0. Einleitung 3
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Frank Berg / Thomas Koch Politikwechsel in Mecklenburg-Vorpommern? Die SPD-PDS-Koalition fünfzehn Monate nach ihrem Amtsantritt (Explorationsstudie). 2 Inhaltsverzeichnis 0. Einleitung 3 1. Zum politischen und sozialwissenschaftlichen Reformdiskurs 8 1.1 Politische Diskurse um Reformstau und Modernisierung 8 1.2 Sozialwissenschaftlicher Modernisierungs- und Transformationsdiskurs 12 1.3 Zum Diskurs um politische Steuerungsfähigkeit und “Policy-Making” 15 1.4 Erfordernisse einer modernen Reformpolitik 20 2. Vorgeschichte und Ausgangssituation der “rot-roten” Koalition 24 3. Die Mühen der Ebene: ausgewählte Lernprozesse auf dem Wege zur politischen Gestaltungsfähigkeit 33 3.1 Finanzen: gestalten und konsolidieren 33 3.2 Land und Kommunen 37 3.3 Wirtschaft und Umwelt 44 3.4 Arbeit 49 3.5 Soziales 54 4. Akteurskonstellationen, politische Kultur und Akzeptanz 59 4.1 Wer gestaltet Landespolitik? 59 4.2 Hoffnungen und Befürchtungen 63 4.3 Koalitionsbeziehungen: Politische Kultur und politische Handlungsfähigkeit 69 4.4 Opposition vor neuen Herausforderungen 74 4.5 Politische Kultur und Demokratie im Lande 76 4.6 Zur Akzeptanz der neuen Koalition 80 4.7 Akteurskonstellationen und Machtbalancen 83 5. Zusammenfassung: Ansätze und Herausforderungen eines Politikwechsels in Mecklenburg-Vorpommern 86 6. Zur Fortsetzung der Studie 93 7. Nachweis der wissenschaftlichen Literatur 96 3 0. Einleitung Nach den Landtagswahlen von 27. September 1998 in Mecklenburg-Vorpommern gelangte – zum ersten Mal in der deutschen Geschichte – eine SPD-PDS-Koalition an die Regierungs- macht eines Bundeslandes. Von Anfang an trat sie mit dem Anspruch auf, einen “Politik- wechsel” im Lande durchzusetzen. Diesem Gedanken gehen wir in dieser Studie nach, stellt sich doch die Frage, inwieweit auf der Ebene eines Bundeslandes überhaupt die Möglichkeit besteht, einen Politikwechsel durchzusetzen (siehe unser allgemeines Verständnis vom Beg- riff “Politikwechsel im Abschnitt 1.3) und wenn “ja”, in welche Richtung ein solcher Politik- wechsel von den Voraussetzungen einer “rot-roten” Koalition her angestrebt wird bzw. reali- sierbar erscheint. Zieht man die Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und PDS sowie die Regierungserklärung von Ministerpräsident Ringstorff zu Rate, kann man daraus entnehmen, dass anfangs ein Politikwechsel in eine Richtung angestrebt wurde, die vor allem auf mehr Arbeit, soziale Gerechtigkeit und Demokratie sowie auf eine Versöhnung im Lande abzielt. Beinahe jeder Regierungswechsel – ob auf Bundes- oder auf Landesebene – wurde bisher dadurch legitimiert, dass ein Wechsel politischer Prioritäten erforderlich sei. Ganz besonders trifft dies dann zu, wenn die politisch tragenden Regierungskräfte infolge von Wahlen we- sentlich oder gänzlich neu konstituiert werden. Der Hintergrund der Debatte um einen Poli- tikwechsel ist heute jedoch weitaus grundsätzlicher als die Tatsache, dass es eben immer eine Verlagerung oder einen “Wechsel” politischer Prioritäten bei Regierungswechseln gibt. Denn heute wird aus allen politisch und sozial relevanten Richtungen Deutschlands ein tief- greifender Reformbedarf der bestehenden institutionellen Regulierungssysteme angemahnt.1 Vorherrschend verweist man auf die Zwänge wirtschaftlicher Globalisierung, die eine forcier- te Freisetzung der Wettbewerbs- und Marktkräfte sowie eine entsprechende Anpassung von Staat und Gesellschaft erforderlich machen würden. Hierzu entgegengesetzt werden in Wis- senschaft und Politik zunehmend differenziertere Positionen ausgearbeitet, die einen grund- legenden “Richtungswandel” bis hin zu alternativen Entwicklungspfaden gegenüber den neo- liberalistischen Trends der Moderne-Entwicklung für notwendig erachten (vgl. Gliederungs- punkt 1.). Jeder Anspruch auf einen “Politikwechsel” ist daher unweigerlich in die Frage eingebunden, wie, in welcher Richtung der in Deutschland bestehende Reformstau aufgelöst werden soll, welche Rolle hierbei marktliberale bzw. sozialstaatliche, wertkonservative bzw. wertoffene Orientierungen spielen sollen. In keiner der großen politischen Parteien Deutschlands gibt es gegenwärtig hierfür klare oder gar einheitliche Orientierungen: Im christdemokratischen La- ger Deutschlands gruppieren sich marktliberale, wertkonservative und christlich- sozialstaatliche Vertreter neu. Im sozialdemokratischen Lager steht die Auseinandersetzung 1 Vgl. dazu u.a. Publikationen im Bereich der Wissenschaft mit unterschiedlichen Denkrichtungen, wie: Altvater 1997; Baring 1997; Bissinger 1997; Brie/Klein 1992; Butterwege u.a. 1998; Deppe 1997; Hengsbach 1994; Eichel/Hoffmann 1999; Hirsch 1998; Giddens 1999, Hombach 1998, Land 1999, Miller/Soeffner 1996, Unseld 1993, Scheer 1995, Bullmann/Heinze 1997; Kleger 1996; Stötzel 1998, Tichy 1998; vgl. ebenso Publikationen im Bereich der Politik mit unterschiedlichen Ansätzen, wie: Schröder, Gerhard/Blair, Tony: Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten. In: Frankfurter Rund- schau vom 10.06. 1999; Thierse, Wolfgang et al.: Dritte Wege – Neue Mitte. Sozialdemokratische Markierungen für Reformpolitik im Zeitalter der Globalisierung, o. O. 1999; Gysi, G.: Gerechtig- keit ist modern. Zwölf Thesen für eine Politik des modernen Sozialismus. Eine notwendige Ant- wort auf Gerhard Schröder und Tony Blair, hrsg. von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, August 1999. 4 um eine Neuaustarierung neoliberaler und sozialstaatlicher Werteorientierungen noch in den Anfangsschritten. Auch bei den “Bündnisgrünen” und im Lager der Sozialisten ringt man um Neuorientierungen – denn sowohl traditionell ökologische als auch traditionell “linke” bzw. “linkssozialistische” Positionen greifen nicht mehr, wenn sie mit den veränderten Realitäten konfrontiert werden. Insofern ist der Anspruch eines Politikwechsels heute etwas anderes als er in der Geschichte immer war. Es geht nicht nur um Veränderungen von Akzenten oder Prioritäten in der Politik, sondern um die Suche nach neuen Entwicklungspfaden in einem gesellschaftlichen Umfeld, das tiefgreifender und komplexer Reformen bedarf. Mit dem Projekt wollen wir mit Mitteln der empirischen Sozialforschung letztlich der Frage nachgehen, welche Ansätze es in diesem Sinne auf der Suche nach neuen Entwicklungs- pfaden gibt und welche tatsächlichen Chancen für ihre Realisierung auf der Ebene von Bun- desländern bestehen. Untersucht werden soll, welche spezifischen Akteursgruppen und -koalitionen diese oder jene Reformansätze konstitutiv tragen, mit welchen Handlungsorien- tierungen, -mustern und -ressourcen sie agieren, welche institutionellen Strukturen sowie Steuerungs- und Orientierungssysteme für die Implementation von Reformprojekten daraus erwachsen und welche Rückwirkungen sich für die Veränderung der politischen Parteien- landschaft ergeben können. Diesem längerfristigen Ziel unserer Arbeit stellen wir eine “Explorationsstudie” voran. Bei der Explorationsstudie handelt es sich um den Einstieg in das Untersuchungsfeld, um eine Prob- lemskizze zum Handeln der politischen Akteure im Lande, bezogen auf die Implementation der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und PDS. Ferner ist es das Anliegen der Explora- tionsstudie, einen auf erprobte empirische Erfahrungen und breite Feldkenntnis gestützten Plan für die Durchführung umfangreicherer wissenschaftlicher Untersuchungen zu erstellen, hierfür entsprechende Arbeitshypothesen und Grundkenntnisse zu gewinnen. Dabei bietet sich Mecklenburg-Vorpommern vor dem Hintergrund der genannten “großen politischen Debatten” für eine solche wissenschaftliche Untersuchung aus mehreren Grün- den an: Erstens erfahren die allgemeinen Problemlagen der ostdeutschen Länder in Mecklenburg- Vorpommern eine besonders brisante Fokussierung, sind hier die wirtschaftlichen, sozialen und regional-strukturellen Umbrüche infolge des Transformationsprozesses zugespitzter und problembeladener als in anderen Ländern. Besonders große Reformbedarfe liegen allein schon deshalb auf der Hand, weil die Wirtschaft Mecklenburg-Vorpommerns die größten Strukturschwächen unter den neuen Bundesländern hat. Zweitens ist es eben besonders interessant, die politischen Gestaltungsmöglichkeiten von Parteien in Regierungsverantwortung zu untersuchen, die explizit einen Politikwechsel, einen reformerischen Anspruch mit “richtungswandelnden” Ansätzen zum strategischen Ziel erho- ben haben. Außerdem bezog die neue Landesregierung unter Ministerpräsident Harald Ringstorff ihren Anspruch auf einen Politikwechsels gewiss nicht allein auf eine Wechsel ge- genüber der CDU-geführten Vorgängerregierung, sondern auch gegenüber einer Reihe bis- her dominierender Denk- und Handlungsmuster der Bewältigung deutscher Einheit. Dies unterscheidet sich beispielweise von den Reformansprüchen im Land Sachsen oder auch im Land Bayern, die sowohl inhaltlich als auch von den Möglichkeiten her zum Teil andere Ak- zente ihrer Modernisierungspolitik setzen. Bei einer Fortsetzung des Projektes sollten aller- dings diese und/oder andere Bundesländer in einen Vergleich stärker einbezogen werden. 5 Drittens: Spezifisch für die Erfahrungen Mecklenburg-Vorpommerns dürfte auf absehbare Zeit sein, welche Politik- und Reformansätze eine von SPD und PDS getragene Regierung entwickelt. Da eine Regierungskoalition aus SPD und PDS bislang in den deutschen Län- dern einmalig ist, perspektivisch jedoch kein “Ausnahmefall” bleiben muss, steht diese ganz besonders im Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit wie auch öffentlicher Kritik, ist es daher in besonderem Maße angebracht, mit wissenschaftlichen Methoden die Spannungsfelder und Prozessverläufe zwischen Ansprüchen