Plenarprotokoll 11/179

Deutscher

Stenographischer Bericht

179. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Inhalt:

Erweiterung der Tagesordnung 13733 A Wetzel GRÜNE 13758 D Möllemann, Bundesminister BMBW . . 13760B, Erklärung zum Mordanschlag auf den Spre- 13766 D cher der Deutschen Bank, Dr. Alfred Herr- hausen 13744 A Frau Odendahl SPD 13764 C

Tagesordnungspunkt I: Einzelplan 11 Fortsetzung der zweiten Beratung des Geschäftsbereich des Bundesministers von der Bundesregierung eingebrachten für Arbeit und Sozialordnung Entwurfs eines Gesetzes über die Fest- Sieler (Amberg) SPD 13768B stellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1990 (Haushaltsgesetz Strube CDU/CSU 13770 B 1990) (Drucksachen 11/5000, 11/5321, Hoss GRÜNE 13772D 11/5389) Zywietz FDP 13774 D Einzelplan 16 Dreßler SPD 13779 C Geschäftsbereich des Bundesministers Dr. Blüm, Bundesminister BMA 13782 C für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- sicherheit Cronenberg (Arnsberg) FDP 13788 A Waltemathe SPD 13733 C Scharrenbroich CDU/CSU (Erklärung nach § 32 GO) 13788 C Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 13736 D Andres SPD (Erklärung nach § 32 GO) . 13789 C Frau Wollny GRÜNE 13739 D Dr. Weng (Gerlingen) FDP 13741 A Einzelplan 15 Schäfer (Offenburg) SPD 13742 D Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesund- Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 13744 C heit Frau Conrad SPD 13790 B Einzelplan 31 Geschäftsbereich des Bundesministers Kalb CDU/CSU 13793 A für Bildung und Wissenschaft Frau Schoppe GRÜNE 13795 A Frau Dr. Wegner SPD 13748 C Zywietz FDP 13796 D Frau Männle CDU/CSU 13750 C Link (Diepholz) CDU/CSU 13798 D Frau Hillerich GRÜNE 13753 B Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 13801 C Kastning SPD 13754 D Frau Dr. Lehr, Bundesminister BMJFFG 13804 C Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU . . 13757 B Frau Matthäus-Maier SPD 13807 B II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Einzelplan 06 Bundesrepublik Deutschland von dem Geschäftsbereich des Bundesministers Entwicklungsvorhaben „Europäisches des Innern Jagdflugzeug/Jagdflugzeug 90" zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜ- in Verbindung mit NEN: Ausscheiden der Bundesrepublik Einzelplan 36 Deutschland aus dem Entwicklungsvor- haben Jagdflugzeug 90 (Drucksachen Zivile Verteidigung 11/3018, 11/3592, 11/4269) in Verbindung mit Horn SPD 13832 B Einzelplan 33 Müller (Wadern) CDU/CSU 13834 A Versorgung Kleinert (Marburg) GRÜNE 13837 B Dr. Schäuble, Bundesminister BMI . . . 13808C, Frau Seiler-Albring FDP 13839 D 13824 C Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMVg . 13842 D Kühbacher SPD 13809 B Kühbacher SPD Deres CDU/CSU 13812 D 13846 A Such GRÜNE 13815A Dr. Friedmann CDU/CSU 13849 A Frau Seiler-Albring FDP 13817 A Namentliche Abstimmung 13850 B Dr. Nöbel SPD 13819D Ergebnis 13854 D Gerster (Mainz) CDU/CSU 13822 B Wüppesahl fraktionslos 13826 D Einzelplan 01 Duve SPD 13828 C Bundespräsident und Bundespräsidial- Kühbacher SPD (Erklärung nach § 31 GO) 13829A amt 13854 A Frau Dr. Vollmer GRÜNE (Erklärung nach Einzelplan 03 § 31 GO) 13829 C Bundesrat 13854 B Gerster (Mainz) CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO) 13829 D Einzelplan 02 Lüder FDP (Erklärung nach § 31 GO) . 13830 B Deutscher Bundestag 13854 B Kleinert (Marburg) GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 13830 C Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers Namentliche Abstimmungen 13831 A der Justiz

Ergebnisse 13851B, 13852D in Verbindung mit Einzelplan 14 Einzelplan 19 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung Bundesverfassungsgericht Dr. de With SPD 13856 B in Verbindung mit von Schmude CDU/CSU 13858 A Einzelplan 35 Häfner GRÜNE 13859 A Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streit- Irmer FDP 13860 B kräfte (Drucksache 11/5576) Engelhard, Bundesminister BMJ 13862 D in Verbindung mit Haushaltsgesetz 1990 (Drucksachen 11/5579, Tagesordnungspunkt IV: 11/5580) 13864 D Beratung der Beschlußempfehlung des Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung 123 zu Petitionen (Drucksache 11/5150) durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1989 bis 1993 (Drucksachen in Verbindung mit 11/5001, 11/5322, 11/5390, 11/5731) . . 13865A Tagesordnungspunkt V: Nächste Sitzung 13865 C Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschus- ses zu dem Antrag der Abgeordneten Anlage Frau Fuchs (Verl), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Rücktritt der Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 13867* A Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13733

179. Sitzung

Bonn, den 30. November 1989

Beginn: 9.01 Uhr

Präsidentin Dr. Süssmuth: Zunächst einen schönen Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die guten Morgen. Beratung 90 Minuten vorgesehen. — Auch damit sind Sie einverstanden. (Zurufe: Guten Morgen!) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- Die Sitzung ist eröffnet. ordnete Herr Waltemathe. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen auf Veräußerung der bundeseigenen Liegenschaft in Ludwigsburg, Waltemathe (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr Hindenburgstraße 37 bis 45 — Drucksache 11/5714 — verehrten Damen und Herren! Haushaltsdebatten ha- erweitert werden. Eine Aussprache ist nicht vorgese- ben ihre eigenen Rituale, deren Ablauf und Ergebnis hen. Der Antrag soll dem Haushaltsausschuß über- schon im Vorfeld feststehen. Die Diskussion über den wiesen werden. Umweltetat des Bundes wird danach etwa folgenden Verlauf haben: Sind Sie damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen. Erstens. Die Opposition wirft der Regierung vor, von ihren ganzen 300 Milliarden DM im Gesamthaushalt 1990 nicht einmal eine lumpige Milliarde DM für das Ressort Töpfer vorzusehen. Meine Damen und Herren, wir setzen die Beratun- Zweitens. Die Regierung wirft der Opposition vor, gen zu Punkt I der Tagesordnung fort. wieder einmal zu dramatisieren. Auch an anderen Zweite Beratung des von der Bundesregierung Stellen fänden sich Mittel, die dem Umweltschutz die- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über nen. Es sei also unfair, nur über den Töpfer-Topf zu die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für reden. das Haushaltsjahr 1990 (Frau Matthäus-Maier [SPD]: „Töpfer-Topf"!) (Haushaltsgesetz 1990) . Drittens. Die Opposition wirft der Regierung vor, sie — Drucksachen 11/5000, 11/5321, 11/5389 — habe versprochen, ein Nord-/Ostsee-Sanierungspro- gramm anzuschieben, das Bundesnaturschutzgesetz Beschlußempfehlungen und Bericht des Haus- zu novellieren, die FCKW-Produktion drastisch zu haltsausschusses (8. Ausschuß) vermindern und weitere Aktivitäten zu entfalten. Ich rufe auf: Aber außer Versprechungen und Spesen nichts gewe- sen! Einzelplan 16 (Beifall bei der SPD) Geschäftsbereich des Bundesministers für Um- welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Viertens. Daraufhin wirft die Regierung der Oppo- — Drucksachen 11/5566, 11/5581 — sition vor, ganz zu verschweigen, daß es ein Struktur- hilfeprogramm mit Finanzzuweisungen an viele Bun- Berichterstatter: desländer von insgesamt 2,4 Milliarden DM jährlich Abgeordnete Waltemathe gibt, von denen die Länder insbesondere auch Um- Schmitz (Baesweiler) weltprojekte finanzieren könnten. Dr. Weng (Gerlingen) Frau Vennegerts (Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Das ha- ben wir vereinbart!) Dazu liegen Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses auf Drucksachen 11/3216 und Naturschutz bleibe ein Schwerpunkt, aber leider sei 11/3231 vor. Änderungsanträge der Fraktion DIE nicht genügend Geld vorhanden. Und Ökosteuern GRÜNEN sowie der Fraktion der SPD liegen auf den wolle man nicht; das sei ideologisches Teufelszeug. Drucksachen 11/5777 bis 11/5780, 11/5882 Nr. XIII Fünftens. Daraufhin heult natürlich die Opposition und 11/5889 vor. auf und erinnert die Regierung an ihre eigenen Ziele 13734 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Waltemathe einer marktwirtschaftlichen Regelung der Umwelt- maßnahmen aus, und der Verteidigungsminister ent- vorsorge. sorge Grundstücke von Kampfstoffen und Sondermüll Sechstens. Die Regierung stellt sich als das dar, was für 150 Millionen DM und setze Simulatoren und an- sie ist, als konservativ und fest, sie bleibt ganz ihrer dere Umweltschutzgeräte für 354 Millionen DM ein, eigenen Meinung, um — wohlgemerkt: als Verursacher — die Tiefflieger vom Himmel zu holen. So ließen sich die Beispiele (Heiterkeit bei der SPD) fortsetzen: über Teile des Bauetats, des Technologie- und die Koalitionsabgeordneten besiegeln dies, leh- haushalts, des Bildungsetats und weiterer Fundquel- nen alles ab, was die Opposition vorschlägt und be- len. Nicht zu vergessen die Umweltkredite der Kredit- schließen den Umweltetat ohne jegliche Veränderun- anstalt für Wiederaufbau und aus dem ERP-Sonder- gen. vermögen. (Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Das Ich frage mich nur: wenn diese 5 Milliarden DM stimmt nicht!) — und dazu noch 8 Milliarden DM Kreditmittel — al- lesamt dem Umwelt- und Naturschutz dienen, warum So wird die Debatte wohl auch heute ablaufen. stehen sie dann an ganz anderen Stellen im Etat? (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Selbst die Koalition denkt ja gar nicht daran, die 60 Fundquellen zu Herrn Töpfer umzuschichten, son- Wir könnten also auf sie verzichten, wenn sie nicht dern sie will sie dort belassen, wo sie den einzelnen fester Bestandteil unserer parlamentarischen Ord- Fachministerien zur Verfügung stehen. Insoweit han- nung wäre. delt es sich bei der Fleißarbeit von Finanzministerium Oder ließe sich die Debatte nicht doch ganz anders und Umweltministerium mehr um eine Lachnummer, führen? Das müßte eigentlich möglich sein! Deshalb die nicht einmal von der Koalition ernstgenommen werde ich am Schluß meiner Ausführungen die Frage wird. stellen, ob wir es heute einmal ganz anders machen (Beifall bei der SPD) wollen. Übrigens, Herr Bundesminister, da hört man, daß (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Warum erst am der Erlös aus dem Verkauf der Salzgitter AG in eine Schluß?) Umweltstiftung gegeben werden soll, die vom Bun- desfinanzminister beaufsichtigt werden so ll. Demon- Wenn ich jetzt sage: der Etat des Bundesumweltmi- striert die Bundesregierung damit, daß der Umweltmi- nisteriums ist zwar von einer runden halben Milliarde nister für den Umweltschutz gar nicht zuständig ist? DM im Jahre 1989 auf eine knappe ganze Milliarde im Jahre 1990 angestiegen — aber nur deshalb, weil das Die Naturschutzabgabe, die Herr Töpfer forde rte, Strahlenschutzamt mit Personal- und Sachmitteln aus ist ihm schon auf dem Parteitag seiner CDU gestrichen anderen Ressorts, insbesondere dem Wirtschaftsetat, worden, gespeist wurde — , dann wird mir entgegengehalten (Zuruf von der SPD: Genauso ist das!) werden, daß im Gesamthaushalt aber fast 6 Milliarden DM für den Umweltschutz vorhanden sind. Das hört und 120 Millionen DM für die Finanzierung von Aus- sich an wie moderne Mengenlehre. gleichszahlungen an Landwirte in Naturschutzgebie- ten stellte Herr Waigel Herrn Töpfer nicht zur Verfü- (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Grundrechenart!) gung. Die Summe wird nicht größer, aber die Teilmengen (Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Siehe werden anderen zugeordnet und anders benannt. Da Nordrhein-Westfalen!) das Wort „Umwelt" hoch im Kurs liegt, betreibt also jedes Ministerium seinen eigenen Umweltschutz. Der Der Schwerpunkt der Arbeit des Herrn Töpfer tatsächliche Stellenwert, den Natur- und Umwelt- — von ihm selbst so bezeichnet — , nämlich die Novel- schutz in dieser Regierung erhalten, wird dadurch al- lierung des Naturschutzgesetzes, ist zum Schwer- lerdings nicht größer. punkt des Scheiterns geworden. (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Eine Querschnitts (Beifall bei der SPD) aufgabe!) Es wird keine Novelle geben, keine Aufhebung der Am 12. Oktober 1989 haben der Finanzminister und Landwirtschaftsklausel, kein Mitwirkungsrecht der der Umweltminister dem Haushaltsausschuß ein ge- Naturschutzverbände, keine Verbandsklage, keinen meinsames Papier vorgelegt. Da gibt es etwa 60 Ein- Biotopschutz. zelpunkte, die den Eindruck erwecken sollen, als fän- (Dr. Göhner [CDU/CSU]: Sie werden noch den sich in anderen Einzelplänen des Haushalts 1990 überrascht werden!) ungefähr 5 Milliarden DM, die eigentlich dem Um- weltschutz zuzurechnen wären. Zum Beispiel wird da Geben wird es mehr für Propaganda. Das wird aber -als behauptet, aus der Gemeinschaftsaufgabe „Regio- „Aufklärung der Bevölkerung" getarnt. nale Wirtschaftsstruktur" seien 35 Millionen DM um- (Beifall bei der SPD — Dr. Göhner [CDU/ weltdienlich, und das Auswärtige Amt verfüge im- CSU]: Sehr voreilig, Herr Kollege!) merhin über ein Referat „Internationale Umweltpoli- tik" mit Personalkosten von 200 000 DM. Der Land- Kat sei Dank, wird der Herr Töpfer da sagen, wenig- wirtschaftsminister habe 325 Millionen DM in seinem stens etwas. Etat für Küstenschutz und Agrarstruktur. Ganz klar: Ein weiterer Punkt: Der Bundesumweltminister Das ist ja alles Umweltschutz. Der Verkehrsminister braucht eine Behausung — das ist auch unstreitig —, gebe weit über 100 Millionen DM für Schallschutz nicht wegen seines eigenen Unterkommens, denn er Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13735

Waltemathe will ja ab Februar im Saarland als Oppositionsparla- energiesparenden Vorrichtungen, die in dem Haus mentarier agieren. eingebaut werden sollen, gesagt haben, (Beifall bei der SPD) (Jahn [Marburg] [SPD]: Ja, Sie haben es überhört! Moin, Moin!) So bringt er heute seinen dritten Haushalt ein, wird ihn aber nicht mehr bewirtschaften. daß Sie vor allem den Aspekt, daß die energiesparen- den Einrichtungen hier ständig so fortentwickelt wer- (Stahl [Kempen] [SPD]: Deshalb ist er auch so den sollen, daß die anderen Behörden hier ein Vor- klein!) bild, eine Zugriffsmöglichkeit haben, nicht betont ha- Aber die mittlerweile über 600 Mitarbeiter bzw. die ben? Habe ich das überhört? endgültig vorgesehenen 750 bis 800 Ministeriumsge- (Zuruf von der SPD: Ja! — Wieczorek [Duis- hilfen müssen an einem Dienstsitz vereinigt werden. burg] [SPD]: So früh ist er noch nicht Darüber gibt es gar keinen Streit, auch nicht darüber, wach!) daß ein Ökologieministerium so zu planen und so zu bauen ist, daß mit einem Maximum an Umweltscho- nung und einem Minimum an Energieverbrauch mo- Waltemathe (SPD): Ich könnte jetzt einfach sagen: dellhaft Beispiele für ökologisches Bauen gesetzt wer- Ja, das haben Sie überhört. Ich habe gesagt: Wir wol- den sollten. len ein Beispiel setzen. Es geht nicht darum, daß ein (Beifall bei der SPD) Gebäudekomplex gebaut werden soll, der nichts ko- Aber wir haben auch die Verpflichtung, mit den sten darf. Das wäre Quatsch. Ich sage nur: Wenn Geldern der Steuerzahler sorgsam umzugehen. schon innerhalb von drei bis fünf Monaten in den Schätzungen Differenzen von 32 Millionen DM sind, (Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Was heißt hier müssen wir als Parlamentarier uns alle gemeinsam „auch"?) davor schützen, daß uns die Preise davonlaufen. Deshalb kann die Aufgabe nicht lauten: Es muß um (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Wie beim Pe her. Nach bishe- jeden Preis ein Umweltministerium -tersberg!) rigen Vorplanungen würden sich die Herstellungsko- sten nach heutigen Preisverhältnissen bei den Haupt- Wir müssen uns deshalb die Bauplanung sehr genau nutzflächen schon auf etwa 8 500 DM pro Quadratme- angucken. Ich gehe davon aus: Das werden Sie ge- ter belaufen, so daß ein Arbeitsplatz nackt, ohne Aus- nauso tun wie wir. stattung, weit über 200 000 DM an Kosten verursa- (Beifall bei der SPD) chen würde. Da ich aus Bremen komme, kann ich Das ist nicht allein die Aufgabe der Opposition, das ist sagen: Das ist bei uns etwa der Preis für ein Einfami- die Aufgabe des Parlaments. Gebrannte Kinder soll- lienhaus. ten das Feuer scheuen. (Jahn [Marburg] [SPD]: Na, na, na!) (Beifall bei der SPD) — In Stuttgart ist das anders, das weiß ich. Meine Damen und Herren, es ist vorgestern gesagt In den Unterlagen für den Haushaltsausschuß stan- worden — ich glaube, Kollege Austermann war es —, den zunächst 148 Millionen DM an Gesamtkosten. Im für sechs Umweltprojekte in der DDR seien 300 Mil- September waren es schon 166 Millionen DM. Und lionen DM zusätzlich zur Verfügung gestellt worden. nunmehr sind es schon knapp 180 Millionen DM, die Das ist nicht ganz richtig. Richtig ist zunächst einmal zur Debatte stehen. Alles innerhalb von drei bis fünf — und das will ich herausstellen — , daß alle Fraktio- Monaten und alles ohne etwaige konjunkturbedingte nen dieses Hauses gefordert haben, daß aus den Inve- Preissteigerungen. stitionsmitteln des Umweltetats auch Projekte auf dem Gebiet der DDR finanziert werden dürfen. Wir haben (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Schlimmer als entsprechende haushaltsrechtliche Voraussetzungen beim Plenum!) gemeinsam getragen. Die konkret ausgehandelten Mit anderen Worten: Wir sagen ja dazu, daß ein sechs Projekte in der DDR haben wir auch gemeinsam Umweltministerium gebaut werden soll. Wir werden gebilligt. Richtig ist auch, daß dafür in fünf Jahren aber im kommenden Jahr die konkreten Bauplanun- insgesamt etwa 300 Millionen DM zur Verfügung ge- gen sehr sorgfältig auf das richtige Preis-Nutzen-Ver- stellt werden müssen und sollen. hältnis prüfen und abklopfen; denn neue Abenteuer (Jungmann [SPD]: In fünf Jahren!) wie beim Petersberg oder wie bei den Bauten des Bundestages wollen wir eigentlich nicht erleben. — Insgesamt gibt es insoweit seitens der Opposition keine Kritik. Aber die Finanzplanung des Bundes ist (Beifall bei der SPD) im Hinblick auf diese sechs Projekte lediglich um 175 Millionen DM in fünf Jahren aufgestockt worden. Dies bedeutet, daß für bisher aus Investitionsmitteln Präsidentin Dr. Süssmuth: Herr Abgeordneter finanzierbare Vorhaben in der Bundesrepublik im Weng, Herr Abgeordneter Waltemathe erlaubt eine nächsten Fünf-Jahres-Zeitraum 125 Millionen DM Zwischenfrage. weniger zur Verfügung stehen. Dann haben wir erneut den Antrag gestellt, für Maßnahmen zur Sanierung grenzüberschreitender und zur Rettung von Nord- und Ostsee 550 Mil- Dr. Weng (Gerlingen) (FDP): Herr Kollege Waltema- Flüsse lionen DM im Umwelthaushalt auszubringen. the, habe ich nur überhört, daß Sie gar nichts über die ökologische Ausrichtung des Hauses und über die (Beifall bei der SPD) 13736 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Waltemathe Nun weiß ich, daß ich den Bundesminister damit Wir hätten längst selbst anfangen müssen, das voran- nerve: 50 Millionen DM sind für ein Programm zur zubringen, was in unserem eigenen nationalen Inter- Sanierung von Mosel und Saar vorzusehen. esse liegt. (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Und Saar!) Meine Damen und Herren, es waren nur wenige Punkte, die ich konkret anschneiden konnte. Das übli- Es ist nun das dritte Mal seit 1987, daß eine Mehrheit che Ritual habe ich eingangs meines Beitrags in Stich- des Bundesrates eine solche Mitfinanzierung durch worten geschildert. Sie haben die Chance — es ist den Bund mit Recht verlangt, denn die Bundesregie- eine einmalige Chance — mir unrecht zu geben, in- rung ist im Rahmen der Internationalen Kommission dem Sie unserem Antrag zustimmen, 550 Millionen zum Schutze der Mosel und der Saar gegen Verunrei- DM aus dem Verteidigungshaushalt für lebensnot- nigungen Verpflichtungen eingegangen, die nicht al- wendige Rettungsmaßnahmen an unseren Gewässern lein auf die beiden betroffenen Bundesländer abgela- umzuschichten. den werden können. (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Der weiß gar der GRÜNEN) nicht, wo die Saar liegt!) Es wäre eine Sensation, nicht so sehr in der Sache, In diesem Jahr ist ein Abkommen zwischen Frank- wohl aber ein Beweis dafür, daß Sie sich den besseren reich, Luxemburg und der Bundesrepublik abge- Argumenten nicht verschließen. schlossen worden, in dem die Einrichtung eines Se- (Beifall bei der SPD) kretariats vereinbart wurde. Für dieses Sekretariat Wenn ich aber davon ausgehen muß, daß Sie lieber steht im Haushalt eine Summe für anteilige Personal- das übliche Ritual einhalten, so bleibt leider auch mir kosten — völlig in Ordnung — , aber für das, was ei- nichts anderes übrig, als die Ablehnung des Umwelt- gentlich bewirkt werden soll, kein einziger Pfennig. etats durch die SPD-Bundestagsfraktion anzukündi- Es ist hier nicht die Zeit, die Rede zu verlesen, die gen. der rheinland-pfälzische Staatsminister Keller am Im übrigen, Herr Minister, bedanke ich mich für die 22. September im Bundesrat gehalten hat, aber seine Zusammenarbeit mit den Damen und Herren in Ihrem Begründung dafür, daß auch der Bund im Obligo ist, Ministerium. Es bleibt trotzdem dabei: Geben Sie sich ist eindeutig und nach wie vor aktuell, und wir können einen Ruck, und folgen Sie unserem Antrag, dann sie uns voll zu eigen machen. könnten Sie auch einmal eine Zustimmung zu Ihrem Wir brauchen endlich ein Sonderprogramm zur Etat finden! Rettung von Nord- und Ostsee. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Abgeordneten der FDP) Präsidentin Dr. Süssmuth: Das Wort hat der Abge- Wir wollen dafür bundesseitig im nächsten Jahr ordnete Herr Schmitz (Baesweiler). 500 Millionen DM vorsehen. Es handelt sich natürlich nur um einen Anteil, denn natürlich müssen Länder- mittel und auch kommunale Mittel einschließlich Schmitz (Baesweiler) (CDU/CSU): Frau Präsiden- kommunaler Gebühren hinzukommen. Hier ist es tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber eben nicht damit getan, darauf hinzuweisen, daß die Herr Kollege Waltemathe, wenn ich mir so die gesam- Strukturhilfezuwendungen des Bundes auch für Um- ten Reden anhöre und alle Anträge aus der Opposition weltprojekte Verwendung finden können. durchlese, dann müßte der Verteidigungsetat zwi- schenzeitlich mehr als 100 Milliarden DM betragen; (Fellner [CDU/CSU]: Wieviel hat Bremen denn so viel wollten Sie mit Ihren Anträgen strei- denn reingesteckt?) chen. Denn wir brauchen ein gezieltes Programm für die (Beifall bei der CDU/CSU) Sanierung grenzüberschreitender Flüsse, wenn wir Meine Damen und Herren, der Etat des Bundesum- mit einer Schadensbeseitigung in Nord- und Ostsee weltministers weist auch für das Jahr 1990 eine aus- und Umweltvorsorge für die Zukunft ernst machen gezeichnete Bilanz auf. wollen. (Beifall bei der SPD) (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das Ritual be -ginnt!) Im vergangenen Jahr schien unter dem Eindruck Der Umwelthaushalt steigt nach Abschluß der Bera- von Algenpest und Robbensterben auch die Koalition tungen im Haushaltsausschuß auf 967 Millionen DM, bereit, wenigstens etwas in die Richtung unseres An- auf fast eine Milliarde. Sieht man von dem Sonderfak- trags zu tun. Auch der Bundesumweltminister hat den tor der Errichtung des Bundesamtes für Strahlen- Eindruck erweckt, als hätte er ein Zehn-Punkte-Pro- schutz einmal ab, so beträgt die Steigerung im Um- gramm zur Rettung von Nord- und Ostsee, und es weltetat immerhin 16,2 %. Sie liegt also mehr als fünf- wären nur die bösen anderen auf internationalen Kon- mal so hoch wie beim Gesamthaushalt, der um 3 ferenzen, die die Bremsen angezogen hätten. Natür- steigt. Die Koalition und die von ihr getragene Bun- lich müssen auch andere Staaten und Länder etwas desregierung setzen damit den konsequenten Ausbau tun. Das darf uns aber nicht veranlassen, abzuwarten, der Ressourcen des Umweltschutzes auch in diesem bis sie etwas tun. Jahr und im kommenden Jahr fort. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13737

Schmitz (Baesweiler) Im Haushaltsausschuß haben die Koalitionsfraktio- worden ist: Jetzt würden wir darauf verweisen. Aber nen gegenüber dem Regierungsentwurf 11,8 Millio- es ist und bleibt eine Querschnittsaufgabe. Man kann nen DM zusätzlich in den Etat eingestellt, und zwar ist nicht auf der einen Seite Anträge zum Schutz der Insel der Bereich Naturschutzgroßprojekte um 3 auf 25 Mil- Sylt stellen und den Einzelplan 10 damit behel ligen lionen DM erhöht worden. Aus diesem Programm, das — ich sage das einmal ganz deutlich — und anderer- in der Öffentlichkeit große Resonanz gefunden hat, seits sagen: Das hat alles nichts mit Umweltschutz zu werden Vorhaben gefördert, die national und interna- tun; das ist etwas ganz anderes; das hat mit der Regie- tional beispielhafte Anstöße für konkreten Natur- rung nichts zu tun. Wenn wir nun aus dem Einzel- schutz geben. plan 10 5 Millionen DM zum Schutz der Insel Sylt zur Verfügung stellen, dann müßte es doch auch Ihnen, (Beifall des Abg. Dr. Weng [Gerlingen] Herr Kollege Waltemathe, und den anderen einleuch- [FDP]) ten, daß das eine Querschnittsaufgabe ist und daß das Weitere 5 Millionen DM haben wir im Haushalts- mit Umweltschutz ganz konkret etwas zu tun hat. ausschuß zusätzlich für die Erprobungs- und Entwick- lungsvorhaben auf dem Gebiete des Naturschutzes (Beifall bei der CDU/CSU — Jungmann bewilligt. Darüber hinaus haben wir weitere Erhöhun- [Wittmoldt] [SPD]: Das hat mit Umweltschutz gen der Investitionsmittel für Umweltschutzprojekte nichts zu tun! Das ist Erhaltung der Lebens- um 5 auf 140 Millionen DM beschlossen. Insgesamt bedingungen der Menschen gegen die See! erfährt dieser Titel gegenüber dem laufenden Jahr Sie wissen gar nicht, wo Sylt liegt!) eine Steigerung um 25 Millionen DM, d. h. um mehr Politik ist bei Ihnen mehr mit politischer Absicht ge- als 20 %. paart, nicht mit Einsicht. Dies ist der Punkt, an dem wir Umweltpolitisch vordringlich sind neue Projekte im das machen. Ich bin ja gerne bereit, Herr Kollege Bereiche der Sonderabfallverbrennung sowie zusätz- Jungmann, Ihre Anträge unter diesem Aspekt dem- liche Pilotprojekte zur Verminderung grenzüber- nächst abzulehnen, wenn Sie Ihre Argumentation so schreitender Schadstoffbelastungen, vor allen Dingen fortsetzen. in Zusammenarbeit mit der DDR, mit der CSSR und Meine Damen und Herren, von den gesamten mit Polen. Auf diesen Punkt komme ich noch zurück, 5,9 Milliarden DM der Umweltschutzausgaben aus meine Damen und Herren. dem Bundeshaushalt entfallen 735 Millionen DM auf Auch die Mittel für die Aufklärung der Bevölke- Umweltschutzmaßnahmen im Rahmen des Struktur- rung auf dem Gebiet des Umweltschutzes haben wir hilfeprogrammes, und zwar 1989 und folgende: jedes erhöht, nämlich um 2 auf 11,4 Millionen DM. Das, Jahr, zehn Jahre lang. Dies hat für die Finanzierung Herr Kollege, fand ja Ihre Kritik. Wir sprechen hier von Umweltprojekten große Bedeutung gewonnen, von Aufklärung der Bevölkerung. Wenn ich mir an- eigentlich auch gegen Ihren Willen; das haben wir sehe, was in diesem Bereich von grünen Gruppen und heute morgen ja schon gehört. Wir hatten das immer von Verbänden der verschiedensten Art an falscher vorausgesagt, auch wenn die Opposition das jetzt Aufklärung in Szene gesetzt wird, dann ist es notwen- nicht wahrhaben will. dig, daß wir Sachaufklärung betreiben; denn eines ist Die zusätzlichen Gelder aus diesem Strukturhilfe- klar: Wir müssen dies für das umweltgerechte Verhal- gesetz fließen vor allen Dingen in den Bau moderner ten der Bevölkerung machen. Umweltgerechtes Ver- Kläranlagen und kommen damit vorrangig dem halten im Alltag bedeutet — das zeigt das Beispiel des Schutz der Gewässer zugute. Hier wird also Entschei- Katalysators — , daß dieser Erfolg mit den umweltpoli- dendes für die Nordsee und die Ostsee getan. tischen Entscheidungen, aber auch mit dem Verhal- ten des einzelnen Bürgers steht und fällt. Darauf (Beifall bei der CDU/CSU) kommt es ganz entscheidend an. Nur wer das nicht wahrhaben will, der verschließt ein- (Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Dann muß der fach die Augen und will den Leuten Sand in die Au- Minister erst einmal die Geschwindigkeits gen streuen. begrenzung einhalten!) (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) — Herr Kollege Jungmann, hören Sie gut zu. Diesen Beitrag kann allerdings nur derjenige leisten Wenn man Umweltpolitik wie wir im Gegensatz zu — jedes Land hat den Auftrag dazu — , der diese Mit- anderen für den Bürger und mit dem Bürger gestalten tel auch abruft. Da müssen Sie dem Johannes Rau mal will, Beine machen. Die Landesregierung von Nordrhein- Westfalen hat in den letzten Jahren allein für den (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Über den Bürger Gewässerschutz 550 Millionen DM aus ihren Etats ge- hinweg!) strichen, und sie hat von dem, was die Bundesregie- dann bedarf es der umfassenden Information. rung ihr jetzt zur Verfügung stellt, nämlich über- 750 Millionen DM im Jahr, für das Jahr 1989 200 Mil- (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das beste wäre lionen DM überhaupt nicht belegt. 167 Millionen DM eine gute Politik!) werden gar nicht abgerufen, meine Damen und Her- Dabei halte ich es für außerordentlich wichtig, daß wir ren. damit bereits in den Schulen ansetzen, damit wir den Demjenigen, der es beim Umweltschutz nun wirk- jungen Mitbürger über die richtige Umweltpolitik auf- lich gut meint, müßte doch eigentlich einleuchten, daß klären. die Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, Umweltschutz ist eine Querschnittsaufgabe. Ich die jetzt Kläranlagen bauen müssen, die jetzt ihre Vor- könnte das tun, was von Ernst Waltemathe gesagt fluter verändern müssen, dieses Geld dringend brau- 13738 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Schmitz (Baesweiler) chen. Ich kann nur jeden Bürgermeister in Nordrhein- Wachstum sei; aber wir brauchen das — , das umwelt- Westfalen aufrufen: Wenden Sie sich an Johannes verträglichen technischen Fortschritt fördert. Die ge- Rau. Und ich kann der Opposition nur sagen: Machen genwärtige Lage der deutschen Wirtschaft bietet hier- Sie dem Johannnes Rau in dieser Hinsicht mal für günstige Voraussetzungen. Beine. Ich darf daran erinnern, daß wir unserer Wirtschaft (Frau Garbe [GRÜNE]: Das gilt nicht nur für schon einiges zugemutet und abverlangt haben. Das Rau, auch für die anderen!) ist auch richtig so. Ich nenne beispielsweise das Ge- Sonst geht er, was den Umweltschutz angeht, als lah- setz zur Umweltverträglichkeitsprüfung, durch das mer Gaul durchs Ziel. die Grundlage für einen umfassenden „Umwelt- TÜV" gelegt wurde, die Novellierung des Chemika- (Fellner [CDU/CSU]: Wenn er es überhaupt liengesetzes, den Ausbau des Immissionsschutzgeset- erreicht!) zes zu einem umfassenden Anlagensicherheitsgesetz, Das müssen wir hier zur Klarheit und Wahrheit einmal die neue Störfallverordnung, die neue TA Abfall, die sagen. Erhöhung der Abwasserabgabe. Hinzu kommt, daß wir die Verbrennung von deutschem Giftmüll auf der Anstatt die bereitgestellten Mittel auszuschöpfen, Nordsee Ende 1991, also drei Jahre früher als geplant, wird hier lamentiert. Dies ist keine gerechte Politik. einstellen können. Meine Damen und Herren, das Herr Kollege Waltemathe, deswegen ist der Antrag, sind alles Ordnungsrahmen, die eine umweltverträg- den Sie hier gestellt haben, abzulehnen. liche soziale Marktwirtschaft braucht. Meine Damen und Herren, diese Art der Umweltpo- litik, wie sie die Opposition betreibt, führt schlußend- Es ist schon erstaunlich, zu sehen, daß der Opposi- lich dazu, daß wir mehr den Verbraucher und nicht tion immer noch nicht aufgefallen ist, daß wir mit die- denjenigen belasten, der verursacht. Das ist der sem Ordnungsrahmen, den wir geschaffen haben, grundsätzliche Streit, den wir austragen müssen. und mit marktwirtschaftlichen Anreizen sogar unmit- telbar arbeitsmarktpolitische Erfolge erzielt haben (Frau Garbe [GRÜNE]: Das ist nicht unsere und daß das Sonderprogramm „Arbeit und Umwelt", Intention!) das immer wieder dargestellt wird, längst in der Ver- Die Qualität einer Umweltpolitik zeigt sich daran, ob wirklichung begriffen ist, nur weil wir die richtigen konsequent das Verursacherprinzip angewandt und Akzente gesetzt haben, und zwar nicht ausschließlich durchgesetzt wird oder nicht. dadurch, daß wir im Bundeshaushalt Gelder einge- stellt haben. Ein Beschäftigungsprogramm im Stil der (Beifall bei der SPD) SPD, das ist ein Schlag ins Wasser; das ist eine alte Wenn Sie das nicht wollen, dann müssen Sie sich hier Platte, meine Damen und Herren. Sie sollten es nicht hinstellen und das sagen. mehr aufwärmen. (Zurufe von der SPD) Es ist richtig — wir spüren ja in den letzten Tagen das besondere politische Gewicht sehr deutlich; las- — Warten Sie ab, da unterscheiden wir uns. — Wer sen Sie mich auch das in aller Deutlichkeit sagen —, dieses Prinzip ernst nimmt, muß dafür eintreten, daß daß wir — ich erinnere mich noch an die Diskussio- sich die Kosten der Umweltbelastung im Budget und nen, die wir untereinander im Haushaltsausschuß ge- in den Bilanzen der Verursacher niederschlagen und führt haben — mit der DDR bereits frühzeitig im Vor- nicht im Bundeshaushalt. Das haben Sie bis heute feld diese Fragen klären. Das war ja gar nicht so ein- immer noch nicht begriffen. fach. Es hat sich herausgeste llt, daß die Idee des Bun- Nur über die Kosten, die sich in den Preisen nieder- desumweltministers, sich, was die DDR angeht, mit schlagen, führt der Weg vom Verursacherprinzip zum konkreten Projekten in diese Richtung zu beschäfti- Vorsorgeprinzip und zum Vermeidungsprinzip. Das gen und dort zu einem Dialog zu kommen, wie man haben SPD und GRÜNE bis heute offenbar immer das macht, die richtige Richtung ist. noch nicht begriffen. Wer wie die Opposition eine Finanzierung nur über die öffentlichen Haushalte for- Ich denke, wir müssen auch, wenn sich dies so wei- dert, der belastet schlußendlich ausschließlich den terentwickelt, darüber nachdenken, in welche Berei- kleinen Mann, der mit der Beseitigung von Schäden che wir noch zusätzlich hineingehen. Da sollte es nicht nichts zu tun hat. Diejenigen sind für die Schäden ver- an Mitteln fehlen, meine Damen und Herren. Dies ist antwortlich, die sie anrichten. gut angelegtes Geld. Verursacherorientierte Umweltpolitik ist nur er- Ich stehe nicht an, zu erklären: Wir wären bereit, folgreich, wenn, wie geschehen, Indust rie und Ge- hier einiges zu tun. Denn eines bedrückt auch uns: werbe für das laufende Jahr und für die kommenden Umweltpolitik macht an den Grenzen nicht halt. Jahre mehr als 17 Milliarden DM mit steigender Ten- (Frau Wollny [GRÜNE]: Binsenwahrheit!) denz für den Schutz unserer Umwelt ausgeben, ohne daß dafür nur eine einzige Mark hier in diesem Bun- Ich nehme nur einen einzigen Fall heraus. Wenn es deshaushalt aufzutauchen braucht. Wir brauchen um- richtig ist, daß innerhalb der DDR, was die Nutzung weltpolitische Instrumente und Rahmenbedingun- der Braunkohle angeht, 300 Millionen Tonnen und gen, die das finanzielle Eigeninteresse der Wirtschaft mehr verbrannt werden, dann brauchen wir uns nicht und des einzelnen Bürgers für den Umweltschutz mo- zu fragen, welche Umweltschäden dies bedeutet. bilisieren helfen. Dazu gehört auch wachstums- Denn die Kraftwerke sind nicht mit Filteranlagen ver- freundliches Klima — eigentlich hatte ich hier den sehen. Deshalb begrüßen wir eigentlich das hier bei- Zwischenruf von den GRÜNEN erwartet, was schon spielhafte Vorhaben der Modernisierung der Ent- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13739

Schmitz (Baesweiler) schwefelungsanlage im Braunkohleveredlungswerk Es ist ein Politiker, dem die Menschen zutrauen, daß Espenhain. er die ökologischen Zukunftsaufgaben zu bewältigen in der Lage ist. (Stahl [Kempen] [SPD]: Was heißt denn „ei gentlich"? Ja oder Nein?) (Waltemathe [SPD]: Das freut den Herrn Schmidbauer gar nicht!) — Ich sage: beispielhaft. — Das freut den Herrn Schäfer mit Sicherheit nicht; da (Stahl [Kempen] [SPD]: Ja oder Nein?) haben Sie recht. — Deshalb begrüßen wir das, und wir denken, daß (Waltemathe [SPD]: Den Herrn Schmid- dies fortgesetzt werden kann. bauer!) Wer die Verhandlungen und die Hintergründe der Die CDU/CSU-Fraktion wird dem Umweltschutz Verhandlungen der letzten Jahre kennt, muß wissen, auch in den kommenden Jahren bei der Verteilung daß es gar nicht so einfach gewesen ist. Hier möchte der personellen — ich betone: der personellen; Herr ich ausdrücklich Bundesminister Töpfer und seinem Kollege Weng telefoniert gerade — und finanziellen Haus einmal dafür danken, daß er dies in einer Ressourcen den hohen Stellenwert einräumen, den schwierigen Phase der Verhandlungen und in einer wir vor allen Dingen unseren Kindern, aber auch den schwierigen Situation, in der sich die DDR befunden dann kommenden Generationen schuldig sind, meine hat, und in diesem Umbruch in dieser subtilen Art und Damen und Herren. Deswegen werden wir von der Weise verhandelt hat, so daß diese Projekte jetzt Union diesem Etat und dieser Regierung und auch durchgeführt werden können. Das ist ein Pfund, mit besonders diesem Minister dem wir deutsch-deutsch wuchern können, meine Da- (Waltemathe [SPD]: Begeistert zustimmen!) men und Herren. Sie sollten das hier endlich einmal begeistert zustimmen. anerkennen. Vielen Dank. (Beifall des Abg. Harries [CDU/CSU]) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Da hätte ich auch einmal Beifall von Ihnen erwartet; aber das können Sie ja wahrscheinlich nicht. Präsidentin Dr. Süssmuth: Das Wort hat die Abge- (Demonstrativer Beifall des Abg. Jungmann ordnete Frau Wollny. [Wittmoldt] [SPD] — Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Die Betonung war so gut!) — Das ist eben der Punkt. Der Ton macht die Musik, Frau Wollny (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Da- Herr Kollege. Da sind Sie wahrscheinlich amusika- men und Herren! Zur Debatte steht der Haushalt des lisch, wie wir feststellen können. Bundesumweltministeriums. Heute und in den ver- gangenen Tagen ist mehrmals auf die Erhöhung des Meine Damen und Herren, in den vor uns liegenden Etats mit Stolz hingewiesen worden. Sieht man je- Jahren wird es darauf ankommen, daß wir in der in- doch, wofür diese Erhöhung erfolgte, so wird klar er- nerdeutschen Zusammenarbeit im Bereich des Um- kenntlich, daß es sich hier in Wirklichkeit um ein weltschutzes auf allen Ebenen die Dinge weiter aus- Atomministerium handelt. Deshalb sollte der Bundes- bauen. Hier sehe ich beispielsweise Förderungsmög- tag der Ehrlichkeit halber end lich die Umbenennung lichkeiten auch für die Umweltstiftung des Bundes. des Ministeriums beschließen. Das katastrophale Ab- Es ist jetzt auch von Ihnen kritisiert worden, daß sinken des Herrn Ministers auf der Beliebtheitsskala, diese vom Finanzminister verwaltet wird. Meine Da- auf der er doch einmal ganz oben stand, beweist, daß men und Herren, das ist nun einmal im Stiftungsrecht niemand mehr auf diesen Etikettenschwindel herein- so; das ist kein böser Wille in diese Richtung. Aber ich fällt. denke, im Verhältnis zur Koalition können wir dies Umweltschutz, wenn man ihn wirklich will, müßte auch noch regeln. Ich meine jedoch ebenfalls, daß es den gesamten Etat wie ein roter Faden durchziehen. wichtig ist, daß diese Mittel unbedingt den mittelstän- Davon kann jedoch überhaupt nicht die Rede sein. dischen Unternehmen mit zur Verfügung gestellt Das wäre auch von einer Regierung wie der unseren werden. Große Unternehmungen sind imstande, das einfach zuviel verlangt. Bei einer Politik, die aus- oft aus eigener Kraft machen zu können. Ich würde schließlich auf Wachstum und sogenannten Lebens- den Finanzminister bitten, mit darauf zu achten, daß standard auf Kosten von Umwelt und Lebensqualität dies auch mittelständischen Unternehmen zur Verfü- programmiert ist, erscheint das Wirken eines Umwelt- gung gestellt wird. ministers im Nebenberuf wie der Kampf des Don Qui- chotte gegen Windmühlenflügel. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich festhal- - ten: Der Bundesumweltminister Klaus Töpfer und sein (Beifall bei den GRÜNEN) Haus haben im zurückliegenden Jahr mit großem Ein- Dabei wird er — genau wie der oben Genannte — satz hervorragende Arbeit geleistet. Es wundert ja nicht müde, immer neue, großartige Maßnahmen an- nicht — das ärgert Sie wahrscheinlich ganz beson- zukündigen. Die Ergebnisse geraten dann allerdings ders — , daß Klaus Töpfer der bekannteste Umwelt- meistens zur Blamage, z. B. die Umweltverträglich- politiker in der Bundesrepublik Deutschland ist, keitsprüfung, eine gute und wichtige Idee — ohne meine Damen und Herren; ob Sie das haben wollen Frage. Nach langer, schwerer Schwangerschaft oder nicht, er ist es. kreißte der Berg und gebar eine Maus. (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) (Frau Garbe [GRÜNE]: Ein Mäuschen!) 13740 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Frau Wollny Nächster Punkt, das Umwelthaftungsrecht: Ergeb- Wir können unser Wissen, unsere Vorstellungen, nis gleich Null. Herr Töpfer möchte ja vielleicht, aber unser Know-how zur Selbstfindung zur Verfügung die Kollegen spielen nicht mit. stellen, und zwar ohne Bedingungen. Es darf nicht nur (Frau Garbe [GRÜNE]: Ja, das ist sein um einen schnellen Absatz für unsere Reparaturtech- Pech!) nologien gehen, um eine Abfallkippe für unseren Müll, um den Export unseres Weges der Umweltzer- Besonders Herr Engelhard hat Bedenken. Und so störung. Leider aber sieht es so aus, als ob dieser Weg kann man sagen: Außer Spesen nichts gewesen. beschritten werden soll. Bei dem großen Thema Klimaschutz — viel Gerede, Im Energiebereich spekulieren Sie bereits über aber Taten? Beim FCKW-Verbot wollte Herr Töpfer Stromlieferungen, um den Braunkohleeinsatz in der der Industrie nicht wehtun und bestand auf langen DDR zu vermindern. Natürlich muß da etwas getan Fristen. Da mußte Herr Schmidbauer ihm das Heft aus werden, aber die Besorgnis kann nicht darauf redu- der Hand nehmen und ein Verbot bis 1991 durchset- ziert werden, daß man dabei gleich den Absatz deut- zen. schen Atomstroms im Kopf hat. Das Energieproblem Wie verhält es sich mit der Giftmüllverbrennung in der DDR ist vor allem ein Problem der Effizienz. Der auf hoher See? Zuerst hieß es, daß es die umweltver- Primärenergieverbrauch pro Kopf ist doppelt so hoch träglichste Art der Entsorgung sei. Erst als sich die wie in der BRD, und der ist, wie wir alle wissen, nicht Folgen nicht mehr vertuschen ließen, wurde ein Ende gerade sparsam. angekündigt, aber von Jahr zu Jahr verschoben. Nun soll es 1991 sein, aber nur, wenn bis dahin zehn Ver- Umstrukturierung in der Indust rie, Schließung ver- brennungsanlagen an Land vorhanden sind. Eine ty- alteter Anlagen und ein System effizienter Energie- pisch Töpfersche Lösung: Die nächste Verschiebung nutzung werden das Energieproblem in der DDR ganz ist schon vorprogrammiert. anders aussehen lassen. Doch hört man von den Plä- nen der EVU, die DDR jetzt an das Verbundnetz anzu- Aber das Naturschutzgesetz, das sollte nun wirklich schließen, dann wird die Absicht deutlich. Einer Ener- der große Wurf, das Kernstück der Umweltpolitik wer- giewende will man in der DDR offenbar überhaupt den. Aber was ist daraus geworden? Wieder die Rech- erst gar keine Chance geben. Oder warum will Sie- nung ohne den Wirt oder ohne Ihre Kollegen gemacht, mens/KWU in den Bau des AKW Stendal einsteigen? Herr Töpfer! Da hat Herr Kiechle Angst um seine Die Atomwirtschaft wittert neue Absatzmöglichkei- Großagrarier, ten. Daß die DDR in die Reaktorsicherheitskommis- (Frau Flinner [GRÜNE]: Richtig!) sion einbezogen werden soll, kann wohl als eindeuti- ges Indiz dieser Marschrichtung angesehen werden. und Herr Waigel sitzt auf dem Geldsack und zeigt die Just diese atomhörige Kommission soll nun ihre haus- kalte Schulter. gemachte Sicherheitsphilosophie auch noch in die Das Scheitern des Umweltministers Töpfer ist das DDR transportieren. In der BRD ist von der RSK nur Scheitern der Umweltpolitik der Regierung, wenn sie Negatives zu vermelden. Sie hat das Monopol auf die es damit denn jemals ernst gemeint hätte! Reaktorsicherheit und schafft es, auch jeden Störf all, jedes Sicherheitsproblem zu negieren. Öffentlichkeit (Beifall bei den GRÜNEN) bleibt da wie selbstverständlich vor der Tür. Wen wundert es, daß in dieser Situation die revolu- Offenheit — Glasnost im Neudeutschen — , die tionäre Entwicklung in der DDR und anderen osteu- DDRler und DDRlerinnen sich gerade erkämpfen, ropäischen Ländern der Bundesregierung und auch wäre auch bei uns absolut notwendig. Herrn Töpfer gelegen kommt? Eine willkommene Ab- lenkung von den eigenen Problemen! Mit dem Tenor (Zustimmung bei den GRÜNEN) „Ein Reich, ein Volk, ein Profit" will man die Früchte des Widerstandes der Bevölkerung in der DDR für sich Wir können heute von der DDR-Bevölkerung lernen, einheimsen und für die eigene Profilierung nutzen. von ihrem Mut, von ihrer Zivilcourage und von ihrer Durchsetzungskraft. Glasnost in der BRD, eine sanfte Die DDR mit ihren gravierenden Umweltproblemen ökologische Revolution, das wäre auch hier ange- verspricht, ein umfangreicher Markt für Reparatur- sagt. Wenn sich das Gefälle zwischen BRD und DDR technologien zu werden. Da muß ja schließlich jedes verändern soll, dann muß sich auch in diesem Punkt Unternehmerherz höherschlagen. Doch so begrü- etwas verändern. Auch hier heißt es, Offenheit zu for- ßenswert es ist — das bestreiten wir keineswegs, Herr dern; Offenheit in Fragen der Situation der Umwelt, Töpfer — , daß jetzt auf Grund der Umweltvereinba- der gesundheitlichen Gefährdung, hinsichtlich aller rung von 1987 konkrete Projekte mit bundesdeutscher zur Verfügung stehender Fakten und Daten. finanzieller Unterstützung zur Reduzierung der Was- ser- und Luftbelastung realisiert werden sollen, so Wann wird auch in der Bundesrepublik der Wille sehr ist auch vor einem Ausnutzen dieser umweltpoli- der Bevölkerung respektiert, sei es in den Fragen des tischen Situation durch schnellen Verkauf von Repa- Ausstiegs aus der Atomenergie, sei es in der Frage des raturtechnologien, die dann einen g rundlegenden Willens nach einer sauberen und zukunftsträchtigen Wandel der Produktionsstruktur verhindern, zu war- Umwelt? Oder soll es dem Prinzip der demokratischen nen. Denn die DDR hat in ihrer heutigen Situation die Beteiligung an Entscheidungsprozessen entsprechen, einmalige Chance, mit der notwendigen Umstruktu- wenn die eh bescheidenen Mitspracherechte durch rierung ihrer Wirtschaft zu einem ökologischen Wirt- Polizeieinsatz und behördliche Schikanen verweigert schaften zu gelangen. Doch dafür bedarf es Zeit, Geld werden, wie z. B. kürzlich im Erörterungsverfahren in und gut überlegter Konzepte. Mülheim-Kärlich? Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13741

Frau Wollny Entspricht es dem Grundsatz der Demokratie, wenn Umweltpolitische Überlegungen der Koalition sich die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes per- — ich übertreibe nicht, wenn ich die FDP hier als manent in mühseliger Kleinarbeit ihre Informationen drängenden Teil bezeichne — haben zusätzlichen über Umweltbelastung usw. besorgen müssen, wenn Anschub durch den CDU-Bundesparteitag erhalten, selbst Parlamentarier oftmals nur durch heimlich ge- auf dem mit Bundesumweltminister Töpfer nicht nur gebene Informationen die wichtigsten Dinge erfah- eine Person, sondern ein qualifizierter und engagier- ren, wenn Wissenschaftler, die es wagen, gegen die ter Umweltpolitiker mit dem höchsten Stimmergebnis verordnete Meinung zu sprechen, Repressionen aus- in den Vorstand der CDU gewählt worden ist. gesetzt werden, die oftmals bis zum Verlust der Exi- (Zustimmung bei der CDU/CSU) stenz reichen? Eine indirekte Auswirkung dieses Parteitagsbe- Erst wenn alle diese Forderungen auch bei uns er- schlusses war, daß wir einmütig u. a. die Investitionen füllt sind, kann bei uns ernsthaft von einem Willen zur Verminderung der Umweltbelastung weiter er- zum Umweltschutz gesprochen werden. höht haben. Bekanntlich hatten ja die Kollegen der Danke schön. Koalition in all den Jahren seit dem Bestehen des (Beifall bei den GRÜNEN) Umweltministeriums dieses Haus aus den grundsätz- lichen Spar- und Kürzungsüberlegungen ausgenom- men, was ebenfalls deutlich macht, daß wir die Not- wendigkeiten aktiver Umweltpolitik längst erkannt Präsidentin Dr. Süssmuth: Das Wort hat der Abge- ordnete Herr Dr. Weng. haben. (Beifall bei der FDP) Meine Damen und Herren, Punkt 2 der Erklärung Dr. Weng (Gerlingen) (FDP): Frau Präsidentin! des Herrn Bundeskanzlers vom vorgestrigen Tag zur Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir Entwicklung des Verhältnisses zur DDR bet rifft aus- stehen alle unter dem Eindruck der furchtbaren Nach- drücklich die Intensivierung der Zusammenarbeit im richt über das schlimme Attentat auf den Vorstands- Bereich des Umweltschutzes. Wir fühlen uns dadurch sprecher der Deutschen Bank. Wenn ich richtig infor- zusätzlich bestätigt und motiviert. Wir wissen, daß im miert bin, wird der Deutsche Bundestag hierzu nach- Augenblick elf weitere Umweltvorhaben für eine ver- her eine Erklärung des Bundesinnenministers hören. gleichbare Unterstützung der DDR vorgeschlagen Ich habe Verständnis, wenn die jetzige Debatte nicht sind. Wir gehen davon aus, daß nach dem Besuch des ganz so aufmerksam verfolgt wird. Auf der anderen Bundeskanzlers in der DDR auf der Basis eines ge- Seite bitte ich um Verständnis dafür, daß wir die De- meinsamen Maßnahmenpakets weitere Projekte in batte zunächst fortführen. den Förderkatalog aufgenommen werden. Beim Um- Meine Damen und Herren, die vorausschauende weltschutz haben wir einen Bereich, der unabhängig vom Zeitpunkt der angekündigten politischen Ände- Umweltpolitik der Koalitionsmehrheit im Haushalts- riff genommen ausschuß und ihrer Berichterstatter für das Umwelt- rungen in der DDR umgehend in Ang werden kann und bereits in Ang riff genommen wor- ministerium dokumentiert sich in diesem Jahr beson- ders eindrucksvoll. Erstmals im laufenden Haushalt den ist und der jetzt umgehend verstärkt werden kann. Wir stehen hierzu. 1989 haben wir erreicht, daß aus dem Etat des Um- weltministers auch Pilotprojekte in der DDR zur Ver- Den im Raum stehenden Zahlen an Technologie- minderung von Umweltbelastungen finanziert wer- transfer von ca. 360 Millionen DM aus der Bundesre- den können. publik würden Eigenleistungen der DDR im Wert von Ich habe seinerzeit darauf hingewiesen, daß dies in ca. 630 Millionen Ost-Mark gegenüberstehen. Leider reicht die Zeit nicht, die Maßnahmen im einzelnen zweierlei Hinsicht von großem Nutzen für uns ist. Zum darzustellen. Aber es sind sehr wichtige, sehr interes- ersten ist hier die Verringerung der Belastung zu nen- nen. Schadstoffemissionen in Luft und Wasser kennen sante und auch für unsere Bevölkerung sehr weitrei- riff genommen wer- ja keine Grenzen. Wenn in der DDR in der Nähe der chende Projekte, die hier in Ang Grenze eine Reduzierung der Schadstoffe mit unserer den. Unterstützung erreicht wird, so ist dies von direktem Ein zusätzlicher Hinweis: Das Sachverständigen- Nutzen auch für unsere Bürger. gutachten 1989/90 weist unter anderem ausdrücklich darauf hin, daß die Qualität unseres Wirtschafts- Zweitens. Uns war klar, daß ein solches Unterfan- wachstums durch die Investitionen im Umweltschutz gen auch indirekte Auswirkungen in die DDR hinein und durch den Umweltschutz als solchen zunehmend haben würde. Die dortigen Bürger, die nicht in Grenz- nähe wohnen, haben natürlich ein gleiches Interesse verbessert wird. an sauberer Luft und gutem Wasser. Sie werden ent- (Zustimmung bei der FDP) sprechende Maßnahmen auch in ihrem Umfeld for- Eine weitere Entscheidung, die durch die Aktivität dern. der Koalitionsberichterstatter zustande kam — und Wenn jetzt sechs Projekte zur Luft- und Gewässer- ich bin hier dem Kollegen Schmitz (Baesweiler) für reinhaltung, die von uns mit insgesamt 300 Millionen seine Kooperation ausdrücklich verbunden — : Es DM unterstützt werden, unmittelbar vor der Auftrags- wird künftig möglich sein, daß der Bund auch Pilot- vergabe stehen und Bürger der DDR von westdeut- projekte zur Sanierung von Fließgewässern im ökolo- scher Umwelttechnologie profitieren können, zeigt gischen Bereich dieser Projekte fördert. Auf die Idee dies, in welchem Maß wir bereits vor dem Abbau der gebracht hatte uns das Gewässersanierungspro- Mauer und vor der Öffnung der Grenzen zu konkreten gramm Glems des Regierungspräsidiums von Stutt- Schritten der Zusammenarbeit bereit waren. gart, dem wir aufgrund seiner sorgfältigen konzeptio- 13742 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Dr. Weng (Gerlingen) nellen Erarbeitung gern einen Anstoß von Bundes- Appelle aus dem politischen Raum werden diese Ver- seite geben wollen. Ein kleines Flüßchen, das einen besserungen erreicht. Wer nur den Etat des Bundes- großen, bevölkerungsreichen Ballungsraum entwäs- umweltministers hier in der Diskussion in den Raum sert, soll konsequent saniert werden. Wenn das Um- stellt, der — das hat der Finanzminister ja gestern weltministerium mitteilt, daß hierbei zusätzliche Maß- gegenüber der Frau Matthäus-Maier schon deutlich nahmen, insbesondere die Schaffung von Lebens- gemacht — versucht, hier falsche Eindrücke nach au- räumen für wildlebende Pflanzen und Tiere im Ufer- ßen zu geben. Der Bundeshaushalt zahlt nicht die Ent- randbereich, einschließlich erforderlicher Vernet- schwefelung der Kraftwerksanlagen. Was wäre, wenn zungselemente sowie Maßnahmen gegen Stoffein- wir die steuerlichen Gegebenheiten beim Kfz belas- träge im Einzugsbereich der Nebenbäche wünschens- sen hätten und dann aus diesem Topf der zusätzlichen wert und erforderlich seien, so ist dies in unserem Steuereinnahmen den Menschen, die ihre Kraftfahr- Sinn. zeuge mit Katalysator kaufen, den Katalysator bezahlt Ich sage das auch mit Blick auf andere Diskussionen hätten? Es wäre eine unsinnige Geschichte. Hier wer- über Landesaufgaben und die Finanzierung von Lan- den Dinge einfach auf andere Weise erledigt, die für desaufgaben. Die Finanzverteilung hat sich in letzter die Umwelt nötig und wichtig sind. Zeit ausdrücklich zugunsten der Länder verändert — Ich sage trotzdem: Der Umfang des Haushalts des zu Lasten des Bundes; an vielen Stellen sehr zugun- Umweltministeriums spielt zwar keine Rolle, aber die sten der Gemeinden. Die Gemeinden stehen finan- Maßnahmen dort und das Wachstum dieses Haushalts ziell unter den Gebietskörperschaften wirklich am haben Signalcharakter. Das überproportionale besten da. Man muß auch einmal sagen, daß diese Wachstum ist auch eine Demonstration politischen Gebietskörperschaften mit ihrer dafür vorhandenen Willens. Denn die Koalition hat die umweltpolitischen Finanzausstattung ihre Aufgaben erledigen müssen Notwendigkeiten längst erkannt; sie trägt ihnen wei- und nicht bei allem auf den Bund weisen dürfen. Ich terhin Rechnung. Die FDP-Fraktion unterstützt dies sage deshalb ausdrücklich: Wir können nicht und wir aus voller Überzeugung. Sie stimmt dem Haushalt des wollen nicht die Aufgaben der Bundesländer über- Umweltministers zu. nehmen. Dafür haben sie ihre Finanzausstattung. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Aber wir wollen Signale und Impulse setzen, damit politisch Wichtiges und politisch Wünschenswertes schneller in Gang kommt, als es ohne diese Signale in Präsidentin Dr. Süssmuth: Das Wort hat jetzt der Gang käme. Abgeordnete Herr Schäfer. (Zustimmung bei der FDP) Natürlich wollen wir Eigeninitiativen fördern. Hier- Schäfer (Offenburg) (SPD): Frau Präsidentin! Meine bei sind die Umweltverbände wichtige Ansprechpart- sehr geehrten Damen und Herren! Ein ökologischer ner — viel zu schade, um sie grünen Ideologen zu Umbau der Industriegesellschaften ist in Ost und überlassen. West, in der DDR und bei uns gleichermaßen überle- bensnotwendig angesichts der globalen Dimensionen (Lachen bei den GRÜNEN) der Umweltprobleme. Niemand bestreitet, daß der Der Umweltminister hat bei unserem gemeinsamen Zustand von Natur und Umwelt in den Ländern Besuch im Wollmatinger Ried bei Konstanz gesehen, Osteuropas und auch in der DDR wesentlich schlech- welch vorzügliche Arbeit hier z. B. der Deutsche Bund ter ist als in der Bundesrepublik. Aber solche Verglei- für Vogelschutz und seine Helfer leisten. Sie erinnern che verlieren immer mehr ihren Sinn in einer Zeit, in sich: Der Bund fördert den Ankauf und die Weiterent- der die zunehmenden Umweltprobleme grenzüber- wicklung von Naturschutzgebieten von gesamtstaat- schreitend sind. Die friedlichen Revolutionen in den lich repräsentativer Bedeutung. Auch hier hat die Ko- Ländern Mittel- und Osteuropas bieten neue Chancen alition im Haushaltsausschuß ja eine deutliche Erhö- für die Zusammenarbeit bei der Lösung der globalen hung der Mittel beantragt und den Beschluß erreicht. Umweltkrisen und der grenzüberschreitenden Um- Zusätzlich aber haben wir beschlossen, daß der Deut- weltbelastungen. sche Bund für Vogelschutz künftig um 50 000 DM Wir müssen daher noch mehr als bisher daran den- erhöhte Mittel im Jahr für Projektförderung seines ken, daß es in vielen Bereichen ökologisch effektiver Naturschutzseminars erhält. ist, in Umweltschutztechnik in der DDR und in der CSSR zu investieren als bei uns. Umwelt- und Natur- (Baum [FDP]: Sehr gut!) schutz sind ein Kernbereich bei der Zusammenarbeit Wir wollen hiermit ausdrücklich das ehrenamtliche mit den Ländern Osteuropas und der DDR. Engagement vieler Menschen in den Umweltverbän- Wir in der Bundesrepublik, wie alle westlichen In- den würdigen, die in täglichem Einsatz einen wertvol- dustrienationen haben dabei aber keinen Anlaß, uns len und wichtigen Beitrag zur Verbesserung unserer als umweltpolitische Musterschüler oder gar als un- Umweltsituation leisten. fehlbare Lehrmeister darzustellen. Auch wir haben (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten alles andere als eine weiße Weste. Einen beträchtli- der CDU/CSU) chen Teil unserer eigenen Umweltprobleme haben wir in die DDR exportiert. Weil es so einfach und so Die meisten Fortschritte im Umweltbereich werden billig war, haben wir unseren Giftmüll z. B. in die nicht durch den Haushalt des Umweltministers er- Deponie Schönberg gebracht, ohne uns viel um die reicht; sie werden durch Gesetze, durch Auflagen, ökologischen Folgen zu kümmern. Auch West-Berlin durch steuerliche Förderung, auch durch die wach- wäre längst am Müll erstickt, würde er nicht in der sende Vernunft unserer Bürger erreicht. Auch durch DDR entsorgt. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13743

Schäfer (Offenburg) Voraussetzung einer guten Zusammenarbeit auch jekten der Zusammenarbeit, die wir grundsätzlich un- im Ökologiebereich ist, daß wir unsere Partner nicht terstützen, wie auch bei den Vorhaben, die zukünftig bevormunden, sondern als gleichberechtigt anerken- gemeinsam angepackt werden sollen, zu berücksich- nen. Es geht bei dieser Zusammenarbeit nicht nur um tigen. materielle Hilfe, es geht nicht nur um den Bau von Kläranlagen und Rauchgasreinigungen. Es geht viel- Wir erwarten, meine Damen und Herren, daß es mehr auch darum, Erfahrungen zu vermitteln und den umgehend zu weiteren Vereinbarungen mit der DDR Partnern in der DDR und Osteuropa zu helfen, Fehler über eine Zusammenarbeit in den Bereichen ratio- zu vermeiden, die wir gemacht haben und leider zum nelle Energieversorgung und Energieeinsparung, Teil heute noch machen. Es geht um eine umfassende Luftreinhaltung, Gewässersanierung, umweltverträg- liche Chemiepolitik und Abfallvermeidung kommt. In Ökologiepartnerschaft. einer großen Kraftanstrengung müssen dazu Milliar- Es ist keineswegs so, daß die marktwirtschaftliche den-Investitionen über Jahre hinweg in der DDR vor- Entwicklung bei uns automatisch zu einer verbesser- genommen werden. Dies sind aber Investitionen in ten Umweltsituation geführt hätte. Im Gegenteil: Die die Zukunft Europas. Sie werden dazu beitragen, daß marktwirtschaftliche Wachstumsdynamik hat die Nord- und Ostsee vor dem ökologischen Zusammen- großen globalen Umweltprobleme erzeugt bzw. ver- bruch bewahrt werden und die grenzüberschreiten- schärft, deren Lösung heute dringlicher denn je ist. den Umweltbelastungen reduziert werden können. Robbensterben, Algenpest, Trinkwasserverseuchung, Sandoz, Seveso, Waldsterben, das Ansteigen umwelt- Wahrer Patriotismus und wahre europäische Gesin- bedingter Krankheiten sind doch die negativen Fol- nung müssen sich auch darin erweisen, daß uns die gen eines Wachstums, das auf die Ökologie zu wenig Rettung der Wälder im Erzgebirge und im Thüringer Rücksicht genommen hat. Wald genausoviel wert ist wie die Rettung des Schwarzwaldes und des Bayerischen Waldes. (Frau Garbe [GRÜNE]: Keine Rücksicht!) Instrumente, die uns diesem Ziel näherbringen Es kann doch niemand leugnen, daß die bescheide- könnten, sind unter anderem ein gemeinsamer Um- nen umweltpolitischen Erfolge bei uns, vom Benzin- weltfonds — der Nordische Rat der Länder Skandina- bleigesetz über die Großfeuerungsanlagen-Verord- viens hat gegenüber Polen ein erstes Zeichen ge- nung bis zur viel zu späten Einführung des Dreiwege- setzt — , eine gemeinsame Umweltbank unter Beteili- katalysators, gegen den Widerstand und gegen zum gung der Kreditanstalt für Wiederaufbau, eine ge- Teil auch falsche Informationen mächtiger Interessen- meinsame Umweltkommission z. B. zum Schutz der gruppen durchgesetzt werden mußten. Elbe, zum Klimaschutz und zur rationellen Energie- Die Polemik aus Teilen einzelner Wirtschaftsver- verwendung, ein gemeinsames Umweltmeß- und bände und der Regierungsparteien gegen das ökolo- -statistiksystem als Beitrag zu einer europäischen Um- gische Umbaukonzept der SPD ist ein weiterer Beleg, weltagentur, die ihren Sitz in Berlin haben sollte. daß ökologische Fortschritte nicht von selbst kommen, So sehr wir eine Intensivierung der umweltpoliti- sondern mühsam erkämpft werden müssen. schen Zusammenarbeit mit der DDR und den Ländern Sie, Herr Töpfer, und die Bundesregierung haben Osteuropas unterstützen, so sehr müssen wir auf der nicht einmal ansatzweise ein Konzept für den ökolo- anderen Seite anmahnen, daß die entscheidenden gischen Umbau. Ohne politische Vorgaben, ohne Ein- Aufgaben in der Umwelt- und Energiepolitik bei uns griffe und Korrekturen beim Marktgeschehen kann unerledigt sind. Der Bundeskanzler hat zu Recht dar- die zunehmende Zerstörung der Umwelt nicht aufge- auf hingewiesen, daß gerade die Entwicklung in Mit- halten werden. tel- und Osteuropa zu einem Überdenken der Ver- kehrspolitik führen muß. Dabei darf es nicht nur Allein durch die Übernahme einer marktwirtschaft- darum gehen, neue Verkehrsverbindungen zu pla- lichen Ordnung wird sich die Lage von Natur und nen, wir brauchen auch ein gesamteuropäisches Kon- Umwelt in Osteuropa und in der DDR nicht verbes- zept für die umweltverträgliche Abwicklung der sern. Wenn Fehlentwicklungen unserer westlichen wahrscheinlich dramatisch zunehmenden Verkehrs- Wohlstands- und Wegwerfgesellschaften im Zuge des leistungen in Europa. Der Beitrag des Hauses Zim- dortigen ökonomischen und politischen Reformpro- mermann beschränkt sich im Grunde auf kleinliche zesses vermieden werden sollen, müssen frühzeitig Gegenmaßnahmen zur umweltpolitischen Notwehr- ökologische Kriterien bei der Verbesserung der wirt- maßnahme des österreichischen Nachtfahrverbotes. schaftlichen Lage in den Ländern Osteuropas und der DDR berücksichtigt werden. Die Zusammenarbeit Meine Damen und Herren, ich denke, Sie stimmen darf sich deshalb nicht auf technologische Projekte mir alle zu, daß wir gegenwärtig in einer Zeit des der Umweltsanierung beschränken. Umbruchs leben. Wir haben eine historische Chance. Lassen Sie uns gemeinsam diese historische Chance Die notwendige Einführung marktwirtschaftlicher nutzen, in Ost und West, in Nord und Süd, die Chance Elemente in sollte von Anfang an der DDR-Wirtschaft nämlich, ökologische Rahmenbedingungen zu schaf- neben dem sozialen auch den ökologischen Rahmen fen, die dem ökologischen Imperativ dienen, ein Opti- einschließen. Auch hier gilt, daß die nachträgliche mum an Gütern und Dienstleistungen mit einem Mini- Sanierung entstandener Schäden allemal teurer kom- mum an Energie, Rohstoffeinsatz und Umweltbela- men wird als die rechtzeitige Vorsorge. Die Auswei- stung zu erzielen. tung der Güterproduktion und die Verbesserung der Versorgung in der DDR muß daher möglichst mit einer Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Reduzierung der Gesamtbelastung der Umwelt ein- Aufmerksamkeit. — Ich habe einen Teil meines Ma- hergehen. Dies gilt es bei allen jetzt genannten Pro- nuskripts ausgelassen, den Teil, in dem wir uns mit 13744 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Schäfer (Offenburg) Ihnen, von den Regierungsparteien, kritisch ausein- Meine Damen und Herren, wir nehmen die Bera- andergesetzt haben. — Vielen Dank fürs Zuhören. tung nach der Unterbrechung der Sitzung wieder (Beifall bei der SPD) auf. Das Wort hat der Bundesminister für Umwelt, Na- turschutz und Reaktorsicherheit, Herr Dr. Töpfer. Präsidentin Dr. Süssmuth: Meine Damen und Her- ren, auf Grund eines tragischen Anlasses werde ich gleich die Sitzung unterbrechen, gebe aber zunächst Dr. Töpfer, Bundesminister für Umwelt, Natur- noch das Wort dem Bundesminister des Innern, Herrn schutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Schäuble, für eine Erklärung. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Entspre- chend dem Beispiel des Herrn Abgeordneten Schäfer möchte auch ich meine Ausführungen, die ich für diese Debatte vorgesehen habe, entscheidend kür- Bundesminister des Innern: Frau Prä- Dr. Schäuble, zen. Ich möchte sie auf die Punkte konzentrieren, bei sidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte das denen ich davon ausgehe, daß sie in weiten Bereichen Hohe Haus davon unterrichten, daß nach mir vorlie- auch in diesem Hohen Hause eine Übereinstimmung genden Meldungen um 8.34 Uhr der Sprecher der in der Bewertung erlangen und daß wir bei dem einen Deutschen Bank, Herr Dr. Alfred Herrhausen, einem oder anderen vielleicht auch zu einer gemeinsamen Mordanschlag zum Opfer gefallen ist. Bewertung des Weges finden können, den wir zu ge- Nähere Tatumstände und Hinweise auf etwaige Tä- hen haben. ter sind bisher nicht bekannt. Mir ist auch nicht mit Deswegen lassen Sie mich an den Anfang der Aus- Sicherheit bekannt, ob der Mordanschlag weitere Op- führungen die Überzeugung stellen, daß wir diesen fer gefordert hat. historischen Durchbruch zu Freiheit, zu Demokratie, Der Generalbundesanwalt hat unverzüglich die Er- zu Selbstbestimmung, zu grundlegenden Reformen in mittlungen übernommen und das Bundeskriminalamt Gesellschaft und Wirtschaft bei unseren östlichen mit der Durchführung der Ermittlungen beauftragt. Nachbarn, insbesondere bei der DDR, aber auch bei Ich bin dem Hohen Hause dafür dankbar, daß die Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei, Bulgarien oder Beratung des Einzelplans 06, die jetzt in Kürze vorge- der Sowjetunion, nutzen müssen, um die Möglichkeit sehen war, verschoben wird, weil ich mich — dafür der umweltpolitischen Partnerschaft noch weiter vor- bitte ich Sie um Verständnis — jetzt unmittelbar an anzutreiben, von der wir glauben, daß wir sie zu Zei- den Tatort begeben möchte. ten in Angriff genommen haben, als dies noch un- gleich schwieriger war. Alfred Herrhausen war nicht nur als Sprecher der Deutschen Bank ein besonders erfolgreicher Bankier Wir haben mit all diesen Ländern, wie Sie wissen, in und Unternehmer, sondern er war auch ein Mann, der den vergangenen zwei Jahren bilaterale Umweltver- sich immer in besonderer Weise auch für das öffentli- einbarungen abgeschlossen, mit der DDR im Septem- che Wohl verantwortlich gefühlt und engagiert hat. ber 1987. Diese Vereinbarungen sind eine gute Vor- Ich erinnere an die Initiative für seine Heimat, das aussetzung dafür, daß wir heute in sehr konkreten Ruhrgebiet. Ich erinnere an vielfältige Aktivitäten und Fragen zusammenarbeiten können. Sie sind die gute Engagements für Deutschland und für Europa. Ich Grundlage für eine progressive Weiterentwicklung erinnere in dieser Stunde daran, daß er maßgeblich an der von mir in den letzten Jahren in die Wege gelei- der Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen zur So- teten umweltpolitischen Zusammenarbeit mit der wjetunion, zu Ungarn und zu anderen Staaten des DDR. Entscheidend ist dabei — lassen Sie mich das Warschauer Pakts beteiligt war und daß er einer der ohne jede Schärfe und Härte sagen — , daß wir uns markantesten und profiliertesten Sprecher nicht nur hier nicht in eine Entwicklung hineindiskutieren soll- der deutschen Wirtschaft, sondern der Bundesrepu- ten, als wäre das wieder einmal die liebgewonnene blik Deutschland weit über Europa hinaus, weltweit Chance des kapitalistischen Systems, neue Verwer- und insbesondere auch in Amerika war. tungsinteressen für sein Kapital zu finden. Das ist viel- mehr die Chance derer, die gegenwärtig über bessere Das ist aber nicht die Stunde, hier einen Nachruf zu wirtschaftliche Voraussetzungen verfügen, die bes- sprechen. Wir alle empfinden tiefe Betroffenheit und sere Techniken entwickelt haben, um damit anderen Bestürzung über einen entsetzlichen Mordanschlag, dabei behilflich zu sein, dies auch bei sich durchzu- dessen Hintergründe wir nicht kennen. Wir verneigen führen. uns in Ehrfurcht vor dem Toten. (Schmidbauer [CDU/CSU]: Und sich selber (Die Abgeordneten erheben sich) zu helfen!) Ich denke, wir alle sollten uns in dieser Stunde einig Da geht es eben nicht darum, daß wir sagen: da sein in dem Kampf für die Bewahrung unserer frei- müssen wir Zeit haben, die gesamte Umstellung ab- heitlichen rechtsstaatlichen Ordnung. warten, sondern da müssen wir natürlich kurzfristig, mittelfristig und langfristig richtig handeln, und das bedeutet z. B. —lassen Sie mich das dazu sagen —, Präsidentin Dr. Süssmuth: Meine Damen und Her- daß es nicht ein Verkaufen deutschen Atomstroms ist, ren, ich möchte jetzt nicht in der Sitzung fortfahren, wenn wir uns überlegen, ob man die Zusammenarbeit sondern sie für fünf Minuten unterbrechen. Erst da- in der Stromlieferung verbessern könnte, sondern die nach werden wir die Beratung wiederaufnehmen. schlichte Erkenntnis, daß eine Stromlieferung heute, (Unterbrechung der Sitzung von 10.10 bis gerade zu den Belastungsspitzen in der DDR ge- 10.18 Uhr) bracht, diese Belastungsspitzen der Umwelt kappt Deutscher Bundestag — 11. Wahlpe riode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13745

Bundesminister Dr. Töpfer und damit eine unmittelbare Entlastung bei Schwefel, noch einmal: Dies ist Umweltpartnerschaft, wie wir sie bei Stickoxiden, bei CO2 ermöglicht. Nicht irgendeine dringlich brauchen. Wir wollen also — ich sage es sonstige Überlegung ist dabei leitend, sondern es geht noch einmal — diese ständige Kommission entwik- um diese kurzfristige Chance, die wir dabei haben. keln. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Drittens. Auf der Grundlage dieses Abkommens und entsprechend koordiniert durch die Beauftragten Natürlich ist es richtig, daß wir diese umweltpoliti- haben eine Vielzahl von Fachgesprächen stattgefun- sche Zusammenarbeit nicht abkoppeln können und den. Es ist wirklich eine Expertenkenntnis wechsel- nicht abkoppeln dürfen von der wirtschaftlichen Zu- seitig entstanden. Über 30 derartige Gespräche über sammenarbeit mit der DDR und mit den anderen Part- alle Teilbereiche der Umweltpolitik sind in Gang ge- nern im Osten; denn wir haben uns immer und immer kommen unter Einbindung der Experten auf der wieder auch bei uns Klarheit darüber verschafft, daß Länderebene, worauf ich sehr viel Wert gelegt habe. es unumgänglich notwendig ist, wo immer möglich, in Denn wir können ja nicht übersehen, daß der Vollzug den Investitionsprozeß hinein schon Umweltfort- der Umweltpolitik in der Bundesrepublik Deutsch- schritt zu integrieren, nicht eine End-of-the-pipe- land vornehmlich von den Bundesländern vorgenom- Technik zu machen, sondern dort, wo jetzt neu inve- men wird, daß dort der Fach- und Sachverstand ist stiert wird, mit der neuen Investition sowohl die wirt- und daß es deswegen richtig ist, auch diese Kollegen schaftliche Leistungsfähigkeit als auch die ökologi- in die Expertengespräche einzubinden. Ich sage noch sche Entlastungsmöglichkeit zu nutzen. Diese Klam- einmal: Allein mit der DDR gab es in den letzten zwei mer, meine ich, ist ebenfalls von jedem, der hier Jahren weit über 30 derartige Expertengespräche. spricht, doch gar nicht zu übersehen, und ich habe das Hier ist wirklich auch in der Atmosphäre eine Kolle- ohne jeden Zweifel auch bei dem Herrn Abgeordne- gialität gewachsen, die ich als außerordentlich wich- ten Schäfer so herausgehört, genau wie bei allen, die tig dafür empfinde, daß wir unsere Tätigkeiten umfas- hier in dem Zusammenhang gesprochen haben. send abstimmen können. Dabei geht es im entscheidenden Sinne natürlich Wir glauben, daß wir jetzt in der Lage sind — die um die Frage, wie wir etwa die Energieeffizienz erhö- Gespräche haben das bestätigt —, auch zu einer Ab- hen können. Wenn wir heute wissen, daß in der Bun- stimmung von Emissions- und Immissionswerten zu desrepublik Deutschland eine Kilowattstunde Strom kommen. Das halte ich für sehr wichtig. aus Kohle mit etwa 350 Gramm Kohle hergestellt wird und daß für eine Kilowattstunde Strom in der DDR (Baum [FDP]: Sehr gut!) etwa 850 Gramm Kohle gebraucht werden, dann sieht Es ist wichtig, daß wir auch dabei von gleichen Stan- man daran, welche Effizienzunterschiede und welche dards, von gleichen Zielwerten ausgehen können, um Umweltbelastungen von CO2 bis zu SO2 damit ver- Prioritäten festlegen zu können. Diese Abstimmung bunden sind und daß man an diese Energieeffizienz von Emissions- und Immissionsgrenzwerten ist sehr herangehen muß, bedeutsam. (Baum [FDP]: Akute Gesundheitsgefähr Meine Damen und Herren, viertens sage ich in die- dung! ) sem Zusammenhang, daß am 6. Juli, wie Sie wissen, und dies natürlich nicht als Alibi für eigenes Nichts- mit der DDR erstmals sechs Pilotprojekte vereinbart tun, sondern um die Prioritäten aufzuzeigen. Man worden sind. Gestern und vorgestern waren meine kann jede Mark nur einmal ausgeben, und das sollten Mitarbeiter wieder in Berlin (Ost). Sie haben dort die wir nicht nur aus der nationalen B rille allein tun, son- Konkretisierung weiter vorangebracht. Die Projekte dern im Zusammenhang in einem Europa, das sich müssen ja so weit entwickelt werden, daß Aufträge mehr aufeinander zubewegt. Das europäische Haus vergeben werden können. Ausgeschrieben sind sie. muß eine Umweltdimension ganz am Anfang haben. Aller Voraussicht nach werden sie am 19./20. Dezem- Ich bin dem Bundeskanzler außerordentlich dankbar ber hier in der Bundesrepublik Deutschland gemein- dafür, daß er in seiner großartigen deutschlandpoliti- sam von seiten der DDR und von unserer Seite verge- schen Rede vorgestern in diesem Hohen Hause ohne ben werden können, soweit die Ausschreibungen zu Wenn und Aber gerade den Umweltschutz mit in den brauchbaren Ergebnissen geführt haben. Mittelpunkt gestellt hat. Sein Punkt 2 hat dies aufge- Lassen Sie mich eines ganz deutlich sagen: Hier griffen. sind Vorbedingungen o. ä. überhaupt kein Thema. Das einzige, was wir als Bedingung haben, ist etwas, Meine Damen und Herren, wir fangen — ich sage es was die DDR und wir uns natürlich gemeinsam vorge- noch einmal — hierbei nicht beim Punkt Null an. Wir nommen haben. Die Meßlatte ist: Diese Projekte müs- haben erstens die Möglichkeiten durch das Umwelt- sen zu einer unmittelbaren Entlastung der Umwelt in abkommen geschaffen. Zweitens haben wir bereits der DDR und bei uns führen. Das ist eine, wie ich damals im Rahmen der Umweltabkommen mit der - glaube, nachvollziehbare „Bedingung", die auf bei- DDR und auch mit anderen Ländern ständige Beauf- den Seiten genauso gesehen wird und die von beiden tragte für Umweltschutz bestellt. Diese verantwortli- Seiten deswegen als Meßlatte herangezogen worden chen Beauftragten treffen sich in regelmäßigen Ab- ist und weiter herangezogen wird. ständen, und dies wird jetzt intensiviert und ausge- baut. Ich bin ziemlich sicher, daß ich noch in diesem Aber Sie müssen natürlich sehen, daß es nicht nur Jahr in der DDR sein kann, den Kollegen Reichelt, der um die Frage der Verfügbarkeit von Mitteln geht. Es Umweltminister geblieben ist, sehen werde, ebenso gibt auch so etwas wie eine Bewältigungskapazität im wie ich den für die Reaktorsicherheit zuständigen dor- technisch-administrativen Sinne in der DDR, eine Ka- tigen Kollegen ebenfalls aufsuchen werde. Ich sage pazität, die bisher nicht ausreicht. Auf Grund der lau- 13746 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Bundesminister Dr. Töpfer fenden Verhandlungen kann ich sagen, daß es der Strahlenbelastung, das wir gegenwärtig auf- schwierig ist, eine Zeitebene herauszuarbeiten, auf bauen, mit einem in der DDR in Einklang bringen der wir die komplementären Leistungen der DDR si- können. cher einbringen können. Das geht bis hin zu der Ich darf Sie davon unterrichten, daß wir gestern, bis Frage: Wird denn eine erforderliche Straße auch zeit- in die Nacht hinein, unsere Umweltministerratssit- gerecht gebaut, sind die Bauleistungen vorhanden? zung in Brüssel gehabt haben und daß es unter fran- Hier geht es also nicht nur darum, daß wir sagen: Wir zösischem Vorsitz möglich geworden ist, die Voraus- haben Geld in der Hand, und nun macht mal. Viel- setzungen für eine Europäische Umweltagentur zu mehr müssen wir dies sehr eng koordinieren. Eine bis- schaffen. Diese Richtlinie ist im Grundsatz verab- her zentral geplante Wirtschaft ist bei der Beantwor- schiedet worden. Wir haben sehr, sehr hart daran mit- tung gerade solcher technischer Fragestellungen diskutiert, daß diese Umweltagentur für Drittländer enorm schwerfällig. Das möchte ich hier sehr deutlich offen bleibt. Dies war nicht leicht. Ich sage das ganz und sehr nachhaltig allen mitteilen, damit nicht der deutlich. Es gab und gibt bei einzelnen Mitglied- Eindruck entsteht, Verzögerungen hätten etwas da- staaten erhebliche Vorbehalte gegen diese Öffnung mit zu tun, daß das Geld nicht da ist. Nein, sie haben für Drittländer. Wir halten sie aber für absolut notwen- etwas damit zu tun, daß schlicht und einfach die admi- dig, sowohl mit Blick auf die EFTA-Länder als auch nistrative Kraft eines solchen zentral orientierten auf die Länder in Ost- und Mitteleuropa. Staates nicht da ist. Dies alles weist darauf hin, daß wir dezentralen Kräften mehr Chancen geben müssen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dies alles weiter voranzubringen. Deswegen ist unser Standortvorschlag Berlin sehr Wie gesagt, dies ist abgestimmt, und dies ist durch nachvollziehbar. Die Entscheidung selbst wird auf die gemeinsame Entscheidung im Haushaltsausschuß dem europäischen Gipfel am 8. und 9. Dezember in — ich unterstreiche das, was die Kollegen Waltema- Straßburg erarbeitet werden müssen. Ich hoffe, daß the, Schmitz und Weng gesagt haben — möglich ge- sich diese guten Argumente auch bei unseren Part- worden. Ich habe mich dafür zu bedanken, daß aus nern in der Gemeinschaft durchsetzen. diesem kleinen Pflänzchen der Öffnung eines Projek- Meine Damen und Herren, ich darf siebtens darauf tes zu Zeiten, als an die jetzige Entwicklung der Ge- hinweisen, daß wir nicht bei Projekten stehenbleiben samtsituation noch nicht zu denken war, eine so kräf- wollen, sondern daß wir einen gemeinsamen ökologi- tige Pflanze, ein so kräftiger Baum der guten partner- schen Handlungsplan aufstellen wollen. Auch dies ist schaftlichen Zusammenarbeit geworden ist. nach meiner festen Überzeugung eine Konsequenz (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der bisherigen Zusammenarbeit. Auch hier gibt es ermutigende Zeichen. Meine Damen und Herren, dieser Prozeß geht wei- ter, und so kann ich fünftens darauf hinweisen, daß elf Ich weise, achtens, darauf hin, daß wir nicht im tech- weitere derartige Projekte vorliegen. Auch sie sind nischen Umweltschutz verharren werden, sondern dem Hohen Hause bekannt; ich kann sie hier nur daß wir die Möglichkeiten, im Naturschutz zusam- erwähnen. Wir diskutieren über sie jetzt ebenfalls auf menzuarbeiten, voranbringen müssen. Wir haben das Expertenebene, und ich möchte sie in meinem Ge- an der innerdeutschen Grenze mit einigen Projekten spräch mit Herrn Reichelt entsprechend vorantreiben, versucht. Das war in der Vergangenheit sehr schwer. damit klar wird: Besser vorankommen können dieje- Also das, was etwa beim Schaalsee in Schleswig-Hol- nigen, die drüben auf Grund ihrer eigenen Leistungs- stein, beim Drömling in Niedersachsen oder im Raum fähigkeit unsere Angebote aufgreifen können. Das ist Coburg in Angriff genommen worden ist, hat sehr, keine Bedingung, sondern die Heranführung an sol- sehr viele Hemmnisse im Zusammenhang mit der in- che schwierigen Investitionsprojekte. nerdeutschen Grenze gehabt. Sie wurden auf die Grenzkommission verwiesen. Dieser Bereich der einzelnen umweltbezogenen Aufgaben und Investitionsprojekte wird erweitert. Ich Ich bin dem Vorsitzenden des BUND, Herrn Wein- gehe davon aus, daß wir bereits in Kürze eine weitere zierl, durchaus dankbar, daß er dieses Thema eben- Projektliste haben und daß wir sie ebenso konstruktiv falls aufgegriffen hat. überprüfen. (Frau Garbe [GRÜNE]: Große Anstren- Sechstens. Die Information auf allen Gebieten des gung!) Umweltschutzes muß weiter verdichtet werden. Ich Ich habe für den 13. Dezember alle Umweltverbände unterstreiche das, was gesagt wurde. Wir haben das zu mir eingeladen, um mit ihnen gemeinsam die Mög- nicht nur verbal hier zu erklären, sondern wir haben lichkeiten auch der Nichtregierungsorganisationen in die damit verbundenen Voraussetzungen zu schaffen. der Weiterentwicklung der umweltpolitischen und In der ersten Tranche unserer Zusammenarbeit wer- naturschutzpolitischen Zusammenarbeit mit der DDR den sechs Luftmeßstationen gebaut, die denen ent- abzugreifen. Ich hoffe, daß auch der eine oder andere sprechen, die bei uns in den einzelnen Meßnetzen Vertreter der Umweltorganisationen aus der DDR mit unserer großen Städte vorhanden sind und rund um in dieses Gespräch eingebunden werden kann. Ich die Uhr die Hauptluftbelastungsstoffe messen. Wir glaube, es ist eine gute, eine notwendige Ergänzung haben jetzt vereinbart, daß wir dort weitere fünf Meß- unserer Zusammenarbeit mit der DDR, daß wir auch stationen für die Überwachung der Gewässerbela- die Umweltverbände entsprechend miteinbinden. stung erstellen, drei an der Elbe, eine an der Spree, eine an der Havel, so daß auch dort die Belastungsda- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ten für die Gewässer vorhanden sind. Wir wollen alles Ich möchte, neuntens, darauf aufmerksam machen, daransetzen, daß wir auch unser Meßnetz bezüglich meine Damen und Herren, daß wir über die zweisei- Deutscher Bundestag — 11. Wahlpe riode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13747

Bundesminister Dr. Töpfer tige Arbeit hinaus zu einer dreiseitigen Zusammenar- nun wirklich deutlich vorangekommen sind. Es ist beit besonders mit Blick auf die Elbe kommen wollen. nicht zu übersehen, daß die Umrüstung und Nutzung Die Signale der DDR sind so, daß man jetzt bereit ist, besserer Techniken im Kfz-Bereich wirklich bedeut- zu einer dreiseitigen Elbe-Schutz-Kommission zu same Entlastungen bewirkt haben. Die letzte Zahl der kommen, so wie wir sie am Rhein haben. Gegenwärtig Zulassungen bei Autos mit Otto-Motor belegt, daß tagt die Rheinministerkonferenz in Brüssel, und ich knapp unter 80 % bereits einen Drei-Wege-Katalysa- werde mich hinterher sehr schnell dort einfinden müs- tor haben. Ich sage das nicht unserer guten Politik sen. Wir wollen also dreiseitige Abstimmung haben, wegen, sondern auch als Dank gegenüber den Bürge- um zu einer Gewässerbewirtschaftung der Elbe zu rinnen und Bürgern, die unsere Initiativen mit aufge- kommen und dort nicht nur punktuell zu entlasten, griffen haben, die die steuerliche Förderung nutzen, sondern die Elbe systematisch an einen Zustand her- um damit auch die Umwelt zu entlasten. Ich glaube, anzuführen, der bei unseren anderen Gewässern be- das ist ein gutes Beispiel dafür, wie man Technik, Ver- reits erreicht ist. halten und finanzielle Hilfen zu einem greifbaren Er- folg der Umweltpolitik verbinden kann. Meine Damen und Herren, ich möchte, zehntens, darauf aufmerksam machen, daß ich auch gegenüber (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den Umweltministern der Bundesländer die Notwen- digkeit neuer Instrumente in der Zusammenarbeit mit Natürlich sind wir auch auf wichtigen anderen Ge- der DDR und mit anderen Staaten in dem mittel- und bieten wesentlich vorangekommen. Ich möchte dem osteuropäischen Bereich angesprochen habe. Das, Abgeordneten Waltemathe nicht in der Ritualisierung was wir gegenwärtig in der Ergänzung des Bundes- seiner Eingangspunkte gerecht werden, obwohl er Immissionsschutzgesetzes mit der Kompensationslö- selbst dieser Ritualisierung nicht ganz fern gewesen sung angesprochen haben, möchten wir gern auch mit ist. Ich will nur darauf hinweisen, daß wir schon der auf die DDR ausdehnen. Überzeugung sind, ein Nordseeprogramm nicht nur angekündigt und niedergeschrieben, sondern es (Baum [FDP]: Machen wir!) durchgeführt zu haben. Wir haben das in allen Berei- Ich freue mich, daß auch der Senat von Berlin auf die- chen der Öffentlichkeit vorgestellt. Sollte das, Herr sem Gebiet vergleichbare Ideen entwickelt. Dies ist Abgeordneter Waltemathe, Ihnen oder Ihrer Fraktion eine sinnvolle Umweltpartnerschaft, die es auch er- entgangen sein, bin ich gerne bereit, Ihnen im Nach- möglicht, daß die einzelnen Unternehmen enger in gang zu der Diskussion die damit verbundenen die Zusammenarbeit einbezogen werden können. schriftlichen Veröffentlichungen zur Verfügung zu stellen. Damit möchte ich wirklich noch einmal deutlich (Beifall bei der CDU/CSU) machen, daß auch das Land Berlin eine ganz elemen- tare Bedeutung hierbei hat. Ich habe mich mit meiner Es gibt hier also wichtige Fortschritte. Diese Fort- Kollegin darüber ausgetauscht. Wir haben drei Pro- schritte beruhigen uns keineswegs, hier muß auch jektwünsche, Projektvorschläge des Senats von Berlin weitergearbeitet werden. Ich bin der Überzeugung, vorgelegt bekommen. Wir untersuchen sie. Wir haben daß dieser Bundeshaushalt dafür eine wichtige zu- sie der DDR bereits übergeben, so daß sie auch dort sätzliche Chance bietet. geprüft werden können. Dies bet rifft z. B. eine ge- meinsame Heizzentrale, die im Osten der Stadt ge- Ich sage noch einmal: Jede Umweltpolitik, die dem baut werden könnte und dann Wärme und Strom in Verursacherprinzip verpflichtet ist, muß ihre zentrale den Westen liefern könnte. Dies ist nichts anderes als Aufgabe zunächst einmal darin haben, die notwendi- eine Kompensationslösung, die wir für sinnvoll und gen gesetzlichen Regelungen zu erlassen und sie richtig erachten. wirksam umzusetzen. Deswegen ist und bleibt für mich der entscheidende Punkt auch: Wie kann ich mit Insgesamt ist die Zusammenarbeit mit der DDR ein meinem Personal das bewältigen, was mir abverlangt Beispiel eines Gesamtkonzepts, daß sich nicht auf An- wird? Ich habe meinen Mitarbeitern sehr nachhaltig kündigungen beschränkt, sondern die Arbeit der letz- dafür zu danken, daß sie in vielen, vielen Bereichen ten zwei Jahre weiterführt, aber mit besseren Chan- Überlast getragen haben. Es ist eine junge Mann- cen und, wie ich glaube, mit Unterstützung der DDR in schaft, die motiviert ist und die weit über das hinaus, ihren Strukturen. Das ist für uns sehr wichtig. Ich was ihnen beamtenrechtlich abverlangt werden kann, möchte das an dieser Stelle nur angedeutet, nicht wei- tätig ist. Wir haben natürlich auch hier Weiterentwick- ter ausgeführt haben. lungen gehabt. Als ich das Ministe rium übernahm, Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, aber haben wir in meinem Geschäftsbereich insgesamt auch deutlich machen, daß wir diese am Beispiel der 1 085 Mitarbeiter gehabt. Wir haben jetzt 1 700 Mitar- DDR gekennzeichnete grenzüberschreitende Zusam- beiter, d. h. die Zahl der Mitarbeiter ist um etwa 57 % menarbeit nicht als ein Alibi für Nichtstun zu Hause angestiegen. oder in der Europäischen Gemeinschaft mißbrauchen Wir haben auch in diesem Haushalt einen Zuwachs werden oder mißbraucht haben. Wir haben das nicht der Mitarbeiter um 185. Das ist natürlich auch in wich- getan, und wir werden es weiterhin nicht tun. tigen Teilen des nachgeordneten Bereichs angesie- Meine Damen und Herren, ich will auch vor dem delt. Aber das ist ja gerade das, was die Opposition mir Hintergrund der aktuellen Ereignisse keine Lei- immer abverlangt, daß wir nicht nur das Ministe rium stungsbilanz vorlegen, wie es eigentlich gute Gele- stärken, sondern auch die nachgeordneten Behörden genheit bei einer Beratung eines Haushalts wäre. wie das Umweltbundesamt, die Bundesanstalt für Na- Aber es ist nicht zu übersehen, daß wir in der Entwick- turschutz und Landschaftsökologie und auch das neue lung und in der Anwendung von Umwelttechnologien Bundesamt für Strahlenschutz. 13748 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Bundesminister Dr. Töpfer Ich sage Ihnen noch einmal, Frau Abgeordnete men der Koalitionsfraktionen, CDU/CSU und FDP, Wollny: Selbst wenn wir nie etwas mit der Kernener- angenommen. gie zu tun gehabt hätten, wäre es unumgänglich und dringend notwendig, daß wir ein Bundesamt für Ich rufe jetzt auf Grund der gegebenen Umstände in Strahlenschutz aufbauen; denn daß wir auch von sol- chen Ereignissen wie Tschernobyl in der Sowjetunion Abänderung der Tagesordnung den Einzelplan 31 auf: Betroffene gewesen sind, hat jeder Bürger gesehen. Er wird kein Verständnis dafür haben, wenn wir sagen: Geschäftsbereich des Bundesministers für Bil- Aber bei uns passiert das nicht; deswegen brauchen dung und Wissenschaft wir auch keine organisatorischen Voraussetzungen. — Drucksachen 11/5573, 11/5581 — Er erwartet von uns vielmehr, daß wir uns in unseren organisatorischen Strukturen so qualifizieren, daß wir Berichterstatterinnen: auch diese Probleme bewältigen können. Abgeordnete Frau Männle Frau Dr. Wegner (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Frau Seiler-Albring Insgesamt ist dies also, meine Damen und Herren, Frau Rust ein Bundeshaushalt, der diesen Schwerpunkten Rech- Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE nung trägt. Ich danke all denen im Haushaltsaus- GRÜNEN sowie der Fraktion der SPD auf den Druck- schuß, die ihn mitentwickelt haben und die weitere sachen 11/5810 bis 11/5819, 11/5882 Nr. XVIII und Signale gesetzt haben. Ich bin der Überzeugung, daß 11/5894 vor. wir eine Umweltpolitik machen, die über unsere Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Grenzen hinausstrahlt und die deswegen ganz sicher- Beratung zwei Stunden vorgesehen. Ich sehe, Sie sind lich nicht aus Selbstgefälligkeit gelobt, aber aus damit einverstanden. Ich eröffne die Aussprache. Das Selbstbewußtsein so dargestellt werden kann, daß Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Wegner. auch andere diesen Wegen zu folgen in der Lage sind. Ich danke Ihnen sehr herzlich. Frau Dr. Wegner (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst etwas (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zur Gesamteinschätzung der Bildungspolitik aus un- serer Sicht sagen. Anschließend möchte ich dann ei- nige Bemerkungen zum Ablauf der Haushaltsbera- Präsidentin Dr. Süssmuth: Meine Damen und Her- tungen im einzelnen machen und dabei verdeutli- ren, ich schließe die Aussprache. chen, wo wir Sozialdemokraten die Akzente anders Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst setzen als die Regierungskoalition. über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜ- Nach der doch etwas tristen bildungspolitischen Bi- NEN. lanz der Ära Wilms hat der Bildungsminister Mölle- Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- mann mehrfach eine Kurskorrektur in der Bildungs- che 11/5777? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der politik gefordert. Im Frühjahr hat er sogar eine 20pro- Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt. zentige Steigerung des Haushalts gefordert. Der Minister beherrscht die Kunst der Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- Selbstdar- stellung; das muß man ihm lassen. che 11/5778? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist ebenfalls gegen die Stimmen der (Dr. Struck [SPD]: Das ist aber das einzige!) GRÜNEN abgelehnt. Ich denke da etwa an die hübsche Broschüre aus dem Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- Bildungsministerium mit dem Titel „Angefragt: Jür- che 11/5779? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der gen Möllemann" . Sie ist innerhalb des Titels „Zielin- Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der GRÜ- formationen" etatisiert. In dieser Broschüre plaudert NEN abgelehnt. der Minister ganz locker mit seinem Interviewer über bildungspolitische Fragen, aber auch über sein Privat- Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- leben. Er ist dort abgelichtet beim Gokart-Fahren im che 11/5780? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Urlaub und beim Fallschirmabsprung. Pikanterweise Änderungsantrag ist ebenfalls gegen die Stimmen der prangt gerade neben dem Bild, das Möllemann beim GRÜNEN abgelehnt. Absprung zeigt, die Überschrift: „Weiterbildung Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ände- wichtig". rungsanträge der Fraktion der SPD. (Heiterkeit bei der SPD und den GRÜNEN — Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- Zuruf von der CDU/CSU: Das sollten Sie che 11/5882 unter Nr. XIII? — Gegenprobe! — Enthal- auch mal machen!) tungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt. — Ich fürchte, aus dem Alter bin ich heraus, Herr Kol- Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- lege. — Gekostet hat diese Broschüre immerhin fast che 11/5889? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der 30 000 DM. Änderungsantrag ist ebenfalls abgelehnt. (Hört, Hört! bei der SPD) Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel- Aber zurück zum Ernst: Unleugbar hat es der Mini- plan 16. ster geschafft, warnende Signale aufzunehmen und Wer stimmt für den Einzelplan 16? — Gegenprobe! die Bildungspolitik und natürlich auch sich selbst ins — Enthaltungen? — Der EinzelplanGespräch zu bringen. ist mitBei näherer den Betrachtung Stim- stellt Deutscher Bundestag — 11. Wahlpe riode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13749

Frau Dr. Wegner sich diese Politik als eine Mischung von unbestreitba- Zur zweiten Lesung haben wir uns auf die Stellung ren Erfolgen, von spektakulären Ankündigungen und einiger weniger wichtiger Anträge beschränkt. auch von politischen Bruchlandungen dar, um im Bild des Fallschirmspringers zu bleiben. Erstens. Wir fordern die Aufstockung der Mittel für den Ausbau und Neubau von Hochschulen von der- (Zuruf von der SPD: Sehr wahr!) zeit 1,1 Milliarden DM auf 1,3 Milliarden DM. Ange- Ich will versuchen, das an ausgewählten Beispielen zu sichts des zahlenmäßigen Mißverhältnisses zwischen erläutern. derzeit etwa 1,5 Millionen Studierenden — diese Zahl wird auch kurzfristig nicht sinken — und den derzeit Der Aufwuchs des Haushaltsentwurfs um insge- etwa 800 000 vorhandenen Studienplätzen und einer samt 8,8 % ist gegenüber der Kahlschlagspolitik sei- Vorfinanzierung der Länder von fast einer halben Mil- ner Vorgängerin unleugbar ein Erfolg, auch wenn die liarde DM ist diese Aufstockung unumgänglich not- von 8,8 % hinter den Ankündigun- Steigerungsrate wendig. gen zurückbleibt und wenn dieser Bildungshaushalt (Beifall bei der SPD) mit einem Soll von 4,1 Milliarden DM immer noch um 400 Millionen DM unter dem letzten Bildungshaus- Zweitens. Wir fordern die volle Wiederherstellung halt der sozialliberalen Koalition von 1982 liegt. In die- im Sinne der Empfehlungen des sem Haushalt steht manches, das auch wir Sozialde- des Schüler-BAföG Beirats für Ausbildungsförderung. Dieser hat in der mokraten für richtig halten. So begrüßen wir z. B. aus- drücklich den fünfprozentigen Aufwuchs für die Kritik des neuen BAföG-Gesetzentwurfs der Regie- rung darauf hingewiesen — ich zitiere —; daß in dem Deutsche Forschungsgemeinschaft, und wir haben auch das nachgeschobene Programm für den studen- Gesetzentwurf die Grundsätze der Gerechtigkeit und Gleichbehandlung noch nicht verwirklicht sind. tischen Wohnraumbau unterstützt. In dem Bereich der spektakulären Ankündigungen Wir bedauern, daß der Minister die überfällige gehört das zweite Hochschulsonderprogramm. Mal BAfäG-Strukturreform nur halbherzig vollzieht, halb- ist hier von der Schaffung von 10 000 Stellen als Qua- herzig aus einer Mischung von finanziellen, aber auch lifizierungsbrücke die Rede, mal von gezieltem Auf- ideologischen Bedenken, Stichwort: zu viele Gymna- wuchs bestimmter Bereiche innerhalb der For- siasten, zuwenig Klempner. schungsförderung. Inzwischen verdichtet sich jedoch der Eindruck, daß es beim bevorstehenden Bildungs- (Dr. Rose [CDU/CSU]: Was haben Sie gegen gipfel wohl wieder nur zu verschiedenen Interpreta- Klempner?) tionen der Hochschulpolitik, aber nicht zu konkreten Maßnahmen kommen wird. — Ich erinnere an die erste Lesung, bei der der Herr In die Kategorie der Bruchlandungen gehört die Minister ein Beispiel gebracht hat, daß er befürchtet, geplante Neuregelung der Hochschulzulassung, die daß wir zu viele Gymnasiasten haben und daß er nie- bei ihrer Verwirklichung zu einem Zweiklassensy- mand mehr finden wird, der seine Wasserleitung re- stem innerhalb der Hochschulen und einem enormen pariert. bürokratischen Aufwand für die Länder geführt (Dr. Rose [CDU/CSU]: Leider wahr!) hätte. Ich habe mir erlaubt, in geraffter Form daran zu erin- (Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: nern. Leider wahr!) (Beifall bei der SPD) Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Lammert hat sich bei der Beantwortung meiner schriftlichen An- Drittens. Wir beantragen bei Pflege und Erziehung frage nach den Kosten dieser geplanten Neuregelung eines Kindes bis zu zehn Jahren die Leistung von Aus- zwar elegant um eine Antwort herumgedrückt, aber bildungsförderung über die Förderhöchstdauer hin- die schwarz-rote Riege der Länder hat sehr genau aus. Damit leisten wir einen Beitrag zur Vereinbarkeit gemerkt, was da auf sie zukommt und hat rund und von Studium und Familie. nett mit 11: 0 abgelehnt. Viertens. Zur Behebung der studentischen Woh- Meine Damen und Herren, wir brauchen keine nungsnot haben wir nicht innerhalb des Einzel- Hektik im Bildungsbereich; wir brauchen kein wahl- plans 31, sondern im Rahmen unseres Antrags zur loses Aneinanderreihen von Sonderprogrammen, Förderung des Wohnungsbaus, vor allem des sozialen sondern wir brauchen solide finanzierte, im Einklang Wohnungsbaus, in einem Volumen von insgesamt von Bund und Ländern konzipierte Strukturpro- 3,5 Milliarden DM beantragt, hier eine angemessene gramme, die unsere Gesellschaft auf die Herausforde- Quote für studentischen Wohnraum in den Universi- rungen der nächsten Jahrzehnte vorbereiten, selbst- tätsstädten auszuweisen. verständlich unter Einbeziehung der europäischen Belange und selbstverständlich auch unter Einbezie- Die Wohnungssituation von Studenten ist katastro- hung der jüngsten Entwicklung in der DDR. Meine phal. Das wird jeder zugeben, der die Situation vor Ort Kolleginnen und Kollegen aus dem Bildungsbereich beobachtet hat. Hier findet ein Verdrängungswettbe- werden dieses sicher näher erläutern. werb zu Lasten der Schwächsten statt, und zu diesen Nun einige Worte zu den Haushaltsberatungen im Schwächsten gehören auch viele Studenten, sofern sie einzelnen. Weshalb müssen wir diesen Haushaltsent- nicht reiche Eltern haben. Hier muß — über das Son- wurf ablehnen? Wo setzen wir die Akzente anders als derprogramm der Regierung hinaus — etwas gesche- die Regierung? hen; das ist unbedingt nötig. 13750 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Frau Dr. Wegner So weit zu unseren Anträgen in der zweiten Lesung. fernstraßenbau und in Steuergeschenke für Gutver- Die finanzielle Deckung dieser Anträge erfolgt über dienende stecken. Einsparungen im Verteidigungshaushalt. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — (Dr. Rose [CDU/CSU]: Das ist der Goldesel! Clemens [CDU/CSU]: Müder Beifall, sehr — Zuruf von der FDP: Ganz einfach ist müder Beifall!) das!) — Stimmt trotzdem. — Nein, das ist ganz genau überlegt, Herr Kollege. Angesichts der jüngsten weltpolitischen Entwick- Abgesehen von diesen größeren Defiziten, die wir lungen eröffnet sich die Perspektive einer drastischen mit unseren Anträgen korrigieren wollen, zeigte der Kürzung der Verteidigungsausgaben. Haushaltsentwurf aber zunächst noch einige Schön- (Beifall bei der SPD) heitsfehler. Als Haushälterin und als Bürgerin wünsche ich mir, (Frau Odendahl [SPD]: Jawohl!) daß der Verteidigungshaushalt künftig kräftig Bei den Beratungen der Berichterstatterinnen — es schrumpfen und der Bildungshaushalt künftig kräftig waren ausnahmslos Damen, die hier beraten haben — wachsen möge. gelang es erfreulicherweise, in den meisten Fällen (Beifall bei der SPD) einvernehmlich nachzubessern. So wurden die Zu- Ich denke, diesem Wunsch können auch Sie sich an- schüsse an Studentenförderungswerke um 3 Millio- schließen. nen DM aufgestockt, damit der Leistungsstand dort wenigstens gehalten werden kann. Vielen Dank. Einvernehmlich wurde auch ein eigener Titel zur (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Förderung der Forschung an Fachhochschulen ge- schaffen. Denn was an Fachhochschulen gelehrt wird, bedarf auch der Forschung. Präsidentin Dr. Süssmuth: Das Wort hat die Abge- (Beifall bei der SPD) ordnete Frau Männle. Angesichts der Strukturen der Deutschen For- schungsgemeinschaft erschien uns, dem Haushalts- ausschuß — wir haben das sehr ausführlich mit Pro Frau Männle (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine und Kontra debattiert — die Ausbringung eines eige- sehr geehrten Damen und Herren! Beständiges Wi rt nen Titels als beste Möglichkeit, um den Fachhoch- -schaftswachstum und finanzpolitische Solidität haben schulen in ihrer derzeit sehr schwierigen Situation Spielräume eröffnet, dank derer im Bundeshaushalt etwas zu helfen. 1990 neue Schwerpunkte gesetzt werden. Und am Ende der Haushaltsberatungen ergibt sich für den (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Weil das so ein Einzelplan Bildung und Wissenschaft ein Zuwachs elitärer Verein ist!) von 10,1 % gegenüber dem letzten Haushaltsansatz. Einvernehmen herrschte zwischen den Berichter- (Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Das wußte die statterinnen auch über die Notwendigkeit, für die Frau Wegner anscheinend nicht!) Verbesserung der Situation der unverschuldet in Not geratenen ausländischen Studenten endlich etwas zu Eine Zunahme von 8,8 % beinhaltete der Haushalts- tun, und zwar nicht nur für chinesische Studenten. ansatz, der vom Ministe rium vorgelegt worden war. Wir haben eine Erhöhung durchgesetzt, erreicht, si- (Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Sehr wahr!) cherlich vor allen Dingen dank der Aufnahme des stu- Leider ist dieses Einvernehmen vom Finanzminister dentischen Wohnraumprogramms, mit großem Geschick hintertrieben worden. Der SPD- (Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Das wurde so- Antrag und der Antrag der Kollegin von den GRÜ- eben alles unterschlagen!) NEN wurden schließlich abgelehnt. Das Problem bleibt somit wieder einmal ungelöst. Und es bleibt und es sind jetzt 10,1 %. Wenn man den Gesamtzu- auch das Erstaunen, wofür dieser Staat Geld hat und wachs des Haushaltes sieht, sind dies hier überpropor- wofür nicht. tionale Steigerungen, überproportionale Steigerun- gen, die wir aus dem Gesamthaushalt nehmen, die (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) nicht zu Lasten des Verteidigungshaushaltes gehen. Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Inve- Ich würde mich freuen, Frau Dr. Wegner, wenn Sie stitionen für Bildung sind Zukunftsinvestitionen; so ehrlich wären wie Ihre Kollegin . darin sind sich alle einig. Die Schätzungen der Bil- Ich war vor kurzem mit ihr auf einer Podiumsdiskus-- dungspolitiker über die allein im Hochschulbereich in sion. Auf Vorstellungen von Diskussionsteilnehmern, den nächsten Jahren unbedingt notwendigen Investi- dies und dies und dies und dies könne man finanzie- tionen belaufen sich auf etwa 6 Milliarden DM — über ren, wenn man den Jäger 90 usw. nicht mehr im Haus- fünf Jahre hin. Das notwendige Geld dazu ist durch- halt hätte, aus vorhanden, aber es ist auf Grund falscher politi- scher Prioritätensetzung in unserer Gesellschaft der- (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Recht hat zeit nicht verfügbar. Und diese falsche politische Prio- sie!) ritätensetzung prägt auch weite Teile dieses Bundes- antwortete sie ganz ehrlich: Wenn wir a lles zusam haushalts 1990. Für Bildung wird nie genug Geld da- menrechnen, was hier an Vorschlägen kommt und für sein, solange wir Unsummen in Rüstung, in Bundes die als Deckung der Verteidigungshaushalt herange- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13751

Frau Männle zogen werden soll, dann haben wir den Jäger 90 schon Ländern Schüler-BAfäG gibt. Ist das etwas Neues? Ist zehnmal verplant. das eine neue Akzentsetzung? Ist das eine strukturelle Änderung? Das stellen Sie schon seit Jahren gebets- (Zustimmung bei der CDU/CSU) mühlenhaft immer wieder in den Mittelpunkt der Dis- Ich bitte um etwas mehr Ehrlichkeit in diesem Bereich. kussion. Wie so häufig sind bestimmte Ausgaben bereits viel- Ich möchte aus Ihren Bemerkungen zu neuen Ak- fach getätigt worden. zentsetzungen im Bereich der Bildungspolitik fol- (Zustimmung bei der CDU/CSU und der FDP gende Schlußfolgerungen ziehen: In zwei Punkten — Zurufe von der SPD) fordern Sie ein bißchen mehr Geld, und der dritte Punkt ist ein Ladenhüter. — Fragen Sie Ihre Kollegin. Klagelieder vom angeblichen Schattendasein der (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) Bildungspolitik, die hier häufig angestimmt werden, Lassen Sie mich zu den Akzentsetzungen kommen, müssen angesichts der Tatsache, daß wir eine Steige- die uns in diesem Haushalt wichtig erscheinen. Vor- rung um 10,1 % zu verzeichnen haben, verstummen. rangig ist für uns die Förderung des wissenschaftli- Ohne qualifizierte Wissenschaft- (Dr. Rose [CDU/CSU]: Und daß wir eine chen Nachwuchses. föderative Struktur haben!) ler und Wissenschaftlerinnen wird in den 90er Jahren auf Grund von Emeritierungen bei vielen Professoren- Meiner Meinung nach wurden in den 70er Jahren viel stellen eine ganz große Lücke entstehen. Sie wird zu lange — gerade im Bereich der Bildungspolitik — dann entstehen, wenn wir nicht rechtzeitig eine För- durch eine falsche Prioritätensetzung ideologisch ge- derung bewerkstelligen. färbte Diskussionen über die richtigen Inhalte von Bil- dung und Erziehung geführt, anstatt durch flexible Wir müssen den wissenschaftlichen Nachwuchs för- und praxisnahe Maßnahmen auf die vielfältigen Her- dern. Zur Förderung des wissenschaftlichen Nach- ausforderungen einer hochtechnisierten modernen wuchses gehört, daß wir z. B. den Mittelansatz für die Gesellschaft zu reagieren. Promotionsförderung um 3 Millionen DM erhöht ha- ben. Wir brauchen zunächst promovierte Wissen- (Frau Odendahl [SPD]: Hat Frau Wilms rea schaftler und Wissenschaftlerinnen, die dann den giert?) Weg der Habilitation wählen. — Doch. — Diese Versäumnisse sind inzwischen (Kuhlwein [SPD]: Warum muß denn das nachgeholt worden. Ich sage sehr deutlich: An der sein?) Schwelle zu den 90er Jahren stellen sich uns neue Aufgaben, für die Haushaltsmittel bereitgestellt wer- — Die Habilitation ist eine wichtige weitere Qualifi- den müssen. zierung. In den Hochschulgesetzen sind neben einer Habilitation durchaus auch andere gleichwertige Lei- Frau Dr. Wegner, ich habe Ihnen aufmerksam zuge- stungen vorgesehen. Dies hängt vom Hochschultyp hört, als Sie sagten, Sie wollten neue Akzente im Be- und von dem gewählten Fach ab. reich der Bildungspolitik und im Bereich der Hoch- schulpolitik setzen. Ich muß jedoch sagen: Ich habe (Kuhlwein [SPD]: Es geht auch ohne Profes- wenige neue Akzente gefunden. soren!) Sie sagten, Sie seien für eine Aufstockung der Mittel Aber es ist wichtig, daß wir Wissenschaftler mit Pro- im Rahmen des Titels Hochschulbau. Das ist kein motion weiterhin fördern. — Ich gehe ganz gern auf neuer Akzent. Das bedeutet schlicht und einfach, daß Zwischenrufe ein, denn das macht die Debatte ein noch ein paar Milliarden draufgesattelt werden sol- bißchen lebendiger, len. (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Rose [CDU/ (Frau Odendahl [SPD]: Sie wissen doch, wie CSU]: Sehr lebendig!) viele Studienplätze fehlen!) als wenn man einfach etwas abliest, was man vorher Sie haben weiterhin gesagt, der Bau von Wohnun- erarbeitet hat. gen für Studenten müsse gefördert werden. Das ist im Wir brauchen qualifizierten wissenschaftlichen Haushalt bereits etatisiert. Die von Ihnen befürwor- Nachwuchs. Wir müssen den hochqualifizierten tete strukturelle Veränderung bzw. der von Ihnen ge- Nachwuchs, diejenigen, die bereits promoviert sind, setzte neue Akzent besteht da rin, diese Vorhaben im stärker fördern. Ich glaube, daß wir hier noch ein gro- Rahmen des Wohnungsbauprogramms durchzufüh- ßes Reservoir haben. Wir wissen, daß in der gegen- ren. Einmal ganz ehrlich: Ist es nicht gleichgültig, ob wärtigen Hochschulsituation viele junge Leute von dies im Bildungshaushalt oder im Wohnungsbauhaus- der Hochschule abgewandert sind, weil sie sich keine- halt angesiedelt ist? Die Hauptsache ist doch, daß ausreichende Karriere vorstellen konnten, da keine unseren Studenten jetzt Wohnraum zu erschwingli- Möglichkeiten für Berufungen bestanden. chen Mieten zur Verfügung gestellt wird. Das ist doch die Grundlage. Dies wird sich in den 90er Jahren entscheidend ver- ändern. Wir müssen die jungen Leute darauf vorberei- (Beifall des Abg. Roth [Gießen] [CDU/CSU]) ten, damit sie an den Hochschulen bleiben bzw. wir Der einzig scheinbar neue Akzent, den Sie gesetzt müssen diejenigen zurückgewinnen, die von der haben, bezieht sich auf die Frage des BAföG, hier auf Hochschule abgewandert sind. Wir können sie zu- die Wiedereinführung des Schüler-BAföG. Dabei rückgewinnen durch eine entsprechende Förderung. möchte ich herausstellen, daß es zum Teil in den Im Rahmen der DFG sind Mittel eingesetzt. 13752 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Frau Männle Ich möchte in diesem Rahmen erwähnen, daß wir geht uns darum, daß in Zusammenarbeit mit den bei der Rückgewinnung des wissenschaftlichen Ländern ein Konzept erarbeitet wird, das 1991 mit Nachwuchses auch an die vielen Frauen denken müs- 10 Millionen DM wirksam werden kann. Ich halte dies sen, die wegen der Erfüllung von Familienaufgaben ebenfalls für einen wichtigen Beitrag in Ausfüllung nach der Promotion zu Hause geblieben sind, um sich des Hochschulrahmengesetzes. Das Programm setzt der Erziehung zu widmen. Sie suchen heute neue Auf- Akzente in unserer Hochschul- und Wissenschafts- gaben, neue Perspektiven. Wir haben es im Rahmen politik. einer Fußnote im Haushaltsplan erreicht, daß über die Natürlich sichern auch die Erhöhung der Mittel im Mittel der DFG für diese Frauen, die sich der Erfüllung Hochschulbau sowie die Mittel des mit den Ländern von Familienaufgaben gewidmet haben und an die vereinbarten Programms zur Sicherung der Lei- Hochschule zurückkehren wollen, 2 Millionen DM stungsfähigkeit und zum Offenhalten der Hochschu- bereitgestellt wurden. len in besonders belasteten Fachrichtungen die Wei- Ich meine aber, daß finanzielle Maßnahmen in die- terentwicklung unserer Hochschulen. sem Bereich nicht ausreichend sind, sondern daß wir Hervorheben möchte ich jedoch, daß für uns von auch andere Maßnahmen ergreifen müssen. Gerade besonderer Bedeutung in diesem Haushalt die Wie- im Rahmen der Rückgewinnung vieler qualifizierter deraufnahme der Förderung studentischen Wohn- Wissenschaftler, die an anderen Institutionen tätig raums, die 1980 noch unter der alten Koalition einge- sind, halte ich es für sinnvoll, Altersgrenzen abzu- stellt wurde, schaffen. (Kuhlwein [SPD]: Auf Anregung Bayerns! — (Zustimmung des Abg. Kuhlwein [SPD]) Gegenruf des Abg. Dr. Rose [CDU/CSU]: Ich halte es wirklich nicht für richtig, daß im Rahmen Seit wann habt ihr euch nach Bayern gerich- der Heisenberg-Stipendien, bei den Fiebinger-Profes- tet? — Gegenruf des Abg. Kuhlwein [SPD]: suren und auch bei den allgemeinen Berufungen Al- Schon immer!) tersgrenzen bestehen. Wir müßten darüber nachden- in die Bundesförderung ist. ken, wie wir hier flexibler reagieren. Wir werden ein Konzept entwickeln, in dem Bund, Lassen Sie mich im Zusammenhang mit der Nach- Länder und p rivate Träger das Sonderprogramm für wuchsförderung eine weitere Schwerpunktsetzung Studentenwohnraum umsetzen. Ab 1990 wird hierfür ansprechen, nämlich die Einrichtung und Förderung insgesamt 1 Milliarde DM zur Verfügung gestellt. Wir von Graduiertenkollegs. In den nächsten drei Jahren gehen davon aus, daß damit 20 000 Studentenwoh- werden etwa 50 derartige Einrichtungen aufgebaut nungen zur Verfügung gestellt werden. Ich halte auch sein, die im Haushalt 1990 mit 10 Millionen DM geför- das für sehr wichtig zum Funktionieren unseres Wis- dert werden. Ich halte dies für eine wichtige Ausfül- senschaftsbetriebs. lung des Hochschulrahmengesetzes und für eine neue Akzentsetzung in der Bildungs- und Wissenschafts- Gestatten Sie mir auch hier eine persönliche Bemer- politik. kung. Staatliche Mittel allein reichen nicht aus. Wir müssen dafür sorgen, daß private Vermieter mehr als Auch die Mittel für die Förderung der Forschung bisher in diese wichtige Aufgabe der studentischen sind — ich habe es schon angedeutet — erhöht wor- Wohnraumvermietung einsteigen. Wenn Eltern kla- den. Die Mittel für die Deutsche Forschungsgemein- gen, daß ihre Kinder keine Wohnung am Hochschul- schaft wurden um 5 % aufgestockt. Dies ist ein we- ort finden, frage ich zurück: Wie viele habt ihr aufge- sentlicher Beitrag zur Leistungsfähigkeit unserer nommen? Denn nicht wenige Kinder studieren an an- Hochschulen und zur Förderung der weiteren wissen- deren Orten, und in der eigenen Wohnung, im eige- schaftlichen Entwicklung. nen Haus steht genug Platz zur Verfügung. Lassen Sie mich aber auch hier eine kleine kritische (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Anfrage an die Deutsche Forschungsgemeinschaft richten: Auf welche Zweige, auf welche Fachrichtun- Ich denke, wir dürfen nicht nur fordern, und der ein- gen werden die Mittel aufgeteilt? Welche Hochschul- zelne darf nicht nur erwarten, daß der Staat für den arten werden bei der Vergabe dieser Mittel berück- eigenen Bereich, für den eigenen Bedarf etwas zur sichtigt? Werden die Frauen in diesem Zusammen- Verfügung stellt; sondern wir müssen auch fragen: hang — gestatten Sie mir diese Frage — ausreichend Was leisten wir selbst dafür? berücksichtigt? (Frau Odendahl [SPD]: Das ist ein Appell! — Ich habe den gezielten Einsatz von Forschungsmit- Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Fragen Sie teln bereits angesprochen. Hierzu gehört sicherlich doch mal den Minister, wie viele er aufge- auch, daß wir den wichtigen Beitrag der Fachhoch- nommen hat! — Rixe [SPD]: Der wohnt am schulen in der Hochschullandschaft der Bundesrepu- Hochschulstandort!) blik würdigen und mit der Einbeziehung der Fach- Daß ich in meinen Ausführungen sehr viel Wert auf hochschulen die enge Verknüpfung von Theo rie und die Hochschule gelegt habe und auf Fragen der Wis- Praxis dokumentieren. senschaftsförderung und der Nachwuchsförderung Wir haben in diesem Haushalt erfreulicherweise ausgiebig eingegangen bin, bedeutet nicht, daß wir durch das Zusammenwirken aller Berichterstatterin- andere Bereiche des Bildungswesens, etwa berufliche nen sowie durch die Unterstützung der Kolleginnen Bildung, Bildungsplanung, Bundesausbildungsförde- und Kollegen im Haushaltsausschuß erreicht, daß wir rung, vernachlässigt haben. Im Gegenteil, kontinuier- erstmals die Fachhochschulforschung, und zwar an- liche Hebung der Mittel garantiert das Funktionieren wendungsbezogene Forschung, etatisiert haben. Es dieser Bereiche. Gerade die Aufnahme mittlerer Ein- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13753

Frau Männle kommensgruppen im Rahmen der Bundesausbil- zwischen Bund und Ländern über ein weiteres Entla- dungsförderung zeigt, daß hier in Zukunft wesentli- stungsprogramm zu verhindern. che Verbesserungen durchgesetzt werden. Auch die Kärgliche Nachbesserungen gibt es beim BAföG für Investitionen in überbetriebliche Ausbildungsstätten Studierende. Aber immer noch wird Schülerinnen und stärken die berufliche Bildung. Auch zahlreiche Pro- Schülern der Sekundarstufe II das BAföG verweigert, jekte, die verstärkt durchgeführt werden, machen die dies begleitet von Äußerungen, daß ohnehin zu viele Bedeutung dieses Bildungsbereichs deutlich. das Gymnasium besuchen, die eigentlich nicht dort Natürlich spielen auch im Bildungshaushalt Fragen hingehören. von Aussiedlern und von Übersiedlern eine Rolle. Wir haben in unserem Haushalt das sogenannte Akademi- In der Berufsbildungspolitik gehörte es schon im- kerprogramm, in dem wir Übersiedler und Aussiedler mer zum Programm des Bildungsministers, politische fördern, die einen wissenschaftlichen Abschluß ha- Initiative und Gestaltung an die Wirtschaft abzuge- ben, die aus der DDR oder osteuropäischen Ländern ben. Seine Politik erschöpft sich in Subventionierun- kommen und deren Wissen bei uns schwer verwertbar gen ohne bildungspolitische Auflagen und in Wer- ist. Denken Sie an die unterschiedlichen Rechtssy- bung. In Ihren zahlreichen Reden vor Handwerks- steme und das unterschiedliche Wirtschaftssystem. kammern und Industrieverbänden beschwören Sie, Ein Jurist aus der DDR tut sich bei uns mit seinem Herr Minister, die stets bedrohte Wettbewerbsposi- Abschluß schwer, ebenso ein Volkswirt, ein Betriebs- tion der bundesrepublikanischen Wirtschaft am Welt- wirt. Auch in vielen technischen Disziplinen besteht markt und im Binnenmarkt Europa, um an das Eigen- ein bestimmter Bedarf an neuen Kenntnissen. Diesen interesse an qualifiziertem Nachwuchs zu appellie- Übersiedlern und Aussiedlern müssen wir Angebote ren. machen. Das findet statt. Wir haben den Titel im Von den Bildungsansprüchen junger und erwach- Haushalt gerade in diesem Bereich um fast 100 % er- sener Menschen, die sich nicht umstandslos mit den höht. Ich denke, daß auch der Bildungshaushalt damit Eigeninteressen der Wirtschaft decken, ist dagegen der Bedeutung der aktuellen Wandlungsprozesse im kaum die Rede. Dafür brachte der Bundeskanzler in Ostblock und der Übersiedlungsbewegung zu uns seiner mit stolzgeschwellter Brust vorgetragenen durchaus Rechnung trägt. Rede es fertig, ungetrübt von jeglichem bildungspoli- Lassen Sie mich zum Schluß kommen: Heutige In- tischen Sachverstand dem von den Unternehmern vestitionen in die Bildungs- und Wissenschaftspolitik selbst verschuldeten Facharbeitermangel mit den sichern die Lebensqualität von morgen und entschei- subventionierten Arbeitsplätzen für Langzeiterwerbs- den über die Zukunftschancen der jungen Menschen lose beikommen zu wollen. Das Lachen über so viel und künftiger Generationen. Der Haushalt für den Dummheit bleibt einem deswegen im Hals stecken, Einzelplan 31 schafft eine solide Finanzgrundlage für weil dies zynisch gegenüber den inzwischen 700 000 eine aktive Bildungs- und Wissenschaftspolitik. Ich Langzeiterwerbslosen ist. Für die Zerstörung ihrer Bil- bitte Sie deshalb um die Zustimmung zu dem Entwurf dungsmöglichkeiten fühlt sich weder die Wirtschaft mit den vom Ausschuß beschlossenen Veränderun- noch diese Bundesregierung verantwortlich. gen. In den 80er Jahren hat unser angeblich so bewähr- Ich danke Ihnen. tes berufliches Ausbildungswesen 1,5 Millionen junge (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Menschen ohne Ausbildung gelassen. Mit keinem Wort, Herr Minister, haben Sie bisher zu dieser bil- dungpolitischen Hypothek Stellung genommen. Bis Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat die Abge- ordnete Frau Hillerich. zum Jahre 2000 ist mit einer weiteren Million junger Menschen ohne Ausbildung zu rechnen. Die schlech- ten Beschäftigungschancen ungelernter Frauen und Frau Hillerich (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Da- Männer sind allen bekannt. Wo bleibt da eigentlich men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihre Bildungs- und Qualifizierungsoffensive? Bildungspolitik fristet trotz bescheidener Zuwächse auch in diesem Haushaltsplan ein Schattendasein — Sie wissen genau, daß die Fördermöglichkeiten so- Frau Männle, da bin ich anderer Meinung als Sie. Im zialpädagogisch gestützter Ausbildung, wie sie das Hochschulbereich, zu dem sich mein Kollege Diet rich Benachteiligtenprogramm vorsieht, bei weitem nicht Wetzel noch ausführlich äußern wird, scheint diese ausgeschöpft sind und daß es hierfür gute Verbesse- Bundesregierung inzwischen auf das Prinzip Ab- rungsvorschläge der Träger gibt. Sie wissen ebenfalls, schreckung zu setzen. Gegenüber der alarmierenden daß es sich hierbei vorrangig um Aufgaben der Bil- Wohnraumnot für Studenten und Studentinnen hat sie dungspolitik und nicht der Arbeitsmarktpolitik han- im Herbst ihre Handlungsunfähigkeit deutlich de- delt, weshalb auch die finanzielle Zuständigkeit hier- monstriert. So weit mußte es kommen, bis studenti- für in den Bildungshaushalt der Bundesregierung ge- sche Wohnraumförderung überhaupt wieder als öf- hört. fentliche Aufgabe erkannt wurde. Anstatt diese Fördermöglichkeiten weiterzuentwik- An der katastrophalen Überlastsituation will diese keln, um möglichst allen Jugendlichen einen qualifi- Bundesregierung offensichtlich nichts ändern. Sie läßt zierten Abschluß auf Facharbeiterniveau zu ermögli- ihren Bildungsminister im Regen stehen und begibt chen, wie dies unser Entschließungsantrag für ein Pro- sich statt dessen in Komplizenschaft mit dem sozialde- gramm zur Sicherung der Berufsbildung vorsieht, mokratischen Finanzminister Nordrhein-Westfalens, werden Sie, Herr Minister, nicht müde, das Ende der der offenbar Meinungsführer der übrigen Länderfi- Fahnenstange bei den Fördermöglichkeiten zu ver- nanzminister geworden ist, um jegliche Vereinbarung künden und lernbeeinträchtigten Jugendlichen eine 13754 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Frau Hillerich verkürzte Ausbildung mit drittklassigem Abschluß hierzu nicht einmal eine Arbeitsgruppe in der konzer- anzudienen. Wie diese jungen Menschen künftigen tierten Aktion eingerichtet wurde, zeigt ihre Blindheit Weiterbildungsanforderungen gewachsen sein sollen, gegenüber der zentralen Herausforderung unseres auf diese Frage bleiben Sie nach wie vor eine Antwort Wirtschaftssystems und unserer Lebensweise. schuldig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend zum Überhaupt zum Thema Weiterbildung: Es spricht ja Thema bildungspolitische Förderung von Mädchen prinzipiell nichts dagegen, in einer konzertierten Ak- und Frauen. Wir GRÜNEN halten es für dringend not- tion Konsense mit den Trägern der Erwachsenen- wendig, daß der Abbau nach wie vor bestehender Dis- bildung und mit den für berufliche Weiterbildung Zu- kriminierung von Mädchen und Frauen in allen Teilen ständigen in Staat und Wirtschaft zu suchen. Inzwi- des Bildungs- und Berufsbildungssystems endlich schen haben Sie sich sogar zu einer öffentlichen Zwi- konzentriert angegangen wird, allerdings auf einem schenbilanz bequemt, auf die wir bildungspolitisch anderen Niveau, als es die unglaublich originellen engagierten Abgeordneten schon lange warten. Wes- Werbesprüche des Bildungsministers wie „Minirock halb aber die äußerst mageren Ergebnisse von Ihnen und Mikrochip" nahelegen. als „großer Erfolg" bewertet werden, ist mir schleier- (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeord- haft. neten der SPD) Geradezu grotesk aber ist es, nach eineinhalb Jah- Hierzu haben wir einen Entschließungsantrag zur ver- ren bildungspolitische Platitüden als gemeinsam er- bindlichen finanziellen Ausstattung eines entspre- kannte Prioritäten für die künftige Arbeit vorzustel- chenden Förderschwerpunkts für Modellvorhaben in len. Ich zitiere hierzu als eine Kostprobe aus der der allgemeinen und beruflichen Bildung und im Presseerklärung des Ministers: Hochschulbereich im Rahmen des Modellversuchs- programms der BLK eingebracht. Es gibt inzwischen Kulturelle Weiterbildung leistet einen wichtigen genügend Erkenntnisse aus der Frauenforschung und Beitrag zur Entfaltung der Persönlichkeit und zur Berufsbildungsforschung, um Modellversuche gezielt Bewältigung neuer Lebensbedingungen. für die Verbesserung der Lern- und Ausbildungsmög- (Sehr richtig! bei der SPD — Zuruf von den lichkeiten für Mädchen und Frauen zu entwickeln GRÜNEN: In der Tat!) und in diesem Zusammenhang auch die sozialen Lerndefizite von Jungen und Männern anzugehen. Wer hätte das gedacht? Hierfür finden Sie Vorschläge in unserem Antrag. Ich Politische Bildung wird im konzertierten Kreis le- bitte um Lektüre und um Ihre Zustimmung für die diglich Aussiedlern in Verbindung mit Landeskunde dritte Lesung. zugestanden, um ihre Integration in unser Wirt- (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeord- schaftssystem zu erleichtern. Das kann man doch neten der SPD) wirklich nur als hochgradige Ignoranz bezeichnen gegenüber der Erosion politischer und demokrati- scher Glaubwürdigkeit von Parteien, von politischen Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- Entscheidungsprozessen und von Regierungshandeln ordnete Kastning. in unserer Gesellschaft. (Unruhe) Kastning (SPD): Herr Präsident, ich bin über- rascht. Im übrigen entheben konzertierte Gespräche Sie, Herr Minister, nicht von der Verantwortung, bil- dungspolitisch erkennbaren Handlungsbedarf in der Vizepräsident Cronenberg: Das ist genau die Rei- Weiterbildung jetzt schon anzugehen. Hier wäre in henfolge, Herr Kollege, die Sie selber eben auf diesen erster Linie eine Offensive zur Gewinnung und Wei- Zettel geschrieben haben. terbildung von Ausbilderinnen und Ausbildern für die Umsetzung der beruflichen Neuordnung zu nen- nen. Kastning (SPD): Das soll keine Kritik sein. Ich weiß schon, was ich sagen will. (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeord Meine Damen und Herren! Ende 1987 — das ist hier neten der SPD) schon angesprochen worden — hat der Bundesmini- Mit den neuen Ausbildungszielen, insbesondere mit ster für Bildung und Wissenschaft seine Konzertierte der Vermittlung der als Schlüsselqualifikationen be- Aktion Weiterbildung ins Leben gerufen. In dem Zwi- zeichneten personalen und sozialen Kompetenzen mit schenbericht steht wörtlich: dem Erfordernis der Umweltbildung in allen Berufen Ausgangspunkt war die Erkenntnis, daß Weiter-- und mit den neuen Ausbildungsmethoden, ist nämlich bildung nur durch eine große gemeinsame An- die Mehrzahl der jetzigen Ausbilder schlicht überfor- strengung von Staat, Wi rtschaft und allen gesell- dert. Die 1,8 Millionen DM, wie sie in den Erläuterun- schaftlichen Kräften rechtzeitig zu einem gleich- gen zu den Maßnahmen der allgemeinen und berufli- wertigen Teil unseres Bildungswesens ausgebaut chen Weiterbildung im Einzelplan 31 angesetzt sind, werden kann. sind doch allenfalls das Tröpfchen auf den heißen Ich muß sagen, daß das eine geradezu tolle Erkenntnis Stein. ist, wenn sie auch nicht neu ist. Herr Minister, aber wo Eine weitere mit der erstgenannten zu verbindende bleibt die große Anstrengung des Bundes, von der hier Weiterbildungsoffensive ist dringend nötig, um beruf- die Rede ist? liches Arbeiten umweltverträglich zu gestalten. Daß (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13755

Kastning Zum Staat gehört ja laut Verfassung und nach unse- Kühbacher (SPD): Würden Sie mir darin zustim- rem Verständnis der Bund. Da stimmen wir ja wohl men, daß die Unruhe hinter Ihnen und neben Ihnen überein; darüber brauchen wir uns nicht zu streiten. dadurch begründet sein könnte, daß der Bundesbil- Sie haben den Anstoß gegeben. Dann müssen Sie sich dungsminister Möllemann 30 Minuten Redezeit für aber auch fragen lassen, was die Konsequenz ist. Ich sich reklamiert hat und offensichtlich noch den An- denke, daß die Verwaltung des runden Aktionstisches spruch erhebt, als letzter zu reden, und daß das dazu und ein bißchen Werbung wohl nicht alles sein kann. führt, daß hier im Parlament etwas Trubel während Erwartungen im Hinblick auf ein größeres Engage- Ihrer Rede ist? Können Sie sich das vorstellen? ment auch des Bundes durch die Konzertierte Aktion dürften bereits genügend geweckt worden sein. Die Kastning (SPD): Ich kann niemanden dazu zwin- Frage ist: Wo bleibt die haushaltsmäßige Entspre- gen, mir zuzuhören. Da ist die Frage, ob er einen Lern- chung? prozeß mitmacht oder nicht. Das muß jeder für sich Die Frau Präsidentin des Deutschen Volkshoch- entscheiden. Die Ursache für die Unruhe kenne ich schulverbandes, Ihnen allen in einer anderen Funk- nicht. Ich kann mir vorstellen, daß der Minister 30 Mi- tion persönlich bekannt, hat beim Spitzengespräch nuten reden will; denn Werbung kostet Zeit; das wis- mit Ihnen, Herr Minister, am 30. Oktober — sie hat mir sen wir; das ist eine alte Erfahrung. das heute noch einmal bestätigt — zu Recht darauf (Beifall bei der SPD) hingewiesen, daß die Konzertierte Aktion nicht ohne Meine Damen und Herren, ich denke, Weiterbil- finanzielle Folgen bleiben könne. Ich beziehe hier den dung soll den einzelnen auch dazu anregen, — — Bund ein. Die Verbreitung Ihres Slogans oder — wie heißt das in der Werbesprache? — des Logos „Mach Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, aus dir, was in dir steckt" bleibt so lange Unsinn, wie würden Sie denn auch eine Zwischenfrage der Abge- nicht auch der Staat aktiv zur Schaffung gleicher Nut- ordneten Frau Seiler-Albring beantworten? zungschancen für alle in der Weiterbildung beiträgt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Kastning (SPD) : Bitte sehr; wenn mir das nicht alles Meine Damen und Herren, selbstverständlich sind von der Redezeit abgezogen wird. die Vielfalt des Angebots und die Innovativkraft, die aus der Pluralität der Weiterbildung entstehen, Frau Seiler-Albring (FDP): Wären Sie bereit, zur Grundlagen unseres Weiterbildungssystems. Jedoch Kenntnis zu nehmen, daß wir aufgrund der tragischen müssen wir ja wohl zur Kenntnis nehmen, daß unsere Ereignisse eine Umstellung in der Tagesordnung ha- Weiterbildungslandschaft schon jetzt durch eine Fülle ben, daß wir zunächst davon ausgegangen sind, daß von Defiziten geprägt ist. Sie wird bei zunehmender dieser Haushalt am Nachmittag beraten wird, und daß Marktübereignung à la Möllemann eben nicht den der Kollege, der eigentlich sprechen sollte, verhindert qualitativen und den sozialen Anforderungen eines ist und deshalb die FDP-Fraktion vereinbart hat, daß Weiterbildungssystems gerecht werden können, ge- die gesamte Zeit, die ihr zusteht, dem Minister zur schweige denn eine vierte eigenständige Säule unse- Verfügung gestellt wird? Sind Sie also bereit, dies zur res Bildungswesens werden. Kenntnis zu nehmen? (Frau Hillerich [GRÜNE]: In der Tat!) Kastning (SPD): Ich habe keine Probleme damit, das Es ist auch unbestritten, daß der Wandel in der Ar- zur Kenntnis zu nehmen. beitswelt immer mehr Arbeitnehmern nicht nur ein (Heiterkeit) vertieftes Fachwissen, sondern auch ein immer weite- Mir ist jeder Redner von der FDP willkommen, ob res Spektrum an fächerübergreifenden Qualifikatio- Minister oder nicht. Also, die Frage hätten Sie sich nen abverlangt. Dennoch wäre es unzureichend und gefährlich, den gesellschaftlichen Weiterbildungsbe- sparen können. darf und die individuellen Bildungsbedürfnisse der Menschen ausschließlich von den Anforderungen des Vizepräsident Cronenberg: Ich wäre dankbar, wenn technischen Wandels, meine Herren, und zumeist die Zwischenfragen nicht weiter zur gegenseitigen kurzfristigen Anpassungsinteressen der Wirtschaft Information mißbraucht würden und der Redner fort- her zu definieren und Weiterbildungspolitik darauf fahren könnte. aufzubauen. (Zuruf von der CDU/CSU: Aber die Informa-

(Unruhe — Zuruf von der SPD : Gibt es da tion war doch gut!) hinten etwas?) Kastning (SPD): Der Ernst der Lage, Herr Präsident, ist mir sehr wohl bekannt. Ich habe vorhin als Schrift- Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, ich führer oben gesessen und mitbekommen, was gesche- will Ihnen etwas Entlastung schaffen — — hen ist. Ich will darauf jetzt nicht näher eingehen; ich denke, wir befinden uns wieder in der Bildungsde- Kastning (SPD): Ich bin bereit, Zwischenfragen zu batte. beantworten, wenn klar ist, von welcher Seite sie Weiterbildung soll also den einzelnen Menschen kommen, Herr Präsident. dazu anregen und in seinem Bemühen unterstützen, berufliche Qualifikation in ihrer Bedeutung zu erken- Vizepräsident Cronenberg: Zunächst einmal von nen, zu bewerten, sie zu erhalten, zu steigern und zu dem Abgeordneten Kühbacher. Der soll auch fragen. verändern, um Anforderungen am Arbeitsplatz ge- Dann wäre ich aber dankbar, wenn wir das hier ein recht werden zu können, aber auch den Arbeitsplatz bißchen stiller abwickeln könnten. wechseln zu können. Weiterbildung muß ihm aber 13756 Deutscher Bundestag — 11. Wahlpe riode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Kastning auch dabei helfen, politische, soziale und kulturelle Weiterbildungspraxis der Bet riebe durch ihren gerin- Erfahrungen, Kenntnisse und Vorstellungen kritisch gen Anteil am Gesamtumfang der Aktivitäten, durch zu verarbeiten, um die gesellschaftliche Wirklichkeit die einseitige Berücksichtigung der mittleren und und seine Stellung in ihr zu begreifen und ändern zu oberen Qualifikationsgruppen und durch Maßnah- können. men mit nur betrieblich verwertbarer Qualifikation Auch hier beziehe ich mich auf den Deutschen gekennzeichnet. Ich denke, das ist unbef riedigend. Volkshochschulverband. Ihnen gegenüber, Herr Mi- Weiterbildung im bet rieblichen Rahmen sollte auch nister, ist bei dem Spitzengespräch KAW ja auch mit schlechter Qualifizierten und von Arbeitslosigkeit Be- Nachdruck darauf hingewiesen worden, daß wir mehr drohten Berufschancen eröffnen, sollte Arbeitneh- politische Bildung brauchen, auch politische Weiter- mern ohne Berufsausbildung die Möglichkeit geben, bildung, daß die Kluft zwischen dem technologischen diese nachzuholen. Ich denke, die Wirtschaft hat auch Wandel und dessen geistiger Verarbeitung überwun- die Pflicht, Menschen nach zeitweiligem Ausscheiden den werden muß und daß eine bessere Förderung aus dem Erwerbsleben die Wiedereingliederung zu politischer Bildung notwendig ist, und dies auch von ermöglichen. seiten des Bundes. Wie wäre es zum Beispiel damit, Herr Minister, (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) wenn Sie sich dafür einsetzen würden, die Arbeitge- ber im Zusammenhang mit Personalplanung zu einer Meine Damen und Herren, Weiterbildung muß dar- betrieblichen Weiterbildungsplanung und zu gemein- über hinaus viel mehr als bisher auch durch soziale samer Festlegung der Aktivitäten mit der Arbeitneh- Herkunft, Geschlechtszugehörigkeit oder Bildungs- mervertretung zu verpflichten? Dies wäre eine sehr prozesse selbst entstandene oder neu entstehende sinnvolle Erweiterung bet rieblicher Mitbestimmung. Ungleichheiten abbauen helfen. Ich denke, wir kön- Die Arbeitsverwaltung sagt mir nämlich — um nur nen es uns — auch aus wirtschaft lichen Gründen — einen Grund dafür zu nennen — , daß zu viele Bet riebe überhaupt nicht leisten, große Qualifikationspoten- nicht in der Lage oder nicht bereit sind, ihren mittel- tiale etwa von Frauen oder von Un- und Angelernten fristigen Qualifikationsbedarf gegenüber der Arbeits- künftig brachliegen zu lassen. Wenn ich das so sage verwaltung zu beschreiben, so daß diese auch durch und wenn das im Grundsatz Zustimmung findet, dann AFG-geförderte Maßnahmen gar nicht rechtzeitig darf sich der Staat — da sollten wir uns auch einig reagieren kann; denn Weiterbildung braucht nun ein- sein — doch wohl nicht auf eine väterlich wohlwol- mal Zeit; es braucht einen gewissen Vorlauf, bis je- lende Empfehlungsposition zurückziehen. Eine kon- mand entsprechend dem Bedarf der Wirtschaft quali- zertierte Aktion ist dann nicht das ausreichende Mit- fiziert ist. Hier könnte doch innerbetriebliche Zusam- tel, um öffentliche Verantwortung auszufüllen. menarbeit, der Versuch eines Konsenses über solch Meine Damen und Herren, ich will hier nur einige eine Einschätzung des Bedarfs zwischen Arbeitge- Beispiele anfügen — man könnte noch über mehr re- bern und Arbeitnehmern, von Nutzen sein. Ich jeden- den — , bei denen ich glaube, daß sich der Staat, hier falls bin davon überzeugt: Nur wenn wir einen sol- der Bund, stärker engagieren müßte. Ich stimme z. B. chen Weg gehen, kommen wir in diesem Bereich mit der Industriegewerkschaft Chemie, Papier, Kera- voran. mik in der Forderung überein — ich zitiere — : Der Herr Präsident, ich möchte eine Bemerkung zur Ge- Bund muß endlich ernsthaft seine Kompetenzen im schäftsordnung machen. Ich bin davon ausgegangen, Bereich der beruflichen Weiterbildung ausschöpfen daß ich ein oder zwei Minuten länger reden darf, weil und die durch die Vielzahl von Kammerregelungen meine Kollegin Wegner ihre Redezeit längst nicht aus- verursachte Rechtsunsicherheit durch Rechtssicher- geschöpft hat. Ich bitte um Genehmigung dafür. — heit ersetzen. Danke. (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte einen dritten Punkt ansprechen, über Qualitätsstandards sind dringend notwendig. den sich Regierung und Politiker etwas mehr Gedan- Ähnlich äußert sich übrigens die BLK in einer Emp- ken machen sollten. Es ist die Tatsache, daß der beruf- fehlung vom Frühjahr 1988. Da ist der Bund selbst liche Weiterbildungsbereich weitgehend gespalten beteiligt gewesen, also sollte er auch Konsequenzen ist: auf der einen Seite bet riebliche Weiterbildung für daraus ziehen. Meine Damen und Herren, ich denke, ausgesuchte Arbeitnehmer und auf der anderen Seite die Bundesregierung hat eben die Möglichkeit des außerbetriebliche Weiterbildung für Arbeitslose. Ist es Berufsbildungsgesetzes, zur Sicherung der Qualität nicht so, daß sich auch der Bildungsminister — obwohl der beruflichen Weiterbildung und der Vergleichbar- das AFG bei seinem Kollegen ressortiert ist — etwas keit der Abschlüsse eine Weiterbildungsordnung zu mehr einfallen lassen müßte und daß er aktiv werden erlassen, ungenügend genutzt. müßte, um die AFG-geförderte Weiterbildung quali- tativ zu verbessern, den präventiven arbeitsmarktli-- Zum zweiten. Ich denke, Herr Minister, wir müssen chen Charakter dieser Maßnahmen insgesamt hervor- als Politiker allmählich wohl auch qualitative und zuheben, auszubauen und vor allen Dingen — meine quantitative Anforderungen an den sehr vielschichtig Damen und Herren, das geht an alle, auch an die schillernden Bereich betrieblicher Weiterbildung Haushalts- und die Sozialpolitiker — das AFG von der stellen. Haushaltskonjunktur unabhängig zu gestalten, statt (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) andauernd an der Finanzierung herumzuschnip peln? Von vielen Unternehmen wird erfreulicherweise die Weiterbildung der Mitarbeiter als wichtiger soge (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN sowie nannter Produktionsfaktor erkannt. Dennoch ist die der Abg. Frau Unruh [fraktionslos]) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13757

Kastning Meine Damen und Herren, der letzte Punkt — jetzt drücke wie „Gipfel der Ignoranz", „unglaubliche werden vielleicht einige aufschreien, aber ich sage es Dummheit" und dergleichen genannt haben. trotzdem (Kuhlwein [SPD]: Sie meint einen Bestimm- (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Wir sind er ten!) leichtert!) Frau Kollegin, ich kenne Sie aus dem Ausschuß und — Herr Weng, wenn ich Sie höre, freue ich mich auch aus der Kommission, wo wir zusammenarbeiten, und immer endlos; tun Sie es doch auch einmal — da diskutieren wir sehr sachlich und sehr angemes- (Heiterkeit — Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: sen. Ich weiß nicht, warum es sein muß, daß man im Das tun wir auch!) Parlament mit solchen Ausdrücken um sich wirft. Ich Zur Wahrnehmung von Bildungschancen gehört das glaube, daß wir auch den Bürgern gegenüber deutlich Vorhandensein eines angemessenen Zeitbudgets. machen sollten, daß hier — ganz gleich, ob es sich um Das heißt: Dazu gehört die Chance, für die Weiterbil- Regierung, um Parlament oder um Ausschüsse han- dung zeitweilig von Arbeit freigestellt zu sein. Wer delt — eine sehr intensive und sachbezogene Arbeit von Investitionen in die Weiterbildung als Investitio- geleistet wird, und wir sollten uns nicht selbst mit sol- nen in den Produktionsfaktor Bildung oder als Investi- chen Ausdrücken abwerten. tionen in das Humankapital spricht — ich finde den (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Begriff zwar furchtbar, aber er wird immer genannt —, bei Abgeordneten der SPD — Frau Hillerich liefert doch wohl selbst das Argument dafür, eine [GRÜNE]: Lesen Sie einmal genau nach, was Freistellungsregelung für Arbeitnehmer endlich zu ich als Dummheit bezeichnet habe! Da wer- verwirklichen. den Sie zustimmen müssen!) (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN sowie Meine sehr verehrten Damen und Herren, neben der Abg. Frau Unruh [fraktionslos]) dem quantitativen Aufwuchs gibt es in der Tat ein So erfreulich tarifvertragliche Regelungen sind — paar Schwerpunktsetzungen. Frau Männle hat ja auf ich wünsche mir auch möglichst viele — , müssen wir die große Zahl bereits hingewiesen; deshalb möchte doch davon ausgehen, daß sie niemals flächendek- ich ein paar Schwerpunkte gebündelt nennen. Das kend und für alle Gruppen von Arbeitnehmerinnen erste ist der Schwerpunkt, daß man einen zentralen und Arbeitnehmern umfassend Wirklichkeit werden Begriff der Bildungsreformdiskussion, den der Chan- können. Deswegen, denke ich, ist in dieser Frage der cengerechtigkeit, in einem Bereich aufgestockt hat, in Gesetzgeber gefordert, und der Bund hat hier — ich dem er aus der Hand zu gleiten drohte. Das ist die habe mich da schlau gemacht — eindeutige Kompe- Frage der Bundesausbildungsförderung im studenti- tenzen. schen Bereich; wo folgendes geschehen war: Zwar ist Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß sich die derjenige, dessen Eltern ein ganz geringes Einkom- Bundesregierung nicht vollends auf die Rolle des An- men haben, durchaus in die Vollförderung hineinge- führers eines liberalen Nachtwächterstaates zurück- kommen; aber dann, wenn das Einkommen angestie- ziehen wird. Das würde, glaube ich, mit dem Sozial- gen ist und damit die Transferzahlungen gesunken staatsgebot unserer Verfassung nicht übereinstim- sind, mußten die Eltern aus voll versteuertem Einkom- men. Es würde auch nicht die künftigen Anforderun- men die Bildungsleistungen aufbringen, und dadurch gen aus gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Sicht ist eine Lücke in der Chancengerechtigkeit eingetre- an unser Weiterbildungssystem erfüllen. ten. (Beifall bei der SPD) Ich möchte in diesem Zusammenhang sehr lobend erwähnen, wie in dieser schwierigen Frage vorgegan- gen worden ist. Man hat eine Kommission eingesetzt, Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- in der die Beteiligten mit vertreten waren, und ich ordnete von Waldburg-Zeil. glaube, es steht uns an, an dieser Stelle Professor Dams einen Dank auszusprechen, der als Vorsitzen- der dieser Kommission die schwierigen Beratungen Graf von Waldburg-Zeil (CDU/CSU): Herr Präsi- geleitet hat und bei diesen Beratungen nicht auf Ma- dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei ximalforderungen aus gewesen ist, sondern durchaus Haushaltsdebatten pflegt das wichtigste Kriterium der die Realität begrenzter Staatsfinanzen gesehen und Aufwuchs oder der Abmangel zu sein. In früheren nun geprüft hat, wie man durch Umschichtungen und Debatten hat die Opposition immer wieder darauf hin- durch entsprechende Gewichtung der Mittel diese gewiesen, es sei ein zu geringer Aufwuchs oder gar Problematik des sogenannten Mittelstandsloches be- ein Abmangel vorhanden. In diesem Jahr wäre in die- seitigen kann. Nun wird also durch die Erhöhung der ser Beziehung quantitativ mit dem Aufwuchs von relativen Elternfreibeträge immerhin eine Anzahl von 10,1 % im Bildungsbereich Anlaß zur Freude. - 30 % mehr Studenten gefördert werden können, als Ich möchte es heute aber genauso sagen, wie ich es dies früher der Fall gewesen ist. früher gesagt habe: Die Frage der Menge von Mitteln, die man für einen Bereich auswirft, ist noch nicht das (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Entscheidende. Die entscheidende Frage ist vielmehr Nun steckt in dem Schwerpunkt BAföG ein Zweites die der Schwerpunktsetzung. — Herr Kollege Kastning, Sie haben es in anderem Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich Zusammenhang angesprochen — , nämlich die Frage möchte Sie, Frau Kollegin Hillerich, kurz ansprechen, des Zeitbudgets. Wir sprechen sehr viel theoretisch weil Sie die Frage der Schwerpunktsetzung angespro- davon, daß man die Studienzeit verkürzen sollte, aber chen haben und in diesem Zusammenhang Aus- in der Praxis haben wir Probleme. Wenn etwa über 13758 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Graf von Waldburg-Zeil 80 % der BAföG-Geförderten in der vorgesehenen sind die Studentenzahlen nicht zurückgegangen, son- Studienzeit nicht in der Lage sind, ihr Studium abzu- dern hoch geblieben, ja sogar noch gestiegen. schließen, (Frau Odendahl [SPD]: Das hat andere (Kastning [SPD]: Dann muß man fragen: Gründe!) warum?) Die Entscheidung, im Hochschulbau und im studen- tischen Wohnungsbau etwas zu tun, beinhaltet dann ist hier eine Situation, bei der man abhelfen gleichzeitig das Anerkenntnis: Wenn es der Wunsch muß. der jungen Leute ist, in erhöhtem Maße zu studieren, Hier ist vor allem zu berücksichtigen, daß es sehr und wenn die Studentenzahlen bis zum Jahrhundert- unterschiedliche Situationen gibt, und deshalb wird ende bei 1,5 Millionen bleiben werden, stellen wir uns jetzt die Möglichkeit der Verlängerung durch eine eben darauf ein und sagen nicht: Wir rechnen mit Studienabschlußförderung geschaffen. Gleichzeitig Überlastquoten unendlich weiter in der Hoffnung, wird durch eine Zeitkomponente in der leistungsbezo- daß die Studentenzahlen wieder sinken. genen Erlaßregelung dafür gesorgt, daß es nicht zu Ein Letztes — Frau Männle hat es schon angespro- einer generellen Verlängerung der Studienzeit chen — : Bei der Forschungsförderung hat man auf kommt, sondern daß demjenigen, der sein Studium ein Reservoir zurückgegriffen, das bisher vielleicht nach kürzerer Zeit abschließen kann, tatsächlich ein zuwenig genutzt worden ist. Es geht um die For- entsprechender Anreiz gegeben wird. Es ist also ein schungsmöglichkeiten, die sich im Fachhochschulbe- Prinzip der Flexibilität in die Studiendauer hineinge- reich ergeben. Ich möchte den Punkt nicht weiter ver- kommen, daß mir außerordentlich positiv erscheint. tiefen; denn meine Redezeit geht zu Ende. Zum Beispiel darf ich auch noch anführen, daß Ich darf abschließend sagen, daß es in diesem Etat Frauen, die Kinder bis zu drei Jahren aufziehen, eben- nicht nur um einen finanziellen Aufwuchs geht, son- falls länger studieren können. Auch für Behinderte ist dern um eine tatsächliche bildungspolitische Schwer- eine besondere Regelung vorgesehen worden. punktsetzung, die ich außerordentlich begrüße. Ein weiterer gewichtiger Punkt ist die Halbierung in Herzlichen Dank. Förderung und Zuschuß. Sie wissen, daß ich selbst eigentlich immer ein Vertreter des Gedankens der Bil- dungsinvestition gewesen bin und deshalb die volle Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- Darlehensgewährung insbesondere im Hinblick dar- ordnete Wetzel. auf gar nicht so negativ gesehen habe, daß auch im Arbeitnehmerbereich Volldarlehen gegeben wer- Wetzel (GRÜNE) : Herr Präsident! Meine Damen den. und Herren! Es fällt schwer, sich an diesem Vormittag Das Problem, das hier gesehen werden mußte, war wieder auf das Alltagsgeschäft des Parlaments zu eine psychologische Barriere. Gerade Kinder aus Fa- konzentrieren. Aber das muß wohl sein. milien — das ist ja in früheren Debatten vorgetragen Ich möchte im Zusammenhang mit dem vorgelegten worden — in denen wenig Einkommen vorhanden Haushalt nur einen Aspekt herausgreifen — das ist war, sicherlich einer der zentralen Aspekte — , nämlich die (Rixe [SPD]: An die wollen wir denken!) Art und Weise, wie in diesem Haushalt mit den kri- sengeschüttelten Hochschulen umgegangen wird. Ich sind von der Vorstellung des riesigen rückzahlbaren möchte dabei Ihre Aufmerksamkeit auf ein ganz zen- Darlehens abgeschreckt worden. Tatsächlich wäre trales, grundsätzliches Problem lenken. das bei den geringen Rückzahlungsraten und den lan- gen Freistellungsfristen gar nicht so tragisch gewesen. Statt mit einer konzeptionell durchdachten Haus- Aber das eigentliche Problem ist die psychologische haltspolitik haben wir es — das sehen wir als das Barriere. Die wird hiermit wieder abgebaut. grundsätzliche Problem an — im Hause Möllemann inzwischen mit einer hektischen Politik der Sonder- Schließlich konnte der Bereich Schülerförderung programme zu tun. Das beinhaltet weitreichende Ge- im Komplex der beruflichen Bildung wieder ausge- fahren für die Zukunft. Der Unterschied zwischen ei- dehnt werden. Aber wir haben ja noch genügend Zeit, nem Sonderprogramm und regulärer Haushaltspolitik bei der Beratung des BAföG-Gesetzes auf die Einzel- liegt doch wohl darin: Sonderprogramme mögen für heiten einzugehen. die Bewältigung kurz- und höchstens mittelfristiger Notlagen tauglich sein, aber für die Lösung von struk- Ich möchte einen zweiten Schwerpunkt anspre- turellen, langfristigen Problemen, wie sie gegenwär- chen, der die erheblichen Erhöhungen im Bereich des tig im Hochschulsystem existieren, sind Sie ungeeig- Hochschulbaus und des studentischen Wohnungs- net. - baus betrifft. Es ist zu erkennen, daß wir hier einer Entwicklung folgen, die so nicht vorhergesehen wor- (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeord- den ist. Es ist interessant, in den vielfältigen Debatten neten der SPD) — auch in der Komission „Bildung 2000" — zu sehen, Ich frage Sie, Herr Möllemann: Halten Sie die Über- daß Bildungsplanung immer obsoleter wird. Rechnen lastung der Hochschulen tatsächlich für ein kurz- oder wir die Zeit, die man bis zum Abitur braucht, zum mittelfristiges Problem? Ich weiß, die Antworten ken- Geburtsjahrgang hinzu, dann hätte die Jahrgangs nen Sie selber. Die Überlast hat sich bereits tief in die stärke die zwischen 1960 und 1970 hoch war und ab Strukturen unserer Hochschulen hineingefressen. 1970 stark abgenommen hat, ab 1988 beim Hoch- Wenn sich nichts ändert, bleibt die Überlastmisere schulzugang abrupt abnehmen müssen. Statt dessen der Normalzustand der Hochschulen in den nächsten Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13759

Wetzel zwei Jahrzehnten, bleibt deren Bewältigung also poli- in der Promotionsförderung einen Zuwachs von tisch eine Langfristaufgabe, die nicht mit Sonderpro- 0,5 Millionen DM. Da muß ich Frau Männle korrigie- grammen zu lösen ist. ren — ich sehe jetzt gar nicht, wo sie sitzt; sie ist nicht mehr da — , denn sie sprach von einem Zuwachs von (Zustimmung bei den GRÜNEN und der 3 Millionen DM. Das ist ein Rechenkunststück; denn SPD) ursprünglich war der Ansatz um 2,5 Millionen DM Weder die Überlastproblematik noch die Probleme gekürzt. des wissenschaftlichen Nachwuchses noch die Pro- (Frau Odendahl [SPD]: So ist das!) bleme bezüglich der studentischen Wohnheime noch die besonderen Probleme der Fachhochschulen noch Dann ist in den Haushaltsberatungen diese Kürzung die großen Defizite in der autonomen Hochschulfor- rückgängig gemacht worden, und 0,5 Millionen DM schung sind kurz- oder mittelfristig zu bewältigende sind dazugekommen. Also nicht um 3 Millionen DM, Probleme. Sie verlangen eine Gesamtkonzeption. Sie sondern gerade mal um 500 000 DM ist die Promo- vertragen keine Sonderprogrammhektik. Sie verlan- tionsförderung in dieser gegenwärtigen Notsituation gen nach einer stetigen und regulären Haushaltspoli- erhöht worden, von der wir alle wissen, daß sie vor tik. allem auch eine Situation des Mangels an wissen- schafltichem Nachwuchs ist. Meine Damen und Herren, aber nicht allein daß im Ministerium weder an einem inhaltlichen noch an ei- Ähnlich sieht es in der Förderung des promovierten nem entsprechenden finanzpolitischen Konzept gear- wissenschaftlichen Nachwuchses aus. Hier haben wir beitet würde bzw. daß ein derartiges vorläge, nein, einen Zuwachs von ganzen 100 000 DM. Bei der För- Herr Möllemann benutzt nach unserem Dafürhalten derung im Rahmen des Heisenberg-Programms ha- seine Politik der Sonderprogramme als Schutzschild, ben wir schließlich einen Zuwachs in Höhe von als Versteck. Wenn es einmal nicht so klappt, wie es 0,0 Millionen DM. angekündigt wurde, dann haben eben — das ist die So nehmen Sie Ihre Kompetenzen im Rahmen der För- Standardausrede — die Länder schuld. derung des wissenschaftlichen Nachwuchses wahr! (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: So ist es ja Herr Möllemann, da muß ich fragen: Für wie dumm auch!) halten Sie die Öffentlichkeit eigentlich? Da wir gerade bei einer Haushaltsberatung sind: Man muß sich doch Vor allem die Finanzminister der Länder sind dann inzwischen wirklich auch fragen, wie teuer diese Un- schuld. mengen von Sand sind, die Sie hier der Öffentlichkeit (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: So ist es!) in die Augen streuen. — Sicher, Herr Kollege. Auch ich halte die letztens (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — dargelegte Position der Finanzminister der Länder für Kastning [SPD]: Es gibt auch billigen reichlich übergeschnappt. Sand!) (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) Auf der einen Seite jammern Sie völlig zu Recht in der Öffentlichkeit mehr als ein halbes Jahr lang, wie not- In der Sicht der Finanzminister der Länder sind ja von wendig doch ein Bund-Länder-Sonderprogramm zur den 1,5 Millionen, die heute in der BRD studieren, Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sei. ungefähr 500 000 Phantomstudenten. Sie gelten als Sie wollten es mit stolzen 480 Millionen DM aus Bun- „nicht belastungsrelevant". Das ist zweifellos ein ge- desmitteln ausstatten. Wenn es dagegen um die regu- fährlicher Unsinn, gefährlich, weil hier die Funda- läre Haushaltspolitik geht, wo Sie unmittelbare Ein- mente der zukünftigen Wissenschafts- und Hoch- griffs-, Zugriffs- und Konzeptualisierungschancen ha- schulpolitik zur Disposition gestellt werden. ben, dann sind Sie, wie wir an den geschilderten Bei- Aber je verrückter die Finanzminister, um so leich- spielen sehen, gerade noch bereit, 1,1 Millionen DM ter können Sie sich, Herr Möllemann — und das tun zuzulegen. Also — einmal umgerechnet — ganze Sie in letzter Zeit ständig — , hinter der Rolle eines 0,2 % Ihrer öffentlichen Versprechungen für Sonder- Ankündigungsministers von Sonderprogrammen ver- programme bringen Sie in Ihrer eigenen regulären stecken. Ich kann dies hier aus Zeitgründen nur an Haushaltspolitik unter. einem Beispiel deutlich machen, an der Nachwuchs- Meine Damen und Herren, da werden die Sonder- förderung und dort vor allem an der Frauenförde- programme und der Widerstand der Länder und ihrer rung: Finanzminister plötzlich zu einem Verschiebebahn- Herr Minister, ich nehme an, Ihre Ministerialbeam- hof, bei dem übrigbleibt, daß hochschulpolitisch ten haben Sie mittlerweile darüber informiert, daß Sie nichts Entscheidendes passiert. Ich nenne das eine zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses systematische Unterlassungs- und Vernebelungspoli- keine Sonderprogrammvereinbarungen mit den tik. Gerade für die Frauen verbirgt sich dahinter eine Ländern benötigen, sondern eigene Kompetenzen ha- Entwicklung, die dep rimierend und verheerend ist. — ben. Ich sehe gerade die rote Lampe leuchten. Diesen Ge- (Frau Odendahl [SPD]: Ja!) danken darf ich aber kurz noch zu Ende führen. Sie haben völlig recht, Herr Minister und die ande- Und ich frage: Wie nehmen Sie diese Kompetenzen ren Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie davon aus- eigentlich wahr? In der Studienförderung z. B. ver- gehen, daß ab 1995 in den darauffolgenden zehn Jah- zeichnen wir vom Haushalt 1989 auf den Haushalt ren eine große Nachwuchslücke klafft, weil mehr als 1990 einen Zuwachs von ganzen 0,5 Millionen DM, 50 % der Lehrstuhlinhaber ausscheiden werden. Ge- (Zuruf von den GRÜNEN: Lächerlich!) rade hier besteht die große Chance, das extreme Un- 13760 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Wetzel Bleichgewicht zwischen Männern und Frauen an den Der Entwurf des Bundeshaushalts 1990, so wie er Hochschulen durch eine systematische Nachwuchs- jetzt verabschiedet werden soll, trägt diesem Erforder- förderung für Frauen zu korrigieren. Indem aber die nis Rechnung. Er sieht eine überproportionale Stei- Förderung insgesamt unterbleibt, werden die Frauen gerung der Ausgaben in dem von mir zu vertretenden ein weiteres Mal auf, ich schätze, einen Zeitraum von Haushalt um 10,1 % gegenüber dem Vorjahr vor. Das 20 bis 30 Jahren vertröstet, bis sie an den Hochschulen ist angesichts der Steigerung des Gesamthaushalts endlich eine Chance als Wissenschaftlerinnen bekom- um 3 % eine beachtliche Steigerungsrate. Die Bundes- men können. regierung führt damit ihre bereits mit dem vorigen (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) Haushalt eingeleitete finanzielle Trendwende im Bil- dungs- und Wissenschaftsbereich fort. Ich freue mich Meine Damen und Herren, mit dieser Politik sind darüber und werte das als einen weiteren Schritt, der wir im Grundsätzlichen und im Detail nicht einver- deutlich macht, daß wir den hohen Stellenwert der standen. Was aussteht, sind eine hochschulpolitische Bildungs- und Wissenschaftspolitik im Rahmen einer Konzeption und entsprechende Finanzierungsmo- vernünftigen Gesamtpolitik richtig sehen. delle und eine öffentliche Debatte darüber, wie das gemeinsam mit Bund und Ländern zu realisieren ist. Die für das Jahr 1990 zusätzlich vorgesehenen Mit- tel sollen schwerpunktmäßig zur Förderung des Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Hochschulbaus und der Hochschulforschung, für Lei- (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) stungsverbesserungen nach dem Bundesausbil- dungsförderungsgesetz, für den Studentenwohn- raumbau, für verstärkte internationale Zusammenar- Vizepräsident Cronenberg: Meine Damen und Her- beit und für die Integration von Aus- und Übersiedlern ren, bevor ich dem Bundesminister Möllemann das eingesetzt werden. Wort gebe, möchte ich Sie kurz über die Geschäfts- Ich möchte auf vier Schwerpunkte des Einzelplans lage orientieren. Ich gehe davon aus, daß diese De- näher eingehen. batte gegen 12.40/12.45 Uhr beendet sein wird. Wir werden dann in die Mittagspause eintreten und ganz Erster Punkt: Hochschule und Wissenschaft. Die normal um 14 Uhr fortfahren. Es gibt also keine Vor- Hochschul- und Wissenschaftspolitik in der Bundes- verlegung des Wiederbeginns der Sitzung. Der Ge- republik befindet sich in einer Phase höchster Anfor- schäftsbereich des Bundesministers des Innern wird derungen und Anstrengungen. Die anhaltende Bela- ab 17 Uhr beraten. Ich hoffe, daß damit einige Unklar- stung unserer Hochschulen sowie die Sicherung des heiten beseitigt sind. wissenschaftlichen Nachwuchses machen zusätzliche finanzielle Anstrengungen erforderlich. Der Haus- Wir können in der Debatte fortfahren. Das Wort hat haltsentwurf sieht dazu eine ganze Reihe von Verbes- der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, serungen vor. Herr Möllemann. Erstens. Für das von Bund und Ländern vereinbarte Zwei-Milliarden-Programm zur Sicherung der Lei- Möllemann, Bundesminister für Bildung und Wis- stungsfähigkeit und zum Offenhalten der Hochschu- senschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! len in besonders belasteten Fachrichtungen wird wie Nachdem nun bekanntgeworden ist, daß nach Alfred schon im Nachtragshaushalt 1989 auch in diesem Herrhausen auch sein Fahrer am Ort des Verbrechens Haushalt die entsprechende Rate von 150 Millionen umgekommen ist, fällt es mir um so schwerer, hier DM zur Verfügung gestellt. überhaupt noch eine Rede zu halten. Offen gestanden Zweitens. Die Mittel für den Hochschulbau werden würde ich meinen Text am liebsten zu Protokoll ge- um 100 Millionen DM, also um 10 %, auf 1,1 Milliar- ben. Es ist auch schwierig, sich auf eine Auseinander- den DM erhöht. Auf der Grundlage dieser Entschei- setzung einzulassen, wiewohl die Argumente und dung konnte bereits im Juli dieses Jahres der 19. Rah- auch die Form ihres Vortrags durch einige meiner menplan für den Hochschulbau mit den Ländern ver- Vorredner dazu reizen würden. Erlauben Sie mir des- abschiedet werden. Er ist in Kraft. Er umfaßt ein Ge- wegen, daß ich nur das vortrage, was ich zum Haus- samtvolumen von 10,8 Milliarden DM. halt zu sagen habe. Drittens. Der Zuschuß des Bundes an die Deutsche Die Bundesrepublik Deutschland steht in den kom- Forschungsgemeinschaft zur Förderung und Verbes- menden Jahren vor einer Reihe tiefgreifender Heraus- serung der Hochschulforschung steigt um 5 % von forderungen: demographisch, wirtschaftlich, tech- 609,7 auf 639,9 Millionen DM. nisch, ökologisch und kulturell. Wir können diese Herausforderungen nur bestehen, wenn wir durch zu- Viertens. Die Mittel der Begabtenförderung und der Begabtenförderungswerke wurden auf 90 Millio- sätzliche Investitionen in die Bereiche Bildung und nen DM angehoben. Dadurch wird es möglich, diese Kultur, Wissenschaft und Forschung die notwendigen Qualifikationen schaffen. Dabei geht es nicht nur um Mittel stärker als bisher zur Förderung auch beson- Inhalte. Es geht auch um notwendige Qualitätssteige- ders qualifizierter Fachhochschulstudenten und Fach- rungen in diesen Bereichen, wenn wir den Anschluß hochschulabsolventen einzusetzen. an internationale Standards in Lehre, Wissenschaft, Fünftens. Der Haushaltsausschuß des Deutschen Forschung und Qualifizierung unserer Fachkräfte Bundestages hat sich darüber hinaus am 9. November nicht verlieren wollen. Diese — wie von mehreren meine Zielsetzung zu eigen gemacht, für die Verbes- Vorrednern zu Recht gesagt wurde — zukunftssi- serung anwendungsbezogener Forschung und Ent- chernden Investitionen verlangen in vielen Fällen ei- wicklung an Fachhochschulen ein Programm aufzule- nen erheblichen zusätzlichen Kostenaufwand. gen. Über seine Ausgestaltung im einzelnen müssen Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13761

Bundesminister Möllemann Bund und Länder noch verhandeln. Der Bund erhält meinsames Programm hinbekommen würden. Es ist danach die Möglichkeit, Verpflichtungen in Höhe von beschlossen und wird umgesetzt. Gehen Sie davon 10 Millionen DM einzugehen. Neben den Fachhoch- aus, wir werden auch zur Förderung des wissenschaft- schullehrern profitiert davon vor allem die Praxis. Für lichen Nachwuchses von Bundesseite aus das tun, was die Fachhochschulen ist diese Zusammenarbeit ein notwendig ist. Wir warten jetzt auf die Festlegung der wichtiges Instrument zur kontinuierlichen Anpassung Länder. von praxisorientierter Lehre und Forschung sowie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zum Wissenschaftstransfer. Der zweite Punkte ist das Sonderprogramm für den Sechstens. Forschung und wissenschaftlicher Nach- Studentenwohnraumbau; ich deutete es gerade an. wuchs in Graduiertenkollegs werden erstmals mit Die am 7. November 1989 getroffene Entscheidung 10 Millionen DM gefördert. Am 21. Dezember werden der Koalition zum studentischen Wohnungsbau ist ein die Regierungschefs von Bund und Ländern eine Ver- wirksamer Beitrag zur Beseitigung der unbestreitba- einbarung nach Art. 91b des Grundgesetzes zur Ein- ren Engpässe auf dem Wohnungssektor. Die Regie- richtung und Förderung von Graduiertenkollegs un- rungskoalition ist damit meinem Vorschlag gefolgt, terzeichnen. Die Planungen gehen dahin, in den zur Schaffung zusätzlicher Studentenwohnungen ab nächsten drei Jahren bis zu 50 Graduiertenkollegs 1990 ein neues Programm aufzustellen, bei dem Bund einzurichten. Ich bewerte dies als einen wichtigen und Länder zusammenwirken. Ich möchte an dieser Schritt zu einem in der Bundesrepublik neuartigen Stelle dem Haushaltsausschuß meinen Dank dafür Forschungsstudium im Anschluß an die Gradu- aussprechen, daß er bei den abschließenden Beratun- ierung. gen einmütig dieses Programm noch in den Haushalt Meine Damen und Herren, trotz der genannten Ver- 1990 eingestellt hat. Mit diesem Programm wird ab besserungen sind im Hinblick auf die neuesten Pro- 1990 in sehr kurzer Zeit etwa 1 Milliarde DM in den gnosen und Annahmen zur Entwicklung der Studen- studentischen Wohnraumbau fließen. Der Bund bringt tenzahlen weitere erhebliche finanzielle Anstrengun- davon 300 Millionen DM auf. Von den Ländern wird gen von Bund und Ländern für den Hochschul- und ein Betrag in gleicher Höhe erwartet. Der Rest muß Wissenschaftsbereich in den nächsten Jahren erfor- von den Trägern aufgebracht werden. Auf diese derlich. Dies bet rifft den Hochschulbau, aber auch Weise wird es möglich sein, binnen kurzer Zeit etwa andere wichtige strukturelle Fragen unseres Hoch- 20 000 zusätzliche Studentenwohnplätze zu schaffen. schulsystems, vor allem die Sicherung des wissen- Gegenwärtig stehe ich in Verhandlungen mit den schaftlichen Nachwuchses. Ländern über den Abschluß einer entsprechenden Verwaltungsvereinbarung. Ich hoffe, daß auch diese Hier besteht — da stimme ich mit meinen Vorred- am 21. Dezember von den Regierungschefs unter- nern völlig überein — weiterer dringender Hand- schrieben werden kann. lungsbedarf. Sie wissen aber auch, daß wir darüber, Die gegenwärtige Unruhe bei den etwa 1,5 Millio- weil das natürlich eine Gemeinschaftsaufgabe von nen Studierenden hat ihre Ursache auch in deren Bund und Ländern ist, am 21. Dezember in einem Schwierigkeiten, eine angemessene Unterbringung Gespräch des Kanzlers mit den Ministerpräsidenten, am Hochschulort zu erträglichen Preisen zu erhalten. einigen Hochschulministern und den Präsidenten der Mit Unterstützung des Bundes sind bereits in der Ver- Wissenschaftsorganisationen sprechen wollen. gangenheit 136 000 Wohnplätze geschaffen worden. Ich kann Ihnen hier berichten, daß wir gestern Dafür hat der Bund 1,1 Milliarden DM ausgegeben. abend ein Gespräch des Bundeskanzlers, des For- Unter der seinerzeitigen Federführung der Minister schungs- und des Bildungsministers mit den Präsiden- Engholm und Apel hat der Bund Ende 1980 seine För- ten der sechs Wissenschaftsorganisationen hatten. derung des studentischen Wohnraumbaus abrupt be- Dort war einmütig die Meinung, daß das von Herrn endet. Ich glaube, Herr Kollege Kuhlwein, Sie waren Riesenhuber und mir zur Diskussion gestellte Pro- da irgendwo auch noch mitbeteiligt. Danach ist in vie- gramm — es ist ein Programm, weil sich dieses Erfor- len Ländern auf diesem Gebiet zu wenig gesche- dernis jetzt in besonderer Dringlichkeit stellt — von hen. Bund und Ländern über 6 Milliarden DM in einem (Abg. Kuhlwein [SPD] meldet sich zu einer Zeitraum von zehn Jahren vernünftig ist. Aber Sie Zwischenfrage) wissen auch, daß sich die Bundesländer dazu noch — Sie müssen sich nachher zu Wort melden. nicht verbindlich und gemeinsam eingelassen ha- ben. (Kuhlwein [SPD]: Ich wollte das nur richtig- stellen und hoffe, daß Sie mir die Mögichkeit Heute und morgen tagen die Kultusminister der dazu geben!) Länder in Berlin. Ich bin gespannt, was man dort sa- gen wird; denn ich habe die Stellungnahme der Län- Herr Minister, der Ab- derfinanzminister sehr sorgfältig gelesen. Vizepräsident Cronenberg: - geordnete Kuhlwein möchte Ihnen eine Zwischen- (Kuhlwein [SPD]: Haben Sie denn eine Zu frage stellen. sage von Herrn Waigel?) — Ich spreche hier für die Bundesregierung. Seien Sie Möllemann, Bundesminister für Bildung und Wis- ganz entspannt, Herr Kollege. Sie haben, als ich das senschaft: Bitte schön. erste Sonderprogramm, das ich vorhin beschrieb, vor- geschlagen habe, Zweifel geäußert, ob das durchkom- Kuhlwein (SPD): Herr Minister Möllemann, ist Ih- men würde. Es ist umgesetzt. Sie haben Zweifel geäu- nen bekannt, daß es im Zusammenwirken von FDP ßert, ob wir für den Studentenwohnraumbau ein ge und SPD im Herbst 1980 nach der Koalitionsbildung 13762 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Kuhlwein eine große Sparrunde gab, in der auch die Einstellung bunden war, daß es, wenn der Bedarf durch Länder der Gemeinschaftsfinanzierung des Studentenwohn- und Träger entsprechend qualifiziert wird, im näch- raumbaus beschlossen wurde, und daß Herr Engholm sten Jahr in der gleichen Höhe erneut eingebracht erst Ende Januar 1981 Bundesminister geworden ist werden kann. und ich damals erst Parlamentarischer Staatssekretär Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zum geworden bin? Nur wegen der historischen Richtig- dritten einen Punkt ansprechen, in dem strukturelle keit. Verbesserungen im sozialen Bereich bereits weit- gehend verwirklicht sind: das Bundesausbildungsför- Möllemann, Bundesminister für Bildung und Wis- derungsgesetz. Der Regierungsentwurf der 12. No- senschaft: Herr Kollege, ich will hier einmal klarstel- velle ist verabschiedet. Der Bundesrat wird morgen, len: Es war die Aufkündigung einer vorher gemein- wenn ich dies nach dem Ergebnis bei den Ausschuß- schaftlich durchgeführten Aktion — sagen wir es beratungen richtig beurteile, alle wesentlichen Ände- etwas allgemeiner — unter Beteiligung der Sozialde- rungsvorschläge positiv bewerten. Danach werden mokratischen Partei. mit aller Wahrscheinlichkeit ab Mitte 1990 die Förde- (Häfner [GRÜNE]: Leider! — Kuhlwein rungsleistungen im Tertiärbereich zu 50 To als Zu- [SPD]: Und der FDP!) schuß gewährt, also Hälfte Zuschuß, Hälfte Darlehen. Familien des mittleren Einkommensbereichs werden Nur, die FDP wirft mir ja auch nicht vor, daß es so — in die Förderung einbezogen. Die Förderung in der gewesen ist. Sie aber üben Kritik an dem, was Sie sel- Examenszeit wird durch eine Studienabschlußförde- ber beschlossen haben. Das ist nicht seriös, verstehen rung gesichert. Schüler des zweiten Bildungsweges Sie? Wir ändern das jetzt. zu den Fachhochschulen und Berufsfachschulen, die (Kuhlwein [SPD]: Nein, wir begrüßen, daß es sich auf einen berufsqualifizierenden Abschluß vorbe- jetzt wieder aufgenommen wird, so!) reiten, werden Förderungsleistungen erhalten. —Ich habe vorhin gehört, daß hier gesagt worden ist, Damit habe ich nur wenige Aspekte des BAföG wir hätten hier absolut zu wenig getan. Wenn Sie 1990 angesprochen. An ihnen aber wird deutlich er- selbst das beendet haben, ist das nicht sehr überzeu- kennbar, daß die Sozialleistung Ausbildungsförde- gend. Sie müssen sich das schon überlegen. rung nicht nur neu geordnet und in sich stimmig ge- (Dr. Rose [CDU/CSU]: Das ist bei denen wie macht, sondern zudem in ihrem Leistungsniveau we- bei der Deutschlandpolitik: Sie begrüßen sentlich angehoben wird. Die Zahl der Geförderten das, was wir tun!) wird dadurch von 328 000 auf 428 000 steigen, d. h. um rund 30 %. Bund und Länder werden für diese Verbesserungen im ersten Jahr ihrer vollen Wirksam- Vizepräsident Cronenberg: Herr Minister, Frau Odendahl möchte eine Zwischenfrage stellen. keit 650 Millionen DM mehr aufwenden. Ein vierter Punkt: berufliche Bildung. Die Berufsbil- dungspolitik bleibt in der primären Finanzierungs- Möllemann, Bundesminister für Bildung und Wis- senschaft: Ich möchte gern weiter fortfahren. Frau verantwortung der Wirtschaft. Dabei bleibt es auch; Odendahl spricht ja nach mir. Ich habe ausdrücklich darauf lege ich größten Wert. Ich bin gerne bereit, darauf verzichtet, als letzter zu sprechen. An sich hätte gerade im Vorfeld einer wichtigen Entscheidung im ich gern alle Parlamentarier vor mir reden lassen, wie nächsten Jahr, mit Ihnen darüber vor Indust rie- und der Respekt vor dem Parlament mir das geboten hätte. Handelskammer und Handwerkskammern zu strei- So aber kann Frau Odendahl ja gleich als Rednerin ten. etwas sagen. Also, die primäre Finanzierungsverantwortung der Die Verbesserung der Wohnsituation der Studenten Wirtschaft bleibt. Deswegen schlägt sich die Berufs- hat sowohl eine soziale als auch eine hochschulpoliti- bildungspolitik auch nicht mit so hohen Haushaltsan- sche Komponente. Je mehr Zeit Studenten aufwen- sätzen wie die Hochschulpolitik im Etat nieder. Den- den, um am Hochschulort ein Dach über dem Kopf zu noch sollten wir nicht vergessen, welche Bedeutung finden, oder solange sie lange Anfahrtswege und Pro- sie für die wirtschaftliche, soziale und gesellschaftspo- visorien aller Art in Kauf nehmen müssen, konzentrie- litische Weiterentwicklung hat. Der EG-Binnenmarkt ren sie sich nicht in der gewünschten Weise auf ihr und die Entwicklungen in Ost- und Mitteleuropa stel- Studium. Dies trägt mit zur Verlängerung der Studien- len uns gerade in der Berufsbildung vor zusätzliche zeiten bei, an deren Verkürzung wir ja alle ein erheb- Herausforderungen. liches Interesse haben. Hinzu kommt, daß allein für Nachdem der Ausbildungsplatzmangel immer Miete ganz beachtliche Beträge — manchmal sogar mehr in einen Leistungs- und Fachkräftemangel be- bis 20 DM je Quadratmeter — auf dem freien Woh- sonders bei den kleinen und mittleren Betrieben um-- nungsmarkt gezahlt werden müssen. Das ist natürlich schlägt und davon erhebliche Auswirkungen auch auf für Studierende schwer zu finanzieren. Ich denke hier den Arbeitsmarkt ausgehen werden, müssen wir uns vor allem auch an die Belastung derjenigen, die Aus- mit größerem Nachdruck darum kümmern, daß die bildungsförderung erhalten, weil ihre Eltern ein nie- Zahl der Jugendlichen, die bisher ohne berufliche driges Einkommen haben. Qualifizierung geblieben sind oder ohne zusätzliche Das jetzt geplante Hilfsprogramm ist ein weiteres Anstrengungen ohne Ausbildung bleiben würden, er- Signal einer zukunftsorientierten Bildungs- und Wis- heblich reduziert wird und daß gleichzeitig klar ist, senschaftspolitik. Ich bin sicher, die Länder und die daß es notwendig ist, die Attraktivität des dualen Sy- Träger von Studentenwohnheimen werden dieses stems auch für leistungsstarke Jugendliche zu erhö- Signal aufnehmen, zumal es ja mit der Mitteilung ver hen, damit sich das Ungleichgewicht zwischen dem Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13763

Bundesminister Möllemann Angebot an Qualifikation und dem gesellschaftlichen ben ja auf die Kompetenzverteilung in diesen Fragen Bedarf nicht vergrößert. Beides zusammen habe ich hingewiesen —, die Notwendigkeit zur inneren Differenzierung der (Kastning [SPD]: Man muß sie nur ausschöp- Berufsausbildung genannt, die ich mit allem Nach- fen!) druck weiter verfolgen werde. Nur so kann das Poten- tial für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung finden sich sowohl für die Ausbildung als auch für die besser ausgeschöpft werden. Es geht dabei entgegen Weiterbildung erhöhte Ansätze im Einzelplan 31: Die gewissen Unterstellungen nicht um weniger Qualifi- Berufsbildungsforschungsausgaben werden um zierung, sondern um mehr und jeweils angemessene 31,5 % gesteigert; der Austauschtitel wird, gerade im Qualifizierung. Hinblick auf Ost- und Mitteleuropa, um 20 % erhöht; Im übrigen wird diese zusätzliche Anstrengung nur die Mittel für die Förderung überbetrieblicher berufli- dann voll zum Tragen kommen, wenn auch die Län- cher Bildungsstätten werde mit 117 Millionen DM auf der und besonders auch die Berufsschulen dazu ihren sehr hohem Niveau gehalten; die Mittel für allge- Beitrag leisten. Eine Entschließung des Bundesrates meine und berufliche Weiterbildung werden um 5 % zu den unbeeinträchtigten und den benachteiligten gesteigert. Jugendlichen gibt mir die Hoffnung, daß dies auch Meine Damen und Herren, lassen Sie mich weiter erwartet werden kann. auf folgendes hinweisen: Für die anderen — von mir Ein zweiter großer Komplex der beruflichen Bil- nicht besonders erwähnten — Vorhaben des Einzel- dung, der mit Nachdruck vorangebracht werden muß, plans 31 sind die Ansätze für 1990 im wesentlichen ist die berufliche Weiterbildung in allen ihren Aus- auch überproportional angehoben worden, so z. B. für prägungen. Die Begründung liegt in der technologi- die internationale Zusammenarbeit sowie für die drin- schen Entwicklung ebenso wie in der Bevölkerungs- gend notwendigen Maßnahmen zur Eingliederung entwicklung, nicht zuletzt aber auch in einer verstärk- von Aussiedlern und Übersiedlern im Bildungs- und ten internationalen Arbeitsteilung und in neuen For- Wissenschaftsbereich, die um 65 % von 14,5 Millionen men der Arbeitsorganisation. Auch hier sind in erster DM auf 24 Millionen DM gesteigert werden. Das liegt Linie Betriebe und Wirtschaft gefordert und, wie eine nun natürlich in der großen Zahl begründet, die kei- kürzlich vorgestellte Untersuchung des IW, des Insti- ner von uns so erwartet hatte. tuts der deutschen Wirtschaft, ausgewiesen hat, be- Diese zusätzlichen finanziellen Spielräume des Bil- reits in erheblichem Umfang tätig. Ca. 26,2 Milliarden dungshaushalts 1990 machen es möglich, stärkeres DM Gewicht auf notwendige Maßnahmen zur Steigerung (Frau Hillerich [GRÜNE]: Aber keiner weiß, der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit in Bildung, wie diese Zahl zustande kommt!) Wissenschaft, Forschung und Weiterbildung zu legen. Angesichts der strukturellen Umbrüche, in deren sind im letzten Jahr für berufliche bet riebliche Weiter- Mitte wir uns ja bereits befinden, und angesichts der bildung aufgewandt worden. absehbaren wirtschaftlichen und sozialen Herausfor- (Kuhlwein [SPD]: Sollen aufgewandt worden derungen der 90er Jahre halte ich dies aber auch für sein! — Frau Hillerich [GRÜNE]: Wissen Sie, unabdingbar. wie die Zahl zustande kommt?) Erlauben Sie mir zwei Schlußbemerkungen: Die — Nun, ich kann hier natürlich jede Zahl anzweifeln, eine bezieht sich auf die Frage der Verantwortlichkei- die ich nicht selbst erhoben habe. Aber ich gehe da- ten angesichts der gegebenen Zuständigkeitsvertei- von aus, daß die Selbstverwaltungsorgane der Wirt- lung zwischen Bund und Ländern. Wir haben im Ge- schaft genauso präzise Zahlen liefern wie die Vor- samtbereich der Bildungspolitik eine sehr ausge- stände der Gewerkschaften. prägte Verantwortlichkeit der Bundesländer, eine sehr viel stärkere als die des Bundes. Wir geben in (Lachen bei der CDU/CSU — Kastning diesem Bildungshaushalt nun mit 4,1 Milliarden DM [SPD]: Fragen Sie, was damit gemacht wor deutlich mehr, 10,1 % mehr, aus als im Vorjahr. Aber den ist!) bundesweit werden, wenn man alle Zuständigkeiten Wir müssen durch subsidiäre Hilfen mit dazu beitra- zusammennimmt, von Bund, Ländern und auch Kom- gen, daß auch hier wiederum vor allem die Klein- und munen und Kreisen, mehr als 95 Milliarden DM für Mittelbetriebe mithalten können und vor allem die die Bildungspolitik aufgewandt. Es ist, glaube ich, Gruppen von Arbeitnehmern, die sich bislang noch wichtig, sich das zu vergegenwärtigen, weil ange- zuwenig beteiligen, obwohl sie es als Un- und Ange- sichts der Zahl von 4,1 Milliarden DM im Bundeshaus- lernte besonders notwendig hätten, stärker einbezo- halt bei denen, die sich die Kompetenzverteilung gen werden. So müssen z. B. Rückkehrer nach der nicht ständig vor Augen halten, gelegentlich der Ein- druck entsteht — indem dann diese Zahl in bezug zu Familienphase sowie Arbeitslose, besonders Lang- - zeitarbeitslose, eine reale Chance haben, sich im Be- anderen Titeln des Bundeshaushalts gesetzt wird, für schäftigungssystem zu halten oder, ohne qualitativ die beispielsweise der Bund die alleinige Zuständig- zurückgestuft zu werden, eine wirkliche Wiederein- keit hat — , als werde für die Bildung drastisch zuwe- gliederung in die Beschäftigung wahrzunehmen. nig getan. Die Zahl von etwa 95 Milliarden DM, die Dazu sind ja eine Reihe von Maßnahmen beschlossen ich soeben nannte, zeigt, daß ja beachtliche Anstren- worden, die durchgeführt werden. gungen unternommen werden. Dennoch teile ich die Auffassung all derer, die hier gesagt haben, mehr (Kastning [SPD]: Maßnahmen?) Qualifizierung sei die einzige Chance, den hohen so- Soweit das jetzt schon möglich war und soweit das zialen Standard, den hohen ökonomischen Standard Bildungsministerium dazu beitragen kann — Sie ha und die Problemlösungsfähigkeit der Bundesrepublik 13764 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Bundesminister Möllemann Detuschland zu bewahren und auszuweiten. Wir ha- Vielen Dank. ben ja keine anderen Grundlagen. Investitionen in die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Kompetenz von Menschen in allen Bereichen sind daher dringend erforderlich. Wenn die Länder mehr Zuständigkeiten haben, Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat die Abge- dann sind sie auch mehr gefordert, es sei denn, sie ordnete Frau Odendahl. möchten die Zuständigkeiten abgeben. Die Erklärung der Länderfinanzminister war, wie ich fand, deswe- gen so überraschend und angreifbar, weil sie ange- Frau Odendahl (SPD): Herr Präsident! Meine Da- sichts unbestreitbarer zusätzlicher Notwendigkeiten men und Herren! Herr Minister Möllemann, wären Sie ein Stoppsignal gesetzt haben. Die Durchsetzungsfä- in Ihrer Tonlage doch so staatstragend geblieben, wie higkeit meiner geschätzten Kolleginnen und Kollegen Sie begonnen haben. Ich finde es beschämend, wie in den vergleichbaren Ressorts der Länder wird sich Sie ausgerechnet die angespannte Situation der Stadt daran messen lassen müssen, ob sie bei ihren Haus- Berlin hier dazu benutzen, auf Fehlleistungen einzel- halten auch Steigerungsraten von 8,8 % — wie im ner Bundesländer hinzuweisen. letzten Jahr — und von 10,1 % — wie in diesem (Zustimmung bei der SPD) Jahr — durchsetzen können. Das gilt für alle Bundes- Es kann auch Ihnen nicht entgangen sein, wie ange- länder. spannt auf Grund heute wieder ständig steigender Ich sehe nach Ihren Erläuterungen mit besonderem Übersiedlerzahlen die Situation in Berlin ist. Ich halte Interesse der Entscheidung des Landes Berlin entge- es für unangemessen, diese Zahlen hier für Ihre Zah- gen, denn dort regiert ja ein rot-grünes Bündnis. Nach lentrickserei zu verwenden. den Entwürfen, die mir bekannt sind, kann von Ihren (Zustimmung bei der SPD) Worten dort nicht auf Taten geschlossen werden. Es war ja zu erwarten, meine Damen und Herren, (Kuhlwein [SPD]: Am Beispiel Berlins ist das daß von seiten der Regierungskoalition heute der Ver- ein bißchen unfair!) such unternommen wird, den Haushalt des Bundesmi- Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es nisters für Bildung und Wissenschaft als besonderes wäre angesichts der Tatsache, daß wir alle ja Parteien Glanzstück zu preisen. Daß das über lange Strecken in angehören, die Verantwortung auf ganz verschiede- Eigenlob geschehen ist, verstehen wir auch. nen Ebenen tragen, für die Glaubwürdigkeit der Par- (Dr. Hitschler [FDP]: Das ärgert Sie aber!) teien schon überzeugender und hilfreicher, wenn For- derungen, die die Parteien hier stellen, dort, wo sie — Das ärgert uns überhaupt nicht; denn wir haben selbst Verantwortung tragen, nämlich in den Bundes- Ihnen schon bei der ersten Lesung des Bildungsetats ländern, umgesetzt werden. Das heißt: Bevor Sie den bescheinigt, daß wir Ihre Anstrengungen, in der Bil- Bundesbildungsminister auffordern, eine höhere Stei- dungspolitik endlich wieder Boden unter die Füße zu gerungsrate als 10 % durchzusetzen, wäre es schon bekommen, im Interesse der Sache sehr gern aner- ganz gut, wenn die von Ihrer Partei gestellten Minister kennen. in ihren Haushalten auch nur in die Nähe der Hälfte Angesichts der von Ihnen seit 1983 zu verantwor- dieser Steierungsrate kämen. Dann würde mich das tenden und — ich unterstreiche das — auch bei den mehr beeindrucken. Kollegen und Kolleginnen aus der Bildungspolitik der Regierungskoalition zum Teil schmerzlich zur Kennt- (Zustimmung bei der FDP und der CDU/CSU nis genommenen rasanten Talfahrt der Bildungsaus- — Kastning [SPD]: Und die von Ihnen mitre gaben stimmen schon die kleinsten Besserungsbemü- gierten Länder auch!) hungen wieder hoffnungsfroh. Nur können Sie bei — Ich streite ja auch dafür. noch so gutem Willen das, was Sie in den letzten sie- (Kuhlwein [SPD]: Was meinen Sie, was wir ben Jahren ange richtet haben, nicht in diesem einen tun!) Haushalt wiedergutmachen. Das ist uns auch klar; wir könnten das ebenfalls nicht. Ja, dann lassen Sie uns das gemeinsam machen. — Also kann dieser Haushalt den gesellschaftlichen Eine zweite Bemerkung zum Schluß. Ich möchte bei Bedarf — sei es bei der Ausbildungsförderung, sei es dieser Gelegenheit auch ein herzliches Dankeschön bei den Hochschulen, sei es bei der beruflichen Bil- an die Mitarbeiter in meinem Ministe rium sagen. Sie dung, sei es bei der Förderung von Frauen, sei es bei sind in den letzten Jahren durch die Intensivierung der Weiterbildung — nicht decken. Bildungspolitisch der bildungspolitischen Anstrengungen sehr stark ge- bleibt der Haushalt noch lange im Defizit. Es wird sehr fordert worden, zum Teil bis an die Grenzen ihrer Lei- viel Geld kosten — da stimme ich auch mit Ihnen stungskraft. Jedermann, der weiß, wie gerade in den überein, Herr Möllemann — , den damit ange richteten- Ministerien — dann, wenn die Haushaltsberatungen Schaden wiedergutzumachen. zu Ende gehen — wirklich alle gefordert sind, wird Ich verkenne gar nicht, daß Sie inzwischen eingese- verstehen können, daß ich hier, was absolut nicht hen haben, daß Sie lange Jahre auf dem falschen selbstverständlich ist, allen meinen Mitarbeitern Dampfer gefahren sind. Nur sollten Sie jetzt nicht in Dank ausspreche. den Fehler verfallen, genauso undifferenziert, wie Sie Zum guten Schluß danke ich auch den Mitgliedern gekürzt haben, heute bei der Wiedergutmachung zu des Haushaltsausschusses, daß sie es möglich ge- verfahren. Dazu hat der Kollege Wetzel für den Be- macht haben, hier heute einen so erfreulichen Haus- reich der Hochschulen sehr Interessantes ausge- halt zur Abstimmung zu stellen. führt. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13765

Frau Odendahl In den Jahren seit 1983 haben sich auch für die Bil- Hier ist auch der Punkt, wo die von Ihnen in- dungspolitik die Anforderungen sicherlich verändert. zwischen glücklicherweise gewonnene Einsicht, daß Nicht verändern konnten sich wegen fehlender Mittel die Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen die Bildungsstrukturen. Wenn Sie nun heute Ihre bil- höchste Priorität haben muß, in die Tat umzusetzen dungspolitische Wiedergutmachung über eine Serie ist. von Sonderprogrammen und -aktionen betreiben, alle Nur, in Ihrem Haushalt entdecke ich das halt um geschmückt mit Ihrem Namen — das ist Ihr Stil, das alle Welt nicht. Sie sagen jetzt schon wieder, Sie fan- wissen wir, recht planlos Geld in die Bildung zu pum- gen gleich an. Sie hätten es schon tun müssen! pen, ohne dabei die Strukturen zu überprüfen —, Nun reisen Sie durch die deutsche Hochschulland- (Wetzel [GRÜNE]: Nicht Geld, sondern Ver schaft mit der Ankündigung eines zweiten Sonderpro- sprechungen!) gramms — Leertitel: Möllemann II — , das in den An- ist niemandem geholfen, weder den Menschen, die sätzen gar nicht falsch wäre, Herr Möllemann. Es hat Bildung nachfragen, noch denen, die im Bildungsbe- nur einen ganz entscheidenden Fehler: Überall da, wo reich arbeiten. Aktionismus ersetzt nun einmal keine Sie in diesem Haushalt für das Jahr 1990 konkret wer- Politik. Auch der geplante Bildungsgipfel unter Füh- den müßten, ist Fehlanzeige. Es ist schlichtweg billig, rung des Bundeskanzlers wird dann bildungspoliti- hier den Ländern den Schwarzen Peter zuzuschieben, sche Höhen gar nicht erreichen können. wenn Sie selber nicht in der Lage gewesen sind, zu- Lassen Sie uns also die gravierendsten Schwach- mindest die Mittel für den Hochschulausbau um die stellen beleuchten. Nachdem Sie hier die positiven 200 Millionen DM zusätzlich aufzustocken, die Ihnen Seiten so angestrengt dargestellt haben, war es schon alle Sachverständigen empfohlen haben. beeindruckend, daß auch die Kolleginnen und Kolle- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) gen, die vor mir gesprochen haben, eine ganze Menge Herr Möllemann, wir wollen Ihnen heute die Pein- davon entdecken konnten. lichkeit ersparen, Ihre eigenen hochschulpolitischen Sondermittel sind notwendig, um die größten Män- Versprechungen in einer namentlichen Abstimmung gel abzudecken. Leider haben Sie genug entstehen über den entsprechenden SPD-Antrag zu diesem lassen. Sie müssen gleichzeitig den Weg freimachen Punkt ablehnen zu müssen. Es wäre die traurige Wie- für strukturelle Verbesserungen. Für diese Struktur- derholung dessen, was sich hier schon bei der Verab- veränderungen, die an den Hochschulen besonders schiedung des vorigen Haushalts abgespielt hat. dringend sind, eine ausreichende Finanzierung als Zukunftsinvestition sicherzustellen, wäre eine ganz Nur eines, Herr Minister Möllemann, auch gerichtet gescheite Politik, der sich auch die Bundesländer aus an die Länder: Wenn Sie heute Wohltaten verspre- eigener Einsicht auf Dauer gar nicht verschließen chen, werden Sie an dem gemessen, was Sie heute in können und auch nicht werden. Ihrem Haushalt sichtbar machen. Da haben Sie eine ganze Menge Möglichkeiten. Vor einiger Zeit haben Bei allen versuchten Rechenmanövern aufge- wir Ihnen bei der ersten Lesung vorgehalten, daß Sie schreckter Finanzminister — ich werte da genau mit einer halben Milliarde DM bei den Ländern in der gleich — , wie es denn im Jahr 1995 und in den folgen- Kreide stehen. den Jahren an den deutschen Hochschulen aussehen (Rixe [SPD]: Ja!) könnte, haben uns die heute 1,47 Millionen Studie- renden des letzten Wintersemesters und die Tatsache, Wissen Sie: Auf die Verpflichtung hinweisen kann ich daß bis 1995 ständig 1,3 bis 1,5 Millionen junger Men- nur, wenn ich meine Schulden bezahlt habe. Sonst schen studieren werden, zu beschäftigen. Das ist die weist der Finger auf mich selbst zurück. Ausgangsposition. Sie sind nicht erfunden, sie sind (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Frau keine Schein- oder Pro-forma-Studenten; sie sind Wollny [GRÜNE] — Dr. Struck [SPD]: Drei schlichtweg da. Finger!) (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Ich sage Ihnen noch etwas zum studentischen Die heute vorhandenen Studienplätze waren schon Wohnraumbau. Sie haben ja meine Frage nicht zuge- im letzten Wintersemester mit ca. 180 % belegt, bei lassen. Wenn Sie schon die Versäumnisse der sozial- den Fachhochschulen mit 216 %. Heute noch von ei- liberalen Koalition hier erwähnt haben — das ist Ihr ner zeitlich begrenzten Überlast zu sprechen, ist gutes Recht, obwohl Sie beteiligt waren; ich bin da schlichtweg absurd. relativ — (Frau Hillerich [GRÜNE]: In der Tat!) (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP) Hier stimme ich gern mit Ihnen überein. Auch Finanz- — nein, nein; ich habe es da etwas leichter; ich kam minister können irren. Sie haben im Bereich der Bil- erst 1983 —, dann hätte es der Redlichkeit bedurft,- dung schon einmal geirrt. daß Sie sagen, wie es denn z. B. in diesem Jahr, als der studentische Wohnraumbau gekippt wurde, mit dem Bis zum Jahr 2000 werden rund 10 000 Professoren sozialen Wohnungsbau aussah, nämlich nicht so defi- — Professorinnen sind nicht so viele darunter — an zitär, wie Sie ihn in den vergangenen Jahren hinein- den Universitäten und rund 4 000 an den Fachhoch- geritten haben. Aus diesem Grund waren die Studen- schulen ausscheiden. Eine Strukturveränderung der ten damals in einer anderen Wohnungssituation, als riff Hochschulen kann also sinnvoll nur dann in Ang sie es heute sind. genommen werden, wenn jetzt und heute mit der För- derung des wissenschaftlichen Nachwuchses begon- (Kastning [SPD]: Das erfordert breites nen wird. Grundlagenwissen, das er aber nicht hat!) 13766 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Frau Odendahl Nun haben Sie ja ein Angebot dazu gemacht. Das ist aus diesen 30 000 weitere 300 Millionen DM. 300 Mil- ja auch schon etwas. Wir haben ja gar nicht gesagt: lionen DM sind eine ganz entscheidende Schwach- Das wollen wir nicht. stelle, wenn man sie vergißt. Aber eines sage ich Ihnen, weil es im Denken nun so Ich kann mir nicht vorstellen, daß Ihnen vor lauter sehr auch Ihre Handsch rift trägt: Herr Möllemann, das Aktionismus in der Ankündigung von Sonderpro- einzige Konzept, das Ihnen da eingefallen ist, ist aus grammen entgangen ist, welch großes bildungspoliti- meiner Sicht — ich muß das so nennen — gar nichts sche Fragezeichen bei der Integration der Aus- und weiter als das Angebot eines studentischen Bauher- Übersiedler besteht. Wo sind Sie denn als Bildungsmi- renmodells. nister gewesen, als es darum ging, daß die Qualität der Ausbildung Vorrang vor Billigkeit hat? Es ist Ihre Nun haben wir ja schon schlechte Erfahrungen mit Aufgabe, sich darüber Gedanken zu machen, wie die Bauherrenmodellen gemacht. Ich kann Ihnen heute schon voraussagen: Da sie erstens mißbraucht worden Qualität der Sprach- und Qualifizierungskurse Be- stand haben kann. Es ist Ihre Aufgabe, sich darüber sind, werden sie zweitens auch wieder einstürzen. Gedanken zu machen, wie die Bundesländer den (Rixe [SPD]: Ja! — Dr. Hitschler [FDP]: Sie nicht vorhersehbaren Andrang auf die bestehenden haben keine Ahnung!) Bildungseinrichtungen, also auf Schulen, Berufsschu- — Ich habe 'ne Menge. Wissen Sie: Ich rede mit de- len und Universitäten, bewältigen können. nen! Wer rechnen kann, weiß, daß diese vordringlichen Aufgaben — das hat der Minister hier sehr richtig (Zuruf von der FDP: Sie haben keine Ahnung angeführt — im Bereich der Bildung sehr viel Geld von der Neuen Heimat!) kosten, sehr viel mehr, als in allen bisherigen mittle- Der nächste der Defizitposten — Sie haben ja auch ren Finanzplanungen vorgesehen war. darauf Ihre Glanzlichter gesetzt — : Wenn Sie schon Wir wissen auch, daß der Bildungsbereich in den sagen, daß dieser BAföG-Beirat so gescheite Empfeh- gesamtgesellschaftlichen Bedarf eingeordnet werden lungen gemacht hat, dann verstehe ich nicht, warum muß. Nur, Herr Minister Möllemann, wo es heute an Sie in diesem Haus verschweigen, daß Ihnen zu Ihrem der erforderlichen Konzeption mangelt — wir haben Regierungsentwurf der BAföG-Beirat bescheinigt hat, Ihnen ganz gravierende Mängel aufgezeigt — , wer- daß Sie die zentrale Forderung nach Chancengleich- den Sie bei der Durchsetzung dieser Ansprüche heit dadurch nicht erfüllen, daß Sie die Wiederherstel- schlechte Karten haben. lung der Schülerförderung ab Klasse 11 in den Vor- dergrund stellen. Zu Ihrem Haushalt 1990, bei allem Lob für die Stei- gerung, fällt mir ein Berliner Spruch ein — mit der (Beifall der Abg. Frau Hillerich [GRÜNE]) Situation der Berliner habe ich begonnen — , der zu Das ist der gravierende Fehler. Deshalb ist Ihre Re- der Beurteilung hervorragend geeignet ist: Nackte form kein Reformwerk, sondern ein „Reförmchen" . Beene, aber in Lackschuhen. Die fehlende Schülerförderung belastet nicht nur (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) die Bundesländer und hier vor allem die Gemeinden über die Sozialhilfe, die fehlende Schülerförderung führt auch zu Umwegen bei der Ausbildung bei Kin Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Bun- desminister für Bildung und Wissenschaft, Jürgen-dern aus Familien mit kleineren Einkommen, die bei einer ausreichenden Schülerförderung nicht sein Möllemann. müßten. Wenn diese nicht geförderten Schülerinnen und Möllemann, Bundesminister für Bildung und Wis- Schüler über den zweiten Bildungsweg Ihre Hoch- senschaft: Meine Damen und Herren, ich möchte nur schulreife erlangen müssen, bedeutet es für sie er- eine kleine Klarstellung geben. Hier ist davon geredet stens einen Zeitverlust und zweitens einen erschwer- worden, ich hätte die spezifischen Probleme, die das ten Weg zum Studium. Ich frage mich schon, worin die Land Berlin durch den verstärkten Zustrom von bildungspolitische Weisheit liegt, daß bei diesem Um- Übersiedlern hat, nicht im Auge. Wir haben sie selbst- weg der Anspruch auf Schülerförderung dann be- verständlich im Auge. steht. (Frau Odendahl [SPD]: Aber nicht im Haus- Deshalb ist diese Verweigerung der Schülerförde- halt!) rung sozial ungerecht, aber — das wird Sie schwerer Sie wissen auch, daß über diese Frage Gespräche zwi- treffen, das andere trifft Sie anscheinend nicht so schen der Bundesregierung und dem Berliner Senat sehr — finanzpolitisch kurzsichtig. laufen. Wir werden in der kommenden Woche den Antrag Aber ich hatte auf einen Haushaltsentwurf abgeho- der SPD-Fraktion zur Ausbildungsförderung hier dis- ben, der lange vor dem 9. November und den Tagen kutieren. Im Haushalt 1990 werden wir die für unse- davor eine Rolle gespielt und deutlich gemacht hat, ren BAföG-Antrag notwendigen Mittel beantragen. daß die Prioritätensetzung des Landes Berlin nicht so Es wäre interessant, wenn Sie uns bei dieser Gele- ist, wie Sie sie hier proklamiert haben. genheit auch beantworten könnten, wie Sie die schon Sie sprachen außerdem von einem Ankündigungs- heute bekannten 30 000 BAföG-berechtigten Studen- aktionismus von Sonderprogrammen. Ich stelle noch tinnen und Studenten aus dem Personenkreis der einmal klar, daß es zwei Sonderprogramme, die ich für Aus- und Übersiedler in Ihrem Haushalt jetzt berück- die Bundesregierung angekündigt habe, gibt; diese sichtigt haben. Wenn ich richtig rechne, ergeben sich sind verwirklicht worden. Das eine Sonderprogramm Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13767

Bundesminister Möllemann war das Zwei-Milliarden-Programm zur Verbesse- dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Ände- rung der Lage an den Hochschulen, das andere war rungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU und der das Programm über eine Milliarde DM für die Verbes- FDP bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt wor- serung der studentischen Wohnraumversorgung, wo- den. für wir allein 300 Millionen DM geben. Das Mode ll, Ich komme zum Änderungsantrag Drucksache auf das wir uns verständigt haben zwischen Bund und 11/5814. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen Ländern — auch mit allen SPD-regierten Ländern —, wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer deckt sich mit den Überlegungen der Kultusminister- stimmt dagegen? — Dann ist dieser Änderungsantrag konferenz. mit den Stimmen der SPD, CDU/CSU und FDP abge- Es gibt lediglich noch ein drittes Sonderprogramm, lehnt worden. das noch im Gespräch ist. Wir kommen zum Änderungsantrag Drucksache (Frau Odendahl [SPD]: Noch ein Sonderpro 11/5815. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen gramm! — Zuruf: Ab zwei darf man von einer wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer Serie sprechen!) stimmt dagegen? — Dann ist dieser Änderungsantrag Über das Programm „Wissenschaftlicher Nachwuchs" mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP bei Zu- — dieses Programm ist noch nicht realisiert — haben stimmung der SPD abgelehnt worden. wir gestern mit den Präsidenten der Wissenschaftsor- ganisationen gesprochen. An diesem Wochenende Ich komme zum Änderungsantrag auf Drucksache spricht darüber die Kultusministerkonferenz. Darüber 11/5816. Wer diesem Änderungsantrag der GRÜNEN werden dann am 21. Dezember der Bundeskanzler zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei- und die Ministerpräsidenten der Länder auf der chen. — Wer stimmt dagegen? — Dann ist dieser Än- Grundlage eines von mir ausgearbeiteten Vorschla- derungsantrag mit den Stimmen der SPD, CDU/CSU ges beraten und, wie ich denke, beschließen. und FDP abgelehnt worden. Also entspannen Sie sich. Das ist kein Aktionismus, Ich komme zum Änderungsantrag Drucksache sondern entschlossenes Handeln. Daran werden Sie 11/5817. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen sich messen lassen müssen. wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Dann ist dieser Änderungsantrag (Beifall bei der FPD, der CDU/CSU und der mit der gleichen Mehrheit abgelehnt worden. Abg. Frau Unruh [fraktionslos]) Wir kommen zum Änderungsantrag Drucksache 11/5818. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen Vizepräsident Cronenberg: Meine Damen und Her- wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, so stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser daß wir zur Abstimmung kommen können. Zunächst Änderungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU einmal stimmen wir über die Änderungsanträge ab. und FDP bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt Mir liegen zehn Änderungsanträge in den Drucksa- worden. chen 11/5810 bis 11/5819 vor. Ich hoffe, davon ausge- Ich komme nun zum Änderungsantrag der GRÜ- hen zu dürfen, daß ich darüber en block abstimmen NEN Drucksache 11/5819. Wer diesem Änderungsan- lassen darf. trag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das (Frau Odendahl [SPD]: Nein! — Frau Hille Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Dann ist rich [GRÜNE]: Nein!) dieser Änderungsantrag der GRÜNEN mit den Stim- men der SPD, CDU/CSU und FDP abgelehnt wor- — Dann nehmen wir Einzelabstimmungen vor. den. Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag Drucksache 11/5810. Wer diesem Änderungsantrag Wir stimmen nun über den Änderungsantrag der zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei- Fraktion der SPD ab. Wer stimmt für den Änderungs- chen. — Wer stimmt dagegen? — Dann ist dieser Än- antrag Drucksache 11/5882, der unter XVIII aufge- derungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU und führt ist? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — der FDP abgelehnt. Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP bei Stimmenthaltung der Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN abgelehnt worden. GRÜNEN Drucksache 11/5811. Wer dem zuzustim- men wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt nun für den Änderungsantrag auf Wer stimmt dagegen? — Dann ist dieser Änderungs- Drucksache 11/5894? — Wer stimmt dagegen? — Ent- antrag der GRÜNEN mit den Stimmen der SPD, CDU/ haltungen? — Dann ist dieser Änderungsantrag bei CSU und FDP abgelehnt worden. dem gleichen Stimmverhalten wie der soeben abge-- Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag der lehnte Antrag auf Drucksache 11/5882 abgelehnt GRÜNEN Drucksache 11/5812. Wer für diesen Ände- worden. rungsantrag stimmen will, den bitte ich um das Hand- Meine Damen und Herren, wir stimmen nunmehr zeichen. — Wer stimmt dagegen? — Dann ist dieser über den gesamten Einzelplan 31 ab. Wer stimmt für Änderungsantrag mit der gleichen Mehrheit abge- den Einzelplan 31, Geschäftsbereich des Bundesmini- lehnt worden. sters für Bildung und Wissenschaft? — Wer stimmt Ich komme zum Änderungsantrag der GRÜNEN dagegen? — Dann ist der Einzelplan 31 mit den Stim- Drucksache 11/5813. Wer dem zuzustimmen wünscht, men der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion angenom- den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt men. 13768 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Vizepräsident Cronenberg Meine Damen und Herren, wir treten nunmehr in die Polen, Ungarn und anderen osteuropäischen Staa- die Mittagspause ein. Wie eben schon angekündigt, ten bei der Reform und bei der Neugestaltung ihrer wird die Sitzung um 14 Uhr fortgesetzt. Ich wünsche sozialen Sicherungssysteme und bei der Neugestal- Ihnen eine angenehme Mittagspause. tung der Arbeitsbeziehungen helfen könnten. (Unterbrechung der Sitzung von 12.47 Uhr Weniger hilfreich, meine Damen und Herren, sind bis 14.00 Uhr) die Kürzungen von 4 Millionen DM bei den Ausgaben für Betreuungsmaßnahmen für ausländische Mitbür- Vizepräsidentin Renger: Wir fahren in den Beratun- ger, die den Wohlfahrtsverbänden erhebliche Ein- gen fort. schränkungen auch bei deren Personal auferlegen. Aber noch einschneidender sind die vorgesehenen Kürzungen bei der Sprachförderung, die von uns ab- Meine Damen und Herren, ich rufe den Einzelplan gelehnt werden, weil sie nämlich für den Integrations- 11 auf: prozeß der deutschstämmigen Aussiedler aus den Einzelplan 11 osteuropäischen Staaten nicht besonders hilfreich Geschäftsbereich des Bundesministers für sind. Wir sind nicht gegen die Entwicklung spezieller Arbeit und Sozialordnung Lernmittel und Lehrmethoden für Sprachkurse, die — Drucksachen 11/5561, 11/5581 — den Besonderheiten der Lernfähigkeit, der Herkunft der Aussiedler und deren Vorbildung gerecht wer- Berichterstatter: den. Abgeordnete Sieler (Amberg) Strube Wir sind aber dagegen, daß aus kurzsichtigen finan- Zywietz ziellen Überlegungen des Finanzministers die Ein- Frau Rust gliederung von Aussiedlern in unsere Arbeitswelt scheitern muß oder behindert wird. Die Kosten dafür Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion der werden wir nämlich dann an einer ganz anderen SPD sowie des Abgeordneten Wüppesahl auf den Stelle zu bezahlen haben. Drucksachen 11/5861 bis 11/5865, 11/5882 unter VIII, 11/5883 und 11/5884 vor. Nachdrücklich begrüßen wir die zweite Stufe der Der Ältestenrat hat vorgeschlagen, für die Beratung Modellmaßnahmen zur besseren Versorgung von 90 Minuten vorzusehen. — Kein Widerspruch; es ist so Krebspatienten und die Verstärkung der Mittel für beschlossen. überregionale Modelleinrichtungen der beruflichen und medizinischen und der medizini- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- Rehabilitation schen ordnete Sieler. Prävention. (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten Sieler (Amberg) (SPD): Frau Präsidentin! Meine der FDP) sehr geehrten Damen und Herren! Werte Kolleginnen Es wäre nämlich, meine Damen und Herren, nicht zu und Kollegen! Knapp unter 70 Milliarden DM bewegt verantworten, wenn wir bei dem heutigen Stand der sich der Haushalt des Arbeitsministers im kommen- Versorgung krebskranker Menschen aufhören wür- den Jahr, für viele Menschen eine riesige, fast nicht den und wenn die bisher erfolgreich verlaufenden vorstellbare Summe. Und dennoch umfaßt der Einzel- Maßnahmen eingestellt werden müßten. plan 11 nur einen Teil der für den sozialen Bereich aufzubringenden Geldausgaben und Finanzierungs- Ich bitte daher noch einmal von dieser Stelle aus die grundlagen unserer sozialen Sicherheit. Bundesländer, in ihren Bereichen für entsprechende Anschlußfinanzierungen bzw. Überführung der Maß- Ich möchte an dieser Stelle noch einmal deutlich nahmen in die Regelfinanzierung zu sorgen. Es macht machen, daß wir dieser sozialen Sicherheit zu verdan- Sinn, meine Damen und Herren — wir begrüßen diese ken haben, was wir bisher immer zur politischen und Möglichkeit ausdrücklich — , daß mit den ersten wirtschaftlichen Stabilität dieser Republik gesagt ha- 5 Millionen DM Erfahrungen im speziellen Modell- ben. vorhaben zur Erprobung der ambulanten Versorgung Die politischen und gesellschaftlichen Veränderun- schwerpflegebedürftiger Menschen gesammelt wer- gen in der DDR und bei unseren östlichen Nachbarn, den können. mit denen wir uns ja am vergangenen Dienstag so vehement auseinandergesetzt haben, schlagen auch Wir wissen doch heute, daß wir das aktuelle Pro- auf den Sozialhaushalt durch. Zwar spürt man die blem der Pflege nicht nur bald aufgreifen müssen, daß vollen Auswirkungen im Haushalt 1990 noch nicht; wir es auch bald vernünftig lösen müssen, wenn die denn niemand kennt die rechtlichen und finanziellen Menschlichkeit mit dem Altwerden in unserer Gesell- Konsequenzen für wesentliche Teile unseres sozialen schaft nicht vor die Hunde gehen soll. Sicherungssystems. Es wird allerdings Zeit, meine Da- Seit Jahren beschäftigen sich Frauen und Männer men und Herren, sich möglichst bald zusammen mit — in diesem Gebiet allerdings meistens mehr Frauen den politischen und gesellschaftlichen Kräften in der als Männer — in einer Vielzahl von sozialen Hilfsein- Bundesrepublik und der DDR ein Bild darüber zu richtungen, Sozialstationen karitativer und kirchli- machen, welche Lösungsmöglichkeiten denkbar und cher Träger mit der tätigen Hilfe für solche pflegebe- realisierbar sein können. dürftigen Menschen, die, wenn wir sie staatlich orga- So begrüßen wir ausdrücklich, daß hier im Einzel- nisieren müßten, von uns nicht mehr zu finanzieren plan 11 über einen neuen Titel konkrete Hilfsmaß- wäre. Wir wissen ja, wie schwierig die Abgrenzung nahmen eingeleitet und finanziert werden können, zwischen stationärer Behandlung und Pflege ist und Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13769

Sieler (Amberg) welche Kosten damit verbunden sind. Um so mehr keit von über zwei Millionen Menschen. Dies läßt sich zählt die humane ambulante häusliche Pflege durch natürlich schlecht in die aufpolierte Bilanz dieser Re- diese Frauen und Männer, denen ich an dieser Stelle gierung eingliedern. Kürzungen der gesetzlichen Lei- auch einmal ein Wort der Anerkennung und des Dan- stungen für Arbeitslose und kosmetische Korrekturen kes aussprechen möchte; der Arbeitslosenstatistik sollen seitdem den Eindruck erwecken, als wäre bei uns alles in bester Ordnung. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Die Kritik der Opposition wird immer wieder als Hor- FDP) rorgemälde von Neidhammeln dargestellt. denn sie tun ihre Pflicht und ihre Aufgabe meistens im So paßt es natürlich gut ins Bild der Koalition, daß da Verborgenen ohne große Begleitung durch die Öf- und dort ein Arbeitgeber die angebliche Unfähigkeit fentlichkeit. der Arbeitsverwaltung öffentlich beklagt, weil die Diese Männer und diese Frauen kennen die Bela- von ihm gewünschten Arbeitskräfte durch die Ar- stungen der ambulanten Pflege, sie kennen aber auch beitsämter nicht vermittelt würden, obwohl es sie auf die Dankbarkeit jener Menschen, denen sie in ihrem diesem Arbeitsmarkt in großer Zahl gebe. In allen Fäl- unmittelbaren Lebensbereich helfen, mit dem Alter, len haben sich solche Behauptungen als vordergrün- mit der Gebrechlichkeit und mit der Behinderung fer- dige Polemik und ausgemachte Windeier erwiesen, tigzuwerden. Hier, meine Damen und Herren, sollen die an Hand der Fakten von der Arbeitsverwaltung zu zusätzliche Erfahrungen in einem Abschnitt mensch- widerlegen waren. lichen Lebens gemacht werden, dem bisher noch zu Es blieb nun erneut einem Mitglied dieser Bundes- viele Menschen nicht die notwendige Beachtung regierung vorbehalten, die Bundesanstalt in Nürn- schenken, den sie meistens aus ihrem Bewußtsein ver- berg für Vorgänge auf dem Arbeitsmarkt in die drängen, weil sie glauben, mit ihrem Sozialversiche- Pfanne zu hauen, die sie selbst verursacht und geför- rungsbeitrag hätten sie dieses Problem für sich ge- dert hat. löst. (Dreßler [SPD]: Sehr richtig!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Herr Spranger kommt nun wieder mit einem alten Hut Wenn wir hier künftig helfen wollen, müssen wir ein und wärmt das Märchen von der angeblichen „Aus- paar Fakten kennen. Wir müssen nämlich wissen, beutung unseres Sozialsystems durch die faulen Ar- welche Hilfe notwendig ist. Wir müssen wissen, wel- beitslosen" auf. Er fordert erneut die „statistische Be- che Arbeit bei der Pflege anfällt und welche Qualifi- reinigung" in der Arbeitslosenversicherung. kation das Pflegepersonal benötigt. Wir müssen aber auch wissen, welche organisatorischen Maßnahmen (Dr. Struck [SPD]: Unglaublich!) die Kassen und Maßnahmenträger ergreifen müssen, Der Gipfel der politischen Dummheit ist wohl auch wie die Leistungen nach § 53 des Sozialgesetzbuchs V die Forderung nach einer „Teilprivatisierung der Ar- ri in unser Sozialleistungssystem integ ert werden müs- beitsvermittlung", als wenn es diesen Unfug nicht sen und können und ob diese Maßnahmen Kranken- schon seit Jahren dank Ihrer Politik gäbe. hauspflege abkürzen und die Aufnahme der Bedürfti- gen in Pflegeheimen hinauszögern können. Der massive Druck des Finanzministers auf die Bun- desanstalt für Arbeit hat doch gerade ihre einzigen Nun noch einige Bemerkungen zur Kriegsopferver- Instrumente für eine aktive Arbeitsmarktpolitik im sorgung. Seit Jahren hat die Bundesregierung die an- Bereich Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Fort spruchsberechtigten Beschädigten und Hinterbliebe- unwirksam gemacht und-bildung und Umschulung nen mit Versprechungen hingehalten, bevor sie sich erheblich eingeschränkt. jetzt endlich zu einer längst fälligen strukturellen Lei- stungsverbesserung bereitgefunden hat. (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Leider, lei der!) Wenn es einerseits zu begrüßen ist, daß mit dem kürzlich vorgelegten Gesetzentwurf ein Großteil un- Wer hat denn den Bundeszuschuß an die Bundesan- serer Verbesserungsvorschläge aufgegriffen worden stalt in Nürnberg heruntergerechnet und die Erwirt- ist, die Sie noch im Frühjahr dieses Jahres in Bausch schaftung dieser Mittel aus dem Haushalt der Bundes- und Bogen abgelehnt haben, so ist es andererseits anstalt erzwungen? Dafür die Bundesanstalt für Ar- wiederum enttäuschend, daß Sie auch dabei wieder beit zu prügeln und unausgesprochen den Beschäftig- auf halbem Wege stehengeblieben sind und mit den ten dort in den Arbeitsämtern die Schuld zuzuschie- im Ansatz eingestellten Mitteln der Bedarfslage der ben ist doch der eigentliche Skandal. Beschädigten und Hinterbliebenen in der Kriegsop- Die Struktur der Arbeitslosigkeit hat sich doch trotz ferversorgung in keiner Weise gerecht werden. der seit sechs Jahren anhaltenden guten Konjunktur Hier hätten Sie eigentlich, meine Damen und Her- nicht gebessert, im Gegenteil. Der anhaltend hohe- ren, Ihr soziales Verantwortungsgefühl beweisen kön- Anteil der Finanzierung der Arbeitslosenhilfe im nen. Statt dessen haben Sie die notwendigen Maß- Haushalt des Bundesarbeitsministers von 8 Milliarden nahmen zur Verbesserung der Witwen- und Waisen- DM und die permanente Weigerung der Bundesregie- beihilfen oder der Gesundheitssicherung der Pflege- rung, die Arbeitslosigkeit aktiv zu bekämpfen, waren personen anderen finanziellen Prioritäten geopfert. doch die Ursache für ein hektisches Programm zur Bekämpfung der „Langzeitarbeitslosigkeit" unmittel- Nun zur Bundesanstalt für Arbeit, die sich offen- bar vor dem Wahljahr 1990. sichtlich wieder einmal besonders als finanzieller Steinbruch für den Bundeshaushalt eignet. Seit der (Heinrich [FDP]: Was heißt hier „hektisches Wende 1982 leben wir mit einer hohen Arbeitslosig Programm"?) 13770 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Sieler (Amberg) Mit dieser Beruhigungspille, die von allen Fachleu- Rednern der Opposition natürlich nicht erwarten, daß ten als untauglicher Therapieversuch am Problem sie die Schwerpunkte unseres Haushalts darlegen. Massenarbeitslosigkeit bezeichnet wurde, sollte zu- Darum eine ganz kurze Skizze. gleich natürlich von den Folgen der Einschränkungen auf dem Gebiet der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (Reuschenbach [SPD]: Weil es die nicht und auf dem Gebiet der Fortbildung und Umschulung gibt!) abgelenkt werden. Mit knapp 70 Milliarden DM sprechen wir beim Haus- Der Haushaltsausschuß hat nicht erst gewartet, bis halt des Bundesministers für Arbeit und Sozialord- Herrn Spranger diese Weisheit eingefallen ist, die er, nung von dem größten Einzeletat. wie ich hier zitiert habe, Anfang dieses Monats der (Dreßler [SPD]: Das besagt noch gar staunenden Öffentlichkeit unterbreitet hat. Wir haben nichts!) schon vor einigen Jahren die Verwaltung und Orga- nisation der Bundesanstalt für Arbeit auf den Prüf- Die Steigerungsrate für den Bereich Arbeit und Sozia- stand stellen lassen. Die Maßnahmen der Bundesan- les beträgt 3 % gegenüber 1989. stalt und ihrer Verwaltung mit den Schwachstellen (Dreßler [SPD]: Das besagt auch noch aufzuräumen, zeigen Wirkung und sind anzuerken- nichts!) nen. Wenn dennoch die zunehmenden Aufgaben, die wir ihnen auferlegt haben und die ihnen in diesen Wir sprechen hier von einem Viertel des Gesamthaus- Tagen vor dem Hintergrund überschwappender halts. Übersiedlerprobleme zusätzlich vor die Tür gekippt worden sind, von den Mitarbeitern dieser Bundesan- (Dreßler [SPD]: Auch das besagt noch nichts!) stalt in den Arbeitsämtern ganz selbstverständlich übernommen werden, dann verdient dies auch mal Kriegsopferversorgung, Leistungen nach dem Ar- ein Wort des Dankes und ein Wort der Anerkennung. beitsförderungsgesetz und Zuschüsse an die Renten- Auf jeden Fall ist ein Wort des Dankes an dieser Stelle versicherung erfahren die höchsten Ansätze. besser angebracht als die Prügel, die man diesen Am 9. dieses Monats haben wir im Deutschen Bun- Menschen derzeit zwischen die Beine wirft. destag in zweiter und dritter Lesung das von den Frak- Anzuerkennen sind vor allem die unzähligen Bemü- tionen der CDU/CSU, SPD und FDP gemeinsam ge- hungen des Personals der Bundesanstalt für die Ar- tragene Rentenreformgesetz 1992 beraten und verab- beit in den Arbeitsämtern, die mit der nun schon über schiedet. sieben Jahre andauernden Massenarbeitslosigkeit fertigzuwerden haben, die aber auch mit den perma- (Frau Unruh [fraktionslos]: Traurig, aber nenten Gesetzesänderungen dieses Hohen Hauses wahr!) konfrontiert sind und denen auch noch die Instru- — Sie konnte ich dabei leider nicht erwähnen, gnä- mente genommen werden, mit denen sie bisher eini- dige Frau. — Ich möchte dieses historische Ereignis germaßen arbeiten und die Probleme bewältigen der zweiten großen Rentenreform nach der Einfüh- konnten. rung der dynamischen Rente im Jahre 1957 zum An- Präsident Franke und die Selbstverwaltungsspitze laß nehmen, um auf die Finanzentwicklung der Ren- vom Vorstand und Verwaltungsrat haben keinen tenversicherung kurz einzugehen. Zweifel an der finanziellen Dimension der vor ihnen stehenden Aufgaben gelassen, die in einer Größen- Bei der Einbringung des Entwurfs des Rentenre- formgesetzes 1992 im März dieses Jahres ist man noch ordnung von rund 6 Milliarden DM Integrationsauf- wand für Aus- und Übersiedler in den nächsten Jah- von einer Beitragssatzerhöhung ab 1994 ausgegan- ren auf die Bundesanstalt zukommen und eigentlich gen. Mittlerweile hat die anhaltend gute Konjunktur aus dem Bundeshaushalt finanziert werden müßten. der Rentenversicherung mehr Liquidität gebracht, als Ich kann Ihnen nur empfehlen, den heutigen Artikel ursprünglich erwartet. Dadurch kann der Beitragssatz darüber in der „Süddeutschen Zeitung" einmal nach- bis 1996 stabil gehalten werden. zulesen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wie allerdings die Bundesanstalt für Arbeit mit all Inzwischen haben die Träger der gesetzlichen diesen Aufgaben und den dafür zur Verfügung ste- Rentenversicherung die Schwankungsreserve auf henden Mitteln fertigwerden soll, bleibt das Geheim- 25,4 Milliarden DM geschätzt — das sind 3,1 Milliar- nis dieser Regierung. Der negative Einfluß des Bun- den DM mehr, als bei Berichterstellung kalkuliert —, desfinanzministers mit seinen Entscheidungen auf bedingt durch die günstige Beitragsentwicklung in den Kurs unserer Sozialpolitik und der Bundesanstalt diesem Jahr, die maßgeblich von dem hohen Anstieg für Arbeit ist im wesentlichen der Grund dafür, daß der Beschäftigung als Folge der anhaltend guten Wirt- wir diesen Einzelplan ablehnen. schaftslage bestimmt wird. Mit dem für dieses Jahr Ich danke Ihnen. erwarteten Überschuß hat die Rentenversicherung (Beifall bei der SPD) nun in fünf aufeinander folgenden Jahren Über- schüsse erzielt. Vizepräsidentin Renger: Das Wort hat der Abgeord- (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) nete Strube. Die gute Entwicklung der Rentenfinanzen ändert jedoch nichts an der Notwendigkeit, die Zahlungsfä- Strube (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr higkeit der Rentenversicherung durch langfristig verehrten Damen und Herren! Man kann von den wirksame Maßnahmen, wie sie das Rentenreformge- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13771

Strube setz 1992 beinhaltet, über die Jahrtausendwende hin- Im September haben wir in der Bundesrepublik mit aus zu sichern; fast 28 Millionen Erwerbstätigen einen neuen Nach- kriegsrekord aufgestellt, 332 000 mehr als im entspre- (Frau Unruh [fraktionslos]: Alles Quatsch!) chenden Vorjahresmonat. Die Arbeitslosigkeit hat im denn die deutsche Bevölkerung wird weiter altern; Oktober mit 1,87 Millionen einen Tiefststand seit Ok- auch Sie, gnädige Frau. Immer weniger Aktive müs- tober 1982, wo 1,92 Millionen Personen gezählt wur- sen immer mehr Rentner absichern. Gegenwärtig den, erreicht. Seit dem Tiefststand der Beschäftigung finanzieren 100 Beitragszahler die Leistungen für Ende 1983 ist die Zahl der beschäftigten Arbeitneh- 48 Rentner. mer ständig angestiegen, bisher um rund 1,5 Millio- nen. Allein in diesem Jahr werden 350 000 bis 400 000 (Frau Unruh [fraktionslos]: Den Bundeszu neue Arbeitsplätze geschaffen. schuß erhöhen!) (Hört! Hört! bei der FDP) Im Jahre 2000 werden es 61 Rentner sein. Die Kurzarbeit hat sich gegenüber Oktober 1988 auf Das Rentenreformgesetz 1992 — hier besteht der ca. 50 000 fast halbiert. Für sie spielen nur noch ar- unmittelbare Zusammenhang mit dem Bundeshaus- beitsmarktpolitische Besonderheiten eine Rolle. halt — beinhaltet bereits im Vorgriff eine Anhebung des Bundeszuschusses im Jahr 1990 um 0,3 Milliarden Weiter verringert hat sich die Zahl der arbeitslosen DM und im Jahr 1991 um 2,3 Milliarden DM. Jugendlichen. 20jährige und jüngere Arbeitslose gab es Ende Oktober „nur noch" 68 200. Das sind 23 700 (Frau Unruh [fraktionslos]: Die Erhöhung ist weniger als vor einem Jahr. doch eine Täuschung!) Seit Ende 1983 konnte die Zahl der Arbeitslosen um Ab 1992 wird der Finanzierungsanteil des Bundes auf- über 400 000 gesenkt werden, trotz der Mitte der 80er gestockt und zusätzlich mit der Entwicklung des Bei- Jahre großen Zahl der Schulabgänger, die auf den tragssatzes der Rentenversicherung gekoppelt. Das Arbeitsmarkt drängten, trotz der gestiegenen Er- bedeutet: Muß der Beitragssatz erhöht werden, steigt werbstätigkeit der Frauen, trotz der wieder zuneh- der Bundeszuschuß um denselben Prozentsatz. menden Zahl der Ausländer und trotz der stark zuneh- menden Zahl der Aus- und Übersiedler. (Frau Unruh [fraktionslos]: Mein Gott!) Diese Erfolge sind untrennbar mit der Wirtschafts- Ein höherer Rentenversicherungsbeitrag bedeutet und Finanzpolitik der Bundesregierung von CDU/ also Mehrkosten für den Bundeshaushalt. CSU und FDP unter unserem Bundeskanzler Helmut Diese Neuregelung ist unter sozialpolitischen und Kohl verbunden. unter finanzpolitischen Aspekten eine gute Grund- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — lage für eine langfristig tragfähige Rentenreform. Frau Unruh [fraktionslos]: Deshalb haben Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) auch so viele Stimmenverluste!) Das verstärkte Engagement des Bundes wird dazu Seit dem Amtsantritt dieser Regierung sind auf dem beitragen, den Belastungsanstieg aus der Bevölke- Arbeitsmarkt immer wieder erfolgreiche Bemühun- rungsentwicklung für die Rentner und für die Bei- gen zur Verbesserung der Lage eingeleitet worden. tragszahler in vertretbaren Grenzen zu halten. Jüngstes Beispiel neben der seit Jahren bewährten Qualifizierungsoffensive sind die seit Juli diese Jahres Die Rentenversicherung wurde mit Vernunft und laufenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Lang- mit Weitsicht weiterentwickelt. Die sich aus dem Be- zeitarbeitslosigkeit. Die Bundesregierung hat zum ei- völkerungsrückgang, der steigenden Lebenserwar- nen 1,5 Milliarden DM als Lohnkostenzuschüsse, um tung und 'dem daraus veränderten Altersaufbau der Arbeitgebern die Einstellung Langzeitarbeitsloser zu Bevölkerung ergebenden Belastungen sind gleichmä- erleichtern, und zum anderen 250 Millionen DM für ßig verteilt worden auf Beitragszahler, auf den Bund eine gezielte Betreuung und Unterstützung besonders und auf die Rentner. beeinträchtigter Arbeitsloser und anderer schwerst- (Frau Unruh [fraktionslos]: Das tut weh!) vermittelbarer Arbeitsloser bereitgestellt. Daß hierzu eine gemeinsame Gesetzesänderung mit Und diese Maßnahmen, meine Damen und Herren, der SPD durchgeführt werden konnte, ist für alle Be- zeigen große Erfolge. Bis zum 20. November 1989 teiligten und Betroffenen zu begrüßen. — das ist die jüngste Erhebung durch die Bundesan- stalt — gab es 12 200 Bewilligungen für Lohnkosten- Bei allem Respekt vor der Tarifhoheit möchte ich an zuschüsse. 1 500 weitere Anträge waren in Bearbei- dieser Stelle allerdings unseren Rentnern abschlie- tung. Die Bundesanstalt geht für dieses Jahr von ßend sagen, 16 000 Bewilligungen und einem ausgeschöpften An-- (Reimann [SPD]: Euren?) satz aus. Für Zuschüsse zur Förderung von Maßnah- men für besonders benachteiligte Langzeitarbeitslose daß Tarifabschlüsse, die mehr auf zusätzliche Freizeit als auf Lohnerhöhung setzen, die Renten zukünftig und andere schwerstvermittelbare Arbeitslose lagen nur mäßig steigen lassen. bis zum 30. September 329 Anträge für durchschnitt- lich je 20 Teilnehmer mit einem Gesamtvolumen von Ich komme nunmehr zum Thema Arbeitsmarkt: Die etwa 150 Millionen DM vor. Lage auf dem Arbeitsmarkt, meine Damen und Her- Meine Damen und Herren, die Bundesanstalt in ren, hat sich erfreulich entwickelt. Nürnberg gibt jährlich große Summen zur Qualifizie- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) rung Benachteiligter aus. Wir müssen aber zur Kennt- 13772 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Strube nis nehmen, daß es in unserer Gesellschaft auch Men- schen Fortschritts durchführen zu können. Ohne den schen gibt, die nicht qualifizierbar sind und die, aus Impuls eines Bundesprogramms zur abschließenden welchen Gründen auch immer, das hohe Tempo am Ausstattung der Zentren und Schwerpunkte ist mit Arbeitsplatz nicht oder nicht mehr gehen können, das einer notwendigen Modernisierung der technischen normalerweise verlangt wird. Ausstattung im Wege der üblichen Finanzierung durch die Länder nicht zu rechnen. (Frau Unruh [fraktionslos]: Bei vielen Politi kern ist das so!) In den letzten Jahren sind auf Grund des therapeu- tischen Fortschritts zunehmend Fragen der Erhaltung Auch für diese Menschen haben wir eine sozialpoliti- der Lebensqualität bei der Versorgung schwerkran- sche Verantwortung, denn Arbeit hat bekanntlich ker Krebspatienten in der Sterbephase in den Vorder- zwei Dimensionen, nämlich Broterwerb und Selbst- grund getreten. Derartige Modelle, z. B. Hospizein- verwirklichung. Ob das laufende Langzeitarbeitslo- richtungen, müssen in einem größeren Rahmen er- senprogramm mit den ausgewiesenen Lohnkostenzu- probt werden. Um eine Behebung der aufgezeigten schüssen hier den richtigen Weg beschreibt, bleibt Defizite zu erreichen, wird das Modellprogramm in abzuwarten. Aber eines muß klar sein: Wer nicht aus- einer zweiten Stufe fortgeführt. grenzen will, muß für die Schwachen einen subven- Sie sehen, meine Damen und Herren, der Sozial- tionierten zweiten Arbeitsmarkt vorhalten. staat und die Sozialpolitik sind bei uns in guten Vollkommen überzogen sind meiner Ansicht nach Händen. die Horrorgemälde, die die Opposition so gerne von (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) unserem Sozialstaat zeichnet. Wenn das Elend der Wir werden mit Norbert Blüm an der Spitze diesen Massen hier wirklich so himmelschreiend wäre, wie Sozialstaat weiter aus- und umbauen. behauptet, warum kommen dann eigentlich die Asy- lanten in Scharen aus aller Herren Länder ausgerech- Ich darf für meine Fraktion hier heute erklären, daß net zu uns? wir dem Einzelplan 11 in der Fassung der Beschluß- empfehlung des Haushaltsausschusses vorbehaltlos (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — zustimmen werden. Hoss [GRÜNE]: Das ist doch wohl das letzte! Ich bedanke mich. Fällt Ihnen nichts Besseres ein? — Frau Un- ruh [fraktionslos]: Primitiver geht es nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Warum reden die gleichen Gewerkschaftsfunktionäre einmal von der großen Armut, um Stunden später die Vizepräsidentin Renger: Das Wort hat der Herr Ab- geordnete Hoss. Sicherung deutschen sozialen Standards im Hinblick auf Europa zu fordern? Das kann vielleicht einer der Redner der Opposition gleich einmal aufklären. Hoss (GRÜNE): Frau Präsidentin! Verehrte Kolle- ginnen und Kollegen! Bei der jetzigen Beratung des (Beifall bei der CDU/CSU) Etats des Bundesministeriums für Arbeit 1990 ist ein Meine Damen und Herren, ich möchte einen dritten wichtiges sozialpolitisches Thema schon im Vorfeld und letzten Punkt ansprechen: Maßnahmen der Bun- weitgehend ausgeklammert worden, da sind Fakten desregierung zur Verbesserung der Krebsbekämp- geschaffen worden: Ich meine die Rentenfrage. lung. Für Modellmaßnahmen zur besseren Versor- Angestanden hätte in den Zahlen des jetzigen Etats gung von Krebspatienten sind seit 1981 über 180 Mil- eine Erhöhung des Bundeszuschusses von 8 Milliar- lionen DM bereitgestellt worden. Im Haushalt 1990 den DM, zu denen wir in den Beratungen einen An- sind weitere 10 Millionen DM vorgesehen. Im Rah- trag eingebracht haben, Armut im Rentenalter abzu- men des Ende 1981 angelaufenen Förderprogramms bauen, die eigenständige Sicherung der Frauen vor- wurden bis Ende 1990 24 Tumorzentren, 32 Einrich- anzutreiben, die Vereinheitlichung der verschiede- tungen der pädiatrischen Onkologie, 32 onkologische nen Alterssicherungssysteme und den Abbau von real Schwerpunkte und 10 Schwerpunktpraxen mit Bun- vorhandenen Privilegien im Bereich der Beamtenver- desmitteln gefördert. Der größte Teil der Projekte ist sorgung, im Bereich von Selbständigen und anderer bereits abgeschlossen und auf der Grundlage der und die Eröffnung neuer Finanzquellen in Ang riff zu Bundespflegesatzverordnung von 1986 in die Regelfi- nehmen. In diesem Bereich ist sozialpolitisch Bedeut- nanzierung überführt worden. Die Modellmaßnah- sames nicht geschehen. men haben entscheidend zu einer Verbesserung der Das wird heute bei der Auseinandersetzung mit Behandlung von Krebspatienten in der Bundesrepu- dem Bundeshaushalt 1990 um so deutlicher, als sich blik beigetragen. Dennoch sind in der Versorgung von die Regierungsvertreter unentwegt mit der anhalten- Krebspatienten noch Defizite festzustellen. Bisher den wirtschaftlichen Prospe rität brüsten. Daß die Mit-- werden nur 55 % der Patienten in einem Tumorzen- tel vorhanden wären, haben wir Ihnen mit der Vorlage trum oder onkologischen Schwerpunktkrankenhaus unseres Alternativhaushaltes in der ersten Beratung behandelt. Die Ursache hierfür liegt in der immer noch bewiesen. Statt dessen müssen die Rentnerinnen und unzureichenden Kooperation gerade kleinerer Kran- Rentner nun die Folgen dieser weiteren Sparreform kenhäuser und niedergelassener Ärzte mit den Tu- mit Zustimmung der SPD tragen, die ihnen eine Sen- morzentren und onkologischen Schwerpunkten. kung des Nettorentenniveaus beschert, und zwar Die ständige Weiterentwicklung medizintechni- ohne Mindestabsicherung. scher Geräte für Diagnostik und Therapie erfordert Zu spüren bekommen werden die Folgen vor allem Ersatzbeschaffungen und Neuinvestitionen, um eine die zukünftigen Rentnerinnen und Rentner. Sie wer- Behandlung auf dem neuesten Stand des medizini den länger arbeiten müssen und dafür weniger Rente Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13773

Hoss bekommen. Für Zeiten der Krankheit und der Er- Im übrigen ist der tatsächliche Beschäftigungseffekt werbslosigkeit werden sie weitere Renteneinbußen weitaus geringer, als von Ihnen unterstellt, und ba- hinnehmen müssen. Fest steht: Die Verantwortlichen siert zum größten Teil auf der Umwandlung von Voll- für diese als Jahrhundertwerk angekündigte Reform zeit- in Teilzeitarbeitsverhältnisse (Kolb [CDU/CSU]: Sie ist gut!) (Feilcke [CDU/CSU]: Erzählen Sie doch keine Märchen!) werden in die Geschichte der bundesrepublikani schen Sozialpolitik nicht als große Geister eingehen. und damit auf gravierenden Einkommenseinbußen der abhängig Beschäftigten. Wenn wir die Gesamt- (Widerspruch bei der CDU/CSU und der summe der aufgewendeten Produktionsstunden von FDP) heute ins Verhältnis setzen zu der von vor einigen Der Etat, der von der Koalition der Regierungspar- Jahren, dann stellen wir fest, daß sich daran trotz ge- teien vorgelegt worden ist, ist kein innovativer Etat, stiegener Beschäftigtenzahl nichts geändert hat. Das sondern ein defensiver Etat, der sich auf die soziale ist der Beweis dafür, daß vorhandene Arbeit auf mehr Absicherung der Folgekosten von Wachstum und Lei- Schultern verteilt wurde in dem Sinne, daß mehr Teil- stungsgesellschaft, von Produktion und Konsumtion zeitarbeit eingeführt wurde. Außerdem hat sich die in dieser Gesellschaft versteht, aber das in dieser Ab- Lohnquote aller Beschäftigten verändert. 1981 betrug sicherung nur notdürftig tut. sie 74,4 % des Volkseinkommens, und sie ist im Jahre 1989 — das ist eine Schätzung, die den Dezember mit Wenn wir den Armutsbericht des Paritätischen einbezieht — auf 67,3 % gesunken. Das zeigt, daß hier Wohlfahrtsverbandes, der in diesen Tagen vorgelegt Dinge vor sich gehen, die Sie nicht in Rechnung stel- worden ist, zur Hand nehmen, dann sehen wir eine erschreckende Zunahme von Armutserscheinungen len. in unserer reichen Gesellschaft. Herr Strube, Sie ha- (Zuruf von der CDU/CSU: Milchmädchen- ben vorhin gesagt, man sollte doch einmal fragen, rechnung!) warum denn die Übersiedler und die Aussiedler hier- Die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Bun- her kommen. desregierung sind — das wissen Sie ja selber — mit (Strube [CDU/CSU]: Ich habe von Asylanten der 8. und 9. Novelle zum AFG so weit zusammenge- gesprochen!) strichen worden, daß sie nur noch als Beitrag zur Er- haltung von Massenarbeitslosigkeit gekennzeichnet Es bestreitet doch niemand, daß wir eine reiche Ge- werden können. Ich nenne hier nur Kürzungen bei sellschaft sind. Die Frage müssen Sie an die richten, ABM, Höchstfördersatz 75 %, Limitierung der 100-%- die in dieser reichen Gesellschaft in Armut leben. Förderung auf 15 % der Gesamtförderung und weitere (Strube [CDU/CSU]: Herr Kollege, ich habe Dinge mehr. Die Folgen dieses Streichkonzerts haben von Asylanten gesprochen, nicht von Über die ABM-Träger — Ausbildungs- und Beschäfti- siedlern und Aussiedlern!) gungsinitiativen, Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Kom- Diese müssen darüber befinden und entscheiden. munen — und vor allem die Erwerbslosen selber zu tragen. Die Zahl der Qualifizierungsmaßnahmen ist (Beifall der Abg. Frau Unruh [fraktionslos] — um 75 000 oder um 18 % zurückgegangen und sinkt Frau Unruh [fraktionslos]: Es ist ja noch weiter. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind um schlimmer, daß Sie von Asylanten, von poli 24 000 oder um 20 % zurückgegangen. Die Chancen tisch Verfolgten, gesprochen haben!) der besonders benachteiligten Gruppen am Arbeits- So wie es ökologische Folgekosten unseres Wirtschaf- markt sind damit weiter minimiert worden. tens gibt, so gibt es auch soziale Folgekosten. Sie ver- Ein „Glanzstück" stellt auch die sozialpolitische zichten darauf, Anstöße zu geben, wie man diese so- Unausgewogenheit bei der Finanzierung der Sprach- zialen Folgekosten, anstatt sie nur zu bedienen, ver- förderung dar, von der Sie ja wissen, daß Sie einen ändern könnte. Betrag, der aus Bundesmitteln zu finanzieren ist, auf Die Aufstockung des Sozialhaushaltes um 2,8 Milli- die Bundesanstalt für Arbeit überwälzt haben. Damit arden DM ist nicht etwa ein Indiz für die Erweiterung arbeiten Sie mit Mitteln, die eigentlich zur Beseiti- sozialpolitischer Gestaltungsräume, die an die Wur- gung der Massenarbeitslosigkeit herangezogen wer- zeln des Problems geht, sondern dafür, daß die Folge- den müßten. Dabei darf die Sprachförderung von Aus- kosten Ihrer aggressiven Wirtschaftspolitik gestiegen siedlern und Übersiedlern, dabei dürfen aber auch die sind, die Sie jetzt auf eine bestimmte Weise bedie- Eingliederungsbeihilfen nicht zu Lasten der Kasse der nen. Bundesanstalt für Arbeit gehen, sondern dann, wenn wir das als politische Aufgabe annehmen und sie auch Der Haushalt enthält keinen Ansatz, keine hinrei- lösen wollen, muß die Gesamtheit unserer Gesell- chende Idee, wie z. B. die Massenerwerbslosigkeit, schaft, müssen alle, auch die Beamten, die Selbstän-- unter der nach wie vor knapp 2 Millionen Menschen digen, die Unternehmer, mit herangezogen werden, unverschuldet zu leiden haben, spürbar und effektiv um diese Aufgabe zu lösen. zu senken ist, selbst wenn man von Ihren Statistiken ausgeht, die ja schon bereinigt sind. Der von Ihnen so (Frau Unruh [fraktionslos]: Sehr richtig!) gefeierte Beschäftigungszuwachs geht an wichtigen Es geht aber nicht so, wie Sie es gemacht haben, Gruppen des Arbeitsmarktes vorbei und ändert nichts indem Sie es der Bundesanstalt für Arbeit übertragen an der hohen Sockelerwerbslosigkeit. haben, aus deren Kasse das dann bezahlt wird. (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat auch kei (Zuruf von der CDU/CSU: Zahlen die ande- ner behauptet!) ren keine Steuern?) 13774 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Hoss In unserer Gesellschaft hat sich ein Bewußtsein für eine Politik anlegen, die so aussieht, daß wir die Ver- Probleme entwickelt, deren Lösung ansteht. Das si- hältnisse in der DDR so stabilisieren, daß die Leute zu gnalisiert, daß wir in der Sozial- und Arbeitspolitik Hause bleiben und dort in ihrer Heimat arbeiten und neue Wege gehen müssen und auch gehen können, ihre Gesellschaft neu aufbauen und gestalten. weil sich das Bewußtsein in der Bevölkerung schon (Kolb [CDU/CSU]: Das wollt ihr mit Zwang verändert hat, machen!) (Heyenn [SPD]: Herr Hoss, wo ist die Frak Was hier am Dienstag durch Herrn Kohl vorlegt wor- tion der GRÜNEN?) den ist, und zwar nicht im Sinne eines bloßen Ausbaus des sozialen Netzes, was Sie uns immer vorwerfen, son- (Kolb [CDU/CSU]: War hervorragend!) dern im Sinne einer neuen Bewertung und Gestaltung läuft darauf hinaus, daß die Bedingungen, die er für des Netzes der Beziehungen von Erwerbsarbeit, die in notwendige Hilfsmaßnahmen im ökonomischen Be- unserer Gesellschaft geleistet wird, von vorhandener reich, im sozialen Bereich und im Verkehrsbereich Freizeit in unserer Gesellschaft und von dem, was gestellt hat, die ganze Geschichte hinausschieben. gesellschaftlich als notwendige Arbeit anerkannt Das ist eine Politik, die dazu führen wird, daß mehr wird, die allerdings unbezahlt ist. Diese Beziehungen, und mehr Übersiedler und auch Aussiedler in die Bun- wie sie heute bestehen, können wir verändern, wir desrepublik kommen können sie durchlässig machen. Dazu müssen wir (Zuruf von der CDU/CSU: Es fängt mit So- eben bestimmte Schritte tun. Aber Sie tun da nichts. fortmaßnahmen an!) Sie tun selbst in der einfachsten Frage nichts, nämlich in der Frage der Behandlung von Überstunden. Es und u. a. zu einem sozialen Problem in unserer Gesell- sind wieder 1,85 Milliarden Überstunden geleistet schaft werden. Das ist keine Aversion gegen die worden. Das entspricht 900 000 Vollzeitarbeitsplät- Leute, die in der DDR wohnen oder die als Deutsche in zen. Osteuropa wohnen. Es geht hier vielmehr um die Ge- staltung von Politik in einem Sinne, die allen dient, die (Abg. Heyenn [SPD] meldet sich zu einer den Interessen unserer Gesellschaft dient und die den Zwischenfrage) Interessen in der DDR und in den osteuropäischen Staaten dient. Ich denke deshalb, daß es darauf an- Vizepräsidentin Renger: Herr Kollege, gestatten Sie kommt, sich dessen bewußt zu sein — davon atmet eine Zwischenfrage, wenn Sie mit der Rechnung fertig dieser Haushalt noch nichts —, daß es von uns ab- sind? hängt, diese Frage in einem Sinne zu lösen, der für alle (Kolb [CDU/CSU]: Er wollte fragen, wo die Beteiligten einen Fortschritt bedeutet. Kolleginnen und Kollegen der GRÜNEN Danke. sind! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: (Feilcke [CDU/CSU]: Jetzt müssen Sie nach Kein einziger ist im Raum!) unten gehen, um sich selbst Beifall zu klat- schen! — Hoss [GRÜNE]: Das macht nichts! Hoss (GRÜNE): Ich müßte jetzt eigentlich meine Meine Leute kennen das schon! Ich wollte Ausführungen zu Ende bringen; ich habe nur noch das Ihnen sagen!) eine Minute. Lassen Sie mich das eben machen. Es geht darum, in der Frage der Überstunden energische Schritte zu tun und sich etwas einfallen zu lassen. Ich Vizepräsidentin Renger: Das Wort hat der Abgeord- könnte mir z. B. denken, daß die Unternehmer für jede nete Zywietz. geleistete Überstunde einen Lohnanteil oder einen Gesamtlohn für Überstunden an die Bundesanstalt für Arbeit überweisen müssen, wodurch dann ein neuer Zywietz (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Fonds entstehen könnte bzw. Mittel vorhanden wären Herren! Ich möchte im Rahmen der Haushaltsdebatte zur Beseitigung von Massenarbeitslosigkeit. An sol- zu diesem Einzelplan ein wenig auf den Hintergrund che Dinge denken Sie nicht, weil Sie die Unternehmer der Politik eingehen, die sich darin ausdrückt, und ein schonen. wenig diesen Haushalt charakterisieren und dann be- Ich will jetzt meine eine Minute noch mit folgendem werten. zubringen, und zwar will ich mich damit beschäftigen, Ich darf zunächst einmal ganz einfach feststellen, welches Verhältnis zwischem dem Sozialetat, der hier daß der Einzelplan 11 mit 70 Milliarden DM der vorliegt, und der derzeitigen Politik, den deutsch- größte Einzelplan im Rahmen des Gesamthaushaltes deutschen Beziehungen, die sich neu entwickelt ha- von gut 300 Milliarden DM ist. Es ist ein hoher Einzel- ben, und den deutsch-osteuropäischen Beziehungen, plan, der nicht investiv verwendet wird. Es ist viel- besteht. - mehr, wenn man so will, ein Einzelplan der Umver- (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Die entwickeln teilung, der einkommenswirksam ist. Insofern wun- sich gerade!) dert es mich ein bißchen, daß von der linken Seite des Es ist ganz klar, daß hier eine Beziehung besteht und Hauses diesem Einzelplan nicht zugestimmt werden daß es von der Politik, die in diesem Hause gemacht kann. Denn ansonsten vernehme ich immer sehr viel wird, abhängt, ob der Sozialetat im laufenden oder vor Bereitschaft, bei Umverteilung mit dabeizusein. Bei allen Dingen im nächsten Jahr Belastungen erfährt diesem Einzelplan gäbe es gute Gründe dafür; denn oder nicht. Es wird davon abhängen, ob wir die Politik er ist in den meisten Fällen einkommenswirksam, in- so anlegen, daß wir mehr und mehr Leute herausfor- dem er die Renten durch Zuschüsse ausstattet, indem dern, als Übersiedler hierherzukommen, oder ob wir Zahlungen für Kriegsopfer in der Größenordnung von Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13775

Zywietz 12 Milliarden DM getätigt werden und indem direkte Nur wenn wir viele Arbeitsplätze haben, rechnen Zahlungen für Arbeitslose erfolgen. sich auch, möchte ich einmal bildhaft sagen, die sozia- len Systeme; denn es sind Versicherungssysteme. Wenn man sich diesen Etat von 70 Milliarden DM insgesamt anschaut, dann stellt man fest, daß er nur (Frau Unruh [fraktionslos]: Aha!) einen äußerst minimalen investiven Anteil, aber einen Dann können auch möglichst viele fast eindeutigen umverteilenden, einkommensschaf- (Frau Unruh [fraktionslos]: Ja?) fenden Anteil hat. die Sozialleistungen der Rentenversicherung, der (Zurufe von der SPD) Krankenversicherung und der Arbeitslosenversiche- rung aus dem System heraus in Anspruch nehmen. — Ich wollte das Ihnen auf dieser Seite des Hauses nur Der Bedarf an Bundeszuschuß würde sich dann klein- einmal gesagt haben. Denn ich habe eigentlich mit halten, und damit sind wir dann beim Zusammenhang Bedauern vernommen, daß die Sozialdemokraten die- mit den Haushaltsberatungen. sem Etat nicht zustimmen können. (Frau Unruh [fraktionslos]: Das glauben Sie Aber ich möchte diesen Etat noch ein bißchen wei- doch nicht, was Sie da reden! — Kolb [CDU/ ter skizzieren. Es ist ein Haushalt, der bei den Emp- CSU]: Woher wissen Sie, was er glaubt! — fängern einkommenswirksam ist. Es ist ein Haushalt, Frau Unruh [fraktionslos]: Weil der für seine dessen Ausgabenpositionen wir nicht so sehr als Rente nichts zu tun braucht!) Haushälter im einzelnen bestimmen, fast gar nicht, Es kann gar nicht angehen, sich da irgendein paar sondern dessen Ausgabenblöcke durch Gesetze, d. h. Tupferchen herauszugreifen und hier so ein bißchen durch Mehrheitsentscheidungen dieses Hauses, vor- darüber wegzugehen. Denn die FDP, diese Koalition gegeben sind. Das gilt für den ganzen Bereich der hat für eine vernünftige Wirtschaftspolitik gesorgt, Renten, der erwähnten Kriegsopferleistungen und der und das ist das A und O einer soliden Sozialpolitik, Arbeitslosengelder nach dem Arbeitsförderungsge- setz. Wenn man hinschaut, stellt man fest: Alles, fast (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — alles ist gesetzlich fixiert. Das macht deutlich: Dieser Frau Unruh [fraktionslos]: Nein; das ist es Haushalt kann nur in minimalen Bereichen im Rah- nicht!) men der Haushaltsberatungen gestaltet werden. Er über die wir hier diskutieren und um deren Haushalt wird im wesentlichen über die Fraktions-, über die es hier geht. Mehrheits-, über die Koalitionsarbeit gestaltet. (Frau Unruh [fraktionslos]: Was tun Sie denn für Ihre Rente?) (Seehofer [CDU/CSU]: Das ist auch gut so!) Die florierende Wirtschaft ist der Dreh- und Angel- — Ich stelle das ja auch nur erst einmal fest, damit wir punkt, und Sie haben sich der Unterstützung einer uns im Wald nicht verlaufen, bevor man zu Schlußfol- florierenden Wirtschaft in vielen Teilen entzogen. Sie gerungen kommt. Denn einige dieser Schlußfolgerun- haben beispielsweise gestern den Forschungsetat ab- gen, die ich hier vernommen habe, waren nicht sehr gelehnt, obwohl Qualifizierung, Forschung und Ent- sachlich begründet und nicht aus den Gegebenheiten wicklung für Erhalt und Schaffung von Arbeitsplätzen abgeleitet. sehr wichtig sind. Ein Weiteres: Es handelt sich hier um einen Haus- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — halt für Arbeit und Soziales. Je mehr Arbeit da ist, je Scharrenbroich [CDU/CSU]: Denn Sie wis- mehr Arbeitsplätze vorhanden sind, desto weniger sen nicht, was sie tun!) brauchen Sie nachher für Soziales aufzuwenden. Da beißt keine Maus den Faden ab. Es beißt auch Auch dieser einfache Hintergrund muß hier einfach keine Maus den Faden ab, wenn man sagt: Je gerin- einmal gesagt werden. ger die Belastung durch Steuern ist, und je geringer die Belastung durch Sozialbeiträge verschiedener (Frau Unruh [fraktionslos]: Ach Gott!) Kassen ist, desto mehr Motivation schaffen Sie für eine wirtschaftliche Dynamik, desto besser entwickeln sich Ein gut Teil vernünftiger Sozialpolitik besteht darin, die Sozialsysteme, desto weniger brauchen Sie aus eine ordentliche Wirtschaftspolitik zu betreiben — dem Haushalt unter dem Stichwort „Soziales", desto nicht nur, aber im wesentlichen. besser funktioniert das Ganze. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Wir als Koalition und als FDP haben eine Politik der Dreßler [SPD]: Und jetzt erklären Sie uns, Steuersenkung eingeleitet, die ihre Früchte trägt. Wir warum es Mehrausgaben gibt! Jetzt bin ich von der FDP haben auch — im Bereich der Renten mal gespannt! — Weitere Zurufe von der haben Sie mitgemacht — eine Politik zumindest der SPD) Stabilisierung der Abgaben für die verschiedenen Sozialsysteme eingeleitet und erfolgreich durchge- Dann haben Sie nämlich die Chance, daß ich viele standen. Darum geht es hier: um die Stabilisierung über den Arbeitsplatz — das war hier vom Kollegen der Beiträge zur Rentenversicherung, um dennoch si- Strube gesagt — selbst verwirklichen können, ihr ei- chere Renten, wachsende Renten zu haben. Es geht genes Einkommen schaffen und es nicht von anderen darum, die Arbeitslosenversicherung zu stabilisieren, über Umverteilung erhalten müssen. Das ist allemal indem möglichst nicht so viele Arbeitslose vorhanden der beste Weg. Deswegen ist dieser Zusammenhang sind, viele Arbeitsplätze geschaffen werden. Es geht zu erwähnen, und er ist auch besonders wichtig. auch darum, daß auch die Krankenversicherungssy- 13776 Deutscher Bundestag — 11. 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Zywietz sterne, die nicht am „Tropf" des Bundeshaushalts der Tat schwierige Umstrukturierungen anstanden. hängen, die sich aus sich selbst finanzieren, durch die Aber aus dieser Bestsituation hat man sich Konditio- Zahl und das Ausmaß der Beiträge ihren Verpflichtun- nen geschaffen, gen nachkommen können. Auch dort haben wir für (Kolb [CDU/CSU]: Für viele, die nie unter- eine Konsolidierung gesorgt. tage waren!) (Beifall bei der FDP — Frau Unruh [fraktions die über 20 Jahre hinweg bis heute und auch weiter los]: Ausgrenzung!) fortgeführt werden. Herr Dreßler, können Sie mir ein- — Immer gemach, immer gemach! mal sagen, was es mit sozialer Gerechtigkeit zu tun hat, wenn ein Kraftfahrer aus einem Bergbauunter- Dieses Bild — ich hoffe, damit bin ich in einer Haus- nehmen 80 % seiner Rente aus dem Bundeshaushalt haltsdebatte nicht parlamentarischer Exot — möchte finanziert bekommt, während der Kraftfahrer des Mit- ich einmal mit den ganz nüchternen Zahlen dieses telständlers nebenan — vielleicht in der gleichen Haushaltes zusammenzufügen versuchen. Wir haben Stadt — nur das bekommt, was er an eigenen Beiträ- ja eine Haushaltsberatung. Da braucht man ja nicht gen eingezahlt hat? Können sie mir einmal sagen, wo nur Worte zu benutzen, sondern es können vielleicht da soziale Gerechtigkeit herrscht? auch einmal fünf oder sechs Zahlen mitbenutzt wer- den, so z. B. die schon zitierten 70 Milliarden DM als (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Gesamtvolumen. Jetzt möchte ich mich einmal der Frau Unruh [fraktionslos]: Wie ist es mit Be- SPD zuwenden. amten und Abgeordneten und Ministern?) Ich habe sie jedenfals nicht erkannt, aber das kann an (Zurufe von der SPD) mir liegen. Diese Diskussion können wir noch einmal — Weil vorhin kritisiert wurde, es werde nicht genü- fortgesetzen. Ich will damit jedenfalls sagen, daß die- gend für das Soziale getan. — Von diesen 70 Milliar- ses System in der Knappschaft in der Form, wie es sich den DM werden rund 44 Milliarden DM für die Mit entwickelt hat nach meinen Kriterien nicht sozial ge- Dotation verschiedener Rentensysteme verwendet. rechtfertigt ist. Dann bleiben — nach Adam Riese, ohne Kleincompu- (Kolb [CDU/CSU]: Und sehr reformbedürftig ter — 26 Milliarden DM übrig. ist! — Abg. Hoss [GRÜNE] meldet sich zu Die soeben genannten 44 Milliarden DM teilen sich einer Zwischenfrage) wie folgt auf: 24 Milliarden DM — Milliarden! — wer- den für den Bundeszuschuß zur Arbeiterrentenversi- cherung, der im Einzelplan drinsteht, verwendet. Vizepräsidentin Renger: Gestatten Sie eine Zwi- 5 Milliarden DM werden für die Angestelltenversi- schenfrage, Herr Kollege? cherung aufgewendet, aber 10 Milliarden DM, Herr Dreßler — ich glaube, Sie kommen aus Nordrhein Westfalen —, für die Knappschaft. Zywietz (FDP) : Vielen Dank. (Frau Unruh [fraktionslos]: Täuschungsma növer!) Vizepräsidentin Renger: Nein, Herr Hoss. 10 Milliarden DM für die Knappschaft! (Feilcke [CDU/CSU]: Aber wenn er was wis- (Kolb [CDU/CSU]: Ein Faß ohne Boden! — sen will!) Strube [CDU/CSU]: Das ist der teuerste Kost gänger des Bundes!) Zywietz (FDP): Das können wir mal an anderer Was wir gern getan haben: Wir haben Kindererzie- Stelle machen. Wir sehen uns ja häufiger. Ich möchte hungszeiten eingeführt, die in der Tat auch einen die zehn Minuten Redezeit, die mir zustehen, nut- Zuschuß von rund 4 Milliarden DM zur Folge ha- zen. ben. (Kolb [CDU/CSU]: Er ist lernfähig!) Ich sage das in aller Nüchternheit; denn nur mit — Na, das bezweifle ich. Wir haben in den letzten dem Aufkommen aus dem Versicherungssystem plus zwei Tagen hier schon zu viele Beweise dafür bekom- der Finanzierung aus Steuergeldern macht das Ganze men, daß es mit der Lernfähigkeit dieses Teils des Sinn, und die Renten sind sicher Hauses nicht so weit her ist. (Frau Unruh [fraktionslos]: Nein!) (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU) und auch steigerungsfähig. Aber diese Zuschüsse Es hofft der Mensch, solang' er lebt; das ist auch mein muß man auch einmal gewichten. Man muß sich an- Grundsatz. — Aber zu anderer Zeit. schauen, was in diesem Etat in vorzeigbarer Weise für - (Frau Unruh [fraktionslos]: Gucken Sie doch das soziale Sicherungssystem in die Mitte getan zur SPD!) wird. Von den verbleibenden 26 Milliarden DM — ich (Frau Unruh [fraktionslos]: Sagen Sie doch habe die Zahl erwähnt — entfallen 12 Milliarden DM mal, was herausgenommen worden ist von auf die Kriegsopferversorgung. Ich möchte für die den Beiträgen!) FDP sagen: Wir stehen zu der Erhöhung und auch zu Worüber zumindest zu diskutieren ist, sind die der Strukturanpassung. Wenn man überhaupt einen 10 Milliarden DM für die Knappschaft. Ich weiß auch Satz zu dieser eigentlich selbstverständlichen Ausga- ein bißchen, wie dieser Zuschuß einmal entstanden benposition sagen möchte, kann man nur sagen: ist, nämlich aus einer Situation, in der im Bergbau in Diese Zahlungen sind eine ständige Mahnung, eine Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13777

Zywietz vernünftige Friedens- und Entspannungspolitik zu Darauf sind wir stolz. Dies halten wir für richtig. betreiben. Darum stimmen wir im Gegensatz zur SPD diesem (Zustimmung bei der FDP und der CDU/ Einzeletat zu. CSU) Vielen Dank. Damit komme ich zu den verbleibenden — wer mit- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gerechnet hat, wird das bestätigen — 14 Milliarden DM, von denen 12,7 Milliarden DM für die Arbeits- marktpolitik aufgewendet werden. Dazu möchte ich Vizepräsidentin Renger: Das Wort hat Frau Abge- schon etwas sagen, weil hier in bezug auf die Bundes- ordnete Unruh. anstalt für Arbeit und überhaupt in bezug auf die Arbeitsmarktpolitik doch ziemlich viele Nebelkerzen abgeschossen worden sind. Frau Unruh (fraktionslos): Verehrte Frau Präsiden- tin! Werte Volksvertreter und Volksvertreterinnen! Natürlich ist das auch für uns noch ein Problem. Wir (Kolb [CDU/CSU]: Das war die letzte Höf- hätten die Zahl der Arbeitslosen gern noch verringert, lichkeit!) aber festzustellen ist auch, daß es seit 1983 ein reales Plus bei den Beschäftigten — das ist der entschei- —Ich fange mit einer großen Höflichkeit an. — Es sind dende Punkt — von 1,2 Millionen gibt und daß in dem heute in der Bundesrepublik Deutschland zwei Morde Sachverständigengutachten für das nächste Jahr passiert. Ob sie politisch sind, weiß noch niemand. ebenfalls steigende Zahlen prognostiziert worden Aber es sollte uns doch zu denken geben, daß so etwas sind. Das ist das Ergebnis der vorhin im Ansatz skiz- in der Bundesrepublik überhaupt möglich ist. Da soll- zierten Politik, und das sind gute Ergebnisse. ten wir alle in uns gehen. Ob es fanatische Menschen sind, ob es die RAF ist, gleichgültig, wer es ist: (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Dabei hat die Irgendwo hat alles seine menschliche Ursache. SPD 4 Millionen Arbeitslose prognostiziert!) Millionen von Menschen fühlen sich in diesem un- Denn wenn die Arbeitsmarktpolitik besser wird, dann serem Vater- oder Mutterland sehr benachteiligt. brauchen wir nicht — wie jetzt — noch 8,2 Milliarden Christliche Grundwerte anerkennen das bis heute DM für Arbeitslosenhilfe auszugeben. Das sind die nicht. Es wird gelacht, wenn über Altersarmut gespro- Zusammenhänge. Wir geben es auch aus Überzeu- chen wird, es wird gelacht, wenn es z. B. um Ihren gung, aber noch besser ist es natürlich, wenn die Zah- Medizinischen Dienst geht, Herr Minister. len durch eine vernünftige Wirtschaftspolitik redu- (Dr. Fri ziert werden. Da beißt keine Maus den Faden ab. edmann [CDU/CSU]: Hängt das mit dem Mord zusammen?) (Frau Unruh [fraktionslos]: Die meisten krie Ich will Ihnen einmal Briefe vorlesen, die deutlich gen erst gar nichts, weil sie durchfallen!) machen, was es heißt, diesem Medizinischen Dienst — Das kann man doch nicht formal behandeln. Sie ausgeliefert zu sein und ihn als Mensch ertragen zu müssen eine Wirtschaft leistungsfähig erhalten, müssen. (Frau Unruh [fraktionslos]: Sie müssen die (Strube [CDU/CSU]: Was hat das alles mit- Menschen leistungsfähig erhalten!) einander zu tun?) und das ist nur dann der Fall, wenn Arbeitsplätze vor- —Das hat damit zu tun, daß es bei uns REPs gibt, daß handen sind, wenn Leistungen und Produkte entste- die Rechten im Kommen sind. hen, die verkauft werden können, die die Kosten dek- Zu Ihrem Medizinischen Dienst, Herr Minister, ken und die Ertrag bringen. Damit und mit nichts möchte ich Ihnen folgendes vorlesen — ich übergebe anderem können Sie das soziale System finanzieren. es Ihnen anschließend —; zunächst geht es um einen Ein gutes Wort mag ja auch gut sein, aber letztlich ist Brief an Sie, dessen Kopie an mich geschickt wurde. Sozialpolitik immer noch das Bereitstellen von Geld- Ich zitiere: mitteln, die andere erworben haben, und zwar für die- Wie Sie aus der Kopie des Krankenhausberichtes jenigen, die — aus welchen Gründen auch immer — ersehen, bin ich seit einem Sturz im Jahre 1976 in dem Wettbewerbsprozeß und in dem Leistungsgan- querschnittsgelähmt (nur der linke Arm und die zen nicht ganz mitgekommen sind oder nicht mitkom- linke Hand sind partiell zu gebrauchen) und auf men konnten, was auch immer im Hintergrund eine den Rollstuhl und ganztätig auf eine Pflegekraft Rolle gespielt haben mag. ... angewiesen. Um ihm So sehen wir die Politik, die wir eingeleitet haben. — gemeint ist die Pflegekraft — Wir sind der Meinung, daß die Wirtschaftspolitik, die wir von der FDP aus maßgeblich mitgestaltet haben, einen Urlaub zu ermöglichen, stellte ich obigen der zentrale Hintergrund dieses Haushalts ist. Antrag. - Ich will nicht alles vorlesen. In dem B rief heißt es wei- (Frau Unruh [fraktionslos]: Daimler/MBB ter: läßt grüßen!) Der mir vorgelegte umfangreiche Fragenkatalog Es wird deutlich, daß wir für die leistungsorientierte bestätigte meine volle Pflegebedürftigkeit — bis Arbeitsmarktförderung — nicht für die Beschäfti- auf zwei Punkte: gungsförderung; das ist etwas anderes — das Ent- sprechende tun. Wir ermöglichen so eine Wirtschaft, Punkt 1: Ich kann selbständig meine Zähne put- die es gestattet, das soziale Netz so zu finanzieren, wie zen und es in diesem Haushalt seinen Ausdruck findet. (Unruhe bei der CDU/CSU) 13778 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Frau Unruh — jetzt hören Sie doch mal zu, Sie Ch risten — Und ich kann Ihnen sagen: Lesen Sie einmal die Bibel durch, dann wissen Sie vielleicht, wenn es einen Punkt 2: Meine soziale Kontaktfähigkeit, also Herrgott gibt, was Sie — — meine Fähigkeit, mich mit ihm (Frau Karwatzki [CDU/CSU]: Den gibt es!) — gemeint ist der Medizinische Dienst — —Wenn es ihn gibt, dann haben Sie alle keinen Gott zu unterhalten, sei gegeben. als Gewissen. Dann würden Sie nämlich bei den Daraus wurde der Schluß gezogen: Ablehnung. schwächsten Menschen hier bei uns in der Bundesre- publik nicht so furchtbar täuschend handeln. Jetzt hören Sie weiter gut zu: (Zuruf des Abg. Dr. Friedmann [CDU/CSU]) Während des Gesprächs zitierte Dr. H. den ähn- lich gelagerten Fall einer MS-Patientin, die beide Ich kann Ihnen noch B riefe vorlesen, Arme und beide Beine nicht gebrauchen kann, (Zurufe von der CDU/CSU: Nein! — Strube also total pflegebedürftig ist, aber von Dr. H. den- [CDU/CSU]: Lesen Sie ruhig weiter!) noch nicht anerkannt wurde. Sie kriegen sie doch auch. Oder nicht? Sonst wären Das hat Ihr Medizinischer Dienst so entschieden. Sie Sie doch keine Volksvertreterin. stellen zwar 5 Milliarden DM für die berühmt-berüch- tigten Pflegestunden zur Verfügung. Nur, wer be- So eine „alte Arme in Deutschland" bin auch ich, kommt sie denn dann in der häuslichen Pflege, wenn so wie viele Tausende auch. Aufgewachsen in sie einen Medizinischen Pflegedienst in die Haushalte Berlin, 4 Kinder großgezogen. Alarm jede Nacht, reinschieben und so etwas dabei rauskommt, Herr evakuiert nach Ost-Preußen. Nach dem Krieg ka- Minister? Ich schäme mich für Sie. Und ich bin froh, men wir (...) daß es „Die Grauen" gibt, denn so haben diese Men- — da und dahin — schen wenigstens eine Möglichkeit, das, was ihnen (...) wehtut, das, was sie beleidigt und demütigt, zumin- Stand dest an meine Adresse zu geben. — jahrelang — (Fuchtel [CDU/CSU]: Da sind sie an der fal auf dem Wochenmarkt Obst/Gemüse. Mit 50 kam schen Adresse!) die Scheidung; schuldlos geschieden, auf Unter- halt aus Angst (...) Ich gebe es nicht auf, Herr Minister Blüm, daß Sie sich mit dieser Partei noch ändern. Wir haben einen Viele Frauen haben heute noch Angst. Es gibt ja Frau- Appell an Sie gerichtet; auch an Sie. Die Hälfte von enhäuser, meine Herren. Ihnen kann ich vergessen. Ich hoffe ja, daß dann an- (Scharrenbroich [CDU/CSU]: Männer auch!) dere Menschen im nächsten Deutschen Bundestag hier sitzen. Daß die GRÜNEN für Soziales und Arbeit — Das fehlt mir noch, dieser dreckige Zwischenruf nicht viel im Kopf haben, das sehen sie auch selbst. „Männer auch". Lassen Sie es doch endlich! Bemer- Deshalb bin ich froh, daß wir Grauen Panther diesen ken Sie doch mal, was in dieser Gesellschaft möglich Schritt gewagt haben und daß wir den kleinen Leuten ist! in der Bundesrepublik Deutschland wieder Lebens- (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Kolb mut geben können, egal, ob wir in den Bundestag [CDU/CSU]: Viel ist möglich!) reinkommen, oder nicht, meine Herren. Aber Sie wer- Aus Angst! Aus Angst auf Unterhalt verzichtet: Wis- den sich im Laufe des Wahlkampfs ändern müssen, sen Sie überhaupt, was das heißt? Wissen Sie über- sonst verlieren Sie nämlich noch mehr Wählerstim- haupt, was in Ihrer Nachbarschaft los ist? Also lassen men. Dafür werde auch ich sorgen! Sie diese furchtbare Zwischenbemerkung. Eine halbe — halbe! — Million Personen in Rentner- (Kolb [CDU/CSU]: Woher wissen Sie, was in haushalten hat weniger als 600 DM Haushaltsein- Ihrer Nachbarschaft ist?) kommen, Herr Minister. Insgesamt 5,7 Millionen in Rentnerhaushalten haben weniger als 1 000 DM pro Ich zitiere weiter: Kopf zum Leben zur Verfügung. Eine Beamtenmin- Dann bei der Arbeiterwohlfahrt (...) destpension ist 1 600 DM, (Feilcke [CDU/CSU]: Warum helfen Sie denn (Kolb [CDU/CSU]: Bei zwei Personen!) nicht?) für höhere Beamte 3 000 DM — neu geordnet —. Was — Sie sind doch ganz ruhig, Sie Frauenheld! meinen Sie, was Sie diesem Volk, diesem Staat noch alles zumuten können? Dick im Fettnäpfchen sitzen (Lachen bei der CDU/CSU) - und kürzen und kürzen und kürzen, rumtäuschen mit Also: einem Medizinischen Dienst, Dann bei der Arbeiterwohlfahrt (...) (Kolb [CDU/CSU]: Und Sie schwafeln!) — Ich zeige Ihnen den Typen nachher! — rumtäuschen mit persönlichen Hilfen, die es dann nicht gibt: Daß diese Menschen verzweifeln müssen, als „Küchenhilfe". das glauben Sie doch wohl selbst. Weiter heißt es da: (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Wenn sie Sie Ich wollte immer arbeiten; meine Rente ist heute hören, schon!) insgesamt 408 DM; ich habe vier Kinder; die ge- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13779

Frau Unruh ben mir auch Geld; nur, wie demütigend es für muß die SPD wieder dran, aber nicht mit der FDP, mich als Mutter ist, das kann ich nicht begreifen sondern mit den „Grauen" . in diesem Staat. Es ist furchtbar, so ärmlich darzu- (Zurufe von der CDU/CSU: Das ist doch die stehen. absolute Dummheit! — Wie kann man so Der letzte B rief. selbstgerecht sein?) (Zurufe von der CDU/CSU) —Der letzte B rief. Hören Sie zu! Sie haben es ja nicht Vizepräsidentin Renger: Meine sehr verehrten Da- nötig mit Ihren Pensionen in der Tasche, wofür Sie men und Herren, das Wort hat jetzt der Abgeordnete nichts tun. Dreßler. (Scharrenbroich [CDU/CSU]: Also so arro ganten Leuten wie Ihnen hören wir nicht zu!) Dreßler (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Jetzt habe ich das letzte Mal 9 DM Rentenerhö- Herren! Ich nehme zu Koalitionsaussagen im Augen- hung bekommen. Nun beträgt meine Rente blick keine Stellung. 470 DM ... Und wie teurer ist alles wieder ge- (Heiterkeit) worden? Meine Damen und Herren, wir sind Zeitzeugen ei- Gut zugehört? Ich habe nicht umsonst den Antrag ein- nes politischen Umbruchs in der DDR und den osteu- gebracht: Bitte Rente um 1 % aufstocken, weil das ropäischen Ländern, der nicht nur dort ungeahnte alles vorne und hinten nicht langt. Wer macht denn Veränderungen bewirken wird, sondern auch unsere diese Mieterhöhung? Warum ist das alles möglich? Sie sozialen Systeme beeinflußt. Ein weiterer Zuzug von wissen es doch, warum! Alte Menschen müssen 600, Aus- und Übersiedlern wirkt sich direkt auf alle Berei- 700 DM bezahlen. che der sozialen Sicherheit aus: Kranken- und Ren- (Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie mal von tenversicherung, Arbeitslosenunterstützung und So- Sozialhilfe gehört? — Kolb [CDU/CSU]: Was zialhilfe, Kindergeld, Wohngeld usw. machen Sie denn? Sie haben doch zwei Häu Der Arbeitsmarkt, immer noch durch zwei Millio- ser in Kressbronn abgestaubt!) nen Arbeitslose gekennzeichnet, ist ebenso betroffen — Halten Sie die Klappe, Mensch! Wissen Sie über- wie der Wohnungsmarkt, wo Unterversorgung auf haupt, was Sie in dieser Bundesrepublik Deutschland Grund sträflicher Vernachlässigung dieser Bundesre- mit Ihrem Gequatsche anrichten? gierung über Jahre mit gestiegener Nachfrage zusam- mentrifft. (Feilcke [CDU/CSU]: Sie sind doch Vermie Die finanzpolitische Spreche terin! — Zuruf von der CDU/CSU: Frau Prä rin der SPD-Fraktion, sidentin, drehen Sie der mal den Saft ab! — Frau Matthäus-Maier, hat in dieser Woche in ihrem Debattenbeitrag darauf hingewiesen, daß das Ziel der Zuruf von der SPD: Was soll das denn? — Zuruf: Aber die Zeit läuft weiter!) deutschen Einheit nicht den Blick dafür verstellen darf, welche Sorgen und Nöte die Menschen in der — Ich brauche keine Zeit. Ihre Zeit läuft ab. Bundesrepublik bewegen. Jetzt steht Weihnachten vor der Tür. Ich war so- Genau an diesem Punkt muß die Auseinanderset- gar voriges Jahr beim Sozialamt, mit meinen zung geführt werden. Das, was in diesen Wochen in 470 DM Rente. Was meinen Sie, was sich da ab- den Schatten gestellt wurde, wird alsbald wieder zum gespielt hat? Da habe ich 110 DM ... bekommen. Vorschein kommen, deutlicher, dynamischer als vor- Aber das werde ich nie wieder tun. Das ist ja so her. Nach verständlichen, ja, notwendigen Emotionen entwürdigend ... Ich wäre am liebsten wegge- wird etwas eintreten, was ich Ernüchterung nennen laufen. Diese Bettelei. Warum können wir nicht will, was neue und alte Fragen aufwerfen wird. bei der Rente was dabeibekommen, damit man Der politische Umbruch in der DDR und den osteu- nicht betteln gehen muß? ropäischen Ländern hat dem Bundesminister für Ar- — Haben Sie schon einmal gebettelt? beit und Sozialordnung eine wochenlange Atem- (Zuruf von der CDU/CSU: Ja!) pause verschafft. Er durfte wegtauchen. Seine Hinter- lassenschaft wird von sich überschlagenden Ereignis- — Sie haben gebettelt? Wann haben Sie denn gebet- sen überdeckt. telt? Für jeden von uns ist klar, daß der Haushalt von (Zuruf von der CDU/CSU: Für andere!) Herrn Blüm bereits Makulatur ist, bevor er heute von — Für andere haben Sie gebettelt? Wo denn? Das CDU/CSU und FDP mit geschlossenen Augen bestä- würde mich schon einmal interessieren. Das wird ja tigt wird. - immer dramatischer: Die Herren Abgeordneten der (Beifall der Abg. Frau Unruh [fraktionslos]) CDU gehen für andere betteln. Die großen Probleme der Bundesrepublik werden un- (Kolb [CDU/CSU]: Wer gibt Ihnen das Recht, berücksichtigt gelassen; sie bleiben ungelöst; sie wer- sich so aufzuführen? Das ist doch katastro den verdrängt; Herr Blüm nimmt sie nicht zur Kennt- phal! Ihre Selbstgerechtigkeit ist unerträg nis. Die neuen Fragestellungen läßt der zuständige lich!) Bundesminister gar nicht erst an sich heran. Kein In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine ganz andere Thema ist zu banal für Presseverlautbarungen, kein Erkenntnis in diesem Staate, daß in diesem Staate hof Schatten für Spielereien eines Schattenkabinetts zu fentlich die soziale Gerechtigkeit einkehrt. Deshalb absurd, nordrhein-westfälischen Wahlkampfspiele- 13780 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Dreßler reffen wird der Vorzug vor konzeptioneller Politik des Armutsgrenze leben, dann müßten die zuständigen Arbeitsministeriums gegeben. Minister zu Höchstleistungen getrieben werden. Der offene Fragenkatalog wird immer länger, die (Frau Unruh [fraktionslos]: Allerdings! — Lösungsvorschläge werden immer schwieriger. Kolb [CDU/CSU]: Die Zahlen haben sie lei- der nicht bewiesen!) (Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat Ihnen das Herr Blüm aber verschleudert seine Energie bei dem aufgeschrieben? — Feilcke [CDU/CSU]: Das Versuch, Fußballtrainer oder Dressurreiter in den Schlimme ist, daß Sie das ablesen müssen!) nordrhein-westfälischen Landtag zu bringen. Nach unserem Recht sind Bürger der DDR keine Aus- (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ länder. Wenn sie auf dem Gebiet der Bundesrepublik CSU: Billig! — Weiterer Zuruf von der CDU/ oder in Westberlin sind, werden sie automatisch wie CSU: Primitiv!) Bundesbürger behandelt. Seit 1982 sank der Anteil der Arbeitnehmer am ge- (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Das ist gut so!) samten Nettovolkseinkommen um 9,1 auf 57,2 %. Das ist der niedrigste Anteil der Arbeitnehmer am gesam- Was das für unsere Krankenversicherung und die Ar- ten Nettoeinkommen seit 1950. Solche Politikergeb- beitslosenunterstützung bedeutet, wird nicht pro- nisse müßten einen Arbeitsminister Partei für die Be- blematisiert. nachteiligten ergreifen lassen. Herr Blüm läßt aber solche Negativrekorde nicht auf seinem Themenkata- (Kolb [CDU/CSU]: Wie ist das mit den vielen, log erscheinen. die sofort arbeiten?) (Kolb [CDU/CSU]: Sie haben aber auch Frei- Welche Wirkungen sich für das Kindergeld oder die zeit statt Lohnerhöhung gewollt!) Sozialhilfe ergeben, steht nicht zur Diskussion. Korrekturen falscher Politik, Nachdenklichkeit über (Zuruf von der CDU/CSU: Wollen Sie die eigene Politikergebnisse, das Eingeständnis des Irr- Grenzen schließen?) tums, etwas falsch gemacht zu haben, gehören nicht zu den Eigenschaften, die Ihnen heute angemessen Die Auswirkungen für die Rentenversicherung stehen erschienen. nicht im Plan der Öffentlichkeitsarbeit des zuständi- Wenn wir es uns zum Ziel machen, ein Zusammen- gen Bundesministers. leben aller Deutschen, unter welchen Rechtskon- Wir müssen aber Klarheit schaffen, ob wir in einer struktionen auch immer, unter einem Dach zu errei- völlig veränderten sozialen und politischen Situation chen, dann müssen wir a lles unternehmen, damit in den osteuropäischen Ländern noch so tun können, nicht ein Zimmer kärglich möbiliert, wenn nicht gar als regele sich die soziale Dimension dieses Vorgangs leer ist, und in dem anderen ein fürchterliches Ge- von selbst. dränge herrscht. Wir müssen uns fragen, wie lange wir von den Bei- (Feilcke [CDU/CSU]: Herr Dreßler schönhu tragszahlern unserer sozialen Systeme Zustimmung bert!) erwarten können, wenn immer mehr Personen Ob die Regelungen des Lastenausgleichs, des Häft- Leistungen in Anspruch nehmen, die hierzu in diesem lingshilfegesetzes, des Bundesvertriebenengesetzes Teil Deutschlands keinen Beitrag geleistet haben. und anderer speziell auf die Nachkriegssituation zu- (Zuruf von der CDU/CSU: Was ist Ihre Ant- geschnittener Gesetze heute noch eine zeitgemäße wort, Herr Dreßler? — Roth [Gießen] [CDU/ Antwort sind, steht nicht im Spielplan der Bundesre- CSU]: Was heißt denn das?) gierung. — Hören Sie bitte zu: Wer diese Ansprüche in Zukunft (Kolb [CDU/CSU]: Wer hat denn das Fremd unverändert gewähren will, der muß sie auch finan- rentengesetz gemacht?) zieren (Frau Unruh [fraktionslos]: Sehr richtig!) Abwarten, ein weiterer Versuch, die Probleme aus- zusitzen, wird unweigerlich zur Folge haben, daß die und der muß den Bund in die Pflicht nehmen und nicht Sozialpolitik erneut als Reparaturbetrieb für nicht vor- die Beitragszahler, Herr Feilcke. handene Lösungskompetenz der Wirtschafts- und Fi- (Beifall bei der SPD — Frau Unruh [fraktions- nanzpolitik herhalten muß. los]: Jawohl! Endlich! — Hoss [GRÜNE]: Das reicht nicht!) (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU] : Ma chen Sie einmal einen Lösungsvorschlag!) Das Haushaltsgesetz trifft keine ausreichende Vor-- sorge zur Bewältigung der alten und neuen Arbeits- Wir befürchten, daß diese bewußte Untätigkeit zu marktprobleme. Im Laufe dieses Jahres sind bisher weiteren Fehlsteuerungen auf entscheidenden Ge- rund 660 000 Aus- und Übersiedler zu uns gekommen, bieten führen kann. deren berufliche Integration zu einem großen Teil noch bevorsteht. Der Bundesarbeitsminister hat über Der rasante Anstieg der Sozialhilfeaufwendungen die Aus- und Übersiedler am 28. September hier ge- bei den Gemeinden wird nicht gebremst; wir sind sagt — ich zitiere — : heute schon bei 28 Millionen DM. Wenn der Paritäti- sche Wohlfahrtsverband in diesen Tagen von sechs (Zuruf von der CDU/CSU: Fast die Hälfte Millionen Menschen spricht, die unterhalb der arbeitet schon!) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13781

Dreßler „Sie sind geradezu eine Mentalitätshilfe. Sie bringen erfundenen Erfolgsmeldungen. Ihre Arbeitsergeb- die Mentalität, seine Lebensgeschicke selber in die nisse sind negativ, seit 1983! Hand zu nehmen, mit. Das könnte auch ein Schub (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Feilcke gegen die Gesinnung einer Hängemattengesellschaft [CDU/CSU]: Beißen Sie doch einmal ins Mi- werden. " krophon!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Wer sich im Rahmen der Beratungen des Einzel- Frau Unruh [fraktionslos]: Ein Zynismus!) plans 11 mit der Sozialpolitik dieses Bundesarbeitsmi- nisters kritisch beschäftigt, der wird kaum an jenem Das kann man nicht als Wahlkampfgetöse abtun — er Gesetz vorbeigehen können, das zu einem Synonym sagte das kurz vor der Kommunalwahl in NRW — und für soziale Ungerechtigkeit geworden ist. Ich meine damit vergessen. Wir lassen nicht zu, daß eine Gruppe das sogenannte Gesundheits-Reformgesetz. Wie kein gegen die andere ausgespielt wird, z. B. die Übersied- anderes Vorhaben auf der langen Liste der sozialpoli- ler gegen die Langzeitarbeitslosen. Es muß um die tischen Grobheiten dieser Koalition pervertiert das Gleichbehandlung gehen. Die Bürgerinnen und Bür- sogenannte Gesundheits-Reformgesetz den Grund- ger sind in diesem Punkt zu Recht sehr empfindlich. gedanken sozialstaatlicher Fürsorge für Benachtei- Ich kritisiere erneut: Die Bundesregierung beklagt ligte und in ihren Lebensverhältnissen Beeinträch- einen Fachkräftemangel und baut gleichzeitig Quali- tigte in das Gegenteil. Die Zielsetzung einer qualitativ fizierungsmaßnahmen ab. hochwertigen medizinischen Versorgung im Krank- heitsfalle zu sozial vertretbaren Kosten für die Bei- (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Unmöglich ist tragszahler wird mit diesem Gesetz umgebogen zu das! — Zurufe von der CDU/CSU) dem Versuch, die soziale Krankenversicherung zu ei- nem Instrument der Senkung der sogenannten Lohn- Die Eintritte in Maßnahmen der Fortbildung, der nebenkosten zu mißbrauchen. Umschulung und Einarbeitung sind in den ersten Die von den Koalitionsfraktionen und der Bundes- zehn Monaten dieses Jahres gegenüber dem gleichen regierung im Zusammenhang mit dem sogenannten Zeitraum des Vorjahres um rund 71 000 oder 16 Gesundheits-Reformgesetz durchgesetzte Teilabsi- zurückgegangen. Wenn wir diese amtlichen Zahlen cherung für die Pflegebedürftigen und die dazu ange- der Bundesanstalt nennen, dann tun Sie so, als sei führte Begründung offenbaren geradezu klassisch die unsere Kritik eine bösartige Erfindung. Ich mache er- Pervertierung einer solidarischen Sozialpolitik in ihr neut darauf aufmerksam, daß der Umfang der Quali- Gegenteil. Da werden durch drastische Erhöhung der fizierungsmaßnahmen massiv gesteigert werden Selbstbeteiligungen der Kranken und durch Lei- muß. stungskürzungen Einsparungen erzwungen, und die (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Zuruf Notwendigkeit dieser Einsparungen wird wie folgt von der SPD: Sehr gut!) begründet: Man braucht dieses Geld zur besseren Absicherung der Pflegebedürftigen. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der ge- (Frau Unruh [fraktionslos]: Genau!) samtwirtschaftlichen Entwicklung hat auch darauf hingewiesen. Er sagt: Insgesamt ist von einem starken Einer Gruppe von Benachteiligten wird Geld aus der Weiterbildungsbedarf auszugehen, um eine dauer- Tasche gezogen, um damit einer anderen Gruppe von hafte Eingliederung der Aus- und Übersiedler in den Benachteiligten zu helfen. Dies ist Sozialpolitik nach Arbeitsmarkt zu ermöglichen. — Ich füge hinzu: Glei- dem Motto: Die Benachteiligten finanzieren sich ihre che Anstrengungen sind erforderlich, um die Integra- Hilfen selbst. Mit Solidarität, meine Damen und Her- tion der Arbeitslosen voranzubringen. Deshalb for- ren, hat das nichts zu tun. Dies ist das krasse Gegen- dern wir eine Verdoppelung der Qualifizierungsmaß- teil. nahmen für Arbeitslose. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Frau Un- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hoss ruh [fraktionslos] — Zuruf von der CDU/ [GRÜNE]) CSU: Die Überforderungsklausel haben Sie nie zur Kenntnis genommen!) Das Lohnkostenzuschußprogramm der Bundesre- Nachdem das sogenannte Gesundheits-Reformge- gierung kann nicht einmal den Abbau der Arbeits- setz nun seit fast einem Jahr in Kraft ist, besteht Anlaß plätze in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen kompen- zur Prüfung der Fragen, ob denn nun die versproche- sieren. 25 000 ABM-Plätze sind schon weg. Nach der nen Kosteneinsparungen in der Krankenversicherung eigenen Schätzung der Regierung sollen 17 000 För- erreicht worden sind derungsfälle erreicht werden. Mit dem Konzept der SPD zur Eingliederung Langzeitarbeitsloser würde in (Zuruf von der CDU/CSU: Die sind schon da!) einem ersten Schritt die berufliche Integration von und ob sich das zugrundeliegende finanzielle Konzept 100 000 Langzeitarbeitslosen erreicht. erfüllt hat. Der Bundesarbeitsminister verdient es, daran erinnert zu werden, was er den Bügerinnen und Bevor uns die Regierung nun heute wieder mit Bürgern im Zusammenhang mit diesem Gesetz ver- Hurrazahlen angeblicher zusätzlicher Arbeitsplätze sprochen hat, nämlich Beitragssatzsenkungen. langweilt, weise ich noch einmal darauf hin, daß das Arbeitsvolumen, also die Summe aller geleisteten Ar- (Kolb [CDU/CSU]: Ja, die kommt auch! — beitsstunden, nach Angaben des Instituts für Arbeits- Scharrenbroich [CDU/CSU]: An diese Rede markt- und Berufsforschung heute niedriger ist als zu werden Sie noch oft erinnert, Herr Dreß- Beginn der 80er Jahre. Verschonen Sie uns bitte mit ler!) 13782 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Dreßler Es ist notwendig, ihn daran zu erinnern, weil er so tut, ses Gesetz für sie bedeutet: Abkassieren im Krank- als sei mit der derzeit erreichten Beitragssatzstabili- heitsfall. Die SPD-Fraktion, meine Damen und Her- sierung das Ziel seines Gesetzes erreicht. ren, lehnt — nicht nur aus diesem Grunde — den Ein- zelplan 11 ab. (Scharrenbroich [CDU/CSU]: Das stört Sie (Beifall bei der SPD) wohl? — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist es ja wohl auch!) Vizepräsidentin Renger: Meine Damen und Herren, — Nein, meine Damen und Herren, das ist nicht er- das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und So- reicht. Das Ziel wurde verfehlt. Beitragssatzsenkun- zialordnung, Dr. Blüm. gen hat es bisher nicht gegeben, (Kolb [CDU/CSU]: Sie kommen in breitem Bundesminister für Arbeit und Sozialord- Maße!) Dr. Blüm, nung: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! allenfalls Beitragssatzstabilität. Der Abgeordnete Dreßler hat sich würdig in die Reihe von Oskar Lafontaine eingereiht. Soziale Kälte gegen Was die Zukunft angeht, so ist die Prognose aller unsere Mitbürger, gegenüber unseren Landsleuten, Krankenkassenverbände eindeutig. Mehr als Bei- die zu uns kommen, tragssatzstabilität — vielleicht auch geringfügige Bei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — tragssatzsenkungen — ist nicht erreichbar. Widerspruch bei der SPD) (Zuruf von der CDU/CSU: Ist das denn das ist ein Verrat an den besten sozialdemokratischen nichts? — Kolb [CDU/CSU]: Bei Ihnen ging Traditionen. Er hat mit dieser Rede nichts anderes es immer nur nach oben!) mobilisiert als die primitiven Instinkte von Besitzbür- gern, die mit den Ellbogen die Fleischtöpfe der Wohl- Und so sehen denn auch die Beitragssatzkalkulatio- standsgesellschaft Bundesrepublik verteidigen. Dies nen der einzelnen Krankenkassen für das kommende ist Chauvinismus, klassischer Chauvinismus, diesmal Jahr 1990 aus. Von den 268 Ortskrankenkassen kön- sozialpolitischer Natur. nen rund 50 die Beitragssätze geringfügig senken, und das war es dann auch schon. (Abg. Schreiner [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage) (Zuruf von der CDU/CSU: Bei Ihnen wäre —Nein, ich stelle meinen Beitrag im Zusammenhang das System schon längst kaputt!) dar. — Ich fordere die Opposition auf, zu den besten Die durchschnittliche Beitragssatzbelastung der Ver- Traditionen der Solidarität zurückzukommen, zu den sicherten wird sich kaum verändern. Wenn man ganz besten Traditionen; denn zur nationalen Identität, wie großzügig rechnet, wird der durchschnittliche Bei- ich sie verstehe, gehört auch, daß die Deutschen zu- tragssatz 1990 von derzeit rund 12,8 % auf rund 12,6 % sammenhalten. Unsere Landsleute, die zu uns gekom- sinken. men sind, sind nicht aus Lust und Laune zu uns ge- kommen, sondern weil sie den Sozialismus satt hatten, (Feilcke [CDU/CSU]: Bei Ihnen wäre er er weil sie unter dem Sozialismus gelitten haben; des- heblich gestiegen! — Zuruf von der CDU/ halb sind sie zu uns gekommen. CSU: Ist das nichts?) (Heyenn [SPD]: Aber alle sollten zusammen- —Wissen Sie, was das ausmacht, Sie Zwischenfrager. halten!) Für einen Durchschnittsverdiener mit 3 500 DM — Alle sollten zusammenhalten. brutto sinkt der monatliche Krankenversicherungs- Und was diese billigen Gags anbelangt von wegen beitrag von 451,50 DM auf 441 DM. Fußballtrainer und Dressurreiter: ich stehe hier vor Ihnen nach einer Legislaturpe riode mit zwei großen (Feilcke [CDU/CSU]: Bei Ihnen wäre er auf Reformen: Krankenversicherungsreform und Renten- 700 DM gestiegen!) reform. Keine einzige davon haben Sie in 13 Jahren Der Beitragszahler, meine Damen und Herren, spart Ihrer Regierung zustande gebracht, keine einzige! also bei dieser gloriosen Reform 10,50 DM im Monat. (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der Wenn dieser Arbeitnehmer von diesen gesparten SPD) 10,50 DM die Hälfte an seinen Arbeitgeber abgelie- Beide Reformen sind keineswegs erst die Notwendig- fert hat, bleiben ihm selbst ganze 5,25 DM, d. h. keit dieser Legislaturpe riode. Sie waren lange Zeit 63 DM im Jahr. erkennbar. (Zurufe von der CDU/CSU) (Fuchtel [CDU/CSU]: Sehr genau!) - Diesem Arbeitnehmer, der jährlich 63 DM Kranken- Was den Vorwurf des Abkassierungsmodells anbe- versicherungsbeitrag spart, muten Sie im Krankheits- langt: Das Abkassieren haben wir eingestellt, denn fall bis zu 840 DM im Jahr an zusätzlichen Selbstbe- die Beiträge der Arbeitnehmer sind Jahr für Jahr ge- teiligungen zu. So sieht Ihre Rechnung aus. 63 Mark stiegen. Das war das klassische sozialdemokratische spart der Arbeitnehmer und 840 DM zusätzlich muß er Abkassierungsmodell. Selbst Beitragsstabilität ist ein bei Krankheit ausgeben. Das ist Ihre soziale Gerech- Fortschritt, aber wir werden auch zu Beitragssenkun- tigkeit. Da können Sie noch so viele Erfolgsmeldun- gen kommen. gen in noch so vielen Pressekonferenzen vortragen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — die Bürgerinnen und Bürger haben beg riffen, was die Widerspruch bei der SPD) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13783

Bundesminister Dr. Blüm Was die Lohnquote anbelangt, lieber Kollege Dreß- ihn allein geschaffen hätten. Da haben Millionen von ler, dürfte es Ihnen doch nicht entgangen sein, daß, fleißigen Arbeitnehmern mitgewirkt. Da haben die wenn man einen Teil des Produktivitätsfortschrittes in Parteien dieses Bundestages — auch die SPD — mit- Arbeitszeitverkürzungen steckt, die Lohnquote dann gewirkt. Aber wir können doch gemeinsam — bei sinkt. allem Streit — stolz sein, daß wir uns einen solchen Sozialstaat, wie es kaum einen zweiten auf der Welt (Dreßler [SPD]: Die Lohnquote, die diese Re gibt, geschaffen haben. gierung bekämpft hat!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dann können Sie sich doch nicht anschließend be- schweren. Stellen wir doch unsere gemeinsamen Leistungen bei allem Streit nicht unter den Scheffel. (Dreßler [SPD]: Ich beschwere mich nicht!) Ich frage mich nur, wie geht es mit dem Sozialstaat Aber vielleicht ist es für die Arbeitnehmer viel inter- weiter. Eine solche Debatte sollte auch einmal zu ei- essanter, wie sich ihre realen Einkommen verändert nem Ausblick genutzt werden, und nicht nur zu die- haben. Wenn wir hier schon eine Debatte mit Statisti- sem üblichen Schlagabtausch. Kann es einfach so wei- ken führen, habe ich dies nachzutragen. Realer Ver- tergehen, daß Sozialleistungen nur ausgedehnt wer- dienstrückgang 1981: minus 1,7 %; realer Verdienst- den? Wollen wir mit unserem Sozialstaat diesen Weg rückgang 1982: minus 2,3 % unter einer SPD-geführ- beschreiten? Das Sozialbudget umfaßt jetzt rund ein ten Regierung; realer Verdienstzuwachs 1986: plus Drittel des Sozialproduktes. Ich frage Sie: Können wir 4,2 %; 1987: plus 1,8 %; 1988: plus 2,2 % unter der jet- das noch weiter steigern? Die Ausgaben der Renten- zigen Regierungskoalition. versicherung sind inzwischen mehr als zwei Drittel so (Zuruf von der CDU/CSU: Alles Verdienste hoch wie die gesamten Ausgaben des Bundeshaus- der CDU!) haltes. Wenn Sie die Ausgaben von Krankenversiche- rung, Arbeitslosenversicherung, Unfallversicherung Und jetzt frage ich Sie: Lohnquote hin, Lohnquote her und Rentenversicherung zusammenzählen, davon — wovon hat der Arbeitnehmer mehr? Wenn sein den Bundeszuschuß noch abziehen, dann ist das mehr realer Verdienst steigt, und das ist unter der Verant- als der ganze Bundeshaushalt. Salopp gesprochen, wortung dieser Regierung geschehen, dann ist das ein die Sozialversicherung könnte den Bundeshaushalt sozialer Fortschritt. kaufen. Wollen Sie das alles weiter steigern? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zwei Monatsausgaben der Rentenversicherung Und jetzt noch zu Ihnen, Frau Unruh. Wenn der Fall, sind deutlich höher als die Gesamtausgaben von Bund den Sie so schildern — ich kenne ihn nicht — , so vor- und Ländern für die Hochschulen. Um weitere Dispro- gekommen sein soll, wenn ein Arzt einen Gelähmten portionalitäten darzustellen: Bund, Länder und Ge- als nicht schwerstpflegebedürftig anerkennt, dann ist meinden geben für Kultur nicht viel mehr aus als die das ein Unrecht, das man beseitigen muß. Aber Sie gesetzliche Krankenversicherung für Zahnersatz. sollten diesen einzelnen Fall nicht zur Erklärung des gesamten Sozialstaates benutzen, denn voraussicht- Vizepräsidentin Renger: Herr Bundesminister, Sie lich an die 100 000 Mitbürger, die Angehörige pfle- gestatten keine Zwischenfrage? gen, werden in diesem Jahr zum erstenmal Urlaub machen können, weil durch das Gesundheits-Reform- gesetz eine Vertretungskraft gestellt wird. Dr. Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozialord- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nung: Doch, bitte schön. der FDP) Da sollten Sie nicht diesen einen Fall, den ich, wenn er Dr. Penner (SPD): Herr Kollege Blüm, Sie haben ja so stimmt — halbe Wahrheiten sind so schlimm wie Bedenken dagegen angemeldet, daß der Sozialetat ganze Lügen — , genauso ablehne wie Sie, zugrunde weiter ausgedehnt werden könnte. Nun hat vorhin der legen. Kollege Dreßler darauf hingewiesen, daß es im Hin- blick auf das Zusammengehen der beiden deutschen (Kolb [CDU/CSU]: Frau Unruh erzählt immer Teilstaaten Probleme geben kann, die auch den So- nur halbe Wahrheiten!) zialbereich betreffen. Wie stehen Sie nun dazu? Muß Der Medizinische Dienst — ich will es noch einmal im Hinblick darauf nicht zwangsläufig eine zusätzli- sagen — ist im übrigen nicht „mein" Medizinischer che Belastung erfolgen, weil Deutsche gleich Deut- Dienst, es ist der der Selbstverwaltung. Aber es bleibt sche sind? Oder wollen Sie uns darauf verweisen, daß dabei: Wo jemand ungerecht behandelt wird, wird er eine Solidarität eingefordert wird, die nicht benamst immer unsere Hilfe finden. Auch der Einzelfall bedarf wird? unserer Hilfe. - (Frau Unruh [fraktionslos]: Sie sollen keine Dr. Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozialord- Berichte geben, Sie sollen Prozesse füh nung: Nein, Herr Kollege, ich glaube schon, daß der ren!) Sozialstaat seine Solidarität nicht so organisieren Nun, ich wollte diese Debatte eigentlich zum Rück- kann, daß er die Ausgaben einfach steigert, denn es blick benutzen. Sie ist ja auch ein Abschnitt unserer gibt Grenzen der Belastbarkeit. Es muß umgebaut Sozialpolitik, der Anlaß zu Rück- und Ausblick gibt. werden, aber es muß solidarisch umgebaut werden. Wir haben in diesem Jahr 40 Jahre Sozialstaat gefeiert Es kann nicht an der Grenze zwischen DDR-Landsleu- — ein Sozialstaat, von dem ich gar nicht sage, daß wir ten und Bundesbürgern umgebaut werden. Deutsche 13784 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Bundesminister Dr. Blüm sind Deutsche, egal, ob sie aus der DDR kommen oder kerung werden Sie nicht in die Sozialversicherung nicht. aufnehmen können. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Aber gibt es nicht auch Grenzen der individuellen Abgeordneten der SPD) Belastbarkeit? Die Ausgaben der Arbeitnehmer für Aber ich plädiere sehr ausdrücklich — wenn das eine ihre Beiträge sind seit 1970 auf das Dreifache gestie- Einladung ist — dafür, daß wir uns der gemeinsamen gen. Mit anderen Worten: Sie zahlen dreimal mehr Mühe unterziehen, nicht nur eine expansive Sozial- Beiträge als 1970. politik zu betreiben, sondern eine Sozialpolitik des Umbaus. Das ist eine große, solidarische Anstren- Sie können doch nicht einfach sagen: Sozialpolitik gung, denn wir haben in diesem Sozialstaat — ich heißt, immer mehr Geld ausgeben. Es könnte doch komme im einzelnen noch darauf zurück — nicht nur sein, wenn wir so weitermachen, daß wir nicht Vertei- Überversorgung, wir haben auch Unterversorgung. lungsgerechtigkeit schaffen, sondern das Opfer von Wenn man Unterversorgung beseitigen will, dann Umverteilungsillusionen sind, wo plötzlich die Geber muß man Überversorgung abbauen; das ist die Leitli- die Nehmer sind und die Absender und die Empfän- nie unserer Sozialpolitik. ger völlig identisch sind. Das wäre dann keine Vertei- lungsgerechtigkeit, das wäre eine Umverteilungsillu- (Heinrich [FDP]: Das wollen die aber nicht sion; das wäre ein Karussell zwischen der rechten und zur Kenntnis nehmen!) der linken Hosentasche. Was ist daran gerecht? (Schreiner [SPD]: Was ist denn das, „Karus- Vizepräsidentin Renger: Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Penner? sell zwischen der rechten und der linken Ho- sentasche"?)

Dr. Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozialord- — Herr Schreiner, ich übersetze Ihnen das. Das Karus- nung: Bitte, ja. sell besteht darin, daß wir eine Umverteilung sugge- rieren, als würde irgend jemandem etwas gegeben. Das bezahlen die Empfänger alles selber, und des- Dr. Penner (SPD): Herr Bundesminister, nun haben halb, sage ich, ist es besser: Laßt ihnen ihr Geld; die Sie wiederum die Solidarität beschworen, und Sie ha- wissen mit ihrem Geld besser umzugehen als alle Fi- ben hinzugefügt, daß Deutsche gleich Deutsche sind. nanzämter zusammen. Das ist unsere Philosophie. Darf ich Sie denn so verstehen, daß Sie daran denken, daß diejenigen, die hier aufgewachsen sind, hier gear- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) beitet haben, einen Teil ihrer Rente zugunsten derje- nigen abgeben sollen, die zu uns kommen? Laßt uns deshalb die Grenzen neu bestimmen zwi- schen Eigenverantwortung und Solidarität! (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP — Ronneburger [FDP]: Das wird ja immer (Frau Unruh [fraktionslos]: Pflegegeld!) schlimmer!) — Auch darauf komme ich noch zurück.

Dr. Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozialord- Die Solidarität kann nicht alles überwuchern, wir nung: Ich glaube nicht, daß man diese Debatte noch brauchen Räume der Eigenverantwortung, einerseits mit der Angst versehen sollte, die Rentner müßten wegen der Selbständigkeit der Menschen, zweitens etwas abgeben. auch wegen der Finanzierung. (Frau Unruh [fraktionslos]: Die haben doch Ich sage Ihnen zu der Kranken- und Rentenversi- genug abgegeben!) cherung, zu den beiden großen Reformen: Akut be- Aber daß wir den Zuwachs unseres Sozialstaates so- stand keine Einsturzgefahr. Wir hätten das so weiter- zial gerecht verteilen müssen, ist die Aufgabe des schieben können wie unsere Vorgänger, auch noch in sozialen Fortschrittes, und das ist die Aufgabe der die nächste Legislaturpe riode. Wir haben aus Verant- Solidarität. wortung gehandelt; in der Rentenversicherung — das (Frau Weyel [SPD]: Dann sagen Sie doch erkenne ich auch in dieser Stunde ausdrücklich an — mal, wie! — Heyenn [SPD]: Laut, aber mit der SPD zusammen, in der Krankenversicherung sprachlos!) gegen Sie. Ich halte beide Reformen für eine große Leistung. Ich appelliere an uns gemeinsam, die Debatte über die deutsche Einheit jetzt nicht mit der Angst der Einhei- (Frau Unruh [fraktionslos]: Es gibt da auch mischen und vor allen Dingen nicht mit den primitiven keine Opposition mehr; da können wir ja Neidkomplexen zu versehen, an die Sie hier offenbar gleich DDR-Regierung machen!) anknüpfen wollen. - Was haben wir denn gemacht? Wir haben das Sy- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) stem stabilisiert. Ich gebe zu, daß Stabilisierung weni- Ich wollte über den Ausbau unseres Sozialstaats ger Faszination hat als Neuentwürfe. Auf dem Reiß- sprechen. Ich frage mich: Können wir eine Sozialpoli- brett ganz neue Systeme entwickeln, das hat immer tik betreiben, indem wir einfach mehr ausgeben? Als die Faszination des Kreativen. Praktische, menschen- Bismarck die Rentenversicherung schuf, waren 10 % nahe Politik kann nur Evolution betreiben, kann nur der Bevölkerung Mitglied der Rentenversicherung, weiterentwickeln. Indem wir stabilisiert haben, haben 90 O/0 waren draußen. Heute ist es umgekehrt: Heute wir überhaupt erst Spielräume geschaffen, die es sind 90 % drinnen, 10 % draußen. Viel mehr werden möglich machen, auf gesichertem Boden unser Sozial- Sie das nicht steigern können; über 100 % der Bevöl system weiterzuentwickeln. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13785

Bundesminister Dr. Blüm Die Rente bleibt lohnbezogen. Sie bleibt an Arbeit Frau, die 420 DM Sozialhilfe beantragt, hat ein Kind, gebunden. Aber ist es nicht eine Weiterentwicklung, das Millionär ist: Warum soll dieses Kind seiner Mut- wenn wir den Arbeitsbegriff ausgedehnt haben, ter nicht die 420 DM bezahlen? wenn wir Erziehungsarbeit mit der Erwerbsarbeit (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der gleichstellen? Es bleibt jedoch beim Grundgedanken: SPD — Frau Schoppe [GRÜNE]: So viele Mil- Rente für Leistung, Rente als Alterslohn für eine Le- lionäre gibt es nicht!) bensleistung. In der Tat bin ich der Meinung, daß die Kinder auch Ist es nicht ein Erfolg, liebe Frau Unruh: Verantwortung für ihre Eltern haben. (Kolb [CDU/CSU]: Sie ist nicht ansprech (Zuruf der Abg. Frau Unruh [fraktionslos]) bar!) Ich wünsche mir keine Gesellschaft, in der die Kinder 1957 betrugen die Renten höchstens 40 % des Er- ihre Eltern im Stich lassen. Eine solche Gesellschaft werbseinkommens, inzwischen, nach einem erfüllten können Sie wollen, ich nicht. Erwerbsleben, sind es 70 %. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Sehr verehrte Frau Unruh, wenn Sie mir einen Au- Zuruf der Abg. Frau Unruh [fraktionslos]) genblick Aufmerksamkeit schenken: Ich behaupte, Armut ist nicht mehr das allgemeine Schicksal aller Menschen. Es gibt auch Armut bei uns; sie muß be- Herr Minister, einen Au- kämpft werden. Aber nur 200 000 von 12,5 Millionen Vizepräsidentin Renger: genblick bitte. Rentnern beziehen Sozialhilfe als Hilfe zum Lebens- unterhalt. Das sind 200 000, denen geholfen werden Frau Unruh, es geht wirklich zu weit, was Sie ma- muß. Aber Sie können doch nicht sagen, die Massen chen. Ich werde Sie zur Ordnung rufen. Ich sage Ihnen seien arm. Das sind genau 1,6 %. Unsere Rentenversi- das jetzt sehr nachdrücklich. Sie stören wirk lich das cherung hat sich als erfolgreicher Träger im Kampf ganze Haus. gegen Altersarmut erwiesen. (Frau Unruh [fraktionslos]: Alles klar!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Widerspruch der Abg. Frau Unruh [fraktions Hoss, Herr Minister? los]) Wissen Sie, was fast unverantwortlich ist? Wie Sie vorhin dargestellt haben, wie die Frau zu Weihnach- Dr. Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozialord- ten zum Sozialamt gegangen ist und Sozialhilfe bean- nung: Bitte. tragt hat. Sie drehen mit dieser Bemerkung — ich hoffe, ungewollt — das Rad der Geschichte zurück. Sie stellen nämlich Sozialhilfe als Bettelei dar. Hoss (GRÜNE) : Eine Zwischenfrage zu Ihrer letzten Antwort: Können Sie mir sagen — Sie sind ja sehr gut (Frau Unruh [fraktionslos]: Das ist sie!) informiert —, wie viele Millionäre wir in der Bundes- Es war doch gerade die Errungenschaft der Sozialhil- republik haben, deren Angehörige Sozialhilfeemp- fegesetzgebung, daß das ein Rechtsanspruch ist. fänger sind? Wenn Sie den Leuten einreden, das sei Bettelei, gehen sie alle in gebückter Haltung zum Sozialamt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Dr. Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozialord- bei Abgeordneten der SPD) nung: Nein. Ich habe ein extremes Beispiel geschil- dert. Auch der Nichtmillionär, auch der gut verdie- Wer zum Sozialamt geht, der bettelt nicht, sondern der nende Sohn, die gut verdienende Tochter sollte die verwirklicht einen Rechtsanspruch. Mutter nicht einfach dem Staat übergeben. Der Mei- (Frau Unruh [fraktionslos]: Bei 420 DM?!) nung bin ich allerdings. Deshalb hoffe ich, daß Sie das nicht gewollt haben. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der (Zuruf von der CDU/CSU: Doch!) SPD) Aber Ihre Rede halte ich für gefährlich, weil Sie ältere Die Höhe der Rente sagt im übrigen nichts über den Leute in einen Zustand von Bettelei bringen, die einen Lebensstandard aus. Rechtsanspruch haben. Ich will noch sagen — ich hoffe, das ist auch ge- (Abg. Frau Unruh [fraktionslos] meldet sich meinsame Auffassung — : Ich bin sehr dafür, daß zu einer Zwischenfrage) Rente und Sozialhilfe besser zusammenarbeiten. — Bitte schön, Frau Unruh. Selbstverständlich dürfen die älteren Leute nicht so- zusagen von einem Schalter zum anderen geschickt- werden. Solche Fragen müssen, finde ich, von der Frau Unruh (fraktionslos): Herr Minister, ist Ihnen Rentenversicherung mit mehr Kreativität behandelt bekannt, daß, falls diese Menschen 420 DM beim So- werden. zialamt beantragen, ihre Kinder angeschrieben wer- (Kolb [CDU/CSU]: Das ist eine Organisa- den und Lohn- und Gehaltsbescheinigungen beibrin- tionsfrage!) gen müssen — bei 420 DM?! Aber ich bin sehr dafür, daß die Armut aus Steuermit- teln bekämpft wird. Die Beiträge der Arbeitnehmer Dr. Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozialord- sind nicht dazu da, die allgemeine Armut zu bekämp- nung: Liebe Frau Unruh, angenommen, diejenige fen. Wenn Sie die allgemeine Armut über die Rente 13786 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Bundesminister Dr. Blüm bekämpfen wollen, dann bezahlen es die Arbeitneh- darin, Bildung auf das Leben zu verteilen und sie nicht mer. Wieso eigentlich nicht alle Staatsbürger? nur in das erste Drittel zu drängen. Wir brauchen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie sanfte Übergänge von der Erwerbsarbeit in den Ru- bei Abgeordneten der SPD) hestand. Deshalb Teilrenten in der Rentenversiche- rung. Deshalb Altersteilzeit in der Arbeitsförderung. Die Höhe der Renten sagt nichts über den Lebens- Alles Angebote, die helfen sollen, aus den alten Er- standard der Rentner aus. starrungen herauszutreten. (Frau Unruh [fraktionslos]: Geht es schon Auch ich glaube, daß uns, wenn wir heute Bilanz wieder los?) machen, das Thema Pflege auf Aufgaben hinweist, Eine jüngere repräsentative Erhebung von Infratest die wir noch zu lösen haben. — Sozialforschung zur sozialen Lage älterer Men- (Zuruf von der SPD: Allerdings!) schen — belegt dies. Danach treffen in der Regel kleine Versichertenrenten mit hohem Haushaltsge- Unser Sozialstaat hat für vieles gesorgt, fast für alle samteinkommen zusammen. Bei Männern beträgt in Lebenslagen; an manchen Stellen sind wir sogar über- Fällen einer Versichertenrente von unter 500 DM das versorgt. Ich glaube aber, daß er das Thema Pflege Nettohaushaltseinkommen im Durchschnitt fast stiefmütterlich behandelt hat und das die große Her- 2 100 DM monatlich! Bei Frauen mit einer Versicher- ausforderung der Zukunft ist. tenrente von unter 500 DM liegt das durchschnittliche Aber wer da etwas tun will, wer glaubt, daß hier ein Nettohaushaltseinkommen immer noch bei 1 800 DM Bedarf ist, der muß auch bereit sein zu sagen, wo an monatlich. anderer Stelle gespart werden kann. Der Nachschub (Frau Unruh [fraktionslos]: Fangen Sie doch fällt jedenfalls nicht vom Himmel. Den müssen wir mal mit Ihrer Pension an!) durch Umbau unseres Sozialstaates schaffen. Witwen mit einer Witwenrente unter 600 DM haben Dazu haben wir in der Krankenversicherung ohne ein durchschnittliches Nettogesamteinkommen von viele Worte einen Beitrag geleistet. Was nutzen denn 1 200 DM im Monat. die ganzen langen ordnungspolitischen Diskussio- nen? Wir haben gehandelt. Ich glaube im übrigen, daß Ich will ausdrücklich noch einmal sagen: Ich be- man in der Praxis des Lebens zwischen Langzeitkran- streite nicht, daß es Armut gibt. Nur, aus einer kleinen ken und Pflegebedürftigen nicht so trennscharf schei- Rente zu schließen, die Leute seien arm, ist nicht zu- den kann, wie uns das die Paragraphen suggerieren. treffend. Das war ein Grund, bei der Krankenversicherung da- Ich bleibe dabei: Wer arm ist, dem muß geholfen mit zu beginnen, einen Beitrag von immerhin 5 Milli- werden. Aber die Rentenversicherung ist nicht der arden DM zu leisten — wo gab es das bisher? — , um Lastesel für alle sozialen Probleme. die Pflege auszubauen. (Frau Unruh [fraktionslos]: Nur für die (Frau Unruh [fraktionslos]: Gehört da nicht Staatsschulden?) hin!) Ich glaube, daß wir das Thema Alter auch nicht nur Auch hier, meine Damen und Herren: Fixieren wir von der Rente her angehen dürfen. Die neue Alters- die Sozialpolitik nicht auf das Geld! Das schönste und armut, die ich sehe, ist gar nicht in Mark und Pfennig größte Geld bringt nichts, wenn keine Infrastrukturen festzumachen. Die besteht in Einsamkeit. Dafür brau- vorhanden sind. Es müssen Infrastrukturen geschaf- chen wir eine neue familiäre Kultur. fen werden. Vielleicht könnte die Krankenversiche- rung der Kristallisationskern für die Schaffung einer Im übrigen: Alter ist ein dritter Lebensabschnitt mit Infrastruktur sein, an der sich die Wohlfahrtsverbände eigener Würde, mit eigenem Anspruch. Was wir tra- beteiligen, an der sich die Kirchen beteiligen, an der ditionell so alles unter „Ruhestand" zusammenfassen, sich die Sozialpartner beteiligen. Wir brauchen eine ist keineswegs so einheitlich, wie uns die Reichsver- neue Nachbarschaftskultur, auch der Selbsthilfe. Es sicherungsordnung suggeriert. Die chronologischen muß nicht alles vom Staat organisiert werden. Lebensdaten von 80jährigen mögen übereinstimmen. Aber ein 80jähriger hilfsbedürftig im Pflegeheim ist (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — etwas ganz anderes als ein 80jähriger, der noch mit- Frau Unruh [fraktionslos]: Können Sie von wirken will und noch mitwirken kann. Wir dürfen den Grauen Panthern lernen!) nicht alle älteren Menschen zu Pflegefällen erklä- Mit diesen 5 Milliarden DM haben wir einen ersten ren. wichtigen Schritt abseits aller Theo rien geleistet. (Frau Unruh [fraktionslos]: Machen Sie erst Zur Krankenversicherungsreform: Lieber Herr mal anständige Pflegeheime!) Dreßler, Sie werden es noch so oft vortragen können. Ich glaube, Frau Unruh — und da sollten wir uns ge- Die Versicherten selber, die Patienten selber werden meinsam anstrengen —, unterscheiden, was auf den Flugblättern der SPD stand und was nach fast einem Jahr Krankenversiche- (Frau Unruh [fraktionslos]: Ich lege Sie auf rungsreform jetzt die Wirklichkeit ist. „Ab 1. Januar ein Dreibettzimmer!) 1989 dürfen Sie nicht mehr krank werden" ; ich erin- daß das Thema Alter von unserer Politik noch nicht so nere Sie noch an dieses schamlose Plakat der SPD, aufgenommen wurde, wie es, auch dank gewachse- und es bleibt nicht aus der Erinnerung. Ich frage jetzt ner Lebenserwartung, aufgenommen werden muß. alle Mitbürger: Können Sie jetzt nach dem 1. Januar Ich sehe die Antwort nicht nur in der Rentenversiche- noch zum Arzt gehen? Sie können zum Arzt gehen wie rung, nicht nur materiell, sondern beispielsweise auch bisher, sie können ins Krankenhaus gehen wie bisher, Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13787

Bundesminister Dr. Blüm viele Arzneimittel sind billiger geworden, die Zuzah- Europa harmonisieren können. Die Rentenversiche- lung bei Medikamenten mit Festbetrag ist sogar weg- rung wird nicht mit anderen Systemen zu harmonisie- gefallen. Meine Damen und Herren, wenn Sie sagen, ren sein. Aber dort, wo es möglich ist, sollten wir ein- von Schwachen wird genommen, um anderen Schwa- heitliche Standards schaffen. Deshalb waren wir chen zu geben: Ich wußte nicht, daß Sie die Pharma- — übrigens als einziges Land — im europäischen Industrie zu Schwachen erklären. Die Arzneimittel- Ministerrat in der Lage, gemeinsam mit Gewerkschaf- preise sind um 30 % bis 50 % gesunken. Das bezahlt ten und Arbeitgebern neun Punkte vorzulegen, die doch die Pharma-Industrie, oder nicht? wir als konkrete Mindeststandards in Europa einfor- (Beifall bei der CDU/CSU — Dreßler [SPD]: dern. Denn die europäische Sozialcharta, so schön Das ist doch ein Taschengeld! — Frau Unruh und so feierlich sie ist, ist erst etwas we rt, wenn sie [fraktionslos]: Die Tabletten, die es nicht konkretisiert ist, wenn sie in einklagbaren Rechten mehr gibt!) mündet. Deshalb halte ich die konkreten neun Punkte für wichtiger als eine ganze Sammlung rheto rischer Sie haben gesagt, nur 50 AOKs haben die Beiträge Erklärungen und Proklamationen. Mit den neun gesenkt. Das sind 50 mehr als zu Ihrer Zeit. Bisher gab Punkten sind wir keineswegs am Ende unserer Forde- es nur steigende Beiträge, 4 Milliarden, 5 Milliarden rungen und Wünsche. Ich glaube, daß wir aus unserer DM Jahr für Jahr aus den Taschen der Versicherten. sozialen Kultur in die europäische Integration auch Unsere Krankenversicherungsreform ist schneller er- die Frage von Mitwirkung, Information und Mitbe- folgreich, als ich sie selber, der ich geborener Optimist stimmung einbringen müssen. Je europäischer die bin, eingeschätzt habe. Unternehmen werden, um so europäischer müssen (Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Haack auch die Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmer sein. [Extertal] [SPD] meldet sich zu einer Zwi schenfrage) Ich sehe eine weitere große Aufgabe da rin, in der nächsten Legislaturpe riode gemeinsam darüber nachzudenken, was von unserem Sozialsystem direkt Vizepräsidentin Renger: Herr Minister, Sie gestat- von der Arbeit, durch Beiträge, bezahlt werden muß ten eine Zwischenfrage? — und was durch Steuern finanziert werden muß. Dar- über nachzudenken lohnt sich in der Tat, um Arbeit- Haack (Extertal) (SPD): Herr Minister Blüm, Ihre nehmer nicht zu überlasten. Ich sehe diese Frage zu vormalige Aussage „Der kleine Norbert Blüm hat die Recht an die Bundesanstalt für Arbeit gerichtet. Da pharmazeutische Industrie auf Trab gebracht" veran- will ich — warum nicht auch selbstkritisch sein — laßt mich zu einer Frage zu den Festbeträgen: Ist selbstkritisch fragen, ob alles, was wir dort hingege- Ihnen das Dokument des Wissenschaftlichen Instituts ben haben, wirklich mit Beiträgen finanziert werden der Ortskrankenkassen bekannt, wonach die Sen- muß und ob wir nicht auch hier eine neue Grenz- kung der Arzneimittelpreise auf Grund des Festpreis- scheide brauchen. prinzips, welches Sie hier vorgestellt haben, durch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und massive Preiserhöhungen auf den Sektoren, wo das der SPD) Festpreisprinzip nicht eingeführt bzw. vorgesehen ist, kompensiert wird? Was die Arbeitsmarktpolitik anbelangt: Die Ausga- ben für berufliche Bildung, Fortbildung und Arbeits- (Kolb [CDU/CSU]: Auch die können irren!) beschaffungsmaßnahmen haben wir von 7 Milliarden DM zu Ihrer Zeit auf 15 Milliarden DM heute erhöht. Dr. Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozialord- Das ist mehr als eine Verdoppelung. nung: Entschuldigung. Dann haben Sie ein anderes Institut als ich. Es hat zwar Preiserhöhungen gegeben. Ich glaube, die Sozialpolitik wird nie zum Stillstand Aber wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, über- kommen. Sie ist eine evolutionäre Einrichtung. Nur wiegen die Einsparungen bei weitem. Revolutionäre haben behauptet, sie könnten mit einem Schlag alles lösen. Große Aufgaben gibt es (Beifall bei der CDU/CSU) auch in Zukunft: Organisationsreform in der gesetz- Im übrigen wird es nur noch besser, wenn die Zahl lichen Krankenversicherung. Wir wollen das Prinzip der Medikamente mit Festbeträgen weiter steigt. Ich eines gegliederten Krankenkassensystems beibehal- habe noch ein paarmal Gelegenheit, hier zur Kran- ten, eine Gliederung, die Wettbewerb ermöglicht. kenversicherung zu sprechen. Die Festbeträge haben Aber Wettbewerb ist nur auf dem Boden von Chan- erst den ersten Schritt hinter sich. Wir sind noch dar- cengleichheit möglich. auf angewiesen, daß die Selbstverwaltung weitere Ich sehe eine große Aufgabe, soziale Sicherheit Schritte unternimmt. Dann werde ich wieder vor Sie nicht nur in den Dimensionen der kollektiven Institu- treten, und dann werde ich wieder die Erfolge der tionen, sondern auch durch Eigentum in Arbeitneh- Krankenversicherung Ihren Plakaten als Kontrast vor- - merhand und durch breite Eigentumsstreuungen aus- halten. zubauen. Das war einmal eine große Fanfare. Ich (Beifall bei der CDU/CSU) denke, da das sozialistische Kollektiveigentum weder Ich bin ganz sicher: Die Polemik scheitert an der Wohlstand noch Freiheit geschaffen hat, daß die Ver- Wahrheit. änderungen in der Welt zu einem neuen Aufbruch für Lassen Sie mich noch zu Aufgaben der Zukunft ein privates Eigentum genutzt werden sollten. paar Bemerkungen machen. Eine große sozialpoliti- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sche Herausforderung wird Europa für uns sein. Ich glaube nicht, daß wir im Sinne eines einheitlichen Ich sehe große Aufgaben in der Familienpolitik. Systems der Sozialversicherungen die Sozialpolitik in Wir werden alle Kunst aufgebracht haben, wenn wir 13788 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Bundesminister Dr. Blüm die großen kollektiven Systeme stabilisiert haben. Das — Ich nenne beides. wird bereits eine große Leistung sein. Dazu haben wir Allerdings werden wir mit den Problemen nicht fer- mit zwei Reformen in dieser Legislaturpe riode mehr tig, wenn wir polemisch Besorgnisse erwecken, wenn geleistet als in allen vorherigen Legislaturpe rioden. wir polemisch Ängste wecken, und auch nicht, wenn Nennen Sie mir eine Legislaturpe riode, die zwei wir uns kleinkariert auseinanderdividieren lassen. In sozialpolitische Reformen von diesem Kaliber hinter dieser Situation müssen wir an einem Strang in die sich gebracht hätte! Insofern war und ist dies keine gleiche Richtung ziehen. Die Sozialpolitiker haben fruchtlose sozialpolitische Legislaturpe riode. An dem bewiesen, daß sie an einem Strang ziehen können. Sie Erfolg der Rentenversicherungsreform nimmt die SPD sollten dies tun. Ich bitte diesen Teil des Beitrags von ja ausdrücklich teil; das wi ll ich gar nicht bestreiten. Rudolf Dreßler, weil man ihn nicht aus dem Protokoll Wir haben zur Weiterentwicklung unseres Sozialstaa- streichen kann, möglichst schnell zu vergessen. tes viel geleistet. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich bedanke mich bei allen, die dabei mitgewirkt haben, nicht nur im Bundestag, sondern auch bei den (Vorsitz : Vizepräsident Stücklen) Sozialpartnern und den Sozialverbänden. Wir wollen die Arbeit an der Weiterentwicklung unseres Sozial- staates fortsetzen. Vizepräsident Stücklen: Zur Abgabe einer Erklä- rung nach § 32 der Geschäftsordnung hat der Abge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ordnete Scharrenbroich das Wort.

Vizepräsidentin Renger: Das Wort hat der Abgeord- nete Cronenberg. Scharrenbroich (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hiermit weise ich die Aussage des SPD-Abgeordneten Andres zurück, der laut Ple- narprotokoll vom 16. November 1989, Seite 13472, Cronenberg (Arnsberg) (FDP): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bemerkun- (Andres [SPD]: Ich habe heute doch gar nicht gen des Kollegen Dreßler zu Aus- und Übersiedlern geredet!) veranlassen mich, einige, wie ich meine, notwendige — am 16. November 1989, Seite 13472 — in unzutref- Feststellungen und Richtigstellungen vorzunehmen. fender Weise erklärt hat: (Fuchtel [CDU/CSU]: Sehr gut!) Herr Scharrenbroich hat hier wider besseren Wis- Die Übersiedler und die Aussiedler sind Landsleute. sens erklärt, wir Sie werden ihren Beitrag zum Bruttosozialprodukt lei- — er meinte die SPD — sten, und zwar durch Arbeit. Diese Arbeit wird Bei- träge in erheblichem Umfang in die Sozialversiche- hätten entscheidende Bestimmungen des Be- rungssysteme bringen. schäftigungsförderungsgesetzes und deren Ver- längerung abgelehnt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich stelle fest: Ich möchte uns eindringlich warnen, eine politische Auseinandersetzung unter dem Motto zu führen: Aus- Erstens. Dieser Vorwurf gegen mich ist nachweis- und Übersiedler gefährden unsere sozialen Siche- lich falsch, weil die SPD-Fraktion am Vortag, also am rungssysteme. 15. November 1989, geschlossen in der zweiten und dritten Lesung das Gesetz zur Verlängerung beschäf- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja ge tigungsfördernder Vorschriften abgelehnt hatte. wollt!) Außerdem hat entgegen der Behauptung der Abge- Wenn ich Rudolf Dreßler nicht so gut kennen und ordneten Frau Steinhauer — Protokoll Seite 13467 schätzen würde, dann wäre ich soeben in Versuchung (A) — und der Erklärung des Abgeordneten Herrn gewesen, zu rufen: Schönhuber winkt! Andres kein einziges Mitglied der SPD-Fraktion eine Verehrter Herr Kollege Penner, lassen Sie sich von Erklärung zur Abstimmung abgegeben. Ihren Kollegen Sozialpolitikern erklären, daß das Um- Zweitens. Hätten sich die Abgeordneten der Koali- lagesystem in der Rentenversicherung insbesondere tionsfraktionen ebenso verhalten wie die SPD, dann dann, wenn Aussiedler — nicht Übersiedler — , das würden für die Arbeitnehmer wichtige Qualifizie- demographische System verbessern, ein Gewinn und rungshilfen nach dem Arbeitsförderungsgesetz nicht kein Verlust ist. verlängert. Ich nenne nur: (Kolb [CDU/CSU]: Der Herr Schreiner weiß a) Arbeitslose unter 25 Jahren könnten nicht mehr das noch nicht! — Abg. Dr. Penner [SPD] in berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen nach- meldet sich zu einer Zwischenfrage) § 40 a Abs. 1 a AFG gefördert werden. — Mit den zwei Minuten, Herr Präsident, muß ich lei- (Heyenn [SPD]: Das ganze ist ein billiger der auskommen. Trick, Herr Kollege!) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir können b) Es entfiele die Förderung der Teilnahme von Ar- und wir werden mit den Problemen fertig werden: die beitslosen unter 25 Jahren an Vorbereitungslehrgän- Solidargemeinschaft der Steuerzahler und die Soli- gen zum nachträglichen Erwerb des Hauptschulab- dargemeinschaft der Beitragszahler. schlusses gemäß § 40b AFG. (Reimann [SPD]: Das erstere hat der Kollege c) Die Teilnahme Jugendlicher unter 25 Jahren an Dreßler gemeint!) beruflichen Bildungsmaßnahmen in Teilzeitunterricht Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13789

Scharrenbroich könnte nicht mehr durch Teilunterhaltsgeld gemäß Andres (SPD): Gemäß § 32, meine sehr verehrten § 44 Abs. 2 b AFG gefördert werden. Damen und Herren, erkläre ich, da ich der betroffene (Heyenn [SPD]: Was hat das hiermit über Abgeordnete bin, auf dessen Beitrag sich der Herr haupt zu tun? — Weitere Zurufe von der Scharrenbroich bezieht, daß die SPD den entspre- SPD) chenden Positionen, die hier vorgetragen worden sind, in der Ausschußberatung zugestimmt hat, d) Nach der Betreuung und Erziehung eines Kindes wäre nach § 44 Abs. 2 b die Förderung — — (Scharrenbroich [CDU/CSU]: Das habe ich ja gesagt!) (Schreiner [SPD]: Sind Sie hier der Pausen clown?) dem Gesetz aber wegen seiner verheerenden sozial- politischen Auswirkungen Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter Schar- (Kolb [CDU/CSU]: Meinen Sie!) renbroich, Sie können hier nicht eine neue Debatte in zweiter und dritter Lesung die Zustimmung versagt beginnen. hat und dieses Gesetz auch öffentlich bekämpfen wird. Scharrenbroich (CDU/CSU) : Nein, Herr Präsident, (Beifall bei der SPD) ich hatte der Frau Präsidentin eben gesagt, außerhalb Als zweites erkläre ich, daß Herr Scharrenbroich in der Tagesordnung möchte ich eine Erklärung abge- der Öffentlichkeit immer den Eindruck erweckt hat — ben. Ich war etwas überrascht, daß Sie mich gerade und auch entsprechende Erklärungen abgegeben nach § 32 der Geschäftsordnung aufgerufen haben. hat — , dieses Beschäftigungsförderungsgesetz könne Aber Sie haben mich aufgerufen, und ich habe damit nicht die Zustimmung der CDA und des Arbeitneh- begonnen, diese Erklärung abzugeben. merflügels finden, und daß Herr Scharrenbroich ent- gegen diesen öffentlichen Erklärungen hier in den Vizepräsident Stücklen: Ja, aber nach § 32 können Beratungen in zweiter und dritter Lesung diesem Ge- Sie nur — — setz sehr wohl zugestimmt hat. (Beifall und Hört! Hört! bei der SPD — Schar- (CDU/CSU): Das hatte ich der Frau Scharrenbroich renbroich [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! Das Präsidentin, die eben vor Ihnen präsidiert hat, gesagt, bezog sich auf das Beschäftigungsförde- und ich war deshalb überrascht, daß Sie mich jetzt rungsgesetz von 1985!) aufgerufen haben. Aber ich bin auch gleich fertig. Sie können es ja im Protokoll nachlesen. Vizepräsident Stücklen: Meine Damen und Herren, Vizepräsident Stücklen: Der Aufruf nach § 32 ent- es ist alles erklärt worden. spricht also nicht dem, was Sie sagen wollten? (Heiterkeit — Kolb [CDU/CSU]: Das Chine- sisch ist komplett!) Scharrenbroich (CDU/CSU): Nein, es war außer- halb der Tagesordnung. Ich sehe, alle Seiten sind zufrieden. (Zuruf von der CDU/CSU: Heribert, nochmal (Erneute Heiterkeit) von vorn bitte! — Heiterkeit bei der CDU/ Wir können dann zur Abstimmung über den Einzel- CSU) plan 11 kommen, und zwar zunächst zur Abstimmung Der letzte Punkt, der auch entfallen wäre, lautet: über die Änderungsanträge des Abgeordneten Wüp- d) Nach der Betreuung und Erziehung eines Kindes pesahl auf den Drucksachen 11/5861 bis 11/5865. wäre nach § 44 Abs. 2 AFG die Förderung der Teil- Ich frage den Herrn Abgeordneten, ob wir das alles nahme an beruflichen Bildungsmaßnahmen nicht pauschal erledigen können. — mehr möglich, wenn ein Erziehender — das sind mei- (Zurufe: Er ist nicht da! — Wo ist er denn?) stens Frauen — wegen Kindererziehung aus dem Er- werbsleben ausgeschieden war. — Der Abgeordnete erhebt keinen Widerspruch. Drittens. Auch wenn die SPD im Ausschuß für Ar- (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und beit und Sozialordnung einigen Ziffern des Gesetzes der FDP) zugestimmt hat, bleibt also meine Feststellung be- Wer gegen die Anträge von Herrn Wüppesahl rechtigt, die ich weiterhin guten Gewissens wiederho- stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. len werde, daß die SPD durch die Ablehnung des Gesetzes in zweiter und dritter Lesung oder, wie ich (Kolb [CDU/CSU]: Keine Ja-Stimme!) am 16. November laut Protokoll im Bundestag aus- —Enthaltungen? — Nein-Stimmen? — Ich habe über führte, „daß die SPD im Rahmen des Gesetzes zur den ganzen Block abstimmen lassen. - Verlängerung beschäftigungsfördernder Maßnah- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) men wichtige Qualifizierungsbausteine abgelehnt hat". Ich muß sagen, daß Herr Abgeordneter Wüppesahl in dieser Frage sehr entgegenkommend ist. (Beifall bei der CDU/CSU — Heyenn [SPD]: Billig, billig!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Vizepräsident Stücklen: Eine weitere Erklärung Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur nach § 32 außerhalb der Tagesordnung? — Bitte Abstimmung über die Änderungsanträge der SPD, schön. zunächst über den Änderungsantrag auf Drucksache 13790 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Vizepräsident Stücklen 11/5882 unter Nr. VIII. Wer dafür ist, den bitte ich um meine Überprüfungen in diesem Jahr haben ergeben, ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltun- daß der Anteil des Familienlastenausgleichs am Bun- gen? — Bei 2 Enthaltungen ist der Antrag mit Mehr- deshaushalt im letzten Jahr vor der „Wende" 1982 heit abgelehnt. noch 12,5 % betrug. Im Jahre 1990 werden Sie ledig- Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ände- lich einen Anteil von 11,8 % haben. Und wenn ich rungsantrag auf Drucksache 11/5883. Wer dafür ist, über all die Jahre Ihrer Regierungszeit zusammen- den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — rechne, was Sie bei den Familien gegenüber sozialli- Enthaltungen? — Es gibt jetzt keine Enthaltungen. beralen Zeiten eingespart haben, dann komme ich auf Damit ist der Antrag ebenfalls mit Mehrheit abge- eine Summe von 52 Milliarden DM. lehnt. (Walther [SPD]: Was?) Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache Ich gebe zu: Sie haben zwar einige Leistungen in sich 11/5884 stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — ausgeweitet, aber der Anteil des Familienlastenaus- Gegenprobe! — Es gibt keine Enthaltungen. Damit ist gleichs am Bundeshaushalt ist bis heute insgesamt auch dieser Antrag abgelehnt. nicht gestiegen. Sie sind gerade dabei, sich an das Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel- Niveau von 1982 heranzuarbeiten. plan 11. Wer für den Einzelplan 11 — Geschäftsbe- (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Leider reich des Bundesministers für Arbeit und Sozialord- wahr!) nung — in der Ausschußfassung stimmt, den bitte ich um Zustimmung. — Gegenprobe! — Unüberbrückbare Unterschiede zwischen Ihnen und uns scheint es leider bei den (Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Das ist die Leistungen für Kin- der zu geben. Jedesmal, wenn Sie an der Regierung Mehrheit, Herr Präsident! — Kolb [CDU/ waren, wurden die Leistungen für Kinder immer zu- CSU] : Also, zählen könnt ihr auch nicht!) gunsten der Besserverdienenden verändert. Enthaltungen? — Es gibt keine Enthaltungen. Der Einzelplan 11 ist mit Mehrheit angenommen. (Zustimmung bei der SPD) Es kann doch nicht richtig sein, daß Familien mit hö- herem Einkommen für ihr Kind bei der Steuer zwei- Ich rufe auf: einhalbmal so viel entlastet werden wie einkommens- Einzelplan 15 schwache Familien. Geschäftsbereich des Bundesministers für Ju (Beifall bei der SPD) gend, Familie, Frauen und Gesundheit Es kann auch nicht ausreichen, daß das Kindergeld — Drucksachen 11/5565, 11/5581 — für das erste Kind seit 1975, also seit 15 Jahren, gerade Berichterstatter: 50 DM beträgt. Diese 50 DM reichen — das weiß auch Abgeordnete Kalb ich auf Grund jüngster Erfahrung — noch nicht einmal Frau Conrad für die Pampers in einem Monat. Unsere Alternative Zywietz heißt: 200 DM Kindergeld für jedes Kind. Frau Rust (Beifall bei der SPD) Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN sowie der Fraktion der SPD auf den Druck- Kinder brauchen ihre Eltern, Kinder brauchen aber sachen 11/5800 bis 11/5805, 11/5833, 11/5882 Nr. XII auch außerfamiliäre Betreuung. Es ist gut, daß Kinder und 11/5888 vor. in einem größeren Bezugsfeld erzogen werden. Und die Mütter brauchen außerfamiliäre Betreuung, um Meine Damen und Herren, nach einer Vereinba- Familie und Beruf vereinbaren zu können. rung im Ältestenrat sind für die Beratungen ein- schließlich Begründung 90 Minuten vorgesehen. Ist Ich bedaure es, daß die Finanzminister der Länder das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre eine ablehnende Haltung gegenüber dem Kinder- keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. und Jugendhilfegesetz signalisiert haben. Der Grund aber ist nachvollziehbar. Es war unse riös von Ihnen, Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Ab- vorzurechnen, die Mehrbelastungen würden nur geordnete Conrad. 480 Millionen DM ausmachen. Herr Pfeifer — er ist jetzt gerade nicht da —, Ihr Parlamentarischer Staats- sekretär, hat gemeint, hier vor allen Dingen sozialde- Frau Conrad (SPD) : Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Einzelplan des Bun- mokratische Länder angreifen zu müssen. desministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Ge- (Walther [SPD]: Was?) sundheit bietet aus sozialdemokratischer Sicht nicht Bleiben Sie doch bei der Wahrheit! Die größten Prote- nur Erfreuliches, obwohl es einige Ansätze darin gibt, - ste kamen schon bis zur Vorlage des Regierungsent- die wir gemeinsam beschlossen haben und die wir wurfs aus Niedersachsen. Das ist ja auch logisch. auch mittragen, insbesondere die Leistungen für die Denn es sind die Länder Niedersachsen und Bayern, Integration von Aus- und Übersiedlern. die den größten Nachholbedarf bei Kinderbetreu- Aber ich komme zum Familienlastenausgleich: ungseinrichtungen haben. Das, was die Bundesregierung für Familien, für Kin- dererziehung, für Kindergeld ausgibt, hat seit Ihrem (Zustimmung bei der SPD) Regierungsantritt mit den Steigerungen des Gesamt- Auch ich bedaure diesen Konflikt, weil es mir um haushaltes nie Schritt gehalten. Ich habe Ihnen das Kinderbetreuung, um Vereinbarkeit von Familie und letztes Jahr schon einmal vorgerechnet, und auch Beruf geht. Ich habe aber Verständnis für die Haltung Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13791

Frau Conrad der Länder und Gemeinden, die doch zunehmend, sagenden Titel „Zukunft der Familie " verbirgt. Es ist Gesetz für Gesetz, Leistungen dort übernehmen müs- kein Förderprogramm für Familien, sondern ein Sub- sen, wo sich der Bund aus der Verantwortung zurück- ventionsprogramm für die Werbeindustrie. zieht. Ich nenne hier die Kosten für Langzeitarbeitslo- sigkeit, die Lasten für Aus- und Übersiedler und die (Zustimmung bei der SPD) Steuerreform, deren dritte Stufe die Länder und Ge- Mit Millionenbeträgen kleistern Sie Plakatwände in meinden mit 11 Milliarden DM mitfinanzieren. Es ist der gesamten Bundesrepublik zu. Ich habe mich doch Ihre Politik in der Vergangenheit gewesen, die heute morgen beim Aufstehen schon wieder geärgert, die Städte in enorme Finanznöte get rieben hat. weil auch neben meiner Wohnung in Bonn eine 3 mal (Kalb [CDU/CSU]: Das ist doch nicht 4 m große Plakatwand steht, die damit vollgekleistert wahr!) ist. Es mag ja sein, daß Sie ihre Familienpolitik so ver- kaufen müssen, als würden Sie für Frühstücks-Rama Seitdem Sie regieren, haben sich die gesamten werben, es kann aber kein Zufall sein, daß Sie ein Jahr Sozialhilfelasten auf über 30 Milliarden DM in die- vor der Bundestagswahl damit beginnen. Der Bundes- sem Jahr verdoppelt. Das ist die Realität in unserer haushalt ist — auch zwei Jahre vor der Wahl — nicht Bundesrepublik. dazu da, Werbekampagnen für die Bundesregierung Wenn Sie es wirklich ernst gemeint hätten mit der zu finanzieren. Bestreiten Sie das gefälligst aus der Verbesserung der familienergänzenden Betreuung Kasse Ihrer Parteizentrale im Konrad-Adenauer- von Kindern, dann hätten Sie früher und rechtzeitig Haus. gemeinsam mit den Ländern nach Finanzierungsmög- (Beifall bei der SPD) lichkeiten für dieses Gesetz gesucht. Die Bundesre- Bei diesen, aber auch bei den vorhin genannten gierung kann sich hier nicht einfach aus der Verant- Maßnahmen merkt man nicht, daß es in Ihrem Haus wortung stehlen. einen Frauenstab mit insgesamt 31 Stellen gab und (Beifall bei der SPD) gibt, der sich um Frauenfragen kümmern soll. Die Ideen und Programme, die das Haus Lehr verlassen, Sie helfen den Ländern noch nicht einmal bei der machen immer den Eindruck, als hätte man einen gro- Betreuung der Kinder von Aus- und Übersiedlern. Sie ßen Bogen um die Frauenabteilung gemacht. könnten dafür sofort 250 Millionen DM einsparen, wenn Sie auf das unsägliche Dienstmädchenprivileg (Sehr richtig! bei der SPD) verzichten würden. Der Bundesrechnungshof hat dies auch erkannt und (Beifall bei der SPD) schreibt in seinem Bericht: „Bis heute sind die Zustän- digkeiten nicht ausreichend geklärt. Der bisher sehr Sie wissen, daß die meisten Familien nicht das ent- eingeschränkte Aufgaben- und Kompetenzzuwachs sprechende Einkommen haben, um sich eine Haus- rechtfertigt nicht den personellen Ausbau des Arbeits- haltshilfe, die sozialversichert beschäftigt ist, leisten stabes Frauenpolitik. " — Ich erkläre ausdrücklich: Sie zu können. Aber Sie leisten sich den Luxus, Bestver- haben jederzeit unsere Unterstützung für einen Frau- dienende mit 500 DM im Monat über die Steuer zu enstab, der Kompetenzen in allen die Frauen betref- bezuschussen. fenden Fragen hat. Wenn dieser Stab nicht über die Ich sage Ihnen einmal, was die Evangelische Ak- entsprechende Kompetenz verfügt, dann liegt das tionsgemeinschaft für Familienfragen dazu gesagt auch an dem mangelnden Interesse der Ministe rin an hat: „Die in Aussicht genommene Begünstigung ist dem Thema „Frauenpolitik". vielmehr sozialpolitisch unausgewogen, verfassungs- (Beifall bei der SPD) rechtlich und steuersystematisch bedenklich, fami- lien- und frauenpolitisch fragwürdig." — Ich habe Der Bundesjugendplan wird von Ihnen seit Jahren dem nichts hinzuzufügen. sträflich vernachlässigt. Die Jugendverbände mit ih- ren Tausenden von Mitgliedern krebsen seit Ihrer Re- (Beifall bei der SPD) gierungsübernahme mit Minimalausstattungen Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf gehört, herum. Der von Ihnen vorgelegte Regierungsentwurf daß Frauen nach einer Phase, in der sie sich ganz der sah zudem vor, bei den Jugendverbänden drastisch zu Kindererziehung widmen, Wiedereinstiegsmöglich- kürzen, insbesondere beim Bundesjugendring. Das keiten in den Beruf haben. Die Bundesregierung hat haben die Berichterstatter zumindest zum Teil verhin- ein entsprechendes Programm aufgelegt. Sie haben es dert, wofür ich dankbar bin. mit lediglich 5 Millionen DM ausgestattet. Im glei- Die Mitgliedsverbände des Bundesjugendrings ha- chen Jahr haben Sie 50 Millionen bei den Einarbei- ben sich erlaubt — da sehe ich den Hintergrund dieser tungszuschüssen nach dem AFG, die ja auch den Kürzungen — , eine Zeitungsanzeige anläßlich der Frauen beim Wiedereinstieg in den Beruf zugute - Wahl der Republikaner ins Berliner Abgeordneten- kommen sollen, gestrichen. Das Programm verkommt haus zu schalten. Darin wurden als Ursachen des angesichts einer solchen Politik zu einer Alibiveran- Wahlverhaltens junger Menschen auch das Versagen staltung. der Politik, Massenarbeitslosigkeit und fehlendes Zusätzliche Mittel für die finanzielle Verstärkung Vertrauen in die Politik genannt. Herr Hoffacker wit- des Wiedereingliederungsprogramms, die wir bean- tert dahinter wieder einmal klassenkämpferische Pa- tragt haben, stehen bei Ihnen nicht zur Verfügung. rolen — ich zitiere aus Ihrer Presseerklärung — und Dagegen war es Ihnen mühelos möglich, in diesem nennt das „linksradikales Vokabular" . Wir haben Jahr 15 Millionen DM und im nächsten Jahr 19 Millio- schon einmal im Parlament eine ähnliche Auseinan- nen DM für das einzusetzen, was sich hinter dem viel dersetzung gehabt, als Sie bei Jugendverbänden, die 13792 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Frau Conrad sich gegen die Volkszählung ausgesprochen hatten, trachten, sehen wir, daß wir im Kabinett eine Anwältin auch über die Bundesmittel Strafaktionen exekutie- für Altersforscher und nicht für alte Menschen ha- ren wollten. ben. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch dum mes Zeug!) War es denn, nachdem sich Herr Riesenhuber in der Öffentlichkeit gebrüstet hat, die Altersforschung mit Ihre Mittelkürzungen jetzt, ob Sie es wollen oder einem 40-Millionen-Programm zu beglücken, wirk- nicht, stehen im Zusammenhang mit dieser Auseinan- lich notwendig, daß Sie, Frau Lehr, in Ihrem Haushalt dersetzung mit dem Bundesjugendring. Herr Hoffak- noch einmal 7 Millionen DM für die Alternsforschung ker, damit richten Sie Schaden an bei jungen Men- — da gibt es ja kleine Unterschiede — zusätzlich aus- schen, damit schafft man kein Vertrauen bei jungen weisen? Leuten. (Beifall bei der SPD) (Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: Da gibt es noch ein echtes Manko! Begreift das doch In den jugendpolitischen Anhörungen im Deut- einmal!) schen Bundestag hört man Reden über die Zukunfts- Es wäre Ihre Sache gewesen, mit Haushaltsansät- ängste vieler Jugendlicher, Reden über die Distanz zen für Maßnahmen in der Altenpolitik wirklich Zei- vieler junger Menschen gegenüber der Politik, Reden chen zu setzen, für Projekte, die bundesweit in den über die Integrationsprobleme viele Jugendlicher aus Gemeinden bei den alten Menschen das Gefühl hin- fremden Lebenszusammenhängen. Wie paßt es dann terlassen, daß man ihre Probleme versteht, daß sie mit zusammen, daß die Bundesregierung, wenn sie einen ihren Erfahrungen für die Gesellschaft wertvolle Bür- Haushalt aufstellt, die notwendigen Mittel für die gerinnen und Bürger sind und daß es nicht zu dem politische Bildung im Jugendbereich kürzt? Wir ma- vielbeschworenen Konflikt zwischen jungen und al- chen hierbei nicht mit. ten Menschen kommen muß. (Beifall bei der SPD) Für solche konkreten Maßnahmen haben Sie ge- rade 1 Million DM zusätzlich vorgesehen. Dieses Ver- Wir vermissen bei vielen Themen, so auch bei dem hältnis zu den 47 Millionen DM für die Forschung war wichtigen Thema AIDS, das Engagement der Ministe- sogar Ihrer Fraktion und der Koalition zu kraß. Wir rin. haben lediglich — das war Ihr Vorschlag — um 1 Mil- (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Sehr wohl!) lion DM kürzen können. Ich halte nach wie vor das Den Rückgang des Einsatzes der Ministe rin für diese Mißverhältnis zwischen Forschung und Projekten für Frage sieht man auch an den rückläufigen Mitteln für viel zu groß. die Aufklärung, für die Betreuung und Versorgung Die Bundesregierung ist gegenüber den Trägern der Menschen, die HIV-infiziert oder AIDS-krank von Zivildienststellen Finanzverpflichtungen einge- sind. Ich sage das auch, weil ich es traurig finde: Wir gangen. Es handelt sich um Wohlfahrtsverbände, um haben morgen den Welt-AIDS-Tag. Ich bin sicher, da kleine Projekte, die vor allem in der Betreuung von werden wieder Reden gehalten. Der Haushalt gibt Schwerstbehinderten und im Bereich der mobilen so- jedenfalls keinen Anlaß mehr zur Freude über eine zialen Dienste tätig sind. Mittlerweile sind die Träger ausreichende Ausstattung. Bereits im letzten Jahr ha- dieser Einrichtungen in Vorlage getreten für Auf- ben Sie den Rotstift bei den Forschungsmitteln ange- wandszuschüsse in Höhe von mehr als 100 Millionen setzt, so, als hätten wir heute bereits einen Impfstoff DM. Sie stehen bei diesen Organisationen mit oder ein Mittel zur Heilung. 100 Millionen DM in der Kreide. Auch der Haushalt Die Eindämmung der neuen Infektionen hängt nach 1990 sieht nicht vor, diese Altschulden abzubauen. wie vor einzig und allein von der Aufklärung der Wir halten es für unerträglich, daß der Bund seinen Bevölkerung ab, von ihrer Informiertheit über Risiko- Haushalt auf Kosten von Einrichtungen sozialer Trä- verhalten und Schutzmöglichkeiten. Dies ist eine dau- ger und eventuell sogar auf Kosten der Existenz klei- erhafte Aufgabe. In San Francisco hat sich gezeigt, ner und kleinster Träger saniert, die mittlerweile über daß die Rücknahme der AIDS-Aufklärung zu einem Kredite zwischenfinanzieren müssen. Anstieg der Zahl von Neuinfektionen geführt hat. (Beifall bei der SPD) Deswegen verstehen wir nicht, wieso man innerhalb Ich komme zum Schluß. Der Einzelplan des Bundes- eines Jahres die Mittel für die Aufklärung um 12 Mil- ministeriums insgesamt und die Jugend-, Familien-, lionen DM — das entspricht 25 % der bisherigen Mit- Frauen- und auch Altenpolitik dieser Regierung tel — auf 35 Millionen DM kürzt. Wir machen hier nicht mit. (Walther [SPD]: Die „Lehr " stellenpolitik!) Die Aufklärung muß auch Bundesaufgabe bleiben. haben in für uns wichtigen Fragen wenig mit sozial-- Aber wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie demokratischen Vorstellungen von einer gerechten sich intensiv mit den Ländern auseinandersetzt, um und solidarischen Gesellschaft zu tun. Wir lehnen die- gemeinsam nach einer Anschlußfinanzierung für die sen Einzelplan ab. Betreuungsmaßnahmen bei Infizierten zu suchen, Vielen Dank. wenn die Bundesprojekte auslaufen. (Beifall bei der SPD) Vielleicht gab es ältere Menschen, die Hoffnung in eine renommierte Altersforscherin gesetzt haben, weil sie glaubten, nun eine Anwältin für ihre Probleme Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- im Kabinett zu haben. Wenn wir den Haushalt be geordnete Kalb. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13793

Kalb (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr ver- milienpolitischen Leistungen der SPD-geführten Län- ehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kolle- der? gen! Wie schon im Vorjahr weist auch heuer der Haus- halt der Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen (Zander [SPD]: Die haben mehr Kindergär- und Gesundheit eine überdurchschnittliche Steige- ten und Ganztagsschulen!) rungsrate auf. Im Laufe des Beratungsverfahrens wur- Niemand hindert sie daran, Gleiches zu tun. den weitere Erhöhungen, per Saldo um rund 174 Mil- lionen DM, auf rund 22,5 Milliarden DM vorgenom- (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Schauen men. Damit wird deutlich, welch große Bedeutung Sie sich die Arbeitsplätze in Bayern an!) Bundesregierung und Koalitionsfraktionen den Auf- Von seiten der Opposition wurden unsere familien- gaben und politischen Inhalten dieses Geschäftsbe- politischen Anstrengungen mit so bösen Worten wie reichs beimessen. „Familienideologie" oder „dumpfe Familienidylle" kritisiert. Bitte, meine sehr verehrten Damen und Her- In der Steigerungsrate des Haushalts spiegeln sich ren von der Opposition, nehmen Sie zur Kenntnis: Wir u. a. die Beschlüsse von CDU/CSU und FDP zur Ver- diskriminieren niemanden, der sich, aus welchen besserung des Erziehungs- und des Kindergelds wi- Gründen auch immer, anders entscheidet. der. Wir wollen damit die familienorientierte Politik verstärkt fortsetzen. In keinem Jahr der SPD-Regie- (Zander [SPD]: Das wäre auch verfassungs- rung wurde den Belangen der Familie und speziell der widrig!) Frauen so stark Rechnung getragen wie unter dieser Aber wir wollen auch in diesem Punkt unserer mora- Regierung. lischen Verpflichtung und dem Auftrag des Grundge- setzes — ich danke für das Stichwort — gerecht wer- (Zander [SPD]: Das glaubt doch keiner!) den, das Ehe und Familie unter den besonderen Die Einführung des Erziehungsgeldes und die An- Schutz der staatlichen Ordnung stellt. rechnung von Kindererziehungszeiten in der Rente (Zander [SPD]: So ist es!) sowie die steuerliche Entlastung von Familien sind beachtliche Leistungen dieser Regierung. Gerade mit Familien haben nicht nur materielle Sorgen. Eltern diesen Maßnahmen haben wir es ermöglicht, leichter sorgen sich oft noch mehr um die Zukunft ihrer Kin- ja zum Kind und ja zur Familie zu sagen. Das Ja zum der. Dabei spielen Fragen der Ausbildung und der Kind ist für Frauen heute zunehmend auch davon Berufswahl eine zentrale Rolle. abhängig, wie sehr sie Familie und Beruf vereinbaren Seit 1985 hat sich das Verhältnis von Angebot an können, und auch davon, wie schwierig oder wie Ausbildungsplätzen zur Nachfrage erheblich verbes- leicht es ist, nach Zeiten der Kindererziehung wieder sert. Wie der Berufsbildungsplan 1989 ausweist, stan- in den Beruf einzusteigen. Wir unterstützen dieses den noch 1985 für 100 nachgefragte Ausbildungs- Anliegen der Frauen nachdrücklich sowohl bei der plätze nur 95 als Angebot zur Verfügung. 1988 kamen Teilzeitarbeit als auch beim Angebot flexibler Ar- dagegen auf 100 nachgefragte bereits 106 angebo- beitszeiten. tene Ausbildungsplätze. Der 1988 erreichte Ange- botsüberhang an Ausbildungsplätzen von 5,9 % und Wir bemühen uns in besonderer Weise um Bildung die weiter günstige Entwicklung stellen eine enorme und Fortbildung und um die nötige Qualifikation für Verbesserung der Chancen für Jugendliche dar. Die- den Wiedereinstieg in das Berufsleben. Daß wir hier ses Ergebnis ist das beste der letzten zehn Jahre. auf dem richtigen Weg sind, zeigen konkrete Zahlen: 800 000 Arbeitsplätze mehr für Frauen seit der Wende Die Jugendarbeitslosigkeit — Sie haben sie heuer 1982/83! nicht mehr erwähnt; im letzten Jahr war sie noch zen- traler Bestandteil Ihrer Rede, Frau Kollegin — liegt so (Purps [SPD]: Was denn für Arbeitsplätze?) niedrig wie noch nie. Ich erinnere mich noch gut an jene Zeiten noch vor wenigen Jahren, als besorgte Insofern eröffnet unsere erfolgreiche Wirtschaftspoli- Eltern nach 30, 40 vergeblichen Bewerbungen zu uns tik auch bessere Chancen und Alternativen für die in die Bürgersprechstunden kamen und um Unterstüt- Frauen. Die Wirtschaft wird sich in den nächsten Jah- zung für ihre Söhne und Töchter bei den Bewerbun- ren gezwungen sehen, mehr Arbeitsplätze anzubie- gen baten. ten, die auch den unterschiedlichen Bedürfnissen von Frauen gerecht werden. (Zuruf von der SPD: Zu mir kommen die im- mer noch!) Ziel unserer Politik ist es, die Entscheidungspiel- Heute ist die Lage auf dem Ausbildungsstellen- räume für die einzelne Familie und für die einzelnen markt und Arbeitsmarkt für Jugendliche völlig umge- Personen zu erweitern, indem wir finanzielle Bela- kehrt. Dies liegt nicht nur an den inzwischen schwä- stungen für die Familien verringern. In diesem Sinne cher werdenden Jahrgangsstärken, sondern ist ganz ist auch die Verlängerung des Erziehungsgeldes und wesentlich eine Folge der ausgezeichneten wirt- des Erziehungsurlaubs auf 15 und dann auf 18 Mo- schaftlichen Entwicklung. Wir sollten den jungen nate zu verstehen. Leuten ruhig sagen, daß eine gute Haushalts-, Finanz- und Wirtschaftspolitik ihre ganz persönlichen Mög- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) lichkeiten, Chancen und Zukunftsperspektiven ent- Unionsgeführte Bundesländer wie Bayern und Ba- scheidend verbessert hat. den-Württemberg werden das Erziehungsgeld ihrer- Darüber hinaus wird es notwendig sein, die Jugend seits weiter verlängern. Wo bleiben eigentlich die fa- in diese Gesellschaft hineinzunehmen, ihr Aufgaben 13794 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Kalb zuzuweisen und ihr Verantwortung für Staat und Ge- Ein weiterer Bereich, in dem wir die Ansätze im sellschaft zu übertragen. Wir sollten wirk lich überle- Laufe der Beratung stark erhöht haben, ist die Be- gen, ob wir nicht bewußt wieder mehr Freiräume für kämpfung des Drogen-, Rauschmittel- bzw. Sucht- das Engagement junger Menschen schaffen kön- mittelmißbrauchs. Wir begrüßen es sehr, daß die Bun- nen. desregierung ein Gesamtkonzept vorgelegt hat, das mehrere Einzelpläne bet rifft. Nur so ist das weitere Ich persönlich war sehr positiv überrascht, mit wel- Vordringen internationaler Drogensyndikate einzu- chem Idealismus und mit welcher Einsatzbereitschaft dämmen. Aufklärung, Beratung, Vorbeugung und er- viele Jugendliche gemeinsam mit den Helfern der forderlichenfalls Hilfe und Therapie ist die eine Seite; Hilfsorganisationen daran mitgearbeitet haben, den gleichzeitig müssen aber durch nationale Vorsorge gerade auch im ost- Zustrom der DDR-Übersiedler und internationale Zusammenarbeit die fast weltweit bayerischen Raum, wohin der erste Ansturm aus Un- verbrecherisch tätigen Organisationen bekämpft und garn kam, zu bewältigen und diese Menschen zu be- deren Operationsmöglichkeiten eingeengt werden. treuen. Ich will das auch hier sehr dankbar erwäh- nen. (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) In den Dank einschließen möchte ich die vielen Ein neuer Schwerpunkt, auch wenn er finanziell engagierten Beamten, insbesondere die jungen Be- nicht so sehr ins Gewicht fällt, ist die Altenpolitik. amten des Bundesgrenzschutzes und der Polizeien Angesichts des sich dramatisch veränderten demo- der Länder, die eine Arbeit bis an die Grenze der phy- graphischen Aufbaus unserer Bevölkerung sehe ich sischen und psychischen Belastbarkeit geleistet ha- darin eine entscheidende gesellschaftspolitische Her- ben. Das hat auch Mut gemacht und, von mir aus ausforderung. Wir werden beispielsweise den Fragen gesehen, wieder Hoffnungen für diese und in diese nachzugehen haben, welche Aufgaben können ältere junge Generation geweckt. Mitbürger nach Überschreitung des Renten- oder Pensionsalters übernehmen, welche Freiräume für Angesichts der dramatischen Veränderungen im ehrenamtliches und teilzeitmäßiges Engagement Osten insgesamt und in der DDR im besonderen sowie müssen wir unter Umständen neu schaffen, wie kön- der vielen Übersiedler und Besucher aus der DDR nen die sozialen Kontakte Alleinstehender, Hochbe- könnte ich mir schon etwas mehr an Aktivität und tagter oder Pflegebedürftiger verbessert werden, wel- Kreativität einiger offizieller bundesdeutscher Ju- che Einrichtungen sind erforderlich, wie kann das Zu- gendverbände vorstellen. Unglaublich ist ein Vor- sammenleben zweier oder mehrerer Generationen er- gang bei der Sozialistischen Jugend Deutschlands möglicht oder wiederhergestellt werden? Das reicht „Die Falken" , welche in ihrem Verbandsorgan „So- bis zu der Frage, ob wir es uns leisten können, das zialistische Zeitung" Wissen, die Erfahrung, die Ideen und die bei durchaus (Zuruf von der SPD: Was du alles liest!) vielen vorhandene Schaffenskraft relativ brachliegen zu lassen. — man muß informiert sein — die Botschaftsflücht- Nebenbei bemerkt: Es erscheint mir fraglich, ob wir linge von Prag und Warschau mit bundesdeutschen diese Aufgaben bewältigen können, solange wir uns Hausbesetzern gleichsetzt und in dem Artikel den ständig schamhaft davor drücken, das Wort „alt" in Vorwurf erhebt, deutsche Botschafter würden sich diesem Zusammenhang auszusprechen. persönlich — ich zitiere — „um Windeln und Baby- nahrung, schmutzige Wäsche und Freizeitbeschäfti- (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) gung für die Hunderte von Haus-(Botschafts-)beset- Wenn wir beim amtierenden Präsidenten von einem zern" kümmern, während wiederum — ich zitiere — „alten" Parlamentarier sprechen, dann sagen wir dies „Menschen, die in der BRD Häuser besetzen, rück- mit allem Respekt, mit Hochachtung und Anerken- sichtslos geräumt und verfolgt werden. " — Ich kann nung für die parlamentarischen Leistungen. Also das nur sagen: Respekt, Dank und Anerkennung an jene, Wort „alt" kann in dem Sinne durchaus auch ein ho- die in den Botschaften die schwere Arbeit geleistet hes Prädikat sein. haben und sich ganz persönlich darum gekümmert (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) haben! Eines erscheint mir aber — damit komme ich zum (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der Schluß — sehr sicher: Wir können keinesfalls — die SPD) Kollegin Unruh ist ja nicht mehr da — die weitere Dieser soeben geschilderte Vorgang ist schlicht ein Aufsplitterung und generationenbezogene Interes- Skandal. Der Zusammenbruch und das Scheitern des senpolitik gebrauchen. Das führt im Ergebnis zum Sozialismus im Osten scheint angesichts des Zerbre- Gegeneinander und zum Streit zwischen den Genera- chens jahrelang gehegter und geliebter Illusionen tionen. Wir brauchen aber in unserer Gesellschaft und Träume für die Sozialisten im Westen noch mehr Miteinander und weniger Gegeneinander. schmerzhafter, ja, sogar mit Höllenqualen verbunden (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zu sein. Anders ist ein solcher Vorgang überhaupt nicht zu erklären. Dabei birgt die jetzige Entwicklung ungeheure Aufgaben und Chancen für die Jugend Vizepräsident Stücklen: Meine Damen und Herren, unseres Landes und für die Jugend in West- und in ich war einen Augenblick etwas unsicher. Mir ist be- Osteuropa. Wir haben deshalb gerne die Mittel für wußt, daß Tadel gegenüber dem Präsidenten nicht den internationalen Jugendaustausch aufgestockt. erlaubt ist. Es scheint aber, es war ein Lob. Die Jugend kann hier einen ganz wesentlichen und wichtigen Beitrag für die Begegnung, für Verständi- (Heiterkeit) gung und Freundschaft der Völker leisten. Frau Abgeordnete Schoppe, Sie haben das Wort. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13795

Frau Schoppe (GRÜNE) : Herr Präsident! Meine Da- — Ruhe! — men und Herren, ich möchte noch einmal an das an- knüpfen, was Herr Blüm gesagt hat. Herr Blüm hat (Heiterkeit — Beifall bei der SPD — Zuruf von der Armut geredet. Das ist immerhin ein Fort- von der SPD: Ruhe rechts und Beifall schritt. Wenn nämlich der Herr Bundeskanzler sich in links!) seinen Regierungserklärungen einmal in sozialpoliti- und wenn man zunächst einmal einen Zehn-Punkte- sches Gebiet versteigt, hört man nie etwas von der Katalog vorgelegt hätte zu der Frage: Wie wollen wir Armut. Wie das aber Herr Blüm diskutiert und wie das auch unter sozialpolitischen Gesichtspunkten hier im in der Tendenz hier immer diskutiert wird, ist es so, Lande mit dem Problem fertig werden? daß man zwar Armut benennt, aber immer mit der Intention, zu beweisen, daß es bei uns die richtige (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Garbe Armut überhaupt nicht gebe. Das finde ich falsch. Ich [GRÜNE]) glaube, wenn man Politik macht, dann muß man sich Wo ist denn das sozialpolitische Konzept, das die als Politiker und als Politikerin darauf einlassen kön- neuen Aufgaben, die auf uns zukommen, einbe- nen, damit man eine richtige Politik macht, daß es hier zieht? in der Bundesrepublik tatsächliche und wirkliche Ar- Ich will Ihnen einmal ein ganz kleines Beispiel nen- mut gibt. nen. Das mag Ihnen vielleicht etwas abwegig erschei- nen, aber das zeigt auf, an wie vielen verschiedenen (Zuruf von den GRÜNEN: Das ist leider Punkten die Probleme auf uns zukommen. — In Berlin so!) herrscht unter den Huren eine große Aufregung. Warum? — Es kommen neuerdings Frauen aus der Ich sage dies auch aus einem anderen Grunde, wo- DDR, die in das Gewerbe einsteigen und die einmal mit ich ebenfalls an das anknüpfe, was Herr Blüm die Preise drücken und zum anderen — das ist das, gesagt hat. Bei den vielen Menschen, die aus der DDR was die Frauen dort so aufgeregt macht — ohne Gum- zu uns gekommen sind, ist es natürlich so, daß wir alle mis arbeiten. Jetzt haben die Frauen nach großen miteinander wollen, daß es diesen Menschen hier gut- Kämpfen durchgesetzt, daß die Huren angesichts von geht, daß sie eine Wohnung haben, daß sie Arbeit AIDS in unserer Gesellschaft mit Gummis arbeiten, haben, daß ihre Kinder Kindergärten haben, daß sie und nun kommen die Frauen und machen das ohne gute Schulen haben, Spielplätze und alles Mögliche. Gummis. Wenn aber so viele Menschen zu uns kommen und (Zurufe von der CDU/CSU) wenn wir gleichzeitig wissen, daß wir im Osten den Demokratisierungsprozeß unterstützen müssen, daß — Das mag nun Gelächter hervorrufen, gerade bei wir die Wirtschaft unterstützen müssen, damit die den Männern. Aber ich habe einmal ein solches Bei- Versorgung der Menschen dort besser wird, daß wir spiel gewählt, weil ich zeigen wollte, daß es viele sie unterstützen müssen, damit sie in der Lage sind, andere Punkte gibt, über die wir überhaupt noch nicht einen ökologischen Umbau der Gesellschaft dort vor- nachgedacht haben, bei denen wir überhaupt nicht zunehmen, dann müssen wir uns darauf einlassen, gedacht haben, daß sie auf uns zukommen. daß wir in dieser Gesellschaft, die eine reiche Gesell- Ich sage Ihnen: Da kommt noch viel anderes auf uns schaft ist, lernen müssen zu teilen zu. Unter diesen Bedingungen dann auch noch das Aufklärungsprogramm für AIDS in unserem Haushalt (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) zu streichen, halte ich für völlig danebengegriffen. und daß möglicherweise auch Menschen, die jetzt Ich möchte auch einmal folgendes wissen — dar- sehr viel haben, lernen müssen, etwas abzugeben. Ich über ist hier ebenfalls noch nicht nachgedacht wor- sage das, weil ich die Befürchtung habe, daß ange- den — : Wie werden die vielen jungen Menschen, die sichts der Entwicklungen, die da im Osten ablaufen, hierhergekommen sind, die hier völlig andere Sozia- und angesichts der neuen Aufgaben, die wir überneh- lisationsbedingungen erfahren als in der DDR, mit men müssen, hier in der Gesellschaft einfach ein Teil diesem Leben hier fertig? der Gesellschaft vergessen wird, daß Politik gemacht (Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: Schnel- wird, indem ein großes Maß an Ungleichheit einfach ler als Sie glauben!) akzeptiert wird und diese Menschen aus ihrer Be- drängnis und aus ihrer Not nicht herauskommen. Ich sage Ihnen: Nicht alle werden mit dem Leben hier fertig werden. Wir brauchen sehr viele Institutionen, Ich hätte es viel besser gefunden, wenn nicht ein sehr viele Menschen, die sich dieser Menschen an- Zehn-Punkte-Katalog vom Bundeskanzler vorgelegt nehmen. Wir brauchen Kommunikationszentren, da- worden wäre, der nach meiner Einschätzung etwas mit man sich gegenseitig kennenlernt und damit sie sehr Paternalistisches an sich hat, weil er im Grunde sich hier stabilisieren. genommen vorschreibt, wie die Leute in der DDR ih- (Beifall der Abg. Frau Garbe [GRÜNE]) ren Reformprozeß gestalten sollen. Ich hätte es besser gefunden, wenn man die Finger davon gelassen hätte, Das alles kostet viel Geld. wenn man auf die Eigenständigkeit und das Selbstbe- Ich will jetzt an noch einem Punkt deutlich machen, stimmungsrecht dieser Menschen Rücksicht genom- daß das mit der ganzen Sozialpolitik irgendwie nichts men hätte ist. Im Grunde genommen greift alles viel zuwenig. Ich nehme als Beispiel die Alleinerziehenden. (Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: Das To der Kinder in unserer Gesellschaft wachsen bei—12,8 steht doch drin!) Alleinerziehenden auf. Meist sind es alleinerziehende 13796 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Frau Schoppe Mütter. 84 % der alleinerziehenden Mütter, die arbei- Gebrauch machen. Ich glaube, es sind nicht immer ten, arbeiten in ungelernten oder angelernten Beru- finanzielle Gründe, die dazu führen, daß Männer kei- fen. Was die verdienen, kann man sich dann vorstel- nen Erziehungsurlaub nehmen, sondern es existiert len. Die verdienen sehr wenig. eine Barriere, für längere Zeit aus dem Berufsleben auszuscheiden: es ist die Furcht, den Anschluß zu ver- Eine Untersuchung hat gezeigt, daß ein Drittel der lieren und die Karriere zu gefährden. Deshalb sind wir Alleinerziehenden sagt: Meine Kinder haben ganz auf folgende Idee gekommen. Das Mutterschutzge- wenig Freunde. — Woran das jetzt hängt, weiß ich setz, das heute nur für Mütter gilt und auch weiterhin nicht. Ich denke, es hängt damit zusammen, daß Kin- für Mütter gelten muß — es ist ja eine Tatsache, daß der von Alleinerziehenden auch sehr viele Aufgaben die Mütter während der Schwangerschaft immer zu im Haushalt übernehmen müssen und gar nicht soviel zweit herumlaufen — , soll ein Vater- und Mutter- Zeit haben zu spielen. Hinzu kommt noch, daß Allein- schutzgesetz werden. Eine Woche vor der voraus- erziehende einen sehr starren und standardisierten sichtlichen Geburt kann der Vater aussteigen, damit Zeitrhythmus haben, den auch die Kinder überneh- er bei der Geburt seines Kindes anwesend sein kann, men müssen. Jetzt frage ich Sie: Wo gibt es im gesam- und acht Wochen nach der Geburt sind Vater und ten Bundeshaushalt einen Posten oder eine Maß- Mutter zu Hause; denn wir müssen die Vaterschaft nahme, wo man sagen kann, damit werde die finan- genauso schützen wie die Mutterschaft. Eine Familie, zielle, psychische und soziale Not der an Zahl zuneh- die ein Kind oder ein weiteres Kind bekommt, muß menden Alleinerziehenden in unserer Gesellschaft sich völlig neu organisieren. Für die Neuorganisation bekämpft? Die gibt es nicht, das sage ich Ihnen. Da und für die Gewöhnung daran, daß da ein Kind oder kann man viele andere Beispiele nehmen. noch ein Kind ist, braucht eine Familie Zeit. Ich möchte, weil wir ja immer sehr wenig Zeit ha- Meine Damen und Herren, ich bitte um Unterstüt- ben, nach diesem Beispiel nur punktuell aus einem zung der Vorschläge, die wir gemacht haben. Bereich noch ein paar Maßnahmen vorstellen. Wir (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeord- haben lange darüber nachgedacht, welche Regelung neten der SPD) man angesichts des Emanzipationsprozesses bei den Frauen treffen kann, damit viele Frauen zwar Mutter sein und eine Zeitlang zu Hause bleiben, dann aber Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- auch unbedingt wieder erwerbstätig sein können. geordnete Zywietz. Während der Erwerbstätigkeit muß die Versorgung der Kinder zwischen Mann und Frau geteilt werden. Wir haben uns gefragt: Wie fängt man das an, daß die Zywietz (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehr- Männer begreifen, daß es zu ihren Aufgaben gehört, ten Damen und Herren! Frau Kollegin Schoppe, das sich ebenfalls um die Kinder zu kümmern. Wenn sie auch aus Ihrer Sicht schon so bezeichnete drastische diese Aufgabe übernehmen, werden sie übrigens Beispiel mit der Reduktion der Mittel für die AIDS- auch merken, daß es schön ist, mit den Kindern zu- Aufklärung und Ihre einprägsamen Beispiele sollten, sammen zu sein und sich um die Kinder zu küm- glaube ich, nicht ausreichen, das AIDS-Programm mern. und überhaupt diesen Haushalt schlecht zu finden. Auch mit 35 Millionen DM werden wir im Zweifels- (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeord falle die Gummiwerbung betreiben können, die Sie neten der SPD) angesprochen haben. Das wissen nämlich die meisten gar nicht, besonders (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU) die nicht, die immer hier sitzen und sowieso nur am — Das ist Faktum. Wochenende zu Hause sind. Wir haben im Bereich von AIDS — um gleich mit (Zuruf von der CDU/CSU: Das gilt aber für einem der gesellschaftlichen Probleme zu begin- Sie genauso!) nen — in den ersten Jahren, sowohl was die medi- zinische Forschung, als auch was die Werbung und Bei unserem Nachdenken sind wir darauf gekom- die Betreuung anlangt — das sind die drei Ele- der jetzt ja nur für Paare men: Den Erziehungsurlaub, mente — , Haushaltsmittel wirklich sachgerecht und gilt, die geheiratet haben, muß man ausweiten auf — großzügig zur Verfügung gestellt. Wenn im Lichte von wie heißt das? — Männer, die nicht verheiratet sind, Erfahrungen im Werbebereich die Anzeigen vielleicht aber auch Kinder haben. Natürlich müssen auch Sol- ein wenig kleiner werden, gibt das für Schlußfolge- daten Erziehungsurlaub nehmen. Natürlich müssen rungen, die Sie hier getroffen haben, keine Argumen- außer den Wehrdienstleistenden auch Zivildienstlei- tation her. stende Erziehungsurlaub nehmen. Wenn es Zivil- Ich meine vielmehr, daß dieser Einzelplan, was die dienstleistende und Wehrdienstleistende getroffen - hat und sie Vater geworden sind, dann sollen sie Er- volumenmäßige Ausweitung anlangt, mit 6 % gut vor- ziehungsurlaub nehmen, dann ist das der Friedens- zeigbare Anstrengungen darstellt. Aber er ist auch dienst an der Wickelkommode, und damit ist alles politisch ein Haushalt mit neuen Akzenten, der auf andere abgegolten. Notwendigkeiten der gesellschaftlichen Veränderung eingeht und diese teilweise unterstützt. Darauf werde (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeord ich noch zurückkommen. neten der SPD) Frau Kollegin Conrad, ich habe Ihre Einstellung Wir haben uns eine zweite Maßnahme überlegt an- zum Bild der Familie und zu den notwendigen Förde- gesichts der Tatsache, daß von der Möglichkeit, Erzie- rungsmaßnahmen nicht ganz verstanden. Es ist mir hungsurlaub zu nehmen, bisher nur 1,2 % der Männer schwer eingängig, daß Sie Werbung für die Familie so Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13797

Zywietz stören kann, wo doch der Schutz der Ehe und der den — , aber ich höre aus Ihrem Bereich auch immer Familie immerhin ein Institut ist, das im Grundgesetz Vorstellungen, aus denen hervorgeht, daß dies nicht seinen Niederschlag findet. nur für Ökologisches verwendet werden soll, sondern daß man vielleicht noch mehr Steuermittel braucht, (Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: Eben!) um dann auch einen solchen angekündigten Aufwand Dafür auch positiv einzustehen und zu werben, kann zu finanzieren. Sie dürfen sich nicht darauf beschrän- doch nicht mit Vokabeln und mit Schlußfolgerungen ken, hier populistisch einfach Geschenke zu avisie- belegt werden, wie Sie sie hier gefunden haben. ren, sondern Sie müssen auch sagen, wie Sie das finanzmäßig solide bedienen wollen. Dann wird aus (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) der ganzen Kiste ein Schuh. Auf der anderen Seite, was das Materielle anlangt, steht das ja auch, so meine ich jedenfalls, im Wider- Aber wenn das auch so sein sollte, Frau Kollegin spruch zu den Forderungen nach mehr Familienla- Conrad: Andere Teile Ihres Beitrages habe ich — das stenausgleich und mehr Kindergeld, die Sie gestellt muß ich zugeben — mit Zustimmung und an einigen haben. Hier kann ich nur sagen, daß durch die Koali- Stellen zumindest mit Sympathie vernommen; beson- tion unter voller Mitwirkung der FDP im nächsten ders an einer Stelle. Das war nur ein kurzer Satz, aber Jahr das Kindergeld für das zweite Kind auf 130 DM für mich — und für uns, glaube ich — ein sehr ent- erhöht wird — also in einem der angesprochenen Be- scheidender, als Sie eingangs sagten: Dem Mehrauf- reiche —, daß es bei der steuerlichen Begünstigung wand für Aussiedler stimmen wir zu. „Wir machen durch die Freibeträge selbstverständlich bleibt und mit", so war, glaube ich, in etwa Ihre Formulierung. daß auch die Bezugsdauer des Erziehungsgeldes Mitte nächsten Jahres von 15 Monaten auf 18 Monate Wenn ich an die Debatte zum Einzelplan 11 und an erhöht wird. die Debatte zum Haushalt überhaupt denke, dann war ich — wenn ich zu Ihnen rüberschauen darf — hin- (Dr. Schroeder [Freiburg] [CDU/CSU]: Das sichtlich der Äußerungen zur Deutschlandpolitik, zu ist doch was!) dem, was sich in Mitteleuropa tut und wie wir darauf Das heißt: klare und überzeugende Leistungen im reagieren sollten, welche Unterstützung wir anzubie- Bereich des Familienlastenausgleichs. ten haben, tief entsetzt. Das nehmen Sie mir bitte ab, obwohl ich glaube, sonst in solchen Fragen nicht so (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) leicht zu erschüttern zu sein. Wenn Sie demgegenüber jetzt 200 DM pro Kind, wie ich das notiert haben, einfordern und ich mir mal (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten überschlägig den ökonomischen Aufwand ausrechne, der CDU/CSU) der in der Größenordnung von 8 Milliarden DM Ich will Ihnen sagen: Als FDP — das ist ein Stück liegt, Gemeinsamkeit — haben wir mal eine Politik einge- (Frau Conrad [SPD]: Ja!) leitet für Entspannung, für gute Nachbarschaft zur dann hätte ich, bitte schön — ich sehe jetzt gar nicht DDR, zum Osten hin. Das geschah wohl mit der Vor- Frau Matthäus-Maier; sie hat wahrscheinlich als Fi- stellung, daß das eintreten könnte, was jetzt teilweise nanzpolitikerin die Flucht ergriffen — , wirklich gerne eintritt. Es kann doch wohl nicht wahr sein, wenn jetzt gewußt, wie Sie sich die Finanzierungsseite vorstel- das eintritt, was wir in Phasen der politischen Zusam- len. menarbeit gewollt haben, daß man dann so Äußerun- (Zustimmung bei der FDP und der CDU/CSU gen von Lafontaine, von Dreßler, vom Kollegen Pen- — Frau Conrad [SPD]: Sie kriegen die Ant ner in einer Zwischenfrage nach dem Motto hört: Hof- wort!) fentlich bleiben sie alle do rt, wo sie sind! Das kann doch nicht die Schlußfolgerung einer Deutschland- Natürlich, fordern ist ein Leichtes. Sie fordern jetzt und Ostpolitik sein. Ich muß sagen: Das irritiert mich hier 8 Milliarden DM und stellen sich auf der anderen schon zutiefst. Seite hin und sagen, selbst dieser Haushalt, der sehr sparsam gefahren wird und bei dem die Kreditfinan- (Zander [SPD]: Zu welchem Einzelplan re- zierung erheblich reduziert ist, sei immer noch zu den Sie denn eigentlich?) hoch. Aber jetzt sagen Sie einfach: Wir brauchen 8 Milliarden DM für mehr Kindergeld — für jedes Da frage ich eigentlich, wie es mit der Glaubwürdig- Kind 200 DM — , aber Sie sagen kein Sterbenswört- keit und dem Stehvermögen einer einmal als richtig chen, woher — um in Ihrem Sprachgebrauch zu ver- erkannten Politik ist. bleiben — die „Möpse" oder die „Kohle" dafür kom- men soll. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) - (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU — Das ist für mich wirklich das dollste Stück in dieser Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Originalton gesamten Haushaltsdebatte, um es einmal drastisch Frau Conrad!) so zu sagen. Dahinter verblaßt manches, was auch bei — Ja, Originalton, wie ich ihn wiederholt gehört habe. diesem Einzeletat positiv und erwähnenswert ist. Also benutze ich ihn auch, damit das richtig drastisch Auf ein paar Gesichtspunkte möchte ich noch zu wird. Denn das ist doch der Punkt. sprechen kommen. Eine Facette, und da hatten wir Ich höre da etwas vom Programm des ökologischen wieder Gemeinsamkeiten: den deutsch-polnischen Umbaus — Energiesteuern einführen und die Mehr- Jugendaustausch auf den Weg zu bringen und erst- einnahmen für ökologische Maßnahmen verwen mals Geld zur Verfügung zu stellen, ist eine Sache, zu 13798 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Zywietz der wir uns einheitlich bekannt haben. Das finde ich Ein letzter Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, positiv. der nicht nur von der Geldsumme, sondern auch von der gesellschaftlichen Relevanz her eine gewisse Be- (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Aber nicht deutung hat. Bei diesem Etat von 22 Milliarden DM, zu Lasten der Jugendverbände!) wo 19 Milliarden DM für Kindergeld und Erziehungs- Hier kommt es auch gar nicht auf die Menge des Gel- geld ausgegeben werden, werden von den verblei- des an, sondern das ist jetzt ein Erstlingswerk. Dort ist benden 3 Milliarden DM 1,5 Milliarden DM für den erstes Geld zur Verfügung gestellt worden, und wir Zivildienst verwendet. Nachdem ich das erkannt werden sehen, wie sich das entwickelt, ausweitet und hatte, habe ich mich selbst aus Überzeugung dafür gestalten läßt. Das ist nach meiner Meinung eine an- eingesetzt, daß die Finanzierung verbessert wird; gemessene, stilvolle, würdevolle Antwort. denn Zivildienst muß gleichwertig und gleichgewich- Aber dieser Einzelplan zieht auch vielfältige rich- tig gegenüber dem Wehrdienst sein. So will es unser tige Konsequenzen aus gesellschaftlichen Verände- Grundgesetz, und so ist auch unser politisches Ver- rungen. Wenn wir mehr für die Familie tun könnten — ständnis. das ist aber nur der geringste Teil der Werbung, Frau Es kann nicht sein, daß hinsichtlich der Ausstattung Kollegin Conrad — , dann würde ich mich nicht bekla- finanziell alles sozusagen jahresgerecht in voller gen. Drogenprobleme, AIDS-Probleme usw. sind ja Höhe bedient wird, was im Bereich der Bundeswehr nicht monokausal verursacht, sie ergeben sich auch angefordert wird, daß aber diejenigen, die die Aus- dadurch, daß der Zusammenhalt von Familien, von stattung im Bereich des Zivildienstes zur Verfügung Kleingruppen — sozusagen das Atmosphärische der stellen, nämlich die Träger, erst mit Verzögerung zu Kleingruppen, das Geborgenheitsgefühl in unserer ihrem Geld kommen. Das halte ich unter dem Gedan- Leistungsgesellschaft — vielleicht für den einen oder ken der Gleichwertigkeit, die auch für das Finanzielle anderen doch zu sehr verlorengegangen ist. gilt, schlichtweg für nicht erträglich. Deswegen haben wir hier etwas draufgelegt, um möglichst rasch zu (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Aber das ist einer Gleichgewichtigkeit auch in der finanziellen Be- doch nicht mit Werbung zu lösen, sondern dienung zu kommen, damit sozusagen das Ideelle und nur mit konkreter Unterstützung!) Materielle in der Balance sind. Daher wird zu Alkohol, Drogen und ähnlichem gegrif- Das sind nur einige Aspekte zu diesem Haushalt. fen. Zumindest sehe ich da wesentliche Zusammen- Wir stimmen dem Haushalt wegen des Wachstums, hänge. aber auch wegen der gesetzten Akzente aus Überzeu- Tun wir also mehr für Kleingruppen. Ich habe an der gung zu. Universität in ein paar Soziologiestunden mitbekom- Vielen Dank. men: Die Familie ist das Urbeispiel einer Kleingruppe. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) So habe ich immer noch die Aussage unseres Profes- sors im Kopf; vielleicht ist das ein bißchen zu lange her. Aber wenn das so sein sollte, sollten wir auch die Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- Familie in diese Kleingruppenförderung einbeziehen geordnete Link (Diepholz). und nicht desavouieren, denn für die gute gesell- schaftliche Entwicklung ist das hilfreich und nicht destruktiv. Link (Diepholz) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Beratung Wenn darüber hinaus trotz dieser Politik im Bereich des Einzelplans Jugend, Familie, Frauen und Gesund- von Drogen und AIDS einiges vonnöten ist — ich habe heit 1990 will ich heute zu einigen Punkten Bilanz jetzt nicht mehr genug Zeit, das auszuführen —, so ziehen. Ich denke, es ist eine gute Bilanz. stehen wir zu diesen Positionen, zu diesen Ausweitun- gen, die sich in dem Haushalt wiederfinden. Man kann aber in diesen Tagen keine Rede halten, ohne über die Freiheitsbewegung in der DDR und in Eine neue Ministe rin hat selbstverständlich auch Osteuropa nachzudenken. Die Vereinigung der das Recht, Akzente zu setzen, die, glaube ich, auch Christlich-demokratischen Arbeitnehmer in der aus dem eigenen Lebensweg eine gewisse Unterstüt- Union hat auf meinen Vorschlag hin eine Aktion „Ge- zung erfahren. Ich meine das Stichwort der älteren meinsame Weihnachten" gestartet. Wir haben im Ar- Menschen. Es ist eine Aufgabe, die sich seit längerer beitnehmerzentrum in Königswinter und in meinem Zeit zunehmend stellt, weil der Anteil der älteren Bonner Büro eine Anschriftenbörse eingerichtet. Bür- Menschen aus manchen Gründen größer wird. Wir gerinnen und Bürger aus der DDR und aus Ost-Berlin, stehen zu der politischen Linie, hierauf das Auge zu die keinen Kontakt zu unseren Mitbürgern haben, richten, zu untersuchen und zu erfragen, was getan können bei uns Anschriften abrufen, damit Familien werden kann. Wir haben allerdings — nicht in aus der DDR und der Bundesrepublik zusammenge- Gänze — einige Vorstellungen, die aus dem Haus ge- führt werden, um in der Advents-, Weihnachts- und kommen sind, die vielleicht etwas umkoordiniert und Neujahrszeit gemeinsam zu feiern. Erfreulicherweise in der Höhe — vom Staat her gesehen — etwas reich- hat der Bundesvorsitzende der CDU Deutschlands, lich waren, ein bißchen gedämpft. Das schmälert aber Bundeskanzler , hierüber die Schirm- überhaupt nicht unsere grundsätzliche Zustimmung herrschaft übernommen. und Übereinstimmung, daß dies ein Arbeitsschwer- punkt für die Zukunft zu sein hat. Ich bitte von dieser Stelle die Familien in der Bun- desrepublik Deutschland, die solche Kontakte wün- (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten schen, sich bei uns zu melden. Ich denke, das ist ein der CDU/CSU) Beitrag zur Gemeinsamkeit in Ost und West. Das ist Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13799

Link (Diepholz) aber auch ein Beitrag zu einer guten Familienpoli- Und die Stiftung „Mutter und Kind" wird, was für tik. uns besonders wichtig ist, um 10 Millionen DM auf (Frau Dr. Götte [SPD]: Was Sie machen, ist 140 Millionen DM aufgestockt, um in Not geratenen Parteipolitik!) Müttern zu helfen. — Ich bedaure sehr, wenn Sie meinen, das sei partei- Ebenfalls wird das Kindergeld erhöht. politisch gemeint. Das ist ein Aufruf von dieser Stelle an die Familien in der Bundesrepublik Deutschland, Politik wie aus einem Guß haben wir seit der Regie- rungsübernahme durch Bundeskanzler Helmut Kohl (Jungmann [SPD]: Die CDU zu wählen!?) 1982 z. B. in der Familienpolitik bet rieben. sich der Bürgerinnen und Bürger aus der DDR anzu- nehmen und mit ihnen gemeinsam zu feiern. Ich finde Des weiteren haben wir die Kindererziehungszei- es ausgesprochen schade, daß Sie so reagieren. Ich ten im Rentenrecht anerkannt. Heute bekommen habe von einigen Ihrer Kolleginnen und Kollegen an- 6 Millionen Frauen eine Rente für die Kindererzie- hungszeiten — und dies Monat für Monat und Jahr für dere Töne gehört, Frau Dr. Götte. Schade. Jahr. (Zander [SPD]: Peinlich!) Mit der Einführung des Erziehungsgeldes und des Zurück zum Haushalt 1990. Ich habe gesagt, dieser Erziehungsurlaubs in unserer Regierungszeit haben Haushalt ist eine stolze Bilanz. Sozialdemokraten und wir eine geradezu revolutionäre Maßnahme eingelei- GRÜNE hingegen ziehen durchs Land und versuchen, tet. Psychologen und Pädagogen hatten uns auch diese gute, solide Politik abzuwerten. Sie werfen der schon zur Regierungszeit der SPD gesagt, wie wichtig Regierung und der Regierungskoalition vor, wir be- es ist, daß Neugeborene in den ersten Jahren intensiv trieben eine Politik der sozialen Kälte. Der Auftritt, von Vater oder Mutter betreut werden. Sie, meine den vorhin in der Debatte über den Haushalt des Mi- Damen und Herren von der SPD, die Sie sich so gerne nisteriums für Arbeit und Sozialordnung Frau Trude auf solche Beurteilungen aus Fachkreisen berufen, Herr hatte, war schon mehr als peinlich. haben zu Ihrer Regierungszeit also wider besseres (Lachen bei der SPD und den GRÜNEN — Wissen nichts getan. Un Zurufe von der SPD: Trude Herr? Trude Wir haben zunächst zwölf Monate Erziehungsgeld ruh!) und Erziehungsurlaub gewährt. Wir haben dies in die- — Sie haben das schon richtig verstanden. Gut, daß sem Jahr, am 1. Juli, auf fünfzehn Monate erhöht und Sie es korrigiert haben. werden im nächsten Jahr den Erziehungsurlaub und Wenn man unsere Familien-, Frauen- und Jugend- das Erziehungsgeld auf achtzehn Monate ausdehnen. politik betrachtet, so kann man sagen: Sie ist wie aus Es ist der Wille meiner Fraktion, den Erziehungsur- einem Guß. Und welches Erbe hatten Sie uns 1982 laub in Zukunft auf 21 bzw. 24 Monate auszudehnen. hinterlassen. Wenn die Länder dann ein drittes Erziehungsjahr ein- führten, (Frau Weyel [SPD]: Ein gutes!) (Zuruf von der CDU/CSU: Die CDU/CSU- — Wenn Sie uns heute vorwerfen, wir täten nicht geführten Länder! — Dr. Schroeder [Frei- genug und alles könnte noch viel besser sein, darf burg] [CDU/CSU]: Wie Baden-Württem- man Ihnen doch wohl noch einmal vorhalten, welches berg!) -Erbe Sie uns 1982 hinterlassen haben: eine finanz und wirtschaftspolitische Bankrotterklärung. hätten wir für die Kinder bis zum Eintritt als Dreijäh- rige in den Kindergarten eine intensive pädagogische (Frau Schoppe [GRÜNE]: Nach vorne Zuwendung ermöglicht. Baden-Württemberg, so kam schauen, Herr Link!) der Zuruf richtig, macht das. Sie haben damals den arbeitslosen Jugendlichen das Kindergeld gestrichen. (Frau Männle [CDU/CSU]: Auch Bayern!) (Zuruf von der [CDU/CSU]: Jawohl!) — Bayern wird es einführen. Interessant: Berlin hatte ein Jahr. Nachdem die Bundesregierung jetzt auf Ihre strikte Ablehnung während Ihrer Regierungszeit, 18 Monate ausweitet, zieht Berlin zurück, und die den Familien ein Erziehungsgeld zu zahlen, hat deut- Bürgerinnen und Bürger Berlins haben demnächst ein lich die Abmeldung der SPD aus der Familienpolitik halbes Jahr weniger. gezeigt. Ihre widersprüchliche Politik gipfelt da rin, daß Sie im Zusammenhang mit der Steuerreform 1990 Mit dem noch in dieser Pe riode zu verabschieden- — eine Steuerreform, die Sie nicht gewollt haben — den Jugendhilferecht wird ein weiterer wichtiger An- zum drittenmal eine Umverteilung fordern. satz zur Erziehung unserer Kinder und Jugendlichen- Auf Grund unserer soliden Politik können wir für geschaffen. Leider ist im Kinder- und Jugendhilfe- das Haushaltsjahr 1990 im Einzelplan 15 ein Steige- recht ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz rungsvolumen gegenüber dem Vorjahr um 6 % ver- nicht zustande gekommen. Der im Gesetzentwurf vor- zeichnen. Somit umfassen die Ausgaben mehr als gesehene bedarfsgerechte Ausbau von Kindergärten 22,3 Milliarden DM. Die Erhöhung dieser Ausgaben in den Ländern kommt jedoch einem Gesetzesan- liegt über der durchschnittlichen Erhöhung des Bun- spruch nahe. deshaushaltes. In diesem Zusammenhang von seiten der SPD und Das Kindergeld beläuft sich im nächsten Jahr auf der GRÜNEN zu behaupten, der niedersächsische Mi- 14,5 Milliarden DM. nisterpräsident Ernst Albrecht habe einen Rechtsan- 13800 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Link (Diepholz) spruch im Gesetz verhindert, ist eine ausgesprochene Link (Diepholz) (CDU/CSU): Herr Dr. Hoffacker, so Heuchelei, ist es, aber anscheinend wußten das die Kollegen der (Jungmann [SPD]: Aber Tatsache! — Zander SPD nicht, denn sie taten eben sehr erstaunt. [SPD]: Halten Sie sich mal zurück mit sol chen Äußerungen!) Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter, gestat- ten Sie auch die Frage des Herrn Abgeordneten Zan- weil wir vor wenigen Tagen im Finanzausschuß des der? Bundesrats erlebt haben, daß die SPD-geführten Län- der bei der Abstimmung über das neue Kinder- und Link (Diepholz) (CDU/CSU): Wenn Sie mir das zeit- Jugendhilferecht nein gesagt, also das Gesetz abge- lich nicht anrechnen, Herr Präsident. lehnt haben, wenn ich richtig informiert bin. (Zurufe von der CDU/CSU: Unglaublich!) Vizepräsident Stücklen: Bei Herrn Hoffacker habe ich sie nicht angerechnet Die Ministerpräsidenten der SPD-geführten Länder — haben sich doch nur hinter Ernst Albrecht versteckt. Link (Diepholz) (CDU/CSU): Bei Herrn Hoffacker Sie wollten doch gar nicht mitmachen. haben Sie es nicht angerechnet. Dann nehme ich an, (Gilges [SPD]: Der ist Gott sei Dank dem daß Sie es jetzt auch nicht tun. nächst nicht mehr da! Da können sie sich nicht mehr verstecken!) Vizepräsident Stücklen: — dann darf ich hier auch Und Sie sagen doch auch heute nein. nicht anrechnen. Frau Conrad, wenn Sie sich hier hinstellen und sa- Link (Diepholz) (CDU/CSU): Bitte sehr. gen, die Bundesregierung hätte Mittel und Wege fin- den können, um sich mit den Ländern zu einigen, Zander (SPD): Herr Kollege Link, wollen Sie ernst- dann will ich Sie daran erinnern, daß die SPD-ge- haft bestreiten, daß der Deutsche Bundestag 1980 ein führte Bundesregierung 1969 dieses Ge- komplettes neues Jugendhilferecht verabschiedet setz angekündigt hatte, aber bei Ihnen in 13 Jahren hat, das an der Mehrheit des Bundesrates, die damals nichts passiert ist. von den Unionsländern gestellt wurde, gescheitert (Gilges [SPD]: Doch!) ist? Wenn Sie sagen, der Bundesrat habe damals abge- Link (Diepholz) (CDU/CSU): Herr Kollege, das kann lehnt, müßte man jetzt das entgegnen, was Sie hier ich bestätigen. Und zum Glück ist es gescheitert. gesagt haben. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) (Gilges [SPD]: Das stimmt objektiv nicht, was — Ich will auch sagen, warum. — Ich habe damals in Sie hier sagen!) meinem Landkreis Diepholz einmal nachgerechnet, Damals hätte sich auch ein SPD-Regierungschef mit was das bedeutet hätte. Das hätte für einen Landkreis den Ländern einigen können. Machen Sie es sich doch mit 180 000 Einwohnern bedeutet, 60 Sozialarbeiter nicht so einfach! einzustellen. Das war damals bei Ihnen alles überzo- Das, was Sie nicht für möglich gehalten und immer gen und nicht in unserem Sinne. So ist es gewesen. wieder verneint haben, führen wir mit diesem moder- (Beifall bei der CDU/CSU — Zander [SPD]: nen Kinder- und Jugendhilferecht jetzt ein. Dazu wa- Weil sie unterentwickelt waren!) ren Sie 13 Jahre nicht in der Lage. Vor wenigen Tagen besuchte ich mit einigen Kolle- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ginnen und Kollegen von SPD und FDP Polen, damit wir uns dort darüber informieren, wie der soeben ab- geschlossene deutsch-polnische Jugendaustausch Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter, zwei mit Leben erfüllt werden kann. — Wir haben uns mit Mitglieder des Hauses würden gern Fragen stellen. Ihrer Kollegin ausgesprochen gut verstanden, Frau Einverstanden? Schmidt; vielleicht können Sie einmal nachfragen. Die Bemerkung, „Wer war denn die arme, die mit mir reisen mußte", ist außerordentlich unschön. Das kann Link (Diepholz) (CDU/CSU): Ja, bitte. ich Ihnen nur zurückgeben. Mit dem deutsch-polnischen Abkommen zum Ju- Vizepräsident Stücklen: Ja, bitte schön, Herr Hoff- gendaustausch unterstreicht die Bundesregierung, acker. die neue Schwerpunktsetzung Osteuropa in die inter- nationale Jugendpolitik einzubeziehen. Bis jetzt wa- ren es 5 000 Jugendliche aus der Bundesrepublik und- Dr. Hoffacker (CDU/CSU): Herr Kollege Link, kön- Polen, die sich trafen, jetzt werden es 10 000 sein. Die nen Sie bestätigen, daß die SPD-geführten Länder im entsprechenden Haushaltsansätze sind vorhanden. Finanzausschuß des Bundesrates den Entwurf abge- Wir hatten in Polen Gelegenheit, mit über 20 Jugend- lehnt haben, weil die Kosten selbst auf der Basis des- verbänden zu sprechen, sowohl mit den altherge- sen zu hoch seien, was wir jetzt im Jugendhilferecht brachten als auch mit den sich gerade neu gründen- stehen haben, wonach gemäß § 22 die Länder ver- den Jugendverbänden. Unseren Mitgliedern im Aus- pflichtet sind, für eine flächendeckende Kindergar- schuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit ist tenversorgung zu sorgen? Können Sie bestätigen, daß in Polen klargeworden, daß insbesondere dieser Ju- das trotz der Kritik der SPD-Fraktion hier im Bundes- gendaustausch intensiver und hochsensibilisierter rat abgelehnt worden ist? Vorbereitungen bedarf. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13801

Link (Diepholz) Wenn man über den internationalen Jugendaus- ben Sie es verstanden, Frau Minister, diese Politik mit tausch spricht, kann man nicht anders, als in diesem Herz und Verstand kontinuierlich weiterzuführen. Zusammenhang den vielen jungen Aus- und Über- Herzlichen Dank. siedlern, die in die Bundesrepublik kommen, ein herz- liches Willkommen zuzurufen. Wir haben die Ausga- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ben für Aus- und Übersiedler um rund 248 Millionen DM auf 654 Millionen DM erhöht. Meine Fraktion ruft Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat Frau Abge- die Träger der freien Jugendverbände auf, sich dieser ordnete Schmidt (Nürnberg). jungen Leute besonders anzunehmen. Im Haushalt 1990 geben wir ca. 50 Millionen DM zur Bekämpfung der Drogenproblematik aus. Wir Frau Schmidt (Nürnberg) (SPD): Sehr geehrter Herr müssen uns fragen, warum so viele junge Menschen Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Sehr einen Ausweg in Drogen suchen. Hier müssen wir geehrter Herr Link, ich entschuldige mich ganz aus- ansetzen, damit Jugendliche nicht diesen todbringen- drücklich für meinen Zwischenruf vorhin, weil ich den Ausweg beschreiten. Es darf und kann nicht sein, natürlich selber weiß, daß Sie im p rivaten Umgang daß sich Drogenhändler unter dem Schutz des Asyl- sehr viel angenehmer als hier am Rednerpult des rechts in die Bundesrepublik Deutschland ein- Deutschen Bundestages sind. schmuggeln. Asylrecht darf Drogenhändler nicht (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ schützen. CSU: Das ist doch meistens so!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Insoweit hatte ich nicht das Recht, meine Kolleginnen Wir sind uns auch darüber im klaren, daß wir, was die zu bedauern, die mit Ihnen in Polen waren. Vorsorge, die Therapie und die Nachsorge angeht, Nur möchte ich Ihnen ganz ernsthaft sagen, daß die unsere Maßnahmen noch verstärken müssen. Menschen in der Bundesrepublik die Art der Ausein- Noch ein Wort zu Methadon. Meine Fraktion ist andersetzung, wie Sie sie hier geführt haben, nachge- nach wie vor der Auffassung, daß es Methadon-Pro- rade satt haben. gramme in der Bundesrepublik nicht geben darf. Wir (Beifall bei der SPD) sind schon dafür, daß in Verelendungssituationen eine Einzeltherapie unter ärztlicher Aufsicht stattfin- Das Vorzeigen von irgendwelchen Versäumnissen, det. Aber großangelegte Methadon-Programme kann das Vorweisen von irgendwelchen vergangenen Lei- und darf es nicht geben, weil wir im Ausland, in der stungsbilanzen zu irgendeiner Zeit und das Umsich- Schweiz, in Holland und in Amerika, Erfahrungen schlagen mit irgendwelchen Zahlen bringt den Men- gesammelt haben, die diese Programme bei uns nicht schen überhaupt nichts. Sie wollen vielmehr wissen, rechtfertigen. Wenn schon Behandlung mit Metha- was wir in der Zukunft eigentlich tun wollen. don, dann muß diese so sein, als ob derjenige, der (Beifall bei der SPD — Eimer [Fürth] [FDP]: therapiert wird, ohne Methadon, also auch mit den Frau Kollegin, Sie haben offensichtlich nicht entsprechenden Programmen, therapiert wird. die Rede von Frau Conrad gehört!) — Doch, ich war die ganze Zeit hier. Ich bin jetzt seit Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter, gestat- dreieinhalb Stunden hier. Das ist beinahe zu lang. ten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeord- Sie sind in dieser Debatte der erste gewesen, der die neten Penner? Frau Ministerin angesprochen hat. Das sollte der Frau Ministerin zu denken geben. Ich hätte niemals ge- Link (Diepholz) (CDU/CSU): Bitte sehr. dacht, daß ich irgendwann einmal der Geißlerschen Ministerzeit nachtrauern würde, nicht etwa, weil es damals so viel Übereinstimmung gegeben hätte. Im Dr. Penner (SPD) : Herr Kollege Link, wie wollen Sie denn das Problem der Beschaffungskriminalität mei- Gegenteil: Es gab dauernd Gegensätze, und wir ha- ben uns kräftig gestritten. Aber der Politikbereich stern? Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit hatte einen Stellenwert in der Bundesregierung, im Parlament Link (Diepholz) (CDU/CSU): Wir sind uns darüber und — zumindest sehr viel häufiger als heute — auch im klaren, daß gerade im internationalen Austausch in der veröffentlichten Meinung. und in der internationalen Zusammenarbeit gegen die (Frau Schoppe [GRÜNE]: Aber auch nicht Drogenbekämpfung wesentlich mehr getan werden sehr viel mehr Geld!) muß. — Nein, es geht nicht um die Inhalte, sondern darum, (Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das beantwortet ob über diesen Bereich öffentlich geredet und disku- die Frage überhaupt nicht!) - tiert worden ist. — Meine Zeit ist leider abgelaufen. Das hat sich grundlegend geändert. Nach einem Lassen Sie mich abschließend sagen, daß die paar knappen Jahr Ministerinnentätigkeit von Frau Profes- Punkte, die ich hervorheben konnte, zeigen, daß das sor Lehr ist dieser Politikbereich praktisch nicht mehr in der Tat eine gute Bilanz ist. Ich möchte mich, Frau vorhanden und zur politisch irrelevanten Restgröße Minister Professor Lehr, bei Ihnen ganz herzlich be- geschrumpft. danken. So wie Ihre vom Bundeskanzler, Dr. Helmut Kohl, berufenen Vorgänger im Amt des Bundesmini- (Zuruf von der SPD: „Lehr-Stellen"!) sters für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Wir bedauern das vor allem auch deshalb, weil die Dr. Heiner Geißler und Professor Rita Süssmuth, ha Zuständigkeiten dieses Ministe riums und das Ausfül- 13802 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Frau Schmidt (Nürnberg) len seiner Kompetenzen in den heutigen turbulenten Dienststellen um ein Drittel gekürzt und die Mittel für Zeiten klarmachen könnten, daß wir die Probleme der Einführungslehrgänge viel zu gering aufgestockt. Bürgerinnen und Bürger, der Kinder und Jugendli- Heute sollte nach einem zweijährigen Verwirrspiel chen, der Frauen, der Familien und der alten Men- endlich entschieden werden, ob dritte und weitere schen über die dramatischen, revolutionären und an- Söhne aus kinderreichen Familien aus dem Wehr- rührenden Entwicklungen in Deutschland nicht ver- oder Zivildienst entlassen werden, nachdem sie we- gessen haben. Es könnte klargemacht werden, daß gen der Entscheidungsunfähigkeit, die bisher bestan- wir gegenüber den notwendigen und richtigen Hilfs- den hat, eingezogen wurden. Ihr Ministe rium, Frau maßnahmen für die Bürger und Bürgerinnen aus der Lehr, sitzt bei dieser Entscheidung nicht mit am Tisch, DDR die berechtigten Forderungen, die notwendigen obwohl sie junge Menschen, ihre Familien und den Veränderungen und die unabdingbaren Hilfsmaß- Zivildienst betrifft — alles Kompetenzen Ihres Hau- nahmen für die Menschen in der Bundesrepub lik ses. nicht hintanstellen. Zum verbindlichen Rechtsanspruch auf Kindergar- Herr Zywietz, ich habe den Eindruck, daß Sie Herrn tenbetreuung hat meine Kollegin Conrad schon das Dreßler und auch viele andere hier in der Debatte Notwendige gesagt. Aber weil Herr Link das noch ganz konkret und vielleicht sogar absichtlich mißver- einmal angesprochen hat, möchte ich Ihnen klarma- standen haben. Es geht doch nicht darum, daß wir chen, was wir wollen und weshalb SPD-Länder im irgend jemanden ausgrenzen wollen, sondern nur Finanzausschuß des Bundesrates diesem Gesetzent- darum, daß wir anmahnen, daß sich die absehbaren wurf nicht zugestimmt haben. Wir wollen — übrigens sozialen Veränderungen, die auch in unserem Staat genauso wie das Land Baden-Württemberg; dessen Folgen haben werden, irgendwo niederschlagen. Wir Antrag hat im Finanzausschuß des Bundesrates eine mahnen ferner an, daß sich die Ministe rien, nämlich Mehrheit gefunden — einen angemessenen Finanz- die Ministerien für Arbeit und Soziales sowie für Ju- ausgleich zwischen den Ländern und dem Bund gend, Familie, Frauen und Gesundheit, damit be- schaffen, um damit die Länder in die Lage zu verset- schäftigen, wie unsere soziale Zukunft in nächster zen, den vom Bund initiierten Rechtsanspruch auch Zeit aussehen soll. tatsächlich zu erfüllen. Wir müssen uns auch damit beschäftigen, was wir (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) tun können, damit wir denjenigen in der DDR helfen können, die Demokratie zu verwirklichen, und zwar Solange das nicht passiert, kann das nicht gehen und dort helfen, und sie nicht alle zu uns herüberholen. ist so auch nicht gerecht. Daß für einige CDU/CSU- Das ist das, was Herr Dreßler sagen wollte. geführte Länder nicht ausschließlich finanzielle Gründe für die Verweigerung ausschlaggebend sind, (Beifall bei der SPD) sondern auch alte Ideologien, kommt sicherlich dem Wir können doch nicht hergehen und hier Schlacht- einen oder anderen hier sehr gelegen. Damit bleibt es ordnungen aufbauen, die schlicht und einfach eine also bei der Schlußlichtposition der Bundesrepublik in Unverschämtheit sind, weil wir so nicht denken und ganz Europa bei allen notwendigen Einrichtungen für weil wir unsere soziale Verantwortung kennen. Kinder. (Beifall bei der SPD — Zuruf von der FDP: Es bleibt die Hoffnung, daß die Ministe rin die von Lesen Sie mal die Rede von Dreßler nach! — den Vereinten Nationen verabschiedete Kinder-Kon- Kalb [CDU/CSU]: Lafontaine läßt grüßen!) vention nicht nur begrüßt, sondern auch die Initiative ergreift, damit wir zu den Erstunterzeichnerstaaten — Wissen Sie was, Herr Kalb? Das ist auch nicht das, dieser Kinder-Konvention gehören. Um Kinder- was die Leute von uns hören wollen, daß wir uns dau- freundlichkeit zu erreichen, sind Großflächenplakate ernd mit solchen blödsinnigen Schlagworten irgend- wenig geeignet. Was not tut, sind konkrete Taten. welche Etiketten anheften. Sie wollen vielmehr, daß wir uns mit den Problemen beschäftigen, die die Men- (Beifall bei der SPD) schen jetzt doch spüren, die auf sie zukommen. Das Konkrete Taten sind auch in der Gesundheitspolitik hat doch nichts mit „Schönhuberei" zu tun, sondern erforderlich. Dort besteht entweder Fehlanzeige oder das hat etwas damit zu tun, daß die Leute von uns eine ein Desaster. Die vierte Novelle des Arzneimittelge- Antwort haben wollen. Wir müssen diese Antwort setzes ist so unzureichend, daß die fünfte schon jetzt endlich geben. Bisher haben wir sie nicht gegeben, absehbar ist. Naturheilmittel, deren positive Effekte wir noch nicht, aber Sie auch nicht. Sie sind in der von immer mehr Ärzten und Patienten erkannt wer- Regierung, und Sie müssen sie geben. den, werden ins Abseits gedrängt. Das angekündigte (Zuruf von der CDU/CSU: Aber bitte nicht Medikalproduktgesetz wird wohl nicht einmal das mit Schönhubereien!) Stadium eines Referentenentwurfs erreichen. Aus dem abgelaufenen Psychiatrie-Modellprogramm Frau Ministerin Lehr hat sich leider aus den meisten wurden bis heute keine Konsequenzen gezogen. Mo- Politikbereichen abgemeldet. dellprogramme, die seit 1985 auf Eis liegen, haben (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: dadurch nur noch Alibifunktion, sind hinausgeworfe- Quatsch!) nes Geld. Sie hat es hingenommen, daß die Mittel für Jugend- Ihr Entwurf eines Gentechnikgesetzes wurde in der verbände in einer Zeit gekürzt werden, in der wir Fachöffentlichkeit und in der eigenen Partei als völlig einen zunehmenden Rechtsradikalismus bei Jugend- unzureichend bezeichnet. 254 Änderungsanträge im lichen feststellen müssen. Sie hat bei steigenden Zah- Bundesrat, die im wesentlichen auch von den CDU- len von Zivildienstleistenden die Zuschüsse für die regierten Ländern mitgetragen oder sogar von ihnen Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13803

Frau Schmidt (Nürnberg) initiiert wurden, und die im Gesetz fehlende Beteili- eine Untersuchung der Ca ritas, die Ihnen ja wohl ein gung der Öffentlichkeit zeigen die Mängel. bißchen nähersteht als uns. Ich habe vermißt, Frau Ministerin, daß Sie als die für das Bundessozialhilfe- Für den Familienlastenausgleich dagegen gibt es gesetz Zuständige und Verantwortliche zu diesen derzeit in der Union mehrere Konzepte: ein Konzept Veröffentlichungen irgend etwas gesagt hätten. Hoffacker, ein Konzept Pfeifer und ein Konzept Wag- ner. Ein Konzept Lehr vermissen wir. Dabei müßte Es ist nicht Schwarzmalerei der Opposition oder sich doch die Familienministerin äußern, wenn sie in Leugnen, daß es der Mehrheit der Bevölkerung in der Antwort auf die Große Anfrage der SPD feststellt, unserem Land gutgeht. Darüber freuen wir uns ge- daß die monatlichen Kosten für ein Kind mindestens nauso wie Sie. 530 DM betragen, Kindergeld und Steuerfreibetrag (Beifall bei der SPD) für das erste Kind aber derzeit gerade 98 DM ausma- chen. Es ist die Beunruhigung über die soziale Sprengkraft, Nun behaupte ich nicht, daß wir in einem ersten die in diesen Zahlen steckt, die Beunruhigung, daß Schritt einen vollen Ersatz der Kosten für Kinder errei- diese Zahlen die Bundesregierung nicht zum Handeln chen würden. Aber wir vermissen eine klare Aussage bringen und daß weiteres Untätigbleiben vor den gro- darüber, welche Position Sie eigentlich vertreten und ßen Aufgaben, vor denen wir stehen, die Gefährdung was Sie eigentlich erreichen wollen. des sozialen Friedens in unserem Land bedeuten kann. Wir haben, Herr Zywietz, ein abgestimmtes und (Beifall bei der SPD) finanzierbares Konzept. Daß das so ist, hat vor gar nicht so wenigen Tagen das Ministe rium ebenfalls Wir wissen aus diesen Untersuchungen, daß Armut festgestellt, als es diese Modelle, die da überall her- in Deutschland in hohem Ausmaß Armut von Frauen umkursieren und die nicht abgestimmt sind, und das ist, vor allen Dingen von alleinerziehenden Frauen Modell der SPD gerechnet hat. Dann haben sie und Kleinstrentnerinnen. schamhaft verschwiegen, daß unser Modell von den Zahlen her stimmt und finanziert ist und so rechne- Die typischen Frauenbiographien haben zahlreiche risch aufgeht. Man muß ihm deshalb nicht zustimmen; negative Auswirkungen auf die spätere Altersversor- aber es ist schlicht so. gung. Die Verbesserungen, die wir gemeinsam im Rentenkonsens zustande gebracht haben, reichen (Beifall bei der SPD) nicht aus, dies zu beseitigen. Das Rentenrecht — dar- Wir schlagen deshalb vor — und wir werden das über sind wir uns ja auch alle einig — kann nicht die auch in die Tat umsetzen —, ab dem ersten Kind min- Benachteiligung in einem gesamten Frauenleben be- destens 200 DM Kindergeld zu zahlen und für kinder- seitigen. reiche Familien noch einmal einen Zuschlag von 200 DM monatlich. Damit werden wir das unsoziale Erforderlich sind deshalb der Abbau der hohen System aus einkommensabhängigem Kindergeld, Frauenarbeitslosigkeit und eine bessere Bewertung Kinderfreibeträgen und Kindergeldzuschlag ersetzen. von typischen Frauenberufen, der Abbau der gering- Finanzieren werden wir das durch eine Reduzierung fügigen Beschäftigungsverhältnisse und eine ver- des Splittingvorteils. Dies wird sich bei Bruttoeinkom- bindliche Frauenförderung. men von 100 000 DM aufwärts auswirken. Dies ist durchgerechnet. Vor diesem Hintergrund, Frau Professor Lehr, nimmt es sich schon etwas eigenartig aus, wenn Sie (Beifall bei der SPD) euphorisch mitteilen, daß die Frauenarbeitslosigkeit Wir wollen mindestens 200 DM Kindergeld — das in einem Jahr um 8 °A. zurückgegangen sei. Tatsache möchte ich nochmals betonen — , weil für uns selbst- bleibt doch, daß bei einer Erwerbsbeteiligung der verständlich ist, daß der Kinderlastenausgleich — Sie Frauen von 40 % ihre Arbeitslosigkeit nach wie vor bei schlagen ja mit diesen drei Konzepten, die da herum- 49 % liegt, daß ihr Anteil an Qualifikationsmaßnah- schwirren, 8 Milliarden DM mehr vor, nicht wir, son- men bei nur 36 % liegt und daß Wiedereingliederung dern Herr Pfeifer und Herr Hoffacker und Herr Wag- nach dem Ausscheiden aus dem Beruf für die meisten ner aus Rheinland-Pfalz — Vorrang haben muß. ein schöner Traum bleibt. Hier besteht Handlungsbe- darf. (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Unsolide!) Sie aber erschöpfen sich entweder in beschönigen- Wir sagen: mindestens 200 DM Kindergeld, weil es den Zahlenspielereien oder beschreiben oder bekla- für uns selbstverständlich ist, daß der Kinderlasten- gen die Situation. Das kann sich hin und wieder die ausgleich Vorrang vor vielem anderen haben muß, Opposition leisten. Sie aber sind die zuständige Mini- wenn wir nicht wollen, daß immer mehr junge Fa- sterin; von Ihnen wird mehr gefordert. milien zu den Armen in der Gesellschaft gehören. (Beifall bei der SPD) Wir schlagen Ihnen vor: Stellen Sie endlich, bevor Sie durch die Gerichte dazu gezwungen werden, Ihre Damit, liebe Kollegen, habe ich ein bedrückendes unverbindliche Frauenförderungsrichtlinie auf eine Stichwort genannt. In einem der reichsten Länder der gesetzliche Grundlage. Erde gibt es nach einer Untersuchung des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes 6 Millionen Arme. (Beifall bei der SPD) Die Zahl der Sozialhilfeempfänger hat in der Zeit die- ser Regierung stetig auf die dramatische Zahl von Sichern Sie Teilzeitbeschäftigung ab. Schaffen Sie ge- 3,3 Millionen zugenommen. Übrigens ist das zweite ringfügige Beschäftigungsverhältnisse und das 13804 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Frau Schmidt (Nürnberg) frauenbenachteiligende Beschäftigungsförderungs- Frau Dr. Lehr, Bundesminister für Jugend, Familie, gesetz ab. Frauen und Gesundheit: Herr Präsident! Meine Da- (Beifall bei der SPD) men und Herren! Mit dem Haushalt 1990 gehen wir in Ergreifen Sie die Initiative für eine dreijährige Ar- ein neues Jahrzehnt — das letzte dieses Jahrhunderts. beitsplatzgarantie für die Betreuung von Kindern. Wir sind auf diesen Weg gut vorbereitet — Dies ist nämlich, Herr Link, besonders deshalb not- (Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Das glauben wendig, weil Frauen durch die derzeitige Rechtslage Sie aber nur selber!) ihren Arbeitsplatz verlieren, wenn sie Landeserzie- lassen Sie mich das schlaglichtartig in sieben Berei- hungsgeld über den Erziehungsurlaub des Bundes chen verdeutlichen — hinaus in Anspruch nehmen. 1. mit einer Jugendpolitik, die die Eigenverantwort- Sorgen Sie dafür, daß Rechtsansprüche auf Requa- lichkeit fördert, die Rat und Hilfe im Konfliktfall si- lifizierung auch wahrgenommen werden können. chert und die Jugendliche aus aller Welt zusammen- Steigern Sie den Anteil der Frauen an Bildungsmaß- führt; nahmen und versetzen Sie die Arbeitsämter in die Lage, das auch zu finanzieren. Ihr Modellversuch ist 2. mit einer Familienpolitik, die die Menschen in ein Tropfen auf den heißen Stein. ihren wichtigsten Lebensbereichen stärkt; (Beifall bei der SPD) 3. mit einer Gleichberechtigungspolitik, die auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Sie können sich übrigens in diesem Zusammenhang Männer zielt; viel Arbeit ersparen, wenn Sie einfach unserem Ge- setzentwurf für ein Gleichstellungsgesetz zustim- (Walther [SPD]: Und wie machen Sie das?) men. 4. mit einer Altenpolitik, die alte Menschen in un- (Beifall bei der SPD) sere Mitte holt, die ihre Kompetenzen nutzt und die In einer Pressekonferenz der Frauen-Union vor we- für sie da ist, wenn ihre Kraft nicht mehr ausreicht; nigen Tagen wurde auf die Frage, warum man von 5. mit einer Gesundheitspolitik, die den ganzen Frau Lehr so wenig höre, mitgeteilt, daß es bei der Menschen im Blick hat; Frauen-Union eine Aufgabenteilung gebe und sich 6. mit einer Verbraucherpolitik, die die Qualität Frau Lehr vor allem um die Altenpolitik kümmere. unserer Nahrungsmittel schützt, und Dies ist ein Etikettenschwindel, Frau Ministerin. Sie betätigen sich als Lobbyistin für Altersforschung, 7. mit einer Anti-Drogenpolitik, die die wachsende woran noch nichts Schlechtes wäre, wenn Sie sich um Flut der Drogen entschlossen einzudämmen, die die Politik für alte Menschen auch kümmern würden, Gefährdung der jungen Menschen abzuwenden sucht und das ist nicht der Fall. und die den Betroffenen hilft. Diese sieben Bausteine einer (Beifall bei der SPD) Politik für alle Gene- rationen bilden das Fundament für ein selbständiges Weder im Hinblick auf die Pflegebedürftigkeit noch und kompetentes Leben. Für unsere Politik heißt dies: bei dem Entwurf eines Pflegegeldgesetzes, das ange- Erhaltung und Förderung der Selbständigkeit, Selbst- kündigt ist, noch im Hinblick darauf, daß Ihr Heimge- bestimmung und Eigenständigkeit; setz auch nur den geringsten Ansprüchen genügen würde, noch bei der Altenpflegeausbildung, noch im (Beifall bei der CDU/CSU) Hinblick darauf, daß Sie selber darauf hingewiesen heißt dies: Hilfe zur Selbsthilfe. Wir müssen zu einer haben, daß es in der Ausbildung der Ärzte hinsichtlich „Kultur der Kompetenz" gelangen! Gerontologie und Geriatrie erhebliche Defizite gebe, (Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Also, wir sind haben Sie etwas getan. hier nicht im Studienkolleg, sondern im Bun- Frau Ministerin Professor Dr. Lehr: Sie sind jetzt destag!) zuständig! Sie — und niemand anders — können die Es ist nicht unser Ziel, eine staatliche Universalbe- entsprechenden Vorschriften auf dem Verordnungs- treuung anzustreben, sondern die Menschen durch weg erlassen. unsere Politik in die Lage zu versetzen, ihr Leben Wir lehnen den Einzelplan 15 vor allem wegen Kon- eigenverantwortlich zu gestalten. zeptionslosigkeit und Untätigkeit ab. Wir wünschen (Beifall bei der CDU/CSU — Zander [SPD]: für das Jahr 1990 und das Ministerium für Jugend, Das habe ich doch schon einmal gehört!) Familie, Frauen und Gesundheit nur eines: Handeln Sie endlich, und handeln Sie so, daß es Kindern, Wir helfen denjenigen, die wirklich Hilfe brauchen. Jugendlichen, alten Menschen, Frauen und Familien Lassen Sie mich jedoch, bevor ich die einzelnen nützt! Punkte anspreche, dem Haushaltsausschuß und vor (Beifall bei der SPD) allem den Berichterstattern des Haushaltsausschusses für den Einzelplan des Ministe riums für Jugend, Fa- milie, Frauen und Gesundheit Dank sagen. Sie haben sich eingesetzt und bei durchaus kritischer Auseinan- Vizepräsident Stücklen: Ich erteile das Wort der dersetzung mit dem Regierungsentwurf doch auch Frau Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen viel Verständnis für die vielen schwierigen Aufgaben und Gesundheit, Frau Professor Lehr. des Ministeriums gezeigt. (Zander [SPD]: Jetzt kommt die doppelte Bei den familienpolitischen Leistungen haben wir „Lehr-Stelle" !) an der Schwelle des neuen Jahrzehnts die Weichen Deutscher Bundestag — 11. Wahlpe riode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13805

Bundesminister Frau Dr. Lehr richtig gestellt: Der Erziehungsurlaub wird auf 18 Mo- Kinder machen uns allen Freude; deswegen ja auch nate verlängert. Das Erziehungsgeld wird für die Müt- die Kampagne. Kinder machen der Gesellschaft ter und Väter, die es brauchen, auf 18 Monate ausge- Freude und bereichern das Leben nicht nur der Eltern, dehnt. Das Kindergeld für das zweite Kind wird er- sondern auch das der Gesellschaft. höht; die Kinderfreibeträge werden aufgestockt. (Zustimmung bei der CDU/CSU — Jung- Eines möchte ich mit Entschiedenheit sagen: Wir mann [Wittmoldt] [SPD]: Wie ist das mit dem lehnen Ihre Steuererhöhungspläne, meine Damen Geld? — Frau Matthäus-Maier [SPD]: Mo- und Herren von der SPD, für Familien mit Kindern ment! War das Ihre Antwort? Das ist ja unge- ab. heuer!) (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord Am Beispiel des Kinder- und Jugendhilferechts se- neten der FDP) hen wir, daß Familien-, Jugend- und Frauenpolitik in Sie wollen die Kinderfreibeträge abschaffen. Die Er- einem inneren Zusammenhang stehen. ziehungsleistung für Kinder soll steuerlich nichts Unsere Frauenpolitik trägt den unterschiedlichen mehr gelten. Mit mir nicht! Lebenssituationen von Frauen Rechnung. Jüngere und ältere Frauen dürfen dabei nicht gegeneinander (Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Was für ein dummes Zeug erzählen Sie denn da?) ausgespielt werden. Mütter, die ihre ganze Kraft der Familie widmen, und Frauen und Mütter, die sich für Ich stehe dazu: Familien mit Kindern müssen weniger die Erwerbstätigkeit entscheiden, haben den gleichen Steuern zahlen als Familien ohne Kinder. Anspruch auf politische Beachtung. (Zustimmung bei der CDU/CSU) (Zustimmung bei der CDU/CSU und der Ich habe mich immer dagegen gewehrt, daß unsere FDP) Gesellschaft, unsere Mitbürger pauschal als kinder- feindlich bezeichnet werden. Ich glaube eher, daß Vizepräsident Stücklen: Frau Minister, gestatten viele Menschen heute kinderentwöhnt sind. Sie wis- Sie noch eine Zwischenfrage von Frau Matthäus- sen nicht mehr, wie es ist, mit Kindern zusammenzu- Maier? leben. Die Anzeigenreihe und die Fernsehspots zum Thema: „Kinder machen Freude, Kinder bereichern das Leben" Frau Dr. Lehr, Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit: Ich möchte diesen Abschnitt (Frau Schoppe [GRÜNE]: Das wissen die El gern erst noch zu Ende bringen. tern schon!) sollen deshalb — neben anderen Maßnahmen wie Vizepräsident Stücklen: Es liegt in Ihrem Ermes- Wettbewerben und Modellprogrammen — einen An- sen. stoß zu mehr Verständnis für Familien mit Kindern geben. Bundesminister für Jugend, Familie, Von großer Bedeutung für die jungen Menschen, Frau Dr. Lehr, Frauen und Gesundheit: Frauen, die Familie und Be- aber auch für die Familien insgesamt ist das neue Kin- ruf miteinander verbinden wollen, brauchen Struktu- Dahinter steht ein neues der-und Jugendhilferecht. ren, die dies noch besser ermöglichen. Dazu gehören Verständnis vorbeugender Hilfe. Wir wollen die Kom- familienfreundliche Arbeitszeiten, mehr Teilzeitar- petenz der Familie stärken, sie in die Lage versetzen, beitsplätze für Frauen und Männer, eine verstärkte ihre Erziehungsaufgaben zu erfüllen und etwaige Anstrengung der Bundesländer bei Kinderbetreu- Konflikte zu bewältigen. ungsmöglichkeiten und bedarfsgerechte Öffnungs- (Zustimmung bei der CDU/CSU) zeiten.

Vizepräsident Stücklen: Frau Minister, gestatten Wir treten für ein neues Verständnis von Arbeit ein. Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Nicht nur Erwerbsarbeit ist Arbeit, sondern auch Ar- Matthäus-Maier? beit für die Familie, für die Erziehung der Kinder, für die Pflege der Angehörigen. Auch das ehrenamtliche Engagement gehört dazu. Frau Dr. Lehr, Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit: Bitte. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben die beruflichen Chancen der Frauen er- weitert. Noch nie waren so viele Frauen erwerbstätig (SPD): Frau Lehr, Sie haben Frau Matthäus-Maier wie heute. Die Zahl der sozialversicherungspflichti- gesagt: Kinder machen Freude. Aber wir finden, Kin- gen Beschäftigten hat seit 1983 um 1,3 Millionen zu- der dürfen reichen Leuten nicht mehr Freude machen. genommen. Den Hauptanteil daran haben die Frauen.- Deswegen meine Frage: Wie vereinbaren Sie das da- Sie waren zu 65 % beteiligt. mit, daß die Kinder von Hoch- und Höchstverdienern ihren Eltern zweieinhalbmal soviel Entlastung brin- Wir haben mit dem Modellprogramm zur Wieder- gen als die Kinder von Normalverdienern? eingliederung von Frauen in den Beruf für eine bes- sere Vereinbarkeit von Familie und Beruf gesorgt. Mittlerweile sind alle 17 Beratungsstellen eröffnet. Frau Dr. Lehr, Bundesminister für Jugend, Familie, Eine Initialzündung erwarte ich auch von den Einar- Frauen und Gesundheit: Sie haben völlig recht: Kin- beitungszuschüssen für Unternehmen, die den Be- der machen ärmeren Familien erst recht Freude. rufsrückkehrerinnen einen Dauerarbeitsplatz zur (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Sehen Sie!) Verfügung stellen. 13806 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Bundesminister Frau Dr. Lehr Politik für Frauen und mit Frauen ist keine einsei- winnen jetzt mehr Bedeutung als je zuvor, und das ist tige Interessenpolitik. Sie dient dem partnerschaftli- richtig so. chen Miteinander von Männern und Frauen, von El- (Beifall bei der CDU/CSU) tern und Kindern, von Kindern und alten Eltern. Frau- enpolitik umfaßt die Familie ebenso wie die Arbeits- Aber ich will auch sagen: Politik für ältere und mit welt, die Rechtsverhältnisse ebenso wie das soziale älteren Menschen muß alle Lebensbereiche in den Sicherungssystem, den ländlichen Raum ebenso wie Blick nehmen. Eine vorsorgende Gesundheitspolitik die Städte. ist hier genauso wichtig wie ein wirksamer Schutz vor (Diller [SPD]: Wie lange dauert denn der Ab Kriminalität zu Hause und auf der Straße. Die Woh- satz noch?) nungs- und Städtebaupolitik muß den alten Men- schen genauso einbeziehen wie die Bildungspolitik. Wichtige Impulse in der Forschungspolitik sind in die- Vizepräsident Stücklen: Frau Bundesminister, ge- sem Jahr gegeben worden. Dies sind nur einige Bei- statten Sie eine Zwischenfrage? spiele. Auf jeden Fall: Ich werde jeden Versuch einer Ausgrenzung alter Menschen zurückweisen. Frau Dr. Lehr, Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit: Bitte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ältere müssen wissen, daß ihre Kompetenzen ge- Vizepräsident Stücklen: Bitte schön, Frau Abgeord- braucht werden. Ältere Menschen wollen nicht nur als nete Matthäus-Maier. zu Betreuende angesehen werden, sondern als aktive Mitgestalter, als Partner in Politik und Gesellschaft. Wichtig ist heute die Antwort auf die Frage: Wie kann Frau Matthäus-Maier (SPD): Ich möchte meine Zwi- man die Kompetenzen älterer Menschen erhalten schenfrage von eben wiederholen. Frau Minister oder sogar steigern? Lehr, wie können Sie erklären, daß jemand mit einem Durchschnittseinkommen im Monat einen Gegenwert Wir müssen aber auch überlegen, wie wir es schaf- für den Kinderfreibetrag in Höhe von 46 DM erhält, fen können, daß ältere Menschen bei einer Beein- jemand mit einem Spitzeneinkommen im Monat für trächtigung ihres Gesundheitszustands in ihrer ver- sein Kind aber einen Gegenwert von 116 DM für den trauten Umgebung bleib en können. Kinderfreibetrag erhält? Das heißt, der Höchstverdie- ner bekommt zweieinhalbmal soviel wie der Normal- Ein sehr ernstes Thema muß auch in diesem Jahr verbraucher. Wie können Sie das erklären und verant- wieder angesprochen werden. AIDS war und bleibt worten? eine große Aufgabe für verantwortliche Politik. Mich bewegt das Lebensschicksal der Menschen, die sich Frau Dr. Lehr, Bundesminister für Jugend, Familie, fast ausweglos mit dieser schrecklichen Krankheit Frauen und Gesundheit: Frau Abgeordnete, Ihre Be- konfrontiert sehen. Wir müssen weltweit alle Kräfte rechnungen stimmen nicht ganz. mobilisieren, um dieser bedrückenden Geißel der Menschheit ihren Schrecken zu nehmen. (Lachen bei der SPD) Wir gehen ja vom dualen System aus. Der Kinderfrei- Große Sorge macht mir auch die wachsende Gefahr betrag ist nur der eine Pfeiler dieses dualen Systems. durch Drogen. Die Drogen-Mafia weitet ihre krimi- Es gibt neben dem Kinderfreibetrag ja auch noch das nellen Aktivitäten immer stärker auf Europa aus. Im- Kindergeld. mer neue Drogenarten drohen Jugendliche zu verfüh- Ich darf Ihnen auch sagen: Wenn Sie in Ihrem Mo- ren und zu vergiften. Deshalb werde ich mit den Kol- dell von 200 DM pro Kind ausgehen, dann rechnet legen der anderen Ressorts einen Nationalen Rausch- sich das zwar sehr viel leichter und überzeugt zuerst, giftbekämpfungsplan erarbeiten. Die Gefahren sind aber haben Sie ausgerechnet, daß das 31 Milliarden erkannt. Wir wissen, daß es schwierig werden wird. DM Mehrkosten verursacht, während bei uns der Aber diese Bundesregierung stellt sich den neuen ganze Betrag nur 22,5 Milliarden DM ausmacht? Herausforderungen. (Frau Matthäus-Maier [SPD] meldet sich zu Doch unsere Politik beschränkt sich nicht auf ernste einer weiteren Zwischenfrage) Problemgruppen. Die größten Aufgaben nehmen wir — Ich möchte jetzt eigentlich fortfahren. für die gesamte Bevölkerung wahr. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt zu einem Thema kommen, das mich nicht nur aus Grün- Durch den vorbeugenden Verbraucherschutz wird den der Demographie sehr beschäftigt. Politik für äl- den Bürgern im Hinblick auf die Qualität und Unbe-- tere Menschen bestand in früheren Zeiten vor allem denklichkeit unserer Nahrungsmittel ein hohes Maß darin, finanzielle Sicherheit zu garantieren und eine an Sicherheit geboten. gute gesundheitliche Versorgung sicherzustellen. Das ist natürlich auch heute noch eine wesentliche Grund- (Bohl [CDU/CSU]: Sehr gut!) lage unserer Politik. Hier danke ich Norbert Blüm. Im gesamten Lebensmittelbereich ist der Prozeß der (Widerspruch bei der SPD) Vollendung des europäischen Binnenmarkts in Er hat es geschafft, bei der Gesundheitsreform neue vollem Gang. Seit Einführung des Mehrheitsprinzips Leistungen der Krankenversicherung für ältere Men ist die Zahl der verabschiedeten EG-Richtlinien aus schen zu erreichen. Prävention und Rehabilitation ge dem Lebensmittelbereich sprunghaft gestiegen. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13807

Bundesminister Frau Dr. Lehr Wir wollen einen wirksamen Verbraucherschutz fel scheißt immer auf den größten Haufen. Meine Da- auf hohem Niveau erhalten, wenn möglich sogar ver- men und Herren, Frau Lehr, das, was Luther gesagt bessern. hat, machen Sie bei der Familienpolitik. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Durch beharrliches Verhandeln ist es uns gelungen, Frau Professor Lehr, sollte Ihnen wirklich entgan- unsere grundsätzlichen Vorstellungen z. B. bei der gen sein, daß die Wirkung des steuerlichen Kinder- Lebensmittelüberwachung und bei den Lebensmittel- freibetrages genau die ist, daß Normalverdiener da- Zusatzstoffen durchzusetzen. von im Monat einen Vorteil von 46 DM haben, An dieser Stelle möchte ich diese wichtige Arbeit Höchstverdiener aber von dem Kinderfreibetrag ei- besonders herausstellen und den vielen Menschen, nen monatlichen Vorteil von 116 DM haben? Frau die in unserem Lande dafür arbeiten, danken. Lehr, ich kann Ihnen das nicht glauben. Ihre Vorgän- Lassen Sie mich noch einen Punkt aufgreifen. In ger haben das gewußt. allen Politikfeldern kommt immer stärker zu der natio- Deswegen hat die Union 1974 gemeinsam mit der nalen die internationale Dimension hinzu. SPD und der FDP im Deutschen Bundestag die Kin- Das gilt ganz besonders für die Jugendpolitik, hier derfreibeträge durch ein gleich hohes Kindergeld er- auf dem Feld des Jugendaustauschs. Zu den bewähr- setzt. Dahin wollen wir zurück, denn alles andere ist ten Programmen mit Frankreich, den USA und Israel unchristlich. sowie mit vielen weiteren Ländern kommen im näch- (Beifall bei der SPD — Gerster [Mainz] [CDU/ sten Jahr neue Programme mit der Sowjetunion und CSU]: Das war ein überflüssiger Beitrag!) mit Polen hinzu. Wir stehen hier vor einer historischen Chance: Nachdem die Jugendlichen der 60er, 70er und 80er Jahre durch rege Kontakte mit unseren west- lichen Freunden ihren Horizont erweitern konnten, Vizepräsident Stücklen: Meine Damen und Herren, haben die Jugendlichen mit Anbruch der 90er Jahre ich schließe die Aussprache. die Chance, mit den Ländern Osteuropas — beson- ders mit Polen und der Sowjetunion — stärker vertraut Wir kommen zur Abstimmung über die Änderungs- zu werden. anträge der Fraktion DIE GRÜNEN, die ich der Rei- (Zustimmung der Abg. Frau Wollny [GRÜNE]) henfolge nach aufrufe, es sei denn, Sie sind mit einer Blockabstimmung einverstanden. Wenn Sie ja sagen, Ganz zum Schluß ein letztes Thema. Gerade in die- geht es rascher. sen Tagen kann ich nicht von den weltweiten Bezie- hungen reden, ohne die Beziehungen in Deutschland (Frau Schoppe [GRÜNE]: In der Reihen- zur Sprache zu bringen. folge!) Der aufbrechende Freiheitswille in der DDR berührt Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksache auch mich sehr. Ich spüre, daß die Menschen dort 11/5800 auf. Wer wünscht zuzustimmen? — Wer ist unsere Hilfe brauchen, vielfältige Hilfe, um deren dagegen? — Wer enthält sich? — Der Antrag ist mit Kompetenz zu steigern. Mehrheit abgelehnt. Der Bundeskanzler hat in seinem Zehn-Punkte-Pro- Drucksache 11/5801: Wer ist dafür? — Wer ist dage- gramm das Feld der humanitären Hilfen angespro- gen? — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Der chen. Diese Aufgabe stellt sich jetzt. Ich habe alle Vor- Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt. bereitungen getroffen, um rasche medizinische Hilfe Drucksache 11/5802: Wer ist dafür? — Gegenprobe! für die DDR zu ermöglichen. Zum Beispiel haben wir, — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Der Antrag nachdem wir von Notlagen im Bereich der Dialyse ist mit großer Mehrheit abgelehnt. gehört haben, sofort angeboten, Dialyse-Teams in die DDR zu schicken, damit schwer nierenkranke Men- Drucksache 11/5803: Wer ist dafür? — Gegenprobe! schen nicht ohne die lebensrettende Vorsorge daste- — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Der Antrag hen. ist mit großer Mehrheit abgelehnt. Außerdem haben wir auch sonst weitreichende Drucksache 11/5804: Wer ist dafür? — Wer ist dage- Hilfe angeboten. Zur Zeit befinden sich Mitarbeiter gen? — Wer enthält sich? — Bei einer größeren Zahl meines Ministeriums in der DDR, um darüber im ein- von Enthaltungen ist der Antrag mit Mehrheit abge- zelnen zu sprechen. Für mich ist humanitäre Hilfe für lehnt. unsere Landsleute in der DDR das erste Gebot der Drucksache 11/5805: Wer ist dafür? — Wer ist dage- Stunde. gen? — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Der Ich danke. Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt. - (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Drucksache 11/5833: Wer ist dafür? — Wer ist dage- gen? — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt. Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat Frau Abge- ordnete Matthäus-Maier. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ände- rungsanträge der Fraktion der SPD zu Einzelplan 15. Wer stimmt dem Änderungsantrag auf Drucksache Frau Matthäus-Maier (SPD) : Herr Präsident! Meine 11/5882 unter XII zu? — Wer stimmt dagegen? — Wer Damen und Herren! Martin Luther, der für eine def- enthält sich? — Bei Enthaltungen aus der Fraktion DIE tige Sprache bekannt ist, hat einmal gesagt: Der Teu GRÜNEN mit Mehrheit abgelehnt. 13808 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Vizepräsident Stücklen Wer stimmt für den Änderungsantrag, ebenfalls ein Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre kei- SPD-Antrag, nen Widerspruch. Das ist so beschlossen. (Zurufe) Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem — ich muß das sagen, damit es keine Verwirrungen Herrn Bundesminister des Innern, Dr. Schäuble. gibt — auf Drucksache 11/5888? — Wer stimmt dage- gen? — Wer enthält sich? — (Zurufe) Dr. Schäuble, Bundesminister des Innern: Herr Prä- —Immer dann, wenn ich irgendwo hinschaue, wissen sident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir Sie schon, wie — — alle stehen unter dem Eindruck des heimtückischen Mordanschlages auf Alfred Herrhausen und auf sei- (Heiterkeit) nen Fahrer Jakob Nix, der den Anschlag glücklicher- — Bei so vielen Abstimmungen kann es ja schon ein- weise überlebt hat und außer Lebensgefahr ist. mal Irrungen geben. Sie werden deshalb verstehen, daß ich zu Beginn Ich stelle also fest: Bei Enthaltungen der Fraktion der Aussprache über den Haushalt des Innenministe- DIE GRÜNEN mit Mehrheit abgelehnt. riums einige Sätze zur inneren Sicherheit sagen Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Einzel- möchte. Zu anderen Punkten der Innenpolitik werde plan 15. Wer stimmt für Einzelplan 15 — Geschäftsbe- ich mich, je nach Verlauf der Debatte, später in der reich des Bundesministers für Jugend, Familie, Aussprache äußern. Frauen und Gesundheit — in der Ausschußfassung? Viele in der Öffentlichkeit — vielleicht auch man- — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Einzel- cher von uns — haben nach dem mißglückten An- plan 15 ist mit Mehrheit angenommen. schlag auf Staatssekretär Tietmeyer im September vergangenen Jahres geglaubt und gehofft, die RAF wäre zur Einsicht gekommen, daß ihr Kampf gegen Ich rufe auf: diesen demokratischen Staat sinnlos ist und daß ihre Terroraktionen das demokratische System nicht er- Einzelplan 06 schüttern können. Die Sicherheitsbehörden selbst ha- Geschäftsbereich des Bundesministers des In- ben immer darauf hingewiesen, daß diese Ruhe eine nern trügerische sei, und sie haben stets auf die Fähigkeit — Drucksachen 11/5556, 11/5581 — der RAF zu terroristischen Aktionen abgehoben. Sie haben auch die möglichen Sicherheitsmaßnahmen Berichterstatter: und -vorkehrungen getroffen. Dies gilt für die Sicher- Abgeordnete Deres heitsbehörden in Bund und Ländern gleichermaßen. Kühbacher Frau Seiler-Albring (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Das ist nicht Kleinert (Marburg) wahr!) Einzelplan 36 Der Terrorismus bedroht ja nicht eine bestimmte Gruppe oder bestimmte Personen, er bedroht nicht Zivile Verteidigung bestimmte Institutionen oder Parteien, er bedroht uns — Drucksache 11/5577 — alle. Der Terrorismus ist eine Bedrohung für unsere Demokratie, für unser Volk, und deswegen müssen Berichterstatter: alle demokratischen Kräfte in der Abwehr des Terro- Abgeordnete von Schmude rismus zusammenstehen. Kühbacher Frau Seiler-Albring Wir sind den Herausforderungen in den 70er Jahren Kleinert (Marburg) gemeinsam entgegengetreten. Die Morde an Buback, Ponto, Schleyer, an Zimmermann, Beckurts und von Einzelplan 33 Braunmühl, sie haben nicht dazu geführt, daß dieser Versorgung Staat zurückgewichen ist. Daß der Terrorismus nicht — Drucksache 11/5575 — nur Repräsentanten des Staates, der Politik oder der Wirtschaft bedroht, sondern auch vor allen anderen Berichterstatter: Menschen keinen Halt macht, das zeigt sich ja da rin, Abgeordnete Roth (Gießen) daß den Anschlägen auch Fahrer, Begleiter, in ande- Kühbacher ren Fällen amerikanische Soldaten zum Opfer gefal- Frau Vennegerts len sind. Zu den Einzelplänen 06 und 36 liegt eine größere Die Sicherheitsvorkehrungen eines demokrati- Zahl von Änderungsanträgen der Fraktion der SPD schen Rechtsstaats — darüber, meine Damen und und der Fraktion DIE GRÜNEN sowie des Abgeord- Herren, sollte sich niemand Illusionen hingeben — neten Wüppesahl vor. Die Änderungsanträge sind können solche Mordanschläge nicht und niemals hun- verteilt worden. Über die Änderungsanträge der Frak- dertprozentig ausschließen. Wir leben in einem demo- tion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/5796 und kratischen, in einem offenen Staat, in einer freien 11/5797 wird namentlich abgestimmt, worauf ich be- Gesellschaft, und das bedeutet auch das Inkaufneh- reits jetzt aufmerksam mache. men von Sicherheitsrisiken. Niemand kann und nie- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die mand will einen totalen Überwachungsstaat oder ab- gemeinsame Beratung dieser Einzelpläne einschließ- solute Sicherheitsmaßnahmen, wenn es sie denn ge- lich Begründung zwei Stunden vorgesehen. Ist das ben sollte, verwirklichen. Dies wäre im übrigen genau Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13809

Bundesminister Dr. Schäuble das, was die Terroristen wollen. Sie wollen ja unseren anderer Mörder. Mörder handeln immer aus niedri- freien Staat beseitigen, die Freiheit untergraben. gen und hinterhältigen Motiven. Trotzdem, meine Damen und Herren, müssen und (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der werden wir uns die Frage stellen, welche Sicherheits- FDP) maßnahmen weiter verbessert werden können. Aber wir werden dies vernünftigerweise erst nach genauer Die Polizei wird die Täter verfolgen. Als Bürger dieses Analyse des Tathergangs tun können. Ich denke, daß Staates und als Abgeordneter bin ich ganz sicher, daß wir darüber in den Ausschüssen dieses Hauses in den unser Staat und unsere auf freiheitlichen Prinzipien nächsten Wochen beraten sollten. Heute ist es dazu zu ruhende Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung früh. Niemand sollte auch den Erkenntnissen des Ge- durch Mörder nicht ernsthaft zu gefährden ist. neralbundesanwalts vorgreifen, der die Ermittlungen übernommen hat und der das Bundeskriminalamt mit (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der den Ermittlungen beauftragt hat. FDP) Ich will zum Stand der Ermittlungen hier keine Ein- Halten wir einen Moment inne, befehlen wir Alfred zelheiten sagen — ich kann das auch gar nicht —, Herrhausens Seele und unser Schicksal in Gottes aber erste Eindrücke, die ich heute vormittag am Tat- Hände. ort hatte, geben mir doch Anlaß zu der Bemerkung, Unsere Verfassung ist allemal stärker als die Blutta- daß es mir auch wichtig erscheint, daß neben den ten Wahnsinniger. Sicherheitsbehörden auch unsere Bevölkerung ein er- höhtes Maß an Aufmerksamkeit walten läßt. Niemand Meine Damen und Herren, ich bedanke mich bei sollte sich scheuen, ihm verdächtig vorkommende Ak- Ihnen für den Beifall, weil wir hier in der Tat zusam- tivitäten, Auffälligkeiten frühzeitig der Polizei zu mel- menzustehen haben. Ich denke, es war eine gute Sa- den. Bei terroristischen Anschlägen ist es wie bei der che, daß wir, die wir in der Innenpolitik etwas näher allgemeinen Kriminalität: Die Polizei kann nicht über- zusammenrücken, wenn wir schwierige Diskussionen all sein. Gerade bei der Verhinderung von Verbre- haben, uns auf eine Debatte vorbereitet haben, die chen sind rechtzeitige Hinweise aus der Bevölkerung heute einmal anders sein sollte als die üblichen oft entscheidend für die Verhinderung oder auch für Schlagabtäusche hier im Haus. Ich brauche von mei- die Festnahme der Täter. ner Rede nichts umzuändern; denn ich hatte eine sol- Meine Damen und Herren, bei aller Erschütterung che Rede hier vor. über den Mord: Es wird den Terroristen nicht gelin- Herr Minister, ich möchte damit beginnen, daß ich gen, diesen freiheitlichen Rechtsstaat und seine Insti- Ihnen an dieser Stelle stellvertretend für die so oft tutionen zu erschüttern. Sie werden intakt bleiben, gescholtenen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, und wir alle tragen, dafür Verantwortung. Beamte, Angestellte, Arbeiter, Polizeibeamte, Solda- (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU, der FDP ten ausdrücklich dafür danke, daß diese mit der Be- und der SPD) wältigung der Aufgaben, die mit dem Aussiedlerzu- strom, mit dem Übersiedlerzustrom, die in den letzten Monaten und Wochen auf uns zugekommen sind, in hervorragender, selbstloser Weise fertiggeworden Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- sind. geordnete Kühbacher. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Kühbacher (SPD): Herr Präsident! Meine Damen Ich bin stolz auf die Leistungen des öffentlichen und Herren! Herr Minister, ich danke Ihnen für Ihre Dienstes, und ich bin auch stolz auf die Einsatzbereit- Worte heute vormittag und soeben. schaft — ich sage es einmal ausdrücklich — der vielen kleinen Beamten, Angestellten und Arbeiter, der Lo- Meine Damen und Herren, nachdem der Partei- und komotivführer im Zonenrandgebiet, die noch einmal Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei mehr Überstunden machen, des Reinigungspersonals, Hans-Jochen Vogel seinen Abscheu und seine Empö- der Bahnpolizei, des Bundesgrenzschutzes, der Zoll- rung über die feige Mordtat an Alfred Herrhausen beamten und wie sie alle da sind; denn sie hatten die bekundet hat und über die Trauer hinweg zur Ent- Hauptlast zu tragen, und sie haben es mit Freude schlossenheit und Besonnenheit bei der Verfolgung gemacht. der RAF-Terroristen aufrief, möchte ich meine ganz persönliche Betroffenheit hier heute aussprechen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP Alfred Herrhausen, seine Familie und seine persön- und der Abg. Frau Wollny [GRÜNE]) lichen Mitarbeiter gehörten auf Grund der exponier- Nun laufe ich Gefahr, irgend jemanden zu verges- ten beruflichen Stellung des Ermordeten zu dem Kreis sen. Ich möchte mich ausdrücklich bedanken bei den der höchstgefährdeten Personen in der Bundesrepu- Wohlfahrtsorganisationen, die ja ehrenamtlich tätig blik. Er und wir wußten dies. sind, die geholfen haben, ob es nun in den Übergangs- Gegen mit brutaler Präzision vorbereitete Mordab- lagern, in den Aufnahmestellen oder unmittelbar bei sichten gibt es keinen perfekten Schutz, es sei denn der Begrüßung der Besucher war, die jetzt kurz in die um den Preis der totalen Isolation. Die Gewalt hier bei Bundesrepublik gekommen sind, beim Deutschen uns ist die gleiche verabscheuungswürdige Gewalt Roten Kreuz, bei der AWO, bei den Paritätischen wie die der Rauschgiftbosse in Lateinamerika oder Wohlfahrtsorganisationen, nicht zuletzt bei den Kata- 13810 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Kühbacher strophenschutzorganisationen und den Feuerwehren, lionen DM könnten sicherlich sinnvoller eingesetzt die vor Ort sofort geholfen haben. werden. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) FDP sowie der Abg. Frau Wollny [GRÜNE]) Und fragen wir einmal danach, ob es denn sinnvoll ist, Was kann uns denn eigentlich mit größerer Zufrieden- wenn wir doch wissen, daß die Schutzraumbauten nur heit erfüllen, als das unverzüglich geschehen ist, was für 3 % der Bevölkerung ausreichen, weiterhin psy- ich hier — ich gebe zu, leider unter Gelächter der Kol- chologische und soziologische Untersuchungen aus legen — im September von dem Verteidigungsmini- Steuergeldern zu finanzieren, um eine Abschätzung ster gefordert habe, nämlich die Kasernen frei zu ma- des Verhaltens der Bevölkerung, der Entscheidungs- chen für die Menschen, die da kommen. Ich höre auch träger und der Einsatzkräfte bei den Belastungssitua- von meinen Söhnen, die bei der Bundeswehr sind, daß tionen eines Krieges abzufragen? Wer will denn aus es richtig Sinn macht, hier zu helfen. Eine bessere diesen Erkenntnissen Handlungsanleitungen ablesen Bestätigung, daß unsere jungen Leute in Ordnung können? sind, kann man doch gar nicht bekommen. Ich denke, es gibt Dinge anzusprechen, über die wir (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der gemeinsam nachdenken sollten. Herr Minister, wir FDP) müssen auch über unsere Mitarbeiter im Ministe rium nachdenken. Es war leider keine Ruhmestat, daß nach Meine Damen und Herren, der Etat des Innenmini- der klugen Vorbereitung der Entscheidung durch die sters enthält einige Dinge, die ich hier nun ansprechen Fachleute im BGS für die Rettungshubschrauber möchte, weil ich Ihre Unterstützung brauche, weil wir — obwohl gut begründet und in der Sache gut vorge- heute vielleicht einmal in der Lage sind, über uns tragen — im Haushaltsplan des Deutschen Bundesta- selbst und über die Bewältigung der Aufgaben nach- ges der gedachte Endpreis ausgedruckt wird. Es war zudenken. in der Sache gut vorbereitet, aber irgend jemand hat Wir erlauben uns im Jahre 1989, für den Bereich der so gepennt, daß er die fünf potentiellen Anbieter auf- zivilen Verteidigung, für den Schutzraumbau oder fordert, bei uns einen Endpreis von 163,4 Millionen — ich drücke es mal plastisch aus — für den Bunker- DM abzufordern. Auch dieses gehört zu einem verant- bau 112 Millionen DM ausgeben zu wollen. Sind wir wortlichen Handeln, und ich wäre dankbar, wenn wir eigentlich wirklich gut beraten, in der gegenwärtigen gemeinsam unseren Ärger in Richtung des Finanzmi- Situation so weiterzumachen, wie wir das seit 30 Jah- nisteriums und Ihrer Spezialisten dort Ausdruck ge- ren tun — und völlig unzulänglich tun? Sollten wir uns ben. Auch das gehört zum verantwortlichen Handeln nicht gegenseitig Mut machen, uns einmal kurz zu von Staatssekretären, solche Vorlagen für die Wirt- besinnen und zu fragen, ob die Prioritäten nicht an- schaft nicht zu liefern. Es handelt sich schließlich um ders zu setzen sind? Steuergelder. Für die Bevölkerung für den Fall eines konventio- Nun sage ich etwas sehr Gewagtes, ich weiß das. Ich nellen Krieges oder eines begrenzten Einsatzes von sage das deshalb, weil mein Kollege Walther das Kernwaffen einen Mindestschutz bereitstellen zu wol- schon vor zwölf Jahren einmal versucht hat. len und zu wissen, daß ein solcher Schutz im Moment nur für maximal 3 % der Bevölkerung möglich ist, (Walther [SPD]: Hier bin ich! — Wieczorek sollte uns doch wirklich daran erinnern, mit diesem [Duisburg] [SPD]: Der war schon immer ein Unsinn aufzuhören. kluger Kopf!) (Beifall bei der SPD) — Entschuldigung. — Wollen wir nicht gemeinsam einmal darüber nachdenken, ob für die 850 Beschäf- Fangen wir am besten bei uns selbst an: Wir brau- tigten des Bundesverbandes für den Selbstschutz chen den Bunker, die atombombensicheren Schleu- oder für die 1 400 Beschäftigten des Bundesamtes für sentore an der Tiefgarage unter der Gronau nicht. Zivilschutz in der heutigen Zeit nicht passendere und notwendigere Aufgabenerfüllungen möglich sind? (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten Lassen Sie uns nachdenken! der FDP) Denken wir doch auch einmal gemeinsam darüber (Beifall bei der SPD) nach, ob es sinnvoll ist, für den Sirenenwarndienst, Nun, Herr Minister, habe ich eine ganz persönliche der seit 30 Jahren unverändert besteht, in jedem Jahr Bitte: Wenn das Zentralkomitee der Deutschen Katho- 84 Millionen DM auszugeben — als ob wir denn liken in einer Presseveröffentlichung befürchtet, daß glaubten, daß heute noch über Nacht Tieffliegeralarm es in dem kommenden Winter in zu akuten Polen - ausgelöst werden müßte. Hungersnöten kommt, lassen Sie uns gemeinsam dar- (Kalisch [CDU/CSU]: Sie wissen doch genau, über nachdenken, ob wir es verantworten können, daß das nicht nur dafür ist!) den Lebensmittelvorrat, den wir für den Fall eines Krieges vorhalten, nicht für eine f riedliche Sache ein- Lassen Sie uns doch gemeinsam darüber nachdenken, zusetzen! Ich will dafür nicht plädieren, ich will das ob wir bei den Vorwarnzeiten, die wir ja alle kennen, hier auch nicht besser wissen. Wir müßten es im Zwei- Herr Kalisch, nicht auf intelligentere Instrumente, auf felsfall gemeinsam verantworten. Aber ich glaube, es die intelligente Bevölkerung setzen können, die dann, ist des Nachdenkens wert, ob wir in der gegenwärti- wenn es zu Krisensituationen kommt, ohnehin das gen Situation einen Krieg befürchten müssen oder ob Radio einschaltet, und ob das nicht ausreicht. 84 Mil wir nicht damit vielmehr gerade gegenüber Polen un- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13811

Kühbacher sere Friedfertigkeit durch staatliches Helfen unter Be- lich, mit einer Schlußnovelle hier Einhalt zu gebie- weis stellen können. ten. (Vorsitz : Vizepräsidentin Renger) Ich möchte mich, Herr Minister, bei einigen Mitar- Meine Damen und Herren, der Aufgabenblock in- beitern in Ihrem Hause ausdrücklich bedanken, daß nere Sicherheit beträgt fast 2 Milliarden DM, und im es möglich war, 40 Jahre nach Gründung der Bundes- wesentlichen werden die Mittel für die Personalko- republik Mittel freizubekommen — schon im letzten sten beim Bundesgrenzschutz und beim Bundeskrimi- Jahr ohne zusätzliche Einplanung, in diesem Jahr mit nalamt benötigt. Herr Minister, auch der Bundes- Hilfe der Kollegen der CDU und der FDP — einzupla- grenzschutz bedarf der fürsorglichen Anleitung zu nen für die Herrichtung von Gedenkstätten, die an das neuem Denken. Es kann nicht sein, daß nach der Er- nationalsozialistische Unrecht erinnern. Ihr Haus hat öffnung der neuen Grenzübergänge und dem wirklich es im letzten Jahr möglich gemacht, daß in Schleswig- hohen Einsatz der Beamten dort, in den Abteilungen Holstein ein kirchlicher Friedhof wieder angemessen nunmehr die bisherige Streifentätigkeit an der noch hergerichtet werden konnte. In diesem Haushalt sind geschlossenen DDR-Grenze bis um das Vierfache er- für 1990 Mittel eingeplant, um in Hadamar, einer be- höht wird, als sei der Einmarsch von Betriebskampf- rüchtigten Stätte, einige Räumlichkeiten herzurich- gruppen zu erwarten, während der Grenzschutzein- ten, die als Erinnerungs- und natürlich auch als Beleh- zeldienst überhaupt nicht mehr weiß, wie er seine rungsstätte dienen soll. Es ist auch möglich, bei der Überstunden abarbeiten kann. Bundeszentrale für politische Bildung Mittel zur Ver- fügung zu stellen, damit dort ein pädagogisches Kon- (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau zept entwickelt wird. Wollny [GRÜNE]) Nun kann ich mir einen Hinweis an die GRÜNEN Eine derartige Abschottung innerhalb des Bundes- nicht verkneifen. Sie stellen nachher zur namentli- grenzschutzes — das ist unsere Bundespolizei — , weil chen Abstimmung einen Antrag zum Thema Salzgit- die Abteilungskommandeure oder die Gruppenkom- ter-Drütte. Ich habe die Unterlagen da und kann Ih- mandeure befürchten, sage ich mal, daß ihnen ein Teil nen das daher nicht ersparen. Dieser Antrag ist nicht ihrer Bereitschaftspolizisten abhanden kommen etatreif, weil die Vorbereitungen in Salzgitter nicht so könnte, weil dort an den Grenzübergängen notwendi- weit sind. gerweise etwas getan werden muß, kann nicht hinge- nommen werden. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: In der Diskus- einmal die Streifenbücher, die Arbeitsnachweise in sion ist klargeworden, daß jetzt alles da den Abteilungskommandos, daraufhin überprüfen ist!) lassen könnten, ob im September, Oktober und No- — Frau Vollmer, Sie können dazu ja nachher reden. vember 1989 erhebliche Unterschiede bei den Bestrei- Ich habe die aktuellen Informationen des Bundestags- fungen der nunmehr offenen Grenze und der damals abgeordneten Wilhelm Schmidt, der sich vor Ort an geschlossenen Grenze vorkommen. Diese Information dieser Sache selbst beteiligt. Es hilft doch nichts. habe ich, wie ich meine, aus seriöser Quelle. Ich habe Warum nehmen die GRÜNEN an dieser Stelle nicht immer befürchtet, daß offensichtlich der Wunsch, zur Kenntnis, daß wir für Hadamar — auch mit der viele Untergebene zu haben, wichtiger ist als die Auf- Unterstützung des Kollegen Kleinert — etwas ge- gabenerfüllung vor Ort. Ich will niemandem zu nahe macht haben, daß wir pädagogische Konzepte erar- treten, weil ich weiß, daß die einzelnen Grenzschutz beiten? Warum müssen Sie an dieser empfindlichen beamten ihren Dienst wirklich gut machen. Stelle öffentlich zu so einem Versuch des Überholens Nun lassen Sie mich einen ganz kleinen Satz sagen antreten? zu dem nächsten großen Aufgabenblock in Ihrem (Zuruf von der SPD: Schauantrag!) Haushalt, zu den Kriegsfolgelasten. Wir haben schon 1981 hier an dieser Stelle und weiter darüber hinaus in Wir sind uns doch als demokratische Parteien einig: den Ausschüssen gemeinsam darüber nachgedacht Hier ist kein Platz für grüne Eitelkeiten, Frau Vollmer. — unter anderen politischen Mehrheiten, Herr Mini- Ich sage das jetzt einmal so. ster — , ob wir im Bereich des Lastenausgleichsrechts, (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der des Vertriebenenrechts, des Kriegsgefangenenent- FDP — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Unver- schädigungsrechts nicht zu einer Schlußnovelle kom- schämt!) men sollten, um diese Ausgabenfolge wirklich zu be- enden. Ich ermuntere Sie ganz ausdrücklich dazu, und ich ermuntere meine Kollegen dazu, hier zu ge- Herr Minister, ein Wort zu den großen Aufgaben im meinsamen Überlegungen zu kommen, Sportbereich. Ich denke, wir sind da auf gutem Wege. Aber lassen Sie sich aus meiner Sicht eines gesagt (Beifall bei Abgeordneten der SPD) - sein. Der Kollege Deres hat uns in einer stillen Stunde nicht nur wegen der Bürokratie, sondern auch wegen über die schlimmen Auswirkungen des Dopings der Ungerechtigkeiten, die sich aus hier nunmehr in — auch auf die Moral — unterwiesen. Ich denke, von hohen finanziellen Beträgen ergeben. Ich will zu den Ihnen und von uns wäre ein Wort nötig, daß wir nicht Beträgen hier bewußt nichts sagen, weil ich glaube, zulassen werden, daß Bundestrainer aus dem Haus- daß ich damit meine Verantwortung überdehnen halt finanziert werden, die entweder wissen oder aber würde, falls diese Rede öffentlich gehört wird. Aber dulden, daß Leistungssport in der Bundesrepublik wir müssen an dieses Gebiet heran, weil dieses nun über das Mittel des Dopings getrieben wird. Wir wer- wirklich den Sozialneid schürt. Wir müssen gemein- den dafür aus meiner Sicht keine öffentlichen Mittel sam darüber nachdenken, und vielleicht ist es ja mög weiter bereitstellen können. Wer das macht, muß da- 13812 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Kühbacher mit rechnen, daß ihm die Finanzmittel des Bundes ent- Ich will ein letztes Wort an die Koalitionskollegen zogen werden. Wir wollen keine Doping-Bundestrai- sagen: Haben Sie mit uns gemeinsam im Bereich der ner. Innenpolitik — und das ist ein breites Feld — Mut zu (Beifall bei der SPD, der FDP und bei Abge neuem Denken, weg von der parteipolitischen Kon- ordneten der CDU/CSU) frontation, die in den Ausschüssen ohnehin nicht statt- findet, auch hier in diesem Hause! Ich glaube, die Nun muß ich meine Kollegen direkt ansprechen, Bevölkerung wird es uns allen als demokratischen insbesondere die Kollegen von der CSU. Kollege Parteien danken. Ich denke, wir sollten aufeinander Rose, warum ist es denn nicht möglich, daß wir im zugehen. Deutschen Bundestag — — (Anhaltende Zurufe der Abg. Frau Dr. Voll Vizepräsidentin Renger: Lassen Sie noch eine Zwi- mer [GRÜNE] zur SPD) schenfrage zu?

Kühbacher (SPD): Gern. Vizepräsidentin Renger: Ich bitte um Entschuldi- gung. Vizepräsidentin Renger: Herr Kollege Gerster, Verehrte Frau Kollegin, hier spricht ein Redner. Sie bitte. stören diese Rede. Halten Sie sich bitte zurück. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Gerster (Mainz) (CDU/CSU): Herr Kollege Kühba- FDP — Frau Nickels [GRÜNE]: Frau Renger, cher, wenn Sie hier in Richtung CSU Solidarität der Sie sind heute aber sehr empfindlich!) Parteien in der Ausländerpolitik anmahnen: Wären — Das ist meine Sache. Ihre moralische Entrüstung Sie bereit, diesen Appell auch nach Berlin an Herrn können Sie sich sparen. Wir haben selbst unsere Mo- Momper zu richten, der im Juni in der schwierigen ral. Frage der Asylpolitik die Solidarität aller Länder und (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der des Bundes verlassen und eine einseitige Öffnung FDP) durchgeführt hat?

Kühbacher (SPD): Also, selbstverständlich, Herr Kühbacher (SPD): Frau Kollegin Nickels, ich Kollege Gerster, kann das Bundesland Berlin eine glaube, ich spreche auch in Ihrem Namen. Solidarität aller Bundesländer nicht verlassen. Ich Ich spreche die Kollegen von der CSU an. Warum, glaube, daß sich auch der Berliner Senat seiner Ver- liebe Kollegen von der CSU, ist es im Deutschen Bun- antwortung und seiner ganz besonderen, empfindli- destag nicht möglich — viele von uns haben doch ein chen Situation bewußt wird. Ich weiß gar nicht, was christliches Menschenbild — , ohne parteipolitische Ihr Angriff speziell auf Herrn Momper hier soll. Ich Grenzüberlegungen ein gemeinsames Ausländer- denke, wir sind gemeinsam aufgerufen, uns um die recht zu machen? Die Ausländer in diesem Staat ha- besonders prekäre Situation der Berliner, der Berliner ben ein Recht auf ein klares Recht. Alles andere ist ein Bevölkerung und der jetzigen Regierung, zu küm- Verstoß gegen die Menschenwürde. mern. (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Fellner (Beifall bei der SPD) [CDU/CSU]) Das Wort hat der Abgeord- — Doch. Deshalb spreche ich doch die Kollegen von Vizepräsidentin Renger: nete Deres. der CSU an. Ich bin mir doch mit vielen Kollegen der CDU, der FDP, der Sozialdemokraten und der GRÜ- NEN einig. Deres (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kolle- Warum kommen wir denn nicht zusammen? Wer gen! Ich möchte mich zu Beginn, Herr Minister, im stoppt denn hier? Ich meine, ich sollte das sagen: Wir Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Ihre sind uns hier auf viel breiterer Basis einig, als wir aus Stellungnahme und Wertung zu dem traurigen Ereig- parteipolitischem Kalkül den Eindruck vermitteln. nis dieses Tages bedanken. Ich schließe in diesen Und wenn ich mich an Sie wenden darf, Herr Kollege Dank den Kollegen von der SPD ein, der auch durch Fellner: Ich befürchte, daß ein klares, offenes Handeln unseren Beifall für seine Äußerungen erfahren hat, wegen Ihrer Furcht vor den Republikanern nicht mög- daß es in dieser Frage keine parteipolitischen Aus- lich ist. buchtungen und Grenzen gibt. (Fellner [CDU/CSU]: Sie dürfen davon aus Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik gehen, daß ich mindestens so anständige Deutschland ist ein stabiler Staat, ein stabiles Ge-- Motive habe wie Sie!) meinwesen nach außen und nach innen. Dieses Maß — Ja, eben. Das weiß ich doch. Also, Hermann, ich an Stabilität im umfassenden Sinne wurde durch die weiß doch, wie du denkst. erfolgreiche Politik dieser Bundesregierung und der (Heiterkeit) sie tragenden Koalitionsfraktionen erreicht. Sie zu si- chern und auf die Zukunft zu projizieren ist wichtige Ich sage das mal ganz persönlich: Dann laß uns doch Aufgabe unserer Politik. Das gilt für die politisch be- über diese parteipolitischen Grenznutzenüberlegun- deutsamen Entscheidungen in Richtung Deutschland gen im Interesse der Menschen hinwegkommen. und Europa. Dies muß aber auch über den heutigen (Clemens [CDU/CSU]: Ich habe das Gefühl: Tag der Trauer um Alfred Herrhausen hinaus für die der Wolf im Schafspelz!) Zukunft gelten. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13813

Deres Der Haushalt 06 des Bundesministeriums des In- Sprengkraft als alle kommunistischen Manifeste und nern ist das in Zahlen ausgedrückte Regiebuch einer Programme, die wir kennen. stabilitätsorientierten Innenpolitik für das Jahr 1990. (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord- Bei 5 Milliarden DM Gesamtumfang und 6,1 % Stei- neten der FDP) gerungsrate hoffen wir, den Aufgabenstellungen ge- recht werden zu können. Daß die Umsetzung des Diese Grundlagen einer freiheitlichen Demokratie Haushaltes Flexibilität verlangen wird, ist uns im den sogenannten sozialistischen Staaten für einen Haushaltsausschuß, aber insbesondere auch in der Neubeginn zu empfehlen, hat, sieht man auch auf die Berichterstatter-Runde von Beginn der Beratungen, Menschen auf den Demonstrationsplätzen und hört aber vor allem vom Tage des 9. November 1989 an auf ihre Forderungen, nichts mit Aufdringlichkeit klargeworden. oder Besserwisserei zu tun. Wo das Wort Demokratie bislang nur als Worthülse von kommunistischer Dik- Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang eine tatur mißbraucht wurde, braucht politische Freiheit persönliche Bemerkung, die zum Teil an das an- die genannten Fundamente. schließt, was Klaus-Dieter Kühbacher hier eben aus- Zweitens. Die beiden deutschen Staaten sind für- geführt hat: Die Berichterstatter für den Innenbereich einander nicht Ausland. Sie haben, wie das Bundes- haben umfangreiche und intensive Beratungen hinter verfassungsgericht in seinem Urteil zum Grundlagen- sich gebracht, nicht zuletzt durch die erregenden Er- vertrag 1973 festgestellt hat, ein Staatsvolk. An der eignisse in der DDR und in Osteuropa. Ich möchte einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit darf, deswegen Frau Kollegin Seiler-Albring und den Kol- ganz gleich, ob daran in Ost-Berlin oder in Saarbrük- legen Klaus-Dieter Kühbacher und Hubert Kleinert ken Kritik geübt wird, nicht gerüttelt werden. für die sachliche und konstruktive Zusammenarbeit danken. (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) Die Bundesrepublik muß folglich jeden Bürger der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und DDR, der in ihren Schutzbereich kommt, als Deut- der SPD) schen wie jeden Bürger der Bundesrepublik Deutsch- land behandeln. Der Dank gilt, Herr Bundesinnenminister, genauso Ihnen und Ihren Mitarbeitern für die Unterstützung, Drittens. Daraus folgt, daß wir für die Aufnahme der die wir erfahren haben. Ich hoffe, daß die heutige Dis- deutschen Aussiedler sowie der Übersiedler aus der kussion diese gute Zusammenarbeit nicht zudeckt, DDR offen bleiben müssen. Die Aufnahme dieser die uns bei allen Differenzen in vielen Sachfragen Menschen ist nicht nur ein moralisches Gebot, son- doch zu Übereinstimmungen hat kommen lassen. Das dern Konsequenz unseres Selbstverständnisses. Nie- möchte ich hier bewußt verdeutlichen, und das hatte mand wird leugnen, daß die Aufnahme der Aus- und ich auch schon vor diesem Tage so aufgeschrieben. Übersiedler in Größenordnungen wie in diesem Jahr zu einer schwierigen Aufgabe und Belastung gewor- Die heutige zweite Lesung des Innenhaushalts gibt den ist. Die Solidarität einer Gemeinschaft beweist mir Gelegenheit, einige Eckpunkte der innenpoliti- sich aber erst in Schwierigkeiten. Wer kommt denn schen Standortbestimmung der CDU/CSU-Bundes- weltweit als Zufluchtsort für diese Deutschen in Be- tagsfraktion zu verdeutlichen und zu bekräftigen. Da- tracht, wenn nicht wir in der Bundesrepublik Deutsch- bei gehe ich davon aus, daß Konsens über Fraktions- land? grenzen hinweg in wesentlichen Punkten möglich ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich darf ausführen: Es grenzt schon an ein Wunder, daß die Aufnahme und vorläufige Unterbringung von an die 700 000 Erstens. Unsere Demokratie, der Staat des Grund- Menschen in diesem Jahr ohne größere Probleme ge- gesetzes ist zum freiheitlichsten Gemeinwesen auf lungen ist. Einige Zigtausend nicht gezählter Über- deutschem Boden geworden. Der zweite Anlauf zu siedler müßten gegebenenfalls noch einbezogen wer- einer deutschen Demokratie konnte, wie wir in den. Hier haben Bund, Länder und Gemeinden, die 40 Jahren gesehen haben, nur gelingen, weil unsre Wohlfahrtsorganisationen Außerordentliches gelei- Verfassung eine zweifache Grundentscheidung ge- stet. Ich schließe mich hier dem Dank, der eben for- troffen hat: die Entscheidung für eine jeder Verände- muliert worden ist, an alle Organisationen, die mitge- rung entzogene freiheitlich-demokratische Grund- macht haben, ausdrücklich an. ordnung einerseits sowie andererseits die Entschei- dung für eine repräsentative Demokratie mit politi- (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord- schen Parteien, welche bei der politischen Willensbil- neten der FDP) dung mitwirken. Die freiheitlich-demokratische Denken Sie einmal daran, daß in der Nacht zum 4. No- Grundordnung und ihre Elemente wie die Achtung vember nach Öffnung der tschechischen Grenze fast der Menschenrechte, die parlamentarische Verant- 14 000 Übersiedler untergebracht werden mußten. wortung der Regierung, Unabhängigkeit der Ge- Der Sonderstab des Innenministeriums und das richte, Recht auf Bildung und Gesetzmäßigkeit der Grenzschutzkommando Süd hatten in den gut zwei Verwaltung stehen für uns nicht zur Disposition. Monaten vom 10. September bis 16. November dieses Jahres ca. 150 000 Übersiedler zu betreuen. Diese Grundordnung ist in den letzten Jahren mit- unter als reaktionär und verkrustet beschimpft wor- Als Anfang November täglich fast 10 000 Übersied- den. Heute entfalten diese Faktoren politischer Frei- ler kamen, haben insbesondere Bundeswehr, Kata- heit in Mittel- und Osteuropa mehr revolutionäre strophenschutz und BGS 140 Notunterkünfte mit zig- 13814 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Deres tausend Betten organisiert, bereitgestellt und einge- nerdeutschen Grenze nicht ohne Folgen für die Glie- richtet. derung des Bundesgrenzschutzes bleiben. Der Bun- desgrenzschutz ist nicht nur in den vom Grundgesetz (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Eine großartige erwähnten Extremfällen ein unverzichtbares Element Leistung!) der inneren Sicherheit. Neben den Verbänden des Den Beamten des BGS, den Soldaten der Bundes- Bundesgrenzschutzes kommt dem Grenzschutzein- wehr, allen Helfern im Katastrophenschutz wie beim zeldienst mit der Kontrolle der Außengrenze eine Roten Kreuz drücke ich nochmals unseren Dank und wachsende Bedeutung zu. unsere Anerkennung aus. Die Bundesregierung hat in der vergangenen Wo- Es kommt aber jetzt darauf an, die Aussiedler und che die Einrichtung einer Zentralstelle für die Sicher- Übersiedler, von denen bisher wenige Rückkehrab- heit in der Informationstechnik beschlossen. Wie die sichten verfolgen, so rasch wie möglich zu integ rieren. Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt haben, wird Die Voraussetzungen dafür sind gut. Dabei hat die das Funktionieren von Datenverarbeitungsanlagen in Welle der Hilfsbereitschaft für die Aus- und Übersied- öffentlichen und p rivaten Bereichen von sogenannten ler sowie für die vielen tausend Besucher aus der DDR Hackern, Computerviren und Ausspähungsversu- gezeigt, daß unser reiches Land das Teilen nicht ver- chen bedroht. Es hat sich gezeigt, daß nicht nur die lernt hat. Gewährleistung des Schutzes personenbezogener Informationsdefizite zur Situation von Aus- und Daten im Sinne des herkömmlichen Datenschutzes Übersiedlern dürfen aber nicht zu einer Gefahr für eine Staatsaufgabe ist. Auch die Anwendung der In- den sozialen Frieden werden. Wir begrüßen deshalb formationstechnik als solche muß gegen unbefugte die Anstrengungen der Bundesregierung zur Öffent- Eingriffe und Störungen geschützt werden. lichkeitsarbeit auf diesem Gebiet und haben dafür im Die Reisefreiheit für die Einwohner der DDR schafft kommenden Jahr 17 Millionen DM vorgesehen. neue Bedingungen für den deutschen Sportverkehr. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bei die- Damit rückt die Idee einer Olympiade zu Anfang des ser Gelegenheit auch klarstellen, daß wir über den nächsten Jahrtausends in Berlin in den Bereich des Bundeshaushalt keineswegs, wie so oft an Stamm- Wahrscheinlichen. Über derartige faszinierende Per- tischen behauptet wird, eine soziale Hängematte für spektiven sollte aber nicht die Begegnung von Verein die Aus- und Übersiedler zur Verfügung stellen. Im zu Verein vergessen werden. Der Breitensport kam Einzelplan sind für 1990 zwar ca. 1,2 Milliarden DM bisher nicht zueinander. Das kann jetzt anders wer- bereitgestellt — das ist eine große Summe — , aber wir den. Unsere Vereine und Aktiven sind aufgefordert, müssen auch einmal sehen, daß es sich auf viele Men- auf ihre Sportkameraden in der DDR zuzugehen und schen verteilt, zum Teil in bescheidenden Beträgen: möglichst viele Begegnungen selbst abzusprechen. 200 DM Überbrückungshilfe, pro vierköpfige Familie (Beifall bei der CDU/CSU) eine Einrichtungshilfe, die bei ca. 1 400 DM liegt, und in bestimmten Fällen Häftlings- und Kriegsgefange- Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen: Ich empfehle nenentschädigungen. Alle diese Hilfen sind im dem Präsidenten und großen Organisatoren von Ver- Grunde genommen keine soziale Hängematte. Das einigungen, die aus dem Bundeshaushalt gefördert muß nach draußen sehr deutlich gesagt werden. werden, ihre finanziellen Forderungen möglichst nicht in Galavorstellungen des Fernsehens und in gro- Viertens. Was die europäische Einigung und den ßen Zeitungen zu veröffentlichen, sondern eher bei gemeinsamen Binnenmarkt voranbringt, ist auch für uns das Gespräch zu suchen. Das ist der vornehmere die deutsche Einheit und die Freiheitsbewegungen in Weg, besonders wenn man so viele zig Millionen und Osteuropa gut. Innenpolitisch müssen wir alles daran Hunderte von Millionen, je nach Organisation, emp- setzen, die Voraussetzungen für einen Abbau der fängt. Kontrollen an den Binnengrenzen zunächst gegen- (Walther [SPD]: Sehr gut!) über Frankreich und den Beneluxstaaten und nach 1993 innerhalb der gesamten EG zu schaffen. Der Meine Damen und Herren, noch ein Wort zur Situa- wirtschaftlichen Dynamik eines gemeinsamen Bin- tion der Kulturpolitik. Ich will hier nur die Situation nenmarktes kann und wird sich auch die DDR nicht der Stiftung Preußischer Kulturbesitz erwähnen. Wir entziehen. Ebensowenig wie die innerdeutsche haben bereits bei der Schaffung eines neue Titels im Grenze unser Volk auf Dauer teilen kann, wird sie auf Haushalt 1990 zur Sicherung wertvollen nationalen längerer Sicht Außengrenze eines vereinten Europas Kulturgutes darauf geachtet, daß diese Haushaltsmit- sein können. tel auch der Stiftung zugute kommen. Der Entwick- lung der Neubauten der Stiftung sowie den vorhande- Mit diesen innenpolitischen Eckwerten gehen die nen Einrichtungen müssen wir in den nächsten Haus- Unionsparteien in die 90er Jahre. haltsjahren unsere besondere Aufmerksamkeit -im Lassen Sie mich jetzt noch einige konkrete Pro- Sinne einer verstärkten Förderung widmen. bleme aus dem Bereich des Innenministeriums auf- Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zeit greifen. ist wieder einmal abgelaufen. Man könnte so vieles Unabhängig von der Entwicklung an der innerdeut- aus dieser erregenden Zeit berichten. Ich schließe mit schen Grenze und dem Abbau der Grenzkontrollen zu dem Satz: Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU unseren westlichen Partnerstaaten hat der BGS als stimmt dem Haushalt ohne Einschränkungen zu. Das, Polizei des Bundes Zukunft. Allerdings wird der Bin- was einzuschränken war, haben wir in der Haushalts- nenmarkt ohne Grenzkontrollen sowie die Abschaf- ausschußsitzung gemacht. Daher lehnen wir weitere fung von Todesstreifen und Schießbefehl an der in Anträge, wie sie hier heute gestellt werden, zum Teil Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13815

Deres in einer enormen Zahl, ab. — Vielen Dank für Ihre immer deutlicher. Für sie gibt es statt eines Begrü- Aufmerksamkeit. ßungsgeldes und freundlicher Worte an der Grenze (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) vielfach gleich eine Zurückweisung, statt Freizügig- keit Residenzpflicht, statt Wohnungsbauprogramm und bevorzugter Wohnungsvermittlung Kasernierung Vizepräsidentin Renger: Das Wort hat der Abgeord- in Sammellagern, statt Eingliederungsgeld und weite- nete Such. rer Hilfen gekürzte Sozialhilfe, statt intensiver Jobver- mittlung Zwangsarbeit nach dem Bundessozialhilfe- Such (GRÜNE) : Frau Präsidentin! Meine Damen gesetz. und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Diese unterschiedliche Behandlung der Menschen Betroffenheit meiner Fraktion über das schreckliche nach dem fragwürdigen Kriterium der Deutschstäm- Attentat auf den Vorstandsvorsitzenden der Deut- migkeit muß aufhören. schen Bank, Alfred Herrhausen, und dessen Fahrer Jakob Nix habe ich heute morgen bereits in einer (Beifall bei den GRÜNEN) Presseerklärung zum Ausdruck gebracht. Unser Mit- Die GRÜNEN fordern die Gleichbehandlung aller gefühl gilt den Angehörigen der Opfer. Einwanderinnen und Einwanderer und Flüchtlinge Es ist jetzt nicht die Zeit, in Hektik und Aktionismus ungeachtet der Herkunft, Hautfarbe, der kulturellen zu verfallen und Rundumschläge zur Mitschuldfrage oder religiösen Bekenntnisse usw. zu machen. Die Tathintergründe müssen mit Ruhe Dieses Ziel wird jedoch durch die Pläne zur Novel- und Besonnenheit aufgeklärt und die Verantwortli- lierung des Ausländerrechts verstellt. In der Sache chen zur Rechenschaft gezogen werden. In dieser Ar- knüpft der vorliegende Innenminister-Entwurf an den beit muß die Polizei Unterstützung finden. Wir, d. h. Zimmermann-Flop vom Februar letzten Jahres und die Politik, haben uns mit weisen Ratschlägen heraus- dessen „Ausländer raus"-Motto an. Nach der st rikten zuhalten. Ablehnung durch kirchliche Gruppen, Fachverbände Meine Damen und Herren, es ist in dieser Situation etc. muß dieses Vorhaben wie sein Vorgänger in der natürlich nicht leicht, zum Haushalt des Innenmini- Versenkung verschwinden. sters kritisch Stellung zu nehmen. Es muß aber weiter eine sachliche Auseinandersetzung über die unter- Nebenbei bemerkt: Die SPD-Vorstellungen zum schiedlichen Standpunkte stattfinden, auch und ge- Ausländerrecht, die die Strukturen der Diskriminie- rade in dieser Situation. Die Haushaltsdebatte wird rung zum Teil bedenkenlos übernehmen, sind für uns überschattet von einem Mord; die Probleme bestehen keine Alternative, sondern ein Ärgernis, auch im Hin- jedoch weiterhin und werden nicht durch Schweigen blick auf rot-grüne Kooperationsmöglichkeiten. gelöst. (Bernrath [SPD]: Haben Sie sie überhaupt Ich möchte die unterschiedlichen Standpunkte zur gelesen? Müssen Sie sich bei Ihren Leuten Innenpolitik an einigen Beispielen deutlich machen anbiedern? — Dr. Penner [SPD]: Der reinste und komme zunächst zur Ausländer- und Flüchtlings- Opportunismus!) politik sowie dem Umgang mit Aus- und Übersied- Mit diesem Politikbereich Ausländerpolitik hängt lern und Übersiedlerinnen. Hierzu habe ich noch das zweite anzusprechende Beispiel zum Teil eng zu- deutlich die bis vor einiger Zeit zu hörenden Beschwö- sammen: die Zusammenarbeit der Bundesregierung rungsformeln der Bundesregierung im Ohr, soweit es mit den westeuropäischen Nachbarn, etwa mit den um die Abwehr von Flüchtlingen aus der sogenannten Schengener Vertragsstaaten. Das erste Folgeabkom- Dritten Welt ging: „Wir sind kein Einwanderungs- men, das in vierzehn Tagen unterzeichnet werden land. Wir stoßen an die Grenzen der Aufnahmekapa- soll, wird im Gegensatz zum Mauerdurchbruch im zität. " Und so weiter. Was tatsächlich alles möglich ist, Osten zur Folge haben, daß die Schutzwälle um wenn man nur will, zeigt sich jetzt, wo wir in der Bun- Europa zur koordinierten Abwehr von Einwanderin- desrepublik binnen kurzer Zeit eine halbe Million nen und Einwanderern und Flüchtlingen erhöht wer- neuer Bürgerinnen und Bürger aus der DDR, aus den. Osteuropa und aus der UdSSR begrüßen können. Da wird plötzlich auf dem Wohnungsmarkt, bei den So- Ebenso kritikwürdig sind die geplanten Koopera- zialleistungen und nicht zuletzt bei den direkten Hil- tionsmaßnahmen im Bereich der inneren Sicherheit. fen auch durch die Bürgerinnen und Bürger möglich, Obwohl die entsprechenden Vorhaben seit langem was stets als unmöglich und unzumutbar galt. auf den Wunschlisten der Sicherheitsbehörden stan- den und obwohl die geplante Öffnung der Binnen- Ich begrüße diese Anstrengungen; das möchte ich grenzen immer weiter verschoben wird, werden die hier unmißverständlich klarstellen. Es muß dafür ge- Pläne weiterhin als bloße Ausgleichsmaßnahmen sorgt werden, daß die Hilfsbereitschaft und die Ak- hierfür verkauft. zeptanz der Bevölkerung auch auf Dauer tragfähig bleiben. Dies wird allerdings um so fraglicher, wenn Für die Errichtung des Schengener Informationssy- die erbrachten Leistungen etwa der Bundesanstalt für stems, zu dessen Vorbereitung mit dem vorliegenden Arbeit faktisch durch massive Einsparungen und Be- Haushaltsentwurf die ersten Mittel bereits eingewor- schränkungen bei den einheimischen Arbeitslosen ben werden, ist kein zwingender Bedarf erkennbar. In z. B. beim Abbau von AB- und Qualifizierungsmaß- den geplanten Details droht das SIS zu einem Selbst- nahmen oder bei der Verschärfung der Verfügbar- bedienungsladen für Nachrichtendienste und Polizei- keitsmaßstäbe finanziert werden. behörden zu werden. Daneben wird jedoch die Diskriminierung der Die vor vier Wochen auf der Konferenz der Daten- Flüchtlinge aus der sogenannten Dritten Welt jetzt schutzbeauftragten bekräftigten Forderungen wur- 13816 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Such den in der Konzeption weitgehend ignoriert. Es ist Daß die Gelder für toten und nutzlosen Bunkerbau daran zu erinnern, daß viele der Teilnehmerstaaten — trotz der herrschenden Wohnungsnot und des Feil- immer noch kein oder nur ein kümmerliches Daten- schens um Mittel für den Wohnungsmarkt — mit die- schutzrecht haben. Europäische Datenschutzinstan- sem Haushalt nochmals — auf 110 Millionen DM — zen fehlen. erhöht werden, wird der Bevölkerung nur schwerlich begreiflich gemacht werden können. (Abg. Lüder [FDP] meldet sich zu einer Zwi schenfrage) (Beifall bei den GRÜNEN) —Herr Kollege, ich lasse eine Zwischenfrage erst vor Das zunehmende Wortgeklingel um eine angeb- meinem letzten Satz zu, damit Sie mir meine Rede liche Friedensnützlichkeit all dieser Maßnahmen nicht aus dem Zusammenhang reißen. auch für tägliche Unglücksfälle ist ein allzu durchsich- (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP) tiger Versuch, verlorene Akzeptanz wiederzugewin- nen. Dies zeigt schon die strikte Ablehnung des In- —Kolleginnen und Kollegen, man hat da seine Erfah- nenministeriums, über eine bedingungslose Mitfinan- rungen mit solchen Zwischenfragen. zierung und Förderung des friedensmäßigen Kata- (Zuruf von der SPD: Nur gute!) strophenschutzes — ohne Beharren auf dessen Kriegsmitwirkung — nachzudenken. Insgesamt verfolgt das ganze Vertragswerk die Tendenz, bestehende nationale Standards an Bürger- (Zuruf von der CDU/CSU: Die Platte ist und Bürgerinnenrechten und Schutzbestimmungen schon alt!) auf ein geringeres Niveau herunterzuharmonisieren. Zusammenfassend stelle ich fest: Diese Innenpolitik Dritter Bereich: Drogenpolitik. Hier regiert weiter- ist erfolgslos, konzeptlos, phantasielos. hin Konzeptlosigkeit, Verständnislosigkeit und im (Beifall bei den GRÜNEN — Fellner [CDU/ Zweifel dumpfe Abwehr und Repression. Soweit im CSU]: Jetzt sind wir dich los!) Rahmen der Schengener Vertragsverhandlungen auf die liberalen Niederländer und Niederländerinnen Es bedarf dringender Veränderungen. Die GRÜNEN- massiver Druck ausgeübt wurde, ist dies um so bedau- Vorstellungen liegen geschlossen auf dem Tisch. Die erlicher, als angesichts der relativen Erfolge der dorti- bloße Polemik, die Sie, Herr Innenminister Schäuble, gen Drogenpolitik wahrlich kein Anlaß zu nationaler diesen Thesen im Sommer entgegengesetzt haben, Überheblichkeit und zur Vereinheitlichung der hiesi- wird die Wählerinnen und Wähler auf Dauer nicht gen miserablen Praxis besteht. Solange hier selbst die überzeugen können. Diskussion über mögliche Veränderungen und Libe- Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und ralisierungsmaßnahmen bereits als gefährlich be Kollegen, auf ein besonderes Anliegen der GRÜNEN möchte ich abschließend noch eingehen. Bekanntlich-zeichnet wird und mutige Vorschläge wie die von Herrn Voscherau sogleich verworfen werden, wird sind die Aufarbeitung des Nationalsozialismus und man die von den Gewinnmöglichkeiten bestimmte insbesondere die Anerkennung und Entschädigung Dynamik des Drogenhandels nicht verringern kön- der NS-Opfer einer unserer innenpolitischen Schwer- nen, ebensowenig die dramatische Verelendung der punkte. Seit Jahren fordern wir zusätzliche Mittel für Konsumenten sowie die Beschaffungskriminalität. Ich die bisher ausgeschlossenen Verfolgten und vor allem frage mich tatsächlich, ob wir der Bevölkerung unter andere Lösungen. diesem Gesichtspunkt zumuten können, daß Eigen- tumsgefährdungen und Kriminalität angesichts dieses Nach wie vor unterstützen wir die Initiative, eine Konzepts in Zukunft ansteigen werden. Und wir ha- Bundesstiftung für alle NS-Opfer einzurichten, denen ben auch eine Verantwortung für die Konsumenten, Anerkennung und eine würdige Entschädigung bis- die unter den Bedingungen anhaltender Kriminalisie- lang versagt blieben. Die notwendigen Finanzmittel rung und Beharren auf dem Abstinenz-Dogma vor die dafür müssen im Haushaltsplan fest verankert wer- Hunde gehen könnten, um es einmal so auszudrük- den. ken. Darüber hinaus — und Sie wissen, daß wir darauf in Die beschlossenen Ausweitungen der Prävention diesem Jahr noch einmal besonders hingewiesen ha- und therapeutischen Hilfe sind unzureichend. Repres- ben — muß es einen eigenen Bundesfonds für die ehe- sivmaßnahmen, Herr Minister, wie Personalaufstok- maligen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen kungen der Polizei, Vermögensstrafe, unwirksamer geben, Verfall und Bestrafung der Geldwäsche sind ungeeig- (Beifall bei den GRÜNEN) nete Mittel zur Bekämpfung der Drogenkriminalität. die bekanntlich von jeglicher Entschädigung ausge- Viertes Beispiel: Zivilverteidigung — der Einzel- schlossen worden sind. Diese Zwangsarbeiter und plan 36 wird hier heute mitberaten — . Auch hier fehlt Zwangsarbeiterinnen wurden mehrheitlich aus -den es an den notwendigen Änderungen, z. B. angesichts heutigen Ostblockstaaten deportiert und hier unter der Veränderungen im Ost-West-Verhältnis. Statt fürchterlichsten Bedingungen zur Arbeit gezwungen. dessen verfolgt das Innenministerium weiter Feindbil- Es hat diese Menschen, die noch heute in Polen leben, der von gestern. Die kürzliche Verabschiedung des die dieses Grauen überlebt haben, unerträglich ent- Katastrophenschutzergänzungsgesetzes mit seinen täuscht, daß der Bundeskanzler ihnen bei seinem Po- zusätzlichen Kriegsdienstpflichten ist dafür das beste lenbesuch in diesem Monat erneut die kalte Schulter Beispiel. zeigte. (Kalisch [CDU/CSU]: Sie haben doch keine Dieses Parlament sollte den Mut aufbringen, ein Ahnung!) Zeichen zu setzen, daß man an einer nachträglichen Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13817

Such Aussöhnung mit Polen interessiert ist, indem man das hinderung und Bekämpfung von Gewalt eingesetzt. Leiden dieser Menschen ernst nimmt. Diese Kommission wird ihren Bericht voraussichtlich (Beifall bei den GRÜNEN) schon bald, nämlich im Januar 1990, dem Herrn Bun- deskanzler überreichen. Ihr Auftrag umfaßte neben Kolleginnen und Kollegen, Sie haben heute die der Ursachenforschung auch die Entwicklung von Chance, den Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterin- praxisnahen Handlungskonzepten. Dieser Bericht nen eben diesen Mut und Ihre Aufrichtigkeit durch sollte von uns allen sehr sorgfältig ausgewertet wer- Ihre Unterstützung unseres Haushaltsantrages zu be- den. Eventuell aufgezeigte Wege zur Gewaltbekämp- weisen. fung sollten wir gemeinsam beschreiten. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren. Kommen wir zurück zu dem aktuellen Haushalt des (Beifall bei den GRÜNEN — Fellner [CDU/ kommenden Jahres für den Bereich des Innenmini- CSU]: Jetzt sind wir dich los!) sters. Nicht erst seit dem historischen 9. November 1989 fanden die umwälzenden Ereignisse in der DDR und in Osteuropa in immer stärker anschwellenden Vizepräsidentin Renger: Das Wort hat Frau Abge- ordnete Seiler-Albring. Zuwandererzahlen ihren Ausdruck. Zweifelsfrei hat die Abstimmung mit den Füßen einen gewichtigen Anteil am Durchbruch der Reformbewegung in der Frau Seiler-Albring (FDP) : Frau Präsidentin! Meine DDR. Wir erinnern uns: Erst wenige Wochen liegt die sehr geehrten Damen und Herren! Diejenigen von bewegende Szene nach der Erklärung von Außenmi- uns, die auf Grund ihrer Tätigkeit — u. a. als Bericht- nister Hans-Dietrich Genscher in der Nacht von Prag erstatter — die Arbeit des Bundeskriminalamtes näher zurück. kennen, wissen, welch unmittelbares Entsetzen sich Über der dramatischen aktuellen Entwicklung in mit einer Nachricht verbindet, wie wir sie heute mor- der DDR, die uns zu Recht tief bewegt, dürfen wir gen hören mußten. nicht übersehen, daß nach wie vor Menschen deut- Meine Fraktion ist von der Nachricht über die Er- scher Volkszugehörigkeit zu uns kommen, die wäh- mordung von Dr. Alfred Herrhausen entsetzt und tief rend vieler schwerer Jahre unter für uns kaum nach- erschüttert. Wir möchten in diesen Stunden seinen zuvollziehenden Bedingungen an dem Wunsch, als Angehörigen unser Mitgefühl übermitteln. Dies gilt Deutsche unter Deutschen zu leben, festgehalten ha- auch dem verletzten Fahrer. ben. Wir respektieren die souveräne Entscheidung Der Anschlag ist ein Zeichen sinnloser Barbarei und dieser Menschen, zu uns zu kommen, und heißen sie erbarmungsloser Kaltblütigkeit. In welcher Welt der auch willkommen. Trostlosigkeit und des Hasses leben die Täter — in Wir wissen, daß die Eingliederung vor allem dieses einer Zeit, in der die Menschen doch aufeinander zu- Personenkreises eine Herausforderung von ge- gehen und sich über realistische Chancen auf Abrü- schichtlicher Dimension für unseren Staat und unsere stung und die Bewahrung des Friedens freuen — , die Gesellschaft ist. Die Steigerung im Haushalt des Bun- zu einer solch sinnlosen Tat fähig sind. desinnenministeriums von 6,1 % gegenüber 1989 geht Das Attentat hat uns wieder einmal sehr schmerz- vor allen Dingen auf den erhöhten Aufwand für Aus- haft deutlich gemacht, daß der Kampf gegen den Ter- und Übersiedler zurück, der mit einem Plus von rorismus noch lange nicht beendet ist. Wir müssen 18,9 % zu Buche schlägt und die Bewilligungen für alles tun, um bei der Bekämpfung des menschenver- Vertriebene, Flüchtlinge, Kriegsgeschädigte und achtenden Terrorismus nicht nachzulassen. Aussiedler auf über 1,1 Milliarden DM steigen läßt. Es Dem Hohen Haus liegt die bisher noch nicht bera- ist selbstverständlich, daß wir heute noch nicht abseh- tene Entschließung des Europäischen Parlaments vom baren bzw. überschaubaren Entwicklungen im näch- 26. Mai dieses Jahres zu den Problemen im Zusam- sten Jahr dann durch eine angemessene Mittelzuwei- menhang mit der Bekämpfung des Terrorismus vor. sung Rechnung tragen werden. Darin wird für die internationale Zusammenarbeit auf Ein großer Teil der organisatorischen Abwicklung diesem Gebiet u. a. die Einsetzung eines Europäi- der Aufnahme, Begrüßung und ersten Betreuung schen Gerichtshofes für Straftatbestände des Terroris- wurde nicht zuletzt auch von Mitarbeitern des Mini- mus sowie allgemein die Schaffung einer europäi- steriums geleistet. Die weitgehend reibungslose Auf- schen Polizei gefordert. nahme so vieler Aus- und Übersiedler in diesem Jahr Auch wir Freien Demokraten halten die Einrichtung — bis zum letzten Sonntag sind allein 284 000 Über- eines zentralen EG-Kriminalpolizeiamtes zumindest siedler förmlich erfaßt worden — ist eine Leistung, die für diskussionswürdig. Unsere Fraktionsvorsitzen- unser aller Anerkennung verdient. Sie wurde möglich denkonferenz hat dies noch am letzten Wochenende durch die vertrauensvolle und unbürokratische Zu- in Saarbrücken im Hinblick auf die unbestreitbare sammenarbeit zwischen Behörden, Kirchen, Verbän- Tatsache beschlossen, daß der Wegfall der Grenzen den und Privatpersonen. im EG-Raum neben sehr vielen positiven natürlich auch problematische Folgen haben wird, z. B. für die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) effektive Verbrechensbekämpfung. Klaus-Dieter Kühbacher hat eben in seiner Rede Meine Damen und Herren, für Gewalt gibt es keine einen großen Teil dieser Helfer und Helferorganisa- Rechtfertigung und keine Entschuldigung. Aber es tionen genannt. Ich freue mich ganz besonders, daß er gibt natürlich Ursachen für Gewalt, denen wir uns auch die vielen Wehrpflichtigen genannt hat, die in stellen müssen. Die Bundesregierung hat Ende 1987 Zelte gezogen sind und ihre Unterkünfte für Familien eine unabhängige Regierungskommission zur Ver- und alte Menschen freigemacht haben. 13818 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Frau Seiler-Albring Die Aussiedler sind uns willkommen. Hinzu kom- nere mich mit Freude daran, daß auch der Kollege men muß aber nach unserer Ansicht auch eine aktive Kühbacher für seine Fraktion die Bereitschaft, dieses Hilfe für diejenigen Menschen, die in ihren Siedlungs- mitzutragen, signalisiert hat; denn, meine Damen und gebieten bleiben wollen, ihr Leben zu erleichtern und Herren, wir brauchen endlich klares Recht für unsere insbesondere ein Leben unter Wahrung ihrer kulturel- ausländischen Mitbürger. Ein Mißerfolg würde nicht len Identität als Deutsche zu ermöglichen, ist deshalb nur sie enttäuschen; er würde rechtsradikaler und ras- ebenso dringlich. sistischer Demagogik Auftrieb geben. Das sollten wir (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der alle bedenken. SPD) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die soziale Integration von Aussiedlern in der Bun- Ein Wort zum Schengener Abkommen. Dieses Ab- desrepublik ist nicht zuletzt eine Frage der Akzeptanz kommen, das den Wegfall der Binnengrenzen in der in unserer Gesellschaft. Diese Akzeptanz wird gefähr- Europäischen Gemeinschaft regelt, sollte ursprüng- det, wenn sich einheimische Bürger gegenüber ihren lich zum 1. Januar 1990 in Kraft treten. Dies ist zu- neuen Nachbarn benachteiligt fühlen. Das Eingliede- nächst verschoben worden, weil noch Regelungsbe- rungsanpassungsgesetz hat Vergünstigungen, die darf z. B. im Bereich des Datenschutzes und der Har- zum Teil ja nur minimalen Umfang hatten, aber den- monisierung des Asylrechts bestand. Nunmehr soll noch zu Neid, Mißgunst und Ablehnung geführt ha- am 15. Dezember 1989 das notwendige Zusatzabkom- ben, abgebaut. Dennoch: Jeder Aussiedler wird auch men verabschiedet werden. Ich betone, daß wir als zukünftig bei uns eine faire Chance haben, in mög- FDP den geplanten Abbau der Grenzkontrollen nach- lichst kurzer Zeit die Schritte in ein normales bürger- drücklich begrüßen, weil wir die Verbesserung der liches Leben zu tun. grenzübergreifenden Freizügigkeit zwischen den eu- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ropäischen Kernstaaten als eine wichtige Vorausset- zung zur Verwirklichung des europäischen Binnen- Die gestrige Entscheidung des Bundesverfassungs- marktes sehen. Wir halten es aber für unabdingbar, gerichts zum Asyl in der Bundesrepublik Deutschland daß der Abbau der Grenzkontrollen von einer Zusam- ruft ein anderes, durch die aktuellen Ereignisse etwas menarbeit der Sicherheitsbehörden begleitet wird, in den Hintergrund getretenes Problem in die Erinne- damit der Grenzabbau nicht zu einem Sicherheitsde- rung zurück. Wir Liberalen halten an dem Grundsatz fizit führt. fest, daß das grundgesetzlich verbriefte Recht auf Asyl unantastbar ist. Wir appellieren daher an die Bundesregierung und (Beifall bei der FDP und der SPD) die Regierungen der Bundesländer, erstens durch ge- eignete Maßnahmen die innere Sicherheit nach Weg- Um so mehr unterstützen wir die Bemühungen des fall der Personenkontrollen an den EG-Binnengren- Bundesinnenministers, durch weitere Dezentralisie- zen in der Bundesrepublik zu gewährleisten und rung das Anerkennungsverfahren zu beschleunigen zweitens — das wird eine sehr große Aufgabe sein — und durch zeitnahe Entscheidungen am Ort zentraler die auf den BGS und den Zoll zukommenden Anpas- Ausländerbehörden eine Abschiebung abgelehnter sungsprobleme in enger Abstimmung mit den Betrof- Asylbewerber durch die Lander zu erleichtern. fenen möglichst einvernehmlich zu regeln. Es bleibt zu hoffen, daß alle Lander diese Bemühun- Ein anderes Kapitel im Haushalt des Bundesinnen- gen unterstützen und ihrerseits die erforderlichen ministeriums betrifft die Kulturförderung des Bundes. Maßnahmen für ein reibungsloses Zusammenwirken Sie hat im vorliegenden Haushalt eine Steigerung um der Ausländerbehörden mit den Außenstellen des 8,1 % erfahren. Unter den vielen begrüßenswerten Bundesamts in Zirndorf ermöglichen. Maßnahmen hebe ich aus aktuellem Anlaß eine her- Im Haushalt 1990 ist mit der Ausbringung von 225 vor, die uns hier im Deutschen Bundestag schon mehr- neuen Stellen eine wesentliche Voraussetzung für die mals beschäftigt hat: den Aufbau des Deutschen Beschleunigung der Verfahren geschaffen. Dazu bei- Historischen Museums in Berlin. Bonn und Berlin, tragen wird auch die für 1990 vorgesehene Verbesse- Bundesregierung und Senat haben vor geraumer Zeit rung der Leitungsstruktur des Bundesamts. Hier vertraglich vereinbart, das Projekt „Historisches Mu- möchte ich allen Berichterstatterkollegen und dem seum" zu realisieren. Mein Kollege Wolfgang Lüder Haushaltsausschuß danken, daß sie sich dem Anlie- hat in der Aussprache am 27. Oktober 1989 zur Auf- gen nicht verschlossen haben und für das Amt, dessen gabe des Deutschen Historischen Museums ausge- Mitarbeiterzahl von 120 im Jahre 1976 auf 945 im führt: kommenden Jahr steigen wird, eine dem Aufgaben- Das Deutsche Historische Museum kann einen zuwachs adäquate stellenmäßige Ausstattung auch unverrückbaren, unübersehbaren Beitrag zum der Leitungsebene beschlossen haben. Verständnis unserer gemeinsamen Geschichte- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) geben. Die Chancen sind gut, daß die Museums- besucher aus dem In- und Ausland, aus Ost und Eine Bemerkung zum Ausländer- und zum Asylver- fahrensrecht. Die FDP hat zu dem Kompromiß im Aus- West, aus Nord und Süd nach Errichtung dieses länderrecht und im Asylverfahrensrecht erheblich Hauses ein vertieftes und kritisches Verständnis beigetragen. Ich möchte dem Innenminister, aber von der deutschen Geschichte haben. Deswegen auch den Kollegen, vor allen Dingen Johannes Ger- und in diesem Geiste bejahen wir das Projekt. ster, Hermann Fellner und Dr. Hirsch, sehr herzlich Der Berliner Senat ist dabei — ich habe Gegenteili- dafür danken, daß diese komplizierte Materie in so ges bis jetzt leider nicht hören können — , dieses Pro- befriedigender Weise gelöst werden konnte. Ich erin jekt „Deutsches Historisches Museum" nicht als einen Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13819

Frau Seiler-Albring Glücksfall in einer historisch bedeutsamen Situation tes, der Strafprozeßordnung, des Asylverfahrens und dieser Stadt zu begreifen, sondern durch koalitionsin- des Ausländerrechtes zur Verbesserung der rechtli- ternes Gezerre aufs Spiel zu setzen und zu gefähr- chen Rahmenbedingungen zur Bekämpfung der Dro- den. genkriminalität geprüft werden müssen. Nur durch eine konzentrierte Anstrengung aller Kräfte wird es (Bernrath [SPD]: Sie sind wirklich nicht auf uns gelingen, diese Geißel der Menschheit in den dem laufenden! Sie hätten die Anhörung hö Griff zu bekommen und zu vernichten. ren müssen! Sie sind überhaupt nicht auf dem laufenden!) Der Haushalt des Innenministers ist ein Dach für vielfältige politische Aufgabenbereiche. Prioritäten Um so mehr freut es mich, daß es gelungen ist, dem sind in diesem Jahr zwangsläufig durch aktuelle in- Aufbaustab um Professor Stölzl durch eine Mittelstei- nerdeutsche Situationen gesetzt worden. Manches gerung die Durchführung einer weiteren Ausstellung hätten wir Berichterstatter gern zusätzlich eingesetzt, zu ermöglichen, um so zu zeigen, mit welch fachlicher manches natürlich auch lieber gestrichen, je nach po- Kompetenz und international anerkanntem Sachver- litischem Geschmack. stand am Projekt „Deutsches Historisches Museum" gearbeitet wird. Insgesamt halten wir Freien Demokraten den Haus- halt des Innenministers für ausgewogen und werden Zum Schluß gehe ich kurz noch auf ein anderes ihm daher zustimmen. Das gleiche gilt für den Einzel- Thema ein, das in den letzten Wochen auf Grund der plan 36. innerdeutschen Entwicklung ebenfalls etwas in den Mir verbleibt, Herr Minister, mich sehr herzlich bei Hintergrund getreten ist, in seinen bedrückenden Di- Ihnen und den Mitarbeitern Ihres Hauses für die Zu- mensionen für unsere Gesellschaft aber nichts an Bri- sammenarbeit im vergangenen Jahr zu bedanken. sanz verloren hat, im Gegenteil. Es ist das Ansteigen Den gleichen Dank möchte ich gerne meinen Kolle- der Drogenkriminalität in der Bundesrepublik und in gen Berichterstattern ebenfalls übermitteln. ganz Europa. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Rekordmengen an sichergestelltem Rauschgift soll- ten uns nicht in der Illusion wiegen, das Problem in (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) den Griff bekommen zu haben. Sicher, die Sachmittel- ausstattung und die Stellenmehrungen im Bereich des Bundeskriminalamts, die wir auch in diesem Jahr kon- Vizepräsidentin Renger: Das Wort hat Herr Abge- sequent weitergeführt haben, zeitigt Erfolge. Gestat- ordneter Dr. Nöbel. ten Sie mir dabei den kurzen Hinweis, daß das erst im Mai in Dienst gestellte Nordseeboot im Bereich des Aufgriffs von Drogen auf See erste Erfolge vorweisen Dr. Nöbel (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen kann. und Herren! Unsere Abscheu vor Terror und Mord und die gemeinsame Trauer belasten heute uns alle. (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Haben die Ich kann und will mich daher jetzt nicht mit den be- etwa eine Flaschenpost aufgefangen?) kannten Streitfragen der inneren Sicherheit befas- Die aufgegriffenen Mengen deuten vor allem darauf sen. hin, daß der nicht mehr aufnahmefähige nordameri- Der Stand der Ermittlungen beim heutigen Terror- kanische Markt die internationalen Drogenverbre- anschlag, Erkenntnisse und Wirkungen des Sicher- cher zunehmend auf die europäischen Märkte aus- heitsnetzes sind Gegenstand der Erörterungen des weichen läßt. Drogenabhängigkeit kann jeden tref- Innenausschusses am kommenden Mittwoch unter fen. Die Zerstörung der Lebensperspektiven unzähli- Punkt eins. ger junger Menschen, unglückliche Familien und rui- Vor wenigen Tagen noch tat sich uns der schreckli- nierte Partnerschaften sind die Folgen. che Vergleich auf zwischen den Vermummten, die in Die Bundesregierung hat mit der Vorlage des natio- Göttingen ihr martialisches Unwesen trieben, und auf nalen Rauschgiftbekämpfungsplanes deutlich ge- der anderen Seite den f riedlichen Demonstranten in macht, daß sie sich bewußt ist, daß neue Strategien Dresden, Leipzig und Ost-Berlin. Welch ein Unter- der intensivierten Drogenbekämpfung zu entwickeln schied! und durchzusetzen sind. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr guter Ver- Wir Freien Demokraten legen großen Wert darauf, gleich!) festzustellen, daß wir bereit sind, an der Bewältigung Wenn jetzt wieder der Ruf nach Gemeinsamkeit der dieser nationalen Aufgabe mitzuarbeiten und die not- Demokraten durchdringt, dann lassen Sie uns ge- wendigen Mittel dafür bereitzustellen. meinsam überlegen, wie wir diese Gemeinsamkeit - (Beifall bei der FDP) begründen wollen. In der Innenpolitik ist nämlich in den letzten Jahren viel Zeit vertan worden. Wir gehen insbesondere davon aus, daß die Legalisie- Höchstes Ziel der Innenpolitik ist die Wahrung des ein untaugli- rung von sogenannten harten Drogen inneren Friedens. Jochen Vogel hat den innenpoliti- ches Mittel im Kampf gegen die Drogenkriminalität schen Teil seiner Rede von vorgestern mit dem Satz ist. begonnen: „In den letzten Wochen ist häufig gesagt Es ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen in diesen worden, nichts sei mehr so wie vor der demokrati- nationalen Rauschgiftbekämpfungsprogrammen auf- schen Revolution in der DDR" , und wies dann auf eine geführt. Wir meinen, daß weitere gesetzgeberische Reihe von Mißständen hin, mit denen wir es hier zu Maßnahmen im Bereich des Betäubungsmittelrech tun haben. 13820 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Dr. Nöbel Ich füge hinzu: Die innenpolitische Lage ist jetzt In Konkurrenz miteinander liegen wieder einmal noch schwieriger geworden. Die Innenpolitik wird die Schwachen. Der Streit um Unterkünfte, Arbeit, nach dem Jubel und der Freude über das, was sich einfache Jobs, ja, um Schwarzarbeit verschärft sich. mitten in Deutschland und Europa aufgetan hat und Innerhalb der Armut entwickeln sich neue Hierar- auftut, schneller, als manch einer wahrhaben möchte, chien. Durch Dumpinglöhne werden insbesondere äl- vom Alltag dieser Welt, die eben so ist, eingeholt. Wir tere Arbeitnehmer aus der Arbeit gedrängt. Paradox, alle sind gefordert. wenn Bonn die Altersgrenze erhöht. Ich will es an der besonderen Situation Berlins ver- Mieten sind nicht mehr bezahlbar, weil sie steigen. deutlichen. Gestern hat eine Gruppe unserer Fraktion Die soziale Schere wird noch breiter; die Probleme dort an Ort und Stelle Augenschein genommen. Wel- jagen sich. Hunderte von vietnamesischen Gastarbei- che Emotionen hochkommen, will ich nicht schildern, tern in der DDR kommen jetzt nach West-Berlin. Die wiewohl es hilfreich sein könnte, wenn möglichst Sozialämter können den hiesigen Sozialhilfeempfän- viele Kolleginnen und Kollegen hautnah miterlebten, gern wegen Überlastung die Bekleidungshilfen für was sich dort abspielt. Da sind die unendlichen den Winter, der ja eingebrochen ist, nicht zahlen. Zu- Schlangen von anstehenden Menschen mit kleinen dem fehlen Sozialarbeiter. Die Sonderaktionen der Kindern für 100 DM Begrüßungsgeld — unwürdig, Mitarbeiter in den Bezirksämtern haben ein solches muß ich sagen. Da sind die einheimischen West-Ber- Ausmaß erreicht, daß die normale Arbeit nicht mehr liner, die sich an die Wand gedrückt fühlen, Schüler, ausgeführt werden kann, geschweige denn der ge- die wegen des zusammengebrochenen U-Bahn-Sy- setzliche Auftrag der Beratung. Es fehlt nur noch, daß stems nicht mehr zur Schule kommen, total überfor- die Rechnungshöfe mit bürokratischen Maßstäben ei- derte Verwaltungen der Bezirksämter. Herr Innenmi- nes Tages Rügen anbringen. nister, es besteht dringender Handlungsbedarf des Herr Minister, ich komme auf den Runderlaß vom Bundes. Juni 1981 zurück und sage Ihnen allen — meine Da- Ich mache den Bundesminister des Innern auf fol- men und Herren, bitte schrecken Sie nicht zusammen, genden Sachverhalt aufmerksam: Übersiedler neh- wenn Sie an Ihren Diplomatenpaß denken — : Der men beide Leistungssysteme in Anspruch. So beantra- blaue Ausweis, den ich meine, hat mittlerweile einen gen sie mit ihrem neuen Westberliner Personalaus- Marktwert von 500 DM. weis Sozialhilfe, können weiterhin kostenlos die Ver- Ich möchte die Realität mit Feststellungen des Be- kehrsbetriebe benutzen, können ohne Zwangsum- zirksamtes Reinickendorf abrunden: Bei den in den tausch in die DDR einreisen, können in der DDR ihren letzten Tagen ankommenden Übersiedlern handelt es Wohnsitz beibehalten und dort weiterhin arbeiten, da sich — so sagt das Amt — fast ausschließlich um allein- die DDR von der Übersiedlung keine Information hat, stehende Männer, die aus der untersten Sozialschicht können in West-Berlin kostenlos Veranstaltungen be- stammen. Eine Reihe von ihnen kommt direkt aus den suchen usw. Grund: weil sie laut Runderlaß des Bun- Gefängnissen der DDR. Die Gründe der Haft sind in desministers des Innern vom 26. Juni 1981 ihren Per- der Regel nicht politisch motiviert. Viele von ihnen sonalausweis behalten, da er nach Auffassung des sind Alkoholiker. Erste Prügelszenen und Obszönitä- BMI quasi als Eigentum der DDR gelte. Hier gibt es ten haben sich bereits abgespielt usw. Nun ist in der eine Masse erkennbarer Mißbräuche, die nach der DDR sogar noch eine Weihnachtsamnestie vorgese- Rechtslage nicht einmal Mißbräuche sind. hen. Ich rede vom sozialen Frieden und garantiere Ih- Worauf kommt es an? — Zunächst einmal muß das nen: Bald werden die Zeitungen von Beispielen voll Aggressionspotential erkannt werden, das sich auch sein, die den sozialen Frieden stören. Der Politik wird zwischen Übersiedlern und Aussiedlern entwickelt. man Versäumnisse und Handlungsunfähigkeit vor- Da man dafür keine langen Studien anstellen, sondern werfen. Deshalb muß der Bundesinnenminister han- einfach nur hinschauen muß, sind Konsequenzen zu deln und den Erlaß von 1981 aufheben. ziehen. Wegen der neuen Tatbestände sind neue Hilfsformen nötig, mittelfristig, und wegen der akuten (Beifall bei der SPD) Notlagen — eigentlich sind sie Kriegsfolgelasten; sie Die Frage der Staatsbürgerschaft wird damit nicht sind Folgen der Teilung — muß der Bund Soforthilfe tangiert. Der innere Friede und die soziale Gerechtig- leisten. keit dürfen nicht weiter gefährdet werden. Darum (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten geht es. der GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Wenn ich beim Berliner Beispiel als dem weitaus Auf der einen Seite gibt es die Unterbringung von dramatischsten bleibe, heißt das: Es können keine Übersiedlern und Aussiedlern in Containern von Sondergesetze sein, spezifisch programmbezogen, zwölf Quadratmetern, in denen sie zu viert leben. Ich sondern es müssen der besonderen Lage Berlins ge- sage: Das widersp richt dem Tierschutzgesetz. Einem recht werdende, sozusagen gesamtbezogene Mittel Schäferhund stehen laut Gesetz — ich bin Tierfreund sein. — sechs Quadratmeter zu. Ein Mensch hat hier nur die (Beifall bei der SPD) Hälfte, ohne Wasser, ohne sanitäre Anlagen, bei einer Pro-Kopf-Miete von 55 DM pro Tag und einer hoff- Natürlich müssen sie sich an Maßstäben orientieren, nungslosen Aufenthaltsdauer von bis zu mittlerweile aber nicht an solchen, die die sozialen Auseinander- drei Jahren. setzungen eher verstärken. Die Wohnungsbaufinan- zierung z. B. muß die Großstadt sehen, nicht die (Zuruf von der SPD: Unglaublich!) Sechsfamilienhäuser im Flächenstaat, und ebenso die Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13821

Dr. Nöbel Metropolfunktion. Ich erwähne das Hanseatenmo- Frauen geleitet. Von 300 Unterabteilungsleitern sind dell: Der Bund muß langfristig die veredelte Bevölke- 4, von rund 150 Abteilungsleitern 2 Frauen. Der Bun- rungszahl — so nennt man das — als Zuschußgrund- desminister des Innern ist gemeinsam mit der Bundes- lage nehmen. Das heißt: auch Berücksichtigung der ministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesund- Personen, die in der Stadt leben, zusätzlich zu denen, heit für die Frauenförderung im Bundesdienst zustän- die dort wohnen. Für Berlin hieße das: 2,5 Millionen dig. Ergebnis: Neben dem Bundesministerium für Ju- statt 2,1 Millionen Menschen als Bemessungsgrund- gend, Familie, Frauen und Gesundheit hat nun auch lage. Das sieht auch Herr Diepgen so. Allerdings ver- der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung eine stehe ich manches von dem, was er gestern geäußert Frau zur Abteilungsleiterin gemacht. So wird Gleich- hat, nicht. stellung im öffentlichen Dienst auch im nächsten Jahr- tausend noch nicht erreicht sein. Jetzt sage ich zu Ihnen, Herr Kollege Gerster — Sie haben dem Kollegen Kühbacher ja soeben eine Zwi- (Frau Dr. Sonntag-Wolgast [SPD]: So ist schenfrage gestellt — : Berlin nimmt nach wie vor das!) 2,7 % Asylbewerber auf, nicht mehr und nicht weni- Wirksame Frauenförderung im öffentlichen Dienst ger, und es hat nie eine Änderung gegeben. Bei den bedarf — das ist mittlerweile bekannt — einer gesetz- Aus- und Übersiedlern sind es 8,5 %, bei einem Anteil lichen Grundlage. Die Richtlinien des Bundesmini- der Bevölkerung West-Berlins an der Bevölkerung der sters des Innern zur beruflichen Förderung von Bundesrepublik Deutschland von 3 %. Das ist erheb- Frauen halten wir für wirkungslos und überholt. Die lich zuviel. SPD-Bundestagsfraktion hat mit dem Entwurf eines Gleichstellungsgesetzes bereits die erforderliche Vor- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) arbeit geleistet. Im Gegensatz zu den SPD-regierten Wir hoffen für das Gespräch morgen beim Bundes- Ländern wie Nordrhein-Westfalen, Bremen und Ham- kanzler auch, daß spätestens ab 1. Januar 1990 — das burg verweigert sich die Bundesregierung einer wirk- Datum ist ganz wichtig — der Devisenfonds in Ost- samen Frauenförderpolitik, obwohl es immerhin um Berlin in Funktion treten kann, und bitten den Bun- die Beseitigung eines erheblichen faktischen Gleich- desminister des Innern, seinen Einfluß dahin gehend berechtigungsdefizits geht. Wir sind der Auffassung, geltend zu machen, daß dann drüben und nicht mehr daß das Grundgesetz ein Gleichstellungsgebot bein- in West-Berlin ausgezahlt wird. Das gebietet die uner- haltet, durch das der Gesetzgeber auch einen Verfas- läßlich notwendige Entlastung hier, und zwar sowohl sungsauftrag zur aktiven Frauenförderung hat. im Hinblick auf die verwaltungsmäßige als auch ins- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) besondere die menschliche Seite. Ich denke, die ge- fragte Gemeinsamkeit sollte hier möglich sein. Herr Minister, es ist notwendig, eine humane, libe- rale Ausländerpolitik zu verwirklichen, die das Zu- Ausdrücklich begrüße ich den Erlaß des Bundesmi- sammenwachsen der europäischen Staaten und die nisters des Innern vom 16. Juni dieses Jahres hinsicht- internationale Verflechtung der Bundesrepublik be- lich der Verteilung von Übersiedlern auf Berlin, weil achtet. Trotz heutiger Meldungen sind Sie mit Ihren damit tatsächlich geholfen wird, Probleme zu lösen. Vorstellungen bisher an der CSU gescheitert, die wohl Ich komme zu einem anderen Thema. — Bereits weiterhin an sachgerechten Regelungen nicht inter- während der Anhörung im Innenausschuß über die essiert ist, weil sie meint, damit Stimmengewinne bei bisher ausgegrenzten und vergessenen Opfer des NS- Wahlen erzielen zu können. Sie wird sich wundern, wie sie mit ihrer Haltung rechtsextremen Parteien Regimes am 24. Juni 1987 wurde von allen Parteien schnelle und unbürokratische Hilfe angemahnt. Un- weitere Wähler zutreibt. sere Befürchtungen, die wir beim Erlaß dieser Richtli- Wir haben unseren Entwurf für ein neues Bundes- nien hegten, haben sich zwischenzeitlich leider bestä- ausländergesetz eingebracht, der bald zur Beratung tigt. Diese Richtlinien bieten weder unbürokratische ansteht. noch schnelle Hilfen für die Opfer des NS-Regimes. Notwendig und möglich ist eine weitere Beschleu- Ausgegrenzt werden wiederum die gleichen Perso- nigung des Asylverfahrens. Die Vorschläge der SPD- nen, denen bereits seit Jahrzehnten eine Entschädi- Bundestagsfraktion dazu liegen auf dem Tisch. Be- gung für das ihnen angetane Unrecht verweigert dauerlicherweise haben sie Bundesregierung und Ko- wurde. Deshalb bitten wir um Unterstützung unserer alitionsfraktionen bisher nicht zur Kenntnis genom- Initiative zur Errichtung einer Stiftung „Entschädi- men. gung für NS-Unrecht" sowie einer Stiftung „Entschä- digung ehemaliger Zwangsarbeiter". Vizepräsidentin Renger: Herr Abgeordneter, ge- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. der GRÜNEN) Hirsch? Die hierfür erforderlichen Finanzmittel, meine Damen und Herren, sind nur gering im Vergleich zu der Hilfe, (FDP) : Herr Kollege Nöbel, nachdem vor- die wir den Betroffenen damit bieten. Dr. Hirsch hin Herr Kühbacher eine Gesprächsbereitschaft zum Ich komme zu einem weiteren Punkt, in dem Hand- Ausländerrecht, wie ich finde, deswegen überflüssi- lungsbedarf besteht. — Noch immer sind Frauen im gerweise angemahnt hat, weil wir das ja dauernd er- öffentlichen Dienst, gerade auch in der Bundesver- klärt haben, möchte ich Sie nun fragen, ob auch die waltung, in den gehobenen und höheren Positionen SPD zu ihrem Entwurf dieselbe Bereitschaft zeigt oder eklatant unterrepräsentiert. Von den mehr als 2 000 mindestens die Chance gibt, daß wir eine größere Referaten der Bundesverwaltung werden nur 90 von Mehrheit finden. 13822 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Dr. Nöbel (SPD): Ja, selbstverständlich. Das haben Zweiter Punkt: Kollege Nöbel, Kollege Kühbacher, wir immer gesagt, Sie können ganz unbesorgt sein. (Dr. Hirsch [SPD]: Haben wir nie gehört!) (Zuruf von der SPD: Bei Ihnen kann man nie nur, Sie sind nicht entgegengekommen. unbesorgt sein!) (Lachen bei der CDU/CSU) Wir werden in dieser Wahlperiode gemeinsam, CDU/ Die Angebote sind belegt. CSU und FDP, ein neues Ausländerrecht verabschie- (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ den. Es gilt das Angebot an Sie, öffentlich, persönlich CSU: Wo denn?) ausgesprochen und heute wiederholt, sich in diese Beratungen einzuschalten und mitzuwirken, Notwendig und möglich ist eine europäische Flüchtlings- und Asylpolitik. Die fortschreitende (Dr. Kappes [CDU/CSU]: Konstruktiv!) Öffnung der Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft macht die einheitli- wobei ich allerdings hinzufüge: Von Ihnen, von Ihrem che europäische Regelung des Flüchtlingswesens auf Gesetzentwurf kenne ich bisher kein einziges Ange- der Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention, die bot. Ich vermute, daß Sie es Herrn Stoiber nach Mün- schon heute in allen Mitgliedstaaten der EG gilt, nö- chen geschickt haben. Aber in die CDU/CSU-Frak- tig. Dazu vermissen wir bisher das notwendige Enga- tion, ich vermute, auch in die FDP-Fraktion ist dieses gement der Bundesregierung. Angebot bisher nicht gekommen. Meine Damen und Herren, Probleme gibt es in (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Hülle und Fülle. Aber es gibt auch hausgemachte: Der Autor des innenpolitischen Teils des neuen Parteipro- Dritte Bemerkung: Wir wissen alle, daß das Jahr gramms der Republikaner ist Mitarbeiter des Bun- 1989 ein Jahr mit wirklich historischen Dimensionen desamtes für Verfassungsschutz. ist. Wir wissen, daß die letzten Wochen und Monate das Leben, auch das Lebensbewußtsein und das (Hört! Hört! bei der SPD) Selbstbewußtsein der Menschen in der DDR verän- Er ist Vorsitzender eines Ortsverbandes dieser Partei, dert hat. Sie haben sich dem Machtmonopol der Kom- müßte vom Verfassungsschutz des Landes Nordrhein- munisten widersetzt. Sie wissen aber auch, daß sich Westfalen beobachtet werden. Ich frage ernsthaft, ob die Einstellung der Menschen im Westen erfreuli- sich die Bundesregierung in der Bewertung mit Herrn cherweise sehr wohl geändert hat. Die These, Wohl- Schönhuber einig ist, daß gerade die Mitarbeit dieses stand mache hartherzig, wird in diesen Tagen durch Herrn an seinem Programm als besonderer Hinweis viel Hilfsbereitschaft vieler Menschen in diesem Land für die Verfassungstreue dieser Partei zu bewerten maßgeblich widerlegt. sei. Wenn schon disziplinarrechtlich nichts möglich ist, müßte doch der Dienstherr Bund so sensibel und (Beifall bei der CDU/CSU) flexibel sein, seine Bandbreite an Möglichkeiten zu nutzen. Ich finde, so stolz wir über den Mut und den Frei- heitswillen der Bürger in der DDR sein können, so Schönen Dank. dankbar und stolz können wir auch über die Hilfsbe- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten reitschaft der Menschen hier sein. Ich schließe alle der GRÜNEN) privaten Organisationen, alle staatlichen kommuna- len Stellen ein. Ihnen ein ganz herzliches Dankeschön für die große Leistung, die sie in den letzten Wochen Vizepräsidentin Renger: Meine Damen und Herren, erbracht haben und noch erbringen. das Wort hat der Abgeordnete Gerster (Mainz). (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Gerster (Mainz) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Wer vor einem Jahr behauptet hätte, daß in diesem Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um den Jahr 700 000 Deutsche aus der DDR, aus Polen, aus letzten Gedanken aufzugreifen: Kollege Nöbel, Sie der Sowjetunion, aus Rumänien zu uns zuwandern wissen genau, daß dieser Amtmann im Bundesamt für würden, wäre erstens als politischer Utopist bezeich- Verfassungsschutz einen sehr begrenzten Aufgaben- net worden, zweitens wäre ihm entgegengehalten bereich hat. worden, diese Gesellschaft werde überhaupt nicht in der Lage sein, eine solche Zahl von Menschen aufzu- (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) nehmen. Dabei, Kollege Nöbel, sind wir uns ja völlig Sie wissen auch sehr wohl, daß es auf Grund der gel- einig, daß dies bisher erhebliche Probleme gebracht tenden Rechtslage keine Möglichkeit gibt, diesen hat, bringt und in Zukunft noch unübersehbare Pro- Mann gegen seinen Willen zu versetzen. Deswegen, bleme auch in unserem Land entstehen werden, zu- meine ich, ist es kein sehr faires Verfahren, wenn Sie mal die Zuwanderung anhält. Das ist völlig unbestrit- eine Haushaltsdebatte dazu nutzen, diesen sehr ten. schwierigen Teil hier vorzuführen, so mit dem Gusto, der Bundesinnenminister würde einen derartigen Nur frage ich, wenn wir das gemeinsam wissen, was Mann decken. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn es es für einen Sinn gibt, hier an einzelnen Punkten, die rechtlich ginge, wäre er längst aus diesem Amt ent- man sehr wohl erklären und widerlegen kann, Pro- fernt. Das ist die Rechtslage und nichts anderes. Bitte bleme und zum Teil Mißgunst zu verschärfen, wie Sie erwecken Sie keinen anderen Eindruck! es versucht haben. (Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf von der SPD: Ungeheuerlich!) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13823

Gerster (Mainz) Beispiel 1: Ihre Darstellung des Mißbrauchs von Kollege Nöbel das hier wieder gemacht hat, indem Sie Begrüßungsgeld und anderen Leistungen. Unterschiede und Differenzen überzeichnen. (Zuruf von der SPD: Das ist doch Blödsinn!) (Dr. Nöbel [SPD]: Ich habe das Gegenteil ge- macht!) Wir wissen doch ganz genau, daß das Begrüßungs- geld ursprünglich in Höhe von 30 DM eingeführt — Nein. Wir wissen, daß es die Probleme gibt, wir wurde, als wir erfreulicherweise langsam feststellen wissen, daß es zum Teil auch Mißgunst gibt. Deswe- konnten, daß Deutsche aus der DDR mit einer schwa- gen sollten Sie konstruktiv mitarbeiten und nicht chen Devisenzahlungsmark zu uns kamen und hier diese Methode fahren. eine kleine Hilfe bekommen sollten. Und Sie wissen, (Beifall bei der CDU/CSU — Bernrath [SPD]: daß wir in dem Bemühen gerade der letzten Jahre Aber er hat Ihnen den Rat gegeben, sich das —übrigens dank einer sehr erfolgreichen Politik die- mal anzusehen! — Dr. Stark [Nürtingen] ser Bundesregierung und ihres Bundeskanzlers Hel- [CDU/CSU]: Eine völlig unchristliche Hal mut Kohl — , die deutsch-deutsche Grenze durchlässi- -tung!) ger zu machen, was ja auch mit Millionen von Men- schen, die als Besucher über die Jahre hinweg gekom- Es führt überhaupt kein Weg daran vorbei: Da der men sind, gelungen ist, das Begrüßungsgeld gemein- Zuzug von Deutschen aus der DDR immer noch nicht sam auf 100 DM erhöht haben. Kein Mensch konnte gebremst ist und da uns dies weiterhin Probleme zum damaligen Zeitpunkt erhoffen, daß die Grenze bringt, kann doch nur die eine Frage zulässig sein, wie wirklich so durchlässig wurde, wie wir es in den letz- man dieses Problem im Sinne einer Begrenzung des ten Wochen erfreulicherweise feststellen konnten. Zuzugs tatsächlich lösen kann. Alle Modelle à la La- Das heißt aber natürlich auch, daß wir auf Dauer zu fontaine, alle Modelle à la Kontingentierung o. ä. sind neuen Methoden der Finanzierung, etwa über einen ungeeignet. Die Massenflucht aus der DDR ist nichts Devisenfonds, kommen müssen. anderes als eine Abstimmung mit den Füßen; sie ist nach wie vor der Ersatz für die noch nicht gewährte Wenn der Kollege Nöbel hier eine Reihe von Vor- freie, geheime und unabhängige Wahl. Sie ist ein Er- würfen macht, muß ich ihm einmal entgegenhalten: satz für die Tatsache, daß Demokratie in der DDR nach Was hätte es denn politisch in der Weltöffentlichkeit wie vor nicht funktioniert. Wer diese Abstimmung mit für einen Eindruck gemacht, wenn wir ausgerechnet den Füßen beenden will, muß den f riedlichen Druck in dem Augenblick, wo sich erfreulicherweise endlich der Demokraten in der DDR unterstützen, und zwar die Mauer und die Grenzen öffnen, als erstes Regle- durch sehr wohl überlegte Reden, aber auch durch mentierungen und Behinderungen von Zuwanderern abgewogenes Handeln zur richtigen Zeit und mit ge- oder Besuchern durchgeführt hätten? eigneten Mitteln. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Ich füge aber genauso hinzu: Solange dieser Prozeß Zurufe von der SPD) der Klärung in der DDR noch andauert, solange die Menschen in der DDR immer noch in einem nicht Sie von der Opposition wären — in diesem Fall zu demokratischen System leben müssen, werden wir Recht — die ersten und lautesten Kritiker gewesen, die Entscheidung der Menschen respektieren, die zu die gesagt hätten: Typisch Regierung, jahrelang ha- uns kommen, die zu uns kommen wollen und sich hier ben sie die Öffnung der Mauer gefordert, und in dem niederlassen werden. Sie haben nach wie vor An- Moment, wo sie geöffnet wird, werden die materiel- spruch auf Hilfe zur Eingliederung. Auch hier möchte len Bedingungen für die Bürger der DDR verschlech- ich, weil in der Öffentlichkeit immer wieder falsche tert. Das hätten Sie uns zu Recht vorgeworfen. Bilder entstehen, klarmachen: Das ist Hilfe zur Selbst- hilfe und weder eine Daueralimentation noch eine Das zeigt doch, daß hier ein Vorwurf völlig unbe- Bevorzugung gegenüber den lange hier lebenden gründet ist. Bei allen Signalen der Sozialdemokraten, Menschen. Das ist das Notwendige, was an Ausstat- dieses schwierige Problem gemeinsam zu lösen tung kommt, damit sie sich hier selbst helfen kön- — diese Signale bestreite ich nicht — , stört es mich, nen. daß Sie ständig Problemberge vorführen, daß Sie zum Teil der Mißgunst Vorschub leisten, Mir wäre es lieber, die Opposition, die bereits ge- stern von der Zustimmung zu den 10 Punkten schon (Fellner [CDU/CSU]: Ja, das ist es! — Dr. Nö wieder abzurücken versuchte, würde sich wirklich bel [SPD]: Wir haben Lösungen angeboten! über diese Grundelemente mit uns verständigen, statt — Weitere Zurufe von der SPD) daß sie, wie es zum Teil bedauerlicherweise ge- daß Sie dann nach Methoden der Reglementierung schieht, im weiten Land dazu beiträgt, daß Mißgunst zwischen den lange hier Lebenden und den Zuzie- und Behinderung rufen, daß Sie in der Vergangenheit - die Kontingentierung der Zuwanderer und viele an- henden entsteht. dere Dinge verlangt haben, bis hin zu den Vorstellun- gen dieses etwas merkwürdigen Herren Lafontaine, Lassen Sie mich — ich wollte meine Redezeit wegen der in den letzten Tagen noch einmal das Thema stra- der fortgeschrittenen Abendzeit nicht ausnützen — paziert hat, ob die Deutschen in der DDR und die noch zwei Bemerkungen zum Kollegen Kühbacher Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland ihr Le- machen. Erstens. Herr Kollege Kühbacher, ich finde ben so gestalten können, wie es im Moment geschieht. es wirklich nicht fair, daß Sie sich hier hinstellen, von Das stört uns! Sie sind eingeladen, konstruktiv mitzu- den Finanzleistungen für den Schutzraumbau reden wirken. Es gibt Probleme, es wird größere Probleme — die über lange Jahre festgelegt und eine Folge ein- geben, aber bitte bauen Sie die nicht auf, wie der Herr gegangener Verpflichtungen sind — , Maßnahmen im 13824 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Gerster (Mainz) Bereich des Zivil- und Katastrophenschutzes bekla- Vizepräsidentin Renger: Das Wort hat der Bundes- gen und den Eindruck erwecken, als würden wir diese minister des Innern, Herr Dr. Schäuble. Fragen völlig losgelöst von der weiteren Entwicklung (Zuruf von der SPD: Herr Schäuble, stellen im Ostblock beurteilen. Tatsache ist doch, daß das Sie erst einmal das mit dem Doping klar!) Katastrophenschutzergänzungsgesetz, das wir vor wenigen Tagen verabschiedet haben, den Weg dafür öffnet, daß die ursprünglich reinen Zivilschutzeinhei- Dr. Schäuble, Bundesminister des Innern: Frau Prä- ten auch bei Katastrophen in Friedenszeiten einge- sidentin! Meine Damen und Herren! Ich will in der Tat setzt werden können. zu einigen Bemerkungen, die in der Debatte gemacht (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) worden sind, klarstellende Anmerkungen machen. Aber ich möchte mich zunächst einmal bei den Mit- Genauso hat natürlich der Schutzraumbau eine wich- gliedern des Haushaltsausschusses und vor allen Din- tige Funktion bei zivilen Katastrophen. gen bei den Berichterstattern der Einzelpläne 06 und Deswegen die herzliche Bitte: Hören Sie endlich 36 sehr herzlich für die vertrauensvolle und faire Zu- auf, den Eindruck zu erwecken, wir hätten in dieser sammenarbeit sowie für viele faire Worte in dieser Zeit großer Veränderungen zwischen Ost und West Debatte bedanken. nichts anderes im Sinn, als den Zivilschutz zu verstär- ken. Tatsache ist, daß wir den Katastrophenschutz Um das vorweg zu sagen: Ein Bundestrainer, Herr Kollege Kühbacher — jetzt ist er nicht da, aber es wird verstärken. Katastrophen im Friedensfall wird es auch ihm ausgerichtet werden — , der sich an betei- in Zukunft geben. Deswegen fordere ich Sie auf, die Doping ligen würde, verstieße gegen seine Pflichten. Die ar- bewußte Irreführung der Öffentlichkeit zu unterlas- beitsrechtlichen Konsequenzen wären ganz unver- sen. meidlich. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Ich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) habe keinerlei Anlaß, daran zu zweifeln, daß Bundes- trainer das tun, was auch der Deutsche Sportbund und Vizepräsidentin Renger: Gestatten Sie eine Zwi- die anderen Organisationen des Sports mit aller Ent- schenfrage des Abgeordneten Such, Herr Kollege? schiedenheit und mit Unterstützung des Bundesmini- sters des Innern tun, nämlich mit allen ihnen zu Ge- Gerster (Mainz) (CDU/CSU): Bitte schön. bote stehenden Möglichkeiten den Mißbrauch lei- stungsfördernder Mittel im Sport zu bekämpfen. Da- bei bleibt es, und dagegen werden auch Bundestrai- Such (GRÜNE): Herr Kollege, sind Sie mit mir einer ner nicht verstoßen. Wenn sie es täten, müßten die Meinung, daß in diesem Gesetz eine Vermischung Konsequenzen gezogen werden. vonstatten geht, d. h. daß der zivile Katastrophen- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schutz, der eigentlich Ländersache ist, auf den Bund übergeht, und daß darüber hinaus durch dieses Ge- Nun ist in dieser Debatte, meine Damen und Her- setz im Spannungsfall Dienstzeiten von Beamtinnen ren, viel von Zusammenarbeit gesprochen worden. und Beamten zu Pflichtzeiten werden? Und es war ja auch, was an einem Tag wie diesem sicher richtig und geboten ist, ein ganz eigener Ton, jedenfalls über weite Strecken, in dieser Debatte. Ich Gerster (Mainz) (CDU/CSU): Herr Kollege Such, ich werte dies als ein hoffnungsvolles Zeichen. Ich bin habe es aufgegeben, Ihnen persönlich das deutlich — jeder, der mich ein bißchen kennt, weiß es — zu machen zu wollen. Das scheint mir ein intellektuelles dieser Zusammenarbeit bereit. Problem zu sein. Wenn Zivilschutzorganisationen jetzt zusätzlich Katastrophenschutzaufgaben bekom- (Zuruf von der CDU/CSU: Keine Vorschuß- men, kann das keine Erweiterung des Zivilschutzes lorbeeren!) bedeuten. Vielmehr kann das nur bedeuten, daß der Ich hoffe, daß wir auch im Verhältnis zwischen Bund Katastrophenschutz gestärkt wird. Das ist so sicher, und Ländern und zwischen den Ländern untereinan- wie zwei mal zwei vier ist, auch wenn Sie persönlich der, insbesondere auf dem Gebiet der inneren Sicher- das offenbar nicht verstehen. heit, wieder mehr Zusammenarbeit und weniger Aus- (Such [GRÜNE]: Ich stelle fest, daß Sie die einanderstreben haben werden. Ich glaube, dies Frage nicht beantwortet haben!) würde unserem demokratischen Rechtsstaat nützen, und ich denke, daß in diesem Zusammenhang insbe- Zweite Bemerkung: Ich finde es ungeheuerlich, daß sondere auch Alleingänge, die in der Debatte ange- der Kollege Kühbacher den Eindruck erweckt hat, als sprochen worden sind, Alleingänge von einzelnen seien CDU/CSU und FDP auf dem Wege, Doping zu Bundesländern und schon gar von Berlin in der Zu- finanzieren, zu unterstützen. kunft nicht mehr vorkommen werden. (Zuruf von der SPD: Das hat er doch gar nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gesagt!) Ich will nun auch, Herr Kollege Nöbel, daran erin- Das Gegenteil ist der Fall. Wir wollen eine vernünftige nern — Johannes Gerster hat es eben schon gesagt —, soweit der Bund zuständig ist, Förderung des Sports; daß wir am 10. November mit den Vertretern aller des Spitzensportes, soweit die Länder und Kommunen Bundesländer zusammengesessen haben, um darüber zuständig sind, des Breitensports. Das hat nichts mit zu beraten — wir, Herr Kollege Vogel, hatten am Vor- einer Förderung von Doping zu tun, das wir genauso abend ein entsprechendes Gespräch —, wie wir uns wie Sie ablehnen. auf das vorbereiten könnten, was durch die Öffnung Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. der Grenze, die Deutschland teilt, an diesem ersten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wochenende sein würde. Wir haben dort auch über Deutscher Bundestag — 11. Wahlpe riode — 179. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13825

Bundesminister Dr. Schäuble Möglichkeiten gesprochen, allerdings nicht öffent- passungsgesetz doch ohne große Kontroversen ge- lich, Herr Nöbel, die Sie jetzt hier öffentlich — ich meinsam verabschiedet haben und damit doch sicher- weiß nicht genau, zu wessen Nutzen — ausgebreitet gestellt haben, daß Deutsche, die als Aus- und Ober- haben. Wir haben damals gesagt, wir sollten uns nicht siedler zu uns kommen nicht besser, aber auch nicht am ersten Tag, an dem die DDR Mauer und Stachel- schlechter behandelt werden als Deutsche, die schon draht durchlässig macht, den Kopf vor allen Dingen lange in der Bundesrepublik Deutschland leben, die darüber zerbrechen, wie wir verhindern, daß mögli- Diskussion wirklich nicht fortsetzen; sie nützt nieman- cherweise mal einer 100 DM zuviel nimmt. Und wenn dem. Wir haben dies gemeinsam erarbeitet, und ich Sie sehen, wie viele inzwischen zu viel in Anspruch denke, das Ziel wird auch erreicht. In Wahrheit haben genommenes Begrüßungsgeld freiwillig zurückge- diejenigen, die als Aus- und Übersiedler zu uns kom- zahlt haben, dann finde ich, daß unsere Entscheidung men, ein viel schwereres Schicksal hinter sich und damals, die wir gemeinsam, alle elf Länder und der noch eine ganze Wegstrecke Schwierigkeiten vor Bundesinnenminister, getroffen haben, richtig war. sich, und wir haben es leichter. Ich denke, wir sollten dies unserer Bevölkerung auch immer wieder sagen. (Dr. Nöbel [SPD]: Darum geht es doch gar Wir sollten, wenn die Teilung Deutschlands weniger nicht!) wird, auch bereit und in der Lage sein, ein Stück weit Morgen werden wir mit dem Senat von Berlin darüber mehr zu teilen. beraten, wie wir gemeinsam dauerhafte Regelungen finden und schaffen können, wie wir Entscheidungen (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei verbessern können, die — Sie haben es richtigerweise Abgeordneten der SPD) gesagt — 1981 unter anderen Umständen getroffen Die Veränderungen in Deutschland, in Europa, worden sind. Aber das hat auch ein bißchen mit zwi- meine Damen und Herren, berühren den Geschäfts- schenstaatlichen Beziehungen zu tun. bereich des Bundesinnenministers in vielfältiger Meine Damen und Herren, wovor ich warne, ist, daß Weise. Ich will das hier nicht alles im einzelnen auf- wir hier in der Bundesrepublik Deutschland nach der führen, aber zwei Bemerkungen möchte ich machen. Freude, die so viele Menschen ganz spontan bewegt Die eine betrifft den Bundesgrenzschutz. Insbeson- hat, die ja auch uns an dem 9. November abends hier dere Herr Kollege Deres hat von der veränderten Auf- in diesem Hause ganz spontan bewegt hat, über dem gabenstellung für den Bundesgrenzschutz gespro- Mißbrauch im einzelnen, den es bei allen Regelungen chen. Ich möchte mich übrigens ausdrücklich für das gibt — es sind ja alles Menschen, und die in der DDR bedanken, was Herr Kühbacher und andere zu den sind auch nicht anders als wir hier, wahrscheinlich vielen Bediensteten vieler Verwaltungen im Bereich nicht sehr viel besser und nicht sehr viel schlechter —, des Bundesinnenministers, beim Bundesverteidi- das Gute der Gesamtentwicklung übersehen. Man gungsminister und in ehrenamtlichen Organisationen sollte auch nicht die Freude darüber, daß die Grenze gesagt haben. Ich habe mehrfach davon gesprochen, im geteilten Deutschland jetzt durchlässig geworden daß dies ein Gütezeichen für die Leistungsfähigkeit ist, zerreden, und weder Sie noch jemand in Ihrer Par- unseres öffentlichen Dienstes und für den Leistungs- tei sollten in die Nähe derjenigen in unserer Bevölke- willen und die Einsatzbereitschaft unserer Beamten, rung geraten, die politische Geschäfte — das unter- Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst ist. stelle ich Ihnen nicht — mit Ressentiments und Neid- Ich möchte dies ausdrücklich sagen. gefühlen gegenüber Aus- und Übersiedlern machen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Was den Bundesgrenzschutz bet rifft, der sich in die- sen Wochen und Monaten in ganz besonderer Weise Ich würde wirklich davon abraten! bewährt hat und noch bewährt, so wird er eine verän- Ich habe — und auch daran möchte ich heute erin- derte Aufgabenstellung haben. Wir arbeiten daran, nern — ein oder zwei Tage zuvor hier im Bundestag wir sind darüber auch im Gespräch. Aber es ist ganz davon gesprochen, daß wir niemals Aus- und Ober- klar — ich denke, daß es auch aus dem Bereich der siedler, die als Deutsche zu uns kommen, zurückwei- Bundesländer überhaupt keinen Widerspruch dage- sen werden. Dies gilt auch heute, und dabei wird es gen geben wird — , daß wir auch in Zukunft einen auch in der Zukunft bleiben. Es muß niemand Sorge Bundesgrenzschutz als eine bundesweite, im wesent- haben, daß hier Tore verschlossen werden, die andere lichen verbandsmäßig strukturierte Einsatzreserve für dabei sind zu öffnen. große Lagen benötigen werden. Wir werden für den Bundesgrenzschutz Lösungen erarbeiten, die diesem (Sehr gut! bei der CDU/CSU) Bedürfnis entsprechen. Aber ich habe auch gesagt — und auch dieses Meine zweite Bemerkung betrifft den Verfassungs- gilt — , daß angesichts der vielen hunderttausend, die schutz. Herr Kollege Nöbel, an sich trage ich ungerne- in diesem Jahr schon zu uns gekommen sind, jeder, Angelegenheiten einzelner Mitarbeiter in der Öffent- der jetzt weiter zu uns kommt, wissen muß, daß die lichkeit vor, noch dazu vor diesem Hause. Aber viel- Verhältnisse, unter denen er vielleicht eine ganze leicht sollten Sie doch, was diesen Mitarbeiter im Be- Zeitlang wird leben müssen, nicht einfach sein wer- reich des Bundesamtes für Verfassungsschutz bet rifft, den. Wir sollten niemandem Illusionen machen. Ich wissen, daß er sofort nach Bekanntwerden seiner Ak- habe dies klar und deutlich gesagt. Beides gilt, und tivitäten für diese rechtsradikale Partei innerdienst- beides gilt auch heute. lich umgesetzt worden ist. Aber er ist seitdem Aber weil die Verhältnisse so schwierig sind, sollten krank. wir, nachdem wir das Eingliederungsleistungs-An (Zuruf des Abg. Dr. Nöbel [SPD]) 13826 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Bundesminister Dr. Schäuble — Entschuldigung, Sie müssen immer die zweite Satz- laturperiode vorlegen. Auch darüber werden wir zu hälfte hören, bevor Sie widersprechen. — Er ist unmit- beraten haben. telbar nach dem Bekanntwerden innerdienstlich im Ich denke, über ein Thema haben wir in der Ver- Haus umgesetzt worden, er ist aber seitdem krankge- gangenheit lange und intensiv mit einem guten Ab- meldet. Deshalb war es bisher überhaupt nicht mög- schluß beraten. Deswegen habe ich nicht ganz ver- lich, mit ihm ein Versetzungsgespräch zu führen. Das standen, warum das heute wieder problematisiert ist die reine Wahrheit, und daraus können Sie alles worden ist. Wir haben im Bereich des zivilen Bevöl- weitere ableiten. Ich finde, wir sollten diese Diskus- kerungsschutzes zunächst einmal von der Verfas- sion nicht fortsetzen, weil sie uns wirk lich in völlig sungslage unseres Grundgesetzes auszugehen. Diese falsche Verdächtigungen führt. Im übrigen sind wir sieht Möglichkeiten für den Bund ganz analog zu auch bei solchen Mitarbeitern an Recht und Gesetz dem, was die Aufgabenstellung für den Bundesgrenz- gebunden, schutz auch in Zukunft verstärkt sein wird, nur unter (Duve [SPD]: Wie bei den Postbeamten in bestimmten Voraussetzungen vor, nämlich im Sinne den 70er Jahren!) eines doppelten Nutzen. Deswegen haben wir ja im Katastrophenschutzge- und der Bundesinnenminister wird sich in jedem Fall setz gesetzgeberisch die Entwicklung vollzogen, daß an Recht und Gesetz halten. Er wird sich jedenfalls wir in der Lage sind, bei einer klar geteilten verfas- immer darum bemühen. sungsmäßigen Zuständigkeit zwischen Bund und (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord Ländern auch vom Bund aus das Notwendige für den neten der FDP) zivilen Bevölkerungsschutz zu tun. Ich will zum Verfassungsschutz und seinen Mitar- Wie notwendig entsprechende Vorkehrungen sind, beiterinnen und Mitarbeitern auch noch die folgende erleben wir immer wieder. Ich würde mir und uns Bemerkung machen. Wir haben vor kurzem bei der allen wünschen, daß es bei der Vorsorge bleibt und feierlichen Übergabe des neuen Dienstgebäudes für daß wir niemals auf die Vorsorge zurückgreifen müs- das Bundesamt für Verfassungsschutz — einige Kolle- sen. Aber wenn eine Notlage eintreten würde und wir gen sind dabei gewesen — über Veränderungen der nicht Vorsorge getroffen hätten, dann wären wir unse- Aufgabenstellung, die sich durch die Entwicklung rer Verantwortung nicht gerecht geworden. zwischen Ost und West in Europa und Deutschland Deswegen bedanke ich mich bei all denjenigen, die auch für den Verfassungsschutz ergeben, ganz offen mitgeholfen haben, das Katastrophenschutzgesetz zu gesprochen. Es ist gar keine Frage, daß diese Entwick- verabschieden. Ich bedanke mich ferner bei allen, die lungen am Verfassungsschutz nicht vorbeigehen. mitgeholfen haben, die entsprechenden Mittel auch Aber es ist auch keine Frage — auch dies zeigt uns der im Haushalt 1990 zu veranschlagen. Ich bitte Sie alle heutige Tag — , daß wir auch in Zukunft eine wehr- um Zustimmung zu den Einzelplänen 06 und 36. hafte Demokratie bleiben müssen und daß wir einen Vielen Dank. leistungsfähigen Verfassungsschutz auch in Zukunft brauchen, damit wir uns unter allen Umständen Frie- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den, Freiheit und innere Sicherheit sowie Rechtsstaat- lichkeit bewahren können. Vizepräsidentin Renger: Meine Damen und Herren, (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei das Wort hat der Abgeordnete Wüppesahl. Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, wir werden uns über eine Reihe von wichtigen Themen der Innenpolitik in Wüppesahl (fraktionslos) : Frau Präsidentin! Meine den kommenden Monaten an Hand von Gesetzge- sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß bungsvorlagen aus dem Hause und Gesetzgebungs- über den Fall des „Republikaners" im Bundesamt für vorlagen der Bundesregierung intensiv unterhalten. Verfassungsschutz noch andere Dinge deutlich wer- Ich bin sicher, daß wir über das Asylverfahrensrecht den als die Gesichtspunkte, auf die Herr Schäuble die- noch intensive Beratungen führen werden. Ich bin ses Problem kapriziert hat. Ich kann mir nicht vorstel- ganz zuversichtlich, daß wir uns in Kürze über einen len, daß es einen Linken in führender Position beim Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Novellierung Bundesamt für Verfassungsschutz hätte geben kön- des Ausländerrechts auch im Deutschen Bundestag nen, ohne daß das aufgefallen und er bereits entfernt unterhalten werden. Ich bleibe bei meiner Formulie- worden wäre. rung, daß ich ganz zuversichtlich bin. (Beifall des Abg. Such [GRÜNE] — Zuruf von (Zuruf von der SPD) der CDU/CSU: Ach du lieber Gott!) - — Bevor das Kabinett entschieden hat, können Sie Das zeigt auch, daß im Bundesamt für Verfassungs- niemals ganz sicher sein. Aber wenn dieser Bundes- schutz ein Korpsgeist herrscht, der diesen Mann erst innenminister sagt, er sei zuversichtlich, dann können dann zum Problem werden läßt, wenn sich heraus- Sie schon davon ausgehen, daß das auch so werden stellt, daß er bei den „Republikanern" ist. Deswegen, wird. Wir werden das, wie ich das öffentlich oft genug Herr Schäuble, gehört der Verfassungsschutz, wie er gesagt habe, rechtzeitig vorlegen. Jedenfalls bin ich jetzt arbeitet, nach den Erkenntnissen aus Berlin, aber da unverändert und verstärkt ganz zuversichtlich. auch nach den vielen Skandalen in Köln, abgeschafft. Was Sinn für die Politik macht, ist ein Politikbera- Der Bundesfinanzminister wird Vorschläge für ein tungsinstrument. Dafür brauchen Sie nicht den Ver- kulturfreundliches Steuerrecht noch in dieser Legis fassungsschutz. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13827

Wüppesahl Herr Gerster zog wie ein losgelassener Kettenhund Zügen über das Land verteilt werden soll. Bei einer über Herrn Kühbacher in Sachen Zivilschutz her. sinnvollen gesellschaftspolitischen Vorgehensweise wäre eine solche Hundertschaft völlig ausreichend, (Fellner [CDU/CSU]: Na, na!) vielleicht sogar noch zuviel. Auch wenn ich Herrn Kühbacher an anderen Stellen nicht beipflichten kann, muß ich doch sagen: Er hat Ähnliches gilt für Hamburg. Von den vier Hundert- hier nun wirklich eine kooperative Nachdenklichkeit schaften der dortigen Abteilung soll ebenfalls zu- gezeigt, ob man, angesichts der jüngsten Entwicklun- nächst wenigstens eine gestrichen werden. Sie wissen gen im besonderen, noch an den vorhandenen Haus- ja selbst, daß ich auf Grund meiner beruflichen Bio- haltsstellen für den Bereich Zivilschutz festhalten graphie gerade in Hamburg sehr gut beurteilen kann, sollte. So darüber zu walzen, wie Sie das hier getan daß diese Kräfte im sachbearbeitenden Dienst weitaus haben, drückt natürlich auch Ihr Selbstverständnis sinnvoller eingesetzt werden könnten. von Politik aus. Der Datenschutz ist heute in der Debatte so gut wie Aber nun zu dem, was der keiner Fraktion angehö- gar nicht aufgetaucht. Ich beschränke mich auf fol- rende Abgeordnete Thomas Wüppesahl Ihnen, wie es genden Gesichtspunkt: Der Bundesbeauftragte für seinem Leistungsstandard entspricht, mit den 40 klug den Datenschutz soll, so mein Änderungsantrag zum durchdachten Änderungsanträgen zu den Einzelplä- Titel 422 01, um 20 zusätzliche Planstellen besser aus- nen, die wir zur Zeit diskutieren, präsentiert hat. Zu- gestattet werden. Wir haben vorhin gehört, daß mal mindest einige möchte ich Ihnen etwas näherbrin- eben 230 zusätzliche Stellen geschaffen wurden, um gen. die Asylanträge schneller bewältigen zu können. Während selbst Regierungsvertreter sagen, der größte Ich bin der Auffassung, daß im Kap. 06 40 Teil der 2 Milliarden DM des Innenetats werde durch Tit. 681 11 3 Millionen DM für eine Stiftung zur Wie- das BKA und den BGS verursacht, haben wir zur dergutmachung von NS-Unrecht eingestellt gehören. Kenntnis zu nehmen, daß im Bundeskriminalamt In meiner Heimatstadt haben Tausende von Zwangs- gleichzeitig 387 zusätzliche Stellen für die Rauschgift- arbeitern aus dem KZ Neuengamme gearbeitet und bekämpfung geschaffen werden sollen. Und dann zum Teil ihr Leben gelassen. Zumindest eine Kirchen- schafft es diese Koalition nicht, den Bundesbeauftrag- gemeinde hat jetzt endlich einen Gedenkstein für die ten für den Datenschutz auch nur im untersten Be- Sinti und Roma — die einzige Familie, die wir noch bei reich personell so auszustatten, daß er den vermehrt uns in der Stadt Geesthacht haben, ist während der aufgetretenen Anforderungen gerecht werden kann. NS-Zeit ungefähr um die Hälfte dezimiert worden — Weil wir das hier seit drei Jahren so diskutieren, unter- aufgestellt. Seit 1987 konnte ich miterleben, wie durch stelle ich Ihnen inzwischen, daß Sie bewußt dafür sor- das Verhalten insbesondere der Bundesfinanzverwal- gen, daß der Bundesbeauftragte für den Datenschutz tung jeder aufrechte Ansatz, Genugtuung auch nur strukturell schwach gehalten wird, damit die Pro- auf dem untersten materiellen Level zu schaffen, ver- blematisierung im Bereich des Datenschutzes, die für nichtet worden ist. die Politik, die Sie zu verantworten haben, weiß Gott Ein Änderungsantrag bet rifft die Reisekostenvergü- schon haarsträubend genug ist, nicht noch negativer tungen für Auslandsdienstreisen, Tit. 527 02. Das ist ausfällt. ein harmlos wirkender Titel, aber tatsächlich verstek- ken sich dahinter viele Abschiebungen in Länder, in Im Zusammenhang mit dem Schengener Abkom- denen mit dem Tod der abgeschobenen Personen ge- men soll der Tit. 532 31, Entgelte für die Entwicklung rechnet werden muß. Ich beantrage die Streichung von automatischen Verfahren, gestrichen werden. dieses Titels. Das Ausländerzentralregister soll mit dem Visa-Sy- stem effektiver gemacht werden, ohne daß die not- Im Kap. 06 24 soll der Ansatz des Titels der Kosten wendigen gesetzlichen Grundlagen und Daten- für die Aufstellung der 7. Bereitschaftspolizeiabtei- schutzbestimmungen geschaffen wurden. lung in Bayern gekürzt werden, (V o r sitz : Vizepräsident Westphal) (Zuruf des Abg. Fellner [CDU/CSU]) einer Abteilung, Herr Fellner, die geschaffen wurde, Zum Kapitel 06 10 — es ist eines meiner Lieblingsthe- als man davon ausging, daß die Wiederaufarbeitungs- men — Titel 686 02 — Ausbildungs- und Ausrüstungs- anlage fertiggestellt würde. Unabhängig davon, daß hilfe zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität im sie wegen der WAA überflüssig geworden ist, ist auf Ausland: Meine Damen und Herren, die Rauschgift- jeden Fall der von Ihnen in den Koalitionsfraktionen verbindungsbeamten — das haben wir inzwischen immer wieder angeführte Grund abhanden gekom- empirisch belegt — leisten keinen wirksamen Beitrag men. zur Reduzierung des Drogenproblems. (Fellner [CDU/CSU]: Die sollte nicht wegen Ich möchte in diesem Zusammenhang auch den von der WAA aufgestellt werden, und deswegen der SPD in diesen Tagen vorgelegten Antrag über die ist sie absolut nicht überflüssig!) Geldwäsche noch einmal anführen. Ich habe das an anderer Stelle bereits gesagt. Sie werden mit einer Das ist tatsächlich Vergeudung von Steuermitteln und solchen Vorgehensweise, ob Sie die Grenze melde- eine unnötige Aufblähung des Polizeiapparates. pflichtiger Bareinzahlungen bei 50 000 oder Ich habe mich aber auch einmal an zwei Bundeslän- 100 000 DM setzen, das Problem nicht bewältigen der herangewagt, die ich persönlich ganz gut kenne. können. Jeder Insider, jeder Banker kann Ihnen sa- Ich möchte die Bereitschaftspolizeiabteilung in gen, daß die Banken auch jetzt schon illegale Ge- Schleswig-Holstein von zur Zeit drei Einsatzhundert- schäfte mit den sogenannten Tafelgeschäften ma- schaften auf eine reduzieren, die dann mit ihren vier chen. Da werden Summen transportiert, die wirklich 13828 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Wüppesahl in keiner Buchhaltung auftauchen. Deswegen wird Ich bedanke mich für die teilweise erbrachte Auf- auch ein solches Gesetz zum Ansatz Geldwäsche in merksamkeit. jedem Fall im Sande verlaufen, weil die Banken, auch die deutschen Banken, natürlich ein eigenes Interesse Das Wort hat der Abgeord- daran haben, sich diese speziellen und zahlungskräf- Vizepräsident Westphal: nete Duve. tigen Kunden zu erhalten. Der Titel 422 01 — Bezüge der planmäßigen Beam- Duve (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und ten — soll um 5,6 Millionen DM gekürzt werden. Das Herren! Ich will versuchen, nach meinem Vorredner sind exakt die Rauschgiftverbindungsbeamten. Sie und vor einer Abstimmung um ein bißchen Aufmerk- setzen in der Regierungskoalition nach wie vor mit samkeit zu bitten. weitem Abstand als erste Prämisse bei der Bekämp- fung der Drogenproblematik auf die Repression. Wir Beim Einzelplan 6 ist ja auch die Kultur angesiedelt. hören gleichzeitig, selbst von Bundeskanzler Kohl bei Wir haben wegen vieler anderer Fragen über Kultur der Regierungsbefragung nach der entsprechenden wenig reden können. Der Innenminister hat eben an- Kabinettssitzung, daß die gesundheitspolitischen gedeutet, daß es noch zu einem kulturfreundlichen Aspekte im Vordergrund stehen sollen. Das ist reine Steuerrecht kommen wird. Wir freuen uns darüber. Augenwischerei; Ihre praktische Politik sieht anders Ich möchte eine Bemerkung des Kollegen Gerster in aus. der Debatte eben aufgreifen. Herr Gerster, Sie haben etwas gemacht, was Sie noch einmal überdenken soll- Wenn Sie deutsche Beamte oder Institutsangehö- ten. Sie haben unserer Fraktion hier eben vorgewor- rige in das Ausland schicken wollen, um sich einen fen, von den zehn Punkten des Bundeskanzlers abzu- Überblick darüber zu verschaffen, was dort an Dro- rücken. Niemand in der Bundesrepublik und niemand genproblematik in den jeweiligen Ländern existiert, in der Welt außerhalb der Bundesrepublik hat diese dann wäre es notwendig, ganz andere Wissenschafts- zehn Punkte als zehn Gebote, sondern als zehn Ange- fakultäten dort hinzusenden, wie z. B. Ethnologen. bote zu einer Diskussion verstanden. Der Titel 684 06 — Förderung demokratischer Wi- (Beifall bei der SPD) derstandskämpfer und Verfolgtenorganisationen — Das möchte ich hier einmal ganz klarmachen. Wenn soll um 500 000 DM erhöht werden. Unter Gefähr- Sie in der Debatte anfangen, dies zu zehn Geboten zu dung ihres Lebens leisteten viel zu wenige Menschen machen, dann können wir darüber nur sehr schwer in während der Nazidiktatur Widerstand. Diese Grup- einer sinnvollen und sachlichen Weise diskutieren, pen sollten, sofern sie noch lebende Mitglieder haben, die dem Gegenstand angemessen ist. langsam so bedient werden, daß auch durch diesen Ich denke, es ist wichtig, hier im Deutschen Bundes- Geldbetrag zum Ausdruck gebracht wird, wie heute tag darauf aufmerksam zu machen, daß sich für alle ihre Courage von damals bewertet wird. Menschen in der DDR, die in der Kultur tätig sind, in Der Titel 532 07, die von Frau Seiler-Albring ange- den letzten Wochen ein dramatischer Wechsel vollzo- führte unabhängige Regierungskommission zur Un- gen hat. Die Zensur soll abgeschafft werden, etwas, tersuchung von Ursachen der Gewalt und zur Ent- worauf wir jahrelang gepocht und gewartet haben. wicklung von Konzepten zur Verhinderung und Be- Das ist eine wirkliche Veränderung. Warum sage ich kämpfung von Gewalt, muß gestrichen werden. Die das hier, wenn wir über den Innenhaushalt sprechen? eigentliche Begründung für die Einführung dieser — Wenn Zensur und zentralistische Kulturpolitik in Kommission ist hinfällig geworden. Gerade die FDP der DDR abgeschafft werden, dann ist das ein unmit- wollte auf Grund der Koalitionsgespräche zusätzliche telbares Datum, dann sind das Entscheidungen, die Informationen über die Notwendigkeit oder den mög- uns unmittelbar betreffen. Denn in der Kultur hat es lichen Verzicht auf bestimmte Gesetze im Bereich der die Trennung nie ganz gegeben. inneren Sicherheit gewinnen. Diese Gesetze sind fast Deshalb wird meine Fraktion in der nächsten Zeit — sämtlich bereits auf den Weg geschickt bzw. verab- wir diskutieren das zur Zeit — eine Einrichtung vor- schiedet. schlagen, die deutlich macht, daß wir dann, wenn Zensur abgeschafft ist, auch gemeinsame Einrichtun- Die Schutzbauanlagen werden in einer Reihe von gen mit der DDR, d. h. mit den kulturpolitisch tätigen Änderungsanträgen von mir als zu streichen ange- Menschen der DDR, mit den Künstlern und Künstler- führt. Ich mache dazu keine weiteren Ausführungen, verbänden der DDR, haben können. Da sind wichtige weil die Nachdenklichkeit von Herrn Kühbacher be- Aufgaben in der Diskussion, bei denen wir unmittel- reits zum Ausdruck gebracht hat, wie meine Intention bar helfen können. Ich will vier nennen, bei denen ein dabei aussieht. Kulturfonds, der von uns mitfinanziert wird, helfen Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. könnte. Der Etat zum Bereich des Innenministeriums geht weit Das sind einmal Stipendien für Maler, Schriftsteller an den tatsächlichen Problemen vorbei. Viele dieser und Musiker, die jahrelang nicht in den Westen reisen Aspekte habe ich Ihnen jetzt im Stakkato dargestellt. und nicht dort — nicht nur in der Bundesrepublik — Es gibt noch weit mehr. leben konnten. Ich bin einigermaßen entsetzt darüber, daß die bis- Das ist zum zweiten Hilfe beim Denkmalschutz — herige Politik hier so fortgeführt wird. Ich würde mir eine kulturpolitisch wichtige Aufgabe, die die DDR wünschen, daß sich zumindest eine beachtliche Zahl allein wohl nicht wird bewältigen können. von Stimmen hinter meinen einzelnen Änderungsan- Das ist drittens Hilfe durch einen solchen Fonds zur trägen wiederfindet. Verhinderung des Ausverkaufs der deutschen Kultur- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13829

Duve güter in der DDR. Da braucht sie Hilfe. Und die kön- Vizepräsident Westphal: Die Zahl der angemelde- nen wir dann geben, wenn sie sich selber an einem ten Erklärungen zu § 31 der Geschäftsordnung mehrt solchen Instrument beteiligt. sich. Es kommmen nunmehr Sprecher aller Fraktio- Viertens schließlich sollte ein solcher Fonds in der nen zu Wort. Lage sein, das Entstehen kleiner — so nenne ich das Zunächst Frau Dr. Vollmer, bitte schön. einmal — Kulturbetriebe, Verlage und ähnliches auch wirklich mitzufinanzieren, damit wir von den zentrali- stischen Formen dort wegkommen. Frau Dr. Vollmer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Sie sind herzlich eingeladen, an einem solchen In- Kolleginnen und Kollegen! Ich wi ll kurz etwas zu un- strument, an einer solchen Institution mitzuwirken. serem Antrag „Unterstützung der Gedenk- und Do- Wir werden das in den Bundestag einführen. kumentationsstätte Salzgitter-Drütte" und zu der Ich danke für die Aufmerksamkeit. Ich weiß, daß Winzigkeit von einer Viertelmillion DM zur Unterstüt- das kurz vor der Abstimmung schwer ist. Aber ich zung dieses Vorhabens sagen. wollte das hier gern zu Protokoll geben, und das habe Der Herr Kollege Kühbacher hat gesagt, dieser An- ich hiermit gemacht. trag sei nicht abstimmungsreif. Ich verweise in diesem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zusammenhang auf die Debatte, die wir in der letzten der GRÜNEN und der FDP) Sitzungswoche geführt haben. Das war eine für dieses Parlament sehr ungewöhnliche Debatte. Damals hat die Frau Kollegin Wisniewski gesagt, die Dokumenta- Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Herren, tionsstätte sei unterstützungswürdig. Sie wissen nur ich schließe die Aussprache. noch nicht, ob der richtige Ort gewählt worden sei. Der Herr Kollege Schmidt hat aus seiner Kenntnis vor Bevor wir zur Abstimmung kommen, habe ich noch Ort gesagt, wie außerordentlich wichtig dieses Vorha- zwei Wortmeldungen zu Erklärungen nach § 31 unse- ben sei. Herr Lüder hat gesagt, er schäme sich, daß rer Geschäftsordnung. diese Geschichte, die schon in der letzten Legislatur- Da ist zunächst der Abgeordnete Kühbacher. periode hier im Parlament behandelt worden sei, so lange verzögert worden sei. Es ist dringend — wir haben die Mittel beantragt, (SPD): Herr Präsident! Meine Damen Kühbacher um sie gleichzeitig zu sperren — , jetzt über diese Sa- und Herren! Es folgen jetzt zwei namentliche Abstim- che abzustimmen, weil nämlich der Verkauf der Salz- mungen, die einen Erklärungsbedarf seitens der gitter-Werke ansteht und wir nach dem Stand der Dis- Sozialdemokraten erfordern. kussion davon ausgehen konnten, daß dieses Haus Der Antrag der GRÜNEN „Entschädigung für NS- diese kleine Summe bereitstellen würde. 250 Millionen DM in den Haushalt Zwangsarbeit", Wir haben unseren Antrag den entsprechenden einzustellen, entspricht einem von den Sozialdemo- Kollegen rechtzeitig — vor zwei Tagen — mit der Bitte kraten im Vorjahr gestellten Antrag, der leider nicht um Stellungnahme zugesandt, die bei uns nicht ange- zum Zuge kam. Wir werden diesem erneuten Begeh- kommen sind. Ich denke, auf diesem Hintergrund ist ren auch heute in namentlicher Abstimmung zustim- der Vorwurf, der vorhin gefallen ist, die GRÜNEN men. wollten sich gerade in dieser Sache profilieren, gründ- Es gibt einen zweiten Antrag der GRÜNEN mit ei- lich widerlegt. ner sehr viel bescheideneren Summe, nämlich Ich möchte Sie gerade angesichts der Tatsache, daß 250 000 DM für eine Gedenk- und Dokumentations- diese Sache so lange verschleppt worden ist, um Zu- stätte in Salzgitter-Drütte in den Haushalt neu einzu- stimmung zu unserem Antrag bitten. planen. Auch dieser Sache stehen wir völlig offen und zustimmend gegenüber. (Beifall bei den GRÜNEN) Aber nun muß ich Ihnen als Haushälter leider sa- gen, warum wir uns enthalten müssen. Der Sachstand ist so, daß die Vorbereitungen bei der Stadt Salzgitter Vizepräsident Westphal: Als nächster Redner hat noch nicht abgeschlossen sind, wie der Kollege nach § 31 unserer Geschäftsordnung der Abgeord- Schmidt selber und die Stadt Salzgitter es mitteilen. nete Gerster (Mainz) das Wort. Entsprechend einem Gutachten müssen die noch vor- geschlagenen Standorte, die zu erwartenden Kosten für den Erwerb, die Kosten für die bauliche Gestal- Gerster (Mainz) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine tung und Ausgestaltung noch ermittelt werden. Des- sehr geehrten Damen und Herren! Es wird Sie nicht halb ist dieser Ansatz nach unserem Haushaltsrecht verwundern, daß die CDU/CSU-Fraktion die beiden nicht etatreif. Wir werden uns bemühen, ihn im Haus- Anträge der GRÜNEN ablehnen wird. Ich möchte nur halt 1991 einzuplanen. zu einem Antrag etwas sagen, nämlich zu dem Antrag Gleichzeitig möchte ich noch einmal ausdrücklich betreffend Entschädigung für NS-Zwangsarbeit, für dafür danken, daß es möglich war, für die Gedenk- den 250 Millionen DM eingestellt werden sollen. stätte in Hadamar, für die im Haushalt 1990 Mittel Erstens. Dieser Antrag entbehrt schon deshalb der vorgesehen sind, ohne großes Aufheben Mittel bereit- Glaubwürdigkeit, weil am 14. Dezember dieses Jah- zustellen. res eine Anhörung des Innenausschusses zum Thema Wir werden uns bei diesem Antrag, der leider nicht Wiedergutmachung stattfinden wird. Es ist unge- etatreif ist, der Stimme enthalten. wöhnlich, einerseits eine Anhörung zu beantragen 13830 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Gerster (Mainz) und andererseits schon feste Vorstellungen zu ent- müssen. Es muß auch andere Wege geben, solche wickeln. Gedenkstätten in unserem Land zu schaffen. Deshalb (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: 40 wollen wir das heute nicht übers Knie brechen. Darum Jahre danach! — Kein Argument! — Sie ma lehnen wir diesen Antrag ab. chen sich noch lächerlicher!) Zweitens. Wir haben uns skeptisch geäußert zur — Ich finde es schon bemerkenswe rt, wie wichtig Sie Einrichtung der Stiftung für die Entschädigung von selbst die von Ihnen beantragte Anhörung nehmen. Zwangsarbeit. Wir haben uns bereit erklärt, darüber zügig, und zwar noch im Dezember parallel zu einer Zweitens. Das entscheidende Argument ist jedoch: Plenarsitzung, die Anhörung durchzuführen. Wir sa- Die Wiedergutmachung nach dem Schrecken des gen nicht nein dazu. Wir wollen offen hören, wir wol- Zweiten Weltkrieges beruht auf dem Territorialitäts- len offen nach Wegen suchen. Aber wir können die prinzip, auf einer Sonderregelung für jüdische Ver- Entscheidung nicht durch einen Be trag präjudizieren, folgte und auf dem Londoner Schuldenabkommen. den wir heute einsetzen. Wenn die Bundesrepublik Deutschland jetzt eine neue Form der Wiedergutmachung einführen würde, Wenn der Deutsche Bundestag im nächsten Jahr würden — zusätzlich zu den rund 100 Milliarden DM, beschließen sollte, so etwas zu machen, wird das Geld die an Wiedergutmachung geleistet wurden und noch dafür auch zur Verfügung gestellt werden können, zu leisten sind — Beträge in unübersehbarer Milliar- aber nicht im Vorweg heute über die Haushaltsbera- denhöhe anfallen. Dies würde das Londoner Schul- tung. Deswegen sagen wir auch zu diesem Antrag denabkommen sprengen und zu weiteren Nachforde- nein. rungen führen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich halte eine derartige Antragstellung sehr wohl in Kenntnis des schweren Schicksals von Menschen, die Vizepräsident Westphal: Die letzte Wortmeldung Zwangsarbeit leisten mußten, und auch in voller Wür- nach § 31 der Geschäftsordnung kommt von dem Ab- digung der Nöte, die sie erleiden mußten, in dieser geordneten Kleinert (Marburg). Form gegenüber den Menschen dieser Genera tion und gegenüber den Menschen folgender Generatio- nen für nicht verantwortbar. Kleinert (Marburg) (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als zuständiger Berichter- (Zuruf von der SPD: Das ist doch keine Erklä statter meiner Fraktion für den Einzelplan 06 lege ich rung zur Abstimmung! — Weitere Zurufe von Wert auf folgende Feststellung. Die vom Kollegen der SPD und den GRÜNEN) Kühbacher hier geltend gemachte mangelnde Etat- Wir werden uns bei der Anhörung sehr wohl sach- reife des Antrags betreffend Dokumentationsstätte kundig machen. Ich schließe natürlich nie aus, daß Salzgitter ist aus meiner Sicht weder gegeben, noch uns eine Anhörung zu bestimmten Sachfragen sach- sind die Argumente, die Sie hier vorgetragen haben, kundig machen kann und daß sie auch zu gewissen in irgendeiner Weise stichhaltig. Konsequenzen führen kann. Herr Kollege Kühbacher, Sie wissen so gut wie ich, Nur halten wir den neuen Einstieg im Jahre 1989 in daß es, wenn solche Unsicherheiten noch bestehen, eine völlig neue Form der Wiedergutmachung, die die Möglichkeit gibt, eine qualifizierte Sperre vorzu- übrigens früher gemeinsam mit den Stimmen der SPD sehen, und daß damit die Probleme, die Sie hier ange- abgelehnt wurde, nicht für verantwortbar. Deswegen sprochen haben, besei tigt werden. Ich kann nur an Sie werden wir diesen Antrag ablehnen. appellieren, Herr Kollege Kühbacher: Machen Sie (Zustimmung bei der CDU/CSU) nicht auf dieser Ebene formale Bedenken geltend, die keine sachliche Substanz haben. Lassen Sie uns die- sen Antrag hier verabschieden, damit wir nicht in eine Vizepräsident Westphal: Das Wort ebenfalls nach unmögliche Situation kommen, die dann entstünde, § 31 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Lü- wenn das, was Kollege Lüder vorgetragen hat, so der. bliebe, nämlich daß auf der einen Seite alle behaupten „Wir wollen das! ", daß aber auf der anderen Seite niemand bereit ist, Geld dafür bereitzustellen. Lüder (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr geehrten Das ist ein unmöglicher Zustand. Lassen Sie uns das Damen und Herren! Es ist erst wenige Tage her, daß hier regeln. Das ist doch zu machen; es geht nicht um wir hier über den Antrag zu Dritte gesprochen haben. weltbewegende Summen. Wir werden in der nächsten Woche im Innenausschuß darüber weiter beraten. Wir hatten zugesagt, daß die (Zustimmung bei den GRÜNEN) Beratung zügig und schnell kommt. Ich hoffe, daß wir dann auch alle Unterlagen haben, die uns von Salzgit- Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Herren,- ter noch zur Verfügung gestellt werden müssen. wir kommen nun zu den Abstimmungen, und zwar Aber heute, vor der ersten Beratung im Innenaus- zuerst zu zwei namentlichen Abstimmungen, die wir schuß, ein definitives Wort zu sagen, halten wir für in kurzer Zeit hintereinander abwickeln können. Es falsch. Ich habe, Frau Kollegin Vollmer, in der Debatte geht um Anträge zum Einzelplan 06. hier gesagt, daß es das Politikum sein muß, daß wir Wir stimmen zunächst ab über den Änderungsan- diese Gedenkstätte wollen. Ich habe für meine Frak- trag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache tion an die Haushälter gerichtet gesagt, daß damit 11/5796. Dieser Antrag betrifft die Gedenkstätte Salz- nicht zwangsläufig die Auflage verbunden sein muß, gitter. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat hierzu nament- daß wir aus diesem Etat Geld zur Verfügung stellen liche Abstimmung verlangt. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13831

Vizepräsident Westphal Ich eröffne die namentliche Abstimmung. ten Wüppesahl zur Abstimmung stellen, und zwar sind das die Drucksachen 11/5866 bis 11/5873. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? — Ich schließe die (Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist er denn?) Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Aus- zählung zu beginnen. Das Ergebnis werde ich später — Es ist nicht die Aufgabe des Präsidenten, festzustel- mitteilen.*) len, wo sich ein Abgeordneter befindet. Wir kommen jetzt zur nament lichen Abstimmung (Heiterkeit) über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜ- Auch jetzt gehe ich davon aus, daß uns der Abgeord- NEN auf Drucksache 11/5797. Er befaßt sich mit ei- nete Wüppesahl erklärt hat, daß er mit einer Abstim- nem Fonds für Wiedergutmachung. mung für alle genannten Anträge einverstanden ist. Ich eröffne die nament liche Abstimmung. Wer stimmt für die Änderungsanträge des Abgeord- neten Wüppesahl? — Ich sehe keinen. Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses, das seine Stimme nicht abgegeben hat? — (Zurufe von der CDU/CSU: Niemand!) Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei zwei Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Auch Enthaltungen und keiner Stimme dafür sind diese dieses Ergebnis werde ich später mitteilen. **) Änderungsanträge abgelehnt. Wir kommen jetzt zu der Abstimmung über die Än- Jetzt kommen wir zum Änderungsantrag der Frak- derungsanträge des Abgeordneten Wüppesahl zum tion der SPD zum Einzelplan 36 auf Drucksache Einzelplan 06. Das sind die Drucksachen 11/5838 bis 11/5882 unter Nr. XIX. Wer stimmt für diesen Ände- 11/5860 und 11/5875 bis 11/5881 sowie 11/5910 und rungsantrag? Ich bitte um das Handzeichen. — Wer 11/5911. stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist dieser In Übereinstimmung mit dem Abgeordneten Wüp- Änderungsantrag mit der Mehrheit der Koalitions- pesahl ist es möglich, dies in einer Abstimmung zu fraktionen abgelehnt worden. machen. Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Einzel- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der plan 36; das ist der Einzelplan „Zivile Verteidigung". GRÜNEN) Wer ihm in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer — So kommt man spät zu Beifall. — Ich stelle sämtli- stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser che eben genannten Drucksachen, Anträge des Abge- Einzelplan mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen ordneten Wüppesahl zum Einzelplan 06, zur Abstim- angenommen worden. mung. Ich bitte diejenigen um das Handzeichen, die für die Annahme dieser Anträge sind. — Sind Sie damit einverstanden, daß wir zum nächsten Tagesordnungspunkt übergehen? — Die Abstim- (Zuruf von der CDU/CSU: Er ist gar nicht mung über Einzelplan 06 findet nachher statt, wenn da!) wir über Einzelplan 14 abstimmen. Darf ich um die Gegenprobe bitten. — Enthaltungen? — Bei null Stimmen dafür, bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN sind diese Änderungsanträge mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Ich rufe auf: SPD abgelehnt. I. 22. hier: Einzelplan 14 Ich komme nun zum Änderungsantrag der Fraktion Geschäftsbereich des Bundesministers der der SPD zum Einzelplan 06 auf Drucksache 11/5882, Verteidigung und zwar unter Nr. III. Wer stimmt für diesen Ände- rungsantrag? Ich bitte um das Handzeichen. — Wer — Drucksachen 11/5564, 11/5581 — stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist dieser Berichterstatter: Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt. Abgeordnete Müller (Wadern) Da ich zur weiteren Abstimmung über den Einzel- Dr. Friedmann plan 06 erst die Ergebnisse der nament lichen Abstim- Dr. Weng (Gerlingen) mung haben muß, kommen wir jetzt zur Abstimmung Frau Seiler-Albring über den Einzelplan 33, Versorgung. Wer diesem Ein- Kühbacher zelplan in der Ausschußfassung zustimmt, den bitte Walther ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Kleinert (Marburg) Enthaltungen? — Damit ist dieser Einzelplan mit der I. 23. hier : Einzelplan 35 Mehrheit der Fraktionen der Koalition und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN ange- Verteidigungslasten im Zusammenhang mit nommen. dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte Nun kommen wir zum Einzelplan 36. Dazu muß ich — Drucksache 11/5576 — zunächst- wieder Änderungsanträge des Abgeordne Berichterstatter: Abgeordnete Diller *) Ergebnis S. 13851B Kalb **) Ergebnis S. 13852 D Kleinert (Marburg) 13832 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Vizepräsident Westphal IV. Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- unsere Anträge auf Kurskorrektur niedergestimmt, tionsausschusses (2. Ausschuß) unsere Kooperationsvorschläge ausgeschlagen und Sammelübersicht 123 zu Petitionen die Legende verbreitet, die SPD entferne sich von der — Drucksache 11/5150 — sicherheitspolitischen Gemeinsamkeit. V. Beratung der Beschlußempfehlung und des Be- Am 6. Dezember dieses Jahres wi ll nun das Bundes- richts des Verteidigungsausschusses (12. Aus- kabinett dem Armutskleid ihrer Planung einen neuen schuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Fuchs Flicken aufsetzen. Die jetzige Korrektur erfolgt viel zu (Verl), Dr. Böhme (Unna), Erler, Gerster spät, zu zaghaft und ohne Reue; zu spät, um Konsens (Worms), Heistermann, Ho rn, Kolbow, Leon- und Koordination der Politik im Bündnis herzustellen, hart, Steiner, Zumkley, Leidinger, Opel, zu spät auch, um Härten bei den allenthalben erfor- Dr. Ehmke (Bonn), Dr. Vogel und der Fraktion derlichen Versetzungen für die Soldaten und ihre Fa- der SPD milien zu vermeiden, zu zaghaft, um für die Wiener Abrüstungsverhandlungen auch nur irgendein posi ti Rücktritt der Bundesrepublik Deutschland von -ves Signal zu setzen und den schlimmen Eindruck zu dem Entwicklungsvorhaben „Europäisches vermeiden, man sei nur bereit, das Personal abzu- Jagdflugzeug/Jagdflugzeug 90" bauen, das man ohnehin nicht mehr bekommt. Auch zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN jetzt ist kein Konzept zu erkennen. Ausscheiden der Bundesrepublik Deutschland Im übrigen gehen die neuen Planungen immer noch aus dem Entwicklungsvorhaben Jagdflugzeug — das wissen Sie genau — von einer Verlängerung 90 der Grundwehrdienstdauer auf 18 Monate ab 1992 — Drucksachen 11/3018, 11/3592, 11/4269 — aus. Berichterstatter: (Zuruf von der SPD: Unerhört!) Abgeordnete Francke (Hamburg) Da daran jedoch niemand ernsthaft glaubt, ist auch Dr. Klejdzinski das neue Zwischenpapier des Ministers bereits Maku- Zu Einzelplan 14 und zur Sammelübersicht 123 des latur. Der verhunzte Plan dieser Bundesregierung läßt Petitionsausschusses liegen eine Reihe von Ände- sich am besten mit dem Wort von Bert Brecht charak- rungsanträgen der Fraktion der SPD sowie der Frak- terisieren: Ja, mach' nur einen Plan und sei ein großes tion DIE GRÜNEN vor. Über die Änderungsanträge Licht, und dann mach' einen zweiten Plan; gehen tun auf Drucksache 11/5798 und 11/5887 soll nachher na- sie beide nicht. mentlich abgestimmt werden. (Beifall bei der SPD — Ganz [St. Wendel] Auf Grund einer Vereinbarung im Ältestenrat sind [CDU/CSU]: Ihr seid doch Weltmeister im für die gemeinsame Beratung der Tagesordnungs- Plänemachen!) punkte 90 Minuten vorgesehen. — Ich sehe dazu kei- Für die SPD-Fraktion fordere ich erneut die Einset- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wer zung einer Wehrstrukturkommission. Ich fordere die also rechnen kann, weiß, daß die Abstimmungen etwa FDP auf, zu ihrem Wo rt zu stehen. gegen 22 Uhr stattfinden werden. Sie können das den (Gerster [Worms] [SPD]: Die nennt das aber Kollegen mitteilen, damit sie nicht alle bei mir fragen kommen. anders!) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- Zugleich fordere ich die notwendige Rüstungskür- ordnete Horn. zung einschließlich Jäger 90 in einer gründlichen Rü- stungsklausur, um die Finanzvorhaben des Bundes nicht weiterhin ständig zu überfordern und um für die Horn (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Abrüstungsverhandlungen in Wien endlich eine ver- Damen und Herren! Am 17. Oktober 1984 wurde der nünftige eigene Perspektive zu entwickeln. erste Bundeswehrplan vom Kabinett verabschiedet. (Ganz [St. Wendel] [CDU/CSU]: Wie beim Ohne dem zuständigen Fachausschuß die Chance ei- Tornado!) ner gründlichen Beratung zu geben, wurde er in der darauffolgenden Sitzung des Verteidigungsausschus- Ob bei dem Einzelplan 14 als 18,1-%-Vorlage an ses von der Koalitionsmehrheit nach nur sechs Stun- den richtigen Stellen und ausreichend abgespeckt den Vortrag und Diskussion beschlossen. Eine aben- wurde, das wird mein Freund Klaus-Dieter Kühbacher teuerliche Aktion, wie sie von Anfang an ersichtlich noch behandeln. war und wie sich später von Jahr zu Jahr immer mehr (Zurufe von der SPD: Bravo!) bestätigte. Der Unmut in der Truppe ist do rt, wo man immer (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das ist eine Mi vom Rückgrat der Armee spricht, nämlich bei den nisteriumsvorlage und keine Parlamentsvor Feldwebeln, bei den Offizieren des Truppendienstes- lage!) und bei den Offizieren des militärfachlichen Ohne die außenpolitischen Rahmendaten einzube- Dienstes. ziehen, war der Plan von Anfang an unrealistisch und (Zuruf von der CDU/CSU: Es ist sehr viel damit undurchführbar. Eine Gesamtfinanzierungs- getan worden!) summe von über 600 Milliarden DM netto und eine dramatisch abfallende demographische Entwicklung Die Koalition hat die Fachdienstoffiziere auch in die- durch den Pillenknick bei den jüngeren Jahrgängen sem Jahr vergessen. machte diese Planung von Anfang an hinfällig. Jahr (Müller [Wadern] [CDU/CSU]: Das ist nicht für Jahr hat die Koalition wider besseres Wissen alle wahr!) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13833

Horn Völlig unverständlich ist für mich jedoch, wie Sie Elbe grundlegende Änderungen vollziehen und der Ihre Entscheidung vertreten wollen, daß Tausende Warschauer Pakt immer mehr den Charakter eines qualifizierter Unteroffiziere allein deshalb ihr Lauf- Militärpakets verliert, ohne daß dies Auswirkungen bahnziel nicht erreichen sollen, weil sie bestimmten auf uns im Westen hat. Geburtsjahrgängen angehören. Die SPD-Fraktion hat die vorübergehende Anhebung von 2 500 Stellen für (Beifall bei der SPD) Hauptfeldwebel, Stabsfeldwebel und Oberstabsfeld- Die deutsch-deutsche Entwicklung der jüngsten webel beantragt, und die Koalition hat dies abge- Zeit ist ein beredtes Beispiel für vordringlichen Hand- lehnt. lungsbedarf auf anderen Politikfeldern. Meine sehr (Zuruf von der SPD: So ist das!) verehrten Damen und Herren, der vom Bundeskanz- Wie wollen Sie eigentlich den Männern gegenüber- ler zusammengefaßte Zehn-Punkte-Katalog zur treten, die Sie zu Opfern einer verfehlten Personalpla- Deutschlandpolitik enthält wesentliche Elemente ei- nung machen? nes von den Sozialdemokraten schon lange darge- (Beifall bei der SPD) stellten Konzepts auf diesem Gebiet. Entscheidende Fragen werden jedoch von der Bundesregierung of- Wir haben mit den Stellenanhebungen eine Maß- fenbar mit Bedacht ausgeklammert. nahme der Gerechtigkeit beantragt, die pro Jahr — man höre und staune — 7 Millionen DM kostet. Lesen Sie doch die Erklärungen der britischen Pre- mierministerin. Lesen Sie nicht nur diese, sondern (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Das ist ja un auch die des sowjetischen und des amerikanischen Außenministers, und Sie werden erkennen, das Zu--glaublich!) Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, ha- sammenwachsen dessen, was zusammengehört — um ben diese 7 Millionen DM für diese Leute abgelehnt, Willy Brandt zu zitieren — , eine echte Konföderation aber allein für die Entwicklung des Jagdflugzeugs 90 und das Ziel einer Einheit in einer gesamteuropäi- haben Sie 700 Millionen DM bewilligt, schen Friedensordnung sind jedoch nicht mehr er- reichbar in den bestehenden Bündnisstrukturen. (Zuruf von der SPD: Unglaublich! — Frau Matthäus-Maier [SPD]: Skandalös!) (Zuruf von der CDU/CSU: Das sollten Sie genauer sagen!) ja, gegen uns durchgedrückt. Das ist die nackte Wahr- heit Ihres Spruchs vom Menschen als Mittelpunkt, — Dazu komme ich jetzt. — Ich fasse zusammen. den niemand mehr hören kann. Erstens. Die gesetzlich vorgesehene Verlängerung (Beifall bei der SPD — Frau Matthäus-Maier der Grundwehrdienstzeit auf 18 Monate muß rück- [SPD]: Jawohl!) gängig gemacht werden. Sie ist den Betroffenen nicht Sie brauchen aber nicht zu befürchten, daß der Jä- zumutbar. Sie ist gesellschafts- und wirtschaftspoli- ger 90 allein für alle Ungereimtheiten Ihrer Regie- tisch unsinnig und außenpolitisch ein falsches Si- rungspolitik herhalten muß. In diesem Falle würde es gnal. schon genügen, die Werbemittel zu kürzen, damit (Beifall bei der SPD) nicht teure Agenturen idiotischen Männermut propa- Zweitens. Großprojekte im Rüstungsbereich wie gieren, wofür man sich in Verbundenheit mit unserer der Jäger 90 sind sofort zu stoppen. Sie sind nicht Truppe nur noch schämen kann. finanzierbar und abrüstungs- und rüstungskontroll- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — politisch kontraproduktiv. Widerspruch und Unruhe bei der CDU/ (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — CSU) Repnik [CDU/CSU]: Sollen die die alten Ma- Seit 1985 fordern wir eine Rüstungsklausur — ein- schinen weiter fliegen?) geladen, Herr Kollege Ganz — und die Einsetzung einer Wehrstrukturkommission. Wenn wir nach fünf Drittens. Bundeskanzler Kohls Zehn-Punkte-Kata- Jahren scheibchenweise recht bekommen, dann ist log mit dem Ziel einer neuen europäischen Friedens- das für uns auch nicht gerade eine wahre Freude. ordnung und der Schaffung konföderativer Struktu- ren zwischen beiden deutschen Staaten sind unver- Im übrigen geben die deutschen Ressourcenpro- einbar mit der sogenannten Modernisierung der ato- bleme besonders beim Personal keinerlei Anlaß für maren Kurzstreckenwaffen. Eine Öffnung von Mauer Stolz. Inzwischen läßt der Bundesminister der Vertei- und Stacheldraht, die erste freie Begegnung von digung an der 380 000-Mann-Bundeswehr arbeiten. Deutschen und Deutschen in Berlin und in anderen Herr Dr. Stoltenberg, das Dementi dürfen Sie ruhig Teilen der Bundesrepublik Deutschland, das, meine wieder dementieren lassen. Das gilt auch für die ange- Damen und Herren, schließt einfach die Aufstellung kündigte Kabinettssitzung am 6. Dezember, die den neuer Atomraketen aus, die ihr Zielgebiet in der Hei- Flop vom Oktober 1984 bereinigen soll. mat dieser Menschen, in der DDR, haben, aber auch in Wichtiger als diese unerläßliche Prüfung der Haus- Polen und der Tchechoslowakei. haltsansätze und der Eckdaten ist jedoch die politi- (Beifall bei der SPD) sche und gesellschaftliche Umwälzung in der Sowjet- union, Ostmitteleuropa und der DDR auch für unsere Es ist doch widersinnig, den Aufbruch zu Freiheit und Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Das ist eine Demokratie unter ein nukleares Damoklesschwert zu Zäsur in der bisherigen Entwicklung. Kein vernünfti- stellen. Im Gegenteil, die atomaren Kurzstreckenwaf- ger Mensch kann doch glauben, daß sich östlich der fen müssen mit Vorrang abgebaut werden. Das ist 13834 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Horn auch in unserem eigenen deutschen wohlverstande- gen darstellt. Insofern ist die Initiative gegeben, die nen Interesse. eingefordert wird. Herzlichen Dank für diese Bemü- (Beifall bei der SPD) hungen! Viertens. In Wien ist ein Seminar über Militärsstra- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tegien und Doktrinen zwischen Ost und West verein- Meine Damen und Herren, wir stellen uns auf den bart worden. Auf dem Prüfstand stehen die politi- neuen Prozeß in Europa ein. Aber: Die Sicherheit und schen Doktrinen, die bestehenden Militärstrategien, damit auch die Stabilität in Europa bedingen nach wie die operativen Leitlinien und die Verbandsstrukturen vor eine Verteidigungsfähigkeit. Was wir von Ihnen, in Ost und West. Sie bedürfen einer tiefgreifenden der Opposition, zu dieser Thematik an Signalen hö- Veränderung, die zur beiderseitigen strukturellen ren, ist nicht sehr erfreulich. Nichtangriffsfähigkeit führt. Kein seriöser Politiker glaubt, daß die dramatische Umwälzung im Denken Meine verehrten Damen und Herren, ich habe den und in der politischen Landschaft im Warschauer Ver- Beitrag des Kollegen Kühbacher aus der ersten Le- trag ohne Rückwirkung auf uns bleibt. sung dieses Haushaltes noch einmal genau nachge- lesen. Dies alles wird auch Auswirkungen auf die Bundes- wehr haben. Mit der Veränderung ihrer Struktur, der (Kühbacher [SPD]: Das ist gut so!) Reduzierung ihrer Präsenzstärke und der Modifizie- Sie haben dort gesagt, Herr Kollege, daß die physi- rung ihrer Ausrüstung im Rahmen des allgemeinen sche Präsenz der USA in Europa notwendig sei, Abrüstungsprozesses muß jetzt begonnen werden. (Kühbacher [SPD]: Richtig!) Damit verbunden wird auch die Frage nach der Rolle und Sie haben gesagt, daß jeder, der etwas anderes der Streitkräfte in unserer Gesellschaft, nach der Zu- über die Sozialdemokratie verlauten lassen würde, kunft bewaffneter Verteidigung im Wandel sicher- etwas Falsches unterstellen würde. heitspolitischer Bedingungen neu gestellt. (Zuruf von der SPD: So ist es!) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, ge- statten Sie eine Zwischenfrage? Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abgeord- nete Müller (Wadern). Müller (Wadern) (CDU/CSU): Ja, bitte schön.

Dr. Klejdzinski (SPD): Herr Kollege, da Sie erkannt Müller (Wadern) (CDU/CSU): Herr Präsident! haben, daß die Sicherheitspolitik, die Sie gegenwärtig Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich durchführen, ein richtungweisender Schritt in die auf einige Bemerkungen meines Vorredners ein- richtige Richtung ist, darf ich das so verstehen, daß Sie gehe, mit uns die Friedensstärke der Bundeswehr noch er- (Zuruf von der SPD: Das waren Ausführun heblich herabsetzen? gen!) möchte ich noch einmal ganz grundsätzlich hier fest- Müller (Wadern) (CDU/CSU): Ich werde auf die stellen: Im 40. Jahr der NATO stellen wir fest, daß Ausführungen zur Friedensfähigkeit nachher noch unser Verteidigungsbeitrag, unsere Sicherungspoli- eingehen, Herr Kollege Klejdzinski. Ich bitte um Ver- tik, unsere Bundeswehr, ständnis. (Zuruf von der SPD: Am Ende ist!) (Zuruf von der CDU/CSU: Klejdzinski, set- zen!) die Streitkräfte der NATO ihren Beitrag dazu geleistet Ich darf noch einmal aufgreifen, was Kollege Küh- haben, daß die Bereitschaft zur Abrüstung gefördert bacher in der Debatte gesagt hat: die Präsenz der USA worden ist. in Europa sei für die SPD selbstverständlich. Der Mini- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sterpräsident meines Landes, der stellvertretende Ohne unsere Festigkeit wäre dies nicht denkbar ge- Bundesvorsitzende der SPD, Lafontaine, forde rt, was wesen. Und jetzt anerkennt ja die Sowjetunion, daß mich nicht wundert, dieser Tage den Abzug der Ame- sie eine massive Überlegenheit hat. Auch das ist rikaner — aller Amerikaner. Und Herr von Bülow fin- neu. det diesen Vorschlag auch noch vernünftig. So haben wir also jetzt die Chance, etwa mit den (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Ja, was gilt Wiener Verhandlungen zum Erfolg zu kommen. Aber denn jetzt?) Vorleistungen zum jetzigen Zeitpunkt würden uns Meine Damen und Herren, dazu eine unverdäch-- dann nicht angerechnet. tige Stimme. Der französische Historiker und (Beifall bei der CDU/CSU) Deutschlandkenner Joseph Rovan hat nach den Er- eignissen in der DDR, also in den letzten Tagen, ge- Es ist selbstverständlich, daß wir die Chance nutzen. sagt, es sei ja die Frage, was bei aller Würdigung der Aber beim Nutzen der Chance dürfen die Risiken Reformpolitik von Gorbatschow letztlich die Absicht nicht vergessen werden. der Politik Gorbatschows sei, nämlich, wie vor ihm In diesem Zusammenhang möchte ich ganz aus- erfolglos Chruschtschow und Breschnew, die Ameri- drücklich unserer Regierung, dem Verteidigungsmi- kaner und die Atomwaffen aus Europa wegzuhaben. nister danken, daß er diese Wiener Verhandlung aktiv Dann hätte Gorbatschow — so Rovan — „trotz aller gestaltet, regelrecht die Dynamik dieser Verhandlun Schwierigkeiten, die er in seinem Herrschaftsgebiet Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13835

Müller (Wadern) erlebt, im Grunde den entscheidenden Sieg errungen, liarde pro Jahr. Er fügte aber dann hinzu, daß dadurch den die Sowjetunion seit 50 Jahren vergeblich ver- eine Menge Bundeswehrstandorte zugemacht wer- sucht zu erringen". den müßten. Als Ausgleich für die aufgegebenen Standorte der Bundeswehr in strukturschwachen Ge- Meine Damen und Herren, man braucht diese Mei- bieten müßten diesen Regionen Strukturhilfen von bis nung ja überhaupt nicht zu teilen — wie gesagt, ich zu 1 Milliarde DM jährlich gewährt werden. — So habe Rovan zitiert —, Rudi Walther. (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Der Mann hat Wenn ich richtig rechne — 1 Milliarde DM im Ein- recht!) zelplan 14 weg und 1 Milliarde DM im Einzelplan 09 aber wir brauchen langfristig die Präsenz der Ameri- hinzu, wo die Strukturhilfen etatisiert sind — , frage kaner, um das Gleichgewicht gegenüber der anderen ich, wo denn dann die Einsparungen in diesem Be- Großmacht richtig auszutarieren. Dazu wären doch reich liegen. Insofern wiederhole ich meine Feststel- die Europäer allein nicht in der Lage. lung: Die Einsparberechnungen sind rundherum un- seriös, die Sie uns hier anbieten, meine Damen und Zu den unerfreulichen Signalen der Opposition Herren. zählt auch, wie wir eben schon wieder gehört haben, (Beifall bei der CDU/CSU) das gebetsmühlenhafte Infragestellen der Großpro- Zu den falschen Signalen gehört auch die Aussage jekte: Auch hier ge- (Horn [SPD]: Der Modernisierung, was?) zum Friedensumfang der Bundeswehr. hen die Größenordnungen auseinander. Da sagt der Jäger 90, Streichung des ECR-Tornados, Panzerab- eine 200 000, der andere sagt 250 000, wieder andere wehrhubschrauber usw. meinen 350 000 bis 370 000, (Ganz [St. Wendel] [CDU/CSU]: Reiner (Dr. Klejdzinski [SPD]: Was sagen Sie?) Populismus!) noch einmal andere sagen 380 000 bis 400 000. Was Alle diese Projekte unterliegen einem komplizierten stimmt denn eigentlich? Wir sind der Meinung: Wir Geflecht internationaler Verpflichtungen. Es käme diskutieren den Friedensumfang sehr sorgfältig, bei einem Verzicht darauf zu einer außerordentlichen wenn Ergebnisse von Abrüstungsverhandlungen vor- psychologischen Belastung bei unseren Pa rtnern. liegen. Wenn das Ergebnis von Wien weitere Anpas- sungen nach unten möglich macht, werden wir dies Ich will auf die Argumente hier überhaupt nicht doch selbstverständlich tun. Dazu bedarf es doch mehr eingehen, überhaupt keiner weiteren Diskussion. (Horn [SPD]: Und warum? Weil er keine (Biehle [CDU/CSU]: Wenn die noch hundert hat!) Admiräle Schmähling bekämen, bliebe weil in den intensiven Beratungen, die wir hinter uns nichts mehr übrig! — Gerster [Worms] [SPD]: Der ist parteilos!) haben, auch nicht ein einziges neues gekommen ist, das nicht schon ausführlich diskutiert und kommen- Gestern und vorgestern hat man sich in Brüssel be- tiert wurde. raten, und man ist auch dort mit dem Entschluß aus- einandergegangen, daß man auf diesem Weg fo rt (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Sie müssen mal -schreitet. Gemeinsam mit den NATO-Partnern wird Ihren Genossen Edzard Reuter fragen!) man überlegen, wie und wann Truppen zu reduzieren Fragen Sie auch mal Ihren Parteikollegen Edzard Reu- sind. Im übrigen glaube ich auch, daß die Sowjetunion ter, was der zu diesem Punkt sagt. an Verträgen — ich unterstreiche: an Verträgen — interessiert ist und aus innenpolitischen Gründen, die Zu den unerfreulichen Signalen zählt auch die Aus- bei ihnen zu suchen sind, nicht an Einzelaktionen sage der SPD über die angeblichen Einsparungsmög- interessiert ist, gleich welcher Art. lichkeiten beim Verteidigungsetat schlechthin. Das haben wir ja gestern hier auch schon gehört. Der eine Nur gilt doch nach wie vor der oft zitierte Satz von meint 30 Milliarden DM in zehn Jahren, der andere Churchill: „Jedes Land hat eine Armee, entweder die 3 Milliarden DM, wieder ein anderer 2 1/2 Milliarden eigene oder eine fremde. " Wir sollten in weit größe- DM, ein letzter sagt 2 Milliarden DM. Was gilt denn rem Maße berücksichtigen, daß Streitkräfte ein Stück jetzt? Selbstbehauptung eines jeden souveränen Staates sind. Allein aus diesem Grunde wäre es unsinnig, ihre Wie diese Rechnungen dann wiederum relativiert Existenz in Frage zu stellen. werden, möchte ich einmal an einem ganz einfachen Beispiel verdeutlichen. Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, ge- Der Kollege Rudi Walther, immerhin der Vorsit- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten- zende des Haushaltsausschusses, mit dem man ja Heistermann? ganz kollegial zusammenarbeiten kann, hatte — das habe ich der Presse entnommen — in den Vorberei- tungen, die er selbst leistet für diesen „Fortschritt 90" Müller (Wadern) (CDU/CSU): Bitte schön. oder wie das Programm heißt, (Zurufe von der CDU/CSU: Rückschritt!) Heistermann (SPD): Herr Kollege Müller, darf ich gemeint, daß allein bei der Position „Truppenabbau" aus Ihren Ausführungen schließen, daß Sie die ange- in acht bis zehn Jahren real 10 Milliarden DM einzu kündigte Kürzung des amerikanischen Verteidi- sparen seien, d. h. also, wenn ich richtig rechne, 1 Mil gungshaushalts in den nächsten vier Jahren von 13836 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Heistermann 180 Milliarden Dollar, einschließlich Truppenabzug, Hauptfeldwebel, Stabsfeldwebel, Oberstabsfeldwe- als ein falsches Signal in Richtung Osten werten? bel. Das Problem der sogenannten Hammelburger Hauptleute wird in den nächsten Jahren eine Verrin- gerung erfahren. Die zusätzlichen Stellen für Stabsof- Müller (Wadern) (CDU/CSU): Das können Sie aus fiziere und Sanitätsoffiziere werden die Situation ent- meinen Ausführungen nicht schließen. Wenn Sie mei- scheidend entschärfen. nen Ausführungen richtig zuhören, werden Sie nach- Im einzelnen sind 1029 neue Stellen, darunter vollziehen können, daß dies absolut nicht im Duktus 130 Stellen für Sanitätsoffiziere und 140 Stellen für dessen ist, was ich hier vortrage. Sanitätsoffiziersanwärter, vorgesehen. Für Zivilperso- Ich darf fortfahren. Es gibt keinen einzigen unab- nal stehen in diesem Haushaltsentwurf insgesamt 718 hängigen oder souveränen Staat, es gibt keine wirkli- neue Stellen und 648 Hebungen zur Verfügung, da- che Selbstbestimmung eines Volkes, ohne daß nicht von 600 Stellen für die Mitarbeiter im Schichtdienst. täglich unter Beweis zu stellen ist, wie auch die äußere (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das interessiert Sicherheit ernstgenommen wird. Das ist eine der er- Herrn Horn überhaupt nicht!) sten Bürgerpflichten, und sie wird von unseren Solda- ten für alle Bürger geleistet. Darüber hinaus sind 648 Hebungen im mittleren und gehobenen Dienst vorgesehen. Ich nenne alle diese Und so stört mich schon die Arbeitsteilung, die hier Zahlen für das Protokoll. vorgenommen wird. Ich habe auch da wiederum bei Ihnen, Herr Kollege Kühbacher, das Zitat gefunden: (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Herr Horn, hö- „Für uns Sozialdemokraten hat die Bundeswehr ihren ren Sie zu, was da alles geschieht!) Platz im gesellschaftlichen Gefüge der Bundesrepu- Die außerordentliche Betonung des Attraktivitäts- blik Deutschland gefunden." programms der Bundesregierung für Soldaten bei ei- (Dr. Klejdzinski [SPD]: So ist es!) nem Anteil von rund 44 % für Personalkosten in die- Ihr Parteivorsitzender fordert bei einem Truppenbe- sem Verteidigungshaushalt unterstreicht bei Kürzun- such mehr Anerkennung für die Wehrpflichtigen. Er gen bzw. Umschichtungen in anderen Kapiteln unse- hat recht; aber was machen manche Teile der SPD- ren Willen, das Notwendige für den Menschen in der Basis? In meinem Wahlkreis hat in der vergangenen Bundeswehr und ihre Familien unter Berücksichti- Woche bei einer Rede zum Volkstrauertag ein Beige- gung der Enge des Haushalts allgemein zu tun. ordneter Ihrer Partei in der Stadt Saarlouis ausgeführt, (Zuruf von der SPD: Was?) jede Mark, die für die Bundeswehr ausgegeben Für die Realisierung des Attraktivitätsprogramms werde, sei hinausgeworfenes Geld. werden 1990 und in den Folgejahren jeweils Mittel in (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das ist doch un Höhe von jährlich 400 Millionen DM bereitgestellt. erhört! — Biehle [CDU/CSU]: Unglaublich!) Über diese 400 Millionen DM hinaus sind weitere Fi- Ist das dann die Anerkennung für die Wehrpflicht? nanzmittel für spürbare Verbesserungen im personel- Nein, meine Damen und Herren, wir stehen zu unse- len Bereich eingestellt. So sind z. B. für die Moderni- ren Soldaten, zu dem Friedensdienst, der dort gelei- sierung der Kasernen 360 Millionen DM vorgesehen. stet wird, und so ist auch unser Haushalt aufgebaut: Hierdurch wird der Verbesserung der Lebens- und ein solides, durchgerechnetes, sorgfältig geprüftes Arbeitsbedingungen Rechnung getragen. Zahlenwerk, Der Katalog des Attraktivitätsprogramms ist so um- (Zustimmung des Abg. Carstens [Emstek] fangreich, daß er hier nur in wenigen Stichworten auf- [CDU/CSU]) geführt werden kann: Verbesserung der Familien- -heimfahrten; Erhöhung von Wehrsold, Verpflegungs ein Zahlenwerk — selbst wenn Sie, Kollege Horn, es und Entlassungsgeld; Verbesserung der Unterhaltssi- nicht mehr hören wollen , in dem für uns der Mensch cherung; Verbesserung des Rechtsschutzes; Verbes- im Mittelpunkt steht. serung der Berufsförderung; Verbesserung des Zula- (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der genwesens und einiges andere mehr. SPD: Und der Jäger 90?) Zu erwähnen wären auch die Mittel im Ansatz für So weist er aus: Verbesserungen der Personalstruk- den Schutz der Umwelt. Sie erreichen eine Größen- tur, er beinhaltet ein Attraktivitätsprogramm, er sieht ordnung von nahezu 1 Milliarde DM. Sie sind für Bau- die Modernisierung der Kasernen vor, er setzt Ak- maßnahmen im Zusammenhang mit der Luftreinhal- zente beim Umweltschutz und beinhaltet mehr zu- tung, für den Gewässerschutz und den Lärmschutz kunftsweisende Forschung, Entwicklung und Erpro- sowie für die Ausbildungseinrichtungen in Kanada bung. und Großbritannien vorgesehen. Die Belästigung der - Die Verbesserung der Personalstruktur bringt au- Bürger soll durch die Anschaffung von Simulatoren, ßerordentlich günstige Berufschancen. Wenn man da- Verminderung von Schießlärm sowie die Entwicklung von ausgeht, daß bis Mitte der 90er Jahre die Anzahl von Tiefflugsimulatoren weiter verringert werden. der wehrdienstfähigen jungen Männer halbiert wird, Wir konnten uns bei einem Truppenbesuch von den und wenn man weiter unterstellt, daß das wirtschaft- erfolgreichen Bemühungen der Hardthöhe in diesem liche Wachstum anhält, so erfordert dies Maßnahmen Bereich überzeugen. zur Aufrechterhaltung der Konkurrenzfähigkeit der Bundeswehr. Das Attraktivitätsprogramm beinhaltet eine nicht Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, ge- unbeträchtliche Zahl von zusätzlichen Planstellen für statten Sie noch eine Zwischenfrage? — Bitte schön. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13837

Gerster (Worms) (SPD): Herr Kollege Müller, wenn Selten beschreiben Fernsehbilder eine Situation so es so toll ist, was Sie für die Soldaten tun und im sozia- treffend wie jener Bericht in der Nachrichtensendung len Bereich für das Personal ausgeben, wie erklären „heute" von der NATO-Tagung in Brüssel am ver- Sie sich, daß die Attraktivität des Wehrdienstes für gangenen Dienstag. Während nämlich alle NATO- Längerdiener und für Wehrpflichtige so gering ist wie Verteidigungsminister zum schönen Erinnerungsfoto noch nie, daß sich die Bundeswehr z. B. händeringend versammelt waren, fehlte einer. Das war der Herr um Weiterverpflichtungen bemüht? Wie kommt das, Minister Stoltenberg. Der Herr Minister Stoltenberg wenn so viel für die Soldaten getan wird? mußte nämlich zur gleichen Zeit der Presse erklären, (Zurufe von der CDU/CSU) wie nun in der Bundesrepublik auf die verschiedenen Pläne der US-Regierung reagiert werden solle, drasti- sche Einschnitte bei den Rüstungsausgaben vorzu- Müller (Wadern) (CDU/CSU): Ich habe das indirekt nehmen. Man war nun gespannt: Was würde Herr schon ausgeführt. Sie wissen ja, daß bei dieser allge- Stoltenberg wohl erklären? Als dann zu hören war, mein günstigen wirtschaftlichen Lage gerade der Be- was er zu sagen hatte, konnte man eigentlich nur ruf des Soldaten in Konkurrenz steht zu einer ganzen glauben, sich verhört zu haben; denn Herr Stolten- Reihe von neuen, attraktiven Chancen, die es in der berg brachte tatsächlich die Erklärung zustande, nun- Wirtschaft gibt. Deswegen machen wir ja gerade die- mehr kämen „auf die europäischen NATO-Partner ses Programm. Ich bin davon überzeugt, daß die At- noch größere Verpflichtungen für die Aufrechterhal- traktivität des Dienstes erheblich verbessert wird, tung einer glaubwürdigen Verteidigung zu" . Wer wenn dieses Programm erst einmal greifen wird. nicht glaubt, daß Herr Stoltenberg dies tatsächlich gesagt hat, mag es in der „Frankfurter Allgemeinen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zeitung" vom 29. November nachlesen. Meine Damen und Herren, dieser Verteidigungs- etat gibt unserer Bundeswehr die notwendigen Fi- (Zurufe von der CDU/CSU) nanzmittel. Sie sind knapp — zugegeben — , sind aber — Jetzt seien Sie doch mal still. Das ist furchtbar hier ausreichend, um die Aufgaben zu erfüllen. Sie verbes- in diesem kleinen Raum mit diesen vielen Leuten, die sern die Lage der Soldaten und ihrer Familien. Inso- immer nur rummeckern können. Seien Sie doch mal fern ist das auch als Dank an die Angehörigen der still. Wirklich, das macht mich ganz rappelig. Soldaten der Bundeswehr zu sehen. Darauf möchte ich besonders hinweisen. Auch die Familien haben (Beifall bei der SPD — Kühbacher [SPD]: Laß es dir nicht gefallen!) entscheidend dazu beigetragen, daß der Friede in Eu- ropa durch die Politik der Bundesrepublik Deutsch- — Das ist furchtbar. In dem alten Bundestag ging das land eingehalten werden konnte und inzwischen un- wenigstens noch so, daß das nicht so gestört hat. Das sere Vorstellungen von Freiheit, ist furchtbar hier. Sie mit Ihrer großen Zahl machen es (Gerster [Worms] [SPD]: Wer ist „unsere"? einem schwer. Das ist ganz billig. Die CDU oder wer?) (Dr. Hoyer [FDP]: Wer austeilt, muß auch ein Selbstbestimmung und Menschenrechten für viele bißchen einstecken können! — Biehle [CDU/ Bürger, auch für die Bürger in der DDR und den Staa- CSU]: Sie mit Ihren fünf Leuten machen ei- ten in Mittel- und Osteuropa, greifbar am Horizont nen Riesenwirbel! — Frau Fischer [CDU/ erscheinen. CSU]: Sie müßten mal Frau Schilling im Aus- schuß hören! — Weitere Zurufe) Ich bedanke mich sehr herzlich, daß Sie mir zuge- hört haben. — Ich bin gar nicht nervös. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Kühbacher [SPD]: Eine starke Truppe! — Biehle [CDU/CSU]: Sie gehen auf wie eine bayerische Dampfnudel!) Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abgeord- nete Kleinert (Marburg). — Kommt, jetzt laßt mich mal ausreden. (Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Kleinert (Marburg) (GRÜNE): Herr Präsident! — Ich verstehe ja mein eigenes Wort nicht, wenn Sie Meine Damen und Herren! Herr Müller, was ich zu hier so herumkreischen, Herr Biehle. Ihrer Rede sagen soll, ich weiß es nicht. Wenn man das Meine Damen und Herren, ich komme zurück zu ernst nähme, wenn man Ihrer Logik folgte, müßte man Herrn Stoltenberg: Wenn man solche Äußerungen eigentlich feststellen: Abrüstung geht nie, Abrüstung hört, dann glaubt man gar nicht, daß man sich noch in bringt nichts, und die Bundeswehr ist an sich eine derselben Wirklichkeit befindet wie diejenigen, die Veranstaltung zur Beglückung der Menschheit. diese Äußerungen tun. Ich kann das einfach nicht- (Breuer [CDU/CSU]: Sie haben gar nicht zu- nachvollziehen, muß ich hier ganz ehrlich beken- gehört! — Zuruf von der FDP: Quatsch! — nen. Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Sie sind böswil Wir haben seit Jahren eine politische Gesamtent- lig! So etwas kann man nach der Rede nicht wicklung, die alte Feindbilder zunehmend unglaub- unterstellen! — Weiterer Zuruf von der CDU/ würdig macht — wenn man mal unterstellt, daß sie CSU: Der ist gar nichts! — Breuer [CDU/ jemals mehr Glaubwürdigkeit gehabt hätten, was ich CSU]: Das hat er gestern schon aufgeschrie gar nicht tue. Da verlieren aus gutem Grund alte Be- ben! Das wußte er vorher!) drohungsszenarien mehr und mehr Wirkungskraft. — Jetzt beruhigt euch doch erst mal. Da hat der Warschauer Pakt bemerkenswerte Abrü- 13838 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Kleinert (Marburg) stungsschritte eingeleitet. Da will Herr Scheward- ter aufgerüstet, und Herr Stoltenberg tut so, als sei nadse die Auflösung der Militärblöcke. Da ist in den nichts geschehen. letzten Wochen eine Entwicklung in Gang gekom- men, die zusätzliche Chancen bietet. Da findet sich Meine Damen und Herren, die Bedrohungsszena- sogar in der Zehn-Punkte-Erklärung des Bundes- rien waren noch nie sonderlich realistisch. Aber kanzlers der Satz, daß — ich zitiere — Abrüstung und selbst, wer unterstellt, daß sie es jemals gewesen wä- Rüstungskontrolle beschleunigt werden müßten. — ren, könnte heute nicht mehr begründen, was Sie poli- Und dann kommt Herr Stoltenberg daher und erklärt tisch betreiben und weiter vorhaben. die Notwendigkeit zusätzlicher Rüstungsausgaben. Also, bei allem, was mir bislang hier an merkwürdigen (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeord- Logiken vertraut war, das begreife ich einfach nicht neten der SPD) mehr. Gegen wen wollen Sie uns denn eigentlich verteidi- (Dr. Klejdzinski [SPD]: Das war halt das be gen, gegen wen sollen die weiteren Beschaffungsvor- grenzte Wissen!) haben und zusätzlichen Rüstungsschritte eigentlich gerichtet sein? Gegen die demokratische Bewegung — Ich begreife es einfach nicht mehr. in der DDR vielleicht, gegen die nichtkommunistische (Beifall bei den GRÜNEN) Regierung in Polen oder gegen die Massenbewegung in der CSSR? Wo sitzt denn der Gegner der Zukunft, Selbst die USA halten mittlerweile einen Abbau ih- der diese Planung in dieser Weise rechtfertigt? rer Streitkräfte in Westeuropa für möglich. Die Parla- mente fast aller NATO-Staaten wollen Rüstungsaus- Meine Damen und Herren, die Relikte des alten gaben runterfahren. Ex-General Schmückle glaubt, in Denkens spuken überall bei den Regierungsfraktio- den nächsten zehn Jahren werde die NATO überflüs- nen. Herr Waigel hat es gestern als schweren Fehler sig. — Und die Bundesregierung rechnet mit zusätzli- bezeichnet, den Rüstungsetat — jetzt zitiere ich Herrn chen Ausgaben und will im nächsten Jahr die Ausga- Waigel — als „Steinbruch für andere Aufgaben" zu ben im Einzelplan 14 um eine gute Milliarde DM wei- betrachten, und er hat dann darauf verwiesen, daß die ter erhöhen. Erhöhungen im Einzelplan 14 den Soldaten zugute kämen. Ja, meint denn Herr Waigel tatsächlich, daß (Zuruf des Abg. Biehle [CDU/CSU]) das Geld für den Jäger 90 den Soldaten zugute — Herr Biehle, jetzt halten Sie mal die Klappe! kommt, vielleicht der sozialen Lage der Soldaten? Wollte uns Herr Waigel damit weismachen, daß die (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP) größte Gesamtausgabe, die in der Geschichte der Meine Damen und Herren von den Regierungsfrak- Bundesrepublik jemals für Wehrtechnik und Beschaf- tionen, wenn Sie uns hier jetzt Kürzungen von fung ausgegeben wurde, etwa den Soldaten zugute 270 Millionen DM, wie die Mehrheit im Haushaltsaus- kommt? Ich denke, daß Sie verzweifelt nach immer schuß vorgeschlagen hat, als Abrüstungsinitiative neuen Begründungen für den weiteren Anstieg von präsentieren wollen, muß ich Ihnen sagen: Auch das Rüstungsausgaben auf der Suche sind. hat eher schon Züge von Komik. Nicht einmal ein hal- bes Prozent der Ausgaben im Einzelplan 14 wird hier (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Schauen Sie zur Kürzung vorgeschlagen. Das Wort Abrüstung zur sich doch einmal die Personaltitel an! Sie Kennzeichnung dieser Beschlüsse ist völlig fehl am steigen doch!) Platze. — Sie wissen doch, Herr Friedmann, was wir für An- In einer Zeit des raschen Abbaus von Blockkonfron- träge dazu gestellt haben. Was soll das denn? — Sie tation und wachsender Akzeptanzkrise des Militärs finden eine Begründung nicht. Der Jäger 90 ist das tut die Bundesregierung so, als wäre gar nichts pas- herausragende Symbol für Ihre verfehlte Hochrü- siert. Zunächst, ungefähr in der Zeit vor 1983, hörte stungspolitik, die Sie selbst jetzt noch fortsetzen wol- man in diesem Hause, im Grunde wolle man Abrü- len, selbst jetzt noch, wo es ungeahnte Chancen für stung. Wie war das damals mit dem Spruch, den Herr einen friedlichen Weg der Überwindung der Militär- Kohl sagte: Frieden schaffen mit immer weniger Waf- blöcke gibt, jetzt in einer Situation, wo politische Ziele fen. Damals war der Weg zur Abrüstung mehr Aufrü- zur realen Möglichkeit werden, die vor kurzem noch stung — das wurde damals auch offen gesagt —, mehr visionären Charakter hatten. Zu einem Zeitpunkt, an Aufrüstung deshalb, weil die anderen so gefährlich dem maßgebliche Vertreter selbst der Regierungsko- sind. Deshalb mußten die Rüstungsausgaben leider alition in positivem Sinne — ich erinnere an verschie- erhöht werden. Dann wurden die anderen in den Jah- dene Reden von Herrn Genscher — von gesamteuro- ren danach eingestandenermaßen weniger gefähr- päischer Friedensordnung sprechen, tun Sie in der lich. Nun hieß es — auch das ist schon wieder ein paar Rüstungspolitik so, als wäre das alles nie gesagt wor-- Jahre her — , wir müßten unsere Rüstungsausgaben den. deshalb weiter erhöhen, weil wir erst noch sehen müs- sen, ob den Worten der anderen auch Taten folgen. Mit dem Jäger 90 beschäftigt sich auch die Petition, die hier mit debattiert wird. Wir unterstützen die Ziel- Nun hat sich die Lage wieder geändert. Niemand setzung dieser Pe tition ausdrücklich. bestreitet, daß Taten gefolgt sind, niemand kann sie leugnen. Geändert bei der Rüstungsausgabenpolitik (Beifall bei den GRÜNEN) hat sich immer noch nichts. Es wird weiter aufgerü- stet. Was kann man also feststellen: Die Grundlinie Meine Damen und Herren, wir Grüne haben in un- bleibt immer dieselbe. Egal was passiert, es wird wei serem Abrüstungshaushalt Kürzungen und Strei- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13839

Kleinert (Marburg) chungen in einer Größenordnung von 8,4 Milliarden not, für den Umweltschutz, zur Rettung von Nord- DM vorgeschlagen. und Ostsee, für mehr Chancengleichheit in der Bildung, ... um der zunehmenden Verelendung (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Viel weniger als in der Dritten Welt zu begegnen. in früheren Jahren!) Recht hat sie, die Frau Matthäus-Maier. Wir haben im Detail nachgewiesen und vorgerechnet, wie diese Einsparungen im einzelnen auch heute (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) schon zu verwirklichen wären, ohne daß man Ergeb- Aber wenn das so ist, dann können Sie sich als nisse der Wiener Verhandlungen erst noch abwarten Sozialdemokraten doch nicht mit den knapp 3 Milliar- müßte. Wir haben Ihnen im Detail vorgerechnet, wie den DM bescheiden, die Ihre Fraktion im Einzel- man diese Summe einsparen kann und wie man sie für plan 14 kürzen will. Geben Sie sich einen Ruck, und andere, sinnvolle Zwecke einsetzen könnte. stimmen Sie wenigstens dem zweiten Antrag zu, (Biehle [CDU/CSU]: Im Ausschuß haben Sie wenn Ihnen, was ja zu befürchten ist, unser erster Antrag als zu weitgehend erscheint! aber den Antrag gestellt, den ganzen Einzel plan 14 zu streichen!) Herr Präsident, ich beende meine Rede; ich bin oh- nehin fertig. Dies betrifft Personaleinsparungen, den Verzicht auf (Heiterkeit) die Beschaffung neuer Rüstungsgüter, Einschränkung der militärischen Übungen und anderes. Diese Vor- Aber ich möchte für Leute, die nach mir kommen, schläge sind sehr realitätsnah ausgerechnet und be- eines feststellen: Bei dem ständigen Lärm ist es hier ziehen sogar bestehende rechtliche Verpflichtungen wirklich nahezu unmöglich, konzentriert zu reden. mit ein. Sie wären unmittelbar umsetzbar und in dem (Beifall bei den GRÜNEN) Sinne praktikabel. Das hat Sie alles nicht daran gehin- dert, diese Vorschläge samt und sonders abzuleh- nen. Vizepräsident Westphal: Ein Präsident hat in dieser Meine Damen und Herren, die Ereignisse der letz- Hinsicht den Lärmpegel in seiner Gesamtheit über ten Wochen zeigen, daß es auch heute schon real- ganze Debatten einzuschätzen. Im Vergleich dazu, politisch möglich wäre, im Tempo der Abrüstung noch wie, als Kollegen von Ihnen aus anderen Fraktionen schneller voranzugehen. Deshalb haben wir zusätz- geredet haben, der Lärmpegel bei einer Abstimmung lich eine Idee der Friedensbewegung aufgegriffen, war, die wir hier zu machen hatten, sind Sie gut weg- die eine globale Minderausgabe von 5 Milliarden DM gekommen. im Rüstungshaushalt vorschlägt. Die Mittel daraus (Heiterkeit) sollen in einen Devisenfonds zur Förderung der Zu- Aber ich weiß, daß das irritierend ist, und würde sammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und der Ihnen natürlich gerne helfen. Nur, ich kann das nicht DDR eingespeist werden. Diese Forderung wird von mit Glocke oder Zwischenruf machen. Es gibt Präsi- Institutionen wie der „Aktion Sühnezeichen" und der denten, die das hier oben mit Augenzeichen machen; Ärztevereinigung gegen den Atomkrieg ebenso un- manchmal gelingt es. terstützt wie von Einzelpersönlichkeiten wie etwa Als nächste hat die Abgeordnete Frau Seiler-Albring Pfarrer Albertz, Flottenadmiral Schmähling, von das Wort. Horst-Eberhard Richter und von Bundestagsabgeord- neten aus SPD und GRÜNEN. (Beifall bei den GRÜNEN) Frau Seiler-Albring (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Beginn möchte ich etwas tun, Wir verstehen diesen Antrag als zusätzlichen An- was ich hinterher in der Eile möglicherweise vergesse, trag zu unserem detailliert ausgearbeiteten Kürzungs- und das täte mit leid. Dr. Friedmann wird dieses Par- antrag. Meine Damen und Herren, an diejenigen, die lament im nächsten Jahr verlassen. Es war sein letzter hier im Hause konservativer als wir denken und die Haushalt, den wir gemeinsam beraten haben. Wir ha- unsere weiterreichenden Vorstellungen in dem ande- ben Bernhard F riedmann in unserem Ausschuß insge- ren Antrag, die detailliert ausgearbeitet sind, nicht samt als fair und freundlich, als Vorsitzenden des mittragen mögen, will ich hier trotzdem noch einmal Rechnungsprüfungsausschusses als sehr kritisch, vor ausdrücklich appellieren: Stimmen Sie wenigstens allen Dingen aber immer als einen sehr, sehr kompe- diesem bescheideneren Vorschlag, der aus der Frie- tenten Kollegen kennen und schätzen gelernt. densbewegung stammt, zu, und lassen Sie uns hier wenigstens dieses eine Zeichen dafür setzen, daß (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der auch in der Bundesrepublik neues Denken vorange- SPD) kommen ist und mit praktischer Abrüstung wirklich Als seine Mitberichterstatterin in manchen heißen - begonnen wird. Berichterstattergesprächen Weil das in besonderer Weise mit den Sozialdemo- (Oh-Rufe) kraten zu tun hat, will ich mich zum Schluß gerade an — ja, ja, ihr wart ja zum Teil dabei; seid mal ganz Sie wenden, was diesen Antrag bet rifft. Frau Mat- ruhig — möchte ich ihm ganz persönlich Dank sagen thäus-Maier hat gestern zu Recht darauf hingewiesen, und ihm für die Zukunft von Herzen alles Gute wün- daß wir mehr Geld für andere Sachen brauchen. Frau schen, Bernhard. Matthäus-Maier sagte gestern — ich zitiere — : (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Wir brauchen mehr Geld zur Beseitigung der Ar SPD — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Vielen beitslosigkeit, zur Bekämpfung der Wohnungs Dank!) 13840 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Frau Seiler-Albring Meine Damen und Herren, die abschließenden Be- mehr Vertrauen und Zusammenarbeit gekennzeich- ratungen über den Bundeshaushalt 1990 stehen, wie net ist. die letzten Tage gezeigt haben, im Lichte atemberau- Wir werden aber auch nicht nachlassen, darauf hin- bender Entwicklungen in der DDR, in der CSSR und in zuweisen, daß es ohne eine eigene gesicherte Vertei- anderen Reformländern in Osteuropa. Sie geben dar- digungsfähgikeit diese überwältigenden Fortschritte über hinaus aber auch einen ersten Geschmack dar- im Ost-West-Verhältnis nicht gegeben hätte. auf, was im nächsten Jahr an Marathonwahlkämpfen auf uns zukommt. In diesem Moment, in dem es doch (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) eigentlich darauf ankommt, auf die sich wandelnden Verteidigung und Entspannung als untrennbare Be- sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen beson- standteile unserer Sicherheitspolitik bildeten die Vor- nen und klug zu reagieren und die Chancen für die aussetzung dafür, daß die Vision eines gemeinsamen Schaffung einer europäischen Friedensordnung zu europäischen Hauses nunmehr konkrete Gestalt an- nutzen, kann sich die SPD der Versuchung nicht ent- nimmt. Wir hätten keine Entspannungserfolge erzielt, ziehen, den Verteidigungshaushalt zur allgemeinen wenn wir uns bereits im Vorgriff auf angestrebte Ab- sicherlich wünschenswerter Ziele freizu- Bedienung rüstungsverhandlungen unserer Verteidigungsfähig- geben. Mal soll der „Fortschritt 90" — da schränke ich keit begeben hätten. das „wünschenswert" aber eindeutig ein — mal sozia- ler Wohnungsbau oder ein staatliches Hilfsprogramm (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) für die DDR durch massive Einsparungen im Verteidi- Die beiden Bestandteile der Harmel-Doktrin sind zwei gungsetat finanziert werden. Heute morgen erst ha- Seiten einer Medaille. Verteidigungsbereitschaft ist ben die Bildungspolitiker der SPD ihren Wunschzettel abgegeben. Wenn man diese Forderungen einmal ad- dabei nichts anderes als das Standbein einer Politik der Verständigung. Die Liberalen haben an der Rich- dieren würde, hätte die SPD den Verteidigungshaus- tigkeit dieses Doppelkonzeptes nie einen Zweifel auf- halt schon weitgehend ausgegeben. Der Verteidi- gungshaushalt als Steinbruch der Nation — da macht kommen lassen. es Spaß, mit der populistischen Spitzhacke dicke (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Brocken herauszuschlagen. Die NATO-Nachrüstungsdebatte Anfang der 80er (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Jahre hat dies eindrucksvoll belegt. In dem Maße, in dem die Folgen des Wandels in Ost und West für die Angesichts der gestrigen Äußerung der finanzpoliti- Sicherheit im einzelnen noch nicht berechenbar sind, schen Spreche rin der SPD-Fraktion muß man sich müssen wir verständigungs-, aber auch verteidi- wahrhaftig fragen, gungsbereit bleiben; denn trotz der sich abzeichnen- (Kühbacher [SPD]: Eine gute Frau!) den Überwindung der Teilung Europas und mit ihr der Teilung Deutschlands bleiben Risiken für den wie weit die Fraktionsspitze einer so — — Gerade weil Frieden, Risiken für die Menschen. Wir sind einer sie eine gute Frau ist, finde ich ihre Bemerkungen von Friedensordnung zwar nähergekommen, dauerhaft gestern und ihren Vergleich zwischen dem Verteidi- gesichert ist sie noch nicht. gungshaushalt und den Mitteln für den Bereich des Umweltministers ausgesprochen unse riös, Herr Kol- Wer vor diesem Hintergrund an die Auflösung der lege Kühbacher, und Sie wissen ganz genau, daß dies NATO denkt, verkennt, wie ich meine, die gegenwär- so ist. tige Lage. In der Erwartung positiver Verhandlungs- ergebnisse in Wien und unter Berücksichtigung der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) rasanten positiven Entwicklung im Ost-West-Verhält- nis, insbesondere in den beiden deutschen Staaten, Nein, meine Damen und Herren, um wieder ernst zu Kürzungen bei den werden, dies kann nicht der Inhalt verantwortlicher haben wir durch angemessene militärischen Beschaffungen ein Signal gesetzt. So- Sicherheitspolitik sein. lange jedoch bei allem Optimismus, den wir haben, Der Verteidigungsminister wird am 6. Dezember im Abrüstungsverhandlungsergebnisse in Wien noch Kabinett seine Planungen vorlegen. Vorher allerdings nicht unterschrieben sind, müssen wir noch Vorsorge wird es auf Malta zu einem Zusammentreffen von Prä- treffen für Entwicklungen in Mitteleuropa und Osteu- sident Bush und Generalsekretär Gorbatschow kom- ropa, die wir niemals wünschen, die wir aber auch men. Ohne mich in den Bereich der Spekulation zu heute noch nicht ausschließen können. Wir halten begeben, ist doch zu erwarten, daß die von beiden deshalb derart umfassende Kürzungen im Bereich der Seiten dort vorgelegten weiteren Vorschläge zur Ab- Forschung und Entwicklung, wie sie von der Opposi- rüstung und Rüstungskontrolle in ihren Konsequen- tion gefordert werden, für unverantwortlich. zen die Situation der Bündnisarmeen tiefgreifend be- Nun tue ich Ihnen den Gefallen und sage ein Wo rt einflussen werden. Wir Freien Demokraten werden Jagdflugzeug 90 ist ein hoch kom- zum Jäger 90. Das uns die Zeit zur sorgfältigen Analyse und zu wohlab- plexes, sehr teures Waffensystem. Wer wollte das be- gewogenen Schlüssen nehmen. streiten? (Beifall bei der FDP) (Zuruf von der SPD: Weil die Russen kom- Wir Freien Demokraten müssen uns nämlich von nie- men!) mandem mangelnden Eifer vorwerfen lassen, wenn es — Sie haben schon qualitativ bessere Zwischenrufe beispielsweise um die existentielle Frage der Bewah- gemacht, wirklich. rung des Friedens in einer Welt geht, die von weniger Waffen und bewaffneten Einheiten, dafür aber von (Zuruf von der FDP: Kann der gar nicht!) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13841

Frau Seiler-Albring Es ist daher richtig und zu begrüßen, daß die Dis- Die FDP nutzt alle Chancen auf dem Gebiet der kussion über dieses Projekt intensiv und mit großem Entspannungs- und Rüstungskontrollpolitik, ohne da- Engagement geführt wird. Ich wünschte mir aller- bei jedoch den realen Boden unter den Füßen zu ver- dings, meine Damen und Herren, daß sie von einigen, lieren. die sich lautstark an dieser Debatte beteiligen, seriö- (Beifall bei der FDP — Zurufe von der SPD) ser und mit mehr Kompetenz geführt würde. —Also, ich weiß ja nicht, was Sie mit der Verteidigung (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — zu tun haben. Ich wäre Ihnen aber dankbar, wenn Sie Zuruf von der SPD: Das ist doch eine Grufti- mir wenigstens zunächst einmal zuhören würden und Diskussion! Die Russen kommen doch gar nicht den Herrn Kollegen Kleinert am Zuhören hin- nicht mehr! — Die Rede ist doch überholt!) dern würden. Er hat sich vorhin so über Zwischenrufe beklagt. Wenn diejenigen, die sie führen, doch kompetent sind, wäre ich ihnen dankbar, wenn sie von dieser Frau Kollegin Seiler- Kompetenz ab und zu auch einmal in der Öffentlich- Vizepräsident Westphal: Albring, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- keit Gebrauch machen würden. ordneten Horn? Rufen wir uns in die Erinnerung zurück: Bislang bestand zwischen uns Einigkeit in dem Ziel, den eige- Frau Seiler-Albring (FDP): Aber eine nur. nen Luftraum und die eigene Lufthoheit zu verteidi- (Heiterkeit bei der SPD) gen. Als Mittel dazu haben wir einen Waffensystem- verbund aus modernen bodengestützten Luftabwehr- raketen und fliegenden Luftverteidigungssystemen, Horn (SPD): Mehr wollte ich auch nicht stellen. den Jagdflugzeugen, angestrebt. Liebe Frau Kollegin Seiler-Albring, ist Ihnen denn bekannt, daß wir dann 7 Milliarden DM in den Sand (Zurufe von der SPD) gesetzt haben, die auch schon einen riesigen Verdrän- — Mein Gott, lassen Sie sich doch einmal etwas Ori- gungseffekt gegenüber anderen Bedürfnissen in der ginelleres einfallen. Bundeswehr — ich denke auch an andere Teilstreit- kräfte — ausüben würden? Realistische und vor allem finanzierbarere Alterna- (Zuruf von der CDU/CSU: Wir war das denn tiven zu diesem Konzept der Luftverteidigung, etwa beim Tornado?) der Verzicht auf bemannte Systeme zugunsten unbe- mannter Raketensysteme, sind heute nicht vorhan- den. Frau Seiler-Albring (FDP): Erstens handelt es sich nicht um über 7 Milliarden DM. Die Bundesregierung hat der Entwicklung des Zweitens wissen Sie, Herr Kollege Horn, daß wir Jagdflugzeuges 90 als Ersatz für die dann über uns natürlich auch Gedanken über Verdrängungsef- 30 Jahre im Einsatz befindliche Phantom gemeinsam fekte gemacht haben. Diese sind zum Teil auch nicht mit drei anderen Nationen zugestimmt. Alternativen zu verkennen. Ich bedaure dies ausdrücklich. Den- wie z. B. Kauf bzw. Teillizenzbau oder die gemein- noch meine ich, selbst wenn wir eines Tages beschlie- same Weiterentwicklung vorhandener Systeme sind ßen, den Jäger 90 nicht zu bauen, daß die Gelder für geprüft und gerechnet worden. Ich wiederhole: Le- die Entwicklung z. B. in Triebwerke, die sowohl lei- diglich die Entwicklungsphase ist beschlossen wor- stungsstärker als auch umweltfreundlicher sein sol- den und unter Vertrag. len, nicht in den Sand gesetzt sind. Der Bundesparteitag der FDP hat im letzten Jahr (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — hierzu folgenden Beschluß gefaßt, den ich Ihnen jetzt Gerster [Worms] [SPD]: Wie bei der Mond- gerne vorlesen möchte. fahrt und der Teflonpfanne!) — Herr Gerster, ich hätte mir gewünscht, daß doch (Kühbacher [SPD]: Jetzt kommt die Stunde der Wahrheit!) zumindest Sie weniger voraussagbar wären. Ich wußte, daß diese Teflonpfanne kommt. Also wirklich, — Wenn Sie etwas leiser sind, können Sie ihn auch Sie sollten Ihr Schatzkästlein von ewigen Weisheiten verstehen: einmal etwas renovieren. Die FDP-Bundestagsfraktion wird aufgefordert, (Beifall bei der FDP) die Entwicklungsphase des Jäger 90 mit kriti- Jetzt wollen wir einmal gucken, daß wir mit der Zeit scher Aufmerksamkeit in bezug auf waffentech- auskommen. nische Notwendigkeiten zur Aufrechterhaltung (Zuruf von der SPD: Das haben Sie davon!) der Verteidigungsfähigkeit und finanzielle Ent- — Ja, von Ihren Zwischenfragen. wicklungen zu begleiten. In die Produktions- phase soll nur dann eingetreten werden, wenn Erfolge bei der Abrüstung und die Schaffung stabi- nicht bis zu diesem Zeitpunkt Ergebnisse der ler Sicherheitsstrukturen in Europa machen nach un- Verhandlungen zur konventionellen Abrüstung serem Dafürhalten die Bundeswehr nicht überflüssig. einen Verzicht auf dieses Waffensystem ermögli- Wohl aber bedarf es einer grundlegenden Überprü- chen. fung der Bundeswehrplanung und der Neugestaltung unserer Verteidigungsstrukturen. Ohne der Diskus- Dieser Antrag besitzt für uns nach wie vor Aktuali- sion zur neuen Streitkräfteplanung des Verteidi- tät. gungsministers vorgreifen zu wollen, möchte ich an (Beifall bei der FDP) dieser Stelle für meine Fraktion deutlich machen, daß 13842 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Frau Seiler-Albring die neue Bundeswehrplanung auch die Option auf — Mein Kollege Horn, bitte, eine Sekunde noch, ich eine völlige Aussetzung der Wehrdienstverlänge- bin gleich fertig. rung von W 15 auf W 18 enthalten muß, um hinrei- (Horn [SPD]: Ich habe auch Sie nicht gestört, chend abrüstungskompatibel zu sein. wirklich nicht!) Darüber hinaus müssen wir uns darüber Gedanken — Ja, das ist richtig. machen, wie die Bundeswehr in der Zukunft aussehen Meine Damen und Herren, mein Kollege Hans wird. Neben den Veränderungen der weltpolitischen Werner Müller hat sehr ausführlich und umfassend all Rahmenbedingungen und der Dynamik in der Au- das aufgeführt, was wir zur Steigerung der Attraktvi- ßen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik macht der tät des Soldatenberufes gemeinsam eingesetzt haben. enorme Wandel der gesellschaftlichen, technologi- Ich nenne insbesondere noch einmal das Attraktivi- schen und finanziellen Rahmenbedingungen bundes- tätsprogramm und muß hier noch einmal eine Äuße- deutscher Verteidigungspolitik eine grundlegende rung der Kollegin Matthäus-Maier von gestern auf- Überprüfung der Verteidigungsstrukturen auf natio- greifen, die gesagt hat: Wohnungen statt Kasernen! naler, aber auch auf europäischer und auf Bündnis- Das hört sich zwar hervorragend an, aber soll ich dar- ebene notwendig. Die Forderung der FDP nach einer unter verstehen, daß Soldaten, Mannschaften, Unter- grundlegenden Reform der Landesverteidigung ist offiziere und Offiziere kein Recht auf ein menschen- deshalb aktueller denn je. Wir werden uns deshalb mit würdiges Wohnen haben? Nachdruck für die Einrichtung einer unabhängigen Verteidigungsstrukturkommission einsetzen; ich (Kühbacher [SPD]: Selbstverständlich kann Sie also beruhigen. nicht!) Auftrag soll es sein, eine umfassende, neue Defini- Meine Damen und Herren, gerade — und jetzt tion von Sicherheit und Verteidigung zu formulieren. komme ich zum Schluß, Herr Präsident; Sie lassen hier Im einzelnen sollte die einzusetzende Verteidigungs- schon die Lampe aufblinken — in einer Phase der Ent- strukturkommission Vorschläge zur künftigen Funk- spannung tion von Streitkräften, dem Umfang, der Struktur und (Zuruf des Abg. Kühbacher [SPD]) Organisation der Bundeswehr, zum Themenkomplex —Herr Kollege Kühbacher, wir verstehen uns eigent- „Bundeswehr und Gesellschaft" , der Motivation und lich sehr gut, lassen Sie mich diesen kurzen Satz noch Attraktivität des Dienstes in den Streitkräften wie zur sagen — ist Glaubwürdigkeit in der Sicherheitspoli- Strukturplanung und Steuerung des Verteidigungs- tik gefordert. Ich glaube, wir tun alle gut daran, wenn haushaltes vorlegen. wir beherzigen, was der Bundespräsident jüngst vor (Abg. Gerster [Worms] [SPD] meldet sich zu der Universität der Bundeswehr in München gesagt einer Zwischenfrage) hat — ich zitiere — : Die Sicherheitspolitik ist eine besonders schwie- rige und wichtige Nagelprobe für den Mandats- träger. Er muß die Stimmung seiner Wähler ken- Vizepräsident Westphal: Frau Abgeordnete — — nen und ihre Forderungen ernst nehmen, aber nach gewissenhafter Prüfung zu einer eigenen, verantwortlichen Position gelangen und sich un- Frau Seiler-Albring (FDP): Nein, Herr Präsident, zweideutig für sie einsetzen. So verlangt es die nicht mehr. — Entschuldigung! — Verfassung, und darauf sind vor allem auch die Streitkräfte angewiesen. Sonst können sie den (Gerster [Worms] [SPD]: Schade!) Dienst nicht leisten, den die Bürger und die Poli- Schließlich sollte sie Denkanstöße zu der ebenso tiker von ihnen erwarten. schwierigen wie entscheidenden Frage übergreifen- Ich glaube, wir alle sollten dies beherzigen. der Sicherheitsstrukturen in Europa geben. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Zur Beantwortung dieser und anderer, über den (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Tag hinausreichender Fragen bedarf es der Einset- zung einer unabhängigen, hochrangig besetzten und der Bundesregierung oder dem Bundestag berichts- Vizepräsident Westphal: Frau Kollegin, es sind im- pflichtigen Verteidigungsstrukturkommission, wie sie mer viele Abgeordnete, die zum Schluß kommen wol- von der FDP auf dem Kölner Parteitag vorgeschlagen len. Bloß, ob sie zur rechten Zeit ankommen, das ist wurde und von der FDP-Bundestagsfraktion nach- immer das Problem. drücklich gefordert wird. (Heiterkeit) (Gerster [Worms] [SPD]: Unser Antrag liegt Das Wort hat der Bundesminister der Verteidi-- vor! Sie müssen nur zustimmen, Frau Seiler gung. -Albring!) — Also, ich finde unsere Anträge meist sehr viel bes- Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Verteidigung: ser und wohlformulierter als Ihre. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Mittel- (Beifall bei der FDP — Gerster [Worms] punkt der Diskussionen dieser Woche stehen aus gu- [SPD]: Von Ihnen gibt es aber doch gar kei tem Grund immer wieder die dramatischen Verände- nen Antrag! — Gegenruf des Abg. Dr. Hoyer rungen in Osteuropa, die großen Fortschritte hin zu [FDP]: Sie wollen doch die Null-Lösung! — Freiheit und Demokratie, ausgelöst durch machtvolle Zuruf des Abg. Horn [SPD]) Volksbewegungen. Damit steht auch die Frage zur Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13843

Bundesminister Dr. Stoltenberg Diskussion, was das für uns bedeutet: die Neubestim- Westeuropa und Nordamerika den Wandel in den mung unserer Politik. West-Ost-Beziehungen dynamisch voranzutreiben.

Ich glaube schon, daß diese kurz angedeuteten Ent- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wicklungen uns und die Politik der Allianz, des Bünd- nisses, vor Aufgaben in einer Größenordnung stellen, Wir wissen allerdings auch: Der Ausgang der östli- wie wir sie seit Jahrzehnten nicht gekannt haben. Es chen Reformbestrebungen unter kommunistischen gilt, die neuen Chancen zu nutzen. Es gilt, unseren Vorzeichen, etwa Gorbatschows Konzept für die So- Landsleuten in der DDR und den Völkern Osteuropas wjetunion, und unter nichtkommunistischen demo- nach Kräften zu helfen, um die sehr schwierige Auf- kratischen Vorzeichen wie in anderen Ländern Osteu- gabe des Wandels erfolgreich zu bewältigen. ropas ist noch ungewiß. Im Augenblick muß man lei- Dabei sind allerdings nicht Illusionen, sondern rea- der sagen: Mehr politische Freiheit geht mit einer sich listische Zukunftsperspektiven zur schrittweisen Neu- dramatisch verschlechternden wirtschaftlichen Lage organisation Europas gefragt. Zu einer realistischen und wachsenden inneren Konflikten — vor allem in Perspektive gehört übrigens auch, daß wir uns unver- der Sowjetunion — parallel. Zwar ist auch im ungün- ändert auf verschiedene mögliche Abläufe vorzube- stigen Fall, wie ich glaube, eine bloße Restauration reiten haben, alter Machtverhältnisse nicht mehr vorstellbar. Dazu hat sich das Bewußtsein der Menschen zu sehr verän- (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) dert. (Sehr wahr! bei der SPD — Weiterer Zuruf auf positive, die wir mit allem Nachdruck fördern wol- von der SPD: Aber Ihr Bewußtsein nicht!) len, aber möglicherweise auch auf negativere. Gerade die Entwicklungen der letzten Jahre haben Aber man kann längere Pe rioden des Rückschritts, nach meiner Überzeugung unseren außen- und der Verhärtung nicht ausschließen. Darüber sind sich sicherheitspolitischen Kurs und unsere anhaltende auch einige ernsthafte sozialistische Politiker in West- Kritik an der bisherigen expansiven Ausrichtung der europa — im Gegensatz zu einem Zwischenrufer in sowjetischen Politik bekräftigt. Unsere Standfestig- den hinteren Reihen — mit mir einig. keit auch in sehr kritischen Phasen und unsere sicher- (Zurufe von der SPD) heitspolitischen Vorkehrungen erweisen sich heute im Rückblick als berechtigt. — Ich wollte es nicht für die ganze Sozialdemokratie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) reklamieren, was ich kritisch sage. Zu diesen Vorkehrungen gehört auch unser deutscher Gesicherte Verteidigungsfähigkeit bleibt daher Verteidigungsbeitrag im Bündnis der Demokratien. auch nach dem erfolgreichen Abschluß der Wiener Ich möchte unterstreichen: Ohne das hervorragende Verhandlungen wichtiger Maßstab unserer Politik. Engagement unserer Soldaten, der Bundeswehr wäre Auch bei den sich abzeichnenden chancenreichen das Bündnis nicht so erfolgreich geworden, Veränderungen im Ost-West-Verhältnis und einer Verringerung ihres militärischen Kräftepotentials will (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie die Sowjetunion ihren Status als Weltmacht und Groß- bei Abgeordneten der SPD) macht in Europa beibehalten. So bleibt die Bundesre- wie es heute für jedermann, der nicht verblendet ist, publik Deutschland auch in Zukunft auf das Atlanti- erkennbar ist. Unsere Politik hat so — wir sagen das sche Bündnis angewiesen. Gerade in Zeiten des Wan- wirklich ohne Überheblichkeit — einen maßgebli- dels kommt den transatlantischen Bindungen ent- chen Anteil an den weltpolitischen Wandlungen und scheidende Bedeutung zu. auch an der deutlich gewachsenen Bereitschaft zur Abrüstung im Osten. Wer heute — wir tun es alle — von den Plänen über eine Neugestaltung Europas spricht, muß sich bewußt (Gerster [Worms] [SPD]: An der in den 70er sein, daß wir diese Aufgabe nur gemeinsam mit unse- Jahren vor allem!) ren nordamerikanischen Verbündeten erfüllen kön- nen. Langfristig kann es bei einer günstigen Entwick- — Die Zeit reicht nicht aus, nun den Weg seit den 50er lung zu einer erheblichen Strukturveränderung im Jahren nachzuzeichnen. Bündnis kommen. Das Gewicht der Aufgaben kann Demgegenüber müssen wir heute Fragen an dieje- sich ändern. Dies alles ist vorstellbar. nigen stellen, die in den vergangenen Jahren unseren politischen Kurs gegenüber dem Osten heftig kriti- Aber wer, wie es manche jetzt tun — unter ihnen in siert haben. Dazu gehören nun viele — auch in Ihren den letzten Tagen leider auch ein hochverdienter pen- Reihen —, sionierter General — , von der bevorstehenden Auflö- sung der NATO redet, zeigt keine realistische Urteils- (Zuruf von der SPD: Aber auch zu Recht! — fähigkeit. Ich drücke mich hier ganz höflich aus. Bindig [SPD]: Wir haben Kurs gehalten! Sie sind Zickzack gefahren!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die sowohl in unserer Bundeswehr als auch in unseren Wer einmal den Blick auf die weitergehenden Pro- verteidigungspolitischen Prinzipien sogar einen Bei- bleme der Weltpolitik und der Weltwirtschaft in den trag zur Kriegsvorbereitung sehen wollten. Wären wir nächsten 20, 30 Jahren richtet, weiß doch, daß wir Ihnen gefolgt, dann hätten wir heute nicht die Mög- mehr transatlantische Zusammenarbeit und Verbin- lichkeit, gemeinsam mit unseren Verbündeten in dung zwischen Europa und Amerika brauchen und 13844 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Bundesminister Dr. Stoltenberg nicht weniger, wenn wir die großen Herausforderun- — Genauso wie die von mir vorgelegte neue Bundes- gen in den nächsten Jahrzehnten meistern wollen. wehrplanung hineinpaßt. Dazu sage ich noch etwas, Herr Kollege Horn. (Zustimmung bei der CDU/CSU und der FDP — Gerster [Worms] [SPD]: Aber NATO und Unter diesen Vorzeichen ist es doch richtig, wenn Wiedervereinigung passen nicht zusam sich in Zukunft, gemessen an der bisherigen Rela tion men!) zwischen dem amerikanischen Beitrag für die Sicher- heit Westeuropas und dem europäischen Beitrag, ein Meine Damen und Herren, diese enge Verbunden- vergleichsweise höherer Beitrag Westeuropas ab- heit ist auch für Verhandlungsergebnisse zur Rü- zeichnet. Darauf haben meine Kollegen und ich uns und beiderseitigen Abrüstung wich- stungskontrolle erlaubt hinzuweisen, Herr Kollege Kleinert. Ich sage fig. Vor allem die VKSE-Gespräche in Wien haben das, damit Sie mich nächstes Mal richtig zitieren, nach nur acht Monaten Dauer zu sehr ermutigenden wenn Sie sich noch mal mit mir auseinandersetzen. Fortschritten geführt. Dies begründet die Erwartung, von der wir ausgehen, auch als Bundesregierung, daß (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Ich habe Sie wir im nächsten Jahr einen Vertrag erreichen, der richtig zitiert!) unseren Vorstellungen und Sicherheitsinteressen ent- Es geht um einen politischen Beitrag, und es geht spricht. Er soll den Abbau der drastischen Überlegen- nicht um höhere Rüstungsausgaben. Von denen habe heit der Sowjetunion vor allem in Zentraleuropa ge- ich in diesem Zusammenhang nicht gesprochen. währleisten. Dies alles ist auch ein Ausgangspunkt für die neue Es wäre übrigens sehr schön, wenn einer von Ihnen Bundeswehrplanung, die nunmehr vom Kabinett in den schon fast ritualhaften Attacken gegen den nach intensiven und, wie ich sagen kann, positiven Jäger 90 auch einmal darüber redete, daß die Sowjet- Vorgesprächen abschließend beraten wird. Wir gehen union unter Gorbatschow ein vergleichbares Kampf- davon aus, daß wir insbesondere aufgrund der demo- flugzeug bereits entwickelt und auf internationalen graphischen Entwicklung und der Begrenzung der Flugschauen vorgestellt hat. Die Einäugigkeit ist bei Ressourcen die Zahl der aktiven Soldaten bis 1995 Ihnen immer noch da, meine verehrten Kollegen von zurückführen müssen und auch können. Wir müssen der SPD. in diesen Zusammenhang den Friedensumfang neu (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) bestimmen. Diese Verhandlungen sollen dann in einem weite- (Horn [SPD]: Aha! — Kühbacher [SPD]: Wie ren parallelen Schritt eine Verringerung des Umfangs denn?) der Waffensysteme und Streitkräfte unseres Bündnis- Ein Anpassungsprozeß über mehrere Jahre ist erfor- ses bringen. Ich würde es gern einmal in einer tragen- derlich, nicht zuletzt Hand in Hand mit den sich über den Rede im Protokoll des Deutschen Bundestags mehrere Jahre vollziehenden Änderungen der Rah- auch von Ihnen lesen. Bisher muß ich Fehlanzeige menbedingungen. sagen, meine Damen und Herren. (Kühbacher [SPD]: Ja!) Alle Regierungen im Bündnis sind sich zugleich ei- nig, daß wir weiterhin eine gesicherte Verteidigungs- Dafür brauchen wir auch eine kontinuierliche fähigkeit brauchen, wenn auch — das ist unser Ziel — Haushaltsplanung, um eine gewisse Sicherheit in mit- mit vergleichsweise weniger Waffensystemen und telfristigen Entscheidungen zu haben. Der Verteidi- weniger Soldaten. Das ist übrigens auch das Einver- gungshaushalt 1990 sieht, wie Sie wissen, jetzt Aus- nehmen in den letzten Tagen auf der Ministertagung gaben in Höhe von 54,230 Milliarden DM vor. Damit in Brüssel gewesen. sollen der Bundeswehr gegenüber dem verfügbaren Soll des Jahres 1989 insgesamt 1,48 Milliarden DM (Zuruf des Abg. Kühbacher [SPD]) mehr zu Verfügung stehen. Das ist in der Vorlage des — Ich trage es Ihnen einmal vor. Es ist doch interes- Haushaltsausschusses eine Steigerungsrate von no- sant, das einmal zu hören, Herr Kühbacher. minal 2,8 %. Wenn die Vereinigten Staaten jetzt, ausgehend von Damit Sie die Dinge doch etwas, ich wi ll einmal ihrer anhaltenden Budgetkrise und den gesetzlichen sagen: nüchterner be trachten, will ich, auch nach ge- Auflagen des Gramm-Rudmann-Gesetzes — das darf strigen Reden in diesem Hohen Haus, festhalten: Seit man in einer Haushaltsdebatte ja auch einmal erwäh Anfang der 80er Jahre haben wir ein betont verhalte- nen —, nes Wachstum des Verteidigungsetats. Sein Anteil am Bundeshaushalt betrug 1983 und 1984 18,9 bzw. (Horn [SPD]: Sehr richtig!) 19 %. weitere drastische Einsparungen oder Steuererhö- (Zuruf der Abg. Frau Dr. Sonntag-Wolgast hungen nach diesem Gesetz vornehmen müssen [SPD]) - — 35 Milliarden allein im nächsten Jahr — , dann — Das waren die Zahlen, die Sie uns aus langjähriger kann es doch niemanden überraschen, daß neben zi- sozialdemokratischer Tätigkeit hinterlassen haben, vilen Programmen, die gekürzt werden, auch die jet- Frau Kollegin. Aber damals waren noch andere Leute zige Verteidigungsplanung reduziert wird. Das ist der federführend, Leute wie etwa als hervor- Ausgangspunkt für eine Neubestimmung der Streit- ragender Vertreter der hessischen SPD, die durch kräfteplanung, die der Kollege Cheney eingeleitet hat vielleicht nicht ganz so hervorragende heute abgelöst und die ich gut verstehe. sind. — Damals waren es 18,9 bzw. 19 %. 1988 waren (Horn [SPD]: Die auch in die außenpoliti es noch 18,6 % und 1989 18,4 %. 1990 sollen es 18,1 % schen Rahmendaten paßt!) werden. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13845

Bundesminister Dr. Stoltenberg Auch der Anteil der verteidigungsbezogenen Aus- Das zeigt nur die völlige Richtungslosigkeit, in der Sie gaben am Bruttosozialprodukt der Bundesrepublik sich gegenwärtig bewegen. Deutschland ist seit längerer Zeit rückläufig. 1982 und 1983 waren es 2,8 %, 1985 2,6 %. Für 1990 und 1991 (Horn [SPD]: Das sind Ausreden!) rechnen wir mit 2,3 %. — Ich könnte Ihnen die Texte hier vorlesen. Ich sage das mal in einer Haushaltsdebatte, weil es Ich will einige Schwerpunkte besonders hervorhe- völlig irreführend ist, wenn manche Sprecher der SPD ben. Wir investieren mehr in unsere Soldaten und zivi- und der GRÜN/Alternativen immer wieder behaup- len Mitarbeiter. Das ist notwendig wegen der starken ten, die Rüstungsausgaben stiegen ungezügelt und erfreulichen Zunahme der Beschäftigtenzahlen in un- ungebremst oder wir seien nicht bereit, Konsequen- serer Wirtschaft vor allem in den letzten zwei Jah- zen aus einer sich ändernden internationalen Situa- ren. tion zu ziehen.

Zentrale Bedeutung hat in der Tat das 400 - Millio- In Wahrheit ist ein solches verhaltenes Wachstum nen - DM - Attraktivitätsprogramm. Es führt zu deutlich mit einem rückläufigen Anteil unter dem Vorzeichen günstigeren Laufbahnerwartungen für Berufs- und einer stärker dynamisch wachsenden Wirtschaft ver- Zeitsoldaten, setzt Akzente für Reservisten und tretbar. Ich sage das als Bundesminister der Verteidi- Grundwehrdienstleistende, und wir müssen es in eini- gung. gen Punkten ergänzen. Allerdings will ich genauso klar sagen: Wir brau- chen weiterhin ein, wenn auch verhaltenes, nomina- Wir haben die genannten neuen Planstellen — ich les Wachstum in den nächsten Jahren, wie es die brauche es nicht zu wiederholen, es ist gesagt — , für Finanzplanung der Bundesregierung vorsieht. Wir die Soldaten bessere Beförderungsmöglichkeiten und sind nämlich bei steigenden Personalkosten — und da auch bestimmte Verbesserungen im Bereich der zivi- übertreffen Sie uns ja noch in bestimmten Anträgen, len Mitarbeiter. meine Damen und Herren der SPD — und bei steigen- Ein besonderer Schwerpunkt des jetzt zur Verab- den Kosten insgesamt darauf angewiesen. schiedung anstehenden Haushaltes gilt dem Umwelt- (Kühbacher [SPD]: Bloß 7 Millionen! Das ist schutz. Wir haben dafür erhebliche Mittel vorgese- doch ein Wahnsinn!) hen: Baumaßnahmen im Zusammenhang mit Luft- reinhaltung, Gewässerschutz und Lärmschutz, auch Wir sind nicht bereit, die Bundeswehr zu demontie- bei unseren Ausbildungseinrichtungen im Ausland. ren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Sehr gut! bei der CDU/CSU) Ich sage das zu Ihren Anträgen und vorhergehenden Wir werden Simulatoren verstärkt für die Reduzie- Debatten. Wir sind nicht bereit, den Soldaten das vor- rung des Schießlärms einsetzen und die Entwicklung zuenthalten, was sie zur Erfüllung ihres Auftrags des ersten Simulators zum Thema Reduzierung der brauchen. Belastung durch Tiefflüge vorantreiben. (Kühbacher [SPD]: Ich werde hören, was Sie (Horn [SPD]: Vernünftig!) am 6. Dezember sagen!) Erstmals haben wir Personalstellen für die hauptamt- Wie schon gesagt: Wir sind nicht bereit, den Verteidi- liche Wahrnehmung des Umweltschutzes vorgeschla- gungshaushalt beliebig als Steinbruch zu benutzen. gen. Ich bin dem Deutschen Bundestag dankbar, daß (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) er sie bewilligt hat. Das würde unsere Bündnisfähigkeit ebenso gefähr- Bei den Rüstungsausgaben steigern wir vorrangig den wie die berufliche und soziale Situation der Sol- die Mittel für Forschung, Entwicklung und Erpro- daten und der zivilen Mitarbeiter. bung. Aber trotz einer Verstärkung um rund 300 Mil- lionen DM können wir nur die wichtigsten laufenden (Beifall des Abg. Ronneburger [FDP]) Entwicklungen plan- und zeitgerecht fortsetzen. Wir Die Formel, Herr Kollege Horn: „Wir wollen die müssen die Verteidigungsfähigkeit langfristig quali- Feldwebel befördern, aber den Bundesetat für Vertei- tativ sichern. Dazu gehört auch eine Entwicklung mo- digung zusammenstreichen", nehmen Ihnen die Feld- derner Waffensysteme, bei dem finanziellen Rahmen webel nicht ab. Die nimmt Ihnen überhaupt niemand allerdings mit noch härteren Prioritätsentscheidun- mehr in Deutschland ab. gen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Alles in allem stellt der Verteidigungshaushalt die wichtigsten Erfordernisse der Bundeswehr sicher, al- Horn [SPD]: 7 Millionen!) - lerdings zum Teil auch mit Konsequenzen in Ein- Ihre Verteidigungs- und die Haushaltspolitiker haben schränkungen, die in den Folgen den einen oder an- sich vor diesen Beratungen tagelang öffentlich gestrit- deren kritisch berühren werden. Wir sind dazu bereit, ten, ob man um 3 oder um 8 Milliarden kürzen soll. weil wir das Notwendigste erreichen. (Horn [SPD]: 7 Millionen!) Wir müssen einen berechenbaren Kurs steuern, Die einen haben den anderen Unseriosität vorgewor- auch im Interesse des internationalen Gewichts der fen. Bundesrepublik Deutschland in dieser für unser Volk und Europa so bedeutsamen Zeit. (Horn [SPD]: Das können Sie aus dem Wer beetat nehmen!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 13846 Deutscher Bundestag — 11. Wahlpe riode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Bundesminister Dr. Stoltenberg Für uns bleibt eine moderne Bundeswehr unverzicht- gen werden. Das ist doch unse riös, was Sie hier ma- bar, chen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: auch wenn wir die Zahl der aktiven Soldaten mit Blick Aber staatsmännisch!) auf Mitte der 90er Jahre planerisch ein Stück reduzie- Es ist Ihr Problem, meine Damen und Herren von ren, auch mit Folgen für den Friedensumfang. Eine der Koalition, heute einen Etat zu verabschieden, der moderne Bundeswehr behält ihren Auftrag, Frieden Makulatur ist und Freiheit für das deutsche Volk zu sichern. Das ist unabhängig von Strukturveränderungen gültig und (Sehr wahr! bei der SPD — Zurufe von der es ist nicht von sich verändernden sogenannten Be- CDU/CSU) drohungsanalysen abhängig. — das ist so — , einen Etat, der den Gegebenheiten der Wir sind bereit, das Notwendige zu tun, auch im Außen- und Sicherheitspolitik, die wir heute haben, Rahmen einer vertretbaren Reduzierung ihres Um- schon erkennbar nicht mehr Rechnung trägt, der in fangs. Aber es bleibt unsere Politik, Spannungen in gewissen Bereichen geradezu gegensteuert, einen Europa abzubauen und für die Sicherheit der Demo- Etat, der bei allem Engagement ihrer einzelnen Kolle- kratien des Westens weiterhin den erforderlichen Bei- gen den Menschen im Mittelpunkt beschreibt, tat- trag zu leisten. sächlich den Menschen aber nur als Zweck benutzt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und hinten anstellt. Der Verteidigungshaushalt 1990 kann von den Sozialdemokraten nicht gutgeheißen werden. Dieser Etat steht im Widerspruch zur Politik, die, wie vom Bundeskanzler postuliert, Frieden mit Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abgeord- immer weniger Waffen schaffen soll, tatsächlich aber nete Kühbacher. eine Rüstungsspirale anheizt. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch falsch!) Kühbacher (SPD): Herr Präsident! Meine Damen Dieser Etat steht im Widerspruch zu einer Politik, und Herren! Nachher folgen zwei namentliche Ab- die mit starken Worten auf Ausgleich und Entspan- stimmungen. Ich denke, ich sage Ihnen gleich vor- nung mit dem Osten abhebt, tatsächlich aber Bedro- weg: Die Sozialdemokraten werden in beiden na- hungsängste schürt und auf Grund ihrer rüstungspoli- mentlichen Abstimmungen zustimmen, einmal, weil tischen Entscheidungen wirklich Ängste verursacht. sie eine selber beantragt haben, zum zweiten, weil Dieser Etat steht im Widerspruch zu einer Politik, die DIE GRÜNEN in ihrer namentlicher Abstimmung das vorgibt, Abrüstung zu fordern, tatsächlich aber — ich gleich Petitum noch einmal wegen einer Vorlage im weise nur auf die Munitionsbeschaffung hin — Aufrü- Petitionsausschuß wiederholen. Wir diskutieren beide stung betreibt und alles unterläßt, was Möglichkeiten Male über den Jäger 90. — Das sage ich nur für die für Vertrauensbeweise unsererseits durch Unterlas- Kollegen oben an den Lautsprechern, damit sie wis- sen schädlicher und völlig unnötiger Rüstungsaus- sen, daß gleich abgestimmt wird. gaben schaffen würde. Dieser Etat beschreibt das Nun mein Redebeitrag. Denken in den sicherheitspolitischen Dimensionen von gestern. (Ganz [St. Wendel] [CDU/CSU]: Wie lange dauert es denn noch?) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) — 14 Minuten, Herr Kollege Ganz; Sie halten es aus. Herr Minister Stoltenberg hat eben selber gesagt: Dann sind auch alle hier. Die sogenannten Bedrohungsanalysen sind überholt. Herr Minister, Sie haben hier eine staatsmännische Was wollen wir mehr? — Sie halten aber bei diesem Rede gehalten. Etat an den Bedrohungsanalysen des kalten Krieges fest, als wenn sich überhaupt nichts geändert hätte, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. als wenn die Welt um uns herum immer noch im Zu- Struck [SPD]: Er hat es versucht!) stand des kalten Krieges wäre. Doch, doch. — Aber an einer Stelle muß ich Sie, — Dieser Etat ist mit seinen Steigerungsraten die gera- Herr Minister, der unse riösen Argumentation zeihen: dezu plastische Darstellung eines „Weiter so". Herr Minister, Sie werfen der Sozialdemokratischen Partei bei ihren Haushaltsanträgen, die ich im Sep- (Beifall bei der SPD — Frau Matthäus-Maier tember hier vorgetragen habe, eine Demontage der [SPD]: Jawohl!) Bundeswehr vor. - So untermauert man mit Haushalts- und Steuermitteln (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch so!) keine vernünftige Politik. Was habe ich denn gewagt? Ich haben den Kollegen (Zuruf von der SPD: Sehr gut, Klaus-Dieter!) und Ihnen vorgeschlagen, im Jahre 1990 10 000 aus- scheidende Zeitsoldaten nicht zu ersetzen. Ich habe es Das ist keine Politik, die man nach außen glaubwür- gewagt, Sie aufzufordern, im nächsten Jahr 10 000 dig verkaufen kann ; denn sie ist ein Ausdruck Ihrer Wehrpflichtige nicht einzuberufen. Sie sagen, das sei großen Verunsicherung und Ihrer übermächtigen Hilf- eine Demontage. Sie wissen doch ganz genau, daß Sie losigkeit, weil Sie, meine Damen und Herren in der in der nächsten Woche im Kabinett Ihrer Regierung Regierungskoalition und der Bundesregierung, mit und Ihrer Koalition ganz andere Kürzungen vorschla den sich rasch vollziehenden dramatischen Verände- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13847

Kühbacher rungen nicht zurechtkommen. Sie kommen mit Schlimmer noch: Sie wissen, daß diese Grundzahlen neuem Denken gedanklich nicht mehr klar. falsch sind, und lassen es zu, daß hier über eine Bun- deswehr auf dem Papier beschlossen wird, die gar (Nolting [FDP]: Wer hat denn das aufge nicht existieren kann und auch gar nicht existieren schrieben?) wird. Es ist geradezu ein Zeichen gedankenloser Unbeküm mertheit, daß Sie im Haushalt 1990 Zahlen festschrei Sie planen weiterhin großzügig — wie unter Ihrem ben, die bereits in einer Woche obsolet sein werden. Vorgänger begonnen — für eine Armee von 456 000 Personen. So der Haushalt 1990! Im Ohr haben Sie Ich denke, daß unsere Bundeswehr, unsere Solda- vielleicht noch die Zusage Ihres Kanzlers bei der Kom- ten und Zivielbediensteten einen seriöseren Umgang mandeurtagung in Travemünde. Dort hat er die Exi- mit ihrer Art der Arbeitsbewältigung verdienen. stenz von 495 000 Soldaten für die Bundeswehr bis Wir Sozialdemokraten lehnen den Etat 1990 ganz ans Ende des Jahrhunderts festgeschrieben. — So Ihr entschieden ab. Kanzler in Travemünde! (Beifall bei der SPD) (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Wie mit der Quellensteuer!) Lassen Sie mich noch einmal unsere Vorstellungen zu einem seriösen Etat vortragen, warum wir für Kür- Was von Kanzlerworten in diesem Zusammenhang zu zungen der Haushaltsansätze, warum wir für die halten ist, haben wir ja bei der Wehrpflichtverlänge- Streichung einzelner Programmteile und warum wir rung mitbekommen. zugunsten der Veränderung und Verlagerung der so- (Wilz [CDU/CSU]: Das haben wir bei zialen Belange eingetreten sind. Wir treten für Kür- Schmidt erlebt!) zungen ein, die realistisch sind und unsere Sicherheit nicht gefährden, sondern fördern. Wir waren und sind Bei der Wehrpflichtverlängerung ging es ruck, zuck für Streichungen im Einzelplan 14, der über 54 Milli- zurück. Das war das Ergebnis der Kanzlerworte! arden DM beträgt, um 3,2 Milliarden DM. (Beifall bei der SPD) (Nolting [FDP]: Was sagt denn Herr Walther dazu?) Ich sage Ihnen, meine Kollegen von der CSU, der CDU und der FDP, auch wenn es weh tut: Sie werden Dies ist sicherheitspolitisch geboten und außerdem es morgen, wenn Sie die Fernsehberichterstattung unter dem Gesamtaspekt einer vertrauensbildenden noch einmal nachvollziehen — wir hatten ja nicht das Maßnahme nach außen und nach innen richtig. Wir Vergnügen; das kam alles schon über den Fernseh- sind für Kürzungen bei diesem Etat von 5,8 % und schirm —, spätestens am 6. Dezember im Kabinett nicht, so wie Sie das beschlossen haben, von geradezu erfahren und lernen müssen: Die Vorgaben zum lächerlichen 237 Millionen DM. Haushalt 1990 sind Makulatur, unrealistisch, irrefüh- (Beifall bei der SPD — Nolting [FDP]: Wieviel rend. wollte denn Herr Walther?) (Beifall bei der SPD) Nicht einmal ein halbes Prozent haben sich die Kolle- Geben Sie es doch zu: Im Ministerium wird schon gen des Haushaltsausschusses zu streichen gewagt. intensiv und laut geplant für eine Armee von 350 000 Nicht einmal ein halbes Prozent, meine Damen und bis 380 000 Soldaten Mitte der 90er Jahre. Es wird Herren! Normalerweise vergißt man solche kleinen wieder nachgedacht, nachdem die Parteiideologen, Zahlen. die ja frühere Denkansätze verboten haben, nun nicht (Nolting [FDP]: Was sagt Herr Walther mehr das Sagen haben. Geben Sie doch zu: Kein Ver- dazu?) antwortlicher rechnet ernsthaft noch damit — die Sol- daten sitzen dort auf der Bank; sie wissen ganz genau, Ich will noch einmal unsere Eckdaten nennen, mit welchen Zahlen sie gerechnet haben —, mit (Zuruf von der CDU/CSU: Du hast doch gar 456 000 Soldaten Mitte der 90er Jahre zu operieren. keine! — Unruhe) Trotzdem stellen Sie die Finanzmittel dafür bereit, als das nennen, was unserer Meinung nach wichtig wäre nichts geschehen. wäre. Ich rede noch gar nicht über die Erfolge in den (Dr. Struck [SPD]: Herr Kübacher, etwas lau Abrüstungsverhandlungen, die auch noch kommen ter bitte! — Frau Matthäus-Maier [SPD]: Lau werden. Sie wissen das heute. Ich sage: Wider besse- ter!) res Wissen bestreiten Sie die Zahlen und beschließen einen falschen Haushaltsplan. — Noch lauter, Herr Kollege Struck? Ich denke, das ist - nur das Schreien der Angst der Koalition vor der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wahrheit. Damit komme ich zu einem entscheidenden Punkt. (Beifall bei der SPD — Wilz [CDU/CSU]: Das Mit einem solchen erheblich verringerten Umfang der ist ja wie im Karneval!) Personalstärke brauchen auch ganz andere Dinge nicht mehr bestellt zu werden. Meine Damen und Herr Minister Stoltenberg, der von Ihnen mit dem Herren, was machen Sie denn? Sie lassen alle Rü- Zahlenwerk des Haushalts vorgelegte Personalum- stungsprogramme für Panzer, für Schiffe, für Flug- fang — das ist der Kernpunkt — und alle anderen, sich zeuge, für Forschung so weiterlaufen wie bisher. daraus ableitenden Ansätze stimmen nicht mehr, wie wir ja am 6. Dezember von Ihnen hören werden. (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Unmöglich!) 13848 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Kühbacher Sie, meine Damen und Herren, die Sie ja doch erheb- Flugzeuges 7 Milliarden DM Steuermittel ausgibt und lichen Sachverstand haben im Verteidigungsaus- sich dann überlegt, ob man es beschafft oder nicht — schuß und im Haushaltsausschuß — das muß ich Ih- bei einer Stückzahl von 200! Wollen Sie das denn im nen doch ausdrücklich bestätigen —, Sie begegnen Ernst einem Wähler, einem Steuerzahler zumuten, diesem Haushalt 1990 nach dem Motto: Nichts sehen, daß Sie 7 Milliarden brauchen, um zu Erkenntnissen nichts lernen, weiter so. zu kommen? Also, dies ist eine teure FDP, das sage ich Ihnen. (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Garbe [GRÜNE] — Dr. Struck [SPD]: Sehr gut, (Beifall bei der SPD — Zurufe von der FDP) Klaus-Dieter!) Sie rüsten wirklich auf. Ohne Erfordernis bestellen Man kann sich nicht immer aus der Verantwortung Sie — auf Kosten des Steuerzahlers selbstverständ- herausmogeln. Sie müssen schon auf Ihren Parteita- lich — gen ja oder nein sagen. Immer dabeisein, das geht nicht. Man muß schon Mut haben. (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Anderen Leu ten in die Tasche greifen!) Meine Damen und Herren, alle diese Rüstungsinve- stitionen sind mit Vernunft und Einsicht nicht zu zusätzliche Kampfflugzeuge ECR Tornado. Warum rechtfertigen, und sie hindern Sie natürlich auch denn? — Damit die Produktionslinien aufrechterhal- daran, für die Soldaten selber etwas zu tun. Kommen ten werden, nicht etwa, weil die Flugzeuge benötigt Sie mir nicht mit dem Argument, daß Sie ja die Besol- werden. Sie bestellen zusätzlich Kampfpanzer dungsgruppe A 1 abschaffen wollen, daß Sie für die Leopard. Warum denn? — Damit die Produktionsli- Hauptleute im Stau etwas getan hätten, weil es zu- nien bei Krauss-Maffei aufrechterhalten werden. sätzliche Stellen gibt. Diese Dinge sind sowieso so (Dr. Struck [SPD]: Wenn das der Waigel lange sozial überfällig, daß es heute eigentlich nur wüßte, Herr Kollege Kühbacher! Der weiß noch eine Erwähnung braucht, daß Sie das fünf Jahre das bloß nicht!) nicht geleistet haben.

— So ist das. — Außerdem haben Sie nach dem Aus- Aber, meine Damen und Herren, jetzt komme ich stieg Großbritanniens die schon halb gestorbene Fre- noch einmal auf den wunden Punkt. Das Rückgrat gatte 90 immer noch nicht aus der Liste der For- unserer Bundeswehr im Umgang mit den Wehrpflich- schungsvorhaben herausgestrichen. Durch die zu- tigen sind die Unteroffiziere. Wir Sozialdemokraten sätzlichen Mittel und die Aufblähung der Mittel für haben Sie gebeten, für diese Unteroffiziere und ihre die Forschung und Entwicklung für den Panzerhub- Laufbahnerwartungen 7 Millionen DM zur Verfü- schrauber 2 werden — das wissen Sie genau, Herr gung zu stellen, damit die Oberfeldwebel erkennen Kollege Ganz — eine Unmenge von Mitteln gebun- können, ob sie denn die Chance haben, Hauptfeldwe- den. bel, Stabsfeldwebel oder, wenn sie besonders hervor- (Ganz [St. Wendel] [CDU/CSU]: Wer im ragend geeignet sind, Oberstabsfeldwebel zu werden. Glashaus sitzt — — ! ) 7 Millionen DM haben wir von Ihnen erbeten. Was Durch die Bewilligung von Mitteln — Herr Ganz, nun haben Sie gemacht, obwohl dieser Etat 54 Milliarden geht es in Ihre Region — für einen Höhenaufklärer, an groß ist? Sie haben diese 7 Millionen wegen Finanz- dem nichts weiter deutsch ist als die Finanzmittel, die knappheit abgelehnt. Wer soll denn das noch glau- dort hineinkommen, geben Sie Milliardenbeträge ben? Und Sie sagen: Der Mensch steht im Mittel- aus. punkt. Da gibt es einen ganz blöden Spruch bei der (Beifall bei der SPD) Bundeswehr, den Sie den Unteroffizieren jetzt unmit- telbar bestätigen: Der Mensch ist für Sie nicht Mittel- Sie wollen in allem Ernst in diesem Jahr — nach punkt, er ist Mittel — Punkt. So ist es nämlich. Abzug der für die Übungen notwendigen Munition — für 1,8 Milliarden DM die Kriegsvorräte im nächsten (Beifall bei der SPD) Jahr erhöhen. Dabei spreche ich überhaupt nicht über die Verpflichtungsermächtigungen. Ja, meine Damen und Herren, es ist ganz traurig. (Frau Seiler-Albring [FDP]: Verteidigungs Ich sage es noch einmal ausdrücklich, Sie werben vorräte!) um die Zustimmung der Bundeswehrfamilien mit eini- — Frau Kollegin Seiler-Albring, warum stimmen Sie gen guten Sachen. Es wird einiges geändert. Aber an denn dem Vorhaben zu, die Kriegsvorräte zu erhö- dieser Stelle, an der man für die Unteroffiziere mit hen? Was soll denn dieser Unsinn? Sie können das relativ bescheidenen Beträgen etwas tun könnte, auch Verteidigungsvorräte nennen. Wenn das vor- sperren Sie sich. Warum, können Sie sich wahrschein- nehmer ist, schließe ich mich gerne an. Selbstver- lich selber nicht erklären: weil es der Finanzminister- ständlich haben wir nur eine Verteidigungsarmee, nicht wollte, die Hardthöhe nicht für notwendig ge- wenn Sie das noch einmal bestätigt haben wollen. halten hat. Sie haben als frei gewählte Abgeordnete Trotzdem ist die Beschaffung Unsinn. nicht den Mut, die Unteroffiziere wirklich in die Rich- tung zu stellen, die notwendig ist. Meine Damen und Herren, alle Dimensionen sprengt nun einmal die Beschaffung des Jägers 90 (Beifall bei der SPD) und dessen Entwicklung. Frau Kollegin Seiler-Al- bring, das hat mir ja nun ernsthaft Spaß gemacht, daß Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem ich die Freien Demokraten auf einem Parteitag wirklich gesagt habe, was ich von der Union halte, wenn sie zu beschließen, daß man mal für die Entwicklung eines einem Haushalt ja sagt, der Makulatur ist, kann ich Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13849

Kühbacher Sie nur noch bitten, unseren Anträgen zuzustim- stehen, und wir sollen kritisch daran denken. Nehmen men, Sie Nachhilfeunterricht bei Ihrem Genossen Edzard (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ Reuter, bevor Sie hier etwas Falsches sagen. CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den Jäger 90 jetzt abzulehnen, damit nicht noch mehr Das war immerhin ein Paradepferd für Sie, mit dem Geld in den Bach hinausgeht — der Steuerzahler hat Sie in die Bundestagswahl hineingehen sollten. das nicht verdient —, Und ein Letztes möchte ich Ihnen noch deutlich (Beifall bei der SPD) sagen. Wir sind bereit, zu gegebener Zeit Abrüstungs- und bei den anschließenden namentlichen Abstim- schritte vorzunehmen, aber auf der Grundlage abge- mungen — der Kollege Vogel zeigt das schon — zwei- schlossener Verträge, die nachprüfbar sind. Es wider- mal mit blau zu stimmen. spricht jeder Lebenserfahrung, vorher aus der Hand Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. zu geben, was hinterher Verhandlungsgegenstand (Beifall bei der SPD) ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Anhaltende Zurufe von der SPD) Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abgeord- nete Dr. Friedmann. Sie betreiben bei der Abrüstung einen Schlingerkurs wie auf einer Achterbahn. Darauf ist kein Verlaß. Sie schaden der Bundeswehr, Sie schaden der Sicherheit, Dr. Friedmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Sie schaden den Interessen unseres Landes. Auf Sie Damen und Herren! Was Sie, Herr Kollege Kühba- können wir uns so nicht verlassen. cher, eben vom Stapel gelassen haben, kann nicht unwidersprochen bleiben. Schönen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ Lachen und Zurufe von der SPD) CSU und der FDP) Sie haben soeben den Eindruck erweckt, als würde hier ein Haushalt als Rüstungsspirale vorgelegt. Die- ser Haushalt umfaßt 18 % des Bundeshaushalts. Das Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Herren, ist Beschlußlage des SPD-Parteitags von Nürnberg. ich schließe die Aussprache. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — (Große Unruhe — Glocke des Präsidenten) Anhaltende Zurufe von der SPD) Mir liegt hier ein Redewunsch der Abgeordneten Frau — Es gibt keinen neueren Beschluß. Wir haben das Fuchs (Verl) zur Abgabe einer mündlichen Erklärung eingeführt, was Sie wollen, und es gibt nichts Neue- nach § 31 GO vor. Steht der Wunsch noch? — Das ist res. Nun sind Sie so scheinheilig und stellen das hier in nicht der Fall. Frage. Das ist unse riös. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir kommen jetzt beim Einzelplan 14 zunächst zu den beiden namentlichen Abstimmungen. Danach Sie haben gesagt, die Soldaten kämen zu kurz, weil gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Abstimmun- wir nur an Großprojekte dächten. 54 % dieses Haus- gen nichtnamentlicher Art. Insbesondere haben wir halts werden für Soldaten ausgegeben. Das hat es auch noch weitere Etats zu beraten. überhaupt noch nie gegeben, zu Ihrer Zeit niemals. Der Haushalt ist für die Bundeswehr und für die Si- Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag cherheit da. der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/5798 namentlich ab. Ich eröffne die Abstimmung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie werfen uns vor, wir würden das Geld für Groß- (Kühbacher [SPD]: Da stimmt was nicht! — projekte ausgeben. Sie haben zu Ihrer Zeit sieben Weitere Zurufe von der SPD) Großprojekte durchgezogen, — Einen Augenblick, darf ich ein bißchen um Ruhe (Kühbacher [SPD]: Es tut weh!) bitten. Wir müssen eine Frage aufklären, bei der es um ein Mißverständnis geht. angefangen vom Tornado über die Phantom bis zum Leopard. Wir haben in siebenjähriger Regierungszeit Darf ich den Geschäftsführer der Fraktion DIE GRÜ- kein einziges Großprojekt durchgezogen. Das ist die NEN fragen, ob der Antrag 11/5798 — Geschäftsbe- Wahrheit, das Gegenteil von dem, was Sie gesagt reich des Bundesministers der Verteidigung — mit ei- haben. ner ganzen Reihe von Kürzungen zu den verschiede- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — nen Kapiteln derjenige ist, den Sie zur namentlichen Abg. Gerster [Worms] [SPD] meldet sich zu Abstimmung gestellt haben wollten? Ist das richtig? — einer Zwischenfrage) Kann ich das von Herrn Hüser wissen? (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter — — — Augenblick! Es gibt eine unterschiedliche Auffas- sung darüber. Es bestand die Erwartung, daß eine Dr. Friedmann (CDU/CSU): Nein. — Ihr Genosse namentliche Abstimmung über die Petitionen erfol- Edzard Reuter hat vor zwei Tagen zu uns CDU-Abge- gen würde. Dies ist offensichtlich nicht korrekt. ordneten gesagt, wir sollen daran denken, daß drüben Darf ich bitte von dem Geschäftsführer der GRÜ- nach wie vor hochgerüstete sowjetische Divisionen NEN hören, ob es richtig ist, daß dieser jetzt eben auf- 13850 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Vizepräsident Westphal gerufene Antrag zur namentlichen Abstimmung Die Kollegen bitte ich, sich zu setzen, damit wir mit steht? den Abstimmungen fortfahren können. (Zurufe) Wir stimmen nun über weitere Änderungsanträge — Es besteht offensichtlich Unklarheit bei der Frak- zum Einzelplan 14 ab, zunächst über den Änderungs- tion DIE GRÜNEN, aber es muß eine Entscheidung antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache von Ihnen geben. 11/5799. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, (Zurufe) den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt Meine Damen und Herren, da eine Fraktion von dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Ände- einer anderen Erwartung ausgegangen ist, muß ich rungsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt. dies vorher klären und muß möglicherweise die Ab- stimmung wiederholen lassen. Wir kommen zur Abstimmung über den Ände- rungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksa- (Zurufe) che 11/5836. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich Ich möchte gern von der Fraktion DIE GRÜNEN um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Ent- eine abschließende Erklärung haben: Soll dieser Än- haltungen? — Dieser Änderungsantrag ist mit dersel- derungsantrag auf Drucksache 11/5798 zur namentli- ben großen Mehrheit abgelehnt. chen Abstimmung anstehen? Wir stimmen nun über den Änderungsantrag der (Zurufe) Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5882 unter Nr. XI — Es tut mir leid. Dies ist ein Antrag, der eine ganze ab. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den Reihe von Positionen aus dem Einzelplan 14 betrifft. bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dage- gen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Änderungs- (Zurufe) antrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen ab- — Die GRÜNEN ziehen ihren Antrag auf namentliche gelehnt. Abstimmung zu diesem Änderungsantrag zurück. Jetzt stimmen wir über den Änderungsantrag der Ich bitte Sie, noch einmal Ihre Plätze einzunehmen. Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5886 ab. Wer Wir stimmen über diesen Antrag also in einfacher diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den Abstimmung ab. Es tut mir leid; von hier aus muß ent- bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dage- schieden werden. gen? — Enthaltungen? — Dieser Änderungsantrag ist Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, Platz mit derselben Mehrheit der Koalitionsfraktionen ab- zu nehmen, damit wir abstimmen können. gelehnt worden. Wir bleiben bei diesem Antrag; ich stelle ihn jetzt Da ich das Ergebnis der namentlichen Abstimmung sofort zur Abstimmung. Die namentliche Abstimmung abwarten muß, kann ich jetzt noch nicht über den Ein- ist abgebrochen und wird nicht ausgezählt. Wir brau- zelplan 14 abstimmen lassen. Aber wir können schon chen neue Urnen für die nächste namentliche Abstim- abstimmen über Einzelplan 35 — Verteidigungsla- mung. sten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländi- Ich lasse zunächst über den von der Fraktion DIE scher Streitkräfte — , den wir schon gelesen haben. GRÜNEN eingebrachten Änderungsantrag zum Etat Wir stimmen über diesen Einzelplan in der Ausschuß- des Verteidigungsministeriums auf Drucksache fassung ab. Wer diesem Einzelplan zuzustimmen 11/5798 abstimmen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — der Fraktion DIE GRÜNEN und einigen anderen Ent- Dann ist dieser Änderungsantrag mit großer Mehr- haltungen ist der Einzelplan 35 mit großer Mehrheit heit, d. h. von den Fraktionen der Koalition und der angenommen worden. SPD-Fraktion, abgelehnt worden. Jetzt müssen wir noch über Beschlußempfehlungen Ich habe nun zunächst zu klären: Bei mir ist der des Petitionsausschusses abstimmen, die zu diesem nächste Antrag, und zwar der namentlich abzustim- Tagesordnungspunkt gehören. Wir stimmen zuerst mende Antrag, derjenige der Fraktion der SPD auf über einen Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5887. Um es inhaltlich deutlich zu ma- der Drucksache 11/5737 ab. Wer diesem Änderungs- chen: Es ist der Antrag zum Thema „Jäger 90". Ich antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das eröffne die namentliche Abstimmung über diesen An- Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltun- trag. gen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit der Ich stelle fest, daß es nach dieser namentlichen Ab- Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt. stimmung keine weitere namentliche Abstimmung mehr geben wird. Es wird aber noch eine ganze Reihe Nun kommt noch die Abstimmung über den Ände- anderer Abstimmungen geben. Ich bitte daher, im rungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksa- Saal zu bleiben. che 11/5909. Es geht um dasselbe Thema, Sammel- übersichten zu den Petitionen. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? — Das ist nicht Wer stimmt für diesen Änderungsantrag der Frak- der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte tion DIE GRÜNEN? Ich bitte um das Handzeichen. — die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. *) Wer stimmt dagegen? — Dieser Änderungsantrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt *) Ergebnis Seite 13854 D worden. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13851

Vizepräsident Westphal Nun kommen wir zu der Beschlußempfehlung des Frau Rust Hinsken Frau Saibold Höffkes Petitionsausschusses auf Drucksache 11/5150, also in Frau Schmidt (Hamburg) Höpfinger der ursprünglichen Fassung. Frau Schoppe Dr. Hoffacker Stratmann Frau Hoffmann (Soltau) Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen Such Dr. Hornhues wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer Frau Teubner Frau Hürland-Büning stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist diese Frau Vennegerts Graf Huyn Beschlußempfehlung mit der Mehrheit der Koalitions- Frau Dr. Vollmer Dr. Hüsch Wetzel Jäger fraktionen abgelehnt. Frau Wollny Dr. Jenninger Jetzt kommen wir zur Abstimmung über die Be- Dr. Jobst Jung (Limburg) schlußempfehlung des Verteidigungsausschusses auf Fraktionslos Jung (Lörrach) der Drucksache 11/4269. Der Ausschuß empfiehlt, Kalb den Antrag der SPD auf Drucksache 11/3018 abzuleh- Frau Unruh Kalisch nen. Wüppesahl Dr. Kappes Frau Karwatzki Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? Ich bitte Kiechle um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Ent- Nein Kittelmann haltungen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung mit Dr. Köhler (Wolfsburg) CDU/CSU Kolb der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenom- Kossendey men. Bauer Kraus Bayha Krey Der Ausschuß empfiehlt weiter, den Antrag der Dr. Becker (Frankfurt) Kroll-Schlüter Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/3592 abzu- Biehle Dr. Kronenberg lehnen. Dr. Blank Dr. Kunz (Weiden) Dr. Blens Dr. Lammert Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? Ich bitte Böhm (Melsungen) Dr. Langner um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Ent- Börnsen (Bönstrup) Lattmann haltungen? — Dann ist auch diese Beschlußempfeh- Dr. Bötsch Dr. Laufs Bohl Lenzer lung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen ange- Bohlsen Link (Diepholz) nommen. — Borchert Link (Frankfurt) Breuer Lintner Bevor wir hier fortfahren können, muß das Ergebnis Bühler (Bruchsal) Dr. Lippold (Offenbach) der namentlichen Abstimmung über den Änderungs- Carstens (Emstek) Louven antrag der SPD vorliegen. Carstensen (Nordstrand) Lummer Clemens Maaß Weil wir noch eine Menge zu tun haben, fahre ich in Dr. Czaja Frau Männle der Zwischenzeit mit den Abstimmungen zum Einzel- Daweke Magin Deres Marschewski plan 06 — Innenminister — fort. Dörflinger Dr. Meyer zu Bentrup Da muß ich Ihnen zunächst das von den Schriftfüh- Doss Dr. Möller rern ermittelte Ergebnis der beiden namentlichen Dr. Dregger Dr. Müller Echternach Müller (Wadern) Abstimmungen mitteilen. Ehrbar Nelle Zuerst ging es um den Änderungsantrag der Frak- Eigen Niegel Engelsberger Dr. Olderog tion DIE GRÜNEN zum Einzelplan 06 — Geschäftsbe- Eylmann Oswald reich des Bundesministers des Innern — auf der Dr. Faltlhauser Petersen Drucksache 11/5796: Es wurden 382 Stimmen abge- Feilcke Pfeffermann geben. Davon war keine ungültig. Mit Ja haben Fellner Pfeifer Frau Fischer Dr. Pfennig 33 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 229. 120 Abge- Fischer (Hamburg) Dr. Pinger ordnete haben sich der Stimme enthalten. Francke (Hamburg) Dr. Pohlmeier Dr. Friedmann Dr. Probst Dr. Friedrich Rauen Endgültiges Ergebnis Fuchtel Rawe Ganz (St. Wendel) Reddemann Abgegebene Stimmen 380; davon Dr. Geißler Regenspurger Dr. von Geldern Repnik ja: 33 Gerstein Dr. Riesenhuber Gerster (Mainz) Frau Rönsch (Wiesbaden) nein: 227 Glos Frau Roitzsch (Quickborn) enthalten: 120 Dr. Göhner Dr. Rose Dr. Götz Rossmanith Gröbl Frau Rost (Berlin) Ja Frau Eid Frau Flinner Dr. Grünewald Roth (Gießen) Günther Dr. Rüttgers SPD Frau Frieß Frau Garbe Dr. Häfele Ruf Häfner Harries Sauer (Salzgitter) Bahr Frau Hasselfeldt Sauer (Stuttgart) Frau Frau Hensel Dr. Hartenstein Haungs Sauter (Epfendorf) Nagel Frau Hillerich Hoss Hauser (Esslingen) Frau Schätzle Hüser Hauser (Krefeld) Dr. Schäuble DIE GRÜNEN Frau Kelly Hedrich Scharrenbroich Kleinert (Marburg) Frau Dr. Hellwig Schemken Brauer Frau Kottwitz Helmrich Scheu Dr. Daniels (Regensburg) Dr. Lippelt (Hannover) Dr. Hennig Schmidbauer Eich Frau Nickels Herkenrath Frau Schmidt (Spiesen) 13852 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Vizepräsident Westphal Schmitz (Baesweiler) Frau Seiler-Albring Dr. Osswald Frau Dr. Timm von Schmude Dr. Solms Pauli Toetemeyer Dr. Schneider (Nürnberg) Dr. Thomae Dr. Penner Vahlberg Freiherr von Schorlemer Timm Dr. Pick Dr. Vogel Schreiber Frau Walz Purps Voigt (Frankfurt) Dr. Schroeder (Freiburg) Dr. Weng (Gerlingen) Rappe (Hildesheim) Schulhoff Wolfgramm (Göttingen) Reimann Waltemathe Dr. Schulte Frau Würfel Reuschenbach Walther (Schwäbisch Gmünd) Zywietz Reuter Wartenberg (Berlin) Schwarz Rixe Frau Dr. Wegner Dr. Schwörer Roth Weiermann Seehofer Schluckebier Enthalten Frau Weiler Seesing Frau Schmidt (Nürnberg) Dr. Wernitz Spilker Schmidt (Salzgitter) Westphal Spranger SPD Dr. Schmude Dr. Sprung Schütz Frau Weyel Dr. Stark (Nürtingen) Frau Adler Seidenthal Wieczorek (Duisburg) Dr. Stavenhagen Andres Frau Seuster Frau Wieczorek-Zeul Dr. Stercken Bachmaier Sieler (Amberg) Wiefelspütz Bamberg Dr. Stoltenberg Singer von der Wiesche Straßmeir Becker (Nienberge) Frau Dr. Skarpelis-Sperk Frau Becker-Inglau Wimmer (Neuötting) Strube Frau Dr. Sonntag-Wolgast Wischnewski Stücklen Bernrath Dr. Sperling Dr. de With Frau Dr. Süssmuth Bindig Stahl (Kempen) Susset Dr. Böhme (Unna) Stiegler Wittich Tillmann Brandt Stobbe Zander Uldall Brück Dr. Struck Zeitler Dr. Unland Büchler (Hof) Frau Terborg Zumkley Frau Verhülsdonk Dr. von Bülow Vogel (Ennepetal) Buschfort Dr. Voigt (Northeim) Catenhusen Dr. Vondran Frau Conrad Damit war der Antrag abgelehnt. Conradi Dr. Waffenschmidt Die zweite von der Fraktion DIE GRÜNEN zu dem- Dr. Waigel Frau Dr. Däubler-Gmelin Graf von Waldburg-Zeil Daubertshäuser selben Einzelplan beantragte namentliche Abstim- Dr. Warnke Diller mung über Drucksache 11/5797 hat folgendes Ergeb- Dr. Warrikoff Duve nis: 380 abgegebene Stimmen, keine ungültige Dr. Ehmke (Bonn) Weiß (Kaiserslautern) Stimme. Mit Ja haben 150 Abgeordnete gestimmt, mit Werner (Ulm) Erler Frau Dr. Wilms Esters Nein 229. Es hat 1 Enthaltung gegeben. Wilz Ewen Wimmer (Neuss) Fischer (Homburg) Windelen Gansel Frau Dr. Wisniewski Gerster (Worms) Wissmann Graf Endgültiges Ergebnis Dr. Wittmann Großmann Würzbach Grunenberg Abgegebene Stimmen 377; davon Dr. Wulff Haack (Extertal) Zeitlmann Hasenfratz ja: 150 Dr. Hauchler Zierer nein: 226 Zink Heistermann Heyenn enthalten: 1 Hiller (Lübeck) Dr. Holtz FDP Horn Huonker Baum Jahn (Marburg) Ja Ewen Beckmann Dr. Jens Fischer (Homburg) Bredehorn Jungmann (Wittmoldt) SPD Gansel Eimer (Fürth) Frau Kastner Gerster (Worms) Dr. Feldmann Kastning Frau Adler Graf Frau Folz-Steinacker Kiehm Andres Großmann Funke Kirschner Bachmaier Grunenberg Gallus Dr. Klejdzinski Bahr Haack (Extertal) Gattermann Koltzsch Becker (Nienberge) Frau Dr. Hartenstein Gries Koschnick Frau Becker-Inglau Hasenfratz Grüner Dr. Kübler Bernrath Dr. Hauchler Heinrich Kühbacher Bindig Heistermann Dr. Hirsch Lambinus Dr. Böhme (Unna) Heyenn Dr. Hitschler Leidinger Brandt Hiller (Lübeck) Hoppe Leonhart Brück Dr. Holtz Dr. Hoyer Lutz Büchler (Hof) Horn Irmer Frau Matthäus-Maier Dr. von Bülow Huonker Lüder Meyer Buschfort Jahn (Marburg) Mischnick Müller (Schweinfurt) Catenhusen Dr. Jens Neuhausen Müntefering Frau Conrad Jungmann (Wittmoldt) Nolting Nehm Frau Dr. Däubler-Gmelin Frau Kastner Paintner Frau Dr. Niehuis Daubertshäuser Kastning Richter Dr. Niese Diller Kiehm Rind Niggemeier Duve Kirschner Ronneburger Dr. Nöbel Dr. Ehmke (Bonn) Dr. Klejdzinski Schäfer (Mainz) Frau Odendahl Erler Koltzsch Frau Dr. Segall Oostergetelo Esters Koschnick Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13853

Vizepräsident Westphal Dr. Kübler Frau Hensel Frau Hasselfeldt Sauter (Epfendorf) Kühbacher Frau Hillerich Haungs Frau Schätzle Lambinus Hoss Hauser (Esslingen) Dr. Schäuble Leidinger Hüser Hauser (Krefeld) Scharrenbroich Leonhart Frau Kelly Hedrich Schemken Lutz Kleinert (Marburg) Frau Dr. Hellwig Scheu Frau Matthäus-Maier Frau Kottwitz Heimrich Schmidbauer Meyer Dr. Lippelt (Hannover) Hinsken Frau Schmidt (Spiesen) Müller (Schweinfurt) Frau Nickels Höffkes Schmitz (Baesweiler) Müntefering Frau Rust Höpfinger von Schmude Nagel Frau Saibold Dr. Hoffacker Dr. Schneider (Nürnberg) Nehm Frau Schmidt (Hamburg) Frau Hoffmann (Soltau) Freiherr von Schorlemer Frau Dr. Niehuis Frau Schoppe Dr. Homhues Schreiber Dr. Niese Stratmann Frau Hürland-Büning Dr. Schroeder (Freiburg) Niggemeier Such Graf Huyn Schulhoff Dr. Nöbel Frau Teubner Dr. Hüsch Dr. Schulte Frau Odendahl Frau Vennegerts Jäger (Schwäbisch Gmünd) Oostergetelo Frau Dr. Vollmer Dr. Jenninger Schwarz Dr. Osswald Wetzel Dr. Jobst Dr. Schwörer Pauli Frau Wollny Jung (Limburg) Seehofer Dr. Penner Jung (Lörrach) Seesing Dr. Pick Kalb Spilker Purps Fraktionslos Kalisch Spranger Rappe (Hildesheim) Dr. Kappes Dr. Sprung Reimann Frau Unruh Frau Karwatzki Dr. Stark (Nürtingen) Reuschenbach Wüppesahl Kiechle Dr. Stavenhagen Reuter Kittelmann Dr. Stercken Rixe Dr. Köhler (Wolfsburg) Dr. Stoltenberg Roth Nein Kolb Straßmeir Schluckebier Kossendey Strube Frau Schmidt (Nürnberg) CDU/CSU Kraus Stücklen Schmidt (Salzgitter) Krey Frau Dr. Süssmuth Dr. Schmude Bauer Kroll-Schlüter Susset Schütz Bayha Dr. Kronenberg Tillmann Seidenthal Dr. Becker (Frankfurt) Dr. Kunz (Weiden) Uldall Frau Seuster Biehle Dr. Lammert Dr. Unland Sieler (Amberg) Dr. Blank Dr. Langner Frau Verhülsdonk Singer Dr. Blens Lattmann Vogel (Ennepetal) Frau Dr. Skarpelis-Sperk Böhm (Melsungen) Dr. Laufs Dr. Voigt (Northeim) Frau Dr. Sonntag-Wolgast Börnsen (Bönstrup) Lenzer Dr. Vondran Dr. Sperling Dr. Bötsch Frau Limbach Dr. Waffenschmidt Stahl (Kempen) Bohl Link (Diepholz) Dr. Waigel Stiegler Bohlsen Link (Frankfurt) Graf von Waldburg-Zeil Stobbe Borchert Lintner Dr. Warnke Dr. Struck Breuer Dr. Lippold (Offenbach) Dr. Warrikoff Frau Dr. Timm Bühler (Bruchsal) Louven Weiß (Kaiserslautern) Toetemeyer Carstens (Emstek) Lummer Werner (Ulm) Vahlberg Carstensen (Nordstrand) Maaß Frau Will-Feld Wilz Dr. Vogel Clemens Frau Männle Wimmer (Neuss) Voigt (Frankfurt) Dr. Czaja Magin Windelen Waltemathe Daweke Marschewski Frau Dr. Wisniewski Walther Deres Dr. Meyer zu Bentrup Dörflinger Dr. Möller Wissmann Wartenberg (Berlin) Dr. Wittmann Frau Dr. Wegner Doss Dr. Müller Dr. Dregger Müller (Wadern) Würzbach Weiermann Dr. Wulff Frau Weiler Echternach Nelle Ehrbar Niegel Zeitlmann Dr. Wernitz Zierer Westphal Eigen Dr. Olderog Frau Weyel Engelsberger Oswald Zink Wieczorek (Duisburg) Eylmann Petersen Frau Wieczorek-Zeul Dr. Faltlhauser Pfeffermann FDP Wiefelspütz Feilcke Pfeifer von der Wiesche Fellner Dr. Pfennig Baum Wimmer (Neuötting) Frau Fischer Dr. Pinger Beckmann Wischnewski Fischer (Hamburg) Dr. Pohlmeier Bredehorn Dr. de With Francke (Hamburg) Dr. Probst Eimer (Fürth) Wittich Dr. Friedmann Rauen Dr. Feldmann Zander Dr. Friedrich Rawe Frau Folz-Steinacker Zeitler Fuchtel Reddemann Funke Zumkley Ganz (St. Wendel) Regenspurger Gallus Dr. Geißler Repnik Gattermann Dr. von Geldern Dr. Riesenhuber Gries DIE GRÜNEN Gerstein Frau Rönsch (Wiesbaden) Grüner Gerster (Mainz) Frau Roitzsch (Quickborn) Heinrich Brauer Glos Dr. Rose Dr. Hirsch Dr. Daniels (Regensburg) Dr. Göhner Frau Rost (Berlin) Dr. Hitschler Eich Dr. Götz Rossmanith Hoppe Frau Eid Gröbl Roth (Gießen) Dr. Hoyer Frau Flinner Dr. Grünewald Dr. Rüttgers Irmer Frau Frieß Günther Ruf Lüder Frau Garbe Dr. Häfele Sauer (Salzgitter) Mischnick Häfner Hames Sauer (Stuttgart) Neuhausen 13854 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Vizepräsident Westphal Nolting Dr. Weng (Gerlingen) Dazu gibt es die Beschlußempfehlungen des Haus- Paintner Wolfgramm (Göttingen) haltsausschusses auf den Drucksachen 11/5552 und Richter Frau Würfel Rind Zywietz 11/5581. Ronneburger Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Schäfer (Mainz) Frau Dr. Segall Enthalten Frau Seiler-Albring Wir kommen zu den Abstimmungen. Wer für den Dr. Solms Dr. Thomae SPD Einzelplan 01 — Bundespräsident und Bundespräsi- Timm dialamt — in der Ausschußfassung stimmt, den bitte Frau Walz Bamberg ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist dieser Einzelplan mit großer Mehrheit Damit war auch dieser Antrag abgelehnt. angenommen worden. Wir können nun zur Schlußabstimmung über den Einzelplan 06 — Bundesminister des Innern — kom- Wer Einzelplan 03, Bundesrat, in der Ausschußfas- men. sung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltun- Wer diesem Einzelplan in der Ausschußfassung zu- gen? — Der Einzelplan ist mit großer Mehrheit bei zustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei- Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ange- chen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — nommen. Dann ist dieser Einzelplan mit der Mehrheit der Koali- tionsfraktionen angenommen worden. Jetzt kommt unser eigener, Einzelplan 02, Deut- Wenn Sie damit einverstanden sind, stimmen wir scher Bundestag. Wer diesem in der Ausschußfassung noch über die ohne Aussprache zu behandelnden Ein- zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei- zelpläne ab? — chen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — (Zurufe: Ja!) Der Einzelplan ist gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN mit der großen Mehrheit des Hauses angenommen worden. Ich rufe auf: Einzelplan 01 Jetzt muß ich zum Einzelplan 14 zurückkehren. Bundespräsident und Bundespräsidialamt Dazu liegt mir das von den Schriftführern ermittelte — Drucksache 11/5551 — Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksa- Berichterstatter: che 11/5887 vor. Es sind 367 Stimmen abgegeben Abgeordnete Walther worden, davon war keine ungültig. Mit Ja haben Dr. Uelhoff 148 Abgeordnete, mit Nein 213 Abgeordnete ge- Kleinert (Marburg) stimmt. Es hat 6 Enthaltungen gegeben. Dazu gibt es eine Beschlußempfehlung des Haus- haltsausschusses auf Drucksache 11/5551.

Ich rufe mit auf: Einzelplan 03 Endgültiges Ergebnis Bundesrat Abgegebene Stimmen 366; davon — Drucksachen 11/5553, 11/5581 — ja: 148 Berichterstatter: nein: 212 Abgeordnete Dr. Uelhoff enthalten: 6 Frau Dr. Wegner Wolfgramm (Göttingen) Kleinert (Marburg) Ja Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Dazu gibt es eine Beschlußempfehlung und den SPD Diller Bericht des Haushaltsausschusses auf den Drucksa- Duve chen 11/5553 und 11/5581. Frau Adler Dr. Ehmke (Bonn) Andres Erler Bachmaier Esters Und ich rufe auf: Bamberg Ewen Becker (Nienberge) Fischer (Homburg) Einzelplan 02 Frau Becker-Inglau Frau Fuchs (Verl) Bindig Frau Ganseforth Deutscher Bundestag Dr. Böhme (Unna) Gansel — Drucksachen 11/5552, 11/5581 — Brandt Gerster (Worms) Brück Graf Berichterstatter: Büchler (Hof) Großmann Abgeordnete Borchert Dr. von Bülow Grunenberg Frau Seiler-Albring Buschfort Haack (Extertal) Catenhusen Frau Dr. Hartenstein Esters Frau Conrad Hasenfratz Kleinert (Marburg) Conradi Heistermann Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13855

Vizepräsident Westphal Heyenn FDP Dr. Geißler Frau Roitzsch (Quickborn) Hiller (Lübeck) Dr. von Geldern Dr. Rose Dr. Holtz Heinrich Gerstein Rossmanith Horn Dr. Hirsch Gerster (Mainz) Frau Rost (Berlin) Huonker Glos Roth (Gießen) Jahn (Marburg) Dr. Göhner Dr. Rüttgers Jungmann (Wittmoldt) DIE GRÜNEN Dr. Götz Ruf Frau Kastner Gröbl Sauer (Salzgitter) Kastning Brauer Dr. Grünewald Sauer (Stuttgart) Kiehm Dr. Daniels (Regensburg) Günther Sauter (Epfendorf) Kirschner Eich Dr. Häfele Frau Schätzle Dr. Klejdzinski Frau Eid Hames Schemken Koltzsch Frau Flinner Frau Hasselfeldt Scheu Koschnick Frau Frieß Haungs Schmidbauer Dr. Kübler Frau Garbe Hauser (Esslingen) Schmitz (Baesweiler) Kühbacher Häfner Hauser (Krefeld) von Schmude Lambinus Frau Hensel Frau Dr. Hellwig Dr. Schneider (Nürnberg) Leidinger Frau Hillerich Helmrich Freiherr von Schorlemer Leonhart Hoss Herkenrath Dr. Schroeder (Freiburg) Lutz Hüser Hinsken Schulhoff Frau Matthäus-Maier Frau Kelly Höffkes Dr. Schulte Meyer Kleinert (Marburg) Höpfinger (Schwäbisch Gmünd) Müller (Schweinfurt) Dr. Lippelt (Hannover) Dr. Hoffacker Schwarz Müntefering Frau Nickels Frau Hoffmann (Soltau) Dr. Schwörer Nagel Frau Rust Dr. Hornhues Seehofer Nehm Frau Saibold Frau Hürland-Büning Seesing Frau Dr. Niehuis Frau Schilling Graf Huyn Spilker Dr. Niese Frau Schmidt (Hamburg) Dr. Hüsch Dr. Sprung Niggemeier Frau Schoppe Jäger Dr. Stark (Nürtingen) Dr. Nöbel Stratmann Dr. Jenninger Dr. Stercken Frau Odendahl Such Dr. Jobst Dr. Stoltenberg Oostergetelo Frau Teubner Jung (Limburg) Straßmeir Dr. Osswald Frau Vennegerts Jung (Lörrach) Strube Pauli Frau Dr. Vollmer Kalb Stücklen Dr. Penner Wetzel Kalisch Frau Dr. Süssmuth Dr. Pick Frau Wollny Dr. Kappes Susset Purps Frau Karwatzki Tillmann Rappe (Hildesheim) Kiechle Dr. Uelhoff Reimann Kittelmann Uldall Reuschenbach Nein Dr. Köhler (Wolfsburg) Dr. Unland Rixe Kossendey Frau Verhülsdonk Vogel (Ennepetal) Roth CDU/CSU Kraus Schluckebier Krey Dr. Voigt (Northeim) Frau Schmidt (Nürnberg) Kroll-Schlüter Dr. Vondran Bauer Dr. Waffenschmidt Schmidt (Salzgitter) Bayha Dr. Kronenberg Dr. Waigel Schütz Dr. Becker (Frankfurt) Dr. Kunz (Weiden) Graf von Waldburg-Zeil Seidenthal Biehle Dr. Lammert Dr. Warnke Frau Seuster Dr. Blank Dr. Langner Dr. Warrikoff Sieler (Amberg) Dr. Blens Lattmann Singer Dr. Laufs Weiß (Kaiserslautern) Böhm (Melsungen) Werner (Ulm) Frau Dr. Skarpelis-Sperk Börnsen (Bönstrup) Lenzer Frau Dr. Sonntag-Wolgast Link (Diepholz) Frau Will-Feld Dr. Bötsch Wilz Dr. Sperling Bohl Link (Frankfurt) Stahl (Kempen) Lintner Wimmer (Neuss) Bohlsen Windelen Stiegler Borchert Dr. Lippold (Offenbach) Stobbe Louven Frau Dr. Wisniewski Breuer Wissmann Dr. Struck Lummer Bühler (Bruchsal) Dr. Wittmann Frau Terborg Maaß Carstens (Emstek) Würzbach Frau Dr. Timm Frau Männle Carstensen (Nordstrand) Dr. Wulff Vahlberg Magin Clemens Zeitlmann Dr. Vogel Dr. Czaja Marschewski Dr. Meyer zu Bentrup Zierer Voigt (Frankfurt) Daweke Zink Waltemathe Deres Dr. Möller Walther Dörflinger Dr. Müller Wartenberg (Berlin) Doss Müller (Wadern) Frau Dr. Wegner Echternach Nelle Weiermann Ehrbar Niegel FDP Frau Weiler Eigen Dr. Olderog Dr. Wernitz Engelsberger Oswald Frau Dr. Adam-Schwaetzer Westphal Eylmann Petersen Beckmann Frau Weyel Dr. Faltlhauser Pfeffermann Eimer (Fürth) Wieczorek (Duisburg) Feilcke Dr. Pfennig Engelhard Frau Wieczorek-Zeul Fellner Dr. Pinger Frau Folz-Steinacker Wiefelspütz Frau Fischer Dr. Pohlmeier Funke von der Wiesche Fischer (Hamburg) Dr. Probst Gallus Wimmer (Neuötting) Francke (Hamburg) Rauen Gries Wischnewski Dr. Friedmann Rawe Grüner Dr. de With Dr. Friedrich Reddemann Dr. Hitschler Wittich Fuchtel Regenspurger Hoppe Zander Ganz (St. Wendel) Repnik Dr. Hoyer Zeitler Frau Geiger Dr. Riesenhuber Irmer Zumkley Geis Frau Rönsch (Wiesbaden) Mischnick 13856 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Vizepräsident Westphal Neuhausen Enthalten war, daß die Demokraten bei der Strafverfolgung zu- Nolting sammenstanden, damals die CDU/CSU in der Oppo- Paintner CDU/CSU Richter sition. Sie, meine Damen und Herren von der Bundes- regierung, sollen wissen, daß es heute unter umge- Rind Hedrich Ronneburger Scharrenbroich kehrten Vorzeichen nicht anders sein wird. Das erfor- Frau Dr. Segall Frau Schmidt (Spiesen) dert die Solidarität der Demokraten. Frau Seiler-Albring Schreiber Dr. Sohns (Beifall bei der SPD, der FDP und bei Abge- Dr. Thomae ordneten der CDU/CSU) Timm Frau Walz FDP Seit nunmehr schon, man kann sagen: historischen Dr. Weng (Gerlingen) Wolfgramm (Göttingen) Baum Zeiten, nämlich seit der Leipziger Demons tration am Frau Würfel Lüder 9. Oktober und der Öffnung der Grenzen der DDR am 9. November, hat sich nicht nur für Deutschland die Welt verändert. Noch nie hat, das läßt sich weiter sagen, die Deutschlandpolitik eine Haushaltsdebatte Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt. so dominiert wie diese. Neben den Forderungen der Wir können nun über den Einzelplan 14 insgesamt Oppositionsgruppen der DDR nach Aufgabe des abstimmen. Wer dem Einzelplan 14 — Geschäftsbe- Macht- und Monopolanspruches der SED und nach reich des Bundesministers der Verteidigung — in der Einführung der Freizügigkeit ist in unseren Medien Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich deren weiterer Ruf nach Rechtsstaatlichkeit etwas in um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Ent- den Hintergrund getreten. Dabei haben die Rechtsan- haltungen? — Dann ist dieser Einzelplan mit der wälte in der DDR sehr früh, nämlich schon am 25. Ok- Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen wor- tober, freimütig auf Mißstände hingewiesen. den. Am 16. November schließlich hat der zuständige Staatssekretär Wittenbeck vom DDR-Justizministe- Meine Damen und Herren, ich rufe nun auf: rium reagiert. Dabei erwähnte er die Notwendigkeit Einzelplan 07 der Änderung des Strafrechts und der Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit. Wirklich Konkretes hat Geschäftsbereich des Bundesministers der Ju- er bisher nicht bekanntgegeben. Erstaunen muß in stiz diesem Zusammenhang, daß der neue Justizminister — Drucksachen 11/5557, 11/5581 — der DDR der alte ist, der die Justizgesetzgebung seit Berichterstatter: 1976 zu verantworten hat. Abgeordnete Diller Um so mehr besteht Anlaß — das sage ich in aller von Schmude Form — , daß wir Juristen uns intensiver als bisher mit Dr. Weng (Gerlingen) den in der DDR nötigen Rechtsreformen beschäftigen, Kleinert (Marburg) auch zur Sicherung der Unumkehrbarkeit des bishe- rigen Reformprozesses. Einzelplan 19 (Beifall des Abg. Wiefelspütz [SPD]) Bundesverfassungsgericht Neben der Streichung von Art. 1 der Verfassung der — Drucksache 11/5567 — DDR, der das Machtmonopol der SED festgeschrieben Berichterstatter: hat, sollten umgehend in folgenden sechs Bereichen Abgeordnete Dr. Schroeder (Freiburg) Reformen in Angriff genommen werden: Frau Dr. Wegner Kleinert (Marburg) Erstens. Das Strafrecht, insbesondere das uferlos ausgeweitete Staatsschutzstrafrecht, sollte rasch ent- Zum Einzelplan 07 liegt ein Änderungsantrag der rümpelt und von Gummiparagraphen befreit werden. Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5882 unter Nr. IV Beinahe jedes mißliebige Verhalten gegenüber dem vor. Staat kann zur Zeit noch mit einem Strafrechtspara- graphen verfolgt werden. Meine Damen und Herren, nach einer Vereinba- rung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung Zweitens. Ebenso wichtig erscheint die Reform des dieser Einzelpläne 30 Minuten vorgesehen. — Ich Strafprozeßrechts. Noch immer befindet sich der Be- sehe zu meinem Leidwesen, daß Sie damit einverstan- schuldigte bis zum Abschluß der Untersuchungen voll den sind. in der Hand der Polizei. Den Richter kann er nicht anrufen; der Strafgefangene untersteht dem Innenmi- Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat der Abge- nister. In politischen Prozessen, in denen die Öffent- ordnete de With. lichkeit ausgeschlossen ist — das ist fast immer der Fall — , erhalten weder Angeklagter noch Verteidiger die Anklageschrift. Das Urteil wird ihnen nicht ausge- Dr. de With (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr ver- ehrten Damen und Herren! Wie Sie stehe auch ich händigt. voller Trauer und Entsetzen vor dem ruchlosen Mord Drittens. Fast alle Richter in der DDR sind Mitglied an Alfred Herrhausen. Ich sage dies auch als früherer der SED. Der Direktor des jeweiligen Gerichts kann Parlamentarischer Staatssekretär im Justizministe- jedes Verfahren an sich ziehen. Kein Wunder, daß rium, der die Zeit der ersten Mordserie der RAF-Ter- selbst Justizstaatssekretär Wittenbeck eingeräumt roristen erlebt hat. Ich weiß von damals, wie gut es hat, daß es Verstöße gegen die richterliche Unabhän- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13857

Dr. de With gigkeit gegeben habe. Zur Sicherung der Stellung des lehnt. Hier frage ich mich: Wo ist der Liberale, der mit gesetzlichen Richters ist ein neues Fundament vonnö- ganzem Einsatz für die Frauen mutig ein Zeichen setzt ten. und damit erreicht, daß wir den Anschluß an den euro- päischen Reformgeleitzug wenigstens nicht ganz und Viertens. In der DDR können nur 600 Rechtsan- gar verpassen? wälte agieren. Aber nicht nur die geringe Zahl beein- trächtigt die Rechtssicherheit, auch ihre Stellung als Einer Ihrer Vorgänger, Herr Minister, Gustav Rad- unabhängiges Organ der Rechtspflege erfordert bruch, hat 1922 selbst zur Feder gegriffen, als es grundlegende Änderungen. darum ging, die Zulassung der Frauen zu Justizäm- tern durchzusetzen. Das gelang ihm schließlich auch. Fünftens. Die Amnestie sollte nicht nur für die jüng- Sie, Herr Minister, hinterlassen hingegen hier einen ste Zeit gelten. Das von Flüchtlingen beschlagnahmte Scherbenhaufen, der noch dazu mit der Unfähigkeit Vermögen muß zurückgegeben werden. Persönliche der Koalitionsregierung letztlich an die Glaubwürdig- Urkunden sind nachzuschicken, und die noch fortbe- keit des ganzen Parlaments rührt. stehenden Zwangsmaßnahmen in Vermögenswerten müssen aufgehoben werden. (Zurufe von der CDU/CSU) Sechstens. Am 1. Juli 1989 ist in der DDR zwar ein — Wenn Sie dazu seltsame Zwischenrufe machen, Gesetz in Kraft getreten, nach dem Gerichte Verwal- beweisen Sie, daß Sie noch nicht beg riffen haben, tungsentscheidungen in Einzelfällen nachprüfen kön- worum es geht. nen, es fehlt jedoch eine Generalklausel. Der Staat ist nicht Beklagter, und letzte Instanz ist das Erstgericht. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Wer die Willkür des Staates letztlich brechen will, muß Noch Hans-Jochen Vogel hat als Bundesminister eine durchgehende Verwaltungskontrolle verlan- der Justiz Arbeiten in Auftrag gegeben, um den Um- gen. weltschutz als Staatsziel im Grundgesetz zu veran- Meine sehr verehrten Damen und Herren, nur ein kern. Unser Gesetzentwurf schmort seit Jahren im Rechtsstaat mit unabhängigen Richtern, einer freien Rechtsausschuß dahin, nur weil sich die Koalition Advokatur und mit für jedermann einklagbaren Rech- nicht entschließen kann, einer Vorlage zuzustimmen, ten gegenüber staatlicher Macht können auf die die das Staatsziel Umweltschutz ohne Gesetzesvorbe- Dauer Vertrauen schaffen. halt im Grundgesetz verankert wissen will. Bewegt sich die Bundesregierung hier nicht, wird es für den (Beifall bei der SPD) Umweltschutz im Grundgesetz auch in dieser Legisla- Dazu gehört konstituierend vor allem aber die Fest- turperiode ein schwarz-gelbes Leichenbegängnis ge- schreibung der Eigenwertigkeit des Rechts, losgelöst ben. von jedem Dogma. (Zuruf von der SPD: Eine Schande!) Die Beschäftigung mit den Vorgängen in der DDR Nicht erst seit der Rhein-Verschmutzung 1986 kann freilich nicht bedeuten, daß wir Sozialdemokra- durch das Baseler Sandoz-Werk erheben die Men- ten die Justizpolitik dieser Bundesregierung nicht ei- schen in unserem Land zusammen mit der Fachöffent- ner kritischen Würdigung unterziehen. Das Bundesju- lichkeit die Forderung nach einer Verbesserung der stizministerium war fleißig und hilfreich wie immer, Umwelthaftung und des Umweltstrafrechts. Am wofür wir als Opposition an dieser Stelle Ihren Mitar- 12. August 1988, Herr Minister, haben Sie einen Ent- beitern danken. wurf angekündigt. Ich sehe ihn noch immer nicht. (Beifall bei der SPD) Dabei weiß jeder, daß im Grunde nur Beratungszeit bis zur Sommerpause des nächsten Jahres zur Verfü- Anerkennung, sage ich auch, verdienen insonder- gung steht. heit die Arbeiten am Betreuungsgesetz, das wir zur Reform des Vormundschafts- und Pflegeschaftsrechts In den USA, in Großbritannien, in Italien, in Frank- jedenfalls, betone ich erneut, im Kern mittragen wer- reich und in Luxemburg ist die sogenannte Geldwä- den, nachdem die Vorlage der Bundesregierung mit sche bereits Straftatbestand. Die Schweiz hat vorge- unserem vorher eingebrachten Antrag im Grunde stern — ich sagte: vorgestern — die Geldwäsche unter deckungsgleich ist. Ich sage auch, Herr Justizminister, Strafe gestellt. Liechtenstein wird in Zukunft dasselbe wir bringen Ihrer Haltung bei Fragen der Änderung tun. Die SPD-Bundestagsfraktion hat ihre Vorlage des Strafvollzugsgesetzes unseren Respekt entgegen. eingebracht. Nur Sie nehmen sich Zeit. Sie und der Ich hoffe, das wird hilfreich sein. Aber da gibt es Bundesminister der Justiz, kann man sagen, haben schlimme Defizite, die wir Ihnen nicht nachsehen kön- viel zu spät begonnen, sich dieser Situation überhaupt nen. zu stellen. Hinzu kommt eine nicht mehr verständli- che Verzögerung, nachdem nun wirklich alle Welt die ode haben wir Sozial- - Seit der letzten Legislaturpe ri Einführung der Strafbarkeit für die Geldwäsche for- demokraten versucht, im Bundestag eine Mehrheit dert. Ich frage Sie, und ich meine das ganz ernst: Ist Vergewaltigung dafür zu finden, daß endlich auch die Ihnen hier ein Zeichen durch den Strafgesetzgeber wie die Vergewaltigung außerhalb der Ehe in der Ehe doch nicht so wichtig, oder haben Sie bange vor den bestraft wird. Was sich hier abgespielt hat, ist in der Banken? Tat ein einziges Trauerspiel. Der Katalog der Versäumnisse und Zögerlichkeiten (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) könnte fortgeführt werden. Die Bundesrepublik Im Mai dieses Jahres hat die Koalition unseren Ent — das kann ich am Schluß wirk lich betont sagen — wurf in zweiter und dritter Lesung rundweg abge hat einst im Rahmen der westlichen Nationen auf fast 13858 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Dr. de With allen Gebieten in der Rechtspolitik an der Spitze ge- schieht, bis 1991 auf 128,6 Millionen DM ansteigen. standen. Jetzt haben wir Mühe, der Rechtsentwick- Investitionen von mehr als 350 Millionen DM stehen lung hinterherzuhinken. Das ist die Frucht schwarz- an, für Sanierungsmaßnahmen ebenso wie für die Da- gelber Rechtspolitik, die oft genug den Startschuß ver- tentechnik. Eine Gebührenerhöhung, seit 1976 die paßt, die Hürden nur quälend und zu spät angeht und erste, wird voraussichtlich schon zum 1. Oktober 1990 dabei nicht selten auf der Strecke bleibt. mit etwa 20 % notwendig. Dabei muß auch die Ge- Den Justizhaushalt lehnen wir ab. bührenstruktur überprüft werden. Insbesondere muß geprüft werden, ob nicht ähnlich wie beim Europäi- Vielen Dank. schen Patentamt eine Einspruchsgebühr eingeführt (Beifall bei der SPD) wird. Die Einspruchsquoten liegen beim Europäi- schen Patentamt nur bei 10,3 %, hingegen beim deut- schen Patentamt immer noch 22,4 %.

Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abgeord- Die durch die Wirtschaftspoli tik dieser Bundesre- nete von Schmude. gierung anhaltend gute Konjunkturlage spiegelt sich beim deutschen Patentamt leider nur teilweise wider. Die Warenzeichenanmeldungen sind stark gestiegen, nämlich um 11 %. Aber die Patentanmeldungen sind von Schmude (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine in den letzten Jahren um 10 % zurückgegangen. Damen und Herren! Der Justizhaushalt wird wie im- Parallel dazu hat das Europäische Patentamt einen mer bescheiden gefahren. Ausgabensteigerungen rasanten Anstieg zu verzeichnen, nämlich innerhalb von 4,1 % stehen sogar Mehreinnahmen von 5,5 % von zwei Jahren um fast 30 % . Deshalb ist eine engere gegenüber. Ich möchte zu drei Punkten etwas sa- Zusammenarbeit der beiden in München ansässigen gen. Ämter in Zukunft dringend geboten. Der Generalbundesanwalt hat in seinen Erläuterun- gen zum Haushalt auf eine beunruhigende Zunahme Die uns alle bewegenden Ereignisse in der DDR terroristischer Gewaltakte in der Bundesrepublik werfen auch die Frage auf, ob und inwieweit Unter- verwiesen. suchungen zum Justizwesen in der DDR bei uns ange- stellt werden. Beim Justizministerium selbst gibt es bis (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist leider heute keinen entsprechenden Rechtsvergleich zwi- wahr!) schen der Bundesrepublik und der DDR. Eine traurige Bestätigung dafür haben wir erst heute (Dr. de With [SPD]: Schau, schau!) durch den abscheulichen Mordanschlag auf Herrn Herrhausen erfahren. Das dem Ministerium zugeordnete Institut für Ost- Anschläge gegen die bei uns stationierten S treit- recht weist nun in seiner Satzung aus: Erforschung der kräfte etwa durch die IRA und Aktivitäten des inter- Rechtssysteme in der UdSSR, insbesondere Erfor- nationalen Terrorismus häufen sich. In dem Bericht schung von Rechtsauffassung und Rechtsanwendung heißt es: in der SBZ. Mit dem Strom der Asylanten werden auch deren Zu meiner großen Überraschung habe ich jetzt fest- Probleme importiert. stellen müssen, daß 1973 dem Ins titut auf Veranlas- sung der damaligen Bundesregierung — man spricht Der Kurdenprozeß in Düsseldorf, aber auch zahlreiche im Hintergrund von — für diesen Aufga- terroristische Straftaten von Asylbewerbern etwa aus benbereich DDR-Rechtsforschung die notwendigen Sri Lanka begründen die dringende Notwendigkeit Mittel entzogen wurden, und dies, obwohl immer wie- für ein neues Referat beim Generalbundesanwalt. der darauf verwiesen wurde, daß eine Ostrechtsfor- Ich gehe davon aus, daß die Sozialdemokraten ihre schung unter Ausklammerung der DDR überhaupt bisher ablehnende Haltung jetzt auch aufgeben. nicht möglich ist. (Frau Nickels [GRÜNE]: Hoffentlich nicht!) (Dr. de With [SPD]: Das macht das Gesamt- Die katastrophale Unterbringung der Generalbun- deutsche Institut!) desanwaltschaft macht den Neubau eines Dienstge- — Das Gesamtdeutsche Ins titut sammelt lediglich bäudes erforderlich. Durch den dann möglichen Ab- Rechtsquellen. bau der Sicherheitsmaßnahmen wird der bedrük- kende Festungscharakter beim Bundesgerichtshof Das Ganze erinnert in fataler Weise an die Erfas- beseitigt. Bis zur Fertigstellung des Neubaus werden sungsstelle für Menschenrechtsverbrechen in Salzgit- wir durch eine kurzfristige Bürocontainerlösung die ter, - unzulängliche Raumsituation beim Generalbundes- (Beifall bei der CDU/CSU) anwalt verbessern. wo sich die SPD-regierten Bundesländer samt und (Zuruf von der SPD: Michael, wer hat das sonders davongestohlen haben. vorgeschlagen?) Liebe Kolleginnen und Kollegen, selbstverständlich — Das warst du. muß jetzt schnellstens geprüft werden, wie ein umfas- Das deutsche Patentamt hatte noch 1977 einen aus- sender deutsch-deutscher Rechtsvergleich sicherge- geglichenen Haushalt. 1989 betrug die Unterdeckung stellt werden kann und wie die Zusammenarbeit der bereits 65,2 Millionen DM. Sie wird, wenn nichts ge Justiz zu gestalten ist. Der soziale Rechtsstaat, wie ihn Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13859 von Schmude unser Grundgesetz vorgibt, ist heute auch für unsere wir im Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf zur Landsleute in der DDR zu einem politischen Ziel, ja zu Einführung des Kumulierens bei Bundestagswahlen einem politischen Vorbild geworden. — analog dem bayerischen Wahlrecht — vorgelegt. Für den unverzichtbaren Beitrag, den unsere Justiz Herr Irmer, ich freue mich jetzt schon auf unsere ge- zur Attraktivität unserer freiheitlichen Ordnung ins- meinsame Beschlußfassung. gesamt leistet, möchte ich an dieser Stelle einmal (Frau Nickels [GRÜNE]: Auf die mit der herzlich danken. CSU!) Die Koalitionsfraktionen, meine Damen und Her- Wir freuen uns alle auf die Zustimmung des Bundes- ren, stimmen dem Justizhaushalt ohne Einschränkun- justizministers, der ja, seinem Gewissen folgend, einer gen voll zu. von ihm selbst vorgeschlagenen Lösung seine Zustim- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — mung sicher nicht verweigern wird. Oder wollen Sie Zuruf von der SPD: Das war eine schwache auch hier als einer dastehen, der seinen eigenen An- Rede!) kündigungen nicht folgt? Was ist aus den vielen anderen Ankündigungen — sie wurden schon erwähnt — geworden? Was ist denn Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abgeord- im Bereich der Gentechnik bisher gesetzgeberisch nete Häfner. geschehen? — Der Verwaltungsgerichtshof Kassel hat (Reddemann [CDU/CSU]: Wer ist das uns das ja deutlich um die Ohren geschlagen. Was ist denn?) in der Frage Vergewaltigung in der Ehe geschehen? Was ist aus der großspurigen Ankündigung gewor- den, diese Koalition werde auf besonderes Drängen der Liberalen, des Bundesjustizministers den Umwelt- Häfner (GRÜNE): Ich habe Ihre Frage gehört, Herr schutz im Grundgesetz verankern? — Nichts ist dar- Kollege. — Herr Präsident! Meine Damen und Herren! aus geworden, wie aus so vielem anderen auch. Ich Der Haushalt des Bundesjustizministers ist traditionell befürchte, daß die Ankündigungen des Ministers im- ein eher bescheidener Etatposten, der nicht unbe- mer öfter wie Seifenblasen zerplatzen, und mit Seifen- dingt im Mittelpunkt der fiskalischen Auseinander- blasen ist in der praktischen Politik nun einmal recht setzung steht. Wir sollten gleichwohl die Rechtspolitik wenig anzufangen. und ihre Bedeutung nicht unterschätzen, (Reddemann [CDU/CSU]: Das merkt man an (von Schmude [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Ihren Bemerkungen!) wobei ich in das Loblied, das hier zum Teil gesungen Und ich befürchte auch, daß die Dauer der Amtszeit wurde, nun wirklich nicht einstimmen kann. eher mit dem Verzicht auf Grundsätze und auf Rück- Im Juni gab der amtierende Minister der staunen- grat erkauft wurde, als durch politische Taten wirk lich den Öffentlichkeit voller Stolz bekannt, daß er nach erworben. sechs Jahren acht Monaten und sieben Tagen nun endlich der dienstälteste Justizminister der Bundesre- Die Antworten des Ministers auf die wachsende publik geworden ist. Gefährdung persönlicher und gesellschaftlicher Ent- faltungsmöglichkeiten sind inzwischen fast dek- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) kungsgleich mit konservativ-autoritären Handlungs- Hätte Herr Engelhard nicht selbst daran erinnert — mustern. Ich erinnere an das Artikelgesetz, ich weise wir hätten es nicht gemerkt. Ich weiß nicht, ob es über- hin auf noch Schlimmeres, was im Zusammenhang haupt jemand bemerkt hätte. Als sein Motto verkün- mit dem Strafverfahrensänderungsgesetz kommen dete er in dieser Presseerklärung: Gut Ding will Weile wird. haben. (Reddemann [CDU/CSU]: Sie sind ein Schlimmer, Herr Kollege!) (Heiterkeit bei den GRÜNEN und der SPD — Beifall bei der FDP und des Abg. Wiefelspütz — Ich danke Ihnen für diesen Hinweis; er wird im [SPD]) Protokoll stehen. Oft ist es so, daß allzuviel Weile hat und daß das (Reddemann [CDU/CSU]: Ich hoffe es!) Wenige, was geschieht, eher schlecht als gut Ding ist. Außerdem beweisen die 2,6 % des Budgets, über die Der Bundesminister der Justiz, zu dessen wichtig- der Minister gebietet, eindrucksvoll, daß man auch sten Aufgaben die Sicherung der Unabhängigkeit der noch mit wenig Geld große Fehler machen kann. Justiz gehört, hat sich — wie auch sein Parlamentari- scher Staatssekretär Jahn, der uns heute abend nicht Was ist eigentlich, Herr Minister, aus Ihrer Ankün- - die Ehre zu geben geneigt war — der Hetzkampagne digung geworden, den Wählerinnen und Wählern gegen das sogenannte Soldatenurteil des Frankfu rter durch die Einführung des Kumulierens stärkeren Ein- Landgerichts in unverantwort licher Weise ange- fluß auf die Zusammensetzung der Parlamente einzu- schlossen. räumen? Die Idee ist nämlich gut. (Dr. Hoyer [FDP]: Genau!) (Reddemann [CDU/CSU]: „Hetzkampagne" ist nicht parlamentarisch, Herr Kollege!) Wahrscheinlich ist es deshalb bei der bloßen Ankün digung geblieben. Wir GRÜNEN lassen den Reden Ich stimme dem Deutschen Richterbund genauso wie auch in diesem Punkt Taten folgen. Deshalb haben den 800 Bürgerinnen und Bürgern, die dazu eine An- 13860 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Häfner zeige in der „Frankfurter Rundschau" veröffentlicht macht der Deutsche Bundestag mit den Rechten, die haben, voll und ganz zu, er hat? Und da kümmern wir uns um unseren Rechts- (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) staat im Rahmen einer einwöchigen Debatte gerade eine halbe Stunde lang kurz vor Mitternacht. Meine wenn sie fragen, wieweit ein Justizminister, der hier Damen und Herren, ich muß das beanstanden. nicht mäßigend und versachlichend auf die allzu dumpfen Verunglimpfungen einwirkt (Zustimmung bei der SPD) (Reddemann [CDU/CSU]: Und die SPD Es ist ja so, daß man bei uns mit den Freiheiten gar klatscht! Wie tief sind die gesunken!) nichts rechtes mehr anfangen kann. Ich rufe Ihnen zu: und der es versäumt, die richterliche Unabhängigkeit Freiheit ist nicht selbstverständlich! Der Rechtsstaat zu verteidigen, sondern sich der bodenlosen Schelte ist auch nicht selbstverständlich! Unsere Landsleute eines schwierigen, aber richtigen Urteils anschließt, in der DDR machen uns vor, wie man darum zu kämp- seiner Verantwortung als der Unabhängigkeit und fen hat. Daran sollten wir uns manchmal erinnern und Freiheit des Rechts verpflichteter Minister noch ge- nicht so tun, als ob uns das alles in den Schoß gefallen recht wird. Ich meine, daß die Meinungsfreiheit, eines wäre und wir überhaupt keine Hand zu rühren unserer höchsten Rechtsgüter, nicht der politischen bräuchten, um uns diese Errungenschaften zu bewah- Opportunität und den Interessen einer Bundestags- ren. mehrheit geopfert werden darf. (Zustimmung bei der FDP und der CDU/ CSU) (Reddemann [CDU/CSU]: Wie war das mit dem Memminger Urteil, als Sie gehetzt ha Meine Damen und Herren, zu den Errungenschaf- ben?!) ten. Ich muß jetzt kurz Herrn von Schmude antworten. In fünf Minuten kann man ja nicht mehr als ein paar Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin Brocken aufgreifen, die aus der Debatte hier hervor- am Ende meiner Redezeit, aber ich möchte noch eine gegangen sind. Bemerkung machen. — Wir alle sind zu Recht von dem bewegt, was sich in der DDR, aber auch in Polen, Herr von Schmude, Sie haben erwähnt, daß die in Ungarn, in der Tschechoslowakei und in anderen Ausländer bei uns ein solch besonderes Problem dar- Ländern gegenwärtig tut. Ich meine, das sollte unsere stellten, daß man jetzt eine eigene Abteilung zur Be- Augen aber nicht davor verschließen, daß es in Sa- kämpfung von Ausländerkriminalität einrichten chen Recht und Demokratie auch in unserem Lande sollte. noch eine ganze Menge zu tun gibt. In vielen Punkten (Reddemann [CDU/CSU]: Nur ein Referat!) ist es so, daß uns andere hier vieles vormachen. — Ein Referat. Ich erwarte von einem Bundesminister, der jeden- falls einmal die Hoffnung gegeben hat, liberalem Ge- (von Schmude [CDU/CSU]: Ist schon einge- dankengut verpflichtet zu sein, Initiativen im Sinne richtet!) eines demokratischeren Wahlrechts, im Sinne unmit- — Man hat es schon eingerichtet. — Ich warne hier: telbarer Entscheidungsrechte der Bürger — Volksbe- Tun wir doch nicht so, als ob die Kriminalitätsrate gehren, Volksentscheid und ähnliche Dinge — und unter Ausländern im allgemeinen höher wäre als die nicht einen solchen Abbau von Recht und Verfas- unter Deutschen. Das ist schlicht und einfach nicht sungsrecht, wie das gegenwärtig der Fall ist. wahr. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der FDP — Zuruf von der SPD: Ich (Beifall bei den GRÜNEN) darf Ihnen ausdrücklich danken!) In den Statistiken werden z. B. auch Delikte mit auf- geführt, die sich bloß aus der Tatsache ergeben, daß es Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abgeord- sich bei diesen Menschen um Ausländer handelt. nete Irmer. Wenn Sie einen Asylbewerber — ich sage absichtlich nicht Asylant, weil das ein Kampfbegriff ist, sondern ich sage Asylbewerber — in einen Landkreis einsper- Irmer (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und ren und ihm nicht erlauben, beispielsweise einmal Herren! Die Mitternacht rückt näher schon, in stum- von München aus an den Starnberger See zu fahren, mer Ruh' liegt Babybonn. — Gestatten Sie mir diesen und er, wenn er das doch tut, ein Strafverfahren oder Kalauer, aber es ist wirklich eine ernste Sache, zumindest ein Bußgeldverfahren an den Hals kriegt, dann schnellt die Statistik natürlich in die Höhe. Ich (Zuruf von der SPD: Das ist doch der Würde meine, es wäre gut, wenn man sich in der Rechtspoli- des Hauses nicht angemessen! — Weitere tik einmal darauf besinnen würde, daß es elementare- Zurufe von der SPD und der CDU/CSU) Menschenrechte gibt, denn zur Geisterstunde nehmen wir uns für den wich- (Frau Nickels [GRÜNE]: Sie sind in der Koali- tigen Bereich unserer Rechtspolitik ganze 30 Minuten tion! Fangen Sie mal an in der FDP!) Zeit. Leider hat das ja schon Tradition. Ich erinnere einmal daran, daß etwas weiter östlich die in gleicher Weise für Ausländer gelten. von uns ein Parlament sich gerade darauf besinnt, was Hier ist vorhin mit Recht beanstandet worden, daß ein Parlament eigentlich sein sollte, daß wir auf freie die Bundesanwaltschaft nicht angemessen unterge- Wahlen dort warten und daß man do rt die Verhält- bracht ist. Ich sage Ihnen: Wenn wir unsere Auslän- nisse bei uns ja studiert. Man fragt sich dort: Was der, die Asylbewerber menschlicher unterbringen Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13861

Irmer würden, dann gäbe es in diesem Bereich wesentlich Frau Nickels (GRÜNE): Herr Irmer, Sie halten oft so weniger Kriminalität, weil wir diese Menschen näm- schöne Reden lich durch diese unmenschliche Art der Unterbrin- (Irmer [FDP] : Immer!) gung geradezu in Stumpfsinn, in Psychosen und in die — nicht immer, aber oft —, denen ich ganz zustimmen Kriminalität hineintreiben. kann. Aber in den Ausschüssen vertreten Sie dann (Beifall bei der FPD, der SPD und den GRÜ ganz andere Sachen. NEN) Ich frage Sie jetzt konkret zu dem, was Sie gerade angesprochen haben, also die Sammelunterkünfte für Ausländerinnen und Ausländer, die Beschränkung Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, ge- der Bewegungsfreiheit: Nächste Woche haben wir im statten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordne- Rechtsausschuß u. a. Vorschläge, bezogen auf den ten Reddemann? Antrag zu Menschenrechtsverletzungen an Frauen. Sind Sie nächste Woche im Rechtsausschuß, und kön- nen wir dann auf Ihre Unterstützung in diesen be- Irmer (FDP): Ja, Herr Kollege Reddemann. scheidenen Punkten rechnen? (Reddemann [CDU/CSU]: Nächste Woche ist er bei der Westeuropäischen Union!) Reddemann (CDU/CSU): Herr Kollege Irmer, in- dem ich Ihnen in Sachen Asylbewerber ausdrücklich zustimme, möchte ich Sie trotzdem fragen, ob wir nicht die Wahrheit zur Kenntnis nehmen müssen, die Irmer (FDP): Die Rechtsausschußsitzung ist am darin besteht, daß wegen der besonderen Verhält- Mittwoch. Da überschneiden sich diverse Termine. nisse die Zahl der kriminellen Delikte bei Ausländern Aber ich werde versuchen, speziell zu diesem Thema in der Bundesrepublik dessen ungeachtet prozentual im Rechtsausschuß zu sein. Ich habe damals im ersten größer ist als bei Deutschen und daß wir die große Durchgang hier im Plenum bejubelt, was viele Frauen Schwierigkeit haben, dies den Menschen klarzuma- hier gesagt haben. chen, die von diesen Delikten selbst betroffen sind. (Frau Nickels [GRÜNE]: Stimmen Sie mal mit uns ab! Das wäre viel besser als Jubeln!) Ich habe beanstandet, daß die Frauen damals die (FDP): Herr Kollege Reddemann, das ist si- Irmer Männer nicht zu Wo rt kommen ließen, weil die Frauen cher ein großes Problem, aber ich habe auch darauf nämlich die Rednerliste unter sich aufgeteilt hatten. In hingewiesen, daß man die Kriminalitätsrate bei Aus- solchen Debatten müßten wir eine Quotenregelung drastisch senken könnte, wenn man etwas ländern für Männer durchsetzen. mehr Phantasie und etwas mehr Großzügigkeit und Menschlichkeit aufwenden würde, wenn es um deren Unterbringung und um die Beschleunigung der Asyl- verfahren geht. Vizepräsident Westphal: Jetzt habe ich noch eine (Beifall bei der FDP und der SPD) Zwischenfrage des Abgeordneten von Schmude. Bitte Da könnten wir nämlich die Sache an der Wurzel pak- schön. ken. Dann würden wir nicht an Symptomen herum- doktern, wie denn überhaupt das Strafrecht — ich komme nachher noch darauf — immer nur das letzte von Schmude (CDU/CSU): Herr Kollege, ist Ihnen Mittel sein kann, wenn das Kind im Grunde schon in entgangen, daß ich in meiner Rede überhaupt nichts den Brunnen gefallen ist. über die allgemeine Ausländerkriminalität gesagt, sondern statt dessen auf den Bericht des Generalbun- desanwalts verwiesen habe, wonach mit dem S trom Vizepräsident Westphal: Herr Kollege, gestatten Sie der Asylanten auch deren Probleme importiert wer- eine weitere Zwischenfrage? den in bezug auf den Terrorismus? Ist Ihnen entgan- gen, daß ich ausgeführt habe, daß die terroristischen Straftaten von Asylbewerbern, etwa aus Sri Lanka, Irmer (FDP): Ich habe hier offensichtlich noch eine eine wesentliche Rolle spielen? heiße Debatte entfacht. Das freut mich. Wenn es mir auf meine ohnehin spärlich bemessene Zeit nicht an- gerechnet wird, bin ich gern bereit, die ganze Nacht - mit Ihnen zu verbringen. Das ist nämlich ein hochin- Irmer (FDP): Herr Kollege, das ist mir nicht entgan- teressantes Thema. gen. Ich habe nur dieses Stichwort begie rig aufgegrif- fen, um etwas Grundsätzliches zur Ausländerpolitik zu sagen, und das dürfte doch wohl gestattet sein. Vizepräsident Westphal: Ich gestatte hier — das ist (Beifall bei der FDP und der SPD) meine Aufgabe — die Zwischenfragen. Daß es Ihnen Ich muß noch einen Punkt ansprechen — das wird nichts ausmacht, finde ich gut. Ich folge dem auch. Frau Nickels überhaupt nicht freuen — , nämlich die Bloß: Ich sitze allmählich drei Stunden hier. Vergewaltigung in der Ehe. Ich möchte hier an dieser Jetzt kommt Frau Nickels an die Reihe. Stelle einmal ausdrücklich dem Bundesjustizminister 13862 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Irmer dafür danken, daß ihm jede Hektik und jede Über- —Jetzt haben wir schon drei. Also, meine Damen und eilung so fern liegen. Herren, wir sind über die Zeit. Ich bin großzügig ge- wesen. Ich bitte also, nun zum Schluß zu kommen. Wir (Heiterkeit bei der SPD) können das so nicht machen. Ihre Zeit ist überschrit- — Ich sage das ausdrücklich posi tiv; denn in keinem ten, Herr Abgeordneter. Bereich ist es schädlicher, Dinge zu verhaspeln, Dinge (Irmer [FDP]: Ja, dann darf ich viel- zu überstürzen, mit heißer Nadel an Gesetzen herum- leicht — —) zufummeln und zu flicken, als gerade im Bereich der Rechtspolitik. — Nein, nein! Sie hatten ja schon einen Schlußsatz gesprochen. (Beifall bei der FDP) (Irmer [FDP]: Das war eigentlich kein abrun- Man muß hier — so wie der Bundesjustizminister — dender Schlußsatz! — Heiterkeit bei allen grundsatztreu, besonnen und bedacht alles überle- Fraktionen! — Häfner [GRÜNE]: Mir ist einer gen, was zu überlegen ist. Man darf nicht modischen eingefallen! — Irmer [FDP]: Herr Präsident, Trends folgen. gestatten Sie mir wirklich einen einzigen (Wiefelspütz [SPD]: Sie gehen unter Ihr Ni ganz kurzen Satz!) veau!) — Ich bin gespannt, ob es einem Abgeordneten ge- Jetzt komme ich auf Frau Nickels: Vergewaltigung lingt, einen einzigen Satz als Schlußsatz zu sprechen. in der Ehe. Sie haben sich hier immer für die Strafbar- Na gut. Bitte. keit besonders eingesetzt; Herr de With, Sie haben es auch erwähnt. (Frau Nickels [GRÜNE]: Was hat das denn Irmer (FDP): Ich wünsche mir, daß wir uns der Be- mit mir zu tun?) deutung unserer rechtsstaatlichen Ordnung immer bewußt sind und daß wir nicht leichtfertig, Mode- Ich habe mich im Rechtsausschuß — Sie werden sich trends folgend, Stimmungen folgend, unser Recht än- daran erinnern — vehement gegen die Strafbarkeit dern, wie es gerade beliebt. Wir brauchen hier feste der Vergewaltigung in der Ehe ausgesprochen. Wis- Grundsätze, und ich hoffe, daß wir im Januar Gele- sen Sie auch, aus welchem Grund? Das Strafrecht ist genheit haben, in einer ausführlichen rechtspoliti- ein ungeeignetes Mittel, um dieses schwere Problem schen Debatte diese Grundsätze deutlich darzule- zu lösen. Wenn ich davon ausgehen könnte, daß auch gen. nur eine einzige Frau weniger gequält würde, wenn Ich bedanke mich. am Strafrecht Änderungen vorgenommen würden, wäre ich dazu bereit. (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU — Häfner [GRÜNE]: Wenn Ich will Ihnen entgegenhalten: Sie sind mit uns ei- Sie sie überhaupt wiederfinden!) nig, Herr de With, daß es im Bereich der Abtreibung, § 218 StGB, überhaupt nichts bringt, wenn man die Zahl der Abtreibungen reduzieren will, die Strafdro- hung zu erhöhen. Darüber sind wir uns einig. Sie wis- Vizepräsident Westphal: Es sind immer nur Ankün- sen, daß die FDP in dieser Koalition seit Jahren einen digungen, daß jemand zum Schluß kommt. Es ist nie heldenhaften Kampf führt, um hier andere Vorstellun- das Erreichen des Ziels. gen abzuwehren. Herr Bundesminister der Justiz, Sie haben das (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten Wort. der CDU/CSU — Lachen bei der SPD) (Häfner [GRÜNE]: Jetzt kommt die Offenba- Jetzt verlangen Sie von uns, daß wir in einem anderen rung!) Bereich, bei dem die Strafbarkeit genausowenig zur Problemlösung geeignet ist, plötzlich diesen Grund- satz verlassen und sagen: Wir machen, bloß weil es Engelhard, Bundesminister der Justiz: Herr Präsi- Mode ist, jetzt mal eine Änderung am Strafrecht. Sie dent! Meine Damen und Herren! Dieser 30. Novem- vergessen dabei völlig, daß wir dadurch die Probleme ber ist ein Tag, der uns seit heute morgen in tiefer der betroffenen Frauen vielleicht noch vergrößern. Betroffenheit gesehen hat. Es ist gut, gerade bei der Debatte des Justizetats, in einem Kreis von Menschen, Meine Redezeit ist abgelaufen. die in besonderer Weise im Zeichen des Rechts stehen (Abg. Frau Nickels [GRÜNE] meldet sich zu und dem Recht verbunden sind, heute abend auch mit einer Zwischenfrage) Betroffenheit auseinanderzugehen. Aber wir haben - — Zwischenfrage? Immer herzlich gern! natürlich eine Menge von Fragen zu debattieren. Ich darf mich, Herr Kollege de With, für die freund- lichen Worte bedanken, die Sie für die Mitarbeiter des Bundesministeriums der Justiz gefunden haben. Vizepräsident Westphal: Einen Augenblick! (Dr. de With [SPD]: Für Sie war auch etwas (Heiterkeit bei allen Fraktionen — Auch dabei!) Abg. Wiefelspütz [SPD] und Abg. Bohl —Herzlichen Dank! — Ich möchte diesen Dank erwi- [CDU/CSU] melden sich zu Zwischenfra dern, weil sich nicht jeder Beamte gesondert bei Ihnen gen) bedanken kann. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13863

Bundesminister Engelhard Sie haben das Betreuungsgesetz erwähnt. Es ist vielleicht wieder falsch interpretiert wird. Ich möchte Gelegenheit, in dieser Haushaltsdebatte darauf hin- es trotzdem sagen. Ich nehme an, Sie meinten eben zuweisen, daß ein solches Vorhaben nicht kostenneu- diesen Tag und das, was heute wieder an Schlimmem tral durchgeführt werden kann. passiert ist und meinten, daß man überlegen müßte, (Wiefelspütz [SPD]: Wohl wahr!) ob man diese Einrichtung nicht mehr denn je braucht und ob nicht ein Ausbau angebracht ist. Dies wird 200 Millionen DM, verteilt auf die Bundes- länder, kosten. Ich appelliere an alle: Da müssen wir (Zuruf von der FDP: „Ausbau" hat er nicht uns in den Ländern durchsetzen. Auch gegenüber den gesagt!) Finanzministern wird man sich durchsetzen müssen. Verbrechen müssen verfolgt werden, unbestreitbar, (Häfner [GRÜNE]: Das liegt ganz auf Ihrer auch mit der Polizei, auch mit der Strafjustiz. Aber ich Seite!) frage Sie als Justizminister, ob man nicht eine ruhige Zeit, die wir hatten — heute natürlich nicht mehr —, Denn es geht hier nicht um irgendeine vielleicht von seiten der Politik nutzlos hat verstreichen lassen, schöne sozialpolitische Maßnahme, sondern um ein ohne auf einer öffentlichen oder einer anderen Ebene ganz zentrales Anliegen, von dem viele, viele Tau- noch mehr zu tun, als auch Sie versucht haben, um sende von Menschen und ihre Angehörigen zutiefst Gewalt entgegenzutreten? betroffen sind. (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD (Bohl [CDU/CSU]: Was soll er denn machen? und der GRÜNEN) — Reddemann [CDU/CSU]: Also: Schuldig ist der Staat, nicht der Verbrecher!) Es ist die Frage der DDR angesprochen worden. Nun, Herr Kollege von Schmude, wir haben, sparsam, — Sie wissen, was ich meine, Herr Minister. wie wir sind, im Bundesministerium der Justiz natür- lich nicht über die Jahre Referate eingerichtet, die sich schwerpunktmäßig mit dem Recht der DDR zu be- Engelhard, Bundesminister der Justiz: Man mag, schäftigen gehabt haben. Aber verschlafen haben wir Frau Nickels, immer darüber nachdenken, ob man die Dinge nicht. Das Institut für Ostrecht — sicher mit alles optimal gemacht hat. Jeder, der dies von sich beschränkten Mitteln ausgestattet — war hier tätig, in selber behaupten will, wäre ganz sicher vermessen Spezialfragen zuweilen auch das Max-Planck-Insti- und wenig glaubwürdig. Aber ich meine, daß in unse- tut. Außerdem: Im Ministe rium für innerdeutsche Be- rem Lande mit einer rechtstaatlichen Ordnung alles, ziehungen gibt es Rechtsanwälte aus der Praxis, die in aber auch alles versucht worden ist, um Menschen, ganz speziellen Fragen auch uns mit Rat zur Seite die sich auf den Weg verbrecherischer Gewalt bege- gestanden haben. ben haben, zur Umkehr zu bringen. Da ich gerade beim Haushalt bin, möchte ich mich, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — auf den Anfang zurückkommend bei den Berichter- Frau Nickels [GRÜNE]: Ich glaube das nicht! stattern unseres Etats bedanken. Wir sind mit dem, Ich glaube, das war nicht genug!) was wir erreicht haben, zufrieden. Aber wir bedanken uns speziell an diesem Abend auch dafür, daß es ge- Hier werden wir mit manchem Zuckerchen nicht auf- lungen ist, zwei wichtige neue Stellen für die Bundes- warten können. Verhängte Strafen müssen verbüßt anwaltschaft zu erreichen. Manchmal hat man ja in werden, noch ungesühnte Taten müssen ermittelt und der Vergangenheit gefragt, warum sich der General- müssen verfolgt werden. bundesanwalt eigentlich so aufblase. Die Gewalttaten (Reddemann [CDU/CSU]: Gleichheit vor nähmen ab, damit nähmen die Aufgaben ab, so sagten dem Gesetz!) manche. Wir sehen, daß wir dieser Einrichtung drin- Aber wir sind, wie in anderen Bereichen auch, bereit gend, vielleicht dringender denn je bedürfen, um uns — das ist mit der Entscheidung des Herrn Bundesprä- gegen die fundamentalen Anfeindungen zur Wehr zu sidenten in zwei Fällen deutlich geworden — , bei den- setzen, die auf uns zukommen. Mit dem heutigen Tag jenigen, die sich davon in der Tat abgewandt haben, ist ein ungesühnter Mord mehr in dieser Welt. Gnade vor Recht ergehen zu lassen. (Reddemann [CDU/CSU]: Leider ja!) (Dr. Hoyer [FDP]: Eine sehr gute Antwort!) Meine Damen und Herren, es gibt in dem Bereich Vizepräsident Westphal: Herr Minister, würden Sie natürlich auch Dinge, wo man nicht zusammenkom- eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Nickels men wird. Herr Kollege Häfner, Sie haben hier ganz gestatten? amüsant versucht, bei einigem aufzuzeigen, wie weit wir auseinander sind. Wissen Sie, bei all dem, was ich mit eigenen Ohren hier im Plenum von Ihnen schon Engelhard, Bundesminister der Justiz: Bitte, Herr gehört habe, könnte ich Ihnen wie folgt antworten — Präsident. ich meine das ganz ernst — : Wären wir ständig auf einer Linie und würden Sie mich ständig loben, so müßte ich mir ernsthaft die Frage stellen, was a lles ich Vizepräsident Westphal: Bitte schön, Frau immer zutiefst falsch mache. Nickels. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich bin ganz froh, daß wir ziemlich weit auseinander Frau Nickels (GRÜNE): Herr Minister, es fällt mir sind, weil ich weiß, daß Ihre Be trachtung dieser Welt, schwer, das zu fragen, weil ich Angst habe, daß es auch dieses Staates, eine prinzipiell doch sehr andere 13864 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989

Bundesminister Engelhard ist, als meine politischen Freunde und ich sie ha- Herzlichen Dank. ben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Bohl [CDU/CSU]: Das können Sie auch für uns sagen! — Abg. Häfner [GRÜNE] meldet Vizepräsident Westphal: Ich schließe die Ausspra- sich zu einer Zwischenfrage) che. Wir kommen zu Einzelplan 07, und zwar zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/5882 unter IV. Vizepräsident Westphal: Herr Minister, wenn ich auf die Uhr schaue, stelle ich fest, daß wir schon im Wer für diesen Änderungsantrag ist, den bitte ich um Minus sind. — Aber bitte, wenn Sie diese Frage noch das Handzeichen! — Wer stimmt dagegen? — Enthal- beantworten wollen. tungen? — Dieser Änderungsantrag ist mit der Mehr- heit der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Einzel- plan 07, Geschäftsbereich des Bundesministers der Engelhard, Bundesminister der Justiz: Bitte schön. Justiz. Wer dem in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen! — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dieser Einzel- plan ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen an- Häfner (GRÜNE): Ich bedanke mich herzlich für die genommen. Gelegenheit. — Herr Minister, sollte Ihnen tatsächlich Wir stimmen jetzt über Einzelplan 19 — Bundesver- entgangen sein, daß ich mich in meiner heutigen Rede fassungsgericht — ab. Wer für den Einzelplan in der hauptsächlich mit Ihren Ankündigungen auseinan- Ausschußfassung ist, den bitte ich um das Handzei- dergesetzt, sie in Teilen begrüßt, aber die mangelnde chen! — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Umsetzung angemahnt habe, und sollte sich Ihr Aus- Bei Enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist dieser einanderliegen tatsächlich auf diese von mir geäu- Einzelplan mit großer Mehrheit angenommen wor- ßerte Kritik beziehen? den. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie noch blieben, weil wir noch ein paar Abstimmungen vor uns ha- Engelhard, Bundesminister der Justiz: Herr Kollege ben. Häfner, Sie haben zunächst einmal gesagt, es komme nichts von mir, das sei auch ganz verständlich, und es werde immer weniger kommen. Jetzt rufe ich auf: (Frau Nickels [GRÜNE]: Er hat mehr gesagt: Haushaltsgesetz 1990 Panaschieren, Kumulieren, Umweltschutz! — Drucksachen 11/5579, 11/5580 — Lesen Sie es nach!) Berichterstatter: Dann haben Sie lobend das Wahlrecht erwähnt, zu Abgeordnete Borchert dem ich auch weiterhin stehe. Roth (Gießen) (Frau Nickels [GRÜNE]: Umweltschutz ins Dr. Weng (Gerlingen) Grundgesetz!) Wieczorek (Duisburg) Esters Nur wissen Sie ganz genau, daß wir vor der nächsten Frau Vennegerts Bundestagswahl ein neues Wahlrecht nicht mehr wer- den schaffen können. Weil das so ist, müssen Sie Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. schon damit rechnen — was ich bei namentlichen Ab- Wir kommen zur Einzelberatung und Abstim- stimmungen immer zu tun pflege — , daß auf den mung. GRÜNEN-Antrag ein rotes Stimmkartenvotum er- folgt. Das ist, damit wir uns richtig verstehen, eine Ich rufe die §§ 1 bis 30 und den Gesamtplan, Einlei- tung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer ganz klare Sache. stimmt für die aufgerufenen Vorschriften? — Wer Wir werden uns weiter bemühen, uns in der Rechts- stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann sind die politik gerade mit den neuen Herausforderungen, die aufgerufenen Vorschriften mit der Mehrheit der Ko- jetzt auf uns zugekommen sind, auseinanderzusetzen. alitionsfraktionen angenommen. Heute nachmittag hat eine kleine Justizministerkon- Damit ist die zweite Beratung des Entwurfes eines ferenz getagt. Wir haben uns sehr eingehend mit der Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushalts neuen Entwicklung in der DDR beschäftigt. Uns ist für das Haushaltsjahr 1990 — Haushaltsgesetz 1990 — klar, daß hier ein ganzer Berg von Rechtsfragen auf abgeschlossen. uns zurollt, die der Bearbeitung und der Beantwor- tung harren. Es ist noch über eine Entschließung abzustimmen, deren Annahme der Haushaltsausschuß auf Drucksa- (Reddemann [CDU/CSU]: O ja!) che 11/5579 unter II empfiehlt. Wer stimmt für diese Wir haben das angepackt; darum werden wir uns be- Entschließung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltun- mühen. Ich hoffe, daß wir Ihre Unterstützung dann, gen? — Dann ist die Entschließung mit der Mehrheit wenn wir sie brauchen, immer finden werden. der Koalitionsfraktionen angenommen. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13865

Vizepräsident Westphal Ich rufe Tagesordnungspunkt VI auf: Auch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen.

Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß- haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- empfehlung des Haushaltsausschusses. Wer stimmt richtung durch die Bundesregierung dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist die Beschlußempfehlung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden. Der Finanzplan des Bundes 1989 bis 1993 Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß un- — Drucksachen 11/5001, 11/5322, 11/5390, serer heutigen Tagesordnung. 11/5731 — Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- destages auf morgen, Freitag, den 1. Dezember 1989, Berichterstatter: 9 Uhr ein. Abgeordnete Borchert Roth (Gießen) Ich wünsche eine gute Nacht. Dr. Weng (Gerlingen) Wieczorek (Duisburg) Die Sitzung ist geschlossen. Esters Frau Vennegerts (Schluß der Sitzung 23.14 Uhr)

Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 179. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1989 13867*

Anlage zum Stenographischen Bericht

Anlage entschuldigt bis Abgeordnete(r) Fraktion einschließlich Liste der entschuldigten Abgeordneten Linsmeier CDU/CSU 01.12.89 Lowack CDU/CSU 01.12.89 entschuldigt bis Frau Luuk SPD 01.12.89 Abgeordnete(r) Fraktion einschließlich Meneses Vogl GRÜNE 01.12.89 Müller (Düsseldorf) SPD 30.11.89 Dr. Ahrens SPD 01.12.89* Niegel CDU/CSU 01.12.89 * Amling SPD 30.11.89 Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 01.12. 89 Austermann CDU/CSU 01.12.89 Paterna SPD 01.12.89 Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 01.12.89 Pfeifer CDU/CSU 01.12.89 Frau Blunck SPD 30.11.89 Repnik CDU/CSU 30.11.89 Börnsen (Ritterhude) SPD 30.11.89 Frau Rock GRÜNE 01.12.89 Büchner (Speyer) SPD 01.12.89 * Frau Schilling GRÜNE 01.12.89 Frau Dempwolf CDU/CSU 01.12.89 Schreiber CDU/CSU 30.11.89 Dr. Dollinger CDU/CSU 01.12.89 Schröer (Mülheim) SPD 01.12.89 Frau Fuchs (Verl) SPD 30.11.89 Schulze (Berlin) CDU/CSU 01.12.89 Dr. Haack SPD 01.12.89 Seiters CDU/CSU 30.11.89 Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 01.12.89 Sielaff SPD 30.11.89 Frhr. Heereman von Dr. Stavenhagen CDU/CSU 30.11.89 Zuydtwyck CDU/CSU 01.12.89 Tietjen SPD 01.12.89 Höffkes CDU/CSU 01.12.89 Dr. Todenhöfer CDU/CSU 01.12.89 Hörster CDU/CSU 30.11.89 Frau Trenz GRÜNE 01.12.89 Ibrügger SPD 01.12.89 Verheugen SPD 30.11.9 Jaunich SPD 01.12.89 Vogt (Düren) CDU/CSU 30.11.89 Kißlinger SPD 01.12.9 Dr. von Wartenberg CDU/CSU 01.12.89 Klein (Dieburg) SPD 01.12.89 Frau Wilms-Kegel GRÜNE 01.12.89 Klein (München) CDU/CSU 30.11.89 Dr. Zimmermann CDU/CSU 30.11.89 Kolbow SPD 01.12.89 Dr. Kreile CDU/CSU 01.12.89 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- Kreuzeder GRÜNE 01.12.89 lung des Europarates