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https://nwv-hamburg.de NATUR und WISSEN 180 Jahre: 1837 - 2017 Mitteilungen aus dem Naturwissenschaftlichen Verein in Hamburg

Heft 14 13. Jahrgang 2017 Bild Günter MiehlichBild Günter Bodenerosion vernichtet fruchtbaren Boden: Schon im Jahr nach der Rodung des Bergwaldes am NW- ISSN 1614-0931 Hang des Pico de Orizaba, Mexiko, bildete sich eine Erosionsrinne, die 17 Jahre danach eine Tiefe von ca. 50 Metern erreichte. Der geplante Kartoffelanbau wurde längst eingestellt.

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Heft 14 – 13. Jahrgang 2017

Inhalt

1 Editorial Sommerausflug 2017 Sommerausflug 2017 Seite 2 2 Harald Schliemann: Sommerausflug 2017 Für den diesjährigen 3 Helge Kreutz: Das Deutsche Erdölmuseum Sommerausflug unseres Allgemeine Veranstaltungen: Vorträge Vereins hatten wir das 5 Günter Miehlich: Die 2000 Quadratmeter, von denen wir leben Deutsche Erdölmuseum

(sollten) Foto H. Kreutz in Wietze sowie als 10 Klaus Lüning: Vorteile der landgstützten Kultur von Nachmittagsprogramm das Lebensmittel-Meeresalgen Heidekloster Wienhausen 14 Ulrich Kotthoff: Darmflagellaten und Blütenstaub. Evolutionäre ausgesucht. Wechselbeziehungen zwischen Insekten und Pflanzen Die 2000 Quadrat- 16 Ernst-Hermann Solmsen: Rückkehr der Wölfe nach Deutschland - Mythen und Fakten:Was kann die Säuge­tier­ meter, von denen wir biologie zur gesell­schaftlichen Diskussion beitragen? leben (sollten) 20 Martin Husemann: Phylogeographie und Evolution der Öd- Seite 5 landschrecken: Weltweite Fallstudien zur Diversifizierung der Kaum jemand in Mitteleu- Oedipodinen ropa macht sich Gedanken, 22 Helge Kreutz: Eine kurze Geschichte des Nordseeöls wieviel Ackerland jedem Öffentliche Vortragsreihe 2016 Menschen auf der Erde zur Verfügung steht, schon gar 26 Die Zusammenfassungen der gehaltenen Vorträge Foto G. Miehlich nicht, wie groß die Fläche Berichte aus dem Verein und den Arbeitsgruppen ist, die er selbst im Inland 28 Wolfgang Linz: Bericht über die Exkursion nach Schottland und vor allem im Ausland 31 Wolfgang Linz: Jahresbericht 2017 der Geologischen Gruppe für Nahrung, Kleidung, Wolfgang Linz: Jahresbericht 2017 der Arbeitsgruppe für Ge- Sprit etc. gebraucht. schiebekunde Wolfgang Linz: Buchbesprechung Rückkehr der Wölfe 32 Stefan von Boguslawski: Tätigkeitsbericht der Höhlengruppe nach Deutschland 33 Michael Hesemann: Bericht der AG Mikropläontologie 2017 Seite 16 35 Bob Lammert: Tätigkeitsbericht der AG Mikro 2016 Die Wiederansiedlung 36 Bericht des Vorstandes 2016 des Wolfes in Deutsch- 37 Harald Schliemann: Zum Tode von Otto Kraus und Klaus land unter dem Schutz der Eu­ropäischen Natur­ Wächtler schutzgesetze findet in der 38 Protokoll der Mitgliederversammlung vom 17. März 2016 Gesellschaft ein geteiltes Impressum Echo Herausgeber: Naturwissenschaftlicher Verein in Hamburg – gegründet 1837. Geologische Exkursion Schriftleitung: Prof. Dr. Harald Schliemann. nach Schottland Redaktion: Peter Stiewe. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben die Meinung des Verfassers, nicht Seite 28 in jedem Falle die der Redaktion wieder. Die Sommerexkursion Druck: Hamburger Printservice, Martin-Luther-King-Platz 4, 20146 Ham- der Geologischen Gruppe burg. führte 25 Teilnehmer zur Redaktionsadresse: NATUR und WISSEN, c/o Zoologisches Museum Ham- Insel Arran in Schottland burg, Martin-Luther-King-Platz 3, 20146 Hamburg. vor Glasgow an der Email: [email protected] Westküste Schottlands. Erscheinungsweise: NATUR und WISSEN erscheint einmal jährlich. Sie machten sich auf die Erscheinungsort: Hamburg. Spuren von James Hutton, Auflage: 300 Exemplare. ISSN 1614-0931. einem der Väter der Der Bezugspreis für diese Zeitschrift ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. modernen Geologie. Editorial

Augen nicht davor verschließen, dass sich führliche Manuksripte zur Verfügung ge- unsere Welt verändert und dass die Medi- stellt haben. Die Beiträge sind daher sehr en und andere Hamburger Einrichtungen viel informativer als die Zusammenfas- Liebe Vereinsmitglieder, liebe Leser! für Naturinteressierte spannende Informa- sungen, die wir sonst zumeist bekommen. tionen anbieten, die inhaltlich und zeitlich Den Artikel über Bodenökologie und – Heft 14 unserer Zeitschrift NATUR und häufig mit unseren Veranstaltungen kon- schutz möchten wir besonders herausstel- WISSEN erscheint im 180. Jahr des Be- kurrieren. len, in dem wir eines seiner Fotos als Titel- stehens unseres Vereins. Auf dem kleinen Wir müssen uns die Frage vorlegen, foto der Zeitschrift verwenden und damit Empfang am 12. Dezember haben wir ob unsere Angebote für unsere Mitglieder auf die allgemeine Wichtigkeit dieses The- mit Mitgliedern und Gästen dieses Jubi- und die Werbung neuer Mitglieder heute mas hinweisen. läums gefeiert und die langjährige erfolg- noch attraktiv genug sind und ob es Mög- reiche Arbeit des Vereins gewürdigt. Dass lichkeiten der Optimierung gibt? Der Vor- Für die erfolgreiche und wichtige Vor- wir uns hierfür in der Schausammlung des stand wird sich dieser Frage besonders an- tragsreihe des vergangenen Jahres: „Nach- Zoologischen Museums treffen konnten, nehmen, aber ich bitte auch die Mitglieder haltige und umweltschonende Nutzung verweist auf eine der ersten und wichtigs- sehr eindringlich, sich an dieser Diskussi- des Lebensraums Meer“ können wir Ih- ten Aktvitäten des 1837 gegründeten Ver- on zu beteiligen! nen leider nur kurze Vortragszusammen- eins, nämlich auf seine geduldigen und am fassungen bieten, da unsere seinerzeitigen Ende erfolgreichen Bemühungen um die Bitte schreiben Sie oder anderen Referenten aus verschiedenen Gründen Schaffung eines Hamburger Naturhistori- Vorstandmitgliedern, wo Sie Verbesse- nicht in der Lage waren, uns hinreichend schen Museums. rungsbedarf bzw. Verbesserungsmöglich- ausführliche Texte zu schicken. keiten sehen – in den Vortragsveranstal- Das diesjährige Jubiläum findet kurz tungen, den Arbeitsgruppen, den Publi- Die Berichte aus dem Verein und den nach Gründung des Centrums für Natur- kationen und Exkursionen; sei es, dass Sie Arbeitsgruppen beginnen mit einer aus- kunde und wiederholten Bekenntnissen inhaltliche/thematische oder formale An- führlichen Beschreibung der Schottland- der Universität zur Neugründung eines regungen und Wünsche haben, Ihre Dis- Exkursion der Geologischen Artbeitsgrup- großen Naturkundemuseums statt. Der kussionsbeiträge sind hoch willkommen pe, und es folgen die auf unseren Bitten Verein und seine Mitglieder sehen diese und wichtig! hin ein wenig ausführlicheren Berichte aus Entwicklung mit Freude und werden sie den einzelnen Arbeitsgruppen. Zwischen nach Kräften unterstützen und fördern! Das aktuelle Heft bringt Ihnen in ge- dem Bericht des Vorstandes und dem Pro- wohnter Weise auf den ersten Seiten un- tokoll der Mitgliederversammlung des 180 Jahre Naturwissenschaftlicher Ver- seren Sommerausflug in Erinnerung. Und laufenden Jahres finden Sie Hinweise auf ein in Hamburg heißt entsprechend unse- ergänzend dazu gibt es einen fachkundi- den Tod unserer Mitglieder Prof. Dr. Ot- ren Satzungszielen 180 Jahre lang Förde- gen Beitrag über das Deutsche Erdölmu- to Kraus und Prof. Dr. Klaus Wächtler in rung naturwissenschaftlichen Wissens in seum in Wietze. Die nachfolgenden Seiten Form kurzer Erinnerungen an ihre ver- unserer Stadt, erstaunlicherweise mit nur sind den Vorträgen von Januar bis März dienstvolle Arbeit für unseren Verein. wenigen Unterbrechungen! Wir sind über- 2017 gewidmet (Bodenökologie, Lebens- zeugt, dass die vielfältigen Tätigkeiten des mittelalgen, Insekten und Pflanzen, Wölfe Ich wünsche Ihnen ein besinnliches Vereins nach wie vor für die Erreichung in Deutschland, Evolution von Heuschre- Weihnachtsfest und ein gesundes, erfolg- dieses Ziels von zentraler Bedeutung und cken, Nordseeöl). Wir sind allen Autoren reiches und friedvolles Neues Jahr, unverzichtbar sind. Aber wir dürfen die besonders dankbar, dass sie uns sehr aus- Ihr Harald Schliemann 1 Sommerausflug 2017

Harald Schliemann Sommerausflug unseres Vereins nach Wietze und Wienhausen

Für den diesjährigen Sommerausflug unseres Vereins hatten wir das Deutsche Erdölmuseum in Wietze sowie als Nachmittagsprogramm das Heidekloster Wienhausen als unsere Ziele ausge- sucht. Wie auch in den vergangenen Jahren hatte das Programm wieder zahlreiche Vereinsmitglie- der bewogen, an dem Ausflug teilzunehmen, so- dass wir inklusive einiger Gäste auf etwa 50 Per- sonen kamen. Wie gewohnt starteten wir um 8.00 Uhr in der Bundesstraße am Zoologischen Museum und legten die Fahrt mit einem Bus „unserer“ Firma Lampe aus Itzehoe zurück. Das Erdölmuseum er- reichten wir um 10 Uhr, sodass wir reichlich zwei Stunden Zeit für die Führungen im Freigelände und in der Museumshalle hatten. Für die Füh- rungen teilten wir uns in zwei Gruppen, von de- nen eine unser Mitglied Dipl.-Geol. Helge Kreutz Kloster Wienhausen mit Brautpaar Foto: U. Sellenschlo übernahm. Herr Kreutz hatte bereits im Mai die- ses Jahres bei uns einen Erdölvortrag gehalten und dann angeboten, auch die Führung in Wietze zu übernehmen. Herr Kreutz hat eine Jahrzehnte lange Er­fahrung als Erdölingenieur, sodass wir durch seinen Vor- trag schon auf das Thema „Erdöl“ gut vorberei- tet waren und nun in Wietze von seinen Erfah- rungen und seinem umfangreichen Wissen aus erster Hand profitieren konnten. Dankenswer- terweise hat Herr Kreutz für uns auch eine kur- ze Zusammenfassung über das Deutsche Erdöl- museum, seine Geschichte und seine Austellun-

Nonnenchor Foto: U. Sellenschlo

Innenhof des Klosters Foto: P. Stiewe Stifterin Agnes von Landsberg Foto: U. Sellenschlo

2 gen geschrieben, die Sie hier im Anschluss sehnlichen, modernen Gasthof umgestal- Helge Kreutz an meine Zeilen lesen können. tet worden war, dem „Lüßmann’s Hof“. Das Deutsche Erdölmuseum Wir waren von den vielen industriege- Dort konnte man übrigens erfahren, dass Wietze schichtlichen Informationen des Erdöl- die umliegenden Bauernhöfe des Orts- museums beeindruckt; ich hatte das Ge- kerns alle ihre traditionelle Wirtschaft auf- Das 1970 eröffnete Deutsche Erdölmu- fühl, dass zumindest die geowissenschaft- gegeben und sich der Energiewirtschaft seum steht an historischer Stelle: Es um- lich nicht „Vorbelasteten“ Gelegenheit zugewandt haben. Wir hatten unsere Ge- schließt einen kleinen Teil des ehemals be- hatten,­ eine Menge zu lernen. Die Schil- richte vorbestellt und trafen gesättigt und deutendsten deutschen Erdölfeldes von derungen der Lebensumstände der seiner- zufrieden nach wiederum kurzer Busfahrt Wietze-Steinförde. Zwischen 1858 und zeitigen Arbeiter in Wietze waren ein be- um 15 Uhr im Kloster Wienhausen ein. 1963 wurden hier um die 2000 Erdölboh- sonderes Thema, an das man lange nach Das Kloster Wienhausen, eine Gründung rungen abgeteuft und eines der äußerst dem Besuch dort noch denken musste. der Celler Herzogin Agnes von Landsberg seltenen Ölbergwerke errichtet. Nach Ein kurze Fahrt brachte uns von Wiet- (Schwiegertochter Heinrichs des Löwen) der Einstellung der Produktion und dem ze nach Hambüren, wo wir in dem noch ist sicher eines der schönsten Heideklös- Rückbau des Feldes blieben vier der wich- erhaltenen alten, sehr schönen Ortskern ter. Der eindrucksvolle Stufengiebel des tigsten Bohrungen mitsamt der Förderan- zu Mittag aßen, und zwar in einem alten Nonnenchors macht schon deutlich, dass lagen erhalten und standen somit dem zu- Bauernhof, der vollständig zu einem an- das Kloster einst über beachtliche Mittel künftigen Museum zur Verfügung. verfügt haben muss. Mit einem Kombi- Diese Bohrungen auf der sogenannten nationsticket ausgerüstet, konnten wir in Teufelsinsel waren 1905 die ersten erup- zwei Führungen nicht nur die Klosterräu- tiv fördernden Bohrungen in Deutschland me und ihre Schätze kennenlernen, son- und sorgten maßgeblich für den schnel- dern auch die berühmten gotischen Bild- len Ausbau des Feldes zum größten Pro- stickereien bewundern. Gern hätten viele duzenten im Lande: vor der landesweiten von uns im Kloster noch ein wenig mehr Erdölsuche mit neu entwickelten geophy- Zeit zugebracht. sikalischen Methoden (ab 1934) liefer- Aber wir wollten den Tag noch gemein- te das Feld Wietze kumulativ 1,7 Millio- sam bei Kaffee und Kuchen in dem klei- nen Tonnen der deutschen Gesamtölför- nen Lokal aus­klingen lassen, und zwar in derung von 2,5 Millionen Tonnen, bis zur der „Café und Weinstube am Kloster“, un- Produktionseinstellung im Jahre 1963 ka- mittelbar am Kloster gelegen. Dort aller- men noch eine weitere Million Tonnen dings ging es trotz sorgfältiger Vorbestel- Erdöl dazu. lung ein wenig chaotisch zu, was uns aller- dings nicht die gute Stimmung verderben Feldentdeckung konnte. Wir starteten die Rückfahrt um Bereits im 17. Jahrhundert waren in den 18 Uhr und trafen zu vorgesehener Zeit Wietzer Teerkuhlen natürliche Ausflüs- (20 Uhr) wohlbehalten wieder in Ham- se von Erdöl bekannt. Der Teer wurde ab- Erdölmuseum Wietze Foto: P. Stiewe burg ein. geschöpft und als Heilmittel, Schmier- stoff oder Straßenbelag verwendet und bis nach Hamburg exportiert. Nach dem großen Brand von 1842, bei dem der mit Wietzer Teer versiegelte Jungfernstieg be- sonders gut brannte, versiegte die letzte- re Einnahmequelle. Die Teerkuhlen ver- anlassten 1858 den Oberbergamtmann Hunäus zu einer Suchbohrung auf Koh- le. Zu seiner Enttäuschung fand er jedoch lediglich Schweröl. Durch einen glückli- chen Zufall erhöhte sich der Marktwert dieses Rohstoffes in kurzer Zeit: ein ka- nadischer Ingenieur erhielt 1855 das Pa- tent zur Destillation von Petroleum aus Schweröl; dieses ersetzte schnell das bisher gebräuchliche Walöl als Leuchtstoffquelle. So kamen in Wietze mehrere Bohrungen auf zähflüssiges Schweröl hinzu; der ei- gentliche Durchbruch des Feldes begann aber 1905 mit der Entdeckung von leich- terem Öl in tieferen Lagerstätten durch die Bohrungen der Teufelsinsel, die heu- Verschiedene Bohrköpfe Foto: U. Sellenschlo te noch zu sehen sind. 3 Technik der Erdölsuche links: Deutsche Ölförderung bis 1932: die jährliche Gesamt- Die geophysikalische Suche nach im förderung in Deutschland und die Förderung des Feldes Untergrund verborgenen Strukturen Wietze-Steinförde begann um 1920 und ist heute eines der wichtigsten Hilfsmittel der Erdöl- suche. Auf dem Museumsgelände sind geophysikalische Instrumente aus al- len Generationen ausgestellt, von frü- hen gravimetrischen Messgeräten zur Suche nach Salzstöcken über Gene- rationen von seismischer Ausrüstung bis hin zum Vibratorfahrzeug der Fir- ma Prakla aus dem Jahr 1983. Auch die 1927 eingeführte Technik der elektri- schen Bohrlochmessung kommt nicht zu kurz. Teufelsinsel: das Bild zeigt eine der eruptiven Bohrungen von 1905 und Anlagen zur Wasserabscheidung und Transporttechnik aus dem frühen 20. Jahrhundert Bohrtechnik Im und um das Erdölmuseum sind vollständige Geräte oder Modelle der verschiedensten Bohrverfahren zu se- hen. Beginnend mit dem von Hunäus angewandten Seilschlagverfahren über das bei Wietzer Bohrungen lange an- gewandte Raky-Schnellschlagbohren bis hin zum modernen Drehbohrver- fahren und der Richtbohrtechnik sind . die Fortschritte der letzten 150 Jahre gut zu sehen.

Fördertechnik Bergwerk: Der Nachbau eines Ölstollens mit Schutzgerä- Wietze war für lange Zeit das deut- ten der 60er Jahre sche Versuchsfeld für Fördertechnik. Hier wurde im Jahre 1920 nicht nur der erste Ölschacht niedergebracht, sondern auch in den späten 50er und Bohrturm 1881: ein Bohr- und Förderturm frühen 60er Jahren die thermische Ge- System Mohr-3 aus dem Jahr 1881 winnung des Öls durch Heißwasser- fluten und in-situ Verbrennung stu- diert. Ein Höhepunkt der Ausstellung ist ein Nachbau eines alten Ölstollens des Wietzer Bergwerks. Pferdeköpfe und Pumpenantriebe aus verschiede- nen Generationen befinden sich teils noch in betriebsfähigem Zustand und werden für die Besucher in Gang ge- setzt.

Aufbereitung und Transport Im Freigelände des Museums sind Wasserabscheider, ein Öltank, beweg- bare Testausrüstungen, Transportpum- pen und Geräte zur Reinigung und Kontrolle von Pipelines zu sehen.

Raffinerietechnik und Petrochemie Das Museum verfügt sowohl über Bohrmast: Das Wahrzeichen des Museums; ein 54 Meter ein Modell einer Raffinerie als auch hoher Bohrturm aus dem Jahre 1961. Im Vordergrund: über eine Ausstellung von Erdölpro- Feldantrieb: Dieser Abschnitt des Pumpen- Messfahrzeug für Bohrlochmessungen aus dem Jahr dukten. antriebs belegt das hohe Alter der Anlage 1955 4 Allgemeine Veranstaltungen: Vorträge

Vortrag vom 19. Januar 2017 Günter Miehlich Die 2000 Quadratmeter, von denen wir leben (sollten)

Kaum jemand in Mitteleuro- sondern die Verbesserung der Hu- pa macht sich Gedanken, wie- muswirtschaft, erosionsverhindern- viel Ackerland jedem Menschen de Anbausysteme und der Einsatz auf der Erde zur Verfügung steht, stickstoffsammelnder Pflanzen. schon gar nicht, wie groß die Flä- Der Kampf um guten Ackerboden che ist, die er selbst im Inland wird weltweit mit harten Bandagen und vor allem im Ausland für geführt (Heinrich Böll Stiftung u.a. Nahrung, Kleidung, Sprit etc. ge- 2015). Auswärtige Staaten, Kon- braucht. Dabei werden bei stei- zerne und private Investoren ver- gender Weltbevölkerung Böden suchen vor allem in Afrika und in in großem Umfang geschädigt Osteuropa Land zu kaufen oder oder gehen verloren. Der Schutz langfristig zu pachten (Landgrab- von Böden ist daher eine Forde- bing). Derzeit wird über 10 – 30 % rung an die Politik, die weder na- der Ackerfläche verhandelt. tional noch international ausrei- chend beachtet wird. Es gibt aber Böden können mehr als Kartof- Möglichkeiten, selbst etwas für feln wachsen lassen den Boden und seinen Schutz zu Neben der Fähigkeit, Lebensmit- tun. tel und andere wichtige Produkte für den Menschen zu produzieren Boden sorgt für unser täglich Abb. 1: Die Wunderwelt der Bodenorganismen (Bild Günter Miehlich) (z.B. Papier, Fasern), haben Böden Brot, aber nicht genug für alle viele weitere Funktionen, die hier Verwöhnt von Klima und Bö- Nutzung für Ackerland und permanente kurz angesprochen werden. den überschätzen wir Mitteleuropäer Weiden. Böden sind Lebensraum: Im Boden die Fläche, die weltweit für den Acker- Die Weltbodenkarte (USDA 2005) lebt eine unüberschaubare Zahl von Tie- bau geeignet ist. Gliedert man die Bö- zeigt, dass die Böden nicht gleichmäßig ren, Pflanzen, Pilzen, und Bakterien (Abb. den der Erde nach Ertragsfähigkeit und über die Erde verteilt sind. Besonders un- 1), deren Gesamtmasse oft größer ist, als Widerstandsfähigkeit gegen Bodendegra- günstig sind die Bodenverhältnisse rund die Biomasse oberhalb des Bodens. Ihre dation (USDA 1998, Blum 2014) blei- um den Äquator. Das hängt vor allem mit wichtigste Leistung ist die Zersetzung der ben nur ca. 12 % der eisfreien Fläche, die den geringen Gehalten an Pflanzennähr- jährlich absterbenden Pflanzen- und Tier- gut für Ackerbau geeignet sind. Von die- stoffen und Humus vieler Tropenböden reste. In einem mitteleuropäischen Laub- sen 12 % müssen derzeit ca. 7,5 Milli- zusammen, die zwar ausreichen, um einen wald fallen jährlich etwa 12 Tonnen Streu arden Menschen ernährt werden. Teilt Regenwald mit extrem hoher Biodiversi- (Blätter, Zweige, Wurzeln, Kadaver) an, man diese Fläche durch die Weltbevölke- tät zu tragen (bzw. diesen bedingen), die die von einer Nahrungskette der Boden- rung, stehen jedem Menschen 2.200 m² aber entwaldet nur mit großem Aufwand organismen zerlegt und zum größten Teil zur Verfügung. Natürlich könnte man ei- an Dünger kultiviert werden können. So unter Energiegewinn in CO2 und Was- nen Teil der Waldfläche (ca. 31 %) oder wundert es nicht, dass von den ca. 800 ser umgewandelt wird. Aus einem Teil der des Weidelands (ca. 24 %) in Ackerland Millionen chronisch unterernährten Men- Zersetzungsprodukte entstehen die für umwandeln, aber Wald und Weide stel- schen die meisten in Afrika, Indien, Ban- den Boden wichtigen Huminstoffe, or- len eine unverzichtbare Ressource für die gladesch, Indonesien, Laos und Kambod- ganische Makromoleküle, die den Ober- Biodiversität dar. Grasländer werden be- scha leben (Welthungerhilfe 2016). boden dunkel färben. Stellen Sie sich bit- weidet, Wälder liefern Holz und viele an- Armut führt in vielen Ländern in die te kurz vor, es gäbe keine Streuzersetzung. dere Produkte. Vor allem: Beide verhin- Abwärtsspirale der Ernteerträge. Unzurei­ Wir würden im Wald auf einem viele Me- dern Erosion und haben großen Einfluss chende Investitionen in Böden führen zu ter hohen Teppich aus Blättern wandern, auf das Klima. Tatsächlich ist aber der Pro- abnehmenden Erträgen, die in weiter ab- ganz abgesehen davon, dass der Kohlen- zess der Umwandlung in Ackerland in vol- sinkende bodenerhaltende Maßnahmen stoffkreislauf weltweit zusammenbrechen lem Gang. Der International Resource Pa- münden, was wiederum die Ernteerträ- würde. Der Boden ist die größte Recyc- nel der UNEP (UNEP 2014) sagt voraus, ge schmälert, bis das Land schließlich auf- lingmaschine der Welt. dass dieser Prozess ab 2020 zu unakzep- gegeben werden muss. Die Folgen sind Böden regulieren den Wasserhaushalt: tablen Zuständen führen wird. Bezogen Landflucht, kriegerische Auseinanderset- Zumindest wenn sie von Vegetation be- auf die heutige Bevölkerungszahl, hält das zungen und Migration. Die Lösung für deckt sind, „schlucken“ Böden auch Stark­ Gremium eine Fläche von 2.000 m² pro Kleinbauern ist nicht eine Erhöhung der regenereignisse. Im Boden füllen die Nie- Person für eine akzeptable Obergrenze der oft subventionierten Mineraldüngergabe, derschläge den Vorrat für die Pflanzen auf, 5 in größeren Poren fließt das Wasser ins rung und eines Speichers übernimmt, der deneinheiten mit unterschiedlichen Ei- Grundwasser. Die Pflanzen entnehmen im verhindert, dass zu viele Stoffe ins Grund- genschaften. Die Vielfalt ihrer Eigen- Boden gespeichertes Wasser und verduns- wasser versickern. Durch Düngung rei- schaften fördert die Artenvielfalt, weil sich ten es. Wenn der Vorrat groß ist, können chert der Mensch Pflanzennährstoffe im Pflanzen und Tiere an die unterschiedli- sie so mehrere Wochen anhaltende Tro- Boden an. Bei einem Übermaß überlastet chen Angebote an Wasser, Luft, Nährstof- ckenphasen überbrücken. Böden über- er die Speicherfunktion des Bodens, und fen, Verankerung, Wohnraum und Schutz nehmen also die Funktion eines Speichers vor allem das gesundheitsschädliche Ni­trat vor Feinden, Frost, Hitze oder Austrock- und einer Verteilerstelle. Stellen wir uns gelangt ins Grundwasser. nung angepasst haben. auch hier vor, Böden könnten keine Nie- Verbreitet hat der Mensch Böden mit Böden erzählen Geschichten: Böden derschläge aufnehmen. Es käme zu ver- Schadstoffen (Metallverbindungen, orga- haben meist eine mehrere tausend Jah- heerenden Hochwässern und es gäbe kein nische Schadstoffe) belastet. Je nach Bo- re andauernde Geschichte, die vielfälti- Grundwasser, unser wichtigstes Trinkwas- deneigenschaften speichern sie einen un- ge Spuren hinterlassen hat. Böden werden serreservoir. terschiedlichen Teil dieser Stoffe. Organi- dadurch zu Archiven der Natur- und Kul- Böden sorgen in Siedlungen für ein sche Verbindungen können teilweise auch turgeschichte. In einigen sind Eigenschaf- angenehmes Klima: Bei der Verdunstung umgewandelt oder abgebaut werden. Lei- ten erhalten, die vor vielen Jahrtausenden, von Wasser entsteht Verdunstungskäl- der ist der Boden kein sicherer Aufbewah- in seltenen Fällen vor Jahrmillionen ent- te, welche die umgebende Luft abkühlt. rungsort, sondern gibt die meisten Schad- standen sind und Auskunft über die Um- In dicht besiedelten Gebieten sind unbe- stoffe in unterschiedlichen Mengen über weltbedingungen ihrer Entstehungszeit baute Flächen selten, deshalb kann es im sehr lange Zeit wieder an die Bodenlösung geben. Sie werden so zu Archiven der Na- Sommer sehr heiß werden. Auf der Ber- ab, von wo sie entweder von Pflanzen auf- turgeschichte. Andere enthalten Spuren liner Klimazonenkarte (Umweltatlas Ber- genommen werden oder ins Grundwasser längst aufgegebener Siedlungen oder his- lin 2016) beispielsweise sind weitgehend versickern. torischer Bearbeitungstechniken von Bö- unbebaute Flächen wie der Tiergarten und Böden geben Halt: Pflanzen müssen den und werden so zu Archiven der Kul- das Tempelhofer Feld unschwer als kühle- möglichst viel Blattmasse ans Licht brin- turgeschichte. re Gegenden auszumachen. gen, um aus Lichtenergie, Kohlendioxid Böden regulieren den Stoffhaushalt: und Wasser Zucker, den Grundstoff für Die Welt verliert fruchtbaren Boden Pflanzen brauchen zum Gedeihen eine Pflanze, Tier und Mensch, herstellen zu Böden sind von Bodendegradation be- Reihe von Stoffen, die sie aus dem Boden können. Dazu haben sie gewagte Kon- droht, worunter man die Zerstörung oder beziehen (v.a. Stickstoff, Phosphor, Kali- struktionen entwickelt (Getreidehalme, dauerhafte und erhebliche Störung von um, Calcium, Magnesium, Schwefel und Bäume), für die sie auf eine sichere Ver- Bodenfunktionen versteht. Die wich- Mikronährelemente). Bis auf den Stick- ankerung ihrer Wurzeln im Boden ange- tigsten Formen der Bodendegradation stoff, der durch mikrobielle Prozesse aus wiesen sind. Getreidepflanzen entwickeln sind Bodenerosion, Mangel oder Über- der Bodenluft in Pflanzen gebunden wird, ein 80 cm tiefes Wurzelgeflecht und bei schuss an Pflanzennährstoffen, Versal- stammen die übrigen ursprünglich aus der Bäumen reicht das Wurzelsystem seitlich zung, Kontamination mit Schadstoffen, Verwitterung von Mineralen. Mit der Zeit oft so weit wie das Kronendach und meist Überbauung, Verdichtung und Entnah- hat sich ein Nährstoffkreislauf »Boden- mehrere Meter tief. Nur sehr starke Stür- me von Rohstoffen. Auch der Klimawan- Pflanze« eingespielt (Abb. 2), in dem der me bringen Bäume zu Fall. del hat Einfluss auf die Bodenfruchtbar- Boden die Funktionen einer langsam flie- Böden fördern die Biodiversität: Es keit. Es wird geschätzt, dass weltweit 30 % ßenden Nährstoffquelle durch Verwitte- gibt auf der Erde mehrere Hundert Bo- der globalen Landfläche von Bodendegra-

Abb. 2: Nährstoffkreislauf Boden – Pflanze (Bild Abb. 3: Bodenerosion am Westhang des Pico de Orizaba (Bild links Gerd Werner, Mitte und rechts Günter Miehlich). Günter Miehlich). 6 dation betroffen ist und der Verlust durch an Gülle aus der Tierproduktion auf Fel- Tag für Siedlung, Wirtschaft und Verkehr Bodendegradation jährlich 300 Milliarden dern untergebracht werden muss. Derzeit neu zu verwenden, ist noch lange nicht er- US$ beträgt (Nkonya u.a. 2016). gibt es eine Grundwasserbelastung vor al- reicht. Die Versiegelung der Innenstädte Bodenerosion: Die flächenhaft bedeu- lem in Gebieten mit durchlässigen Bö- überschreitet oft 90 %. In den Außenbe- tendste und gravierendste Degradation den. Da Böden das Nitrat kaum speichern zirken ist es Trend, große Hofflächen zu ist der Bodenabtrag durch Wasser und können, ist es nur eine Frage der Zeit, bis pflastern und in Gärten große Terrassen Wind. Ein besonders erschreckendes Bei- auch in weniger durchlässigen Böden die oder Steinbeete anzulegen. spiel stammt aus Mexiko (Abb. 3). Als Grenzwerte überschritten sind. Trotzdem Bodenverdichtung: Die Verdichtung staatlich geförderte Maßnahme wurde am verzögert die Bundesregierung seit Jahr- der Böden durch schwere Maschinen in Westhang des Pico de Orizaba in ca. 3.300 zehnten die Novellierung des Düngegeset- der Landwirtschaft, im Forst oder beim m Meereshöhe Wald gerodet, um Kartof- zes und der Düngeverordnung. Sie wurde Bau ist ein weiteres Problem der Boden- feln anzubauen. Ein Jahr nach der Ro- deshalb von der EU-Kommission verklagt. degradation. Insbesondere die Pflugsohle dung hat ein Starkregen eine tiefe Rinne Versalzung: In semiariden und ariden in Böden aus Löss schränkt in der Land- mitten in das Feld gerissen, die vier Jahre Gebieten ist die Versalzung von Böden wirtschaft die Ertragsfähigkeit ein und ist später schon etwa 20 und 17 Jahre später durch unsachgemäße Bewässerung (salz- nur mit großem Aufwand wieder zu besei- rund 50 Meter tief war. Der Kartoffelan- haltiges Bewässerungswasser, ansteigen- tigen. Der Umgang mit Böden auf Bau- bau war längst eingestellt, nicht nur wegen des versalztes Grundwasser, ungeeignetes stellen ist oft barbarisch. der Erosion, sondern auch weil die Kar- Drainagesystem) ein großes Problem. Zu- Klimawandel: Wenn die Prognosen toffelnematode den Anbau in Monokultur sätzlich kann die Entnahme von Bewässe- der Klimaforscher stimmen, wird es ins- unrentabel machte. Die Bilder zeigen nur rungswasser zu versalzten Böden führen. gesamt wärmer und südlich des 45. Brei- eine Seite des Problems: Am Unterhang Der aus diesem Grund fast ausgetrockne- tengrades deutlich trockener, mit erhebli- wurde Ackerland unter Erosionsmaterial te Aralsee hinterließ eine riesige Salzwüs- chen Auswirkungen auf die Ertragsfähig- begraben. In anderen Fällen verschüttet es te. Wenn Sie dies für ein abseitiges Thema keit der Böden. Dabei gibt es Verlierer im Stauseen. Hätte man einen Bodenkundler halten, bedenken Sie bitte, dass die Baum- Süden und Gewinner im äußersten Nor- vorher gefragt, hätte er sicher darauf hin- wolle Ihres T-Shirts wahrscheinlich von den, die von der Erwärmung profitieren. gewiesen, dass die jungen Vulkanasche- bewässertem Boden stammt. Insgesamt wird eine erhebliche Einbuße böden unter ihrer natürlichen Vegetati- Kontamination: Die achtlose Kontami­ an Ernteertrag befürchtet. on völlig stabil sind, nach Entwaldung nation von Böden durch Schadstoffe war aber extrem erosionsgefährdet sind. Das bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhun- Wir gebrauchen zu viel Land: Wie spektakuläre Beispiel darf nicht darüber derts in den Industrieländern gängige Pra- oben gezeigt, stehen jedem Menschen der hinwegtäuschen, dass Bodenerosion oft xis. Allein im kleinen Stadtstaat Hamburg Erde etwa 2.000 m² Ackerland zur Verfü- schleichend, aber auf Dauer mit gravieren- mussten bislang ca. 5.000 Altlastenver- gung. Wie verwenden wir die landwirt- den Folgen verläuft, auch in Deutschland. dachtsflächen untersucht und knapp 500 schaftlich genutzte Fläche Deutschlands, Bei einem Bodenabtrag von 8 Tonnen pro mit einem Aufwand von 600 Millionen die 47 % der Gesamtfläche beträgt? Nur Hektar und Jahr, wie er in Deutschland Euro saniert werden. In Bergbauregionen, ca. 25 % der landwirtschaftlich genutz- nicht selten ist, gehen in 600 Jahren ca. 50 in der Umgebung von Metallhütten und ten Fläche Deutschlands wird für die Pro- Zentimeter Oberboden verloren. der metallverarbeitenden Indus­trie sowie duktion von Nahrungsmitteln eingesetzt. Nährstoffverlust, Überdüngung: Welt- in Auenböden gibt es flächig mit Metal- Das entspricht 500 m² pro Person. Rund weit ist der Mangel an Pflanzennährstof- len belastete Böden. Pestizide belasten 60 % der landwirtschaftlichen Fläche wird fen sehr viel häufiger als Überdüngung, landwirtschaftlich genutzte Böden. Aber für die Produktion von Futtermitteln ver- beides hat jedoch gravierende Auswirkun- auch außerhalb der Industriestaaten ist wendet (1.200 m² pro Person) und auf 15 gen. Während in den Industrieländern die Kontamination von Böden verbreitet % der landwirtschaftlich genutzten Fläche zwischen 2005 und 2007 ca. 145 kg Dün- (z.B. mit Quecksilber durch die Goldge- (300 m² pro Person) werden nachwach- ger pro Hektar und Jahr aufgewendet wur- winnung entlang der den, sind es in Afrika südlich der Sahara Flüsse Brasiliens). knapp 10 kg, also 7 % (Heinrich Böll Stif- Versiegelung: Ob- tung u.a. 2015). Die Nährstoffarmut von wohl in Deutsch- Böden löst die oben geschilderte Armuts- land die zusätzliche spirale mit Folgen aus, die über Flücht- Nutzung von Bo- lingsströme auch uns direkt betreffen. den für Siedlungen, Die Überdüngung von Böden mit Nit- Indus­trie und Ver- rat führt in Deutschland zu einer erhebli- kehr seit den 90er chen Grundwasserbelastung. Derzeit wird Jahren von ca. 130 der Grenzwert von 50 mg NO3- / l an 28 ha auf 73 ha pro Tag % der Grundwassermessstellen überschrit- zurückgegangen ist, ten. Ursachen sind vor allem die Überdün- bleibt der Flächen- gung in Gebieten, in denen auf großen verbrauch ein gravie- Anteilen der landwirtschaftlich genutzten rendes Problem. Das Flächen Mais für die Energieerzeugung politische Ziel, nur angebaut wird oder ein großer Überschuss noch 30 Hektar pro Abb. 4: Bodenfußabdruck in Deutschland (Bild Günter Miehlich). 7 sende Rohstoffe angebaut (Daten berech- Verteilungsproblem; nicht nur der Nah- die Produktion von Tierfutter zurück. net nach BMEL 2014). Für Wohnung, rungsmittel, sondern auch der Chancen Nach den Empfehlungen der Deutschen Freiflächen, Verkehr und Erholung be- für deren Produktion. Neben der Förde- Gesellschaft für Ernährung sollte der wö- nutzt jeder Bewohner Deutschlands 600 rung von Landnutzungssystemen, die an chentliche Fleischverzehr bei 300 bis 600 m². Insgesamt beträgt der Boden-Fußab- die physischen und sozialen Bedingun- Gramm liegen. Tatsächlich nehmen wir druck 3.500 m² pro Person (Abb. 4). gen der vom Hunger betroffenen Länder im Mittel 1.700 Gramm zu uns, was be- Bezieht man allerdings alle flächenver- angepasst sind, müssen eine Reihe weite- deutet, dass fast jeder von uns seinen brauchenden Güter und Leistungen mit rer mit der Hungerkrise zusammenhän- Fleischkonsum deutlich reduzieren soll- ein (z. B. im Ausland produzierte Futter- gender Probleme gelöst werden (z.B. der te. Das würde nicht nur im Inland, son- mittel, Wolle, Baumwolle, Palmöl, Leder, von Monopolen unabhängige Zugang zu dern vor allem im Ausland den Gebrauch Papier, Metalle, Urlaub, Abfallentsorgung, Saatgut, gesicherte Besitz- oder Pachtrech- von Land einsparen. Wenn es gelänge, den Abwasserreinigung), gebraucht der durch- te der Landwirte, Gleichberechtigung zwi- Fleischverzehr der Industrieländer zu hal- schnittliche Deutsche ca. 12.000 m², also schen Mann und Frau, Eingrenzung des bieren, das Übergewicht abzuschmelzen sechs Mal so viel, wie dem Weltbürger zu- Bevölkerungswachstums, Bekämpfung und den Verlust zwischen Ernte und Ver- steht. Davon liegen ca.75 % im Ausland ­von Korruption, Landraub, Spekulation zehr zu halbieren, könnten jetzt schon 4 – (Lugschitz u.a. 2011). Ein Schwerpunkt mit Nahrungsmitteln und Saatgut, Abbau 7 Milliarden Menschen mehr ernährt wer- ist der Import von Soja für die deutsche von Zollschranken und Zugang zu Bil- den. Futtermittelproduktion aus den USA und dung). Obwohl aktuell von ähnlicher Be- Landwirtschaftlich genutzte Böden Südamerika, zu deren Produktion eine deutung, gehört die Bodenkrise, im Ge- bodenschonend bewirtschaften: Die ak- Fläche von ca. 7,2 Millionen Hektar erfor- gensatz zum Klimawandel, nicht zu den tuelle Landwirtschaftspolitik Deutsch- derlich ist. Das entspricht 43 % der land- wichtigen Themen der globalen politi- lands ist nicht nachhaltig. Statt eine res- wirtschaftlich genutzten Fläche Deutsch- schen Agenda. Auch in der UNO-Agenda sourcen- und damit bodenschonen- lands. Weil die Flächen in Südamerika 2030, die 17 Ziele nachhaltiger Entwick- de Wirtschaftsweise zu fördern, setzt sie durch Rodung von Wald oder durch ra- lung formuliert, wird das Bodenproblem auf Höchsterträge, deren Überschüsse an biate Übernahme von kleinbäuerlich be- meist nur indirekt angesprochen. Es gibt Milch und Fleisch exportiert werden (der- wirtschaftetem Land gewonnen werden, sogar Rückschritte. So hat die EU-Kom- zeit wird ca. 40 % der Milch- und Fleisch- spricht Martin Häusling, Abgeordneter mission 2014 die aufwändig erarbeiteten produktion exportiert, die Gülle bleibt im der Grünen im EU-Parlament von „Land- Richtlinienvorschläge für eine EU-Boden- Land). Landwirte sollen Vorsorge gegen grabbing mit Messer und Gabel“. rahmenrichtlinie zurückgezogen. Sicher, das Entstehen schädlicher Bodenverände- das sind Probleme globaler Politik. Das rungen durch die Einhaltung der „Grund- Was ist zu tun? ist aber kein Grund, sich nicht persön- sätze der guten fachlichen Praxis“ nach § Den Blick erweitern: Nicht nur aus lich über Abgeordnete und Verbände für 17 des Bundes-Bodenschutzgesetzes erfül- ethischen Gründen, sondern auch um die die stärkere Beachtung des Bodenschutzes len. Inwieweit der einzelne Landwirt diese Flüchtlingsproblematik akzeptabel zu ge- einzusetzen oder geeignete Institutionen Regeln auf seinen Ackerflächen beachtet, stalten, müssen wir uns in einer globali- finanziell zu unterstützen. ist schwer zu beurteilen. Sie nicht zu be- sierten Welt mit weltweiten Strömen von Lebensmittelverschwendung vermei- achten, hat keine negativen Folgen, denn Gütern und Menschen um die Über- den: Etwa ein Drittel der in Deutschland rechtlich gesehen gehören die Regeln zum windung der Ernährungskrise kümmern produzierten Lebensmittel wird wegge- Vorsorgebereich, bei Verstößen drohen al- (Abb. 5). Die Hungerkrise der Welt ist worfen. Das entspricht etwa 18 Millionen so keine Strafen. derzeit nach übereinstimmender Meinung Tonnen, wovon ca. 10 Millionen Tonnen Positiv wirkt sich die steigende Anwen- kein Produktionsproblem, sondern ein vermeidbar sind. Für die vermeidbaren dung der „konservierenden Bodenbearbei- Anteile wird eine Anbau- tung“ aus (v.a. Verzicht auf Pflügen und fläche von ca. 2,6 Milli- Belassen der Ernterückstände), durch die onen Hektar verwendet, der Humusgehalt steigt und sich der Re- was ca. 15 % der land- genwurmbesatz erhöht, was positive Aus- wirtschaftlich genutz- wirkungen auf die Strukturstabilität hat, ten Fläche Deutschlands die Infiltration von Niederschlägen erhöht entspricht. Etwa 3 % der und die Erosion reduziert. vermeidbaren Verluste Weitgehend nachhaltig ist die Boden- geht auf die Produktion bewirtschaftung im ökologischen Anbau. zurück, mit 23 bzw. 25 Die Vorschriften umfassen konkrete Maß- % sind daran der Han- nahmen zum Humusaufbau, schonende del bzw. die Großver- Bodenbearbeitung zur Pflege eines aktiven braucher beteiligt. Ca. Bodenlebens, eine vielfältige Fruchtfolge, 50 % wird beim Endver- den Ersatz mineralischer Stickstoffdünger braucher verursacht. durch Anbau stickstoffsammelnder Pflan- Weniger Fleisch es- zen, den Verzicht auf leichtlösliche Phos- Abb. 5: Weil die USA beschlossen haben, aus Mais Biosprit zu erzeu- sen: Ein großer Teil un- phate, synthetische Pflanzenschutzmittel gen, kam es 2006 zu Hungeraufständen in Mexiko serer persönlichen Flä- und Wachstumsregulatoren. Bioprodukte (Bild Günter Miehlich). chennutzung geht auf müssen teurer sein als konventionell her- 8 gestellte. Dafür sind sie nicht nur gesund, Dazu können intelligente Wohnkonzep- Böden ist zu erhalten oder zu fördern. Bei sondern schonen auch den Boden. te ebenso beitragen wie leicht anpassba- Maßnahmen zur Entwicklung und Pfle- Den Anteil an nachwachsenden Roh- re Grundrisse von Einzelhäusern. Heute ge in Naturschutzgebieten muss geprüft stoffen begrenzen: Nachwachsende Roh- wohnen viele ältere Menschen nach dem werden, ob schützenswerte Böden betrof- stoffe sollen nach Auffassung der Bundes- Auszug der Kinder auf sehr großen Flä- fen sind, bzw. aus Bodeneigenschaften ab- regierung erheblich zur Umsetzung der chen, die ihnen oft eine Last sind. 2011 leitbar ist, ob die Maßnahme Erfolg haben Energiewende beitragen. Dabei ist die hatte der durchschnittliche Deutsche ei- wird. Schließlich sollten Fragen des Stand- CO2–Bilanz, wenn man den Humusab- ne Wohnfläche von 42,7 m², im Einper- orts (Klima und Boden) in die Öffentlich- bau bei Umwandlung der Nutzung (z.B. sonen-Seniorenhaushalt waren es 99,8 m². keitsarbeit von Naturschutzgebieten stär- von Grünland zu Mais) berücksichtigt, Böden schonen beim Bau: Trotz der ker einbezogen werden. wesentlich ungünstiger als generell be- Vorschrift „mit Grund und Boden scho- Im Garten und auf dem Balkon pfleg- hauptet (Nationale Akademie der Wis- nend und sparsam“ umzugehen (§1 a (2) lich mit Böden umgehen: Viele Grund- senschaften Leopoldiana (2012)). Der- Baugesetzbuch), zeigt ein Blick auf aktu- eigentümer meinen, sie können auf ihrem zeit werden in Deutschland mit steigender elle Baustellen, dass dies häufig nicht der Grundstück machen, was sie wollen. Aber Tendenz auf ca. 15 % der landwirtschaftli- Fall ist. Der Oberboden ist nicht sachge- auch dort gilt das Bundes-Bodenschutz- chen Fläche Mais, Raps und andere Ener- recht als Miete gelagert, tiefe Spurrillen gesetz, das einen pfleglichen Umgang mit giepflanzen angebaut. Zusätzlich impor- zeigen, dass der Boden auf dem Grund- Böden fordert. Die Abdeckung durch We- tiert Deutschland erhebliche Mengen an stück verdichtet ist und Abfall gelagert ge, Höfe und Terrassen sollte nicht grö- Palmöl für Biodiesel. Abgesehen von der wird (Abb. 6). Für diese Missstände sind ßer als nötig und wasserdurchlässig sein. Urwaldzerstörung zur Anlage von Ölpalm- nicht nur Architekten und Baufirmen, Kompostieren Sie ihre Gartenabfälle oder plantagen ist es nicht akzeptabel, die Ener- sondern auch Bauherren verantwortlich. besorgen Sie sich zum Düngen Fertigkom- giewende in Deutschland auf dem Rücken Die Einführung einer Bodenkundlichen post, den es auf vielen Recyclinghöfen der armen Länder auszutragen, weil so ein Baubegleitung für größere Baustellen, soll- preiswert gibt. Düngen Sie sparsam und dort dringend benötigtes Nahrungsmittel te verbindlich sein. unter Berücksichtigung aller Quellen. Las- das Ökogewissen Deutschlands aufbessern Bodenschutz in Wäldern: sen Sie ein wenig Natur zu, und bekämp- soll. Es bleibt zu hoffen, dass der Bioöko- Auf einem Drittel Deutschlands wächst fen sie nicht jedes „Un“kraut und jede nomierat, in dem bodenkundlicher Sach- Wald. Bei Waldspaziergängen können Sie Laus mit Pflanzenschutzmitteln. Es ist un- verstand stark vertreten ist, den Aspekt des oft tiefe Spurrillen auf den Wegen und im sinnig und laut, im Herbst die Blätter vom Bodenschutzes bei der Korrektur zur Sub- Baumbestand sehen. Sie stammen vom Boden zu pusten und in die grüne Ton- ventionierung der Biomasseproduktion unsachgemäßen Einsatz schwerer Maschi- ne zu packen. Streuen sie möglichst viel wirkungsvoll vertritt. Geradezu pervers ist, nen, die den Boden tiefgründig verdich- unter Hecken und kompostieren Sie den dass die Fortschritte bei der Verringerung ten. Der Trend zur Vollverwertung der Rest. Die moderne Abdeckung von Bo- des Kraftstoffverbrauchs im Automobil- Bäume führt bei vielen Forststandorten den durch Rindenschnitzel ist Abfallent- bau weitgehend durch den steigenden Ver- auf Dauer zu einer nicht akzeptablen Hu- sorgung; ich finde sie auch noch hässlich. kauf von SUVs (für So ein Unvernünfti- mus- und Nährstoffverarmung der Böden. Und was soll Bodenschutz auf dem Bal- ges Vehikel) aufgezehrt werden, und das Bodenschutz in Naturschutzgebieten kon? Verwenden Sie für ihre Töpfe keine für Fahrzeuge, die aussehen wie Gelän- beachten: Auch in Naturschutzgebieten „Gartenerde“, die überwiegend aus Torf dewagen, aber nur begrenzt dafür taugen sind Aspekte des Bodenschutzes zu be- besteht. Es gibt in fast allen Gartencentern und im Wesentlichen aus Prestigegründen rücksichtigen. Die Funktionsfähigkeit von und Baumärkten Alternativen. erworben werden. Die Versiegelung ein- Fazit dämmen: Das Bauen auf Es sage niemand, er könne der „grünen Wiese“ bewirkt nichts für einen sparsamen nicht nur zusätzliche Ver- und pfleglichen Gebrauch siegelung auf Baugrundstü- von Böden tun. cken, sondern zieht zusätz- lich versiegelte Verkehrsflä- Literatur: chen und bodenbelastende Blum, W. E .H. (2014): Bo- Infrastrukturmaßnahmen denfunktionen und Boden- (z. B. Leitungsbau) nach ressourcen – Grenzen der sich. Aber auch die Verdich- Multifunktionalität. Local tung der Bebauung inner- land and soil news, 50 II/4, halb der Siedlungen führt 13-15 [https://www.boden- zu einer Versiegelung von buendnis.org/local-land-soil- Boden, bei der oft das ge- news]. samte Grundstück in Mit- BMEL (2014): Bundesmi­ leidenschaft gezogen wird. nisterium für Ernährung Ziel muss es daher sein, und Landwirtschaft: Land- den Gebrauch von Boden wirtschaft verstehen – Fak- pro Person zu vermindern. Abb. 6: Umgang mit Böden beim Bau (Bild Günter Miehlich). ten und Hintergründe. Bun- 9 Vortrag vom 2. Februar 2017 desministerium für Landwirtschaft und Klaus Lüning Ernährung (Hrsg.), Stand 2014 [http:// www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/ Vorteile der landgestützten Kultur von Broschueren/Landwirtschaft-verstehen. Lebensmittel-Meeresalgen pdf?__blob=publicationFile]. Heinrich Böll Stiftung, IASS Potsdam, Marine Makroalgen mit wirtschaftlicher lebensfeindliche UV wegen fehlendem BUND, Le Monde Diplomatique (2015): Bedeutung für den Nahrungsmittelmarkt Sauerstoff-Schutzschirm in der Atmo- Bodenatlas 2015, 50 S.[https://www.bo- als Meeresgemüse werden heute aus- sphäre in weitaus größeren Dosen als heu- ell.de/de/bodenatlas], kostenlos über schließlich in Aquakultur produziert, an te auf der Erdoberfläche auftraf, schütz- Hein­­­rich Böll Stiftung zu beziehen. Seilen oder auf Netzen im Meer. Dennoch te vielleicht die Flucht der Algenfäden in Lugschitz, B., Bruckner, M., Giljum, S. spielt auch die Kultur von Meeresalgen in die noch Licht durchlässige Kalktiefe vor (2011): Europe‘s Global Land Demand. Meerwasser in Tanks an Land eine wich- übermäßigem UV. SERI, Sustainable Europe Resarch Insti- tige Rolle, vor allem bei der Produktion Viel einfacher und von der Algengröße tut, Wien [https://www.foeeurope.org/si- der kleinen Saatalgen auf Seilen oder Net- her spektakulärer als bei der kleinen Rot- tes/default/files/publications/europe_glo- zen, die dann bei passender Jahreszeit in alge Porphyra verläuft die Meeresalgen- bal_land_demand_oct111.pdf]. das Meer verbracht werden. Ein gutes Bei- Aquakultur mit den großen Brauntan- Nationale Akademie Der Wissenschaf- spiel ist die Rotalge Porphyra (japanisch: gen der Gattungen Saccharina, Laminaria ten Leopoldina (2012): Bioenergie – Mög- Nori). Ausgehend von Fernost (Japan, und Undaria (Abb. 2). Man braucht nur lichkeiten und Grenzen, Kurzfassung und China, Korea) wurde Nori in den letz- die mit ausgedehnten Sporangienlagern Empfehlungen, 48 S. Halle (Saale). ten Jahrzehnten weltweit in Sushi-Restau- bedeckten Thalli nach kurzer Vortrock- Nkonya, E., Mirzabaev, A, von Braun, J. rants als Lebensmittelalge verbreitet. Die nung in Meerwasser zu legen, und schon (Hrsg. 2016): Economics of Land Degra- gesamte Welternte stammt aber aus Fern- strömen Millionen von beweglichen Spo- dation and Improvement – a Global As- ost, denn die Aquakultur der papierdün- ren heraus, die sich mit ihren Geißeln so- sessment for Sustainable Development, nen und nur hand- Springer open: DOI 10.1007/978-3-319- großen Porphyra an 19168-3. Netzen in Meeres- Umweltatlas Berlin (2016): Klimazonen­ buchten (Abb. 1) karte [http://www.stadtentwicklung.ber- ist so aufwändig, lin.de/umwelt/umweltatlas/din_405. dass sich „westli- htm]. che“ Unternehmer UNEP (2014): Assessing global land use: noch nicht an die balancing consumption with sustainable Meeresalgen-Aqua- supply. A Report of the Working Group kultur von Porphyra on Land and Soils of the International Re- herangewagt haben. source Panel. Bringezu, S., Schütz, H., Nicht nur die gerin- Pengue, W., O´Brien, M., Garcia F., Sims, ge Größe der Kul- R., Howarth, R., Kauppi, L., Swilling, turalge schreckt ab, M., and Herrick, J. [http://www.unep. sondern auch noch org/resourcepanel-old/Portals/24102/PD- ein zusätzlicher Abb. 1. Die Meereskultur der Rotalge Porphyra (Nori) erfolgt in Fernost an Fs//Full_Report-Assessing_Global_Land_ Kulturaufwand, Netzen, die hier bei Niedrigwasser trocken gefallen sind. Foto K. Lüning. UseEnglish_%28PDF%29.pdf]. denn man muss in USDA (1998): Inherent Land Qua- Gewächshäusern an Land zuvor eine fä- fort auf Seilen in Kulturwannen in Ge- lity Assessment [https://www.nrcs.us- dige Zwischengeneration, die kalkbohren- wächshäusern an Land fixieren (Yarish & da.gov/wps/portal/nrcs/detail/soils/ de Conchocelis-Phase, auf Muschelscha- Pereira 2008). Auf diesen Seilen entwi- use/?cid=nrcs142p2_054011], gut für len kultivieren, und deren unbewegliche ckeln sich rasch aus den Sporen mikrosko- Ackerbau geeignet: Einheiten 1 – 3. Sporen sät man dann auf die Netze für pisch kleine, fädige weibliche und männ- USDA (2005): Global Soil Regions [ht- die Meereskultur (Yarish & Pereira 2008). liche Gametophyten, und schon zwei Wo- tps://www.nrcs.usda.gov/Internet/FSE_ Erst die landgestützte Kultur der kleinen chen nach Sporenaussaat wachsen nach Media/nrcs142p2_049832.jpg]. Conchocelis-Phase ermöglichte die Mas- Befruchtung die neuen Thalli der Braun- Welthungerhilfe (2016): Karte Welthun- senkultur von Porphyra im Meer und da- tange heran, die zwei Monate nach Spo- gerindex [http://www.welthungerhilfe.de/ mit den weltweiten Nachschub mit Nori renaussaat schon 1 cm lang sind. Nun welthungerindex-karte.html]. für die Sushi-Restaurants. Die Fadenthal- kann man die Seile mit den sicher anhaf- li der Conchocelis-Phase, die sich mittels tenden Jungalgen in das Meer verbringen, Kalkauflösung durch CO2-Ausscheidung aber erst im Herbst, wenn die Temperatur Anschrift des Verfassers: in die Kalkschalen einbohren, haben üb- des Meerwassers unter 18°C sinkt. Denn Prof. i.R. Dr. Günter Miehlich, rigens eine uralte Geschichte, denn die die Brauntange sind Kältepflanzen aus der Institut für Bodenkunde der Bohrgänge der Conchocelis-Fäden hat man Arktis, sie sterben je nach Art bei 23-25°C, Universität Hamburg schon in Kalkresten aus dem frühen Erd- wachsen erst unterhalb von 15°C und im- Email: [email protected] altertum gefunden. Als in der Frühzeit des mer noch in eisigem Meerwasser in der Pflanzenlebens im Flachwasser-Meer das Arktis bei 0°C. Das Hauptwachstum be- 10 ginnt mit Hilfe der im Sommer gespei- ze des Brauntangs Saccharina japonica. Al- Kulturdauer von nur knapp mehr als 12 cherten Reservestoffe im Winter, in der so musste man mit den kleinen Saatal- Monaten? Darüber wunderte man sich Arktis also im Volldunkel, und setzt sich gen des neuen Jahrgangs, im Frühjahr aus schon früh in der japanischen Fachlitera- bis Mai fort. Innerhalb von nur 8 Mo- Sporen erzeugt, an Land in Tanks mit ge- tur und erkannte richtig, dass man mit der naten, von Oktober bis Mai, entwickeln kühltem Meerwasser in Gewächshäusern vorgeschalteten Sommerkultur während sich aus den kleinen Saatalgen in der Mee- „flüchten“. Während des Sommers errei- weniger Monate an Land das Phylloidme- reskultur auf den Seilen bis 2-3 m lange chen die Saatalgen in den Gewächshäu- ristem „zwingt“, in der Meereskultur von Brauntang-Thalli (Abb. 2, Abb.3), wert- sern Längen von bis zu 5 cm und wachsen September nicht das Phylloid des 1. son- voller Rohstoff für die Nahrungsmittelin- dann ab September im Meer bis Januar dern schon des 2. Lebensjahres zu erzeu- dustrie. Die Algen werden getrocknet und schon auf 1 m Länge, bis Mai auf stattli- gen. Aber wie war das zu erklären? als Meeresgemüse verzehrt, unter den Na- che 2-3 m Länge heran (Abb. 2, Abb. 3). Des Rätsels Lösung, nämlich die Existenz men Kombu (japanisch) oder Zicai (chi- Nun müssen die Kulturalgen geerntet wer- einer leicht manipulierbaren inneren Jah- nesisch). Alginat aus Brauntangen ist ein den, denn sie würden die hohen Sommer- resuhr in den Brauntangen, wurde über- weiteres Produkt der Lebensmittelindust- Wassertemperaturen im Nordchinesischen raschend im Jahr 1991 in Hamburg ent- rie. Schon seit den 1930er Jahren wird Al- Meer nicht überleben. deckt, und zwar in den experimentellen ginat, die gelatinöse Zellwandsubstanz der Die wirtschaftlich bedeutenden Arten Meerwasserbecken der damaligen Zentra- Brauntange, extrahiert und im Nahrungs- der Brauntang-Gattung Saccharina (S. la- le der Biologischen Anstalt Helgoland in mittelbereich als Geleebildner verwendet, tissima, also der Zuckertang im Nord- der Notkestraße auf dem DESY-Gelän- etwa im Speiseeis. atlantik und S. japonica im asiatischen de (Lüning 1991). Der Brauntang Ptery- In Nordchina und zum kleinen Teil in Nordpazifik) erreichen in der Natur wäh- gophora califonica wurde über zwei Jah- Japan wurde der Brauntang Saccharina rend ihrer Lebensspanne von drei Jahren re hinweg bei konstanten Umweltbedin- japonica (früher Laminaria japonica) mit im 1. Lebensjahr nur Längen von bis zu gungen kultiviert und zeigte dennoch den 5 Millionen Tonnen Frischgewicht Jah- 1 m. Das Phylloid, die blattartige Thal- Rhythmus von Wachstumsaktivität mit

Abb. 3. Bei der Kultivierung des Brauntangs Saccharina japonica in Nordchi- Abb. 2. Der Brauntang Saccharina japonica wird in Nordchina auf Seilen na kann man auch Thalli mit sehr breiten und langen Phylloiden erhalten. im Meer kultiviert. Foto S. Pang. Foto S. Pang. resernte zum phänomenalen Gewichts- luspartie, wird durch die im Winter und Bildung des neuen Phylloids und anschlie- Spitzenreiter der weltweiten Meeresaqua- Frühjahr aktive Zellteilungszone in den ßender Wachstumsruhe, allerdings mit ei- kultur-Industrie entwickelt. Unter den untersten 10 cm des Phylloids am Über- nem Gesamtumlauf von nur 7 Monaten. Brauntangen folgt die ebenfalls als Spei- gang zum Stiel gebildet, im Sommer und Solch ein autonomer biologischer Rhyth- sealge beliebte Undaria pinnatifida mit 2 Herbst ruht die Aktivität dieses Phylloid- mus ist der Nachweis für die Existenz Millionen Tonnen Frischgewicht pro Jahr. meristems. Welche Faktoren steuern die- der inneren Jahresrhythmik, einer Jahres- Zum Vergleich liegt die Lachsproduktion sen Rhythmus, nur die Umwelt? Das uhr, die zuvor schon von den Zoologen weltweit heute bei 2,5 Millionen Tonnen. war lange unklar. Ein weiteres Rätsel er- bei Zugvögeln und Säugetieren entdeckt Der Schlüssel zum Kulturerfolg in Nord- gab sich bei der Massenkultur mit S. ja- wurde (Gwinner 1986). Wie alle biologi- china war die „Summer Sporeling Me- ponica in Fernost. Die maximale Phyllo- schen Uhren funktioniert auch diese nach thod“, die Produktion der Saatalgen im idlänge erreichen die Arten der Gattung dem dualen Prinzip. Ein biologischer Os- Sommer an Land, in Gewächshäusern in Saccharina in der Natur im 2. Lebensjahr, zillator erzeugt die rhythmische Schwin- gekühltem Meerwasser. C.K. Tseng, der nämlich 2-3 m Phylloidlänge, das war be- gung, allerdings mit „falscher Umlaufzeit“ Altmeister der Algenkunde in China, hat- kannt. Wie war es aber zu verstehen, dass (Periode), und garantiert so den rhythmi- te seit den 1950er Jahren aus der Not ei- bei Anwendung der „Summer Spore- schen Ablauf auch beim Fehlen von kor- ne Tugend gemacht, denn Nordchina liegt ling Method“, in Japan auch als „Forced rigierenden Umweltsignalen. Gemäß dem wegen seiner hohen Meerwassertempera- Cultivation“ bezeichnet, diese maximale physikalischen Prinzip der Frequenzüber- turen von bis zu 27°C im Sommer schon Phylloidlänge schon nach etwa 1 Jahr er- tragung bei Erzwungenen Schwingungen südlich der natürlichen Verbreitungsgren- reicht wurde, also während einer Gesamt- zwingt ein äußerer Umwelt-Oszillator als 11 synchronisierender Zeitgeber dem inneren 3 Monaten ablaufen ließ, alles wie es bei Seilen, extrahieren effektiv diese minerali- Oszillator die „richtige“ Periode auf. Der der inneren Jahresuhr der Tiere schon zu- schen Nährstoffe. Vielfache Projektförde- äußere Oszillator ist im Fall der inneren vor erprobt wurde, bildete der Brauntang rung derartiger Integrierter Multitropher Jahresuhr der 12 Monate-Jahresgang der alle 6 Monate oder sogar nur alle 3 Mo- Aquakulturen (IMTA), also der Verbund- Tageslänge, im Fall der inneren Tagesuhr nate ein neues Phylloid (Abb. 4). Zur Er- systeme von Tieren und Pflanzen auf ihren der 24-h-Rhythmus des täglichen Signals kennung solch eines synchronisierenden verschiedenen Ernährungsebenen, haben „Licht an“ bei Sonnenaufgang. Man kann künstlichen Jahres benötigt der Organis- die europäische Kultivierung von Mee- auch sagen, der Umwelt-Oszillator stellt mus nur während weniger Monate den resalgen befördert, und damit erscheinen die innere biologische Uhr, so wird die in- Anstieg und darauf den Abstieg der Tages- Brauntange aus Europa nun auch als Mee- nere Tagesuhr des Menschen mit ihrer er- länge, und genau so wird bei der Massen- resgemüse auf dem europäischen Lebens- erbten Periode von 26 h jeden Morgen kultur mit Saccharina japonica in Fernost mittelmarkt. Das Problem der Brauntan- beim Wecksignal um 2 h zurückgestellt. den Jungalgen im Gewächshaus an Land ge ist aber der extrem hohe Jodgehalt, der Die innere Jahresuhr des Winterschläfers von April bis zum 21. Juni mit Anstieg der für Brauntange aus dem Meer bei 3000 im Bau beim Winterschlaf steuert und Tageslänge und darauf folgender Abnah- mg Jod pro kg Trockengewicht liegt (Lü- garantiert bei fehlender Umwelt-Jahres- me das erste Lebensjahr „vorgetäuscht“. ning & Mortensen 2015). Jod ist zwar ein rhythmik die physiologische Rhythmik Nach Verbringen in das Meer ist das Phyl- essentielles Element für die Schilddrüse etwa des Fettabbaus. Beim Verlassen der loidmeristem dann so umprogrammiert, des Menschen, aber die maximale Tages- Höhle im Frühling synchronisiert der nun dass es gleich das große, mehrere Meter dosis liegt als Empfehlung des Bundesins- wieder wahrnehmbare Jahresgang der Ta- lange Phylloid des zweiten Lebensjahres tituts für Risikobewertung zum Jodbedarf geslänge den Jahresrhythmus des Winter- erzeugt. beim Menschen nur bei täglich 0,5 mg schläfers auf „richtig“. Im Fall des Braun- Neuerdings erfolgt auch in Europa die Jod, so dass man also nur wenig Braun- tangs Pterygophora konnte in Meerwasser- Erprobung von Seilkulturen mit Braun- tang pro Tag verzehren darf. Kein Prob- becken mit wöchentlicher Änderung der tangen (Forbord et al. 2012), vor allem lem in dieser Hinsicht bietet der Verzehr Tageslänge die Jahresrhythmik der neuen mit dem Zuckertang Saccharina latissima, der Rotalge Porphyra (Nori) mit nur 200 Phylloidbildung beliebig verschoben wer- eben der nordatlantischen Schwesterart mg Jod pro kg Trockengewicht (Holdt & den, und sobald man eine oder zwei Wo- von S. japonica. Triebkraft dafür sind die Kraan 2011), und dieser niedrige Jodge- chen im künstlichen Jahresgang des syn- Meeresfisch-Kulturen, aus deren ungefres- halt, der den Veterinären in der Lebens- chronisierenden Zeitgebers ausließ, das senen Fischfutterresten und Exkrementen mittelüberwachung nie ein Kopfzerbre- „vorgespielte Jahr“ also in 6 oder sogar nur tonnenweise Stickstoff und Phosphor in chen verursachte, ist wohl auch ein we- das Meer strömt, sentlicher Grund für den Siegeszug von was ungewollte Nori in den Sushi-Restaurants der westli- Mikroalgenblü- chen Welt. Warum haben Brauntange die- ten und nachfol- sen hohen Jodgehalt? Früher betrachte- gende Sauerstoff- te man das Jod in Meeresalgen hypothe- armut erzeugen tisch als Fraßschutz gegen Tiere, heute hält kann. Schnell- man das organisch gebundene Jod eher für wachsende gro- ein organisches Osmolytikum in der Al- ße marine Mak- genzelle, als Gegengewicht gegen die hohe roalgen, also die osmotische Saugkraft des Salzes im umge- Brauntange an benden Meerwasser. Dazu passt gut, dass

Abb. 4. Wachtumsrhythmik des Brauntangs Pterygophora californica in 5 lichtdicht voneinander isolierten Meerwassertanks, deren Beleuchtung als experimenteller Jahresgang der Tageslänge (JGT) gestaltet wurde. Links: Rhythmik der neu gebildeten Phylloidlänge. Rechts: Fotobeispiele zugehöriger experimenteller Algen. Phylloid 1 (rechts in den Fotobil- dern) war vor Versuchsbeginn entstanden. a-c Die Periode des JGT betrug 12 Monate. a Mit zunehmender Tageslänge (experimentelles Frühjahr) wuchs das Phylloid 2 zu voller Größe heran. Der Langtagbereich des JGT schaltete das Wachstum ab, der kommende Kurztagbereich ließ das Phylloid 3 entstehen. c Die Phase des synchronisierenden Jahresgang der Tageslänge wurde bei Versuchsbeginn um jeweils 3 Monate versetzt. Das sich bildende Phylloid 2 geriet in die Wachstum abschaltenden Lang- tagbereiche des JGT und bildete sich entsprechend kürzer aus. Dafür erschien das Phylloid 3 entsprechend früher. d und e Die Periode des Abb. 5. In Tankkultur an Land, hier am Lysefjord in Norwegen, sind die JGT betrug nur 6 bzw. 3 Monate, daher wurde alle 6 bzw. 3 Monate ein Phylloide des Brauntangs Saccharina latissima (Zuckertang) auch im neues Phyllod gebildet. (Lüning 1991). August noch frei von Aufwuchstieren. Foto L. Mortensen. 12 Brauntange von der Kattegat-Küste der gen oder Süßwasserfisch-Aquakulturen in bensmittel-Meeresalgen in Zukunft sicher Ostsee bei schon erniedrigtem Salzgehalt, Wertstoffe für die Meeresalgenkultur um- zunehmen. nur noch den halben Jodgehalt aufwei- gewandelt werden. sen, etwa 1500 mg Jod pro kg Trocken- Es gibt noch weitere Vorteile der land- Literatur und weitere Informationen: gewicht (Lüning & Mortensen 2015), das gestützten Kultivierung von Lebensmittel- Forbord, S., Skjermo, J., Arff, J., Han- fiel schon Kylin auf, einem Altmeister der Meeresalgen: da, A., Reitan, K.I.R., Bjerregaard, R., Lü- Algenkunde (Kylin 1929). (a) Man vermeidet Tieraufwuchs, der ning, K. (2012). Development of Saccha- Einen niedrigen Jodgehalt, nur 200 mg bei Pressluftumwälzung der Kulturalgen rina latissima (Phaeophyceae) kelp hat- Jod pro kg Trockengewicht wie bei der in Meerwassertanks wegen der hohen Tur- cheries with year-round production of Nori-Alge Porphyra errreicht man aber bulenz auch im August noch nicht auf den zoospores and juvenile sporophytes on auch in Brauntangen aus Tankkultur an Algen vorkommt (Abb. 5). Dagegen ent- culture ropes for kelp aquaculture. J. Ap- Land (Lüning & Mortensen 2015), denn stehen auf Seilkulturen im Meer schon ab pl. Phycol. 24, 393-399. die geringe Jodmenge im Meerwasser in Mai auf den Laminaria-Phylloiden fest- Gwinner, E. (1986). Circannual Tanks ist von den Brauntangen rasch ab- sitzende marine Tierkolonien wie Bryo- rhythms. Endogenous annual clocks in the sorbiert, und sie wachsen dennoch weiter. zoen oder Polychaeten und ruinieren die organization of seasonal processes. Sprin- Hier wird ein wichtiger Vorteil der land- Lebensmittelqualität der Algen (Abb. 6). ger, Berlin, 154 pp. gestützten Kultur von Lebensmittel-Mee- In Nordchina kommt dieser Aspekt nicht Hafting, J.T., A.T. Critchley, M. L. Cor- resalgen ersichtlich, denn Brauntange mit zum Tragen, weil die Brauntange wegen nish, S.A. Hubley and A.F. Archibald niedrigem Jodgehalt könnten in der Le- der raschen Erwärmung des Meerwas- (2011). On-land cultivation of functio- bensmittelindustrie einen ähnlichen Sie- sers schon im Spätfrühling geerntet wer- nal seaweed products for human usage. J. geszug wie die Nori-Alge antreten. den müssen, bevor die marinen Tierlarven appl. Phycol. DOI10.1007/s10811-011- Chancen auf dem Nahrungsmittelmarkt massiv die Phylloide befallen. 9720-1 in Europa haben die Meeresalgen als neu- (b) Die Algeninhaltsstoffe, also etwa der Holdt, S. and S. Kraan (2011). Bioacti- artiges Meeresgemüse wegen ihres hohen Jodgehalt, können besser kontrolliert wer- ve compounds in seaweed: functional food Gehalts an wertvollen Mineralien, algen- den. Man kann aber auch wichtige Mik- applications and legislation. J. Appl. Phy- spezifischen Ballaststoffen wie Alginat in ronährstoffe für Mensch und Pflanze wie col. 23, 543-597. Braunalgen, aber auch wegen einer Viel- Zink oder Eisen dem Kulturwasser zuge- Kylin, H. (1929). Über das Vorkommen zahl an bioaktiven Inhaltsstoffen (Holdt ben, und deren Gehalt in den geernteten von Jodiden, Bromiden und Jodoxydasen & Kraan 2011, Mouritsen 2013). Die Algen im Sinne funktioneller Lebensmit- bei den Meeresalgen. Hoppe-Seylers Z. landgestützte Tankkultivierung von Mee- tel erhöhen (Hafting et al 2011). Physiol. Chem. 180, 50-84. resalgen kann man statt in natürlichem, (c) Es entfällt die Raumkonkurrenz Lüning, K. (1991). Circannual growth auf das Land gepumptem Meerwasser, längs der Nordsee-Meeresküsten, denn an rhythm in a brown alga, Pterygophora cali- auch in künstlichem Meerwasser ange- das Meer grenzende Landflächen werden fornica. Bot. Acta 104, 157-162. setzt mit synthetischem Meersalz durch- vorrangig an Tourismus, Wirtschaft oder Lüning, K. & Mortensen, L. (2015). Eu- führen, wie es heute in den Großaquari- auch Naturschutz vergeben, nicht an die ropean aquaculture of sugar kelp (Saccha- en auf dem Festland verwendet wird. Das Aquakultur, so dass die landgestützte ma- rina latissima) for food industries: iodine eröffnet weitere neue Möglichkeiten von rine Aquakultur besser auf wenig genutz- content and epiphytic animals as major nachhaltiger Aquakultur. So können fern- te Flächen fernab der Küste ausweicht und problems. Bot. Mar. 58, 449-455. ab von der Meeresküste Mineralsalze so- etwa aufgelassene Industriegelände zum Mouritsen, O.G. (2013). Seaweeds, edi- wie CO2 als Abfallstoffe aus Biogasanla- Aufstellen der Meerwassertanks nutzt. ble, available & sustainable. The Univer- (d) Rück­ver­ sity of Chicago Press, Chicago and Lon- folg­barkeit, don. pp. 287. Qualitäts­kon­ Nitschke, U. & Stengel, D.B. (2013). Io- trolle und Le- dine contributes to osmotic acclimatisati- bensmittelsi- on in the kelp Laminaria digitata (Phaeo- cherheit sind bei phyceae). Planta DOI 10.1007/s00425- Meeresalgen aus 013-1992-z. kontrollierter Yarish, C. & Pereira, R. (2008). Mass Tankkultur bes- production of marine macroalgae. In S.E ser zu verwirkli- Jorgensen and B.D. Fath (eds). Ecologi- chen als bei der cal Engineering. Vol. 3 of Encyclopedia of Verwendung von Ecology, 5 vols, pp. 2236-2247. Oxford, Wildalgen (Haf- Elsevier. ting et al. 2011). Als Fazit wird die Anschrift des Verfassers: Bedeutung der Dr. Klaus Lüning landgestützten Sylter Algenfarm GmbH & Co.KG Abb. 6. Auf Seilen im Lysefjord kultivierter Brauntang Saccharina latissima ist Kultur von Le- Mannemorsumtal 27 im August vollständig mit Aufwuchstieren überzogen und damit als Lebens- 25992 List auf Sylt mittelalge unbrauchbar. Foto K. Lüning. Email: [email protected] 13 Vortrag vom 17. Februar 2017 Ulrich Kotthoff Darmflagellaten und Blütenstaub Evolutionäre Wechselbeziehungen zwischen Insekten und Pflanzen

Zwischen Insekten und Pflanzen gibt es zahlreiche Wechselbeziehungen, die sich im Laufe der Co-Evolution beider Gruppen inner- halb von ca. 450 Millionen Jahren entwickelt haben und dies auch immer noch tun (Willis & McElwain, 2002). In diesem Beitrag werden diese Wechselbeziehungen anhand einiger Fallbeispiele aus der Gegenwart und der Erdgeschichte beleuchtet.

Wechselwirkungen zwischen Pflanzen man auf semiaquatische Spinnentiere und vulkanische Aktivität und der Einbau at- und Insekten vielleicht auf Verwandte der Tausendfü- mosphärischen Kohlendioxids in die Bio- Während innerhalb der Spinnentiere nur ßer treffen können. Die frühesten Pflan- masse der expandierenden Landpflanzen die Milben herbivore (pflanzenfressende) zen stammen vermutlich von Armleuch- (und die „Speicherung“ des Kohlenstoffs Formen beinhalten, haben sich bei den teralgen ab, wobei es durchaus möglich ist, in Sedimenten, s.u.) sorgte für eine Kli- Insekten herbivore Formen in vielen Ord- dass es sich bei dieser Grünalgengruppe maabkühlung und den Beginn der Per- nungen entwickelt, und in einigen Groß- auch um eine sekundär aquatische Grup- mokarbonischen Vereisung (Willis & gruppen (z.B. Lepidoptera) kommen fast pe handelt. Die frühesten Nachweise für McElwain, 2002). Vermutlich bewirkten ausschließlich herbivore Formen vor. Für Pflanzen sind Sporen, die denen von Le- die orbitalen Zyklen der Erde – Präzessi- herbivores Verhalten bei Arthropoden gibt bermoosen ähnlich sind (Willis & McEl- on der Erdachse und der Ekliptik, Obli- es auch im Fossilbericht zahlreiche Beispie- wain, 2002). Die frühesten Nachweise von quität (Neigungswinkel) der Erdachse und le. Pflanzen können von Insekten auch als Pflanzengewebe stammen bislang aus dem Exzentrizität der Ekliptik, dass es zu regel- Wohnungen verwendet werden, und na- Rhynie-Chert (Devon, ab ca. 419 Millio- mäßigen Klimaschwankungen kam, die türlich gibt es auch Kombinationen. Ein nen Jahre vor heute). Aus dieser wichtigen wiederum in Meeresspiegelschwankun- sehr schönes Beispiel für einen Nachweis Fossillagerstätte sind auch die frühesten gen resultierten. Durch diese Schwankun- von Wechselwirkungen zwischen Pflanzen Springschwänze (Rhyniella) und Insekten gen wurden küstennahe Wälder des Kar- und Insekten geben Wappler und Engel (Rhyniognatha, Grimaldi & Engel, 2004) bons wiederholt überflutet und mit Sedi- (Referenz in Grimaldi & Engel, 2004), die überliefert. Die Herkunft der Insekten ist ment bedeckt. Es bildete sich Steinkohle, für das Eozän Schneidspuren von Blatt- noch nicht geklärt, aber Genanalysen deu- wie sie heute im Ruhrgebiet und im Saar- schneiderbienen an Pflanzenresten nach- ten darauf hin, dass sie von der Crustacea- land, aber auch in China, Großbritannien weisen konnten. Nicht immer profitie- Gruppe Remipedia abstammen. Bei Rhy- und in Teilen des östlichen Nordamerikas ren die Insekten von Pflanzen, umgekehrt niognatha handelt es sich vermutlich um abgebaut wird. Entsprechend werden die können Insekten auch Pflanzen vor Fress- ein bereits stark abgeleitetes Insekt mit ei- Wälder des Karbons auch als Kohlewäl- feinden schützen oder ihnen z.B. durch nem dicondylen Kiefergelenk, d.h. mit an der bezeichnet. Während sich der Kohlen- Auflockerung des Bodens nützen. Ein be- zwei Punkten aufgehängten Mandibeln. dioxidanteil in der Atmosphäre im Laufe sonders spannender Aspekt sind insekten- Auch wenn über die Wechselwirkungen des Karbons verringerte, erhöhte sich der fressende (insectivore) Pflanzen – ein fos- zwischen diesen frühen Insekten und den Sauerstoffgehalt. Davon profitierten ins- siler Nachweis für solche Pflanzen wurde ersten Pflanzen fast nur spekuliert werden besondere die durch Tracheen atmenden 2015 von Sadowski et al. (2015) beschrie- kann, ist es immerhin interessant, dass für Insekten (Grimaldi & Engel, 2004). Eine ben, die einen Vertreter der heute auf Süd- beide Gruppen die ältesten Nachweise aus Gruppe, die sich im Karbon und Perm be- afrika beschränkten Wanzenpflanzen im derselben Lagerstätte stammen, während sonders stark diversifizierte, sind die Scha- Baltischen Bernstein nachweisen konn- für die fast ausschließlich prädatorischen benartigen. Es wird spekuliert, dass diese ten. Eine besonders wichtige Wechselwir- Spinnentiere auch frühere Nachweise vor- Gruppe bereits im Karbon Formen her- kung, die für die Evolution beider Grup- liegen – wobei allerdings z.B. bei Skorpio- vorbrachte, die Lignin verwerten konnten. pen eine entscheidende Rolle spielt, ist die nen nicht eindeutig geklärt ist, welche der Die aus den schabenartigen Insekten her- zwischen Blütenpflanzen und bestäuben- frühesten Vertreter bereits terrestrisch wa- vorgegangenen Termiten schafften es dann den Insekten. Ein Indiz für die Wichtig- ren. im späteren Mesozoikum, durch Symbiose keit der Co-Evolution beider Gruppen ist, Schaben, Termiten und ihre Opfer mit Protozoen, auch Zellulose verdauen zu dass rund 90% aller Pflanzenarten Blüten- Im weiteren Verlauf des Devons (ca. können. Früheste sichere Nachweise für pflanzen sind (Willis & McElwain, 2002), 419-350 Millionen Jahre vor heute) und Termiten stammen aus der Kreide, und of- und etwa 90% aller Tierarten Insekten Karbons (ca. 350-299 Millionen Jahre vor fenbar hatten die Termiten zu dieser Zeit (Grimaldi & Engel, 2004). heute) entwickelten sich immer komple- schon einen hohen Sozialitätsgrad erreicht Die ersten Pflanzen und die ersten In- xe Sporenpflanzen (Vertreter der Schach- (Engel et al. 2016), aber vermutlich gibt sekten telhalme, Bärlappgewächse, Farne und es Termiten wenigstens seit der Trias. Die Wäre man vor 450 Millionen Jahren weitere Gruppen), hinzu kamen frühe Fähigkeit, Zellulose als Nahrungsquelle zu auf unserer Erde unterwegs gewesen, hät- Samenpflanzen (z.B. Samenfarne). Bei- nutzen, machte die Termiten sehr erfolg- te man an Land nur wenige Hinweise de Gruppen breiteten sich auf dem Land reich (und heutzutage gefährlich für alle auf pflanzliches und tierisches Leben ge- aus, wobei die Samenpflanzen auch tro- Holzhausbesitzer). Eine Idee, wie Über- funden. Vermutlich gab es schon Flech- ckenere Gebiete besiedelten. Die Konti- gangsformen zwischen Schaben und den ten und Lebermoosartige Pflanzen (Willis nente befanden sich zu dieser Zeit größ- hoch eusozialen Termiten ausgesehen ha- & McElwain, 2002), und sicherlich hätte tenteils auf der Südhalbkugel. Geringe ben könnten, liefert die Schabengattung 14 Cryptocercus, die ebenfalls mit Hilfe von Hautflügler mit Körbchen Protozoen Zellulose verwerten kann. Die- Deutliche Hinweise auf einen Zusam- se Gattung zeigt soziale Verhaltensweisen, menhang zwischen der Evolution der Blü- die vermutlich damit zusammenhängen, tepflanzen und der steigenden Formen- dass die wichtigen Symbionten zur Zellu- vielfalt holometaboler Insketen findet man loseverdauung an die Nachkommen über- gerade bei den Hymenopteren (Hautflüg- geben werden müssen – indem die Nym- lern), insbesondere bei den Bienenartigen phen Kot der ausgewachsenen Tiere auf- (Grimaldi & Engel 2004). Die Hymeno- nehmen. Dieses Verhalten könnte der pteren-Diversität steigt während der Krei- Grundstock für die Evolution der Termi- de mit der der Blütepflanzen, und auch ten gewesen sein. die ersten Bienen entwickelten sich in der Es geht nicht nur ums Fressen… frühen Kreide. Bis zum Eozän etablierten Wie erwähnt sind beinahe 90% aller sich mehr und mehr Bienenfamilien. Be- Tierarten Insekten. Innerhalb der Insek- sonders spannend ist die Evolution euso- ten wiederum gibt es eine Gruppe, die zialer Bienen. Es gibt einige morphologi- Holometabola, die rund 90% aller Insek- sche Merkmale, die auf Eusozialität hin- tenarten stellen. Diese Gruppe, zu der ne- deuten, dazu gehören gekniete Fühler (für ben anderen die besonders artenreichen Abb. 1: Blüte aus Baltischem Bernstein, Eozän die innerartliche Kommunikation) und Schmetterlinge, Zweiflügler, Käfer und (Foto: Wolfgang Weitschat). Trageeinrichtungen für große Pollenmen- Hautflügler gehören, zeichnen sich durch gen, z.B. in Form eines Körbchens (Corbi- eine vollständige Verwandlung aus, d.h., Die Entwicklung der Blütenpflanzen cula) an den Hinterbeinen, wie es bei zahl- die Larven sehen völlig anders aus als die hat einen rapiden Formenvielfalts-Anstieg reichen Bienengattungen auftritt (Abb. 2). erwachsenen, fortpflanzungsfähigen Tie- zahlreicher Insektenordnungen verursacht Solche Körbchen können bereits bei eo- re. Diese Gruppe entwickelte sich im Kar- (Engel & Grimaldi, 2004). Viele Insek- zänen Bienen, z.B. Electrapis und Elec- bon oder Perm, und wurde ab dem Meso- ten und Pflanzengruppen haben sich über trobombus nachgewiesen werden, engen zoikum besonders erfolgreich. Ein Grund Jahrmillionen hinweg gemeinsam entwi- Verwandten und vielleicht auch Vorfah- dafür liegt in der Entwicklung der Blü- ckelt, so dass es heute viele hochspezia- ren der heutigen Hummeln und Honig- tenpflanzen, denn gerade zwischen die- lisierte Insekten gibt, die nur bestimmte bienen. Für die Erhöhung der Artenzahl sen und vielen holometabolen Insekten- Pflanzen besuchen, und umgekehrt sind sind eusoziale Formen wohl eher kontra- gruppen gibt es intensive Beziehungen. manche Pflanzen von ganz bestimmten produktiv, da die Individuenanzahl je Art Die „echten“ Blütenpflanzen, die Angio- bestäubenden Insekten abhängig. Ein be- viel größer ist als bei solitären Formen und spermen, sind sicher erst ab der Kreide, kanntes Beispiel ist die Lepidopterenart die jeweilige Art somit mehr Ressourcen seit etwa 135 Millionen Jahren, im Fossil- Xanthopan morganii praedicta, die ihren braucht. Nicht ohne Grund gibt es viel bericht überliefert. Innerhalb der mit den zweiten Artnamen erhielt, weil Charles mehr Funde von eusozialen Bienenarten Cycadeen (Palmfarnen) verwandten Ben- Darwin postuliert hatte, die Pflanze Ang- als von solitär lebenden. Die hoch-eusozi- nettitales entwickelten sich ebenfalls blü- raecum sesquipedale müsse von einem In- alen Bienen der Gattung Apis haben sich tenartige Organe. Mitglieder dieser Grup- sekt mit extrem langem Saugrüssel besucht seit dem Oligozän morphologisch kaum pe traten bereits in der Trias und im Ju- werden. Nicht immer allerdings funktio- verändert, dies könnte auch damit zusam- ra auf. Als potentielle Bestäuber sind Käfer nieren die lange evolvierten Mechanismen menhängen, dass Eusozialität die Evoluti- und Zweiflügler in der Diskussion. Auch – manche Insekten beißen sich ihren Weg onsgeschwindigkeit offenbar verlangsamt. bei Cycadeen ist die Bestäubung durch In- zum Nektar einfach durch. Und unter den Auch wenn innerhalb des Stamms der sekten weit verbreitet. Zwar besitzen diese Pflanzen gibt es nicht wenige, die eine Apini die Diversität nicht besonders hoch keine Blüten im engeren Sinne, produzie- Nektarabgabe vermeiden und stattdessen ist, ist diese Gruppe doch für Biologen ren jedoch Duftstoffe und nektarähnliche z.B. potentielle Geschlechtspartner imitie- von besonderem Interesse, da sie beson- Tropfen. Bei den Blütenpflanzen hat sich ren, wie der Fliegen-Ragwurz. dere Verhaltensweisen zeigt, z.B. den fos- seit der Kreidezeit eine hohe Diversität sil leider nicht nachweisbaren Schwänzel- von Blütentypen entwickelt. Die Funk- tanz, und sich bei ihnen die höchste Stufe tion der Blüten besteht darin, Bestäuber von Sozialität innerhalb der Hymenoptera (in der Regel Insekten) mit Nahrung (bei herausgebildet hat. Nicht zuletzt sind die stärker abgeleiteten Blütenpflanzen in der Apini wegen ihrer Bedeutung für die Be- Regel Nektar) anzulocken und ihnen Pol- stäubung von Nutpflanzen ein wichtiger len mitzugeben, mit dem eine andere Blü- wirtschaftlicher Faktor. te befruchtet wird. Leider ist das Fossili- Die frühesten Schmetterlinge sationspotential von Blüten nicht hoch, Ebenso wie bei den Bienen ist auch so dass evolutive Zwischenschritte nur in bei den Schmetterlingen der Aspekt der Ausnahmefällen überliefert sind. Einige Koevolution mit Blütenpflanzen be- der frühesten überlieferten Blüten stam- sonders wichtig. Sichere Nachweise für men aus der Unterkreide Chinas. Abbil- Schmetterlinge gibt es bisher erst ab dem Abb. 2: Apis armbrusteri (Stuttgarter Museum für dung 1 zeigt eine Blüte aus dem eozänen Naturkunde, SMNS 64674/49) aus dem Miozän Jura, und die Radiation dieser Gruppe ist Baltischen Bernstein. Süddeutschlands (Foto: Ulrich Kotthoff). während der Kreide besonders intensiv 15 und ereignet sich parallel zur Radiation diziert. Es gibt aber auch viele Facetten der Sadowski, E.-M., Seyfullah, L.J., Sa- der Blütenpflanzen. Allerdings haben nie- Symbiose, z.B. im Zusammenhang mit dowski, F., Fleischmann, A., Behling, H., derländische Wissenschaftler inzwischen dem Schutz vor Fressfeinden. Ein für die Schmidt, A.R., 2015: Carnivorous leaves in palynologischen Präparaten, die eigent- Diversitäts- und Disparitätsentwicklung from Baltic amber. PNAS 112, 190-195. lich für die Analyse fossilen Pollens ge- besonders wichtiger Aspekt ist die Be- Willis, K, McElwain, J, 2013: The evolu- dacht waren, Schuppen gefunden, die auf stäubung von Pflanzen mit blütenartigen tion of plants. Oxford University Press, 2. die Präsenz von Schmetterlingen bereits Strukturen durch Insekten. Gerade Bie- Auflage, 408 Seiten. gegen Ende der Triaszeit hindeuten (van nen und Blütepflanzen haben eine beson- van de Schootbrugge, B., van Eldijk, T., de Schootbrugge et al., 2017). Nach van ders enge Koevolution durchgemacht, und Wappler T., Strother, P., van der Weijst, C., de Schootbrugge et al. (2017) waren die- ebenso impliziert der Fossilbericht, dass Rajaei, H., Visscher, H., 2017: Lepidopte- se frühen Schmetterlinge möglicherweise die Diversitätsentwicklung der Schmetter- ra (moths and butterflies) thrived in gym- an Nacktsamer angepasst. Später im Me- linge und Blütepflanzen eng verknüpft ist. nosperm forests following the end-Trias- sozoikum begann dann die Co-Evolution sic extinction. Geophysical Research Ab- mit den Blütenpflanzen. Diese neuen Er- Literatur: stracts 19, EGU General Assembly 2017. gebnisse passen auch mit molekulargeneti- Engel, M.S., Barden, P., Riccio, M.L., schen Analysen gut zusammen. Grimaldi, D.A., 2016: Morphologically Anschrift des Verfassers: Fazit specialized termite castes and advanced so- Dr. Ulrich Kotthoff Die Koevolution der Pflanzen und In- ciality in the Early Cretaceous. Geologisch-Paläontologisches Museum sekten hat verschiedene Aspekte. Häufig Biology 26, 522-530. und Institut für Geologie geht es um „Räuber-Beute-Verhältnisse“, Grimaldi, D.A., Engel, M.S., 2004: Evo- Bundesstrasse 55 dies ist mindestens seit dem Karbon vor lution of the insects. Cambridge Universi- 20146 Hamburg 350 Millionen Jahren im Fossilbericht in- ty Press, 772 Seiten. Email: [email protected]

Vortrag vom 30. März 2017 Ernst-Hermann Solmsen Rückkehr der Wölfe nach Deutschland - Mythen und Fakten: Was kann die Säugetierbiologie zur gesellschaftlichen Diskussion beitragen?

Die Wiederansiedlung des Wolfes Die Ausbreitung des Wolfes in Deutschland verfolgte Menschen ergänzen die- in Deutschland unter dem Schutz ses Bild. Die so tradierten Einschät- der Europäischen Naturschutzge- 6 % zungen sind erst in der zweiten Hälf- 9 % setze findet in der Gesellschaft ein te des 20.Jahrhunderts durch grund- 44 nde ich gut geteiltes Echo: einerseits wird die legende Forschungsarbeiten geprüft Rückkehr von Europas bekann- 41 nde ich nicht gut und oftmals korrigiert worden. testem Beutegreifer fast enthusias- Erkenntnisse der Ethologie über 44 % 9 ist mir egal tisch begrüßt, andererseits stößt die- 41 % das Verhalten und das Sozialleben se - vor allem bei Jagdausübenden 6 weiß nicht der Wölfe (Zimen, 1972; Mech, und Weidetierhaltern - auf Zurück- 1975) sind damals in den Wissen- Quelle: BfN Naturbewußtseins- haltung bzw. offene, teils aggressi- studie 2013 salltag eingezogen. Während Erik Zi- ve Ablehnung. In der gesellschaft- men das Sozialverhalten an einem lichen und politischen Diskussion Abb1: BfN Naturbewusstseinsstudie 2013 künstlich zusammengestellten Wolfs- prallen diese polaren Einstellun- rudel unter Ge­he­gebedingungen er- gen oft kompromisslos aufeinander. Fak- schiedlichen Sichtweisen nahezu gleich- forscht und be­schrieben hat, widmete sich ten und Mythen sind nicht immer deut- gewichtig gegenüber (Abb.1 BfN Natur- Dave Mech zeitgleich in den USA der Be- lich getrennt. Vor diesem Hintergrund bewusstseinsstudie 2013). Die diametral obachtung von freilebenden natürlichen sind nachvollziehbare Daten aus der Säu- gegensätzliche Einstellung ist dabei vor- Wolfsrudeln auf der Isle Royale (Upper getierbiologie zur Bewertung der politi- rangig der gesellschaftlichen Identifikation , Michigan). Beide Ansätze haben das schen Argumente umso wichtiger. mit der eigenen Gruppe geschuldet und moderne Wissen über Wölfe entscheidend Wölfe sind in Deutschland streng ge- weniger an inhaltlichen Differenzen fest- geprägt: von Zimen haben wir vieles über schützt: Sowohl international durch das gemacht (Lüchtrath & Schraml , 2015) Mimik, Gestik und Kontext von Aus- Washingtoner Artenschutzabkommen als Gleichzeitig sind alle kritischen Disku­ drucksformen bei Wölfen gelernt. Dave auch europäisch (FFH-Richtlinie) und na- tanten davon überzeugt, bestens über Mech hat uns Einblick in das Jagd- und tional (BNaSchG). Die eindeutige Rechts- Wölfe Bescheid zu wissen – das liegt dar- Sozialverhalten sowie die engen Beziehun- lage findet sich im Widerspruch zu der an, dass wir schon von Kindheit an Infor- gen zwischen Beutetieren und Beutegrei- sehr intensiv geführten politischen Kont- mationen zu Wölfen bekommen. Im Mär- fern unter natürlichen Bedingungen ver- roverse. Diese ist geprägt von der gegen- chen steht der Wolf sinnbildlich für das mittelt. Obwohl diese ökologischen Be- sätzlichen Interessenlage gesellschaftlicher Böse, Gefahr oder Täuschung durch List. funde nach wie vor gültig sind, hat sich Teilgruppen. Dabei stehen sich die unter- Literarische Erzählungen über von Wölfen mit der erst später intensivierten Befor- 16 schung der Europäischen Wölfe (Boi- ten Rudeln gewonnenen Erkenntnis- tani et al., 1979; Ansorge et al., 2007) SCALP-KRITERIEN se zum Dominanzverhalten von Wöl- eine Fülle an ergänzendem und zum STATUS AND CONVERSATION OF THE ALPINE LYNX POPULATION fen sind in diesen Familienverbänden

Teil auch korrigierendem Wissen er- • C1 (eindeutiger Nachweis): harte Fakten, die die Anwesenheit nicht zu beobachten, hier sind die El- öffnet. Vor allem der Fortschritt im der entsprechenden Tierart eindeutig bestätigen (Lebendfang, tern unangefochten – ernsthafte Rang- Genetik Totfund, genetischer Nachweis, Foto, Telemetrieortung) Bereich der bietet in Be- • C2 (bestätigter Hinweis): alle Hinweise (Spur, Kot oder Riss), ordnungskämpfe unter den Geschwis- zug auf Herkunft, Verwandtschafts- welche anhand aussagekräftiger Dokumentationen von einer tern sind unüblich. beziehungen und individuelle Iden- erfahrenen Person überprüft und bestätigt werden können. Mythos: Wölfe hetzen ihre Beute • C3 (unbestätigter Hinweis): alle Hinweise, bei denen ein Wolf, tifikation weitreichende Einsichten. Bär oder Luchs aufgrund mangelnder Indizienlage weder bestä- und überwältigen sie im Rudel Oft lassen sich allerdings die in unter- tigt noch ausgeschlossen werden kann Realität: in unseren Rudeln jagen zu- • Falschmeldung: Hinweis, bei dem die entsprechende Tierart schiedlichen Europäischen Ländern zweifelsfrei ausgeschlossen werden kann. nächst nur die Elterntiere und dies durchgeführten Untersuchungen zum • Keine Bewertung möglich: Hinweise, zu denen aufgrund auch oft allein. Das mag an der verfüg- fehlender Mindestinformationen keine Einschätzung möglich ist, Wolf wegen nicht einheitlicher mole- z.B. Sichtmeldungen von Rissen oder Spuren. baren Beute liegen, die bei uns über- kulargenetischer Marker methodisch wiegend aus Rehwild besteht. Rehe nicht unmittelbar vergleichen – dies Tafel 1: SCALP-KRITERIEN sind für einen allein jagenden Wolf ei- ist dringend verbesserungsbedürftig ne sicher zu erlegende Beute, dement- (de Groot et al, 2016). mehr, mal weniger skurrilen Vorstellungen sprechend erhöht sich der Erfolg des Ru- Vor allem das Monitoring ist zuneh- über Wölfe in der Bevölkerung auseinan- dels, wenn die Mitglieder einzeln jagen. mend professionalisiert worden: Neue ver- derzusetzen. Nachfolgend werden gängi- Ohne Zweifel ermöglicht die koordinier- fügbare biologische Methoden und ein- ge (Fehl-)Einschätzungen zur Lebensweise te Jagd mehrerer ausgewachsener Wölfe heitliche Standards (SCALP-Kriterien, von Wölfen („Mythen“) säugetierbiologi- die Auswahl größerer und kräftigerer Beu- TAFEL 1) tragen zur gegenwärtigen Qua- schen Erkenntnissen (Fakten / „Realität“) tetiere. Dies lässt sich vor allem in Nord- lität der Daten bei. Die Verfahren zur Er- in vier Themenbereichen gegenüberge- amerika am Beispiel von Bison, Elch und fassung des Bewegungsmusters haben sich stellt: Wapiti immer wieder einmal beobachten. mit Entwicklung der Radiotelemetrie ent- Allerdings sind es auch dort bei genauerer scheidend verbessert: zusätzlich zu Sich- 1. Wolfsbiologie: Betrachtung nur ein oder zwei – erfahre- tungen, gesicherten Fährten und Foto- Mythos: „Wölfe passen nicht in unsere ne - Tiere, die jagdentscheidend die Beu- dokumenten durch Wildkameras können Kulturlandschaft – Wölfe brauchen Na- te überwältigen. Dabei werden aber sehr nicht nur Wolfsvorkommen eindeutig be- tur“ Wolfsfreunde und Gegner meinen genau die Tiere aus einer Herde ausge- legt werden - bei Bedarf ist auch die ge- oft, die großen Beutegreifer benötigen ei- wählt, die mit der höchsten Wahrschein- zielte kontinuierliche Erfassung des Be- ne ursprüngliche Landschaft mit dünner lichkeit und mit dem geringsten Kraft- wegungsmusters besenderter Einzeltiere Besiedlung und wenig menschlicher Infra- aufwand bzw. Risiko überwältigt werden möglich. Damit lassen sich auch Rück- struktur können. Dazu werden größere Gruppen schlüsse auf das Ortsverhalten des zuge- Realität: Gerade die Umstände der selb- von Beutetieren durch Treiben auf indivi- hörigen Rudels und mittels molekular- ständigen Wiederbesiedelung Deutsch- duelle Fitness getestet. Schon kleinste Auf- biologischen Nachweises (DNA in Lo- lands zeigen uns, dass Wölfe außerordent- fälligkeiten im Bewegungsmuster lenken sung) auf populationsbiologische Fragen lich anpassungsfähig sind. Sie kommen die Aufmerksamkeit der Jäger auf ein Op- ziehen. So gibt es z.B. für zwei Gründerfä- mit unterschiedlichsten Landschaftsfor- fer und sorgen für konzentrierte, unbeirr- hen (FT1 „Sunny“; 2001-2011 und FT3 men klar, sofern das Nahrungsangebot te weitere Verfolgung dieses Einzeltiers in- „Einauge“; 2000-2013) genaue Daten zur ausreicht und die Tiere sich zur Jungen- mitten der verwirrenden Fülle der flüch- Nachkommenschaft und deren weiteren aufzucht in von Menschen ungestörte Ge- tenden Herde. Verbleib. Und aus den Aufzeichnungen biete zurückziehen können. des telemetrierten Rüden MT3 („Alan“) Mythos: Wölfe leben (und jagen) üb- 2. Effekte der Wölfe auf andere Wild- wissen wir, dass dieser innerhalb weni- licherweise im Rudel, dieses weist eine tiere ger Wochen ca. 1500 km von Sachsen aus streng hierarchische Struktur auf, um Mythos: Wölfe machen das Wild scheu über Polen und Litauen bis nach Weiss- die gekämpft wird Realität: tatsächlich reagieren Wildtie- russland gelangte (Reinhardt, 2015). Realität: die aus der belletristischen Li- re auf Anwesenheit von Prädatoren. Dies Wesentliche Informationen zur Biologie teratur wie aus den nordamerikanischen betrifft auch das heimische Wild; Hirsche unserer Wölfe liefern Totfunde: alle ver- Berichten bekannten großen Rudel gibt und Rehe werden wachsamer und halten fügbaren Kadaver werden zentral im IZ- es bei uns (bislang?) nicht: Gruppen von auch zum Menschen größere Abstände. WF (Institut für Zoo- und Wildtierfor- mehr als zwei Tieren bestehen aus Fami- Gleichzeitig sammeln sich mehr Indivi- schung) Berlin gesammelt und gründlich lienverbänden, in denen ein Elternpaar duen in größeren Hirschrudeln. Gemsen untersucht. Neben natürlichen Todesursa- mit seinen heranwachsenden im Spätsom- in den Abruzzen haben in Folge stän- chen (Krankheit, Verletzungen, Parasiten) mer und Herbst (dann in der Körpergrö- diger Kontakte mit der dort ansässigen sind es aber vor allem der Straßenverkehr ße nicht so ohne weiteres unterscheidba- Wolfspopulation eigene Verhaltensände- und an zweiter Stelle leider illegale Tötun- ren) Jungtieren zusammenlebt. Spätestens rungen entwickelt, die zur zwischenart- gen, denen Wölfe bei uns zum Opfer fal- mit zwei Jahren wandern die Jungtiere ab lichen Kommunikation dienen (Baruzzi len (Hofer, 2015). und versuchen, selbst einen Partner zu fin- et al., 2017) Aus den USA ist bekannt, Solche Erkenntnisse bieten die ratio- den und eine Familie zu gründen. Die in dass das Vorhandensein von Wölfen, das nale Basis, um sich sachlich mit den mal Gehegen an künstlich zusammengesetz- Raumnutzungsverhalten der Wapiti-Hir- 17 sche derart verändert, dass sich die Struk- ter, dass ihre Tiere durch Wölfe in Panik von aus, dass der Wolf aktiv Jagd auf Men- tur des Ökosystems verändert. Dies kann versetzt werden und dann ausbrechen und schen /Kinder macht. durchaus positive Effekte auf die ökolo- sekundär erheblichen Schaden nehmen Mythos: Wölfe jagen und fressen Men- gische Dynamik und Vielfalt bewirken oder auch verursachen könnten. schen (Ripple & Beschta, 2004). Für den Men- Für Schafe gibt es hinreichend sichere Realität: weltweit meiden Wölfe den schen wird die Jagdausübung auf Reh- Schutzmaßnahmen: zum einen hält nach Menschen; dies ist sicher auch eine Folge und Rotwild damit allerdings tatsächlich bisherigen Erfahrungen ein speziell elek- der lang anhaltenden Bejagung und vie- mühsamer. trisch gesicherter Zaun (Mindesthöhe 90 ler (erfolgreicher) Ausrottungsversuche. Mythos: Wölfe vermehren sich explosi- -120 cm, untere stromführende Litze bo- Dementsprechend hat die Zahl der Wöl- onsartig dennah angebracht) Wölfe zuverlässig ab; fe in den letzten 200 Jahren erheblich ab- Realität: Wie alle Organismen unter- darüber hinaus werden zunehmend die genommen. In Europa ist seit 1976 kein liegen auch Wölfe einer von verschiede- aus Ländern, in denen schon immer Wöl- Fall mehr bekannt, in dem ein Mensch nen Parametern beeinflussten „typischen“ fe vorkommen, bekannten Herdenschutz- durch Wölfe zu Tode gekommen ist. Aus Wachstumskurve: das bedeutet, dass sich hunde wieder eingesetzt. Die Wahl der Nordamerika sind allerdings zwei Fälle aus wenige Gründerindividuen, nach kurzer Methode hängt von den Möglichkeiten jüngster Vergangenheit bekannt, die ein- kritischer Phase bald in einem steilen An- im Einzelnen ab. gehend untersucht wurden: In Kanada stieg bis zum ökologischen Maximum ver- Im Zuge des Einsatzes von Herden- wurde 2007 der Student Kenton Carnegie mehren, welches nicht überschritten wird. schutzzäunen entpuppte sich ein weite- beim Campen in Alberta von (auch vorher Die Populationsentwicklung im Yel- rer Mythos: Wölfe springen nicht über schon Menschen gegenüber selbstbewusst lowstone Nationalpark (U.S.A.) in der Schutzzäune auftretenden) Wölfen getötet. 2010 ver- Zeit von der Wiederansiedelung 1995 bis Realität: Tatsächlich bevorzugen Wölfe folgten Wölfe in Alaska die allein joggende 2015 zeigt bis 2003 einen Anstieg bis auf den Weg unter dem Zaun hindurch, mitt- Lehrerin Candice Berner offenbar unbe- maximal 173 Tiere; nach einem Abfall lerweile sind aber Wolfsangriffe auf Gat- merkt und töteten sie (McNay, 2007). Aus 2005 auf 118 Tiere stieg die Zahl in den terwild aktenkundig, bei denen sogar Zäu- Indien sind sowohl aus der Provinz Bihar Folgejahren wieder an und pendelte sich ne von 180 cm übersprungen wurden. (Shahi 1982; Rajpurohit 1999) als auch ab 2009 auf knapp 100 Tiere ein (Mech, Besonders gefährdet durch Wölfe sind al- aus Uttar Pradesh (Jhala &Sharma 1997) 2015). lerdings Hunde. Diese sind als Artgenos- mehrere Fälle belegt, in denen sich einzel- sen für einen Wolf immer von Interesse; sei ne Wolfsrudel auf vernachlässigte Kinder 3. Gefahr für Haus- und Nutztiere es als empfundener territorialer Eindring- spezialisiert hatten – nach Tötung der be- (Schafe, Rinder, Pferde, Hunde) ling oder als möglicher Geschlechtspart- treffenden Tiere war das Problem beho- Obwohl Wölfe sich überwiegend bis ner. Dementsprechend sollten Hundehal- ben, die verbleibenden Wölfe blieben un- ausschließlich von Wildtieren ernähren, ter im Wolfsgebiet ihre Hunde an der Lei- auffällig. Aus der Literatur lässt sich fol- so sind sie doch ausgeprägte Nahrungs- ne führen und unnötige Annäherungen gern, dass Wölfe nur unter bestimmten opportunisten und nutzen als solche je- vermeiden. extremen Voraussetzungen (vgl. Linnell et de sich ergebende Möglichkeit, Beute zu al. 2002) den Menschen als Beute verfol- machen. Deshalb sind Nutztierhalter gut 4. Gefahr für Menschen gen. Die reale Gefahr für Menschen ist bei beraten, sich auf das Vorhandensein von Der Wolf ist derzeit der einzige bei uns Beachtung von den empfohlenen Verhal- Wölfen einzurichten und ggf. Schutzmaß- vorkommende Beutegreifer, der dem Men- tensregeln (Ruhe bewahren, selbstbewusst nahmen zu ergreifen. Von unseren hie- schen potentiell gefährlich werden kann. abwarten, keinesfalls davonlaufen sondern sigen Haustieren sind es vor allem Scha- Darüber hinaus blicken wir historisch auf ggf. entschlossen zur Wehr setzen) äußerst fe und Ziegen, die bekanntermaßen für ein intensives Nebeneinander voller Kon- gering. Wölfe hoch attraktiv sind – hier sind Her- flikte zurück. Diese Sonderstellung sorgt In diesem Zusammenhang wird oft ge- denschutzmaßnahmen unerlässlich (Rein- für eine weit verbreitete und tief verwur- fordert, Wölfe zu bejagen, damit sie die hardt et al. 2007). zelte Angst. Diese geht unterschwellig da- Scheu vor den Menschen bewahren. Da- Rinder sind als ausgewachsene Tiere bei werden von beiden Seiten Mythen in kaum gefährdet, trotzdem sind die Diskussion eingebracht: vereinzelte Angriffe auf (auch Mythos: Der Abschuss von Wöl- schon schwerere) Kälber doku- fen verringert die Übergriffe auf mentiert. Herdenschutz ist bis- Nutztiere lang nicht erprobt, offenbar ent- Realität: Studien aus dem Wes- spricht das tatsächliche Risiko ten der USA, in denen die Wölfe hier nicht dem erheblichen Auf- außerhalb der Nationalparks ge- wand. jagt werden, belegen einen parado- Ähnlich gilt für Pferde, dass sie xen Effekt: der Abschuss von Ein- üblicherweise nicht das Interesse zeltieren verändert nichts an der von Wölfen wecken. Pferde zei- Wolfspräsenz, sprich: Wahrschein- gen gegenüber aggressiven Cani- lichkeit, dass Wölfe auf Nutztiere den ein effektives natürliches Ab- treffen. Im Gegenteil: werden aus wehrverhalten. Dementsprechend einem Wolfsrudel die erfahrenen ist die größte Sorge der Pferdehal- Abb. 2: Wolfsrüde des „Rheinmetall Rudels“ Foto: Theo Grüntjens Tiere entfernt, steigt der Anteil der 18 Angriffe auf Nutztiere an. Diese stellen im entwickeln, ist es von entscheidender Be- position to large carnivores. Wildlife Bio- Vergleich zu Wildtieren die leichtere Beu- deutung, den ökologischen, ästhetischen logy 21:110-119 te und sind für unerfahrene Wölfe attrak- und auch wirtschaftlichen Nutzen, den McNay ME (2007): A review of evidence tiv (Wielgus und Peebles, 2014). eine die großen Raubtiere mit einschlie- and findings related to the death of Ken- Mythos: Der Abschuss von Wölfen hat ßende Artenvielfalt für die Gemeinschaft ton Carnegie on November 8, 2005 near keinen Einfluss auf das Verhalten gegen- bringt, zu benennen. Dazu sind die – in- points north, Saskatchewan. Alaska De- über Menschen, da das abgeschossene dividuell oft überrepräsentativ empfunde- partment of Fish and Game, Fairbanks Tier seine Erfahrung nicht mehr weiter- nen – Risiken für die Gesellschaft insge- Mech, D.(2015): Die Wiederansiede- geben kann. samt realistisch einzuschätzen und dem lung von Wölfen im Yellowstone-Natio- Realität: Einerseits zeigt die Beobach- Nutzen gegenüberzustellen. Hier kommt nalpark - Erfahrungen und gesellschaftli- tung weltweit, dass dort, wo Wölfe kon- der Säugetierbiologie eine wichtige Rol- che Folgen; Vortrag Internationale Wolfs- tinuierlich bejagt werden, die Tiere den le zu. konferenz „Mensch, Wolf!“ in Wolfsburg; Menschen konsequent meiden. Dazu be- NABU-Bundesverband darf es aber nicht zwingend der indivi- Literatur: Morehouse A.T.& Boyce,M. (2011): duellen Erfahrung des Einzeltiers. Unter- Ansorge H. & J.Schellenberg 2007; Die From venison to beef: seasonal changes in schiedliche Wesenseigenschaften variieren Rückkehr des Wolfes in die Oberlausitz . wolf diet composition in a livestock gra- genauso wie andere Merkmale. Die Vertei- Ber.Naturforsch.Ges.Oberlausitz 15: 105- zing landscape. Frontiers in Ecology and lung innerhalb der Population unterliegt 112 the Environment 9: 440–445. äußeren Einflüssen, wie zum Beispiel dem Baruzzi C. et al. 2016: Catch me if you Rajpurohit (1999): Child lifting: Wolves „Jagddruck“: unbekümmerte, kecke Tiere can: antipredatory behaviour of chamois in Hazaribagh, India. AMBIO A Journal (bold types) werden der Jagd häufiger zum to the wolf. Ethology,Ecology&Evolution, of the Human Environment 28(2):162- Opfer fallen als zurückhaltende, vorsich- 2017 166 tige Charaktere (shy types). So wirkt über Boitani et.al. (1979): Status of the wolf Reinhardt I.&G. Kluth (2007): Leben Generationen ein Selektionsdruck, der in Europe and the possibilities of conser- mit Wölfen Leitfaden für den Umgang scheue Tiere begünstigt und dieses Verhal- vation and reintroduction; in Zimen, E. & mit einer konfliktträchtigen Tierart in tensmuster vorrangig etabliert. L. Boitani - The behavior and ecology of Deutschland BfN-Skripten 201 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass wolves, 1979 - Garland, Amsterdam Reinhardt, I. (2015): Wölfe in Euro- bei einer realistischen Betrachtung die Ge- Breitenmoser, U. (2014): „Wie können pa und Deutschland – Status, Verbrei- fahr, die von der Rückkehr der Wölfe aus- wir die Koexistenz mit großen Prädatoren tung und Monitoring; Vortrag Internati- geht, äußerst gering ist. Im Gegensatz zu hinbekommen?“ Vortrag 88. DGS Jahres- onale Wolfskonferenz „Mensch, Wolf!“ in der empfundenen Furcht und der ver- tagung Giessen Wolfsburg; NABU-Bundesverband ständlichen Empörung über immer wie- de Groot et al. (2016): Decades of popu- Ripple, WJ & RL Beschta (2004): Wol- der einmal getötete Schafe wird den meis- lation genetic research reveal the need for ves and the ecology of fear: can predati- ten Menschen auch bei weiterem Anwach- harmonization of molecular markers: the on risk structure ecosystems? BioScience, sen der Wolfspopulation der Anblick eines greywolf Canis lupus as a case study; Mam- 2004 - BioOne Wolfes in freier Natur – je nach Sichtweise mal Review ISSN 0305-1838 Shahi, SP (1982): Status of the grey wolf - vorenthalten oder erspart bleiben. Wöl- European Commission (2015): Key ac- (Canis lupus pallipes Sykes) in India— fe kommen mit unserer technisch gepräg- tions for Large Carnivore populations in a preliminary survey. J Bombay Nat Hist ten Kulturlandschaft gut zurecht - aber Europe Soc 79(3):493–502 wie schaffen wir es, mit den großen Prä- Hofer, H. (2015): Was wir von den To- Steele, JR et al. (2013): Wolf (Canis lu- datoren zu leben? Die Zukunft der Wöl- ten lernen – Post-Mortem Wolfsmonito- pus) Predation Impacts on Livestock Pro- fe in Europa hängt vornehmlich davon ab, ring in Deutschland; Vortrag Internatio- duction: Direct Effects, Indirect Effects, welche Einstellung zu ihrer Rückkehr bei nale Wolfskonferenz „Mensch, Wolf!“ in and Implications for Compensation Rati- der Mehrheit der Gesellschaft vorherrscht. Wolfsburg; NABU-Bundesverband os . Rangeland Ecology & Management, Dabei konkurrieren zwei unterschiedli- Jhala, Y.V. & Sharma D.K. (1997): Child 66(5):539-544. 2013 che Sichtweisen (Breitenmoser, 2014): die lifting by wolves in eastern Uttar Pradesh, Wielgus R.B. & KA Peebles (2014): Ef- anthropozentrische Perspektive gibt die India. Journal of Wildlife Research, 2, 94- fects of Wolf Mortality on Livestock De- Ansicht wieder, dass großen Raubtieren in 101 predations. PLOS ONE | DOI:10.1371/ unserer Kulturlandschaft der Lebensraum Linnell J. (2002): The fear of wolves: A journal.pone.0113505 December 3, 2014 fehlt und sie Wild- und Haustieren Scha- review of wolf attacks on humans. NINA Zimen, E. (1972): Wölfe und Königs- den zufügen. Deshalb seien sie überflüs- NIKU Stiftelsen for naturforskning og pudel - Vergleichende Verhaltensbeobach- sig, ihre ökologischen Funktionen könn- kulturminneforskning., Editor: Linnell J. tungen; Ethologische Studien, Herausge- ten vom Menschen übernommen wer- Linnell J. & J.Alleau (2016): Predators ber Wolfgang Wickler; R. Piper & Co den. Dagegen räumt die biozentrische That Kill Humans: Myth, Reality, Con- Verlag München ISBN 3-492-01921-8; Perspektive den großen Beutegreifern ein text and the Politics of Wolf Attacks on pp.257 grundsätzliches Existenzrecht ein und be- People; in “Problematic Wildlife” F.M. wertet sie als wichtigen Bestandteil unse- Angelici (ed.), Springer International Pub- rer Natur, den es zu bewahren gilt(Abb.2). lishing Switzerland 2016: 357-371 Anschrift des Verfassers: Um eine mehrheitlich biozentrisch aus- Lüchtrath A. & U.Schraml (2015): The Dr. Ernst-Hermann Solmsen gerichtete gesellschaftliche Einstellung zu missing lynx – understanding hunters‘ op- Email: [email protected] 19 Vortrag vom 20.April 2017 Martin Husemann Phylogeographie und Evolution der Ödlandschrecken: Weltweite Fallstudien zur Diversifizierung der Oedipodinen

Die Ödlandschrecken (Oedipodinae) sucht. Diese Art ist besonders weit verbre- Gattung Sphingonotus auf dem Amerika- gehören mit ihren farbenfrohen Flügeln tet und kommt in ganz Nordamerika von nischen Festland, von dem sie mittlerweile zu den auffälligsten einheimischen Heu- Canada bis Mexico und in Südamerika bis verdrängt wurde (Husemann et al. 2015). schrecken. Allerdings ist die Gruppe in nach Argentinien vor. Wir haben die Bio- Als ähnlich kompliziert stellt sich die Be- Deutschland recht artenarm und hat ihren geographie der Art wiederum mit geneti- siedlung der Kanarischen Inseln durch die Diversitätsschwerpunkt in den Halbwüs- schen Methoden über die ganze Verbrei- Gattung dar. Auf den Kanarischen Inseln ten und Wüsten Amerikas, Afrikas und tung hinweg untersucht. Die Daten haben kommen sieben endemische Arten und Asiens. Die Verwandtschaftsbeziehungen gezeigt, dass die Art vermutlich in Nord- zwei weiter verbreitete Sphingonotus Arten innerhalb der Ödlandschrecken sind wei- amerika entstanden ist, von wo aus sie sich vor (Abb. 3). Klassische Inselbesiedlung testgehend ungeklärt, was der großen mor- nach dem Schluss des Isthmus von Pana- geschieht zumeist nach einem Trittstein- phologischen Ähnlichkeit von Arten und ma vor ca. 1.3 Millionen Jahren nach Süd- Verfahren: Die Inseln werden von na- Gattungen auch über kontinentale Gren- amerika ausgebreitet hat. Eine zweite Aus- he gelegenen Festland zumeist der Reihe zen hinweg zu schulden ist. Zwei Stäm- breitungswelle führte zur Besiedlung von nach besiedelt und entwickeln sich in der me innerhalb der Ödlandschrecken haben Chile und Argentinien. Vor ca. 500 000 Isolation zu neuen Arten. Im Stammbaum hier für besondere Verwirrung gesorgt, da Jahren haben die Schneedecken der An- stellen diese Inselradiationen dann mo- sie mit verschiedenen Gattungen sowohl den schließlich zu einem Vikarianz-Er- nophyletische Gruppen dar. Der Stamm- in der Alten als auch in der Neuen Welt eignis geführt, das die Evolution von Tri- baum von Sphingonotus unterscheidet sich vertreten sind: Die Sphingonotini waren merotropis ochraceipennis in Chile zur Fol- deutlich von diesem Grundmuster. Die mit der Gattung Sphingonotus vor allem in ge hatte (Husemann et al. 2012b). endemischen Arten gruppieren verstreut Eurasien und Afrika zu finden, wohinge- Die Gattung Sphingonotus weist im Ver- über den ganzen Baum ohne erkennba- gen Trimertropis in Nord und Südameri- gleich zu Trimerotropis keine Chromoso- res Muster. Zudem gruppieren sie sowohl ka verbreitet ist. Die Bryodemini hingegen menvariabilität auf (Husemann et al. in mit nordafrikanischen Arten, aber auch sind mit den ähnlichen Gattungen Bryode- Arbeit). Nichtsdestotrotz ist sie sehr di- mit Arten aus Europa, vornehmlich von ma und Bryodemella in Eurasien zu finden, vers und gehört mit mehr als 150 Arten der Iberischen Halbinsel. Dieses Ergebnis wohingegen Circotettix in Nordamerika zu zu den artenreichsten Gattungen der Öd- legt nahe, dass die Kanaren mehrfach un- finden ist. Die Bryodemini sind leicht an landschrecken. Die morphologische Viel- abhängig voneinander von verschiedenen den sehr breiten Vorder- und Hinterflü- falt innerhalb der Gattung ist allerdings Quellen besiedelt wurden. Zudem sind geln und den verdickten Adern der Hin- recht beschränkt und bezieht sich vor al- die Arten sehr viel jünger, als die Inseln terflügel von den Sphingonotini zu un- lem auf die Bänderung und Aderung der selbst was vermuten lässt, dass es häufige terscheiden. Mit genetischen Methoden Flügel (Abb. 2). Die Gattung hat eine wei- Aussterbeereignisse auf den Kanaren gab haben wir zwei konkurrierende Hypothe- te Verbreitung hat aber ihre Verbreitungs- (Husemann et al. 2014). Interessanterwei- sen getestet: 1) Die aktuelle Taxonomie schwerpunkte im Mediterranen und in se kommen auf den Kanaren aber generell ist korrekt und die verschiedenen Flügel- West- und Zentralasien. Allerdings gibt es nur einzelne Arten auf den Inseln vor und typen sind jeweils nur einmal evolviert. einige Interessante Außenposten in Aus- es gibt kaum sympatrische Vorkommen 2) Die Taxonomie ist falsch und die ver- tralien, in der Karibik und auf Galapa- mit den weiter verbreiteten Arten. dickten Flügel sind mehrmals konvergent gos. Die Verbreitung der Gattung ist un- Diese Situation unterscheidet sich deut- entstanden (Abb. 1). Die Stammbaumre- gewöhnlich, und es wurde in der Vergan- lich von dem Muster in Nordafrika und konstruktion hat eindeutig die zweite Hy- genheit gemutmaßt, dass die Vorkommen im Mediterranen Europa. Hier kommen pothese unterstützt; alle Alt-Welt-Taxa ha- in der Karibik auf menschliche Verschlep- im Zuge der eiszeitlichen Wiederausbrei- ben zusammen gruppiert und stellen die pung zurück zu führen sind. Ein alterna- tung häufig mehrere Arten syntop vor Tribi Bryodemini und Sphingonotini, die tives Szenario könnte eine falsche Einord- (Husemann et al. 2013). In solchen sym- deutlich zu unterscheiden sind. Die breit- nung der Arten auf taxonomischer Ebe- patrischen Situationen müssen effektive flügeligen Formen in Amerika haben sich ne sein. Auch diese Hypothesen haben reproduktive Isolationsmechanismen aus- als nicht monophyletisch dargestellt und wir mit genetischen Methoden untersucht gebildet sein, um Hybridisierung zu ver- wurden daher zusammen mit den schmal- und herausgefunden, dass die Karibische hindern. Bei Heuschrecken stellen Ge- flügeligen Arten in dem wieder errichte- Art Sphingonotus haitensis und der Gala- sänge wichtige präzygote Mechanismen ten Tribus Trimerotropini zusammenge- pagos Endemit Sphingonotus fuscoirroratus dar. Die Gesänge werden bei den Öd- fasst (Husemann et al. 2012a). Schwesterarten sind, die ihre nächsten Ver- landschrecken generell mit einer gezähn- Die Trimerotropini haben sich in der wandten in Eurasien und nicht in Ameri- ten Ader auf den Vorderflügeln erzeugt, Vergangenheit als evolutionsbiologisch ka haben. Zudem sind die Arten sehr alt, über die eine Leiste auf dem Hinterschen- interessante Gruppe herausgestellt, da sie so dass anthropogene Verschleppung aus- kel gerieben wird. Bei fast allen Ödland- chromosomale Variabilität zeigen. Vor al- geschlossen werden kann. Eine mögliche schrecken ist hierzu die Interkalar-Vene lem die Art Trimerotropis pallidipennis Erklärung dieser Zusammenhänge ist ei- gezähnt. Die Ausnahme stellen die Un- wurde in der Vergangenheit häufig unter- ne ursprünglich weitere Verbreitung der tergattungen Neosphingonotus und Para- 20 sphingonotus dar. Bei Neos- ziell in der Gattung Sphingo- phingonotus werden erhöh- notus äußerst komplex und ge- te Queradern zwischen zwei prägt von Konvergenz und ho- Längsadern zur Stridulation her Dynamik. Das macht die genutzt. Bei Parasphingon- Gattung zu einem guten Mo- tus ist eine andere Ader ge- delsystem, um Artbildung und zähnt. Die Untergattungen Isolationsmechanismen zu ver- sind selbst monophyletisch, stehen. In Zukunft werden ge- gruppieren allerdings inner- nomische Werkzeuge helfen die halb der nominalen Unter- Evolution der Gattung weiter gattung. Eine Sonderstel- aufzuschlüsseln. lung nimmt Sphingonotus Referenzen savignyi ein. Bei dieser Art Husemann, M., Confalonieri, kommt sowohl die gezähn- V., Guzman, N., Danley, P.D., te Interkalar-Ader als auch Cigliano, M.M. (2012b) Bio- die erhöhten Queradern geography of Trimerotropis pal- Abb. 1: Die Gattungen Bryodema und Circotettix zeichnen sich durch breite vor; manchmal an einem Flügel und verdickte Adern aus, wohingegen Trimerotropis und Sphingonotus lidipennis (Acrididae: Oedipo- einzigen Tier. Dieses Muster schmale Flügel haben. Trimerotropis und Circotettix kommen in Amerika vor. dinae): deep divergence within kann entweder durch Hyb- Dagegen sind Sphingonotus und Bryodema in Afrika und Eurasien verbreitet. the Americas. Journal of Bio- ridisierung nahe verwandter geography 40: 261-273. Arten oder auch durch mo- Husemann, M., Depper- mentane Artbildung erklärt mann, J., Hochkirch, A. (2014) werden. Die Verbreitungs- Multiple independent coloni- muster geben keinen Auf- zation of the Canary Islands by schluss. Allerdings ist S. sa- the winged grasshopper genus vignyi auch eine der Arten Sphingonotus Fieber, 1852. Mo- mit dem größten Gesangs- lecular Phylogenetics and Evo- repertoire. Die Art soll bis lution 81: 174-181. zu fünf verschiedene Gesän- Husemann, M., Habel, J. C., ge produzieren können, die Namkung, S.J., Hochkirch, A., vermutlich zumindest zum Otte, D., Danley, P.D. (2015) Teil bei der Partnerwahl Molecular evidence for an Old eingesetzt werden. Einfa- World origin of Galapagos and cher stellt sich die Situation Caribbean grasshoppers (Acri- bei der auch bei uns heimi- didae: Oedipodinae: Sphingo- schen Sphingonotus caerulans notus). PloS One 10: e0118208. und Sphingonotus rubescens Husemann, M., Llucia Poma- dar. Die beiden Arten sind Abb. 2: Morphologische Diversität von Sphingonotus über das ganze Verbrei- res, D., Hochkirch, A. (2013) tungsgebiet. genetisch sehr nahe ver- A review of the Iberian Sphin- wandt und auch morpho- gonotini with description of a logisch nur schwer zu un- new species (Orthoptera: Acri- terscheiden. Trotzdem kom- didae: Oedipodinae). Zoologi- men beide Arten syntop vor. cal Journal of the Linnean So- Hier ist der Gesang das bes- ciety 168: 29-60. te Unterscheidungsmerk- Husemann, M., Namkung, mal: Während S. caerulans S.J., Habel, J.C., Hochkirch, ein relativ einfaches Zirpen A., Danley, P.D. (2012a) Phy- von sich gibt, produziert S. logenetic analyses of band-win- rubescens einen melodischen ged grasshoppers (Orthoptera, fast vogelähnlichen Gesang. Acrididae, Oedipodinae) reveal Ob diese Gesänge Hybri- convergence of wing morpholo- disierung verhindern, muss gy. Zoologica Scripta 41: 515- noch getestet werden, aller- 526. dings sind keine Hybriden bekannt. Anschrift des Verfassers Zusammenfassend ge­ Dr. Martin Husemann spro­chen sind die Evoluti- Centrum für Naturkunde on und die phylogeographi- Martin-Luther-King-Platz 3 schen Muster­ innerhalb der Abb. 3: Endemische Arten der Gattung Sphingonotus für die Kanarischen 20146 Hamburg Ödlandschrecken und spe- Inseln. Email: martin.husemann@ 21 Vortrag vom 18. Mai 2017 Helge Kreutz Eine kurze Geschichte des Nordseeöls* Mit dem vorbereitenden Vortrag zum Sommerausflug und rechtzeitig zum Abbau der ersten, großen Nordsee-Plattform ergab sich die Gelegenheit, einmal aus persönlicher Sicht über ausgewählte Kapitel der Suche und Förderung von Nordseeöl zu berichten. 1952-59: Die Anfänge in den Nieder- ckung des riesigen Groningen Gasfeldes, an den späteren Funden erhielt. Einer der landen dessen Reserven für die Hälfte von Zen- beteiligten Verhandlungspartner erklärte Holland ist uns heute als bedeuten- traleuropa die Umstellung von Kohlegas dieses Abkommen zu einem späteren Zeit- des Gasland bekannt und auf dem We- (Stadtgas) auf Erdgas ermöglichte. punkt wie folgt: „Es war einfach das an- ge, sich in ein führendes Land für erneu- ständigste, das Problem so zu lösen.“ Aller- erbare Energien zu entwickeln. Dies war 1958-1964: Die Aufteilung der Nord- dings fügte der Herr hinzu, dass er dieses nicht immer so. Nach dem Zweiten Welt- see später, nach den großen Ölfunden, auch krieg war Holland für kurze Zeit der größ- Als Ende 1959 die Nachricht von dem Premierministerin Thatcher so zu erklären te Erdölproduzent in Europa, allerdings riesigen Groningenfund an­geb­lich „verse- versuchte, worauf sie kein Wort mehr mit mit relativ kleinen Reserven. Als Nach- hentlich“ durch einen belgischen Senator ihm gewechselt haben soll. Auch Deutsch- folger für die zurückgehende Erdöl- und in die Öffentlichkeit gelangte, wurde die land war mit den anfänglichen Seegrenzen zunehmend unwirtschaftliche Kohlepro- südliche Nordsee zum heißesten Suchge- nicht zufrieden und erhielt später, 1970, duktion stand die weitgehende Umstel- biet der Erde. Die Geologen vermuteten einen vergrößerten Anteil, allerdings unter lung des Landes auf Kernenergie bereits so ähnliche Lagerungsverhältnisse in einem Ausschluss aller bis dahin gemachten Fun- gut wie fest. Der Kernphysiker Wander Jo- Gürtel von Polen bis kurz vor der engli- de. Hieraus ergab sich die seltsame Gestalt hannes de Haas hatte seine Uranvorräte si- schen Küste. Zur Suche mussten nur erst des „Entenschnabels“ (Abbildung 2). cher durch die deutsche Besatzungszeit ge- die Anteile an der Nordsee geklärt wer- Es ist anzunehmen, dass in der britisch- bracht und 1952 die Beteiligung Hollands den. Die gerade formulierte internationale norwegischen Grenzziehung neben An- am norwegischen Forschungsreaktor ver- Konvention für den kontinentalen Schelf ständigkeit wohl auch eine erhebliche Un- anlaßt. Die Suche nach Gas als Alternative konnte in der Nordsee nämlich nicht an- terschätzung der möglichen Öl- und Gas- erlebte dagegen immer wieder Rückschlä- gewandt werden, weil nach der hierin ent- vorkommen seitens der Regierung vorlag. ge. Die großen holländischen Gasreserven haltenen Definition des kontinentalen Für England und insbesondere für London liegen unter einer mächtigen Schicht von Schelfs als Tiefengrenze von 200 Metern war eine Umstellung von Kohle auf Erd- hochmobilem Salz, welches immer wie- Norwegen wegen eines tiefen Grabens un- gas aber dringendst überfällig: In London der das vorzeitige Ende von Suchbohrun- mittelbar vor seiner Küste kaum etwas ab- stellte der Kohlesmog ein tödliches Prob- gen darstellte. Seit 1955 wurden mehr- bekommen hätte. Durch ein großzügiges lem dar. Das bekannte, 1949 geschriebe- fach Anzeichen für Gaslagerstätten gemel- Entgegenkommen von Großbritannien ei- ne Lied „Dirty Old Town“ beschreibt an- det, ohne dass diese aussagekräftig getestet nigte man sich auf eine Teilung entlang der schaulich, wenn auch romantisierend, die werden konnten. Auch Bohrung Slochte- Mittellinie der Nordsee, wodurch Norwe- Probleme mit der rauchbelasteten Früh- ren-1 (1959) sollte erfolglos und vorzeitig gen einen mehr als ausreichenden Anteil lingsluft, den Stadtgaswerken, Kohleka- aufgegeben werden, wogegen sich der jun- nälen und Dampfzügen. Nicht umsonst ge Bohringenieur Jaap Boering entschie- verbat daher die britische Regierung, den wehrte. Jaap, mein späterer Vorge- eventuell gefundenes Gas aus der bri- setzter und Mentor, setzte die Fortsetzung tischen Nordsee zum Kontinent zu ex- der Bohrung durch. Sie führte zur Entde- portieren. Nachdem bereits in den ers- ten 3 Jahren der Gassuche (1964-1966) riesige Funde gemacht wurden, hätte dies beinahe durch Marktsättigung zum vorzeitigen Ende der Suche in der Nord- see geführt. Das Exportverbot und der Ersatz von Kohlestrom durch Gas wur- de erst in den 80er Jahren aufgehoben.

1962-1968: Die Entwicklung von geeigneten Bohranlagen für die Nord- see Die Suche nach Öl und Gas unter dem Meer steckte zur Anfangszeit der Nord- see noch in den Kinderschuhen. Zwar Abb. 2: Die Aufteilung der Nordsee. rot: Grenze wurde bereits seit 1949 offshore ge- des kontinentalen Schelfs nach internationaler bohrt, dies aber meistens mit umgebau- Abb.1: Jaap Boering in der holländischen Fern- Definition. Grün: Grenze vor Neuverhandlung des sehserie “Na de oorlog” „Entenschnabels“, 1970* ten Mississippi-Schuten im Flachwas- *Die Abbildungen 2, 4 und 6 werden zum besseren Verständnis auf der dritten Umschlagseite noch einmal in Farbe abgedruckt.

22 serbereich der vergleichsweise stillen Ge- ger aufgrund wirtschaftlicher Überlegun- aber umgehend die Antwort: „Wenn ihr es wässer des Mexikanischen Golfs. Über gen. Wie weit Bob und seine Kollegen in schafft, dort Öl zu finden, dann werden die meteorologischen Verhältnisse in der kaum mehr als 15 Jahren Entwicklungs- wir es schaffen, diesen Ölfund zu entwi- Nordsee gab es damals so gut wie keine zeit gekommen sind, lässt sich im Ver- ckeln.“ Keiner der beiden ahnte, dass die- Informationen; die Grenzen der zunächst gleich zur fiktiven „Nordstern“ an dem ser Telex-Austausch zum größten jemals eingesetzten amerikanischen Bohranlagen vor einem Jahr gestrandeten Halbtaucher durchgeführten Industrieprojekt der Welt und ihrer Mannschaften waren bereits im „Transocean Winner“ zeigen (Abbildung führen würde: Der Entdeckung (1970) ersten Winter überschritten, wie das Ken- 3). Diese Bohrinsel der zweiten Generati- und Entwicklung des Brentfeldes durch tern der Bohrinsel „Seagem“ zeigte. Auch on (gebaut 1983) brach bei der Strandung vier Förderplatformen, von denen die ers- waren diese Vorläufer der Hubinseln für nicht in Stücke, sondern kam mit einer te soeben (im Mai 2017) abgebaut wurde. die nach Norden hin zunehmende Was- Delle im auch nachher noch stets dichten sertiefe ungeeignet. Erst während der ers- Schwimmkörper davon. 1973-1979: Die Öl- und Wirt­schafts­ ten Nordseebohrungen wurde ein neuerer Noch 1968, nachdem bereits die größten krise Typ Bohranlagen für größere Wassertie- Gasfelder in der Nordsee entdeckt waren, Die Entdeckung der größten Ölfelder fe, der sogenannte Halbtaucher, entwi- bestanden Zweifel daran, ob sich weiter Ekofisk, Brent und Forties zwischen 1969 ckelt. Diese schwimmenden Bohranlagen nördlich eine Ölprovinz finden ließe. Ein und 1972 kam keine Minute zu früh. Das werden durch Absenken des Schwimm- Manager ging sogar so weit, dass er „jeden Ölembargo der OPEC 1973 und der kurz körpers unterhalb der Wellenbasis so weit wirtschaftlich aus der Nordsee gewonnene zuvor erschienene Bericht „Grenzen des stabilisiert, dass an einen durchgehenden Tropfen Öl persönlich trinken würde“, wie Wachstums“ (Club of Rome, 1972) ver- Bohrvorgang zumindest in Sommermona- von glaubwürdiger Quelle bezeugt wur- ursachten in den westlichen Ländern ein ten zu denken ist. Im Winter zog man sich de. Im gleichen Jahr wurde im dänischen Rennen zur Sicherung eigener Ölvorräte. dagegen in südlichere und damit ruhigere Teil der Nordsee das riesige Ekofisk-Feld In Großbritannien, welches durch Streiks Gewässer zurück. Der Einsatz dieser Anla- entdeckt. Im britischen Teil begann der viel von seiner Kohleproduktion einbüß- gen in der rauen Nordsee und ihre Weiter- Geologe Myles Bowen, über eine Such- te und fast seinen gesamten Ölbedarf im- entwicklung erforderte lokale Spezialisten bohrung in der geografischen Breite von portierte, führte der ansteigende Ölpreis wie meine britischen Kollegen Mike Wal- Süd-Grönland nachzudenken. Die Suche zur Wirtschaftskrise und Hyperinflati- ler und Bob Worall. Der eine lernte als Fi- nach Öl oder Gas beginnt normalerweise on. Zwar bezweifelten Geologen wie mein scher das Bohrwesen auf den ersten An- mit geophysikalischen Messungen, welche akademischer Lehrer Prof. Heinz Beck- lagen von der Pieke auf, der andere trug anhand von Gesteinen an der Oberfläche mann die Knappheit von Öl und anderen maßgeblich zur Weiterentwicklung bis zur verschiedenen Gesteinsarten zugeordnet mineralischen Rohstoffen (siehe Geo Ma- heutigen allwettertauglichen Bohrinsel (kalibriert) werden. Im nördlichen Teil gazin 2/1980: „Öl hat die Erde im Über- bei. Wer einen spannenden und durch- der Nordsee, wo später die größten Ölfel- fluß“), doch fanden sie kaum Gehör un- aus realistischen Einblick in die frühe Ent- der entdeckt wurden, sah diese Kalibrie- ter den Politikern, die möglichst viel und wicklungsphase der Nordseebohrungen rung schlecht aus: Sowohl an der schotti- schnell Ölvorräte für ihr Land sichern erhalten will, dem sei Hammond Innes’ schen als auch an der norwegischen Küs- wollten. Die Entwicklung der Nordseefel- Roman „Nordstern“ (1975) empfohlen. te überwiegen alte, kristalline Festgesteine der konnte den Ländern gar nicht schnell Das hierin beschriebene, fiktive Kentern (Abb. 4: „basement“) die nur äußerst sel- genug erfolgen; hierfür war aber der Stand und Auseinanderbrechen des Halbtau- ten Öl enthalten. Myles bekam nicht nur der Technik noch unzureichend. So war chers Nordstern hatte durchaus reale Pa- wegen der schlechten Vorzeichen Beden- zum Beispiel die maximale Hebekapazität rallelen: Sowohl die Stärke der Stürme als ken. Auch an der Wirtschaftlichkeit eines der schwimmenden Kräne auf 500 Ton- auch die maximale Wellenhöhe und damit Ölfundes bestanden auf Grund der gro- nen begrenzt; die schweren Plattformen die Stabilitätsanforderungen an die Inseln ßen Wassertiefe Zweifel. Auf seine vor- mussten daher in kleinen und so leicht wurden erst im Laufe der Bohraktivitäten sichtige Anfrage beim Chefingenieur kam wie möglich gebauten, nach heutigen Si- deutlich aus Mangel an Daten und weni-

Abb. 3: Abtransport des gestrandeten Halbtauchers Transocean Winner, 2016. Die Beule im Schwimmer Abb. 4: Ein Profil durch die nördliche Nordsee von Shetland (links) nach Norwegen (rechts). Zur unten rechts ist der einzige sichtbare Schaden der Lage des Schnittes siehe Abb 6. Durch tektonische Dehnung entstand ein tiefer Graben mit Strandung. einzelnen Horsten, an deren Scheiteln sich Öl und Gas sammelten*

23 jedoch nicht, dass kein Öl mehr vorhan- den ist: Nach dem heutigen wirtschaftli- chen Stand der Produktionstechnik wer- den nur rund 50% des in der Lagerstätte vorhandenen Öls gefördert; weitere 30% wären technisch förderbar aber nur zu ho- hen Kosten.

1987-1998: Was schnell geht, wird nicht immer gut Einen Monat nach meinem Einstieg in die Ölindustrie Anfang 1986 erschien im Geo- Magazin ein Artikel von Christian Jungblut über die Nordseeförderung, wel- cher mich stark an meiner Entscheidung zweifeln lies („Die Nordsee wird zum schwarzen Meer“, Geo 3/1986). Jung- blut erwähnte Zahlen über die Umwelt- schäden und mangelnde Arbeitssicher- Abb. 5: Abbau der ersten Brent Plattform mit einem Gewicht von 23000 Tonnen, Mai 2016 heit, welche mir von den neuen Kolle- cherheitsvorstellungen unzureichend ge- schützten Modulen an Ort und Stelle auf ihren Sockeln zusammengebaut werden. Dies erforderte eine große Anzahl an off- shore-Arbeitern, welche mit viel zu klei- nen Hubschraubern an ihre Arbeitsstelle geflogen wurden. Im Brentfeld hatte die eingesetzte Flugüberwachung während der Bauzeit mehr Beschäftigung als der Flughafen Heathrow, dem größten Flug- hafen Europas. Erst Anfang der 80er Jah- re waren mit der zivilen Version der Boe- ing Chinook (bekannt aus dem Vietnam- Krieg) ausreichend große Hubschrauber verfügbar. Zudem wurden in den späten 80er Jahren schwimmende Kräne entwi- ckelt, welche an Land vorgefertigte und getestete Plattformen bis 10000 Tonnen Gewicht in einem Stück anheben konn- ten. Heute, beim Abbau der ersten Platt- form im Brent Feld, werden Kranschif- Abb. 7: Geo Magazin 3/1986 fe mit 46000 Tonnen Hebekapazität ein- Abb. 6: Große Öl- (grün) und Gasfelder (rot)* gesetzt. gen durchaus bestätigt wurden. Lediglich nahmen und den Falklandkrieg, der die mit seiner Zukunftsprognose waren mei- 1976-1986: Öl hat die Nordsee im Kritik an der noch stets steigenden Ar- ne älteren Kollegen nicht einverstanden. Überfluß beitslosigkeit überdeckte, hätte Frau Die Grünen waren gerade in den Bundes- 1975 begann im norwegischen Eko- Thatcher wohl kaum die erste Legislatur- tag gekommen, ca. 5 Millionen Menschen fisk-Feld und in den ersten britischen Öl- periode überstanden und wäre als Fehler in Deutschland waren umweltpolitisch in feldern, welche alle rings um Schottland in die Geschichte eingegangen. Durch ih- der einen oder anderen Form aktiv. Die liegen und somit in seiner Unabhängig- re Liberalisierungspolitik­ bezüglich Gas- Schäden des Wald- und Flußsterbens (ob- keits- als auch in der Brexit-Diskussion ei- verwendung und -exporten und den Steu- wohl weniger von Öl- und Gasenergie ver- ne wichtige Rolle spielen, die Förderung. erabbau beschleunigte sie aber die Förde- ursacht) waren überdeutlich. Erst im Lau- Sie überstieg schnell den Eigenbedarf. So rung so stark, dass diese heutzutage bei fe der kommenden Jahre begann ich zu begann die britische Wirtschaft durch Öl- niedrigem Ölpreis (seit 2014) und sinken- verstehen, warum die Ölindustrie erst spät exporte deutlich vom hohen Ölpreis zu den konventionellen Reserven nicht mehr auf die Umweltbewegungen reagierte, ob- profitieren. Bei der Diskussion des Wirt- aufrechtzuhalten ist: Großbritannien ist wohl sie auch mir und meinen Kollegen schaftsaufschwunges unter der Regie- wieder ein Öl- und Gasimportland. Die erhebliche Sorgen bereiteten. Zum einen rung Thatcher wird dies oft vergessen; oh- Felder der ersten Generation werden ein- hing diese späte Reaktion von lokalem ne die gerade entstandenen hohen Ölein- geschlossen bzw. abgebaut. Dies bedeutet wirtschaftlichen und politischem Druck 24 ab, zum anderen lag es an der mangeln- dem ich auch mithelfen durfte, der folgen- keit kaum konventionelle Kraftwerke end- den Abstimmung innerhalb der angren- de Satz in einer großen Tageszeitung fand: gültig stillgelegt werden. Ein weiterer Aus- zenden Länder, wie sie selbst 1996 beim „Und überall begegnen dem Umweltschützer­ bau der erneuerbaren Energien wird auf Abbau der Brent Spar noch immer deut- Vahrenholt Plakate, die eher in den Green- Grund ihrer geringen Energiedichte und lich wur­de. peace-Stuben zu vermuten wären als ausge- dem damit verbundenen Platzbedarf im- Die Umweltorganisationen in Deutsch­ rechnet auf einer Ölplattform weit draußen mer mehr zu lokalem Widerstand führen. land waren damals in über 11000 Grup- in der Nordsee: Denk an die nächste Genera- Auf der Rückreise unserer Geo-Exkur- pen zersplittert, von denen nur sehr we- tion. „Think green.“ (Die Zeit, 14.5.1998, sion 2017 nach Schottland fuhr ich mit nige internationalen Dachverbänden an- über einen Besuch des ehemaligen Ham- der Fähre an einer der riesigen holländi- geschlossen waren. Die lokalen Interessen burger Umweltsenators auf den britischen schen offshore-Windfarmen vorbei, was überwogen. Die Ölindustrie ist national Förderplattformen). mich zum schnellen Durchrechnen veran- unterschiedlich, aber äußerst stark regu- lasste: Die mehrere Quadratkilometer gro- liert. Ohne Zustimmung der Aufsichts- 2014-2040: Die Zukunft ohne Öl und ße Windfarm erzeugt ungefähr die gleiche behörden sind keine Suche und Feldent- Gas? Energie wie eine einzige durchschnittli- wicklung machbar. Nicht nur mit Hilfe Der Druck der Bevölkerungen zum Um- che Öl-Förderbohrung. Eine vollständige der Behördenaufsicht wird die Industrie stieg von konventioneller Energie auf er- Umstellung der holländischen Stromver- beeinflusst, sondern auch wirtschaftlich: neuerbare Energien besteht seit einiger sorgung auf Windenergie, wie als Ziel der Staat ist teils unmittelbar als Investi- Zeit, und der Ölindustrie wird dabei oft geplant, würde fast den gesamten nutz- tionspartner, teils indirekt durch Steuerge- eine verzögernde Rolle vorgeworfen. Tat- baren Bereich der holländischen Nord- setzgebung an den Einzelentscheidungen sächlich gab es bei den niedrigen Ölprei- see mit Windfarmen bedecken. Ähnlich beteiligt. Weil die sieht es in Frankreich Steuerrate für Öl- aus: Ein vollständiger gewinne hoch ist, Umstieg von Kern- spielt die Absetz- energie auf Solarener- barkeit der Kos- gie z.B. würde fast al- ten eine gewichti- le französischen Häu- ge Rolle, und diese ser mit Solardächern oder auch die Be- bedecken, ohne dass zahlung des staat- die Kernkraftwerke, lichen Kosten- welche als Reserve für beitrages können energiearme Stunden durchaus verwehrt weiterhin benötigt werden. Durch werden, abgeschaltet zusätzliche Erhe- werden könnten. bung von Zinsen Statt einem zurzeit auf Fördermen- noch nicht mach- gen, wie jüngst in baren Ausstieg aus Schleswig-Hol- den konventionellen stein, können so- Energien sollte statt- gar die gesamte Su- dessen die Verringe- che und Produkti- rung des CO2-Aus- on aus politischen Abb. 8: Windfarmen in der Nordsee. Der im oberen Teil gezeigte Ausschnitt erzeugt ebenso viel stoßes heute im Vor- Gründen unwirt- Energie wie eine Ölbohrung, wenn der Wind günstig steht. dergrund stehen, die schaftlich gemacht technisch machbar werden. sen der 90er Jahre und trotz Subventionen aber immer noch durch Restriktionen für Für die Ölindustrie, die bevorzugt nach kaum eine Möglichkeit mit erneuerbaren Abfallbeseitigung (Einpressung im Unter- internationalen Standards arbeitet, ist die Energien, ausreichend Gewinne zu ma- grund) behindert wird. Das notwendige landesspezifische Einflussnahme nicht chen. Erst der rasch ansteigende Ölpreis Öl und Gas für eine weitere Verwendung immer hilfreich. Erst durch Gro Harlem zwischen 2002 und 2014 machte Wind- sind dabei durchaus verfügbar. So wie Brundtland (ehemalige norwegische Mi- und Solarenergien unter Subventions- schon Sheikh Yamani (saudischer Ölmi- nisterpräsidentin und spätere Leiterin der und Abnahmeverpflichtungen wirtschaft- nister von 1962-1986) sagte: „Die Stein- UN Kommission) und ihre Definition der lich. Ein vollständiger Ausstieg aus Kohle, zeit ging nicht zu Ende, weil den Men- „nachhaltigen Entwicklung“ (sustainable­ Öl und Gas wird mit zunehmender Instal- schen die Steine ausgingen. Das Ölzeital- development, 1987) begann sich eine in- lation von Windanlagen immer öfter ge- ter wird nicht deswegen enden, weil der ternational eingeführte Richtlinie abzu- fordert, ist aber beim derzeitigen Stand Welt das Öl ausgeht.“ zeichnen, die auch für die Ölindustrie als der Technik kaum möglich. Zwar wur- Leitsatz anwendbar war. Von hier ab ging den gerade in Deutschland bereits große die Entwicklung sehr schnell aufwärts, so Kapazitäten zur Nutzung von erneuerba- Anschrift des Verfassers: dass sich nach einem Besuch deutscher Re- ren Energien geschaffen, dagegen konnten Dipl.-Geol. Helge Kreutz porter auf britischen Ölplattformen, bei wegen deren unregelmäßiger Verfügbar- [email protected] 25 Öffentliche Vortragsreihe 2016

NACHHALTIGE UND UMWELTSCHONENDE

NUTZUNG DES LEBENSRAUMS MEER

Leider waren die Referenten dieser Vortragsreihe nicht in der Lage, ihre Beiträge in schriftlicher Form einzureichen. Daher können wir an dieser Stelle nur die Zusammenfassungen der Vorträge abdrucken.

Das Prinzip der Nachhaltigkeit wur- und Meeresressourcen erhalten und für ei- Donnerstag, 10. November de zuerst Anfang des 18. Jahrhunderts in ne nachhaltige Entwicklung nutzen. Dipl-Biol. Thomas Merck - der Forstwirtschaft entwickelt („Man darf Der Umweltschutz ist in den Satzun- Bundesamt für Naturschutz dem Wald nicht mehr Holz entnehmen, gen unseres Vereins verankert. Dem ent- Offshore-Windenergieanlagen – als nachwachsen kann”). sprechend haben wir in unseren Vortrags- Ökologische Auswirkungen und Heute hat dieses Prinzip weltpolitische veranstaltungen dem Natur- und Um- Möglichkeiten ihrer Minderung Bedeutung erlangt, und man begegnet weltschutz schon häufiger eine Plattform Es ist erklärtes Ziel der Bundesregie- dem Begriff Nachhaltigkeit überall. Er be- geboten, zuletzt im Jahr 2012 mit der viel rung, dass Offshore-Windenergie einen zieht sich auf eine große Zahl menschli- beachteten Vortragsreihe Natur- und Um- wichtigen Beitrag zur Energieversorgung cher Aktivitäten und Themenfelder. Die weltschutz in der Metropolregion Ham- Deutschlands liefern soll. Der erste deut- Vereinten Nationen haben im vergange- burg*. sche Windpark wurde 2009 gebaut, inzwi- nen Jahr in einer multinationalen Zu- Mit diesem Bemühungen und zwar mit schen produzieren 13 Offshore-Windpar- sammenarbeit globale Nachhaltigkeitszie- dem Fokus auf das für Hamburg so wich- ke in der deutschen Nord- und Ostsee mit le vereinbart, und in der Bundesrepublik tige Meer wollen wir jetzt fortfahren. Für bis jeweils zu 80 Einzelanlagen Strom. wurde in diesem Zusammenhang der Rat die wichtigsten Problemfelder beim Um- Der großflächige Einsatz einer noch neu- für nachhaltige Entwicklung (www.nach- gang mit dem Lebensraum Meer gelang en Technologie wird ökologische Auswir- haltigkeitsrat.de) begründet. es uns, wissenschaftlich hervorragend aus- kungen und Veränderungen der marinen Die globalen Nachhaltigkeitsziele um- gewiesene Fachleute als Rednerinnen und Umwelt und Natur zur Folge haben, die fassen 17 Hauptpositionen, von denen Redner zu gewinnen. Unsere Themen sind noch immer nur unzureichend erforscht die meisten die unterschiedlichsten poli- (in der zeitlichen Reihenfolge der Vorträ- sind. Beispielsweise werden zur Installa- tischen und wirtschaftlichen Tätigkeitsbe- ge): tion der Anlagen in der ersten Baupha- reiche betreffen. Lediglich zwei davon be- • Offshore-Windanlagen se, mit großen Schallemissionen verbun- ziehen sich auf den Umgang der Mensch- • Tiefsee-Umweltschutz den, die Verankerungen der Fundamente heit mit der Natur und fordern den Schutz • Plastikmüll im Meer in den Meeresboden gerammt. Unterwas- von Ökosystemen sowie eine nachhaltige • Nachhaltigkeit der Fischerei serschall, laut genug um Tiere zu verlet- Nutzung natürlicher Ressourcen. • RessourcenschonendeSchifffahrt zen oder gar zu töten. Das Fundament Für die diesjährige Vortragsreihe des („Green Shipping”). selber führt zur Zerstörung und dauer- Naturwissenschaftlichen Vereins ist das hafter Überbauung bodenlebender Le- „Nachhaltigkeitsziel Nr. 14” von besonde- *Veröffentlicht in den Abhandlungen bensgemeinschaften, bietet andererseits rer Bedeutung. In deutscher Übersetzung des Naturwissenschaftlichen Vereins in Lebensraum für Arten, die z.B. für weich- lauten seine Forderungen: Ozeane, Meere Hamburg, Band 45, 2015 bodendominierte Gebiete wie die deut- sche Nordsee untypisch sind. Über Was- 26 ser verscheuchen die drehenden Rotoren logischen Risiken des Tiefseebergbaus. Im Mikroplastik wurde inzwischen in allen manche Seevögel aus ihren angestamm- Jahr 1989 wurde von Hamburger Wis- Ökosystemen der Ozeane, von der Arktis ten Rast- und Nahrungsgebieten, die da- senschaftlern ein langfristiges Experiment zur Antarktis, in der Tiefsee bis in Flach- mit Lebensraum verlieren. Sie wirken aber gestartet, mit dem die Erholung der Le- wassergebiete und an Stränden registriert. auch als Barriere für über das Meer ziehen- bensgemeinschaften am Tiefseeboden und Eher zufällig wird Mikroplastik als Teil- de Vögel und Fledermäuse oder bergen das der Sedimentstrukturen nach großflächi- chen kleiner als 5 mm definiert, also in ei- Risiko von Kollisionen. Die Strom abfüh- ger Störung erarbeitet werden sollten. Mit nem Größenbereich von Millimetern bis renden Kabel können elektromagnetisch dem neuen Forschungsschiff „Sonne II“ zu Nano- und Pikometern. In meinem sensible Arten in ihrer Orientierung ir- wurde das Experimentalgebiet zuletzt im Vortrag berichte ich über die aktuellen ritieren und wärmen den umgebenden Jahre 2015 beprobt. Erste Ergebnisse der Forschungsergebnisse, welche Aufnahme- Meeresboden künstlich auf. letzten Reise sollen vorgestellt und es soll wege von Mikroplastik in Meeresorganis- Ein wesentlicher Weg, negative Auswir- diskutiert werden, welche Konsequenzen men und welche gesundheitlichen Auswir- kungen der Nutzung der Offshore-Wind- sich daraus für den Tiefseebergbau und kungen bislang im Meer und im Experi- energie zu vermeiden, liegt in der Wahl weitere Forschungen zum Tiefseeumwelt- ment beobachtet wurden. Eine zentrale aus ökologischer Sicht geeigneter Standor- schutz ergeben. Frage ist, ob Mikroplastikteilchen in die te. Für einzelne Wirkfaktoren besteht die Zellen wichtiger Organe aufgenommen Möglichkeit, ihre Umwelteffekte durch Donnerstag, 1. Dezember werden und welche Schäden sie dort an- technische und/oder logistische Maßnah- Carolin Abromeit - Bundesamt für zurichten vermögen. Dabei spielen Form men zu minimieren. Weitere bau- und Schifffahrt und Hydrographie und Größe der Teilchen für ihr Eindrin- betriebsbegleitende Untersuchungen wie Green Shipping - Aktuelle gen eine entscheidende Rolle. Erste Ver- auch Grundlagenforschungen hinsichtlich Entwicklungen in Richtung einer mutungen über die Auswirkungen auf die der genannten Auswirkungen sind aber umweltfreundlicheren Schifffahrt Gesundheit des Menschen aus dem Be- notwendig, um insbesondere die kumu- Der Vortrag gibt einen Überblick über richt der UNESCO werden zur Diskussi- lativen Wirkungen ausreichend beurteilen die aktuelle Regelungslage sowie die ein- on gestellt. zu können. gesetzten und verfügbaren Technologi- en und sonstigen Maßnahmen zur Ver- Donnerstag, 15. Dezember Donnerstag, 24. November meidung von Emissionen aus der Schiff- Prof. Dr. Axel Temming Prof. Dr. Antje Boetius fahrt in die Meeresumwelt. Dabei wird Institut für Hydrobiologie Alfred-Wegener-Institut auf konkrete Beispiele aus den Bereichen und Fischereiwissenschaft Schätze der Tiefsee – Neues zur Schiffskraftstoffe, Luftemissionen, Müll, Fischerei: Ein Lehrbuchbeispiel Forschung an Nutzen und Schutz von Abwasser, Ballastwasser und Lärm in Be- für den Konflikt zwischen Tiefseelebensräumen zug auf die Fracht- sowie die Kreuzfahrt- Ökologie und Ökonomie Der tiefe Ozean beherbergt eine bisher und Fährschifffahrt eingegangen. Ab- Der Vortrag stellt zunächst anhand eines unbekannte Vielfalt von Lebewesen und schließend wird ein Einblick in Abläufe einfachen konzeptionellen Modells, wel- Ökosystemen, deren Energiequellen, und Diskussionspunkte innerhalb der in- ches auf der logistischen Gleichung des Lebenszyklen und Funktionen sich von volvierten internationalen und regionalen Populationswachstums basiert, die Pro- unserer eigenen Umwelt unterscheiden. Gremien gegeben. bleme der Überfischung aus biologischer Dabei trägt die Tiefsee erheblich zu den Sicht dar. Im Weiteren wird gezeigt, wie Stoffkreisläufen und der Bewohnbarkeit Donnerstag, 8. Dezember Ökonomen auf der Basis dieses biologi- der Erde bei. Beim Erforschen dieses weit- Prof. Dr. Angela Köhler, schen Modells die ökonomischen Mecha- gehend unbekannten Lebensraums ist Eile Alfred Wegener Institut nismen der Überfischung erklären. Die geboten, denn die Veränderung der Mee- „Mikroplastik“ - eine Gefahr für die Grundidee ist dabei, dass es zunächst ei- resumwelt durch den globalen Wandel Ge­­sund­­heit der Meeresorganismen? nen freien Zugang zu der Ressource Fisch geht mit erstaunlicher Geschwindigkeit Die weltweite Plastikproduktion ist im gibt. Die resultierende Entwicklung des voran. In Zeiten sich verknappender Res- vergangenen Jahr auf fast 300 Mio Ton- Eintritts immer neuer Fischer in die Fi- sourcen gibt es viele Ideen, wie wir uns die nen gestiegen, davon allein 60 Mio Ton- scherei bis zum Punkt der Überfischung Weiten des Ozeans, seine Bodenschätze nen in Europa. Kunststoff, hergestellt aus wird auch als „Tragödie der Allgemein- und die Vielfalt seiner Bewohner zunut- Erdöl, steckt vor allem in Verpackungen, güter“ bezeichnet, und ein typischer Lö- ze machen können. Doch hat die Tiefsee Textilfasern und Baustoffen. „Mikroplas- sungsansatz besteht in der Privatisierung als vom Menschen noch weitgehend un- tik“ wird einerseits speziell für bestimm- der öffentlichen Güter. Ein weiterer As- berührtem Raum auch einen hohen kul- te Anwendungen produziert wie indust- pekt des Vortrags stellt die Entwicklungen turellen Wert, als gemeinsames Erbe der rielle Schleifmittel und Kosmetikproduk- in der Fischerei dar, die eintreten, wenn Menschheit, als letzte große Wildnis und te wie Zahnpasta und Peelings, die durch keine oder keine wirksamen Gegenmaß- Raum für Entdeckungen des Unbekann- die Klärwerke in die Umwelt geraten. Es nahmen ergriffen werden. Den Abschluss ten. Dieser Vortrag verknüpft die Faszi- gelangt aber auch durch Unfälle mit In- bildet ein allgemeinerer Blick auf die Ver- nation Tiefseeforschung mit drängenden dustrierohstoffen über verschiedene Wege flechtung von Geldsystem, wirtschaftli- Fragen zu Veränderungen, Schutz und ins Meer. Alles Plastik, auch größere Ge- chem Wachstum und Investitionsverhal- Nutzungskonzepten des Ozeans. Ein be- genstände, wird in der Umwelt durch UV- ten der Betriebe, also in diesem Fall der sonderer Fokus liegt auf neuen Erkennt- Strahlung und mechanische Prozesse zu Fischer. nissen der Forschung zu möglichen öko- kleinsten Teilchen fragmentiert. 27 Berichte aus dem Verein und den Arbeitsgruppen

Wolfgang Linz und Helge Kreutz Bericht über die Exkursion nach Schottland, Insel Arran vom 6. bis 13. Mai 2016

Die Sommerexkursion der Geologischen Gruppe führte 25 Teilnehmer zur Insel Arran in Schottland vor Glasgow an der Westküs- te Schottlands. Sie machten sich unter der Leitung von Herrn Helge Kreutz, der als Erdölgeologe in Schottland lange gearbeitet hat, auf die Spuren von James Hutton, einem der Väter der modernen Geologie.

Geologie Am Lawnmarket steht noch das Die uralte und komplexe Geolgie Geburtshaus von James Hutton. Schottlands lieferte im 18. Jahrhun- Die St. Giles Cathedral gegen- über war die Wirkungsstätte von dert James Hutton und seinen Kollegen John Knox, der als Begründer der das Anschauungsmaterial zum Verständ- schottischen Reformation für die nis der Prozesse, die die Erdoberfläche im Ausbreitung des Schulwesens und Laufe von Jahrmillionen gestalten. Die die Gründung der Volksuniversi- täten sorgte. Hieraus entstand die Haupt-Schauplätze unseres Besuchs wa- schottische Aufklärung, während ren Huttons Wohnsitz und Wirkungsstät- der Edinburgh zum Zentrum te Edinburgh, wo wir anhand der Gestein- der Wissenschaften in der Welt sausstellung „Dynamic Earth“ eine kurze erblühte. Die Trennung von Kirche und Übersicht der Geologie Schottlands er- Rechtsprechung ermöglichte es hielten, und die Insel Arran, auch „Schott- Hutton, gefahrlos die biblische land in Miniatur“ genannt, weil hier Darstellung der Erdentstehung zu gleich mehrere der Großeinheiten Schott- widerlegen lands beispielhaft zu sehen sind. kontinents Pangäa. Davon zeugen süd- lich der Highland Boundary Fault, wel- Im Gestein Schottlands sind die geolo- che das kaledonische Grampian Hoch- gischen Zeugnisse bis 3,1 Mrd. Jahre zu- land von den Sedimenten des Midland rück aufgeschlossen. Diese Zeitreise be- Valley trennt, charakteristische Sedimen- ginnt mit den hochmetamorphen Gnei- te des Devons (Old Red Sandstone) und sen der Hebriden und des Nordwestliches des Karbons (u.a. Kohle führende Schich- Hochlands, die von der Bildung eines Ur- ten). Zusätzlich erfolgten im Karbon wie- kontinents (Rodinia) aus älteren Kratonen der starke vulkanische Aktivitäten, wie z. vor ca. 1,8 Mrd. Jahren zeugen. Dieser zer- B. am Arthurs Seat in Edinburgh. brach vor 1,4 -1,2 Mio. Jahren in Lauren- tia (Amerika) und Baltica (Nordeuropa). Die Bildung des Atlantischen Ozeans Im sich bildenden Ozean -Iapetus - wur- beim Zerfall von Pangäa erreichte vor ca. den Sedimentgesteine abgelagert. 100 Mio. Jahren die Westküste Schott- Bei der Schließung dieses Ozeans ver- lands und trennte das Land vor 61 bis einten sich vor ca. 470 Mio. Jahren im Si- 57 Mio. Jahren im Tertiär endgültig vom Arthur‘s Seat: Blick hoch zum „Lion‘s Head“ lur Laurentia, Baltica und ein Inselbogen amerikanischen Kontinent (Grönland und Basalt zum „Old Red Kontinent“ oder Laurus- sia. Dabei wurden im Zuge der Kaledo- nischen Gebirgsbildung diese Sedimente aufgefaltet und die ältesten als metamor- phe Schiefer über die jüngere Sediment- decke Laurentias geschoben. Diese Gestei- ne sind nur im Nördlichen Hochland auf- geschlossen.

Getrennt durch die „Great Glenn- Stö- rung“ folgen im „Grampian Highland“ aufgefaltete Sedimente vom Präkambrium bis Ordovizium aus dem Boden des Ia- petus Ozeans. Dabei bildete sich, beglei- tet von starkem Vulkanismus, das bis zu 10 km hohe Kaledonische Gebirge. In den nachfolgenden Zeitaltern vom Devon bis Gedenkstein im James Hutton Memorial Garden,: „We find no vestige of a beginning, no prospect of Trias lag Schottland im Inneren des Groß- an end“ (Wir finden keine Spur eines Anfangs, keine Aussicht auf ein Ende) 28 12 Apostel von Catacol: An mehreren Stellen auf der Insel kamen wir an verfallenen Häusern vorbei, die während der Hochlandräumung im 19. Jahrhun- dert zwangsweise aufgegeben wurden. Die 12 Apostel von Catacol wurden als Umsiedlerhäuser für die verbliebenen Pächter gebaut.

Kanada). Starke magmatische Aktivitäten „James Hutton Memorial Garden“ vorbei, der „Hutton Unconformity“. An dieser begleiteten die Atlantiköffnung und präg- die andere über den „Arthurs Seat“. Schlüsselstelle sah Hutton erstmals durch ten das Zentrum der Insel Arran. Nach einer Einführung in die Geologie Kaledonische Faltung steilgestellte Schie- Jüngstes Landschaft prägendes Ereig- Schottlands fuhr die Gruppe mit dem Bus fer, welche von fast waagrecht gelagerten nis waren die Eiszeiten im Quartär. Da- zur Fährstation Ardrossan und weiter mit Sandsteinen des Karbons überdeckt wer- bei wurden große Teile der jüngeren Se- der Fähre nach Arran. Der Tag endete mit den. Sie bestätigten ihn in seiner Vorstel- dimentbedeckung durch Gletscher abge- einem schottischen Folkloreabend. lung des unendlichen Alters der Erde. tragen Es folgte noch die Besichtigung einer Montag 8.5.2017: Erste geologischen Er- Whiskybrennerei. Ablauf der Exkursion kundungen im Nordosten der Insel. Wüs- Samstag, 6.5.2017: Mittags Ankunft der tenablagerungen des Perm sind in Brodick Dienstag, 9.5.2017: Fahrt über die Pass- Teilnehmer am Flugplatz in Edinburgh und am Strand von Corrie aufgeschlossen. straße am Nordrand der zentralen Calde- und Fahrt zu den Hotels. In North Glen Sannox treten ältere Ge- ra zur „Kings “, die aus einem Kliff Nach kurzer Erholungspause wandert steine des Iapetus Ozeans aus dem Ordo- aus Sandsteinen der Trias herausgewittert die Gruppe über den „Greyfrias Kirk­ vizium und Kambrium zu Tage. ist. Nach der Wanderung werden die Vul- yard“, der Grabstelle von James Hutton, Danach wurde ein Abstecher in die Ge- kanite des Tertiärs in Blackwaterfoot auf- in die Altstadt von Edinburgh. schichte gemacht. Die „12 Apostel von gesucht. Catacol“ sind das Zeugnis der im 19. Jahr- Sonntag, 7.5.2017: Vormittags Wan­ hundert erfolgten Vertreibung der Land- Mittwoch, 10.5.2017: Morgens Fahrt derung zur Ausstellung „Dynamic Earth“ bevölkerung aus den Highlands. Danach zur Südküste. Auch hier sind die vulkani- am Parlament, nahe „Holyrood Palace“. wurde sich wieder der Geologie gewid- schen Aktivitäten im Tertiär bei der Bil- Eine Gruppe wanderte durch die Stadt am met, dem Kambrium bei Lochranza und dung des Atlantischen Ozeans sichtbar.

Die „Hutton unconformity“ (Winkeldiskordanz). Hutton kam 1787 wohl wegen des Kontaktes von Granit und Sedimentgesteinen nach Arran. Die Entdeckung einer Winkeldiskordanz zwischen kaledonisch gefalteten Schiefern und karbonischen Sandsteinen muss eine freudige Überraschung gewesen sein. 29 Die King‘s Cave liegt auf einer nacheiszeitlichen Strandterrasse in einem Kliff aus Sandsteinen der Trias. Durch Verwitterung und Eisenablagerung ist die Schrägschichtung (ein Hinweis auf Ablagerungen im Flachwasser) gut erhalten.

oben: Reisegruppe vor Granitmassiv Tertiärer Magmatismus in Westschottland links: Historisches Teehaus, entworfen von Mittags der Besuch von Schloss Brodick Charles Rennie MacIntosh und seinen Gärten. versteinerter Lepidendronwald ent- Donnerstag, 11.5.2017: Brüche und deckt wurde. Dieser ist inzwischen zu Spalten bei der Atlantiköffnung werden einem Park ausgebaut. Interessant der besichtigt, aufgeschlossen in einem klei- Tausendfüßler auf dem Siegelbaum. nen Steinbruch an der nördlichen Ring­ Nach dem Einchecken im Hotel der strasse. Weiter geht es zu einer alten obligate Stadtrundgang. In Erinne- Schwerspatgrube. Hier entsteht das Grup- rung bleibt der „High Tea“ im histo- penbild. rischen Teehaus, entworfen und aus- Am Nachmittag wird das „Arran Heri- gestattet von Charles Rennie MacIn- tage Museum“ besichtigt, in dem die In- tosh. selgeschichte und die typischen Gesteine gezeigt werden. Der Tag klingt mit dem Samstag, 13.5.2017: Tag der Rück- Abschiedsessen (Schottische Tapas) im reise nach Hamburg. Nach acht Tagen Wintergarten des Hotels aus. Sonne weint der Himmel.

Freitag, 12.5.2017: Abschied von Ar- Dr. Wolfgang Linz ran und Fahrt nach Glasgow. Bei Ankunft Email: [email protected] wird ein alter Steinbruch am Rande Glas- Dipl.-Geol. Helge Kreutz gows besucht, wo im 19. Jahrhundert ein- Email: [email protected] 30 Wolfgang Linz Jahresbericht 2017 der Geologischen Gruppe

Vorträge: 18. Januar: Dr. Frank Rudolph; Spuren im Watt vor 500 Mio. Jahren 08. März: Prof. Dr. Gerd Tietz, Rellingen; Indonesien- Inseln der Vulkane 19. April: Dipl. Geol. Helge Kreutz, Mölln; Eine kurze Geschichte Schottlands 14. Juni: Dr. Uwe Marheinecke, Hamburg; Berühmte Fundstellen der Paläontologie- Devon, Karbon, Perm 13. September: Ullrich Münder, Lübeck; Das Ordovicium in Schweden 11. Oktober: Dr. Eckart Frischmuth, Seevetal; Natursteine in Hamburgs Baukörpern- virtuelle Spaziergänge 15. November: Prof. Dr. Friedhelm Thiedig, Norderstedt; Island, vulkanische Insel auf dem Gipfel des untermeerischen Gebirges im Nordatlantik Geologische Spaziergänge: 15. Februar und 22. Februar: Lothar Rudolph, Wedel; Vortrag und Führung in den Schaugewächshäusern Wallanlage - Palmfarne (Cycadales), Lebende Fossilien im System der Lebewesen 06. September : Dr. Carsten Schirarend, Hamburg; Vortrag und Rundgang im Botanischen Garten, Klein Flottbek - Das neugestal- tete Pflanzensystem 14. Oktober: Dr. Eckart Frischmuth, Seevetal; Ein geologischer Spaziergang in der Stadt Exkursion: 06. bis 13. Mai : Sommerexkursion nach Schottland, Insel Arran; Dipl. Geol. Helge Kreutz führt 24 Teilnehmer Der Exkursionsbericht ist in dieser Ausgabe veröffentlicht (siehe Seite 28).

13. Dezember: Traditioneller Jahresabschlussabend im Geologisch- Paläontologischen Museum

Wolfgang Linz Jahresbericht 2017 der Arbeitsgruppe für Geschiebekunde

Vortragsveranstaltungen fanden zusammen mit der Geologischen Arbeitsgruppe statt und sind in deren Bericht aufgeführt. Zusammen mit der Gesellschaft für Geschiebekunde fanden 4 Treffen zum Gedankenaustausch statt und zwar am 23. Januar, 03. April, 25. September, 27. November. Ebenfalls zusammen mit der Gesellschaft für Geschiebekunde fand am 06. Januar 2017 im Geologisch- Paläontologischen Museum das alljährliche Neujahrstreffen statt.

Buchbesprechung

Wolfgang Oschmann: und Geotektonik, Meeresspiegel, Evolution der Erde Atmosphäre, Klima und Entwicklung 383 Seiten, 24,99 € der Organismen unterteilt. Das letzte UTB-Band-Nr.: 4401 Kapitel stellt eine begründete Prognose ISBN: 978-3-8252-4401-9 für die Zukunft der Erde. Die dargestellten Sachverhalte werden In diesem Buch stellt der Autor die mit vielen zum Teil farbigen Abbildun- Entwicklungsgeschichte der Erde in den gen anschaulich erläutert. Dazu gibt Aspekten Geographie, Geologie und Le- es nach jedem Kapitel und am Schluss bensentwicklung im Zusammenhang Literaturhinweise und außerdem ein von Meeres-, Atmosphären- und Klima- Glossar für die wichtigsten Fachbegrif- entwicklung dar. fe. Vorangestellt sind in zwei kurzen Das Buch ist zwar als Lehrbuch für Kapiteln Geschichte und Methoden der Studenten geschrieben, ist aber leicht Einzelwissenschaften und die derzeitigen verständlich und gibt dem nicht Erkenntnisse zur Entwicklung des einschlägig vorgebildeten Leser einen Kosmos und der Sterne. sehr guten Einblick in die Entwicklung Die weiteren Abschnitte (Kapitel) der Welt. Dabei kann es auch in folgen den Perioden (z.B. Kambrium Einzelaspekten, wie Klimaentwicklung, - 542 bis 488 Millionen Jahre) vom gelesen werden. Hadaikum bis Quartär und sind selbst in Abschnitte zur Paläogeographie Wolfgang Linz 31 Stefan von Boguslawski Tätigkeitsbericht 2016

Im Berichtsjahr wurden, teilweise mehr- teroberflächen genommen (Cave-Coral, Auswertung aller Bilder gab es vom 15.- fach, Eingangskontrollen sowie Befah- Pool-Finger). Von drei Sinterbecken wur- 30.08.2015 eine hohe Flugaktivität, eben- rungen von Kleinhöhlen bei 15 Objekten den Wasserproben entnommen und auf so vom 04.-20.09.2015. Einzelflüge wur- durchgeführt. Im Einzelnen waren dies: ihren Chemismus hin untersucht. Unge- den am 19.10. und 13.11.2015 sowie am Riesenberghöhle, Wilhelmina Höhle, Pio- wöhnlich ist hier der pH-Wert von 7,4 - 16.01.2016 dokumentiert. Die Aktivi- nierhöhlen I + II, Alte Höhle, Elfengrund- 7,6 und die doch geringe Gesamthärte. tät beschränkte sich auf die Abend- und höhle, Salamanderhöhle, Langenfelder Die Ergebnisse sind damit aber ähnlich Nachtstunden! Die Kamera war im Be- Höhle, Halbhöhle am Riesenberg, Fran- den Wasseranalyse-Ergebnissen von Sin- reich Große Kreuzkluft – Mückenspalte kehöhle, Höhle bei Pötzen. terbecken in der Blauhöhle (Schwäbische östlich der Eingangshalle installiert. Da- Bei einer Kontrolle wurde am 10. 01. Alb). mit zeigte sich hier eine höhere Flugakti- festgestellt, dass der Südost-Schacht im Zum Ende der Befahrung gegen 17:30 vität als direkt am eigentlichen Eingang, Riesenbergsteinbruch gesprengt wurde. Uhr wurde die Wildtierkamera noch ab- welcher ein Jahr zuvor mit der Wildtier- Fledermauskontrollen fanden am 24. Ja- gebaut. Diese hat im Zeitraum vom kamera beobachtet wurde. Wie schon ver- nuar in der Brunsmeierhöhle statt: 2 Gro- 16.08.2015 bis zum 16.01.2016 153 Bil- mutet nutzen die Fledermäuse eher natür- ße Mausohren, 1 Bartfledermaus, Höh- der gemacht. Dabei hat die Kamera ver- liche Klüfte um in die Höhle zu gelangen le ist aufgebrochen, zahlreiche Tropfstei- mutlich immer 3x pro fliegende Fleder- als den für sie gedachten Einschlupf am ne abgeschlagen. In der Alten Höhle am maus ausgelöst = „51 Tiere“, Doppelflüge Eingang! 30. 01.: 1 Großes Mausohr und Schloß- natürlich nicht auszuschließen und wahr- Die letzte Kontrollbefahrung der Sa- wartung. scheinlich. Auf 16 Bildern ist eine flie- lamanderhöhle fand im Jahre 2008 Alte Höhle, 28. Februar, 1 Großes Mau- gende Fledermaus zu erkennen. Nach der statt. Somit war es höchste Zeit dies am sohr, 2 Bartfledermäuse, 1 unbestimmte Art. In der Riesenberg- und Langenfelder Höhle wurde u.a. am 13. Februar 2016 ebenfalls eine Fledermauskontrolle durch- geführt. Im Alten Teil und der LFH fan- den sich nur 4 Tiere. Die Trockenrisse im Lehm waren sehr nass. Das seit über 60 Jahren nicht mehr Fledermäuse die Höhle als Winterquartier akzeptierten, liegt un- ter anderem auch an der Vielzahl anderer Winterquartiere wie Höhlen, Schächte u. Stollen im Süntel, die teilweise seit Jahr- hunderten von Fledermäusen genutzt wer- den und die Tiere sehr quartiertreu sind.

1x Kleine Bartfledermaus (1x w) 1x Braunes Langohr 4x Bartfledermaus spec. 1x Teichfledermaus 4 x Großes Mausohr 2 x Wasserfledermaus

Um den Mikroorganismen etwas mehr auf die Spur zu kommen, wurden wir heu- te von dem Mikrobiologen Kai-Uwe Ul- rich aus Dresden begleitet. Dieser hat sich nach unserem Aufruf in einer Veröffentli- chung in „Die Höhle“ gemeldet. Es wur- de im Bereich des Pool-Finger-Vorkom- Der Gluckerer war über 33 Jahre nicht so nass Das von den Deckentropfsteinen abfallende wie in diesem Jahr! Wasser tropft auf den sogenannten „Gluckerer“ mens I, eine Wasserprobe entnommen die Es sind aber auch deutliche jahreszeitliche nieder, in welchem sich eine deutlich sichtbare auf Mikroorganismen hin untersucht wer- Unterschiede in Bezug auf die Feuchtigkeit zu Spalte gebildet hat. den soll. Ebenso wurden Proben von Sin- verzeichnen. Fotos: Stefan Meyer 32 16.04.2017 zu wiederholen. Es war alles feld wurde bei einer weiteren Grabung die dem Verbruchoch (3721/32) auf dem in Ordnung. Suche nach der 100Jahre-Höhle weiterge- Programm. Im Verbruchloch wurden Pro- Am 23.07. wurden weitere Forschun- führt. Trotz informeller Unterstützung der ben der „Goldflechte“ zu Bestimmungs- gen in der Riesenberghöhle durchgeführt: Grundstückseigentümerin wurden keine zwecken entnommen. Die Untersuchun- Team 1: Rüppel-Parallel-Gang - Vermes- Hinweise auf den verschütteten Höhlen- gen von Dr. H.-U. Kison und U. Täglich sung/Fotografie. Bislang sind von der Rie- eingang gefunden. erbrachten, das es sich definitiv nicht um senberghöhle 212 Profile gezeichnet wor- In der Riesenberghöhle wurde am 10. Flechten aber auch nicht um Pilze (My- den, welche auf 55 DIN A4 Blätter vertei- September erstmals mit einem DistoX xomyceten) handelt. Vielmehr ist davon leilt wurden. weiter geforscht. Hierbei handelt es sich aus zu gehen das diese Goldflechten ei- Team 2 fertigte eine Fotodokumentation um einen erweiterten Laser-Entfernungs- ne Lebensgemeinschaft diverser Bakte- des Perlendoms in der Langenfelder Höhle messer, welcher zusätzlich Richtung und rien-Arten (Actinomyceten?) darstellen. an. Team 3 erkundete eventuelle Fortset- Neigungswinkel erfassen und speichern Im Männekenloch bemerkten wir, dass zungen im Hades der Langenfelder Höhle. kann. Von einem Messpunkt werden je- die Höhlenwände im Bereich des Pfeilers Team 4: Vorderer Bereich – Verschluss- weils in den 4 Hauptrichtungen des Gan- mit Anti-Nazi-Graffiti angesprüht worden wartung, Stalagmitenwachstumsmessung: ges Raumrichtungen gemessen (links, sind. Massenzunahme in 342 Tagen = 0,36 g rechts, oben und unten). Um den Raum/ In der Schillat-Höhle fand im Novem- Tropffrequenz: 6 ’17’’. Gang genauer zeichnen zu können, sind ber eine Illumination durch einen Licht- Am 24. Juli wurde auf dem Amelungs- beliebig viele Messungen möglich. Die- künstler statt. Die HGN-Mitglieder be- berg die etwa 15 m lange Lindenhöhle mit se Messungen werden im Zeichenpro- merkten, dass großflächige Ausbringen der Nummer 3721/060 neu ins Kataster gramm ebenfalls dargestellt, und man von fluoreszierenden Acryl-/Plastik-Gra- aufgenommen. kann den Wandverlauf nachzeichnen oder nulats in einem Teil der Höhle. Darauf- Das Grabungsteam der HGN, unter- Tropfsteinpositionen o.ä. einzeichnen. Ei- hin wurde das weitere Ausbringen sofort stützt von Kameraden der AGHKL und ne Software bietet einen Grundrissplan gestoppt. Um andere Schauhöhlenbetrei- der HFH sowie Gästen, konnte in 2016 und einen Saigerriss (Aufriss). Zusätzlich ber davor zu warnen, meldete die HGN lediglich einen Grabungseinsatz am 3.9. können im Grundrissplan beliebig viele den Fall an den Verband der deutschen im Lippergang der Schillathöhle durch- Schnitte angefügt werden. Mit dem Dis- Höhlen und Karstforscher e.V. Darauf- führen. Für die Trockenlegung des Lip- toX wurde der Verbindungsbereich von hin telefonierte die Vorsitzende mit dem perganges in den hinteren Teilen kam die TP 20 (Rbh, HGN-Gang) bis zu den TP Künstler. Er wird dieses Verfahren zukünf- neue Bohrmaschinenpumpe zum Ein- 17 u. 14 im Hades der Lfh erfasst. Es wur- tig nicht mehr anwenden. Entsprechen- satz. Mit einer Akkuladung wurden da- den dauerhafte Meßpunkte vermarkt. Der de Warnhinweise finden sich in den Ar- mit zwei große Wasserlachen in knapp 15 mithilfe des DistoX erstellte Teilplan wird GeKH-Mitt. 2017/1- 2 und den VdHK- Minuten geleert. Das Grabungsvideo wur- in den Gesamtplan der Riesenberghöhle Mitt. 2017/1. Das Plastikgranulat kann de den Besuchern wieder vorgeführt. Bei integriert. aus technischen Gründen nicht mehr rest- der Grabung wurde ein gangversperrender Die Theodolitvermessungsarbeiten auf los aus der Höhle entfernt werden. Die Felsblock freigelegt, welcher in einer ge- dem Hohenstein setzten wir am 29.10. Stadt wird demzufolge auch keine weite- sonderten Aktion aus dem Gang entfernt fort. Diesmal bestimmten wir die für Fol- ren Anstrengungen mehr unternehmen, wurde. In einer weiteren Aktion wurde ein gemessungen erforderlichen Triangulati- dieses noch zu entfernen. Der Beitrag des technischer Dienst durchgeführt und die onspunkte und bereiteten somit die Ver- Künstlers bestand darin, den Rechnungs- Lüftungsanlage instandgesetzt. Zu Beginn messungsarbeiten in den nordöstlichen betrag für die Stadt zu verringern. der neuen Grabungssaison soll zudem die Bereich vor. Hamburg, im März 2017 vorhandene elektrische Anlage auf Nieder- Am 19.11. stand eine Fotodokumenta- Stefan von Boguslawski spannung umgerüstet werden. In Langen- tion im Männekenloch (3721/16) und Vorsitzender

Michael Hesemann Tätigkeitsbericht AG Mikropaläontologie - www.mikropal.de

Die AG Mikropaläontologie besteht wohl theoretisch wie praktisch in die Welt Zu den zwölf monatlichen Treffen 2017 aus 13 NWV-Mitgliedern und weiteren der Mikrofossilien eingeführt. Das kann kamen jeweils 7-12 Personen. Im Wech- Freunden. Es besteht ein Netzwerk mit auch einen Besuch zuhause beinhalten, sel fanden offene Arbeitsabende und Vor- Fossil-Sammlern und Verbindungen in die um technische Geräte und Probenbearbei- tragsabende statt. Wissenschaft. Die AG versteht sich als Ar- tung individuell zu besprechen. Für ein- Veranstaltungen 2017: beitsgruppe, in der die Mitglieder an Mi- zelne Projekte werden temporäre Unter- 16. Januar: Offener Arbeitsabend: Durch- krofossilien arbeiten und bei den Treffen gruppen gebildet. Vertreter der AG beim sicht von Proben ihre Ergebnisse und aufgearbeiteten Pro- NWV und Kassenwart ist Werner Baub­ ben zur Diskussion stellen. Die Gruppe ist kus. Schrift- und Schlüsselführer ist Mi- 20. Februar: , Rotes Meer ungeeignet für Personen, die nur Vorträ- chael Hesemann. Einführung mit Durchsicht von wissen- gen lauschen wollen. Anfänger werden so- schaftlichen Proben, Axel Reichert 33 20. März: Mein Weg von der Astronomie glieder teilnahmen und Proben rund um- Meer in Wilhelmhaven präsentiert und zu den Foraminiferen, Cai-Uso Wohler die K/P Grenze nahmen. Die Proben sind rund 300 optische Einzelaufnahmen on- von sandphoto.de in Bearbeitung und unter line gestellt unter www.foraminifera.eu/ www.foraminfera.eu/loc.php?locality= loc.php?locality=Mauritanian Shelf . 24. April: Offener Arbeitsabend: Durch- Moen erste Ergebnisse zu sehen. • Dieter Ketelsen und Michael Hese- sicht von Proben mann veröffentlichten im November den • Dieter Ketelsen, Cai-Uso Wohler, Wer- Artikel „Leitende Foraminiferen in Krei- 15. Mai: Neues vom Foraminifera.eu- ner Baubkus und Michael Hesemann tra- demergelschlieren am Brodtener Ufer Project (www.foraminifera.eu) mit inter- fen sich fünfmal zur Bestimmung von Fo- (Westliche Ostseeküste)“ in der Zeitschrift essantem Material, Michael Hesemann raminiferen vor allem aus der Oberkreide Geschiebekunde Aktuell. Dazu wurden von Höver. Sie fertigten hunderte von op- nach größeren Rutschungen am Brodte- 19. Juni: Bernsteininklusen, Einführung tischen Aufnahmen von Foraminiferen für ner Ufer von John Taylor und Dieter Ke- zum Baltischen Bernstein mit Stücken www.foraminifera.eu und www.sandpho- telsen Proben genommen. und Fotos von Werner Baubkus to.de an. • Vom 1-3. Dezember ist die AG mit ei- 17. Juli: Offener Arbeitsabend: Durch- • Werner Baubkus arbeitet für den APH nem Stand auf der Mineralienmesse prä- sicht von Proben (Arbeitskreis Paläontologie Hannover) an sent, organisiert von Michael Hesemann. einer Erweiterung des Foraminiferenteils Der Stand ist mit jeweils 2 Mitgliedern 21. August: Offener Arbeitsabend: für die Neuauflage des Buches zur Ober- von jeweils 10-17Uhr besetzt. Am 2.12. Durchsicht von Proben kreide von Höver. Dafür besuchte er zu- hält Michael Hesemann einen Vortrag sammen mit Michael Hesemann die Hol- über Mikrofossilien im Vortragsforum. 18. September: Mikrofossilien aus Läger- cim Kreidegrube in Höver und APH-Re- dorf, Grube Saturn dakteure. Ausblick Forams, Haizähne, Ostrakoden, Mu- Für 2018 ist wieder ein reichhaltiges scheln etc., Werner Baubkus • Cai-Uso Wohler hat seine Webseite Programm von Aktivitäten vorgesehen. www.sandphoto.de um einen großen Fo- Es finden 12 Gruppenabende statt, zwei 16. Oktober: Die Foraminiferen der raminiferenteil erweitert und fertigte da- Foraminiferen-Workshops zusammen mit Eozän/Oligozän-Grenze von Atzendorf zu einige hundert hoch qualitative Einzel- dem NABU Hamburg, Exkursionen sind (Sachsen-Anhalt). Vortrag: Dr. Marc fotos an. Proben wurden von ihm selbst in Planung, und es wird an diversen Pro- Theodor / Probendurchsicht gesammelt und aus der AG und vom fo- ben gearbeitet. Dieter Ketelsen, Cai-Uso raminifera.eu Projekt gegeben. Bestim- Wohler, Werner Baubkus und Michael 20. November: Offener Arbeitsabend: mungen wurden mit Michael Hesemann Hesemann werden wieder viele optische Durchsicht von Proben diskutiert. Aufnahmen zur Erweiterung der Daten- bank von www.foraminifera.eu und den 11. Dezember: Offener Arbeitsabend: • Am 22.4 war die AG mit einem Stand Fotos auf www.sandphoto.de machen. Durchsicht von Proben bei der Nacht der Wissenschaften im Geo- matikum präsent, organisiert von Werner An Veröffentlichungen stehen die Fora- Aktivitäten außerhalb der Gruppen­ Baubkus. miniferenteile für das neue Buch des APH abende zu Höver und eines Buchs über das Eo- • Entwickelt und gepflegt von Michael • Dieter Ketelsen und Michael Hese- zäne Heiligenhafener Kieselgestein an. Es Hesemann präsentiert sich die AG Mik- mann führten im Rahmen einer Koope- sind wieder Stände bei der Nacht der Wis- ropaläontologie nun auf www.mikropal.de ration des foraminifera.eu Projektes mit senschaften und der Mineralienmesse vor- Senckenberg am Meer Zählungen an rund gesehen. • Im Mai organisierte Werner Baubkus 30 Proben vom mauretanischen Schelf eine viertägige Frühjahrsexkursion nach durch. Die Ergebnisse und ihre Interpre- Aktuelle Informationen sind unter www. Moen, Kulsti und Faxe, an der vier Mit- tation wurden im Juli bei Senckenberg am mikropal.de zu finden.

34 Bob Lammert Tätigkeitsbericht der Arbeitsgruppe „MIKRO“ für 2017

Die Veranstaltungen fanden alle in den rum.de) beworben. Neue Mitglieder wer- in voller Blüte: Das Sommerplankton Räumen des ZSU statt (Hamburg-Klein den in der Regel durch diese zwei Maß- Hamburger Gewässer Flottbek, Hemmingstedter Weg 142), nahmen auf uns aufmerksam. September: Bob Lammert: Kieselalgen - 15.00 bis 18.00 Uhr. Wunderwerke im Mikro-Format - Von Die MIKRO-Gruppe wurde über lan- Der Bestand an gruppeneigenen Mik- der Probe zum Dauerpräparat mit einfa- ge Jahre alleine von Herrn Dr. Rosenfeldt roskopen konnte in 2017 deutlich ausge- chen Mitteln geleitet und zu dem gemacht hat, was sie baut werden, und die Übernahme weite- heute ist. Ihm gebührt dafür große An- rer Instrumente ist in Sicht. Damit wird Oktober: Dr. Klaus Spiekermann: Die erkennung und der Dank aller Mitglie- unser Ziel erreicht werden, jedem Teilneh- Giganten der Planktonmikroskopie: Kahl, der. In 2016 äußerte Herr Rosenfeldt den mer zur Nutzung bei den Treffen ein gu- Ehrenberg, Haeckel & Co. Wunsch, die Leitung abzugeben, und seit tes binokulares Mikroskop zur Verfügung September 2016 wird die Gruppe durch stellen zu können. Wir halten einen an- November: Georg Wawzyniak: Wande- Jorrit Köchel und Bob Lammert geleitet, sprechenden ersten Kontakt zum Mikro- rung von Stoffen durch Pflanzenmembra- unterstützt durch eine Leitungsgruppe, skop für sehr wichtig und freuen uns, die- nen - eine Grundfunktion des Lebens deren Mitglieder Teilaufgaben überneh- sen mit den besseren Instrumenten bald men. jedem Teilnehmer bieten zu können. Dezember: Matthias Burba: Original - Kopie - Fälschung: Die mikroskopische Das neue Leitungsteam führt die MI- Veranstaltungen 2017: Analyse von Farbpigmenten bei Gemäl- KRO seitdem in bewährter Weise weiter. Januar: Matthias Burba: Feder- Aufbau, den Die Gruppe versucht, sich noch offener Funktionen , Artbestimmung und transparenter zu präsentieren, um für außenstehende Personen ansprechend zu Februar: Bob Lammert: Diatome- sein, und um diesen schneller den Einstieg en legen für blutige Anfänger als neue Mitglieder zu ermöglichen. Wir tragen dazu bei den Treffen Namensschil- März: Ein bunter Blumenstrauß an der, und stellen auf unserer Internet-Seite mikroskopischen Überraschungs- die Themen mit Vorschau und Arbeitser- themen gebnissen dar. An der Gestaltung der The- men wirken jetzt reihum viele der Mitglie- April: Arbeitsnachmittag: Früh- der mit, und die Ausrichtung hat sich et- jahrsplankton - das Wasser erwacht was mehr in Richtung praktischer Arbeit zum Leben verlagert. Die Treffen beginnen meistens mit einem einleitenden Vortrag und das Mai: Dr. O. Ammerpohl, Dr. K. Praktikum wird im Anschluss durchge- Spie­ker­mann: Die CRISPR/Cas führt. Revolution in den Genlaboren, wir mikroskopieren Chromosomen Die Teilnehmerzahl ist etwas gestiegen, Vorführung PCR: Die Polymerase- es kamen 7-17 Personen pro Veranstal- Kettenreaktion tung, im Schnitt etwa 12. Ein Teil des Zu- wachses sind Mitglieder der zur Zeit aus- Juni: Arbeitsnachmittag: Plankton Lackring an Diatomeen-Präparat anbringen, September gesetzten Plankton-Gruppe. Eine 2017 Foto: Bob Lammert besondere Freude war es, dass auch Frau Pieper mehrfach an den Tref- fen teilnahm und uns bei Plank- ton-Themen mit ihrer Erfahrung verstärkte.

Auf die Website der MIKRO (http://www.mikrohamburg.de) wird intensiv zugegriffen, und sie stellt eine der umfangreichsten In- ternetseiten zum Thema Mikros- kopie weltweit dar. Um neue Mit- glieder anzusprechen, werden die Treffen auch im Mikroskopie-Fo- rum (http://www.mikroskopie-fo- Gruppenfoto Mai 2017 Foto: Bob Lammert 35 Harald Schliemann Bericht des Vorstandes für das Jahr 2016

1. Veranstaltungen In unserer Zeitschrift NATUR und Alle genannten Vorträge sind auch auf Die Vortragsthemen in den Monaten Ja- WISSEN (Heft 13) wird ab Seite 2 über unserer Homepage (nwv.Hamburg.de/ nuar bis Oktober 2016 waren inhaltlich diesen Sommerausflug und das Celler Veranstaltungen/Veranstaltungsarchiv) sehr divers: Im Januar trug Frau Köstering Schloss berichtet. aufgeführt und ihre ausführlichen Zusam- über das Hamburger Naturkundemuse- Nach der Sommerpause begannen die menfassungen dort nachzulesen. um während der Kaiserzeit vor; es ging im Vorträge wie immer wieder im Oktober. Redner; Themen und Daten der allge- wesentlichen um Fragen des Baukonzep- Frau Petra Bernardy berichtete über die meinen Veranstaltungen des Berichtsjah- tes und der Gestaltung der Ausstellungen; aufwändige Arbeit an der niedersächsi- res 2016 im Detail: der Vortrag stand im Zusammenhang mit schen Population des Ortolans und seine 21. Januar: Dr. Susanne Köstering, Pots- ihrem Buchprojekt über das Hamburger Gefährdungen beim Zug in die afrikani- dam: Ein Haus der Weltnatur. Gebäude- Naturkundemuseum, das im Jahr 2018 schen Überwinterungsgebiete. Und dann und Ausstellungskonzeption des Natur- in unseren Abhandlungen erscheinen soll. gab es im Oktober noch einen zweiten historischen (Zoologischen) Museums im Ingrid Wiesel, die in Namibia über Brau- Vortrag: John-Dylan Haynes von der Ber- Kaiserreich. ne Hyänen arbeitet, berichtete im Febru- liner Charité, einer der bekannten deut- 25. Februar: Dr. Ingrid Wiesel, Lüde- ar über den Erfolg öffentlicher Befragung schen Neurobiologen, hielt einen faszinie- ritz, Boltersen: Kann Citizen Science zum Vorkommen der Hyänen. Im März renden Vortrag über die Frage des freien zum Schutz Brauner Hyänen (Parahyaena konnten wir uns über einen Reisebericht Willens aus der Sicht moderner Hirnfor- brunnea) beitragen? Erste Ergebnisse einer freuen – Andreas Schmidt-Rhaesa erzähl- schung. Langzeitstudie aus Namibia. te, wie er die Nationalpark Costa Ricas er- Kurzversionen der Beiträge von Frau 17. März: Prof. Dr. Andreas Schmidt- lebt hatte. Klaus Hackländer aus Wien ist Köstering, Ingrid Wiesel, Andreas Rhaesa, Hamburg: Im Land des Göttervo- Wildbiologe – in seinem Vortrag im Ap- Schmidt-Rhaesa, Klaus Hackländer, Klaus gels – Impressionen aus Costa Rica. ril ging es um den Rückgang der Popula- Schönitzer, Petra Bernardy, John-Dylan 7. April: Prof. Dr. Klaus Hackländer, tionen des Feldhasen. Im Mai hatten wir Haynes und Daniela Winkler (Oktober Wien: Licht aus für Meister Lampe? – Ein Klaus Schönitzer aus der Münchener Zoo- 2015) finden Sie in Heft 13 von NATUR Fruchtbarkeitssymbol auf der Roten Liste logischen Staatssammlung zu Gast, der und WISSEN ab Seite 5. 3. Mai: Dr. Uwe Westphal, Seevetal: Or- über den Ritter von Spix referierte; dieser Die Themenreihe “Nachhaltige und nithologische Exkursion in die Winsener war der erste Zoologe im Amanzonasge- Umweltschonende Nutzung des Lebens- Marsch. biet. raums Meer” umfasste fünf Einzelvorträ- 12. Mai: Prof. Dr. Klaus Schönitzer, Im Mai auch fand eine ornithologische ge in den Monaten November und De- München: Die Abenteuer und Forschun- Exkursion unter bewährter Leitung von zember. Es begann mit einem Vortrag des gen des Ritter von Spix, erster Zoologe im Uwe Westphal statt; Ziel waren die Klei- Dipl.-Biol. Thomas Merck aus dem Bun- Amazonasgebiet. entnahmeorte in der Winsener Marsch. desamt für Naturschutz über die ökolo- 24. Juni: Sommerausflug nach Celle (Be- Der Sommerausflug fand aus terminli- gischen Auswirkungen von Windkraftan- suche im Celler Institut für Bienenkunde chen Gründen in diesem Jahr an einem lagen und die Möglichkeiten, die durch und im Celler Schloss). Freitag statt (24. Juni). Wir begannen am sie verursachten Schäden zu einzuschrän- 6. Oktober: Dipl.-Biol. Petra Bernardy, Morgen mit einem geführten Besuch im ken. Frau Professor Antje Boetius, Alf- Hitzacker: Gefährliche Reise – Erkundung Celler Schloss; eine der Führungen über- red-Wegener-Institut, berichtete über die der Brut-, Rast- und Überwinterungsge- nahm Professor Ralf Busch, der ehemali- Nutzung von und Forschung an Tiefseele- biete des Ortolans (Emberiza hortulana) ge Direktor des Harburger Helmsmuse- bensräumen und ihren Schätzen. Im De- zum Schutz der niedersächsischen Kern- ums. Herr Busch stammt aus Celle und zember dann hörten wir Frau Carolin Ab- population. ist ein vorzüglicher Kenner der Celler Kul- romeit vom Bundesamt für Schifffahrt 27. Oktober: Prof. Dr. John-Dylan Hay- turchätze. Der Nachmittag war dem Be- und Hydrographie über “Green Ship- nes, Berlin: Streitfall Willensfreiheit: Was such des Celler Bieneninstituts gewidmet, ping”, Entwicklungen für eine umwelt- sagt die Hirnforschung wirklich über den in dem wir nicht nur einen hoch interes- verträglichere Schifffahrt. Es folgte Frau freien Willen aus? santen Vortrag seines Direktors, Dr. von Professor Angela Köhler, ebenfalls Alfred- 10. November: Beginn der öffentlichen der Ohe, hörten, sondern auch von ihm Wegener-Institut, mit einem Bericht über Vortragsreihe „Nachhaltige und umwelt- in den Außenanlagen des Instituts geführt die Gefahren des Mikroplastiks im Meer. schonende Nutzung des Lebensraums wurden. Und dabei die praktische Arbeit Das Abschlussreferat hielt Professor Axel Meer.“ der Wissenschaftler des Instituts an ihren Temming vom Hamburger Institut für Dipl.-Biol. Thomas Merck, Putbus, Rü- Forschungsobjekten kennenlernten. Die Hydrobiologie und Fischereiwissenschaft; gen: Offshore-Windenergieanlagen – meisten Teilnehmer beendeten den Aus- er behandelte den Konflikt zwischen der Ökologische Auswirkungen und Möglich- flug mit einem kurzen Abstecher in die Nutzung der Fischbestände und ökolo- keiten ihrer Minderung historische Altstadt. Auf der Rückfahrt gisch bestimmtem Handeln. 24. November: Prof. Dr. Antje Boetius, waren wir uns bewußt, dass wir einen er- Zusammenfassungen der Vorträge dieser Bremerhaven: Schätze der Tiefsee – Neues folgreichen, vielseitigen und interessanten Reihe finden Sie in diesem Heft auf den zur Forschung an Nutzen und Schutz von Tag erlebt hatten. Seiten 26 und 27. Tiefseelebensräumen. 36 1. Dezember: Carolin Abromeit, Ham- spiel für den Konflikt zwischen Ökologie stand ist bemüht, mit Hilfe einer intensi- burg: Green Shipping – Aktuelle Ent- und Ökonomie. veren Pressearbeit auch außerhalb unserer wicklungen in Richtung einer umwelt- Auch diese Vorträge sind auf unserer Mitgliedschaft den Verein und seine Ver- freundlicheren Schifffahrt. Homepage (nwv.hamburg.de/Veranstal- anstaltungen sichtbarer zu machen. 8. Dezember: Porf. Dr. Angela Köhler, tungen/Veranstaltungsarchiv) mit aus- 2. Veröffentlichungen und Schriften- Bremerhaven: “Mikroplastik” – eine Ge- führlichen Zusammenfassungen nachzu- tausch siehe TOP 4 und TOP 6 des Pro- fahr für die Gesundheit unserer Meeresor- lesen. tokolls der Mitgliederversammlung. ganismen? Alle Veranstaltungen haben ein inter- 3. Mitglieder und 4. Kassenbericht sie- 15. Dezember: Prof. Dr. Axel Temming, essiertes und zahlreiches Publikum unter he TOP 2 des Protokolls der Mitglieder- Hamburg: Fischerei: Ein Lehrbuchbei- unseren Mitgliedern gefunden; der Vor- versammlung

Prof. Dr. Otto Kraus ist verstorben Zum Tode von Prof. Dr. Klaus Wächtler

Am 24. Oktober 2017 ist unser Ehrenmitglied Prof. Dr. Otto Prof. Dr. Klaus Wächtler ist am 4. März dieses Jahres im Al- Kraus in seinem 88. Lebensjahr verstorben. Der Naturwissen- ter von fast 79 Jahren verstorben. Herr Wächtler war Korres- schaftliche Verein verliert mit Herrn Kraus ein Mitglied, das pondierendes Mitglied unseres Vereins, die Verbindung zu ihm sich in einem ganz ungewöhnlichen Umfang für unseren Ver- ist erst vor rund zehn Jahren zustande gekommen. Nämlich, ein engagiert und sich um ihn verdient gemacht hat. als wir uns bemühten, das Publikationswesen des Vereins neu Neben seinen vielpflichtigen Aufgaben als Universitätspro- zu ordnen. Wir benötigten seinerzeit einen qualifizierten Blick fessor, er wurde 1968 auf den hiesigen Lehrstuhl für Zoolo- auf die inhaltliche und formale Gestaltung unserer Publikati- gie berufen, und Leiter der onen und auch auf selbständigen Abteilung für den internatio- Phylogenetische Systematik nalen Schriften- am Zoologischen Institut so- tausch; letztlich wie mehreren Ehrenämtern ging es um die Fra- konnte Herr Kraus über vie- ge, ob und wie wir le Jahre dem Verein in wich- die lange Tradition tigen und leitenden Funk- unserer Schriften tionen zur Verfügung ste- in einem sich wan- hen und prägend wirken: Als delnden Umfeld erster Vorsitzender (1970 – des Zeitschriften- 1974), als Mitglied des Vor- wesens, der Biblio- standes und vor allem als theken, von Kom- Schriftleiter der Abhandlun- munikation und gen und Verhandlungen des Information fort- Naturwissenschaftlichen Ver- setzen sollten. eins (1976 – 2007), die unter seiner Leitung als getrennte Se- Wir suchten ei- rien fortgeführt wurden. Der Verein verdankt ihm eine gro- nen Wissenschaftler mit großer Berufserfahrung, fundiertem ße Zahl Monographien in den Abhandlungen, in Form von Urteilsvermögen und Sinn für die Art der Aufgaben, wie unser Sonderbänden sowie viele Verhandlungsbände, die er bis zum Verein sie wahrnimmt. Und wir haben damals Klaus Wächtler Druck redaktionell betreut und deren Manuskripte er vielfach gewinnen können, der uns mit einem sehr ausführlichen Gut- überhaupt erst angeregt hat. achten geholfen hat, den richtigen Weg zu finden, auf dem wir Da die Schriften des Vereins international getauscht wer- unserer Tradition treu bleiben konnten. den, hat Herr Kraus dazu beigetragen, dass Hamburger zoo- Nachdem fest stand, dass wir unsere Abhandlungen und Ver- logische Forschung weithin zur Kenntnis genommen werden handlungen in einem neuen Gewand, mit neuer personeller kann. Er selbst hat eine ganze Anzahl eigener Manuskripte in Verantwortung und neuen Richtlinien für Autoren fortsetzen den Schriften unseres Vereins veröffentlicht, u.a. - und dies wollten, haben wir auch den in unserer Satzung verankerten betont seine Verbindung zu unserem Verein - zusammen mit Redaktionsausschuss neu belebt und für die Mitarbeit in die- Herbert Weidner „Aus der Geschichte des Naturwissenschaft- sem Gremium ebenfalls Herrn Wächtler gewinnen können. lichen Vereins in Hamburg“ in den Verhandlungen, Band 30, Hier hat er vielfach auf Grund seiner umfassenden naturwis- 1988. Dieser wichtige Artikel unserer Vereinsgeschichte ist auf senschaftlichen Kenntnisse, auch und gerade in der organismi- der Homepage des Vereins als PDF-Datei seit kurzem für je- schen Biologie, geholfen, mit kritischen Anmerkungen, die im- dermann zugänglich. mer den Punkt trafen, unsere Standards zu wahren. Über diese Wir danken Herrn Kraus für das anhaltende, vielfältige En- Hilfestellungen hinaus wird uns Klaus Wächtler als ein überaus gagement in unserem nunmehr seit 180 Jahren bestehenden freundlicher, humorvoller und kluger Gesprächspartner im Ge- Verein und werden sein Andenken bewahren. dächtnis bleiben. Wir sind ihm zu Dank verpflichtet!

Harald Schliemann im November 2017 Harald Schliemann im November 2017 37 Naturwissenschaftlicher Verein in Hamburg Protokoll der Mitgliederversammlung, 30. März 2017

Beginn: 18:02 Uhr Ende: 18:58 Uhr

Ort: Großer Hörsaal des CeNak und Zoologischen Instituts Anwesend: Anwesenheitsliste in der Vorstandsakte Vorsitz: Prof. Dr. Harald Schliemann Protokoll: Matthias Burba

TOP 1: Begrüßung durch den Ersten Vorsitzenden, Annahme der Tagesordnung, Protokoll 2016, Bericht (Prof. Dr. H. Schlie- mann): Die Einladung mit der Tagesordnung wurden satzungsgemäß verschickt, letztere wird einstimmig angenommen. Das Protokoll der Mitgliederversammlung wird ebenso einstimmig verabschiedet.

Der Verein beklagt im Jahre 2016 und in den ersten Monaten des laufenden Jahres fünf Todesfälle; hierbei handelt es sich um fol- gende Mitglieder: Dr. Alfred Holl, Harald Nieß (bereits 2016 auf der Mitgliederversammlung bekannt gegeben) um Gerhard Staack und Prof. Dr. Kerrin Christiansen sowie um das Korrespondierende Mitglied Prof. Dr. Klaus Wächtler. Die anwesenden Mitglieder erheben sich zu einer Schweigeminute und gedenken der verstorbenen Mitglieder; der Vorsitzende dankt und versichert, dass die Verstorbenen in einem ehrenden Angedenken gehalten werden.

Herr Schliemann berichtet über die erfolgreiche Vortragsreihe „Nachhaltigkeit im Lebensraum Meer“, die im November/Dezem- ber des vergangenen Jahres veranstaltet wurde; die Vortragskurzfassungen dieser Reihe sollen im nächsten Heft von Natur und Wis- sen veröffentlicht werden.

Sodann geht er auf die Vorträge und Veranstaltungen des laufenden Jahres ein: 19. Januar: G. Miehlich, Hamburg: Die 2000 Quadratmeter von denen wir leben (sollten) 2. Februar: K. Lüning, Sylt: Vorteile der landgestützten Kultivierung von Lebensmittel – Meeresalgen 16. Februar: U. Kotthoff, Hamburg: Darmflagellaten und Blütenstaub - evolutive Wechselwirkungen zwischen Insekten und Pflan- zen 30. März: E.-H. Solmsen, Salzhemmendorf: Rückkehr der Wölfe nach Deutschland - Mythen und Fakten: Was kann die Säugetier- biologie zur gesellschaftlichen Diskussion beitragen? 20. April: M. Husemann, Hamburg: Phylogeographie und Evolution der Ödlandschrecken: Weltweite Fallstudien zur Diversifizie- rung der Oedipodinen 2. Mai: Ornithologisch-ökologische Exkursion mit U. Westphal 18. Mai: H. Kreutz, Mölln: Eine kurze Geschichte des Nordseeöls 24. Juni: Sommerausflug 2017: Besuch des Erdölmuseums in Wietze, Führung durch H. Kreutz, siehe Vortrag am 18. Mai, und nachmittags Besuch des Heideklosters Wienhausen September {26.?): Exkursion Duvenstedter Brook, Hirschbrunft Oktober (5., 12., 19., 26. kommen in Frage); angefragt bei Frau A. Koehler Bremerhaven, Vortrag zum Thema Störe, Kaviargewin- nung und Aquakultur

November/Dezember: Vortragsreihe zum Themenkomplex Gedächtnis, Wahrnehmung, Bewusstsein (Arbeitstitel) Eine Zusage von Herrn Prof. Dr. Randolf Menzel, Freie Universität Berlin, (u.a. Buch „Intelligenz der Bienen“ ) liegt bereits vor. Zu- sagen noch offen: Prof. Dr. John-Dylan Haynes (Charité Berlin), Prof. Dr. Silke Anders (Med. Universität Lübeck).

In Anbetracht des Umstandes, dass der Naturwissenschaftliche Verein 2017 seit 180 Jahren besteht, wird an einen angemessenen Rahmen für diese Veranstaltungen gedacht, um das langjährige Bestehen unseres Vereins zu würdigen.

Auf Bitten von Herrn Schliemann berichtet Herr Glaubrecht, Direktor des CeNak, kurz über die Umbaumaßnahmen in der Schaus- ammlung des Museums und die Verlegung des Einganges an die Bundesstraße; die im Eingangsbereich neu gestaltete Ausstellung wird am 27.4. im Rahmen einer offiziellen Feierlichkeit in Anwesenheit der Senatorin Fegebank und des Universitätspräsidenten eröffnet, die Mitglieder des Vereins werden eingeladen.

Das Geschäftszimmer des Vereins war in die Renovierungsmaßnahmen des CeNak mit einbezogen und wurde ebenfalls neu möb- liert. Herrn Glaubrecht wurde schriftlich gedankt.

38 Abschließend weist Herr Schliemann auf das aktuelle Heft von Natur und Wissen (13, 2016) hin und bedauert, dass eigentlich re- gelhaft ein Echo aus der Mitgliedschaft vermisst wird. Dies sei besonders anzumerken, weil diese Zeitschrift eigens für die Mitglieder, ihre Unterrichtung und Kommunkation begründet wurde. Er dankt den Herren Stiewe und Dr. Frischmuth für ihre wichtige Mitar- beit an der Zeitschrift.

TOP 2: Kassenbericht und Haushaltsvoranschlag (Schatzmeister Prof. Dr. O. Giere): Herr Giere gibt zunächst einen Überblick über die Einnahmen und Ausgaben des Jahres 2016, wobei die Kosten für die Publikati- onen sich aus den bereits geleisteten Zahlungen für die Veröffentlichung des umfangreichen Quallenatlas erklären; in diesem Zusam- menahng sei allerdings auch auf den deutlich erhöhten Druckkosten-Zuschuss der BWF hinzuweisen:

Herr Giere gibt sodann einen Überblick über die Vermögensverhältnisse des Vereins und geht kurz auf die finanzielle Planung für das laufende Jahr ein – zur Deckung der Kosten für die anstehenden Publikationen wird ein weiterer Zuschuss des Staates erforderlich, ein entsprechender Antrag ist gestellt:Abschließend berichtet der Schatzmeister über die Mitgliederentwicklung des vergangenen Jahres:

39 Im Jahresverlauf 2016 gab es 10 Eintritte und 2 Kündigungen, 2 Mitglieder verstarben, 2 Mitglieder wurden wegen längerer Nicht- zahlung der Mitgliedsbeiträge ausgeschlossen. Damit hatte der Verein Ende 2016 257 Mitglieder (davon sind 5 Ehrenmitglieder und 3 Korrespondierende Mitglieder). Es ist also ein Zuwachs von 4 Mitgliedern im Jahr 2016 zu verzeichnen.

Herr Schliemann dankt Herrn Giere für seine Arbeit als Schatzmeister und insbesondere für seine erfolgreichen Bemühungen um die Druckkostenzuschüsse der Behörde. Die Mitglieder schließen sich durch Akklamation an.

TOP 3: Bericht der Kassenprüfer (Prof. Dr. L. Kies, Dr. E.-H. Solmsen), Neuwahl eines Kassenprüfers Herr Kies verliest den Kassenprüferbericht – es gab nach Überprüfung der Einnahmen und Ausgaben keinerlei Beanstandungen (s. von den Kassenprüfer unterzeichnete Bilanz 2016). Der aus der Mitgliederversammlung gestellte Antrag auf Entlastung des Vorstan- des wird ohne Gegenstimme angenommen. Als Kassenprüfer für die nächsten zwei Jahre kandidiert Herr Hermann Reichenbach. Er wird ohne Gegenstimme durch Akklama- tion gewählt.

TOP 4: Veröffentlichungen (Schriftleiter Prof. Dr. A. Schmidt-Rhaesa, Dr. P. Spork-Frischling) Herr Schmidt-Rhaesa gibt eine kurze Übersicht über die Publikationen des Vereins (Verhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins in Hamburg, Abhandlungen ….., Natur und Wissen), ihre Funktion und den augenblicklichen Stand der Veröffentlichun- gen. Dabei spielen die beiden nächsten Abhandlungsbände eine besondere Rolle: Für den Quallenatlas (Dr. G. Jarms) liegen jetzt na- hezu alle Unterlagen für den Druck fertig vor, sodass mit der Veröffentlichung noch in diesem Jahr gerechnet werden darf. Das Manu- skript für den Band “Ein Haus der Weltnatur. Gebäude- und Ausstellungskonzeption des naturhistorischen (Zoologischen) Musuems in Hamburg im Kaiserreich” (Frau Dr. Köstering) wird im Oktober dieses Jahres erwartet, sodass dieser Band im Jahr 2018 erschei- nen wird, d.h. zum 175jährigen Bestehen des Hamburger Museums. Herr Schliemann weist auf den sehr großen Aufwand hin, der für die Schriftleiter mit der Druckvorbereitung unserer Veröffentli- chungen verbunden ist, und dankt herzlich für die geleistete Arbeit. Die Mitglieder akklamieren nachdrücklich.

TOP 5: Bericht aus den Arbeitsgruppen (M. Burba) Der Vorsitzende macht darauf aufmerksam, dass dieser Berichtspunkt (ebenso wie TOP 7: Öffentlichkeitsarbeit) erstmals in die Tagesordnung der Mitgliederversammlung aufgenommen wurde, um die Bedeutung der Arbeitsgruppen für das Vereinsleben noch deutlicher zu machen.

Herr Burba berichtet, dass die Arbeitsgruppen aus der Zoologie zahlreiche Mikrospkope und Binokulare als Dauerleihgaben für ih- re Arbeit bekommen hätten; diese stellten eine wesentliche Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten dar. Ferner, dass die Plankton-AG nicht durch Frau Piper weiter geführt wird, dass aber für den Erhalt der Arbeitsgruppe nach einem Koordinator gesucht würde. Die Arbeitsgruppe für Geschiebekunde würde weiter durch die Geologische Arbeitsgruppe wahrgenommen, sodass trotz des Fehlens einer eigenen Leitung davon ausgegangen werden könne, dass diese AG funtionsfähig erhalten wird. Im übrigen würden die Vorträge und Arbeitsabende der AGs gut besucht, man wäre auch um Neueintritte in den Verein bemüht.

TOP 6: Schriftentausch (Archivwartin Frau Dr. I. Villwock) Frau Villwock berichtet, dass der Schriftentausch eine rückläufige Tendenz aufweist. Es stünde ein Gespräch in der STABI an, und die Umstellung der Vorgänge des Schriftverkehrs auf eine digitale Datei sei in Angriff genommen worden. Diese würden klare Aussa- gen zum jetzigen Stand des Schriftverkehrs ermöglichen.

TOP 7: Öffentlichkeitsarbeit (Dr. P. Spork-Frischling) Herr Spork berichtet über die Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit der lokalen Presse, in der trotz vielfältiger Bemühungen in Form von ausführlichen Pressemitteilungen eigentlich nie über unsere Veranstaltungen berichtet würde; Umstrukturierungen z.B. beim Hamburger Abendblatt wären die Ursache für die Schwierigkeiten. Bereits bestehende Planungen, über Facebook einen größe- ren Interessentenkreis zu erreichen, sollen fortgesetzt werden. Die Website würde regelmäßig gepflegt und hätte zufriedenstellende 200 Zugriffe pro Tag. Verstärkt solle versucht werden, den Rundfunk für die Vereinsarbeit zu interessieren, hier wären Radio-Features aus den Arbeitsgruppen sehr gute Kandidaten.

Herr Schliemann hebt hervor, dass der Verein sich glücklich schätzen kann, mit Herrn Spork ein Vorstandsmitglied gewonnen zu ha- ben, dass sich professionell im Umgang mit den Medien auskennt. Er dankt Herrn Spork für sein Engagement.

TOP 8: Verschiedenes Einzelne Fragen aus der Mitgliederversammlung werden beantwortet.

gez. Matthias Burba gez. Prof. Dr. Harald Schliemann

40 Inhalt

Zum Vortrag vom 18. Mai 2017 Helge Kreutz Eine kurze Geschichte des Nordseeöls

Hier sehen Sie noch einmal die Schaubilder aus dem Beitrag von Seite 22 zum besseren Verständnis in Farbe.

Abb. 2: Die Aufteilung der Nordsee. rot: Grenze des kontinentalen Shelfs nach internationaler Definition. Grün: Grenze vor Neuverhandlung des Abb. 6: große Öl- (grün) und Gasfelder (rot) „Entenschnabels“, 1970

Abb. 4: Ein Profil durch die nördliche Nordsee von Schetland (links) nach Norwegen (rechts). Zur Lage des Schnittes siehe Abb 6. Durch tektonische Deh- nung entstand ein tiefer Graben mit einzelnen Horsten, an deren Scheiteln sich Öl und Gas sammelten Der Naturwissenschaftliche Verein in Hamburg Der Naturwissenschaftliche Verein in Hamburg veranstaltet Vorträge und Vortragsreihen, die im Zoologischen Museum der Universität Hamburg stattfinden. Zum Verein gehören verschiedene Arbeitsgruppen, die ihrerseits Vortragsabende, Arbeits- abende, Praktika und auch Exkursionen durchführen. Alle Veranstaltungen stehen jedermann offen, Gäste sind gern gesehen. Ein Blick in die Vergangenheit – Die Geologische Gruppe Deutschland war nicht immer „Land“ – im Carbon war es von Sümpfen und Sumpfwäldern bedeckt, während des Perm bedeckte ein Flachmeer einen Teil Deutschlands, das dann eintrocknete und gewaltige Salzlagerstätten lieferte. Während des Jura existierte in Süddeutschland ein Meer, in dem sich Ichthyosaurier tummelten, und in der Kreidezeit wiederum gab es im Norden ein Flachmeer, in dem sich gewaltige Kreideablagerungen absetzten. All diese Schichten liegen heute an bestimmten Stellen Deutschlands frei und gestatten einen Blick in die ferne Vergangenheit, in ihre Tier- und Pflanzenwelt. Die Geologische Gruppe freut sich auf Ihren Besuch! • Kontakt: Dr. Wolfgang Linz, Tel.: 040-7926043, [email protected] Steine erzählen – Die Arbeitsgruppe für Geschiebekunde Schon in der Schule haben wir gelernt, dass die Landschaften Norddeutschlands durch die Gletscher der letzten Eiszeiten geprägt wurden. Kein Wunder, dass man in jeder Kiesgrube alle möglichen Steine findet, die von den Gletschern aus Skan- dinavien nach Norddeutschland transportiert wurden - aber woher stammen diese Steine genau? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Gruppe für Geschiebekunde, denn mit kriminalistischem Scharfsinn und mit Hilfe dieser steinernen „Zeugen“ lässt sich die komplizierte Geschichte der letzten Eiszeiten rekonstruieren. Wenn Sie Lust haben, dieses Puzzle zu vervollständigen, seien Sie Gast in unserer Gruppe! • Kontakt: Dr. Wolfgang Linz, Tel.: 040-7926043, [email protected] Verborgene Schätze – Die Mikropaläontologische Gruppe Zu allen Zeiten lebten in den Meeren Myriaden von Klein- und Mikroorganismen, deren Skelette in den entsprechenden Ablagerungen eingeschlossen wurden und sich bis heute erhalten haben. Löst man diese versteinerten Ablagerungen mit geeig- neten Chemikalien auf – und das ist nicht sonderlich schwierig – so kann man diese Organismen untersuchen. Sie zeigen nicht nur eine unglaubliche Formenfülle, es ist vielmehr möglich, mit ihrer Hilfe die Lebensbedingungen dieser längst vergangenen Zeiten zu rekonstruieren. Die Mikropaläontologische Gruppe lädt Sie zu einem Blick in die Vergangenheit ein! • Kontakt: Michael Hesemann, [email protected] Tiefe Einblicke – Die Mikrobiologische Vereinigung Unter dem Mikroskop entdeckt man wahre „Kunstformen der Natur“. Ob Zieralgen aus verschiedenen Gewässern oder nur 0,01 mm starke Dünnschnitte von Pflanzen und Tieren. Das Mikroskop macht die kleinsten Strukturen sichtbar, und mit geeigneten Geräten können diese Beobachtungen auch im Bild festgehalten werden. Trotzdem handelt es sich nicht um ein teures Hobby für wenige Spezialisten. Die Mikrobiologische Gruppe verfügt über ein gut ausgerüstetes Labor in dem Ihnen erfahrene Amateure und Profis zur Seite stehen. Schauen Sie einmal herein! • Kontakt: Bob Lammert, [email protected] Lebensraum Elbe – Die Planktongruppe Jedermann weiß, dass in Flüssen Fische leben, aber Wasser enthält noch zahlreiche andere Organismen! Gelegentlich stören uns „Wasserblüten“, doch haben Sie schon einmal diese Algen unter dem Mikroskop gesehen? Und haben Sie eine Vorstellung von dem, was sich sonst noch im Wasser entdecken lässt? Es handelt sich um eine ganz eigene Lebenswelt, wobei man in jeder Wasserprobe an die einhundert Arten finden kann, eine schöner oder auch absonderlicher als die andere! Wenn Sie sich für diese Formenfülle begeistern wollen, seien Sie Gast bei den Arbeitsabenden der Planktongruppe! • Kontakt: Jorrit Köchel, [email protected] Geheimnisvolle Unterwelt – Die Höhlengruppe Nord Von Höhlen ging schon immer eine geheimnisvolle Anziehungskraft aus, aber die Erforschung von Höhlen liefert auch wert- volle Einblicke in die Vergangenheit, zumal in den Steinbrüchen der Mittelgebirge immer wieder Höhlen angeschnitten werden, die dann durch den laufenden Steinbruchbetrieb zerstört werden. Der Erforschung dieser Höhlen widmet sich die Arbeitsgruppe für Höhlenforschung, die zugleich auch für die Untersuchung und den Erhalt solcher Höhlen verantwortlich ist, die unter Naturschutz stehen. Waren Sie schon einmal in einer neu entdeckten Höhle? Wenn Sie diese Erfahrung reizt, wenden Sie sich an uns! • Kontakt: Dr. Peter Wille, [email protected], Stefan von Boguslawski, [email protected]