Zeitschrift für Politik und Kultur

.' ",r* Die deutsche Neurose Ein Volk auf der Suche nach Identität DESG-inform Der Informationsdienst VERTREIBUNGEN der Deutsch-Euroäischen - bedeuten Bend und Studiengesellschaft Heim$ttostgl

Prof. Eike Hennig, Radikalsozialist, Professor für Politische Theorie an der Gesamthochschule Kassel und Vorsitzender des BEDROHT UND „Instituts für historisch-soziale Analysen*. VERTRIEBEN — Kurden,Äthiopier,Assy- Zur Nationalen Frage: rW'S-tdmwiesvölkerin „ Die Linke hat das Soziale ver­ Indien u m Bangladesh, HVi nachlässigt und dadurch das Ondißneir in beiden Kontinenten Nationale preis gegeben" — vom Bürgerkrieg und VölYemord, von Historikerstreit: Rassenwahn, Habgier „Was ist an der Guillotine an­ undLsndraulo — von Ökolog'isdnewi ders als Auschwitz?" ^ubbßuyom BrrbMck- \ungspnyekten ¿And Zum Antifaschismus; -fdlschvers&riderieiM „ Ich habe Antifaschismus immer Nestos Fortschritt für Quatsch gehalten." Nahezu der gesamte europäische Bestand von nur noch 50 Paaren des wunder­ JUNGE FREIHEIT schönen Spornkiebitzes lebt im Nestos-Delta in Nordost- D«uts

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Herausgeber: Siegfried Bublies Welcher Nationalismus? Johannes Vollmer Chefredakteur und verantwortlich: Gerhard Quast Ohne Autos ab seits der »Sü ndenwelt«: Die A mischen — die letzten einer alten Redaktion: Peter Bahn, Werner Olles, oder die ersten einer neuen Welt? Marcus Bauer, Roland Wehl. Bernd G. Längin

Freie Mitarbeiter: B. Heinze, W. Herbst, Litauen — ein Lehrstück in Sachen politischer Moral Uwe Meenen, Claus-Georg Pleyer. Markus Bauer

Bisherige Autoren: Herbert Ammon, Al­ fred Ardelt, Günter Bartsch, Josef Beuys, Umwelt Kirsten Brunn, Konrad Buchwald, Paulus Buscher, Wolf Deinert, Hellmut Diwald, Winfried Dolderer, Peter Dudek, Hen­ Neue Hoff nungen für Leipzigs Umwelt — ning Eichberg, Siegmar Faust, Horst der »Öko-Löwe« sorgt dafür Groepper, Heinz Gruber, Sebastian Haff- Interview mit Wolfram Herwig ner, Eike Hennig, Wolli Herber, Eckhard Holler, Jens Jessen, Günter Kießling, Ar­ no Klönne, Detlev Kühn, Hermann Lang­ kitsch, Anton G. Leitner, Hans Dietrich Zeitgeschichte Lindstedt, Jochen Löser, Andreas Mais- linger, Günter Maschke, Götz Meidinger, Über die notwendige Aufarbeitung des Stalinismus in der DDR Wolf Oschlies, Lothar Penz, Günter Platzdasch, Sieghard Pohl, Lutz Rathe­ Lutz Rathenow now, Rüdiger Rosenthal, Rainer Schmidt, Die »Kommenden« Theodor Schweisfurth, Wolfgang Seif- Vor 60 Jahren: fert, Richard Sperber, Johannes Stüttgen, Rhea Thoenges, Wolfgang Venohr, Gerd die »Religiöse Woche« in Hildburghausen/Thüringen Vonderach u.v.a. Peter Bahn

Titelbild: Caspar David Friedrich: Der Wanderer Deutschland über dem Nebelmeer (um 1819)

Nachdruck: Bei vorheriger schriftliche Deutschlandpolitische Initiativen Anfrage gerne erwünscht. Quellennachweise: Literatur Henning Eichbergs Beitrag »Wer sind wir eigentlich?« erschien zuerst in einem Sammelband über Landeskunde der Zeit­ Die Amischen. Das Buch zum Thema schrift Text + Kontext, Kopenhagen 1988. Gabriele d’Annunzio Der Artikel »Welcher Nationalismus?« Peter Bahn von Johannes Vollmer wurde erstveröf­ fentlicht in der GfbV-Zeitschrift progrom, Nr. 152 (1990). wir selbst - kontrovers Nachtrag: »Vergangenheitsbewälti­ gung« (wir selbst 1/1990) ist ein Nach­ druck aus den IWK-Mitteilungen Nr. 4 Kritik des Artikels »Für den deutschen Sonderweg« (Wien 1989) Claus-Georg Pleyer Ein Abo kommt überall hin!

Bestellschein: ------1 Vertrauensgarantie: Mir ist bekannt, daß ich diese Vereinbarung inner­ halb einer Woche (Poststempel ent- I wir selbst scheidet) schriftlich widerrufen Hiermit bestelle ich W IR SELBST. kann. Die Abobestellung ist nur gül­ W IR SELBST erscheint sechsmal im tig, wenn Sie diese Vertrauensgaran­ Jahr. Ein Jahresabonnement kostet tie ebenfalls unterschrieben haben. DM 33,— (6 Hefte ä 5,— + DM 3,— Portokosten). Schüler (mit Beschei­ nigung der Schule) erhalten sechs Datum/U ntersch rif t Nummern für DM 20,—. Gewünschte Zahlungsweise für WIR Sollte ich W IR SELBST nicht mehr SELBST (bitte ankreuzen) lesen wollen, kann ich drei Monate vor Ablauf eines Kalenderjahres CH bequem und bargeldlos durch kündigen. Bankeinzug: Bankleitzahl...... Name...... Kontonummer...... Geldinstitut...... Vorname...... □ gegen Rechnung Straße/Nr...... CH liegt als Scheck bei. PLZ/Wohnort......

Datum/Unterschrift ...... Datum/Unterschrift Editorial

Die gespreizte Aufgeregtheit, die einen Moment Lorkovic beizukommen. Als Kroate mit den Kon­ lang die westdeutschen Medien durchfuhr, als be­ fliktpotentialen unterschiedlicher nationaler Identi­ kannt wurde, daß die britische Premierministerin täten vertraut, seziert Lorkovic den Zustand der Margaret Thatcher hochrangige Experten zu einem kollektiven Psyche der Deutschen und diagnostiziert Deutschland-Seminar mit dem Thema »Wer sind die ihn als neurotisch, worunter er ein Verhalten ver­ Deutschen?« zusammengetrommelt hatte, verrät steht, das sich in der Ambivalenz einer fast parasi­ selbst einiges über die diffuse Identität der Deut­ tären Hilfebedürftigkeit und Unterwürfigkeit und schen. Auch wenn die politisch-instrumentale der die eigene Unsicherheit maskierenden überschie­ Zweckbestimmung eines solchen Seminars — vor ßenden, aggressiven Abwehrhaltung gegenüber an­ dem Hintergrund der deutschen Einheit — auf der deren zeigt. Isolation von der Welt und Rückzug in Hand liegt und kein britischer Politiker, geübt im die Sphäre der Phantasie, Symptome des Indivi­ machtpolitischen Denken, abstreiten würde, daß es dualkranken, lassen sich als kollektive Phänomene auch erkenntnisleitende Interessen gegeben haben wiedererkennen. Es wäre eine gesonderte Untersu­ könnte bei dem Versuch der Charakterisierung der chung wert, ob und inwieweit die allgemeine Staats­ Deutschen, war die fast einhellige Empörung der und Politikverdrossenheit in Deutschland, die Nei­ deutschen Presse nicht gegen die durchschaubare gung zu utopischen gesellschaftlichen Heilsentwür­ politische Stoßrichtung der Expertenrunde gerichtet, fen und die verbreitete Aversion gegen institutionel­ sondern galt der kollektiven Charakterisierung als le Regelvorgaben, oft nur mühsam als emanzipato- solcher. Widersprach doch diese Benennung natio­ risch, aufklärerisch und antiautoritär kaschiert, naler Wesenszüge der Deutschen, so fragwürdig sie ihren tieferen Grund in einer nationalen Neurose im einzelnen sein mögen, der jahrzehntelang herr­ haben. schenden Lehre in der Bundesrepublik, Identität sei Henning Eichbergs Identitätsansatz ist ein ande­ allenfalls als psychoanalytisches Phänomen des In­ rer. Ausgehend von seinem Gegenbegriff, der Ent­ dividuums von Bedeutung, während kulturelle fremdung, nähert er sich dem Thema kultursoziolo­ Prägungen stets nur den Extrakt einer durch gesell­ gisch, ohne indes die Sterotypen des Entfremdungs­ schaftliche Veränderungen beliebig variierbaren Be­ diskurses anzuwenden, die in der Individualpsycho­ ziehung von Basis und Überbau darstellten. logie oder der marxistischen Diskussion um Ar­ Dieser gesellschaftswissenschaftlich-universitären beitsteilung und Warengesellschaft noch immer tra­ Hilflosigkeit marxistischen Einschlags, die ihr eige­ gend sind. In Anlehnung an Erik Erikson, Martin nes Versagen im Umgang mit Phänomenen der na­ Buber, Norbert Elias und Michel Foucault formu­ tionalen Identität erst in den letzten J ahren durch liert Eichberg seine Entfremdungstheorie auf der einen deutlichen Rekurs auf alltagskulturelle Erfah­ Grundlage einer Geschichte des Körpers und der rungen und dörfliche / regionale Identitätsbestim­ Sinnlichkeit. So führt er zahlreiche Idenitfikations- mungen eingestehen mußte, entsprach die aufgesetz­ merkmale wie Sprache und Gesang im Prozeß der te Phraseologie vor allem christdemokratischer Poli­ Nationalisierung auf körperlich-sinnliches Empfin­ tiker von einer europäischen Identität, die das Zu­ den zurück, sieht in Gestik, Vibration und Rhyth- gehörigkeitsgefühl der Menschen zur eigenen misierung der Körper auch die Ergebnisse ethnisch Nation abgelöst habe. Beides erkennbar Flucht­ ungleichartiger und ungleichzeitiger Transformatio­ reflexe vor der Nation, sowohl vor ihrer ethnisch­ nen. Daß Eichberg mit Beginn der industriekapitali­ kulturellen Bindekraft als auch vor dem Rigorosum stischen Gesellschaft ausgangs des 18. Jahrhunderts einer moralischen Verpflichtung, die sich aus der und den daraus resultierenden produktivistischen Wiederentdeckung der eigenen Geschichte, der tra- Zwängen zu Normativem und Einheitlichem auch ditionalen Kontinuität und der verantwortungs­ den Ursprung des Widerspruchs zwischen kollekti­ ethischen Verknüpfung aus beidem erzielen ließe. ver Identität und Entfremdung zeitlich verortet, legt Wenn die britischen Deutschland-Experten uns die gesellschaftskritische Komponente einer so ver­ Deutschen mangelnde Sensibilität anderen gegen­ standenen Identitätswissenschaft bloß. über vorwerfen, unsere Selbstbezogenheit, den star­ Ob aber nicht auch in dieser verständlichen und ken Hang zu Selbstmitleid und das Verlangen, fruchtbaren Kritik an den Ergebnissen des indu­ geliebt zu werden, herausstreichen oder als Nega­ striekapitalistisch geprägten Zivilisationsprozesses tivattribute Angst, Aggressivität, Überheblichkeit, etwas von der so typisch deutschen Suche nach Rücksichtslosigkeit, Selbstgefälligkeit, Minderwertig­ Utopia und unserer allzu romantischen Welt- und keitskomplexe und einen Hang zu Sentimentalität Politikflucht mitschwingt, sollte zumindest mitbe­ auflisten, so ist dies, streitet man nicht grundsätz­ dacht sein. Daß die großen ökonomischen Proble­ lich die Unterschiede im Habitus zwischen verschie­ me der Neuvereinigung auch den deutschen »Wan­ denen Völkern ab, zumindest diskussionswürdig. derer über dem Nebelmeer« zwingen werden, in Dem Problem, ob es überhaupt statthaft ist, Be­ die Niederungen der Realpolitik hinabzusteigen, griffe der Individualpsychologie auf ein ganzes Volk könnte uns und unseren Nachbarn ganz gut be­ zu übertragen, versucht der Beitrag von Dr. Hrvoje kommen. Hrv oje Lor kovic Die deutsche Neurose

Wenn ein Ausländer das Problem der deut­ daß 1980 ein Buch unter dem Titel »Die schen Neurose anspricht, muß das zu­ deutsche Neurose« erschienen war. In die­ nächst als Überheblichkeit aufgefaßt wer­ sem Buch wurde eine Reihe für das Thema den. Um die berechtigten Besorgnisse zu relevanter Fragen überhaupt nicht berührt. lindern, muß ich deshalb gleich zu Beginn Vor allem hat keiner der Autoren versucht, mit einigen autobiographischen Erklärun­ klar zu sagen, was er unter einer nationalen gen aufwarten, was mich wiederum der Ge­ Neurose versteht. Dieser theoretischen Fra­ fahr aussetzt, aufdringlich zu wirken. gestellung bin ich mir aber schon seit 1965 bewußt. Damals trat ich zum erstenmal vor Kann man so einfach Begriffe aus der Individual­ ein kroatisches Diasporapublikum mit der psychologie auf ein ganzes Volk übertragen? These, das politische Verhalten der Kroaten sei dem neurotischen überraschend ähn­ Das hier angeschnittene Problem beschäf­ lich. Der erste Gedanke dieser Art kam mir tigt mich schon mehr als zehn Jahre. Der schon 1947 beim Lesen eines populären Wunsch, etwas darüber zu veröffentlichen, Bändchens des amerikanischen Psychia­ verstärkte sich, als ich vor Jahren erfuhr, ters Louis Bisch. Den Faden weiterspinnen konnte ich in meiner Heimat nicht — aus hinausschießende Abwehr der Person. Der verständlichen Gründen: Es wäre politisch jetzt beinahe ein Jahrhundert alte Begriff nicht ratsam gewesen, ein Volk, das soeben spiegelt die Hoffnung seiner Paten wider, den »rettenden Hafen des Sozialismus« er­ daß Ort und Art des Programmierens in ma­ reicht hatte, als von diesem Glück derart be­ teriellen Einzelheiten durchschaubar ge­ troffen darzustellen, als wäre es vor lauter macht werden könne. Dies ist jedoch immer Befreiung geisteskrank geworden. Die kroa­ noch nicht der Fall. Der Terminus Neurose tischen Emigranten zeigten ihrerseits wenig drückt also nicht ein Wissen aus, sondern Bereitschaft, die Idee aufzunehmen. Sie ein bislang noch nicht durchgeführtes For­ neigten eher zu der Vorstellung, das kroati­ schungsprogramm. Ein möglicherweise sche Volk trage sein tragisches Schicksal passenderer Name wäre »Personose«. mit bewundernswertem Heroismus. Ihre Das Programmieren, das man auch als Verteidigung gegen jegliche Suggestion unbewußtes Lernen auffassen kann, wird der Neuroseähnlichkeit lautete stets: »Ja, problematisch, wenn sich die Person vor aber kann man so einfach Begriffe aus der mehrere, gegenseitig unversöhnliche Auf­ Individualpsychologie auf ein ganzes Volk gaben gestellt fühlt. Das Verhalten wird übertragen?« nicht mehr harmonisch geregelt, es kommt zu exzessiv widersprüchlichen, kontrapro­ Der arkane, mysteriöse, unheimliche Charakter duktiven Gewohnheiten. Vor allem können des Unbewußten persönliche Probleme als organische Krankheiten auftreten. Diese sind jedoch Damit sind wir schon zum Kern des Pro­ nur scheinbar organisch, da die betreffen­ blems gelangt. Es scheint mir übereilt, die den Organe (Herz, Darm) keine pathologi­ Frage direkt anzugehen. Besser wird es schen Veränderungen aufweisen. Dieser sein, mit der Deutung des Begriffs Neurose Bereich der klassischen Neurosen wird zu beginnen. Wir werden noch sehen, daß auch in der medizinischen Statistik erfaßt. dieser Terminus eine prätentiöse Hypothese enthält. Dennoch finde ich es angebracht, Der neurotische Charakter — zu, gegen oder weg den Namen »Neurose« beim Wort zu neh­ von anderen men, indem man voraussetzt, es handle sich um etwas, das mit Nerven zu tun hat. Eine andere, sehr breite Gruppe von Symp­ Mit anderen Worten, ich werde versuchen, tomen betrifft das abnorme soziale Verhal­ mich dem Begriff des Neurotischen von der ten, das als »neurotischer Charakter« Biologie her zu nähern. bezeichnet wird. K. Horney hat eine ein­ Ich gehe zunächst von der neurophysio- prägsame Systematik des neurotischen logischen Erfahrung aus, daß viele Reize, Charakters vorgeschlagen, indem er darun­ die auf uns zukommen, nicht in unser Be­ ter ein Verhalten verstanden wissen will, das wußtsein eindringen, sondern gehemmt zu anderen tendiert, gegen die ändern und ausgelöscht werden. Die Hemmpro- sich richtet oder w e g von ihnen will. Im er­ zesse sind nicht unserer Kontrolle unterwor­ sten Fall handelt es sich um Personen, die fen. Durch unbewußte Wahl bilden wir uns sich um die Hilfe anderer bemühen, sozu­ eine eigene Welt. sagen an ihnen parasitieren. In der zweiten Ein zielgerichtetes Wesen muß in seinem Gruppe dominiert Aggressivität, die als Weltbild auch einen Platz für sich selbst ha­ überschießende Abwehrhaltung die eigene ben. Soll es seine Rolle erfüllen, muß dieses Unsicherheit maskiert. In der dritten ist Iso­ Selbstbild der teils unbewußten Regelung lation von der Welt und Rückzug in die unterliegen. Schaut man es aus einer sol­ Sphäre der Phantasie — meist über die chen, eigentlich systemtheoretischen Per­ eigene Überlegenheit und moralische Voll­ spektive an, verliert das Unbewußte einen kommenheit — charakteristisch. Horney be­ Großteil seines einst so betont arkanen, my­ tont, daß reine Typen selten zu finden sind steriösen, unheimlichen Charakters. Es und in der Regel Kombinationen auftreten. spielt seine Rolle auf sehr unterschiedlichen So durchläuft eine Person mit neurotischem Ebenen; der Erfolg adaptiver Aktivität hängt Charakter Perioden ungestümer Aktivität, von einem gut programmierten und einge­ verwickelt sich in grandiose Pläne, um bald spielten Übergang von bewußten zu unbe­ wieder aufzugeben und in Depression zu wußten Zuständen ab. versinken. Konfliktreiche Inhalte können unbewußt Neurose als die Allergie der Persönlichkeit umgearbeitet und umgedeutet werden. So kann übergroße Sorge — z.B. für die Kinder Nun kann das Nervensystem, ähnlich wie — einen tiefliegenden Kinderhaß maskie­ z.B. das Immunsystem, falsch programmiert ren. In anderen Fällen maskiert sich der in­ sein. Das falsche Programmiertsein, sozu­ nere Konflikt als Selbsthaß. Angesichts der sagen die Allergie der Persönlichkeit, nennt Aufgabe des Unbewußten, das Selbstver­ man Neurose. Sie ist meist charakterisiert trauen zu wahren, ist der Selbsthaß parado­ durch eine unangemessene, über das Ziel xal. Wenn wir aber bedenken, daß das hätte. In dieser Hinsicht gibt es indessen keine Einigkeit. Eine große Anzahl von Studien, die sich mit benachteiligten sozialen Gruppen be­ fassen — mit Minoritäten, die sich in Rasse, Sprache oder Glauben von der Majorität unterscheiden —, ist psychoanalytisch orientiert. Begriffe wie »Unterdrückungs­ neurose« werden hier gebraucht. Einige be­ kannte Autoritäten wenden sich aber entschieden gegen den Begriff der Neuro­ se einer geschlossenen Gruppe, z.B. eines Volkes. Für sie ist jede solche Vorstellung unlogisch. In einer seiner frühen Schriften hebt E. Fromm zwei Gründe hervor. Erstens könne man von einer Volksneurose deshalb nicht reden, weil die Neurose auf ein Ner­ vensystem begrenzt ist; die Volksseele sei nur eine Metapher. Zweitens könne es eine Volksneurose nicht geben, weil der Begriff der Neurose sich auf Ausnahmefälle bezie­ Asylantenlager In Oberhausener Turnhalle: Minoritäten, he. Der Neurotiker sei nicht wie die ande­ die ... ren, und sein Leiden komme daher, daß er nicht wie die anderen sein könne. Der Mensch der Masse könne kein Neurotiker Selbstvertrauen an Kriterien gebunden ist, sein, eben weil er sich in der Masse von die aus der sozialen Umgebung herrühren, den anderen nicht unterscheide. Die Masse so wird verständlich, daß der Selbsthaß aus schütze ihn vor der Neurose. Liebe zu einem besseren Ich mehr Selbst­ vertrauen geben kann als eine bewußte To­ Der Volkswille als Sphäre verklärtester Rationalität lerierung des Unannehmbaren in sich. oder die Ablehnung des Nationalen sub specie neurosis Mörderische Phantasien und entflammter Selbsthaß Beide Begründungen sind meines Erach­ Eine neurotische Person kann sich selbst tens höchst trivial. Natürlich gibt es kein kritisch beurteilen, aber im Moment der Ent­ Volksgehirn, und natürlich ist jede Rede von scheidung kann sie sich von zwangsarti­ einer Volksneurose metaphorisch. Meta­ gen, kompulsiven Gesten, Äußerungen phorisch ist aber auch der Terminus Neuro­ oder nur Gedanken nicht zurückhalten. Sie se selbst, wie ich gezeigt habe. Auch der kann z.B. das Selbstlob nicht einstellen, Begriff der Neurose als Krankheit ist meta­ wenn es den anderen lästig ist. Es gibt kom­ phorisch, und letztendlich trifft das für die pulsiven Fleiß, kompulsive Reinlichkeit und ganze wissenschaftliche Terminologie zu. kompulsives Pflichtbewußtsein. Kompulsive Weiterhin ist das Volkshirn-Argument auch Gedanken können sich auf andere Perso­ deshalb unannehmbar, weil es auch ande­ nen richten; man wird z.B. von der Idee ver­ re, längst akzeptierte politische Metaphern folgt, jemanden umbringen zu müssen. Für ausschließt, z.B. den Volkswillen. die Betroffenen ist es oft charakteristisch, daß sie im Moment, wo sie mit der Person ihrer mörderischen Phantasien konfrontiert werden, zu einem freundlichen, ja unterwür­ figen Verhalten umschwenken, wodurch wieder der Selbsthaß entflammt werden kann.

Neurosen der geschlossenen Gruppe

Als neurotische Störungen wurden von An­ fang an solche verstanden, die ihren Ur­ sprung in Konflikten mit anderen Menschen haben, besonders mit solchen, denen eine besondere Bedeutung zukommt, z.B. mit Eltern und anderen Autoritäten. Schon in den bisherigen Beispielen tritt das deutlich hervor. Nichts wäre normaler als zu erwar­ ten, daß die Theorie der Neurose etwas ... kompulsive Gesten auf sich ziehen: Palästinenser in den über politisch bedingte Störungen zu sagen von Israel besetzten Gebieten. Auf den Beweis, daß sich die Volksneuro­ rekonstruiert werden; dazu sind sie zu ein­ se im Grunde genommen nicht von einer seitig. Dieselbe Kritik trifft auch auf einige Einzelneurose unterscheidet, kommt es hier Beiträge in dem erwähnten Buch »Die deut­ nicht an. Wir haben es hier mit Analogien sche Neurose« zu. Hofstätter beispielsweise zu tun. Die Frage ist nicht, wie exakt die basiert die Entscheidung darüber, ob die Analogie ist, sondern wie nützlich sie ist, Deutschen neurotisch sind oder nicht, auf wie heuristisch fruchtbar: Führt sie uns zu Ergebnissen von Meinungsumfragen, in neuen Einsichten oder nicht? Die Ableh­ denen einzelne, zufällig ausgewählte Bür­ nung der Betrachtung des Nationalen su b ger sich darüber äußern, ob sie mit sich zu­ specie neurosis mag rigoros sein, ver­ frieden sind oder nicht. führt aber zu dem belustigenden Gedan­ Fromms Vorstellung über die schützende ken, das Unbewußte und Irrationale sei auf Wirkung der Masse beruht auf der Annah­ das Individuum begrenzt, während alles, me, daß ein Volk von Neurose geschützt ist, was das Volksleben betrifft, zu einer Sphäre wenn seine Mitglieder als einzelne den verklärtester Rationalität gehöre. Indem der Schutz der Masse genießen. Ein Nationalist Blick auf des Nervensystem des Einzelnen identifiziert sich aber nicht mit den Leuten, fixiert wird, entsteht der irreführende Ein­ denen er begegnet, sondern mit einem druck, als könne Volksneurose nur bedeu­ Volksideal. Die Leiden dieses (allegorisch ten, daß es in einem Volk im Durchschnitt erlebten) Ideals macht er sich zu eigen, sei- mehr Neurotiker gibt als in einem anderen — oder sogar, daß alle Neurotiker sind. In der Tat wurde diese Idee als Argument ge­ gen die Volksneurose benutzt, und man be­ ... Die Kernfrage... ist, wie sich das Schicksal eines Volkes im Lauf rief sich auf die statistischen Daten über die der Jahrhunderte im Habitus seiner einzelnen Angehörigen nie­ derschlägt. Soziologen stellt sich hier die Aufgabe, die von ferne Frequenz der Neurotiker in Ländern mit ver­ an die Aufgabe erinnert, die Freud in Angriff nahm. Er suchte den schiedenen politischen Systemen. Dabei Zusammenhang zwischen dem individuellen und besonders dem zeigte sich, daß unter oppressiven Regimen Triebschicksal eines Menschen und dessen persönlichem Habitus diese Frequenz nicht signifikant anders war aufzudecken. Aber analoge Zusammenhänge gibt es auch zwi­ als unter liberalen. Da jedoch verschiedene schen den langfristigen Schicksalen und Erfahrungen eines Vol­ neurotische Phänomene verschieden stati­ kes und seinem jeweils gegenwärtigen sozialen Habitus. Auch in stisch erfaßt werden, entbehrt das Argu­ dieser Schicht des Persönlichkeitsaufbaus — nennen wir sie provi­ sorisch die »Wir-Schicht« — sind oft Komplexe, Störungserschei­ ment jeder Grundlage. Schwerwiegender nungen am Werk, die denen der individuellen Neurosen an Kraft ist die Frage nach der Beziehung zwischen und Leidensdruck kaum nachstehen. In beiden Fällen geht es dar­ Psychologie und Soziologie. um, Vergessenes — oft genug gegen starke Widerstände — ins Versuche, tiefenpsychologische Einsich­ Bewußtsein zu heben. ... ten in die Soziologie einzuführen, gibt es Norbert Elias in Studien über die Deutschen seit langem. Die meisten sind jedoch auf Ablehnung seitens kritischer Soziologen ge­ stoßen. Was diese an den psychoanalyti­ netwegen fühlt er sich beleidigt und verletzt. schen Vorstellungen vermißten, war die Schutzbedürftig ist nicht er, der sich restlos Idee der gesellschaftlichen Struktur. Die aufopfernde Kämpfer, sondern das Volk. In den Psychoanalytikern vorgeworfene Triviali­ der Tat ist es sogar häufig so, daß die Mas­ tät ist eigentlich die eben erwähnte. Bildhaft se für den Nationalisten als Anti-Vorbild kann man sich den Vorwurf anhand eines dient; sie ist für ihn idealentleert, verführt Modells klarmachen, in welchem die Ge­ und verkommen. Den Schutz solch einer sellschaft mit einer Gasmischung in einem Masse weist er ab. Und doch ist sie für ihn Gefäß verglichen wird. Die soziologische von Nutzen, und zwar durch das Selbstver­ Objektion läuft darauf hinaus, daß Indivi­ trauen, das er aus dem Bewußtsein seiner duen in der Gesellschaft sich nicht wie Gas­ Überlegenheit schöpft. Ob damit dem Volk moleküle verhalten, daß sie nicht selbstän­ geholfen wird, ist eine andere Frage. dig herumschwirren und miteinander kolli­ dieren, sondern daß es koordinierte Bewe­ Kulturkampf, Eros und Gewissen gungen von Gruppen gibt, so als wären gewisse Moleküle mit Fädchen miteinander Mit dem Strukturdenken werden somit ge­ verbunden. sellschaftliche psychoanalytische Fragestel­ Sicherlich gibt es psychoanalytische Stu­ lungen nicht aufgehoben; eher werden sie dien, bei denen die gesellschaftliche Struk­ unendlich vervielfacht. Ein ganzes Feld tur außer acht gelassen wird und die möglicher Fragepermutationen, das bisher trotzdem von hohem soziologischen Inter­ in der Beurteilung der deutschen Neurose esse sind, z.B. H. Lasswells Studien über fast keine Rolle gespielt hat, ist z.B. mit der klassische Neurosen berühmter Politiker Wirkung der Kultur verbunden. Schon Sig­ oder G. Almonds Studien über die privaten mund Freud hat sich ausführlich über die neurotischen Grundlagen revolutionärer Kopplung Kultur-Neu rose geäußert. Kultur Wirksamkeit. Die Entwicklung eines Volkes zu haben bedeutet jedoch nicht nur die Fä­ kann jedoch nicht aufgrund solcher Studien higkeit, zugunsten der gesellschaftlichen Ordnung auf die Instinktbefriedigung zu Eine andere Angst kann dadurch entste­ verzichten, wie er sich das vorgestellt hat. hen, daß man den richtigen Moment zu ver­ Der damit verbundenen Ansicht der Kultur passen befürchtet, noch rechtzeitig in eine als höchster gemeinschaftlicher Tätigkeit, attraktive Kultur einzusteigen. Die Vehe­ der vom Eros beschützten Versöhnung zwi­ menz dieses Kulturkampfes zeigt, daß diese schen den Völkern, steht der Kulturkampf Ängste nicht leichtzunehmen sind. gegenüber, der Kampf eines Volkes um die Ein mögliches Kriterium dafür, ob es er­ Anerkennung des Wertes seiner Kultur, und laubt ist, aufgrund solcher Konflikte von zwar nicht nur auf internationaler, sondern neurotischen Störungen zu sprechen, wäre auch auf innervolklicher Ebene. Entschei­ der Frage zu entnehmen, ob die erreichten dend ist dabei die Einstellung zu einer rele­ Gewinne die Verluste übersteigen, d.h. ob vanten fremden Kultur. Sie kann als eine die übernommene Kultur oder eine gewisse kranke, minderwertige abgewiesen werden, Politik für ein Volk vorteilhaft war oder nicht. kann aber auch — verschiedenartig adap­ Demnach wäre es nicht ausreichend, einen tiert, maskiert und uminterpretiert — ange­ Konflikt zwischen verschiedenen Tenden­ nommen werden. Sie braucht dabei nicht in zen festzustellen, um von Neurotischem zu gleichem Maße von dem ganzen Volk ge­ sprechen, mögen diese Konflikte auch tragen zu werden, sondern kann sich auf noch so scharf sein. Die entscheidende bestimmte Gruppen, Klassen, Kasten und Frage ist immer die nach den langfristigen Professionen beschränken und wird damit Wirkungen. Da die Beurteilung des politi­ zu einer Frage der Struktur. Dabei werden schen Wirkens weit mehr Zeit verlangt als Konflikte unvermeidlich. Freud spricht von der »Gewissensangst«, die durch Nichtbefolgung der Idealforde­ Das Rätsel der Begierde. Salvador Dali: Ma mere, mamere, rungen der Kultur entstehen können. Nun ma mere (1929). ist das Gewissen gleichermaßen im Spiel, D a li: »... denn man kann seine Mutter grenzenlos lieben und wenn das Fallenlassen alter Werte bei der doch davon träumen, daß man auf sie spuckt. Außerdem ist der Übernahme fremder Kulturwerte zur Versu­ Auswurf in vielen Religionen ein Zeichen der Verehrung — aber chung wird. bringen Sie das mal jemandem bei.« die Beurteilung des Verhaltens einer Per­ son, ist es grundsätzlich nicht erlaubt, ir­ gendeine zeitgenössische Bewegung, Ak­ tion oder Strategie als neurotisch zu be­ zeichnen. Aus diesen, nicht aus den bisher genannten Gründen (»Schutz der Masse«, »ein Hirn — eine Neurose«) ist es erforder­ lich, mit Vorsicht und Zurückhaltung von po­ litischen Neurosen zu reden und sich höchstens auf Aussagen über Phänomene zu begrenzen, die man als dem neuroti­ schen Verhalten analog bezeichnen kann.

Zwei Seelen in einer Brust

Entsprechend den komplizierten Bezie­ hungen in einer Gesellschaft, muß auch die Analogie mit dem neurotischen Verhalten einzelner komplex sein. Ich versuche, vier Ebenen, Stufen oder Aspekte zu unter­ scheiden. Auf der ersten Stufe steht das Verhalten von Individuen, das als für ein Volk charak­ teristisch angesehen wird. Völlig im Ein­ klang mit der bitter-geistreichen Bemer­ kung Goethes, Nationalcharakter sei nichts als eine Summe nationaler Beschränkthei­ ten, gehören hierher Verhaltensweisen, die aus gewisser Entfernung betrachtet un­ zweckmäßig und irrational erscheinen mö­ gen, wie z.B. die Art des Waschens von Vorhängen bei den deutschen Hausfrauen in nicht allzu ferner Vergangenheit. Die eigentliche Analogie treffen wir erst auf der zweiten Stufe. Die zunächst ins Au­ ge fallenden Phänomene sind euphorische oder depressive Ausschweifungen, die in einem Volk länger andauern und häufiger von einem zum anderen Extrem pendeln als bei einem vergleichbaren. Das dem neurotischen Ähnliche ist nicht einfach die Summe des Verhaltens einzelner, sondern die gegenseitige Verstärkung durch Infor­ mationsübertragung, Propagandamaschi­ nen, Bindungen und Loyalitäten, also durch oben: patriotische Begeisterung in der DDR; Mitte: depressive Aus­ lauter strukturrelevante Faktoren. schweifungen des Nationalallergetikers Lafontaine; unten: Anti- Auf der dritten Stufe der Analogie wird Beitritts-Demonstration in Ost-Berlin: Wenn die inneren Konflikte d ie Ge­ das ganze Volk als eine Superperson be­ meinschaft zerrütten, kann man sie als den wechselnden Neigungen eines Neurotikers analog betrac hten. trachtet, wobei einzelne Gebiete, Parteien, Institutionen und Organisationen als anta­ gonistische Tendenzen repräsentierend be­ trachtet werden. Wenn die inneren Konflikte die Gemeinschaft zerrütten, kann man sie als den wechselnden Neigungen eines Neurotikers analog betrachten, der durch sie innerlich zerrissen und handlungsunfä­ hig wird. So wie unvereinbare »zwei Seelen in einer Brust«, wie zwei getrennte Personen zueinander stehen, so kann es zu inneren Teilungen in einem Volk kommen, wo die Parteien das Gemeinsame nicht mehr er­ kennen. Die vierte Stufe bezieht sich auf das Neu­ rotische als ein historisch entstandenes Ge­ bilde. So wie das irrationale und kontra- Starke Kontraste und Schwankungen im deutschen Cha­ rakter: Weltfremdheit, Titanismus, Todessucht, links: Caspar David Friedrich, Huttens Grab (um 1823/24); oben: Otto Dix, Triumph des Todes (1934), rechts: Otto Dix, Die sieben Todsünden (1933). produktive Verhalten meist aus traumati­ vor- oder benachteiligen, ist aber unbe­ schen Ereignissen in der Kindheit eines Er­ gründet, wenn Aussagen von perzeptlven wachsenen herrühren, so kann man ein Persönlichkeiten aus verschiedenen Krei­ eigentümliches Volksverhalten aus der Ge­ sen und Ländern verglichen werden. Der schichte ableiten. So wie bei einzelnen, Band »Was ist typisch deutsch?«, beson­ kann es auch bei Völkern kritische Phasen ders Kaltenbrunners einleitender Essay, der Entwicklung geben. So wie Auseinan­ überwindet die genannten Schwierigkeiten dersetzungen mit Autoritäten das Reifen und garantiert einen unparteiischen Ein­ des einzelnen bestimmen, können kulturge­ blick schon damit, daß er eine Zusammen­ bende Autoritäten ein Volk beeinflussen. Es fassung von Zusammenfassungen ist. Der ist zu erwarten, daß Kulturkonflikte am Konsensus unter den Aussagen über die schärfsten bei rasch eintretenden Kontakten Deutschen ist hoch. Man ist sich darüber zwischen Völkern zum Ausdruck kommen, einig, daß im deutschen Charakter starke etwa bei Völkerwanderungen, Eroberungen Kontraste und Schwankungen zwischen Ex­ oder Kolonisierungsvorgängen. tremen anzutreffen sind: Gutmütigkeit und Bei Individuen dauert der neurotischen Kampfgeist, Unbeholfenheit und technische Zustand wenigstens so lange an, bis die Perfektion, furor teutonicus und Servilität, Konflikte behoben sind. Innervolkllche Kon­ faustischer Drang ins jenseitig Unendliche flikte lassen dauerhafte Spuren: Der einmal und spießbürgerliches Behagen, Titanis­ erworbene neurotische Charakter verpflanzt mus und Weltfremdheit, Drang zum Absolu­ sich von Generation zu Generation, well ten und ewiger Protestantismus, Anfälligkeit sich inzwischen seine Manifestationen mit für alles Radikale und merkwürdige Politik­ den Kulturformen vermischt haben und als ferne, Biegsamkeit aus Bewunderung für Kulturgut konserviert werden. andere und trotziger Eigensinn, innere Zer­ Mit diesen Instrumenten in der Hand, rissenheit und Sinn für Harmonie, das inten­ können wir jetzt den deutschen Charakter sive sich-selbst-Suchen und das von-sich- abklopfen. Aussagen über den Charakter Wegfliehen, Todessucht und zugleich der eines Volkes sind zwar in den modernen Glaube an die eigene unendliche Verbes­ Sozialwissenschaften nicht beliebt. Die serlichkeit. Angst, die Charakterisierten politisch zu be­ Was wir vor uns haben, ist das Bild eines schon in germanischen Händen, ist zusam­ mengebrochen. Nach dem Sieg der Goten über die Byzantiner bei Adrianopolis im Jahre 378 kann sich der westliche Teil des Imperiums nicht mehr halten, Franken und Alemannen dringen in großen Massen auf römisches Territorium ein. Sie sind Sieger, und man würde erwarten, daß sie jetzt die Organisation des Staates übernehmen wür­ den. Sie übernehmen auch einige militäri­ sche Funktionen, werden zu »magistri mili- tum«, z.B. Stilicho; die zivilen Institutionen tasten sie aber nicht an. Sie verstehen den komplizierten Staatssapparat nicht, in dem Spuren der römischen Republik sich mit bürokratischen Funktionen des späten Kai­ serreichs vermischen. Die Germanen sind nicht für das Leben in einem Imperium pro­ grammiert — und an ihm auch nicht interes­ siert. Sie möchten nur Land zugeteilt haben und nach eigenem Brauch weiterleben. Das aber ist in einem Imperium unmöglich. Byzanz intrigiert und stiftet Fehden zwi­ schen den unerfahrenen Stammesfürsten, die oft den Verlockungen des süßen Lebens in der Zivilisation nachgeben.

Die Romanisierung der Germanen

Dazu wurden die Germanen von allen Sei­ ten mit kulturellen Neuheiten überflutet. Vor allem war da die überwältigende Architek­ tur. Es war einfach unvorstellbar, daß norma­ le menschliche Hände so etwas vollbringen modernen — oder doch relativ modernen konnten, und noch verblüffender war es für — Deutschen. Schauen wir nun einmal in sie, daß von irgendwelchen Titanen keine die Berichte aus ferner Vergangenheit, auf Spur war. Die kleingewachsenen römischen die ersten authentischen Berichte über die Bürger flößten keinen Respekt ein. Die Vul- Germanen. In den Texten von Caesar und garität ihrer Massenunterhaltung in Thea­ besonders von Tacitus hören wir von einem tern und Amphitheatern war jedoch beein­ fröhlichen Volk, freundlich und offen, mit druckend; etwas Vergleichbares konnten einem hochentwickelten Ehrbegriff, in Ehe die Germanen nicht bieten. Die Vermutung einander verbunden und treu. Man könnte muß somit nahegelegen haben, daß ir­ fast den Eindruck gewinnen, unsere beiden gendwelche übernatürlichen Kräfte den Rö­ Autoren seien germanophil gewesen. Aus mern Dienste leisteten. Die sichtbare Größe ihren Berichten hören wir auch manches der Produkte der zivilisierten Kultur verband über die germanische Kampfweise. Von sich so mit der Aufnahmebereitschaft für einer Kadaverdisziplin ist hier keine Rede. den dieser Kultur scheinbar zugrunde lie­ Man kämpft spontan, unorganisiert, immer genden Glauben. Dabei war dieser Glaube mit Ausblick auf mögliche persönliche Hel­ der Zivilisation eigentlich entfemdet, ja ent­ dentaten. Autoritäre Unterwürfigkeit ist mit gegengerichtet. Von den inneren Wider­ solch einem Charakter nicht zu vereinba­ sprüchen des späten Imperiums konnten ren. aber die Germanen nichts ahnen; für sie Was bedeuten die Kontraste zwischen waren die Christen wie die Gladiatoren, Le­ den modernen und den antiken Charakteri­ gionsoffiziere wie Quästoren nur Vertreter sierungen? Wenn wir nicht allzu mißtrauisch des einen römischen Volkes, bis gestern sein wollen, sagen sie uns, daß es in der des e i n e n Feindes. Zwischenzeit zu einer radikalen Änderung So kam es, daß die Germanen in allen ro­ im deutschen Charakter gekommen sein manischen Gebieten romanisiert wurden muß. Wann und wodurch ist sie eingetre­ und sich in den Gebieten jenseits der impe­ ten? rialen Grenzen aus den römischen Städten Versuchen wir uns vorzustellen, wie Euro­ die Zivilisation der Besiegten verbreite­ pa am Ende des vierten Jahrhunderts aus te. Vor allem wurde sie durch die christliche der Perspektive der Germanen aussah. Die Mission gefördert. Schon während des al­ römische Verteidigung, ohnehin zum Teil ten Kaiserreichs, schon vor Konstantin ist die Kirche zu einem geistig, aber auch fi­ Theaterveranstaltungen. Für die auf eine nanziell mächtigen Faktor geworden. Im frü­ andere Welt orientierten frühen Christen hen Mittelalter werden die geistlichen Für­ kam es einer Schuld gleich, schon über­ sten überall zu Lehnsträgern. Das gesamte haupt auf dieser Welt das Leben genießen Schulsystem ist in ihren Händen. Die Erzie­ zu wollen. Auf die Germanen angewandt, hung, die dort angeboten wird, ist in den wurde das Leben auf germanische Art zur deutschen Ländern keine deutsche, son­ Schuld. Kultiviert sein bedeutete jetzt, sol­ dern eine lateinische. Die deutschen Sieger che Schuldgefühle zu hegen. Mit anderen konnten offensichtlich aus ihrer militärischen Worten, Selbsthaß wurde zur Kulturtugend Überlegenheit keinen Vorteil für sich ziehen. erhoben. Das Reich wurde nicht zu einem Deutschen Das Schimpfwort »Barbar«, auf die Ger­ Reich, statt dessen wurden die seitens der manen gerichtet, fand aber mit der Zeit Legionen nie betretenen Gebiete zu Teilen auch andere Anwendungen. Wann immer des Römischen Reiches ernannt. Eine neue die politische Macht der jetzt längst christia­ Aristokratie entstand, die mit dem Volk we­ nisierten Deutschen im Aufschwung begrif­ nig gemein haben wollte. Der deutsche fen war, wann immer dies in romani­ Bauer, der ehemals tollkühne Kämpfer, wur­ schen Ländern als Bedrohung empfunden de geknechtet. wurde, ist man mit dieser Wortwaffe ausge­ rückt. Heinrich I., Otto dem Großen (der Alles Deutsche war mit dem Barbarischen ver­ übrigens die christliche Hierokratie syste­ bunden matisch ausbaute), Friedrich Barbarossa und mehreren anderen deutschen Herr­ Die neue soziale Strukturierung unter den schern hat man Barbarentum vorgeworfen. soeben christlich gewordenen Deutschen Die Tatsache, daß einige von ihnen Römi­ war somit eine Folge des Kultureinflusses. sche Kaiser waren, konnte ihnen dabei Es war eine Frage des kulturellen Prestiges nicht helfen. der deutschen Fürsten, die lateinische, christliche Kultur auf Kosten der germani­ Die deutsche Unfähigkeit, sich zweideutig auszu schen zu verbreiten. Wenn diese Verbrei­ drücken, ein Mangel an »subtilitas« tung nicht auf politische Grenzen stieß — wie im Fall des Konfliktes zwischen den Das Epitheton »barbarisch« wurde auch in Franken und den Sachsen zur Zeit Karls anderen Varianten angewandt. Man sprach des Großen —, stieß die kulturreligiöse Mis­ so von einem Mangel an »subtilitas«, der für sion auf keinen organisierten Widerstand. die Deutschen charakteristisch sei, von ei­ Das zeigt, daß in den Augen der deutschen ner Unfähigkeit, sich geistreich, d.h. zwei­ Elite die lateinische Kultur als die einzig er­ deutig auszudrücken. Man behauptete, die nst zu nehmende dastand; es führte kein Deutschen seien unfähig, sogar diesen Ta­ Weg an ihr vorbei. Die Folge war, daß alles del richtig zu verstehen, unter »subtilitas« Deutsche mit dem Barbarischen verbun­ verstünden sie »List« und meinten, man sol­ den wurde. le sich vor ihr in acht nehmen. Daß dies Nun stellt sich die Frage, was es über­ durchaus nicht immer der Fall war, zeigen li­ haupt bedeutet, ein Barbar zu sein. Der terarische Werke wie der oft erwähnte (aber Ausdruck bezieht sich zunächst auf die nicht in diesem Sinne gedeutete) »Ludus de Sprache. Die Griechen bezeichneten mit Antichristo«. Es handelt sich um ein mittelal­ »brrr brrr« das für sie unverständlichen terliches Theaterspiel, das Mitte des 12. Sprechen ihrer Nachbarn. Verachtung der Jahrhunderts entstanden sein soll. Um die fremden Kultur beginnt mit der Gering­ Weltherrschaft zu erlangen, schickt in dem schätzung der Sprache. Zeitgenössische Stück Antichrist Heuchler zum Frankenkö­ germanische Versuche, in gleicher Art zu nig, die diesen mit Schmeicheleien zur Un­ erwidern und die Sklaverei, den Grundstein terwerfung bewegen. Zum Kampf die Deut­ des römischen Kulturerfolges, als Zeichen schen herauszufordern, sollte man nicht des Barbarentums zu deuten, waren den versuchen, denn »Es ragt der Deutschen Germanen fremd. Sie taten, was »Barba­ Kraft hervor durch Waffentaten«. Die Heuch­ ren« schon immer zu tun versuchten: die ler wollen den König mit Geschenken be­ Kultur zu meiden oder sich diese womög­ sänftigen. Der Plan mißlingt aber, es kommt lich schmerzlos anzueignen. Städte haben zum Krieg, und der Antichrist unterliegt. Im schon immer durch das Versprechen eines weiteren Verlauf der Handlung unterwirft leichten Lebens die umgebende Bevölke­ sich der deutsche König aber doch dem rung an sich gezogen. Was aber einmalig Antichrist. Was bewegt ihn dazu? Die fal­ war für die Kultur, die sich mit dem Vehikel schen Wundertaten, die der Antichrist prä­ des Christentums den Weg bahnte, war die sentiert — die Heilung eines Lahmen, die Verbindung zwischen dem Komplex der Genesung eines Aussätzigen, die Er­ Kultursuperiorität und der Verbreitung von weckung eines Toten — beeindrucken den Schuldgefühlen. Diese hatten einen völlig König so sehr, daß er gesteht: »Ach, durch anderen Ursprung als die Festspiele und unser Ungestüm kommen wir zu Schaden, daß wir streitend wider Gott Torheit auf uns von Kaiser Otto III.: »Als er im Jahre 1002 laden.« nach seiner Vertreibung aus dem geliebten Rom in Kummer gestorben war, wurden sei­ Stereotype Selbstbeschuldigungen, deutscher ne Reste nach Deutschland gebracht und Selbsthaß und die Schuld des »Ungestüms« im Dom von Kaiseraschern beigesetzt — sehr gegen seinen Geschmack, denn er Man braucht nicht viel Scharfsinn, um zu war das Musterbeispiel deutscher Selbst- sehen: Der Antichrist, das sind eben die Antipathie und hatte sein Leben lang christlichen Missionare, die durch »sub- schamvoll unter seinem Deutschtum gelit­ tilitas« das Land dem christlichen Kultur­ ten.« Was würde Thomas Mann erst zum terror, dem »iugum Christi« unterwerfen. Die Entschluß Ludwigs des Frommen gesagt stereotypen Selbstbeschuldigungen der haben, der die große Sammlung deutscher Deutschen sind im Spiel auch schon als fest Folklore, die Karl der Große anfertigen ließ, eingewurzelt zu finden. Die Schuld des als Teufelswerk verbrennen ließ? »Ungestüms«, die bis heute anhält, wird Die Ambition, ein Römisches Reich wie­ schon hier erwähnt. deraufzubauen, übertraf die Kräfte der Ähnliche Zweideutigkeiten wie im »Ludus deutschen Kaiser; die Aufgabe war uner­ de Antichristo« findet man auch in manchen reichbar hoch angesetzt. Daraus sind die Erzählungen der Sammlung »Gesta Roma­ Folgen zu rekonstruieren: Die deutsche Am­ norum«, z.B. in jener, in der die Genealogie bition, den Römern ebenbürtig zu werden, des Papstes Gregor VII. auf eine Blutschän­ mußte eine andauernde Unzufriedenheit dung zurückgeführt wird. mit sich selbst erzeugen. Das ideale Über- Auch der deutsche Antisemitismus ist Ich lag außerhalb des Volkes, die Bedin­ zum Teil ein Ausdruck des unterdrückten gung einer positiven Selbstschätzung wur­ Hasses gegen die unbegrenzte Autorität de an die unerfüllbare Aufgabe gebunden, des Pantokrators Christus, den die elemen­ die als heilig angesehene fremde Identität tarsten Kenntnisse der Bibel als Juden er­ sich anzueignen. kennen lassen. Andererseits ist der Jude als Händler der Importeur römischer Kulturgü­ Überkompensationen, auf denen die deutschen ter. Unter dem Volk wird er dadurch zum Erfolge beruhen zwielichtigen Vertreter der Stadt, und nur an den Höfen wird er zum »Hofjuden«. Der Die Tiefenpsychologie weiß, daß neuroti­ deutsche Judenhaß hat offensichtlich auch sche Systeme entstehen, wenn sich die Per­ subtilere Komponenten ... son der großen Aufgaben nicht gewachsen Die etablierte Macht des römischen Chri­ fühlt, und daß unter solchen Bedingungen stentums und seiner Kultur ließ sich nicht das Verhalten irrational werden kann. Die Ir­ abwerfen. Mit ihrem Aufstieg wuchs auch rationalität zeigt sich in der übertriebenen der deutsche Selbsthaß. Niemand hat ihn Hartnäckigkeit, mit der die Ziele verfolgt deutlicher ausgedrückt als der für die Werte werden, in der brutalen und vernichtenden des Kulturkampfes empfindliche Thomas Selbstkritik, in der gespannten Konzentra­ Mann. In seinem »Doktor Faustus« sagt er tion auf sich selbst, in der Bereitschaft, das

links, Krönung Karls des Großen in Rom; rechts, Friedensschluß zu Münster, 1648: Die kulturreli­ giöse Mission Roms stieß auf keinen organisierten Widerstand — kultiviert sein bedeutete jetzt, Schuld­ gefühle z u hegen. Weltmeister Deutschland, schwarzrotgoldenes Fahnenmeer, ein nationaler Rausch: »Ein Volk, das sich keine Spontaneität erlauben kann, muß auch politisch gehemmt sein«

»Übel« in sich auszurotten. Schonungsloser habilitation der deutschen Kultur entspre­ Fleiß und Pflichtbewußtsein gehören dazu; chen würde: Sie versöhnten sich mit dem sie bilden aber auch Überkompensationen, Heiligen Römischen Reich, das nach dem auf denen die deutschen Erfolge beruhen. großen Krieg noch anderthalb Jahrhunder­ Die ursprüngliche, jetzt als »barbarisch« te dauerte. Zu seinem Ende kam es nicht bezeichnete Persönlichkeit der Deutschen durch einen deutschen, sondern durch ei­ mußte sich jedoch unbewußt gegen die Ide­ nen französischen Imperiumsbauer — den ale der zivilisierten Vollkommenheit sträu­ Katholiken Napoleon. Die Ideale eines ech­ ben und sich früher oder später mit Wucht ten Römertums waren durch die Reforma­ gegen die ihr unnatürlichen Ziele wenden. tion eher auf- als abgewertet. Die Last des Die innere Wende vollzog sich und errang Beweises, daß Gott auf ihrer Seite stand, lag einen symbolhaften Charakter in der Person ja bei den Protestanten. Sie waren es, die Martin Luthers. Sie fand Resonanz bei ei­ durch Ernst und Redlichkeit sich selbst und nem Bürgertum, das sich selbst zu schät­ der katholischen Welt beweisen mußten, zen begann. Der bleibende Gewinn der daß sie die katholischen Tugenden nicht Reformation war der Wiedererwerb der über Bord geworfen haben. Die unterbe­ Würde für die deutsche Kultur, vor allem für wußt als sündhaft empfundene Abwendung die Sprache. Sie wurde befugt, den Verkehr von Rom verlangte ihren Preis: Man mußte mit der höchsten Autorität, mit Gott, zu ver­ ständig Beweise zur Hand haben, daß die mitteln. Die Reform zündete aber auch die Reform nicht einen Rückfall in die Barbarei zerstörerische Wut des Bauerntums an. Am bedeutete. Damit erlegten sich die Deut­ Ende kam es zum selbstzerstörerischen schen neue Belastungen auf. Die Sponta­ Dreißigjährigen Krieg. Einen solchen kann neität, die ihnen schon früher weitgehend man nur führen, wenn die gemeinsame versagt war, sank noch tiefer. Und die Span­ Identität verloren geht, wenn die eine Seite nung zwischen sündhafter Spontaneität, die die andere als dehumanisiert ansieht. Eine immer rebellischere Formen annahm, und Identität hatte es jedoch im Heiligen Reich verstärkter Selbstdisziplin nahm krasse For­ kaum je gegeben, es gab deshalb auch men an. keine politischen Kräfte, die die innere Spal­ tung überwinden könnten. Ganz anders Im Dritten Reich alle Zivilisationsbedenken über war es in Frankreich, wo die Gefahr der Zer­ den Haufen geworfen splitterung in einer Nacht gelöst wurde. Alle Projektionen, die bei einem Volk für den Ein Volk, das sich keine Spontaneität erlau­ Fremden, für den feindlichen Nachbarn re­ ben kann, muß auch politisch gehemmt serviert bleiben, wurden bei den Deutschen sein. Eine nach innen, ins eigene Gewissen gegen einen Teil von sich selbst gerichtet. schauende Elite kann die Ereignisse in der Aus Konzentration auf sich selbst, im Welt nicht richtig einschätzen. Eine solche, Rückzug zur Innerlichkeit, vergaßen die die sich selbst nicht ausstehen kann und deutschen Protestanten, an eine politische vor sich selbst flieht, kann die Zukunft nicht Form zu denken, die ihrer anfänglichen Re­ planen. Sie unterschätzt sich selbst; wenn aber die anderen zupacken und die schö­ nen Dinge der Welt für sich sichern, empört sie sich. Auf diesem Weg kann die starre Über-Ich-Kontrolle durchbrochen werden, die eigene Unterschätzung in eine euphori­ sche Selbstüberschätzung und ge­ schmackloses Eigenlob umkippen. Mit dem Dritten Reich brach solch eine Zeit an. Sie war zugleich von einer starren Disziplin wie von einem gespielt spontanen, über­ spannten Ethnozentrismus charakterisiert, in dem alle Zivilisationsbedenken über den Haufen geworfen wurden und dem »Unge­ stüm« freien Lauf gelassen wurde. Nach dem Krieg wurde »gerade für uns Deut­ schen« das Wiedererlernen von allgemein menschlichen und zivilisatorischen Werten zur höchsten Aufgabe.

Der »deutsche Vater« als traumatisierende Autorität oder der ewige römische Komplex der Deutschen Nationalsozialistische Kundgebung in Berlin, 1933: Die Über Ich-Ko ntrolle durchbrochen ... Nach alldem, was hier gesagt wurde, wür­ de man erwarten, daß in der psychologi­ schen Literatur das Thema des römischen Komplexes der Deutschen eine allgemeine Akzeptanz genießt. Anders als in der theo­ logischen, literaturkritischen und histori­ schen Literatur ist jedoch hier die Frage des römischen Einflusses übersehen worden. Bei den älteren Autoren — Bonner, Brickner, Lewin, Schaffer — scheint der Akzent auf zwangsneurotischer Pflicht zu liegen. Di- wald und die anderen Autoren des Sam­ melbands »Die deutsche Neurose« finden traumatische Einflüsse in den zwei Weltkrie­ gen, besonders in der Kriminalisierung der Deutschen als Kriegsverursacher. Auch Adornos Blick bleibt auf die Gegenwart und die vorausgehenden Jahrzehnte gerichtet. Für ihn wie für Fromm spielt der »deutsche Vater« die Rolle der traumatisierenden Auto­ rität. Woher der deutsche Vater kommt, das sagt aber keiner dieser Autoren. Der Ver­ ... und mit starrer Disziplin ...: Reichsparteitag in Nürnberg, such, im Vater den Abglanz des in lingua 1934 mortua sprechenden Gottes, des »ewig An­ deren« (de Benoist) zu sehen, wurde nicht unternommen. Die Erkenntnis, daß in einer Zeit, wo Deutschland nach dem Dreißigjäh­ rigen Krieg von der ganzen Welt abgerie­ gelt war, wo kein Handel das Land belebte, ein deutscher Vater seinen einzigen Schutz suchen und deshalb auch sein Vorbild nur im lokalen Fürsten finden konnte, wurde erst vom amerikanischen Historiker Craig ge­ wonnen. Von einer marxistisch orientierten Frankfurter Schule würde man eher Analy­ sen der materiellen Bedingungen der Autoritätsgebundenheit der Deutschen — z.B. des Verfalls der Weizenpreise — erwar­ ten. A. Mitscherlich, ebenfalls ein Vertreter der Frankfurter Schule, erwähnt das Heilige Römische Reich in »Die Unfähigkeit zu trau­ ern« nur einmal, und im gleichen Atemzug ... alle Zivilisationsbedenken über den Haufen geworfen: Juden­ irosisiert er das »typisch deutsche« Streben verfolgung im Dritten Reich nach überirdischen, illusionären Idealen. fragen, eine aufrichtige Aussage über die Daß mit diesem Streben das Problem nicht Gründe erhalten: »Damit ich morgens beim gelöst, sondern erst eröffnet wird, scheint er Rasieren mir selbst nicht sagen muß: Du nicht bemerkt zu haben. Mitscherlich bist ein Feigling!« spricht oft von »kulturspezifischem« deut­ Oberflächlich gesehen, ist darin nicht schen Verhalten; um welche Kultur es mehr als ein Verdonnern der politischen La­ sich aber handelt, w a s an ihr spezifisch ist ge zu finden: Alles in Deutschland ist abnor­ und w ie das Spezifische entstanden ist, mal, deprimierend, entwürdigend, unaus­ darüber äußert er sich nicht. Der aus dem stehlich. Mehr von innen gesehen, bedeu­ uralten Ringen rührende Kulturkonflikt, all tet es: »Was ich um mich sehe, kann ich die gekünstelten ideologischen Stützen und beim besten Willen nicht meine Heimat Gegenstützen reduzieren sich bei ihm auf nennen. Mit Leuten, die das akzeptieren, etwas Naturgegebenes, biologisch-Primiti- kann ich nichts gemeinsam haben.« In die­ ves, auf den elementar-aggressiven Instinkt. sem Sinne ist es, daß mein vor dem Spiegel Freuds Idee, mit der Einsicht in die Ursa­ stehender Freund und Frau Mitscher­ chen des Leidens des Patienten diesem lich einander ähneln. Beide ziehen zum den Mut zukommen zu lassen, der ihm das Krieg für den idealen, beide beschimpfen Loswerden seiner fehlgerichteten Abwehr­ den realen Deutschen. Noch einen dritten manöver ermöglichen soll, diese Idee wird muß man ihnen zugesellen: denjenigen, bei Mitscherlich politisch moduliert: Er sieht der an einem Frühlingstag vor 45 Jahren sich gezwungen zu verhindern, daß die gesagt hat: »Wenn das deutsche Volk nicht während des Dritten Reiches politisch en­ bereit ist, sich bis zum letzten Mann für den gagierten Deutschen eine Entlastung für ihr Sieg zu opfern, dann hat es gezeigt, daß es Gewissen finden. Eine eingehende Kausa­ seines Führers nicht würdig ist.« Dieser lanalyse muß hier unerwünscht bleiben, Satz, strukturell wie inhaltlich jenem von weil sie als Entschuldigung mißbraucht wer­ Frau Mitscherlich sehr ähnlich, ist der stärk­ den könnte. ste Ausdruck dessen, was die erwähnten Man kann mit dieser eigentümlichen Dia­ Beobachter mit der »Politikfremde« der lektik von Theorie und Praxis fortsetzen. Deutschen bezeichnen. Frau Margarete Mitscherllch-Nielssen hat sich vor einigen Jahren mit Aussagen zum Der Schwund der eigenen Substanz als Tugend? Problem der deutschen Bevölkerungsab­ nahme hervorgetan, »wenn die Deutschen« Sind solche Aussagen kriminell? Ich möch­ — so sagte sie ungefähr — »sich nichts te es nicht behaupten. Sie sagen mir nur, Besseres einfallen lassen als zu viel zu es­ daß die Betreffenden über den Zustand ih­ sen, zu rasen und Geld zu verdienen, dann res Volks unglücklich sind und daß sie un­ sollen sie auch von der Erde verschwin­ bewußt von der Angst verfolgt werden, für den.« Ich frage mich, ob sie dieselbe Spra­ diesen Zustand persönlich verantwortlich zu che mit ihren Privatpatienten benutzt. Eine sein. Diese Angst ist den Tiefenpsycholo­ revolutionäre Wende in die Praxis der Psy­ gen nicht unbekannt: Viele Kinder fühlen chotherapie hat sie damit keineswegs ein­ sich, äußerlich völlig grundlos, z.B. für den geleitet: Die Überzeugung, der beste Weg, Tod der Mutter verantwortlich. Die Last ist so den Patienten zu heilen, sei, Ihn zu beleidi­ groß, daß auch irrationale Mittel willkommen gen, zu beschuldigen und in die Erde zu sind, um sie loszuwerden. »An mir kann die stampfen, diese Lehre hat der autoritäre Schuld nicht liegen« — sagt sich so einer — romverbundene Vater seinen deutschen »ich bin ja ständig dabei, für das Gute zu Kindern schon vor mehr als einem Jahrtau­ kämpfen.« send beigebracht. Sind solche Aussagen neurotisch? Ich glaube, es hat sich gezeigt, daß der Ver­ Chauvinisten, Linke, Grüne — strukturelle und gleich mit dem neurotischen Verhalten inhaltliche Ähnlichkeiten fruchtbar war. Auf eine direkte Antwort kommt es nicht an, weil es auf die Termino­ Mit den Einstellungen, die wir bei den Mit­ logie nicht ankommt. Es ist aber nie normal scherlichs finden, stimmen am ehesten die gewesen und es kann nicht normal sein, der Grünen und der deutschen Nationali­ daß die Vordenker eines Volkes den sten überein. Es ist typisch für eine Reihe Schwund der eigenen Substanz als Tugend von ihnen, daß sie die Probleme der mo­ und Vorbild für andere erklären. Und das dernen Zivilisation — rücksichtslose Aus­ sage ich nicht als Deutscher, sondern als beutung der Natur, sinkende Fähigkeit, mit Beobachter, als Ausländer. Kindern umzugehen, wachsende Kriminali­ tät u.a. — ausschließlich auf ihre Heimat be­ Hrvoje Lorkoviö, Jahrgang 1930, Dr. rer.nat. Uni­ versität Zagreb, gebürtiger Kroate mit US-Staats- grenzt sehen. Sie machen dafür die Macht­ bürgerschaft, research scientist, Privatdozent für habenden verantwortlich, sprechen ihnen Physiologie an der Universität Ulm. Wichtigste Ver­ jedes Verantwortungsbewußtsein ab und öffentlichung: »Karakteristika« — Studie, Roman, Chronik (Hills/Iowa, 1973). nennen sie feige. Einmal habe ich, ohne zu Regionalismus

Bei den Landtagswahlen in Niedersachsen Partei anstrebt, findet bei der Bayernpar­ am 13. Mai kandidierte erstmals seit 1962 tei großen Zuspruch. Inzwischen ist sogar wieder die Deutsche Partei (DP). Als an ein Wahlbündnis der beiden föderalisti­ Nachfolgepartei der 1866 gegründeten schen Parteien zur Bundestagswahl im De­ Deutsch-Hannoverschen Partei versteht zember gedacht. sich die DP als föderalistisch-konservative * Vertretung der Welfen. Bei der Landtags­ Die erste tschechoslowakische Republik wahl 1947 erhielt sie als Niedersächsische war dreigeteilt und verfügte über ein Landespartei 17,9 Prozent. 1947 wurde sie mährisch-schlesisches Bundesland, beste­ in DP umbenannt und war bis 1961 im hend aus der Markgrafschaft Mähren und (1949: 4,0%, 1953: 3,3%, 1957: dem Herzogtum Schlesien. Die heutige 3,4%) und in den CDU-dominierten Re­ CSFR ist zweigeteilt, die »mährische Fra­ gierungen. Den Sprung über die 5-Pro- ge« schien gelöst bis zu dem Zeitpunkt, als zent-Klausel verfehlte sie 1957 zwar, in Brünn die mährische Idee wieder an schaffte aber den Einzug in den Bundestag Boden gewann. Schon fordern Verbände durch Wahlkreisabsprachen mit der CDU, wie die »Mährische Bürgerbewegung in die führende Mitglieder der Partei (»Moravskä obcanskä hnutnie«) oder die schließlich übertraten. Bei den Bundes­ Gesellschaft für Mähren und Schlesien nator Umberto Bossi erreichte die Lega tagswahlen 1961 trat sie in Kooperation (»Spolecnost pro moravu a slezsko«) mit Lombarda knapp 20 % und ist damit mit dem Gesamtdeutschen Block / Block einer Anhängerschaft von über 100000 zweitstärkste Kraft in der Region. Beacht­ der Heimatvertriebenen und Entrechteten eine Lösung der alten »mährischen Fra­ liche Erfolge waren auch in Piemont mit (GB/BHE) als Gesamtdeutsche Partei an ge«. Und wie die Lösung aussehen soll, ist 5 % und in Venetien mit 6 % erzielt wor­ und erreichte 2,8 Prozent. Im niedersäch­ klar: Abgrenzung von Böhmen, Kodifizie- den. sischen Landtag war sie bis 1962 vertreten rung des Mährischen, Rückbesinnung auf In einer Abtei in Pontida bei Bergamo, und stellte mit Heinrich Hellwege zwi­ die eigene regionale Kultur, »Freiheit für wo 1167 der lombardische Städtebund ge­ schen 1955 und 1959 sogar den Minister­ Mähren!« gen Kaiser Barbarossa beschworen wurde, präsidenten. Um die Autonomie Mährens durchzu­ legten die neugewählten lombardischen Die jetzt reaktivierte DP begründete ih­ setzen, stellte sich die Gesellschaft für Abgeordneten ihren feierlichen Eid ab, zu re Wahlteilnahme mit der Notwendigkeit Mähren und Schlesien bei den tschecho­ »kämpfen, bis die Lombardei frei und der eines föderalistischen Patriotismus. Die slowakischen Parlamentswahlen zur Wahl italienische Staat föderalistisch ist«. Rom sehr ökologisch orientierte Partei setzt und erreichte überraschend 16 Sitze. sieht in diesen Bestrebungen den Versuch sich selbstverständlich auch für die baldi­ der Sezession. ge Wiedererrichtung der Länderstruktur * in Mitteldeutschland ein. Ihr Wiederauf­ tauchen hängt u.a. mit dem Niedergang und den Streitereien bei den Republika­ nern zusammen. Bei den Wahlen am 13. Mai blieb sie allerdings als Splitterpartei LOMBARDIA unbedeutend. ♦ Die schon kurz nach dem Krieg gegründe­ AUTONOMISTA te Bayernpartei, die in den Anfangsjahren der Bundesrepublik der CSU eine be­ trächtliche Konkurrenz war, machte bei den bayrischen Kommunalwahlen wieder Bei den Europawahlen vergangenen Jahres * von sich reden. Nach ihren Niedergang in erreichte in Italien die bis dahin unbe­ den 60er Jahren — bei den ersten Bundes­ kannte Alleanza Nord — Lega Lombarda In Artikel 29 des Grundgesetzes heißt es tagswahlen erreichte sie 4,2% (1949), landesweit 1,8 % und in der Region 8,1 % zu einer möglichen Neugliederung des 1,7% (1953) und 0,5% (1957) — erhöhte und damit 2 von 81 Abgeordneten Italiens Bundesgebietes, daß bei der Länderneu­ sie jetzt in Bayern die Zahl der Kreistage, im Straßburger Parlament. Neben der eth­ ordnung u.a. auch »die landsmannschaft­ in denen sie vertreten ist, von 6 auf 10. nischen Minderheitenliste Federalisti liche Verbundenheit« und »die geschicht­ Herausragende Ergebnisse verzeichnet die (0,6%, 1 Sitz) — einer Interessenvertre­ lichen und kulturellen Zusammenhänge« Bayernpartei im niederbayrischen Frey- tung der Sarden, Slowenen, Südtiroler, zu berücksichtigen seien. Auf diesen Pas­ ung-Grafenau mit 6,8 % (4 Mandate), in Friauler, Albaner und Griechen — traten sus legt besonders die kürzlich als Verein Traunstein mit 3,4% (2 Mandate) und in damit erstmals auch regionalistische gegründete Landsmannschaft Franken Cham mit 3,2% (2 Mandate). Als Land- Gruppierungen italienweit bei Wahlen an. (Postfach 6001, 8700 Würzburg 1) großen ratskandidat im Kreis Cham konnte der Spitzenergebnisse erreichten sie in der Wert. Ihr widerstreben die bisher disku­ BP-Politiker Alois Späth überraschende 15 Provinz Bergamo mit 15 und in Vorese tierten wirtschaftlichen Großstaaten Prozent auf sich vereinigen. und Sondrio mit 12 %. (»Nordstaat«, »Weststaat«, »Thüringen- Die Bayerapartei lehnt ein zentrali­ Bei den italienischen Regionalwahlen Sachsen«), denn als fränkische Regionali- stisches Gesamtdeutschland ab und er­ im Mai konnten die regionalistische Lega sten haben sie sich dem Traum von einem strebt ein wiedervereinigtes föderalisti­ Nord — ein Zusammenschluß aus der Le­ unabhängigen, dezentral verwalteten sches Deutschland. Berlin als Hauptstadt ga Lombarda, Lega Veneta, Movimento Franken verschrieben. Statt bayerischer symbolisiere Zentralismus, deshalb kann Piemont Autonomista, Alleanza Toscana Bevormundung und baden-württembergi- sich der Vorsitzende Hubert Dorn eher die — für eine Sensation sorgen. Die gegen scher Vernachlässigung ersehnen sie ein ei­ mittelalterliche Reichsstadt Regensburg den italienischen Zentralismus, für stärke­ genes rot-weißes Bundesland Franken. als Sitz einer gesamtdeutschen Regierung re Eigenständigkeit und politische Auto­ Dieses Ziel wollen sie durch Sammlung vorstellen. nomie kämpfende Lega Nord kam jetzt von 7000 Unterschriften für ein Volksbe­ Eine »Sammlung aller patriotisch-föde­ auf landesweit 5,6% und ist damit viert­ gehren und schließlich mittels eines Volks­ ralistischen Kräfte, wie sie die Deutsche stärkste Partei. Unter der Führung von Se- entscheides erreichen. Henning Eichberg Wer sind wir eigentlich? Zur Kultursoziologie als Identitätswissenschaft Trachtengruppe in Memel (linke Seite, oben), Roma / »Zigeuner« in Deutschland (linke Seite, unten), Lehmhäuser der Musgu Nordkameruns (ganz oben), Abelam-Tänzer aus Papua-Neuguinea (oben) und Verandapfosten der Yoruba / Nigeria (rechts). Was hat die dänische »hygge« (eine unübersetzbare der Lehrer ebenso wie die arbeitslose Frau im Vor- Gemütlichkeitsform) gemeinsam mit Begräbnis- ort Albertslund? Worauf weist das farbige Haar pfosten malaiischer Völker und mit dem islami- des Punkers hin ebenso wie eine Hymne von sehen Schleier? Wonach sucht die Berufsgruppe Grundtvig? Allen gemeinsam ist das Bezeichnen Stets stellt sich die Frage: Wer sind wir schen Analyse geworden. Er ist ein be­ von oder die Suche nach Identität. Es eigentlich? grifflicher Überbau über einer real er­ geht dabei um die dänische Identität, Was hat es aber mit dem verbinden­ fahrenen materiellen Basis. Aber wel­ die malaysische Identität (oder dieje­ den Begriff der Identität auf sich? cher? nige bestimmter Völker von Sarawak) Handelt es sich vielleicht nur um ein Noch ein weiteres verbindet die ein­ und die islamische (oder Immigran­ abstraktes, akademisches Konstrukt leitend genannten Thesen: Sie sind ten-) Identität. Thematisiert sind die oder gar um einen bloßen Mode­ durchgehend Frageweisen der Kul­ Identität des Lehrers (als Beamter, als begriff? tursoziologie. Dieses dänische For- Lehrstand oder als Lohnarbeiter) und Meine erste These ist: Alle diese un­ schungs- und Studienfach ist im na­ der Frau in der spätkapitalistischen terschiedlichen Bezüge haben tatsäch­ tionalen und internationalen Zusam­ Gesellschaft. Markiert sind die Identi­ lich etwas gemeinsam, und etwas menhang ziemlich eigentümlich profi­ tät des Jugendlichen oder einer Ju­ äußerst Bedeutsames obendrein. Der liert. Die erst neuerlich entwickelte gendkultur und — immer wieder neu Identitätsbegriff ist zu recht ein Kern­ deutsche Kultursoziologie ist zwar in — die »danskhed«, das Dänisch-sein. begriff der neuzeitlichen soziologi­ einigen Punkten vergleichbar; aber ge­ rade der Vergleich macht deutlich, wissenschaft zuständig. Werkzeug, gerade auch die eigene In­ worum es zum Unterschied dem däni­ Die Kultursoziologie hat dagegen terkultur (»halbe Identität«) auf den schen Fach primär geht: Alltag, sozia­ eher mit den »Graswurzeln« der Ge­ Begriff zu bringen, häufig als »Identi­ le Muster und Körper (statt Werte und sellschaft zu tun, mit der »Geschichte tätskrise«. Normen), Kultur des Volkes, seine von unten«. Als eine Volkswissen­ Das auf mehrere Staaten aufgeteilte Subkulturen und sozialen Bewegun­ schaft steht sie den Staatswissenschaf­ Deutschland erlebte seit den siebziger gen (statt Kultur der Intelligenz und ten gegenüber und ist also nur inso­ Jahren gleichfalls eine Welle der Iden- der Eliten), Lebenszusammenhang fern landeskundlich, als sie volks­ titätsthematisierungen. Dazu erschie­ (statt verselbständigter Kultur- und kundlich ist. Ihr Zusammenhang mit nen jetzt vielfältige Beiträge von Kunstbereiche). der (deutschen) »Volkskunde« als »links« und »rechts«. In der »Mitte« Versteht man unter Landeskunde einer empirischen Kulturwissenschaft stellte der Deutsche Historikertag eine Wissenschaft von »Ländern« als ist dabei unübersehbar — aber doch 1986 in Trier sein Podiumsgespräch Staaten mit territorialen Grenzen und ungleichzeitig. Denn sie entstammt unter die Überschrift »Mittellage und innerem Systemaufbau, so hat die nicht wie diese dem romantischen nationale Identität«. Die Problematik Kultursoziologie damit nur wenig zu Aufbruch der Jahre um 1800, sondern und historische Tiefe des Begriffs tun. Hier ist eher die (dänische) So­ dem Umfeld der sozialen Bewegungen selbst kam dort — wie auch sonst zu­ ziologie als eine Staats- und System- seit den 1960er Jahren. meist — jedoch nicht zur Sprache. Gleichzeitig tauchte der Identitäts­ begriff häufig dort auf, wo in einem Zurückweisungen und die antiimperialistischen neuen, kritischen Sinne das Wort Konnotationen der »Identität« von der »Heimat« aufgegriffen wur­ de: »Sehnsucht nach regionaler Iden­ tität«, identitätsverbietender un­ Der Identitätsbegriff ist in (West-) schwebt — meine einzige Möglichkeit, menschlicher Städtebau oder, mit Deutschland besonders umstritten. mich als Mensch zu verwirklichen, Ernst Bloch, » H eim at — worin noch Verschiedentlich wird dort in Abrede liegt darin, Cherokee-Indianer zu niemand war«. Nicht zuletzt begann gestellt, daß es so etwas wie kollektive sein.«5 Hier stellt die Identität des man zur gleichen Zeit auch in Däne­ Identität, kulturelle Identität oder na­ Volkes alle bestehenden Staaten infra­ mark — in Reaktion auf die Zumu­ tionale Identität überhaupt gebe. Le­ ge. Oder sie konstituiert neue wie im tung europäischer Integration —■, sich gitim sei es allein, von individueller Falle Grönlands, wo die Inuit sich un­ die Identitätsfrage auf neuem histori­ Identität zu sprechen, von der psychi­ ter den Stichworten »fo lk — frih e d — schem Niveau zu stellen: Was ist das schen Übereinstimmung des einzelnen identitet« von Dä­ mit sich selbst. nemark und von Zu solcher Einschränkung steht der Europa abzukop­ Gebrauch des Begriffs in weiten Teilen peln begannen. der Welt im Widerspruch. In der Drit­ Aber auch in Eu­ ten Welt ist die nationale Identität zu ropa und in den einem Programmbegriff mit Stoßrich­ Metropolen selbst tung gegen den neuen Kulturimperia­ wurde der Identi­ lismus geworden. Das hatte sich schon tätsbegriff in den in den 60er Jahren in der afro­ 1970er Jahren vi­ amerikanischen Bewegung in den rulent. Schottische USA (Black Power) abgezeichnet. Ob Identität gegen »in­ heute ein südkoreanischer Minister neren Kolonialis­ seine kulturelle Entwicklungsstrategie mus«, walisisches propagiert1, ein ägyptischer Soziolo­ Wales, »Frankreich ge den islamischen Fundamentalis­ der Identitäten« mus als Nativismus analysiert2 oder (der bretonischen, ein Philippino kritisch in seinem Land korsischen, elsässi- eine amerikanisierte »neokoloniale schen, baskischen, Identität« erkennt3 — immer ist der okzitanischen), iri­ Identitätsbegriff zentral plaziert. Von sche Identität »Wir daher wurde er zu einem Hauptpro­ selbst« (Sinn Fein) Der Mensch verwirklicht sich durch seine volkliche Identität: grammpunkt der UNESCO. Deren ... immer wieder be­ »Inuit heißt Mensch« Erklärung von Mexico City 1982 zogen Minderheiten sich auf ihre Dänische an Dänemark? stand ganz in diesem Zeichen: »D ie Identitätsbehauptung. In der jüdi­ Die abwehrenden Reaktionen gera­ Behauptung der kulturellen Identität schen Selbstthematisierung hatte der de innerhalb der westdeutschen Intel­ (trägt) zur Befreiung der Völker bei.«4 Begriff schon eine ältere Tradition. ligenz — der herrschenden Seite Eher noch schärfer zugespitzt er­ Neu war, daß nun auch die neuen ebenso wie einiger Teile der oppositio­ schien der Begriff in Selbstzeugnissen Minderheiten der ausländischen Ar­ nellen Szene — gegenüber einer The- der Vierten Welt, der Völker ohne beiter im Namen ihrer kulturellen matisierung der »deutschen Identität« Staat. »Indianische Identität« wurde Identität begannen, sich gegen die Zu­ erscheint unter solchem vergleichen­ zum Auftakt einer neuen Suche. »Ich mutungen der Assimilation und »In­ den Aspekt zwiespältig. Die Abwehr existiere nicht als menschliches We­ tegratio n« zu wehren. Der Identitäts­ begründet sich offiziell mit »Erfah­ sen, das ziellos in der Luft umher­ begriff erwies sich als ein flexibles rungen aus dem deutschen Reich«; doch hatte der NS-Rassismus weder dung, Entäußerung/Exteriorisierung, des Verhalten, Sündenfall, Erbsün­ sich auf den Identitätsbegriff bezogen Es, Verdinglichung/Reifikation, Ver- de, Götzendienst/Abgötterei/Idola- noch die I dentität der Völker in irgen­ gegenständlichung, Sachzwang, Ar­ trie, Fetischismus, Welt des Scheins. deiner Weise hochgeschätzt. Ja, bei beitsteilung, Entmenschlichung/De- Trotz dieser widersprüchlichen genauerer Betrachtung zeigt sich, daß humanisierung, Entselbstung, Ent­ Vielfalt (oder auch deswegen?) ist die der Identitätsbegriff eine jüdisch­ persönlichung, Charakterlosigkeit, Entfremdung als Schlüsselbegriff des deutsche Geschichte hat. Es ist daher Degeneration, Anomie/Normwidrig­ modernen Selbstbewußtseins bezeich­ zu verm uten, daß ganz andere histori­ keit, Gespaltenheit, Selbstzerrissen­ net worden — ebenso wie die Identität sche Triebkräfte die Ablehnung der heit, Zwang, Unterwerfung, Verskla­ als ein oder das Zentralproblem der Identitätsthematisierung bestimmten. vung, Ausbeutung, Fremdherrschaft, Philosophie seit Hegel gilt. Merkwür­ Hier zu einer Klärung beizutragen, ist eine Herausforderung an die Sozial­ psychologie: Warum wehren sich gera­ de Deutsche dagegen, sich zu fragen, wer sie selbst sind und was das für ihre politische Verfaßtheit bedeute? Einige Hinweise zur deutschen Neurose fin­ den sich bei den Psychoanalytikern Erik H. Erikson6 und Alexander Mitscherlich7 sowie bei dem kroati­ schen Psychologen Hrvoje Lorkovic8. Vielleicht liegt hier eine besondere Herausforderung für die dänische Kultursoziologie, nämlich vor dem Hintergrund einer problematischen Nachbarschaftsgeschichte.

Identität und Entfremdung

Der Identitätsbegriff ist, bei genaue­ rer Betrachtung, von außerordentli­ cher Komplexität. In der einschlägi­ gen Literatur wird Identität, vielfach Identität in der Fremde: türkische Muslime in Köln widersprüchlich, gleichgesetzt oder verkoppelt mit: Ich, Ego, Selbst, Fremdbestimmung/Fremddetermina­ digerweise verläuft die Thematisie- Selbstbild, Eigenart, Einzigartig­ tion, Wertkrise, Leiden (der Gesell­ rung als Philosophiegeschichte dieser keit, Person/Persönlichkeit/Persona­ schaft, an der Gesellschaft), Einsam­ beiden Stränge jedoch in der Regel lität, (National-)Charakter, Identi­ keit, Absurdität der Existenz, Gewor­ gänzlich getrennt voneinander. Und fikation, Individualisierung/Indivi- fensein, Nekrophilie, Existenz in der ferner blieb sie mit wenigen Ausnah­ dualität/Individuation, Rolle, Image, Fremde, Überfremdung, Verfrem­ men getrennt von der Frage nationaler Pose/Maske, das Ursprüngliche, das dung, psychische Störung, seelische Identität und von der konkreten Ge­ Eigene, das Eigentliche, das Wesen Unangepaßtheit, Neurose, Psycho­ schichte der nationalen Bewegungen (des Menschen), Subjektivität/Sub- se, Schizophrenie, Wahn, abweichen- der Völker. jekthaftigkeit, Autonomie, eigent­ liches Sein, beheimatetes Leben, bei- sich-selbst-Zuhausesein, heile Welt, Die Identität hat Geschichte hinter sich aber auch mit als-ob-Identität, Schein-Normalität oder Phantom- Versucht man einen Überblick über Kafka, Martin Buber und der Frank­ Einzigartigkeit. Gibt es angesichts sol­ die philosophische Begriffsgeschichte furter Schule, unterstützt durch die cher Vielfalt überhaupt Möglichkeiten von Identität und Entfremdung, so Erstveröffentlichung der frühen der Zusammenfassung? zeigt sich ein diskontinuierli cher Ver­ Marxschriften im Jahre 1932. Die kultursoziologische These lau­ lauf und zugleich eine Synchronizität Die Identitätsphilosophie beginnt tet: Wenn es einen roten Faden dieses beider Prozesse. Der Entfremdungs­ ebenfalls mit Fichte und Hegel. Eine Begriffs gibt, so muß er in der Ge­ diskurs beginnt — als Sensibilisierung neue Qualität wird dann vorbereitet schichte des Wortes und seines Umfel­ — mit Rousseau und Schiller, wird durch »das dialogische Prinzip« von des, der kulturellen Krise, zu finden philosophisch bei Fichte, Schelling Martin Buber und durch Sigmund sein. und Hegel und danach unmittelbar Freud sowie durch den Gestaltbegriff Bei der Suche nach diesem Faden gesellschaftskritisch: als Religionskri­ des Kulturrelativismus. Der Durch­ ist es hilfreich, sich auf einen (oder tik bei Feuerbach und als Ökonomie­ bruch geschieht mit Erik H. Erikson, den?) G egenbegriff zu beziehen: die kritik bei Marx. Daran schließt eine der als Psychoanalytiker die Identi­ Entfremdung. Auch der Entfrem­ Pause des innovatorischen Prozesses, tätsbildung des Jugendlichen und die dungsbegriff erscheint auf den ersten ja ein Vergessen an. Eine neue Quali­ nationale Identität in einen Zusam­ Blick als kaum hantierbar: aliena- tät erfuhr der Entfremdungsdiskurs menhang brachte. Sein Ansatz wurde tion/astrangement, Selbstentfrem­ dann in den 1920er Jahren mit Franz allerdings von Anfang an mißverstan­ den und in eine amerikanische Ego- Der Ablauf der Bewußtwerdung darin, daß die verschiedenen Ansätze Rollen-Anomie- und Meßpsychologie läßt sich also zusammenfassend so in der Regel einen Bezug zur Frage der umgebogen. Den verengten Begriff der periodisieren: Auf eine erste Welle nationalen Identität und Entfrem­ individuellen Identität holte dann Ha­ vom ausgehenden 18. bis ins frühe dung vermissen ließen — obwohl die­ bermas nach Westdeutschland zurück, 19. Jahrhundert folgt nach einer Pau­ ser oft (bei Marx, Moses Hess, Freud, wo er im Kontext von Handlungstheo­ se eine zweite Welle seit den 1920er Buber, Erikson) unmittelbar auf der rie, Interaktionismus, Systemtheorie Jahren. Daran schloß wiederum eine Hand lag. und Pädagogik angesiedelt wurde. Er­ Zurücknahme bzw. Restauration an, st in der aller jüngsten Auseinanderset­ aus der aber Eriksons Theorie un­ Der Körper als Idential zung mit westdeutschen Geschichts­ gleichzeitig herausragt. Stehen wir wissenschaftlern bezog Habermas in den 1970/80er Jahren vielleicht in Um an dieser Stelle weiterzukommen, sich auch auf die nationale Identität einer neuen, dritten Welle des Dis­ ohne die Vielfalt der Sackgassen noch der Deutschen, allerdings philoso­ kurses? einmal durchstreifen zu müssen, ist phisch nun völlig ungerüstet. ein methodologischer Neuansatz ge­ fordert. Er kann seinen Ausgangs­ Das Universelle, das Individuelle und das Gesellschaftliche punkt dort nehmen, wo nach der m a­ teriellen Basis des Identitäts- und Ent- Der diskontinuierliche Verlauf der heiler Gesellschaft. Gegenüber beiden fremdungsbewußtseins gefragt wird. philosophischen Diskurse zeigt an, ist der spezifisch gesellschaftliche »Die erste Voraussetzung aller Men­ daß diese nicht für sich allein stehen. C harakter der Problematik von Iden­ schengeschichte ist natürlich die Exi­ Er verweist zurück auf eine Grundla­ tität und Entfremdung festzuhalten. stenz lebendiger menschlicher Indivi­ ge, die gesellschaftlich spezifisch sein Der gesellschaftliche Charakter der duen. Der erste zu konstatierende Tat­ muß. Damit scheiden zwei Deutungs­ Entfremdung ist — vorbereitet durch bestand ist also die körperliche Orga­ ansätze als hier irrelevant aus, die das Rousseau — seit Marx thematisiert nisation dieser Individuen und ihr Problem zu universalisieren suchten. worden. Die Befunde sind jedoch — dadurch gegebenes Verhältnis zur Der existentialistische Ansatz erklärte schon bei ihm — widersprüchlich. übrigen Natur,«9 Dieser Gedanke ist — mit ontologischen, anthropologi­ Insbesondere kristallisierten sich drei bisher in die Richtung der Produk­ schen und theologischen Argumenta­ Deutungen heraus: die Entfremdung tion, der Produktionsweisen, Produk­ tionen — die Entfremdung zum all­ in der Arbeitsteilung, die Entfrem­ tivkräfte und Produktionsverhältnisse gemeinen Schicksal menschlicher Exi­ dung in der kapitalistischen Waren­ weitergeführt worden. Das erwies sich stenz: Spaltung von Natur und Kultur, gesellschaft und die Entfremdung in als einseitig. Der Aspekt des »Körper­ von Subjekt und Objekt, von Mensch der »modernen«, d.h. in der indu­ lichen« entschwand dadurch aus dem und Gott, vom »Mängelwesen« striellen Gesellschaft. Die drei Ansät­ gesellschaftswissenschaftlichen Blick. Mensch und Institutionen. Der indivi­ ze führen zu höchst unterschiedlichen Er ist hier zurückzuholen. Die Frage dualpsychologische Ansatz sah Ent­ Periodisierungen. Ihre Vermischung nach der materiellen Basis des gesell­ fremdung und Identitätsspaltung nur und Verwechslung hat die bisheri­ schaftlichen Lebens führt damit zu als Problem einzelner Individuen, als gen Diskussionen oft verwirrt. Ein einer Geschichte des Körpers und der die Störung der einzelnen Psyche in schwerwiegender Nachteil lag zudem Sinnlichkeit. Als körpergeschichtliches Material Höher ! Schneller! Weiter! ist die Gesellschaftsgeschi chte des Produktivität beim Leistungssport Sports aussagekräftig. Sie hat zur Fra­ ge der Identität und Entfremdung fol­ gende Befunde erbracht: (a) Im späten 18. und beginnenden 19. Jahrhundert vollzieht sich die er­ ste Wende zum modernen Sport mit einem Schub in Richtung auf die Quantifikati on von Leistu ngen. Die Bewegung des Körpers verdinglicht sich in Sportergebnissen, in c-g-s- Daten (Zentimeter, Gramm, Sekun­ de). Sie präformiert damit die neu ent­ stehende Produktionsgesellschaft. (b) Dieser Schub ist zugleich die Genese des modernen Geschwi ndig­ keitssports. Im Kontrast zu allen an­ deren uns bekannten Körperkulturen traten jetzt Tempo und (Stoppuhr-) Zeit an die erste Stelle und begründe­ ten eine Vielzahl neuer Übungsfor­ men und Disziplinen. Dem wohnte zunächst ein Faszinationselement in- ne, es war aber zugleich die Genese des modernen (Zeit-)Streß.

Tanz-, Bewegungs- und Spiel­ kultur: traditionelle Rückbe­ sinnung in der Alternativ­ bewegung der 80er J ahre (oben), Körperkult und Sinnlichkeit der deutschen J ugendbewegung 1900/30 (links), der Schleier als Zeug­ nis körpersprachlicher Identi­ tätsmarkierung (unten). (c) Mit diesen Innovationen wurde Für die dänische Identitätsmar­ sche? illegitime?) Übertragung eines ein Kampf abgeschlossen, den vom kierung spielten das Singen von individualpsychologischen Begriffs 16. bis 18. Jahrhundert die gesell­ Grundtvig-Psalmen bzw. das Volks- auf Kollektive, fällt damit in sich zu­ schaftlichen Eliten Europas gegen die hochschulliederbuch eine besondere sammen. Vorgängig war die Entfrem­ Volkskulturen geführt hatten. I n der Rolle. Das verweist auf die — für die dungserfahrung als kollektive, gesell­ Körperkultur bedeutete dies unter an­ traditionelle Soziologie ziemlich un­ schaftliche Erfahrung vor der Be­ derem die Auslöschung der volklichen verständliche — Bedeutung des Ge­ zeichnung individueller Zerrüttung. Fest- und Lachkultur, des Karneval sangs im Nationalisierungsprozeß Vorgängig war die nationale Identi­ und des Charivari. vieler Völker. Ihr kommt man nicht tätsproblematik vor der entwicklungs­ (d) Die Verspottung der Körperkul­ durch die (verkopfte) Analyse von psychologischen Entdeckung indivi­ tur vollzog sich jedoch nicht linear- Liedtexten, sondern nur durch die dueller Identität. Das gilt auch inner­ akkumulativ, sondern ungleichmäßig körperbezogene Einsicht näher: Ge­ halb der Psychoanalyse: Zuerst the­ und in Sprüngen. Von entscheidender sang ist körperliche Rhythmisie- matisierte Freud seine jüdische Identi­ Bedeutung wurde ein zweiter Schub rung —, und die Zeit-Rhythmus- tät (1926), dann ging Erikson (1950) in von etwa 1900 bis gegen 1930, mit Muster verschiedener Völker verlau­ die Einzelheiten der American identi­ dem der Sport zur dominanten Bewe­ fen verschieden. Besonders deutlich ty, Sioux identity, German identity, gungskultur Europas wurde. wird dies auch im Trommeltanz der Jewish identity und Negro-/Afri- Die Periodisierung läßt deutlich Inuit und in den Tanzkulturen afrika­ can/Black identity und schlug von Übereinstimmungen mit der Ge­ nischer Völker. dort die Brücke zur Entwicklungs­ schichte des Identitäts-Entfremdungs- Von hier aus wird nun die zentrale psychologie des Individuums. Der Diskurses erkennen; die beiden phi­ Stellung der Sprache im Nationalisie­ Weg der Forschung führte eher von losophischen Wellen lassen sich als rungsprozeß einsichtig. Sprache ist der Soziologie zur Psychologie des »Überbau« auf eine Basis der Ge­ eben nicht nur Vokabular und Gram­ Problems. Das heißt jedoch nicht, schichte körperlicher Erfahrung be­ matik, nicht primär buchmäßige An­ daß sich die Phänomene selbst von­ ziehen. Das gilt auch für den Inhalt, sammlung und Strukturierung von einander abtrennen ließen: Nationale die Konfigurationen des Denkens und Worten, sondern zunächst alltägliche Entfremdung und Identität sind sub­ Verhaltens. Die Entfremdungsphilo­ Gestik und Wechselwirkung, Vibra­ jektive Betroffenheit und konstituie­ sophie bildete offenbar ab, was sich tion und Rhythmisierung der Körper ren sich in der individualpsychischen soeben gesellschaftlich als Transfor­ — »lebendiges Wort« (Grundtvig) Erfahrung. mation der Körper, als deren Produk- und »Sprachkörperlichkeit« (Buber). tivierung und Verzeitlichung vollzo­ In ihr werden Entfremdung und Iden­ Zur geschlechtssoziologischen gen hatte. tität sinnlich und alltagspraktisch er­ Relativierung der Identität Die körpergeschichtlichen Transfor­ fahren. mationen vollzogen sich nicht gleich­ Damit bestätigt sich, was die Indivi­ Dabei erhebt sich jedoch eine andere förmig und erst recht nicht gleichzei­ dualpsychologie zur Identitätsbildung Frage: Ist der Identitätsbegriff tat­ tig in den verschiedenen Ländern und des einzelnen erbracht hat. Als »Iden- sächlich angemessen, um die hier in­ Völkern. Sondern sie bauten auf un­ tiale« wurden dort herausgestellt: der fragestehenden Prozesse zu bezeich­ terschiedlichen, kulturell vorgegebe­ Körper, der Name und die Lebensge­ nen? Die Frage stellt sich vor allem nen Voraussetzungen auf und brach­ schichte. Auch kollektive Identität von der neueren feministischen Kritik ten vor allem neuartige, völkerspezi­ wurzelt nicht primär in einer Idee, her. fische Ungleichgewichte hervor. Die sondern in der historischen Körper­ Im Identitätsbegriff liegt nämlich Rangtabelle des olympischen Sports lichkeit. ein ganz anderer Begriffstransfer vor, und die tendenzielle Ausrottung der Die Zusammenschau von Identi- der problematischer ist, als die indivi­ einheimischen Spielkulturen Afrikas, täts- bzw. Entfremdungsphilosophie, dualpsychologische Transferhypothe­ Asiens und Indioamerikas durch den nationaler Frage und Körpergeschich­ se vermuten ließ: Der soziologische westlichen Sport sind dafür ein extre­ te führt zu einer historisch-chronolo­ und psychologische Identitätsbegriff mer Ausdruck. Die Ungleichmäßig­ gischen Konkretisierung: Das Pro­ hatte einen Vorläufer in einem formal­ keit in der Transformation der sozia­ blem, beschrieben als Widerspruch logischen Terminus. Die logische len Körper bildete eine reale Basis für zwischen Entfremdung und Identität Identität bezeichnet Einheit und den neuzeitlichen Nationalisierungs­ — ist Merkmal eines gesellschaftli­ Form, Sichselbstgleichheit und Ein­ prozeß. chen Prozesses seit dem ausgehenden deutigkeit, vollständige Übereinstim­ Die Körperlichkeit und Sinnlich keit 18. Jahrhundert. Es ist weder uralt mung. Sie fand ihren Niederschlag im des nationalen Identifikationsprozes­ noch universal oder gesellschaftsun­ Identitätssatz aristotelischer, schola­ ses läßt sich auch auf anderen, sehr spezifisch. Seine Genese liegt viel­ stischer und cartesianischer Logik: unterschiedlichen Ebenen beobach­ mehr konkret im Übergang zur indu­ A = A, A ungleich Non-A, Prinzip ten. Drei seien genannt: der Schleier, striekapitalistischen Gesellschaft des vom ausgeschlossenen Widerspruch. der Gesang und die Sprache. Der isla­ Westens, in der Genese des modernen Darin, so die Kritik, drücke sich ein mische Schleier ist — im Zusammen­ Produktivismus. Das ist zugleich der phallokratischer Rationalismus aus, hang von Verstädterung, Geschlechts­ Zeitraum, in dem die Völker sich zu der die Welt seiner Eindeutigkeits­ politik, Immigrantenkultur und neu­ Subjekten der Geschichte erhoben — norm unterwerfen wolle. Was da letzt­ em Fundamentalismus — ein jüngstes oft gegen die Gewalt der existierenden lich rationalisiert werde, sei der My­ Zeugnis körpersprachlicher Identitäts­ Staaten. Im begrifflichen Überbau thos vom Penis, dem Einen und Ein­ markierung. Wenn eine neuere Ent­ brachte das um 1800 die neue Begriff- deutigen. Ins Soziologische gewendet wicklungssoziologie dies als »bloß lichkeit von Volk, Volkstum und Volk- bedeutet dies: Identität als Klassifika­ äußerlich« kennzeichnet, zeigt dies lichkeit zum Erscheinen (Herder, tion und Abgrenzung, Betonung von nur, wie gering entwickelt ihr eigenes Grundtvig). eindeutiger Identifikation (im Sinne körpertheoretisches Reflexionsniveau Die These, beim Identitätsbegriff des Personalausweises, der fäl­ ist. handele es sich um eine (problemati­ schungssicheren Identifikationskarte) und Grenzziehung (im Sinne der befe­ bezogen wird, sondern auf Entfrem­ brauch tatsächlich auch stets themati­ stigten Staatsgrenze) — eine patriar­ dung. In diesem Sinne ist es dann kein siert worden, ohne daß der wissen­ chale Wissensstrategie. Widerspruch zur Identität, wenn ein schaftliche Diskurs dies allerdings bis­ Dieser Eindeutigkeit und Einheit Individuum gemischter, widersprüch­ her ernstgenommen hätte: den Unter­ stehe — so der feministische Einwand licher oder »unsicherer« Identität ist. schied nämlich zwischen Vaterland — nun die Uneindeutigkeit der weibli­ Es ist wohl kein Zufall, daß Erik H. und Patriotismus einerseits, Mutter­ chen Logik gegenüber. Sie kann sich Erikson, der den Begriff der nationa­ land und Muttersprache andererseits. auf das kontrastierende Mythologem len Identität in die Wissenschaft ein­ Das Vaterland hat dabei eine Affi­ der weiblichen Geschlechtsteile bezie­ führte, dänischer Herkunft war, aus nität zum Staat, zu Führer und Her- hen: Zweiheit statt Einheit, Berüh­ jüdischer Familie stammt, in Deutsch­ renkultur(Väter des Vaterlandes), zu rung statt Sichtbarkeit, Relation und land nationalpatriotisch erzogen wur­ Zentralität (Hauptstadt) und Grenzen Beziehungshaftigkeit statt Sichselbst- de, durch Emigration zum Amerika­ (einschließlich Militär und Polizei), zu gleichheit, fließende Grenzen statt ner wurde, sich aber gefühlsmäßig eindeutiger, klarer Abgrenzungen — deutlich eher mit den Sioux identifi­ Administration und Planung, ökono­ Grundzüge einer anderen als der phal- zierte, bei denen er lebte und forschte. mischen Ressourcen und Produkti­ lokratischen Logik. Außerdem kann Hier war biographische und kulturelle vität (Bruttosozialprodukt), Einheit man sich hier auf die geschlechtsspe­ Identität durchaus gegeben, aber kei­ und Fortschritt. Das Mutterland hin­ zifischen Unterschiede von Zeiterfah­ ne eindeutige Klassifizierbarkeit. gegen lebt im Volk und seiner Mutter­ rung beziehen: Die männliche Frucht­ Beim Bezugspaar Identität — Unein­ sprache. Dies ist im Unterschied zum barkeitsentwicklung vollziehe sich im deutigkeit handelt es sich also offen­ Staat nicht äußerlich, sondern in den Kontrast zum weiblichen Leben in bar um ein anderes als beim Begriffs­ Sinnen: eben als Rhythmus und Zyklen, Sprüngen und Identitätsbrü­ paar Identität — Entfremdung (das Sprachkörperlichkeit. Die Mutter­ chen dramatischer Art. — Hat in die­ auch einer anderen historischen Ge­ sprache ist nicht einheitlich, sondern ser matriarchalen Logik, wie sie sich sellschaftsformation entstammt). Daß vielfältig in Dialekten und Provinzen. hier abzeichnet, der Identitätsbegriff dennoch das erstere, die formallogi­ Sie macht an staatlichen Grenzen also keinen Platz? Ist er etwa ein pa­ sche Begriffstradition, verschiedent­ nicht halt und wandert mit dem Ver­ triarchaler Gefängnisbegriff? lich auf das letztere, die neuzeitliche triebenen auf dem Weg ins Exil. Sie kennt keine Hauptstadt, sondern macht sogar die Metropole zur Pro­ vinz, wo man berlinert oder sächselt, rheinisch spricht oder Amager mal. Sie bewegt sich in fließenden Über­ gängen und unüberschaubaren Ver­ änderungsprozessen. Zwei- und Mehr­ sprachigkeit stehen nicht im Wider­ spruch zur Muttersprache; ohnehin besteht sie selbst aus unterschiedli­ chen, relationalen und dialektalen Sprachschichten. Und dennoch ist sie unverwechselbar sie selbst. Einwände gegen den Begriff der »nationalen Identität« beruhen viel­ fach auf einer Verwechselung der mutter- und der vaterländischen Aspekte dieses Begriffes. Das Miß­ trauen gegen das patriarchalische Va­ Nach 40 Jahren realsozialistischer Entfremdung: Sehnsucht nach Identität terland trifft jedoch die muttersprach­ liche kulturelle Identität nicht, son­ Die feministische Kritik macht dar­ kultursoziologische Begrifflichkeit, dern zielt an ihr vorbei. Das bedeutet auf aufmerksam, daß in den (patriar­ abzufärben drohte, ist problematisch keineswegs ein Zurückziehen aus dem chalen) Identitätsdiskurs der Soziolo­ und angesichts des Begriffstransfers Politischen ins Kulturelle. Sondern in gie und Psychologie in der Tat ver­ doch nicht verwunderlich. Zugleich der Identitätsdebatte liegt, so verstan­ schiedentlich Elemente der formallo­ spiegelt sich darin aber etwas Mächti­ den, die Herausforderung zu einer an­ gischen Eindeutigkeit und Reinheit geres, die unterliegende Basis der Ge­ deren Politik, die »matriotisch« statt Eingang gefunden haben. Besonders sellschaft in ihrer — nach wie vor und patriotisch denkt. zum Ausdruck kommt das im Sprach­ vielleicht mehr denn je — patriarcha­ gebrauch der politischen Rechten, wo len Befindlichkeit. Aus dem Gesagten geht hervor, die »nationale Identität« häufig as­ warum die nationale Identität mit soziiert wird mit: Eindeutigkeit des dem älteren Begriff des Nationalcha­ nationalen Bekenntnisses, (Rassen-) Matriotismus? rakters nicht deckungsgleich ist, ob­ Reinheit, Abgrenzung gegen andere wohl sie oft mit diesem in eins gesetzt Identitäten. Das Negative der Identi­ Die feministische Kritik macht darauf wird. Der nationale »Charakter« as­ tät ist dann: die Unreinheit, die Un­ aufmerksam, daß die nationale Iden­ soziiert eben jenes Einheitliche, Nor­ einheitlichkeit, die Bastardisierung. tität sich keineswegs in einem ge­ mative, Abgeschlossene, Substantiel­ Hier schlägt das patriarchalische und schlechtspolitisch neutralen Raum be­ le, während die Identität eher den phallokratische Muster voll durch. findet. Die patriarchalen und die ma­ Prozeß bezeichnet. Anders sieht es dagegen aus, wenn triarchalen Elemente der nationalen »Nationalcharakter« steht ferner Identität nicht negativ auf Unreinheit Frage sind im allgemeinen Sprachge­ für etwas, das als solches und unab- Jugend auf der Suche nach I dentität: Die W G als jugendzentrier­ te Wohnform (links), Heidelberger Pachanten der Wandervogel­ zeit (unten), Punk als Jugendästhetik in der Metropole (ganz unten).

hängig von Kontext und Beobach- konfrontiert. Die nationale Frage tungsijerspektive vorhanden sei. Na­ (Was ist das Dänische?) tritt ihr dem­ tionale I dentität hingegen läßt sich nach als Identitätsfrage entgegen und nicht in dieser Weise beschreiben, son­ nicht primär als eine systemwissen­ dern nur als Verhältnis. Sie bezeichnet schaftliche, staatswissenschaftliche. nach innen hin ein — oft als »Krise Und von der Identitätsproblematik von« oder als »Suche nach« charakte­ her erklärt sich auch, warum in der risiertes — Verhältnis zu sich selbst. Kultursoziologie historische, ethnolo­ Und sie ist nach außen hin nur be­ gische und sozialpsychologische Ar­ schreibbar als Relation: Was das Dä­ beitsweisen miteinander verbunden nische sei, ist nicht als solches erfahr­ sind; darin schlägt sich nicht etwa ein bar, sondern nur in Relation zu je spe­ interdisziplinärer »Tick« nieder, son­ zifisch anderem, zum Grönländischen dern es ergibt sich zwingend aus der zum Beispiel oder zum Deutschen, Identitäts- und Entfremdungsthema­ zum Pakistanischen oder auch zum tik. Fünischen. Je nach Relation ist die Identität heißt dabei keineswegs nur »Identität« also jeweils äußerst ver­ nationale Identität. Sondern mit die­ schieden (ohne beliebig zu werden). ser verflochten sind zahlreiche andere Kulturelle Identität in diesem Sinne ist Identitätsfragen, an denen Kulturso­ ein Begriff der Kulturrelativität, ein ziologen arbeiten: die Identität von relationistischer Begriff. und die Identitätsbildung in Jugend­ Der »Nationalcharakter« hat auch kulturen, die weltweiten Identitätskri­ eine aussagenlogische Seite. Die Aus­ sen im Neokolonialisierungsprozeß, sage und Feststellung (»Zum deut­ gend anders plaziert als der (klassifi­ die Identität von Frauen in und außer­ schen Nationalcharakter gehört die zierende oder dekretierende) »Natio­ halb des Arbeitsmarktes, die Identität Eigenschaft A ...«) verbindet sich oft nalcharakter«. von Angestellten, die Identitätsbil­ mit einem normativen Postulat (»Sei Die nationale Frage nennt man dung in sozialen Bewegungen ... deutsch! Verhalte dich so und demnach nicht zufällig eine Frage. Sie Die Kultursoziologie muß sich nicht so ...!«). Die nationale Identität er­ scheint zudem eine Frage zu sein, die zuletzt selbst die Identitätsfrage stelle: scheint dagegen überwiegend in Fra­ nie aufhört, sondern sich immer wie­ Was ist dies für ein Fach? Wenn hier geform: Wer sind wir? Woher kom­ der neu stellt. eine Antwort entworfen wurde: eine men wir? Wer bin ich? Im Dreieck Mit solchen Fragen sieht sich also I dentitätswissenschaft, so ist damit zwischen Aussage-, Befehls- und Fra­ die dänische Kultursoziologie als eine die Frage keineswegs abgeschlossen. geform ist also die Identität grundle­ Volks- (und insofern Landes-)Kunde Identitätswissenschaft in bezug auf und für wen? Und wer stellt solche Anmerkungen Jimmie Durham: Wir kämpfen auch für die, die Fragen? Welche Chancen hat eine nach uns leben werden. In: Claus Biegert (Hg.): identitätsfragende Wissenschaft in 1 Rhee Kyu Ho: Struggle for National Identi­ Seit 200 Jahren ohne Verfassung. 1976 — India­ ty in the Third World, Elizabeth/N.J.-Seoul ner im Widerstand, Reinbek 1976, 147—53. einer Welt, die die Nützlichkeit von 1983. ^ Erik H. Erikson: Childhood and Society, New Wissenschaft an der Nachzählbarkeit •y Fuad Kandil: Nativismus in der Dritten York 1950. Identity. Youth and Crisis, New von Ergebnissen mißt statt an der York 1968. Welt. Wiederentdeckung der Tradition als Qualität von Fragen? Wenn aber die Modell für die Gegenwart, St. Michael 1983. 7 Alexander und Margarethe Mitscherlich: Die Qualität von Fragen anerkannt ist — Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollek­ muß das nicht zu einer Ausweitung 3 Renato Constantino: Neocolonial identity tiven Verhaltens, München 1967. and Counter-Consciousness. Essays on Cul­ O Hrvoje Lorkovic: Neurotische Nationen — der Kolonialisierung von bislang un- tural decolonization, London 1978. gibt es solche? In: Junges Forum, Nr. 4/1983, erfaßten Lebenswelten führen? Und: 3— 18. was heißt das eigentlich — Fragen 4 UNESCO: Erklärung von Mexico-City über Kulturpolitik. In: UNESCO-Dienst, Son­ ® Karl Marx / Friedrich Engels: Die deutsche stellen? derausgabe September 1982. Ideologie. In: M EW 3 (Berlin 1962). Minderheit und Mehrheit ■ Ethnopluralismus

Vom 5. bis 16. März fand im Baskenland Bürger der Gemeinde Klitten. Das über­ für bedrohte Völker (GfbV) Tilman Zülch unter dem Ehrenschutz von Naam wiegend von Sorben bewohnte Dorf Klit- die europäischen Staaten auf, den Wert Chomsky, Pierre Vilar und Héctor Gros ten/Niederlausitz soll 1992 dem kulturel­ kultureller Minderheiten anzuerkennen Espiell ein internationaler Kongreß über len und ökologischen Raubbau zum Opfer und Maßnahmen zu deren Schutz zu er­ die individuellen und kollektiven Men­ fallen. A uf der Demonstration forderte greifen. Die Sorben forderte er auf, sich schenrechte statt. Den Schwerpunkt des der Bundesvorsitzende der Gesellschaft mit anderen — etwa den Nord- und Sater- Kongresses, der im Rahmen der 200-Jahr- Feiern zur Erklärung der Menschenrechte durch die Französische Revolution ausge­ richtet worden war, bildete die Zielsetzung Selbstbestimmung. Veranstalter war Herria 2000 Eliza, eine Bewegung, in wel­ cher sich vor allem Studeten, Professoren, Wissenschaftler und Ordensleute engagie­ ren, und zwar für die Kultur gleicherma­ ßen wie für soziale und politische Belange. Der Name dieser überparteilichen Bewe­ gung enthält in seinen drei Begriffen be­ reits das Grundsatzprogramm: Volkstum und Treue zum eigenen Volk = Herria, eine Zukunft für das eigene Volk = 2000, sowie die Einbeziehung christlicher Ethik = Eliza. Der erste Teil des Kongreses wurde in Bilbao abgehalten. Persönlichkeiten wie Felix Marti, Direktor der U NESCO in Ka­ talonien, der Schriftsteller Denis Langlois sowie Bill Felice aus New York, Vertreter der Internationalen Liga für die Völker­ rechte bei der UNO, referierten über die Thematik Menschenrechte, Selbstbestim­ mung, Souveränität der Völker und das Überleben der Nationen ohne Staat. Der zweite Teil fand in Donostia / San Sebastián statt. Eva Klotz, die Landtags­ abgeordnete der Union für Südtirol, trug das Thema »Südtirolproblem — ein Selbstbestimmungsproblem« vor. Guy H éraud, Vorkämpfer für das Selbstbe­ stimmungsrecht der unterdrückten Völker und Volksgruppen in Westeuropa, sprach mit großem Engagement über die Schritte zur Ausübung der freien Selbstbestim­ mung im Baskenland. Weiterer Referent war schließlich noch Boj an Bresicar, slo­ wenischer Abgeordneter im Regionalrat von Friaul-Julisch Venetien, der vor allem die politische Lage der slowenischen Volksgruppe in Italien und die aktuelle Politik Sloweniens darlegte.

Gegen den weiteren Braunkohleabbau in der Lausitz demonstrierten Anfang des Tilman Zülch (GfbV) als Redner (unten) auf einer Demonstration gegen die weitere Jahres etwa 4000 deutsche und sorbische Dorfzerstörung durch den Braunkohleabbau in Klitten/Lausitz. friesen oder den Deutschen in Südtirol — Die Grün-Alternativen bzw. interethni­ Der Streit um den neuen Staatsnamen für zusammenzuschließen und dann gemein­ sche Listen in den stark italienisierten die ehemalige CSSR offenbarte sehr ein­ sam für die Rechte ethnischer Minderhei­ Südtiroler Städten gewannen offensicht­ drucksvoll die Stärke der slowakischen ten zu kämpfen. Die GfbV hat inzwischen lich Stimmen beider Volksgruppen. Man­ Nationalisten. Der von Vaclav Havel vor­ für die Sorbische Volksversammlung Kon­ date erreichten sie in Auer (2), Brixen (4), geschlagene Staatsname Tschechoslowaki­ takte zur Föderalistischen Union europäi­ Eppan (3), Neumarkt (2), Sterzing (2), St. sche Republik wurde vom slowakischen scher Volksgruppen, zum Europäischen Felix (3) und Meran, wo die Grün-Alter- Regionalparlament nicht zustimmend auf­ Büro für weniger verbreitete Sprachen der nativen ihren Stimmenanteil verdoppelten genommen, obwohl dies der Staatsname EG, zu den dänischen und deutschen und jetzt fünf statt bisher zwei Vertreter der Vorkriegszeit ist. Die Autonomie der Volksgruppen in Süd- und Nordschleswig entsenden. Slowakei müsse im Namen mehr zum Aus­ und zur deutschen und ladinischen Volks­ ☆ druck gebracht werden, hieß es in der ab­ gruppe in Südtirol hergestellt. Die Schottische Nationalpartei (SNP) will lehnenden Erklärung. Auch die Binde­ Unter der Schirmherrschaft der GfbV sich, wie der Parteivorsitzende Gordon strichversion Föderation der Tschecho­ fand inzwischen in Bautzen, einem der Wilson erklärte, dem Vorbild Litauens an­ slowakei fand keine allgemeine Zustim­ Zentren sorbischer Kultur, eine Gesamt­ schließen und forderte ihre Anhänger auf, mung — von seiten der Tschechen, die deutsche Minderheitenkonferenz statt. sich für die Unabhängigkeit Schottlands darin slowakischen Separatismus vermute­ Die Sorbische Volksversammlung, eine in einzusetzen. Die Zeit des Zentralismus ten; und auch der Name Tschechoslowaki­ der Umbruchsphase entstandene sorbi­ multinationaler Staaten sei vorbei , dem sche Föderative Republik — in der slowa­ sche Oppositionsgruppe, sowie andere Ethnpluralismus gehöre statt dessen die kischen Schreibweise Tschecho-Slowaki- nicht-deutsche Minderheiten fordern in Zukunft, betonte Wilson. sche Förderative Republik — scheiterte an einer Erklärung die Aufnahme eines M in­ ☆ der slowakischen Hürde: schließlich beste­ derheitenschutzparagraphen in eine künf­ he der Staat aus zwei gleichberechtigten tige gesamtdeutsche Verfassung. Bei ethnischen Konflikten kamen in der Nationen. Dem Druck nationaler Slowa­ Sowjetunion in den ersten drei Monaten ken, die eine unabhängige Slowakische ☆ dieses Jahres 317 Menschen ums Leben. Republik anstreben, wurde schließlich Im gesamten Zeitraum der Jahre 1988 und nachgegeben, und so einigte man sich auf 1989 hatte die Opferbilanz 93 bzw. 221 To­ Tschechische und Slowakische Föderative te verzeichnet. Diese Angaben machte der Republik (CSFR). sowj etische Innenminister Wadim Bakatin Bei den Wahlen zum Nationalparla­ in einem in der Prawda veröffentlichten ment erreichten Vaclav Havels Bürgerfo- t u * Interview. rum und die slowakische Schwesterpartei ☆ Öffentlichkeit gegen Gewalt die absolute Bei den Wahlen in Bulgarien ist es der In­ Mehrheit. Der von den Demoskopen vor­ teressenvertretung der bisher unterdrück­ ausgesagte Einzug der Sozialisten, Sozial­ ten Türken, der Partei für Recht und demokraten und Grünen scheiterte an Bei den Gemeindewahlen am 6. Mai in Freiheit, gelungen, mit knapp sechs Pro­ der 5-%-Klausel. Die Slowakische Na­ Südtirol stellte sich erstmals das im ver­ zent der Stimmen auf Anhieb ins bulgari­ tionalpartei, der man Erfolglosigkeit bei gangenen Jahr gegründete Bündnis Union sche Parlament zu kommen. D ie elf A b­ den Wahlen zur Volkskammer und der für Südtirol den Wählern. Der Zusam­ geordneten werden von dem Universitäts­ Nationalitätenkammer prophezeite, lag menschluß aus Südtiroler Heimatbund, lehrer Ahmed Dogan angeführt. in der Wählergunst allerdings über 5% den Freiheitlichen und unabhängigen und schaffte den Einzug in beide Kam­ SVP-Dissidenten stellt mit Dr. Eva Klotz, ☆ mern. Dr. Alfons Benedikter und Gerold Mera- ner auf Landesebene die zweitstärkste po­ litische Kraft dar. A uf Gemeindeebene will die Union die Übermacht der Südtiro­ Kurznachrichten ler Volkspartei (SVP) ihrer Kontrolle un­ terziehen und mehr Basisdemokratie in Ungarn trägt der neuen deutschen Situa­ bracht. So plädierte Münchner CSU-Pro- den kommunalen Vertretungen verwirkli­ tion Rechnung und läßt sich nur noch minenz für die Gleichzeitigkeit von Lan­ chen. Die Hauptziele der Union für Süd­ durch einen Botschafter vertreten. Der des- und Bundeshauptstadt mit Sitz an der tirol sind »der Schutz und die Erhaltung Botschafter Ungarns in der Bundesrepu­ Isar, der Bonner OB schlägt seine Provinz­ unserer Heimat, politisch und umweltmä­ blik, Istvän Horvath, wird für die Über­ stadt erneut — wohl aus Gewohnheits­ ßig. Der gemeinsamen Gestaltung der Ge­ gangszeit sein Land auch im anderen Teil recht — zur Wahl vor, Frankfurt am M ain meindepolitik und der Verbreitung der Deutschlands repräsentieren. Während wird von Hessens Ministerpräsident Wall­ Idee des Selbstbestimmungsrechtes auf sich die neugewählte DDR-Regierung so­ mann in die Diskussion gebracht und mit breitester Basis m uß deshalb große Bedeu­ gar einen Entwicklungsminister leistet, der Revolution von 1848 begründet. Daß tung beigemessen werden.« zeigt der ungarische Staat mehr Realitäts­ vierzig Jahre Provisorium bei den Men­ Trotz der massiven Einschüchterung der sinn. schen Zustimmung finden, läßt schließlich SVP schaffte die Union für Südtirol, in 49 ☆ der Bonner »General-Anzeiger« erfragen; Gemeinden anzutreten, und gewann mehr M it der Vereinigung scheint auch das Rus­ natürlich kommt er zu dem erwünschten als fünfzig Mandate. sische als Fremdsprache von deutschem Ergebnis. Alle Anti-Berlin-Stimmen müs­ Das Mißtrauen und der Unm ut gegen Boden zurückgedrängt zu werden. Die sen sich allerdings gefallen lassen, daß bei die vorherrschende Südtiroler Volkspartei Abneigung im ändern deutschen Staat den Menschen nur zwei Städte überhaupt in der Gemeindepolitik kam jedoch nicht machte sich längst an der schleichend in Frage kommen: Bonn und Berlin. Eine so sehr der auf Landesebene entstandenen praktizierten Lernverweigerung sichtbar. Umfrage des Instituts für Demoskopie in Union für Südtirol, sondern vielmehr den Die Russischlehrer der D D R fürchten, im Allensbach ergab eine absolute Mehrheit zahlreichen neuentstandenen Bürger- und künftigen Deutschland zur Untätigkeit von 51,6 °7o für die ehemalige Reichshaupt­ Dorflisten zugute, die die Verluste der verurteilt zu werden. Stärkeres Interesse stadt, ein passables Ergebnis von 26,3% SVP meist ganz für sich verbuchen konn­ war allerdings in den letzten Jahren in der für die BRD-Machtzentrale, aber nur ten, so in Percha (3 Mandate), Sarntal (2), Bundesrepublik zu verzeichnen. 2,5 % für Alternativvorschläge: Frankfurt St. Martin I.P. (4), Mals (4), Villanders ☆ 1 %, München 0,6 %. Leipzig, Augsburg (3). In Ulten verlor die SVP fast ein Viertel Das Wetteifern um die Hauptstadt eines und Regensburg finden keinerlei Zu­ ihrer Sitze zu gleichen Teilen an eine Bür­ zukünftigen Gesamtdeutschlands hat bis­ stimmung. gerliste und die Union. her schon sonderbare Blüten hervorge­ Zur Diskussion

Johannes Vollmer Welcher Nationalismus?

Zum erstenmal nach dem Krieg ist die Lage in und im albanischen Kosovo ihren Fortgang neh­ Europa »instabil«. Die alte verfestigte politische men. Wird jedoch von Politikern und politischen Ordnung weicht — eine Ordnung, die in falscher Kommentatoren die Erhebung des Volkes, der Ruf ideologischer Besetzung der Begriffe gegenseitige nach Freiheit und Demokratie mit hehren Worten Vernichtungsandrohung und die Teilung der Blöcke gefeiert, so wird sogleich immer dann der warnende »stabil« nennen durfte. Diese Aufweichung ist nicht Zeigefinger erhoben, wenn diese Völker eigenes na­ allein das Verdienst der Gorbatschow-Politik, son­ tionales Selbstbewußtsein anmelden. Die Unsicher­ dern zugleich all jener »W ir sind das Volk «-Demon­ heit, wohin nach 40 »stabilen« J ahren die Reise nun strationen, die im Baltikum anfingen, auf die DDR, geht, beherrscht die Gemüter. die Tschechoslowakei und Rumänien Übergriffen

Besonders in D eutschland gehört es zur und die Zerstörung gewachsener Tradi­ »Es ist ein Problem des Westens zu Pflege linken Tugendgutes, aufkom­ tionen verantwortlich waren. Der neue verstehen, was wir m it Nationalismus mende nationale Bestrebungen zu ver­ Sowjetmensch, der sowjetische Patrio­ meinen. Die Deutschen verstehen es dammen — verständlich aus einer Ge­ tismus: abstrakte, unmenschliche Idea­ nicht oder verstehen es falsch«, sagt der schichte heraus, die zum Warnen allen le, die sich als Fiktionen erwiesen ha­ litauische Schriftsteller Sigitas Geda, Grund gibt. Doch die fatale Trennung ben. Es ist viel mehr als »Demokratie«, Mitglied im Vorstand der Volksfront von demokratischer und nationaler Be­ was hier zurückgewonnen wird. Die »Sajudis«. »Offen über die vernichte­ wegung, in der deutschen Geschichte spätstalinistischen Fassaden bröckeln, te Natur und Kultur reden« — dies bereits in der zweiten Hälfte des 19. werden zerschlagen, mit Macht kehren bezeichnet der »Sa/Mefa«-Vorsitzende Jahrhunderts mit ihrer konservativen die Verwurzelungen der Menschen, ihre Landsbergis als den Kern der nationalen Nationalstaatsbildung verankert, kann tiefen kulturellen Bindungen zurück. Wiedergeburt. Unglaubwürdig klingen nicht Maßstab sein für andere Länder Die Völker erobern sich ihre historische heute die Warnungen derer, die die neu­ und Völker. Identität wieder. Ernst Bloch hatte en Volksbewegungen an die Einhaltung Dabei sollten die besorgten Warner schon in den 30er Jahren darauf auf­ von M inderheitenrechten erinnern wol­ vor nationalem Wiedererwachen doch merksam gemacht, daß Nation und len, doch nie die Russifizierungspolitik stutzig werden über die merkwürdige Volk Begriffe sind, die von einem fal­ Breschnews oder die Rumänisierungs- politische Nachbarschaft, in der sie sich schen marxistischen Fortschrittsdeter­ politik Ceausescus zum Gegenstand ih­ wiederfinden. Der Mai-Aufruf der so­ minismus nicht besetzt wurden (trotz rer Kritik machten. wjetischen Führung letztes Jahr gegen ihrer ursprünglichen, revolutionären Die Nationalbewegungen in den west­ »Nationalismus und Chauvinismus«, Bedeutung) und ebendaher vom Fa­ lichen Republiken der UdSSR sind für die »Traditionen des sozialistischen schismus ausgenutzt werden konnten. friedlich verlaufen, in Estland spricht Internationalismus und des sowjeti­ Der eigentliche reißende Wolf des man von einer »singenden Revolution«. schen Patriotismus« (!) war nicht das »Nationalismus«, so wird nun ersicht­ Eine estnische Zeitung schrieb über das letzte Beispiel von Versuchen, die alten lich, war ebenjener Stalinismus, der im Sängerfest in Tallinn im Juni 1988: »Die Formeln der Stalin- und Breschnew-Ära Schafspelz des Internationalismus ge­ singende, sich rhythmisch bewegende gegen die stärker werdenden Demokra­ gen den »bourgeoisen Nationalismus« glückliche Volksmenge, Dutzende und tie* und Nationalbewegungen zu mobili­ predigte und Russifizierung (in der So­ Dutzende wehender Nationalfahnen, la­ sieren. Des Griffs in die Mottenkiste wjetunion), Rumänisierung (in Rumä­ chende Gesichter, Eintracht, keine Miß­ spätstalinistischen Vokabulars bediente nien), Bulgarisierung (in Bulgarien) gunst und Feindschaft, im Herzen nur sich noch Gorbatschow, als er, ablen­ usw. meinte und praktizierte, andere ein Wort: Estland! Einen Film von dem, kend vom Fehlschlag eigener Politik in Nationalitäten und Minderheiten unter­ was dort geschah, sollte man im Fernse­ der Karabach-Frage, Gewalt gegen »Ex­ drückte. Es ist dieser Nationalisierungs­ hen über die ganze Sowjetunion verbrei­ tremisten, Vandalen und Kriminelle« im prozeß, der seit 1987 Schritt für Schritt ten. Dann würde man vielleicht nicht transkaukasischen Konflikt forderte. von den unterdrückten Völkern zurück­ versuchen, angetrieben von provokato­ Auch die baltischen Völker, die mol- gedreht wird — mit dem Recht, das Un­ rischen oder einfach dummen Hetzern, dawische Bewegung wurden regelmäßig terdrückte für sich in Anspruch neh­ uns anzuprangern als Nationalisten, Ziele solcher Angriffe. Eins schon ha­ men zu dürfen. Feinde des Sozialismus, Faschisten und ben diese Vorwürfe des Nationalismus, In Lettland ist der Anteil der Letten weiß der Teufel was sonst noch. Ein Extremismus, Separatismus, Vandalis­ an der Gesamtbevölkerung durch Russi­ Volk, das singend und lachend eine Re­ mus mit dem der Konterrevolution ge­ fizierung auf unter 50 Prozent gesun­ volution macht, sollte ein edles Vorbild mein: Ihre Funktion ist die Ausschal­ ken. Wiederherstellung der eigenen kul­ für alle sein.« Die ukrainische Volks­ tung und Kriminalisierung des Gegners, turellen Identität, Behebung der durch front bemüht sich um die polnisch­ Vorwürfe statt Erklärungen — wo an­ Zentralismus und korrupte Wirtschaft ukrainische Aussöhnung, die litauische gesichts dieser Nationalitätenkonflikte verursachten katastrophalen Umwelt­ »Sajudis« um eine Verständigung mit Ursachenerklärungen doch am ehesten schäden, Minderheitenrechte, Gewalt­ Polen und der eigenen polnischen Min­ gefragt wären. absage, Demokratie und Rechtsstaat­ derheit, soeben haben sich die balti­ Zertrümmert wurden von den Völ­ lichkeit sind in den Programmen der schen Volksfronten als Vermittler im kern des Ostens stalinistische Überwa­ meisen Volksfronten verankert, sie be­ armenisch-aserbaidschanischen Kon­ chungssysteme, Systeme, die für De­ greifen sich als »Schulen der Demo­ flikt eingeschaltet. Nationalismus? portationen, Zwangskollektivierungen kratie«. Bei minus 45 Grad Celsius im Wind tesmann: ein Mann, der die Bibel bleiben draußen die Autos stecken, beim Wort nimmt, sich nach Römer friert bei weltlichen Nachbarn die nicht der Welt gleichstellt, nach Moses Wasserleitung ein. Doch Männer wie fruchtbar war und mit 15 Kindern, den alten »Diener am Wort« Tobias 132 Enkeln und vorerst 54 Urenkeln stört das eine so wenig wie das andere. die Erde füllte, der laut Auftrag der »Gestaltet euch nicht nach dieser Apostelgeschichte mit seinem Näch­ W elt!«, liest er als Prediger, als Expe­ sten zu einem Herz und einer Seele riment Gottes im Römerbrief nach. verschmolz und sein Land im Schwei­ Und die Amischen — als Taufgesinnte ße seines Angesichts beackert.

Amischfarm in W isconsin: Das Wohnhaus dient der Gemeinde für den G ottesdienst. (Foto: Längin) Anhänger einer altevangelischen Mär­ Außenseiter im religiösen, tyrerkirche, trotzdem weder katho­ Deutsche im ethnischen lisch noch evangelisch — haben sich und kulturellen Sinne ihre eigene Welt geschaffen. Eine zweite Arche Noah für das Meer der Der Tobias von der Cuba Road, ein weltlichen Sünde, in der das Auto ge­ Amischer, der weit eher eine Tradition nausowenig gelitten ist wie das flie­ als ein Zeitgenosse ist. Ein Außensei­ ßende Wasser im Haus. ter im religiösen, doch ein Deutscher Erscheint den amischen Vordenkern im ethnischen und kulturellen Sinne. doch beides selbst 1990 Jahre nach Ein Mann auf einer der letzten ech­ Christi Geburt noch als »zu weltlich«, ten deutschen Sprachinseln der Neu­ damit gewissermaßen » vom Teufel«. en Welt, der in einem Idiom redet, Genauso wie etwa auch der Knopf am das mir absolut vertraut ist: »Kensch Kleid, das elektrische Licht, das M u­ d ’B ibel? — Weisch was Grundbeere, sikinstrument, der Fernsehapparat, gäle Rübli sin, was en Kaschte, en die Kamera, der »Nasenbart«, der G aul isch? ... dann bisch en Düt- Teppich auf dem Boden oder die Part­ scher.« Ein Deutscher, was bei den nerwahl nach Fleischeslust. Wer sich Frommen auch heute noch so viel be­ ihrer im Amischland bedient, wird deutet, daß sie mich in der Mitte zwi­ Foto: Bernd G. Längin Im vergangenen Herbst hatte sich mit radikaler Isolation — mit Bann schen »unsre Sort Lüt« — also den Bernd G. Längin und Meidung — bestraft. Mit ihm Amischen — und » d ’annere Sort L ü t« der Wollwurm schwarz verfärbt. darf nicht mehr geredet, gegessen, ge­ einstufen, damit in jedem Falle noch Für die Amischen vom Allen Ohne Autos abseits der »Sündenwelt«: schweige denn geschlafen werden. vor jenen Vertretern aus der Welt » der County, im Bibelgürtel des US- Und für den Sünder gibt es dann auch Augen- und Fleischeslust und des hof- Staates Indiana, das sicherste Zei­ kein ewiges Leben nach dem Tode färtigen Lebens«, mit denen die Ami­ chen dafür, daß dieser Winter kalt mehr. schen vom Allen County nichts zu tun Die Amischen — werden würde. Doch »kalt« war Mit Tobias stehe ich dort, wo die haben wollen. für die radikalen deutschen Bi­ Cuba Road die Farmen der Frommen Natürlich war auch ich für den To­ belchristen jetzt die größte Unter­ von jenen der Rest weit trennt. Tobias bias, für die vom Allen County, ein die letzten einer alten treibung, seit Noah einmal aus der Schmücker, so etwas wie die personi­ »mit der Kindstaufe Betrogener«, Arche schaute und sagte: »Es fizierte Reformation, tief im Korsett doch eben auch »ein Auswendiger aus oder die ersten einer neuen Welt? regnet.« aus Bauerntum, Familien- und Got- dem aalt L and«, der »Grundbeere« sa- gen konnte, der jenes eingefrorene In historisch-hysterischen Tagen ternative zum katholischen Mönchs­ Alemannisch verstand, das die Altvä­ ging die Täuferbewegung von der system zu errichten. Eine Alterna­ ter der Amischen einst über den At­ Schweiz aus, erfaßte trotz fürchterli­ tive, die sie heute für die Welt zu lantik gebracht hatten. Diese Sprache cher Pogrome große Teile Deutsch­ einem kulturhistorischen Raritäten­ ist etwas, was im Amischland noch lands. War es jetzt doch — so die kabinett macht. zählt, denn Alemannisch ist hier frühen Amisch-Chronisten — »der Amman predigte für ein Leben als »d’Muttersproch, um d’Mutter zu eh­ Herr selbst, der seine Kinder mit un­ auserwähltes Volk — Gottes zweite re«. Ganz abgesehen einmal davon, aussprechlicher Lust zeugte« ... gerade Wahl nach Israel — ein radikales An­ daß Gott hier nicht nur ein Täufer, auch im Durlacher Gebiet, wo man derssein (darunter absolute Gewaltlo­ sondern daß er in jedem Fall auch bereits um das Jahr 1527 Täufergrup­ sigkeit, Bann und Meidung, Demut deutschsprachig wie die Amischen ist. pen registrierte. Von Markgraf Phi­ als Tugend der Tugenden, Hochmut Daneben war ich ein »Auswendi­ lipp mit einem Mandat zu ihrer Aus­ als Inbegriff des Sündigen, tätige ger«, der den Gräbers, Sauters, Kauf­ rottung verfolgt, wurden bis 1531 al­ Nächstenliebe nach dem Vorbild der manns oder Schmückers erklären lein in Durlach zwölf Täufer wegen Urchristen). Seine minutiösen Verhal­ konnte, wo etwa »Durlach im aalt ihres Glaubens hingerichtet. Andere tensregeln waren es dann, die der Ge­ Land« liegt. Greifen die Frommen versuchten sich, wie Schlachtvieh ge­ meinde das Überleben sicherten, doch praktisch noch täglich zu einem trieben, der Verfolgung durch die wenn auch nur in der Emigration. Wälzer mit dem Titel »A usbund«, Flucht nach Mähren zu entziehen. Denn als es billiger geworden war, sich dem ältesten protestantischen Gesang­ Rund 100000 Amische, die unge- einen Passagierschein für die Fahrt buch, aus dem heute noch gesungen tauften Kinder und Kindeskinder ein­ über den Atlantik zu kaufen, als sich wird. Und gerade dieser »A usbund« gerechnet, leben heute in den USA fortwährend etwa vom Wehrdienst ist es, der — neben der Umgangsspra­ und Kanada — »in der Welt, doch freizukaufen, zogen die Amischen übers Meer. In Europa gibt es sie heu­ te nicht mehr. »Kensch d'Bibel? — Weisch was Dem amerikanischen Grundbeere, gäle Rübli sin, was en Schmelztiegel widerstanden

Kaschte, en Gaul isch? ... dann In Amerika sollte es den Frommen dann wie keiner anderen Volksgruppe bisch en Dütscher.« gelingen, sich dem amerikanischen Schmelztiegel, aber auch der Gleich­ che — unwillkürlich ein Band vom nicht von ihr« — : eine Gruppe von schaltung durch die technologische Allen County über den Atlantik zu­ Verwandten in Erwartung des zweiten Massenzivilisation zu widersetzen. rück auch ins Badische zieht. Die älte­ Kommens des Herrn, Menschen wie Dort, wo Ammanns Nachkommen sten »Ausbund«-Litdcr stammen von alten Bauernkalendern entstiegen, die heute leben — konzentriert in den US- flüchtenden Täufern aus den Ämtern das Hollywoodspektakel »Der einzige Staaten Ohio, Pennsylvania und In­ Durlach und Bruchsal, »in Kerkern Zeuge« kürzlich erst weltweit bekannt diana, nicht selten in der Nähe von faulenden, zu Pulver verbrannten und damit endgültig zu einer der ganz Märtyrerchristen«, die ab 1535 in Pas- großen amerikanischen Touristenat­ sauer Haft saßen, dort in Erwartung traktionen gemacht hat. Doch Men­ der Vollstreckung ihrer Todesurteile schen, die als die Leisen in einem dann mit apokalyptischer Phantasie lauten Land eigentlich unsichtbar dichteten, was den Frommen heute zu bleiben wollen, denen der gnadenlose ihrer Identitätserhaltung unverzicht­ Touristenrummel zu einem rechten bar ist. Greuel vor Gott geworden ist. Die Amischen sind späte Nachkom­ men der Schweizer Brüder, der ersten Gottes zweite Wahl nach Israel Freikirche auf deutschem Boden. Ihre Geburtsstunde sehen sie im ersten Nicht, daß sie die einzigen radikalen Pfingsttag in Jerusalem, ihre Neuge­ Christen täuferischer Prägung in der burt dann im Jahr 1525, als in Zürich Neuen Welt wären. Täufer in der Tra­ eine Gruppe von Männern vom linken dition der Schweizer Brüder gibt es Flügel der Reformation — primär hier inzwischen in allen Abstufungen Schülern Zwinglis — darangegangen der religiösen Verdünnung. Doch die war, die alte Kirche, aber auch ihre Amischen verdanken ihre Eigenart Reformer zu reformieren. Die Neu­ einer frühen Spaltung innerhalb der gläubigen traten vordergründig für die Gruppe. Zurück im elsässischen Exil, Trennung von Kirche und Staat ein, war ihren Vorfahren gegen Ende des verwarfen besonders augenfällig die 17. Jahrhunderts der strenge täuferi- Kindstaufe zugunsten der bewußten sche Hauptstrom nicht mehr streng Glaubenstaufe als Ausdruck der frei­ genug gewesen, worauf sie sich unter willigen Trennung von der Welt, wo­ Führung des Schweizer Predigers Ja­ In der Welt, doch nicht von ihr: Amische für man sie dann auch Wiedertäufer kob Amman von ihm absetzten, um lehnen den »Fortschritt« ihrer Umwelt (Anabaptisten) nennen sollte. so etwas wie eine protestantische Al­ prinzipiell ab. (Foto: Längin) Orten mit Erinnerungsnamen wie dieren, gegen staatliche Sozialversi­ bereiten, dabei völlig anders zu sein Mannheim, Heidelberg oder Straß­ cherungen oder gegen Touristen. Und als der moderne Mensch unseres Jahr­ burg —, repräsentieren sie somit eine sie gehen bis heute für das, was sie hunderts. Musterkollektion deutscher Einwan­ glauben, willig ins Gefängnis. Etwa derer des 18. und 19. Jahrhunderts, dann, wenn man Amischkindern welt­ Bernd G. Längin aber eben noch aus dieser Zeit. liche Schulmethoden oder amischen 1941 geboren, war Ausländskorrespon­ Nicht, daß man sie hier viel besser Kutschern weltliche Verkehrszeichen dent in Asien, 1965— 1969 Redakteur in verstünde als einst in Europa. Wo die aufzwingen will. W in dhoek/Nam ibia, ab 1969 Chefre­ Frommen ihre alten Kostüme auf Dabei versuchen die Frommen in­ dakteur der Courier-Gruppe in W inni­ Amerikas moderne Straßen bringen, zwischen längst nicht mehr, den Welt­ peg/Kanada, seit 1983 Korrespondent in Kanada, seit 1985 Chefredakteur des werden sie gerne mit etwas Rückstän­ lichen ihre ganz persönliche Hölle vor »G lob us«, herausgegeben vom Verein digem, Deutschem, Muffig-Reservier- Augen zu halten; damit all jenen, die fü r das Deutschtum im Ausland e.V. in tem, zum Untergang Verurteiltem as­ außerhalb von Noahs Arche leben. Bonn. Längin lebt seit 1969 in Nord­ soziiert. M it etwas, wo jeder Mann Man ist zu einer Familienkirche ge­ amerika. 1982 erhielt er den Friedrich- einen Bart, einen Hut, ein halbes Dut­ worden, die nicht mehr reformiert, List-Preis des Landes Baden-Württem­ zend Pferde, jede Frau ein weißes Amische werden heute nur noch gebo­ berg für »besondere journalistische Häubchen, ein Dutzend Kinder und ren, nicht mehr »gem acht«. Um was Leistungen im Ausland«. Wichtige Veröffentlichungen: Germ an­ das nächste bereits wieder unter der die Frommen die Welt bitten, ist ein­ town — auf deutschen Spuren in Nord­ Schürze hat. Man nennt diese uname­ zig und allein das Verständnis für die amerika (1983), Die Hutterer (1986), rikanischsten Amerikaner dafür auch eigene Reform. Für eine Kunst, sich Die Amischen (1990). schlicht »einfache Leute« (plain peo- im Zeitlichen für das Zeitlose vorzu­ ple) und toleriert sie als solche.

Deutschland — Mutterland der Amischen Das Buch zum Thema

Wo die Amischen leben, bedeuten sie »Mir welles nüt!« ist die schlichte aber rechten Bibelchristen — die bei ihren trotzdem Kraftfutter für Märchener­ eindeutig ablehnende Antwort der amerikanischen Zeitgenossen mit zähler, wobei gerade ihre traditionelle Amischen, wenn die aufdringlichen Rückständigkeit, Deutschem und Bindung an Deutschland noch häufig Touristen mit schußbereiter Linse auf Muffig-Reserviertem, das zum Unter­ genug eine Rolle spielt. Denn dieses Objektsuche gehen. Im Amischland ist gang verurteilt sei, gleichgesetzt wer­ Deutschland — kein politisch um­ es seit dem Spielfilm »Der letzte Zeu­ den — als christliche Fundamentali­ grenzter Raum, da auch die Schweiz ge« — mit ungewollter Popularität — sten, die sich durch autoritäre Struktu­ oder das Elsaß damit gemeint sein der Amische selbst, der von den Reise­ ren, ohne die ihr Gemeinwesen nicht können — ist für die Amischen so et­ bussen aus ganz Nordamerika belagert existieren könnte, gegen jede Art von was wie das Mutterland geblieben, wird. In manchen Gegenden ist ein un­ Relativierung der Glaubensinhalte dem Amerika als Stiefmutter gegen­ beschwertes Leben kaum noch mög­ strickt zur Wehr setzen. Ihr völliges übersteht. lich. Und so vergleicht Bernd G. Desinteresse an weltlichem Geschehen Die Amischen wiederum haben sel­ Längin die Situation der Amischen und Mitleid mit den kaputten Men­ ten etwas Gutes über jene Welt zu sa­ mit der der Akropolis: »Ein paar Jah­ schen dieser ihnen fremden Welt ist ge­ re Tourismus haben ihnen mehr ge­ gen, in der nach ihrer Meinung die paart mit Unbeschwertheit und schadet als ein paar Jahrhunderte »Weibernerschlager, Hurer, Götzen­ Natürlichkeit. zuvor.« Doch ihren Lebensstil, ihre diener oder Totschläger« zu Hause selbstaufgezwungene Bescheidenheit sind. Und so lesen sie in ihrem »A us­ konnte man ihnen bisher nicht austrei- bund« nach, zu was diese Welt fähig ben. Der Autor beschreibt deren Leben ist, beten dazu auch weiterhin noch an so anschaulich, daß »sich deutschtü- jedem Tag, was Täufer seit rund 450 melnde Romantiker einfach wie zu Jahren beten: »Herrgott himmlischer Hause fühlen müssen«, bekennt der Vater, laß uns nicht sein wie diese bei den Amischen von Allen County Welt ...« gern gesehene Längin, der als Kindge­ Um anders zu sein, verlassen sich taufter sich in dem von der Bibel ge­ die Frommen vom Allen County dann prägten Tages- und Lebenslauf als ein auch in einem eiskalten Winter lieber Weltlicher »in einem Kreis von Heili­ auf eine Pferdestärke als auf 100 PS, gen« fühlt. Als ein Vertreter der Welt der Augen­ da Christus sein Kreuz selbst bei mi­ Dem Autor gebührt das Verdienst, eine lust und des Eigennutzes erweckt der nus 45 Grad im Wind getragen habe. sich über Jahrhunderte wiederholen­ Autor zwar Mißtrauen — steht er Und in seiner Nachfolge will man ste­ de, aber kaum veränderte religiöse doch, bei dessen Evangelischsein es hen. Um anders zu sein, führen sie als Gesellschaft in dem Augenblick be­ sich um einen Zufall der Geburt han­ Pazifisten, die in keinem von Ameri­ schrieben zu haben, wo sie droht, doch delt, auf einer Stufe mit Hurern, Räu­ kas Krieg kämpften, auch weiterhin verweltlicht zu werden. bern und Götzendienern —, weil er ihre ureigenen, völlig gewaltlosen sich jeoch »in unserem Dütsch« aus­ Kriege: vor allem um ihre Kinder und Bernd G. Längin: Die Amischen. Vom zudrücken weiß, findet der Alemanne gegen Schulbehörden, gegen neuzeitli­ Geheimnis des einfachen Lebens, 336 bei ihnen ein offenes Ohr und Sympa­ S., 32 Farbtafeln, geb. m. Schutzum­ che Erkenntnisse, die mit ihrem fun­ thie. Längin beschreibt diese auf­ schlag, München: List Verlag, 1990. damentalistischen Bibelglauben kolli­ Marcus Bauer einer solchen Strategie könnten die könnten sicher sein, daß die Mei­ Unabhängigkeitsbestrebungen einzel­ nungsmacher der Wertegemeinschaft Litauen — ein Lehrstück in sachen politischer Moral ner Republiken nützlich sein, und es uns den Hitler-Stalin-Pakt von früh wäre angebracht, diese durch lautstar­ bis spät um die Ohren hauen würden! ke Propagierung irgendwelcher demo­ Ob wir Deutschen uns also unserer hi­ Das knapp 3,5 Millionen Einwohner zählende kleine A ngesichts eines solchen Vorganges sollte man kratischer Ideale zu unterstützen. Auf storischen Verpflichtungen zu entsin­ Land an der Ostseeküste ist die erste von 15 Sowje­ erwarten, daß »der Westen«, der sich im allgemei­ der anderen Seite aber ergibt sich mit nen haben oder nicht, hängt offen­ trepubliken, die es gewagt hat, nun ganz offiziell ihre nen über seine »gemeinsamen Werte« zu definieren Gorbatschow und seiner Perestrojka sichtlich ganz davon ab, in welchem Loslösung von Moskau zu erklären. Die Proklama­ pflegt und darauf seinen Alleinvertretungsanspruch für den Westen auch die einzigartige Maße dies in der jeweiligen Situation tion der eigenen Unabhängigkeit kann sich auf das in allen das Schicksal der Menschheit betreffenden Chance, die UdSSR gleich als Ganzes für zweckmäßig erachtet wird. allgemein anerkannte Prinzip des Selbstbestim­ Fragen stützt, einhellig und mit Nachdruck dem le­ einzukaufen, womit deren großräumi­ Natürlich können wir auch davon mungsrechts der Völker stützen und kam durch den gitimen Anliegen der Litauer vorbehaltlose Unter­ ger Herrschaftsapparat in modifizier­ ausgehen, daß die westlichen Politiker Beschluß eines frei gewählten Parlaments zustande. stützung zukommen läßt. ter Form übernommen, ein solcher innerlich darauf vorbereitet sind, im also in dem gewaltigen von der So­ Falle einer Zuspitzung der Situation Dies um so mehr, als die Moskauer Aber seltsam: Ob nun russische fester machtpolitischer (und natürlich wjetunion umschlossenen Territorium mit öffentlich bekundeter »Besorg­ Herrschaft über das Baltikum be­ Panzer durch die Hauptstadt der Re­ auch ökonomischer) Vorteile zu Argu­ vom Westen selbst gar nicht erst neu nis«, eventuell gar mit »Warnungen« kanntermaßen auf den Kuhhandel publik Litauen rollen, sowjetische mentationshilfen instrumentali­ aufgebaut werden müßte, was ohne­ an die Adresse Moskaus zu reagieren zweier Diktatoren zurückgeht, die im Fallschirmjäger die Zentrale der ab­ siert werden können, daß die eher­ hin nur eine — nicht zuletzt im Hin­ (wie jüngst beim Treffen zwischen westlichen Weltbild der besseren An­ trünnigen litauischen KP besetzen, li­ nen Werte des Westens also keines­ blick auf die deutsche Entwicklung — Bush und Thatcher geschehen). Wirk­ schaulichkeit wegen gleichsam die tauische Kriegsdienstverweigerer ge­ wegs in sich ruhen und jeder Politik unliebsame, instabile Durchgangspha­ same PR-Maßnahmen zur Wahrung Rolle personifizierter Antithesen zum waltsam aus ihren Verstecken geprü­ gebieterisch den Weg weisen, sondern se mit sich bringen würde. Die betrof­ D er Status-quo-Gegner Landsbergis des Anspruchs auf moralische Über­ liberalen, humanen, demokratischen gelt werden oder Gorbi Wirtschafts­ allenfalls zu höchst pragmatischer fenen Völker sind dann so lange ihrem legenheit gehören schließlich zum etc. Westen einnehmen. Und da die sanktionen erläßt — der demokrati­ Handhabung je nach Bedarf heran­ Schicksal überlassen, wie das ohne Volkes gefährden. Die ansonsten bis Handwerkszeug demokratischer Poli­ westlichen Länder in Sachen Deutsch­ sche Westen gibt sich in einer der Be­ gezogen werden. Gesichtsverlust für die »Demokraten« zum Überdruß unter Verweis auf den tiker. Zu bedeuten hat das nichts. Er­ land ihre auf den Zweiten Weltkrieg deutung der Ereignisse wahrlich un­ Es läßt sich ungefähr erahnen, zwi­ eben möglich ist. Zweiten Weltkrieg betonte »histori­ innern wir uns: Wie groß war doch die und die Hitlerzeit Bezug nehmende angemessenen Weise bedeckt. schen welche Optionen die westlichen Letztere Option scheint derzeit in sche Verantwortung« und »morali­ Empörung seitens der führenden Köp­ moralische Empfindsamkeit sehr Sollte das individuelle Wahrneh­ Planungsstäbe hinsichtlich des sowje­ der litauischen Angelegenheit zum sche Verpflichtung« Deutschlands fe im Westen, als im letzten Sommer wohl zur Geltung bringen und hieraus mungsvermögen durch die allgemeine tischen Nationalitätenkonfliktes die Tragen zu kommen. Dies gilt freilich spielt hier offensichtlich keine Rolle. die greisen chinesischen Parteifür­ eine gleichsam höhere Legitimation Begeisterung über den Triumph des Wahl zu treffen hatten: Entweder man nicht nur für die »klassischen« Län­ Ihrer wird vorwiegend dann gedacht, sten demokratiebewegte Studenten ableiten, beim Prozeß der deutschen Westens im Wettstreit der Systeme fördert den Auflösungsprozeß in der der des Westens, sondern auch für de­ wenn es bei den Mächtigen dieser niederkartätschen ließen! Inzwischen Einigung mitzureden, wäre doch an­ noch nicht gänzlich getrübt worden UdSSR, um nach dem Salamiprinzip ren deutschen Zögling, die Bundes­ Welt Wohlgefallen hervorrufen soll! spricht niemand mehr davon, und die gesichts der Vorgänge in dem durch sein, möchte man sich glatt in der ket­ ein Stück nach dem anderen aus dem republik. Nachdem nämlich der Es spricht in diesem Zusammen­ Geschäfte laufen längst wie vorher — den Hitler-Stalin-Pakt seiner Freiheit zerischen Annahme bestätigt fühlen, Imperium herauszubrechen und dem Kreml im großen und ganzen grünes hang sehr für die moderate Haltung so als wäre nichts gewesen. verlustig gegangenen Litauen eine be­ daß im Westen moralische Erwägun­ Westen anzugliedern, bis das Sowjet­ Licht für die Absorption der DDR der Litauer, daß sie trotz ihrer ohn­ Angesichts solcher Eindrücke müßte sonders tiefe Betroffenheit des sensi­ gen bei politischen Entscheidungen reich in seinen Grundfesten erschüt­ durch die BRD gegeben hat, sind Rei­ mächtigen und verlassenen Situation es schon als ein Beitrag zur Läuterung blen westlichen Gerechtigkeitssinnes nur dann besonders betont werden, tert ist und letztlich aufhört, als Su­ bereien mit Moskau höchst uner­ noch nicht dazu übergegangen sind, der politischen Kultur gewertet wer­ zu erwarten. wenn sie beim Herausschlagen hand­ permacht zu existieren. Im Rahmen wünscht. Bonn möchte die sich bie­ die deutsche Politik in die moralische den, würde sich ein ranghöher westli­ tende Möglichkeit einer Ausdehnung Pflicht nehmen zu wollen, obschon cher Funktionsträger dereinst vor die und Machtzunahme eben nicht durch der Hitler-Stalin-Pakt hierzu sehr Öffentlichkeit stellen und rundheraus unprofitable Stellungnahmen zugun­ wohl einen Anlaß böte, wie denn auch erklären, daß seinem ganzen Stand alle sten eines kleinen, unbedeutenden ein solches Vorgehen in verzweifelter hehren Ideale letztlich gleichgültig Lage gewiß mehr wäre als sind, wenn es um machtpolitischen nur ein schäbiger Propa­ und ökonomischen Zugewinn geht. gandatrick. Und da der We­ Mit einem derartigen Eingeständnis je­ sten sich in dieser Angele­ doch dürfte kaum zu rechnen sein, genheit dazu entschlossen müßte es den Westen doch ideologisch hat, vornehme Zurückhal­ entwaffnen und zudem eine tiefe Er­ tung walten zu lassen, wer­ schütterung im seelischen Gefüge der den wir auch von dort her Wertegemeinschaft verursachen. Denn vor einer Konfrontation mit ein zentraler Wesenszug verlogener Ge­ dieser historischen Erblast sellschaften besteht nun einmal darin, verschont. Hätten sich die daß sie dann in eine Krise geraten, Planer und Strategen der wenn das, was unterschwellig ohnehin westlichen Welt aus ihrem allgemein bekannt ist, auch offen aus­ machtpolitischen Kal­ gesprochen wird! kül heraus freilich anders, So bestätigen die Ereignisse in und also zugunsten der Litauer um Litauen ein weiteres Mal, was sich anhand der Geschichte der letzten 200 Jahre belegen läßt: Nicht edle Absich­ Noch heute verursacht die U n­ ten, nicht Freiheit, Demokratie und freiheit des Baltikums durch Menschenrechte sind die Substanz der den Hitler-Stalin-Pakt im We­ angeblich so überlegenen »politischen sten Betro ffenheit. Stürzt der sowjetische Staatspräsident Kultur« des Westens, sondern es ist über den aufkommenden Na­ die perfektionierte Heuchelei — und tionalstaatsgedanken? sonst ausnahmslos nichts! Umwelt

Neue Hoffnungen für Leipzigs Umwelt — • • der »Oko-Löwe« sorgt dafür

Die Bü rger Leipzigs dü rfen wieder hoffen — au s der »Dreckstadt« soll wieder eine saubere Kultur- und Han­ delsmetropole werden. Freilich gibt es schon seit Jahren immer wieder Forderungen, die Schadstoffe in der Luft zu reduzieren, die Flüsse endlich reinzuhalten, eine rationellere Energiepolitik zu betreiben — all diese Forderungen verhallten meist ungehört im Irrgarten der sozialistischen Staatsbürokratie. Nun hat sich in Leip­ zig ein Umweltbund dieser vielschichtigen Problematik angenommen, der » Öko-Löwe« (nach dem Leipziger Wappentier benannt). Hier sind auf verschiedenen Gebieten Fachleute darum bemüht, machbare Lösungen zu erarbeiten, die dazu beitragen sollen, kurzfristig die z.Zt. noch erheblichen U mweltbelastungen im Leipzi­ ger Raum abzubauen und alternative Angebote für Wirtschaft und Privathaushalte zu erstellen. Der » Öko- Löwe« ist ein regionaler Umweltbund, parteiunabhängig und beschäftigt inzwischen hauptamtliche Mitarbei­ ter. Einer dieser engagierten Mitstreiter und auch Mitbegründer des » Öko-Löwen« ist der Diplom-Mathema­ tiker Wolfram Herwig. wir selbst: Wolfram, wie ist das schlossen, als Antwort auf die fixe samer Arbeit entstand eine Studie zu eigentlich bei der Gründung des »Öko- »Wende« des Kulturbundes in Sachen den Radfahrbedingungen in Leipzig Löwen« vor sich gegangen — war das Umweltschutz eine unabhängige Um­ mit ca. 250 Seiten Umfang. Es hat al­ eine spontane Idee? weltvereinigung zu schaffen, die dann lein ein halbes Jahr gedauert, bis wir Wolfram Herwig: Nicht ganz, es exi­ den Namen »Öko-Löwe« bekam. Wir die Zusage für die Vervielfältigung stierten bereits verschiedene kirchliche wollten uns nicht vom Kulturbund dieser Studie erhalten haben. Der Umweltgruppen, u.a. auch eine Ar­ vereinnahmen lassen. Grund: Auf dem Titelblatt wurden al­ beitsgruppe für Umweltschutz beim wir selbst: Du sagst, ihr wurdet vor le beteiligten Gruppen genannt, u.a. Jugendpfarramt. Außerdem gab es der »Wende« in eurer Tätigkeit oft be­ auch unsere kirchliche ... auch kleine nichtkirchliche Umwelt­ hindert. wie ging das vor sich? wir selbst: Das war alles vor der be­ schutzgruppen. Wir sind aber alle W.H.: Zum Beispiel vom Kulturbund, der sich staatlicher- gab es ab 1987 schon seits dieser Problematik anzunehmen einige gemeinsame hatte, nie sehr ernst genommen wor­ Projekte von vier den, und vor allem die kirchlichen oder fünf Umwelt­ Gruppen wurden oft beiseite ge­ gruppen in Leipzig, drängt. Daher haben sich im Novem­ wo auch kirchliche ber 1989 im Hörsaal der Bio-Wissen­ Kreise beteiligt waren schaften in der Karl-Marx-Uni ca. 150 — das Wichtigste: In Leute zusammengefunden und be­ zweijähriger gemein­ rühmten »Wende«, und es ist ja auch schon konkrete Vorstellungen? dem schon vorhandenen Tagebau wei­ bekannt, daß überall in der DDR da­ W.H.: Durchaus. Der Lauersee soll terzufördern. Gehalten hat sich aber mals gerade den Umweltschützern gerettet werden. Er wird zwar nicht noch keiner daran, die Abraumförde­ ständig Steine in den Weg gelegt wur­ mehr als Badesee verwendbar sein, rung geht weiter. Offenbar wollte das den, vor allem aber jenen, die aus aber als Biotop für etliche Tier- und BKW noch vor den Wahlen vollendete kirchlichen Kreisen kamen. Hat sich Pflanzenarten ist er bestimmt denk­ Tatsachen schaffen. Die Auflage vom nun die neue Freizügigkeit für Eure bar. Aber der Tagebau selbst kann zu Bezirkstag Leipzig, die Fortsetzung Arbeit schon ausgezahlt? einem Badesee umfunktioniert wer­ des Tagebaues zu stoppen, wird vom W.H.: Durchaus. Schon vor der den. Geplant ist auch, das Land, das BKW nicht ernst genommen. — Man Gründung des »Öko-Löwen« gab es der Vorschnittbagger noch nicht ge­ muß doch einmal überlegen, ob der Kontaktversuche zu westdeutschen fressen hat, wiederaufzuforsten. Aber Nutzen wirklich den Aufwand lohnt. Umweltschützern, aber eben nur auf es wird viele Jahre dauern, bis hier Und dann sollte man an die Folge­ privater Ebene, wenn überhaupt. Jetzt wieder ein Naherholungsgebiet entste­ schäden denken. Das ist doch nie wie­ läuft das anders. Ich war schon gleich hen kann. dergutzumachen ! nach der Öffnung der Grenzen »drü­ wir selbst: Und wie sieht das euer wir selbst: Vielen Dank für das Ge­ ben« und habe versucht, mit Umwelt­ Gegenspieler? spräch und alles Gute dem »Öko- schützern aus unserer Partnerstadt W.H.: Anfang Februar war der Tage­ Löwen«/ Hannover Kontakt aufzunehmen. In­ bauleiter vom BKW Borna bei uns zwischen ist das sehr gut gediehen. und hat angeboten, die weitere Ab­ [Das Interview führte unser Mitarbei­ wir selbst: In Leipzig seid ihr aber raumförderung durch den Vorschnitt­ ter W. Herbst, Leipzig.] mit einem A ufruf gegen den Tagebau bagger einzustellen und nur noch in bekannt geworden. Was hat es dam it a u f sich? W.H .: Weißt du, beim »Öko-Löwen« gibt es verschiedene Aufgabengebiete, und ich bin für diesen Aufruf gegen Deutschland entdecken den Tagebau Cospuden verantwort­ lich. Leipzig ist wohl die einzige Stadt, die in ihren Gemarkungen einen Tage­ Robert-Koch-Museum bau zu verzeichnen hat. Wenn man Damast-Museum in Großschönau wird 85 erwartet Besucherandrang den Standpunkt des damaligen Ener­ Von 1666 an entwickelte sich Großschö­ Im M ai 1990 jährte sich der Todestag des gieministeriums vertritt, muß man sa­ nau im Kreis Zittau zu einem der bedeu­ bedeutenden deutschen Bakteriologen tendsten Damastweberdörfer Europas. An gen, daß südlich von Leipzig, zwi­ und Nobelpreisträgers für M edizin (1905) über 800 Webstühlen wurde gearbeitet. schen Zschochau und der Lauer, ein Robert Koch zum 80. M al . Aus diesem Selbst die Habsburger und Romanows lie­ ökonomisch günstiges — jedenfalls A n laß erwartet das Robert-Koch-M useum ßen hier kostbare Damaste anfertigen. für jetzige Verhältnisse — Abbauge­ in der Ost-Berliner Clara-Zetkin-Straße 96 1905 gründete der Musterzeichner Profes­ (Stadtbezirk Mitte, Nähe Bahnhof Fried­ biet liegt, zwei Flöze. Diese Kohle soll sor Karl Krumbholz das Damast- und richstraße) einen starken Besucherstrom. jedoch für die Karbochemie verwen­ Heimatmuseum Großschönau, das 1900 Robert Koch war zwischen 1880 und det werden. Fakt ist, daß aber nur 25 85 Jahre als wird. In 16 Räumen werden 1904 Mitglied des kaiserlichen Gesund­ Prozent der geplanten Fördermenge Exponate aus der über 300-jährigen Ge­ heitsamtes, Direktor des Universitäts-Hy- nötig sind, diesen Bedarf zu decken. schichte des Weberdorfes gezeigt. Das M u ­ giene-Instituts und des Instituts für Infek­ seum wird jährlich von durchschnittlich Also wird der Rest wieder zum Verhei­ tionskrankheien an der Berliner Charite. 30000 Gästen besucht. Heute lebt Groß­ zen gefördert, und das ist weiß Gott 1882 entdeckte Koch den Tuberkelbazillus, schönau von der Frottee-Herstellung (et­ keine Qualitätskohle. 1884 den Erreger der Cholera. Außerdem wa 60 Prozent der DDR-Produktion). wir selbst: Aber deswegen ist ja der erforschte er Schlafkrankheit und M ala­ »Öko-Löwe« nicht aktiv geworden! ria. * W.H.: Nein. Fakt ist nämlich auch, Das Robert-Koch-Museum ist geöffnet von M ontag bis Freitag zwischen 13 und Giebichenstein in Halle wieder begehbar daß ein ganzer Wald dem Tagebau 16 Uhr. Die Ruine der Oderburg Giebichenstein in zum Opfer gefallen ist, dazu Kleingar­ * H alle ist nach umfangreichen Sicherungs­ tenanlagen und ein beliebtes Nah­ Turmuhrenausstellung arbeiten wieder begehbar. Der Zugang war erholungsgebiet, der Lauer’sche Ba­ auf der Festung Königstein lange gesperrt, nachdem ein Teil der Au ­ desee. Und die Folgen dieser »Deva- Im Schatzhaus auf der Festung Königstein ßenmauer abstürzte und vom Torturm stierung« sind ja bekannt. Wir haben oberhalb der Elbe in der Sächsischen Schindeln herabfielen. Eine Erfurte Berg­ in und um Leipzig schon kaum noch Schweiz findet bis Ende 1900 eine Ausstel­ steigergruppe dichtete das Turmdach ab. lung von historischen Turmuhrwerken Das über 800 Jahre alte Gemäuer auf Natur und vor allem keine Wälder, da einem hohen Felsen wird wegen der Aus­ wird nun noch ein ganzer Wald abge­ statt. Darunter finden sich Exponate aus einem Rathaus von 1710, einem R ittergut sicht ins Saaletal gern bestiegen. holzt. Und der Tagebau schreitet ja von 1850 und einem Wirtshaus um 1700. * immer weiter fort. Daher haben wir Wenn das Schatzhaus auch nur klein und gemeinsam mit der Markkleeberger die Zahl der ausgestellten Stücke daher be­ Exklusiv bei »Theatron«: Bürgerinitiative die Aktion »Stoppt grenzt ist, so berichten sie doch in Verbin­ Spielplan 1990 der Semper-Oper Dresden Cospuden!« ins Leben gerufen. Es dung mit einer ebenfalls zu sehenden Uhr­ für Gruppenreisen geht uns darum, die unsinnige Braun­ macherwerkstatt und entwicklungsge­ Reisegruppen, die 1990 eine Aufführung kohleförderung im Raum Markklee- schichtlichen Tafeln über 200 Jahre U h­ in der Dresdner Semper-Oper erleben berg-Zschochau zu beenden und aus renbaukunst. Die Ausstellung wurde in möchten, können das Repertoire und alle Zusammenarbeit mit dem Mathematisch- dem z.T. schon zerstörten Land­ Aufführungstermine für das gesamte Jahr Physikalischen Salon in Dresden, dem erfahren bei Theatron — Gesellschaft für schaftsgebilde ein Naherholungszen­ Märkischen Museum in Ost-Berlin und Festspielreisen und Kulturtouristik m bH trum zu schaffen. der Turmuhrenfabrik Werne in Meißen zu­ (Am Weinberg 22, 4930 Detmold, Telefon wir selbst: Und da habt Ihr auch sammengestellt 0 52 31 / 2 00 45-46-47). Die staatliche Gewalt Über die notwendige Aufarbeitung fen müssen, daß Maß­ nahmen von der politi­ V S J S T S S m des Stal inismus in der DDR schen Einschüchterung bilisierte die Öf fentlich- y o n Lutz Rathenow bis zur von der Staats­ keit. Die richtige Forde­ sicherheit betriebenen rung nach umfassender Untersuchung dieser Ereig­ Persönlichkeitszerstörung Teile eines eingeübten nisse wurde aber selten verknüpft mit einer notwen­ Arsenals ideologischer Kriegsführung gewesen sind. digen Aufarbeitung der Opfer staatlicher Willkür in Manche Legende muß noch den Tatsachen weichen. den letzten Jahrzehnten. Fassungslose Beobachter Zum Beispiel jene, der Stalinismus habe in der der Oktober-Ausschreitungen werden dann begrei­ DDR keine Todesopfer gefordert.

Eine Verhaftung von vielen SED einen Parteitag feiern, frei von verwundert, daß Matthias nicht mit dem geringsten Verdacht auf jedwede ihm entlassen worden war. Er komme Am 10. April 1981 holten Trans­ Störung. Da reichte die geplante Ge­ bald nach, lautete die Auskunft. portpolizisten den 23-jährigen Jenaer burtstagsfeier eines Berliner Freun­ Arbeiter Matthias Domaschk (zu­ des, zu dem die beiden Jenaer wollten. Der einzige Mord? sammen mit einem jetzt in Westber­ Sie kannten das Ritual, nicht zum lin lebenden Freund) aus dem Zug ersten Mal wurde bei staatstragenden Zu dieser Zeit lebte Matthias Do­ nach Berlin. Man brachte beide in Anlässen Personen der Einlaß nach maschk nicht mehr. Er habe sich er­ das Gebäude der Untersuchungshaft Berlin verwehrt, oft bekamen sie das hängt, teilten die Beamten den Eltern des Ministeriums für Staatssicherheit zeitweilige Berlin-Verbot gleich zu mit und drängten auf eine rasche Ein­ Gera. Warum? Sie gehörten zur Je­ Hause ausgesprochen. Domaschk be­ äscherung der Leiche. Die Staats­ naer »Szene«, Domaschk besuchte die fand sich also keineswegs in Panik, als sicherheit wollte alle Beerdigungsfor­ »Junge Gemeinde«, durfte aus politi­ man sie abführte, und kannte 24- bis malitäten regeln. Nun haben die Zel­ schen Gründen das Abitur nicht been­ 48-stündige Vernehmungen aus dem len der Untersuchungshaft Gera kein den, hatte Freunde, die dem Staat als Freundeskreis. Er hatte wenig schla­ Fenster zum Öffnen, an dem man sich Feinde galten. Ein registrierter Außen­ fen können, erzählte später der mit dem eigenen Hemd erhängen seiter also. Und in Berlin wollte die Freund über seine Erlebnisse und war könnte. Doch Domaschk, so heißt es in dem nur den Eltern vorgezeigten aus ihrem Verwahrungsort. Das bot Übersiedlung wünschte. Gerade 1983 Gutachten, befand sich kurz vor der Gelegenheit zu beweisen, daß sie auch begann nach der Übersiedlung zahl­ Entlassung in einem Verwahrraum. nur Menschen sind — und außerdem reicher Jenaer die Diskussion, ob sie Dessen Fenster seien zu offen gewe­ konnte man gleich den Freundeskreis freiwillig gegangen sind. Ich bestreite sen, und hier sei er eine halbe Stunde von Domaschk als tatverdächtig ver­ grundsätzlich, daß im Gefängnis (au­ lang unbeobachtet gewesen (was allein hören. ßer bei einem »offenen« Strafvollzug) Beihilfe zur fahrlässigen Tötung dar­ freiwillig Entscheidungen möglich stellt). Hausabriß in einem sind. Abgeschottet von Informatio­ Dagegen sprechen die Lebensum­ baufälligen Staat nen und der Außenwelt, mit weitge­ stände des Matthias Domaschk, seine hender Kontaktsperre, ist Desorientie­ neue Freundin, Zukunftspläne, der Die Figur wurde seitdem nicht mehr rung von seiten der Untersuchungsor­ Zeitpunkt kurz vor der Entlassung, gesehen. Den Bildhauer Michael gane eingeplant. So hofft man eine die Schwierigkeit, sich mit einem zum Blumhagen rief man urplötzlich zum organisierte politische oppositionelle Strickersatz eingerollten Hemd über­ Reservistendienst ein und inhaftierte Betätigung im Ansatz zu untergraben, haupt zu erhängen. Eine Autopsie der ihn, als er seinem Vorsatz zur Wehr­ jeder soll jedem mißtrauen. Elemente Leiche fand statt, eine Kontrolle des dienstverweigerung treu blieb. Kaum der Psychologie (Gruppen- oder Part­ Befundes außerhalb des Gebäudes für war er im Gefängnis, riß man das von nertherapie) werden zielgerecht zur Staatssicherheit durch unabhängige ihm bewohnte Haus in dem Dorf Persönlichkeitsverunsicherung einge­ Ärzte hingegen nicht. Graitschen (bei Jena) wegen Baufäl­ setzt. ligkeit ab. Der Trümmerhaufen zeugte Auch Michael Blumhagen durfte Beerdigung noch Monate danach von dem staatli­ sein Umzugsgut für den Westen nicht unter Stasi-Beteiligung chen Versuch, einen Treffpunkt an­ selbst einpacken, durfte vor (und dersdenkender Menschen zu tilgen. nach) der Übersiedlung nicht mit Die Beerdigung Doschaks gestaltete Andere Aktionen zum ersten Todes­ Freunden (z.B. über die geplante sich zum stummen Protest gegen die tag Matthias Domaschks liefen pa- Übersiedlung) reden. Er durfte weder offiziellen Auskünfte. Der Jenaer den Zeitpunkt seines Abgangs bestim­ Nordfriedhof wurde von Mitarbeitern men, noch die Entscheidung in hei­ der Stasi bewacht, Freunde verhört matlicher Umgebung überprüfen. So­ und vor Provokationen gewarnt. Je­ zial labile Menschen sind so in den nem Freund, der mit Domaschk zu­ Westen gedrängt worden, wobei Labi­ sammen aus dem Zug nach Gera lität und Orientierungslosigkeit im verschleppt worden war, schärfte man Gefängnis gefördert worden sind. ein, ja nicht mit Westjournalisten dar­ Roland Jahn kämpfte von Septem­ über zu reden. ber 1982 bis Januar 1983 in der Un­ Doch die Bekannten vergaßen tersuchungshaft des Staatssicherheits­ »Matz« (so sein Spitzname) nicht. dienstes Gera um seine Rechte. Zuerst Am ersten Todestag stand eine Plastik durfte er keinen Kontakt mit seinem für ihn auf einem Jenaer Friedhof — Anwalt aufnehmen, ungesetzliche einem kirchlichen, sonst hätte Mi­ Hausdurchsuchungen bei der ehema­ chael Blumhagen die Sandsteinfigur ligen Freundin (ohne Anwalt und kaum unbeobachtet aufstellen kön­ Durchsuchungsbefehl) fanden statt. nen. Man versuchte immer wütender, ihn Eine Kette von Ereignissen folgte, vollständig von der Außenwelt zu iso­ die in der Jenaer Verhaftungswelle lieren. Sein Freund Manfred Hilde­ vom Januar 1983 eskalierte und für brandt wurde ebenfalls verhaftet. Schlagzeilen sorgte. Natürlich nicht in Darüber erschienen neue Berichte in der Westpresse, die natürlich jedesmal den einheimischen. Die Staatssicher­ Michael Blumhagens »Trauernde Gestalt« heit entfernte die trauernde Figur auf den Auslöser der Angelegenheit heimlich vom Friedhof — eine Art rallel. In zwei Zeitungen tauchten (den mysteriösen Tod) verwiesen. Der Diebstahl, gegen den bis heute die Kir­ Traueranzeigen der Feunde auf: »Wir Maler Frank Rub schrieb ein patheti­ chenverantwortlichen nicht energisch werden ihn nicht vergessen!« Diese sches Gedicht für Matthias Do­ protestierten. Zufällig konnte Roland klebten sie am nächsten Tag zu Dut­ maschk und trug es öffentlich vor. Jahn die Täter fotografieren — die zenden an viele gut sichtbare Stellen. Bilder vom Abtransport erschienen im Anfang September wurde Jahn ver­ »Unverbindliche« Verhöre »Spiegel«. Auf hartnäckige Anfragen haftet — Anlaß war die Solidarnosc- hin bekannte schließlich das Ministe­ Fahne auf seinem Fahrrad, mit dem er Der sich in Liedern künstlerisch aus­ rium für Staatssicherheit, die Plastik täglich ins Zeiss-Werk fuhr. Michael probierende Peter Kähler vertonte ei­ vorübergehend beschlagnahmt zu ha­ Blumhagen hatte inzwischen sechs nen eigenen Text zu dem Todesfall. ben. Da auf dem Sockel der trauern­ Monate wegen Wehrdienstverweige­ Auch er trat damit auf. Die in Jena le­ den Figur nur der Name des Toten mit rung bekommen. Ende 1982 wurde er bende Schwiegermutter des 1977 aus Geburtstag und Todesdatum stand, in den Westen abgeschoben. DDR-Haft in den Westen genötigten wäre es selbst nach DDR-Recht schwer Schriftstellers Jürgen Fuchs wurde gewesen, den Bildhauer anzuklagen Erzwungene Übersiedlungen mehrfach vernommen, als sie ihre und das Kunstwerk legal zu beschlag­ Tochter einmal in Westberlin besu­ nahmen. Also inszenierte die Staatssi­ Ich wähle das mißdeutbare Wort »ab­ chen durfte. Sie sollte über Pläne ih­ cherheit einen Diebstahl der Plastik geschoben«, obwohl er selbst die res Schwiegersohnes berichten. Kurz N ach Beschlagnahmung und Versiegelung: das Atelier in Graitschen/Jena (oben), der später abgeschobene Künstler M ichael Blum hagen (rechts).

nach einer Vernehmung, die die Si­ ten so lange, bis kein Mensch mehr sehen Salzgitter ermittelte auch in die­ cherheitsorgane »unverbindliches Ge­ von Jena und Domaschk spricht!« sem Fall. Der Freund des Arztes, der spräch« zu nennen sich nicht scheuen Das Gegenteil war natürlich der den Leichnam Domaschks obduzieren würden, wählte Frau Uschkureit den Fall. In diesen Tagen des außerordent­ mußte, soll etwas ausgesagt haben ... Freitod. lichen Drucks und Ignorierens fast Ich sah einmal eine Kopie, das Nach­ Ein unabhängiger Friedenskreis bil­ sämtlicher gesetzlicher Bestimmungen richtenmagazin »Spiegel« wohl auch, dete sich, einer der ersten in der DDR. fand der Prozeß gegen Roland Jahn da er im Februar 1983 eine ausführli­ Die Polizei ging gegen Schweigeminu­ statt. Nicht seine Strafe, die vorzeitige che Geschichte über Domaschk veröf­ ten für den Frieden vor. So wurde am Entlassung aller Inhaftierten im Fe­ fentlichte. Ich gestehe, daß ich in den Heiligabend 1982 die gesamte Innen­ bruar oder seine Verschleppung in den letzten Jahren immer an Domaschk stadt hermetisch abgeriegelt, überall Westen sollen erörtert werden, nur ein denken mußte, wenn von Sinn oder patrouillierten Zivilisten und Unifor­ Detail der Prozeßvorbereitung. Jahn Unsinn der Erfassungsstelle in Salz­ mierte mit dem Ziel, jede Menschen­ trug einen Schnurrbart — sein Recht, gitter die Rede war. Der aussagende ansammlung aufzulösen. Dieses Sze­ solange er nicht rechtskräftig verur­ Zeuge wünschte nämlich mit Rück­ nario sollte sich in den nächsten Jah­ teilt worden ist. Ein Anklagepunkt sicht auf seine DDR-Verwandtschaft ren häufiger abspielen — bei ge­ war ein künstlerisches Happening, bei keine Westöffentlichkeit. So gibt es planten oder vermuteten Aktivitäten dem der Angeklagte als Hitler-Stalin- hier keinen Beweis, aber ein Indiz für der Friedensbewegung, später bei ver­ Parodist aufgetreten sein soll. Diesen weitere Ermittlungen. Neben der Aus­ schiedenen Ausreisegruppen. Der Vorwurf wollte Roland Jahn ad absur­ wertung der eigenen Akten wird ein Heiligabend 1982 verlief ruhig, und dum führen, indem er beabsichtigte, Maßstab für Ehrlichkeit der Vergan­ die in Nähe des Marktplatzes in von genauso vor Gericht zu erscheinen. genheitsbearbeitung durch die DDR- der Staatssicherheit besetzten Woh­ Wärter brachten ihn am Abend vor Regierung auch sein, wenn sie sich nungen installierten Kameras hatten der Verhandlung in eine Zelle mit entschließt, Akten aus Salzgitter an­ wenig zu filmen. Und während die mehreren Beamten, die ihn festhalten zufordern, auszuwerten und veröf­ Normalbevölkerung ihre Kerzen ent­ und zwangsrasieren wollten. Da er fentlichen zu lassen. Gleichzeitig müs­ zündete, um die stillheilige Nacht zu sich zu hartnäckig wehrte, vollführte sen die DDR-Gesetze rasch derart ge­ feiern, strolchten Hunderte von der eine Beamte einen geschickten ändert werden, daß eine Privatperson Staatsdienem durch Jenas Straßen — Würgegriff am Hals ... Roland Jahn (ich zum Beispiel) mit so einer Stelle auf der Suche nach jenen 12 bis 20 wachte auf dem Fußboden liegend aus Kontakt aufnehmen darf, ohne eine Personen, die einen Schweigekreis an­ der Betäubung auf — den Bart hatte »feindliche Verbindungsaufnahme« gedroht hatten. man abrasiert. Anzeige stellte er zu begehen. So bleibt der Fall Matt­ Ich schildere das so ausführlich, um nicht, da alle Anwesenden vorbeu­ hias Domaschks weiterhin aktuell — deutlich zu machen, in welchem Er­ gend feststellten, der Angeklagte habe als Beispiel für Möglichkeiten und wartungsstreß sich die Staatsmacht sie angegriffen. Grenzen der Aufklärung eines stalini- befand. Und wie glücklich die Verhaf­ stischen Verbrechens. Als Mahnung, tungsaktivisten ab dem 14. Januar Vom Sinn oder Unsinn nirgendwo voreilig Akten oder poten­ sein mußten, als sie über eine Woche der Erfassungsstelle tielle Beweismittel zu vernichten. Tag für Tag neue Leute einbuchten Denn nur wer die tödlichen Machtme­ durften. Jetzt kam der Rest der Freun­ Dieser Betäubungsgriff kann, zu hef­ chanismen der Vergangenheit kennt, de dran — Frank Rub und Peter Käh- tig ausgeführt, den Tod eines Men­ wird die nötige Sensibilität ent­ Ier natürlich dabei. Waren es 14 oder schen bewirken. Dafür gibt im Fall wickeln, auch nur Ansätze zu neuem 15? »Eure Brut wird ausradiert!« ha­ Domaschk Vermutungen. Die Zentra­ Machtmißbrauch in diesen Bereichen be man ihm gesagt, erklärte ein 24 le Erfassungsstelle (für Justizverbre­ zu erkennen und öffentlich zu ma­ Stunden lang Verhörter. »Wir verhaf­ chen in der DDR) im bundesdeut­ chen. Doch nicht nur in den großen Mas­ senbewegungen der Kommunisten und der Nationalsozialisten kristalli­ sierte sich die mythische Erlösungs­ sehnsucht der Deutschen in den be­ wegten Jahren zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Machtergreifung des falschen Propheten Adolf Hitler. Da gab es noch andere, Schwärmer, Freibeuter, Sucher, Querdenker, Feu­ erköpfe und Visionäre. »Linke Leute von rechts« oder »Nationalbolschewi­ sten« wurden sie genannt, als Natio­ nalrevolutionäre und Vertreter eines »Sozialrevolutionären« neuen Natio­ nalismus sahen sie sich selbst. Sie hat­ ten keine Massenparteien, keine gro­ ßen Verbände, keine auflagenstarken Publikationen; sie waren Einzelkämp­ fer, »Offiziere ohne Armee«, elitäre Stoßtrupps im Niemandsland eines neuen Denkens und, solcher Haltung gemäß, in kleinen Bünden, Zirkeln und den Redaktionsgemeinschaften einiger unabhängiger Zeitschriften or­ ganisiert. Dies hinderte sie wiederum A . Paul nicht, sich da, wo es für sie Sinn Weber: J un­ machte, in die Bresche zu werfen, den ger Führer. offenen Kampf an vorderster Front zu Aus: Die führen und mit den Kommunisten, Kommenden, den Nationalsozialisten, dem deutsch­ Nr. 12/1928. nationalen »Stahlhelm« und der norddeutschen Landvolkbewegung je nach Lage zu kooperieren. Sie agier­ ten auf eine Weise, die einer ihrer größten Denker, Ernst Jünger, einmal so beschrieben hat: »An seinem Le­ Peter Bahn benssinn festhalten, ohne sich beein­ flussen zu lassen, bald mit der Menge, bald gegen sie, nicht einen Zoll abwei­ Die »Kommenden« chen von dem, was man reiflich beur­ Vor 60 Jahren: die »Religiöse Woche« teilt hat.« in Hildburghausen/Thüringen Was wollten diese revolutionären Nationalisten? Wo standen sie? Dazu Karl O. Paetel, einer ihrer (aus der hündischen Jugendbewegung Deutschland 1919—1933: Der Erste Weltkrieg ist vorbei, die erste Etappe kommenden) Vertreter: »Überall da, wo die roten Fahnen der sozialisti­ des deutschen Passionsweges durch das 20. Jahrhundert abgeschlossen. schen Revolution und die schwarzen Gedemütigt durch den Vertrag von Versailles, ausgeplündert durch Repa­ Fahnen der deutschen Befreiung auf­ rationen und Besatzerwillkür, gepeinigt durch Inflation, Arbeitslosigkeit, gepflanzt werden.« Und an anderer Massenelend und Hunger, aus der gespreizten Behäbigkeit der wilhelmi­ Stelle: »Wir erkennen die Notwendig­ nischen Epoche plötzlich in die hereinbrechenden Sturzfluten der westli­ keit der Deutschen Revolution. Sie ist chen Moderne geworfen, sucht ein Volk den Weg in eine bessere Zukunft. die geistige Umgestaltung, die wirt­ schaftlich, politisch und kulturell das Der Sowjetstern mag sie verheißen — oder das Hakenkreuz? Marsch­ Gesicht unserer Zeit bestimmt.« blöcke formieren sich, Sprechchöre schleudern ihre Parolen als Schreie Um die Nation ging es den »linken nach ERLÖSUNG an die hochragenden Wände der Mietskasernen. Rot Leuten von rechts«, um die »Nation sind die Fahnen, die von rechts und links her über den grauen Kolonnen als letzten Wert« (Karl O. Paetel). Um geschwenkt werden. Ein ganzes Volk träumt vom kommenden Morgenrot ihrer Erlösung willen selbst mit dem eines neuen Aufbruchs, nicht ahnend, daß sein Leidensweg noch lang und Teufel ein Bündnis einzugehen (kom­ bitter sein wird — bis in unsere Tage. Bald schon wird das Grau der Ko­ me er nun mit dem Sowjetstern oder mit dem Hakenkreuz daher), war ihr lonnen dem noch viel düstereren Grau der enttäuschten und betrogenen Programm — ein Programm, das un­ Hoffnungen weichen. Grau droht es noch heute, auch unter dem schäbi­ ter den konkreten Bedingungen der gen Goldflitter, den man im Westen auftrug ... ersten deutschen Republik scheiterte, Nicht von ungefähr nannte Paetel neben Ernst Jünger den Tübinger Ide­ D ie DIE ologen und Religionswissenschaftler Jakob Wilhelm Hauer als denjenigen, uoiiuiienöen SOZIALISTISCHE der ihn in seinem Denken und Han­

UborbfiiiMIdlo IDorioitfritrlH t>diil|rf!or Jiiponft NATION deln am meisten beeinflußte. Hauer BLÄTTER aber war in der Weimarer Zeit der Be­ DER gründer der »Kommenden Gemein­ ftam pfjaflt (930 DEUTSCHEN de«, einer aus christlich-protestanti- REVOLUTION schen Wurzeln zu den Verzweigungen

S’S c’SjsTif'SS pantheistischer All-Religion vorsto­ ßenden Strömung und 1933 (bis zu seiner Kaltstellung durch die NSDAP) HERAUSGEBER' Leiter der »Deutschen Glaubensbewe­ KARLOmETEL gung«, die völkisch-neuheidnische ■ I f il ! S i und freireligiöse Gruppierungen zu einer »Dritten Konfession«, der Vor­ stufe einer »Deutschen Nationalkir­ che«, zu vereinen suchte. Zu den I B E R L IN • 1. J A H R G A N G • HEFT 2 • FEBRUAR 1931 I Gründervätern der »Deutschen Glau­ bensbewegung« gehörte auch Ernst Das Programm der »Kommenden«: Eine »sozialistische Nation« als deutscher Sonder­ Graf von Reventlow, ein Exponent des weg zwischen Ost und West (links: die »Überbündische Wochenschrift deutscher Ju­ linken, oppositionellen Flügels der gend«, von Ernst Jünger herausgegeben; rechts: die nationalrevolutionären »Blätter der NSDAP und vor 1933 zeitweilig Mit­ Deutschen Revolution«), arbeiter bei nationalrevolutionären Zeitschriften. Weitere Querverbindun­ nichtsdestoweniger aber alles über dem idealistischen Lebensreformer. gen auf der religiösen Ebene ergaben Kühnheit und visionäre Kraft seiner Die heute vielbeschworene »politische sich über die Bünde der Jugendbewe­ Verfechter verrät. Die »sozialistische Kultur« — bei den »linken Leuten von gung bis hin zu den verschiedensten Nation« war ihr Leitbild (und auch rechts« gab es sie in höchster Voll­ lebensreformerischen, kulturrevolu­ der Titel einer ihrer Zeitschriften), ein endung. tionären und esoterischen Gruppen. deutscher Sonderweg zwischen Ost Hinter und unterhalb der politischen und West, jenseits des doktrinären Die religiöse Dimension der Front des Kampfes gegen Versailles Marxismus und des seelentötenden nationalrevolutionären Gruppen wirkte eine religiöse Front der Erlö­ Liberalismus. Indem sie so einen Drit­ sung von Versailles. ten Weg nicht zwischen den, sondern Über die politische Dimension dieser gegen die beiden Erscheinungsformen nationalrevolutionären Bewegung für der modernen Kulturbarbarei prokla­ einen deutschen Sonderweg, die Hit­ Systemoppositionelle, mierten, wählten sie einen Platz zwi­ ler keinesfalls die Steigbügel hielt, ihn antibürgerliche und schen allen Stühlen — und blieben aber auch nicht verhindern konnte, ist antiwestliche Strömungen ebendarum aufrecht! Ihr Sozialismus­ schon viel geschrieben worden. Ver­ verständnis war meilenweit entfernt wiesen sei auf die Standardwerke von Vom 19. bis zum 26. April 1930 fand von der zwangsläufig stalinistische Mohler, Schüddekopf, Paetel und Du- mitten in Deutschland, im thüringi­ Konsequenzen zeitigenden marxisti­ peux. Kaum Beachtung fand hingegen schen Hildburghausen, ein Treffen schen Lehre, ihr Nationalismus eben­ bisher die religiöse Dimension, die statt, das die vielfältigen Kontakte dieser Bewegung zumindest teilweise soweit von den imperialistischen Ex­ und Berührungen innerhalb der sy­ zu eigen war und die zahlreiche weite­ zessen der Hitlerbewegung. Daß nicht stemoppositionellen, antibürgerlichen re, über politische Kontakte weit hin­ wenige von ihnen nach 1933 inhaftiert und antiwestlichen Strömungen auf ausgehende Querverbindungen und (wie Ernst Niekisch), ermordet (wie politischer wie auf religiöser Ebene geistige Unterströmungen erkennen Fritz Wolffheim) oder ins Exil getrie­ mit schlaglichtartiger Deutlichkeit of­ läßt. Sie offenbart zugleich den um­ ben (wie Karl O. Paetel) wurden, wäh­ fenbarte: die »Religiöse Woche«, ge­ fassenden, die Sphäre des rein Politi­ rend die heutigen Vertreter ihrer Ideen schen letztlich weit hinter sich lassen­ dacht als der Anfang einer Samm­ sich dem haßerfüllten Nazismus-Vor­ den Veränderungswillen nicht weniger lungsbewegung für den deutschen wurf seitens der gesamten Linken aus­ Nationalrevolutionäre: Ihr Nein zur Sonderweg, die sich nicht auf das gesetzt sehen, spricht mehr als alles bürgerlichen Welt des liberalen We­ vordergründig-politische Feld be­ andere für die Einzigartigkeit (und er­ stens war total, was die Erkenntnis schränken, sondern die Erlösungs­ frischende Unbequemlichkeit) ihrer folgen ließ, daß jeder Sonderweg der sehnsucht der Deutschen auf weit Ideen ... Ihre Zirkel und Zeitschriften Deutschen seiner Fundierung auf den umfassendere und tiefere Weise auf­ waren vor der Machtergreifung Hit­ Gebieten der Kultur, der Ethik und greifen sollte. Initiator war der 1887 lers zugleich Foren und Begegnungs­ des Glaubens bedurfte. Damit ent­ geborene Ex-Student, Bergmann, Ma­ stätten für die »Feuerköpfe« von sprachen sie der in der Weimarer Zeit ler und Philosoph Max Schulze- rechts und links: Hier konnte der keineswegs politisch-rationalen, son­ Sölde, Teilnehmer waren Freireligiö­ Kommunist neben dem HJ-Führer dern in höchstem Maße religiös se, Völkische, Nationalrevolutionäre, diskutieren und publizieren, der par­ durchtränkten Grundstimmung der Esoteriker, Lebensreformer, Mystiker, teifreie nationalistische Schriftsteller gedemütigten Nation, ihrem bren­ Anthroposophen, radikale Christen, neben dem sozialistischen Gewerk­ nenden Wollen und Sehnen nach — Jugendbewegte, Kulturrevolutionäre schafter, der Freikorps-Veterean neben ERLÖSUNG ... und Sozialisten aus ganz Deutsch- land. Sie sahen sich aber auch einfluß­ als die »Kommen­ Programm für öie ftelifliöfe S3B o d ie reichsten und be­ den«, als die Vorbo­ kanntesten Vertreter ten einer deutschen in i>ilD burflbaufcn (Sbür.) oom 19. bis 26. Stprit 1930 der Jugendbewe­

Geistes- und See­ G onnabtnb, 16. <2Xprit: iinceifc. Jllct&ung im '»Icibciianu flo tt! i>obant>llcrn. iibcuDo 8 llb r: firöffniina gung. 1920 hatte er lenrevolution, be­ in Her e tm in a r .^ u ln , K'urjer S e rid it über Bie ‘»Innreitburgcr TSodicn. in Thüringen die iebcnabcrtditc emjelncr Teilnehmer. iCeiinenlcmcu 1 wußt oder un­ »Neue Schar« ins O[terfonntag: 37o r D if thc l2)eliunfdiauimg. Xebnct: Örob>(?dni>cmfiirt u. (¿tcorgc'iiilbbjb- bewußt inspiriert OJtermontag : R n tb o lifd u U r.ntct. tKcöncr: Dr. Jiitolnuu c£bleii>"üclbcrt. Leben gerufen, die durch Nietzsche, in ® ltn stag , 22. S tp rlt: 3nbi|'dje CicOnnfciimrlt. 35ubbbismus. ?imibcr TBürjbarg Werte« der bürgerli­ (d)nTtl.»ft>,l. tXcidjaparteI) unD TOa; ed>uljt»tf5c>IOcaubinia. Bann ziehend durch chen Gesellschaft ¿tbciiba: I i e b c 8 m a b 1 für Dir ?(rmen Der Ö labt. die Lande zog: der Sonnerstag, 24. “H prit: Cos Ui o 111 ii Der 3 u g e n b. erstrebten. Arbei­ 3iebner: 3Kucf ia m b c rtp unb £ . G . pactcl<33erlin. Aufbruch einer Ju­ ter, Studenten, frü­ ^ c e tt a g , 25. H jrll: l a g b e r grauen. gend, die grobleine­ he »Aussteiger« aus Xe&netinncn: Jrau Olga fjäußer, Jrau üliatia Sröner, Jrau ©ertrub '»olm» ne »Reform-Klei­ den Siedlungskom­ 55raunfd)rocig u. a. dung« trug, Volks­ Sonnabtnb, 26. “U prlt: Sou ber £ r t e n n t n i j jur % a t ! munen der Jugend­ OrganifaHm'föt £rgebni|Tc. TBertgcmcinfcbatt. 3citungafrnge. Sichtung. lieder zur Laute bewegung, Maler, Ö i^ u lt ufro. sang, die bürgerli­ Schriftsteller, selbst che Welt abgrund­ IBobrrnb bet religiöftn TBodic 3m ficllung oon ©cmätben unb 3ciOibulje<0ölbe». wanderne Prophe­ tief verachtete und ten der Landstra­ sich damit des An­ ße — sie suchten in archismus-Verdach­ Hildburghausen eine gemeinsame »Nationalbolschewistische Manifest«, tes ebenso aussetzte wie dem Vorwurf Sprache. Die Biographien der teilneh­ das, kaum gedruckt, auch schon von der »Germanentümelei«. Ein wenig menden Personen eröffnen dabei fa­ der nun unter NS-Befehl stehenden erinnerte »Muck«, wie er liebevoll ge­ cettenreiche Ausblicke auf kaum Polizei beschlagnahmt wurde. Sein nannt wurde, an den rund hundert bekannte, faszinierende Orte der gei­ Appell zur Schaffung einer national­ Jahre älteren »Turnvater« Jahn. Es stesgeschichtlichen Landschaft. kommunistischen Partei kam daher war der gleiche antibürgerliche und

Emigrant Karl O. Paetel (links), Lebensreformer Schulze-Sölde (mitte), Prophet Friedrich »Muck« Lamberty: eigenwillige Vertreter der Jugend- und Lebensreformbewegung der Zwischenkriegszeit

So sprach zum »Wollen der Ju­ nicht mehr zur Realisierung. Kurz damit antiwestliche Impuls, der hier gend« der bereits zitierte Karl O. Pae­ darauf mußte Paetel emigrieren. Auf zum Tragen kam, die gleiche Begeiste­ tel, damals ganze 24 Jahre alt. Nur mancherlei Umwegen gelangte er rung für Natur, frische Luft und Be­ wenige Wochen später gründete er schließlich in die USA, wo er in der wegung und der gleiche innige Rück­ zusammen mit Gleichgesinnten die Nachkriegszeit Autor verschiedener bezug auf das Volk, seine Traditionen, »Gruppe Sozialrevolutionärer Natio­ Bücher über die Jugendbewegung, die seine Lieder und Tänze. Später grün­ nalisten« (GSRN), die mit dem Auf­ Nationalrevolutionäre und den von dete »Muck« die »Werkschar Naum­ bau oppositioneller Zellen in der Ber­ ihm hochgeschätzten Ernst Jünger burg/Saale«, einen — wie wir heute liner HJ begann. 1933 verfaßte Paetel, wurde. Paetel verstarb 1975. sagen würden — »Alternativbetrieb«, dem man zwischenzeitlich auch eine Sein Korreferent in Hildburghau­ der sich eine neue, natürliche Formge­ Kandidatur auf der Reichstagswahlli­ sen war Friedrich »Muck« Lamberty, bung von Gebrauchsgegenständen ste der KPD angetragen hatte, das einer der eigenwilligsten, zeitweilig zum Ziel setzte. Lebensreform, alter- natives und naturverbundenes Produ­ gramm zu den Reichstagswahlen kan­ aber die offenen Fragen nur durch das zieren, Kulturrrevolution, politische didiert und dabei Unterstützung sei­ Volk selbst zu beantworten sind, wird Erneuerung — in der Person von tens der einstigen KPD-Mitbegrün- auch die letztliche Erlösung der Deut­ »Muck« flössen Impulse aus den ver­ der und späteren Nationalkommuni­ schen von ihrem Leidensweg durch schiedensten Bereichen zusammen. sten Fritz Wolffheim und Heinrich das 20. Jahrhundert nur eine Selbster­ Noch viele andere beteiligten sich Laufenberg aus Hamburg erhalten. lösung durch die Tat sein können. an der »Religiösen Woche« in Hild­ Buntscheckig war die Schar der Gä­ Die Geschichte der »Kommenden« burghausen. Da war Rudolf Wal­ ste auf der »Religiösen Woche«. Nicht aufzuarbeiten, ist dabei eine von vie­ baum, Pfarrer der »Religionsgemein­ wenige der sich dort artikulierenden len wichtigen Vorleistungen; denn schaft Freier Protestanten« aus Rhein­ Ideen wirkten verträumt und wirr. Ge­ unter der Decke der offiziellen Ge­ hessen, einer freireligiösen Gruppe, meinsam aber war allen Teilnehmern schichtsschreibung schlummert nicht die nach 1945 den Kern der »Reli­ der revolutionäre Impuls, die Gewiß­ nur viel Krauses und Verwesendes, gionsgemeinschaft Deutsche Unita­ heit von der nötigen totalen Wende sondern auch manches, was neuer Be­ rier« bildete. Da war der Maler, und die Sehnsucht nach einem neuen, trachtung durchaus wert ist. Es gilt, Dichter und Wanderprophet Gusto besseren Morgen für Deutschland: Spuren zu sichern — Spuren, die sich Gräser, der bereits vor dem Ersten jenseits und fernab der westlichen einmal mitten in Deutschland kreuz­ Weltkrieg die Künstlersiedlung »Mon­ Moderne, doch auch an gänzlich an­ ten: in Hildburghausen. te Veritä« bei Ascona mitbegründet derem Ort als die Utopien der mar­ hatte und dort zum geistigen Inspira­ xistisch-leninistischen Doktrin. Die Literatur tor Hermann Hesses geworden war: Gäste in Hildburghausen waren Auf­ In dessen »Demian« hat er sein litera­ rechte zwischen allen Stühlen und BOCK, H ans-Martin: Syndikalismus und risches Denkmal gefunden. Da war Linkskommunismus von 1918 bis 1923. Mei­ Wanderer zwischen vielen Welten, zu­ senheim/Glan 1969. Paul Feltrin, ein Vertreter der vor al­ gleich aber doch auch »Kommen­ CANCIK, Hubert (Hg.): Religions- und Gei­ lem in Franken und am Nieder­ de« im Sinne der Vorwegnahme von stesgeschichte der Weimarer Republik. Düs­ rhein wirkenden »Christlich-Sozialen Fragen, die heute so aktuell sind seldorf 1982. Reichspartei«, die sich zwei Jahre spä­ wie kaum jemals zuvor — von Fra­ DIERKS, M argarethe: Jakob Wilhelm ter in »Arbeiter- und Bauernpartei gen nach der geistig-geographischen Mauer 1881— 1962. Leben - Werk - Wirkung. Deutschlands« umbenannte und ein Orientierung eines zukünftigen Mit einer Personalbibliographie. Heidelberg Wahlbündnis mit der KPD schloß: Deutschlands, nach einer neuen, der 1986. Christlicher Radikalismus und natio­ Natur verpflichteten Ethik und nach DUPEUX, Louis: »Nationalbolschewis­ nalrevolutionäre Impulse wirkten in einer kulturellen Renaissance der mus« in Deutschland. Kommunistische Stra­ dieser Strömung gleichermaßen. Da tegie und konservative Dynamik. München Völker gegen die planierenden Ten­ 1985. war Carl Strünckmann, ein lebensre- denzen des multinationalen »One- KINDT, Werner (Hg.): Dokumentation der formerischer Arzt und Philosoph, der World«-Imperialismus. Jugendbewegung. 3 Bde. Düsseldorf/Köln noch bis in die fünfziger Jahre ein Nur knapp drei Jahre nach Hild­ 1963 ff. dem Vegetarismus verpflichtetes Sa­ burghausen gelang es Hitlers Dema­ LINSE, Ulrich: Barfüßige Propheten. Erlö­ natorium betrieb und als ein früher gogie, im Kampf um die Sehnsüchte ser der zwanziger Jahre. Berlin (West) 1983. Vorkämpfer der ökologischen Bewe­ der Deutschen die Oberhand zu ge­ — (Hg.): Zurück, o Mensch, zur Mutter Er­ gung angesehen werden kann. Nicht winnen. Die bekannten daraus resul­ de. Landkommunen in Deutschland 1890— erschienen, doch als Rednerin ange­ tierenden Entwicklungen haben die 1933. München 1983. kündigt war Olga Haeusser, die Frau vor 60 Jahren auf der »Religiösen Wo­ — : Ökopax und Anarchie. Eine Geschichte des »Inflationsheiligen« und zeitweili­ der ökologischen Bewegungen in Deutsch­ che« artikulierten Problemstellungen land. München 1986. gen Wanderpredigers Louis Haeusser. und Fragen indes nicht aus der Welt Dessen Partei, der »Haeusser-Bund«, M O HLER, Armin: Die Konservative Revo­ geschafft: Sie tauchen in aktualisier­ lution in Deutschland 1918—1932. 3. Aufl. hatte 1924 mit einem halb völkischen, ter Form immer wieder auf. Erst ihre (m. Ergänzungsbd.) Darmstadt 1989. halb anarchokommunistischen Pro­ schlüssige Beantwortung mag den M Ü LLER, Hermann (Hg.): Gusto Gräser. 1914 angetretenen Aus Leben und Werk. Bruchstücke einer Bio­ Leidensweg been­ graphie. Vaihingen/Enz 1987. den, nach Jahr­ PAETEL, Karl O.: Versuchung oder Chan­ zehnten von ce? Zur Geschichte des deutschen National­ Krieg, Elend, bolschewismus. Göttingen 1965. Diktatur, Teilung, — : Reise ohne Uhrzeit. Autobiographie. Hg. u. bearbeitet v. Wolfgang D. Elfe u. John M . Fremdbestim­ Spalek. London/Worms 1982. mung und Identi­ SCHÜDDEKOPF, Otto-Ernst: »Linke Leute tätsverlust den von rechts«. Die nationalrevolutionären Deutschen die Minderheiten und der Kommunismus in der längst fällige ER­ Weimarer Republik. Stuttgart 1960. LÖSUNG brin­ gen können. Da Peter Bahn geb. 1953 in Koblenz, Studium der Volkskunde in Mainz, 1983 Magister Gusto Gräser A rtium, neben zahlreichen Zeitschrif­ (rechts) und W illy tenaufsätzen zu kultursoziologischen Ackerm ann auf und volkskundlichen Themen u.a. »Druiden und Rebellen« (1987), z.Zt. dem Vagabunden­ Dissertation über ein kulturgeschichtli­ treffen in Stuttgart, ches Thema. Pfingsten 1929 Deutschlandpolitische Initiativen

Zur Forderung des Bundeskanzlers, die gen den anderen Militärblock aufrüsteten. lung mit den Alliierten. Sprecher der In i­ Herstellung der staatlichen Einheit zwi­ Die Wiederbewaffnung durch die Sieger tiative ist der parteilose, der Fraktion schen D D R und Bundesrepublik aus­ und ihre deutschen Helfer muß jetzt durch der Grünen angehörende Bundestagsabge­ schließlich nach Art. 23 GG zu vollzie­ die eigene Wiederentwaffnung korrigiert ordnete und Friedensforscher Dr. Alfred hen, erklärte der Vorsitzende des Neuen werden. Mechtersheimer. Deutschen Nationalvereins (Postfach Fremdstationierungen und Militärstütz­ * 120445, 5300 Bonn 1), Dr. Harald Rüd- punkte sind überall in der Welt Instrumen­ M it der BdV-Aktion Frieden durch freie denklau, in einer Presseerklärung: te der Vorherrschaft, der Unterdrückung Abstimmung will der Bund der H eimat­ »Bundeskanzler Kohl möchte mit dem und der Ausbeutung. Deshalb fordern die vertriebenen darauf hinweisen, daß in der Verfahren nach Art. 23 GG in bezug auf Vereinten N ationen die Beseitigung jeder Charta der deutschen Heimatvertriebenen den Sicherheitsstatus Deutschlands voll­ ausländischen Militärpräsenz als Voraus­ von 1950 zwar Gewalt, Rache und Vergel­ endete Tatsachen schaffen. Handelte es setzung für eine friedliche und gerechte tung eine Absage erteilt, aber nicht auf die sich doch nach Art. 23 GG um die Fortexi­ Weltordnung. Heimat verzichtet wurde. „M it der .Aner­ stenz der Bundesrepublik, die territorial kennung der Oder-Neiße-Linie als West­ um das Gebiet der D D R vergrößert wäre. grenze Polens* fordert man jetzt von uns Die Bundesrepublik — heute NATO- die Preisgabe von 114 000 qkm Deutsch­ M itglied — bliebe es; die D D R — heute lands, also Verzicht auf Schlesien, Ober­ Mitglied des Warschauer Paktes — exi­ schlesien, Ostbrandenburg, Pommern, stierte nicht mehr. Die NATO würde dem­ ENTMILITARISIERUNG Ostpreußen und Westpreußen. Durch die zufolge bis zur Oder-Neiße-Linie ausge­ Vertreibung der Deutschen ist kein neues dehnt. Recht geschaffen worden. D ie Oder- Der Vorschlag des Bundeskanzlers setzt Neiße-Linie ist das Ergebnis expansioni­ voraus, daß sich die Sowjetunion mittler­ KOMITEE stischer Politik und der Geheimabkom­ weile mit der Bündniszugehörigkeit Ge­ men von Diktatoren. Annexionen sind samtdeutschlands zur NATO abgefunden völkerrechtswidrig.“ Mit Berufung auf hat. [...] allgemein anerkanntes Völkerrecht for­ Sollte die CDU-Führung allerdings dar­ 2 0 0 0 dern sie „Anhörung und Mitwirkung der auf spekulieren, mit dem Verfahren nach SELBSTBESTIMMUNG Betroffenen“ statt „Grenzdiktat". Art. 23 GG die fehlende sowjetische Zu­ Weiter heißt es: „Sogar in Versailles stimmung in der Frage der Bündniszuge­ wurden vor einer Gebietsentscheidung in Die Stationierung fremder Truppen ist hörigkeit zu unterlaufen, könnte sich dies mehreren Fällen Abstimmunen der betrof­ auch dann Kriegsvorbereitung, wenn sie als eine unkluge und kaum erfolgverspre­ fenen Bevölkerung vertraglich vorgesehen. mit kollektiver Verteidigung (NATO, War­ chende Methode erweisen. Die Vergangen­ Wir fordern, eine freie Abstimmung aller schauer Pakt) begründet wird. Militäri­ heit der fünfziger Jahre hat schließlich Betroffenen über die Zukunft der Gebiete sche Integration und Rüstungskoopera­ gezeigt, daß alle Versuche, die deutsche östlich von Oder und Neiße zu vereinba­ tion sind gefährliche Wege supranationa­ Frage gegen die sowjetischen Sicherheits­ ren. Die Betroffenen sind zu befragen, ob ler Zusammenarbeit. interessen auszuspielen, vom deutschen die Abstimmungsgebiete D ie seit dem Endes des Zweiten Welt­ Volk mit schweren Krisen und anhaltender zu Deutschland, krieges in beiden deutschen Staaten statio­ Teilung bezahlt werden mußten. zu Polen beziehungsweise zur So­ nierten Streitkräfte sind nach wie vor Be­ Der Bundeskanzler erweckt in der Öf­ wjetunion oder satzungstruppen. Ihr vollständiger Abzug fentlichkeit den Eindruck, der Weg gemäß zu einem neuen europäischen Territo­ ist Voraussetzung fü r jede wirkliche Frie­ Art. 23 GG sei der kürzere und schnellere rium gehören sollen.“ densordnung in Mitteleuropa. Ein Abzug gegenüber dem Verfahren nach A rt. 146 Der BdV (Godesberger Allee 72-74, von US-Truppen aus Europa d a rf nicht die GG. Richtig ist, daß dieser Weg erst ein­ 5300 Bonn 2) ruft für die Aktion „Frieden imperialistische Politik gegen die Völker mal in eine Sackgasse von Komplikatio­ durch freie Abstimmung” zur U nterstüt­ der Dritten Welt stärken. Der politische nen führen könnte. zung in Form einer großangelegten Unter­ Kampf gegen die Besatzungstruppen und schriftensammlung auf. Das Grundgesetz wurde seinerzeit erlas­ Stützpunkte in allen Teilen der Welt ist sen, um ,dem staatlichen Leben für eine eine europäische Verpflichtung. Übergangszeit eine neue Ordnung zu ge­ Sowohl die europäische als auch die ben1. Der Neubeginn unseres staatlichen deutsche Teilung beruhen auf der Mißach­ Lebens muß mit einer verfassunggebenden tung des Selbstbestimmungsrechts; sie UNSER SELBSTVERSTÄNDNIS Nationalversammlung anfangen: Bewähr­ sind demokratisch nicht legitimiert. Nach Die Zeitschrift W IR SELBST versteht tes wird ohnehin bewahrt werden; zeitge­ den 1989er Revolutionen in Osteuropa sich als unabhängiges deutschlandpoliti­ mäße Korrekturen werden möglich. De­ und in der DDR gibt es in beiden deut­ sches Magazin, das Autoren unterschied­ mokratie in ganz Deutschland muß mit schen Staaten Mehrheiten für die staatli­ licher Ausrichtung zu Wort kommen läßt. freien Wahlen des ganzen Volkes zu seiner Thematischer Mittelpunkt ist die gespal­ che Einheit. Zu Beginn der 90er Jahre ist Konstituante beginnen.« tene deutsche Nation. Neben grundsätz­ die deutsche Frage zu einer Frage der Aus­ lichen politischen Beiträgen zur Lage gestaltung des Einigungsprozesses im Gei­ Deutschlands im Spannungsfeld zwi­ ste einer mitteleuropäischen Identität ge­ schen Ost und West stehen aktuelle I nfor­ Als Antwort auf die Revolutionen in worden.« mationen und Nachrichten. Emanzipa­ Mittel- und Osteuropa versteht das Frie- In der Erklärung wird weiterhin auf die tionsbewegungen, Menschenrechtspro­ denskomitee 2000 (Postfach 50, D-8126 abrüstungspolitische Chance beim Eini­ bleme sowie die Entwicklung der Völker in der Dritten Welt zur kulturellen Auto­ Hohenpreißenberg) seinen A ufruf zur gungsprozeß hingewiesen, aber gleichzei­ Entmilitarisierung, für Truppenabzug und nomie finden in W IR SELBST regelmä­ tig vor einer übereilten Einigung gewarnt, ßig Beachtung. Die deutsche Frage wird Selbstbestimmung. In der Friedenserklä­ insofern der Abrüstungs- nicht mit dem nicht isoliert nationalstaatlich, sondern heißt es dazu u.a.: rung 2000 Einigungsprrozeß gekoppelt sei. Ohne al­ im Zusammenhang mit weltweit zu beob­ »Die Entmilitarisierung Deutschlands lerdings auf die gegenwärtige Diskussion achtenden ethnischen Unabhängigkeits­ durch die Siegermächte nach 1945 war über Beitritt (§ 23 GG) oder Zusammen­ bestrebungen gesehen. Die Zeitschrift eine Chance für eine grundsätzlich neue schluß (§ 146 GG) einzugehen, bevorzugt W IR SELBST tritt für konsequenten Politik. Die Alliierten selbst haben diese damit das Friedenskomitee 2000 indirekt Umwelt- und Lebensschutz ein. Der Fo­ Möglichkeit zerstört, als sie ihren jeweili­ rumcharakter der Zeitschrift garantiert den Weg über eine Verfassunggebende Offenheit und Kontroversen. gen deutschen Teilstaat zum Bollwerk ge­ Versammlung und Friedensvertragsrege­ Literatur

Maria Gazzetti: Gabriele d’Annunzio. Mit sche Buchmarkt lange Zeit als Literatur ein Henry V III. des Fin de siecle, als ein Selbstzeugnissen und Bilddokumenten auszugeben wagte, sorgsam vom Publi­ Mann des Vielzuvielen, als eine überströ­ (= Rowohlts Bildmonographien 407), kum ferngehalten werden. But the times mende, überschäumende Potenz auf lite­ Reinbek: Rowohlt, 1989. are changing ... rarischem wie auf sexuellem und schließ­ Das Erscheinen einer deutschsprachigen lich auch auf politischem und militäri­ Biographie des italienischen Dichters schem Gebiet. Der M ann aus Pescara war d’Annunzio (1863—1938) bedeutet zu­ vielleicht einer der letzten Heroen antiken nächst einmal eine Überraschung: Die Stils, ein uomo mediteraneo im alten, meisten Übersetzungen seiner Werke ins klassischen, beglückend vorbürgerlichen Deutsche fielen in die Zeit zwischen 1896 Sinne. A ls Typus mag er Jahrhunderte, und 1908. Zwischen 1942 und 1988 wurde vielleicht gar Jahrtausende zu spät die im deutschen Sprachraum keine einzige Bühne betreten zu haben. Doch eignete er Zeile aus dem opulenten Werk des Autors sich nicht gerade dadurch zum Verkünder mehr verlegt. Neu »entdeckt« wurde er eines neuen, die bürgerliche Plattheit und erst vom Münchner Verlag Matthes & Plattzeit frontal angrei fenden Mythos, Seitz, der mit der Herausgabe der Romane eines Mythos, der seine Kraft nur (und im ­ »Feuer« und »Vielleicht — vielleicht auch mer wieder: nur!) aus dem elementaren nicht« (1988) den Beginn einer neuen Leben und den Wurzeln einer großartigen d’Annunzio-Rezeption in Deutschland Vergangenheit und einer großartigen kul­ einleitete, an die sich die Rowohlt-Biogra­ turellen Tradition beziehen kann? phie nun anschließt. Daß diese Neurezep­ Der Him m el ist leer. In geistiger Über­ tion erst am Anfang steht und sich in den einstimmung m it dem von ihm hoch- nächsten Jahren eher noch verstärken geschätzten Nietzsche versuchte auch wird, ist mit einiger Sicherheit zu erwar­ d’Annunzio, » neue Werte a u f neue Ta­ ten. fe ln « zu schreiben. Daß er dabei sowohl Die mehr als vier Jahrzehnte währende Kind seiner Zeit als auch Glied eines be­ Ignoranz der deutschen Literaturwissen­ stimmten Kulturkreises war, daß sein schaft und Verlagsproduktion gegenüber Werk in erster Linie zur nationalen italie­ d ’Annunzios Werk hatte ihre Gründe. nischen und erst dann zur europäischen »Wir wollen keine Wahrheit mehr. Gebt Literatur gehört, erklärt vieles von dem, uns den Traum!«, postulierte der aus dem was hier und heute an ihm fremdartig wir­ abruzzischen Pescara stammende Dichter ken mag. Eine Lektüre für Spießer, kon­ bereits 1893 — diese Maxime durchzieht servative Honoratioren und Freunde pa­ sein Werk wie sein Leben. Der »Traum« ist triotischer Stammtische ist er allemal für ihn nicht die aus christlichen Endzeit- Gabriele d’Annunzio nicht. Den großen, bewegenden Mythos erwartungen herabsäkularisierte Egali­ für das Leben seines Volkes konnte er nur tätsutopie bürgerlicher oder marxistischer D ’Annunzio — eine prächtig schillernde partiell schaffen, eher andeuten und um ­ Aufklärichte, sondern der aus Tradition Persönlichkeit, die mit jeder Zelle seines reißen als realisieren. So liegt denn seine und Natur geborene Mythos des Lebens Körpers und mit jeder Zeile seines Werkes Bedeutung heute vor allem in seiner per­ — in all seiner grausigen, strahlenden das entschiedene Nein zur anpassenden sönlichen Haltung als Schreibender und Schönheit. So klingt denn auch in seinen Vereinnahmung und destruierenden Ver­ Handelnder, die bei (und gerade wegen) Gedichten, Romanen und Dramen viel einheitlichung der modernen Welt aus­ aller Exzentrik ein ungeheures Potential von Nietzsches Philosophieren »m it dem drückte. Ob er sich dazu der Rolle des des W iderstandes gegen den Moloch der H am m er« an und verbindet sich m it dem gefühlvollen Lyrikers, des ausschweifen­ bürgerlich/marxistischen Moderne aus­ Rückgriff auf die antiken Mythen des me­ den Dandys, des konservativen Parlamen­ drückt. D ’Annunzio als konservativ-revo­ diterranen Kulturkreises. Eine solche tariers, des tollkühnen Fliegers, des natio­ lutionärer Literat — hiervon hätte eine Art von Literatur mußte in der Ära der nalistischen Agitators oder des gefeierten weitere Rezeption seines Werkes auszuge­ Gruppe 47 und der Engelmannschen Ba­ Kriegshelden bediente, war letztlich zweit­ hen. Die deutsche Übersetzung und Her­ nalitäten, des Kritischen Rationalismus rangig — er beherrschte sie alle. Person ausgabe seiner 49-bändigen, zwischen und der Frankfurter Schule, des Grass’ wie Werk des Autors zeigen die besessene 1927 und 1936 in M ailand verlegten Ge­ sehen Blabla und des Böllschen Moralins Maßlosigkeit des echten Genies. Er er­ samtausgabe wäre allerdings eine notwen­ verpönt bleiben, mußte zugunsten der U n­ scheint — und seine Biographin versteht dige editorische Voraussetzung. Hier gilt geheuerlichkeiten, die der offizielle deut­ dies meisterhaft herauszuarbeiten — als es zu hoffen ... Peter Bahn

wir selbst - kontrovers

Kritik des Artikels »Für den deutschen Sonderweg« von Peter Bahn (W IR SELBST 1/1990)

Peter Bahns »Plädoyer gegen die restlose Daß dem massive Gegenkräfte und Gefah­ pflege, hilft sachlich nicht weiter und ver­ Verwestlichung unseres Landes« reizt, ren von einem möglicherweise unkontrol­ härtet unnötig die Fronten zwischen nicht nur wegen seiner Diktion, zum W i­ lierten Wirtschaftsliberalismus entgegen­ Deutschland und den Siegermächten. derspruch. Zunächst jedoch zu den positi­ stehen, ist ebenfalls richtig. Insofern ist Was, bitte sehr, hat absolute militärische ven Gedanken des Artikels. eine restlose Verwestlichung Deutschlands Souveränität mit kultureller, regionaler Daß — wie der Autor darlegt — in der im Westen wie im Osten abzuwehren. und nationaler Identität zu tun? Hier ist D D R das kulturell deutschere Deutsch­ Daß aber diese innnepolitische Frage das nationale Interesse (als Mittel) an der land erhalten wurde, kann sicher Anknüp­ in Zusammenhang gebracht wird mit nationalen Identität (als Zweck) zu messen fungspunkt für eine notwendige nationa­ einer sicherheitspolitischen Einbindung — sonst ist es selbst-herrlich oder selbst­ le, kulturelle Selbstbesinnung und Vorbild Deutschlands, dient hauptsächlich einer zerstörerisch, aber nicht mehr selbst­ für das neue (Gesamt-)Deutschland sein. amorphen anti-antideutschen Feindbild­ bewußt national. Oder will man sich mit einer gesamtdeutschen Armee gegen läßt die Defmitionsmacht für diesen Be­ der freien Nationen völlig zu verbinden« Pizzerias schützen, sie gegen dann viel­ griff dem Westen. Dieser versteht aber (Deutschlandvertrag Art. 3 Abs. 2), sei leicht illegale Skateboard-Importe einset- darunter (oder gibt es zumindest vor) den hier nur als Beispiel für die bisherige zen, gemeinsam mit Roter Armee Frak­ Alleingang Deutschlands weg von Frei­ rechtliche Lage der Bundesrepubli k tion und Roten Zellen multinationales Ka­ heit, Frieden und Demokratie. Man muß Deutschland aufgeführt; von den Alliier­ pital herausbomben und mit ihr als litera­ es nicht gleich so drastisch ausdrücken wie ten Rechten gegenüber Deutschland als rischer Heilsarmee Goethe- und Schiller- Lech Walesa vor kurzem; daß aber etwas, Ganzem gar nicht zu reden. Bibeln verteilen? was auch nur scheinbar dem entspräche, Selbst der von Bahn em pfohlene Rück­ Eine vollständige militärische Unabhän­ griff auf die nationalistische Mottenkiste gigkeit der Nationalstaaten ist allerdings und auf vaterländisch-völkische Haus­ die beste Gewähr dafür, daß sie auch ein­ mannskost — ä la »Territorium, Wirt­ mal bis zur letzten Konsequenz ausgenutzt schaftskraft und Bevölkerungszahl«, »die wird. Der Eskalation einer zwischenstaat­ eigene Kraft, die eigenen Werte, die eigene lichen Krise sind dann nämlich keinerlei Kultur und die eigene Geschichte« — hat Grenzen gesetzt. Über kurz oder lang wird uns in diesem Jahrhundert zweimal nur so Krieg wieder ein Mittel zur Konflikt­ noch tiefer in Abhängigkeit gestürzt. Im austragung angesichts wirtschaftlicher Zeitalter flächendeckender Massenver­ und anderer Rivalitäten — diesmal mit nichtungswaffen bietet sich hier wohl globaler Vernichtungswirkung. Ein Euro­ kaum eine neue Perspektive. »A bkoppe­ pa, in dem jeder Souveränität abgibt und lung« von der Weltwirtschaft und eine nationale Interessen einbringt, macht da­ fundamental umorientierte Wirtschafts­ her ein Überleben der Völker überhaupt ordnung sollen wirtschaftlich zu Unab­ erst m öglich, wie auch eine kulturelle, m i­ hängigkeit führen. Über das Wie schweigt litärische und politische Selbstbehauptung Bahn erneut. So liest sich auch dies, zumal gegenüber den Supermächten und eine Be­ bei vollständiger Export/Import-Depen- wältigung globaler Herausforderungen denz, als ein »Sonderweg« in den sicheren wie Umweltzerstörung oder Nord-Süd- Ruin. Aber vielleicht schwebt dem Autor Konflikt. Natürlich muß man auch erst ja ein eigener, deutsch-nationaler Mor- einmal volle Souveränität besitzen, um sie genthauplan vor. freiwillig und dem Eigeninteresse entspre­ umgehend durch gemeinsamen Druck al­ Einen » Sonderweg« jedenfalls wird chend, begrenzt und gezielt abgeben zu ler maßgeblichen Staaten gestoppt würde, Deutschland — unter ständigem Beteu­ können. Das immer noch auf die Jalta- ist wohl unstrittig angesichts der rechtli­ ern, daß es ihn nicht will — beschreiten; » O rdnung« zurückgehende Souveränitäts­ chen, wirtschaftlichen und politischen Ge­ nämlich den »Sonderweg«, den jedes defizit Deutschlands wird indessen von gebenheiten. Das Super-Versailles der Land geht, aufgrund seiner eigenen Be­ Bahn realpoliti sch übergangen. Pariser Verträge mit der unkündbaren sonderheiten, seiner nationalen Identi­ Leider bleibt der Autor auch gänzlich Verpflichtung der Bundesrepublik, »sich tät. Und davon kann es, solange es nicht unkonkret, was den von ihm propagierten durch Mitgliedschaft in internationalen eigenbrötlerisch wird, niemand abbringen. »deutschen Sonderweg« betrifft. Er über­ Organisationen [...] mit der Gemeinschaft Claus-Georg Pleyer INITIATIVE DEUTSCHLAND ’90

Die gespaltene deutsche Nation wird endlich wieder eins. Worum es nun geht, sind Konzepte und Lösungen, die die Zukunftsfragen der D eutschen beantworten. Als »Initiative von unten« wollen wir die Vernetzung der nonkonformen, patriotischen Kräfte Deutschlands ... Angesichts der deutschlandpolitischen Entwicklung ist auch der Status quo der Parteien- und Presselandschaft ins Wanken geraten. Er darf sich nicht erneut zu Lasten Deutschlands verfestigen. Eine breite patriotische, vorparteiliche Opposition von unten gegen die »Altlasten« der großen (Block-) Parteien/Massenmedien beginnt sich zu formieren. Die Zeit drängt nach neuen Konzepten — die alten liegen seit dem 9. November 1989 auf dem Müllhaufen der Weltge­ schichte. Wir müssen gemeinsam handeln! Wir rufen auf zum Initiativ-Kongreß am 3. November 1990 im Großraum Bonn-Koblenz

Anmeldung über die Redaktion ist erforderlich. Die Teilnahme ist nur mit autorisierter Einladung möglich. DIE ZEITSCHRIFTEN

JUNGE FREIHEIT W IR SELBST EUROPA Dieter Stein Siegfried Bublies Harald Thomas Postfach 147 Postfach 168 Postfach 1618 7801 Stegen 5400 Koblenz 5047 Wesseling Henning Eichberg Andreas Zimmer Henning Eichberg A bkoppelu ng Andreas Zimmer Friedensverträge im Abkoppelung Nachdenken über die Völkerrecht neue deutsche Frage Nachdenken über Friedensverträge Die sich vollziehende Neu­ die neue Mit diesem Band setzt im Völkerrecht vereinigung der beiden deutsche Frage Eichberg die Diskussion deutschen Staaten rückt um d ie ungelöste nationa­ die noch immer ausste­ le Frage der Deutschen hende friedensvertragliche fort, die er 1978 mit dem Regelung zwischen Band »Nationale Identität« Deutschland und den alli­ mit angeregt hatte. Seine ierten Siegermächten des Thesen sind provozierend Zweiten Weltkrieges ins und wenden sich gegen politische Blickfeld. so manches rechte Miß­ Zimmer untersucht 70 verständnis. Er setzt natio­ Friedensverträge und sy­ nale Identität gegen das stematisiert deren typische machtstaatliche Interesse, Inhalte. Obwohl als Disser­ Vertag Siegfried Bublies Verlag Siegfried Bublies das Volkliche definiert er tation verfaßt, gibt diese als demokratisch und Arbeit auch dem juristisch emanzipatorisch. Zugleich Ungeschulten eine wert­ sind seine kulturrelativistischen Überlegungen ein engagiertes volle völkerrechtliche Verständnishilfe für die bevorstehenden Plädoyer für die Nichtanerkennung der Teilung Deutschlands. friedensvertraglichen Verhandlungen an die Hand. 218 Seiten, Pb. DM 24,— 128 S., Pb. DM 19,80

Paulus Buscher Sieghard Pohl Das Stigma »extra muros« Edelweiß-Pirat Kurzprosa, Grafik, Malerei, Objekte Paulus Buscher, Jahrgang 1928, Sohn eines SS- Der durch zahlreiche Ein­ Mannes, wurde 1936 in ei­ zelausstellungen und Aus­ ne illegale dj.1.11-Horte ge­ stellungsbeteiligungen im keilt, wofür er mit Schul- In- und Ausland bekannte relegation und Lagerhaft Maler Sieghard Pohl ver­ zu büßen hatte. Er nahm öffentlicht in diesem Buch am Kampf der (echten) erstmals Kostproben sei­ Edelweiß-Piraten gegen ner Kurzprosa. In einer den Hitler-Staat teil und phantastisch-skurrilen Er­ seziert als Zeitzeuge, wa­ zählweise verarbeitet Pohl rum »linke« Historiker den Erfahrungen seines Le­ anti nationalsozialistischen bens in der DDR. Die Widerstand der Bündi- geschilderten alltäglichen schen Jugend entweder Absurditäten gewinnen leugnen oder kriminali­ dort, wo sie den Wider­ sieren. sinn staatlicher Macht Ein autobiografisches Stück Heimatkunde in großartigen karikieren, eine über die DDR-Erfahrungen hinausweisende Sprach bildern. Bedeutung. Ein ästhetisches Erlebnis. 448 S., davon 32 S. Bilddokumente, Pb. DM 39,70 158 s., Pb DM 28,—

Matthias Ott Hans Dietrich Lindstedt Matthias Ott Deutschland — , t 'Í . * Jeder zweite ein Ausreisemärch en Deutschland Herzschlag Erinnerungen an mittel­ — ein Ausreisemärchen »Deutschland — ein Aus­ Jeder zweite H erzschlag deutsche Autoren, reisemärchen« behandelt Poeten und Bonzen in dokumentarischer Form eine persönliche Ausreise- y*** »Jeder zweite Herzschlag« Geschichte vom Entschluß, des Lebens in der DDR der DDR den Rücken zu müsse der Kultur gelten, kehren, über einen schier / r J ír - y '/ . hatte einst der Arbeiter­ ausweglosen Kampf mit schriftsteller Hannes den Behörden, den Ent­ ¿■Sie Marchwitza, Aushänge­ zug des Personalauswei­ schild des »ersten Arbei­ Die dokumentarische Geschichte einer ses bis zur Übersiedlung ter- und Bauernstaats auf Übersiedlung aus der D D R in die Bundesrepublik. 3-iT¿V deutschem Boden« gefor­ Dieser Ausreise-Bericht ist dert. Hans Dietrich Lind­ gleichzeitig ein zeitge­ Erinnerungen an mitteldeutsch« Autoren, stedt, selbst lange Jahre Poeten und Bonzen aus drei Jahrzehnten Verlag Siegfried Bublies schichtliches Dokument. Kandidat des Deutschen Er nimmt Bezug auf einige Verlag Siegfried Bublies Schriftstellerverbands und für das Verständnis man­ mit den Verhältnissen in cher Entwicklungen wichtige Ereignisse in den innerdeutschen der DDR intim vertraut, widmet seine Erinnerungen an Jahre Beziehungen der Jahre 1983 bis Anfang 1985. der Hoffnung und Enttäuschung mitteldeutschen Schriftstellern. 180 S., Pb. DM 16,80 168 S., Pb. DM 19,80 Bestellungen an: Verlag Siegfried Bublies, Postfach 168, D-5400 Koblenz Telefon-Serv ice: s* 02 61 / 3 23 37 Rette sie Nehmen wir mal an, w erkann Sie wollen eine Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) hat schon eine ganze konservative Zeitung lesen. Menge zur Rettung von Fröschen, Unken, Lurchen und Kröten getan. Weil das alles aber immer . noch nicht Dann konnten Sie bisher im Zeitschriftenhan­ Prominenten, „Linken“ wie „Rechten“ fühlt genug del lange suchen. die JU N G E FREIHEIT regelmäßig auf den ist, Ab sofort ist das anders: Die J U N G E FR E I­ Zahn. Gesprächspartner der letzten Ausgaben HEIT - Deutsche Zeitung für Politik und waren: Kultur ist jetzt überall im Handel. Startaufla­ Prof. Dr. Günter Rohrmoser, Prof. Dr. Eike ge: 30.000 Exemplare! Hennig. Eduard Lintner, , Die J UNGE FREIHEIT: das sind junge Dr. Bernhard Friedmann, Prof. Dr. Carl deutsche Journalisten, die eine j unge Zeitung Zimmerer, Dr. Wolfgang Venohr, Prof. Dr. machen. Unbequem. Kontrovers. Nonkon- Hans-Joachim Walther u.v.a. suchen wir form. Alle zwei Monate neu. Testen Sie den kritischen Journalismus. ------j noch jede O Ich möchte dem BUND j M e n g e mit einer Spende helfen / H elfer. Und O Ich bitte um weitere I natürlich ein Di* CSU zwiuho- •» Informationen i paar Kröten. O Ich möchte Mitglied beim BUND werden • Wenn Sie uns / helfen wollen, Absender / schicken Sie / einfach den JUNGE FREIHEIT - ...... 11 imi'B-'iwi «»ria ii II1 M i OM 2.S0/O6 18 / Coupon ab. 1990 5 kjhfgonq ■ i.Tiy- E M

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Am Vorabend der Vereinigung der bei­ den deutschen Staaten zeichnen sich beide vor allem durch Fantasielosig­ Geschichte keit und Spießertum aus. Man sagt unserer Gegenwart nicht, was man meint, und man meint Deutschland und nicht, was man sagt. Ziel der Politik seine Habus ist nicht die Gestaltung der Zukunft, sondern Machterhalt. Bruno Bandulet m m Die Rückseite des Wunders Deutschland und seine Tabus Universitas 328 Seiten ■ DM 32,— Universitas

Winfried Maitini WALTER I Der Sieger Ferdinand Otto Niksche schreibt die BECHER Geschichte Meine Anmerkungen ZEIT zurZeitgeschichte H Europa ohne Blöcke ZEUGE l.:iiii>cn M iillcr

»Vergangenheitsbewältigung« auf dem Prüf­ Alles deutet darauf hin, daß der über fünfzig Walter Becher, 1912 in Karlsbad geboren, ein stand. Dem bedeutenden Publizisten Winfried Jahre andauernde Ost-West-Gegensatz zu bedeutender Zeitzeuge dieses Jahrhunderts Martini geht es um eine sachgerechte Einord­ Ende geht. Der Kommunismus hat seine An­ als Vertriebener, als objektiver Politiker und nung und Interpretation des NS-Regimes, ziehungskraft in der Welt verloren und ist beobachtender Publizist, legt seine Lebens- indem er Fakten vermittelt, die größtenteils selbst in der UdSSR in eine schwere Krise erinnerungen vor. Sein Buch ist ein höchst unbekannt sind. geraten. Wo immer er die Macht eroberte, ist informatives Dokument auch im Zusammen­ er keinem seiner Ideale auch nur nahegekom­ hang mit den kürzlich erschienenen Lebens­ Winfried Martini men. Die deutsche Wiedervereinigung steht erinnerungen um und Franz Der Sieger schreibt die Geschichte vor der Tür. Josef Strauß, ein Bekenntnis zu Deutschland. Meine Anmerkungen zur Zeitgeschichte ca. 360 Seiten • ca. DM 39,80 Ferdinand Otto Miksche Walter Becher • Zeitzeuge Erscheint im August ■ Universitas Das Ende der Gegenwart • Europa ohne Blöcke 496 Seiten mit 51 Abbildungen und Dokumenten 320 Seiten ■ DM 38,— • Herbig DM 48,— • Langen Müller Buchverlage Ullstein Langen Müller