Plenarprotokoll 10/148

Deutscher

Stenographischer Bericht

148. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Inhalt:

Mann GRÜNE (zur GO) 10987 B derung des Bundes- Immissionsschutzge- setzes Aktuelle Stunde betr. 3. Überprüfungskon- — Drucksache 10/1022 — ferenz des Nichtverbreitungsvertrages vom Beschlußempfehlung und Bericht des In- 27. August bis 20. September 1985 in Genf nenausschusses Verheugen SPD 10987 C — Drucksache 10/3556 — Dr. Abelein CDU/CSU 10988 C in Verbindung mit Frau Kelly GRÜNE 10989 B Schäfer (Mainz) FDP 10990 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Dr. Soell SPD 10991 B Berichts des Innenausschusses zu den Un- terrichtungen durch die Bundesregierung Graf Huyn CDU/CSU 10992 B Dr.-Ing. Laermann FDP 10993 A in Verbindung mit Dr. Scheer SPD 10994 B Zweiter Immissionsschutzbericht der Bun- Möllemann, Staatsminister AA 10995 B desregierung Lenzer CDU/CSU 10996 D Dr. Kübler SPD 10997 D in Verbindung mit

Lamers CDU/CSU 10998 C Dritter Immissionsschutzbericht der Bun- Berger CDU/CSU 10999 C desregierung — Drucksachen 9/1458, 10/1354, 10/3543 — Zweite und dritte Beratung des Entwurfs Schmidbauer CDU/CSU 11000 D eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Schäfer (Offenburg) SPD 11002 B Bundes- Immissionsschutzgesetzes Baum FDP 11004A — Drucksachen 10/1861, 10/1862 (neu) — Schulte (Menden) GRÜNE 11005C Beschlußempfehlung und Bericht des In- nenausschusses Spranger, Parl. Staatssekretär BMI . . 11006 D — Drucksache 10/3556 — Beratung des Antrags des Präsidenten des Bundesrechnungshofes in Verbindung mit Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 1984 — Einzelplan 20 — Zweite und dritte Beratung des von der — Drucksache 10/3304 — Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än in Verbindung mit II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Zweite und dritte Beratung des Entwurfs Spies von Büllesheim, Dr. Unland, Ger- eines Gesetzes über den Bundesrech- stein, Haungs, Hinsken, Maaß, Ruf. Jung nungshof (Bundesrechnungshofgesetz) (Lörrach), Dr. Jobst, Eylmann, Schwarz, — Drucksachen 10/3204, 10/3323 — Frau Fischer, Frau Roitzsch (Quickborn), Dr. Müller, Dr. Hoffacker, Dr. Becker Beschlußempfehlung und Bericht des (Frankfurt), Clemens, von Hammerstein, Haushaltsausschusses Dr. Götz, Carstensen (Nordstrand), Hor- — Drucksache 10/3510 — nung, Linsmeier, Seesing, Fischer (Ham- burg), Dr. Olderog, Dr. Bugl, Magin, Milz, in Verbindung mit Strube, Rode (Wietzen), Pesch, Dr. Voigt (Northeim), Bühler (Bruchsal), Frau Dr. Zweite und dritte Beratung des von der Wisniewski, Bohl, Wilz, Schartz (Trier), Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs Schneider (Idar-Oberstein), Lintner, Böhm eines Gesetzes über den Bundesrech- (Melsungen), Stockhausen, Frau Geiger, nungshof (Bundesrechnungshofgesetz) Nelle, Jagoda, Frau Dempwolf, Dr. Czaja, Herkenrath, Louven, Kolb, Frau Dr. Hell- — Drucksache 10/2929 — wig, Zink, Freiherr von Schorlemer und der Beschlußempfehlung und Bericht des Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeord- Haushaltsausschusses neten Dr. Graf Lambsdorff, Dr. Hauss- — Drucksache 10/3510 — mann, Beckmann, Grünbeck, Gattermann, Dr. Solms, Dr. Weng, Wurbs, Dr.-Ing. Laer- in Verbindung mit mann, Cronenberg (Arnsberg) und der Fraktion der FDP Beratung der Beschlußempfehlung des Eigenkapitalhilfeprogramm und Anspar- Haushaltsausschusses zu der Unterrich- förderprogramm tung durch den Bundesrechnungshof — Drucksachen 10/2549, 10/3134 — Bemerkungen des Bundesrechnungshofes Uldall CDU/CSU 11023 D 1984 zur Haushalts- und Wirtschaftsfüh- rung (Einschließlich der Bemerkungen zur Dr. Jens SPD 11025A Jahresrechnung des Bundes 1982) Dr. Solms FDP 11026 D — Drucksachen 10/2223, 10/3509 — Tatge GRÜNE 11028 D Kleinert (Marburg) GRÜNE . . 11008D, 11016 B Dr. Faltlhauser CDU/CSU 11029 C Dr. Voss, Parl. Staatssekretär BMF . . . 11009 B Rapp (Göppingen) SPD 11031 C Dr. Friedmann CDU/CSU 10010 C Beratung des Antrags des Abgeordneten Esters SPD 11013A Horacek und der Fraktion DIE GRÜNEN Frau Seiler-Albring FDP 11014 C Repräsentation der Bundesrepublik Deres CDU/CSU 11017 C Deutschland im ehemaligen Konzentra- tionslager Auschwitz Kühbacher SPD 11019 D — Drucksache 10/2680 — 11033 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu Beratung der Beschlußempfehlung und des dem Antrag der Abgeordneten Dr. Jens, Berichts des Ausschusses für Forschung Rapp (Göppingen), Bachmaier, Curdt, Mül- und Technologie zu der Unterrichtung ler (Schweinfurt), Frau Odendahl, Ooster- durch die Bundesregierung getelo, Stiegler, Frau Weyel, Dr. Wieczorek, Bericht der Bundesregierung zur Planung Wolfram (Recklinghausen), Stahl (Kem- für die Weiterentwicklung des Programms pen), Dr. Kübler, Huonker und der Frak- „Humanisierung des Arbeitslebens" tion der SPD — Drucksachen 10/16, 10/2748 — Förderung von Existenzgründungen Gerstein CDU/CSU 11033 C — Drucksachen 10/2275, 10/3121 — Stockleben SPD 11035 B in Verbindung mit Dr.-Ing. Laermann FDP 11036 C Tischer GRÜNE 11037 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu Dr. Probst, Parl. Staatssekretär BMFT 11038 D dem Antrag der Abgeordneten Uldall, Dr. Faltlhauser, Wissmann, Hauser (Krefeld), Erste Beratung des von den Fraktionen der Doss, Engelsberger, Hinrichs, Dr. Lippold, CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent- Kittelmann, Kraus, Dr. Kronenberg, Dr. wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Lammert, Landré, Lattmann, Müller (Wa- Abgeordnetengesetzes dern), Niegel, Dr. Schwörer, Dr. Freiherr — Drucksache 10/3544 — Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 III

in Verbindung mit zum Europäischen Übereinkommen betref- fend Auskünfte über ausländisches Recht Erste Beratung des von der Fraktion der — Drucksache 10/3434 — 11062 B SPD eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Abgeordnetengeset- zes Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrich- — Drucksache 10/3557 — tung durch die Bundesregierung Bohl CDU/CSU 11040A Überplanmäßige Ausgabe im Haushalts- Conradi SPD 11041 D jahr 1985 bei Kap. 30 05 Tit. 892 11 — Ent- wicklung Schneller Brutreaktoren — Wolfgramm (Göttingen) FDP 11043 C — Drucksachen 10/3268, 10/3470 — Mann GRÜNE 11044 C Bueb GRÜNE (zur GO) 11062 C Erste Beratung des von der Bundesregie- Dr. Stavenhagen (zur GO) 11062 D rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Porzner SPD (zur GO) Rechtsbereinigungsgesetzes 11062 D Dr. Müller (Bremen) GRÜNE — Drucksache 10/3290 — 11063 B Tatge GRÜNE Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär 11064A BMI 11047A Dr.-Ing. Laermann FDP . . . . 11064C, 11070 C Schröer (Mülheim) SPD 11048 D Porzner SPD 11066A Clemens CDU/CSU 11050A Dr. Stavenhagen CDU/CSU 11067 A Dr. Hirsch FDP 11052 A Mann GRÜNE 11068 D Ströbele GRÜNE 11053 A Namentliche Abstimmung 11072 B Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs einer Ver- Ergebnis 11072 B waltungsprozeßordnung — Drucksachen 10/3437, 10/3477 — Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 11053 D dem Antrag der Abgeordneten Dauberts- Fischer (Osthofen) SPD 11054 C häuser, Haar, Bamberg, Amling, Antretter, Berschkeit, Buckpesch, Curdt, Hettling, Buschbom CDU/CSU 11055 D Ibrügger, Kretkowski, Pauli, Hoffmann Mann GRÜNE 11056 B (Saarbrücken), Dr. Steger, Purps, Frau Steinhauer und der Fraktion der SPD Beckmann FDP 11058 A Personennahverkehr der Deutschen Bun- Erste Beratung des von den Fraktionen der desbahn in der Fläche CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent- — Drucksachen 10/1503, 10/3488 — . . 111071C wurfs eines Fünften Gesetzes zur Ände- rung der Bundesärzteordnung Beratung der Sammelübersicht 82 des Pe- — Drucksache 10/3559 — titionsausschusses Frau Dr. Segall FDP 11059 C — Drucksache 10/3505 — 11071C Jaunich SPD 11060 A Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Faltlhauser CDU/CSU 11061A Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Schmude, Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär Frau Fuchs (Köln), Jaunich, Kuhlwein, BMJFG 11061 D Lutz, Schäfer (Offenburg), Frau Schmidt (Nürnberg), Frau Odendahl, Bachmaier, Beratung der Beschlußempfehlung und des Frau Blunck, Catenhusen, Dr. Diederich Berichts des Ausschusses für Jugend, Fa- (Berlin), Egert, Frau Fuchs (Verl), Frau Dr. milie und Gesundheit zu der Unterrichtung Hartenstein, Frau Huber, Immer (Altenkir- durch die Bundesregierung chen), Dr. Kübler, Frau Dr. Lepsius, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Mat- Bericht der Bundesregierung über die Er-- thäus-Maier, Müller (Düsseldorf), Peter fahrungen mit dem Gesetz zur Neuord- nung des Betäubungsmittelrechts (Kassel), Frau Renger, Frau Schmedt (Len- gerich), Frau Simonis, Dr. Soell, Frau Dr. — Drucksachen 10/843, 10/3540 — . . . 11062 B Skarpelis-Sperk, Frau Steinhauer, Stiegler, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Frau Trau- Erste Beratung des von der Bundesregie pe, Frau Weyel, Wolfram (Recklinghausen), rung eingebrachten Entwurfs eines Geset Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der zes zum Zusatzprotokoll vom 15. März 1978 SPD IV Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Umsetzung der Empfehlungen der Sach- MdlAnfr 12, 13 21.06.85 Drs 10/3539 verständigenkommission zum Sechsten Haungs CDU/CSU Jugendbericht „Verbesserung der Chan- Antw PStSekr Frau Karwatzki BMJFG 10970 D cengleichheit von Mädchen in der Bun- desrepublik Deutschland" (Drucksache ZusFr Haungs CDU/CSU 10971 B 10/1007) ZusFr Jaunich SPD 10971 B — Drucksache 10/3385 — 11071D Verbesserung der klinischen Pharmakolo- Fragestunde gie — Drucksache 10/3539 vom 21. Juni 1985 — MdlAnfr 14, 15 21.06.85 Drs 10/3539 Fiebig SPD Schaffung zusätzlicher Planstellen für bis- her durch Aushilfskräfte ausgeführte Tä- Antw PStSekr Frau Karwatzki BMJFG 10971C tigkeiten in der öffentlichen Verwaltung ZusFr Fiebig SPD 10972 A MdlAnfr 3 21.06.85 Drs 10/3539 Pauli SPD Entwicklung des deutsch-israelischen Ju- gendaustausches ab 1982 Antw PStSekr Dr. Voss BMF 10967 B MdlAnfr 16, 17 21.06.85 Drs 10/3539 ZusFr Pauli SPD 10967 B Frau Dr. Hamm-Brücher FDP ZusFr Fiebig SPD 10967 D Antw PStSekr Frau Karwatzki BMJFG . 10972 B ZusFr Jaunich SPD 10968 A ZusFr Frau Dr. Hamm-Brücher FDP . . 10972 C Einführung einer Mehrwert- und Gewerbe- ZusFr Sauer (Salzgitter) CDU/CSU . . . 10972 D steuer für gewerbliche Tätigkeiten öffentli- ZusFr Dr. Schierholz GRÜNE 10973 B cher Körperschaften MdlAnfr 4 21.06.85 Drs 10/3539 Vergabe von Aufträgen an Firmen aus dem Dr. Weng (Gerlingen) FDP Zonenrandgebiet beim Neubau der Bun- Antw PStSekr Dr. Voss BMF 10968 B desbahnstrecke Nord-Süd ZusFr Dr. Weng (Gerlingen) FDP . . . 10968 C MdlAnfr 23 21.06.85 Drs 10/3539 Dr. Enders SPD ZusFr Pauli SPD 10968 D Antw PStSekr Dr. Schulte BMV . . . . 10974A Behandlung von DDR-Übersiedlern durch ZusFr Dr. Enders SPD 10974 A Hamburger Sozialämter ZusFr Sauer (Salzgitter) CDU/CSU . . . 10974 B MdlAnfr 7 21.06.85 Drs 10/3539 von Schmude CDU/CSU Bundesbahn-Sonderangebote „Rosa-rotes Antw PStSekr Höpfinger BMA 10969A Jahr" und „Familienpaß" ZusFr von Schmude CDU/CSU 10969 B MdlAnfr 24, 25 21.06.85 Drs 10/3539 Senfft GRÜNE Zahl der in der Bundesrepublik Deutsch- land, insbesondere im Zonenrandgebiet, tä- Antw PStSekr Dr. Schulte BMV . . . 10974 C tigen Betriebe und Arbeitnehmer aus der ZusFr Senfft GRÜNE 10974 D DDR ZusFr Schulte (Menden) GRÜNE . . . 10975A MdlAnfr 8 21.06.85 Drs 10/3539 GRÜNE 10975 B Clemens CDU/CSU ZusFr Dr. Schierholz 10969 C Antw PStSekr Höpfinger BMA Personelle Überbesetzung des Zuges ZusFr Clemens CDU/CSU 10969 D D 3527 zwischen Schladen und Wolfenbüt- tel Festnahme des Kriegsdienstverweigerers Klaus Stefan Philipp nach seiner Einberu- MdlAnfr 29 21.06.85 Drs 10/3539 CDU/CSU fung zum Grundwehrdienst wegen Fah- Sauer (Salzgitter) nenflucht; Entlassung aus der Bundes- Antw PStSekr Dr. Schulte BMV . . . . 10976 A wehr ZusFr Sauer (Salzgitter) CDU/CSU . . . 10976 B MdlAnfr 9 21.06.85 Drs 10/3539 Dr. Schierholz GRÜNE Beschleunigte Durchführung von Baumaß- Antw PStSekr Würzbach BMVg . . . . 10970 B nahmen des Bundes und Verbesserung des Mittelabflusses, insbesondere durch freibe- ZusFr Dr. Schierholz GRÜNE 10970 B rufliche Fachleute bei den Landesbauver- Modellvorschlag des DRK zur Berufsaus- waltungen bildung der Rettungssanitäter; Verabschie- MdlAnfr 32, 33 21.06.85 Drs 10/3539 dung des Berufsbildes Frau Augustin CDU/CSU Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 V

Antw PStSekr Dr. Jahn BMBau . . . . 10976 B ZusFr Mann GRÜNE 10982 B ZusFr Frau Augustin CDU/CSU . . . . 10976 C ZusFr Ströbele GRÜNE 10982 C ZusFr Waltemathe SPD 10982 C Fehlsubventionierung von Bundesdarle- henswohnungen in Bückeburg und ande- Weitergabe von Daten über Demonstra- ren Bundeswehrstandorten tionsteilnehmer an das Bundeskriminal- MdlAnfr 39, 40 21.06.85 Drs 10/3539 amt Kastning SPD MdlAnfr 73 21.06.85 Drs 10/3539 Antw PStSekr Dr. Jahn BMBau . . . 10977 B Dr. Hirsch FDP ZusFr Kastning SPD 10977 D Antw PStSekr Spranger BMI 10983 C ZusFr Dr. Hirsch FDP 10983 D Kosten der seit 1975 errichteten deutschen Botschaftsgebäude und Konsulate; verar- Zusammenarbeit zwischen den Bundesbe- beitete Natursteinarten hörden, insbesondere dem Bundesgrenz- MdlAnfr 34, 35 21.06.85 Drs 10/3539 schutz und den Gewerkschaften Weinhofer SPD MdlAnfr 74 21.06.85 Drs 10/3539 Antw PStSekr Dr. Jahn BMBau . . . 10978 D Dr. Enders SPD ZusFr Weinhofer SPD 10979A Antw PStSekr Spranger BMI 10984A ZusFr Dr. Enders SPD 10984 A Frage der Gemeinnützigkeit von Woh- nungsbauunternehmen auf Grund der ver- Abschiebung von vier Palästinensern am änderten Situation auf dem Wohnungs- 7. Juni 1985 von Berlin (West) nach Beirut markt MdlAnfr 75, 76 21.06.85 Drs 10/3539 MdlAnfr 36 21.06.85 Drs 10/3539 Mann GRÜNE Dr. Weng (Gerlingen) FDP Antw PStSekr Spranger BMI 10984 C Antw PStSekr Dr. Jahn BMBau . . . . 10979 B ZusFr Mann GRÜNE 10984 C ZusFr Dr. Weng (Gerlingen) FDP . . . 10979 C ZusFr Ströbele GRÜNE 10984 D ZusFr Waltemathe SPD 10979 D ZusFr Vogel (München) GRÜNE . . . 10985 B Einführung eines Tempolimits beim Schei- tern der europäischen Verhandlungen zur Erteilung von Auskünften über das Schick- Verminderung der Schadstoffbelastung sal von NS-Opfern durch das DRK zu For- der Luft schungszwecken MdlAnfr 68 21.06.85 Drs 10/3539 MdlAnfr 77 21.06.85 Drs 10/3539 Kißlinger SPD Waltemathe SPD Antw PStSekr Spranger BMI 10980A Antw PStSekr Spranger BMI 10985 D ZusFr Kißlinger SPD 10980 A ZusFr Waltemathe SPD 10985 D

Haltung der Bundesregierung zu den Tra- Begründung für die Exportgenehmigung ditionsverbänden der Waffen-SS; Aberken- von Militärhubschraubern nach Südafrika nung der Gemeinnützigkeit, insbesondere MdlAnfr 83 21.06.85 Drs 10/3539 für die „HIAG" Waltemathe SPD MdlAnfr 69, 70 21.06.85 Drs 10/3539 Antw PStSekr Grüner BMWi 10986 C Ströbele GRÜNE ZusFr Waltemathe SPD 10986 C Antw PStSekr Spranger BMI 10980 B ZusFr Frau Borgmann GRÜNE 10986 D ZusFr Ströbele GRÜNE 10980 C ZusFr Gilges SPD 10987 A ZusFr Mann GRÜNE 10981 B ZusFr Vogel (München) GRÜNE . . . 10987A ZusFr Waltemathe SPD 10981 B Nächste Sitzung 11072 B Teilnahme von NPD-Mitgliedern am Deutschlandtreffen der Schlesier in Han- nover MdlAnfr 71, 72 21.06.85 Drs 10/3539 Gilges SPD Anlage 1 Antw PStSekr Spranger BMI 10981 C ZusFr Gilges SPD 10981C Liste der entschuldigten Abgeordneten 11075*A VI Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Anlage 2 Anlage 6 Verbesserung der Beratung, Umschulung Aufnahme der Bundesbahn-Neubau und Vermittlung arbeitsloser Akademiker; strecke Nürnberg-Ingolstadt in die Fort zusätzliche Standorte für Einrichtungen schreibung des Bundesverkehrswegeplans des Fachvermittlungsdienstes in Nord- MdlAnfr 27, 28 21.06.85 Drs 10/3539 rhein-Westfalen Frau Schmidt (Nürnberg) SPD MdlAnfr 5, 6 21.06.85 Drs 10/3539 SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . 11076*D Catenhusen SPD SchrAntw PStSekr Höpfinger BMA . . 11075*B Anlage 7 Gebührenpraxis der Überwachungsvereine Anlage 3 und Werkstätten bei der Abgassonderun- tersuchung; Einführung einer Hersteller- Verkauf von Gift per Katalog haftung MdlAnfr 18 21.06.85 Drs 10/3539 MdlAnfr 30, 31 21.06.85 Drs 10/3539 Frau Steinhauer SPD Stiegler SPD SchrAntw PStSekr Frau Karwatzki SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . 11077*A BMJFG 11075*D

Anlage 8 Anlage 4 Auffassung des Staatsministers Vogel über Bessere Koordinierung der IC-Anschlüsse die zunehmende politische Ausrichtung für Züge aus den Küstenstädten insbeson- des Deutschen Evangelischen Kirchenta- dere in Bremen ges; Wertung der Wahl des Präses der EKD-Synode durch die Bundesregierung MdlAnfr 19, 20 21.06.85 Drs 10/3539 Dr. Ehrenberg SPD MdlAnfr 66, 67 21.06.85 Drs 10/3539 Immer (Altenkirchen) SPD SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . 11076*A SchrAntw PStSekr Spranger BMI . . 11077*C

Anlage 5 Anlage 9 Planung eines Schienenschnellfahrnetzes Finanzielle Unterstützung von Autoren Paris-Frankfurt-Stuttgart-München; Aus- und anderen Künstlern durch das Bundes- bau der Strecke Saarbrücken-Mannheim ministerium für Wirtschaft MdlAnfr 21, 22 21.06.85 Drs 10/3539 MdlAnfr 81 21.06.85 Drs 10/3539 Fischer (Homburg) SPD Frau Simonis SPD SchrAntw PStSekr Dr. Schulte BMV . 11076* C SchrAntw PStSekr Grüner BMWi . . . 11077*D

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148. Sitzung

Bonn, den 26. Juni 1985

Beginn: 13.00 Uhr

Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Her- Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage, Herr ren, ich eröffne unsere Sitzung und rufe Punkt 1 der Pauli. Tagesordnung auf: (SPD): Herr Staatssekretär, wären Sie be- Fragestunde Pauli reit, auch die nächste Frage prüfen zu lassen, näm- — Drucksache 10/3539 — lich diese: Wie beurteilen Sie die Tatsache, daß im Wir kommen zuerst zum Geschäftsbereich des Bundesarchiv in Koblenz seit Jahren eine Auf- Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung sichtsperson für den Benutzersaal beschäftigt ist, der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staats- ohne daß eine entsprechende Planstelle vorhanden sekretär Dr. Voss zur Verfügung. ist, so daß für diese Aufsichtstätigkeit nur noch Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Pauli auf: Rentner beschäftigt werden, die keinen Anspruch auf eine Dauerbeschäftigung mehr durchsetzen Ist die Bundesregierung bereit, in den Bereichen der öf- fentlichen Verwaltung zusätzliche Planstellen einzurichten, können, und sind Sie nicht auch der Auffassung, wo bisher die entsprechenden Tätigkeiten von nebenberuf- daß es sinnvoll wäre, im Bundesarchiv eine Plan- lich Tätigen bzw. von Aushilfskräften ausgeführt wurden? stelle zur Besetzung durch einen Arbeitslosen ein- zurichten? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pauli, Dr. Voss, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Sie werden verstehen, daß ich mich zu diesen Ein- ster der Finanzen: Herr Kollege Pauli, nebenberuf- zelfragen an dieser Stelle nicht äußern kann. Ich lich Tätige und Aushilfskräfte werden in der Bun- kann nur darauf hinweisen, daß die Kriterien, die desverwaltung nur in besonderen Einzelfällen ein- ich eben genannt habe, für all diese Fälle angewen- gesetzt, und zwar wie folgt: Wenn ein bestimmter det werden sollten, weil sie vernünftig sind, Plan- Auftrag durchzuführen ist, werden Verträge bis zu stellen also nur dann eingerichtet werden können drei Jahren abgeschlossen; wenn kurzfristig uner- und eingerichtet werden sollen, wenn Daueraufga- wartet Mehraufgaben zu erledigen sind, die in an- ben vorliegen. gemessener Frist durch vorhandenes Personal nicht erfüllt werden können, werden Verträge bis Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage des Ab- zu 18 Monaten abgeschlossen. Planstellen können geordneten Fiebig. dagegen nur für Daueraufgaben eingerichtet wer- (SPD): Herr Staatssekretär, stimmen Sie den. Fiebig mit mir darin überein, daß es dem Steuerzahler im Grunde genommen gleichgültig ist, ob die, die be- Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage, Herr stimmte Tätigkeiten ausführen, als Inhaber von Pauli. Planstellen besoldet werden oder aber, ohne eine Planstelle zu haben, aus allgemeinen Haushaltsmit- Paull (SPD): Herr Staatssekretär, wie beurteilen teln bezahlt werden, und wenn ja, sind Sie dann Sie die Tatsache, daß an den 28 Bundeswehrfach- nicht der Auffassung, daß es vernünftig ist, für un- schulen insgesamt 2 371 Unterrichtsstunden wö- entbehrliche Tätigkeiten entsprechende Planstellen chentlich von ca. 450 nebenamtlichen Lehrkräften einzurichten? erteilt werden, und sind Sie nicht auch der Auffas- sung, daß es sinnvoll wäre, zur Deckung des ent- Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das sprechenden Lehrkräftebedarfs Planstellen für ar- hängt davon ab, welche Art von Tätigkeit vorliegt. beitslose Lehrer einzurichten? Wenn es wirklich eine Tätigkeit ist, die nicht nur vorübergehender Natur ist, die also über einen län- Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pauli, geren Zeitraum ausgeübt wird, und wenn es infolge- ich würde diese Frage nach den Kriterien, die ich dessen sinnvoll ist, eine Planstelle einzurichten, eben dargestellt habe, prüfen und dann entspre- kann das für die Steuerzahler die beste Möglichkeit chend behandeln wollen. sein. 10968 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Parl. Staatssekretär Dr. Voss Wenn es sich aber im umgekehrten Fall nicht chen Rechts mit ihren Betrieben gewerblicher Art darum handelt, daß für längere Zeit, also für die auch der Körperschaftsteuer. Dauer, eine Arbeit für eine Planstelle zur Verfü- gung steht, wird eine Planstelle für den Steuerzah- Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Abge- ler bedeutend teurer als der sonst gewählte Weg, ordneter Dr. Weng. Zeitarbeitsverträge abzuschließen, um die Arbeiten im vereinbarten Zeitraum erledigen zu lassen. Dr. Weng (Gerlingen) (FDP): Herr Staatssekretär, verstehe ich Sie richtig, daß Sie erklären, Wettbe- Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage des Ab- werbsverzerrungen lägen in dem von mir angespro- geordneten Jaunich. chenen Bereich nach Auffassung der Bundesregie- rung nicht vor und deswegen bestehe kein Hand- Jaunich (SPD): Herr Staatssekretär, können Sie lungsbedarf? mir darüber Auskunft geben, ob für solche aushilfs- weisen Beschäftigungen bei entsprechender Quali- Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Das ist grundsätz- fikation vorrangig Arbeitslose herangezogen wer- lich richtig, Herr Kollege Weng, denn eine Steuer- den? pflicht besteht in dem eben von mir genannten Rah- men, und von daher besteht somit kein Handlungs- Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das bedarf. hängt davon ab, wie das Angebot ist und welcher Art die Tätigkeiten sind. Ich glaube nicht, daß die Vizepräsident Westphal: Weitere Zusatzfrage, Herr Auswahl nach den Kriterien getroffen wird, die Sie Weng. hier eben genannt haben. Dr. Weng (Gerlingen) (FDP): Sind Sie bereit, Herr Vizepräsident Westphal: Ich rufe Frage 4 des Ab- Staatssekretär, mir eine Reihe konkreter Einzelfäl- geordneten Dr. Weng (Gerlingen) auf: le, die ich jetzt hier nicht im einzelnen darlegen Ist die Bundesregierung bereit, zur Verstärkung des will, weil das zuviel Zeit kosten würde, unter Be- Drucks auf Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen ge- rücksichtigung dieses Aspektes zu beantworten, setzliche Regelungen derart anzustreben, daß gewerbliche Tätigkeiten öffentlicher Körperschaften ebenso der Mehr- d. h. dazu im einzelnen unter dem Aspekt „keine wert- und gegebenenfalls der Gewerbesteuer unterworfen Wettbewerbsverzerrungen" Stellung zu nehmen? werden wie private Unternehmen? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Selbstverständlich, Herr Kollege. Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Weng, nach geltendem Recht unterliegen juristi- Vizepräsident Westphal: Ist das hierzu eine Zu- sche Personen des öffentlichen Rechts mit den Um- satzfrage, Herr Pauli? — Dann sind Sie an der sätzen der Umsatzsteuer, die sie im Rahmen eines Reihe. Betriebes gewerblicher Art im Sinne des Körper- schaftsteuerrechts oder eines land- und forstwirt- Pauli (SPD): Herr Staatssekretär, sind auch Kata- schaftlichen Betriebes ausführen. Ein Betrieb ge- ster- und Vermessungsämter bei den Dienstleistun- werblicher Art liegt vor, wenn eine wirtschaftliche gen der Mehrwertsteuerpflicht unterworfen, bei de- Tätigkeit nachhaltig und mit der Absicht ausgeübt nen öffentlich bestellte Vermessungsingenieure wird, Einnahmen zu erzielen. Die Tätigkeit muß Mehrwertsteuer in vollem Umfang zahlen müssen? sich ferner aus der Gesamtbetätigung der Körper- Wenn dies nicht der Fall ist: Wie stellt die Bundes- schaft wirtschaftlich herausheben. Unterhalb einer regierung die garantierte Gleichbehandlung si- Bagatellgrenze von 60 000 DM Jahresumsatz wird cher? im Regelfall ein Betrieb gewerblicher Art nicht an- genommen. Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, eine Wirtschaftliche Tätigkeiten der öffentlichen Steuerpflicht liegt nur dann nicht vor, wenn es sich Hand, die von Gewicht sind, unterliegen hiernach um hoheitliche Aufgaben handelt, die hier versehen bereits nach geltendem Recht der Umsatzsteuer. werden. Nach den bisherigen Erfahrungen bietet der kör- perschaftsteuerliche Begriff des Betriebes gewerb- Vizepräsident Westphal: Damit sind wir am Ende licher Art eine ausreichende Handhabe, um größere des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Fi- Wettbewerbsstörungen auszuschließen. nanzen. Ich danke dem Parlamentarischen Staats- sekretär für die Beantwortung der Fragen. Auch bei der Gewerbesteuer sind die juristischen Personen des öffentlichen Rechts mit ihren gewerb- Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- lichen Tätigkeiten schon nach geltendem Recht ministers für Arbeit und Sozialordnung. Für die Be- grundsätzlich steuerpflichtig. Ausgenommen von antwortung der Fragen steht der Parlamentarische der Gewerbesteuerpflicht sind lediglich Unterneh- Staatssekretär Höpfinger zur Verfügung. men, die als Hoheitsbetriebe der Ausübung der öf- Die beiden Fragen 5 und 6 des Herrn Abgeordne- fentlichen Gewalt dienen. ten Catenhusen sollen auf Wunsch schriftlich be- Für die öffentliche Hand besteht nach alledem antwortet werden. Die Antworten werden als Anla- kein Anreiz, wirtschaftliche Betätigungen aus steu- gen beigefügt. erlichen Gründen selbst auszuführen. Im übrigen Wir kommen zur Frage 7 des Abgeordneten von unterliegen die juristischen Personen des öffentli- Schmude: Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 10969

Vizepräsident Westphal Wie beurteilt die Bundesregierung die im Hearing des in- ten der Neuen Heimat verursachten schlimmen nerdeutschen Ausschusses vom 12. Juni 1985 vorgebrachten Eindruck zu korrigieren, in Hamburg seien DDR- Beanstandungen von Verbandsvertretern, daß in der Hanse- stadt Hamburg DDR-Übersiedler bei der Bearbeitung von Übersiedler unerwünscht bzw. nur solche er- Arbeitslosengeldanträgen im Durchschnitt doppelt solange wünscht wie der ehemalige kommunistische Lie- warten müssen, wie im übrigen Bundesgebiet, sogenannte dermacher Biermann? Sofortkredite als Eingliederungshilfe erst nach drei bis vier Monaten entschieden und den DDR-Übersiedlern überwie- gend Wohnungen in unzumutbarem Zustand zur Verfügung Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege von gestellt werden? Schmude, wenn solches durch Untersuchungen Bitte sehr, Herr Staatssekretär. festgestellt wird, bin ich überzeugt, daß das Ergeb- nis den zuständigen Stellen zugestellt wird. Höpfinger, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- ster für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege Vizepräsident Westphal: Herr Kollege von Schmu- von Schmude, im Arbeitsamt Hamburg werden An- de, wenn ich jetzt Ihre Frage noch einmal überflie- träge auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe ge, war sie an zwei verschiedene Ministerien zu innerhalb von einem Tag bis zu drei Tagen nach richten. Man kann als Abgeordneter auch zwei Fra- Eingang der vollständigen Antragsunterlagen bear- gen stellen. Sie hätten dann wahrscheinlich eine beitet. Dies gilt auch für Anträge von DDR-Über- sachgerechtere Antwort von dem zuständigen Mini- siedlern. Die Arbeitsämter sind darüber hinaus an- sterium bekommen können. gewiesen, Leistungsanträge von DDR-Übersiedlern Wir haben zu diesem Geschäftsbereich noch die bevorzugt zu bearbeiten und erforderlichenfalls Frage 8 des Abgeordneten Clemens: Vorschüsse zu zahlen. Die von Ihnen zitierte Be- Ist der Bundesregierung bekannt, in welchem Umfang Be- hauptung von Verbandsvertretern im Hearing des triebe bzw. Arbeitskolonnen der DDR in der Bundesrepublik Innerdeutschen Ausschusses dürfte deshalb auf ei- Deutschland beschäftigt werden, und was gedenkt sie hierge- nem Mißverständnis beruhen. gen angesichts der Arbeitslosigkeit, insbesondere im Zonen- grenzland, zu tun? Auch die Behauptungen über eine verzögerte Be- willigung von Einrichtungsdarlehen und über den Bitte schön, Herr Staatssekretär. unzumutbaren Zustand der Wohnungen, die DDR- Übersiedlern in Hamburg zur Verfügung gestellt Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Cle- werden, kann ich nicht bestätigen. Ich bin jedoch mens, in welchem Umfang Betriebe oder Arbeitsko- gern bereit, der Sache nachzugehen, wenn Sie mir lonnen aus der DDR in der Bundesrepublik entsprechende Fälle nennen. Deutschland tätig werden, wird statistisch nicht er- faßt. Ich darf noch darauf hinweisen: Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe werden im Regelfall auf ein Deutsche Arbeitnehmer aus der DDR genießen Konto des Arbeitslosen überwiesen. Die Überwei- als Deutsche die Grundrechte der Freizügigkeit und sung dauert bis zu einer Woche. Im Regelfall kann freien Berufswahl des Grundgesetzes. Sie benöti- der Arbeitslose deshalb nach eineinhalb Wochen — gen daher weder eine Arbeits- oder Aufenthaltser- also eine halbe Woche Bearbeitungszeit und eine laubnis noch unterliegen sie besonderen Kontroll- Woche Überweisungszeit — über die erste Lei- oder Meldepflichten. Es ist zu vermuten, daß sich stungszahlung verfügen. die im vorigen Jahr von der Bundesregierung ge- nannten Zahlen der hier tätigen Arbeitnehmer aus Vizepräsident Westphal: Herr von Schmude, Zu- der DDR nicht wesentlich verändert haben. Sie be- satzfrage bitte. ruhen auf vorsichtigen Schätzungen der westdeut- schen Bauunternehmen. Ich darf hierzu auf die von Schmude (CDU/CSU): Herr Staatssekreträr, teilt die Bundesregierung die Ansicht, daß es beson- Antworten der Bundesregierung vom 10. Mai und 27. Juni 1984 auf die Fragen der Abgeordneten Stut- ders verwerflich und beschämend wäre, wenn — wie behauptet wird und wie es durch die Überprü- zer — Drucksache 10/1453 — und von Schmude — fungen, die in Hamburg eingeleitet worden sind, Drucksache 10/1656 — verweisen. festgestellt wird — die gemeinnützige Wohnungs- Wegen des Grundrechts auf Freizügigkeit auch baugesellschaft Neue Heimat in Hamburg die Si- der Deutschen aus der DDR besteht keine rechtli- tuation der DDR-Übersiedler ausnutzt, indem sie che Möglichkeit, die Tätigkeit von DDR-Arbeitneh- ihnen zu teure Wohnungen, die dazu noch in einem mern im Bundesgebiet zu verhindern. Hierbei ist schlechten Zustand sind, vermietet? auch zu berücksichtigen, daß die Zahl der westdeut- schen Arbeitnehmer, die im Zusammenhang mit Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege von Anlagelieferungen in der DDR tätig sind, eher grö- Schmude, ich halte es an und für sich für verwerf- ßer sein dürfte als die Zahl der DDR-Arbeitnehmer lich, wenn eine Notsituation von Menschen irgend- im Bundesgebiet. wie ausgenützt wird; aber solche Dinge sind erst einmal nachzuprüfen und festzustellen. Vizepräsident Westphal: Herr Clemens, eine Zu- Vizepräsident Westphal: Weitere Zusatzfrage, Herr satzfrage, bitte schön. von Schmude. Clemens (CDU/CSU): Herr Parlamentarischer von Schmude (CDU/CSU): Für den Fall, daß diese Staatssekretär, ich habe leider die Antworten nicht Nachprüfung erfolgt und diese Ergebnisse bringt, zur Hand, auf die Sie sich beziehen; aber darf ich sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, auf Sie fragen, ob der Bundesregierung bekannt ist, daß den Senat der Freien und Hansestadt Hamburg ein- die DDR-Betriebe hier in der Bundesrepublik, ins- zuwirken, um den durch das vorgeworfene Verhal- besondere im Bereich der Bauwirtschaft und insbe- 10970 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Clemens sondere im Zonengrenzland mit Dumpingpreisen gründe gegen die Ausübung des Kriegsdienstes mit Betriebe und Unternehmen der Bundesrepublik un- der Waffe geltend machen? terbieten? (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Wehr dienst! Nicht Kriegsdienst!) Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Cle- mens, die DDR ist verpflichtet, den im Berliner Ab- Würzbach, Parl. Staatssekretär: So wie das Gesetz kommen festgelegten Grundsatz zu beachten, daß es vorschreibt. Auch jeder Soldat hat sein Gewissen sich die Preise für Waren und Dienstleistungen an geprüft und ist zu der Entscheidung gekommen, unseren Marktpreisen orientieren müssen. Die An- daß es sich lohnt, zur Aufrechterhaltung von Frei- gemessenheit der Preise kann notfalls in einem heit und Frieden diesen Dienst in den Streitkräften Preisprüfungsverfahren untersucht werden. Im zu tun. Rahmen dieses Verfahrens können die Wettbe- Weitere Zusatzfrage, Herr werbssituation überprüft und erhebliche Schädi- Vizepräsident Westphal: Dr. Schierholz. gungen abgewehrt werden. Dr. Schierholz (GRÜNE): Da ich den letzten Teil Vizepräsident Westphal: Weitere Zusatzfragen? — Ihrer Antwort hier nicht mit Ihnen diskutieren darf, Nein. Herr Staatssekretär, möchte ich Sie lediglich noch Dann sind wir am Ende dieses Geschäftsberei- fragen, ob die Bundesregierung bereit ist, über sol- ches. Ich danke dem Herrn Parlamentarischen che Fälle von Kriegsdienstverweigerern in der Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen. Truppe einen Bericht zu erstatten. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- Würzbach, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregie- ministers der Verteidigung. Jetzt steht uns zur Be- rung hat eine Fülle von Berichten in den zuständi- antwortung der Fragen der Parlamentarische gen Ressorts und vor jedem Gremium, das darum Staatssekretär Würzbach zur Verfügung. bittet, zu allen Zeiten gegeben, wie auch jüngst. — Ich will noch einmal darauf hinweisen, daß der Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Dr. Schier- Mann, den Sie in Ihrer Geschäftsstelle unterge- holz auf: bracht haben, überhaupt kein Kriegsdienstverwei- gerer ist. Worauf ist es zurückzuführen, daß der totale Kriegsdienst- verweigerer Klaus Stefan Philipp dreieinhalb Monate nach (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Daß nicht sein seiner Einberufung zum Grundwehrdienst kurz vor seiner kann, was nicht sein darf!) Gerichtsverhandlung wegen Fahnenflucht in einem unver- hältnismaßig harten Feldjägereinsatz vorläufig festgenom- men worden ist, und warum wird dieser junge Mann, der Vizepräsident Westphal: Die Fragen 10 und 11 des unzweideutig eine Gewissensentscheidung gegen jegliche Herrn Abgeordneten Hansen (Hamburg) sollen Art der Wehrpflicht getroffen hat, nicht auf der Basis von schriftlich beantwortet werden. Die Antworten wer- § 29 Wehrpflichtgesetz aus der Bundeswehr entlassen? den als Anlagen abgedruckt. Wir sind damit am Ende der Fragen aus Ihrem Würzbach, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Geschäftsbereich, Herr Staatssekretär. Danke für ster der Verteidigung: Herr Präsident! Herr Kolle- die Beantwortung der Fragen. ge! Der von Ihnen genannte Soldat wurde am 2. Ja- Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- nuar 1985 einberufen. Da er seinen Grundwehr- ministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur dienst jedoch nicht antrat, sondern vielmehr, wie Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamentari- wir j a hier im Plenum des Bundestages gehört hat- sche Staatssekretärin Karwatzki zur Verfügung. ten, sich in der Geschäftsstelle der GRÜNEN einsie- delte, stellte seine Einheit ein Fahndungsersuchen. Ich rufe die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Der fahnenflüchtige Soldat wurde dann in der Haungs auf: Nacht vom 18. auf den 19. April von einer Feldjäger- Wie beurteilt die Bundesregierung den Modellvorschlag streife in Bonn gemeinsam mit der Polizei gestellt. des Deutschen Roten Kreuzes zur Berufsausbildung der Ret- Es kam hierbei weder zu einer vorläufigen Fest- tungssanitäter? nahme noch zur Anwendung unmittelbaren Bitte schön, Frau Staatssekretär. Zwangs. Die Entlassung des Soldaten, wonach Sie fragen, nach § 29 des Wehrpflichtgesetzes ist nicht Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär beim Bundes- möglich, da er bisher keinen Antrag auf Anerken- minister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr nung als Kriegsdienstverweigerer gestellt hat, ge- Kollege Haungs, der Modellvorschlag des Deut- schweige denn anerkannt ist. schen Roten Kreuzes zur Berufsausbildung der Rettungssanitäter wird wie die übrigen der Bundes- - regierung vorliegenden Vorschläge aus dem Be- Zusatzfrage von Herrn Vizepräsident Westphal: reich der Berufskreise in die Überlegungen zur Er- Dr. Schierholz. stellung eines Entwurfs für ein Gesetz über den Beruf des Rettungssanitäters miteinbezogen wer- Dr. Schierholz (GRÜNE): Herr Staatssekretär, wie den. Er ist auch von der Arbeitsgruppe „Rettungssa- geht denn die Bundesregierung mit solchen, in letz- nitäter" des Bund-Länder-Ausschusses Rettungs- ter Zeit ja häufiger öffentlich bekannt gewordenen, wesen geprüft worden und weicht in den Grund- aber schon länger in der Bundeswehr vorkommen- überlegungen nicht wesentlich von dem Votum die- den Fällen um, wo junge Menschen Gewissens- ser Arbeitsgruppe ab, mit dem sich der Bund-Län- Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 10971 Parl. Staatssekretär Frau Karwatzki der-Ausschuß noch beschäftigt. Ich möchte dem Ist die Bundesregierung mit mir einer Meinung, daß zur Erfüllung des Zweiten Arzneimittelgesetzes und zum Nach- Vorschlag dieses Ausschusses jetzt nicht vorgrei- weis von Unbedenklichkeit und Wirksamkeit eine internatio- fen. nal anerkannte wissenschaftliche Disziplin „klinische Phar- makologie" auch in der Bundesrepublik Deutschland drin- Vizepräsident Westphal: Keine Zusatzfrage. gend notwendig ist? Dann rufe ich die Frage 13 des Herrn Abgeordne- Bitte schön, Frau Staatssekretärin. ten Haungs auf: Wann wird die Bundesregierung endlich das Berufsbild Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollge des Rettungssanitäters verabschieden? Fiebig, die wissenschaftliche Disziplin klinische Bitte schön, Frau Staatssekretär. Pharmakologie hat im Rahmen der Arzneimittel- versorgung, vor allem auch im Hinblick auf die An- Frau Karwatzki, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege, forderungen, die durch das Arzneimittelgesetz an Voraussetzung für die Erstellung eines erneuten Arzneimittel gestellt werden, eine wichtige Funk- Gesetzentwurfs über den Beruf des Rettungssanitä- tion. Eine personell, institutionell und finanziell ters ist das Votum des Bund-Länder-Ausschusses gute Ausstattung dieses medizinischen Fachs ist „Rettungswesen", der zur Untersuchung und Erar- deshalb im Hinblick auf einen effektiven Vollzug beitung der für ein solches Gesetz wichtigen Grund- der gesetzlichen Bestimmungen über die klinische daten seit zwei Jahren eine eigene Arbeitsgruppe Prüfung von Arzneimitteln am Menschen erstre- „Rettungssanitäter" eingesetzt hat. Die Arbeits- benswert. gruppe, in der Vertreter des Bundes und der Länder Aus diesen Gründen teile ich Ihre Meinung. mitarbeiten, hat inzwischen einen Vorschlag erar- beitet und dem Bund-Länder-Ausschuß im Mai die- Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Fiebig? ses Jahres zugeleitet. Das Votum spricht sich — wie inzwischen bekannt ist — für den Erlaß eines ent- Fiebig (SPD): Nein. sprechenden Gesetzes auf der Grundlage bestimm- ter, von der Arbeitsgruppe zur Grundlage gemach- Ich rufe die Frage 15 des ter Bedingungen aus. Zur Zeit ist der Bund-Länder- Vizepräsident Westphal: Abgeordneten Fiebig auf: Ausschuß selbst noch mit der Klärung einiger Fra- gen befaßt. Sobald er seine Arbeit abgeschlossen Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Lage der klinischen Pharmakologie in der Bundesrepublik Deutsch- hat, wird der Bundesminister für Jugend, Familie land zu verbessern, damit sie ihren wissenschaftlichen Rang und Gesundheit einen Referentenentwurf erarbei- behält, zur Innovation im Arzneimittelbereich beitragen und ten und mit den Beteiligten abstimmen. damit die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Arzneimittel auf dem Weltmarkt verbessern kann? Auf die Antwort auf die Kleine Anfrage der Abge- ordneten Frau Dr. Bard und der Fraktion DIE GRÜ- Bitte schön, Frau Staatssekretär. NEN — Drucksache 10/1631 - wird ergänzend Be- zug genommen. Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fiebig, das Bundesministerium für Jugend, Familie Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr und Gesundheit hat sich bereits 1979 für eine Ver- Haungs. besserung der Lage der klinischen Pharmakologie in der Bundesrepublik Deutschland eingesetzt und Haungs (CDU/CSU): Frau Staatssekretärin, kön- die Anregung zu einer Entschließung der 43. Ge- nen Sie mir sagen, bis wann mit diesem Referen- sundheitsministerkonferenz am 10./11. Mai 1979 ge- tenentwurf gerechnet werden kann? geben, mit der die Kultusministerkonferenz gebe- ten wurde, „im Hochschulbereich der Errichtung Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Nein, das von Lehrstühlen und der Schaffung von Abteilun- kann ich nicht, Herr Kollege. Ich kann doch die gen besondere Aufmerksamkeit zu widmen". Die Beamten, die daran sitzen, nicht in einen Zeitdruck Kultusministerkonferenz hat diese Entschließung bringen, zumal wir nicht direkt zuständig sind. positiv aufgenommen und sich in den vergangenen Jahren für den Ausbau der klinischen Pharmakolo- Vizepräsident Westphal: Herr Jaunich, zu einer gie an den Hochschulen im Rahmen der Möglich- Zusatzfrage. keiten eingesetzt. Zur Unterstützung des Fachs „klinische Pharma- Jaunich (SPD): Frau Staatssekretärin, können Sie kologie" wurde 1977 eine Arbeitsgruppe der Weltge- mir sagen, ob der Bund-Länder-Ausschuß bzw. die sundheitsorganisation nach Bonn eingeladen, die Arbeitsgruppe im Rahmen ihrer Erörterungen auch die vielfältigen Aufgaben der klinischen Pharmako- untersucht hat, ob ein Ausbildungsgang, gestützt logie präzisierte. Das Europäische Regionalbüro der auf das Berufsbildungsgesetz, möglich wäre. WHO erarbeitet z. Z. eine Studie über die Situation der klinischen Pharmakologie in Europa, die im Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Sommer 1986 vorgelegt und auch in der Bundesre- Jaunich, das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber ich publik diskutiert werden wird. Seit 1972 finanziert bin selbstverständlich gerne bereit, mich sachkun- das Ministerium eine WHO-Symposienreihe über dig zu machen und Ihnen die Antwort zuzustellen. die „klinisch-pharmakologische Bewertung bei der Arzneimittelkontrolle", die sich sowohl mit generel- Vizepräsident Westphal: Ich rufe die Frage 14 des len wie auch mit speziellen Themen, z. B. „Arneimit- Abgeordneten Fiebig auf: tel für ältere Menschen", „Arzneimitttel für Säug- 10972 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 Parl. Staatssekretär Frau Karwatzki linge und Kleinkinder" und „Arzneimittel in einem Gesamtbetrag von 2 606 000 DM gefördert. Schwangerschaft und Geburt", befaßt. 1983 betrug die Zahl der Programme in der Bundes- Es ist beabsichtigt, der Ausbildung in klinischer republik Deutschland 128 mit 2 041 israelischen Pharmakologie im Rahmen des Medizinstudiums Teilnehmern, und die Zahl der Programme in Israel bei der bevorstehenden Novellierung der Approba- betrug 135 mit 2 491 deutschen Teilnehmern. tionsordnung für Ärzte ein stärkeres Gewicht zu Der Förderungsbetrag aus Mitteln des Bundesju- geben. gendplans belief sich auf 3 009 000 DM. Zusätzlich fanden in den letzten Jahren jährlich 60 bis 70 Pro- Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Fiebig. -gramme der Internationalen Jugendgemeinschafts und Sozialdienste in Israel statt, deren Teilnehmer- Fiebig (SPD): Frau Staatssekretär, beabsichtigt zahl und Förderung statistisch nicht gesondert er- der Bundesminister für Jugend, Familie und Ge- faßt sind. sundheit, Forschungsaufträge im Bereich der klini- schen Pharmakologie zu vergeben und auch für die Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Frau Dr. Finanzierung zu sorgen? Hamm-Brücher.

Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Frau Dr. Hamm-Brücher (FDP): Mit meinem Dank Fiebig, Sie wissen, daß wir nur modellhaft fördern möchte ich eine Zusatzfrage verbinden: Werden An- können. Wenn das in dem einen oder anderen Fall träge, die von Organisationen gestellt werden, man- möglich ist, sage ich Ihnen eine Förderung zu. Dies gels finanzieller Unterstützungsmöglichkeiten ab- kann ich aber erst nach Prüfung tun. gelehnt?

Vizepräsident Westphal: Weitere Zusatzfrage, Herr Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Nein, Frau Fiebig. Kollegin Hamm-Brücher, das kann ich mir nicht vorstellen. Im Rahmen des vorhandenen Volumens FIebIg (SPD): Frau Staatssekretär, Sie haben ei- wird gerade der deutsch-israelische Jugendaus- nige Aktivitäten aufgezählt, die noch aus den 70er tausch nach dem deutsch-französischen Jugendaus- Jahren stammen. Welche Aktivitäten plant denn die tausch an der zweiten Stelle gefördert. jetzige Bundesregierung etwa im Hinblick auf das Ende des Jahrzehnts, um die klinische Pharmakolo- Vizepräsident Westphal: Weitere Zusatzfrage, Frau gie in den Stand zu versetzen, ihre Aufgaben zu Dr. Hamm-Brücher. erfüllen? Frau Dr. Hamm-Brücher (FPD): Ist Ihnen bekannt, Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Frau Staatssekretär, daß israelische Jugendgrup- Fiebig, ich sagte bereits, daß wir bei der Änderung pen jetzt nicht mehr an Programmen teilnehmen der Approbationsordnung festschreiben werden, können, weil hohe Kosten bei der Ausreise aus Is- daß dieser Gesichtspunkt stärker in der Ausbildung rael entstehen? berücksichtigt wird. Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Ja, Frau Kol- Vizepräsident Westphal: Keine weitere Zusatz- legin Hamm-Brücher, das ist uns bekannt. Dies frage. trifft ja nicht nur für die israelischen Jugendgrup- Wir kommen zur Frage 16 der Abg. Frau Dr. Hamm- pen, sondern für alle Israelis zu, die ausreisen wol- Brücher: len. Wir haben uns selbstverständlich sehr gern da- für eingesetzt, daß möglichst der Jugendaustausch Wie hat sich der deutsch-israelische Jugendaustausch in den letzten drei Jahren finanziell und zahlenmäßig entwik- draußenvor bleibt. Mir ist in einem persönlichen kelt? Gespräch von dem Stellvertreter des Herrn Bot- Bitte schön, Frau Staatssekretär. schafters mitgeteilt worden, daß dies vor September nicht möglich ist. Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Frau Kolle- gin Hamm-Brücher, da mir die Zahlen für 1984 noch Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Abge- nicht vorliegen, teile ich Ihnen gern die Zahlen von ordneter Sauer. 1981 bis 1983 mit. Ich muß mich dabei auf den aus Mitteln des Bundesjugendplans geförderten Sauer (Salzgitter) (CDU/CSU): Frau Staatssekre- tärin, handelt es sich auf israelischer Seite in erster deutsch - israelischen Jugendaustausch beschrän- ken. Soweit solche Austauschprogramme auch aus Linie um einen staatlichen Jugendaustausch, oder Mitteln der Bundesländer bzw. der Kommunen un- werden dort auch Verbände und Jugendverbände terstützt werden, liegt kein statistisches Zahlenma- unter privater bzw. freier Trägerschaft gefördert? terial vor. Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Es wird so- Im einzelnen: 1981 wurden 101 Programme in der wohl das eine als auch das andere gefördert. Dabei Bundesrepublik Deutschland mit 1 540 israelischen spielt gerade der Austausch mit den freien Trägern Teilnehmern und 149 Programme in Israel mit 2 639 eine sehr wesentliche Rolle. deutschen Teilnehmern mit einem Gesamtbetrag von 2 565 600 DM gefördert. 1982 wurden 85 Pro- Vizepräsident Westphal: Ich rufe die Frage 17 der gramme in der Bundesrepublik Deutschland mit Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher auf: 1 431 israelischen Teilnehmern und 132 Programme Beabsichtigt die Bundesregierung eine Intensivierung des in Israel mit 2 400 deutschen Teilnehmern mit deutsch-israelischen Jugendaustausches? Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 10973

Vizepräsident Westphal Bitte schön, Frau Staatssekretärin. den Mitteln des Bundesjugendplanes keine Abstri- che gemacht werden. Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Frau Kol- legin Hamm-Brücher, die Bundesregierung ist Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage des Abgeord- grundsätzlich an einer Intensivierung des deutsch- neten Sauer. israelischen Jugendaustausches interessiert. Ich sagte Ihnen soeben schon, daß wir uns viel Mühe Sauer (Salzgitter) (CDU/CSU): Frau Staatssekre- geben, gerade die Begegnung junger Leute zu för- tär, wäre es Ihnen möglich, einmal darzulegen, bei dern; aber Sie wissen auf Grund Ihrer langjährigen welchen Organisationen insbesondere Interesse be- Erfahrung selbst, daß wir keinen Einfluß auf einen steht, mit Jugendlichen nach Israel zu fahren? Sind Staat nehmen können, wenn er auf Grund seiner dies insbesondere Gruppen aus politischen Jugend- eigenen wirtschaftlichen Situation solche Verfügun- organisationen, sind es kirchliche Jugendgruppen, gen erläßt. Gruppen aus der Gewerkschaftsjugend oder aus den Sportverbänden? Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Frau Dr. Hamm-Brücher. Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Frau Dr. Hamm-Brücher (FDP): Frau Staatssekre- ich muß schnell einmal in meine schlaue Unterlage tär, können Sie mir die Frage beantworten, ob Kla- schauen. gen von deutschen Jugendorganisationen oder gar (Zuruf von der FDP: Bei allen besteht vom Bundesjugendring vorliegen, daß die Unter- Interesse!) stützung seitens der Bundesregierung nicht ausrei- — Ich bedanke mich für den Zuruf. Als erstes chend sei? möchte ich anmerken, daß grundsätzlich bei allen Jugendverbänden — egal, welcher politischen oder Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Frau Kolle- religiösen Richtung — eine große Bereitschaft ge- gin Hamm-Brücher, Jugendverbände werden uns geben ist, mit jungen Israelis in Kontakt zu treten. immer sagen, daß es nicht ausreichend ist. Aber Sie Ich kann sagen, daß gerade im Bereich der beiden wissen selbst, daß wir uns im Rahmen des vorlie- christlichen Kirchen sehr intensive Kontakte gehal- genden Etats rechtzeitig vorher gerade mit den ten werden. Ich möchte aber in gleicher Weise sa- bundesrelevanten Institutionen, so auch mit dem gen, daß die Jugendverbände der politischen Par- Deutschen Bundesjugendring, in Verbindung set- teien diese Begegnungen mit den jungen Israelis zen und im Rahmen des vorhandenen Volumens ebenfalls als sehr wichtig erachten. bisher auch immer den Ansprüchen der jungen Leute haben Genüge tun können. Es wird immer so Herr Kollege — ich habe die Angaben gerade in sein, daß man immer noch mehr fördern kann. meinen Unterlagen gefunden —, Hauptträger sind Aber, Frau Kollegin Hamm-Brücher, ich glaube auf deutscher Seite neben den traditionellen Ju- schon, daß wir gerade auch aus unserer Verpflich- gendverbänden — dazu habe ich bereits etwas aus- tung heraus dem deutsch-israelischen Jugendaus- geführt — auch Bildungsstätten, die kommunalen tausch viel zuerkennen. Jugendämter, über die ich leider keine Aussagen zahlenmäßiger Art machen kann, sowie der Inter- Vizepräsident Westphal: Noch eine Zusatzfrage, nationale Jugend- und Besucheraustauschdienst Frau Dr. Hamm-Brücher. der Bundesrepublik Deutschland. Es wird hier sehr nachdrücklich darauf hingewiesen, daß neben den . Frau Dr. Hamm-Brücher (FPD): Frau Staatssekre- Jugendgruppen — ich hebe das bewußt noch einmal tär, ich bin Ihnen für diese ganz klare Aussage sehr hervor — der beiden Konfessionen auch die Sport- dankbar, möchte aber noch einmal konkreter nach- jugend und die Gewerkschaftsjugend nicht nur In- fragen: Ist Ihnen bekannt, daß über ein nachlassen- teressenten, sondern aktive Teilnehmer an solchen des grundsätzliches Interesse der Bundesregierung Begegnungen sind. an der Förderung des deutsch-israelischen Jugend- (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Herzlichen austausches Klage geführt wurde? Dank!) Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Nein, das ist mir nicht bekannt. Vizepräsident Westphal: Die Frage 18 der Abge- ordneten Frau Steinhauer soll schriftlich beantwor- Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage des Abgeord- tet werden. Die Antwort wird als Anlage abge- neten Dr. Schierholz. druckt. Wir stehen damit am Ende des Geschäftsberei- Dr. Schierholz (GRÜNE): Da wir gerade schon ches des Bundesministers für Jugend, Familie und beim Geld waren, Frau Staatssekretärin, möchte Gesundheit. Ich danke Ihnen für die Beantwortung ich doch noch konkret fragen, um wieviel die Bun- der Fragen, Frau Staatssekretärin. desregierung den Etatansatz im Jahre 1986 für die- Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- sen Zweck erhöhen will. ministers für Verkehr. Zur Beantwortung der Fra- Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, gen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekre- Sie wissen, daß die Etatgespräche gerade beendet tär Dr. Schulte zur Verfügung. worden sind. Ich kann Ihnen hier keine Auskünfte Die Fragen 19 bis 22 sollen auf Wunsch der Frage- zu Einzelheiten geben, um wieviel wir das zu erhö- steller, der Herren Abgeordneten Dr. Ehrenberg hen gedenken, aber Sie dürfen sicher sein, daß bei und Fischer (Homburg), schriftlich beantwortet 10974 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Vizepräsident Westphal werden. Die Antworten werden als Anlagen abge- Hannover-Göttingen, Strecken stillzulegen bzw. druckt. Strecken auf Busebene zu verlagern, und damit die Ich rufe die Frage 23 des Herrn Abgeordneten Dr. bisherigen Reparaturaufgaben auch für den mittel- Enders auf: ständischen Bereich nicht mehr zum Tragen kom- Ist der Bundesregierung bekannt, in welchem Maße bisher men, würde ich Sie gern fragen wollen, ob Sie auch Firmen aus dem Zonenrandgebiet mit Aufträgen am Neubau Zahlenmaterial über diesen niedersächsischen Zo- der Bundesbahnstrecke Nord-Süd beteiligt waren und inwie- nenrandbereich, über den Streckenabschnitt Han- weit auswärtige Firmen berücksichtigt wurden? nover-Göttingen, haben. Bitte schön, Herr Staatssekretär. Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Das müßte ich Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- extra heraussuchen. Ich schicke es Ihnen. nister für Verkehr: Herr Kollege, die erforderlichen (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Danke baulichen Investitionen nach Abzug von Grunder- schön!) werbs- und Planungskosten belaufen sich für den Neubau der Strecke Hannover-Würzburg auf 10 Vizepräsident Westphal: Wir kommen zur Frage 24 Milliarden DM. Bisher wurden Bauaufträge mit ei- des Abgeordneten Senfft: ner Summe von 4,7 Milliarden DM vergeben. Fir- Welche Beweggründe sind ausschlaggebend dafür, daß im men aus dem Zonenrandgebiet haben nach den An- Rahmen des Sonderangebotes „Rosarotes Jahr" der Deut- gaben der Deutschen Bundesbahn Bauaufträge im schen Bundesbahn der ermäßigte Kinderfahrpreis von Wert von annähernd 30 % erhalten. Ausländische 10 DM nur für eigene Kinder oder Enkelkinder gilt, während Firmen allein haben keinen Auftrag erhalten. Als bei Nutzung des entsprechenden Pauschalpreises für die Mitnahme eines Hundes der Nachweis der „Familienzuge- Partner von Arbeitsgemeinschaften waren überwie- hörigkeit" nicht erbracht werden muß? gend österreichische Fachfirmen — bisher mit knapp 10 % — am Vergabevolumen beteiligt. Bitte schön, Herr Staatssekretär. Eine Zusatzfrage, Herr Vizepräsident Westphal: Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Dr. Enders. Beförderungsentgelte sind mit 29 DM und 10 DM so unterschiedlich, daß man einen Vergleich nicht an- Dr. Enders (SPD): Herr Staatssekretär, halten Sie stellen sollte. Ich sehe allerdings auch nicht, wie nicht den Anteil von 30 % bei Bauaufträgen für Fir- man bei einem beförderten Hund die Familienzuge- men aus dem Zonenrandgebiet für zu niedrig, weil gerade dort die Baufirmen in einer besonders hörigkeit feststellen sollte. schwierigen Situation stehen und wir dort eine Zusatzfrage, Herr Senfft. hohe Arbeitslosenquote haben? Vizepräsident Westphal: (GRÜNE): Herr Staatssekretär, können Sie Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Senfft wir haben in diesem Sinne mehrfach mit der Deut- denn die Ansicht teilen, daß unser Anliegen nicht schen Bundesbahn gesprochen. Sie kennen aller- unbedingt ist, die Hunde gegenüber den Kindern dings selber die Vergaberichtlinien, die Schranken bei den Fahrpreisen zu benachteiligen, sondern daß auferlegen. Ich muß aber im Hinblick auf den Ab- es gerade umgekehrt unser Anliegen ist, die Kinder schnitt, der zu 100 % im Zonenrandgebiet liegt, näm- bei der Tarifregelung mit den Hunden gleichzu- lich den Abschnitt Kassel-Fulda, noch folgendes stellen und zu erreichen, daß auch Nachbarkinder ausführen. Wir hatten dort bisher ein Vergabevolu- oder nichtfamilienangehörige Kinder, die in der men von 1,85 Milliarden DM. Bei diesen Vergaben Gruppe mitfahren, nur den ermäßigten Fahrpreis liegt der Anteil der Firmen aus dem Zonenrandge- von 10 DM zu zahlen haben? biet deutlich über 50 %. Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ein Vizepräsident Westphal: Eine weitere Zusatzfrage, Kind muß 10 DM bezahlen, ein Hund 29 DM. Ich Herr Dr. Enders. glaube, daß darin auch zum Ausdruck kommt, daß die Deutsche Bundesbahn an die Familien denkt. Dr. Enders (SPD): Herr Staatssekretär, ist auch Wir müssen allerdings davon ausgehen, daß eine gesichert, daß in den Fällen, in denen Aufträge an Ausdehnung allgemein auf Kinder ohne Prüfung Generalunternehmer gehen, Subunternehmer aus der Familienzugehörigkeit den Kreis der Berechtig- dem Zonenrandgebiet gebührend berücksichtigt ten unüberschaubar machen würde. werden? Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Senfft. Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, da- von gehe ich aus. Ich werde Ihre Frage aber gern Senfft (GRÜNE): Herr Staatssekretär, können Sie zum Anlaß nehmen, hier noch einmal nachzu- bestätigen, daß es ein besonderes Anliegen — ins- stoßen. besondere auch des Vorstandes der Deutschen Bun- desbahn — ist, Kinder und Jugendliche vermehrt Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage des Ab- auf die Schiene zu bekommen, und daß insofern bei geordneten Sauer. dem Vergleich mit dem Auto, wo ja bekanntlich nicht nachgeprüft wird, ob es sich um familienange- Sauer (Salzgitter) (CDU/CSU): Herr Staatssekre- hörige Kinder oder um Nachbarkinder handelt, die tär, da die Bundesbahn nicht davon abgeht, gerade Bahn erst dann bei diesen Tarifen konkurrenzfähig im Raum Südostniedersachsen, also im Umfeld ist, wenn die Regelung eingeführt wird, daß auch Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 10975

Senfft Nachbarkinder zu diesem 10-DM-Tarif fahren kön Aus welchen Gründen verweigert die Deutsche Bundes- nen? Welche Bestimmungen stehen dem entgegen? bahn unverheirateten Paaren mit Kindern die Nutzung des Sonderangebotes „Familienpaß"? Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, bei Dr. Schulte, Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, als dem Ganzen dreht es sich um ein kommerzielles Familien im Sinne der Sonderangebote gelten auch Angebot der Deutschen Bundesbahn. Allein durch Elternteile mit mindestens einem Kind. Damit be- die Tatsache, daß es für Kinder einen gesonderten antworte ich auch die Frage von vorhin. Berechtig- Tarif gibt, hat die Deutsche Bundesbahn unter Be- tes Kind kann, sofern es mit dem Elternteil im weis gestellt, daß sie auch an die Familien denkt. gemeinsamen Haushalt lebt, auch ein nichteheli- Ich könnte mir allerdings vorstellen, daß es in der ches Kind sein. Der Familienpaß kann also für den Zukunft noch weitere Sonderangebote gibt. Im übri- nichtehelichen Vater und das Kind oder für die gen gibt es neben den Angeboten für Familien noch nichteheliche Mutter und das Kind, nicht aber für weitere Nachlässe für Gruppenreisen, bei denen die die nichtehelichen Eltern zusammen ausgestellt Bahn dem Auto ganz gezielt Konkurrenz macht. werden. (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Keine Gruppen (Heiterkeit) reisen von Hunden!) Vizepräsident Westphal: Nun bin ich auf die Zu- Vizepräsident Westphal: Herr Schulte (Menden) satzfrage gespannt. Bitte schön, Herr Senfft. hat eine Zusatzfrage. Senfft [GRÜNE]: Herr Staatssekretär, können Sie Schulte (Menden) (GRÜNE): Herr Staatssekretär, bestätigen, daß im Gegensatz zu der Anwendung ich selber bin zwar nicht verheiratet, habe aber eine des Begriffs der eheähnlichen Gemeinschaft bei der Freundin mit Kind. Wir leben zusammen; ein fami- Sozialhilfe oder dem Wohngeld diesen sogenannten lienähnlicher Zustand. Eine Frage an Sie: Wo steht eheähnlichen Gemeinschaften bei der Bahn eine eigentlich in der Bibel, daß für eine Familie der Vergünstigung nicht zuteil wird, und, wenn ja, wäre Trauschein notwendig ist? die Bundesregierung bereit, auf die Bundesbahn da- (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Der ist hin gehend einzuwirken, daß dies zugunsten der doch nicht von der Kirche!) Inanspruchnahme durch die eheähnlichen Gemein- schaften angepaßt wird? Vizepräsident Westphal: Da müssen wir aber den Justizminister und nicht den Verkehrsminister fra- Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, gen. diese Sonderangebote der Deutschen Bundesbahn werden vom Vorstand der DB in Frankfurt entwik- (Heiterkeit) kelt. Die Bundesregierung nimmt darauf keinen Bei allem Wohlwollen muß ich das als nicht zur Einfluß. Frage gehörig betrachten. Vizepräsident Westphal: Sie haben noch eine Zu- Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich werde aller- satzfrage, Herr Senfft. dings bei der nächsten Frage darauf eingehen. (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Der Kol Senfft [GRÜNE]: Herr Staatssekretär, können Sie lege sollte sonntags in die Kirche gehen! bestätigen, daß § 16 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes Dann erfährt er so etwas!) dem Bundesminister für Verkehr die Möglichkeit einräumt, Tarifänderungen von der Deutschen Bun- Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Dr. desbahn zu verlangen, „wenn dies aus Gründen des Schierholz. allgemeinen Wohls erforderlich ist", und teilen Sie die Ansicht, daß hier auf Grund eines sozialen In- Dr. SchIerholz (GRÜNE): Da die Antworten der teresses durchaus das Bedürfnis nach einem „allge- Bundesregierung außerordentlich unbefriedigend meinen Wohl" vorhanden ist mit der Folge, daß die sind, möchte ich erst einmal fragen, Herr Staatsse- Bundesregierung hier einschreiten könnte? kretär, welche Erkenntnisse Ihnen denn über die Einführung des „rosaroten Jahres" in bezug auf die Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich gehe nicht Erhöhung der Zahl der Transporte von Hunden vor- davon aus, das Ihr Fall auf den zitierten Paragra- liegen? phen zutrifft.

Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Das kann ich Ih- Vizepräsident Westphal: Ich rufe Frage 26 des Ab- geordneten Carstensen (Nordstrand) auf. — Der nen im Augenblick nicht sagen. Wenn es- aber ein großes Interesse der Fraktion DIE GRÜNEN ist, lie- Abgeordnete ist nicht im Saal. Dann wird die Frage fere ich das gerne nach. gemäß der Geschäftsordnung behandelt. (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Ihr habt Die Fragen 27 und 28 der Abgeordneten Frau Probleme! Und das bei dem Arbeits Schmidt (Nürnberg) sollen auf Wunsch der Frage- markt!) stellerin schriftlich beantwortet werden. Die Ant- worten werden als Anlagen abgedruckt. Vizepräsident Westphal: Ich rufe jetzt die Frage 25 Ich rufe Frage 29 des Abgeordneten Sauer (Salz- des Abgeordneten Senfft auf: gitter) auf: 10976 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 Vizepräsident Westphal Ist der Bundesregierung die personelle Überbesetzung des Personalmangel nicht zügig bearbeitet haben. Auf Zuges D 3527 seit Inkrafttreten des Sommerfahrplanes der Deutschen Bundesbahn zwischen Schiaden und Wolfenbüttel entsprechende Hinweise der Bundesregierung an bekannt, und was gedenkt die Bundesregierung diesbezüg- die Hessische Landesregierung ist inzwischen in lich zu unternehmen? personeller und organisatorischer Hinsicht Abhilfe Bitte schön, Herr Staatssekretär. geschaffen. Die Bauvorhaben des Bundes werden nunmehr zeitgerecht abgewickelt. Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nach Mitteilung der Deutschen Bundesbahn trifft Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Frau Augu- es zu, daß seit Beginn des Sommerfahrplans 1985 stin. der Zug 3527 zwischen Schiaden und Wolfenbüttel Überbesetzungen aufweist. Frau Augustin (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, Die Deutsche Bundesbahn führt zur Zeit eine waren solche Mängel vorhanden, und — falls dies Sonderzählung durch; das Ergebnis soll am Montag, der Fall ist — sind diese Mängel von der Bundesre- dem 1. Juli vorliegen. Von diesem Ergebnis wird es gierung beanstandet worden? abhängen, ob Maßnahmen für die Entspannung der Situation erforderlich werden. Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Au- gustin, die Bundesregierung hatte Veranlassung, Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Sauer. bei der Hessischen Staatsregierung, bei dem hessi- schen Ministerium der Finanzen, am 12. Juli 1983 in Sauer (Salzgitter) (CDU/CSU): Herr Staatssekre- der von mir soeben erwähnten Hinsicht vorstellig tär, da bisherige Nachforschungen der Deutschen zu werden. Bundesbahn Wolfenbüttel — ich beziehe mich hier auf die Lokalzeitung vom 13. Juni 1985 — bei der Vizepräsident Westphal: Eine weitere Zusatzfrage, Braunschweiger Direktion auf keinen guten Boden Frau Augustin. gefallen sind: Kann ich — da bisher fünf Personen- wagen im Zug mitgeführt worden sind, jetzt aber Frau Augustin (CDU/CSU): Gibt es einen bestimm- nur noch drei — davon ausgehen, daß man sich ten Text, der belegt, in welcher Weise das gesche- wenigstens auf ein Mittelmaß einigen kann, also hen ist? daß, bevor dort ein wirkliches Unglück passiert, wieder mit vier Wagen gefahren wird? Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregie- rung hat sich, wie ich schon sagte, in dem Schreiben Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß die Bahn umgehend handeln wird, wenn vom 12. Juli 1983 an den hessischen Minister der die Sonderzählungen Ihr Anliegen rechtfertigen. Finanzen gewandt. Ich möchte hier jetzt nicht den ganzen Inhalt verlesen. Wir haben in diesem (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Danke Schreiben zum Ausdruck gebracht, daß wir im Hin- schön!) blick auf das Verwaltungsabkommen dankbar wä- ren, wenn der hessische Minister der Finanzen sein Vizepräsident Westphal: Keine weitere Zusatz- Augenmerk auf die erforderlichen personellen und frage. organisatorischen Voraussetzungen richten und Die Fragen 30 und 31 des Herrn Abgeordneten auch veranlassen würde, daß die Bundesbauaufga- Stiegler sollen auf Wunsch des Fragestellers ben zügig und termingerecht durchgeführt werden schriftlich beantwortet werden. Die Antworten wer- können. den als Anlagen abgedruckt. (Frau Augustin [CDU/CSU]: Vielen Dank!) Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Verkehr. — Vielen Dank, Vizepräsident Westphal: Sie müssen aber stehen- Herr Staatssekretär. bleiben, denn Sie haben noch eine Frage gestellt, Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- Frau Augustin, nämlich die Frage 33: ministers für Raumordnung, Bauwesen und Städte- Ist die Bundesregierung bereit, darauf hinzuwirken, daß bau. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parla- bei der Durchführung von Baumaßnahmen des Bundes, die mentarische Staatssekretär Dr. Jahn zur Verfü- in der Gesamtverantwortung des Bundesministers für gung. Raumordnung, Bauwesen und Städtebau liegen, den Finanz- verwaltungen der Länder auf Grund der §§ 8(7) und 22 Nr. 2 Ich rufe Frage 32 der Abgeordneten Frau Augu- des Finanzverwaltungsgesetzes (FVG) in der Fassung des stin auf: Finanzanpassungsgesetzes (FAnpG) vom 30. August 1971 und den dazu geschlosenen Verwaltungsabkommen zur be- Ist der Bundesregierung bekannt, daß einige staatliche schleunigten Durchführung dieser Baumaßnahmen des Bun- Bauämter in Hessen nicht in der Lage sind, anstehende Bau- des und des besseren Mittelabflusses im verstärkten Umfang vorhaben des Bundes zügig zu bearbeiten, so daß nur mit gestattet wird, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, für Verzögerung dringend notwendige Bauvorhaben realisiert Planung und Ausführung von Baumaßnahmen des Bundes werden können? freiberufliche Architekten, Ingenieure oder sonstige Sonder- Bitte schön, Herr Staatssekretär. fachleute für baufachliche Fragen im Sinne des Abschnittes K 19 der Richtlinien für die Durchführung von Bauaufgaben des Bundes im Zuständigkeitsbereich der Finanzbauverwal- Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- tungen (RBBau) einzusetzen, um die Bauwirtschaft insge- ster für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: samt zu fördern und die staatlichen Bauverwaltungen der Frau Kollegin Augustin, der Bundesregierung ist Länder zu entlasten? bekannt, daß einige staatliche Bauämter in Hessen Dann kommt wieder Herr Staatssekretär zur Be- in der Vergangenheit Bauvorhaben des Bundes aus antwortung. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 10977

Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Au- des Bundes nicht zu betreuen sind — sogenannte gustin, nach Abschnitt K 12 der Richtlinien für die Fremdmieter —, haben bei der Anmietung einer Durchführung von Bauaufgaben des Bundes im mit Bundesmitteln geförderten Mietwohnung — Zuständigkeitsbereich der Finanzbauverwaltungen Bundesdarlehenswohnung — einen Zuschlag zur kann das Bauamt für die Erledigung der ihm oblie- Miete zu entrichten, der sich aus einer Verzinsung genden Aufgaben freiberuflich Tätige hinzuziehen, bis zu 4 % des auf die betreffende Wohnung entfal- wenn Art und Umfang der Leistungen dies erfor- lenden anteiligen Bundesdarlehens errechnet. Die- dern. Bei bedeutenden Baumaßnahmen entscheidet ser Fremdmieterzuschlag ist vom Vermieter an den der Bundesbauminister als oberste technische In- Bund abzuführen. stanz des Bundes mit der Erteilung des Planungs- Nach den Darlehensverträgen, die der Bund mit auftrages auch über die Einschaltung von Freibe- den Bauherren der Bundesdarlehenswohnungen — ruflern. Im Bereich des Bundes wird bei der Pla- dies gilt im gesamten Bundesgebiet — abgeschlos- nung und Ausführung von Bauvorhaben die Ein- sen hat, ist von der Erhebung des Fremdmieter- schaltung freiberuflich Tätiger im Rahmen der ge- zuschlages dann abzusehen, wenn der Bauherr gebenen Möglichkeiten voll ausgeschöpft. Es gibt nachweist, daß die erhöhte Miete nach den örtli- deshalb nur wenige größere Bauvorhaben des Bun- chen Gegebenheiten am Markt nicht zu erzielen ist. des, die in letzter Zeit ohne Hinzuziehung freier Durch diese Regelung wird vermieden, daß der Architekten errichtet worden sind. Bund Zinsforderungen stellt, die zu einer Gefähr- Die Bundesregierung prüft gleichwohl gegenwär- dung der Vermietbarkeit der Wohnungen führen tig, wie freiberuflich Tätige noch mehr als bisher an könnten. Bauaufgaben des Bundes beteiligt werden können Bei der überwiegenden Anzahl der Bundesdarle und dieses Ziel in den Richtlinien verdeutlicht wer- henswohnungen in Bückeburg haben die Prüfun- den kann. gen ergeben, daß nach den darlehensvertraglichen Die Bundesregierung hat auch den zuständigen Vereinbarungen Fremdmieterzuschläge nicht mehr Ausschuß, in dem der Bund und die Länder Vor- erhoben werden können. Von einer Fehlsubventio- schriften über die Durchführung von Bauaufgaben nierung von Bundesdarlehenswohnungen kann in abstimmen, mit dieser Frage befaßt. Ich bin bereit, diesem Zusammenhang nicht gesprochen werden. Ihnen zur gegebenen Zeit auch das Ergebnis der Sowohl die Mietenregelung wie auch die Tatsache Überprüfung mitzuteilen. etwaiger Fremdvermietungen von Wohnungen, die für Bundesbedienstete nicht mehr benötigt werden, Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Frau Augustin. stellen Vertragsinhalte dar, die bereits zum Zeit- punkt der Förderung der Baumaßnahme vereinbart Frau Augustin (CDU/CSU): Ich habe keine Zusatz- worden sind. frage. Ich möchte nur bitten, daß Sie mir das dann zustellen. — Vielen Dank. Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Kast- ning. Vizepräsident Westphal: Wir kommen zur Frage 34 des Abgeordneten Weinhofer, der nicht anwesend Kastning (SPD): Herr Staatssekretär, wie erklä- ist. Dann wird entsprechend der Geschäftsordnung ren Sie sich denn dann, daß in einer Stellungnahme verfahren. Das gilt auch für Frage 35 des Abgeord- zu einer Petition durch Ihr Haus — noch vor weni- neten Weinhofer*). gen Wochen; oder vor wenigen Monaten, will ich vorsichtigerweise einmal sagen — von einem ge- Wir kommen zur Frage 36 des Abgeordneten Dr. ringfügigen Umfang an Fremdvermietungen ge- Weng. Er war hier. Es wird entsprechend der Ge- sprochen worden ist, dennoch aber seit geraumer schäftsordnung verfahren **). Zeit auf den OFD-Zuschlag verzichtet wird, um die Die Fragen 37 und 38 des Abgeordneten Schem- Wohnungen überhaupt vermieten zu können? ken sind zurückgezogen worden. Wir kommen zur Frage 39 des Abgeordneten Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kast- Kastning: ning, der Bundesregierung ist bekannt, daß Sie we- Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß von ei- gen der Mieten der Bundesdarlehenswohnungen ner Fehlsubventionierung von Bundesdarlehenswohnungen bereits am 15. November 1984 den Petitionsaus- am Bundeswehrstandort Bückeburg gesprochen werden kann, schuß angerufen haben. Wir wissen auch, daß der weil die Oberfinanzdirektion Hannover als Reaktion auf die Petitionsausschuß Ihnen geantwortet hat. Mir liegt erschwerte Vermietbarkeit wegen zu hoher Mietbelastungen seit dem 1. April 1985 bei einem führenden Vermieter für die allerdings die Antwort nicht im Wortlaut vor. Der fremdvermieteten Bundesdarlehenswohnungen auf den soge- Bundesregierung ist lediglich mitgeteilt worden, nannten OFD-Zuschlag verzichtet, und gibt es ähnliche Ver- daß der Petitionsausschuß die Angelegenheit als er- hältnisse auch in anderen Bundeswehrstandorten? ledigt erklärt hat. Bitte schön, Herr Staatssekretär. - Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Kast- Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kast- ning. ning, Mieter, die nicht im Bundesdienst beschäftigt sind und daher im Rahmen der Wohnungsfürsorge Kastning (SPD): Herr Staatssekretär, sind Sie be- reit, zur Kenntnis zu nehmen, daß am Ende des *) Beantwortung der Fragen 34 und 35 auf Seiten 10978 ersten Quartals 1985 am Bundeswehrstandort Bük- und 10979. keburg etwas über 38 % der vorhandenen Bundes- **) Beantwortung der Frage 36 auf Seite 10979. darlehenswohnungen inzwischen fremdvermietet 10978 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Kastning worden sind oder zur Fremdbelegung anstanden, Kastning (SPD): Ich frage noch: Wenn Sie jetzt und sind Sie auf Grund dieses Tatbestandes bereit, sagen, daß die Miete für die Bundesdarlehenswoh- am Ort noch einmal nachzufragen und mir umge- nungen dort wohl nicht über dem Zumutbaren liegt, hend auf anderem, meinetwegen schriftlichem wie erklären Sie sich dann, daß der führende Ver- Wege eine Beurteilung dieses Tatbestandes zukom- mieter den OFD-Zuschlag gestrichen hat, um sie — men zu lassen? das sage ich einmal — überhaupt noch loszuwer- den? Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kast- ning, ich bin gerne bereit, bei den Einzelobjekten, Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kast- um die es sich ja in Bückeburg handelt — es sind ning, ich kann jetzt nicht einen einzelnen Vermieter insgesamt 396 Bundesdarlehenswohnungen —, vor dem Deutschen Bundestag bewerten. Ich kann noch einmal eine Erhebung durchzuführen und Ih- nur die Gesamtsituation bewerten. nen das Ergebnis mitzuteilen. Nur kann ich das (Kastning [SPD]: Das ist immerhin der jetzt, hier, in einer Fragestunde nicht abschließend Marktführer am Ort bei Bundesdarlehens werten. Ich habe allerdings einige Einzelheiten vor- wohnungen!) liegen. Ich möchte nur soviel sagen: Der Wegfall des Vizepräsident Westphal: Sie haben noch eine Zu- Fremdmieterzuschlags ist nach Mitteilung der satzfrage. Herr Kastning, bitte. Oberfinanzdirektion Hannover nicht auf einen of- fensichtlichen Leerstand von Wohnungen zurückzu- Kastning (SPD): Ich möchte Sie dann fragen, ob führen, auch nicht auf eine erschwerte Vermietbar- Sie bereit sind, sich über die in Frage kommenden keit. Grund ist die Heranführung der Mieten der Behörden — sei es Standortverwaltung oder OFD Darlehenswohnungen an die Mieten vergleichbarer — eine Übersicht zu verschaffen, ob es Überschrei- Wohnungen des freien Marktes. tungen dieser Angemessenheitsgrenze von 18 %, die Sie vorhin nannten, gibt. Ich frage das deswegen, Vizepräsident Westphal: Jetzt kommt die nächste weil mir ernstzunehmende Hinweise dazu vorlie- Frage. Der Abgeordnete Kastning hat noch die gen, daß es diese in einer nennenswerten Zahl in Frage 40, die erst beantwortet werden muß; dann Bückeburg gibt. Ich frage nicht ohne Grund hier im hat er wieder Zusatzfragen: Plenum des Bundestages. Kann die Bundesregierung bestätigen, daß die derzeitigen Mietbelastungen bei Bundesdarlehenswohnungen am Bun- Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kast- deswehrstandort Bückeburg — möglicherweise auch in ande- ning, ich habe Ihnen eben zugesagt, daß ich die Ver- ren Bundeswehrstandorten — in vielen Fällen die Angemes- senheitsgrenze nach dem Rundschreiben des Bundesmini- hältnisse in Bückeburg noch einmal im einzelnen sters des Innern vom 28. Januar 1971 — DII 6 — 222 702 — überprüfen möchte, was man innerhalb von vier 1/3, Gemeinsames Ministerialblatt S. 113 in der Fassung vom Tagen eben nicht in dem von Ihnen gewünschten 26. April 1975, — DIII 7 — 222 702 — 1/3, Gemeinsames Mini- Umfang machen kann. Ich werde Ihnen das Ergeb- sterialblatt S. 458 zum § 2 Nr. 1 der Trennungsgeldverord- nung übersteigen, und wenn ja, wie beurteilt sie diesen Tat- nis mitteilen. bestand? Vizepräsident Westphal: Herr Staatssekretär, wir Dr. Jahn; Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kast- haben die beiden Fragesteller der Fragen 34, 35 und ning, das Rundschreiben des Bundesministers des 36, deren Fragen aufgerufen worden waren und die Innern vom 28. Januar 1971 in der geltenden Fas- Sekunden später eingetroffen sind. Ihre Fragen sung von 1975 regelt die Zumutbarkeit von Mieten möchte ich mit Ihrem Einverständnis noch einmal für Wohnungen des freien Marktes, wenn der Be- aufrufen, wenn Sie noch einmal zurückblättern dienstete Trennungsgeld beantragt. Für die Mieten würden. oder die Mietgestaltung von Bundesdarlehenswoh- Ich rufe Frage 34 des Abgeordneten Weinhofer nungen sowie für bereits bestehende Mietverhält- auf: nisse ist dieses Rundschreiben daher ohne Belang. Welche Botschaftsgebäude und Konsulate wurden wäh- Im übrigen ist nach dem zitierten Rundschreiben rend der letzten zehn Jahre mit welchen Kosten errichtet? die Miete für eine Wohnung des freien Marktes nur Bitte schön, Herr Staatssekretär. dann als nicht zumutbar anzusehen, wenn sie — ohne Nebenkosten und Umlagen — 18 % der monat- Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Wein- lichen Bezüge übersteigt und wenn die Miete höher hofer, auf Ihre Frage müßte ich jetzt eine Liste von ist als die Miete für eine am Dienstort neu zu 23 Botschaftsgebäuden oder Konsulaten vorlesen, errichtende angemessene Bundesdarlehenswoh- wo in den letzten Jahren welche Baukosten ange- nung. fallen sind, und an welchen Fertigstellungsdaten. Vorbehaltlich etwaiger Prüfungen im- Einzelfall Ich habe die Liste hier. Wenn Sie einverstanden kann die Bundesregierung nicht bestätigen, daß die sind, werde ich Ihnen diese Liste gleich aushändi- Mieten der Bundesdarlehenswohnungen in Bücke gen. burg oder an anderen Orten diese für Wohnungen des freien Marktes geltende Angemessenheits- Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Wein- grenze übersteigen. hofer.

Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Kast- Weinhofer (SPD): Ich bin einverstanden, Herr ning. Staatssekretär. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 10979

Weinhofer Zuerst möchte ich Ihnen aber Dank sagen, daß gen gesetzlichen Aufgaben und die tatsächliche Ge- Sie meine Fragen noch drangenommen haben. schäftsabwicklung der gemeinnützigen Wohnungs- Ich habe noch eine Zusatzfrage: Könnten Sie mir und Siedlungsunternehmen unter den gegenwärti- Auskunft darüber geben, welche anderen bundesei- gen und künftig zu erwartenden Verhältnissen be- genen Bauten im Ausland — ich denke hier an sondere steuerliche Vergünstigungen für diese Un- Diplomatenwohnungen und an Schulen — in dem ternehmen rechtfertigen. Dabei sollten neben steu- von mir genannten Zeitraum — also in den letzten ersystematischen und steuerpolitischen u. a. auch zehn Jahren — errichtet wurden; und könnten Sie allgemein wirtschaftspolitische, insbesondere wett- mir auch die Bausumme sagen? bewerbspolitische Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Sie werden verste- Die „Unabhängige Kommission" wird ihr Gutach- hen, daß ich diese Frage jetzt in bezug auf die ein- ten in Kürze vorlegen. Ich kann und will diesem zelnen Objekte nicht beantworten kann. Aber ich Gutachten und dem Bericht nicht vorgreifen, den will auch diese Aufstellung für Sie fertigen lassen. der Bundesminister der Finanzen und der Bundes- minister für Raumordnung, Bauwesen und Städte- Vizepräsident Westphal: Weitere Zusatzfrage, Herr bau auf der Grundlage des Gutachtens der Bundes- Weinhofer. regierung zu erstatten haben werden.

Weinhofer (SPD): Können Sie mir dann auch in Vizepräsident Westphal: Herr Dr. Weng, Zusatz- diesem Sinne die Frage 35 beantworten, was die frage, bitte. Auslobung von Fachlosen bezüglich des deutschen Natursteins betrifft? Dr. Weng (Gerlingen) (FDP): Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß das ganz Vizepräsident Westphal: Dann rufe ich jetzt die schön viel Zeit ist für eine solche Kommissionsar- Frage 35 des Abgeordneten Weinhofer auf: beit in Anbetracht der akuten Situation auf dem Wo wurden dabei im Ausbau Fachlose für deutschen und Wohnungsmarkt? ausländischen Naturwerkstein ausgeschrieben, und welches Material wurde dann verarbeitet? Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Weng, eine Neuorientierung der Gemeinnützigkeit ist eine Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Wein- wichtige Aufgabe. Diese Aufgabe muß umfassend hofer, dies ist ja nicht die erste Frage, die Sie in die- vorbereitet werden. Ich glaube, wir sollten es begrü- sem Gesamtzusammenhang im Deutschen Bundes- ßen, daß die Bundesregierung vor Abschluß ihrer tag stellen. Die Vergabe der Bauleistungen und Meinungsbildung unabhängige Gutachter zu Rate Lieferungen fällt in den Zuständigkeitsbereich der zieht. Bundesbaudirektion. Ich habe diese auf Grund Ih- rer Anfrage angewiesen, schriftlich zu allen einzel- Vizepräsident Westphal: Weitere Zusatzfrage, Herr nen Objekten Stellung zu nehmen. Sobald mir diese Dr. Weng. Stellungnahme vorliegt, werde ich Ihnen die ge- wünschten Angaben zuleiten. Dr. Weng (Gerlingen) (FDP): Herr Staatssekretär, Ich darf aber noch einmal an meine Antwort in Sie haben erklärt, in Kürze werde dieser Bericht der Fragestunde vom 8. Februar 1985 erinnern. Dort vorgelegt. Könnten Sie das präzisieren? habe ich ausgeführt, daß bei der Errichtung deut- Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Ich kann dem Gut- scher diplomatischer Vertretungen die Bundesre- achtergremium nicht vorgreifen. Aber nach allem, gierung, soweit dies wirtschaftlich vertretbar und was wir in der Bundesregierung wissen, wird dies mit der Gestaltung der Bauten vereinbar ist, künf- in den nächsten Wochen der Fall sein. tig darauf hinwirken wird, Material zu berücksichti- gen, das in der Bundesrepublik Deutschland vor- Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage des Abgeord- kommt. neten Waltemathe.

Vizepräsident Westphal: Keine Zusatzfrage. Dann Waltemathe (SPD): Herr Staatssekretär, ist das rufe ich die Frage 36 des Abgeordneten Dr. Weng Bundesbauministerium der Auffassung, daß auch auf: in einer sozialen Marktwirtschaft Platz sein muß Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß sich — nach- für einen Wohnungsteilmarkt, an dem sich Unter- dem sich der Wohnungsmarkt in weiten Bereichen von ei- nehmen beteiligen, die nicht profitorientiert sind? nem Angebots- in einen Nachfragemarkt gewandelt hat — die Frage der Gemeinnützigkeit von Wohnungsbauunterneh- men neu stellt? Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Wal- temathe, der Bundesbauminister hat wiederholt öf- Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Weng, fentlich bekundet, daß er am Prinzip der Gemein- der Bundesminister der Finanzen hat im Einver- nützigkeit festhält. nehmen mit dem Bundesminister für Raumord- nung, Bauwesen und Städtebau im März vorigen Vizepräsident Westphal: Wir sind am Ende des Ge- Jahres eine „Unabhängige Kommission zur Prü- schäftsbereichs des Bundesministers für Raumord- fung der steuerlichen Regelungen für gemeinnüt- nung, Bauwesen und Städtebau. Ich danke dem zige Wohnungs- und Siedlungsunternehmen" ein- Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen. gesetzt. Diese Kommission soll gutachtlich vor al- Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- lem zu der Frage Stellung nehmen, ob die derzeiti- ministers des Innern. Zur Beantwortung der Fragen 10980 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Vizepräsident Westphal steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär §§ 51 ff. der Abgabenordnung hat der Bundesmini- Spranger zur Verfügung. ster der Finanzen erklärt, er habe die Finanzmini- Die Fragen 66 und 67 des Abgeordneten Immer ster und Finanzsenatoren der Länder mit Schrei- (Altenkirchen) sollen schriftlich beantwortet wer- ben vom 14. Juli 1983 darauf hingewiesen, daß Ver- den. Die Antworten werden als Anlagen abge- eine, zu deren Zwecken nur oder neben steuerbe- druckt. günstigten Zwecken auch die Förderung von Tradi- tion und Kameradschaft gehört, nach geltendem Ich rufe die Frage 68 des Abgeordneten Kißlinger Recht nicht als gemeinnützig behandelt werden auf: können. Ist die Bundesregierung bereit, im Falle eines Scheiterns der Luxemburger Verhandlungen am 25. Juni 1985 über Ab- Eine Zusatzfrage, Herr gasgrenzwerte unverzüglich durch die Einführung eines Vizepräsident Westphal: Tempolimits zur Verminderung der Schadstoffbelastung der Ströbele. Luft beizutragen? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Ströbele (GRÜNE): Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung des Regierenden Bürgermei- sters von Berlin, der in seinem Schreiben vom Spranger, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- ster des Innern: Herr Kollege Kißlinger, Ihre speku- 13. Juni 1985 an den Vorsitzenden der Jüdischen lative Frage beeinflußt die Bundesregierung in ih- Gemeinde, Herr Galinski, schreibt, daß es sich bei rer Entscheidungsbildung nicht. Entscheidungen dem Treffen in Nesselwang um das Treffen von SS- über die etwaige Einführung weiterer Geschwindig- Angehörigen gehandelt habe, von Ewiggestrigen, keitsbegrenzungen wird die Bundesregierung erst Verblendeten, Böswilligen, die, obgleich sie es bes- nach Abschluß des Großversuchs treffen. ser wissen, Lügen über die Verbrechen der Nazis an jüdischen Mitbürgern verbreiten und die schreckli- chen Vorkommnisse in Auschwitz und anderen Ver- Eine Zusatzfrage, Herr Vizepräsident Westphal: nichtungslagern verharmlosen? Kißlinger. Spranger, Parl. Staatssekretär: Es ist nicht meine Kißlinger (SPD): Herr Staatssekretär, kann die Aufgabe, hier zur Meinung und Ansicht des Herrn Bundesregierung Meldungen des bayerischen Bun- Regierenden Bürgermeisters von Berlin eine Stel- des Umwelt- und Naturschutz bestätigen, wonach lungnahme abzugeben, sondern ich habe Ihre Frage sich auf den Teststrecken des Großversuchs bereits zu beantworten, und das habe ich getan. zwei Drittel aller Autofahrer an das Tempolimit halten, und was spricht dann eigentlich dagegen, (Zuruf von der CDU/CSU: Prima!) sofort ein verbindliches Tempolimit als Notmaß- Eine weitere Zusatzfrage nahme festzulegen? Vizepräsident Westphal: des Abgeordneten Ströbele. Parl. Staatssekretär: Der Bundesregie- Spranger, Ströbele (GRÜNE): Herr Staatssekretär, sind Sie rung sind diese Aussagen nicht bekannt, und des- — ebenfalls mit dem Regierenden Bürgermeister wegen kann die Bundesregierung sie auch nicht be- von Berlin — der Auffassung, man müsse über das, stätigen. was sich in Nesselwang im Mai dieses Jahres getan hat, tiefsten Abscheu empfinden? Vizepräsident Westphal: Keine weiteren Zusatz- fragen. Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich wiederhole Ich rufe Frage 69 des Abgeordneten Ströbele meine Antwort auf Ihre erste Zusatzfrage. auf: Bedeutet die Billigung der Entscheidung der Bayerischen Vizepräsident Westphal: Ich rufe Frage 70 des Ab- Landesregierung, die Traditionsfeiern ehemaliger Mitglieder geordneten Ströbele auf: der Waffen-SS in Nesselwang im Mai 1985 nicht zu verbieten, Unterstellt die Bundesregierung in ihrem Schreiben vom daß die Bundesregierung die Traditionsvereine der Waffen- 7. Juni 1985 an Herrn Heinz Galinski, den Vorsteher der Jüdi- SS für Organisationen hält, die an der Ausgestaltung des schen Gemeinde zu Berlin, er habe sie aufgefordert, NS-Dik- politischen Lebens in der Bundesrepublik Deutschland, als taturmethoden anzuwenden, um mit den Traditionsverbän- gemeinnützig anerkannt und damit öffentlich gefördert, mit- den der Waffen-SS fertig zu werden, und meint sie nicht, daß wirken sollen? der Bundesminister des Innern sich bei Herrn Galinski ent- Bitte schön, Herr Staatssekretär. schuldigen, eine eindeutige Stellungnahme gegen die Tradi- tionsverbände abgeben und gemeinsam mit Bundesminister Dr. Stoltenberg der „HIAG" die Gemeinnützigkeit entziehen Spranger, Parl. Staatssekretär: Der Bundesmini- sollte? ster des Innern hat darauf hingewiesen, daß die Entscheidung den bayerischen Behörden oblag, und Bitte schön, Herr Staatssekretär. hat zur Vermeidung von Mißverständnissen hinzu- gefügt, er sehe keinen Anlaß, sich von der Entschei- Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Galinski hat dung zu distanzieren. Das bedeutet: Dem Bundes- mit Schreiben vom 29. Mai 1985 vom Bundesmini- minister des Innern lagen keine Anhaltspunkte da- ster des Innern ein Einschreiten des Staates gefor- für vor, daß die rechtliche Möglichkeit eines Ver- dert und in diesem Zusammenhang ausgeführt, bots gegeben war. eine langwierige gerichtliche Beweisführung würde Zur Frage der Anerkennung von Truppenkame- mehr schaden als nutzen. radschaften ehemaliger Angehöriger der Waffen- Mit Schreiben vom 5. Juni 1985 hat der Bundes- SS als steuerbegünstigt/gemeinnützig im Sinne der minister des Innern Herrn Galinski darauf hinge- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 10981

Parl. Staatssekretär Spranger wiesen, daß ein Einschreiten des Staates im Unter- Ich glaube, Herr Kollege Waltemathe, daß der von schied zu den Verhältnissen unter der NS-Diktatur mir zitierte Schriftwechsel diese Frage Nesselwang oder in anderen totalitären Staaten nur dann mög- und Hintergrund ausreichend beantwortet hat. lich ist, wenn die vom Gesetz geforderten Voraus- setzungen für derartige Maßnahmen vorliegen und Vizepräsident Westphal: Wir kommen zur Frage 71 gerichtsverwertbar nachweisbar sind. des Abgeordneten Gilges: Eine Unterstellung der in der Frage genannten Ist der Bundesregierung die Äußerung des NPD-Landes- vorsitzenden Heinz Schimmerohn bekannt, daß auf Grund Art enthält das Schreiben nicht. Der Bundesmini- der „räumlichen Nähe" zum „Deutschlandtreffen der Schle- ster des Innern sieht daher auch keinen Grund, sich sier" in Hannover die NPD zum gleichen Zeitpunkt ihren bei Herrn Galinski zu entschuldigen. Bundesparteitag in Stadthagen (Kreis Schaumburg) durch- führte, weil „eine große Anzahl Mitglieder und Freunde der Eine Zusatzfrage, Herr Partei sowieso in Hannover" sei, und wenn ja, welche Er- Vizepräsident Westphal: kenntnisse besitzt die Bundesregierung über die Teilnahme Ströbele. von NPD-Mitgliedern am „Deutschlandtreffen der Schle- sier"? Ströbele (GRÜNE): Herr Staatssekretär, sind Sie Bitte sehr, Herr Staatssekretär. mit mir der Meinung, daß es zumindest eine gren- zenlose Geschmacklosigkeit ist, den Vorsitzenden Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gil- der Jüdischen Gemeinde, Herrn Galinski, in einem ges, die in der Frage wiedergegebene Äußerung des Schreiben an ihn mit Methoden der NS-Diktatur in NPD-Landesvorsitzenden ist der Bundesregierung Zusammenhang zu bringen? nicht bekannt.

Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich weiß nicht, Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Gilges. wessen Meinung Sie hier zitieren, aber ich teile diese Meinung nicht. Gilges (SPD): Herr Staatssekretär, diese Aussage war in einer Zeitung, in einer Regionalzeitung — Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage von ich glaube, es waren die „Schaumburger Nachrich- Herrn Ströbele. ten" — abgedruckt. Diese Zeitung ist ja der Bundes- regierung auch zugänglich. Hätte die Bundesregie- Ströbele (GRÜNE): Herr Staatssekretär, sind Sie rung nicht Zeit gehabt, vom Zeitpunkt des Treffens der Meinung, daß Sie meine eben gestellte Frage bis zum heutigen Tag einmal nachzuprüfen, in wel- beantwortet haben? chem Zeitungsarchiv diese Aussage auftaucht? Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe Ihnen Zweitens. Was mir viel wichtiger zu sein scheint, eine Antwort erteilt, wie sie Ihre Frage nahezu ist ja die Frage nach den Erkenntnissen im zweiten automatisch veranlaßt hat. Teil meiner Frage 71. Weil das nicht beantwortet worden ist, frage ich hier noch einmal nach: Herr Vizepräsident Westphal: Eine Zusatzfrage des Ab- Staatssekretär, gibt es Erkenntnisse der Bundesre- geordneten Mann. gierung über die Teilnahme von NPD-Mitgliedern am Deutschlandtreffen der Schlesier? Der Verfas- Mann (GRÜNE): Herr Staatssekretär, sind Sie sungsschutz und andere Staatsschutzorgane haben nicht der Auffassung, daß die Art und Weise, auf die ja auf Grund der Beobachtung der NPD Kenntnis Sie hier die Fragen beantworten oder nicht beant- davon gehabt, daß Mitglieder der NPD an dem worten, genau die Gefahr schafft, die wir im Rah- Deutschlandtreffen der Schlesier teilnehmen woll- men der langen Diskussionen über das 21. Straf- ten. rechtsänderungsgesetz immer wieder dadurch ver- mittelt bekommen haben, daß uns vorgehalten wird, Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gil- hier werde eine Aufrechnungsmentalität sichtbar? ges, der letzte Teil Ihrer Frage 71 ist im Grunde noch einmal in der Frage 72 enthalten. Wenn Sie Spranger, Parl. Staatssekretär: Diese Auffassung einverstanden sind, gebe ich Ihnen gern in der Ant- teile ich nicht. wort zur Frage 72 auch die Antwort zum zweiten Teil der Frage 71. Zusatzfrage des Abgeord- Vizepräsident Westphal: Zu Ihrer ersten Frage nach der Quelle: Es wäre neten Waltemathe. für uns hilfreich gewesen, diese Fundstelle benannt zu bekommen. Wir haben jedenfalls bisher — ohne Waltemathe (SPD): Herr Staatssekretär, sind Sie im nachhinein betrachtet zu dem Treffen in Nessel- Ihren Hinweis auf die Fundstelle — keine Informa- wang politisch der Auffassung, daß die innere Si- tionen über eine solche Erklärung des NPD-Landes- cherheit, mindestens aber der innere Frieden in der vorsitzenden gehabt. Bundesrepublik durch solche Treffen beeinträchtigt Vizepräsident Westphal: Weitere Zusatzfrage, Herr wird? Gilges. Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gilges (SPD): Aber diese Aussage mit der „räum- Mann — — lichen Nähe" ist auch in den „Stuttgarter Nachrich- (Waltemathe [SPD]: Waltemathe ist mein ten" erschienen. Ich gebe Ihnen damit jetzt eine Name!) zweite Zeitung bekannt. Des weiteren ist diese Aus- — Entschuldigung; ich bitte wirklich um Entschul- sage in der Tendenz auch in der „Frankfurter Rund- digung. schau" erschienen, und zwar in der Ausgabe vom 10982 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 Gilges 3. Juni. In den „Stuttgarter Nachrichten" ist die Aus- Vizepräsident Westphal: Jetzt habe ich noch eine sage in der Ausgabe vom 29. Mai abgedruckt ge- Zusatzfrage zur Frage 71, das ist die Zusatzfrage wesen. von Herrn Ströbele. Herr Staatssekretär, es muß bei der Größe des Verfassungsschutzapparates, den wir haben und Ströbele (GRÜNE): Herr Staatssekretär, ist der den ich auch kenne, weil er in meinem Wahlkreis Eindruck beabsichtigt, den Sie hier in diesem beheimatet ist, doch möglich sein, daß man dort Hause erwecken, daß Sie und Ihr Ministerium auch Zeitungen liest; noch dazu so einschlägige Zei- durch die ausweichende Beantwortung dieser Fra- tungen wie die „Stuttgarter Nachrichten" und die gen im Hohen Hause gewisse Sympathien für Orga- „Frankfurter Rundschau" oder auch die „Schaum nisationen wie NPD oder Waffen-SS an den Tag burger Nachrichten"; ich glaube, die heißen so oder legen? so ähnlich. Spranger, Parl. Staatssekretär: Dieser Eindruck Spranger, Parl. Staatssekretär: Es tut mir ist völlig falsch, weil wir keiner Frage zum Bereich leid — — des politischen Extremismus ausweichen.

Gilges (SPD): Ich kann noch die Zusatzfrage stel- Vizepräsident Westphal: Der Abgeordnete Walte- len, ob in Ihrem Haus nur der „Bayernkurier" gele- mathe hat noch eine Zusatzfrage. sen wird. Waltemathe (SPD): Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie auf Grund von Er- Spranger, Parl. Staatssekretär: Die letzte ist si- kenntnissen der dafür zuständigen Dienste zwar cherlich eine sehr wichtige und nützliche Zeitung. wissen, wer an Ostermärschen teilnimmt, aber kei- Jetzt noch einmal speziell auf Ihre Frage geant- nerlei Kenntnis darüber besitzen, wer an Schlesier- wortet: Ich habe nur wiederzugeben, was die von treffen teilnimmt, obwohl in der „Frankfurter Ihnen zitierten Sicherheitsbehörden dem BMI mit- Rundschau" vom 3. Juni 1985 ein Zweispalter mit geteilt haben. Ich bin gern bereit, die Sicherheitsbe- der großen Überschrift „NPD nutzt Schlesiertref- hörden auf Ihre Kritik aufmerksam zu machen. fen" steht?

Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage des Abgeord- Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Wal- neten Mann. temathe, Sie haben immer noch nicht verstanden, daß die Frage 71 einen ganz bestimmten Punkt an- Mann (GRÜNE): Ja, Herr Staatssekretär, wir sind geschnitten hat, den ich zu beantworten hatte, und gespannt, wie Sie dieser Anregung folgen werden. daß der Punkt, den Sie jetzt anschneiden, die Frage 72 betrifft. Ich bin bereit, bei der Frage 72 darauf Vizepräsident Westphal: Sie müssen fragen, Herr einzugehen. Mann. Vizepräsident Westphal: Und dazu kommen wir Mann (GRÜNE): Aber ich frage Sie: Steht nicht jetzt. Es ist die Frage 72 des Herrn Abgeordneten Ihr Verhalten, was diesen NPD-Parteitag betrifft, Gilges: z. B. in einem merkwürdigen Gegensatz zu der Ob- Besitzt die Bundesregierung Erkenntnisse, wonach die servierung der Friedensbewegung? Wir hatten j a NPD das „Deutschlandtreffen der Schlesier" genutzt hat, um vor einigen Wochen Gelegenheit, Sie dazu zu befra- unter den Teilnehmern für die Ziele der Partei zu werben? gen. Und meinen Sie nicht, daß dies zu der Vermu- Bitte schön, Herr Staatssekretär. tung Anlaß gibt, hier würde von Ihrem Ministerium Herr Abgeordneter Gilges, Ihre Frage ist dran. bzw. von dem Ihnen unterstehenden Verfassungs- schutzamt einäugig — in der Tat einäugig — vorge- (Mann [GRÜNE]: Ich hatte noch zu Frage gangen? 71 eine Frage!) Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gil- Vizepräsident Westphal: Augenblick, Herr Staats- ges, die NPD terminierte ihr Deutschlandtreffen in sekretär! Es fällt mir schwer, zu der Frage 71 einen Stadthagen so, daß die Mitglieder der NPD in Han- Zusammenhang herzustellen. Aber ich will es Ih- nover unter den Teilnehmern des Schlesiertreffens nen gern überlassen, ob Sie darauf antworten wol- len. Werbematerial verteilen konnten. Es handelte sich dabei um eine eigens gedruckte Sondernummer des (Mann [GRÜNE]: Die Einäugigkeit ist sehr NPD-Parteiorgans „Deutsche Stimme", Flugblätter naheliegend!) und Ansteckplaketten mit dem Aufdruck „Ein Herz für Deutschland". Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr -Mann, Sie stellen hier Zusammenhänge her, die aus der Be- Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Gilges. antwortung der ersten Frage nicht herzustellen sind. Ich habe die erste Frage daraufhin beantwor- Gilges (SPD): Herr Staatssekretär, welche Maß- tet, ob mir eine Äußerung bestimmter Art bekannt nahmen wurden dann unternommen — u. a. von ist. Ich habe mich zum NPD-Parteitag und zu ähnli- den Organisatoren des Schlesiertreffens —, um der chen Dingen nicht geäußert. Ich habe ausdrücklich NPD diese Möglichkeit zu nehmen, und zweitens: darauf hingewiesen, daß ich das zu Frage 72 tun Können Sie mal qualifizieren, wie viele NPD-Mit- werde. glieder an diesem Schlesiertreffen, insbesondere an Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 10983

Gilges der Kundgebung teilgenommen haben, bei der der Trifft die Darstellung im 6. Tätigkeitsbericht des Landes- Bundeskanzler dieser Republik geredet hat? beauftragten für den Datenschutz von Nordrhein-Westfalen (S. 53 ff.) zu, daß das Bundeskriminalamt im Herbst 1983 von einer nordrhein-westfälischen Kreispolizeibehörde Daten Spranger, Parl. Staatssekretär: Staatliche Behör- über Personen, die an Demonstrationen friedlich teilgenom- den und Veranstalter können nur dann etwas unter- men haben, erhalten und in der Datei „Lage 1" gespeichert hat, und welche Konsequenzen in bezug auf Löschung, wei- nehmen, wenn rechtliche Bestimmungen verletzt tere Nutzung und Verarbeitung dieser Daten auf Bundes- wurden. Das ist bei dem Verteilen offensichtlich ebene zieht die Bundesregierung aus der vom nordrhein nicht der Fall gewesen. Was die Teilnahme anlangt, westfälischen Datenschutzbeauftragten in seinem Bericht so ist festzustellen, daß nach den Erkenntnissen der dargelegten Unzulässigkeit der Weitergabe der personenbe- Sicherheitsbehörden einzelne NPD-Mitglieder am zogenen Daten der Betroffenen an das Bundeskriminalamt? Schlesiertreffen teilgenommen haben. Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Spranger, Parl. Staatssekretär: Die beiden im Vizepräsident Westphal: Weitere Zusatzfrage, Herr Sechsten Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten Abgeordneter Gilges. für den Datenschutz Nordrhein-Westfalen — Seiten 53 ff. — angesprochenen Fälle hat bereits der Bun- (SPD): Ich will jetzt noch einmal genauer Gilges desbeauftragte für den Datenschutz in seinem Be- fragen, Herr Staatssekretär. Ich möchte wissen, wie richt vom 24. Februar 1984 über das Ergebnis seiner hoch die Zahl der Teilnehmer an dem Schlesiertref- Prüfung der Datei „Lage 1" aufgegriffen. Auch der fen war, die Mitglieder der NPD sind bzw. die zu Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat die diesem Dunstkreis des Rechtsradikalismus gehö- Speicherung dieser beiden Fälle als unzulässig an- ren. gesehen. Der Bundesminister des Innern hat nach Prüfung der Angelegenheit in seiner Stellung- Spranger, Parl. Staatssekretär: Es gibt meines nahme gegenüber dem Bundesbeauftragten für den Wissens keine sicheren Erkenntnisse, auf Grund Datenschutz mitgeteilt, daß die erfolgten Speiche- deren Ihnen numerisch exakt Rechnungen oder rungen nicht den durch die Errichtungsanordnung Zahlen genannt werden können. Ich muß mich dar- festgelegten Erfassungsvoraussetzungen entspro- auf beschränken, zu sagen, daß es einzelne NPD- chen haben. Der gesamte Datenbestand der Datei Mitglieder waren, die an diesem Schlesiertreffen „Lage 1" ist am 29. Februar 1984 physikalisch ge- teilgenommen haben. löscht worden. Das gilt auch für die in Rede stehen- den Daten, so daß sich die Frage nach ihrer weite- Vizepräsident Westphal: Herr Mann, Sie wollten ren Nutzung nicht mehr stellt. zu Frage 72 eine Zusatzfrage stellen? (Mann [GRÜNE]: Nein, zu 71!) Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Dr. — Nein, das geht nicht. Hirsch. Dr. Hirsch (FDP): Herr Staatssekretär, können Sie (Mann [GRÜNE]: Doch, ich hatte mich die mir sagen, unter welchen Voraussetzungen nach ganze Zeit gemeldet!) der Errichtungsanordnung der Datei „Lage 1" Per- — Sie haben ja schon eine gehabt. Bei allem Wohl- sonen in dieser Datei erfaßt wurden? wollen! Parl. Staatssekretär: Herr Kollege (Mann [GRÜNE]: Habe ich nur eine?) Spranger, Hirsch, ich habe jetzt diese Errichtungsanordnung — Ein Blick in die Geschäftsordnung macht immer nicht hier. Aber da es sich hier um zwei Fälle han- klüger. delt, die beanstandet wurden, gehe ich davon aus, (Mann [GRÜNE]: Vielen Dank. Ich denke, daß es nicht mehr waren, mit der Konsequenz, daß es paßt auch noch zu 72!) die richtigen Folgerungen aus dieser fehlsamen — Dies ist Ihr Recht. Bitte schön. Speicherung gezogen wurden. Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Dr. Mann (GRÜNE): Vielen Dank. — Herr Staatsse- Hirsch. kretär, beabsichtigen Sie auf Grund der heutigen Fragestunde zu diesem Punkt, die Ihnen nachge- Dr. Hirsch (FDP): Herr Staatssekretär, es handelte ordneten Verfassungsschutzämter anzuhalten, sich sich in beiden Fällen um Personen, die an einer stärker aus allgemein zugänglichen Quellen zu in- Autostraße in einem Fall ein Transparent und im formieren wie aus der „Frankfurter Rundschau", anderen Fall ein Schild gezeigt hatten, mit denen den „Stuttgarter Nachrichten", vielleicht auch sie sich gegen den Nachrüstungsbeschluß wende- manchmal, wenn da eine wichtige Veranstaltung ten, und die von der Polizei ermittelt wurden, weil stattfindet, der „Schaumburger Zeitung" oder- wie sie nach Auffassung der Polizei, die von der Staats- sie heißt? anwaltschaft nicht bestätigt wurde, damit in die Si- cherheit des Straßenverkehrs eingriffen: Halten sie Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich werde gerne es für sachgerecht, Personen dieses Zuschnitts in überprüfen lassen, ob es hier Informationsdefizite einer Datei deswegen zu erfassen, weil sie solche vorwerfbarer Art gab. Schilder oder Transparente zeigen?

Vizepräsident Westphal: Wir kommen zur Frage 73 Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. des Abgeordneten Dr. Hirsch: Hirsch, ich glaube, die Entscheidung des Innenmi- 10984 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Parl. Staatssekretär Spranger nisters, verbunden mit der physikalischen Vernich- Bitte schön, Herr Staatssekretär. tung dieser Datei, hat die richtige Antwort gege- ben. Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordne- ter Mann, ich wäre Ihnen dankbar, wenn ich beide Vizepräsident Westphal: Ich rufe die Frage 74 des Fragen gemeinsam beantworten dürfte. Abgeordneten Dr. Enders auf: (Mann [GRÜNE]: Bitte sehr!) Kann die Bundesregierung Auskunft darüber geben, ob die Bundesbehörden nach verbindlichen Gesichtspunkten die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften gestalten, oder Vizepräsident Westphal: Dann rufe ich auch die kann ein einzelner Bundesgrenzschutz-Kommandeur nach Frage 76 des Herrn Abgeordneten Mann auf: eigenem Ermessen sein Verhalten zu der Arbeitnehmerver- Wie beurteilt die Bundesregierung die Abschiebung der tretung bestimmen? genannten Palästinenser nach Beirut in einer Situation, in Bitte schön, Herr Staatssekretär. der Palästinenser von Amal-Milizen gejagt, beschossen und ermordet werden und in der gerade auch am und in der Nähe Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. des Flugplatzes Beirut heftige Kämpfe tobten und von stand- Spranger, rechtlichen Erschießungen von Palästinensern durch Amal Enders, verbindliche Regelungen für die Zusam- Milizen auf dem Flughafen Beirut berichtet wurde? menarbeit der BGS-Kommandeure mit den Ge- Bitte schön. werkschaften sind im Bundespersonalvertretungs- gesetz enthalten. Danach haben der Leiter der Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Entscheidung Dienststelle und der Personalrat auch im Zusam- über die Abschiebung von Ausländern fällt in die menwirken mit den in der Dienststelle vertretenen Zuständigkeit der Länder und unterliegt nicht der Gewerkschaften insbesondere den Grundsatz der Beurteilung der Bundesregierung. vertrauensvollen Zusammenarbeit zu beachten. Das Auswärtige Amt hat von der Botschaft in Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Dr. Beirut einen Bericht angefordert, der auch die von Enders. Ihnen gestellten Fragen über den Verbleib der Ab- geschobenen umfassen soll. Der Bericht liegt noch Dr. Enders (SPD): Herr Staatssekretär, welche nicht vor. Handhabe hat die Bundesregierung, um sicherzu- stellen, daß dann, wenn diese vertrauensvolle Zu- Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Mann. sammenarbeit nicht besteht, die Vorgänge unter- sucht und geahndet werden? Mann (GRÜNE): Nein, keine Zusatzfrage, wenig- stens im Moment nicht. Spranger, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Enders, wir haben in dieser Sache schon eine um- Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage des Abgeord- fangreiche Diskussion und einen Schriftwechsel ge- neten Ströbele. habt. Der Sachstand ist im Vergleich zu den Ant- worten, die ich Ihnen schon vor einigen Monaten Ströbele (GRÜNE): Herr Staatssekretär, was hat geben mußte, zwar fortgeschrittener, aber nicht ent- die Bundesregierung auf mein Schreiben vom scheidend verbessert worden. Wir haben am 7. Juni 1985 hin unternommen, in dem ich die Bun- 13. Juni mit den Beteiligten im BMI entsprechende desregierung — in eiligem Fernschreiben — darauf Gespräche geführt. Ich bin gern bereit — ich weiß hingewiesen habe, daß drei Personen, Palästinen- nicht, ob Sie darüber informiert sind —, Sie darüber ser, auf dem Wege nach Beirut seien und dort von zu informieren, und verleihe der Hoffnung Aus- den Amal-Milizen am Flughafen erwartet würden? druck, daß man doch zu einer vernünftigen Lösung kommt. Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordne- ter Ströbele, ich habe hier Fragen des Abgeordne- Vizepräsident Westphal: Weitere Zusatzfrage, Herr ten Mann zu beantworten. Das von Ihnen zitierte Dr. Enders. Schreiben lag mir bei der Formulierung der Ant- wort auf die Fragen des Herrn Abgeordneten Mann Dr. Enders (SPD): Herr Staatssekretär, seien Sie gewiß, daß auch von mir aus die unbedingte Hoff- nicht vor. nung besteht, daß in diesem kritischen Falle end- (Ströbele [GRÜNE]: Das Schreiben lich Ruhe eintritt; denn das ist sehr zum Nachteil ist — —!) für den Bundesgrenzschutz. Vizepräsident Westphal: Augenblick! Sie haben die Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Tatsache, daß Möglichkeit einer zweiten Zusatzfrage, weil zwei wir intensiv im Gespräch sind, macht deutlich, daß Fragen zusammen beantwortet werden. Wenn Sie auch Ihnen an einer vernünftigen Konfliktlösung das tun wollen, tun Sie das gleich! gelegen ist. - Ströbele (GRÜNE): Ja. Herr Staatssekretär, in der Vizepräsident Westphal: Ich rufe die Frage 75 des Frage des Kollegen Mann ist mein Schreiben vom Herrn Abgeordneten Mann auf: 7. Juni 1985 erwähnt. Sie können doch nicht sagen, Was hat die Bundesregierung unternommen, um die am Sie haben es nicht gekannt. Darauf wird in der 7. Juni 1985 aus Berlin (West) nach Beirut abgeschobenen Frage Bezug genommen. vier Menschen — darunter der 17jährige Jahad Atris und die erst 15jährige Kaldar Renard — zu schützen, und was ist der Bundesregierung über das Schicksal der abgeschobenen Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, daß ich Menschen bekannt, insbesondere, ob sie noch leben? hier Antworten nur auf Fragen des Abgeordneten Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 10985

Parl. Staatssekretär Spranger Mann zu geben habe. Ich kann Ihr Schreiben nicht Vizepräsident Westphal: Ich gehe davon aus, daß einbeziehen. es zur Zeit keine Zusatzfrage gibt. (Abg. Mann [GRÜNE] meldet sich zu einer (Mann [GRÜNE]: Doch! Ich habe gedrückt! Zusatzfrage) Die zweite Zusatzfrage!) — Okay, gut. Herr Abgeordneter Mann. Vizepräsident Westphal: Nun geht es nicht mehr. Ich habe keine weiteren Zusatzfragen. Mann (GRÜNE): Herr Staatssekretär Spranger, Wir kommen zur Frage 77. meinen Sie nicht, daß gerade nach dem schreckli- (Widerspruch des Abg. Mann [GRÜNE]) chen Fall Kemal Altun keinesfalls Kompetenzab- grenzungen, welcher Art auch immer — etwa zwi- — Also, Herr Mann, Sie hatten mir geantwortet, Sie schen den Ländern und dem Bund oder dem Aus- hätten keine Zusatzfrage. wärtigen Amt und dem Innenministerium —, in (Mann [GRÜNE]: Ich habe gesagt: Ich derartigen Fällen zu Lasten von Menschen gehen möchte dem Kollegen Ströbele, der sich dürfen, und halten Sie nicht aus diesem Grund die vorrangig um die Frage gekümmert hat, bürokratischen Verfahren für dringend verbesse- den Vortritt lassen!) rungsbedürftig — wenn Ihnen dieses Schreiben — Also, ich will mir gern Rat einholen, wie wir nicht bekannt gewesen ist? sonst verfahren. — Es ist möglich. Sie haben Zu- satzfragen. Bitte schön, Herr Mann. Spranger, Parl. Staatssekretär: Der Auffassung, die Sie im ersten Teil Ihrer Frage äußern, stimme Mann (GRÜNE): Herr Staatssekretär, da Ihnen j a ich zu. Das ändert nichts daran, daß der Bund sich nun bekannt ist, daß dieses Schreiben des Kollegen nicht über Zuständigkeiten der Länder gegen deren Ströbele vom 7. Juni vorgelegen hat: War Ihnen das Willen hinwegsetzen kann. bekannt? Ich glaube, ich habe Sie richtig verstan den: Es war Ihnen nicht bekannt. Was sind Sie Vizepräsident Westphal: Jetzt habe ich noch eine bereit zu unternehmen, damit in Zukunft in derarti- Zusatzfrage des Abgeordneten Vogel (München). gen Fällen der Informationsfluß innerhalb der Re- gierung so organisiert wird, daß bei Gefahr für Leib Vogel (München) (GRÜNE): Herr Staatssekretär, und Leben — darum geht es hier ja — die notwen- ich würde gern wissen, ob Ihnen der geschilderte digen Maßnahmen getroffen werden können, zumal Sachverhalt bekannt ist, daß Palästinenser nach — damit bin ich am Ende — es hier ja im Grund Beirut abgeschoben und dort am Flughafen von genommen um Kinder geht, die in den Libanon ver- Amal-Milizen in Empfang genommen und abtrans- bracht worden sind, und Art. 6 des Grundgesetzes portiert wurden? — ich glaube, das werden Sie mir voll bestätigen — ein sehr hohes Gut ist? Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe diesen Sachverhalt der Fragestellung entnommen. Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Mann, ich weise noch einmal darauf hin, daß die Vizepräsident Westphal: Wir kommen zur Frage 77 Frage der Abschiebung von Ausländern eine Sache des Abgeordneten Waltemathe: der Zuständigkeit der Länder ist. Schließen es die geltenden bundesrechtlichen Daten- (Ströbele [GRÜNE]: Der Bundesregierung schutzbestimmungen aus, daß der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes Auskünfte über das Schicksal von NS-Opfern nicht?) (außer an Angehörige dieser Opfer) erteilt, so daß für Wis- Der Innenminister hat in diesem Fall keine Kompe- senschaft und Forschung immer größere Lücken entstehen, tenzen. Soweit die Bundesregierung hier Kompe- und wenn ja, müssen unter diesen Umständen nicht die gel- tenden Regelungen geändert werden? tenz hat, hat sie sich über das Auswärtige Amt an die Botschaft gewandt, um Auskunft zu erhalten. Bitte schön, Herr Staatssekretär. Diese liegt noch nicht vor. Sobald diese vorliegt, werden wir sie Ihnen und auch Herrn Abgeordne- Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Wal- ten Ströbele zugänglich machen. temathe, der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes hat keine Unterlagen über NS-Opfer. Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage des Abgeord- Die von Ihnen aufgeworfene Frage einer Ände- neten Vogel (München). rung des Datenschutzrechts des Bundes stellt sich demnach nicht. Vogel (München) (GRÜNE): Herr Staatssekretär, soweit ich weiß, gibt es Innenministerkonferenzen Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Walte- zwischen dem Bundesinnenminister und den Lan- mathe. desinnenministern. Wäre diese Abschiebung- von Palästinensern bei der derzeitigen Situation in Bei- Waltemathe (SPD): Herr Staatssekretär, darf ich rut nicht ein Punkt, der dort von seiten der Bundes- Ihrer Antwort entnehmen, daß der Suchdienst des regierung mal angesprochen werden könnte? Roten Kreuzes dann gegebenenfalls über die Daten von NS-Tätern verfügt und daß es für die Erfor- Spranger, Parl. Staatssekretär: Diese Themen schung der NS-Zeit aus geschichtlichen Gründen, werden natürlich immer wieder angesprochen. aus Dokumentationsgründen gleichwohl wichtig Aber das ändert nichts an der Zuständigkeit, die bei wäre, Angaben von diesem Suchdienst in Arolsen, den Ländern liegt. wie er früher bestanden hat, zu erhalten? 10986 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Spranger, Parl. Staatssekretär: Diese Sammlung Grüner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister in Arolsen beschäftigt sich nicht mit NS-Tätern, für Wirtschaft: Herr Kollege, das Bundesamt für sondern mit NS-Opfern. Das ist keine Anstalt des gewerbliche Wirtschaft hat für den Export von Mi- Roten Kreuzes, sondern das wird beim Internatio- litärhubschraubern der genannten MBB-Typen nalen Suchdienst aufbewahrt. nach Südafrika keine Genehmigung erteilt. (Waltemathe [SPD]: Danach hatte ich ge fragt!) Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Walte- mathe. — Nein, Sie hatten gefragt, Herr Kollege, ob der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes Unterla- Waltemathe (SPD): Herr Staatssekretär, wenn das gen über NS-Opfer führt. so ist, wie erklären Sie es sich dann, daß nach Berichten südafrikanischer Zeitungen vier Militär- Vizepräsident Westphal: Weitere Zusatzfrage des hubschrauber BO 105 und ein Militärhubschrauber Abgeordneten Waltemathe. BK 117 nach Südafrika geliefert worden sind und der südafrikanische Polizeiminister Le Grange er- Waltemathe (SPD): Ich gebe zu, daß das falsch for- klärt hat, daß die deutschen Hubschrauber bei der muliert war, daß tatsächlich der Internationale Bekämpfung innerer Unruhen eingesetzt werden Suchdienst gemeint ist. Jetzt wiederhole ich meine sollen, während die Militärhubschrauber selbst von schriftlich gestellte Frage in der Form des Interna- den Herstellerfirmen als Militärhubschrauber be- tionalen Suchdienstes. zeichnet werden, also einer Exportgenehmigung be- dürften? Spranger, Parl. Staatssekretär: Der Internationale Suchdienst ist eine unter Leitung und Verwaltung Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz habe für solche Meldungen, deren Richtigkeit ich stehende, vom Bund finanzierte zwischenstaatliche nicht nachprüfen und auch nicht bestätigen kann, Einrichtung. Bei ihren Auskünften unterliegt sie keinerlei Erklärung. Die Firma MBB hat uns aus- demzufolge weder bundes- noch landesrechtlichen drücklich bestätigt, daß keine Militärhubschrauber Datenschutzvorschriften. Die Zulässigkeit perso- nach Südafrika geliefert worden sind, und das ist nenbezogener Auskünfte aus den Unterlagen des auch selbstverständlich, weil das hätte genehmigt Internationalen Suchdienstes richtet sich allein werden müssen und nicht genehmigt worden wäre. nach den im Zusammenhang mit dem Deutschland Vertrag von 1955 abgeschlossenen völkerrechtli- Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage, Herr Walte- chen Verträgen. mathe.

Vizepräsident Westphal: Wir sind damit am Ende Waltemathe (SPD): Kann man also aus Ihrer jetzt des Geschäftsbereichs des Bundesministers des In- gegebenen Antwort schließen, daß Militärhub- nern. Ich danke dem Staatssekretär für die Beant- schrauber deutscher Hersteller, die in Südafrika wortung der Fragen. eintreffen, von Deutschland nicht exportiert worden sind, also auch nicht zum Export freigegeben wor- Den Geschäftsbereich des Bundesministers der den sind? Justiz brauche ich nicht aufzurufen, da die Frage 78 des Abgeordneten Clemens und die Fragen 79 und Grüner, Parl. Staatssekretär: Das kann man mit 80 des Abgeordneten Bachmaier schriftlich beant- Sicherheit daraus schließen. Ich möchte hinzufü- wortet werden sollen. Die Antworten werden als gen, daß bei der Eigentümlichkeit der Nachrichten, Anlagen abgedruckt. die in diesem Zusammenhang kolportiert werden, Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- auch die Gefahr von Verwechslungen zwischen zivi- ministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung der len Hubschraubern und militärischen Hubschrau- Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär bern nicht ausgeschlossen werden kann. Klar ist Herr Grüner zur Verfügung. jedenfalls, daß nicht geliefert wurde, daß keine Ge- Die Frage 81 der Abgeordneten Frau Simonis soll nehmigung erteilt worden ist und daß auch keine schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird Genehmigung erteilt worden wäre, wenn sie bean- als Anlage abgedruckt. tragt worden wäre. Wir kommen zur Frage 82 des Abgeordneten Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage der Abgeord- Würtz, der nicht im Raum ist. Das wird entspre- neten Frau Borgmann. chend der Geschäftsordnung behandelt. Ich rufe die Frage 83 des Abgeordneten Walte- Frau Borgmann (GRÜNE): Könnten Sie mir bitte mathe auf: sagen, wie die Bundesregierung den Unterschied Hat das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft- den Export zwischen einem militärischen und einem zivilen von vier Militärhubschraubern Typ BO 105 und einem weite- Hubschrauber definiert? ren Militärhubschrauber Typ BK 117 nach Südafrika trotz des UNO-Rüstungsembargos gegen Südafrika und trotz ent- Grüner, Parl. Staatssekretär: Zivilhubschrauber gegenstehender Rüstungsexportbestimmungen der Bundes- republik Deutschland mit Billigung der Bundesregierung ge- würden ihre Zivileigenschaft verlieren, wenn sie nehmigt, gegebenenfalls mit welcher (Ausnahme-) Begrün- durch spezielle Waffenträger und bestimmte mili- dung? tärische Zusatzausrüstungen bestückt würden und damit Eigenschaften von Hubschraubern erhielten, Bitte schön, Herr Staatssekretär. die speziell für militärische Zwecke konstruiert Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 10987

Parl. Staatssekretär Grüner sind. In diesem Fall wäre eine Ausfuhrgenehmi- — dieses Demonstrationsrecht noch vor der Som- gung notwendig, die nicht erteilt würde. merpause durchzupeitschen. (Zuruf von der CDU/CSU: Ist auch Vizepräsident Westphal: Zusatzfrage des Abgeord- wichtig!) neten Gilges. Vizepräsident Westphal: Gibt es weitere Wortmel- Gilges (SPD): Herr Staatssekretär, ist denn dem dungen zur Geschäftsordnung? — Das ist nicht der Wirtschaftsministerium bekannt, daß Hubschrau- Fall. ber der Firma MBB an die Republik Südafrika Dann lasse ich über den Geschäftsordnungsan- zwecks ziviler Nutzung — u. a. auch für Polizeiein- trag abstimmen, wonach die Aktuelle Stunde für satz — geliefert worden sind und die Möglichkeit eine bis jetzt unbestimmte Zeit ausgesetzt werden besteht, diese Hubschrauber auch für eine militä- soll. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den rische Nutzung umzubauen? bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! Enthaltungen? — Die Mehrheit hat entschieden, Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Firma MBB hat daß wir die Aktuelle Stunde jetzt durchführen. keine Ausfuhrbeschränkungen bei zivilen Hub- schraubern. Ich kann keine Auskunft darüber ge- Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf: ben, weil das nicht gefragt worden ist. Sie können die Auskunft aber sicher auch von der Firma MBB Aktuelle Stunde bekommen, ob zivile Hubschrauber nach Südafrika 3. Überprüfungskonferenz des Nichtverbrei- geliefert worden sind. tungsvertrages vom 27. August bis 20. Sep- tember 1985 in Genf Vizepräsident Westphal: Eine letzte Zusatzfrage Die Fraktion der SPD hat gemäß Nr. 1 c der An- des Abgeordneten Vogel (München). lage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt. Vogel (München) (GRÜNE): Herr Staatssekretär, Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Ab- ist der Bundesregierung bekannt, daß die Herstel- geordnete Verheugen. lerfirma MBB in der Hauszeitung „MBB aktuell" im März 1980 darauf hingewiesen hat, daß auch der Hubschrauber BK 117 für militärische Zwecke kon- Verheugen (SPD): Herr Präsident! Meine Damen zipiert ist? und Herren! Wenn es der noch nicht anwesenden Bundesregierung mit einer neuen Phase der Ent- spannungspolitik ernst ist Grüner, Parl. Staatssekretär: Ja, das ist bekannt. Durch eine entsprechende militärische Zusatzaus- (Staatsminister Möllemann begibt sich zur rüstung wird aus einem zivilen Hubschrauber ein Regierungsbank) militärischer. Dessen Ausfuhr nach Südafrika ist — da ist sie; herzlich willkommen —, könnte sie allerdings nicht erlaubt. ihren Willen beweisen, indem sie sich endlich auf dem Feld der Nichtverbreitung von Atomwaffen en- Vizepräsident Westphal: Wir sind am Ende der gagiert. Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, Fragestunde. Ich danke dem Parlamentarischen weil der Deutsche Bundestag nur so noch eine Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen. Chance hat, vor Beginn der 3. Überprüfungskonfe- Die anderen Geschäftsbereiche werden morgen be- renz zum Atomwaffensperrvertrag seine Meinung handelt. zu sagen. Zur Geschäftsordnung hat sich der Abgeordnete Dieser Vertrag ist eines der wenigen Instrumente Mann gemeldet. Bitte schön. der Rüstungskontrollpolitik, die wir haben. Seine Zielsetzung hat für uns eine lebenswichtige Bedeu- tung. Wir reden hier nicht über technische Speziali- Mann (GRÜNE): Herr Präsident! Verehrte Kolle- täten, sondern über die Verpflichtung, die Bedro- ginnen und Kollegen! Ich beantrage, die Aktuelle hung des Lebens durch Atomwaffen zu vermindern Stunde auszusetzen, bis der Rechtsausschuß seine und aus der Welt zu schaffen. Wenn es ein Land Beratungen zum Entwurf eines Gesetzes zur Ände- gibt, das Anlaß zu einer vorwärtstreibenden Rolle rung des Strafgesetzbuchs und des Versammlungs- in der Nichtverbreitungspolitik hat, dann unseres. gesetzes beendet hat. Der Rechtsausschuß hat um 13 Uhr beschlossen, um 14.30 Uhr eine Sondersit- (Vorsitz: Präsident Dr. Jenninger) zung abzuhalten. Es besteht aus der Sicht unserer Wir können nicht erkennen, daß die Bundesregie- Fraktion kein Bedarf für eine solche Sondersitzung. rung im Vorfeld der bevorstehenden Konferenz be- Vielmehr gehen die Beratungen des Plenums, geht sonderes Engagement oder auch nur besonderes In- die Aktuelle Stunde vor. Deswegen, so meinen wir, teresse gezeigt hätte. Sie hat auf politische Initiati- sollte die Aktuelle Stunde ausgesetzt werden, bis ven gänzlich verzichtet und läßt die Konferenz auf der Rechtsausschuß seine Beratungen beendet hat. sich zukommen, als ginge es um eine lästige Pflicht- Ich sehe meine Verpflichtung darin, hier an diesen übung. Wir halten das für eine gefährliche Fehlein- Beratungen teilzunehmen, nicht aber an einer Son- schätzung: Ein genauer Blick auf den Stand der dersitzung, die von Ihnen durchgesetzt worden ist, Nichtverbreitungspolitik zeigt alarmierende Per- um — ich will das hier einmal ganz deutlich sagen spektiven. 10988 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Verheugen Der Atomwaffensperrvertrag ist seinerzeit von kleartechnologie nur noch unter den weitestgehen- den Nichtkernwaffenbesitzern mit abgeschlossen den Sicherungen zu ermöglichen. worden, weil sich die Atommächte zur nuklearen Wir erwarten, daß die Bundesregierung jetzt end- Abrüstung verpflichtet haben. Trotz der Rüstungs- lich aufwacht, daß sie ihre Untätigkeit beendet und begrenzungsabkommen der 70er Jahre haben sich sich an ihr eigenes Versprechen erinnert, Frieden die Atomwaffen quantitativ und qualitativ immer zu schaffen mit weniger Waffen. weiter vermehrt und entwickelt. Die Tendenz ist weiterhin steigend. (Beifall bei der SPD) Niemand kann heute sicher sein, daß der in zehn Jahren auslaufende Vertrag verlängert wird oder Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat der Abge- ob er nicht schon vorher zusammenbricht, weil im- ordnete Dr. Abelein. mer mehr wichtige Länder der Driten Welt ihre Bereitschaft zum Verzicht auf Atomwaffen schlecht Dr. Abelein (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine belohnt sehen. Es ist nicht gelungen, die Zahl der Damen und Herren! Die Bundesrepublik Deutsch- Staaten, die über Atomwaffen oder über die Fähig- land hat unverändert ein grundsätzliches und vita- keit verfügen, sie in kurzer Zeit herzustellen, auf les Interesse daran, daß die in der Welt vorhande- die klassischen fünf zu beschränken. Genau in den nen Kernwaffen vermindert werden und daß infol- Wetterecken der Weltpolitik finden sich Staaten, die gedessen die Zahl der Kernwaffenstaaten nicht sich entweder schon die Waffen oder die notwen- weiter anwächst. Das ist der zentrale Inhalt des dige Technologie verschafft haben: im Nahen Osten Nichtverbreitungsvertrages. Auch wenn bisher Israel, in Südasien Indien und Pakistan, im südli- nicht alle Ziele dieses Vertrages im wünschenswer- chen Afrika die Republik Südafrika. ten Ausmaß erreicht worden sind — wofür die Bun- Eigentlich müßte uns der kalte Schauer den Rük- desregierung mit Sicherheit keine Verantwortung trägt —, schätzt die Bundesregierung das bislang ken herunterlaufen, wenn wir genau in diesen Ta- Erreichte nicht gering ein. Der gen erfahren, wie ernst die amerikanische Regie- ABM-Vertrag und das SALT-I-Abkommen zeigen, daß man auf dem rung die Gefahr nimmt, Atomwaffen könnten in die richtigen Wege zu einer Kontrolle der Nuklearrü- Hände von Terroristen geraten. Es wird noch stung ist. Auch SALT II, obgleich nicht formell ver- schlimmer, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß es abschiedet, ist ein Beitrag dazu. Denn die beiden Staaten gibt, die zumindest hinreichend verdächtig Großmächte halten sich an den Inhalt dieses Ab- sind, terroristische Aktivitäten zu unterstützen. kommens. (Zuruf von der CDU/CSU) Es ist zwar bedauerlich, daß nicht alle in Betracht — Das hat etwas damit zu tun, Herr Kollege. kommenden Staaten sich dem Nichtverbreitungs- Die erschreckende Ausbreitung einer Technolo- vertrag angeschlossen haben, aber auch darin liegt gie, die man friedlich nutzen kann, aber eben auch nicht eine Verantwortung der Bundesregierung. anders, wirft die Frage auf, ob auch nur noch einen Denn immerhin sind es in der Zwischenzeit 120 einzigen Tag verantwortet werden kann, Nuklear- Staaten, die Mitglieder dieses Vertrages sind. Auch technologie zu Bedingungen zu verbreiten, die un- wenn die Bemühungen, die noch außenstehenden terhalb des Sicherheitsstandards des Nichtverbrei- Staaten zur Mitgliedschaft und zu entsprechenden tungsregimes liegen und den Mißbrauch nicht zwei- Verhaltensweisen zu bewegen, bislang ohne Erfolg felsfrei ausschließen. Man muß befürchten, daß der geblieben sind, müssen die Anstrengungen auch Atomwaffensperrvertrag als Instrument der Nicht- der Bundesregierung, das Nichtverbreitungsabkom- verbreitungspolitik schon deshalb ausgehöhlt wird, men möglichst umfassend und dicht zu machen, mit weil die Zahl der Staaten wachsen wird, die dem allen diplomatischen und politischen Mitteln fortge- Vertrag nicht beigetreten sind, sich dennoch in den setzt werden. Die Bundesregierung bemüht sich — Besitz sensitiver Technologie gebracht haben und im Gegensatz zu dem, was der Vorredner gesagt hat auch in der Lage sein werden, diese Technologie zu — zusammen mit den Regierungen anderer wichti- exportieren. Es würde sich dann ein grauer Kern- ger Vertragsstaaten wie beispielsweise den USA, energiemarkt entwickeln, wenn es ihn nicht schon der Sowjetunion, Großbritannien, Japan, den skan- gibt. dinavischen Staaten und den Niederlanden schon lange, solche noch außerhalb stehende Staaten wie Man muß sich nicht ausmalen, was es bedeutet, beispielsweise Argentinien, Brasilien, Spanien und wenn der Atomwaffensperrvertrag scheitert. Israel Pakistan zum Beitritt zu bewegen. An Bemühungen hat seinerzeit mit der Bombardierung des iraki- der Bundesregierung liegt es also nicht. schen Reaktors einen Vorgeschmack geliefert. Das zweite Kernstück des Nichtverbreitungsver- Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat trages, die internationale Zusammenarbeit bei der am Anfang dieses Jahres konkrete Vorschläge an friedlichen Nutzung der Kernenergie, ist in der die Bundesregierung gerichtet, was sie tun könnte, Zwischenzeit zwischen den Parteien der Regie- um die beschriebenen Gefahren abzuwenden. Die rungskoalition und der Opposition unstreitig. Wir Bundesregierung hat diese Vorschläge ignoriert. betrachten eine ausschließlich auf die friedliche Sie hat keinen Anlaß gesehen, die Initiative zu ei- Nutzung ausgerichtete Verwendung der Kernener- ner Vorkonferenz zu ergreifen. Sie hat nichts unter- gie als langfristiges gemeinsames Ziel. In dem Ver- nommen, um die Kernwaffenstaaten zu einer Abrü- trag sind die ersten Schritte in diese Richtung fest- stungskonferenz zu bringen. Sie hat keinen Anlaß gelegt. An der Bundesregierung wird es mit Sicher- gesehen, dafür einzutreten, den Export von Nu- heit nicht scheitern, die Bemühungen um die fried- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 10989

Dr. Abelein liche Nutzung bei der 3. Überprüfungskonferenz der SPD eine Unterstützung dieser Konferenz zuge- noch zu verstärken. Die gegenwärtige Bundesregie- sagt. rung befindet sich auf diesem Gebiet in der Konti- (Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Zuruf von nuität mit allen ihren Vorgängerinnen. Es wird der CDU/CSU: So wenig?) leicht übersehen, daß zwischen der 1. und der 2. Überprüfungskonferenz 26 und seither sieben wei- Wir hätten es auch viel wirkungsvoller und auch tere Staaten dem Vertrag beigetreten sind, was glaubwürdiger empfunden, wenn der Deutsche ebenfalls zeigt, daß die Bemühungen sehr wohl Bundestag in der Lage gewesen wäre, eigens zu die- nicht erfolglos geblieben sind. sem lebenswichtigen Thema eine öffentliche Anhö- rung durchzuführen. Bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie ist vor allem aber an die Entwicklungsgebiete der Welt Seit nahezu 30 Jahren wird nämlich in der Öf- mit ihren mannigfachen energiepolitischen und fentlichkeit die Illusion geschürt — so wie das lei- wirtschaftspolitischen Problemen zu denken. Schon der im Antrag der SPD zur Nichtverbreitung der aus der geographischen und politischen Lage der Kernwaffen der Fall ist —, die zivile Atomtechnik Bundesrepublik heraus wird sich die Bundesregie- ließe sich von der militärischen eindeutig trennen. rung auch künftig mit allem Nachdruck für die Wei- Tatsächlich würden und werden auch in der Bun- terführung bzw. die Wiederaufnahme der nuklea- desrepublik mit der zivilen Atomenergie die techno- ren Rüstungskontrollverhandlungen einsetzen. logischen Voraussetzungen für eine militärische In diesem Zusammenhang ist anzumerken, daß Nutzung der Atomenergie einschließlich der Her- die Bundesrepublik Deutschland schon im Brüsse- stellung von Waffen laufend verbessert. Je deutli- ler Vertrag vom Oktober 1954 auf die Herstellung cher die ursprünglich gehegten energiepolitischen von Atomwaffen verzichtet hat. Im Jahre 1957 trat Hoffnungen in die Atomenergie verblassen, um so die Bundesrepublik Deutschland dem Vertrag der markanter kommt die militärische Seite dieser EURATOM bei, der das weitestgehende Kontroll- Technologie zum Vorschein. system für die Nutzung der Kernenergie vorsieht. Zur Klarstellung muß erwähnt werden, daß der Anmerken möchte ich des weiteren, daß im Ver- Atomwaffensperrvertrag sich nur auf zivile und mi- hältnis nach außen die Bundesrepublik und die jet- litärische Kernsprengungen bezieht. Alle anderen zige Bundesregierung sichergestellt haben, daß militärischen Nutzungsmöglichkeiten der Kern- deutsche Nuklearexporte in Nicht-Kernwaffenstaa- energie wie Antrieb von Kriegsschiffen, z. B. U-Boo- ten gemäß den Bestimmungen des Nichtverbrei- ten, Stromerzeugung für militärische Anlagen, Ver- tungsvertrages nur dann erfolgen, wenn sich die wendung von Kernmaterial in konventionellen Waf- Empfänger für die internationalen Kontrollen der fen, Anwendung von Radioisotopbatterien, selbst Wiener Behörden ausdrücklich ausgesprochen ha- auch die Verwendung von Atommüll als Kontami- ben und diese anerkennen. Darüber hinaus hat sich nationswaffe, sind erlaubt, da es zu keiner nuklea- die Bundesregierung — im Gegensatz zu vielen an- ren Sprengung kommt. deren Staaten — noch verschärften Kontrollbestim- Diese Vorgeschichte zeigt auch klar, daß die be- mungen unterworfen; sie sind unter dem Namen wußte Offenhaltung der militärischen Option in der Londoner Richtlinien bekanntgeworden. Bundesrepublik bis zum Beitritt zu diesem Atom- Abschließend möchte ich bemerken: Die Bundes- waffensperrvertrag als eine historische Tatsache regierung wird die 3. Überprüfungskonferenz sehr angesehen werden muß. ernst nehmen und darauf hinwirken, daß die Be- Werfen wir einen kurzen Blick hinter die Kulis- stimmungen des Nichtverbreitungsvertrages dort sen. Damals unter Kiesinger/Brandt wurde der entsprechend zur Geltung kommen. Atomwaffensperrvertrag unterschrieben, doch es Danke. gab zahlreiche Schlupflöcher — auch heute noch —, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die auf Bonner Betreiben in diesen Vertrag einge- baut werden konnten. Unterzeichnet wurde dieser Vertrag im Jahre 1969 von der Regierung Brandt/ Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat die Abge- Scheel, die die Ratifizierung dieses Vertrages aber ordnete Frau Kelly. gleichzeitig von einer Abschwächung seiner Kon- trollbestimmungen abhängig machte. Wer die Si- cherheitskontrolle der IAEO in Wien kennt, der Frau Kelly (GRÜNE): Wir begrüßen diese Aktuelle weiß, daß ein Mißbrauch von nuklearen Materialien Stunde. Es ist aber bedauernswert, wie wenige Ab- zur Herstellung von Atomwaffen nicht verhindert geordnete ihr beiwohnen. Es ist auch bedauerlich, werden kann. daß der Deutsche Bundestag keine parlamentari- sche Delegation nach Genf entsenden wird. Wir be- Dann wissen wir, daß im Februar 1974 diesem grüßen es auch, daß die SPD verschiedene politi- Vertrag mit dem dubiosen Verifikationsabkommen sche Initiativen ergreift; doch ich hoffe, es sind zugestimmt worden ist. Doch damals stimmten 100 keine halbherzigen. Abgeordnete der Unionsparteien gegen den Atom- waffensperrvertrag, Die Friedens- und Ökologiebewegung wird im Sep- tember dieses Jahres auch eine bundesweite Konfe- (Graf Huyn [CDU/CSU]: Aus gutem renz anläßlich der 3. Überprüfungskonferenz zum Grund!) Atomwaffensperrvertrag in Bonn durchführen. Bis- darunter viele Minister im Kabinett Kohl wie Herr her haben immerhin vier Bundestagsabgeordnete Zimmermann, Herr Wörner, Herr Kiechle, Herr 10990 Deutscher Bundestag — 10.b Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Frau Kelly Warnke, Herr Dollinger usw. Einstimmig hingegen anzuführen, Frau Kelly. Ich glaube, das muß man verabschiedete man das Verifikationsabkommen. einmal sehr deutlich sagen. Damit wurde ein Kontrollabkommen für die Bun- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — desrepublik beschlossen, das ausdrücklich die Widerspruch bei den GRÜNEN) Atomenergieverwendung bei „nichtfriedlichen Tä- tigkeiten" erlaubt — das ist der Art. 14 — und für Ich höre diese Argumentation betreffend Südafrika diesen Fall alle Kontrollmaßnahmen außer Kraft an den Universitäten in Deutschland schon seit setzt. Jahren. Es werden unglaubliche Behauptungen auf- Von 1974 also bis heute hat die Bundesrepublik gestellt, die nicht bewiesen werden. Es ist absolut eine Nuklearpolitik betrieben, durch die die ato- unrichtig, daß die Bundesregierung etwas liefert, mare Proliferation gefördert worden ist und geför- bestenfalls können Firmen liefern. Sie wissen ganz dert wird. Nur einige Beispiele: Die Nuklearexport- genau, daß es hier enorme Restriktionen gibt. Es ist politik der Bundesrepublik orientiert sich nicht am auch nicht richtig, daß sich Argentinien, Brasilien Gesichtspunkt der Nichtweiterverbreitung. Zum völlig außerhalb des Vertrages befinden. Sie haben Beispiel machen wir genau mit den Staaten, die vor Jahren in Tlatelolco einen eigenen Vertrag un- dem Atomsperrvertrag nicht beigetreten sind, ato- terschrieben, der praktisch mit dem Atomwaffen- mare Geschäfte wie mit Argentinien, Brasilien, In- sperrvertrag korrespondiert. dien, Pakistan, Südafrika und neuerdings China. Im Meine Damen und Herren, Sie — auch Sie von Ausland ist diese zweifelhafte Rolle beim Umgang der SPD — reden immer davon, die Bundesregie- mit Atomwaffentechnologien seit dem Geschäft mit rung sei dafür verantwortlich, daß dieses oder jenes Brasilien im Jahre 1975 wohlbekannt. Durch ihre Land dem Atomwaffensperrvertrag nicht beitrete. Exportpolitik hat die Bundesrepublik vor allem Ich darf jetzt einmal an Sie, die Sie ja alle so enorm Südafrika, aber auch Indien und Pakistan bei der viel in der Welt herumreisen, ich darf an uns alle Entwicklung von Atomwaffen geholfen und sie un- hier, an uns Parlamentarier, die Frage richten: Was terstützt. Die Lieferung von Komponenten für An- eigentlich tun wir bei unseren häufigen Reisen in reicherungsanlagen an Südafrika und an Pakistan bestimmte Länder, in denen man so etwas ja auch - von Komponenten, wofür ein Herr im Fall Paki- einmal mit der Regierung diskutieren darf? Ich stan gerade zu acht Monaten Gefängnis verurteilt habe das z. B. in Israel getan. Die Antwort der Isra- worden ist —, stellt einen Bruch des Nichtweiter- elis war: Solange die arabischen Staaten nicht be- verbreitungsvertrages durch die Bundesrepublik reit sind, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten, dar. Eine von den Vereinten Nationen im Jahre 1981 treten wir einem solchen Vertrag auch nicht bei. Ich erstellte Studie sagt klar und deutlich, daß wir in halte das für eine sehr schlaue Argumentation, die bezug auf die südafrikanische Atombombe mitge- mich aber nicht überzeugt. Israel könnte einen sehr wirkt haben. guten Beweis für seine Haltung in dieser Frage Ganz kurz noch: Der größte Teil des von NU- erbringen, wenn es sich z. B. zumindest mit Ägyp- KEM/ALKEM in Hessen verarbeiteten Urans — ten darauf verständigen könnte, dem Atomwaffen- auf Umwegen über die Sowjetunion, wo es aufberei- sperrvertrag beizutreten. Ich meine, wir als Abge- tet wird — stammt aus Namibien. ordnete sollten von unserer Möglichkeit Gebrauch Ich komme zum Schluß. Die Nuklear-Technik machen, dieses Thema gerade in den Ländern im- GmbH mit Sitz in Gelnhausen gibt offen zu, daß sie mer wieder anzusprechen, in denen die Bereit- das National Accelerated Centre in Stellenbosch in schaft, beizutreten, bisher nicht vorhanden war, Südafrika beliefert. Wenn wir so weitermachen und zum Teil mit durchaus fadenscheinigen Argumen- hier weiterhin so unehrlich diskutieren und nicht ten; das gebe ich Ihnen zu. deutlich machen, daß Atomenergie — — Frau Kelly hat zu Beginn ihrer Ausführungen ge- sagt, sie sei traurig, daß der Saal nicht so gut be- Präsident Dr. Jenninger: Frau Abgeordnete, Ihre setzt sei und daß ein so wichtiges Thema hier nicht Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum die Aufmerksamkeit des Bundestages finde. Dazu Schluß. darf ich, kritisch wie ich bin — ich weiß, daß Herr Duve jetzt dazwischenrufen wird —, sagen: Ich bin Frau Kelly (GRÜNE): — — nicht getrennt werden nicht überzeugt, daß diese Aktuelle Stunde so aktu- kann, gibt es keine Chance mehr für diesen Atom- ell ist, wie es scheint. waffensperrvertrag. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Danke. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, das zu (Beifall bei den GRÜNEN) lesen, was ich selbst in der Debatte am 16. Januar hier zu diesem Thema gesagt habe. Das könnte ich Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat der Abge- heute — das muß ich Ihnen wirklich sagen, ich tue ordnete Schäfer (Mainz). das hier zum zweiten Mal — alles wiederholen, weil es inzwischen keine neuen Argumente gibt, auch Schäfer (Mainz) (FDP): Herr Präsident! Meine Da- nicht zu Ihren Fragen. Angesichts des Umstandes, men und Herren! Mit den Behauptungen von Frau daß Staatsminister Möllemann am vorigen Don- Kelly wird sich Herr Kollege Laermann noch aus- nerstag auf 13 Druckseiten — Protokoll des Deut- einandersetzen. Ich glaube, daß es Ihrer Taktik, die schen Bundestages — erschöpfend Auskunft gege- hier ja seit Jahren verfolgt wird, entspricht, Dubio- ben hat, die Bundesregierung die Große Anfrage ses zu unterstellen und selbst dubiose Argumente erschöpfend beantwortet hat, muß ich Frau Kelly Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 10991

Schäfer (Mainz) die Frage stellen: Ist es wirklich so aktuell? Denn wurf war — deswegen war auch die Fragestunde in wir werden dieses Thema bei der Verabschiedung der letzten Woche so intensiv —, daß bezüglich der dieses Antrags nach der Sommerpause zum vierten Vorbereitung dieser 3. Überprüfungskonferenz in Mal mit genau den gleichen Argumenten wieder den letzten Monaten sehr wenig geschehen ist, um behandeln. Herr Präsident, an das Präsidium des die Dinge voranzutreiben. Deutschen Bundestages sei die Frage gerichtet: (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ Sind diese Übungen hier wirklich noch aktuell? CSU: Das stimmt doch gar nicht! — Zuruf (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) von der FDP: Woher wissen Sie das?) Also, es tut mir leid, aber ich bin mir fast zu scha- Es war bisher die Rede von der sogenannten hori- de — — zontalen Nichtverbreitung. Ich spreche jetzt über die vertikale Nichtverbreitung, nämlich über die Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter, ge- Frage, wie die Atommächte selbst mit ihren Waffen statten Sie, daß ich unterbreche. — Es gibt keine umgehen. Diese Nichtverbreitung hat, insbesondere Richtlinien über die Aktualität. Ich ermuntere die was den umfassenden Stopp von Atomversuchen Fraktionen des Deutschen Bundestages, sich dar- angeht, einen hohen Symbolwert. Dieser drückt über Gedanken zu machen. sich in der Zahl der UN-Resolutionen seit den 50er (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Jahren aus. Er ist ebenso abzulesen an den zahlrei- Abgeordneten der SPD) chen Vorstößen von neutralen und nicht gebunde- nen Ländern im Rahmen der Genfer Abrüstungs- Schäfer (Mainz) (FDP): Vielen Dank. Ich glaube, konferenz, ein erneutes Verhandlungsmandat für wir müssen das wirklich einmal ernsthaft tun; denn einen umfassenden Teststopp zustande zu bringen. wir haben noch eine Reihe anderer wichtiger The- Seit 1945 hat es rund 1 500 Tests von Nuklearwaf- men. fen gegeben, davon seit dem Teststoppabkommen Ich darf, zur SPD gewandt, sagen: Wir stimmen j a von 1963, welches oberirdische Tests verbot, rund mit sehr vielem von dem, was Sie sagen, überein. 500 unter der Erde. Seither ist jedenfalls die Über- Nur, angesichts der praktischen Forderungen, die zeugung sehr viel stärker geworden, daß von einem Sie aufgestellt haben, daß man eine Vorbereitungs- umfassenden Verbot aller Atomversuche ein erheb- konferenz der nichtnuklearen Staaten durchführen licher Druck auf eine substantielle Reduzierung der solle, daß man dann später möglicherweise eine Atomwaffenvorräte und damit auch auf die Bedeu- Konferenz aller Staaten abhalten solle, die über tungsminderung der Atomwaffen überhaupt aus- nukleare Waffen verfügen, so wie angesichts Ihrer ginge. langen Regierungstätigkeit frage ich Sie: Halten Sie solche Unternehmungen wirklich für erfolg- Wie ist gegenwärtig die Lage? Mitte der 70er reich? Jahre wurden von den Vereinigten Staaten und der Würde es, wenn sich alle Staaten, die nicht über Sowjetunion Verträge zur Begrenzung unterirdi- scher Kernwaffenversuche ausgehandelt, die bisher nukleare Waffen verfügen, in einer Konferenz über vom amerikanischen Kongreß nicht ratifiziert wor- die Ächtung von Atomwaffen einigen könnten — Staaten, von denen j a nun eine ganze Reihe dem den sind. Dennoch haben beide Seiten zugesagt, sich an diese Vereinbarungen zu halten, die eine Warschauer Pakt und der NATO angehören; wieder andere gehören zur Dritten Welt, Staaten, die ganz Höchstgrenze von 150 KT vorsehen. verschiedene Voraussetzungen in die Diskussion Danach gab es in den späten 70er Jahren trilate- einbringen —, wirklich helfen, bei den eigentlichen rale Verhandlungen zwischen Großbritannien, den Verhandlungen weiterzukommen? Ich bezweifle Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, die 1980 das sehr. Von daher sollten wir, so meine ich, das ohne vertragliches Ergebnis abgebrochen worden Vertrauen in die Bundesregierung haben, daß sie sind, obwohl wesentlich nur noch die Zahlen der bei dieser Konferenz darauf dringt, daß das, was für nationalen automatischen seismischen Stationen uns alle unbefriedigend geblieben ist, verbessert und die Art der Ausrüstung für die Inspektoren wird. Aber überschätzen wir auch nicht die Mög- offengeblieben sind. lichkeiten, die die Bundesregierung hat. Wenn man nun nach den Ursachen und nach den Vielen Dank. Verursachern dieser Stagnation fragt, dann muß (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ich, der ich sonst nicht bereit bin, für Leisetreterei, was das Rüstungskontrollverhalten der Sowjet- Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat Herr Abge- union angeht, einzutreten, sagen, daß die Vereinig- ordneter Dr. Soell. ten Staaten an dieser Stagnation erheblich mehr Verantwortung tragen. Dr. Soell (SPD): Herr Präsident! Meine sehr ver- (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Richtig!) ehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schäfer, wenn Sie sich hier an der Frage der Aktualität Man muß sich einmal das Zitat des amerikanischen hochziehen — alle Ihre Ausführungen gehen in die Vizepräsidenten Bush auf der Genfer Abrüstungs- gleiche Richtung —, dann muß ich Ihnen sagen: Es konferenz 1984 vor Augen halten, daß ein umfassen- geht hier nicht um die bloße Tagesaktualität, son- des Versuchsverbot nur ein langfristiges Ziel sei. dern es geht um ein brennendes Thema, bei dem Als er dort gefragt wurde, wie langfristig dieses Ziel der Einfluß der Bundesregierung zwar sicherlich denn sei, hat er gesagt — er meinte es nicht nur iro- begrenzt ist, hinsichtlich dessen aber unser Vor- nisch —: Erst nach dem fünften SALT-Vertrag. 10992 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Dr. Soell Dies steht nicht nur im Widerspruch zur wach- Die Bundesregierung hat — das möchte ich beto- senden Weltmeinung in dieser Frage, insbesondere nen — insofern auch in der Kontinuität ihrer Vor- unter den neutralen und nicht gebundenen Staaten, gängerregierungen den Atomsperrvertrag, den sondern es steht auch im Widerspruch zu der ame- Nichtverbreitungsvertrag, sehr ernstgenommen. rikanischen Initiative zur strategischen Verteidi- Ausdrücklich zurückweisen möchte ich aber das, gung. Die Vereinigten Staaten müssen nämlich ein was hier von dem Kollegen Soell gesagt wurde, der Interesse daran haben, daß die immer raffinierte- nämlich eine weitgehend einseitige Schuldzuwei- ren und zielgenaueren Sprengköpfe für Offensiv- sung in Richtung der Vereinigten Staaten vornahm. waffen nicht mehr getestet werden. Auch dieses Wenn wir von der Interessenlage der Bundesrepu- müssen wir in der Öffentlichkeit sehr viel stärker ausbreiten. blik Deutschland und der Bundesregierung ausge- hen, müssen wir an zwei Dinge erinnern, erstens Wir fordern die Bundesregierung auf, erstens die daran, daß die Geschäftsgrundlage für unseren Bei- von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages tritt die glaubwürdige Zusage der Kernwaffen- getragene Forderung nach einem umfassenden mächte war, über verifizierbare Rüstungskontrolle Teststopp im Rahmen der 3. Überprüfungskonfe- und Abrüstung zu verhandeln, und zweitens an die renz mit Nachdruck vorzutragen und dazu auch die sowjetische Anerkennung der nuklearen Sicher- Möglichkeiten des Teststoppabkommens von 1963 heit, die die Vereinigten Staaten uns garantieren. mit auszunutzen. Art. 2 sieht vor, daß alle Vertrags- teilnehmer, wenn zwei Drittel der Vertragsstaaten Vor der 3. Überprüfungskonferenz, vor der wir zustimmen, Vertragsänderungen vorschlagen kön- jetzt stehen, müssen wir feststellen: Die Vereinig- nen. ten Staaten haben beide Verpflichtungen, die für uns bedeutend sind, erfüllt. Die Sowjetunion hat Wir fordern die Bundesregierung zweitens auf, beide nicht erfüllt. Die sowjetische Politik ist viel- die Anträge der neutralen und nicht gebundenen mehr ein fortlaufender Verstoß gegen Geist und Staaten auf ein umfassendes Verhandlungsmandat Buchstaben des Vertrages. der Abrüstungskonferenz in Genf mit zu unterstüt- zen. Beispiele: Erstens. In der Präambel zum Vertrag wird daran erinnert, daß die Staaten jede gegen die Wir fordern die Bundesregierung drittens auf, die territoriale Unversehrtheit oder die politische Un- Erfahrungen deutscher Wissenschaftler und der abhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst deutschen seismologischen Einrichtungen, wie dies mit den Zielen der Vereinten Nationen unverein- Bundeskanzler schon auf der er- bare Androhung oder Anwendung von Gewalt un- sten Sondergeneralversammlung der Vereinten Na- terlassen müssen. Der bewaffnete Interventionis- tionen 1978 vorgeschlagen hat, entsprechend inter- mus der Sowjetunion spricht dem Hohn. national anzubieten. Zweitens. Die Sowjetunion begann 1977 einseitig Wir fordern die Bundesregierung viertens auf, die mit der Erfahrungen der Wissenschaftler anderer Länder Aufstellung der SS-20-Raketen, die uns be- — z. B. aus Schweden und Japan — auf einem inter- drohen, als eines nuklearen Droh- und Erpres- sungspotentials. nationalen Wissenschaftssymposion — ähnlich dem von 1980 — zu nutzen, um die internationale Dis- (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Die alte Platte!) kussion voranzutreiben. Drittens. Die fünf Jahre seit der 2. Überprüfungs- Schönen Dank. konferenz haben die Vertragstreue der Sowjetunion (Beifall bei der SPD) vollends unglaubwürdig gemacht. Nachdem die Ver- einigten Staaten Moskau endlich dazu gebracht hatten, in Genf über nuklearstrategische Systeme Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat Herr Abge- zu verhandeln, bestand der einzige sowjetische Bei- ordneter Graf Huyn. trag hierzu darin, diese Verhandlungen zu blockie- ren und schließlich, 1983, einseitig abzubrechen. Graf Huyn (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine (Zuruf von der CDU/CSU: Leider wahr!) sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kol- lege Verheugen hat die Frage aufgeworfen, wie Viertens. In allen Bereichen verwahrt sich die So- ernst es denn die Bundesregierung mit der „neuen wjetunion gegen wirksame Kontrollmaßnahmen. Phase der Entspannungspolitik" nimmt. Dies, meine Damen und Herren, sind die Tatsa- (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Eine berechtigte chen, und dann kann man nicht eine einseitige Frage!) Schuldzuweisung in Richtung Vereinigte Staaten Das ist in der Tat eine Frage, die ich mir auch stelle vornehmen. Das Gegenteil ist zutreffend! und die sich sicher viele stellen. Nur, Herr Verheu- (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von gen, die Antwort auf Ihre Frage ist insofern sehr der SPD) einfach, als zu dieser neuen Phase der Entspan- — Sie betreiben j a schon nicht mehr Äquidistanz, nungspolitik immer zwei gehören. sondern eine zunehmende Annäherung an sowjeti- (Duve [SPD]: Bei Ihnen sind es inzwischen sche Positionen. fünf!) (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Eine einseitige Entspannung führt nämlich, wie die Geschichte gerade der 70er Jahre gezeigt hat, nicht Das sind doch die Tatsachen! zu erfolgreichen Ergebnissen. (Widerspruch bei der SPD) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 10993

Graf Huyn — Lesen Sie doch nach, was Herr Brandt in Mos- ohne sich der Kontrolle zu unterziehen und ohne kau alles besprochen hat! Zustimmung der Bundesregierung. Dies ist in den (Unruhe bei der SPD) Verträgen ausdrücklich festgelegt. Die Sowjetunion kommt ihren Pflichten aus Art. Ich denke, daß dies ein ganz wichtiger Schritt ist, VI des Atomwaffensperrvertrages nicht nach. Sie um hier in der Tat auch bei den Ländern, denen wir zeigt nicht, wie es im Vertrag heißt, die redliche diese Technologien nicht vorenthalten können, eine Absicht, zu Verhandlungen zu kommen, mit denen Kontrolle zu haben. Diese Länder wären sonst auf Rüstung kontrollierbar begrenzt werden kann. Sie anderem Wege — vielleicht wäre das etwas mühsa- hat ihrerseits die Rüstungsspirale immer weiter mer, vielleicht dauerte es etwas länger — in der hochgetrieben. Lage, sich diese Techniken und Technologien zu Wir akzeptieren es daher nicht, wenn Sie die Ver- beschaffen. Dann hätten wir überhaupt keine Mög- einigten Staaten mit der Sowjetunion moralisch, po- lichkeit — wir Industrieländer und die Länder, die litisch und faktisch gleichsetzen. Wir weisen dies dem NV-Vertrag beigetreten sind —, sich mit der mit Nachdruck zurück. In der Frage des NV-Ver- Verwendung und der Kontrolle der Verwendung trages hat die Bundesregierung mit ihrem Verhal- von Kenntnissen und von Komponenten zu be- ten unser volles Vertrauen. schäftigen. Herzlichen Dank. Wenn die Frau Kelly hier sagt, daß wir Kompo- (Beifall bei der CDU/CSU) nenten an Südafrika geliefert hätten, so muß ich erwidern, daß dies mitnichten der Fall ist. Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat der Abge- (Zuruf von den GRÜNEN: Na?) ordnete Dr. Laermann. Dies ist überhaupt nicht der Fall. Wenn Sie aber verhindern wollen, daß Erkenntnisse, daß Know- Dr.-Ing. Laermann (FDP): Herr Präsident! Meine how transferiert wird, dann müßten wir alle diejeni- sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man sich gen, die über Kenntnisse auf diesem Gebiet verfü- mit dem Antrag der SPD-Fraktion auseinander- gen — das betrifft dann nicht nur den nationalen setzt, stellt man fest, daß sich dieser Antrag auch, Bereich —, eigentlich hinter Gitter sperren. Und j a, vorwiegend und über weite Strecken auf die Be- das wird nicht möglich sein. reiche Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Nutzung der Kerntechnologie bezieht. Ich Dies sind im Grunde genommen Erkenntnisse, ist möchte deswegen auch ganz gezielt auf diese Fra- ein Wissensstand, der sich weiterverbreitet hat, und gestellung, die hier zum Ausdruck kommt einge- es ist unsere Verpflichtung — insbesondere von In- hen. dustriestaaten; hier stimmen wir sicherlich über- Wir sind hier — das muß ich der Bundesregie- ein — , Mißbrauchsmöglichkeiten auf ein Mindest- rung ausdrücklich bescheinigen — in der Konti- maß zu reduzieren. Dabei müssen wir uns im klaren nuität der Entwicklung. Vergangene Bundesregie- darüber sein, daß wir diese Risiken nicht vollends rungen haben sich durchaus im Bewußtsein ihrer werden abbauen und verhindern können. Verantwortung darum bemüht, das, was an brisan- (Duve [SPD]: Haben Sie jetzt wirklich alles ten, an sensitiven Technologien dort ansteht, auch gesagt, was Sie zu diesem Komplex wis internationaler Kontrolle zu unterwerfen. Dies gilt sen?) auch bei der Kooperation mit Partnerstaaten, insbe- sondere mit den Schwellenländern und solchen Nun möchte ich noch folgendes zu Ihnen sagen. Ländern, die dem NV-Vertrag nicht beigetreten sind Sie beziehen sich beispielsweise auf die Empfehlun- und die aus Gründen der Autonomie nicht beitreten gen der INFCE-Konferenz. Wo in der Bundesrepu- wollten. Es sind verschiedene Gründe, warum sie blik verwenden, verarbeiten wir eigentlich noch nicht beitreten wollten. Wir haben in der Verpflich- hoch angereichtertes Uran, das man in die Gruppe tung, die wir als Industrieland hier gesehen haben, des waffengrädigen Materials einordnen könnte? — im Einvernehmen mit den Bundesregierungen — Nur noch in den Forschungs-, nur noch in den Mate- ich sage jetzt ausdrücklich, im Plural sprechend, rialprüfungsreaktoren. Hier wird in der Kontinuität Bundesregierungen — dafür gesorgt, daß wir diese ein Programm fortgeführt, das sicherstellt, daß wir Länder in trilaterale Vereinbarungen mit eingebun- in spätestens vier Jahren keine dieser Reaktoren den haben. Damit haben sich auch diese Länder der mehr haben. Es werden eine Reihe von Reaktoren, vollen Kontrolle ihrer Anlagen durch die Interna- die auf hoch angereichterter Basis arbeiten, stillge- tionale Atomenergiebehörde in Wien unterworfen. legt werden; es werden andere umgestellt werden. Ich denke, daß dies ein wichtiger Schritt ist. Es gibt noch zwei auslaufende Projekte, bei denen es keine Möglichkeit mehr gibt, sie auch noch um- Ich möchte dem Kollegen Verheugen sagen, daß zustellen, bei denen das auch nicht lohnt. gerade dies aus unserer Sicht ein Mittel -und eine Möglichkeit ist und gewesen ist, eben nicht den Das einzige Problem, das wir zur Zeit in dieser „grauen Markt" entstehen zu lassen, sondern hier Richtung noch sehen, ist der THTR 300, der auf der die Mitsprache und die Mitkontrolle und die Mitver- Thoriumbasis mit hoch angereichertem Material antwortung zu sehen. Diese Länder, mit denen wir arbeiten muß. Wir gehen davon aus, daß nach den in bezug auf friedliche Nutzung der Kernenergie in ersten beiden Betriebsphasen — das hat auch et- Kooperation stehen, können das, was sie von uns was mit Genehmigungsverfahren zu tun — die Um- und aus der Kooperation an Know-how, an Materi- stellung erfolgt, wie die Versuche am AVR-Reaktor al, an Komponenten bekommen, nicht weitergeben, gezeigt haben. Die Planungen für einen HTR 500 10994 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Dr.-Ing. Laermann gehen ja schon auf die Grundlage niedrig angerei- über einem Jahr, sind diese Anträge im Plenum cherten Urans. nicht abschließend beraten worden. Im Januar die- Im übrigen muß ich sagen: Hochanreicherung er- ses Jahres reichten wir einen weiteren Antrag ein, folgt nicht in unserem Land, sondern wir beziehen der erneut die Notwendigkeit einer solchen Vorkon- dieses angereicherte Material aus den USA — unter ferenz hervorhob. Auch dieser Antrag ist bis heute der Kontrolle des Department of Energy, unter der nicht im Plenum abschließend beraten worden. Die Kontrolle der EG, unter der Kontrolle der Bundes- Bundesregierung hat sich dazu wiederum nicht ge- regierung. Hier wird keine Mißbrauchsmöglichkeit äußert. Beide Anträge werden wahrscheinlich erst gegeben sein, wie dies überhaupt für alles spaltbare auf der Tagesordnung stehen, wenn die Konferenz Material gilt. Das möchte ich ausdrücklich fest- schon vorbei ist. Dies ist eine Mißachtung des Par- stellen. laments und eine Mißachtung des Themas und der Sache, um die es hier geht. (Beifall bei der CDU/CSU) Aber wenn Sie, verehrte Kollegen von der SPD, so (Beifall bei der SPD) stark auf die Empfehlungen der INFCE abheben, Die Mehrheit dieses Parlaments hat also Initiati- dann möchte ich Sie daran erinnern, daß Sie dann ven systematisch verschleppt, die sich um die Er- bitte schön auch die Empfehlungen der INFCE im haltung des wichtigsten aller bisherigen Rüstungs- Bereich Wiederaufarbeitung noch aufnehmen kontrollverträge bemühen. Deswegen hier die Aktu- möchten. Denn die INFCE-Konferenz hat ja nach elle Stunde. wie vor festgestellt, daß sie Sicherheitsbedenken gegenüber einer Endlagerung ohne Wiederaufar- Es gibt leider auch keine anderweitigen Initiati- beitung hat — gerade im Hinblick auf Kontrolle ven der Bundesregierung, die über den Trott der und Safe-guards-Anwendung von Plutonium. Ich letzten Jahre hinausgehen oder die Verschleppung habe leider keine Zeit, dies im Detail auszuführen, rechtfertigen würden. Einen solchen Trott aber, der möchte aber die verehrten Kollegen daran erin- sich auf eine bürokratisierte Abrüstungsdiplomatie nern: wenn sie sich auf der einen Seite an den Emp- allein verläßt, können wir uns nicht länger leisten. fehlungen so stark orientieren, dann bitte schön Dies wird spätestens bei dieser Überprüfungskonfe- auch auf der anderen Seite gerade aus den von uns renz der Öffentlichkeit deutlich werden. Es sind und der Bundesregierung ernstgenommenen Si- dazu politische Impulse notwendig und nicht ein cherheits- und Verantwortungsaspekten heraus. dauerndes Abwiegeln, das eine lähmende Sorglosig- keit bei einer Sache erzeugt, bei der die Alarmglok- Danke schön. ken immer lauter werden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — (Beifall bei der SPD) Klein [München] [CDU/CSU]: Sie haben den „Nachteil", daß Sie was davon verste Deshalb müssen wir deutlich machen, daß die hen!) Bundesrepublik an der Seite der nichtatomaren Länder steht, wenn wir unseren eigenen Verzicht Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat der Herr auf Atomwaffen ernst nehmen, und daß wir dabei Abgeordnete Dr. Scheer. nicht an der Seite der Atommächte stehen, die ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen zu atomarer Ab- rüstung bisher mißachtet haben. Dr. Scheer (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD hat diese Aktuelle Stunde (Beifall bei der SPD — Zurufe von der beantragt, weil es ein Armutszeugnis wäre, wenn CDU/CSU) der Bundestag vor Beginn dieser 3. Überprüfungs- Dies ist in diesem Falle keine Frage, des Ost-West konferenz dazu nicht gesprochen hätte. Gegensatzes, Graf Huyn, sondern es geht um die (Beifall bei SPD — Zurufe von der CDU/ Forderung der nichtatomaren Länder gegenüber CSU) den atomaren Ländern in Ost und West. Daß es in Form einer Aktuellen Stunde geschehen (Graf Huyn [CDU/CSU]: Aber der Kollege mußte, liegt nicht an uns. Am 12. April 1984 haben Soell hat die Schuld den Amerikanern zu wir in einem Entschließungsantrag die Bundesre- gewiesen!) gierung zu konkreten Schritten aufgefordert, damit in Anbetracht der Überprüfungskonferenz die ver- Wir müssen also deutlich machen, daß im Zuge tragsgemäße Verpflichtung der Atommächte zu der Entwicklung kleinerer atomarer Sprengköpfe atomarer Abrüstung politisch verbindlicher als bis- sowie zielgenauer Trägersysteme die waffentechni- her eingefordert wird. sche Möglichkeit für zunehmend mehr Länder be- Wir forderten unter anderem die Einberufung ei- steht, eine eigene Atomstreitmacht aufzubauen, ner Vorkonferenz aller nichtatomaren Staaten- nach und daß es deshalb kurzsichtig und verantwor- dem Vorbild einer ebensolchen Konferenz aus dem tungslos ist, wenn durch Nichterfüllung der Ver- Jahre 1968, die damals auf Initiative der Bundesre- pflichtung zu atomarer Abrüstung bei den Atom- mächten die gierung — Große Koalition — zustande kam. Diese atomare Aufrüstung vieler Staaten Konferenz erwirkte die Bereitschaft von über hun- provoziert würde. Das ist das Thema, um das es dert Ländern, diesen Vertrag zu unterschreiben, geht. und formulierte die Erwartung der Nichtatomaren. Die Untätigkeit der Mehrheit dieses Parlaments Das soll keine Bedeutung für jetzt haben? Die Bun- und auch der Regierung geht offensichtlich darauf desregierung reagierte nicht, und bis heute, nach zurück, daß sich die Unionsfraktion, die zu großen Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 10995

Dr. Scheer Teilen 1974 gegen die Ratifizierung des Vertrages Drittens. Einige zusätzliche Staaten sind dem stimmte, Vertrag neu beigetreten. (Zurufe von der SPD: So ist es!) Auch die Bundesregierung hat für den Beitritt zu erheblichen Teilen offenbar immer noch nicht zum Nichtverbreitungsvertrag geworben. Wir wer- mit diesem Vertrag abgefunden hat. den das auch weiter tun, insbesondere bei den Schwellenländern, die dem Vertrag noch reserviert (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei gegenüberstehen. Dafür ist aber eine wichtige Vor- der CDU/CSU) aussetzung, daß der Vertrag in seiner gegenwärti- Wir bezweifeln, ob Sie ernsthaft eine atomare Abrü- gen Form beibehalten wird. Das bedeutet auch: Es stung wollen. Wir bezweifeln, ob Sie wirklich alle sollte nicht der Versuch unternommen werden, sei- einen vollständigen atomaren Teststopp wollen und nen Inhalt, etwa im Blick auf die Exportkonditio- nicht lieber die weitere Modernisierung von Atom- nen, zu verschärfen. waffen, wozu ja Tests erforderlich sind. Und wir Die Überprüfungskonferenz, die in Kürze begin- bestreiten, daß Sie — die Unionsfraktion ist ge- nen wird, ist kein Tribunal. Sie dient einer allseiti- meint — tatsächlich bereit sind, sich bei der Über- gen und umfassenden Überprüfung der bisherigen prüfungskonferenz wie ein nichtatomarer Staat zu Ergebnisse des Vertrages. Da können wir ihm in verhalten, und statt dessen Ihre Position in erster wichtigen Bereichen gute Noten ausstellen. Das gilt Linie in unmündiger Weise davon abhängig ma- insbesondere für die Verpflichtung der Kernwaffen- chen, was die Atommächte gutheißen. Solange Sie staaten und der Nichtkernwaffenstaaten, einer Ver- weder bereit sind, Initiativen des Parlaments aufzu- breitung von Kernsprengkörpern entgegenzuwir- nehmen, noch selbst Initiativen zu ergreifen, so- ken. Das gilt auch für die vorgesehenen Sicherungs- lange Sie das noch nicht einmal ernsthaft erwägen, maßnahmen. Dieses Kernstück des Vertrages hat müssen diese Zweifel erhoben werden. Und deshalb sich also bewährt. diese Aktuelle Stunde. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Wir werden bei der Überprüfungskonferenz ferner darauf hinweisen, daß wir zur Förderung der friedlichen Nutzung der Kernenergie, wie sie in Art. IV des Vertrages gefordert wird, unseren Teil Ich erteile das Wort dem Präsident Dr. Jenninger: beigetragen haben. Damit waren wir bestrebt, allen Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herrn Mölle- Staaten, für die dies möglich ist, bei der Sicherung mann. ihrer Energieversorgung zu helfen. Auch und ge- rade damit leistet die Bundesrepublik Deutschland einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung des Nicht- Möllemann, Staatsminister im Auswärtigen Amt: verbreitungsvertrages. Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die Nichtverbreitungspolitik der Bundesregierung Frau Kelly, man muß an dieser Stelle sagen — ist im Januar des Jahres hier im Plenum umfassend abgesehen davon, daß Ihre Fraktion ohnehin grund- erörtert worden. An dieser Stelle stand damals un- sätzlich auch die friedliche Nutzung der Kernener- ser Kollege Dr. Mertes, dessen zu früher Verlust gie ablehnt; da trennen uns eben Welten in der auch für dieses Haus uns allen in diesem Augen- Betrachtung dieses Energiebereichs —: In allen blick besonders bewußt ist. Ich lasse mich von sei- Staaten der Dritten Welt wird eine Auffassung wie ner damaligen Äußerung leiten, daß sich das Thema die Ihre, man solle den Staaten der Dritten Welt die der Nichtverbreitung wenig zur polemischen Erör- friedliche Nutzung der Kernenergie vorenthalten terung eigne, und ihnen fortgeschrittene Technologien damit (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) nicht zugänglich machen als eine Art Neoimpe- rialismus interpretiert. und daß die deutsche Nichtverbreitungspolitik bis- her mit Zustimmung des ganzen Hauses auf den (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Erkenntnissen auch der von der SPD-geführten frü- Die Bundesregierung wird bei der Überprüfungs- heren Bundesregierung aufgebaut habe. konferenz ihre bisherige Linie vertreten, daß das Im Blick auf die 3. Überprüfungskonferenz des wichtigste Mittel der Nichtverbreitung der Beitritt Nichtverbreitungsvertrages und die Frage, wie sich zum Nichtverbreitungsvertrag bleibt. Dies ist auch der Vertrag als das wichtigste Instrument der das wirkungsvollste Mittel zur globalen Ausweitung Nichtverbreitung von Kernsprengkörpern seit der der Überwachungsmöglichkeiten der Wiener Orga- letzten Überprüfungskonferenz im Jahre 1980 be- nisation. währt hat, kommt die Bundesregierung zu einem Die Ergebnisse der Verhandlungen über nukleare positiven Ergebnis. Abrüstung und Rüstungskontrolle sind bisher hin- Erstens. Kein Nichtkernwaffenstaat hat seitdem ter den an Art. VI geknüpften Erwartungen zurück- eine Kernexplosion ausgelöst. geblieben. Zweitens. Die Internationale Atomenergie-Orga- (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Aber weit!) nisation, IAEO, in Wien, von der hier schon die Manche Nichtkernwaffenstaaten werfen daher den Rede war, hat sich mit den Ergebnissen ihrer Siche- Kernwaffenstaaten eine Verletzung der in Art. VI rungsmaßnahmen zufrieden erklärt, auch bezüglich verankerten Vertragspflichten vor. solcher Staaten, die nicht Parteien des Nichtver- breitungsvertrages sind. (Dr. Schierholz [GRÜNE]: So ist es!) 10996 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Staatsminister Möllemann Dabei bleibt außer acht, daß Art. VI nur Verhand- abgesetzt wird, um einen anderen, aus Ihrer Sicht lungspflichten schafft. Die Verhandlungen, die die wichtigeren Punkt, nämlich Rüstungsexport, zu be- Großmächte seit Inkrafttreten des Vertrags geführt handeln, und Sie das dann dem Parlament vorwer- haben, führten zu so grundlegend wichtigen Ergeb- fen. Das können Sie nicht. nissen wie dem ABM-Vertrag und dem SALT-Pro- (Zustimmung bei der CDU/CSU — Dr. zeß. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das ist doch ein Jahr In diesem Zusammenhang ist ebenso die kürzlich her!) abgegebene Erklärung der USA positiv hervorzuhe- Das zweite. Ich halte es für unglaublich, wie Sie ben, daß sie die SALT-Begrenzungen unter den Vor- sich hier einfach hinstellen und sagen: Weil be- aussetzungen entsprechenden Verhaltens der So- stimmte Erfolge noch nicht erreicht worden sind, wjetunion weiter beachten werden, auch wenn müssen Sie der Bundesregierung Untätigkeit vor- SALT II ausläuft. werfen. Diese Bundesregierung hat einen entschei- Die Bundesregierung mißt einem umfassenden denden Anteil daran, daß die Gespräche in Genf und verläßlich verifizierbaren nuklearen Teststopp über die Reduzierung von Kernwaffen wieder in unverändert große Bedeutung bei und setzt sich Gang gekommen sind. Ich glaube, das werden Sie weiterhin dafür ein. nicht bestreiten. Ich würde meinerseits Ihnen nicht bestreiten, daß Sie sich mit gleicher Leidenschaft Allerdings haben wir in der Fragestunde hier dafür eingesetzt haben. auch deutlich gemacht: ein solcher Teststopp muß überprüfbar sein. Es nützt doch niemandem im Be- (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Immer diese reich der internationalen Politik und erst recht Pyrrhussiege!) nicht in der Rüstungskontrolle ein Vertragswerk, Aber dann sollten Sie nicht sagen, daß diese Bun- dessen Einhaltung nicht überprüft werden kann. desregierung in dieser Frage untätig ist. (Beifall des Abg. Berger [CDU/CSU] — Dr. Schlußbemerkungen. Hier ist von verschiedenen Schierholz [GRÜNE]: Ist auch technisch Seiten gefragt worden, was denn mit der neuen nicht möglich!) Phase der Entspannungspolitik gemeint sei. Wir verstehen unter einer neuen Phase der Entspan- Wer könnte etwas gegen die Überprüfung der Ein- nungspolitik — der Bundeskanzler hat es in einer haltung eines Vertrages haben, wenn nicht derjeni- Rede, der Bundesaußenminister in mehreren Bei- ge, der nicht beabsichtigt, sich an den Vertrag zu trägen gesagt —, daß wir uns mit allem Nachdruck halten? Daher appellieren wir an die Sowjetunion, dafür einsetzen, daß dem Wettrüsten auf der Erde die sich positiv zu einem solchen Teststopp äußert, ein Ende gesetzt wird und daß ein Wettrüsten im auch die Überprüfung eines solchen Teststopps zu- Weltall verhindert wird, wie in der Erklärung der zulassen. Dann wird man sich sehr schnell verstän- Außenminister der USA und der Sowjetunion digen können. steht, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Da sind wir ja Ich unterstreiche weiter, daß die Bundesregie- gespannt!) rung das Nichtverbreitungsregime als wichtiges und daß wir dem KSZE-Prozeß, Sicherheit nicht Element der Rüstungskontrollpolitik insgesamt be- nur durch Verteidigung, sondern auch durch Zu- trachtet. Ich unterstreiche auch, daß die Bundesre- sammenarbeit zu organisieren, mit allem Nach- gierung nicht die Idee einer europäischen Nuklear- druck unsere Unterstützung geben und deswegen streitmacht vertritt. Wir treten dafür ein, daß das über den Rüstungskontrollbereich hinaus uns be- Nichtverbreitungsregime darüber hinaus als Basis mühen, im Bereich der kulturellen, wirtschaftlichen der internationalen Zusammenarbeit bei der friedli- und wissenschaftlichen Zusammenarbeit das Fun- chen Nutzung der Kernenergie gestärkt wird und dament für eine solche übergreifende Zusammenar- zu universeller Geltung gelangt. Daher werden wir beit zu schaffen. uns aktiv an den Arbeiten der Konferenz beteiligen Daher ist es, glaube ich, klug, wenn die Bundesre- und uns für ein substantielles Schlußdokument ein- gierung auch im Bereich der Nichtverbreitung von setzen, das einvernehmlich weiterführende Emp- Kernwaffen und mit Blick auf die Überprüfungs- fehlungen zu den Bereichen Nichtverbreitung, konferenz präzis die Politik weiterverfolgt, die sie friedliche Nutzung der Kernenergie und nukleare bisher geleitet hat. Abrüstung enthält. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Schließlich möchte ich dem hier aus durchsichti- gen Gründen erhobenen Vorwurf der SPD entge- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gentreten. Für das, was hier im Parlament behan- delt oder nicht behandelt wird, ist nicht die Bundes- Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat Herr Abge- regierung zuständig. Das können Sie über den Me- ordneter Lenzer. chanismus des Ältestenrats sehr wohl beeinflus- sen. Lenzer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Da- Aber es ist nicht in Ordnung, Kollege Scheer, men und Herren! Es ist wieder etwas Ruhe in die wenn der Punkt, von dem Sie hier gesprochen ha- Debatte eingekehrt. Herr Kollege Dr. Scheer, Sie ben, auf der Tagesordnung des Ausschusses steht, haben hier sehr starke Worte der Kritik an die Bun- ich für die Bundesregierung da und bereit bin, ihn desregierung gerichtet. Ich muß Ihnen sagen, daß zu behandeln, er dann aber auf Ihren Antrag hin Ihre Vorwürfe einfach nicht zutreffen. Ich darf Sie Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 10997

Lenzer daran erinnern, daß die Bundesregierung am an den Brief des Minsiterpräsidenten Johannes 12. November 1984 Ihre Große Anfrage sehr umfas- Rau an den Bundeskanzler denke, daß Sie einmal send beantwortet hat. Ich darf Sie ferner daran in der Schnellbrütertechnologie, in der Wiederauf- erinnern, daß im Ausschuß und auch im Unteraus- arbeitungstechnologie und drittens durch die dau- schuß Rüstungskontrolle über dieses Thema einge- ernden Vorwürfe, die Bundesregierung sei untätig hend debattiert worden ist. Ich weise ferner darauf in der Nichtverbreitungspolitik, die Kernenergie hin, daß am 24. Januar 1985 hier in diesem Hause auch in ihrer friedlichen Nutzung aushebeln wol- eine Debatte in der gleichen Sache stattgefunden len. hat und daß Sie den Staatsminister Möllemann in (Gerstein [CDU/CSU]: Das wollen die!) der letzten Woche — man muß das schon sagen — über eine Stunde mit Fragen genervt haben. Sie Wenn Sie das wollen, dann sagen Sie das doch bitte müssen dann aber auch einmal bitte die Antwort deutlich; es ist ja ein Standpunkt, zu dem man ste- auf diese Fragen zur Kenntnis nehmen und müssen hen kann. sich an diesen Fakten orientieren. (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Schön wär's!) (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von — Herr Schierholz, Sie sagen „schön wär's". Bei der SPD) Ihnen weiß ich genau, was Sie wollen, aber bei der SPD weiß ich es wirklich nicht. Der Nichtverbreitungsvertrag ruht auf zwei Säu- len. Ich möchte mich noch mit einigen Bemerkun- (Zurufe von den GRÜNEN: Wir auch gen wiederum der zivilen, friedlichen Nutzung der nicht!) Kernenergie zuwenden. Der Nichtverbreitungsver- — Ausnahmsweise freue ich mich auch einmal über trag verpflichtet nämlich zur friedlichen Nutzung Ihre Zustimmung. der Kernenergie ohne Diskriminierung. Er ver- Die CDU/CSU-Fraktion bestärkt die Bundesre- pflichtet die Industrieländer, dabei den Entwick- gierung in ihrer Politik. Wir haben ebenfalls ein lungsländern, den Schwellenländern behilflich zu vitales Interesse daran, daß der Nichtverbreitungs- sein. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man die vertrag mit eindeutigen und unzweifelhaften Rege- Universalität dieses Vertragswerkes durchsetzen lungen auch in der Öffentlichkeit durchgesetzt will, wenn sich auch nur ein einziges Land unge- wird. Aber wir haben ein ebenso großes Interesse recht behandelt und diskriminiert fühlt. Dieser daran, daß wir unter dem Gesichtspunkt der Nicht- Nichtdiskriminierungsgrundsatz ist also für die diskriminierung die friedliche Nutzung der Kern- friedliche Nutzung der Kernenergie ganz wichtig. energie als eine zukunftsträchtige Technologie, für Jedes Kernenergieland — auch das muß man wis- die wir in unserer industriellen Entwicklung bisher sen — mit einer entsprechenden Forschungs- und schon ein großes Potential aktiviert haben und auch wissenschaftlichen, technischen Infrastruktur wäre in Zukunft weiterhin aktivieren wollen, zur Verfü- theoretisch in der Lage, einen nuklearen Spreng- gung haben. Es besteht, wie Sie wissen, ein ausge- körper herzustellen. Es ist also kein technisches klügeltes System der vertraglichen Sicherung, was Problem, dieses zu verhindern, sondern es ist die sowohl den abrüstungspolitischen Teil als auch die Aufgabe der Politik. friedliche Nutzung der Kernenergie weiter begün- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) stigt. Ich meine, wir sollten bei all unseren Betrach- tungen diese beiden tragenden Säulen der Nicht- Die Nichtverbreitungspolitik dieser Bundesregie- verbreitungspolitik dieser Bundesregierung sehen. rung liegt wie ein aufgeschlagenes Buch vor Ihnen. Wir unterstützen die Bundesregierung ausdrücklich Sie müssen nur darin lesen. Mehr kann man wirk- auf diesem Weg. lich nicht tun. Auch hier: Bitte halten Sie sich an die Fakten! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Klein [München] [CDU/CSU]: Kampf dem Analphabetismus!) Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kübler. Die friedliche Nutzung der Kernenergie — auch dies ist bereits gesagt worden — ist für viele, viele Länder ein wesentlicher Bestandteil der Energie- Dr. Kübler (SPD): Herr Präsident! Meine Damen versorgungspolitik. Wir hatten Ende 1983 weltweit und Herren! Die 3. Überprüfungskonferenz, Herr ca. 313 Kernkraftwerke mit 190 000 Megawatt in Staatsminister Möllemann, soll sicherlich — auch Betrieb, wir hatten 207 Kernkraftwerke in der nach unserer Auffassung — kein Tribunal werden. gleichen Größenordnung in Bau. Sie mögen daraus Sie soll aber natürlich, wie das Wort sagt, eine Über- ersehen, daß das keine exotische Technologie ist, prüfungskonferenz unter dem Aspekt sein, ob die sondern es handelt sich hier um eine Zukunftstech- Regelungen noch in allen Beziehungen vernünftig nologie. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von sind. Ich halte es auch nicht für richtig, wenn so- der SPD-Fraktion: Bitte klären Sie jetzt einmal wohl Sie, Herr Laermann, als auch Sie, Herr Lenzer auch für die Öffentlichkeit sichtbar und deutlich Ihr — Sie sind sicherlich forschungspolitisch immer et- Verhältnis zur friedlichen Nutzung der Kernener- was nüchterner und vielleicht leider etwas weniger gie! Ich habe nämlich das Gefühl, wenn ich jetzt an kritisch —, zu sehr auf „heile Welt" machen. Wir alle die hessische Entwicklung und an Ministerpräsi- wissen, daß wir nicht erst seit heute einen grauen dent Börner denke, der sich ursprünglich einmal Markt auf diesem Gebiet haben. um eine Wiederaufarbeitungsanlage in Wangers- Ein ganz wesentlicher Ansatz unseres Antrages hausen in Nordhessen bemüht hat, oder wenn ich ist, ob man im Rahmen der Überprüfungskonfe- 10998 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Dr. Kübler renz, was den grauen Markt betrifft, in der Tat Ver- kreislauf erfolgen. Es ist wichtig, darüber zu disku- besserungen vornehmen kann. Ich erinnere daran, tieren. Herr Lenzer, daß die zweite Enquete-Kommission Fünftens. Es muß die Herabsetzung des Anrei- „Zukünftige Kernenergie-Politik" dieses Thema cherungsgrades des verwendeten Urans bis auf ein nicht mehr vollständig diskutieren konnte, aber in- Maß erreicht werden, das nicht kernwaffenfähig ist. tensiv diskutiert hat. Aber die Kollegen der CDU Wenn ich die forschungspolitische Diskussion ver- und der CSU in diesem Gremium und auch Herr folge, so ist dies zumindest ein Punkt, in dem wir im Laermann haben hier Prinzip offensichtlich übereinstimmen. (Zuruf von der SPD: Damals konstruktiv!) (Berger [CDU/CSU]: Das wird sogar schon — ja, konstruktiv — mitdiskutiert, und wir waren gemacht!) uns durchaus in der Tendenz einig, daß Verbesse- Sechstens. Es muß die strikte Trennung — bei rungen notwendig sind. allen inneren Vorbehalten, wie ich zugebe; inwie- (Dr.-Ing. Laermann [FDP]: Dann bleiben weit dies faktisch möglich ist, steht dahin — zwi- Sie doch dabei!) schen militärischen und zivilen kerntechnischen Anlagen garantiert sein. Wir werden nicht alles verhindern können, aber wir wissen, daß es einen grauen Markt und damit auch Herr Lenzer und Herr Laermann, es kommt uns schwarze Schafe gibt. — ich spreche hier vor allen Dingen auch die For- schungs- und Wirtschaftspolitiker an — darauf an, Ich glaube auch, daß die Bundesrepublik als eines diese Punkte in die Beratung einzubringen und zu der großen wirtschafts- und technologiepolitischen sehen, wie weit man auf diesem Wege voran- Exportländer — wie man auch immer dazu stehen kommt. mag — auf diesem Sektor besondere Verpflichtun- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. gen hat, sich dieses Themas anzunehmen. (Beifall bei der SPD) Ich will — dies ist leider in der bisherigen Diskus- sion zu kurz gekommen — noch einmal sechs Punkte sehr deutlich formulieren, bei denen wir die Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat der Abge- Notwendigkeit sehen — sie stehen auch im wesent- ordnete Lamers. lichen im Antrag —, daß sie in dieser Überprüfungs- konferenz diskutiert werden. Das ist auch das Ziel Lamers (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr unseres Antrages. verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen Erstens. Es wird eine einheitliche Exportpolitik und Kollegen! Ich glaube, der Verlauf der Debatte aller nuklearexportierenden Länder angestrebt. Ich hat gezeigt, daß die Frage, die der Kollege Schäfer bin nicht so blauäugig, zu glauben, daß dies von hier eben gestellt hat, nur allzu berechtigt war. Ich heute auf morgen geht. Ich erinnere nur daran, daß habe mir auch die Frage gestellt: Was soll ange- ein Konflikt zwischen der Carter-Administration sichts der sehr intensiven Befassung des Parla- und der damaligen Bundesregierung bestanden hat, ments in seinen Ausschüssen und in seiner Ge- bei dem die Carter-Administration viel restriktiver samtheit in den vergangenen Monaten diese Aktu- war als die Bundesrepublik Deutschland. Es muß elle Stunde? Ich muß Ihnen wirklich in allem Ernst doch wohl möglich sein, hier zu einer einheitlichen sagen: Wenn dieses Instrument der Aktuellen Exportpolitik zu kommen, da die Zahl dieser Län- Stunde in einer derartigen Weise weiter miß- der zur Zeit immer noch begrenzt ist und hoffent- braucht wird, lich nicht nur wirtschaftsegoistische Interessen (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Was durchschlagen. machen Sie morgen?) Zweitens. Wirtschaftlicher Export und technologi- wie das in den letzten Monaten durch Sie und die sche Zusammenarbeit sollen nur angestrebt wer- Fraktion der GRÜNEN geschehen ist, dann entwer- den dürfen, wenn die Bedingungen des full scope ten Sie dieses Instrument und tun sich, dem ganzen safeguard gegeben sind. Ich wäre sehr dankbar ge- Parlament und uns allen gewiß keinen Gefallen. wesen, wenn in der Diskussion nicht nur so allge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — mein, sondern an Hand solcher Kriterien viel kon- Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Reden kreter diskutiert worden wäre. Sie zur Sache!) Drittens sollte ernsthaft geprüft werden, ob zivi- Auch die Lautstärke, Herr Kollege Scheer, mit ler Nuklearexport in Zukunft nur noch in Länder der Sie Ihre Argumente hier vorgetragen haben, gehen darf, die den Nichtverbreitungsvertrag unter- hat die Güte Ihrer Argumente um keinen Deut er- schrieben haben und sich der Überwachung durch höht. Ich muß Ihnen sagen: Der Versuch, den Sie die Internationale Atomenergiebehörde unterwer- hier unternommen haben, die Bundesregierung und fen. Dies ist im Grunde genommen das Schlupfloch die Unionsfraktion an den abrüstungspolitischen für den grauen Markt. Wer die „Süddeutsche Zei- Pranger zu stellen, mit leeren Behauptungen, ohne tung" von heute gelesen hat, der weiß — dies ist die Spur eines Beweises auch nur anzuführen, wird schon erwähnt worden —, wie riskant die Situation, Ihnen nicht gelingen. Wenn wir das ernstzunehmen was Nuklearterrorismus angeht, ist. hätten, dann hätte ein Aufschrei der Empörung Viertens. Es soll und muß vermieden werden, daß durch unsere Reihen gehen müssen, als Sie sagten, technologische Zusammenarbeit und wirtschaftli- wir wollten die nukleare Abrüstung nicht ernsthaft. cher Export für einen geschlossenen Brennstoff- Meine Damen und Herren, das ist im Grunde ein Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 10999

Lamers ganz ungeheuerlicher Vorwurf. Aber man kann das revidieren und zu erweitern. Sie wissen sehr gut, wirklich nicht ernst nehmen. Deswegen lohnt es daß wir damit die Schleusen für Revisionsforderun - sich auch nicht, weiter darauf einzugehen. gen der Staaten der Dritten Welt öffnen würden, die Es kann gar keine Frage sein, daß die Unions- bestimmt nicht Ihre und auch nicht unsere Forde- fraktionen selbstverständlich und nach wie vor un- rungen sind. Eine solche Forderung ist also kon- eingeschränkt die doppelte abrüstungspolitische traproduktiv. Zielsetzung des Nichtverbreitungsvertrages unter- Die Bundesregierung, verehrte Kolleginnen und stützen, nämlich eine Vermehrung von Kernwaffen- Kollegen hat dargelegt, daß der Vorwurf, sie sei auf staaten zu verhindern und eine Beendigung des diesem Felde inaktiv und desinteressiert, absolut Wettrüstens und eine Abrüstung der bestehenden unberechtigt ist. Ich muß darauf hinweisen, daß im Atomwaffenpotentiale zu fördern. Unterausschuß Abrüstung und Rüstungskontrolle und im Auswärtigen Ausschuß die Position der (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Das kann Bundesregierung so dezidiert und so überzeugend man aber auch nicht ernst nehmen!) dargelegt worden ist, daß dieser Vorwurf, wenn Sie Ich meine, man muß auch feststellen, daß das es ehrlich meinten, nie hätte erhoben werden kön- erste Ziel erreicht worden ist. Es gibt seit Abschluß nen. des Vertrages keinen neuen Atomwaffenstaat. Na- Ich danke Ihnen. türlich ist das andere Ziel der nuklearen Abrüstung nur höchst unbefriedigend verwirklicht. Darüber (Beifall bei der CDU/CSU) sind wir uns einig. Aber immerhin gibt es SALT I Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat Herr Abge- und SALT II. Es gibt den ABM-Vertrag und vor ordneter Berger. allen Dingen seit neuestem wieder Verhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion in Genf. Berger (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr Meine Damen und Herren, die Vorschläge, die Sie geehrten Damen und Herren! Der Kollege Lamers in Ihrem Antrag, den wir heute morgen im Auswär- hat schon darauf hingewiesen, was wohl der tiefere tigen Ausschuß mit guten Gründen abgelehnt ha- Sinn dieser Aktuellen Stunde ist, nämlich die Nach- ben, unterbreitet haben, um das Regime des Nicht- richt zu transportieren, die Sozialdemokraten seien verbreitungsvertrages zu stärken, sind außeror- für Abrüstung, Entspannung und Rüstungskontrol- dentlich problematisch. Damit können wir uns nicht le, während die Regierung und die sie tragende Ko- anfreunden. alition für Rüstung, für Sicherheit und gegen Ent- spannung sei. Natürlich hat es vor dem Abschluß dieses Ver- trages eine Vorkonferenz gegeben, die auch von der (Graf Huyn [CDU/CSU]: Das ist die alte Bundesregierung damals mit initiiert worden ist. Leier!) Aber die Lage heute ist anders. Diese Koalition, für die ich jetzt zum Abschluß Noch weniger erscheint uns eine Konferenz aller sprechen soll, macht eine gute Sicherheitspolitik. Kernwaffenstaaten zum derzeitigen Zeitpunkt Die Sozialdemokraten haben ein gespaltenes Ver- sinnvoll. Eine derartige Forderung nach einer sol- hältnis zur Sicherheitspolitik. Der Kollege Scheer chen Konferenz im derzeitigen Augenblick, d. h. vor hat in der vorhin schon zitierten Debatte im Januar Erfolgen der Genfer Verhandlungen zwischen den dieses Jahres hier folgendes ausgeführt: USA und der Sowjetunion, widerspricht den eindeu- Wir Sozialdemokraten sehen hierbei die deut- tig geäußerten Positionen sowohl Großbritanniens sche Position nicht an der Seite einer oder wie Chinas wie vor allen Dingen auch Frankreichs. mehrerer Atommächte, sondern an der Seite Für Frankreich gilt übrigens auch, daß die Forde- der Länder, die die nukleare Abrüstung und rung der SPD nach einer strikten Trennung zwi- damit die Überwindung der atomaren Ab- schen militärischen und zivilen kerntechnischen schreckung für eine unverzichtbare Aufgabe Anlagen nicht akzeptiert wird. Sie wissen das sehr halten. gut. Abgesehen davon, daß diese Forderung abrü- (Beifall bei der SPD) stungspolitisch ganz irrelevant ist, frage ich mich, Meine Damen und Herren von der SPD, ich halte wieso die SPD hier wie in der Frage einer Abrü- diese Position für falsch. Sie ist schlicht unverein- stungskonferenz aller Kernwaffenstaaten eine Po- bar mit der Sicherheitspolitik, die Sie, als Sie in der sition einnimmt, die von unseren französischen Regierungsverantwortung waren, betrieben haben Freunden mit Nachdruck und, wie ich hinzufügen und die wir seit 1960 gemeinsam in diesem Hause möchte, berechtigterweise abgelehnt wird. gemacht haben. Es wäre falsch, nur atomar abrü- (Dr. Soell [SPD]: Das war ein Vorschlag der sten zu wollen, und das etwa auch noch um jeden französischen Sozialisten von 1981!) Preis. Art. 6 des Nichtverbreitungsvertrages enthält nicht nur die Forderung nach einer atomaren Abrü- Das paßt, meine verehrten Kolleginnen und- Kolle- stung, sondern auch nach der allgemeinen Abrü- gen, sehr schlecht zu der neuerdings von Ihnen so stung mit dem Ziel einer gesamtstrategischen Sta- nachdrücklich geforderten sicherheitspolitischen bilität. Der Nichtverbreitungsvertrag verfehlte sei- Zusammenarbeit mit Frankreich. nen Sinn, wenn wir z. B. zu atomwaffenfreien Zo- (Dr. Soell [SPD]: Im Programm der franzö nen kämen, in die sowjetische Panzer ungehindert sischen Sozialisten von 1981 war das!) hineinstoßen könnten. Übrigens können wir uns ebensowenig der Forde- Übrigens: Wer etwa für die Nichtverbreitung um rung anschließen, den Nichtverbreitungsvertrag zu jeden Preis, für die atomare Abrüstung um jeden 11000 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Berger Preis ist, der müßte eigentlich auch völlig uneinge- damit einverstanden. Dann ist das mit der erforder- schränkt SDI zustimmen. lichen Mehrheit so beschlossen. (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Sie sind für die atomare Aufrüstung um jeden Preis!) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 c auf: Ich stelle fest: Sie kommen gerade zu einer gegen- teiligen Auffassung. a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs ei- nes Zweiten Gesetzes zur Änderung des Meine Damen und Herren, ich darf noch einmal Bundes-Immissionsschutzgesetzes klarstellen: Im Gegensatz zu der Aussage des Kolle- gen Scheer stehen wir an der Seite der Atom- — Drucksachen 10/1861, 10/1862 (neu) mächte USA, Frankreich und Großbritannien. Die Beschlußempfehlung und Bericht des Innen- gemeinsame Sicherheitspolitik im Rahmen des ausschusses (4. Ausschuß) westlichen Verteidigungsbündnisses wird auch in — Drucksache 10/3556 — Zukunft Frieden und Freiheit erhalten. Die Sozial- demokraten machen einen Fehler, wenn sie ato- Berichterstatter: mare Abrüstung absolut setzen. Abgeordnete Schäfer (Offenburg) Schulte (Menden) (Zurufe von der SPD) Schmidbauer — Meine sehr verehrten Kollegen, es ist immer Baum falsch, wenn man etwas aus einem Gesamtzusam- (Erste Beratung: 83. Sitzung) menhang löst. Atomare Abschreckung ist besser, als einen konventionellen Verteidigungskrieg füh- b) Zweite und dritte Beratung des von der Frak- ren zu müssen. Nicht nur die Atomwaffen sind eine tion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs Geisel der Menschheit, der Krieg ist es noch viel eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des mehr. Bundes- Immissionsschutzgesetzes Der Kollege Lamers ist soeben schon auf die Vor- — Drucksache 10/1022 konferenz eingegangen, die Sie gefordert haben. Beschlußempfehlung und Bericht des Innen- Lassen Sie mich in dem Zusammenhang noch die ausschusses (4. Ausschuß) Frage stellen, ob Sie etwa die Absicht gehabt hät- — Drucksache 10/3556 — ten, ein Land wie Indien zu dieser Vorkonferenz einzuladen, oder aber die Schwellenländer, von de- Berichterstatter: nen wir mit hinreichendem Grund annehmen kön- Abgeordnete Schäfer (Offenburg) nen, daß sie sich zumindest die Fähigkeit, Kernwaf- Schulte (Menden) fen herzustellen, verschafft haben. Noch weniger Schmidbauer konstruktiv im Hinblick auf das Ziel der Nichtver- Baum breitung, der Stärkung dieses Nichtverbreitungs- (Erste Beratung: 75. Sitzung) vertrages wäre jetzt eine Konferenz sämtlicher Atommächte, wie Sie sie an anderer Stelle gefor- c) Beratung der Beschlußempfehlung und des dert haben. Eine solche Konferenz nähme den bei- Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß) den Verhandlungspartnern, die jetzt in Genf zusam- zu den Unterrichtungen durch die Bundesre- mensitzen, jeglichen Verhandlungsdruck, um bei gierung wichtigen Fragen der nuklearen Rüstungskontrolle aa) Zweiter Immissionsschutzbericht der oder der Abrüstung endlich einen Durchbruch zu Bundesregierung erzielen. bb) Dritter Immissionsschutzbericht der Meine Damen und Herren, wer nur blind gegen Bundesregierung diese Politik der Abhaltung vom Krieg eifert, wer — Drucksachen 9/1458, 10/1354, 10/3543 — atomwaffenfreie Zonen fordert, die für uns ein Si- cherheitsrisiko werden könnten, wer eine falsche Berichterstatter: Front von Nicht-Kernwaffenstaaten unter unserer Abgeordnete Schmidbauer Führung gegen unsere Sicherheitspartner USA, Frau Dr. Hartenstein Frankreich und Großbritannien aufbauen will, der Dr. Hirsch dient weder der Sicherheit unseres Landes noch Im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Politik der Nichtverbreitung. der Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 c und ein Beitrag Vielen Dank. bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart (Beifall bei der CDU/CSU) worden. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Präsident Dr. Jenninger: Meine Damen und Her- Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? ren, die Aktuelle Stunde ist beendet. — Das ist nicht der Fall. Die Beschlußempfehlung und die Berichte des In- Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort nenausschusses zu den Tagesordnungspunkten 2 a hat der Herr Abgeordnete Schmidbauer. bis 2c konnten erst gestern verteilt werden. Ich gehe davon aus, daß von der Frist für den Beginn der Beratung gemäß § 81 Abs. 1 der Geschäftsord- SchmIdbauer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine nung abgewichen werden soll. — Ich sehe, Sie sind sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir ha- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11001

Schmidbauer ben — das ist unstrittig — im Bereich des Umwelt- des Bundesrates in die Ausschußberatungen einge- schutzes in den letzten Jahren vieles erreicht. Die bracht. Diese sehen u. a. vor, daß in Zukunft durch Bilanz unserer Leistungen seit 1982 Rechtsverordnung der Bundesregierung nach § 7 (Schäfer [Offenburg] [SPD]:... kann sich des Bundes-Immissionsschutzgesetzes bestimmt sehen lassen!) werden kann, inwieweit Anlagen, deren Errichtung und Betrieb zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der kann sich sehen lassen. Verordnung genehmigt sind, nach Ablauf bestimm- (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von ter Übergangsfristen den Anforderungen für Neu- der SPD und den GRÜNEN) anlagen entsprechen müssen. Bei der Bestimmung der Übergangsfristen und der einzuhaltenden An- — Er hat meine Rede vorher gesehen. Das war also forderungen sind folgende Kriterien vom Verord- nicht die Vorausahnung vom Kollegen Schäfer. nungsgeber zu berücksichtigen: Art, Menge und Ge- Die CDU/CSU-Fraktion sieht in gezielten und fährlichkeit der von den Anlagen ausgehenden kalkulierbaren Maßnahmen zur Luftreinhaltung, Emissionen sowie Nutzungsdauer und technische die an den Quellen der Luftverschmutzung anset- Besonderheit der Anlagen. Diese Ergänzung der zen, einen Schwerpunkt ihrer vorsorglichen Um- vorhandenen Ermächtigung führt zu klaren Frist- weltpoltik. vorgaben, mehr Berechenbarkeit und Vorausschau- barkeit für die Anlagenbetreiber, weil das zu errei- In unserem Entschließungsantrag „Unsere Ver- chende Sanierungsziel für einen bestimmten Altan- antwortung für die Umwelt" vom 9. Februar 1984 lagenbestand über feste Übergangsfristen stufen- sind die entsprechenden Grundzüge dargelegt. Ne- weise erreicht wird. ben einer Erweiterung und Verfeinerung des bisher rein ordnungsrechtlich ausgerichteten Instrumen- Neben der Verbesserung des ordnungsrechtli- tariums der Ge- und Verbote muß das Eigeninter- chen Instrumentariums, ohne das im Umweltschutz esse der Wirtschaft an der Einführung umwelt- nicht auszukommen ist, ist der Einsatz marktwirt- freundlicher Verfahren und Produktionsweisen ge- schaftlich wirkender Instrumente ein zusätzliches stärkt werden. Mittel, um die gesteckten Sanierungsziele zu errei- Wir führen deshalb im Sinne unserer Wirtschafts- chen. Bereits mit dem im August 1984 der Öffent- ordnung neue marktwirtschaftliche Elemente in die lichkeit vorgestellten Referentenentwurf zur Tech- Umweltschutzpolitik ein. Das heißt, wir wollen die nischen Anleitung Luft hatte der Bundesinnenmini- Kräfte des Marktes für die Umwelt arbeiten las- ster als marktwirtschaftlichen Anreiz eine Kom - sen. pensationsregelung vorgeschlagen. Im Entschlie- ßungsantrag der Koalitionsfraktionen vom 9. Fe- (Vogel [München] [GRÜNE]: O Gott, o bruar 1984 ist dieser Gedanke der Bundesregierung Gott!) zur Prüfung vorgelegt worden. Damit macht es dann auch einen Sinn, die anste- Die Koalitionsfraktionen halten es für erforder- henden hohen Investitionen, die auf Grund der lich und richtig, diese Ausgleichsmöglichkeit auch Großfeuerungsanlagen-Verordnung und der Tech- im Bundes-Immissionsschutzgesetz zu verankern. nischen Anleitung Luft durchgeführt werden müs- Die neuen Regelungen, die als Ermächtigungsnor- sen, im Rahmen des Bundes-Immissionsschutzge- men zum Erlaß von Rechtsverordnungen bzw. allge- setzes entsprechend abzusichern und zu erleich- meinen Verwaltungsvorschriften ausgestaltet sind, tern. sehen vor, daß bei Altanlagen in näher bestimmten Mit der heute anstehenden Novellierung des Bun- Gebieten und für einen bestimmten Zeitraum von des-Immissionsschutzgesetzes soll vor allen Dingen ordnungsrechtlich vorgegebenen technischen An- die Sanierung von Altanlagen, von denen das forderungen abgewichen werden darf, sofern durch Hauptemissionspotential ausgeht, vorangetrieben technische Maßnahmen an anderen Anlagen des werden. Dies ist einer der Schwerpunkte dieser No- Betreibers oder Dritter in diesen Gebieten insge- velle. Die den Vollzugsbehörden zur Verfügung ste- samt eine weitergehende Emissionsminderung der henden Instrumente des Gesetzes werden effekti- selben oder in ihrer Wirkung gleichen Stoffe er- ver gestaltet und verbessert. Bei Altanlagen, die vor reicht wird. Jahren genehmigt wurden und die dem Stand der Ziel dieser Regelung ist es, die Entscheidungs- technik nicht mehr entsprechen, wird die Eingriffs- spielräume der Umweltbehörden und der Anlagen- schwelle für nachträgliche Anordnungen gesenkt. betreiber, vor allem auch der mittelständischen Un- Maßstab wird künftig nicht mehr die wirtschaftli- ternehmer zu erweitern und insgesamt mit geringe- che Vertretbarkeit einer Maßnahme für den Anla- ren Kosten ein Mehr an Umweltschutz zu errei- genbetreiber, sondern der Verfassungsgrundsatz chen. Vorteil dieser Konzeption ist es, daß insbeson- der Verhältnismäßigkeit sein. Hierüber sind sich - dere bei Anlagen mit relativ günstigen Umwelt- alle Beteiligten einig. Über den Vorschlag des Bun- schutzkosten mehr Emissions-Minderungsmaßnah- desrates hinaus schlägt die Koalition vor, den Voll- men durchgeführt werden, während bei Anlagen zugsbehörden zusätzliche Abwägungskriterien für mit vergleichsweise hohen spezifischen Kosten bei die Verhältnismäßigkeitsprüfung an die Hand zu geben. insgesamt verbessertem Umweltschutz Umweltin- vestitionen für eine bestimmte Zeit zurückgestellt Auf Grund der Ergebnisse des Hearings vom werden können. Die Vollzugsbehörden müssen und 24. April 1985 haben die Koalitionsfraktionen wei- werden sicherstellen, daß durch dieses neue Instru- tere Vorschläge zur Ergänzung der Gesetzentwürfe ment der Kompensation mehr Umweltschutz reali- 11002 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Schmidbauer siert wird, als der ordnungsrechtliche Rahmen her- danken des Bundes-Immissionsschutzgesetzes 1974 gibt. — Gefahrenabwehr und Vorsorge — entsprechen (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Und wer ihrer Konzeption nach einer ökologisch orientierten kompensiert die Toten?) Gesetzgebung." — So die Feststellung des Bundes für Umwelt und Naturschutz und des Öko-Instituts Mitnahmeeffekte darf es dabei nicht geben. Freiburg bei der Anhörung des Innenausschusses Ein weiterer Schwerpunkt ist die Reststoffver- zu diesem Gesetz. meidung. In § 5 des Gesetzes wird das bereits gel- Das Gesetz aus dem Jahre 1974 ist wirklich ein tende Gebot zur Reststoffverwertung um das Gebot gutes Beispiel für erfolgreiche Umweltpolitik, Herr zur Reststoffvermeidung ergänzt. Wir schlagen — Kollege Baum, der sozialliberalen Koalition in der in der Akzentsetzung anders als vom Bundesrat ersten Hälfte der 70er Jahre. vorgeschlagen — vor, Reststoffvermeidung und Reststoffverwertung grundsätzlich nebeneinander (Beifall bei der SPD) zustellen, um den Unternehmen die Freiheit einzu- Ein Jahrzehnt praktischer Erfahrung bei der Um- räumen, unter Umwelt- und Kostengesichtspunkten setzung dieses Gesetzes zeigt freilich auch: Die be- das jeweils optimale Verfahren zu wählen. Hier sten gesetzlichen Regelungen bleiben vergleichs- schließt sich dann auch der Kreis im Bereich der weise wirkungslos, wenn sie nicht angewandt und Abfallwirtschaft. Die Prinzipien: Abfallvermeidung eingehalten werden. Dies gilt vor allem für die Alt- und Abfallverwertung gehen vor reiner Abfallbesei- anlagensanierung. Nach den Erfahrungen der letz- tigung, wie sie in der Novelle zum Abfallbeseiti- ten Jahre in diesem Bereich muß man den Schluß gungsgesetz vorgesehen sind, finden in § 5 des Bun- ziehen: Die Pflichten der Betreiber müssen konkre- des-Immissionsschutzgesetzes eine entsprechende tisiert und erweitert, die Befugnisse der Behörden Verankerung. müssen gestärkt werden. (Zuruf des Abg. Schulte [Menden] [GRÜ Leider, meine Damen und Herren, haben Sie von NE]) den Koalitionsfraktionen diese Chance nicht ge- — Sie kommen j a nachher dran. — nutzt. Im Gegenteil: Viele wichtige und richtige Vor- schläge des Bundesrats für eine wirksame Luftrein- Ein weiterer Schwerpunkt im Gesetz ist die Ab- haltepolitik sind von Ihnen im Gesetzgebungsver- Obwohl viele Betriebe anfal- wärmeverwertung. fahren verwässert worden. lende Abwärme aus Kostengründen bereits nutzen, hat sich herausgestellt, daß das vorhandene Einspa- (Zuruf des Abg. Dr. Laufs [CDU/CSU]) rungspotential noch nicht in allen Fällen voll ausge- Der Bundesrat hat mit Mehrheit weitergehende nutzt wird. Umweltschutzanforderungen — in diesem Fall so- (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Ach!) gar mit Stimmführerschaft von Bayern und Nord- Diesem Ziel dient die Einführung eines neuen Ge- rhein-Westfalen gemeinsam — vorgeschlagen, botes zur Abwärmenutzung. In einer Rechtsverord- (Lenzer [CDU/CSU]: Was heißt „sogar"?) nung wird geregelt, daß genehmigungsbedürftige die Sie anschließend in wichtigen Punkten wieder Anlagen so zu errichten und zu betreiben sind, daß rückgängig gemacht haben. anfallende Abwärme in anderen Anlagen des Be- treibers eingesetzt wird. Der weitergehende Vor- Dafür zwei Beispiele. Erstens. Der Bundesrat hat schlag des Bundesrates, auch die Einspeisung von vorgeschlagen, die Anlagen so zu betreiben, daß Wärme in weithin noch nicht vorhandene Fernwär- möglichst wenig Reststoffe — sprich: Abfälle — an- menetze vorzuschreiben, ging uns ordnungspoli- fallen. Dieses strikte Gebot zur Reststoffvermei- tisch zu weit. Das Bundes-Immissionsschutzgesetz dung, umweltpolitisch vernünftig, wurde von den ist dafür sicher nicht der richtige Regelungsbereich. Koalitionsfraktionen aufgeweicht. Das Reststoff Dies hat jedenfalls das im Innenausschuß durchge- verbot soll nur noch gelten, wenn die Reststoffe führte Hearing eindeutig ergeben. Wir wollen des- nicht ordnungsgemäß zu beseitigen sind. halb im Bundes-Immissionsschutzgesetz allein die (Dr. Laufs [CDU/CSU]: Reststoffe können interne Wärmenutzung für eigene Anlagen des Be- auch Wirtschaftsgüter sein!) treibers. Zweites Beispiel: Energie einsparen ist umwelt- Die CDU/CSU-Fraktion geht mit der Novellie- politisch dringend geboten. Je weniger Energie wir rung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes im Be- verbrauchen, desto weniger wird die Umwelt bela- reich der Luftreinhaltung einen weiteren Schritt stet. Aus dieser richtigen Erkenntnis heraus schlug voran. der Bundesrat — wieder bei Stimmführerschaft von Ich danke Ihnen. Bayern und Nordrhein-Westfalen — vor, bei der Ge- nehmigung von Anlagen auch die Frage zu prüfen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — - ob die entstehende Abwärme genutzt werden kann. Schulte [Menden] [GRÜNE]: Einen weite Auch hier dreht die Regierungskoalition die Vor- ren Schritt voran in die falsche Richtung!) stellung des Bundesrats zurück. Nach der heutigen Vorlage soll die Abwärmenutzung nur intern im Ge- Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat Herr Abge- nehmigungsverfahren als mögliche Nutzung ge- ordneter Schäfer (Offenburg). prüft werden. Gerade die externe Abwärmenutzung wie auch Schäfer (Offenburg) (SPD): Herr Präsident! Meine die Kraft-Wärme-Koppelung sind eine unverzicht- sehr geehrten Damen! Meine Herren! „Die Leitge- bare Forderung zur rationellen Energieverwendung Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11003

Schäfer (Offenburg) und damit zur Reduzierung von Umweltbelastun- 19. Jahrhundert entwickelt worden ist, festmachen gen. Von daher ist es energie- und umweltpolitisch und sich weigern, dem übergreifenden und vor- schlichtweg unverständlich, daß Sie von der CDU/ dringlichen Umweltschutzgedanken auch rechtlich CSU und der FDP hinter die Vorstellung des Bun- zu entsprechen. desrats zurückfallen. (Zuruf von der CDU/CSU: Dann müssen Kernstück der kleinen Novelle, die Sie uns heute wir das ganze BImSchG abschaffen!) vorlegen, sind die Vorstellungen zur Neufassung Aus Ihrer Sicht folgerichtig haben Sie dann auch des § 17 Abs. 2 — Altanlagensanierung — und die unsere entsprechenden Anträge im Ausschuß abge- Einführung einer Kompensationsmöglichkeit in § 7 lehnt. Abs. 2. Wer sich § 17 Abs. 2 — Altanlagensanierung — in Ihrer Vorlage ansieht, wird feststellen müssen, Ich will einen weiteren Punkt nennen, an dem Sie daß es sich hier um ein ausgesprochenes bürokrati- weitergreifende Umweltschutzgedanken abgelehnt sches Wortungetüm handelt. Für die Praxis wäre es haben. Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß besser, § 17 Abs. 2 ersatzlos zu streichen; so auch die heute der Widerruf von einmal erteilten Genehmi- Mehrheit der Sachverständigen bei der Anhörung. gungen nur unter sehr erschwerten Bedingungen erfolgen kann. In aller Regel besteht dann eine Ent- (Beifall bei der SPD) schädigungspflicht des Staates zugunsten der Be- Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der auch treiber. bei den nachträglichen Anordnungen zu berück- Unseren Vorschlag, daß die Genehmigung für den sichtigen ist, gilt als grundgesetzlicher Verfassungs- Betrieb einer Anlage — entschädigungslos — dann auftrag eh für jegliches Verwaltungshandeln. widerrufen werden kann, wenn Leben und Gesund- (Zuruf des Abg. Dr. Göhner [CDU/CSU]) heit, besondere Sachwerte oder geschützte Tier- und Pflanzenarten gefährdet sind, haben Sie abge- Was die Kompensationsregelung angeht, so muß lehnt. Im Klartext heißt das für Ihre Umweltpolitik: man zunächst festhalten — ich sage das positiv —, Wenn, wie beispielsweise im Falle Boehringer in daß sich diese Regelungsmöglichkeit nur auf Altan- Hamburg, wegen unmittelbarer Gesundheitsgefah- lagen bezieht. ren für die beschäftigten Arbeitnehmer und die Im Gegensatz zu Ihren Ausführungen, Herr Kol- Nachbarn der Betrieb der Anlage nicht mehr zuläs- lege Schmidbauer, will ich auch positiv festhalten, sig ist, muß nach Ihrer Vorstellung den Betreibern daß im Grunde das, was an marktwirtschaftlichen aus Steuermitteln dafür auch noch eine Entschädi- Umweltinstrumenten öffentlich diskutiert wird und gung gezahlt werden. Hier stellen Sie, meine Da- was zu Lasten eines wirksamen Umweltschutzes men und Herren von der Koalition, das von Ihnen und zugunsten wirtschaftlicher Interessen ginge, sonst so hochgehaltene Verursacherprinzip auf den im Grunde in dieses Gesetz keinen Eingang gefun- Kopf; hier zeigen Sie einmal mehr, wessen Anwalt den hat. Ich will dies hier ausdrücklich positiv wer- Sie sind: im Zweifel für kurzfristige betriebswirt- tend sagen. Im Grunde schreibt die nunmehr im schaftliche Interessen, gegen die Umwelt. Gesetz vorgesehene Kompensationslösung ledig- (Zuruf von der CDU/CSU: Das glauben Sie lich das fest, was bisher schon informal zwischen doch selber nicht!) Behörde und Betreibern geschieht. Wir diskutieren heute gleichzeitig den Zweiten Freilich konnten wir nicht zustimmen, weil Sie und den Dritten Immissionsschutzbericht der Bun- nicht ausschließen konnten — das hat die Bundes- desregierung, der zweite von der vormaligen Bun- regierung im Ausschuß auch bestätigt —, daß sich desregierung, der dritte von dieser zu verantworten. über diese Kompensationsregelung negative Mit- Beide Berichte geben ein nüchternes, ein unge- nahmeeffekte zu Lasten der Umwelt und zugunsten schminktes Bild der umweltpolitischen Lage vor al- von Betreibern einstellen. lem auf dem Gebiet der Luftreinhaltung. Beide Be- (Zuruf von der CDU/CSU: Was denn jetzt? richte weisen die großen Gefahren auf Grund der Entweder oder!) zunehmenden Luftverunreinigung und Luftver- Kurzum, die Novelle zum Bundes-Immissions- schmutzung aus. Beide Berichte sind letztlich un- schutzgesetz, die Sie heute vorlegen, beschränkt terschiedlos ein einziger Appell im Sinne zielgerich- sich im wesentlichen auf zwei Punkte. Der eine ist teten und energischen Handelns in der Umweltpoli- überflüssig, der andere ist umweltpolitisch fragwür- tik. dig. Alle weitergehenden Vorschläge zur Verbesse- Leider sind Sie, meine Damen und Herren von rung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes haben der Regierungskoalition, diesem Appell mit dem, Sie im Ausschuß abgeschmettert. In der Rhetorik was Sie heute an Novellierungsvorschlägen zum stimmen Sie mit uns darin überein, daß niemand Bundes-Immissionsschutzgesetz vorlegen, nicht ge- ein Recht, geschweige denn einen Rechtsanspruch folgt. Auch nach der heute mit Mehrheit verab- auf die Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden schiedeten Novellierung bleibt die Weiterentwick- hat. Wenn es dann zum gesetzgeberischen Schwur lung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zwin- kommt, orientieren Sie sich freilich an Vorstellun- gend und dringend geboten. gen, die all das, was Sie rhetorisch von sich geben, (Beifall bei der SPD) zum puren Lippenbekenntnis werden lassen. Am Beispiel der Luftreinhaltung bedeutet das, daß Sie sie — die Luftreinhaltung — nach wie vor Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat Herr Abge- an den Prinzipien der Gewerbeordnung, wie sie im ordneter Baum. 11004 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Baum (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und in Nordrhein-Westfalen bedeutet dies gebietsweise Herren! Herr Kollege Schäfer, Sie haben hier ein eine Strompreiserhöhung von 8%. doch recht düsteres Bild gemalt, und es ist nötig, (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Aber, Herr daß wir Baum, das ist unter Ihrem Niveau!) (Zuruf von den GRÜNEN: Das war noch Ich frage mich, wie Sie bei einer solchen Situation viel zu hell!) eine weitere Verteuerung der Energie überhaupt hinnehmen können. Auch das, was die Koalition zur unsere Luftreinhaltepolitik einmal in einen Zusam- Förderung der Investitionen tut — Stadterneue- menhang stellen. Die Novelle steht ja nicht allein rung, Stadtsanierung und Umweltschutz —, ge- da, sondern sie muß im Zusammenhang mit einer schieht nicht durch eine Verteuerung der Energie, ganzen Reihe von Maßnahmen gesehen werden. Ich darf daran erinnern, daß wir 1977 eine Novelle vor- (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sie haben das gelegt und diskutiert hatten, die dann nicht zum Papier nicht gelesen!) Zuge gekommen ist. doch, natürlich machen Sie das — sondern durch (Zuruf von den GRÜNEN) Steuermittel. Das ist meiner Ansicht nach sehr viel wirkungsvoller als das, was Sie vorschlagen. — Ja, das müßte man näher erkunden. Dazu fehlt Diese Politik setzen wir ja nicht nur hier fort, son- mir leider die Zeit. Ich könnte Ihnen das sagen. Da dern auf allen möglichen Gebieten: im Wasserrecht, gab es Widerstände bei den Ländern. Es wäre gut im Bereich des Bodenschutzes, im Bereich des Ab- gewesen, wenn wir einiges von dem gemacht hät- fallrechts. ten, was damals verfolgt wurde. Leider wurde die- ses Gesetz dann nicht weiterverfolgt. (Zuruf von den GRÜNEN: Das ist ja das Schlimme!) Zu dem Gesamtkonzept — darauf möchte ich aus- Bis 1988 erwartet die Elektrizitätswirtschaft allein drücklich hinweisen — gehört die Großfeuerungs- bei ihren Anlagen eine anlagen-Verordnung. Herr Menke-Glückert, der Schwefeldioxidverminde- rung von 1 Million Jahrestonnen. Sie kennen die frühere Abteilungsleiter im Bundesinnenministe- Zahlen. Es ist also so, daß etwas geschieht; hier rium, hat gerade einen Kommentar dazu geschrie- wird investiert und hier wird reduziert. ben und hat mit Recht gesagt: (Beifall bei der CDU/CSU) Diese Großfeuerungsanlagen-Verordnung be- deutet einen tiefen Einschnitt in die bisherige Und es ist ja so — Sie haben eben die Berichte Energiepolitik und Kraftwerksplanung. Der genannt — — Rang umweltpolitischer Ziele ist gegenüber (Zuruf von den GRÜNEN: Hier wird gere Zielen der Energie- und Industriepolitik nach- det, und draußen stirbt der Wald!) haltig verstärkt worden. Die politischen Priori- täten in der Bundesrepublik sind verändert — Wenn Sie wollen, daß sie die Emissionen auf Null worden. bringen, dann brauchen Sie es nur zu sagen; dann müssen Sie alles abstellen. Das kann ja kein ver- Ich teile diese Meinung; denn diese Verordnung nünftiger Mensch wollen. Wir können uns aus den setzt ein Investitionsvolumen von etwa 20 Milliar- Vorentscheidungen, die hier jahrzehntelang getrof- den DM in Bewegung. Bei der Rheinischen Braun- fen worden sind, nicht lösen. Wir leben in einer kohle schätzt man das Volumen auf etwa 6 Milliar- Industriegesellschaft, aus der wir uns nicht ausklin- den DM, und das in einem Zeitraum von ca. acht ken können. Aber wir können feststellen, daß die Jahren. Ein besseres Programm „Arbeit und Um- Schwefeldioxidemissionen in den letzten Jahren welt", meine Damen und Herren von der SPD-Oppo- deutlich zurückgegangen sind. Die Stickoxidemis- sition, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, sionen haben sich nicht vermindert, sie haben sich wenn ich gleichzeitig weiß, daß durch diese Investi- aber auch nicht — wie in den letzten Jahren — wei- tionen etwa 40 000 Arbeitsplätze gesichert oder ge- ter erhöht. Und das trotz einer erheblichen Zu- schaffen werden. Das war doch unsere Politik, auch nahme der Zahl der Kraftfahrzeuge. unsere gemeinsame Politik: durch strikte Auflagen Man muß ja auch einmal sagen: In den Jahren Investitionen nach dem Verursacherprinzip zu er- 1971 bis 1981 sind in der Bundesrepublik Deutsch- reichen. Ich wundere mich, daß Sie von diesem land etwa 200 Milliarden DM in den Umweltschutz Prinzip mit Ihrem Vorschlag einer Stiftung „Arbeit investiert worden. Wir fangen ja nicht am Punkt und Umwelt" abgehen. Null an, wie Sie manchmal meinen. (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Das (Zuruf von den GRÜNEN) stimmt doch gar nicht!) - Die Reduzierung der Luftschadstoffe darf nicht Sie wollen zusätzlich die Energiepreise belasten allein unter dem Gesichtspunkt der Waldschäden und wollen aus dieser zusätzlichen Belastung Inve- gesehen werden. Ich meine, Luftreinhaltepolitik stitionen fördern. Wir sagen den Betreibern, was sie zielt vor allem auch auf den Schutz der menschli- zu investieren haben, und daraus ergibt sich dann chen Gesundheit. Ich hätte mir gewünscht, daß die Belastung; auch in den Beratungen der letzten Monate in der Europäischen Gemeinschaft dieser Gesichtspunkt (Zuruf von der SPD: Und wer bezahlt etwas stärker zur Geltung gekommen wäre. Diesen das?) Schutz der Gesundheit haben wir mit allen anderen Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11005

Baum Europäern gemeinsam; Waldschäden haben wir nur Anlage liegt j a ein Genehmigungsbescheid zu- allein. grunde — künftig nach strengeren Normen. Sie müssen also abwägen, wann eine Entschädigungs- Alles in allem kann man also sagen, daß diese beginnt, und wann nicht. Novelle ein Stück auf dem Wege zu einer ökolo- pflicht gisch und sozial verpflichteten Marktwirtschaft ist. (Zuruf des Abg. Schäfer [Offenburg] Der Produktionsfaktor Natur gewinnt an Bedeu- [SPD]) tung; er ist ebenso wichtig wie die Produktionsfak- Das Innovationspotential der Wirtschaft wird toren Kapital und Arbeit. Der Umweltpolitik wird also hier eingesetzt, und ich meine, daß wir uns mit der gleiche Rang eingeräumt wie der Wirtschafts- der Novelle ein ganzes Stück weiter nach vorne und Sozialpolitik. Das Umweltgut reine Luft ist ein bewegt haben, wenn man all die anderen Maßnah- knappes Gut geworden, und der Produktionfaktor men dazunimmt, die wir im Bereich der Luftrein- Natur ist nicht mehr kostenlos; für ihn bestehen haltung treffen, von der Großfeuerungsanlagen- Knappheitspreise, und den technischen Fortschritt Verordnung bis zu den Verordnungen, die TA Luft wollen wir gezielt einsetzen, um Umweltgefahren Teil 2, TA Luft Teil 3. Hier ist eine weitgefächerte zu mindern. Strategie, die sehr viel Energie und Kraft und Inve- Die Novelle ist das Ergebnis einer gründlichen stitionen fordert. Das sollte anerkannt werden, auch Diskussion. Wir haben uns auch an den Anhörun- wenn Sie in dem einen oder anderen Punkt nicht gen orientiert, die wir hier durchgeführt haben. Das zufriedengestellt sind. Positive, das wir herausstreichen müssen, ist, daß Wir tragen diese Novellierung, wir stimmen ihr Altanlagen letztlich so behandelt werden wie Neu- zu und hoffen, daß sie möglichst gute Wirkung hat anlagen — mit unterschiedlicher Zeitachse. bei Investitionen für den Umweltschutz und für Ar- Wir geben dem Vorsorgeprinzip Vorrang. Wir ha- beitsplätze auf diesem Felde. ben nun endlich die Konzeptverordnungen mit Bin- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — dungswirkung, nicht mehr punktuelle Maßnahmen, Zurufe von den GRÜNEN) sondern Maßnahmen, die einem Konzept entspre- chen. Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat Herr Abge- Meine Fraktion hätte es gewünscht, daß wir noch ordneter Schulte (Menden). eine stärkere Verknüpfung der Luftreinhaltung mit der Landesplanung hätten erreichen können; aber das müssen wir auf andere Weise anstreben. Ich Schulte (Menden) (GRÜNE): Herr Präsident! war und bin der Meinung, die Luftreinhalteplanung Meine Damen und Herren! Zu meinen Vorrednern sollte noch klarere Zielvorgaben für die Landesent- fällt mir nur ein: ihr Eigenlob stinkt genauso wie wicklung enthalten. Aber wichtig ist, daß wir jetzt unsere Luft. Konzeptverordnungen haben. Wichtig ist, daß eine (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der breite Modernisierung eingeleitet worden ist, u. a. SPD) mit dem Teil 3 der TA Luft. Wichtig ist, Herr Kol- lege Schäfer — das müssen Sie anerkennen —, daß — Ich hoffe, daß die Wähler 1987 ihr Wahlverhalten in § 17 Abs. 2 der Einwand der wirtschaftlichen Ver- nicht nach Ihren Sonntagsreden hier ausrichten, tretbarkeit gefallen ist. Das ist unbezweifelbar rich- sondern nach dem Zustand des Waldes. tig. Da kann man sich fragen, ob man die Abwä- (Zuruf von der CDU/CSU: Ihr stinkt den gungskriterien den Genehmigungsbehörden über- Wäldern zur Zeit aber auch!) läßt, oder ob man sie, wie wir es getan haben, ins — Nun mal sehen, wer zum Schluß die Nase vorn Gesetz hineinschreibt. Das Ergebnis ist, daß wir zu hat. einer einfacheren, ungehinderteren Altanlagensa- nierung, als sie bisher möglich ist, kommen. Der von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Ent- wurf zur Novellierung des Bundes-Immissions- Wir haben zum erstenmal Kompensationslösun- schutzgesetzes zeigt einmal mehr, daß die Umwelt- gen in § 7. Darauf wurde schon hingewiesen. Ich politik dieser Bundesregierung dort aufhört, wo das halte den Spielraum für so gering, daß ich hier kei- Profitinteresse der Wirtscha ft beginnt. nen Mißbrauch fürchte. Wir haben ein Reststoffver- (Zuruf von den GRÜNEN: So ist es!) meidungsgebot und schlagen damit den Bogen zum Abfallbeseitigungsgesetz, zur Recycling-Wirtschaft. Das heißt, der Spielraum für diese Bundesregie- rung, wirksame Umweltpolitik zu betreiben, ist Wir tun das wirtschaftlich Mögliche und Vernünf- gleich Null. Die Diskussion um die Neufassung des tige bei der Abwärmenutzung. Sie haben doch die Bundes-Immissionsschutzgesetzes hat bewiesen, Sachverständigen gehört. Das, was der Bundesrat daß Meinungen von Experten und Umweltschüt- will, ist nicht finanzierbar, ist unter den gegebenen zern bei dieser Regierung und bei den Fraktionen Umständen nicht machbar. Der Bundestag sollte der CDU/CSU und FDP überhaupt nichts gelten. sich an dem orientieren, was wirklich durchsetzbar Anstatt endlich zur Kenntnis zu nehmen, in welch ist. Hier im Gesetz haben Sie eine wirtschaftlich großem Ausmaß Maßnahmen zur Verbesserung der vernünftige Abwärmenutzung. Umweltsituation neue Arbeitsplätze schaffen, Wir haben bei dem Widerruf, Herr Kollege Schä- glaubt Herr Zimmermann noch immer an das alte fer, natürlich auch zu berücksichtigen, daß sich Be- Märchen des Bundesverbandes der Deutschen In- treiber auf einen behördlichen Bescheid in einem dustrie, wonach Umweltschutz die Exportfähigkeit gewissen Umfang verlassen können müssen. Einer der deutschen Wirtschaft beeinträchtige. 11006 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Schulte (Menden) Wird die Neufassung des Bundes-Immissions- Emissionen, wie Untersuchungen bei industriellen schutzgesetzes in dieser von BDI-Lobby-Vertretern Feuerungsanlagen in Nordrhein-Westfalen bewie- entworfenen Fassung gebilligt, so wird zum dritten sen haben, reihenweise über den in der TA Luft mal nach Verabschiedung der Großfeuerungsanla- festgelegten Schadstoffgrenzwerten liegen. gen-Verordnung und der Novellierung der TA Luft Mehr als unverständlich bleibt auch, weshalb die eine Chance vertan, die notwendigen und sinnvol- Vorschläge der Fraktion DIE GRÜNEN zur Schaf- len Schritte zum Schutz der menschlichen Gesund- fung eines Einsichtsrechtes für jedermann in Emis- heit und Natur vor Luftverunreinigungen zu tref- sionserklärungen und Emissionskataster nicht fen. ernsthaft überdacht wurden. Dabei boten unsere (Dr. Laufs [CDU/CSU]: Reden Sie keinen Vorschläge eine sinnvolle Möglichkeit, sowohl dem solchen Unsinn!) Informationsbedürfnis der Bevölkerung in Fragen Trotz zunehmender Sonderabfallprobleme lehnt der Luftreinhaltung als auch dem Schutz von Be- triebsgeheimnissen der Unternehmen entgegenzu- man die Aufnahme eines prinzipiellen Abfallver- kommen. Meiner Auffassung nach können Gesetze meidungsgebotes in das Bundes-Immissionsschutz- gesetz ab. Jedem Bürger ist klar, daß Abfälle, die allein nicht die alltägliche Umweltverseuchung erst gar nicht anfallen, auch keine Umweltschäden durch die Industrie stoppen. Was wir brauchen, ist hervorrufen können. Aber trotzdem sollen zukünf- ein mehr an Transparenz; denn der Filz aus Politi- tig Abfallvermeidung und Abfallverwertung gleich- kern, Bürokraten und Firmenbesitzern scheut das berechtigt nebeneinander stehen. Neue Umwelt- Licht der Öffentlichkeit wie der Teufel das Weih- wasser. schäden etwa durch das Recycling bestimmter Kunststoffe sind somit vorprogrammiert. (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der FDP: Schwätzer!) Auch die Regelungen hinsichtlich der Abwärme nutzung, die im Gesetz festgeschrieben werden sol- Weiterhin ungelöst bleibt zudem die Frage der len, werden — und dies meint selbst der BDI — in Stellung und Aufgaben der Immissionsschutzbe- der Praxis keine zusätzliche Abwärmenutzung und auftragten im Rahmen der Luftreinhaltepolitik. damit Energieeinsparung mit sich bringen. — Dem- Festzuhalten bleibt, daß Stellung und Aufgaben des gegenüber ließen sich durch die Vorschläge der Immissionsschutzbeauftragten dringend einer Er- GRÜNEN zur externen Abwärmenutzung in Ver- neuerung bedürfen. Auf Grund der überaus großen bindung mit der Erarbeitung regionaler und kom- auch materiellen Abhängigkeit des Immissions- munaler Energieversorgungskonzepte erhebliche schutzbeauftragten vom Unternehmer können Fortschritte bei der Nutzung anfallender Wärme er- diese Beauftragten bisher keine nennenswerten zielen. Notwendig ist vor allen Dingen auch, daß Fortschritte in der betrieblichen Luftreinhaltesitua- Anlagen künftig nur noch an solchen Standorten tion erreichen. Im Gegenteil, in den meisten Fällen errichtet werden dürfen, wo eine sinnvolle Nutzung werden derzeit von den Immissionsschutzbeauf- der Abwärme gegeben ist. tragten nicht einmal Umweltstraftaten der Unter- nehmen angezeigt. Auch die Vorschläge der Koalitionsfraktionen zur Novellierung des § 17 Abs. 2 des Bundes-Immis- Alles in allem: Diese Gesetzesnovellierung ist ty- sionsschutzgesetzes zeigen deutlich die Handschrift pisch für die Möchtegernpolitik dieser Bundesregie- der Industrie. Dieser Paragraph verhinderte bisher, rung. Die Ankündigungen können noch so gut sein, daß viele Kraftwerke und Industrieanlagen nach- letztlich bleibt das übrig, was der Großindustrie und träglich mit Abgasreinigungsanlagen ausgestattet den Energiekonzernen nicht weh tut. wurden, weil u. a. die Behörden einen zu großen Man darf gespannt sein, an welchem Montag der Ermessensspielraum haben. Ohne jeden sachlichen „Spiegel" Unterlagen veröffentlicht, die die finan- Grund wurde auf die von den GRÜNEN vorgeschla- zielle Lobbyarbeit beim Zustandekommen dieser gene Reduzierung des Ermessensspielraums der Gesetzesänderung nachweisen. ausführenden Behörden verzichtet. Das hätte die Danke schön. Vollzugsbehörden bei der Durchsetzung nachträgli- cher Anordnungen entscheidend gestärkt. Bleibt es (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Laufs bei dieser Ablehnung der Koalitionsfraktionen zu [CDU/CSU]: Unglaublich! Schämen Sie den Vorschlägen der GRÜNEN, wird die von der sich!) Bundesregierung als bedeutsame Maßnahme zur Luftreinhaltung — was man hier auch wieder hören Präsident Dr. Jenninger: Ich erteile das Wort dem konnte — apostrophierte Novellierung des § 17 des Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesmi- Bundes-Immissionsschutzgesetzes in der Praxis nister des Innern, Herrn Spranger. keinerlei Verbesserung darstellen. Die Forderung der Koalitionsfraktionen- zur Än- Spranger, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- derung dieses Paragraphen fällt sogar noch hinter ster des Innern: Herr Präsident! Meine sehr verehr- den Vorschlag des Bundesrates zurück. Indem Nut- ten Damen und Herren! Mit der Novellierung des zungsdauer und technische Besonderheiten von An- Bundes-Immissionsschutzgesetzes heute im Deut- lagen zum Entscheidungskriterium dafür erhoben schen Bundestag wird ein wichtiges und umfassen- wurden, ob nachträgliche Anordnungen getroffen des Umweltgesetz beraten und zum Abschluß ge- werden sollen, wird alles beim alten bleiben. bracht. Dieses Gesetz verfolgt zwei Ziele: Schutz Kommt dies so durch, so dürfen die alten Klitschen von Menschen, Tieren, Pflanzen, Bäumen und ande- auch weiterhin zum Himmel stinken, obwohl ihre ren Sachen vor schädlichen Umwelteinwirkungen Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11007

Parl. Staatssekretär Spranger und zum anderen Vorbeugung und Vorsorge gegen heute zur Beschlußfassung vorliegende Novelle Umweltschäden. zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, besonders die Ermächtigungen in § 7 Abs. 2 und in § 48. (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Und den Schutz der Industrie vor diesem Gesetz! Dieses neue Konzept arbeitet mit klaren Fristvor- § 17 Abs. 2!) gaben, nach denen die bestehenden Anlagen umge- Es bestimmt mit seinen umfassenden Vorschriften rüstet werden müssen. Bei der Bestimmung der Sa- das gesamte wirtschaftliche Handeln in unserem nierungsfristen und der für Altanlagen einzuhalten- Lande. — Bei Ihrer Rede und Ihren Zwischenrufen den technischen Anforderungen werden vor allem wird mir allmählich klar, warum Sie nicht einmal die Art, die Menge und die Gefährlichkeit der Emis- auf Ihren Parteitagen mehr als Chaos produzieren. sionen sowie die Nutzungsdauer und die techni- schen Besonderheiten der Anlagen berücksichtigt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Je größer das einem Schadstoff innewohnende Risi- Schulte [Menden] [GRÜNE]: Sie haben kopotential ist, desto strenger sind die technischen nicht zugehört!) Anforderungen, desto kürzer sind die Sanierungs- Die Vorschriften werden in ihrem Vollzug Aus- fristen. wirkungen auch auf jeden einzelnen Bürger in un- Ziel der heutigen Novelle ist damit auch neben serem Land haben. den beabsichtigten einschneidenden Umweltver- Mit der heute anstehenden Novellierung dieses besserungen, insbesondere bei Altanlagen, die Kal- Gesetzes macht die Bundesregierung erneut deut- kulierbarkeit und Investitionssicherheit für die An- lich, daß Umweltschutz ein zentrales Thema, eine lagenbetreiber zu schaffen. Nur eine für die Wirt- zentrale Aufgabe dieser Bundesregierung bleibt. schaft insgesamt verläßliche Umweltpolitik würde Vor dem Hintergrund der weiträumigen Luftver- auf Dauer die notwendigen Umweltverbesserungen schmutzung, besonders der sichtbaren Vegetations- bringen. Nur eine verläßliche und konsequente Um- und Materialschäden, ist unsere Luftreinhaltestra- weltpolitik wird die Arbeitsplätze in hochtechnisier- tegie auf Umweltvorsorge ausgerichtet. Unser Ziel ten Bereichen schaffen, die wir brauchen. Mehr ist die konsequente und schrittweise Reduzierung Umweltschutz ist deshalb auch ein entscheidender der Umweltbelastung aus allen Emissionsquellen. Faktor für die Belebung und Modernisierung unse- rer Wirtschaft. Nur umweltverträgliche Produk- Um zu einer spürbaren Verminderung der Luft- tionsverfahren werden sich auf Dauer halten kön- verschmutzung zu gelangen, muß vor allem die Sa- nen. nierung der Altanlagen, von denen das Hauptemis- sionspotential ausgeht, energisch voran getrieben (Zuruf von den GRÜNEN: Alles schöne werden. Worte!) Nach der Verabschiedung der Großfeuerungsan- Um das Eigeninteresse der Wirtschaft an einer lagen-Verordnung und der TA Luft Teil 2 wird die Verbesserung des Umweltschutzes noch weiter zu Bundesregierung noch in diesem Sommer eine No- erhöhen, sieht die vorliegende Novelle auch Aus- velle zur TA Luft beschließen, mit der die bisheri- gleichsmaßnahmen zwischen benachbarten Unter- gen Emissionsgrenzwerte erheblich, zum Teil dra- nehmen vor, wenn insgesamt die Umweltsituation stisch reduziert werden. in den jeweiligen Gebieten verbessert wird. Dieses Um diese Verschärfungen rasch und wirksam in neue marktwirtschaftlich wirkende Instrument die Praxis umzusetzen, muß das Eingriffsinstru- wird insbesondere in hoch belasteten Gebieten mentarium des Gesetzes gegenüber Altanlagen effi- dazu führen, die Belastung mit Luftschadstoffen zienter gestaltet werden. schneller, wirksamer und auch kostengünstiger zu reduzieren. (Zuruf des Abg. Schäfer [Offenburg] [SPD]) (Senfft [GRÜNE]: Das wird sich erst noch zeigen müssen!) Die Bundesregierung begrüßt deshalb besonders die Änderung des § 17 Abs. 2, mit der der Einwand — Das können wir abwarten, das können wir dem- der Unternehmen nächst schon feststellen. (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Der bringt (Senfft [GRÜNE]: So viel Zeit haben wir doch nichts!) nicht mehr!) hinsichtlich wirtschaftlicher Unvertretbarkeit be- Mit der Ihnen zur Beschlußfassung vorliegenden seitigt und als alleiniger Maßstab für nachträgliche Novelle des Bundes-Immissionsschutzgesetzes wer- Anordnungen der Grundsatz der Verhältnismäßig- den die gesetzlichen Voraussetzungen für eine keit eingeführt wird. durchgreifende Verringerung der Luftbelastung in - (Zuruf des Abg. Schulte [Menden] der Bundesrepublik Deutschland geschaffen. Der [GRÜNE]) Innenausschuß hat nach Anhörung maßgebender Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Rechtspre- Für die Sanierung sämtlicher Altanlagen wird chung und Verwaltung die vorliegende Beschluß- erstmals in der kommenden Novelle zur TA Luft empfehlung erarbeitet. Die Bundesregierung bittet ein von uns entwickeltes längerfristiges, auf ein- um die Zustimmung des Deutschen Bundestages. heitliche und gleichmäßige Durchführung gerichte- tes Konzept vorgelegt. Die gesetzliche Grundlage (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord für dieses neue Luftreinhaltekonzept schafft die neten der FDP) 11008 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Präsident Dr. Jenninger: Meine Damen und Her- c) Zweite und dritte Beratung des von der Frak- ren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich tion der SPD eingebrachten Entwurfs eines schließe die Aussprache. Gesetzes über den Bundesrechnungshof Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Ab- (Bundesrechnungshofgesetz — BRHG —) stimmung, zunächst über den Tagesordnungspunkt — Drucksache 10/2929 — 2 a, den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf ei- Beschlußempfehlung und Bericht des Haus- nes Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immis- haltsausschusses (8. Ausschuß) sionsschutzgesetzes — Drucksachen 10/1861, — Drucksache 10/3510 — 10/1862 (neu). Berichterstatter: Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Über- Abgeordnete Esters schrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufge- Dr. Müller (Bremen) rufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den Roth (Gießen) bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dage- (Erste Beratung 136. Sitzung) gen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vor- schriften sind angenommen. d) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- Wir treten in die richtung durch den Bundesrechnungshof dritte Beratung Bemerkungen des Bundesrechnungshofes ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem 1984 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte (einschließlich der Bemerkungen zur Jahres- ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — rechnung des Bundes 1982) Enthaltungen? — Das Gesetz ist angenommen. — Drucksache 10/2223, 10/3509 — Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Tages- Berichterstatter: ordnungspunkt 2 b. Der Ausschuß empfiehlt auf Abgeordneter Kleinert (Marburg) Drucksache 10/3556 unter Ziffer 2, den von der Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf ei- eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungs- nes Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundes punkte 3a bis d und eine Aussprache von 90 Minu- Immissionsschutzgesetzes für erledigt zu erklären. ten vorgesehen — Ich höre keinen Widerspruch. Wer dieser Beschlußempfehlung des Innenaus- Dann ist das so beschlossen. schusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Ent- — Herr Abgeordneter Kleinert, Sie haben das Wort haltungen? — Die Beschlußempfehlung des Aus- zur Berichterstattung. schusses ist angenommen. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Ta- KleInert (Marburg) (GRÜNE): Herr Präsident! gesordnungspunkt 2 c). Wer der Beschlußempfeh- Meine Damen und Herren! Mit der Beschlußemp- lung des Innenausschusses auf Drucksache 10/3543 fehlung auf Drucksache 10/3509 legt der Haushalts- zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Hand- ausschuß sein Beratungsergebnis zur Entlastung zeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1982 — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist an- vor und empfiehlt dem Plenum, dieser Beschlu- genommen. ßempfehlung seine Zustimmung zu geben. Die insgesamt 97 Prüfungsbemerkungen, die der Bundesrechnungshof zum Haushaltsverfahren ge- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3a bis 3d auf: macht hat, sind im Rechnungsprüfungsausschuß a) Beratung des Antrags des Präsidenten des eingehend erörtert worden. In den meisten Fällen Bundesrechnungshofes ist von den zuständigen Stellen Abhilfe versprochen Rechnung des Bundesrechnungshofes für worden. Leider mußte konstatiert werden, daß ge- das Haushaltsjahr 1984 — Einzelplan 20 — genüber den Vorjahren eine durchaus besorgniser- — Drucksache 10/3304 — regende Zunahme sowohl der Anzahl als auch der Schwere der gerügten Fälle zu verzeichnen ist. Aus Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: 76 Fällen, die im Haushaltsverfahren 1981 gerügt Haushaltsausschuß wurden, sind inzwischen 97 geworden. Das sind fast b) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs ei- 20% mehr. Selbst diese Fälle dürften nur die Spitze nes Gesetzes über den Bundesrechnungshof eines Eisberges sein. Die Gründe dafür sind sicher (Bundesrechnungshofgesetz — BRHG —) vorrangig struktureller Art. Es gibt allerdings auch — Drucksachen 10/3204, 10/3323 — Anzeichen für einen problematischen oder man- Beschlußempfehlung und Bericht- des Haus- gelnden politischen Willen zu einer sparsamen haltsausschusses (8. Ausschuß) Haushaltsführung. — Drucksache 10/3510 — Ich möchte dies kurz an zwei Beispielen erläu- tern, die sowohl die alte, d. h. die damalige SPD- Berichterstatter: Regierung als auch die neue Bundesregierung be- Abgeordnete Esters treffen. Als erstes Beispiel erwähne ich Nr. 54 der Dr. Müller (Bremen) Bemerkungen des Bundesrechnungshofes. Diese Roth (Gießen) Bemerkung betrifft den Stand der steuerlichen Be- (Erste Beratung 136./140. Sitzung) triebsprüfung bei den als Großbanken eingestuften Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11009

Kleinert (Marburg) Kreditinstituten. Der Bundesminister der Finanzen 1969 verabschiedet. Ich begrüße es ganz besonders, hat die vom Rechnungshof bemängelte Praxis in- daß dies einvernehmlich geschieht. Daher erscheint zwischen teilweise dadurch legalisiert, daß — mit es mir auch vermeidlich, noch einmal darauf einzu- Schreiben vom 6. September 1984 — die Umsatz- gehen, warum in dreizehn Jahren sozialdemokrati- und Gewinngrenzen für die Größenklasseneintei- scher Regierungsführung hier nichts zustande ge- lung verändert worden sind. Das heißt für ca. 50 000 bracht worden ist. Betriebe, daß sie nicht mehr so oft geprüft werden Das Gesetz berührt Grundsatzfragen zwischen wie bisher. Dies bedeutet eine Zunahme der Zins- Legislative und Exekutive. Aus diesem Grunde hat vorteile. Der Grundsatz der Anschlußprüfung wird die Bundesregierung bei der Erarbeitung des Ge- womöglich nicht eingehalten. Die Steuer kann da- setzentwurfes von Anfang an engen Kontakt mit durch umgangen werden. dem Parlament und dem Bundesrechnungshof ge- Ferner zieht sich das Bundesministerium der Fi- halten, die wesentliche Beiträge geleistet haben. nanzen auf die durch nichts belegte Schwierigkeit Auf diese Weise konnten insbesondere auch die zurück, für das Bundesamt für Finanzen geeignete Vorstellungen des Haushaltsausschusses frühzeitig Betriebsprüfer zu finden. Darüber hinaus gibt es in den Gesetzentwurf einfließen. beim Bundesministerium der Finanzen keine er- Die Vorstellungen der Bundesregierung und der kennbare Bereitschaft, dem Vorschlag des Rech- Koalition einerseits sowie der Opposition anderer- nungshofs zu folgen, unter Einschaltung des Bun- desministeriums der Finanzen und des Bundesamts seits lagen dennoch zu Beginn der parlamentari- schen Beratungen in einigen wichtigen Fragen aus- für Finanzen für die erforderlichen Prüfungen zu einander. Das galt z. B. beim Verfahren zur Bestel- sorgen. Nach meiner Auffassung aber erfordert der lung des Präsidenten und des Vizepräsidenten des in der Verfassung festgeschriebene Grundsatz der Bundesrechnungshofes. Angesichts seiner besonde- Vollständigkeit gerade eben ein solches Vorgehen. ren Bedeutung für die Wahrnehmung der parla- Als zweites Beispiel möchte ich hier in aller mentarischen Kontrolle gegenüber der Exekutive Kürze Nr. 30 der Bemerkungen des Bundesrech- waren die Fraktionen und die Bundesregierung be- nungshofs anführen. Es geht dort um die Finanzie- strebt, für den Gesetzentwurf eine breite parlamen- rung eines Waffensystems. Es geht immerhin um tarische Mehrheit zu erreichen. Alle Beteiligten ha- einen Schaden von mehr als 100 Millionen DM, der ben sich aufeinander zubewegt. Dies ist erfreulich nach dem Prüfungsergebnis des Rechnungshofes und einer besonderen Erwähnung wert, zu beanstanden ist. Der wesentliche Grund für die- sen Schaden liegt in zu langen Zahlungswegen und (Beifall des Abg. Dr. Friedmann [CDU/ zu hohen Guthabenbeständen auf dem Konto für CSU]) die Finanzierung dieses Systems. Der Bundesrech- weil es nicht allzu oft vorkommt, meine Damen und nungshof hatte dem Bundesministerium der Vertei- Herren. Auf diese Weise konnte eine von allen Sei- digung und den bundesdeutschen Mitgliedern des ten getragene Beschlußempfehlung erreicht wer- Lenkungsausschusses vorgehalten, nach Bekannt- den. werden der Zahlungswege und der überhöhten Mit- Das Gesetz schafft eine zeitgemäße Grundlage telanforderungen entsprechende Korrekturen min- für den Bundesrechnungshof und trägt den Forde- destens fahrlässig unterlassen zu haben. Das Bun- rungen nach einer modernen Finanzkontrolle Rech- desministerium der Verteidigung hat sich aber auf nung. Die Erfahrungen in der Vergangenheit haben Mängel des Vertrages und gleichzeitig merkwürdi- gezeigt, daß neben der Prüfung der Haushaltsrech- gerweise gerade auf Vertragsmäßigkeit dieser ein- nung eines abgeschlossenen Haushaltsjahres die deutig verschwenderischen Praxis zurückgezogen. Dieses Beispiel ist — ebenso wie das erste — si- Prüfung der aktuelleren Haushalts- und Wirt- einschließlich der Verfahrensab- cherlich kein verläßliches Indiz dafür, daß derartige schaftsführung läufe und Organisationsfragen an Bedeutung ge- Praktiken in Zukunft unterbleiben werden. winnt. Der Rechnungshof muß in die Lage versetzt Gleichwohl empfehle ich, die im Haushaltsaus- werden, möglichst gegenwartsnah zu prüfen, um schuß einmütig beschlossene Annahme der Be- dazu beizutragen, Fehlentscheidungen und finan- schlußempfehlung auch hier im Plenum nachzuvoll- zielle Nachteile zu vermeiden. ziehen. Dieses Ziel ist im allgemeinen nur zu erreichen, Danke schön. wenn der Bundesrechnungshof frühzeitig tätig (Beifall bei den GRÜNEN) wird, denn im nachhinein sind Fehlentscheidungen und damit verbundene finanzielle Nachteile kaum Präsident Dr. Jenninger: Ich danke dem Berichter- noch gutzumachen. Daher gilt der Grundsatz: Vor- statter für seinen Bericht. beugen und vermeiden ist besser als der spätere Ich eröffne die allgemeine Aussprache und erteile Versuch zu heilen. das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Deshalb wird im Gesetzeswortlaut die Unterstüt- beim Bundesminister der Finanzen Herrn Dr. Voss. zung des Bundestages, des Bundesrates und der Bundesregierung „bei ihren Entscheidungen" her- Dr. Voss, Parlamentarischer Staatssekretär beim vorgehoben. Mit dem neuen Gesetz wird die hierfür Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! erforderliche Organisationsform geschaffen. Sozu- Meine Damen und Herren! Mit dem Gesetz über sagen flankierend, meine Damen und Herren, ist den Bundesrechnungshof wird heute das letzte Re- von der Bundesregierung im Einvernehmen mit formgesetz zur Haushaltsrechtsreform des Jahres dem Bundesrechnungshof vorgesehen, die Vorprü- 11010 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Parl. Staatssekretär Dr. Voss fungsordnung zu ändern, um auch in diesem wichti- ges und mit dem Finanzausschuß des Bundesrates gen, wenn auch gelegentlich im Schatten stehenden ins Benehmen setzt. Dies ist von der Bundesregie- Bereich Verbesserungen vorzunehmen. rung ausdrücklich so beschlossen worden. Damit Zur Verwirklichung der Haushaltsreform war es wird jeweils schon im Vorfeld eine breite Mehrheit notwendig, den Bundesrechnungshof näher an die angestrebt. Legislative heranzuführen. Der Punkt hierbei, der Meine Damen und Herren, ich meine, daß wir mit auch in der Öffentlichkeit die bedeutendste Rolle dem neuen Gesetz eine moderne, gute organisatori- gespielt und die größte Resonanz gefunden hat, ist sche Basis für die Tätigkeit des Bundesrechnungs- das Verfahren zur Bestellung von Präsident und hofes in den nächsten Jahrzehnten schaffen und Vizepräsident. Die Regelung, die hier gefunden damit die Finanzkontrolle — nicht zuletzt auch im worden ist, ist ausgewogen. Denn der Bundesrech- Interesse der Steuerzahler — deutlich verbessern. nungshof dient nicht nur der Legislative bei der Die Bundesregierung dankt daher allen, die zu parlamentarischen Kontrolle, sondern ebenso der diesem Ergebnis beigetragen haben. Exekutive als unverzichtbare unabhängige Instanz zur Kontrolle ihres Verwaltungshandelns. Wenn Danke schön. zwei Gewalten gleichermaßen betroffen sind, meine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Damen und Herren, müssen sie auch gleichberech- tigt zusammenwirken. Bei der Bestellung der Lei- Präsident Dr. JennInger: Das Wort hat der Abge- tung des Rechnungshofes ist daher Einvernehmen ordnete Dr. Friedmann. erforderlich. In dem Vorschlagsrecht der Bundesre- gierung und den anschließenden Wahlen durch die gesetzgebenden Körperschaften kommt das auf Dr. Friedmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Konsens gerichtete Zusammenwirken von Exeku- sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten tive und Legislative zum Ausdruck. jetzt, wie wir soeben aus dem Munde des Regie- rungsvertreters Herrn Staatssekretär Voss hörten, Der Entwurf der SPD sah dagegen die Wahl des ein neues Rechnungshofgesetz. Zugrunde liegt der Präsidenten allein durch den Bundestag mit zwei Gesetzentwurf der Bundesregierung und der Koali- Dritteln seiner Mitglieder auf Vorschlag der Frak- tion. Beide Entwürfe stimmen vollinhaltlich über- tion oder einer bestimmten Anzahl von Abgeordne- ein. Zugrunde liegt der Beratung auch der Entwurf ten vor. Diese Vorstellungen der Opposition wurden der Opposition, der in einigen Teilen von den ande- nicht der besonderen Stellung des Bundesrech- ren Entwürfen abweicht. nungshofes gegenüber der Exekutive und der Le- gislative gerecht, die ich bereits hervorgehoben Es ist richtig, was Herr Staatssekretär Voss so- habe. eben sagte: Wir haben uns im Laufe der Beratungen aufeinander zubewegt. Es war überhaupt beein- Auch für die Exekutive ist der Bundesrechnungs- druckend, von welchem Ernst und von welcher hof ein unverzichtbares unabhängiges Kontrollor- Sachbezogenheit diese Beratungen getragen waren. gan. Das Vorschlagsrecht der Bundesregierung war Ich möchte gleich eingangs auch den Vertretern der daher für eine ausgewogene Regelung im Bestel- anderen Fraktionen dafür danken, daß dies so mög- lungsverfahren erforderlich. lich war. Die Stellung des Präsidenten und des Vizepräsi- Es hat mich gefreut, aus dem Munde des Regie- denten wird durch den Wahlmodus, auf den man rungsvertreters, aus dem Munde von Herrn Voss, sich jetzt geeinigt hat — geheime Wahl und Mehr- soeben zu hören: Es war ein wesentliches Ziel die- heit der Mitglieder dieses Hauses —, und durch den ses Gesetzes, den Bundesrechnungshof näher an Ausschluß der Wiederwahl — nach einer Amtszeit das Parlament heranzuführen. von zwölf Jahren — gestärkt. (von Hammerstein [CDU/CSU]: Sehr wich Damit sind Präsident und Vizepräsident zur Wah- tig!) rung des verfassungsmäßigen Auftrages des Bun- — Verehrter Herr Kollege von Hammerstein, wir desrechnungshofes noch unabhängiger gegenüber sind uns einig: Wenn dem Parlament das Budget- der Regierung, aber auch gegenüber dem Parla- recht zusteht — darum haben die westlichen Parla- ment, meine Damen und Herren. mente lange genug gekämpft —, dann hat es auch Bei dem Gesetzentwurf war es verfassungspoli- das Recht der Budgetkontrolle. Dieses Recht wie- tisch geboten — im Gegensatz zu den ursprüngli- derum kann es nur dann richtig ausüben, wenn es chen Vorstellungen der Opposition —, auch den einen Rechnungshof als Partner hat, der auf seine Bundesrat gleichgewichtig einzubeziehen, denn Anliegen und auf seine Betrachtungsweise ein- nach Art. 114 unseres Grundgesetzes sind Bundes- geht. tag und Bundesrat berechtigt und verpflichtet,- den (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Haushaltsvollzug zu kontrollieren. Gegenüber bei- Nun hat sich mancher sicherlich gefragt: Warum den Bundesorganen ist Rechnung zu legen. wird denn jetzt ein neues Rechnungshofgesetz ge- Ich hatte bereits auf die Bedeutung des Konsen- schaffen? — Ich habe mir diese Frage auch lange ses zwischen der Exekutive und der Legislative bei vorgelegt, aber es steht nun einmal fest, daß die der Bestellung des Präsidenten und des Vizepräsi- jetzt gerade noch geltenden gesetzlichen Rege- denten hingewiesen. Hierzu gehört auch, daß sich lungen veraltet und teilweise überholt sind. Eine die Bundesregierung vor ihren Vorschlägen mit gesetzliche Grundlage für den Bundesrechnungs- dem Haushaltsausschuß des Deutschen Bundesta- hof ist z. B. — jetzt, in dieser Minute noch — Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11011

Dr. Friedmann Abschnitt V der alten Reichshaushaltsordnung von schuß einerseits und Rechnungshof andererseits, 1922. In dieser Reichshaushaltsordnung ist noch die sieht man, daß die beiden Institutionen näher zu- Rede vom Reichspräsidenten, vom Reichsfinanzmi- einander gebracht werden müssen und daß es dazu nister, von den Reichsbeamten, vom Reichsgericht auch einer neuen gesetzlichen Grundlage bedarf. — Dinge, die eben für die Weimarer Zeit paßten und Ich glaube, daß dies mit dem vorliegenden Ent- die auch während der Zeit des Dritten Reiches so wurf weitgehend gelungen ist. Insoweit sind wir auf geblieben sind, aber die schon vom äußeren Er- jeden Fall ein Stück weiter. scheinungsbild her nicht mehr zur Bundesrepublik passen. Nun fragt man sich: Was ist denn neu? Herr Voss hat das alles angesprochen. Ich möchte nur eines Das Bundesrechnungshofgesetz, das die andere herausarbeiten. Das neue Bundesrechnungshofge- Grundlage für den Rechnungshof ist, stammt im- setz ist primär ein Organisationsgesetz. Da wird merhin aus dem Jahre 1950; aber es ist eben in Tei- nämlich in der Organisation des Rechnungshofes, len nicht mehr modern genug. Wenn man bedenkt, Herr Kollege Müller, einiges geändert. welchen Weg die Finanzkontrolle draußen in der Wirtschaft genommen hat, welche Stellung dort der (Walther [SPD]: Kein Besoldungsgesetz!) Kontrolleur, der Revisor hat, so kann es nicht ver- An die Stelle des Präsidialprinzips tritt beispiels- wundern, daß auch hier die gesetzlichen Grundla- weise an manchen Orten jetzt auch das Kollegial - gen der neuesten Zeit und dem neuesten Stand der prinzip. Erkenntnisse und auch der heutigen Aufgabenstel- (Strube [CDU/CSU]: Das ist gut so!) lung angepaßt werden müssen. Während beispielsweise bisher der Präsident am Das bisherige Bundesrechnungshofgesetz ist Anfang des Jahres die Geschäfte des Rechnungsho- überwiegend noch von Kriterien und von Gesichts- fes neu einteilen konnte, und zwar er allein, braucht punkten durchzogen, die mehr auf die Exekutive er jetzt das Einvernehmen mit dem Ständigen Aus- abgestimmt sind, aber dem Kollegialitätsprinzip schuß des Großen Senats. Für dieses Kollegialprin- noch nicht voll Rechnung tragen. Dies war also ein zip gibt es auch noch einige weitere Beispiele. In Grund, weshalb ein neues Gesetz an der Reihe der Öffentlichkeit allerdings hat man darüber kaum war. gesprochen. Da hat sich alles auf das Verfahren der Einen zweiten Punkt hat Herr Staatssekretär Bestellung des Präsidenten konzentriert. Voss eben angesprochen. Es wäre logisch gewesen, (Walther [SPD]: Auf den Schreckenber die Haushaltsrechtsreform des Jahres 1969 durch ger!) ein neues Rechnungshofgesetz zu ergänzen. Die Zeit reichte damals nicht, die Arbeit blieb liegen. — Sie haben auf die Personifizierung hingewiesen. Alle folgenden Regierungen haben erklärt, sie hät- Das hat zwar zur Aktualität beigetragen, war aber ten Wichtigeres zu tun, als sich mit einem neuen nicht Gegenstand unserer Beratungen und war Gesetz zu befassen, und zeitweise mußte man auch nicht Motiv für die gesetzlichen Regelungen; den Eindruck haben, als müßte man den Jäger zum (Kühbacher [SPD]: Da biegen sich ja die Jagen tragen; das galt nicht mehr für die letzten Balken hier!) Monate, aber das Interesse war nicht immer son- derlich groß. denn, meine lieben Kollegen, ein Gesetz muß auf Dauer angelegt sein und darf nicht augenblickli- (Walther [SPD]: Das ist richtig!) chen, gar noch personellen Situationen Rechnung Ein dritter Punkt, Herr Kollege Walther, war, daß tragen wollen. die interessierte Öffentlichkeit, vor allem der Bund (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der der Steuerzahler, immer wieder darauf gedrängt SPD — Kühbacher [SPD]: Ob das der Hel hat, die Stellung des Rechnungshofes zu verstär- mut gehört hat?) ken, weil man eben im Rechnungshof einen zentra- Hinsichtlich des Verfahrens, hinsichtlich des - len Punkt im Kampf gegen die Steuerverschwen neuen Bestellungsverfahrens, das Herr Staatsse- dung sieht. kretär Voss soeben geschildert hat, war lange um- (Dr. Weng [FDP]: Aus gutem Grund!) stritten, ob es denn richtig sei, daß sich der Bundes- rat — gleichberechtigt neben dem Bundestag — an — Da gebe ich Ihnen recht, lieber Herr Weng. — Da der Wahl beteiligt. Das Argument war immer wie- kam der Bund der Steuerzahler z. B. mit der Forde- der, der Bundestag habe ja auch keinen Einfluß auf rung, einen neuen Straftatbestand zu schaffen, den die Bestellung des Präsidenten des jeweiligen Lan- der Steuerverschwendung, und er kam auch mit der desrechnungshofs. Es wurde gefragt: Warum soll Forderung, den Rechnungshof zum Amtsankläger dann — umgekehrt — der Bundesrat bei der Bestel- zu machen. Wir haben diese Gesichtspunkte zwar - lung des Präsidenten des Bundesrechnungshofs in das neue Gesetz nicht aufgenommen, aber diese mitwirken? Ich möchte eines klarstellen, liebe Kol- Überlegungen waren immerhin Gegenstand der Be- leginnen und Kollegen: Hier ist der Bundesrat nicht ratungen und werden sicherlich auch das Arbeits- als Ländervertretung angesprochen, sondern als verhältnis zum Rechnungshof prägen. Bundesorgan, als Verfassungsorgan. Man kann nun Nicht zuletzt gibt es einen vierten wichtigen einmal nicht bestreiten, daß das Verfassungsorgan Grund. Bei der täglichen Zusammenarbeit zwi- Bundesrat mit dem Haushaltsgebaren des Bundes schen Parlament und Rechnungshof, insbesondere in vielfacher Weise verquickt ist. Das beginnt mit zwischen Haushalts- und Rechnungsprüfungsaus- der jährlichen Verabschiedung des Haushaltsgeset- 11012 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Dr. Friedmann zes und geht hin bis zur alljährlichen Entlastung, Ich denke z. B. daran, daß der Rechnungshof für die die wir nachher auch besprechen, beraten werden. Politik ein äußerst wertvoller Helfer werden kann, wenn es darum geht, Auswüchsen der Bürokratie Mir liegt noch an einer anderen Klarstellung: Der zu begegnen. Bundesrechnungshof ist natürlich kein Verf as- sungsorgan. Aber seine Existenz ist in der Verfas- (Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Sehr gut! — sung garantiert, seine Aufgabe ist aus der Verfas- von Hammerstein [CDU/CSU]: Ganz rich sung abzuleiten, er hat also Verfassungsauftrag. tig!) Der Bundesrechnungshof ist nicht Teil der Legisla- Im Kampf gegen die verbürokratisierte Umwelt hat tive — das wollen wir nicht, bei aller Heranführung niemand eine solche Erfahrung wie der Bundes- an das Parlament —, er muß unabhängig bleiben. rechnungshof. Er weiß, was dort Sitte und Unsitte Er ist aber auch nicht Teil der Exekutive. Ich habe ist. Er sollte der Legislative da noch stärker an die allen Grund, dies hier so deutlich zu sagen, weil es Hand gehen. immer wieder Bestrebungen gibt, den Bundesrech- nungshof in der Nähe der Exekutive anzusiedeln. Mir liegt auch daran, daß der Bundesrechnungs- hof künftig mehr den Regreßfragen nachgeht. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der Abgeordneten der SPD — von Hammer SPD) stein [CDU/CSU]: Das darf auf keinen Fall passieren!) Wir brauchen keinen neuen Straftatbestand. Aber wenn der Rechnungshof solche Fälle konsequent Nun möchte ich nicht verhehlen, daß bei dieser aufzeigt und hier in Zukunft vor allem intensiver Gelegenheit noch eine ganze Reihe von Dingen neu am Ball bleibt, damit die Fälle nicht wie bisher nach hätte geregelt werden können. Vorhin hat Kollege dem Motto „Eine Krähe hackt der anderen Krähe Kleinert die mißliche Situation der unterbliebenen kein Auge aus" erledigt werden, dann könnte er Betriebsprüfung bei Banken im Frankfurter Raum sich sehr verdient machen. angesprochen. (Beifall bei allen Fraktionen — Strube (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Volksre [CDU/CSU]: Wir werden das Unsere tun!) publik Hessen!) Meine Damen und Herren, ich bin auch der Mei- Es hätte nahegelegen, den prüfungsfreien Raum bei nung, daß sich der Bundesrechnungshof künftig Betriebsprüfern künftig auch noch in die Kompe- stärker an internationale Vorhaben heranmachen tenz des Rechnungshofs aufzunehmen. Ich könnte muß, zumindest an den deutschen Partner solcher mir vorstellen, daß es durchaus Sinn machte, auch Vorhaben. Krankenkassen durch den Rechnungshof prüfen zu (Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Sehr gut!) lassen. Wir haben entsprechende Erfahrungen dort gemacht, wo der Bundesrechnungshof bei Kranken- Das, was damals mit dem „Tornado" auf finanziel- kassen auf Grund jetziger Kompetenz schon prüfen lem Sektor passiert ist, braucht sich nicht zu wie- konnte. derholen. Mißwüchse, die sich da ausbilden, kann man auch beim deutschen Partner allein erken- Wir hätten auch allen Anlaß gehabt, den Prü- nen. fungsdienst neu zu regeln, einschließlich des Son- derprüfungsamtes bei der Bundesbahn. (Zuruf des Abg. Zander [SPD]) Ich bin auch der Meinung — das ist mir ein (Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Sehr richtig!) wesentliches Anliegen —, daß der Bundesrech- Aber das hätte das jetzige Gesetz überfrachtet. nungshof nicht nur dann tätig werden soll, wenn Wahrscheinlich wären wir zeitlich zu sehr in Ver- das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, zug gekommen, wenn wir all dies gleichzeitig in (Beifall bei allen Fraktionen) einem Aufwasch hätten regeln wollen. sondern mehr noch als bisher muß der Bundesrech- (Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Das muß noch nungshof auf der Grundlage seiner Erfahrungen kommen!) vorbeugend tätig werden. — Das ist richtig, lieber Herr Kollege Roth. — Wir (Kühbacher [SPD]: Müßte das nicht auch haben deshalb in die Beschlußempfehlung aufge- der Finanzminister tun?) nommen, daß bei ohnehin anstehenden gesetzli- Er nimmt ja an den Beratungen bei den Ministerien chen Änderungen an anderer Stelle diese rege- und in den Ausschüssen des Parlaments teil. Diese lungsbedürftigen Tatbestände einbezogen werden Erfahrungen sollte er uns in der Legislative mehr müssen. noch als bisher rechtzeitig an die Hand geben. - Nun wollen wir aber eines richtig sehen, meine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so verehrten Damen und Herren: Es muß ja nicht un- wie bei Abgeordneten der GRÜNEN) bedingt sein, daß alles gesetzlich geregelt ist, was der Rechnungshof zu tun hat. Ohne die bisherige Ein entscheidender Punkt scheint mir auch zu Arbeit des Rechnungshofes kritisieren zu wollen, sein, daß der Bundesrechnungshof mehr noch als möchte ich doch feststellen, daß manches in Zu- bisher Effektivitätskontrollen durchzuführen hat. kunft intensiver getan werden kann. Er weiß ja, welches die Beweggründe der Politik sind, wenn dieses oder jenes Gesetz ausgearbeitet (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wird. Was liegt da näher, als nachschauend zu über- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11013

Dr. Friedmann prüfen, ob die Erwartungen, die mit dem Gesetz September letzten Jahres gesetzt hat, nicht ge- verbunden waren, finanziell in Erfüllung gegangen recht. sind? Wir sollten den Rechnungshof nicht zurück- (Zustimmung des Abg. Kleinert [Marburg] weisen, wenn er uns darauf hinweist, daß das eine [GRÜNE]) oder andere Gesetz die Erwartungen nicht erfüllt. Die hohen Erwartungen auch der Kolleginnen und Ich möchte, damit keine Mißverständnisse auf- Kollegen aus dem Haushaltsausschuß sind mit die- kommen, ausdrücklich sagen: Der Rechnungshof sem Gesetz nicht erfüllt, so sehr ich anerkenne, daß hat bisher gute Arbeit geleistet. Ich wollte aber viele Kollegen, insbesondere Frau Seiler-Albring auch aufzeigen, daß vieles noch besser werden und Bernhard Friedmann, dazu beigetragen haben, kann, ohne daß es zusätzlicher gesetzlicher Rege- daß sich diejenigen, die sich nicht bewegen wollten, lungen bedarf. im Endeffekt doch noch bewegt haben. Das Vor- Ich möchte deshalb auch meinerseits dem Bun- schlagsrecht für den Präsidenten und den Vizeprä- desrechnungshof — ich sehe den Herrn Präsiden- sidenten des Bundesrechnungshofs bleibt bei der ten und seine Mitarbeiter — für die bisherige Mit- Bundesregierung. Folglich ist die Wahl durch den arbeit und Zusammenarbeit danken. Deutschen Bundestag nicht frei, wie es der Würde (Beifall bei allen Fraktionen) des Hauses entsprochen hätte — so in der Selbst- verständnisdebatte. Hinzu kommt, daß er das Wahl- Ich möchte Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, recht mit dem Bundesrat teilen muß, ohne daß es bitten, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. dazu eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit Schönen Dank. oder eine von der bisherigen Wirklichkeit der Fi- (Beifall bei allen Fraktionen) nanzkontrolle her gegebene Rechtfertigung gibt. Das Quorum für die Wahl ist die Kanzlermehr- heit, so daß die Opposition rechtlich gesehen über- Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat Herr Abge- stimmt werden kann. ordneter Esters. (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Höchst be denklich!) Esters (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehr- Ich wiederhole deshalb meine Feststellung aus der ten Damen und Herren! Wir verabschieden heute ersten Lesung: Könnte dieses Haus allein aus parla- das Organisationsgesetz für den Bundesrechnungs- mentarischer Sichtweise entscheiden, so hätte es hof. Ich möchte zunächst dem Bundesrechnungshof dem Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion dafür danken, daß er die wesentlichen Vorarbeiten, den Vorzug gegeben. die für die Organisationsstruktur und andere Dinge in diesem Gesetz von Belang sind, ausgearbeitet (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) und dem Finanzministerium zugeleitet hat, das Warum aber stimmt nun meine Fraktion dem Ge- dankenswerterweise die Vorstellungen des Bundes- setzentwurf in der vorliegenden Fassung doch zu? rechnungshofs — wenn man schätzen würde — zu Dafür gibt es Gründe. Ein Bundesrechnungshof eig- etwa 95 % übernommen hat. net sich nicht für eine parteipolitische Auseinander- (Zustimmung bei der SPD) setzung. Keine Bundesregierung und kein Bundesfinanz- (Beifall bei der SPD und CDU/CSU) minister, Herr Kollege Friedmann — das weiß ich Die Initiative für dieses Gesetz ist vom gesamten auch aus der Vergangenheit —, hatten ein besonde- Parlament ergriffen worden. Folglich soll es auch res Interesse daran, ein neues Rechnungshofgesetz gemeinsam verabschiedet werden. zu machen, weil doch alle ahnten, daß dann das Wahlverfahren oder das Verfahren zur Bestim- (Vorsitz: Vizepräsident Cronenberg) mung des Präsidenten und des Vizepräsidenten nä- Erklärtes Ziel des Gesetzes ist es, den Bundes- her an das Parlament herangeholt würde. rechnungshof näher an den Deutschen Bundestag Insofern ist es auch erstmals uns allen eingefal- heranzuführen, um die parlamentarische Finanz- len — bis dahin hat es dies nicht gegeben —, bei der kontrolle zu stärken. Da dies ebenfalls eine gemein- entsprechenden Jahresrechnung des Bundesrech- same Aufgabe des Parlaments ist, würde eine Ab- nungshofs vom Haushaltsausschuß her empfehlen stimmung nach Mehrheit oder Minderheit nur zur zu lassen — und das Parlament ist dem einstimmig künftigen Schwächung dieser zentralen Parla- gefolgt —, der Bundesregierung Termine zu setzen. mentsfunktion führen. Ein Bundesrechnungshof, der auf Grund eines nur von der Mehrheit getrage- (von Hammerstein [CDU/CSU]: Es ist doch nen Gesetzes arbeitete, geriete selbst in den Ver- schön, wenn man sich mal einig ist, dacht, parteiisch oder abhängig zu sein, anstatt auf nicht?) - einer breiten Vertrauensbasis zu stehen, die seine — natürlich. Wir müssen j a nicht immer streiten. Unabhängigkeit in der Verfassungswirklichkeit ga- Wir dürfen uns auch einmal einig sein. rantiert. Ich möchte aber zunächst mit den für mich und Neben diesen — wenn man so will: staatspoliti- meine Fraktion kritischen Teilen beginnen, die wir schen — Gründen, die meine Fraktion berücksich- jetzt verabschieden. Das uns vorliegende Rech- tigt, gibt es jedoch durch die Beratungen im Aus- nungshofgesetz wird den Maßstäben, die sich dieses schuß konkrete Verbesserungen, die auf den Ge- Haus selbst in seiner Selbstverständnisdebatte vom setzentwurf meiner Fraktion mit zurückgehen. Ich 11014 Deutscher Bundestag — 10. 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Esters will dazu meine eingangs geäußerte Kritik jetzt ins Frau Seiler-Albring (FDP): Herr Präsident! Meine Positive zu wenden versuchen. Sicherlich bleibt es Damen und Herren! Die heutige zweite und dritte bei dem Vorschlagsrecht der Bundesregierung, Lesung des Gesetzes über den Rechnungshof ist doch ist diese in der Ausübung nicht frei. Es ist der Abschluß eines in den verschiedenen Fachgre- gemeinsame Auffassung des Haushaltsausschusses mien sehr sachlich, kollegial und intensiv geführten und der Bundesregierung — der Bundesfinanzmini- Dialogs und Entscheidungsprozesses, einer Diskus- ster, seinerzeit in den Gesprächen vertreten durch sion, die aber — dieses möchte ich eingangs doch den Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Voss, hat sagen — in den letzten Wochen und Monaten durch es in den Beratungen und in den Gesprächen aus- die spekulierende Berichterstattung über die Per- drücklich bestätigt —, daß zuvor eine Verständi- son des künftigen Präsidenten des Rechnungshofes gung mit dem Parlament, den Fraktionen und dem leider überlagert wurde. Haushaltsausschuß gesucht werden soll, die mehr (Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Das hat sie ist als die bloße juristische Definition des Beneh- aber nicht beeinflußt!) mens. Ich halte dieses bei allem Verständnis dafür, daß Um die Herbeiführung dieser Verständigung zu Personalfragen das Salz in der journalistischen Ta- sichern, erfolgt die Wahl durch den Deutschen Bun- gessuppe sind, für sehr bedauerlich, weil die Bedeu- destag geheim oder — wie es in der Geschäftsord- tung dieses Gesetzes darüber zeitweise in den Hin- nung des Bundestages ausgedrückt ist — mit ver- tergrund zu geraten drohte. deckten Stimmkarten. Keine Bundesregierung wird aber einen Vorschlag unterbreiten wollen, der in (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) geheimer Wahl durchfallen könnte, weil dies ein — Es ist sicherlich richtig, daß Präsident und Vize- schwerer Gesichtsverlust wäre. präsident des Bundesrechnungshofes wichtige Per- Sicherlich schließt das Quorum der Kanzlermehr- sonen sind und in ihrer Persönlichkeitsstruktur der heit rein rechnerisch betrachtet eine Überstim- Wichtigkeit und Würde ihres Amtes entsprechen mung der Opposition nicht aus. Doch ist bei den müssen. Sie sind aber nicht der Rechnungshof. Beratungen im Haushaltsausschuß wiederum ein- Meine Fraktion hat bereits in der 9. Legislaturpe- vernehmlich zugesichert worden, daß ein derartiger riode auf die Notwendigkeit hingewiesen, endlich Tatbestand tatsächlich nicht eintreten wird. Die zu einem Gesetz über den Bundesrechnungshof zu Mehrheit und der Bundesfinanzminister haben kommen. Wir wollten ein modernes Organisations- klargestellt, daß auch sie im Interesse des Vertrau- gesetz, das der Bedeutung, die der Rechnungshof ens und der Unabhängigkeit des Bundesrechnungs- für uns als Partner hat, Rechnung trägt. Die parla- hofes stets die breite Mehrheit, wenn man so will, mentarische Finanzkontrolle ist ein ganz wesentli- im Ergebnis eine Zweidrittelmehrheit, sehen wol- ches Element im Zusammenwirken von Exekutive len. Schließlich sichern die geheime Wahl und die und Legislative. Ohne die Sachkompetenz aber und Kanzlermehrheit eine Teilnahme aller Mitglieder die Zuarbeit durch den Rechnungshof und seine dieses Hauses, so daß von daher nicht nur die Be- Mitarbeiter können wir als Parlamentarier dieser deutung des Wahlvorgangs selbst unterstrichen wichtigen Aufgabe der Finanzkontrolle wenn über- wird, sondern auch die Notwendigkeit, einen weit- haupt, dann nur sehr unzulänglich gerecht werden. gehend konsensfähigen Kandidaten vorzuschlagen. Die Bemerkungen des Rechnungshofes 1984 zur Wie wirksam die Wahl durch das Parlament un- Haushalts- und Wirtschaftsführung, über die heute ter diesen Vorzeichen auf das Vorschlagsrecht der hier ebenfalls beraten wird, zeigen sehr deutlich, Bundesregierung ausstrahlt, auch ohne daß dafür daß es sich immer noch nicht in allen Amtsstuben eine fugenlose gesetzliche Sicherheit hergestellt ist, herumgesprochen hat, daß es sich bei den zur Ver- demonstriert die bereits erfolgte Zurückziehung fügung gestellten Finanzmitteln eben nicht um des von der Bundesregierung zunächst favorisier- Manna, das vom Himmel regnet, sondern um müh- ten Kandidaten. Auch dieser Vorgang gibt uns als sam erarbeitete und sehr ungern abgegebene Steu- Oppositionsfraktion das Vertrauen, trotz aller Be- ergelder handelt, mit denen man nicht fahrlässig denken im einzelnen dem gemeinsamen Gesetzent- umzugehen hat. wurf zuzustimmen. Wir sind sicher, daß in der poli- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei tischen Praxis, die sehr viel verästelter und abwä- Abgeordneten der SPD sowie des Abg. gender ist als ein nackter Gesetzestext, der Deut- Kleinert [Marburg] [GRÜNE]) sche Bundestag die ihm zustehenden Rechte und Möglichkeiten voll ausfüllen und sein Gewicht in Wenn also unser Appell an die Exekutive, mit den den entsprechenden Einfluß umsetzen wird. ihr anvertrauten Mittel sorgfältig und wirtschaft- lich umzugehen, nicht bloß mit einem freundlichen, Insofern bin ich zuversichtlich, daß das Bundes- aber doch sehr distanzierten Lächeln bedacht wer- rechnungshofgesetz, das wir gemeinsam beschlie- den und entsprechende Konsequenzen haben soll, ßen wollen, die Effizienz und Beweglichkeit des dann brauchen wir einen effizienten, gut und mo- Bundesrechnungshofes weiter steigert und dadurch dern ausgestatteten Rechnungshof mit qualifizier- das Finanz-, Kontroll- und Budgetrecht als das ten Mitarbeitern. Kronrecht des Parlaments bestätigt und stärkt. Die Vorschriften, nach denen der Rechnungshof (Beifall bei allen Fraktionen) bislang gearbeitet hat — das ist ja schon mehrfach ausgeführt worden —, gehen zum Teil auf Bestim- Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat Frau Ab- mungen der Reichshaushaltsordnung zurück und geordnete Seiler-Albring. entsprachen nicht mehr den Anforderungen, die wir Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11015

Frau Seiler-Albring an eine moderne Finanzkontrolle zu stellen haben. gesagt — zu einem parteipolitischen Ärmelkrem- Die vorliegenden Entwürfe, die wir beraten haben, peln. fassen die maßgebenden Vorschriften zusammen (Kühbacher [SPD]: Wenn die unbedingt an und entwickeln sie entsprechend den Erfordernis- ders sein wollen!) sen unserer Zeit fort. Die verfassungsrechtlich ge- währleistete Entscheidungsautonomie wird ver- — Ja, sicher! Aber ich fände es gut, wenn sich die stärkt, und eine elastischere und effizientere Ar- GRÜNEN in dieser Position wenigstens einmal den beitsweise wird ermöglicht. staatstragenden Parteien anschlössen; denn dieses entspricht ja doch durchaus der Arbeit, wie wir sie Bei allem grundsätzlichen Konsens darüber, daß gemeinsam im Rechnungsprüfungsausschuß in al- wir ein modernes, zeitgemäßes Rechnungshofge- ler Regel durchführen. -setz haben wollten, war doch der Entscheidungs und Abstimmungsprozeß, der zu dem heute vorlie- (Zuruf von der CDU/CSU: Da haben die genden Bericht — und hoffentlich auch Beschluß — aber große Schwierigkeiten!) geführt hat, nicht einfach. Vor allen Dingen in der Die GRÜNEN schließen sich dem an, wenn sie da Frage des Vorschlagsrechts und der Wahlmodalitä- sind. Aber das ist ein Spezialthema zwischen mir ten lagen die Positionen zu Beginn recht weit aus- und Herrn Kleinert. einander. (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: War er schon Ich habe in der Aussprache zum vorliegenden Ge- mal da?) setz in der ersten Lesung an dieser Stelle ausge- Wir legen also heute hier einen Kompromiß vor, führt, daß der Entwurf der Bundesregierung für und in der Natur des Kompromisses liegt es, daß er mich in einigen wesentlichen Punkten unbefriedi- keinen so recht und vollständig zufriedenstellen gend sei. Bei allem Verständnis dafür, daß die Re- kann. Dies trifft auch hier zu. Aber in diesem Fall gierung ein Gesetz vorlegt, das ihren Wünschen und liegt schon in der Tatsache, daß wir angesichts der Vorstellungen optimal entspricht und das selbstver- Ausgangslage zu einem auch von der großen Oppo- ständlich eine Interpretation ihrer Zuordnung von sitionspartei mitgetragenen Beschluß kommen wer- Rechnungshof und Regierung ist — dazu gehört na- den, ein großer Erfolg, auf den wir, glaube ich, stolz türlich das ausschließliche Vorschlagsrecht und sein können. Ich möchte allen denen sehr herzlich konsequenterweise auch die einfache Mehrheit bei danken, die bereit waren, zugunsten eines gemein- der Wahl des Präsidenten —, war es doch unsere sam getragenen Gesetzes von ihren weitergehen- Aufgabe als Parlamentarier, in den Beratungen, zu- den Positionen, für die sie jeweils sehr achtens- mal wenn wir an die Selbstverständnisdebatte zu- werte Gründe gehabt haben, abzugehen. Da möchte rückdenken, unsere Positionen mit Nachdruck zu ich mich ausdrücklich an die SPD mit Herrn Esters vertreten. an der Spitze wenden. Ich weiß, daß der Schritt, den Auf unser Drängen war j a bereits in die Begrün- Sie auf uns zu getan haben, ein sehr großer gewe- dung zu diesem Entwurf aufgenommen worden, daß sen ist. das Benehmen mit dem Haushaltsausschuß herge- (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord stellt werden sollte. Ich hätte mir nun gewünscht — neten der GRÜNEN — Kühbacher [SPD]: und da mache ich aus meinem Herzen keine Mör- Und das aus dem Munde einer Liberalen!) dergrube —, daß eine stärkere Beteiligung des Wir haben mit der Vorschrift über die Wahl des Haushaltsausschusses schließlich doch möglich ge- wesen wäre. Präsidenten und des Vizepräsidenten in geheimer Abstimmung und mit absoluter Mehrheit sicherge- Unverzichtbar aber war nach meiner Meinung, stellt, daß die Regierung ihr Vorschlagsrecht, so daß die Wahl des Präsidenten des Rechnungshofes wahrnehmen muß, daß ein möglichst breiter Kon- geheim zu erfolgen hat und mit einer qualifizierten sens sicher ist, d. h. daß der vorgeschlagene Kandi- Mehrheit; denn es kann doch wohl nicht angehen, dat ein Persönlichkeitsprofil aufweisen muß, wel- daß der Präsident, der Repräsentant einer so wich- ches der Bedeutung seines Amtes angemessen ist. tigen Institution, die für das Parlament einen so (Zuruf von der SPD: Sehr wohl!) exzeptionellen Stellenwert hat, so en passant ir- gendwann an einem Freitagmorgen bei der Präsenz Wir haben, da das Gesetz über den Rechnungshof von zehn oder 15 Mann hier gewählt würde. in erster Linie ein Organisationsgesetz ist, bewußt darauf verzichtet, weitere regelungsbedürftige Fra- (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der gen aufzugreifen, die bei der Finanzkontrolle aufge- SPD) treten sind und die bei anderen noch anstehenden Gesetzesvorhaben entschieden werden sollten. Ich habe damals angekündigt, daß wir versuchen werden, doch zu einem einvernehmlichen Beschluß- Dazu gehört — und dies möchte ich doch noch im Ausschuß zu kommen. Dies ist uns gelungen; das ganz kurz ausführen — nach Auffassung des Haus- heißt, bis vor kurzer Zeit bin ich davon ausgegan- haltsausschusses des Deutschen Bundestages, daß gen, daß uns dies gelungen sei. Es wurde nun aber die Organisation des Prüfungsdienstes einschließ- signalisiert, daß sich die Kollegen von den GRÜ- lich des Hauptprüfungsamtes bei der Deutschen NEN diesem Beschluß nicht anschließen werden, Bundesbahn befriedigend geregelt werden muß. Es was ich sehr bedauern würde; denn das Thema ist nicht einzusehen, daß sich ein Sondervermögen Rechnungshofgesetz eignet sich nicht — und das einen eigenen Rechnungshof innerhalb seiner Or- hat Herr Kollege Esters eben auch noch einmal ganisation leistet. Dies ist Doppelarbeit und Büro- 11016 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Frau Seiler-Albring kratismus. Die Bundesregierung, hier der Bundes- ständlich; aber daß Sie jetzt am Rechnungshofge- verkehrsminister, wäre gut beraten, wenn sie den setz unsere staatstragende Gesinnung überprüfen Anregungen des Haushaltsausschusses folgte und wollen — ich finde, da machen Sie es uns wirklich für ein Auslaufen der Staatssekretärsvereinbarung ein bißchen zu leicht. sorgte. (Beifall bei den GRÜNEN) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Da sollten Sie uns kompliziertere Aufgaben stel- Das Hauptprüfungsamt der Bundesbahn ist — len. wenn wir uns erinnern — ein Relikt aus den 20er Jahren, als die Reichsbahn im Wege der Repara- (Beifall bei den GRÜNEN) tionsleistungen verpfändet worden und somit der In der ersten Lesung des Entwurfs des Bundes- Kontrolle durch den Reichsrechnungshof entzogen rechnungshofgesetzes am 26. April 1985 habe ich an war. dieser Stelle ausgeführt — jetzt zitiere ich mich sel- Ich könnte mir vorstellen, daß wir unsere Anre- ber —: gung bei der Beratung des Einzelplans 12, dem des ... der Rechnungshof ist ein wichtiges Instru- Bundesministers für Verkehr, die Bereitschaft des ment für eine funktionierende demokratische Ministeriums, uns zu folgen, noch einmal kritisch Kontrolle. hinterfragen werden. (Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Mit der Verabschiedung des Gesetzes über den Kühbacher [SPD]) Rechnungshof, meine Damen und Herren, treten wir in eine neue Ära der Finanzkontrolle ein, ein Deshalb ist es auch nur folgerichtig, wenn er Grund für uns, dem scheidenden Präsidenten des stärker in die Nähe des Parlaments und der Bundesrechnungshofes für seine Arbeit sehr herz- Fraktionen gerückt wird. lich zu danken. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die alte (Beifall bei allen Fraktionen) Rede!) Präsident Wittrock — und dies nimmt er sicherlich Der dadurch mögliche Gewinn an effektiver nicht übel — war in der Vergangenheit vielleicht in Kontrollmöglichkeit gegenüber der Regierung einzelnen Fällen nicht immer ein bequemer Part- muß verbunden werden mit einer größeren ner. Wenn man aber die Eigenständigkeit des Rech- Transparenz und mit stärkeren Möglichkeiten nungshofes bejaht und mit der Vorlage dieses Ge- der Einflußnahme für die einzelnen Fraktio- setzentwurfs auch noch stärken will, ist dies auch nen. Eine Reform, die in diese Richtung geht, ein Kompliment für den scheidenden Präsidenten wird unsere Zustimmung finden. und auch seine Mitarbeiter. (Beifall bei den GRÜNEN) Wir haben versichert, meine Damen und Herren, daß wir rechtzeitig alles dafür tun werden, daß der Gleichzeitig habe ich deutlich zu machen versucht, neue Präsident nach dem neuen Gesetz über den (Austermann [CDU/CSU]: Jetzt kommt die Bundesrechnungshof gewählt werden wird. Ich ganze alte Rede!) kann heute feststellen, daß wir Wort gehalten ha- daß nach unserer Auffassung der inzwischen zu- ben. rückgezogene SPD-Entwurf weit mehr in diese Abschließend komme ich zur Entlastung der Richtung geht als die Regierungsvorlage. Bundesregierung gemäß Art. 114 des Grundgeset- zes für das Haushaltsjahr 1982. Meine Fraktion Gemessen an der Zielvorgabe, die Sie selber vor- stimmt der Entlastung zu. Wir erwarten aber von genommen haben, ist — da ist dem Kollegen Esters der Bundesregierung, daß sie vermehrt dafür Sorge ausdrücklich zuzustimmen — die vorliegende Be- trägt, dem Bürger das Gefühl zu vermitteln, daß schlußempfehlung allenfalls ein halbherziger seine Steuergelder nach bestem Wissen und Gewis- Schritt. Denn in fast allen wesentlichen Dissens- sen verwaltet werden. punkten hat sich der Entwurf der Bundesregierung letzten Endes doch durchgesetzt. Dies gilt sowohl Ich danke Ihnen. für die Frage des Vorschlagsrechts wie für die (Beifall bei allen Fraktionen) Frage des Quorums, das für die Wahl des Rech- nungshofpräsidenten und seines Stellvertreters er- forderlich ist. Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- ordnete Kleinert (Marburg). (Zuruf des Abg. Dr. Friedmann [CDU/ CSU]) (von Hammerstein [CDU/CSU]: Schon wie der?) Es soll dabei bleiben, daß die Bundesregierung das - alleinige Vorschlagsrecht behält, und es soll dabei bleiben, daß für die Wahl die einfache Mehrheit der KleInert (Marburg) (GRÜNE): Das ist der Vorteil Mitglieder des Bundestages ausreicht. Weiterge- der kleinen Fraktion, Herr vom Hammerstein. Aber hende Vorstellungen, die im SPD-Entwurf enthal- Ihre Jungfernrede im letzten Herbst hat mir ausge- ten waren und auch den einzelnen Fraktionen ein sprochen gut gefallen. Vorschlagsrecht einräumten und gleichzeitig durch Frau Seiler-Albring, gestatten Sie mir eine per- ein Zweidrittelquorum der Opposition einen Einfluß sönliche Bemerkung zu Beginn: Daß Sie mich gerne auf die Wahl des Rechnungshofpräsidenten einräu- noch häufiger sehen möchten, ehrt mich selbstver- men wollten — der Rechnungshofpräsident, da Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11017

Kleinert (Marburg) stimmen wir hoffentlich alle überein, sollte von Par- — Ich habe das gerade begründet. — Das wäre eine tei- und Fraktionseinflüssen möglichst unabhängig sinnvolle Reform gewesen, die dem entsprochen sein —, hätte, was vorhin zu Recht angesprochen worden ist, auch dem, was in der Debatte um das Selbstver- (Beifall bei den GRÜNEN) ständnis des Deutschen Bundestages im letzten sind unter den Tisch gefallen. Herbst angeklungen ist. (Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Ein (Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Erst Realo, Skandal!) dann Fundi! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Herr Kleinert, Rolle rück Ich meine, daß dies dem doch von allen Seiten wärts!) geäußerten Ziel, den Rechnungshof als Instrument parlamentarischer Kontrolle mehr an das Parla- — Wo stehen Sie denn bei der CDU, Herr Roth? ment heranzuführen, widerspricht. Mir bleibt es Wir sind dafür, hier eine wirkliche Reform des schlicht unverständlich, wieso es nicht möglich sein Rechnungshofwesens in Gang zu bringen, und wir soll, auch den Fraktionen ein Vorschlagsrecht ein- hätten es begrüßt, wenn der SPD-Gesetzentwurf zuräumen. hier zur Abstimmung gestanden hätte. Wir hätten dem zugestimmt. Aber was Sie hier vorschlagen, ist (Bueb [GRÜNE]: Sehr richtig!) uns zu halbherzig, und um das deutlich zu machen, Daß der ursprüngliche Wunschkandidat des Bun- müssen wir hier leider unsere Zustimmung versa- deskanzlers für dieses Amt nicht zur Verfügung gen. steht, (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der (Zuruf von der CDU/CSU) CDU/CSU: Die Tränen fließen! — Bohl [CDU/CSU]: Wann rotieren Sie denn?) hat die Brisanz des Themas Rechnungshof sicher heruntergeschraubt. Aber auch die Tatsache, daß Herr Schreckenberger bei Ihnen nicht durchsetzbar Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- war und deswegen schon im vorhinein den Verzicht ordnete Deres. geleistet hat, ändert nichts daran: Der Bundesregie- rung das alleinige Vorschlagsrecht einzuräumen ist halbherzig und inkonsequent Deres (CDU/CSU): Herr Präsident! Von der hohen Bühne der Gesetzgebung zurück in den kleinen (Rossmanith [CDU/CSU]: Das glauben Sie grauen Alltag des Rechnungsprüfungsausschusses. selber nicht!) Liebe Kolleginnen und Kollegen! 30 Monate nach gemessen an einem Ziel, den Rechnungshof wirk- Abschluß des Rechnungsjahres 1982 liegt Ihnen die lich näher ans Parlament heranzurücken. Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu Wir haben dieser Beschlußempfehlung im Aus- der Unterrichtung des Bundesrechnungshofes, schuß deshalb nicht widersprochen, weil wir Ihre Drucksache 10/2223 — das sind die Bemerkungen Grundintention teilen und weil wir es richtig fin- des Bundesrechnungshofes 1984 zur Haushalts- den, die Wahl des Rechnungshofpräsidenten über- und Wirtschaftsführung (einschließlich der Bemer- haupt ins Parlament zu bringen. Dies ist sinnvoll. kungen zur Jahresrechnung des Bundes 1982) —, Das ist gar keine Frage. zur Beschlußfassung vor. Aber wir wollen auch deutlich machen, daß dieser Der Rechnungsprüfungsausschuß hat am 16. Ja- Gesetzentwurf, der heute zur Abstimmung vorliegt, nuar 1985 mit der Beratung begonnen, nachdem auf halbem Weg stehengeblieben ist, da er die Wei- die Unterrichtung des Bundesrechnungshofs am gerung enthält, all jene vernünftigen Änderungs- 30. Oktober 1984 zugeleitet worden war. Ein und ein vorschläge, die im SPD-Entwurf enthalten waren, dreiviertel Jahr für Prüfung und Stellungnahme der aufzunehmen. Ministerien bis zur Übersendung der Unterrichtung ist eine lange Zeit auf den ersten Blick. Erst der Um deutlich zu machen, daß der sinnvollere Weg Einblick ins Detail läßt Verständnis für diese Situa- gewesen wäre, diese Vorschläge aufzunehmen, und tion entstehen, wobei sich der Rechnungsprüfungs- daß es aus unserer Sicht auch sinnvoller gewesen ausschuß der Nachteile dieser langen Frist bewußt wäre, wenn die Sozialdemokraten dabei geblieben ist. wären, werden wir dem neuen Rechnungshofgesetz (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) unsere Zustimmung versagen müssen. Wir legen daher verstärkt Wert auf aktuelle Zwi- (Strube [CDU/CSU]: Das tut uns aber schenprüfungen des Bundesrechnungshofes, wie leid!) schon mehrfach bekundet wurde und wie das z. B. - Wenn die SPD schon dazu übergegangen ist, sich während der Beratungen beim Bundesgesundheits- dies alles abhandeln zu lassen, dann wollen wenig- amt in Berlin geschehen ist. stens wir deutlich machen, daß Ihr Vorschlag, daß Als Ergebnis empfehlen wir dem Bundestag, der euer Vorschlag der sinnvollere Weg gewesen wäre, Bundesregierung gemäß Art. 114 des Grundgeset- um zu einer wirklich sinnvollen Reform des Rech- zes in Verbindung mit § 114 der Bundeshaushalts- nungshofwesens zu kommen. ordnung Entlastung für das Haushaltsjahr 1982 zu (Zuruf von der CDU/CSU: Im Ausschuß ha erteilen. ben Sie zugestimmt!) (Kühbacher [SPD]: Dieser Regierung?) 11018 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 Deres Wir gehen davon aus, daß die Bundesregierung den genommen, daß die Wasser- und Schiffahrtsverwal- Feststellungen und Bemerkungen umfassend und tung Schleusen, Wehren und ein Schiffshebewerk konsequent Rechnung trägt. begonnen und fertiggebaut hat, ohne genehmigte (Zurufe von der SPD) Entwürfe zu haben. Zum Beispiel wurden 1981 Ent- würfe für zwei Bauwerke am Elbe-Seitenkanal er- — Die Klärung kommt noch, Klaus-Dieter. stellt, die bereits — man höre und staune — 1976 Für die geleistete Arbeit darf auch ich an dieser fertiggestellt und in Betrieb waren. Stelle den Damen und Herren des Bundesrech- (Zuruf von der CDU/CSU: Das darf doch nungshofes, sehr geehrter Herr Präsident, danken. nicht wahr sein!) In diesen Dank schließe ich die ständig anwesen- den Vertreter des Bundesfinanzministeriums und Begonnene Arbeiten richteten sich häufig nicht die Mitarbeiter des Sekretariats ein. nach den Planungsunterlagen; vielmehr wurden die Entwürfe der fortschreitenden Bauausführung an- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — gepaßt. Auch Instandsetzungsmaßnahmen, die ko- Zurufe von der SPD) stenaufwendig waren und schwierige ingenieurmä- Nach Abschluß der Beratungen kann ich auch für ßige Leistungen enthielten, wurden ohne Entwürfe die gute Kooperation der Vertreter aller Ministe- durchgezogen. Dies klingt unglaublich, und man rien danken, die ihre Position manchmal mehr und fühlt sich in die Bauzeit des Kölner Doms versetzt. manchmal minder geschickt vertreten haben. Sie werden nichts anderes erwarten, als daß der Ich will aus der Vielzahl der Prüfungsbemerkun- Ausschuß die Bemerkungen des Bundesrechnungs- gen einige herausgreifen, um die Probleme an- hofs nur zustimmend zur Kenntnis nehmen und die schaulich zu machen. Dabei möchte ich bemerken, festgestellten Verstöße mißbilligen konnte, beson- daß die Prüfung und Wertung der einzelnen Punkte ders weil die Beanstandungen bereits Gegenstand im Ausschuß ohne Rücksichtnahme auf die jewei- der Bemerkungen zur Haushaltsrechnung 1972 vom lige Bundesregierung im Amt geschehen ist. Dafür 10. Oktober 1974 waren und der Bundesminister kann man allen Kollegen im Ausschuß nur dankbar schon damals zugesagt hatte, sein, wobei ich durchaus Verständnis dafür habe, (Zuruf von der CDU/CSU: Wie hieß der daß per Ende 1982 eine Reihe von Verantwortlichen doch gleich?) für die Vergangenheit mit dem heutigen Abschluß vernehmlich aufatmen werden. Dabei kann man die Dienststellen der Wasser- und Schiffahrtsver- der jetzigen Bundesregierung bescheinigen, daß waltung entsprechend anzuweisen. sich ihre Vertreter ganz und gar in der Kontinuität Den dritten Punkt möchte ich hier weglassen, der Verantwortung gesehen haben. weil der Kollege Kleinert diesen — die Finanzie- (Walther [SPD]: Immer dieselben!) rung eines Waffensystems — schon aufgegriffen hat. — Eben. Aber ein weiteres Beispiel aus dem Bereich des Als erstes Stichwort nehme ich mal das berühmt Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenar- berüchtigte Dezemberfieber der Verwaltungen. Im beit. Es ist uns allen bekannt, daß die Bürger grund- Auswärtigen Amt wurden zum Jahresende 1982 in sätzlich positiv zur Entwicklungshilfe stehen; sie einer Vielzahl von Fällen Zahlungen geleistet, um beweisen es insbesondere bei Spenden für die Haushaltsmittel nicht verfallen zu lassen, obwohl kirchlichen und sonstigen freiwilligen Organisatio- die bestellten Geräte, Ausstattungs- und Ausrü- nen. Mit besonderer Sensibilität aber verfolgen sie stungsgegenstände noch nicht geliefert und die For- die mit ihren Steuern betriebene staatliche Ent- derungen der Lieferanten noch nicht fällig waren. wicklungspolitik. Die Prüfung der Angaben über Die Bediensteten hatten wahrheitswidrig auf den Planung und Forschung im Entwicklungshilfebe- Vorausrechnungen neben der rechnerischen auch reich soll den Bürgern zeigen, daß auch gerade hier die sachliche Richtigkeit und damit zugleich den auf sparsame und wirtschaftliche Haushaltsfüh- ordnungsgemäßen Eingang der noch nicht geliefer- rung geachtet wird. ten Gegenstände bestätigt. Damit wurde gegen Grundsätze des Haushaltsrechts verstoßen. Im üb- Der Bundesrechnungshof hatte hier die Vorha- rigen wurden unnötige Lieferrisiken übernommen. ben der Haushaltsjahre 1977 bis 1981 geprüft. Mehr Die Gegenargumentation des Ministeriums und die als ein Viertel der 150 Vorhaben führte zu Bean- Verneinung der Haftungsfrage konnte den Aus- standungen. schuß nicht überzeugen. Der Ausschuß hat von der (Mann [GRÜNE]: Unerhört!) Bemerkung zustimmend Kenntnis genommen. Er Aus den in der Drucksache angeführten Einzelbei- hat das Verhalten des Bundesministers mißbilligt spielen ergibt sich in einem Fall, daß ein Auftrag und ihn aufgefordert, die Haftungsfrage erneut zu - freihändig vergeben wurde, ohne zu prüfen, ob wei- prüfen und die eingeleiteten disziplinarischen tere fachkundige Anbieter vorhanden waren. Be- Schritte weiter zu verfolgen. Das sei eine Warnung gründung: Nur der Auftragnehmer verfüge über die an die Verwaltung, sich nicht vom Dezemberfieber einschlägige Kompetenz. Dem Bundesminister war befallen zu lassen. schon damals bekannt, daß der Auftragnehmer das Ein weiteres Beispiel: Bauen ohne genehmigte gleiche Forschungsthema für den Deutschen Ent- Pläne. Quod licet Jovi, non licet bovi; was Jupiter wicklungsdienst in drei Vorprojekten mit einer Auf- erlaubt ist, so denkt der Bürger, ist noch lange nicht tragssumme von 75 000 DM bearbeitet hatte, deren jedem Ochsen erlaubt. Der Bundesminister hat hin- Ergebnis nur in Teilen und auch nur deshalb Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11019

Deres brauchbar war, weil der Deutsche Entwicklungs- ten, aber konsequent aus den nicht staatspolitisch -dienst diese mit erheblichem Arbeitsaufwand aus wichtigen Beteiligungen zurückzieht. bzw. umgearbeitet hatte. Weitere Einzelfälle zu die- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sen Ausgaben im Bereich entwicklungspolitischer Forschung muß ich mir ersparen. Die Lektüre in Meine sehr verehrten Damen und Herren, bisher der Drucksache kann ich Ihnen nur empfehlen. Die habe ich nur Beispiele vorgetragen, bei denen der einzelnen Fälle lesen sich wie Kurzkrimis. Bundeshaushalt auf der Verliererseite stand. Das ist in der überwiegenden Zahl der Prüfungsfälle Ein letztes Beispiel darf ich Ihnen aus dem Be- auch so. In einem Fall hoffen wir im Rechnungsprü- reich der Betätigung des Bundes bei Unternehmen fungsausschuß und auch im Haushaltsausschuß die mit eigener Rechtspersönlichkeit vorstellen. Ich tue Einnahmeseite verbessern zu können, Herr Vorsit- dies nicht zuletzt deshalb, um die Kollegen, die sich zender des Ausschusses. noch nicht für die Privatisierung bundeseigener Un- ternehmen erwärmen können, zum Nachdenken zu (Walther [SPD]: Sehr gut!) bringen. Der Bundesrechnungshof hat den Bundesminister der Finanzen auf negative Entwicklungen und re- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gionale Unterschiede bei der steuerlichen Betriebs- Ein Bundesunternehmen arbeitete seit langem prüfung, insbesondere bei der Prüfung der Kredit- mit Verlust. Die im Fertigungsbereich veranlaßten institute im Frankfurter Bereich, hingewiesen. Sanierungsmaßnahmen blieben ohne Erfolg. Der Ich will nicht danach fragen, wie viele Steuerein- Bundesrechnungshof ersuchte den zuständigen nahmen dem Bund und den Ländern — wie man so Bundesminister wiederholt seit dem Jahre 1972, auf schön sagt — „durch die Lappen" gegangen sind. die Beseitigung der Verlustquellen hinzuwirken, da- mit unvertretbare Belastungen des Unternehmens (Zuruf von der CDU/CSU: Bank für ge und des Bundes verhindert würden. — Vergeblich. meine Wirtschaft!) Der Bundesminister sorgte nicht mit Nachdruck da- Der hessische Finanzminister soll aber inzwischen für, daß Fehlentwicklungen früher verhindert wur- zugesagt haben, für einen regelmäßigen Turnus der den. Betriebsprüfung Sorge zu tragen. (Walther [SPD]: Wer saß denn im Auf (Zuruf von der CDU/CSU: Das wollen wir sichtsrat?) aber genau überprüfen!) Der Bundesrechnungshof zeigte ferner auf, daß Ich hoffe, daß wir bei diesen Betriebsprüfungen die anhaltenden Mißerfolge bei den Sanierungsbe- ein gutes Ergebnis erreichen und sage: Auf denn! mühungen, auf die inzwischen auch der Abschluß- Bei soviel Hoffnung stimmt die CDU/CSU-Fraktion prüfer aufmerksam gemacht hatte, weniger auf der Entlastung der Regierung für 1982 zu. Konjunktureinflüsse als in erster Linie auf Mängel (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und Versäumnisse insbesondere in der Führung der Geschäfte zurückzuführen seien und daß die Über- wachungstätigkeit des Aufsichtsrates sowie die Be- Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- tätigung des Bundes die negative Entwicklung des ordnete Kühbacher. Unternehmens nicht verhindert hätten. (Walther [SPD]: Welche Schlafmützen wa ren das?) Kühbacher (SPD): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ob die SPD der Entla- Die Unternehmung hat in den Jahren 1972 bis stung dieser jetzigen Bundesregierung zustimmt, 1982 — man höre und staune — bis zu 1 Milliarde muß man sich sehr überlegen. Wenn ich die Prä- DM Verlustabdeckungen erhalten. Wurden die Ar- senz der Regierung hier auf der Bank sehe, Herr beitsplätze wenigstens erhalten? Noch nicht einmal Präsident, dann frage ich mich wirklich diese Frage kann positiv beantwortet werden. Gute Arbeitskräfte wanderten zunehmend ab. Der Be- (Strube [CDU/CSU]: Das betrifft doch die stand war kaum in der Lage, für neue Technologie letzte Regierung, Kollege Kühbacher!) und Fertigungsmethoden eingesetzt zu werden. — nun schimpfen Sie nicht dazwischen, Kollege Meine Damen und Herren, für diese Firma gibt Strube —, ob es angemessen ist — wenn man be- es seit 1982 keine weiteren Transfusionen. Ich denkt, daß wir im Rechnungsprüfungsausschuß, möchte denen, die immer schreien, wir hätten keine ohne Vorbereitungszeit gerechnet sechzig bis hun- Subventionen gestrichen, ins Stammbuch schrei- dert Stunden gearbeitet haben —, daß nicht einmal ben, daß in dem Bereich der Betätigung von bun- die Parlamentarischen Staatssekretäre, die doch deseigenen Unternehmen schon manches- gesche- gut dotiert werden, anwesend sind. — Herr Rawe, hen ist, was leider wegen der Vertraulichkeit nicht ich erwähne Sie als lobendes Beispiel in der Riege, immer so in die Öffentlichkeit hineingetragen wer- die hier gemeint ist. — Herr Präsident ich erspare den kann. Ihnen das nicht — und ich wäre Ihnen dankbar, wenn einmal Gespräche darüber geführt würden —: (Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Das hätte man Es wird das Auswärtige Amt beanstandet: niemand viel deutlicher ansprechen können!) da; das BMI: niemand da; Für uns kann die Konsequenz nur lauten, daß (Bohl [CDU/CSU]: Was soll denn das! Ne sich der Bund zunehmend, in angemessenen Schrit- benkriegsschauplätze!) 11020 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 Kühbacher BMF: Herzlichen Dank für Ihre Anwesenheit!; Bun- Bohl (CDU/CSU): Können Sie mir erklären, wieso desministerium für Wirtschaft: nicht anwesend; bei der Entlastung für den Bundeshaushalt 1982 die (Mann [GRÜNE]: Unglaublich!) bis zum 1. Oktober 1982 amtierenden Bundesmini- ster der SPD nicht anwesend sind? Bundesministerium für Landwirtschaft: nicht an- wesend; Bundesministerium für Arbeit: nicht anwe- (Lachen bei der SPD — Strube [CDU/ send; Bundesminister für Verkehr: nicht anwe- CSU]: Der Kanzler! — Weitere Zurufe von send. der CDU/CSU) (Zurufe von der CDU/CSU: Wo ist denn Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter Dr. Helmut Schmidt! — Herr Apel ist da! — Da Riedl. sitzen sie doch alle!) — Darauf komme ich gleich noch zu sprechen. — Dr. Riedl (München) (CDU/CSU): Herr Kollege Jetzt kann ich das fortsetzen. Außer dem Staatsse- Kühbacher, ich darf die ausgezeichnete Zwischen- kretär Rawe, dessen Haus beanstandet wurde, ist frage meines Kollegen Bohl wiederholen und Sie niemand anwesend. — Herr Staatssekretär Hennig, fragen, ob Sie mir vielleicht erklären können, wie zu Ihrem Haus gibt es überhaupt keine Bemerkun- viele Mitglieder Ihrer Bundesregierung — ehren- gen, werte SPD-Bundesminister, Parlamentarische Staatssekretäre —, die zu entlasten sind, heute (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) durch Abwesenheit glänzen, und können Sie mir aber Sie sind trotzdem anwesend. Das finde ich vielleicht erklären, ob der Grund für ihre Anwesen- schon außerordentlich. heit das schlechte Gewissen wegen ihrer schlechten (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Politik ist? Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist denn der (Zurufe von der SPD) Herr Schmidt?) Damit es klar wird: Hier wird eine Entlastung Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter einer Bundesregierung beredet, um daraus Erfah- Esters. rungen für die Zukunft zu sammeln, Herr Kollege von Hammerstein. Denn hier heißt es — das wird Esters (SPD): Herr Kollege Kühbacher, würden heute beschlossen —: Sie zur Kenntnis nehmen, daß zur Erteilung der Entlastung für das Haushaltsjahr 1982 der dama- ... Die Bundesminister werden ersucht, die Be- lige Bundesminister der Verteidigung anwesend ist, anstandungen der Handlungsweise einzelner daß der bis Mai 1982 amtierende Bundesminister Bediensteter diesen zur künftigen Beachtung der Finanzen anwesend ist, daß der ab Mai amtie- zur Kenntnis zu bringen und die Durchführung rende Bundesminister für das Post- und Fernmelde- der gebotenen Maßnahmen unter Beachtung wesen anwesend ist und auch der ehemalige Parla- der Einzelbemerkungen des Haushaltsaus- mentarische Staatssekretär Zander! schusses ... zu überwachen. (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) Diese Damen und Herren haben es nicht einmal Wenn Sie dann auf die Regierungsbank sehen, Herr nötig, hierher zu kommen. Ich finde das nicht in Kollege Kühbacher, dann werden Sie feststellen, Ordnung, und wir sollten uns überlegen, ob wir uns daß die damalige Regierung besser vertreten ist als diesen Stil gefallen lassen. die jetzige, denn dort sitzen nur Parlamentarische (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Staatssekretäre. Abg. Bohl [CDU/CSU] und Abg. Dr. Riedl (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) [München] [CDU/CSU] melden sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, Sie — Wenn Sie weiter Zwischenfragen stellen, dann nehmen dem Abgeordneten Kühbacher gleich die werden wir die Entlastung auch gar nicht vorneh- Antwort weg. — Herr Abgeordneter, gestatten Sie men, denn wir sind hier im Moment in der Mehr- auch noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten heit, damit das auch klar ist. Walther? (Lachen bei der CDU/CSU) Kühbacher (SPD): Sehr gern.

Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, ge- Vizepräsident Cronenberg: Dann können wir das statten Sie denn die Zwischenfragen der Abgeord- alles in einem Aufwasch machen. neten Bohl und Dr. Riedl sowie des Abgeordneten Esters? Walther (SPD): Herr Kollege Kühbacher, wären - Sie so freundlich, dem Kollegen Bohl — der das ja nicht wissen kann — Aufklärung darüber zu (SPD): Vielleicht stellen Sie alle drei Kühbacher geben — — Zwischenfragen hintereinander, dann beantworte ich sie zusammen. — Es wird ja nicht auf die Rede- Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, zeit angerechnet? Dreiecksfragen sind nicht zulässig. (Zuruf von der SPD: Auch keine Dreiecks Vizepräsident Cronenberg: Nein. — Herr Abgeord- verhältnisse! — Weitere Zurufe von der neter Bohl. SPD) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11021

Walther (SPD): Ich formuliere es anders, Herr Überkippern. Das heißt, wir haben mehr Bestellun- Präsident. Ich bin das zwar anders gewohnt, aber gen, als es möglicherweise an Baransätzen im näch- wenn Sie das so auslegen, dann beuge ich mich dem sten Jahr durch das Parlament zu bewilligen gilt. natürlich. — Herr Kollege Kühbacher, wären Sie Dadurch werden wir im Parlament gezwungen, Be- bereit, dem Haus bekanntzugeben — all denjeni- stellungen durch Geld abzudecken, das wir eigent- gen, die es nicht wissen können, weil sie nicht an lich gar nicht ausgeben wollten. Ich fordere den den Beratungen des Ausschusses teilgenommen ha- Finanzminister auf, durch Einsatz der elektroni- ben —, daß sich die Bemerkungen zum Haushalt schen Datenverarbeitung hier endgültig für eine 1982 nicht nur auf Vorgänge des Jahres 1982 bezie- klare Buchführung zu sorgen, wie man das von hen, sondern auf solche, die sich bis in das Jahr einem geordneten Staatswesen verlangen kann. 1984 hinein erstrecken? (Beifall bei den GRÜNEN) (Zurufe von der CDU/CSU) Im Verteidigungsbereich, im Entwicklungsbereich, Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, Herr Staatssekretär Voss, liegt es dort im argen — nun haben Sie die Gelegenheit, die vier Fragen zu das betrifft nicht Ihr Haus —, da muß etwas getan beantworten. werden. Der zweite Themenbereich betrifft alle Ressorts Kühbacher (SPD): Ich darf den vier stehenden und ist sicherlich für den Steuerzahler interessant. Kollegen erklären, daß auf der Seite der SPD natür- Wir haben beim Bund Kraftfahrer, die privatver- lich mehr ehemalige Minister und frühere und mög- traglich beschäftigt sind. Der Rechnungshof hat bei liche neue Parlamentarische Staatssekretäre anwe- einer Querschnittsprüfung festgestellt — in diesem send sind. Fall beim Bundesminister der Verteidigung —, daß (Heiterkeit) sogenannte Bereitschaftsdienste durch Tarifvertrag Aber zur Sache. Natürlich haben wir im Rech- so gestellt sind, daß diese Bereitschaftszeiten voll nungsprüfungsausschuß nicht über die Entlastung zu alimentieren sind. Das heißt, wenn man 24 Stun- von SPD-Ministern oder CDU-Ministern zu beraten, den Bereitschaftsdienst macht, bekommt man auch sondern wir haben die Folgerungen aus dem Fehl- 24 Stunden bezahlt. So lautet der Tarifvertrag, das verhalten von Verwaltungen zu ziehen. Die Mini- steht den Arbeitnehmern zu, und das ist ihnen nicht ster und Staatssekretäre wechseln, aber die Verwal- vorzuwerfen. Den Ministerien allerdings ist vorzu- tung bleibt. Das habe ich hier schon einmal ausge- werfen, wenn sie die Dienste so organisieren, daß in führt. Nur, worum es dem Parlament geht: Das muß diesen 24 Stunden nur eine Stunde tatsächlich ge- von den politisch Verantwortlichen doch hier we- fahren wird. Wenn die Arbeitsbelastung so ist, er- nigstens aufgenommen werden. warte ich von den Ministerien, daß man, anstatt auf einen Fahrer zurückzugreifen, zum Telefon greift Vielleicht sollte ich die Kritik gleich in diese und notfalls ein Taxi benutzt. Richtung erstrecken: Neben den Ministern und ne- ben den Parlamentarischen Staatssekretären gibt (Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und es in verschiedenen Häusern auch noch weitere Abgeordneten der CDU/CSU) Staatssekretäre, aber auch diese sind nicht anwe- Der Steuerzahler kann erwarten, daß wir, wenn wir send. 24 Stunden Arbeitszeit vergüten, nicht nur eine (Mann [GRÜNE]: Sehr gut!) Stunde geleistet bekommen. Damit tue ich nieman- Es ist zu beanstanden, wie sich die Bundesregie- dem einen Tort an. Ich denke, das ist zu organisie- rung insgesamt in dieser Frage dem Parlament ge- ren und zu klären. genüber verhält. Das finde ich nicht angemessen. Ein weiterer Punkt, bei dem wir — Herr Präsi- Das muß man doch einmal ausdrücken dürfen. dent des Rechnungshofes, Sie sehen es uns nach — (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) die Politik und die Wirkungsweise anders sehen als Nun will ich noch kurz einige Highlights zur der Rechnungshof. Der Rechnungshof hat sicher- Sprache bringen, um die es uns in den Beratungen lich zu Recht festgestellt, daß drei Musikcorps des des Rechnungsprüfungsausschusses gegangen ist, Grenzschutzes, was die dienstlichen Einsätze an- und zwar zum Thema Verpflichtungsermächtigun- geht, durch eines zu ersetzen seien. Das ist aus der gen, ein Kapitel, das, glaube ich, auf die Verwaltung dienstlichen Sicht sicherlich so zu beurteilen. Das insgesamt gesehen beim Finanzminister anzusie- Parlament hat politisch entschieden, daß die Bun- deln ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben despolizei — Bundesgrenzschutz — neben dienstli- im Haushaltsrecht ein Instrument — Verpflich- chen Anlässen auch Werbeveranstaltungen durch- tungsermächtigung —, das es der Regierung er- zuführen hat. Die Polizei muß nicht immer nur mit laubt, im laufenden Jahr Verpflichtungen für das dem Knüppel, sondern sie sollte den Bürgern auch nächste und übernächste Jahr einzugehen. Der mit Musik gegenübertreten. Wir haben das anders Rechnungshof und auch wir haben schon früher entschieden als Sie. festgestellt, daß diese Verpflichtungsermächtigun- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der gen nicht ordentlich gebucht werden. Das führt FDP) dazu, daß am Ende eines Bestelljahres zumindest der Finanzminister nicht genau weiß, in welchem Ich habe ein weiteres Problem. Es ist nicht so gra- Maße die Häuser, die einzelnen Ressorts, ihre ein- vierend, aber es betrifft die Vertragsgestaltung des zelnen Etats für das nächste Jahr bereits vorbela- gesamten öffentlichen Bereiches. Hierfür wäre der stet haben. Wir kommen dann zu sogenannten Bundeswirtschaftsminister der Ansprechpartner. 11022 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Kühbacher Wir stellen fest, daß, wenn Dritte für die öffentliche andere Privilegien, von denen man ebenfalls nur Hand Selbstkostenpreise berechnen, Herr Staatsse- träumen kann. kretär Voss, diese Lieferanten in die Selbstkosten- (Zurufe von der CDU/CSU) preise die von ihnen zu zahlenden Steuern einrech- nen; Umsatzsteuer, d'accord, aber häufig auch Ge- Das, was uns daran stört, ist, daß der Bundesmini- werbeertragssteuer. ster für Landwirtschaft die Auffassung vertreten hat: Na j a, die regeln doch ihre eigenen Angelegen- (Walther [SPD]: Gewerbesteuer!) heiten; da haben wir überhaupt nicht reinzureden. Also, was ich der Bundesregierung zu sagen habe: Bei der Prüfung durch den Rechnungshof ist festge- Wenn die Winzer öffentliche Abgaben zu zahlen ha- stellt worden, daß viele solcher Firmen überhaupt ben, dann haben sich die Geschäftsführer des nicht oder jedenfalls nicht in jedem Jahr gewer- Fonds an dem Finanzgebaren der öffentlichen beertragssteuerpflichtig waren. Trotzdem sind die Hand zu orientieren. Rechnungen im nachhinein nicht korrigiert wor- den. Es kann doch nicht sein, daß die öffentliche (Beifall bei der SPD und der FDP) Hand, daß wir als Steuerzahler an Private Gelder Es sollten dort nicht Staatssekretärsgehälter ge- bezahlen, die diese Unternehmen unter der Über- zahlt werden. Denn es ist das Geld der Winzer, das schrift „Unsere Steuerverpflichtung" uns auferle- dort verwaltet wird, und die haben den gleichen gen — vertraglich in Ordnung —, die sie aber gar Anspruch wie jeder andere Steuerzahler auch. Ich nicht zu leisten haben. Ich erwarte von der Bundes- wäre dankbar, wenn das durchgesetzt werden regierung, daß sie die Vertragsbedingungen derart könnte. ändert, daß für den Fall, daß solche Ausgaben, also solche Steuern, nicht eingetreten sind, die Unter- Ein weiterer Punkt, der mir am Herzen liegt, be- nehmungen verpflichtet werden, diesen Betrag zu- trifft die Hauptstadt Bonn. Meine Damen und Her- rückzuzahlen und sich nicht so zu bereichern. Ich ren, wir haben einen Vertrag mit der Stadt Bonn, bedanke mich beim Rechnungshof für diesen Hin- und der Rechnungshof hat diesen Vertrag mit der weis. Stadt Bonn einmal auf Vertragserfüllung abge- klopft. Wir stellen fest, daß die Stadt Bonn die An- Meine Damen und Herren, wir werden beim nehmlichkeiten des Vertrages sehr gern in An- Thema Kokskohlenbeihilfe, Kohleförderung, Koh- spruch nimmt, nämlich das Geld des Bundes. Wenn lesubvention noch eine vertiefte Diskussion nötig es aber um die Kontrolle der Gelder geht, wenn die haben. Ich bedanke mich beim Rechnungshof, daß Bundesregierung nachfragt, ob die Gelder effizient er hier einen Stein ins Wasser geworfen hat. Der verwendet worden sind, dann werden die Bücher Bundesminister für Wirtschaft und der Bundesmi- plötzlich wieder geschlossen. nister der Finanzen waren bis heute nicht in der (Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Hört! Lage, die aufgekommenen Fragen für den Rech- Hört!) nungsprüfungsausschuß, für den Haushaltsaus- schuß zweifelsfrei aufzuarbeiten. Wir haben eine Herr Staatssekretär, meine Bitte wäre, daß Ihre Be- Sonderprüfung und eine Sondersitzung für Anfang amten, die in den Aufsichtsgremien der Stadt Bonn September zu diesem Themenbereich angesetzt. Es mit tätig sind — das sind Beamte aus dem Finanz- steht zu erwarten, daß dabei herauskommt, daß ministerium —, ihrer Aufgabe auch tatsächlich eine ganz erhebliche Summe — ich sage einmal nur nachkommen. Ich sage es jetzt einmal ein bißchen so: unter dem Strich nennt der Rechnungshof bissig: Wenn man Theater kontrolliert, kann man 700 Millionen DM — möglicherweise zur Disposi- das sicherlich nicht nur von der Zuschauerbank aus tion steht. Wir werden das vertieft zu beraten ha- machen, sondern man muß vielleicht auch einmal ben. Hier sind einige Dinge, denen wir nachgehen hinter die Kulissen gucken. müssen. Hier sind Automatismen eingetreten, die (Beifall bei der SPD — Mann [GRÜNE]: auf jeden Fall auf ihre Notwendigkeit und ihre Be- Sehr gut!) rechnungsart hin untersucht werden sollten. Bei Nachfragen hat man den Eindruck, daß wir gele- Meine Bitte wäre, daß hier einmal nachgeschaut gentlich öffentliche Hilfe zahlen, die der Strom- wird. Der Haushaltsausschuß hat sich vorbehalten, preiskunde über den Strompreis ein weiteres Mal den nächsten Vertrag mit der Stadt Bonn vorher abzugelten hat, obwohl das Elektrizitätsversor- vorgelegt zu bekommen. Denn hier gehen erhebli- gungsunternehmen diese Beträge bereits durch die che Beträge in einen Bereich hinein, von dem wir öffentliche Hand erhalten hat. Dem müssen wir si- glauben, daß er nicht ausreichend kontrolliert cherlich nachgehen und das untersuchen. wird. Ich komme zu einem weiteren Punkt, bei dem Mein letzter Punkt, Herr Staatssekretär Rawe, man glaubt, man liest nicht richtig. Wir haben den betrifft die Deutsche Bundespost. Wir, der Haus- sogenannten Stabilisierungsfonds für Wein. Das ist haltsausschuß, fordern Sie auf, auf dem Wege der eine Einrichtung, von der den produzierenden Win- Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit — z. B. auch zern ein zusätzlicher Betrag abgefordert wird, um beim Postgirodienst, der in Konkurrenz zu entspre- bestimmte Vermarktungsüberlegungen in Gang zu chenden Bankendiensten steht — weiterhin fortzu- setzen. Das sind öffentliche Abgaben, die zu leisten schreiten; Sie sind da auf einem vernünftigen Weg. sind. Die Geschäftsführer dieses Stabilisierungs- Aber wir stellen auch fest, Herr Staatssekretär, fonds für Wein bekommen Gehälter, von denen daß Ihre Verwaltung manchmal dabei ist, über das man nur träumen kann. Darüber hinaus haben sie Ziel hinauszuschießen, wenn es um die Zentralisie- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11023 Kühbacher rung bestimmter Dienstleistungen geht. Wenn gen? — Enthaltungen? — Einstimmig angenom- schon bei Mittelbehörden zentralisiert wird, dann men. sollte man — wir werden das hier heute beschlie- ßen und bitten Sie, das dann auch umzusetzen — Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und b auf: nicht in die Ballungszentren hineingehen, in denen Arbeitsplätze ohnehin in großer Zahl vorhanden a) Beratung der Beschlußempfehlung und des sind. Vielmehr sollte man dann in strukturschwa- Berichts des Ausschusses für Wirtschaft che Räume gehen, z. B. in das Zonenrandgebiet. Das (9. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordne- ist der richtige Weg, nicht aber der, in ohnehin ten Dr. Jens, Rapp (Göppingen), Bachmaier, strukturschwachen Gebieten Arbeitsplätze abzuzie- Curdt, Müller (Schweinfurt), Frau Oden- hen. dahl, Oostergetelo, Stiegler, Frau Weyel, Dr. Wieczorek, Wolfram (Recklinghausen), (Beifall bei allen Fraktionen) Stahl (Kempen), Dr. Kübler, Huonker und Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, obwohl der Fraktion der SPD die SPD hier in der Mehrheit ist und Sie in große Schwierigkeiten bringen könnte, Förderung von Existenzgründungen — Drucksachen 10/2275, 10/3121 — (Bohl [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht!) Berichterstatter: Abgeordneter Uldall stimmen wir der Entlastung der alten SPD-Regie- rung und der neuen Regierung zu. b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (Beifall bei der SPD und der FDP) (9. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordne- ten Uldall, Dr. Faltlhauser, Wissmann, Hau- Vizepräsident Cronenberg: Meine Damen und Her- ser (Krefeld), Doss, Engelsberger, Hinrichs, ren, da mir weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, Dr. Lippold, Kittelmann, Kraus, Dr. Kronen- schließe ich die Aussprache. berg, Dr. Lammert, Landré, Lattmann, Müller (Wadern), Niegel, Dr. Schwörer, Dr. Freiherr Zum Tagesordnungspunkt 3 a schlägt der Älte- Spies von Büllesheim, Dr. Unland, Gerstein, stenrat vor, den Antrag des Präsidenten des Bun- Haungs, Hinsken, Maaß, Ruf, Jung (Lörrach), desrechnungshofes auf Drucksache 10/3304 an den Dr. Jobst, Eylmann, Schwarz, Frau Fischer, Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu an- Frau Roitzsch (Quickborn), Dr. Müller, derweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dr. Hoffacker, Dr. Becker (Frankfurt), Cle- Dann ist die Überweisung so beschlossen. mens, von Hammerstein, Dr. Götz, Carsten- Wir kommen zur Einzelberatung und Abstim- sen (Nordstrand), Hornung, Linsmeier, See- mung über den Tagesordnungspunkt 3 b, den Ent- sing, Fischer (Hamburg), Dr. Olderog, Dr. wurf eines Bundesrechnungshofgesetzes auf den Bugl, Magin, Milz, Strube, Rode (Wietzen), Drucksachen 10/3204 und 10/3323. Pesch, Dr. Voigt (Northeim), Bühler (Bruch- Ich rufe zunächst die §§ 1 bis 24, Einleitung und sal), Frau Dr. Wisniewski, Bohl, Wilz, Schartz Überschrift mit der vom Ausschuß empfohlenen (Trier), Schneider (Idar-Oberstein), Lintner, Änderung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften Böhm (Melsungen), Stockhausen, Frau Gei- zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Hand- ger, Nelle, Jagoda, Frau Dempwolf, Dr. Czaja, zeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? Herkenrath, Louven, Kolb, Frau Dr. Hellwig, — Damit sind die aufgerufenen Vorschriften ange- Zink, Freiherr von Schorlemer und der Frak- nommen. tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Graf Lambsdorff, Dr. Haussmann, Beck- Wir treten nun in die mann, Grünbeck, Gattermann, Dr. Solms, Dr. dritte Beratung Weng, Wurbs, Dr.-Ing. Laermann, Cronenberg ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem (Arnsberg) und der Fraktion der FDP Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte Eigenkapitalhilfeprogramm und Ansparför- ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — derprogramm Enthaltungen? — Damit ist das Gesetz in der vorlie- — Drucksachen 10/2549, 10/3134 — genden Form angenommen. Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jens Ich komme zu Tagesordnungspunkt 3 c, den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Meine Damen und Herren, nach einer Vereinba- Bundesrechnungshofgesetzes auf Drucksache rung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Bera- 10/2929. Der Ausschuß schlägt auf Drucksache 10/ tung der Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b und eine 3510 unter Nr. 2 der Beschlußempfehlung vor, die- Aussprache von 60 Minuten vorgesehen. — Wieder- sen Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer die- spruch gegen diesen Vorschlag des Ältestenrates ser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, ergibt sich nicht. Damit ist das beschlossen. den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt Das Wort zur Berichterstattung wird nicht ge- dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist die Be- wünscht. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat schlußempfehlung des Ausschusses angenommen. der Abgeordnete Uldall. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 3 d. Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses Uldall (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen auf Drucksache 10/3509 zuzustimmen wünscht, den und Herren! Ziel der Bundesregierung ist es, daß bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dage- durch eine langfristige Verbesserung der Rahmen- 11024 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Uldall daten die wirtschaftliche Entwicklung so verbessert wichtigen Beitrag zur Beschäftigungsförderung bei wird, daß die Beschäftigung bei uns in der Bundes- uns in der Bundesrepublik leisten wird. republik wieder steigt. Einer der wichtigsten Eck- richtet sich an punkte dieser Rahmendaten ist die Stärkung der Unser Existenzgründungssparen alle Handwerker, die nach Beendigung des Meister- privaten Initiative und die Stärkung des privaten kurses einen eigenen Handwerksbetrieb eröffnen Sektors schlechthin. Damit unterscheiden wir uns wollen. Es richtet sich an die Verkäufer, die später grundsätzlich von der alten SPD-Regierung, die das einmal einen eigenen Laden aufbauen wollen. Es Heil vor allen Dingen in einer ständigen Auswei- richtet sich an die Ingenieure, die später einen Fer- tung des Staatsanteils sah. tigungsbetrieb eröffnen wollen. Wir haben auf diesem Weg zur Verringerung des Unser Ziel ist es, daß sich all die Genannten lang- staatlichen Einflusses bereits viel erreicht. Wir ha- fristig auf ihren Schritt in die Selbständigkeit vor- ben vor allen Dingen erreicht, daß die Ausgaben des bereiten, denn je sorgfältiger eine Existenzgrün- Staates langsamer steigen, als die Wirtschaft insge- dung vorbereitet wird, je mehr sich der zukünftige samt wächst. Wir haben erreicht, daß die Steuern Unternehmer auf seine neue Rolle vorbereitet, um durch das Steuerentlastungsgesetz 1984 und durch so größer sind seine Aussichten, daß seine Neu- das Steuerentlastungsgesetz 1986/88 deutlich redu- gründung auch ein Erfolg wird. ziert werden. Eine weitere Maßnahme zur Verringe- rung des staatlichen Einflusses ist die Beseitigung Wir belohnen diese Vorbereitung und diese An- des Bürokratiegestrüpps. sparzeit mit einer Prämie von 20 % auf den Betrag, den der junge Unternehmer angespart hat, maxi- In diesem Zusammenhang der Verbesserung der mal mit 10 000 DM. Das bedeutet für den jungen Eckdaten unserer Wirtschaft muß man auch unse- Mann oder die junge Frau, die sich selbständig ma- ren Antrag zur Einführung des Existenzgründungs- chen, daß sich dann, wenn z. B. über einen Zeitraum sehen. Wir wollen die Arbeitnehmer ermu- sparens von sieben Jahren jeden Monat 400 DM angespart tigen, den Weg in die Selbständigkeit zu gehen und werden, mit der Prämie und mit den aufgelaufenen Unternehmer zu werden. Je mehr selbständige Un- Zinsen ein Betrag von 50 000 DM angesammelt ha- ternehmer bei uns in der Bundesrepublik tätig sind ben wird. Da kann man natürlich sagen: Das ist und am Wirtschaftsprozeß teilnehmen, desto flexi- nicht viel. Wenn man es aber mit dem vergleicht, bler und erfolgreicher wird unsere Wirtschaft auf was heute bei der Neugründung eines Unterneh- die Herausforderungen reagieren. mens zur Verfügung steht, so kann man sagen, daß (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) in Zukunft bei der Neugründung eines Unterneh- mens an Eigenkapital 50 bis 100 % mehr als heute Die Politik der Bundesregierung und das gestie- zur Verfügung stehen wird. gene Vertrauen in die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes finden ihren Niederschlag in dem Nach den lobenden Worten für unseren eigenen sprunghaften Anstieg der vom Staat geförderten Antrag möchte ich nun zum Antrag der SPD kri- Unternehmensgründungen. Von 1982 auf 1984 stie- tisch einiges sagen. Herr Jens, wir freuen uns na- gen die Förderungen im Rahmen des ERP-Pro- türlich darüber, daß auch die Sozialdemokraten er- gramms von 12 000 auf 16 000 Unternehmen, d. h. kennen, daß das freie Unternehmertum notwendig um 33 %. In demselben Zeitraum stiegen die Förde- ist, um die Beschäftigungssituation in der Bundes- rungen durch das Eigenkapitalhilfeprogramm von republik zu verbessern. Aber besser, als einen An- etwa 3 000 auf 10 000. Sie haben sich also fast ver- trag vorzulegen, wäre es, wenn die Sozialdemokra- dreifacht. ten einen Stopp in der Verteufelung der Unterneh- mer herbeiführen würden. Wenn Sie das tun wür- Es ist eben eine erfolgreiche Mittelstandspolitik, den, Herr Jens, würden Sie damit einen größeren die wir betreiben. Es ist zugleich ein erfolgreicher Beitrag zur Belebung der Marktwirtschaft leisten Beitrag für unseren Arbeitsmarkt in der Bundesre- als mit Ihrem Antrag. publik. Seit 1982 haben die Unternehmen, die durch die Bundesregierung gefördert wurden, eine Vier- Denn dieser Antrag weist doch einige kritische telmillion neue Arbeitsplätze geschaffen. Man sieht Punkte auf, die auf keinen Fall so verabschiedet also auch hier wiederum, daß die Belebung der werden dürfen. Dazu gehört vor allen Dingen die Marktwirtschaft Belebung des Arbeitsmarkts und Bindung des Darlehens, das Sie vorschlagen, an die Politik für den Arbeitnehmer bedeutet. Dauerhafte Zahl der geschaffenen Arbeitsplätze. Arbeitsplätze werden nur dann geschaffen, wenn (Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Das ist völlig Unternehmer die Initiative dazu ergreifen. Unsere unverständlich!) Wirtschaftspolitik muß deswegen alles tun, um die Unternehmer zu ermutigen. Das Beispiel der USA, Dies darf auf keinen Fall gekoppelt werden, denn des Landes mit der größten Steigerung der Arbeits- wir wollen ja gerade in der kritischen Anfangspha- platzzahlen in den letzten zehn Jahren, zeigt, daß se eines neugegründeten Unternehmens erreichen, die neuen Arbeitsplätze vor allen Dingen im mittel- daß neue Arbeitskräfte eingestellt werden. Wenn ständischen Bereich und im Dienstleistungssektor der junge Unternehmer erwarten muß, daß ihm entstehen, und genau auf diese Gruppe, auf den eine Darlehenskündigung für den Fall droht, daß er Mittelstand und auf den Dienstleistungssektor, zielt die Beschäftigung in seinem Betrieb nicht auf unser vorliegendes Programm ab. Deswegen kön- Dauer aufrechterhalten kann, wird er im Zweifels- nen wir jetzt schon sagen, daß dieses neue Pro- fall erst gar keine neuen Arbeitskräfte einstellen. gramm zur Existenzgründungsförderung einen Deswegen müssen wir Ihren Vorschlag, Herr Jens, Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11025 Uldall in dieser Form ablehnen. Er darf nicht so akzeptiert derartige Hilfe einfach angebracht. Wir werden dies werden, weil er kontraproduktiv wirken würde. auch in Zukunft fordern. Unser Programm wird ohne bürokratischen Auf- Ich glaube, es wäre auch sinnvoll gewesen, wenn wand realisiert werden. Das Verfahren, das wir vor- Sie akzeptiert hätten, daß für die Schaffung zusätz- geschlagen haben, ist ein sehr einfaches. Bereits am licher Arbeitsplätze eine Bürgschaft zur Verfügung 1. August dieses Jahres wird das Programm in gestellt worden wäre. Es geht ja nur um eine Bürg- Kraft gesetzt werden können. Mit dem Eigenkapi- schaft. Bitte, verbreiten Sie keine Legenden! Dies talhilfeprogramm, mit den ERP-Darlehen und jetzt hätte die Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplät- mit unserem Existenzgründungssparen verfügen zen angeregt, und das ist heutzutage unser Problem wir dann über ein abgerundetes und in sich abge- Nummer eins. stimmtes Instrumentarium zur Förderung der Un- Ich meine auch, die ternehmen. Ich rufe deswegen alle jungen Leute, Verdoppelung der Spar- summe — nicht der Prämie — alle Arbeitnehmer in der Bundesrepublik auf, die für Forschung und Technologie wäre ebenfalls sinnvoll. Das paßte ge- Chance, die ihnen durch dieses Instrumentarium nau in unsere Landschaft. Wir wollen zukunfts- geboten wird, zu nutzen, und zwar zu ihrem eigenen trächtige Entwicklungen anstoßen. Vorteil und zur Verbesserung der Beschäftigungs- situation in der Bundesrepublik. Wir bedauern, daß die Regierungskoalition diesen Vielen Dank. weitergehenden Vorstellungen der SPD mit etwas fadenscheinigen Argumenten nicht folgen konnten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich sage hier: Wenn wir in diesem Land die Regie- rungsverantwortung wieder übernehmen, dann Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- werden wir diese Forderungen wieder im Plenum ordnete Dr. Jens. behandeln und sie verwirklichen. Für eine sinnvolle Gestaltung der Existenzgrün- dungshilfe wäre es allerdings noch wichtig, daß wir Dr. Jens (SPD): Herr Präsident! Meine sehr ver- aufpassen, daß die Förderungspräferenzen bei ver- ehrten Damen und Herren! Herr Uldall, dieser Vor- schiedenen Hilfen sinnvoll aufeinander abgestimmt wurf, wir verteufelten die Unternehmer — ich finde, werden, der ist völlig unangebracht; er ist auch geradezu absurd. (Beifall des Abg. Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]) (Dr. Falthauser [CDU/CSU]: Keineswegs! Bei der Gesamtpartei nicht!) daß wir aufpassen, daß es keine Fehlentwicklungen gibt und vor allem keine Mitnahmeeffekte, Wir predigen ununterbrochen, wir brauchten im Grunde mehr und bessere Unternehmer. Hätten (Beifall des Abg. Dr. Müller [Bremen] wir doch nur Unternehmer, wie sie Joseph Schum- [GRÜNE]) peter beschrieben hat, dann sähe es in unserer und daß wir nach Prüfung ständig bereit sind, diese Wirtschaft in der Tat ein bißchen besser aus. Also, Fehlentwicklungen und Mitnahmeeffekte zu besei- hören Sie damit auf! Wir stimmen ja auch der Be- tigen. Schließlich ist es — so glaube ich — wichtig, schlußempfehlung und dem Bericht des Wirt- daß wir bei der ganzen Existenzgründungsförde- schaftsausschusses auf Drucksache 10/3134 zu. Wir rung dafür sorgen, daß Bund, Länder und Gemein- haben uns hier zusammengerauft, und das ist im den ihre Maßnahmen miteinander koordinieren. Grunde eine positive Sache. Darüber sollte man dann sehr sachlich und objektiv sprechen. (Gattermann [FDP]: Sehr richtig!) (Zustimmung bei der SPD) Hier gibt es in der Tat Koordinierungsbedarf. Und ich glaube, wenn das überhaupt von den Bürgern Ich meine, mit dieser Ansparförderung, die wir angenommen werden soll, dann muß das alles der hier heute akzeptieren, wird unser Eigenkapitalhil- Öffentlichkeit verständlich dargestellt werden. feprogramm, das wir während der sozialliberalen Koalition eingeführt hatten, auf vernünftige Art (Gattermann [FDP]: Wo ist sie?) und Weise ergänzt. Mit dem Eigenkapitalhilfepro- Diese Existenzgründungshilfen wirken nämlich gramm fördern wir die, die sich kurzfristig, ad hoc, zweifellos verführerisch. Die neuen jungen Unter- entscheiden, sich selbständig zu machen; mit der nehmer müßten mehr als bisher auch — so glaube Ansparförderung schaffen wir eine Voraussetzung ich — auf die Marktentwicklung achten dafür, daß ein bißchen Eigenkapital vorhanden ist für jene, die es langfristig planen. Davon sind vor (Suhr [GRÜNE]: Jawohl, Ökoprodukte!) allem Handwerksmeister betroffen, und das er- und ihre Produkte und ihre Dienstleistungen im gänzt sich sehr gut. Auge behalten. Nach Aussagen der Creditreform Wir Sozialdemokraten bedauern allerdings, daß sind heutzutage 10% der Neugründungen schon be- die Regierungskoalition in den drei wichtigen trügerische Neugründungen, vor allem in der Form Punkten, von denen Sie eben schon gesprochen hat- einer GmbH. Auch da müssen wir, so glaube ich, ten, unserem Antrag nicht folgen konnte. Es wäre aufpassen, daß das nicht noch zunimmt. sinnvoll gewesen, wenn die freien Berufe mit einbe- Ich meine, grundsätzlich haben wir hiermit die zogen worden wären. Ärzte, Ingenieure, Architek- Förderung neuer Existenzen auf eine gute Grund- ten haben, wenn sie sich selbständig machen, heut- lage gestellt. Ich glaube, in Zukunft muß das Augen- zutage große Summen zu investieren. Da wäre eine merk der mittelständischen Politik — von unserer 11026 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 Dr. Jens Seite aus auf alle Fälle — verstärkt denen gelten, Denn die Höhe der Lohnnebenkosten führt dazu, die bereits im Markt sind. Für Existenzgründungen daß die Schattenwirtschaft beständig zunimmt. wird in der Tat genug getan, aber für die, die im (Beifall bei allen Fraktionen) Markt sind, kann man sehr wohl noch ein bißchen mehr tun. Insbesondere müssen wir in unserer Si- Das ist ganz selbstverständlich in einer marktwirt- tuation leider feststellen; unzureichende wirtschaft- schaftlichen Ordnung. Aber leider, Herr Gatter- liche Entwicklung macht den im Markt Befindli- mann, sind jetzt die Rentenversicherungsbeiträge chen das Leben besonders schwer. Der Sachver- auf 19,2 % gestiegen und haben damit die höchste ständigenrat hat gerade vorgestern in seinem Son- Ziffer erreicht, die wir je erreicht haben. Also das dergutachten auf die Fehlentwicklungen auf merk- ist keine Heldentat. sam gemacht. Er stellt fest, daß diese Regierung Ich glaube auch, daß die Unternehmer steuerlich nicht den Eindruck erweckt, als verfolge sie gegen- benachteiligt werden, und zwar bei der Verwen- wärtig unbeirrt ein glaubwürdiges Konzept zur dung von Eigenkapital gegenüber Fremdkapital Kräftigung des Wachstums und zur Verminderung gibt es eine erhebliche Benachteiligung der Unter- der Arbeitslosigkeit. nehmer. Es ist außerdem ein Unfug, daß Anlagen in Meine Damen und Herren, die Bundesregierung Finanzkapital steuerlich günstiger gestellt sind als ist verpflichtet, das Ziel des § 1 des Stabilitäts- und Mittel, die im Unternehmen investiert werden. Wachstumsgesetzes zu verfolgen. Ich stelle leider (Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Das ist die fest, sie tut es nicht. Mit Appellen an die Unterneh- Sologeige von Herrn Jens!) mer, sie mögen doch bitte sehr mehr einstellen, ist Ein ausgemachter Unfug ist das, meine Damen und das Problem nicht zu lösen. Die Unternehmer sind Herren. aus meiner Sicht sehr rational handelnde Men- schen, und wenn die Bedingungen nicht so sind, (Zuruf von der CDU/CSU) dann stellen sie auch keinen zusätzlich ein; und die Ich füge ferner hinzu, die Insolvenzrechtsreform Bedingungen sind nicht so. wäre im übrigen längst überfällig. Wir brauchen (Beifall bei der SPD) dringend ein Reorganisationsverfahren, um zu ver- suchen, Unternehmen und damit Arbeitsplätze im Es fehlt ganz zweifellos an Nachfrage. Wenn ein Insolvenzfall zu schützen und zu bewahren. Unternehmer seine Produkte, die er produziert, nicht verkaufen kann, dann kann man noch so viel Wir sind, meine Damen und Herren, der Ansicht, reden, dann kann Herr Stoltenberg und kann Herr daß es immer noch erhebliche Nachteile für kleine Blüm noch so viele schöne Worte finden; aber dann und mittlere gegenüber den großen Unternehmen wird nichts zusätzlich getan, um die Arbeitslosig- im Markt gibt. Wir sind nicht der Meinung, daß wir keit zu beseitigen. eine Schutzzaunpolitik für die Kleinen und Mittle- ren brauchen. Das wäre völlig verfehlt. Die Kleinen Der Export ist zur Zeit zwar eine tragende Säule und Mittleren wollen das im Grunde auch gar nicht. unserer wirtschaftlichen Entwicklung; aber ich mei- Aber wir müssen mehr tun, um die Nachteile, die ne, hier könnten sehr wohl die Attachés oder aber sie gegenüber den Großen haben, auszugleichen. auch die Botschaften etwas mehr tun, um gerade Wenn wir das beachten, meine Damen und Herren, kleinen und mittleren Unternehmen bei der Akqui- dann haben diese Unternehmen eine große Zu- rierung von Exportaufträgen zu helfen. kunftschance. Das ist meine feste Überzeugung. Ihr (Sehr gut! bei der CDU/CSU — Suhr [GRÜ eigentliches Kapital sind auch nicht die finanziellen NE]: Und das nennt man dann Entwick Ressourcen, ist nicht die Marktmacht, die Große lungshilfe!) manchmal haben. Das wichtigste Kapital dieser Selbständigen ist das technische und ökonomische Ich meine auch, daß die private Nachfrage belebt Wissen, das persönliche Können, das Engagement, werden muß. Sie ist im ersten Quartal dieses Jahres die Beweglichkeit und die persönliche Leistungsbe- um 0,6 % gegenüber dem Vergleichszeitraum im ver- reitschaft. Deshalb brauchen wir auch möglichst gangenen Jahr gesunken. Das macht ganz zweifel- viele kleine und mittlere Unternehmen. Die Siche- los den Einzelhändlern, aber auch den Handwer- rung und Stärkung einer leistungsfähigen mittel- kern, das Leben besonders schwer. Im Handwerk ständischen Schicht ist und bleibt ein zentrales An- hatten wir einen Umsatzrückgang von 5,1 % im er- liegen sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik. sten Quartal zu verzeichnen. Ich danke Ihnen. Alles führt dazu, daß das Jahr 1985 nun wieder ein neues Rekordjahr zu werden scheint, und zwar, (Beifall bei der SPD) meine Damen und Herren, ein Rekordjahr wieder an Unternehmenszusammenbrüchen. -Das ist eine bedauerliche Entwicklung. Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Solms. (Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Der Saldo ist entscheidend!) Ich glaube z. B., wir müssen alle gemeinsam dar- (FDP): Herr Präsident! Meine Damen auf achten, daß die Lohnnebenkosten nicht mehr Dr. Solms und Herren! In dieser Debatte kommen wir zu dem steigen, sondern endlich sinken; positiven und erfreulichen Ergebnis, daß wir ge- (Zustimmung bei der FDP) meinsam im Chor singen, daß wir die gleiche Spra- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11027

Dr. Solms che sprechen. Das ist für uns quasi ein ganz neues 25 Millionen neuen Arbeitsplätzen sind etwa 80% in SPD-Gefühl, das Sie hier verbreiten, Herr Dr. Jens. kleinen und neu entstandenen Unternehmen ge- (Dr. Jens [SPD]: Da kennen Sie mich wirk schaffen worden und nur ein kleiner Teil in den lich nicht!) großen Unternehmen. Der Kollege Rapp wird sich wahrscheinlich dem Genau die gleiche Entwicklung können wir auch Chor anschließen. Das sind aber nicht die Politik hier nur auslösen und erwarten. In der Bundesrepu- und die Aussage, die die SPD in ihrer Gesamtheit blik ist aber seit etwa 1972 die Zahl der Arbeits- landauf landab verbreitet, es sei denn, sie würde plätze um über 1 Million zurückgegangen. Erst seit sich weiterentwickeln. Wir freuen uns. Jeder kann Mitte letzten Jahres ist die absolute Zahl der Ar- dazulernen. Dann werden wir in der Zukunft eine beitsplätze wieder im Steigen begriffen. Das heißt, gemeinsame Politik von allen Parteien in diesem erst 1984 konnte dieser Trend gebrochen werden — Hause mit Ausnahme der Fraktion DIE GRÜNEN ein volkswirtschaftlich ungeheuer wichtiges Datum. durchführen können. Daß dies noch nicht auf die allgemeine Arbeits- platzsituation durchschlägt, ist klar. (Beifall bei der FDP) (Zuruf von den GRÜNEN: Das liegt an Wir Freien Demokraten begrüßen, daß es gelun- eurer Wirtschaftspolitik!) gen ist, das Eigenkapitalhilfeprogramm bis 1987 zu- nächst einmal fortzuschreiben und zu finanzieren. Die Arbeitslosenzahl ist immer ein Spätindikator. Wir begrüßen darüber hinaus, daß das Ansparför- Das weiß jeder, der sich mit diesen Problemen derprogramm als Ergänzung dazugestellt worden schon länger beschäftigt. ist, nicht um es zu ersetzen, sondern um es zu Es ist also ein direkter Zusammenhang festzu- ergänzen. Das sage ich auch in die Zukunft gerich- stellen zwischen kleinen und jungen Unternehmen tet: Es kann nur eine Ergänzung sein. Wir glauben, und den Chancen Unternehmen zu gründen einer- daß damit wesentliche Schritte getan werden, um seits, und der Leistungskraft der Wirtschaft in der die Rahmenbedingungen für den Einstieg in die Zukunft auf der anderen Seite. Selbständigkeit, die Gründung von neuen Unter- nehmen zu verbessern. Meine Damen und Herren, Herr Kollege Jens hat vorhin die Zahl der Insolvenzen vorgetragen, die Wir bedauern dabei, wie alle Vorredner ebenfalls, wieder ansteigt. Ich gebe das völlig zu. Sie hatten daß bis jetzt und zu diesem Zeitpunkt die freien kürzlich in einer Debatte gesagt, 1984 seien die In- Berufe nicht einbezogen werden konnten, und zwar solvenzen auf 16 700 gestiegen. Das ist nicht richtig. aus fiskalischen Gründen, ganz offen gesagt. Aber Die unternehmerischen Insolvenzen haben etwa was heute nicht ist, kann vielleicht in einem ande- rund 12 000 betragen. Darüber hinaus waren es pri- ren Jahr in der Zukunft noch dazukommen. vate Insolvenzen, insbesondere in Nachlaßverfah- (Beifall des Abg. Dr. Müller [Bremen] ren. Aber trotzdem: Auch diese Zahl ist zu hoch. Sie [GRÜNE]) alleine sagt jedoch noch nichts aus. Man muß sie ins Verhältnis setzen zu den neu geschaffenen, neu Grundanliegen dieses Antrages ist es, die Initial- entstandenen, neu gegründeten Unternehmen. zündung zu geben, damit mehr Menschen das Ri- Diese Zahl ist im Jahre 1984 mit 46 300 eben erheb- siko eingehen, ein eigenes Unternehmen zu grün- lich stärker gestiegen. Das ist eine Aussage des Ver- den. Dies muß man vor dem Hintergrund der Ge- bandes der Vereine „Creditreform". Das heißt also, samtbeschäftigtenzahlen und der Gesamtzahl der die Zahl der neugegründeten Unternehmen über- Selbständigen in der Bundesrepublik sehen. steigt bei weitem die Zahl der Insolvenzen. Auch Die Bedeutung der kleinen und mittelständi- wenn Sie einen Vergleich zwischen dem Wachstum schen Unternehmen in der Bundesrepublik ist der Gesamtzahl der Unternehmen und der Zahl der überhaupt nicht zu überschätzen. 60 % aller Arbeit- Unternehmen anstellen, die geschlossen werden, nehmer in der Bundesrepublik sind in Unterneh- werden Sie feststellen, daß der positive Anteil über- men mit weniger als 500 Mitarbeitern beschäftigt. wiegt. 80 % aller Ausbildungsplätze in der Bundesrepublik Zu denken gibt aber, daß ein sehr hoher Prozent- werden in solchen kleinen und mittleren Unterneh- satz dieser neugegründeten Unternehmen die Zeit men zur Verfügung gestellt. Das allein zeigt, daß die von vier bis acht Jahren nicht überdauert, sondern Beschäftigung nur verbessert werden kann, wenn dann wieder in Konkurs geht. 76 % aller insolventen gerade im Bereich des Mittelstandes und der klei- Unternehmen geben in den ersten acht Jahren ih- nen Unternehmen, die flexibler, risikobereiter sind res Bestehens auf. Das heißt also, daß gerade die und sich schneller und besser auf die Marktbedin- Anfangszeit für junge Unternehmen besonders pro- gungen, die sich wandeln, einstellen, die Bedingun- blematisch ist, weil sie noch nicht in der Lage sind, gen gegenüber Großunternehmen verbessert wer- - Reserven zu bilden, weil sie sich auf dem Markt den. noch nicht haben etablieren können und deshalb Wenn Sie die Entwicklung der Beschäftigtenzahl den Risiken des Marktgeschehens noch besonders im Vergleich zu den Vereinigten Staaten untersu- ausgesetzt sind. Um so wichtiger ist es, daß man in chen — ein Vergleich, der in den letzten Wochen der Anordnung der Rahmenbedingungen etwas für und Monaten oft gezogen wurde —, kommen Sie zu diese Unternehmen tut, damit sie die ersten Pro- dem Ergebnis, daß in den Vereinigten Staaten seit blemjahre leichter überstehen können. Das ist der Anfang der 70er Jahre mehr als 25 Millionen neue Ansatz, der in diesen Anträgen unternommen wor- Arbeitsplätze geschaffen worden sind. Von diesen den ist. 11028 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Dr. Solms Die Maßnahmen zur Förderung von Unterneh- lide finanziert ist und sich mittel- und langfristig als mensneugründungen, wie das ERP-Existenzgrün- lebensfähig und rentabel erweist. Verleitet man das dungsprogramm und das Eigenkapitalhilfepro- Unternehmen schon in der Gründungsphase zu ei- gramm, geben eine Initialzündung. Insofern sind nem hohen Beschäftigungsstand mit hoher Bin- sie eine von uns positiv zu beurteilende Subvention, dungswirkung, so wird dies dazu führen, daß es eine Subvention, die unterstützt werden muß. Be- kostenmäßig stärker belastet wird, als es eigentlich reits 1983 ist die Nachfrage nach den Gründungs- nach unternehmerischen Gesichtspunkten richtig programmen sprunghaft angestiegen. 1984 nahmen wäre. Das wird die Anfälligkeit des Unternehmens die Kreditbewegungen im Rahmen des Eigenkapi- gerade in den ersten Jahren erhöhen und nicht sen- talhilfeprogramms nochmals um 30 % zu. Einen wei- ken. Priorität haben alle Maßnahmen, die langfri- teren Beitrag zur Förderung von Unternehmens- stig einen dauerhaften Erfolg erzielen. Das heißt, neugründungen wird die noch im August dieses wir müssen heute Existenzgründungen fördern, da- Jahres anlaufende Ansparförderung leisten, über mit diese neugegründeten Existenzen morgen si- die wir heute diskutieren. chere Arbeitsplätze anbieten können. Ein Erfolg der Programme läßt sich aber nicht Die FDP-Fraktion unterstützt diesen Antrag. Wir nur daran ablesen, daß eine große Nachfrage nach freuen uns, daß wir dabei auf allgemeine Zustim- ihnen besteht. Auch die Bonität der bewilligten mung stoßen. Wenn Sie Unternehmerpersönlichkei- Kredite hat sich als weit überdurchschnittlich er- ten finden wollen — und das sage ich zur SPD —, wiesen. Es ist ein bemerkenswertes Element, daß' die bereit sind, in das Risiko zu gehen, ein Unter- diese Neugründungen, die durch das Eigenkapital- nehmen zu gründen, dann müssen Sie nicht nur sol- hilfeprogramm und die anderen Programme geför- che Angebote machen, sondern Sie müssen insge- dert worden sind, nur ein sehr viel geringeres Maß samt das Klima dafür schaffen, Sie müssen Zuver- an Insolvenzen erleben, als es im allgemeinen Be- sicht, Sie müssen Optimismus verbreiten, damit die reich der Fall ist. Leute bereit sind, diesen Sprung zu wagen. Ich (Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Bemerkens kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen, weil ich wert!) das gemacht habe, daß Sie in dem Moment, wo Sie diesen Sprung wagen, noch gar nicht wissen, auf In den ersten vier Jahren ihres Bestehens sind was Sie sich da einlassen, weil Sie sich einem Wust nämlich nur 5% dieser Neugründungen insolvent von Überwachungs-, von Kontrollbestimmungen, geworden. Das heißt also, daß die Prüfung, die mit Auflagen, Abgaben gegenübersehen, den Sie als der Zurverfügungstellung der Förderung verbun- einzelne Person gar nicht korrekt beherrschen kön- den ist, einen positiven Effekt auslöst und diese nen, zumindest nicht in der ersten Zeit, auch weil Unternehmen damit für die Zukunft eben besser Sie nicht die notwendige Beratung und Unterstüt- gewappnet sind. zung im eigenen Unternehmen haben. Deshalb geht (Beifall bei der FDP) es darum, das Klima durch positive Aussagen zu Ich will noch zwei Bemerkungen zu den zusätzli- unterstützen, aber auch, wie hier, durch positive chen Anträgen der SPD-Fraktion machen. Sie Maßnahmen. schlägt zum einen eine Verdoppelung der Anspar- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) förderung auf 100 000 DM bei den begünstigten Sparleistungen für Existenzgründungen im For- Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- schungs- und Entwicklungsbereich vor. Wir sehen ordnete Tatge. hierin keineswegs eine geeignete Maßnahme zur Förderung des Strukturwandels, sondern vielmehr einen interventionistischen Eingriff in die zukünf- Tatge (GRÜNE): Meine Damen und Herren, liebe tige Unternehmensstruktur. Dies muß man natür- Kollegen und Kolleginnen! Die Anträge von CDU, lich vor dem Hintergrund sehen, daß es im For- CSU und FDP wie auch der Antrag von der SPD schungs- und Entwicklungsbereich ohnehin eine beinhalten Maßnahmen vor dem Hintergrund illu- Zahl von Programmen gibt, deren Unüberschaubar- sionärer Erwartungen und Hoffnungen. keit für die Betroffenen dazu führt, daß gerade (Zustimmung bei den GRÜNEN) kleine Unternehmen sie nicht mehr nachfragen, Die Koalitionsfraktionen wollen mit ihren Förde- weil sie nicht die Kapazität haben, sich mit diesen rungsprogrammen die Eigenkapitalinitiativen der Programmen und den Programmprozeduren aus- Vergangenheit fortführen. Derartige Konzepte sind einanderzusetzen. Deshalb besteht eine Nachfrage aber nicht erfolgreich, wie der Höchststand der Ar- nach den Programmen im Forschungs- und Ent- beitslosigkeit und der Unternehmerpleiten zeigt. wicklungsbereich im wesentlichen bei der Großin- dustrie. Das Geld fließt dann in die Großindustrie, Der SPD-Antrag — getragen von einer unkriti- schen Technologie- und Wachstumsgläubigkeit die eine Förderung in diesem Sinne eigentlich- nicht mehr nötig hat. Deswegen lehnen wir die Verdoppe- —schlägt die Förderung beliebiger technologischer lung ab. Entwicklungen vor. Von sozialen oder gar ökologi- schen Vergabekriterien ist nicht die Rede. Darüber hinaus schlägt die SPD-Fraktion vor, die Förderung von Dauerarbeitsplätzen in der Grün- (Vogel [München] [GRÜNE]: Erwartet ja dungsphase eines Unternehmens zu unterstützen. auch keiner bei denen!) Wir glauben, daß das nicht zu verantworten wäre. Tatsache ist: Die Wochenzeitschrift „Newsweek" be Es kommt zunächst darauf an, daß die Gründung scheinigt den High-Tech-Firmen eine vorzeitige als solche gefördert wird, daß das Unternehmen so- Midlife Crisis. Das Marktforschungsunternehmen Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11029

Tatge Dataquest schätzt, daß von den 350 Firmen, die in Abhilfe schaffen. In diesem Rahmen sollten auch den USA Micro-Computer herstellen, noch 75 Fir- Belegschaftsinitiativen zur Rettung bedrohter Ar- men überleben werden. Die Home-Computer-Pro- beitsplätze gefördert werden. duktion wird die erste Leiche im Computergeschäft (Beifall bei den GRÜNEN) sein, so schreibt „Newsweek" weiter. Und eine sol- che unsinnige Entwicklung wollen beide Anträge Meine Damen und Herren, so könnte eine sinn- fördern. volle Förderung aussehen, wenn Sie diese politisch nur wollten. Unsere Position zu Betriebsgründungsprogram- men ist folgende. Wir GRÜNEN treten dafür ein, Danke schön. daß die Gründung von kleinen und mittleren Betrie- (Beifall bei den GRÜNEN) ben insbesondere nach folgenden drei Kriterien er- möglicht wird:

Erstens. Die Förderung kann nicht für beliebige Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- Unternehmenszwecke erfolgen. ordnete Dr. Faltlhauser. (Beifall bei den GRÜNEN) Die wirtschaftliche Orientierung einer betriebli- chen Neugründung darf insbesondere nicht gegen Dr. Faltlhauser (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine ökologische und soziale Belange verstoßen. Damen und Herren! Das, was der Kollege Jens hier vorgetragen hat, war, wie ich meine, doch ein Solo: (Zustimmung bei den GRÜNEN) ein Solo in der SPD in bezug auf Marktwirtschaft, Mit anderen Worten, wir halten einen Betrieb, der angebotsorientierte Wirtschaftspolitik und unter- als Anhängsel eines Rüstungskonzerns Forschung nehmerische Wirtschaft, die auf Innovation, Risiko betreibt oder einen Peepshow-Laden nicht für för- und Flexibilität baut. derungswürdig. (Frau Weyel [SPD]: Da kennen Sie die SPD (Beifall bei den GRÜNEN) aber schlecht!) Es sind bei Betriebsgründungsprogrammen ökolo Sie hatten bei diesem Solo nicht nur kein Publikum gische und soziale Vergabekriterien zu entwickeln. — ich habe das genau beobachtet —, es gab auch keine Reaktion innerhalb der SPD-Fraktion, so sie Zweitens. Wir treten dafür ein, den Sektor selbst- überhaupt vorhanden ist. Sie haben in dieser Frage verwaltete Alternativbetriebe in die Förderung ein- nicht einmal Mitspieler. Herr Kollege Jens, ich zubeziehen. Wir wissen durch Untersuchungen, daß würde Ihnen raten, sich zu überlegen, ob Sie in die- eine große Zahl Jugendlicher unter bestimmten Be- ser Frage nicht eigentlich in ein anderes Orchester dingungen gern in diesem Sektor alternativökono- gehören. mischer Betriebe arbeiten würde. Dies ist ein wich- tiges Experimentierfeld einer neuen Wirtschafts- (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von und Lebensweise, die unsere Unterstützung verdie- der SPD) nen würde. Herr Kollege Jens, gerade in Ihrem Antrag wollen (Zustimmung bei den GRÜNEN) Sie im übrigen ja z. B. die Dauerarbeitsplätze in besonderer Weise fördern. Das ist von vornherein Die alternative Qualität dieser Betriebe besteht in eine Festschreibung der Faktorkombination. Genau der Selbstorganisation der Arbeit, der ausdrückli- dies steht natürlich der Flexibilität in unserer Wirt- chen Berücksichtigung der ökologischen Produk- schaft in keiner Weise an. Deshalb haben wir das tionsverfahren und ökologischer Produkte, der Ab- auch abgelehnt. lehnung von Hierarchie, der Ablehnung von überzo- Sie haben beklagt, daß wir Ihren weitergehenden genem Spezialistentum bei der Arbeit. Hier geht es Vorstellungen im Wirtschaftsausschuß nicht gefolgt nicht nur darum, alternative Betriebe zu fördern, es sind. Es wurde schon von Herrn Kollegen Dr. Solms ist ebenfalls erforderlich, die Diskriminierung alter- gesagt, daß die nativer Betriebe durch den etablierten Bankensek- freien Berufe zwar durchaus mit ins Kalkül gezogen werden könnten; es waren aber vor tor zu verändern. allem Kostengründe, die zu unserer Ablehnung ge- (Beifall bei den GRÜNEN) führt haben. Darüber hinaus muß man natürlich Drittens. Wir GRÜNEN befürworten auch Be- auch sehen, daß der Mitnahmeeffekt, vor dem Sie triebsgründungsprogramme für Arbeitsloseninitia- selbst gewarnt haben, bei den freien Berufen in tiven, die gemeinschaftliche wirtschaftliche Exi- besonderer Weise leicht vorkommen kann. Es ist stenzen gründen wollen. Wir haben bereits mit un- etwa für einen älteren Rechtsanwalt leicht möglich, serem Gesetzentwurf zur Förderung lokaler- Be- schnell noch einmal selbständig zu werden und das schäftigungsinitiativen vorgeschlagen, daß nach entsprechende Förderungsgeld mitzunehmen, ohne dem Arbeitsförderungsgesetz ABM-Mittel als Start- daß sich irgendwelche Effekte für den Arbeits- hilfe für derartige Betriebsgründungen kapitalisiert markt ergeben. werden können. Arbeitslose haben normalerweise Ich möchte zu den Ausführungen des Kollegen keinen Zugang zu den üblichen Existenzgründungs- von den GRÜNEN noch eine Bemerkung machen: programmen. Sie verfügen in der Regel nicht über Sie haben hier wiederholt etwas zu den selbstver- den eigenen Anteil zur Eigenkapitalbildung. Hier walteten Alternativbetrieben vorgetragen. Ich mei- könnte eine neue Verwendung von ABM-Mitteln ne, daß diese selbstverwalteten Alternativbetriebe 11030 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Dr. Faltlhauser selbstverständlich einer besonders sorgfältigen Be- unwahrscheinlich ist, daß jeder Antragsteller tat- obachtung bedürfen. sächlich eine Existenz gründet, und ebenso unwahr- (Zuruf von den GRÜNEN: Nicht Beobach scheinlich, daß jeder Antragsteller die maximale tung, sondern Unterstützung!) Höhe von 50 000 DM anspart. Also die Förderung über 20 000 selbständige Existenzen zusätzlich zu Die Kollegen von der CDU in Berlin tun dies auch den bisher schon so erfolgreichen Programmen! und fördern entsprechend. Wer für Initiative in der Das wird tatsächlich einen erheblichen weiteren Wirtschaft ist, kann solche alternativen Initiativen Schub zur Gründung selbständiger Existenzen brin- prinzipiell nicht ausschließen. gen! (Beifall bei den GRÜNEN) Meine Damen und Herren, ich will hier beson- Ich hoffe aber, daß sich diese Betriebe ihrerseits ders herausstellen, daß dieses Ansparprogramm — auch bereitfinden, sich in der Zukunft in stärkerem mit den entsprechenden Richtlinien des Bundesmi- Maße als bisher den normalen Wettbewerbsbedin- nisters für Wirtschaft im Entwurf vom 10. Mai 1985 gungen — etwa der Wahrheit und Klarheit gegen- — besonders praktikabel und unbürokratisch aus- über dem Finanzamt — zu unterziehen. gestaltet ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Es hat keinen Wert, daß wir hier ständig schöne Die Erfahrungen zeigen uns das bedauerlicher- Dinge beschließen, die draußen niemand versteht weise nicht. (Suhr [GRÜNE]: Das ist richtig!) „Schafft Arbeitsplätze" sagt heute jedermann. oder die deshalb nicht umgesetzt werden, weil es zu Das ist ein Postulat unserer Tage. Viele meinen, sie viele Bürokratiehürden zu überwinden gibt. müßten nur fordern: Staat, schaffe du in irgendei- ner Weise Arbeitsplätze! — Dem Antrag, der hier Deshalb will ich sieben Merkmale dieses Pro- zur Abstimmung steht, liegt eine andere Philoso- gramms aufführen, die zeigen, daß es sich hier um phie zugrunde. Sie heißt: Schaffe 10 000 Selbständi- ein besonders bürgerfreundliches Programm han- ge; diese werden dann 100 000 Arbeitsplätze schaf- delt. fen. — Herr Kollege Jens, die SPD beklagt immer Erstens. Wenn der Handwerksgeselle Huber be- das Fehlen einer sogenannten aktiven Arbeits- schließt, in ein paar Jahren selbständig zu werden, marktpolitik. Diese Bundesregierung hat im Be- so kann er im nächsten Kreditinstitut um die Ecke reich der aktiven Arbeitsmarktpolitik aber bereits einen entsprechenden Sparvertrag abschließen. Er erhebliche Erfolge erzielt. Die Zahl der Arbeitslosen muß also nicht in irgendeine ferne Behörde, er muß wäre um etwa 500 000 höher, hätten wir keine Rück- sich keinen Vermittler kommen lassen. Die erste kehrhilfe, hätten wir keinen Vorruhestand und hät- Hürde ist also leicht zu nehmen. ten wir keine zusätzlichen ABM-Maßnahmen durchgesetzt. (Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Er muß nicht Huber heißen! — Stahl [Kempen] Die Förderung von Existenzgründungen, wie wir [SPD]: Aber Riesenhuber!) sie hier vorschlagen, ist jedoch das systemkonform- ste Mittel zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen. — Er kann auch Ihren Namen annehmen, Herr Die Förderung von Existenzgründungen ist das Müller. Wenn Sie es wären, dann würden Sie, wenn klassische Instrument der angebotsorientierten Sie selbständig würden, sicherlich die Chance ha- Wirtschaftspolitik. Diese Angebotsorientierung ist ben, das in der Wirtschaftspolitik nachzuholen, was die Grundlage der wirtschaftspolitischen Arbeit die- Sie als GRÜNER normalerweise gerade nicht be- ser Bundesregierung und der sie tragenden Frak- herrschen. tionen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich halte es deshalb — das wiederhole ich, Herr Dann würden Sie nämlich sehen, wie es ist mit dem Kollege Jens — für bemerkenswert, daß auch die Risiko in der Wirtschaft und mit der dort notwendi- SPD mit ihrem Antrag — unabhängig von einigen gen Innovationskraft. irritierenden Details — den Grundgedanken der Stärkung der Angebotsseite bejaht hat. Ich halte es (Suhr [GRÜNE]: Wer trägt denn Risiko? auch für erfreulich, daß Sie im Wirtschaftsausschuß Wir oder ihr?) letztlich zugestimmt haben und hier wohl zustim- Zweitens. Das Kreditinstitut muß dem Hand- men werden. Ihnen sind sicherlich die Argumente werksgesellen nur ein Antragsformular vorlegen. ausgegangen. Ich halte es auch für erfreulich, daß Das muß der ausfüllen. Dann bekommt er — das ist man im Bundestag einmal gemeinsam etwas ein wesentlicher Punkt, der lange diskutiert wurde macht. Man muß nicht den Leuten draußen immer — bereits zu diesem Zeitpunkt eine Zusage, so das vorgaukeln, man wäre in allen Punkten völlig un- - Geld, die 200 Millionen DM, noch nicht ausge- einig. schöpft ist. In diesem Antrag muß er nur sagen, daß Der Haushaltsausschuß hat für dieses Programm er eine eigenständige Existenz gründen oder über- für das Jahr 1985 eine Verpflichtungsermächtigung nehmen will oder in einem Unternehmen eine „tä- in Höhe von 200 Millionen DM beschlossen. Dieser tige Beteiligung" vorhat. Geselle Huber verpflichtet bemerkenswerte Betrag reicht für mindestens sich weiter lediglich, eine Sparleistung inklusive 20 000 Anträge noch in diesem Jahr. Es ist anzuneh- der Zinsen unmittelbar als Eigenkapital für die Exi- men, daß mit diesen 200 Millionen DM noch wesent- stenzgründung zu verwenden. Ich meine, auch diese lich mehr Anträge gesichert werden können, da es zweite Hürde ist niedrig. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11031 Dr. Faltlhauser Drittens. Die Kreditinstitute ihrerseits haben die dieses Angebot annehmen, nicht zuletzt zum Wohle Möglichkeit, durch ergänzende Ausgestaltungen des Arbeitsmarktes. diese Ansparverträge weiter attraktiv zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir können die Kreditinstitute nur auffordern, von dieser Möglichkeit umfassend Gebrauch zu ma- chen, damit die Akzeptanzhürden noch niedriger Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- werden. ordnete Rapp. Viertens. Zunächst gibt es beim Abschluß des (Göppingen) (SPD): Herr Präsident! Kolle- Sparvertrages keine großen Prüfungen. Die Prämie Rapp ginnen und Kollegen! Herr Kollege Faltlhauser, ich bekommt der Handwerksgeselle erst dann, wenn er möchte Ihnen etwas ins Stammbuch schreiben: Die sich tatsächlich selbständig macht. Das ist im übri- herablassende Art, mit der Sie sich mit uns Sozial- gen eines der vielen Vorteile dieses Prämiensy- demokraten und mit unserer Initiative befaßt ha- stems gegenüber dem lange diskutierten Konzept ben, haben wir überhaupt nicht als charmant emp- der Anlage analog dem Bausparen. funden. Wahrscheinlich schaden Sie sich selber am Fünftens. Der Handwerksgeselle ist dann mit sei- meisten, wenn Sie sich dauernd ein Bild des Geg- nen Einzahlungen nicht an feste Beträge gebunden. ners entwerfen, das zwar Ihren taktischen Kalkü- Er kann soviel zahlen, wie er gerade leisten kann. len, aber in keiner Weise der Realität entspricht. Auch das ist eine sehr pragmatische Regelung. Le- (Beifall bei der SPD) diglich im letzten Ansparjahr ist ein kräftiges Zule- Meine Damen und Herren, mit dem Begriff des gen über dem Durchschnitt der beiden Jahre zuvor Mittelstandes verbindet sich bei den meisten Leu- nicht mehr prämienwirksam. ten die Vorstellung von Beständigkeit, von Dauer- Sechstens. Vor der Auszahlung der Prämie muß haftigkeit und Stabilität. natürlich geprüft werden, ob die Voraussetzungen (Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Radika der Existenzgründung tatsächlich zutreffen. Dazu lität!) kann man unglaublich komplizierte und umfangrei- Es gibt etwa 1,9 Millionen Wirtschaftsunternehmen che Prüfungen einleiten. Da das finanzielle Engage- im Land. Ganze 3 600 von ihnen sind der Kategorie ment des Bundes etwa beim ERP-Existenzgrün- der Großbetriebe zuzurechnen. Ergo sind um die dungsprogramm und im Eigenkapitalhilfepro- 98% des Gesamtbestandes von 1,9 Millionen Firmen gramm sehr langfristig ist, ist dort die Prüfung in- kleine und mittlere Unternehmen. Vielleicht ist tensiv und aufwendig. Hier, bei diesem Ansparpro- noch die plausibelste Abgrenzung die, daß Großbe- gramm, wird sich die Lastenausgleichsbank weitge- triebe solche Firmen sind, die gerade wegen ihrer hend auf die Erklärungen des Antragstellers stut- Größe politisch, faktisch nicht sterben können. Da- zen — wenn er falsche Erklärungen abgibt, droht für wird gesorgt. ihm das Strafgesetzbuch nach § 264 — und die er- gänzenden Unterlagen der Hausbanken. Wie wir Bei den kleinen und mittleren Unternehmen aber wissen, kennt ja die Hausbank in der Regel die handelt es sich nicht um einen stabilen Bestand dauerhaft etablierter und fest im Markt veranker- finanziellen Verhältnisse des Antragstellers ge- nauer als eine ferne Behörde. Ich meine daher, eine ter Firmen. Im Gegenteil, jährlich scheiden 5% bis Prüfung ist einfacher und bürgernäher wirklich 10 % von ihnen — es ist jedenfalls eine sechsstellige nicht möglich. Zahl — aus dem Markt aus; andere entstehen in mindestens gleich großer Zahl jährlich neu. Der Siebtens. Schließlich ist die komplizierte Frage Saldo der Gewerbeanmeldungen und -abmeldungen der Dauerhaftigkeit einer selbständigen Existenz ist zum Glück eh und je positiv gewesen. Der Be- auch sehr einfach geregelt. Der Ansparzuschuß ist stand nimmt zwar langsam, aber immerhin zu. zurückzuzahlen, wenn die selbständige Existenz in- Die meisten derjenigen, die ausscheiden, liquidie- nerhalb eines Jahres nach Auszahlung des Zu- ren still, andere fusionieren. Gewaltige Verluste an schusses ohne zwingenden Grund aufgegeben Volksvermögen treten ein, weil allzuoft die rechtzei- wird. tige Übergabe gesunder Firmen an Unternehmer der nächsten Generation mißlingt. Und endlich Meine Damen und Herren, das ist alles in allem scheidet eine gerade in den letzten beiden Jahren ein besonders bürgernahes Programm, das ist eine stark gestiegene Anzahl von Unternehmen durch Regelung mit dem richtigen Grundansatz, nämlich Insolvenz aus. beim Angebot anzusetzen, und schließlich handelt es sich um ein Programm, das vom ersten Moment Der Befund lautet also: Der Unternehmensbe- an finanziell großzügig ausgestattet ist. stand ist zwar quantitativ eine stabile und verläßli- che, qualitativ und strukturell aber keineswegs eine - Dieses Programm wird ab dem 1. August 1985 in statische Größe. Er stellt sich vielmehr ununterbro- Kraft treten. Ich kann den Appell des Kollegen chen aufs neue im Gehen und Kommen her, Uldall an die Bürger hier nur wiederholen: Greifen (Beifall des Abg. Dr. Müller [Bremen] Sie dieses Programm auf! [GRÜNE]) (Zuruf des Abg. Suhr [GRÜNE]) im Absterben und in der Neubildung von Firmen. Er stellt sich her — nach dem bekannten Diktum Die Politik hat ihre Vorleistung erbracht. Die Rah von Schumpeter — im ständigen Prozeß der schöp- menbedingungen sind gegeben. Die Bürger können ferischen Zerstörung, vulgo im Strukturwandel und 11032 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Rapp (Göppingen) in eben diesem dynamischen Prozeß der Regenera- entschlossen ist, die Beratungsförderung stufen- tion, der Erneuerung des Unternehmensbestandes weise auf Null zu bringen. vollzieht sich die Modernisierung der Wirtschaft, (Roth [SPD]: Das ist ja unglaublich!) bei der ständig produktive Arbeitsplätze in künftig hoffentlich wieder größerer Zahl neu entstehen und Meine Damen und Herren, die Förderung von weniger produktive wegfallen. Existenzgründungen ist das Kernstück einer auf die Verbesserung der Regenerationsfähigkeit ge- An dieser Stelle wäre daran zu erinnern, wie die richteten Politik. Es ist zur Zeit sozialdemokrati- CDU/CSU zu Ihrer Oppositionszeit aus den In- scher Regierungsführung geschehen, daß das ERP- solvenzzahlen ein Totschlagargument gegen die Sondervermögen in großem und wachsendem Um- Sozialdemokraten gemacht hat. fang zur Förderung von Existenzgründungen umge- (Beifall bei der SPD) widmet und eingesetzt wurde. Zu unserer Regie- rungszeit wurde das Eigenkapitalhilfeprogramm Nun haben Sie die Insolvenzen, die Pleitewelle ja hinzugefügt. Zu unserer Regierungszeit hat die überhaupt nicht gestoppt, im Gegenteil, sie wird je- Kreditanstalt für Wiederaufbau die M-Programme des Jahr größer. Das hat ein Stück weit mit Ihrer aufgelegt als ein überzeugendes Instrument der Be- Politik der totalen Vernachlässigung der Nachfrage standssicherung. und der Massenkaufkraft zu tun, aber ein Stück weit hat es auch mit dem Strukturwandel zu tun. (Beifall bei der SPD) Wir gestehen Ihnen das zu. Zu unserer Zeit war das Mit den heute anstehenden Gesetzentwürfen zur nicht anders — uns haben Sie den Verweis auf den Ansparförderung wird eine Lücke geschlossen. Vie- Strukturwandel nie zugestanden. len Existenzgründungen ist das Scheitern auf die Nun aber wollen wir heute nicht Vergangenheit Stirn geschrieben: Das vorhandene Eigenkapital bewältigen, sondern einen Schritt zur Zukunftssi- reicht nicht aus; der oft spontane Entschluß, sich cherung tun. Wenn es eine der Aufgaben von Mittel- selbständig zu machen, ist häufig weder durch die standspolitik ist, im Interesse der Zukunft der Ar- verfügbaren Eigenmittel noch durch Erfahrung und beit wie auch im Interesse der Aufrechterhaltung Planung hinreichend fundiert. Indem wir das An- des Leistungswettbewerbs den Bestand an Selb- sparen von Eigenmitteln zur Existenzgründung ständigen aus Handwerk, Handel, Gewerbe und durch eine Sparhilfe fördern, wirken wir beiden freien Berufen zu sichern und ihre Zahl möglichst Mängeln vieler Existenzgründungen entgegen. zu erhöhen, so wird aus dem, was ich zur dynami- Bis dahin stimmen die konkurrierenden Gesetz- schen Erneuerung der Wirtschaft gesagt habe, deut- entwürfe überein. Die Unterschiede liegen in fol- lich, daß dazu bloße Bestandspflege nicht genügt. genden, in der Tat wesentlichen Punkten. Eine bewußte und zielstrebige Politik zur Förde- rung der Regenerationsfähigkeit des Unterneh- Erstens. Unser Gesetzentwurf bezieht die freien mensbestandes muß hinzutreten. Das gilt verstärkt Berufe ein. in einer Zeit, in der die faktische Politik der Bun- Zweitens. In der Verdoppelung der Fördersumme desregierung an den kleinen Selbständigen tatsäch- für forschungs- und technologieorientierte Unter- lich völlig vorbeigeht. nehmen — u. a. auch für Unternehmen, deren Tech- (Beifall bei der SPD) nologie ökologisch orientiert ist — sehen wir ein wichtiges strukturpolitisches Element, mit dem wir Ihre Vermögensteuersenkung, meine Damen und auch dem Vorwurf widerstehen können, auf Null- Herren von der Koalition, hat dafür geradezu Sym- summenmärkten gehe die Förderung von Existenz- bolwert. 60 % der Vermögensteuersenkung gingen gründungen stets zu Lasten des Altbestandes. an 0,7 % der Betriebe, Drittens möchten wir die Ansparförderung durch (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Bürgschaften zur Erleichterung der Fremdfinanzie- rung ergänzen, deren Vergabekriterien in der Tat in die restlichen 40 % der Senkungsmassen hatten auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze abstellt. sich 99,3 % der Betriebe zu teilen. Die Selbständigen Nicht die Ansparförderung ist — wohlgemerkt — in wissen, daß jedenfalls dies unter sozialdemokrati- unserem Gesetzentwurf arbeitsplatzbezogen, son- scher Regierungsführung nicht passiert wäre. dern die ergänzenden Bürgschaften sollen es sein. (Beifall bei der SPD) In der Regel, meine Damen und Herren, ist es ja so, daß ein neugegründetes Unternehmen fünf bis sie- Im Bundesfinanzministerium wird eine Studie ben Jahre braucht, bis es sich im Markt so durchge- unter Verschluß gehalten, aus der hervorgeht, daß setzt hat, daß die Existenz aus der Ertragskraft her- kleine Unternehmen mit bis zu 50 Beschäftigten aus gesichert erscheint. Bis dahin wird regelmäßig eine um 25 % höhere Nettobelastung zu tragen ha- ein mehr oder weniger großer Teil des eingebrach- ben als Großunternehmen; Nettobelastung gleich ten Eigenkapitals aufgezehrt, woran viele Neugrün- Steuern plus Abgaben minus Subventionen. Dies zu dungen leider gerade dann scheitern, wenn sie das ändern, wäre die Aufgabe einer Mittelstandspolitik, Gröbste hinter sich haben. Ist das Eigenkapital we- die sich die Pflege des Bestandes angelegen sein gen der Anlaufverluste weitgehend aufgebraucht, ließe. Wenn es richtig ist, daß an den hohen Insol- dann fehlt es an Sicherungsmasse für die jetzt nö- venzzahlen Kapitalmangel und Mangel an unter- tige Fremdfinanzierung. nehmerischer Erfahrung in gleicher Weise schuld sind, ist es ganz unverständlich und tatsächlich un- Hier würden die von uns vorgeschlagenen Bürg- verantwortlich, wenn die Bundesregierung offenbar schaften einsetzen und helfen, aber das lehnen die Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11033

Rapp (Göppingen) Koalitionsfraktionen ab. Sie lehnen es überwiegend für die Weiterentwicklung des Programms wohl deshalb ab, weil der Vorschlag von der Opposi- „Humanisierung des Arbeitslebens" tion kommt. Das haben Sie mit sich selber auszu- — Drucksachen 10/16, 10/2748 — machen. Mehrheit ist Mehrheit, also werden wir Berichterstatter: Sozialdemokraten nach der zu erwartenden Ableh- Abgeordnete Gerstein nung unseres Gesetzentwurfs durch die Mehrheit Stockleben des Hauses dem Gesetzentwurf der Koalitionsfrak- Dr.-Ing. Laermann tionen zustimmen. Wir wollen, daß wenigstens diese Frau Dr. Bard Teillösung eines umfassenderen Problems den Weg ins Bundesgesetzblatt findet, wenn es schon wegen Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat der Mehrheitsverhältnisse leider nicht gelingen eine Aussprache von bis zu zehn Minuten je Frak- kann, unsere umfassendere Lösung zur Geltung zu tion vereinbart. Widerspruch erhebt sich nicht? — bringen. Dann ist so beschlossen. (Beifall bei der SPD) Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann erteile ich dem Abgeordneten Gerstein das Vizepräsident Cronenberg : Meine Damen und Her- Wort. ren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß- Gerstein (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Da- empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf men und Herren! Es ist seit 1982 das erste Mal, daß Drucksache 10/3121 zu dem Antrag der Abgeordne- wir hier wieder über die Entwicklung des Pro- ten Dr. Jens, Rapp (Göppingen), Bachmaier, weite- gramms „Humanisierung des Arbeitslebens" disku- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD. tieren können. Seit dieser Zeit liegt ein langer Weg gemeinsamer Bemühungen bis zu der vom Aus- Der Ausschuß empfiehlt Ihnen Ablehnung dieses schuß für Forschung und Technologie einstimmig Antrags. Wer dieser Beschlußempfehlung des Aus- verabschiedeten Empfehlung hinter uns, die diesem schusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um Hohen Haus heute zur Beschlußfassung vorliegt. ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Ent- Ich möchte den Kollegen der anderen Fraktionen haltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung an dieser Stelle für ihre konstruktive Zusammenar- des Ausschusses angenommen. beit und die dadurch erreichte Einstimmigkeit auf Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ta- diesem so wichtigen Beratungsfeld recht herzlich gesordnungspunkt 4 b, und zwar über die Beschluß- danken. empfehlung und den Bericht des Ausschusses für Meine Damen und Herren, es ist zwar jetzt nicht Wirtschaft auf Drucksache 10/3134. der Augenblick, Vergangenheitsbewältigung zu be- Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Druck- treiben, aber ich darf doch daran erinnern, daß das sache 10/2549 unverändert anzunehmen. Wer dieser Programm und seine Durchführung in den vergan- Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den genen Jahren zu mancher Kritik Anlaß gegeben bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dage- haben. gen? — Enthaltungen? — Keine. Damit ist die Be- (Zuruf des Abg. Stahl [Kempen] [SPD]) schlußempfehlung angenommen. — Ja, ich weise ja nur noch einmal darauf hin. — Es ist aber erfreulich, daß inzwischen unter aktiver Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: Mithilfe des Parlaments nicht nur die kritisierten Beratung des Antrags des Abgeordneten Ho Fehler beseitigt worden sind, sondern daß in zuneh- racek und der Fraktion DIE GRÜNEN mendem Maße auch Spannungen zwischen den Repräsentation der Bundesrepublik Teilnehmern an dem Programm ebenso wie unter- Deutschland im ehemaligen Konzentra- schiedliche Auffassungen zwischen den politischen tionslager Auschwitz Parteien im Hinblick auf die Durchführung des Pro- — Drucksache 10/2680 — gramms abgebaut worden sind. Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Die allgemeine Zustimmung zu den Arbeiten und Auswärtiger Ausschuß Ergebnissen des Programms „Humanisierung des Das Wort wird nicht gewünscht. Arbeitslebens" ist größer geworden. Das vorlie- gende Programm ist ideologisch entschlackt und Der Ältestenrat schlägt vor, diesen Antrag an den wirksamer in der Umsetzung gestaltet worden. Auswärtigen Ausschuß zu überweisen, Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. (Beifall bei der CDU/CSU — Stahl [Kem Dann ist die Überweisung so beschlossen. - pen] [SPD]: Das ist doch kalter Kaffee!) Meine Damen und Herren, das Bemühen aller am Wirtschaftsprozeß Beteiligten, die Arbeitswelt hu- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: maner zu gestalten und Belastungen abzubauen, er- Beratung der Beschlußempfehlung und des kennen wir an. Es ist sehr deutlich sichtbar, daß Berichts des Ausschusses für Forschung und hier viele Verbesserungen erreicht worden sind, die Technologie (18. Ausschuß) zu der Unterrich- gemeinsame Überzeugung aller im Bundestag ver- tung durch die Bundesregierung tretenen Parteien über die Bedeutung und die Not- Bericht der Bundesregierung zur Planung wendigkeit des Programms soll heute diese Bemü- 11034 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Gerstein hungen aller am Wirtschaftsprozeß Beteiligten un- Es steht hier nicht genügend Zeit zur Verfügung, terstützen. Insoweit kommt dem letzten Punkt der um auf die Förderschwerpunkte im einzelnen ein- Beschlußempfehlung, dem Punkt 7, durch den die zugehen. Ich möchte jedoch einen Gedanken her- Beteiligten aufgefordert werden, alle Anstrengun- ausgreifen, der mir besonders wichtig erscheint. gen zu unternehmen, damit die betriebliche Praxis Schon bei früheren Debatten ist von Rednern bei- aus den Erkenntnissen der Forschung zur Humani- der Seiten des Hauses auf den Zusammenhang zwi- sierung des Arbeitslebens auch wirklich Nutzen zie- schen der Humanisierung des Arbeitslebens und hen kann, große Bedeutung zu. der Arbeitslosigkeit hingewiesen worden. Es bleibt natürlich dabei: Dort, wo es keine Arbeit gibt, kann Die Beschlußempfehlung selbst bedeutet zu- die Humanisierung des Arbeitslebens überhaupt nächst einmal Zustimmung, und zwar einstimmige nicht stattfinden. Natürlich steht der Abbau der Ar- Zustimmung, zum Bericht der Bundesregierung beitslosigkeit im Mittelpunkt aller unserer Bemü- über das Forschungsprogramm und Zustimmung hungen. zur jetzigen Durchführung des Programms. Aber andererseits kommt man gerade dann, Der Beschluß soll aber auch darauf hinweisen, wenn man das Programm einmal etwas näher be- wie sehr wir diese Forschungsarbeiten und die Um- trachtet und in die derzeitige Situation einbaut, zu setzung der Ergebnisse in die Praxis auch für die dem Ergebnis, daß bestimmte Förderschwerpunkte weitere Entwicklung einer menschengerechten Ar- Beiträge zur Lösung von Arbeitsmarktproblemen beitswelt nach wie vor für erforderlich halten. leisten können. Das gilt vor allem für diejenigen Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion betrachtet die Probleme, die durch den Einsatz moderner Techno- nun vorliegende Neuausrichtung des Programms logien und durch Strukturveränderungen entstan- „Humanisierung des Arbeitslebens" als ein wesent- den sind. liches Element bei der Erfüllung der vom Bundes- Alle Untersuchungen — es gibt inzwischen ja kanzler in seiner Regierungserklärung vom 4. Mai sehr viele —, die sich mit den Auswirkungen mo- 1983 formulierten Zielsetzung einer Gesellschaft derner Technologien auf den Arbeitsmarkt, aber mit menschlichem Gesicht, welche die technologi- auch auf den einzelnen Arbeitnehmer — und auf sche Herausforderung der kommenden Jahre be- den kommt es vor allen Dingen an — befassen, stehen muß. kommen zu dem Ergebnis, das ich aus dem Bericht Meine Damen und Herren, die besonderen Wün- des Forschungsministeriums über die Arbeits- sche und Erwartungen des Parlaments sind in den marktwirkungen moderner Technologien wie folgt sieben Punkten der Beschlußempfehlung formu- kurz zitieren möchte: liert. Diese Vorstellungen sollen der Bundesregie- Erstens. Spürbar abgenommen haben Umge- rung, aber auch all denen, die an dem Programm mitwirken, als Leitschnur zukünftiger Arbeit die- bungseinflüsse und körperliche Belastung. nen. Wir begrüßen es daher ganz besonders, daß die Zweitens. Dagegen haben geistige Anforderun- Bundesregierung inzwischen die Beschlußempfeh- gen — die Skala reicht vom Streß bis zur erhöhten lung bei der Gestaltung neuer Förderschwerpunkte Aufmerksamkeit — deutlich an Gewicht gewon- aufgegriffen hat. Das gilt vor allem für den neuen nen. Förderschwerpunkt menschengerechte Anwendung Drittens. Zugenommen haben im Saldo die Quali- neuer Technologien in Büro, Verwaltung und in der fikationsanforderungen. Produktion. Meine Damen und Herren, diese Untersuchungs- (Zuruf des Abg. Stahl [Kempen] [SPD]) ergebnisse zeigen, wie notwendig gerade die Hilfe- Das gilt für weitere Förderschwerpunkte wie z. B. stellungen sind, die das Programm zur Humanisie- die Vorbereitung und Umsetzung von wissenschaft- rung des Arbeitslebens für eine Verbesserung der lichen Erkenntnissen und Betriebserfahrungen für Qualifizierung von Arbeitnehmern in den Betrieben den Schutz der Gesundheit an Arbeitsplätzen mit bei neuen Produktionskonzepten geben kann. Wir neuen Informations- und Kommunikationstechni- haben das in Punkt 4 der Beschlußempfehlung her- ken und für die menschengerechte Gestaltung der vorgehoben, wo wir darum bitten, entsprechende Arbeitsbedingungen im Bergbau. Maßnahmen vorzuschlagen. Herr Stahl, ich verkenne ja gar nicht, daß wir Meine Damen und Herren, wir brauchen von der auch auf dem aufbauen, was zu Ihrer Zeit auf die- Forschung Hinweise, wie den Arbeitnehmern, auch sem Gebiet geleistet worden ist. Das soll durchaus und gerade den jungen Arbeitnehmern, geholfen anerkannt werden, bei Beibehaltung der Kritik, die werden kann, über ihre Grundausbildung hinaus wir damals geübt haben und üben mußten. den technischen Fortschritt mitzuvollziehen, damit sie durch eine neue Qualifikation den technischen Im übrigen halten wir es für richtig, daß auch im - Fortschritt für sich an neuen Arbeitsplätzen nutzen kommenden Haushaltsjahr 106 Millionen DM für können. Dann, wenn das Programm diese Hilfen das Programm vorgesehen sind. Damit sind auch geben kann, ist eines seiner wichtigsten Ziele er- gewisse Unterstellungen der Vergangenheit, diese reicht und ist ein Beitrag für den Arbeitsmarkt und Bundesregierung würde das Programm sozusagen seine Sicherung geleistet. abtöten, gegenstandslos geworden. Ich möchte dar- auf mit allem Nachdruck hinweisen. (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) (Stahl [Kempen] [SPD]: Aber für die Um Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum setzung wäre durchaus mehr notwendig!) Schluß etwas zitieren, was der Vorsitzende des Ge- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11035

Gerstein sprächskreises „Humanisierung des Arbeitslebens" Die Beschlußempfehlung von damals hatte zum — das ist eines der wichtigsten Beratungsgremien Inhalt, daß Bewährtes weiterentwickelt und offen- des Bundesforschungsministers in dieser Sache, in sichtliche Fehlentwicklungen beendet werden sol- dem auch alle Teilnehmer am Programm „HdA" len. Der menschengerechten Anwendung von vertreten sind —, Herr Professor Pornschlegel, uns, neuen Technologien soll besondere Bedeutung bei- den Mitgliedern des Forschungsausschusses, in ei- gemessen werden. Schwierigkeiten bei der Umset- nem liebenswürdigen Brief geschrieben hat: zung sollen überwunden werden, und konkrete Vor- Die Mitglieder des Gesprächskreises wissen es schläge zur Beseitigung der Hemmnisse bei der außerordentlich zu schätzen, daß Sie das Pro- Übertragung von Ergebnissen in andere Bereiche gramm zur Humanisierung des Arbeitslebens sind zu unterbreiten. Die Bundesregierung ist dann in seinem Kontext als Bestandteil staatlicher diesem Auftrag nachgekommen und hat dies im Technologiepolitik nachhaltig unterstützen und April 1983 in einem Bericht, Bundestagsdrucksache die aus Ihrer Sicht dringlich erscheinenden 10/16, dem Parlament vorgelegt. Problemfelder präzise benennen. Obwohl die neue Bundesregierung und insbeson- dere der Bundesforschungsminister zwischenzeit- Er fährt fort: lich durch einige haushaltspolitische Beschlüsse Die Betonung der Qualifizierung von Arbeit- und durch zum Teil überzogene pauschale Kritik nehmern bei neuen Produktionskonzepten am Projektträger des Programms Zweifel an ihrem wird vom Gesprächskreis geteilt, die Rolle der Willen zur Fortführung aufkommen ließen, zeigte Beteiligung von Arbeitnehmern, Betriebs und sich im federführenden Ausschuß während der Be- Personalräten sowie deren Organisation am ratung des Berichts, daß über die Fraktionen hin- Programm gewürdigt. weg ein breiter Konsens besteht. Ich möchte mich (Vorsitz : Vizepräsident Frau Renger) bei meinen Kollegen des Forschungsausschusses, bei den Berichterstattern herzlich bedanken. Meine Damen und Herren, bei so viel Zustim- mung dürfte es trotz mancherlei unterschiedlicher Nachdem wir hier mit der CDU/CSU und der Akzente, von denen wir vielleicht auch noch einiges FDP einen Konsens gefunden hatten, waren auch hören werden, heute nicht schwerfallen, der Be- die GRÜNEN bereit, diesem Antrag ihre Zustim- schlußempfehlung des Ausschusses hier im Hohen mung zu geben. So kam es zu einer Beschlußfas- Hause zuzustimmen. Ich bin sicher, daß wir mit die- sung, und die GRÜNEN haben dann ihren Antrag sen Empfehlungen ein sehr wichtiges Programm diesem Beschluß quasi als Material beigefügt. flankieren und unterstützen, letzten Endes zum Ich will noch auf ein paar ganz besondere Wohle der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik. Schwerpunkte dieses Programms hinweisen, näm- Vielen Dank. lich einmal auf das Problemfeld Arbeitsorganisa- tion. Wenn bisher immer von Fachleuten solche Ar- (Beifall bei der CDU/CSU, bei der FDP und beitsorganisationen sehr zentral vorgegeben wor- bei Abgeordneten der SPD) den sind, dann hat das sicherlich zu vielen Kon- flikten und Fehlentwicklungen geführt. Wir sind der Meinung, daß bei Veränderung der Arbeitsorga- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr nisation, insbesondere bei der Zerhackung von Ar- Abgeordnete Stockleben. beitsgängen in Arbeitsstücke, die Belastung des einzelnen Arbeitnehmers in den vergangenen Jah- ren enorm zugenommen hat und daß Qualifika- Stockleben (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr tionsprozesse unterbrochen wurden. Wir wollen geehrten Damen und Herren! Solch ein Programm eine andere Arbeitsorganisation, bei der im Betrieb „Humanisierung des Arbeitslebens" wird sicher nie in der Gruppe wieder innovatives Lernen machbar konfliktfrei — jedenfalls dann nicht, wenn es um und möglich sein wird, bei der auch der Leistungs- die Umsetzung in die Praxis geht —, aber es sollte geminderte, der Behinderte seinen Arbeitsplatz fin- ideologiefrei gefahren werden. det und bei der Lernprozesse organisiert werden, Das Programm „Humanisierung des Arbeitsle- die dem Leistungsgeminderten und dem Behinder- bens" ist eigentlich seit seinem Bestehen im Parla- ten — sie können häufig die Leistungslatte, die ge- ment und auch in der Öffentlichkeit immer sehr setzt wird, nicht mehr überspringen — Hilfestel- kontrovers diskutiert worden, und Kritik an einzel- lung im Rahmen der Solidarität solch einer Grup- nen schlecht gelaufenen Projekten ist dabei häufig pendynamik geben. So finden Behinderte ihren auf das gesamte Programm übertragen worden. Bei Platz in der Arbeitswelt. Ich wage zu behaupten, der CDU hatte man zeitweilig den Eindruck, daß ihr daß vier Fünftel der Arbeitslosen heute Leistungs- die ganze Richtung nicht paßte, und sie hat dann geminderte und Behinderte sind, die selbst dann, auch in der 9. Wahlperiode eine neutrale Überprü- wenn sich der Arbeitsmarkt wieder einmal verbes- fung dieses Programms gefordert. Wir haben dazu sern sollte, nicht so leicht wieder einen Arbeitsplatz eine öffentliche Anhörung durchgeführt und haben finden werden. Deswegen war es auch unser Wille Wissenschaftler und Tarifvertragsparteien befragt. im Ausschuß, insbesondere diesen Punkt der Lei- Bei dieser Anhörung ergab sich im Grunde, daß alle stungsgeminderten und Behinderten erneut aufzu- bereit waren, an diesem Programm Korrekturen nehmen und hier einen zusätzlichen Programm- vorzunehmen, und wir fanden auch einen Konsens schwerpunkt in dem Humanisierungsprogramm zu mit den Befragten, der dieses Programm mit eini- setzen. Wir werden in der Verfolgung dessen nicht gen Veränderungen erneut auf den Weg brachte. müde werden. 11036 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Stockleben Wir dürfen dies hier heute nicht nur als Papier Dr.-Ing. Laermann (FDP): Frau Präsident! Meine einstimmig verabschieden; das würde sicherlich sehr verehrten Damen und Herren! Es ist erfreu- nicht reichen. Wir betrachten das als einen Auftrag lich, daß wir uns über ein so wichtiges Thema in sol- an die Regierung. Wir werden die Regierung dann cher Einvernehmlichkeit hier aussprechen. Ich nicht nur daran messen, was vielleicht — oder viel- finde das gut so. Das sind erfreuliche und hoff- leicht auch nicht — der Staatssekretär hierzu sagen nungsvolle Ansätze. wird, sondern wir werden sie konkret an ihren Ta- Das Programm „Humanisierung des Arbeitsle- ten messen. bens" war von Anfang an im Ansatz gut. (Zustimmung bei der SPD) (Matthöfer [SPD]: Gehen Sie weiter auf Meine sehr geehrten Damen und Heren, ich bitte dem richtigen Weg!) wirklich um eines: Wer ernsthaft die Umsetzung Es war notwendig, es war gut. Wir haben alle un- der Humanisierung des Arbeitslebens will, der sere negativen Erfahrungen gemacht. Es gab auch kann dies nicht nur mit solchen Entschließungen Ausreißer, die das Ganze in Verruf zu bringen droh- und entsprechenden Sprüchen erreichen. Es bedarf ten. Aber ich denke, daß wir aus diesen negativen hier der Mitbestimmung von Betriebsräten und Erfahrungen insgesamt unsere Konsequenzen ge- Personalräten. zogen haben — auch die Exekutive — und daß ins- (Beifall bei der SPD) gesamt dieses Programm jetzt auf einem guten Wege ist. Ohne dieses Instrument ist das überhaupt nicht denkbar, ist dies nicht machbar. (Zuruf von der SPD) Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Ein- Wir haben doch folgendes festzustellen. Wir ha- satz von neuen Technologien kann menschenge- ben gefährliche, die Gesundheit beeinträchtigende recht, qualifikationsfördernd, sozial verträglich ge- Situationen an Arbeitsplätzen, körperlich bela- staltet werden, aber er kann nicht gegen den Willen stende Arbeit, wir haben monotone, stumpfsinnige der Arbeitnehmer und ihrer Vertretungen in den Arbeit, wir haben Fließbandarbeit. Solche Bedin- Betrieben geschehen. gungen haben wir durch neue technische Entwick- lungen verbessern können. Wir haben durchaus Wenn die Koalitionsparteien hier nun einen Ab- ganz wesentliche Entlastungen des arbeitenden bau von Mitbestimmungsrechten ins Auge fassen, Menschen an seinem Arbeitsplatz hervorbringen dann ist zumindest der ernsthafte Wille zur Über- können — und das durch neue Technologien. Das tragung von solchen Ergebnissen in Zweifel zu zie- setzt aber auch voraus — und da stimme ich ja mit hen, weil das Instrument der Mitbestimmung ein- dem Kollegen Stockleben durchaus überein —, daß fach nötig ist. Die Mitbestimmungsrechte von Ar- wir auf Grund dieser Entwicklungen zu neuen For- beitnehmern bei der Einführung von neuen Techno- men, zu humaneren Formen der Arbeitsorganisa - logien sind geradezu herausgefordert. Sie wollen im tion kommen können und kommen müssen, daß wir Grunde genommen dabeigehen, die Arbeitnehmer die Struktur der Arbeitsprozesse verändern kön- hier herauszuhalten. Ich bitte Sie wirklich, auch im nen, verändern müssen und daß wir dazu ergän- Rahmen dieses Gesetzesvorhabens, das Sie viel- zend auch weiterhin Forschung brauchen. Aber ma- leicht noch im Herbst einbringen werden, nicht nur chen wir uns keine Illusionen darüber, daß nicht auf uns Sozialdemokraten, sondern auch auf die So- neue Technologien auch Nachteile mit sich bringen zialausschüsse zu hören, die ja ebenfalls der Mei- könnten und daß neue, neuartige Belastungen ent- nung sind, daß Betriebs- und Personalräte bei der stehen können. Es kann körperliche Entlastungen Einführung und Anwendung von neuen Technolo- geben, aber neuerdings zu psychischen Belastun- gien erweiterte Mitbestimmungsrechte erhalten gen führen. Es muß Zweck und Ziel begleitender müssen. Forschung und Untersuchungen sein, solche neuen, Dieses Programm wird, wie auch Herr Gerstein sich abzeichnenden Belastungen zu vermeiden, ne- sagt, nicht nur daran gemessen, was wir im For- gative Wirkungen auch im sozialen Umfeld von schungsausschuß geleistet haben. Ich meine, das ist vornherein zu verhindern. sicherlich ein gutes Stück Arbeit gewesen. Wir ha- Deswegen gilt gerade für das Programm „Huma- ben uns hier lange Jahre kontrovers gegenüberge- nisierung des Arbeitslebens", daß der Mensch im standen. Ich darf mich noch einmal für die Koope- Mittelpunkt der Forschungen und Untersuchungen rationsbereitschaft für diese Entschließung bei Ih- stehen muß. Aber Forschung darf auf diesem Ge- nen ganz herzlich bedanken; aber ich bin auch der biet auch nicht Selbstzweck werden. Es muß auf Meinung, daß das Programm nicht nur daran zu diesen Gebieten problemnahe geforscht werden, an messen ist, was uns Wissenschaftler aufschreiben, Ort und Stelle, dort, wo die Probleme auftauchen. sondern daran, wie sich die reale Arbeitswelt durch Es hilft uns überhaupt nicht, wenn in Wissenschaft- unsere Politik in den nächsten Jahren verändern lerstuben irgendwelche schlauen Dinge ausgedacht wird. Daran werden Sie sich und wir uns messen werden, die dank aber, weil fern von jeder Realität, lassen müssen. — Herzlichen Dank. von denjenigen, die es betrifft, nicht aufgenommen (Beifall bei der SPD) werden. Deswegen muß an Ort und Stelle von den- jenigen, die an den Arbeitsprozessen beteiligt sind, ob in leitenden Funktionen, ob in Arbeitnehmer- Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und funktionen, dieses Unternehmen „Humanisierung Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete des Arbeitslebens" gemeinsam getragen werden. Es Dr. Laermann. ist ebenso wichtig, daß die Ergebnisse aus diesen Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11037

Dr.-Ing. Laermann Untersuchungen auch umgesetzt werden. Nicht Humanität, eine wichtige politische Aufgabe und graue Theorie ist hier gefragt, sondern — ich wie- damit auch eine Aufgabe für die Parlamente, nicht derhole — das Zusammenwirken aller an den Ar- nur für dieses Haus hier, sondern auch für die Län- beitsprozessen und an der Arbeitsorganisation Be- derparlamente. Sie haben dafür Sorge zu tragen, teiligten. daß auch den Leistungsgeminderten in unserer Ge- sellschaft ein erfülltes und ausgefülltes Leben gesi- Ich möchte noch eine Anmerkung machen. Es chert werden kann. mag den Anschein haben, als ob Humanisierung der Arbeitswelt nur etwas für Großbetriebe, für Wir bekennen uns — das sage ich für meine Großunternehmen sei, als ob das nur für Personal- Fraktion — zu den Zielen des Programms Humani- und Betriebsräte, für Berufsgenossenschaften, für sierung der Arbeitswelt in seinen Grundsätzen: Er- die Gewerbeaufsicht, für die Tarifvertragsparteien arbeitung von Schutzdaten, Richtwerten, Mindest- wichtig sei. Nein, ich meine, daß wir davon ausge- anforderungen an Maschinen, Werkzeuge, Anlagen hen müssen, daß technische Entwicklungen auch in und Arbeitsstätten. Und wir bekennen uns dazu, vielen anderen Arbeitsbereichen, im Handwerk, im daß die Entwicklung von menschengerechten Ar- Handel, im Gewerbe eingesetzt haben. Ich halte es beitstechnologien Vorrang haben muß, die Erarbei- für eine zwingende Voraussetzung, wenn das Pro- tung von beispielhaften Vorschlägen und Modellen gramm in positivem Sinne weitergeführt oder zu für die Arbeitsorganisation, für die Gestaltung von Ende geführt werden soll, daß die Erkenntnisse Arbeitsplätzen und für die Gestaltung des Arbeits- auch in diesen Bereichen umgesetzt werden. Den- umfeldes. ken wir doch daran, wie viele Arbeitnehmer eigent- Wichtig ist auch — das möchte ich noch einmal lich in kleinen und mittelständischen Betrieben be- betonen — die Aufarbeitung und damit die Verbrei- schäftigt sind. Auch hier gilt es, die Erkenntnisse, tung und Anwendung der Erkenntnisse und der Be- die wir mit neuen Technologien und über neue triebserfahrungen; denn hier gilt es wirklich, unter Technologien gewinnen, umzusetzen. Also: Aufar- Ausnutzung praktischer Erfahrungen diese Kennt- beitung der Forschungsergebnisse, und zwar an- nisse umzusetzen. wendungsorientiert für alle Bereiche, für alle dieje- nigen, die in Arbeitsprozessen stehen. (Beifall bei der SPD) Ich stimme auch mit dem Kollegen Stockleben Lassen Sie mich mit etwas Euphorie, sicherlich überein, daß es in Zukunft verstärkt ein Schwer- mit sehr idealen Vorstellungen sagen: Es sollte punkt sein muß, daß wir uns um Arbeitshilfen für auch unser aller Bestreben sein, die Arbeitsbedin- Behinderte bemühen, damit diese Lebensinhalt, gungen so zu gestalten, daß die Technik dem Men- Selbständigkeit erhalten und so für sie Möglichkei- schen dienstbar gemacht wird, und dafür zu sorgen, ten zur Selbstverwirklichung geschaffen werden. daß Arbeit nicht weitgehend nur als Notwendigkeit, Dies ist ganz wichtig. Hier sollten wir technische als Zwang empfunden wird, sondern daß damit den Entwicklungen im positiven Sinne einsetzen und arbeitenden, den produktiv tätigen Menschen per- diese auch so bewerten. sönliche Befriedigung und schließlich Erfüllung ge- geben wird. Ich meine, daß es auch wichtig ist, daß wir uns mit der Frage beschäftigen: Was erfordern denn Ich bedanke mich. eigentlich neue Technologien, neue Produktionspro- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der zesse, Automatisierung? Sie erfordern einen höhe- SPD) ren Qualifikationsgrad. Das ist eine zwingende Vor- aussetzung. Und wenn wir dies erkennen, müssen wir auch erkennen, daß diese Entwicklungen eine Herausforderung an unser Bildungssystem, unser Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und System von Aus- und Weiterbildung, sind. Aber Herren, das Wort hat der Abgeordnete Tischer. gleichzeitig gilt es — das möchte ich ganz beson- ders betonen — auch der Erkenntnis Raum zu ge- ben, daß nicht alle am Arbeitsprozeß Beteiligten Tischer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Da- möglicherweise diese höheren Qualifikationsanfor- men und Herren! Nach einigem Hin und Her um derungen werden erfüllen können. Deswegen müs- Fortführung und Ziele des Programms Humanisie- sen wir mit Nachdruck unser Augenmerk auf das rung der Arbeitswelt liegt nunmehr die Beschluß- Schicksal derjenigen Menschen richten, die diese empfehlung des Ausschusses für Forschung und steigenden Qualifikationsanforderungen nicht wer- Technologie vor. Sie wird von allen Fraktionen ge- den erfüllen können. tragen. Die Fraktion der GRÜNEN möchte sich je- (Stahl [Kempen] [SPD]: Aber da sind die doch nicht der optischen Schönwetterlage, die Betriebe natürlich auch gefordert!) durch diesen gemeinsam getragenen Beschluß ent- stehen könnte, anschließen. — Ja, alle in der Solidarität. Zwar begrüßt die Fraktion der GRÜNEN die Wei- (Stahl [Kempen] [SPD]: Nicht vergessen!) terführung des HdA-Programms, jedoch spricht der Dies kann Forschung, dies kann ein Programm Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zum Haushalt Humanisierung der Arbeitswelt nicht allein bewäl- 1985 allein schon vom finanziellen Volumen her tigen. Aber ich denke, es ist ein Gebot der Humani- eine deutliche Sprache. Hier hatte die Fraktion der tät. Und in „Humanisierung" steckt eben als Kern GRÜNEN eine deutliche Erhöhung des Titelansat- das Wort „Humanität" drin. Es ist also ein Gebot der zes von 103,5 Millionen DM auf 200 Millionen DM 11038 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 Tischer sowie eine Ausweitung der Förderschwerpunkte hängig Beschäftigte an selbstbestimmte Tätigkei- und der Richtlinien verlangt. ten herangeführt werden können, die eine persönli- (Stahl [Kempen] [SPD]: Das war doch che freie Entfaltung der Betroffenen sicherstellen. nicht umzusetzen! Das müssen Sie dazu (Stahl [Kempen] [SPD]: Das müssen Sie sagen!) mehr spezifizieren!) So sind die GRÜNEN nicht daran interessiert, Wir halten es gerade beim Programm „Humani- wie Menschen besser an Maschinen angepaßt und sierung des Arbeitslebens" für wichtig, daß die Be- somit in Lebensweisen gepreßt werden, die alles teiligung der Beschäftigten und ihrer Vertretungen andere als menschlich sind, sondern den GRÜNEN sichergestellt wird. Die Beteiligung der Beschäftig- kommt es darauf an, daß industrielle Produktions- ten in Form des Zustimmungsbedürfnisses der Be- weisen an den Menschen und die Umwelt angepaßt triebs- und Personalräte sowie über das Beratungs- werden. Nicht Profitmaximierung, sondern die So- recht der Gewerkschaften in allen Phasen der Pro- zial- und Umweltverträglichkeit der Produktions- jekte halten wir für eine Forderung, deren Umset- weisen ist das Anliegen der GRÜNEN. Die dro- zung in einer Demokratie eigentlich keine Pro- hende Roboterfunktion, die abhängig Beschäftigte bleme verursachen dürfte und vor allem nichts ko- nach dem Ansinnen zahlreicher Unternehmer zu- stet. Um die Beteiligung abhängig Beschäftigter nehmend einnehmen sollen, muß den klaren Wider- entsprechend zu fördern, halten wir auch einen stand aller Parlamentarier erfahren, da nur sie in Ausbau von Beratungsstellen für Beschäftigte, Be- der Lage sind, dort Technisierungsprozesse zu stop- triebs- und Personalräte zur eingehenden Informa- pen, wo moderne Industrie- und Bürotechniken den tion und Beratung in Fragen des Technologieeinsat- Menschen zu Sklaven von Maschinen und Robotern zes und des Arbeitsschutzes für notwendig. machen. Gerade in diesen Bereichen ist es mehr als Schließlich — dies sei betont — halten wir es für wichtig, daß Forschungsprojekte sich mehr mit see- unumgänglich, daß zugunsten einer effizienteren lischen Auswirkungen industrieller Produktion be- und qualitativ optimalen Durchführung des Pro- fassen. Interessant dabei dürften nicht nur die Be- gramms der Projektträger HdA mit mehr Entschei- lastungen des Betroffenen selber sein, sondern z. B. dungskompetenzen ausgestattet wird, um mehr auch die Auswirkungen der monotonen Tätigkeit Selbständigkeit erreichen zu können. eines Fließbandarbeiters von VW in seinem familiä- - Sollten wir gemeinsam diesen Ausbau des HdA ren Umfeld. Denn nicht nur der betroffene Fließ- Programms erreichen können, dann haben wir, bandarbeiter, sondern auch dessen Frau und Kin- meine ich, das notwendige kritische Forum, das mit der gehören zu dem engeren Kreis derer, die den der notwendigen Aufmerksamkeit die Entwicklung Schaden moderner Produktionsweisen unmittelbar des technischen Bereichs sowie des Arbeitslebens zu tragen und auszustehen haben. zugunsten des Menschen beobachtet und Alternati- (Mann [GRÜNE]: Sehr richtig!) ven zur Diskussion stellt, die schließlich das Parla- ment zum Tätigwerden verpflichten. Es kommt den GRÜNEN darauf an, Initiativen zu entwickeln, die geeignet sind, den Menschen aus (Beifall bei den GRÜNEN) der Abhängigkeit von den Maschinen herauszufüh- ren, damit er näher an selbstbestimmtes und nicht- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Par- monotones Arbeiten gelangen kann. lamentarische Staatssekretär Dr. Probst. (Stahl [Kempen] [SPD]: Das sind doch dumme Sprüche!) Dr. Probst, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- ster für Forschung und Technologie: Frau Präsi- — Das sagen gerade Sie von der SPD! Auf den dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Las- Gewerkschaftsveranstaltungen, bei denen ich ne- sen Sie mich am Schluß dieser Debatte einige ben SPD-Leuten gesessen habe, wurde aber immer Punkte noch einmal herausstellen. etwas anderes gesagt. Erstens. Es ist richtig, Herr Kollege Stockleben, Wie wichtig auch die Erforschung und laufende daß um das Programm „Humanisierung des Ar- Überprüfung der zu verarbeitenden Stoffe sind, beitslebens" auch in diesem Parlament ein langer zeigt nicht zuletzt die Auseinandersetzung um Streit stattgefunden hat. Formaldehyd. Es darf nicht länger sein, daß abhän- (Zuruf von der SPD: Da haben Sie dazuge gig Beschäftigte zunehmend im unklaren darüber lernt!) gelassen werden mit welchen gefährlichen Arbeits- stoffen sie umgehen. Keinem krebskranken Fach- Ich gehe davon aus, daß es sich bei diesem Streit arbeiter nützt die Antwort auf die Frage, warum er zum weit überwiegenden Teil um Mißverständnisse gehandelt hat, an Krebs erkrankte. Wichtig ist, daß gefährliche- Ar- beitsstoffe erforscht und eliminiert werden. Wichtig (Stahl [Kempen] [SPD]: Anfangs waren Sie ist allerdings auch, daß Forschungsergebnisse nicht nicht so lernfähig, Herr Probst!) in den Schubladen der Behörden verschwinden, teilweise auch um unberechtigte Verdächtigungen wenn sie entsprechend brisant sind, sondern daß und Unterstellungen, die derzeit einer realen Be- dann unmittelbare Gegenmaßnahmen getroffen trachtungsweise gewichen sind. Das ist außeror- werden, wenn dies notwendig ist. dentlich wichtig und ist sozusagen die Grundlage Die GRÜNEN sind auch daran interessiert, daß für eine vernünftige Entwicklung. die Forschung auch dahin erweitert wird, wie ab- (Stahl [Kempen] [SPD]: Das ist gut!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11039

Parl. Staatsekretär Dr. Probst Zweitens. Das Thema „Humanisierung des Ar- es ist eine der ganz, ganz wichtigen Aufgaben unse- beitslebens" erschöpft sich nicht in einem staatli- rer Zeit, mit diesen Techniken der menschlichen chen Programm. Ich möchte ausdrücklich festhal- Natur so gerecht zu werden, daß das Arbeiten nicht ten, daß es das ureigenste Gebiet, die ureigenste nur nicht krank, sondern Freude macht. Aufgabe der deutschen Wirtschaft ist, dafür zu sor- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gen, daß das Arbeitsleben in einem humanen Rah- men abläuft und daß hierzu auch Voraussetzungen, Wir haben ein Hilfsmittel hierzu. Die Zeiten, wo soweit Betriebe das können, geschaffen werden Technik so vergötzt wurde, daß sie von sich aus müssen. schon etwas losgelöst Wertvolles, Selbständiges, Er- strebenswertes ist, sind vorbei. Ich betrachte es als (Matthöfer [SPD]: Mit ein bißchen Druck einen kulturellen Durchbruch, daß Technik heute geht es besser!) mehr als in der Vergangenheit als Werkzeug für Ich möchte aber auch sagen, Herr Kollege Matthö- den Menschen verstanden wird. Lassen Sie uns fer, daß sich dieses Programm natürlich auch nicht hier zusammenarbeiten! Nichts eignet sich für als ein Werkzeug oder als ein Vehikel der Tarifpoli- künstliche Gegensätze weniger als der Bereich der tik eignet. Wenn man das vielleicht da oder dort Humanisierung des Arbeitslebens. irgendwann einmal angestrebt hat, so hat man mitt- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) lerweile erfahren, daß man dann in dem Programm Ich möchte mich beim Ausschuß für Forschung relativ schwer weiterkommt. und Technologie über alle Parteien hinweg beson- Es ist richtig und notwendig — das möchte ich als ders herzlich dafür bedanken, daß man den Grund- dritten Punkt herausstellen, ohne mich jetzt in die ansatz hatte, daß hier nur Gemeinsamkeit, prakti- Mitbestimmungsfrage einzumischen —, daß es zu sches Rangehen an ein wichtiges Grundproblem einer Zusammenarbeit kommt. Unternehmer, die weiterhilft. Vertretung des Personals im Betrieb, j a das betrof- Ich danke sehr für Ihre Aufmerksamkeit. fene Personal, alle müssen zusammenwirken. Sonst ist ein effizientes Durchziehen eines Vorhabens (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so nicht möglich. Der Konsens ist eine der Vorausset- wie bei Abgeordneten der SPD) zungen. (Stahl [Kempen] [SPD]: Aber Sie müssen Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und den Arbeitnehmern die Möglichkeit der Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Mitwirkung geben! Das ist der Punkt, Herr Ich schließe die Aussprache. Probst!) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß- — Herr Stahl, die Praxis hat gezeigt, daß nur diese empfehlung des Ausschusses für Forschung und Programme überhaupt durchführbar sind, wo der Technologie auf Drucksache 10/2748. Wer dem zu- Konsens hergestellt wird. Ob das mit oder ohne zustimmen wünscht, den bitte ich um ein Hand- gesetzliche Grundlage geschieht, ist dann fast zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die gleichgültig. Das heißt, das Programm muß so ange- Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenom- legt sein, daß dieser Konsens möglich ist. men. Schließlich und endlich geht es ja um ein hohes Ziel. Es geht um die Frage der Gesundheit der Ar- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b beitnehmer, um die Frage der Gefährlichkeit von auf: Stoffen. Es geht um die Hitze, es geht um Lärmbela- a) Erste Beratung des von den Fraktionen der stungen am Arbeitsplatz. Hier kann und soll der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs Staat an ganz bestimmten Stellen, wo von selbst eines Gesetzes zur Änderung des Abgeord- nichts läuft, in den Betrieben mithelfen, anregen netengesetzes helfen, daß das eine oder andere bewältigt werden kann. — Drucksache 10/3544 — Überweisungsvorschlag: (Stahl [Kempen] [SPD]: Warum sagen Sie Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und nicht, daß der Staat das tun muß?) Geschäftsordnung (federführend) Innenausschuß Aber der besondere Schwerpunkt, Herr Kollege Rechtsausschuß Stahl, ist heute in dem Thema der Anwendung neuer Techniken in einer neuen Gesellschaft zu su- b) Erste Beratung des von der Fraktion der chen. Die anderen Dinge sind weitgehend gelöst, SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes und es wäre einmal reizvoll zu untersuchen, inwie- zur Änderung des Abgeordnetengesetzes weit Technik die Arbeit humanisiert hat. — Drucksache 10/3557 — - (Zuruf von den CDU/CSU: Das ist der Sinn Überweisungsvorschlag: der Technik!) Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (federführend) Wenn man sich manche Moloche aus dem vergan- Innenausschuß genen Jahrhundert vorstellt, so war die Technik als Rechtsausschuß solche auch ein sehr stark humaner Teil der Meine Damen und Herren, interfraktionell ist menschlichen Entwicklung, wenn auch natürlich eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungs- nicht immer. Heute werden neue Techniken immer punkte 7 a und 7 b und ein Beitrag von bis zu zehn schneller in betriebliche Prozesse eingeführt, und Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Gibt 11040 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Vizepräsident Frau Renger es dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. wird, daß wir Abgeordnete uns zu einem Großteil an Dann ist es so beschlossen. diese Regeln selbst gar nicht hielten. Um das Wort zur Begründung wird nicht gebeten. Wir haben, finde ich, als Parlamentarier absolut Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- keinen Anlaß, dieses von uns aus durchsichtigen ordnete Bohl. Motiven erzeugte Bild zu akzeptieren. Ich finde, wir haben Anspruch auf gerechte Würdigung unserer Bohl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr Arbeit. Wir sind Repräsentanten des ganzen Volkes verehrten Damen und Herren! Der noch bessere und nicht Vertreter persönlicher, wirtschaftlicher Schutz der Unabhängigkeit des politischen Man- oder parteilicher Interessen. dats und damit die Gewährleistung der Gemein- In diesem Zusammenhang kann ich es auch nur wohlorientierung des Mandatsträgers war das Ziel bedauern, daß Mitglieder dieses Hauses zu diesem der Überprüfung der Verhaltensrichtlinien durch falschen Bild oft beitragen. In diesem Zusammen- die Rechtsstellungskommission des Ältestenrates. hang muß auch die Erklärung des SPD-Fraktions- Diese Kommission hat sich ihre Aufgabe nicht vorsitzenden Vogel genannt werden, der auf Grund leicht gemacht und hat in vielen Sitzungen die Pro- der Veröffentlichung des „Spiegel" von Anfang die- blematik intensiv beraten. ser Woche sogleich ungeprüft nach schärferen Ver- Einig waren wir uns dabei in der Rechtsstellungs- haltensregeln für Abgeordnete ruft. Warum eigent- kommission, daß die Verhaltensrichtlinien in das lich? Hier werden doch, um der Presse gefällig zu Abgeordnetengesetz aufzunehmen sind und daß sein, schon ganz erhebliche Verbiegungen vorge- eine Reihe von Einzelpunkten neu geregelt werden nommen. sollte. Es bestand ein durchaus beachtenswertes (Beifall bei der CDU/CSU) Maß an Übereinstimmung in dieser Frage. Dennoch konnten wir uns zwischen den Fraktionen in der Ich finde, wir haben als Abgeordnete die Ver- Rechtsstellungskommission nicht auf einen einheit- pflichtung, das Ansehen des Parlaments und seiner lichen Gesetzentwurf einigen. In entscheidenden Mitglieder zu schützen und gegen maßlose, irratio- Punkten waren die Auffassungen der Oppositions- nale, überzogene Kritik und Angriffe zu verteidi- fraktionen mit unseren Vorstellungen nicht in Ein- gen. Ich möchte heute hier noch einmal deutlich das klang zu bringen, so daß heute die Fraktionen der wiederholen, was wir schon in der Novemberde- CDU/CSU und der FDP mit dem vorliegenden Ge- batte gesagt haben: Dieses Parlament und auch die setzentwurf ihre Vorstellungen über eine sinnvolle Parteien in dieser Republik sind weder käuflich Verbesserung und Erweiterung der Verhaltens- noch unterwerfen sie sich dem Diktat von bestimm- richtlinien vorlegen. ten Interessengruppen. Wir können auf unser Par- lament stolz sein. Lassen Sie mich, bevor ich im einzelnen zu unse- rem Gesetzesantrag Stellung nehme, ein Wort zu (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von den den geltenden Verhaltensrichtlinien sagen, die sich GRÜNEN) der Deutsche Bundestag 1972 gegeben hat und die Ich kann auch nicht sehen, daß uns Erkenntnisse 1980 ergänzt wurden. Der Abgeordnete ist Inhaber des Flick-Untersuchungsausschusses, dessen Tätig- eines besonderen, ihm anvertrauten Amtes. Hier- keit Ende 1984 mit äußerer Anlaß für die Überprü- aus erwachsen ihm besondere Pflichten und Rech- fung der Verhaltensrichtlinien war, bei den Bera- te. Man kann nicht verneinen, daß bei der Mandats- tungen der Rechtsstellungskommision veranlaßt ausübung auch die Gefahr einer Kollision mit priva- hätten, konkrete Beschlüsse zu fassen. Es ist sicher- ten Interessen eines Abgeordneten besteht. Gerade lich gut, daß wir uns heute dieser staatspolitisch aus diesem Grunde haben fast alle Parlamente der wichtigen Aufgabe stellen und sie nicht — wie Ende westlichen Demokratien Regelungen, die das Ver- letzten Jahres — in einer emotional aufgeladenen halten von Parlamentariern unter diesen Gesichts- Atmosphäre, sondern sachlich, ruhig, besonnen und punkten normieren. problemorientiert diskutieren. Die in unseren Verhaltensrichtlinien enthaltenen Ich glaube, wir haben in unserem Gesetzentwurf Anzeigepflichten des Abgeordneten entsprechen hier den richtigen Weg beschritten. Natürlich wer- den hohen Maßstäben unseres repräsentativen Sy- den wir ihn in den Ausschußberatungen noch ein- stems. Dieses System ist insgesamt auf Öffentlich- mal überprüfen und durchleuchten, und wahr- keit und Offenlegung bestimmter Interessenver- scheinlich erfährt er in dieser oder jener Sache knüpfungen angelegt, die bei Abgeordneten vorlie- noch einmal eine Veränderung. Wir sind durchaus gen können. Der Bürger hat ein Recht zu erfahren, gesprächsbereit und grundsätzlich für weitere Ver- welche Interessen der Abgeordnete wahrnimmt; besserungen offen. der Bürger muß auf Integrität, Unbestechlichkeit und Unabhängigkeit der politischen Institutionen Ich bedaure es, daß wir nicht in der Lage waren, und des Parlamentes vertrauen können. einen von allen Fraktionen getragenen Gesetzent- Unsere Verhaltensregeln, meine Damen und Her- wurf zu erarbeiten. Das wäre sicherlich gut gewe- ren, haben sich durchaus bewährt, und ich bin der sen, weil es wichtig wäre, in diesem für unsere par- festen Überzeugung, daß sie erheblich besser als ihr lamentarische Demokratie so sensiblen Bereich Ruf sind. Ich bedaure es außerordentlich, daß in der Einvernehmen deutlich zu machen. Öffentlichkeit oft ein absolut falsches Bild von der Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bedeutung und dem Sinn dieser Verhaltensregeln SPD hat vorgeschlagen — darauf darf ich vielleicht suggeriert und dabei häufig leichtfertig unterstellt doch noch kurz eingehen —, daß die Anzeigepflich- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11041

Bohl ten ganz erheblich ausweitet werden. Es wurde so- Bohl (CDU/CSU): Ich möchte mit aller Klar- gar vorgeschlagen, daß Kredite angegeben werden heit sagen — vorhin habe ich das schon angespro- sollen. Das kann nicht der richtige Weg sein. An- chen —, daß Erkenntnisse im Zusammenhang mit satzpunkt für unsere Überlegungen muß sein, die dem Flick-Untersuchungsausschuß für die Beratun- unabhängige Mandatsausübung zu garantieren und gen in der Rechtsstellungskommission bei der For- zu gewährleisten. mulierung von irgendwelchen Vorschlägen von kei- (Conradi [SPD]: Das steht gar nicht drin!) ner relevanten Bedeutung gewesen sind. Das ist eine ganz eindeutige und klare Aussage. Ich bin — Es war aber bei Ihnen im Gespräch, und Sie nicht der Auffassung, daß wir in diesem Hohen haben auch jetzt eine erheblich weitergehende An- Hause dem Vorschub leisten sollten, was sich zeigepflicht in Ihren Entwurf aufgenommen. — schlechthin gegen unseren Parlamentarismus wen- (Conradi [SPD]: Aber nicht Kredite!) det. Sie haben auch vorgesehen, daß die Angaben zu Ich bin nicht der Auffassung — das wiederhole einem Großteil ins Handbuch aufgenommen wer- ich —, daß wir als Abgeordnete verpflichtet sind, den sollen. Sie wollen das Einkommen des Abgeord- unsere Einkommen, aus freien Berufen zum Bei- neten beim Präsidium angegeben haben. Ich kann spiel, wie es der Vorschlag der SPD vorsieht, zu Ihnen dazu nur sagen: Das Einkommen des Abge- offenbaren. Dafür besteht keinerlei Verpflichtung. ordneten als solches interessiert nicht. Interessie- Ich sage noch einmal, es läßt sich über manches ren kann nur das, was Interessenverknüpfung be- durchaus reden, z. B. Nebentätigkeiten und anderes deutet, was die freie Mandatsausübung berühren mehr. Das sind Dinge, die nach unserer Auffassung kann. Damit haben das Gehalt, das Einkommen, die gegenüber dem Präsidium zu offenbaren sind, nicht sonstigen Angelegenheiten eines Abgeordneten ab- gegenüber dem sogenannten Abgeordnetenrat. solut nichts zu tun. Aber Kredite und Einkommen aus freien Berufen (Beifall bei der CDU/CSU) zu publizieren, ist absolut nicht notwendig, um zu gewährleisten, daß der Abgeordnete sein Mandat Meine Damen und Herren, ich weiß, daß das Ver- frei ausüben kann. trauen der Bürger in die Unabhängigkeit und Inte- grität unserer parlamentarischen Demokratie und (Dolata [CDU/CSU]: Man muß zwischen damit auch in unser Parlament in hohem Maße von Tatbestand und Unterstellungen unter einer zufriedenstellenden Regelung der Verhaltens- scheiden!) richtlinien abhängt. Mit dem von uns vorgelegten — Ich bedanke mich für diesen Zuruf. — Gesetzesantrag haben wir hierzu einen entschei- Und was den „Spiegel" von dieser Woche angeht: denden und wichtigen Schritt getan. Über seriösen Journalismus kann man wirklich Wir bitten aber — das möchte ich mit aller Deut- streiten. lichkeit sagen — gleichzeitig auch alle Gutwilligen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) unser Parlament bei den für unsere Demokratie Das möchte ich mit Deutlichkeit sagen. Wenn Sie wichtigen Aufgaben und bei unserer schwierigen mitbekommen haben, daß die Staatsanwaltschaft in Arbeit zu unterstützen. Wir haben uns der notwen- Bonn erklärt hat, daß kein Anlaß besteht, hier zu digen Kritik zu stellen. Wir wenden uns aber leiden- ermitteln, dann fällt das, was am Montag im „Spie- schaftlich gegen maßlose Kritik, die alle Maßstäbe gel" gestanden hat, auf die Urheber zurück. verliert und gegen unseren Parlamentarismus schlechthin Stimmung macht. Abschließend sage ich: Leidenschaft, Verantwor- tungsgefühl und Augenmaß sind von uns allen ge- Die Unabhängigkeit des Mandats folgt in unse- fordert, um Max Weber zu zitieren. Dies leitet uns rem parlamentarischen System aus dem Gebot der auch bei dem vorliegenden Gesetzentwurf. Gemeinwohlverpflichtung des Abgeordneten. Diese Gemeinwohlverpflichtung entspricht unserem poli- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tischen Selbstverständnis als CDU/CSU. Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Conradi. Vizepräsident Frau Renger: Gestatten Sie eine Zwi- schenfrage des Abgeordneten Ströbele? Conradi (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben die Chance, das durch Affä- Bohl (CDU/CSU): Wenn Sie mir nicht angerechnet ren und Skandale verlorene Vertrauen der Öffent- wird, gern. lichkeit in dieses Parlament zurückzugewinnen. Ich hoffe, Herr Bohl, wir werden diese Chance nützen. In der Flick-Debatte im November vorigen Jahres Vizepräsident Frau Renger: Natürlich. - haben alle Redner hier von den notwendigen Kon- sequenzen und von der Selbstreinigungskraft des Parlaments gesprochen. Ströbele (GRÜNE): Herr Kollege, sind Sie mit mir der Auffassung, daß Tatsachen, wie sie in dieser Die vorliegenden Gesetzentwürfe sollen die Ver- Woche im „Spiegel" veröffentlicht worden sind, oder haltensregeln für Abgeordnete schärfen und diese Tatsachen, wie sie im Flick-Untersuchungsaus- Regeln gesetzlich verankern. Herr Bohl, ich kann schuß zur Sprache gekommen sind, das Ansehen Ihnen nicht folgen, wenn Sie sagen, die Verhaltens- der Abgeordneten schädigen und nicht Versuche, regeln hätten sich sehr gut bewährt. solchen Schäden entgegenzuwirken? (Bohl [CDU/CSU]: Das haben sie auch!) 11042 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Conradi — Haben sie sich so gut bewährt? Warum gab es Wenn es um das Ansehen, um die Glaubwürdig- dann diese Skandale, warum gab es die Affären, keit des ganzen Parlaments geht, dann muß auch warum müssen wir jetzt Konsequenzen ziehen? das ganze Parlament an der Verantwortung betei- Nein, die Verhaltensregeln haben sich in ihrer An- ligt werden, d. h. alle Fraktionen. Ich verstehe nicht, wendung offensichtlich nicht bewährt. Sie waren zu warum Sie Angst vor den GRÜNEN haben. Ich löcherig, sie waren ein allgemeiner Moralkodex habe keine; ich sehe keinen Anlaß dazu. Im übrigen ohne Sanktion, ohne Kontrolle. Deswegen wollen verfahren wir doch in der Politik sonst auch immer wir sie jetzt neufassen und verschärfen und wollen so, daß wir die Leute, die uns kritisieren, mit in die sie als gesetzliche Pflichten des Abgeordneten ver- Verantwortung hineinnehmen. Warum nicht hier? ankern. (Bohl [CDU/CSU]: Aber die haben doch das Vizepräsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, ge- Vertrauen der Mehrheit des Parlaments!) statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wir nehmen den Vorschlag des Bundespräsidenten, Bohl? einen Ehrenrat einzurichten, ernst und schlagen ei- nen Abgeordnetenrat vor, der aus dem Präsidium Bohl (CDU/CSU): Herr Kollege Conradi, können und je einem Abgeordneten jeder Fraktion beste- Sie mir sagen, wo im Hinblick auf Erkenntnisse aus hen soll. dem Flick-Untersuchungsausschuß die geltenden Verhaltensrichtlinien versagt haben? Der zweite Streitpunkt ist: Welche Tätigkeiten sollen mitgeteilt werden? Da kommen wir an das Conradi (SPD): Herr Kollege Bohl, Sie waren bei Problem der beratenden Berufe. Wir können die dieser Debatte genauso dabei wie ich. Alle Redner beratenden Berufe hier nicht völlig herauslassen. damals haben gesagt: Die Vorgänge um Flick zwin- (Beifall der Abg. Frau Matthäus-Maier gen uns, die Verhaltensregeln zu überprüfen. Der [SPD]) Ältestenrat hat der Rechtsstellungskommission die- sen Auftrag doch nicht ohne Grund gegeben. Sie Das würde zu grotesken Folgen führen. Überlegen haben das offenbar aus heiterem Himmel heraus Sie bitte einmal: Ein Abgeordneter aus dem Finanz- getan; wir haben es aus den Erfahrungen der Flick- ausschuß, der ein Großunternehmen berät, müßte affäre heraus beschlossen. Das sind doch Spiegel- das mitteilen. Wäre derselbe oder dieselbe Abgeord- fechtereien, die Sie hier betreiben, die Zweifel nete Steuerberater — beratender Beruf —, müßte daran erwecken, ob Sie es hier mit der Selbstreini- er es nicht mitteilen. Würde ein beamteter Archi- gungskraft des Parlamentes ernst meinen. tekt den Bundesverband der Bauindustrie beraten, (Mann [GRÜNE]: Sehr richtig!) müßte er das mitteilen. Ließe sich derselbe Archi- tekt als freier Architekt — beratender Beruf — ein- Nun muß man sich darüber im klaren sein, daß es wasserdichte Lösungen nicht geben wird. Es gibt tragen, müßte er es nicht mitteilen. Sie sehen: So können wir es nicht regeln. immer Umgehungsmöglichkeiten. Man kann die Moral eines Abgeordneten nicht durch Gesetz er- Es geht hier um den Konflikt zwischen der Frei- zwingen, man kann sie allenfalls fördern. Wollten heit der Berufsausübung und der Pflicht, Interes- wir jede Umgehungsmöglichkeit ausschließen, woll- senverknüpfungen offenzulegen. Wir wollen wirk- ten wir jedes Schlupfloch gesetzlich zustopfen, lich nicht wissen, wen der Anwalt in Eheschei- dann wüßten wir in andere Rechtsgüter eingreifen, dungssachen und bei Verkehrsstrafsachen berät, z. B. in den Persönlichkeitsschutz der Ehefrau oder aber wir wollen das wissen, „was die unabhängige in den Datenschutz; das wollen wir nicht. Weil dies Ausübung des Mandats berühren kann". So heißt es schwierig ist, bitten wir die sachkundige Öffentlich- in Ihrer Begründung. keit um Kritik, um Mithilfe in den Ausschußbera- tungen. (Bohl [CDU/CSU]: Ein guter Grundsatz!) Das Abgeordnetengesetz ist Sache des ganzen Deswegen schlagen wir vor, die Mitteilungspflicht Parlaments. Es ist nicht im Streit zwischen Koali- auf Verträge und Mandate zu beschränken, die eine tion und Opposition. Es geht hier nicht darum, daß bestimmte Honorarsumme überschreiten; die soll wir in Fraktionen gegeneinander streiten, denn wir das Präsidium festlegen. Das ist ein pragmatischer sind auch in den Fraktionen unterschiedlicher Auf- Vorschlag. Wir sind für Verbesserungsvorschläge fassung über das, was hier vorliegt. Da ist jeder ein- dankbar. Zum Beispiel könnten wir uns auch den- zelne Abgeordnete gefragt. Es geht da nicht um den ken, die Berichtspflicht auf die Fälle zu beschrän- Bestand der Koalition oder die Geschlossenheit der ken, in denen eine Interessenverknüpfung zwi- Opposition. schen beruflichem Mandat und politischem Mandat Wo liegen nun die Meinungsunterschiede? zu besorgen ist. Erstens. Sie wollen als Gremium für Berichte und Drittens: Über die Einkünfte, die dem Präsidium Kontrolle das Präsidium, mit der Begründung, das bzw. dem Abgeordnetenrat mitgeteilt werden sol- Präsidium habe „diese Aufgabe schon bisher wahr- len, werden wir uns sicher lange streiten. Ihre Vor- genommen". Bei allem schuldigen Respekt vor dem schläge entsprechen nicht Ihren hohen eigenen Präsidium: Hätte das Präsidium diese Aufgabe bis- Grundsätzen. Es ist doch lächerlich: Der Abgeord- her gründlich wahrgenommen, dann wäre uns eini- nete, der ein Buch schreibt, hat die Einkünfte mit- ges erspart geblieben, dann ständen wir heute nicht zuteilen. Oder: Der, der als Betriebsrat noch teilzei- hier. Die alte Bürokratenregel „Das haben wir im- tig tätig ist, hat seine Einkünfte mitzuteilen. Aber mer schon so gemacht" ist hier falsch. der Abgeordnete, der als Anwalt ein Großunterneh- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11043

Conradi men berät und dessen Interessen hier vertritt, soll laments und damit die Glaubwürdigkeit der parla- sein Einkommen nicht mitteilen. Das wäre absurd. mentarischen Demokratie wichtig ist. Wir wollen Sie hier an den noch nicht erfüllten Mit diesem Grundsatz gehen wir in die Ausschuß- Auftrag des Verfassungsgerichts erinnern, das ge- beratungen. Über deren Ergebnisse werden wir sagt hat, Art. 48 in Verbindung mit Art. 38 GG ver- hier, wenn das notwendig ist, noch einmal hart lange gesetzliche Vorkehrungen dagegen, daß Ab- streiten. Denn in dieser Sache ist Streit im Inter- geordnete nur deshalb Bezüge bekommen, weil sie esse der Demokratie notwendig. als Mandatsträger hier bestimmte Interessen ver- (Beifall bei der SPD und des Abg. Schily treten. Diesem Auftrag des Verfassungsgerichts [GRÜNE]) kommt unser Entwurf nach, Ihr Entwurf nicht. (Bohl [CDU/CSU]: Wieso nicht?) Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- Vierter Streitpunkt: Was die Veröffentlichung an- geordnete Wolfgramm. geht, teile ich persönlich die Auffassung von Herrn Geißler, der die „gläsernen Taschen" fordert. Das Wolfgramm (Göttingen) (FDP): Frau Präsidentin! ist hier nicht mehrheitsfähig, aber ich weiß, daß Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir eine ganze Reihe von Kollegen so verfährt. Glä- haben uns einige Mühe mit diesem Entwurf ge- serne Taschen muß schließlich nur der fürchten, macht und ihn ausführlich beraten. Es zeigt sich, so der Dreck in den Taschen hat. meine ich, daß hier — bis auf einige wichtige (Bohl [CDU/CSU]: Wieso das denn?) Punkte — eine gemeinsame Position in beiden Ent- würfen, sowohl in dem der SPD als auch in dem der — Dies ist ein öffentliches Amt, Herr Bohl. Sie Koalition, zum Tragen kommt. sagen selbst, daß dieses Amt „auf Öffentlichkeit und Es ist richtig dargestellt worden, daß wir jetzt von Offenlegung von Interessenverknüpfungen ange- der Position abgehen, die Verhaltensregeln nur als legt ist". Also werden Sie diese Interessenverknüp- Anlage zur Geschäftsordnung zu sehen. Wir wollen fungen auch offenlegen müssen. sie schon dadurch verbindlicher machen, wir wollen (Bohl [CDU/CSU]: Wieso denn?) sie schon dadurch verschärfen, daß wir sie ins Ab- Was die Veröffentlichung betrifft, so schlagen wir geordnetengesetz schreiben. Sie werden also in Zu- vor, nicht nur Berufe und Ämter, sondern auch an- kunft in einem Gesetz stehen. dere Tätigkeiten, wenn eine bestimmte Honorar- Auch einige andere Positionen haben wir hier summe überschritten wird, zu veröffentlichen. ganz deutlich verschärft. Nur, Herr Kollege Conra- di, die Schelte, die Sie dem Präsidium soeben haben Fünftens: Zu den Sanktionen: Die Feststellung in zuteil werden lassen, kann ich überhaupt nicht tei- einer Bundestagsdrucksache, ein Abgeordneter len. Denn das Präsidium hat seine Pflicht bisher habe seine Pflichten nach dem Abgeordnetengesetz ordentlich erfüllt. Im übrigen: Sie werden Angaben, verletzt, ist eine schwere Sanktion. Wenn Sie diese die sich hinterher als nicht richtig herausstellen, Sanktionsdrohung an eine Einstimmigkeit im Gre- auch mit den neuen Regeln nicht erfassen können. mium binden wollen, dann machen Sie sie wir- Das heißt, das Präsidium hat in der Vergangenheit kungslos, dann wird das zur Farce. seine Arbeit nach der Meinung der Freien Demo- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) kraten ordentlich, sorgfältig und vertrauensvoll er- füllt. Wenn das greifen soll, dann darf nicht Einstimmig- keit verlangt werden. Wir lassen mit uns über eine (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) qualifizierte Mehrheit reden, z. B. über eine Zwei- Es geht hier um die Frage der Unabhängigkeit drittel- oder eine Dreiviertelmehrheit. Wer aber des Mandats und damit auch um die für uns alle Einstimmigkeit fordert, der will keine Sanktionen. deutliche Außenwirkung. Es geht aber auch um das Ein Letztes: Als ich gelesen habe, daß Sie dieses Abwägen der Persönlichkeitsrechte, Herr Mann. Gesetz erst 1987 in Kraft treten lassen wollen, habe Das kann man nicht mit einem Federstrich beiseite ich gedacht, das ist ein schlechter Witz. Einen Miß- schieben. Auch Abgeordnete haben ihre Rechte als stand zu erkennen und ihn nicht abzustellen, son- Bürger und als Abgeordnete. dern zwei Jahre weiter schmoren zu lassen, statt (Zuruf des Abg. Ströbele [GRÜNE]) ihn tatkräftig zu korrigieren, das ist kein ernsthaf- Ich erkläre schon hier für meine Fraktion, daß ter Beitrag zu unserem Bemühen, verlorenes Ver- wir nach der ersten Lesung in den Ausschüssen ein trauen zurückzugewinnen. Hearing dazu durchführen wollen. Wir möchten von (Beifall bei der SPD) kompetenter Seite diesen Konflikt zwischen dem Öffentlichkeitsprinzip und dem Behinderungsver- Ich habe gesagt, wir haben eine Chance, und wir bot nach Art. 48 des Grundgesetzes deutlich ausge- wollen sie nutzen. Wir teilen die hohen Maßstäbe, tragen wissen. Wir möchten auch von kompetenter die Sie in Ihrer Begründung anführen. Leider ent- Seite hören, wie schmal oder wie breit der Grat sprechen Ihre konkreten Vorschläge diesen hohen dabei ist, den wir uns vorstellen. Maßstäben nicht. Deshalb haben wir Zweifel daran, ob Sie es ernst meinen; wir werden das sehen. Wir (Zuruf des Abg. Mann [GRÜNE]) wollen eine unpolemische, ernsthafte, sachange- Wir werden — das weiß der Koalitionspartner — messene Behandlung in den Ausschüssen, weil uns in die Beratung einbringen, daß wir in der Frage die Sache, nämlich die Glaubwürdigkeit dieses Par- der Beraterverträge der Meinung sind, daß sie auch 11044 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Wolfgramm (Göttingen) zu veröffentlichen sind, weil sich ja gerade an ihnen Die Freien Demokraten werden sorgfältig und in- ganz deutlich Kritik am Parlament und auch an den tensiv beraten. Wir werden so rasch wie möglich Abgeordneten entzündet hat. beraten, aber nicht auf Kosten der Sorgfalt. (Bohl [CDU/CSU]: Publizierungspflichtig!) Erlauben Sie mir, noch eine kleine Anmerkung zu zitieren, die deutlich macht, daß dasselbe Mittel Wir haben uns Gedanken darüber gemacht, ob bei verschiedenen Menschen unterschiedlich wirkt. wir ein Gremium von außen nehmen sollen, das Ich werde versuchen, aus dem Gedächtnis etwas zu unabhängig von den Abgeordneten über die Einhal- zitieren, was ich Ihnen eigentlich aus dem Rollwa- tung der Regeln wacht. Wir sind alle zusammen der genbüchlein vortragen wollte, und zwar eine kleine Meinung gewesen: Das sollen die Abgeordneten Geschichte aus dem Mittelalter: selbst regeln. Das sollen sie nach unserer Meinung Ein Bader wurde zu einem Hufschmied gerufen, mit diesem Präsidium regeln, das diese Rechte und der starkes Fieber hatte. Es stellte sich heraus, daß Pflichten bisher ausgeübt hat und von dem wir der der Hufschmied Appetit auf Sauerkraut bekam. Der Meinung sind, daß wir ihm das nicht zu entziehen Bader ließ es kommen. Daraufhin wurde der Huf- haben und auch nicht zu entziehen brauchen, weil schmied geheilt. Der Bader notierte in seinem Re- das Präsidium unser Vertrauen genießt, weil es vom zeptbuch: Sauerkraut bei Fieber, Hufschmied ge- Bundestag gewählt ist und weil es auch noch an- heilt. Kurze Zeit später wurde er zu einem Schnei- dere wichtige Rechte hat. Es kann j a einen Abge- der gerufen — Sie sehen, alles sehr angesehene ordneten bis zu 30 Tagen von seiner Anwesenheits- Berufe —, der ebenfalls an Fieber litt. Er verordnete pflicht entbinden. Das sind sehr harte Eingriffe in sogleich Sauerkraut, aber der Schneider verstarb die Rechte der Abgeordneten. Ich kann nicht einse- leider. Der Bader notierte in seinem Rezeptbuch: hen, daß wir zu einem Abgeordnetenrat kommen Sauerkraut bei Fieber, bei Hufschmieden gut, bei sollen, der eine mühsame Konstruktion zusätzli- Schneidern schlecht. cher und neuer Kollegen bedeutet. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP, der Bei den Sanktionen hatten wir überlegt, ob wir CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD) zusätzlich zu der Veröffentlichungspflicht auch noch den Einzug der Vermögenswerte vorsehen Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- sollten. Wir hatten das damals in unserer Berlin-Sit- geordnete Mann. zung mit anderen Vorstellungen veröffentlicht. Wir müssen auch da prüfen, ob dieses Verfahren ein Mann (GRÜNE): Frau Präsidentin! Verehrte Kol- nicht rechtsförmliches ist und ob das dann möglich ist. Jedenfalls werden wir es auch mit in das Hear- leginnen und Kollegen! Lassen Sie mich darstellen, in welchen größeren Zusammenhang die von den ing einbringen. Koalitionsfraktionen und von der SPD-Opposition Herr Kollege Conradi, Sie haben sich, finde ich, vorgelegten Gesetzentwürfe zur Änderung des Ab- die Sache sehr leicht gemacht in Ihrer Äußerung geordnetengesetzes in der heutigen ersten Bera- über das Inkrafttreten. Es gibt gute Gründe, sehr tung gestellt werden müssen. gute Gründe, zu sagen, daß man die Kollegen mit Ohne die Affäre Barzel würde die heutige De- einer solchen Verschärfung des Abgeordnetenge- batte nicht stattfinden. Am 16. November 1984 hat setzes, also der Verhaltensrichtlinien im Gesetz, der Bundestag über Parteienfinanzierung und Un- nicht ohne weiteres in einer Legislaturperiode kon- abhängigkeit des politischen Mandats in Verbin- frontieren kann. Sie wissen von Kollegen, die öf- dung mit der Flick- und Spenden-Affäre debattiert. fentlich geäußert haben — es waren Selbständige Erinnern wir uns an die Ankündigung des Kollegen und Angehörige freier Berufe —, unter diesen Um- Dr. Bötsch — ich sehe ihn im Moment nicht — zu ständen hätten sie das Mandat nicht angenommen. Anfang der damaligen Debatte. Er erklärte, seine Fraktion wolle dazu beitragen — ich zitiere —, (Zuruf des Abg. Schäfer [Offenburg] [SPD]) Klarheit zu schaffen, Zweifel auszuräumen und verlorengegangenes Vertrauen wiederherzu- Ich verspreche mir von dem Hearing eine Klärung, stellen. eine Hilfe für diese Kollegen. Sie können nicht so Er führte weiter aus: über diese Sache hinweggehen und sagen, man Vor allem wollen wir den mündigen Bürgern müsse sofort die Konsequenzen ziehen, ohne sich die Sicherheit geben, daß nur sie — und aus- überhaupt über die Rechte der Betroffenen Gedan- schließlich sie — darüber zu bestimmen haben, ken zu machen. wer dieses Land und seine Bewohner regiert. (Conradi [SPD]: Es gibt auch ein Recht der Durch die heute vorgelegten Gesetzentwürfe Öffentlichkeit!) müßte mithin, Herr Bohl, das Vertrauen der Bürger in die Unabhängigkeit des Parlaments wenigstens Ich hätte mir übrigens gewünscht, daß bei dieser ein Stück weit wiederhergestellt werden. Debatte doch das eine oder andere Mitglied des Hauses zusätzlich anwesend ist. Es ist für den einen (Bohl [CDU/CSU]: So ist es!) oder anderen Kollegen vielleicht doch wichtig, zu An dieser Stelle möchte ich aus der „Süddeut- wissen, was wir uns vorstellen. Aber dazu werden schen Zeitung" vom heutigen Tage zitieren. Die uns die zweite und dritte Lesung noch Gelegenheit „Süddeutsche Zeitung" überschreibt ihren Kom- bieten. mentor — aus meiner, aus unserer Sicht zu Recht Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11045

Mann — „Lasche Verhaltensregeln", und dann heißt es in Hamm-Brücher für die interfraktionelle Initiative diesem Artikel: „Parlamentsreform" in einer Presseerklärung am 3. Juni 1985 darauf hingewiesen hat, daß die Ad-hoc- Zusammengenommen bedeutet dies, daß der Kommission „Parlamentsreform" in ihrer Arbeit Versuch gescheitert ist, aus den zurückliegen- durch eine bedauerliche Verschleppungstaktik sei- den (Flick) und den noch schwärenden (Phar- tens der Fraktionsgeschäftsführungen bei der Aus- ma-Industrie) politischen Spenden-Affären ein- führung des Auftrages des Bundestages vom vernehmlich klare Konsequenzen zu ziehen. 20. September 1984 behindert worden ist. Genau im Bereich der halbdunklen Zone von Nebentätigkeiten, die nicht illegal sind, aber Vizepräsident Frau Renger: Auch die mühsame Zu- auch nicht unzweifelhaft dem Bild des unge- sammenführung der beiden Themen, verehrter Kol- bundenen und unabhängigen Abgeordneten lege, sollte Sie nicht davon abhalten, beim Thema entsprechen, verweigert die Koalition ausrei- zu bleiben. chende Transparenz. Der Wähler wird dem- nach auch in Zukunft bei der Lektüre des (GRÜNE): Vor allem die Forderung — Frau Handbuchs des Deutschen Bundestages nicht Mann Präsidentin, ich sehe den Zusammmenhang sehr wirklich erkennen können, was sein Abgeord- wohl — des Arbeitsauftrages nach verstärkter und neter nebenher tatsächlich noch für Verpflich- wirksamerer — — tungen eingeht. So weit die „Süddeutsche Zeitung". Vizepräsident Frau Renger: Ich bitte, die Präsiden- (Bohl [CDU/CSU]: Es muß nicht alles stim tin nicht zu kritisieren. men, was in der Zeitung steht!) Mann (GRÜNE): Bitte? Sie haben j a hier zu erkennen gegeben — so vor allem der Kollege Wolfgramm —, daß Sie sehr Vizepräsident Frau Renger: Ich bitte, die Präsiden- gründlich beraten wollen. Eine Anhörung ist ange- tin nicht zu kritisieren. Das war eine Kritik. kündigt worden. Ich begrüße das auch für unsere (Zurufe von den GRÜNEN: Aber recht hat Fraktion. Ich hoffe, daß die „Süddeutsche Zeitung" er trotzdem! — Das war doch keine mit ihrer Beurteilung vorn heutigen Tage nicht Kritik!) recht behält. Ich wage an dieser Stelle die Behauptung — an Mann (GRÜNE): Ich habe das auch nicht als Kri- Sie, Herr Bohl, und Ihre Kollegen von den Koali- tik verstanden; ich muß mich jetzt etwas beeilen, tionsfraktionen gerichtet —: Ohne die kontinuierli- damit nachvollziehbar wird, warum das dazugehört. che und kritische Berichterstattung einiger Presse- — Vor allem die Forderung nach verstärkter, wirk- organe, die Sie übrigens denunziert haben, und samerer Kontrolle des Parlaments sowie die Vor- ohne die dadurch hergestellte Öffentlichkeit bezüg- schläge zur Stärkung der Stellung des einzelnen lich der Spendenpraxis des Flick-Konzerns sowie — Abgeordneten stehen in engem Zusammenhang mit das darf ich in aller Bescheidenheit feststellen — einer Änderung der Verhaltensregeln für Abgeord- ohne das Vorhandensein und die Initiativen der nete. Verhaltensregeln und damit Rechte und GRÜNEN wäre der Flick-Untersuchungsausschuß Pflichten des einzelnen Abgeordneten entwickeln nicht zustande gekommen, sich im Spannungsverhältnis von Art. 21 und Art. 38 (Beifall bei den GRÜNEN — Conradi des Grundgesetzes. Ihr Inhalt ist nicht von dem [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!) Selbstverständnis dieses Parlaments zu trennen. Parlamentarische Realität ist — das sollten wir ohne die Arbeit des Untersuchungsausschusses ruhig zur Kenntnis nehmen —, daß eben nicht hätte es keine Affäre gegeben, mehr das Parlament als Ganzes gegenüber der Re- (Conradi [SPD]: Den Ausschuß hättet ihr gierung Kontrolle ausübt, weil es zu einer unauflös- ohne uns gar nicht bekommen!) lichen und durch Personalunion von Kabinettsmit- und ohne die Affäre Barzel säßen wir heute nicht gliedern, Parlamentarischen Staatssekretären und hier, um über eine Änderung des Abgeordnetenge- Bundestagsabgeordneten gefestigten politischen setzes hinsichtlich der Verhaltensrichtlinien zu dis- Interessenidentität zwischen Regierung und Regie- rungsmehrheit in der Legislative gekommen ist, kutieren. wie es Carl-Christoph Schweitzer treffend in seinen (Weitere Zurufe von der SPD) Anmerkungen zur Diskussion um die Parlaments- Ein Verhaltenskodex für Abgeordnete — beruhi- reform in der Beilage zur Wochenzeitung „Das Par- gen Sie sich, meine verehrten Kollegen von der lament" vom 15. Juni 1985 ausdrückt. SPD-Fraktion — kann nicht losgelöst von- den Dis- Im Anschluß an Schweitzer läßt sich feststellen, kussionen um eine Parlamentsreform behandelt daß die Opposition zur Ausübung der Kontrolle be- werden. Ich benutze daher die Gelegenheit und ver- reit ist, während die Regierungsfraktionen infolge leihe der Erwartung Ausdruck, daß wir unmittelbar ihres Informationsvorsprunges in der Regel allein nach der Sommerpause über die in der entspre- zu einer solchen Kontrolle fähig sind. Angesichts chenden Kommission des Bundestages erörterten dieser Verfassungsrealitäten kommt meiner Über- Vorschläge an dieser Stelle und möglichst zu einer zeugung nach der Stärkung der Stellung des einzel- vernünftigen Zeit eingehend beraten können. Ich nen Abgeordneten vorrangige Bedeutung zu. Inso- möchte weiter erwähnen, daß die Kollegin Frau Dr. fern habe ich große Zweifel, daß sich durch die 11046 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Mann Arbeit der Ad-hoc-Kommission hier etwas gravie- übung des Mandats zusammenhängenden Tätigkei- rend ändern wird. ten und Einkünfte der Abgeordneten. Gestatten Sie mir im Zusammenhang mit der Ich will an dieser Stelle sagen, daß auch bei uns Parlamentsreform einen abschließenden Hinweis die Diskussionen noch nicht abgeschlossen sind. auf den unserer „grünen" Überzeugung nach wich- Wir sind für gläserne Taschen und sehr wohl nicht tigsten Gesichtspunkt: Öffentlichkeit. Sie wissen, für den gläsernen Abgeordneten. daß wir GRÜNEN schon zu Beginn unserer Arbeit Das Wichtigste möchte ich zum Schluß allerdings im Bundestag auf Öffentlichkeit aller Ausschußsit- noch sagen: Nur wenn das Verhältnis von wirt- zungen gedrängt haben; schaftlicher Macht, von Geld, zur Demokratie ein (Zuruf von der SPD: Quatsch!) anderes wird, werden diese Verhaltensrichtlinien Erfolg haben können. Unsere Überzeugung ist, wir leider ohne Erfolg. Der Bundestag insgesamt wäre werden durch gesetzliche Änderungen nur sehr we- gut beraten, wenn er dem Gesichtspunkt der Öf- nig erreichen, wenn wir uns dem Problem — inso- fentlichkeit fern ist diese Woche durch die Information im (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: „Spiegel" eine gute Gelegenheit — der demokrati- Zum Thema!) schen Kontrolle der Wirtschaft nicht stellen. bei der weiteren Beratung der Vorschläge zur Par- Ich selbst will zum Schluß sagen: Ich habe eine lamentsreform grundlegende Bedeutung beimessen große Skepsis in bezug auf Veränderungen in die- würde. Das kann uns im übrigen auch ein Blick sen sehr sensiblen, sehr wichtigen Fragen durch nach England und in die Vereinigten Staaten er- Änderung von Gesetzen, durch Änderung von Ver- leichtern. haltensrichtlinien. Ich glaube, nur wenn wir selbst als Abgeordnete unseren Verfassungsauftrag ern- Natürlich sind auch Grundfragen des parlamen- ster nehmen, uns unserer Verantwortung gegen- tarischen Selbstverständnisses berührt, wenn, wie über dem gesamten Volk und nicht nur gegenüber es die Regierungsfraktionen in ihrem Entwurf tun, bestimmten Kreisen der Wirtschaft bewußt sind, die Selbstkontrolle des Parlaments auf zur Zeit drei wird sich das Vertrauen der Bevölkerung zu den von vier Fraktionen beschränkt wird. Abgeordneten zurückgewinnen lassen. — Vielen (Beifall bei den GRÜNEN) Dank. Es ist verfassungsrechtlich, verfassungspolitisch (Beifall bei den GRÜNEN) ein Unding, wie die Regierungsfraktionen von An- fang an versucht haben, die ungeliebte neue Frak- tion der GRÜNEN von wichtigen parlamentari- Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und schen Gremien fernzuhalten. Das war die parla- Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. mentarische Kontrollkommission, die G-10-Kom- Ich schließe die Aussprache. mission, Der Ältestenrat schlägt vor, die Gesetzentwürfe (Zuruf von der CDU/CSU: Was hat das mit auf den Drucksachen 10/3544 und 10/3557 zu über- dem jetzigen Tagesordnungspunkt zu weisen zur federführenden Beratung an den Aus- tun?) schuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- ordnung und zur Mitberatung an den Innenaus- und das haben Sie bei der Beratung der Geheim- schuß und den Rechtsausschuß. — Weitere Vor- dienst-Haushalte eben auch praktiziert. schläge erfolgen nicht, wie ich sehe. Dann ist das so (Zuruf von den GRÜNEN) beschlossen. Nur wer etwas zu verbergen hat, scheut das Licht der Öffentlichkeit. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Ich will Ihnen an dieser Stelle sagen: Mit Sicher- Erste Beratung des von der Bundesregierung heit wird es nicht gelingen, Vertrauen zu bilden, eingebrachten Entwurfs eines Ersten wenn die vertrauensbildende Maßnahme von Anbe- Rechtsbereinigungsgesetzes ginn an von Mißtrauen gegenüber einem Teil der — Drucksache 10/3290 — Bevölkerung, der durch unsere Fraktion in diesem Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Parlament vertreten ist, geprägt wird. Innenausschuß (federführend) (Zuruf von der CDU/CSU: Herr Mann, Rechtsausschuß Finanzausschuß kommen Sie mal zum Thema!) Ausschuß für Wirtschaft So betrachtet unterstützen wir den Vorschlag der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Verkehr SPD-Fraktion auf Einführung eines Abgeordneten-- Haushaltsausschuß rates, an dem alle Fraktionen des Parlaments betei- ligt sind. Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für (Zustimmung bei den GRÜNEN) jede Fraktion vereinbart worden. Einverständnis Weil wir jedoch der Auffassung sind, daß die wirk- des Hauses? — Dann ist das auch so beschlossen. samste Kontrolle des Parlaments und der Abgeord- Das Wort zur Begründung wird erbeten. Herr neten durch die Öffentlichkeit erfolgt, drängen wir Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Waffen- auf eine wirksame Offenlegung aller mit der Aus schmidt hat das Wort. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11047

Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- Vereinfachung von Verwaltungsverfahren kom- desminister des Innern: Frau Präsidentin! Meine men. sehr verehrten Damen und Herren! (Kühbacher [SPD]: Sie können ja frei re (Kühbacher [SPD]: Wir haben Sie um den!) 16 Uhr vermißt, Herr Staatssekretär!) Das ist eine gute Begründung für ein Rechtsberei- nigungsgesetz. Der vorliegende Entwurf eines Ersten Rechtsberei- nigungsgesetzes enthält Vorhaben aus den Ge- schäftsbereichen von acht Bundesressorts. Durch Vizepräsident Frau Renger: Die Bundesregierung dieses Gesetz sollen künftig 18 Gesetze und Verord- hat das Recht, ihren Antrag zu begründen, meine nungen völlig entfallen. In weiteren 31 Gesetzen Damen und Herren. werden insgesamt zirka 110 Einzelvorschriften zur (Walther [SPD]: Wir wollen hier doch keine Streichung vorgeschlagen. Beamten-Reden hören!) Die mit dem Gesetzentwurf vorgeschlagenen Rechtsbereinigungsmaßnahmen sollen für die Be- Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- troffenen und für die Verwaltung wesentliche Er- desminister des Innern: Meine Damen und Herren, leichterungen und Vereinfachungen bringen. Zum ich möchte fortfahren. — Weil einige Kollegen von Teil dient der Gesetzentwurf auch der Streichung der SPD noch gerne ein paar Beispiele hören wol- von Vorschriften, die durch Zeitablauf und durch len, will ich die auch gern anführen. Das sind einige Rechtsänderung notwendig geworden ist. Insbeson- ganz wichtige Dinge, die wir Ihnen aus der prakti- dere aber sollen Anzeige- und Meldepflichten einge- schen Arbeit für die Rechtsbereinigung hier heute schränkt, Genehmigungserfordernisse aufgelockert gerne mitteilen; denn wir wollen, daß auch die Bür- oder abgeschafft, Wertgrenzen angehoben und Ge- ger etwas davon erfahren, was wir hier an Vereinfa- nehmigungsverfahren durch Konzentration verein- chungen vorschlagen. facht werden. (Zuruf des Abg. Walther [SPD]) Ich will nur wenige Beispiele nennen. Im Bereich Ich möchte Ihnen gerne noch zwei Beispiele nen- des Bundesministers für Verkehr wird allein die nen, die den Gesetzentwurf auch sehr wesentlich Umwandlung des Beförderungsbescheinigungsver- begründen. Wir haben neben den vielen Vorschlä- fahrens in eine bloße Anmeldepflicht im Werkfern- gen zur Beseitigung von über 100 Einzelvorschrif- verkehr jährlich zu einem Wegfall von zirka 10 000 ten heute auch die Initiativen zu nennen, die es Verfahren führen. begleitend zu diesem Vorschlag gegeben hat. (Kühbacher [SPD]: Ich habe eine Zwi (Zuruf von den GRÜNEN) schenfrage! Geht das nicht?) Es geht ferner um wesentliche Verfahrenserleichte- Ich nenne als Beispiel die ersten Statistikbereini- rungen bei Genehmigungen z. B. im Umweltschutz- gungsverordnung von 1984. Ich nenne als eine we- bereich. Weiter soll im Bereich des Bundesmini- sentliche Initiative den Verzicht auf die regelmä- sters für Wirtschaft z. B. die Möglichkeit eröffnet ßige Einholung von polizeilichen Führungszeugnis- werden, daß die Industrie- und Handelskammern sen bei der Erteilung von Führerscheinen. Hier- die Voraussetzungen für die öffentliche Bestellung durch werden 1,2 Millionen Verwaltungsvorgänge von Sachverständigen künftig sowohl im Hinblick eingespart. Wenn wir in diesem Hause der Meinung auf die Bestellung als auch im Hinblick auf die sind, meine Damen und Herren, daß Verfahren er- Rechte und die Pflichten selbst in eigener Autorität leichtert werden sollten, daß von überflüssigen Ver- regeln können; also Verlagerung von Aufgaben von waltungsverfahren Abschied genommen werden oben nach unten. Im Bereich des Bundesministers sollte, können wir uns miteinander darüber freuen, der Justiz und des Bundesministers der Finanzen daß solche Initiativen durchgesetzt werden. sollen aufwendige Meldepflichten z. B. im Hinblick (Kühbacher [SPD]: Wenn Sie frei reden, re auf die Bestellung von Pfandbriefen, die einen er- den Sie viel besser, Herr Staatssekretär!) heblichen Aufwand mit sich bringen, beseitigt wer- — Ich halte mich gerne daran, lieber Herr Kollege. den. Aber hier sind einige wichtige Zahlen vorzutragen, Ich könnte weitere Beispiele nennen. Ich will nur die entsprechend aufbereitet sind und die ich Ihnen noch auf einen wichtigen Komplex hinweisen. Der gerne sehr korrekt hier vortragen möchte. Gesetzentwurf enthält auch eine Gruppe von Ände- (Walther [SPD]: Die stehen alle in der Vor rungs- und Ergänzungsvorschlägen, die der Anpas- lage, dazu brauchen wir keine Beamten sung an das Rede!) Verwaltungsverfahrensrecht -des Bun- des dienen. Ich will hier deutlich machen, daß das, was wir im Rechtsbereinigungsgesetz vorschlagen, in eine Viel- (Walther [SPD]: Das geht doch nicht, so zahl von Vorschlägen zu 144 Bereichen eingebettet eine Beamten-Rede da vorzulesen!) ist. Herr Kollege Walther, Sie als Vorsitzenden des — Es ist, Herr Kollege, wichtig, daß wir bei diesem Haushaltsausschusses müßte das besonders inter- Ersten Rechtsbereinigungsgesetz mal an ein paar essieren; denn das alles dient doch auch zur Verein- Beispielen deutlich machen, wo wesentliche Verfah- fachung kostenaufwendiger Verfahren. renserschwernisse abgebaut werden und wo wir zur (Walther [SPD]: Alles weiße Salbe!) 11048 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidt In 144 Bereichen sind wir dabei, Initiativen durch- Ich will eine letzte Bemerkung machen. Neben zuführen, die auch — meine Damen und Herren, den Initiativen, die wir heute hier vorschlagen, sind das will ich hier einmal sagen — auf eine sehr wir dabei, bereits ein weiteres Rechtsbereinigungs- lebendige Begleitung durch die Bürger zurückge- gesetz zu erarbeiten. Maßgeblich wirken dabei wie- hen. Wir haben bei der unabhängigen Kommission der die Vertreter von Bund, Ländern, Gemeinden, für Rechts- und Verwaltungsvereinfachung des Wirtschaftsverbänden, aber auch aus der Wissen- Bundes über 1 500 Vorschläge von Bürgern, von Be- schaft und der Rechtsprechung mit, hörden, (Kühbacher [SPD]: Das ist keine Begrün (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Bürgerinnen!) dung, Herr Präsident!) aus Betrieben, von Gewerkschaften und vielen an- die die gesamte Erfahrung über die Unabhängige deren Bereichen bekommen, in denen gesagt wur- Kommission einbringen. de: Dies und jenes könnt ihr noch tun, um aufwen- (Abg. Kühbacher [SPD] meldet sich zu dige Verwaltungsverfahren zu vereinfachen. — Ich einer Zwischenfrage) finde, es ist eine gute Sache, daß sich heute das Par- Wir wollen das zweite Rechtsbereinigungsgesetz so lament damit beschäftigt, damit wir durch diese In- frühzeitig vorlegen, itiative in einer ganzen Reihe von Bereichen zu ein- fachen Verfahren kommen. (Kühbacher [SPD]) Man kann keine Zwischenfrage stellen!) (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Vorsicht, Kamerad!) daß wir es noch in dieser Wahlperiode verabschie- den können. Lassen Sie mich hier noch drei wesentliche In- itiativen nennen, die in engem Zusammenhang mit Ständige Aufgabe für uns alle hier im Parlament dem Rechtsbereinigungsgesetz stehen, das hier wird es aber sein, heute beraten wird. Es geht nicht nur darum, daß (Zuruf des Abg. Kühbacher [SPD]) wir überflüssige Vorschriften abschaffen, daß wir dafür zu streiten, daß auf jeden Fall auch dies Be- Bereinigungen vornehmen, sondern es geht auch achtung findet: Wir müssen mit den Bürgern ehr- darum, daß wir bei der Neufassung von Vorschrif- lich darüber reden, daß der moderne Rechtsstaat ten darauf achten, daß überflüssiger Aufwand ver- und der moderne Sozialstaat sicher ein Maß von mieden wird. Vorschriften braucht, (Sehr gut! bei den GRÜNEN — Schäfer (Zuruf des Abg. Bueb [GRÜNE]) [Offenburg] [SPD]: Das ist richtig!) aber daß wir auch miteinander gegen den Aberglau- Darum hat das Kabinett zehn Prüffragen zur Ge- ben streiten, alles würde schöner und besser und setzgebung verabschiedet, die an die einzelnen Res- gerechter, wenn die öffentliche Hand es regelt. Wir sorts gegangen sind, für die Ressorts verbindlich müssen uns an dem Grundsatz orientieren: So viele geworden sind und auch Ihnen, meine Damen und Normen, wie der Rechtsstaat unbedingt erforder- Herren, hier im Parlament mitgeteilt worden sind. lich macht, aber auch so viel Freiheit für den Bür- Lassen Sie mich eine zweite Initiative in dem ger und so viel Ermessensspielraum für die Behör- Zusammenhang nennen. Wir haben sehr großen den vor Ort wie eben möglich. Wert drauf gelegt, auch in der Unabhängigen Kom- (Beifall des Abg. Kühbacher [SPD]) mission für Rechts- und Verwaltungsvereinfachung, wo Vertreter des Bundes, der Länder und der Kom- In diesem Sinn bitte ich das Erste Rechtsbereini- munalen Spitzenverbände zusammenarbeiten, daß gungsgesetz möglichst zügig zu beraten und im wir begleitend zu diesem Rechtsbereinigungsgesetz Bundestag möglichst bald zu verabschieden, damit Vorschläge für eine einfache Verwaltungssprache Bürger, Wirtschaft und alle Beteiligten in den Ge- und für eine einfache Durchführung von Verwal- nuß der Vereinfachung kommen können. tungsvorgängen machen. Herzlichen Dank. (Walther [SPD]: Das möchte ich mal (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sehen!) sowie des Abg. Kühbacher [SPD]) — Ja, Herr Kollege Walther, es ist traurig, daß Sie sie sich noch nicht angesehen haben. Wir haben sie Vizepräsident Frau Renger: Ich eröffne die Aus- in vielen tausend Exemplaren der Öffentlichkeit sprache. Nun sind auch Zwischenfragen erlaubt. und den Behörden zur Verfügung gestellt. Das Wort hat der Abgeordnete Schröer. (Kühbacher [SPD]: Wer ist denn der (Kühbacher [SPD]: Die Bundesregierung Semantiker, der Herr Spranger?) entzieht sich jeder Zwischenfrage! — Schä- Ich darf hier heute — ich denke, das wird- das Parla- fer [Offenburg] [SPD]: Darf man bei ment sehr erfreuen — darauf verweisen, daß wir Staatssekretären nicht zwischenfragen?) inzwischen 32 000 Exemplare von Vorschlägen für — Nein. Bei Begründungen gibt es keine Zwischen- eine Vereinfachung der Verwaltungssprache und fragen. auch für bürgernahe Verwaltungsverfahren an die (Zurufe von der SPD) Bundesbehörden und auch an nachgeordnete Dienststellen mit der Bitte übersandt haben, sich künftig an guten Vorbildern, die auch aus der Ver- Schröer (Mülheim) (SPD): Frau Präsidentin! waltungspraxis erarbeitet wurden, zu orientieren. Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär, ich Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11049 Schröer (Mülheim) hatte mir vorgenommen, Ihnen am Anfang meines Bundesregierung, Vorschriften zu streichen und zu Beitrages etwas Nettes zu sagen. Das fällt mir aller- vereinfachen. dings nach Ihrer Rede leider etwas schwer. Deshalb lasse ich das jetzt weg und sage nur das sachlich (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Waffen Gebotene. schmidt, das ist die Wahrheit! — Kühba cher [SPD]: Das ist die Wahrheit!) (Eigen [CDU/CSU]: Tu's doch!) Entrümpelung beim Staat bringt gar nichts, wenn zur gleichen Zeit mehr Vorschriften neu gemacht Wir unterstützen Ihre Absicht, den Gesetzes- als alte gestrichen werden." dschungel zu durchforsten und überflüssige und un- zeitgemäße Rechtsvorschriften zu beseitigen. Der Schäfer [Offenburg] [SPD]: Waffenschmidt, vorgelegte Gesetzesentwurf scheint uns hierfür hören Sie zu!) eine vernünftige Grundlage zu bieten, jedenfalls nach erster Durchsicht. Wir werden alle Ihre Vor- Was mich aber viel mehr und politisch interes- schläge im Ausschuß sorgfältig und vorbehaltlos be- siert ist, wie Sie dies alles mit dem ideologieträchti- raten. gen Postulat Ihres Generalsekretärs in Überein- stimmung bringen, der immer wieder behauptet Interessant erscheint mir aber, daß ein Drittel hat: „Weniger Gesetze gleich mehr Freiheit für den Ihrer Vorschläge Gesetze betrifft, die in den letzten Bürger." Soll, nein: muß ich Ihnen jetzt den Um- zwei Jahren unter Ihrer Regierungsverantwortung kehrschluß vorhalten, daß nämlich Ihre Gesetzes hier im Haus beschlossen worden sind. fülle weniger Freiheit für den Bürger bedeutet? Eines steht jedenfalls fest: Wir Abgeordneten (Hört! Hört! von der SPD — Kühbacher können unserer Zukunft unter dieser Regierung ge- [SPD]: Zwei Drittel?) lassen entgegensehen. Wir werden nicht beschäfti- — Ein Drittel. Das Ganze bezieht sich auf Gesetze gungslos werden. Auch die Beamten dürfen sich seit 1942. Das früheste Gesetz stammt aus dem Jahr freuen: Wenn sie schon nicht mehr Gehalt bekom- 1942. men haben, so bekommen sie von dieser Regierung doch auf jeden Fall mehr Gesetze. (Kühbacher [SPD]: Über 40 Jahre!) Meine Damen und Herren, das Bemühen um Ent- bürokratisierung muß aber noch vor einem anderen Offensichtlich starten Sie mit diesem Rechtsberei- Hintergrund gesehen werden. Ich denke, wir alle nigungsgesetz zugleich eine Aktion zur Beseitigung von Hausmüll. Das kann nur nützlich sein. spüren die wachsende Sensibilität gerade bei jun- gen Leuten gegenüber dem von ihnen oft als Mo- Es geht der Bundesregierung ganz sicher nicht loch empfundenen Staat. Hier vermengen sich irra- nur um einige technokratische Regelungen, son- tionale Befürchtungen mit konkreten Erfahrungen, dern es soll wohl auch ein politisches Signal gesetzt und Sie, die CDU/CSU, haben mit dazu beigetragen, werden, nämlich — so haben Sie sich, Herr Staats- solche Ängste zu schüren, indem Sie lange Jahre sekretär, schon im Bundesrat ausgedrückt —: „Staat" gegen „Freiheit" ausgespielt haben. Dies Staatliches Handeln soll einfacher, überschaubarer, schlägt jetzt auf Sie zurück. praxisnäher werden. Bei anderer Gelegenheit ha- Ich denke, wir alle sind aufgefordert, diesem Miß- ben Sie, Herr Staatssekretär, gesagt: Auch die Ge- trauen, diesen Ängsten zu begegnen. Ihr Beitrag setzesmaschinerie soll in Zukunft ihren Katalysa- hierzu darf sich nicht darauf beschränken, die tor erhalten. Nun haben Sie j a Ihre speziellen Er- „Milchsachkundeverordnung" oder die „Qualitäts- fahrungen mit Katalysatoren. Mein Eindruck ist: norm für Gemüsepaprika und für Porree (Lauch)" Der „Gesetzeskatalysator" ist auch schon vor seiner zu streichen. Überlegen sollten Sie vielmehr, was es Einführung gescheitert. Denn kaum eine Bundesre- für die Haltung junger Menschen zu diesem Staat gierung hat so viele Gesetze in so kurzer Zeit dem bedeutet, wenn Sie auf dem maschinenlesbaren Bundestag zugeleitet wie Ihre. Personalausweis oder der Verschärfung des De- monstrationsstrafrechts beharren, wenn Ihr Mini- (Fellner [CDU/CSU]: Es war viel zu tun!) ster — Ihr Minister! — sich als Kunstzensor und Ihr — 192 Gesetze sind bis zum 11. dieses Monats von Staatssekretärskollege Spranger sich als Presse- zensor aufwirft. der Bundesregierung dem Bundestag zugeleitet worden. Das sind 40% mehr als in der gesamten (Eigen [CDU/CSU]: Alter Hut!) 9. Wahlperiode. — Herr Kollege, Sie haben in den Sommerferien (Kühbacher [SPD]: Hört! Hört! Abbau von Zeit, Ihr Repertoire an Zwischenrufen zu bereini- Bürokratie! — Zurufe von der CDU/CSU)- gen. — Mit dieser Politik schaffen Sie nicht Ver- trauen in diesen Staat, sondern Sie zerstören Ver- Ich werfe Ihnen das übrigens gar nicht vor, ich trauen. stelle das nur fest. Aber andere werfen Ihnen das vor, z. B. Ihre Freunde in der Redaktion Ihrer Haus- Verzeihen Sie mir, wenn ich das so offen sage: postille, der FAZ. Die haben nämlich geschrieben — Mein Eindruck ist, Ihre Politik ist von der unter- jetzt zitiere ich —: „Die immer höher steigende Ge- schwelligen Angst vor dem freien, seine Freiheit setzesflut" — unter Ihrer Regierung — „steht in lebenden Bürger geprägt. krassem Widerspruch zu der Ankündigung der (Beifall des Abg. Mann [GRÜNE]) 11050 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Schröer (Mülheim) Sie vertiefen die Kluft zwischen dem Staat und sei- klärung des Bundeskanzlers vom Mai 1983, der da- nen Menschen, statt zu tun, was notwendig wäre, mals ausführte: nämlich diese Kluft zu überwinden. Wirksamkeit und Überzeugungskraft staatli- (Schwarz [CDU/CSU]: Richtiger Sprüche chen Handelns wachsen, wenn der Staat darauf klopfer sind Sie!) verzichtet, zu viele Bereiche des Lebens zu re- geln. In der Vergangenheit hat der Staat im — Sehen Sie, da haben wir wenigstens eine Ge- Übermaß Aufgaben an sich gezogen. Umkehr meinsamkeit, die ich bisher noch gar nicht entdeckt ist dringend geboten ... Es muß uns gelingen, hatte. das Recht zu vereinfachen und Überreglemen- Meine Damen und Herren, eine letzte Bemer- tierungen zu beseitigen. kung. Die Mehrheit der Bürger ärgert sich nicht Die Bundesregierung hat dann auch sofort mit darüber, daß Sie so viele Gesetze machen. Die Nachdruck gehandelt. Man hat eine unabhängige Mehrheit der Bürger ärgert sich darüber, daß Sie so Kommission für Rechts- und Verwaltungsvereinfa- viele schlechte Gesetze machen. Schlecht, weil un- chung unter der Stabführung des Parlamentari- sozial und ungerecht. Ich denke, Sie sollten die schen Staatssekretärs Dr. Waffenschmidt einge- Sommerpause einmal dazu nutzen, für sich selbst setzt, und diese hat schon einige tausend Vor- aufzulisten, was Sie in den letzten zwei Jahren an schläge und Anregungen von Bürgern und Verwal- arbeitnehmerfeindlichen, familienfeindlichen, frau- tungen, aber auch von den Ländern erhalten, die enfeindlichen Gesetzen beschlossen haben. Hier er- nun Zug um Zug mit dem Ziel der Entbürokratisie- öffnete sich Ihnen ein weites Feld zur Rechtsberei- rung umgesetzt werden müssen. nigung. Dafür bräuchten Sie, Herr Staatssekretär Waffenschmidt, keine Kommission und keine Pro- Die Bundesregierung war aber auch schon dar- fessoren. Hierfür bräuchten Sie und Ihre Kollegen über hinaus tätig. Ein erster Bericht weist aus, daß nur eines: nämlich ein Herz für die kleinen Leute. man schon 144 Maßnahmen beschlossen oder auf den Weg gebracht hat. Ich erwähne als ein Beispiel (Beifall bei der SPD) den Verzicht auf Führungszeugnisse beim Erwerb von Führerscheinen. Damit sind immerhin 1,2 Mil- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr lionen Anfragen an das Bundeszentralregister Abgeordnete Clemens. überflüssig geworden. Das ist schon einmal sehr gut. Das Wohnrechtsvereinfachungsgesetz wurde erarbeitet, und das Baugesetzbuch steht vor der Clemens (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Tür. sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon längere Zeit her, daß der Altbundeskanzler Schmidt Vizepräsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, ge- — ich hoffe, ich darf Ihnen auch bei der SPD noch statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten zitieren — Kühbacher? (Kühbacher [SPD]: Er ist in guter Erinne rung!) Clemens (CDU/CSU): Ja. im Rahmen einer aufkommenden Diskussion über (Broll [CDU/CSU]: Braunschweig gegen Rechts- und Verwaltungsvereinfachung beklagte, Braunschweig!) seine Stadtwerkerechnung nicht mehr lesen zu können. — Es ist auch schon sehr lange her, näm- Kühbacher (SPD): Herr Kollege Clemens, können lich schon seit dem Jahre 1974, daß dieser Deutsche wir beide gemeinsam der Bundesregierung einen Bundestag einstimmig eine Entschließung ange- 145. Vorschlag zuleiten, nämlich den, das Gesetz nommen hat, wonach das in unzählige Vorschriften zum Zusatzprotokoll vom 15. März 1978 zum Euro- zersplitterte Mietrecht vereinheitlicht und bereinigt päischen Übereinkommen betreffend Auskünfte und damit wesentlich vereinfacht werden sollte. über ausländisches Recht ebenfalls als völlig über- Beiden, nur exemplarisch aufgeführten Beispie- flüssig abzuschaffen? len ist eines gemeinsam: Man hat seinerzeit viel über Entbürokratisierung, Rechts- und Verwal- Clemens (CDU/CSU): Herr Kollege Kühbacher, es tungsvereinfachung geredet, aber getan hat man gibt sicherlich noch viele andere Beispiele. Ich kann nichts. Herr Schröer, auch heute haben wir hehre jetzt aus Zeitmangel nicht auf alle eingehen. Ich Worte gehört. Damals hat sich die SPD-geführte wüßte aber noch nette andere Beispiele, die dem Bundesregierung, wie so oft in ihrer Regierungs- ähneln, was Sie hier eben genannt haben. Ich wäre zeit, nur zum Reden bekannt; dem sind aber keine damit einverstanden. Taten gefolgt. Die Bürokratie — das war das Ergeb- (Kühbacher [SPD]: Können Sie eine Prü nis — wucherte weiter wie ein Krebsgeschwür. fung zusagen?) - (Beifall bei der CDU/CSU) — Alles klar. Ganz anders die jetzige Bundesregierung. Ihr Was die Bundesregierung beschlossen hat, bein- muß man uneingeschränkt Lob zollen — ich meine, haltete zunächst einmal Aufhebungen und Verein- das habe ich sogar aus den Worten von Herrn fachungen auf Grund der Änderung von Gesetzen Schröer von der Opposition herausgehört —, denn bzw. von neuen Gesetzesvorhaben. Das Erste sie hat der Entbürokratisierung nun neue Impulse Rechtsbereinigungsgesetz zielt nunmehr auf die gegeben, und zwar nicht nur mit Worten, sondern Aufhebung und Vereinfachung von Vorschriften, mit Taten. Das begann mit der Regierungser- die nicht schnell durch eine Gesetzesänderung oder Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11051

Clemens durch ein neues Gesetzesvorhaben verwirklicht Die Bundesregierung hat sich mit den von ihr werden können. beschlossenen blauen Prüffragen das Ziel gesetzt, alle Rechtsetzungsvorhaben frühzeitig auf ihre Not- Wir ergänzen also die bisherige erfolgreiche Ar- wendigkeit und Qualität zu überprüfen. Ich kann beit der Bundesregierung durch diesen Gesetzent- nur sagen: sehr gut. Man kann nur hoffen, daß diese wurf. Wir haben schon gehört, ein Zweites Rechts- Zielsetzung regelmäßig bedacht wird. Immerhin bereinigungsgesetz soll noch in diesem Jahr verab- sind erste Anzeichen sichtbar — nun, Herr Schröer, schiedet werden. Wenn dann die Bundesregierung bitte ich gut zuzuhören —, wonach nämlich der An- wie vorgesehen jedes Jahr ein weiteres Rechtsbe- teil der von der Regierung eingebrachten Gesetz- reinigungsgesetz dem Parlament zuleitet und wir es entwürfe im Vergleich zu früheren Wahlperioden — verabschieden, werden wir eine Vielzahl von über- ich denke an die 7. bis 9. Periode unter der Regie flüssigen Gesetzes- und Rechtsvorschriften aufge- eines SPD-Kanzlers — wesentlich zurückgegangen ben, vereinfachen und damit unserem Ziel näher- ist. Leider wird diese positive Entwicklung dadurch kommen, Bürger, Wirtschaft und Verwaltung von kompensiert, daß der Anteil der aus den Reihen der bürokratischem Ballast spürbar zu entlasten. Bundestagsfraktionen eingebrachten Gesetzent- würfe zunimmt. Wir befinden uns trotz der guten Vorarbeit der Bundesregierung noch beim Einstieg in die Proble- (Mann [GRÜNE]: Jetzt sind wir die Bö matik. Sicherlich wäre es wünschenswert, wenn das sen!) Tempo der Entbürokratisierung wesentlich erhöht Jetzt bitte ich noch genauer zuzuhören. Die beiden werden könnte. Ich wäre sehr dafür. Das ist aber Oppositionsfraktionen, nämlich die SPD und die einfacher gesagt als getan. Es gibt nun einmal kein GRÜNEN, haben in der 10. Legislaturperiode allein Patentrezept, um von heute auf morgen das ge- 25% aller Gesetzentwürfe eingebracht. samte öffentliche Normenwerk mit allen seinen vie- len Verästelungen neu zu konzipieren und durch (Kühbacher [SPD]: Das ist eine konstruk neue einfache und allgemeinverständliche Gesetze tive Opposition! Wir arbeiten nämlich auf einen Schlag zu ersetzen. Außerdem müssen noch!) nicht nur viele Institutionen jetzt gehört werden, sondern auch die Kommunen und insbesondere die Diesen Hinweis bringe ich nur, weil Herr Schröer Länder beteiligt werden. Das bringt Zeitverzöge- vorhin der Bundesregierung Vorwürfe gemacht hat. rungen mit sich. Kurzum: Wir müssen feststellen, Wir geben das also gern wieder zurück. der Fortschritt beim Abbau der Bürokratie läßt sich (Kühbacher [SPD]: Die SPD arbeitet we nur in mühevoller Kleinarbeit vollziehen. nigstens noch!) Ich werde auf dieses Gesetz nicht im einzelnen — Das machen andere auch. eingehen. Wir haben dazu in den Ausschüssen ge- nug Zeit, im übrigen auch in der nächsten Lesung. Wir Parlamentarier sollten uns daher ebenfalls in Ich sage nur für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Pflicht nehmen und trotz aller Profilierungsbe- zu, den Gesetzentwurf zügig zu beraten und zu ver- mühungen einzelner Politiker, für die man auf der abschieden. einen Seite sicherlich Verständnis haben muß, wie auch des Wettbewerbs zwischen den Parteien stets Ich möchte diesen Gesetzesvorschlag der Bun- fragen, ob ein Gesetz überhaupt notwendig ist und desregierung aber zum Anlaß nehmen, selbstkri- ob insoweit ein Regelungsbedarf besteht. tisch an uns als Gesetzgeber zu appellieren, näm- Wir sind bei allen notwendigen Gesetzesvorha- lich der Produktion von immer neuen Gesetzen Ein- ben auch dazu aufgerufen, uns einer einfachen, all- halt zu gebieten und die Normenflut damit einzu- gemein verständlichen Gesetzessprache zu befleißi- dämmen. Wir Deutschen haben dank unseres Han- gen. Mit Perfektion betriebene, immer komplizier- ges zur Gründlichkeit die Angewohnheit, alle Le- ter werdende Regelungen, leider oft mit heißer Na- bensbereiche bis auf das berühmt-berüchtigte del genäht, I-Tüpfelchen zu regeln. Unser Hang zum Perfektio- nismus ist insoweit unübertroffen. Überreglemen- (Sehr gut! bei der SPD und den GRÜNEN) tierungen sind die Folge. sind nicht nur für den Bürger absolut unverständ- So ist es sicherlich ein großer Irrtum, wenn wir lich und unüberschaubar, sie sind häufig sogar für annehmen, daß durch immer mehr kasuistische Re- Juristen nicht verständlich. Gesetze, die keiner ver- gelungen die Probleme in allen Lebensbereichen zu steht, führen zu Rechtsunsicherheit und stärken lösen sind. Es ist eigentlich eine von uns sicherlich andererseits die Bürokratie. bisher unterschätzte Erfahrung, daß der Gesetzge- Ich möchte mit einem kleinen Zitat des früheren - ber gar nicht so perfekt vordenken kann, wie sich Bergbauministers aus Weimar, Herrn Johann Wolf- die Wirklichkeit später darstellt. Auch müßte uns gang von Goethe, aus dem Faust, 1. Teil, schließen, eigentlich klar sein, daß, je dichter das Netz an wo er Mephisto sagen läßt: gesetzlichen Regelungen geknüpft ist, desto lücken- hafter sich seine Anwendung dann erweist und zu Es erben sich Gesetz' und Rechte raschem Änderungsbedarf führt. Darunter leidet Wie eine ew'ge Krankheit fort; wieder die Rechtskontinuität. Das wiederum führt Sie schleppen von Geschlecht sich zu zum Schwund des Vertrauens der Bürger in das Geschlechte Recht. Und rücken sacht von Ort zu Ort. 11052 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Clemens Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage; Wenn man das erkennt und sich fragt, was man Weh' Dir, daß Du ein Enkel bist! eigentlich dagegen tun kann, dann wird auch der (Zurufe von der SPD: „Enkel"! Der „Enkel"! Preis deutlich. Der Preis der Verwaltungsvereinfa - — Lachen bei der SPD und den GRÜNEN chung liegt in der Delegation von Entscheidungen, — Kühbacher [SPD]: Wenn das der Kanz in dem Überlassen von Entscheidungen an Verwal- ler hört !) tungen. Aber auch innerhalb der Verwaltung wer- den Entscheidungen an nachgeordnete Körper- Helfen wir alle mit, die Krankheit Gesetzesflut zu schaften delegiert. Das bedeutet gleichzeitig den bekämpfen! Lassen Sie uns auch Gesetze kassieren Verzicht auf das Ideal der absoluten Gleichheit, den und nicht nur solche produzieren. Verzicht auf die Vorstellung, daß derselbe Sachver- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. halt überall in völlig gleicher Weise geregelt werden (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) müßte. Wer daran festhält, wird niemals zu einer Verwaltungsvereinfachung kommen. Ich muß sagen — ich meine das durchaus selbst- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat Herr Ab- kritisch —, daß wir nur selten die Gelassenheit auf- geordneter Dr. Hirsch. bringen, zu sagen: das wird schon von irgend je- mandem richtig geregelt werden; das ist mehr aus- führende Verwaltung als Gesetzgebung. — Das ist Dr. Hirsch (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr in der Tat der Punkt. verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Cle- Herr Kollege Waffenschmidt, wenn man sich die- mens, ich fand es sehr bedauerlich, daß Sie bei dem ses Gesetz vornimmt, dann stellt man fest: Das Zitat — einem wirklich schönen Zitat — den folgen- wichtigste Wort ist das erste Wort, nämlich das den Satz weggelassen haben: Wort „Erstes" Rechtsbereinigungsgesetz, was uns ja (Clemens [CDU/CSU]: Der paßte nicht Hoffnung macht, daß es nicht das letzte wird, son- ganz in die Landschaft!) dern daß wir eine Kette von Vereinfachungsgeset- Vom Rechte, das mit uns geboren ist, zen bekommen. Wenn man in diesem Text hinein- Von dem ist, leider! nie die Frage. geht, merkt man, wie kompliziert die Verwaltung ist. (Zustimmung bei der SPD und den GRÜNEN) Ich will einmal einen Vorschlag zur Novellierung des Immissionsschutzgesetzes vorlesen, weil sie so Das ist für uns, dem Gesetzgeber, in der Tat eine schön formuliert ist. Gerade heute haben wir ja wahre Mahnung. Man kann darin schon eine tref- schon eine Novellierung gemacht. Es folgt nun die fende Beschreibung unserer Wirklichkeit sehen, Vorlage für eine weitere Novellierung. Wenn man denn wir beschäftigen uns bei der Gesetzgebung zu sich den Text vorliest, kann man nur dem intimen einem großen Teil mit Dingen, die mehr technokra- Sachkenner deutlich machen, daß es sich um eine tischer, verwaltungsmäßiger Art sind. Es soll ver- Vereinfachungsvorschrift handelt. Da heißt es: waltungsmäßiges Handeln geregelt werden, aber wir fassen den Kern politischer Entscheidungen ei- Folgender Abs. 2 wird an § 13 angefügt: gentlich nur selten und nur in unzureichendem Die Genehmigungsbehörde hat die Entschei- Maße in gesetzliche Formeln. dung nach Maßgabe der Vorschriften für die Ich finde, daß meine beiden Vorredner, wenn ich eingeschlossenen Entscheidungen und insoweit mir diese Bemerkung erlauben darf — von den po- im Einvernehmen mit den für diese Entschei- lemischen Formeln abgesehen —, wirklich treffli- dungen zuständigen Behörden zu treffen. che Ausführungen gemacht haben, so daß ich mich Nun weiß jeder ganz genau, was gemeint ist. In der auf wenige Bemerkungen beschränken kann. Tat, wenn man sich das ansieht, kann das zu einer Ich glaube, es ist deutlich geworden, daß ein gro- Verwaltungsvereinfachung führen. Das ist unbe- ßer Teil der Bürokratiediskussion eine Gesetzge- stritten richtig. bungsdiskussion ist. Ich habe nur den Eindruck, Aber man sieht daran, wie unglaublich kompli- daß die Analyse nicht vollständig ist. Es herrscht ziert das ganze Geflecht geworden ist. Man muß nämlich die verbreitete Vorstellung, der Gesetzge- Verständnis dafür haben, daß der Bürger sagt: Ich ber erfasse in den letzten Jahren immer neue Le- verstehe das nicht mehr! Dieses Unverständnis bensgebiete gesetzlich. Das ist nicht der Fall. Wenn führt zu einer wachsenden Entfremdung des Bür- man sich die Gesetze einmal ansieht, dann stellt gers von Teilen dessen, was wir als notwendig er- man fest, daß — von ganz wenigen Ausnahmen kennen und machen wollen. Darüber hinwegzu- abgesehen — die großen gesetzgeberischen Land- kommen, ist eine wichtige Aufgabe, die nur mit Ver- nahmen, also die Versuche, neue Gebiete- zu regeln einfachungen zu lösen ist. Darum wollte ich hier — wie z. B. beim Datenschutz, was uns j a große keine Kritik anschließen, sondern mich bei Ihnen Schwierigkeiten macht —, eigentlich seit über zehn bedanken, daß Sie die Verantwortung für diese Jahren abgeschlossen sind. Wir beschäftigen uns in Kommission übernommen haben. Das ist eine ganz wachsender Geschwindigkeit damit, das Verwal- wichtige Sache. tungshandeln immer intensiver, immer genauer, Wir sollten im Laufe der Beratung dieses Ersten immer fein abgestimmter zu regeln. Damit entsteht Rechtsbereinigungsgesetzes prüfen, wie viele der eine Flut von Novellierungen. Maßnahmen, die in dem Ersten Bericht genannt (Dr. Laufs [CDU/CSU]: Sehr richtig!) sind, vielleicht bei der Gelegenheit mit erledigt und Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11053

Dr. Hirsch beschleunigt werden können, damit wir auch in die- wichtige Erfahrungen gemacht, und hier wird ver- sem Bereich nicht von einer Novelle zur anderen sucht, ohne Gesetze und ohne Reglementierungen, hetzen, sondern von Zeit zu Zeit, dann aber ver- ohne Verbote, das Leben anders, besser und men- nünftige und runde Sachen entscheiden. schenwürdiger zu gestalten. Unser Dank also auch an die Mitglieder der Kom- (Zuruf von der CDU/CSU: Das totale mission, und die volle und entschiedene Unterstüt- Chaos!) zung unserer Fraktion. Allerdings machen diese Menschen die Erfah- Vielen Dank. rung, daß es auch zu kulturellen Fortschritten gehö- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ren kann, Rechte zu regeln, schon um die Rechte von Minderheiten zu sichern und zu garantieren. Es gibt also ein Spannungsfeld zwischen unabhängi- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- gem, selbstbestimmtem Leben, der Möglichkeit, geordnete Ströbele. Konflikte selbst und verantwortlich auszutragen, auf der einen Seite und der Verrechtlichung mög- Ströbele (GRÜNE): Wenn es in dem Zitat der Re- lichst vieler Lebensbereiche auf der anderen Seite. gierungserklärung, das vorhin verlesen worden ist, Diesen Konflikt gibt es, und dieser Konflikt muß heißt, es gehe darum, das Recht zu vereinfachen gelöst werden. Er kann aber nicht so gelöst werden, und Überregelementierungen zu beseitigen, knüpft wie es mit diesem Gesetz hier versucht wird. Die das an eine sicherlich sehr populäre Forderung an, Anzahl der Vorschriften, die vorher hier genannt nämlich an die Sehnsucht nach der Freiheit in wei- worden sind, ist kein Gütezeichen für diese Rege- ten Kreisen der Bevölkerung von ständiger Regle- lung. mentierung und nach einem freien selbstbestimm- Auch der von der Sozialdemokratie immer wieder ten Leben. vorgeschlagene Weg, die Selbstbestimmung zu ver- In der Tat ist es so, daß heute in den Gesetzen — ordnen, ist eine sozialdemokratische Illusion. Es jede zweite Kabarettsendung nimmt darauf Bezug kann nur darum gehen, selbst auszuprobieren, — die Menschen zu „Erhebungseinheiten" oder zu selbst zu lernen und selbst zu versuchen, ohne „Abfertigungsbeteiligten" oder ähnlichen Sachen Staat, ohne gesetzliche Regelungen, ohne Verord- degradiert werden. Die Flut und der Umfang der nungen in selbstbestimmten Lebensformen die Gesetze ist nicht nur etwa im Steuerbereich, wo das Konflikte und Probleme zu lösen. Dabei ist dieser ja bekannt ist, so kompliziert, daß häufig mehrere Regierungsentwurf leider kein erster Schritt. Ma- Anwälte vonnöten sind, um eine sachgerechte Bera- chen Sie ein wirkliches Gesetz zur Abschaffung der tung zu gewährleisten. Auch im Sozialhilferecht, Gesetze, und wir stellen uns an Ihre Seite! Unter- auf das viele Menschen angewiesen sind, die sich stützen Sie bis dahin wie wir die Versuche alterna- keine Anwälte leisten können, ist inzwischen die tiven Lebens und alternativen Arbeitens in der gesetzliche Regelung so kompliziert geworden, daß Bundesrepublik und in Berlin! sich ein normaler Mensch da nicht mehr durchfin- (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der den kann. CDU/CSU: Sie richten die Anarchie ein!) Es geht also darum, die Verrechtlichung aller Le- bensbereiche zu reduzieren. Dieser Forderung kön- Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und nen wir uns sicherlich anschließen. Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Aber wenn man sich den Anfang des Zitates, das Ich schließe die Aussprache. Sie vorhin verlesen haben, Herr Kollege Clemens, Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf ansieht, wird man eines ganz anderen belehrt. Dort an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- steht nämlich: „Wirksamkeit und Überzeugungs- schüsse zu überweisen. — Dazu gibt es keine ander- kraft staatlichen Handelns" — es geht also um weitigen Vorschläge. Dann ist das so beschlossen. staatliches Handeln — „wachsen, wenn der Staat darauf verzichtet, zu viele Bereiche des Lebens zu Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: regeln." Es geht also nicht etwa darum, den Staat Erste Beratung des von der Bundesregierung aus dem Leben möglichst herauszuhalten und mög- eingebrachten Entwurfs einer Verwaltungs- lichst viele Bereiche staatfrei zu machen, sondern prozeßordnung (VwPO) es geht wiederum darum, dem Bürger eine Akzep- — Drucksachen 10/3437, 10/3477 — tanz staatlichen Handelns möglichst gut zu verkau- fen. Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart Dabei wäre es für alle Menschen sicherlich sehr worden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das viel besser, wenn sie in früher Jugend lernen könn- ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. ten, selbständig und selbstbestimmt ihr Leben zu gestalten. Ich komme aus Berlin. Berlin ist ja u. a. Das Wort zur Begründung hat der Herr Bundes- auch die Stadt der alternativen Betriebe, der Versu- minister der Justiz. che, alternative Lebens- und Arbeitsbedingungen auszuprobieren und zu praktizieren. Ich erinnere Engelhard, Bundesminister der Justiz: Frau Präsi- dabei an Institutionen, die inzwischen auch bis dentin! Meine Damen und Herren! Heute nimmt nach Bonn bekannt sein dürften, wie „Netzwerk" der Gesetzgeber erneut einen Anlauf, ein einheitli- oder die kürzlich auf diesem Gelände hier gastie- ches Prozeßgesetz für die öffentlich-rechtlichen Ge- rende UFA-Fabrik mit ihrem Zirkus. Hier werden richtszweige auf den Weg zu bringen. Schon 1956, 11054 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Bundesminister Engelhard vor nunmehr fast 30 Jahren, hatte der Deutsche Opposition, ihre Handlungsfähigkeit auf rechtspoli- Bundestag auf Antrag meiner Fraktion die Bundes- tischem Gebiet voll unter Beweis gestellt. regierung dazu aufgefordert, eine gemeinsame Pro- Zwei schwierige Punkte haben wir vorweg im zeßordnung vorzulegen. Seitdem ist an dieser poli- Gesetz zur Beschleunigung verwaltungsgerichtli- tisch wie rechtlich schwierigen Materie gearbeitet, cher und finanzgerichtlicher Verfahren geregelt, gewerkelt, hin- und hergeschoben und wieder gear- beitet worden. (Mann [GRÜNE]: Schnellverfahren!) das in wenigen Tagen verkündet werden wird. Der Ich habe dann 1982 den Entwurf einer Verwal- eine Punkt ist die erstinstanzliche Zuständigkeit tungsprozeßordnung zum erstenmal hier einbrin- der Oberverwaltungsgerichte für Großverfahren, gen können. Nun sind seit dieser Zeit wiederum der zweite Punkt die Entlastung des Bundesfinanz- zweieinhalb Jahre vergangen. Aber diese Zwischen- hofs durch Aussetzung der Streitwertrevision. zeit ist gut dafür genutzt worden, eine Menge von Beide Regelungen sind in die befristeten Entla- wichtigsten, unverzichtbaren Gesprächen zu führen stungsgesetze eingestellt worden, um die Gesamt- und größere Klarheit über die künftige Gestalt des bereinigung der Verwaltungsprozeßordnung vorzu- öffentlich-rechtlichen Prozeßrechts zu gewinnen. behalten. Nun ist es an der Zeit, das Nebeneinander Das Gesetzgebungsvorhaben wird von einem brei- von befristeten Entlastungsgesetzen und einzelnen ten Konsens in diesem Hause getragen. Verfahrensordnungen schließlich durch eine Ge- Auch die Länder haben sich für die Einbringung samtbereinigung aus einem Guß abzulösen. des Entwurfs eingesetzt, und dieser Entwurf ist ein- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gehend mit ihnen abgestimmt worden. Die Bundes- regierung hat nur bei ganzen vier der insgesamt 73 Änderungswünsche der Länder nicht zustimmen Vizepräsident Frau Renger: Ich eröffne die Aus- können. Diese breite Basis ist natürlich für den Ent- sprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fischer (Osthofen). wurf wichtig, der das Verwaltungsprozeßrecht für drei Gerichtsbarkeiten neu ordnet und damit eines der bedeutendsten rechtspolitischen Vorhaben ist. Fischer (Osthofen) (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Der Entwurf vereinheitlicht, und der Entwurf ver- Bundesjustizminister, gestatten Sie mir zunächst einfacht. Er bringt ein gutes Stück Rechtsbereini- ein persönliches Wort. Als wir vor zweieinhalb Jah- gung und verringert die Zahl der für das Verwal- ren diesen Gesetzentwurf schon einmal in erster tungsprozeßrecht maßgebenden Vorschriften ganz Lesung beraten hatten, hatte ich Grund, Ihnen erheblich. Schließlich wird auch das Ziel verfolgt, Dank zu sagen, Dank für die politische Kontinuität, die gerichtlichen Verfahren zu beschleunigen, so- die in diesem Gesetzentwurf zum Ausdruck gekom- weit das überhaupt verfahrensrechtlich bewirkt men war. Von diesem Dank kann heute leider keine werden kann. Ich möchte aber gerade als liberaler Rede mehr sein; darauf werde ich noch eingehen. Justizminister ausdrücklich hervorheben: Bei aller Heute muß ich Ihnen vielmehr sagen, daß ich Sie Beschleunigung des Verfahrens darf und wird der bewundern muß, Rechtsschutz des Bürgers durch diesen Entwurf, wenn er Gesetz wird, nicht beschnitten werden. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist gut!) bewundern deshalb, weil Sie auf eine Art und Weise Die weitere Beratung des Entwurfs ist dringend, die Kurve gekriegt haben, wie ich es bisher nur sel- schon wegen des eben angesprochenen Ziels, die ten erlebt habe. Dinge, die Sie vor zweieinhalb Jah- öffentlich-rechtlichen Prozesse zu beschleunigen. ren als unannehmbar bezeichnet haben, etwa die Ich würde es deswegen sehr begrüßen, wenn der Einführung der erstinstanzlichen Zuständigkeit bei Entwurf noch in dieser Legislaturperiode verab- den Oberverwaltungsgerichten, sehen Sie heute als schiedet werden könnte. Das ist ein gutes Stück sinnvoll und vernünftig an. Arbeit, aber die Vorbereitung ist gut, und die Zeit, richtig angewandt, wird dafür ausreichen. (Dr. Emmerlich [SPD]: Er ist ohnehin der Meister des Kurvenkriegens!) Es ist auch möglich, den Umfang des Entwurfes Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten zu verringern und seine Behandlung zu beschleuni- stehen heute noch zu diesem Gesetzentwurf, wie er gen. Die Vorschriften über die Gerichtsverfassung hier vorliegt und wie er seit zweienhalb Jahren vor- können zunächst ausgeklammert und später in ein liegt. Wir sind für die Zusammenführung der Ver- einheitliches Gerichtsverfassungsgesetz übernom- fahrensordnungen in der Verwaltungs-, der Finanz- men werden. Dies ist ja auch von vielen Seiten ganz und Sozialgerichtsbarkeit. Wir sind auch für eine sachbezogen vorgeschlagen worden, nicht zuletzt Beschleunigung des gerichtlichen Verfahrens. Wir auch vom Deutschen Juristentag. Es sprechen gute sind für einen effektiven Rechtsschutz der Bürger, Gründe dafür, die Diskussion über einige schwie- und wir sind deshalb — da stimme ich Ihnen zu — rige gerichtsverfassungsrechtliche Fragen nicht im auch für eine zügige Beratung dieses Entwurfs. jetzigen Zeitpunkt zu führen, sondern die weitere Entwicklung erst einmal abzuwarten. Ich habe allerdings Zweifel, ob auch Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, Die Diskussion darüber, welche eiligen Maßnah- insbesondere Sie, Herr Justizminister, noch in allen men vorab getroffen werden müßten, ist heute be- Punkten zu diesem Entwurf stehen. Ich habe Zwei- reits abgeschlossen. Hier hat die Koalition vor fel, ob es Ihnen tatsächlich ernst damit ist, daß die- kurzem ja, wenn auch nicht immer zur Freude der ser Gesetzentwurf auch Gesetz wird. Vieles spricht Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11055

Fischer (Osthofen) nach den Erfahrungen in der Vergangenheit dafür, sehr durchsichtigen Motiven außerordentlich aufge- daß es hier um Scheinaktivitäten geht. schlossen ist. Einen Vorschuß haben Sie ja bereits mit der Einführung der Grundsatzrevision im fi- (Dr. Emmerlich [SPD]: Just for show!) nanzgerichtlichen Verfahren gezahlt, ohne daß aus- Ich will das näher erläutern. reichende Rechtstatsachen vorgelegen hätten, die In der Debatte am 26. November 1982 haben Sie, diese Entscheidung gerechtfertigt hätten. Dies auch Herr Bundesjustizminister, zum Thema „erstin- sehr zum Mißvergnügen — auch das lassen Sie stanzliche Zuständigkeit der Oberverwaltungsge- mich hinzufügen — einer breiten Öffentlichkeit. Wenn Sie das „Handelsblatt" vom 18. Juni 1985 gele- richt bei technischen Großvorhaben" folgendes aus- geführt — ich zitiere —: sen haben, werden Sie wissen, wie man über diese Dinge denkt. Ich würde es allerdings für bedenklich halten, (Beckmann [FDP]: Auf die Quelle sollten im Vorgriff auf die beabsichtigte umfassende sich sich öfter berufen!) Neuordnung des Prozeßrechts wegen dieser und anderer Einzelfragen noch die geltenden — Das „Handelsblatt" ist doch unverdächtig, wenn Verfahrensgesetze zu ändern, wie dies von eini- ich mich darauf beziehe, Herr Beckmann. gen Ländern angestrebt wird. Ein solches Ver- (Beckmann [FDP]: Da stimme ich Ihnen fahren dient weder der Übersichtlichkeit der zu!) Gesetzgebung noch dem Bestreben, die Geset- zesflut einzudämmen. Über das vom Bundesrat Seit fast 30 Jahren wird die Vereinheitlichung bereits vorgelegte Dritte Gesetz zur Änderung der drei Verfahrensordnungen im Interesse eines der Verwaltungsgerichtsordnung hinaus soll- besseren und eines schnelleren Rechtsschutzes dis- ten deswegen Änderungen der Verfahrensge- kutiert. Drängende Fragen harren nach wir vor ei- setze nicht mehr angestrebt werden. ner Antwort, z. B. Zulassungsberufung in der Ver- waltungs- und Sozialgerichtsbarkeit, stärkerer Ein- Der Kollege Bergerowski von der FDP-Fraktion satz des Einzelrichters, Abwicklung von Massenver- sagte — auch wieder in diesem Zusammenhang —: fahren, Beschränkung der aufschiebenden Wirkung Es muß ja einfach vom Grundsatz her Beden- von Anfechtungsklagen, Vereinfachung der Rechts- ken begegnen, diese komplizierten Verfahren wegverweisung — um nur einige Stichworte zu nen- nur einer Instanz zu unterwerfen. nen. Heute klingt dies — das haben wir eben gehört — Die Koalitionsfraktionen, meine Damen und Her- ganz anders. Sie, derselbe Bundesjustizminister, ren, werden den Nachweis führen müssen, daß es sind heute der Auffassung, diese Zuständigkeitsver- ihnen mit diesem Gesetz ernst ist. Ich bin skeptisch. lagerungen, wie sie vor kurzem im Hauruckverfah- Dies nicht zuletzt auch auf Grund der ständigen ren durchgeführt worden sind, seien sinnvoll. Ich Querelen der Koalitionsparteien gerade auf diesem kann Ihnen deshalb leider den Vorwurf nicht erspa- Felde der Politik. ren, einmal mehr umgefallen zu sein und rechts- Bei der Beratung im November 1982, meine Da- staatliche Prinzipien koalitionspolitischen Zwängen men und Herren, habe ich darauf hingewiesen, daß geopfert zu haben. der Entwurf einer Verwaltungsprozeßordnung in der Fachliteratur gelegentlich als Jahrhundertge- In der Debatte am 26. November 1982 haben Sie, setz bezeichnet wird. Ich habe darauf hingewiesen, Herr Bundesjustizminister, unter Hinweis auf eine daß diese Bezeichnung jedoch nicht daher rührt, Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für daß solche Gesetze 100 Jahre lang beraten werden. Menschrechte zu Recht gefordert, dieser Gesetzent- 30 Jahre haben wir mittlerweile hinter uns. Ich wurf müsse zügig beraten werden, insbesondere würde mich außerordentlich freuen, wenn Sie, weil wegen der Vorschriften zur Entlastung der Ge- meine Damen und Herren von den Koalitionspar- richte dieses Gesetzgebungsvorhaben dringend sei. teien, durch eine entsprechende Förderung der Be- Auch zu dieser Aussage steht Ihr tatsächliches Ver- ratungen meine Skepsis in diesem Punkt zer- halten in krassem Widerspruch, denn schon am streuen könnten. Wir Sozialdemokraten jedenfalls 29. April 1983, also vor mehr als zwei Jahren, lag die werden wie stets konstruktive Beiträge in dieser Stellungnahme des Bundesrates zu diesem Gesetz- Beratung leisten. entwurf vor, und Sie haben mehr als zwei Jahre gebraucht, um sich dazu zu äußern. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Angesichts dieses Verhaltens werden Sie es mir nachsehen, wenn ich Ihre Standfestigkeit auch bei Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- anderen, nicht minder gewichtigen Fragen in Zwei- ordnete Buschbom. fel ziehe, - (Mann [GRÜNE]: Jetzt werden wir belehrt, (Mann [GRÜNE]: Leider müssen wir das! wann das Gesetz beschlossen wird!) — Dr. Emmerlich [SPD]: Sehr wahr! Er ist ohnehin der Umfaller der Nation!) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine so z. B. auch bei der Frage, ob die Finanzgerichts- Buschbom sehr verehrte Kollegin! Liebe Kollegen! — Eine barkeit tatsächlich in dieses Gesetz einbezogen wird oder nicht. Denn schon heute habe ich den Dame hat sich inzwischen eingefunden. Eindruck, daß man gerade gegenüber den Wün- (Zuruf von den GRÜNEN: Sehr gut! — Zu schen des Präsidenten des Bundesfinanzhofs aus ruf von der CSU/CSU: Eine weitere!) 11056 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Buschbom Die Verwaltungsprozeßordnung. Vorläufer hatten Dieser lange Entwurf, der eine über 30jährige Ge- wir im 9. Bundestag; erste Lesung am 26. November schichte hat, hat wie man in der Begründung liest, 1982. Mein damaliger Debattenbeitrag hatte unter die Ziele Vereinheitlichung, Vereinfachung, Entla- anderem die Vorgeschichte einheitlicher Prozeßge- stung. Er steht also in einem politischen Zusam- setze in Deutschland aufgezeigt, die bereits mit der menhang mit dem vorher behandelten Tagesord- Sitzung der Deutschen Bundesversammlung vom nungsgegenstand. Ich werde auch den Verdacht 6. Februar 1862 begann und über den Bundesrat des nicht los, daß, wie mein Kollege Ströbele eben ge- Norddeutschen Bundes durch die Verabschiedung sagt hat, zum Teil das Thema Entbürokratisierung, der Justizgesetze im Deutschen Reichstag im Jahre Rechtsbereinigung, Beschleunigung von Ihnen als 1876 ein vorläufiges Ende fanden. ein populäres Thema aufgenommen wird, ohne daß (Mann [GRÜNE]: Sehr interessant!) Sie bereit sind, wirklich konzeptionelle Lösungen vorzuschlagen. Den Protokollen von damals hatte ich entnommen, daß dem Reichstag ehemalige Kollegen angehörten, (Matthöfer [SPD]: Sie dürfen die Leute deren Namen uns hier auch heute noch vertraut auch nicht überbeanspruchen! — Freiherr sind. Ein Herr von Waldburg-Zeil hatte damals mit von Schorlemer [CDU/CSU]: Die haben es Nein gestimmt. j a noch gar nicht durchberaten!) (Lachen bei den GRÜNEN) Ein Freiherr von Schorlemer — wie ich erfahren Ich meine, daß wir die Bedenken gegen diesen habe, ein Verwandter unseres lieben Kollegen — Entwurf sehr ernst nehmen sollten, die aus einer fehlte bei der Abstimmung. der drei betroffenen Gerichtsbarkeiten kommen, nämlich aus der Finanzgerichtsbarkeit. Mir liegt (Bohl [CDU/CSU]: Heute ist er da!) hier eine Pressemitteilung des Bundesfinanzhofes — Sein Namensvetter ist heute da. Übrigens fehlten vom 20. Dezember 1984 vor. Das ist zwar schon et- auch — das hatte ich damals ebenfalls gesagt — was her, aber da heißt es: von der SPD die bekannten Kollegen Bebel und Liebknecht, ebenfalls unentschuldigt. Der BFH hat schwere Bedenken, ob die er- Der Herr Justizminister hat uns schon gesagt, strebte Vereinheitlichung auch zur Vereinfa- daß Teile der Vorlage inzwischen erledigt sind. Ich chung führt. Er befürchtet vielmehr, daß ein möchte darauf nicht mehr eingehen. Der Kollege neues Verfahrensrecht zahlreiche Rechtsfra- Fischer hat schon die restlichen Anliegen angezo- gen aufwirft, die den Rechtssuchenden in der gen; daher erübrigt sich auch eine Feststellung Sache nichts nützen, von den Gerichten jedoch dazu. neu überdacht und entschieden werden müs- sen. Dadurch wird der Rechtsschutz erschwert, Es bleibt zu sagen: Als Kernfragen der weiteren und die Gerichte können ihrer eigentlichen Beratung werden sich für mich die Einführung des Aufgabe, innerhalb möglichst kurzer Zeit eine Einzelrichters und der Wegfall einer zweiten Tatsa- Sachentscheidung zu treffen, nicht nachkom- cheninstanz durch die Begrenzung der Berufungs- men möglichkeiten auf eine Zulassungsberufung erwei- sen. Die so vorgeschlagenen Vereinfachungs- und Soweit der Bundesfinanzhof. Herr Kollege Fischer Entlastungsmaßnahmen bedürfen eingehender Be- hat j a — vermutlich auf Grund ihm vorliegender ratung, wozu wir auch die Hilfe und Mitwirkung der Informationen — auch seine Zweifel in dieser Rich- Fachverbände und Rechtspraktiker benötigen. tung geäußert. Mir bleibt nur noch zu beantragen, die Vorlage an die vom Ältestenrat vorgeschlagenen Ausschüsse Ich meine, wir sollten gerade angesichts der Bela- zu überweisen. — Danke sehr. stung des Rechtsausschusses mit anderen, alten Vorlagen hier ehrlich miteinander umgehen. Ich (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD) habe fast die Befürchtung, dieses Jahrhundertwerk — vom Umfang her —, das 1953, was ich eben sagen wollte, ja schon gefordert worden ist — und am Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Herr Anfang ist sozusagen die Weichenstellung verpaßt Abgeordnete Mann. worden —, wird auch in dieser Wahlperiode nicht zur Verabschiedung kommen. Ich vermute auch nicht, daß Ihre Handlungsbereitschaft so groß ist Mann (GRÜNE): Herr Präsident! Verehrte Kolle- wie z. B. bei der heutigen Beratung zum Demonstra- ginnen! Verehrte Kollegen! Herr Minister! Ich be- tionsstrafrecht. Aber wir können uns ja überra- schränke mich auf einige grundsätzliche Anmer- schen lassen. kungen zu dem vorliegenden Gesetzentwurf. Die Diskussion innerhalb unserer Fraktion ist noch am Ich möchte zum zweiten jetzt einige Punkte nen- Anfang, nen, die mir bei einer ersten Lektüre des Entwurfs, die leider nicht sehr gründlich war, weil wir heute (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Das eine Sondersitzung des Rechtsausschusses hatten, kommt von der Rotation!) aufgefallen sind. Ich frage, Herr Minister, meine aber das schließt nicht aus, daß ich hier zunächst Kollegen von den Koalitionsfraktionen, wenn Sie einmal einiges zur Zielsetzung des Entwurfs sagen hier diesen Entwurf vorlegen, 1985 erneut vorlegen: möchte. Wo ist z. B. die Verbandsklage, wenn es Ihnen mit Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11057

Mann der Stärkung von Bürgerrechten wirklich ernst habe —: Bei aller Beschleunigung darf der Rechts- ist? schutz nicht beschnitten werden. — Dennoch haben (Fellner [CDU/CSU]: Und das soll der Bür Sie — Ihr Ministerium hat sich mit dazu hergege- ger glauben?) ben — die von mir in der zweiten und dritten Le- sung vor einigen Wochen so bezeichnete Lex Wak- Ich konnte sie in dem Entwurf nicht entdecken. kersdorf durch diesen Bundestag durchzupeitschen Mir ist aufgefallen: Sie sprechen so viel von geholfen. Transparenz der Verwaltung, Transparenz der Ge- Wir hatten heute leider nicht die Gelegenheit, in richtsverfahren. Ich habe mir mal die einschlägigen einer Aktuellen Stunde über die Innen- und Rechts- Bestimmungen zum Akteneinsichtsrecht angese- politik dieser Bundesregierung zu reden. hen. Da hat der Bundesrat z. B. eine Stellungnahme, bezogen auf das Immissionsschutzgesetz und die (Bohl [CDU/CSU]: Ist auch gut so!) Nachbarklage, abgegeben, aus der sich ergibt, daß Aber ich muß an dieser Stelle — und das gehört Sie nicht einmal betroffenen Nachbarn die meiner dazu — doch einmal sagen, daß die Art und Weise Überzeugung nach für eine sinnvolle Verfolgung wie im Rechtsausschuß Gesetzentwürfe von dieser der Klage erforderliche Einsicht gewähren wollen. Tragweite durchgesetzt werden — heute das De- Und die Regierung hat dem, wenn ich das richtig in monstrationsrecht, im Herbst vielleicht das Ehe- Erinnerung habe, nicht widersprochen. scheidungsfolgenrecht —, rechtspolitisch äußerst Ich vermisse aus der Sicht unserer Fraktion auch bedenklich ist. Ich habe neulich schon gesagt: Die neue Ansätze in bezug auf Prozeßkostenhilfe. Wir Rechtspolitik wird auch in München gemacht. Wir alle wissen von dem Problem der Anwaltschaft, der haben inzwischen nicht nur eine Bundesregierung, Anwaltsschwemme. Ich wünsche mir — vielleicht sondern, wie am 13. Juni zu beobachten, auch ein kommen wir in den Beratungen noch dazu —, daß Nebenkabinett, eine Elefantenrunde, das bestimmte der große Bereich des Sozialrechts den Anwälten, Gesetzesvorhaben beschließt, die dann von den Kol- den jungen Juristen nähergebracht wird. Dazu ge- legen der Koalitionsfraktionen unter Beschränkung hört auch — diese Forderungen liegen uns übrigens der Beratungsmöglichkeiten dieses Hohen Hauses vor; ich denke an eine Entschließung des Republi- gehorsamst durchgepeitscht werden. kanischen Anwaltvereins, die wir neulich in unse- (Bohl [CDU/CSU]: So ein Unsinn, was Sie rer Fraktion diskutiert haben —, da erzählen!) (Fellner [CDU/CSU]: Sie sind kein Lobby — Herr Bohl, das will ich an dieser Stelle mal ist?) sagen. Schade, Herr Erhard, daß Sie jetzt erst ge- daß man in diesem Bereich vom Staat her auch Mit- kommen sind. tel zur Verfügung stellt. Ich finde es schon einen rechtspolitischen Skan- (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Da dal, sich aus diesem Gesetzentwurf die Rosine her- mit Schily noch mehr Geld kriegt? — Fell auszupicken. Bei der Drucklegung sind Sie offenbar ner [CDU/CSU]: Ungenierte Lobbyisten!) gar nicht nachgekommen; denn in der Begründung Ich glaube, verehrte Kollegen von den Regierungs- des Gesetzentwurfs — ich müßte blättern — fraktionen, daß Entbürokratisierung durch den (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Die selbständigen Anwalt, der der Verwaltung klar- Uhr geht! — Jaunich [SPD]: Ja, lassen Sie macht, in welchem Maße Vorschriften ihr Eigenle- es!) ben führen, sehr wohl gefördert werden kann. Ich glaube, daß viele Bürgerinnen und Bürger ihre bekennen Sie sich noch zu der Zweistufigkeit. Das Rechte überhaupt nicht kennen und es sehr not- macht deutlich, daß nicht einmal dieser Gesetzent- wendig wäre, wenn man Bürgerrechte stärken will wurf mit der Geschwindigkeit Ihrer Koalitionsab- — und das ist eines der Ziele eines solchen Gesetz- sprachen mithalten kann, womit zur Zeit Rechts- entwurfs —, hier sehr gründlich über solche Mög- und Innenpolitik gemacht wird. lichkeiten zu diskutieren. Ich muß sagen: Deswegen sind meine, unsere Ich komme zum Schluß. Herr Minister, ich freue Hoffnungen, gesunken, daß die hehren Ziele, von mich, daß Sie, vielleicht weil Sie es geahnt haben, denen Sie, Herr Minister Engelhard, auch heute ge- das Problem, daß Sie sich die Rosinen aus dem Ent- sprochen haben und die in der Begründung des Ge- wurf herausgepickt haben, selbst angesprochen ha- setzentwurfs niedergelegt sind, nämlich eine Ver- ben. Und Herr Kollege Fischer hat zu Recht auch einheitlichung, eine Beschleunigung, eine Verbesse- auf das Gesetz zur Beschleunigung verwaltungsge- rung des Rechtsschutzes der Bürger durch über- richtlicher Verfahren — „Prozesse über technische sichtliche Verfahren, in dieser Wahlperiode erreicht Großprojekte", so haben Sie es selbst in Klammern- werden. Ich finde, eine Regierung, die so vorgeht, in Ihrer Pressemitteilung vom 21. Juni 1985 genannt wie Sie es mit dieser Beschleunigungsnovelle getan — Bezug genommen. „Auch bei Streitigkeiten über haben und wie es heute im Rechtsausschuß gesche- wichtige technische Großvorhaben ist nur schnelles hen ist, hat Ihre rechtspolitische Glaubwürdigkeit Recht auch gutes Recht", so überschreiben Sie die verspielt. Pressemitteilung. Herr Minister, Sie haben eben Vielen Dank. selbst davon gesprochen — insofern nehme ich Sie heute beim Wort und beziehe mich nicht auf die (Beifall bei den GRÜNEN und bei der Rede vor zweieinhalb Jahren, die ich nicht gehört SPD) 11058 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- Hier gilt es schnellstmöglich Abhilfe zu schaffen. ordnete Beckmann. Der erste Schritt ist durch das kürzlich verabschie- dete Gesetz zur Entlastung der Verwaltungs- und Finanzgerichte bereits getan worden. Beckmann (FDP): Herr Präsident! Meine sehr ver- (Mann [GRÜNE]: Ein sehr schlechtes Bei ehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf spiel!) bringt ein Reformwerk auf den Weg, das auf eine breite Resonanz in der Öffentlichkeit gestoßen ist. Der vorgelegte Entwurf wird weitere entscheidende Zu Recht hat Justizminister Hans Engelhard es als Hilfen in dieser Richtung mit sich bringen. Er ent- eines der bedeutensten Vorhaben zur Reform des hält Vorschläge, die eine effiziente Beschleunigung, gerichtlichen Verfahrensrechts in der Rechtsge- Straffung und Vereinfachung des Verfahrens zur schichte der Bundesrepublik Deutschland bezeich- Folge haben werden. net. Wenn allerdings — für meinen Geschmack ein Trotz all dieser sichtlichen Verbesserungen bin wenig zu euphorisch — von einem „Jahrhundert- ich aber auch der Ansicht, daß in der weiteren par- werk" geschwärmt wird, bin ich vorsichtig. Lassen lamentarischen Beratung doch darüber gesprochen Sie mich ganz klar sagen: Wir türmen hier keine werden muß, wie weitere Vereinheitlichungen in pompösen Rechtsgebilde auf, und wir setzen auch der einen oder anderen Hinsicht erzielt werden keine rechtsgeschichtlichen Denkmäler. Was wir können. So gilt es beispielsweise zu prüfen, meine hier machen — das kann ich zumindest für meine Damen und Herren, ob das Institut des Vertreters Fraktion sagen —, ist am äußerst Notwendigen des öffentlichen Interesses weiter aufrechterhalten orientiert und im Interesse der Rechtsanwender so werden muß, ob es auf andere Verfahrenszweige knapp und so einfach wie möglich gehalten. Unter ausgedehnt oder ganz abgeschafft werden muß. diesen Prämissen ist auch der hier zur Diskussion stehende Entwurf zu sehen. Auch wird man vielleicht einmal prüfen können, ob diese Reform wirklich, wovon der Entwurf auch Ein Wort zu denen, die die Forderung aufgestellt ausgeht, keine Kosten verursachen wird. Ich könnte haben, dieses Reformvorhaben dazu zu nutzen, mir vorstellen, daß durch die Umstellung großer überhaupt eine einheitliche Gerichtsbarkeit einzu- Teile des Verwaltungs- und Bearbeitungsapparates, führen, also die bestehende Gliederung, den Instan- allein schon durch das Drucken von Formularen, zenzug und die richterliche Besetzung der drei Ge- durch Veränderung von Organisationsstrukturen richtsbarkeiten völlig aufeinander abzustimmen erhebliche Kosten verursacht werden. und damit zu einem Abbau der bisherigen Verwal- tungs- und Finanzgerichte zu kommen. Eine solche In einigen weiteren Grund- und Einzelfragen Radikallösung wäre in der unmittelbaren Nach- wird bei den Beratungen insbesondere zu prüfen kriegszeit, als die verschiedenen Zweige der Judika- sein, wie die Stellung des rechtsuchenden Bürgers tive noch im Aufbau waren, sicher möglich gewe- gegenüber der Verwaltung noch weiter gestärkt sen. Heute aber wäre der damit verbundene Auf- werden kann und wie dem Ziel einer einheitlichen wand nach meiner persönlichen Einschätzung um Verfahrensordnung und damit einer möglichst ein- ein Mehrfaches höher als der hiermit zu erzielende heitlichen Rechtsprechung zum Durchbruch ver- Gewinn an Vereinfachung und Durchsichtigkeit des holfen werden kann. Verfahrens. Ich glaube, eher wäre das Gegenteil der Meine Damen und Herren, mein verehrter Kol- Fall. Dem rechtsuchenden Bürger würde die Be- lege hat zu dem zuvor zitierten schreitung des Rechtsweges zunächst auf längere Entlastungsgesetz von gleicher Stelle aus einmal Zeit wesentlich erschwert, wenn nicht gar unmög- gesagt — aus Gründen, die erst nachher bekannt lich gemacht, und nach der Reform würden sich wurden — Ballonfahren sei das Größte. Er verglich viele fragen, wo denn nun die Vereinfachung und damals den Gesetzentwurf zur Gerichtsentlastung die Beschleunigung des Verfahrens geblieben seien. mit einem Freiluftballon, in den eine ganze Reihe Beide erwünschten Effekte wären dem Umstel- von Passagieren hineingeklettert seien, die die lungschaos zum Opfer gefallen. Eine solche Radi- Gunst der Stunde nutzen wollten. Neben diesen be- kallösung wird es also nicht geben. finde sich aber auch noch Ballast in Form von Auf der anderen Seite, meine sehr verehrten Kol- Sandsäcken an Bord. Er gab damals dem Plenum leginnen und Kollegen, werden wir uns allerdings auf, zu überlegen, was Passagiere und was Ballast denen entgegenstellen, die lieber alles beim alten sei. Letzteren müsse man nämlich abwerfen; sonst lassen wollen. Wer Rechtspolitik so machen will, würde sich der Ballon nicht erheben. Welch ein kann gleich sein Päcklein schnüren und nach Gleichnis! Es paßt schon fast auf jedes Gesetzesvor- Hause gehen. Rechtspolitik ist wie jede andere Poli- haben. Immer will noch jemand schnell in den Korb tik nicht nur die Kunst des Möglichen und Machba- klettern, um mit aufzusteigen, und der eine oder ren, sondern vor allem die des Verantwortbaren.- andere hängt schnell noch einen Sandsack mehr an den Korb, um ihn am Boden festzuhalten. (Beifall bei der FDP) Auch bei diesem Gesetzesvorhaben, verehrte Kol- Für mich ist es jedenfalls nicht länger verantwort- legen, ist so mancher blinde Passagier dabei. Den bar, daß Tausende von Rechtsuchenden immer müssen wir orten, und den müssen wir dann an die noch unerträglich lange auf ihr Recht warten müs- Luft setzen. Auch hier schleppt der Ballon, der Korb sen. noch das eine oder andere Kilo zuviel. Getreu mei- (Beifall des Abg. Dr. Müller [Bremen] nem Kollegen Hirsch werden wir auch diesen Ge- [GRÜNE]) setzentwurf daraufhin untersuchen, welchen Bal- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11059

Beckmann last wir abwerfen können. Ich bin aber auch der Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Ansicht, daß wir sorgsam darauf achten müssen, Das ist nicht der Fall. nicht die Hauptperson beim Start zu vergessen, an- Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das dererseits aber auch den Ballast nicht so schnell Wort hat die Abgeordnete Frau Segall. abzuwerfen, daß Korb und Ballon dabei Schaden nehmen. Frau Dr. Segall (FDP): Herr Präsident! Meine Da- (Mann [GRÜNE]: Das versteht keiner!) men und Herren! Wenn wir uns heute schon wieder mit einer Änderung der Bundesärzteordnung befas- — Herr Mann, wenn Sie es nicht verstehen, neh- sen müssen — es ist der Entwurf eines Fünften men Sie Rückfrage bei mir! Gesetzes zur Änderung der Bundesärzteordnung —, (Mann [GRÜNE]: Ich möchte wissen, was so ist das eine Folge der vierten Änderung der Bun- Ballast ist!) desärzteordnung. Die Einführung der Praxisphase Ich glaube, daß wir mit diesem Entwurf auf ei- hat zu einem erhöhten Bedarf und damit zu Eng- nem guten Wege sind, und ich bitte den Bundesmi- pässen an Plätzen für Ärzte beim Praktikum in den nister der Justiz, auf diesem Wege fortzuschreiten, Krankenhäusern geführt. Außerdem forderte das damit wir am Ende den Erfolg haben, den wir für Gesetz, daß durch diese erweiterte ärztliche Ausbil- alle Bürger und für uns auch wünschen dürfen. dung keine neuen Kosten entstehen sollten. Daher soll die fünfte Änderung der Bundesärzteordnung Vielen Dank. — ähnlich wie im Hochschul- und Forschungsbe- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU so reich — die Möglichkeit zum Abschluß befristeter wie des Abg. Müller [Bremen] [GRÜNE]) Arbeitsverträge eröffnen. Dadurch könnten freie Arztstellen in den Krankenhäusern besser für die Ausbildung der jungen Ärzte während ihrer „Arzt Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Her- im Praktikum"-Zeit genutzt werden. Freie Arztstel- ren, weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Ta- len als Stellen für Ärzte im Praktikum einsetzen zu gesordnungspunkt nicht vor. Ich schließe die Aus- können erfordert eine größere Beweglichkeit bei sprache. der Besetzung dieser Plätze. Es ist jetzt also be- Der Ältestenrat schlägt vor, den von der Bundes- schlossen worden, daß wir befristete Arbeitsver- regierung eingebrachten Entwurf einer Verwal- träge in diesem Bereich bekommen können. Für tungsprozeßordnung auf Drucksachen 10/3437 und uns Liberale war bei der Erstellung des Gesetzent- 10/3477 zu überweisen zur federführenden Bera- wurfes besonders wichtig, daß die Weiterbildung tung an den Rechtsausschuß und zur Mitberatung auch in der Form einer Teilzeitbeschäftigung erfol- an den Innenausschuß, Finanzausschuß und Aus- gen kann. Das heißt, in diesen Fällen müssen die schuß für Arbeit und Sozialordnung. Gibt es ander- Zeiten so verlängert werden, daß sie wieder dem weitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann Zeitraum einer Vollzeitbeschäftigung entsprechen. ist die Überweisung so beschlossen. Vizepräsident Westphal: Frau Abgeordnete, gestat- Zur Information aller Kollegen: Es kommt noch ten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Küh- ein Tagesordnungspunkt, bevor wir mit dem Aufruf bacher? von nicht mit Debatte verbundenen Gesetzen und Beschlüssen dann eine namentliche Abstimmung Frau Dr. Segall (FDP): Ja, bitte. haben werden. Der Punkt, der jetzt noch vor uns steht, wird mit Fünf-Minuten-Reden behandelt. Bis Kühbacher (SPD): Frau Kollegin, spielen für Sie zur namentlichen Abstimmung werden etwa noch als Liberale bei diesem schwerwiegenden Problem 15 Minuten vergehen. Ich wäre für Aufmerksamkeit die Patienten in den Krankenhäusern auch noch dankbar; denn die Kollegen, die sich jetzt um dieses eine Rolle, wenn Sie freie Arztplätze an Ärzte in Sachthema bemühen, haben verdient, daß man ih- Ausbildung vergeben wollen? nen zuhört. Frau Dr. Segall (FDP): Es handelt sich dabei j a um Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: voll ausgebildete Ärzte, die jetzt nur noch ihr Prak- tikum ableisten. Sie haben bereits einen Abschluß. Erste Beratung des von den Fraktionen der Insofern besteht keine Gefahr. Außerdem ist in der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs Bundesärzteordnung festgelegt, daß die Betreffen- eines Fünften Gesetzes zur Änderung der den alle unter Aufsicht arbeiten. Es ist also absolut Bundesärzteordnung keine Gefahr für die Betreuung der Patienten gege- — Drucksache 10/3559 — ben. Überweisungsvorschlag: (Kühbacher [SPD]: Das ist ein Chirurg mit - Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit (federfüh- einer zweiten Hand!) rend) Rechtsausschuß — Damit dürfte dieses Thema erledigt sein. Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ich möchte noch folgendes feststellen. Wir haben Ausschuß für Bildung und Wissenschaft diese Zusatzregelung gefordert, um insbesondere Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für den Frauen die Möglichkeit zu geben, ihre Weiter- die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für bildung in Zukunft ungehindert als Teilzeittätigkeit jede Fraktion vereinbart worden. Ich sehe dazu kei- absolvieren zu können. Selbstverständlich ist diese nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Regelung nicht in diskriminierender Weise ge- 11060 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Frau Dr. Segall schlechtsspezifisch für Frauen reserviert. Sie eröff- Krankenversicherungen zu diesem Thema vorzu- net auch jungen Ärzten die Möglichkeit, ihre Wei- tragen: terbildung — aus welchem Grunde auch immer — flexibel zu gestalten. Auch die Befristung des Geset- Ein Hauptproblem ist die Struktur der ärztli- zes entspricht einer Forderung der FDP. Wir sind chen Versorgung. Wir fordern seit Jahren, daß der Meinung, daß zunächst einmal Erfahrungen mit die ärztliche Grundversorgung nur durch Ärzte diesem Gesetz gesammelt werden sollten, ehe eine mit einer entsprechenden Aus- und Weiterbil- permanente Regelung erfolgt. dung sichergestellt wird. Das jetzige Gesetzes- vorhaben verfolgt dieses Ziel nicht. (Beifall bei der FDP) Das ist die Stellungnahme der gesetzlichen Kran- kenkassen zu Ihrem damaligen Vierten Gesetz zur Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Herr Änderung der Bundesärzteordnung. Abgeordnete Jaunich. Die angestrebte Regelung „Arzt im Praktikum" läßt die Zusammenhänge zwischen Aus- und Wei- terbildung und der Qualität der ärztlichen Versor- Jaunich (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Kollegin Segall, es handelt gung und vor allem die besondere Situation in der sich eben nicht um Ärzte mit einem Abschluß, denn allgemeinärztlichen Versorgung außer acht. Dort der Abschluß wird durch die Approbation erbracht. können nach geltendem Recht neben Ärzten für Dies nur zur sachlichen Richtigstellung. Allgemeinmedizin auch Ärzte ohne eine auf die spe- zifischen Belange der allgemeinärztlichen Versor- Mit Datum vom 14. März dieses Jahres ist die gung ausgerichteten Aus- und Weiterbildung tätig Bundesärzteordnung zuletzt geändert worden. Mit werden. Das ist der Kernpunkt unserer Auseinan- diesem Entwurf soll sie erneut geändert werden. Im dersetzung gewesen, der Kernpunkt unserer Ent- Grunde genommen haben wir es hier damit zu tun, scheidung. daß ein Versehen der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition jetzt repariert werden soll. Bei- Der vorliegende Entwurf muß aber noch andere nahe wäre dies aber erneut vergessen worden, denn Ziele verfolgen, als die Praktikumsplätze kosten- anders ist die Tatsache nicht zu erklären, daß wir neutral zu sichern, wie Sie sagen. Zum Beweis da- eine hektographierte Unterlage für die Beratung für möchte ich aus einem Schreiben des Bundesmi- dieses Punktes erst seit heute mittag in unseren nisters für Jugend, Familie und Gesundheit an die Fächern haben. Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion und der FDP- Fraktion zitieren. Dort setzt er sich mit dem Vor- Im März ging es hier darum, wie man die prakti- wurf auseinander, daß es durch die Umwandlung sche Ausbildung der Ärzte verbessern kann. Sie von Assistenzarztstellen künftig wenig Stellen für meine Damen und Herren von der Koalition, und die Weiterbildung zum Allgemeinarzt geben werde. die Bundesregierung haben sich für einen Weg ent- Er sagt: schlossen, den wir Sozialdemokraten als den fal- schen Weg bezeichnet haben. Sie haben den „Arzt Es werden nur die in den ersten beiden Jahren im Praktikum" eingeführt, der also vor der Appro- nach Inkrafttreten, 1987 und 1988, frei werden- bationserteilung zwei Jahre — für eine Übergangs- den Assistenzarztstellen aufgeteilt werden zeit 18 Monate — eine zusätzliche praktische Aus- müssen, um die Stellen für „Arzt im Prakti- bildung durchlaufen soll. Wir Sozialdemokraten ha- kum" bereitzustellen. ben dies nicht nur als einen falschen Weg bezeich- Meine Damen , meine Herren, der von Ihnen vor- net, sondern wir haben unsere sachliche Alterna- gelegte Gesetzentwurf geht aber davon aus, daß der tive in einem eigenständigen Gesetzentwurf, in dem § 10b bis zum 31. Dezember 1997 Gültigkeit haben Hausärzteweiterbildungsgesetz, dem Deutschen soll. Entweder hat der Bundesminister für Jugend, Bundestag vorgelegt. Familie und Gesundheit, Herr Geißler, die Unwahr- (Sehr wahr! bei der SPD) heit gesagt, in einem „Liebe-Freunde"-Papier an Sie Wir haben Ihrer Änderung unsere Zustimmung ver- gerichtet — was für mich so überraschend nicht weigert. Es wird Sie nicht verwundern, wenn ich wäre —, oder aber Sie verfolgen mit diesem Gesetz- Ihnen in der ersten Lesung sage, daß wir auch dem entwurf weitergehende Ziele, Ziele, die Sie z. B. mit fünften Änderungsentwurf zur Bundesärzteord- dem sogenannten Entlassungsförderungsgesetz — nung unsere Zustimmung nicht geben werden. Beschäftigungsförderungsgesetz heißt es offiziell — bereits eingeleitet haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Zu rufe von der CDU/CSU: Neinsager!) (Lachen bei der CDU/CSU — Zurufe von Unsere grundsätzlichen Vorbehalte gelten weiter, der CDU/CSU: Ha, ha, ha! — Pfeffermann j a, sie haben sich in der Zwischenzeit- verstärkt. [CDU/CSU]: Das ist wohl Ihre Wunschvor Meine Damen, meine Herren, schreien Sie bitte stellung! So gehen Sie mit Arbeitlosen nicht auf dem falschen Bein hurra. In die Bewäh- um!) rungsprobe kommen Sie erst noch hinein. — Ihr Lachen qualifiziert Sie nicht gerade, Herr (Beifall bei der SPD) Kollege Hoffacker. Ich will hier die alte Schlacht nicht erneut führen, (Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Wir lachen gestatte mir aber noch einige Sätze aus einer Stel- über Sie, weil Sie nicht wissen, wie das Ge lungnahme der Spitzenverbände der gesetzlichen setz heißt!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11061

Jaunich Wenn Sie zu diesem Thema nichts anderes als La- chung, bereits so weit, daß man sagen kann: das chen übrighaben, ist das Ihr Problem, nicht das wird gutgehen. meinige. (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Krokodilsträ Ich will an dieser Stelle allerdings noch eine an- nen für die Arbeitslosen, aber kein echtes dere Bemerkung machen. Ich glaube, daß wir die 18 Gefühl!) Monate, die wir für den Arzt im Praktikum festge- Meine Damen, meine Herren, wenn es darum gin- legt haben, möglichst langfristig beibehalten soll- ge, die entsprechenden Ausbildungsplätze für den ten, und zwar nicht nur aus Kapazitätsgründen, „Arzt im Praktikum" kosteneutral zu gewährleisten, sondern auch aus prinzipiellen Erwägungen. Wir müßten Sie nicht die Geltung dieses eingeschobe- können es nicht vertreten, daß die jungen Leute nen Paragraphen bis 1997 anstreben, wie das der immer länger studieren und lernen. Wir können da- vorliegende Gesetzentwurf tut. Wenn ich an dieser durch vielleicht das eine oder andere Problem auf Stelle nicht nur Fragezeichen machen, sondern dar- dem Arbeitsmarkt lösen; aber ich glaube, es ist über hinausgehende Vermutungen äußere, dann nicht vertretbar, daß die Leute erst mit 32, 33 Jah- wird das durch Ihre Haltung bestärkt. ren in den Beruf kommen. Am Ende des Berufsle- Ich danke Ihnen. bens kürzen wir dann auch immer wieder. Das, was dazwischen liegt, soll dann die Last der Sozialversi- (Beifall bei der SPD) cherung tragen. Das geht mit Sicherheit nicht. Lassen Sie mich noch eine weitere Bemerkung Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- machen. Eines ist auch nicht möglich — das glau- ordnete Dr. Faltlhauser. ben viele Vertreter der Ärzteschaft, aber auch der Opposition —: daß man auf die Konzeption des Arz- tes im Praktikum gewissermaßen noch die Konzep- Dr. Faltlhauser (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine tion der Pflichtweiterbildung draufpappen kann. Damen und Herren! Wir sollten hier nicht den Ein- Dann würden die Leute normalerweise mit 34 oder druck erwecken, als müßten wir hier die Debatte mit 35 Jahren ihre praktische Ausbildung beenden. um die Ausbildung des Arztes als AiP, als Arzt im Bei dem ganzen Vorgang sollte sich — unabhän- Praktikum, einerseits und um die „Pflichtweiterbil- dung" andererseits, die wir j a schon geführt haben, gig von technischen Details — jeder hier fragen, ob wiederholen. er von einem ordentlichen Arzt behandelt werden will, der praktische Erfahrungen hat, oder nicht, ob (Beifall bei der CDU/CSU) er sich von einem „Barfußarzt", der nur eine theore- Es geht hier schlicht und einfach um eine technisch tische Ausbildung hat, behandeln lassen will. Jeder notwendige Ausformung des bereits beschlossenen wird den Anspruch erheben: Ich will von einem Konzepts „Arzt im Praktikum". Der Arzt im Prakti- erfahrenen, in der Praxis ausgebildeten Arzt behan- kum muß natürlich auch die Möglichkeit haben, im delt werden. Derjenige, der dies für sich selbst be- Krankenhaus ausgebildet zu werden. Da er im ansprucht, der muß als Gesetzgeber auch die tech- Krankenhaus angesichts der steigenden Zahl von nischen Voraussetzungen für diese praktische Aus- Arztstudenten und Auszubildenden zunehmend bildung schaffen und diesem Gesetz deshalb seine nicht mehr die Möglichkeit hat, tatsächlich an den Zustimmung geben. Patienten zu kommen, müssen wir dafür sorgen, (Beifall bei der CDU/CSU) daß diejenigen, die im Krankenhaus sind, nach spä- testens acht Jahren wieder wechseln, daß sie dann hinausgehen in die Praxis. Deshalb haben wir die- Vizepräsident Westphal: Das Wort hat die Parla- sen Gesetzentwurf für Zeitverträge vorgelegt. mentarische Staatssekretärin im Bundesministe- Im übrigen muß man auch sehen, daß genau das, rium für Jugend, Familie und Gesundheit, Frau was hier verhandelt wird, bereits im „Gesetz über Karwatzki. die befristeten Arbeitsverträge mit wissenschaftli- chem Personal an Hochschulen und Forschungsein- richtungen" ist. Hier geht es also nur um eine An- Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär beim Bundes- gleichung der Rechtssituation in allen Krankenhäu- minister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr sern. Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Ich darf in diesem Zusammenhang die Opposi- ren! Herr Kollege Jaunich, der Minister sagt nie die tion daran erinnern, daß es der Marburger Bund Unwahrheit. war, der erst kürzlich darauf hingewiesen hat, daß (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei die Frage der Kapazität an den Krankenhäusern der SPD) wesentlich besser zu lösen ist, als man noch- vor Diesen Nachweis, lieber Kollege Jaunich, werden einem halben Jahr bei der Debatte um die Weiter- wir in den Ausschußberatungen erbringen. bildung und um die Pflichtweiterbildung und um den AiP gedacht hat. Meine Damen und Herren, durch eine weitere Novelle soll die Bundesärzteordnung um Regelun- (Beifall bei der CDU/CSU) gen über die Befristung von Arbeitsverträgen mit Die Experten strafen Sie, meine Damen und Herren Ärzten in der Weiterbildung ergänzt werden. Die von der Opposition, Lügen: Die Konzeption dieser Bundesregierung begrüßt diese Initiative der Frak- Bundesregierung ist jetzt, im Vorfeld der Verwirkli tionen der CDU/CSU und der FDP. Ich hoffe, daß 11062 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Parl. Staatssekretär Frau Karwatzki der Gesetzentwurf nach der Sommerpause zügig Das Wort wird nicht gewünscht. beraten werden kann. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf (Abg. Jaunich [SPD] meldet sich zu einer an den Rechtsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu Zwischenfrage) anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Vizepräsident Westphal: Frau Staatssekretärin, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär beim Bundes- haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- minister für Jugend, Familie und Gesundheit: Nein, richtung durch die Bundesregierung Herr Präsident, denn ich bin schon fast fertig. — Es Überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr ist Eile geboten, da die Praxisphase erstmals be- 1985 bei Kap. 30 05 Tit. 892 11 — Entwicklung reits in der zweiten Jahreshälfte anlaufen wird. Schneller Brutreaktoren — Meine Damen und Herren, ich hoffe, es war in — Drucksachen 10/3268, 10/3470 — Ihrer aller Interesse, daß ich es kurz gemacht habe. Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Müller (Bremen) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Dr. Stavenhagen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zander Dr. Weng (Gerlingen) Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Her- Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Frak- ren, weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Ta- tion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3572 vor. gesordnungspunkt nicht vor. Ich schließe die Aus- Das Wort zur Geschäftsordnung wird gewünscht. sprache. Bitte schön, Herr Abgeordneter Bueb. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Bueb (GRÜNE): Ich möchte der Vereinbarung Jugend, Familie und Gesundheit und zur Mitbera- widersprechen, daß dieser Punkt ohne Debatte lau- tung an den Rechtsausschuß, den Ausschuß für Ar- fen soll. beit und Sozialordnung und den Ausschuß für Bil- (Clemens [CDU/CSU]: Der braucht lang- dung und Wissenschaft zu überweisen. Gibt es an- sam mal einen Tritt ins Kreuz! — Feilcke derweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. [CDU/CSU]: Mit welcher Begründung, du Dann ist die Überweisung so beschlossen. böser Bub?) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Vizepräsident Westphal: Gibt es zur Geschäftsord- Beratung der Beschlußempfehlung und des nung andere Wortmeldungen? — Zur Geschäftsord- Berichts des Ausschusses für Jugend, Fami- nung der Abgeordnete Stavenhagen. lie und Gesundheit (13. Ausschuß) zu der Un- terrichtung durch die Bundesregierung Dr. Stavenhagen (CDU/CSU): Herr Präsident! Bericht der Bundesregierung über die Erfah- Meine Damen und Herren! Wenn man im Ausschuß rungen mit dem Gesetz zur Neuordnung des seine Arbeit nicht erledigt, muß man uns nicht zu Betäubungsmittelrechts später Stunde mit namentlichen Abstimmungen är- — Drucksachen 10 /843, 10/3540 — gern. Berichterstatter: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Abgeordnete Hauck Es ist ein Unfug, nachdem über den Schnellen Brü- Schlottmann ter in allen Variationen ausführlich diskutiert ist, Das Wort wird nicht gewünscht. diesen Antrag zu stellen. Wir lehnen ihn ab. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschluß- (Beifall bei der CDU/CSU — Mann [GRÜ empfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie NE]: Ist „Unfug" eigentlich inzwischen par und Gesundheit auf Drucksache 10/3540 zuzustim- lamentarischer Brauch? — Zurufe von der men wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — CDU/CSU: Bei euch ja! Bei euch ist Unfug Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Methode!) Dann ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses mit großer Mehrheit angenommen worden. Vizepräsident Westphal: Der Abgeordnete Porzner hat zur Geschäftsordnung das Wort gewünscht. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: - Erste Beratung des von der Bundesregierung Porzner (SPD): Herr Präsident! Der Antrag hat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum ein wichtiges energiepolitisches Thema zum Inhalt. Zusatzprotokoll vom 15. März 1978 zum Euro- Deswegen muß auch zur späten Stunde ganz kurz päischen Übereinkommen betreffend Aus- darüber geredet werden. künfte über ausländisches Recht (Beifall bei den GRÜNEN) — Drucksache 10/3434 Weil dieser Entschließungsantrag vorgelegt wurde, —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: müssen wir entgegen der Vereinbarung im Älte Rechtsausschuß stenrat, wo wir miteinander, auch die Fraktion der Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11063

Porzner GRÜNEN, sagten, daß dieser Tagesordnungspunkt — Entschuldigen Sie bitte! In diesem Parlament ohne Debatte behandelt wird, kurz darüber reden. wird frei geredet. Solche Kritik wird hier von oben (Reddemann [CDU/CSU]: Was hat denn die zurückgewiesen. Arbeit im Ältestenrat noch für einen Sinn? (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeord — Feilcke [CDU/CSU]: Haben Sie das auch neten der SPD) im Ältestenrat besprochen? — Eigen Ich bitte Sie, Herr Müller, sich daran zu halten, [CDU/CSU]: Unerhört ist das hier! Eine De daß Sie Berichterstatter sind. savouierung des Parlaments ist das!)

Dr. Müller (Bremen) (GRÜNE): Danke schön, Herr Vizepräsident Westphal: Wir haben von drei Frak- Präsident. — Bitte, verzeihen Sie mir, daß ich als tionen eine Geschäftsordnungsäußerung gehört. Berichterstatter für den Einzelplan 30 des Bundes- Gibt es weitere? — ministeriums für Forschung und Technologie an Der § 23 unserer Geschäftsordnung, der die Eröff- dieser Stelle das Wort ergreife, aber es scheint mir nung einer Aussprache behandelt, besagt, daß der auf Grund des dahinterstehenden Sachverhalts not- Präsident die Aussprache über jeden Verhand- wendig zu sein. Die Hamburger Electricitätswerke lungsgegenstand zu eröffnen hat, der auf der Tages- haben sich Anfang der 80er Jahre ausbedungen, ordnung steht. Dieser steht auf der Tagesordnung. keine Zahlungen für den Schnellen Brüter in Es steht nicht auf der Tagesordnung ein beigefüg- Kalkar leisten zu müssen. Das ist der Tatbestand, ter, heute neu eingereichter Entschließungsantrag. der dahintersteht. (Zustimmung bei der CDU/CSU) (Hört! Hört! bei den GRÜNEN) Das ist ein Nebenantrag. Wenn jetzt zum Hauptta- Weil aber auf deren Finanzierungsbeitrag nicht ver- gesordnungspunkt das Wort gewünscht wird — dies zichtet werden konnte, wählte man damals einen ist durch den Bruch einer Vereinbarung im Älte- Umweg, den ich im Rahmen einer Haushaltsent- stenrat verlangt —, habe ich das Wort zu erteilen. scheidung für außergewöhnlich halte. Die HEW tra- gen zur Finanzierung der Kohleforschung bei, wo- Es wird das Wort zur Berichterstattung vom Ab- gegen grundsätzlich zunächst einmal nichts zu sa- geordneten Müller (Bremen) gewünscht. — Bitte gen ist, und zwar im Rahmen des Einzelplans 30. schön. Dafür leistet der Bund in gleicher Höhe zusätzliche Zahlungen für den Schnellen Brüter. Ich halte dies insofern für sehr problematisch, als das Parlament Dr. Müller (Bremen) (GRÜNE): Herr Präsident! hier jetzt gezwungen wird, eine derartige Entschei- Meine Damen und Herren! In der Unterrichtung dung zu revidieren, d. h. eine Umwegfinanzierung durch die Bundesregierung zu der überplanmäßi- im nachhinein zu legitimieren. gen Ausgabe, über die hier jetzt zu reden sein wird, (Beifall bei den GRÜNEN — Eigen [CDU/ ist der Satz enthalten — er verpflichtet mich, Sie CSU]: Berichterstattung!) über den Sachverhalt aufzuklären —: — Dies ist Berichterstattung. Die Mehrausgaben sind zur Sicherstellung der Gesamtfinanzierung des Schnellen Brutreak- Dieser erst einmal rein finanztechnische Vorgang tors im Rahmen des geltenden Finanzierungs- ist bezüglich der Gesamtkosten des Schnellen Brü- plans erforderlich. In gleicher Höhe entlastet ters nicht entscheidend. Entscheidend ist, daß die- ein Elektrizitätsversorgungsunternehmen den ser Schnelle Brüter ein Milliardengrab für Steuer- Einzelplan 30 durch Leistung eines Beitrages gelder gewesen ist. Dabei haben auch Umwegfinan- für Vorhaben der nichtnuklearen Forschung. zierungen eine Rolle gespielt, die natürlich eine Verschleierung der wirklichen Finanzierung gewe- Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, sen sind. ist folgende: Wer ist hier „ein Elektrizitätsversor (Beifall bei den GRÜNEN) gungsunternehmen", und auf welche Art und Weise — meiner Ansicht nach ist es eine unseriöse Art Bei der jetzigen Beschlußempfehlung handelt es und Weise — ist der Schnelle Brutreaktor finan- sich also lediglich um die Einlösung eines gegen- ziert worden? über der hamburgischen Öffentlichkeit eingegange- nen Versprechens der HEW, nicht direkt in die Plu- (Beifall bei den GRÜNEN — Anhaltende toniumwirtschaft einzusteigen. Jetzt, mit dieser Unruhe) neuen Art der Finanzierung des Schnellen Brutre- — Kann ich mal um Ruhe bitten! aktors beginnt der direkte Einstieg. - Herr Abgeordneter, ich Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Her- Vizepräsident Westphal: ren, ich darf um Aufmerksamkeit für den Präsiden- möchte Sie noch einmal darauf aufmerksam ma- ten bitten. Auch der Präsident kann nur etwas ver- chen, daß Sie als Berichterstatter nicht zu Ihrem stehen, wenn ausreichende Ruhe im Saal ist. Entschließungsantrag, sondern zu dieser überplan- mäßigen Ausgabe zu sprechen haben. (Feilcke [CDU/CSU]: Das ist keine Bericht erstattung! — Weitere Zurufe von der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) CDU/CSU) Sie haben noch eine Minute. Bitte schön. 11064 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Dr. Müller (Bremen) (GRÜNE): Herr Präsident, ich yen, durch den Bund für Umwelt und Naturschutz vertrete schon die Auffassung, daß ich eben nicht zu in Bayern sowie durch verschiedene Parteien. Sie unserem Antrag — der steht hier für mich über- tragen diesen Widerstand. haupt nicht zur Debatte —, sondern zur Art und (Günther [CDU/CSU]: Im Ausschuß fehlt Weise gesprochen habe, wie dieser Schnelle Brüter er, und hier macht er großes Theater!) u. a. unter Vorspiegelung falscher Tatsachen finan- ziert worden ist, und damit bin ich auch schon am Sie wissen, meine Damen und Herren: ohne WAA Ende. auch kein Schneller Brüter. Wir begrüßen die sich (Beifall bei den GRÜNEN) entwickelnde Opposition der Sozialdemokratie ge- gen die Wiederaufarbeitungsanlage und den Schnellen Brüter. Gibt es weitere Wortmel- Vizepräsident Westphal: Ich möchte hier aus dem Bericht der Arbeits- dungen von Berichterstattern? — Das ist nicht der gruppe hessischer Atompolitik zitieren: Fall. Unabhängig von der Genehmigungsfähigkeit Dann eröffne ich die verlangte Aussprache und des Antrags sind alle zur Verfügung stehenden entscheide von mir aus, daß es jeweils Beiträge von politischen Maßnahmen zu ergreifen, um eine bis zu fünf Minuten sein können. Durchsetzung der Plutoniumwirtschaft zu ver- (Zurufe von der CDU/CSU) hindern, wie etwa Das Wort hat der Abgeordnete Tatge. — jetzt kommen zwei Punkte — gesetzgeberische Initiativen auf Bundesebene Tatge (GRÜNE): Meine Damen und Herren! Liebe und Initiativen auf Bund-Länder-Ebene. Freunde und Freundinnen! Meine Damen und Herren von der SPD, seien Sie (Zurufe von der CDU/CSU) konsequent, stimmen Sie für unseren Entschlie- In einem historischen Exkurs schreibt der Politik- ßungsantrag! wissenschaftler Otto Keck für eine Schriftenreihe (Beifall bei den GRÜNEN) des Wissenschaftszentrums Berlin, das Projekt des Schnellen Brutreaktors sei seit 1960 hauptsächlich Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- entwickelt worden, um den damals fast 100 Wissen- ordnete Laermann. schaftlern und Ingenieuren des KFK und dem Zen- trum überhaupt eine sinnvolle Aufgabe zu geben. Dr.-Ing. Laermann (FDP): Herr Präsident! Meine Wir wissen — und nicht erst seit heute —, daß diese sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es im Aufgabenstellung auch nur scheinbar sinnvoll war. Grunde genommen schon eine merkwürdige Sache: Nun sind die Brüterträume geplatzt. Der Entschließungsantrag, der uns jetzt auf der (Beifall bei den GRÜNEN) grünen Drucksache 10/3572 vorgelegt wird, ist ge- nau der Entschließungsantrag, der in der letzten Ende letzten Jahres mußte der Kalkar-Betreiber, Aprilwoche dieses Jahres dem Plenum schon ein- die Schnelle Brüter-Kernkraftwerksgesellschaft, mal mit der Drucksache 10/3200 vorlag. Geändert einräumen, daß ihr Brüter gar nicht zu brüten ver- ist das Datum. mag. Er ist — was für ein absurder Wahnsinn! — Plutoniumliferant für Bomben. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, daß es von der Sache her von Ende April bis jetzt irgend- Wir stellen fest: Die Anti-KKW-Bewegung hat mit eine Veränderung gegeben hätte. Sie nehmen die ihrer Warnung vor der zivilen und militärischen Beratungen im Haushaltsausschuß über eine Ver- Nutzung dieses Projekts recht gehabt. änderung in der Finanzierung zum Anlaß, um in der (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf des Sache hier erneut zu versuchen, uns von unserem Abg. Feilcke [CDU/CSU]) Beschluß abzubringen. Jetzt scheint auch die Landesregierung von Nord- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) rhein-Westfalen quasi über Nacht schlau geworden Ich muß dazu feststellen, daß im Jahre 1969 — zu sein. Rau, Matthiesen und Farthmann sagen dreimal dürfen Sie raten, wer zu jener Zeit die Re- dem Brüter adieu. Fast deckungsgleich haben sie gierungsverantwortung hatte — der Beschluß zum die Argumente übernommen, die AKW-Gegner und Bau des Schnellen Brüters SNR 300 gefaßt wurde. kritische Wissenschaftler jahrelang fast verzweifelt Es sind nun einmal neue Entwicklungen; es wurde in die Diskussion warfen. Neuland beschritten. Diese Planungen und Ausfüh- (Zuruf des Abg. Schulte [Menden] rungsarbeiten zogen sich verständlicherweise unter [GRÜNE]) Berücksichtigung eines sehr intensiven und sehr Doch Sie, meine Herren von der Sozialdemokra- ausdrücklichen Sicherheitsbedürfnisses in die Län- tie, haben diesen Brüter gegen den erbitterten Wi- ge. derstand der Antiatombewegung gebaut. Wir for- dern Sie auf, sich uns im Widerstand nun anzu- Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, ge- schließen und jetzt auch unseren konsequenten statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weg zu gehen; denn der Widerstand gegen die Plu- Müller (Bremen)? toniumwirtschaft nimmt zu. Nach dem WAA-Be- schluß der Bundesregierung formiert sich der Wi- Dr.-Ing. Laermann (FDP): Aber bitte schön, Herr derstand in Bayern durch regionale Bürgerinitiati- Präsident. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11065

Dr. Müller (Bremen) (GRÜNE): Danke schön, Herr Auf Grund dieser Diskussionen beschloß das Parla- Kollege. ment die Einsetzung einer Enquete-Kommission Sind Sie mit mir der Meinung, daß der Schnelle „Zukünftige Kernenergie-Politik". Diese Enquete- Brutreaktor und die Finanzierung desselben sehr Kommission hat dann in der folgenden Legislatur- wohl sehr viel miteinander zu tun haben, insofern periode ihre Arbeit fortgesetzt, weil sie nicht zu nämlich der Haushaltsausschuß berechtigt war, einem abschließenden Ergebnis gekommen ist. ernsthaft und lange darüber zu diskutieren? Hauptgegenstand der Beratungen war und ist in (Beifall bei den GRÜNEN) der Tat — — (Unruhe) Ich habe vom Präsidenten gehört und gelernt, Dr.-Ing. Laermann (FDP): Ja, Herr Kollege Müller, daß jeder Abgeordnete hier das Recht hat zu reden. selbstverständlich hat das etwas miteinander zu Dieses Recht nehme ich jetzt für mich in An- tun, denn ohne Geld können Sie eine solche Ma- spruch. schine natürlich nicht bauen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — (Schulte [Menden] [GRÜNE]: Aber wenn Feilcke [CDU/CSU]: Aber die GRÜNEN hö schon, dann eine Höllenmaschine!) ren nicht zu! — Schulte [Menden] [GRÜ Aber wir haben im Laufe der Jahre schon sehr oft NE]: Natürlich hören wir zu! — Weitere Zu über die Finanzierung dieses Brutreaktors gespro- rufe von den GRÜNEN) chen und diskutiert, und zwar hier im Plenum. Ich — Ich denke schon, aber sie werden sich das gefal- verstehe ja, daß Sie diese Entwicklungsgeschichte len lassen müssen. nicht verfolgt haben und nicht verfolgen konnten, Wir haben in dieser Enquete-Kommission über weil Sie dem Parlament noch nicht angehört haben. mehrere Jahre hinweg intensivst gearbeitet, durch Das haben Sie nur von außen beobachtet. inländische und ausländische Experten, die ihre un- (Feilcke [CDU/CSU]: Und auch nicht terschiedliche Position zu dem Projekt Schneller verstanden haben! — Zurufe von den Brüter dargelegt haben, intensive Beratungen er- GRÜNEN) fahren. Auf der Grundlage dieser Beratungen und — Das kommt noch hinzu. Sachverständigengutachten hat die Kommission dann schließlich mit Mehrheit festgestellt, daß das Aber vielleicht gestatten Sie mir den Versuch, Risiko eines Schnellbrutreaktors — — das Unternehmen einmal anzugehen, Ihnen etwas über Hintergründe und Zusammenhänge, über die chronologische Abfolge dieser Projektabwicklung Vizepräsident Westphal: Um das aufzuklären: und über das zu sagen, was diese Maschine, was Herr Kollege Laermann hat mit vollem Recht ge- dieses Projekt eigentlich technologiepolitisch, indu- sagt, ich hätte gemeint, jeder könne hier frei reden. striepolitisch und auch — für die Zukunft gesehen Aber ich habe eine Entscheidung getroffen, weil es — energiepolitisch bedeutet. zur Zeit keine Vereinbarung der Geschäftsführer gibt. . (Zuruf von der CDU/CSU: Die Zukunft wol len die doch nicht! Die Zukunft ist bei den (Pfeffermann [CDU/CSU]: § 35 Abs. 1 der GRÜNEN ausgeschlossen. — Feilcke Geschäftsordnung!) [CDU/CSU]: Die GRÜNEN haben ihre Zu Das ist eine Entscheidung, die hieß: je Fraktion fünf kunft hinter sich!) Minuten Redezeit. Ich bin gerne bereit, eine neue Ich darf noch einmal darauf zurückkommen: 1969 Vereinbarung der Geschäftsführer zu akzeptieren. wurde die grundsätzliche Entscheidung getroffen, In der Zwischenzeit muß ich hier „regieren". Ihre 1974 gab es dann die sogenannten Vereinbarungen fünf Minuten sind nun leider vorbei, Herr Laer- von Nizza, bei der der damalige Bundeskanzler mit mann. dem französischen Staatspräsidenten eine Verein- barung über die Kooperation auf dem Gebiet der Dr.-Ing. Laermann (FDP): Danke schön. Entwicklung der Schnellen Brutreaktortechnologie (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) getroffen hat. Auf Grund dieser Absprachen und dieser Vereinbarung folgten dann später die soge- nannten Dernbacher Vereinbarungen. Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- ordnete Porzner. Auf der Grundlage dieser Vereinbarungen zwi- schen zwei autonomen und souveränen Staaten kam es dann zu den vertraglichen Vereinbarungen, Porzner (SPD): Herr Präsident! Meine verehrten an denen sich auch Belgien und die Niederlande- Damen und Herren! Der Ältestenrat hat mit der beteiligt haben. Belgien und die Niederlande sind Zustimmung aller Fraktionen — — nach wie vor an diesem Projekt auch in bezug auf (Pfeffermann [CDU/CSU]: Das ist doch völ die Finanzierung beteiligt. lig unmöglich! Das ist reine Willkür da Es hat hier im Parlament große Diskussionen vorn! § 35 Abs. 1, Herr Präsident!) über die Notwendigkeit, die Nützlichkeit, die Ge- fährlichkeit und die Risiken gegeben, die mit der Vizepräsident Westphal: Augenblick, Herr Porz- Schnellbrutreaktortechnologie verbunden waren. ner! Ich muß hier zunächst einmal unterbrechen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) und dem Abgeordneten Pfeffermann erklären, daß 11066 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Vizepräsident Westphal es das, was er tut, im Parlament nicht geben darf und dann muß er das nach Vorbereitung in den und daß ich das auch nicht dulde. Fraktionen tun. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — (Beifall bei der SPD — Zuruf von den Zurufe von der CDU/CSU) GRÜNEN: Das ist eine reine Formalargu mentation!) Ich weiß sehr genau, daß auch Handlungen eines Präsidenten manchmal kritisiert werden können, Die SPD-Fraktion wird nach der Sommerpause — weil sie nicht ganz richtig oder falsch sind. Aber es haben Sie keine Sorge — auf der Grundlage ihrer ist ein parlamentarischer Brauch — und ich sorge Parteitagsbeschlüsse dem Deutschen Bundestag ei- dafür, daß er eingehalten wird —, daß von unten her nen Antrag zur Brütertechnologie vorlegen, und nicht auf diese Weise das Präsidenten-Verhalten zwar so rechtzeitig, daß sich das ganze Haus, daß kritisiert wird. Ich nenne den Namen des Abgeord- sich alle Fraktionen damit befassen und wir dann neten Pfeffermann, weil dies nicht das erste Mal eine verantwortungsbewußte Entscheidung treffen gewesen ist. können. Herr Abgeordneter Porzner, Sie haben das Wort. (Zuruf von den GRÜNEN: Aber Sie kennen doch den Antrag!) (Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU) Die GRÜNEN kritisieren zu Recht, daß die Koali- tionsfraktionen dem Bundestag für die Beratung wichtigster Gesetzentwürfe keine Zeit geben: (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt Porzner (SPD): Herr Präsident! Meine verehrten nicht! Das ist gar nicht wahr!) Damen und Herren! Der Ältestenrat hat mit der Zustimmung aller Fraktionen die Tagesordnung in der vorigen Woche beim Versorgungsrecht für dieser Woche festgelegt Hinterbliebene, in dieser Woche beim Demonstra- tionsstrafrecht. (Reddemann [CDU/CSU]: Das wird alles (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) rückgängig gemacht!) Diese Gesetze wurden mit einer Eile durch die Aus- und dem Parlament empfohlen, mehr als 30 Tages- schüsse gepeitscht, daß man eine Beschlußfassung ordnungspunkte zu behandeln, darunter auch den im Parlament — morgen haben wir es wieder mit so Tagesordnungspunkt 13, nämlich: Beratung der Be- etwas zu tun — nicht mehr verantworten kann. schlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung über (Zurufe von der CDU/CSU) eine überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr Aber, meine Damen und Herren von den GRÜ- 1985 bei Kap. 30 05 Tit. 892 11 — Entwicklung NEN, heute abend verlangen Sie von uns das glei- schneller Brutreaktoren —. Wir haben im Ältesten- che wie die CDU/CSU bei den gerade genannten rat mit Zustimmung der GRÜNEN vereinbart, daß Punkten. dieser Tagesordnungspunkt ohne Debatte behan- delt wird. (Beifall bei der SPD — Zuruf von den GRÜNEN: Das ist ein Entschließungsan Nun legen die GRÜNEN heute abend dazu einen trag, kein Gesetz!) Entschließungsantrag vor, über den der Bundestag abstimmen muß. Er hat gar keine andere Wahl, als Wir lassen uns ein solches Verfahren weder von daß wir das im Zusammenhang mit dieser Bera- den GRÜNEN noch von der Koalition aufzwingen. tung im Rahmen dieser Tagesordnung abschließen. (Erneuter Beifall bei der SPD — Zurufe Die SPD-Fraktion hatte keine Möglichkeit, den An- von der CDU/CSU) trag in ihrer Fraktion und in ihren Gremien zu erörtern und zu besprechen. (Zuruf von den GRÜNEN: Den kennen Sie Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, ge- doch!) statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller (Bremen)? Darauf aber haben wir Anspruch. (Beifall bei der SPD) Die SPD-Fraktion hat auch keine Möglichkeit ge- Porzner (SPD): Nein, jetzt nicht! Ich rede nicht zur habt, mit den davon unmittelbar betroffenen Lan- Sache, sondern ich rede hier zum Verfahren und desregierungen auch nur kurz zu sprechen. Die Ent- zur Geschäftsordnung. - scheidung über die Brütertechnologie ist aber von (Beifall bei der SPD — Zurufe von den grundsätzlicher Bedeutung für die Energiepolitik. GRÜNEN) Wenn der Bundestag, meine Damen und Herren Wir lassen uns, Herr Müller, ein solches Verfah- von den GRÜNEN, seiner Verantwortung gerecht ren weder von Ihnen noch von einer anderen Frak- werden will, dann muß er ein solches Thema sorg- tion aufzwingen. Wir lassen uns das weder von der fältig und grundsätzlich behandeln, CDU/CSU noch von Ihnen bieten. Das müssen Sie (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist denen zur Kenntnis nehmen! doch egal!) (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11067

Porzner Wir bringen unsere Ablehnung einer solchen Ver- chen Teil für die Sicherung der Stromerzeugung lei- haltensweise dadurch zum Ausdruck, daß wir uns sten. der Stimme enthalten. (Zuruf von der FDP: Sehr richtig!) (Lachen bei der CDU/CSU und den GRÜ Ich empfehle den Damen und Herren von den GRÜ- NEN — Zuruf von den GRÜNEN: Pflau NEN, sich einmal der Mühe zu unterziehen, diesen menweich die SPD!) Bericht sorgfältig zu studieren; dann würden Sie Sie alle werden Gelegenheit haben, zu einem An- vielleicht Ihren Antrag nicht mehr mit der gleichen trag der SPD sachlich Stellung zu nehmen, wenn er Fröhlichkeit aufrechterhalten können. im Herbst vorgelegt wird. Dies vorausgeschickt, ist es schon ein finanzpoli- (Beifall bei der SPD) tischer Aberwitz, den Schnellen Brüter jetzt, nach- dem er fertig wird, gewissermaßen abbrechen zu wollen und dort vielleicht ein „Grünes Museum" Meine Damen und Her- Vizepräsident Westphal: einzurichten. ren, der Versuch des Präsidenten, den Geschäfts- führern eine Möglichkeit zu geben, zu einer neuen (Bravo-Rufe bei den GRÜNEN) Vereinbarung zu kommen, hat nicht dazu geführt, Dies ist grober Unfug. Sie werden mit den Eintritts- daß es eine Vereinbarung gibt. Dies heißt, wir ver- geldern für dieses Museum auch nicht annähernd fahren nach der Geschäftsordnung. Das heißt wei- die Kosten tragen können. ter, die Beiträge, die geleistet werden, wenn es An- meldungen von Rednern gibt, können bis zu 15 Mi- Es war Forschungsminister Riesenhuber, der nuten betragen. Ich werde also nachher dem Abge- erstmals das finanzielle Risiko des Schnellen Brü- ordneten Laermann noch einmal das Wort geben. ters in den Griff gekriegt hat. Nachdem vorher auf (Beifall bei der FDP) Grund schlechter Verträge die Industrie in unzurei- chende Mitverantwortung genommen war und des- Ich bitte das auch für die anderen Fraktionen zur wegen die Kosten in einem unseligen Dreiecksver- Kenntnis zu nehmen. — Jetzt ist als nächster der hältnis zwischen denen, die gern noch ein bißchen Abgeordnete Stavenhagen dran. mehr machen, den Sicherheitsbehörden, den dau- ernd etwas Neues einfiel, und dem Staat, der die Dr. Stavenhagen (CDU/CSU): Herr Präsident! Rechnung dafür bezahlen sollte, nachdem endlich Meine Damen und Herren! Nachdem das Haus zu dieses unselige Dreiecksverhältnis durch eine stär- später Stunde zum Schnellen Brüter auch noch in kere Mitverantwortung der Industrie in den Griff der Sache diskutieren will, werden wir dies tun. genommen worden ist — siehe da! —, blieben die Kosten auf einmal konstant. (Zuruf von der CDU/CSU: Später Brüter!) Besonders beeindruckend ist hierbei das tapfere (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jein der SPD, Wir sind immer noch in der Marge von 6,5 Milliar- (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und den DM, ein gewaltiger Schritt, natürlich, wenn den GRÜNEN) man sich vor Augen hält, daß ursprünglich einmal gesagt worden war, der Schnelle Brüter würde für die auf beiden Füßen sowohl dafür als auch dage- 800 Millionen DM zu haben sein. Aber seitdem gen steht. Dies ist die Grundposition der SPD nicht Forschungsminister ist, sind die nur in der Technologiepolitik, sondern auch in der Kosten nicht mehr gestiegen. Er hat etwas erreicht, Sicherheitspolitik, in der Wirtschaftspolitik und in was davor für undurchsetzbar gehalten worden vielen anderen Fragen. war. Er hat nämlich die Industrie verpflichtet, et- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) waige Mehrkosten allein zu tragen. Dies haben die Ich sehe — oder sah zumindest — hier im Saal Forschungsminister der SPD nicht geschafft. mehrere Forschungsminister der SPD, die regelmä- Jetzt bei diesem Projekt, wo es fertig wird, wo es ßig, wenn die Kosten des Schnellen Brüters bei der überhaupt forschungspolitischen Sinn machen SPD aus den Gleisen liefen, gesagt haben: „Aber kann, wenn es nämlich in Betrieb genommen wird, wir machen weiter; denn Abbruch wäre teurer als gewissermaßen die Notbremse ziehen zu wollen, Fortführung." Was vor vielen Jahren richtig war — kann in diesem Haus wirklich nur den GRÜNEN vielleicht! —, kann heute sicher nicht falsch sein. einfallen. Der Kollege Laermann hat bereits darauf hinge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wiesen, daß die Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergiepolitik" sich ausführlich über Jahre Meine Damen und Herren, wenn man in dem mit der Verantwortbarkeit und auch der technolo- Entschließungsantrag zu forschungspolitischen giepolitischen Bedeutung des Schnellen Brüters- be- Aspekten liest, daß dieser Schnelle Brüter eine faßt hat. Sie ist mit Mehrheit zu dem Schluß gekom- Brutrate von über 1 haben werde, kann ich nur men, daß der Schnelle Brüter und damit natürlich sagen: Das hätten Ihnen viele aus unserer Fraktion auch seine Inbetriebnahme unter Risikogesichts- seit Jahren sagen können. Das ist nämlich keine punkten verantwortet werden kann, daß sich das neue Erfindung, sondern der Grund ist eine Kern- Risiko des Schnellen Brüters innerhalb des Risi- anordnung, die kostengünstiger ist als ein Kern mit koprofils der Leichtwasserreaktoren bewegt: Kein einer Brutrate von unter 1. Aber ob der Brutfaktor höheres Risiko als bei Reaktoren, die seit vielen nun 0,9 oder 1,1 ist, ist völlig wurscht; denn damit Jahren in dieser Republik einen nicht unerhebli- wird die Technologie demonstriert. Es ist eine quan- 11068 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Dr. Stavenhagen titative Veränderung, aber kein qualitativer Sprung, was sich da tut, sorgfältig beobachten und auch mit wenn die Brutrate größer oder kleiner als 1 ist. Ich anderen Ländern dialogfähig bleiben. Deswegen wundere mich schon sehr, daß das Nichterreichen muß auch dieser Schnelle Brüter in Betrieb genom- der Brutrate gerade die GRÜNEN umtreibt und sie men werden, damit wir die Erfahrungen und den den Schnellen Brüter deswegen nicht wollen, weil Nutzen daraus ziehen können. er angeblich doch nicht ganz das Perpetuum mobile Eines ist sicher, einen zusätzlichen Schnellen ist, das sie vielleicht gerne hätten. Brüter in der Finanzierungsweise, wie wir sie über- (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das ist wirklich nommen haben, übernehmen mußten, wird es nicht sehr platt!) mehr geben. Wenn es also einen weiteren Brüter, eine nächste Generation gibt, Also, unter forschungspolitischen Aspekten macht die Anlage überhaupt erst Sinn, wenn wir (Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Noch damit auch in eine Betriebsphase gehen. stärker!) (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Sie glauben doch dann in verstärkter internationaler Zusammenar- selbst nicht daran!) beit und auch in einem wesentlich verstärkten in- dustriellen Interesse. Dann müssen die Elektrizi- Die Risiken für Mensch und Natur sind in der En- tätsversorgungsunternehmen und die Industrie ihr quete-Kommission in großer Breite, in großem Interesse an einem weiteren Brüter nicht nur ver- Ernst und großer Sorgfalt beraten worden und als bal bekunden, sondern durch massives Engagement nicht größer als die bei Leichtwasserreaktoren be- auch unter Beweis stellen. trachtet worden. Diese Entscheidung steht aber heute nicht an, Und dann erzählen Sie wieder Ihr altes Ammen- sondern es steht auf Grund dieses Antrags, der märchen, daß der Schnelle Brüter Grundlage für schlecht vorbereitet ist und auf die Fakten nicht die Produktion von Atombomben sei. Bezug nimmt, jetzt an, darüber zu entscheiden, ob man kurz vor zwölf das alles in den Teich setzt und (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das ist kein diese Geschichte einstellt. Dies halten wir für unzu- Märchen!) lässig. Dies halten wir für volkswirtschaftlichen Dazu muß ich sagen: Kein Land, von dem wir wis- Aberwitz und für technologiepolitischen Unfug. sen oder vermuten, daß es die Atombombe besitzt Deswegen lehnen wir diesen Antrag ab. oder relativ bald Zugriff zur Atombombe haben (Unruhe) könnte, besitzt dafür einen Schnellen Brüter. Es ist in der Tat die trotteligste Weise, um zu einer Atom- Herr Abgeordneter, darf bombe zu kommen, erst einen Schnellen Brüter für Vizepräsident Westphal: ich Sie einen Moment unterbrechen? Ich möchte 6,5 Milliarden DM zu bauen. Ihnen ein bißchen Ruhe schaffen. Meine Damen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und Herren, in diesem Fall muß ich mich an diese Seite wenden. Dies ist grober Unfug. Das sollten Sie endlich ein- mal hinnehmen, weil Sie mit diesem Gerede vom (Feilcke [CDU/CSU]: An die linke Seite! — bombenfähigen Material nichts anderes im Sinn Günther [CDU/CSU]: „An die linke Seite" haben, als Leute zu verunsichern und zu verwirren. heißt das!) Auch dies ist in der Enquete-Kommission unter- Ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Hier vorn hat ein sucht worden. Und die Enquete-Kommission ist ein- Redner das Wort und auch das Recht, gehört zu deutig zu der Aussage gekommen, daß es durch den werden. Schnellen Brüter in Kalkar zum einen keinen Bitte schön, Herr Stavenhagen, fahren Sie fort. Einstieg in eine gigantische Plutoniumwirtschaft geben wird und zum anderen der Schnelle Brüter auch unter Proliferationsgesichtspunkten kein be- Dr. Stavenhagen (CDU/CSU): Herr Präsident, ich sonderes Risiko darstellt. wollte ja zum Schluß nur noch sagen, was die Kolle- ginnen und Kollegen sowieso im Protokoll werden (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das ist das Am nachlesen können: daß wir diesen Antrag ablehnen, menmärchen!) und zwar mit ausreichender Mehrheit. Sie sprachen von den volkswirtschaftlichen Schönen Dank. Aspekten. Zu den volkswirtschaftlichen Aspekten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gehört natürlich, daß ich eine Investition — teuer genug ist sie ja geworden — nicht in den Sand setze Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- und nachher die Schulkinder durchführe, sondern ordnete Mann. daß ich dann auch den forschungspolitischen Nut- zen daraus ziehe. Wir wissen heute, daß eine breite - (GRÜNE): Herr Präsident! Verehrte Kolle- Anwendung von Schnellen Brütern kurzfristig Mann ginnen und Kollegen! Als nordrhein-westfälischer nicht bevorsteht. Dies wissen wir alle. Aber die Abgeordneter möchte ich mich zu diesem Punkt Brütertechnologie ist eine wichtige Option für die auch mal kurz äußern. langfristige Sicherung der Kernenergie. Und diese wichtige Option gilt es zu erhalten. Wir erhalten sie (Feilcke [CDU/CSU]: Reinrotiert!) natürlich nur, wenn wir diese Anlage auch in Be- Ich möchte zunächst, Herr Kollege Porzner, zu trieb nehmen und darüber hinaus in internationaler dem Vorhalt Stellung nehmen, unsere Fraktion be- Zusammenarbeit die Brütertechnologie und das, handele Sie hier heute ähnlich, wie es die Regie- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11069

Mann rungsfraktionen in den letzten Wochen und vor al- die, wie ich meine, diesen Antrag hier heute zu lem in dieser letzten Sitzungswoche vor den Som- Recht zur Abstimmung stellt merferien tun. (Beifall bei den GRÜNEN) (Günther [CDU/CSU]: Hat er da nicht ge und wo wir erwarten können, daß Sie sich mit Ja sagt! — Feilcke [CDU/CSU]: So gut können oder Nein entscheiden, statt sich zu enthalten. Sie gar nicht sein! Sie können noch nicht (Feilcke [CDU/CSU]: Da hat er völlig recht! mal zuhören! Er hat ganz was anderes ge — Abg. Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE] mel sagt!) det sich zu einer Zwischenfrage) Herr Kollege Porzner, der Kollege Laermann hat — Bitte, Herr Kollege Müller. hier heute zu Recht darauf hingewiesen, daß fast derselbe Antrag von uns auf Grund unserer Großen Anfrage zum Schnellen Nichtbrüter bereits vor ei- Vizepräsident Westphal: Einen Augenblick, das niger Zeit in diesem Haus zur Abstimmung gestan- macht hier der Präsident! — Herr Kollege Mann, den hat. gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller (Bremen)? (Feilcke [CDU/CSU]: Aber das Datum!)

Jetzt muß ich mal an die Adresse der SPD trotz Mann (GRÜNE): Bitte, Herr Kollege Müller. aller guten kollegialen Zusammenarbeit sagen: (Beifall und Oho-Rufe bei der CDU/CSU — Vizepräsident Westphal: Bitte schön, Herr Müller! Günther [CDU/CSU]: Sie wollten zu Porz ner etwas sagen!) Dr. Müller (Bremen) (GRÜNE): Herr Kollege Sich hier heute abend zu enthalten und das damit Mann, sind Sie mit mir der Auffassung, daß ein zu begründen, Sie hätten Beratungsbedarf und gewaltiger Unterschied zwischen einem Gesetzent- seien überfahren wurf und einem Entschließungsantrag ist? (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Überfordert!) macht einfach nur deutlich, daß die Sowohl-Als- Mann (GRÜNE): So ist es, lieber Jo. Ich danke dir auch-Politik, die Sie in der Atomenergiepolitik Ende für diese Frage. der 70er Jahre mit Ihren Parteitagsbeschlüssen auf (Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN) der einen Seite und den Handlungen der Regierung Ich meine, Herr Kollege Schmidt und die übrigen Schmidt auf der anderen Seite betrieben haben, Kollegen aus dem Rechtsausschuß, es ist sehr wohl auch heute im Jahr 1985 noch nicht ganz ausgestan- etwas anderes, ob man über einen Gesetzentwurf den ist. oder über einen Entschließungsantrag abstimmt. (Beifall bei den GRÜNEN — Pfeffermann (Feilcke [CDU/CSU]: Was ist denn der Un [CDU/CSU]: Zugabe!) terschied?) Aber ich möchte auch noch etwas Positives an Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, ge- Ihre Adresse sagen. statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten (Zurufe von der CDU/CSU, der SPD und Schmidt (München)? den GRÜNEN) Ich glaube, ich spreche im Namen unserer gesam- Mann (GRÜNE): Aber sicher, Herr Kollege ten Fraktion. Ich hoffe, wenn wir im Herbst viel- Schmidt; immer. leicht zum dritten Mal einen ähnlichen Antrag zur Abstimmung stellen, daß Sie nach dem Vorbild der nordrhein-westfälischen Landesregierung oder ein- Schmidt (München) (SPD): Herr Kollege Mann, habe ich Sie heute im Rechtsausschuß richtig ver- zelner Minister mit uns gegen dieses Faß ohne Bo- standen, daß Sie sich furchtbar darüber beklagt ha- den stimmen werden. ben, daß Sie über Demonstrationsstrafrecht ohne (Beifall bei den GRÜNEN) ausreichende Beratungsmöglichkeit abstimmen Dann hätten Sie allerdings tatsächlich Glaubwür- müssen? Wie bringen Sie das damit in Übereinstim- digkeit im Sinne einer neuen alternativen Energie- mung, daß Sie uns hier vorwerfen, daß wir Ihnen politik, wie wir sie in Hessen gemeinsam versu- gegenüber das gleiche geltend machen, was Sie chen, wo heute ein Gesetzentwurf eingebracht wor- heute lautstark und langatmig im Rechtsausschuß den ist, bewiesen. — nach meiner Meinung: zu Recht — vorgetragen (Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Zuruf von haben? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der SPD: Nic ht mehr lange! Ihr seid bald - nicht mehr da!) Jetzt aber zu Ihnen, verehrte Kolleginnen und Mann (GRÜNE): Herr Kollege Schmidt, ich dach- Kollegen. te, es sei hinreichend klar gewesen: Dieser Antrag lag Ihnen auch für Ihre fraktionsinternen Beratun- (Feilcke [CDU/CSU]: Hören Sie mit sowas gen bereits vor zwei oder drei Monaten vor. Wenn auf!) Sie sich nicht entscheiden können und hier Bera- Ihr angekündigtes Ja zeigt leider, daß Sie nicht be tungsbedarf zur Begründung anführen, ist das Ihr reit und willens sind — Herr Laermann hat zu Problem, aber nicht das Problem unserer Fraktion, Recht auf die lange Geschichte seit 1969 hingewie- 11070 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Mann sen — zu lernen. In der Tat wäre Kalkar energiepo- Schönen Dank für Ihre Geduld. litisch und für die Demokratie in unserem Lande (Beifall bei den GRÜNEN) als grünes Museum besser, als, wie wir in unserem Entschließungsantrag unter Ziffer 3 „Risiken für Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Herr Mensch und Natur" dargelegt haben, hier um jeden Abgeordnete Laermann. Preis mit der Inbetriebnahme zu demonstrieren, daß Sie recht behalten haben, obwohl Sie tatsäch- Dr.-Ing. Laermann (FDP): Herr Präsident! Meine lich nicht recht haben, wie sich aus der Entwicklung sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege der Diskussion um die Brütertechnologie inzwi- Mann hat mich gebeten, ich möchte aus den Erfah- schen, glaube ich, für jeden Fachmann ergeben rungen, Erkenntnissen, Beschlüssen und Empfeh- hat. lungen der Enquete-Kommission lernen. Herr (Beifall bei den GRÜNEN) Mann, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß ich daran mehrere Jahre lang aktiv mitgewirkt habe — An der Stelle mal eine Anmerkung zu Wackers- dorf: Selbst die Atomenergiewirtschaft ist inzwi- bis zur physischen und psychischen Erschöpfung. schen an der Wiederaufarbeitung nicht mehr inter- Ich kann Ihnen nur empfehlen: Schauen Sie sich essiert. Sie müssen ihr diese Sackgassentechnolo- doch erst einmal die Ergebnisse an, nehmen Sie gie geradezu aufdrängen. sich die Materialien vor. Sie könnten uns hier dann manche überflüssige Debatte ersparen. (Lenzer [CDU/CSU]: Was erzählen Sie (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) denn da für abenteuerliches Zeug!) Sie wiederholen hier heute etwas, was Sie schon Herr Laermann, nachdem Sie sich auf die Enquete einmal vorgelegt haben. Wir wissen gar nicht, wie Kommission bezogen haben, würde es Ihnen gut oft Sie damit noch ankommen. Nehmen Sie bitte anstehen, auch aus den Ergebnissen dieser Kom- zur Kenntnis, daß dieses Hohe Haus sich wieder- mission wirklich zu lernen. Wir meinen, um zum holt und ausführlich über die Jahre hinweg mit die- Schluß zu kommen — — sem sehr wichtigen und bedeutenden Thema befaßt hat. Ich möchte Ihnen empfehlen, daß Sie alles das (Beifall bei der CDU/CSU und FDP — Zu einmal verinnerlichen, was wir hier in Ausübung ruf von der SPD: Sehr gut!) verantwortungsbewußter Politik zu diesem Thema — Wenn Sie wollen, kann ich auch noch länger, bis gesagt haben, was wir hier an Entscheidungen ge- zu 15 Minuten, reden. troffen haben, bis hin zu dem Vorbehalt der Be- triebsgenehmigung, der dann nach Vorlage der Er- (Uldall [CDU/CSU]: Das wollen wir gerade gebnisse der Enquete-Kommission aufgehoben nicht! — Feilcke [CDU/CSU]: Wenn Sie uns worden ist, weil wir uns vergewissert haben, daß versprechen, beim Reden auch etwas zu sa der Betrieb verantwortbar ist. Sonst hätte dieses gen, bitte schön! — Weitere Zurufe von der Haus das nicht mit einer so deutlichen Mehrheit CDU/CSU und der SPD) beschlossen. Das gilt für die damals hier in diesem Haus vertretenen Fraktionen insgesamt. Zum Schluß zum Faß ohne Boden. Wir beraten hier heute auf Grund des Berichtes des Haushalts- Ich denke, Sie sollten uns auch nicht länger da- ausschusses. Sie alle außer den GRÜNEN haben von abhalten, hier ernsthaft zu arbeiten. Ich kann nämlich Ihr Bemühen, nach zwei oder drei Monaten dieses Trauerspiel um die Kostenexplosion, um die Entwicklung zu den 7 Milliarden DM mitgemacht. dasselbe noch einmal zu versuchen, wirklich nicht als ernsthaft betrachten. (Dr. Schierholz [GRÜNE]: So ist es! — Zu (Beifall bei der FDP) rufe von der SPD) Sie mißbrauchen auch unsere Geduld und unsere Sie sollten uns ersparen, hier vielleicht in Zukunft Bereitschaft, auch auf Ihre Argumente und auf Ihre noch weitere staatliche Mittel für ein Projekt zur Positionen einzugehen, uns damit auseinanderzu- Verfügung stellen zu müssen, das wirklich seine be- setzen. ste Nutzung als Museum für eine verfehlte Politik Wenn der Kollege Porzner vorhin gesagt hat, hier der Großtechnologie, der menschengefährdenden würden Gesetze durchgepeitscht, so muß ich aus Großprojekte fände, statt zu investieren, im übrigen der Erkenntnis über Gesetzesberatungen in den in Projekte — da haben wir die Verbindung zum Ausschüssen doch einmal fragen, wieso Sie eigent- Demonstrationsrecht —, lich immer dann, wenn Ihnen von der Opposition eine Gesetzesvorlage nicht gefällt, anfangen, zu fili- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist der bustern, und damit das ganze Unternehmen mit un- Zweck der Übung: Demonstrationsrecht!) sachlichen Argumenten in die Länge ziehen. die die Demokratie in unserem Lande zum- Teil zu- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) grunde gerichtet haben, die den Glauben vieler jun- ger Menschen an die Einsichtsfähigkeit der Politi- Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, ge- ker zerstört haben. In diesem Sinne würden Sie bei statten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeord- den Wählern, die wir repräsentieren, Vertrauen zu- neten Schierholz? rückgewinnen, wenn Sie Ihre Fehler eingestehen würden, statt hier heute trotzig, wie Sie nun einmal Dr.-Ing. Laermann (FDP): Nein, Herr Präsident, ich sind, auf dieser Sackgassentechnologie zu beste- bedaure. Um meine eigenen Worte und die Ernst- hen. haftigkeit unseres Bemühens nicht in Zweifel zu Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11071

Dr.-Ing. Laermann ziehen, möchte ich dieses Unternehmen wirklich Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf: nicht noch in die Länge ziehen. Beratung der Beschlußempfehlung und des (Beifall bei der FDP) Berichts des Ausschusses für Verkehr (14. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Ich möchte nur noch eines sagen. Gesetze werden Daubertshäuser, Haar, Bamberg, Amling, An- hier überhaupt nicht durchgepeitscht. Hier geht es tretter, Berschkeit, Buckpesch, Curdt, Hett- vielmehr um notwendige Entscheidungen, die ge- ling, Ibrügger, Kretkowski, Pauli, Hoffmann troffen werden müssen. Wir haben auch in Sachen (Saarbrücken), Dr. Steger, Purps, Frau Stein- Schneller Brüter die Entscheidung getroffen. Was hauer und der Fraktion der SPD Personen- die Technik betrifft, was die Sicherheit betrifft, was nahverkehr der Deutschen Bundesbahn in die Risiken betrifft, was die internationalen Ver- der Fläche pflichtungen betrifft — darauf sind Sie überhaupt nicht eingegangen. Sie müssen doch sehen, daß wir - Drucksachen 10/1503, 10/3488 - mit Frankreich verhandeln müssen, daß wir mit Berichterstatter: Belgien verhandeln müssen, daß wir mit den Nie- Abgeordneter Dr. Jobst derlanden verhandeln müssen. Wollen Sie eigent- Das Wort wird nicht gewünscht. lich, wenn wir auf der einen Seite für Europa spre- chen, auf der anderen Seite sagen: Verträge küm- Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschluß- mern uns nicht? Ich frage Sie: Wie lange wollen Sie empfehlung des Ausschusses für Verkehr auf eigentlich noch unsere Geduld mißbrauchen? Drucksache 10/3488 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dage- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gen? — Dann ist die Beschlußempfehlung des Aus- schusses einstimmig angenommen.

Vizepräsident Westphal: Weitere Wortmeldungen Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf: liegen zu dieser Debatte nicht vor. Ich schließe die Beratung der Sammelübersicht 82 des Peti- Aussprache. tionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge Wir kommen nun zur Abstimmung. Es ist noch zu Petitionen nicht die namentliche Abstimmung. Wir stimmen — Drucksache 10/3505 — zunächst über die Beschlußempfehlung des Haus- haltsausschusses ab. Der Ausschuß empfiehlt auf Das Wort wird nicht gewünscht. Drucksache 10/3470, von der Unterrichtung Kennt- Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschluß- nis zu nehmen. Erhebt sich hiergegen Widerspruch? empfehlung des Petitionsausschusses zuzustimmen — Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist die Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN. Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Die Fraktion DIE GRÜNEN verlangt gemäß § 52 einstimmig angenommen. unserer Geschäftsordnung namentliche Abstim- mung. Wer dem Entschließungsantrag auf Druck- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf. sache 10/3572 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, Beratung des Antrags der Abgeordneten die Abstimmungskarte mit Ja, wer dagegenstim- Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Schmude, Frau men oder sich der Stimme enthalten will, den bitte Fuchs (Köln), Jaunich, Kuhlwein, Lutz, Schä- ich, die entsprechenden Abstimmungskarten in die fer (Offenburg), Frau Schmidt (Nürnberg), hier vorne aufgestellten Urnen zu legen. Frau Odendahl, Bachmaier, Frau Blunck, Ca- Ich muß Ihnen noch mitteilen, daß zwei Abgeord- tenhusen, Dr. Diederich (Berlin), Egert, Frau nete, nämlich die Abgeordneten Glombig und Collet, Fuchs (Verl), Frau Dr. Hartenstein, Frau Hu- nach § 31 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung erklärt ber, Immer (Altenkirchen), Dr. Kübler, Frau haben, daß sie nicht an der Abstimmung teilneh- Dr. Lepsius, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny men. Glotz, Frau Matthäus-Maier, Müller (Düssel- dorf), Peter (Kassel), Frau Renger , Frau Die Abstimmung ist eröffnet. Schmedt (Lengerich), Frau Simonis, Dr. So- Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied ell, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Frau Steinhau- des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht ab- er, Stiegler, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, gegeben hat? — Das ist nicht der Fall. Dann Frau Traupe, Frau Weyel, Wolfram (Reck- schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift- linghausen), Frau Zutt, Dr. Vogel und der führer, mit der Auszählung zu beginnen. Fraktion der SPD Umsetzung der Empfehlungen der Sachver- Ich muß noch bekanntgeben, daß der Abgeord- nete Kirschner ebenfalls nach § 31 Abs. -2 unserer ständigenkommission zum Sechsten Ju- gendbericht „Verbesserung der Chancen- Geschäftsordnung mitgeteilt hat, daß er nicht an gleichheit von Mädchen in der Bundesrepu- der Abstimmung teilgenommen hat. blik Deutschland" (Drucksache 10/1007) Ich nutze die Zwischenzeit, um die restlichen Ta- — Drucksache 10/3385 — gesordnungspunkte abzuwickeln, bei denen keine Überweisungsvorschlag: Debatten vorgesehen sind. — Ich darf bitten, Platz Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zu nehmen oder die Gespräche außerhalb des Saa- (federführend) les zu führen. Innenausschuß 11072 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Vizepräsident Westphal Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Feilcke Ruf Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Fellner Sauer (Stuttgart) Das Wort wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat Frau Fischer Saurin Fischer (Hamburg) Sauter (Epfendorf) schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 10/3385 an Francke (Hamburg) Sauter (Ichenhausen) die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse Dr. Friedmann Dr. Schäuble zu überweisen. Gibt es anderweitige Vorschläge? — Ganz (St. Wendel) Scheu Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so Frau Geiger Schneider Dr. Geißler (Idar-Oberstein) beschlossen. Dr. von Geldern Dr. Schneider (Nürnberg) Nun müssen wir warten, bis des Ergebnis der Dr. George Freiherr von Schorlemer Gerlach (Obernau) Schreiber namentlichen Abstimmung bekannt wird. — Gerstein Dr. Schroeder (Freiburg) Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung Gerster (Mainz) Dr. Schulte über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE Glos (Schwäbisch Gmünd) Dr. Göhner Schwarz GRÜNEN zu Tagesordnungspunkt 13 auf Druck- Götzer Dr. Schwarz-Schilling sache 10/3572 ist mir mitgeteilt worden. Mir ist aber Günther Dr. Schwörer auch mitgeteilt worden, daß es Unstimmigkeiten Dr. Häfele Seehofer bei der Abstimmung gegeben hat, die im Augen- Hanz (Dahlen) Seesing Haungs Seiters blick noch nicht feststellbar sind. Deshalb mache Hauser (Esslingen) Dr. Freiherr ich die Mitteilung unter dem Vorbehalt, daß das Hedrich Spies von Büllesheim endgültige Ergebnis morgen vormittag bekanntge- Freiherr Heereman Dr. Stark (Nürtingen) geben wird, wenn es überprüft worden ist. von Zuydtwyck Dr. Stavenhagen Helmrich Dr. Stercken Es sind — so sieht der Bericht aus — 351 Stim- Hinsken Stockhausen men abgegeben worden. Davon waren ungültig: Höffkes Dr. Stoltenberg Höpfinger Stutzer keine Stimmen. Mit Ja haben 26 Abgeordnete ge- Dr. Hoffacker Susset stimmt, mit Nein 228. Es hat 97 Enthaltungen gege- Frau Hoffmann (Soltau) Dr. Todenhöfer ben. Ich wiederhole meinen Vorbehalt: Es wird noch Dr. Hornhues Uldall einmal überprüft. Es kann sein, daß sich dadurch Hornung Dr. Unland Jäger (Wangen) Vogel (Ennepetal) zwar nicht die Mehrheit, aber das Stimmenverhält- Jagoda Vogt (Duren) nis verändert. Dr. Jahn (Münster) Dr. Voigt (Northeim) Dr. Jenninger Dr. Voss Endgültiges Ergebnis Dr. Jobst Dr. Waffenschmidt Jung (Lörrach) Dr. Waigel Abgegebene Stimmen: 337; davon Dr.-Ing. Kansy Graf von Waldburg-Zeil Frau Karwatzki Dr. Warnke j a: 20 Kittelmann Dr. Warrikoff Dr. Köhler (Wolfsburg) Dr. von Wartenberg nein: 220 Dr. Kohl Weiß enthalten: 89 Kolb Werner (Ulm) Kraus Frau Will-Feld ungültig: 8 Dr. Kreile Frau Dr. Wilms Frau Krone-Appuhn Frau Dr. Wisniewski Ja Dr. Becker (Frankfurt) Dr. Kunz (Weiden) Wissmann Berger Landré Dr. Wittmann DIE GRÜNEN Frau Berger (Berlin) Dr. Langner Wittmann (Tännesberg) Biehle Lattmann Dr. Wörner . Bueb Dr. Blüm Dr. Laufs Würzbach Frau Dann Böhm (Melsungen) Lenzer Dr. Wulff Frau Hönes Dr. Bötsch Link (Frankfurt) Zierer Horacek Bohl Linsmeier Dr. Zimmermann Kleinert (Marburg) Bohlsen Lintner Zink Lange Borchert Dr. Lippold Mann Boroffka Lohmann (Lüdenscheid) Dr. Müller (Bremen) Broll Louven SPD Dr. Schierholz Brunner Lowack Schily Bühler (Bruchsal) Maaß Curdt Schmidt (Hamburg- Dr. Bugl Frau Männle Fischer (Homburg) Neustadt) Buschbom Magin Grunenberg Schulte (Menden) Carstensen (Nordstrand) Marschewski Dr. Haack Senfft Clemens Metz Haase (Fürth) Ströbele Conrad (Riegelsberg) Dr. Miltner Horn Suhr Dr. Czaja Müller (Wadern) Immer (Altenkirchen) Tatge Dr. Daniels Frau Dr. Neumeister Kühbacher Tischer Daweke Niegel Lietke Vogel (München) Frau Dempwolf Dr. Olderog Nehm Werner (Dierstorf) Deres Pfeffermann Purps Werner (Westerland) Dörflinger Pöppl Rappe (Hildesheim) Dr. Dollinger Pohlmann Frau Renger Doss Dr. Probst Schluckebier Nein Dr. Dregger Rawe Dr. Schmidt (Gellersen) Ehrbar Reddemann Schulte (Unna) Eigen Regenspurger Stahl (Kempen) CDU/CSU Engelsberger Repnik Frau Steinhauer Dr. Abelein Erhard Dr. Riesenhuber Tietjen Frau Augustin (Bad Schwalbach) Frau Rönsch Urbaniak Bayha Dr. Faltlhauser Roth (Gießen) Vogelsang Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11073 Vizepräsident Westphal von der Wiesche Frau Blunck Frau Odendahl Vosen Wolfram Brück Oostergetelo Walther (Recklinghausen) Buckpesch Paterna Wartenberg Büchler (Hof) Porzner Dr. Wernitz Dr. von Bülow Rapp (Göppingen) Westphal FDP Buschfort Reuter Frau Weyel Frau Dr. Adam Conradi Rohde (Hannover) Wimmer (Neuötting) Schwaetzer Daubertshäuser Roth Dr. de With Baum Delorme Schäfer (Offenburg) Zander Beckmann Dr. Ehmke (Bonn) Schlaga Frau Zutt Bredehorn Dr. Ehrenberg Frau Schmedt Cronenberg (Arnsberg) Dr. Emmerlich (Lengerich) FDP Eimer (Fürth) Dr. Enders Schmidt (München) Engelhard Esters Frau Schmidt (Nürnberg) Dr. Feldmann Ertl Ewen Dr. Schmude Dr. Hirsch Gallus Fischer (Osthofen) Schröer (Mülheim) Gattermann Gansel Dr. Schwenk (Stade) Genscher Gerstl (Passau) Dr. Soell Ungültig Frau Dr. Hamm-Brücher Gilges Dr. Sperling Hoffie Frau Dr. Hartenstein Dr. Spöri SPD Hoppe Heimann Stiegler Kleinert (Hannover) Heistermann Stockleben Dr. Jens Dr.-Ing. Laermann Hettling Dr. Struck Peter (Kassel) Dr. Graf Lambsdorff Huonker Frau Terborg Pfuhl Mischnick Jahn (Marburg) Frau Dr. Timm Schreiner Möllemann Jaunich Frau Traupe Sieler Neuhausen Junghans Vahlberg Frau Simonis Paintner Jungmann Verheugen Waltemathe Ronneburger Kastning Dr. Vogel Würtz Dr. Rumpf Kiehm Frau Dr. Segall Klein (Dieburg) Dr. Solms Klose Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Wolfgramm (Göttingen) Kolbow Kuhlwein Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß Lohmann (Witten) unserer heutigen Tagesordnung. Enthalten Lutz Frau Matthäus-Maier Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Matthöfer SPD Meininghaus Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 27. Juni Amling Müller (Düsseldorf) 1985, 9 Uhr ein. Antretter Müller (Schweinfurt) Bachmaier Dr. Müller-Emmert Die Sitzung ist geschlossen. Becker (Nienberge) Müntefering Bindig Dr. Nöbel (Schluß der Sitzung: 22.47 Uhr)

Berichtigung

146. Sitzung, Seite 10870 A: In der ersten Zeile ist statt „DGB" „CGB" zu lesen.

Seite 10870 B: In der Klammer ist statt „Lutz (CDU/ CSU)" „Lutz (SPD)" zu lesen.

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Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11075*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Wegen der starken Zunahme der Zahl der Ratsu- Liste der entschuldigten Abgeordneten chenden ist die Zahl der Planstellen in den Fachver- mittlungsdiensten im Rahmen des Haushalts 1985 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich - durch Bewilligung neuer Stellen sowie die Verle- gung von Stellen aus anderen Bereichen - um na- Dr. Ahrens* 28. 6. hezu ein Drittel auf rund 550 erhöht worden. Die Dr. Blank 28. 6. zusätzlichen Stellen werden für die Einrichtung von Borchert 26. 6. Fachvermittlungsdiensten bei fünf weiteren Ar- Brandt 28. 6. beitsämtern und die Verstärkung bestehender Franke (Hannover) 28. 6. Fachvermittlungsdienste genutzt. Hansen (Hamburg) 26. 6. Dr. Hauff 28. 6. Auch die neuen Fachvermittlungsdienste werden Frau Hürland 28. 6. der computerunterstützten Arbeitsvermittlung an- Ibrügger 28. 6. geschlossen. Damit ist gewährleistet, daß den dort Keller 28. 6. gemeldeten Ratsuchenden auch der überbezirkli- Kroll-Schlüter 28. 6. che Arbeitsmarkt erschlossen wird und auf einge- Dr. Meyer zu Bentrup 26. 6. hende Stellenangebote schnell mit Bewerbervor- Michels 26. 6. schlägen reagiert werden kann. Dr. Müller * 28. 6. Müller (Remscheid) 26. 6. Zu Frage 6: Nagel 28. 6. Niegel 26. 6. In Nordrhein-Westfalen werden die Arbeitsämter Polkehn 28. 6. Münster, Dortmund und Bonn ab 1. Oktober 1985 Schmidt (Hamburg) 28. 6. Fachvermittlungsdienste für besonders qualifi- Frau Schmidt (Nürnberg) 28. 6. zierte Fach- und Führungskräfte erhalten. Damit Schmidt (Wattenscheid) 28. 6. wird die Beratung und Arbeitsvermittlung an drei Schröder (Hannover) 26. 6. wichtigen Universitätsstandorten wesentlich ver- Dr. Schwenk (Stade) 26. 6. bessert. Voigt (Frankfurt) 28. 6. Voigt (Sonthofen) 26. 6. Frau Dr. Wex 28. 6. Dr. Wieczorek 28. 6. Anlage 3 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver- Antwort sammlung des Europarates des Parl. Staatssekretärs Frau Karwatzki auf die Frage der Abgeordneten Frau Steinhauer (SPD) Anlage 2 (Drucksache 10/3539 Frage 18): Kann die Bundesregierung mitteilen, ob es sich bei dem Antwort Skandal (lt. Bericht der „Welt am Sonntag" vom 16. Juni des Parl. Staatssekretärs Höpfinger auf die Fragen 1985), wonach Todes-Gift durch Katalog angeboten und bezo- gen werden kann, um einen Einzelfall oder um gängige Pra- des Abgeordneten Catenhusen (SPD) (Drucksache xis handelt, und gibt es im Verantwortungsbereich der Bun- 10/3539 Fragen 5 und 6): desregierung Möglichkeiten, solche Versandpraktiken für Welche Maßnahmen werden von seiten der Bundesanstalt die Zukunft auszuschließen? für Arbeit für eine bessere Beratung, Umschulung und Ver- mittlung von arbeitslosen Akademikern vorbereitet? Nach § 1 Abs. 1 des DDT-Gesetzes ist das Inver- Welche zusätzlichen Standorte für Einrichtungen des Fachvermittlungsdienstes der Arbeitsvermittlung sind für kehrbringen von DDT- und DDT-Zubereitungen Nordrhein-Westfalen vorgesehen; befindet sich darunter verboten und nach § 7 Abs. 1 mit Freiheitsstrafe bis auch der Standort Münster? zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe in besonders schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Mo- Zu Frage 5: naten bis fünf Jahren, bedroht. Eine Ausnahmege- nehmigung des Bundesgesundheitsamtes für For- Den arbeitslosen Akademikern steht bei der Bun- schungs-, Untersuchungs- und Versuchszwecke, die desanstalt für Arbeit ein enges Netz von Fachver- nach § 1 Abs. 2 DDT-Gesetz erteilt werden kann, mittlungsdiensten für besonders qualifizierte Fach- liegt in diesem Fall nicht vor. Die Klärung des Sach- und Führungskräfte sowie - für einige Berufe wie verhalts ist Aufgabe der zuständigen Behörden der z. B. für Ärzte - die Zentralstelle für Arbeitsver- Länder, die für die Durchführung des Gesetzes ver- mittlung in Frankfurt/Main zur Verfügung. Die antwortlich sind. Die Einleitung eines Strafverfah- Fachvermittlungsdienste und die Zentralstelle für rens obliegt den Strafverfolgungsbehörden. Der Arbeitsvermittlung sind mit gut qualifizierten Bera- Bundesregierung ist bekannt, daß die Ermittlungen tungs- und Vermittlungskräften besetzt. Zu ihren umgehend aufgenommen worden sind. Aufgaben gehört auch die Arbeitsberatung und För- derung der beruflichen Fortbildung und Umschu- Vergleichbare Fälle sind der Bundesregierung lung der bei ihnen gemeldeten Ratsuchenden. bisher nicht bekannt geworden. 11076* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Anlage 4 Anlage 5 Antwort Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Fragen des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Fragen des Abgeordneten Fischer (Homburg) (SPD) des Abgeordneten Dr. Ehrenberg (SPD) (Druck- (Drucksache 10/3539 Fragen 21 und 22): sache 10/3539 Fragen 19 und 20): Wie steht die Bundesregierung zur Forderung der Städte Frankfurt am Main, Heidelberg, Ludwigshafen, Mannheim Ist die Bundesregierung darüber informiert, daß entgegen allen Vorankündigungen mit dem neuen IC-Konzept durch und Saarbrücken, des Raumordnungsverbandes Rhein-Nek- längere Wartezeiten auf Anschlußbahnhöfen die Gesamt- kar, der Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main, fahrzeiten von den Küstenstädten zwischen Weser und Ems für die Pfalz, Rhein-Neckar und des Saarlandes sowie des in vielen Fällen nicht kürzer, sondern um fünf bis zehn Minu- Saar-Pfalz-Vereins, sich im Rahmen der Verknüpfung des ten länger geworden sind? französischen und des deutschen Schienenschnellfahrnetzes für einen Anschluß auf der Linie Paris-Metz-Saarbrücken- Mannheim mit Weiterführung nach Frankfurt am Main ei- Ist die Bundesregierung bereit, auf die Deutsche Bundes- nerseits und Stuttgart und München andererseits einzuset- bahn dahin gehend einzuwirken, daß beim Winterfahrplan zen? 1985/86 der gegenwärtige absurde Zustand, daß die normalen Anschlußzüge aus der Nord-West-Region den Hauptbahnhof Wie steht die Bundesregierung zu den Überlegungen der Bremen eine Minute nach Abfahrt des IC Hamburg-Köln Deutschen Bundesbahn zum Ausbau der Strecke Saarbrük- erreichen — die regionalen IC-Anschlüsse aus Oldenburg ken-Mannheim, und ist die Bundesregierung bereit, in dieser 15 Minuten — durch eine vernünftige Anschlußregelung er- Angelegenheit umgehend eine bilaterale (deutsch-französi- setzt wird? sche) Arbeitsgruppe einzusetzen, die die Durchführbarkeit dieser Schienenschnellverkehrsverbindung untersucht?

Zu Frage 21: Zu Frage 19: Die Bundesregierung hat mit der Prüfung dieser Ja; die Bundesregierung kennt den von Ihnen ge- Frage bereits vor einigen Jahren im Rahmen der schilderten Sachverhalt. Nach Mitteilung der für Fortschreibung der Bundesverkehrswegeplanung die Fahrplangestaltung zuständigen Deutschen begonnen. Eine abschließende Entscheidung kann Bundesbahn ergeben sich im neuen IC-Konzept 85 jedoch nur in Zusammenarbeit mit der französi- für die Küstenstädte zwischen Weser und Ems we- schen Seite getroffen werden. Ich werde Ihnen die gen der Ausrichtung der Anschlüsse in Bremen auf Einzelheiten in meiner nächsten Antwort zu Frage die Richtung Hamburg und Hannover (einschließ- Nr. 22 erläutern. lich Zielrichtung Süden) zum Teil geringfügig län- gere Gesamtfahrzeiten in Richtung Westen durch Zu Frage 22: verlängerte Übergangszeiten. Der Ausbau der Strecke Saarbrücken-Ludwigs- hafen ist im Entwurf des Bundesverkehrswege- plans '85 vom 18. März 1985 unter Planungen einge- Zu Frage 20: stuft. Anläßlich der 45. Deutsch-französischen Konsul- Der direkte Reiseweg von Wilhelmshaven und Ol- tationen der Staats- bzw. Regierungschefs am denburg in Richtung Köln über Osnabrück ist 28. Februar 1985 in Paris wurde hierzu beschlossen, 55 km kürzer und damit vom Fahrpreis günstiger zunächst getrennt und dann gemeinsam eine Hoch- als die Verbindung über Bremen. Die Deutsche geschwindigkeitsverbindung zwischen Paris und Bundesbahn hat daher an die IC-Züge in Osna- der Neubaustrecke Mannheim-Stuttgart zu unter- brück zwischen 7 und 20 Uhr jeweils 9 Anschlußver- suchen. bindungen in Richtung und Gegenrichtung mit ei- ner durchschnittlichen Übergangszeit von 20 Minu- Die Arbeitsgruppe wird voraussichtlich zu Be- ten hergestellt. ginn des nächsten Jahres ihre Tätigkeit aufneh- men. In Bremen besteht zwischen der Abfahrt des er- sten IC-Zuges (Richtung Hamburg) und des letzten IC-Zuges (Richtung Osnabrück) eine Zeitspanne Anlage 6 von 37 Minuten. Entsprechend den größeren Ver- Antwort kehrsströmen werden daher die Anschlußzüge aus Richtung Nordenham auf die IC-Züge in Richtung des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Fragen Osnabrück und die Anschlußzüge aus Richtung der Abgeordneten Frau Schmidt (Nürnberg) (SPD) Bremerhaven und Oldenburg auf die IC-Abfahrten (Drucksache 10/3539 Fragen 27 und 28): Richtung Hamburg und Hannover ausgerichtet. Aus welchem Grunde ist die Neubaustrecke der Deutschen Hierbei ergeben sich für den — nach Auffassung Bundesbahn von Nürnberg nach Ingolstadt im neuen Bun- der Deutschen Bundesbahn — unüblichen Weg von desverkehrswegeplan nicht mehr aufgeführt? Oldenburg über Bremen in Richtung Osnabrück Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, diese Neubaustrecke noch in die Fortschreibung des Bundesver- zwangsläufig nicht befriedigende Übergangszeiten. kehrswegeplanes aufzunehmen? Ich gehe davon aus, daß sich die Deutsche Bun- desbahn bei der Gestaltung des Winterfahrplanes Zu Frage 27: 1985/86 bemühen wird, die aufgezeigten Schwierig- Die Fortschreibung der Bundesverkehrswegepla- keiten so weit wie möglich zu beseitigen. nung befindet sich zur Zeit noch im Entwurfsstadi- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985 11077* um. Nach den bisher vorliegenden Ergebnissen ei- niedrige Emissionen haben. Der Hersteller hat ner einheitlichen verkehrszweigübergreifenden Be- nachzuweisen, daß die vorgesehenen Grenzwerte wertung konnte das Vorhaben zunächst nicht in über eine Fahrstrecke von 80 000 km oder eine Be- den Entwurf des. Bundesverkehrswegeplanes 1985 triebsdauer von fünf Jahren bei ordnungsgemäßer aufgenommen werden. Wartung und bei Betrieb des Fahrzeugs mit unver- bleitem Kraftstoff eingehalten werden. Auch nach Zu Frage 28: Nr. 1.3 der geplanten Anlage XXIV der Straßen- verkehrs-Zulassungs-Ordnung (Bundesrats-Druck- Zur Zeit wird der Entwurf des Bundesverkehrs- sache 160/85) hat der Antragsteller bzw. Hersteller wegeplanes '85 mit den beteiligten Stellen auf Bun- glaubhaft zu machen, daß die Funktionsfähigkeit des- und Länderebene abgestimmt. Dabei werden der emissionsmindernden und emissionsrelevanten insbesondere auch regionale Gesichtspunkte erneut Bauteile über eine angemessene Lebensdauer bei abzuwägen und ggf. in dem endgültigen Kabinetts- bestimmungsgemäßem Betrieb des Fahrzeugs ge- entwurf zu berücksichten sein. währleistet ist. Diese Nachweise hat der Hersteller im Rahmen der Erteilung der Betriebserlaubnis gegenüber der Anlage 7 Genehmigungsbehörde zu führen. Außerdem beste- hen die üblichen Gewährleistungsansprüche. Hier- Antwort bei werden der bestimmungsgemäße Gebrauch und des Parl. Staatssekretärs Dr. Schulte auf die Fragen die übliche Wartung des Kraftfahrzeugs vorausge des Abgeordneten Stiegler (SPD) (Drucksache setzt; diese notwendige Mitwirkung des Fahrzeug- 10/3539 Fragen 30 und 31): halters ist unverzichtbar. Wie beurteilt die Bundesregierung die Kritik der Automo- bilclubs an der Gebührenpraxis der Überwachungsvereine und der Werkstätten beim Vollzug der Abgassonderuntersu- chung (vgl. ACE-Lenkrad, Heft 5 und 6 von 1985), und wird Anlage 8 sie dafür eintreten, eine einheitliche gesetzliche Gebührenre- gelung für die Abgassonderuntersuchung zu schaffen? Antwort Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorschlag, eine ge- des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Fragen setzliche Herstellerhaftung für das Einhalten der Grenz- werte für Schadstoffemissionen ohne vorherige Wartung ein- des Abgeordneten Immer (Altenkirchen) (SPD) zuführen, und wird sie entsprechende Initiativen ergreifen? (Drucksache 10/3539 Fragen 66 und 67): Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung des Staatsministers beim Bundeskanzler, Vogel, daß der Deut- Zu Frage 30: sche Evangelische Kirchentag in den letzten Jahren „immer Die Bundesregierung geht davon aus, daß die mehr nach links gerückt" sei. Dies zeige auch das Programm der diesjährigen Großveranstaltung in Düsseldorf. Das Tref- Technischen Überwachungsvereine den Kunden fen gerate „zu sehr in den Sog des Zeitgeistes" und der „poli- keine überhöhten Entgelte in Rechnung stellen. Die tischen Einseitigkeit"; der Kirchentag werde „von politischen Technischen Überwachungsvereine berechnen für Leuten weitgehend für sich vereinnahmt"? Abgassonderuntersuchungen derzeit in der Regel Inwieweit bestätigt die Bundesregierung Behauptungen in eine Gebühr von 26,79 DM, einschließlich der Ge- der kirchlichen Presse, wonach „Vertreter der Bundesregie- bühr für die Prüfplakette von 1,— DM und der rung" die Wahl des neuen Präses der EKD-Synode als „politi- Mehrwertsteuer. sches Zeichen" gewertet wissen wollten? Der Bundesrat hatte anläßlich seiner Zustim- Zu Frage 66: mung zur Abgassonderuntersuchung zwar die Auf- fassung vertreten, daß eine Gebühr von insgesamt Die inhaltliche Gestaltung des Deutschen Evan- 17,96 DM ausreichen müsse; die Technischen Über- gelischen Kirchentages liegt in der alleinigen Ver- wachungsvereine haben aber dargelegt, daß dieser antwortung der ihn tragenden Laienbewegung. Die Betrag nicht kostendeckend wäre. Bundesregierung nimmt aus grundsätzlichen Erwä- gungen dazu nicht Stellung. Soweit sich Mitglieder Die Bundesregierung beabsichtigt entsprechend oder Vertreter der Bundesregierung dazu geäußert der Entschließung des Bundesrates demnächst, spä- ben, haben sie dies als Mitglieder ihrer Kirche testens bei der nächsten Novellierung der Gebüh- ha getan. renordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr, für die Abgassonderuntersuchung eine eigene Ge- bührennummer vorzusehen. Zu Frage 67: Die Bundesregierung nimmt grundsätzlich zu Zu Frage 31: derartigen Presseberichten nicht Stellung. - Der Gedanke der Herstellerhaftung ist in den Entwürfen der vorgesehenen verkehrsrechtlichen Vorschriften enthalten. Anlage 9 Nach Nr. 1.3 der Anlage XXIII der Straßen- Antwort verkehrs-Zulassungs-Ordnung (Bundesrats-Druck- sache 558/84) hat der Hersteller durch geeignete des Parl. Staatssekretärs Grüner auf die Frage der Maßnahmen sicherzustellen, daß die Fahrzeuge Abgeordneten Frau Simonis (SPD) (Drucksache während ihrer gesamten Lebensdauer möglichst 10/3539 Frage 81): 11078* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Juni 1985

Ist nach Ansicht der Bundesregierung nur eine Autorenle- nen sämtliche Veranstaltungskosten übernehmen. sung des Bundesverbandes der Freien Berufe mit Hannelies Zielsetzung dieser Förderung ist es, durch die Betei- Taschau und Gert Hofmann durch die Förderung des Bun- desministeriums für Wirtschaft finanziell zu unterstützen, ligung von Künstlern und Publizisten verschie- oder können auch andere Autoren bzw. andere Künstler, die dener Bereiche zur Verdeutlichung gesellschaftlich zur Bereicherung sonstiger Bundesverbände auftreten, oder politisch relevanter Themen beizutragen und durch das Bundesministerium für Wirtschaft finanziell un- nicht zuletzt einen Beitrag zur Erschließung neuer terstützt werden? beruflicher Wirkungsmöglichkeiten für Künstler und Publizisten zu leisten. Das Bundeswirtschafts- Auch andere Künstler und Autoren können durch ministerium ist besonders darum bemüht, Nach- die Bundesregierung gefördert werden und wurden wuchskräften im Bereich der Künstler und Publizi- es bereits in zahlreichen Fällen. sten für ihre freiberufliche Tätigkeit nicht lediglich eine materielle, sondern auch ideelle Unterstützung Diese Förderung erfolgt im Rahmen der Maßnah- zu geben, wie sie aufgrund der Publizitätswirkung men zur „Nutzung des künstlerischen Sachverstan- solcher Veranstaltungen erfolgen kann. des bei der Erfüllung von Ressortaufgaben". Sie ist Bestandteil des von der Bundesregierung am Das Auftreten von Künstlern und Publizisten 2. Juni 1976 beschlossenen Maßnahmenkataloges kann dabei eine kulturelle „Bereicherung" für die zur Verbesserung der beruflichen und sozialen Besucher von entsprechenden Kunstausstellungen Lage der Künstler und Publizisten. oder die Zuhörer bei solchen Autorenlesungen be- Die Förderung durch das Bundeswirtschaftsmini- deuten. Auf diese Weise werden auch besondere Be- sterium ergibt sich aus den beim Bundesinnenmini- gegnungsmöglichkeiten zwischen den verschie- sterium zentral veranschlagten Haushaltsmitteln denen Gruppen der freien Berufe, zu denen in be- (Kapitel 06 02 Titel 526 21) und aus der „Vorläufigen sonderem Maße auch freiberufliche Künstler und Richtlinie" des Bundesinnenministers vom 1. Sep- Publizisten zählen, geschaffen. So haben an der Au- tember 1979. torenlesung vom 24. Juni 1985 des Bundesverban- des der Freien Berufe in Bonn zahlreiche Interes- Die Autorenlesung mit Hannelies Taschau und sierte aus allen Bereichen der freien Berufe teilge- Gert Hofmann vom 24. Juni 1985 steht am Anfang nommen, wodurch diese Veranstaltung für die Au- einer Reihe, für die zwölf deutsche Nachwuchsauto- toren ein guter Erfolg war. ren ausgewählt wurden. Die fachkundige Auswahl der Autoren erfolgte durch einen namhaften Re- dakteur einer bekannten Tageszeitung, im Einver- Die Bundesregierung ist erfreut, wenn Verbände nehmen mit dem Bundesverband der Freien Beru- und Institutionen entsprechend geeignete Veran- fe. Der Bundesverband wird in zehn Veranstaltun- staltungen durchführen. Hierzu können im Rahmen gen zusammen mit seinen Mitgliedsorganisationen der oben erwähnten Richtlinie des Bundesinnenmi- diese Autorenlesungen durchführen. nisteriums Förderanträge zugunsten der beteiligten Künstler und Publizisten gestellt werden, soweit die Die Bundeszuwendung bei diesen Veranstaltun- knapp bemessenen Haushaltsmittel dazu ausrei- gen ist zur Förderung der Autoren bestimmt, wobei chen und die Maßnahmen zur Erfüllung von Aufga- der Bundesverband und seine Mitgliedsorganisatio- ben der Bundesregierung beitragen können.