Me- zeichen, die auf unter der Strophe abgedruckte oder thodischen Unterrichts: Querverweise werden durch auch nur genannte (also von den Kindern nachzuschla- Nennung der Paragraphen dieser beiden Bände herge- gende) Bibelstellen verweisen. Diese Bibelstellen die- stellt; sachlich bezieht sich die im Titel angesprochene nen zum „Beweiß“ des in der Strophe Gesagten, auch Doppelung („durch Nachdenken und Bibelforschen“) zur näheren Erläuterung (die durch in Klammern ge- auf exakt jene Doppelung, für die die beiden von Ba- setzte Erklärungen der Bibelstellen zusätzlich unter- sedow bewusst getrennt herausgegebenen Bände des stützt wird). Vgl. das hier wiedergegebene Beispiel. Am Methodischen Unterrichts stehen. Der erste Band bie- Schluss steht das „Gebet aller Gebete“: „Vater unser tet die „Religion der Vernunft“ (Vorrede des Grundriß, der du bist im Himmel“. – Durch die Vorrede von S. 3) und damit „nur die Vorerkenntnisse der christli- Feuerlein wird Franckes Poetische Kinder-Theologie chen Religion“ (Bd. 1, S. XLIV), zu denen man durch unübersehbar in die Tradition des lutherischen (und bloßes Nachdenken gelangen kann. „Dieser Band vorlutherischen) Katechismus eingerückt. Mit der Ver- scheint so geschrieben zu seyn, als wenn sein Verfasser sicherung Franckes in seiner eigenen Vorrede, dass er von der christlichen Offenbarung nichts wüßte“ (ebd.). mit seinem „Catechetischen Werk“ nicht „von dem Der zweite Band bietet die „biblische Religion“ und Catechismo Lutheri oder Gesenii als den Glaubens- damit die Erkenntnisse, zu denen man nur durch Le- büchern unseres Landes“ „abführen“, vielmehr nur ein sen der Bibel gelangt, d. i. den „Inhalt der biblischen „Hülfsmittel, wodurch die Kinder zu besserm Verstan- Offenbarungen“ (Bd. 1, S. XIII). Vgl. die Aufforde- de des Catechismi können gebracht werden“, bieten rungen bei den beiden Titelvignetten „Denket selbst“ wolle, rückt auch er selbst seine Kinder-Theologie in und „Leset selbst“, wobei mit „selbst“ die aufkläreri- den Zusammenhang der Katechismus-Tradition ein sche Forderung angesprochen ist, gegen alle Autoritäts- und versucht gleichzeitig sich gegen mögliche Vorwürfe gläubigkeit dem eigenen Urteil zu vertrauen. von Seiten orthodoxer Vertreter der Kirche abzusichern. Der erste Band kann vom Käufer gesondert, der zwei- J.V. te Band aber sollte tunlichst nur zusammen mit dem ersten erworben werden, da er auf dem ersten aufbaut 155 Johann Bernhard Basedow: (Bd. 1, S. XLIX). Auch für den Unterricht ist diese „Ord- Johann Bernhard Basedows […] Methodischer Un- nung“ (Bd. 1, S. XXIII; XXIX; auch Vorrede zum terricht. [1. 2.] Altona Bey David Iversen, Königl. Grundriß, S. 6) einzuhalten: Der erste Band dient dem

143 „DIE ARBEIT IST SCHWER, SIE IST WICHTIG, UND HAT DIE GRÖSSTEN FOLGEN AUF DAS GANZE LEBEN“

„zur Üeberzeugung von der christlichen Religion vor- christlichen Glaubenswahrheiten (etwa der „Lehre von bereitenden Unterrichte der Jugend“; mit dem zweiten der Dreyeinigkeit“) wird hingeführt über die zuvor Band „bey den tiefsten Geheimnissen der Religion“ „an- besprochenen Einsichten der natürlichen Religion. – zufangen“, wäre ein „Fehler“ (Bd. 1, S. LII und XXIX). Als Anhang bietet die Schrift „Predigten“ (S. 176–208) J.V. für Kinder sowie „Einige Morgen- und Abendgebete“ (S. 209–220). 156 Curieuser Bilder-Catechismus mit zierlichen J.V. Figuren durch dessen Gebrauch die Kinder von ihrer zartesten Jugend an auf eine angenehme Weise zur 158 Ales Vincenc Parizek: Erkenntnis der Evangelischen Warheiten können Religion der Unmündigen zum gemeinnützigen Ge- angeführet werden. Nürnberg bey Gabriel Nicolaus brauche katholischer Eltern, und Lehrer. Nebst eini- Raspe 1773. – 128 S. 17 x 11,5 cm. gen Erinnerungen an dieselben. Mit gnädigster Freyheit. Ornamentale Titelvignette. Münster: bey Ant. Wilh. Aschendorf, 1785. – (14) Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 296 S. 17 x 10,5 cm. Kolorierter Katechismus für Kinder mit vielen Holz- Ohne Verfasserangabe. Titelvignette von P. H. D., so- schnittillustrationen im Text. Der Katechismus bedient wie vier Vignetten im Text. Weitere Ausgabe vorhan- sich durchgehend der Rebus-Form, d.h. bestimmte den. Begriffe sind durch kleine, in Holzschnitt ausgeführte Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Bilder ersetzt. Als Beispiel s. die Reproduktion der Er- Leicht überarbeiteter Nachdruck der Schrift von Sei- läuterung zum vierten Gebot durch den Verweis auf Eph. ler, der damit auch den Erfolg dieser Schrift bestätigt. 6, 1–3. Einige Gespräche sind ausgelassen, andere hinzugefügt, W.V. insbesondere solche, die sich auf spezifisch katholische Glaubensgegenstände und Abweichungen in der kirch- 157 Georg Friedrich Seiler: lichen Praxis gegenüber der Praxis der evangelischen Religion der Unmündigen, entworfen von D. Georg Kirche beziehen (z.B. LII. Von dem Opfer der heil. Friedrich Seiler. Fünfte verbesserte Auflage. Mit Rö- Messe; LVI. Von der letzten Oelung; LX. Von der Ver- misch-Kaiserl. und Churfürstl. Sächsischen allergnä- ehrung und Anruf der Heiligen; LXII. Pflicht der ös- digsten Privilegien. Erlangen bey Wolfgang Walther. terlichen Beichte und Communion). – Die Predigten 1775. – XXVIII, 224 S. 17,5 x 11 cm. und Gebete in der Ausgabe von Seiler sind entfallen. Mit Titelvignette. J.V. Die Erstausgabe erschien 1772. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 159 Johann Peter Miller: Für Kinder „unter dem zehenden oder eilften Jahre“ D. Johann Peter Millers ordentlichen Professors der (Vorrede, S. IX) bestimmter Katechismus in Form ei- Theologie zu Göttingen Christliches Religionsbuch nes Gesprächs zwischen einem Vater und einem Kind. oder Anleitung zu katechetischen Unterredungen über Der Verfasser selbst hebt in der Vorrede die Besonder- den gemeinnüzigsten Inhalt der heiligen Schrift. Zwote, heit dieser „Lehrart“ (nach der „Manier der Sokrati- verbesserte Auflage. Leipzig, in der Weygandschen schen Gespräche im Plato und Xenophon“) gegenü- Buchhandlung, 1779. – (14) 394 (6) S. 18 x 11 cm. ber „der gewöhnlichen“ des „katechetischen Unter- Titelkupfer von Rosmaesler. richts“ hervor (S. IV, VII). Das eigene Nachdenken Die Erstausgabe erschien 1777. über die Wahrheiten des christlichen Glaubens (statt Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen der üblichen bloßen „Wiederholung“ der immer selben Dieser Kinder-Katechismus erklärt im ersten Teil die „Worte des Katechismus“, des „Auswendiglernen[s]“) „allgemeinsten Begriffe der natürlichen und geoffen- sieht er dadurch befördert (S. XI). Über die Methode bahrten Religion“ (Vorrede) in kindgemäßem Stil. Der beim „Kinderunterricht“ nachzudenken, erscheint ihm zweite Teil enthält einen kurzen chronologischen Ab- als Lehrer von Theologiestudenten ebenso wichtig, wie riss der biblischen Geschichte, in den als dritter Teil das Nachdenken über die Gestaltung der Predigt (Ho- für Jugendliche „von reiferem Alter und Verstande“ miletik): „Die Arbeit ist schwer, sie ist wichtig, und die Lehre Jesu erläutert wird. Teil 1 (Stoff und Anlei- hat die größten Folgen auf das ganze Leben“ (S. XIII). tung zu angenehmen Religionsgesprächen mit jungen – Das theologische Konzept Seilers wird erkennbar an Christen und Christinnen) war die Vorlage für die der Abfolge der Themen für die einzelnen Gespräche Anleitung zu Religionsgesprächen mit jungen Christen. (der „Ordnung des Vortrags“, S. X): Zu den spezifisch W.V.

144 SCHRIFTEN ZUR RELIGIÖSEN ERZIEHUNG UND ERBAUUNG

160 Johann Peter Miller: kenntnis und sowol der natürlichen geoffenbarten Anleitung zu Religionsgesprächen mit jungen Chris- Religion wie auch der Philosophie für die lehrbegierige ten. [s. l.] [s. n.] 1779. – 72 S. 18 x 11,5 cm. Jugend. Oder dritte Auflage des vierten Theils der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Schilderungen. Leipzig, in der Weygandschen Buch- Der Text ist in Inhalt und Form weitgehend identisch handlung, 1779. – 450 S. 18,5 x 11,5 cm. mit dem ersten Teil von Millers Christlichem Religions- Titelkupfer von Rosmaesler. buch. Zahlreiche Passagen wurden wortwörtlich über- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen nommen, ebenso etliche Kolumnentitel. In einem fik- Die ursprünglich in drei Teilen konzipierten morali- tiven Gespräch zwischen einer Mutter und ihren Kin- schen und sachlichen Belehrungen für Jugendliche dern Ferdinand, Karoline, Philippine und Wilhelm erschienen zwischen 1753 und 1759 und wurden 1763 werden in zwölf Abschnitten die wesentlichen Elemen- um zwei Anhänge erweitert. Die ersten beiden Teile te und Begriffe der (christlichen) Religion erläutert: dienten der Vermittlung des dreiteiligen Pflichten- die Eigenschaften Gottes, Gottesliebe und Menschen- kanons der christlichen Sittenlehre (Pflichten des liebe, Tugend, Moral und Gewissen, göttliches Gesetz Menschen gegenüber Gott, sich selbst und der Gesell- und Naturgesetz, Gottes Heiligkeit und Gerechtigkeit, schaft) in Form eines Lehrgesprächs zwischen Zöglin- die Vorsehung usw. Den Abschluss bildet eine kurze gen und ihrem Hofmeister sowie eines Bildungsro- Inhaltsbeschreibung des Evangeliums. Gedacht ist der mans, der dritte Teil umfasste moralische Abhandlun- Text zur häuslichen Unterrichtung der Kinder in der gen, z. T. auch in Briefform. Der vorliegende vierte Religion vor dem eigentlichen Religionsunterricht in Teil stellt ein Lehrbuch der Naturlehre und der Reli- der Schule. gion dar, Teil fünf mit dem Titel Anweisung zur W.V. Wohlredenheit nach den auserlesensten Mustern franzö- sischer Redner enthielt eine Einführung in die Kunst 161 Johann Peter Miller: der Beredsamkeit mit Beispielen geistlicher Kanzelred- D. Johann Peter Millers ordentlichen Professors der ner des siebzehnten Jahrhunderts. Im Abriß der Natur- Theologie zu Göttingen ausführlicher Abriß der Natur- kenntnis werden zunächst kurz die wichtigsten The-

Abb. 52 Kyburz: Historien- Bibel (1737); Nr. 167.

145 „DIE ARBEIT IST SCHWER, SIE IST WICHTIG, UND HAT DIE GRÖSSTEN FOLGEN AUF DAS GANZE LEBEN“ men aus der Naturlehre (Materie, Astronomie, die Neuausgabe der exakt 100 Jahre zuvor am selben Ort Elemente, Mineralien, Pflanzen und Tiere) behandelt. und im selben Verlag erschienenen Erstausgabe, die Der Hauptteil ist eine Einführung in die natürliche neben der „Vorrede des Autoris“ von 1714 auch noch und christliche Religionslehre. die auf den „14. Dec. Anno 1713“ datierte Vorrede W.V. des „Ministerii der Stadt Hamburg“ bietet. In einem „Leipzig 2. Jul. 1752“ datierten „Avertissement an den 162 Carl Friedrich Bahrdt: christlichen Lehrer“ heißt es: „Die zweymal zwey und Katechismus der natürlichen Religion, als Grundlage funfzig biblische Historien des sel. Joh. Hübners haben eines jeden Unterrichts in der Moral und Religion, zum wegen ihres vortrefflichen Nutzens bey der Grundle- Gebrauche für Eltern, Prediger, Lehrer und Zöglinge. gung eines thätigen Christenthums sich so beliebt ge- Von D. Carl Friedrich Bahrdt. Halle, bei Francke und macht, daß sie in verschiedene andere Sprachen, als die Bispink. 1790. – 204 S. 16,5 x 10,5 cm. Lateinische, Französische, Italiänische, Schwedische etc. Mit Lesebändchen. sind übersetzt, auch von andern mit feinen Kupfern sind Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen ausgeziert worden, und daß man sich derselben nicht Mit seinem Frage-Antwort-Schema (418 Fragen) noch nur in öffentlichen und Privatschulen, sondern auch in der Tradition des christlichen Katechismus verpflich- der Hausandacht vielfältig bedienet.“ Die bereits aus tet, im Übrigen aber von dieser Tradition sich lösen- diesen Angaben hervorgehende Erfolgsgeschichte von der „Katechismus“ der „reinen Vernunftreligion“, wie Hübners Biblischen Historien wird von dem Ergebnis sie dem Verfasser als „Bedürfnis unserer Zeiten“ er- bibliografischer Ermittlungen (Reents 1984) mehr als scheint (Vorrede, S. 3). Das „System der vernünfti- bestätigt: In weit über 100 Ausgaben sind Hübners gen“ (oder auch „natürlichen“) „Religion“ gilt dem Biblische Historien bis tief ins neunzehnte Jahrhundert Verf. als Grundlage überhaupt „aller Religion“ (S. 4 hinein immer wieder neu aufgelegt worden. und 5). Die Einführung in dieses System ist zugleich Es handelt sich um eine Auswahl von jeweils 52 Bibli- „moralischer Unterricht“. Wieweit Kinder nach Ab- schen Geschichten aus dem Alten und dem Neuen solvierung dieses Unterrichts noch eine „positive Reli- Testament, die in enger Orientierung an dem Wort- gion erlernen oder bekennen“ wollen, muss ihrer eige- laut von Luthers Bibelübersetzung, jedoch sprachlich nen „freien Wahl“, d.i. „ihrer eigenen Vernunft“, über- stark vereinfacht und inhaltlich stark verkürzt wieder- lassen bleiben (S. 7). gegeben werden. Für den häuslichen wie den schuli- J.V. schen Unterricht bestimmt, sind diese Geschichten zu- sätzlich wie folgt bearbeitet: In einer Randleiste wer- 163 Johann Hübner: den die Bibelstellen genannt, auf die sich die einzel- Zweymal zwey und funfzig auserlesene Biblische His- nen Sätze oder Halbsätze der Erzählung beziehen. Der torien aus dem Alten und Neuen Testamente: der Ju- Erzähltext selbst ist durchsetzt mit Anmerkungsziffern, gend zum Besten abgefasset von Johann Hübnern, die auf unter dem Text abgedruckte „Deutliche Fra- Rector des Johannei zu Hamburg; nebst einer Vorrede gen“ verweisen; diese Fragen sind so formuliert, dass E. Hoch-Ehrwürden Ministerii der Stadt Hamburg. sie mit den jeweiligen Formulierungen des Erzähltextes Aufs neue revidirt von M. Joh[ann] Gottfr[ied] Fleck, beantwortet werden können, dienen also dem Zweck Past. In Sturmthal. Mit Kaiserlichen, wie auch König- der Memorierung dieses Textes. Es folgen „Nützliche lichen Sächsischen allergnädigsten Privilegiis. Leipzig, Lehren“ sowie in Form von Versen, die auch in latei- bey Johann Friedrich Gleditsch, 1814. – (32) 424 S. nischer Übersetzung geboten werden, „Gottselige Ge- 17,5 x 10,5 cm. danken“. S. 417–420: „Register zum Gebrauche der Historien Dieses Verfahren wird bereits in der Vorrede des „Mi- an den Sonn- und Feiertagen“. S. 421–424: „Register nisterii der Stadt Hamburg“ von 1713 als bemerkens- zum Gebrauche der gottseligen Gedanken bey einem wert neu („sonderbare und fast neue Art“) herausge- jeden Stück des Catechismi, wo sie die Schuljugend stellt. Hübner selbst nutzt seine eigene Vorrede, um ins Gedächtniß fassen, und auf solche Art jede Cate- seine „Methode“, „wie man den Kindern diese Histo- chismuslehre mit einer Historie und dazu verfertigten rien beybringen soll“, zu erläutern, auch die mit dieser Vers erweisen und erläutern kann“. Mit 52 Holzschnit- Methode verfolgten Absichten näher zu bestimmen. – ten und einem Frontispiz mit Porträt des Verfassers, Anders als bei dem ersten Erscheinen dieses ausdrück- signiert von J. P. S. lich als „Schul-Buch“ konzipierten Werks („nicht vor Die Erstausgabe erschien 1714. Studiosos“, „keine Postille“) bietet die vorliegende Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Ausgabe (wie sehr viele Ausgaben vorher und nachher,

146 SCHRIFTEN ZUR RELIGIÖSEN ERZIEHUNG UND ERBAUUNG s. als Beispiele die nachfolgend gezeigten) zu jeder der Abb. 53 Geschichten eine Illustration. Feddersen: Das Leben Jesu J.V. für Kinder (1787); Nr. 169. 164 Johann Hübner: Zweymal zwey und fünfzig auserlesene Biblische His- torien aus dem Alten und Neuen Testamente, der Ju- gend zum Besten abgefasset von Johann Hübnern, Rectore des Johannei zu Hamburg, Nebst einer Vorre- de. Gedruckt zu Zion, auf Kosten christlicher Eltern für die Jugend. Neueste Auflage, 1786. – (22) 240 S., (4) S. 241–112 [i.e. 412], (6). 17 x 11 cm. [Nebentit.:] Zweymal zwey und funfzig auserlesene Kupferstiche aus der h. Schrift des Alten und Neuen Testaments zur deutlichern Erklärung der Biblischen Historien vor kleine Kinder. Gezeichnet von Sandrart und Einert, gestochen von Christoph Weigel, Kunst- händlern in Nürnberg. Mit 104 Kupferstichen. Titelblatt in Rot- u. Schwarz- druck. Bl. P1 fehlt, Ill. Nr. 21, 31, 37, 40, 52 (Altes Testament) fehlen. Weitere Ausgaben vorhanden. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen der Stadt Hamburg“ ist entfallen. Wenige sprachliche Auch diese Ausgabe bietet noch die „Vorrede des Glättungen. Zion als fiktiver Druckort ist vielleicht Autoris“ von 1714 mit den Anweisungen zum Um- mit Nürnberg zu identifizieren. Dass die Ausgabe zu- gang mit dem Schulbuch, die Vorrede des „Ministerii stande gekommen ist durch eine Elterninitiative, zeugt

Abb. 54 Kyburz: Historien-Bibel (1737); Nr. 167.

147 „DIE ARBEIT IST SCHWER, SIE IST WICHTIG, UND HAT DIE GRÖSSTEN FOLGEN AUF DAS GANZE LEBEN“

Abb. 55 von der Wertschätzung dieses Schulbuchs. Bemerkens- Schönberg Freundschaftliche Erinnerungen wert ist die hohe Qualität der Illustrationen (im Ver- (1778). Mit einer Titelvignette von Johann hältnis etwa zu der Ausgabe von 1814). – Bleistift- Ernst Mansfeld; notizen (auf erneuertem Einband nachgetragen, nicht Nr. 172. original) belegen den Gebrauch des Buchs durch un- terschiedliche Benutzer in den Jahren 1787, 1804, 1811, 1835, 1843, 1847, 1869, 1870, 1873. J.V.

165 Johann Hübner: Johann Hübner’s zweymal zwey und funfzig auserle- sene Biblische Historien aus dem Alten und Neuen Testamente, versehen mit 104 Kupferstichen, und den nöthigen Registern; Der Jugend zum Besten abgefasset, nebst einer Vorrede des Autors. – Erste Americanische Auflage. – Harrisburg, Verlegt und gedruckt bey Wm. Wheit und Wm. Boyer, 1826. – X, 335 (9) (15) S. 18 x 11 cm. Am Ende des Buches 15 Seiten Pränumerantenver- zeichnis. Die Kupfer sind unsigniert. Mit einer Buch- schließe. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Beispiel einer für deutschsprachige Emigranten in Amerika bestimmten (und von ihnen unterstützten, s. die Pränumerantenliste) Ausgabe. – Hübners Vorrede ist gekürzt, die lateinische Fassung der „Gottseligen Gedanken“ gestrichen. Register zur Verknüpfung mit dem Ablauf des Kirchenjahrs und mit dem Katechis- musunterricht wie in der Ausgabe von 1814. J.V.

166 Johann Hübner: Hübner’s Biblische Historien aus dem alten und neu- en Testamente. Für die Jugend und Volksschulen nach der Anforderung unserer Zeit aufs Neue bearbeitet. Mit leicht faßlichen Fragen unter dem Texte, einer kurzen Geschichte der christlichen Religion, nebst 52 Holzschnitten. Philadelphia, Herausgegeben von Georg W. Mentz und Sohn, 1839. – S. [III]–VIII, S. [9]–490. 18,5 x 11,5 cm. Frontispiz mit Paradiesszene nach Psalm 95,6, untertitelt: ‚Kommet, lasset uns anbeten, und knien, und niederfallen vor dem Herrn, der uns gemacht hat.‘ Mit zwei (nicht mehr vorhandenen) Buchschließen. Die Holzschnitte sind unsigniert. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Ohne die Vorreden der Erstausgabe. Vorrede der Ver- leger: „Seit mehr als hundert Jahren hat sich dieses Werk, nicht nur als ein sehr vortheilhaftes Buch für die Jugend in den Schulen, sondern auch als recht nützliches für Erwachsene erprobt.“ Wenn das Buch „unter unserm deutschen Publikum schnellen Absatz

148 SCHRIFTEN ZUR RELIGIÖSEN ERZIEHUNG UND ERBAUUNG findet“ könne alsbald eine neue Auflage erfolgen, da Abb. 56 der Buchstabensatz stehen bleibe. – Der Aufriss der Salzmann, Moralisches Elementarbuch, 1. Th. Bearbeitung der Geschichten ist noch der gleiche wie (1785). Frontispiz von Johann Rosmaesler. bei der Erstausgabe, der Wortlaut der „Erzählungen“ Die weiteren 68 Kupfertafeln stammen von (nicht mehr „Historien“, wie noch im Titel) wie auch Johann Georg Penzel, Daniel Chodowiecki und der (jetzt als einfache Anmerkungen gebotenen) Fra- Gottlieb Leberecht Crusius; Nr. 177. gen und der „Nützlichen Lehren“ ist hingegen ent- schieden modernisiert, die „Gottseligen Gedanken“ werden in Form eines Liedtextes (mit Melodieangabe) geboten; abgeschlossen wird die Bearbeitung jeweils durch einen Bibelspruch mit Stellenangabe. Im Text der Erzählungen jetzt auch erläuternde Zwischenbe- merkungen, die umformulierten Fragen zielen stärker auf ein Verstehen der Texte als auf ein Memorieren. J.V.

167 Abraham Kyburz: Historien- Kinder- Bet- und Bilder-Bibel, Oder das Geheimnis der Gottseeligkeit und der Boßheit, In Löblichen und sträflichen Geschichten, Einem ordent- lichen Zusammenhang nebst einfältigen Rand-Fragen, Auch eingedruckten Hundert und zwey Kupferstichen, Vorgestellt von Abraham Kyburz, Verkündiger Evan- gelischer Bottschaft zu Kilchberg. Erster Theil. Augs- purg, Verlegts Johann Andreas Pfeffel, Kayserlicher Hof- Kupferstecher, 1737. – (18) 830 S. 19,5 x 12,5 cm. Frontispiz mit Nebentit.: Historien- Kinder- Bett- und Bilder-Bibel, in hundert und zwey löblichen u. sträfli- chen Geschichten, erbaulich vorgestellet. Von Catha- rina Sperlingin gezeichnet, und Philipp Gottfried Harder in Kupfer gestochen, in Augspurg. A. 1736. Erster Theil. Die Historienbibel ist Teil der Schenkung des Frank- furter Patriziers Johann Friedrich von Uffenbach (1687–1769), dessen Büchersammlung die Universi- tätsbibliothek 1769 erhielt. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Illustrierte Historienbibel in sechs Bänden zur „Un- terrichtung“ und „Erbauung“. Der vorliegende Band 1 reicht inhaltlich von der Schöpfung bis Salomons Abfall vom Glauben. Zahlreiche Kupferillustrationen im Text. Die 112 Geschichten sind bestimmt für „Schul-Diener“ und „Haus-Präceptoren“, für Lehrer zum Katechisieren und Prediger zur „Erbauung ihrer Gemeinde“, auch für Eltern zum Vorlesen und Kin- der zur eigenen Lektüre. Den Erzählungen sind Rand- fragen, die zum „weiteren Nachforschen“ führen sol- len, und Sittenlehren beigefügt (vgl. Vorwort). W.V.

168 Johann Peter Miller: Johann Peter Millers erbauliche Erzählungen der vor-

149 „DIE ARBEIT IST SCHWER, SIE IST WICHTIG, UND HAT DIE GRÖSSTEN FOLGEN AUF DAS GANZE LEBEN“

Abb. 57 nehmsten biblischen Geschichten zur Erweckung ei- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Salzmann, Moralisches nes lebendigen Glaubens und der wahren Gottseligkeit Historienbibel für Kinder. Das Buch enthält 41 bibli- Elementarbuch, 1. Th. der Jugend. Sechste, verbesserte Auflage. Leipzig, in sche Geschichten aus dem Alten und 46 aus dem Neu- (1785); Nr. 177. der Weygandschen Buchhandlung 1785. – 212 S. 18 en Testament. Im Anhang findet sich ein chronologi- x 11,5 cm. scher Leitfaden der Kirchengeschichte für Lehrer. Ein- Die Erstausgabe erschien 1759. gestreut in den Text sind Bemerkungen und Kommen- tare für die Lehrer, die ihnen bei der Vertiefung des Stoffes helfen sollen. Der Text war offenbar zum Vor- lesen durch die Lehrer, nicht zum Selberlesen durch die Kinder gedacht. Das Buch wurde ins Schwedische (1771) und Finnische (1774) übersetzt. W.V.

169 Jakob Friedrich Feddersen: Das Leben Jesu für Kinder. Von Jakob Friedrich Fed- dersen, Hof- und Domprediger zu Braunschweig, Mitglied der Erziehungsgesellschaft zu Stockholm. Fünfte, vermehrte und verbesserte Auflage. Frankfurt und Leipzig 1787. – (8) 142 S. 18 x 11 cm. Mit unsigniertem Frontispiz und ornamentaler Titel- vignette. Spruch auf dem Titelblatt von Lavater: ,O Kinderfreund, auf deinen Armen / Trag unsre Kleinen voll Erbarmen! / Laß sanft sie dir im Schooße ruhn, / Dir folgen! deinen Willen thun!‘ Weitere Ausgabe vor- handen. Die Erstausgabe erschien 1775. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Eine ganz in den Dienst der erbaulichen Wirkung auf Kinder gestellte Darstellung des Lebens und der Leh- ren Jesu. Die sehr kurz gefasste eigentliche „Geschich- te des Lebens Jesu“ ist gefolgt von „Betrachtungen und Gebeten über das Leben Jesu“ sowie einer Darstellung der „Lehren Jesu“ und seiner „Gleichnißreden und Erzählungen“. Ein Hauptteil ist der Vorführung der „Tugenden Jesu“ gewidmet, der den Kindern damit als moralisches Vorbild vor Augen gerückt wird, zu dem sie aber auch eine emotionale Beziehung aufbau- en sollen: „Habt ihn immer lieb“ (in der an die „jun- gen Christen und Christinnen“ gerichteten Widmung). – Die Schrift ist auch in einer katholischen Bearbei- tung erschienen: Das Leben Jesu für Kinder. Von Jakob Friedrich Feddersen. Für katholische Kinder und Schu- len eingerichtet von einem Kinderfreunde. Münster: Aschendorf 1790. J.V.

170 Jakob Friedrich Feddersen: Lehrreiche Erzählungen aus der biblischen Geschich- te für Kinder, von Jakob Friedrich Feddersen, Hof- und Domprediger zu Braunschweig. Zweyte sehr ver- mehrte und verbesserte Auflage. Halle im Magdebur- gischen, verlegt von Carl Hermann Hemmerde. 1779.

150 SCHRIFTEN ZUR RELIGIÖSEN ERZIEHUNG UND ERBAUUNG

– (14) 240 S. 17 x 10,5 cm. Friedrich Stölzel (Bd. 1, 2, 3, 5), Ephraim Gottlieb Abb. 58 Sinnspruch auf dem Titelblatt: ‚Habe deine Lust, o Krüger (Bd. 2, 3, 5), Johann Friedrich Bolt (Bd. 3), Salzmann, Moralisches Jugend, / immer gern / An dem Herrn, / Und dem Johann Christian Böhme (Bd. 5). Elementarbuch, 1. Th. Reiz der Tugend‘. Weitere Ausgabe vorhanden. Erstausgabe. (1785); Nr. 177. Die Erstausgabe erschien 1776. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Breit angelegtes, auch durch die aufwändige Ausstat- Eine für „junge Leser von acht bis zwölf Jahren“ vorge- nommene „Bearbeitung“ (Vorrede) ausgewählter bibli- scher Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament, die ähnlich dem für jüngere Kinder bestimmten Leben Jesu (Exp.-Nr. 169) die biblischen Erzählungen als „Ex- empel“ (S. 154) für den Zweck religiös-moralischer Erziehung einsetzt. Ausführliche „Lehren und Ermah- nungen“ (ebd.), wie sie auch Bestandteile von Predig- ten sein könnten, unterbrechen die Erzählungen oder schließen sie ab. – Eine katholische Bearbeitung die- ser Schrift findet sich unter dem Titel Auserlesene bib- lische Geschichten zum lehrreichen Gebrauch der katho- lischen Jugend. Mit Kupfern. München: bey Baptist Strobl, 1784, angebunden an: Johann Samuel Diterich: Unterweisung zur Glückseligkeit (s. Exp.-Nr. 173). J.V.

171 Kaspar Friedrich Lossius: Moralische Bilderbibel mit Kupfern nach Schu- bert’schen Zeichnungen und mit Erklärungen von Kaspar Friedrich Lossius, Diakonus an der Prediger- Kirche zu Erfurt, und Mitglied der dasigen Akademie nützlicher Wissenschaften. – Bd. 1–3. 5. – Gotha: bei Justus Perthes, 1805–1812. – 21 x 13 cm. 1. Mit vierzehn Kupfern. – 1805. – LVIII, 376 S. 2. Mit funfzehn Kupfern. – 1807. – XVI, 468 S. 3. Mit funfzehn Kupfern. – 1809. – XII, 476 S. 5. Mit funfzehn Kupfern. – 1812. – VI, 592 (4) S. Jeder Band mit Zeittafel sowie Sach- und Namens- register. Bd. 1 behandelt den Zeitraum von der Schöp- fung bis zum babylonischen Exil, Bd. 2 vom Trojani- schen Krieg bis zum Peloponnesischen Krieg, Bd. 3 von der Oberherrschaft Spartas bis zur Einführung der Republik in Rom, Bd. 5 vom Ende des babylonischen Exils bis zur Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahre 70 n. Chr. Die Vorlagen für die Kupferstiche stammen von Jo- hann David Schubert. Frontispiz in Bd. 1 von Gott- lieb Boettger sen., in Bd. 2 von Johann Caspar Wein- rauch, Bd. 3 u. 5 ohne Frontispiz. In Bd. 2, 3 u. 5 fehlt jeweils eine Tafel. Als Illustratoren waren betei- ligt: Gottlieb Boettger sen., F. Jügel, Georg Christian Schule und Rosmaesler (Bd. 1), Herm. Schmidt, L. Buchhorn, Carl Frosch (Bd. 2), Wilhelm Jury und Johann Gottlieb Boettger (Dresden) (Bd. 1, 2), Wil- helm Böhm (Bd. 1, 3), Meno Haas und Christian

151 „DIE ARBEIT IST SCHWER, SIE IST WICHTIG, UND HAT DIE GRÖSSTEN FOLGEN AUF DAS GANZE LEBEN“

Abb. 59 tung mit großformatigen, künstlerisch anspruchsvol- Lossius: Gumal und Lina, Bd. 1 (1827). len Kupferstichen monumentales Werk, das sich nicht Mit Illustrationen von Johann David Schubert, mehr auf die Wiedergabe ausgewählter Geschichten gestochen von Daniel Berger, Meno Haas und aus dem Alten und Neuen Testament (diese sind in Christian F. Stölzel; Bd. 1 und Bd. 5 enthalten) beschränkt, vielmehr die Nr. 184. gesamte Menschheitsgeschichte vom Beginn bis zur Zerstörung des Tempels in Jerusalem 70 n. Chr. in den Blick nimmt, damit, einsetzend in Bd. 2 beim Trojanischen Krieg, auch außerbiblische Ereignisse und Personen (z.B. Aeneas, Sokrates, Plato) zum Gegen- stand ausführlicher Darstellung macht. Das Programm dieser in Abgrenzung zur Tradition der „Historien-Bi- beln“ neu definierten „allgemeine[n] moralische[n] Bil- derbibel“ erläutert Lossius in der Vorrede zu Bd. 3 so: „sie soll [...] eine Sammlung der schönsten und edels- ten sittlichen Handlungen der Menschen aus allen Nationen und Zeiten seyn; eine Gallerie edler Men- schen, die durch ihr Leben und Wirken die Grundsät- ze der Sittlichkeit bewährt und sich dadurch der öf- fentlichen Aufstellung würdig gemacht haben. Die- sem Plane getreu habe ich die ausgezeichneten Perso- nen der Vorzeit, deren Leben in moralischer Hinsicht merkwürdig ist, zusammengestellt“ (S. IX). J.V.

172 Matthias von Schönberg: Freundschaftliche Erinnerungen an einen jungen Men- schen, der itzt in die große Welt geht. Von Mathias von Schönberg. Wien, Im Verlage bey Joh. Georg Weingand Buchhändler. 1778. – 60 (2) S. Titelvignette in Kupferstich von Johann Ernst Mans- feld. Die Erstausgabe erschien 1777. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Eine allgemeine Tugendlehre für junge Leute, die sich von ihrer Familie lösen, um ihr Leben in eigener Ver- antwortung zu führen, in einfacher Reihung nach Pa- ragraphen – bis hin zu Ratschlägen, die sich auf das „Heirathen“ oder das „Bücherlesen“ beziehen. Kern- satz dieser Tugendlehre ist jedoch: „Nur die Religion macht die wahre Vollkommenheit des Menschen aus; nur sie bewahrt und beschützt die Tugend“ (S. 7). J.V. Angebunden an: Matthias von Schönberg: Der sanftmüthige Christ von Mathias Schönberg. Mit Erlaubnis der Obern. Wien, zu finden bey Johann Georg Weingand, Buchhändlern. 1777. – 39 S. 17 x 11 cm. Mit unsignierter Titelvignette. Die Erstausgabe erschien 1771. Angebunden:

152 SCHRIFTEN ZUR RELIGIÖSEN ERZIEHUNG UND ERBAUUNG

Matthias von Schönberg: sens Lehrreichen Erzählungen aus der biblischen Ge- Abb. 60 Lehrreiche Gedanken mit kleinen Begebenheiten zur schichte für Kinder (1779) (s. Exp.-Nr. 170). Lossius: Gumal und Lina, Bildung eines edlen Herzens in der Jugend von Matthi- J.V. Bd. 3 (1827). Frontispiz as Schönberg Zweyte Auflag 1777. Wienn (!) Im Verla- von Schubert, gestochen ge bey Joh. Georg Weingand Buchhändler. – 169 (5) S. 174 Johann Caspar Lavater: von Bolt; Nr. 184. Titelblatt gestochen von M. Fallieth. Brüderliche Schreiben an verschiedene Jünglinge von Die Erstausgabe erschien 1771. Angebunden: Matthias von Schönberg: Die Zierde der Jugend. Von Matthias von Schönberg. Zweyte Auflage. Wien, Im Verlage bey Joh. Georg Weingand Buchhändler 1778. – 95 S. Mit einer Titelvignette in Kupferstich von Johann Ernst Mansfeld. Die Erstausgabe erschien 1771. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Sitten- und Anstandsschrift „für die sammtliche Ju- gend unseres Katholischen Deutschlands“. Vermittelt Lehren und Anweisungen zur Bewahrung „jugend- liche(r) Unschuld“, zur „öffentlichen Erbauung, Liebe zur Tugend und Abscheu vor dem Laster“ (Brüggemann/ Ewers 1982, Sp. 1517). W.V.

173 Johann Samuel Diterich: Unterweisung zur Glückseligkeit nach der Lehre Jesu. Neue vermehrte Auflage. Berlin, bey Friedrich Nicolai, 1782. – (2) 124 S. 18 x 11 cm. Ohne Verfasserangabe. Die Erstausgabe erschien 1774. Weitere Ausgabe vor- handen. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Die Schrift will eine Anleitung für die Erfüllung eines „Hauptverlangens“ des Menschen geben, des Verlan- gens nach einer „dauerhaften Glückseligkeit“ (Einlei- tung, S. 1 und 2). Obgleich dies Verlangen als ein letztlich religiöses er- kannt ist, dessen Erfüllung allein bei Gott liegt („Gott allein kann uns auf immer glücklich machen“), gibt es auf Seiten des Menschen doch eine unerlässliche Vor- aussetzung: „Rechtschaffenheit“ (ebd.). Daraus wird dann eine Tugendlehre entwickelt. J.V. Angebunden: Jakob Friedrich Feddersen: Auserlesene biblische Geschichten zum lehrreichen Gebrauch der katholischen Jugend. Mit Kupfern. Mün- chen, bey Johann Baptist Strobl, 1784. – (8) 274 S. Ohne Verfasserangabe. Mit Frontispiz und 8 Kupfern im Text, alle unsigniert. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Katholische Bearbeitung von Jakob Friedrich Fedder-

153 „DIE ARBEIT IST SCHWER, SIE IST WICHTIG, UND HAT DIE GRÖSSTEN FOLGEN AUF DAS GANZE LEBEN“

Johann Caspar Lavater. Winterthur, bey Heinrich Der 2. Band ist „Kindern von reifern Alter gewidmet“ Steiner und Compagnie, 1782. – 188 S. 17 x 10 cm. und stellt im Vorbericht Reflexionen darüber an, ob Weitere Ausgabe vorhanden. „Erzählungen für Kinder“ „überhaupt“ „mit lehrrei- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen chen Erinnerungen dürfen begleitet werden“. Eine Sammelschrift, die acht an verschiedene Adres- J.V. saten gerichtete, zwischen 1773 und 1782 datierte Schreiben vereint. Die je nach Adressat besonders ak- 176 Historische, Physikalische und Moralische Un- zentuierten Schreiben haben ausgeprägt seelsorgerli- terhaltungen für Kinder beyderley Geschlechts zur chen Charakter: Die Sorge um die Bewahrung des Bildung des Verstandes und Herzens. Frankfurt, bey christlichen Glaubens beim Eintritt in die Welt ist die Johann Philipp Streng 1781. – (6) 248 S. 17 x 10,5 cm. dominierende, alle weiteren Ratschläge für den in die Mit ornamentaler Titelvignette. Ohne Verfasserangabe. Selbstständigkeit entlassenen Jugendlichen ergeben sich Als mutmaßlicher Verfasser ermittelt: Christian Jakob erst hieraus. Die Schrift enthält auch Vorschläge für Wagenseil (1756–1839). Gebete. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen J.V. Der Band bietet für Kinder von allem etwas: Histori- Angebunden: sches Wissen mit moralischer Nutzanwendung (Die Johann Caspar Lavater: Bürger von Calais, S. 188), naturwissenschaftliche Er- Nachdenken über mich selbst. Offenbach, gedruckt kenntnisse (Der Magnet, S. 176; Vom Wachstum der und zu finden bey Ulrich Weiß, 1775. – 46 S. Pflanzen, S. 179), auch rein Religiöses (ein Gedicht Ohne Verfasserangabe. Bibelspruch auf dem Titelblatt: über die Allgegenwart Gottes, S. 201–202). Er dient in ‚Joh VII, 17. So jemand den Willen, dessen, der mich gleicher Weise der Unterhaltung wie der Unterrich- gesendet hat, thun will, der wird dieser Lehre halber tung, in die auch Antworten auf religiöse Fragen (z.B. verstehen, ob sie aus Gott sey.‘ S. 115: warum Gott „auch guten und frommen Men- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen schen eine kurze Zeitlang Leiden“ auferlegen kann) Autobiografische Reflexionen Lavaters über sein Ver- eingeschlossen sind. hältnis zu Gott. J.V. W.V. 177 Christian Gotthilf Salzmann: 175 Jakob Friedrich Feddersen: Moralisches Elementarbuch nebst einer Anleitung zum Beyspiele der Weisheit und Tugend aus der Geschich- nützlichen Gebrauch desselben, von Christian Gott- te, mit Erinnerungen für Kinder, von Jakob Friedrich hilf Salzmann. Erster Theil. Neue verbesserte Auflage. Feddersen. Samml. [1.] 2. Frankfurt und Leipzig [s. n.], Mit Römisch-Kaiserl. und Churfl. Sächs. Allergnädigs- 1779–1780. – 17 x 11 cm. ten Privilegiis. Leipzig, bey Siegfried Lebrecht Crusius, [1.] 1779. – (6) 198 S. 1785. – XXXII, 412 S. 18 x 11,5 cm. 2. 1780. – 150 (2) S. Mit einem Titelkupfer und 68 Kupfertafeln im Text. Beide Teile mit unsignierter Titelvignette. Beide Titel- Titelkupfer von Johann August Rosmaesler. Titelvig- blätter mit dem Spruch: ‚Lavater. Der Tugend wollen nette von und nach Johann Georg Penzel. Kupfer u.a. wir uns weihn, / und guten Lehren folgsam seyn, / von Daniel Chodowiecki, Gottlieb Leberecht Crusius Kein Tag des Lebens geh vorbey, / Daß ich nicht wei- und Penzel. ser, besser sey.‘ Die Erstausgabe erschien 1782. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Die beiden Bände bieten knappe Erzählungen „wah- rer Begebenheiten aus dem menschlichen Leben“ so- 178 Christian Gotthilf Salzmann: wie „Anekdoten von tugendhaften oder lasterhaften Moralisches Elementarbuch von Christian Gotthilf Personen“, die sämtlich als „lehrreiche“ Beispielge- Salzmann. Neueste für die katholische Jugend umge- schichten präsentiert werden (Bd. 2, Vorbericht). Der arbeitete Auflage mit 20 Kupfern, nach den Zeich- 1. Band ist gegliedert in „Beispiele der Weisheit“ (wo- nungen des Hrn. Chodowiecky, von Hrn. Aßner und runter Tugenden wie „Sparsamkeit“, „Genügsamkeit“ Schmid gestochen. Wien, bey Joseph Gerold, auf dem u.a. verstanden werden, S. 1–96), „Beispiele der Fröm- Dominikanerplatz, 1794. – (8) 303 S. 18 x 12 cm. migkeit“ (mit Beispielen des „Gottvertrauens“, der Laut Vorwort Einzelausgabe des 1. Teils. Titelkupfer „Ehrerbietung gegen den Namen Gottes“ u.a., S. 97– von Schmid. 155) und „Beispiele der Menschenliebe“ (S. 155–198). Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen

154 SCHRIFTEN ZUR RELIGIÖSEN ERZIEHUNG UND ERBAUUNG

179 Christian Gotthilf Salzmann: sinnlichte oder anschauliche Erkenntniß sittlicher und Moralisches Elementarbuch, von Christian Gotthilf religiöser Wahrheiten“, wie sie die von ihm zusam- Salzmann. Zweyter Band. Neue durchaus umgearbei- mengestellten Erzählungen bieten (S. VII). Im Inhalts- tete Auflage. Wien, bey Joseph Gerold, auf dem verzeichnis gibt er durch in Klammern hinzugefügte Dominikanerplatz, 1796. – (4) 354 S. 18 x 12 cm. Doppeltitel „Winke“ für die aus der jeweiligen Erzäh- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen lung „hervorgehende Lehre“; so ist etwa bei Herders Salzmanns Elementarbuch gehört zu den bedeutends- Verserzählung Der gerettete Jüngling (auf die sich auch ten Werken der philanthropischen Kinderliteratur. Es das Frontispiz bezieht) als Doppeltitel hinzugefügt: war für den ersten Religionsunterricht gedacht, der für „(Wirkung eines zuvorkommenden liebevollen Betra- Salzmann aus moralischer Unterweisung bestand. In gens)“. Salzmanns Vorrede heißt es: „Die Absicht dieses Bu- J.V. ches ist, in sechs- bis achtjährigen Kindern dasjenige zu erzeugen, was man gute Gesinnung zu nennen 181 Heinrich August Müller: pflegt. [...] Gute Gesinnung ist mir ein höherer Grad Neue moralische Kinderbibliothek in Erzählungen für von richtiger Erkenntniß.“ Salzmann will das Buch Verstand und Herz von Heinrich Müller, Prediger zu nicht den jungen Lesern zum Lesen geben (sie würden Menz. – Erstes Bändchen mit Kupfern von W. Jury. – wegen ihres flüchtigen Lesens „den Zucker ablecken, Magdeburg: bey Wilhelm Heinrich Heinrichshofen, und die darinne verborgene Arzney liegen lassen“). 1810.– 308 S. 16 x 10 cm. Salzmann geht es vielmehr um die „Kunst, durch Er- Frontispiz von Wilhelm Jury. zählung zu unterrichten“, daher sollen die Eltern und Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Erzieher selbst erzählen nach seinem Muster, das die Der Band enthält einen kleinen Roman mit der Ge- jeweilige Moral in die Handlungsverläufe „einwebt“. schichte vom blinden Gottlob, der nach dem Tod des In großer Breite der Themen geht es um Körper, See- Vaters die Familie mit seinem Violinspiel erhält und le, Verstand, Wille, vor allem um Tugenden und Un- am Ende durch eine Operation doch noch sehend wird, tugenden (u.a. Mäßigkeit, Arbeitsamkeit, Bescheiden- sowie von der blinden Albertine, seiner Jugendfreun- heit bzw. Unmäßigkeit, Faulheit, Hochmut) und um din, die am Ende auf die Heirat mit Gottlob verzich- die Leidenschaften. Der Erfolg des Buches dürfte auch ten muss. Beide Geschichten bieten für Kinder Iden- auf die zahlreichen Kupfer von Chodowiecki zurück- tifikationsfiguren und Szenen, die das „Herz“ (s. Titel) zuführen sein, die zu Recht berühmt geworden sind. rühren. Passend für das Konzept einer „moralischen W.W. Kinderbibliothek“ ist der kleine Roman insofern, als am Beispiel Gottlobs demonstriert wird, dass Gott „die 180 Christoph Ludwig Lotter: Frömmigkeit eines guten Kinds schon hier auf Erden Schule der Weisheit und Tugend. Eine Auswahl vor- belohnt“ (S. 222) und dass auch dann, wenn Wün- züglich schöner Parabeln und anderer moralischer Er- sche sich nicht erfüllen (wie im Fall der Albertine), zählungen. Ein Geschenk für die Jugend. Nebst ei- das Vertrauen in die „göttliche Fügung“ (S. 89) nicht nem Titelkupfer und einer Erklärung der im Buch enttäuscht wird. vorkommenden fremden Wörter. – Stuttgart: bey Jo- J.V. hann Friedrich Steinkopf. 1805. – XVI, 256 S. 18 x 11 cm. 182 Christian Gotthilf Salzmann: Ohne Verfasserangabe. Mit einem Frontispiz von Heinrich Gottschalk in seiner Familie, oder erster Re- D’Argent, betitelt ‚Der gerettete Jüngling‘. Spätere ligionsunterricht für Kinder von 10 bis 12 Jahren, von Ausgaben wurden herausgegeben von Rudolph Chris- C. G. Salzmann. – Schnepfenthal: in der Buchhand- tian Lossius, Bruder von Kaspar Friedrich Lossius. lung der Erziehungsanstalt, 1804. – (2) 396 S. 17 x Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 10 cm. Eine Sammlung von 100 Erzähltexten unterschiedli- Im Exemplar der Vordemann-Sammlung auf dem Ti- cher Autoren (Herder, Krummacher, Pfeffel, Gleim, telblatt handschriftlich hinzugefügt: ,1. Ausgabe!‘ Sailer, v. Kleist, Geßner, Gellert u.a.), bei deren Aus- Vordemann-Sammlung wahl „Religiosität und die aus derselben hervorgehen- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (weitere de ächte und feine Sittlichkeit“ die leitenden „Gesichts- Ausgaben vorhanden) punkte“ waren (S. IX). Der Herausgeber vertraut dar- Zweiter Teil des Religionsunterrichts für Kinder; wie auf, dass „zur Erweckung des Gefühls für das Gute, im ersten Teil (Erster Unterricht in der Sittenlehre für bey jungen Gemüthern nichts so vieles wirke, als ver- Kinder von acht bis zehn Jahren 1803) wird der Rah-

155 „DIE ARBEIT IST SCHWER, SIE IST WICHTIG, UND HAT DIE GRÖSSTEN FOLGEN AUF DAS GANZE LEBEN“ men durch die Kaufmannsfamilie Ehrenfried gebil- 3. ..., welcher den Unterricht in den vorzüglichsten det. Der Großvater Heinrich Gottschalk und der Wahrheiten der christlichen Religion enthält. Mit Hauslehrer bringen den Kindern religiöse Grundsät- 3 Kupfern. – 288 S. [1. Ex.] ze einer natürlichen Gotteslehre durch Erzählungen Theil 1 mit einem Frontispiz, Porträt Lossius’, von Carl nahe. F. Weiland, gestochen von Johann C. Böhme und 4 M.H. Kupfern von Johann D. Schubert, gestochen von Daniel Berger, Meno Haas und Christian F. Stölzel. Theil 2 mit 183 Kaspar Friedrich Lossius: einem Titelkupfer von Schubert, gestochen von Johann Gumal und Lina: Eine Geschichte für Kinder, zum Fr. Bolt. Theil 3 mit einem Titelkupfer von Schubert, Unterricht und Vergnügen, besonders um ihnen die gestochen von Bolt und 2 Kupfern von Schubert, ge- ersten Religionsbegriffe beizubringen, von Kaspar stochen von Meno Haas und Gottlob Boettger sen. Friedrich Lossius. – Neue verbesserte Auflage. Erster Von Theil 3 ist ein zweite Exemplar vorhanden, das – Zweyter Theil. – Gotha: bei Justus Perthes, 1809. – ein anderes, unsigniertes Titelkupfer enthält. 18 x 11 cm. Vordemann-Sammlung 1. Mit 4 Kupfern und des Verfassers Bildnis. – X, 300 S. Religiöses Lesebuch zur selbstständigen Lektüre für 2. Mit einem Kupfer. – 320 S. Kinder. Das Buch will ein Muster des „erzählenden Theil 1 mit einem Frontispiz, Porträt des Verfassers Religionsunterrichts“ sein und die Kinder auf die von Carl F. Weiland, gestochen von Johann C. Bock „wichtigsten Wahrheiten der christlichen Religion“ und 4 Kupfern von Johann David Schubert, gesto- vorbereiten (Brüggemann/Ewers 1982, Sp. 1436). Die chen von Meno Haas. Theil 2 mit einem Titelkupfer einer bürgerlich-utilitaristischen Ethik verpflichteten von Schubert, gestochen von Johann Fr. Bolt. moralischen und religiösen Unterweisungen werden Die Erstausgaben der drei Bände erschienen 1795, in eine robinsonähnliche, in Afrika angesiedelte 1798 und 1800; bei den hier vorliegenden Bänden Abenteuererzählung gefasst: Lossius dachte sich ,,an handelt es sich um die dritte Auflage. die Stelle eines christlichen Greises, der in einer einsa- Vordemann-Sammlung men schönen Gegend Gelegenheit fand, Kindern die noch keine richtige und gegründete Erkenntniß von 184 Kaspar Friedrich Lossius: Gott und den Wahrheiten der Religion hatten, diese Gumal und Lina. Eine Geschichte für Kinder, zum so nach und nach beizubringen und eine Gesellschaft Unterricht und Vergnügen, besonders um ihnen die von Verehrern Gottes nach christlichen Grundsätzen ersten Religionsbegriffe beizubringen, von Kaspar um sich zu versammeln“ (Vorrede). Friedrich Lossius. – Siebente rechtmäßige Auflage. Neben abstrakten Begriffen und Gedanken aus dem Theil 1–3. – Gotha: bei Justus Perthes, 1827. – 16,5 x religiösen Bereich werden im Rahmen der Erzählung 10,5 cm. auch gesellschaftsutopische Ideen entwickelt, die den 1. ..., welcher den einleitenden Unterricht in den vor- jugendlichen Lesern in Beispielgeschichten sinnlich züglichsten Wahrheiten der christlichen Religion fassbar vermittelt werden sollen. Auch allgemeine enthält. Mit des Verfassers Bildnis und 4 Kupfern. moralische Lehren sind weniger auf vernunftgemäße – X, 304 S. Einsicht als vielmehr auf christliches Gedankengut 2. ..., welcher den einleitenden Unterricht in den gegründet – damit löst sich das Werk bereits von auf- Wahrheiten der christlichen Religion enthält. Mit klärerischen Überzeugungen. einem Kupfer. – 320 S. M.H.

156 VON DORTGENS REISE ZUR NATURGESCHICHTE FÜR KINDER. GÖTTINGER KINDERLITERATUR AUS DEM UMKREIS DER JUNGEN UNIVERSITÄT

August Ludwig (von) Schlözer als öffentlichung seiner Kinderbücher meist nur um Kinderbuchautor den Auftakt für ein nicht weitergeführtes Projekt. Baurs Aufzählung von Schlözers Kinder- und Friedrich Hassenstein Jugendschriften ist beinahe vollständig. Zu ergän- zen ist, dass dieser als junger Vater kleine Lese- Übungsbücher für seine Kinder drucken ließ. August Ludwig Schlözer (1735–1809), seit 1804 Eines davon, der vierjährigen Dorothea zuge- von Schlözer, war einer der Professoren der dacht, verdient Aufmerksamkeit: Dortgens Reise Georgia Augusta, die Göttingens Universität im von Göttingen nach Franken und wieder zurück achtzehnten Jahrhundert den Ruf bescherten, eine (Exp.-Nr. 185). Der anonyme Verfasser fingiert der besten, wenn nicht die führende Europas zu ein Kindertagebuch, wobei er die Sprache und sein. Seine historischen und staatswissenschaftli- die Erlebnisweise eines kleinen Mädchens einfühl- chen Vorlesungen lockten zahlreiche Studenten sam nachzuahmen versteht. aus dem In- und Ausland nach Göttingen, und Samuel Baur nennt als erstes das Leben Hei- die von ihm herausgegebenen politischen Zeit- neckens. Dieses umfangreiche, in ansehnlicher schriften wurden im ganzen deutschen Sprach- Aufmachung und anonym publizierte Buch ent- gebiet, so auch am Wiener Kaiserhof, gelesen und hält die kindgemäße Bearbeitung eines fünfzig zuweilen gefürchtet. Jahre zuvor erschienenen Werkes, das erwachse- Aber auch als Pädagoge war Schlözer zu sei- nen Lesern zugedacht gewesen war. Schlözer gab ner Zeit prominent. Er führte einen erbitterten ihm den Titel: Leben, Thaten, Reisen und Tod ei- publizistischen Krieg gegen die Pädagogik der Phi- nes sehr klugen und sehr artigen 4jährigen Kindes lanthropen, besonders gegen Johann Basedow, Christian Henrich Heineken aus Lübeck (Exp.-Nr. und verstand sein berühmtes Erziehungsexperi- 186). Es handelt sich um die umständlich und ment, dessen Ergebnis das philosophische Dok- erbaulich erzählte Lebensgeschichte eines früh- torat seiner siebzehnjährigen Tochter Dorothea verstorbenen gelehrten Wunderkindes. Deren war, als öffentlichen Nachweis der Richtigkeit Lektüre, meinte Schlözer, würde zehnjährige Le- seiner Theorie. ser darin schulen, eine Folge von Ereignissen in Ein anderes Feld von Schlözers pädagogischer ihrem Zusammenhang zu erfassen, also sich in Aktivität war seine Produktion von Kinder- und historisches Verstehen einzuüben. Jugendschriften. Deren Voraussetzungen, Metho- Mithin hätte Schlözer seinem Heineken auch den und Ziele erläuterte er in ausführlichen Vor- den Titel Vorbereitung zur Weltgeschichte für Kin- und Nachreden. So lobte denn auch das damals der (Exp.-Nr. 189) geben können. Diesen hat er maßgebliche Handbuch der „Erziehungsschrift- jedoch einem anderen Buch vorbehalten, das im steller Deutschlands“1 – der anonyme Verfasser gleichen Jahr 1779 erschien und das gleiche Ziel war Samuel Baur – Schlözers Bücher wegen ihrer verfolgte – nun allerdings auf einem ganz ande- Originalität, ihres Stils, ihres Ideenreichtums und ren Wege. Die als unscheinbares Duodezbänd- ihrer Thematik: „Überall sind Tatsachen und Bei- chen gedruckte Vorbereitung erzählt einer zehn- spiele zweckmäßig ausgesucht, [...] entdeckt man jährigen „Adelheid“ keine einzelne Lebensge- die Meisterhand: das Leben Heineckens, die Vor- schichte, sondern das Allgemeinste: wie die Erde bereitung zur Weltgeschichte, das Neujahrs- erschaffen wurde, wie sich auf ihr das Leben in geschenk aus Jamaika und das aus Westphalen Pflanzen-, Tier- und Menschengestalt ausbreite- dürfen in keiner auserlesenen Kinderbibliothek te und wie schließlich sich der Mensch zum ge- fehlen.“ Allerdings fügte der Autor gleich hinzu: sellschaftlichen Wesen entwickelte. Der Autor „Wenn uns der Herr Schlözer nicht so oft setzt bei der Leserin, hinter der sich wohl seine vergebens nach den Fortsetzungen schmachten Tochter Dorothea verbirgt, beträchtliches Schul- ließe!“2 Tatsächlich handelte es sich bei der Ver- wissen voraus, vor allem in biblischer Geschichte

157 VON DORTGENS REISE ZUR NATURGESCHICHTE FÜR KINDER

und Geografie. Das Büchlein ist für Privatlektü- radikalen Reformators ist in eine Beschreibung re gedacht, doch darf ein Hauslehrer behilflich seines Wiedertäuferstaates eingebettet, dessen Be- sein. Diesem gibt der Autor methodische Rat- wohner dem Autor Anlass zu massenpsychologi- schläge, die aber keine „Instruktionen“ sein sol- schen Betrachtungen geben. Dem jungen Leser len (Vorrede). Die übliche moralisierende Ge- werden derbe Schilderungen von Grausamkeiten schichtsbetrachtung lehnt Schlözer aus pädago- und sexuellen Ausschweifungen zugemutet. Iro- gischen Gründen ab, erwartet aber vom Erwerb nisch mildert der Autor seine grobe Sprache, in- historischen Wissens, dass ein solches dem Ver- dem er der Erzählung ein angebliches Druckfeh- Abb. 61 ständnis der Gegenwart dienlich sein werde. lerverzeichnis voranstellt. Darin fordert er den Le- Aus Schlözers Besonders lebendig und anschaulich wird die ser auf, anstößige Wörter durch weniger „arge“ Neujahrsgeschenk aus Darstellung, sobald es um kulturgeschichtliche zu ersetzen, z.B. „geiler Bock“ durch „Unchrist“ Jamaika (1780); Nr. 194. Fakten wie Erfindungen und Entdeckungen geht. (Vorrede, Postscriptum). Im letzten Abschnitt wird Schlözer abstrakt und Im Übrigen dient die alte Geschichte aus entwirft einen chronologischen Grundriss der Münster als Exempel für aktuelle politische Ver- Weltgeschichte, die er in sechs „Stationen“, ge- hältnisse. Der Autor will vor revolutionären meint sind Perioden, aufgliedert. Die erste, „Ur- Umtrieben in Frankreich, Holland und im ab- welt“ genannt, war Gegenstand des Buches. Es trünnigen britischen Nordamerika warnen, die wurde viel gelesen und in einige Fremdsprachen in seiner Sicht das Werk gemeingefährlicher Auf- übersetzt. Die sechste, „hin und wieder verän- rührer von der Art des Wiedertäuferkönigs sind. derte“ Auflage (Exp.-Nr. 190, 191) erschien zu- Erst im Jahre 1806 ließ der über siebzigjährige sammen mit dem zweiten und zugleich letzten Schlözer zusammen mit der sechsten, aktualisier- Teil des Werkes drei Jahre vor Schlözers Tod im ten Auflage des ersten Teils den zweiten seiner Jahre 1806. Davon wird weiter unten die Rede Vorbereitung der Weltgeschichte für Kinder (Exp.- sein. Nr. 190, 191) erscheinen. Dieser lieferte in chro- Vorerst wandte sich Schlözer einem neuen nologischer Hinsicht keine Fortsetzung, behan- Projekt zu, nämlich den Büchlein, die er NeuJahrs- delt vielmehr den Stoff des ersten ein zweites Mal, Geschenke nannte. Auch in diesem Fall blieb es nun aber auf höherer Reflexionsstufe und mit bei zwei von einer großen Anzahl geplanter Aus- neuen Beispielen. Die fiktive Leserin Adelheid ist gaben. Im Jahr 1780, also nur ein Jahr nach dem jetzt etwa vierzehn Jahre alt. Der Autor berück- Heineken und der Vorbereitung, erschien wieder- sichtigt neue Ergebnisse der Bibelkritik und der um als Duodezbändchen und ohne Verfasserna- Naturwissenschaften, diskutiert Grundbegriffe men das NeuJahrs-Geschenk aus Jamaika (Exp.- wie „Kultur“ und „Entwicklung“, unterhält aber Nr. 194). Der Autor, der von den Lesern sogleich seine weibliche Leserschaft auch mit lebensna- identifiziert wurde, vermittelt darin einem ange- hen Exkursen, etwa wenn er mehrere Seiten der sprochenen „Kind in Europa“, zehn Jahre alt und Kunst des Strickens widmet.3 Mädchen hätten, vermutlich Schlözers ältester Sohn, in fingierten meint Schlözer, mehr Neigung zum „Geschichts- Reisebriefen ein einprägsames Bild der britischen studium“ als Jungen, und zwar wegen ihrer „an- Inselkolonie. Er widmet sich geografischen, öko- geborenen Neugier“ und ihrer Fähigkeit, sich viele nomischen und sozialen Aspekten und erweist Namen zu merken. Hieran habe sie die „unend- sich als Verfechter aufgeklärter Humanität, in- lich weitläufige Nomenclatur ihrer Garderobe“ dem er den Sklavenhandel als Verbrechen anpran- gewöhnt.4 Schlözers Kritiker hielten allerdings gert. Das NeuJahrs-Geschenk aus Jamaika fand dagegen, Jungen seien zu intelligent, um an sei- Aufnahme in Campes Kleine Kinderbibliothek ner Schreibart Gefallen zu finden. (vgl. Exp.-Nr. 151) und war ein Vorläufer der Die beiden Bände der Vorbereitung brachten vielen Reiseerzählungen, die in der Folgezeit für aber auch ganz andere Töne. Des alten Schlözer Kinder geschrieben wurden. Verbitterung über den Untergang des römisch- Schlözers zweites NeuJahrs-Geschenk (Exp.-Nr. deutschen Kaiserreichs, und die napoleonische 195) erschien vier Jahre später und war eines „aus Fremdherrschaft fand in einigen Sätzen des zwei- Westfalen für einen deutschen Knaben“ (Exp.- ten Teils so leidenschaftlichen Ausdruck, dass der Nr. 195, 196). Es erzählt die „Geschichte des erschrockene Göttinger Verleger, Carl Ruprecht, Schneider- und Schwärmerkönigs, Jan van staatliche Repressalien befürchtete. Er veranlass- Leyden, in Münster anno 1535“. Das Porträt des te den Autor, vier bereits gedruckte Seiten, die als

158 AUGUST LUDWIG (VON) SCHLÖZER ALS KINDERBUCHAUTOR

Aufruf zum Widerstand gelesen werden konn- Auswüchse des Feudalismus änderte nichts an ten, gegen gemäßigtere auszuwechseln. seiner Verehrung des monarchischen Prinzips. Immerhin hatte es im getilgten Text gehei- Sein Abscheu vor kolonialer Ausbeutung war für ßen: „[D]a deutsche sogenannte Männer schwei- ihn kein Grund, das Streben der Nordamerikaner gen, so müssen Weiber, Mädchen und Jungen nach Unabhängigkeit gutzuheißen. Schlözer ver- schreien“.5 Übrigens haben die ausgetauschten kündete, von der biblischen Schöpfungsgeschich- vier Seiten einige Schlözerforscher zu dem Irr- te ausgehend, die Gleichheit aller Menschen und tum verleitet, der zweite Band einer Schlözer’schen nannte z.B. die Sklaven auf Jamaika seine Weltgeschichte (Exp.-Nr. 190–191) sei verboten „schwarzen Brüder“.9 Seine Beschreibungen von und eingestampft worden.6 Menschen anderer Rassen geraten jedoch zu Ka- Ein Herold nationaler Einheit und republi- kanischer Freiheit ist Schlözer nie gewesen. Seine Kinder- und Jugendbücher verdienen aus ande- ren Gründen Respekt. Er verstand es, lebendig, bisweilen packend, zu erzählen. Er bewies oft Witz und Humor, wobei jedoch sein Hang zu hinter- gründiger Ironie und satirischen Seitenhieben der Kindertümlichkeit in die Quere kommen konn- te. Die Originalität seiner Themen wurde früh gerühmt, ebenso sein Geschick, komplizierte Tat- bestände und abstrakte Erwägungen durch Bei- spiele und Vergleiche anschaulich zu machen. Er wusste jedoch auch, wo er dabei an Grenzen stieß, etwa wenn es um Begriffe wie „Unendlichkeit“ und „Ewigkeit“ ging. So schrieb er: „Ewig ist von vorne, was nie einen Anfang genommen hat; ewig ist für die Folge, was nie ein Ende nehmen wird. Gestehe mir ehrlich, Adelheid, was denkst du bei diesen Worten? Und kannst du was dabei den- ken? Ich nicht.“7 Das Zitat zeigt: Schlözer be- herrschte die Technik des fiktiven Gesprächs zwi- schen Autor und Leser. Schlözer kritisierte den Missbrauch der Ge- schichte als Schule der Moral, erteilte aber doch gern väterliche Ratschläge, etwa wenn er seine jungen Leserinnen vor der Mode des Dekolletés warnte, weil diese der Gesundheit schade. Mo- derner klingt sein erklärtes Ziel, junge Mädchen zu befähigen, kritisch Zeitung zu lesen.8 Ge- schichtskenntnisse sollten ja die Gegenwart durchschaubar machen. Leitlinien waren dabei Ideale der Aufklärung: Toleranz, Pressefreiheit, Gleichheit vor dem Gesetz, soziales Mitgefühl. Gegenkräfte wie die Inquisition der römischen Kirche oder der Missbrauch feudaler Privilegien verfielen beißender Kritik. Spannungen und Widersprüche in dem von rikaturen. Für Notleidende und Entrechtete zeigt Abb. 62 Schlözer vermittelten Geschichtsbild sind nicht er Mitgefühl, aber wenn sie sich gegen ihre Un- August Ludwig von zu übersehen. Er war ja nicht nur ein Aufklärer, terdrücker wehren, werden sie für ihn zu „Pöbel“ Schlözer, Porträt von sondern zugleich obrigkeitsfrommer Lutheraner, und ihre Anführer zu „Schwärmern“ und „Ket- Johann Elias Haid (1779); deutscher Reichspatriot und loyaler Untertan der zern“. „Aber wenn du hörst, daß einer theore- Sammlung Voit. britisch-hannoverschen Krone. Sein Zorn auf tisch und praktisch lert, ‚ich brauche keiner Ob-

159 VON DORTGENS REISE ZUR NATURGESCHICHTE FÜR KINDER rigkeit zu gehorchen; ich darf einem jeden das schichtsbuches im 18. Jahrhundert, in: Die Seinige nemen; ich darf einem jeden den Kopf Schiefertafel 4 (1981), H. 1/2, S. 25–47. einschlagen, wenn mich der Geist treibt‘: da, deut- GOEDEKE, KARL: Grundriss der deutschen Dichtung, scher Junge, wehre dich gegen einen solchen Bd. 6, 2., ganz neu bearb. Aufl., Dresden Kätzer; schlage zu, haue ein, was das Zeug halten 1898. will.“10 Dieser Appell Schlözers an den jungen HASSENSTEIN, FRIEDRICH: Wurde Schlözers „Welt- Leser seiner Wiedertäufergeschichte offenbart den geschichte“ eingestampft? Bibliographische Hin- emotionalen Nährboden seines Argumentierens. tergründe einer Legende, in: Lichtenberg-Jahr- Wenn man die geläufigen Epochenbegriffe her- buch 1989, S. 70–79. anziehen möchte, kann man Schlözer als einen [SCHLÖZER, AUGUST LUDWIG VON:] Dortgens Rei- Autor bezeichnen, der Ideen der Aufklärung mit se von Göttingen nach Franken und zurück, dem Temperament und in der Sprache eines Göttingen [1774]. Sturm- und Drang-Literaten zum Ausdruck [DERS.:] Leben, Thaten, Reisen und Tod eines sehr brachte. klugen und sehr artigen 4jährigen Kindes Chris- Schlözers Kinder- und Jugendschriften wur- tian Henrich Heineken aus Lübeck, beschrie- den nach seinem Tode nicht mehr gedruckt. Wie ben von seinem Lehrer Christian von Schön- es im weiteren Verlauf des neunzehnten Jahrhun- eich, 2. veränd. Aufl., Göttingen 1779. derts um ihr Andenken stand, belegt Karl Goe- [DERS.:] Vorbereitung zur Weltgeschichte für Kin- dekes Verdikt: „in rohem Stil hingeworfene Schar- der, Theil l, Göttingen 1779. teken“.11 Das zwanzigste Jahrhundert brachte [DERS.:] NeuJahrs-Geschenk aus Jamaika in freundlichere Stimmen, besonders in der DDR. WestIndien für ein Kind in Europa, Göttingen Dort wurden Schlözers konservative Züge baga- 1780. tellisiert, weil er als fortschrittlicher Autor zu gel- [DERS.:] NeuJahrs-Geschenk aus Westfalen für ei- ten hatte.12 Die westdeutsche Jugendbuchfor- nen deutschen Knaben. Stück l, Geschichte des schung urteilte, soweit sie Schlözer zur Kenntnis Schneider- und SchwärmerKönigs, Jan van nahm, ausgewogener.13 Für den Leser von heute Leyden, in Münster: A. 1535, Göttingen 1784. ist es schwierig, sich ein eigenes Bild zu machen, [DERS.:] Vorbereitung zur WeltGeschichte für Kin- denn von den lesenswerten Vorbereitungen und der, 6., hin und wieder veränd. Aufl., Theil l, NeuJahrs-Geschenken gibt es nach wie vor keinen Göttingen 1806. Neudruck. [DERS.:] Vorbereitung zur WeltGeschichte für Kin- der. Theil 2. I UrWelt, bis zur SündFlut. An- Literaturverzeichnis: fang der Dinge: mehr Raisonnement, als Ge- [BAUR, SAMUEL:] Charakteristik der Erziehungs- schichte, Göttingen 1806. schriftsteller Deutschlands. Ein Handbuch für SCHMIDT, EGON: Die deutsche Kinder- und Jugend- Erzieher, Leipzig 1790. literatur von der Mitte des 18. bis zum Anfang BRÜGGEMANN, THEODOR/EWERS, HANS-HEINO des 19. Jahrhunderts, Berlin 1974, S. 65–66, (HRSG.): Handbuch zur Kinder- und Jugend- 93–95. literatur. Von 1750 bis 1800, Stuttgart 1982. BRUNKEN, OTTO: August Ludwig von Schlözer Anmerkungen (1735–1809): Vorbereitung zur Weltgeschich- 1 Baur 1790. te für Kinder, T. 1 (1779), in: Brüggemann/ 2 Ebd., S. 414. Ewers 1982, Sp. 1033–1039. 3 Schlözer 1806, Theil 2, S. 104–108. DERS.: August Ludwig von Schlözer (1735–1809): 4 Schlözer 1806, Theil 1, Nachschrift, unpag. Neu Jahrs-Geschenk aus Westfalen für einen 5 Schlözer 1806, Theil 2, S. 75-78. deutschen Knaben, St. 1 (1784), in: Brügge- 6 Vgl. Hassenstein 1989. mann/Ewers 1982, Sp. 1094–1098. 7 Schlözer 1806, Theil 2, S. 20. DERS.: [Schlözer Titelverzeichnis], in: Brügge- 8 Ebd., Nachschrift, unpag. mann/Ewers 1982, Sp. 1511–1513. 9 Schlözer 1780, S. 47. DERS.: Der Professor aus Göttingen und die rappel- 10 Schlözer 1784, S. 24f. köpfigen Bauern. Zu drei bemerkenswerten his- 11 Goedeke 1898, S. 277. torischen Kinderbüchern August Ludwig von 12 Vgl. Schmidt 1974. Schlözers (1735–1809) im Kontext des Ge- 13 Vgl. Brunken 1982.

160 Sprechende Tiere und mechanische der aus Den Haag stammende Buchdrucker Ab- Unterhaltungen. Kinder- und raham Vandenhoeck für die Georg-August-Uni- Jugendbücher Göttinger Autoren versität vertraglich verpflichtet. Er erhielt den pri- vilegierten Status eines Universitäts-Buchdruckers Wolfgang Vetter und -Buchhändlers. Für einige Jahre hatte sein Geschäft eine nahezu monopolartige Stellung, was ihn aber nicht vor finanziellen Schwierigkei- Der vorzügliche Ruf, den die Georg-August-Uni- ten in der Anlaufphase bewahrte. Abraham Van- versität schon wenige Jahrzehnte nach ihrer Grün- denhoeck starb 1750, seine Witwe Anna führte dung in Deutschland und weit darüber hinaus die Verlagsbuchhandlung erfolgreich fort, zusam- genoss, gründete in der bis dahin in dieser Form men mit dem seit 1748 in der Firma angestellten einmaligen Garantie der Lehrfreiheit, dem bedeu- Geschäftsführer Carl Friedrich Günther Rup- tenden Bestand der Universitätsbibliothek, der recht. Nach Annas Tod 1787 übernahm dieser Vielzahl der wissenschaftlichen Institute, der Re- als Erbe die Firma. Bei Vandenhoeck und Rup- putation der Professoren, der großzügigen Finanz- recht veröffentlichten viele der bekanntesten ausstattung sowie den Studenten, den vielen Göttinger Professoren wie der Orientalist Johann Händlern, Gewerbetreibenden und Handwer- David Michaelis, der Staatsrechtler Johann Stephan kern, die im weitesten Sinne als Dienstleister für Pütter, der Mathematiker Abraham Gotthelf den akademischen Betrieb arbeiteten. All das Kästner und August Ludwig (von) Schlözer.4 An- schuf eine Atmosphäre außergewöhnlicher wis- dere Buchhändler und -drucker, die die hanno- senschaftlicher Gelehrsamkeit und publizistischer versche Regierung ebenfalls zwischenzeitlich nach Aktivitäten.1 Göttingen holte, waren nicht so erfolgreich.5 Es erschienen in Göttingen neben den zahl- Erst 1765 bekam Vandenhoeck mit Johann reichen wissenschaftlichen Werken in dieser Zeit Christian Dieterich, der bereits in Gotha eine nicht nur diverse Wochenschriften, Journale und Buchhandlung führte, einen ernstzunehmenden Almanache, sondern auch Bücher, die für Kin- Mitbewerber. Dieterich erhielt das Privileg eines der aller Altersstufen geschrieben wurden; zu den Universitätsbuchhändlers, und bald veröffentlich- Autoren zählten nicht nur Professoren, die in ten auch bei ihm zahlreiche Göttinger Professo- Göttingen lehrten, wie August Ludwig (von) ren. 1770 erschien bei Dieterich das erste Bänd- Schlözer und Johann Peter Miller, sondern auch chen des weithin bekannten Göttinger Musenal- Autoren, die nach ihrer Göttingen Studienzeit manachs, später auch der Göttinger Taschen entweder hier geblieben waren, wie etwa Georg Calender und ab 1777 auch 62 Bände der Göt- Christian Raff, Lehrer am Göttinger Lyceum, oder tingischen Gelehrten Anzeigen. Der rührige Verle- nun an anderen Orten lebten, aber in Göttinger ger und langjährige Freund Lichtenbergs enga- Verlagen publizierten, wie etwa Johann Carl gierte für die Illustrierung der bei ihm veröffent- Tutenberg und Anton Rudolph Warlich. Zu er- lichten Titel bekannte Kupferstecher, wie bei- wähnen ist schließlich auch eine der sogenann- spielsweise Daniel Chodowiecki und den Göttin- ten Göttinger Universitätsmamsellen2, Philippine ger Ernst Ludwig Riepenhausen. 1779 erwarb er Engelhard, Tochter von Professor Johann Chris- das Haus an der Ecke Gothmer Strasse / Vor der toph Gatterer, mit ihrem Neujahrsgeschenk für lie- Mühlen Pforte, das heutige Lichtenberg-Haus.6 be Kinder (Exp.-Nr. 213). Dieterich starb im Jahre 1800.7 Gerlach Adolph Freiherr von Münchhausen, Am Ende des achtzehnten Jahrhunderts ge- der konsequent und beharrlich die Gründung der hörte Göttingen zu den ersten zehn Buchhandels- Universität geplant hatte und deren weiteren städten im Deutschen Reich dank der beiden Aufbau mit einem für heutige Verhältnisse gera- Verlage Vandenhoek & Ruprecht und Dieterich, dezu atemberaubendem Tempo vorantrieb, hat- die in ihren Sortimenten selbstverständlich auch te von Beginn an erkannt, dass zu einer moder- Kinder- und Jugendbücher führten. Einer der nen Universität auch eine leistungsfähige und gut Dieterich’schen ‚Stammautoren‘ war Georg Chris- ausgestattete Universalbibliothek gehört, die For- tian Raff. schung und Lehre erst in optimaler Weise mög- lich machte.3 Ein weiterer wichtiger Faktor wa- Georg Christian Raff (1748–1788) ren Buchdrucker und Buchhändler. 1735 wurde Raff war trotz seiner kurzen Lebenszeit einer der

161 VON DORTGENS REISE ZUR NATURGESCHICHTE FÜR KINDER erfolgreichsten Jugendschriftsteller seiner Zeit. Niebuhr (1733–1815), Christian Conrad Spren- Geboren in Stuttgart, kam er zu Ostern 1771 als gel (1750–1816), Georg Forster (1754–1794) Student nach Göttingen, wo er bei Johann Peter und James Cook (1728–1779). Miller (s. u.) Theologie, bei Johann Georg Hein- Die Geographie für Kinder behandelt im Rah- rich Feder Philosophie, bei Johann Christoph men einer fiktiven Reise auf der Landkarte die Gatterer Geschichte und bei Johann Christian verschiedenen europäischen Länder, die mehr Polycarp Erxleben Naturgeschichte studierte. Auf oder weniger ausführlich, je nach der Wichtig- Empfehlung der theologischen Fakultät erhielt er keit, die ihnen der Autor beimisst, beschrieben zunächst eine Realschullehrerstelle am Waisen- werden.13 Die Vermittlung des Lehrstoffs erfolgt, haus in Göttingen, dann, nachdem die Schule wie immer bei Raff, durch die dialogische Form, den Betrieb eingestellt hatte, arbeitete er ab 1775 hier im Gespräch zwischen Herrn R. und den als Konrektor am Göttinger Lyceum, unterrich- Kindern Lotchen, Ludwig, Philipp, Wilhelm und tete dort Geografie und Geschichte und lehrte Wilhelminchen. Bei den einzelnen Ländern wer- außerdem als Privatdozent an der philosophischen den zumeist die Größe, Landesteile und Provin- Fakultät. 1782 heiratete Raff Regine Sophie Fin- zen dargestellt, Städte, Flüsse, Herrscher, Tier- ken, Tochter eines Göttinger Rechtsanwalts. Die und Pflanzenwelt, Bodenschätze und historische Arbeit an seinen Werken musste er immer wie- Ereignisse benannt und gelegentlich kurz be- der wegen einer hartnäckigen Augenkrankheit schrieben. Die vielen kleineren Einzelheiten be- unterbrechen. 1788 starb Raff an den Folgen der tonen auf unterhaltsame Weise die Vielfalt der Gelbsucht.8 dargestellten Welt. Den Text ergänzen Anmer- 1776 erschien mit der Geographie für Kinder kungen, in denen den Lehrern oftmals methodi- (Exp.-Nr. 201, Erstausgabe) bei Dieterich das ers- sche Hinweise zur Stoffvermittlung gegeben wer- te seiner Lehrbücher für Kinder, nachdem Pro- den. Bei der Beschreibung von Eigenarten der fessor Gatterer, der selbst einen Abriß der Geogra- Bevölkerung fließen in die sonst sachliche Dar- phie verfasst hatte, der Veröffentlichung zuge- stellung öfter subjektive Wertungen ein, so ist die stimmt hatte. Entsprechend den Generalstatuten Rede von den geduldigen und fleißigen Hollän- der Universität fungierten damals die Dekane der dern,14 von den Engländern heißt es, sie seien jeweiligen Fakultäten als Zensoren gegenüber al- „brave, ernsthafte und billige Leute“,15 und die len nichtuniversitären Veröffentlichungen, die in Spanier, ebenso wie die Portugiesen, seien zu faul der Stadt gedruckt wurden, und waren für diese für den Ackerbau16. Deutschland beschreibt Raff Tätigkeit gegenüber der Landesregierung in Han- als „eins der besten Länder in Europa. Es hat fast nover verantwortlich.9 in allen Gegenden gute und gesunde Luft. Es ist In seiner Vorrede wies Professor Feder auf die fruchtbar und mit allem reichlich versehen, was pädagogische Kompetenz hin, die Raff offenbar zur Nothdurft und Bequemlichkeit des Lebens schon beim Unterricht in Feders Haus bewiesen gehört“.17 Über Göttingen schreibt Raff, die Stadt hatte. Für Feder stellt die Geografie „die natür- liege „in einem großen und fruchtbaren Thal an lichste Grundlage des größten Theiles unserer der neuen Leine“18 und sei durch die Gründung Kenntnisse“10 dar, der Geschichte, Naturlehre, der Universität weltberühmt geworden. „Die Größenlehre, Religion und Sittenlehre. Bei der Stadt hat viele schöne Häuser und bekömt immer Vermittlung des Lehrstoffes seien zwei Regeln zu noch mehrere neue Gebäude. Die Strassen sind beachten: „die rechte Auswahl der Sachen zu tref- gut gepflastert. In der Mitten wird gefahren, und fen, und die rechte Sprache zu reden“.11 Zwar sei vor den Häusern sind Fusbänke von breiten Stei- das Werk vornehmlich zur eigenen Lektüre be- nen. Des Nachts werden die Strassen mit Later- stimmt, ein Lehrer sei aber „unterdessen immer nen erleuchtet. Nahe dem einen Ende der Stadt dabey nöthig; und auf Erläuterungen und Zusät- ist eine Allee von Ulmenbäumen. [...] Der Wall, ze desselben konnte daher und musste gerechnet um welchen man in einer starken halben Stunde werden“.12 kommen kann, ist mit Lindenbäumen besezt, und Raff stützt sich bei seiner Darstellung auf die für die Studierenden, und jeden Einwohner ein Schriften von Geografen, Biologen, Chemikern, vortreflicher Ort zum spazieren gehen. Die Aus- Astronomen und Weltreisenden, namentlich: sicht auf demselben ist abwechselnd, und wegen Anton Friedrich Büsching (1724–1793), der zwi- der rund um die Stadt liegenden Gärten sehr rei- schen 1754 und 1761 in Göttingen lehrte, Carsten zend“.19

162 SPRECHENDE TIERE UND MECHANISCHE UNTERHALTUNGEN

Die Geographie für Kinder war ein Erfolg. Bis Elefantenzähne aussehen [...] ich wohne im Eis- 1786 erfuhr das Werk fünf Auflagen. Im Tübinger meer bei Spitzbergen, Grönland und der Hud- Verlag von Frank und Schramm erschienen 1786 sonbai, brülle wie ein Ochs, fresse Meergras, und 1788 gekürzte Bearbeitungen.20 Eine Schul- Schnecken und Muscheln, werffe alle Jahr Eins ausgabe erschien erstmals 1780 (Exp.-Nr. 203, oder zwei Junge, und werde höchstens fünfzig 1782), in der allerdings die sonst bei Raff übli- Jahr“.23 Aber Raff beschränkt sich nicht auf eine che dialogische Form und namentliche Anspra- bloße Beschreibung der verschiedenen Tiere. Man che der Kinder komplett entfiel. Nach Raffs Tod erfährt auch Wissenswertes etwa über die Her- erschienen 1790 Fortsetzungen der Geographie für stellung von Käse und Butter oder den Walfisch- Kinder, von denen die bekannteste die dreibändige fang. Bei der Darstellung des Pflanzenreichs be- Bearbeitung von Christian Carl André (1763– handelt Raff – entsprechend seinem Konzept – 1831) ist. zunächst die Pflanzen aus der unmittelbaren Raffs bis heute bekanntestes Lehrbuch, seine Lebenswelt der Kinder, um dann zu den unbe- Naturgeschichte für Kinder (Exp.-Nr. 204), er- kannteren und exotischen Pflanzen überzugehen. schien 1778.21 Behandelt werden die drei Berei- Auch bei den Mineralien belässt er es nicht bei che der Natur (Pflanzen, Tiere und Mineralien), der bloßen Beschreibung, sondern macht zudem wobei die Tierwelt am ausführlichsten, der Stein- auf den landwirtschaftlichen oder merkantilen und Mineralbereich am kürzesten beschrieben Nutzen aufmerksam. Mit einem kurzen Hinweis wird. Das Buch ist für den Schulgebrauch, d. h. kommt er auch auf die Paläontologie zu sprechen für die Benutzung unter Anleitung eines Lehrers und weist beispielsweise darauf hin, dass es in den konzipiert, der bei der Stoffauswahl und -behand- Steinbrüchen bei Göttingen noch zahlreiche Fos- lung Alter, Reife, Sacherfahrung und Interesse der silien gebe, die einer Bestimmung bedürften. Kinder berücksichtigen sollte. Dem Band beige- Raffs Naturgeschichte wurde schnell populär, fügt sind in der ersten Ausgabe elf, in späteren fast ein Jahrhundert lang, bis 1861, sechzehnmal Ausgaben bis zu vierzehn Bildtafeln, die den be- aufgelegt und erschien in zahlreichen Nachdru- handelten Stoff veranschaulichen sollen. Die cken. Die späteren Bearbeitungen der Naturge- Kupfer wurden von dem Historien- und Land- schichte nach Raffs Tod wurden ebenfalls von schaftsmaler Friedrich Ludwig Heinrich Waagen Göttinger Wissenschaftlern vorgenommen. So (1750–1822) gezeichnet und vom Nürnberger wurden die Auflagen 7 bis 12 von Friedrich Al- Kupferstecher Johann Georg Sturm (1742–1793) brecht Anton Meyer (1768–1795) bearbeitet gestochen.22 Die Titelvignette mit einer Paradies- (Exp.-Nr. 206). Meyer hatte in Göttingen u. a. szene in der vierten Auflage (1783) stammt von Medizin studiert. Er wurde 1792 Unteraufseher dem bekannten Göttinger Kupferstecher Ernst des Akademischen Museums der Universität und Ludwig Riepenhausen. betätigte sich nebenbei auch als Dramatiker und Von anderen naturwissenschaftlichen Werken Dichter mit verschiedenen Veröffentlichungen im für Kinder unterschied sich Raffs Naturgeschichte Göttinger Musenalmanach. Die fünfzehnte Auf- sowohl durch die dialogische Form als auch durch lage von 1854 (Exp.-Nr. 208) wurde von Profes- den bewusst nicht streng systematischen Aufbau sor Arnold Adolph Berthold (1803–1861), einem des Lehrstoffs. Der Autor will die Neugier der angesehenen Amphibien- und Reptilienkundler Kinder wecken und so die Freude am Lernen ver- und damaligen Direktor des Zoologischen Mu- größern. Diesem Zweck dient nicht nur die seums in Göttingen, bearbeitet. Dieser nahm die sprachlich einfache Präsentation des Stoffes, son- im Tierreich inzwischen übliche systematische dern auch die Einstreuung von Erzählungen und Einteilung in Klassen vor, wodurch allerdings die Fabeln. Das geht sogar so weit, dass sich die Tie- spielerische, unsystematische Vorgehensweise re selbst vorstellen und erklären und in einen Di- Raffs verloren ging. 1781 erschien auch erstmals alog mit dem Erzähler treten. Beispielsweise stellt eine bearbeitete Ausgabe für den Gebrauch in sich das Walross so vor: ich „bin grösser als der Stadt- und Landschulen (Exp.-Nr. 209). größte Ochse, gleiche übrigens unter allen mei- In der Literatur – und gerade bei Zeitgenos- nem Vetter dem Seehunde am meisten [...] habe sen – wurde Raffs Naturgeschichte überwiegend einen grossen runden Kopf, ein breites stumpfes positiv aufgenommen, stieß jedoch teilweise auch Ochsenmaul und in der Oberkinlade zween auf Kritik gerade wegen ihrer Darstellungsform. krumme Armsdikke Fangzähne, die fast wie die Der Göttinger Professor Abraham Gotthelf

163 VON DORTGENS REISE ZUR NATURGESCHICHTE FÜR KINDER

Kästner lieferte die bissigste, wenn auch wohl un- nen Absicht, die Weltgeschichte ganzheitlich, syn- angemessene Bemerkung, wenn er über Raffs chronistisch anzulegen, wie er es in der Vorrede Naturgeschichte spottete: „Hier sind die Tiere spre- beschrieben hatte, ist Raffs Darstellung mehr bi- chend angekommen, / Allein den Esel ausgenom- ografisch und regional orientiert. Persönlichkei- men, / Die Rolle hat der Autor übernommen“.24 ten der Weltgeschichte stehen im Vordergrund, Dem breiten Bekanntheitsgrad und entsprechen- auf die Wirtschafts- und Sozialgeschichte wird dem Gebrauch des Lehrbuchs tat das jedoch kei- stellenweise eingegangen. nen Abbruch. Vielmehr wurde es noch lange eh- Den ersten Hauptteil hatte Raff noch voll- renvoll als „der alte Raff“ bezeichnet. ständig selbst verfasst. Als er 1788 starb, hatte er Raffs nächstes Buch waren die 1779 erschie- die ersten vier Epochen des zweiten Teils abge- nenen Dialogen für Kinder (Exp.-Nr. 210). Es schlossen und einige Kapitel des fünften Teils handelte sich dabei um sieben thematisch gebun- geschrieben. Adam Christian Gaspari, Histori- dene Gespräche zwischen Kindern im Alter von ker und ein Freund Raffs, führte die restlichen acht und vierzehn Jahren. Die in sich geschlosse- Teile dem Plan entsprechend fort und verfasste nen Dialoge behandeln so unterschiedliche The- zwischen 1792 und 1802 drei weitere Bände, men wie Geografie, Naturgeschichte verschiede- wobei die Darstellung im Jahr 1801, also in der ner Tiere, Wirtschafts- und Gesellschaftslehre, das damaligen Gegenwart, endete.30 Militärwesens und die Kultur- und Religionsge- Von seinen Zeitgenossen wurde Raffs Werk schichte. Dem Alter der Kinder angemessen wa- weitestgehend positiv aufgenommen. Bekannte ren sowohl die einfache Form als auch die gerin- Autoren wie André und Gaspari setzten seine ge Komplexität des Inhalts. Wieder ging Raff von Arbeit fort. Samuel Baur charakterisiert ihn als der Alltagserfahrung der Kinder aus und versuch- „Mann von strengen Sitten und exemplarischem te, einen Gegenwartsbezug als Ausgangspunkt für Lebenswandel, der sich durch Beispiel, Zucht und das Gespräch zu finden.25 Eine neue, umgearbei- Lehre um seine Schüler sehr verdient machte. [...] tete und vermehrte Ausgabe der Dialoge (Exp.- Seine Kenntnisse waren mannigfaltig, freilich Nr. 211) – diesmal für Kinder im Alter zwischen nicht tief geschöpft, aber doch zum Jugendunter- neun und fünfzehn Jahren – erschien 1797 von richte hinreichend“.31 Er lobt Raffs Werke, doch einem unbekannten Verfasser. Dabei entsprachen seinen Ton findet er „bis zum Ekel kindisch“.32 die beiden ersten Gespräche thematisch der ur- Die Bedeutung und Wirkung seiner Schriften sprünglichen Ausgabe, wurden aber völlig neu lässt sich wohl am besten an deren zahlreichen geschrieben, die beiden folgenden widmeten sich Auflagen ermessen, wobei besonders die Natur- den Themen Technologie und Kriegskunst. geschichte hervorsticht. Geschätzt wurde vor al- Raffs letztes Lehrbuch war sein dreibändiger lem sein Bemühen, für Kinder angemessene Abriß der Allgemeinen Weltgeschichte für die Ju- Vermittlungsformen von Sachinformation zu su- gend und ihre Freunde (Exp.-Nr. 212), erschie- chen. nen 1787 und 1788.26 Für ihn war die allgemei- ne Weltgeschichte „alle Merkwürdigkeiten, die Johann Peter Miller (1725–1789) sich seit der Schöpfung der Welt bis izt zugetra- Ein weiterer Göttinger Autor, der auch für junge gen haben“.27 Die inhaltliche Darstellung basiert Leser schrieb, war Johann Peter Miller. Er wurde zunächst auf den Aussagen der Heiligen Schrift 1725 als Sohn einer Pfarrerfamilie geboren. Nach und für spätere Zeiträume besonders auf den dem Besuch des Ulmer Gymnasiums studierte er Werken „und zum Theil auch auf den mündli- ab 1745 Theologie in Helmstedt und wurde dort chen Belehrungen eines Pütter, Gatterer, Heyne, Schüler und Anhänger von Johann Lorenz von Schlözer, Häberlin, Guthrie, Meusel, Schmidt“.28 Mosheim, dem ‚Vater der neueren Kirchenge- Chronologisch teilt Raff seine Weltgeschich- schichte‘, von dessen theologischem Gedanken- te in zwei Hauptteile, die vor- und nachchristli- gut, der Einführung des Pragmatischen und der che Geschichte, und diese jeweils wiederum in Unparteilichkeit in die Kirchengeschichte, er stark sechs Zeiträume, die genau datiert werden. Bei geprägt wurde. 1747 folgte er Mosheim nach der Datierung geht er von der Petav’schen Zeit- Göttingen an die Universität. Nach dessen Tod rechnung29 aus, nach der seit der Schöpfung der führte er Mosheims Sittenlehre der heiligen Schrift Welt 5770 Jahre vergangen sind, 3983 vor und durch Herausgabe der Teile 6 bis 9 (1762–1770) 1787 nach Christi Geburt. Entgegen seiner eige- fort.33

164 SPRECHENDE TIERE UND MECHANISCHE UNTERHALTUNGEN

Nach dem Abschluss des Studiums wurde Miller Zweymal zwey und funzig auserlesenen biblischen 1751 zunächst Rektor der Schule zu Helmstedt, Historien (erstmals 1714) (Exp.-Nr. 163–166) 1756 Leiter des Gymnasiums in Halle, 1766 folg- von Johann Hübner (1668–1731) durch eine te er dem Ruf als ordentlicher Professor der The- neue Historienbibel ersetzen.37 Die 41 biblischen ologie nach Göttingen, wo er als einer der ersten Geschichten aus dem Alten und 46 aus dem Neu- Professoren auch Vorlesungen über Pädagogik en Testament sollten nicht nur der Verbreitung hielt.34 Millers Auffassung vom Wesen des Men- und Verfestigung des Glaubens dienen, sie soll- schen, die auch seine religiösen Schriften für die ten auch als Exempel für tugendhaftes bzw. ver- Jugend entschieden prägt, entspricht dem luthe- abscheuungswürdiges Verhalten herangezogen rischen Menschenbild: Der Mensch ist von Na- werden, um den Kindern Orientierungshilfen für tur aus böse und muss zur Tugend erzogen wer- ihr eigenes tugendhaftes Leben zu geben. Im Vor- den. Dabei kommt der Vernunft eine entschei- bericht gibt Miller Auskunft über seine methodi- dende Rolle zu.35 Der Mensch kann aber nicht sche Vorgehensweise, Motive, Vorbilder und In- allein durch den Gebrauch des Verstandes zu ver- tentionen. Er arbeitet mit positiven (Abraham, nünftigem Handeln gebracht werden, vielmehr Jakob, Josef, David und Jesus) und negativen braucht er die Unterstützung Gottes.36 Gott ist (Kain, die Bürger von Sodom und Judas) Bei- Erziehungsinstanz, richtet die Bösen und belohnt spielen. Als Lernzielkontrolle empfahl Miller, die Abb. 63 die Tugendhaften. Kinder die gelernten Geschichten z.B. in Form Raff: Naturgeschichte für Mit seinen 1753 erschienenen Erbaulichen eines Briefes niederschreiben zu lassen. Jeder Kinder (1783). Erzählungen der vornehmsten biblischen Geschich- Geschichte folgt ein Hinweis auf die Nutzanwen- Titelvignette, gestochen ten (Exp.-Nr. 168, Ausgabe 1785) wollte Miller dung. Die Abweichungen in den Geschichten von Ernst Ludwig die bis dahin weit verbreiteten und beliebten vom biblischen Original sind Millers pädagogi- Riepenhausen; Nr. 205.

165 VON DORTGENS REISE ZUR NATURGESCHICHTE FÜR KINDER schen Überlegungen geschuldet. Damit zeigt sich enthält einen kurzen chronologischen Abriss der in Millers Historienbibel bereits der Wandel des biblischen Geschichte, in den als dritter Teil für theologischen Denkens im Zeichen der Aufklä- Jugendliche „von reiferem Alter und Verstande“ rung.38 die Lehre Jesu erläutert wird. In der Vorrede be- Die Erbaulichen Erzählungen wollte Miller als schreibt Miller, wie man Kinder an den Lernstoff Vorbereitung zu seinen Historisch-moralische Schil- heranführen sollte: „Denn überhaupt habe ich derungen zur Bildung eines edlen Herzens in der nur zeigen wollen, wie man Kinder zur Aufmerk- Jugend (Theil 1–5, 1753–1763) verstanden wis- samkeit auf sich und ihre jedesmaligen Umstän- sen.39 Diese ursprünglich in drei Teilen konzipier- de gewöhnen und sie anleiten soll, analogisch oder ten und später um zwei Anhänge erweiterten mo- nach sinnlichen Dingen und Zufällen von mora- ralischen und sachlichen Belehrungen für Jugend- lischen sich Begriffe zu machen und zu schlie- liche erschienen zwischen 1753 und 1764. Das ßen. Man bringe also nur die Sachen ihrer Emp- Werk stellt ein „Kompendium aller für die Ju- findung nahe, und mache sie ihnen von der ei- gend damals für wissenswert erachteten Gegen- nen und andern Seite unterhaltend und angele- stände dar, gleichzeitig ist es ein Erziehungsbuch, gentlich. Gehen müssen sie selbst, aber auf einen das sowohl allgemeine Grundsätze einer umfas- angenehmen Weg muß man sie doch erst füh- senden vernunftbegründeten und christlich ori- ren“.41 Teil 1 (Stoff und Anleitung zu angeneh- entierten Moral enthält, als auch spezielle, auf men Religionsgesprächen mit jungen Christen Alter, Bildungsgrad, Stand und Beruf ausgerich- und Christinnen) des Christlichen Religionsbuches tete Verhaltensmuster entwirft“.40 war die Vorlage für die Anleitung zu Religions- Die ersten beiden Teile dienen der Vermitt- gesprächen mit jungen Christen (Exp.-Nr. 160, lung des dreiteiligen Pflichtenkanons der christ- 1779). Der Text ist in Inhalt und Form weitge- lichen Sittenlehre (Pflichten des Menschen ge- hend identisch, zahlreiche Passagen wurden wort- genüber Gott, sich selbst und der Gesellschaft) wörtlich übernommen, ebenso etliche Kolum- in Form eines Lehrgesprächs zwischen Zöglin- nentitel. Die dialogische Form erinnert stark an gen und ihrem Hofmeister sowie eines Bildungs- Raff. In einem fiktiven Gespräch zwischen einer romans, der dritte Teil umfasst moralische Ab- Mutter und ihren Kindern Ferdinand, Karoline, handlungen, z. T. auch in Briefform. Teil 4, 1779 Philippine und Wilhelm werden in zwölf Ab- als gesonderte Ausgabe unter dem Titel Abriß der schnitten die wesentlichen Elemente und Begrif- Naturerkenntnis und Religion (Exp.-Nr. 161) er- fe der (christlichen) Religion erläutert: die Eigen- schienen, stellt ein Lehrbuch der Naturlehre und schaften Gottes, Gottesliebe und Menschenlie- der Religion dar, Teil fünf mit dem Titel Anwei- be, Tugend, Moral und Gewissen, göttliches und sung zur Wohlredenheit nach den auserlesensten Naturgesetz, Gottes Heiligkeit und Gerechtigkeit, Mustern französischer Redner enthält eine Einfüh- die Vorsehung usw. Den Abschluss bildet eine rung in die Kunst der Beredsamkeit mit Beispie- kurze Inhaltsbeschreibung des Evangeliums. Ge- len geistlicher Kanzelredner des siebzehnten Jahr- dacht ist der Text zur häuslichen Unterrichtung hunderts. Im Abriß der Naturerkenntnis werden der Kinder in der Religion vor dem eigentlichen zunächst kurz die wichtigsten Themen aus der Religionsunterricht in der Schule. In Millers re- Naturlehre (Materie, Astronomie, die Elemente, ligiösen Schriften zeigt sich, wie geschickt er es Mineralien, Pflanzen und Tiere) behandelt. Als verstand, Kindern und Jugendlichen den theolo- typisch katechetische Schrift, die sich sowohl an gischen Lehrstoff pädagogisch zu vermitteln, bzw. Erzieher als auch Kinder und Jugendliche wen- Erzieher und Eltern entsprechend anzuleiten. det, bietet der Hauptteil eine Einführung in die natürliche und christliche Religionslehre. August Ludwig (von) Schlözer (1735–1809) Ein bereits 1777 erschienener weiterer Kin- Über August Ludwig (von) Schlözer als Kinder- der-Katechismus ist Millers Christliches Religions- und Jugendbuchautor ist bereits früher in die- buch oder Anleitung zu katechetischen Unterredun- sem Band die Rede gewesen (s. dazu den Aufsatz gen über den gemeinnüzigsten Inhalt der heiligen von Friedrich Hassenstein). Vor den beiden Tei- Schrift (Exp.-Nr. 159, Ausgabe 1779). Darin er- len der Vorbereitung zur Welt-Geschichte für Kin- klärt er im ersten Teil die „allgemeinsten Begriffe der waren 1769 die ersten – und wie sich zeigen der natürlichen und geoffenbahrten Religion“ sollte – letzten beiden Bände der Reihe August (Vorrede) in kindgemäßem Stil. Der zweite Teil Ludwig Schlözers kleine Weltgeschichte (Exp.-Nr.

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187–188) erschienen, die sich mit der Geschich- wendig erzählen und bereits etwas Französisch Abb. 64 te Korsikas bzw. Russlands (bis 1147) befassten. können, sowie etwas Vorbildung in Geografie, Porträt Philippine Gatterer Zumindest die fragmentarische Geschichte Russ- Geschichte, Naturkunde und Kunst haben. Die aus dem lands war laut Vorrede ursprünglich „zum Ge- Geschichten wiederum sollten nichts „Dunkles“ Göttinger Musenalmanach brauch beim Kinderunterrichte“42 gedacht; ein oder „Schädliches“ enthalten, sondern vielmehr von 1781, gestochen von ähnlicher Hinweis findet sich im Corsica-Band „lehrreich“ und „angenehm“, im Stil einfach und G. W. Weiße nach einem nicht. Wie Schlözer im Nachwort schreibt, ba- kindlich sein, kürzere und längere Geschichten Gemälde von Johann siert der Text vielmehr auf einer ein Jahr zuvor sollten sich abwechseln, das Druckbild sollte groß, Heinrich Wilhelm gedruckten Gelegenheitsschrift, anlässlich des übersichtlich und gut lesbar sein.45 Tischbein. Aufstandes der Korsen gegen die französische Besatzung. Die Reihe, die ursprünglich auf zwölf Teile angelegt war, wurde mangels finanziellen Erfolges nicht weitergeführt.43 Welche Resonanz Schlözers erster Teil der Vorbereitung zur Welt-Geschichte für Kinder (Exp.- Nr. 189) hatte, zeigt das Erscheinen eines Welt- historischen Kinder-Lesebuches (1802) (Exp.-Nr. 193), das den Untertitel Nach Anleitung der Vor- bereitung zur Weltgeschichte für Kinder, vom Herrn Hofrath Schlözer in Göttingen trug. Dieses Lese- buch für Kinder im ersten Schulalter war zur Vor- und Nachbereitung des schulischen Geschichts- unterrichts gedacht. Zu den einzelnen Paragra- fen des Schlözer’schen Lehrbuchs wurden aus- führliche Erklärungen, Ergänzungen und Beispie- le gegeben. Der im Vorwort mit M. unterzeich- nende Verfasser schrieb, er wolle „das kleine Buch des Herrn Schlözers durch einen Versuch es zu erklären und zu erweitern, Kindern noch inter- essanter machen“.44 Schlözer selbst betätigte sich als Herausgeber zweier Französisch-Lese-Übungsbücher: Le Joujou Des Petites Filles und Le Jouet Des Jolis Petits Gar- çons (Exp.-Nr. 197–198, beide in zweiter Aufla- ge 1783). Le Joujou wandte sich vorzugsweise an Mädchen und enthielt fünfzig Leseübungen, davon überwiegend kurze Geschichten mit auf- steigendem Schwierigkeitsgrad. Le Jouet enthält kleine moralische Geschichten von besonders braven oder bösen Kindern. Die sehr einfachen Texte waren für Kinder im Alter zwischen sieben und acht Jahren mit Grundkenntnissen in Fran- zösisch geschrieben. Die Geschichten stammten ursprünglich von François Baratier, Pastor der französisch-reformierten Gemeinde zu Schwal- bach in Franken, der sie 1723 für seinen Sohn Jean Philippe, ein jung verstorbenes ‚Wunder- kind‘, schrieb. Im Nachwort von Le Joujou erläu- terte Schlözer das hinter den Geschichten stehen- de didaktische Konzept. Die Kinder sollten Deutsch „verständig“ lesen und ganze Sätze oder kurze Geschichten im Sinnzusammenhang aus-

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Anton Rudolph Warlich (um 1760–1830) Pfarrers und Bauern-Feldmarschalls Thomas Mün- Um eine andere Form von ,Mitautorschaft‘ Schlö- zer in Thüringen im J. 1525 wird beispielhaft die zers handelt es sich möglicherweise bei den his- Schädlichkeit revolutionärer Bewegungen gezeigt. torischen Kinderbüchern von Anton Rudolph Bei allem Verständnis für die soziale Not der Bau- Warlich, Geschichte aus Ober-Sachsen für einen ern und Tadel für die Willkür und Laster der deutschen Knaben Geschichte des schwärmerischen Fürsten, Grundherren und Prälaten missbilligt Pfarrers und Bauern-Feldmarschalls Thomas Mün- der Autor entschieden die Auflehnung gegen die zer in Thüringen im J. 1525 (1786, Exp.-Nr. 199) Obrigkeit, ganz im Sinne Luthers, und zeigt und Geschichte aus Ober-Sachsen für einen deut- anhand von Münzers Leben und Ende, wie aus schen Knaben Geschichte des Kursächsischen Edel- einem religiösen Schwärmer ein zynischer Macht- mannes und Prinzenräubers Kunz von Kauffun- mensch wird, der erst am Ende zu Reue und gen im J. 1445 (1778, Exp.-Nr. 200). Über den Umkehr bereit ist. Im Sinne des aufgeklärten Autor ist wenig bekannt. Um 1760 in Berge ge- Absolutismus sollen die Herrschenden die Fol- boren, studierte er ab April 1780 in Göttingen gen unterdrückerischer Willkür erkennen und Theologie, war bis etwa 1787 Hofmeister bei dem tugendsam, mildtätig und barmherzig regieren.50 Herrn Rüxleben zu Auleben in Thüringen, von Die zweite Geschichte aus Ober-Sachsen für 1787–1798 Pastor in Klein-Schneen im Fürsten- einen deutschen Knaben beschreibt den Sächsi- tum Calenberg (Göttinger Inspektion) und ab schen Bruderkrieg (1446–1451) – es ging dabei 1798 Pastor in Meine nördlich von Braunschweig, um Streitigkeiten zwischen dem sächsischen Adel wo er 1830 starb.46 und dem Kurfürsten – und den Prinzenraub Kunz Schlözer hatte in der Vorrede zu seinem von Kauffungens 1445 (richtig 1455).51 Thema NeuJahrs-Geschenk aus Westfalen die Konzeption ist diesmal das Raubrittertum und Fehdewesen einer dreißigbändigen historisch-geografischen des ausgehenden Mittelalters. Im Laufe der Aus- Geschichte der zehn deutschen Königreiche ent- einandersetzungen mit dem sächsischen Kurfürs- wickelt. Warlich nahm in seiner Vorrede zum ten entwickelt sich der ebenso tapfere und uner- Kunz von Kauffungen darauf wiederum Bezug und schrockene wie unerbittliche Adelige Kauffungen präsentierte diesen Titel und die zuvor erschie- zur negativen Figur, zum Raubritter, wobei der nene Münzer-Schrift quasi als Fortsetzungsbände. Autor es mit den Quellen nicht allzu genau Beide Titel gleichen in Aufbau, Stil und Sprache nimmt.52 Sein Ziel ist vielmehr die Schädlichkeit so sehr Schlözers Neujahrsgeschenk aus Westfalen, der Selbstständigkeitsbestrebungen und Willkür dass vermutet wurde, auch diese beiden Geschich- des Adels für den Bestand eines großen, starken, ten seien von Schlözer.47 Tatsächlich fällt auf, wie monarchischen Staats aufzuzeigen. Damit liefert sehr sich der Autor in seiner Vorrede zum Kunz er im Umkehrschluss ein „Plädoyer für einen star- von Kauffungen an dem Neujahrsgeschenk orien- ken, einheitlichen Staat des aufgeklärten Absolu- tiert, wenn er davon spricht, dass er bereits bei der tismus“.53 ersten Geschichte aus Ober-Sachsen gefühlt habe, Auch wenn die beiden obersächsischen Ge- wie wenig er „im Stande seyn würde, jene Meister- schichten in Aufbau, Stil, Sprache und Denkart hand zu erreichen, die für die Jugend eine Ge- Schlözers NeuJahrsGeschenk ähneln, so reichen sie schichte aus Westphalen so vortreflich zeichnete“.48 an dieses allerdings hinsichtlich Lebendigkeit der An anderer Stelle dankt der Verfasser übrigens für Darstellung und Originalität nicht heran, wie „die Begünstigung, die Göttingische Bibliothek schon Samuel Baur bemerkte.54 benutzen zu dürfen“, nur dadurch sei es ihm mög- lich geworden, „dieses und mein erstes Werkgen, Magdalene Philippine Engelhard, geborene als einen Versuch in Verarbeitung vaterländischer Gatterer (1756–1831) Geschichten, der Jugend zu übergeben“.49 In ganz anderer Weise war die folgende Autorin Aus Warlichs weiteren Ausführungen ließe Göttingen und seiner geistigen Ausstrahlung ver- sich folgern, Schlözer habe das Material, die Ideen bunden. Magdalene Philippine wurde 1756 in und das Konzept beider Bücher geliefert, die Nürnberg als drittes Kind von Johann Christoph Ausführung überwacht und schließlich den Gatterer und seiner Frau Helene Barbara gebo- Druck genehmigt. ren.55 Als der Vater 1759 nach Göttingen beru- In der Geschichte aus Ober-Sachsen für einen fen wird, wohnt die Familie zunächst in der deutschen Knaben Geschichte des schwärmerischen Jacobi-Gemeinde (Weender Str. 52), ab 1766 in

168 SPRECHENDE TIERE UND MECHANISCHE UNTERHALTUNGEN der Alleestr. 858 (heute Goetheallee 3), wo sagen der Lieder und Gedichte zugleich aber auch Gatterer den ehemaligen „Fechtboden“ gekauft ihr Gedächtnis und ihre Aussprache trainieren.57 hatte. Schon früh wird Philippine geprägt durch Die Texte enthalten häufig Beispiel- und Ab- das gehobene soziale Umfeld der Familie, die li- schreckgeschichten, die einer bestimmten Moral- terarisch-akademischen Kreise, in denen der Va- lehre dienen. Themen sind etwa Dankbarkeit ter verkehrt, und dessen Bibliothek, die sie nutzt, gegenüber den Eltern, Dankbarkeit gegen Gott, um Erlaubtes und Unerlaubtes zu lesen. Ihre Toleranz gegen andere, Folgsamkeit und Artig- sprachliche Begabung wird entdeckt und geför- keit, Großmut und Verzeihen, Orientierung am dert. Zudem neigt sie aufgrund ihres Charakters Vorbild der Eltern, die Notwendigkeit, anderen wohl dazu, ihr Licht nicht unter den Scheffel zu zu nützen usw. Einige Gedichte und Lieder sind stellen. Mit Witz, Frohsinn und Schlagfertigkeit für bestimmte Anlässe verfasst, für die Geburts- weiß sie ihre Umgebung für sich einzunehmen, tage der Kinder, für Weihnachten und Neujahr, auch wenn ihre Direktheit und Geradlinigkeit für Morgen und Abend. nicht überall als für eine Frau angemessen erschei- Die Autorin bemüht sich, die Texte dem Auf- nen, wie etwa Caroline Michaelis kritisierte.56 fassungsvermögen kleiner Kinder angemessen zu Über Heinrich Christian Boie, der seit 1769 in gestalten. Sie verwendet einfache Paar- und Göttingen studierte und den sie kennen gelernt Kreuzreime, häufig Diminutive (Brüderchen, hatte, erhält sie Zugang zu der neuen Literatur- Händchen, Bäumchen), und die Kinder werden strömung des Sturm und Drang und hört von direkt angesprochen („Nun, sieh mein Kind der Poesie der Hainbund-Dichter. Boie ermutigt ...“).58 Bemerkenswert erscheint die Einstellung sie, ihre bisher unveröffentlichten Gedichte – der Autorin zur sexuellen Aufklärung. So bittet zunächst unter dem Decknamen „Rosalia“ – im sie die Eltern im Vorwort um Verständnis, wenn Vossischen Musenalmanach, später unter ihrem sie den Kindern – statt ihnen wie üblich „aus fal- eigenen Namen auch im Göttinger Musenalma- scher Sittsamkeit“59 die Herkunft der kleinen nach zu veröffentlichen. 1778 und 1782 folgen Kinder mit der Geschichte vom Klapperstorch selbstständige Buchausgaben, die beim Göttin- zu erklären – klar mache, dass „kein gebährendes ger Verleger Dieterich erscheinen, mit Kupfern Wesen so viel ausstehen müsse, als die menschli- von Chodowiecki, der Band von 1782 auch mit che Mutter“.60 In dem Gedicht An Linchens Kupfern von Ernst Ludwig Riepenhausen. Mit viertem Geburtstage heißt es dann: „Du weißt, die Gottfried August Bürger führt sie über Jahre ei- Kinder wachsen aus der Mutter, / wie Aepfel aus nen Briefwechsel, in dem sie auf seinen herablas- dem Apfelbaum. / Heut’ vor vier Jahren nahmst send-wohlwollenden Ton mit erfrischendem du noch kein Futter; / da warst du erst geboren Selbstbewusstsein antwortet. Nach ihrer Heirat kaum“.61 mit dem Beamten Johann Philipp Engelhard Auch in späteren Jahren blieb Philippine En- 1780 lebt sie fortan in Kassel. 1787 erscheint nach gelhard eine fleißige Lokalpoetin, veröffentlichte der Geburt des vierten von insgesamt zehn Kin- weitere ihrer Gedichte allerdings erst 1821. Sie dern unter dem Titel Neujahrsgeschenk für liebe starb 1831 in Blankenburg im Harz. Kinder (Exp.-Nr. 213) eine Sammlung von 40 Liedern, Gedichten und Gebeten, von denen die Weitere Autoren aus dem Göttinger Umfeld meisten für die 1781 geborene Tochter Katharina Hingewiesen sei schließlich noch auf einige Au- („Linchen“), andere für die jüngere Tochter toren, die für kurze oder längere Zeit in Göttin- Marianne („Hannchen“), bzw. Wilhelm, das gen lebten und hier studierten. Sie schrieben für jüngste Kind geschrieben werden. Kinder und Jugendliche Unterrichtswerke, die Engelhards Neujahrs-Geschenk richtet sich an sich mehr oder weniger ausdrücklich auf entspre- kleine Kinder, vornehmlich Mädchen, von etwa chende Werke Göttinger Professoren bezogen und fünf bis sechs Jahren und ist für den Haus- und zudem überwiegend in Göttinger Verlagen er- Schulgebrauch gedacht. Als Mittler zwischen schienen. Dazu gehören beispielsweise der Päda- Abb. 65 Buch und Kind sollen in erster Linie die Mutter, goge Johann Carl Tutenberg (1753–1824, Exp.- Porträt Johann Peter Miller aber auch Lehrer und andere Kinderfreunde fun- Nr. 124), ein Schüler des Göttinger Mathematik- (1775); gieren. Wie die Autorin in der Vorrede schreibt, professors Kästner. Tutenberg, der später als Haus- gestochen von Kütner sollen die Kinder belehrt und unterhalten wer- lehrer in Altona arbeitete, widmete seine Unter- nach einem Gemälde von den, durch das Auswendiglernen und laute Auf- haltende Betrachtung der Himmelskörper den H. Tischbein.

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Töchtern aus Christian Gottlob Heynes zweiter Rechtswissenschaften, widmete sich in dieser Zeit Ehe, Friederike Henriette Wilhelmine und Jea- aber mehr dem Studium schöngeistiger Literatur nette Louise Georgine, die er offenbar gut kann- und der Schriftstellerei. te. Samuel Baur bezeichnete die Betrachtungen Über die Autoren zweier Realienbücher für als „eine ebenso angenehme als nüzliche Lektü- Kinder ist wenig bzw. nichts bekannt, gleichwohl re. Herr Tutenberg versteht den schicklichen Ton, beziehen sich ihre Bücher ausdrücklich auf ent- in dem man mit Kindern sprechen muß; er weiß sprechende Lehrwerke Göttinger Professoren. sich zu ihnen herabzulassen, ohne dabei ins Tän- Johann Christoph Heckel (1747–1798) war lu- delnde so vieler neuern Schriftsteller zu verfal- therischer Geistlicher in Augsburg. Sein Atlas für len“.62 die Jugend (Exp.-Nr. 120) war offenbar ein be- Ebenfalls ein Schüler Kästners dürfte der The- liebtes Lehrwerk an Schulen. Laut Vorwort dien- ologe, Mathematiker und Physiker Johann ten Heckel als Grundlagen vor allem Gatterers Nicolaus Müller (1754–1797) gewesen sein, der Abriß der Geographie (s. o.) und Büschings Neue als Privatgelehrter in Göttingen arbeitete. Seine Erdbeschreibung, sowie die geografischen bzw. sta- Vorbereitung zur Geometrie für Kinder (Exp.-Nr. tistischen Werke von Raff, Schlözer und Christi- 126) begleitete Kästner mit einer Vorrede. an Conrad Wilhelm von Dohm. Anton Fried- Matthias Schröckh studierte zwischen 1751 rich Büsching (1724–1793) hatte in seiner und 1754 in Göttingen evangelische Theologie Göttinger Zeit den Deutschland-Teil seiner drei- und orientalische Sprachen, wobei er besonders bändigen Neuen Erdbeschreibung geschrieben, ein von Lorenz von Mosheim und Johann David Mi- herausragendes geografisches Lehrbuch. chaelis beeinflusst wurde. Seine vierbändige All- Von einem unbekannten (möglicherweise gemeine Weltgeschichte für Kinder (1779–1784) Göttinger) Autor stammt schließlich die Anlei- (Exp.-Nr. 123) schrieb er als Professor für Dicht- tung zur Naturlehre oder Experimental-Physick kunst, Altphilologie und Kirchengeschichte in (Exp.-Nr. 127). Das Werk folgt in der Beschrei- Wittenberg. bung des Lehrstoffes laut Vorwort den Anfangs- Ein gebürtiger Göttinger war Johann Hein- gründen der Naturlehre des Göttinger Professors rich Moritz Poppe (1776–1854). Der Sohn ei- Johann Christian Polycarp Erxleben (1744– nes Universitätsmechanikers begeisterte sich 1777). schon früh für die praktische Mechanik und ar- Ein eingehender Blick auf einige Kinder- und beitete als Gehilfe in der väterlichen Werkstatt Jugendbuchautoren der Aufklärung und ihre mit. Auch er studierte später Mathematik bei Schriften hat gezeigt, in welch vielfältiger Weise Kästner, daneben Physik bei Lichtenberg, wurde diese mit Göttingen als Stadt der Wissenschaft jedoch besonders von den technologischen und und Gelehrsamkeit verbunden waren. Die Göt- staatswirtschaftlichen Studien Johann Beckmanns tinger Universität als ein Zentrum der Aufklä- geprägt, der ebenfalls in Göttingen wirkte. Nach rung beeinflusste sie in ihrem Denken und ihren dem Studium lehrte Poppe kurze Zeit in Göttin- Schriften. Die außergewöhnlichen Gegebenhei- gen als Privatdozent, später als Professor in Frank- ten für Forschung, Lehre und Studium, die reich- furt am Main und schließlich in Tübingen.63 Ei- haltigen Bestände der Universitätsbibliothek und nem breiteren Publikum wurde er bekannt durch das rege Verlags- und Druckereiwesen schufen ein populärwissenschaftliche Titel wie Der astrono- geistiges Klima, das Belehrendes und Unterhal- mische Jugendfreund (1822) und Der physikalische tendes auch für Kinder und Jugendliche hervor- Jugendfreund (1811–1818). Noch in seiner brachte. Göttinger Zeit erschienen die Mechanischen Un- terhaltungen (Exp.-Nr. 128), ein Mechanik-Lehr- Literaturverzeichnis : buch für Zwölf- bis Sechzehnjährige, mit dem BARATIER, FRANÇOIS: Le Joujou Des Petites Filles, der Autor die Neigung zum Mathematikstudium 2. Aufl., Göttingen 1783. fördern wollte (Vorwort). Dazu kleidete er den [BAUR, SAMUEL:] Charakteristik der Erziehungs- Lehrstoff in eine Erzählung. schriftsteller Deutschlands. Ein Handbuch für Christian Jakob Wagenseil, mutmaßlicher Erzieher, Leipzig 1790. Verfasser der Historischen, Physikalischen und Mo- BINDER: Raff, Georg Christian, in: Allgemeine Deut- ralischen Unterhaltungen für Kinder (Exp.-Nr. sche Biographie, Bd. 27, Berlin 1888, S. 158– 176), studierte von 1775 bis 1778 in Göttingen 159.

170 SPRECHENDE TIERE UND MECHANISCHE UNTERHALTUNGEN

BRÜGGEMANN, THEODOR/HAHN, SUSANNE: Johann derts (Pädagogik und Psychologie 2), Essen Peter Miller (1725–1789): Historischmora- 1991. lische Schilderungen zur Bildung eines edlen RAFF, GEORG CHRISTIAN: Geographie für Kinder, Herzens in der Jugend. 5 Theile (1753–1764), Göttingen 1776. in: BRÜGGEMANN/EWERS 1982, Sp. 481– 490. RAFF, GEORG CHRISTIAN: Naturgeschichte für Kin- BRÜGGEMANN, THEODOR/EWERS, HANS-HEINO der, Göttingen 1778. (HRSG.): Handbuch zur Kinder- und Jugend- RAFF, GEORG CHRISTIAN: Abriß der Allgemeinen literatur. Von 1750 bis 1800, Stuttgart 1982. Weltgeschichte für die Jugend und ihre Freun- BRUNKEN, OTTO: Christian Georg Raff (1748– de, Bd. 1, Göttingen 1787. 1788): Naturgeschichte für Kinder (1778), in: RUMMLER, GABRIELE/HAHN, SUSANNE: Christian BRÜGGEMANN/EWERS 1982, Sp. 1021–1027. Georg Raff (1748–1788): Geographie für Kin- DERS.: Johann Peter Miller (1725–1789): Erbau- der [...] (1776), in: BRÜGGEMANN/EWERS liche Erzählungen der vornehmsten biblischen 1982, Sp. 1014–1017. Geschichten zur Erweckung eines lebendigen RUPRECHT, WILHELM: Väter und Söhne. Zwei Jahr- Glaubens und der wahren Gottseligkeit der Ju- hunderte Buchhändler in einer deutschen Uni- gend (1753), in: BRÜGGEMANN/EWERS 1982, versitätsstadt, Göttingen 1935. Sp. 681–687. SCHLÖZER, AUGUST LUDWIG VON: Geschichte von DERS.: Anton Rudolph Warlich (1760–1830): Ge- Russland Erster Theil biss auf die Erbauung von schichte aus Ober-Sachsen für einen deutschen Moskau im J. 1147 (August Ludwig Schlözers Knaben Geschichte des schwärmerischen Pfar- kleine Weltgeschichte II), Göttingen u. a. 1769. rers und Bauern-Feldmarschalls Thomas Mün- STACH, REINHARD: Georg Christian Raff, in: FRANZ, zer in Thüringen im J. 1525, (1786), in: BRÜG- KURT/LANGE, GÜNTER/PAYRHUBER, FRANZ- GEMANN/EWERS 1982, Sp. 1135–1140. JOSEF (HRSG.): Kinder- und Jugendliteratur – DERS.: Der Professor aus Göttingen und die rappel- Ein Lexikon, Meitingen 1995ff. köpfigen Bauern. Zu drei bemerkenswerten his- STUMMANN-BOWERT, RUTH: Philippine Engelhard, torischen Kinderbüchern August Ludwig von geborene Gatterer (1756–1831). Ein bürgerli- Schlözers (1735–1809) im Kontext des Ge- ches Frauenleben zwischen Aufklärung und schichtsbuches im 18. Jahrhundert, in: Die Empfindsamkeit, in: WEBER-REICH, TRAUDEL Schiefertafel 4 (1981), H. 1/2, S. 25–47. (HRSG.): „Des Kennenlernens werth.“ Bedeu- ENGELHARD, MAGDALENE PHILIPPINE: Neujahrs-Ge- tende Frauen Göttingens, 3. verb. Aufl., Göt- schenk für liebe Kinder, Göttingen 1787. tingen 1995, S. 27–52. Günther: Poppe, Johann Moritz Heinrich von, in: WARLICH, AUGUST RUDOLPH: Geschichte aus Ober- Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 26, Berlin Sachsen für einen deutschen Knaben. Geschich- 1888, S. 418– 420. te des Kursächsischen Edelmannes und Prinzen- HUNGER, ULRICH: Die Georgia Augusta als han- räubers Kunz von Kauffungen im J. 1445, noversche Landesuniversität, in: DENECKE, Göttingen 1778. DIETRICH (HRSG.): Göttingen, Geschichte ei- Welthistorisches Kinder-Lesebuch. Nach Anleitung ner Universitätsstadt, Bd. 2. Vom Dreißigjäh- der Vorbereitung zur Weltgeschichte für Kinder, rigen Krieg bis zum Anschluss an Preussen. Der vom Herrn Hofrath Schlözer in Göttingen, Wiederaufstieg als Universitätsstadt (1648– Hildesheim 1802. 1866), Göttingen 2002, S. 139–213. WILNAT, ELISABETH (HRSG.): Liebster, bester, ein- MILLER, JOHANN PETER: Christliches Religionsbuch ziger Freund. Erinnerung an den Verleger, Buch- oder Anleitung zu katechetischen Unterredun- drucker und Buchhändler Johann Christian gen über den gemeinnüzigsten Inhalt der heili- Dieterich (1722–1800), Mainz 2000. gen Schrift, 2., verb. Aufl., Leipzig 1779. NIMA-ROLF, MAGDALENA/BRUNKEN, OTTO: Mag- Anmerkungen dalene Philippine Engelhard (1765–1831): 1 Vgl. Hunger 2002, S. 139–213, für die Zeit ab Neujahrs-Geschenk für liebe Kinder. (1787), in: Gründung bis zur Wende zum neunzehnten Jahr- BRÜGGEMANN/EWERS 1982, Sp. 348–354. hundert. PETER-PERRET, SYBILLE: Biblische Geschichten für 2 Die Universitätsmamsellen waren die Töchter die Jugend erzählt. Eine Studie zur religiösen Göttinger Professoren, deren Ruf sich teils auf ei- Kinder- und Jugendliteratur des 18. Jahrhun- gene schriftstellerische Produkte zurückführen

171 VON DORTGENS REISE ZUR NATURGESCHICHTE FÜR KINDER

lässt, teils auf ihre Rolle, die sie in literarischen 36 Vgl. ebd. S. 118f. Milieus bzw. in literarischen Veröffentlichungen 37 Zu den Erbaulichen Erzählungen vgl. auch anderer Schriftsteller spielten. Zu den Universitäts- Brunken 1982 b, Sp. 681–687. mamsellen gehörten neben Philippine Gatterer u.a. 38 Vgl. Peter-Perret 1991, S. 124f. Therese Huber geb. Heyne und Caroline Schelling 39 Vgl. ebd. S. 114. geb. Michaelis. 40 Brüggemann 1982, Sp. 483. 3 Vgl. Hunger 2002, S. 155. 41 Miller 1779, Vorrede. 4 Vgl. Ruprecht 1935, S. 87f. 42 Schlözer 1769, Vorerinnerung, unp. 5 Vgl. Hunger 2002, S. 163. 43 Wie aus einem Vertragsentwurf von Dezember 6 Vgl. Wilnat 2000, S. 30. 1768 zwischen dem Verleger Dieterich und Schlö- 7 Sein Sohn Heinrich, der das florierende Geschäft zer hervorgeht, war ursprünglich die Herausgabe übernahm, erwies sich in der Folge als leichtlebi- von zwölf Teilen geplant – neben der erschiene- ger Zeitgenosse, der das Unternehmen 1814 in nen Geschichte über Korsika und Russland eine die Insolvenz führte. Vgl. ebd. S. 111f. Geschichte von Braunschweig, der Türken, eine 8 Zur Biografie Raffs vgl. Stach 1995, S. 1f. allgemeine alte Weltgeschichte, Geschichte der 9 Vgl. Hunger 2002, S. 149. Moldau, Litauens, der Sachsen, der Jesuiten, des 10 Raff 1776, Vorrede, S. 4f. (unpag). Feuers, der Kochkunst, Indiens und Dschingis 11 Ebd., Vorrede, S. 6 (unpag). Khans. Schlözer wollte sich zunächst nur auf vier 12 Ebd., Vorrede, S. 8 (unpag). Teile festlegen. Bei einem Erfolg der ersten Teile 13 Zu Raffs Geographie vgl. Rummler 1982, Sp. sollten weitere folgen. Als der Erfolg ausblieb, und 1014–1017. vielleicht auch weil Schlözer wegen Differenzen 14 Vgl. Raff 1776, S. 82. mit seinem Verleger mittlerweile zu Vandenhoek 15 Ebd. S. 66. und Ruprecht gewechselt war, wurde die Reihe 16 Vgl. ebd. S. 18 u. S. 33. 1775 eingestellt. Vgl. den Schriftwechsel zwischen 17 Ebd. S. 98. Dieterich und Schlözer, Schlözer-Stiftung I a 43 18 Ebd. S. 217. u. 45, Archiv der Niedersächsischen Staats- und Uni- 19 Ebd. S. 218. versitätsbibliothek, nach: Wilnat 2000, S. 139ff. 20 Vgl. Stach 1995, S. 3. 44 Welthistorisches 1802, S. 3. 21 Zu Raffs Naturgeschichte vgl. Brunken 1982 a, 45 Baratier 1783, S. 67f. Sp. 1021–1027. 46 Vgl. Brunken 1981, S. 38. 22 Vgl. Stach 1995, S. 6. 47 Vgl. ebd. 23 Raff 1778, S. 547. 48 Warlich 1778, Vorrede unpag. 24 Binder 1888, S. 159. 49 Ebd. 25 Vgl. Stach 1995, S. 7f. 50 Vgl. Brunken 1982 c, Sp. 1135–1140. 26 Zu Raffs Abriß der Allgemeinen Weltgeschichte 51 Zu Kunz von Kauffungen vgl. Bruncken 1981, S. vgl. Stach 1995, S. 8f. 42–44. 27 Raff, Abriß 1787, Bd. 1, S. 5. 52 Vgl. ebd. S. 42f. 28 Ebd., Vorrede, S. 5. 53 Ebd. S. 43. 29 Der Jesuit Dionysius Petavius (d. i. Denis Pétau, 54 Baur 1790, S. 551. 1583–1652) berechnete in seinen Schriften zur 55 Zur Biographie Philippine Engelhards ausführlich Chronologie anhand der in der Bibel beschriebe- Stummann-Bowert 1995, S. 27–52. nen Ereignisse die Jahre, die seit der Schöpfung 56 Vgl. ebd. S. 31. der Welt vergangenen waren. 57 Engelhard 1787, Vorrede, S. IV. 30 Vgl. Stach 1995, S. 8. 58 Vgl. Nima-Rolf 1982, Sp., 348f. 31 Baur 1790, S. 355. 59 Engelhard 1787, Vorrede, S. V. 32 Ebd. 60 Ebd. Vorrede, S. Vf. 33 Zur Biografie Millers vgl. Peter-Perret 1991, S. 61 Ebd. S. 13f. 110f. 62 Baur 1790, S. 523. 34 Vgl. ebd. S. 111f. 63 Zur Biografie Poppes vgl. Günter 1888, S. 418– 35 Vgl. ebd. S. 111. 420.

172 SPRECHENDE TIERE UND MECHANISCHE UNTERHALTUNGEN

Exponate 185–213 187 August Ludwig von Schlözer: Geschichte von Corsica. Göttingen u. Gotha bey J. Chr. Dieterich, (1769). – 124, [2] S. 185 August Ludwig von Schlözer: (August Ludwig Schlözers kleine Weltgeschichte. Num. Dortgens Reise von Göttingen nach Franken und wie- I.) der zurück. Göttingen, gedruckt bei F. A. Rosenbusch. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen [1774]. – 16 (11) S. 15 x 10,5 cm. Kurze Beschreibung der Geschichte Korsikas von den Verfasserangabe handschriftlich ergänzt. Mit Titelvig- Anfängen bis zum Jahr 1769. Der Text basiert auf einer nette. ein Jahr zuvor gedruckten Gelegenheitsschrift Schlözers, Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen anlässlich des Aufstands der Korsen gegen die französi- Fiktives Reisetagebuch eines kleinen Kindes. Sprache sche Besatzung (Nachwort). Frankreich hatte 1768 Kor- und Erlebnisweise des Kindes sind einfühlsam nach- sika von Genua gekauft. Die Korsen versuchten ver- empfunden. Das Büchlein ist als kleine Leseübung für geblich, sich gegen die französische Besatzung zu weh- Schlözers damals vierjährige Tochter Dorothea gedacht. ren. Dieser Band 1 und der folgende Band über Russ- Beigedruckt ist ein Gedicht von Christian, Ludwig und land sollten den Auftakt für das Projekt einer mehr- Carl Schlözer an Dorothea anlässlich ihrer Promotion bändigen Weltgeschichte bilden, das aber mangels am 25. 8. 1787. Neue Ausgabe anlässlich ihrer Heirat Verkaufserfolg 1775 eingestellt wurde. Die Vignetten mit Matthäus Rodde am 28. 8. 1792. Im Anhang auf im Text sind – wie Schlözer im Nachwort schreibt – einer Doppelseite die Genealogie der Familien Rodde vom Verleger und einem Gotha’ischen Gelehrten. und Peters aus Lübeck. W.V. W.V./F.H. 188 August Ludwig von Schlözer: 186 August Ludwig von Schlözer/Christian von Geschichte von Russland Erster Theil biss auf die Er- Schöneich: bauung von Moskau im J. 1147. Göttingen und Go- Leben, Thaten, Reisen, und Tod eines sehr klugen und tha, bey Joh. Christ. Dieterich, 1769. – 116 (3) S. 11 sehr artigen 4jährigen Kindes Christian Heinrich x 8 cm. Heineken aus Lübeck Beschrieben von seinem Lehrer Christian von Schöneich Zwote veränderte Auflage. Göttingen im Verlag der Witwe Vandenhoek 1779. – (10) 227 S. 18,5 x 11,5 cm. Mit ornamentaler Titelvignette. Neuer Einband. Tat- sächlich eine gründliche Bearbeitung des Originals durch Schlözer. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Von Schlözer vorgenommene umfassende kindgemä- ße Bearbeitung der erstmals 1726 erschienenen Le- bensgeschichte eines frühverstorbenen gelehrten ‚Wun- derkindes‘. In seiner Vorrede begründet Schlözer, warum er den ursprünglichen Text grundlegend überarbeitete. Das Original sei „so unordentlich und weitschweifig nicht nur, sondern in einem so unausstehlichen Schwulst, mit so viel mer als lohensteinischen Bombaste [...] geschrieben, daß der ernsthafteste Leser mitten in den allerrürendsten Erzählungen, über den Erzähler lachen möchte.“ Durch die Bearbeitung sollte ein Kinderbuch für Zehn- jährige entstehen, das diese weitgehend selbst lesen sollten. Zugleich war das Buch als Vorbereitung für eine systematische Beschäftigung mit der Weltgeschich- Abb. 66 te gedacht. Aus Schlözers Dortgens W.V. Reise (1774); Nr. 185.

173 VON DORTGENS REISE ZUR NATURGESCHICHTE FÜR KINDER

(August Ludwig Schlözers kleine Weltgeschichte. Num. höheren Reflexionsstufe mit neuen Beispielen und II.) wendet sich an die nunmehr vierzehnjährige fiktive Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Leserin „Adelheid“. Einige kritische Passagen über die Fragmentarische Geschichte Russlands von den An- damalige napoleonische Fremdherrschaft ersetzte fängen bis 1147 in vierzig Abschnitten. Der Text ent- Schlözer auf Veranlassung des Verlegers Carl Ruprecht, stand laut Vorerinnerung aus einer Vorarbeit zur Ge- der staatliche Repressalien befürchtete, durch eine ge- schichte Russlands aus dem Jahr 1764. Schlözer arbei- mäßigte Version. Dieses Exemplar enthält auf den Sei- tete damals an der russischen Akademie der Wissen- ten 75 bis 78 die ursprüngliche, kritische Fassung. schaften in St. Petersburg: „Ich entwarf es vor fünf Jaren Schlözers kritische Haltung zu den politischen Zustän- Abb. 67 zum Gebrauch beim Kinderunterrichte, und dazu war den im Deutschen Reich kommt schon in der sechs- Aus Schlözers Leben, es gut genug. Für ernsthafte Leser bin ich noch nicht seitigen Nachschrift (2.1.1806) zur sechsten Auflage Thaten des Heineken fähig, eine zusammenhängende Russische Geschichte des ersten Teils zum Ausdruck. Sie endet mit der Auf- (1779); Nr. 186. zu schreiben, und noch weniger für critische Ge- forderung an Eltern und Lehrer: „Es ist ratsam, Ehr- schichtsgelerte.“ furcht und Dankbarkeit gegen Obrigkeit in noch wei- W.V. che deutsche Seelen einzudrücken; aber ebenso nötig, deutschen SklavenSinn schon im Keime zu ersticken“ 189 August Ludwig von Schlözer: (S. 6). Vorbereitung zur Weltgeschichte für Kinder. Erster W.V./F.H. Theil. Göttingen im Verlag der Witwe Vandenhoek 1779. – (10) 114 S. 16 x 10,5 cm. 191 August Ludwig von Schlözer: Ohne Verfasserangabe. Weitere Ausgaben vorhanden. Vorbereitung zur WeltGeschichte für Kinder. – Theil Erstausgabe. 1–2. I. – Göttingen: bei Vandenhoek und Ruprecht, Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 1806. – 16 x 10 cm. Lehr- und Lesebuch für zehnjährige Kinder, das Kennt- 1. – Sechste, hin und wieder veränderte Auflage. – nisse über die Entstehung und Entwicklung der Erde, (9) 136 (8) S. des Menschen und der Gesellschaft vermittelt, aber 2.I. Urwelt bis zur SündFlut. Anfang der Dinge: mehr bereits einiges Wissen, besonders in biblischer Ge- Raisonnement als Geschichte. – X, 202 S. schichte und Geografie voraussetzt. Schlözers Vorbe- Ohne Verfasserangabe. reitung ist kein Geschichtsbuch im eigentlichen Sin- Hassenstein-Sammlung ne, sondern behandelt allgemeine politisch-historische Dieses Exemplar vom zweiten Teil der Vorbereitung Fragen und Voraussetzungen, in die die Kinder dann (Urwelt bis zur SündFlut) enthält die Seiten 75 bis 78 später konkrete historische Daten und Fakten einord- zweimal, zunächst die ursprüngliche, danach die ent- nen können. Als Adressatin wird im Text die zehn- schärfte Fassung. jährige Adelheid genannt, hinter der sich wohl Schlö- W.V. zers Tochter Dorothea verbirgt. W.V. 192 August Ludwig von Schlözer: Discours Pour Préparer Les Jeunes Gens A L’Histoire 190 August Ludwig von Schlözer: Générale, Par Mr. Schlötzer père, professeur à Got- Vorbereitung zur WeltGeschichte für Kinder. – Theil tingue; Suivi De quelques observations explicatives sur 1–2. I. – Göttingen: bei Vandenhoek und Ruprecht, les Tables chronologiques de Mr. [Christian von] 1806. – 16 x 10 cm. Schlötzer fils, professeur à Moscou. – Moscou, 1810. 1. – Sechste, hin und wieder veränderte Auflage. – (9) – 95 S. 19 x 12 cm. 136 (8) S. Vorbereitung zur Weltgeschichte für Kinder 2. I. Urwelt bis zur SündFlut. Anfang der Dinge: mehr Teilweise ungeschnittener Buchblock. Weiteres Exem- Raisonnement als Geschichte. – X, 202 S. plar vorhanden. Ohne Verfasserangabe. Am Ende des Teiles 2. I. eine Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen ausfaltbare Zeittafel. Dieses Exemplar enthält auf den Französische Übersetzung und Bearbeitung durch Seiten 75 bis 78 ausschließlich die ursprüngliche Fas- Schlözers Sohn Christian (1774–1831), der seit 1801 sung. Staatswirtschaft in Moskau lehrte. Im Vorwort schreibt Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Christian, er habe bei der Übersetzung einige Verän- Dieser zweite Teil der Vorbereitung (Urwelt bis zur derungen vorgenommen, um die ausführlichen deut- SündFlut) behandelt den Stoff des ersten auf einer schen Bezüge bei den Erläuterungen durch entspre-

174 SPRECHENDE TIERE UND MECHANISCHE UNTERHALTUNGEN chende russische Beispiele zu ersetzen. Die Vorrede des 194 August Ludwig von Schlözer: Originals fehlt, das ausführliche Kapitel über das Neujahrs-Geschenk aus Jamaika in Westindien für ein Regierungswesen ist stark gekürzt und auf russische Kind in Europa. Göttingen in der Vandenhoekschen Verhältnisse umgeschrieben. Das Kapitel V entfällt als Buchhandlung 1780. – 48 S. 16 x 10 cm. eigenständiger Abschnitt, der Inhalt ist stark zusam- Ohne Verfasserangabe. Schiffsmotiv als Titelkupfer. mengestrichen. Im Anhang finden sich ausführliche Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Erläuterungen zu den von Christian von Schlözer ge- Fiktive Reisebeschreibung in Briefform. Die zehn kur- planten Zeittafeln. zen Briefe eines unbekannten Verfassers an seinen sechs- W.V. jährigen Vetter Christian aus Kingston auf Jamaika, geschrieben im Dezember 1778, enthalten Beschrei- 193 Welthistorisches Kinder-Lesebuch. Nach An- bungen von Land und Leuten, der Pflanzenwelt und leitung der Vorbereitung zur Weltgeschichte für Kin- Beobachtungen zum Sklavenhandel auf der Insel. Am der, vom Herrn Hofrath Schlözer in Göttingen. – Hil- Ende beklagt sich der Autor, dass ihm das Klima zu desheim: bey J. D. Gerstenberg, 1802. – 302 S. 18 x heiß und ungesund sei; er sei froh, in Kürze wieder in 11,5 cm. der Heimat zu sein. Geschrieben wurde der Text ur- Ohne Verfasserangabe. Das Vorwort ist unterzeichnet sprünglich für den sechsjährigen Christian, den ältes- mit M. Mit einem Exlibris von Leopold von Schlözer. ten Sohn Schlözers. Campe nahm die Beschreibung Schlözers Urenkel Leopold vermachte 1937 den größ- in den dritten Teil der Kleinen Kinderbibliothek auf ten Teil des Familiennachlasses der Universität Göt- (Exp.-Nr. 15). tingen. W.V. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Lesebuch für Kinder im ersten Schulalter zur Vor- und 195 August Ludwig von Schlözer: Nachbereitung des schulischen Geschichtsunterrichts. NeuJahrsgeschenk aus Westfalen für einen deutschen Zu den einzelnen Paragraphen von Schlözers Vorberei- Knaben. Stück I. Geschichte des Schneider- und tung zur Weltgeschichte für Kinder, Erster Theil (1779) Schwärmer-Königs, Jan van Leyden, in Münster: A. werden ausführliche Erklärungen, Ergänzungen und 1535. Göttingen in der Vandenhoekschen Buchhand- Beispiele gegeben. Im Vorwort werden die Kinder di- lung 1784. – VIII, 144 S. 14,5 x 9,5 cm. rekt angesprochen: Er wolle, so schreibt der Verfasser, Ohne Verfasserangabe. „das kleine Buch des Herrn Schlözers durch einen Ver- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen such es zu erklären und zu erweitern, Kindern noch Geschichte der Wiedertäuferbewegung in Münster und interessanter machen“ (S. 3). deren Führer Jan van Leyden für zehnjährige Knaben. W.V. In sprachlich origineller Form beschreibt Schlözer das

Abb. 68–70 Aus Schlözers Geschichte von Corsica (1769); Nr. 187.

175 VON DORTGENS REISE ZUR NATURGESCHICHTE FÜR KINDER

Wiedertäufertum als schädlichen Auswuchs der sonst Ohne Verfasserangabe. Ermittelter Hrsg.: August segensreichen Reformation. Jan van Leyden entwickelt Ludwig von Schlözer. sich vom engagierten Propheten reformatorischer Ideen Die Erstausgabe erschien 1776. zum menschenverachtenden Tyrannen. Die Geschichte Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen des Wiedertäuferstaates gibt Schlözer Anlass zu massen- Das schmale Bändchen enthält dreißig kleine morali- psychologischen Betrachtungen und dient als Warnung sche Geschichten von besonders braven oder schlech- vor aktuellen revolutionären Umtrieben in Frankreich, ten Knaben, in einfachem Französisch geschrieben, und Holland und den britischen Kolonien in Nordamerika. ist das Gegenstück zu Le Joujou Des Petites Filles. Laut W.V./F.H. Schlözer handelt es sich um den nahezu unveränder- ten Abdruck der Geschichten aus Lecture rendue facile 196 August Ludwig von Schlözer: et agréable (Halle, bey Gebauern, 1763, S. 44–80) von NeuJahrsgeschenk aus Westfalen für einen deutschen François Baratier, der diese Geschichten 1723 für sei- Knaben. Stück I. Geschichte des Schneider- und nen Sohn Jean Philippe (1721–1740), ein jung ver- Schwärmer-Königs, Jan van Leyden, in Münster: A. storbenes ‚Wunderkind‘, schrieb (vgl. Nachwort). 1535. Göttingen in der Vandenhoekschen Buchhand- W.V. lung 1784. – VIII, 144 S. 14,5 x 9,5 cm. Ohne Verfasserangabe. Titelblatt, S. I – XII und 121– 199 August Rudolph Warlich: 132 handschriftlich ergänzt. Geschichte aus Ober-Sachsen für einen deutschen Sammlung Hassenstein Knaben Geschichte des schwärmerischen Pfarrers und Bauern-Feldmarschalls Thomas Münzer in Thüringen 197 François Baratier: im J. 1525. Göttingen in der Vandenhoekschen Buch- Le Joujou Des Petites Filles. Seconde Edition. à Gottingue, handlung 1786. – 140 (4) S. 14,5 x 9,5 cm. chez Dan. Frédéric Kübler, 1783. – 72 S. 16 x 10 cm. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Ohne Verfasserangabe. Handschriftliche Ergänzung: Historische Schrift über den deutschen Bauernkrieg ‚par Aug. Ludw. Schlözer‘. Ermittelter Hrsg.: August und das Leben Thomas Münzers in Anlehnung an Ludwig von Schlözer. Schlözers NeuJahrs-Geschenk aus Westfalen. Beispielhaft Die Erstausgabe erschien 1776. wird die Schädlichkeit revolutionärer Bewegungen ge- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen zeigt. Bei allem Verständnis für die soziale Not der Fünfzig sehr kurze Geschichten in einfachem Franzö- Bauern und Tadel für die Willkür und Laster der Fürs- sisch gehalten und für Kinder im Alter zwischen sie- ten, Grundherren und Prälaten missbilligt der Autor ben und acht Jahren mit Grundkenntnissen in Fran- entschieden die Auflehnung gegen die Obrigkeit, ganz zösisch geschrieben. Autor ist François Baratier (1682– im Sinne Luthers, und zeigt anhand von Münzers Le- 1751), Pastor der französisch-reformierten Gemeinde ben und Ende, wie aus einem religiösen Schwärmer Abb. 71 zu Schwalbach in Franken. Im Nachwort umreißt ein zynischer Machtmensch wird, der erst am Ende zu Aus Baratiers Le Jouet Schlözer das hinter den Geschichten stehende didak- Reue und Umkehr bereit ist. (1783); Nr. 198. tische Konzept. Die Kinder sollten Deutsch „verstän- W.V. dig“ lesen und ganze Sätze oder kurze Geschichten im Sinnzusammenhang auswendig erzählen und bereits 200 August Rudolph Warlich: etwas Französisch können, sowie etwas Vorbildung in Geschichte aus Ober-Sachsen für einen deutschen Geografie, Geschichte, Naturkunde und Kunst haben. Knaben Geschichte des Kursächsischen Edelmannes Die Geschichten wiederum sollten nichts „dunkles“ und Prinzenräubers Kunz von Kauffungen im J. 1445. oder „schädliches“ enthalten, sondern vielmehr „lehr- Göttingen bei Vandenhoek und Ruprecht. 1778. – (4) reich“ und „angenehm“ (S. 67f), im Stil einfach und 100 (2) S. 15 x 9 cm. kindlich sein; kürzere und längere Geschichten soll- Verfasser aus dem Vorwort ermittelt. ten sich abwechseln, das Druckbild groß, übersicht- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen lich und gut lesbar sein (Nachwort). Historische Schrift über den sächsischen Bruderkrieg W.V. (1446–1451) und den Prinzenraub Kunz von Kauf- fungens (1455, im Titel fälschlich 1445). In der Aus- 198 François Baratier: einandersetzung mit dem sächsischen Kurfürsten ent- Le Jouet Des Jolis Petits Garçons Pour servir de suite au wickelt sich der ebenso tapfere und unerschrockene Joujou des petites Filles. Seconde Edition. à Gottingue wie unerbittliche Adelige Kauffungen zum Raubrit- chez Dan. Frédéric Kübler 1783. – 63 S. 16 x 10,5 cm. ter. Mit seiner Kritik am partikularistischen Macht-

176 SPRECHENDE TIERE UND MECHANISCHE UNTERHALTUNGEN streben des Adels tritt der Autor für das Ideal eines ist besonders ausführlich. Wie später auch in Raffs Na- starken, von der Idee des aufgeklärten Absolutismus turgeschichte für Kinder wird das detaillierte Sachwis- geleiteten Monarchen ein. In Titel, Aufbau und Mach- sen in kindgemäßem Ton und dialogischer Form – art angelehnt an Schlözers NeuJahrs-Geschenk aus West- zwischen Herrn R. und den Kindern Lotchen, Ludwig, falen und die Schrift über Thomas Münzer Geschichte Philipp, Wilhelm und Wilhelminchen – dargeboten. aus Ober-Sachsen für einen deutschen Knaben. Die unsystematische Präsentation von europäischen W.V. Ländern, Städten, Flüssen, Herrschern, Tier- und Pflanzenwelt, Bodenschätzen, historischen Ereignissen 201 Georg Christian Raff: und vielen kleineren Einzelheiten betont auf unter- Geographie für Kinder, von Georg Christian Raff. Mit haltsame Weise die Vielfältigkeit der dargestellten Welt. einer Vorrede des Herrn Professor Feders. Göttingen, Bei der Beschreibung von Eigenarten der Bevölkerung bei Johann Christian Dieterich, 1776. – (14) 452 S. fließen in die sonst sachliche Darstellung öfter subjek- 18 x 11,5 cm. tive Wertungen ein. Die Anmerkungen geben didak- Titelvignette von J. H. Meil. Weitere Ausgaben vor- tische Hinweise. Das beliebte Buch erlebte in kürzes- handen. ter Zeit mehrere Auflagen. Erstausgabe. W.V./A.B./M.H. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Raff selbst hat nur diesen ersten Teil vollendet. Weite- 202 Georg Christian Raff: re Teile wurden nach seinem Tod von Christian Carl Geographie für Kinder, von Georg Christian Raff. Mit André verfasst. Als Leitfaden der Stoffvermittlung dient einer Vorrede des Herrn Professor Feders. Erster Theil. Raff eine fiktive Europareise, deren Verlauf im Atlas Mit Chrfürstl. Sächs. Privilegio. Vierte verbesserte nachvollzogen wird. Die Reise beginnt in Portugal und Auflage. Göttingen, bei Johann Christian Dieterich, geht über Spanien, Frankreich, England usw., bis sie 1779. – (16) 424 S. 20 x 12 cm. in der Schweiz endet. Das Kapitel über Deutschland Vordemann-Sammlung

Abb. 72 Aus Raffs Naturgeschichte für Kinder (1778); Nr. 204.

177 VON DORTGENS REISE ZUR NATURGESCHICHTE FÜR KINDER

Abb. 73 vilegio. Vierte vermehrte und verbesserte Auflage. Göt- Aus Raffs Abriß der tingen, bei Johann Christian Dieterich, 1783. – (14) Allgemeinen Weltgeschichte 710 S. 18 x 11,5 cm. Teil 1 (1787–1803); Mit einer von Ernst Ludwig Riepenhausen gestoche- Nr. 212. nen Titelvignette und 12 Faltkupfern am Ende des Bandes von Friedrich Ludwig Heinrich Waagen und J. F. W. Born, gestochen von Johann Georg Sturm. Vordemann-Sammlung Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen

206 Georg Christian Raff: 203 Georg Christian Raff: Naturgeschichte für Kinder, von M. Georg Christian M. Georg Christian Raff, ordentlichen Lehrers der Raff, ordentlichem Lehrer der Geschichte und Geo- Geschichte und Erdbeschreibung auf dem Lyceum zu graphie auf dem Lyceum zu Göttingen. Mit vierzehn Göttingen Geographie für Kinder zum Gebrauch auf Kupfer-Tafeln. Mit Churfürstl. Sächs. gnädigstem Pri- Schulen. Zwote verbesserte Auflage. Göttingen, bei vilegio. Sechste verbesserte Auflage. Nach des Verfas- Johann Christian Dieterich, 1782. – (2) 324 S. 18,5 x sers Tode besorgt von D. F[riedrich] A[lbert] A[nton] 11,5 cm. Meyer. Göttingen, bey Johann Christian Dieterich, Weitere Ausgaben vorhanden. 1793. – XV, 627, (11) S. 21 x 13,5 cm. Erstausgabe erschien 1780. Tatsächlich handelt es sich um die 7. Auflage. Ent- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen sprechende handschriftliche Verbesserung auf dem Für diese Schulbuchausgabe entfielen die sonst bei Raff Titelblatt. Die 6. Auflage erschien 1788. übliche dialogische Form und die namentliche Anspra- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen che der Kinder komplett. Die Auflagen 7 bis 12 wurden von Friedrich Albrecht W.V. Anton Meyer (1768–1795) besorgt, der seit 1792 Unteraufseher des Akademischen Museums der Uni- 204 Georg Christian Raff: versität Göttingen war. Der Text wurde nur geringfü- Naturgeschichte für Kinder, von M. Georg Christian gig bearbeitet und ergänzt (Vorwort S. VIII). Raff. Mit elf Kupffer-Tafeln. Mit Churfürstl. Sächs. W.V. gnädigstem Privilegio. Göttingen, bei Johann Christi- an Dieterich, 1778. – 6, (8) 624 S. 21,5 x 13 cm. 207 Georg Christian Raff: Weitere Ausgaben vorhanden. Naturgeschichte für Kinder, von M. Georg Christian Erstausgabe. Raff, ordentlichem Lehrer der Geschichte und Geo- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen graphie auf dem Lyceum zu Göttingen. Mit vierzehn Das naturgeschichtliche Lehr- und Schulbuch für Kin- Kupfer-Tafeln. Mit Churfürstl. Sächs. gnädigstem Pri- der ab fünf Jahren sucht an deren alltäglichen Erfah- vilegio. Vierzehnte vermehrte und verbesserte Aufla- rungen anzuknüpfen und erst dann zu systematisie- ge. – Göttingen: bei Johann Christian Dieterich, 1833. ren; eingefügte Fabeln und illustrierende Geschichten – XV, (1) 648 S. 20 x 13 cm. veranschaulichen die Vielfalt des Materials, rund 2000 Mit 14 Faltkupfern, davon 13 koloriert, am Ende des Pflanzen, Tiere und Mineralien. Der teilweise betont Bandes, davon eines von Ernst Ludwig Riepenhausen. kindgemäße Ton – beispielsweise stellen sich die Tiere Vordemann-Sammlung selbst vor – wurde von einigen Zeitgenossen heftig kri- Im Vergleich zur vierten Auflage von 1783 sind die tisiert. Bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts Texte nur unwesentlich verändert worden; die Ortho- erschienen zahlreiche Nachdrucke des wegen seiner grafie wurde modernisiert. Die Stiche sind zwar sehr Unterhaltsamkeit beliebten Werkes. sorgfältig koloriert, zeigen jedoch weniger Details. M.H. W.V/A.B.

205 Georg Christian Raff: 208 Georg Christian Raff: Naturgeschichte für Kinder, von M. Georg Christian G. Chr. Raffs Naturgeschichte für Kinder. – Funfzehnte Raff, ordentlichem Lehrer der Geschichte und Geo- verbesserte und vermehrte Auflage. Nach dem gegen- graphie auf dem Lyceum zu Göttingen. Mit zwölf wärtigen Zustande der Wissenschaft bearbeitet von Kupfer-Tafeln. Mit Churfürstl. Sächs. gnädigstem Pri- A[rnold] A[dolph] Berthold, Professor, und Director

178 SPRECHENDE TIERE UND MECHANISCHE UNTERHALTUNGEN des zoologischen Museums in Göttingen. Mit funfzehn 211 Georg Christian Raff: Kupfertafeln. – Göttingen: Verlag der Dieterichschen Raffs Dialogen für Kinder von acht bis vierzehn Jah- Buchhandlung, 1854. – X, 521 S. 22 x 14 cm. ren. Neue, nach dem Tode des Verfassers umgearbei- Mit 15 Faltkupfern, davon 14 koloriert, am Ende des tete und vermehrte Ausgabe. Göttingen, bey Johann Bandes. Christian Dieterich, 1797. – XVI, 400 S. 18 x 11 cm. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen [Nebentit.:] Wissenschaftliche Dialogen für Kinder von Schon die 13. Auflage enthielt zahlreiche Zusätze und acht bis vierzehn Jahren. Erster Theil, welcher die ers- Abb. 74 Verbesserungen. In der vorliegenden 15. Auflage, die te Hälfte der Raffischen Dialogen für Kinder neu aus- Aus Engelhards Neujahrs- der bekannte Amphibien- und Reptilienkundler gearbeitet und verbessert enthält. Geschenk für liebe Kinder Arnold Adolph Berthold (1803–1861) bearbeitete, Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (1787); Nr. 213. wurde die im Tierreich inzwischen übliche systemati- sche Einteilung in Klassen vorgenommen. Damit ging die spielerische, unsystematische Vorgehensweise Raffs verloren. Berthold war seit 1831 Ordentliches Mit- glied der Göttinger Akademie der Wissenschaften und seit 1835 außerordentlicher, später ordentlicher Pro- fessor der medizinischen Fakultät. Von 1840 bis zu seinem Tode betreute er das Zoologische Museum in Göttingen. Die vorliegende Auflage wurde in zwei Ausgaben angeboten, mit schwarzweißen bzw. kolo- rierten Tafeln (Hinweis auf dem Schutzumschlag). W.V.

209 Georg Christian Raff: M. Georg Christian Raff, Konrektor und ordentlichem Lehrers der Geschichte und Geographie auf dem Lyceum zu Göttingen Naturgeschichte für Kinder zum Gebrauch auf Stat- und Landschulen. Mit vier Kup- fer-Tafeln. Göttingen, bei Johann Christian Dieterich, 1781. – 4, 518 S. 18,5 x 11 cm. Die vier Kupfertafeln mit insgesamt 108 kleinforma- tigen Tierabbildungen sind von J. F. W. Born, gesto- chen von Johann Georg Sturm. Titelvignette ebenfalls von Sturm. Weitere Ausgaben vorhanden. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen In der Vorrede schreibt Raff, er habe dieses Schulbuch auf Drängen von Freunden geschrieben, die selbst unterrichteten bzw. Schulen leiteten. W.V.

210 Georg Christian Raff: Dialogen für Kinder, Von Georg Christian Raff. Göt- tingen, bei Johann Christian Dieterich, 1779. – 246 S. 18 x 10,5 cm. Gestochene Titelvignette von Johann Heinrich Meil. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Sammlung von sieben Dialogen für acht- bis vierzehn- jährige Kinder zu verschiedenen Themen wie z. B. Geografie, Naturgeschichte verschiedener Tiere, Wirt- schafts- und Gesellschaftslehre, Militärwesen und Kultur- und Religionsgeschichte. W.V.

179 VON DORTGENS REISE ZUR NATURGESCHICHTE FÜR KINDER

wort schreibt Raff, wegen des großen Erfolgs seiner Geographie und Naturgeschichte sei er von Eltern und Lehrern vielfach gedrängt worden, in gleicher Manier eine allgemeine Weltgeschichte zu schreiben. Als Grundlagen nennt er neben den üblichen Quellen die Schriften und mündlichen „Belehrungen“ der Göttin- ger Professoren Pütter, Gatterer, Heyne und Schlözer. Entgegen seiner eigenen Absicht, die Weltgeschichte ganzheitlich, synchronistisch anzulegen, wie er es in der Vorrede beschrieben hatte, ist Raffs Darstellung mehr biografisch und regional orientiert. Persönlich- keiten der Weltgeschichte stehen im Vordergrund, auf Abb. 75 die Wirtschafts- und Sozialgeschichte wird stellenweise Vignette aus Engelhards Neujahrs-Geschenk für eingegangen. Raff selbst hatte noch einige Kapitel von liebe Kinder (1787); Nr. 213. Teil 4 geschrieben. Nach seinem Tod führte Adam Christian Gaspari, Historiker und ein Freund Raffs, Diese Bearbeitung enthält vier Dialoge für Kinder die restlichen Teile dem Plan entsprechend fort und zwischen neun und fünfzehn Jahren. Die beiden ers- verfasste zwischen 1792 und 1802 drei weitere Bän- ten Dialoge entsprechen thematisch der Ausgabe von de, wobei die Darstellung im Jahr 1801, also in der 1779, wurden aber völlig neu geschrieben. Die beiden damaligen Gegenwart endet. folgenden Dialoge widmen sich den Themen Techno- W.V logie und Kriegskunst. Am Ende des Buches weist der Autor auf den geplanten zweiten Teil der Dialoge hin, 213 Magdalene Philippine Engelhard: der aber nie erschienen ist. Neujahrs-Geschenk für liebe Kinder von [Magdale- W.V. ne] Philippine Engelhard geborne Gatterer. Göttin- gen, bey Johann Christian Dieterich, 1787. – VIII, 84 212 Georg Christian Raff: S. 15,5 x 9,5 cm. M. Georg Christian Raff’s, weiland ordentlichen Leh- Titelvignette von Johann Heinrich Meil; 5 weitere Vi- rers der Geschichte und Erdbeschreibung auf dem gnetten im Text. Lyceum zu Göttingen, Abriß der Allgemeinen Welt- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen geschichte für die Jugend und ihre Freunde. Nach dem Sammlung von vierzig Liedern, Gedichten und Gebe- Tode des Verfassers fortgesetzt von einem Freunde des- ten für kleine Kinder zwischen fünf und sechs Jahren, selben. Erster – Sechster Theil. Zweyte Abtheilung. vornehmlich Mädchen. Die Texte wurden für Engel- [In 6 Bden.] Mit Römisch-Kaiserlicher Allergnädigs- hards Kinder, die 1781 geborene Tochter Katharina ter Freiheit. Göttingen, bey Vandenhoek und Ruprecht, („Linchen“), die jüngere Tochter Marianne („Hann- 1787–1803. – 18 x 11 cm. chen“) und Wilhelm, das jüngste Kind verfasst. Wie 1. 1787. – 304 S. die Autorin in der Vorrede schreibt, sollen die Kinder 2. 1787. – 295 S. belehrt und unterhalten werden, durch das Auswendig- 3. 1788. – 310 S. lernen und laute Aufsagen der Lieder und Gedichte 4. 1792. – 382 S. zugleich aber auch ihr Gedächtnis und ihre Ausspra- 5. 1800. – (4) 552 S. che trainieren. 6. Erste – Zweyte Abtheilung. – 1803. – 940 S. Die Texte enthalten häufig Beispiel- und Abschreck- [Nebentit.: Abriß der allgemeinen Weltgeschichte. geschichten, die einer bestimmten Morallehre dienen. Erster–Zweyter Theil. Erste–Zweyte Abtheilung. Von Themen sind etwa Dankbarkeit gegenüber den Eltern, Adam Christian Gaspari der Philosophie Doctor und Dankbarkeit gegen Gott, Toleranz gegen andere, Folg- Professor.] samkeit und Artigkeit, Großmut und Verzeihen, Ori- Ornamentale Titelvignette in Teil 1–3. Weitere Aus- entierung am Vorbild der Eltern, die Notwendigkeit, gabe vorhanden. anderen zu nützen. Einige Gedichte und Lieder sind Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen für bestimmte Anlässe verfasst, z. B. die Geburtstage Das historische Lehrbuch für den Privat- und Schul- der Kinder, für Weihnachten und Neujahr, Morgen unterricht behandelt die Weltgeschichte in zwei Haupt- und Abend. abschnitten, die vor- und nachchristliche Zeit. Im Vor- W.V.

180 „DIE SEELE EINES KINDES IST HEILIG“. DIE OPPOSITION HERDERS UND DER (VOR-)ROMANTIK

„einen gar allerliebsten … Kinderton“. er war Mitarbeiter an Boies Monatsschrift Deut- Kinderidylle und Kinderlied im sches Museum. Göttinger Hain Kinderidyllen. Brückners Lottchen und Karl, Paul Kahl Millers Kirschbaum und Stolbergs Bach Ausdrücklich für Kinder dichtete unter den Bun- Für Mechthild Weber-Bahr desbrüdern namentlich Ernst Theodor Johann Brückner (1746–1805), Landpfarrer im meck- lenburgischen Groß Vielen (bei Penzlin), später Welchen Beitrag haben der Göttinger Hain und in Neubrandenburg, und auswärtiges Bundesmit- sein Umfeld zur Kinderliteratur geleistet? Das glied.2 Er schrieb zahlreiche Kinderidyllen (aber jugendliche Alter der Dichter, die sich 1772/74 keine Kinderlieder), ganz im Fahrwasser des Phi- in Göttingen als „Bund“ oder „Hain“ zusammen- lanthropismus; sie sollen Moral und Religion ver- fanden und mit Gedichten verschiedenster Gat- mitteln. In eben diesem Sinne sagte Voß voraus: tungen hervortraten – Voß und die Brüder Stol- „Brückner wird viel Nutzen schaffen.“3 Und Jo- berg, Hölty, Miller, Boie und andere – könnte hann Friedrich Hahn: „Brückner! Dein Nutzen vermuten lassen: keinen. Der Abstand zur eige- wird groß seyn, grösser als unsrer aller.“4 Ähnlich nen Kindheit (sofern man eine solche empfand) wollte auch Voß mit seinen Idyllen, Miller mit war zu gering und eine Rückschau auch nicht seinen Romanen „nützlich“ sein. Voß wollte unbedingt gewünscht.1 Dennoch ist die Eingangs- Brückners Kinderidyllen im späteren gedruckten frage nicht nur einfach dem Ort dieser Ausstel- Bundesbuch des Göttinger Hains veröffentlichen, lung gezollt: Der Beitrag der Göttinger Dichter das allerdings niemals zustande kam (vgl. Exp.- kommt aus ihrem ureigensten Gebiet: der Idyl- Nr. 216). Esmarch empfahl sogar ihre Aufnah- len- und der Lieddichtung. me in die Fibel.5 Sie erschienen im Göttinger Die Grenze zwischen Erwachsenenlied und Musenalmanach und in Campes Kleiner Kinder- „Kinderlied“ war fließend, viele zersungene bibliothek. Campe veröffentlichte 1778 im zwei- „Erwachsenenlieder“ wurden zu Kinderliedern, ten Teil seiner Sammlung einiger Erziehungs- manche Lieddichter gleichsam unfreiwillig zu schriften auch Brückners Aufsatz Das Grab Kinderlieddichtern. Joachim Heinrich Campes Emanuels von D**, ein philanthropisch-pädago- Kleine Kinderbibliothek (Exp.-Nr. 151), die be- gisches Gespräch zweier Freunde (S. 205–224). rühmteste Kinderanthologie ihrer Zeit, erklärt Campe bescheinigte Brückner, er habe „in dieser Lieder zu Kinderliedern, die man nicht auf den kleinen Schrift, ohne mit dem Verfasser dersel- ersten Blick als solche einordnen würde: Claudi- ben vorher bekannt gewesen zu seyn, eine für us’ Abendlied (Bd. 2, S. 91–93) und etliche wei- mich auffallende Uebereinstimmung mit meinen tere seiner Lieder, Höltys Der alte Landmann an eigenen Erziehungsgrundsätzen [gefunden], de- seinen Sohn (Bd. 2, S. 111), in bezeichnender ren einige, wie z.B. der von der Schädlichkeit der Verkürzung, seine Aufmunterung zur Freude (Bd. Erregung des Ehrtriebes, von den Grundsätzen 3, S. 124f), sein Frühlingslied („Der Schnee anderer Erzieher abweichen“ (S. 207). Brückners zerrint…“, Bd. 5, S. 5f), ebenfalls abgewandelt hier formulierter Erziehungsgrundsatz war: und um die Anrede „Kinder“ ergänzt, Stolbergs „Leicht und froh muß alles erlernt, und alles Er- Winterlied („Wenn ich einmahl der Stadt ent- lernte fürs Herz und für des Lebens Glück rinn’…“, Bd. 4, S. 62f), außerdem sein Zuruf an genutzet werden“ (S. 220). Er interessierte sich die Jugend (Bd. 10, S. 137f). Campe wohnte für Kinder und Kinderpsychologie, seit er selbst, 1777–1783 in Billwerder bei Hamburg und hat- vor dem Pfarramt, als Hauslehrer wirkte; später te Verbindungen zu dem Kreis um Klopstock, war er Vater von sieben Kindern: „Dann entste- dem auch mehrere Hainbunddichter zugehörten; hen Kinderidyllen, wenn ich das heilige Glück,

181 „DIE SEELE EINES KINDES IST HEILIG“. DIE OPPOSITION HERDERS UND DER (VOR-)ROMANTIK

Vater zu seyn in stillen Festen bey mir feyre“.6 Ja, diese wird ihnen zuteil, das Gewitter lässt nach. Brückner erklärte kurzerhand: „Meine Lieblings- Die Kinder handeln nicht wie Kinder, sie sind Idee ist jetzt, alle Tage zu wünschen, daß irgend (alt-)klug (und empfindsam) wie Erwachsene, ein Fürst mich nach Deßau oder Marschlins sen- Lottchen beruft sich ausdrücklich auf „Papa“. Das de, das Philanthropinische Wesen zu studiren. Mit Bibelwort, auf das Lottchen sich bezeichnend Kindern zu thun zu haben, dazu schuf mich selbst bezieht, „Laßt die Kindlein / Doch zu mir Gott.“7 kommen“ (Mt. 19,14), beinhaltet freilich eine Sehen wir uns eine Kinderidylle im Einzel- grundlegende Aufwertung des Kindes, die ratio- nen an, Brückners Lottchen und Karl (Göttinger nal geprägten Strömungen der Aufklärung fremd Musenalmanach 1775, S. 219f, und Kleine Kinder- ist. Dabei geht es Brückner aber nicht, wie wenig bibliothek Bd. 1, S. 30f): später Overbeck, um Kindlichkeit, sondern um „Wie freundlich schwazt Magisters frommes die ‚Unschuldswelt‘ des Kindes. Karl erkennt sei- Lottchen / Mit Hofraths Karl. Sie sind allein. / nen Fehler selbst, einer Strafe, in der Aufklärung Doch eh die Eltern aus der Kirche kommen, / gang und gäbe, bedarf es nicht. Alles ist einge- Steigt ein Gewitter auf. ‚Hörst du? Es donnert bettet in eine christlich-moralische Welt: Die El- sehr!‘ / ‚Nicht bange, Karlchen! Nein, nicht ban- tern sind in der Kirche und lesen mit ihren Kin- ge! / Sprach Lottchen: Sieh, Gott donnert ja!‘ / dern in der Heiligen Schrift, biblische Sprüche Jezt blizt es; schmetternd stößt der Schlag. / Sie gehören zum Alltag. Das Gebet um Sündenver- beben. ‚Ach Lottchen, Gott mag böse seyn!‘ / gebung wird als vorbildlich dargestellt, und es ‚Pfuy, sprich so kindisch nicht! Wie könnte böse, wird sofort erhört. – Die Einfachheit dieses Ge- / Gott böse seyn? Gott hat uns alle lieb. / Das schehens wurde von den anderen Dichtern des sagte mir Papa noch heute Morgen; / Er liest das Bundes gepriesen: „Daß Sie alles, was Sie darinn in der heilgen Schrift.‘ / ‚Ja, das ist wahr! Doch haben, aus der tiefsten KinderNatur hergenom- wenn wir Menschen / Unartig sind, (weißt du men, ist eine Warheit, die alle BundesBrüder das nicht?) / So wird doch Gott, so gut er ist, gleich bemerkten, und bewunderten. Kein Zug, doch böse. / Das steht auch in der heilgen Schrift.‘ beynahe kein Wort scheint mir darinnen über- / ‚Das auch? Nun ja! Auf mich gewiß doch nicht! flüssig. Erst die Besorgnis Carls, dann seine stei- / Ich bin ein frommes Kind. Ich habe heute / So gende Furcht, endlich das Bekentnis seiner Über- schön ja meinen lieben Spruch gewußt, / Den eilung, ist so wahr, die Steigerung der KinderSeele schönen Spruch von Christus: Laßt die Kindlein so angemessen, daß ich kein Gedicht wüßte, das, / Doch zu mir kommen, wehret ihnen nicht! / in seiner Art, so vollkommen ist. Auch dies deucht Papa und Mama, die küßten beyde / Vor Freu- mir ein Vorzug, daß das gewissenhafte Mädchen den mich, und hatten mich sehr lieb.‘ / ‚Ach Gott!‘ des Magisters, und der, etwas leichtsinnigere Carl sprach Karl, und weinte. / ‚Was ist dir, lieber Karl? des Hofraths Sohn ist; denn den Unterschied der Was ist dir? Sage!‘ / ‚Ach Gott! Ja Gott wird böse Erziehung darf man wol bemerken.“8 Auch die seyn auf mich! / Ich habe heut den Diener ausge- religiöse Einrahmung wird gewürdigt: „Der gröste scholten! / Was soll ich thun?‘ Und er und Vorzug, deucht mich, ist der, daß die Christliche Lottchen weinen. / Jezt wieder Bliz und Schlag; Religion im ganzen Stükke mithandelt. Besser, und Thür und Fenster klirren. / ‚Ach laß uns be- als durch solche kleine Gemälde kann eine so ten, Karl! uns beten! Gott vergiebt’s!‘ / Sie knie- schwere Sache Kindern nicht beygebracht wer- ten, weinten, beteten: / ‚Abba, lieber Vater, vergieb den. Sollt’ ich je Kinder zum Unterrichte bekom- mir!‘ / ‚Abba, lieber Vater, vergieb ihm!‘ / ‚Ach! men, so werden Ihre Idyllen (denn mehrere müs- donnre, lieber Gott, nicht so sehr! / Kind Jesus, sen Sie noch machen) mir zu einer grossen Er- bitte mit für uns!‘ / So beteten die lieben Kinder, leichterung dienen. Da mein Onkel in seiner Er- / Und Gott erhörte sie.“ ziehungskunst schon vor einigen Jahren Kinder- Zwei Kinder einer einheimischen Umwelt, be- Idyllen von Gesner, oder andern gewünscht hat zeichnet durch ihre Eltern, unterhalten sich an- so konnt’ ich Ihm keine angenehmere Erfüllung gesichts eines Gewitters über die Frage, ob Gott seines Wunsches zeigen, als Ihre Idylle“.9 böse sei? Lottchen freut sich seiner Frömmigkeit, Brückner stand mit den Göttinger Dichtern doch Karl stellt fest, er habe den Diener ausge- in lebhaftem Briefwechsel.10 Am handschriftli- scholten; er gehört als Hofratssohn zur Ober- chen Bundesbuch der Gruppe war er nur wegen schicht. Sie beten gemeinsam um Vergebung, und der räumlichen Entfernung nicht beteiligt. Bei

182 „EINEN GAR ALLERLIEBSTEN … KINDERTON“. KINDERIDYLLE UND KINDERLIED IM GÖTTINGER HAIN

Vossens Besuch in Mecklenburg 1775 hat Brück- Abb. 76 ner einige Gedichte in Voß’ eigenes Bundesbuch Ludwig Heinrich eingetragen. In der Auswahl Für Klopstock, die Christoph Hölty der Göttinger Hain 1773 Friedrich Gottlieb (Schattenriss). Klopstock, dem verehrten Vorbild, in Hamburg überreichte, ist Brückner mit einem Gedicht ver- treten, das Voß statt seiner eintrug, der vom Bund geliebten kurzen Kinderidylle Die beyden Kinder:11

DIE BEYDEN KINDER Am Bache saß der kleine schöne Beno, Und die noch schönre Minia. Sie sahen in den klaren Silberwellen Ihr schönes Bild. Ach Minia, Seh doch! Was sitzt da unten in dem Waßer? Es lebt! Es sieht uns staunend an! Ach sieh wie schön! Und wie vergnügt sie lächeln! Das müßen wohl zwey Engel seyn. Es sollen ja bisweilen welche kommen, Und spielen mit den Menschen hier. – „Ja freylich! Engel sinds. Der Vater sagte, „Bey frommen Kindern wären sie. „Wir sind ja fromm. Das sind gewiß die Engel, „Die sich an uns beständig freun, „Wie oft der Vater sagt. Mein lieber Beno, len an einem „heiteren Abend“ am Bach: „An „Der mit dem Kranz sieht fast, wie du; einem heitern Abend spielten der kleine gold- „Der andre aber, dünkt mich, ist doch schöner.“ – gelockte Milon u: die kleinere blauäugigte Zila Ja noch viel schöner, Minia! auf einer blumigten Aue, durch welche sich ein klarer Bach mit leisem Gemurmel wand.“ Ein Brückners Idyllen und Kinderidyllen wurden im Einfall, der ‚Dammbau‘ im Bach, unterbricht die Bund lebhaft besprochen und gewürdigt. Höltys natürliche Ordnung („Schon war der Bach ge- Brief an Brückner, ca. 1.3.1773, gibt eine genaue trübt, u: murmelte minder freundlich“). Der alte Deutung der „Unschuldswelt“ der Idylle. Hölty, Vater, ein weiser Patriarch („wie einen Vater lieb- wie Miller, fordert Brückner ausdrücklich auf, te ihn die ganze Nachbarschaft“), weist hin auf mehr Kinderidyllen zu schreiben: „Die Idylle, die die Belebtheit der Natur (Bach, Hain, Blumen), beiden Kinder, ist ein Meisterstück, und hat gewiß da sie von wohltätigen „kleinen Geistern“, den den Vorzug vor allen. O könnten Sie uns mehr „Seelen entschlafener Kinder“ bewohnt sei („al- solcher Kinderidyllen geben! Sie haben die naive les ist voll Lebens! voll Gefühls! Kleine Geister, Kindersprache vollkommen in ihrer Gewalt.“12 oft die Seelen entschlafner Kinder, wallen unge- Hölty und Miller sprachen ihm ausdrücklich eine sehen zwischen Blumen, heben hier den weichen geglückte „Kindersprache“ zu.13 – Klopstock bit- Sprossen aus dem milchigtren Keim, u: vertheilen tet um Abschriften für die Kinder der Frau von dort den balsamischen Thau über das glänzende Winthem.14 In einem Brief, wiederum an Brück- Blatt“). Die so bestimmte „Schönheit“ der Natur ner, berichtet Voß: „Noch etwas von Klopstock. und die kleinen Geister zögen sich aber zurück, Er sprach einen Abend von Basedows vielen wenn der Mensch selbst die Natur „schmücken“, Luftschlößern, und sagte bey der Gelegenheit: da d.h. beherrschen wolle: „[A]ber sie zieht ihre lob ich mir Brückners Idyllen, die sind für den Schönheiten zurück wenn der Mensch sie schmü- Geist der Kinder!“15 cken will“. Die Kinder sind sofort einsichtig und Stolbergs Kinderidylle Der Bach – in früher stellen die Ordnung wieder her: „[U]: nun mur- Fassung handschriftlich im Bundesbuch – melte der Bach wieder freundlich, u: Freude der schwimmt im Fahrwasser des von ihm verehrten Engel ergoß sich in ihre unschuldige Herzen“. Brückner.16 Zwei Kinder, Cilia und Milon, spie- Die Kinder, als Kinder, sind Vertreter einer „Un-

183 „DIE SEELE EINES KINDES IST HEILIG“ – DIE OPPOSITION HERDERS UND DER (VOR-)ROMANTIK

Abb. 77 wollen in der Laube dort bethen, daß du ferner Christian Adolf Overbeck fromm bleibst! Dann bekommst du Johannisbee- (Schattenriss). ren und Kirschen.“ Der Vater „nimmt ihn bey der Hand, und führt ihn liebreich in die Laube. Karl geht weinend ab aufs Zimmer“. Und der Ausgang ist noch harmlos: Christoph August Tiedge lässt in einem vergleichbaren Gedicht seinen ungezo- genen Helmut vom Baum fallen und sich Hals und Beine brechen (Helmut, eine Romanze, in Campes Kleiner Kinderbibliothek Bd. 10, S. 112f).

Kinderlieder. Overbecks Frizchens Lieder Der Lübecker Christian Adolf Overbeck (1755– 1821) gehörte nicht eigentlich zum Göttinger Hain.18 Er kam im Herbst 1773 nach Göttin- gen, als der Dichterbund sich aufzulösen begann: „Als die älteren Bundesfreunde aus einander gin- gen, gesellten sich zu den Nachbleibenden noch Overbeck, dann Sprickmann“ (Voß in der Vor- rede zu Höltys Gedichten 1804).19 Voß blieb Overbeck lebenslang verbunden, und auch mit Campe war Overbeck befreundet; Campe bat ihn um Beiträge zu seiner Kleinen Kinderbibliothek.20 Overbecks Sammlung Frizchens Lieder, erstmals 1781 und ohne Notenbeigaben (Exp.-Nr. 214), schuldswelt“. Diese wird hier pantheistisch- tritt mit dem Anspruch hervor, „daß dies die ers- animistisch, nicht christlich gefasst. Das Mitein- ten Kinderlieder unter uns sind“ (S. 3).21 Er rich- ander, auch das von Kindern und Eltern, ist emp- tet sich damit namentlich gegen die oft aufgeleg- findsam und tränenselig (der Vater weint „wie ten Lieder für Kinder von Christian Felix Weiße ein Sommerregen“). Der Vater ist gütig, es gibt (Altona 1766 u.ö.), die als erste Kinderlied- keine Bestrafung, sondern freie Einsicht, durchaus sammlung der Aufklärung gelten (Exp.-Nr. 217, im Gegensatz zu aufklärerischen Vorstellungen. 218). Bei Weiße höre man „den herablassenden Wunsch und Notwendigkeit stimmen in der Idyl- Lehrer, zwar meist im Ausdruck der Kinder, aber le überein. doch mit den Ideen eines Erwachsenen“ (S. 3). Auch eine aufklärerische Kinderidylle findet Das Ich der Weiße’schen Lieder redet Kinder an sich unter den Gedichten der Göttinger, Millers als ein Gegenüber, bei Overbeck spricht, „wenn Der Kirschbaum. Ein Kindergespräch im Garten ichs gut gemacht habe, wirklich ein Kind“ (S. 3). (1775). Sie ist eine Auftragsarbeit für den Kin- Viele Themen der Lieder sind kindlich: Das derfreund (Exp.-Nr. 133–134).17 Zwei Kinder, Spiel („Wir lärmen und singen, / Und rennen uns Karl und Friz, spielen im Garten, Karl will Ver- um, / Und hüpfen und springen / Im Grase her- botenes tun – Schmetterlingen zum Spaß einen um“), An eine Weintraube („Wenn du was wilst, Flügel ausreißen und auf den Kirschbaum stei- so werde zur Rosine“), An meine Bücher, Die gen (die Kirschen sind noch nicht reif) –, Friz Krankheit; einige Lieder münden in ein Gebet. widerrät es altklug: „Auf verbothnen Wegen geht’s Eine Selbstanrede wie diese ist hübsch: „Frizchen, doch niemals sicher“; der Vater habe es verboten: Frizchen! hier ist noch / Weites Feld für dich zu „Denk, was Papa noch gestern sagte“. Und dann pflügen!“ (Die böse Laune) Aber hier spricht doch kommt alles, wie es kommen muss: Karl steigt auch der Erwachsene im Kind. Auch die Ein- auf den Kirschbaum, verhakt sich beim Abstieg, bindung in aufklärerische Moral ist deutlich: und nur der Vater – er ist zornig – kann ihn ret- „Gieb, daß ich dich und meine Aeltern liebe, / ten. Der Ausgang ist wie die Scheidung von Scha- Und gerne folgsam sey“. Freilich endet das Gebet fen und Böcken: Karl wird ins Zimmer gesperrt, kindgemäß: „Und – komm nun, schöner Traum!“ und zu Friz sagt der Vater: „Komm, lieber Friz, wir (Abendgedanken). Manches ist ein bisschen alt-

184 „EINEN GAR ALLERLIEBSTEN … KINDERTON“. KINDERIDYLLE UND KINDERLIED IM GÖTTINGER HAIN klug: „Ich habe wol zur Tugend Lust, / Doch klein Von Blumen gar noch nichts gehört! – / Du ar- und schwach bin ich“ (An Asmus). Doch es wird mes Papchen du!“22 das Kindsein betont, nicht so sehr das Kind, das Das Lied An den May, durch Mozarts Verto- einfach wie ein Erwachsener werden soll: Es geht nung bekannt geblieben, ist eigentlich ein Kin- um Kindheit, nicht nur um Erziehung. So kann derlied, die zweite Strophe lautet: „In unsrer Kin- Frizchen sein Gebet um Tugend beschließen: derstube / Wird mir die Zeit so lang; / Bald werd’ „Gott, mache mich auf Erden / Zum allerbesten ich armer Bube / Für Ungeduld noch krank. / Kind!“ (An den lieben Gott). Eingemischt ist man- Ach, bey den kurzen Tagen / Muß ich mich oben ches Lied vom verliebten Frizchen und von der drein / Mit den Vokabeln plagen, / Und immer Sehnsucht nach seiner Lotte: „Das soll denn ein fleissig seyn.“ Und: „Und die Mama ist strenge, / Vergnügen für uns Erwachsene bleiben“ (Vorre- Sie schilt aufs Kinderspiel“. Erst die letzte der fünf de des Herausgebers, S. 4). Und eingemischt ist Strophen redet wieder den May an: „Ach, wenns manches, was mit der Erziehung der Zeit kaum doch erst gelinder / Und grüner draussen wär! / zusammenpasst. In dem Lied An einen Papagey Komm, lieber May, wir Kinder / Wir bitten gar preist Frizchen die Gelehrsamkeit des Vogels – zu sehr! / O komm, und bring vor allen / Uns der kann hebräisch, er selbst nicht einmal richtig viele Rosen mit; / Bring’ auch viel Nachtigallen, deutsch –, und er zieht dennoch, durchaus im / Und schöne Kukuks mit!“ An den May findet Geist des Sturm und Drang, die ungelehrte Frei- sich in zahllosen Sammlungen bis in die Gegen- heit vor: „Behalt dein Bauer schön für dich, / Und wart hinein, zuerst 1779 in Campes Kleiner deine Kunst dabey! / Mein Blumenbeet erwartet Kinderbibliothek (Bd. 2, S. 7–9, dort als Sehn- mich: / Ah! wohl mir! ich bin frey! / O Papchen, sucht nach dem Frühlinge). Die mittleren Strophen du bist so gelehrt, / Und hast, wie geht es zu? / sind freilich – bezeichnend dafür, wie Overbecks

Abb. 78 Christian Felix Weißes Lieder und Fabeln (1807). Frontispiz von Schnorr von Karolsfeld und C. G. Frosch; Nr. 219.

„Christian Felix Weissen Dem edlen Buerger Dem Dichter Dem Kinderfreund Dem vollendeten Gerechten.“

185 „DIE SEELE EINES KINDES IST HEILIG“. DIE OPPOSITION HERDERS UND DER (VOR-)ROMANTIK

Lieder aufgenommen wurden – entschärft. Das Die Steckenreiter. Murren über das Vokabellernen fällt bei Campe Auf schlanken Stecken ebenso fort wie die Unzufriedenheit mit der stren- Reiten wir her. gen Mama. Overbeck empfiehlt in der Vorrede Wir kleine Gecken selbst, sein Buch nicht als Ganzes Kindern in die Können nicht mehr. Hand zu geben. Die besondere Stellung von Frizchens Liedern Zwar auf der Erde in der Geschichte des Kinderliedes durch die frü- Reitet sichs knapp; he, eigene Betonung des Kindlichen wird in der Doch große Pferde jüngeren Literatur einhellig gewürdigt.23 Leif Werfen uns ab. Ludwig Albertsen hat grundlegend hervorgeho- ben, Overbeck habe mit Frizchens Liedern „zum Jedoch zuweilen erstenmal das Kind in seinen lyrischen Ergüssen Wagt man sich schon, als ganzen Menschen“ hingestellt „und somit in Trägt ein Paar Beulen die Gattung Kinderlied eine Autonomie [ge- Gerne davon. bracht], die dem Aufstieg der übrigen deutschen Literatur im späten 18. Jahrhundert entsprach“.24 Dann wächst dem Knaben Albertsen nennt das Buch „ein Zeugnis der Vita- Mächtig der Sinn: lität, die den Sturm und Drang auch noch über Schier möcht’ er traben den Rousseauismus emporhob, und des unmit- Meilen dahin! telbaren Verständnisses für das Kind“.25 Beson- ders deutlich wird dies, wenn man mit Christian Allein urplözlich Felix Weißes Liedern für Kinder (Exp.-Nr. 217) Bäumt sich das Thier, vergleicht: Erhebt entsezlich Helles Gewiehr. Unüberlegter Wunsch. (Lieder für Kinder, S. 42) Der Mann und der Knabe. Dann schreyt der Reiter: O weh! der Rapp! Der Knabe. Ich mag nicht weiter! Dieß braune Pferd – welch schönes Thier! Helft mir herab! O lieber Mann, erlaubet mir Ein wenig drauf herum zu traben, Und auf die Lezte Was wollt ich nicht für Freude haben! Wirds wieder werth, Das schlechtgeschäzte Der Mann. Hölzerne Pferd. Prüf deine Kräfte dich zuvor, Eh du was wünschest, kleiner Thor! So bleibts bey Stecken; Weist du ein Pferd auch zu regieren, Wißt ihr woher? Um nicht dein Leben zu verlieren? Wir kleine Gecken Können nicht mehr. Weißes „Knabe“ äußert, als er ein Pferd erblickt hat, das „schön“ ist, den kindtypischen Wunsch Die Kinder reiten auf Stecken; die Gefahren ken- zu reiten. Er fragt, wohlerzogen, um Erlaubnis. nen sie selbst („große Pferde / Werfen uns ab“), Der „Mann“ sagt nicht einmal ausdrücklich aber ein „paar Beulen“ werden „gerne“ in Kauf „Nein“, er weist mit Schelte („Thor“) und Ge- genommen. Über den Ausgang können Kinder genfrage das Ansinnen des Knaben verallgemei- und Erwachsene gemeinsam lachen, denn Ste- nernd zurück. Kenntnis und Unkenntnis sind klar ckenreiten ist anstrengend: „Wir kleine Gecken / verteilt, das Kind muss erzogen werden. Können nicht mehr.“ Man spürt den ironischen Overbecks Steckenreiter (auch in Campes Klei- Abstand, den der Dichter zu Frizchen, hier zu ne Kinderbibliothek, Bd. 2, S. 43–45), ein Wir- den Steckenreitern, hat, und doch, möchte man Gedicht mehrerer Kinder, kennt den Kinder- sagen, liebt er sie und nimmt sie damit ernster als wunsch auch. Es greift ihn scherzhaft auf: Weiße es vermag. Das Kind wird als Kind ernst-

186 „EINEN GAR ALLERLIEBSTEN … KINDERTON“. KINDERIDYLLE UND KINDERLIED IM GÖTTINGER HAIN genommen, nicht, wie in der Romantik, verklärt, 1770–1827, Bd. 8, Kopenhagen 1917. und auch nicht, wie in der Aufklärung, mit Er- BÖSCHENSTEIN-SCHÄFER, RENATE: Idylle, 2., durch- ziehungsmaßnahmen überhäuft. Albertsen nennt gesehene und ergänzte Aufl., Stuttgart 1977. Frizchens Lieder einen Versuch der Vorromantik, BRÜCKNER, IRMGARD: Brückneriana um Johann „nicht-pädagogische Kinderlieder zu schreiben“.26 Heinrich Voß I, Neubrandenburg 1940. Wenn die Vorrede betont, Frizchen sei etwas zu Brücknerscher Familienverband. Zehnter Bericht naseweiß und tauge nicht zum „Ideal für die Klei- [Verfasserangabe: der Vorstand des Familien- nen“ (S. 4), so ist das dem Umfeld geschuldet, verbandes], Bad Doberan und Greifswald das solche Lieder nicht kannte. „[E]s wäre freylich 1936. besser, wenn er ein Engel hätte seyn können: aber BRÜGGEMANN, THEODOR/EWERS, HANS-HEINO er ist nun einmal ein Menschenkind“ (ebd.). (HRSG.): Handbuch zur Kinder- und Jugend- Bürger rühmte schon 1777: „Overbeck hat einen literatur. Von 1750 bis 1800, Stuttgart 1982. gar allerliebsten naiven Kinderton in seinen Lie- CAMPE, J.[OACHIM] H.[EINRICH]: Sammlung eini- dern“.27 Genau das war es, was Overbeck in sei- ger Erziehungsschriften, Zweiter Theil. Nebst ner Vorrede beanspruchte. Overbeck lässt das Aufsätzen von Klopstock, Feder und Brück- Kind aus dem Käfig heraus, in dem der gelehrte ner, Leipzig 1778. Papagei (der sogar hebräisch kann) verbleiben GERSTNER-HIRZEL, EMILY: Das Kinderlied, in: muss. Damit steht er gegen die Aufklärungs- Handbuch des Volksliedes, Bd. 1: Die Gattun- pädagogik, die lieber die „Natur im Käfig“ be- gen des Volksliedes, hrsg. v. Rolf Wilhelm lässt (vgl. den gleichnamigen Aufsatz von Wolf- Brednich, Lutz Röhrich und Wolfgang gang Wangerin in diesem Band). Brückner und Suppan, München 1973, S. 923–967. Overbeck sind beide gleichwohl der Aufklärung GÖPEL, ALFRED: Der Wandel des Kinderliedes im verpflichtet, allein ihre jeweilige Nähe zu Campe 18. Jahrhundert, Quakenbrück 1935. unterstreicht dies. Und doch weisen sie über sie HAVEMANN, JULIUS: Christian Adolf Overbeck, in: hinaus. Das zeigt etwa der Vergleich von Brück- Die Trese. Eine lübische Monatsschrift für Kunst ners (und Stolbergs) Kinderidylle mit der Millers, und Geist 3, Dezember 1921, S. 1–6. und das erweisen der Vergleich Overbecks mit HERBST, WILHELM: Johann Heinrich Voss, zwei Bde. Weiße ebenso wie die raschen Entschärfungen, in drei Teilbdn., Leipzig 1872–1876. die manche Lieder Overbecks erfuhren. – Seinen HÖLTY, LUDWIG CHRISTOPH HEINRICH: Gesammel- Durchbruch erzielte das Kinderlied vollends drei- te Werke und Briefe, Kritische Studienausgabe, ßig Jahre später in Clemens Brentanos Kinder- hrsg. v. Walter Hettche, Göttingen 1998. liedern im Anhang zu Des Knaben Wunderhorn JANSEN, HEINZ: Aus dem Göttinger Hainbund. (Exp.-Nr. 227). Overbeck und Sprickmann. Ungedruckte Brie- fe Overbecks, Münster 1933. Literaturverzeichnis: KAHL, PAUL: „Wohne immer in meinem Herzen ABEL-STRUTH, SIGRID: Kinderlied, in: KLAUS und in den Herzen meiner Freunde alles- DODERER (HRSG.): Lexikon der Kinder- und Ju- belebende Liebe!“ Friedrich Leopold Graf zu gendliteratur. Personen-, Länder- und Sachartikel Stolberg (1750–1819). Aus der literarisch-his- zu Geschichte und Gegenwart der Kinder- und torischen Sammlung des Grafen Franz zu Stol- Jugendliteratur, Bd. 2, Weinheim und Basel berg 1210 – 1750 – 2001 (Göttinger Biblio- 1977, S. 193–197. theksschriften 17), Göttingen 2001. ALBERTSEN, LEIF LUDWIG: Komm, lieber May! Der KLOPSTOCK, FRIEDRICH GOTTLIEB: Briefe 1773– Einbruch der Antipädagogik in das Kinderlied 1775, zwei Bde., hrsg. v. Annette Lüchow der Vorromantik, in: Deutsche Vierteljahrsschrift (Hamburger Klopstock-Ausgabe, Abteilung Brie- für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte fe VI 1/2), Berlin und New York 1998–2001. 43 (1969), S. 214–221. KRÄHE, LUDWIG: Carl Friedrich Cramer bis zu sei- BÄSKEN, ROHTRAUT: Die Dichter des Göttinger ner Amtsenthebung (Palaestra XLIV), Berlin Hains und die Bürgerlichkeit. Eine literarsozio- 1907. logische Studie (Schriften der Albertus-Univer- LAMPE, GUSTAV: Ernst Theodor Johann Brückner sität 6), Königsberg und Berlin 1937. (1746–1805) und der Göttinger Dichterbund, BOBÉ, LOUIS (HRSG.): Efterladte Papirer fra den in: Mecklenburg-Strelitzer Geschichtsblätter 5 Reventlowske Familiekreds. I Tidsrummet (1929), S. 39–105.

187 „DIE SEELE EINES KINDES IST HEILIG“. DIE OPPOSITION HERDERS UND DER (VOR-)ROMANTIK

LANGGUTH, ADOLF: Christian Hieronymus Esmarch STRODTMANN, ADOLF (HRSG.): Briefe von und an und der Göttinger Dichterbund. Nach neuen Gottfried August Bürger. Ein Beitrag zur Lite- Quellen aus Esmarchs handschriftlichem raturgeschichte seiner Zeit, vier Bde. Berlin Nachlaß, Berlin 1903. 1874. LOHFINK, INGEBORG: Vorpommern. Begegnungen VAHLE, FREDRIK: Kinderlied. Erkundungen zu ei- mit dem Land am Meer, Rostock 1991, darin: ner frühen Form der Poesie im Menschenleben, Kinderidyllen von feinem Humor und zur Pro- Weinheim und Basel 1992. pagierung der Pockenschutzimpfung. Erinne- VOGDT, INES-BIANCA: Wunderhorn und Sprach- rungen an den aufklärerischen Dichter und Pre- gitter. Geschichte der intentionalen Kinderlyrik diger Ernst Theodor Johann Brückner in Groß seit dem 18. Jahrhundert, München 1998. Vielen, S. 86–95. VOß, JOHANN HEINRICH: Briefe nebst erläutern- LUCHMANN, FRITZ: Overbeck, Christian Adolph, den Beilagen, 3 Bde., hrsg. v. Abraham Voß, in: Biographisches Lexikon für Schleswig-Hol- Halberstadt 1829–1833. (= Voß-Briefe) stein und Lübeck 10, Neumünster 1994, S. 283–288. Anmerkungen LÜBBERING, ANTON: „Für Klopstock“. Ein Gedicht- 1 Eine ausdrückliche, schriftliche Erinnerung an die band des Göttinger „Hains“, 1773, Tübingen Kindheit gibt es nur in Voß’ Erinnerungen aus 1957. meinem Jugendleben, in Voß-Briefe 1. MAUBACH, PETER: Ernst Theodor Johann Brückner 2 Vgl. zu Brückner: Herbst 1872/76, 1, S. 50–53, (1746–1805), in: Neubrandenburger Mosaik. Lampe 1929, hier bes. S. 46, 52, 57f, 83–86, Heimatgeschichtliches Jahrbuch des Regional- Bäsken 1937, S. 203–206, neuerdings Maubach museums Neubrandenburg 20 (1996), S. 24– 1996. Zur Idylle grundlegend: Böschenstein-Schä- 32. fer 1977, hier bes. S. 84. Julius Sponholz (1817– MENDHEIM, MAX (HRSG.): Lyriker und Epiker der 1897), Brückners Enkel berichtet 1873, in seiner klassischen Periode. Erster Teil. Die Dichter des Jugend habe man manche von dessen Kinder- Göttinger Musenalmanachs. Die Dichter des idyllen in Schullesebüchern gefunden, S. 565. Vossischen Musenalmanachs. Die Dichter des 3 An Christian Stolberg, 28. 11. 1773, nach Bobé Schwäbischen Musenalmanachs (Deutsche Na- 1917, S. 127. Eben das war auch Brückners An- tional-Litteratur 135,1), Stuttgart [1893]. spruch als Dichter, vgl. Voß-Briefe 1, S. 183: „Laß METELMANN, ERNST: E. Th. J. Brückner und der uns immerhin kleiner sein, wenn wir nur nüzlicher Göttinger Dichterbund. Ungedruckte Briefe und sind; das ist eigentlich allein wahre Größe.“ Handschriften, in: Euphorion 33 [viertes Heft, 4 Hahn an Brückner, 18. 10. 1773, nach Metelmann Quellenheft] (1932), 341–420. 1932, S. 401. MILLER, JOHANN MARTIN: Gedichte, Ulm 1783. 5 Nach Langguth 1903, S. 100/129. [OVERBECK, CHRISTIAN GERHARD:] Zur Erinnerung 6 Brückner an den Bund, 28. 1. 1774, Metelmann an Christian Adolph Overbeck beider Rechte 1932, S. 413. Doctor und Bürgermeister zu Lübeck, Lübeck 7 An Voß, 4. 12. 1776. Bayerische Staatsbibliothek 1830. München, Cgm 5196 fol. 1 r–2 v. SPONHOLZ, JULIUS: Ernst Theodor Johann Brück- 8 Miller an Brückner, 17.10. 1773, Metelmann 1929, ner, ein Blatt der Erinnerung, in: Zeitschrift S. 399f. Vgl. auch Gottlob Dietrich Miller an für wissenschaftliche Theologie 16 (1873), S. Brückner, 22. 11. 1773, ebd., S. 406f, Cramer an 560–583. Brückner, 17. 10. 1773, ebd., S. 398, und Hahn STEINBERGER, JULIUS (HRSG.): Aus dem Nachlaß an Brückner, 18. 10. 1773, ebd., S. 401. Charlottens von Einem. Ungedruckte Briefe von 9 Miller an Brückner, 17. 10. 1773, ebd., S. 399. Hölty, Voß, Boie, Overbeck u.a. Jugenderinne- 10 Vgl. Voß-Briefe 1, Metelmann 1932 und Kahl rungen, Göttingen 1923. 2001, S. 112–117. STROBACH, ERICH: Christian Adolf Overbeck, in: 11 Lübbering 1957, S. 77. KLAUS DODERER (HRSG.): Lexikon der Kinder- 12 Nach Hettche 1998, S. 329. Vgl. auch Gottlob und Jugendliteratur. Personen-, Länder- und Dietrich Miller an Brückner, 24. 2. 1773, Metel- Sachartikel zu Geschichte und Gegenwart der mann 1932, S. 379, und Hahn an Brückner, 12. 3. Kinder- und Jugendliteratur, Bd. 2, Weinheim 1773, Metelmann 1932, S. 385, außerdem Cramer und Basel 1977, S. 623f. an Brückner, 14. 3. 1773, Metelmann 1932, hier

188 „EINEN GAR ALLERLIEBSTEN … KINDERTON“. KINDERIDYLLE UND KINDERLIED IM GÖTTINGER HAIN

S. 388. ger Zeit, die Bekanntschaft mit dem Hainbund 13 Am 20. 2. 1773 würdigt Miller ebenfalls Die beyden und seine eigenen Dichtungen S. 47ff. Mendheim Kinder: „Die Idee ist so neu, so süß, so anziehend, [1893], S. 302–314; Jansen 1933 und neuerdings die Moral so eindrüklich, und so Menschennüzlich; grundlegend: Luchmann 1994. Außerdem Briefe das Gedicht ist dabey, nach Ihrem Plan so ganz, so an Charlotte von Einem in Steinberger 1923, S. lokal, und jeder Ausdruck ist so passend, daß ich 73–85. keinen Augenblik anstand, dasselbe allen andern 19 Nach Hettche 1998, S. 449. vorzuziehen“, Metelmann 1932, S. 376. Vgl. zu- 20 Vgl. Jansen 1933, S. 77f, 168, 175. sätzlich Miller an Brückner, 7. 10. 1773, nach Kahl 21 Zitate nach der Ausgabe von 1831. Wie weit diese 2001, S. 112–117. – Miller sagt über eine Kinder- „Lieder“ in Kinderstuben einzogen und gesungen idylle gar, sie sei „wie von einem Kinde diktirt“, wurden, weiß ich nicht zu sagen. Mozarts Verto- an Brückner, 12. 12. 1773, Metelmann 1932, nung von Frizchens An den May ist eine typische S. 410. Vgl. auch Gottlob Dietrich Miller an Kunstliedvertonung, bestimmt zum Gesang am Brückner, 22. 11. 1773, Metelmann 1932, S. 406f. Klavier. Das gesungene Kinderlied kommt aus der 14 Vgl. Voß an Brückner, 2. 4. 1774, Voß-Briefe 1, Tradition des Volksliedes, vgl. Gerstner-Hirzel 160. 1973, das mit der Kunstdichtung Overbecks nichts 15 11. 7. 1774, Schleswig-Holsteinische Landes- zu tun hat; erst im Wunderhorn wurden beide Strö- bibliothek Kiel, Cb 4.55:7. An Brückner schrieb mungen vermischt, vgl. Exp.-Nr. 227. – Noch er kurzerhand: „Ich möchte gern alle Ihre Kinder- 1808 schreibt Overbeck, inzwischen lübischer idyllen haben“, 1. 3. 1774, Klopstock 1998/2001, Staatsmann, ein Kinderlied, genannt Kindlichkeit 1, S. 136, vgl. auch 2, S. 518. Brückner betätigte („Die Kinder haben mich gerne, / Gern bin ich sich als Subskribentensammler für Klopstocks mit ihnen ein Kind…“, nach Overbeck 1830, S. Gelehrtenrepublik (1774). 54). 16 Unmittelbarer Anreger für Stolberg ist vielleicht 22 Vgl. zu Gelehrsamkeitskritik, Topos des Sturm und Brückners erwähnte Idylle Die beyden Kinder, die Drang, auch Frizchens An meine Bücher. Voß kurz vor der Vorlesung von Der Bach in die 23 Völlig verständnislos und fehlerhaft: Havemann Auswahl Für Klopstock übernahm; am 3. 4. 1773 1921; Göpel 1935 und später Vahle 1992 behan- las Stolberg seine Idylle vor, am 19. 4. übergab er deln Overbeck gar nicht. Entscheidend ist Leif Klopstock die Sammlung. Das Engelthal. Idylle aus Ludwig Albertsens Arbeit von 1969. Schon 1830 einer Unschuldswelt (Göttinger Musenalmanach hatte freilich Overbecks Sohn erkannt: In seinen 1775, S. 123–128) könnte auch ein Anreger sein Kinderliedern „herrscht eine Einfachheit, Leben- (Szenerie am Bach); der Name Cilia ist ebenfalls digkeit und kindliche Einfalt, welche ihnen immer von Brückner übernommen, vgl. zusätzlich sein einen Platz unter den vorzüglicheren dieser Gat- Die Fischer. Idylle aus einer Unschuldswelt (Göttin- tung sichern werden“, S. 51. Vgl. neuerdings auch ger Musenalmanach 1775, S. 178–185). Ein Brief Vogdt 1998, S. 49–58. beider Stolberg an Brückner vom 11. 12. 1773 bei 24 Albertsen 1969, S. 221. Metelmann 1932, S. 407–409. Christian Stolberg 25 Ebd., S. 216. an Brückner: „Laßen Sie sich von Voß sagen wie 26 Ebd., S. 215. Einige Gedichte, die sich nicht für sehr die Idylle, da die Kinder ihr Bild im Waßer Kinder eigneten, hat Overbeck nicht mit dem sonst sehen, mich hingerißen hat“, 11. 12. 1773, nach angebrachten * versehen. Die Sammlung Herrn Metelmann 1932, S. 408. Overbecks Lehrgedichte und Lieder für junge emp- 17 Im Anhang seiner Gedichte, Ulm 1783, teilt Miller findsame Herzen, gesammelt von einigen Verehrern mit: Den Kirschbaum „schrieb ich 1775 in Leip- des Herrn Verfassers in der Schweiz (Lindau 1786, zig, da mich jemand um Beyträge zum Kinder- Exp.-Nr. 215) – sie geht auf verstreute Drucke zu- freund ersuchte“, S. 423. Gemeint ist Weißes rück – lässt eben diese Lieder fort, obwohl sie die Wochenblatt für Kinder (später Kinderfreund), des- Ausgabe von 1781 nicht kannte. „Weise und ver- sen Redaktion vorübergehend der Bundesbruder nünftig sind hier alle revolutionären Elemente aus Carl Friedrich Cramer innehatte, vgl. Krähe 1907, Overbecks Werk entfernt“, Albertsen 1969, S. 219. S. 106f. Da sie dort dann doch nicht erschien, 27 An Boie, 11. 10. 1777, Strodtmann 1873, 2, S. brachte Miller die Idylle im Ulmischen Intelligenz- 160, hier bezogen auf Der Knabe an ein Veilchen, blatt und dann in seinen Gedichten, S. 427–438. in Voß’ Musenalmanach für 1778, S. 193–195, 18 Vgl. zu ihm: Overbeck 1830, dort über die Göttin- später in Frizchens Liedern.

189 „DIE SEELE EINES KINDES IST HEILIG“. DIE OPPOSITION HERDERS UND DER (VOR-)ROMANTIK

Exponate 214–222 – Sie werden des Herrn Verfassers ungemeine Gabe gewiß bewundern. – Besonders freuet es uns, daß er kein Nachahmer von Herrn Weisse ist, obgleich die- 214 Christian Adolf Overbeck: ser – wenn je Nachahmung entschuldigt werden kann Frizchens Lieder. Herausgegeben von Christian Adolf – nachgeahmt zu werden verdient. Herr Overbeck hat Overbeck. – Neue Ausgabe. – Hamburg: Verlag von seine eigne Manier, und thut sehr wohl daran, dabey August Campe, 1831. – 142 (2) S. 16 x 10,5 cm. zu bleiben. Der Ton seiner Lieder ist gut, natürlich, Mit unsignierter Titelvignette. allgemein verständlich und sehr treuherzig. Wir ha- Die Erstausgabe erschien 1781. ben diese Gedichte aus Campens Kinderbibliothek und Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen aus verschiedenen Musenalmanachen gezogen, sonst Viele Lieder Overbecks erschienen zuerst in Campes ist uns nicht bekannt, daß er etwas geschrieben hätte; Kleiner Kinderbibliothek (Exp.-Nr. 151). Overbeck war auch wissen wir, daß dieser Dichter werth ist, aparte, mit Campe befreundet. Er ist in der Kinderbibliothek und zwar mit möglichster typographischen Schönheit als Lyriker sogar am stärksten vertreten. Der Over- herausgegeben zu werden, woran es der Herr Verleger beck’sche Kinderton ist in der Anthologie aber eine nicht wird ermangeln lassen. Wir wünschen diesem Randerscheinung, manche Gedichte wurden auch ver- Bändchen eine gute Aufnahme, und sind versichert, ändert, so das bekannte Lied An den May, dessen „nase- daß es bey jungen Leuthen den erwünschten Nuzen weiße“ Mittelstrophen entschärft wurden. Die Sam- bringen werde“ (ohne Seitenangabe). melausgabe Frizchens Lieder erschien erstmals 1781; P.K. 1786 erschien in Lindau die Sammlung Herrn Over- becks Lehrgedichte und Lieder für junge empfindsame 216 Bundesbuch des Göttinger Hains. [Bd. 2] Göt- Herzen, gesammelt von einigen Verehrern des Herrn Ver- tingen, 1773. – Alte Seitenzählung, ca. 25 x 17,5 cm. fassers in der Schweiz (Exp.-Nr. 215). Dunkelbrauner Kalbsledereinband mit schmaler Gold- P.K. leiste verziert. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 215 Christian Adolf Overbeck: Der Göttinger Hain(bund) führte in den Jahren 1772/ Herrn Overbecks Lehrgedichte und Lieder für junge 73 ein zweibändiges handschriftliches „Bundesbuch“, empfindsame Herzen. gesammelt von einigen Vereh- in dem die Gedichte der Mitglieder nach der gemein- rern des Herrn Verfassers in der Schweiz. Lindau am samen Kritik im Gruppengespräch, jeweils eigenhän- Bodensee. Im Verlag der E. G. B. Fritzischen Buch- dig, eingetragen wurden. Der erste Band umfasst über handlung. 1786. – (2) 138 (2) S. 17,5 x 11,5 cm. einhundertachtzig Gedichte (einige wenige fehlen heu- Mit unsignierter Titelvignette in Kupferstich. Gedicht te), der zweite nur noch dreiunddreißig, darunter das auf dem Titelblatt: ‚Ich halt’ es immerhin mit dir, / einzige Prosastück des Bundesbuches, Friedrich Leo- Schreib du dein Lebelang! / Und nimm indessen hin pold Stolbergs Kinderidylle Der Bach. Stolberg las sie von mir / den wärmsten Herzensdank.‘ laut Bundes-Protokollbuch (SUB Göttingen 8o Cod. Sammlung Stolberg Ms. Phil. 204k) am 3. 4. 1773 in der Bundessitzung Diese Sammlung geht auf verstreute Drucke zurück, bei Johann Friedrich Hahn vor, kurz danach wird sie nicht auf die Ausgabe von 1781. Gegenüber der recht- ins Bundesbuch eingetragen worden sein. Ein leicht mäßigen Ausgabe werden aufklärerisch-lehrhafte Züge abweichender Druck erschien 1779 im Deutschen wieder stärker betont („Lehrgedichte“). Die Texte wer- Museum. Ein Druck des Bundesbuches im Ganzen kam den sorgfältig wiedergegeben; es fehlen freilich die, die niemals zustande, obwohl die Hainbündler selbst ei- Overbeck selbst durch Fortlassung des Sternchens als nen solchen planten. Für dieses Bundesbuch waren zu „naseweiß“ eingeschätzt hat (z.B. An einen Papagey). auch Brückners Kinderidyllen vorgesehen, vgl. Exp.- Auch die Streichung einer einzelnen Strophe kommt Nr. 220. vor, weil sie offenbar zu vorwitzig ist („Und meine Lotte Eine Edition des Bundesbuches im Ganzen wird vor- schleicht herbey, / Kneipt mir die Wange, daß ich bereitet von Paul Kahl. schrey“, Die Sinne, zit. n. Exp.-Nr. 214). Die Vor- P.K. erinnerung wünscht sich v.a. „Nutzen“, das erste Ge- dicht verheißt Lehren an Kinder. „Hier, fühlbare Le- 217 Christian Felix Weiße: ser! haben Sie eine kleine Sammlung von Gedichten, Lieder für Kinder. Leipzig, bey M. G. Weidmanns die ein Mann mit dem edelsten Herzen und von selte- Erben und Reich, 1767. – 66 S. 16,5 x 10 cm. ner Laune, Herrn Overbeck von Lübek, verfertiget hat. Mit Frontispiz, Titel- und Schlussvignette, alle unsig-

190 „EINEN GAR ALLERLIEBSTEN … KINDERTON“. KINDERIDYLLE UND KINDERLIED IM GÖTTINGER HAIN niert. Verfasserangabe handschriftlich ergänzt. dig gelernt, und, da sie dreymal in Musik gesetzt wor- Erstausgabe. den waren, überall beym Clavier gesungen.“ Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen W.W. Weißes Lieder für Kinder – sie wurden sehr oft aufge- legt – gelten als die erste Kinderliedersammlung der 220 Ernst Theodor Johann Brückner: Aufklärung. Kindheit wird in ihnen als Unvernunft Gedichte von E. T. J. Brückner. Neubrandenburg, ge- vorgestellt, die der Erziehung bedarf; die Lieder mün- druckt bei C. G. Korb, Herzogl. Hofdrucker. 1803. – den in eine nützliche pädagogische Einsicht oder Be- IV, 246 S. 17 x 11 cm. lehrung zu Tugend, Fleiß, Sparsamkeit, Mitmensch- Staatsbibliothek Berlin lichkeit u.a. ‚bürgerlichen‘ Werten. Später grenzte sich Brückners Gedichte wurden im Göttinger Hain leb- Overbeck mit Frizchens Liedern (vgl. Exp.-Nr. 214), haft besprochen und zumeist begeistert angenommen; dem Kinderlied des Sturm und Drang, von Weiße ab; nur Boie und Bürger waren zurückhaltender. Die Ge- Weiße redet Kinder an, bei Overbeck spricht selbst dichte erschienen zunächst verstreut in den Musenal- ein Kind. Weiße war einer der bekanntesten Kinder- manachen, meist unter Kürzeln verborgen. Wegen sei- schriftsteller der Aufklärung, vgl. besonders seinen vier- ner aufgeklärten Gesinnung war Brückner im rück- undzwanzigteiligen Kinderfreund, Exp.-Nr. 133–134. ständigen Mecklenburg der Gefahr einer Amtsenthe- Lit.: Brüggemann/Ewers 1982, Sp. 86–93 (dort auch bung ausgesetzt. Erst dreißig Jahre später gab Brück- zum Erscheinungsjahr 1767), Vogdt 1998, S. 25–43. ner, materiellen Erwägungen folgend, eine Sammlung P.K. seiner Gedichte heraus, unterteilt in Patriarchalische Idyllen, Kinder-Idyllen, Vermischte Gedichte und 218 Christian Felix Weiße: Sinngedichte. Die Kinderidyllen bilden die zahlen- Lieder für Kinder. Dritte Auflage. Leipzig, bey M. G. mäßig größte Gruppe. Weidmanns Erben und Reich, 1770. – 98 S. 16 x 10 Christian Friedrich Daniel Schubart würdigt Brückner cm. schon in seiner Deutschen Chronik auf das Jahr 1775: Ohne Verfasserangabe. Mit einem Frontispiz von Jo- „Brückner in seinen Gemälden aus einer unschuldi- hann Michael Stock. gen Welt verdient weit mehr Dank, als ihm sein Kunst- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen richter zu Erfurt gab. So zartes Gefühl der Unschuld und Tugend hab’ ich nicht leicht bey einem Dichter Abb. 79 219 Christian Felix Weiße: gefunden“ (Siebentes Stück, 23. 1. 1775, S. 53). Hiller: Sammlung der Christian Felix Weiße’ns Lieder und Fabeln für Kin- P.K. Lieder (1782); Nr. 221. der und junge Leute. Nach des Verfassers Wunsche gesammelt und herausgegeben von M. Samuel Gott- lob Frisch. Mit einem Kupfer. – Leipzig: bey Siegfried Lebrecht Crusius, 1807. – XXII, 242 S. 19 x 12 cm. Titelkupfer von Schnorr von Karolsfeld und C. G. Frosch. Weiteres Exemplar (ohne Kupfer) vorhanden. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Weiße war Steuereinnehmer in Leipzig und zugleich einer der bekanntesten Schriftsteller seiner Zeit; er schrieb vor allem Theaterstücke, aber auch Lieder und Fabeln, viele davon für seinen Kinderfreund. Die vor- liegende Ausgabe ist „den Kreisen gut gebildeter Kna- ben und Mädchen“ gewidmet und enthält Texte aus dem Kinderfreund und dem Briefwechsel der Familie mit dem Kinderfreund; moralische und religiöse Lie- der, Elegien (so nennt Weiße Lieder, „welche die sanf- te Rührung des jugendlichen Gemüths“ darstellen), Lieder „der Freude und des Scherzes“, Fabeln und Vers- erzählungen. „Die kleinen lieblichen Lieder, welche so lebendig die erste Entwicklung moralischer und re- ligiöser Empfindungen in den zarten Herzen der Klei- nen darstellen, wurden häufig von Kindern auswen-

191 „DIE SEELE EINES KINDES IST HEILIG“. DIE OPPOSITION HERDERS UND DER (VOR-)ROMANTIK

221 Johann Adam Hiller: Verfasser am Ende der Widmung genannt. Mit orna- Sammlung der Lieder aus dem Kinderfreunde, die noch mentaler Titelvignette. Neuer Einband. nicht componirt waren, mit neuen Melodien von Jo- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen hann Adam Hiller. Leipzig, 1782. bey Siegfried Leb- Von Georg Carl Claudius (1757–1815), ebenfalls Au- recht Crusius. – 45 S. Quer 16,5 x 21 cm. tor aufklärerischer Schriften für Kinder, erschien 1780 Mit einer Titelvignette. in Frankfurt ein Band mit Vertonungen zeitgenössi- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen scher (Kinder-)Gedichte. Das Titelblatt des Bandes im Abb. 80 Der deutsche Komponist, Musikschriftsteller und Querformat zeigt, wie bei den Vertonungen von Hiller Claudius: Lieder für Kinder Musikpädagoge Johann Adam Hiller (1728–1804) ar- (Exp.-Nr. 221), fast unbekleidete, musizierende Kna- (1780); Nr. 222. beitete seit 1766 eng mit Christian Felix Weiße zu- ben in einer Naturszenerie. sammen, wobei sie sich hauptsächlich für die Etablie- In seiner ,Vorerinnerung‘ bezieht Claudius sich aus- rung des deutschen Singspiels engagierten. Der breit drücklich auf die sehr bekannten Kinderliedvertonun- interessierte Hiller zeigte jedoch auch die Neigung, die gen von Johann Adam Hiller und legt seine Absicht Gesangskultur in Deutschland zu heben und bereits offen dar: Er möchte mit seinen Liedern eine Alterna- Kinder und Jugendliche entsprechend zu unterrich- tive zu den oft recht anspruchsvollen Kompositionen ten. Seine Vertonung von Liedern aus Weißes Kinder- Hillers schaffen und den Schwierigkeitsgrad an die mu- freund erschien 1782 in Leipzig, wo er lange Zeit als sikalischen Fähigkeiten der noch nicht fortgeschritte- Musiker wirkte. nen Kinder anpassen. „Ein guter Freund, unser großer Den querformatigen Band, der für Kinder zum Sin- Hiller, hat euch schon vor etlichen Jahren mit einer gen und Musizieren gedacht war, schmückt ein Kup- gar trefflichen Liedersammlung versorgt; allein einige ferstich, auf dem zwei auf Streichinstrumenten musi- von euch kamen immer mit etwas traurigem Gesichte zierende, fast unbekleidete Kinder zu sehen sind. Die vom Clavier, und klagten, daß dies für ihre kleinen Lieder sind stets für Singstimme und begleitendes Kla- Finger noch zu schwer sey. Ich habe mirs daher ange- vier verfasst und gelegentlich zweistimmig. Unter den legen sein lassen, leichter zu werden, und es ist mein Titeln finden sich zum Beispiel das Morgenlied eines herzlichster Wunsch, daß ihr das darinnen finden Kindes beym Anfange des Jahres, An einen Baum im möget.“ Herbste, Auf ein Schneeglöckchen oder Ermahnung an Doch auch die „Fähigern“ sollen nicht vernachlässigt die Jugend. Unter den Liedern befinden sich Verweise werden; entsprechend mischen sich die Schwierigkeits- auf die Herkunftsstellen im Kinderfreund. Die Lage grade. Es werden Texte von Christian Felix Weiße, der Singstimme ist, verglichen mit den Tonlagen, den Christian Adolf Overbeck, Johann Heinrich Campe, heutige unausgebildete Sänger oder Kinder erreichen Friedrich Hagedorn, Matthias Claudius und anderen können, recht hoch. Die Vertonungen sind offensicht- vertont, auch einige aus der Feder des Autors selbst. lich keine ,Kinderlieder‘, wie sie heute aus dem Be- Die meisten der Lieder sind strophisch gegliedert und reich der Volkslieder bekannt sind, sondern Stücke, gehen in den Tonarten nicht über eine Anzahl von die sich an Kindern der bürgerlichen Klasse wenden. drei Vorzeichen hinaus, um das Spielen zu erleichtern. Sie waren oft durch Unterricht an den Umgang mit Die Taktarten bewegen sich fast durchgehend im Be- anspruchsvoller Musik gewöhnt. Der Weiße’sche, oft reich von 3/4-, 3/8- oder 6/8-Takten. Die Themen stark moralisierende Text steht außerdem der Unbe- der Gedichte überschreiten den Rahmen von pädago- kümmertheit typischer Kinderlieder, wie wir sie ken- gischer und naturbezogener Kinderlyrik nicht. In mu- nen, im Wege. sikalischer Hinsicht bilden zwei Stücke eine Ausnah- B.S. me: In Milon und Lydia sind kurze Zwischenspiele für die zusätzlichen Instrumente Hörner und Flöten ein- 222 Lieder für Kinder mit neuen sehr leichten Me- gefügt und ein Auszug aus dem Singspiel Die kleine lodien. [Von Georg Carl Claudius] Frankfurt am Mayn Ährenleserin, der ursprünglich nicht als unabhängiges bey Heinrich Ludwig Brönner. 1780. – (4) 41 S. Quer Einzellied für den Band komponiert wurde. 19,5 x 25,5 cm. B.S.

192 „Im Frühling des Lebens“. Wenn Herders pädagogisches Anliegen eine Li- Herders Vorrede zu Palmblätter. Erlesene teratur für Kinder, zum Vorlesen und Nacherzäh- morgenländische Erzählungen für die len war, so hatte er dabei nicht zuletzt die Erzie- Jugend hung und Bildung der eigenen Familie im Sinn. Von Herders insgesamt acht Kindern war nur ei- Runhild Arnold und Günter Arnold nes früh gestorben. Die Mutter Karoline las ih- ren Kindern u.a. Gleims Fabeln vor und erzählte Musäus’ Volksmährchen der Deutschen nach, wo- Palmblätter. Erlesene morgenländische Erzählun- bei es sich eigentlich um Novellen nach Sagen- gen für die Jugend (Jena 1786) sind Nacherzäh- stoffen handelte. Immer wieder ersuchte sie ihre lungen von französischen Bearbeitungen orien- Freunde um echte Volksmärchen. talischer Märchen und lehrhafter Geschichten Herder schrieb an seinen Freund Karl Ludwig (Exp.-Nr. 223, 224). Der große Pädagoge Johann von Knebel (1744–1834), 6. 11. 1784: „Dage- Gottfried Herder hat den Hauslehrer seiner Kin- gen haben wir uns Abends an Morgenländischen der, August Jakob Liebeskind, dazu angeregt, ihn Erzählungen erbauet, die uns Gottfried1 vorliest, bei der Auswahl der Geschichten zu beraten, und und die meine Frau geneigt ist, zu sammlen. Sie dem ersten Band eine Vorrede vorangestellt, die haben die Deutsche Uebersetzung des Cardonne; seine erzieherische Konzeption der Kinderliteratur schicken Sie sie uns doch, wenn Sie sie nicht brau- explizit begründet. Mit der Bevorzugung didak- chen und auch sonst, wenn Ihnen etwas Gutes tischer Genres der Literatur, insbesondere der der Art, auch in Englischen Journalen, die Sie ja Wertschätzung der Fabel, stand Herder in der Tra- lesen, in die Hand fällt. Vielleicht kann Ihnen dition der älteren Aufklärung. Mit der program- auch Büttner2 etwas sagen und geben“.3 matischen Hinwendung zu der vor seiner Zeit in Der hier erwähnte Denis Dominique Car- Deutschland unbeachteten bzw. verachteten donne (1720–1783) war ein französischer Orien- Volksdichtung, seiner theoretischen wie prakti- talist, der zwanzig Jahre in Konstantinopel gelebt schen Grundlegung der Volksliedforschung und hatte, sein Buch Mélanges de littérature orientale, mit dem Projekt einer Märchensammlung weist traduits de différens manuscrits Turcs, Arabes et Pers- er in die Romantik und die Folkloristik des neun- ans de la Bibliothèque du Roi (Paris 1770). Herder zehnten Jahrhunderts voraus, die in ihm zu Recht erhielt von Knebel die 1781 in Dessau erschiene- ihren Vorläufer gesehen haben. Herders neue ne Übersetzung Miscellaneen der morgenländischen Sicht und Funktionsbestimmung der Literatur hat Literatur oder unterhaltende und belehrende Erzäh- allgemeine Voraussetzungen. Nach dem Sieben- lungen aus dem Orient, von Herrn Cardonne. Die jährigen Krieg vollzog sich eine Radikalisierung erste Übersetzung hieß Versuche der Orientalischen der deutschen Aufklärung, die – flankiert von Litteratur in historischen und moralischen Aufsät- sozialen Krisenerscheinungen und von Reform- zen (Breslau 1771). Im handschriftlichen Nach- tendenzen – mit einer vorher undenkbaren In- lass Herders in der Staatsbibliothek Berlin Preu- tensität die Lebensweise und kulturellen Äuße- ßischer Kulturbesitz befindet sich ein elf Quart- rungen der Unterschichten in den Blick nahm. seiten umfassendes Exzerpt in französischer Spra- Zugleich vollzog sich infolge starker Einflüsse che, Herders eigenhändige Abschrift verschiede- der fortgeschritteneren Literatur und Philoso- ner Erzählungen aus Cardonne.4 phie Englands und Frankreichs eine außeror- Cardonne ist die wichtigste Quelle der Palm- dentliche Vertiefung der geschichtlichen und blätter, doch existieren noch viele andere Fund- psychologischen Einsichten, die in Ansätzen orte für die orientalischen Erzählungen, unter schon in der älteren Aufklärung vorhanden wa- anderen französische Feenmärchen, d´Herbelots ren. Herders pädagogische Auffassungen ent- Bibliothèque Orientale oder die indischen Fabeln sprechen seiner Geschichtsphilosophie: Wie je- von Bidpai und Dabschalin nach dem Hitopade- des Zeitalter seine eigenen Gesetze hat, so auch sha von Narayana. Erzählungen dieser Art ent- die Lebensalter des Menschen. Der Erzieher darf halten auch englische Monatsschriften des acht- ein Kind nicht als kleinen Erwachsenen behan- zehnten Jahrhunderts, so The Adventurer und The deln; er soll sich nicht vorrangig an seinen Ver- Spectator.5 stand wenden, sondern an seine kindliche Ein- Märchen, wie Fabeln eine didaktische Litera- bildungskraft. turgattung, wurden von Herder sehr geschätzt,

193 „DIE SEELE EINES KINDES IST HEILIG“. DIE OPPOSITION HERDERS UND DER (VOR-)ROMANTIK weil sie durch das Wunderbare ihres Inhalts die dies das beste moralische Kinderbuch das bisher Einbildungskraft des Kindes anregen. Karoline erschienen ist. Ach wie eckelt einem endlich für plante die Veröffentlichung eines Märchen-Alma- allem Geschwätz und detaillirter Empfindung!“10 nachs gemeinsam mit Herder und hatte auch In diesem Brief vom 26. 6. 1786 erklärt Karoline schon über passende Illustrationen nachgedacht. Herder Johann Georg Müller, was Herders Brief Wenn Herder und seine Frau das Projekt durch- nur andeutete. Der ältere Bruder des Empfän- geführt hätten, wäre das Ergebnis der Sammlung gers, Johannes von Müller (1752–1809), war der der Brüder Grimm vergleichbar gewesen. Her- berühmte Schweizer Historiker und spätere Mit- der wollte mit seiner Märchensammlung jedoch herausgeber der Werke Herders. In der ersten in erster Linie ein Erziehungsbuch für die Jugend Gesamtausgabe hat er der Herder’schen Vorrede herausgeben. Als Aufklärer und Moralist hätte er 1807 einen pädagogischen Titel gegeben: Über tiefgreifende Veränderungen vorgenommen. Die den Wert morgenländischer Erzählungen zur Bil- möglichst getreue Überlieferung der Quellen aus dung der Jugend. dem Volksmund war ihm weniger wichtig als die Am 17. 9. 1786 schreibt Herder an den Erziehung und Bildung des Volkes, die Überwin- Reichsgrafen August Dietrich von Marschall, dung von Aberglauben und Vorurteilen. In einer Gutsbesitzer und Kirchenpatron von Oßmann- damals nicht veröffentlichten Niederschrift zu den stedt. Er empfiehlt Liebeskind, den Hauslehrer Ideen zur Philosophie der Geschichte der Mensch- seiner Kinder, einen der besten Kandidaten der heit klagte er, dass die Aufklärung nur die Ober- Theologie, sehr guten Prediger, „aufgeklärten schicht erfasst habe: „Nur der versunkene Pöbel Mann“ und „ausgezeichneten Menschen“, als und etwa Kinder und Weiber blieben bei der Tra- Dorfpastor. „Griechisch kann er, um allenfalls dition ihrer Mütter und Väter.“6 Profeßor darinn zu seyn: sein Styl ist rein und Das Projekt kam jedoch nicht zur Ausfüh- edel, wie beiliegende Palmblätter, deren Verfaßer rung, denn Herder war mit seiner Arbeit an der er ist, zeigen. Ich habe bei denselben nämlich Adrastea und seinem Augenleiden genug beschäf- nichts als die Stücke angegeben, die ich in der tigt.7 Dafür übernahm ein anderer auf Herders Sammlung wünschte; wenige sind eigentlich Anregung eine vergleichbare Aufgabe – zunächst übersetzt, die meisten mußten neu erzählt und anonym. Anfang Februar 1786 schreibt Herder eingekleidet werden und diese Arbeit ist ganz die an seinen jungen Freund Johann Georg Müller seine. Die vier goldnen Kugeln S. 107 sind ganz in Schaffhausen, einen Schweizer Theologen von ihm: seine Erfindung und sein Vortrag, mit (1759–1819), und dankt für einen übersandten der er mich selbst berückt hat. Das Buch ist vom großen Schweizerkäse. „Auf Ostern werde ich Publikum sehr gut aufgenommen und doch ists Ihnen dafür außer meinen ‚Zerstreuten Blättern‘ für ihn nur eine fremde Arbeit, die er mir und Theil 2 Palmblätter schicken, die Sie sehr freuen den Kindern zu Liebe gethan hat.“11 werden. Sie sind nicht von mir. Ein Buch für Kin- Johann August Jakob Liebeskind (1758– der, an dem sie izt sämmtlich große, hohe Freude 1793), Kandidat der Theologie und seit 1781/ nehmen, wenn es corrigirt wird.“8 82 Hauslehrer von Gottfried und August Her- In diesem Brief ist die Rede von einem Kin- der, wurde tatsächlich durch Herders Empfeh- derbuch mit dem Titel Palmblätter, den, wie lung im Januar 1787 Pfarrer in Oßmannstedt. Haym und Suphan vermuten, Herder selbst ge- 1788 heiratete er Wielands vierte Tochter Amalie; prägt hat, vielleicht im Gedanken an die ernste- schon 1793 starb er jedoch an der Schwindsucht. ren Fabeln aus Herders „Zerstreuten Blättern“.9 Seine Palmblätter. Erlesene morgenländische Erzäh- Der Brief weist jedoch auf einen fremden Bear- lungen für die Jugend erschienen anonym 1786 beiter hin. in der Akademischen Buchhandlung in Jena, die „Die Morgenländischen Erzehlungen die Jo- Bände 2, 3 und 4 bei Carl Wilhelm Ettinger in hann Liebeskind hier schickt, hat er auf Anlei- Gotha unter seinem Namen als Herausgeber tung meines Mannes herausgegeben. Ich habe 1788, 1796, 1800. – Aus beiden Briefzitaten geht schon seit etlichen Jahren beinah die Helfte für hervor, dass Herder Liebeskind bei der Arbeit nur unsre Kinder abschreiben lassen, und ich hatte angeleitet hat und seine Beteiligung sich außer längst den Gedanken des Sammelns. Liebeskind der Vorrede vom 25. 2. 1786 im Wesentlichen hat es ziemlich gut ausgeführt und für den Bo- auf die Auswahl der Erzählungen beschränkte. gen 5 Reichstaler bekommen. Ich meyne es sei Liebeskinds Leistung reicht von der Nacherzäh-

194 „IM FRÜHLING DES LEBENS“. HERDERS VORREDE ZU PALMBLÄTTER lung und sprachlichen Bearbeitung der Überset- blieben nur abstrakte „Schattengestalten“. Wenn zung bis zur eigenen Erfindung („Die vier goldnen ein Kind viele Sittensprüche aufsagen, aber sie Kugeln“). weder verstehen noch anwenden könne, gleiche In der Einsicht, dass Jugendträume bleiben- es „einem dürren Gewächs […], das man statt dere Erinnerungen hinterlassen als alle später eigner Früchte mit fremden Perlen bekränzte“.19 aufgenommenen Lehrsysteme, forderte Herder als Man müsse also die Moral in eine Handlung klei- einer der ersten im Jahrhundert der Aufklärung den, wie es das Beispiel der Äsopischen Fabeln die Anschaulichkeit moralischer Lehren und Ein- lehre, deren sprechende Tiere die kindliche Neu- fühlung in die Fantasiewelt des Kindes. „Im Früh- gier befriedigten und deswegen sehr beliebt sei- linge des Lebens, wenn unsre junge Einbildungs- en. kraft aufwacht, sind wir ungemein geneigt, uns Doch könne nicht jede für kindliche Emp- eine Welt zu denken, die nicht um uns ist.“12 fänger bestimmte Lehre „einem Thier in den Herder warnte davor, den Kindern in dieser Mund gelegt oder in seiner Handlungsweise aus- beeinflussbaren Lebensphase „Phantome der gedrückt“ werden. Beispiele von Klugheit und List Furcht und des Schreckens“, wie sie beispielsweise fänden sich zahlreich; „Großmuth aber, eine Tu- Abb. 81 die Märchen von Charles Perrault (Exp.-Nr. 225– gend, die wählt, sich selbst bestimmt und Lei- Illustration aus Palmblätter 226) enthielten, einzuprägen, die „Verstand- und denschaften überwindet, liegt, wie jedermann 4 Bde (1831); Zwecklos“ und ihrer Fantasie schädlich seien.13 weiß, eigentlich gar nicht im Charakter der Teil 1, Nr. 223. „Denn im menschlichen Leben entwickelt sich Ein Zustand aus dem andern: wie sich die Tage ketten, so ketten sich auch unsre Gedanken, und was der Frühling nicht säete, kann der Sommer nicht reifen, der Herbst nicht ernten, der Winter nicht genießen.“14 In der Kontinuität des Lebens baue alles aufeinander auf: „Tausend Übel des Le- bens, die uns in spätern Jahren verfolgen, ja die wir mit uns in unsrer Brust umhertragen, entspran- gen daher, daß wir in der Jugend unsre Phantasie verwöhnten, daß wir uns Luftgestalten schufen, die für dieses Leben keinen Bestand haben“.15 Es sei also notwendig, die Einbildungskraft in die richtigen Bahnen zu lenken, wofür sich freilich am besten Beispiele aus dem realen Le- ben eigneten. „Vorbilder des Guten und Edlen standen um den aufmerksamen Jüngling und drückten sich mit der liebevollen Gewalt der Tu- gend so sanft und zugleich so mächtig in sein Herz, daß er, ohne es zu wissen, ihnen gleichför- mig handeln lernte, und auch so handeln wird, wenn ihre körperlichen Gestalten sich längst sei- nem Auge, ja vielleicht seinem Gedächtniß selbst entzogen haben.“16 Rüdiger Steinlein weist dar- auf hin, dass Herder hier das Idealmodell der Gewissens- oder Über-Ich-Bildung skizziert und so Freuds psychoanalytische Erkenntnisse vorweg- nimmt.17 Da jedoch solch exemplarische Men- schen im realen Leben leider nicht häufig anzu- treffen sind, denkt Herder im Weiteren darüber nach, was an ihre Stelle treten könnte. „Goldne Sittensprüche und Regeln“18 seien nützlich, könnten aber, losgelöst von Geschich- ten, nicht ins innere Bewusstsein vordringen und

195 „DIE SEELE EINES KINDES IST HEILIG“. DIE OPPOSITION HERDERS UND DER (VOR-)ROMANTIK

Thiere“.20 Fabeln, die das ignorierten und Tiere Wenn Herder von europäischen „Nachbarn“ humanisierten, verlören schnell ihren Reiz. Der spricht, die den Originalen ihren eigenen Stem- Mensch sei eben „des Menschen erster und vor- pel aufgedrückt hätten, so meint er frivole Scher- züglichster Lehrer“.21 ze und „falsche Schminke“ in den meist französi- Heldentaten aus der Geschichte seien als Bei- schen Bearbeitungen der Originalquellen. Der spiel für die Jugend eher ungeeignet, da sie „sel- Verfasser, in der Vorrede nicht namentlich er- ten ein erbauliches Bild“22 und zudem oft nicht wähnt, habe nun beim Übersetzen und Nacher- wirklichkeitsgetreu überliefert seien. Man müsse zählen in Herders Sinn all jenes getilgt, was der Wahrheit von Lüge unterscheiden oder sich die „Heiligkeit“ der Kinderseele schaden könne.26 Mühe machen, die Ereignisse für das junge Pu- Außer den englischen Wochenschriften Spec- blikum zu bearbeiten. Herder sieht Geschichte tator und Adventurer, die vereinzelte morgenlän- immer als Geschichte der Menschheitsentwick- dische Geschichten veröffentlichten, hatte sich vor lung, als Kulturgeschichte, nicht als Geschichte Herder und Liebeskind jedoch kaum jemand die- von Herrscherdynastien. Er bevorzugt eine klare ser literarischen Schätze angenommen; „die meis- Trennung von Realität und Fiktion. „Wer erdich- ten waren unübersetzt oder schlecht erzählt oder ten will, dichte ganz; wer Geschichte schreiben standen in Sammlungen, wo man sie wie der will, habe das Herz, die Wahrheit nackt zu zei- Hahn die Perle aufsuchte“.27 Als rühmliche Aus- gen. Denn was wäre es endlich, was das Chrono- nahme gab Herders Freund Wieland zu dieser logische der Geschichte zur Bildung des Herzens Zeit orientalische Geschichten heraus – ebenfalls beitrüge? Gewinnet eine edle That irgend etwas anonym: 1786 erschien in Winterthur das drei- Belehrendes dadurch, wenn ich weiß, daß sie bändige Dschinnistan, oder auserlesene Feen- und Philippus in Macedonien und kein andrer gethan Geister-Mährchen.28 habe?“ Viel wichtiger sei für die Wirkung einer Herders Vorwort schließt mit dem Hinweis, Geschichte, dass sie, mag sie auch frei erfunden dass Lehrer oder Mütter selbst das Beste aus der sein, „menschlich wahr, unterrichtend, anschau- Sammlung heraussuchen könnten, denn für ver- lich, rührend“ ist. 23 schiedene Geschmäcker oder Altersstufen seien Diese Eigenschaften findet Herder in mor- unterschiedliche Geschichten vertreten. Den Kin- genländischen Erzählungen, mit denen er schon dern, die davon profitieren, rät er, den Beispielen eigene Jugenderinnerungen verbindet. „Ich bin des „Edlen und Guten“ nachzueifern, denn das mir der Zeit noch wohl bewußt, da ich in meiner sei der schönste Lohn für die Herausgeber. Kindheit die Gellert’sche Erzählung las: ‚Als Die Palmblätter können als ein sehr erfolg- Moses einst vor Gott auf einem Berge trat‘, und reiches Kinderbuch gelten; denn es gab seit der wie tief mich damals ihre hohe Einfalt rührte.“24 Erstausgabe viele weitere Auflagen: Berlin 1816– Diese Art von Erzählungen habe mehrere Vorzü- 1819, 1825, 1831, 1857, Münster 1891, Leip- ge; zum einen den „Glanz des Wunderbaren“, zig 1976. In Auswahl: Münster 1891, Leipzig zum anderen eine einfache Struktur der Hand- 1913 und 1957 und Frankfurt a. M. 1979, 1980 lung und Figuren, wie man sie in den komplexe- und 1985 im Insel-Verlag herausgegeben von ren europäischen Geschichten kaum fände. „Der Hermann Hesse (Nachwort), Donauwörth 1921, Sultan ist Sultan, der Sklave Sklave, das Weib ein 1927, Frankfurt a. M. 1925, 1927, Essen 1926, Weib, der Mann ein Mann. So ist’s mit den Köln 1929, Reutlingen 1929, Heidelberg 1946, andern Charakteren des Richters, des Höflinges, 1947, Kuppenheim 1948, München 1965, Frei- des Einsiedlers, des Zauberers; sie sind alle so burg 1992. bestimmt als die Thiercharaktere der Aesopischen Weitere Belege für den großen Erfolg der Fabel.“ „Kühn“, „groß und edel“ nennt Herder Sammlung liefern die zahlreichen Übersetzungen, die Dichtweise morgenländischer Geschichten, von denen die meisten im neunzehnten Jahrhun- „ungemein und rührend“ findet er dagegen die dert entstanden. Dänisch: Kopenhagen 1834, in solchen Erzählungen enthaltene Moral; der Stil englisch: New York 1886, französisch: Paris 1833, erinnere in seiner „hohen und edlen Einfalt“ an 1837, 1842, 1874, 1876, 1879, 1882, 1883, die Bibel; was sei also letztlich besser geeignet zu 1884, 1888, 1891 (bezeichnend für einen relativ Erziehung und Bildung der Jugend? 25 konstanten nationalen literarischen Geschmack Allerdings mussten dafür die Quellen vorher ist hier die Rückübersetzung der ursprünglich ja einer intensiven Bearbeitung unterzogen werden. französischen Feenmärchen und orientalischen

196 „IM FRÜHLING DES LEBENS“. HERDERS VORREDE ZU PALMBLÄTTER

Erzählungen ins Französische), niederländisch: 2 Christian Wilhelm Büttner (1716–1801) in Jena Leiden 1787, Amsterdam 1803, 1805, 1827, (wo Knebel damals lebte) war ein Polyhistor aus 1896, schwedisch: Uppsala 1819, 1874, serbo- Göttingen, der seine 40.000 Bände umfassende kroatisch: Budapest 1808, spanisch: Barcelona Bibliothek an Herzog Carl August von Sachsen- 1926, 1942. Weimar-Eisenach verkauft hatte und von den Wei- marer Geistesgrößen seiner vielseitigen Kenntnis- Literaturverzeichnis: se wegen oft konsultiert wurde. ARNOLD, GÜNTER: Herders Projekt einer Märchen- 3 Briefe, Bd. 5, S. 79. sammlung, in: Jahrbuch für Volkskunde und 4 Handschriftlicher Nachlass, XVI, 238. Kulturgeschichte 27 (1984), S. 99–106. 5 Eine Übersicht der Quellen der Palmblätter gibt Der handschriftliche Nachlass Johann Gottfried Victor Chauvin, Les sources des Palmblätter de Her- Herders (zitiert als HN). Katalog im Auftrag der et Liebeskind, in: Centralblatt für Bibliotheks- und mit Unterstützung der Akademie der wesen, XVII. Jahrgang, 7. Heft, Juli 1900, S. 305– Wissenschaften in Göttingen bearbeitet von 321. Hans Dietrich Irmscher und Emil Adler, 6 SWS, Bd. 13, S. 461, Anmerkung 2. Wiesbaden 1979 (Staatsbibliothek Berlin 7 Vgl. Karoline Herders Brief vom 17. Februar 1803; Preußischer Kulturbesitz, Kataloge der Hand- Briefe, Bd. 8, S. 338. schriftenabteilung, hrsg. von Tilo Brandis, 2. 8 Briefe, Bd. 9, S. 377. Reihe: Nachlässe, Bd. 1). 9 Vgl. Haym 1877–1885, S. 358. HAYM, RUDOLF: Herder nach seinem Leben und 10 Briefe, Bd. 5, S. 181. seinen Werken dargestellt von R. Haym, Berlin 11 Ebd. S. 190. 1877–1885, hrsg. von Wolfgang Harich, Bd. 12 SWS, S. 583. 2, Berlin 1954. 13 Vgl. Adrastea, S. 268. HERDER, JOHANN GOTTFRIED: Palmblätter. Erlese- 14 SWS, S. 583. ne morgenländische Erzählungen für die Jugend. 15 Ebd., S. 584. Vorrede, in: Herders sämtliche Werke, hrsg. von 16 Ebd., S. 585. Bernhard Suphan. Bd. 16, Berlin 1887, S. 17 Vgl. Steinlein 1987, S. 108. 583–590 (zitiert als SWS), und in: Johann 18 SWS, S. 585; z. B. Gleim, Die goldnen Sprüche des Gottfried Herder, Werke, 10 Bde., hrsg. v. Pythagoras aus dem Griechischen, 1786. Günter Arnold u.a. Frankfurt am Main 19 SWS, S. 585. 1985–2000, Bd. 9/2, S. 519–526. 20 Ebd., S. 586. HERDER, JOHANN GOTTFRIED: Briefe. Gesamtaus- 21 Ebd., S. 587. gabe 1763–1803, hrsg. von den Nationalen 22 Zu Herders Postulat der Trennung von Dichtung Forschungs- und Gedenkstätten der klassi- und Geschichte vgl. Adrastea, S. 260–262, An- schen deutschen Literatur in Weimar/Stiftung merkungen S. 1131f. Weimarer Klassik, bearbeitet von Wilhelm 23 SWS, S. 588. Dobbek und Günter Arnold, 11 Bde., Wei- 24 Ebd. mar 1977–2001. 25 Ebd., S. 589. HERDER, JOHANN GOTTFRIED: Adrastea (Auswahl), 26 Ebd., S. 590. Vgl. dazu Adrastea, S. 268, Z. 22ff. hrsg. v. Günter Arnold (Bibliothek Deutscher 27 SWS, 590. Klassiker 170), Frankfurt am Main 2000. 28 Der literarische Einfluss Frankreichs war in Deutsch- STEINLEIN, RÜDIGER: Von der Fiktionalisierung pä- land noch stark, und Wieland, der manchmal der dagogischer Rede zur Pädagogisierung literari- „deutsche Voltaire“ genannt wird, machte sich in scher Fiktion. Herders „Palmblätter“-Vorrede, vielen seiner Werke diesen Geschmack zunutze. in: DERS.: Die domestizierte Phantasie. Studi- Diese Sammlung enthält eigene Märchendichtun- en zur Kinderliteratur, Kinderlektüre und Li- gen Wielands, Umarbeitungen und Veränderun- teraturpädagogik des 18. und frühen 19. Jahr- gen französischer Feenmärchen und textnahe hunderts, Heidelberg 1987, S. 106–115. Übersetzungen solcher. Die Märchenlektüre führte in eine fiktive Welt, verschaffte dem Leser die Il- Anmerkungen lusion einer präromantischen Welt voller Wunder. 1 Herders ältester Sohn Gottfried war damals zehn Nach Friedrich Sengle, Wieland, Stuttgart 1949, Jahre alt. S. 404, sind Rokokomärchen wie die Wielands

197 „DIE SEELE EINES KINDES IST HEILIG“. DIE OPPOSITION HERDERS UND DER (VOR-)ROMANTIK

oder des Weimarer Gymnasialprofessors Johann men sollte. Dennoch finden sich bedeutende Un- Karl August Musäus und romantische Märchen terschiede, wenn man den Ausgang der Märchen wie die von Tieck, Novalis, Brentano und E. T. A. vergleicht: Bei Wieland enden die Feenmärchen Hoffmann nicht so sehr verschieden, wie man in einer nach Vernunftprinzipien gestalteten bür- aufgrund der Kontrastierung der literaturgeschicht- gerlichen Idylle, bei den Romantikern aber in ei- lichen Perioden Aufklärung und Romantik anneh- ner Traumwelt.

198 „Das Kind ist die schöne Menschheit Auch Friedrich Schillers Über naive und sentimen- selbst“. Das Kindheitsbild der talische Dichtung (1795/96) greift ihnen vor und Romantiker und ihre Kinderliteratur bringt mit Rousseau das Kind in einen engen Zusammenhang mit der Natur. Hier manifestiert Berenike Schröder sich das Prinzip des Naiven und folglich Natürli- chen im Kind, das dem Erwachsenen seine Künstlichkeit und Beschränktheit vor Augen Romantische Autoren wie Clemens Brentano, führt; es hat nicht in erster Linie eine ästhetische, Achim von Arnim, Ludwig Tieck oder E.T.A. sondern eine moralische Qualität. Natur und Hoffmann, die ab 1800 der Literatur für Kinder Kindlichkeit treten als Ideale auf, die verlassen neue Anstöße gaben, wurden hineingeboren in worden sind und in der Vollendung der Kultur einen Abschnitt des ,Aufklärungsjahrhunderts‘, wieder erreicht werden müssen. Schiller äußert das den lebhaften pädagogischen Diskurs bereits hier bereits Gedanken, die später Novalis’ früh- in einer speziell an Kinder gerichteten Literatur romantische zyklische Kindheitstheorie weiter- verarbeitet hatte: Für ein Leben als glückseliger, führt. „Sie [die Gegenstände der Natur] sind, was vernünftiger und tugendorientierter Bürger muss- wir waren; sie sind, was wir wieder werden sol- ten die kindlichen Fehler Faulheit, Naschsucht, len. Wir waren Natur, wie sie, und unsere Kultur Aberglauben und Egoismus bekämpft werden. soll uns, auf dem Wege der Vernunft und der Entsprechend sind die zahlreichen Werke, die sich Freiheit, zur Natur zurückführen. Sie sind also an Kinder wenden, von rein erzieherischen Ab- zugleich Darstellung unserer verlorenen Kindheit, sichten getragen. Der Wert des Kindes liegt in die uns ewig das teuerste bleibt; daher sie uns mit seiner Zukünftigkeit; das kindliche Stadium an einer gewissen Wehmut erfüllen. Zugleich sind sich ist nur flüchtig ohne eigene Qualitäten. Dies sie Darstellungen unserer höchsten Vollendung ändert sich bereits vor dem Einsetzen der Früh- im Ideale, daher sie uns in eine erhabene Rüh- romantik; Literaten und Philosophen beginnen, rung versetzen.“1 Schiller spricht in diesem Zu- die Sicht auf Kind und Kindlichkeit neu auszu- sammenhang bereits von der Unendlichkeit und leuchten und geben hiermit der Frühromantik Heiligkeit, die dem Kind gleichermaßen eigen entscheidende Anstöße. seien. Die Sehnsucht nach der Kindheit ist aller- Jean-Jacques Rousseaus Emile (Exp.-Nr. 2), der dings noch gekoppelt an die Sehnsucht nach für das Gebiet der Pädagogik und Kindheitstheorie Natur und Natürlichkeit. weithin wirksam war, erscheint 1762. Er plädiert Johann Gottfried Herder hatte bereits 1778/ für eine Sonderstellung des Kindes als ein Wesen, 79 mit einer Sammlung internationaler Volkslie- das kein kleiner Erwachsener sein soll. Rousseau der die von den Aufklärern abgelehnte Volksdich- übt Schul- und Institutionskritik, indem er for- tung in ein neues Licht gerückt. Er brachte den dert, das Kind isoliert in der Natur aufwachsen zu Zustand der Kindlichkeit in eine Beziehung zur lassen, da der Einfluss der Gesellschaft auf sein noch Natur. Mit seinen Ausführungen zu Kindheit und unverdorbenes Wesen schädlich sei. Sein idealty- Volkspoesie, auch mit seiner Vorrede, die er für pisches Kind trägt Züge eines zeitimmanenten Ste- die von August Jacob Liebeskind herausgegebe- reotyps: des ,edlen Wilden‘. Es ist frei von Leiden- ne Ausgabe der Palmblätter (1786–1800, Exp.- schaften, nüchtern, pragmatisch und unabhängig, Nr. 223, 224) verfasste, beginnt erst die Wende dabei aber liebenswürdig, wahrhaftig und offen. in der Kindheitstheorie. Hier beschreibt er die Das Bild des Kindes ist hier Teil eines übergreifen- Jugend als Ort der Fantasie, als Paradies der Un- den Kults des Primitiven und übt auf Erwachsene schuld und als Lebensphase, in der alle späteren einen elementaren Reiz aus. Rousseau bekämpft Eigenschaften bereits angelegt sind; auch das ani- die aufklärerische Angewohnheit, die Kinder zum mistische Weltbild des Märchens verknüpft er mit Räsonnieren und ,Vernünfteln‘ zu erziehen und dem kindlichen Sinn für das Wunderbare. Das gesteht der Rationalität keinen Platz in der Kind- Kind und ,primitive‘ Völker teilen zahlreiche heit zu; trotzdem findet sich kein Ansatz einer ge- Vorzüge miteinander: Emotionale Intensität, wollten Verlängerung der Kindheit oder gar eines Ungeteiltheit der Seele, Empfänglichkeit und Be- Kindheitskultes. Es ist allerdings Rousseaus Ent- eindruckbarkeit, die Nähe zum Wunderbaren, wurf der Kindheit als eines Utopisch-Anderen, der schlichte Religiosität und den Sinn für Poesie. Sie später Einfluss auf die Romantiker hat. sind unbestreitbar positiv besetzt, trotzdem fin-

199 „DIE SEELE EINES KINDES IST HEILIG“. DIE OPPOSITION HERDERS UND DER (VOR-)ROMANTIK det sich bei Herder noch kein Ansatz einer romantischen Kindheitsverklärung. Hier wird das Glorifizierung der Kindheit. Vielmehr betrach- Kind mit Reinheit, Selbstvergessenheit und Un- tet er sie als Überreste einer poetisch-mythischen schuld verknüpft und explizit in die Nähe des Epoche im Kontext einer aufgeklärten Zeit und Wunderbaren gestellt. Es scheint in der diesseiti- glaubt nicht an die Wiederkehr einer ,zweiten gen Welt noch nicht ganz verankert: Die Erinne- Kindheit‘. rungen an die Welt der Engel sind im Gemüt des Kindes noch frisch. „Dieser Ätherschimmer, die- Die romantische Philosophie der Kindheit se Erinnerungen der Engelswelt leben und regen Um 1790 bis ca. 1800, der Frühphase der deut- sich noch hell und frisch im Kindergeiste, der schen Romantik, entwickelt sich, fußend unter dunkle Schatten der Erdgegenstände ist noch anderem auf Herders Reflexionen, das Kindheits- nicht verfinsternd in den Glanz hineingerückt [...] bild endgültig in eine Richtung, die sowohl der und darum stehn die Kindlein wie große Pro- rationalistisch als auch philanthropisch gepräg- pheten unter uns, die uns in verklärter Sprache ten Aufklärung diametral entgegengesetzt ist. predigen“.5 Friedrich Hölderlin wertet zu Beginn des Hyper- Der Gedanke der engen Verknüpfung des ion (1797–99) Wissenschaft, Vernunft und Nach- Kindes mit der belebten Natur wird bei Tieck denken entschieden ab, um auf schwärmerische ebenfalls wieder aufgegriffen. Aufgrund seines Weise einem Idealbild der Kindheit nachzuhän- Geisterglaubens verkehrt das Kind mit den We- gen: „Ruhe der Kindheit! himmlische Ruhe! wie sen, die die Natur bevölkern; sie trägt das Göttli- oft steh ich stille vor dir in liebender Betrachtung che in ihren einzelnen konkreten Gebilden in sich, und möchte dich denken! [...] Da ich noch ein das mit dem Wunderbaren gleichzusetzen ist. Das stilles Kind war und von dem allem, was uns Kind liebt die Natur, die ihm als ebenfalls emp- umgibt, nichts wußte, war ich da nicht mehr, als findendes Wesen entgegentritt; Liebe ist die do- jetzt, nach all den Mühen des Herzens und all minante Gefühlsregung im Kind. dem Sinnen und Ringen? Ja! Ein göttlich Wesen In Tiecks vielleicht berühmtester Märchen- ist das Kind, solang es nicht in die Chamäleon- erzählung Der blonde Eckbert, 1796 entstanden farbe der Menschen getaucht ist. Es ist ganz, was und 1797 in den Volksmärchen veröffentlicht, er- es ist, und darum ist es so schön. Der Zwang des zählt Eckberts Frau Bertha die Geschichte ihrer Gesetzes und des Schicksals betastet es nicht; im Kindheit. Als Tochter armer Tagelöhner in Ar- Kind ist Freiheit allein. In ihm ist Frieden; es ist mut und mit vielen harten Strafen lebend, läuft noch nicht mit sich selber zerfallen. [...] Es ist sie eines Tages vom Elternhaus fort und wird von unsterblich, denn es weiß vom Tode nichts.“2 Der einer alten Frau in ihre Hütte aufgenommen. Mit Ansatz, die Kindheit zum Anderen der gesell- einem wunderbaren Vogel und einem Hund lebt schaftlichen und individuellen Realität zu stili- sie zufrieden in der „Waldeinsamkeit“, bis sie die sieren, wird bei den Frühromantikern zu einer Alte heimlich beraubt und verlässt. Dieser Verrat vollgültigen Theorie, ja Philosophie der Kindheit an einem Leben mit der Natur und in Kindlich- ausgebaut. In der ersten Phase der Romantik kann keit wird später bitter bestraft. Es ist bezeichnend, man deshalb noch nicht von einer Kinderliteratur, dass das Mädchen Bertha das unschuldige Wald- sondern von einer Kindheitsliteratur sprechen;3 leben verlässt, als sie zur Erwachsenen wird. Der hier findet die Kindheit ihre radikalste Aufwer- Erzählerkommentar verknüpft den Verlust der tung und Verherrlichung.4 In Ludwig Tiecks Ge- Kindheit mit der einsetzenden Ausbildung der schichte des Herrn William Lovell (1795/96) ist Vernunft. „Ich war jetzt vierzehn Jahr alt“, er- die Kindheit ein wichtiges Thema, ebenso in zählt Bertha, „und es ist ein Unglück für den Franz Sternbalds Wanderungen (1798). Die hier Menschen, daß er seinen Verstand nur darum dargestellten Kindheitsreflexionen greifen den bekömmt, um die Unschuld seiner Seele zu ver- Ansatz der Metaphysik des Kindes auf, den bereits lieren“.6 Jean Paul vorgezeichnet hatte; die kindliche See- Im Rahmen der Frühromantik ist es neben le rückt in die Nähe des Göttlichen und Absolu- Ludwig Tieck vor allem Novalis, der sich eben- ten. Tiecks und Wilhelm Heinrich Wackenroders falls intensiv mit dem Bild des Kindes befasst. Über die Kinderfiguren auf den Raffaelschen Bil- Immer wieder finden sich in seinem theoretischen dern in den Phantasien über die Kunst für Freunde und literarischen Werk Aussagen zur Kindheit, der Kunst (1799) ist ein zentrales Dokument der die zentraler Topos seines Schaffens ist. Mit Tieck

200 „DAS KIND IST DIE SCHÖNE MENSCHHEIT SELBST“ teilt er den Gedanken einer Überlegenheit des nen: „Wo Kinder sind, da ist ein goldnes Zeital- Kindes durch seine Nähe zum Unendlichen und ter.“8 zum göttlichen Prinzip. Der Gedanke der Erzie- hung spielt für Novalis im Gegensatz zu Herder Eine neue Literatur für Kinder kaum eine Rolle, da Kinder gegen menschliche So intensiv die Beschäftigung der Romantiker mit Einflüsse gefeit sind – empfänglich zeigen sie sich dem Kind auch ist, gibt es doch zumindest eine nur für Einwirkungen von göttlicher Seite. Kin- Zeit lang fast keine oder keine genuin romanti- der wie Greise stehen für Novalis außerhalb der sche Kinderliteratur. Auch wenn Tieck Märchen- Gesellschaft, befinden sich in einem „Nicht- stoffe wie Der gestiefelte Kater oder die Geschich- Stand“, was ihre Stärke und Überlegenheit aus- te vom Rotkäppchen (Leben und Tod des kleinen macht. Novalis und Tieck sind sich darin einig, Rotkäppchens) bearbeitet und dramatisiert, sogar dass die unweigerliche Entfernung von der Kind- mit dem Untertitel Ein Kindermärchen versieht, heit durch eine steigende Integration in die Rea- so finden sich diese Stücke doch erfüllt mit ge- lität eine Abnahme der kindlichen Genialität aus- sellschaftskritischen Anspielungen, aufklärungs- mache; allerdings grenzt Novalis sich in einem satirischen Elementen und zahlreichen Hinwei- wesentlichen Punkt ab: Während für Tieck die sen auf den wissenschaftlichen, philosophischen Rückkehr in die Kindheit entweder unmöglich oder literarischen Diskurs der Epoche. Dies ver- bleibt oder als reine Regression aufzufassen ist, rät nichts von einem Blick auf kindliche Rezipi- entwickelt Novalis auf der Grundlage der idea- enten: Allerdings finden sich gerade in den früh- listischen Bildungsphilosophie Fichtes die Vor- romantischen Bildungs- und Künstlerromanen stellung einer ,zweiten Kindheit‘. Die Linie einer immer wieder Hinweise auf eine Kinderliteratur idealen Entwicklung verläuft nun nicht mehr li- im Sinne der Romantik. Anstatt mit Joachim near, sondern zyklisch: Die unbewusste Geniali- Heinrich Campes Kleiner Kinderbibliothek wach- tät des Kindes muss zwar unweigerlich verlassen sen auch beispielsweise Tiecks Helden Peter werden, doch gibt es durch die Ausbildung des Leberecht und William Lovell in ihrer glückli- Denkens und des Geistes die Möglichkeit, zu ei- chen Kindheit mit Volksliedern und Schauerge- ner bewussten Genialität zurückzufinden. Auf schichten, Märchen, Volksbüchern und Legen- diese Weise ist die Kindheitsidealisierung bei den auf.9 In diesem Sinne wird die tradierte soge- Novalis frei von aller Anti-Intellektualität; das nannte Volkspoesie unter anderem auf der theo- höchstausgebildete Genie wird wieder zum Kind, retischen Grundlage, die Herder mit seinen Re- befindet sich am Ende seines Bildungsprozesses flexionen zum Kind und zur ,Ursprache‘ geschaf- auf der Stufe einer höheren Kindheit, die sogar fen hatte, zur eigentlichen Kinderliteratur. Die die Perfektion der ersten, ,natürlichen Kindheit‘ Romantiker integrieren Herders Forderungen in übertrifft. Der Idealtyp Kind wird zum Mensch- ihre Ästhetik, greifen aber für die Begrifflichkeiten heitsideal erhoben und weiterentwickelt. Novalis’ ,Volk‘ und ,Volksdichtung‘ auf ihr Mittelalter- Kindheitsbild hängt eng zusammen mit dem tra- bild zurück. Das Mittelalter stellt für die roman- dierten Topos des ‚Goldenen Zeitalters‘. Ihm war tische Bewegung das Ideal der noch ungeteilten, dieses bereits bei Hesiod auftauchende Motiv im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation bekannt, das ein Bild von in ewiger Jugend und zusammenlebenden deutschen Gesellschaft dar; ewigem Frieden, in Gerechtigkeit und in Kom- Kunst und Leben sind keine Gegenpole im All- munikation mit der Natur und in der Nähe der tag der Menschen. Entsprechend groß ist das In- Götter lebenden Menschen entwarf; das Kind teresse an Sagen, Märchen und Liedern als Zeug- erscheint in seinem Werk immer wieder als Sym- nissen einer naturnahen Zeit. Diese Ästhetik des bol des Goldenen Zeitalters: „So ist die Kindheit Volkstümlichen und Wunderbaren wurde bald in der Tiefe zunächst an der Erde, da hingegen nach 1800 auch politisch besetzt und es entbrann- die Wolken vielleicht die Erscheinungen der zwei- ten Debatten über den Umgang mit der überlie- ten, höhern Kindheit, des wiedergefundenen Pa- ferten Poesie. Den Eingang der Volkspoesie in radieses sind, und darum so wohltätig auf die ers- die Kinderstuben bezeichnete das Erscheinen der tere heruntertauen.“7 Die Kindheit, das vergan- von Achim von Arnim und Clemens Brentano gene und das zukünftige goldene Zeitalter wer- zusammengestellten Volkslied-Sammlung Des den bei Novalis in eins gesetzt; so gewinnt die Knaben Wunderhorn (Exp.-Nr. 227). Die Her- Einsicht aus dem Blüthenstaub tiefere Dimensio- ausgeber bedienten sich einerseits schriftlicher

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Quellen des Zeitraums 1500 bis etwa 1750 und Wenn die Kinder ihre heiße Suppe rühren oder Das danach, die über die Hälfte des Wunderhorns aus- bucklige Männlein. Das berühmte Morgenlied von machen, verfassten andererseits auch Beiträge im den Schäfchen findet sich genauso wie das Wie- ,Volkston‘ selbst. Von den 137 Liedern ist kaum genlied („Eia popeia, was raschelt im Stroh“). Seit eines unbearbeitet geblieben. ,Zersungene‘ Volks- den zwanziger Jahren entsteht im Fahrwasser des Abb. 82 lieder, Spiel- und Tanzlieder, Rätselreime, Abzähl- Wunderhorns eine Reihe von Kinderreim-Antho- Illustration aus Des Knaben verse, Brauchtumslieder mischen sich mit Natur- logien, beispielsweise Heinrich Dittmars Der Kin- Wunderhorn (1808), Bd. 3; liedern, Abc-Gedichten und ,Kinderpredigten‘. der Lustfeld (1827) oder die schnell aufeinander Nr. 22. Unter ihnen sind bis heute bekannte Texte wie folgenden Sammlungen Der Knaben Lustwald (1821/22) und Der Mägdlein Lustgarten (1822/ 23), die ebenfalls Dittmar herausgab. Bis weit ins literarische Biedermeier hinein behielten solche Sammlungen ihre Popularität; es vermischen sich bei der Herausgabe der Kinderdichtungen volks- kundliche und kinder-literarische Ansprüche miteinander. Die Kinderliteratur der Spätromantik ist ge- kennzeichnet von einem neuen Verständnis der Kindheit, das sich seit den frühromantisch-phi- losophischen Ansätzen Novalis’ oder Tiecks noch einmal gewandelt hat. Geblieben ist auch im be- ginnenden neunzehnten Jahrhundert die Ehr- furcht vor der Heiligkeit des Kindes und seiner prophetischen Fähigkeit. Seine Züge wie Fröm- migkeit, Schlichtheit, Vertrauensseligkeit, Naivi- tät, Unschuld sind Teil des Ideals geblieben und Anlass zur Verehrung, nur hat sich die Romantik in einem wichtigen Punkt von ihren Anfängen entfernt: Der Mensch ist nun nicht mehr ange- halten, sich dem Kindsein wieder zu nähern, die Idee einer ,zweiten Kindheit‘ ist langsam aus dem Blickwinkel verschwunden. Für den erwachsenen Menschen sind das Kindheitsstadium und der kindliche Geist nicht mehr erreichbar, unwieder- bringlich verloren. Dennoch besteht der An- spruch, die Nähe zur Kindlichkeit zu suchen und sich stetig an sie rückzubinden. Die Verknüpfung von Kindheit und ,goldenem Zeitalter‘ als einem vergangenen, archaischen Zeitraum wird in der Spätromantik gestärkt. Erst jetzt wird die Kind- heit im eigentlichen Sinne zu einem verklärten Gut, das widerstrebend verlassen, nostalgisch ide- alisiert und unter allen Umständen vor dem Zu- griff der aufklärerischen Pädagogik geschützt wird. Dies ist auch beinahe die einzige pädagogi- sche Aktivität, die die erziehungsunwilligen Ro- mantiker entfalten: Kinder und ihre noch ,über- irdische‘ Eigenwelt zu bewahren und vor der Herablassung der Rationalisten zu schützen. Ent- sprechend ist die (spät)romantische Kinder- literatur auch frei von jedem didaktischen An- satz und hat die Absicht, spielerisch zu unterhal-

202 „DAS KIND IST DIE SCHÖNE MENSCHHEIT SELBST“ ten, indem sie den Kindern ihre eigene, fantasti- sind die Grimm’schen Märchen zum Kinderbuch sche und an das Wunderbare grenzende Welt vor geworden, das sich schon seit der Auflage von Augen führt. Der zentrale Ansatz der Schaffung 1819 durch ein Einleitungskapitel zu „Kinder- einer Kinderliteratur knüpft wiederum stark an sitten und Kinderwesen“ sowie die Aufnahme von Herder an: Für Kinder sollen nicht eigene Dich- Kinderliedern und -reimen als am empirischen tungen neu gedichtet, sondern die archaischen Kind orientiert erweist. Die Inhalte der Märchen Abb. 83 Formen und Gattungen der Volkspoesie wieder- schlagen, wie auch die Grimms betonen, oft die Illustration aus Des Knaben belebt werden. Diese beiden Aspekte sind unter Brücke zur sozialen Wirklichkeit und sind in Ein- Wunderhorn (1808), Bd. 3; anderem dafür verantwortlich, dass die Gattung zelfällen (Wie die Kinder Schlachtens miteinander Nr. 22. Märchen zur zentralen Gattung einer romanti- schen und nach-romantischen Kinderpoesie wird.

,Volksmärchen‘ und ,Kunstmärchen‘ Jacob und Wilhelm Grimm gaben 1812 und 1815 die beiden Bände der Kinder- und Haus- märchen (Exp.-Nr. 228) heraus. Angeregt von Arnims und Brentanos Sammeltätigkeit werteten sie verschiedenste literarische Quellen aus und begaben sich außerdem auf die Suche nach Ge- währsleuten, die ihnen mündlich überlieferte Märchen zutragen konnten. Sie betteten ihre Sammlung, in der ersten Auflage noch eine wis- senschaftlich-volkskundliche Veröffentlichung mit Anmerkungs- und Kommentarapparat, in eine zum Teil in den Vorreden der beiden Bände dargelegte Ideologie der Urpoesie und der golde- nen Menschheitskindheit ein; das Märchen ist die ,erste Poesie‘, wie das Kind im geschichtsmytho- logischen Sinne der erste Mensch ist. Märchen sind also per definitionem Kinder-Märchen. Die Grimms sprechen den Kinder- und Hausmärchen zwar eine erzieherische Funktion zu, beziehen sich aber hiermit nicht unbedingt auf Kinder, sondern auf Erwachsene, die zur Volkspoesie zurückfin- den sollen. Das Kindheitsbild der Grimms ist weitgehend abgelöst vom empirischen Kind und der Vorstellung von didaktischer Einwirkung. Kindliche Leser werden dennoch nicht ausge- schlossen: Die Grimms wehren sich lediglich ent- schieden gegen eine Trennung von Kinder- und Erwachsenenliteratur bzw. eine spezifische Aus- bildung von Kinderliteratur, wie sie in der Auf- klärung stattfand. Erst auf den Druck romanti- scher Zeitgenossen hin, die die Grimm’sche Märchensammlung als Kinderliteratur auffassen, bewegt sich vor allem Wilhelm Grimm, der die nach 1815 folgenden Auflagen der Kinder- und Hausmärchen betreut, mit ihnen stärker in die Richtung eines Kinderbuchs. Erotische Passagen werden getilgt, Grausamkeiten gemildert oder auf die Bestrafung der negativen Figuren begrenzt. Bereits zu Zeiten des literarischen Biedermeier

203 „DIE SEELE EINES KINDES IST HEILIG“. DIE OPPOSITION HERDERS UND DER (VOR-)ROMANTIK gespielt haben, Das eigensinnige Kind) von außer- erwachsene Leser denkbar. Der Autor, der eben- ordentlicher Drastik, ja Grausamkeit. Dominant falls eine idealische Kategorie der Kindlichkeit als ist in Verbindung mit diesen Elementen jedoch Kunstkriterium entwickelt hat, wendet sich mit das animistische Weltbild, der kindliche Umgang seinen Märchen an kindlich Gesinnte unter den mit belebter und beseelter Natur in ihren kon- Erwachsenen. Auch seine ebenfalls als Zyklus kreten Erscheinungsformen. Allerdings darf nicht angelegten Rheinmärchen fordern die Poetisierung übersehen werden, dass die Grimms entgegen der Welt durch eine Rückkehr zur Kindlichkeit: allen gegensätzlichen Beteuerungen die gesam- Die Kinder der Mainzer Bürger werden entführt; melten Märchen sehr wohl bearbeitet, stilistisch durch Märchenerzählungen, an denen jeder teil- vereinheitlicht und ausgeschmückt haben. nimmt, können sie erlöst werden. Die Kinder- und Hausmärchen werden, ähnlich Das romantische Kunstmärchen, dessen Hin- wie die Kinderlieder des Wunderhorns, gattungs- wendung zu einer spezifisch kindlichen Leser- bildend und erfahren eine reiche Rezeption und gruppe nicht unumstritten ist, vereint sowohl Fortführung. Dies geschieht in zwei großen Li- archaisierende, bewusst volkstümliche als auch nien. Auf der einen Seite folgen der Grimm’schen moderne Kompositionselemente. Brentanos be- Sammlung weitere Zusammenstellungen von rühmtestes Märchen Gockel, Hinkel und Gackeleia Volksmärchen, die oft auch auf bestimmte Regi- (1838) (Exp.-Nr. 234) erschien noch zu seinen onen Deutschlands bezogen sind; 1818 erschei- Lebzeiten. Es lehnt sich an die Gattung des Tier- nen Ernst Moritz Arndts Märchen und Jugender- märchens an; obwohl die Protagonisten mensch- innerungen, Ignaz und Joseph Zingerle geben lich sind, führen sie doch ,Hühnernamen‘ und 1854 die Kinder- und Hausmärchen aus leben überdies mit dem Haushahn Alektryo zu- Süddeutschland heraus und Otto Sutermeister sammen. Die Abenteuer, die Gockel, entlassener 1869 die Kinder- und Hausmärchen aus der Hühnerminister des Königs Eifrasius, seine Frau Schweiz. Den anderen Komplex bildet die Gat- und seine verspielte Tochter Gackeleia zu beste- tung des Kunstmärchens, das seinen Ursprung hen haben, spielen sich sowohl auf dem verfalle- auch in der Kontroverse hat, die zwischen Bren- nen Waldschloss der Familie ab, wo man nicht tano und von Arnim und den beiden Grimms in ohne Schwierigkeiten ein ,natürliches Leben‘ an- Bezug auf den Umgang mit der überlieferten strebt, als auch im städtisch-prächtigen Schloss Poesie stattfand. Während die Grimms einem Gelnhausen. Zum Schluss verwandeln sich jedoch strikt wissenschaftlichen Anspruch anhängen, der alle Anwesenden in Kinder und der Dichter des es zumindest theoretisch nicht erlaubt, das Hei- Geschehens sitzt auf der Wiese mitten unter ih- ligtum der Naturdichtung poetisch umzuformen, nen; Natur, Kunst, Spiel und Kindlichkeit spie- plädiert die Gegenseite für eine schöpferische len hier als typische ,romantische‘ Motive Rezeption, die sich bemüht, im volkstümlichen gleichermaßen eine Rolle. Stil, mit seinen Motiven und Formen autonom Auf andere Weise zeigt sich die Zeitgemäßheit zu dichten. des Kunstmärchens in einer Erscheinungsweise, Bereits 1805 arbeitete Brentano an einem die Hans-Heino Ewers als „dualistisch“10 klassi- Märchenzyklus, der die Erzählungen aus dem fiziert. Das dualistische Kunstmärchen erschafft Pentamerone des Giambattista Basile deutschen im eindimensionalen Genre des Märchens zwei Kindern präsentieren sollte. Basile, 1575 in Nea- parallele Welten, die miteinander in Konflikt tre- pel geboren, ist als einer der frühesten Märchen- ten müssen: die real-prosaische und die außer- dichter bekannt durch sein Werk Lo Cunto de li weltliche, fantastisch-poetische. Ludwig Tiecks Cunti (Erzählung der Erzählungen, 1634), das Die Elfen (1811) lässt das Mädchen Marie beim später in Pentamerone umbenannt wurde. Das Spielen in die Welt der Elfen eintreten, die nur Projekt der Italienischen Märchen blieb 1817 end- an einem gemiedenen, angeblich von ,Zigeunern‘ gültig ein Fragment, doch Guido Görres gab sie bewohnten Platz betretbar ist. Sie gelangt in ein nach Brentanos Tod 1842 heraus. Brentano be- märchenhaftes Naturreich voll wunderbaren hielt die Motive Basiles bei, wandelte sie aber auf Spielzeugs und fröhlicher Gefährtinnen, verbringt stilistischer Ebene und durch inhaltliche Zusätze dort einige Stunden und ist auf fantastische Wei- um. In dem bekanntesten Märchen geht es um se um Jahre gealtert, als sie schließlich zurück- einen Prinzen, der sich in einen Myrtenbaum kehrt. Tieck lässt die Welten von Realität und verliebt; sie sind sowohl für kindliche als auch märchenhafter Fantastik aufeinandertreffen. Die

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Protagonistinnen bei Tieck sind Grenzgänger an trächtige Weise bewahrt und in die Alltagswelt der Schnittstelle der Existenzen; sie müssen schei- integriert. tern, weil sie sich nicht vollständig der Realität Ein weiteres Modell des Kunstmärchens ra- zuordnen können und der Raum der Kindheit dikalisiert die dualistische Märchenvariante. 1816 ihnen, dies ein spätromantisches Motiv, einmal veröffentlicht E.T.A. Hoffmann zusammen mit verlassen, verschlossen bleiben muss. Carl Wilhelm Contessa und Friedrich de la Mot- Ähnlich gestaltet Ernst Theodor Amadeus te-Fouqué den ersten Band der Kinder-Mährchen, Hoffmann den Kampf der Welten in Das fremde für den er die Erzählung Nußknacker und Mause- Kind (1817). Die ländlich-natürlich aufwachsen- könig verfasste. Die Ebene der Wirklichkeit wird den Kinder Felix und Christlieb treffen in Ge- hier innerhalb des dualistischen Systems differen- stalt der Verwandten aus der Stadt, ihrer Kinder ziert und erweitert. Im Gegensatz zur stereoty- Hermann und Adelgunde wie dem Magister Tin- pen Darstellung der diesseitigen Welt beispiels- te, der ihnen die Wissenschaften beibringen soll, weise in den Elfen kann hier bereits von einer auf das negativ definierte Prinzip der Vernunft, „Wirklichkeitsdarstellung im Sinne des bürgerli- das Hoffmann mit deutlich erkennbaren Zügen chen Romans“11 gesprochen werden. In die rea- aufklärerischer Philisterei ausschmückt. Beim listisch dargestellte bürgerliche Welt bricht durch Spielen im Wald treffen sie auf ein himmlisches, den Nussknacker, den Marie und ihr Bruder zu fremdes Kind, das ihnen die märchenhafte Welt Weihnachten geschenkt bekommen, das Prinzip in der Natur selbst erschließt. Es folgt der Kon- des Märchenhaften ein. Mit ihrem Schützling flikt des prosaisch-aufklärerischen Prinzips mit kämpft Marie gegen das Heer der Mäuse und wird dem poetisch-natürlichen in der Sphäre beider vom Nussknacker schließlich ins Zuckerbäcker- Welten. Im Fantasiereich des fremden Kindes land, das perfekte Märchenreich, geführt und von kämpft der Gnomenkönig Pepser, der die Kin- seinen königlichen Schwestern empfangen. der am Spielen und Sänger am Musizieren hin- Hoffmanns innovative Leistung im Bereich dert, Rosen und Lilienbüsche mit einem schwar- der Märchenerzählung liegt in der Gestaltung zen Saft überzieht, gegen die Königin der eines psychologischen Realismus, die vor allem Märchenwelt. Auf der Realitätsebene findet Pep- am Beispiel der Protagonistin durchgeführt wird. ser seine Entsprechung im schwarzen, fliegen- Psychologische Vorgänge, die auf der literarischen ähnlichen Magister Tinte, der als grelles Zerrbild Ebene gezeigt und nachvollzogen werden, ma- des aufklärerischen Gelehrten die Kinder aller chen die gleichzeitige Existenz des Wunderbaren Natürlichkeit und Poesie entfremden will. logisch unmöglich; entsprechend leitet die Begeg- Schließlich wird er verjagt, und der sterbende nung mit dem Jenseitigen, mit dem Doppel- Vater beschwört die Kinder, das fremde Kind als charakter der Welten die Figuren in die Bewusst- Allegorie der Fantasie stets als Schutz im Herzen seinskrise. Die Beseeltheit des Spielzeugs, der ma- zu bewahren. Das poetische Prinzip der Kind- teriellen Welt, die sich noch in den Volksmär- heit wird als das ,Andere der Vernunft‘ plakativ, chen harmonisch in den Gesamtkontext einer ja polemisch der aufgeklärten Wirklichkeit gegen- nicht-realen Weltkonstruktion einfügt, muss zum übergestellt; die Abwendung der romantischen psychischen Konflikt werden, der den kindlichen Generation vom Kindheitsbild des achtzehnten Protagonisten zugemutet wird. Wiederum aller- Jahrhunderts offenbart sich in diesem Märchen dings ist das poetische, fantastische Prinzip, das ein weiteres Mal. hier auf dem Boden der Realität erwächst, trotz Tieck und Hoffmann schränken die These, der Schwierigkeiten als Bereicherung zu verste- dass allein die reine Volkspoesie Kindern ange- hen. Marie, als Kind und gleichzeitig weibliches messen sei, auf eine Weise ein, die in der euro- Wesen – beiden schreibt Hoffmann ein enges Ver- päischen Kinderliteratur weiterwirkt, denn sie hältnis zum Göttlichen, Wunderbaren zu – ist thematisieren die kindliche Erfahrung der Dif- fähig, die Entgrenzung der Wirklichkeit zu er- ferenz zwischen Vorstellungs- und Erwachsenen- fahren. Unterstützt wird sie hierbei von Drossel- welt. Die Lösungen dieses Konfliktes fallen un- meier, der als Märchenerzähler das dichterische terschiedlich aus; entweder treibt die bedrücken- Prinzip verkörpert, angesiedelt im Grenzbereich de Zerrissenheit die Protagonisten in den Tod, zwischen Diesseits und ,Anderwelt‘. Das Mär- oder aber die fantastische Welt wird nach dem chen funktioniert auf diesen beiden Ebenen und Verlassen auf eine konstruktive und zukunfts- kann auf doppelte Weise rezipiert werden; der

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Schluss kann sowohl als euphemistische Um- (1836) steht sowohl in der Tradition von Arnim schreibung von Maries tödlichem Krankheits- und Brentano als auch unter Friedrich Rückerts verlauf als auch als glückliches märchentypisches Einfluss, dessen Fünf Mährlein für mein Schwester- Ende gelesen werden. Die wechselseitige Durch- lein zum Einschläfern von 1813 lebhaft-humor- dringung von Wirklichkeit und Märchenhaftig- voll die Aufklärungspädagogik unterwandern. keit ist zwar eine der typischen Charakteristika Auch Hoffmann von Fallersleben, Robert Reinick des romantischen Kunstmärchens, doch ist Hoff- sowie Wihelm Hey mit seinen Fünfzig Fabeln für mann durch die Einführung von grotesken, Kinder (1833) sind romantisch inspirierte Auto- schauerlichen, fantastischen Elementen, die sich ren. mit Satire und traditionellen Märchenmotiven Die Texte der Romantiker, Märchen, Sagen, mischen, seiner Zeit weit voraus. Große Auswir- Balladen, Romanzen und anderes finden erst jetzt kungen hatte Hoffmanns Märchen auf die Gat- Eingang in Anthologien, Kinderzeitschriften, tung der fantastischen Kindererzählung, die mit Lesebücher und Almanache und erfreuen sich Lewis Carrolls Alice in Wonderland (1865) ihren größerer Beliebtheit. Sogar das Kasperltheater Triumphzug begann. eroberte sich als Folge der romantischen Wieder- belebung des Volkstümlichen mit Franz Poccis Romantische Kinderliteratur wird biedermeierlich (allerdings romantische Elemente auch satirisch Obwohl die kinderliterarischen und kindheits- aufgreifenden) Stücken in Neues Kasperl-Theater theoretischen Ansätze der Romantik in einem weit (1855) einen Platz auf dem Buchmarkt für Kin- geringeren Maße umgesetzt und rezipiert wur- der. Auf diese Weise hat die Kindheitsauffassung den als die aufklärerische Kindheitsliteratur, der Romantik für eine Neuordnung und Erwei- strahlten doch zahlreiche ihrer Impulse in die bie- terung des kinderliterarischen Kanons gesorgt; die dermeierlichen Werke für Kinder hinüber. Aller- erzieherischen Bedenken gegen die Volksliteratur dings ist das Schicksal der zunehmend bearbeite- mit ihren Sagen, Märchen, Legenden und Am- ten Kinder- und Hausmärchen ein Beispiel für den menversen wurden abgebaut. Auch das romanti- Weg der genuin romantischen Texte für Kinder: sche Kindheitsideal mit der Neudefinition des Die dem romantisch-radikalen Geist verhafteten Kindes hält sich noch lange in den Selbstdefini- Exemplare einer kindgerechten Volkspoesie wur- tionen der biedermeierlichen Kinderbuchautoren. den geschliffen, verharmlost, einem Lieblichkeits- Doch der Entwurf des Prinzips ,Kind‘ wird, und sentimentaleren Unschuldsideal angeglichen. wie dies zu einem Teil auch schon im Rahmen Der Entwurf des dualistischen Wirklichkeits- der Spätromantik geschehen ist, inhaltlich ent- märchens wird bei dem berühmten und belieb- leert und trivialisiert, seines philosophischen und ten biedermeierlichen Autor Hans Christian An- utopischen Gehalts beraubt. Das Bild des Kin- dersen in den vierziger Jahren zwar aufgenom- des als metaphysisches, dem Unendlichen ange- men, aber seines Konfliktpotentials beraubt. Es gliedertes Wesen wird aufgegeben. Trotzdem vollzieht sich die Entschärfung der Gegensätze nimmt auch die biedermeierliche Gesellschaft die zwischen beiden Welten und die Verdrängung des Kindheit als eine Lebensstufe von eigenem Wert Schreckens im Fantastischen, so dass die Besee- und eigener Berechtigung wahr: Dies ist in Ab- lung der Kinderstube eine harmlose Behaglich- grenzung zu den didaktischen Konzepten der Auf- keit und keine Bewusstseinskrise mehr erzeugt. klärung die große und bleibende Leistung des ro- Der Weg führt zurück zur sentimentalen Mär- mantischen Kindheitsdiskurses. chenidylle, zu finden unter anderem bei Robert Reinick, dessen Prinz Goldfisch und das Fischer- Literaturverzeichnis: märchen 1850 beispielsweise im Deutschen Jugend- BECHSTEIN, LUDWIG: Mythe, Sage, Märe und Fa- kalender veröffentlicht wird. bel im Leben und Bewußtsein des deutschen Vol- Das Biedermeier allerdings weist nicht nur kes. Neudruck der Ausgabe 1854 – 1855, diese Art der romantischen Märchenrezeption auf, Osnabrück 1969. sondern eine Vielfalt an seit dem siebzehnten Jahr- BRAUN-BIEHL, JUDITH: Ausschweifendere Geburten hundert aufgetretenen Kunstmärchentypen, so- der Phantasie. Eine Studie zur Idee des ,Kinder- wie Kinderlieder, die, vom Wunderhorn inspiriert, märchens‘ bei Tieck, Brentano, Jacob und Wil- in immer neuen Ausprägungen auftauchen. Fried- helm Grimm und E.T.A. Hoffmann, Mainz rich Gülls Kinderheimath in Liedern und Bildern 1990.

206 „DAS KIND IST DIE SCHÖNE MENSCHHEIT SELBST“

BRENTANO, CLEMENS: Werke, hrsg. v. Friedhelm HÖLDERLIN, FRIEDRICH: Werke in zwei Bänden, Kemp, Bd. 3: Rheinmärchen. Italienische Mär- hrsg. v. Günther Mieth, München/Wien chen, Darmstadt 1965. 1970. DERS.: Sämtliche Werke und Briefe. Hist.-krit. Ausg. MÄHL, HANS JOACHIM: Die Idee des goldenen Zeit- veranst. vom Freien Deutschen Hochstift, hrsg. alters im Werk des Novalis. Studien zur Wesens- v. J. Behrens/W. Frühwald/D. Lüders, Bd. 8: bestimmung der frühromantischen Utopie und Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder. zu ihren ideengeschichtlichen Voraussetzungen, Gesammelt von L. A. von Arnim und Clemens Heidelberg 1965. Brentano, Teil III, hrsg. v. Heinz Rölleke, NOVALIS: Werke, hrsg. und kommentiert v. Ger- Stuttgart u.a. 1977. hard Schulz, München o.J. BOAS, GEORGE: The cult of childhood, London 1966. PLOTZ, JUDITH: Romanticism and the Vocation of BODE, KARL: Die Bearbeitung der Vorlagen in Des Childhood, New York 2001. Knaben Wunderhorn (Palaestra LXXVI), SCHAUB, GERHARD: Le Génie Enfant. Die Katego- Berlin 1909. rie des Kindlichen bei Clemens Brentano, BRÜMMER, FRANZ: Lexikon der deutschen Dichter Berlin/New York 1973. und Prosaisten des neunzehnten Jahrhunderts, SCHILLER, FRIEDRICH: Über naive und sentimenta- 5. Aufl., Bd. 4, Leipzig [1901]. lische Dichtung, in: Friedrich Schiller, Werke DYRENFURTH, IRENE: Geschichte des deutschen Ju- und Briefe, hrsg. v. Otto Dann u. a., Bd. 8: gendbuches, Freiburg 1967. Theoretische Schriften, hrsg. v. Rolf-Peter Janz, EICHENDORFF, JOSEPH VON: Werke in vier Bänden, Frankfurt 1992, S. 706–811. hrsg. v. Ludwig Krähe/René Strasser, Bd. 2: TIECK, LUDWIG: Schriften, hrsg. v. Manfred Frank Romane, Zürich 1965. u. a., Bd. 11: Schriften 1834–1836, Frankfurt EWERS, HANS-HEINO: Kindheit als poetische Da- a. Main 1988. seinsform. Studien zur Entstehung der roman- DERS.: Werke in vier Bänden, hrsg. v. Marianne tischen Kindheitsutopie im 18. Jahrhundert, Thalmann, Bd. 2: Die Märchen aus dem München 1989. Phantasus. Dramen, Darmstadt 1977. DERS.: Romantik, in: REINER WILD (HRSG.): Ge- VOGDT, INES-BIANCA: Wunderhorn und Sprach- schichte der deutschen Kinder- und Jugendlite- gitter. Geschichte der intentionalen Kinderlyrik ratur, Stuttgart 1990, S. 99–138. seit dem 18. Jahrhundert, München 1998. DERS.: Einleitung, in: HANS-HEINO EWERS WILD, REINER: Aufklärung, in: DERS. (HRSG.): Ge- (HRSG.): Kinder- und Jugendliteratur der Ro- schichte der deutschen Kinder- und Jugendlite- mantik, Stuttgart 1984, S. 7–58. ratur, Stuttgart 1990, S. 45–98. EYMER, WILFRIED: Eymers Pseudonymen Lexikon: Realnamen und Pseudonyme in der deutschen Literatur, Bonn 1997. Anmerkungen GREIF, STEFAN: Märchen/Volksdichtung, in: HEL- 1 Schiller 1992, S. 708. MUT SCHANZE (HRSG.): Romantik-Handbuch, 2 Hölderlin 1970, S. 110. Stuttgart 1994, S. 257–276. 3 Ewers 1990, S. 104. GRIMM, JACOB UND WILHELM: Kinder- und Haus- 4 Ewers 1984, S. 20. märchen. Gesammelt durch die Brüder Grimm. 5 Tieck/Wackenroder, zit. nach Ewers 1984, S. 22. Vergrößerter Nachdruck der zweibändigen 6 Tieck 1988, S. 17. Erstausgabe von 1812 und 1815 nach dem 7 Novalis o.J., S. 272. Handexemplar des Brüder-Grimm-Museums 8 Novalis o.J., S. 346. Kassel mit sämtlichen handschriftlichen Kor- 9 Ewers 1990, S. 104. rekturen und Nachträgen der Brüder Grimm, 10 Ewers 1990, S. 24. 2 Bde., Göttingen 1986. 11 Ebd., S. 126.

207 „DIE SEELE EINES KINDES IST HEILIG“. DIE OPPOSITION HERDERS UND DER (VOR-)ROMANTIK

Exponate 223–238 der und A[ugust] J[akob] Liebeskind. Durchgesehen und verbessert von F[riedrich] A[ugust] Krummacher. – Neue Ausgabe. – Mit 12 Bildern von Th[eodor] 223 Palmblätter. Erlesene morgenländische Erzäh- Hosemann. – Berlin: Druck und Verlag von Georg lungen für die Jugend. Von J[ohann] G[ottfried] Her- Reimer, 1857. – XIV, 411 S. 18,5 x 13,5 cm. der und A[ugust] J[akob] Liebeskind. Durchgesehen Vordemann-Sammlung und verbessert von F[riedrich] A[ugust] Krummacher. Mit Kupfern. – Erster–Vierter Theil [in 2 Bden]. – 225 Charles Perrault: Berlin, gedruckt und verlegt bey G. Reimer, 1831. – Contes des Fées, contenant le Chaperon rouge, la Bar- 12,5 x 10,5 cm. be bleue, le Maître Chat, ou le Chat botté, la Belle au 1. – XX, (2) 185 S. bois dormant, Riquet à la Houpe, Cendrillon, le Petit 2. – IV, (2) 175 S. Poucet, l’adroite Princesse, Peau d’ane. Par Charles 3. – (2) 102 S. Perrault. De l’Académie Française. A Paris, Chez 4. – (2) 172 S. Devaux, Libraire, Palais-Égalite, N°. 181. 1798. – AN Jeder Teil mit 3 unsignierten Kupfern. VI. – 180 S. 13,5 x 8,5 cm. Erstausgabe der revidierten Fassung Krummachers. Mit 3 Kupferstichen, davon 1 Frontispiz. Vordemann-Sammlung Vordemann-Sammlung Herders Kindheitsauffassung, besonders in der be- Charles Perrault (1628–1703) veröffentlichte seine rühmten Vorrede der Palmblätter (auf Palmblätter ge- Feenmärchen erstmals gesammelt 1697 (Les Histoires schriebene Geschichten, Lehren), steht der rationalis- ou contes du temps passé). Eine eigentliche Kinderlite- tischen wie der philanthropischen Kindheitsauffassung ratur gab es zu dieser Zeit noch nicht. Perrault griff entgegen. Seine „geschichtsphilosophische Wende“ auf mündliche wie auf schriftliche Quellen zurück. Er betont die Sinnhaftigkeit der einzelnen Entwicklungs- ahnte nicht, dass er am Anfang einer Jahrhunderte lang stufen und wertet die Kindheit als eigenen Lebensab- anhaltenden (Volks-)Märchenbegeisterung stand. Jo- schnitt, als „Frühling des Lebens“, auf. Gesammelt und hann Karl August Musäus, die Brüder Grimm und für die Jugend bearbeitet hat die Erzählungen August Ludwig Bechstein sind von ihm beeinflusst. Einige Jakob Liebeskind (1758–1793), der Hauslehrer bei Märchen finden sich bei Perrault wie bei den Brüdern Herders und Prediger in Oßmannstedt war; später hat Grimm, z.B. Rotkäppchen (Le petit chaperon rouge) oder sie der Schriftsteller Friedrich Adolf Krummacher Dornröschen (La belle au bois dormant). Auch Ludwig (1767–1845) nochmals bearbeitet. Sie waren bis weit Tieck greift stofflich auf Perrault zurück. 1745 erschie- ins neunzehnte Jahrhundert verbreitet und viel gele- nen Perraults Märchen erstmals auf Deutsch; sie wa- sen. Die Geschichten spielen vorwiegend im arabischen ren in ganz Europa bekannt. Perrault gilt als bekann- Kulturraum: Das Morgenland ist die Wiege des Men- tester Märchendichter Frankreichs. Perraults Märchen schengeschlechts, morgenländisches und kindliches sind üblicherweise ergänzt um solche seiner Zeit- Wesen sind verwandt. Sie wollen die Einbildungskraft genossin Marie Catherine LeJumel de Barneville des Kindes anregen. Dabei sind sie durchaus mora- d’Aulnoy (1650–1705), darunter z.B. L’oiseau bleu (Der lisch-erzieherisch, aber ohne die Morallehren der bisher blaue Vogel). üblichen Kinderliteratur. Hermann Hesse sagt im „Eh bien! ce sont ces fameux Contes de Perrault, ces Nachwort seiner eigenen Auswahlausgabe (erstmals fameux Contes de madame d’Aulnoy que nous vous Leipzig 1913, nochmals Frankfurt a. M. 1979): „Es ist livrons aujourd’hui, Enfants, Adolescents, Hommes mit der Moral aber zugleich auch Stil in die Samm- mûrs et Vieillards, et nous sommes assurés que vous lung gekommen. Sie atmen alle ohne Ausnahme die les lirez très-volontiers [...]. Sur ce, vole dans toutes les edelkühle, reine Luft jener Menschlichkeitsideale, die mains, jeunes et vieilles, joli volume de Contes, et das Fundament der Weimarer Geisteskultur waren und deviens pour tes lecteurs le talisman des Fées, la die wir alle aus Lessings Nathan kennen und vereh- baguette d’or du Magicien“ (S. 2). ren.“ – Kein anderer Großer der deutschen Literatur P.K. hat sich so für die Kinder- und Jugendliteratur einge- setzt wie Herder. 226 Charles Perrault/Marie Catherine LeJumel de P.K. Barneville d’Aulnoy: Contes des Fees par Ch. Perrault et Mme D’Aulnoy 224 Palmblätter. Erlesene morgenländische Erzäh- ornés de 8 beaux sujet Lithographies. – Paris : Fonteney lungen für die Jugend. Von J[ohann] G[ottfried] Her- et Peltier, Libraires [ca. 1850.] – 358 S. 17,5 x 11,5 cm.

208 „DAS KIND IST DIE SCHÖNE MENSCHHEIT SELBST“

Mit 8 farbigen Lithografien von Eug. Lejeune. Wilhelm Grimm (1785–1863; 1786–1859) – größer Vordemann-Sammlung ist Wilhelms Anteil – wurden zu einem Grundbuch der Kinder- und Märchendichtung überhaupt; ihre 227 Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lie- Ausstrahlung reicht bis in die Gegenwart. Umgekehrt der gesammelt von L[udwig] A[chim] v. Arnim und führen die stoffgeschichtlichen Wurzeln zurück ins Clemens Brentano. – Bd. 1–3. – Heidelberg: bey Mohr Mittelalter und ins Altertum. Die Kinder- und Haus- und Zimmer, 1806–1808. – 21,5 x 13,5 cm. Märchen stehen im Rahmen der romantischen Selbst- 1. 1806. – 470 S. vergewisserung deutscher Dichtung und Kultur, sind 2. 1808. – 448 S. ihrer Stoffgeschichte nach aber nicht an Deutschland 3. 1808. – 253, 101 S. gebunden. Zugleich sind sie bekanntester Ausdruck Der Anhang in Bd. 3 enthält Kinderlieder (101 S.) der Aufwertung der Volksdichtung, die im späten acht- Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen zehnten Jahrhundert angestoßen wurde durch Herder, In Des Knaben Wunderhorn haben Ludwig Achim von aber auch durch Bürger und andere; gleichwohl ge- Arnim (1781–1831) und Clemens Brentano (1778– hen die Märchen vielfach auf literarisch-schriftliche 1842) deutsche Volkslieder, meist in freier Bearbei- und nicht auf mündliche Vorlagen zurück. tung – tatsächlich aber auch eigene und fremde Kunst- Im Laufe von dreizehn Jahren haben beide Grimms lieder – gesammelt, insgesamt 723, und damit an die Märchen zusammengetragen, bearbeitet und er- Herders Volksliedersammlung von 1778 und die Volks- läutert; auch nach der ersten Ausgabe noch weiter be- liedbegeisterung des Sturm und Drang angeknüpft. arbeitet und ergänzt. Sie sind das bekannteste, aber Das Wunderhorn ist Goethe zugeeignet, der in der Jena- nicht das wichtigste Buch der Brüder Grimm. Sieben ischen Allgemeinen Literaturzeitung eine günstige Be- Auflagen, teilweise geändert, wurden noch von ihnen sprechung des ersten Bandes brachte (21./22. 1. 1806). selbst betreut. Die erste Auflage, noch unbebildert, war In einem Anhang zum dritten Band (ursprünglich auch noch nicht weit verbreitet. als Sonderdruck), wiederum eigens Goethe gewidmet, Erst die dritte Auflage von 1837 begründete den Welt- finden sich 137 Kinderlieder, darunter Kinderumzugs- erfolg (der dazugehörige Erläuterungsband erschien erst lieder und -spiellieder, Weihnachts-, Jahreszeiten- und 1856); daneben setzte sich die sog. Kleine Ausgabe Tageszeitenlieder, Wiegenlieder, Rätsellieder usw., (erstmals 1825; neun weitere Auflagen zu Lebzeiten), darunter solche, die bekannt geblieben sind wie Schlaf, die als Kinderbuch gedacht war, rasch durch (Exp.- Kindlein, schlaf, Guten Abend, gute Nacht, Es tanzt ein Nr. 231). Die Sammlung selbst richtet sich eigentlich Butzemann, Widele, wedele usw. Brentano verbindet das an Erwachsene (Jacob Grimm: „Das Märchenbuch ist Volkslied mit dem „alte[n] reine[n] Gefühl des Lebens, mir daher gar nicht für Kinder geschrieben, aber es von dem wir nicht wissen, wo es gelebt, wie es gelebt, kommt ihnen recht erwünscht und das freut mich was wir der Kindheit gern zuschreiben möchten, was sehr“, an Achim von Arnim, 28. 1. 1813). Der Begriff aber früher als Kindheit zu seyn scheint, und alles, „Kindermärchen“ weist nicht zunächst auf tatsächli- was an uns ist, bindet und lößt zu einer Einheit der che „Kinder“ als Leser, sondern auf einen verlorenen Freude“ (Arnim: Von Volksliedern, in Bd. 1, S. 451f). mythischen Urzustand, der in der Poesie wieder ein- Die Kindheit steht für das nicht entfremdete, ursprüng- geholt wird. liche Leben. Die Kinderlieder stehen mit innerem, P.K. philosophischem Grund im Wunderhorn, das aber nicht eigentlich ein Kinderbuch ist. 229 Jakob Ludwig Karl und Wilhelm Karl Grimm: Lit.: Bode 1909; Vogdt 1998, 86–121. Kinder und Hausmärchen. Gesammelt durch die Brü- P.K. der Grimm. Bd. 1–2. Grosse Ausgabe. Mit zwei Kup- fern. – 3., vermehrte und verbesserte Auflage. – Göt- 228 Jakob Ludwig Karl und Wilhelm Karl Grimm: tingen: Druck und Verlag der Dieterichschen Buch- Kinder- und Haus-Märchen. Gesammelt durch die handlung, 1837. Brüder Grimm. – 2 Bde. – Berlin: in der Realschul- 1. – (4), XXVIII, 513 S. buchhandlung, 1812–1815. – 18 x 10,5 cm. 2. – (4), VI, 385 S. 1. 1812. – XXVIII, 388, LXX S. Jeder Band mit einer kolorierten Titellithografie. 2. 1815. – XVI, 298, LI S. Brüder Grimm-Museum Kassel Erstausgabe. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 230 Jakob Ludwig Karl und Wilhelm Karl Grimm: Die Kinder- und Haus-Märchen der Brüder Jacob und Kinder und Hausmärchen. Gesammelt durch die Brü-

209 „DIE SEELE EINES KINDES IST HEILIG“. DIE OPPOSITION HERDERS UND DER (VOR-)ROMANTIK

Mit 13 Bildern nach Zeichnungen von Paul Meyer- heim. Vordemann-Sammlung

232 Maimon Fränkel Fredau [d.i. Fränkel Mai- mon]: Teutona. Eine Auswahl vorzüglicher Gedanken aus den besten originaldeutschen Schriften, zunächst für ge- bildete Söhne und Töchter. Herausgegeben von M. Fredau und G. Salberg. – Zweite, ganz umgearbeitete, vermehrte und verbesserte Auflage. Mit Kupfern und Vignetten. Erster Theil. – Leipzig: bei Friedrich Au- gust Leo, 1816 (Offenbach: C. L. Brede). – XV. (1) 517 (3) S. 17,5 X 10,5 cm. Mit Frontispiz von Schnorr von Karolsfeld, gestochen von Christian F. Stölzel. G. Salberg ist ein Pseudonym für Gotthold Salomon. Maimon benutzte teilweise dasselbe. Vordemann-Sammlung ,,Die 1. Aufl. erschien 1812 u. d. T.: Teutonia. – Die Chrestomatie enthält Prosa und Lyrik“ (Wegehaupt 1979, S. 78) u. a. von Fichte und Goethe, aber auch der Jugendautor Friedrich Adolf Krummacher ist ver- treten. Auf ein reiferes Publikum zielend, möchte Fredau nach (früh-)romantischer Manier auf die poe- tische Bildung des Menschen einwirken: ,,Als die erns- te, denkende Göttin des deutschen Parnasses will die Teutona durch ernste Wahrheit im Gewande der Schönheit belehrend ergötzen –, wozu sie denn auch die dem Menschen wichtigsten Gegenstände gewählt hat“ (Vorrede zur zweiten Auflage). M.H.

233 Wilhelm Hauff: Gedichte und Märchen für Söhne und Töchter gebil- deter Stände. – 15. Aufl. Mit e. Stahlstich. – Stuttgart: Rieger’sche Verlagshandlung, 1878. – 480 S. 16,5 x 12,5 cm. Mit einem Frontispiz (‚Das Märchen vom kalten Her- zen‘) von Fellner und Pigeot. Vordemann-Sammlung Die Ausgabe von 1878 ist für den Schulgebrauch ent- der Grimm. Bd. 3. – 3. Aufl. Göttingen: Druck und worfen; sie enthält im ersten Teil einige heute verges- Verlag der Dieterichschen Buchhandlung, 1856. 418 sene Gedichte des Autors, im zweiten, weitaus größe- S. 18 x 10,5 cm. ren Teil die drei berühmten Märchenzyklen Hauffs. Abb. 84 Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Nur auf sie begründet sich sein dauerhafter Erfolg als Frontispiz aus Fredaus Schriftsteller. Die Zyklen erschienen jeweils aufeinan- Teutona (1816). Nach 231 Jakob Ludwig Karl und Wilhelm Karl Grimm: derfolgend unter dem Titel Mährchen-Almanach für einer Zeichnung von Kinder und Hausmärchen gesammelt durch die Brü- Söhne und Töchter gebildeter Stände in den Jahren 1825, Schnorr von Karolsfeld der Jakob und Wilhelm Grimm. Herausgegeben von 1826 und 1827. Die Gesamtausgabe von 1832 erreich- gestochen von Christian Herman Grimm. – Kleine Ausg. 40. Aufl. – Güters- te bis 1890 neunzehn Auflagen. Friedrich Stölzel; Nr. 232. loh: C. Bertelsmann, 1890. – 287 S. 17,5 x 18 cm. Die Märchengruppen sind unter den Titeln der Rah-

210 „DAS KIND IST DIE SCHÖNE MENSCHHEIT SELBST“ menerzählungen zusammengefasst: Die Karawane, Der 235 Clemens Brentano: Scheikh von Alessandria und Das Wirtshaus im Spessart. Gockel, Hinkel und Gackeleia. Märchen von Clemens Die ersten beiden Zyklen sind noch deutlich von den Brentano. Nach dem Wortlaute der allein vollständi- orientalischen Märchen aus 1001 Nacht beeinflusst; die gen Ausgabe von 1838. Mit Holzschnitten nach Zeich- Abb. 85 Märchen der Karawane – darunter Kalif Storch, Die nungen von Alexander Zick. – Herausgegeben und ein- Aus Brentanos Gockel, Geschichte vom kleinen Muck und Die Geschichte vom geleitet von Eduard Grisebach. – Berlin: G. Grote’sche Hinkel, Gackeleia (1838); falschen Prinzen – die sich durch die Wüste ziehende Verlagsbuchhandlung, 1872. – 306 S. 18 x 12,5 cm. Nr. 234. Kaufleute abends untereinander erzählen, spielen alle Vordemann-Sammlung im morgenländischen Milieu. Mit dem Wirtshaus im Spessart und den in einer düsteren Waldgegend von Räubern belagerten Reisenden, die sich mit Märchen wach halten, vollzieht Hauff den Übergang von der orientalischen zur heimischen Bilderwelt. Hauff erwei- tert die Gattung durch frei gehandhabte Elemente des Schauerromans, der Sage, der zeitkritischen Satire, der Novelle und des Abenteuerromans. Obwohl der Haus- lehrer Hauff die Märchen für seine Schüler entwarf, erfreuten sie sich wegen ihres Farbenreichtums und ihrer Spannung auch bei den erwachsenen Zeitgenos- sen großer Beliebtheit. B.S.

234 Clemens Brentano: Gockel, Hinkel, Gackeleia. Mährchen wieder erzählt von Clemens Brentano. – Frankfurt: bei Schmerber, 1838. – XIV, 346 S. 21 x 14 cm. Mit gestochenem Titelblatt und 13 Lithografien. Erstausgabe. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Das ausführlich erzählte Märchen Gockel, Hinkel und Gackeleia gehört in seiner ersten Fassung unter dem Titel Das Märchen von Gockel und Hinkel in den Rah- men der Italienischen Märchen, die ab 1805 entstan- den und nach Brentanos Tod erstmals 1846/47 her- ausgegeben wurden. 1838 erschien die umgearbeitete Version als Einzelmärchen; es war das einzige dieser Gattung, das mit der Zustimmung des Autors zu sei- nen Lebzeiten publiziert wurde. Von Brentanos Mär- chendichtungen hat es die größte Berühmtheit erlangt. Das Gockel-Märchen handelt von den Erlebnissen des Hühnerministers Gockel von Hanau und seiner Fa- milie. Nach seiner Entlassung durch den König Eifrasius versuchen sie, auf dem verfallenen Wald- schloss, ehemaliger Stammsitz der Familie, ein neues Leben zu beginnen; bevor es aber zum glücklichen Ende und zur Heirat der verspielten Tochter Gackeleia mit dem Prinzen Kronovus kommt, müssen sie viele Abenteuer bestehen. Das Gockel-Märchen blieb trotz seiner märchenhaften Ideenvielfalt in der Beliebtheit weit hinter den Bechstein-Märchen und den Samm- lungen der Brüder Grimm zurück. B.S.

211 „DIE SEELE EINES KINDES IST HEILIG“. DIE OPPOSITION HERDERS UND DER (VOR-)ROMANTIK

236 Ludwig Bechstein: menten einen starken Akzent auf die Darstellung der Neues Deutsches Märchenbuch. – Neunundvierzigs- bürgerlichen Welt legt, grenzt sich Andersen auch te Stereotyp-Auflage. Volksauflage. Mit einem Titel- durch seinen oft sentimentalen oder pathetischen Er- kupfer und 50 Holzschnitten nach Originalzeichnun- zählton von den Märchenautoren der Romantik ab; gen von Leop[old] Weinmeyer. – Wien; Pest; Leipzig: seine Märchen erfreuten sich in Dänemark wie in A. Hartleben’s Verlag, 1887. – 276 S. 17,5 x 11 cm. Deutschland großer Beliebtheit. Vordemann-Sammlung B.S. Ludwig Bechsteins (1801–1860) Neues deutsches Mär- chenbuch folgte 1856 dem Deutschen Märchenbuch von 238 Elfenreigen: Deutsche und nordische Märchen 1845. Es enthält fünfzig Märchen aus Sammlungen aus dem Reiche der Riesen und Zwerge, der Elfen, zeitgenössischer Märchenautoren sowie aus spätmit- Nixen und Kobolde. Der Jugendwelt, vornehmlich telalterlichen und frühneuzeitlichen Quellen. deutschen Töchtern, gewidmet von Villamaria. Mit Nur dreizehn Märchen wurden von Bechstein selbst 60 Textillustrationen, einem Tonbild und aquarellier- gesammelt und aufgezeichnet. Mit seinem Erzählstil ten Titelbild. – Illustrirte Prachtausgabe. 4., vermehr- lehnt Bechstein sich an den witzigen Märchenton des te Auflage. – Leipzig ; Berlin: Otto Spamer, 1882. – achtzehnten Jahrhunderts an, trotzdem respektiert er VIII, 414 S. 21 x 16 cm. die einfache kurze Form des Volksmärchens. Seine (Otto Spamer’s Illustrirte Jugend- und Hausbibliothek) Märchen haben den Status einer ,Volksausgabe‘ und Titelbild von Bernhard Mörlins. Villamaria ist das sind bis ins zwanzigste Jahrhundert weitaus populärer Pseudonym von Marie Timme. als die Grimm’schen Sammlungen. Die erste Auflage erschien 1867. B.S. Vordemann-Sammlung Villamaria erläutert im Vorwort ihr Anliegen: Sie wol- 237 Hans Christian Andersen: le die „alte, deutsche Sagenpoesie“ der Jugend zugäng- H. C. Andersen’s Auserwählte Märchen. – Neu über- lich machen und sie deshalb in „Märchen“ umgestal- setzt von Edmund Lobedanz. – 2 Thle. [In 1 Bd.] – ten, „ohne den historischen Boden zu verlassen und Leipzig; Berlin: Otto Spamer, 1881. – 14 x 21,5 cm. die Ureigenthümlichkeit des Stoffes zu verwischen“; 1. Sechsundzwanzig auserlesene Märchen für die Kin- sie nimmt dafür „Phantasie des Dichters“ für sich in derstube. Mit 50 Text-Illustrationen von Erdmann Anspruch; der angekündigte Anhang, der über die Be- Wagner, nebst einem bunten Titelbilde von Her- arbeitung Aufschluss gegeben hätte, fehlt. mann Vogel. – 170 S. Villamaria betont den Einfluss des Märchens auf die 2. Dreißig Auserlesene Märchen für den Familienkreis. Bildung des Kindes wie auf die „nationale Erziehung“. Unter Beigabe von „Erinnerungen an H. C. An- Ihr Elfenreigen richte sich dabei nicht an „das erste Kin- dersen“ von Edmund Lobedanz und „Andersen’s desalter“, sondern an „jenes Jugendalter, das schon für letzte Tage“ (nach Nicolai Bögh). Mit 50 Text-Il- Darstellung und Formenschönheit ein offenes Auge lustrationen und zwei Tonbildern nach Zeichnun- hat“. gen von Erdmann Wagner. – 316 S. Stoffgeschichtlich führen die „Elfen, Zwerge, Nixen Vordemann-Sammlung und Kobolde“ – die meisten Märchen sind Elfen- Die vorliegende Ausgabe ist eine zweibändige Zusam- märchen – in vorchristliche Zeit; sie wurden, wie menstellung von Hans Christian Andersens (1805- Villamaria erläutert, später verchristlicht durch die 1875) Märchen (Eventyr) und Erzählungen (Histori- Sehnsucht nach einer unsterblichen Seele und eine (fast er), die in verschiedenen Sammlungen im Zeitraum immer scheiternde) eheliche Verbindung mit einem von 1852 bis etwa 1872 erschienen. Sie ist in die Teile Menschen. Die Märchen sind künstlich und süßlich; Kindermärchen und Hausmärchen eingeteilt, ohne eine die überlieferte Volksdichtung ist, Villamarias An- Rezipientengruppe im strengen Sinne festzulegen. Zu spruch zum Trotz, zurückgetreten; es handelt sich um den bekanntesten Märchen gehören die ebenfalls ent- freie Bearbeitungen. – Die Verfasserin ist Marie Timme haltenen Titel Der standhafte Zinnsoldat, Das kleine Mäd- (1830–1895); sie verfasste zahlreiche Novellen, vgl. chen mit den Schwefelhölzern oder Das hässliche Entlein. zu ihr Pataky 1898, 391; Brümmer 1901, 211, und Als Vertreter der biedermeierlichen Gattung des ,rea- Eymer 1997, 359. listischen Märchens‘, das neben den fantastischen Ele- P.K.

212 SCHÖNE BILDER FÜR NEUGIERIGE KINDER

Illustrationen und Illustratoren der Wichtige Werkstätten, die im Holzdruckverfah- Kinderliteratur ren arbeiteten, befanden sich in Nürnberg, Ba- sel, Straßburg, Mainz, Köln und Lübeck. Fast alle Angelika Bochem bedeutenden Künstler des fünfzehnten und sech- zehnten Jahrhunderts arbeiteten neben anderen Techniken auch im Holzschnitt: Albrecht Dürer Die bekanntesten Druckverfahren (1471–1528), Hans Holbein der Jüngere (1497– In der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhun- 1543), Albrecht Altdorfer (1480–1532) und derts waren Bücher zumeist mit Holzschnitten Lucas Cranach (1472–1532). Gegen Ende des geschmückt, obgleich sich in Augsburg und sechzehnten Jahrhunderts verlor der Holzschnitt Nürnberg bereits ein umfangreicher Handwerks- an Bedeutung zugunsten des differenzierteren, stand der Kupferstecher herausgebildet hatte. aber auch aufwändigeren Kupferstichs. Ein Auf- Noch während des siebzehnten Jahrhunderts wa- leben der Holzdrucktechnik setzte erst im neun- ren in Deutschland durch den Dreißigjährigen zehnten Jahrhundert wieder ein, als Künstler die- Krieg die Möglichkeiten zu künstlerischer Entfal- ses Druckverfahren wegen seiner Aussagefähigkeit tung sehr begrenzt. Neue buchkünstlerische Ten- wieder entdeckten, Paul Gauguin (1848–1903), denzen zeichneten sich erst zu Beginn des acht- Edvard Munch (1863–1944) und HAP Gries- zehnten Jahrhunderts ab. Sie waren geprägt von haber (1909–1981). französischen und niederländischen Einflüssen. Im Gegensatz zum Holzschnitt ist der Kup- Das älteste Druckverfahren für den Buch- ferstich eine Reproduktionsmethode im Tief- druck ist der Holzschnitt. Die Ursprünge dieser druckverfahren. Durch den Kupferstich war es Technik lassen sich bis in das vierzehnte Jahrhun- möglich, eine höhere Auflage zu erzielen. Ur- dert zurückverfolgen. Der Holzschnitt wurde ab- sprünglich hatten Goldschmiede diese Technik gelöst durch den Kupferstich, der wiederum dem entwickelt, um ihre gestochenen Verzierungen auf Verfahren der Lithografie und dem des Holzsti- dem Papier festhalten zu können. Der Stecher, ches wich. Bereits im neunzehnten Jahrhundert der oft auch der Künstler selbst war, gravierte die arbeiteten Buchkünstler mit den unterschiedlichs- Zeichnung, wie der Reißer beim Holzschnitt, sei- ten Drucktechniken. tenverkehrt in die Kupferplatte. Die tiefliegenden Beim Holzschnitt handelt es sich um einen Linien in der Platte nahmen die Farbe auf und Hochdruck, d.h., nur die erhabenen Stege dru- druckten. Das Papier musste für diesen Vorgang cken. An einem Holzschnitt waren meist Mit- weich und saugfähig sein. Halbtöne erzielte man wirkende dreier unterschiedlicher Berufe betei- durch das enge Aufeinanderlegen von Schraffu- ligt. Der Zeichner, auch der Reißer genannt, riss ren. Es gab Werkzeuge, mit denen sich größere die Illustration seitenverkehrt in die Holzplatte. Flächen nahezu gleichzeitig behandeln ließen. Es Das Holz, das es zu entfernen galt, wurde von waren vorbearbeitete Platten, die in die Kupfer- einem Holzschneider, meist einem Tischler, fort- platte geschlagen wurden und sich wieder- geschnitten. Die Koloration besorgten die soge- verwenden ließen, bis sie abgenutzt waren. nannten Briefmaler. Eine im Holzdruck herge- Kennzeichnend für einen Kupferstich ist eine stellte Illustration ist erkennbar an ihren klaren, feine Spitze am Linienanfang. Ferner lässt sich kräftigen Linien und dem gänzlichen Fehlen der meist die auf dem Papier liegende erhöhte Farbe Grauwerte. Ist der Druck koloriert, so sind häu- fühlen. Die Arbeitsteilung in den Kupferwerk- fig die Außenlinien übermalt. Beispielhaft für den stätten setzte schon sehr früh ein. So signierte der Holzdruck ist der Orbis pictus des Johann Amos Zeichner links unten mit ‚del.‘ (d.h. delineavit = Comenius. Das Buch erschien zuerst im Jahre er hat (es) gezeichnet) und der Stecher rechts 1658 und ist in der Ausstellung in der Ausgabe unten mit sec. bzw. sc. (d.h. sculpsit = er hat (es) von 1726 (Exp.-Nr. 4) zu sehen. gestochen).

213 SCHÖNE BILDER FÜR NEUGIERIGE KINDER

Bedingt durch die Möglichkeit, eine höhere Auf- lichten ließ, zur Reproduktionstechnik billiger lage zu erzielen, begannen Künstler nun Kupfer- Massenware. stiche zu produzieren und sie erst später zu ver- Den Holzstich entdeckte man während des kaufen. Vormals hatten sie Gemälde auf Bestel- neunzehnten Jahrhunderts und setzte ihn recht lung geliefert. Es ist bekannt, dass Dürers Mut- häufig in der Buchillustration ein. Es handelt sich ter und seine Frau die Dürer’schen Stiche auf um eine aus dem Holzschnitt hervorgegangene Märkten zum Verkauf anboten. Technik. Der Unterschied zwischen diesen bei- Erst Mitte des neunzehnten Jahrhunderts den Druckarten liegt in der Bearbeitung des konnte der Kupferstich technisch in den Buch- Holzes sowie im Holz selbst. Das zu benutzende druck integriert werden. Zuvor waren die illust- Holz muss besonders hart sein, das sogenannte rierten Tafeln meist hinten in das Buch einge- Hirnholz. Von daher ist eine sehr prägnante bunden, weil Bücher im Hochdruck, Kupfer aber Linienführung, die auch feinste Tonabstufungen im Tiefdruck hergestellt wurden. Auch um Ge- ermöglicht, eine der Haupteigenschaften des mälde zu reproduzieren, eignete sich der Kupfer- Holzstiches. Im Holzstichverfahren hergestellte stich. Beispielsweise bildete sich um Peter Paul Drucke wirken oft sehr malerisch. Begabte Ste- Rubens (1577–1640) eine Gruppe Kupferstecher, cher, die sogenannten Xylografen, übertrugen die die seine Gemälde reproduzierte und somit ver- Zeichnungen der Künstler auf das Holz. breitete. Um 1770 herum war fast jedes in Leip- In der Buchkunst sind sehr schöne Holzsti- zig gedruckte Buch mit Kupferstichen geschmückt. che von Adrian Ludwig Richter (1803–1884), Da die Auflage durch die Abnutzung der Platten Adolph Menzel (1815–1883) und Gustave Doré begrenzt war, stach man Platten nach oder über- (1832–1883) zu finden. Im Verlaufe des neun- arbeitete sie. Von daher entsprachen viele Kup- zehnten Jahrhunderts wurde der Holzstich mas- ferstiche später nicht mehr dem Original. senhaft für Reproduktionen nach fremden Vor- Im neunzehnten Jahrhundert wurde der Kup- lagen für Bücher und Zeitschriften angewandt, ferstich von der Lithografie und dem Holzstich wodurch er nach und nach an Qualität verlor. Es abgelöst. Im Jahre 1796 erfand Alois Senefelder war gelungen, das Holz mit einer lichtempfindli- (1771–1834) die Lithografie. Es handelt sich chen Schicht zu versehen und nun nach einer dabei um ein Flachdruckverfahren, wobei die fotografischen Kopie zu stechen. Zeichnung mit einer fetthaltigen Farbe auf einen Stein aufgetragen wird. Der vorher mit einer Ätz- Bekannte und beliebte Illustrationskünstler flüssigkeit behandelte Stein nimmt die fettige Die ersten Bücher für Kinder, die ABC-Bücher, Farbe an. Wird er während des Druckes feucht waren meist schlicht. Einfache Holzschnitte ga- gehalten, so stoßen die feuchten Stellen die Far- ben häufig eine Art Rahmen für den Inhalt ab. be ab, sind also nicht druckend. Wegen der Ver- Während der Zeit der Aufklärung und auch schon wendung von Chemikalien wird die Lithografie im Vorfelde, wie an dem Orbis pictus (Exp.-Nr. auch die ‚chemische Druckerei‘ genannt. Un- 4) des Johann Amos Comenius zu sehen ist, gab glaublich schnell eroberte sich dieses Verfahren es jedoch genügend kluge Pädagogen, die dem eine Spitzenposition. Das mag an zwei bedeuten- Kind das Lernen durch Anschauung erleichtern den Vorteilen gegenüber den älteren Drucktech- wollten. Der folgende Abschnitt beschäftigt sich niken gelegen haben. Zum einen ermöglichte die mit den Illustratoren dieser „angenehmen und Lithografie dem Künstler ein individuelles, nützlichen“ Kinderliteratur. schnelles Zeichnen auf dem Stein, zum anderen „Der äußeren Form nach liefen in Deutsch- war eine hohe Auflage gewährleistet. land zwei Entwicklungslinien nebeneinander her. Die Reproduktionslithografie wurde vorwie- Die eine war die Fortsetzung der Rokokozeit, sie gend für Landkarten und Landschaften in Reise- nahm die Kleinkunst Chodowieckis, Meils, werken benutzt, wodurch sich sehr schnell ein Geysers auf, vernachlässigte aber leider fast ganz eigenständiger Bereich entwickelte. In der Kunst das dekorative Gebiet der Vignettenkunst“.1 Der setzte sich die Lithografie nicht so rasant durch. zweite Strang, der sich in der Umrisszeichnung aus- Auch in den Bereich der Buchillustration fand drückte, kam aus England. Begründer dieses Stiles sie nur zögernd Eingang. Gegen Ende des neun- war John Flaxman, dessen antikisierende Werke zehnten Jahrhunderts verkam die Lithografie, (Homer, Aischylos, Dante) in Deutschland sehr nachdem der Stein sich nun fotomechanisch be- viel Anklang fanden. In den hier ausgestellten Kin-

214 ILLUSTRATIONEN UND ILLUSTRATOREN DER KINDERLITERATUR derbüchern liegt diese Stilrichtung nur ansatzweise Einer von ihnen war der Miniaturmaler, Zeich- vor. So arbeitete der Göttinger Kupferstecher Ernst ner und Kupferstecher Johannes Esaias Nilson, Ludwig Riepenhausen (1762–1840), der eine der aus einer Kupferstecherfamilie stammte, in wunderschöne Titelvignette zu Georg Christian der sowohl der Vater wie auch die Mutter den Raffs Naturgeschichte für Kinder (Exp.-Nr. 205) Sohn ausbildeten. Seine Eltern, Rosina Barbara erstellte, zwar teilweise klassizistisch, jedoch kei- Nilson und Andreas Nilson, gaben den Sohn für neswegs so streng wie Flaxman. Riepenhausen war eine Weile bei dem Kupferstecher Johann Thomas ein höchst produktiver Künstler, der hauptsäch- Kraus in die Lehre. Nach dem Tode des Vaters lich nach fremden Vorlagen, z.B. von Johann Hein- im Jahre 1751 übernahm Johannes Esaias Nilson rich Ramberg (s.u.) stach und es verstand, sich sen- die Meistergerechtigkeit und führte den Betrieb sibel auf den Inhalt eines Bildes einzustimmen. Be- weiter. Nilson illustrierte das sehr schöne Fronti- kannt wurde er vor allem durch seine jahrelange spiz für den Atlas für die Jugend und alle Liebha- Arbeit für den von Georg Christoph Lichtenberg ber der Geographie (Exp.-Nr. 120). herausgegebenen und im Verlag Dieterich erschie- Ein weiterer bekannter Augsburger Künstler nenen Göttinger Taschen Calender, durch Titelkup- war Johann Elias Ridinger. Er schuf das wunder- fer und Bildbeigaben in zahlreichen Büchern, etwa schöne Buch Lehrreiche Fabeln aus dem Reich der für die Gedichte von Philippine Engelhard geb. Thiere (Exp.-Nr. 13). Der junge Maler erhielt Gatterer oder Friedrich Anton Levin Matthäis Be- seine erste Ausbildung bei seinem Vater Johann such auf dem Lande (Exp.-Nr. 50), und die Jacob Ridinger. Die sehr lebendig wirkenden Tier- Stammbuchkupfer für Göttinger Studenten, die darstellungen sind beeinflusst durch Studien in hauptsächlich Stadtansichten und Landschaften Reitschulen und bei Jagden, an denen er häufig (Göttingen und Umgebung, Harz usw.), aber auch teilnahm. Bei seinem Tode hinterließ er den Söh- Szenen aus dem Studentenleben zeigen. Sehr viele nen Johann Jacob und Martin Elias ein umfang- Abb. 86 seiner Arbeiten können im Göttinger Stadtarchiv reiches Werk, das aus Gemälden, Bildnissen, Tier- Aus Ridingers Lehrreichen eingesehen werden. Seine beiden Söhne Franz (ei- und Jagddarstellungen, aber auch religiösen Wer- Fabeln aus dem Reich der gentlich Friedrich) und Johann (eigentlich Chris- ken bestand. Der zeichnerische Nachlass des Thiere (1744); Nr. 13. tian) wurden von Johann Heinrich Wilhelm Tisch- bein in Kassel inspiriert, sich mit klassizistischer Malerei zu befassen. Sie erlangten einen hohen Be- kanntheitsgrad als Professoren in Leipzig und in Dresden. Von Kunsthistorikern werden die Arbei- ten von Franz und Johann Riepenhausen in der Regel als „flach“ bezeichnet, die an die Qualität der väterlichen Arbeit in keiner Weise herankom- men. Im Kinderbuch der Aufklärung findet sich in der Regel die erste Entwicklungslinie und nicht die klassizistische Konturenmalerei. Beispielhaft hierfür sind die Arbeiten des Daniel Chodowiecki (s.u.). Er illustrierte Bilder-Akademien und Ele- mentarwerke im Stil des Rokoko, wobei jedoch auch schon ein Hauch von Romantik zu verspü- ren ist. Die meisten deutschen Kupferstecher des achtzehnten Jahrhunderts illustrierten hauptsäch- lich naturwissenschaftliche Werke. Während die französische Buchkunst im achtzehnten Jahrhun- dert bereits in hoher Blüte stand, entwickelte sich die deutsche Buchillustration gerade erst in Nürn- berg, Dresden, Leipzig und Berlin. Augsburg hin- gegen war bereits zu Albrecht Dürers Zeiten ein Zentrum mit einer starken Kupferstechergilde und hervorragenden Künstlern.

215 SCHÖNE BILDER FÜR NEUGIERIGE KINDER

Malers Ridinger wurde im Jahre 1830 an Weigel bekannt. Er schuf Buchillustrationen zu Lavaters in Leipzig verkauft. Noch im Jahre 1933 waren Physiognomik und zu den in drei Heften erschie- ca. 433 Kupferplatten im Besitz eines Charlot- nenen Kupfern zu Salzmanns Elementarwerk tenburger Sammlers. (1784–1788). Bemerkenswert sind die Illustrationen der Vermutlich von Meynier selbst gestochen sind Historien- Kinder- Bet- und Bilder-Bibel von Ab- die sehr sorgfältig gearbeiteten Kupfertafeln im raham Kyburz (Exp.-Nr. 167), die im Augsburger Wissenschaftlichen Hausbedarf (Exp.-Nr. 101). Als Verlag des Johann Andreas Pfeffel herausgegeben Autodidakt hatte Meynier sich die französische wurde. Als Kupferstecher namentlich erwähnt Crayonmanier angeeignet. Später erwarb er sich werden Catharina Sperlingin und Philipp Gott- Kenntnisse im Kupferstichhandwerk bei dem fried Harder. Catharina Heckel (1699–1741) war bereits erwähnten Nürnberger Meister Gabler. Er die Tochter des Michael Heckel, der auch ihr signierte keines seiner Bilder und als Schriftstel- Lehrmeister war. Im Alter von elf Jahren radierte ler arbeitete er unter verschiedenen Pseudonymen. Catharina ihr erstes Buch, das Artig Zeichen- Einige seien hier genannt: Georg Ludwig Jerrer, büchlein2, das zeitgenössische Mode darstellte und Felix Selchow, K. Iselin, W. Gottschalk, Jul. Freu- von Johann Ulrich Kraus verlegt wurde. Sie zeich- denreich, Jul. Sternberg, Felix Sternau, K. L. Ren- nete mit der Feder, in Öl und besonders Minia- ner, W. Bescheerer und J. F. Sanguin. turen, die sich in England gut verkauften. Im Jah- Auch Joachim Heinrich Campes Sämmtliche re 1725 heiratete sie den Kupferstecher Hierony- Kinder- und Jugendschriften (Exp.-Nr. 15) sind mus Sperling (1695–1777), der später nach ih- sehr schön und von hervorragenden Künstlern ren Vorlagen Porträts stach. Catharina Sperling illustriert. Campe vertrat die Ansicht, dass Erzie- war nicht nur an der Historien- Kinder- Bet- und hung fast ganz in den Dienst einer gewissen Nutz- Bilder-Bibel, sondern auch an der Erstellung der barkeit gestellt werden sollte. „Lessing nennt prachtvollen vierbändigen Kupfer-Bibel (Physica Campe einen festen, unschwärmerischen Mann, sacra, 1731–1735) des Schweizer Naturforschers so unschwärmerisch, dass nach ihm das Verdienst Johann Jacob Scheuchzer beteiligt. Das gilt auch dessen, der das Spinnrad erfunden oder den für Philipp Gottfried Harder (1710–1749), Sohn Kartoffelbau bei uns eingeführt habe, höher an- eines angesehenen Augsburger Geistlichen, der zuschlagen sei als das Verdienst eines Dichters der meist im Verlag seines Lehrmeisters Pfeffel arbei- Illias oder Odysse“.3 Band 22 der Sämmtlichen tete, welcher auch künstlerisch sein Vorbild war. Kinder- und Jugendschriften enthält eine Faltkarte Der Nürnberger Johann Georg Sturm und von der Südsee, die Thomas Albrecht Pingeling der Göttinger Friedrich Ludwig Waagen schufen stach. Von ihm stammen auch die Titelkupfer in die Kupfertafeln zu der bereits erwähnten Natur- Campes dreibändiger Entdeckung von Amerika geschichte für Kinder (Exp.-Nr. 205). Der Kup- (Ausgabe von 1834, Exp.-Nr. 149). Schon sein ferstecher Sturm war zusätzlich Maler und Ento- Vater Gottfried Christian Pingeling besaß die mologe (Insektenkundler) und verfügte über eine bedeutendste Kupferwerkstatt in Hamburg. Aus detaillierte Ausbildung an der Akademie Basel. den teilweise erhaltenen Auftragsbüchern geht Wie Sturm hatte auch Waagen einen hohen Be- hervor, dass die Pingeling’sche Werkstatt für den kanntheitsgrad. Er war ein Schüler von Johann gesamten norddeutschen Raum, bis hinein nach Heinrich Tischbein dem Älteren. Im Jahre 1793 Dänemark, Auftragsarbeiten übernahm. Das gründete Waagen in Hamburg eine Mal- und Einnahmebuch aus den Jahren 1775–1793 zeigt Zeichenschule. Sturm stach mit den Nürnbergern an, dass auch Aufträge aus London und St. Pe- Friedrich Fleischmann und Johann Nußbiegel tersburg ausgeführt wurden. Im Hamburger einen Teil der Illustrationen in der Neuen Bilder- Staatsarchiv sind Tuschezeichnungen, ein Kos- Geographie für die Jugend (Exp.-Nr. 122) von Jo- tümblatt von 1754 und Stiche von Tabaks- hann Heinrich Meynier. Der Maler, Kupferste- etiketten, Posthofzetteln, Landkarten und ähnli- cher und Lithograf Fleischmann arbeitete drei ches erhalten.4 Jahre bei dem Nürnberger Meister Gabler. Als Neben Daniel Chodowiecki war Johann Wil- Stecher war er besonders bewandert in der Punk- helm Meil einer der bedeutendsten deutschen Il- tier- und Liniermanier. Mit Liniermaschinen lustratoren. War Chodowiecki eher ein Schilde- stach er auch Stahlstiche. Von dem Zeichner und rer realer Situationen, so erstellte Meil häufig Kupferstecher Johann Nußbiegel ist nur wenig neben wirklichkeitsgetreuen Darstellungen orna-

216 ILLUSTRATIONEN UND ILLUSTRATOREN DER KINDERLITERATUR mentale Vignetten, wie etwa zum Neujahrs-Ge- trierte für den Kinderfreund. Bekannt ist Hertel schenk für liebe Kinder von Philippine Engelhard durch eine Veröffentlichung im Verlage seines (Exp.-Nr. 213). Im Jahre 1759 war Meil durch Vaters, die mehrere Folgen von je vier Blättern zum die Titelillustration und die Titelvignette zu den Thema Ranken- und Muschelwerkmotive, Stand- Fabeln Lessings bekannt geworden.5 Für Johann uhren, Spiegel und ländliche Gebäude enthielt.6 Matthias Schröckhs Allgemeine Weltgeschichte für Hans Veit Schnorr von Karolsfeld (auch Ca- Kinder (Exp.-Nr. 123) stach Meil vierundzwan- rolsfeld) war sehr vielseitig tätig. Neben Bildnis- zig Kupfer nach Zeichnungen von Christian Josef sen und Radierungen entwarf er auch Skizzen für Krüger und Christian Bernhard Rode. 1801 wur- bildhauerische Werke. Er schnitzte und model- de Meil Nachfolger Chodowieckis im Amt des lierte selbst und verfasste kunstpädagogische Direktors der Königlich Preußischen Akademie Schriften. Nach seiner gezeichneten Vorlage stach der Künste. Weniger bekannt war Krüger, der als Christian Friedrich Stoelzel das Frontispiz zu Bildhauer, Medailleur, Stempelschneider und Teutona (Exp.-Nr. 232). Auffällig an seiner Ar- Wachsbossierer arbeitete. Rode hingegen war als beitsweise ist die (englische) punktierte Manier. Historienmaler und Radierer erfolgreich. Er er- Stoelzel gehörte ab 1777 zur Dresdener Akade- stellte gefällige und schwungvolle Szenen, obwohl mie. Die Söhne des Hans Veit Schnorr von es manchen seiner Charaktere durchaus an Indi- Karolsfeld, der 1816 die Leitung der Leipziger vidualität mangelt. Meil kam ursprünglich aus Akademie übernahm, Ludwig und Julius Schnorr dem kunstgewerblichen Bereich. Er radierte zuerst von Karolsfeld, beeinflussten die Illustrations- nach fremden, später nach eigenen Vorlagen. Als kunst des späteren neunzehnten Jahrhunderts und Kostümzeichner war er für das Wiener Hofthea- wurden die Direktoren der Wiener bzw. Dresde- ter tätig. Er arbeitete meist zart und eher in fran- ner Akademie. zösischer Manier. Meil wurde bekannt als Illust- Als Begründer einer Künstlerfamilie ist be- rator der Bücher von Friedrich dem Großen, sonders Christian Gottfried Heinrich Geißler an- Lessing und Goethe. zusehen, der das wunderschöne Bilderbuch ohne In den Metropolen Sachsens, Dresden und Verfasser und Titel illustrierte (Exp.-Nr. 99). Ab Leipzig, entstanden in der Mitte des achtzehnten 1784 besuchte Geißler die Leipziger Akademie. Jahrhunderts die ersten Kunstakademien. Einige In der Zeit von 1790 bis 1798 war er in St. Pe- Absolventen dieser Schulen erreichten später ei- tersburg für den Botaniker Peter Simon Pallas nen hohen Bekanntheitsgrad. So Johann August (1741–1811) tätig. Sein Stil war geprägt durch Rosmaesler, der beispielsweise die Illustrationen die Arbeiten Richters, eines damals bekannten zu Weißes Kinderfreund (Exp.-Nr. 133–134), das Volks- und Charakterschilderers. Sein Sohn Peter Frontispiz in Wezels Robison Krusoe (Exp.-Nr. 82) Carl, sein Enkel Rudolf und seine Neffen Julius und das Titelkupfer zu Salzmanns Moralischem und Robert (Söhne des Mineralogen August Elementarbuch (1785, Exp.-Nr. 177) schuf. Geißler in Göttingen) wurden ebenfalls für die Rosmaesler hatte zwei Brüder, die ebenfalls dem Buchillustration des neunzehnten Jahrhunderts Beruf des Kupferstechers nachgingen, nämlich von Bedeutung. Johann Adolf und Johann Friedrich Rosmaesler. Der anerkannteste und beliebteste Illustrator Johann August stach mehrere hundert Blätter des achtzehnten Jahrhunderts war Daniel Chodo- nach Chodowiecki. Ein weiterer Künstler, der wiecki (1726–1801). Er illustrierte das Lebenswerk auch für den Kinderfreund stach, war der Nürn- des Philanthropen Johann Bernhard Basedow, berger Gustav Georg Endner. Er arbeitete aus- nämlich das Basedowsche Elementarwerk (Exp.-Nr. schließlich für Buchhändler, besonders für Breit- 7). Der Pädagoge Basedow arbeitete ständig an der kopf in Leipzig. Seine Illustrationen signierte er Verbesserung des Erziehungswesens. So sollten zumeist nur mit dem Buchstaben E. oder mit ei- fremde Sprachen durch Gespräche und Real- nem E.r. Populär waren auch Christian Gottlieb unterricht erlernt werden. Naturkenntnisse sei- Geyser, dessen Söhne ebenfalls Kupferstecher en durch Anschauungsunterricht leichter zu er- waren. Es handelte sich um Friedrich Christian werben. Das Kupferwerk des Elementarwerkes von Gottlieb und Gottlieb Wilhelm Geyser. Gottlieb Basedow sollte das erste Handbuch aller Erzie- Wilhelm gab 1859 das Leipziger Künstleralbum her sein, denn diese Bildergalerie könne den Kin- heraus. Auch Georg Leopold Hertel, der aus ei- dern anschauliche Kenntnisse in vielen Lebens- ner Augsburger Kupferstecherfamilie kam, illus- bereichen vermitteln. 1774 gründete Basedow das

217 SCHÖNE BILDER FÜR NEUGIERIGE KINDER

Philanthropin in Dessau, wo nach seiner Lehr- sche Geyser, auch ein beliebter Künstler seiner methode, teilweise mit großem Erfolg, unterrich- Zeit, signierte seine Bilder meist mit G.f., GGsc, tet wurde. Die Abbildungen Chodowieckis soll- und GGf. ten innerhalb des Elementarunterrichts begreif- Viele Illustrationen zu Bertuchs Bilderbuch für bare Sach- und Worterkenntnisse schaffen. Kinder (Exp.-Nr. 12) wurden von Lehrern und Chodowiecki war ein vielbeschäftigter Künst- Schülern der von Bertuch 1776 gegründeten ler. Er illustrierte beispielsweise die zweibändige ‚Fürstlichen freyen Zeichenschule‘ (später Wei- Bilder-Akademie für die Jugend von Johann marer Freie Zeichenschule) in Weimar angefer- Sigmund Stoy (Exp.-Nr. 114) mit achthundert tigt, die von dem Maler Georg Melchior Kraus Kupfern, schuf das Frontispiz zu Joachim Hein- und dem Kupferstecher Johann Heinrich Lips rich Campes berühmtem Robinson der Jüngere (in: geleitet wurde. Lips war in den 1780er Jahren oft Campe: Sämmtliche Kinder- und Jugendschriften, nach Rom gereist, wo er Goethe kennen lernte. Bd. 10, Exp.-Nr. 15) und zeichnete die Vorlagen Zwischen den beiden entstand ein freundschaft- der Kupfer für das Moralische Elementarbuch von liches Verhältnis, was zur Folge hatte, dass Goethe Christian Gotthilf Salzmann, die von Aßner und Lips förderte und dieser 1789 an die ‚Fürstliche Schmid gestochen wurden (Exp.-Nr. 178). freye Zeichenschule‘ berufen wurde. Daniel Chodowiecki arbeitete im französi- Erst um die Wende zum neunzehnten Jahr- schen Stil, verstand es jedoch, eine gewisse Volks- hundert kam mit Johann Heinrich Ramberg ein tümlichkeit in der Zeichnung zu erreichen. In sei- Illustrator zur Geltung, der eine ähnlich große nem Tagebuch schrieb er: „War ich in Gesell- Bedeutung wie Chodowiecki erlangte. Zusammen schaft, so setzte ich mich so, dass ich die Gesell- mit Carl August Schwerdgeburt schuf er das Ti- schaft oder eine Gruppe derselben oder auch nur telkupfer zu dem Büchlein von Johann Andreas eine einzige Figur übersehen konnte und zeich- Christian Löhr Mancherlei Begebenheiten und nete sie so geschwind oder auch mit so vielem Geschichten aus dem Leben des kleinen Andreas Fleiß, als es die Zeit oder die Stetigkeit der Perso- (Exp.-Nr. 41). Den ersten Zeichenunterricht er- nen erlaubte. Bat niemals um Erlaubnis, sondern hielt Ramberg von seinem Vater, einem hanno- suchte es so verstohlen wie möglich zu machen; verschen Verwaltungsbeamten. In England un- denn wenn ein Frauenzimmer (und auch zuweilen terzog sich Ramberg einer strengen Ausbildung Männerpersonen) weiß, dass man’s zeichnen will, durch den Londoner Künstler West. Doch die so will es sich angenehm stellen und verdirbt al- Malerei lag ihm nicht sehr. Vielmehr interessier- les, die Stellung wird gezwungen“.7 te ihn die englische Zeichenkunst, vor allem die Bekannt geworden war der damals vierund- Karikaturen Rowlandsons. „Rambergs eigentli- vierzigjährige Chodowiecki durch die Illustrie- che Begabung liegt auf dem Gebiet der zeichne- rung von zwölf Szenen zu Lessings Minna von rischen Improvisation, in der sich sein lebhafter Barnhelm für den Berliner Genealogischen Kalen- Sinn für Humor und Satire am angenehmsten der (1770). Bald konnte der gefragte Illustrator aussprechen konnte“.8 Nach dem Tod Chodowi- aus Zeitmangel seine Werke nicht mehr selbst eckis wurde Ramberg der meistgefragte deutsche stechen, so dass nun ein ganzer Stab der besten Illustrator. Er illustrierte fast jeden Schriftsteller Berliner Kupferstecher für ihn arbeitete. Darunter seiner Zeit. waren u.a. Peter und Meno Haas, Johann Fried- Lithografische Beispiele aus der ersten Hälfte rich Bolt, der geschickte Sachse Geyser und Da- des neunzehnten Jahrhunderts sind recht selten niel Berger. Berger, als reproduzierender Kupfer- zu finden. Ein sehr schönes Beispiel für diese stecher stark von Chodowiecki beeinflusst, war Technik, auch wenn sie im Stile des Kupfersti- als Stecher an den Illustrationen zu Gumal und ches gehalten ist, ist die Neue Bildergallerie für Lina (1827, Exp.-Nr. 184) beteiligt. Johann die Jugend (Exp.-Nr. 118). Einige der Illustrati- Friedrich Bolt, einer von Chodowieckis bekann- onen enthalten Signaturen der Namen: Inger, teren Schülern, stach ebenfalls nach Vorlagen sei- Karst, Listemann und Weibezahl. Die Lithogra- nes Lehrers, aber auch nach Johann Wilhelm Meil fien zeigen oft kuriose Realitäten. Meist wur- und nach eigenen Entwürfen. Johann Meno den sie wohl aus Realienwerken für Erwachse- Haas, der ebenfalls einer Künstlerfamilie ent- ne übernommen. Das Werk ist, wie auch die stammte, war seit 1793 Mitglied der Königlich Neue Bilder Gallerie für junge Söhne und Töchter Preußischen Akademie der Künste. Der sächsi- (Exp.-Nr. 117), vom Geografieverständnis der

218 ILLUSTRATIONEN UND ILLUSTRATOREN DER KINDERLITERATUR

Aufklärung geprägt. Der Mensch wird als Teil Schnorr von Karolsfeld ebenfalls dort als Profes- Abb. 87 der Natur gesehen und durch sie sowie Erzie- sor. Für Richter stachen Eduard Wilhelm Engel- Ernst Kreidolf, aus seinem hung, Gewohnheit und Gesetze gebildet. In der mann, ein Leipziger Holzschneider, der Autodi- Bilderbuch Blumenmärchen letzteren Bilder Gallerie befinden sich sehr schö- dakt Johann Gottfried Flegel, der auch nach Kaul- (1898, nicht im Katalog). ne Kupfertafeln, die größtenteils Karl Friedrich bach arbeitete, der Maler, Lithograf und Vor- Lang zuzuschreiben sind, der unter den Pseud- zeichner für Holzdrucke Ludwig Löffler, der re- onymen C. A. Hirschmann und August Linde- produzierende Holzschneider Georg Mezger, mann arbeitete. Lang war Zeichner und als Ra- Ludwig Nieper, der Stecher Albert Johann Philipp dierer Dilettant, der oft nach Vorlagen radierte. Vogel und der Holzschneider Carl Ludwig Au- Die für die Bilder Gallerie geschaffenen Kupfer- gust Wecke. Die Robinson-Illustrationen zeigen, tafeln sind sehr sorgfältig gearbeitet und inso- wie gut diese Künstler Richters Vorlagen umge- fern auch informativ. setzt haben. Beispielhaft für wunderschöne Holzstiche Bis zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts sind die Illustrationen in dem Werk von Joachim waren Bücher meist äußerlich schlicht gehalten, Heinrich Campe: Robinson der Jüngere (Ausgabe innen oft umso aufwändiger gestaltet. Wunder- 1875, zuerst 1848, Exp.-Nr. 74). Es enthält 37 schöne Illustrationen von namhaften Künstlern Illustrationen, die nach Zeichnungen von Adrian interpretierten den Text. Das änderte sich mit Ludwig Richter gestochen wurden. Die Erlebnisse einsetzender Massenproduktion. Einbände ent- des Robinson Crusoe muten hier eher als ein wickelten sich zum repräsentativen Prachtein- Abenteuer denn als Überlebenskampf an. Die band. Die Illustrationen wurden nun in der romantische Idealisierung ist unverkennbar. Rich- Hauptsache im lithografischen oder im verflach- ters Vater, der dem Knaben ersten Unterricht er- ten Holzstichverfahren hergestellt. Oft hatten sie teilte, war Professor an der Kunstakademie Dres- mit dem Text wenig zu tun. Das Niveau sank den. Adrian Ludwig lehrte später unter Julius während des neunzehnten Jahrhunderts derartig

219 SCHÖNE BILDER FÜR NEUGIERIGE KINDER ab, dass es vereinzelte Gegenbewegungen gab. RÜMANN, ARTHUR: Das illustrierte Buch des XIX. Jahr- Hier sei zum Schluss der Schweizer Maler Ernst hunderts in England, Frankreich und Deutschland. Kreidolf genannt, der hoffte, ein Werk wie sein 1790–1860, Leipzig 1930. Blumenmärchen (1898) könne der Beginn einer THIEME, ULRICH/BECKER, FELIX (HRSG.): Allgemeines neuen Ära sein, der an einem gut illustrierten und Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis textlich ausgereiften Kinderbuch gelegen sei. zur Gegenwart, 25 Bde., 1907–1950.

Literaturverzeichnis: Anmerkungen Chodowiecki, zwischen Rokoko und Romantik, eingel. 1 Rümann 1930, S. 221. von E[rnst]W[ilhelm] Bredt, München [1918]. 2 Thieme/Becker 1923, Bd. 16, S. 308f. BRÜGGEMANN, THEODOR/BRUNKEN, OTTO: Johann Wil- 3 Rümann 1937, S. 19. helm Meil als Illustrator von Büchern für Kinder und 4 Thieme/Becker 1933, Bd. 27, S. 58. Jugendliche, in: Die Schiefertafel 3 (1980), H. 2, S. 5 Brüggemann/Brunken 1980, S. 55. 51–75. 6 Thieme/Becker 1923, Bd. 16, S. 552. RÜMANN, ARTHUR: Alte Deutsche Kinderbücher, Wien 7 Chodowiecki 1918, S. 68f. 1937. 8 Thieme/Becker 1933, Bd. 27, S. 587.

220 Farbtafeln

221 FARBTAFELN

Abb. 88–90 Comenius: Orbis sensualium picti pars prima (1729). Holzschnitt, vom Besitzer des Büchleins koloriert; Nr. 4.

222 FARBTAFELN

Abb. 91 Aus Bertuchs Bilderbuch für Kinder (1798–1821) Bd. VI; Nr. 12.

223 FARBTAFELN

Abb. 92 Russisches Volksvergnügen. Aus Bertuchs Bilderbuch für Kinder (1798–1821) Bd. VI; Nr. 12.

224 FARBTAFELN

Abb. 93 Aus Bertuchs Bilderbuch für Kinder (1798–1821) Bd. VI; Nr. 12.

225 FARBTAFELN

Abb. 96 ↓ ↓ Abb. 94–Abb. 95 (obere Reihe) Aus dem Botanischen Kinderfreund von Crome (1807/ Aus Bertuchs Bilderbuch für Kinder (1798–1821) Bd. VI; Nr. 12. 1808); Nr. 141.

Abb. 97 ↑ Glatz: Naturhistorisches Bilder- und Lesebuch (1822); Nr. 110.

226 FARBTAFELN

Abb. 98 Alle Abbildungen auf dieser Seite: Aus Campes Seelenlehre für Kinder (1807); Nr. 15, Bd. 8.

Abb. 99

Abb. 100 Abb. 101

227 FARBTAFELN

Abb. 102 Marx: Die Menschenalter (1804); Nr. 46. Erklärung des Kupfers „vom Künstler selbst“: „Ein kranker, von Wollust zerrütteter Jüngling auf dem Sterbebette. Auf des Arztes Erklärung über das Gefahrvolle seiner Krankheit, fliehen die ihn besu- chenden Freunde und sein Vater tritt händeringend hinweg, nur die Mutter kann sich nicht von ihrem einzigen Kinde trennen; sie hat mit Haupt und Händen sein Kopfkissen umklammert und ein Dienstmädchen bemüht sich, mit von dem Sterbenden weggewand- tem Gesicht vergebens, sie hin- wegzubringen. Der Sterbende scheint noch nach Hülfe zu ringen, er erhebt die rechte Hand gegen den Arzt, um sich an den Puls fühlen zu lassen; aber sein Auge ist gebrochen: auch Gellerts Trostgründe wider ein sieches Leben entsinken der entnervten Linken.

Abb. 103 Aus Lenglet: Kurzverfasste Kinder Geographie (1764); Nr. 119.

228 FARBTAFELN

Abb. 104 Illustration von Daniel Chodowiecki aus Campes Robinson der Jüngere (1807); Nr. 15, Bd. 10.

229 FARBTAFELN

← ← Abb. 105 ← Abb. 106 Beide Abbildungen aus Campes Robinson der jüngere (1821); Nr. 73.

← ←Abb. 107 Hibeau: Ein weiblicher Robinson (1874). Mit Lithografien nach Zeichnungen von Wilhelm Schäfer; Nr. 92.

← Abb. 108 Marie Leske: Illustriertes Spielbuch für Mädchen (1882); Mit einem farbigen Holzschnitt von J. Vogel (Nicht im Katalog).

230 FARBTAFELN

Abb. 109 Abb. 110 Abb. 111 Abb. 112

Alle Abbildungen auf dieser Seite aus Campes Abeze- und Lesebuch (1807); Nr. 15, Bd. 1.

231 FARBTAFELN

← ← Abb. 113 Neues Nationen-Alphabet (um 1835) in Form eines Leporello; Nr. 97.

← Abb. 114 Neues Nationen-Alphabet (um 1835) in Form eines Leporello; Nr. 97.

← ← Abb. 115 Neues Nationen-Alphabet (um 1835) in Form eines Leporello; Nr. 97.

← Abb. 116 Aus Campes Sammlung merkwürdiger Reisebeschreibungen, 6. Theil (1807); Nr. 15, Bd. 22.

232 FARBTAFELN

Abb. 117 Abb. 118 Alle Abbildungen auf dieser Seite aus Altes Abb. 119 Abb. 120 Anschauungsbuch (Ausschnitte); Nr. 98.

233 FARBTAFELN

Abb. 121 Aus dem Botanischen Kinderfreund von Crome (1807/1808); Nr. 141.

234 FARBTAFELN

Abb. 122 → Aus der Neuen Bilder Gallerie für junge Söhne und Töchter (1802); Nr. 117.

Abb. 123 → → Aus der Neuen Bilder Gallerie für junge Söhne und Töchter (1802); Nr. 117.

Abb. 124 → Meynier: Wissenschaftlicher Hausbedarf (1820); Nr. 101.

Abb. 125 → → Aus Karl Philipp Funkes Naturgeschichte für Kinder (1820); Nr. 109.

235 FARBTAFELN

Abb. 126 Aus Campes Sammlung merkwürdiger Reisebeschreibungen, 5. Theil (1807); Nr. 15, Bd. 21.

Abb. 127 Abb. 128 Aus Campes Entdeckung von Amerika, 1. Theil Aus Der reisende Kinderfreund (1800). Illustration (1807); Nr. 15, Bd. 12. von Martin Medarus Thoenert; Nr. 152.

236 FARBTAFELN

Abb. 129

Abb. 130 Abb. 131 Abb. 129–Abb. 131 Aus Wilmsens Benigna ( 1827); Nr. 111.

237 FARBTAFELN

Abb. 132 Aus Bilder-Allerley (1797/98); Nr. 116.

238 FARBTAFELN

Abb. 133 Aus Bilder-Allerley (1797/98); Nr. 116

239 FARBTAFELN

Abb. 134 Abb. 135 Aus Bilder-Allerley Aus Bilder-Allerley (1797/98); Nr. 116 (1797/98); Nr. 116.

Abb. 136 Aus Bilder-Allerley (1797/98); Nr. 116.

240 FARBTAFELN

Abb. 137–Abb. 138 Aus Bilder-Allerley (1797/98); Nr. 116.

241 FARBTAFELN

Abb. 139–Abb. 140 Aus Bilder-Allerley (1797/98); Nr. 116.

242 FARBTAFELN

Abb. 141 Abb. 142 Curieuser Bilder-Catechismus (1773); Nr. 156. Curieuser Bilder-Catechismus (1773); Nr. 156.

Abb. 143 Bilderbuch ohne Verfasser (ca. 1790–1798). Illustrationen von Christian Gottfried Heinrich Geißler; Nr. 99.

243 FARBTAFELN

Abb. 144 Illustration (Ausschnitt) aus Raffs Naturgeschichte für Kinder (1833); Nr. 207.

Abb. 145 Illustration aus Raffs Naturgeschichte für Kinder (1833); Nr. 207.

244 FARBTAFELN

Abb. 146 Delafaye-Bréhier: Der kleine Reisende nach Griechenland (1826); Nr. 53.

Abb. 147 Löhr: Kleinigkeiten für unsere Kinder (1846). Das Frontispiz stach Joseph Stöber aus Wien; Nr. 40.

245 Allgemeines Literaturverzeichnis

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246 ALLGEMEINES LITERATURVERZEICHNIS

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247 ALLGEMEINES LITERATURVERZEICHNIS

Illustrierte Kinderbücher aus drei Jahrhunderten Mädchenbücher aus drei Jahrhunderten. Aus- (Ausstellungskatalog der Stuck-Villa), bearb. stellungskatalog. Bestände der UB Olden- v. Amélie Ziersch, München 1970. burg, Leihgaben und Privatbesitz, hrsg. v. KERSTIN, CHRISTA: Die Genese der Pädagogik im Hermann Havekost, Oldenburg 1983. 18. Jahrhundert. Campes „Allgemeine Revisi- MAHONY, E. BERTHA, U.A.: Illustrators of Children’s on“ im Kontext der neuzeitlichen Wissenschaft, Books. 1744–1945, Boston 1947 Weinheim 1992. MERGET, AUGUST: Geschichte der deutschen Jugend- KÖBERLE, SOPHIE: Jugendliteratur zur Zeit der Auf- literatur. 3. Aufl., rev. v. Ludwig Berthold, klärung. Ein Beitrag zur Geschichte der Berlin 1882, Nachdruck Hanau 1907. Jugendschriftenkritik. Weinheim 1972. NISSEN, CLAUS: Die naturwissenschaftliche Illust- KÖNNEKER, MARIE-LUISE: Kinderschaukel. Ein Le- ration. Bad Münster, Amstein 1950. sebuch zur Geschichte der Kindheit. Bd. 1: NISSEN, CLAUS: Die zoologische Buchillustration, 1745–1860, Darmstadt, Neuwied 1976. Bd. 1: Bibliographie, Stuttgart 1969. Bd. 2: KÖSTER, HERMANN L.: Geschichte der deutschen Ju- Geschichte, ebd. 1978. gendliteratur in Monographien, Hamburg OELKERS, JÜRGEN/DANIEL TRÖHLER (HRSG.): Die 1901. Leidenschaft der Aufklärung. Studien über den KRAUT, DORA: Die Jugendbücher in der deutschen Zusammenhang von bürgerlicher Gesellschaft Schweiz bis 1850. Bibliothek der Schweizer und Bildung, Weinheim 1999. Bibliophilen, Serie 2, H. 17, Bern 1945. The Osborne Collection of Early Children’s Books KÜMMERLING-MEIBAUER, BETTINA: Klassiker der 1566–1910. A Catalogue, 2 Vols, Toronto Kinder- und Jugendliteratur. Ein internationa- 1975. les Lexikon, 2 Bde., Stuttgart 1999. PANZER, BÄRBEL: Die Reisebeschreibung als Gattung KUHN, ANDREA: Jugend und Arbeit. Zur Sozialisa- der philanthropistischen Jugendliteratur in der tion durch Kinder- und Jugendliteratur im 18. zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Frankfurt Jahrhundert, Berlin 1975. a. M., Bern, New York 1983. Die Kunst der Illustration: deutsche Buchillustration PAPE, WALTER: Das literarische Kinderbuch. Stu- des 19. Jahrhunderts. Ausstellungskatalog dien zur Entstehung und Typologie, Berlin, New Wolfenbüttel 1986/87, Weinheim 1986, S. York 1981. 11–28. PELLATZ, SUSANNE: Körperbilder in Mädchenrat- KUNZE, HORST: Schatzbehalter alter Kinderbücher. gebern. Pubertätslektüre zur Zeit der Formie- Vom Besten aus der älteren deutschen Kinderli- rung der bürgerlichen Gesellschaft, Weinheim, teratur, Berlin 1964. München 1999. KUTSCHMANN, THEODOR: Geschichte der Illustra- PETER-PERRET, SYBILLE: Biblische Geschichten für tion, , Berlin 1899. die Jugend erzählt. Studie zur religiösen Kin- LANCKORONSKA, MARIA/RICHARD OEHLER: Die der- und Jugendliteratur des 18. Jahrhunderts, Buchillustration des XVIII. Jahrhunderts in Essen 1990. Deutschland, Österreich und der Schweiz, 3 PILZ, KURT: Johann Amos Comenius. Die Ausga- Bde. Leipzig 1932–1934. ben des Orbis Sensualium Pictus. Eine Biblio- LANG, OSKAR: Die romantische Illustration. Die graphie, Nürnberg 1967. volkstümlichen Zeichner der deutschen Roman- PRESSLER, CHRISTINE: Schöne alte Kinderbücher. Eine tik, Dachau 1922. illustrierte Geschichte des deutschen Kinderbu- LANG, OSKAR: Deutsche Romantik in der Buch- ches aus fünf Jahrhunderten, München 1980. illustration, Diessen 1948. PRESTEL, JOSEF: Geschichte des deutschen Jugend- Lesen lernen. ABC-Bücher, Fibeln und Lernmittel schrifttums, Freiburg 1933. aus drei Jahrhunderten, Ausstellungskatalog, POHLMANN, CAROLA U.A. (HRSG.): „Erfahrung Oldenburg 1982. schrieb’s und reicht’s der Jugend“. Joachim Hein- Les livres de l’enfance du XV. au XIX. siècle. Mit rich Campe als Kinder- und Jugendschriftstel- einem Vorwort von Paul Gavault, London ler. Ausstellungskatalog, Berlin 1996. 1967. PROMIES, WOLFGANG: Kinderliteratur im späten 18. LIEBS, ELKE: Die pädagogische Insel. Studien zur Jahrhundert, in: ROLF GRIMMINGER (HRSG.): Rezeption des „Robinson Crusoe“ in deutschen Hansers Sozialgeschichte der deutschen Litera- Jugendbearbeitungen, Stuttgart 1977. tur, 3.2, München 1980, S. 765–831.

248 ALLGEMEINES LITERATURVERZEICHNIS

RAMMENSEE, DOROTHEA (BEARB.): Bibliographie SCHINDLER, STEPHAN K.: Das Subjekt als Kind. Die der Nürnberger Kinder- und Jugendbücher Einführung der Kindheit im Roman des 18. 1522–1914. Hrsg. v. d. Stadtbibliothek Jahrhunderts, Berlin 1994. Nürnberg aus Anlaß der 300. Wiederkehr des SCHMIDT, EGON: Die deutsche Kinder- und Ju- Erscheinens des Orbis sensualium pictus des gendliteratur von der Mitte des 18. Jahrhun- Johann Amos Comenius, Bamberg 1961. derts bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts, RICHTER, DIETER: Das fremde Kind. Zur Entste- Berlin 1974. hung der Kindheitsbilder im bürgerlichen Zeit- SCHMIDT, JOACHIM: Volksdichtung und Kinder- alter, Frankfurt a.M. 1987. lektüre in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun- RODENBERG, JULIUS: Geschichte der Illustration von derts (Studien zur Geschichte der Kinder- und 1800 bis heute, in: FRITZ MILKAU (HRSG.): Jugendliteratur 3), Berlin 1977. Handbuch der Bibliothekswissenschaft, Bd. 1, SCHMITT, HANNO (HRSG.): Visionäre Lebensklug- Leipzig 1931, S. 732–781. heit. Joachim Heinrich Campe in seiner Zeit RÜMANN, ARTHUR: Die illustrierten deutschen Bü- (1746–1818), Ausstellungskatalog, Wiesba- cher des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1926. den 1996. RÜMANN, ARTHUR: Die illustrierten deutschen Bü- SCHMITT, HANNO/FRANK TOSCH/JÖRG W. L IND cher des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1927. (HRSG.): Bilder als Quellen der Erziehungs- RÜMANN, ARTHUR: Das illustrierte Buch des 19. geschichte, Bad Heilbrunn 1997. Jahrhunderts in England, Frankreich und SCHMITT, HANNO/SILKE SIEBRECHT (HRSG.): Eine Deutschland 1790–1860, Leipzig 1930. Oase des Glücks. Der romantische Blick auf RÜMANN, ARTHUR: Das deutsche illustrierte Buch Kinder, Berlin 2002. des XVIII. Jahrhunderts. Mit 44 Abb. auf 11 SCHMITT, HANNO/FRANK T OSCH (HRSG.): Vernunft Tafeln, Straßburg 1931. fürs Volk. Friedrich Eberhard von Rochow im RÜMANN, ARTHUR: Robinson und Robinsonaden Aufbruch Preußens, Berlin 2001. in der Buchillustration des 18. und 19. Jahr- SCHMITT, HANNO: Pädagogen im Zeitalter der Auf- hunderts, in: Philobiblon 9 (1936), H. l, S. klärung: Die Philanthropen, in: HEINZ-ELMAR 9–21. TENORTH (HRSG.): Klassiker der Pädagogik. Bd. RÜMANN, ARTHUR: Alte deutsche Kinderbücher. Mit 1, München 2003, S. 119–143. Bibliographie, Wien 1937. SEEBASS, ADOLF: Alte Kinderbücher und Jugend- Die Sammlung Hobrecker der Universitätsbiblio- schriften, Katalog 636, Basel 1955. thek Braunschweig. Katalog der Kinder- und SEEBASS, ADOLF: Alte Kinderbücher und Jugend- Jugendliteratur 1565–1945, bearb. v. Peter schriften. Livres de l’enfance. Children’s Books, Düsterdieck, 2 Bde, München u.ö. 1985. Katalog 818, Basel 1983. SANDER, MAX: Die illustrierten französischen Bü- STACH, REINHART: Robinson der Jüngere als päda- cher des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1926. gogisch-didaktisches Modell des philanthropis- SCHÄFER, W.: Das wissenschaftliche Tierbild. Alte tischen Erziehungsdenkens. Studie zu einem und neue Tiermalerei im Dienste der Zoologie, klassischen Kinderbuch, Ratingen, Wupper- Frankfurt a.M. 1949. tal, Kastellaun 1970. SCHATZKI, WALTER: Children’s Books. Old and Rare. STACH, REINHART: 24 Robinsonaden. Eine illust- Catalogue Number One, Detroit 1974 (zuerst rierte Bibliographie, in: J. H. CAMPE: Robin- New York 1941). son der Jüngere. Faksimile der 58. Aufl. Braun- SCHENDA, RUDOLF: Volk ohne Buch. Studien zur schweig 1860 (Die bibliophilen Taschenbücher Sozialgeschichte der populären Lesestoffe 1770– 55), Dortmund 1978. 1910, Frankfurt a. M. 1970, Nachdruck STACH, REINHART: Robinsonaden. Bestseller der Ju- München 1977. gendliteratur, Baltmannsweiler 1996. SCHENK, E.: Über Zeichenkunst und Malerei hin- STACH, REINHART: Schulreform der Aufklärung. Zur sichtlich der Darstellung naturhistorischer Ge- Geschichte des Philanthropismus, Wassenberg genstände, Jena 1829. 1984. SCHEUNEMANN, BEATE: Erziehungsmittel Kinder- STEINLEIN, RÜDIGER: Die domestizierte Phantasie. buch. Zur Geschichte der Ideologievermittlung Studien zur Kinderliteratur, Kinderlektüre und in der Kinder- und Jugendliteratur, Berlin Literaturpädagogik des 18. und frühen 19. Jahr- 1978. hunderts, Heidelberg 1987.

249 ALLGEMEINES LITERATURVERZEICHNIS

STUBBE, WOLF: Illustrationen und Illustratoren. In: WEGEHAUPT, HEINZ: Alte deutsche Kinderbücher. ERNST L. HAUSWEDELL/CHRISTIAN VOIGT Bibliographie 1851–1900. Zugleich Bestands- (HRSG.): Buchkunst und Literatur in Deutschland verzeichnis der Kinder- und Jugendbuchab- 1750–1850, Bd. 1, Hamburg 1977, S. 58–144. teilung der Deutschen Staatsbibliothek zu THIEME, ULRICH/FELIX BECKER (HRSG.): Allgemei- Berlin, Stuttgart 1985. nes Lexikon der bildenden Künstler von der WEGEHAUPT, HEINZ: Alte deutsche Kinderbücher Antike bis zur Gegenwart, Leipzig 1907–1950. III. Bibliographie 1524–1900. Zugleich Studienausgabe München 1992. Bestandsverzeichnis der in Bibliotheken und ULLRICH, HERMANN: Robinson und Robinsonaden. einigen Privatsammlungen in Berlin, Branden- Bibliographie, Geschichte, Kritik. Ein Beitrag burg, Mecklenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt zur vergleichenden Literaturgeschichte. Im be- und Thüringen befindlichen Kinder- und Ju- sonderen zur Geschichte des Romans und zur gendbücher, Stuttgart 2000. Geschichte der Jugendliteratur, Weimar 1898. WEGEHAUPT, HEINZ (HRSG.): Alte deutsche Kin- UPHAUS-WEHMEIER, ANNETTE: Zum Nutzen und derbücher. Teil 4: Bibliographie 1521–1900. Vergnügen – Jugendzeitschriften des 18. Jahr- Zugleich Bestandsverzeichnis der in Berliner hunderts, München 1984. Bibliotheken befindlichen Kinder- und Ju- WAGNER, HERMANN: Robinson und Robinsonaden gendbücher sowie der Kinder- und Jugend- in der deutschen Jugendliteratur, Wien 1903. zeitschriften, Almanache und Jahrbücher, WANGERIN, WOLFGANG: Kinderbücher, in: KARL Stuttgart 2003. NEUMANN (HRSG.): Kindsein. Göttingen WEGEHAUPT, HEINZ (HRSG.): Robinson und Struw- 1981, S. 95–104. welpeter. Bücher für Kinder aus fünf Jahrhun- WANGERIN, WOLFGANG: Von Robinson dem Jün- derten (Ausstellungskatalog), 2. Aufl. Berlin geren zum Trotzkopf. Die Kinderbuchsammlung 1992. Vordemann der Georg-August-Universität Göt- WILD, REINER (HRSG.): Geschichte der deutschen tingen, in: Jahrbuch für finnisch-deutsche Kinder- und Jugendliteratur, Stuttgart 1990. Literaturbeziehungen 21 (1989), S. 5–33. WILD, REINER: Die Vernunft der Väter. Zur Psy- WANGERIN, WOLFGANG (HRSG.): Pfui! Ruft da ein je- chographie von Bürgerlichkeit und Aufklärung der ... Alte Kinderbücher aus der Vordemann-Samm- in Deutschland am Beispiel ihrer Literatur für lung der Universität Göttingen, Ausstellungs- Kinder, Stuttgart 1987. katalog, München 1989, Göttingen 5. Aufl. 1994 WILKENDING, GISELA (HRSG.): Kinder- und Jugend- WANGERIN, WOLFGANG: Sammlung: Universität literatur. Mädchenliteratur. Vom 18. Jahrhun- Göttingen, in: Kinder- und Jugendliteratur. Ein dert bis zum zweiten Weltkrieg, Eine Text- Lexikon, hrsg. v. Kurt Franz, Günter Lange, sammlung. Stuttgart 1994. Franz Josef Payrhuber. 18. Erg.-Lfg. Meitin- WILLNAT, ELISABETH (HRSG.): Liebster, bester, ein- gen 2003, S. 1–9. ziger Freund. Erinnerung an den Verleger, Buch- WEGEHAUPT, HEINZ: Alte deutsche Kinderbücher. drucker und Buchhändler Johann Christian Bibliographie 1507–1850. Zugleich Bestands- Dieterich (1722–1800). Mainz 2000. verzeichnis der Kinder- und Jugendbuchab- ZAHN, SUSANNE: Töchterleben. Studien zur Sozial- teilung der Deutschen Staatsbibliothek zu geschichte der Mädchenliteratur (Jugend und Berlin, Berlin 1979. Medien 4), Frankfurt a.M. 1983.

250 Verfasser-, Herausgeber-, Mitarbeiterregister (Die Zahlen verweisen auf die Exponatnummern.)

Albrecht, Erdmann Hannibal Engel, Johann Jakob (1741–1802, Privatlehrer, Schriftsteller) 133 (1762–1800, Prediger, Lehrer, Philosoph) 133 Engelhard, Magdalene Philippine (1756–1831, Lyrikerin) 213 Andersen, Hans Christian Engelhardt, Karl August (1768–1834, Schriftsteller) 135, 136 (1805–1875, dän. Schriftsteller, Märchendichter) 237 Engelmann, Julius Bernhard André, Christian Carl (1773–1844, Pädagoge, Geograf, Schriftsteller) 139 (1763–1831, Schriftsteller, Publizist, Ökonom) 86, 146 Feddersen, Jakob Friedrich Arnim, Achim von (1736–1788, Lehrer, evang. Theologe) 133,169, 170, 173, 175 (1781–1831, Schriftsteller) 227 Feder, Johann Georg Heinrich (1740–1821, Philosoph, Pädagoge) 3, 201–202 Aulnoy, Marie Catherine LeJumel de Barneville d’ Feuerlein, Jakob Wilhelm (1689–1766, Theologe, Schriftsteller) 154 (1650–1705, franz. Schriftstellerin) 226 Fein, Christoph Friedrich 14 Ausfeld, Johann Wilhelm Fleck, Johann Gottfried (Pfarrer) 163 (1774–1853, Pädagoge, Schriftsteller) 22, 153 Forster, Johann Reinhold (1729–1798, Naturforscher, Geograf) 121 Bahrdt, Carl Friedrich Franck, Johann Georg (1705–1784, Theologe) 154 (1741–1792, Evang. Theologe, Schriftsteller) 162 Franz 108 Baratier, François Fredau, Maimon Fränkel [d.i. Fränkel Maimon] (1682–1751, Pfarrer, Erzieher) 197, 198 (1788–1848, Verf. jüd.-theolog. Schriften) 232 Basedow, Johann Bernhard Fréville, Anne François Joachim (1749–1832) 51, 52 (1724–1790, Pädagoge, Gründer des Philanthropins in Dessau) 5–8, 10, 155 Friederich, Gerhard [Pseud.: Gustav Waller] (1779–1862, Theologe) 53 Bechstein, Ludwig Funke, Karl Philipp (1752–1807, Pädagoge, Sach- u. Lesebuchautor) 109 (1801–1860, Schriftsteller) 236 Gaspari, Adam Christian (1752–1830, Geograf, Historiker) 212 Benzler, Johann Lorenz Geiger, Franz Xaver (1749–1841, Priester, Schriftsteller) 90 (1747–1817, Redakteur, Bibliothekar, Schriftsteller) 131 Gellius, Johann Gottfried (1732–1781, Theologe, Schriftsteller) 129 Berthold, Arnold Adolph Geyger, A. 70 (1803–1861, Amphibien- u. Insektenkundler) 208 Glatz, Jakob Bertuch, Friedrich Johann Justin (1776–1831, österr. evang. Theologe, Schriftsteller) 27–29, 62–64. 110 (1747–1822, Schriftsteller, Verleger) 12 Goeze, Johann August Ephraim (1731–1793, Theologe, Naturforscher) 144 Bischer, Ludwig Friedrich 67 Grandmottet, J. D. (Lehrer) 76 Bockshammer, Johann Christian (1733–1804, Pfarrer) 125 Grimm, Herman (1828–1901, Kunst- u. Literaturhistoriker, Schriftsteller) 231 Brentano, Clemens (1778–1842, Schriftsteller) 227, 234, 235 Grimm, Jakob Ludwig Karl Brockes, Barthold Hinrich (1680–1747, Schriftsteller) 13 (1785–1863, Sprach- u. Literaturwissenschaftler) 228–231 Brückner, Ernst Theodor Johann (1746–1805, Pastor, Schriftsteller) 220 Grimm, Wilhelm Karl Büsching, Anton Friedrich (1724–1793, Geograf, evang. Theologe) 102 (1786–1859, Sprach- u. Literaturwissenschaftler, Bibliothekar) 228–231 Campe, Joachim Heinrich Grisebach, Eduard (1845–1906, Literaturhistoriker, Schriftsteller) 235 (1746–1818, Pädagoge, Sprachforscher, Schriftsteller, Verleger) GutsMuths, Johann Christoph Friedrich 15–17, 57–59, 72–77, 133, 147–151 (1759–1839, Reform- u. Turnpädagoge) 25, 26 Caradeuc de la Chalotais, Louis René de (1701–1785) 9 Hammerdörfer, Karl (1758–1794, Lehrer) 89 Claudius, Georg Carl (1757–1815, Schriftsteller) 30, 133, 222 Hauff, Wilhelm (1802–1827, Schriftsteller) 233 Comenius, Johann Amos (1592–1670, tschech. Theologe, Pädagoge) 4 Hauffe, Christian Gotthold (1725–1799) 81 Crome, Georg Ernst Wilhelm (1780–1813) 141 Heckel, Johann Christoph (1747–1798, Theologe) 120 Dassel, Christian Conrad Jakob (1768–1845, Lehrer, Theologe) 47 Herder, Johann Gottfried Defoe, Daniel (1661–1731, engl. Schriftsteller, Journalist) 66–71 (1744–1803, Philosoph, Dichter, Superintendent) 223–224 Delafaye-Bréhier, Julie Hibeau, Ludwig (1805–1876, Pädagoge) 92 (ca. 1780–1860, franz. Kinder- u. Jugendbuchautorin) 53, 54 Hiller, Johann Adam Diterich, Johann Samuel (1721–1797, Theologe, Liederdichter) 173 (1728–1804, Dirigent, Komponist, Musikschriftsteller) 221 Drude, Friedrich Ludwig Heimbert (geb. 1752, Theologe, Schriftsteller) 133 Höcker, Oskar (1840–1894, Schauspieler, Jugendschriftsteller) 71 Ebert, Johann Jacob (1737–1805, Naturwissenschaftler, Jugendbuchautor) 103 Hoffmann, Karl Friedrich Vollrath (1796–1841, Geograf) 122 Eckartshausen, Karl von (1752–1803, Schriftsteller) 35 Hübner, Johann (1668–1731, Pädagoge, Theologe) 163–166

251 VERFASSER-, HERAUSGEBER-, MITARBEITERREGISTER

Kästner, Abraham Gotthelf (1719–1800, Mathematiker) 124, 126 Ramann, Sylvester Jacob (1760–1835, Pfarrer) 43 Klügel, Georg Simon (1739–1812, Mathematiker, Physiker) 121 Rathmann, Heinrich (1750–1821, Theologe) 11 Knigge, Adolf Freiherr von (1752–1796, Schriftsteller) 37 Ridinger, Johann Elias (1698–1767, Maler, Graphiker) 13 Krummacher, Friedrich August (1767–1845, Schriftsteller) 223, 224 Rochow, Friedrich Eberhard von (1734–1805, Pädagoge, Schulreformer) 132 La Roche, Marie Sophie von (1731–1807, Schriftstellerin) 60, 61, 145 Rode, August von (1751–1837, Schriftsteller) 31, 133 Lang, Friedrich Karl Rousseau, Jean-Jacques (1712–1778, franz. Moralphilosoph, Schriftsteller) 2 (1766–1822, Jurist, Verleger, Schriftsteller, Radierer, Zeichner) 100 Salberg, G. [Pseud.] s. Salomon, Gotthold 232 Lavater, Johann Caspar Salomon, Gotthold [Pseud.: G. Salberg] (1741–1801, schweiz. evang. Theologe, Philosoph, Schriftsteller) 174 (1784–1862, Verf. jüd.-theolog. Schriften., Pädagoge) 232 Lenglet Dufresnoy, Nicolas Salzmann, Christian Gotthilf (1674–1755, franz. Geograf, Historiker) 119 (1744–1811, Pädagoge, evang. Pfarrer, Schriftsteller) 18–24, 153, 177–179, 182 LePrince de Beaumont, Jeanne-Marie Sander, Christian Friedrich (1711–1780, Erzieherin, Schriftstellerin) 130 (1756–1819, Schriftsteller, Lehrer am Philanthropin in Dessau) 84 Liebeskind, August Jakob Scheureck, F. A. 105, 106 (1758–1793, Pfarrer, Hauslehrer d. Fam. Herder) 223, 224 Schlözer, August Ludwig von Lippold, Georg Heinrich Christian (1735–1809, Staatswissenschaftler, Historiker) 9, 185–192, 194–198 (geb. 1767, Schriftsteller, Pfarrer, Naturforscher) 109 Schlözer, Christian von (1774–1831, Jurist, Staatswissenschaftler) 192 Lobedanz, Edmund (1820–1882, Schriftsteller) 237 Schmid, Christoph von (1768–1854, Pädagoge, Theologe) 56 Locke, John (1632–1704, engl. Philosoph) 1 Schönberg, Matthias von (1734–1792, kath. Theologe, Schriftsteller) 172 Löhr, Johann Andreas Christian (1764–1823, Pfarrer) 40, 41 Schöneich, Christian von (Lehrer) 186 Lossius, Kaspar Friedrich (1753–1817, Theologe, Schriftsteller) 171, 183, 184 Schrader, Gottfried Leopold (1764–?, Pastor) 95 Lotter, Christoph Ludwig 180 Schröckh, Johann Matthias (1733–1808, evang. Theologe, Historiker) 123 Marx, August Friedrich (Pfarrer) 46 Schummel, Johann Gottlieb Matthäi, Friedrich Anton Levin (1748–1813, Theologe, Haus- und Gymnasiallehrer) 32, 143 (1774–um 1840, Pädagoge, Erzähler, Lyriker) 49, 50 Schwaben, Johann Joachim (1714–1784, Schriftsteller, Philosoph) 130 Mayer, August Friedrich 88 Seiler, Georg Friedrich (1733–1807, Theologe) 157 Merkel, Dankegott Immanuel Stage, Conrad Heinrich 120 (1765–1798, Hauslehrer, Privatgelehrter) 135, 136 Starck, Sebastian Gottfried (1668–1710, Theologe, Hebraist, Bibliothekar) 1a Meyer, Friedrich Albrecht Anton (1768–1795, Schriftsteller) 206 Stoy, Johann Sigmund (1745–1808, Theologe, Pädagoge, Schriftsteller) 114 Meynier, Johann Heinrich[Pseud.: Georg Ludwig Jerrer] Thieme, Karl Traugott (1745–1802, Pädagoge, Schriftsteller) 140 (1764–1825, Zeichner, Kupferstecher, Schriftsteller) 101, 122 Timaeus, Johann (John) Jakob Carl Miller, Johann Peter (1763–1809, Lehrer, Übersetzer, Hofmeister) 77 (1725–1789, evang. Theologe, Pädagoge) 133, 159–161, 168 Timme, Christian Friedrich (1752–1788) 85 Monget 45 Timme, Marie [Pseud.: Villamaria] (1830–1895, Schriftstellerin) 238 Moritz, Karl Philipp (1756–1793, Schriftsteller) 93 Tutenberg, Johann Carl (1753–1824, Pädagoge, Hauslehrer) 124 Müller, Heinrich August (1766–1833, Pastor, Schriftsteller) 96, 181 Tyssot de Patot, Simon [Pseud.: Peter v. Mesange] Müller, Johann Nicolaus (1754–1797, Theologe, Mathematiker, Physiker) 126 (1655–um 1722, franz. Schriftsteller) 79 Müller, Joseph 87 Wagenseil, Christian Jakob (1756–1839, Schriftsteller, Regierungsrat) 176 Mundt, Georg Wilhelm (lebte um 1830, Feldprediger) 48 Wagner, Karl (Charles) Franz Christian Musäus, Johann Karl August (1735–1787, Schriftsteller, Märchensammler) 45 (1760–1847, Pädagoge, Germanist, Klass. Philologe) 77 Overbeck, Christian Adolf Warlich, August Rudolph (1760–1830, Hauslehrer) 199, 200 (1755–1821, Jurist, Komponist, Schriftsteller) 214, 215 Weiße, Christian Felix (1726–1804, Schriftsteller) 129, 217–219 Parizek, Ales Vincenc (1748–1822, tschech. Pädagoge) 158 Wendler, Johann Ludwig 116 Parrot, Georg Friedrich von (1767–1852, franz. Physiker) 78 Wezel, Johann Carl (1747–1819, Pädagoge, Schriftsteller) 82 Perrault, Charles (1628–1703, franz. Schriftsteller, Märchensammler) 225, 226 Wilmsen, Friedrich Philipp Pfeil, Johann Gottlieb Benjamin (1732–1800) 83 (1770–1831, Theologe, Pädagoge) 36, 37, 65, 111, 112 Poppe, Johann Heinrich Moritz Wolfram, Johann Christian (1766–1828, Organist, Lehrer) 38 (1776–1854, Mathematiker, Uhrmacher, Fachschriftsteller) 128 Wyss, Johann Rudolf (1782–1830, schweiz. Schriftsteller) 91 Raff, Georg Christian (1748–1788, Pädagoge) 201–212 Zehner, Hans Guido (Lehrer) 53

252 Titelregister (Die Zahlen verweisen auf die Exponatnummern.)

Abécédaire récréatif 94 Discours Pour Préparer Les Jeunes Gens A L’Histoire Générale 192 Abeze- und Lesebuch 15 Documentirte Beschreibung der Schlözerischen Thaten 10 Abriß der Allgemeinen Weltgeschichte 212 Dortgens Reise von Göttingen nach Franken und wieder zurück 185 Abriß der Naturkenntnis 161 Dreißig Auserlesene Märchen 237 Aemil, oder Von der Erziehung 2 Dritte kleine Harzreise 144 Allgemeine Weltgeschichte für Kinder 123 Der Edelknabe 133 Altes Anschauungsbuch 98 Elementarisches Lesebuch für Kinder 95 Ameisenbüchlein 24 Elementarwerk 7 Anleitung zu Religionsgesprächen mit jungen Christen 133, 160 Elfenreigen 238 Anleitung zur Naturlehre oder Experimental-Physick 127 Die Entdeckung von Amerika 15, 149 Astronomischer Kinder-Freund 125 Die Entdekkung von Amerika 148 Atlas für die Jugend und alle Liebhaber der Geographie 120 Die entlarvete Fabel vom Ausgange der Hämelschen Kinder 14 Auserlesene biblische Geschichten 173 Erbauliche Erzählungen 168 Auserwählte Märchen 237 Erinnerungen an H. C. Andersen 237 Auswahl Aesopischer Fabeln für die Jugend 39 Erste Sammlung merkwürdiger Reisebeschreibungen 15 Benigna oder das Leben der Natur 111 Erster Unterricht in der Sittenlehre für Kinder 18 Beschreibungen zu den Abbildungen merkwürdiger Völker und Thiere 121 Fables choisies à l’usage des enfants 39 Der Besuch auf dem Lande 50 Fables morales tirées du royaume des animaux 13 Beylage zum Versuch über den Kinder-Unterricht 9 Fabularum moralium ab animalibus 13 Beyspiele der Weisheit und Tugend 133, 175 The farther adventures of Robinson Crusoe 66 Beyspiele von allerley Unglücksfällen zur Belehrung und Warnung 34 Felsenburg, ein sittlichunterhaltendes Lesebuch 86 Biblische Historien 166 Franz von Lilienfeld 28 Bibliothek für Jünglinge 129 Freundschaftliche Erinnerungen an einen jungen Menschen 172 Bibliothek für Jünglinge und Maedchen 19 Friedrich Robinson 84 Bilder-Akademie für die Jugend 114 Frizchens Lieder 214 Bilder-Allerley aus dem Gebiete des Guten, Wahren, Fritzens Reise nach Dessau 143 Nützlichen und Schönen 116 Gallerie der merkwürdigsten Säugethiere 113 Bilderbuch 99 Gedancken von Erziehung junger Edelleute 1a Bilderbuch für Kinder 12 Gedanken von Erziehung der Kinder 1b Bildungsblätter oder Zeitung für die Jugend 142 Gedichte 220 Botanik oder Pflanzenkunde 101 Gedichte und Märchen für Söhne und Töchter gebildeter Stände 233 Botanischer Kinderfreund 141 Geographie für Kinder 201–203 Briefe an Lina 60 Geographie oder Beschreibung der Erde 101 Briefe an Lina als Mädchen 61 Das geographische Spiel 133 Briefe an Lina als Mutter 61 Geschichte aus Ober-Sachsen 199, 200 Briefe für Kinder zum Nutzen und Vergnügen 133 Geschichte von Corsica 187 Briefwechsel der Familie des Kinderfreundes 137 Geschichte von Russland 188 Briefwechsel der Familie des neuen Kinderfreundes 138 Die glückliche Insel 83 Briefwechsel einiger Kinder 31, 133 Gockel, Hinkel, Gackeleia 234, 235 Brüderliche Schreiben an verschiedene Jünglinge 174 Grundriß der Religion 155 Bundesbuch des Göttinger Hains 216 Grundsätze der teutschen Rechtschreibung 101 Burgheim unter seinen Kindern 48 La Guirlande de Houblon 56 Christliches Religionsbuch 159 Gumal und Lina 183, 184 Conrad Kiefer 23 Der gute Christian 133 Contes des Fées 225, 226 Gutmann oder der Sächsiche Kinderfreund 140 Curieuser Bilder-Catechismus 156 Gymnastik für die Jugend 25 Dialogen für Kinder 210, 211 Die Harzgegend 144

253 TITELREGISTER

Heinrich Glaskopf 23 Merkwürdige Reisen der Gutmannschen Familie 47 Heinrich Gottschalk in seiner Familie 23, 182 Méthode Amusante Pour Enseigner L’A, B, C 94 Historien- Kinder- Bet- und Bilder-Bibel 167 Methodischer Unterricht 155 Historische, Physikalische und Moralische Unterhaltungen für Kinder 176 Moralische Bilderbibel 171 Iduna 62 Moralische Kinderklapper für Kinder und Nichtkinder 45 Joseph Schwarzmantel 24 Moralischer Unterricht in Sprüchwörtern 43 Le Jouet Des Jolis Petits Garçons 198 Moralisches Elementarbuch 177–179 Le Joujou Des Petites Filles 197 Nachdenken über mich selbst 174 Journal einer Reise durch Frankreich 145 Naturgeschichte der Fische und Amphibien 101 Jugendbibliothek des Auslandes 53 Naturgeschichte der Insekten 101 Karakter Sitten und Religion einiger merkwürdiger Völker 121 Naturgeschichte der Säugetiere 108 Katechismus der natürlichen Religion 162 Naturgeschichte der vierfüßigen Thiere 101 Kinder- und Hausmärchen 228–231 Naturgeschichte der Vögel 101 Kinderbibliothek 15 Naturgeschichte der vornehmsten Säugthiere 104 Der Kinderfreund. Ein Wochenblatt 133, 134 Naturgeschichte für Kinder 109 Der Kinderfreund, oder erster Unterricht im Lesen 132 Naturgeschichte für Kinder 204–209 Kinderspiele und Gespräche 32 Naturhistorisches Bilder- und Lesebuch 110 Kleine Bilder-Akademie 115 Naturlehre für die Jugend 103 Kleine Geschichten für Kinder 44 Neue Bilder-Geographie für die Jugend 122 Kleine Geschichten für die Kinderstube 36 Neue Bilder Gallerie für junge Söhne und Töchter 117 Kleine Kinderbibliothek 151 Neue Bildergallerie für die Jugend 118 Der Kleine mit dem Guckkasten 100 Der neue Emil 3 Der kleine Reisende nach Griechenland 53 Der neue Französische Robinson 80 Kleine Unterhaltungen 133 Neue Jugend-Bibliothek 29 Kleine Wanderungen auch Größere Reisen 146 Neue moralische Kinderbibliothek 181 Kleines Buch für Kinder aller Stände 6 Der neue Robinson 90 Kleinigkeiten für unsere Kinder 40 Neue Unterhaltungen für Kinder 30 Klugheitslehren 15 Neuer Kinderfreund 135, 136 Des Knaben Wunderhorn 227 Neuer Kinderfreund 139 Kolumbus oder die Entdekkung von Westindien 147 Neuer Sächsischer Robinson 89 Kupfersammlung zu Wilmsens Handbuch der Naturgeschichte 112 Neues A. B. C. Buch 93 Kupfersammlung zu Basedows Elementarwerk 8 Neues Deutsches Märchenbuch 236 Kurzverfassete Kinder Geographie 119 Neues Nationen-Alphabet 97 Das Leben Jesu für Kinder 133, 169 Neujahrs-Geschenk aus Jamaika in Westindien 194 Leben, Thaten, Reisen, und Tod Heineken 186 NeuJahrsgeschenk aus Westfalen 195, 196 Das Leben des berühmten Engelländers Mr. Robinson Crusoe 67 Neujahrs-Geschenk für liebe Kinder 213 Lebensbeschreibungen merkwürdiger Kinder 51, 52 Der Neujahrstag 133 Lebensgeschichte und Charakter Joh. Bernh. Basedows 11 Niedersächsisches Wochenblatt für Kinder 131 Lehrgedichte und Lieder für junge empfindsame Herzen 215 Nöthige Unterweisungen für [ein] junges Frauenzimmer 130 Lehrreiche Erzählungen aus der biblischen Geschichte 133, 170 Le nouveau Robinson 76 Lehrreiche Fabeln aus dem Reich der Thiere 13 Das nützlichste Buch für kleine Kinder 96 Lehrreiche Gedanken 172 Orbis Sensualium Picti pars prima 4 Lesebuch für Kinder 93 Otto Spamer’s Illustrirte Jugend- und Hausbibliothek 238 Lieder für Kinder 217, 218 Palmblätter 223, 224 Lieder für Kinder mit neuen sehr leichten Melodien 222 Le pauvre Jacques 54 Lieder und Fabeln für Kinder und junge Leute 219 Physische Geographie 101 The Life and strange surprizing adventures of Robinson Crusoe 66 Poetische Kinder-Theologie 154 Logik oder Vernunftlehre 101 Portefeuille des enfan 12 Mancherlei Begebenheiten und Geschichten Räthsel, Charaden und Logogryphen 101 aus dem Leben des kleinen Andreas 41 Receuil d’estampes relatives au Manuel élémentaire d’éducation 8 Mechanische Unterhaltungen 128 Reisen der Zöglinge zu Schnepfenthal 153 Das Menschenalter 46 Reisen und Abentheuer der Brüder Robinsons 88

254 TITELREGISTER

Der reisende Kinderfreund Teutona 232 nach den glücklichen Pelju Inseln im stillen Meer 152 Theodora 65 Religion der Unmündigen 157, 158 Theone 63 Robinson. Ein Lesebuch 75 Theophron 59 Robinson Crusoe 71 Ueber den Umgang mit Menschen 37 Des Robinson Crusoe Dritter und Vierter Theil 79 Ueber die heimlichen Sünden der Jugend 21 Robinson der jüngere 73 Ueber Religion, Freydenkerey und Aufklärung 35 Robinson der Jüngere 15, 72, 74 Unterhaltende Betrachtung der Himmelskörper 124 Robinson der Jüngste 78 Unterhaltungen eines Landschullehrers mit seinen Kindern 38 Robinson Krusoe 82 Unterhaltungen für Kinder und Kinderfreunde 20 Robinson the younger 77 Unterhaltungen in der Naturgeschichte aller Arten Vögel 105 Rosaliens Vermächtnis 64 Unterhaltungen in der Naturgeschichte aller Arten Fische 106 Rührende Erzählungen und Gespräche 42 Unterricht in der Naturgeschichte 102 Salzmanns Leben 24 Unterweisung zur Glückseligkeit nach der Lehre Jesu 173 Sammlung der Lieder aus dem Kinderfreunde 221 Urwelt bis zur Sündflut 190, 191 Sammlung der vorzüglichsten Robinsons und Abentheurer 89 Vaeterlicher Rath für meine Tochter 57 Sammlung Reisebeschreibungen 150, 151 Väterlicher Rath für meine Tochter 58 Sämmtliche Kinder- und Jugendschriften 15, 17 Vermischte Abhandlungen und Erzählungen für Kinder 33 Der sanftmüthige Christ 172 Vermischte Züge kindlicher Liebe 51 Schicksale Robinson-Crusoe’s 70 Versuch über den Kinder-Unterricht 9 Die Schönheiten der Schöpfung 107 Vierte Harzreise 144 Schule der Weisheit und Tugend 180 Volks-Jugendschriften 24 Der Schweizerische Robinson 91 Vorbereitung der Jugend zur Moralität Sebastian Kluge 22 und natürlichen Religion 5 Sechsundzwanzig auserlesene Märchen 237 Vorbereitung zur Geometrie für Kinder 126 Seelenlehre für Kinder 15, 17 Vorbereitung zur Weltgeschichte für Kinder 189–191 Seltsame Begebenheiten eines Hirtenbuben 81 Ein weiblicher Robinson 92 Serious Reflections during the Life And Surprising Adventures Des Welt-berühmten Engelländers Robinson Crusoe Leben 68 of Robinson Crusoe 66 Die Weltgeschichte 101 Sitten- und Klugheitslehre in Beispielen 101 Welthistorisches Kinder-Lesebuch 193 Sittenbüchlein für Kinder 15, 16, 133 Wenzel von Erfurt 85 Spaziergänge mit meinen Zöglingen 49 Wissenschaftlicher Hausbedarf für die Jugend 101 Spiele zur Übung und Erholung des Körpers und Geistes für die Jugend 26 Die wunderbare Lebensbeschreibung und Erstaunliche Begebenheiten Sprüchwörter in Bildern 55 des berühmten Helden Robinson Crusoe 69 Der Steyerische Robinson 87 Der zufriedne Jakob und sein Sohn 27 Tabularum aenearum collectio ad Johannis Bernharda Basedovii Zweymal zwey und funfzig auserlesene Biblische Historien 163–165 Opus elementare 8 Die Zierde der Jugend 172

255 Illustratorenregister (Die Zahlen verweisen auf die Exponatnummern.)

Arndt, Wilhelm, (1763–1814, Kupferstecher, Punktiermanier) 16 Gapieux 142 Ausfeld, Johann Carl (1782–1851, Kupferstecher, Lithograf) 153 Geißler (Geisler, Geissler), Christian Gottfried Heinrich Aßner 178 (1770–1844, Kupferstecher, Illustrator) 15, 46, 99, 122, 142 Barthel, Friedrich (1775–1846, Maler, Kupferstecher) 142 Gerstner, Joseph 15, 135, 136 Berger, Daniel (1744–1824, reproduzierender Kupferstecher, Illustrator) 6, 184 Geyser, Christian Gottlieb (1742–1803, Kupferstecher,Radierer) 82, 142 Beyer, Leopold (1784–1870, reproduzierender Kupferstecher) 29 Grießmann (Kupferstecher) 140 Blaschke, János 135 Grimm, Ludwig Emil (1790–1863, Maler, Radierer) 230 Bock, Johann Carl (1757–1837, Kupferstecher, Zeichner) 183 Gusler 142 Boettger, Johann Gottlieb (Dresden) (1763–1825) 20, 49, 62, 171 Grünter 95 Boettger, Gottlob (Gottlieb) (sen.) (seit 1796 Johann Carl) Guimpel, Friedrich (1744– ca. 1830) 112 (Kupferstecher, Zeichner) 30, 171, 184 Haas, Meno (1752–1833, Kupferstecher, Miniaturist) 65, 112, 171, 183, 184 Böhm, Wilhelm 171 Haas, Peter (1754–1804, Kupferstecher, Illustrator) 93 Böhme, Johann Christian (Kupferstecher) 49, 171, 184 Harder, Philipp Gottfried (1710–1749, Kupferstecher) 167 Böhme, I. C. 142 Heidenreich, J. B. 93 Bolt, Johann Friedrich (1769–1836, Kupferstecher, Zeichner) 171, 183, 184 Heinrich, Friedrich Ludwig 205 Born, J. F. W. 205, 209 Hertel, Georg Leopold (Kupferstecher) 133 Bretzing 112 Hofmann 17 Brühl, Johann Benjamin (1691–1763, Kupfer- u. Notenstecher) 79 Horny, Conrad (1764–1807, Maler, Kupferstecher, Kunsthändler) 110 Brückner, Friedrich August (um 1785) 15 Inger, C. 118 Buchhorn, L. (Kupferstecher) 171 Jügel, F. 171 Burkhart, David (1798–1837, Kupferstecher) 17 Jung. J. 17 Buster 107 Jury, Wilhelm (1763–1829, Maler, Kupferstecher) 28, 171, 181 Catel, Franz Ludwig (1778–1856) 15 Karst 118 Chodowiecki, Daniel Nikolaus Klingner, Johann Gottlob (1756–1815, Maler, Radierer) 78 (1726–1801, Maler, Radierer, Zeichner) 6, 8, 15, 32, 114, 177, 178 Knupfer, Nicolaus (1746–1819) 142 Clark 66 Krüger, Ephraim Gottlieb (1756–1834, Kupferstecher) 171 Coiny, Jacques-Joseph (1761–1809) 15 Krüger, Johann Conrad (1733–1791, Maler, Kupferstecher) 123 Crusius 129, 130 Lang, Friedrich Karl Crusius, Gottfried Leberecht (1730–1804, Kupferstecher) 177 (d.i. Hirschman(n) C. A., 1766–1822, Zeichner, Radierer) 100, 117 Crusius, Carl Leberecht (1740–1779, Kupferstecher) 103 Lehmann, Friedrich Leonhard (geb. 1787, Kupferstecher) 20, 52 D’Argent 180 Lejeune, Eug. 226 Darnstedt, Johann Adolf (1769–1844) 138 Levrault, F. G. 56 Dorn, S. 119 Liebe, Gottlob August (1746–1819) 86 Drölse 73 Lips, Johann Heinrich (1758–1817, Kupferstecher, Maler) 25, 63 Einert 164 Löffler, Ludwig Endner, Gustav Georg (1754–1824, Kupferstecher) 142 (1819–1876, Maler, Lithograf, Vorzeichner für den Holzstich) 74 Engelmann, Eduard Wilhelm (1825–1853, Holzschneider) 74 Madl, M. 148 Fallieth, M. 172 Maillard, Ludwig (gest. 1806, Landschaftszeichner, Kupferstecher) 135, 136 Fellner 233 Mansfeld, Johann Ernst (1739–1796, Kupferstecher) 172 Fiedler, J. H. (um 1828 tätig, Kupferstecher) 53 Marchand, Joseph 148 Flegel, Johann Gottfried (1815–1881, Holzschneider) 74 Martin, Carl (1820–1834 in Leipzig, Kupferstecher) 142 Fleischmann, Friedrich (1791–1834, Maler, Kupferstecher, Lithograf) 122 Mechau, Jakob Wilhelm (1745–1808, Radierer) 103 Frenzel, J. G. A. 138 Meil, Johann Heinrich (1730–1820, Zeichner, Medailleur) 201, 210, 213 Fridrich (Friedrich), Johann Gottlieb (1742–1809) 81 Meil, Johann Wilhelm (1733–1805, Kupferstecher, Zeichner) 123 Fritzsch (Fritsch), Christian Friedrich Meyer, Ludwig (jun.) 36, 112 (1719–vor 1774, Zeichner, Kupferstecher) 67 Meyer (sen.) 112 Frosch, Carl (geb. 1771, Kupferstecher) 15, 142, 171, 219 Meyerheim, Paul (1842–1915, Genremaler, Illustrator) 231

256 ILLUSTRATORENREGISTER

Mezger, Georg (1806–1858, reproduzierender Holzschneider) 74 Schubert, Johann David Mieg, F. 139 (1761–1822, Maler, Radierer, Zeichner) 21, 22, 44, 138, 140, 171, 183, 184 Mörlins, Bernhard 238 Schule, Georg Christian Monath, Peter Conrad 119 (1761–1822, Maler, Radierer, Zeichner) 20, 60, 61, 95, 142, 171 Morasch, Christian Gottfried Schuster 8 (1749–1815, Miniatur-, Porträt- u. Emaillemaler, Kupferstecher) 39 Schwerdgeburth, Carl August Müller 112 (1785–1878, Zeichner, Stahl- u. Kupferstecher) 41 Müller, F. E. (jun.) 142 Schweyer, Jeremias Paul 142 Müller, Heinrich 22, 116, 146 Seelmann 139 Müller, Rudolph 142 Senff 95 Nagel, G. 20 Seve, de 142 Nieper, Ludwig (1826–1906, Maler, Holzschneider) 74 Siegle 24 Nilson, Johann Esaias Sperlingin Catharina, geb. Heckel (1699–1741, Malerin, Radiererin) 167 (1721–1788, Miniaturmaler, Zeichner, Kupferstecher) 120 Steglich 112 Nußbiegel, Johann (Zeichner, Kupferstecher) 122 Stock, Johann Michael (1737–1773, Kupferstecher) 218 P. H. D. 158 Stöber, Joseph (1768–1852, Kupferstecher) 40 Penzel (Pentzel), Johann Georg Stölzel (Stöltzl), Christian Friedrich (1754–1809, Zeichner, Kupferstecher) 58, 61, 114, 137, 142, 177 (1751–1816, Hofkupferstecher) 171, 184, 232 Pforr, Franz (1788–1812, Kupferstecher) 139 Stoelzel, Johann F. C. 25, 26 Pigeot (geb. 1775, Reproduktionsstecher) 233 Sturm, Johann Georg (1742–1793, Kupferstecher) 205, 209 Pine 66 Suckow 112 Pingeling, Thomas Albrecht (1727–1803, Kupferstecher) 15, 149 Thoenert, Martin Medarus (1754–1814, Kupferstecher) 124, 152 Ramberg, Johann Heinrich Veith, Johann Philpp (1763–1840, Öl- u. Aquarellmaler, Radierer) 26, 41, 49, 62 (1768–1837, Landschaftsmaler, Radierer, Kupferstecher) 15, 100 Rauschner 142 Vogel, Albert Johann Philipp (1814–1886, Stecher, Holzschneider) 74 Rein 133 Vogel, Hermann (1854–1921, Illustrator) 237 Richter, Ludwig (1803–1884, Illustrator) 74 Voltz, Johann Michael Ridinger, Johann Elias (1784–1858, Maler, Radierer, Illustrator, Karikaturist) 122 (1698–1767, Maler, Grafikverleger, Grafiker) 13 Vonderfour, C. F. 15 Riedel 52 Waagen, Friedrich Ludwig Heinrich Riepenhausen, Ernst Ludwig (1765–1840, Kupferstecher) 50, 205, 207 (1750–1822, Bildnis-, Historien- und Landschaftsmaler) 205 Rode, Christian Bernhard Wachsmann, Anton (1765–1836) 112 (1725–1797, Öl- u. Freskenmaler, Zeichner, Radierer) 123 Wagner, Erdmann (1842–1917, Zeichner) 237 Rosmaesler, Johann August Weber 112 (1752–1780, Kupferstecher) 61, 82, 95, 134, 159, 161, 171, 177 Wecke, Carl Ludwig August (1828–1849, Holzschneider) 74 Sandrart 164 Weibezahl, R. 118 Schäfer, Maximilian (1851–1916, Maler, Illustrator) 71 Weigel, Christoph 164 Schäfer, Wilhelm (um 1839, Illustrator) 92 Weiland, Carl F. Schellenberg, Johann Rudolf (1740–1801, Kupferstecher) 114 (um 1782, Kopist, Lithograf, Porträtmaler, Landkartenstecher) 183, 184 Schenau, Johann Eleazar [d.i. Johann Eleazar Zeisig] Weinmeyer, Leopold 236 (1737–1806, Genremaler, Illustrator, Zeichner, Radierer) 133 Weinrauch, Johann Caspar 27, 64, 171 Schenck, Carl Wilhelm (1780–1827, Kupferstecher, Miniaturmaler) 142 Weissenhahn, Georg Michael (1741 oder 1744–1795, Kupferstecher) 35 Schleuen, Johann David (um 1740) 8 Wendel 21 Schmid 178 Westermayr, Conrad (1765–1834, Maler, Kupferstecher) 25 Schmidt 133 Wolf 65 Schmidt, Herm. 171 Wolf, L. 36 Schnorr von Karolsfeld, Hans (Joh.)Veit Friedrich Zick, Alexander (1845–1907, Maler, Illustrator) 235 (1764–1841, Maler, Radierer) 95, 219, 232 Ziegler 46

257 Autorinnen und Autoren

Günter Arnold, Dr. phil., Germanist und Slavist, stellungen unter dem Titel Pfui! ruft da ein jeder Editionsphilologe im Goethe- und Schiller-Ar- aus dem Bestand der Vordemann-Sammlung der chiv der Stiftung Weimarer Klassik und Kunst- Universität Göttingen einschließlich Ausstel- sammlungen, Bearbeiter der Herder-Briefaus- lungskatalog erarbeitet hat. gabe. Paul Kahl, geb. 1975, Studium der evangelischen Runhild Arnold, Absolventin der Anglistik und Theologie und Germanistik in Marburg und in Publizistik, FU Berlin. Göttingen; Lehrbeauftragter am Seminar für Deutsche Philologie der Georg-August-Univer- Angelika Bochem M.A., Studium der Volkskun- sität Göttingen. Veröffentlichungen zur deutschen de, Germanistik, Pädagogik; Grafik-Designerin Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts. Literatur- grad. Wissenschaftliche Angestellte im Projekt ausstellungen. Historische Jugendbuchforschung am Seminar für Deutsche Philologie in Göttingen. Bodo Kayser, Dr. phil., geb. 1941; Studium der Pädagogik, Soziologie und Mittleren und Neue- Dagmar Grenz, Dr. phil., Professorin. 1. und 2. ren Geschichte in Göttingen, Leiter der Zentra- Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien. len Studienberatung der Georg-August-Univer- Promotion in Germanistik/Neuere Deutsche Li- sität Göttingen, Sammler alter Kinderbücher, teratur. Habilitation in Deutscher Literatur und Veröffentlichungen zur Technik in Kinderbü- ihrer Didaktik (mit einer Arbeit zur Mädchenli- chern. teratur im 18. und 19. Jahrhundert). Vormals Universität zu Köln, seit 1994 an der Universität Tilmann Köppe, geb. 1977, Studium der Ger- Hamburg tätig. Arbeitsgebiete: Literaturdidaktik manistik, Theologie, Philosophie und Ästhetik in und Geschichte, Theorie und Didaktik der Kin- Göttingen und Southampton, Lehrbeauftragter der- und Jugendliteratur. am Seminar für Deutsche Philologie der Georg- August-Universität Göttingen. Veröffentlichun- Antonia Günther, geb. 1940 in Czernowitz, nach gen zur Literaturtheorie und Ästhetik. einer Buchhändlerlehre Studium der Germanis- tik, Kunstgeschichte und Indonesienkunde in Gerhard Lauer, Dr. phil., Ordinarius für Deut- Jena, 15 Jahre Lektorin des Aufbau-Verlages in sche Philologie an der Georg-August-Universität Weimar; seit 1990 Leiterin des Literaturmuseums Göttingen. Geboren 1962. Arbeitsschwerpunkte: „Theodor Storm“. Zahlreiche Ausstellungen, He- Geschichte des Romans in der Frühen Neuzeit, rausgabe der Heiligenstädter Stormblätter seit Literaturgeschichte des klassisch-romantischen 1994. Zeitalters und der klassischen Moderne, deutsch- jüdische Literaturgeschichte, literaturwissen- Friedrich Hassenstein, Dr. phil., Professor. Pro- schaftliche Grundlagenforschung. motion 1954 bei Wolfgang Kayser, 1965–1987 Professor für Deutsche Sprache und Literatur und Elmar Mittler, Prof. Dr. Dr. h. c., geb. 1940; Stu- ihre Didaktik in Göttingen. dium der Germanistik und Geschichte;1966 Pro- motion; 1974–1979 Leitender Bibliotheks- Matthias Heinzel, geb. 1955, 1. und 2. Staatsex- direktor in der Badischen Landesbibliothek amen für das Lehramt an Gymnasien, Germa- Karlsruhe; 1979–1990 Universitätsbibliothek nist, derzeit Redakteur beim Göttinger Tageblatt. Heidelberg; seit 1990 Direktor der Niedersäch- 1987–1989 Mitglied der Arbeitsgruppe histori- sischen Staats- und Universitätsbibliothek Göt- sche Jugendbuchforschung, die verschiedene Aus- tingen; Professor für Buch- und Bibliotheks-

258 AUTORINNEN UND AUTOREN wissenschaften an der Universität Göttingen, Ho- Stadtbibliothek Göttingen. Mitarbeit an Ausstel- norarprofessor an der Universität Mainz. lungen historischer Kinderliteratur.

Hanno Schmitt, geb. 1942, Professor für Ge- Jürgen Viering, Dr. phil., geb. 1937, bis 2002 schichte des Erziehungs- und Bildungswesens an Akademischer Oberrat am Seminar für Deutsche der Universität Potsdam. Veröffentlichungen zur Philologie der Georg-August-Universität Göttin- Bildungsgeschichte des 18. Jahrhunderts (Phil- gen, Teilfach Neuere deutsche Literatur. Veröf- anthropismus), Joachim Heinrich Campe (1746– fentlichungen zur Literatur der 2. Hälfte des 18. 1818), Friedrich Eberhard von Rochow (1734– Jahrhunderts (Aufklärung und Empfindsamkeit) 1805), Geschichte der Versuchsschulen und der und zur Literatur um 1900 (Literarischer Jugend- Schulreform, Reformpädagogik, Erziehung im stil, Literatur der Décadence, Heinrich Mann). Nationalsozialismus, Bilder als Quellen der Er- ziehungsgeschichte. Wolfgang Wangerin, Dr. phil, 1. und 2. Staats- examen für das Lehramt an Gymnasien, Akade- Berenike Schröder, geb. 1981, seit 2000 Studium mischer Oberrat am Seminar für Deutsche Phi- der Deutschen Philologie, Vergleichenden Litera- lologie der Georg-August-Universität Göttingen tur- und Kulturwissenschaften und Musikwissen- (Teilfach Fachdidaktik). Leiter der Arbeitsgruppe schaften in Hamburg und Göttingen. Schwer- Historische Jugendbuchforschung. Ausstellungen punkte im Studium u. a.: Wechselwirkung von historischer Kinderliteratur u. a. in der Deutschen Musik und Literatur und Literatur für Kinder. Bibliothek Frankfurt a. M., im Kulturhistorischen Museum Magdeburg, im Museum Burg Hagen. Wolfgang Vetter M.A., geb. 1958, Studium des Weitere Hauptarbeitsgebiete: fächerübergreifen- Bibliothekswesens in Hamburg, der Geschichte, de ästhetische Bildung (Literatur, Kunst, Musik), Politikwissenschaft und Germanistik in Göttin- kreativer Literaturunterricht, Theorie der Litera- gen, seit 1989 als Diplom-Bibliothekar an der turdidaktik.

259 Göttinger Bibliotheksschriften (lieferbare Titel)

1. Edith Stein. Studentin in Göttingen 1913-1916. Ausstellung zum € 4,– 18. Johann Heinrich Voß. 1751-1826. Idylle, Polemik, Wohllaut. € 15,– 100. Geburtstag 7.10.-28.10.1991. 1991. 118 S. 2001. 298 S.

2. Der Brocken und sein Alpengarten. Erinnerungen – Dokumen- € 4,– 19. Weltbild – Kartenbild. Geographie und Kartographie in der frühen € 10,– tationen. Ausstellung vom 17.3.-5.6.1993. 1993. 81 S. Neuzeit / Bearb. von Mechthild Schüler. 2. Aufl. 2002. 94 S.

3. Übersicht über die Systematik des Bandrealkataloges der € 5,– 20. LIBER – Ligue des Bibliothèques Européennes de Recherche. € 35,– Niedersächsischen Staats- und Universitätsbliothek Göttingen. Architecture Group Seminar. Leipzig, March 19 - March 23, Bearb.: G.-J. Bötte u. D. Sickmüller. 1993. XIII, 75, 126 S. 2002. The Effective Library. Vision, Planning Process and Evaluation in the Digital Age. Documentation of new library 4. Neues Heimatland Brasilien. Texte und Bilder zur kulturellen € 4,– buildings in Europe. 2002. 319 p. Entwicklung der deutsch-brasilianischen Bevölkerung in Süd- brasilien. Begleitband zur Ausstellung vom 10.1.-19.2.1994 / 21. Das Göttinger Nobelpreiswunder – 100 Jahre Nobelpreis. 2. Aufl. € 22,– Sandra Messele-Wieser, Lothar Wieser. 1994. IV, 84 S. 2002. 377 S.

5. Möglichkeiten der Beschaffung und Bereitstellung digitaler Karten € 10,– 22. 300 Jahre St. Petersburg – Russland und die „Göttingische Seele“. € 14,– im Sondersammelgebiet. DFG-Projektstudie. Bearb. von Christi- 2. Aufl. 2004. 502 S. ane Beckert. 2002. 142 S. 23. Das Göttinger Nobelpreiswunder – 100 Jahre Nobelpreis. € 11,– 6. Kröger, Detlef: European and international Copyright protection. € 19,– Vortragsband. 2004. 194 S. Microcopies and databases. 1995. 283 S. 24. Daniela Grebler, Kornelia Priesel-Agidigbi, Dirk Steinert: In Sachen € 10,– 7. Bestandserhalt durch Konversion: Microverfilmung und alternative € 16,– AACR2. Eine Bibliographie zur Second edition der Anglo- Technologien. Beiträge zu drei Fachtagungen des EU-Projekts American cataloguing rules mit originalsprachigen und übersetzten MICROLIB. 1995. 208 S. Ausgaben sowie englisch- und deutschsprachiger Sekundärliteratur 1978-2002. 2004. V, 160 S. 10. Sibirien Finnland Ungarn : Finnisch-ugrische Sprachen und Völker € 6,– in der Tradition eines Göttinger Sondersammelgebiets. Aus- 25. LIBER – Ligue des Bibliothèques Européennes de Recherche. € 36,– stellung in der Paulinerkirche vom 28.2.-9.4.1998. 344 S. Architecture Group Seminar. Bozen/Bolzano, March 17-March 19, 2004. The Renaissance of the Library – adaptable library 13. „Göthe ist schon mehrere Tage hier, warum weiß Gott und Göthe“: € 14,– buildings. Documentation of new library buildings in Europe. Vorträge zur Ausstellung „Der gute Kopf leuchtet überall hervor“ 2004. 367 p. – Goethe, Göttingen und die Wissenschaft. 2000. VI, 295 S. 26. Edward S. Curtis: The North American Indian. Die Indianer € 9,– 14. Towards consensus on the electronic use of publications in € 7,– Nordamerikas. Ausstellung in der Niedersächsischen Staats- und libraries: strategy issues and recommendations / Thomas Dreier. Universitätsbibliothek Göttingen, 29.2.-18.4.2004 / Mit einer 2001. 120 S. Einf. von Hans Christian Adam. 2004. 72 S.

16. Zehn Jahre Pica in Niedersachsen und Deutschland. Skizzen eines € 5,– 27. Dieter Cherubim, Ariane Walsdorf: Sprachkritik als Aufklärung – € 16,– Erfolges. 2001. 181 S. Die Deutsche Gesellschaft in Göttingen im 18. Jahrhundert. 2004. 201 S. 17. „Wohne immer in meinem Herzen und in den Herzen meiner € 10,– Freunde allesbelebende Liebe!“ Friedrich Leopold Graf zu Stol- 28. Anne Ørbæk Jensen, Claus Røllum-Larsen, Inger Sørensen: € 15,– berg (1750-1819). Aus der literarisch-historischen Sammlung Wahlverwandtschaften – Zwei Jahrhunderte musikalischer des Grafen Franz zu Stolberg-Stolberg, 1210-1750-2001 / Bearb. Wechselwirkungen zwischen Dänemark und Deutschland. 2004. von Paul Kahl. 2001. 143 S. 115 S.

CD-ROM der SUB Göttingen (lieferbare Titel)

Die ganze Welt ist aus Papier. Graphiken und Objekte zu allen € 18,– Weltbild – Kartenbild. Geographie und Kartographie in der frühen € 20,– Gelegenheiten 1800-1930. Neuzeit.

„Der gute Kopf leuchtet überall hervor“ – Goethe, Göttingen und € 15,– Das Göttinger Nobelpreiswunder – 100 Jahre Nobelpreis. € 18,– die Wissenschaft. 300 Jahre St. Petersburg – Russland und die „Göttingische Seele“. € 14,– Gutenberg digital. Göttinger Gutenberg-Bibel, Musterbuch und € 54,– Helmaspergersches Notariatsinstrument. The North American Indian – Fotografien von Edward S. Curtis. € 6,–

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