Plenarprotokoll 9/80

Deutscher

Stenographischer Bericht

80. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Inhalt:

Erweiterung der Tagesordnung 4770 A Erklärungen nach § 32 GO Lutz SPD 4769 C Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Dr. Friedmann CDU/CSU 4769 C wurfs eines Gesetzes über die Feststellung Hoffmann (Saarbrücken) SPD 4770A des Bundeshaushaltsplans für das Haus- Eimer (Fürth) FDP 4774C haltsjahr 1982 (Haushaltsgesetz 1982) Zander, Parl. Staatssekretär BMJFG . 4776 C — Drucksachen 9/770, 9/965 — Beschlußempfehlungen und Bericht des Einzelplan 30 Haushaltsausschusses Geschäftsbereich des Bundesministers für Einzelplan 11 Forschung und Technologie — Drucksache 9/1201 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung Dr. Stavenhagen CDU/CSU 4779 B — Drucksache 9/1191 — Vosen SPD 4781C Dr. Friedmann CDU/CSU 4729 B Dr. Zumpfort FDP 4784 D Grobecker SPD 4734 C Dr. von Bülow, Bundesminister BMFT 4788 A Cronenberg FDP 4737 C Einzelplan 06 Franke CDU/CSU 4740 D Geschäftsbereich des Bundesministers des Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA 4745 D, 4755 D Innern Dr. Blüm, Senator des Landes Berlin . 4749 D — Drucksache 9/1186 — Lutz SPD 4757 B Schmidt (Kempten) FDP 4759 C in Verbindung mit

Erklärungen nach § 30 GO Einzelplan 36 Dr. Friedmann CDU/CSU 4762 D Zivile Verteidigung Lutz SPD 4763 B — Drucksache 9/1206 —

Einzelplan 15 in Verbindung mit Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit Einzelplan 33 — Drucksache 9/1195 — Versorgung Dr. Rose CDU/CSU 4763 C — Drucksache 9/1204 — II Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Gerster (Mainz) CDU/CSU 4791 D Wallow SPD 4819 D Kühbacher SPD 4797 B Frau von Braun-Stützer FDP 4822 D Dr. Hirsch FDP 4800 B Engholm, Bundesminister BMBW . . . 4825 D Borchert CDU/CSU 4803 D Haushaltsgesetz 1982 Dr. Nöbel SPD 4805 D — Drucksachen 9/1208, 9/1257 — . . . . 4829A Wolfgramm (Göttingen) FDP 4807 B Baum, Bundesminister BMI 4808 D Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Waigel, Dr. Köhler Einzelplan 07 (Wolfsburg), Grunenberg, Ewen, Funke, Dr. von Geldern, Kittelmann, Dr. Klejdzinski, Geschäftsbereich des Bundesministers der Rapp (Göppingen) und Genossen einge- Justiz brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ä n- — Drucksache 9/1187 — 4816 B derung des Gesetzes zur vorläufigen Rege- lung des Tiefseebergbaus Einzelplan 19 — Drucksache 9/1074 — Bundesverfassungsgericht Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- — Drucksache 9/1196 — 4816B schusses für Wirtschaft — Drucksache 9/1176 — 4829A Einzelplan 31 Nächste Sitzung 4829 D Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft Anlage — Drucksache 9/1202 — Dr. Rose CDU/CSU 4816 C Liste der entschuldigten Abgeordneten . 4831*A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4729

80. Sitzung

Bonn, den 21. Januar 1982

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Stücklen: Die Sitzung ist eröffnet. d. h., der Schuldendienst für bisher aufgelaufene Schulden ist fast eineinhalbmal so hoch wie der Wir setzen die Beratung des Punktes I der Tages- Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Sozia- ordnung fort: les. Zweite Beratung des von der Bundesregie- Man kann die Rechnung fortsetzen: Herr Ehren- rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes berg vertritt heute seinen sechsten Haushalt. über die Feststellung des Bundeshaushalts-- plans für das Haushaltsjahr 1982 (Haushalts- (Zurufe von der SPD) gesetz 1982) — Ich werde Ihnen den Zusammenhang gern noch — Drucksachen 9/770, 9/965 — zeigen. Diese sechs Haushalte haben einen Umfang Beschlußempfehlungen und Bericht des von insgesamt 280 Milliarden DM. In derselben Zeit Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) sind die Schulden des Bundes um 165 Milliarden DM gestiegen. Fast könnte man sagen, daß die Soziallei- Ich rufe auf: stungen des Bundes zu 60 % über Schulden finan- Einzelplan 11 ziert worden sind. Geschäftsbereich des Bundesministers für (Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: So ist es!) Arbeit und Sozialordnung Nun fragen Sie, was das soll. Ich sehe sehr wohl ei- — Drucksache 9/1191 — nen Zusammenhang Berichterstatter: (Löffler [SPD]: Das ist aber ein konstruier Abgeordente Grobecker ter Zusammenhang!) Dr. Friedmann Wird das Wort von einem der Berichterstatter ge- zwischen den Schulden des Bundes und den Sozial- wünscht? — Dies ist nicht der Fall. leistungen. Ich möchte nicht sagen, daß allein wegen der Sozialleistungen Schulden gemacht worden Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort seien. In dem Zusammenhang, der mindestens mit- hat Herr Abgeordneter Dr. Friedmann. telbar besteht, kommt aber zum Ausdruck, daß wir (Zuruf von der CDU/CSU: Warte, bis der Mi über die Verhältnisse gelebt haben, daß diese Sozial- nister kommt!) leistungen nicht fest fundiert sind. In dem mittelba- ren Zusammenhang kommt auch zum Ausdruck, Dr. Friedmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine daß dieser Sozialstaat zu einem Teil auf wackligen sehr geehrten Damen und Herren! Der Einzel- Füßen steht. Der Zusammenhang ist insoweit tat- plan 11, Arbeit und Soziales, umfaßt 53 Milliarden sächlich gegeben. DM. Er ist der größte Einzelplan des Bundes. Es tut Wir haben in diesen Tagen von diesem Ort aus mir leid, daß der zuständige Fachminister, Herr Eh- mehrmals über Beschäftigungsprogramme gespro- renberg, noch nicht da ist. chen. Das ist auch ganz selbstverständlich. Wir ge- (Glos [CDU/CSU]: Unglaublich!) hen jetzt 1,9 Millionen Arbeitslosen entgegen, und Ich sage „noch nicht", denn es kann ja sein, daß er da müssen sich die Fraktionen des Deutschen Bun- auf den glatten Straßen heute morgen schon ausge- destages damit beschäftigen, wie man diesem Pro- rutscht ist. blem begegnen kann. 1,9 Millionen Arbeitslose ist eine große Zahl. Sie wissen, daß wir von der Union (Franke [CDU/CSU]: Daß er auch da ausge dem Beschäftigungsprogramm reserviert gegen- rutscht ist!) überstehen. Ich möchte nicht sagen, daß wir einem 53 Milliarden DM ist ein stolzer Betrag. Es ist, wie solchen Programm ausgesprochen ablehnend ge- gesagt, der größte Einzelplan des Bundes. Zum Ver- genüberstehen, aber zumindest reserviert. Denn bei gleich: In diesem Jahr zahlt der Bund rund 70 Milli- einem Beschäftigungsprogramm müßte es um Inve- arden DM für Zinsen und Tilgung alter Schulden, stitionen der öffentlichen Hand und der privaten 4730 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 Dr. Friedmann Wirtschaft gehen. Bei der öffentlichen Hand ist bei bel so. Auch dort wird die Arbeit zuerst genannt, den Gemeinden und bei den Ländern nicht mehr viel dann kommt das Ausruhen und das Soziale. zu machen, weil auch diese schon hoch verschuldet (Wehner [SPD]: Lassen Sie doch diese blö sind. Wenn den Gemeinden und den Ländern nicht den Witzeleien sein, auch wenn es frühmor die allermeisten Kosten neuer Investitionen abge- gens ist! Haben Sie das vorbereitet, oder ist nommen werden, können sie nicht mehr mitzie- das überhaupt Ihre Dummheit?) hen. (Beifall bei der CDU/CSU) — Herr Minister Ehrenberg versteht sich mehr als Sozialminister, aber nicht als Arbeitsminister. In In Teilen unseres Landes haben wir bereits Betten- dieser Diskussion versagt er, wenn es darum geht, stillegungspläne, weil wir da und dort zu viele Kran- neue Arbeitsplätze zu schaffen. kenhäuser haben. Eine Reihe von Gemeinden und (Beifall bei der CDU/CSU) Städten macht sich schon Gedanken, ob sie Schwimmbäder und Turnhallen schließen müssen, Im Haushalt von Herrn Minister Ehrenberg sind weil sie mit den Betriebskosten nicht mehr fertig 3,5 Milliarden DM Zuschuß für die Bundesanstalt in werden. Das heißt, über die öffentliche Hand wird im Nürnberg vorgesehen. Von Nürnberg aus müssen ja Rahmen eines Beschäftigungsprogramms nicht die Gelder für die Arbeitslosen gezahlt werden. mehr allzuviel zu machen sein. Es geht nicht ohne (Dr. Klejdzinski [SPD]: Nicht von Nürnberg die privaten Investitionen. Insoweit muß bei allen aus!) Überlegungen über die Schaffung neuer Arbeits- plätze die Frage privater zusätzlicher Investitionen Diese 3,5 Milliarden DM werden von der Bundesre- eine starke, eine dominierende Rolle spielen. gierung für nötig gehalten, auch nach Erhöhung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung von 3 auf (Beifall bei der CDU/CSU) 4 %. Trotzdem, wir hatten heute vor zehn Wochen - von diesem Pult aus eine intensive Diskussion dar- Nun müßte man j a meinen, daß bei dieser Diskus- über, ob diese 3,5 Milliarden DM reichen würden. Ich sion um neue Arbeitsplätze der Bundesminister für habe damals Berechnungen vorgetragen, daß in Arbeit und Sozialordnung — er ist inzwischen einge- Nürnberg in diesem Jahr 5 bis 6 Milliarden DM feh- troffen; ich freue mich, Herr Minister Ehrenberg, len werden, die in vollem Umfang zu Lasten des daß Sie zur Beratung Ihres Haushalts jetzt da Bundeshaushalts und damit zu Lasten des Steuer- sind —, zahlers gehen. Dies bedeutet folgendes: Die Koali- tion trägt hier vor, daß in diesem Jahr „nur" 26,5 Mil- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) liarden DM neue Schulden gemacht würden; es kom- in dem Konzert um ein Beschäftigungsprogramm men aber mit Sicherheit jene Schulden dazu, die mit eine führende Rolle einnimmt. Weit gefehlt! Ich den Arbeitslosen zusammenhängen und zusätzlich glaube nicht, daß mir jemand von Ihnen sagen kann, entstehen, also jene von mir genannten 5 Milliarden daß Minister Ehrenberg in den letzten Wochen oder DM. Monaten mit besonders weitreichenden, gravieren- (Beifall bei der CDU/CSU) den Vorschlägen an die Öffentlichkeit getreten sei. Es hat in der Folgezeit einige Auseinandersetzun- Die ganze Diskussion um die Beschaffung neuer Ar- gen gegeben, wer mit diesen 5 Milliarden DM nun beitsplätze wird vom Gewerkschaftsbund, vom Fi- recht haben möge. Auch im Haushaltsausschuß hat nanzminister, vom Wirtschaftsminister, vom Bun- Herr Ehrenberg mit seinen Fachleuten und dem deskanzler, aber jedenfalls nicht vom Arbeitsmini- Präsidenten der Bundesanstalt viele Argumente an- ster Ehrenberg getragen. Herr Ehrenberg ist auf geführt, weshalb es nicht zu jenen 5 Milliarden DM Tauchstation gegangen. kommen werde. Trotzdem, es kommt dazu. Ich möchte dies auch gleich im einzelnen begründen. (Dr. George [CDU/CSU]: Er ist aber jetzt da!) (Zuruf von der CDU/CSU: Es wird sogar mehr!) — Er ist physisch inzwischen da; Zwei Vorbemerkungen möchte ich aber doch noch machen dürfen. (Glos [CDU/CSU]: Aufgetaucht!) Erstens. Nürnberg vollzieht lediglich, was von fest steht aber, lieber Herr Kollege George, daß Herr Bonn aus vorgegeben wird. Die Bundesanstalt für Minister Ehrenberg weder eine Analyse über die Zu- Arbeit in Nürnberg hat weder die rechtlichen noch sammensetzung der Zahl der Beschäftigten hier je- die tatsächlichen Möglichkeiten, auf Grund eigener mals vorgetragen hat noch ernst zu nehmende Vor- Einschätzung von Eckdaten einen eigenen Haushalt stellungen über die Lösung des Problems der Ar- nach eigenen Vorstellungen aufzustellen. Die Bun- beitslosen hier dargelegt hat. desanstalt muß nach den Vorgaben der Bundesre- gierung handeln, und die Bundesregierung hat diese (Beifall bei der CDU/CSU) Vorgaben auch gemacht. Ich möchte daran erinnern, wie die Funktionsbe- Zweitens. Wenn wir so nachdrücklich darauf hin- zeichnung des Herrn Ministers Ehrenberg heißt. Er weisen, daß das, was wir heute auf dem Arbeits- heißt „Bundesminister für Arbeit und Sozialord- markt erleben, eben mehr kosten wird, dann empfin- nung". Zuerst wird die Arbeit genannt, dann das So- den wir als CDU/CSU keinerlei Schadenfreude. Es ziale. Das ist nicht zufällig. Das war schon in der Bi- geht uns um keinerlei Rechthaberei, sondern uns be- Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4731

Dr. Friedmann drückt genauso wie Sie das Schicksal jedes Arbeits- durchaus geben kann, der Arbeitsmarkt nicht we- losen, der gerne arbeiten würde aber, keine Arbeit sentlich entlastet wird, weil die wirtschaftenden Un- bekommt. ternehmen zunächst einmal die freien Kapazitäten (Beifall bei der CDU/CSU) ausnutzen werden. Es ist deshalb nicht übertrieben, wenn man wie das Ifo-Institut in München und an- Arbeit ist für den Menschen eben mehr als Broter- dere Institute davon ausgeht, daß wir in diesem Jahr werb. 150 000 Arbeitslose mehr haben werden, als von der (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Bundesregierung und von Nürnberg unterstellt wor- den ist. Diese 150 000 Arbeitslosen kosten zusätzlich Arbeit ist Selbstverwirklichung. Arbeit ist Lebens- 1,8 Milliarden DM. In diesem Betrag ist das nicht in- gestaltung. Arbeit ist Bestätigung durch die Umwelt. begriffen, was durch die höhere Zahl der Arbeitslo- Arbeit ist zu einem erheblichen Teil Sinn des Le- sen an Steuern weniger eingeht und an Sozialpro- bens. dukt weniger erzeugt wird, (Zustimmung bei der CDU/CSU) Und deshalb empfinden wir mit jedem, der heute (Franke [CDU/CSU]: Und an Sozialabga ohne Arbeit dasteht, obwohl er gerne arbeiten wür-- ben!) de. sondern in diesen 1,8 Milliarden DM, verehrter Herr (Dreßler [SPD]: Darum möchten Sie auch Kollege Franke, sind tatsächlich nur die Zahlungen lieber die Arbeitslosenunterstützung kür- an die Arbeitslosen und die Beitragsausfälle bei der zen! Ist das so?) Bundesanstalt enthalten. — Das sind schon einmal — Sie sagen, wir würden die Arbeitslosenunterstüt- 1,8 Milliarden DM. zung kürzen wollen, Herr Kollege. Wir haben im Es geht weiter: Sie haben unterstellt, daß wir in Rahmen unserer Sparvorschläge gesagt, daß wir da- diesem Jahr nur 250 000 Kurzarbeiter haben wür- für seien, das Arbeitslosengeld so zu bemessen, daß den. Zum Vergleich: Es waren im letzten Jahr es finanziell interessanter sei, zu arbeiten, als ar- 380 000. Herr Ehrenberg argumentiert damit, daß die beitslos zu sein. Das ist unsere Sprachregelung. Zahl der Kurzarbeiter zurückgehe, wenn die Zahl (Dreßler [SPD]: Unglaubliche Unterstel- der Arbeitslosen zunehme. Als Grund führt er an, lung! — Weiterer Zuruf von der SPD: Zynis- daß die Unternehmer ihre Arbeitnehmer heute eher mus!) entlassen würden, als daß sie sie durch Kurzarbeit durchhalten. Ich habe Herrn Ehrenberg diese These — Das ist kein Zynismus, sondern das ist eine rich- nie abgenommen. Wie gut ich daran tat, zeigt auch tige Einschätzung der Situation, zu der auch Sie die Erfahrung der letzten Monate. So hat z. B. die noch kommen müssen, und unter dem Druck der Zahl der Arbeitslosen im Dezember um gut 60 000 Fakten auch kommen werden. zugenommen, dennoch ist die Zahl der Kurzarbeiter (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der um rund 200 000 gestiegen; im Monat vorher war es SPD: Unglaublich!) eine ähnliche Entwicklung. Die Wirtschaftslage ist Wie gesagt, dieses Finanzloch von 5 Milliarden heute eben so schlecht, daß auch die Kurzarbeit trotz DM wird in Nürnberg entstehen. Ich möchte Ihnen zunehmender Arbeitslosigkeit zunimmt. Das, was dies nun auch vorrechnen: bei den Spargesetzen beschlossen wurde, wird sich nicht so auswirken, wie Bundesarbeitsministerium Bisher hat die Bundesanstalt damit gerechnet, und SPD/FDP-Koalition unterstellen. Wenn wir nur daß wir in diesem Jahr im Durchschnitt 1,6 Millio- die Zahlenansätze des letzten Jahres nehmen, wenn nen Arbeitslose haben würden. Jedesmal, wenn ich wir also nur, wie im letzten Jahr, mit 380 000 Kurzar- nachgefragt habe, wieso denn das so sein solle, lau- beitern rechnen, dann heißt dies, daß weitere etwa tete die Antwort, auch des Fachministers, das werde 600 Millionen DM im Haushalt von Nürnberg fehlen so sein, weil es die Bundesregierung so beschlossen werden. Dies ist also eine zweite Position. habe. Die dritte: Die Bundesregierung hat vorgegeben, (Westphal [SPD]: Dummes Zeug, was Sie da daß Nürnberg davon auszugehen habe, daß von den reden!) Arbeitslosen nur 56,25 % Arbeitslosengeld beziehen — Auch ich bin der Meinung, Herr Westphal, daß würden. Ich bin nicht der Meinung, daß dies richtig dies dummes Zeug ist. Ich gebe Ihren Zwischenruf ist. Denn es ist eine Erfahrungstatsache der letzten an Minister Ehrenberg weiter; denn das Argument Jahre, daß die sogenannte Empfängerquote zu- stammt von ihm. nimmt, je mehr die Arbeitslosigkeit steigt. Im letzten (Beifall bei der CDU/CSU) Jahr hat sich dies im Februar ganz deutlich gezeigt. Wir haben es auch bei der letzten Rezession Mitte Nun sind wir in das neue Jahr bereits mit 1,7 Mil- der 70er Jahre erlebt, als die Empfängerquote bei lionen Arbeitslosen hineingegangen. Im Augenblick fast 65 % lag. liegt die Zahl bei etwa 1,9 Millionen. Es gibt ernstzu- nehmende Stimmen, daß nach einem gewissen Ab- Man muß einmal überlegen, welche Art von Ar- bau der Arbeitslosigkeit in den Sommermonaten der beitnehmern zur Zeit arbeitslos wird. Das sind zur Höhepunkt der Arbeitslosigkeit erst Anfang näch- Zeit in erster Linie Bauarbeiter, die durchweg alle- sten Jahres erreicht werden könnte. Einig sind sich samt Anspruch auf Arbeitslosengeld haben. Wenn alle Experten, daß trotz eines gewissen Wirtschafts- ich unterstelle, daß nur die, die jetzt in diesem Monat wachstums in der zweiten Jahreshälfte, das es arbeitslos werden, zum allergrößten Teil Anspruch 4732 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Dr. Friedmann auf Arbeitslosengeld haben, dann erhöht dies die legenheit sogar nutzen, hier ein Stück Tarifpolitik zu Empfängerquote bereits von 56 % auf fast 60 %. machen, das sehe ich Ihnen nach. Nur, den Hinter-

grund Ihrer Argumentation, den muß man kennen. (Dr. George [CDU/CSU]: Und das sind alles Höchstempfänger!) Herr Grobecker, Sie und Ihr Kollege Lutz haben nach meiner letzten Rede seitenlang Ausführungen

— Und das sind — danke für den Hinweis, Herr gegen mich verbreitet, auch über den Parteiapparat

George — alles Höchstempfänger. Dies heißt in der der SPD.

Konsequenz, daß in Verbindung mit dieser Empfän- (Glos [CDU/CSU]: Unglaublich!) gerquote gut ein weitere Milliarde DM fehlen wird. Ich möchte heute nicht darauf eingehen. Darüber Daran wird sich nichts ändern, das wird niemand werden wir bei anderer Gelegenheit reden, nämlich wegargumentieren können. Ende des Jahres, wenn die Ist-Zahlen vorliegen.

(Kolb [CDU/CSU]: Da hat sich Herr Ehren Schließen Sie aber bitte daraus, daß ich nicht weiter berg auch geirrt!) darauf eingehe, nicht, daß ich dies vergessen hät- Ein weiterer Punkt: Im letzten Jahr hatte die Bun- te. (Zurufe von der SPD) desanstalt für 30 Millionen Ausfalltage Schlechtwet- tergeld zu zahlen. Für dieses Jahr wurde unterstellt, Der, mit dem ich hier die politische Auseinanderset- daß dies nur an 15 Millionen Tagen, also an halb so zung zu führen habe, ist Herr Ehrenberg. Wenn Sie viel Tagen, der Fall sein werde. Natürlich fragt man mal Arbeitsminister sind, werden wir es miteinan- hier Herrn Minister Ehrenberg, mit welchen himm- der zu tun haben. lischen Mächten er einen Vertrag abgeschlossen (Beifall bei der CDU/CSU — Grobecker hat, daß es in diesem Jahr nur an halb so viel Tagen [SPD]: Das werden Sie noch erleben! — entsprechend kalt ist oder regnet. Weitere Zurufe von der SPD) (Kolb [CDU/CSU]: Das war sein Haus-Wet - All diese Beträge, die ich hier detailliert aufge- terprophet!) zählt habe, werden sich auf gut und gerne auf 5 Mil- — Lieber Herr Kolb, hier merkt man genau, wie be- liarden DM summieren. wußt versucht wurde, Zahlenansätze nach unten zu (Abg. Löffler [SPD] meldet sich zu einer frisieren. Zwischenfrage) (Beifall bei der CDU/CSU — Kolb [CDU/ — Herr Löffler, ich kann keine Zwischenfragen zu-

CSU]: Wie üblich!) lassen, ich habe nur noch zehn Minuten Zeit.

Es wirdzusammen vor allem können, etwas Herr weiteres Grobecker, verkannt: daß Sie die Seit Ge- (Löffler [SPD]: Sehr schade!) die Arbeit so knapp geworden ist, versuchen viele Ich bin gerne wie das letzte Mal zu einer zweiten Unternehmer — aus verständlichem Grund —, die Runde bereit. Da kann ich dann auf all Ihre Argu- Arbeit zu strecken. Es sind also nicht mehr nur die mente eingehen. Arbeitnehmer, die an Schlechtwettergeld interes- siert sind, sondern auch die Unternehmer sind daran (Löffler [SPD]: Ich wollte gerade fragen: interessiert, damit sie so die Arbeit strecken und die Wann kommt denn Ihre Rechnung? Das Arbeitnehmer durchhalten können. Selbst wenn ich waren doch bisher nur Vermutungen!) den Zahlenansatz des letzten Jahres mit 30 Millio- nen Ausfalltagen nicht übernehme, sondern nur auf Präsident Stücklen: Herr Kollege Löffler, wir wol-

25 Millionen Ausfalltage gehe, fehlen weitere 600 len uns an die Ordnung des Hauses halten. Millionen DM in Nürnberg, die auch anfallen wer- den. (Zurufe von der CDU/CSU) Ein weiterer Punkt: Man hat hinsichtlich der Bei- (CDU/CSU): Herr Löffler, darf ich tragseinnahmen unterstellt, daß von einer durch- Dr. Friedmann aus Ihrem Zwischenruf schließen, daß dann auch schnittlichen Lohnsteigerung von 5 % ausgegangen der ganze Bundeshaushalt eine Vermutung ist, werden könne. Der Jahreswirtschaftsbericht, den wir hier demnächst diskutieren, wird eine niedri- (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der gere Zuwachsrate ausweisen. CDU/CSU: Eine Zumutung!)

(Grobecker [SPD]: Den kennen Sie die nach bisheriger Praxis schwer danebengehen schon?) wird? Wir haben da unsere Erfahrungen.

Das heißt: Von hier aus, Herr Grobecker, sind die (Zurufe von der CDU/CSU)

Einnahmen offensichtlich auch falsch eingeschätzt Dies alles wird sich also auf rund 5 Milliarden DM worden. Ich gebe zu, daß es hier nur um eine Größen- summieren, die Nürnberg mehr braucht und um die ordnung von etwa 100 Millionen DM Beitragsein- die Schulden des Bundes erhöht werden müssen. nahmen weniger geht; ein Pappenstiel allerdings ist Wer da immer noch Zweifel hat, dem möchte ich eine

auch das nicht. Vergleichsrechnung vorführen.

(Grobecker [SPD]: Wir werden schon ein (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Jetzt

bißchen höher abschließen! Verlassen Sie kommt die Rechnung!) sich darauf!) Im letzten Jahr hat die Bundesanstalt am Jahresan

— Daß Sie als Gewerkschaftsfunktionär hier nicht fang mit 1 085 000 Arbeitslosen gerechnet. Es sind dann hinterher 185 000 mehr geworden. In Verbin- Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4733 Dr. Friedmann dung damit mußte Nürnberg einen Nachtragshaus- nur uns, sondern auch Sie so an der Nase herum- halt aufstellen, für den es 4,25 Milliarden DM bekam. führt. Im letzten Monat wurden weitere 500 Millionen DM (Beifall bei der CDU/CSU) als überplanmäßige Ausgabe nachgeschoben. Dies Herr Ehrenberg weiß natürlich genau, daß Nürn- heißt, wegen 185 000 Arbeitslosen mehr brauchte berg auf Grund von Gesetzen zahlt; und weil dies so Nürnberg im letzten Jahr runde 5 Milliarden DM ist, müssen Zuschüsse an Nürnberg hier nicht im mehr im ganzen Zusammenhang. Dies ist genau das, worüber wir nun auch in diesem Jahr reden. Rahmen eines Nachtrags des Bundeshaushalts er- faßt werden. Er setzt also wieder darauf, am Bundes- (Löffler [SPD]: Wo ist denn nun die Rech tag vorbei operieren zu können. Wenn dann seine nung, Herr Dr. Friedmann? Sie haben doch Zahlen hier zur Rechenschaft anstehen, ist es inzwi- in der Schule Rechnen gehabt! Nun rech schen der Schnee von gestern. nen Sie mal, spekulieren Sie nicht!) Doch eines ist interessant, nämlich wie sich Nürn- Nun sagen Sie, Herr Löffler, es sei eine Rechnung. berg und wie sich das Arbeitsministerium zu dieser Ich rechne hier tatsächlich und muß Ihnen immer ganzen Entwicklung stellen. Nachdem wir hier die wieder eines sagen: Zahlen haben es an sich, daß sie Debatte — auch im Haushaltsausschuß — hatten, auf den Tisch kommen, und über diese Zahlen wer- mußte Nürnberg ja seinen Haushalt aufstellen. den wir eben wieder reden und immer wieder re- Dazu waren auch Beschlüsse der entsprechenden den. Gremien nötig, Beschlüsse des Vorstands und des Verwaltungsrats. In beiden Gremien sitzen Regie- Sie können sie einfach nicht wegdiskutieren. rungsvertreter. (Beifall bei der CDU/CSU — Löffler [SPD]: Nürnberg hat einen Beschluß gefaßt, der es wert Das ist doch unseriös!) ist, hier vorgelesen zu werden. Denn in diesem Be- schluß geht Nürnberg voll und ganz auf Distanz zur Meine verehrten Kollegen, man kann -sich nicht Bundesregierung. Ich lese diesen Beschluß einmal vorstellen, daß Herr Ehrenberg dieses Ganze nicht vor. auch entsprechend einschätzt. (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Lang (Zuruf von der CDU/CSU: Dumm ist er sam!) nicht!) Die vorgesehene Zahl von 900 000 Arbeitslosen- Herr Ehrenberg weiß genau, worüber wir hier reden. geldempfängern Er hat uns im letzten Jahr vorgeführt, wie er solche Dinge zu handhaben gedenkt. Der letzte Haushalt — was also die Bundesregierung vorgegeben hat — der Bundesanstalt war um die Zeit aufzustellen, als die Bundestagswahlen 1980 stattfanden. Er hat ihn kann der Verwaltungsrat nur als haushaltspoli- bewußt so niedrig gehalten, daß er nicht gleich nach tische Zielgröße hinnehmen, die mit erhebli- den Wahlen mit ungünstigen Zahlen operieren chen Unsicherheitsfaktoren behaftet ist. mußte. (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Hört! (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Mit der Hört! — Löffler [SPD]: Na und?) Baracke abgesprochen!) — Es geht schon weiter; warten Sie nur, was noch Im Laufe der nächsten Wochen hat sich gezeigt, daß kommt. er für den Arbeitsmarkt 4,5 Milliarden DM mehr Ähnliches gilt für die Änderungen des festge- braucht. Die hat er dann im Laufe der Beratungen stellten Haushalts, die sich aus den Regelungen über den Bundeshaushalt stillschweigend nachge- des AFKG ergeben. Der Verwaltungsrat sieht schoben; sich außerstande, die insoweit von der Bundes- (Zuruf des Abg. Grobecker [SPD]) regierung übermittelten Vorgaben und die ih- nen zugrunde liegenden Berechnungen nachzu- denn letztes Jahr wurde der Bundeshaushalt erst im prüfen, und rechtlich gehindert, sie durch seine Juni verabschiedet, und das hat er genutzt, um so, eigenen arbeitsmarktpolitischen Einschätzun- daß es die Öffentlichkeit fast nicht merkte, 4,5 Milli- gen zu ersetzen. arden DM für Nürnberg nachzuschieben. (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Hört! (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Der Ehren Hört!) berg, ein Nachschieber! — Grobecker Insoweit kann der Verwaltungsrat daher weder [SPD]: Das ist ja ganz was Schlimmes, aber eine Verantwortung für die arbeitsmarktpoliti- dann kam Friedmann!) schen Konsequenzen noch für die Richtigkeit Genau dies probiert er diesmal wieder. Herr Ehren- der Einschätzungen übernehmen. berg weiß natürlich — — (Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Carstens (Zuruf des Abg. Löffler [SPD]) [Emstek] [CDU/CSU]: So sieht es also aus!) — Herr Löffler, ich muß hier tatsächlich die Schliche des Herrn Ehrenberg aufzeigen, und ich frage mich, Er fährt dann fort: und ich frage auch Sie, Herr Wehner, warum Sie ei- Hinsichtlich der vorgesehenen Kürzungen um nen Minister so tragen und unterstützen, der nicht 30 Millionen im Invstitionshaushalt hält der 4734 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Dr. Friedmann Verwaltungsrat seine Rechtsauffassung auf- Präsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Abge- recht, daß diese Maßgabe vom Haushaltsgeneh- ordnete Grobecker. migungsrecht der Bundesregierung nicht ge- deckt ist.

Jetzt bitte ich, genau hinzuhören: Grobecker (SPD): Herr Präsident! Meine sehr ver- Er akzeptiert sie, wie auch die übrigen Maßnah- ehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Fried- men, um die Verabschiedung des Haushalts mann, dieser konstruierte Zusammenhang zwischen Sozialleistungen und Schulden, den Sie zu Beginn — der Bundesanstalt — Ihrer Ausführungen hergestellt haben, ist nun wirk- nicht zu gefährden. lich an den Haaren herbeigezogen. Sie müssen in diesem Zusammenhang doch auch ein bißchen über (Kolb [CDU/CSU]: Das ist eine Bilanzver Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern schönung! — Löffler [SPD]: Wann ist denn nachdenken. Wir jedenfalls sind es nicht gewohnt, dieser Beschluß gefaßt worden?) daß Sie sich hier so hinstellen und damit beginnen, — Dieser Beschluß ist gefaßt worden, nachdem die nach draußen den Eindruck zu suggerieren, die Debatte hier stattgefunden hat, nachdem die Bera- Schulden seien in einem Zusammenhang mit dem tungen im Haushaltsausschuß waren und nachdem Sozialhaushalt zu sehen. Geben Sie zu, daß das Un- die Bundesregierung ihre Auflagen nach Nürnberg sinn ist; dann sind wir schon eine Ecke weiter. gegeben hat. Da steckt schon alles drin. Dies heißt, (Zustimmung bei der SPD — Zuruf von der Nürnberg geht auf Distanz zur Bundesregierung. CDU/CSU: Woher kommen denn die Schul (Beifall bei der CDU/CSU) den?) Das noch Erstaunlichere ist: Im Vorstand der Bun- Zweitens zu dem, was Sie zu Minister Ehrenberg desanstalt hat Frau Staatssekretärin Fuchs- und im gesagt haben. Sie haben zunäschst beklagt, daß er Verwaltungsrat haben zwei Vertreter des Arbeitsmi- sich nicht an der öffentlichen Debatte über mögliche nisteriums diesem Beschluß zugestimmt. Arbeitsmarktinitiativen beteiligt, die im Augenblick stattfindet. Ich will Ihnen sagen, der Herbert Ehren- (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Sehr gut! — berg — ich kenne ihn lange — ist ein disziplinierter Kolb [CDU/CSU]: Die Aufgeregtheit ist da Sozi. Er ist eben nicht in die Öffentlichkeit gegan- drüben sehr groß!) gen, sondern brütet über mögliche Ideen. Hier so, dort so — was soll man davon halten? (Lachen bei der CDU/CSU — Zurufe von (Beifall bei der CDU/CSU) der CDU/CSU: Kein schneller Brüter! — Ein langsamer Brüter!) Ich möchte hier, meine verehrten Kollegen, an eine Episode erinnern, die einen ernsten Hinter- — Ja, es macht doch Spaß, so am Vormittag, oder? grund hat. Als wir bei den Beratungen im Haushalts- ausschuß am 3. Dezember — Herr Löffler, ich sage (Weitere Zurufe von der CDU/CSU) das Datum genau — um 12.55 Uhr in die Mittags- Sie werden also schon sehen! Wenn wir hier im Fe- pause gingen — ich habe mir das in einem Aktenver- bruar entsprechende Programme debattieren, wer- merk festgehalten; es war im Saal 2501 des Hoch- den Sie die Handschrift von wie- hauses —, hat Herr Ehrenberg mir zugesagt, daß er derfinden. Verlassen Sie sich darauf! Er tut Ihnen zurücktreten werde, wenn sich meine Zahlen als nicht den Gefallen, in diesem Augenblick öffentlich richtig erweisen sollten. zu pusten. (Heiterkeit und Zurufe von der CDU/CSU: (Beifall bei der SPD) Zurücktreten!) Das wird er nicht machen! Herr Ehrenberg, wir sind uns einig: Ein Mann, ein Ferner bitte ich Sie darum, klarzustellen, daß das Wort! mit dem Rücktritt nicht zwischen uns beiden abge- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) macht ist. Ich möchte ganz gerne, daß er noch ein bißchen bleibt. Nicht daß da ein falscher Eindruck Was Sie gesagt haben, das gilt. Da sich die Zahlen als entsteht! richtig erweisen, Herr Minister Ehrenberg, möchte (Zustimmung bei der SPD) ich Ihnen den guten Rat geben: Fangen Sie schon einmal an, den Schreibtisch aufzuräumen und Ihre Nun noch ein Wort zu Ihrer Einschätzung, daß Ar- Aktenmappe zu packen! beit Selbstbestätigung ist. Daß Arbeit Selbstbestäti- gung ist und daß „nicht arbeiten" nicht nur bedeutet, (Beifall bei der CDU/CSU) daß man dann kein Geld hat, sondern auch deswe- Sie, meine Damen und Herren, und Sie auf der Re- gen schlimm ist, weil man arbeiten will, weil man die gierungsbank werden verstehen, daß wir unter die- Arbeit braucht, müssen Sie nun Sozialdemokraten sen Umständen dem Einzelplan 11 unsere Zustim- überhaupt nicht verklaren. Das muß hier nicht erör- mung nicht geben werden. tert werden! Erwecken Sie nicht den Eindruck, wir seien diejenigen, die es mit der Arbeit nicht so ernst (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) nehmen! Das ist gefährlich. Schönen Dank. Weiter muß ich Ihnen sagen, daß Ihr — so muß ich (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) es schon nennen — Zynismus hinsichtlich des Ar- Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4735

Grobecker beitslosengeldes im Vergleich zu dem, was man ver- In diesem Zusammenhang gibt es eben auch Arbeit, dient, wenn man arbeitet, ziemlich schlimm ist. die zunächst in der Regierung zu leisten ist. (Beifall bei der SPD) (Zurufe von der CDU/CSU) Herr Friedmann, Sie haben offensichtlich keine Ah Den Terminplan kennen Sie. Wir werden im näch- nung von der Höhe der Löhne, die gezahlt werden. sten Monat — Sie selbst haben darauf Bezug genom- men — den Jahreswirtschaftsbericht lesen. (Zuruf von der SPD: So ist es!) Wir finden uns jedenfalls nicht mit der Arbeitslo- Das ist eine schlimme Geschichte, und ich will Ih- sigkeit ab. Wir finden uns auch nicht damit ab, Ar- nen, was dieses Thema angeht, gern einmal hel- beitslosigkeit zu finanzieren, wir wollen Arbeit fi- fen. nanzieren, Nun zu dem, was Sie über die Risiken ausgeführt (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe haben. Sie haben ausdrücklich gesagt, daß Sie dabei von der CDU/CSU) keine Schadenfreude empfinden, und Schaden- und zwar, wenn es eben geht, sinnvolle Arbeit, nicht freude unterstelle ich Ihnen auch nicht. Dennoch er- nur den Schwarzwald weiß anmalen, wie das bei ei- wecken Sie den Eindruck, daß es Ihnen Spaß macht, nem großen Mann mal geheißen hat. in dieser Wunde zu bohren. Nun, das ist oppositionel- ler Brauch, aber vermeiden Sie bitte den Eindruck, Für den Einzelplan 11 gilt im übrigen, was der daß Sie sozusagen erwarten, daß auf jeden Fall mehr Bundesminister für Wirtschaft gestern hier für sei- Arbeitslose auf der Straße sein werden. nen Etat festgestellt hat, Herr Friedmann. Man ver- ringert das Haushaltsrisiko nicht, indem man die Ri- (Zurufe von der CDU/CSU) sikotitel großzügig ausstaffiert, um darauf dann aus- zuruhen. Das ist nicht der richtige Weg. Ein knapper Sie verbreiten damit die Mentalität, Haushalt ist ein Weg, dazu zu kommen, auch dar- - (Widerspruch von der CDU/CSU — Zuruf über nachzudenken, wie man mit dem Geld auskom- von der CDU/CSU: Bösartig!) men kann. Nun steht fest, daß für 1982 schon jetzt mit einem weiteren erheblichen Anstieg der Ar- es sei unabänderlich, daß es mehr Arbeitslose geben beitslosigkeit gegenüber dem Jahre 1981 gerechnet wird. Das ist falsch. Es wäre wirklich schade, wenn werden muß; darüber gibt es keinen Zweifel. Dem es dabei bliebe. trägt der Bundeshaushalt auch schon jetzt Rech- (Zuruf von der CDU/CSU: Ihr Gesundbeten nung; denn in den Haushaltsansätzen ist die Zahl hilft doch auch nicht!) von 3,5 Milliarden DM untergebracht worden. Dies entspricht, aufgeschlüsselt auf die zu vermutende Vielleicht geht es Ihnen auch nur darum, recht zu Arbeitslosigkeit von 1,6 Millionen Arbeitslosen, behalten. Das ist dann schon eine mildere Form, für exakt dem, was die wissenschaftlichen Institute im die hier jeder Verständnis hat, denn Sie sind Opposi- Herbst in ihrem Gemeinschaftsgutachten vorgelegt tioneller. Natürlich, wenn Sie hier vor zehn Wochen haben. Nun, warten wir in Ruhe ab. Ich glaube nicht, gesagt haben, so und so werde es nach Ihrer Ein- daß es notwendig ist, hier heute darüber zu debattie- schätzung kommen, möchten Sie gern, daß sich das ren, ob denn dabei wohl mehr oder weniger heraus- auch bestätigt und daß Sie recht behalten. Aber wir kommen wird. Nur, wenn es notwendig wird, dann müssen uns nicht unbedingt nach dem richten, was werden wir selbstverständlich handeln. Die Wirt- Sie für notwendig halten; wir haben unsere eigenen schaftspropheten haben sich nach meiner Erfah Beschlüsse. rung — Sie haben sie j a auch gemacht — in den letz- ten Jahren häufig geirrt, leider eben auch nach un- Es darf in diesem Punkt nach meiner Auffassung ten, was die wirtschaftliche Entwicklung angeht. Wir keine Rechthaberei geben. Es geht nicht um Recht- werden Korrekturen vornehmen, wenn klar ist, daß haberei, sondern es muß um die Anstrengungen ge- wir sie vornehmen müssen. Wir werden das nicht hen, die noch geleistet werden müssen, damit Ihre aus dem Stegreif machen. Ich unterstelle Ihnen Befürchtungen zerstreut werden. Wenn wir uns dar- nicht, daß sie Stegreifreden hier halten, obwohl Sie über einig wären, wären wir eine Ecke weiter. ja diesen Eindruck erwecken, weil Sie kein Stück (Beifall bei der SPD und der FDP) Papier dabei haben. Was nützt es uns eigentlich im Parlament, und was Die Begrenzung des Bundeszuschusses, Herr nützt es vor allen Dingen den Arbeitslosen, wenn Sie Friedmann, meine Damen und Herren, wurde über- Ihren oppositionellen Ehrgeiz darin sehen, nachzu- haupt erst möglich — und da wäre auch von Ihnen weisen, daß es mehr Arbeitslose geben wird? Sie ver- eine Würdigung angebracht — durch die rechtzei- breiten damit nicht Optimismus. Es geht in diesen tige Verabschiedung des Arbeitsförderungs-Konso- Tagen — das werden auch Sie schon bemerkt haben; lidierungsgesetzes im Dezember des vorigen Jahres. jedenfalls haben wir gestern schon den ganzen Tag Ohne diese Konsolidierungsmaßnahmen wäre das darüber geredet — darum, daß ein Weg oder mög- Defizit der Bundesanstalt im Haushaltsjahr 1982 lichst auch mehrere Wege gefunden werden, die Ar- schon jetzt auf 13 Milliarden DM angestiegen. Ich beitslosenzahl zu drücken. Darum geht es in diesen gebe zu, daß es bei diesen Konsolidierungsmaßnah- Tagen. men Knackpunkte gibt, die auch mir nicht ge- schmeckt haben. Aber den wesentlichen Teil, insbe- (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe sondere bei den Umschulungsmaßnahmen, haben von der CDU/CSU) wir halten können. Das bedeutet eben auch, daß 4736 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 Grobecker durch solche Maßnahmen Arbeitslosigkeit gemin- müssen wir und dafür werden wir sorgen. Ich sage dert wird, und das bedeutet wiederum direkte Haus- das, damit es keine Mißverständnisse und Irritatio- haltsentlastung. nen durch Ihre Ausführungen hier gibt. Bei Ihrer Rechnung — z. B. bei der Quote, die Sie (Zuruf von der CDU/CSU: Wäre auch noch angeführt haben, wie viele Kolleginnen und Kolle- schöner!) gen Arbeitslosenunterstützung bekommen — haben Ich will für Sie und diejenigen, die uns zuhören, Sie etwas vergessen. Da geht die Bundesanstalt von folgendes hinzufügen. Bevor wir in einem möglichen 56,25% aus. Sie sagen, das wird weitaus mehr. Bei Nachtragshaushalt die Zuschüsse an die Arbeitslo- dieser Argumentation haben Sie eben vergessen — senversicherung erhöhen, muß jede Möglichkeit, Ar- ich will ja nicht sagen: wissentlich vergessen, aber beit zu beschaffen, ausgeleuchtet werden. Wir wer- Sie haben es vergessen —, daß im Konsolidierungs- den bis Februar abwarten, ob es dazu richtige Vor- gesetz ausdrücklich Maßnahmen drinstehen, die schläge gibt, die hier auch akzeptiert werden. dazu führen, daß z. B. Anwartschaften verlängert werden und damit, insgesamt gesehen — ich will das Meine Damen und Herren, nicht weil ich ablen- nicht noch einmal referieren, weil wir ja im letzten ken, sondern weil ich hinlenken will auf Maßnah- Herbst ausführlich darüber geredet haben —, diese men, die in diesem Einzelplan 11 des Bundesmini- Quote vermutlich gehalten werden kann. sters für Arbeit und Sozialordnung trotz der engen Finanzlage notwendigerweise vorgesehen werden (Zuruf des Abg. Dr. Friedmann [CDU/ müssen und die für uns von politischer Bedeutung CSU]) sind, will ich gern noch kurz auf drei Bereiche einge- Stören Sie sich nicht an dem Wort „vermutlich". hen. Daß solche Beschlüsse von Selbstverwaltungsorga- Erstens zu den Maßnahmen zur Berufsvorberei- nen zustande kommen, wie Sie sie hier geschildert tung und zur sozialen Eingliederung insbesondere haben, ist doch nicht von der Hand zu weisen. Das ist - auch ausländischer Jugendlicher und Rückwande- völlig klar; sonst wären es j a keine Selbstverwal- rer: Trotz Finanzenge sind 220 Millionen DM insge- tungsorgane. Natürlich kann es einen Dissens zwi- samt vorgesehen. Davon kommen vom Bund 37 Mil- schen dem Bundesarbeitsministerium und den lionen DM, von den Ländern 7 Millionen DM, aus Selbstverwaltungsorganen in der Bundesanstalt ge- dem Europäischen Sozialfonds — das ist einer der ben. Aber das ist doch kein Beweis dafür, daß Rech- seltenen Fälle, daß etwas zurückfließt — 11 Millio- nungen nicht stimmen. nen DM und von der Bundesanstalt für Arbeit 165 (Kolb [CDU/CSU]: Wofür sitzen denn dort Millionen DM. die Regierungsvertreter? Zum Schlafen?) Sie erkennen daran, daß diese eigentliche Länder- — Hören Sie mal, das ist doch prima, daß Regie- aufgabe nur geringfügig von den Ländern finanziert rungsvertreter dort sitzen. Wenn wir gesetzlich ver- wird. Dies ist ein Merkposten für den Minister bei pflichtet sind, Geld nach dort zu überweisen — wie seinen Verhandlungen. Die Zahl der Teilnehmer an in den letzten Jahren —, dann müssen dort auch Re- diesen Kursen ist in den letzten Jahren erfreulicher- gierungsvertreter mitreden können. weise sehr stark gestiegen. Es waren 1980 nur 4 800 Teilnehmer; schon 1981 waren es 9 000. Es werden Herr Friedmann, ich konzediere Ihnen — ungern 1982 bei weitem mehr sein. Bei den Intensivkursen zwar, aber ich tue es —: Es können im Durchschnitt zur Erlernung der deutschen Sprache und den Ein- des Jahres 1982 mehr Arbeitslose werden, als jetzt gliederungslehrgängen geht es darum, sowohl aus- im Bundeshaushalt zugrunde gelegt werden. ländische Jugendliche als auch Einwanderer — im (Franke [CDU/CSU]: Das ist leider zu be Sinne von Rückwanderern — auf den Beruf und die fürchten! — Zuruf von der CDU/CSU: Das Arbeit vorzubereiten. ist der erste Schritt!) Zweitens zur Förderung von Modellmaßnahmen — Frohlocken Sie nicht; das hat niemand bestritten. zur besseren Versorgung von Krebspatienten. Es ist Wir haben gesagt — und daraus machen Sie zum vorgesehen, die im Haushaltsjahr 1981 angelaufene zweitenmal in diesem Hause eine Affäre dieser Förderung von Modelleinrichtungen zur Versorgung Art —: Natürlich müssen sich Arbeitslosenversiche- von Krebspatienten im Jahr 1982 mit einem Betrag rung, Kommunen, Länder und Bund in dem Zeit- von 15 Millionen DM fortzuführen und zu erweitern. raum, für den der Haushalt aufgestellt und verab- Ziel der Förderungsmaßnahmen ist es, den Stan- schiedet wird, an den vorhandenen Datenkranz hal- dard der medizinischen Versorgung von Krebspa- ten. tienten so weit anzuheben, daß das heute vorhan- dene Wissen in der Krebsdiagnostik, in der -therapie Ich will nur noch einmal sagen — für den Fall, daß und in der -nachsorge möglichst allen Krebskranken später Protokolle ausgetauscht oder zitiert wer- ohne Einschränkung zugute kommt. Das ist eine den —: Es gibt eine Wahrscheinlichkeit, daß es mehr wichtige Sache, die zwar nur wenig Geld kostet, aber werden. erwähnenswert ist, weil auch das eigentlich eine (Zuruf des Abg. Dr. Friedmann [CDU/ Aufgabe der Länder ist. Deshalb auch Modellvorha- CSU]) ben, von dem wir, übrigens einvernehmlich, meinen, — Noch einmal für Sie und alle, die uns hier zuhö- daß es nicht über 1985 hinaus gefördert werden soll- ren: Die Bundesanstalt für Arbeit wird auf keinen te. Es hat vielmehr einen Anstoßcharakter. Fall illiquide. Sie wird jedem von Arbeitslosigkeit Drittens. Trotz — oder vielleicht besser: gerade Betroffenen das Arbeitslosengeld auszahlen. Dafür wegen — der etwas unerfreulichen Nachrichten, die Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4737

Grobecker uns der Bundesrechnungshof aus Dortmund über- dieser Dialog damals in öffentlicher Sitzung statt- mittelt hat fand, will ich heute an die Adresse von Herrn Hoppe (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Richtige sagen — er wird das hören bzw. es wird ihm übermit- Nachrichten!) telt —: Herr Hoppe, im letzten Herbst hat es zwar ge- knirscht, es hat aber geklappt. Mir ging es damals — das habe ich nicht bezweifelt; müssen Sie sich das darum, daß der soziale Frieden bei den Streichungs- jedesmal bestätigen lassen? aktionen, die notwendigerweise erfolgen mußten, er- (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Bei Ih halten bleibt. Der soziale Friede ist erhalten geblie- nen weiß man das nie!) ben. Ich denke, daß wir es noch eine ganze Strecke zusammen aushalten werden. — Herzlichen Dank. — ja, ja; ich weiß aber, woran ich bei Ihnen bin; das haben wir gestern gesehen —, lege ich Wert darauf, (Beifall bei der SPD und der FDP) noch einmal festzustellen: Die Gründung des Bun- deszentrums zur Humanisierung des Arbeitslebens Präsident Stücklen: Das Wort hat Herr Abgeordne- in Dortmund bei der Bundesanstalt ter Cronenberg.

(Zuruf von der CDU/CSU: Kostet viel Cronenberg (FDP): Herr Präsident! Meine Damen Geld!) und Herren! Verehrter Herr Kollege Grobecker, im Sommer 1980 hat sich als richtig erwiesen. Sie selbstverständlich werde ich die Grüße und Wün- war bekanntlich sehr umstritten. sche, die Sie von hier aus an Kollege Hoppe gerichtet haben, als Postillon d'amour übermitteln. (Beifall bei der SPD) Kollege Friedmann hat eine Beschreibung des Ist Die Forschungsanwendung ist durch dieses wirk- Zustands aus seiner Sicht gegeben, verbunden mit same Instrument verbessert worden. Bei dem Streit Spekulationen. Diese Spekulationen gipfelten in der um die Forschung im Zusammenhang mit- der Hu- Feststellung, daß, wenn es mehr Arbeitslose gibt, als manisierung des Arbeitslebens, den ich gelegentlich in die Rechnung eingestellt sind, die Ausgaben des auch mit dem Kollegen Zumpfort gehabt habe, ging Bundeshaushalts und die Schulden ebenso steigen. es darum, ob das, was erforschbar bzw. erforscht ist, Diese Feststellung ist natürlich nicht zu bestrei- auch anwendbar ist. Das Instrument in Dortmund ten. ist dafür ausdrücklich geschaffen worden. Kollege Friedmann hat sich hier hingestellt wie Das neue Jahresprogramm des Bundeszentrums ein Funktionär, der darüber jammert, daß in einer zeigt deutlich, daß für diese Einrichtung ein großer Planwirtschaft die vorgegebenen Zahlen nicht stim- Bedarf besteht, und zwar vor allem, Herr Cronen- men. Er hat dies zu belegen versucht, indem er drei, berg — Sie reden j a nach mir — für kleine und mitt- wenn ich es richtig verstanden habe, Kriterien für lere Unternehmen und die dort Beschäftigten. Eine seine Beweisführung genannt hat. wichtige Einrichtung, die auch von den Freien De- Da gibt es erstens das Wetter. Gegen dieses, Herr mokraten gewürdigt werden sollte! Kollege Friedmann, kann man sich sinnvollerweise Bei dieser Einrichtung wie auch bei anderen, ins- weder bei Lloyd noch bei der Bundesanstalt für Ar- besondere auch im Zusammenhang mit Gesetzen beit versichern. Dann hat er gesagt, die Bundesan- wie dem Chemikaliengesetz — mir fällt dabei z. B. stalt habe nicht die richtige Empfängerquote einge- auch der Zoll ein — gibt es Probleme mit der Perso- stellt. Sie ist höher eingestellt als in der Vergangen- nalausstattung. Wir können keine Gesetze beschlie- heit. Sie haben die Entwicklung tendenziell richtig ßen, für deren Durchführung wir nicht auch das Per- beschrieben; das ist nicht zu bestreiten. Dann haben sonal zur Verfügung stellen. Beim Chemikalienge- Sie wie in den vergangenen Debatten wiederum dar- setz stehen wir vor einer schwierigen Entwicklung; auf spekuliert, daß u. a. im Dezember dieses Jahres denn wir haben gesetzlich geregelt, daß neue Chemi- die Arbeitslosenquote höher sein werde, als sie ein- kalien angemeldet und geprüft werden müssen. Da- gestellt worden sei. für müssen wir aber auch das Personal zur Verfü- Was ist geschehen? Sachverständige haben ihre gung stellen. Ich sage das vor allen Dingen an die Meinung geäußert. Wir haben im Haushaltsaus- Andresse meiner Kollegen aus dem Haushaltsaus- schuß gegen Ihre Stimmen eine Berechnung ange- schuß; denn in den letzten zwei Jahren haben wir stellt. Sie ist nicht zu optimistisch; das wäre in der beim Personal natürlich sehr strikte Maßstäbe ange- Tat eine Gefahr gewesen. Die Berechnung ist aber legt, Herr Esters. In bestimmten Bereichen, in denen auch nicht zu pessimistisch; dies wäre ebenso ge- wir politisch etwas erreichen wollten, müssen wir fährlich gewesen. Geld, das die Wirtschaft dringend auch das Personal zur Verfügung stellen. braucht, wäre ihr entzogen worden. Der Haushalt Abschließend, meine Damen und Herren: Bei der hat ja nun Bedarfsfelder genug, wo Geld eingesetzt Beratung des letzten Haushalts hat es in der zweiten worden ist. und dritten Lesung einen eher persönlich gehalte- Die Dinge sind, Herr Kollege Friedmann, reali- nen Dialog zwischen mir und Herrn Hoppe gegeben. stisch eingestellt worden. Ich gehe davon aus, daß — Ich wollte damals, vor Beginn der Operation 1982, bei allen Risiken, die nicht geleugnet werden — meinem Bedürfnis entsprechen und zum Ausdruck bringen, was ich für notwendig halte. Ich hatte — (Franke [CDU/CSU]: Daher die Nachbesse das gebe ich zu — vor der Entwicklung etwas Angst, rung!) insbesondere auf Grund der historischen Erfahrun- Ihre Spekulationen nicht stimmen. Ich wiederhole: gen, die wir in unserem Land gemacht haben. Weil Wer kann denn eigentlich sagen, ob wir im Durch- 4738 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 Cronenberg schnitt dieses Jahres 50 000 Beschäftigte mehr oder diese überzogene Kritik leidet. Aus dieser Verant- weniger haben werden, unter Berücksichtigung des wortung sollen Sie sich nicht herausstehlen. Monats Dezember, wo insgesamt mehr als 22 Millio- (Beifall bei der FDP und der SPD) nen Menschen in diesem Lande — nebenbei: eine so hohe Zahl haben wir nur selten gehabt — beschäf- Deswegen bitte ich in aller Redlichkeit, aber auch tigt gewesen sind. mit aller Eindringlichkeit: Denken Sie daran, daß al- les, was jetzt diskutiert und überlegt wird, mit Si- (Kolb [CDU/CSU]: Was nicht stimmt, Herr cherheit keine Auswirkung auf die jetzige Arbeitslo- Kollege! — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: sigkeit des Winters 1981/82 haben kann. Alles, was Kein Arbeitsplatz mehr seit Beginn Ihrer zur Diskussion gestellt wird, egal, ob schlecht oder Koalition!) richtig, und alles, was an Maßnahmen überlegt wird, Wir haben nach wie vor mit den höchsten Beschäf- kann bestenfalls in der — wenn Sie so wollen — Sai- tigtenstand. son des Winters 1982/83 Auswirkungen haben. Und jeder, der vergißt, auf diese Tatsache hinzuweisen, (Kolb [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr! — Dr. und Illusionen zu wecken versucht, schadet diesem Friedmann [CDU/CSU]: Kein Arbeitsplatz Land. mehr seit 1971!) (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Das ist rich Wir haben zwar keine ausreichende Beschäftigung, tig!) aber fast den höchsten Beschäftigungsstand, den wir je gehabt haben. Das muß man hier auch einmal Ich bitte Sie sehr eindringlich, darauf Rücksicht zu erwähnen. nehmen. (Beifall bei der FDP — Zurufe von der (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Ein System CDU/CSU) von Illusionisten sitzt dort auf der Regie rungsbank!) — Herr Kollege Kolb, auch Sie sind verpflichtet,- sich Zahlen anzusehen, ehe Sie so dümmliche Bemer- Präsident Stücklen: Herr Abgeordneter Cronen- kungen hier von sich geben. berg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Was halten Sie Abgeordneten Kolb? denn von dem, was die Sachverständigen dazu sagen?) Cronenberg (SPD): Meinem Präsidenten im Bund der Selbständigen wird selbstverständlich diese Ge- Diese ganze Diskussion wird in meinen Augen ohne- legenheit gewährt, Herr Präsident. hin ein wenig dümmlich geführt. Diejenigen, die für Beschäftigungsprogramme sind, sind gegen Arbeits- Präsident Stücklen: Der Herr Abgeordnete Kolb losigkeit, und die, die gegen Beschäftigungspro- hat das Wort zu einer Zwischenfrage. gramme sind, sind angeblich für Arbeitslosigkeit; so kann diese Diskussion nicht geführt werden. Kolb (CDU/CSU): Herr Kollege Cronenberg, eine Deswegen lassen Sie mich hier einige Feststellun- Frage an Sie: Im vorigen Jahr haben sich die Zahlen gen treffen, wie wir die Dinge sehen. Zunächst ein- der Bundesanstalt, wie sie vorgegeben waren, über- mal hat die Koalition in Erwartung dieser Entwick- haupt nicht halten lassen. Sie sprechen jetzt davon, lung — nicht unter Berücksichtigung eines so har- wir sollen Psychologie machen. Warum gehen Sie ten Winters — die Operation '82 so veranstaltet, wie nicht darauf ein, wieso die Ansätze des Jahres 1981 sie veranstaltet worden ist: mit erheblichen beschäf- so falsch waren? Ich frage Sie: Wer hat hier die fal- tigungspolitischen Initiativen, mit den richtigen sche Psychologie gemacht: die Regierung oder Maßnahmen. Sie, meine Damen und Herren von der wir? Opposition, die Sie ja aus meiner Sicht dankenswer- terweise im Vermittlungsausschuß mitgewirkt ha- Cronenberg (FDP): Die Regierung hat unter reali- ben, die Sie Ihren Beitrag geleistet haben, sollten stischer Betrachtung der ihr vorgegebenen Daten nun im Interesse dieses Landes die Erfolge, die hier und Kenntnisse so gehandelt, wie sie verantwortlich drin sind, nicht kaputtreden. handeln mußte. (Beifall bei der FDP und der SPD) (Beifall bei der FDP und der SPD) Sie sollten dafür sorgen, daß nicht durch eine falsche Sie ist insgesamt erfolgreicher gewesen. Das lassen Diskussion ein Klima geschaffen wird, das in der Tat wir uns nicht kaputtreden, auch nicht von Ihnen. Ich schädlich ist. hoffe, daß Sie, gerade im Interesse Ihrer Mitglieder, diese Miesmacherei nun einstellen. Kollege Kiep hat gestern von dieser Stelle unter Berufung auf den Kanzler richtigerweise darauf auf- (Beifall bei der FDP und der SPD) merksam gemacht, daß ein erheblicher Teil in unse- Was haben wir getan? Wir haben im Haushalt da- rer Wirtschaftspolitik Psychologie ist. 50 % — das für gesorgt, daß im Haushalt äußerste Sparsamkeit war Ihre Quote und die des Kanzlers. Wenn das rich- herrscht. Wir haben die konsumtiven Ausgaben ge- tig ist — und in der Tat bin ich mit Ihnen, Herr Kol- kürzt. Wir haben die Überprüfung von Mißbrauch lege Kiep, der Meinung, das ist richtig —, dann ha- und Wildwuchs auch im Sozialbereich vorgenom- ben Sie die Verpflichtung, bei aller berechtigten Kri- men. Wir haben die Nettokreditaufnahme be- tik im Detail an der Politik dieser Regierung, diese schränkt. Wir haben erklärt, daß wir keine Steuerer- Kritik nicht so zu überziehen, daß das Klima, beson- höhung im Jahr 1982 vornehmen. Für uns ist die ders das Investitionsklima, in diesem Land durch Steuerlastquote eine Marke von ganz großer Bedeu- Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4739

Cronenberg tung. Wir haben eine Begrenzung der Abgaben vor- Nun hat der verehrte Kollege Roth zu den Freien genommen. Wir sind für eine Verbesserung der Demokraten gesagt, wir benähmen uns wie der Sup- Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und ha- penkaspar im Struwwelpeter. ben uns überall, wo möglich, dafür eingesetzt, gerade (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Er hat viel im technologischen und technischen Bereich. Schlimmeres über Sie gesagt! — Zuruf von der CDU/CSU: Rumpelstilzchen!) Wir stellen noch einmal fest, daß der Schlüssel für Wir hätten also angeblich wie der Suppenkaspar ge- eine Verbesserung der Situation in den beiden wich- sagt: Meine Beschäftigungssuppe esse ich nicht. tigen Faktoren Zinssenkung und Lohnpolitik liegt. (Zurufe von der CDU/CSU) Ich möchte, um im Bild des Kollegen Roth zu blei- Herr Kollege Kiep hat erfreulicherweise auch von ben, eine andere Geschichte aus dem „Struwwel- dieser Stelle aus festgestellt, daß Zinssenkungen peter", nämlich den Zappelphilipp, erwähnen. Da durch eine Verbesserung der Leistungsbilanz er- heißt es: leichtert werden. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie auf diese tendenziell beachtliche Verbesserung der Lei- Doch der Philipp hörte nicht, stungsbilanz gestern hingewiesen haben. Auch dies, was der Vater zu ihm spricht. Herr Kollege Kiep, ist nicht vom Himmel geschenkt Er gaukelt und schaukelt, worden, sondern ist natürlich auch der Erfolg dieser er trappelt und zappelt. Politik, nämlich eine Bewertung dieses Haushalts (Kolb [CDU/CSU]: Sie sprechen wohl von 1982, weil natürlich in der Änderung der Relation Herrn Ehrenberg! — Heiterkeit) zwischen Dollar und D-Mark hier sozusagen eine Genau dies, lieber Herr Kollege Roth, können wir in Bewertung einer positiven Entwicklung liegt. Auch dieser Situation nicht ertragen. das sollte man nicht übersehen. (Zurufe von der CDU/CSU) (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Bestens — bei Denn wir möchten nicht, daß der Bundeskanzler zwei Millionen Arbeitslosen!) zum Schluß vor dem Tisch sitzt und sagt: Und der Vater blicket stumm auf dem ganzen Wenn wir dafür zu sorgen haben, daß diese Zinsen sinken, müssen wir diese Politik der „Operation 82" — leeren — fortsetzen. Tisch herum. (Heiterkeit — Zuruf von der SPD: Wer ist Der Schlüssel liegt unbestritten auch in der Lohn- denn hier der Vater?) politik. Deswegen muß auch von dieser Stelle aus Vor diesem Hintergrund bitte ich auch unsere Vor- deutlich gemacht werden, daß der Staat für die Be- sicht in der Frage der Beschäftigungspolitik zu be- schäftigungslage nicht etwa die Alleinverantwor- werten. tung, sondern ein Stück Mitverantwortung hat. Hier wird manchmal der Eindruck erweckt, als sei für die Gestatten Sie eine Zwischen- Beschäftigung im Land allein der Staat verantwort- Präsident Stücklen: frage des Herrn Abgeordneten Westphal? lich. Die Hauptverantwortung in diesem Bereich liegt bei den Tarifpartnern. An sie möchte ich, ohne Einmischung in die Tarifautonomie, von dieser Cronenberg (FDP): Bitte, Herr Westphal. Stelle aus, noch einmal mit aller Eindringlichkeit appellieren, daran zu denken, daß sie einen entschei- Westphal (SPD): Herr Kollege Cronenberg, ist Ih- denden Schlüssel für die künftige Entwicklung un- nen aufgefallen, daß unser gemeinsamer Kollege serer Beschäftigtensituation haben. Ein Prozent Roth, den Sie hier so nett angenommen haben, in mehr oder weniger Lohn- und Gehaltserhöhung be- den letzten zehn Tagen kein einziges Interview ge- deutet acht Milliarden DM mehr oder weniger. geben hat, Allein für den öffentlichen Dienst — Herr Kluncker (Lachen bei der CDU/CSU) sollte sich das einmal ganz genau vor Augen führen während Ihre Kollegen von der FDP eine ganze — bedeutet ein Prozent mehr oder weniger zwei Mil- Menge Interviews gegeben haben? liarden DM mehr oder weniger Ausgaben. Vor die- sem Hintergrund müssen die Entwicklungen auf (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Ein toller dem Tarifsektor bewertet werden. Bursche! — Glos [CDU/CSU]: Das ist die Unwahrheit!)

Wenn also diese Voraussetzungen erfüllt werden, Cronenberg (FDP): Hochverehrter Herr Kollege dann können wir uns, wie es die Sachverständigen Westphal, ich kenne dieses Zitat aus der „Welt am gesagt haben, darüber unterhalten, ob man im Detail Sonntag". Es war nicht ein Zitat dort, sondern er das eine oder andere Beschäftigungsprogramm dis- wurde dort unter der Rubrik „Zitate" zitiert. kutieren sollte. Ich bin für meine Person außeror- dentlich vorsichtig und möchte die Bewertung, ob (Zuruf des Abg. Haase [Kassel] [CDU/ dies zu bejahen ist, erstens vom Verwendungszweck CSU]) und zweitens von der Finanzierbarkeit abhängig Ich gehe davon aus, daß es korrekt ist. Ich meine, daß machen. dieser zarte Hinweis auf die Festlegung unserer Po- 4740 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Cronenberg sition in dieser netten Art auch dem Kollegen Roth zusammenbrechen. Sie ist zur notleidendsten Bran- gefallen wird, und insofern habe ich keine Sorgen, che überhaupt geworden. daß hier Scherben fabriziert worden sind, die dann (Franke [CDU/CSU]: Das haben wir aber Schaden anrichten. früh genug gesagt!) (Zurufe von der CDU/CSU) So ist, wie ich meine, Medizin zur Droge geworden. Es geht uns darum, daß hier keine Suppe fabriziert Der Präsident dieser Branche erklärt heute: Subven- wird, die wir alle zusammen auslöffeln müssen. Es tionen stiften nur Unheil. Hilfen für Bauern produ- sollte also keine Suppe geben, die mehr Schaden als zieren Butterberge, BAföG beschert Studentenber- Nutzen anrichtet. Das ist meine Position. ge, und uns Fensterbauern brachte das Geld aus Bonn einen Berg von Überkapazitäten. Präsident Stücklen: Gestatten Sie eine Zwischen- (Franke [CDU/CSU]: Sind Sie an der Regie frage des Herrn Abgeordneten Leisler Kiep? rung oder wir?) — Nun mag man diese Bewertung durchaus für (FDP): Ja. Cronenberg übertrieben halten; für uns muß sie aber Verpflich- tung und Hinweis sein, sehr gewissenhaft darauf zu Kiep (CDU/CSU): Um in dem Duktus Ihrer außer- achten, ob wir mit gutgemeinten Maßnahmen mögli- ordentlich amüsanten Ausführungen zu bleiben, er- cherweise ungewollt Schaden anrichten. Hier bitte laube ich mir die Frage, Herr Kollege Cronenberg: ich nicht nur um Ihr Verständnis, sondern auch um Würden Sie in diesem Kontext die Handlungsweise Ihre Unterstützung. und die Diskussionen des FDP-Parteipräsidiums un- ter die Kategorie der Suppenkaspar oder der Zappel- Nun sehe ich, daß ich, obwohl ich gern noch eini- philippe einordnen? ges gesagt hätte, aufgefordert werde, hier Schluß zu machen. Ich kann also nur mit dem Appell an alle, (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)- auch und insbesondere an die Opposition, schließen, das, was mit der Vorlage dieses Haushaltes — ten- Cronenberg (FDP): Auch ich möchte im Bild blei- denziell auch in Ihrem Sinne — richtigerweise ge- ben, Herr Kollege Kiep. Die Diskussion — ich habe schehen ist, richtig zu würdigen und nicht, wie ich das soeben sehr bewußt gesagt —, die um diesen schon einmal gesagt habe, in Miesmacherei zu ver- Fragenkomplex geführt worden ist, ist bedauerlich fallen. Bei allem Verständnis dafür, daß Sie dieser und schade. Ich halte sie nicht für gut. Ich leugne Regierung etwas am Zeuge flicken wollen, und auch auch nicht, daß ich über die Erklärungen des Präsi- bei mancher Kritik von mir im Detail an der einen diums in dieser Form etwas unglücklich war. So oder anderen Verhaltensweise: Ich appelliere an Sie, möchte ich sagen, was dem einen sein Präsidium, ist die Grundstruktur dieses Haushalts zu bejahen und dem anderen sein Zappelphilipp. anzuerkennen, daß wir uns auf dem richtigen Wege (Zuruf von der CDU/CSU: Daumenlut befinden, daß hier einiges — und zwar nicht wenig scher!) — geschehen ist. Unter dem Motto „Dem Mutlosen Hier denke ich an Albrecht und Stoltenberg, die ja gilt alles nichts, dem Mutigen gilt wenig viel" möchte auf Ihrer Seite ähnliche Verwirrung zu stiften be- ich Sie bitten, in diesem Sinne für dieses Land etwas zu tun und nicht nur die parteipolitische Brille — im liebten, Sinne von „der Regierung schaden" — aufzusetzen. (Zurufe von der CDU/CSU: Nein! — Die Wenn ich ein wenig Erfolg mit diesem meinem Ap- sind alle einig!) pell hätte, hätte es sich gelohnt, hier einige Minuten wie dies offensichtlich durch diese Diskussion ge- zu sprechen. — Ich danke Ihnen. schehen ist. (Beifall bei der FDP und der SPD) (Beifall bei der FDP und der SPD) Bei der Sache selbst ist es entscheidend und wichtig, Präsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Abge- daß Klarheit herrscht, und zwar sowohl hinsichtlich ordneter Franke. unserer als auch hoffentlich hinsichtlich Ihrer Posi- tion. Franke (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr (Zurufe von der CDU/CSU) verehrten Damen und Herren! Im übrigen möchte ich noch einmal sehr ernst dar- Herr Abgeordneter Franke, auf hinweisen, daß der Verwendungszweck solcher Präsident Stücklen: seien Sie so freundlich, mir den „Struwwelpeter" außerordentlich gewis- Beschäftigungsprogramme heraufzugeben. senhaft zu prüfen ist. Ich möchte Ihnen in diesem (Heiterkeit) Zusammenhang an einem Beispiel erläutern, wie ungewöhnlich schwierig es ist, die richtige Verwen- dung zu finden, wie Medizin zur Droge werden kann, Franke (CDU/CSU): Herr Präsident, ich war etwas wenn man Richtiges tun will und trotzdem unge- irritiert, hier eine solche Vorlage vorzufinden, und wollt Schaden anrichtet. Wir haben alle gemeinsam habe mir während der kurzen Zeit überlegt, wo ich das Energiesparprogramm unterstützt, bei dem mit meinen Vorredner einreihen sollte, als Zappel- 4 Milliarden DM Häuser geschützt, energiesparende philipp oder Suppenkaspar. Ich habe mich dafür ent- Maßnahmen, wie bessere Fenster und ähnliches, fi- schieden, ihn zum Hans-guck-in-die-Luft zu erklä- nanziert wurden. Diese Branche hat auf Grund die- ren. ser Subvention Überkapazitäten aufgebaut, die nun (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4741

Franke Herr Cronenberg, ich bitte einverstanden zu sein, der Tendenz in diesem Jahr, für die hohe Inflations- der Bitte des Präsidenten nachzukommen und ihm rate von nahezu 7 %, dann gäbe es keine Teufelsin- dieses Buch zu überreichen. Er wird es Ihnen nach- sel, kein Gefängnis, welche eine angemessene Be- her zurückgeben. strafung dieser Regierenden, an (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU der Spitze — nach den eigenen Bestrafungsforde- und bei Abgeordneten der FDP) rungen von Helmut Schmidt —, letztlich ermögli- chen könnten. Präsident Stücklen: Herr Abgeordneter Franke, ich (Beifall bei der CDU/CSU) wollte Sie nur nicht verleiten, daß Sie aus dem Lassen Sie mich das im einzelnen ausführen. Ich „Struwwelpeter" auch noch die nachfolgenden möchte zu drei Feldern kurz etwas sagen: zum Pro- Reime vortragen. blem der Arbeitslosigkeit, zur Rentenversicherung (Heiterkeit) und zur Gesundheitspolitik. Lassen Sie micht zur Arbeitslosigkeit, ergänzend (CDU/CSU): Herr Präsident, wenn wir in Franke zu dem, was mein Kollege und Freund Friedmann dieser moderaten Form einem letztlich sehr ernsten hier vorhin gesagt hat, noch einiges sagen: Leider Problem gerecht werden könnten, hätte ich gegen sind in den nächsten Monaten 2 Millionen Arbeits- diese Art der Auseinandersetzung bei den Haus- lose zu erwarten. Das heißt — und das sage ich schon haltsberatungen nichts einzuwenden. Wenn die seit Jahren, allerdings mit anderen Zahlen —, das Lage nicht so ungeheuer ernst wäre, wie sie hier in sind 2 Millionen Steuerzahler weniger, das sind 2 den letzten Tagen von meinen Kollegen geschildert Millionen Beitragszahler für die Rentenversiche- worden ist, könnten Wilhelm Busch und hier der rung weniger, das sind 2 Millionen Beitragszahler „Struwwelpeter" ausreichen. für die Krankenversicherung weniger, und das sind (Beifall bei der CDU/CSU) 2 Millionen Beitragszahler für die Bundesanstalt für - Wie soll es weitergehen? — So fragt Jürgen Eick in Arbeit weniger. Das Ergebnis sehen wir an den Zah- der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und bezieht len, die Friedmann hier soeben genannt hat. sich dabei auf die Finanzschwierigkeiten im Bereich (Beifall bei der CDU/CSU) der Sozialversicherungsträger in der Bundesrepu- blik Deutschland. Daß wir unsere Sozialleistungen Man muß sich die Arbeitslosenstatistik genau an- nur aus unserer Hände Arbeit finanzieren können, sehen: Im Dezember hatten wir 1,7 Millionen Ar- ist jedem klar. Man muß aber den Eindruck haben, beitslose. Aber, meine Damen und Herren, zu diesen daß die Regierenden von SPD und FDP in den letz- 1,7 Millionen Arbeitslosen muß man doch noch die ten Jahren die primitivsten Grundsätze ökonomi- hinzurechnen, die, wenn sie nicht in gewissen Maß- scher Vernunft vermissen ließen. Ökonomische Ver- nahmen wären, in der Arbeitslosenstatistik als Ar- nunft und, daraus hergeleitet, ökonomisches Han- beitslosengeldempfänger auftreten würden. Das deln schaffen erst die Voraussetzungen, um unser sind erstens 171 142 Teilnehmer an beruflichen För- soziales Netz tragfähig zu machen. derungsmaßnahmen. Das sind 38 309 Beschäftigte in (Beifall bei der CDU/CSU) Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Das heißt, im De- Wer die Grundsätze ökonomischer Vernunft verletzt zember 1981 gab es schon über 1,9 Millionen Arbeits- — sei es aus ideologischer Verblendung oder sei es lose, wobei ein kleinerer Teil in der Statistik eben aus Untätigkeit —, der verletzt die Tragfähigkeit un- woanders aufgeführt wurde. seres sozialen Sicherungsnetzes. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Die meisten dieser nun schon fast 2 Millionen Meine Damen und Herren, ich erinnere hier an Menschen sind Menschen, deren Arbeitswilligkeit die Forderung des damaligen Fraktionsvorsitzen- — ich sage: die meisten — völlig außer Zweifel steht. den der SPD, Helmut Schmidt, aus dem Jahre 1966. Diejenigen, die geschickt die Maschen und Lücken Er sagte damals sinngemäß, daß diejenigen, die den der Gesetze mißbrauchen, sind nicht repräsentativ Haushalt 1966, die damalige Finanzlage und die Net- für die gute Gesinnung der großen Zahl unserer Bür- tokreditaufnahme von einigen hundert Millionen ger. DM zu verantworten hätten, ins Gefängnis gehörten. Sie hätten also eine sehr fahrlässige Handlung be- 2 Millionen heißt auch 2 Millionen Einzelschicksa- gangen. Wenn wir den Bundeskanzler Schmidt — er le. Heute werden Bürger arbeitslos, die seit 20, ist leider heute nicht anwesend, wie auch ein großer 25 Jahren in Arbeit standen. Auch wenn sie beson- Teil des Bundeskabinetts genauso wie gestern nicht ders qualifiziert sind, finden sie durch die von Ihnen anwesend ist; wenn er hier wäre, würde ich ihn per- wegen der mangelnden binnenwirtschaftlichen sönlich ansprechen — Nachfrage geschaffenen Lage am Binnenmarkt hier (Dr. George [CDU/CSU]: Die suchen Ar keinen Arbeitsplatz. beit!) (Dr. Klejdzinski [SPD]: Das ist doch Kaffee an seinen eigenen Worten messen würden oder, bes- satzwissenschaft!) ser, ihn nach seinen eigenen Worten bestrafen woll- ten für die hohe Verschuldung des Bundes in Höhe Die SPD fordert seit einiger Zeit, ein Beschäfti- von nahezu 300 Milliarden DM, für die hohe Arbeits- gungsprogramm aus zusätzlichen Steuern zu finan- losigkeit von 7,3 % im Dezember, mit leider steigen zieren. Das sind die gleichen Leute, die vor vier Wo- 4742 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 Franke chen hier im Plenum für die Kürzung der Arbeitsbe- endgültig vor — verschärft. Die Altersgruppe der 25- schaffungsmaßnahmen gestimmt haben, bis 29jährigen ist mit einer Quote von 7 % vertreten. Das heißt: Die jüngsten, die leistungsfähigsten Men- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) schen in der Bundesrepublik sind mit einer so gro- die gleichen Leute, die für 1982 300 Millionen DM ßen Zahl ihrer jeweiligen Erwerbsjahrgänge an der für vorgesehene Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Arbeitslosigkeit beteiligt. gestrichen haben, die gleichen Leute, die für 1983, 1984, 1985 je 600 Millionen DM aus der mittelfristi- Der Grund dafür ist eindeutig: Für unsere Bürger gen Finanzplanung bei den Arbeitsbeschaffungs- in der Bundesrepublik Deutschland ist nicht genü- maßnahmen herausgestrichen haben. Und heute gend Arbeit vorhanden. Die Arbeitsfähigkeit, die Ar- stehen sie auf und fordern ein Beschäftigungspro- beitsfreudigkeit unserer Bürger ist ungebrochen, aber die Regierenden kommen ihrer Verpflichtung gramm. nicht nach, für eine Belebung der Nachfrage am Bin- (Beifall bei der CDU/CSU — Dr.-Ing. Kansy nenmarkt zu sorgen. Der Grund dafür ist für denje- [CDU/CSU]: Das ist ja doppelzüngig!) nigen, der sich damit beschäftigt — wir haben uns in Das sind, wie mein Kollege Müller vor einigen Tagen den letzten Tagen mit den wirtschaftlichen Grundla- gesagt hat, die gleichen Leute, die die öffentlichen gen und den wirtschaftspolitischen Zielsetzungen Investitionen um ca. 10 bis 12 % zurückgenommen dieser Regierung beschäftigt —, klar: SPD und FDP haben, die am Markt mit Sicherheit Nachfrage können sich auf die Realisierung vernünftiger öko- schaffen würden. nomischer Prinzipien nicht einigen. Der Bürger hat wegen Ihrer Unfähigkeit mit hoher Arbeitslosigkeit (Beifall bei der CDU/CSU) und hohen Beiträgen die Zeche zu zahlen. Fachleute sagen, man dürfe die Qualifizierung von (Beifall bei der CDU/CSU) ungelernten Arbeitslosen nicht behindern; man schaffe dadurch — das wissen wir — potentielle- Ar- Die noch in Arbeit Befindlichen müssen die Fehllei- beitslose. Der im Bundesministerium für Arbeit zu- stungen von SPD und FDP mit hohen Steuern und ständige Abteilungsleiter für Fragen der Arbeits- Sozialbeiträgen bezahlen. marktpolitik soll gesagt haben, daß das, wenn man Dazu einige Zahlen: Die Bruttolöhne und -gehälter das täte — Sie haben es schon getan — ökonomi- stiegen von 1972 bis 1980 von 386 Milliarden DM auf scher Unsinn sei; er hat recht. Er ist übrigens einer 697 Milliarden DM, also um 81 %. von denen, lieber , der, glaube ich, auch diese Entschließung im Vorstand oder im (Dreßler [SPD]: Beklagen Sie das?) Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit mitun- Die Summe der Nettolöhne und -gehälter stieg von terschrieben hat. Wir wissen ja, unter welchen fast 296 Milliarden DM auf 495 Milliarden DM, also nur mysteriösen Umständen sein Vorgänger — der hieß um 67 %. — Hier beklage ich etwas, Herr Kollege Baden — von Ehrenberg „baden gegangen worden Zwischenrufer, der Sie hauptamtlicher Gewerk- ist". Was macht der Ehrenberg jetzt mit Bodenben- schaftsfunktionär sind. der, nachdem Bodenbender diesen Beschlüssen hier zugestimmt hat? Geht der auch — ein kleines Wort- (Glos [CDU/CSU]: Und hochbezahlt!) spiel — baden? Mit Ehrenberg zusammen nimmt er am Ende des Jahres den Hut; denn — ein Mann, ein Ich sage das als ein Gewerkschafter. Mit dem Wort Wort; dafür bin ich auch — der muß dann gehen. „Funktionär" wollte ich nichts Negatives sagen. Ich halte das für richtig, daß Sie einer solchen Tätigkeit (Beifall bei der CDU/CSU) nachgehen. Ich gebe Herrn Bodenbender — ich habe das nach- (Hauck [SPD]: Genau informieren, Fran gelesen; er hat es mir nicht persönlich gesagt; dann ke!) würde ich es hier nicht erwähnen — recht: Wer Aus- gaben für die berufliche Qualifizierung kürzt, Nur, meine Damen und Herren, hier wird sichtbar, schafft zusätzlich potentielle Arbeitslose. Denn man daß die Bruttoeinkommen durch hohe Besteuerung weiß doch, daß der größte Teil der am häufigsten Ar- und Erhöhung der Sozialabgaben zu einer geringe- beitslosen die mit nicht genügender Qualifikation ren Verfügbarkeit an Nettoeinkommen unserer sind; sie werden immer wieder in Arbeitslosigkeit Bürger geführt haben. gestoßen. Diejenigen, die in der Öffentlichkeit nach (Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Dreßler einem Beschäftigungsprogramm rufen, sind die glei- [SPD] meldet sich zu einer Zwischen chen Leute auf der linken Seite dieses Hauses — na- frage) türlich mit Unterstützung der FDP —, die die finan- zielle Grundlage für weitere berufliche Qualifikatio- — Ich wollte eben den Gedanken zu Ende führen, nen vor vier Wochen verändert haben. dann lasse ich gerne eine Zwischenfrage zu. Der ersten Sonderuntersuchung über Arbeitslose Die Summe der Lohnabzüge einschließlich zusätz- der Bundesanstalt für Arbeit vom Dezember 1981 licher Sozialaufwendungen der Arbeitgeber, aber entnehme ich erschreckende Zahlen. Dort ist zu le- ohne Arbeitgeberbeiträge zu den Sozialversicherun- sen, daß z. B. in der Altersgruppe der 20- bis 24jähri- gen, stieg von 90 Milliarden DM im Jahre 1972 auf gen im September eine Arbeitslosenquote von 8,5 % 202 Milliarden DM im Jahre 1980, also um über 125%, zu verzeichnen gewesen ist; wohlgemerkt: im Sep- und selbst unter Eliminierung der Umwandlung der tember! Inzwischen hat sich das Problem auch für früheren steuerlichen Kinderfreibeträge in ein ein- diese Gruppe — aber die Zahlen liegen noch nicht heitliches Kindergeld ab 1975 um etwa 110 %. Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4743

Franke Herr Präsident, ich lasse sofort die Zwischenfrage ten nicht heraus. Adam Smith schrieb vor etwa 200 zu. Ich wollte eben den Gedankengang zu Ende brin- Jahren in seinem Werk „Der Wohlstand der Natio- gen. nen" — ich glaube, das ist der Vater der Nationalöko- Berücksichtigen wir außerdem noch das äußerst nomie — etwas, wobei er so ein Bild von einem ungünstige Jahr 1981, in welchem die Lebenshal- selbsternannten Weltökonomen im Auge gehabt ha- tungskosten um etwa 2 % stärker gestiegen sind als ben mag. Bitte, hören Sie den Text: die Nettolöhne und -gehälter, so kommen wir zu dem Der einzelne vermag ganz offensichtlich aus sei- Ergebnis, daß bei einer Steigerung der Lebenshal- ner Kenntnis der örtlichen Verhältnisse weit tungskosten um etwa 57 % zwischen 1972 und 1980 besser zu beurteilen, als es irgendein Staats- die jahresdurchschnittliche Steigerung der Kauf- mann oder Gesetzgeber für ihn tun kann, wel- kraft der Nettolöhne bei unter 1 % lag. cher Erwerbszweig im Lande für den Einsatz Auf Ihren Zwischenruf, Herr Kollege Dreßler, zu- seines Kapitals geeignet ist und welcher einen rückkommend, sage ich: Das bedaure ich. Das ist das Ertrag abwirft, der den höchsten Wertzuwachs Ergebnis Ihrer Politik. Hier ist die Verfügbarkeit der verspricht. Ein Staatsmann, der es versuchen Nettoeinkommen durch Ihre Politik eingeschränkt sollte, Privatleuten vorzuschreiben, auf welche worden. Weise sie ihr Kapital investieren sollten, würde (Beifall bei der CDU/CSU) sich damit nicht nur höchst unnötig eine Last aufbürden, sondern sich auch gleichzeitig eine Bitte schön. Autorität anmaßen, die man nicht einmal einem Staatsrat oder Senat, geschweige denn einer Präsident Stücklen: Herr Abgeordneter Dreßler zu einzelnen Person getrost anvertrauen könnte, einer Zwischenfrage. eine Autorität, die nirgendwo so gefährlich wäre wie in der Hand eines Mannes, der, dumm und Dreßler (SPD): Herr Kollege Franke, nachdem Sie dünkelhaft genug, sich auch noch für fähig hiel- mich soeben einen hauptamtlichen Gewerkschafts-- te, sie ausüben zu können. funktionär genannt haben, will ich Sie nur fragen, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, daß Be- Adam Smith 1776. triebsratsvorsitzende nach unserem Betriebsverfas- (Beifall bei der CDU/CSU) sungsgesetz nicht automatisch hauptamtliche Ge- Die Sozialisten träumen davon, durch staatliche werkschaftsfunktionäre sind, Lenkung die höchste Beglückung des Volkes errei- (Glos [CDU/CDU]: Aber Spitzenverdiener!) chen zu können. sondern daß das wesentliche Element der deutschen (Abg. Dr. Graf Lambsdorff [FDP] meldet Gewerkschaftsbewegung aus ehrenamtlichen Funk- sich zu einer Zwischenfrage) tionären besteht. — Herr Minister Lambsdorff, Sie fühlen sich bei (Hauck [SPD]: Guter Nachhilfeunterricht Adam Smith natürlich berufen, auch Ihren eigenen für Franke! — Glos [CDU/CSU]: Aber Sie Beitrag dazu zu leisten. Ich glaube, das ist Ihr gutes werden doch bezahlt dafür!) Recht. — Ich lasse das gerne zu, Herr Präsident!

Franke (CDU/CSU): Lieber Herr Kollege Dreßler, Präsident Stücklen: Nicht der Herr Minister für Sie werden doch ein altes Betriebsratsmitglied, wel- Wirtschaft hat das Bedürfnis, eine Frage zu stellen, ches hier spricht, nicht über die Funktion eines Be- sondern der Abgeordnete Graf Lambsdorff. triebsrates belehren wollen. Franke (CDU/CSU): Ich bin ja der Erfinder des (Dreßler [SPD]: Warum nennen Sie mich Wortes Schmidt (Hamburg) — 8. April 1976. dann „hauptamtlichen Gewerkschaftsfunk tionär"?!) Präsident Stücklen: Sie haben zugesagt, eine Zwi- So viel Dienstjahre, wie Sie als Gewerkschaftler ha- schenfrage zu gewähren. — Bitte, Graf Lambsdorff, ben, habe ich in meinem 40jährigen Arbeitsleben Sie haben das Wort. längst als Betriebsrat abgerissen. Das ist kein Pro- blem. Da bedarf es nicht Ihrer Belehrung. Dr. Graf Lambsdorff (FDP): Herr Kollege Franke, (Beifall bei der CDU/CSU) würden Sie die Freundlichkeit haben und die Bereit- schaft zeigen, den Rat entgegenzunehmen, die sehr Herr Kollege Dreßler, lassen Sie mich das ver- beherzigenswerten Ausführungen von Adam Smith söhnlich sagen: Mit dem Wort „Funktionär", sei es — nicht nur an dieser, sondern auch an anderer hauptamtlich, sei es nebenamtlich, wollte ich nichts Stelle — auch bei den Tätigkeiten zu beachten, de- Negatives ausgedrückt haben. Ich gehöre nicht zu nen Sie sonst Ihre Hauptaufmerksamkeit widmen? jenen, die dem Wort „Funktionär" insbesondere im Bereich der Gewerkschaften einen negativen Beige- Franke (CDU/CSU): Sie wissen aus unserem lan- schmack verleihen möchten. Ich glaube, daß ich das gen politischen Zusammenleben, lieber Herr Kol- damit endgültig für Sie und auch für uns alle klarge- lege Lambsdorff, daß ich fähig bin, auch über den stellt habe. Schatten dessen zu springen, bei dem Sie mich jetzt Aus diesem Teufelskreis „mehr Arbeitslose, mehr gerade einreihen wollten. Fragen Sie einmal meine Belastung" kommen wir nur durch eine andere Poli- Kollegen aus meiner näheren Umgebung. Hin und tik heraus. Ihr Weg, der Weg, den die SPD und die wieder haben sie diese unkonventionelle Art bei mir FDP beschritten haben, führt aus den Schwierigkei- gefürchtet, aber meistens haben sie sie geschätzt. 4744 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Franke Ich bin bereit, mit Ihnen auch diesen Weg zu gehen. weil die finanziellen Probleme der Rentenversiche- Wir müssen uns natürlich nur bei den 875 Seiten von rung schneller entstehen, als die Regierung ange- Adam Smith's „Wohlstand der Nationen" auf die Sei- nommen hat und als wir alle annehmen wollten. Ein ten einigen und darauf, was da gemeint sein könnte. Handlungsbedarf entsteht bei weiterer negativer Das kann ich jetzt nicht übersehen. Aber achten Sie Entwicklung am Arbeitsmarkt. bitte auf den Schluß. Ich komme gleich noch auf Von der Finanzierung der Gleichstellung von Adam Smith zurück. Mann und Frau im Rentenrecht will ich hier gar (Beifall bei der CDU/CSU) nicht lange reden. Nur soviel will ich sagen: Die Bun- Meine Damen und Herren, Sozialisten wollen also desregierung hat in ihrer Einlassung zur Finanzie- hier die Welt beglücken. Die vielen Beweise der Un- rung der sogenannten 84er Lösung einen falschen tauglichkeit dieses Systems schrecken unsere demo- Eindruck erweckt. Es wird gesagt, zu einem späte- kratischen Sozialisten nicht ab, es immer wieder ren Zeitpunkt müßten die Beiträge zur Finanzierung falsch zu versuchen. der 84er Lösung lediglich um 0,3 % erhöht werden. Damit sei alles finanziert. Das ist beileibe nicht so! (Beifall bei der CDU/CSU) Denn die Regierung hat vergessen, in diesem Au- Das Ergebnis dieser Untauglichkeit und das Ergeb- genblick zu sagen, daß sie nicht zur Finanzierung nis auch der Unfähigkeit der deutschen Sozialisten der Übergangsregelung einen Beitrag leisten wollte, erleben leidvoll zur Zeit die Bürger in der Bundesre- und sie hat zur Finanzierung der sogenannten Erzie- publik Deutschland. hungszeiten im Rentenrecht nicht ein einziges Wort gesagt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Lassen Sie mich in der Kürze der Zeit noch ein an- ich lenke Ihre Aufmerksamkeit, ohne daraus zitie- deres Thema anschneiden: die Rentenversicherung. ren zu wollen, auf die Denkschrift der EKD von ge- Die Finanzlage der Rentenversicherung gerät wie- stern, die dazu eine besondere Forderung aufgestellt der zusehends ins Gerede. Wenn die Entwicklung hat. am Arbeitsmarkt so weitergeht, entstehen- für die Rentenversicherung schon 1983 Liquiditätspro- (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ bleme und daraus mit Sicherheit ein notwendiger CSU) Handlungszwang. Ich habe irgendwo gelesen, daß Das heißt, mit 0,3 % ist die Gleichstellung von Mann der Kollege Schmidt von der FDP gesagt haben soll, und Frau im Rentenrecht nicht zu finanzieren. Das man müsse dann den für 1985 vorgesehenen KVdR- ist ein falscher Eindruck, der hier erweckt worden Beitrag, also den Krankenversicherungsbeitrag der ist. Rentner, vorzeitig einführen. Ein paar Bemerkungen — ich mache jetzt einen (Abg. Cronenberg [FDP] meldet sich zu ei Sprung — zur Gesundheitspolitik. Die Kosten im ner Zwischenfrage) Gesundheitswesen steigen explosionsartig. 1950 ga- — Herr Präsident, ich möchte keine Zwischenfrage ben wir in der gesetzlichen Krankenversicherung mehr zulassen, weil ich sonst mit meinem Pro- 2,3 Milliarden DM aus, 1960 das 3,9fache von 1950, gramm nicht durchkomme. Herr Roth ist inzwi- nämlich rund 9 Milliarden DM. 1970 waren es 25,2 schen auch eingetroffen. Er muß aber nicht auf mich Milliarden; das ist das 2,8fache von 1960. 1980 waren antworten, sondern er sollte Herrn Cronenberg ant- es rund 90 Milliarden; das ist das 3,5fache von 1970. worten. Er kann mich hier nicht als Medium für eine 1981 wird das 3,5fache von 1970 oder das 10fache von Beantwortung der Fragen vom Kollegen Cronen- 1960 oder das 39fache von 1950 ausgegeben. Dazu im berg benutzen. Vergleich: Das Bruttosozialprodukt betrug 1950 97 Ein paar Zahlen dazu, herausgegeben vom Ver- Milliarden und liegt heute etwa bei 1,7 Billionen, bei band der Rentenversicherungsträger. Der Verband 1 700 Milliarden DM. In diesem Zusammenhang der Rentenversicherungsträger korrigiert seine müssen Sie die explosionsartige Entwicklung im Be- Septemberangaben von 1981 im Oktober 1981. Er reich der Krankenversicherung sehen. sagt, daß schon 1984 die Schwankungsreserve in Mo- Lösungen werden allenthalten diskutiert. SPD natsausgaben auf 1,2 Monatsausgaben zurückgeht und FDP versuchen, mit dirigistischen Maßnahmen — unter der Annahme vom Oktober 1981. Die An- das Problem in den Griff zu bekommen. Dabei, bei nahmen sind nach meiner Auffassung heute nicht der Vorbereitung, wird dann ein gigantisches „Som- mehr realistisch. Das gilt sowohl für die Entwick- mertheater" inszeniert, das so abläuft: lung der Arbeitsentgelte, der Entgelterhöhung — für 1983 werden 5,80 % und für 1984 5,80 % angenom- Erster Akt: Ehrenberg fordert entsprechend dem men —, als auch für die Zahl der Arbeitslosen, die Gesundheitsprogramm der SPD ein Bündel von diri- also keine Beiträge an die Rentenversicherung zah- gistischen, sozialistischen, zur Einheitsversicherung len. Sie stimmen hier für 1982 mit Sicherheit nicht. führenden Maßnahmen und läßt dann diese Überle- Sie sind hier mit 1,6 Millionen angegeben, für 1983 gungen in einen Referentenentwurf fließen. mit 1,55 Millionen und für 1984 mit 1,5 Millionen. Zweiter Akt: Bei der Anhörung der Betroffenen Das heißt, meine Damen und Herren: wenn diese gibt es Proteste und wütende Aufschreie. Annahmen nicht stimmen — im Januar wird neu Dritter Akt: Jetzt tritt die FDP auf. nachgerechnet —, dann gerät die Rentenversiche- rung schon vorzeitig, bevor wir die Rentenreform (Zuruf von der CDU/CSU: Oho! — Dr. Riedl 1984 in Angriff nehmen können, in Finanzschwierig- [München] [CDU/CSU]: Beim vierten Akt keiten. Wir müssen hier leider wieder einmal ran, tritt sie ab!) Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4745

Franke Ein Teil der rigorosen dirigistischen und zur Ein- und nutzte dabei die bewährten Hausmittel. heitsversicherung führenden Maßnahmen wird zu- Heute gehen viele zum Arzt mit noch so unbe- rückgeholt. deutenden Wehwehchen, nur um sich etwas ver- Am Schluß bleibt zwar kein Ehrenbergsches so- schreiben, vielfach auch, um sich krank schrei- zialistisches Konzept in Reinkultur übrig, aber ein ben zu lassen. Versuche der Ärzte, die ihren Pa- Teil der dirigistischen Maßnahmen hat dann doch tienten raten, etwas vernünftiger zu leben, Eingang in die Gesetzgebung gefunden. Das wird fruchten wenig. Man will die Tablette, aber kei- dann mit dem Namen „Kostendämpfung" versehen, nen Rat. ist es in Wahrheit aber gar nicht. So Jürgen Eick in der „Frankfurter Allgemeinen Zei- Dann passiert folgendes. Die FDP läßt sich von ei- tung". Ich habe hier zitiert. nigen Betroffenen als Verhinderer der Einheitsver- (Beifall bei der CDU/CSU) sicherung feiern. Hier entsteht, meine Damen und Herren, ein Hand- (Zuruf von der CDU/CSU: Lauthals!) lungszwang, und diesem Handlungszwang müssen wir uns unterwerfen. Am Schluß ist scheinbar jeder zufrieden, erstens Eh- renberg und die SPD damit, daß sie ein Stück ihres Herr Präsident, ich bin sofort fertig. Gedankengutes — schrittweise auf dem Wege zum Der Parteitag meiner Partei 1958 in Kiel hat zwei Sozialismus — untergebracht haben, zweitens die beachtliche Reden erlebt. Die eine hielt Karl Arnold; FDP damit, daß sie den Eindruck erweckt hat, Sozia- er sprach über das Thema „Eigentum für jeden". lismus verhindert zu haben, und drittens ein Teil der sprach über das Thema „Wohlstand Betroffenen damit, daß es nicht noch schlimmer ge- für alle". Das war die Richtung unserer Politik in den kommen ist. In Wahrheit werden scheibchenweise 60er Jahren. Ich möchte in Erinnerung an den Par- Dirigismus und Einheitsversicherung erreicht. Ko- teitag und an die Formulierungen, die dort getroffen stendämpfung bleibt auf der Strecke, meine Damen worden sind, sagen: Jetzt muß es aber zusätzlich hei- und Herren! ßen: „Arbeit für alle". Arbeit für alle, das ist eine Ver- (Beifall bei der CDU/CSU) pflichtung der Regierenden. Als Opposition wollen wir selbstverständlich helfen, aber nur durch So- Von der Korrektivfunktion der FDP war hier in ziale Marktwirtschaft, meine Damen und Herren, Wahrheit nichts zu sehen. nicht mit sozialistischen Experimenten. Daß wir im Bereich der Gesundheitsversicherung (Beifall bei der CDU/CSU) und -vorsorge vor tiefen Einschnitten stehen, habe ich in der Öffentlichkeit, auch bei der Anhörung, oft Ein Schlußsatz. Der Kollege Hoppe hat hier eine genug gesagt. Ich glaube, daß wir an die Grenzen beachtliche Rede gehalten. Sie steht im Gegensatz dieses Systems gekommen sind und daß wir über zum Handeln der FDP, aber die Rede war beacht- ein neues System nachdenken müssen, aber nicht lich. über ein neues System auf dem Wege zur staatlichen (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Er macht das Gesundheitsvorsorge und zur Einheitsversicherung, immer so!) sondern über ein System, welches den Bürger unse- Er sagt: „Operation gelungen, Operationsteam tot." rer freien Gesellschaft auch in die Lage versetzt, die Ein Teil des Kabinetts scheint schon auf dem Kran- betreffenden Einrichtungen in Anspruch zu neh- kenbett zu liegen. men, ohne finanziell — bei heutigen Beiträgen von (Zuruf von der FDP) 12, 13, 14 oder gar 15 %! — an die Grenzen zu stoßen. Das geht nicht mit Sozialismus, nicht mit Einheits- — Sie sind gar nicht hier. versicherung. Staatliche Gesundheitssysteme sind Adam Smith drückte in seinem Werk von vor über teurer als dieses System, das wir heute haben, aber 200 Jahren das wörtlich so aus: „Große Nationen wir sollten über ein neues System nachdenken. werden niemals durch private, doch bisweilen durch (Zustimmung bei der CDU/CSU) öffentliche Verschwendung und Mißwirtschaft rui- niert." Und Sie sind leider dabei, so zu handeln, wie Ich sage das, ohne daß dies mit meinen Kollegen es Adam Smith hier beschrieben hat. schon endgültig abgestimmt worden wäre. Von dem gewaltigen Apparat derjenigen, die haupberuflich (Anhaltender lebhafter Beifall bei der damit umgehen, müssen Sie verlangen — und auch CDU/CSU) wir verlangen das —, daß solche Entwürfe auf den Tisch gelegt werden. Präsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Bundes- (Glos [CDU/CSU]: Sehr gut!) minister für Arbeit und Sozialordnung. „Wird die Medizin unbezahlbar?", fragt Jürgen Eick in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", und Dr. Ehrenberg, Bundesminister für Arbeit und So- er schreibt: zialordnung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Winter meint es nicht gut mit dem Ar- Zyniker sagen voraus, daß wir demnächst 100 % beitsmarkt und auch nicht mit dem Arbeitsminister des Sozialprodukts für das Gesundheitswesen persönlich. verbrauchen werden. Noch nie gab es so viele Ärzte wie heute und so viele Kranke oder Halb- (Zurufe von der CDU/CSU) kranke. In den 30er Jahren wurde der Arzt nur Aber ich hoffe sehr — außer bei Herrn Friedmann; in schweren Fällen gerufen. Man half sich selbst da habe ich diese Gnade nicht gefunden —, bei den 4746 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Bundesminister Dr. Ehrenberg übrigen Abgeordneten dieses Hauses Nachsicht da- Kollegen den Antrag, 5 Milliarden DM zusätz- für zu finden, daß das Wegräumen von zwei querste- lich, mit einer Sperre versehen, in den Haushalt henden Fahrzeugen auf einer eisglatten Straße in einzustellen. Deckungsvorschläge für diese Ab- Meckenheim 20 Minuten dauerte. Da dürfte ich, wie surdität blieb der Abgeordnete Friedmann dem ich hoffe, Herr Friedmann, für sechs Minuten Ver- Ausschuß schuldig. spätung in diesem Winter '82 Nachsicht finden. Aber Ich glaube, mit dieser Erklärung können wir Ihre das nur als eine persönliche Vorbemerkung zu mei- Behauptungen zu den Akten legen, Herr Kollege ner Verspätung. Friedmann. Für die Beschlüsse der Bundesregierung zum (Zustimmung bei der SPD) Bundeshaushalt 1982 einschließlich des Einzel- plans 11 brauchen wir Ihre Nachsicht nicht; denn Präsident Stücklen: Herr Bundesminister, gestat- dieser Haushalt ist das, was die Lage erfordert, nicht ten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten mehr und nicht weniger. Es ist wenig ersprießlich, Friedmann? Herr Friedmann, wenn Sie hier zu Beginn versucht haben, zu differenzieren zwischen dem Bundesmini- Dr. Ehrenberg, Bundesminister für Arbeit und So- ster für Arbeit und dem Bundesminister für — so zialordnung: Bitte. heißt es — Sozialordnung. Sie haben es anders ge- nannt; das habe ich nicht mehr im Gedächtnis. Es Dr. Friedmann (CDU/CSU): Herr Bundesminister, heißt bei uns: für Sozialordnung. Aus gutem Grund darf ich Sie darauf hinweisen, daß dieser Antrag we- haben unsere Vorgänger, nicht wir, Arbeit und So- gen der 5 Milliarden DM die logische Folge aus dem zialordnung zusammengefaßt. Sie dürfen versichert war, was Sie falsch für Nürnberg angesetzt haben, sein: dieser Arbeitsminister wird stets auf alle Teile und daß es dem Kollegen Grobecker allmählich seines Ressorts das gleiche Schwergewicht legen. Es selbst peinlich ist, was er damals geschrieben hat? hilft nichts, hier irgend etwas auseinanderdividieren - zu wollen. Dr. Ehrenberg, Bundesminister für Arbeit und So- (Zuruf von der CDU/CSU: Vor allem „Ord zialordnung: Den Eindruck habe ich nicht, daß es nung"!) dem Kollegen Grobecker peinlich ist. Er ist genau wie ich der Meinung: Er hat damals das richtige ge- Im übrigen, Herr Kollege Friedmann, haben Sie schrieben. Sie können Ihre Behauptungen so oft hier erneut versucht, die Zahlen aus den Beratungen wiederholen, wie Sie wollen, Herr Kollege Fried- des Haushaltsausschusses und aus der zweiten und mann; sie werden deshalb nicht richtig. dritten Lesung des Arbeitsförderung-Konsolidie- rungsgesetzes hochzubringen. Sie haben nichts (Dr. George [CDU/CSU]: Wir nehmen es auf Neues hinzugefügt. Sie haben hier die alten, vom Wiedervorlage! — Windelen [CDU/CSU]: Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit und mir Bei Philippi!) gemeinsam im Haushaltsausschuß widerlegten Be- Tatsache ist, daß alle ökonomischen Voraussagen hauptungen aufgestellt. in diesem Winter noch viel mehr als in anderen Jah- (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Stingl braucht ren mit Unsicherheiten behaftet sind. 5 Milliarden! Das gibt er selbst zu!) (Lachen des Abg. Dr. Friedmann [CDU/ — Er gibt Ihnen vielleicht geheim etwas zu. Das CSU]) kann ich nicht beurteilen. Ich kann mich nur an das — Herr Friedmann, darüber zu lachen ist ein halten, was der Präsident im Haushaltsausschuß bißchen albern; entschuldigen Sie. und auch sonst öffentlich erklärt hat, nicht an das, (Kolb [CDU/CSU]: Wann führen Sie denn was Sie vielleicht in geheimer Zwiesprache mit endlich!) Herrn Stingl absprechen können. Das kann ich nicht nachvollziehen. Es wird sich hier niemand einbilden, eine exakte Voraussage für dieses Jahr machen zu können. (Löffler [SPD]: Ob der Herr vielleicht zwei (Abg. Dr. Friedmann [CDU/CSU] meldet Zungen hat?) sich zu einer weiteren Zwischenfrage) — Ich unterstelle dem Präsidenten der Bundesan- — Herr Präsident, ich möchte Zwischenfragen im stalt nicht, daß er mit zwei Zungen spricht. Moment nicht zulassen, jedenfalls nicht Zwischen- (Dr. George [CDU/CSU]: Aber Sie können fragen, die wie ein Perpetuum mobile immer das- doch auch denken! — Weitere Zurufe von selbe wiederholen, etwas behaupten und nicht be- der CDU/CSU) weisen. Insofern glaube ich, Herr Friedmann, daß bezüg- (Kittelmann [CDU/CSU]: Sie fürchten die lich Ihrer Zahlen, Ihrer Angaben und Ihrer Progno- Zwischenfragen! — Weitere Zurufe von der sen immer noch das gilt, was der Kollege Grobecker CDU/CSU) in einer Pressemitteilung nach der Sitzung des Ich wollte Sie gern darauf hinweisen, daß sämtli- Haushaltsausschusses veröffentlich hat. Ich darf che Institute — außer dem Kieler Institut —, die das den Kollegen hier ins Gedächtnis zurückrufen. Bundesbank und der geballte Finanzsachverstand Der Kollege Grobecker hat damals geschrieben: sämtlicher Bundesländer hinter diesen Annahmen Aufgefordert, Konsequenzen aus seinen Be stehen. Sie können weder von einer Selbstverwal- hauptungen zu ziehen, stellte der Abgeordnete tungseinrichtung noch von irgendeiner anderen In- Friedmann unter dem Gelächter seiner CDU- stanz erwarten, daß sie mit anderen Annahmen als Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4747

Bundesminister Dr. Ehrenberg denen arbeitet, auf die sich Bundesbank, Bundesre- sigkeit leider gewonnen hat — aber nicht deshalb, gierung und elf Finanzminister der Länder geeinigt weil die Regierung versagt hat — — haben, die ja ihren Haushalten dieselben ökonomi- schen Daten zugrunde legen. Es ist geradezu absurd (Widerspruch bei der CDU/CSU — Dr. zu erwarten, daß die Bundesanstalt für Arbeit von Friedmann [CDU/CSU]: Doch! Zwölf Jahre anderen Daten ausgeht. SPD/FDP-Regierung!) Wenn Sie, Herr Kollege Friedmann, hier den Vor- — Dann müßte es j a wohl in den konservativ regier- stand und den Verwaltungsrat der Bundesanstalt zi- ten Staaten Europas besser aussehen als in der Bun- tieren, so muß Ihnen dazu gesagt werden: Die Vor- desrepublik. Dort sind die Probleme im Zusammen- standssitzung war am 16. Dezember, die Verwal- hang mit den Preisen und Arbeitslosen doppelt bis tungsratssitzung am 22. Dezember. Dank des sehr dreifach so groß wie in der Bundesrepublik. langwierigen, mühseligen und dann zu einem guten Abschluß führenden Vermittlungsverfahrens ist das (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf Gesetzespaket hier im diesem Hause am 18. Dezem- von der CDU/CSU: Die konservativen Re ber verabschiedet worden. Sie können doch von kei- gierungen dort haben aber auch schlim nem Selbstverwaltungsgremium erwarten, daß es mere Zustände übernehmen müssen!) zwischen dem 18. Dezember und dem 22. Dezember Es gibt allerdings auch einen europäischen Staat, in die Auswirkungen dieser Gesetze detailliert prüfen dem es sehr viel besser als bei uns aussieht, nämlich kann. Allein vom Zeitablauf her ist es ganz selbst- Österreich. Wir könnten uns an der österreichischen verständlich, daß die Gremien — — Politik in manchen Dingen ein Beispiel nehmen. (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Frau Fuchs war doch dabei, und andere Ministerielle (Kolb [CDU/CSU]: Bald wohl nicht mehr, aus Ihrem Haus waren auch dort! Dort so Herr Minister!) und hier so!) - Ich glaube, es lohnt sich, einmal darüber nachzu- — Natürlich war Frau Fuchs dabei. Aber schätzen denken, wie es um diesen Sozialstaat aussähe, wenn Sie, verehrter Herr Friedmann, den Verwaltungsrat wir den vielen Vorschlägen gefolgt wären, die nicht und den Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit die CDU/CSU-Fraktion gemacht hat, die aber die ja wirklich so ein, daß alle mit dem Kopf nicken und sa- viel entscheidenderen CDU- bzw. CSU-Ministerprä- gen, das machen wir so, wenn die Parlamentarische sidenten unterbreitet haben. Ich will nur ganz we- Staatssekretärin Fuchs dort einen Vortrag hält? So nige nennen. Herr Späth hat am 27. November 1981 ist das — glücklicherweise — in den Selbstverwal- im Bundesrat gefordert: Notfalls muß ein Rentner- tungsorganen nicht. krankenversicherungsbeitrag eingeführt werden. (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Herr Ehren Volumen: 3 Milliarden DM. berg, sie hat dort der Formulierung zuge (Franke [CDU/CSU]: Das haben wir nicht stimmt!) aufgegriffen!) — Aber natürlich hat sie das, mit gutem Grund. Er hat außerdem gemeint, daß das Arbeitslosengeld (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Und hat sich in seiner bisherigen Höhe keinen Bestand haben damit von Ihnen distanziert!) könne. Die vielen Forderungen nach Aufhebung der — Herr Friedmann, es lohnt sich nicht, Zwischenfra- Lohnfortzahlung hinzugenommen — wenn wir dem gen von Ihnen nicht zuzulassen; denn Sie schreien allen gefolgt wären, stände es um den Sozialstaat in dann so laut dazwischen, daß ich doch auf Sie ant- diesem Lande in der Tat schlecht. So tut es das worten muß. nicht. (Heiterkeit) (Beifall bei der SPD) Ob das eine sehr anständige Methode ist, ist eine of- Wir haben die zweite Lesung des Bundeshaus- fene Frage. Aber Sie können ja die Methode wählen, halts 1982. Ich glaube, es ist wichtig — nicht für Sie; die Sie für richtig halten. Sie wissen das; aber wichtig für die Bürgerinnen und Bürger im Lande —, darauf aufmerksam zu machen, (Kolb [CDU/CSU]: Das müssen gerade Sie daß trotz der so großen ökonomischen Schwierigkei- sagen!) ten der Einzelplan 11, der Haushalt des Bundesmi- Niemand hat sich distanziert, nicht nur Frau nisters für Arbeit und Sozialordnung der weitaus Fuchs nicht, sondern auch die anderen Mitglieder größte Einzeletat des gesamten Bundeshaushaltes des Vorstands und Verwaltungsrats nicht. Vielmehr ist. Das ist seit 1975 so der Fall, und das wird auch so hat dieses Gremium das getan, was seine Pflicht ist, bleiben. nämlich die Vorlagen im einzelnen — Sie wissen, wie viele Änderungsbestimmungen das Arbeitsför- (Franke [CDU/CSU]: Kein Wunder bei der derungs-Konsolidierungsgesetz enthält —, Stück für Arbeitslosigkeit!) Stück zu prüfen. Ich finde, es ist der Sache wenig Wenn man die übrigen sozialen Komponenten hin- dienlich, daraus jetzt Vorwürfe gegen irgend jeman- zuzählt, die dem Sozialhaushalt im weiteren Sinne den abzuleiten. zuzurechnen sind, dann sind es insgesamt 82,1 Milli- Im übrigen sollten wir angesichts des Ernstes der arden DM oder 34 % des Gesamthaushalts. Herr Kol- Beschäftigungslage in der Bundesrepublik, ange- lege Franke, auch wenn Sie den Liquiditätszuschuß sichts der Bedeutung, die das Problem Arbeitslo- für die Bundesanstalt hier abziehen, bleibt der 4748 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Bundesminister Dr. Ehrenberg Sozialetat der größte Etat des Bundeshaushalts, und nicht zu rechnen. In der Rentenversicherung wäre wir sind stolz darauf, daß er das ist. mit großen Schwierigkeiten zu rechnen gewesen, (Kolb [CDU/CSU]: Das ist Ihr Fehler!) wenn wir Ihrem und dem Bundesratsvorschlag ge- folgt wären und bei der Bundesanstalt für Arbeit die Herr Kollege Franke, um nicht neue Unsicherheit Bemessungsgrundlage für die Zahlung der Versi- aufkommen zu lassen, ist es auch notwendig, hier zu- cherungsbeiträge vom Bruttobetrag auf das Arbeits- rechtzurücken, was Sie zur Lage der Rentenfinan- losengeld abgesenkt hätten; dann wäre es in der Tat zen gesagt haben. Wir haben, dem Beschluß von 1978 zu Schwierigkeiten gekommen. Glücklicherweise folgend, zum 1. Januar 1982 die Renten wieder nach sind wir in der Lage gewesen, dieses unkeusche An- der Bruttolohnformel erhöht, nämlich um 5,76 %. Wir sinnen auch im Vermittlungsausschuß, wo es eben- halten dies für richtig. Obwohl dieser Steigerungs- falls gestellt worden ist, abzuwehren. betrag und auch die sich auf Grund dieser Formel für die Folgejahre ergebenden Steigerungsbeträge Vizepräsident Frau Renger: Gestatten Sie noch eine eingerechnet sind, trotz der zur Vermeidung weite- Zwischenfrage, Herr Bundesminister? rer Beitragsbelastungen der Arbeitnehmer vorgese- henen Aussetzung der Beitragserhöhung um einen Franke (CDU/CSU): Ist Ihnen, Herr Bundesmini- halben Prozentpunkt für die Jahre 1982 und 1983, ster Ehrenberg, noch in Erinnerung, daß dieser Vor- wird es in den nächsten Jahren bei den Rentenfinan- schlag des Bundesrats damit verbunden war, daß die zen zwar knapp werden, aber nicht zu Schwierigkei- 0,5prozentige Beitragsverschiebung von der Renten- ten kommen. versicherung auf die Arbeitslosenversicherung dann (Vorsitz : Vizepräsident Frau Renger) unterblieben wäre?

Gerade weil immer so viel über Voraussagen ge- Dr. Ehrenberg, Bundesminister für Arbeit und So- sagt wird, die sich hinterher als zu günstig erwiesen, zialordnung: Das ist mir durchaus in Erinnerung. lohnt es sich, hier auf folgendes hinzuweisen. Die - Nur, das gleicht das nicht aus; das wissen Sie ganz konsolidierten Rentenfinanzen schließen per Jah- genau, Herr Franke. Nein, Sie haben als Begrün- resende 1981 mit einer Schwankungsreserve von dung für die angebliche künftige Gefährdung der 21,6 Milliarden DM ab. Das sind, Herr Kollege Fran- Rentenfinanzen die verschlechterte Arbeitsmarktsi- ke, 3,7 Milliarden DM mehr, als im Rentenanpas- tuation und die steigenden Arbeitslosenzahlen ange- sungsbericht angenommen worden ist. Das sind führt; genau deshalb gleicht dies das eben nicht aus. auch noch 200 Millionen DM mehr, als die Renten- Wäre man Ihrem Vorschlag und dem des Bundes- versicherungsträger im Oktober 1981 selber ge- rats gefolgt, so wären die Rentenfinanzen neuerlich schätzt haben. von den Bewegungen des Arbeitsmarkts abhängig Ich bitte, bei dieser positiven Entwicklung des gemacht worden; darum haben wir ihn abgelehnt. Jahres 1981 bei den Rentenfinanzen jetzt nicht den Und darum ist es unzulässig, Herr Kollege Franke, Versuch zu unternehmen, neue Unruhe unter die die Arbeitsmarktsituation als Problem der Renten- Rentner zu bringen. Die Rentnerinnen und Rentner versicherung darzustellen. Mehr Arbeitslose kosten können sich darauf verlassen, daß die Rentenversi- die Bundesanstalt mehr, ergeben aber nicht feh- cherung in Ordnung gebracht worden ist und auch lende Beiträge bei der Rentenversicherung. in Ordnung bleibt. Gestatten Sie noch eine Nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis, daß die Re- Vizepräsident Frau Renger: Zwischenfrage, Herr Bundesminister? form 1984 hierdurch nicht tangiert wird. Hier liegen die Berechnungen des VDR vor, die Sie ja gut ken- Dr. Ehrenberg, Bundesminister für Arbeit und So- nen. Die sollten nicht durch Hineininterpretieren zialordnung: Aber ich muß bitten, Herr Kollege anderer Tatbestände in Zweifel gezogen werden. Franke, daß es die letzte ist. Ich komme mit meiner Fraktion in größte Schwierigkeiten, wenn ich hier Herr Bundesminister, Vizepräsident Frau Renger: noch länger die Redezeit überziehe. Aber Ihnen zu- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten liebe: ja. Franke? Franke (CDU/CSU): Ich verspreche: es ist meine Franke (CDU/CSU): Herr Bundesminister Ehren- letzte. berg, ist Ihnen noch in Erinnerung, daß ich von Li- quiditätsschwierigkeiten für das nächste Jahr ge- Herr Bundesminister Ehrenberg, ist Ihnen klar, sprochen habe? Und teilen Sie mit mir die Auffas- daß bei einem Zuwachs von 100 000 Arbeitslosen, sung, daß die Liquiditätsschwierigkeiten deshalb weil nicht alle gleich Leistungsempfänger sind — entstehen, weil 0,7 Monatsrücklagen der Rentenver- die, die jetzt neu eintreten: ja —, ein Minus von 230 sicherung als Betriebsmittel gebraucht werden, so Millionen DM bei der Rentenversicherung — trotz daß die Schwankungsreserve leider als um diesen der Überweisung der Beiträge an die Rentenversi- Betrag gekürzt angesehen werden muß? cherung — entsteht? (Grobecker [SPD]: Das gehört in den Aus Dr. Ehrenberg, Bundesminister für Arbeit und So- schuß!) zialordnung: Die Auffassung, daß von der Schwan- kungsreserve 0,7 Monatsrücklagen als Liquiditäts- Dr. Ehrenberg, Bundesminister für Arbeit und So- mittel benötigt werden, Herr Kollege Franke, zialordnung: Nein. Herr Kollege Franke, das stimmt stimmt nicht. Es reicht die knappe Hälfte. Darum ist doch so nicht. Natürlich sind nicht alle Arbeitslosen mit Liquiditätsschwierigkeiten nach unserem Stand Leistungsempfänger. Aber wenn sie keine Lei- Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4749

Bundesminister Dr. Ehrenberg stungsempfänger sind, haben sie vorher auch keine Bedürfnis ist, den Kolleginnen und Kollegen aus Beiträge an die Rentenversicherung gezahlt. Also dem Haushaltsausschuß und dem Ausschuß für Ar- können Sie sie jedenfalls dort nicht abziehen. Sie beit und Sozialordnung für die ungewöhnliche Ar- sollten umgekehrt gerade über diese Zahl mal mit beitsleistung im vergangenen Jahr herzlich Dank dem Kollegen Friedmann reden, damit er endlich zu sagen. Ich möchte den Dank an die Beamten des Ar- einer anderen Einschätzung der Leistungsempfän- beitsministeriums und der Bundesanstalt für Arbeit gerzahlen, bezogen auf die Arbeitslosenzahlen, hier gern anschließen, die sehr viel mehr leisten und kommt. leisten mußten, als bei der gegenwärtigen Debatte Aber ich bitte wirklich, Herr Kollege Franke, das über den öffentlichen Dienst so oft zum Ausdruck in den Ausschuß zu verlagern. kommt. (Grobecker [SPD]: Jawohl!) (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich hier noch drei Bemerkungen ma- chen. Ich muß allerdings eines hinzufügen, und darum, Herr Kollege George, sagte ich, Sie seien mit Ihrem Erstens. Wir sollten alle miteinander stolz darauf Beifall voreilig. Ich habe darauf gewartet, daß sich sein, daß es gelungen ist, trotz der schwierigen öko- der Kollege Blüm — er sitzt auf der Bundesratsbank nomischen und finanziellen Verhältnisse den — zu Wort meldet. Er hat es nicht getan. Kriegsopferetat von 13 Milliarden bis auf kleine Ver- änderungen von 50 Millionen von Kürzungen freizu- (Seiters [CDU/CSU]: Er kommt noch!) halten. Ich bin stolz darauf, daß es uns gelungen ist, — Das meine ich gerade. Es kann wohl nicht so sein, mit Ihrer Unterstützung den bewährten Dynamisie- daß im Plenum des Bundestages der Bundesrat das rungsverbund zwischen der Rentenversicherung letzte Wort hat. und der Kriegsopferversorgung voll aufrechtzuer- (Dr. Schäuble [CDU/CSU]: Sie bestimmen halten. jedenfalls nicht, wann wir reden!) (Beifall bei der SPD und der FDP) Ich muß mich also mit der Drohung hier verabschie- Zweitens. Der Kollege Grobecker hat schon dar- den, notfalls noch einmal zu reden. — Herzlichen auf hingewiesen, daß Aufhören im Arbeitsschutz Dank, und Zurückstellen von Humanisierungsvorstellun- (Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen gen gerade in diesen schwierigen Zeiten die unange- bei der CDU/CSU) messenste Reaktion wären. Deshalb werden wir hier konsequent unsere bisherige Politik fortsetzen. Herzlichen Dank an den Haushaltsausschuß, daß er Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr uns die Möglichkeit dazu gibt! Senator für Bundesangelegenheiten des Landes Drittens. Ich bin dem Kollegen Grobecker sehr Berlin, Dr. Blüm. dankbar für seine Ausführungen zu den Vorwürfen (Beifall bei der CDU/CSU) des Herrn Friedmann gegen mich in Fragen der Be- schäftigungspolitik. Ich bin in der Tat der Meinung, daß keinem Arbeitslosen damit gedient ist, wenn je- Senator Dr. Blüm (Berlin): Frau Präsident! Meine den Tag irgend jemand etwas Neues entwickelt und Damen und Herren! Etwas verängstigt und bedroht zur Diskussion stellt. melde ich mich hier zu Wort. (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Sehr gut!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Darum wird die Bundesregierung in dieser Haus- Ich will hier nicht als Spielverderber erscheinen, haltsdiskussion keine Pläne entwickeln. aber, sehr verehrter Herr Bundesminister, Ihrem Arbeitnehmer und Arbeitslose aber können sich Stolz darüber, daß der Sozialetat der größte Etat ist, darauf verlassen, daß diese Bundesregierung nicht kann ich mich nicht anschließen. Die Größe des So- aus der Verantwortung abtritt und nicht sagen wird: zialetats besagt nichts über die Qualität des Sozial- Wir überlassen es den freien Kräften, irgendwel- staates. chen geheimnisvollen Auftriebskräften, die Dinge in (Beifall bei der CDU/CSU) Ordnung zu bringen. Wir werden im Zusammen- hang mit dem Jahreswirtschaftsbericht das sagen, Denn sonst wäre die Erhöhung der Arbeitslosigkeit was möglich und nötig und in der gegenwärtigen ein Beitrag zum Ausbau des Sozialstaates, weil da- weltökonomischen Situation durchführbar ist. Sie mit die Ausgaben wachsen. können noch so viel rufen, Herr Friedmann, Sie wer- (Beifall bei der CDU/CSU) den mich vorher zu keinen Detailäußerungen veran- lassen. Mein Beitrag hier gilt der Arbeitslosigkeit, von der wir alle, Bund, Länder und Gemeinden, bedroht wer- (Beifall bei der SPD und der FDP) den. Wir brauchen ein großes Bündnis, Bund, Län- Lassen Sie mich zum Schluß der, Gemeinden, Parteien, Tarifpartner, gegen die Arbeitslosigkeit, auch ein Bündnis der Solidarität (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. zwischen Arbeitsbesitzern und Arbeitslosen. Die ei- Dr. George [CDU/CSU]) nen sollten sich nicht in. ihren Vorteilen einigeln, — ich fürchte, Ihr Beifall war zu früh — der guten und die anderen dürfen die Anstrengungen nicht Ordnung halber, aber auch, weil es mir ein ehrliches aufgeben, wieder Arbeit zu finden. 4750 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Senator Dr. Blüm (Berlin) Arbeitslosigkeit verwandelt die Sozialpolitik in die erste Antwort auf jedes Problem, vor das sich So- ein Faß ohne Boden. Arbeit geht vor Unterstützung. zialdemokraten gestellt sehen. Ohne die Arbeit der einen können die anderen keine (Beifall bei der CDU/CSU) Unterstützung erhalten. Vollbeschäftigung ist des- halb das A und O jeder sozialen Politik. 1,7 Millionen Diese Entwicklung liegt nicht an den Mitarbeitern Arbeitslose, das ist der Schock des Jahres. Das Jahr im öffentlichen Dienst. Die Eltern der Vermehrung kann ein Rekordjahr werden. Der Pegel steigt. Das sitzen hier. Es sind die Gesetzgeber, nicht die öffent- ist kein Rohrbruch, und deshalb ist das nichts für so- lich Bediensteten. Unsere Kritik richtet sich nicht an zialpolitische Klempner, sondern wir erleiden schon diejenigen, die im öffentlichen Dienst arbeiten, son- einen richtigen Dammbruch. dern an diejenigen, die ihn aufblähen. Das Geld für den öffentlichen Dienst freilich fehlt. Es fehlt für die Ich meine, geredet ist nun genug. An Vorschlägen Investitionen, für die Innovationen in der freien mangelt es wahrhaftig nicht. Die beschäftigungspo- Wirtschaft, denn auch der Staat lebt ja von der Pro- litische Diskussion gleicht einer Karusselldiskus- duktivität, von der Produktion der privaten Wirt- sion. Die Argumente drehen sich wie die Positionen schaft. Manchmal habe ich den Eindruck, manche der Bundesregierung, mal ist Ehrenberg mit dem verhalten sich nach dem Muster des Bauern, der Beschäftigungsprogramm vorn und Lambsdorff ge- seine letzte Kuh verkauft und sich für das Geld eine gen das Beschäftigungsprogramm hinten, und dann Melkmaschine anschafft. ist wieder Lambsdorff vorn gegen das Beschäfti- (Zustimmung bei der CDU/CSU — Löffler gungsprogramm, Ehrenberg wieder hinten, und [SPD]: Das haben wir schon einmal gehört! Matthöfer schaukelt. Das ist die ganze beschäfti- Der Witz ist wenigstens zehn Jahre alt!) gungspolitische Karusselldiskussion, die wir nun seit Jahren erleben. — Sie können es auch noch anders haben. So ähn- lich ist das, wenn Sie glauben, Sie könnten durch (Zuruf von der SPD: Was schlägt nun Blüm Ausdehnung des öffentlichen Dienstes die Produkti- - vor?) vität der freien Wirtschaft ersetzen. Das ist nicht ungefährlich. Der Erfolg dieser endlo- (Beifall bei der CDU/CSU) sen Rederei ohne Konsequenzen liegt nämlich dar- in, daß eine subventionspolitische Lauerstellung er- Vizepräsident Frau Renger: Herr Senator, gestatten zeugt wird. Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU) Grobecker? Welcher vernünftige Unternehmer wird denn inve- Senator Dr. Blüm (Berlin): Aber bitte. stieren, solange über Beschäftigungsprogramm, Konjunkturprogramm, Investitionshilfen, und ich weiß nicht, was noch, geredet wird? Grobecker (SPD): Verehrter Herr Senator, es könnte der Fall sein, daß Sie noch zu kurz im Amt (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Steuerer sind. Deshalb will ich Sie fragen: Wissen Sie nicht, höhungen!) daß insbesondere bei den Ländern die sogenannte Aufblähung des öffentlichen Dienstes im wesentli- Diese dauernde Erwartungshaltung ist nichts ande- chen darin besteht, daß mehr Krankenschwestern res als der beschäftigungspolitische Ruhestand. und mehr Polizisten eingestellt worden sind? Jetzt muß gehandelt werden. Ich gebe zu, es gibt kei- nen Herkules, der mit einem Schlag — — Senator Dr. Blüm (Berlin): Wissen Sie nicht, sehr (Zurufe von der SPD) verehrter Herr Grobecker, auch wenn Sie schon — Sie werden sich beruhigen können, Herr Glombig. sehr lange hier im Bundestag sind, daß der Bundes- Ich kann nicht in zehn Minuten erklären, was Sie in tag mit einer Gesetzesflut, die hier entstanden ist, vier Jahren nicht geschafft haben. dafür gesorgt hat, daß der öffentliche Dienst überall ausgeweitet wurde? Das betrifft nicht nur die Kran- (Beifall bei der CDU/CSU) kenhäuser. Es gibt auch kein Patentrezept. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich will hier von vier Punkten reden: von Wachs- Sie sehen, die Kenntnis ist nicht von der Zeit im tum, Bildung, Arbeitszeit und Einkommen. Meine Amte abhängig. Damen und Herren, die Wirtschaft schrumpft. Nur Meine Damen und Herren, es stellt sich die Frage: der Staat, der öffentliche Dienst wächst. 1969 gab es Wie kommt die private Wirtschaft wieder in Fahrt? — ohne Bahn und Post — 2,4 Millionen öffentlich Be- Ein Mittel war, Geld, viel Geld, Milliarden in die pri- dienstete, 1979 waren es 3,1 Millionen. Das ist eine vate Wirtschaft zu pumpen. Dieses Erfolgsrezept ha- Steigerung um rund ein Drittel. Ich fürchte, das ist ben wir jetzt seit über zehn Jahren probiert. Meine Ausfluß jener verspäteten und versteckten obrig- Damen und Herren, ich frage Sie: Ist nicht die Mehr- keitsstaatlichen Gesinnung, die in der Sozialdemo- heit dieses Geldes durch den Kamin geraucht? Geld, kratie noch immer fest verankert ist. Wann immer Investitionszulagen — der Name sagt es schon — ein Problem auftaucht, was passiert als erstes? Es haben diejenigen bekommen, die investieren konn- müssen ein neues Gesetz, ein neues Beratergre- ten. Wer nicht investieren konnte, hat auch kein mium, ein neues Gutachten, eine neue Kommission, staatliches Geld erhalten. Deshalb funktioniert Ihre zumindestens aber mehrere Planstellen her. Das ist Wirtschaftspolitik nach dem Motto: Wer hat, dem Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4751

Senator Dr. Blüm (Berlin) wird noch gegeben. — Das ist zwar ein biblisches belanglos, ob das Geld fehlt, weil das Gehalt um 1 % Motto, hier aber trotzdem falsch. gekürzt wurde, oder ob das Geld fehlt, weil die Mehr- Deshalb glaube ich, daß am Ende der Wirtschafts- wertsteuer erhöht wurde. Im Gegenteil, die Mehr- krise, das wir alle herbeisehnen, die Großen größer, wertsteuererhöhung trifft den Arbeitnehmer mit die Kleinen schwächer und der Mittelstand zahlen- fünf Kindern fünfmal, und den Rentner trifft sie. Die mäßig geringer sein werden. Das wird das Ergebnis Mehrwertsteuererhöhung ist sehr viel unsozialer als der Krisenmeisterung sein. alle anderen Kürzungsvorschläge, die jetzt in der Debatte sind. Es ist freilich nicht nur die Frage, ob das Geld an (Beifall bei der CDU/CSU) der falschen Stelle angekommen ist, sondern auch, wie es eingenommen wurde. Auch dafür gibt es meh- rere Wege. Ein Weg ist, sich das Geld, das in die Wirt- Vizepräsident Frau Renger: Herr Senator, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten West- schaft gepumpt wird, über Kredite zu beschaffen. Wer bezahlt die Kredite? Die Kredite, die Schulden phal? dieser Regierung werden noch die nachfolgenden Generationen bezahlen. Die Kredite wurden nach Senator Dr. Blüm (Berlin): Bitte, Herr Westphal. dem Motto „Nach uns die Sintflut" beschafft. Westphal (SPD): Herr Senator Blüm, haben Sie (Beifall bei der CDU/CSU) das eben gegen Ihren Kollegen Häfele gesagt, der im Nun zum zweiten Punkt. Auch die unbeteiligten „Handelsblatt" im Monat Januar dieses Jahres vor- Dritten haben keinen Grund zur Freude. Der Kredit- geschlagen hat, die Mehrwertsteuer zu erhöhen? hunger des Staates, des Kredithais Staat, hat die Kredite so teuer gemacht, daß selbst diejenigen sich Senator Dr. Blüm (Berlin): Lieber, sehr verehrter kein Geld leihen können, die es ohne Staat gekonnt Herr Westphal, ich habe das vorgetragen im Zusam- hätten. menhang mit dem ÖTV-Protest gegen Gehaltskür- - (Löffler [SPD]: Deshalb kommen Sie aus zungen. Und der Vergleich bei der ÖTV ist die Mehr- Berlin, um uns das zu erzählen? Das haben wertsteuer. Dabei bleibe ich. wir schon wenigstens fünfmal gehört! Mal (Westphal [SPD]: Sie widersprechen mir ein bißchen fundierter!) also nicht, wenn ich Herrn Häfele hier zitie re, der die Erhöhung der Mehrwertsteuer Insofern funktioniert diese Wirtschaftspolitik mit ei- gefordert hat?) ner dreifachen Benachteiligung: Den Schwächeren wird die Kreditmöglichkeit genommen, die Stärke- — Ich widerspreche Ihnen, wenn Sie glauben, wir ren erhalten das Geld, und die Kinder bezahlen die könnten die Investitionsmisere erstens durch ein Schulden der jetzigen Regierung. Das ist die dreifa- Anzapfen weiterer Kreditmassen und zweitens che Benachteiligung durch diese Wirtschaftspoli- durch ein Anzapfen der Steuerfähigkeit der Arbeit- tik. nehmer lösen. Darin widerspreche ich Ihnen nach- drücklich. Lassen Sie uns, verehrter Herr Kollege Löffler, auch den anderen Weg überlegen, den Weg: Über die (Beifall bei der CDU/CSU — Dreßler [SPD]: Steuerzahler wird das Geld beschafft. Damit kein Antworten Sie mal auf seine Frage!) Irrtum aufkommt: Die Mehrheit der Steuerzahler Meine Damen und Herren, natürlich werden wir sind die Arbeitnehmer. Deshalb wird diese Sanie- öffentliche Investitionen brauchen. Niemand will rung mit den Steuergroschen der Arbeitnehmer be- doch zurück ins Neandertal. Am wichtigsten werden trieben. Es ist eine Illusion, eine, wie ich zugebe, so- die öffentlichen Investitionen — ich glaube es jeden- zialistische Illusion, zu glauben, solche Massen an falls — in den Gemeinden sein. Denen ist der Geld- Geld, wie wir sie brauchen, könnten wir dadurch er- hahn zugedreht worden. Deshalb finden sich in vie- halten, daß wir nur die Spitzenverdiener anzapfen. len Gemeinden und Städten Investitionsruinen. Selbst wenn Herr Matthöfer alle Millionäre enteig- Wenn wir hier die Arbeit sozusagen wieder auftau- nete, würden ihm am Schluß immer noch zig Milliar- ten, hätten wir viel weniger Vorleistungen zu erbrin- den DM fehlen. gen, und die Investitionen kämen schneller in (Zustimmung bei der CDU/CSU) Gang. Ohne Anzapfung des entste- Masseneinkommens Vizepräsident Frau Renger: Herr Senator, gestatten hen keine eindrucksvollen Finanzzahlen. Also, die Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Höl- sozialistischen Lösungen scheitern an den einfa- scher? chen Gesetzen der Mengenlehre. Meine Damen und Herren, ich habe auch nicht Senator Dr. Blüm (Berlin): Bitte schön. verstanden — vielleicht erklärt es mir jemand —, daß die ÖTV einerseits gegen 1 % Gehaltskürzung Hölscher (FDP): Lieber Norbert Blüm, Herr Sena- protestiert, in den Gewerkschaften aber anderer- tor, wenn Überlegungen, die Mehrwertsteuer zu er- seits kein Protest zu hören ist, wenn die Mehrwert- höhen, sozialistisch sind: steuer erhöht werden soll. (Zuruf von der CDU/CSU: Hat er nicht ge (Beifall bei der CDU/CSU) sagt!) Die denken möglicherweise ganz kompliziert. Aber Wie beurteilen Sie denn dann die Erklärung von für den Geldbeutel der Arbeitnehmer ist es relativ Franz Josef Strauß in diesem Haus, der sich für eine 4752 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Hölscher Mehrwertsteuererhöhung ausgesprochen hat — ich Vizepräsident Frau Renger: Herr Senator, ich muß zitiere —, Sie schon wieder fragen, ob Sie eine Zwischenfrage ... wenn sie dazu verwendet wird, sowohl auf des Herrn Kollegen Glombig zulassen. der Seite der Arbeitnehmer als auch auf der Seite der Arbeitgeber steuerliche Erleichterun- Senator Dr. Blüm (Berlin): Des Herrn Kollegen gen zu ermöglichen, Glombig gern. Ich wäre nur sehr dankbar, wenn ich meine Rede bei Gelegenheit im Zusammenhang zu (Zuruf von der CDU/CSU: Er gibt sich die Ende führen kann. Antwort selber!) (Roth [SPD]: Da ist kein Zusammenhang!) die unsere wirtschaftspolitischen Zielsetzun- gen, Glombig (SPD): Jetzt gleich, im Anschluß daran; — so Franz Josef Strauß — ich danke Ihnen dafür. — Herr Senator Blüm, mei- nen Sie denn, daß die Millionärin, von der sie soeben hoher Beschäftigungsstand, ausreichendes gesprochen haben, auch weiterhin den Kinderbe- Wachstum und Preisstabilität, zu unterstützen treuungsfreibetrag erhalten sollte? versprechen? (Beifall bei der SPD und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU) Senator Dr. Blüm (Berlin): Ich habe davon gespro- chen, daß in Berlin Kindertagesstätten kostenlos zur Senator Dr. Blüm (Berlin): Sehr verehrter Herr Kol- Verfügung gestellt werden, lege Hölscher, Sie machen mir die Arbeit leicht. Sie (Roth [SPD]: Beantworten Sie die Frage!) haben meine Antwort Ihrer Frage gleich hinzuge- fügt. Ich schließe mich der Antwort des Herrn und daß es auch ein Gebot sozialer Gerechtigkeit ist, Strauß an. - wenn wir — entsprechend der Leistungsfähigkeit — hier eine Gebühr erheben und diese an anderer (Beifall bei der CDU/CSU) Stelle zu sozialen Zwecken einsetzen. Meine Damen und Herren, ich will noch einmal (Beifall bei der CDU/CSU) auf öffentliche Investitionen gerade im Bereich der Meine Damen und Herren, lassen Sie mich unsere Gemeinden zurückkommen. Dazu bedarf es freilich gemeinsame Aufmerksamkeit auf das Beschäfti- einer Umstrukturierung, einer neuen Akzentu- gungsprogramm lenken. Das beste, das effektivste ierung der investiven Ausgaben und eines Zurück- Beschäftigungsprogramm sind die Förderung von drängens der konsumtiven. Firmengründungen und die Verhinderung von Fir- Berlin hat dazu einen — wie ich zugebe — be- menzusammenbrüchen. Das ist, wie gesagt, das be- scheidenen, aber immerhin mutigen Schritt getan. ste Beschäftigungsprogramm, das man sich denken Wir haben die Baumaßnahmen, die Ausgaben zur kann. Förderung des Baus um 10,8 % erhöht. Wir haben für (Beifall bei der CDU/CSU) dieses Jahr 1982, was freilich nicht populär ist, die Da streiten Sie sich mit viel Getöse, ob der Bund 5 Stellen im öffentlichen Dienst um 2 300 zurückge- oder 6 Milliarden DM für ein staatliches Beschäfti- nommen. gungsprogramm auf die Beine kriegt. Ja, mein Gott, (Grobecker [SPD]: Der Bund auch!) Sie verhindern durch Ihre Politik private Investitio- nen von 60 Milliarden DM im Kernenergiebereich, Ich frage Sie alle, meine Damen und Herren: Muß im Wohnungsbau, im Kommunikationsbereich. Sie denn jede öffentliche Leistung kostenlos sein? Soll- können mit der linken Hand gar nicht so viel ausge- ten wir nicht auch einmal überlegen, ob nicht auch ben, wie Sie mit der rechten abwürgen; das ist doch öffentliche Leistungen ihren Preis haben? Muß Ihre Politik. denn, wenn Sie es denn schon ganz klassenkämpfe- risch hören wollen, die Millionärsfrau unbedingt ei- (Beifall bei der CDU/CSU — Franke [CDU/ nen kostenlosen Kindergartenplatz für ihr Kind ha- CSU]: Norbert, die würgen links, nicht ben, während die Arbeiterfrau kein Erziehungsgeld rechts!) kriegt? Muß das so sein? — Gut, mit welcher Hand sie würgen, soll uns gleich (Beifall bei der CDU/CSU und der Abgeord sein. Ich stelle nur fest: 150 000 Bauarbeiter sind ar- neten der SPD — Zurufe von der SPD) beitslos, 50 000 arbeiten kurz. Wir brauchen 400 000 Wohnungen; wir haben Wohnungssuchende. Die Meine Damen und Herren, Sie sollten den Mut ha- Bauarbeiter, die arbeitslos sind, wollen arbeiten; da- ben, mit uns das Erziehungsgeld einzuführen, und von gehe ich aus. zwar durch Umstrukturierung und nicht durch An- (Löffler [SPD]: Das haben wir auch schon zapfen neuer Geldquellen. gehört!) (Erneute Zurufe von der SPD) Die Unternehmer wollen nicht bankrott machen. — Ich weiß, daß es Ihnen weh tut, wenn man Ihnen (Löffler [SPD]: Sie kommen doch nicht ex vorhält, daß Ihr Geschenkladen Sozialpolitik die rei- tra nach Bonn geflogen, um die alten Ka chen Leute begünstigt und die Armen benachteiligt; mellen zu verkaufen!) es ist mir klar, daß das weh tut. — Ja, es ist doch richtig: Die Wohnungssuchenden (Beifall bei der CDU/CSU) wollen eine Wohnung. Also kann es weder an den Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4753

Senator Dr. Blüm (Berlin) Bauarbeitern noch an den Wohnungssuchenden wird mit dem Elektriker des Jahres 1982 möglicher noch an den Unternehmern liegen. Wer bleibt übrig, weise nur noch den Namen gemeinsam haben. 88 % Herr Löffler: Die Regierung, der Gesetzgeber. — Herr Ehrenberg, das ist ein Kompliment für Sie (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — — derjenigen, die berufliche Förderungsmaßnah- Lachen bei der SPD und der FDP) men 1979/80 in Anspruch genommen haben, konn- ten anschließend in ein festes Arbeitsverhältnis ver- Rudolf Sperner, ein sicherlich über jeden Ver- mittelt werden. Das ist ein ungeheurer Erfolg, nur dacht erhabener Gewerkschafter, hat vorgerechnet, frage ich Sie: Warum haben Sie diesen Erfolg demo- daß ein Baugesuch heute 20 Dienststellen durchlau- liert? Warum haben Sie diesen Erfolg, ausgerechnet fen muß. eine der wenigen arbeitsmarktpolitischen erfolgrei- (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Mindestens!) chen Strategien, demontiert? Sie betreiben Selbst- zerstörung, denn ich glaube schon, daß Bildung ei- 225 Gesetze und Verordnungen müssen beachtet nes der wichtigsten Mittel ist, uns die Arbeitslosig- werden, keit vom Hals zu halten, dem einzelnen und unserer (Kolb [CDU/CSU]: So ist es!) Volkswirtschaft. bevor überhaupt der erste Stein in die Nähe eines Arbeiters kommt. Vor 15 Jahren waren es 48 Geset- Ich weiß, meine Damen und Herren, daß es auch ze. Nur, damals, bei 48 Gesetzen, wurden 600 000 in diesem Bereich sehr viel Mißbrauch gibt. Wir Wohnungen gebaut. Heute, bei 177 Gesetzen mehr, müssen den Mißbrauch beseitigen. Allerdings gibt werden nicht 600 000, sondern nicht einmal 400 000 es, Herr Cronenberg, Mißbrauch nicht nur im Be- Wohnungen gebaut. Mit anderen Worten: Das Ge- reich der beruflichen Bildung. Wenn ein Student setz dieser Regierung heißt: Je mehr Gesetze, desto sein Studium abbricht, das wir ihm mit viel Geld er- weniger Wohnungen. Das ist das Ergebnis dieser möglicht haben, dann ist das ein Kavaliersdelikt. Rechnung. Wenn eine Sekretärin ihre Umschulung nicht nutzt, (Beifall bei der CDU/CSU) - dann schreit alles, als wäre das ein Kapitalverbre- chen. Bürokratie und Produktivität sind ein Tandem, (Beifall bei der CDU/CSU) bei dem der eine strampelt und der andere bremst; deshalb passen sie nicht zusammen, jedenfalls dann Auch in diesen unterschiedlichen Bewertungen nicht, wenn man aus der Misere herauskommen drückt sich noch ein Stück Diskriminierung der be- will. ruflichen Bildung aus. (Abg. Müntefering [SPD] meldet sich zu ei (Zuruf des Abg. Westphal [SPD]) ner Zwischenfrage) — Herr Westphal, Ihre Mehrheit hat doch die beruf- — Verehrter Herr Kollege Müntefering, gestatten liche Bildung zertrümmert. Lenken Sie doch nicht Sie, daß ich diesen Gedankengang im Zusammen- zur falschen Seite ab. hang vortrage. (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der Ich glaube, daß gerade die kleinen Unternehmer SPD) unter diesem überwuchernden Bürokraten- und Subventionsstaat leiden. Ich glaube, daß wir in der Bekämpfung des Miß- (Zuruf von der SPD: Karneval!) brauchs weniger die Intelligenz und die Phantasie des Gesetzgebers brauchen als die Praxisnähe der — Das ist kein Karneval, das ist traurige Wirklich- Selbstverwaltung. Die wissen besser, wo die eigentli- keit. Der kleine Unternehmer hat keine Stabsabtei- chen Drückeberger — und das sind Ausnahmen —, lung, die jedes Gesetz ausnutzt. Der kleine Unter- wo die Ausbeuter sitzen. Ich glaube, ein Gesetzgeber nehmer ist der Verlierer des Subventionsstaats. ist viel zu weit vom Schuß und nicht lebensnah ge- (Beifall bei der CDU/CSU) nug, um dem Mißbrauch von Möglichkeiten gerecht werden zu können. Der Subventionsstaat ist der Staat für die Cleveren, aber nicht der Staat, den wir wollen. Lassen Sie mich als dritten Punkt etwas zur Ar- Lassen Sie mich zum nächsten Punkt kommen: beitszeit vortragen. Meine Damen und Herren, wir Bildung. Wachstum ist eine Maßnahme, Bildung sollten gemeinsam überlegen: Muß denn die Arbeits- eine andere. Die Hälfte der Arbeitslosen sind Unge- zeit so stur und starr bleiben, wie sie jetzt ist? Das ist lernte. Die Ungelernten, das sind die bevorzugten sie seit 200 Jahren. Früher haben die Menschen si- Kandidaten der Arbeitslosigkeit. Diese Überlegung cherlich mehr gearbeitet, auch weniger verdient. Ei- gilt allerdings nicht nur für den einzelnen. Unsere nes war bei ihnen aber sicherlich besser abge- weltwirtschaftliche Chance liegt vor allem bei den stimmt: Lebensrhythmus und Arbeitsrhythmus. intelligenten Produkten, dort, wo eine hohe Arbeit- Der alte Bauer hat sich Schritt für Schritt aus sei- nehmerqualifikation notwendig ist. Die Serienpro- ner Lebensaufgabe zurückgezogen. Erst das Indu- duktion werden die Menschen in den armen Län- striezeitalter hat den Übergang vom Erwerbsleben dern der Dritten Welt möglicherweise billiger her- in den Ruhestand wie einen Kopfsprung organisiert stellen; es ist auch die einzige Form, sich mit Arbeit und Kindheit und Erwerbsleben schroff gegeneinan- aus dem Elend herauszuarbeiten. der abgetrennt. Muß es so sein, daß eine Mehrheit Wir müssen uns auf die Normalität einstellen, daß von Arbeitnehmern morgens auf Sirenengeheul in man sich im Berufsleben immer wieder umstellen Betrieb gesetzt wird und abends auf Sirenengeheul muß, fortbilden muß. Der Elektriker des Jahres 2000 wieder außer Betrieb gesetzt wird? Der Mensch ist 4754 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Senator Dr. Blüm (Berlin) doch keine Maschine, die man mit dem Schalter be- nicht die gleiche Rente erhalten wie derjenige, der dienen kann. bis 65 weiterarbeitet. Könnten wir nicht Versuche machen, Lebens- (Beifall bei der CDU/CSU) rhythmus und Arbeitsrhythmus besser aufeinander Sonst würde der 65jährige Arbeitnehmer dem 60jäh- abzustimmen? Eine solche neue Zeitordnung würde rigen Rentner die Rente bezahlen. Das kann ja wohl auch die Raumordnung entlasten. Unsere Infra- auch nicht das Gebot der Gerechtigkeit sein. struktur wird weitgehend schubweise genutzt und hat sehr viel Brachzeiten. Kollektivisten werden für Das dickste Brett der Borniertheit in der Einkom- solche individualisierenden Maßnahmen nie eine menspolitik ist freilich die Vermögensbildung. Antenne entwickeln. Die denken immer in Massen- Meine Damen und Herren, wenn sich die Arbeitneh- aggregaten, in großen Verordnungen. mer bei den Lohnerhöhungen zurückhalten sollen, damit investiert werden kann, damit Maschinen an- Ich meine, es würde auch eine Chance darin lie- geschafft werden können, dann müssen die Arbeit- gen, die Teilzeitarbeit auszubauen. Rheinland-Pfalz nehmer für diese Lohnzurückhaltung dadurch be- hat nachgewiesen, daß bei 61 % der von ihnen unter- lohnt werden, daß sie an den Investitionen beteiligt suchten Vollzeitarbeitsplätze Teilung möglich wäre. werden. Für ein Vergelt's Gott werden die das nicht Frau Breuel hat nachgewiesen, daß allein im Raum machen. Und deshalb: Neue Spielräume für die Ein- Hannover 40 000 Arbeitsplätze für Teilzeit geeignet kommenspolitik gibt es nur durch eine investive Be- wären. Warum soll denn jemand, der nur 4 Stunden teiligung der Arbeitnehmer. Darüber reden wir jetzt arbeiten will, unbedingt 8 Stunden arbeiten? Woher schon seit 30 Jahren. Ich fürchte, meine Damen und denn all diese Befehlsarroganz? Ich halte es für ei- Herren, wenn wir noch 10 Jahre darüber reden, wer- nen Fortschritt, daß die Frauenvereinigung der CDU den wir die Vermögensbildung totgeredet haben. das Modell des Job sharing in die Diskussion ge- bracht hat. Das ist ein Stück Zeitsouveränität, Selb- Die Bundesregierung hat geradezu eine Staffette ständigkeit für den einzelnen. Adolf Müller hat vor von Ankündigungen in Gang gesetzt — Koalitions- Jahren vorgeschlagen, auf einen Ausbildungsplatz vereinbarungen, Regierungskommission. Ein Mini- zwei Lehrlinge zu setzen. Dort, wo Blockunterricht ster war schon einmal speziell für Eigentumsbil- möglich ist, ist das sicherlich zu organisieren. dung eingesetzt — Herr Maihofer war das. Wie eine Gebetsmühle wird die Vermögensbildung immer — Sie sehen: Auf die großen Lösungen werden wir besonders in Wahlzeiten — angekündigt. Gekom- warten und darüber alt werden. Die wirkliche Lö- men ist nichts. Das wichtigste Stichwort der Vermö- sung besteht aus sehr vielen kleinen einzelnen gensbildung dieser Regierung heißt „demnächst". Schritten, wozu Phantasie und Ausdauer notwendig Und mit diesem Demnächst leben wir nun. ist. Die flexible Altersgrenze könnte mit altersspezi- fischen Arbeitszeitverkürzungen verbunden wer- Ich habe in den alten Bundestagsprotokollen den, wie das die Gewerkschaft Nahrung, Genuß, nachgelesen: Burgbacher-Plan, eingebracht von der Gaststätten vorschlägt. CDU/CSU. Man liest diese Protokolle heute gera- dezu mit nostalgischer Wehmut. Schorsch Leber, Ro- Ich meine, meine Damen und Herren, an diesen senthal haben sich damals an dieser Diskussion be- Beispielen kann deutlich gemacht werden: Die Zeit teiligt. Die CDU legte einen Entwurf vor, jeder Ar- der großen, globalen Durchbrüche in der Sozialpoli- beitnehmer sollte pro Monat 20 Mark Produktivka- tik scheint sich ihrem Ende zuzuneigen. Das Gebot pitalanteile erhalten, 240 Mark im Jahr. Ich gebe zu, der Stunde heißt Differenzierung. Die Nivellierer das ist wenig. Sie haben damals zu Recht gesagt, es werden das nicht können. Die Kollektivisten werden sei zu wenig. Ich frage Sie: Was haben Sie eigentlich es nicht können. Wir brauchen eine Sozialpolitik, die in der Zwischenzeit gemacht? Wenig ist immer noch nicht nach dem Motto verfährt: entweder für alle mehr als nichts. Und Sie haben nichts gemacht in oder für niemanden. Die Alternative „alles oder der ganzen Zeit — nichts und nochmal nichts! nichts" landet mehr als in der Vergangenheit beim Nichts. Wir müssen zu Teillösungen bereit sein. (Beifall bei der CDU/CSU) Diese steuerpolitischen Spiele sind doch nur etwas (Beifall bei der CDU/CSU) für Feinschmecker, aber nichts für den Max Müller Ich will auch auf den letzten Punkt in der gebote- am Schraubstock, und wir brauchen eine Vermö- nen Kürze eingehen. Veränderte Arbeitszeiten ha- genspolitik, die jedermann einsieht, die plausibel ben veränderte Einkommen zur Folge. Die Produkti- und handhabbar ist, und wiederum nicht nur für die vität kann nicht zweimal verfuttert werden. Wir Cleveren. brauchen einen Einkommensbegriff, bei dem Geld Heute wären, wäre der Burgbacher-Plan nicht da- und Freizeit miteinander verbunden sind. Wir brau- mals von Ihnen verhindert worden, 60 Milliarden chen ein Höchstmaß von Entscheidungen des einzel- Kapital in Arbeitnehmerhand. nen, seine Anteile zu bestimmen. Lohn weiter vor- wärtszutreiben in alten Gewohnheiten und Arbeits- (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) zeitverkürzungen mit der gleichen Stärke zu for- Die eigentumspolitische Blockade der sozialdemo- dern, heißt, auf zwei Hochzeiten gleichzeitig zu tan- kratischen Partei Deutschlands und der FDP hat die zen. Ich bin sicher, daß die Einsicht in die Abwägung Arbeitnehmer 60 Milliarden Eigentum gekostet! Das bei den Arbeitnehmern weiter verbreitet ist als bei ist eine bittere Wahrheit. manchem Tarifstrategen. Wenn einer mit 60 in die Rente geht — in Gottes Namen! Dann kann er nur (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4755

Senator Dr. Blüm (Berlin) Hätten wir nur 1 % der Lohnsteigerungen seit 1978 ihrer Zukunft willen nicht verfuttert werden darf, als Investivlohn abgezweigt, wäre in drei Jahren, sondern festgelegt werden muß. also 1985, ein Vermögen von 10 500 DM (ohne Zin- (Beifall bei der CDU/CSU) sen) in der Hand jedes Arbeitnehmers. Ich drücke das in Zahlen aus, damit jeder erkennt, was durch Herr Glombig, so lautstark ist ja die Front der die Borniertheit derjenigen verlorengeht, die für Ei- Gegner dieses Investivlohns nicht; jedenfalls ist sie gentum keinen Sinn haben, sei es, weil sie altmarxi- nicht einheitlich. In den Gewerkschaften gibt es stische Eierschalen nicht abstreifen konnten, sei es, auch Freunde: Bauarbeiter, Nahrung und Genuß, weil sie alte Gewohnheiten nicht aufgeben konn- Textil. Ich gebe zu, die großen Tankschiffe haben es ten. mit der Manövrierfähigkeit etwas schwer, Da gibt es ja auch eine große Koalition zwischen (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/ Arbeitgebern und Gewerkschaften. Auch die Arbeit- CSU) geber waren unter Schleyer in Sachen Vermögens- aber bei den kleinen Gewerkschaften setzt sich bildung schon einmal weiter, als sie heute sind, diese Einsicht durch. Die DAG hat vor wenigen Ta- (Beifall bei der CDU/CSU) gen einen Vorschlag gemacht. Wenn es nicht mit al- len geht, dann — so müssen wir auch den Arbeitge- und diese Echternacher Springprozession — ein bern zurufen — macht es mit jenen, die es wollen. Schritt vor, zwei Schritte zurück — ist nicht die part- Die Beweislast haben die Neinsager, und die tragen nerschaftliche Schrittkombination, wie wir sie uns die Verantwortung für den vermögenspolitischen wünschen. Rückschritt. (Zustimmung bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Frau Renger: Herr Senator, gestatten Meine Damen und Herren, Wachstum, Bildung, Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Arbeitszeit, Einkommen: Keine Maßnahme für sich Glombig? - schafft die Lösung, keine von diesen Maßnahmen ist ein Patentrezept. Sie müssen zusammenkommen. Senator Dr. Blüm (Berlin): Bitte schön, Herr Glom- Nur muß jetzt gehandelt werden. Jeder Tag, an dem big. nichts geschieht, vergrößert das Desaster, und ich sehe am Horizont eine neue Klassengesellschaft Glombig (SPD): Herr Senator Blüm, sind Sie wirk- auftauchen: Die Jungen, Gesunden, Tüchtigen erhal- lich der Meinung, daß man nur etwas behaupten ten immer Arbeit, und die Älteren, Kranken, Behin- muß, um als seriöser Redner dazustehen, oder sind derten, Nichtgelernten stehen vor der Tür. Die Ge- Sie nicht doch der Meinung, daß auch und gerade sellschaft beruhigt sich mit dem Trost, daß ja nie- seit Bildung der sozialliberalen Koalition in der Ver- mand verhungern muß. Das ist unsere Gesellschaft mögensbildung so viel getan worden ist, nicht! Jeder hat im Rahmen seiner Möglichkeiten (Lachen bei der CDU/CSU) das Recht und die Pflicht, zu seinem Lebenseinkom- daß heute Millionen von Arbeitnehmern — mehr als men beizutragen. zu Ihrer Zeit — an den Maßnahmen der Vermögens- (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU) bildung teilnehmen, (Zustimmung bei der SPD) Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr und zwar mehr sowohl von der Zahl als auch von der Bundesminister Ehrenberg. Höhe der Beträge her? (Zurufe von der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Dr. Ehrenberg, Bundesminister für Arbeit und So- Senator Dr. Blüm (Berlin): Erstens sind es nicht, zialordnung: Frau Präsident! Meine Damen und wie der Burgbacher-Plan es gewollt hat, alle Arbeit- Herren! Das, was Herr Blüm hier gesagt hat, nehmer, und zweitens gilt das nicht für jenes ent- scheidende einkommenspolitische Feld der Investi- (Zuruf von der CDU/CSU: War ausgezeich tionen. Meine Damen und Herren, es sei jedem seine net!) Wohnung, sein Eigenheim gegönnt, und das soll wei- bedarf der Korrektur. Ich will versuchen, das so kurz ter gefördert werden. Aber wenn wir in der Einkom- wie möglich mit zwei Bemerkungen zu seinen Punk- menspolitik weiterkommen wollen, darf sich die ten und einer Vorbemerkung zur Vermögenspolitik Einkommenspolitik nicht auf den Konsumlohn kon- zu machen. Es ist in einer Zwischenfrage, Herr Kol- zentrieren. Denn was haben Arbeitnehmer von einer lege Blüm, schon angesprochen worden, in welcher Lohnerhöhung von 7 %, wenn anschließend die Weise Sie hier vernachlässigen, was im letzten Jahr- Preise um 5 % steigen und wenn das, was die Preis- zehnt vermögenspolitisch geschehen ist. Aber was steigerung nicht wegnimmt, von der Steuer oder ich besonders merkwürdig finde — und, Herr Kol- durch einen höheren Arbeitslosenversicherungs- lege Blüm, das zeigt Ihre ganze Art zu argumentie- beitrag weggenommen wird, so daß sie fünf Wehen ren —, ist dies: Sie reden hier über den Burgbacher nach der Lohnerhöhung genauso naß sind wie sechs Plan, ohne denen, die noch nicht lange genug hier Wochen vorher? sind, zu sagen, daß dieser Plan in diesem Hause vor- Wenn wir wirklich real etwas bewegen wollen, gibt gelegt wurde, als die CDU die Mehrheit hatte, und es, glaube ich, nur den Weg, die Arbeitnehmer an daß ihn die CDU nicht verabschiedet hat. dem Teil der Volkswirtschaft zu beteiligen, der um (Beifall bei der SPD und der FDP) 4756 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 Bundesminister Dr. Ehrenberg Es hat doch nicht zu unseren Zeiten einen Burgba- Genau, meine Damen und Herren, wie ein- cher-Plan gegeben, sondern mit einer CDU-Mehr- fach — — heit in diesem Hause hat der Burgbacher-Plan nie (Zuruf von der CDU/CSU: Wer schreit, hat das Licht der Welt erblickt; so ist das. unrecht!) (Kittelmann [CDU/CSU]: Unwahr und falsch! Demagogisch! — Weiterer Wider — Ich muß j a nur schreien, weil Sie so viel dazwi- spruch bei der CDU/CSU) schenreden. Wenn Sie still wären, würde ich ganz leise reden. Vizepräsident Frau Renger: Herr Bundesminister, (Zuruf von der CDU/CSU: Versuchen Sie es gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- mal fünf Minuten!) ordneten Vogt? — Versuchen wir es; aber auch Sie, still zu sein. Das muß ein Abkommen auf Gegenseitigkeit sein; sonst Dr. Ehrenberg, Bundesminister für Arbeit und So- geht es nicht. zialordnung: Bitte. (Zuruf von der CDU/CSU) Vogt (Düren) (CDU/CSU): Herr Minister, würden — Sie sind es ja nicht. Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß der Gesetz- entwurf zur Beteiligung der Arbeitnehmer am Pro- Der Kollege Blüm — ich sage immer noch „Kolle- duktivkapital der Wirtschaft im April 1970 hier in ge", obgleich er Senator ist; aber ich hoffe, das darf diesem Hause eingebracht worden ist, und zwar zur ich — gleichen Zeit, als Sie auf die glorreiche Idee kamen, (Dr. Hackel [CDU/CSU]: Ministerkollege!) das 312-DM-Gesetz einfach nur zu verdoppeln? hat hier vorzugaukeln versucht, - Dr. Ehrenberg, Bundesminister für Arbeit und So- (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Ganz vorsich zialordnung: Das ist richtig, tig! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) (Zurufe von der CDU/CSU: Na also!) als ob öffentliche Investitionsprogramme und auf nur, das war nicht der Burgbacher-Plan; der stammt dem Kreditweg finanzierte Programme wie bei- aus der Mitte der 60er Jahre. Dieser Gesetzentwurf, spielsweise das 1977 verabschiedete Zukunftsinve- den Sie ansprechen, war ein dünner Abklatsch des stitionsprogramm mit einem Volumen von zuletzt 20 Burgbacher-Plans. Milliarden DM nichts, sondern sogar nur neue Unsi- cherheiten und negative Veränderungen gebracht (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU: Unsinn! — Polemik! — Weitere Zurufe hätten. von der CDU/CSU) Herr Kollege Blüm, Sie sollten wissen — Sie wis- Aber, meine Damen und Herren, sehr viel deutli- sen es auch, Sie verschweigen es nur —, daß wir 1977 cher muß hier dem Herrn Blüm in den Punkten ge- 21,3 Millionen Beschäftigte und 1980 22,3 Millionen antwortet werden, in denen er zu Anfang in einer Beschäftigte hatten, d. h. genau 1 Million mehr. von ihm ja gewohnten, nach Popularität haschenden (Franke [CDU/CSU]: Aber 1 Million weni Weise hier — — ger als 1975!) (Zurufe von der CDU/CSU) — Nein, nur eine halbe Million, Herr Franke. Dar- — Wissen Sie, was der Herr Blüm hier getan hat: er über haben wir uns schon einmal gestritten. hat aufgezählt, was alles den Menschen im Lande Schauen Sie nach! Sie müssen das nicht auf 1975, wehtut, wenn man über die Finanzierung eines ver- sondern auf 1972 beziehen. 1975 hatten wir genau nünftigen Programms strukturverbessernder und wie 1977 21,3 Millionen Beschäftigte. 1972 wurde die beschäftigungspolitischer Impulse spricht. Da hat Zahl von 22 Millionen überschritten, sonst nie. Herr Blüm lauter Dinge aufgezählt, die wehtun. Da bleibt die Konsequenz übrig: man kann gar nichts Diese Steigerung der Beschäftigtenzahl um 1 Mil- machen, weil alles irgendwo wehtut. Und alle geben lion innerhalb von vier Jahren ist ja wohl nicht vom dem Herrn Blüm recht, daß es wehtut. Mit dieser Art Himmel gefallen, sondern sie ist — natürlich nicht von Popularitätshascherei, Herr Blüm, kommt eine allein, aber in erster Linie — diesem gewaltigen In- Bewegung zustande, wie wir sie in den USA haben, vestitions- und Beschäftigungsanstoß durch das Zu- wo man 43 Milliarden Dollar Defizit angekündigt, in- kunftsinvestitionsprogramm zu verdanken. zwischen 116 Milliarden Dollar Defizit erreicht hat (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe und der Unwille im Volk immer schlimmer wird. von der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ Das muß man wissen. Die Bedingungen für die Kre- CSU: Wer schreit, hat unrecht! — Kittel ditfinanzierung haben sich seit 1977 nicht durch un- mann [CDU/CSU]: Den Unwillen erzeugen ser Verschulden, Sie durch Ihre Politik!) Den Unwillen erzeugt man, wenn man den Leuten (Zuruf von der CDU/CSU: Doch!) nach dem Munde redet und selber konkrete Vor- sondern durch die weltwirtschaftlichen Veränderun- schläge nicht zu bieten hat. gen (Beifall bei der SPD und der FDP) (Zurufe von der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4757

Bundesminister Dr. Ehrenberg — ich muß wieder lauter werden; es hilft nichts — Wenn ich mir vorstelle, wieviel an Substanz in einer verschoben, halben Stunde über die Rampe gebracht werden (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Lesen Sie den könnte, Bundesbankbericht! — Kittelmann [CDU/ (Zuruf von der CDU/CSU: Das war doch toll, CSU]: Nur durch die Weltwirtschaft?) nicht wahr?) weshalb es sehr viel schwieriger ist, heute eine muß ich den Herrn Blüm der schrecklichen Ver- gleich wirksame Aktivität zu entfalten. schwendung zeihen. Da hat sich wieder einmal sein Sie können sich darauf verlassen, vor allen Din- Mühlrad der durchaus gekonnten Polemik gedreht. gen die Arbeitnehmer und die Arbeitslosen können Er hat die Chance verpaßt, etwas zu den eigentlichen sich darauf verlassen, Problemen des Haushalts, zur wirklichen beschäfti- gungspolitischen Bestandsaufnahme und beschäfti- (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Daß ihre Zahl gungspolitischen Strategie, zur Situation der Ren- zunimmt!) tenversicherung, zur Situation des Gesundheitswe- daß die Bundesregierung im Rahmen des Jahres- sens zu sagen. Wir hätten es gern gehört. Das hätte wirtschaftsberichts das Nötige tun wird. ihm immer noch Raum für sein schauspielerisches (Kittelmann [CDU/CSU]: Seit zehn Jahren Talent geboten. Ich bedaure es, daß er es unterlassen wird das versprochen! — Zuruf des Abg. hat, mit Fakten zu operieren, dieses Feld sozusagen Kolb [CDU/CSU]) hat brachliegen lassen. Ich möchte an dieser Stelle noch sehr gern zum Als mein Kollege Glombig den Zusammenhang Ausdruck bringen: In dieser ganzen hektischen be- zwischen dem Kindergarten für die Millionärsgattin schäftigungspolitischen Diskussion hat der Deut- und dem Kinderbetreuungsfreibetrag herstellte und sche Gewerkschaftsbund konkrete, vernünftige Vor- ihn fragte, ob man hier nicht etwas machen sollte — ei, da war von dem wortgewaltigen Herrn Senator schläge gemacht. Er hat dazu beigetragen, -diese Dis- kussion wesentlich zu versachlichen. Außer diesen sogar nichts zu vernehmen. Vorschlägen des Deutschen Gewerkschaftsbunds ist (Beifall bei der SPD) einer der ganz wichtigen Punkte — das ist ein The- ma, Herr Kollege Blüm, bei dem wir uns glücklicher- Ich frage mich: Warum wohl? weise nahekommen, auch das gibt es ja noch — (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat wohl (Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Aber vorsich sehr weh getan!) tig!) Lassen Sie mich noch zu einer Bemerkung kom- der Vorschlag der Gewerkschaft Nahrung-Genuß- men. Der Herr Friedmann — es tut mir sehr leid, daß Gaststätten zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit das durch die Debattenstrategie alles so weit nach in einer Kombination aus Tarifverträgen und Lei- hinten gerutscht ist — hat uns heute den ganzen Tag stungen der Bundesanstalt für Arbeit. Ich halte das wieder — jedenfalls solange er durfte — mit seinem für einen ganz wesentlichen Vorschlag. Das Bundes- Milliarden-Theater genervt und gelangweilt. arbeitsministerium ist gemeinsam mit den Initiato- (Zuruf von der CDU/CSU: Aber es wirkt ren auf der Gewerkschaftsseite dabei, diese Mög- nach! — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Für lichkeiten Stück für Stück durchzuprüfen. Auch dar- Sie war das ein Theater?) über werden Sie im Februar im Zusammenhang mit dem Jahreswirtschaftsbericht Näheres hören. — Der Bundesarbeitsminister hat in seiner Replik ver- Herzlichen Dank. sucht, (Beifall bei der SPD und der FDP — Gerster (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, versucht!) [Mainz] [CDU/CSU]: Schwacher Beifall! — auf die Quellen Ihrer Erkenntnisse zu stoßen. Kittelmann [CDU/CSU]: Unverständlicher Beifall!) (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Ein untaugli cher Versuch!) Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr Es ist ihm nur halb geglückt. Ich kann Herrn Ehren- Abgeordnete Lutz. berg sagen, warum das so ist. Als Sie das letzte Mal hier in gleicher Eigenschaft Lutz (SPD): Frau Präsident! Meine Damen und mit den Milliarden jonglierten, haben Sie diesem Herren! Als gestern dieses Hohe Haus über die fi- Haus erzählt, Sie hätten sich diese Zahlen gerade nanziellen Mittel für Berlin debattierte, mußten wir noch vorher per Telefon durch den Vizepräsidenten der Anwesenheit des Herrn Bundessenators entra- der Bundesanstalt für Arbeit bestätigen lassen. ten. Ich hatte mir gedacht: Er hat einen Berufswech- (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Nein, das habe sel vorgenommen und ist Arbeitssenator von Berlin ich nicht gesagt! Lesen Sie das im Protokoll geworden. Als ich aber seine Rede gehört hatte, nach!) stellte ich fest: Er ist doch Bundessenator. Das scheint in der Regierung Weizsäcker ein sozialpoliti- — Lesen Sie es im Protokoll nach. — Das hat nur ei- scher Entertainer zu sein, der etwas karnevalistisch nen Haken gehabt: Sie haben an diesem Tag nicht versimpelt hier Beschäftigungspolitik darstellt. mit dem Herrn Vizepräsidenten telefoniert. (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ (Zuruf des Abg. Dr. Friedmann [CDU/ CSU]: Nun zur Sache!) CSU]) 4758 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Lutz Mit anderen Worten: Das war eine faustdicke Fried- so ist. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich hinzufü- mannsche Wahrheit, eine faustdicke. ge: Leicht ist uns das nicht gefallen. (Beifall bei der SPD) Wir rechtfertigen unsere Entscheidungen vor uns Sie sind übrigens brieflich aufgefordert worden, das und vor den Arbeitnehmern mit der Tatsache, daß zurechtzurücken. Sie haben diesen Brief nicht be- die beabsichtigte Abkehr vom sozialstaatlichen antwortet. Das war eine zweite Friedmannsche Stil- Prinzip abgeschmettert werden konnte. Wir recht- übung. fertigen sie vor uns mit der Tatsache der finanziel- len Absicherung der Säulen unseres Sicherungssy- Vizepräsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, ge- stems, von der Kranken- über die Unfall-, Renten- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten und Arbeitslosenversicherung bis hin zur Kriegsop- Dr. Friedmann? ferversorgung, die gelungen ist. Wir rechtfertigen sie vor uns mit der Erwartung, daß auf gesicherten Fun- Lutz (SPD): Aber bitte sehr, Herr Friedmann. damenten neue Lösungen erarbeitet werden, um auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich längerfristig eine Dr. Friedmann (CDU/CSU): Herr Kollege Lutz, darf Trendwende herbeizuführen. ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß in dem Über die Rechengrößen, mit denen wir dabei zu ar- Protokoll nicht steht — lesen Sie das bitte nach —, beiten haben, ist schon genug gesagt worden, Sach- ich hätte mit Herrn Vizepräsidenten Minta telefo- kundiges und weniger Sachkundiges. Ich habe mir niert. zur Aufgabe gesetzt, ein paar Grundprinzipien unse- rer Sozialpolitik in Ihre Erinnerung zu rufen. Lutz (SPD): Dann haben Sie das wahrscheinlich wieder korrigiert. Für uns ist die Massenarbeitslosigkeit kein selbst- verschuldetes Übel, sondern ein gesamtgesellschaft- (Heiterkeit bei der SPD — Dr. Friedmann liches Problem, das auch von der Gesamtgesell- [CDU/CSU]: Nein, ich habe das Protokoll schaft getragen und überwunden werden muß. nicht korrigiert! — Kittelmann [CDU/CSU]: Unerhört! Das ist eine Frechheit!) (Beifall bei der SPD) — Das ist schon denkbar. Aber ich möchte sagen, Für uns ist Krankheit kein Risiko, das sich wie Herr Friedmann: Buchen wir es unter Ihren Reali- auch immer privatisieren ließe. Wir meinen, die tätsbezügen ab! Vielleicht können wir uns da etwas Würde des Kranken läßt sich nur im Sozialverband näherkommen. der Versichertengemeinschaft garantieren. (Zurufe von der CDU/CSU) Für uns ist die Behinderung kein Anlaß zu karika- tiver Mildtätigkeit, sondern eine Situation, in der die Aber wir wollen zum Thema kommen. Ich habe Gemeinschaft dem Behinderten Hilfen zur Behe- nur 15 Minuten. bung der Schäden und zur Wiedereingliederung lei- In Zeiten wie diesen — das ist nicht zu bestreiten sten muß. — weht uns Sozialpolitikern der Wind ins Gesicht. Für uns ist das Alter keine Verwahrungsstufe, die Nur allzu übermächtig ist die Versuchung, in die Mil- sozial abzufedern wäre, sondern die Zeit, in der die liarden-Etats der Rentenversicherung, der Arbeits- arbeitende Generation der älteren die Erfüllung ei- losenversicherung und der Kriegsopferversorgung hineinzuschneiden. Die, die das wollen, reden dann nes Lebens zu garantieren hat. von der Krise des Wohlfahrtsstaates. Von ihnen wird Für uns ist der Sozialstaat kein bürokratischer der Eindruck zu erwecken versucht, als habe ein Moloch, der den einzelnen entmündigt, sondern der Übermaß an sozialer Sicherung unsere Wirtschaft Sozialverband, der die Entfaltung des einzelnen, ins Schleudern gebracht. seine Würde und letztlich auch seine Lebens- und Auf diese Form der Henne-oder-Ei-Debatte Überlebenschance garantiert. möchte ich mich nicht gern einlassen wollen. Ich (Beifall bei der SPD) meine nämlich, andersherum wird ein Schuh dar- Für uns ist Menschlichkeit ohne den sozialen strahlen auch auf den aus: Wirtschaftliche Probleme Staat nicht vorstellbar. Wo bürokratische Wucherun- Sozialstaat aus und bringen seine verschiedenen Si- gen den sozialen Staat überlagern, gilt es, die Wu- cherungskreise in Bedrängnis. Sie zwingen zur Zu- cherungen zu beschneiden, nicht aber den Sozial- rücknahme von Zusagen und zum gezielteren Ein- staat in Frage zu stellen. satz von Leistungen. Das ist so. Wer will das bestrei- ten? Wenn der Kuchen, den es zu verteilen gilt, klei- (Beifall bei der SPD) ner wird, werden die Verteilungskämpfe natürlich Über die Rücknahmen und Veränderungen, die bitterer. Das spürt man auf tarifpolitischem Gebiet. mit dem Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz Das merkt man am Klima in den Betrieben. Das verbunden waren, haben wir im letzten Jahr aus- zeigt sich aber auch und gerade auf politischem führlich debattiert. Es hat wenig Sinn, die Debatte Feld. wieder aufzuwärmen, wie es der Herr Blüm versucht Deshalb beurteilen wir Sozialdemokraten die hat. Es stimmt: Uns allen ist das Zurückschneiden Haushaltsoperation 82 zuallererst nach dem Krite- bei den operativen Elementen des Arbeitsförde- rium: Lassen sich die einzelnen Schritte in der ver- rungsgesetzes, bei der Frage der Umschulung, der änderten wirtschaftlichen, aber auch politischen Qualifizierung und der Höherqualifizierung sehr, und gesellschaftspolitischen Landschaft rechtferti- sehr schwergefallen. Es war ein finanzielles Pro- gen? Wir sind zu der Überzeugung gelangt, daß das blem. Aber das Rezept, das Sie uns vorgeschlagen Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4759

Lutz haben, nämlich dieses operative Element unge- Freunde und ich werden zu einer Tendenzwende in schmälert zu erhalten und das alles durch eine Sen- der Ansicht beizutragen suchen, daß man Arbeitslo- kung der Arbeitslosenunterstützung zu finanzieren, sigkeit nur durch Zahlung von Arbeitslosenunter- war für uns nicht annehmbar. stützung mehr oder weniger abfedern kann. Wir und (Beifall bei der SPD) unser Koalitionspartner sollten danach suchen, wie wir wieder Mittel für die Umschulung, die Qualifizie- Dieses Programm wäre ein unsoziales Programm, rung und die Höherqualifizierung der Arbeitslosen eine Abkehr vom Sozialstaat, eine höhnische Politik freimachen können, weil das Geld dafür zweifels- gewesen, die den Arbeitslosen auch noch die Folgen ohne besser angelegt ist, als damit das Abwarten, die von Arbeitslosigkeit allein aufgeladen hätte. Lethargie, die Sinnlosigkeit, die Hoffnungslosigkeit (Beifall bei der SPD und der FDP) der Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Zum Problem der Unterbeschäftigung ist schon Den Arbeitslosen — damit will ich schließen — gestern und vorgestern viel gesagt worden. Ich ver- wäre sehr viel mehr geholfen, wenn Sie, Herr Blüm, kneife es mir, nachzutarocken. Mit der Frage be- und Ihre Freunde sich nicht auf Wortkaskaden be- schäftigungspolitischer Initiativen werden wir uns schränkten hoffentlich schon sehr bald befassen. Daß sie unser (Zuruf des Abg. Gerster [Mainz] [CDU/ aktives Mitdenken und Mithandein braucht, steht CSU]) für mich außer Zweifel. Deshalb beschränke ich und nicht nur Anklagereden hielten und nicht nur mich hier auf ein paar grundsätzliche Anmerkun- mit hohlem, fast schon zynisch wirkendem Pathos gen. über Beschäftigung geredet hätten, Schön wäre es, wenn wir einen tiefgreifenden (Zuruf des Abg. Kolb [CDU/CSU]) Wandel von den Selbstheilungskräften des Marktes erwarten könnten. Aber das ist Kleinkinderglaube. sondern sich mit uns um Beschäftigungspolitik be- Wenn es nicht zu einem abgestimmten Verhalten al- mühten. — Ich danke Ihnen. ler Beschäftigten — der öffentlichen und der priva- (Beifall bei der SPD und der FDP) ten — kommt, werden die strukturellen Probleme unserer Zeit nicht zu bewältigen sein. Deshalb ist, so Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr finde ich, dem Bundeskanzler ganz besonders zu Abgeordnete Schmidt (Kempten). danken, daß er sich unablässig darum bemüht, daß der Gesprächsfaden zwischen den wichtigen Grup- (Kempten) (FDP): Frau Präsident! Meine pen unserer Gesellschaft nicht abreißt, Schmidt sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin- (Beifall bei der SPD und der FDP) nen und Kollegen! Der Kollege Franke hat an den sondern daß Wirtschaft und Gewerkschaft, Bundes- Anfang seiner Ausführungen hier die Überschrift ei- bank und Politik immer wieder an ihre Verantwor- nes Artikels in der „Frankfurter Allgemeinen Zei- tung gegenüber der großen Zahl der Arbeitslosen ge- tung" gesetzt: „Wie soll es weitergehen?". Ziemlich mahnt werden. am Ende seiner Ausführungen sagte er dann: „Eine andere Politik", auch eine Überschrift aus der „FAZ", Für unser Spezialgebiet, die Sozialpolitik, scheint müßte gemacht werden. mir ferner der Hinweis vonnöten, daß Abwarten und Nichtstun der teuerste Luxus wären, den wir uns lei- Ich habe mir diese Debatte drei Stunden lang an- sten könnten. Bald ist der Moment abzusehen, wo gehört und feststellen müssen, daß seitens der Oppo- wir an die 20 Milliarden DM Arbeitslosengeld und sition nichts dazu gesagt wurde, wie es nach ihrer Arbeitslosenhilfe zu zahlen haben werden, wenn Meinung weitergehen sollte, nichts geschieht. Dies wäre dann eine besonders (Beifall bei Abgeordneten der SPD) groteske Form der Verschwendung. Mit diesem Geld obwohl der Kollege Franke — das gebe ich gern zu werden keine gesellschaftlichen Werte geschaffen, — in sehr vielen Fachzeitschriften sehr kluge Arti- keine Innovationen stimuliert, wird die Bitterkeit kel über sozialpolitische Perspektiven schreibt. der Arbeitslosen nur teilweise und mühsam zuge- deckt. Wieviel sinnvoller wäre es - auch die 38 Pro- (Franke [CDU/CSU]: Dahinter stehe ich fessoren haben uns jetzt daran erinnert —, die Mit- auch!) tel der öffentlichen Hand für arbeitsplatzschaffende Das scheint dann immer so zu sein, daß sicher der und beschäftigungssichernde Aktivitäten einzuset- Kollege Franke, aber zweifellos nicht die CDU/CSU zen! geschlossen dahintersteht; denn sonst könnte er so Niemand behaupte, es gebe keinen Raum für sol- etwas einmal hier vortragen. Hier wird immer nur in che Aktivitäten. Niemand behaupte, es ließen sich Negation gemacht, und hier wird sogar der Versuch nicht die Mittel dafür freimachen. Nein, was fehlt, ist gemacht — ich muß darauf noch einmal eingehen, vorerst noch die Einsicht bei Ihnen in den Sinn und Herr Kollege Blüm —, die ganz große Mehrheit die- in die Notwendigkeit derartiger Schritte. Aber dar- ses Hauses für dumm zu verkaufen. über wird, so meine ich, in absehbarer Zeit hier zu (Wehner [SPD]: Leider wahr!) reden sein. Folgende Zahl sage ich hier bewußt einmal auch Es wird auch darüber zu reden sein, ob und wie für das Protokoll. Weniger als 20 % der Mitglieder wir zu einer gemeinsamen Strategie von Bund, Län- dieses Hauses haben dem Deutschen Bundestag be- dern und Gemeinden in ihrem Investitionsverhalten reits vor 1969 angehört. Viele kennen also die Zu- kommen. Es wird darüber zu reden sein, und meine sammenhänge nicht und können nicht wissen, daß 4760 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Schmidt (Kempten) der Kollege Blüm mit seinem Hinweis auf den Burg- setzentwurf kam, als Sie in der Opposition waren. bacher-Plan in einen Zeitraum dieses Bundestages Als Sie regierten, wurde dieser Plan von Herrn zurückging - er hat es nostalgisch nachgelesen, wie Burgbacher Ihrer Partei vorgelegt, und Sie haben er gesagt hat —, wo dieser Plan in der CDU/CSU voll ihn nicht durchgesetzt, weil Sie ihn in der Masse umstritten war und die CDU/CSU den Kanzler stell- nicht wollten. te. So war die Situation mit dem Burgbacher-Plan. (Beifall bei der FDP und der SPD — Zuruf Herr Kollege Vogt, Sie wissen, daß dann 1970 ein kleiner Aufguß davon gebracht wurde. Das geschah von der CDU/CSU: Das sagt nichts! Ihr habt nur deshalb, weil Sie in der Opposition waren und ihn abgelehnt! — Vogt [Düren] [CDU/CSU]: sich sagen konnten, daß das nicht durchkommt, weil Wer hat das Erste Vermögensbildungsge es die CDU/CSU nicht mehr machen konnte. setz gemacht, und wer hat es tariffähig ge macht?) (Beifall bei der FDP und der SPD) Ich glaube, wir müssen einmal einen Privatdisput Vizepräsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, ge- austragen. Schließlich war ich schon damals in mei- statten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeord- ner Fraktion für die Vermögensbildung zuständig neten Vogt? und kenne die Dinge ziemlich genau.

Schmidt (Kempten) (FDP): Bitte. (Vogt [Düren] [CDU/CSU]: Das Erste Ver mögensbildungsgesetz kam von uns!) Vogt (Düren) (CDU/CSU): Herr Kollege, stimmen Wie soll es weitergehen? Ich habe schon durch die Sie mir darin zu, daß der Burgbacher-Plan zwei Ele- Zwischenfragen eine Reihe von Minuten verloren. mente gehabt hat, nämlich auch einen Beteiligungs- Lassen Sie mich versuchen, aus meiner Sicht dazu lohn auf gesetzlicher Basis, und stimmen Sie mir drei Feststellungen für die Freien Demokraten zu darin zu, daß dieser Gesetzentwurf im Frühjahr — treffen. wenn ich mich richtig erinnere, im April —1970- hier im Hause eingebracht und von Ihnen abgelehnt wor- (Dr. George [CDU/CSU]: Maihofer reakti den ist und daß damit der Weg verbaut worden ist, vieren!) von dem Senator Blüm gesprochen hat, daß nämlich Zum einen werden wir uns — darüber ist in den die Mehrheit der Arbeitnehmer an der Bildung von letzten Tagen sehr viel gesagt worden — über ein ir- Produktivkapital beteiligt würden? gendwie geartetes Programm zur Überwindung der Schmidt (Kempten) (FDP): Herr Kollege Vogt, ich Arbeitslosigkeit hier in diesem Hause unterhalten kann Ihnen so nicht zustimmen. Ich gehöre diesem müssen. Wir Freien Demokraten halten das, was von Haus seit 1961 an, und ich habe die Auseinanderset- vielen Seiten aus allen Teilen dieses Hauses in der zung in einer Koalition mit Ihnen mitgemacht, ob letzten Zeit geschehen ist, ebenfalls für falsch, näm- dieser Plan nun von der CDU vorgelegt werden soll- lich das eine zu verdammen, das andere hochzuhie- te, und ich habe damals keine einheitliche Meinung ven und hinterher das Gegenteil zu tun. Es hat wirk- der CDU/CSU in toto feststellen können. Erst nach lich nur Sinn, dann — wir Freien Demokraten haben 1969, als Sie — — ja im Herbst liberale Grundsätze zur Überwindung der Arbeitslosigkeit vorgelegt —, wenn alle Daten (Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Das war am nach dem Jahreswirtschaftsbericht vorliegen, in ei- 15. April 1970! — Weitere Zurufe von der ner gemeinsamen Aktion das Bestmögliche zu errei- CDU/CSU) chen, und zwar ohne Neuverschuldung und ohne zu- — Herr Jenninger, am besten lesen wir einmal ge- sätzliche Steuererhöhungen. Wir dürfen dabei die meinsam nostalgisch nach, was hier 1965/66 zu dem Erfahrungen aus der Vergangenheit nicht verges- Thema gesagt wurde. sen. Diese Erfahrungen zeigen — der Kollege Cro- (Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Ich habe das ge nenberg hat ein Beispiel aus einem bestimmten Be- nau nachgeprüft!) reich angeführt —, daß Programme, die viel Geld ko- sten, hinterher wegen überhöhter Kapazitäten plötz- Vizepräsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, ge- lich zu neuen Arbeitslosen führen können. Solche statten Sie noch eine zweite Zusatzfrage. Programme sind mit Sicherheit nicht mit den Freien Demokraten zu machen. Schmidt (Kempten) (FDP): Ja. Wie soll es weitergehen? Ich möchte hier auf die Vogt (Düren) (CDU/CSU): Herr Kollege Schmidt Ausführungen des Kollegen Franke eingehen. — (Kempten), stimmen Sie mir zu, daß ich damals dem Herr Kollege Franke, Sie haben mich hier angespro- Deutschen Bundestag angehört habe und daß die chen, als Sie darauf hinwiesen, daß ich vor einiger Debatte über die erste Lesung dieses Burgbacher- Zeit in mehreren Presseartikeln und auch in einigen Plans am 15. April 1970 hier in diesem Saal stattge- Vorträgen darauf verwies, daß möglicherweise die funden hat und daß Sie diesen Gesetzentwurf abge- grundsätzlich beschlossene Einführung eines Kran- lehnt haben? Darf ich Sie bitten, sich sachkundig zu kenversicherungsbeitrages für Rentner machen? (Franke (CDU/CSU]: Ich habe das nicht kri tisiert, sondern nur festgestellt!) Schmidt (Kempten) (FDP): Verehrter Herr Kollege Vogt, dies hat überhaupt nichts mit meinen Feststel- — j a, ich wollte dazu aber einiges sagen —, für die lungen zu tun; denn der Bundesarbeitsminister hat man sich j a sowohl im Rahmen der Koalitionsbil vorhin schon klargestellt, daß 1970 ein solcher Ge- dung als auch in der Regierungserklärung von sei- Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4761 Schmidt (Kempten) ten der sozialliberalen Koalition ausgesprochen hat durchzuhalten, dem Hohen Hause zur Kenntnis ge- die Einzelheiten können Sie nachlesen: sechs Jah- ben, daß wir schon vor dem Bundesverfassungsge- resschritte, 1 % pro Jahr usw. —, richtsurteil die Partnerrente mit der Anrechnung (Franke [CDU/CSU]: Das weiß ich sogar!) der Erziehungszeiten eingebracht haben — nur, da- mit das auch richtig in den Akten steht? auf Grund von Schwierigkeiten bei der mittel- und langfristigen Finanzierung der Rentenversicherung (Beifall bei der CDU/CSU) — 15-Jahres-Rechnung, Rücklagen usw. — zu einem Schmidt (Kempten) (FDP): Der Begriff „Partner- früheren Zeitpunkt, als ursprünglich geplant, erfol- rente", gebe ich gern zu, stammt nicht von den gen müßte. Es geht hier um die Abschmelzung um Freien Demokraten, sondern bei uns heißt es „Teil- 1 % bis zum halben Beitragssatz. Ich habe dies be- haberrente". Zum zweiten habe ich mich nicht auf wußt gesagt. die Vorarbeiten in allen Parteien bezogen, sondern (Franke [CDU/CSU]: Ehrenberg sagt etwas lediglich festgestellt — und das tue ich noch einmal

anderes!) —, daß die FDP als erste auf einem Parteitag ein Ich habe gesagt: möglicherweise bereits vorher er- Programm verabschiedet hat, in dem diese Dinge folgen müßte. Ich glaube, wir alle sind uns in diesem festgelegt sind. — Das war nicht ein Gesamtpro- Hause klar, daß man dann, wenn — auch die Finan- gramm für die 84er-Reform, was Sie damals vorleg- zierung der Rentenversicherung ist nicht ohne Be- ten. Das waren Einzelgedanken — selbstverständ- rücksichtigung der wirtschaftlichen Entwicklung lich. und der Arbeitslosigkeit ohne weiteres vorauszube- (Beifall bei der FDP) rechnen — die Rücklagensituation und die Liquidi- tätssituation in der Rentenversicherung so etwas Vizepräsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, ge- vorher nötig machen sollten, diesen Gedanken wird statten Sie noch eine Zwischenfrage von Frau Dr. prüfen müssen. Der Zeitpunkt dafür scheint mir Lepsius? aber nicht heute gegeben zu sein, sondern beispiels- Schmidt (Kempten) (FDP): Bitte. weise bei der Vorlage des Rentenberichtes im Fe- bruar/März dieses Jahres und bei der dann notwen- Frau Dr. Lepsius (SPD): Herr Kollege Schmidt digen Debatte, wenn sich zeigen sollte, daß die Rück- (Kempten), stimmen Sie mir darin zu, daß die soge- lagen in den nächsten Jahren nicht mehr ausreichen nannte Partnerrente von 1975 lediglich dem Namen würden, wenn die Einmonatsrücklage unterschrit- nach, aber nicht inhaltlich etwas mit der Teilhaber- ten würde. rente zu tun hat — weil es sich in der Tat um die Um- Eine zweite Bemerkung zur Rentenversicherung. setzung des Rentensplittings im Versorgungsaus- Die Grundlagen für die Reform 1984 sind durch die gleich handelte und wir eine derartige Regelung in Kommission geschaffen worden. Wenn ich es richtig der Teilhaberrente überhaupt nicht vorgesehen ha- im Kopf habe, sind die Zielsetzungen, was diese Re- ben? form angeht, aller vier Parteien, die in diesem Hause Schmidt (Kempten) (FDP): Ich stimme dem zu. Ich vertreten sind, ziemlich gleich: Teilhaberrente, eine habe der Frau Kollegin Wex lediglich den Begriff bessere soziale Absicherung der Frau, Erziehungs- „Partnerrente" als etwas aus der CDU Gekommenes jahre, das sind Forderungen aller drei Parteien. Wir bescheinigt, mich aber nicht weiter zur Sache geäu- begrüßen es am meisten, daß wir die ersten waren, ßert, sondern über die 84er-Vorstellungen zur Teil- die das programmatisch festgelegt haben. haberrente, die inzwischen von allen Parteien getra- (Zuruf von der CDU/CSU) gen werden, gesprochen. — In unseren Rententhesen stand das bereits, da Ich sehe: Meine Zeit geht zu Ende. Ich werde mich war die 84er-Kommission noch nicht ganz mit ihren also auf wenige Bemerkungen beschränken müssen. Beratungen zu Ende. Für mich ist es aber manches Mal angenehmer, Wir begrüßen sehr, daß hier ein Gesamtkonsens in mehr im Frage-und-Antwort-Spiel hier die Dinge zu der Zielsetzung besteht, weil ich der Auffassung bin klären, als große Vorlesungen zu halten, was mir so- — ich habe das schon in mancher vorherigen De- wieso nicht liegt. batte zu diesem Thema gesagt —, daß die zukünftige Daher zwei Bemerkungen zum Schluß — es sind Regelung der Altersversorgung, in der Rentenversi- gerade noch zwei Minuten übrig —: eine Bemerkung cherung und auch in anderen vergleichbaren Sy- zur 84er-Reform und der Finanzierung von Erzie- stemen, möglichst — wie auch früher oft geschehen hungsjahren. — gemeinsam von diesem Hause verabschiedet wer- Wenn ich eben gesagt habe, wir brauchten für den sollte; denn es ist doch unsere gemeinsame Sor- diese Reform möglichst die Einstimmigkeit dieses ge. Hauses, dann möchte ich auch daran erinnern, daß wir wahrscheinlich ebenso die Einstimmigkeit brau- Vizepräsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, ge- chen, um die Finanzierung der Erziehungsjahre statten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordne- durch Umschichtungen oder wie auch immer im ten Dr. Wex? Haushalt zu gewährleisten; denn durch höhere Bei- träge, durch höhere Bundeszuschüsse wird dies Schmidt (Kempten) (FDP): Frau Dr. Wex, bitte. nicht möglich sein. Ich bin gerade hier sehr interes- siert, daß sich das gesamte Haus Gedanken darüber Frau Dr. Wex (CDU/CSU): Herr Kollege, würden macht, wir wir es haushaltsmäßig schaffen können, Sie, um den Wettbewerb der Ideen auch weiter solche Erziehungsjahre — ob nun zuerst eines oder 4762 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Schmidt (Kempten) zwei oder drei, wäre dann eine Frage der Durchfüh- Noch eine letzte Bemerkung zur Zukunft. Denn rung — zu finanzieren. Ich warne bloß alle diejeni- wir wollen hier ja nicht nur eine Bestandsaufnahme gen, die glauben, das könnte man noch den Beitrags- machen, sondern auch wissen, wie es weitergehen zahlern auferlegen oder das könnte man den Rent- soll. Ich bin dankbar, daß die Bundesregierung einen nern abziehen oder das könnte man durch höhere Auftrag zur Krankenversicherungsstrukturreform Bundeszuschüsse schaffen. Dies ist eine familienpo- gegeben hat. Gleichzeitig möchte ich aber auch sa- litische Aufgabe, damit eine Aufgabe der Gesamt- gen, daß dies nicht etwa, wie Sie das für Ihre nächste heit, die aus Haushaltsmitteln finanziert werden Rede vielleicht schon wieder im Hinterkopf haben, muß. Dies wird nicht einfach sein. Hier bitte ich um ein Weg in die Vereinheitlichung, in die Einheitsver- Unterstützung der Vorstellungen, die wir haben. sicherung oder gar in einen staatlichen Gesund- heitsdienst sein soll. Dies wird und muß vielmehr die Letzte Bemerkung, nur zwei Sätze zur Kranken- Überlegungen wieder aufgreifen, die bereits in den versicherung — ich wollte einiges mehr sagen —: letzten Jahren zur besseren Wettbewerbsgestaltung, Herr Kollege Franke, Sie haben wieder einmal — zur Stärkung des gegliederten Systems und zu mehr wie schon so oft — von dem Dirigismus in diesem Möglichkeiten der Selbstverwaltung, aber auch zu Bereich, von dem Weg zur Einheitsversicherung, Korrekturen der manchmal vorhandenen Überbe- scheibchenweise, und was weiß ich alles gespro- anspruchung ohne Eigenverantwortung des einzel- chen. nen angestellt worden sind. Diese Fragen, auch die (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Die Ge Frage der Selbstbeteiligung in kleineren Fällen, fahr ist groß!) werden eine Rolle spielen, wenn wir in der Lage sein wollen — damit komme ich jetzt auf das gesamte Ge- Ich stelle hier zunächst einmal fest: Das erste Ge- sundheitswesen —, die Kosten unseres Gesund- setz zur Kostendämpfung heitswesens zu tragbaren Beiträgen für alle Versi- (Franke [CDU/CSU]: Erster Akt!) cherten weiterhin überhaupt aufzubringen. Das be- - ste Gesundheitssystem ist zweifellos ein geglieder- hat keinen Schritt zur Einheitsversicherung — dies tes, das von der Selbstverwaltung getragen wird, ist heute nach einigen Jahren wohl feststellbar —, aber auch finanziert werden kann. Hier, zur Struk- wohl aber Kostendämpfung gebracht. Das zweite, turreform werden uns viele Gedanken einfallen jetzt zum 1. Januar in Kraft getretene Gesetz, müssen. Bei den Freien Demokraten jedenfalls wird das Krankenversicherungs-Ergänzungsgesetz, wird es hier keine Gedanken in Richtung Vereinheitli- ebenfalls Kostendämpfungen bringen. Es ist also chung und Einheitsversicherung und damit — spä- nicht wahr, wenn hier immer wieder behauptet wird, ter — in Richtung höhere Kosten und schlechtere es brächte nichts. Denn, meine Damen und Herren: Leistungen geben. — Vielen Dank. Weshalb hat es denn eine schwierige Diskussion über 1 Milliarde DM Mehrleistungen der Versicher- (Beifall bei der FDP und der SPD) ten auf Grund gewisser Einschränkungen — Erhö- Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und Her- hung der Verordnungsblattgebühr usw. — gegeben? ren, zum Einzelplan 11 liegen keine weiteren Wort- Doch wohl deshalb, weil mit dieser Milliarde DM ge- meldungen mehr vor. Ich schließe die Aussprache. ringere Ausgaben und damit Kostendämpfung be- wirkt werden. Das Wort zu einer Erklärung zur Aussprache nach § 30 der Geschäftsordnung hat der Herr Abgeord- (Franke [CDU/CSU]: Die Kosten sind in nete Dr. Friedmann. die Taschen der Bürger verlagert! — Dr. George [CDU/CSU]: Ganz genau!) Dr. Friedmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kol- — Herr Kollege Franke, lege Lutz hat vorhin sinngemäß erklärt, ich hätte in (Franke [CDU/CSU]: Ich stelle nur fest!) meiner Rede am 12. November von dieser Stelle aus behauptet, mit dem Vizepräsidenten der Bundesan- ich spreche hier zur Krankenversicherung; über die stalt für Arbeit telefoniert zu haben, Kosten des Gesundheitswesens muß man sich an- derswo unterhalten. Aber Sie haben ja von der Kran- (Zuruf von der SPD: Das haben Sie auch ge kenversicherung gesprochen. Es wird Einsparun- sagt!) gen, Kostendämpfungen geben, etwa durch die Tat- und er hätte mir alle Zahlen bestätigt, die ich hier sache, daß sich Ärzte und Zahnärzte für 1982 darauf anschließend vorgetragen habe. Außerdem hat Herr verständigt und zugesagt haben, keine ihnen sonst Kollege Lutz angedeutet, ich hätte möglicherweise nach altem Gesetz, altem Kostendämpfungsgesetz, das Protokoll des Deutschen Bundestages geändert. zustehenden Anpassungen in Anspruch zu nehmen. Ferner hat Herr Kollege Lutz behauptet, ich hätte Es wird also, wie gesagt, Einsparungen geben. dem Vizepräsidenten der Bundesanstalt auf seinen Briefwechsel nicht geantwortet. (Kolb [CDU/CSU]: Die Menge bleibt aber offen!) (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Herr Lutz, aufpassen!) — Ich habe es zwar schon einmal gesagt, aber damit es im Protokoll steht, sage ich es noch einmal: Ich Ich darf hier folgendes feststellen: Sämtliche Be- gehe davon aus — unter Zugrundelegung bereits hauptungen des Herrn Lutz entsprechen nicht den vorhandener Zahlen, mit denen man das hochrech- Tatsachen. nen kann —, daß es Einsparungen in Höhe von etwa (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: So ein 2 Milliarden DM geben wird. Kerl!) Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4763

Dr. Friedmann Ich habe mit dem Vizepräsidenten der Bundesan- Dr. Rose (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Da- stalt niemals telefoniert; dies läßt sich auch nicht men und Herren! Wie heißt es so schön: Besondere aus dem Protokoll des Deutschen Bundestages vom Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. 12. November ableiten. (Zuruf von der SPD: Sind Sie der Schatten? (Franke [CDU/CSU]: Hört! Hört! — Zuruf — Heiterkeit bei der SPD) der Abg. Frau Dr. Lepsius [SPD]) Wir behandeln jetzt den Einzelplan des Bundesmini- — Frau Kollegin Lepsius, Sie können das Protokoll steriums für Jugend, Familie und Gesundheit. Vor- j a bitte nachlesen. — Ich habe zweitens niemals auf hin wurde das bekannte Jugend- und Kinderbuch das Protokoll des Deutschen Bundestages Einfluß „Struwwelpeter" zitiert. Ich bin der Regie und Herrn genommen, auch nicht auf dessen Entwurf. Cronenberg von der FDP sehr dankbar, daß dieses (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Das geht alte deutsche Erziehungsbuch hier vor dem Deut- auch gar nicht! — Dr. Kunz [Weiden] [CDU/ schen Bundestag wieder einmal zu Ehren kam. Nur CSU]: Das ist ungeheuerlich!) eines ist leider Gottes nicht richtig dabei: In diesem Buch werden dem bösen Buben die Leviten gelesen, Ich möchte zum Dritten erklären: Ich habe dem doch wenn ich auf die Regierungsbank schaue, böse Herrn Vizepräsidenten der Bundesanstalt auf sei- Buben haben wir zwar genug, aber: Wo sind sie nen ersten Brief schriftlich geantwortet. Ich sah al- denn? Sie ziehen es vor, woanders aufzutauchen. lerdings auf Grund des Tons und der Qualität des Heute wird der Haushalt dieser Bundesregierung Schriftwechsels keine Veranlassung auf weitere gelesen. Wo sind sie denn, vom Bundeskanzler ange- Briefe des Herrn Vizepräsidenten zu antworten. fangen über alle Minister? Meine Damen und Her- Was Herr Lutz hier gesagt hat, entspricht nicht ren, da findet nebenbei — und darin liegt die Miß- der Wahrheit. Dies wirft ein Licht auf sein Verhalten achtung dieses Parlaments — ein Hearing zu fast und die Qualität seiner Äußerungen. — Schönen demselben Thema statt, das wir hier behandeln, Dank. nämlich zu der Frage, ob ein Antidiskriminierungs- (Beifall bei der CDU/CSU) gesetz für die Frauen notwendig ist. Da ist eine Reihe von Ministern anwesend, bei uns ist eine leere Bank. Meine Damen und Herren, so geht diese Re- Vizepräsident Frau Renger: Noch eine Erklärung gierung mit dem Parlament um. Das können wir uns zur Aussprache nach § 30 der Geschäftsordnung, auf Dauer nicht gefallen lassen. Herr Abgeordneter Lutz. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, eine Rede zum diesjäh- Lutz (SPD): Auf die eben gehörte persönliche Er- rigen Haushalt des Bundesministers für Jugend, Fa- klärung gebe ich folgende persönliche Erklärung milie und Gesundheit kann leider an einer Tatsache ab: nicht vorbei: Die Bundesfinanzen sind so arg zer- Ich habe vorgestern mit dem Herrn Vizepräsiden- zaust, daß gespart werden muß: Wir kennen diese ten der Bundesanstalt für Arbeit telefoniert. Der Wahrheit, und wir konnten auch im Haushaltsaus- Herr Vizepräsident der Bundesanstalt für Arbeit hat schuß gerade bei diesem Einzelplan nicht mehr viel mir bestätigt, daß seine Vorhaltungen nicht beant- ändern, weil die letzten Reserven sowieso schon an- wortet wurden. geknabbert sind und die berühmten Umschichtun- (Kolb [CDU/CSU]: Vorhaltungen!) gen zugunsten der einen oder der anderen Gruppe nicht mehr möglich waren. Wir mußten im Gegenteil ein paar Mark finden, um die schwerwiegendsten Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und Her- Probleme andernorts lösen zu helfen. Wer sich aber ren, wir kommen jetzt zur Abstimmung über den die Zahlen der Einzeletats anschaut, der merkt sehr Einzelplan 11. Wer dem Einzelplan 11 in der Aus- schnell, daß zwar die einen sparen, daß es aber eine schußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich Reihe anderer gibt, die sogar noch einen Zuwachs zu um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltun- verzeichnen haben. gen? — Gegen die Stimmen der CDU/CSU ist der Bekanntlich nimmt der gesamte Bundeshaushalt Einzelplan 11 in der Ausschußfassung angenom- um fast 10 Milliarden DM zu. Er hat eine neue Re- men. kordhöhe von 240,5 Milliarden DM. Für den Bereich der Jugend- und Familienpolitik heißt es jedoch, den Ich rufe auf: Gürtel enger schnallen. Meine Damen und Herren, Einzelplan 15 in der Tat, das Volumen des Einzelplans 15 beträgt 1982 zwar immer noch gut 18,7 Milliarden DM und Geschäftsbereich des Bundesministers für steht damit an vierter Stelle aller Einzeletats, aber Jugend, Familie und Gesundheit das besagt ja nichts. Kollege Blüm hat ja vorhin dar- - Drucksache 9/1195 — auf hingewiesen, daß die Höhe des Sozialetats nicht auch soziale Leistung bedeutet. Was ich sagen möch- Berichterstatter: te: Mit 1 452,6 Millionen Mark realem Abzug — im Abgeordnete Dr. Rose Vergleich zum Vorjahr — hält ausgerechnet das Mi- Hoffmann (Saarbrücken) nisterium für Jugend, Familie und Gesundheit die Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Spitzenstellung unter den Verlierern — und das, ob- Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. wohl man einen neuen Aufgabenbereich zugewiesen Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rose. bekam, den Zivildienst, der mit rund 500 Millionen 4764 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Dr. Rose Mark zu Buche schlägt. Meine Damen und Herren, nicht an. Es ist Ihre Politik, die zu diesen Ergebnis- wie nennt man denn das in Ihrem neumodischen so- sen geführt hat. zialliberalen Jargon? — Im Familienministerium (Beifall bei der CDU/CSU) findet ein „Minuswachstum" statt. Es gibt in der Tat kaum eine Gruppe in unserer Wir halten also fest: Sozialliberale Politik hat Gesellschaft, die durch die Finanzmisere des Bun- zweierlei bewirkt. des so erschüttert wird wie die Familie. (Zuruf von der SPD: Wo sind denn Ihre Än (Glos [CDU/CSU]: So ist es!) derungsanträge?) Der Blick ins Portemonnaie der deutschen Familie Es muß jetzt insgesamt gespart werden, und es wird zeigt die Wahrheit. besonders Hand angelegt an die breite Masse, an die Ich zeige einmal an ein paar Beispielen auf, was breite Masse der Familien, und an so manche ver- wirklich im Jahre 1982 passiert. nünftige und segensreiche Einrichtung zum Nutzen Es ist j a nicht bloß die Kürzung des Kindergeldes. der Schwachen. Ich stelle mir einmal einen kleinen Arbeiter oder Wer die finanzpolitische Großwetterlage kennt, kleinen Beamten vor, der zwei oder drei Kinder hat. der kommt natürlich nicht an einem Abbremsen der Durch die Kürzung des Kindergeldes hat er automa- öffentlichen Ausgaben vorbei. Ich habe aber immer tisch im Monat schon 40 Mark weniger. Sie haben noch im Ohr, wie von der Regierungsseite gesagt aber dann auch die höheren Krankenversiche- wurde, man möchte nur die Mißbräuche beseitigen, rungsbeiträge beschlossen. Dann macht wieder eine man möchte den Wildwuchs beschneiden. ganz nette Summe aus. Sie haben die Erhöhung der Eigenbeteiligung bei den Krankheitskosten be- (Glos [CDU/CSU]: Dann müßte man die schlossen. Sie haben verschiedene andere Sparmaß- ganze Regierung beseitigen!) nahmen oder woanders Erhöhungen beschlossen. - Ich frage Sie: Wollen Sie denn behaupten, indem Sie Auch das will ich sagen, weil es wirklich aus dem beim Familienministerium so sehr schneiden, daß Volk gegriffen ist. Ich stelle mir den kleinen Arbeiter hier ein Wildwuchs zu verzeichnen ist? Sie sind bei draußen vor, der sich kein Vergnügen leisten kann, Ihren Sparmaßnahmen an der völlig falschen Seite keine große Urlaubsreise oder sonstige Dinge. angekommen. (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Aber die Bonzen fahren nach wie vor ins Ausland! — (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der Glos [CDU/CSU]: Die vom Stamme Nimm SPD) sind ständig unterwegs!) Meine Damen und Herren, wollte man makaber Er hat nur — wenn auch gesundheitspolitisch nicht sein, dann müßte man feststellen, daß durch diesen vernünftig — das Vergnügen der kleinen Zigaretten- Sparzwang wenigstens eines deutlich wird: Es schachtel. Durch die Erhöhung der Tabaksteuer ver- kommt der familienpolitische Kurs dieser Regie- langt man zusätzliches Geld von ihm. rung zum Ausdruck; die Konturen kommen klarer (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Das sind zu Tage; es wird deutlich, wohin hierzulande die Fa- mir saubere Sozialisten! — Löffler [SPD]: milienpolitik führen soll; Nun halten Sie aber inne!) (Glos [CDU/CSU]: Jetzt zeigt sich der wahre — Ich wäre dankbar, lieber Herr Löffler, wenn Ihre Jakob! — Wehner [SPD]: Der hat sich in die Partei, die sich immer als die Partei der kleinen Mitte gesetzt! — Heiterkeit bei der SPD) Leute und der Arbeitnehmer betrachtet hat, endlich der Stellenwert der Familie wird sichtbar. Es gibt einmal merken würde, was draußen diskutiert wird, keine verbrämenden Sonntagsreden mehr. Wir sind was bei den Arbeitern am Biertisch diskutiert wird, am Tor der Wahrheit angelangt Wir sehen den Of- wie Sie ihnen das Geld herausziehen. fenbarungseid. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, ich zitiere aus der Gehen Sie einmal in die Geschäfte, in die Betriebe Weihnachtsausgabe der „Süddeutschen Zeitung": und in die kleinen Gasthäuser. Dann werden Sie merken, was wirklich die Sorge des deutschen Vol- Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutsch- kes ist. land stellt Ehe und Familie unter den besonde- (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Die sit ren Schutz der staatlichen Ordnung. Was bedeu- zen doch nur in Aufsichtsräten! — Glos tet diese Aussage, und wird sie in der Praxis rea- [CDU/CSU]: Die sollten dem Volk aufs Maul lisiert? Betrachtet man einige herausragende schauen!) Beispiele wie etwa die Regelung des Kinder- gelds, die Benachteiligung der Nur-Mütter oder den Wohnungs- und Städtebau, so kommt man Vizepräsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, ge- sehr schnell zu dem Schluß: Die Familienpolitik statten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeord- ist in der Wohlstandsgesellschaft, wider alle Be- neten Jaunich? teuerungen der Politiker, ein Stiefkind. Verehrte Damen und Herren, dieser Beurteilung Dr. Rose (CDU/CSU): Selbstverständlich. der „Süddeutschen Zeitung" ist eigentlich nichts (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Wer ist mehr hinzuzufügen. Nur ziehen wir uns den Schuh der Abgeordnete?) Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4765

Jaunich (SPD): Herr Kollege, wenn Sie öffentliche milie nicht bloß zu schützen, sondern auch zu för- Stimmen über die Familienpolitik hier einführen, dern ist. wären Sie geneigt, die Beurteilung des Deutschen (Beifall bei der CDU/CSU) Familienverbandes in seiner Zeitschrift vom Januar Im Gegenteil, meine Damen und Herren, die Familie dieses Jahres auch mit einzuführen, in der es heißt: wird zum vorrangigen Opfer der sozialliberalen Ge- „Von einer CDU/CSU-Regierung werden die Fami- sellschaftspolitik. lien nichts Besseres zu erwarten haben"? (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) (Glos [CDU/CSU]: Wie heißt denn der, Frau Präsidentin?) Es soll offensichtlich nur mehr eine bestimmte Form der Familie geben, bei der beide Elternteile berufs- tätig sind, bei der die Kinder ganztägig betreut wer- Dr. Rose (CDU/CSU): Verehrter Herr Kollege, ich den, bei der das abendliche Freizeitverhalten gesell- kann Ihnen nur antworten: Wir reden über das, was schaftsrelevant sein soll und bei der dann auch noch real ist, nicht über das, was kommt. durch eine steuerliche Umgestaltung, z. B. durch die (Lachen bei der SPD — Zuruf von der SPD: Aufhebung des Familiensplittings, andere Lebens- Ist das, was Sie sagen, real?) formen attraktiv gemacht werden. Das, was real ist, ist, daß Sie uns in eine Situation ge- Meine Damen und Herrn, ich möchte hier das alte bracht haben, in der die Lage der Familien schlech- Thema der „Nur-Hausfrau" nicht zu sehr in den ter ist als vor wenigen Jahren, als wir noch an der Vordergrund stellen. Aber mir ist aufgefallen, daß Regierung waren. immer häufiger auch diskutiert wird, daß es so (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der falsch nicht sein kann, wenn sich eine Mutter zu SPD) Hause auf die Kindererziehung konzentriert und da- durch auf Zusatzverdienst, auf Rente und auf Frei- Meine Damen und Herren, vielleicht noch ein an- heit — denn es heißt j a immer: wer arbeitet, ist freier deres Beispiel, bei dem die Leute ja auf Grund der — verzichtet. Immerhin aber tritt der umgekehrte schlechten Entwicklung des Haushalts und der Bun- Fall zunehmend auf, daß nämlich der Mann zum desfinanzen auch betroffen sind. Ich meine die höhe- Hausmann wird. Wenn man dem „Stern" vom 22. Ok- Schauen wir uns doch den Familenvater ren Zinsen. tober 1981 glauben darf, denkt schon jeder vierte draußen an, der sich mit viel Mühe und oft mit Ei- verheiratete Mann an eine Rolle als Hausmann. genleistung seiner Familienangehörigen ein Eigen- heim bauen und leisten wollte. (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Also ich nicht! — Glos [CDU/CSU]: Wir nicht!) (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Und an den Zinsen ist Frau Huber schuld?) — Sicher gibt es viele, die nicht dazugehören, und auch ich gehöre nicht dazu. Schauen wir uns an, wie er jetzt von den gestiegenen Zinsen betroffen wird! Wir sind ja nahe daran, daß es (Zustimmung des Abg. Glos [CDU/CSU]) eine Reihe von Familien gibt, die leider Gottes daran Aber ich will den „Stern" auch nicht in allen Punkten denken müssen, ihre Häuser zu verkaufen. anzweifeln. Denn er schreibt sogar mit Bewunde- (Zuruf von der CDU/CSU: Schlimm! — Dr. rung weiter: „Gute Väter sind sie alle, die Hausmän- Riedl [München] [CDU/CSU]: Und wer ner." kauft sie? Die „Neue Heimat"!) Meine Damen und Herren, was ich damit sagen weil Sie mit Ihrer Politik familienfeindlich operiert will, ist folgendes. Wenn sich immer mehr Leute aus haben. der Berufswelt, aus dem Streß zurückziehen und die Erziehung der Kinder, das Zusammenleben mit den Meine Damen und Herren, alle diese Punkte muß man zusammenzählen, auch wenn es jetzt nicht un- Kindern bevorzugen, wenn also jetzt auch Männer bedingt etwas mit dem Haushalt des Familienmini- soweit sind, dann kann es doch so falsch nicht sein, wenn auf der anderen Seite gesagt wird: Die Frauen, steriums zu tun hat; aber es gehört zu Ihrer Fami- lienpolitik. Ich kann nur sagen, die wahre Lage der die diese Arbeit übernehmen, brauchen eine beson- Familien im Jahre 1982 ist trostlos geworden. dere Förderung durch den Staat, weil sie eben, wie ich vorhin erwähnt habe, auf wesentliche Vorausset- Wundert sich da noch jemand darüber, daß die At- zungen verzichten. traktivität, eine Familie mit Kindern zu haben, schon allein aus materiellen Gründen abnimmt? (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Dr. Wex Zum Vergleich sei nur erwähnt, daß bei den Franzo- [CDU/CSU]: Auch die Männer!) sen das Familieneinkommen ganz anders bewertet Genau das ist es, was wir immer gesagt haben. Und wird und daß dort durch eine kluge Steuerpolitik das die Gleichberechtigung geht soweit, daß der Mann Bruttogehalt praktisch auch das Nettogehalt ist. Zu- das dann natürlich auch bekommen soll. mindest war es bei den Franzosen so; jetzt ist ja der Wir unterstützen Sie, meine Damen und Herren, Sozialist Mitterrand dran, und vielleicht ergeben j a in Ihrer Arbeit für die gesetzliche Absicherung sich dann dieselben Verhältnisse, wie wir sie seit der Gleichberechtigung der Frauen. Nur, bezogen Jahren haben. auf das Familienministerium und auf die Frau Mini- (Glos [CDU/CSU]: Das ist zu befürchten!) ster, die heute leider nicht da sein kann — — Bei uns verstärkt sich das Gefühl, daß alles andere wichtig ist, bloß nicht die Bestrebung, die Grundge- Vizepräsident Frau Renger: Herr Kollege, eine Se- setzaussage zu realisieren, die da heißt, daß die Fa- kunde, bitte! Ich möchte dem Hause nur mitteilen, 4766 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Vizepräsident Frau Renger daß die Frau Minister erkrankt ist. Der Herr Parla- Man erinnert sich bestimmt der Aussagen der letz- mentarische Staatssekretär vertritt sie. Ich bitte ten Jahre. — Der Zuruf, auch diese Gesundheits- darum, das zur Kenntnis zu nehmen. politik sei krank, ist richtig. Ich habe das bereits in (Glos [CDU/CSU]: Wir wünschen ihr gute meiner letzten Haushaltsrede gesagt. Es hat sich Besserung!) kaum etwas verändert, zumindest nicht zum Besse- ren. Dr. Rose (CDU/CSU): Wir wünschen ihr von dieser Die Kompetenz des Gesundheitsministeriums Stelle aus gute Besserung! wird immer stärker angezweifelt, wozu der Rich- (Beifall) tungsstreit nicht bloß mit dem Innenministerium, wie ich vorhin schon sagte, sondern auch mit dem Ich habe vorhin bei dieser Bemerkung natürlich Arbeitsministerium besonders beiträgt. Die Ausein- nicht aus diesem Grunde eine Kritik angefügt; sie andersetzungen um die Gesundheitskosten und die kann eben leider nicht da sein. Sie werden ihr das Krankenhausfinanzierung sind nur das bekannteste bitte bestellen. Beispiel für die Überlegenheit des letzteren. Aber die Kritik kann ich ihr oder ihrem Hause In der Öffentlichkeit wird zur Zeit aber ein Thema trotzdem nicht ersparen, daß man bei den Bestre- besonders behandelt, über das ich hier ein paar bungen um die Gleichberechtigung der Frau im Mi- Sätze sagen möchte. Das ist zwar emotionell nicht nisterium für Jugend, Familie und Gesundheit offen- lösbar, aber es bedarf zumindest einer Klärung, weil sichtlich nicht weiter gekommen ist, weil es immer auch hier die Frau Ministerin betroffen ist. Es geht wieder heißt, das Innenministerium habe hier die um den Tierschutz, genauer gesagt, um die Tierver- Federführung. Da frage ich mich, warum wir dieses suche zu medizinischen Zwecken. Familienministerium für diese Aufgaben überhaupt noch brauchen. (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Die gehö ren endlich eingestellt!) Meine Damen und Herren, ich möchte festhalten,- der Schutz der Familie ist das elementarste Men- Ich schließe mich jener Aussage an — und es gibt si- schenrecht. cherlich viele Kollegen, die sich ebenfalls dieser Meinung anschließen —, daß jede unnötige Tierquä- (Beifall bei der CDU/CSU) lerei vermieden werden muß. Praktisch ist jede Tier- Dieses Recht wird einem allerdings erst richtig be- quälerei unnötig. wußt, wenn Menschen, wie z. B. die zur Zeit rund 11 (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Millionen politischen Flüchtlinge, die wir in Südost- asien, in Afrika und in Südamerika haben, brutal an Ich bin sicher, daß die Zukunft Lösungsmöglichkei- der Erhaltung dieses Rechts gehindert werden. ten bringen wird, die weitgehend auf Experimente Wenn wir uns in die Situation dieser Menschen ver- an Tieren verzichten. tiefen, wird uns auch das Wertvolle, was Familie be- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) deutet, bewußt. Wer in Not ist, wendet sich j a zuerst Man muß aber wie überall die Kirche im Dorf las- an seine Verwandten und nicht an irgendwelche Be- sen. ratungsstellen psychosozialer Art. Man braucht die Familie. Erst in solchen Situationen wird sich der (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist der einzelne bewußt, um was es geht. Punkt!) (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn es nämlich um die Forschung für die Gesund- heit von Menschen geht, dann kommen meiner Mei- Ich möchte in diesem Zusammenhang den Wohl- nung nach Tierversuche immer noch vor Versuchen fahrtsverbänden ein Lob aussprechen, die in vorbild- an Menschen. licher Weise mit Mitteln des Bundesprogramms für ausländische Flüchtlinge und aus kirchlichen Eigen- (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Die sol mitteln in derzeit 13 Modellzentren ausländische len weniger rauchen und trinken, dann blei Flüchtlinge in der Bundesrepublik betreuen. ben sie gesund! — Weitere Zurufe und Bei (Zuruf von der SPD: Das sind doch auch Be fall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ratungsstellen!) Ich sage das deshalb, weil ich die selbstanklagende — Ja, aber nicht für die Deutschen, verehrter Herr Haltung der Frau Minister bei einer Auseinander- Kollege, sondern für die Ausländer, die hierher ge- setzung um diese Tierversuche z. B. am letzten kommen sind; die brauchen natürlich diese Hilfe. Sonntag in „Bild am Sonntag" nicht verstehe, wenn gleichzeitig der neue Präsident des Bundesgesund- (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Das ver heitsamtes bessere und mehr Versuche an Men- steht der doch gar nicht!) schen fordert. Die paar Millionen Mark, die der Bundeshaushalt (Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!) 1982 für dieses Programm vorsieht, sind aus huma- nitärer Sicht gut angelegt. Die Regierung hat hier Das war selbst Ihrem Kollegen und Pfarrer Fiebig unsere volle Zustimmung. zuviel, wie seine Anfragen in diesem Deutschen Bundestag beweisen. Lassen Sie mich jetzt den zweiten Bereich des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Ge- Damit habe ich ein Stichwort: das ist das Gesund- sundheit anschneiden, das ist die Gesundheitspoli - heitsamt in Berlin. tik. (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Jetzt (Glos [CDU/CSU]: Auch die ist krank!) kommt es!) Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4767

Dr. Rose Meine Damen und Herren, dieses Bundesgesund- eine derartige Zunahme an Genossen innerhalb der heitsamt bedarf unserer besonderen Betreuung. — Verwaltung zu verzeichnen ist. Kollege Hoffmann, ich hoffe, Sie machen das dann genauso. Es bedarf unserer besonderen Betreuung (Zuruf des Abg. Roth [SPD]) zum einen, damit der an sich gute Ruf dieser welt- weit bekannten Gesundheitseinrichtung ausgebaut Wir brauchen uns nicht bloß die politischen Beam- wird, Betreuung zum anderen aber auch, damit das ten an der Spitze anzusehen, sondern wir können Bundesgesundheitsamt nicht noch mehr auf dem zu- heruntergehen bis zu den Referentenstellen, wo da- letzt eingeschlagenen Weg fortfährt und zu einer für zusätzliche Stellen geschaffen wurden. Auch das Gängelungsanstalt für das freie Gesundheitswesen sollte man immer wieder sagen. wird. (Erneuter Zuruf des Abg. Roth [SPD])

Inzwischen ist das Bundesgesundheitsamt be- Meine Damen und Herren, bei einer Haushaltsde- kanntlich zu einer Riesenbehörde mit über 1 600 batte, bei der es um Sparen geht, ist es doch richtig, Mitarbeitern aufgestiegen. auch einmal diese öffentliche Verschwendung beim (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Wie Namen zu nennen, zumal sie wie beispielsweise viel?) beim Bundesgesundheitsamt in Berlin nur die Ver- waltung fördert und nicht die Forschung. Wir wollen — Über 1 600 Mitarbeiter. aber mehr Forschung, mehr eigene Anstrengungen auf dem Gebiet des Gesundheitswesens, und nicht (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Das darf nur administrative Handlangereien zu ideologi- doch nicht wahr sein!) schen Zwecken.

Immer neue Aufgaben erfand die Bundesregierung (Beifall bei der CDU/CSU) für diese Behörde. Immer neue Verwaltungs- und Überwachungsplanstellen wurden ihr zugewiesen.- Ich und meine Kolleginnen und Kollegen der Ich erwähne nur den Zusammenhang mit dem Arz- CDU/CSU-Fraktion haben bei unserem letzten Be- neimittel- oder Chemikaliengesetz. Das Amt ist in- such in Berlin mit großem Interesse die erneuten zwischen so groß, daß man glaubt, von dem bisher Klagen der verantwortlichen Institutsleiter gehört. sparsamen Weg bei den Planstellen abgehen und ne- Sie alle wünschen sich mehr Freiheit zur Forschung. ben dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten Wir, das Parlament, sollten endlich, wenn gespart auch noch einen Zentralabteilungsleiter bestellen zu werden muß, nicht an der Forschung sparen, son- müssen. dern an der Verwaltung, die sowieso überwuchert ist. (Glos [CDU/CSU]: Arbeitsbeschaffung für Genossen!) (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: So ist es!) — Ich habe im vorigen Jahr in ähnlicher Weise argu- mentiert, Kollege Glos: Arbeitsbeschaffungspro- Ich habe vorhin den Richtungsstreit mit dem Bun- gramm für Genossen! Wir haben uns im Haushalts- desarbeitsministerium erwähnt. Darauf will ich ausschuß j a auch darüber unterhalten, wer berufen nochmals kurz zurückkommen. Es gibt inzwischen werden sollte. Ich hoffe nur, daß diese Methoden ein weiteres Beispiel, wie dem Gesundheitsministe- durch diese öffentlichen Äußerungen endlich ein rium Zuständigkeiten entzogen werden. Ich nenne Ende finden. das Gebiet des Arzneimittelwesens. Hier hat das Ar- beitsministerium die Zuständigkeit übernommen, (Zustimmung des Abg. Glos [CDU/CSU]) was durch die Weiterfinanzierung der sogenannten Greiser-Liste, einer bewertenden Arzneimittelklas- Bisher war im Bundesgesundheitsamt eine Perso- sifikation, und durch die Vollfinanzierung des Bre- nalunion immer ausreichend. Aber jetzt ist eben der mer Instituts für Präventionsforschung und Sozial- neue Präsident weiterhin in Bayern ansässig, und da medizin — allein der Name spricht ja schon Bände braucht man offensichtlich zusätzliche Leute, die — bewiesen wird. Es ist ein einzigartiger Vorgang, ihm in der Amtsführung zur Seite stehen. daß das Bundesministerium für Jugend, Familie und (Zuruf des Abg. Glos [CDU/CSU]) Gesundheit eine Mitfinanzierung der wissenschaft- lich wenig einwandfreien Liste schon seit 1976 über- Daß diese Leute nach alter Erfahrung aus einem be- nimmt, dann die Sozialdemokratische Partei stimmten Spektrum kommen, ist nichts Neues. Man Deutschlands einschaltet und diese am 10. Juli 1981 kann in diesem Zusammenhang sicherlich dem Prä- über das Arbeitsministerium das ausschließlich aus sidenten des Bundesverfassungsgerichts, Herrn öffentlichen Mitteln finanzierte Projekt der Öffent- Benda, dankbar sein, als er von der „Ämterpatrona- lichkeit vorstellt. ge" sprach. (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Das ist ty (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der pisch!) SPD: Wie ist der denn dahin gekommen?) Mir ist nicht bekannt, daß das Parlament darüber je- Es gibt kaum ein Ministerium und kaum eine öf- mals unterrichtet wurde, denn bis heute gibt es fentliche Behörde wie das Ministerium für Jugend, keine uns zugeleitete Abrechnung über dieses soge- Familie und Gesundheit, wo in den letzten Jahren nannte Forschungsprojekt. Ich fordere daher das 4768 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Dr. Rose Haus auf, endlich eine wahrheitsgemäße und voll- erstatter wird Ihnen das sogar genau sagen kön- ständige Abrechnung vorzulegen. nen. (Glombig [SPD]: Das hat wohl ge (Eimer [Fürth] [FDP]: 3,5 Millionen DM!) schmerzt!) — Durch eine weitere Aufstockung inzwischen 3,5 Ich komme zu einem weiteren Punkt, nämlich Millionen DM. Aber welche Mittel sich darin verber- dem Vollzug des Arzneimittelgesetzes. — Das sind gen, ist j a inzwischen bekannt. Ich brauche Ihnen Punkte, warum wir zu einer Mißwirtschaft bei den nicht zu sagen — das ist eine Sache, die noch nicht öffentlichen Finanzen gekommen sind. Ich könnte ganz abgehandelt ist —, was hier umgeschichtet Beispiele genug aufführen. Ich zitiere nur Beispiele wurde. aus diesem Ministerium, das reicht schon. Nur, das ändert nichts an den Klagen der Jugend- (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. verbände selber, die im einzelnen für ihre Aufgaben Löffler [SPD]) nicht mehr Geld bekommen, sondern deren Mittel Ober das Arzneimittelgesetz hätte nach seinen meistens auf dem Stand des Vorjahres bleiben. Sie Bestimmungen der Bundesgesundheitsminister haben aber gestiegene Kosten zu verzeichnen, die nach Ablauf von vier Jahren, also zum 31. Dezember diese Bundesregierung auch zu verantworten hat: 1981, dem Parlament einen Erfahrungsbericht vorle- Kosten für die Fahrkarten der Bahn, wenn man auf gen müssen. Auch das ist bisher nicht geschehen. Tagungen muß; Kosten für die Dienste der Post, Ko- Ich will gar nicht einmal die Gründe wissen, warum sten in vielen anderen Bereichen. das Haus dieser gesetzlichen Verpflichtung noch (Zurufe von der SPD) nicht nachgekommen ist. — Ich nehme die Klagen der Jugendverbände ernst. (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Das wäre Ich hoffe, Sie, die jetzt Zwischenrufe machen, tun schon interessant!) das auch. Täten Sie es nicht, wäre das sehr schade; Wir hoffen nur, daß Sie, verehrter Herr Staatssekre-- denn Sie haben sich früher j a immer als Partei der tär — wenn nicht heute, dann bald — eine Antwort Jugend bezeichnet. wissen. Sonst vertieft sich der Eindruck, daß Sie (Glos [CDU/CSU]: Das ist lange vorbei!) auch auf diesem Feld in den Hintergrund geschoben wurden, weil der Bundesarbeitsminister nämlich an- Der Bundesjugendplan und viele andere Bereiche dere Fristenregelungen anstrebt, als ursprünglich zeigen uns eines: Diese Regierung hat weder für die festgelegt. Familie noch für die Jugend mehr etwas übrig. (Glos [CDU/CSU]: Wieder eine Fristenrege (Beifall bei der CDU/CSU — Glos [CDU/ lung!) CSU]: Und gesund ist sie auch nicht!) Wenn ich die eben geschilderten Fehlentwicklun- Wenn Sie etwas für die Jugend übrig haben, ist es gen zusammenfasse, ergibt sich ein trauriges Bild immer eine besondere Gattung von Jugendlichen. dieser Regierung. Dann sind es immer jene, die auf der Straße gehen, Diese Regierung hat aber auch auf dem dritten die demonstrieren und randalieren. Berichte werden immer nur mit Blick auf Personengruppen gemacht, Feld, der Jugendpolitik, versagt. die sich — egal, mit welchen Maßnahmen — manch- (Beifall bei der CDU/CSU) mal sogar an den Rand der Legalität gestellt haben. Wir haben in diesem Parlament viele, viele Ausspra- Ich wünsche mir — sicherlich wir alle; sonst wären chen gehabt, in denen es um ernste Sorgen der Ju- wir hier fehl am Platz —, daß wir endlich auch von gend ging: die Jugendarbeitslosigkeit, die Zukunfts- der Jugend sprechen, die im überwiegenden Maß chancen der jungen Generation, der Jugendalkoho- staatsbejahend ist, lismus und die Jugendkriminalität. Alle diese Sor- (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der gen bestehen heute noch, obwohl viele, viele Millio- SPD: Sie reden nur und tun nichts!) nen Mark ausgegeben wurden. Man hat offensicht- lich am falschen Ende gespart und hat das Falsche daß wir endlich von der Jugend sprechen, die zu 90 % bevorzugt. — das haben Forschungsergebnisse erwiesen — auch die alten Tugenden hochhalten, als da sind Aber inzwischen werden die Klagen der Jugend- verbände, die die Arbeit für die Jugendlichen leisten, (Glos [CDU/CSU]: Die sind in Ordnung! — auch immer lauter. Die Mittel des Bundesjugend- Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Bewährte plans reichen, wenn überhaupt, nur mehr zur Erfül- deutsche Tugenden!) lung der notwendigsten Aufgaben. die Tugenden der Ehrlichkeit, der Hilfsbereit- (Zuruf von der SPD: Sind die auch gekürzt schaft, worden?) (Glos [CDU/CSU]: Des Fleißes!) — Ich bin für diesen Hinweis sehr dankbar. Diese der Freundschaft — auch des Fleißes — und vor al- Mittel sind zufälligerweise nicht gekürzt worden. len Dingen der Solidarität mit den Schwachen. (Zurufe von der SPD: Aha!) (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn Sie sich die Zahlen ansehen, könnte man mei Man sollte mit den vielen Jugendlichen sprechen, nen, daß der Posten sogar eine Steigerung um 2,5 die bereit sind, Arbeit zu leisten im musischen, im Millionen DM enthält. Der Herr Kollege Mitbericht sozialen oder im sportlichen Bereich. Wir müssen Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4769 Dr. Rose uns der Jugendlichen mehr annehmen, die bereit (Zurufe von der CDU/CSU: Postbote von sind, an den Schulen fleißig zu lernen, Herrn Minta! — Weitere Zurufe von der (Beifall bei der CDU/CSU) CDU/CSU) die ihre Arbeit in den Betrieben leisten, die auch an Lutz (SPD): Frau Präsident! Meine Damen und den Hochschulen ihre Abschlüsse zustande bringen, Herren! Ich ergänze meine vorige, nach § 30 der Ge- ohne dem Staat oder den Eltern viele Jahre lang auf schäftsordnung abgegebene Erklärung durch die der Tasche zu liegen. Verlesung des Protokolls Seite 3678. Da heißt es wörtlich: (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Das sind nämlich Vor zehn Minuten hat der Vizepräsident der die meisten!) Bundesanstalt hier angerufen und hat mir aus- richten lassen, die Zahlen, die ich eben genannt Ich sage zum Schluß: Das ist die überwiegende habe, würden offiziell von Nürnberg aus alle Mehrheit der Jugendlichen. Wenn wir uns dieser Ju- dementiert werden. gendlichen in Zukunft nicht besonders annehmen, brauchen wir uns nicht zu wundern, daß die Zahl der Herr Minta bestreitet einen jeglichen Kontakt. Jugendkrawalle und Jugendproteste immer mehr (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Das ist zunimmt; denn dadurch wird j a auch das Rechtsbe- nicht zu glauben! — Glos [CDU/CSU]: De wußtsein verschoben. In der Jugend könnte sich nen müssen wir die Telefongebühren kür nämlich die Meinung festsetzen, man müsse unbe- zen!) dingt zu jenen gehören, die demonstrieren und Autos demolieren, man habe keine Zukunft vor sich, Vizepräsident Frau Renger: Das Wort zu einer Er- wenn man wirklich mit eigener Arbeit, mit eigenem klärung hat Herr Abgeordneter Dr. Friedmann. Fleiß und mit Verantwortungsbewußtsein etwas lei- stet. - Dr. Friedmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kol- lege Lutz hat eben aus dem Protokoll vom 12. No- Zusammenfassend möchte ich sagen: Kollege vember 1981 richtig zitiert. Brandt war am Dienstag der Meinung, die letzten Wochen hätten ihm bewiesen, daß die Bundesrepu- (Zuruf von der SPD: Das gibt er zu!) blik die Sozialliberalen bräuchte. Darin steht, daß Herr Minta hier angerufen hat. Das (Demonstrativer Beifall bei der SPD und heißt aber doch nicht, daß er bei mir angerufen hätte. der FDP — Dr. Riedl [München] [CDU/ CSU]: Das glaubt auch nur er!) (Lachen bei der SPD) Wenn ich laut Protokoll gesagt habe, daß er mir hat Ich sage: Wer die derzeitige Jugend-, Familien- und „ausrichten lassen", dann heißt das doch nicht, daß Gesundheitspolitik in diesem Land kennt, hat den er mit mir gesprochen hat. Aus dem Protokoll ergibt Beweis, daß die Bundesrepublik eine andere Regie- sich klar und eindeutig, daß wir nicht miteinander rung, aber nicht die Sozialliberalen braucht. telefoniert haben. (Beifall bei der CDU/CSU) (Wehner [SPD]: Hört! Hört!) Wir wissen — heute vormittag war schon davon die Ich habe zwar im nachhinein erfahren, daß die Pres- Rede: ein Mann, ein Wort — um die Fehlleistungen. sestelle meiner Fraktion mit der Bundesanstalt tele- Warum soll die Gleichberechtigung nicht so weit ge- foniert hat und daraufhin ein Mitarbeiter von Herrn hen, daß man auch sagen kann: Eine Frau, ein Wort? Minta in der Pressestelle zurückgerufen hat. Dies ist Auch dieses Ministerium verdient eine andere Füh- aber ein Vorgang, mit dem ich nichts zu tun habe. rung. (Zurufe von der SPD) Wir insgesamt, meine Damen und Herren, lehnen Ich erkläre hier ehrenwörtlich: Ich habe in mei- den Einzelplan 15 ab. nem Leben Herrn Vizepräsidenten Minta ein einzi- (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Zu ges Mal gesehen, gehört und gesprochen. ruf von der SPD: Das war eine Ministran (Glos [CDU/CSU]: Und das genügte!) tenrede! — Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: Das war bei meinem Besuch in Nürnberg. Ich habe Das war eine sehr gute Rede!) danach nie mehr mit ihm gesprochen, auch nicht fernmündlich. Alle anderen Erklärungen sind wahr- heitswidrig. Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und Her- (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Riedl ren, es ist jetzt zehn Minuten vor eins. Ich muß zwei [München] [CDU/CSU]: Unglaublich! — Kollegen Gelegenheit zur Abgabe von Erklärungen Weitere Zurufe von der CDU/CSU) nach § 32 der Geschäftsordnung geben. Ich schlage vor, daß wir diese Erklärungen jetzt noch entgegen- Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und Her- nehmen und die Sitzung dann nach der Mittags- ren, ich unterbreche jetzt die Sitzung bis 14 Uhr; der pause fortsetzen. — Danke schön. nächste Redner ist Herr Abgeordneter Hoffmann. Zu einer Erklärung nach § 32 der Geschäftsord- Die Sitzung ist unterbrochen. nung hat Herr Abgeordneter Lutz das Wort. (Unterbrechung von 12.54 bis 14.00 Uhr) 4770 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Vizepräsident Wurbs: Meine Damen und Herren, (Löffler [SPD]: Und daß all die Werte, die er ich darf Ihnen eine amtliche Mitteilung machen. aufgezählt hat, mit 2 Mark 50 zu bezahlen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die sind! Ende der Vorstellung!) heutige Tagesordnung um die zweite und dritte Be- ratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung — So ist das. des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Tiefsee- Ich möchte nur noch eine Vorbemerkung machen, bergbaus — Drucksachen 9/1074, 9/1176 — ergänzt bevor ich zu Zahlen des Einzelplans 15 komme. Ich werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich finde, Herr Dr. Rose, das, was Sie über das Bundes- sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. gesundheitsamt gesagt haben, wird der Aufgabe die- Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der ses Amts wirklich nicht gerecht. Es ist nicht sehr Herr Abgeordnete Hoffmann. fair, wenn man hier — ich hab mir das mal aufge- schrieben — Vokabeln gebraucht wie „Gängelung des Gesundheitswesens", festgemacht am Bundes- gesundheitsamt. Das geht doch völlig an der Realität vorbei. Ich halte es auch nicht für nötig, mich im De- (Saarbrücken) (SPD): Herr Präsident! Hoffmann tail mit diesen Vorwürfen zu beschäftigen. Ich habe Meine Damen und Herren! Nach der Mittagspause das Bundesgesundheitsamt besucht. Ich kenne auch läßt es sich immer nicht ganz so spontan an. Aber die Details, auf die Sie angespielt haben. Ich finde wenn ich an die letzten Ausführungen meines ver- dabei nur, daß Sie zwar — was ich hoch respektiere ehrten Kollegen Dr. Rose anknüpfen darf, — ein hervorragender Fußballspieler sind, aber sich (Glos [CDU/CSU]: Gute Ausführungen!) in dieser Frage im Abseits bewegen. — sehr gute Ausführungen! —, kann ich nur sagen, (Zuruf von der CDU/CSU: Was sagen Sie Herr Dr. Rose: Wenn man Klischees aneinander zur Forschungseinschränkung?) reiht, wird daraus noch nicht ein Profil. - Jetzt möchte ich gern eine Grundsatzbemerkung (Beifall bei der SPD und der FDP) zum Einzelplan 15 machen. Da ich ihn zum ersten- Wenn ich das etwas literarischer ausdrücken darf mal behandle, ist mir aufgefallen, daß es dabei eine gewisse Schwierigkeit gibt. Haushälter sind oft in (Zuruf von der CDU/CSU: Die Platte wird der Situation, sich mit dem gesamten Sachverstand langsam unerträglich!) gleichzusetzen. Das geht sehr schnell. Denn wenn man etwas an der Finanzmasse operieren kann, hat — das haben Sie vielleicht noch nicht gehört; es ist man so ein gewisses Hochgefühl. von Goethe —: Getretener Quark wird breit, nicht stark. (Zuruf des Abg. Löffler [SPD]) Das trifft wohl ein bißchen auf die Halbideologie — Hin und wieder mag das auch stimmen. Ich zu, die dort vertreten worden ist. Ich kann mich ent- glaube aber, daß wir sehr schnell in der Gefahr sind, sinnen, daß das eine Arie war, die wir hier im Hause unsere finanziellen Einsichten prioritätenhaft über mit Sicherheit schon mehrmals gehört haben: über die inhaltliche Aussage zu stellen. Das kann zumin- Sinn und Unsinn der Familie. dest hin und wieder passieren. (Zuruf von der CDU/CSU: Ihrer Familien Deshalb bitte ich darum, daß die Zusammenarbeit, politik!) die mit einigen Kolleginnen und Kollegen des Fach- Es kann doch gar keine Zweifel geben, daß wir uns ausschusses begonnen hat, auf diese Art und Weise völlig einig darüber sind, daß die Familie innerhalb fortgesetzt wird. Ich bedanke mich für viele Rat- unserer demokratischen Gesellschaft einen Kern- schläge. Ich möchte in diesen Dank auch Frau Mini- punkt darstellt. ster Huber einbeziehen, (Beifall bei der SPD und der FDP) (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Gar nicht da!) Und es kann überhaupt nicht die Rede davon sein, daß da irgend etwas vergesellschaftet, sozialisiert, der ich wünsche, daß es ihr bald wieder gut geht. Wir gleichgeschaltet werden soll. Das ist nicht unsere haben heute morgen gehört, warum sie nicht dasein Position. Deshalb prügeln Sie hier ein Phänomen, kann. das nicht vorhanden ist. Ein Phänomen ist eben (Beifall) nicht da. (Beifall bei der SPD und der FDP) Ich beziehe in diesen Dank auch ausdrücklich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses mit Ich bitte, sich doch einmal Gedanken zu machen, ein, die mir bei der Bearbeitung des Einzelplans 15 wenn man beispielsweise die Frage der Familien- sehr hilfreich gewesen sind. Dies gilt ebenfalls für freundlichkeit oder Kinderfreundlichkeit zu sehr an die Behörden, mit denen ich bisher zu tun hatte, ins- der Frage der finanziellen Ausstattung der Familie besondere auch für das Bundesgesundheitsamt. Der aufhängt. Es könnte der fatale Verdacht aufkom- intensive Dialog mit den gesellschaftlichen Grup- men, man verwechsele diese Frage der Kinderliebe pen, um die es hier geht, steht noch aus, da ich ihn in mit einer Finanzausstattung. Das finde ich sehr be- dieser kurzen Zeit nicht bewältigen konnte. Das ist denklich. Da muß man sehr aufpassen. eine dauerhafte Aufgabe. Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4771 Hoffmann (Saarbrücken) Damit bin ich schon bei einem der Hauptprobleme Mittel auf 8 Millionen DM festgesetzt worden. Auch dieses Etats. Dieser Haushalt spricht unglaublich hier gibt es eine Diffamierungskampagne, die wir viele wichtige gesellschaftspolitische Themen an; Gott sei Dank nicht in den Berichterstattergesprä- aber er verfügt nicht über eine Finanzmasse, die chen zu bewältigen hatten. Ich möchte nur darauf eine große Umverteilung in der Gesellschaft ermög- hinweisen, daß hierunter auch die gesamte Diskus- licht, sondern er bezieht sich mit einem ganz großen sion über Pro Familia fällt. Auch hier bin ich sehr Brocken auf das Kindergeld, über das ich jetzt nicht froh, daß das unbeschadet über die Bühne gebracht rede, weil darüber schon im Zusammenhang mit worden ist. dem Haushaltsstrukturgesetz sehr viel geredet wor- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) den ist. Viertens komme ich zu den Zuschüssen an Wohl- (Dr. Rose [CDU/CSU]: Weil es unangenehm fahrtsverbände, die sich mit etwa 36 Millionen DM ist!) gut gehalten haben. — Das wird heute noch einmal behandelt werden. Der fünfte Bereich, die frühkindliche Sozialisa- Verlassen Sie sich darauf! tion, wurde um etwa 1 Million DM auf 3,3 Millionen Wenn man die Kindergeldbeträge aus dem Etat 15 DM erhöht. herauszieht, Sechstens haben wir die gesundheitlichen Modell- (Zuruf von der CDU/CSU: Bleibt nichts aktionen auf dem Vorjahresniveau gehalten. übrig!) Siebentens. Für zentrale Jugendstätten erhöht bleibt praktisch ein Rest von 1,4 Milliarden DM. sich der Ansatz auf gut 10 Millionen DM. Wenn man diesen Betrag wiederum um die üblichen Achtens folgt schließlich die Stiftung Hilfswerk Personal- und Verwaltungsausgaben vermindert, für das behinderte Kind. Hier haben wir eine Kür- sieht man, daß der finanzielle Bewegungsspielraum zung vorgenommen, aber nicht etwa in den Inhalten in diesem Haushalt relativ gering ist. Um so wichti- oder den Leistungen, sondern auf Anraten des Bun- ger ist es, daß mit diesen relativ geringen Mitteln die desrechnungshofes, dem ich an dieser Stelle für die- gesellschaftspolitischen Anstöße gegeben werden, sen Hinweis danke. Wir konnten hier eine Korrektur die wir für richtig halten. Ich möchte deshalb zuerst durchsetzen, die nicht die Leistungen dieser Stif- eine kurze Finanzübersicht geben und dann versu- tung tangiert. chen, in einigen wichtigen Schwerpunkten Aussa- gen zu treffen. Neuntens wurde der Betrag für die Weltgesund- heitsorganisation von 37,5 Millionen DM auf über Es folgen kurz einige Daten zum Einzelplan 15. 41 Millionen DM angehoben. Die Kriegsgräberfürsorge wurde um knapp 5 Millio- nen DM auf 28,6 Millionen DM erhöht. Die Unter- Schließlich sind die nachfolgenden Kapitel 15 03 haltsvorschußkasse wurde, entsprechend dem vor- und folgende nicht gravierend verändert worden. Ich ausberechneten Bedarf, auf 55 Millionen DM festge- brauche sie also in dieser kurzen Auflistung nicht setzt. Quasi in Klammern darf ich dazu sagen, daß anzusprechen. wir damit der ideologischen Vorstellung begegnet Ich komme damit zu den von mir ausgewählten sind, die nicht in den Berichterstattergesprächen, Schwerpunkten dieses Etats und möchte als ersten sondern in der Presse geäußert wurde — auch das den Garantiefonds für junge Zuwanderer anspre- ist Familienpolitik —, wir könnten hier einsparen. In chen. Hier steht ein noch völlig unbewältigter Pro- der Presse gab es viele Meldungen darüber, daß die blemkreis vor uns. In den vergangenen Jahren ist Unterhaltszuschußkasse einmal entsprechend ge- aus diesem Etat viel Hilfe an junge Zuwanderer ge- tilgt werden könnte. flossen. Es hat sie für einen völlig unterschiedlichen (Jaunich [SPD]: Das ist ein Vorschlag des Personenkreis gegeben, für Menschen, die aus dem Bundesrates!) Osten Europas zu uns gekommen sind, und Men- schen, die aus völlig anderen Erdteilen kamen und — Das ist ein sehr guter Hinweis. — Ich bin sehr politisches Asyl beantragt haben. Es gab zwischen froh darüber, daß wir das unbeschadet so halten Bund und Ländern nur einen Streit darüber, ob dies konnten, wie das im Gesetz vorgegeben ist. denn verfassungsgemäß überhaupt Aufgabe des (Beifall bei der SPD und der FDP) Bundes sein könne und ob hier nicht eine Bereini- gung stattzufinden hätte. Auf Grund dieser Diskus- Ich meine, Sie sollten sich damit auseinandersetzen, sion wurde dann von der Bundesregierung zuerst daß beispielsweise auch alleinstehende Mütter mit einmal eine erhebliche Kürzung vorgeschlagen, Kindern Familien sind nämlich von 153 Millionen DM auf 115 Millionen (Grobecker [SPD]: Für den Bundesrat sind DM. das Randgruppen!) Ich muß sagen, das bedeutet zum Teil sehr harte und daß man nicht so tun sollte, als gebe es nur die Einschnitte in die Leistungen, die an die betroffenen sogenannte heilige Familie und nicht auch die Pro- Menschen gehen. Aber wir können feststellen, daß blembereiche und die Menschen, die besonders auf die Grundlinie einigermaßen durchzuhalten ist. Al- Hilfe angewiesen sind. lerdings muß man berücksichtigen, daß in der Zwi- (Zurufe von der CDU/CSU) schenzeit eine völlig veränderte statistische Situa- tion auf uns zugekommen ist. Wir wissen, daß aus Ich komme zum dritten Punkt, zur Familienpla- Polen in den letzten Monaten viele Bürger zu uns ge- nung. Nach Auslaufen eines Programms sind die kommen sind, denen wir keine Hilfestellung, zu der 4772 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Hoffmann (Saarbrücken) wir j a verpflichtet sind, hätten geben können, wenn Ich höre gerade den Zwischenruf: Wann kommt der Etat auf diesem Niveau von 115 Millionen DM die nächste globale Minderausgabe bzw. Sperre? geblieben wäre. Wir haben ihn deshalb in den Bera- (Dr. Rose [CDU/CSU]: Wann kommt die tungen einvernehmlich um ungefähr 24 Millionen Haushaltssperre, so wie im letzten Jahr?) DM heraufgesetzt. Haushaltssperren, wie sie im letzten Jahr vollzogen Ich kann das Thema „Asyl" hier nicht ausweiten. worden sind — das sage ich Ihnen ganz ehrlich —, An dieser Stelle möchte ich nur darauf aufmerksam könnte ich nicht gutheißen, wenn sie noch einmal in machen, daß diese Frage manchmal mit viel Zynis- einer solchen Höhe und so spät kämen. mus belegt ist. Unser Grundanliegen muß sein: Die (Beifall bei der SPD und der FDP) Bundesrepublik Deutschland muß für alle politisch verfolgten Menschen ein Land des politischen Asyls Man wird unter den gegebenen finanziellen Mög- bleiben. lichkeiten prüfen müssen, ob sich so etwas vermei- den läßt. Ich hoffe, daß wir das vermeiden können; (Beifall bei der SPD und der FDP — denn der Haushaltsausschuß hat sich sehr viel Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Für Mühe im Detail gemacht. Vielleicht kommen wir alle?) dann um dieses Problem herum. — Für Menschen, die bei uns politisches Asyl su- In diesem Zusammenhang sind wir angeschrie- chen, weil sie verfolgt werden und weil ihre Men- ben worden vom Bundesjugendkuratorium, von schenrechte verletzt werden. Dies ist eine Erfahrung Frau Mechthild Merfeld. Ich möchte nur zwei Sätze aus der Zeit des Naziterrors bei uns; denn wenn es aus diesem Brief zitieren, weil er gerade aktuell ist damals nicht möglich gewesen wäre, daß viele Deut- und diese Frage einbezieht: sche in anderen Staaten Asyl gefunden hätten, wä- Das Kuratorium befürchtet, daß angesichts vie- ren sie schlicht und einfach ermordet worden. Ich - ler drängender Probleme, insbesondere arbeits glaube, daß das eine historische Begründung für un- markt- und sozialpolitischer, die Förderung und sere Position ist, politisches Asyl zu gewährleisten. Unterstützung der Jugendhilfe ins Hintertref- fen gerät. (Beifall bei der SPD und der FDP) Man bezieht sich auf eine langjährige Reihe, die aus- Das kann natürlich nicht heißen, daß jegliche Be- drückt, was für diesen Bereich der Jugendpolitik fi- gründung herangezogen werden kann. Ich will die- nanziell getan worden ist. Und es stimmt: Dieser Be- ses Problem nicht ausdehnen. Ich möchte nur auf reich ist sehr knapp bemessen worden. Das muß den folgenden Zynismus aufmerksam machen: Man man sagen. Wir haben allerdings in diesem Jahr — darf nicht in die Versuchung geraten, bei den poli- das habe ich schon mit Zahlen belegt — versucht, et- tisch Verfolgten zwischen geliebten und ungeliebten was Luft zu schaffen. Deshalb freue ich mich beson- Verfolgten zu unterscheiden. Ich will das einmal auf ders, daß sich in diesem Brief auch folgendes fin- zwei Staaten zuspitzen: geliebt in der Weise, daß pol- det: nische Bürger, bei denen wir Not und Menschen- rechtsverletzungen sehen, bei uns aufgenommen Das Bundesjugendkuratorium begrüßt deshalb werden, chilenische Bürger aber Schwierigkeiten alle Bemühungen, die darauf gerichtet waren hätten. Wenn das so wäre, wäre das ein politischer und sind, den Ansatz für den Bundesjugendplan Skandal. Deshalb warne ich davor, daß man diese im Haushaltsjahr 1982 zu erhöhen und damit Asylfrage so vordergründig an bestimmten Natio- unter anderem zu dokumentieren, daß jugend- nen festmacht. politischen Fragen größeres Gewicht beigemes- sen werden soll. (Beifall bei der SPD und der FDP) Ich bedanke mich dafür. Ich sehe schon, daß wir hier Der zweite Schwerpunkt, den ich ansprechen in einen bestimmten Dialog weiter hineinkommen. möchte, ist der Bundesjugendplan. Hier hat es im (Beifall bei der SPD und der FDP) vergangenen Jahr durch die 10 %ige Mittelsperre er- Es wäre sehr reizvoll, diese Frage auszudehnen. Das hebliche Schwierigkeiten gegeben. Daß sie so spät kann ich leider in dieser Zeit nicht. Ich möchte nur gekommen ist, war für einige Organisationen und ei- betonen, daß für mich sehr viele Anregungen aus nige Gruppen, die inhaltliche Arbeit machen wollen, den Dokumenten zu sehen waren, die die Eidgenös- ein angesprochen starkes Handicap. Wir haben ein- sische Kommission für Jugendfragen, Bern, veröf- gesehen, daß wir da etwas tun müssen. Wir haben fentlicht hat. Es gibt eine Broschüre, die neulich, im diesen 10 % niedrigeren Ansatz nicht als Ausgangs- September 1981, noch einmal aufgelegt worden ist. position für das neue Jahr gewählt, sondern haben Ich zitiere daraus nur die Schlagworte: Interessen- hier im Vergleich zum Vorjahr einiges drauflegen konflikte offen austragen — Autorität ja, Fassade können. Wir werden dafür jetzt 128,3 Millionen DM nein — Rücksicht j a, Anbiederung nein — Umden- aufwenden. ken ja, Zickzack nein — Realismus ja, aber auch (Dr. Rose [CDU/CSU]: Wann kommt die Utopie. Ich glaube, daß das eine gewisse Orientie- Haushaltssperre?) rung dafür geben kann, wie wir weiter versuchen müssen, den Dialog zu führen. Wir können ihn si- Ich glaube, daß wir in dieser Frage deutlich machen cher nicht von hier über die Jugendlichen, sondern können, daß Dialogbereitschaft nicht nur formuliert wir müssen ihn im Detail mit Jugendlichen vollzie- wird, sondern auch finanziell belegt ist. hen. Deshalb bin ich immer ein bißchen skeptisch, Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4773 Hoffmann (Saarbrücken) wenn man irgendwo große Foren veranstaltet und gnal gegeben worden ist, daß man dieses Problem glaubt, daß das bereits der Dialog selbst sei. ebenfalls für wichtig halte. (Beifall bei der SPD und der FDP) Die Frage der Psychiatrie ist in der Psychiatrie- Enquete aufgenommen worden. Diesen Daten ist Wenn es darum geht, ob wir „Dialog" ehrlich mei- nichts hinzuzufügen. Sie haben zwar einige Schär- nen, ist eine der ganz wesentlichen Fragen, wie wir fen verloren, aber im Grundsatz ist dieses Problem uns mit dem Zivildienst beschäftigen. In der Be- nach wie vor eines der bedrängendsten unserer Ge- handlung dieser Frage ist inzwischen die Bewe- sellschaft überhaupt. gungsfähigkeit etwas gewachsen. Ich wünsche sehr, daß wir noch in dieser Legislaturperiode, sehr bald, Ich freue mich sehr, daß wir im Haushalt 15 dies- zu einem Ergebnis entsprechend der Leitlinie kom- mal den Ansatz für diesen Bereich von 40 Millionen men, die die SPD-Bundestagsfraktion dazu veröf- DM auf 55 Millionen DM aufgestockt haben. Gemes- fentlicht hat. Wir bekennen uns zu der Position, daß sen an der Finanzknappheit unserer Zeit ist das ein das Gewissen nicht prüfbar sein kann. Signal, sicher nicht dazu dienend, das gesamte Pro- blem der Psychiatrie zu lösen, aber immerhin doch (Beifall bei der SPD und der FDP) ein Signal dafür, daß wir uns dieser Gruppe mit Wir müssen Regelungen finden, damit diese — ich Ernst annehmen wollen, sage das jetzt einfach einmal — perverse Situation, (Beifall bei der SPD und der FDP) daß man glaubt, man könnte Jugendliche dadurch kontrollieren und ihre Glaubwürdigkeit testen, daß und dies, meine Damen und Herren, auch dann, man sie einen bestimmten Fragenkatalog beantwor- wenn CDU/CSU-regierte Länder diese Frage immer ten läßt und einem bestimmten Verfahren unter- noch boykottieren. Ich kann nur dazu aufrufen, end- zieht, verändert wird. lich die vorhandenen Vorbehalte aufzugeben. Ich freue mich, daß zumindest in einem Land, das von (Beifall bei der SPD und der FDP) der CDU mitregiert wird, Nun wissen wir, daß hier gesetzliche Grenzen vor- (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: „Mitregiert" gegeben sind, in denen wir uns bewegen müssen. ist gut! Jetzt ist es aber bald genug!) (Grobecker [SPD]: Richterliche!) nämlich im Saarland, aus dem ich komme, die dor- tige FDP-Ministerin dieses Signal aufgenommen Aber eines muß völlig klar sein: Es kann nicht so hat und mit uns trägt. Ich bedanke mich herzlich da- sein, daß eine Bestrafungsaktion für die Menschen für. stattfindet, die im Zivildienst arbeiten wollen. Das (Beifall bei der SPD und der FDP) heißt für die SPD-Bundestagsfraktion: Die Inan- spruchnahme eines Grundrechts kann und darf In diesem Bereich wird es zwingend notwendig nicht durch Bestrafung geahndet werden. sein, daß wir uns mit dem gesamten Problem der ge- meindenahen Psychiatrieversorgung auseinander- (Beifall bei der SPD und der FDP) setzen. Dies gibt weder das Grundgesetz noch das Urteil des Mangels Zeit gebe ich nur dieses Stichwort und Bundesverfassungsgerichts her. gehe gleich zu meinem nächsten Schwerpunkt mit Nun ist dieser Bereich Zivildienstleistende neu in folgender Überleitung über. Ich kann mir nicht den- den Etat 15 übernommen worden. Wir werden uns ken, daß sich unsere Gesellschaft als demokratisch an anderer Stelle länger damit auseinandersetzen bezeichnen würde, wenn sie nicht diese demokrati- können. Ich bin ganz sicher, daß in Zusammenarbeit sche Qualifikation in der Behandlung ihrer Minder- mit dem Ministerium mit frischem Elan an diese heiten nachweist; das muß sie in sämtlichen Berei- Frage herangegangen wird. Ich habe dieses Problem chen machen. Auf der anderen Seite ist sicher rich- von meinem lieben Kollegen Grobecker geerbt. Er tig, daß Demokratie nicht nur aus Minderheiten- wird uns in dieser Frage sicher mit Sachverstand schutz besteht, sondern daß man auch sehen muß, zur Seite stehen. daß es benachteiligte Mehrheiten innerhalb der Be- völkerung gibt. Das ist das Thema, das jetzt— leider Ich möchte betonen, daß es auch interessante An- Gottes parallel zu unserer Diskussion — in anderen regungen zu dieser Frage aus dem Bereich der FDP Räumen des Bundestages diskutiert wird, nämlich gibt, beispielsweise den Hinweis, wenn man schon die Frage der Gleichberechtigung der Frauen in un- von Veränderungen des Zivildienstes spreche, auch serer Gesellschaft. Ich glaube, daß die Aussage lei- die Frage aufzugreifen, ob es dort bessere Berufs- der noch zutrifft, daß es hier eine Mehrheit inner- qualifikationen geben könne — eingebunden in den halb unserer Gesellschaft gibt, die in vielen Teilbe- Zivildienst. Ich glaube also, daß das eine interes- reichen noch immer unter Diskriminierungen lei- sante Anregung ist. det. Ich möchte zum nächsten Thema übergehen, übri- Meine Kolleginnen von der Arbeitsgemeinschaft gens auch einem, das mit dem Zivildienst in Verbin- Sozialdemokratischer Frauen haben eine Liste mit dung steht, nämlich: Wie gehen wir mit bestimmten Maßnahmen vorgelegt, von denen sie meinen, daß benachteiligten Gruppen innerhalb unserer Gesell- sie wichtig seien. Ich kann sie zwar im einzelnen schaft um? Ich greife eine heraus — das Problem der jetzt leider nicht mehr aufnehmen, weil meine Zeit psychisch kranken Menschen. Dies ist für mich ein hier bereits zu Ende geht, aber ich möchte wenig- besonders ernstes Thema. Ich bin deshalb sehr froh, stens einen ganz kleinen Bereich herausgreifen. Von daß im Ausschuß auch von seiten der CDU ein Si- zentraler Bedeutung ist mit Sicherheit die Frage- 4774 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Hoffmann (Saarbrücken) stellung: Wie werden Frauen respektiert? Welche num wirklich einmal offensiv aufnehmen würden. — Möglichkeiten haben sie im Arbeitsleben? Dazu zi- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. tiere ich nur kurz die Fraueninitiative „6. Oktober". (Beifall bei der SPD und der FDP) Sie beklagt in ihrem Informationsdienst vom Januar 1982: „Versäumnisse und Halbherzigkeiten waren die Markenzeichen Bonner Frauenpolitik." Natür- Vizepräsident Wurbs: Das Wort hat der Abgeord- lich würde ich jetzt furchtbar gern vehement prote- nete Eimer. stieren und sagen: Das haben wir alles schon erle- digt. Aber leider Gottes — und das geht an einige Richtungen des Hauses — haben wir uns diesen Eimer (Fürth) (FDP): Herr Präsident! Meine Da- Vorwurf zumindest in einem bestimmten Gesetzent- men und Herren! Ich weiß nicht, ob ich mich jemals wurf verdient; ich nenne das EG-Anpassungsgesetz. daran gewöhnen kann, daß bei Haushaltsberatun- Jeder von Ihnen, der die Diskussion noch im Ohr gen wie diesen über das gesamte Spektrum der Poli- hat, erinnert sich, daß einige von uns gesagt haben: tik geredet wird, aber nicht oder nur am Rande über Wir werden, wenn wir hier nicht das nachvollziehen, den Haushalt, d. h. über das Verhältnis von Einnah- was auf europäischer Ebene gefordert worden ist, men und Ausgaben, und darüber, wie man beides in nämlich Gleichbehandlung von Männern und Einklang bringen kann und wo die Schwerpunkte Frauen am Arbeitsplatz, eine Klage bekommen — liegen können. Ich hätte mir z. B. von dem Haushäl- und die steht jetzt vor der Tür. Ich weiß, an wen das ter, Herrn Rose, eine andere Rede gewünscht, geht. Nun gibt es in der FDP sehr viele Kolleginnen und Kollegen, die dieser Frage aufgeschlossen ge- (Grobecker [SPD]: Wir auch!) genüberstehen. Deshalb bitte ich: Helfen auch Sie etwa so, wie dies Herr Hoffmann hier gezeigt hat. mit, ein bißchen über die Regierungsbank hinüber- Ich erwarte nicht, daß Sie uns zustimmen, ich meine, zugucken und dann festzustellen, daß wir die ent- nur vom Thema her. sprechenden Korrekturen unbedingt durchsetzen- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) müssen. (Beifall bei der SPD) Einer der wenigen richtigen Grundsätze und eine sehr richtige Aussage zum Haushalt 1982 war in ei- Nun habe ich leider nicht mehr die Möglichkeit, ner Bemerkung des bayerischen Landesgruppen Ausführungen über die anderen Bereiche zu ma- chefs Zimmermann enthalten, der sinngemäß sagte, chen, wie ich mir das vorgestellt hatte. — Ich komme daß die Ausgaben vom Konsumtiven zum Investiven sehr schnell zum Schluß, Herr Präsident. — Aller- hin verlagert werden müßten. Ich kann ihm da nur dings möchte ich, damit wir auch dieses Signal wirk- recht geben, und jeder Bürger wird das für gut hal- lich senden und empfangen können, noch betonen: ten. Ich frage mich aber, ob jeder weiß, was das auf Die Finanzmittel des Arbeitsstabes Frauenpolitik, gut deutsch heißt. Konsumtiv sind im Haushalt Aus- der viel umstritten gewesen ist, sind von 2,8 Millio- gaben für Soziales, für Löhne und Gehälter und na- nen DM auf 3,8 Millionen DM aufgestockt worden. türlich auch für Kindergeld. Meinte Zimmermann Wir versuchen damit insbesondere solche Projekte vielleicht nicht die öffentlichen Ausgaben im Haus- wie „Frauenhaus im ländlichen Bereich" — es geht halt, sondern Ausgaben im privaten Bereich, d. h. hier um das Thema Gewalt gegen Frauen — zu för- weniger konsumtive Ausgaben, mehr sparen, ein- dern. Ich glaube, das ist ein so ernstes Problem, daß schränken im privaten Verbrauch, eventuell niedri- ich es mir verkneifen möchte, jetzt in ein paar Stich- gere Löhne oder vielleicht auch höhere Preise, weil worten dazu etwas zu sagen. durch höhere Preise höhere Abschreibungen erzielt werden und mehr investiert werden kann? Ganz Zum Schluß, meine Damen und Herren: Heute gleich, was Zimmermann meint, er hatte sicher morgen — ich sage das jetzt einmal ein bißchen flott recht. Er sagt es nur in einer Sprache, die die kon- — habe ich manchmal richtig Beklemmungen ge- kreten Auswirkungen nicht deutlich werden läßt, habt, als ich hier gehört habe, mit welcher Verve der während er in seiner gleichen Rede und nach ihm Herr Senator Blüm so seine lockeren Sprüche zu alle seine Kollegen, unter anderem auch Herr Rose, Fragen der Familie losgelassen hat. Ich verkneife es diese konkreten Folgerungen aus seiner Rede ab- mir wegen der Zeit, zu zitieren, was er zum Thema lehnten. Frau und Familie, Frau und Arbeitsplatz gesagt hat. Man kann nicht in einer Fachsprache das Richtige Lesen Sie es bitte einmal nach im „Weltbild" vom fordern und gleichzeitig in der Sprache des Alltags 30. Oktober 1981; Sie werden erstaunt sein. Selbst das gleiche weit von sich weisen, weil es dann viel- der Papst mit seinen Formulierungen leicht nicht mehr ganz so populär ist. Nein, wenn man das Richtige will und das Notwendige fordert, (Dr. Rose [CDU/CSU]: Was heißt: „selbst der nämlich weniger Konsum und mehr Investitionen, Papst"?) dann muß man auch zugeben, daß das mitunter weh- tun kann. in Familiaris consortio ist viel progressiver als das, was Herr Blüm hier losgelassen hat. Ich frage mich, wo das hinführt, wenn wir in dieser Weise den Bürgern nicht ehrlich gegenübertreten; (Beifall bei der SPD und der FDP) wir, das Parlament, die Politik, wir alle, Sie von der Opposition und wir von der Koalition werden un- Ich würde mich freuen, wenn die Frauen innerhalb glaubwürdig. Manche spüren das indirekt, manche der CDU/CSU diese Herausforderung auch im Ple erkennen das sehr deutlich. Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4775

Eimer (Fürth) Ich habe hier eine Zeitschrift, aus der schon zitiert Lösung. Der Bürger muß spüren, daß es uns um die worden ist, nämlich „Die Familie" vom Januar 1982, Sache geht und nicht um die persönliche Profilie- und da steht folgendes: rung. Politische Mißachtung haben wir Ende 1980 von (Beifall bei der FDP und der SPD) SPD und FDP erfahren, als sie nach überkom- Die eigentliche Frage der Politik ist aber — vor al- menen Schablonen der Einfallslosigkeit ausge- lem hier im Haushalt —: Wo sollen Schwerpunkte rechnet den seit Kriegsende zu kurz gekomme- gesetzt werden bei den Ausgaben im sozialen Be- nen Familienlastenausgleich nochmals zu kür- reich, wo müssen wir dem Bürger Unangenehmes zen vorschlugen. Enttäuschender noch ist die zumuten? Um das drückt sich die Opposition. Damit Haltung der CDU/CSU, in der drei prominente verkümmert diese Politik zu einer Stammtischdis- Länderchefs sich einen Dreck um die von der kussion. Gesamtpartei proklamierte Festigkeit in Sa- Ich will ganz kurz auf das eingehen, was Herr chen Familienausgleich kümmerten und dem Blüm heute vormittag zu der Mehrwertsteuer gesagt faulsten Kompromiß der Kürzung des Kinder- hat. Ich glaube, dieses Beispiel zeigt deutlich, wie geldes zustimmten, wohlwissend, daß damit der leicht man sich Beifall holen kann. Herr Blüm formale Einspruch des Bundesrates gegen die sprach davon, daß die Mehrwertsteuer die Kinder- Kürzung des Kindergeldes nichts mehr ausrich- reichen besonders trifft. Dies ist ein Märchen, das ten würde. Die Erkenntnis daraus: sehr oft erzählt wird, aber dennoch falsch ist. Ich fra- — das wurde bereits zitiert — ge, ob Herr Blüm nicht weiß, daß die Mehrwert- Von einer CDU/CSU-Regierung werden die Fa- steuer in zwei Sätzen erhoben wird, nämlich einem milien nichts Besseres zu erwarten haben. halben Satz für die Lebensmittel und einem ganzen Satz für die übrigen Ausgaben. Ich frage mich, ob Warum zitiere ich das? Zum einen, weil der erste Herr Blüm nicht weiß, daß Familien, die ein geringes Teil des Zitats, wo wir gerupft werden sollen,- leicht Einkommen oder viele Kinder haben, prozentual ei- zu widerlegen ist. Bis 1974, zu einer Zeit, wo der von nen höheren Anteil an Ausgaben für Lebensmittel seiten der Union konzipierte Familienlastenaus- haben. gleich Gültigkeit hatte, gab es nur einen sehr gerin- gen Ausgleich. Diese Koalition hat durch Einfüh- (Schwarz [CDU/CSU]: Denen geht es dann rung des Kindergeldes diese Beträge kräftig erhöht. besser?) Ich will Ihnen einige Zahlen nennen: beim Erstkin- Ich frage mich, ob Herr Blüm nicht selbst ausrech- dergeld um 164 %, beim Zweitkindergeld und 94 %, nen kann, daß gerade bei Kinderreichen und Fami- beim Drittkindergeld um 149 %, beim Viertkinder- lien mit einem geringen Einkommen dann der geld um 171 % und bei dem Fünftkindergeld und je- Durchschnittssatz bei der Mehrwertsteuer geringer dem weiteren Kind um 144 %. ist als bei denen, die wenig Kinder oder ein hohes (Schwarz [CDU/CSU]: Und '80 versprochen Einkommen haben. und '81 zurückgenommen!) Die Mehrwertsteuer wirkt durchaus sozial und — Herr Kollege, ich darf Sie darauf aufmerksam progressiv. Wir könnten diese Maßnahme, Herr Kol- machen, daß sich diese Zahlen auf die jetzt gültigen lege, noch verstärken, wenn die Mehrwertsteuer an- Kindergeldregelungen beziehen. Sie sehen, daß ders konzipiert wird, nämlich so, daß der Unter- diese Erhöhungen noch immer dreimal so hoch sind schied zwischen Lebensmittelsteuersatz und Steu- wie das, was an Lebenshaltungskosten, an Belastun- ersatz für alles andere noch weiter auseinanderge- gen auf die Familie zugekommen ist. zogen wird. Das wäre durchaus eine familienpoli- tisch sehr wirkungsvolle Maßnahme. Wenn Sie das (Schwarz [CDU/CSU]: Der hat 'ne Ah nicht glauben wollen, bin ich gerne bereit, Herr Kol- nung!) lege, das dann auszurechnen. Ich habe einen Ta- Ich zitiere diese wenig schmeichelhaften Texte schenrechner dabei. Sie dürfen sogar die Zahlen zum zweiten deshalb, weil die Auseinandersetzung dazu nennen. hier im Hause und in der Öffentlichkeit weder uns (Zurufe von der CDU/CSU — Löffler [SPD]: noch Ihnen Punkte bringt. Nein, die Verlierer sind Wer Vorurteile hat, braucht nicht zu rech wir alle hier. Diese Art der Angriffe macht uns alle nen!) unglaubwürdig — die Parteien, das Parlament, die Demokratie. Das, was Herr Blüm sagte, war nicht nur falsch, son- (Beifall bei der SPD) dern der Stil reiht sich auch in das ein, was wir bis- her von ihm gewöhnt waren. Damit kein Mißverständnis aufkommt: Wir ver- langen von Ihnen keine Zustimmung. Nein, Kritik (Beifall bei der SPD — Schwarz [CDU/ ist uns auch recht. Aber wir hätten gerne um der CSU]: Der war genauso gut wie sonst!) Glaubwürdigkeit dieses Parlaments willen, daß Herr Bei dieser Diskussion von Stilfragen kommen wir Zimmermann auch sagt, was es bedeutet, wenn er zum zweiten Schwerpunktbereich dieses Ministe- davon spricht, im konsumtiven Bereich solle gekürzt riums, zur Jugendpolitik. Der Bundestag hat die En- werden, auch wenn es dann in der Öffentlichkeit quete-Kommission „Jugendpolitik im demokrati- vielleicht weh tun mag. Wir erwarten, daß in all den schen Staat" eingerichtet. Bei der Diskussion zu die- Auseinandersetzungen für den Bürger deutlich ser Einrichtung sprach ich am 10. April sehr selbst- wird, daß wir — Regierung und Opposition — mit- kritisch über unsere Fehler, unser Verhalten hier im einander oder gegeneinander ringen um die beste Bundestag und in der Öffentlichkeit. Ich hatte sehr 4776 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Eimer (Fürth) viel Beifall, auch von den Kollegen der CDU/CSU. würde Ihnen gut stehen, wenn Sie diesem Haushalt Man kann sehr leicht von Stil sprechen; es kommt zustimmen würden. aber darauf an, daß wir es hier auch praktizieren. (Beifall bei der FDP und der SPD — (Schwarz [CDU/CSU]: Jawohl, vor allem der Schwarz [CDU/CSU]: Der Kindergeldkür Bundeskanzler!) zung?) Die wesentlichen Schwierigkeiten, die dieser Staat und diese Gesellschaft mit der Jugend hat, werden Vizepräsident Wurbs: Das Wort hat der Herr Parla- wir nicht mit Geld aus diesem Haushalt lösen, son- mentarische Staatssekretär Zander. dern nur durch unser Verhalten ändern können. Die Beispiele von gestern abend und auch heute sind nicht dazu angetan, mir Hoffnung zu machen. Zander, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Präsident! Ein Kollege der Union hatte gestern abend sehr Meine Damen und Herren! Die Beratung des Einzel- viel Beifall — der Herr Kollege Rose hat das Rezept plans 15 vollzieht sich in den letzten Jahren eigent- heute auch wieder angewandt —, weil er darauf hin- lich immer nach dem gleichen Schema: Der Spre- wies, wie wenig Kollegen hier im Bundeshaus und cher der Opposition bauscht Nebensächliches aus auf der Regierungsbank säßen. unserem Bereich auf, (Dr. Rose [CDU/CSU]: Die Regierung ist ge (Dr. Rose [CDU/CSU]: Hauptsachen gibt es fragt, nicht das Parlament; die muß da j a nicht!) sein!) streut Verdächtigungen aus und greift Mitarbeiter Wir wissen alle, Herr Kollege Rose, daß diejenigen wie heute etwa wieder den Präsidenten des Bundes- Kollegen, die nicht hier sind, nicht faul sind, daß un- gesundheitsamtes an, ohne daß, wie es sich ja wohl ser Arbeitstag lang ist. Wir wissen das alle. Wir ha- versteht, die Beamten hier Gelegenheit hätten, sich ben heute schon ein paarmal gehört, daß parallel- zu zur Wehr zu setzen. dieser Sitzung im Bundestag auch eine Anhörung (Schwarz [CDU/CSU]: Dafür sind Sie doch stattfindet zu einem Thema, das für uns hier auch da! Dafür werden Sie bezahlt! Das ist im Ge sehr wichtig ist. halt eingeschlossen!) (Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat denn auf — Deswegen stehe ich ja auch hier, und dazu werde der Überschneidung bestanden?) ich gern einiges sagen. Ich bin ja erst am Beginn Kein Mensch, meine Kollegen von der Opposition, meiner Rede. weiß heute, einen Tag später, wer gestern diese Vor- Meine Damen und Herren, ich möchte ganz aus- würfe von einem leeren Plenum gesprochen hat, drücklich ein Wort der Anerkennung für die Mitar- kein Mensch weiß, welcher Partei der Vorwurf ge- beiter unseres Ministeriums und der nachgeordne- golten hat — und heute wird uns das allen angerech- ten Behörden sagen. Sie tragen durch ihre Arbeit net! Ich meine also, durch solche Reden wider besse- mit dazu bei, daß vielen Menschen in unserem res Wissen diffamieren wir uns alle selber, und wir Lande Sorgen erspart bleiben und vielen Menschen dürfen uns nicht wundern, wenn sich die Bürger, vor in unserem Lande notwendige Hilfen angeboten und allem die Jugendlichen, von uns abwenden bereitgestellt werden. (Schwarz [CDU/CSU]: Dafür, daß sie sich (Beifall bei der SPD und der FDP) von Ihnen abwenden, habe ich Verständ nis!) Ich weise das, was hier an Vorwürfen vorgetragen wurde, zurück und werde darauf am Schluß meiner und wenn Parlamentarismus und Demokratie kein Ausführungen noch im einzelnen eingehen. Ansehen haben. Zuvor möchte ich aber deutlich machen, wofür der (Zustimmung bei der FDP und der SPD) Haushalt des Bundesministers für Jugend, Familie Lassen Sie mich jetzt aber zu erfreulicheren Din- und Gesundheit steht. Er steht für die Familien, er gen kommen. Die Kollegen des Haushaltsausschus- steht für die junge Generation in unserem Land, er ses haben nach einigem Drängen Mittel für die En- steht für viele Menschen, die schwach und hilfsbe- quete-Kommission „Jugendprotest" bewilligt, damit dürftig sind, er steht für die Verbraucher, die Schutz wir vernünftig arbeiten können. Auch im Bereich vor gefährlichen Stoffen, vor Giften, vor Chemika- des Bundesjugendplans ist es, glaube ich, notwendig, lien in den Lebensmitteln brauchen und die wir auch daß wir einen Dank aussprechen, vor allem dem Kol- vor schlimmen Folgen von Arzneimitteln schützen legen Hoffmann, der sich sehr für diesen Bereich müssen. eingesetzt hat. Diesen Dank möchte ich ausdrück- Was die Familien angeht, so enthält dieser Einzel- lich auch auf die Kollegen der Opposition beziehen; plan 15 trotz der jetzt teilweise zurückgenommenen hier zeigte sich deutlich, daß die Schwierigkeiten, Leistungen ein beachtliches Niveau des Familienla- die wir auf diesem Gebiet haben, wesentlich leichter stenausgleichs. Familienpolitisch wünschenswert zu lösen sind, wenn wir zusammenarbeiten. wären mit Sicherheit höhere Kindergeldsätze, fi- Ich wäre froh, wenn dieses gemeinsame Bemühen nanzpolitisch aber sind uns, wie Sie, meine Damen um die Dinge in dieser Debatte etwas deutlicher ge- und Herren, doch alle wissen, hier Grenzen gesetzt, worden wäre. Auch die Opposition hat — z. B. über die wir nicht überschreiten können. Auch ich be- den Vermittlungsausschuß — an der Gestaltung die- daure das, aber man kann angesichts der Notwen- ses Haushalts Anteil genommen. Ich meine, es digkeit von Einsparungen ein Leistungsgesetz vom Deutscher Bundestag — 9. 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Parl. Staatssekretär Zander Umfang des Kindergeldgesetzes doch nicht völlig ein respektables familienpolitisches Engagement außerhalb der Betrachtung lassen. der sozialliberalen Koalition wider. Wenn man sich vor Augen führt, daß der Bundes- (Zuruf von der CDU/CSU: Es geht ab haushalt im Jahre 1981 19,3 Milliarden DM Kinder- wärts!) geldleistungen enthalten hat, also mehr als bei- Der Einzelplan 15 steht auch für die junge Gene- spielsweise der Haushalt des ganzen Bundeslandes ration in unserem Land. Für die junge Generation Hessen mit 18,3 Milliarden oder wesentlich mehr als muß viel getan werden, nicht nur vom Bund, nicht der Haushalt des Landes Rheinland-Pfalz mit rund nur in unserem Haushalt. Die junge Generation 11,8 Milliarden DM, wenn man sich also diese Grö- sieht sich in den letzten Jahren mit neuen und ßenordnung vor Augen führt, kann man verstehen, schwerwiegenden Problemen konfrontiert, mit Pro- daß angesichts unabweisbarer Einsparungen beim blemen, die nicht allein mit Geld zu lösen sind, Pro- Kindergeld nicht alles unverändert bleiben konnte. blemen, von denen wir uns als Ältere auch nicht mit finanziellen Leistungen an die junge Generation Die Bundesregierung hat seit Jahren große An- freikaufen können. strengungen unternommen, um die wirtschaftliche Lage der Familien u. a. auch durch Erhöhung des Im November des vergangenen Jahres habe ich Kindergeldes zu verbessern. So ist in den letzten den Mitgliedern des Bundestages die Studie „Jugend sechs Jahren, in denen die Lebenshaltungskosten in der Bundesrepublik heute — Aufbruch oder Ver- um etwa 27 % gestiegen sind, das Kindergeld für weigerung" zugesandt. In dieser Studie haben wir zweite, dritte und weitere Kinder wesentlich stärker zusammenzutragen versucht, was die jungen Men- als die Lebenshaltungskosten gestiegen. Die Kinder- schen heute bewegt, um ihre Sicht der Dinge und ihr geldleistungen für eine Vierkinderfamilie sind jetzt Verhältnis zu Gesellschaft und Staat verständlicher von 650 DM um 40 DM auf 610 DM abgesenkt wor- zu machen. den. Das durchschnittliche Kindergeld pro Kind in Wir werden die Ablehnung des Staates, die man dieser Vierkinderfamilie verändert sich demgemäß- gelegentlich antrifft, die Ablehnung der parlamenta- um 10 DM von 162 auf rund 152 DM. Ich finde, das ist rischen Arbeit, der Parteien bei Teilen der Jugend immer noch ein ganz beachtlicher staatlicher Bei- nicht allein dadurch überwinden können, daß wir trag zur Sicherung des Lebensstandards von Fami- Vertreter der Jugend anhören und mit ihnen reden, lien mit Kindern. Die jetzigen Kindergeldsätze be- sondern vor allem dadurch, daß wir eine praktische tragen 50 DM für das erste, 100 DM für das zweite, Politik betreiben, in der diese Jugend auch ihre Sor- 220 DM für das dritte und 240 DM für die weiteren gen und Vorstellungen wiedererkennt. Kinder. Die Zukunftschancen junger Menschen in Ausbil- Sie alle, meine Damen und Herren, wissen auch, dung und Beruf und in anderen gesellschaftlichen daß uns eine einkommensabhängige Gestaltung des Bereichen müssen deutlich verbessert werden. Familienlastenausgleichs lieber gewesen wäre. Vor allem muß die junge Generation wieder Spiel- raum für eigenes Tun und Selbstgestaltung gewin- (Beifall bei der SPD) nen. Viele von ihnen klagen nämlich darüber, daß wir Älteren die Jungen verplanten, daß wir sie in Be- Sie alle wissen auch, daß in den Beratungen der hin- ton und Paragraphen einmauerten. ter uns liegenden Monate von seiten der Opposition keine Vorschläge für eine sozial ausgewogenere Ge- Eine der Möglichkeiten, meine Damen und Her- staltung des Familienlastenausgleichs gekommen ren, eigene soziale Erfahrungen mit Gleichaltrigen sind. Ganz im Gegenteil. Die Unionsparteien haben zu machen, bieten die vielfältigen Formen der Ju- die Chance verbaut, beim Kindergeld Kürzungen zu gendarbeit, die durch den Bundesjugendplan geför- vermeiden und statt dessen die Kinderbetreuungs- dert werden. Ich freue mich, daß es gelungen ist, in kosten im Steuerrecht abzuschaffen, die nur besser einer Phase außerordentlicher finanzwirtschaftli- verdienende Familien begünstigen. Da, meine Da- cher Schwierigkeiten beim Bundesjugendplan nicht men und Herren, hätten Sie sowohl Familiensinn als nur Kürzungen zu vermeiden, sondern die Ansätze auch Empfinden für soziale Gerechtigkeit beweisen um 4 Millionen DM gegenüber den Soll-Ansätzen können. 1981 zu erhöhen. Dies ist — auch auf dem Hinter- grund der Kostensteigerung — sicher kein überwäl- (Beifall bei der SPD und der FDP) tigender Ausbau. Wir dokumentieren mit dieser Steigerung aber, daß die Jugendpolitik bei uns einen Ich möchte, daß das auch für die Zukunft ganz hohen Stellenwert hat. deutlich in unserem Bewußtsein erhalten bleibt. Wenn die Union im Bundesrat keinen Widerstand Herr Kollege Rose, ich kann auch nicht akzeptie- geleistet hätte, dann wäre den Familien mit zwei ren, daß es Klagen von Jugendverbänden über die und drei Kindern der Wegfall von je 20 DM erspart Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für geblieben. Jugend, Familie und Gesundheit gibt. Ganz im Ge- genteil. (Beifall bei der SPD und der FDP) (Zuruf des Abg. Dr. Rose (CDU/CSU]) Weil das so ist, muß ich dabei bleiben: Der Einzel- Ich habe eben den Geschäftsbericht der Arbeitsge- plan 15 spiegelt auch nach diesen schmerzhaften, meinschaft für Jugendhilfe auf den Tisch bekom- aber angesichts der Haltung von CDU und CSU im men. Das ist sicher eine repräsentative Stimme. Es Bundesrat unvermeidlichen Kürzungen immer noch heißt in diesem Geschäftsbericht über die Zusam- 4778 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Parl. Staatssekretär Zander menarbeit mit unserem Haus: „Die Zusammenar- Dennoch veranlaßt mich Ihre Rede, darauf einzuge- beit mit dem BMJFG gestaltete sich im Berichtsjahr hen. außerordentlich kooperativ." Das ist eine repräsen- Ich möchte erstens etwas zur Rolle der Forschung tative Stimme. Mir ist das auch aus vielen anderen im Bundesgesundheitsamt sagen. Der Deutsche Bereichen bekanntgeworden. Bundestag hat durch seine Gesetze dem Bundesge- (Dr. Rose [CDU/CSU]: Ich kenne viele an sundheitsamt in den letzten Jahren ständig neue dere Stimmen!) Aufgaben zugewiesen. Ich nenne nur die folgenden Gesetze: Lebensmittel- und Bedarfsgegenständege- — Herr Kollege Dr. Rose, wenn Sie andere Stimmen setz, Arzneimittelgesetz, Seuchen- und Tierseuchen- oder konkrete Beispiele nennen: Wir sind daran in- gesetz, Weingesetz, alle Umweltgesetze, Betäu- teressiert, solche Kritik abzubauen. Wir tun von uns bungsmittelgesetz, schließlich das Chemikalienge- aus alles, um solcher Kritik entgegenzukommen. setz. (Dr. Rose [CDU/CSU]: Danke sehr!) Die erforderlichen Stellen, um die Arbeit mit die- Wir wollen, was die Anhebungen im Bundesju- sen Gesetzen beim Bundesgesundheitsamt durch- gendplan angeht, versuchen, durch eine Umschich- führen zu können, wurden aber nur zum Teil oder tung die Mittel vor allem in den Breitenprogrammen auch gar nicht, wie Sie wissen, bewilligt. Dann darf der politischen Bildung einzusetzen, mit einem deut- es doch niemanden wundern, wenn sich immer lichen Schwergewicht auf der Arbeit mit Hauptschü- mehr Wissenschaftler in Berlin mit der Umsetzung lern, Berufsschülern und jungen Arbeitslosen. Ich solcher Gesetze zu Lasten der Forschung im Bun- glaube, auch das ist wohl in unser aller gemeinsa- desgesundheitsamt beschäftigen müssen. mem Interesse. (Abg. Dr. Rose [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Meine Damen und Herren, ich sagte schon: Der — Herr Kollege Rose, ich möchte die zehn Minuten Einzelplan 15 steht auch für Schwache und- Hilfsbe- dürftige. Dafür nur eines von vielen Beispielen: die Redezeit, die ich habe, nicht teilen. Aber bitte, für Sie Situation psychisch Kranker. Der Kollege Hoff- gern. mann ist darauf schon eingegangen. Die Bundesre- gierung hält am Modellprogramm für die Psych- Dr. Rose (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, geben iatrie fest, weil sie nach wie vor der Überzeugung ist, Sie mir dann jetzt recht, daß es keine Nebensäch- daß die psychiatrische Versorgung dringend verbes- lichkeit war, wenn ich zitiert habe, daß das Bundes- sert werden muß. Wir waren zwar gezwungen, das fi- gesundheitsamt auf Grund von Gesetzen, die dieses nanzielle Gesamtvolumen zu verringern, auch des- Haus beschlossen hat, so überfordert ist, und daß halb, weil statt elf nur sechs Länder bereit waren das diesem Haus heute bekanntgemacht werden mitzumachen. Das Modellprogramm ist aber ange- muß? laufen. Es wird über die vollen fünf Jahre durchge- führt. Für 1982 haben wir einen Betrag von 55 Millio- Zander, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister nen DM vorgesehen. für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Dienst an Hilfsbedürftigen leisten auch die vielen Rose, so, wie Sie die Frage stellen, gebe ich Ihnen Tausende von jungen Menschen im Zivildienst, für recht. Aber ich habe vorhin diese Begründung und den wir jetzt zuständig sind. Im Interesse der Ju- diesen Sachzusammenhang mit den wachsenden gend hoffe ich, daß wir bald gemeinsam eine Novel- Aufgaben durch die Gesetzgebung dieses Hauses, lierung des Zivildienstgesetzes zustande bringen des Deutschen Bundestags, so nicht verstanden. Ich werden. habe Sie vielmehr so verstanden, daß Sie eine Kritik am Ministerium und dessen Führung gegenüber (Beifall bei der SPD und der FDP) dem Bundesgesundheitsamt hier ausgesprochen ha- Meine Damen und Herren, soweit zu einigen wich- ben. So, wie Sie es jetzt formuliert haben, gebe ich tigen Ansätzen dieses rund 18,8 Milliarden DM um- Ihnen recht. Da gibt es keinen Dissens. fassenden Haushalts. Ich nenne ein weiteres Stichwort: die Notwendig- keit eines hauptamtlichen Vizepräsidenten. Es war Nun zu einigen Einzelfragen, Herr Kollege Rose, der Haushaltsausschuß, Herr Kollege Rose, der ein die Sie hier angesprochen haben. Ich möchte noch Gutachten bei der Firma WIBERA bestellt hat, in einmal sagen: Aus meiner Sicht sind das aufge- dem ausdrücklich wegen der Breite der Aufgaben bauschte Nebensächlichkeiten, die in Wirklichkeit des Bundesgesundheitsamts und der Breite der da- weder typisch für diesen Haushalt sind noch im ein- mit verbundenen Leitungsaufgaben ein hauptamtli- zelnen sachlich berechtigt sind. Dazu einige wenige cher Vizepräsident für erforderlich gehalten wurde. Bemerkungen. Einer Oberbehörde mit 1 600 Mitarbeitern und mit (Dr. Rose [CDU/CSU]: Sie sind aber wich einer so breiten Aufgabenstellung wie dem Bundes- tig!) gesundheitsamt sprechen Sie einen Verwaltungslei- ter ab? Ich glaube, das zeigt einfach wenig Kenntnis — Sicher wichtig, Herr Kollege Rose. Aber ich muß von Führungsstrukturen in diesem Amt. zu allen diesen Punkten sagen, daß sie uns ausgiebig im Haushaltsausschuß und im Fachausschuß be- (Zuruf des Abg. Dr. Rose [CDU/CSU]) schäftigt haben, wo sie auch hingehören. Meines Er- Schließlich komme ich zu der behaupteten Gänge- achtens haben sie im einzelnen nicht den Stellen- lung bei Arzneimitteln. Was gäbe es für ein Geschrei wert, hier in der Plenardebatte diskutiert zu werden. in diesem Lande — zu Recht, finde ich —, wenn das Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4779

Parl. Staatssekretär Zander Bundesgesundheitsamt bei Krebsverdacht, zumal schon irgendwo einzusparen. Dabei hat der Bundes- bei hartem Krebsverdacht, nicht unverzüglich mit rechnungshof wiederholt kritisiert, daß globale Min- einem Verbot einschreiten würde? derausgaben immer mehr zu einem Finanzierungs- Die Greiser-Liste: Das ist ein vom Bundesminister instrument werden. Tatsächlich verwischen sie das für Forschung und Technologie gefördertes For- nicht ordnungsgemäße Aufstellen eines Haushal- schungsvorhaben ohne amtlichen Charakter. tes. (Zustimmung bei der CDU/CSU) Hinsichtlich des Berichtes über das Arzneimittel- gesetz haben wir den Präsidenten des Deutschen Der Einzelplan 30 wird auch in seiner Struktur zu- Bundestages um eine Fristverlängerung bis Februar nehmend schlecher; denn die institutionelle Förde- gebeten, da wir in diesem Bericht noch eine gegen- rung von Forschungseinrichtungen wird nicht ent- wärtig laufende Initiative zur Verschärfung des sprechend der Preissteigerungsrate erhöht. Bei den Tierarzneimittelrechtes berücksichtigen wollen. Investitionsansätzen vieler Forschungseinrichtun- gen geht es sogar rückwärts. Die Konsequenz ist, Ich denke, diese Beispiele machen deutlich, daß daß diese Einrichtungen ihre Forschung nicht mehr die Kritik am Bundesgesundheitsamt so, wie sie vor- im bisherigen Umfang fortführen können. Wir müs- getragen worden ist, weder pauschal noch im einzel- sen uns aber im klaren darüber sein, daß Einsparun- nen berechtigt ist. gen heute die Arbeitsplätze von morgen beeinträch- Ich möchte schließen mit dem Dank an die Herren tigen. Berichterstatter, mit dem Dank an alle, die in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages und im (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) Ministerium selbst am Zustandekommen dieses Gerade in dieser Situation, wo wir uns der 2-Millio- Haushaltes mitgewirkt haben. — Ich danke Ihnen. nen-Marke bei den Arbeitslosen nähern, ist es un- (Beifall bei der SPD und der FDP) sinnig, in der Forschung mit Blick auf die Zukunft nicht genügend zu tun. Vizepräsident Wurbs: Weitere Wortmeldungen lie- (Beifall bei der CDU/CSU) gen nicht vor. Ich schließe die Aussprache zu diesem Einzelplan. Die Wirtschaftsministerkonferenz hat deshalb auch mit großer Mehrheit gefordert, einen Teil der Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- direkten Forschungsförderung auf indirekte Förde- plan 15, Geschäftsbereich des Bundesministers für rung umzustellen. Sie, Herr Minister, haben das als Jugend, Familie und Gesundheit. Wer dem Ein- eine abstrakte Diskussion über das angemessene zelplan 15 in der Ausschußfassung zuzustimmen Verhältnis von direkter zu indirekter Förderung be- wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ge- zeichnet. Das ist keine abstrakte Diskussion. Das genstimmen! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 15 Problem ist: Wie bekommen wir ausreichendes, wirt- ist angenommen. schaftlich nutzbares Wissen? Ich rufe auf: Nehmen wir als Maßstab zur Beantwortung dieser Einzelplan 30 Frage einmal die Entwicklung der Anzahl der Pa- tente. Wenn wir einen Vergleich dieser Entwicklung Geschäftsbereich des Bundesministers für in Deutschland in den Jahren 1970 bis 1980 zu der in Forschnung und Technologie den USA und in Japan ziehen, dann stellen wir fest, — Drucksache 9/1201 — daß die Zahl der jährlichen Patentanmeldungen in Berichterstatter: Japan in diesem Zeitraum von rund 131 000 auf Abgeordnete Dr. Dübber 191 000 gewachsen ist, in den USA von rund 100 000 Dr. Zumpfort auf rund 104 000 zugenommen und bei uns von rund Dr. Stavenhagen 66 000 auf 51 000 abgenommen hat. Bei uns läuft es allmählich nach dem Motto: Die Fertigung nach Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Hongkong — die Forschung in die USA! Dann bleibt Das ist nicht der Fall. uns immer noch die Verwaltung; in der sind wir j a Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort Weltmeister. hat der Abgeordnete Dr. Stavenhagen. Die „Wirtschaftswoche" hat am 6. November 1981 auf diesen Tatbestand hingewiesen. Sie zitiert Sie, (CDU/CSU): Herr Präsident! Dr. Stavenhagen Herr Minister: „Wir verfrühstücken unsere Zu- Meine Damen und Herren! Ich bewundere den Ein- kunft." fallsreichtum der Bundesregierung, wenn es darum geht, mit buchhalterischen Tricks Lücken im Haus- (Stahl [Kempen] [SPD]: Nein, das tun wir halt zu schließen. Wir haben beim Bundeshaushalt nicht!) 1982 nicht nur für den gesamten Haushalt eine glo- Professor Giersch, einer unserer namhaften Wirt- bale Minderausgabe von 800 Millionen DM, sondern schaftswissenschaftler, stellt fest, daß es für die wir haben im Einzelplan 30 auch noch gewisserma- Wettbewerbsposition der deutschen Wirtschaft und ßen eine globale Minderausgabe zweiter Ordnung in das künftige Wirtschaftswachstum notwendig ist, Höhe von 150 Millionen DM. Im Klartext: Dem For- daß sich das Angebot an wirtschaftlich relevantem schungsminister ist es nicht gelungen, seinen Haus- Wissen steigern läßt. halt ordnungsgemäß aufzustellen. Er behält sich diese 150 Millionen DM gewissermaßen als Reserve Wie man in dieser Situation — das ist nicht Ihr in der Hoffnung vor, sie im Laufe des Jahres dann Einzelplan; das will ich ausdrücklich sagen; aber es 4780 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 Dr. Stavenhagen ist Forschungsförderung, und wir diskutieren hier ja ten in den eigenen Reihen kreisen, dekoriert die mit der gesamten Bundesregierung - die Personal - Wissenschaft die klaffenden Lücken mit hoch- kostenzuschüsse für die Forschung kürzen kann, karätigem Gedankengut. wird ewig Ihr Geheimnis bleiben. Das ist ein ausge- Es kommt nicht auf die Zahl der Gutachten an, son- machter Unfug; denn gerade dieses Programm dern darauf, daß man weiß, was für eine Politik man wurde von der Wirtschaft aufgegriffen. Es war unbü- machen muß. rokratisch, hat gut funktioniert, aber gerade hier kürzt man, indem man den Kreis der Betriebe, die (Beifall bei der CDU/CSU) diese Zuschüsse in Anspruch nehmen können, dra- Alle Parteien im Bundestag haben im Juni 1980 er- stisch einschränkt. klärt, für die Grundlagenforschung müsse mehr ge- (Stahl [Kempen] [SPD]: Dafür haben wir tan werden. Ich erinnere mich an einen Parlamenta- aber woanders etwas dazugetan!) rischen Abend der Max-Planck-Gesellschaft im De- zember 1981. Da haben die Kollegen von SPD und Aber auch bei der Spitzenforschung ist die Lage FDP auf dem Podium einander an Versprechungen nicht günstig. Der frühere Präsident der Deutschen und Zusagen überboten, wie großzügig und flexibel Forschungsgemeinschaft, Professor Maier-Leibnitz, sie bei der Forschungsförderung sein wollten und weist darauf hin, daß der deutsche Anteil an interna- wie unbürokratisch das alles abgewickelt werden tionaler Spitzenforschung bei etwa 1 % liegt. Der solle. Und dann haben die SPD- und FDP-Kollegen Präsident der Technischen Universität München, im Haushaltsausschuß die einprozentige Kürzung Professor Wild, sagt, daß der Vorstoß in wissen- der Personalstellen im Forschungsbereich, die oh- schaftliches Neuland in den Naturwissenschaften nehin unsinnig ist, auch noch mit der Bürokratie ei- heutzutage nur noch selten von deutschen For- nes Oberpostdirektors exekutiert: schön laufbahn- schern geleistet wird. gruppengerecht, genau schön der Reihe nach. Schauen wir uns einmal die Statistik der- Nobel- (Zuruf des Abg. Dr. Riedl [München] [CDU/ preise und anderer hoher internationaler Auszeich- CSU]) nungen an! Zwischen 1901 und 1944 gab es 34 Nobel- preisverleihungen an Deutsche. Von 1944 bis heute — Ich bitte um Nachsicht; ich kann auch eine andere gab es nur noch 13. Im vergleichbaren Zeitraum wur- Behörde nennen. Dies hier laufbahngruppengerecht den 113mal amerikanische Forscher mit diesem zu machen, wo es um Wissenschaft und nicht um Bü- Preis ausgezeichnet und 35mal britische Forscher. rokratie geht, ist eine höhere Form von Schwach- sinn. Meine Damen und Herren, das Klima für For- schung, die Leistungsfähigkeit unserer Forschung, (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Bugl [CDU/ ist nicht mehr das, was es war. Das muß uns alle be- CSU]: Aber sehr typisch für diese Kolle sorgt machen. Auch in der Forschung gilt das Gesetz gen!) des abnehmenden Grenzertrags. Es wird also zuneh- Wir haben im Haushaltsausschuß darüber disku- mend schwieriger, mit dem eingesetzten For- tiert. Sie haben in Aussicht gestellt, vielleicht beim schungsgeld auch wirklich Resultate zu erzielen. Ge- Haushalt 1983 von dieser laufbahnberechten Kür- rade wenn man das erkennt, ist es unsinnig, in die- zung Abstand zu nehmen und hier mehr Flexibilität sem zukunftsgerichteten Bereich in wichtige Dinge walten zu lassen. Sie hätten es hier machen sollen. hineinzuschneiden. Sämtliche Forschungseinrichtungen und viele Bun- (Grobecker [SPD]: Hier mehr und insge desländer haben zu recht gegen diesen Unsinn pro- samt weniger!) testiert. Wir brauchen in diesem Bereich Flexibilität und nicht bürokratisches Exekutieren. Herr Minister, Sie haben einige Bereiche genannt, die Sie in der Zukunft als Schwerpunkte herausstel- (Beifall bei der CDU/CSU) len wollen. Sie nennen die Elekronik, die Biotechno- Der Minister hat ja gestern endlich eine Meldung logie und andere Bereiche. Solchen Schwerpunkt- über einen vorübergehenden Erfolg bei seinem bildungen stimmen wir ausdrücklich zu. Was Sie größten Problem in seinem Haushalt, dem Schnel- aber nicht geleistet haben, ist, andererseits auch Be- len Brüter, verkündet. Jetzt endlich soll die Finan- reiche auszugucken, die dann eben nachrangig be- zierungslücke geschlossen sein, weil auch die Län- dient werden müssen. Die Umstrukturierung des der Baden-Württemberg und Bayern ihren Elektrizi- Foschungsetats, die Sie bei Ihrem Amtsantritt ange- tätsversorgungsunternehmen empfehlen, sich an kündigt haben, haben Sie bis heute nicht geleistet. diesen Kosten zu beteiligen. Noch immer ist der Forschungsetat ein Sammel- Ich weise Sie darauf hin, Herr Minister, daß das surium von über 6 000 Forschungsprojekten. Noch Land Baden-Württemberg hieran gewisse Voraus- immer haben Sie das Problem mit viel zu vielen Gut- setzungen geknüpft hat, vor allen Dingen, daß der achtern und viel zu vielen Gutachten. Parlamentsvorbehalt für die Inbetriebnahme des Im „Rheinischen Merkur" heißt es zu diesem The- Schnellen Brüters vom Tisch kommt und daß die ma: „Die Flucht in die Gutachterei ist nichts anderes Bundesregierung mit ihrer Übung aufhört, in Bonn als eine Flucht vor der Verantwortung." Professor für die Kernenergie einzutreten, während die Regie- Bonus, der Autor des betreffenden Artikels, rungsparteien vor Landtagswahlen durchs Land zie- schreibt: hen und dort massiv dagegen auftreten. Während die Politiker in Warteschleifen über Sie müssen wissen, Herr Minister, daß die baden dem heillosen Schlachtfeld ideologischer Debat württembergische SPD in Fellbach beschlossen hat, Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4781 Dr. Stavenhagen daß bis 1984 überhaupt kein neues Kernkraftwerk in sprachen mit den EVU kommen, wenn Sie vor allen Baden-Württemberg gebaut werde. Herr Minister, Dingen hier Flagge zeigen und dafür sorgen, daß der hier müssen Sie Farbe bekennen. Wir haben Sie Parlamentsvorbehalt vom Tisch kommt und wenn konkret gefragt: Stehen Sie für die notwendigen Sie dafür sorgen, daß Ihre Landesparteien in den Kernkraftwerke in Baden-Württemberg ein? Ja oder Bundesländern nicht etwas ganz anderes als Sie nein? Erklären Sie das hier und sagen Sie es dann hier in Bonn sagen. Ihrer Landespartei in Baden-Württemberg! (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Das wäre vernünftige Forschungspolitik, und damit Trotz dieser scheinbaren Schließung der Finanz- würden Sie für das eintreten, was die Zukunft unse- lücke muß man natürlich darauf hinweisen, Herr res Landes erfordert. Minister, daß Sie immer noch mit getürkten Zahlen Wir können dem Einzelplan 30 in diesem Jahr an- rechnen. In dem, was Sie vor wenigen Tagen im For- gesichts der darin enthaltenen Probleme nicht zu- schungsausschuß vorgetragen haben, stehen für den stimmen. Schnellen Brüter immer noch 5 Milliarden DM. An diese Summe, Herr Minister, glauben Sie doch sel- (Beifall bei der CDU/CSU) ber längst nicht mehr. Warum müssen Sie eigentlich immer erst ein halbes Jahr warten, wenn wir Ihnen Vizepräsident Wurbs: Das Wort hat der Herr Abge- die neuen Zahlen sagen, bevor Sie sie dann überneh- ordnete Vosen. men, weil Sie nicht anders können? Der Schnelle Brüter wird teurer als 5 Milliarden DM. Vosen (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und (Zuruf des Abg. Stahl [Kempen] [SPD]) Herren! Es sei gestattet, Herr Stavenhagen, einige Ausführungen zu Ihrem Beitrag zu machen. Ich mei- Das verspreche ich Ihnen. Denn erstens gibt es bei ne, hier kommt das wieder zum Tragen, was wir hier den Genehmigungsverfahren weitere Verzögerun- - ständig beobachten. In erster Linie wird hier etwas gen. Zweitens gibt es, wie man hört, Schwierigkeiten mies gemacht. Es wird kein konstruktiver Beitrag mit der Stahlummantelung. Drittens haben Sie hier geleistet, sondern Sie machen nur mies. in Ihrer Aufstellung immer noch die Hoffnung ste- (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe hen, daß Holland und Belgien sich mit je 470 Millio- von der CDU/CSU) nen DM daran beteiligen. Das sind je 138 Millionen DM mehr, als bisher versprochen. Ich lese Ihnen vor, Herr Stavenhagen, Sie fordern in diesem und bei je- was die holländische Regierung am 16. November dem Einzelplan immer mehr, und Sie sagen, daß der 1981 dazu erklärt hat: Haushalt insgesamt kleiner, niedriger sein soll. Mit den Partnerstaaten des Kalkar-Projekts sol- (Beifall bei der SPD und der FDP) len Beratungen eingeleitet werden zur Prüfung Das verträgt sich schon rein buchhalterisch nicht, der Frage, auf welche Weise der holländische und politisch ist es unanständig; so möchte ich es be- Beitrag zum Kalkar-Projekt beendigt werden zeichnen. kann, sobald dies vertraglich möglich ist, und (Beifall bei der SPD und der FDP) wie er vorher auf ein Minimum beschränkt wer- den kann. Vizepräsident Wurbs: Herr Abgeordneter, gestat- Das ist die Regierungserklärung der Holländer. ten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Und da glauben Sie im Ernst, daß die Ihnen 138 Mil- Dr. Stavenhagen? lionen DM mehr als vorher bezahlen. Ihre Rechnung stimmt doch vorn und hinten nicht. Es wäre für die- (SPD): Es tut mir leid. Ich habe in meiner ses Projekt gut, wenn Sie endlich Zahlen, die reali- Vosen Rede nur eine relativ kurze Zeit. Ich bin aber viel- stisch sind, auf den Tisch legen wollten. leicht bereit, im Laufe meiner Rede eine Zwischen- Herr Minister, alle Haushaltspolitiker haben sich frage zu einem Sachproblem zuzulassen. im Haushaltsausschuß unter Hintanstellung aller (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: Man hat Ih haushaltsrechtlichen Bedenken wirklich bemüht, nen etwas Falsches aufgeschrieben!) diesem Projekt zum Erfolg zu verhelfen. Von Rechts wegen dürfte dies gar nicht etatisiert werden; denn — Ich pflege meine Reden selbst zu schreiben, Herr es ist nicht durchfinanziert. Es ist bis vor wenigen Kollege. Tagen nur bis Ende Februar des laufenden Jahres fi- Ich komme zu einem dritten Punkt. Sie werfen der nanziert gewesen. Das ist ein Skandal. SPD oder der Koalition vor, sie würde in der For- (Stahl [Kempen] [SPD]: Das ist eine Reali schungspolitik nicht an die Zukunft denken. Ich tät, kein Skandal!) werde dies in meiner Rede im einzelnen widerlegen und werde nachweisen, daß wir an die Zukunft den- Sie müssen Projekte vorlegen, die in der Laufzeit ken, daß das also anders ist, als Sie es darstellen. der mittelfristigen Finanzplanung wenigstens eini- germaßen solide finanziert werden. (Beifall bei der SPD) In Ihrem ersten Beitrag haben Sie dargestellt, daß (Beifall bei der CDU/CSU) in der Forschung eine Politik durchgezogen werden Deswegen können Sie die Dinge hier nur in Ord soll, die, wie ich es verstanden habe, zu mehr Büro- nung bringen, wenn Sie eine zeitnahe Kostenbe kratismus führt. Sonst reden Sie anders. Wenn ich rechnung machen, wenn Sie zu vernünftigen Ab das, was Sie verlangt haben, rein zahlenmäßig be- 4782 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Vosen trachte, so kommt dabei mehr Bürokratismus her- gen Modernisierung unserer Wirtschaft geleistet aus. werden. Dies geschieht vor allen Dingen im Bereich der Elektronik, der optischen Nachrichtentechnik, Ich meine letztlich, Herr Stavenhagen, es wäre der technischen Kommunikation, der Informations- gut, wenn Sie als Haushälter hier etwas mehr zum verarbeitung, der Software-Technologie, der Bio- Haushalt sprechen würden. technologie und der Fertigungstechnik. Diese Felder (Beifall bei der SPD) der Forschungsförderung entscheiden in naher Zu- Ich habe eigentlich nur beim Schnellen Brüter ge- kunft über die Produktion einer Vielzahl von Bran- hört, daß Sie zum Haushalt insgesamt Stellung ge- chen unserer Wirtschaft. Wir stehen in diesen Berei- nommen haben. chen in hartem Wettbewerb mit unseren Konkur- renten auf den Weltmärkten. (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Sie sind Beispielhaft in diesem Zusammenhang ist das ein langsamer Brüter! — Weitere Zurufe Sonderprogramm zur Förderung der Mikroelektro- von der CDU/CSU) nik — das haben Sie auch verschwiegen, Herr Sta- — Sie brauchen sich nicht zu erregen. Auch wir müs- venhagen; dieses Programm ist auch eine positive sen alles ertragen, was Sie hier vortragen, und des- Komponente dieses Haushalts — mit je 100 Millio- wegen sollten Sie jetzt zuhören. Es geht jetzt um den nen DM in den nächsten drei Jahren, welches der Haushalt. deutschen Industrie helfen soll, Innovationsmöglich- (Zurufe von der CDU/CSU) keiten, die durch die Mikroelektronik geboten wer- den, schnell zu nutzen und damit zugleich Arbeits- Der Einzelplan 30 für den Bereich Forschung und plätze und technisch wettbewerbsfähige Produkte Technologie gehört mit einer Steigerungsrate von zu schaffen. Die modernen Steuerungen für unsere 3,7 % zu den Einzelplänen des Bundeshaushalts, die Werkzeugmaschinen entscheiden in den nächsten über der durchschnittlichen Steigerung des Gesamt- Jahren über die zukünftige Stellung des deutschen haushaltes liegen. Das ist ein erstes Indiz dafür,- daß Maschinenbaues. Herr Stavenhagen, ich lade Sie hier einiges mehr getan wird. ein, gehen Sie einmal mit mir zur Technischen (Stahl [Kempen] [SPD]: Das hat der Staven Hochschule Aachen und schauen Sie sich diese hagen noch nicht gemerkt!) Steuerungen einmal an. Dann wissen Sie, worauf das Schwergewicht in der Zukunft liegt — bestimmt Der Gesamthaushalt des Bundes steigt, wie wir wis- nicht auf Ihrer Schimpferei. sen, „nur" um 3,2% zum Ist 1981, also insgesamt er- heblich. In der angegebenen Steigerungsrate des (Beifall bei der SPD — Dr. Stavenhagen Einzelplans 30 sind die Sonderprogramme Stahlfor- [CDU/CSU]: Deswegen haben wir 2 Millio schung, Mikroelektronik und optische Nachrichten- nen Arbeitslose?) technik nicht enthalten. Rechnet man diese 280 Mil- — Deswegen nicht, Herr Stavenhagen. lionen DM noch hinzu, dann kommen wir auf eine Auch die Stahlforschung, für die je 150 Millionen Gesamtsteigerung von immerhin 8,3 %. Bei einer Ge- samtsteigerung des Haushalts von 3,2 % läßt sich die- DM für die nächsten vier Jahre ausgewiesen sind, und die Förderung der optischen Nachrichtentech- ser Forschungshaushalt also durchaus sehen, Herr nik mit je 30 Millionen DM in den nächsten drei Jah- Stavenhagen. ren weisen in diese Richtung. Die allgemeinen Finanzprobleme, die bei der Er- Die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft wird stellung des Haushaltsplans zu lösen waren, haben natürlich auch davon abhängen, ob es gelingt, neue die für den Haushaltsplan zuständigen Politiker der zukunftsorientierte Technologien rasch einer mög- SPD/FDP-Koalition bei der Festlegung des Ausga- lichst großen Zahl von Unternehmen zugänglich zu benbereichs des Einzelplans 30 zu Kürzungen ge- machen. Das ist der sogenannte Technologietrans- zwungen. Sie haben auch eine angesprochen. Der eine ganz entscheidende Frage. Es stehen des- Haushaltsentwurf wurde um insgesamt 206 Millio- fer, halb für die Innovationsberatung, für die externe nen DM gekürzt, wovon 56,5 Millionen DM auf ge- Vertragsforschung, aber auch für die Zusammenar- zielte Einzelkürzungen entfallen. Unsere Haushäl- beit mit anderen Staaten auf dem Gebiet von For- ter haben hier also sehr sorgfältige Arbeit geleistet. schung und Entwicklung ausreichend Mittel zur Wir haben auch die von Ihnen angesprochene Kür- zung von 150 Millionen DM hinzunehmen; ich Verfügung. glaube aber, daß dies gelingen wird. Ein besonderer Schwerpunkt des Einzelplans 30 ist mit Forschungsmitteln in Höhe von über 2,5 Milli- Unter den schwierigen finanziellen Umständen arden DM der Bereich der Energieforschung und war es nicht leicht, im Haushalt Akzente für reale -technik. Das ist an und für sich auch ein Betrag, der Zuwächse zu setzen. Trotzdem ist dies gelungen. So sich sehen lassen kann, Herr Stavenhagen. sollen z. B. durch gezielte Forschungsförderung wettbewerbsfähige Arbeitsplätze, von denen Sie (Lenzer [CDU/CSU]: Da habt ihr doch kein nicht gesprochen haben, Herr Stavenhagen, in der Programm! Wo ist das Programm?) Zukunft erhalten und geschaffen werden. — Sie haben im großen und ganzen zugestimmt, (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: Doch, ich Herr Lenzer. habe davon gesprochen!) Im Rahmen der Aufgaben des Bundes für die Si- Die Forschungspolitik des Bundes ist so angelegt, cherung der Zukunft nimmt der Energiebereich daß möglichst wirkungsvolle Beiträge zur langfristi nach dem Verkehrsbereich und der Forschung Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4783

Vosen außerhalb der Hochschulen den dritten Platz ein. ken. Sie können hier keine globalen Vorwürfe in die- Also: das meiste Geld für die Zukunftssicherung, auf ser Art erheben. dem dritten Platz die Energieforschung. (Lenzer [CDU/CSU]: Sagen Sie das mal (Dr. Laufs [CDU/CSU]: Und was kommt dem Herrn Baum! — Weitere Zurufe von heraus?) der CDU/CSU) Wenn man Sie zur Kernenergie reden hört, kommt — Ich sage es Ihnen jetzt. Sie können gerne fragen. einem das vor, als wenn eine tibetanische Gebets- Sie müssen jetzt nur zuhören. Gerade wegen der Be- mühle gedreht würde. Das ist immer das gleiche. Da- deutung der Forderung „weg vom 01" muß dieser Be- bei kommt nichts Neues heraus. reich weiterhin hohe Priorität haben. Der Umfang (Beifall bei der SPD) der Förderung der nichtnuklearen Energiefor- schung mit 738 Millionen DM zeigt auf, daß wir der Die im Jahre 1972 veranschlagten Errichtungsko- Kohletechnologie, aber auch neuen und erneuerba- sten für den Schnellen Brüter in Kalkar schnellten ren Energiequellen große Aufmerksamkeit widmen. von 1,5 Milliarden DM auf nunmehr geschätzte Im Jahre 1980 wurden für nichtnukleare Energiefor- 5,4 Milliarden DM bis zur Fertigstellung empor. Wir schung — auf diesem Gebiet müssen wir in den werden abwarten, ob diese Zahlen richtig sind. Aber nächsten Jahren übrigens noch mehr tun — noch 26 Ihre Prophetien — Sie schätzen nach oben — dienen Millionen DM ausgegeben. Im jetzt vorliegenden auf alle Fälle nicht dazu, die Kosten unten zu halten, Haushaltsplan können wir somit eine Steigerung sondern Sie erreichen damit das Gegenteil. Sie for- der Mittel um 118 Millionen DM ausweisen. Das ist, dern damit doch diejenigen, die dort arbeiten, förm- wie ich glaube, auch ein sicheres Zeichen, daß die lich auf, die Preise zu erhöhen. Sie sollten mal ein Bundesrepublik im Energiebereich nicht nur Kern- bißchen in Richtung Sparsamkeit und nicht in Rich- forschung betreibt. tung Mehrausgaben reden. Sie reden Preiserhöhun- - gen doch förmlich das Wort, Herr Stavenhagen. (Zustimmung bei der SPD und der FDP) (Beifall bei der SPD) Im Kohleveredelungsprogramm wird die Erzeu- Vielleicht können Sie uns bei der Finanzierung gung synthetischen Öls und Gases aus heimischer helfen, indem Sie Ihre guten Beziehungen zur Indu- Kohle demonstriert und damit die zukünftige strie spielen lassen, denn die Industrie zahlt 316 Mil- Grundlage geschaffen, Arbeitsplätze im Bergbau lionen DM zum Schnellen Brüter. Das sind 8 %. langfristig zu sichern. Bergleute werden uns dies si- cher danken. (Glos [CDU/CSU]: Die guten Beziehungen hat der „Vorwärts"! — Weitere Zurufe von (Beifall bei der SPD — Lenzer [CDU/CSU]: der CDU/CSU) Von dem Veredelungsprogramm ist doch — Sie können da helfen; der Minister tut es j a. — Be- nichts mehr übrig!) denkt man, daß der Bund neben den Kosten für den Bau dieser neuen Reaktorlinien auch für die For- Dies gilt auch für die Versorgung unserer Wirtschaft schung zwischen 5 bis 6 Milliarden DM aufgebracht mit eigener Energie. hat — das sind insgesamt 14 Milliarden DM, das bitte ich einmal festzuhalten, Herr Stavenhagen, al- Bei der Weiterentwicklung der Kernenergie wer- les überwiegend Steuermittel —, kann man von der den Entsorgungstechnik und Sicherheitsforschung Elektrizitätswirtschaft als zukünftigem Nutzer die- vorrangig bleiben. ser Forschung mit Recht eine höhere Beteiligung an der Fertigstellung der Reaktorlinien verlangen. Ansprechen möchte ich die finanziellen Schwie- rigkeiten, die auch Sie angesprochen haben, Herr (Beifall bei der SPD — Dr. Laufs [CDU/ Stavenhagen, beim Weiterbau der Reaktorlinien. CSU]: Zur Auffüllung eines Fasses ohne Bo Wir wissen alle, daß die Kosten beim Hochtempera - den!) turreaktor nach Schätzung der Fachleute — Sie ha- Hierüber besteht Einigkeit zwischen den Fraktio- ben das in Frage gestellt — bis zur Fertigstellung 3 nen des Hauses, glaube ich wenigstens und hoffe ich Milliarden DM betragen sollen. Die ursprünglich ge- sehr. schätzten Kosten betrugen für diesen Reaktortyp vor sechs Jahren, 1976, 690 Millionen DM — 690 Mil- (Stahl [Kempen] [SPD]: So ist es!) lionen DM damals, heute 3 Milliarden DM. Seine ur- Bisher war im Fachausschuß wenigstens nichts an- sprüngliche Bauzeit sollte damals 61 Monate betra- deres festzustellen. gen, während nunmehr 150 Monate als unterste Grenze angesehen werden. 55 % der Mehrkosten Der Herr Minister hat, wie wir alle wissen, in den werden durch Vorprüfungs- und Genehmigungsver- vergangenen Monaten alles in seiner Kraft Ste- fahren verursacht. hende getan, um mit den Energieversorgungsunter- nehmen in der Bundesrepublik entsprechende Ver- (Glos [CDU/CSU]: Wer regiert denn hier? abredungen zu treffen, um die Finanzierung vor al- Schimpfen Sie nicht so über die Regie lem des Schnellen Brüters in Kalkar sicherzustellen. rung!) Es gilt, so meine ich, Herr Stavenhagen, in gemein- samer Übereinstimmung zwischen den Fraktionen — Das ist eine Frage, wo Technische Überwachungs dieses Hauses alles zu tun, um die Energieversor- vereine, Landesbehörden und viele andere mitwir gungsunternehmen zu überzeugen, daß sie, auch im 4784 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Vosen eigenen Interesse, bei der Finanzierung mithelfen auch in den nächsten Jahren — in Zusammenarbeit müssen. Wenn ich durch jüngste Nachrichten richtig mit allen an der Wirtschaft beteiligten Gruppen, also informiert bin, sind mittlerweile die Energieversor- auch den Unternehmern — einen Beitrag zum Er- gungsunternehmen in Deutschland dazu auch be- halt des sozialen Friedens und — was wichtig ist — reit. auch zur Modernisierung der Wirtschaft leisten. Zu (Zuruf von der CDU/CSU: Das machen sie diesem Zweck ist es auch nötig, daß die sozialwissen- auch! Sie wollen weitermachen! — Lenzer schaftliche Forschung nicht vernachlässigt wird. [CDU/CSU]: Aber der Brüter muß auch in Auch dem ist durch die Haushaltsansätze Genüge Betrieb genommen werden! — Stahl [Kem getan. pen] [SPD]: Wird er!) (Gerstein [CDU/CSU]: Das darf aber auch nicht übertrieben werden!) — Das steht an, und zwar, sehr richtig, nach Prüfung von Gutachten; denn ich möchte nicht als Befürwor- — Das geschieht, soweit ich das während der Haus ter der Kernenergie haltsberatungen feststellen konnte, mit Augenmaß. (Demonstrativer Beifall bei der CDU/ (Beifall bei der SPD) CSU) Im Bereich der Umweltforschung spielen die Kli- vor die junge Generation treten, ohne sagen zu kön- maforschung und die Entwicklung neuer techni- nen, es wäre nicht alles verantwortungsvoll geprüft scher Verfahren, die Umweltbelastungen verhin- worden, um Bedenken gegen die Kernenergie aus- dern, eine große Rolle. Insgesamt erhalten die Berei- zuräumen. che Ökologie, Biotechnik, Wasserforschung und Kli- maforschung eine Aufstockung von 36 Millionen (Beifall bei der SPD und der FDP) DM. Dazu bin ich nicht bereit. Und deshalb müssen or- Ich muß jetzt einiges — meine Redezeit geht zu dentliche Prüfungen vorgenommen werden.- Ende — kürzen; ich bitte um Verständnis. Sonst wür- (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: Was, glau den Sie noch mehr zum Haushalt hören. ben Sie, macht die Genehmigungsbehörde (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Aber Sie seit Jahren? - Weitere Zurufe von der machen es nicht schlecht, für eine Jung CDU/CSU) fernrede glänzend!) — Herr Stavenhagen, ich komme jetzt noch zu ei- Die Förderung von Forschung und Technologie nem Thema, das für Sie ein weiteres Reizthema ist. für Entwicklungsländer und die wissenschaftlich Deswegen möchte ich Sie bitten, hier jetzt zuzuhö- technische Zusammenarbeit mit diesen Ländern ren. bleiben ein weiterer Schwerpunkt. Ein für Sozialdemokraten wichtiger Bereich der Alles in allem trägt der Haushaltsentwurf des Ein- Förderung von Forschung und Entwicklung betrifft zelplans 30 den Notwendigkeiten einer modernen, die Humanisierung der Arbeitsbedingungen. Dar- sich weiterentwickelnden Volkswirtschaft Rech- über, so stelle ich nur fest, haben Sie kein Wort verlo- nung. Ich darf in diesem Zusammenhang dem Mini- ren. Hier ist es trotz knapper Mittel gelungen, den ster für Forschung und Technologie, Andreas von Haushaltsansatz auf 114 Millionen DM aufzustok- Bülow, seinen Mitarbeitern und allen an den Bera- ken. Ein noch höherer Betrag steht als Verpflich- tungen des Einzelplans Beteiligten — darunter wa- tungsermächtigung in den Haushaltsjahren 1983 bis ren auch einige gute Leute von der CDU, das muß ich 1986 zur Verfügung. hier an dieser Stelle ganz offen sagen; allerdings Dieses Programm trägt dem berechtigten Verlan- habe ich Ihren Beitrag nicht als gut empfunden, gen der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften Herr Stavenhagen — recht herzlich danken. Rechnung, daß der Strukturwandel, der mit starken technologischen Veränderungen in der Wirtschaft Vizepräsident Wurbs: Herr Abgeordneter, ich bitte, verbunden ist, von einem Programm begleitet wird, zum Schluß zu kommen. das den in der Wirtschaft beschäftigten Menschen bei der Neustrukturierung ihrer Arbeitsplätze hu- Vosen (SPD): Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit mane Arbeitsbedingungen erschließt. Technologi- und bitte um Zustimmung zum Einzelplan 30. — Be- scher Wandel kann nach Meinung der Sozialdemo- sten Dank. kraten keinesfalls ausschließlich zu Lasten der Ar- (Beifall bei der SPD und der FDP) beitnehmer vollzogen werden. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Wurbs: Das Wort hat der Herr Abge- ordnete Dr. Zumpfort. Dies schließt die Umsetzung wissenschaftlicher Er- kenntnisse und damit verbundener Betriebserfah- rung zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen Dr. Zumpfort (FDP): Herr Präsident! Meine Damen zwingend ein. In diesem Zusammenhang muß zur und Herren! Herr Stavenhagen, ich habe meinen Durchsetzung des Programms eine starke Beteili- Ohren nicht getraut. In den vorigen Jahren waren gung der Arbeitnehmer und ihrer Betriebsräte si- Sie immer der erste, wenn es hieß: kürzen, kürzen, chergestellt sein. Humanisierung des Arbeitslebens kürzen; ich hatte Mühe, Sie zu überbieten. Jetzt sa- kann nicht ohne die betroffenen Arbeitnehmer erfol- gen Sie plötzlich: mehr, mehr, mehr. gen. Wir glauben, daß wir mit der Fortsetzung des (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: Strukturver Programms zur Humanisierung des Arbeitslebens schiebungen habe ich verlangt!) Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4785

Dr. Zumpfort Ich glaube, Ihr kritisches Auge ist etwas durch die genheit für eine Einengung der Projektförderung Maxime getrübt worden, die Sie soeben vorgestellt und eine Reduzierung der Zahl der geförderten Ein- haben. Mein Vorredner hat es schon gesagt: Dieser zelvorhaben eingesetzt. Haushalt ist ein Haushalt, der überproportional (Lenzer [CDU/CSU]: Das ist unsere Rede!) stark steigt: — Ich weiß. — Die FDP bewertet auch heute diese (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: In den fal Projektförderung immer noch kritisch. Ich gebe des- schen Bereichen!) wegen meine Kritik auch nicht auf, dies unter ande- mit einem Soll-Soll-Vergleich um 8,3 % und mit ei- rem auch deswegen, weil durch politische Erfolgs- nem Soll-Ist-Vergleich um sogar 9,3 %. Dies muß zwänge und durch haushaltstechnisch motivierte man Ihnen hier leider vorhalten; Sie haben da einen Bevorzugung kurzfristiger und mitunter auch an po- falschen Eindruck erzeugt. litischen Verwertungsstrategien orientierter For- In der Tat haben Sie eine Wunde entdeckt und den schungsansätze sehr viel Mißbrauch geschehen ist. Finger da hineingelegt; Dieses darf und sollte in der Zukunft nicht mehr ein- treten. Deswegen müssen wir, weil wir das beim 82er (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: „Wunde" ist Haushalt unterlassen haben, den 83er Ansatz sehr gut!) kritisch unter die Lupe nehmen. ich meine die globale Minderausgabe. Wir haben Nach unserer Ansicht sind direkte projektgebun- dem zwar auch nicht mit Freude zugestimmt, dene staatliche Forschungsförderungsmittel eigent- (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: Aber Sie ha lich nur dann sinnvoll, wenn Risiko und Finanzbe- ben zugestimmt!) darf zur Durchführung eines Vorhabens für das Ein- aber Sie kennen doch alle das Problem in diesem zelunternehmen zu groß sind. Dies gilt insbesondere Etat. Das ist so ähnlich wie bei der Bundeswehr: für den Bereich der kleinen und mittleren Unterneh- men und wenn es gilt, die internationale Wettbe- Durch frühere Projekte ist ein Kostenaufwuchs- in die Finanzierung hineingekommen, so daß der Mini- werbsfähigkeit herzustellen, aber es gilt auch in Be- ster Mühe hat, Geld für neue Vorhaben zu bekom- reichen — hier gibt es einen politischen Preis, den men. Mühe hat er. Ich glaube aber, er gibt sich red- man zu zahlen hat —, die von gesamtgesellschaftli- lich Mühe, und er kriegt das auch ganz gut in den chem Interesse sind wie z. B. dem Gesundheitsbe- Griff. Unter diesen Voraussetzungen, haben wir ge- reich, dem Umweltschutz und auch der Verbesse- sagt, bekommt er die Möglichkeit, die globale Min- rung der Lebensbedingungen. Dazu gehört auch die derausgabe selber zu bestimmen. Wir haben deut- Humanisierung der Arbeit. lich gemacht — ich möchte die Forderung hier noch Nehmen wir einmal eines der neuen Forschungs- einmal aufstellen, Herr Minister —, daß wir als Par- projekte, nämlich Einsatz der Mikroelektronik. Ich lamentarier daran beteiligt werden wollen. Dies frage mich, ob es sinnvoll ist, den Einsatz von Mikro- kann nur mit uns und durch uns geschehen, aber elektronik zu fördern, wo das eigentlich das ureigen- nicht an uns vorbei. ste Interesse der Industrie sein muß. Es gibt in diesem Haushalt trotz der Probleme mit (Zuruf von der SPD: Und wenn die es nicht alten, großen, barocken Forschungsprojekten auch schaffen?) neue Schwerpunkte. Hier habe ich Ihre Kürzungs- — Wenn die es nicht schaffen, meinen Sie dann, der anträge vermißt, Herr Kollege Stavenhagen. Ich war Staat kann dem so nachhelfen, daß die besser dazu der einzige. Es gab da eine Art großer Koalition, und keiner wollte da heran. Da fehlt in der Tat Ihr kriti- in der Lage sind? Die nehmen das mit. Das ist für sie eine Spende. sches Auge, denn viele dieser neuen Forschungs- schwerpunkte wachsen mit zweistelligen Zuwachs- (Stahl [Kempen] [SPD]: Aber er kann Hilfe raten. Wir wissen, daß es gerade das Problem in der zur Selbsthilfe leisten, was wichtig ist!) Vergangenheit war, daß das Forschungsministe- Wo ist denn das Problem? Ich darf hier einmal aus rium im Überfluß gelebt hat. Daraus sind sehr viele der „Zeit" zitieren. Ich nehme an, der Herr Minister Probleme entstanden, die wir jetzt noch bereinigen hat es gelesen, aber vielleicht haben nicht alle Kolle- müssen. Bei diesen Zuwächsen hätten wir doch et- gen es gelesen: was kritischer sein müssen. Ich stand da alleine. Die deutsche Industrie braucht nicht eine För- Ich möchte einmal einen Teil der Probleme dar- derung der Anwendung der Mikroelektronik, stellen, um die es geht, und ich hoffe, daß sie in Zu- sondern den Zugang zu den neuesten Erkennt- kunft abgestellt werden können. Sie berühren die nissen in dieser Technologie. Das ist das Pro- Projektförderung, die Bürokratie und die man- blem. Die kleinen und mittleren Unternehmen, gelnde finanzielle Beteiligung der Industrie. Hier deren Wohlergehen Bonn muß ich auch etwas kritischer werden, aber nicht so schlimm wie gestern abend. — auch uns hier — Entgegen der bisher geäußerten politischen Ab- mit Recht so am Herzen liegt, brauchen nicht sicht des Forschungsministers, Herrn von Bülow, ist unbedingt Geld für ihre Produktentwicklung, der Bereich der Projektförderung im Haushaltsan- sondern Informationen über die Entwicklungs- satz um mehr als 11 % ausgeweitet worden, und zwar tendenzen. Der Einsatz von Mikroelektronik auf einem Stand von über 3,5 Milliarden DM mit wird oft deshalb gar nicht erst versucht, weil über 7 000 Projekten. Ich halte das für keine gute Kenntnisse der neuen Technologie fehlen oder Entwicklung. Die FDP hat sich auch in der Vergan- zu spät gewonnen werden. 4786 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den1. Januar 2 1982

Dr. Zumpfort Das genau ist das Problem. Der Autor kommt zu Wir sind insbesondere im Bereich der Elektrizitäts- dem Schluß: wirtschaft für eine stärkere finanzielle Beteiligung an den Kosten für die Errichtung von Demonstra- Um dieses Informationsdefizit zu füllen, müßte tionsprojekten für die fortgeschrittenen Reaktorli- Bonn nicht einmal viel Geld ausgeben. Wichti- nien. ger als Hunderte von Millionen — in drei Jah- ren 300 Millionen DM — sind einige gute An dieser Stelle kann man nur sagen: Wir wün- Ideen. schen dem Minister noch mehr Erfolg, insbesondere daß es ihm beim Schnellen Brüter gelingt, die bisher Da müßte eigentlich der Forschungsschwerpunkt fehlenden HEW und VEW noch dazu zu bringen, ih- liegen. Ich habe meine Bedenken, ob das mit diesem ren Beitrag zu leisten. Ansatz, der von Null auf hundert Millionen hochge- fahren worden ist, richtig gemacht wird. Hier werde (Beifall bei der FDP und der SPD) ich als Haushälter kritisch sein und kritisch bleiben. Zweiter Aspekt hierbei: Wir müßten die staatli- Ich hoffe, daß wir das gemeinsam gut regeln werden, chen Zuschüsse noch mehr auf den marktfernen, Herr Minister. tatsächlichen Anteil von Forschung und Entwick- Nun ein Wort zu den Projektträgern. Wir hören es lung beschränken und auf Übernahme der Restko- immer mehr, es ist auch hier schon gesagt worden; sten und Rückzahlung der staatlichen Forschungs- man sollte es aber nochmals sagen. Immer mehr von aufwendungen durch die zukünftigen Nutzer drän- der Energie und der Zeit für die Forschung muß für gen. Dies gilt für die Urananreicherung und für die den Aufwand geopfert werden, den man zur Abfas- Entwicklung von Brennelementen; dies gilt auch für sung der Anträge hat, um an die Forschungsmittel die Entwicklung von Entsorgungstechnologien und heranzukommen. nicht zuletzt für die Entwicklung beim Bau des TV- Satelliten. Hier ist die Bundespost säumig. Wir wis- (Lachen bei der CDU/CSU) sen auch, daß die Bundesbahn bei dem Projekt Rhei- Die Forschungsbürokratie schlägt hier Kapriolen. ne/Freren säumig ist. Da müssen Sie, Herr Minister, Es gibt einen zu großen und einen sehr kostenauf- noch mal stärker nachdrücken. wendigen Verwaltungsapparat. (Zustimmung bei der FDP und der SPD) (Beifall des Abg. Glos [CDU/CSU]) Beim Schnellen Brüter sind wir mittlerweile in Hier waren wir als Haushälter immer noch nicht er- der Situation, folgreich genug. Hier muß immer noch etwas getan (Glos [CDU/CSU]: Der ist schon längst ein werden. langsamer Brüter!) Man muß allerdings sagen: Das Ministerium hat daß die Versorgungsunternehmen eingesehen ha- schon reagiert. In dem von mir eben kritisierten Be- ben, daß ihr Anteil zu gering ist. Ich bin auch der fe- reich der Anwendung der Mikroelektronik wird zum sten Meinung, wäre ihr Anteil von vornherein grö- ersten Mal die sogenannte indirekte spezifische For- ßer gewesen, hätte man, weil das Interesse der Indu- schungsförderung eingesetzt. Ich glaube, wir sollten strie größer gewesen wäre, den Kostenaufwuchs das wohlwollend kritisch begleiten und gucken, ob besser in den Griff bekommen. Das ist auch ein sich dieses Instrument bewährt. Ich verspreche mir Grund, weswegen wir sagen: mehr finanzielle Betei- davon etwas weniger an Forschungsbürokratie. ligung der Privaten an solchen Vorhaben! Ebenso Ich möchte den Minister aber auch auf einen For- wie die andere Industrie muß sich auch die Elektrizi- schungsbericht der National Science Foundation in tätsversorgungsindustrie daran gewöhnen, in Zu- den USA hinweisen, in dem nachgewiesen wird, daß kunft einen größeren Anteil an diesen Projekten zu Forschungsförderung so etwas wie Glückssache ist. übernehmen. Man hat eine bestimmte Zahl von Forschungsvorha- Beim Hochtemperaturreaktor 300 ist — glückli- ben, die durch ein Gutachtergremium als for- cherweise, muß man sagen — ein brauchbares Fi- schungswürdig erklärt worden sind, einem anderen nanzierungskonzept vorgelegt worden. Wir haben ja Gremium vorgelegt, und dieses kam zu dem Ergeb- zusätzlich die Treuarbeit eingesetzt, um zu püfen, nis, daß mehr als ein Viertel der von dem ersten Gut- wie durch Aufnahme vom Fremdmitteln und über achtergremium befürworteten Forschungsvorhaben staatliche Bürgschaften eine endgültige Inbetrieb- nicht befürwortet werden können. Das heißt, durch nahme sichergestellt werden kann. Zu fragen ist ei- die zufällige Auswahl von Gutachtergremien kommt gentlich nur — und das ist auch das Problem, das im sehr viel Losglück in die Forschungsförderung hin- Hause noch nicht ganz gelöst ist —, wie man das ein. Hier ist das Problem, das auch bei der deutschen Desinteresse der EVUs an der Nutzung verringern Forschungsförderung existiert: Die Zahl der Gutach- kann, wie man die EVUs dazu bringen kann, mehr tergremien, die existieren und die wieder neu beru- Interesse an der Nutzung zu zeigen. fen werden, ist zu groß. Aus industriepolitischer Sicht bietet meines Er- Der letzte Aspekt ist der finanzielle Aspekt. Eine achtens gerade der Hochtemperaturreaktor eine stärkere Beteiligung von Errichtern, Betreibern und technologisch interessante Anwendungsbreite. Nutzern von Demonstrationsanlagen an den Kosten Stichwortartig seien hier neben der reinen Stromer- für die Entwicklung, Errichtung und den Betrieb sol- zeugung z. B. die Nutzung der Prozeßwärme, der cher Anlagen ist aus unserer Sicht unbedingt not- Verbund Kohle/Kernenergie und der Wärmemarkt wendig. genannt. Dies sollte eigentlich eine dringende Ver- (Beifall bei der SPD) anlassung sein, mit dem Prototyp des Hochtempera- Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4787

Dr. Zumpfort turreaktors die notwendige Betriebserfahrung zu ben. Aber Sie sind doch Haushälter, und als Haus- gewinnen, um dann über eine weitere sinnvolle hälter müssen wir doch einmal ein Exempel statu- Nutzung dieser Technologie nachzudenken. ieren, damit es in Zukunft richtig geht. Es gibt noch zwei Probleme, auf die ich gesondert (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: Sagen Sie eingehen werde; dann komme ich zum Schluß. das einmal Ihren Kollegen, die sich hier in Versprechungen überboten haben!) Das eine Problem ist das der Personalkürzungen im Großforschungsbereich. Was mich stört, ist fol- — Nein, wir haben nichts versprochen, wir haben gendes. Ich habe mittlerweile ein dickes Bündel von das Verfahren gewählt, das ich Ihnen dargestellt Beschwerdebriefen der Großforschungseinrichtun- habe. gen bekommen, und da bin ich sicherlich nicht der Schließlich ein Wort zur Humanisierung der Ar- einzige. Wie war denn der Zusammenhang? Der Mi- beit. Wir alle kennen das Problem; es ist hier öfter nister selber hat angekündigt, daß er in einem Zeit- diskutiert worden. Es handelt sich auch hier um ein raum von fünf Jahren rund 7,5 % an Personal einspa- Projekt, das in der Vergangenheit zu üppig gefördert ren will, was auch richtig ist. Daran haben Sie, Herr worden ist. Es ist auch immer politischer Druck von Stavenhagen, eigentlich auch nichts auszusetzen ge- seiten der Gewerkschaften vorhanden gewesen, hier habt. Was haben wir gemacht? Wir als Haushälter nicht zu kürzen. haben erkannt, daß die 1 %igen Stellenkürzungen, die wir für den Haushalt 1981 beschlossen hatten, Aber, meine Damen und Herren, ich darf Ihnen nicht nur in diesem Hause, sondern auch in anderen einmal ein Inserat aus der „Zeit" vorlesen. Das habe Häusern nicht in unserem Sinne umgesetzt worden ich auch dem Finanzminister vorgelesen, und er ver- sind. Deswegen haben wir beim Haushalt 1982, als stand auch nicht, was da im Rahmen der Humanisie- wir wiederum beschlossen haben, 1 % der Stellen zu rung der Arbeit gefördert werden soll. Dort schreibt kürzen, die Sache selber in die Hand genommen und der Projektträger aus und erbittet Angebote für eine dazu gesagt: Wir kürzen nun kegelgerecht. Dies ha- Untersuchung. Die Untersuchung heißt — ich rede - ben wir auch im Forschungsbereich zur Grundlage jetzt langsamer, damit die Stenographen mitkom- machen müssen, weil die Bürokratie in der Vergan- men —: genheit auch bei der Forschung zugeschlagen hat, (Zuruf von der CDU/CSU: Die kommen so weil j a auch die Forschung mit Stellenplänen ge- wieso mit!) wachsen ist. Also konnten wir nur die Stellenpläne Darstellung und Analyse disziplinspezifischer und und Stellenkegel nehmen. disziplinübergreifender Forschungsansätze zur Er- Wir haben anschließend dem Minister die Freiheit fassung arbeitsbedingter psychischer Belastung gelassen, die Stellen, die wir zur Kürzung vorge- und Beanspruchung. — Damit diejenigen, die das schlagen haben, selber umzusetzen. Ich weiß nicht, Angebot lesen und sich eventuell beteiligen wollen, ob er den Forschungsinstituten mitgeteilt hat, daß er auch wissen, was damit gemeint ist, steht darunter die Auswahl getroffen hat; denn offensichtlich sind in Klammern: Bestandsaufnahme und Analyse von wir, die Haushaltsabgeordneten, die Buhmänner in Forschungsansätzen zur Entwicklung von For- diesem Verfahren, und das ist das, was ich hier kriti- schungsansätzen für Feldversuche. siere. (Heiterkeit) Wir haben auf die vielen Briefe auch reagiert. Die Genau das, meine Damen und Herren, ist das Pro- Kollegin Simonis hat, stellvertretend für die Haus- blem! Hier finanzieren wir eine Forschungsbürokra- haltsgruppe der Koalition, den Instituten einen Brief tie, und die Anwender, die Betroffenen, die Arbeiter, geschrieben, und ich mache hier, stellvertretend für wissen gar nicht, was sie damit anfangen sollen; sie meinen Obmann, Herrn Hoppe, den Vorschlag, daß verstehen es nämlich nicht. sich die Obleute der Haushaltsgruppen auf ihrer nächsten Sitzung zusammensetzen, um über Flexi- (Stahl [Kempten] [SPD]: Na, na!) bilität beim Haushaltsvollzug 1982 zu sprechen. Das ist das Problem! (Stahl [Kempen] [SPD]: Sehr gut!) (Beifall bei der FDP) Ich glaube, damit können wir die Probleme in die- sem Bereich in den Griff bekommen. Vizepräsident Wurbs: Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen. Ihre Redezeit ist abge- (Zustimmung bei der FDP und der SPD) laufen. Es kann aber nicht sein, daß uns noch ganz schnell von hinten durch die Brust per Gesetzesantrag in Dr. Zumpfort (FDP): Wir stimmen dem Haushalt zweiter und dritter Lesung etwas zugemutet werden des Forschungsministers zu. Wir wissen, wo die poli- soll, was wir schon vorher abgelehnt haben. Ich den- tische Aufgabe für dieses Haus für die 80er Jahre ke, dieses Verfahren von seiten der Regierung war liegt. Sie liegt darin, daß eine zweite Industrialisie- nicht ganz sauber. rungsphase vorwärtsgetrieben werden muß. Unsere Wirtschaft muß mit Unterstützung des Forschungs- (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: Sie geben ministers eine Art von technologischem Quanten- also zu, daß Sie hier einen Fehler gemacht sprung machen. Das Problem für den Forschungs- haben?) minister ist allerdings folgendes. Wir Haushälter — Herr Stavenhagen, wir haben j a das Problem im fühlen uns — vielleicht lassen Sie mich das noch sa- Haushaltsausschuß besprochen und gesagt, im gen — insbesondere bei seinem Haushalt wie Zahn- Jahre 1983 wollen wir noch größere Flexibilität ha ärzte: Wo wir näher hinschauen, entdecken wir im- 4788 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Dr. Zumpfort mer neue Löcher. Es ist dem Forschungsminister ei- Zahl der Patente an, sondern darauf, in welchem gentlich nur zu wünschen, daß es ihm und uns ge- Umfang auswertbare Ergebnisse vorliegen. lingt, diese Löcher in Zukunft schnell zu stopfen, da- (Beifall bei der SPD) mit er diese Aufgabe der 80er Jahre lösen kann. — Vielen Dank. Da muß man z. B. die ganzen Manipulationen inter- (Beifall bei der FDP und der SPD — Lenzer nationaler Konzerne herausrechnen, die natürlich [CDU/CSU]: Wie können Sie dann dem über die Patentbilanzen Gelder von dem einen Land Haushalt zustimmen?) in das andere hin- und herschieben und die Defizite oder Gewinne dort entstehen lassen, wo sie sie am günstigsten — meistens steuerrechtlich — verkraf- Das Wort hat der Herr Bun- Vizepräsident Wurbs: ten können. Wenn man die Patentbilanz auf die na- desminister Dr. von Bülow. tionalen Unternehmen beschränkt, erkennt man, daß die Patentbilanz durchweg sehr positiv ist, was Dr. von Bülow, Bundesminister für Forschung und nicht heißt, daß Japan in den letzten Jahren nicht Technologie: Herr Präsident! Meine sehr verehrten tatsächlich zu dem großen Herausforderer gewor- Damen und Herren! Lassen Sie mich in wenigen den ist, wie wir ja alle wissen. Worten auf die Gegenstände der heutigen Debatte eingehen. Zu den Nobelpreisen. Es ist sicher richtig, daß un- sere Wissenschaft nach dem Krieg — das gilt für die Zunächst zu Ihnen, Herr Stavenhagen. Die globale ganzen letzten Jahrzehnte — nicht so zugkräftig ge- Minderausgabe von 150 Millionen DM ist nicht wesen ist und nicht zu so herausragenden Ergebnis- schön, sie ist aber natürlich das Ergebnis der Kür- sen geführt hat, wie das vielleicht in den 20er, 30er zungsaktion für 1981 und die folgenden Jahre mit ei- Jahren der Fall gewesen ist, bevor die hervorragend- ner Absenkung der mittelfristigen Finanzplanung sten Wissenschaftler aus Deutschland herausgejagt um 2 Milliarden DM, der Probleme, die daraus ent- - oder ermordet worden sind. Dieser Aderlaß an füh- standen sind, und des Versuchs, diese Lücke wieder renden Persönlichkeiten in der wissenschaftlichen zu schließen. Ich kann nur sagen, daß bei einem Etat Welt wird uns vermutlich noch einige Jahrzehnte be- von 6 Milliarden DM und einer Fülle von Projekten, gleiten. Daran führt keine Forschungsförderung die j a im Forschungs- und Entwicklungsbereich an- vorbei, daß dieser Tatbestand so ist. Hinzu kommt gesiedelt sind, die Dinge nicht so planmäßig ablau- die ganze sehr schnell durchgezogene Verjüngung fen können wie die Automobilproduktion eines Mo- an den Universitäten, die nicht immer dazu geführt nats, so daß es die Möglichkeit gibt, im Haushalts- hat, daß überall gleichmäßige Qualität eingezogen vollzug diese Einsparungen zu erbringen. Ich habe ist. ja vor dem Haushaltsausschuß meine Ehre als ehe- maliger Haushälter dafür verpfändet, daß dies unter (Lenzer [CDU/CSU]: Die unsinnige Hoch dem Strich auch dabei herauskommt. schulreform!) Zur Frage der direkten und indirekten For- — Dazu kann man viel sagen. Das wäre eine Frage schungsförderung folgendes. Ich muß sagen, dies ist der Bildungspolitik, die wir jetzt nicht in die Tiefe allmählich ein so unfruchtbarer Streit, daß man ihn hinein erörtern können. nicht hier durch Beiträge weitertreiben sollte. Herr Stavenhagen, ich glaube, wir sind uns darüber einig, (Pfeifer [CDU/CSU]: Aber im Prinzip hat daß man mit Steueranreizen Durchbrüche im wis- Herr Lenzer recht!) senschaftlichen Bereich grundsätzlich nicht erzie- Lassen Sie mich noch etwas zu den Gutachten sa- len kann, es sei denn, Herr Kaiser mit seiner gen. Die Zahl der Gutachten, die wir für unsere OTRAG in Libyen, oder wo immer er in den näch- Zwecke eingeholt haben, ist in den letzten Jahren sten Jahren angesiedelt sein mag, wird mit Hilfe der stark zurückgegangen. Ich wehre mich aber auf der Steuergutschriften, die ihm irgendein Finanzamt — anderen Seite gegen die Verteufelung von Gutach- ich glaube, in der Nähe von Frankfurt — vor einigen ten. In den einzelnen Referaten des Ministeriums Jahren eingeräumt hat, über eine Abschreibungsge- sitzen ja keine Führerpersönlichkeiten, die auf sellschaft tatsächlich mal eine Rakete erfolgreich in Grund eigener totaler Sachkenntnis ihre Förderent- den Himmel hineinbekommen. Das wäre der erste scheidungen treffen, sondern diese Förderentschei- Beweis dafür, daß man über Steuervergünstigungen dungen sollen aufbauen auf die saubere Eruierung auch wissenschaftliche Durchbrüche erzielen kann. der gesamten Landschaft, auf die Untersuchung, Ansonsten glaube ich daran nicht. Wir sollten diesen was dort bisher geschieht. Man kann sich nicht allen Streit beenden und sollten uns überlegen, wo in der Sachverstand ins Haus holen; sonst würde das eine Tat die Vorteile von indirekter Forschungsförde- Forschungsbürokratie, die vielleicht englische, fran- rung — und die indirekt spezifische Förderung ist j a zösische oder amerikanische Ausmaße annähme. auch ein Ansatz, um in dieser Angelegenheit etwas Diese 600 Beamte sind vielmehr darauf angewiesen, weiterzukommen — und wo die Vorteile von direk- das Wissen, das es draußen im Land gibt, ins Haus ter Förderung sind. Beides hat seine Nachteile, bei- zu holen und Gutachten einzuholen, um sich insge- des hat seine Mitnehmereffekte. Man muß beides samt schlauer zu machen. Ich glaube, im Prinzip ist sauber gegeneinander abwägen und sich dann ent- dagegen nichts einzuwenden. Diese Entscheidungen scheiden, wo man zu welchem Mittel greift. müssen gut begründet werden. Auf der anderen Die Patentbilanz ist, glaube ich, auch ein Ever- Seite sollte man natürlich nicht aus Ängstlichkeit green in den Debatten über den Forschungshaus- auf Gutachter zurückgreifen; das ist eine Selbstver- halt. Es kommt im Grunde genommen nicht auf die ständlichkeit. Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4789

Bundesminister Dr. von Bülow Nun zur Diskussion über den Schnellen Brüter. wohl Holland als auch Belgien beteiligen. Die Ge- Ich bin dankbar, daß sich Lösungen abzeichnen, die spräche sind im Gang. Mehr kann dazu im Augen- es ermöglichen, dieses Projekt über den Februar blick nicht gesagt werden. hinaus zu einem erfolgreichen Ergebnis zu führen. Lassen Sie mich etwas zum Es stehen eine Reihe von Bedingungen zur Debatte. Bürokratismus sagen. Dieser Bürokratismus wird ja landauf, landab be- Eine der Bedingungen betrifft den Parlamentsvor- klagt. Schlagworte helfen dabei überhaupt nicht. Es behalt zur Inbetriebnahme des Schnellen Brüters. hilft nur eine sehr, sehr mühsame Auseinanderset- Es steht für mich außer Frage, daß man Elektrizi- zung mit den jeweiligen Tatbeständen und natürlich tätsversorgungsunternehmen nicht an der Finanzie- rung beteiligen kann, solange dieser entscheidende die Auseinandersetzung zwischen den für die Wis- senschaft und den für die Finanzen Verantwortli- Vorbehalt besteht. Deswegen haben wir den Elektri- zitätsversorgungsunternehmen auch gesagt, daß wir chen. Je mißtrauischer man gegenüber staatlichen sie um eine Beteiligung an dem Projekt für den Fall Einrichtungen einschließlich den Forschern in ihren bitten, daß der Parlamentsvorbehalt aufgehoben jeweiligen Instituten ist, desto mehr führt das zu wird. So lautet die Konstruktion. Überwachungsvorgängen, die die Bürokratie aufer- legt. Je mehr Vertrauen Sie auf der anderen Seite in Was die Bedingungen der Landesregierung von die Forschung setzen — ich bin prinzipiell dafür, zu- Baden-Württemberg angeht, so ist der Bundeskanz- nächst einmal mehr Vertrauen zu gewähren —, um ler darauf in seinem Brief bereits eingegangen, so eher werden Sie Mißbräuche ermöglichen. Beides ebenfalls Graf Lambsdorff in der Debatte über die muß gegeneinander abgewogen werden. Fortschreibung des Energieprogramms. Die Bun- desregierung ist der Meinung, daß in Baden-Würt- Wenn wir gerade über Bürokratismus reden, so temberg im Zuge der Deckung des Grundlastbedarfs lassen Sie mich in dem Zusammenhang auch zur Kernkraftwerke zugebaut werden müssen. Wir blei- Personalstellenkürzung im Forschungsbereich et- ben aber auf der anderen Seite bei der Politik, daß was sagen. Als ich das Ministerium übernahm, habe wir konkrete Standortentscheidungen nicht treffen ich mich angesichts der knappen Mittel dazu ent- können. Das war bisher schon so. Das liegt nicht im schlossen, bei den Großforschungseinrichtungen — Kompetenzbereich der Bundesregierung. nicht etwa bei der Max-Planck-Gesellschaft — eine Kürzung der Personalstellen in der Größenordnung (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: Sie sind von 7,5 % über fünf Jahre anzuordnen. Ich habe nicht doch Mitglied der Landespartei!) angeordnet, daß diese Stellen von vornherein genau — Das war ja nicht die Bedingung, daß die Landes- auszubringen sind, sondern ich habe den Großfor- partei zu Kreuze kriecht. Das wird sie auch nicht schungseinrichtungen gesagt, sie müßten ein Pro- tun. Solche nahezu ademokratischen Vorstellungen gramm zur Restrukturierung ihres gesamten For- können Sie auch über derartige Regierungsvorbe- schungsprogramms erstellen. In diesem Rahmen halte nicht durchsetzen wollen. Das ist völlig ausge- sollten sie Vorschläge machen, wie diese Kürzungen schlossen. zu erbringen seien. Vizepräsident Wurbs: Herr Bundesminister, gestat- Der Haushaltsausschuß hat diese Aktion sozusa- ten Sie eine Zwischenfrage? gen überhöht bzw. ergänzt, indem er seinerseits eine 1%ige Kürzung im Stellenbereich einschließlich Dr. von Bülow, Bundesminister für Forschung und Max-Planck-Gesellschaft und anderen beschlossen Technologie: Ja, bitte. hat. Der Ausschuß hat allerdings ein völlig anderes Verfahren gewählt, indem er die jeweilige Wertig- Dr. Bugl (CDU/CSU): Herr Minister, trifft es zu, daß Sie erklärt haben, daß die Grenze von 5 Milliar- keit der Stellen genau festgelegt hat. den DM beim Schnellen Brüter nicht überschritten (Pfeifer [CDU/CSU]: Die Mehrheit des wird? Haushaltsausschusses!) Dr. von Bülow, Bundesminister für Forschung und Ich halte das nicht für besonders glücklich. Ich halte Technologie: Dazu komme ich jetzt. Die 5 Milliarden die Lösung, die wir gesucht haben — den For- DM sind, als ich das Ministerium übernahm, in einer schungsinstitutionen die Freiheit zu geben, zu- sehr umfangreichen Recherche nicht festgelegt, son- nächst einmal selbst zu planen, und dann die ent- dern von allen an der Errichtung des Schnellen Brü- sprechenden Kürzungen auszuwerfen — für flexi- ters Beteiligten ermittelt worden. Diese Kosten- bler, für unbürokratischer als das, was der Haus- schätzung beruht auf einer sehr ehrgeizigen An- haltsausschuß beschlossen hat. nahme von Zeitplänen für die Errichtung dieses (Lenzer [CDU/CSU]: Das ist auch richtig!) Kraftwerks. Sollte es im Rahmen dieser Parameter Veränderungen geben, sind tendenzielle Kostenstei- Ich bin dankbar dafür, daß es sowohl hier als auch gerungen natürlich zu diskutieren. Dann stellt sich außerhalb des Parlaments Erklärungen gegeben aber immer noch die Frage, ob die an den Unterneh- hat, daß man bereit sei, gemeinsam mit dem Mini- men Beteiligten nicht alles daransetzen, diese Ko- sterium nach Flexibilität in der Durchführung zu su- stensteigerungen nicht Wirklichkeit werden zu las- chen. sen. Insgesamt möchte ich sagen, daß wir es uns in den Was die Beteiligung von Holland und Belgien an- nächsten Jahren sehr überlegen müssen, ob wir im geht, so sind wir nach wie vor guter Dinge, daß das Bereich der Forschung weitere Stellenkürzungen Ziel erreicht werden kann, daß sich bei einer gewis- vornehmen können und sollen. Es besteht die Ge- sen Plafondierung — von 3,4 Milliarden DM — so- fahr, daß wir ganze Jahrgänge von kreativen und 4790 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Bundesminister Dr. von Bülow tatkräftigen Forschern einfach aus der Forschungs- die CDU/CSU-Länder — meines Erachtens willkür- landschaft verbannen. Das können wir uns weder lich — vom Zaun gebrochen haben. von der Wissenschaft her noch von der Volkswirt- (Beifall bei der SPD und der FDP) schaft her leisten. Die Mehrzahl von uns vertraut darauf, daß wir mit (Beifall bei der SPD und der FDP und bei einer Politik des militärischen Gleichgewichts, mit Abgeordneten der CDU/CSU) einer Politik der flexiblen Antwort, mit einer Politik der Abschreckung vom Krieg in den letzten Jahr- Auch hier sieht man einmal mehr, daß die Frage, zehnten Sicherheit und Frieden gesichert haben und was eigentlich Konsum ist, sehr differenziert zu be- daß es wahrscheinlich auch möglich sein wird, diese urteilen ist. Personalausgaben im Forschungsbe- Sicherung in die Zukunft fortzuschreiben. Aller- reich können nicht nur unter rein konsumtiven Ge- dings muß man wissen, daß diese Art von Frieden, sichtspunkten gesehen werden. der j a für beide Seiten außerordentlich kostspielig ist, alles andere als komfortabel, alles andere als (Beifall bei der SPD und der FDP) letztlich sicher ist. Zur Projektförderung: Herr Zumpfort, es ist tat- Von daher ist die Sehnsucht, neue Konzepte zu su- sächlich richtig, daß wir nach wie vor eine große chen, zu hinterfragen, ob das, was wir als Konzept, Zahl von Projekten haben. Aber Sie müssen sehen, als Strategie haben, eigentlich richtig ist, völlig daß allein 30% dieser 6 000 bis 7 000 Projekte im selbstverständlich. Ich bin der Meinung, daß dar- Hochschulbereich laufen. Sie stellen dort teilweise über nicht nur die Apparate nachdenken müssen, das Salz in der Suppe dar. Ohne diese Förderung sondern daß auch die Wissenschaft mit ihrer Fähig- würde bei den Hochschulen ein erheblicher Rück- keit, Kritik aufzubauen und konstruktiv einzuset- schlag eintreten. zen, gefordert ist. Deswegen bin ich nach wie vor der Meinung, daß die Initiative des ehemaligen Bundes- - Ein weiterer Bereich sind die kleinen und mittle- präsidenten Gustav Heinemann richtig angesetzt ren Unternehmen. Wenn wir uns nur mit großen Un- hat. ternehmen abgäben, könnte ich mich verpflichten, auf verhältnismäßig wenige Projekte zurückzuge- (Beifall bei der SPD und der FDP) hen. Dann würde man einen Sammeltitel nehmen Nun hat die bayerische Landesregierung ihren und Siemens, AEG oder wem auch immer entspre- Austritt aus der Deutschen Gesellschaft für Frie- chende Positionen einräumen, wie das andere Staa- dens- und Konfliktforschung beschlossen. ten auch tun. Wenn man aber den Ehrgeiz verfolgt, (Zuruf von der CDU/CSU: Zu Recht!) kleinen und mittleren Unternehmen zu helfen, kommt man zu größeren Zahlen. Offensichtlich paßt die ganze Richtung nicht. Die Landesregierung hat, nachdem sie ihren Austritt be- Dabei muß ich Ihnen sagen, daß wir im Bereich schlossen und bekanntgegeben hatte, einen Gutach- der Mikroelektronik gerade versuchen, die Bürokra- ter beauftragt der nachweisen sollte, daß die Deut- tisierung massiv zurückzudrängen. Dadurch, daß in- sche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktfor- nerhalb von sechs Wochen der Förderungsbescheid schung parteiisch bzw. nicht unvoreingenommen ar- da ist, die Summe in etwa auf 800 000 DM begrenzt beitet. Der Gutachter, entsprechend ausgesucht, ist, haben wir, glaube ich, ein Maß von Entbürokrati- kam natürlich pflichtgemäß zu dem gewünschten sierung erreicht, von dem ich hoffe, daß es dann Ergebnis. Ohne daß die Ergebnisse dieser For- auch auf anderen Feldern anwendbar ist. schung auch nur irgendwie einem kritischen Ver- fahren unterworfen worden wären, ohne daß Rede Ich bin auch nicht sicher, ob Sie das folgende rich- und Gegenrede stattgefunden hätten, haben sich an- tig sehen. Natürlich stellt sich bei der Anwendung dere CDU-Landesregierungen dem angeschlossen. der Mikroelektronik zunächst einmal die Frage, ob Ich hoffe, daß die verbleibenden Landesregierungen die Unternehmen rechtzeitig gespürt haben, daß noch bei der Stange bleiben. Sollte dies aber nicht hier eine große Herausforderung auf sie zukommt. der Fall sein, dann können wir es nicht zulassen, daß Das ist sicher in vielen Unternehmen nicht der Fall eine solche Forschungsrichtung, die wir für die Zu- gewesen und zum Teil heute noch nicht der Fall; ein- kunft auch im Interesse des Dialogs mit der Jugend fach weil die personelle Zusammensetzung des Un- für notwendig halten, kleinkariertem Denken zum ternehmens eher zur Fortsetzung der traditionellen Opfer fällt. Richtung führt als zur neuen Richtung der Mikro- elektronik. Wir wollen mit diesem Mikroelektronik (Beifall bei der SPD und der FDP) Programm gerade einen Anreiz dafür geben, sich Ich möchte hier erklären, daß wir, wie immer sich nun massiv damit zu beschäftigen; denn wenn wir die CDU/CSU-Landesregierungen auch einstellen mit der deutschen Maschinenbauindustrie, und werden, nach Mitteln und Wegen suchen werden, zwar gerade mit der mittelständischen, weiter zu- diese Mittelansätze aufrechtzuerhalten. rückfallen, werden wir ganz massiv Marktanteile verlieren. Vizepräsident Wurbs: Herr Bundesminister, gestat- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. etwas zu einem Thema sagen, das nicht angespro- Stavenhagen? chen worden ist, zur Friedens- und Konfliktfor- schung. Hier tobt ein kleinkariertester Streit — Dr. Stavenhagen (CDU/CSU): Herr Minister, ange- noch hervorgerufen durch den Wahlkampf —, den sichts dieses Gutachtens frage ich Sie: Halten Sie es Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4791

Dr. Stavenhagen nicht für einen guten Vorschlag, die Mittel nicht zu Ich rufe auf streichen, sondern bei der Deutschen Forschungsge- Einzelplan 06 meinschaft anzusiedeln, damit diese Forschung dort nach objektiveren Gesichtspunkten gefördert wer- Geschäftsbereich des Bundesministers des den kann? Innern (Beifall bei der CDU/CSU) — Drucksache 9/1186 — Berichterstatter: Dr. von Bülow, Bundesminister für Forschung und Technologie: Was das Gutachten bringt, geht auf Abgeordnete Gerster (Mainz) sehr, sehr selektiv ausgesuchte Tatbestände zurück. Dr. Riedl (München) Es umfaßt nicht mehr als die Jahre bis 1978. Es han- Kühbacher delt sich nicht um ein sehr objektives Gutachten. Ich Gärtner bin der Meinung, man sollte es einem kritischen Einzelplan 36 Verfahren unterziehen, öffentlich diskutieren und Zivile Verteidigung erst daraufhin seine Meinung bilden. Ich glaube — Drucksache 9/1206 — nicht, daß allein der Vorschlag, der dahin geht, die Mittel zur DFG hinüberzugeben, eine nennenswerte Berichterstatter: Verbesserung der ganzen Angelegenheit bringt. Das Abgeordnete Borchert gilt insbesondere dann, wenn es darum geht, in die- Kühbacher sem Bereich eine langfristig angelegte Forschungs- Einzelplan 33 politik zu betreiben. Versorgung Vizepräsident Wurbs: Herr Bundesminister, gestat- - Drucksache 9/1204 — ten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordne- Berichterstatter: ten Catenhusen? Abgeordnete Borchert Kühbacher Catenhusen (SPD): Herr Minister, können Sie be- stätigen, daß die Deutsche Forschungsgemeinschaft Interfraktionell ist eine verbundene Debatte über bereits jetzt an den Entscheidungen über Förderung die Einzelpläne 06, 36 und 33 mit einer Debatten- bei der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und dauer von 100 Minuten vereinbart worden. — Ich Konfliktforschung beteiligt ist? sehe: Das Haus ist damit einverstanden.

Dr. von Bülow, Bundesminister für Forschung und Wird von den Berichterstattern das Wort ge- Technologie: Das ist so und wird auch in Zukunft so wünscht? — Das ist nicht der Fall. bleiben. Gleichwohl ist eine solche Einrichtung, die Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort sich speziell mit der Frage der Friedens- und Kon- hat der Abgeordnete Gerster. fliktforschung beschäftigt, wie die DGFK wertvoll, um die Friedensforschung voranzutreiben. Ich möchte schließen mit dem Dank an die Be- Gerster (Mainz) (CDU/CSU): Herr Präsident! richterstatter und den Haushaltsausschuß dafür, Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich daß sie es in Zeiten äußerster Sparsamkeit und des möchte zu Beginn der zweiten Beratung des Einzel- Zurückführens vieler Ansätze gleichwohl erlaubt plans 06 — des Bundesinnenministers — diesen haben, neue Schwerpunkte mit teilweise überpro- Bundesinnenminister Baum und seinen Staatsse- portionalen Steigerungen zu setzen. Das gilt für die kretär von Schoeler sehr herzlich in unserem Kreis Informationstechnik, besonders die Mikroelektro- begrüßen. Im Gegensatz zu seinen Ministerkollegen nik, die Biotechnologie, die Energieforschung, be- und den Staatssekretärskollegen waren die beiden sonders im nichtnuklearen Bereich, und die optische Herren ja in keinem Stadium der Haushaltsberatun- Nachrichtentechnik. Ich glaube, daß wir mit diesem gen im Ausschuß und bei den Berichterstatterge- Haushalt auf dem guten Weg sind, die Umstrukturie- sprächen in den letzten Monaten anwesend. Sie hat- rung unserer Industrielandschaft, die im nächsten ten natürlich immer Wichtigeres zu tun. Aber ich er- Jahrzehnt vor uns steht, einzuleiten. — Herzlichen kenne es wohlwollend an, daß sie bei dieser zweiten Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Beratung beide und zur gleichen Zeit da sind und ge- (Beifall bei der SPD und der FDP) wissermaßen ihren Premiereneinstand in der Haus- haltsberatung des Jahres 1982 feiern. Vizepräsident Wurbs: Weitere Wortmeldungen lie- gen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Dieser Einzelplan des Innenministers mit einem Gesamtvolumen von 3,5 Milliarden DM stellt in dem Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- Gesamtrahmen des Haushalts in Höhe von 240 Mil- plan 30 — Geschäftsbereich des Bundesministers liarden DM keinen sehr großen Teil dar. Und doch für Forschung und Technologie —. Wer dem Einzel- sind 3,5 Milliarden DM für die unheilvolle Politik des plan 30 in der Ausschußfassung zuzustimmen Herrn Baum viel zuviel. wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ge- genstimmen? — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist (Beifall bei der CDU/CSU) angenommen. Ich möchte heute hier über die Politik reden, die (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: Aber sehr mit diesen Finanzmitteln betrieben werden soll, und knapp!) nicht über Zahlen. Denn die Innenpolitik dieser Re- 4792 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Gerster (Mainz) publik ist die Folge eines ganz bestimmten Amtsver- soweit sie dazu in der Lage ist, Unsicherheiten abzu- ständnisses dieses Ministers. bauen, und dies kann nur auf die sehr naheliegende (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: So ist es!) Weise geschehen, daß man Sicherheit schafft. Herr Minister, genau dies lehnen Sie in vielen Einzelbe- Hier möchte ich eine Grundsatzbemerkung voran- reichen Ihres Amtes ab. Im Gegenteil, Sie vergrö- stellen. Der Innenminister hat Garant der inneren ßern durch Ihre Amtsführung die Unsicherheiten. Sicherheit und Garant der persönlichen Freiheit der Man hat vor Ihrer Berufung als Innenminister ge- Bürger zu sein. Beide Aufträge sind Teile einer ge- sagt, Sie seien ohnehin nur vierte Wahl. Wenn man meinsamen Aufgabe, die zu Konflikten führen kann. Ihre Arbeit betrachtet, muß man sagen: Diese Be- Denn Freiheit und Sicherheit schließen sich zwar trachter der Zeitgeschichte sind nicht enttäuscht nicht gegenseitig aus, können aber gegeneinander worden. Grenzen finden. Und da, wo diese Grenzen entste- hen könnten, sind sie so zu ziehen, daß ein Höchst- (Beifall bei der CDU/CSU — Löffler [SPD]: maß an Freiheit und Sicherheit erhalten bleibt. Sehr geschmackvoller Beitrag! Vor allem so sachlich!) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte dies an einem Beispiel persönlicher Dies entspricht nicht nur dem Verfassungsauftrag, Erfahrung verdeutlichen. Ich war vor einem Jahr in sondern auch dem Willen der ganz überwiegenden Brokdorf bei der Großdemonstration, um mit jungen Mehrheit der Bürger, die nicht Freiheit oder Sicher- Polizeibeamten, auch aus meinem Bundesland, zu heit, sondern Freiheit und Sicherheit zugleich wol- reden. Das waren Leute von 18, 20, 22 Jahren, die an len. diesem Fastnachtswochenende lieber in Mainz ge- (Beifall bei der CDU/CSU) wesen wären und dort gefeiert hätten, als bei Nacht und Nebel in der Kälte Gewalttätern gegenüberste- Diese Grenze zieht Herr Baum einseitig. Er schafft hen zu müssen. Ich wollte nach wochenlangen Pres- damit eine Schieflage zugunsten der Freiheit- einzel- sekampagnen und törichten Erklärungen — auch ner und zu Lasten der Sicherheit aller. des Innenministers und seines Parteifreundes (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Zügello Hirsch — vor dieser Demonstration ein Stück Soli- sigkeit!) darität beweisen, Herr Minister, das Sie bei diesen und anderen Anlässen nicht zeigen; denn sonst wä- Er kündigte dies auch hier in diesem Hause, etwa ren Sie auch einmal bei den Polizeibeamten. bei der Haushaltsdebatte 1979, an. Damals sagte er: (Beifall bei der CDU/CSU) Sicherheit in Freiheit ist möglich, aber ohne Diese jungen Leute, diese jungen Staatsbürger Freiheit gibt es keine Sicherheit. Den Bedro- sind keine Schlägertypen; sie werden aber in der Öf- hungen der Freiheit mit rechtsstaatlichen Mit- fentlichkeit zunehmend so dargestellt. Sie gingen teln zu begegnen, das ist die beste Verteidigung zur Polizei, um mit ihrem Beruf dem inneren Frie- der Freiheit. den zu dienen, werden aber zunehmend mit gewalt- tätigen Demonstranten auf eine Stufe gestellt, als Herr Minister Baum, Sie reden in dieser und auch würden hier zwei Kriegsgegner gegeneinander los- in anderen Reden merkwürdigerweise kaum von schlagen. Diese jungen Leute, Herr Minister, verste- der Bedrohung der Sicherheit. Sie reden in der Re- hen nicht, daß sie unter Inkaufnahme persönlicher gel nur von der Bedrohung der Freiheit. Der Satz, Gefahr in einen Konflikt gestellt werden, der auf po- ohne Freiheit gebe es keine Sicherheit, ist nur die litischer Ebene gelöst werden müßte, daß dann Poli- halbe Wahrheit. Ebenso richtig ist, was Sie ver- tiker ihnen die rechtlichen und praktischen Instru- schweigen, daß ohne Sicherheit auch keine Freiheit mentarien vorenthalten, die sie brauchen, um — ich möglich ist. nenne dieses Wort — Waffengleichheit wiederherzu- (Beifall bei der CDU/CSU) stellen. Dann erleben diese jungen Leute einen Bun- Genauso einseitig ist Ihre Folgerung, den Bedro- desinnenminister, dem beim Thema Grundrechte hungen der Freiheit müsse mit rechtsstaatlichen grundsätzlich nur die Rechte der Demonstranten Mitteln begegnet werden. Das ist einseitig und nur und von Radau- und Gewaltbrüdern einfallen. halb richtig. Ebenso wichtig ist, was Sie verschwei- (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der gen, daß auch den Bedrohungen der Sicherheit mit SPD) rechtsstaatlichen Mitteln zu begegnen ist. Herr Minister, diese Beamten haben auch das Recht Sie fühlen sich einseitig als Vorkämpfer der Frei- auf körperliche Unversehrtheit, wenn sie für den heit, die Sie einseitig gefährdet sehen. Dabei miß- Staat tätig werden. achten Sie nicht nur den Verfassungsauftrag Ihres Amtes, sondern auch die Bedürfnisse der ganz über- (Beifall bei der CDU/CSU) wiegenden Mehrheit unserer Bevölkerung. Sie selbst sollten zu diesem Thema einmal Stellung Herr Minister, die Bevölkerung hat heute Angst. nehmen. Angst vor Krieg, Angst vor sozialem Abstieg, etwa (von Schoeler [FDP]: Sie sollten sich schä durch Arbeitslosigkeit, Angst vor inneren Turbulen- men, Herr Gerster!) zen. Die Bevölkerung hat Angst, die Politiker könn- — Er soll sich schämen, Herr von Schoeler, und Sie ten ihre Daseinsprobleme nicht lösen. Herr Mini- auch. Auch Sie sind längst überfällig. ster, Angst ist ein Zeichen von Unsicherheit. Deswe- gen hat die Politik heute mehr denn je die Aufgabe, (Zurufe von der FDP und der SPD) Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4793

Gerster (Mainz) In dieser Ihrer Haltung liegt der Grund für die Diese Entwicklung, die wir bei der Bundeswehr ha- Krise im Bundesgrenzschutz. In fünf Jahren haben ben, finden Sie jetzt bei der Polizei wieder, weil Kol- von 5 000 Dienstanfängern rund 38 % den Bundes- legen aus der SPD sich hinstellen und so tun, als grenzschutz und damit die Sicherheit des öffentli- würden hier Schläger auf arme, notleidende und chen Amtes auf eigenen Wunsch verlassen. Diese hilflose Demonstranten losgelassen. Das ist genau jungen Leute haben keine Lust, bei Demonstratio- die gleiche Diskussionsgrundlage. nen den Kopf hinzuhalten, um dann zu erfahren, daß Meine Damen, meine Herren, dieser Minister der Bundesinnenminister für „pragmatische Lösun- steht auf der Seite der Freiheit. Mir scheint aber, daß gen" auch unter Hinnahme von Rechtsbrüchen ein- dieser Minister die Freiheit der Rechtsbrecher et- tritt, wie dies in einem Artikel der „Frankfurter was zu sehr in den Vordergrund stellt. Er ist eben Rundschau" bezeichnenderweise beschrieben wird. weiß Gott ein sehr liberaler Minister. Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Herr Kollege, erlau- Lassen Sie mich einen zweiten Bereich anspre- ben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordne- chen, das Beamtenrecht und die Funktionen des Mi- ten Tietjen? nisters als Dienstherr der Beamten. Herr Minister, Sie haben auf der beamtenpolitischen Tagung des Gerster (Mainz) (CDU/CSU): Aber gern. Wo ist er Deutschen Beamtenbundes ein klares Bekenntnis denn? zum Berufsbeamtentum abgelegt. Allen Teilneh- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) mern klang das wohl in den Ohren. Sie lehnten un- mißverständlich eine Absenkung des Anteils der Be- Tietjen (SPD): Herr Kollege, können Sie mir sagen, amten ab. Dann sagten Sie, wer Entbeamtungsten- ob Sie schon einmal den Versuch gemacht haben, denzen das Wort rede und dies als fortschrittlich wie ich das, zuletzt bei der Einsatzbereitschaft am ausweise, zeige deutlich, daß er Inhalt und Bedeu- Frankfurter Flughafen, getan habe, sachlich mit jun- tung der Funktion des Berufsbeamtentums gründ- gen Polizeibeamten zu reden und zu diskutieren, lich verkenne. — Ich weiß nicht, Herr Minister, ob und können Sie mir dann, wenn Sie es versucht ha- Sie dem Generalsekretär Ihrer eigenen Partei Un- ben sollten, bestätigen, daß diese Beamten, wenn kenntnis bescheinigen wollten, denn dieser, Herr man sachlich mit ihnen redet, ganz anders diskutie- Verheugen, erklärte genau sechs Tage später in der ren und ein ganz anderes Verhalten zeigen, als Sie „Bild"-Zeitung, man könne gut mit einer Million we- das hier jetzt glauben machen wollen? niger Beamten auskommen. Sämtliche Dienstlei- (Beifall bei der SPD und der FDP) stungen — wie bei Bahn und Post — könnten Ange- stellte übernehmen. — Besteht also zwischen Ihnen Gerster (Mainz) (CDU/CSU): Ich kann Ihnen nur und Herrn Verheugen Streit? Ich glaube, mitnichten. sagen: Sie müssen da mit einer besonderen Spezies Herr Verheugen sagt genau das was Sie seit Jahren von Polizisten geredet haben. Sagen Sie mir einmal, zulassen: die schrittweise Umwandlung von Beam- warum fast 40 % der Bundesgrenzschutzbeamten tenstellen in Angestelltenstellen. Ich sage Ihnen, trotz einer vernünftigen Berufsausbildung und einer was Sie tun: Sie sagen halt vor Beamten das, was Be- Chance im öffentlichen Dienst mit Unkündbarkeit amte gern hören wollen. Sie sind halt ein sehr ehren- diesen öffentlichen Dienst verlassen. Ich sage Ihnen: werter Mann, wie wir wissen. Hunderttausende von jungen Leuten gingen zur Po- In der gleichen Rede hat der Minister große Be- lizei, wenn sie nicht von Politikern in eine Schieflage kenntnisse zur Neutralität der Beamten und zum In- gebracht würden — nach dem Motto, sie würden stitut der politischen Beamten abgelegt. Er wußte draußen als Schlägertypen auftreten. dabei, wovon er redet, denn in seinem Hause hat die (Beifall bei der CDU/CSU) Drei-Pünktchen-Partei mit ihren Mitgliedern bei den Abteilungsleitern das, wovon sie bei Wahlen nur Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Herr Kollege Gerster, träumt, nämlich die dicke absolute Mehrheit. Noch der Kollege Tietjen fragt, ob er noch eine Frage stel- nicht einmal ein Sozialdemokrat ist würdig, in Ih- len darf. rem Haus Abteilungsleiter zu werden. Ich muß sa- gen: Respekt! Wenn man in Ihrem Hause herumhört, Gerster (Mainz) (CDU/CSU): Nein, ich möchte erfährt man auch, daß in Ihrem Hause mehr FDP- gern fortfahren. Mitglieder sitzen als in einem mitgliederstarken (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Er soll halt FDP-Kreisverband. Herr Minister, das ist Ämterpa- nach Frankfurt gehen!) tronage, was in Ihrem Hause seit Jahren betrieben Meine Damen, meine Herren, diese jungen Beam- wird. Ich sagte aus folgendem Grunde „Respekt": ten sollen eine Rechtsordnung sichern, die der Bun- Die CDU, die in Rheinland-Pfalz seit 35 Jahren re- desinnenminister — wie in diesem Artikel hier — in giert, hat dies nach so langen Jahren und trotz abso- Frage stellt. Diese Polizeibeamten fühlen sich miß- luter Mehrheiten in dieser Perfektion nie geschafft. braucht. Ich sage Ihnen noch etwas, Herr Kollege. — Daß dieser Minister mit diesen Methoden die Ar- Hier passiert im Prinzip genau das gleiche, was vor beitsmoral und damit die Qualität der Beamtenar- beit aufs Spiel setzt, steht auf einem anderen Jahren mit der Verunsicherung junger Wehrpflich- tiger vor allen Dingen durch die Sozialdemokrati- Blatt. sche Partei Deutschlands begann. Kollegen von Ih- (Beifall bei der CDU/CSU) nen bestreiten, daß junge Wehrpflichtige einen Frie- Herr Minister, Sie sind wirklich ein sehr sozialer densdienst bei der Bundeswehr leisten. Mann. Sie kümmern sich um den letzten arbeitslo- (Beifall bei der CDU/CSU) sen Beamten. Da hat doch das Bundesverwaltungs- 4794 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Gerster (Mainz) gericht tatsächlich die Entlassung eines DKP-Mit- Sie bringen mich auf eine gute Idee, Herr von Schoe- gliedes aus dem Beamtenverhältnis bestätigt. Herr ler. Baum reagierte auf zweifache Weise. Erstens übte er (Zurufe von der SPD) Schelte an der Entscheidung des Bundesverwal- tungsgerichtes, — Ich weiß, daß Sie da nervös werden. Es ehrt Sie, daß Sie für Ihre Gesinnungsgenossen eintreten wol- (Zuruf von der CDU/CSU: Unverschämt len. heit!) Millionen Mark haben Sie in den letzten zehn Jah- und zweitens kündigt er eine Änderung der Beam- ren ausgegeben für die Reform des öffentlichen tengesetze an. Er formuliert, was beim Präsidenten Dienstrechts, für die Reform der öffentlichen Ver- des Bundesamtes für Verfassungsschutz eine evi- waltung, für die Reform des Schreibdienstes, für die dente Pflichtverletzung wäre, sollte nicht unbedingt Reform des Kraftfahrzeugwesens, für die Reform eine beim Postschaffner sein. Herr Minister, obwohl der Beurteilungskriterien, für die Entbürokratisie- das Bundesverwaltungsgericht und die Fachleute in rung. Ihrem Hause Ihnen genau bescheinigt haben, daß (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Und was ist diese Differenzierung unzulässig, mit der Verfas- sung nicht vereinbar ist, versuchen Sie nun, durch herausgekommen?) eine Gesetzesänderung Kommunisten und anderen — Nichts. Außer Spesen nichts gewesen, Herr Kol- Verfassungsfeinden den Einzug in den öffentlichen lege Haase. Aber weil das Bundesverwaltungsge- Dienst zu erleichtern. richt die Entlassung eines Kommunisten bestätigt hat, werden Sie aktiv und wollen Gesetze ändern. (Zurufe von der CDU/CSU: Unerhört!) (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Minister, Ihre Fürsorge geht hier zu weit, (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Herr Abgeordneter - und ich kündige hier den härtesten Widerstand der Gerster, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn CDU/CSU gegen diese Vorhaben an. Abgeordneten Biermann?

(Beifall bei der CDU/CSU) Gerster (Mainz) (CDU/CSU): Nein. Ich bitte um Ich frage mich: Was sollen Hunderttausende Nachsicht, Herr Präsident, ich komme sonst mit arbeitslose Bürger dieses Landes, meiner Redezeit nicht zurecht. (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Anstän Meine Damen, meine Herren, dieser Herr Baum dige Leute!) ist ein klassischer Reformminister. Man sieht es an dieser Praxis. Demokraten, denken, wenn wegen weniger Kommu- nisten ein traditionelles und erfolgreiches Gesetz ge- Besonders reformeifrig ist dieser Minister aber ändert werden soll? bei der Ausgestaltung des Asylrechts. Das Verfah- ren wurde seit 1978 zweimal geändert. Die dritte No- (Beifall bei der CDU/CSU) vellierung steht an. Der Zustrom der Zuwanderer Kümmern Sie sich einmal um die Hunderttausende reißt nicht ab. Wir haben 4,7 Millionen Ausländer in von Demokraten in diesem Land und nicht um die diesem Land, davon 3,2 Millionen von außerhalb der Kommunisten, Herr Minister! EG. Meine Damen, meine Herren, dieser Minister hat das Problem der Scheinasylanten jahrelang ver- schlafen, nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Noch Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Herr Kollege Gerster, am 12. Februar 1980 sagte er der „Stuttgarter Zei- erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- tung" in einem Interview wörtlich: ordneten von Schoeler? Auf die Zahl der Asylbewerber habe ich keinen Einfluß. Ich kann nur dafür sorgen, daß sich das Gerster (Mainz) (CDU/CSU): Bitte schön, Herr Ab- Verfahren beschleunigt. Der Bund hat das Seine geordneter von Schoeler, bei Ihnen mit Freuden. zur Beschleunigung das Asylverfahrens gelei- stet. Der Beitrag der Länder steht noch aus.

von Schoeler (FDP): Herr Kollege Gerster, wären (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Da lachen ja die Sie bereit, mir in dem Zusammenhang zu erläutern, Hühner!) warum der neue Berliner Senat die vom früheren Herr Minister, diese Schuldzuweisung an die Län- Senat in Kraft gesetzte liberale Regelung bei der der — ich muß das in dieser Offenheit sagen — ist in Einstellungspraxis nach seiner Regierungsüber- doppelter Weise unverschämt. Für die Gesetzgebung nahme nicht geändert hat? ist der Bund zuständig, nicht die Länder. Durch Ihre gesetzgeberische Untätigkeit bürden Sie Ländern und Gemeinden das Ausländerproblem — man Gerster (Mainz) (CDU/CSU): Ich kann Ihnen sa- schätzt im Jahr 1 Milliarde DM an Finanzkosten — gen, Herr von Schoeler, daß der Senat von Berlin mit auf. Die Länder drängen seit Jahren auf Gesetzesno- Sicherheit nicht die hergebrachten Grundsätze des vellierungen. Derzeit liegt wieder ein Gesetzentwurf Beamtentums und die Grundlage unseres Beamten- im Bundestag vor, ein Entwurf mit Zustimmung der rechts ändern wird, mit Sicherheit nicht. sozialdemokratischen Länder, den Sie auch wieder (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der ablehnen. Um den Schein falsch verstandener Libe- CDU/CSU: Im Gegenteil!) ralität zu wahren, tauchen Sie bei diesem Problem Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4795 Gerster (Mainz) unter, überlassen Ländern und Gemeinden die Un- ation unser aller Angelegenheit. Wer Kürzungen in terbringung Hunderttausender von Scheinasylan- wirklich wesentlichen Umweltbereichen hinnimmt, ten und behaupten dann noch, der Bund habe das auch im Bereich der Reaktorsicherheit, sollte zu- Seinige getan, nicht aber die Länder. nächst einmal den Zuschußregen zur zum Teil Diese unglaubliche Haltung erfordert eine ganz künstlichen Selbstbefriedigung bunter Aussteiger klare Darstellung und Bewertung. drosseln. Erstens. Für den ungebrochenen Zuzug von Oder, Herr Minister, was soll man von vielen Pu- Scheinasylanten tragen zuallererst Sie die volle Ver- blikationen, die für teures Geld erstellt werden, hal- antwortung. ten, die das Umweltbundesamt herausgibt? Ich möchte hier zur allgemeinen Illustration eine Lese- (Beifall bei der CDU/CSU) probe geben. Da ist in einer Schrift über „Ökologi- Zweitens. Durch die tatenlose Hinnahme des un- sche Pioniergruppen" z. B. folgende Gruppe im ein- kontrollierten Scheinasylantenzuzugs haben Sie al- zelnen beschrieben — ich zitiere wörtlich —: len Ländern und Gemeinden schwersten Schaden Kein Traum mehr ist das Zusammenleben der zugefügt. Lebensgemeinschaft Helenenruhe, die im Jahre (Beifall bei der CDU/CSU) 1976 entstand. Sie setzte sich im Juli 1978 aus zwei Erwachsenen und drei Kindern zusam- Drittens. Sie sind an maßgeblicher Stelle mitver- men. Biologischer Landbau, gekoppelt mit spiri- antwortlich für die Verdoppelung des Ausländeran- tuellen Zielen, waren die Motivation für diese teils im zweiten Teil unserer jungen Republik und Lebensgemeinschaft. Die Gruppe lebte von der damit auch für die bedauerliche Zunahme der Aus- Matratzenherstellung, von Holzarbeiten und zu- länderfeindlichkeit in der Bevölkerung, deren Ak- sätzlich noch von Kindergeld. zeptanzschwelle überschritten wird. Herr Minister, Sie tragen diese Verantwortung mit, weil die- Bürger (Heiterkeit) nicht mehr bereit sind, Ihre Tatenlosigkeit hinzu- Nach Angaben der Gruppe reichte das gerade nehmen, weil sie Leistungen verlangen und dann ih- aus, um das Existenzminimum zu erreichen. ren Unmut gegenüber Ausländern abreagieren — wirklich eine sehr verantwortliche Art, Minister in (Löffler [SPD]: Die brauchen noch einen Al Bonn zu sein. leinunterhalter!) Meine Damen, meine Herren, der Zwang zum Spa- Herr Minister, Sie sind nicht für Verrücktheiten ge- ren hat im Haushalt 1982 zahlreiche Opfer verlangt. wählt, sondern zur Lösung politischer Probleme. Ich will hier nur zwei Bereiche in Kürze anspre- Früher nannte man ein derartiges Gebilde eine Fa- chen. milie, heute nennt man das eine „ökologische Pio- niergruppe", für die dann unser Geld ausgegeben Kürzungen gebenüber der Regierungsvorlage wird, um sie der Öffentlichkeit vorzustellen. sind im Bereich des Umweltschutzes und der Reak- torsicherheit vorgenommen worden, gerade auch (Beifall bei der CDU/CSU) vom Haushaltsausschuß. Sie waren zum Teil unver- Herr Minister, statt derartigen Schnickschnack, meidbar, wenn man auch mit Sicherheit andere und zwar zuhauf, zuzulassen — das hat nichts mit Prioritäten hätte setzen können. Meine Damen, dem Minister zu tun —, sollten Sie endlich einmal meine Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gesetzesvorhaben, die seit Jahren gefordert wer- diese Kürzungen sind schmerzhaft, wären aber ver- den und in Ihrem Hause verzögert werden, wirklich kraftbar, wenn die Mittel für wirklich wichtige Maß- auf die Bahn bringen. Ich nenne die Novellierung nahmen und nicht zum Teil für Schaumschlägereien der TA Luft, seit 1978 überfällig, ich nenne die Groß- verwandt würden. feuerungsanlagen-Verordnung — ich erspare es mir, Ich will hier ein besonders pikantes Beispiel nen- auf Einzelheiten einzugehen —, ich nenne das Pro- nen. Herr Minister Baum, wenn Sie unbedingt Ver- blem der Autoabgasentgiftung, wo Ihre Regierung bände alimentieren möchten, die in Aktionsbündnis- unter Ihren Vorgängern — ich glaube, Sie waren sen mit Grünen, Bunten und Alternativen heute schon Staatssekretär — bereits im Jahre 1971 laut- schon und auch morgen dafür sorgen wollen, daß hals verkündet hat, bis 1980 die Schadstoffe im Ab- Ihre Partei aus den Parlamenten herausfliegt, so ist gas von Kraftfahrzeugen zu reduzieren. In Wirklich- das Ihre Sache. Daß Sie aber neben anderen — ich keit sind 1980 die Schadstoffe in der Atemluft durch muß das so sagen — Kinkerlitzchen z. B. für die Ak- Autoabgase um ein Vielfaches höher als vor zehn tion eines autofreien Sonntags, der ein Fehlschlag Zahren. Herr Minister, von diesen Maßnahmen, die ist und war — ich übrigens brauche keinen auto- seit Jahren dringend gefordert werden, wo von Ih- freien Sonntag; wenn ich Zeit habe, fahre ich mit nen immer wieder Ankündigungen kommen, sie meiner Familie sehr gern mit dem Fahrrad durch seien auf dem Weg, ist nichts zu spüren. Es gibt die Gegend; keine Spur. In der wirklichen Tagesarbeit, in der Lö- (Zuruf von der SPD: Sie sind ein Radfah sung der schwierigen Probleme zeigen Sie sich weiß rer!) Gott als ein sehr überzeugender Umweltminister. das machen viele andere auch —, einmal so locker Meine Damen, meine Herren, lassen Sie mich ein 215 000 DM herauswerfen — im übrigen haben Sie letztes Beispiel einer sehr hervorragenden Pflichter- sich dieser Aktion nur aus Publizitätsgründen ange- füllung nennen, schlossen —, ist in der gegenwärtigen Finanzsitu (Zuruf des Abg. Löffler [SPD]) 4796 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 Gerster (Mainz) die sogar in einem Gesetz vorgeschrieben ist, die, so- da sollten Sie vielmehr Ihre eigentliche Aufgabe se- weit ich weiß, in derartigen Beratungen noch nie hen. eine Rolle gespielt hat. — Bitte, Herr Löffler, ich (Zustimmung bei der CDU/CSU) höre gerne noch einmal Ihren Zwischenruf. Meine Damen, meine Herren, in der Haushaltsde- (Löffler [SPD]: Wenn ich könnte, würde ich batte im Dezember 1979 — ich erwähnte sie vorhin Sie nicht lassen, aber ich kann es nicht!) schon einmal — sagte Minister Baum einen bemer- — Es ist ein Glück für das deutsche Volk, daß Sie kenswerten Satz: mich am Reden nicht hindern können, Herr Kollege Das demokratische Selbstbewußtsein, das Ver- Löffler. trauen der Bürger in den Rechtsstaat sind die (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — eigentlichen Grundlagen unserer freiheitlichen Lachen bei der SPD) Ordnung, nicht die Gesetze, sondern das Ver- trauen der Bürger in diese freiheitliche Gesell- Ich weiß, daß das vielleicht Ihrem Demokratiever- schaft. Weimar hatte viele gute Gesetze, aber ständnis entspricht, Herr Löffler, aber so weit sind Weimar ist dennoch zugrunde gegangen, weil wir noch nicht. Die Opposition mundtot machen, dieses Vertrauen nicht vorhanden war. funktioniert noch nicht. Ich kann diese Aussage nur unterstreichen. Nur, (Zurufe von der SPD) Herr Minister, pflegt der Bürger das von Ihnen ab- Nach § 96 BVFG ist der Minister zur Förderung strakt beschriebene Vertrauen zu personifizieren. der ostdeutschen Kulturarbeit verpflichtet. Meine Das heißt positiv ausgedrückt: vom Vertrauen ge- Damen, meine Herren, ohne diesen ostdeutschen genüber dem demokratischen System profitiert der Anteil wäre die Kultur, unsere deutsche Kultur, um demokratisch legitimierte Minister; und negativ vieles ärmer. Sie wäre nicht die Kultur, die wir alle, ausgedrückt: mangelndes Vertrauen gegenüber ei- Deutsche und mit uns die anderen Europäer,- als un- nem Minister führt zur Vertrauenskrise gegenüber sere Kultur empfinden. Das sind Nikolaus Koperni- dem System, wenn dieser Minister nicht alsbald ab- kus und Immanuel Kant, Stifter und Eichendorff, gelöst wird. Sie, Herr Minister, sollten sich fragen Adolf von Menzel, Emil Orlik, Hugo Steiner-Prag, lassen, ob Ihr Verhalten, das ich an Beispielen ge- Käthe Kollwitz, Corinth, Pechstein, Kokoschka, das schildert habe, Vertrauen schafft oder abbaut. ist unter den deutschen Nobelpreisträgern jeder Als Minister der inneren Sicherheit fühlen Sie Dritte. Wir dürfen es gerade in der Bundesrepublik sich als Vorreiter der Freiheit. Das ist ehrenwert, Deutschland und angesichts der schmerzlichen Tei- lung dieser Nation nicht zulassen, daß die in Jahr- (Zustimmung bei der SPD) hunderten dort gewachsenen Kulturleistungen ver- führt aber in Ihrer speziellen Aufgabenstellung zur kümmern und in Vergessenheit geraten. falschen Gewichtung. Sie sind der Minister der Si- (Beifall bei der CDU/CSU) cherheitsorgane, die sich von Ihnen im Stich gelas- sen fühlen und zu Ihnen kein Vertrauen haben. Dies würde kein Volk der Welt zulassen oder auch nur hinnehmen. Wir lassen uns diese Kulturförde- Als Beamtenminister gilt Ihre Hauptvorsorge der rung im Jahr ganze 4,2 Millionen DM kosten. Versorgung Ihrer Parteifreunde mit Dienstposten im Innenministerium und darüber hinaus den Be- Wir stehen vor der Daueraufgabe, unsere Identität rufschancen von Kommunisten, wie ich an einem als Kulturnation zu wahren. Meine Damen, meine Beispiel verdeutlicht habe, Herren, das ist nicht nur Sache der Vertriebenen, das hat auch nichts mit Revanchismus zu tun. Im (Zuruf von der SPD: Das ist eine Frech Gegenteil, ostdeutsche Kulturleistungen haben viele heit!) Brücken nach Osten geschlagen. Die Frage ist: Wie und der Umwandlung von Beamten- in Angestellten- sollte man sich besser miteinander verständigen, stellen. Glauben Sie, die breite Beamtenschaft hätte wenn nicht durch Kultur, daneben Sport und andere Vertrauen zu Ihnen? Ich glaube es nicht. Möglichkeiten, die einen gemeinsam verbinden? In der Ausländerpolitik fördern Sie ein ethnisches Ihr eigenes Ministerium, Herr Minister, hat in ei- Mehrvölkersystem in unserem Land und schaden nem Vermerk festgehalten, daß trotz jahrzehntelan- den Ländern und Gemeinden. In der Umweltschutz- ger staatlicher Förderung die Situation in weiten Be- politik verlieren Sie den Blick für das Wesentliche reichen der ostdeutschen Kulturarbeit nicht wesent- und verplempern Geld für Eintagsfliegen. In der lich verbessert wurde. Der Vermerk fährt fort, wenn Reaktorsicherheit — einer Existenzfrage unseres in den nächsten Jahren nichts Entscheidendes ge- Volkes — sind Sie eher uninteressiert als interes- schehe, sei zu befürchten, daß der ostdeutsche Anteil siert. Glauben Sie, daß das Vertrauen schafft? an unserer Kultur endgültig in Vergessenheit gera- te. Meine Damen, meine Herren, überzeugender Herr Minister, Sie mögen privat ein ganz netter kann man den Bankrott dieses Teils der Politik des Mensch sein, beruflich auch ganz strebsam, Bundesinnenministeriums nicht erklären. Herr Mi- (Wehner [SPD]: Wie nett! — Zuruf von der nister, ich sage ganz bewußt, aber im Zusammen- SPD: Das sind Sie selbst nicht einmal!) hang mit dem Beispiel aus dem Umweltbundesamt, nur auf diesem Posten stehen Sie sich selbst im das ich vorhin gebracht habe: Mir scheint die Förde- Wege. rung dieser Kultur wichtiger als die Förderung neu- modischer Erscheinungsformen — seien es Pionier- (Conradi [SPD]: Sie sind weder privat, noch gruppen oder sonstige Geschichten, Herr Minister; beruflich nett!) Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4797

Gerster (Mainz) Als Minister der inneren Sicherheit sind Sie so über- kann mich nicht daran erinnern, daß es bei 33, bei 36 zeugend wie ein Atheist, der in Rom zum Papst ge- oder bei 06 kontroverse Abstimmungen unter den wählt würde. Berichterstattern gegeben hätte. (Zustimmung bei der CDU/CSU — Leb (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Entschuldi hafte Zurufe von der SPD) gung, das stimmt nicht!) Sie sind hin- und hergerissen zwischen Ihren — Ich kann mich nicht erinnern! Herr Kollege Ger- Amtspflichten und Ihrem Drang, Patron aller Arten ster, Sie haben in den Berichterstattergesprächen von Außenseitern zu sein. Vorbehalte, daß Sie etwas noch in der Gruppe klären Ihr Vorgänger Maihofer war 49 Monate Innenmi- müßten, angemeldet; aber es gab überhaupt keinen nister, bis ihn der Fall Traube eingeholt und schließ- Anlaß für derartige Ausführungen, wie Sie sie hier lich abgeholt hat. Sie sind jetzt 43 Monate im Amt. gegenüber dem Innenminister gemacht haben, über- Ich glaube, daß Ihre Verweildauer im Bundesinnen- haupt keinen Anlaß! ministerium nicht mehr lange andauert, bis Ihr Fall Traube Sie eines Tages einholen wird. Mit Herrn Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Herr Abgeordneter Maihofer — lassen Sie mich das sagen — wurde ein Kühbacher, der Herr Kollege Gerster möchte eine Idealist getroffen. Bei Ihnen würde es — wenn ich Frage an Sie richten. unhöflich wäre, würde ich es sagen — einen Oppor- tunisten treffen, Kühbacher (SPD): Ja, bitte schön, gerne. (Wehner [SPD]: Pfui Teufel!) Gerster (Mainz) (CDU/CSU): Herr Kollege Kühba- es sei denn, Sie schaffen endlich Klarheit darüber, cher, würden Sie mir zugestehen, daß es Usus ist, was Sie eigentlich wollen. daß in den Berichterstattergesprächen versucht (Frau Simonis [SPD]: Wo kann man das wird, Kompromisse herbeizuführen, was auch der Ding denn abstellen! — Weitere lebhafte- Interessenlage der Minderheit entspricht und was Zurufe von der SPD) auch geschehen ist, etwa um Mittel für die Reaktor- sicherheit, für Vertriebene und für anderes zu behal- — Ich will gern auf Ihre Zwischenrufe warten. Sie ten, daß es aber trotz dieser Vereinbarungen eine müssen sich nur einigen, daß einer ruft, nicht alle Reihe von konträren Anträgen gab? auf einmal (Zurufe von der CDU/CSU: Sicher! — Na (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Die Mitglieder türlich!) Ihrer Fraktion schämen sich Ihrer!) Ich darf daran erinnern, daß wir z. B. beim Um- — Da bin ich sehr sicher, über was Sie sich schämen, weltschutz Kürzungen für gewisse Forschungsvor- Herr Schäfer. haben vornehmen wollten, um den Fortgang bei der Meine Damen, meine Herren, das ist eine Bilanz, Reaktorsicherheit sicherzustellen. Würden Sie also die Ihnen nicht schmeckt, aber eine Bilanz, die vor- bestätigen, daß es sowohl Kompromisse — mit Vor- getragen gehört. Sie können sicher sein, daß die behalten auch gegen die Mehrheit — gab als auch CDU/CSU-Bundestagsfraktion die bisherige Politik darüber hinaus konträre Anträge? Oder sage ich die dieses Innenministers ablehnt und damit auch den Unwahrheit? Haushalt für das Jahr 1982. (Beifall bei der CDU/CSU) (Wehner [SPD]: Geistreich!) Ich bedanke mich für Ihre muntere Zuhörerschaft. Kühbacher (SPD): Herr Kollege Gerster, ich be- streite doch gar nicht, daß es solche speziellen unter- (Beifall bei der CDU/CSU) schiedlichen Auffassungen in der Sache gegeben hat. Was ich nicht akzeptiere, ist die Art Ihres Auf- Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Als nächster Redner tretens im Verhältnis zur Art der Verhandlung, die hat der Herr Abgeordnete Kühbacher das Wort. wir gemeinsam als Berichterstatter mit dem Innen- ministerium und dem Ausschuß gehabt haben. Es ist Kühbacher (SPD): Herr Präsident! Liebe Kollegin- doch eine ganz andere Welt, die Sie darstellen! nen und Kollegen! Wenn es möglich gewesen wäre, (Zustimmung bei der SPD) hätte ich den Kollegen Gerster unaufgefordert gern Wissen Sie, wenn die Bürger draußen das sehen zwei Drittel meiner Redezeit zur Verfügung gestellt, und glauben, daß wir so miteinander umgehen, wie denn eine bessere Werbung für die sozialliberale Ko- Sie hier herumpolemisiert haben, müssen sie doch alition als Ihre Ausführungen, Herr Kollege Gerster, sagen: Igittigitt, die Politiker! gibt es gar nicht. (Beifall bei der SPD und der FDP) (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Wo haben Sie das abge Sehen Sie, das kann man nicht machen: über ein schrieben?) Jahr lang sachlich miteinander arbeiten und sich dann hier wie in einer Wahlveranstaltung darstel- Herr Kollege Gerster, das, was Sie hier im Plenum len. darbieten, ist ein Zerrbild der Ausschußberatungen über den Innenhaushalt, den Haushalt Zivilschutz (Beifall bei der FDP) und den Versorgungshaushalt. Alles, was wir im Herr Minister Baum, ich kann Ihnen ja nur gratu- Ausschuß beraten haben, ist einvernehmlich gesche- lieren. Hoffentlich gelingt es Ihnen, den Kollegen hen; auch die Kürzungen sind einmütig erfolgt. Ich Gerster öfter in die Bereiche zu holen, in denen Sie 4798 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Kühbacher einen schon hohen Stimmenanteil haben. Dann soll- tung" zu lesen — wird man mit dem Geld, das wir im ten Sie ihn immer gegen sich reden lassen; dann be- Bundeshaushalt bereitstellen — es sind 46 Millionen kommen Sie möglicherweise noch mehr Prozente, DM für laufende Arbeit, es sind 23 Millionen DM für als es mir persönlich lieb wäre. weitere Investitionen — auskommen können. Nichts- destotrotz bleibt auch der Sport aufgefordert zu Einige Worte noch zu Ihnen, Herr Gerster. Ich sparen. Die ehrenamtlichen Kräfte im gesamten weiß nicht, leben wir beide eigentlich in derselben Sport sind zu unterstützen. Darauf sollte eines unse- Republik? Bedrohung, Angst der Bevölkerung, Un- rer Hauptaugenmerke liegen. Diejenigen, die haupt- terstützung der Rechte von Radau- und Gewaltbrü- beruflich Sport machen und auch nach außen vertre- dern, künstliche Selbstbefriedigung bunter Ausstei- ten, bleiben aber zur Sparsamkeit aufgerufen. ger — all dies unterstellen Sie einem Innenminister, von dem ich meine, daß er mit der Art, wie er bei der Eine Sache, die mir zufällig auf den Tisch geflat- Bevölkerung ankommt, keinen Anlaß dazu gibt, ihn tert ist, Herr Minister Baum, gefällt mir nicht. Da hier zum Rücktritt aufzufordern. Wo leben Sie ei- gibt es das Bundesinstitut für Sportwissenschaft. gentlich, daß Sie hier solche Vokabeln, solche Wort- Die geben hier eine schöne Broschüre heraus „Ter- hülsen in den Mund nehmen? Ich habe das Gefühl, mine und Tagungen". Das mag ja ganz sinnvoll sein. nachdem Herr Todenhöfer uns hier nicht mehr die Aber da lesen Sie unter den Terminen: es findet eine Ehre gibt, sind Sie der neue Scharfmacher vom Veranstaltung „Sport — Risiko und Chance aus der Dienst. Aber nun, viel Spaß dabei! Sicht des Arztes" in Corvara in Südtirol —14 Tage — statt, (Zustimmung bei der SPD) (Zurufe) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich ein Wort zum öffentlichen Dienst sagen, zu den Ta- „Ski- und Eislaufseminar für Sportärzte" vom 17. bis rifverhandlungen im öffentlichen Dienst, die ja im 23. 1. in Oberstdorf — bayerischer Sportärztever- wesentlichen bei 06 angesiedelt sind, die aber auch band —, „15. Winterkongreß über Diagnostik und den Einzelplan 33 — Versorgung — tangieren. Herr Therapie" — 14 Tage lang in Kühtai in Tirol. Minister Baum, es wäre, glaube ich, allen hier im (Zurufe) Parlament lieb, wenn Sie in den Gesprächen mit den St. Moritz in der Schweiz, Bad Hofgastein, Lake Pla- Tarifpartnern bald zu einem Abschluß kämen, weil cid usw. sind hier enthalten. hier immer wieder die Sachverständigen mit dem Dreiklang, den drei Säulen, zitiert worden sind, auch (Zurufe) und insbesondere von Minister Graf Lambsdorff. Nun hoffe ich ja nicht, daß wir öffentliche Mittel für Eine der wesentlichen Säulen war, daß der Tarifab- diese Tagungen bereitstellen; das würde mich sehr schluß erkennbar sein muß, wenn man Beschäfti- ärgern. Falls hier nur Dienstreisen für die notwen- gungsalternativen entwickeln will. Es wäre von uns dige berufliche Ausbildung der Sportärzte gemacht aus die herzliche Bitte an Sie zu richten, daß Sie die werden, deren Kosten als Reisekosten abgerechnet Tarifverhandlungen einschließlich der Dinge, die in und steuerlich geltend gemacht werden, ist das eine der Operation 82 von allen Mitgliedern des Hauses andere Medaille, die die Herren zu vertreten haben, einmütig beschlossen worden sind, bald zu Ende die solche Dinge für ihre dienstlichen oder betriebli- bringen. Ich hoffe, daß sich Wege des Aufeinander- chen Zwecke mißbrauchen. Aber warum wir aus zugehens bei der Frage der Lohn- und Gehaltstarif- Bundesmitteln diese Termine auch noch veröffentli- verhandlungen für 1982 dort finden lassen. chen, damit sie alle Interessierten auch wirklich (Broll [CDU/CSU]: Stehen Sie auch zu 1% wahrnehmen können, frage ich mich doch sehr. Kürzung?) (Zurufe) — Ja, selbstverständlich, Herr Broll. Ich habe gerade Also, schönen Gruß nach Köln, wir brauchen nicht gesagt, wir haben hier einmütig im Parlament ein noch Einladungen auszusprechen für solche Ur- Gesetz beschlossen. Das ist doch nicht die Frage. Die laubsveranstaltungen. Frage ist, ob es sinnvoll ist, daß einer der Tarifpart- ner auf der Arbeitgeberseite hier ausbricht. Das ist Eine Bemerkung zu einem weiteren Bereich, wo doch wirklich eine Frage, die man stellen muß, ob es ich meine, daß Sparen sehr überlegt sein will, zum auch im Interesse der anderen Tarifpartner der Ge- Bereich der Kultur. Wenn wir uns einmal den Kul- werkschaften ist, nun mit zwei, drei oder vier Orga- turbereich des Innenministeriums anschauen, er- nisationsebenen verhandeln zu müssen. Ich weiß kennen wir, daß die Klage, die gestern hier aus Ber- nicht, wem der VKA hier einen Gefallen tut; aber das lin kam, wir würden für Berlin möglicherweise nicht ist j a von anderer Stelle schon angesprochen wor- genug tun, nicht berechtigt ist. Allein die kulturellen den. Einrichtungen in Berlin, die aus dem Bundeshaus- halt und von den übrigen Ländern finanziert wer- (Broll [CDU/CSU]: Da stimmen wir zu!) den, verdienen Hochachtung. Ich denke, das sollte — Gut. Wenn Sie so zustimmen, dann signalisieren einmal anerkannt werden. Sie das auch nach Ulm, Herr Broll. Ich weiß nicht, wo (Beifall bei der SPD) sonst Herr Lorenser anzusiedeln ist. Nur, Herr Minister, auch hier wäre eine Frage von Ich möchte etwas zu einigen Randbereichen sa- einem Parlamentarier zu stellen: Ist es denn so sinn- gen, die in den letzten Jahren, glaube ich, gut bedient voll, für den Bereich des Films Preise von 50 000, von gewesen sind, zum Sport. Im Sportbereich — so ist 150 000 DM — ich glaube, eine dreiviertel Million ha- es heute auch in der „Frankfurter Allgemeinen Zei- ben wir im Haushalt — auszusetzen, während wir Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4799

Kühbacher wissen, daß uns auf der andern Seite in den kleinen gend notwendig ist und wozu das Gesetz auf dem Veranstaltungen: Jugend und Musik, Jugend und Tisch liegt, zu finanzieren. Theater, Jugendbuchwochen mal 10 000, mal 20 000, (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Nicht mehr mal 30 000 DM für viele kleine Initiativen hier in der in der Lage!) Bundesrepublik fehlen. Muß man die Kulturförde- rung so massiert in einen Bereich lenken? Könnte — Gut, das ist ein anderer Punkt. Dann sollen Sie man nicht viel mehr mit kleinen innovativen Veran- hier aber nicht permanent herumtönen, wir würden staltungen diesen Kulturzweig verbreitern? Sie hät- die erforderlichen Gesetze nicht machen. Das Volks- ten dabei unsere Unterstützung, wenn man die Mit- zählungsgesetz ist notwendig — darüber sind wir tel hier einmal gezielter lenken könnte. uns doch alle im klaren —, aber es wird nicht vollzo- gen. Ich will einen weiteren Punkt ansprechen: was die Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bereich (Dr. Miltner [CDU/CSU]: Die ganze Darstel der Innenpolitik angeht. Zwei Dinge liegen mir am lung ist völlig schief! Keine Ahnung haben Herzen. Sie!) — Es kann doch wohl nicht an 4 DM oder 5 DM Zähl- Der Bereich Sicherheitspolitik ist hier vor einigen kosten liegen, daß eine solche wichtige Datenerhe- Jahren ganz intensiv im Zusammenhang mit dem bung in unserer Industrienation nicht durchgeführt Personalausweis, mit der Frage des Versteckens von wird. Terroristen, dem man begegnen müsse, diskutiert worden. Die Diskussion über einen fälschungssiche- (Broll [CDU/CSU]: Wenn aber der Bund im ren Personalausweis hat die Innenpolitiker, glaube selben Augenblick 600 Millionen DM für ich, eine ganze Zeit beschäftigt. Man ist zu dem Er- neue Projekte anbietet, hat er offenbar ge gebnis gekommen, man hat ein Gesetz gemacht. nug Geld!) Nun sehe ich, daß der Vollzug dieses Gesetzes, das — Herr Broll, es geht hier um verschiedene Ebenen. - von den Innenministern der Länder vehement ge- Mich stört, daß es wichtige Dinge gibt, die auf der In- fordert wurde — ich weiß nicht: war nicht Herr nenebene einwandfrei benötigt werden, die aber, Tandler einer der ganz entscheidenden Verfech- nachdem das Gesetz da ist, nicht vollzogen werden. ter? —, offensichtlich nicht stattfinden soll, Das beklage ich. Ich beklage das ganz vehement, (Zuruf des Abg. Dr. Miltner [CDU/CSU]) weil man nicht alles gleichzeitig auf den Bund ab- wälzen kann. Dann müssen die Länder ihre Innen- angeblich deshalb, weil von den Ländern 5 DM oder ministerien abschaffen und alles beim Bund lassen. 6 DM an Kosten nicht aufzubringen sind. Ich frage Aber das kann doch niemand wollen. Eine solche mich tatsächlich, Herr Miltner: Wie halten wir es mit Verfassungswirklichkeit will doch niemand. Von da- der inneren Sicherheit? Hier wird nach Gesetzen ge- her ist es nicht konsequent, wie sich die Länder hier rufen, und wenn die Gesetze kommen, werden sie verhalten. von den Innenministern nicht ausgeführt. Ich hatte vorhin etwas zum Thema „öffentlicher (Dr. Miltner [CDU/CSU]: Herr Kühbacher, Dienst" gesagt. Dieser Tage ist mir in der „Süddeut- kennen Sie auch die Gründe, warum das in schen Zeitung" eine Statistik ins Auge gesprungen, der Durchführung gescheitert ist? Das ist von der ich meine, daß es sich lohnt, darüber nachzu- technisch gar nicht durchzuführen!) denken. Ich sage das auch, weil wir gleichzeitig den Einzelplan 33 — Versorgung — behandeln. In der — Ich höre, es soll am Geld liegen, an den 5 DM. Ich „Süddeutschen Zeitung" vom 19. Januar wird etwas weiß nur, daß dieses Parlament das Gesetz gemacht über Verdienste und Renten in drei Klassen darge- hat. stellt. Ich glaube, es lohnt sich, einmal nachzuschau- (Gerlach [Obernau] [CDU/CSU]: Wenn man en, um was es eigentlich geht. Ich beziehe mich nur die Sache nicht kennt, dann soll man auf die Altersbezüge von gleichverdienenden Perso- schweigen!) nen über einen langen Lebensabschnitt hinweg. Da ist es so, daß jemand, der im öffentlichen Die Ausführung des Gesetzes liegt nun einmal bei Dienst Beamter war, nach derselben Lebenszeit wie den Ländern. in der Wirtschaft einen Betrag von rund 3 000 DM an (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Bezahlen Pension bekommt bei einem angenommenen sollen es die anderen!) Höchstverdienst von 4 800 DM. Wäre dieselbe Per- son in der Wirtschaft beschäftigt gewesen, läge ihr — Natürlich müssen es die Innenminister bezahlen. Rentenanspruch bei 1 923 DM. Ist dieselbe Person Seit wann fangen wir denn an, vom Bund aus Perso- nicht Beamter, sondern Angestellter mit Zusatzver- nalausweise zu bezahlen? Wir wollen doch nicht auf sorgung im öffentlichen Dienst, dann beträgt ihre dieser Ebene diskutieren, daß künftig alles aus der Rente plus Zusatzversorgung 3 581 DM. Es ist also Bundeskasse bezahlt wird. Das ist der Punkt. Das ist ein Sprung von der Wirtschaft zum öffentlichen nun einmal eine Innenaufgabe; darüber gibt es gar Dienst von rund 1 000 DM zu verzeichnen; von dort keinen Zweifel. Die Personalausweise müssen von zu den Angestellten im öffentlichen Dienst mit Zu- den Ländern bezahlt werden. Ich meine, hier ist ein satzversorgung gibt es einen weiteren Sprung um Mangel. 500 DM. Dasselbe haben wir beim Volkszählungsgesetz. Ich meine, auch dieser Aspekt muß in die Diskus- Auch hier sind die Länder nicht bereit, das, was drin- sion um das einbezogen werden, was zur „Operation 4800 Deutsch er Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Kühbacher 82" und deren Vollzug gehört. Ich habe die Bitte, daß des Kollegen Gerster einigermaßen schockiert hat. sich die Kollegen im Innenausschuß und im Sozial- Aber ich möchte sozusagen zur Beruhigung erst ein- bereich einmal dieses Problems annehmen. Wir kön- mal ein paar Worte zum Haushalt selber sagen. nen es nicht zulassen, daß wir im privaten und im öf- (Broll [CDU/CSU]: Der kann nicht beruhi fentlichen Bereich wirklich zu drei Klassen von Be- gen!) schäftigten kommen. — Doch. Der Haushalt des Innenministers hält sich, (Gerlach [Obernau] [CDU/CSU]: Die zahlen finde ich, im Rahmen der Gesamtsteigerung. Es hat aber ihre Krankenkasse selber! Das ist ein eine Reihe von schmerzlichen Einschnitten gege- komplexes System!) ben. Das will ich gerade sagen. Das kann bei einem — Ich weiß das wohl, daß das ein komplexes System Haushalt, bei dem 50 % der Mittel auf Personalaus- ist. Nur: Diese gravierenden Unterschiede sollte gaben entfallen, gar nicht anders sein. man sich einmal anschauen. Ich stelle mit Befriedigung fest, daß trotz der be- (Gerlach [Obernau] [CDU/CSU]: Gut!) stehenden Haushaltsprobleme das langjährige Aus- Herr Kollege, ich bitte ja nur darum, daß diejeni- bauprogramm „Innere Sicherheit" inzwischen gut gen, die im Innenbereich, im Beamtenrecht und im zur Hälfte verwirklicht worden ist und daß das Bun- Sozialrecht mehr Sachverstand haben, darüber deskabinett ausdrücklich erklärt hat, es sei bei einer nachdenken. Wir dürfen nicht zulassen, daß es in der Veränderung der Sicherheitslage bereit, auch in die- Bundesrepublik bei Personen, die voll ihre Arbeits- sem Bereich die Mittel für weitere Positionen zu be- kraft zur Verfügung stellen, solche Verwerfungen willigen. gibt. Um nichts anderes geht es mir. Es ist so, daß es auch im Bereich des Umwelt- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will einen schutzes einige Abstriche hat geben müssen. Das letzten Punkt ansprechen, weil der Kollege Gerster gilt gerade für den Bereich der Luftreinhaltung. Ich auch hier gesagt hat, da passiere nicht genug;- es sei glaube, daß wir bei jeder wirtschaftlichen Situation ganz schlimm, was der Innenminister mache. Für alles tun müssen, um den Umweltschutz fortzufüh- die Belange der ostdeutschen Kultur gab es in der ren; denn ohne die Bewahrung unserer natürlichen vergangenen Periode einen gemeinsamen Aus- Lebensgrundlagen wird es auf Dauer auch kein wirt- schuß. Wie mir Herr Kollege Brandt bestätigt, ist im schaftliches Wachstum geben. Zusammenhang mit § 96 BVG stets einmütig gehan- (Zustimmung bei der FDP) delt worden, d. h. also auch im Bereich der Kulturar- beit gibt es eine Einmütigkeit, von der Sie offensicht- Der Gegensatz von Ökonomie und Ökologie ist in lich keine Kenntnis nehmen wollen. meinen Augen ein Scheingegensatz, der uns von richtigen Entscheidungen abhält. Damit Sie sehen, daß wir Abgeordnete des Bun- destages auch kleinen Dingen nachgehen, wenn es (Beifall bei der FDP und der SPD) um Sparsamkeit geht, möchte ich noch eine Sache Wir sollten darauf achten, daß auch die Industrie aus Bonn berichten. Es ist so, daß die Benutzung von nicht nur auf staatliche Maßnahmen und Pro- Dienstwagen in Bonn immer noch nicht klar ist, d. h. gramme rechnet. Vielmehr muß sie selber bereit zu welchen Zwecken solche Fahrten zulässig sind. sein, insbesondere auf dem Gebiet des vorbeugen- Nach einer entsprechenden Regelung interministe- den Umweltschutzes mehr zu tun. Es kommt nicht rieller Art hoffe ich, daß Dienstwagen nur für dienst- nur darauf an, Schadstoffe zu beseitigen, sondern es liche Zwecke benutzt werden. Dann ist es aber nicht kommt darauf an, Produktionsverfahren, Wasser- einzusehen, daß sich ein Beamter des Auswärtigen kreisläufe usw. so umzustellen, daß Schadstoffe Amtes — ein Ministerialdirektor, B 9 — abends in überhaupt nicht erst in die Umwelt gelangen. Wir eine kulturelle Veranstaltung fahren und von dort müssen mehr tun, mehr erreichen für einen vorbeu- wieder abholen läßt. Das muß die Bürger, die dort genden Umweltschutz. Darum begrüßen wir alles, auf Taxen warten, die auch ihre Eintrittskarten was der Bundesinnenminister tut, um die Neufas- selbst bezahlt haben, erbittern. sung der TA Luft auf den Weg zu bringen. Meine Bitte wäre, daß gerade in Bonn von Beam- (Beifall bei der FDP) ten, die nach B 9 besoldet werden, darauf geachtet wird, daß sie keinen Anlaß für solche Bemerkungen Man muß der Industrie auch sagen, daß die Lö- geben. Wir werden solchen Sachen nachgehen. Sie sung der Probleme nicht darin liegen kann, etwa blamieren damit den öffentlichen Dienst dort, wo es umweltschädliche Produktionsverfahren in dritte am allerwenigsten nötig ist. Das sage ich diesem Mi- Länder zu exportieren und sozusagen zu einer Art nisterialdirektor, B 9. Umwelt-Dumping beizutragen. Wer mit offenen Au- Das wäre es. gen in andere Länder, gerade der Dritten Welt, fährt und sich aussieht, was dort teilweise angerichtet (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei wird, muß wissen, daß solche Verfahren auf Dauer Abgeordneten der CDU/CSU) nicht hingenommen werden können. Zu den Besoldungsproblemen des öffentlichen Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Als nächster Redner Dienstes kann mit Rücksicht auf die schwebenden hat das Wort Herr Abgeordneter Hirsch. Tarifverhandlungen natürlich nur mit Zurückhal- tung Stellung genommen werden. Der öffentliche Dr. Hirsch (FDP): Herr Präsident! Meine Damen Dienst hat einen Anspruch auf Gleichstellung mit und Herren! Ich muß gestehen, daß mich die Rede der allgemeinen Einkommensentwicklung. Dieser Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4801 Dr. Hirsch Anspruch ist im wesentlichen erfüllt worden. Aber Mit dem Haß, den Sie predigen und auch hier in Ih- angesichts der Volumina, um die es geht, können die rer Rede haben erkennen lassen, zerstören Sie die Personalhaushalte nicht unberührt bleiben. Die dar- zwischen allen demokratischen Parteien für die Si- aus sich ergebenden Folgen können nach unserer cherheit in diesem Lande notwendige Zusammenar- Überzeugung nicht von den Beamten alleine getra- beit und die in dieser Frage notwendige Zusammen- gen werden, von denen eben nahezu 70 % zum einfa- arbeit zwischen Bund und Ländern. Sie erweisen chen und mittleren Dienst gehören; sie können im der Polizei in unserem Lande einen Bärendienst. Sie Grundsatz nicht anders behandelt werden als die ta- zerren sie in eine parteipolitische Auseinanderset- riffähigen Gruppen der Angestellten und Arbeiter zung hinein, in der die Polizei in der Tat daran zwei- des öffentlichen Dienstes. Deswegen stehen wir feln muß, ob sie die Solidarität aller demokratischen auch den Vorstellungen der nordrhein-westfäli- und politischen Kräfte in diesem Land genießt oder schen Landesregierung, die sich demnächst an den ob sie um persönlicher Profilierungen willen in Zer- Bundesgesetzgeber wird wenden müssen, mit eini- geleien hineingerissen wird. ger Zurückhaltung gegenüber, daß sie tiefe Ein- (Beifall bei der FDP und der SPD) schnitte im Besoldungsbereich ausschließlich der Beamten und ausschließlich ab A 9 aufwärts an- Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Herr Kollege Hirsch, strebt. erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- Wir meinen aber auch, daß der Vorsitzende der ordneten Gerster? VKA, der Ulmer Oberbürgermeister Lorenser, der ja Ihrer Partei angehört, darauf achten müßte, die Soli- Dr. Hirsch (FDP): Ja, bitte. darität der öffentlichen Arbeitgeber zu wahren. Es gibt in dieser Frage beunruhigende Informationen. Gerster (Mainz) (CDU/CSU): Herr Kollege Hirsch, glauben Sie wirklich, daß es der „auctoritas" des (Beifall bei der FDP und Abgeordneten der Staates — nicht: einzelner Amtsinhaber — dient, CDU/CSU) - wenn der Innenminister als Verfassungsminister in Wir möchten die ÖTV auch darauf aufmerksam zahlreichen Interviews und Darstellungen der letz- machen, daß eine Streikdrohung bei einer aktuellen ten Jahre den Rechtsbruch als eine hinnehmbare Al- Lohneinbuße von 0,6 bis 0,7 % — unbeschadet des zu ternative in ganz bestimmten, konkreten Situatio- erzielenden Tarifergebnisses — dem bisher berech- nen bezeichnet? Glauben Sie, daß damit die „auctori- tigten Anspruch der deutschen Gewerkschaften of- tas" des Staates gestärkt und erhalten wird? fenkundig zuwiderläuft, daß sie nämlich bisher in der Tat eine hohe gesamtwirtschaftliche Verantwor- Dr. Hirsch (FDP): Ich kann nicht begreifen, wie Sie tung bewiesen und die Autorität des Gesetzgebers eine pauschale Behauptung aufstellen können, ohne nicht angetastet haben. den mindesten Beleg dafür anzubieten. (Beifall bei der FDP und der SPD) (Zustimmung bei der CDU/CSU) Ich sage Ihnen: Ich bewundere die Sorgfalt, mit der Nun zu Ihnen, Herr Kollege Gerster. Wenn ich Sie dieser Innenminister den notwendigerweise schma- reden höre, denke ich immer an den Schlachtruf der len Grat geht zwischen dem notwendigen Einsatz preußischen Kavallerie: „Nieder in den Staub mit staatlicher Machtmittel und der Sorge, damit — in den Feinden Brandenburgs." Wenn Sie glauben, mit der Erkenntnis, daß der Staat mehr ist als nur eine solchen Methoden die Probleme eines modernen Herrschaftsmaschine — nicht mehr Menschen von Staates lösen zu können, dann täuschen Sie sich ge- diesem Staat wegzutreiben. Das ist ein schmaler waltig. Grat, und ich sage Ihnen, daß er sehr sorgfältig ge- (Beifall bei der FDP und der SPD) gangen werden muß. (Beifall bei der FDP und der SPD — Haase Das ist tiefes 19. und 18. Jahrhundert. Das ist vorbei. [Kassel] [CDU/CSU]: Bei Parksündern habt Die Antithese, um die es in der modernen Politik Ihr Mut! Die werden mit aller Kraft ver geht, ist nicht nur die zwischen Freiheit und Sicher- folgt!) heit — die in Wirklichkeit keine Antithese ist; da ha- ben Sie recht —; es geht vielmehr genauso um die Wir werden demnächst an Hand eines Antrags, in Verpflichtung, das zu beachten, was man in der latei- dem Sie den Eindruck verbreiten, als ob wir am nischen Sprache als den Unterschied zwischen „po Ende der Weimarer Demokratie wären, darüber testas" und „auctoritas" erkannte. Hier handelt es sprechen. Ich kann Herrn Kühbacher nur zustim- sich um die Überlegung, daß man mit der schlichten men. Ich frage mich, ob wir in demselben Staat le- Ausdehnung der staatlichen Macht allein die Autori- ben. Es ist wirklich erschreckend, welche Schrek- tät des Staates nicht erhält, sondern zerstört. kenskammer Sie immer wieder hervorziehen. Wir sollten uns von Ihren Demonstrationen — nicht von Bei vielen Ihrer Ausführungen, auf die man kaum wirklichen — nicht abhalten lassen; denn — auch im einzelnen einzugehen braucht, habe ich mich ge- das ist interessant — wenn Sie von Demonstranten wundert, daß Sie in der Tat ein Staatsbild haben, in reden, hat man den Eindruck, daß das alles Landfrie- dem Sie offensichtlich glauben, unsere Probleme densbrecher sind. Daß jemand, der demonstriert, mit Hauruck, mit „Druff" lösen zu können — wie der nur ein Grundrecht ausübt, scheint in Ihren Kopf alte Wrangel —, mit der Ausdehnung staatlicher überhaupt nicht hineinzugehen. Machtbefugnisse. (Beifall bei der FDP und der SPD — Zurufe (Widerspruch bei der CDU/CSU) von der CDU/CSU) 4802 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Dr. Hirsch Ich will Ihnen einmal sagen, wo die wirklichen die Leute mit den Fahrrädern machen. Es ist not- Probleme der Polizei in unserem Lande liegen. wendig, die Polizei von einer Fülle bürokratischen (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sagen Sie Leerlaufs zu befreien. doch diesem Hohen Hause bitte einmal, was Sie vor der Demonstration in Brokdorf Wir müssen unseren Polizeibeamten auch sagen, der Öffentlichkeit gesagt und geraten ha daß ihr Ansehen und ihre Anerkennung in der Ge- ben!) sellschaft ungebrochen und größer sind, als sie es selber annehmen, damit sie nicht glauben, daß wir — Ich will das gerne tun, wenn das nicht auf meine politische oder soziale Auseinandersetzungen, die es Redezeit angerechnet wird. Ich habe das schon natürlich in dieser Gesellschaft gibt, auf ihrem Rük- mehrfach öffentlich klargestellt. Ich möchte als ken und mit Hilfe polizeilich-exekutiver Mittel aus- Sprecher meiner Fraktion im Innenausschuß in der tragen wollen. Tat dorthin gehen können, wo sich jemand, wie ich annehme, falsch verhält. In meinen Augen haben Was die Ausländerkriminalität angeht, muß man sich die schleswig-holsteinische Landesregierung übrigens auch einmal darauf hinweisen, daß sie, ab- und der dortige Landrat damals falsch verhalten. gesehen von einer Sonderentwicklung bei Jugendli- Man kann nämlich nicht für ein Kirchspiel von ein chen, an der wir selber nicht unschuldig sind — das paar hundert Quadratkilometern Größe für mehrere hängt mir der Frage der Integration ausländischer Tage ein Grundrecht außer Kraft setzen. Ich habe Jugendlichen zusammen —, keineswegs größer ist das für falsch gehalten, und die Erfahrung hat ja als die der deutschen Bevölkerung. auch gezeigt, daß das Demonstrationsverbot nicht durchgehalten werden konnte. Ich habe gesagt: „Ich (Spranger [CDU/CSU]: Das ist schlicht will dorthin gehen, um mir das anzusehen." Nicht als falsch!) Demonstrant, das habe ich nicht nötig; ich kann hier demonstrieren. - In bezug auf die Verfassungstreue der Beamten (Heiterkeit bei der SPD) werden Sie sehen — ich will hier aus Zeitgründen das überspringen, was ich dazu sagen wollte —, daß Als mich ein Journalist fragte: „Wenn es dort aber der Gesetzentwurf des Bundesinnenministers die- nun zu Auseinandersetzungen kommt, weil die De- sen Grundsatz in keiner Weise antastet. monstration verboten ist, wollen Sie auch dann dort- hin gehen?", habe ich ihm geantwortet: „Natürlich! (Dr. Miltner [CDU/CSU]: Ausgehöhlt, unter Dann muß ich es erst recht tun, um zu sehen, was gräbt!) sich dort abspielt und was dort richtig oder falsch ge- macht wird." Das ist die Erklärung, die ich schon Nur, eines muß ich Ihnen auch sagen: Hier kann wiederholt gegeben habe. Ich lasse mir von Ihnen, man eine unglaubliche Heuchelei beobachten, so als von niemandem, auch nicht von der Presse, vor- ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der schreiben, ob es meine Pflicht ist oder nicht, irgend- Praxis der Länder nie eine Rolle gespielt hätte. Sie wohin zu gehen, wo ich mich als Sprecher meiner müssen doch wissen, daß z. B. die Länder Baden Fraktion im Innenausschuß darüber informieren Württemberg und Bayern jahrelang bei der Einstel- muß, ob und wie die innere Sicherheit in diesem lung — bei diesen Überlegungen geht es gar nicht Lande gewahrt wird oder nicht. um die Einstellung — von Beamten des mittleren (Beifall bei der FDP und der SPD — Zuruf Dienstes und von vergleichbaren Angestelltengrup- von der CDU/CSU: Das war ein schwerwie pen die Frage der Verfassungstreue im Sinne der gender psychologischer Fehler!) hier so oft beschworenen Regelanfrage nie geprüft haben, weil man bei der Anwendung des Verhältnis- Sie lenken von den eigentlichen Problemen unse- mäßigkeitsgrundsatzes offenbar vernünftig diffe- rer Polizei ab; denn ohne Zweifel ist die Entwicklung renziert hat; denn es ist ungeheuer schwer, in den der Kriminalität nicht gerade erfreulich. Das muß Kopf anderer Leute zu gucken. Das ist schon unge- man sagen, aber auch hinzufügen, daß die Aufklä- heuer schwer, wenn es sich um Masseneinstellun- rungsquoten ebenso wie die Ausrüstung und die gen handelt. Ausbildung der Polizei von Bund und Ländern kei- nen Vergleich mit denen der Polizei irgendeines an- Was das Asylrecht angeht, kann ich nur sagen: da deren Landes zu scheuen brauchen. Wir müssen be- reden Sie unter souveräner Mißachtung der bekann- greifen, daß es Veränderungen in der Kriminalität ten Tatsachen, daß die Zahl der Asylbewerber in den gegeben hat. Das gemeinsame Sicherheitspro- letzten Jahren auf Grund der Maßnahmen der Bun- gramm stammt aus dem Jahre 1972. Es wäre, glaube desregierung um nahezu 50 % zurückgegangen ist ich, sinnvoll, eine neue Anfangsbilanz zu ziehen, die stärkeren Anforderungen, insbesondere die Polizei- (Zuruf von der CDU/CSU: Maßnahmen der dichte, angesichts der zu erwartenden Bevölke- Bundesregierung?!) rungsentwicklung zu überprüfen und die Polizei auf die hohe Zahl der unter uns lebenden Ausländer so- und daß seit Bestehen des Bundesamtes für die An- wie auf deren Lebensgewohnheiten besser einzu- erkennung von Flüchtlingen insgesamt 375 000 Men- stellen. Wir müssen das energisch tun, angesichts schen in der Bundesrepublik um Asyl nachgesucht der Tatsache, daß über 60 % aller Straftaten Dieb- haben. Wir haben aber in der Bundesrepublik über stähle sind. In Nordrhein-Westfalen ist jede zehnte viereinhalb Millionen Ausländer. Beide Probleme Straftat ein Fahrraddiebstahl. Man sollte sich ein- werden in einer kaum noch verstehbaren Weise mit- mal überlegen, warum das so ist. Ich frage mich, was einander verquickt. Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4803 Dr. Hirsch Ich sage Ihnen: Hier ernten wir die Folge aus der ganisieren oder die Verheißung dieses Grundrechtes Tatsache, daß der Lebensstandard auf dieser Erde in wirklich erfüllen. einer unvertretbaren Weise ungleich verteilt ist. Zur Innenpolitik gehört, ob wir trotz der Entwick- (Beifall bei der FDP und der SPD) lung moderner Datenverarbeitungstechnik durch wirksame Schutzregeln die Privatsphäre achten und Wir versuchen im Grunde genommen, mit verwal- wahren. Zur Innenpolitik gehört, daß wir trotz der tungsmäßigen Entscheidungen dieses Problems Sorge um wirtschaftliche Belastungen nicht darin Herr zu werden. Wir tun so, als ob es nur um Wirt- scheu werden und nicht vor dem Druck der Interes- schaftsflüchtlinge ginge, so kleine Leutchen, die hier sengruppen zurückweichen, wenn es darum geht, schmarotzen wollten, anstatt daran zu denken, daß durch wirksame Umweltschutzmaßnahmen die Exi- es Menschen sind, die sich und ihre Familien in, stenzgrundlagen unseres Lebens zu erhalten. wenn es irgend ginge, vernünftiger Weise ernähren wollen. (Beifall bei der FDP) Ich hoffe, daß es im Laufe dieses Haushaltsjahres (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Aber nicht zu möglich sein wird, zu allen diesen Punkten ausführ- unseren Lasten!) lich in diesem Haus zu reden, damit wir nicht außer- Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß das so nicht halb dieses Hauses darüber reden müssen. Dann geht. Aber wir müssen auch erkennen, daß die würde nämlich eins sehr deutlich werden: daß die Si- Flüchtlingsbewegung aus den Ländern der Dritten cherheit unseres Staates auf der Bewahrung seiner Welt, aus der Türkei, aus Pakistan — ich rede jetzt Liberalität beruht und auf der Überzeugung seiner einmal nicht von Polen —, in der Tat die Folge der Bürger, nicht zum bloßen Objekt einer staatlichen Tatsache ist, daß die Industrieländer westlicher und Maschinerie geworden zu sein, sondern als Bürger östlicher Prägung viele Jahrzehnte hindurch ihre in einer freien Gesellschaft zu leben. Nicht „nieder in humanitären Verpflichtungen diesen Menschen ge- den Staub mit den Feinden Brandenburgs", sondern genüber nicht erfüllt haben. Das ist der Punkt. gemeinsam dafür sorgen, daß die Freiheit in diesem Lande erhalten bleibt! (Beifall bei der FDP und der SPD) (Beifall bei der FDP und der SPD) Ich meine, wir sollten unsere innenpolitischen Probleme mit etwas größerer Gelassenheit sehen Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Als nächster Redner und gemeinsam stolz darauf sein, daß diese Bundes- hat Herr Abgeordneter Borchert das Wort. republik 30 Jahre hindurch eine unglaubliche Stabi- lität bewiesen hat, die fast so groß geworden ist, daß (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr manche Menschen an der Reformfähigkeit, an der Borchert verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Johan- Veränderungsfähigkeit zweifeln, weil die Parteien nes Gerster hat darauf hingewiesen, Herr Baum, nach außen ein Harmoniebild verbreiten, als mono- lithische Blöcke erscheinen. Jeder Außenstehende, welchen Randgruppen Ihr politisches Interesse gilt. Er hat darauf hingewiesen, daß Sie die Polizei bei ih- jeder neu Hinzukommende zweifelt, ob er überhaupt rer schweren Arbeit weitgehend allein lassen. Herr noch eine Chance hat, in diese scheinbar monolithi- Kollege Hirsch, wir stimmen Ihnen sicher zu, daß die schen Blöcke, in denen wir unsere Diskussionen um Polizei die Solidarität aller politischen Kräfte des schönen Bildes willen sorgfältig verbergen, braucht. Nur, ich meine, Herr Kollege Gerster hat seine Meinungen im parlamentarischen oder Partei- enspiel einzubringen. mit Recht darauf hingewiesen, daß sie in erster Li- nie die Solidarität des zuständigen Fachministers Die Parteien — alle Parteien — täten sehr gut dar- braucht. Dies ist der Punkt, über den wir in diesem an, einmal darüber nachzudenken, wie es kommt, Bereich zu diskutieren haben. Ich spreche jetzt über daß sich neben ihnen etwas etabliert hat, was man einen Bereich, der ebenfalls zu den Bereichen Ihres als „Bewegungen" bezeichnet. Das liegt an vielen Ministeriums gehört, die Sie weitgehend vernach- Problemen, über die wir heute zum Teil schon ge- lässigen, nämlich den Bereich der zivilen Verteidi- sprochen haben: das Leben in einer technisierten gung. und verwalteten Welt, in der viele junge Menschen Trotz der zahllosen Beteuerungen in den vergan- daran zweifeln, ob sie einen sinnvollen Berufsweg genen zehn Jahren, daß die Verteidigungsfähigkeit finden können; die Sorge um den Frieden — nicht der Bundesrepublik ohne eine ausreichende Zivil- um den inneren Frieden —, die Sorge um unsere verteidigung nicht glaubwürdig und nicht überzeu- physische Existenz; die Frage, ob der Bürger die vie- gend ist, wurde in den vergangenen Jahren kaum len kleinen Entscheidungen, die wir hier diskutie- ein anderer Bereich der Politik von dieser Regie- ren, noch als sinnvoll ansieht, ob er erkennt, warum rung so stiefmütterlich behandelt wie die zivile Ver- wir über solche Details sprechen. Der Sinn unserer teidigung. Politik, den Menschen zu dienen, wird hinter den vielen technischen Details und hinter solchen Attak- (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!) ken, wie Sie sie geführt haben, nicht mehr deutlich. Die Bundesregierung hat zwar im Weißbuch gefor- Das hängt davon ab, ob wir z. B. unsere ausländi- dert, daß die Ausgaben der Zivilen Verteidigung zu schen Mitbürger als Menschen oder als bewegliche den Ausgaben der militärischen Verteidigung ein Teile von Maschinen behandeln, ob wir den Auslän- Verhältnis von 1 : 20 erreichen. Dieses Ausgabenver- dern der zweiten Generation eine faire Integrations- hältnis war auch schon 1962 mit 1 : 19 in der Bundes- chance in unserer Gesellschaft einräumen, ob wir republik fast erreicht und wird in anderen Ländern unser Asylrecht in einer Art Hau-ruck-Verfahren or- — etwa in der Sowjetunion mit 1 : 20, in Schweden 4804 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 Borchert mit 1 : 20 und in der Schweiz mit 1 : 13 — auch heute Dies ist eben der Erfolg einer realistischen Situa- erreicht oder übertroffen. Bei uns aber hat sich in tionsschilderung. Der Hinweis auf noch so viele an- den vergangenen Jahren dieses Verhältnis ständig dere Länder, denen es schlechter gehe, Herr Kollege verschlechtert. Wir haben im Haushaltsplan 1982 ein Löffler, verbessert doch nicht die Situation, sondern Verhältnis von 1 : 58. beschleunigt den weiteren Abstieg. (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) Die seit Jahren vergleichsweise bescheidene Be- Diese Zahlen zeigen, daß die Investitionen im mili- reitstellung von Haushaltsmitteln hat verständli- tärischen Bereich auf Grund der NATO-Verpflich- cherweise Auswirkungen etwa auf den Warndienst, tungen in etwa fortgeschrieben sind, daß aber die den Schutzraumbau, den Katastrophenschutz und nicht vertraglich gebundenen Aufgaben der zivilen vor allem auf die personelle Situation der Zivilen Verteidigung in diesen Jahren unter die ideologi- Verteidigung. schen Räder dieser Koalition geraten sind. Während Beim Warndienst wird seit Jahren in allen Bera- die Bedeutung der Zivilen Verteidigung in vielen Er- tungen die dringend notwendige Senkung der Post- klärungen der Regierung immer wieder betont wird, gebühren angesprochen. Wir unterhalten uns immer zeigt aber der Anteil des Einzelplans 36 in dramati- wieder über dieses Problem. Aber auch in diesen scher Weise, welche Bedeutung die gleichen Politi- Haushalt sind wieder 60 Millionen DM eingesetzt ker diesem Bereich tatsächlich zumessen. Der An- worden. Die jahrelange Diskussion um diesen Be- teil des Einzelplans 36 am Gesamthaushalt ist von reich zeigt, daß der zuständige Minister nicht in der 1,47 % im Jahre 1961 über 0,52 % 1969 auf heute nur Lage ist, eine Einigung zwischen der zivilen Vertei- noch 0,32 % gesunken. Ich meine, diese Zahlen zei- digung, der Bundespost und dem Verteidigungsmi- gen die skandalöse Vernachlässigung dieses wichti- nisterium herbeizuführen, um neue, kostensparende gen Bereiches. Technologien einführen und damit die Kosten sen- (Zustimmung bei der CDU/CSU) ken zu können. In diesem Bereich wie auch in ande- ren Bereichen, Herr Baum, tagen zur Erarbeitung ei- Bei den Beratungen des Haushalts 1982 wurde nes neuen Konzeptes in Ihrem Ministerium seit Jah- von der Koalition der vergebliche Versuch einer Sa- ren Arbeitsgruppen, ohne ein konkretes Ergebnis nierung der zerrütteten Staatsfinanzen gemacht. vorlegen zu können. Diese Tatsache, Herr Minister Von der im Sommer viel zitierten Wende blieb dabei — daß keine Ergebnisse vorgelegt werden können nur der Wendebrief. Man spitzte zwar die Lippen, — ist nicht ein Problem des Ressorts, sondern zeigt, aber man konnte nicht pfeifen. In dieser schwieri- daß der zuständige Minister nicht in der Lage ist, die gen Situation des Bundeshaushalts ist es dann ge- unterschiedlichen Interessen seines Hauses auszu- rade gelungen, den Einzelplan 36 um knapp den glei- gleichen. Die Einführung neuer, kostensparender chen Prozentsatz steigen zu lassen wie den Gesamt- Technologien und die Verbesserung des Warndien- haushalt. Trotz der zugegeben schwierigen Finanz- stes scheitert damit an der Führungsschwäche des lage des Bundes wäre es aber notwendig gewesen, zuständigen Ministers. mit einer deutlichen Steigerung ein Signal für den veränderten Stellenwert der Zivilverteidigung zu ge- Auch der Stand des Schutzraumbaus zeigt die ben. So aber werden die Fehler der Vergangenheit Hilflosigkeit dieser Bundesregierung. Während in fortgesetzt. Ich bin sicher, daß die Redner der Koali- der Bundesrepublik nur für 3 % der Bevölkerung tion bei dieser wie auch bei anderen Gelegenheiten Schutzräume bestehen, gibt es in der Schweiz immer wieder auf andere Länder verweisen, in de- Schutzräume für 80 % und in Schweden für über 65% nen dies alles j a noch sehr viel schlimmer und sehr der Bevölkerung. In anderen Ländern werden die viel schlechter sei. Wir kennen diese Argumentation Schutzräume kontinuierlich ausgebaut, während die aus der Behandlung vieler Etatansätze in diesen Ta- Bundesregierung in den vergangenen Jahren über gen als offensichtlich ein Allheilmittel für eine Poli- Vollschutz oder Grundschutz debattiert hat und da- tik in der Sackgasse, aus der diese Regierung keinen bei die finanziell durchaus möglichen Maßnahmen Ausweg mehr weiß. Meine Damen und Herren, diese vor dem Hintergrund der Alternative des „alles oder Argumentation, bei der man immer auf andere Län- nichts" unterlassen hat. Durch diese Diskussion der verweist, erinnert mich in fataler Weise an die wurde im vergangenen Jahrzehnt versäumt, recht- Situation des Tabellenletzten in der Bundesliga, bei zeitig mehr Mittel für den Schutzraumbau zur Ver- dem der Präsident den Mitgliedern und Anhängern fügung zu stellen. Mit den jetzt im Bau befindlichen erklärt, der Verein sei doch in einer vergleichsweise Schutzräumen und den geplanten Baumaßnahmen blendenden Situation, denn es gebe schließlich noch ist langfristig auch der erforderliche Grundschutz Vereine in der Zweiten Liga, in der Landesliga, in für die Bevölkerung nicht zu erreichen, auch wenn der Bezirksklasse, in der Kreisklasse. für diesen Titel 1982 eine Aufstockung um 21 Millio- nen DM vorgenommen wurde. (Löffler [SPD]: Hat Ihnen dies aufgeschrieben?) Bei den endlich fertiggestellten Schutzräumen streitet der Minister in vielen Fällen mit den Län- — Der Unterschied zwischen dem Kollegen Riedl dern und Gemeinden, wer die Unterhaltung und Ver- und dieser Bundesregierung ist, daß er auch in waltung der Schutzräume übernehmen soll, wie es schwierigen Situationen immer den Mut hat, die Si- z. B. bei dem Schutzbunker in Braunschweig nach tuation realistisch darzustellen — mit dem Ergebnis, wie vor der Fall ist. In mehreren Fällen sind Sie, daß München 1860 im Gegensatz zur Bundesregie- Herr Minister, nicht in der Lage, die Übernahmever- rung wieder im Aufwärtstrend ist. einbarungen mit den Gemeinden abzuschließen. Ich (Beifall bei der CDU/CSU) meine, auch dies ist nicht gerade ein Zeichen für die Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4805 Borchert überragende Führungsstärke dieses zuständigen gebaut werden müßte. In den meisten Fällen, in de- Fachministers. nen ein Umbau vorgesehen ist, ist es bisher beim Vorsatz geblieben. Im Bereich des erweiterten Katastrophenschut- zes wurde mit dem Konsolidierungsprogramm 1980 In den vergangenen Jahren, als diese Regierung bis 1989 ein erster Schritt zur Modernisierung und das Geld in vielen Bereichen mit vollen Händen aus- zur weiteren Ausstattung für den Katastrophen- gegeben hat, hat die CDU vergeblich gefordert, mehr schutz vorgenommen. Nach diesem Konsolidie- Mittel für die zivile Verteidigung, vor allem für die rungsprogramm sollen für zehn Jahre 1,2 Milliarden Helferorganisationen, zur Verfügung zu stellen. DM — unter Berücksichtigung des jährlichen durch- schnittlichen Preisanstiegs — für Ersatzbeschaf- Herr Kollege Bor- fungsmaßnahmen und den erweiterten Ausbau zur Vizepräsident Dr. h. c. Leber: chert, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Verfügung stehen. Wenn dieses Programm in den Abgeordneten Kühbacher? nächsten Jahren Erfolg haben soll, meine Damen und Herren, dann ist eine Anpassung an die aktuelle Preisentwicklung dringend erforderlich. Wenn eine Borchert (CDU/CSU): Ich habe leider nur noch solche Anpassung nicht erfolgt, dann werden die po- sehr wenig Zeit; sonst würde ich es gern machen, sitiven Ansätze dieses Programms in wenigen Jah- Herr Kollege Kühbacher. ren der Inflation zum Opfer gefallen sein. Heute müssen die Helfer in unzureichenden Un- (Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: Das ent terkünften weiterarbeiten, weil die Regierung durch spricht der Wahrheit!) die von ihr verschuldete Finanzkrise nicht in der Lage ist, dringend notwendige Maßnahmen für die Einen weiteren Schwerpunkt des Katastrophen- Unterbringung der Helfergruppen zu finanzieren. schutzes stellt die Ausbildung von Leitungs- und Führungskräften dar. Für die Katastrophenschutz Die Entschädigung der ehrenamtlichen Helfer ist - schulen auf Landesebene wird von ihnen überprüft, seit 1965 unverändert geblieben. Sie entspricht in in welchem Umfang eine Kostenverpflichtung des keiner Weise mehr der heutigen Preisentwicklung. Bundes besteht. Bei der Katastrophenschutzschule Aus Verantwortung gegenüber den vielen Helfern, des Bundes ist die Organisationsfrage weitgehend ohne deren selbstlose Arbeit Zivilschutz und Selbst- ungeklärt. Hierdurch ist auch ungeklärt, wie der jet- schutz nicht möglich wären, sind zeitnahe Sätze bei zige Personalbestand dieser Schule in Zukunft auf- der Helferentschädigung dringend erforderlich. Wir rechterhalten werden soll. Ebenfalls offen ist damit können denjenigen, die bereit sind, sich ehrenamt- die zukünftige Einordnung dieser Schule und damit lich zu engagieren, nicht auch noch zumuten, die da- auch die tarifrechtliche Eingruppierung des Perso- bei entstehenden Kosten selber zu übernehmen. nals. Dies bringt für alle Betroffenen, für die Mitar- Meine Damen und Herren, die zivile Verteidigung beiter an diesen Schulen eine unvertretbare Situa- ist die Vorsorge für den Ernstfall und damit eine tion mit sich. Im Interesse der an der Katastrophen- zentrale Aufgabe für die Existenzsicherung unseres schutzschule Beschäftigten und aus Verantwortung Volkes. Durch die Schuldenpolitik der vergangenen ihnen gegenüber erwarten wir eine schnelle Klä- Jahre sind wir so weit gekommen, daß wir in diesem rung der zukünftigen Weiterentwicklung dieser existentiell wichtigen Bereich nicht mehr in der Schule. Lage sind, die drängendsten Aufgaben zu finanzie- Ohne die Hilfsorganisationen aber würden alle ren. Maßnahmen der zivilen Verteidigung erfolglos blei- (Würzbach [CDU/CSU]: Leider ist das so! — ben. Allein im Technischen Hilfswerk wirken etwa Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: So sieht es 55 000 aktive Helfer mit. Diese ehrenamtlichen Hel- dann auch aus!) fer tun ihren Dienst an der Gemeinschaft unter In- kaufnahme persönlicher Opfer. Ohne die Bereit- Mit dem geringen Anstieg der Mittel in diesem schaft dieser vielen Mitbürger, sich trotz aller Bela- Haushaltsplan werden auch in diesem Jahr keine stungen und Schwierigkeiten immer wieder für den Verbesserungen möglich sein. Die CDU/CSU lehnt Katastrophenschutz zur Verfügung zu stellen, wäre daher den Einzelplan 36 und damit die Politik der diese wichtige soziale und humanitäre Aufgabe Bundesregierung, vor allem auch die Politik des zu- nicht zu erfüllen. ständigen Fachministers in diesem Bereich ab. — Danke sehr. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Noch immer aber sind die Unterkünfte in einem teilweise verheerenden Zustand. Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Als nächster Redner (Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: Sehr hat Herr Abgeordneter Dr. Nöbel das Wort. wahr!) Nur die Hälfte der rund 650 Gruppen ist gut unterge- Dr. Nöbel (SPD): Herr Präsident! Meine sehr ver- bracht. Bei allen anderen Gruppen sind Aus-, Neu- ehrten Damen und Herren! Es ist ja einiges richtig oder Umbauten dringend erforderlich. Bei den unzu- an dem, was Sie hier vorgetragen haben. Wir sind reichend untergebrachten Gruppen ist seit zwei Jah- uns alle einig, daß es im Bereich der Zivilverteidi- ren keine Fortschreibung über den Stand der Situa- gung an manchem hapert; nur: die Art und Weise, wie tion erfolgt. Der Minister weiß also nicht einmal, wie das hier vorgetragen wird, die geht natürlich nicht. diese Gruppen untergebracht sind, was und wie um Was soll z. B. der mathematische Vergleich der Aus- 4806 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Dr. Nöbel gaben für die militärische Verteidigung mit den Aus- nicht die Regierungen Adenauer und Erhard ausrei- gaben für die zivile Verteidigung. chend um den Zivilschutz gekümmert haben. Hier wird aber etwas verschwiegen, und das werfe ich Ih- (Würzbach [CDU/CSU]: Den hat doch Ihre nen vor. Es, hat seit der Verabschiedung des Geset- Bundesregierung angestellt!) zes über den erweiterten Katastrophenschutz 1968 — Das stand im Weißbuch, Herr Würzbach, aber — das gebe ich auch noch zu — eine Reihe von Re- man weiß doch mittlerweile längst — deshalb bitte zepten und Konzepten gegeben, die dann schließlich ich, nicht immer darauf herumzureiten —, daß die- nichts eingebracht haben, aber was hier verschwie- ser Vergleich in sich unschlüssig ist. Sie wissen als gen wird, ist doch die Tatsache, daß seit der letzten Militärexperte ganz genau, welche Mittel durch die Legislaturperiode Erhebliches geleistet worden ist. technische Entwicklung im Bereich militärischer Gut, man muß es relativieren; das ist klar. Aber es Waffensysteme erforderlich sind und daß dadurch kann nicht bestritten werden, daß sich die Situation die Schere immer weiter aufgeht. Ich glaube, dar- im Bereich des Zivilschutzes insbesondere seit dem über brauchen wir hier keine Pseudodiskussion zu Jahre 1977 wesentlich verbessert hat. führen. Ich komme jetzt zum aktuellen Haushalt. Wir ha- (Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: Das ist ben im Bereich des erweiterten Katastrophenschut- aber ein guter Anhaltspunkt!) zes — Sie haben darauf hingewiesen — ein bis 1990 hin angelegtes Konsolidierungsprogramm, das fi- Oder was heißt, die zivile Verteidigung sei einer nanziell mit 1,15 Milliarden Mark zu Buche schlägt. Ideologisierung zum Opfer gefallen? Ich verstehe Jetzt kann man natürlich verlangen, wir müßten das nicht. Oder was heißt, die Fehler der Vergangen- jetzt schon Inflationsraten einbauen. Wo gibt es heit würden fortgesetzt? Das trifft doch alles gar denn so etwas? Ich kann doch heute noch nicht wis- nicht zu, es sei denn, Sie meinen, Herr Kollege, die sen, wie die Entwicklung bis 1990 ist. Wenn ich na- Zeit, als CDU und CSU in Regierungsverantwortung türlich dauernd nur opponiere, dann bringe ich die standen, denn diese Vorwürfe treffen exakt auf das Inflation selber mit. Jahr 1965 bzw. 1966 zu. Der Herr Gerlach wird jetzt sagen, das Haushaltstrukturgesetz habe die SPD In diesem Jahr ist die zweite Rate von 113,6 Millio- mitbeschlossen. Sie wissen aber auch, warum. Da ge- nen Mark fällig. Das bitte ich doch zur Kenntnis zu schah doch mit der zivilen Verteidigung folgendes: nehmen. Im letzten Jahr standen 107,9 Millionen Nicht nur, daß von einem Jahr aufs andere auf einen Mark zur Verfügung. Dabei geht es im wesentlichen Schlag 400 Millionen DM gekürzt wurden — das war um die Ausrüstung unserer Hilfsorganisationen — ja eigentlich das Aus der zivilen Verteidigung und Feuerwehren, Deutsches Rotes Kreuz, Malteser des Zivilschutzes überhaupt —, sondern es konnten Hilfsdienst, Arbeiter-Samariterbund, Johanniter- auch gerade beschlossene Gesetze, die auf Initiative Unfallhilfe — mit Geräten und Fahrzeugen. Darauf der Sozialdemokraten damals aus der Opposition kann man sich einstellen. Ein solch langfristiges heraus hier im Bundestag einvernehmlich beschlos- konkretes Programm hat es noch nie gegeben. sen wurden, z. B. das Schutzraumgesetz, z. B. das (Beifall bei der SPD) Selbstschutzgesetz, ein knappes Jahr später nicht in Kraft treten, weil eben die Mittel fehlten. Da brau- Darauf kann man sich einstellen, und diese Ver- chen wir uns hier nicht jedes Jahr gegenseitig die bände haben sich bereits darauf eingestellt. Das ist gleichen Vorwürfe zu machen. Mir fallen dann im- eine ganz solide Politik, die wir hier seit der letzten mer wieder die Sünden ein aus der Zeit, als Ihre Par- Legislaturperiode fahren. Wir werden sie fortset- teien noch in der Regierungsveranwortung standen. zen. Sie haben damals vor Fehlinvestitionen gewarnt — Ich halte es durchaus für erfreulich, daß beim ich will hier nicht lange zitieren — und haben da- Technischen Hilfswerk trotz der jetzigen finanziel- mals, wie wir das heute tun, z. B. auf die Selbsthilfe len Situation immerhin eine kleine Aufstockung hingewiesen, die durch den Bürger selbst erforder- möglich war. lich ist. Heute haben Sie diese Vokabel ersetzt. Da Er ist reden Sie von Pflichten, die Sie dem Bürger auferle- Wieso kritisieren Sie den Schutzraumbau? von 68,1 auf 89,2 Millionen Mark angestiegen. Das ist gen wollen. immerhin eine Steigerungsrate von 31 % gegenüber (Würzbach [CDU/CSU]: Wir reden von Hilfe dem Vorjahr. Wo gibt es das denn sonst im Haus- zur Selbsthilfe!) halt? Ich kann nur sagen: diese Koalition wird unsere (Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: Bei den Bürger vor diesen Pflichten behüten. Natürlich kann Zinsen für die Schulden!) man den gegenwärtigen Ausbau des Warndienstes Das wird einfach mir nichts dir nichts unter den kritisieren, aber hier und noch mehr im Bereich Tisch gebuttert. Schutzraumbau spiegeln sich eben die Sünden der Vergangenheit an deutlichsten wider. Ich brauche Es hat also keinen Zweck, uns hier alljährlich mich doch hier nicht jedes Jahr zu wiederholen. Da- Mängel vorzuhalten und vorzuwerfen. Es geht um mals in der Wiederaufbauphase ist versäumt wor- die realistische Einschätzung der Möglichkeiten den, Schutzräume in entsprechender Weise zu schaf- heute. Und da haben wir eine gemeinsame Be- fen. Da brauchen wir uns gegenseitig gar nichts vor- schlußlage seit Ende der letzten Legislaturperiode. zuwerfen. Und so gebe ich gerne zu, daß sich weder Dabei geht es um die Vereinfachung der Zivil- die Große Koalition noch einige Jahre lang auch schutzgesetzgebung. Da ist vieles zu kompliziert. Der diese Koalition aus SPD und FDP, aber schon gar Innenminister wird in Kürze in der Lage sein, einen Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4807 Dr. Nöbel Entwurf mit den Ländern zu beraten. Wenn ich rich- deswegen werden Sie auch nur kurze Anmerkungen tig informiert bin, kann er in einem Jahr im Kabi- ertragen müssen. nett behandelt werden. (Zuruf von der CDU/CSU: Hoffentlich!) Als nächstes erwarten wir die Vorlage des Ge- Dem Kollegen Gerster, dem ich sehr sorgfältig zu- sundheitssicherstellungsgesetzes. Sie wissen, das ist gehört habe, möchte ich, obwohl das nicht das eine schwierige Aufgabe. Wir erwarten den Entwurf Thema dieser zweiten Runde ist, sagen, daß mich in dieser Wahlperiode; hoffentlich kommt er recht Ihre Eingangsanmerkung, dieser Innenminister bald. schütze in besonderer Weise die Rechte der Demon- Die Koordinierung der zivil-militärischen Zu- stranten und Rabauken und Chaoten, sehr nach- sammenarbeit auf allen Verwaltungsebenen ist ein denklich gemacht hat. Sie differenzieren nicht. Sie weiterer Punkt, der in dieser gemeinsamen Ent- stellen hier Demonstranten in eine Reihe mit Ra- schließung steht. Da gibt es natürlich noch manches bauken, mit denjenigen, die das Demonstrations- nachzuholen. Man kann nicht alles auf einmal. recht pervertieren, und mit Chaoten, die die Perver- Ich komme zum letzten Punkt, zur verbesserten tierung zum ständigen Umgang machen. Wir ma- Aufklärung der Bevölkerung. Da ist sehr vieles ge- chen hier im Bundestag keine Gesetze — ich meine, laufen. Die letzte Vorsorgebroschüre, die der Innen- da werden Sie alle mir zustimmen —, bei denen wir minister in Zusammenarbeit mit dem Bundesver- von vornherein die Perversion des Gesetzes als den band für den Selbstschutz veröffentlich hat, hat in Normalfall ansehen. drei Monaten eine Auflage von 400 000 Exemplaren (Beifall bei der FDP und der SPD) erreicht, die auf Einzelanforderung zugeleitet wor- Herr Kollege Gerster, ich wäre sehr dankbar, den sind. Wir begrüßen sehr, Herr Minister, daß jetzt wenn auch Sie — ich weiß, daß eine Anzahl von Kol- in dem Ortskennzahlverzeichnis — es erreicht eine legen Ihrer Fraktion das getan hat — einmal einen Auflage von ungefähr 29 Millionen — die wichtig- etwas zeitraubenderen Blick in die Zürcher Untersu- sten Empfehlungen enthalten sein werden, so daß chung über Jugendprobleme werfen würden, in eine wir, was die Aufklärung der Bevölkerung angeht, in Untersuchung, die aus einem Land kommt, das nicht Kürze einen wesentlich höheren Verbreitungsgrad dafür bekannt ist, daß es seine konservativen erlangen werden. Grundvorstellungen zu verlassen im Begriff ist. Dann darf doch hier niemand so tun, als sei nichts Wenn Sie zusätzlich auch noch erwägen, daß Sie geschehen. Erinnern wir uns an die Forschungser- die Möglichkeit besitzen, Ihre eigenen Untersuchun- gebnisse der Kommission von Wissenschaftlern gen nachzulesen, nämlich die aus dem Hearing über beim Bundesminister des Innern, insbesondere in Gewalt und Terrorismus, das Ihr Generalsekretär der Katastrophenmedizin. Davon redet kein Geissler vor, glaube ich, nicht ganz anderthalb Jah- Mensch. Dort ist sehr viel geschehen. Erinnern wir ren veranstaltet hat, müßten Sie eigentlich zu dem uns an die Leistungen des Hubschrauberrettungs- Schluß kommen, daß diese Darstellung „Demon- dienstes. In 10 Jahren wurden 95 000 Einsätze geflo- stranten- und Chaotenrecht vom Innenminister ge- gen und fast 80 000 Patienten ärztlich versorgt. Wir schützt" nicht angeht. Herr Kollege Gerster, das Sozialdemokraten sagen Dank den Piloten, dem „Nürnberger Modell" werden wir nicht übernehmen; Wartungspersonal des Bundesgrenzschutzes und das werden Sie als Ihre Erfindung behalten dür- den Notärzten für diese Leistung, fen. (Zuruf von der CDU/CSU: Das tun wir (Beifall bei der FDP und der SPD) auch!) die einmalig ist in ganz Europa. Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Gestatten Sie eine (Beifall bei der SPD) Zwischenfrage? Das ist beispielhaft und zeigt, daß wir, meine Damen und Herren von der Opposition, von der Bundes- Wolfgramm (Göttingen) (FDP): Aber gerne. ebene her auch den friedensmäßigen Katastrophen- schutz, für den eigentlich die Länder zuständig sind, (Mainz) (CDU/CSU): Herr Kollege, kön- mit fördern, im Einvernehmen mit den Ländern. Gerster nen wir uns denn auf den Nenner einigen, daß der Meine Damen und Herren, die konstruktive Mit- Innenminister eben nicht nur vom Recht der De- arbeit der Opposition hier im Bundestag wäre uns monstranten — dazu hat er sich sehr oft geäußert — sehr dienlich; sie wäre objektiv sehr nützlich. — Ich reden sollte, sondern zumindest in dem gleichen danke Ihnen. Umfang von dem Recht der ihm unterstellten Beam- (Beifall bei der SPD und der FDP) ten auf Unversehrtheit und Unverletzbarkeit? Wenn der Innenminister diese Relation herstellen würde, könnten wir uns doch einverstanden erklären. Er tut Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Als nächster Redner es aber nicht! hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm das Wort. (Zuruf von der CDU/CSU: Muß das sein?) Wolfgramm (Göttingen) (FDP): Der Innenminister schützt, Herr Kollege Gerster, diese beiden Rechts- Wolfgramm (Göttingen) (FDP): Herr Präsident! güter in genau gleicher Weise, und der Kollege Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich Hirsch hat vorhin schon gesagt, daß Sie nicht ein habe nur eine sehr kurze Redezeit beantragt, und einziges fundiertes Beispiel dargestellt haben. 4808 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Wolfgramm (Göttingen) Schon allein die Formulierung Ihrer Frage an mich waltung, d. h. das Fundament. Dann baut sich darauf ist eine Unterstellung. auf der Oberregierungsrat — ich beziehe mich jetzt (Beifall bei der FDP und der SPD) auf den höheren Dienst — und dann der Ministerial- rat. Wir haben in diesem Haushalt an Regierungsrä- ten 14, an Oberregierungsräten 77, an Regierungsdi- Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Herr Kollege Wolf- gramm, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage? rektoren 140, von den Ministerialräten einfacher Klasse, wie sie genannt werden, 31 und de Luxe 82. Wolfgramm (Göttingen) (FDP): Nein, ich habe eine zu kurze Redezeit. (Zuruf von der CDU/CSU: Wasserkopf!) Ich möchte eine Anmerkung zu den Ausführun- Wenn wir nun den gehobenen Dienst betrachten, er- gen des Kollegen Borchert machen. Herr Kollege, gibt sich, wir haben 180 Oberamtsräte und 66 Amts- ich meine, wir haben das, was hier zu machen ist, ge- räte, und an Regierungsinspektoren, sozusagen das macht. Sie wissen, wir haben ein großes Sonderpro- Pendant des Regierungsrates in der Ebene des geho- gramm zur Fahrzeugbeschaffung und zur persönli- benen Dienstes, haben wir einen. Der Arme! Was chen Ausstattung durchgeführt. Es bleibt dabei, daß macht der da allein? ein ideeller Einsatz der Helfer im Katastrophen- (Zurufe von der CDU/CSU) schutz da ist und auch notwendig ist. Ich möchte an Es gibt allerdings auch einen Minister, und es gibt dieser Stelle für meine Fraktion einen herzlichen einen Parlamentarischen Staatssekretär. Ich will Dank für diesen ideellen Einsatz sagen. hier nicht verschweigen, daß letztere im Ministe- (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten rium von zweien auf einen reduziert worden sind. der SPD) Der ist tüchtig für zwei. Wir haben hier anschei- Zum Schutzraumbau haben wir hier schon oft nend im Stellenplan die umgekehrte Pyramide, die deutlich gemacht, wo die Ursachen liegen.- Sie wis- auf der Spitze steht, und die muß dann natürlich un- sen, daß natürlich in den 50er Jahren mehr Gelegen- ten allerlei aushalten. Ich möchte das hier ernsthaft heit gewesen wäre. Ich will aber keinen Schuldvor- anmerken. Wir haben alle daran mitgewirkt und wurf erheben, weil Erkenntnisse auch reifen müs- sind alle daran schuld; aber wir müssen das ändern. sen. Aus vielerlei Gründen des Wohnungsbaus kön- Es kann nicht das Ziel sein, daß es sich so weiterent- nen wir das Problem jetzt nicht durch eine öffentli- wickelt. che Verpflichtung lösen. (Beifall bei der FDP und der SPD — Zuruf Steuerliche Anreize, öffentlicher Schutzraumbau von der CDU/CSU: Da klatschen die, die die und auch Förderung des privaten Schutzraumbaus Mehrheit haben!) sind nach wie vor die Aufgabe, aber wir können das Dazu kommt für die Beamten selbst die bedauerli- nicht in dem Maße und unter den Bedingungen be- che Perspektivlosigkeit für junge Beamte, die tüch- treiben, wie es wünschenswert wäre. tig, die dynamisch, die motiviert sind, die diese Blok- An den Beratungen habe ich als Stellvertreter im kade der oberen Stellen vor sich sehen müssen und Ausschuß nicht teilgenommen, aber ich habe mir ge- feststellen, daß da kaum etwas geht als Belohnung sagt, wenn man nicht dabei war, ist ein Blick in die für ihre Motivation, für ihre Leistung, wenn sie die Protokolle nützlich. Da finden wir bei der Beratung Qualifikationen zeigen. Ich meine, das sollte uns des Einzelplans 36 — Maßnahmen der zivilen Ver- nachdenklich stimmen. Wir wollen ja schließlich teidigung im Aufgabenbereich des Bundesministers nicht verfahren wie in der österreichisch-ungari- des Innern — den Passus: Der Ansatz wird einver- schen Doppelmonarchie, wo es hieß: bei immer weni- nehmlich um 50000 DM abgesenkt. Ich finde, dann ger Schiffen immer mehr Admiräle. ist es schwierig, daß Sie sich hier vor der Öffentlich- (Beifall bei der FDP und der SPD — Würz keit hinstellen und nun lauthals zusätzliche Forde- bach [CDU/CSU]: Ob das eine Mehrheit än rungen erheben, von denen Sie selbst im Ausschuß dern könnte?) erkannt haben, daß sie mit der Haushaltslage nicht vereinbar sind. Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Das Wort hat der Herr (Beifall bei der FDP und der SPD) Bundesminister des Innern. Ich habe bei der Betrachtung des Haushalts- plans 06 vorgestern bei dem Blick auf den Stellen- Baum, Bundesminister des Innern: Herr Präsi- plan festgestellt, daß sich da doch Erstaunliches tut. dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei Ich sehe das nicht nur im Hinblick auf den Haus- der letzten Bemerkung des Kollegen aus meiner ei- haltsplan des Bundesinnenministers. Ich bin Mit- genen Fraktion bin ich ziemlich sprachlos und auch glied des Innenausschusses. Es liegt daher nahe, daß ratlos. ich mich diesem Haushaltsplan zuwende, nicht ir- (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: Bei der FDP gendeinen anderen der Regierung herausgreife. kein Wunder!) Aber das könnte ich genauso tun für den Haushalts- plan eines Landesministeriums, von Schleswig- Ich könnte mich nicht dem Vorschlag anschließen, Holstein über Niedersachsen oder Hamburg bis jetzt den Stellenkegel abzusenken oder umzudre- nach Bayern herunter, oder einen kommunalen hen, und zwar aus der Fürsorgepflicht heraus, die Haushaltsplan. Ich darf dieses Beispiel zu Ihrer ich für die Mitarbeiter habe. Überlegung vortragen: Die Regierungsräte waren (Kühbacher [SPD]: Nürnberger Trichter, und sollten eigentlich auch sein die Säule der Ver- nicht nur ein Kegel!) Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4809

Bundesminister Baum — Nürnberger Trichter, ja, sicher. — Ich erinnere dies auf dem Rücken der Polizei ausgetragen wird, mich sehr wohl, daß hier in diesem Parlament in Zei- sondern die Politiker sollten handeln. ten, als es uns sehr viel besser ging, diese positiven (Beifall bei der FDP und der SPD) Veränderungen im Stellenkegel oft von allen Frak- tionen in diesem Hause gerühmt worden sind. Ich habe bei allen Reden hier in diesem Hause mit Nachdruck gesagt, daß Gewalt kein Mittel der Poli- (Zurufe von der SPD und der CDU/CSU) tik ist und daß für mich die Unversehrtheit der Poli- Ich bin Ihnen im übrigen für diese Bemerkung sehr zeibeamten, die ihre Pflicht tun, eine ganz unver- dankbar, Herr Kollege Wolfgramm. Ich habe in der zichtbare Forderung ist. nächsten Woche eine Personalversammlung und Ich sage das auch im Hinblick auf einen ganz ak- werde das, was im Parlament hier gesagt worden ist, tuellen Fall, der in unserem Lande viele Emotionen, dem Personal weitergeben. Unverständnis und Heftigkeit hervorgerufen hat. Das betrifft den Ausbau der Startbahn West des (Beifall bei der FDP — Dr. Riedl [München] Frankfurter Flughafens. Wir müssen den Bürgern [CDU/CSU]: Da sagen Sie aber nicht dazu, sagen, daß sie ihre Mittel wägen müssen, daß sie die in welcher Partei der Kollege ist!) Rechtsmittel ausschöpfen können, daß sie einen An- Meine Damen und Herren, Sie haben ja eine spruch darauf haben, daß die Politiker ihnen erklä- Reihe von Themen aus dem weiten Feld der Innen- ren, warum etwas geschieht. politik angesprochen. Herr Kollege Gerster, ich Wir müssen den Bürgern aber auch sagen, daß sie glaube, der Herr Kollege Hirsch hat den richtigen keine Gewalt anwenden dürfen, daß sie das Recht Ton gefunden, um Ihnen zu antworten. Ihre Polemik respektieren müssen, daß sie die Unversehrtheit der war so von Vorurteilen und falschen Fakten durch- Polizeibeamten respektieren müssen. zogen, daß ich mich nicht einmal betroffen gefühlt habe, muß ich Ihnen sagen, in keiner Weise betrof- Herr Kollege Gerster, dies alles kann man doch fen gefühlt habe; denn ich lasse mir in meinem- Amte nicht anordnen, sondern hier muß man werben, man nicht vorwerfen, daß ich nicht für Sicherheit sorge. muß die Bürger überzeugen, man muß bis zum letz- ten den Versuch machen, die Bürger herüberzuzie- Für mich ist Freiheit ohne Sicherheit undenkbar. hen. Einen großen Teil meiner Arbeitskraft widme ich (Beifall bei der FDP und der SPD — Gerster diesem Ziel. Die Frage ist nur, Herr Kollege Gerster, [Mainz] [CDU/CSU]: Das bestreitet nie mit welcher inneren Einstellung man versucht, die- mand!) ses Ziel zu erreichen. Da muß ich Ihnen sagen: Vie- les, was die Union auf diesem Weg in den letzten Hier muß man auch bemüht sein, daß keine neuen Jahren getan hat, war nicht meine Politik. Ich bin Solidarisierungen vollzogen werden. der Meinung: Man braucht die Rechte der Bürger (Zuruf des Abg. Bohl [CDU/CSU]) nicht so weit einzuschränken, um das Ziel der Si- cherheit zu erreichen. Ich bin der Meinung: Man Unser Ziel muß es doch sein, zu trennen zwischen kann den Datenschutz in den Sicherheitsbehörden denen, die ihr Demonstrationsrecht legal in An- ausweiten, ohne die Effektivität der Sicherheitsbe- spruch nehmen, und denen, die es mißbrauchen. Die- hörden zu gefährden. jenigen, die Gewalt anwenden, sind j a gar keine De- monstranten, sie machen gar nicht vom Demonstra- Ich bin der Meinung, daß man Konflikte eben tionsrecht Gebrauch. Nach unserer Verfassung ist nicht nur unter Hinweis auf die staatliche Autorität das Demonstrationsrecht ein friedliches Demon- lösen kann oder im Hinblick auf Parlamentsent- strationsrecht. scheidungen, sondern daß man die Bürger überzeu- Wir müssen also Spannungen abbauen, und gen muß. Die Tatsache, daß die Bürger heute viel- darum bemühe ich mich. Sie verstehen mich vor- fach an den Parteien vorbei ihre Konflikte auszutra- sätzlich falsch, Herr Kollege Gerster! Es tut mir gen versuchen, macht es notwendig, daß wir zuhö- leid. ren, daß wir auf die Bürger hören, daß wir auf sie zu- gehen, daß wir auch ungewöhnliche Mittel wählen, (Beifall bei der FDP und der SPD) um Konflikte in unserer Gesellschaft zu vermeiden. Ich will Ihnen noch etwas sagen, worin wir uns Das ist doch unser aller Aufgabe, meine Damen und auch unterscheiden. Wir haben eine Diskussion über Herren. die Demonstration am 10. Oktober in Bonn gehabt. (Beifall bei der FDP und der SPD) Ich habe in diesem Hause gesagt: Das war kein Tag des Kleinmuts in dieser Demokratie, wir brauchen Ich habe niemals einen Rechtsverstoß begrüßt. Wo uns dieses Tages nicht zu schämen, ganz gleich, wie kämen wir denn hin, meine Damen und Herren! Wir wir zur Sache stehen. Es ist eben falsch — das haben uns aber fragen müssen: Wie lösen wir denn kommt in einer Anfrage Ihrer Fraktion zum Aus- die Konflikte? Wie kommen wir denn herunter von druck, die ich gerade beantwortet habe —, wenn den Rechtsverstößen? Wie kommen wir denn weg man die Beteiligung von Kommunisten zum Angel- etwa von der Besetzung der Bohrstelle in Gorleben? punkt der Beurteilung der ganzen Demonstration Der Herr Kollege Möcklinghoff, CDU-Mitglied, und macht. Wir möchten die Beteiligung von Kommuni- ich haben zeitweilig einen Rechtsverstoß in Kauf ge- sten nicht bagatellisieren und verniedlichen; das ha- nommen, um zu einer Entspannung der Lage zu ben wir nie getan. Meine Äußerungen zur DKP im kommen. Wir haben mit den Vertretern der Bürger- Verfassungsschutzbericht finden sicher auch Ihre initiativen geredet, weil wir eben nicht wollen, daß Zustimmung, Herr Kollege Gerster. Aber wir sind 4810 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Bundesminister Baum der Meinung, daß unsere freiheitliche Demokratie Duckmäusertum, zu Leisetreterei und Furcht führte. das friedliche Engagement von Bürgern auch dann Das ist leider heute zum Teil noch der Fall. ernst nehmen muß, wenn Kommunisten mitmar- (Widerspruch des Abg. Dr. Miltner [CDU/ schieren, mitorganisieren oder für dieselben Ziele CSU]) streiten. Das sind wir doch den Bürgern schuldig! Die 250 000 oder 300 000 Menschen in Bonn sind — Nach den Erfahrungen, die ich Ihnen eben ge- doch keine Menschen, die außerhalb unserer Gesell- schildert habe, Herr Kollege Miltner — das ist doch schafts- oder Freiheitsordnung stehen oder die an- alles nicht zu bestreiten; in welcher Umwelt leben fällig wären für die Ziele der DKP! Was für ein undif- Sie? —, sollten Sie den Schluß ziehen, mit dieser Ver- ferenziertes Gebräu wird hier von Ihnen manchmal fassungstreue-Prüfung, wie Sie sie praktizieren, nun aufgetischt! Schluß zu machen und mehr Vertrauen in die Libe- ralität der Bürger dieses Landes zu setzen. (Beifall bei der FDP und der SPD) (Beifall bei der FDP und der SPD) Noch etwas: Sie haben den Eindruck erweckt — vielleicht interpretiere ich das jetzt etwas zu hart —, Wir wollen Bürger, die aufrecht für diese Demo- als seien wir gegenüber Verfassungsfeinden im öf- kratie eintreten, weil sie sich im Zweifel eben für die fentlichen Dienst gleichgültig — ich sage das einmal Freiheit entscheiden und keine Angst haben sollen, so lapidar-, entlassen zu werden oder gar nicht erst von ihrem Grundrecht der freien Berufswahl Gebrauch zu ma- (Zuruf von der CDU/CSU: Bei der Einstel chen. lung!) Was jetzt im Vordergrund steht, ist die Frage, die als sei uns das egel, als würden wir die Türen des öf- sich im Anschluß an ein Urteil des Bundesverwal- fentlichen Dienstes für Leute öffnen wollen, die tungsgerichts im Fall Peter stellt. Sie haben das sehr nicht auf dem Boden dieser freiheitlichen Grundord- süffisant behandelt, Herr Kollege Gerster: als ob ich nung stehen. Ich verlange doch auch, daß- jemand, mir allein Sorgen machen würde um die Berufsaus- der in diesem Staat eine Verantwortung übernimmt, übung eines arbeitslosen Bürgers. Und wenn auch, diese freiheitliche Staatsordnung und Gesellschafts- Herr Kollege Gerster! Aber es geht um mehr als nur ordnung akzeptiert. Wir haben doch zwölf Jahre um diesen einen Bürger. Es geht um die Frage: Wie lang erlebt, wohin es führt, wenn die Beamten das behandeln wir die im öffentlichen Dienst schon be- nicht tun. schäftigten Lebenszeitbeamten, denen vorgeworfen (Zuruf von der CDU/CSU: Und wenn der wird, sie nähmen es mit der Treuepflicht nicht Bewerber es nun tatsächlich nicht tut?) ernst? Die Frage ist nur, wie wir diese Verfassungstreue Das Bundesverwaltungsgericht — das ist richtig, Prüfung durchführen. Herr Kollege Gerster — geht davon aus, daß es nicht auf die konkreten Dienstpflichten ankomme. Das Ende dieses Monats ist der sogenannte Extremi- Bundesverfassungsgericht hat demgegenüber sehr stenbeschluß zehn Jahre alt. Er besteht in den Län- deutlich ausgeführt, daß für die Annahme einer dern fort, die von der Opposition, also von Vertretern Treuepflichtverletzung ein Minimum an Gewicht Ihrer Partei, geführt werden, und zwar mit kleinen und Evidenz vorliegen müsse. Das ist auch meine Varianten. Wir haben im Bund 1979 die Regelan- Meinung. Diese Feststellung kann nicht getroffen frage abgeschafft; denn die Bundesregierung war werden, ohne daß auch die konkreten Dienstpflich- und ist der Auffassung, daß derjenige, der von Frei- ten des Beamten im Einzelfall in die Waagschale ge- heit redet, Liberalität im Staat auch wirklich herbei- worfen werden. Wie der Einzelfall dann entschieden führen muß. wird, ist eine ganz andere Sache. (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Mit den (Dr. Miltner [CDU/CSU]: Da liegen Sie Kommunisten?!) schief!) Der Liberalisierung der Verfassungstreue-Prüfung Die Verletzung der konkreten Dienstpflichten — das bei Bewerbern für den öffentlichen Dienst kommt ist meine Rechts-, meine Verfassungsrechtsansicht, für die politische Kultur in diesem Lande nach al- Herr Kollege Miltner — muß herangezogen wer- lem, was wir in der Diskussion über den sogenann- den. ten Radikalenerlaß erlebt haben, eine große Bedeu- tung zu. (Bohl [CDU/CSU]: Das ist doch gar nicht zwingend!) Die Praxis der automatischen Anfragen beim Ver- So jedenfalls versteht die Bundesregierung das Ge- fassungsschutz hatte nicht nur Zweifel an der Libe- bot der Einzelfallprüfung und den Grundsatz der ralität in unserem Lande aufkommen lassen. Die Verhältnismäßigkeit, der seinerseits das Rechts- Regelanfrage war Ausdruck eines institutionalisier- staatsprinzip artikuliert und auf dessen strikte Be- ten Mißtrauens des Staates gegenüber seinen jun- achtung wir drängen. gen Bürgern, Wir sind der Auffassung, daß für die Feststellung, (Beifall bei der FDP — Dr. Möller [CDU/ ob außerdienstliches Verhalten gegen die Treue- CSU]: Das ist falsch!) pflicht des Beamten verstößt, nicht nur Art und Aus- eines Mißtrauens, das die Grundrechtsausübung mit maß des Verhaltens, sondern auch die dem Beamten Gefahren für die berufliche Zukunft zu belasten nach seiner Aufgabenstellung obliegenden Dienst- drohte, eines Mißtrauens, das zu Anpassung und pflichten zu berücksichtigen sind. An der Unteilbar- Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4811

Bundesminister Baum keit der Treuepflicht, meine Damen und Herren, Kraft. Die Einstellung in den öffentlichen Dienst wird damit nicht gerüttelt. steht für uns jetzt nicht zur Debatte. Die Frage ist (Dr. Miltner [CDU/CDU]: Doch!) nur, wie wir denjenigen beurteilen, der bereits im öf- fentlichen Dienst ist und dem eine Dienstpflichtver- Außerdienstliche extremistische Verhaltensweisen letzung vorgeworfen wird. Da ist die Frage, nach sind — daran kann doch kein Zweifel bestehen, Herr welchen rechtlichen Grundsätzen eine solche Kollege Miltner — z. B. beim Präsidenten des Ver- Dienstverletzung beurteilt werden soll. Zu welchem fassungsschutzamts eben anders zu beurteilen als Ergebnis man dann im Einzelfall bei einem Mitglied bei einem beamteten Postzusteller. Machen Sie ein- einer Partei kommt, die verfassungsfeindliche Ziele mal irgend jemand in der Welt klar, wieso solche Un- verfolgt, kann allgemein nicht gesagt werden; ich terscheidungen bei uns unbegründet sein sollen! bin Anhänger einer strikten Einzelfallprüfung und (Beifall bei der FDP und der SPD) nicht einer pauschalen Bewertung von Mitgliedern Die Bundesregierung wird in Kürze einen Gesetz- einer bestimmten Gruppe oder Partei. entwurf vorlegen. Dann können wir das im einzel- nen diskutieren. Der Entwurf wird die nach unserer Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Erlauben Sie eine wei- Auffassung geltende und in der Rechtsprechung des tere Zwischenfrage? Verfassungsgerichts angelegte Rechtslage klarstel- len und verdeutlichen. Dr. Miltner (CDU/CSU): Herr Bundesminister, kön- nen Sie schon angeben, welche Vorschriften in den Ich bedaure sehr, daß der Beamte, der beim Bun- Beamtengesetzen Sie ändern wollen? desverwaltungsgericht unterlegen ist, nicht zum Verfassungsgericht gegangen ist. Er hat offenbar Baum, Bundesminister des Innern: Nein, Herr Kol- mehr an seine Partei als an sich selbst gedacht. lege Miltner. Das möchte ich heute noch nicht tun. (Dr. Miltner [CDU/CSU]: Sind Sie der Mei Das wird zur Zeit im einzelnen abgestimmt. Aber ich nung, daß er dort gewonnen hätte?)- habe Ihnen die Grundsätze hier genannt, weil ich der Meinung bin, daß das Parlament über die Pläne, Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Herr Bundesminister, die wir haben, informiert werden sollte und weil ich erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten hier zum Ausdruck bringen wollte, daß ich mit den Spranger? Vorstellungen des Herrn Kollegen Gerster in keiner Weise übereinstimme. Baum, Bundesminister des Innern: Gern. Meine Damen und Herren, Herr Kollege Gerster hat noch einen Bereich angesprochen, der uns in Spranger (CDU/CSU): Herr Bundesminister, sind Kürze in diesem Haus erneut beschäftigen wird: die Sie tatsächlich der Meinung, daß die Differenzie- Ausländerpolitik. Ich will deshalb nur einige wenige rung nach der Funktion mit dem Urteil des Bundes- Bemerkungen dazu machen. verfassungsgerichts von 1975 und dem letzten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sowie mit den die- Sie haben so getan, als wäre ich für die Über- sen zugrunde liegenden verfassungs- und beamten- schwemmung dieses Landes mit Asylbewerbern ver- rechtlichen Bestimmungen in Einklang zu bringen antwortlich. Da muß ich Ihnen zunächst einmal ent- ist? gegnen, Herr Kollege Gerster, daß wir alle an einen außerordentlich wichtigen Verfassungsartikel ge- Baum, Bundesminister des Innern: Ja, Herr Kol- bunden sind, nämlich an Art. 16 des Grundgeset- lege Spranger. Sonst hätte ich die Ausführungen, die zes. Sie eben gehört haben, nicht gemacht. (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist (Beifall bei der FDP und der SPD) klar!) — Sie sagen: Das ist klar. Aber verhalten Sie sich Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Gestatten Sie noch mal bitte so! Sie müssen diesen Artikel doch genauso eine Zwischenfrage? respektieren wie ich! (Beifall bei der FDP und der SPD) Baum, Bundesminister des Innern: Bitte, Herr Kollege Miltner. Es gab Vorschläge, über Asylbewerber schon an der Grenze zu entscheiden usw. Ich sage Ihnen: Die Dr. Miltner (CDU/CSU): Herr Bundesminister, kön- Bundesregierung wird Art. 16 nicht ändern oder in nen Sie uns näher erläutern, wie diese neue Rege- anderer Weise aufweichen lassen. lung für die Beamten, die im Dienst sind, und für die (Beifall bei der FDP) Bewerber für den öffentlichen Dienst, die einer ex- tremen politischen Partei angehören, aussehen Vizepräsident Dr. h. c. Leber: Herr Bundesminister, soll? erlauben Sie dazu eine Zwischenfrage des Abgeord- neten Gerster? Baum, Bundesminister des Innern: Herr Kollege Miltner, ich glaube, bei Ihnen liegt jetzt ein Mißver- Gerster (Mainz) (CDU/CSU): Herr Bundesinnen- ständnis vor. Wir haben nicht vor, die Bewerbung zu minister, wollen Sie damit behaupten, daß die elf regeln. Dafür gibt es Grundsätze, die ich eben noch Bundesländer und ihre Repräsentanten im Bundes- einmal in Erinnerung gerufen habe. Es sind Grund- rat Verfassungsbrecher sind, wenn sie derzeit einen sätze der Bundesregierung aus dem Jahr 1979. Die Gesetzentwurf zur Regelung und Beschleunigung haben Sie damals angegriffen. Aber die sind in des Asylverfahrens vorliegen haben — einer Rege- 4812 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Gerster (Mainz) lung, die Sie ablehnen —, und sich diese Herren — Ich komme ja gleich zu diesem Punkt. Sie verken- nicht verfassungswidrig verhalten? Sie können doch nen, verehrter Herr Kollege, daß das, was Herr Kol- nicht einfach sagen: Die Leute, die ein anderes Ge- lege Gerster angesprochen hat, im Bereich der Ju- setz haben wollen als ich, wollen die Verfassung bre- stiz liegt, im sehr schwierigen Verwaltungsgerichts- chen. Das können Sie doch mit gutem Gewissen verfahren. Darüber gibt es jetzt Gespräche zwischen nicht behaupten. den Fraktionen. Sie können mich nicht als Kronzeu- gen gegen irgendeine Regelung hier aufrufen. Wir bemühen uns hier, zwischen Bund und Ländern, Baum, Bundesminister des Innern: Herr Kollege zwischen allen Parteien um einen Kompromiß. Das Gerster, lassen Sie mich erst einmal ausführen, wel- ist die Lage. ches meine Meinung ist. Ich muß wiederholen, daß es Vorschläge gab und gibt, die nach meiner Mei- Vizepräsident Windelen: Herr Minister, Herr Abge- nung mit dem Art. 16 unserer Verfassung nicht ver- ordneter Gerster will eine weitere Zwischenfrage einbar sind. stellen. Sind Sie damit einverstanden? (Beifall bei der FDP) Baum, Bundesminister des Innern: Gern. Und ich fühle mich an den Art. 16 auch bei der Aus- führung meiner Amtspflichten gebunden. Das heißt, Vizepräsident Windelen: Herr Abgeordneter Ger- ich kann nicht so abschätzig über die Menschen re- ster. den, die in diesem Land Zuflucht vor politischer Ver- folgung suchen, wie es manche in Ihrer Partei tun, Gerster (Mainz) (CDU/CSU): Schönen Dank, Herr Herr Kollege Gerster. Minister. Darf ich noch einmal konkret fragen: Glau- (Beifall bei der FDP und der SPD) ben Sie, daß die Bundesratsinitiative, die von allen Bundesländern getragen wird, der Verfassung wi- Da wird von Wirtschaftsasylanten gesprochen. Das - derspricht? Wenn nein, warum lehnen Sie sie dann sind Armutsasylanten, auch wenn sie nicht politisch ab? verfolgt sind. Sie kommen doch nicht aus Spaß und Vergnügen in unser Land, sondern weil sie bittere Baum, Bundesminister des Innern: Herr Kollege Not leiden, wo immer auf der Welt. Gerster, ich weiß nicht, ob Sie zuhören können. Ich (Beifall bei der FDP und der SPD) habe soeben gesagt, daß auch ich mich um einen m-Kompromiß bemühe. Ein Bestandteil dieses Ko Ich bin natürlich mit Ihnen der Meinung, daß wir promisses sind meine eigenen Vorstellungen, die nicht Millionen von Menschen hier aufnehmen kön- Vorstellungen der SPD-Fraktion und die Vorstellun- nen. Ich bin natürlich mit Ihnen der Meinung, daß gen des Bundesrates. Wie können Sie denn sagen, wir den Mißbrauch des Asylrechts einschränken daß ich das pauschal ablehne? Wir sind doch wohl müssen. Ich bin natürlich mit Ihnen der Meinung, verpflichtet, in dem schwierigen Gesetzgebungsge- daß wir die Verfahren verkürzen müssen. schäft zwischen Bundestag und Bundesrat zu einer (Würzbach [CDU/CSU]: Nur darum geht es! Lösung zu kommen, die dann auch trägt. Daran sind — Dr. Miltner [CDU/CSU]: Warum haben wir jetzt. Das sollten wir nicht durch Polemik stö- Sie nichts unternommen?) ren. — Aber, Herr Kollege Miltner, das ist doch falsch. Ich möchte Ihnen nur noch folgendes vor Augen Unsere Verfahren — jetzt reden wir über den Innen- führen, wenn hier so leichtfertig über Asylbewerber bereich — in Zirndorf dauern ca. sechs Monate. Was gesprochen wird. Wissen Sie eigentlich, über wen wollen Sie denn da noch beschleunigen? Sie jagen j a Sie jetzt reden, Herr Kollege Gerster? Der größte einem Ziel nach, das überhaupt nicht erreichbar ist, Anteil sind Polen und Afghanen. Ich habe noch sehr Herr Kollege Gerster, und auch nicht erreicht wer- viele wohltönende Erklärungen zu Afghanistan im den muß. Sechs Monate ist die durchschnittliche Be- Ohr. Ziehen Sie dann bitte auch .die Konsequen- arbeitungszeit in meinem Verantwortungsbereich. zen. Ich bin den Beamten in Zirndorf dankbar, daß sie so (Beifall bei der FDP und der SPD — Kroll schnell arbeiten. Schlüter [CDU/CSU]: Das war pure Pole (Beifall bei der FDP und der SPD — Kroll mik! Das war billige Polemik!) Schlüter [CDU/CSU]: Am besten gehen Sie Im Ausländerbereich gibt es ja ein Problem, das runter in die Gemeinden und gucken sich die Asylfrage verdeckt hat, die ja immer nach vorne das an!) gezogen wurde. Es ist eine Frage, die uns alle angeht, Die Zahl der Asylbewerber hat sich von 1980 auf nämlich die Frage: Wie gehen wir mit den Familien- 1981 um die Hälfte reduziert. angehörigen der Ausländer um? Der größte Zu- wachs liegt in den letzten beiden Jahren bei Kindern (Dr. Miltner [CDU/CSU]: Alle Ministerprä und Familienangehörigen der Ausländer. Das ist sidenten sagen Ihnen etwas anderes!) eine sehr schwierige Frage. Wir haben im Bundeska- — Ich habe gestern einen Brief des Personalrats be- binett dazu Beschlüsse gefaßt. Die Länder haben kommen, der die reibungslose Bearbeitung aus- Entscheidungen getroffen. Hier stehen wir eigent- drücklich nochmals festgestellt hat. lich vor der Frage, wie wir es mit den Ausländern in (Würzbach [CDU/CSU]: Er hat von den Mi unserem Lande halten. nisterpräsidenten und nicht vom Personal Was ist denn das für ein Phänomen? Sind das noch rat geredet!) Gastarbeiter? Kann man bei Türken, die mehr als Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4813

Bundesminister Baum zehn Jahre hier sind — und ein Viertel aller Türken müssen wir befürchten — fortsetzen. Die Entfüh- ist mehr als zehn Jahre hier —, eigentlich noch von rung des amerikanischen Generals Dozier in Italien Gastarbeitern reden? Kann man bei Kindern, die hat deutlich gemacht, daß die Terroristen in Italien hier geboren sind — und ca. 600 000 Kinder sind hier und in der Bundesrepublik u. a. ein gleiches An- geboren —, von Gastarbeitern reden? Muß man sich griffsziel haben, nämlich Repräsentanten der Füh- hier nicht auf eine De-facto-Einwanderungssitua- rungsmacht der westlichen Allianz. Es gibt aber tion einstellen, jedenfalls was die angeht, die schon keine Erkenntnisse über eine operative Zusammen- hier sind? Haben wir — Bund und Länder — denn arbeit zwischen italienischen und deutschen Terro- schon die Konsequenzen gezogen? Haben wir den risten bei den verschiedenen Anschlägen. Die be- Mut zu ehrlichen Lösungen gehabt? kanntgewordenen Kontakte erstrecken sich auf In- Das alles müssen wir doch diskutieren. Da kom- formationsaustausch und auf propagandistische Un- men Sie doch mit oberflächlicher Polemik nicht wei- terstützung. ter. Ein wichtiger Faktor mit immer noch wachsender (Beifall bei der FDP und der SPD) Bedeutung sind die Revolutionären Zellen. Sie ha- Lassen Sie mich noch einiges zum Bereich der in- ben den stellvertretenden Ministerpräsidenten und neren Sicherheit sagen. Ich bin dafür dankbar, daß Wirtschaftsminister von Hessen, Herrn Karry, er- der Bedeutung der Aufgaben der Sicherheitsbehör- mordet. Sie waren es. Sie werden noch intensiver als den auch bei diesen Haushaltsberatungen Rech- in früheren Jahren bestrebt bleiben, in Protestströ- nung getragen worden ist. mungen Fuß zu fassen und deren Bestrebungen durch neue Anschläge zu fördern. Sie haben auf Wunsch der Bundesregierung die Polizeivollzugsbeamten des Bundeskriminalamts Neben diesen beiden Phänomenen, meine Kolle- von den Kürzungen ausgenommen. Ich möchte Ih- gen, ist eine neue Tendenz erkennbar geworden, die nen sagen, daß diese Entscheidung nicht nur auf das als sogenannte Guerilla diffusa beschrieben wird. Bundeskriminalamt, sondern auch auf die Polizeien Dort ist nicht Revolution, sondern Rebellion im All- der Länder eine außerordentlich positive Wirkung tag das unmittelbare Ziel. Wir nehmen diese Ent- gehabt hat. Bestehende Stellensperren und kw-Ver- wicklung außerordentlich ernst. Hier gibt es Über- merke wurden gestrichen, und die bisherige Reali- schneidungen, fließende Übergänge zu den Revolu- sierung des Ausbauprogramms innere Sicherheit tionären Zellen. schlägt jetzt voll durch. Im Jahre 1981 sind dem Bun- deskriminalamt 136 neue Kriminalkommissaran- Die Zusammenarbeit der Europäer bei der Be- wärter zugewachsen, 1983 werden es nochmals über kämpfung des internationalen Terrorismus ist sehr 300 weitere Menschen sein. Das zeigt also, daß die eng. Noch am vergangenen Samstag habe ich mich Bundesregierung diese wichtige Sicherheitsbehörde mit meinen Kollegen aus Italien, Österreich und der weiter ausbaut und daß wir personelle Engpässe, Schweiz in Wien getroffen. wie sie heute noch bestehen, beseitigen werden. Die Sicherheitslage erfordert nach wie vor unsere Die Gefahr des Rechtsextremismus ist von man- höchste Aufmerksamkeit. Dies gilt vor allem für die chen in diesem Lande unterschätzt worden. An- anhaltende Gefahr terroristischer Gewalttaten. Das schläge, Vorbereitungshandlungen, Waffenfunde Attentat, meine Kolleginnen und Kollegen, auf das zeugen aber davon, daß diese Gefahr besteht. Ich israelische Restaurant in Berlin hat dies mit aller möchte sagen, daß sie wächst. Ich erinnere an die Deutlichkeit gezeigt. Wir betrauern den Tod eines Aufdeckung der terroristischen Libanon-Gruppe kleinen Kindes; 24 Menschen wurden zum Teil aus Mitgliedern der verbotenen Wehrsportgruppe schwer verletzt. Wir sind uns in diesem Hause alle Hoffmann, an Festnahmen terroristischer Täter im einig, daß diese verabscheuungswürdige Tat aufs In- und Ausland sowie an umfangreiche Waffen- und entschiedenste verurteilt werden muß. Es gibt An- Munitionsfunde in der Lüneburger Heide. haltspunkte dafür — das sage ich hier mit einigem Nachdruck —, daß eine palästinensische Gruppie- Wir müssen den jungen Menschen, die sich von rung für diese Tat verantwortlich sein könnte. Ich der absurden, borniert-primitiven Gedankenwelt des möchte dies zum Anlaß nehmen, noch einmal mit al- Neonazismus angezogen fühlen, klarmachen, daß ler Deutlichkeit zum Ausdruck zu bringen, daß wir jede extremistische Betätigung in die Irre führt. nicht nur alles tun werden, um diese Taten zu verfol- Welch beispiellose Unmenschlichkeit ist gerade in gen, sondern daß wir auch mit unseren internationa- diesem Land, meine Kolleginnen und Kollegen, aus len Kontakten alles tun werden, daß solche Taten dieser Gedankenwelt entstanden! Gestern war der möglichst verhindert werden. 40. Jahrestag der sogenannten Wannsee-Konferenz, die zum Mord an Millionen von Juden geführt hat. (Beifall bei allen Fraktionen) Die Wurzeln des Terrors von rechts liegen tief in un- Die Anschläge auf den Oberkommandierenden serem Land. Wir dürfen nicht zulassen, daß der na- der US-Streitkräfte in Europa, General Kroesen, am tionalsozialistische Unrechtsstaat verharmlost wird. 15. September 1981 in Heidelberg und auf dem Flug- Wir dürfen nicht zulassen, daß junge Menschen wie- platz Ramstein der US-Luftwaffe in Europa am der verführt werden können. Der Glaube an natürli- 31. August 1981 bestätigen die fortbestehende terro- che Ordnung, an einfache Lösungen, die Neigung, ristische Bedrohung durch die Rote-Armee-Frak- dem anderen die Schuld für die eigenen Probleme zu tion. In diesen Taten ist die terroristische Gefahr geben, die bornierte Intoleranz, die Unfähigkeit zum wieder sichtbar geworden. Dies wird sich — das Interessenausgleich — alles dies war doch eine Ur- 4814 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Bundesminister Baum sache für die größte Katastrophe in der deutschen chen, wenn er seine Aufgabe als konstanten Geschichte. Dialog mit dem Bürger und der Verwaltung be- (Beifall bei der FDP und der SPD) grüßt. Intoleranz beschränkt sich heute keineswegs auf Das heißt, wir können den sich stellenden Aufgaben die Zirkel der Gewalttäter. Sie zeigt sich auch in an- nur gerecht werden, indem wir die Verwaltung ge- deren Gruppen der Gesellschaft. Ich glaube, wir alle winnen, indem wir mit ihr zusammenarbeiten, in- sollten uns bemühen, daß sie nicht wächst. Sie kann dem wir sie überzeugen, indem wir sie sozusagen mißbraucht werden. Ich meine die eben schon er- herüberziehen, aber nicht indem wir anordnen. Das wähnte Intoleranz gegenüber Ausländern und ge- ist ein schwieriger Prozeß. Ich versichere Ihnen für genüber anderen Minderheiten. die Bundesregierung: Wir werden diesen Prozeß fortsetzen, aber mit Augenmaß. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP und der SPD) Eine Demokratie, Herr Kollege Gerster, bekommt doch ihren Wert auch und nicht zuletzt gerade da- Lassen Sie mich — die Zeit ist fortgeschritten — durch, wie sie mit Minderheiten umgeht, wie sie mit noch einige wenige Bemerkungen zur Umweltpoli- dem einzelnen umgeht, dem Unrecht geschieht. tik machen. Wir werden uns in unserer Umweltpoli- Darin liegt doch der Wert einer demokratischen tik nicht irremachen lassen. Wir meinen, daß diese Ordnung. Das können Sie doch nicht diffamieren. Politik auch im Interesse der Wirtschaft liegt. Die Wirtschaft braucht die Berechenbarkeit unserer (Beifall bei der FDP und der SPD) Entscheidungen. Ich bin ganz Ihrer Meinung, Herr Meine Damen und Herren, es ist vieles angespro- Kollege Hirsch, daß man in einer Zeit, in der es wirt- chen worden. Ich will aus dem Sicherheitsbereich schaftlich schwer wird, den Umweltschutz nicht ver- nur noch einen Komplex nennen, nämlich den Da- nachlässigen darf. Umweltschutz ist eine dauernde tenschutz. Der diesjährige Bericht des Bundesbeauf- Aufgabe. Der Konflikt zwischen Ökonomie und Öko- - tragen für den Datenschutz bezeugt die verdienst- logie ist ein Scheinkonflikt. Wir sichern den weite- volle Kontrolltätigkeit des Bundesdatenschutzbe- ren Ausbau unserer Industriegesellschaft nur durch auftragten. Eine Reihe von Beanstandungen sind vorsorgenden Umweltschutz, nicht durch Vernach- nicht nur zu Recht angesprochen worden; ihnen ist lässigung von Umweltschutz. auch längst entsprochen worden. Gerade auf diesem (Beifall bei der FDP und der SPD) Gebiet werden wir unsere Politik entschlossen fort- setzen. Aber das kann nicht von heute auf morgen Sie wissen, wir sind dabei, die Luftreinhalte- geschehen. Ich hätte es begrüßt, wenn der Bundes- politik fortzuentwickeln. Sie haben das etwas baga- datenschutzbeauftragte seine unbestreitbar ver- tellisiert, Herr Kollege Gerster. Die neue TA Luft ist dienstvollen Ausführungen über einen vernünftigen auf der Grundlage der neuesten wissenschaftlichen Ausgleich zwischen Daten- und Persönlichkeits- Erkenntnisse erarbeitet worden. Sie orientiert sich schutz und sicherheitspolitischen Erfordernissen am Vorsorgeprinzip, sie setzt die Grenzwerte für noch abgewogener formuliert hätte. Ich sage Ihnen wichtige Schadstoffe herab. Wir haben dazu eine An- mit aller Deutlichkeit: Es muß ein Interessenaus- hörung durchgeführt. Wir haben von verschiedenen gleich zwischen Datenschutz und Sicherheitserfor- Seiten Kritik erfahren, von seiten der Umweltschüt- dernissen gefunden werden. Daran müssen wir ar- zer und von seiten der Industrie. beiten. Wir werden die TA Luft noch einmal auf ihre (Beifall bei der FDP und der SPD) Praktikabilität hin durchsehen. Eines möchte ich hier aber doch deutlich sagen: Das, was sich manche Es darf auch nicht verschwiegen werden, daß die be- in der Wirtschaft vorstellen — ich erinnere an die troffenen Sicherheitsbehörden bereits große und Stellungnahme eines Bundesunternehmens, die mir weitreichende Anstrengungen unternommen haben. überhaupt nicht gefällt —, nämlich eine Lockerung Ich muß einmal mit aller Deutlichkeit folgendes sa- der Werte, darf und wird im Interesse der Menschen gen: Dieselbe Öffentlichkeit, die sehr allergisch auf im Ruhrgebiet und anderswo nicht erfolgen. den zunächst erhobenen Vorwurf gegenüber dem Bundeskriminalamt reagiert hat, es habe angeblich (Beifall bei der FDP und der SPD) bei der Löschung von kriminalpolizeilichen Daten Wir lassen uns auch nicht mit dem Gespenst der In- das Fahndungsfoto des Nazimörders Mengele ver- vestitionshemmnisse schrecken, mit dem die Indu- nichtet, muß eben auch Verständnis dafür haben, strie oder Teile von ihr die unbequemen Regelungen daß die Verwirklichung von mehr Datenschutz im verhindern möchten. Was wir vorschlagen, ist tech- Sicherheitsbereich eine langfristige Angelegenheit nisch durchführbar und auch finanzierbar. ist, die immer wieder das Ringen um einen vernünf- tigen Ausgleich erfordert. Die jetzige Novellierung der TA Luft ist nur ein weiterer Schritt der Luftreinhaltepolitik. Noch im Der hessische Datenschutzbeauftragte, Professor Laufe dieses Jahres — ich kann Sie beruhigen, Herr Simitis, hat dazu einige bemerkenswerte Sätze ge- Kollege Gerster — wird eine Verordnung über sagt: Großfeuerungsanlagen folgen. Sie wird nur dann Der Datenschutz ist ein fortwährender Lernpro- „Zähne" haben, wenn sie auch für Altanlagen gilt, zeß. Daran sind auch und gerade diejenigen be- und das wird sehr schwierig sein. Wir werden auch teiligt, die für eine Verwirklichung der Daten- die Schwefelemissionen weiter reduzieren. Schon schutzbestimmungen sorgen müssen. Der Da- mit der novellierten TA Luft wird eine Senkung der tenschutzbeauftragte kann sein Ziel nur errei Immissionsbelastungen um 30 % erfolgen. Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4815

Bundesminister Baum Resignierende Zukunftsangst hilft uns beim Um- Kühbacher, jetzt außerordentlich gering. Ich halte weltschutz nicht weiter, ebensowenig wie der naive es für sehr wichtig, daß wir nach diesem fruchtlosen Glaube, man könne einfach so weitermachen wie Streit über die Nationalstiftung — fruchtlos, weil die bisher. Debatte mit ganz anderen Gesichtspunkten ver- Noch ein Wort zum öffentlichen Dienst. In Zeiten mengt worden ist — wenigstens einen Teil der Mit- einer schwierigen Wirtschafts- und Beschäftigungs- tel den Künstlern, dem Literaturfonds, dem Kunst- lage — das war unsere gemeinsame Meinung bei der fonds und der Musik, zur Verfügung gestellt haben. Verabschiedung des Haushaltsstrukturgesetzes — Ich möchte Sie bitten, daß Sie auch weiterhin für diese Fonds, die von den Künstlern selbst verwaltet muß auch der öffentliche Dienst einen Beitrag lei- sten. Der Beitrag, den wir vorgesehen haben — Bun- werden, Mittel zur Verfügung stellen. Das ist ein destag und Bundesrat gleichermaßen —, ist, wie ich außerordentlich wichtiger Impuls, den wir mit gerin- meine, zumutbar, und er ist auch sozial vertretbar. gen Mitteln geben. Kultur ist eben kein entbehrli- Ich hoffe sehr, daß sich der Konflikt, in dem wir uns cher Luxus. Ich meine, wir sollten das auch bei den jetzt befinden, auflöst. Ich glaube, die Bürger in die- Entscheidungen der nächsten Jahre beachten. sem Lande hätten kein Verständnis dafür, wenn (Beifall bei der FDP und der SPD) ausgerechnet in einer Situation, wo wir uns alle Ein Wort noch zur Sportpolitik. Sie haben das darum bemühen, zu einer wirtschaftlichen Gesun- auch erwähnt. Ich möchte dem deutschen Sport dan- dung, zu einer Überwindung des Tiefs zu kommen, ken, daß er im letzten Jahr nicht in ein Wehgeschrei die Wirtschaft durch Streik lahmgelegt werden wür- ausgebrochen ist. Er hat wirklich aktiv mitgewirkt de. Wir müssen also alles unternehmen, um einen beim Sparen. Wir haben die Haushaltsansätze her- Streik zu vermeiden. untergesetzt. Wir haben mit den Verbänden gespro- Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen aber chen. Wir — Sie und wir in der Regierung — haben, versichern, daß ich versuchen werde, die Wünsche auch öffentlich, deutlich gemacht, daß es uns mit der und Erwartungen des Parlaments hinsichtlich- der Leistungssportförderung ernst ist, daß wir dem Ath- Höhe und des Zeitpunkts der Kürzungen zu realisie- leten, der sein Land vertritt oder sich vielleicht nur ren, wobei es für mich wichtig ist, daß alle Status- selbst mit anderen Athleten messen will, die glei- gruppen gleichermaßen betroffen sind. Ich kann chen Chancen einräumen müssen. Das ist die Moti- mich immer noch nicht des Eindrucks erwehren, daß vation unserer Leistungssportförderung. Ich möchte einige in unserem Lande der Meinung sind, der öf- mich bei Ihnen bedanken, daß dieses Konzept der fentliche Dienst sei eine privilegierte Kaste. Meine Leistungssportförderung auch 1982 fortgesetzt wer- Damen und Herren, ca. 70 % aller im öffentlichen den kann. Dienst Beschäftigten gehören dem mittleren und ge- Zur Zivilverteidigung möchte ich nur wenig sagen, hobenen Dienst an und müssen mit jeder Mark rech- nicht etwa, weil ich dazu nichts zu sagen hätte, son- nen. dern weil mein Kollege Herr Nöbel dazu alles Not- (Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: Das gilt be wendige ausgeführt hat. Wir können uns mit der Zi- sonders für den einfachen Dienst!) vilverteidigung in diesem Lande sehen lassen, Herr Kollege, zwar nicht mit allem, nicht mit dem Schutz- Das müssen wir auch bei den Entscheidungen, die raumbau, aber wir können uns mit den Steigerungs- wir hier im Parlament treffen, berücksichtigen. Das raten der Haushalte, die in den letzten Jahren er- heißt, wir sollten uns sehr genau überlegen, wie jede folgt sind, durchaus sehen lassen. Sie sind beacht- unserer Entscheidungen sich auf das einzelne Ein- lich. Daß es in diesem Lande so wenig Schutzräume kommen auswirkt. Der öffentliche Dienst ist kein gibt, ist ein Punkt, den Sie beklagen könnten. Das Sparpotential, das in unbegrenzter Weise zur Verfü- liegt einfach daran, daß nach dem Kriege eben keine gung steht, sondern hierbei handelt es sich um Men- Schutzräume gebaut worden sind. Das können Sie schen mit kleinen und mittleren Einkommen. Des- doch nicht der jetzigen Bundesregierung vorwerfen, halb meine ich, daß das, was wir beschlossen haben, Herr Kollege. Wir haben die Mittel für den Schutz- vertretbar ist und durchgesetzt werden sollte. Aber raumbau verstärkt. Ich bin im übrigen der Meinung darüber hinaus können wir nicht gehen. — Sie sprechen so viel von der Mündigkeit der Bür- Nun noch zwei Bemerkungen zur Kulturpolitik, ger, von der Selbstverantwortung und von der Rück- die Sie, Herr Kollege Kühbacher, dankenswerter- nahme staatlicher Leistung —, daß hier die Privaten weise angesprochen haben, wie ich mir überhaupt auch selber eintreten müssen und nicht nur jam- wünschte, daß dieses Parlament öfter einmal über mern dürfen. Hier müssen die Bürger auch selber fi- die Kultur in diesem Lande diskutieren würde. nanzieren, und zwar jeder, der dafür Verständnis (Beifall bei allen Fraktionen) hat und eine Verpflichtung spürt. Ich würde jeden ermutigen. Er bekommt Steuervergünstigungen. In einer Zeit, in der sich die Menschen auf humanere Aber auch die Gemeinden und die Länder sollten Lebensbedingungen besinnen und ihr Lebens- das tun. Sie können unmöglich die Bundesregierung schicksal nicht mehr nur am wirtschaftlichen Fort- dafür verantwortlich machen, daß wir nicht die glei- kommen, an wirtschaftlicher Karriere messen, wäre che Anzahl von Schutzräumen haben wie in der das, meine ich, wichtig. Kulturpolitik, auch die des Schweiz. Bundes, muß diesem Kulturbewußtsein Rechnung tragen. Die Mittel zur Kulturförderung konnten mit (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Sie haben sie einer Steigerung um 7,7 Millionen der Entwicklung davon abgehalten!) des Gesamtetats angepaßt werden. Das ist erfreu- Meine Damen und Herren, ich bin am Ende mei- lich. Andererseits ist der Spielraum, Herr Kollege ner Erwiderung auf vielfältige Angriffe, aber auch 4816 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Bundesminister Baum auf Ermutigung, für die ich mich herzlich bedanke. Wir kommen damit zur Abstimmung über den Ich möchte mich meinerseits beim Parlament und Einzelplan 19. Wer dem Einzelplan in der Ausschuß- insbesondere beim Haushaltsausschuß bedanken. fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Es war in diesem Jahr nicht einfach. Es war auch mit Handzeichen. — Danke schön. Die Gegenprobe! — dem weitverzweigten Etat des Innenministeriums Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung, sonst ein- nicht einfach. Sie haben mir sehr geholfen, meine stimmig angenommen. Politik fortzusetzen. Dafür möchte ich mich sehr Ich gehe zum Tagesordnungspunkt I.27 über: herzlich bedanken. Einzelplan 31 (Beifall bei der FDP und der SPD) Geschäftsbereich des Bundes ministers für Bildung und Wissenschaft Vizepräsident Windelen: Weitere Wortmeldungen — Drucksache 9/1202 — liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Berichterstatter: Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ein- Abgeordnete Dr. Rose zelpläne. Westphal Ich rufe zuerst den Einzelplan 06 auf, Geschäftsbe- Ich frage, ob das Wort zur Berichterstattung ge- wünscht wird. — Dies ist nicht der Fall. Wird das reich des Bundesministers des Innern. Wer dem Ein- Wort zur Aussprache gewünscht? — Dies ist der Fall. zelplan 06 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Dan- Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Rose. ke. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzel- plan 06 ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-Bun- Dr. Rose (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine destagsfraktion angenommen. Damen und Herren! Wir sind also beim letzten Punkt der Tagesordnung. Das macht bereits deut- Ich rufe den Einzelplan 36 auf, zivile Verteidigung. lich — — Wer dem Einzelplan 36 in der Ausschußfassung zu- zustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei- Herr Kollege, ich muß Sie chen. — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? Vizepräsident Windelen: auch im Interesse des weiteren Fortgangs berichti- — Auch der Einzelplan 36 ist gegen die Stimmen der gen. Es gibt noch zwei Punkte auf der Tagesordnung, CDU/CSU-Bundestagsfraktion angenommen. die heute noch behandelt werden. Ich rufe jetzt den Einzelplan 33, Versorgung, auf. Wer dem Einzelplan 33 in der Ausschußfassung zu- Dr. Rose (CDU/CSU): Dann korrigiere ich: Wir sind zustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei- beim letzten Punkt der Einzelpläne. Das deutet dar- chen. — Danke schön. Die Gegenprobe! — Enthal- auf hin, daß dieser Einzelplan Schlußlicht in der tungen? — Der Einzelplan 33 ist einstimmig ange- Bonner Politik ist; es ist die Bildungspolitik. nommen. (Unruhe bei der SPD) Wir gehen zum Tagesordnungspunkt I.25 über: Meine Damen und Herren, so ist es. Sie können das, Einzelplan 07 auch wenn Sie Ihren Kandidaten in Schleswig-Hol- Geschäftsbereich des Bundesministers der stein noch so sehr unterstützen möchten, nicht ab- Justiz streiten. — Drucksache 9/1187 — (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Wie heißt eigentlich der Minister?) Berichterstatter: Abgeordnete Frau Zutt Nach der Euphorie der 60er und 70er Jahre ist also Gerster (Mainz) Bildung und Wissenschaft das Schlußlicht der Bon- ner Politik. Ich bedauere diesen geringen Stellen- Hierzu liegen keine Wortmeldungen vor. Ich gehe wert, denn immerhin geht es um wichtige Bereiche davon aus, daß auf eine Aussprache verzichtet für unsere Jugend und für die Zukunft unseres Lan- wird. des. Wir kommen damit zur Abstimmung über den (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist besser bei Einzelplan 07. Wer dem Einzelplan 07 in der Aus- den Ländern aufgehoben!) schußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthal- Aber so ist es halt: Wenn man etwas überzüchtet, tungen? — Der Einzelplan 07 ist gegen die Stimmen wenn man sich übernimmt, dann kommt der Fall. der Fraktion der CDU/CSU angenommen. Schon bei der Regierungserklärung des Bundes- Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.26 auf: kanzlers 1980 tauchte die Bildungspolitik kaum mehr auf. Wenige Sätze mußten für das frühere Einzelplan 19 Starthema genügen. Doch noch deutlicher spüren Bundesverfassungsgericht wir das Ende der Bildungspolitik in Bonn durch den — Drucksache 9/1196 — Haushalt 1982. Der Herr Minister wird zwar an- schließend sagen: Was wollen Sie denn? Der Haus- Berichterstatter: halt steigt j a um 172 Millionen DM. Ich muß sagen: Abgeordnete Gerster (Mainz) Ja, das stimmt. Damit gehört er zu den wenigen Walther Haushalten, die einen Zuwachs zu verzeichnen ha- Auch hierzu liegen keine Wortmeldungen vor. ben. Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4817

Dr. Rose Bei den Berichterstattergesprächen mit Ihnen, dies in den Berichterstattergesprächen einvernehm- Herr Westphal, als Mitberichterstatter, kam aber lich gemacht — Herr Westphal, Sie werden das be- schon zum Ausdruck, daß der Minister mit Aus- stätigen —, da wir die erfreuliche Tatsache sehen, nahme eines einzigen Feldes, nämlich der Modell- daß einige geförderte Wissenschaftler vorzeitig auf versuche, nichts mehr gestalten kann. Er hat des- Lehrstühle berufen wurden, also den Beweis für ihre halb flehentlich gebeten, wir sollten ihm wenigstens Qualifikation erbrachten. dabei keine Abstriche machen, was wir ja dann auch (Beifall bei der CDU/CSU — Glos [CDU/ nicht getan haben, was er sicherlich bestätigen CSU]: Gute Sache!) wird. (Zuruf von der CDU/CSU: Es sind Ihre Bil Für uns kann das also wiederum nur heißen: Weitere dungspolitiker, die Abstriche machen!) Förderung von Hochbegabten und keine Abstriche, 1983 also nicht auf den gekürzten Ansatz, sondern Allerdings sind die Modellversuche nicht das rich- auf den ursprünglich vorgesehenen zurück. tige Feld, denn hier hat in den letzten Jahren der Versuch stattgefunden, die Bildungspolitik umzu- Meine Damen und Herren, auf verschiedenen an- krempeln, angefangen von ideologischen Versuchen deren Feldern erkennen wir allerdings die Fehlent- über die Schaffung weiterer Unruhe durch immer wicklung der Bonner Bildungspolitik. Das gilt in er- neue Projekte bis hin zu dem Bestreben Kompeten- ster Linie dem Ergebnis der von SPD und FDP ge- zen der Länder an Land zu ziehen, was es eigentlich wollten Bildungsexplosion der früheren Jahre. Sie nicht geben dürfte. führte nämlich nicht zur Bildung für alle, sondern zu Fehlbelegungen auf Schulen und Universitäten. Sie Meine Damen und Herren, wenn man schon spa- führte zum Numerus clausus, zur Akademiker ren muß, dann auch bei den Modellversuchen. Aber schwemme und zur Akademikerarbeitslosigkeit. um es noch einmal zu sagen, damit das Ministerium nicht gleich direkt vor der Auflösung steht: Es gab (Glos [CDU/CSU]: Jeder Müllkutscher auch einige positive Stellungnahmen dazu.- sollte Abitur haben!) (Glos [CDU/CSU]: Das kann man sich nicht Sie führte aber auch bei Zehntausenden von Stu- vorstellen!) dierunfähigen und/oder — als Konsequenz — Stu- dierunwilligen zum Griff nach den Förderungstöp- Lassen Sie mich einige Probleme anführen, die fen, so daß für die eigentlichen Begabten und Lei- diesen Haushalt inhaltlich gestalten. stungswilligen nur mehr wenig übrigblieb. Für uns ist unabdingbar, daß die Begabtenförde- rung weiterhin eine wichtige Rolle spielt. (Glos [CDU/CSU]: Das ist der Punkt!) (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, für interessant halte ich eine Meldung über eine Aussage des Präsiden- Es war daher unverständlich, meine Damen und ten der deutschen Lehrerverbände vor wenigen Ta- Herren, daß die 1971 begonnene und von allen Hoch- gen, daß jeder dritte Schüler fehl am Platz ist. schulgremien positiv beurteilte Graduiertenförde- rung gestrichen werden sollte. (Grobecker [SPD]: Jetzt passen Sie aber auf!) (Zuruf von der CDU/CSU: Modernes Deutschland!) Langsam sickert also durch, daß Schule und Schule Gerade jene, die zwischen Diplom und Promotion eben nicht dasselbe ist, daß daher kein falscher Ehr- stehen trotz eines fortgeschrittenen Alters noch mit- geiz gezeigt, sondern mittels vernünftiger Förde- tellos sind und doch die Bereitschaft zeigen, durch rung der richtige Schulweg eingeschlagen werden eigene Forschungsarbeiten zur Wissenschaft der sollte. Bundesrepublik ihren Beitrag zu leisten, verdienen (Beifall bei der CDU/CSU — Glos [CDU/ unserer Meinung nach die Förderung. Wir haben CSU]: So ist das, das weiß Herr Grobecker uns deshalb gemeinsam — ich betone auch das wie- nicht!) der; warum soll man das nicht am Ende der harten Auseinandersetzung um den Haushalt 1982? — be- Dann gibt es am Ende des unbeliebten Schulwegs müht, zumindest eine Übergangslösung zu finden. auch nicht so viele frustrierte Studenten, meistens Ich habe gerne akzeptiert, daß im Haushalt 1982 we- der „Logismus"-Richtung, also Soziologie, Psycholo- nigstens wieder 10 Millionen Mark eingestellt wur- gie und Politologie. Dann gibt es auch nicht die Aka- den und das fehlende Geld beim BAföG erwirtschaf- demikerarbeitslosigkeit. tet wird. Meine Damen und Herren, Sie haben bestimmt Meine Damen und Herren und Herr Minister, ich den neuesten Bericht von Josef Stingl gelesen, wo- möchte aber darauf hinweisen, daß die erreichten nach Akademiker grundsätzlich noch nicht um ihre Ergebnisse nur als Übergangslösung betrachtet wer- Jobs bangen müssen, daß es aber unter den Hoch- den können und daß wir, weil es sich eben um Be- schulabsolventen Sorgenkinder gibt, die genau in gabtenförderung handelt, für die Zukunft eine unge- den vorhin erwähnten Bereichen liegen. fährdete Fortführung anstreben. Das gleiche gilt für (Zuruf des Abg. Grobecker [SPD]) die Hochbegabtenförderung, das sogenannte Hei- senberg-Programm. Statt der im Regierungsentwurf — Ich nehme noch gerne den Zwischenruf vom Kol vorgesehenen 9 1 /2 Millionen Mark sind jetzt für legen Grobecker auf. Ich meine den „Präsidenten". 1982 nur 7 Millionen eingesetzt. Wir haben auch Ich wußte j a gar nicht, daß der Herr Grobecker so- 4818 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Dr. Rose viel auf Titel wert legt. Ich kann mich erinnern, daß Herr Minister, Sie selbst haben — damals noch als er sonst immer ein sehr einfacher Mensch ist. Staatssekretär — an den Gründungsfeierlichkeiten der Universität Passau teilgenommen. Sie haben (Glos [CDU/CSU]: Der ist doch Vizepräsi sich dort und später anderswo in Ostbayern die Au- dent!) gen für die Leistungsbereitschaft der Bevölkerung — Ach so, ist er inzwischen auch was geworden? einschließlich der Jugend öffnen lassen. Dann ist er natürlich auf jeden Titel scharf und da- (Glos [CDU/CSU]: In Ostbayern sind gute für dankbar. Leute!) Meine Damen und Herren, wir alle wissen, daß die Ich appelliere deshalb an Sie, die aufblitzenden Ju- hehre Forderung von einst, jeder zweite müsse Abi- wele innerhalb unserer hochschulpolitischen Land- turient sein, inzwischen überholt ist, und zwar aus fi- schaft, nämlich die neuen Universitäten, seien sie im nanziellen ebenso wie aus anderen Gründen. Die Grenzland, seien sie anderswo, Haushaltspolitiker entdecken Folgen immer früher und wußten deshalb relativ bald, daß es damit zu (Grobecker [SPD]: Sehr gut! Bremen!) Konsequenzen in Bereichen kommt, in denen wir nicht wegen der Haushaltsmisere völlig zu verges- nicht gern akzeptieren, daß gespart werden muß, sen, nämlich z. B. beim Hochschulbau. (Beifall bei der CDU/CSU) (Glos [CDU/CSU]: Das sind ja auch inve sondern in Ihre Förderungspläne mit einzuschlie- stive Ausgaben!) ßen. Die Bundesregierung entschloß sich zu diesen Kür- (Rühe [CDU/CSU]: Hamburg-Harburg ge zungen und stiehlt sich damit — das muß ich deut- hört auch dazu!) lich sagen — aus der Verantwortung, die sie für die Daß wir darob die etablierten Universitäten nicht gemeinsamen Hochschulausbaupläne übernommen - vergessen wollen, versteht sich von selbst. hatte. Einen ähnlich unbefriedigenden Verlauf wie bei (Beifall bei der CDU/CSU) den Kürzungen im Hochschulbereich nimmt die Nach allen Berechnungen, auch nach denen der Entwicklung beim Studentenwohnraumbau ein. Bundesländer, wird es für neue Maßnahmen im (Zurufe von der SPD — Glos [CDU/CSU]: Zeitraum bis 1985 praktisch keinen Spielraum mehr Die da drüben feixen noch, wenn es um Ost geben. Grob geschätzt, wäre nämlich für eine ver- bayern geht!) nünftige Rahmenplandurchführung zumindest der — Ich hoffe, daß wir deren Regionen auch noch ent- Bundesansatz von 1,1 Milliarden DM, der vor 1980 sprechend drankriegen! bestand, mit zeitweiliger Erhöhung auf etwa 1,3 Mil- liarden notwendig, angesichts des seither entstande- Auch hier setzt die Bundesregierung den Rotstift nen Rückstaus und der zeitlichen Fixierung, zumin- an und sagt sich ebenfalls von früheren Ausbauzie- dest zum Ende der 80er Jahre noch möglichst weit- len los. gehend fertig zu werden. (Zurufe von der SPD) Aus dem Wissenschaftsrat liegen nunmehr die er- Der Parlamentarische Staatssekretär Kuhlwein hat sten Zahlenangaben über die Anmeldungen zum 11. mir erst vor kurzem bestätigen müssen, daß mit den und zum 12. Rahmenplan vor. Daraus ergibt sich, im Haushaltsjahr 1982 bereitgestellten 20 Millionen daß 1982 allein für die laufenden Vorhaben ein Be- DM nur die bereits bewilligten oder begonnenen, darf an Bundesmitteln von 1,145 Milliarden DM be- aber keine neuen Maßnahmen durchgeführt werden steht. Wir haben im Haushalt 1982 aber nur 900 Mil- können. lionen eingesetzt, und davon gehen schon 220 Millio- (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Wieder nen für die Rückerstattung der Ländervorauslei- zu Lasten Bayerns!) stungen des Jahres 1981 ab, so daß allein bei den lau- fenden Vorhaben des Jahres 1982 eine Bedarfsdek- Es handelt sich dabei um ca. 3 000 Wohneinheiten in kungslücke von 465 Millionen DM an Bundesmitteln insgesamt 16 Heimen. besteht. Eigentlich müßte man sagen, auch hier sparen wir Meine Damen und Herren, ich habe in diesem Zu- am falschen Ende. Statt das zur Zeit vielbeschwo- sammenhang Verständnis dafür, daß jetzt vor allem rene Beschäftigungsprogramm mühsam zusam- die jungen Universitäten in Deutschland ihre Sor- menzustoppeln, sollte die Bundesregierung lieber gen äußern. Vielleicht darf ich es einmal sagen: Ich ihre gegebenen Zusagen einhalten. komme selbst aus einen revierfernen Gebiet, in dem (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) aus strukturellen Gründen, aber auch wegen der frü- und beim Hochschulwohnraumbau her vielbeschworenen Chancengleichheit und der Gerechtigkeit die Errichtung einer Universität sehr (Glos [CDU/CSU]: Im investiven Bereich!) begrüßt wurde. Heute können wir sagen, daß nicht diese Arbeitsplätze schaffen. bloß im Interesse der Infrastruktur unseres Landes, sondern auch wegen der jungen Menschen und hof- (Beifall bei der CDU/CSU — Glos [CDU/ fentlich bald wegen der erzielten Leistungen in For- CSU]: Das sagt Strauß auch immer!) schung und Lehre eine große Tat vollbracht Schließlich hat sie ja oft genug die Zunge gespitzt wurde. und von Anstrengungen bei der Behebung des Feh- Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4819 Dr. Rose lens von Studentenwohnräumen gesprochen. Jetzt ben für entsprechende Stellen sorgen. Da hätte sie sollte sie endlich auch pfeifen und die jungen Men- viel Arbeit. schen nicht in zusätzliche Schwierigkeiten bei der Wohnungsbeschaffung stürzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Außerdem ist bekannt, daß das neue Berufsbil- (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ dungsförderungsgesetz lange Zeit mit dem Damo- CSU) klesschwert des Stopps der dualen Ausbildung droh- Wenn Sie jetzt sagen: Der redet als Haushälter te. Nach unserer Meinung sollen aber weiterhin die nur von zusätzlichen Ausgaben, dann sage ich Ih- Kammern die Ausbildungs- und Prüfungskompe- nen: bisher ja. Aber wir haben Ihnen j a gesagt, wo tenz haben; denn sie haben nicht bloß das nötige wir diese Kürzungen gemeinsam machen können, Prüfungswissen, sondern auch den besseren Ein- wir haben sie im BAföG-Bereich angeboten. Im BA- blick in die Markterfordernisse. föG-Bereich, meine Damen und Herren, sind Um- (Beifall bei der CDU/CSU — Glos [CDU/ strukturierungen möglich und notwendig, damit der CSU]: Und die Praxis! — Zurufe von der öffentliche Mißkredit endlich wieder abgebaut wer- SPD) den kann. Mir sind in den letzten Wochen eine Reihe von Briefen zugegangen, in denen die Bestätigung Herr Bildungsminister, wir hoffen daher sehr, daß kam, daß hier so viel Mißbrauch gemacht wurde, daß Sie nach dem Vermittlungsergebnis trotzdem wis- hier wirklich mal durchgeforstet werden sollte, um sen, wo es langgeht, das BAföG in anderer Form, aber vor allen Dingen (Glos [CDU/CSU]: Nach links geht es!) auch knapper zu geben. und sich auf keine, salopp gesagt: krumme Touren (Zurufe von der SPD) einlassen. — Bis hin zu der Überschrift in den letzten Tagen, Es gäbe in diesem Zusammenhang selbstver- daß es sogar im Gefängnis noch BAföG gibt.- ständlich eine Reihe weiterer Punkte anzuschnei- Meine Damen und Herren, es kann nicht geleug- den. Aber nicht nur wegen des Abends, sondern net werden, was die Präsidenten der Wissenschafts- auch, weil meine Redezeit abzulaufen droht, möchte organisationen im September 1981 äußerten. Sie hal- ich zum Schluß kommen. Wir, meine Damen und ten die Situation des wissenschaftlichen Nachwuch- Herren, sehen in der politischen Grundrichtung Ih- ses für besorgniserregend. In der Tat haben sich mit rer Bildungspolitik so viele Ansätze, die mit unserer dem Auslaufen des Graduiertenförderungsgesetzes, Überzeugung nicht übereinstimmen. Wir wissen, aber auch mit dem Vorgriff auf zahlreiche Personal- daß die Bildungspolitik, die Sie in den letzten Jahren stellen und dem dadurch bedingten Fehlen dieser im ganzen Land durchgeführt haben, in der Zwi- Stellen in der Zukunft die Aussichten künftiger Wis- schenzeit zu einer Reihe von Grundsatzurteilen bei senschaftler nicht gerade verbessert, im Gegenteil. den Gerichtshöfen geführt hat. Wir wissen, daß Sie Ähnlich wie die erfolgte Kürzung von 1 % aller Plan- der Jugend dieses Landes — das konnte ich bereits stellen im Bereich der Grundlagenforschung trägt heute mittag bei einer anderen Rede sagen — nicht all dies dazu bei, daß Wissenschaft und Forschung in geholfen, sondern die Verunsicherung dieser Jugend der auf sie besonders angewiesenen Bundesrepublik herbeigeführt haben. Es ist deshalb unmöglich, Ih- eingeschränkt werden. rem Bildungsetat die Zustimmung zu geben. Ich sage für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion: wir leh- Es gibt allerdings einen Bereich, in dem die Bun- nen diesen Etat ab. desregierung trotz fehlender Mittel versucht, ihren Einfluß auszuweiten, obwohl da überhaupt keine (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der Notwendigkeit besteht. Ich meine den Bereich der SPD) beruflichen Bildung. Wenn ich dazu einige kritische Anmerkungen mache, so nicht deshalb, weil wir in Vizepräsident Windelen: Das Wort hat der Abgeord- diesem Sektor nicht auch Verbesserungswürdiges nete Wallow. wüßten. Meine Kritik bezieht sich vielmehr auf die Bestrebungen des Bildungsministeriums, immer mehr Kompetenzen an sich zu ziehen, also die staat- Wallow (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und liche Einflußnahme auszuweiten. Die bisherigen Er- Herren! Was wir gerade gehört haben, war eine eif- gebnisse eines staatlichen Zugriffes zeigen aber, daß rige Rede. nur in den seltensten Fällen akzeptable Resultate zu verzeichnen sind. Am deutlichsten ist das ja bei den (Zuruf von der CDU/CSU: Eine gute Ausbildungsstellen. Meine Damen und Herren, wir Rede!) dürfen hier nicht müde werden, die Betriebe immer Aber es war blinder Eifer, der mit der bildungspoliti- wieder aufzufordern, ausbildungsbereit zu sein. schen Realität dieses Landes überhaupt nichts zu Aber die Bundesregierung sollte doch nicht immer tun hat. mit Drohmaßnahmen in der Tür stehen und damit verunsichern. (Beifall bei der SPD und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der Mich erinnerte das an eine bildungspolitische Buch- SPD) haltung, bei der es sich lohnte, auf jeden einzelnen Punkt einzugehen. Aber die Zeit erlaubt es nicht. Die Bundesregierung sollte sich lieber an der eige Deswegen lassen Sie mich ganz kurz auf einige nen Nase nehmen und in den bundeseigenen Betrie Punkte eingehen, die außerdem noch exemplarisch 4820 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Wallow den Zickzackkurs der Opposition im Bereich der Bil- — Ich möchte Sie über Modellversuche aufklären, dungspolitik belegen. weil Sie ständig darüber reden, aber nie wissen, was (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Sie sol da gemeint ist. len doch über die Regierung reden! — Wei (Beifall bei der SPD und der FDP) tere Zurufe von der CDU/CSU) Was haben Sie eigentlich dagegen, wenn die Aus- — Lassen Sie mich doch bitte ausreden. Ich will doch bildungskapazität beim Medizinstudium dadurch nur Ihre Erinnerung auffrischen. verbessert wird, daß neue Medien erprobt werden, (Rühe [CDU/CSU]: Es muß aber auch etwas wie das beispielsweise in Essen der Fall ist? Ich emp- kommen!) fehle Ihnen, sich das anzuschauen, bevor Sie hier darüber reden. Vielleicht erinnern Sie sich daran, daß schon vor etlichen Jahren der heutige Kultusminister von Ba- (Beifall bei der SPD und der FDP — Da den-Württemberg, Herr Mayer-Vorfelder, vehement weke [CDU/CSU]: Wenn ich über Essen re dafür eintrat — damals war er Staatssekretär in der den würde, würde ich den Hochschulbau in Staatskanzlei unter Herrn Filbinger —, daß die Essen ansprechen! Sie müssen das Loch Mischfinanzierung entflochten wird und daß sich von Essen ansprechen!) der Bund aus dem Studentenwohnraumbau heraus- — Herr Daweke, ich bin sicher: Wenn wir hier die hält. Muße und die Zeit hätten, die ganzen Projekte Wir haben das nicht getan, sondern wir haben in durchzugehen — es sind über 100 —, bliebe von zehn Jahren gemeinsam mit den meisten Ländern Ihrer Kritik nichts mehr übrig. den Studentenwohnraumbau mit 1,4 Milliarden DM gefördert. (Beifall bei der SPD und der FDP) (Zustimmung bei der SPD) - Sie sind nämlich einfach dagegen, weil Sie die Mo- dellversuche unter einen diffusen Reformverdacht Jetzt, nachdem die Aufbaujahre abgeschlossen sind, stellen. Das ist doch der Punkt. sind die nach der Verfassung dafür zuständigen Länder dafür verantwortlich. Es wurden insgesamt (Immer [Altenkirchen] [SPD]: Die haben 120 000 Studentenwohnheimplätze geschaffen — Angst, daß sie gut sind!) eine Leistung, die Sie, meine Damen und Herren von Ihre Ablehnung entspringt den konservativen Äng- der Opposition, doch endlich auch einmal anerken- sten vor Bewegung und Veränderung. nen sollten. (Beifall bei der SPD und der FDP — Da (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf weke [CDU/CSU]: Die Länder haben es von der CDU/CSU: Jetzt werden aber Papp doch gemacht!) kameraden aufgebaut!) Der Bund wird seine Verpflichtungen erfüllen. Es Die Modellversuche — das sage ich Ihnen ganz offen wird jedes Projekt zu Ende gebaut. — stellen Reformpolitik dar. Wir Sozialdemokraten sind stolz darauf, daß wir trotz der Finanznöte in die- (Zuruf von der CDU/CSU) sem Bereich noch Reformpolitik betreiben können. — Sie brauchen da Nachhilfe. — Das, was wir jetzt (Beifall bei der SPD und der FDP — Da erleben, ist ein erster Erfolg des gemeinsamen Be- weke [CDU/CSU]: „Modell Deutschland"! — strebens, die Mischfinanzierung zu entflechten. Zuruf des Abg. Dr. Bötsch [CDU/CSU] — Einer Ihrer beliebten Kritikpunkte sind die Mo- Weitere Zurufe von der CDU/CSU) dellversuche. Sie sind quantitativ gesehen kein Schwerpunkt der Bildungspolitik. Aber dieser Be- — Bevor Sie jetzt weitere Zwischenrufe machen, reich ist über Jahre hinweg Zielscheibe der Kritik empfehle ich Ihnen wirklich, einmal zuzuhören. der Opposition. (Zuruf von der CDU/CSU: Werfen Sie nicht Ich muß Sie wirklich fragen: Was haben Sie denn mit dem Ding!) dagegen einzuwenden, wenn in einem Modellver- — Ja, ich werfe mit dem Ding. Wissen Sie auch, war- such Mädchen die sogenannten Männerberufe erler- um? Weil die CDU/CSU-regierten Länder insgesamt nen? 53 % dieser Modellversuche für sich in Anspruch Was haben Sie dagegen einzuwenden, wenn lern- nehmen. Das sind 69 Projekte. schwache Schüler ohne Hauptschulabschluß in (Daweke [CDU/CSU]: Die regieren auch die überbetrieblichen Ausbildungswerkstätten mit An- Mehrheit der Länder! Was ist denn, wenn knüpfung an die betriebliche Praxis doch noch zu ei- wir in allen Ländern regieren?) nem Berufsabschluß kommen? (Beifall bei der SPD und der FDP) — Herr Daweke und auch Herr Rose — vielleicht nehmen Sie das mit nach Bayern —, allein das Ist es nicht dringend notwendig, daß wir über ei- schöne Bundesland Bayern nen Modellversuch herausfinden, welche Qualifika- tionsmaßstäbe beispielsweise bei sprachlich be- (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Kommen nachteiligten Ausländerkindern insgesamt angelegt Sie einmal zu uns!) werden müssen? bekommt im Jahr 1981 für Modellversuche 13 Millio- (Zuruf von der CDU/CSU) nen DM. Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4821 Wallow Jetzt könnte mir von Ihnen entgegengehalten Das war ein gezielter Angriff auf die Bildungschan- werden: Die nehmen das Geld, weil es diesen Topf cen der einkommensschwachen Schichten. gibt. (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf (Daweke [CDU/CSU]: So ist es! Geld macht von der CDU/CSU: Das glauben Sie doch sinnlich!) selber nicht!) — Ja, so ist es. — Auch da sollten Sie sich informie- Dann erklärt der Fraktionsvorsitzende der CDU/ ren. Die Länder sind an der Bestimmung der Inhalte CSU vorgestern, das sei keine soziale Zumutung. Er und der pädagogischen Zielsetzung dieser Modell- weiß offenbar nicht, daß das Land, in dem er früher versuche natürlich beteiligt und akzeptieren das. einmal Ministerpräsident war und in dem jetzt Herr Ihre Haltung stimmt ganz genau mit dem überein, Vogel regiert, nicht nur die Streichung-des Schüler- was ich am 20. November 1981 in der „Süddeutschen BAföG gefordert hat. Nein, da soll beschlossen wer- Zeitung" unter der Überschrift „Verworrene CDU- den, daß die Schülerbeförderungsbeiträge der El- Bildungspolitik" gelesen habe. Sie können es nachle- tern erhöht werden. Dort sollte beschlossen werden, sen. Ich zitiere: die Lehrmittel um ein Drittel zu kürzen. Die bildungspolitischen Debatten der CDU-Bun- (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat die FDP despartei gewinnen immer „symbolischeren" gefordert! — Weiterer Zuruf von der CDU/ Charakter. CSU: Und was ist in Nordrhein-Westfa (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Das len?) kann doch nicht wahr sein!) Jetzt nehmen Sie als Beispiel eine Arbeiterfamilie Sie verdichten sich zu einem Gebilde der schö- mit zwei Kindern auf weiterführenden Schulen. Das nen und angenehmen Bekenntnisse, die von der hätte eine Einbuße von 600 DM und mehr bedeu- Realität immer weiter abheben und selbst ei- tet. nige Kultusminister der eigenen Partei- (Zuruf von der SPD: Unerhört!) (Immer [Altenkirchen] [SPD]: Remmers!) Dann hat mein Vorredner dafür nur einen Satz üb- wachsend befremden. rig: Es gibt auch BAföG im Gefängnis. Peinlich! (Beifall bei der SPD und der FDP) (Beifall bei der SPD und der FDP) Es ist wirklich an der Zeit, daß Sie mit dieser Schau- Diese Kürzung hätte insbesondere die Mädchen fensterkritik aufhören. getroffen. Denn auch heute fällt, wenn das Geld in Mehrkinderfamilien fehlt, die Entscheidung immer Mein Vorredner hat bezeichnenderweise mit der noch zugunsten des Jungen, und die Mädchen enden Begabtenförderung angefangen. Auf BAföG hat er auf Grund mangelnder Bildungschancen in den nur einen Satz verwandt. Er hat nämlich gesagt, daß Leichtlohngruppen. Das wollen wir Sozialdemokra- BAföG auch im Gefängnis gezahlt wird. Ich muß Ih- ten nicht. nen sagen: Abgesehen davon, daß mich der materia- listische Bildungsbegriff, der der gesamten Rede zu- (Beifall bei der SPD) grunde lag, sehr erschrocken hat, empfinde ich so et- Wir werden alles dafür tun, daß es nicht so weit was als peinlich. kommt. (Beifall bei der SPD und der FDP) Die Mädchen haben zwar im Durchschnitt bes- Das BAföG hat bei meinem Vorredner natürlich sere Schulzeugnisse und Schulnoten; trotzdem stel- aus gutem Grund nur eine geringe Rolle gespielt. Ich len sie weit mehr als die Hälfte aller Jugendlichen bin der Auffassung, daß hier gesagt werden muß: ohne Ausbildungsvertrag. Ich habe große Sorge, daß Trotz schwieriger finanzpolitischer Rahmenbedin- sich diese Entwicklung noch weiter zuspitzt und daß gungen ist der Gesamtbestand der Ausbildungsför- sich bei sinkendem Lehrstellenangebot insbeson- derung gesichert. Junge Menschen, die bei ihrer dere die Mädchen die Hacken ablaufen müssen, um Ausbildung auf finanzielle Unterstützung des Sozi- einen Ausbildungsplatz zu bekommen. alstaats angewiesen sind, können auch zukünftig Wir werden aufpassen müssen, daß nicht wieder auf die Hilfeleistungen vertrauen. Für uns Sozialde- das eintritt, was wir durch sozialliberale Reformpoli- mokraten ist das eine elementare Bedingung der Si- tik schon überwunden glaubten: daß Mädchen ohne cherung der Chancengleichheit. Berufsausbildung zu Hause bleiben müssen und (Beifall bei der SPD) darauf warten, daß der richtige Mann auf der Bild- fläche erscheint. Auch das nenne ich die konsequente Fortführung so- zialliberaler Reformpolitik trotz finanzieller Eng- (Zuruf von der CDU/CSU: Das haben Sie pässe. mit Ihrer Wirtschaftspolitik zu verantwor ten!) (Zuruf von der SPD: Richtig!) Der Vorschlag der Unionsparteien und der unions- Wenn Sie sich in den letzten Jahren mit uns dar- regierten Länder, das BAföG der Schüler, die bei ih- über gefreut haben — das haben Sie doch sicher ge- ren Eltern wohnen, zu streichen, hätte 94 % aller tan —, daß wir die Zahl der Ausbildungsplätze um Schüler getroffen. Davon sind 34 % Arbeiterkinder. 250 000 steigern konnten, dann ist das — man kann es ruhig aussprechen — natürlich auch eine Lei- (Rühe [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!) stung der privaten Wirtschaft, insbesondere des 4822 Deutscher Bundestag Wahlperiode Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Wallow Handwerks. Aber es ist auch eine Wirkung des Aus- als bisher müssen wir auf den effizienteren Einsatz bildungsplatzförderungsgesetzes. staatlicher Mittel achten.

(Beifall bei der SPD) (Kittelmann [CDU/CSU]: Schwanenge

sang!) Wir hatten nämlich — wenn Sie sich recht erinnern

— in früheren Zeiten auch andere Töne gehört. Da Wir müssen lernen, kreativ zu wirtschaften, gab es diesen ominösen Brief der Spitzenverbände (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Sparsam der Wirtschaft, des Handels und des Handwerks, der zu wirtschaften!) Abstriche an der Ausbildungsqualität und am Ju- gendschutz forderte und dafür 50 000 Ausbildungs- d. h. wir müssen in Zukunft die Raumkapazitäten plätze anbot. Aber über 250 000 Plätze haben wir ge- besser nutzen. schaffen. (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Sie ha Die Bundesregierung hat sich auf diesen Kuhhan- ben kreativ Schulden gemacht!) del nicht eingelassen. Sie hat in der beruflichen Bil- Es ist notwendig, uns zu überlegen, wie es weiterge- dung über Jahre investiert, und sie hat ein Gesetz hen soll, vorgelegt, daß in seiner Intention die Wirtschaft in (Kittelmann [CDU/CSU]: Sehr richtig!) die Mitverantwortung für die Ausbildung junger Menschen nahm. Diese Zielsetzung wurde vom Bun- wenn wir zwischen 1981 und 1983 1,3 Millionen Stu- desverfassungsgericht ausdrücklich bestätigt. Ich zi- denten haben. Wir werden nicht umhin können, zu tiere: überlegen, ob wir uns den Luxus leisten können, den Wenn der Staat in Anerkennung diese Aufga- es nirgendwo in anderen Industriestaaten der Welt benteilung den Arbeitgebern die praxisbezo- gibt, die Universitäten ein halbes Jahr Leerstehen zu gene Berufsausbildung der Jugendlichen über- lassen. In diesem Punkt sind wir Bildungspolitiker läßt, so muß er erwarten, daß die gesellschaftli- über kleinliche Streitereien hinweg zu Gemeinsam- - keit aufgefordert. Dort brauchen wir Lösungsmög- che Gruppe der Arbeitgeber diese Aufgaben lichkeiten. nach Maßgabe ihrer objektiven Möglichkeiten

damit so erfüllt, daß grundsätzlich alle ausbil- Wir Sozialdemokraten sind bereit, das zu tun. Wir

dungswilligen Jugendlichen die Chance erhal- sind bereit, über die aktuelle Tagespolitik hinweg in

ten, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. solchen Fragen mit allen zusammenzuarbeiten. Wenn Herr Zimmermann und vorhin Zwischentu- Denn erst dadurch ist die mittelfristige Finanzie- fer die Auffassung vertraten, daß dieses Problem al- rung und Fortentwicklung unseres Bildungswesens gesichert. Das müssen wir. Denn in den Bildungsin- lein mit einem Konjunkturaufschwung gelöst wäre, dann will ich Ihnen einmal eine Aussage Ihres jetzi- vestitionen liegt unser aller Zukunft. gen Fraktionsvorsitzenden und früheren Minister- Der Etat des Bundesministers für Bildung und präsidenten von Rheinland-Pfalz in Erinnerung ru- Wissenschaft entspricht dieser Forderung. Er ist ein fen und vielleicht auch mit auf den Weg geben. Hö- Etat der Vernunft. ren Sie gut zu! Ich zitiere Herrn Kohl: (Lachen bei der CDU/CSU) Wir gehen davon aus, daß eine Reform der be- Es muß gespart werden. Aber mit diesem Etat kön- ruflichen Bildung ein neues Finanzierungssy- nen wir die Fortsetzung der Reformpolitik als gesi- stem für die betriebliche Ausbildung verlangt. chert ansehen. Deswegen stimmen wir ihm zu. Dabei wird es notwendig sein, auch jene Be-

triebe stärker zur Finanzierung der beruflichen (Beifall bei der SPD und der FDP) Bildung heranzuziehen, die sich nicht unmittel- bar an der für die gesamte Wirtschaft erforderli- Vizepräsident Windelen: Ich erteile das Wort der chen Ausbildung des Nachwuchses beteiligen. Frau Abgeordneten von Braun-Stützer. (Beifall bei der SPD — Zurufe von der SPD: Unser Konzept! — Wer hat das gesagt? — (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Jetzt Immer [Altenkirchen] [SPD]: War der da kommt ein schöner Beitrag!)

mals Sozialdemokrat? — Weitere Zurufe

von der SPD) Frau von Braun-Stützer (FDP): Herr Präsident!

Wenn wir so etwas sagen, heißt das, daß das duale Meine Damen und Herren! Zunächst zu Ihnen, Herr

System abgeschafft werden solle. Dieses historische Rose: Sie beliebten, die Gebetsmühle von der „ Über-

Zitat von Herrn Kohl ist heute brennend aktuell; produktion an Akademikern" in unserem Land wie- denn die Schaffung krisensicherer, konjunkturun- der mal zu drehen. abhängiger Ausbildungsplätze, meine Damen und (Dr. Rose [CDU/CSU]: Die Realität!) Herren von der Opposition, ist der beste Dialog mit Sie meinen damit sicher die Gleichwertigkeit zwi- der Jugend. schen akademischer und beruflicher Ausbildung, die (Beifall bei der SPD und der FDP) ja alle Parteien und alle Fraktionen in diesem Land

Die rote Lampe leuchtet. Ich wäre gern noch auf wollen. Aber wie weit es damit in Wirklichkeit her einige Punkte meines Vorredners eingegangen, ist, sehen Sie aus folgender Erklärung eines Verban- etwa auf den Hochschulbau. Lassen Sie mich dazu des und einer Person, die, wenn ich es richtig verste- abschließend sagen: Reformpolitik muß auch auf he, Ihnen wohl sehr nahesteht. Ich zitiere aus dem diesem Sektor weiter verfolgt werden. Noch stärker „Deutschen Depeschendienst" vom 14. Januar: Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4823

Frau von Braun-Stützer Jeder dritte Oberstufenschüler im Gymnasium — Ich konnte mir schon denken, daß du da geht heute nach Ansicht des Präsidenten des klatscht. Lehrerverbandes, Clemens Christians, auf die Ich komme zu einem zweiten Beispiel, nämlich falsche Schule. Er gehört nicht da hin. Er ist lei- zur überproportional gestiegenen Bedeutung des stungsmäßig Schamott. Vermittlungsausschusses zu einem zweiten Über- Das erklärte dieser Herr Christians. Ein paar Zeilen parlament, was von den Verfassungsvätern mit Si- weiter heißt es: cherheit auch nicht so gedacht war. Sie sollten abgehen, berufsfördernde Schulen Die dritte und, wie ich meine, gefährlichste Ent- besuchen. wicklung ist jedoch die allgemeine politische Menta- lität des Kästchendenkens. Es tut mir leid, Herr Das ist die Gleichwertigkeit zwischen akademischer Rose, Ihre Rede war wieder ein Beispiel dafür. und beruflicher Ausbildung, die wir zur Zeit ha- (Beifall bei der FDP und der SPD — Zurufe ben. von der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der SPD) Ich meine das Denken in Zuständigkeitsbereichen Der Haushalt 1982 ist der erste einer vermutlich statt in politischen Zusammenhängen, das Denken längeren Kette von Haushaltsjahren, in denen die in Haushaltsjahren und Einzelplänen statt in politi- handelnden politischen Ebenen eines beweisen und schen Prioritäten. Malte Buschbeck hat in einem bewerkstelligen müssen. Es muß den handelnden hervorragenden Artikel in der „Süddeutschen Zei- Politikern, Parteien und Verwaltungen in Bund, tung" vom 29. Dezember vorigen Jahres genau auf Ländern und Gemeinden gelingen, eine Gesellschaft dieses — — neu zu organisieren, die ihre Konflikte nicht mehr (Daweke [CDU/CSU]: Den hatten wir über Wachstumshoffnungen ausgleichen kann. Dies schon! Das war der von Wallow! Sie lesen erfordert Weitsicht und die Fähigkeit, sich- auch in den gleichen Ausschneidedienst!) die Interessenlage und die sachlichen Notwendig- — Das tut mir leid. Den Beitrag habe ich nur partiell keiten anderer hineinzuversetzen. Dies erfordert mitbekommen. Herr Kollege Obmann, Sie sind an auch eine politische Grundhaltung der Gesamtver- sich immer der Strahlemann, wenn es um Pressezi- antwortung, die mit Festigkeit und Umsicht allen tate geht. Ich vermisse Ihre Rede in diesem Zusam- massiven Gruppeninteressen und Sankt-Florians- menhang. Argumenten entgegentritt, die in unserem Land so erschreckend zunehmen. (Daweke [CDU/CSU]: Ich lese auch, vor al lem was ich selber schreibe! — Heiter Ich meine, daß der Haushalt '82 in seinem Ergeb- keit) nis ein erster Schritt in die richtige Richtung ist: Er hat die Lasten der Einsparmaßnahmen, wie wir mei- — Das freut mich aber für Sie. nen, annähernd gerecht und ohne Bedrohung des so- Ich glaube, daß insbesondere der Hinweis auf das zialen Friedens zuwege gebracht. Ich halte dies für Dickicht der Kostenträger und die Verkrustung der eine enorme Leistung, insbesondere auch der Kolle- Etatgrenzen die kritische Frage erlaubt, ob eine ge- gen im Haushaltsausschuß, die Anlaß zu der Hoff- samtgesellschaftliche Kostenübersicht überhaupt nung gibt, daß wir die weitere Strecke des dornenrei- noch gezogen werden kann. Ich glaube, daß dieser chen Weges in den nächsten Haushaltsjahren auch Hinweis von Malte Buschbeck ganz besonders wich- noch bewältigen werden. Eines ist jedoch sicher: Der tig ist. Er sagt zu Recht: „Die Spardebatte ... hat ge- Druck der Gruppeninteressen und der Sankt-Flori- sellschaftspolitisch bisher mehr Fragen aufgewor- an-Argumente wird sich verstärken. Um so wichti- fen als beantwortet." Ich halte dies für einen ganz ger ist es, kritisch zu prüfen, ob unsere politischen wichtigen Gesichtspunkt im Hinblick auf die Haus- Instrumente dieser Zerreißprobe auch wirklich ge- halte der kommenden Jahre. wachsen sein werden. Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihr Ver- Ein paar kritische Entwicklungen können wir auf ständnis dafür, daß ich diese grundsätzlichen Fra- allen parlamentarischen Ebenen, vom Bund bis zu gen ein wenig ausführlich behandelt habe. Bildungs- den Gemeinden, und in den Verwaltungen schon politik ist aus der Natur der Sache heraus langfristi- jetzt beobachten. Zum Beispiel kann man es durch- ger und perspektivischer als die meisten anderen aus als Parlamentarismusproblem ansehen, wenn Politikbereiche angelegt. Die Bildungspolitik muß die Haushalts- und Finanzausschüsse der Parla- nun einmal in Schüler- und Studentengenerationen mente das Gewicht von Überparlamenten bekom- und nicht nur in Schuljahren denken und planen. men, Deshalb wirken sich die kritischen Entwicklungen, die ich versucht habe aufzuzeigen, zuallererst und (Beifall bei Abgeordneten der SPD) am meisten im Bildungsbereich aus. Daher ist es ge- wobei dies wohlgemerkt auch als Kritik an den rade die Aufgabe der Bildungspolitiker, rechtzeitig Fachausschüssen zu verstehen ist; denn bei aller auf diese Entwicklungen aufmerksam zu machen, Maulerei über dieses Parlamentarismusproblem die sich über kurz oder lang auch auf die Beschäfti- habe ich noch keinen Vorschlag aus den Fachaus- gungs- und Wirtschaftspolitik auswirken werden. schüssen gehört, der diesen Fehler ernsthaft zu be- Nicht umsonst stand die Haushaltsdebatte, auch die heben versuchte. Bildungsdebatte, bisher stark unter dem Eindruck der erschreckend hohen Zahl von 1,7 Millionen Ar- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) beitslosen. Hier beweist sich, daß die Bildungs- und 4824 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Frau von Braun-Stützer Hochschulpolitik nicht Luxus für gute Zeiten ist, Diese Appelle können allerdings nur dann wirk- sondern daß sie einen wesentlichen Beitrag zur Si- sam und glaubwürdig vorgebracht werden, wenn der cherung der Bildungs- und Berufschancen der jun- Staat selbst, der Bund, die bundeseigenen Unterneh- gen Generation geleistet hat und dies auch in Zu- men, die Länder und Gemeinden auch ihren Beitrag kunft tun muß. zur Lösung dieses gesellschaftspolitischen Problems (Beifall bei der FDP und der SPD) leisten. Die Planzahlen des Bundes für 1982 für den Ausbildungsbereich entsprechen dieser Anforde- Wir haben heute mehr betriebliche Ausbildungs- rung gegenwärtig jedenfalls nicht. verhältnisse als jemals zuvor in der Bundesrepublik Deutschland. Hier haben sich die gemeinsamen An- (Daweke [CDU/CSU]: So ist es!) strengungen von Bund, Ländern, Arbeitgebern und Hier bedarf es dringend einer Korrektur. Ich äußere Gewerkschaften gelohnt, und für diese Bemühun- mich dazu genauso kritisch wie auch Ihr Kollege. gen ist allen Beteiligten Dank zu sagen. (Beifall bei allen Fraktionen) In diesem Zusammenhang halten wir es im übri- gen für bedauerlich, daß die Länder bisher noch Die wirkliche Bewährungsprobe steht allerdings nicht bereit waren, ihre Daten für einen Gesamt- noch bevor. In den nächsten Jahren müssen die Aus- überblick über die Ausbildungsstellensituation im bildungsleistungen der Wirtschaft auch über den ei- öffentlichen Dienst zur Verfügung zu stellen. Ich genen Bedarf hinaus noch erheblich verstärkt wer- fürchte, dies ist ein weiteres Beispiel für das Käst- den. chendenken zum Schaden der Sache, das ich zu Be- (Beifall bei der FDP, der SPD und bei Abge ginn schilderte. ordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der SPD) Dies ist zum einen ein Gebot der Solidarität gegen- über der jungen Generation; vor allen Dingen ist Zur Verantwortung des Bundes und der Länder dies aber auch ein Gebot der wirtschaftspolitischen- gehört auch, daß die Politik des Offenhaltens der und beschäftigungspolitischen Weitsicht. Graf Hochschulen, wie sie von den Regierungschefs am Lambsdorff hat schon in der Einbringungsrede zum 4. November 1977 beschlossen wurde, fortgesetzt Haushalt darauf hingewiesen, daß wir zum Ende wird. Gerade im Hinblick auf den noch vor uns lie- dieses Jahrzehnts genau die umgekehrte Entwick- genden „Studentenberg" halte ich dies für besonders lung auf dem Arbeitsmarkt haben werden. Wir wer- wichtig. den dann wieder händeringend nach qualifizierten Die Westdeutsche Rektorenkonferenz hat vor Arbeitskräften suchen, und das heißt zwingend — kurzem warnend darauf hingewiesen, daß die Spar- deshalb hier noch einmal ein dringender Appell an maßnahmen die Funktionsfähigkeit der Hochschu- die ausbildende Wirtschaft —, daß über den eigenen len in Frage stellten und daß eine erhebliche Ver- Bedarf hinaus ausgebildet werden muß. schärfung und Ausweitung des Numerus clausus zu (Zuruf von der CDU/CSU: Wir brauchen erwarten sei. Diese Warnung müssen wir ernst neh- keine Appelle, sondern eine bessere Wirt men, denn ein Rückfall in eine zunehmende Stu- schaftspolitik!) dienplatzbewirtschaftung würde nicht nur unmittel- Die Entwicklung des Ausbildungsplatzangebotes bar die Bildungs- und Berufschancen der Studienbe- des Jahres 1981 wird diesem Bedarf nicht gerecht, werber, sondern mittelbar auch die Chancen derje- was hier kritisch angemerkt werden muß. nigen treffen, die im dualen System eine Ausbildung und nach dieser Ausbildung einen Dauerarbeits- (Beifall bei der FDP und der SPD) platz suchen. Jeder durch einen Numerus clausus abgewiesene Studienbewerber würde die Probleme Vizepräsident Windelen: Frau Abgeordnete, gestat- auf dem Ausbildungs-, Stellen- und Arbeitsmarkt zu- ten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten sätzlich verschärfen. Rossmanith? Die Regierungschefs von Bund und Ländern soll- Frau von Braun-Stützer (FDP): Ich gestatte sie. ten in diesem Zusammenhang an ihren Beschluß vom 4. November 1977 zur „Sicherung der Ausbil- dungschancen der geburtenstarken Jahrgänge" Bitte schön, Herr Abge- Vizepräsident Windelen: nachdrücklich erinnert werden. ordneter. (Beifall bei der FDP und der SPD) Rossmanith (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Kolle- gin von Braun-Stützer, sind Sie also mit mir der Mei- Es wäre gut, wenn der Bundeskanzler — wie auch nung, daß sich der Bundeswirtschaftsminister wie- damals — die Initiative ergreifen könnte, damit der etwas stärker als bisher der Ausbildung der nicht nur Zwischenbilanzen im Blick auf den dama- Lehrlinge widmen sollte? ligen Beschluß erstellt werden, sondern, darauf auf- bauend, ergänzende Maßnahmen von Bund und Ländern möglich werden. Frau von Braun-Stützer (FDP): Wenn dem Bundes- wirtschaftsminister eines ganz besonders am Her- Eine derartige Initiative des Bundes sollte nicht zen liegt, dann ist es die Förderung der betrieblichen auf die Frage des Numerus clausus an den Hoch- Ausbildung. Das kann ich Ihnen versichern. Im Un- schulen begrenzt werden. Sie sollte auch das Pro- terschied zu Ihnen lese ich gelegentlich auch, was er blem aufgreifen, daß manche an sich vernünftigen sagt. Einsparmaßnahmen der öffentlichen Hand dazu Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4825

Frau von Braun-Stützer führen, daß die Lasten einseitig zum Nachteil der Anteil des Bildungshaushalts an den Gesamthaus- Berufsanfänger verteilt werden. halten der öffentlichen Hand darf deshalb unter kei- nen Umständen gesenkt werden. (Beifall bei der FDP und der SPD) (Beifall bei der FDP und der SPD) Ein Beispiel dafür ist die vom Bundesrat beim Zwei- ten Haushaltsstrukturgesetz durchgesetzte Kür- Gerade im Interesse der jungen Generation müs- zung der Anwärterbezüge um 5 bis 15 %. Ein anderes sen die Parteien deshalb wieder stärker zum bil- Beispiel ist die Einsparung von jährlich 1 % der vor- dungspolitischen Konsens zurückkehren, z. B. auch handenen Stellen im Bund und in einigen Bundes- beim Bundesausbildungsförderungsgesetz. Der vom ländern. Diese Sparauflage, die aus dem gesamten Bundesrat vorgeschlagene, aber dann gerade noch Stellenplan herausgeholt werden sollte, wurde — so vermiedene Kahlschlag beim Schüler-BAföG sollte sieht es im Augenblick jedenfalls aus — vorwiegend unter keinen Umstäden wieder auf die Tagesord- im Ausbildungsbereich angesetzt, so daß das Ausbil- nung kommen. dungsstellenangebot im öffentlichen Dienst um fast (Beifall bei der FDP und der SPD) ein Drittel gekappt wurde. Ich habe heute wieder ein konkretes Beispiel dafür gehört. Es ist eben einfa- Zu den Aufgaben des Bundes gehört ganz sicher cher, um sieben Ausbildungsstellen als um eine Mei- auch die Neuordnung der Förderung des wissen- sterstelle zu kürzen. Das ist das Problem. Dieses schaftlichen Nachwuchses. Auch sie erfordert Weit- Verfahren können wir aber nicht zulassen. Wir hal- sicht und Abkehr vom Kästchendenken. Eine staat- ten diese Strategie der Lastenabwälzung für sehr liche Ausgabe von gegenwärtig 12 000 DM für einen bedenklich. jungen Wissenschaftler ist schon kostenmäßig gün- stiger als die Finanzierung eines Arbeitslosen, der (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei im Durchschnitt 20 000 DM pro Jahr kostet. Im übri- Abgeordneten der CDU/CSU) gen liegt es eindeutig im Interesse der Gesellschaft, Für bedenklich halten wir auch, daß die Kürzung daß begabte junge Wissenschaftler in der Hochlei- der Einkommen um 0,7 % bei allen Beamten und An- stungsphase ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit in gestellten des öffentlichen Dienstes mehr Auseinan- der Universitätsforschung gehalten werden und dersetzungen zwischen der ÖTV und den öffentli- nicht direkt in das Beschäftigungssystem überwech- chen Arbeitgebern verursacht als beispielsweise die seln. Insofern ist die Förderung des wissenschaftli- Kürzung der Anwärterbezüge oder des Ausbildungs- chen Nachwuchses nicht nur ein soziales Förde- stellenangebotes. rungsinstrument, sondern ganz eindeutig auch ein Eliteförderungsinstrument. Daß für Ausländerkinder, für Mädchen und Be- nachteiligte besondere bildungspolitische Anstren- Für die Zukunft unserer Gesellschaft und auch gungen und Investitionen notwendig sind, gehört in- unserer Wirtschaft im internationalen Wettbewerb zwischen zum Inhalt jeder Sonntagsrede. Trotzdem ist es überlebenswichtig, daß Bildungsausgaben ein- scheinen die Bildungsinvestitionen beispielsweise deutig als prioritäre Zukunftsinvestitionen einge- für den zusätzlichen Sprachunterricht der Auslän- stuft werden. Dies setzt unermüdliche Überzeu- derkinder keineswegs den hehren Zielen dieser gungsarbeit voraus und das mühsame Bohren von Sonntagsreden zu entsprechen, was wiederum ein sehr, sehr dicken Brettern. Die FDP wird ihren Teil Beweis für das zitierte Kästchendenken ist. Denn zu dieser Überzeugungsarbeit beitragen. bei einer langfristig angelegten Gesamtkostenrech- (Beifall bei der FDP und der SPD) nung ergibt sich schon heute, daß jede Mark, die wir im Bereich der Bildungs- und Berufschancen der Ausländer heute einsparen, morgen sozialpolitisch Vizepräsident Windelen: Das Wort hat der Herr zu ungeheuren Kosten führen wird. Bundesminister für Bildung und Wissenschaft. (Beifall bei der FDP und der SPD) Dies ist ein Grund mehr, nachdrücklich zu fordern, Engholm, Bundesminister für Bildung und Wissen- daß sich Bund und Länder in der Bildungsplanung schaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! sehr schnell einigen, damit der Bildungsgesamtplan Ich bin der Frau Kollegin von Braun-Stützer und von 1973 endlich fortgeschrieben wird. dem Kollegen Wallow sehr dankbar, daß sie mit ho- her Sachkunde und Nüchternheit Es sollte doch zu Denken geben, daß sich über alle Parteigrenzen hinweg inzwischen ein erfreulicher (Zuruf von der CDU/CSU: Und der Kollege Konsens zwischen den Bildungs- und Kultusmini- Rose?) stern abzeichnet, ein Konsens, der an die Weitsicht auf die Entwicklung im Bildungswesen hingewiesen der Finanzpolitiker und Finanzminister appelliert, haben. Ich sehe die Entwicklung so, wie sie sie dar- auch die Haushaltsjahre 1984 und folgende mit in gestellt haben. Ich kann mir deshalb viele Details, die Überlegungen einzubeziehen; denn jeder unge- die ich sonst hätte sagen müssen, sparen. nügend ausgebildete Arbeitnehmer wird in einem Beschäftigungssystem mit steigenden Qualifika- (Zuruf von der CDU/CSU: Ausgezeichnet!) tionsanforderungen zu einem größeren Kostenri- Den Kollegen Rose will ich natürlich auch nicht siko für die öffentliche Hand werden als eine recht- vergessen. Es wäre für ihn, wie jeder weiß, selbst- zeitige Bildungsinvestition. Das sollte eigentlich mörderisch, hätte er anders gesprochen, als er ge- eine Binsenwahrheit sein, trotzdem scheint sie sich sprochen hat. Und ich muß hinzufügen: Für mich als noch nicht überall herumgesprochen zu haben. Der schleswig-holsteinischem Sozialdemokraten wäre 4826 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Bundesminister Engholm es geradezu verhängnisvoll gewesen, hätte er mich Vizepräsident Windelen: Herr Minister, gestatten hier gelobt. Insofern bleibt alles im Lot. Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Westphal? Meine Damen und Herren, der Einzelplan 31 wird Engholm, Bundesminister für Bildung und Wissen- im Jahre 1982 als ein Haushalt der Bestandssiche- schaft: Ja, gern. rung zu bezeichnen sein. Das wird von manchen als nicht genug, als nicht sehr viel angesehen. Ich mei- Vizepräsident Windelen: Bitte, Herr Abgeordneter ne, angesichts der Zeitläufe ist das eine auch für den Westphal. Bildungsminister ganz zufriedenstellende Entwick- lung, mit der er im Jahre 1982 wird leben können. Westphal (SPD): Herr Minister, ich freue mich, Ih- Auch angesichts der kritischen Blicke des Finanzmi- nen ein bißchen dabei geholfen zu haben, daß Ihnen nisters will ich das so sagen; denn der Haushalt 31, die Mittel für die Modellversuche erhalten geblieben der Haushalt Bildung und Wissenschaft, hat im ver- sind. Aber gestatten Sie einem alten Haushälter, Sie gangenen Jahr zu den großen Sparoperationen bei- bei dieser Gelegenheit zu fragen, ob Sie dem zustim- getragen und wird es auch noch in diesem Jahr ganz men können, daß wir nach drei Tagen Haushaltsbe- beträchtlich tun. Ich brauche hier nur das Stichwort ratungen von morgens bis abends beim letzten Ein- BAföG zu nennen. Jeder, der die Zahlen kennt, weiß, zelplan doch eine Stelle gefunden haben, wo die Op- wie tief in meinen Etat gerade am Beispiel BAföG position einen Kürzungsantrag gestellt hat? eingegriffen worden ist, und jeder weiß, wie sehr das gerade die engagierten Bildungspolitiker hier im (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der Hause und bei mir im Ministerium geschmerzt FDP — Zurufe von der CDU/CSU) hat. Engholm, Bundesminister für Bildung und Wissen- Ich meine gleichwohl sagen zu dürfen: Mit 4 % Zu- schaft: Herr Kollege, ich will zunächst deutlich sa- - wachs liegt der Haushalt sehr gut im Trend. Es gibt gen, daß Sie mir in der Koalition ohne Wenn und andere Haushalte, die schlechter gefahren sind. Das Aber geholfen haben, die Modellversuchsansätze zu heißt nicht, daß ich hier eitel Sonnenschein verbrei- retten, ten will, aber ich weiß, was es bedeutet, in der heuti- (Beifall bei der SPD und der FDP) gen Zeit 4 1)/0 mehr zu bekommen. die ja nicht etwa dazu dienen, die Revolution in un- Ich bin auch sehr dankbar dafür, daß wir weitere serem Lande zu finanzieren, Einschnitte beim Thema BAföG haben vermeiden können. (Zuruf von der CDU/CSU: Nein, den Sozia lismus!) (Beifall bei der SPD) sondern die dazu dienen, daß benachteiligte Jugend- Die Reaktionen der betroffenen Schülerinnen, Schü- liche, behinderte Jugendliche, auch Mädchen, also ler, Studenten und ihrer Eltern, die inzwischen klek- die, die in unserer Gesellschaft immer noch gerin- kerweise eingetroffen sind, zeigen deutlich, daß un- gere Chancen haben, eine faire Bildungs- und Aus- sere Argumente „Nehmt es nicht erneut bei den bildungschance bekommen. Schwächeren weg" zutreffend gewesen sind. Ich (Beifall bei der SPD und der FDP — Car danke deshalb denen, die mir geholfen haben. stens [Emstek] [CDU/CSU]: Den Behinder (Beifall bei der SPD und der FDP) ten wollten Sie doch das Geld nehmen, was Der Hochschulbau wird bis Mitte der 80er Jahre wir verhindert haben! Da hätten wir ganze und darüber hinaus finanziell keine leicht zu reali- Werkstätten schließen müssen!) sierende Aufgabe sein. Auf der anderen Seite kann Die Kollegen der Union haben den Versuch ge- ich bereits heute sagen, daß von Bundesseite bis macht, über einen bescheidenden Streichungsan- 1985 ca. 4 Milliarden DM zur Verfügung gestellt wer- trag von 4 Millionen DM, wenn ich mich richtig erin- den, was auch kein Pappenspiel ist. Wir werden ver- nere, suchen, damit sparsam und konzentriert umzuge- (Daweke [CDU/CSU]: 25 Millionen DM!) hen. ein neues Studentenwohnheim zu bauen. Nur, das, Für die überbetrieblichen Ausbildungsstätten ste- was wir mit den Modellversuchen — auch mit den hen uns bis zur Mitte des Jahrzehnts 185 Millionen Ihnen nahestehenden Ländern — reformpolitisch DM jährlich zur Verfügung. Das sind Mittel, die ins- leisten, läßt einen solchen Schnitt von 4 Millio- besondere in der handwerklichen Ausbildung große nen DM nicht zu. Mit 4 Millionen DM kann man Dienste leisten werden. Denn mach kleiner Hand- nicht einmal ein halbes größeres Studentenwohn- werksbetrieb kann nur deshalb ausbilden, weil wir heim bauen. ihm die Infrastruktur für die bessere Qualität auf (Beifall bei der SPD) dieser Ebene geliefert haben. Insofern bin ich dankbar, daß wir uns dazu bereit ge- (Beifall bei der SPD und der FDP) funden haben, es so zu belassen, wie es eingebracht Die Mittel für die Modellversuche sind zwar nicht worden war. gerade üppig, aber wenn sie, wie ich es beabsichtige, auf wirklich richtungweisende und Defizitbereiche Vizepräsident WIndelen: Herr Minister, gestatten konzentriert werden, dann werden wir mit den Mit- Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten teln für die Modellversuche auch auskommen. Daweke? Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4827

Engholm, Bundesminister für Bildung und Wissen- keit unserer Gesellschaft zur Solidarität zwischen schaft: Gern, ja. den Generationen ist. (Beifall bei der SPD — Daweke [CDU/CSU]: Daweke (CDU/CSU): Herr Minister, würden Sie, Dann müßten Bundesminister ihre Frauen da Sie bei den Ausschußberatungen nicht anwesend bitten, nicht mehr Lehrerin zu sein!) waren, von mir gleichwohl zur Kenntnis nehmen, — Ich sage auch als Bundesminister, daß unsere bis- daß wir nicht einen Kürzungsantrag in dieser Grö- herigen Antworten auf diese Herausforderung in ßenordnung, sondern in der Größenordnung der keiner Weise überzeugend sind. nach Auskunft Ihres Hauses freien Mittel, der im Wir haben mit Nachdruck allesamt darauf hinge- Modellversuchsprogramm nicht zugesagten Mittel wiesen, daß in diesem Jahre wie auch schon im letz- gestellt haben? Das waren etwa 40 Millionen DM. ten Jahr ein hoher Zuwachs an Ausbildungsplätzen Damit hätte man in der Tat schon Studentenwohn- für die nach Ausbildungsplätzen suchenden jungen heime bauen können. Menschen vorhanden sein müßte. Wir haben erlebt, daß trotz aller Hinweise, aller harten Zahlen, Daten, Engholm, Bundesminister für Bildung und Wissen- Fakten und Argumente ein Trendeinbruch auf dem schaft: Also, ich muß nun ganz offen sagen: Ich habe Ausbildungsmarkt zustande gekommen ist. Ich will diesen viel weitergehenden Antrag zu Ihrer öffentli- an dieser Stelle mit Nachdruck sagen, weil wir uns chen Ehrenrettung hier nicht genannt. Denn jeder, auch im Ausschuß hierin völlig einig gewesen sind: der Bildungspolitik ernsthaft betreibt, streicht doch Das Signal, das in Salzgitter bei einem öffentlichen nicht die Mittel für Modellversuche radikal zusam- Unternehmen gesetzt worden ist, Ausbildungsplätze men; ich bitte Sie! trotz öffentlicher Wünsche von den Unionsparteien, von den Koalitionsparteien, von Betriebsräten und (Beifall bei der SPD und der FDP) Gewerkschaften abzubauen, ist für mich ein fal- Lassen Sie mich noch sagen, daß das Bundesmini-- sches Signal mit falscher Farbe für die falsche Rich- sterium — mit ganz großem Engagement auch der tung. Mitarbeiter — ein kleines, aber wichtiges Programm (Beifall bei allen Fraktionen) für „Jugendliche mit besonderen Problemen" aufge- legt hat. Das sind Sonderschüler, das sind Haupt- Das mindeste, was ich von diesem Unternehmen er- schüler ohne Abschluß; darunter befinden sich auch warte — da sind wir uns alle weitgehend einig —, ist, viele ausländische Jugendliche — alles junge Men- daß das Unternehmen, wenn diese Entscheidung schen, die in unserer Gesellschaft normalerweise schon so gefallen ist, zumindest jenes Maß an Moral kaum eine Ausbildungschance haben. Dieses Pro- und Solidarität aufbringt, im Herbst, dann, wenn gramm wird dazu beitragen — es gibt darüber zwi- sich herausstellt, daß die Zahl der nachfragenden schen uns auch keinen Grundsatzstreit mehr, wor- Jugendlichen größer ist, diese Entscheidung prak- über ich sehr froh bin —, in diesem Jahr etwa tisch durch eine höhere Einstellungsquote zu revi- 3 000 Jugendlichen, die sonst mit einer Null-Chance dieren. durchs Leben gehen müßten, eine Ausbildungs- (Beifall bei allen Fraktionen) chance und damit den Eintritt in ein erfülltes Ar- beitsleben zu eröffnen. Daß auch das finanziert wird, Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einige will ich dankend anerkennen. Anmerkungen machen, die vielleicht den Rand der Bildungspolitik um einige Zentimeter sprengen. (Beifall bei der SPD und der FDP) Wenn ich es richtig sehe, dann entsteht durch die Meine Damen und Herren, wir stehen, wenn ich es Kluft zwischen den Arbeit Habenden und den Nicht- auch aus bildungspolitischer Sicht richtig sehe, vor habenden eine materielle Situation und ein psycho- einer großen Zahl von tiefgreifenden Verteilungs- logisches Klima, das uns alle in zunehmendem Maße kämpfen. Wir kennen solche Verteilungskämpfe bedrücken wird. Ich meine, daß auf der anderen heute schon zwischen verschiedenen Politik-Berei- Seite in unserer Gesellschaft Aufgaben genug vor- chen; ich habe das an einigen Punkten ja auch recht handen sind, die mit der Hilfe arbeitswilliger und schmerzhaft erfahren. Wir kennen solche Vertei- ausbildungswilliger junger Menschen erfüllt wer- lungskämpfe traditionell zwischen Arbeitgebern den können. und Arbeitnehmern, und wir kennen sie zwischen (Beifall bei der SPD) denen, die in der Einkommensskala oben und unten stehen, worüber es in der Geschichte immer Streit Wenn ich es richtig sehe, gibt es auch genug finan- gegeben hat. Ich denke, daß wir in den kommenden zielle Masse, um diese Aufgaben, die notwendig er- Jahren — vielleicht schon in sehr kurzer Zeit — vor füllt werden müssen, zu finanzieren. einem Verteilungskonflikt ganz anderer Art stehen (Beifall bei der SPD) werden, nämlich vor einem Verteilungskonflikt zwi- Ich meine nur, daß wir dann den Mut haben müssen, schen denen, die Arbeit und damit Einkommen ha- viel mehr Mut als in der Vergangenheit, erneut kri- ben, und einer wachsenden Zahl auch junger Men- tisch über die Verteilungsstrukturen, die wir uns in schen, die Arbeit und Einkommen suchen. den 50er, 60er und 70er Jahren noch haben leisten (Beifall bei der SPD und der FDP) können, nachzudenken. Ich will dazu nur einige fra- Ich denke, daß diese Frage, der Konflikt, der sich an gende Anmerkungen machen. bahnt zwischen Arbeit Besitzenden und Nichtbesit Wir haben in der Bundesrepublik bis zum heuti- zenden, auch die eigentliche Frage nach der Fähig gen Tag ein blühendes Subventionssystem, von dem 4828 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982

Bundesminister Engholm man nicht sagen wird, daß es primär die Schwachen Viele Arbeitnehmer in unserem Lande schätzen und die Armen in der Gesellschaft begünstigt. sich glücklich, wenn sie am Ende ihres Arbeitsle- bens 70 % ihres bisherigen Einkommens als Rente (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Das ist erhalten. In anderen Bereichen erhält eine nicht doch Ihre Verantwortung!) kleine Zahl von Menschen 100, 105 oder 110 %. Auch Ich frage mich: Können wir uns diesen Luxus aus- hier muß, glaube ich, bald und sorgfältig darüber ufernder Subventionen noch leisten? nachgedacht werden, ob wir uns angesichts der Aus- bildungs- und Beschäftigungsprobleme gerade auch (Zurufe von der CDU/CSU) junger Menschen noch solche Privilegien leisten — Ich habe das eben gesagt — hätten Sie zuge- können. hört —: Ich richte diese Fragen nicht an Sie, ich (Beifall bei der SPD) richte sie an uns alle; und das muß wohl gestattet sein. Über 20 und 30 Jahre hinweg standen jungen Menschen, Hauptschülern, Realschülern, Abiturien- (Beifall bei der SPD und der FDP) ten und vor allem jungen Akademikern, alle Berufs- Ich frage aber in dem Zusammenhang: Wo ist der chancen offen. Sie hatten insbesondere Berufschan- Vorschlag geblieben, den die Unionsparteien, mit ih- cen im öffentlichen Dienst, der zeitweilig bis zu zwei ren namhaften Leuten an der Spitze, Mitte letzten Drittel der Absolventen aufgenommen hat. Meine Jahres in der Öffentlichkeit verbreitet haben, bei al- Generation und die davor hat fast alle Chancen ge- len Subventionen generell 5 bis 10 % wegzuschnei- habt, die der jungen Generation heute nur noch in den? Wo ist diese Initiative eigentlich im Bundesrat begrenztem Maße offenstehen: sichere Arbeitsplät- und im Vermittlungsausschuß geblieben? Ich habe ze, sicheres, wachsendes Einkommen, solide soziale davon nichts mehr gehört. Sicherung und im öffentlichen Dienst diverse Zula- gen. Ich muß ehrlich sagen, daß mir manche Töne, (Daweke [CDU/CSU]: Wer regiert- denn die heute in der Debatte über den Sparbeitrag des hier?) öffentlichen Dienstes zu hören waren, angesichts Ich will ein Zweites sagen: Wir nennen es Lei- der Situation der Menschen, die nichts haben, zu stung, auch wir auf unserer Seite nennen es Lei- schrill waren. stung, wenn es auch in schlechten Zeiten Berufs- (Beifall bei der SPD und der FDP) gruppen gibt, die ohne Schwierigkeit und ganz si- Es ließen sich viele Fragen dieser Art — sie sind cher davon ausgehen können, daß sie 100 000, an uns alle, auch an mich selbst, zu richten — stellen. 150 000, 250 000 DM und mehr im Jahr ohne Pro- Ich glaube, alle Antworten, die wir darauf geben bleme verdienen, und wir nennen es gleichzeitig müßten, würden zeigen, daß wir uns in manchen Be- auch Leistung — — reichen unserer Gesellschaft immer noch einen Lu- (Daweke [CDU/CSU]: Wie Bundesminister! xus leisten, den wir uns angesichts der wachsenden Sie machen jetzt auf Neid, das steht Ihnen Bedürfnisse und Nöte der jungen Generation eigent- gar nicht gut!) lich nicht mehr leisten können. Ich meine deshalb, daß Angebote zur Diskussion an die junge Genera- — Aber selbstverständlich rede ich doch auch von tion zwar auch nötig sind, aber in keiner Weise prak- mir, verdammt nochmal, genau wie ich von Ihnen tisch helfen. Wir sind aufgefordert, der jungen Gene- rede. ration mit ihren zunehmenden Problemen Taten zu (Daweke [CDU/CSU]: Wieviel geben Sie zeigen; wir müssen ihr zeigen, daß wir bereit sind, denn auf?) praktische Solidarität zu üben. Ich will nur sagen: Gleichzeitig nennen wir es auch Ich werde mich bemühen, mit den bescheidenen Leistung, wenn bei uns im Lande eine Frau, die be- Mitteln des Einzelplans 31 auch im laufenden Jahr reit ist, jedwede Arbeit zu machen, in einer Leicht- solche Beiträge zu leisten, und ich bitte alle hier im lohngruppe trotz aller physischen und psychischen Parlament, die klarsichtig sind, diesem Einzelplan Anstrengungen auf nicht mehr als ein Zehntel die- Ihre Zustimmung zu geben. ser Jahressumme kommen kann. (Beifall bei der SPD und der FDP) (Beifall bei der SPD und der FDP) Vizepräsident Windelen: Meine Damen und Herren, Ich finde es in diesem Zusammenhang besonders weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich unsolidarisch, wenn, wie vor wenigen Monaten pas- schließe deswegen die Aussprache. siert, Funktionäre von Ärzteverbänden für den Fall von Kostendämpfungsmaßnahmen streikähnliche Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- Maßnahmen der Berufe mit den weißen Kitteln an- plan 31: Geschäftsbereich des Bundesministers für drohen. Bildung und Wissenschaft. Wer dem Einzelplan 31 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den (Zurufe von der CDU/CSU: Klassen bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Ge- kampf!) genprobe. Ich habe nicht den Eindruck, daß es an der Zeit ist, (Zurufe von der SPD) über die bittere Not von Menschen gerade in diesem Bereich zu klagen. Enthaltungen? — Der Einzelplan 31 ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ange- (Zurufe von der CDU/CSU) nommen. Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4829 Vizepräsident Windelen Wir kommen zum Tagesordnungspunkt I. 28. Ich Berichterstatter: rufe auf: Abgeordneter Kittelmann Haushaltsgesetz 1982 (Erste Beratung 69. Sitzung) — Drucksachen 9/1208, 9/1257 — Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist Berichterstatter: nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache ge- Abgeordnete Walther wünscht? — Auch das ist nicht der Fall. Hoppe Dr. Zumpfort Wir kommen zur Einzelberatung und zur Abstim- Dr. Riedl (München) mung. Ich rufe die Art. i bis 3, Einleitung und Über- Borchert schrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzu- stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei- Wortmeldungen liegen mir nicht vor. chen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich Ich rufe die §§ 1 bis 34 sowie Einleitung und Über- der Stimme? — Die aufgerufenen Vorschriften sind schrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufge- bei einigen Stimmenthaltungen angenommen. rufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den Wir treten in die bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dage- gen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die aufgeru- dritte Beratung fenen Vorschriften sind gegen die Stimmen der ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem CDU/CSU-Bundestagsfraktion angenommen. Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte Damit ist die zweite Beratung des Entwurfs eines ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaus- enthält sich seiner Stimme? — Das Gesetz ist — bei haltsplans für das Haushaltsjahr 1982 (Haushaltsge- wenigen Stimmenthaltungen — ohne Gegenstim- setz 1982) abgeschlossen. - men angenommen. Es ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt Wir kommen zu dem Zusatzpunkt zur Tagesord- auf Drucksache 9/1176 unter Nr. II die Annahme ei- nung ner Entschließung. Wer der Entschließung zuzustim- Zweite und dritte Beratung des von den Abge- men wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — ordneten Dr. Waigel, Dr. Köhler (Wolfsburg), Danke. Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Grunenberg, Ewen, Funke, Dr. von Geldern, Stimme? — Die Beschlußempfehlung des Ausschus- Kittelmann, Dr. Klejdzinski, Rapp (Göppin- ses ist damit einstimmig angenommen. gen) und Genossen eingebrachten Entwurfs Wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesord- eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes nung. zur vorläufigen Regelung des Tiefseeberg- baus Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen — Drucksache 9/1074 — Bundestages auf morgen, Freitag, den 22. Januar 1982, 9 Uhr ein. Beschlußempfehlung und Bericht des Aus schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) Die Sitzung ist geschlossen. — Drucksache 9/1176 — (Schluß der Sitzung: 19.37 Uhr)

Berichtigung

77. Sitzung, Seite 4475, Anlage 1: In die Liste der ent- schuldigten Abgeordneten ist der Name „Dr. Böh- me" und das Datum „15. 1." einzufügen.

78. Sitzung, Seite 4499 C: In Zeile 5 ist „26 770 000 000 DM" und in Zeile 8 ist „23 660 000 000 DM" zu le- sen.

Deutscher Bundestag - 9. Wahlperiode - 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Januar 1982 4831*

Anlage zum Stenographischen Bericht

Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten

Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Eimer 21. 1. Ertl 22. 1. Feinendegen 21. 1. Ganz 21. 1. Frau Huber 22. 1. Frau Krone-Appuhn 21. 1. Dr.-Ing. Laermann 22. 1. Liedtke 21. 1. Dr. Mertes (Gerolstein) 22. 1. Möllemann 22.1. Rohde 22. 1. Frau Roitzsch 22. 1. Dr. Solms 22. 1. Dr. Stark (Nürtingen) 22. 1. Graf Stauffenberg 22. 1. Walther 22. 1. Baron von Wrangel 22. 1.