Generation Aufbruch

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Generation Aufbruch Hanna Behrend Generation Aufbruch herausgegeben von Christina Gruhle und Madeleine Porr Freie Online-Ausgabe aus Anlass von Hanna Behrends 89. Geburtstag © 2011 Christina Gruhle, Berlin Satz: Madeleine Porr Christina Gruhle und Madeleine Porr haben für die Veröffentlichung der im Buch vorgestellten Biographien und Briefwechsel die Erlaubnis der jeweiligen Personen eingeholt, ihre Änderungswünsche berücksichtigt (soweit das noch nicht von Hanna Behrends Seite aus geschehen war) und nur noch orthographische, stilistische sowie informative Korrekturen durchgeführt. Inhalt Einführung 5 1. „Das neue Leben muss anders werden“ 10 2. „Du hast ja ein Ziel vor den Augen“ 15 3. Die Bildungsreform in der DDR 19 4. „Und lernt das Lernen und verlernt es nie“ 23 5. Neulehrer braucht das Land 30 6. Was kostete die Frauen im Sozialismus die Emanzipation? 33 7. GleichbeRECHTigung der Frau 40 8. „Wer putzte in der DDR das Klo?“ 44 9. „Verstehen kann man das Leben nur rückwärts. Leben muss man es aber vorwärts“ 46 Biographien Herta Kuhrig 51 Elfriede Siemert 57 Sofie Glattauer 67 Eckehard Czolleck 71 Carl Meineke 75 Die Auseinandersetzung der Ostberliner Studenten mit dem Stalinismus 87 Briefwechsel Manfred Behrends mit Studienfreunden G. R.: „Der linke Nationalist“ 97 K. B.: „Der passionierte Lokalhistoriker“ 112 Paul Lindberg: „Der Archivar“ 137 Foto: privat Die Herausgabe dieses letzten Buchprojekts war Hanna (1922–2010) ein ganz besonderes Anliegen, dem sie voller Leidenschaft die letzten Monate ihres Lebens widmete. Ihren Äußerungen dazu kurz vor ihrem Tod darf entnommen werden, dass sie seinen Kerninhalt auch tatsächlich fertigstellen konnte. Generation Aufbruch 5 Einführung „Ja, die Geschichte der DDR zu schreiben ist schwierig. Ihre Existenzzeit ist der besterforschte Abschnitt deutscher Geschichte, ihre Akten liegen fast komplett offen – und doch dominiert nur eine Auslegung1: Sie war von Anfang an eine totalitäre Diktatur, der Sozialismus verdiente diesen Namen nicht und das, was versucht wurde, gelang nur durch den EigenSinn der Bürger, gegen die Partei und ihre Funktionäre. Eine komplexe DDRSicht wird Anderes versuchen müssen. Sie wird nach den gemeinsamen Herausforderungen deutscher Politik 1945 fragen, nach den unterschiedlichen Antworten, die west und ostdeutsche Politiker, Konservative, Liberale, Sozialdemokraten und Kommunisten gegeben haben. Sie wird ergründen, was in der DDR trotz ungleich schwierigerer Voraus- setzungen und ungeachtet einer Führungsmacht, die eigene Interessen und Konzepte verfolgte, was trotz der Einwirkungen – politisch, ideologisch (nicht zuletzt über die allgegenwärtigen Medien) und geheimdienstlich – erreicht wurde. Sie wird Schwachpunkte, Versäumnisse, Fehler und Verbrechen offen legen.“2 Ungeachtet aller Bemühungen einer aus biologischen Gründen immer stärker schrumpfenden Zweiten Kultur, die hauptsächlich von Angehörigen der abgewickelten und ausgegrenzten ci- devant Elite aufrecht erhalten wird, ist das derzeit dominierende Bild der DDR in der Main streamPresse, in Film und Fernsehen, Schulen und Hochschulen ideologisch einheitlich darauf gerichtet, den zweiten deutschen Staat, einst als Alternative zum Kapitalismus gegründet, der für die faschistische Verirrung verantwortlich gemacht wurde, zu beerdigen. … Einen anderen als den obsiegenden Entwicklungsweg in Richtung Marktwirtschaft und bürgerlich parlamentarischer Demo kratie soll es nicht geben, wobei vergessen wird, diesen Staat und seine Gesellschaft als das zu charakterisieren, was er auch war, was er vor allem ist – ein kapitalistischer Staat und eine kapita- listische Gesellschaft. Es ist ein Staat und eine Gesellschaft, in denen trotz Abmilderungen die sozialen Spaltungen existieren wie einst, in denen regelmäßig zu Wahlen gegangen wird, aber doch eine Politik betrieben wird, die den wirtschaftlich Mächtigen die Existenz sichert und im Zweifelsfall dafür sorgt, dass die Gewinne privat bleiben, aber die Verluste gerade in den aktuellen Krisenzeiten sozialisiert werden. … Die bundesdeutschen Geschichtslegenden von der erfolgreichen antinazistisch demo- kratisierenden „Re-education“, von der gradlinigerfolgreichen Währungsreform von 1948 zum „Wirt- schaftswunder“ unter Ausblendung aller politischen und ökonomischen Kämpfe der Arbeiterklasse gegen die zunächst für sie kaum verkraftbaren sozialen Folgen dieses deutschen Wiederaufstiegs, von dem vermeintlich unaufhaltsamen Weg nach Westen bis zur allein erfolgreichen bundesdeutschen Gesellschaftsentwicklung, bei der die ostdeutsche Entwicklung nur den negativen Gegenentwurf abgeben darf. Nun wird vom Gipfelpunkt dieser deutschen Nachkriegsgeschichte als einer „nationalen 1 Die Jubiläen (20. Jahrestag des Mauerfalls, der deutschen Einheit, usw., usf.) demonstrieren das mit aller Konsequenz. Keine der an diesen Tagen gehaltenen Reden, die von der „Linie“ auch nur im geringsten abweichen darf. In ihrer eindeutigsten Gestalt hat sie am 2. Oktober 2010 Joachim Gauck gehalten, der vor jeder Art von Weichspülung der DDRDiktatur warnt und vor jeder Würdigung von Personen, die darin irgendeine führende Rolle gespielt haben. Diese totale Delegitimierung und Verteufellung wurde von offizieller bundesdeutscher Seite den Nazigrößen niemals zuteil. 2 Ausarbeitungen für die im Rahmen der Konferenzreihe „Zwischen Anfang und Ende. Deutschdeutsche Jahrestage einer Doppelbiographie 1949–1989“ durchgeführten Halbtageskonferenzen am 7. und 14. Mai 2009 in Berlin bzw. in Potsdam. In Forscher und Diskussionskreis DDRGeschichte; hefte zur ddrgeschichte Nr.121 6 Hanna Behrend Revolution“ schwadroniert. In dieser vollendeten die Ostdeutschen, d.h. also die DDR-Bürger des Jahres 1989, begeistert das, was sie seit 1945, spätestens aber seit 1953 und 1961 immer schon wollten, die deutsche „Wiedervereinigung“ (ebda.) So, und nur so lässt sich „die Geschichte des zweiten deutschen Staates auf die Dauerformel – Stasi, Stacheldraht, Mauer, zweite deutsche Diktatur – reduzieren“ (ebda). Das sind die „leitkulturellen“ Ansagen, bei denen es nichts zu deuteln gibt. Nun gibt es aber im Osten und auch im Westen eine wachsende Anzahl von Menschen, die dieser kompromisslos antikommunistischen Linie nicht folgen; sie sind ebenso wenig bereit, den Jetztzustand un kritisch schönzufärben oder als den einzig „natürlichen“, gottgegebenen oder selbstverschuldeten zu preisen, wie sie alle Maßnahmen der DDRFührung stets als einzigartige Fehler und Ver- brechen ansehen wollen. Wenn man die Ostdeutschen aber nicht als Opfer und TäterInnen in einer der braunen gleich schrecklichen Diktatur beschreibt und zugleich als Menschen, die sich heroisch selbst befreit haben, tun sich in der Berichterstattung immer wieder ungelöste Widersprüche auf. So im Magazinteil der im Osten meistgelesenen Tageszeitung „Berliner Zeitung“ vom 2./3.Oktober 2010: Da werden Wendegeschichten über 20 scheinbar wahllos ausgewählte Personen aus Ost und West erzählt, die verkünden, dass all diese Menschen erst durch die Wende und die deutsche Einheit endlich die Freiheit hatten, „in einer alten Heimat oder in einer neuen, vor allem aber bei sich selbst anzukommen“. Die Autorin erklärt in ihrem Vorspann, dass es trotz aller Unterschied lichkeiten (nicht alles seien Erfolgsgeschichten) vor allem Geschichten von Menschen sind, die nicht resignieren, die Neues versuchen, die sich auf Abenteuer einlassen, die sich engagieren und aus den Brüchen in ihrer Biografie Kraft und Selbstbewusstsein schöpfen. Natürlich wurde vor allem das Leben im Osten durchgeschüttelt, aber auch viele aus den alten Bundesländern haben sich auf eine neue Stadt, einen neuen Job und eine völlig neue Existenz eingelassen. Die Ostdeutschen und speziell die jüngeren ostdeutschen Frauen sind nicht nur „durch geschüttelt“ worden, sondern haben zehntausendfach ihre Existenzgrundlage, oft auch ihre Wohnungen („Rückgabe vor Entschädigung“) verloren und nur eine Minderheit fand gleich wertige Lebensgrundlagen bzw. verbesserte sich sogar. Wie kam es, dass die Mehrheit dieser Menschen sich so gut und schnell anpasste, eine solche Integrationsleistung erbrachte, so schnell, so viel Neues zu lernen bereit und fähig war; dass nur eine Minderheit sozial und politisch ver- kam, meist aus den Kreisen, die zu integrieren auch die „Erziehungsdiktatur DDR“ nicht geschafft hatte. Kann diese Leistung wirklich ohne die Vorleistung der DDRSozialisierung erbracht worden sein? Dort, wo im Magazin der „Berliner Zeitung“ „Unbelehrbare“ zu Wort kommen, werden sie stets als Opfer von Brainwashing präsentiert. So im Fall des Walter Sell, der Angehöriger des NSWachbataillon war, „‚in das er hineingerutscht ist, ohne es zu merken‛. So ähnlich – wird insinuiert – war es später auch in der DDR“, als Sell, offenbar genau so blind und unmotiviert wie er Hitler gedient hat, Neulehrer wurde. Auch die sich als links verstehende Öffentlichkeit ist sich sicher, dass am 9. November 1989 – mit der Öffnung der Mauer – ein „erst und einmaliger revolutionärer Umbruchprozess“ von der „Einparteiendiktatur mit Welterklärungs und Welterlösungsanspruch, mit ideologisierter politischer Ökonomie, in der Privateigentum an Produktionsmitteln abgeschafft und die Markt- gesetze außer Acht gelassen wurden“ zur „parlamentarischen Demokratie und zu kapitalistischer Generation Aufbruch 7 Privatwirtschaft als alsbald globalisiert freien Märkten“3 stattfand. „Gründlich misslungen“ sei der „nicht in allem verdammenswerte Versuch“ einer alternativen Gesellschaft (ebda.). Auch hier kein Wort, dass tatsächlich der Versuch einer sich neu bildenden, aber noch sehr schwachen
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