Plenarprotokoll 8/35

Deutscher

Stenographischer Bericht

35. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977

Inhalt:

Erweiterung der Tagesordnung . . . . . 2629 A Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . . 2629 B wirtschaftliche Zusammenarbeit Abwicklung der Tagesordnung . . . . . 2629 B — Drucksache 8/508 — Esters SPD 2649 B Fortsetzung der zweiten Beratung des von Picard CDU/CSU 2651 A der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes über die Feststellung Gärtner FDP 2653 B des Bundeshaushaltsplans für das Haus- Frau Schlei, Bundesminister BMZ . . 2654 B haltsjahr 1977 (Haushaltsgesetz 1977) Dr. Todenhöfer CDU/CSU ...... 2658 B — Drucksachen 8/100, 8/324, 8/270, 8/474 — Dr. Holtz SPD 2661 C Beschlußempfehlungen und Berichte des Dr. Vohrer FDP 2663 D Haushaltsausschusses Dr. Köhler (Wolfsburg) CDU/CSU . 2665 B

Einzelplan 30 Frau Schuchardt FDP ...... 2667 D Geschäftsbereich des Bundesministers für Einzelplan 06 Forschung und Technologie Geschäftsbereich des Bundesministers des — Drucksache 8/511 — Innern Dr. Stavenhagen CDU/CSU 2629 D — Drucksache 8/496 — Dr. Dübber SPD 2633 C in Verbindung mit Dr. Haussmann FDP 2635 A Einzelplan 36 Dr. Hubrig CDU/CSU 2636 C Zivile Verteidigung Dr. Steger SPD 2640 C — Drucksache 8/516 — Dr.-Ing. Laermann FDP 2644 A Dr. Riedl (München) CDU/CSU . . . . 2671 A Matthöfer, Bundesminister BMFT . . . 2646 A Walther SPD 2675 A II Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977

Dr. Wendig FDP 2678 D Einzelplan 10 Dr. Dregger CDU/CSU 2682 A Geschäftsbereich des Bundesministers für Liedtke SPD 2688 A Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — Drucksache 8/500 — Dr. Dr. h. c. Maihofer, Bundesminister BMI 2691 C Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 2751 B Einzelplan 07 Simpfendörfer SPD 2754 A Geschäftsbereich des Bundesministers der Peters (Poppenbüll) FDP 2756 A Justiz Ertl, Bundesminister BML 2757 D

— Drucksache 8/497 — Dr. Friedmann CDU/CSU ...... 2698 B Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Dürr SPD 2700 A Gesetzes über die Durchführung von Stati- Dr. Eyrich CDU/CSU ...... 2702 B stiken der Bautätigkeit und die Fortschrei- bung des Gebäudebestandes Vizepräsident Stücklen ...... 2706 B — Drucksache 8/598 — 2669 D Kleinert FDP 2706 C Dr. Vogel, Bundesminister BMJ . . . 2709 C Beratung der Sammelübersicht 7 des Peti tionsausschusses über Anträge zu Petitionen Einzelplan 11 — Drucksache 8/599 — ...... 2669 D Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung Beratung der Beschlußempfehlung des In- — Drucksache 8/501 — nenausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein CDU/CSU 2713A, 2729 C Vorschlag einer Verordnung (EWG, EGKS, Grobecker SPD ...... 2717 A, 2729 C Euratom) des Rates zur Einführung der Europäischen Rechnungseinheit in das Sta- Cronenberg FDP . . . . . . . . . 2719 A tut der Beamten der Europäischen Gemein- Müller (Remscheid) CDU/CSU . . . . 2722 A schaften und die Beschäftigungsbedingun- gen für die sonstigen Bediensteten der Ge- Lutz SPD 2723 C meinschaften sowie in sonstige Verordnun- Hölscher FDP 2725 A gen des Rates für die Beamten, ehemaligen Höpfinger CDU/CSU 2725 B Beamten und die sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften Dr. Ehrenberg, Bundesminister BMA . . 2727 B - Vorschlag einer Verordnung (EWG, EGKS, Einzelplan 15 Euratom) des Rates zur Einführung der Europäischen Rechnungseinheit in die Ver- Geschäftsbereich des Bundesministers für ordnung (EWG, Euratom, EGKS) Nr. 260/68 Jugend, Familie und Gesundheit zur Festlegung der Bestimmungen und des — Drucksache 8/505 — Verfahrens für die Erhebung der Steuer zu- Glos CDU/CSU 2730 A gunsten der Europäischen Gemeinschaften Frau Simonis SPD 2733 B Vorschlag einer Verordnung (EWG, EGKS, Burger CDU/CSU 2735 A Euratom) des Rates zur entsprechenden An- Hauck SPD 2737 C passung der Berichtigungskoeffizienten, die Eimer (Fürth) FDP 2739 B auf die Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten und sonstigen Bediensteten der Kroll-Schlüter CDU/CSU 2740 C Europäischen Gemeinschaften angewandt Frau Huber, Bundesminister BMJFG . . 2741 C werden, im Anschluß an die Einführung der Europäischen Rechnungseinheit in das Sta- tut der Beamten der Europäischen Gemein- Einzelplan 31 schaften und die Beschäftigungsbedingun- Geschäftsbereich des Bundesministers für gen für die sonstigen Bediensteten dieser Bildung und Wissenschaft Gemeinschaften — Drucksache 8/512 — — Drucksachen 8/316, 8/613 —

Frau Dr. Wilms CDU/CSU 2745 B in Verbindung mit Westphal SPD 2747 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Frau Schuchardt FDP ...... 2748 C Berichts des Finanzausschusses zu der Un- Rohde, Bundesminister BMBW 2749 B terrichtung durch die Bundesregierung Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 III

Vorschlag einer Verordnung (EWG, Eura- Beratung des Antrags der Fraktionen der tom, EGKS) des Rates über die Anwendung CDU/CSU, SPD, FDP des Beschlusses vom 21. April 1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitglied- staaten durch eigene Mittel der Gemein- Wahl der Mitglieder des Rundfunkrates schaften auf die Mehrwertsteuer-Eigenmit- der Anstalt des öffentlichen Rechts „Deutsch- tel landfunk" — Drucksachen 8/428, 8/614 — 2670 A — Drucksache 8/646 — 2670 C Beratung des Antrags der Fraktionen der Nächste Sitzung CDU/CSU, SPD 2760 C

Wahl der Mitglieder des Rundfunkrates der Anstalt des öffentlichen Rechts „Deut- sche Welle" Anlage — Drucksache 8/645 — 2670 C Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 2761* A

Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2629

35. Sitzung

Bonn, den 22. Juni 1977

Beginn: 9.01 Uhr

Präsident Carstens: Meine Damen und Herren! Wir kommen nunmehr zu: Die Sitzung ist eröffnet. Einzelplan 30 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung ergänzt werden, und zwar Geschäftsbereich des Bundesministers für For- um die in der Ihnen vorliegenden Liste „Zusatz- schung und Technologie punkte zur Tagesordnung" bezeichneten Vorlagen: — Drucksache 8/511 —

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD Berichterstatter: Wahl der Mitglieder des Rundfunkrates der Anstalt des öffent- lichen Rechts "Deutsche Welle" (Drucksache 8/645) Abgeordneter Dr. Dübber Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Abgeordneter Blank Wahl der Mitglieder des Rundfunkrates der Anstalt des öffent- lichen Rechts "Deutschlandfunk" (Drucksache 8/646) Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanz- ausschusses (7. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bun- Die Berichterstatter wünschen nicht das Wort. desregierung Vorschlag einer Verordnung (EWG, Euratom, EGKS) des Rates Das Wort zur Aussprache hat Herr Abgeordneter über die Anwendung des Beschlusses vorn 21. April 1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eige- Stavenhagen. ne Mittel der Gemeinschaften auf die Mehrwertsteuer-Eigen- mittel (Drucksachen 8/428, 8/614) Berichterstatter: Abgeordneter Rapp (Göppingen) Dr. Stavenhagen (CDU/CSU) : Herr Präsident! Ich frage, ob das Haus damit einverstanden ist. — Meine Damen und Herren! Einigen SPD-Abgeord- Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist die Erweite- neten aus Schleswig-Holstein ist vor einigen Wo- rung der Tagesordnung so beschlossen. chen der Nachweis gelungen, daß der Schnelle Brü- ter nicht nur eine äußerst schwierige technische Ent- Amtliche Mitteilung ohne Verlesung wicklung ist, sondern auch ein Instrument zur Dis- Der Bundesminister für Wirtschaft hat mit Schreiben vom ziplinierung der Bundesregierung. 20. Juni 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Klein (Göttingen), Frau Dr. Walz, Schmidhuber, Dr. von Geldern, Dr. (Beifall bei der CDU/CSU — Haase [Kassel] Hupka, Klein (München), Dr. Stercken und der Fraktion der CDU/CSU betr. Gutachten der Monopolkommission zur Presse- [CDU/CSU] : Waren schon immer schlau, die konzentration (Drucksache 8/529) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/647 verteilt. in Schleswig-Holstein! — Zurufe von der SPD) Zur Fortsetzung der zweiten Beratung des Ent- wurfs eines Haushaltsgesetzes 1977 ist interfraktio- Ihre Drohung, den Forschungsetat abzulehnen, zielte nell die folgende Redezeitvereinbarung getroffen weniger auf die noch offenen Fragen auch der Finan- worden: Einzelplan 30, Geschäftsbereich des Bundes- zierung der weiteren Reaktorentwicklung, sondern ministers für Forschung und Technologie: 1 1/2 Stun- es ging vielmehr darum, daß ihnen, wie anderen den, Einzelplan 23, Geschäftsbereich des Bundesmini- Landesverbänden von SPD und FDP, die ganze Rich- sters für wirtschaftliche Zusammenarbeit: 2 1/2 Stun- tung bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie den. Ist das Haus damit einverstanden? — Es gibt nicht paßt. keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: So ist es!)

Ich rufe erneut Punkt I der Tagesordnung auf: Meine Damen und Herren, was sich in den Wo- chen danach abspielte, zeigt, daß viele in SPD und Zweite Beratung des von der Bundesregie- FDP die Politik der Bundesregierung zur friedlichen rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Nutzung der Kernenergie nicht mehr mittragen, son- über die Feststellung des Bundeshaushalts- dern nur noch zähneknirschend ertragen. plans für das Haushaltsjahr 1977 (Haushalts- gesetz 1977) Das Ergebnis des Pokers zwischen dem For- schungsminister und den Gegnern seiner Nuklear- — Drucksachen 8/100, 8/324, 8/270, 8/474 — politik war schließlich ein sogenannter Protokollver- Beschlußempfehlungen und Berichte des Haus- merk, wonach sich der Haushaltsausschuß im Herbst haltsausschusses (8. Ausschuß) mit der Frage der fortschrittlichen Reaktortechniken 2630 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Dr. Stavenhagen noch einmal ausführlich befassen solle und bis da hingewiesen, daß es völlig sinnlos ist, die Verträge hin keine bindenden Beschlüsse gefaßt werden dürf zur Vorbereitung dieses Projekts weiter zu verlän- ten. Dieser Protokollvermerk war völlig überflüssig; gern, wenn nicht endlich eine Entscheidung über den Standort der gemeinsamen Kernfusionsanlage fällt. (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Sehr richtig!) denn genau dies hat der Haushaltsausschuß bereits Wir fordern deshalb, daß sich nicht nur der For- beschlossen. Das war nichts anderes als der Ver- schungsminister, sondern auch der Bundeskanzler such, den Krach innerhalb der SPD über die Fragen, mit mehr Nachdruck für den als bestens qualifiziert die mit der Kernenergie zusammenhängen, mit viel bezeichneten Standort Garching einsetzt. Nachdem weißer Salbe zu überschmieren. die Forschungsminister bisher nicht in der Lage wa- ren, hier zu einer Einigung zu kommen, meinen wir, (Beifall bei der CDU/CSU) daß diese Entscheidung nun auf Regierungschef Die Diskussion hierüber hätte auch längst statt- ebene endlich herbeigeführt werden muß. Meine Da- finden können, wenn es dem Forschungsminister ge- men und Herren, es hat kein Mensch Verständnis lungen wäre, dem Haushaltsausschuß termingerecht dafür, wenn man ständig über die Energiekrise la- einen Bericht vorzulegen, der im vergangenen Jahr mentiert, man aber in der Europäischen Gemein- für 31. Januar dieses Jahres angefordert war, um schaft nicht in der Lage ist, nach jahrelangem Tau- genau diese Fragen erörtern zu können. Im Februar ziehen sich endlich auf einen Standort für dieses wurde es dann notwendig — weil der Forschungs- wichtige Projekt zu einigen. minister nicht liefern konnte —, die Frist auf Ende (Beifall bei der CDU/CSU — Stahl [Kem Februar zu verlängern. Bis Ende Februar konnte der pen] [SPD]: Wer stellt denn das in Frage? Forschungsminister ebenfalls nicht liefern, so daß Das können Sie doch der Regierung nicht dann schließlich der angekündigte und -geforderte anlasten!) Bericht unmittelbar vor der Beratung des Einzel- plans 30 im Haushaltsausschuß vorlag. Deshalb — Wir müssen uns fragen — es geht ja nicht nur und aus keinem anderen Grund — haben wir be- um dieses wichtige gemeinsame Projekt —, warum schlossen, daß man hierüber im Herbst noch einmal es eigentlich nicht gelungen ist, die deutsche For- in Ruhe sprechen müsse. schung auch nur an die Nähe ihres früheren Rufs wieder heranzuführen. Wir können nicht länger zu- Wir haben im Gegensatz zu anderen bewußt auf sehen, wie die Forschungsmüdigkeit sich besonders eine Sperre verzichtet. Denn bei den Beratungen im mittelständischen Bereich immer weiter ausbrei- des Einzelplans 30 wurde uns im Haushaltsausschuß tet. Während bei uns die gewerbliche Wirtschaft gesagt, daß der zuständige Titel zu 90 % für die be- etwa 3 % ihrer Wertschöpfung für Forschung aus- gonnenen Projekte gebraucht wird, also den gibt, ist dieser Betrag in Amerika über das Doppelte, SNR 300 hier in Kalkar und die anderen Projekte, nämlich 6,5 %. und daß, wenn man hier etwas sperren würde, Ver- teuerungen eintreten und es außerdem nicht auszu- Wir meinen auch — und das sagen wir ja nicht schließen sei, daß Arbeitsplätze in Gefahr gerieten. zum erstenmal —, daß Schluß gemacht werden muß - Verzettelung der Forschungsförderung auf (Beifall bei der CDU/CSU) mit der zu viele kleine Projekte ohne klare Prioritäten. Aus diesem Grunde haben wir darauf verzichtet, daß Die Regierung muß wieder den Mut zu forschungs- eine Sperre ausgebracht wird. politischen Entscheidungen aufbringen. Das Stich- wort war da Pforzheim, Herr Hauff; dazu werde ich Dennoch wurde dieser Sperrvermerk in der SPD noch etwas sagen. Unser Land hat mit Ausnahme lange Zeit als Disziplinierungsinstrument favorisiert, der Kohle keine nennenswerten Rohstoffvorkom- und der Forschungsminister war durchaus bereit, die- men. Wenn wir also unseren Lebensstandard halten sen Sperrvermerk zu akzeptieren, um seinen Etat und mehren wollen, dann ist Forschung zwingend über die Hürden zu bringen. Es bedurfte erst des notwendig. Sie ist auch für die Sicherung der Ar- Alarms besorgter Betriebsräte, als Kompromißfor- beitsplätze der Zukunft zwingend notwendig. mel zu diesem komischen Protokollvermerk zu kom- men, der deutlich macht, daß der Forschungsmini- (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der ster seinen Entscheidungsspielraum inzwischen in SPD) Schleswig-Holstein abgeliefert hat. Was nützt die beste Bildungspolitik, wenn wir für (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der diejenigen, die wir ausbilden, hinterher keine Auf- SPD: Sie wissen, daß das, was Sie jetzt sa gabe anbieten können, die ihrer Ausbildung gerecht gen, nicht stimmt!) wird! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion würde es sehr Dem Forschungsminister fällt für die Forschungs- begrüßen, wenn diese Kollegen in den nächsten politik dieses Landes eine zentrale Rolle zu. Einmal Tagen dem Forschungsminister etwas Zeit geben ist es so, daß über 50 % der gesamten Mittel, die würden, sich mit seinen eigentlichen Aufgaben zu für Forschung aufgewendet werden, vorn Staat gege- beschäftigen. ben werden. Von den Mitteln, die der Bund ausgibt, werden 80 % aus dem Forschungsministerium gege- (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Sehr schön!) ben. Der Etat hat ein Volumen von 4,2 Milliarden Bis Ende dieses Monats laufen nämlich die Verträge DM. Die Forschungspolitik wäre also eine ganz wich- für die Wissenschaftler aus, die an der Vorbereitung tige und politisch zentrale Aufgabe. Aber wie unser des gemeinsamen europäischen Kernfusionsprojekts früherer Kollege Professor Lohmar in seiner vernich- JET arbeiten. Diese Wissenschaftler haben darauf tenden Kritik an der Forschungspolitik der Bundes- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2631 Dr. Stavenhagen regierung im „Bild der Wissenschaft" gesagt hat, Die Gewerkschaft Nahrung, Genuß und Gaststät- ist die Forschungspolitik zum Randgebiet der deut- ten hat im vergangenen Jahr ihre Vertrauensleute schen Innenpolitik geworden. über ihre tarifpolitische Tätigkeit informiert. In die- ser Broschüre geht es um bezahlte Pausen und Nicht nur im politischen, auch im administrativen Schichtfreizeit. Der Forschungsminister sah hier Bereich ist die Arbeit des Forschungsministers unbe- einen unmittelbaren Zusammenhang mit seinem For- friedigend geblieben. schungsvorhaben zur Humanisierung der Arbeits- (Zuruf von der SPD: Das ist die Paderborner welt und hat das deshalb aus diesem Etat gefördert. Perspektive!) Der Bundesverband der Bürgerinitiativen Umwelt- schutz erhielt 62 000 DM für eine Arbeit über poli- Es vergeht kein Jahr, in dem nicht der Bundesrech- tische, strukturelle und ökonomische Möglichkeiten nungshof in seinen „Bemerkungen", auf deutsch: der Einführung energiesparender Maßnahmen im den Beanstandungen an der Haushaltsführung, dem Forschungsminister ein ausführliches Kapitel wid- Haushaltsbereich, obwohl ein Gutachter feststellte, met. Das war auch bei den letzten Bemerkungen zum daß der Arbeitsbericht in gleicher Zeit von einem Etat 1975 wieder so. Dort wird die Förderpraxis bei kompetenten Universitätsassistenten mit Hilfskraft der Datenverarbeitung kritisiert. Wörtlich heißt es hätte erstellt werden können. — ich darf zitieren —: (Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Löffler [SPD] sowie weitere Zurufe Ein langfristig angelegtes sowohl fachlich wie von der SPD) gesamtpolitisch durchschaubares und durch sorg- fältige Marktanalysen abgesichertes Konzept Ein Glühlampenhersteller, zu dessen normalem fehlt. Geschäftsbetrieb es gehört, Glühlampen zu ent- wickeln, auch neue Glühlampen zu entwickeln, er- Wir erwarten deshalb von der Bundesregierung, hielt 1,6 Millionen DM für eben diese Tätigkeit. Ein daß sie, bevor hier für die 80er Jahre bindende Ent- Küchengerätehersteller erhielt 1 Million zur För- scheidungen getroffen werden, die gesamte Förde- derung der Entwicklung eines neuen Kühlschranks, rung der Datenverarbeitung einer nüchternen Ana- der energiesparend sei. Ich meine, auch dies gehört lyse unterzieht, ohne Schönfärberei, ohne weiße zum laufenden Geschäftsbetrieb. Salbe, und daß dann festgelegt wird, wie die Förde- Meine Damen und Herren, dies alles paßt nicht in rung in Zukunft weitergehen soll. Wir haben näm- die immer wieder beteuerte Philosophie des For- lich erhebliche Zweifel daran, daß es mit der bisheri- gen Förderpraxis gelingt, die Stabilisierung der schungsministeriums, daß man Geld nur dann gebe, Marktstellung deutscher Unternehmen zu sichern wenn die Interessen der Allgemeinheit berührt und ihre Unabhängigkeit von staatlichen Zuwen- seien, wenn hohe Entwicklungsrisiken betroffen dungen in den 80er Jahren herbeizuführen. Eine seien und die technologische Neuheit dies erfordere. Alternative kann hier nur sein, daß man sich auf Hier wird einfach nach allen möglichen, nur nicht neuartige Anwendungsmöglichkeiten und damit ver- - nach sinnvollen und rationalen Gesichtspunkten bundene neue technologische Anforderungen be- Geld ausgeschüttet. schränkt. (Stahl [Kempen] [SPD]: Das ist ja eine ganz (Stahl [Kempen] [SPD] : Sie haben den Haus böse Unterstellung!) halt wohl nicht richtig gelesen? Dann wür Meine Damen und Herren, für diejenigen, die zur den Sie feststellen, daß das alles drinsteht!) geschlossenen Gesellschaft der Zuwendungsempfän- ger gehören, wird Forschung und Entwicklung ein Es wäre übrigens wünschenswert, wenn der Bun- beinahe risikoloses Geschäft, während andere, die desminister für Forschung und Technologie auch auf zukunftsorientierte Projekte anzubieten haben, vor die Kritik und die Anfragen des Bundesrechnungs- der Tür bleiben, weil sie sich in der zunehmenden hofes reagieren würde und nicht erst wegen des Verflechtung Reagierens vom Rechnungshof angemahnt werden muß. (Zuruf von der SPD: Nennen Sie ein Bei spiel!) Meine Damen und Herren, es scheint überhaupt ein Stilelement auch des Forschungsministeriums zu zwischen Bürokratie, Gutachtern und Unternehmen sein, mit dem Geld des Steuerzahlers schlampig um- nicht zurechtfinden. zugehen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Leider wahr!) So war es am Jahresende 1976 wie in vorangegan- Präsident Carstens: Herr Abgeordneter, gestatten genen Jahren wiederum Praxis, daß sich Referenten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stahl? — des Hauses telefonisch bei Zuwendungsempfängern Bitte schön. erkundigt haben, ob nicht vor Jahresende noch etwas Geld abgerufen werden könne, damit man Stahl (Kempen) (SPD) : Herr Kollege Stavenhagen, nicht im nächsten Jahr in die Haushaltsberatung würden Sie dem Hause mitteilen, welches Projekt, gehen und sagen muß, man habe zu großzügig ge- das so zukunftweisend ist, wie Sie es soeben darge- plant. stellt haben, nicht gefördert wurde? (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Matthöfers (Zuruf von der CDU/CSU: Er hat es nicht Tohuwabohu! — Zuruf von der SPD) verstanden! — Zurufe von der SPD) 2632 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977

Dr. Stavenhagen (CDU/CSU) : Herr Kollege, ich Matthöfer. Diejenigen, denen das nicht paßt, gehen komme gleich auf ein schönes Beispiel, auf das mich leer aus und kommen nicht zum Zuge. der Forschungsminister in der vergangenen Woche (Beifall bei der CDU/CSU) extra hingewiesen hat, nämlich die Uhrenindustrie. Dort werde ich Ihnen das in einigen Beispielen kurz Dieses Beispiel Uhrenindustrie zeigt, wie es eben erläutern dürfen. Ich komme sofort dazu, wenn Sie kleine Branchen und mittelständische Betriebe mir das gestatten. außerordentlich schwer haben, sich in dem Dickicht der Forschungsbürokratie zurechtzufinden. Deswe- Meine Damen und Herren, das Ergebnis dieser gen ist unsere Forderung: Abbau der bürokratischen dargestellten Tatsachen schlägt sich auch in den Zah- Hemmnisse, und nicht nur davon reden, verbesserte len nieder. 80 % der Fördermittel fließen an 15 Fir- Information über Fördermöglichkeiten und eine mengruppen, und für kleinere und mittlere Betriebe schnellere Weitergabe von Forschungserkenntnis- bleiben ganze 6 % übrig. sen. (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) Die entscheidende Hilfe für den Mittelstand wird Zwar wurde in der Regierungserklärung des Bun- man nur dann erreichen, wenn man die indirekte deskanzlers vom 16. Dezember 1976 ein Programm Forschungsförderung wesentlich verstärkt. angekündigt, gerade die kleinen und mittleren Be- triebe in die Technologieförderung einzubeziehen. Herr Abgeordneter, gestatten Geschehen ist aber bisher noch nichts, was hier Präsident Carstens: Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Löffler? einen wirklichen Beitrag leisten würde. Im Gegen- — Bitte schön. teil, die Betriebe, mit denen wir uns unterhalten, sa- gen, daß die Anträge allzulange über den Tisch hin- und hergeschoben werden und daß sie von den Löffler (SPD) : Herr Kollege Stavenhagen, würden Sachverständigen zu oft unter den Tisch gebügelt Sie bitte mal dem Hause erklären, wie das Ministe- werden. rium seiner verstärkten Informationspflicht nachkom- (Stahl [Kempen] [SPD] : Dann müssen Sie men soll — ich unterstreiche das, was Sie gesagt ha- erst dafür sorgen, daß im Haushaltsaus ben —, wenn Ihre Fraktion die Mittel für Informatio- schuß die Förderungsbestimmungen abge nen kürzen will? ändert werden und dem Fachausschuß mehr (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Nur für Par Mitsprache eingeräumt wird!) teiwerbung!) — Ich komme gerade dazu, Herr Stahl. (CDU/CSU) : Herr Kollege, Sie Der Forschungsminister hat in der vergangenen Dr. Stavenhagen wissen genau, was aus diesem Titel gefördert wird: Woche — er meinte wohl, dies sei ein besonders Nicht die Information für mittelständische Unterneh- gutes Beispiel — mich aufgefordert, einmal darzu- men, wie man an der Forschung partizipiert, sondern stellen, wie das mit der Uhrenindustrie gegangen schöne Broschüren mit den Bildchen des Ministers, sei. Die Uhrenindustrie ist in Probleme gekommen, und die Propaganda, die dann auf Ihre Mühle flie- weil die Entwicklung von der Mechanik zur Elektro- - ßen soll. nik in einem derart rasanten Tempo vonstatten ging, daß die kleineren und mittleren Betriebe die For- (Beifall bei der CDU/CSU — Stahl [Kem schungsaufwendungen, die hier notwendig waren, pen] [SPD] : Das stimmt doch nicht, Herr nicht leisten konnten. Stavenhagen!) (Dr. Steger [SPD] : Die haben vielleicht auch Wir brauchen, wenn hier wirklich der mittelstän- gepennt!) dischen Wirtschaft geholfen werden soll, eine Ver- — Ich weiß nicht, ob die gepennt haben. Ich weiß stärkung der indirekten Förderung, d. h. steuerliche nicht, ob das eine fürchterlich passende Bemerkung Erleichterungen für Forschungsvorhaben, Zulagen zu hierzu ist, wenn man sieht, wie dort gearbeitet den Personalkosten, Verbesserung der Abschrei- wird. bungsmöglichkeiten und Zulagen zu Forschungsin- vestitionen. In den letzten zehn Jahren hat sich das (Beifall bei der CDU/CSU) Verhältnis von direkter Förderung — also durch Der Forschungsminister hat dann Fördermaßnah- direkte Zuwendungen — zu indirekter Förderung men ergriffen, hat aber zunächst denen einmal ein von 1 : 2 auf 1 : 20 zu Lasten der indirekten Förde- sogenanntes Konzept der Kooperation verkündet. rung verschlechtert. Dieses Konzept der Kooperation ist im wesentlichen (Dr. Steger [SPD] : Sehr gut!) von der IG Metall ausformuliert worden, geht aber an den besonderen Marktgegebenheiten dieser — Das halten Sie für sehr gut! Diese Situation ist Branche vollkommen vorbei. auch im internationalen Vergleich völlig untragbar. In den USA, in Japan und Frankreich z. B. wird ge- Um diesem Kooperationskonzept Nachdruck zu rade im Bereich der indirekten Förderung mit gu- verleihen, macht der Forschungsminister das auf fol- tem Erfolg wesentlich mehr gemacht. gende Weise. Diejenigen, die kooperationswillig sind, werden von einer Rückzahlung im Erfolgsfalle (Zuruf von der SPD: Na, na!) befreit. Diejenigen, die nicht kooperationswillig In Zahlen sieht das so aus: Für die indirekte Förde- sind, müssen die Forschungszuwendungen nach einer rung sind bei uns im vergangenen Jahr rund 85 Mil- gewissen Zeit zurückzahlen. Das ist das Winken mit lionen DM aufgewendet worden, an direkter Pro- dem goldenen Zügel, das ist Strukturpolitik à la jektförderung 1,7 Milliarden. Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2633 Dr. Stavenhagen Wenn es aber darum geht, Innovationen voranzu- den Forschungszentren in Zukunft die Chance gibt, treiben und langfristig Arbeitsplätze zu sichern, ist ruhig und vernünftig im Interesse unseres Landes hier dringend eine Umorientierung der Forschungs- zu arbeiten. politik notwendig. Denn die Industrie ist gewohnt, rasch zu reagieren, während staatliche Forschungs- programme, wie wir ja alle immer wieder sehen, Präsident Carstens: Herr Abgeordneter, im In- wenn sie erst einmal laufen, kaum in der Lage sind, teresse der planmäßigen Abwicklung der Debatte ihre Richtung zu ändern. bitte ich Sie, sich an die vereinbarte Redezeit zu halten. (Zuruf von der SPD: Wir erwarten in den nächsten vier Wochen Ihr ausgewogenes Konzept!) Dr. Stavenhagen (CDU/CSU) : Ja. — Eine freiheit- liche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verlangt Zum andern ist bei einer Verstärkung der indirek- marktkonforme Instrumente, langfristig angelegte ten Förderung nicht mehr erforderlich, daß die Be- Konzepte und die Erkenntnis, daß nicht alles plan- triebe, um einer Rückzahlung zu entgehen, die Bi- bar ist. Der Staat sollte den Gang der Forschung lanzen frisieren und Verluste vorzeigen, damit sie begleiten, aber nicht bürokratisch gängeln und ad- in Bonn nicht zur Kasse gebeten werden. ministrieren. Einen Nachteil hat dies allerdings. Der Bundesmi- Wir lehnen den Einzelplan 30 deshalb ab. nister für Forschung und Technologie verliert sein Lieblingsspielzeug, nämlich mit der direkten For- (Beifall bei der CDU/CSU — Stahl [Kem schungsförderung Investitionslenkung zu betreiben, pen] [SPD] : Nach dem, was Sie heute vor und er kann nicht mehr wie im vorigen Bundestags- getragen haben, sind wir gespannt, was für wahlkampf in den Firmen als guter Onkel aus Ame- ein Konzept Sie vorlegen!) rika herumspazieren, um dort zu sagen, was er alles getan hat. Präsident Carstens: Das Wort hat der Herr Abge- (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Steger ordnete Dr. Dübber. [SPD] : Herr Matthöfer kommt aus dem Ruhrgebiet! — Stahl [Kempen] [SPD]: Das Dr. Dübber (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen ist schon mehr als bösartig!) und Herren! Sie alle kennen die öffentlichen Erör- Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Verbesserung terungen über die Fragen der Kernenergie, die in diesen Monaten in unserem Land stattfinden. Was der Information über das, was erforscht, und über deren Einsatz zur Gewinnung von Elektrizität be- das, was erfahren ist. Hier ist es notwendig, daß die interessierten Kreise, gerade die Verbände der In- deutet, so ist das hier vor einer Woche bei der dustrie, mithelfen, daß Projekte auf privatwirtschaft- Energiedebatte behandelt worden. Deshalb kann ich licher Basis vorangetrieben werden, und allen Wün- mich auf die Besprechung einiger haushaltsmäßiger schen nach zentralen öffentlichen Einrichtungen eine - Auswirkungen beschränken. klare Absage erteilen. Auch hier muß die Privatini- Eines der Argumente, mit denen wir in diesem tiative obenan stehen. Zusammenhang stets konfrontiert werden, ist die Frage nach der ausgewoaenen Verteiluna der Mittel Aus dem Einzelplan 30 werden auch die zwölf auf die Forschungsprojekte für die einzelnen künf- gefördert — mit 16 000 Mit- Großforschungszentren tigen Energieträger. Ein sicher nicht unwichtiger arbeitern und über 4 000 Wissenschaftlern sowie Einwand lautet, die Regierung konzentriere sich ein- einem Mittelbedarf von mehr als 1,5 Milliarden DM seitig auf die Kernenergie und vernachlässige an- ein auch gesamtwirtschaftlich ganz wichtiger Brocken. dere mögliche Technologien. Ein Schwerpunkt ist die Grundlagenforschung, der Dieses Argument ist nicht richtig. Dazu möchte rund 20 °/o dieser Mittel zufließen. Dieser Bereich ich ein paar Worte sagen. Gerade dieser uns vor- verdient besondere Beachtung, wenn wir uns klar- liegende Einzelplan weist eine erhebliche Steigerung machen, daß wir heute unseren Export im wesent- im Bereich der nichtnuklearen Forschung auf. lichen auf Verfahrenstechniken aufbauen, die zum Teil viele Jahre alt sind und teilweise sogar aus (Sehr richtig! bei der SPD) Zeiten vor dem Krieg stammen. Wenn man sich vor Die Steigerung in diesem Bereich liegt bei 40 %. Augen hält, wie lang die Zeit von einer Erfindung Sie liegt damit ersichtlich um ein Mehrfaches höher bis zu ihrer Markteinführung ist, dann wird einem als die Steigerungsrate des Gesamthaushaltes. Man deutlich, wie wichtig die Grundlagenforschung ist. kann es aber auch anders herum ausdrücken: noch im Jahre 1973 betrugen die Ausgaben für den Dies zwingt aber dazu, daß man den Zentren eine nuklearen Bereich mehr als das 45fache der „nicht- Phase der Verstetigung gönnt und daß man die nuklearen" Ausgaben. Im diesjährigen Haushalt Zentren nicht dauernd in neue Unruhe stürzt. Die sind sie nur noch etwa dreimal so groß. Mitarbeiter dort beklagen, daß Sand im Getriebe ist, die Inflation der Beratergremien ihre Arbeit er- Als Schwerpunkte in diesem Bereich lassen sich schwert und daß die Globalsteuerung entgegen der folgende nennen: 1. die rationelle Energieverwen- Behauptung des Ministeriums nicht funktioniert, son- dung, 2. die Kohletechnologie, 3. die neuen Energie- dern daß in die Zentren bis in Kleinigkeiten hinein quellen. regiert wird. So können sie nicht arbeiten. Der For- Wenn man davon ausgeht, daß etwa 50 % unseres schungsminister sollte darüber nachdenken, wie er Energieverbrauchs in die Wärmeenergie geht, dann 2634 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Dr. Dübber kann man leicht erkennen, wie wichtig die Erfor- energie stellen zu müssen. Es gehört Mut dazu, sich schung rationeller Energieverwendung ist. Hierzu unter aufgeregte Leute zu begeben, die emotional lauten die Stichworte: Bau von Kraftwerken für aufgeheizt, aber manchmal auch aufgehetzt sind. Der Strom und Heizwärme zugleich, Wärmepumpen und Minister Matthöfer hat diesen Mut bewiesen, und Heizungssysteme, Senkung des Energieverbrauchs dafür, meine ich, gebührt ihm unser Dank. in Gebäuden und schließlich die rationelle Energie- verwertung auch in der Industrie. (Beifall bei der SPD und der FDP) Kurzfristig geht es dabei um die Verbesserung der Darum gerade ist es notwendig, seinen Etat mit Umweltfreundlichkeit von Steinkohlekraftwerken. den nötigen Mitteln auszustatten, die ihn in die Hierbei spielt das Programm „Zukunftsinvestitio- Lage versetzen, die Bevölkerung in Wort und Schrift nen", über das wir im Verlauf dieser Haushaltsbe- aufzuklären, mit Bürgerinitiativen zu reden sowie ratung zu entscheiden hatten, eine bedeutende Rolle. Multiplikatoren und Interessierte nach Bonn ein- Denn aus dem 16-Milliarden-Programm gehen ge- zuladen. Kein Mensch wird bestreiten können, daß rade in diesen Bereich der Energieforschung erheb- ein so unendlich kompliziertes Gebiet wie die Kern- liche Mittel. energie allen Beteiligten und Interessierten nur mit viel Geduld und Aufwand an Zeit und auch an Ma- Ferner kommen dazu die Technologien zur Erzeu- terial verständlich gemacht werden kann. Dies ist gung gasförmiger und flüssiger Produkte aus Kohle. ein weiterer Grund, warum wir dem Antrag der Die Kohletechnologie ist bekanntlich in besonderem Opposition nicht zustimmen können. Maße in Deutschland vorangetrieben worden. Fast alle namhaften verwertbaren Verfahren zur Kohle- Nun komme ich zu dem, was Herr Kollege Staven- vergasung und Kohleverflüssigung tragen deutsche hagen als Schauergeschichte über die Abgeordneten Namen. Hier ist aus den bekannten Gründen des gesagt hat, die angeblich über den Einzelplan 30 die stärkeren Auftretens des Erdöls vor zwei Jahrzehn- Regierung stürzen wollten. Das ist ein Zeitungsbe- ten ein Stopp in der Entwicklung eingetreten. Jetzt richt gewesen, genauer gesagt ein Bericht im „Spie- gilt es, daran wieder anzuschließen und in dieser gel". Wenn man alles das dementieren würde, was Entwicklung fortzufahren. montags darin steht, könnte man dafür ein eigenes Bei den neuen Energiequellen ist besonders die Bulletin unterhalten. Sonnenenergie zu nennen. In breit angelegten Un- Ich mache es in Anbetracht der fortgeschrittenen tersuchungen ist nachgewiesen worden, daß auch in Zeit kurz und komme auch nicht in die Versuchung, unseren Breiten die Sonnenenergie einen Beitrag hier Ausschußberatungen zu wiederholen, obwohl zur Deckung des Energiebedarfs leisten kann. Es ich dafür präpariert bin. Ich könnte hier einiges aus gibt bereits mehrere Aggregate auf dem Markt. Dies dem Forschungsausschuß wie aus dem Haushalts- ist in Anbetracht der kurzen Zeit, die zur Verfügung ausschuß allein aus den letzten Wochen vorlesen, stand, schon ein meßbarer Erfolg. Daneben wird woraus sich ergibt, daß auf allen Seiten des Hauses auch untersucht, welchen Beitrag die Windenergie Probleme gesehen werden. und die Erdwärme für die Deckung des Energiebe- - darfs leisten können. Die Beiträge dieser Energie- Die Technologie der Schnellen Brüter stellt doch quellen wird man aber erst sicher beurteilen kön- eine Energiequelle dar, die, wenn ich mich so um- nen, wenn weitere technische Fortschritte erzielt sehe, wirtschaftlich wahrscheinlich erst dann einge- worden sind. setzt werden kann, wenn die meisten der in diesem Ich kann zusammenfassen, daß diese Regierung Saal Anwesenden schon längst nicht mehr aktiv poli- und die sie tragenden Parteien die öffentliche Dis- tisch oder beruflich tätig sind, nämlich nach dem kussion, die wir in unserem Lande an vielen Orten Jahre 2000. Dies ist eine Angelegenheit, die auf zu verzeichnen haben und die sich um Energiepro- weite Sicht hin betrieben wird und die es wirklich bleme dreht, sehr ernst nehmen. Wir haben auch verdient, daß sich die Parlamentarier damit ein- Verständnis für Unruhe und Sorge, die hier und dort gehend befassen und nicht im Galoppverfahren dar- wegen der weithin unbekannten Technologien auf- über entscheiden, wie wir das in diesem Jahr not- treten. Wir weichen dieser Debatte nicht aus, vor gedrungen während der nur dreimonatigen Haus- allem aber: wir überlassen die Debatte auch nicht haltsberatung machen mußten. So hat es von den den Demagogen. verschiedensten Kollegen Bedenken, Fragen und Ein- (Beifall bei der SPD) wände gegeben. Ich erspare mir, sie hier vorzulesen. Herr Stavenhagen hat gesagt, er habe bewußt auf In diesem Zusammenhang ein Wort zu dem An- eine Sperre im Haushaltsausschuß verzichtet. Dies trag der Opposition — Herr Kollege Löffler hat es ist richtig. Auf die Sperre verzichtet hat er aller- bereits durch eine Zwischenfrage angedeutet — zur dings erst sehr spät. Jetzt lese ich doch die eine Kürzung der Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit. Stelle aus dem Protokoll des Haushaltsausschusses Ich meine, daß gerade dies ein Augenblick ist, auf vor, in dem es heißt: die Schizophrenie hinzuweisen, die hinter solchen Anträgen steckt. Denn zu den Häusern, bei denen Der Mitberichterstatter die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit gekürzt werden — das war Herr Stavenhagen — sollen, gehört auch das Forschungsministerium. Nun wird wohl niemand hier im Saale sein, der in die- will die Diskussion über diesen Problemkreis sen Wochen den Bundesforschungsminister darum gründlich führen und beantragt, die Mehraus beneidet, sich permanent den Gegnern der Kern- gaben gegenüber 1976 so lange zu sperren, so- Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2635

Dr. Dübber lange in der Diskussion der Eindruck nicht aus- Zu hier angesprochenen Diskussion um den geräumt ist, daß die Verlagerung zum Schnellen Schnellen Brutreaktor erlaube ich mir, nur anzumer- Brüter Tatsache ist. ken, daß von meiner Fraktion bereits 1975 bei der (Hört! Hört! bei der SPD) Vorbereitung des Haushaltsstrukturgesetzes Skep- sis über die vorgesehenen Förderungsmittel für den Daraufhin ist ihm bedeutet worden, und zwar in Schnellen Brutreaktor geäußert wurde. Mein Kolle- sachlicher Form - ich sehe gar nicht ein, warum ge Laermann hat das schon damals sehr deutlich ge- wir hieraus eine parteipolitische Hackerei machen sagt. Ich bin mit ihm der Meinung, daß in der Tat müssen —, daß dies mit hoher Sicherheit große Aus- genügend Zeit besteht, um eine ausführliche Diskus- wirkungen auf Arbeitsplätze haben würde, auf mut- sion über den Schnellen Brutreaktor und seinen maßlich 8 000 Arbeitsplätze. Daraufhin hat der Haus- Brennstoffkreislauf zu führen. Wir haben also aus- haltsausschuß einvernehmlich gesagt, dies sei eine reichend Möglichkeit, nach alternativen Lösungen, Angelegenheit, die er zusammen mit dem Fachaus- wie sie auch der amerikanische Präsident vorge- schuß nach Ende der Sommerpause in aller Ausführ- schlagen hat, zu suchen. Meine Fraktion würde es lichkeit und in aller Ruhe besprechen wolle. sehr begrüßen, wenn wir zu einer intensiven und Dies ist eine Lösung, die es nicht verdient, daß ausführlichen Diskussion im Haushaltsausschuß und man ihr billige Polemiken anhängt. Wir sind es in den Fachausschüssen über diese Fragen kommen nun wirklich unseren Wählern schuldig, derart kom- könnten. plizierte und groß angelegte Projekte sorgfältig zu (Leicht [CDU/CSU] : Was hat denn der Haus behandeln. Ich kann für die Fraktion der Sozial- haltsausschuß damit zu tun?) demokraten erklären — damit schließe ich —, daß wir dem Haushalt des Bundesforschungsministers Dazu laden wir auch die Opposition sehr herzlich zustimmen. ein. (Beifall bei der FDP und der SPD) (Beifall bei der SPD und der FDP) Meine Fraktion erkennt ausdrücklich die beson- dere Leistung der Bundesregierung an, daß neben Präsident Carstens: Das Wort hat der Herr Abge- ordnete Dr. Haussmann. den — fast möchte ich sagen — klassischen Berei- chen der Forschungsförderung wie Energie, insbe- sondere Kernenergie, Datenverarbeitung, Luft- und (FDP) : Herr Präsident! Meine Da- Dr. Haussmann Weltraumforschung neue, auf die drängenden ge- men und Herren! Heute vor genau einem Jahr fand sellschaftspolitischen Probleme zugeschnittene Be- die große Debatte zur Forschungspolitik statt. Es ist reiche in die Forschungspolitik aufgenommen wer- gut, zu wissen, daß die damals abgegebene Erklä- den konnten. Entsprechend den Aussagen in der Re- rung meines Kollegen Professor Laermann heute gierungserklärung, die Forschungsprogramme wie für meine Fraktion unvermindert Gültigkeit hat. Humanisierung der Arbeit, Technologien für die Be- Lassen Sie mich daher vor diesem Hintergrund zum wältigung der Probleme der Kommunen und Ge- Einzelplan 30 Stellung nehmen. - sundheitsforschung mit Nachdruck zu verfolgen und Auch der Forschungsetat 1977 ist durch steigende solchen Vorhaben Vorrang einzuräumen, die zu all- Anforderungen der großen Forschungsprojekte ge- gemeinen nutzbringenden technischen Neuerungen prägt, denen eine direkte Subventionierung zuteil führen und damit die dringend notwendigen Arbeits- wird. Hieraus resultiert natürlich eine gewisse plätze der Zukunft ermöglichen, enthält der For- Schwierigkeit, neue und für wichtig erkannte schungshaushalt deutlich wachsende Ausgaben in Schwerpunkte der Forschungspolitik angemessen einigen ausgewählten Projektbereichen, insbeson- auszustatten. In erster Linie ist dabei an die nuklea- dere auch nach der Einarbeitung des Programms für re gegenüber der nichtnuklearen Energieforschung Zukunftsinvestitionen. Das begrüßen wir. zu denken. In der Energiedebatte der vergangenen (Beifall bei der FDP und der SPD) Woche ist für meine Fraktion schon sehr deutlich der Wunsch nach stärkerer Betonung der nicht- Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß es not- nuklearen Energieforschung ausgesprochen worden. wendig ist, finanziellen Spielraum für diese auf die Ich meine, mit dem Bundesminister für Forschung drängenden gesellschaftlichen Bedürfnisse zuge- und Technologie einig zu sein, wenn für die schnittenen neuen Bereiche zu gewinnen. Das kann nukleare Energieforschung und -entwicklung ein bei einem sich insgesamt kaum ausweitenden Etat stärkeres Engagement der betroffenen Wirtschaft nur zu Lasten anderer großer Projekte, die in der für die Zukunft gefordert wird. Grundsätzlich müs- direkten Förderung sind, geschehen. Wenn wir aber sen lange von der öffentlichen Hand geförderte zusammen mit der Bundesregierung diese Spielräu- Spitzentechnologien in die Obhut und Pflege der me tatsächlich ausgeschöpft haben, dann müssen wir subventionierten Wirtschaft übergeben werden. Das auch der großen, Bedeutung der Forschungs- und gilt nun auch für die großen Förderungsbereiche der Technologiepolitik für die langfristige Entwicklung Nuklearforschung wie die fortgeschrittenen Reak- einer hochindustrialisierten Gesellschaft haushalts- torlinien, die Uranversorgung und die Urananrei- politisch Rechnung tragen. cherung sowie die Brennelemententwicklung und (Stahl [Kempen] [SPD]: Sehr richtig!) Entsorgung. Natürlich kann dies kein abrupter Pro- zeß sein, aber wir sollten im Haushaltsausschuß zu- Für meine Fraktion möchte ich ausdrücklich be- sammen mit der Bundesregierung prüfen, ob die grüßen, daß die beteiligten Bundesressorts mit den öffentliche Finanzierung der Reaktorentwicklung Beratungen über die Ausfüllung der Regierungser- auf den Iststand festzuschreiben wäre. klärung begonnen haben, nämlich der darin ange- 2636 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Dr. Haussmann sprochenen Vorlage eines Gesamtkonzeptes für die Präsident Carstens: Das Wort hat Herr Abgeord- Forschungs- und Technologiepolitik für kleine und neter Dr. Hubrig, mittlere Unternehmen. (Dr. Freiherr Spies von Büllesheim [CDU/ Dr. Hubrig (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr CSU] : Zu spät! Das hätte früher passieren verehrten Damen! Meine Herren! Herr Minister müssen!) Matthöfer, gestatten Sie mir, bevor ich zum Haus- halt Ihres Ministeriums Stellung nehme, noch ein- Unserer Ansicht nach muß dabei ein ganzer Katalog mal auf Ihre hier in der vorigen Woche im Rahmen möglicher Förderungsinstrumente geprüft werden, die sowohl direkt als auch indirekt greifen können. der Energiedebatte gehaltene Rede zurückzukom- Das reicht von der Erhöhung der Zulage für For- men und insbesondere auf unseren Beitrag zur schungsinvestitionen über Sonderabschreibungen, Energiepolitik, der unserem Antrag zugrunde lag. über steuerliche Erleichterungen bei Forschungsauf- (Stahl [Kempen] [SPD]: Sie haben doch gar trägen an Dritte, über den Abbau bürokratischer keine Konzeption!) Hemmnisse, über verbesserte Beratung bis zur Um es höflich zu sagen, Herr Minister: Ihre Stel- schnelleren Weitergabe von Forschungserkenntnis- lungnahme war unter Ihrer Würde oder, besser ge- sen. sagt, unter Ihrem Niveau. (Dr. Freiherr Spies von Büllesheim [CDU/ CSU] : Mit weniger Bürokratie!) (Dr. Steger [SPD]: Er hat wenigstens eines!) Wir erwarten, daß dieses Gesamtkonzept möglichst Ihre Feststellung, das Papier, der Antrag der CDU/ bald vorgelegt wird. CSU-Fraktion zur Energiepolitik könnte aus Ihrem Hause stammen, möchten wir festgehalten wissen. Die Finanzplanung für die nächsten Jahre zeigt Herr Minister, ich bin sicher: Die Stunde der Wahr- uns sehr deutlich, daß der institutionelle Bereich der heit kommt, spätestens im Herbst, wenn unser An- Forschungsplanung, d. h. die Forschungseinrichtun- trag im Rahmen der Debatte über die Fortschreibung gen und Forschungsförderungsorganisationen, kei- des Energieprogramms der Bundesregierung zur Ab- nen steigenden Anteil aus dem Forschungshaushalt, stimmung kommt. wie in der Vergangenheit, werden bekommen kön- nen, was auf Grund des kurzfristigen Übergangs aus (Stahl [Kempen] [SPD]: Er hat gesagt: ei einer Phase des schnellen Wachstums in die jetzige nige Teile!) Phase mit nur noch geringeren Steigerungsraten eine Wir werden dann sehr genau registrieren, Herr Mi- Reihe sehr schwieriger Probleme für diese Institu- nister, ob Sie sich zu dieser Ihrer Feststellung, d. h. tionen aufwirft. zu den Grundsätzen unserer Energiepolitik, beken- Die internationalen Beiträge, die aus dem For- nen und ob insbesondere die beiden Koalitionsfrak- schungshaushalt jährlich geleistet werden, betragen tionen geschlossen hinter diesen Positionen stehen, annähernd 600 Millionen DM und sind in den letzten die ja, Jahren immer noch deutlich gestiegen. Der Haupt- (Dr. Steger [SPD] : Sie haben doch über posten dabei ist die Weltraumforschung, die mittler- - haupt keine energiepolitischen Vorstellun weile überwiegend über die europäische Weltraum- gen!) organisation finanziert wird. Hierbei stellt sich das wenn auch in unserem Papier formuliert, nach Ihrer sehr schwierige Problem, daß über die Verwendung Auffassung aus Ihrem Hause stammen könnten. der Mittel und über die Aufnahme neuer Projekte natürlich nur übereinstimmend mit den anderen Re- (Stahl [Kempen] [SPD] : Kommen Sie doch gierungen der Mitgliedsländer entschieden werden einmal zur Sache, Herr Hubrig!) kann. Es kann dabei zu finanziellen Mehrbelastun- Ich bin heute schon sicher, Herr Minister Matthöfer, gen kommen, auch in Zeiten, in denen der nationale daß Sie uns eines nicht so fernen Tages für die Mit- Haushalt nur geringe Steigerungsraten aufweist. arbeit dankbar sein werden, die wir durch die Vor- Insgesamt würden wir daher empfehlen, eine bei lage dieses Papiers auf dem sehr schwierigen Gebiet dieser Gesamtsumme in etwa gleichbleibende Be- der Energiepolitik und der Energiesicherung für die lastung auch für die nächsten Jahre vorzusehen und, Bundesrepublik Deutschland geleistet haben. Herr wenn immer möglich, keine neuen Mehrkosten zu Minister, Sie sollten an dieser Vorlage erkennen, akzeptieren. Es muß nämlich auch dafür Sorge ge- daß wir als Opposition auf dem Gebiet der For- tragen werden, daß die jeweiligen internationalen schung und Technologie zur konstruktiven Mitarbeit Programme durch angemessene nationale For- bereit sind. schungsbemühungen unterstützt werden können. (Stahl [Kempen] [SPD] : Aber nur mit dem (Lenzer [CDU/CSU] : Ein ganz wichtiger Mund! — Dr. Steger [SPD] : Dazu werde ich Punkt!) gleich noch etwas sagen!) Namens der FDP-Fraktion erkläre ich daher hier, Wir sind aber nicht bereit, uns von Ihnen immer daß die Bundesregierung die Bedeutung und den wieder vor vollendete Tatsachen stellen zu lassen, Stellenwert der Forschungs- und Technologieförde- denen wir dann nolens volens — so jedenfalls sicher rung für unsere gesellschaftliche Entwicklung er- Ihre Aufassung — zustimmen müssen. kannt hat. Namens der FDP stimmen wir dem Ein- Bei unserer Kritik an Ihrer Politik geht es nicht zelplan 30 zu. um Ihre Person, sondern um die nach unserer Mei- (Beifall bei der FDP und der SPD) nung notwendigen Korrekturen, Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2637 Dr. Hubrig Forschung, Entwicklung und Innovation sind ent- Klima durchaus vernünftig ist. Aber deshalb frage scheidend für die Konkurrenzfähigkeit unserer Wirt- ich Sie, warum denn Sie und Ihre Kollegen hier im schaft. Die Sicherung der Arbeitsplätze der Zukunft Plenum die Sache so darstellen, als wenn nun alles, hängt entscheidend davon ab, was wir heute für For- was die Regierung tut, verkehrt wäre und Sie alles schung und Innovation tun. besser wüßten, obwohl Ihre Alternativen nicht vor- handen sind. (Dr. Steger [SPD] : Das haben wir schon lange gemerkt!) (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU) Die Versäumnisse der letzten Jahre, die von der Bundesregierung mitbewirkt wurden, lassen keine optimistischen Erwartungen aufkommen. Dr. Hubrig (CDU/CSU) : Herr Stahl, so sehr erha- ben oder — ich will ein anderes Wort gebrauchen -- so arrogant sind wir sicher nicht. Präsident Carstens: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stahl? (Stahl [Kempen] [SPD] : Aber das tun Sie doch!) Dr. Hubrig (CDU/CSU) : Gerne. Ich habe eben gesagt: An den Versäumnissen der Vergangenheit hat die Bundesregierung mitgewirkt, Stahl (Kempen) (SPD) : Herr Hubrig, wenn Sie ich betone: m i t gewirkt. hier der Bundesregierung Versäumnisse in den (Stahl [Kempen] [SPD] : Aber dann nennen letzten Jahren vorwerfen, dann darf ich Sie fragen, Sie doch einmal Fakten!) zu welchem Zeitpunkt und speziell zu welchem Bereich der Forschung Sie als Opposition Anträge — Ich komme darauf. gestellt haben, die Mittelansätze im Haushalt zu Seit 1973 haben wir einen realen Rückgang der verbessern, und wann Sie als Opposition eigentlich Forschungsausgaben festzustellen. gedenken, das von Ihnen hier laufend erwähnte neue Förderungsprogramm Ihrer Fraktion zur For- Präsident Carstens: Gestatten Sie eine weitere schungsförderung der deutschen Offentlichkeit und Zwischenfrage des Abgeordneten Pfeffermann? — uns nun wirklich vorzustellen? Bitte. (Beifall bei der SPD und der FDP) Pfeffermann (CDU/CSU) : Herr Kollege Hubrig, Dr. Hubrig (CDU/CSU) : Herr Stahl, ich bin in der würden Sie mit mir darin übereinstimmen, daß wir letzten Legislaturperiode nicht hier gewesen. Ich uns natürlich mit Herrn Stahl und der gesamten weiß aber aus dem Studium der Vorlagen, daß die SPD-Fraktion in der Öffentlichkeit wesentlich leich- Opposition in Anträgen und auch Vorlagen immer ter auseinandersetzen könnten, wenn ihr Handeln wieder Vorschläge zur Verbesserung der For- in der Offentlichkeit ihren Einlassungen im Aus- schungs- und Energiepolitik eingebracht hat. schuß auch nur annähernd entsprechen würde? (Dr. Steger [SPD] : Einen Grießbrei habt ihr (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von eingebracht! — Haase [Kassel] [CDU/CSU] : der SPD) Der Stahl war doch selbst dabei! Er hat doch dagegen gesprochen! — Pfeffermann Dr. Hubrig (CDU/CSU) : Jawohl, Herr Kollege [CDU/CSU] [zur SPD]: Ihr Gedächtnis ist Pfeffermann, ich stimme nicht nur zu, sondern möch- so kurz, daß Sie das schon vergessen te das noch unterstreichen. haben! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU und Gegenrufe von der SPD) Seit 1973 haben wir einen realen Rückgang der Forschungsausgaben sowohl im staatlichen Bereich — Herr Stahl, Sie selbst sind doch, wenn ich es wie auch in der Wirtschaft festzustellen. Betrüblich recht sehe, auch Mitglied des Ausschusses für For- ist vor allem, daß die eigenfinanzierte Forschung in schung und Technologie. Sie müssen doch in dem der Wirtschaft rückläufig ist. Mit Recht verweisen Ausschuß auch selbst festgestellt haben, daß wir die verschiedensten Gutachten, die die Bundesregie- dort unsere Zeichen für eine konstruktive Mitarbeit rung anfertigen ließ, einhellig auf diesen Sachver- gegeben haben. halt. So fordert der Sachverständigenrat in seinem letzten Gutachten eine verstärkte Forschungsförde- Präsident Carstens: Gestatten Sie noch eine Zwi- rung der Wirtschaft. Diesem Urteil schloß sich auch schenfrage des Abgeordneten Stahl? die Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel an. Dr. Hubrig (CDU/CSU) : Wenn es auf meine Zeit (Stahl [Kempen] [SPD] : Und dem haben wir nicht angerechnet wird, sonst bitte nicht mehr. auch Rechnung getragen! Das wissen Sie doch!) Präsident Carstens: Wir verlängern Ihre Redezeit Mein Kollege Stavenhagen hat in seiner Rede auf entsprechend, Herr Abgeordneter. — Bitte! diese Gutachten aufmerksam gemacht. Die Stagna- tion der Forschungsausgaben in der Bundesrepublik Stahl (Kempen) (SPD) : Herr Kollege Hubrig, die Deutschland führt dazu, daß eine Vielzahl hervor- konstruktive Mitarbeit im Ausschuß will ich Ihnen ragend ausgebildeter Wissenschaftler keinen Ar- nicht absprechen; im Gegenteil, ich glaube, daß das beitsplatz finden, weil vor allem für Naturwissen- 2638 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Dr. Hubrig schaftler die forschungsintensiven Industriezweige An anderer Stelle heißt es: für eine erste Anstellung zunehmend nicht mehr in Die Form der staatlichen Dauersubventionen Frage kommen. kommt hinsichtlich der Mentalität der Beteilig- Im Gegensatz zur Entwicklung bei uns in der Bun- ten und im Hinblick auf die Machtverteilung desrepublik Deutschland werden in den westlichen einer schleichenden Sozialisierung nahe. Industrieländern, insbesondere in den USA und in Japan — unseren Hauptkonkurrenzländern —, seit (Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Stahl dem letzten Jahr die Forschungsausgaben real er- [Kempen] [SPD]: Das ist ja nun wirklich höht. Auch in den nächsten Jahren ist nach Umfra- ganz neu!) gen vor allem in der Wirtschaft mit steigenden For- Dazu habe ich nichts weiter zu sagen. schungsausgaben in diesen Ländern zu rechnen. Im Gegensatz dazu sind in der Bundesrepublik Deutsch- Die von mir aufgezeigte Stagnation der For- land die Aussichten für die Weiterführung von For- schungstätigkeit, die Gefährdung der Arbeitsplätze schung und Entwicklung betrüblich. Mit zunehmen- der Zukunft und die augenscheinliche Arbeitslosig- den Forschungsaufwendungen kann nach dem ge- keit von Wissenschaftlern verlangen einen größeren genwärtigen Stand der Dinge nicht gerechnet wer- Einsatz, als Minister Matthöfer bisher gezeigt hat. den. Lassen Sie mich speziell zu den Praktiken des In Anbetracht dieser Lage müssen wir auch den Forschungsministeriums bei der Verteilung von For- Forschungsetat von Herrn Minister Matthöfer kri- schungsgeldern in Ergänzung zu den Anmerkungen tisch durchleuchten. Mit 4,2 Milliarden DM hat der meines Kollegen Dr. Stavenhagen einiges sagen. Minister einen Anteil von 20 % an den Forschungs- Die Forschungsbürokratie gehört zu den wesentlich- ausgaben in der Bundesrepublik Deutschland. Die sten Merkmalen der gegenwärtigen Verwaltung des Bedeutung des Forschungsministeriums liegt aber Forschungsministeriums. Es ist kein Wunder, daß vor allem darin, daß es 80 % der Forschungsgelder die Fehlleitung von Forschungsgeldern zu der Haupt- der Bundesregierung für die Industrieforschung ver- beschäftigung im Forschungsministerium gehört. waltet. (Zurufe von der SPD) (Stahl [Kempen] [SPD]: Das ist aber mehr Herr Minister Matthöfer konzentriert sich auf die als bösartig, Herr Hubrig! — Weitere Zu Verteilung der Gelder, die ihm der Bundestag zur rufe von der SPD) Verfügung stellt. Die allgemeine Lage der Forschung Das Forschungsministerium hat sich in den letzten und Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland Jahren neben seinen 500 Beschäftigten im Ministe- scheint ihn nicht zu interessieren. rium eine eigene Forschungsverwaltung in Form In dieser Position des Ministers als eines Vertei- von Projektträgern und Projektbegleitern zugelegt. lers, eines Zuteilers und sicher manchmal auch eines Hier sind zirka 640 Personen mit der Verwaltung Gönners liegt meiner Meinung nach das eigentliche von Forschungsgeldern beauftragt. politische Problem. (Dr. Steger [SPD] : Und soeben haben Sie (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der - die Arbeitslosigkeit beklagt! Was soll das SPD: Ach du Schreck!) denn?) Ich möchte in diesem Zusammenhang auf das Mit- Nach Angaben des Ministeriums werden von den wirkungsdefizit des Parlaments aufmerksam machen. Projektträgern 2 500 Einzelvorhaben mit einem För- Die CDU/CSU-Fraktion wird hier zu gegebener Zeit dervolumen von 800 Millionen DM betreut, d. h., aktiv werden, um dieses Defizit der Mitwirkung zu jeder Forschungsverwalter bei Projektträgern be- verringern. treut vier Projekte. (Stahl [Kempen] [SPD] : Wir hoffen nur, daß wir da nicht auf den Sankt-Nimmerleins Tag warten müssen!) Präsident Carstens: Gestatten Sie eine Zwischen- frage des Abgeordneten Löffler? Durch das Übergewicht der direkten Forschungs- förderung werden Wettbewerb und Offenheit ge- fährdet, bestimmt aber marktwirtschaftliche Grund- Dr. Hubrig (CDU/CSU) : Gerne. sätze verletzt. Professor Ulrich Lohmar, der schon einmal zitiert wurde, unser ehemaliger Kollege aus Löffler (SPD) : Herr Kollege Dr. Hubrig, wären Sie der SPD-Fraktion, Vorsitzender des Ausschusses für bereit, Ihre pauschale Verurteilung von Beamten, Forschung und Technologie in der 7. Legislatur- die ihre Pflicht erfüllen, zurückzunehmen? periode, hat diesen Tatbestand wie folgt dargestellt — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsi- (Beifall bei der SPD und der FDP — Pfeffer denten —: mann [CDU/CSU] : Zuhören!) Die eigentliche Entscheidungsbefugnis über die Verwendung öffentlicher Mittel in der For- Dr. Hubrig (CDU/CSU) : Ich habe keine pauschale schungspolitik hat sich mehr und mehr vom Par- Verurteilung von Beamten vorgenommen, lament weg auf das Forschungsministerium und (Zurufe von der SPD) die großen Wissenschaftsorganisationen (Deut- sche Forschungsgemeinschaft, Max-Planck-Ge- ich habe nur gesagt, daß sich die Aktivitäten des sellschaft) verlagert. Ministers weitgehend hierin erschöpfen. Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2639

Präsident Carstens: Wollen Sie noch eine Zwi- 1 100 Gutachter, die das Ministerium beraten, wei- schenfrage des Herrn Abgeordneten Stahl zulassen, tere ungezählte Gutachter bei Projektleitern und Herr Abgeordneter? Projektträgern sowie den Forschungszentren, Bera- ter mit Beraterverträgen bei den Forschungseinrich- Dr. Hubrig (CDU/CSU) : Gerne, Herr Stahl. tungen und eine Flut von Gutachten und Studien im Auftrag des Forschungsministers. Allein im Jahre 1975 wurden Aufträge in Höhe von 94 Millionen DM Präsident Carstens: Bitte schön, Herr Abgeordne- vergeben. ter Stahl. Für mittlere Unternehmen oder Einzelpersonen ist es schwierig, die ihnen zustehenden Forschungsbe- Stahl (Kempen) (SPD) : Herr Kollege Hubrig, wol- richte aus staatlich geförderten Projekten zu erhal- len Sie abstreiten, daß im Ausschuß für Forschung ten. Trotz aller Ankündigungen des Forschungsmi- und Technologie alle Fraktionen gemeinsam die nisters ist es bis heute nicht gelungen, ein Dienst- Meinung vertreten haben, daß man das Bundes- leistungszentrum für die Verbreitung der For- forschungsministerium personell verstärken müsse, schungsergebnisse aus staatlich geförderten For- weil der Arbeitsanfall in letzter Zeit wesentlich grö- schungsprojekten zu errichten. Die CDU/CSU for- ßer geworden ist? Wenn wir Einzelprojekte ver- dert, daß diese Pläne endlich realisiert werden. stärkt fördern wollen, was Ihrem Wunsch entgegen-, kommt, dann ist mehr Personal notwendig. Sie ha- (Dr. Steger [SPD] : Endlich einmal eine For ben dies doch mitgetragen. derung von Ihnen!) (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Aber nicht Die Forschungsbürokratie, die ich im einzelnen bei der Werbeabteilung!) charakterisiert habe, führt zu den Mißständen, die auch von meinem Kollegen Dr. Stavenhagen im ein- zelnen an Hand von Fallbeispielen aufgezählt wor- Dr. Hubrig (CDU/CSU) : Herr Stahl, ich komme in den sind. Die Ambitionen des Forschungsministers, meinem nächsten Satz darauf zu sprechen. Das ist sich als Industrieförderer zu betätigen, führen zu dem Ministerium selbst in einem Gutachten be- einem immer größeren, wie wir meinen, Forschungs- scheinigt worden. chaos, d. h. zu einem immer unübersichtlicheren Ich habe festgestellt, daß 2 500 Einzelvorhaben Programm. mit einem Auftragsvolumen von 800 Millionen DM (Zurufe von der SPD) betreut werden und daß auf jeden Forschungsver- Bei der Förderung der Wirtschaft, die seit 1975 walter bei Projektträgern vier Projekte entfallen. Zuwendungen von 1,47 Milliarden DM kostete, muß Hier zeigt sich deutlich, daß eine Überbesetzung der man zwischen technologischen Großprojekten und Forschungsbürokratie vorhanden ist. Nach einem einer Vielzahl anderer Projekte unterscheiden. Gutachten, Herr Stahl, das das Ministerium von Kennzeichnend für die Entwicklung auf der Basis einer amerikanischen Unternehmensberatungsge- -von 1975 sind folgende Zahlen. Insgesamt wurden sellschaft anfertigen ließ, kann ein Forschungsmana- 479 Unternehmen und Einzelpersonen mit 1,47 Mil- ger mindestens 20 bis 30 Einzelvorhaben verwalten liarden DM Zuwendungen gefördert. Es handelt sich im Gegensatz zu vier Einzelvorhaben, wie es bisher um 2 183 Projekte. Auf 83 Empfänger von Förder- der Fall ist. geldern des Forschungsministers entfielen 93,6 % (Stahl [Kempen] [SPD] : Sie sind doch kein der Förderungsbeträge. Die restlichen 6 % der För- ABC-Schütze, daß Sie einfach Zahlen nen derungsbeträge — so wird mit einem riesigen Pro- nen können! Es kommt auf die Größe und pagandaaufwand dann behauptet — seien entschei- den Umfang des Projektes an!) dend für die Förderung der mittelständischen Wirt- — Herr Stahl, Sie brauchen mich wirklich nicht zu schaft. Der Herr Kollege Stavenhagen hat darauf belehren; ich verstehe etwas vom Management. schon hingewiesen, so daß ich nicht noch einmal im einzelnen darauf eingehen möchte. Aber erst nach (Stahl [Kempen] [SPD] : Das ist aber witzig, einem Jahr in der Regel hat man eine Antwort dar- was Sie da erzählen! — Zuruf von der SPD: auf, ob der Antrag genehmigt ist oder nicht. Das Arme Unternehmer in Deutschland!) normale mittelständische Unternehmen erfährt ganz Die Bürokratisierung der Forschungsverwaltung neue Erlebnisse im Umgang mit der Forschungs- wird auch dadurch ersichtlich, daß die Forschungs- bürokratie im Forschungsministerium, bei den Pro- vorhaben des Ministeriums 1977 zwar 4,2 Milliarden jektträgern und Projektbegleitern. Zumindest ent- DM betragen, in Preisen zu 1969 höchstens 2,4 Mil- stehen erhebliche Spesen durch die vielen Reisen liarden DM, dieser realen Steigerung der For- und Gespräche und den Formularkrieg. Das gegen- schungsaufgaben seit 1969 im Ministerium von 15 % wärtige Förderungsverfahren führt dazu, daß die aber eine reale Steigerung der Zahl der Beschäftig- Fördergelder nicht nach Leistung, sondern nach der ten von 250 % gegenübersteht. Geschicklichkeit des Antragstellers, die Hürden des Antragsverfahrens zu überwinden, verteilt werden. Neben dieser überbürokratischen Forschungsver- waltung, die ihren Ausdruck auch darin findet, daß (Anhaltende Zurufe von der SPD) Antragsteller Berge von Formularen bearbeiten müs- Die Gelder werden oft nach dem „Windhund-Ver- sen, um überhaupt eine sachgerechte Prüfung ihrer fahren" verteilt, besser gesagt: „Wer zuerst kommt, Anträge zu erreichen, gibt es noch weitere Symp- mahlt zuerst." Diese ganze Praxis verstößt gegen die tome. Ich möchte hier noch im einzelnen erwähnen: Prinzipien unserer Sozialen Marktwirtschaft. 2640 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Dr. Hubrig Ich will dies an einem ungewöhnlichen Vorgang sowie der Respekt vor ihren Leistungen gelitten, noch einmal beleuchten. Empfängern von Fördergel- meine Damen und Herren. dern im Bereich der Datenverarbeitung wurden so- (Beifall bei der CDU/CSU) genannte Rahmenverträge angeboten; sie wurden ihnen aufgezwungen. Es wurde ihnen mitgeteilt: Diese Entwicklung ist nicht ohne Auswirkung auf Entweder unterschreiben Sie den Vertrag oder Sie die öffentliche Diskussion über die Stellung von erhalten keine Fördergelder mehr. Wissenschaft und Technik in unserer Zeit geblie- ben. Die negativen Folgen spüren wir alle in diesen (Zurufe von der SPD) Wochen und Tagen. Daraufhin unterschrieben die Firmen den Vertrag, Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind nur die Gegenzeichnung durch den Forschungsmini- bereit, unseren Beitrag zu leisten, um der For- ster blieb aus; vielmehr schrieb .der Minister einen schungspolitik den ihr gebührenden Rang zu sichern. Brief an 'die betroffenen Firmen, in dem er sie auf- forderte, detaillierteste Betriebsgeheimnisse mitzu- (Beifall bei der CDU/CSU — Stahl [Kem teilen, ansonsten sehe er sich außerstande, die För- pen] [SPD] : Das war sehr schlecht, Herr derung der beantragten Projekte zu gestatten. Ich Hubrig!) halte diesen Vorgang für nicht vertretbar und auch für symptomatisch. Präsident Carstens: Das Wort hat der Herr Abge- (Zuruf von der CDU/CSU: Skandalös ist ordnete Dr. Steger. das! — Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD) Dr. Steger (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen Die Ambitionen von Herrn Minister Matthöfer als und Herren! Die beiden Redner von der CDU, Herr Industrieminister sind uns bekannt. Auch Wirt- Stavenhagen und Herr Hubrig, haben heute morgen schaftsminister Dr. Friderichs dürften sie nicht ver- alles andere als einen Beitrag zur Kostendämpfung borgen bleiben. Die durchaus guten Beziehungen im Gesundheitswesen geliefert; denn bei dem, was von Minister Matthöfer zur Großindustrie sind nur Sie hier so schief geschildert haben, kriegte man ein Symptom für die speziellen Ambitionen von Mi- Zahnschmerzen. nister Matthöfer im industriepolitischen Bereich. (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Sie müssen mal Nach unserer Auffassung, meine Damen und Her- zum Psychotherapeuten, nicht zum Zahn ren, ist es hohe Zeit für eine Überprüfung der ge- arzt!) samten Forschungspolitik. — Nein, nein, nicht zum Psychotherapeuten! (Beifall bei der CDU/CSU) Politisch sensiblere Gemüter werden bei der Vor- Forschungspolitik ist die Schlüsselpolitik für die Zu- stellung, daß Sie einmal in der Regierung Verant- kunftssicherung nicht nur unserer Energieversor- wortung für die Forschungs- und Technologiepolitik gung, tragen, etwas zur Beruhigung der Magennerven (Zurufe von der SPD) - brauchen. (Beifall bei der SPD) sondern sie ist auch Schlüsselpolitik für die Siche- rung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft Herr Stavenhagen, es ist doch wohl ein Irrtum, zu auf dem Weltmarkt. Wenn ich es richtig verstanden glauben, man könnte im Kasernenhofton eines preu- habe, sind alle Fraktionen dieses Hohen Hauses und ßischen Leutnants der Wilhelminischen Zeit techno- die Bundesregierung der Auffassung, daß wir die- logische Entwicklungen kommandieren. Ich will hier sen Wettbewerb nur bestehen werden, wenn der auch gar nicht — — Anteil hochwertiger Technologien an unserem Ex- (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Das müssen port ständig steigt. Sie mal Ihrem Kanzler erzählen! Der träumt (Stahl [Kempen] [SPD] : Da sind wir uns Tag und Nacht von Wilhelm! — Dr. Riedl einig!) [München] [CDU/CSU] : Der Oberfeldwebel bei Ihnen heißt doch !) Forschungspolitik dient aber auch der Sicherung der Arbeitsplätze von morgen -- für den Wissenschaft — Der Herr Schmidt ist erheblich mehr als ein Ober- ler gilt das ebenso wie für unsere Arbeitnehmer — feldwebel. Er versteht nämlich was von Strategie — im Gegensatz zu Ihrem Oppositionsführer. Das wol- (Zurufe von der SPD) len wir mal festhalten. und hat damit eine gewichtige soziale Dimension. (Beifall bei der SPD) Lange Zeit stand die Forschungspolitik im Wind- Herr Stavenhagen, ich will auch gar nicht darüber schatten anderer politischer Entscheidungen. rechten, daß Sie hier die angeblich investitionslen- (Stahl [Kempen] [SPD] : Das stimmt nicht! kende Forschungsförderung diffamieren, aber in — Weiterer Widerspruch von der SPD) Ihrem eigenen Wahlkreis so tun, als wenn Sie jedes einzelne Projekt für die Firmen dem Forschungsmi- Daran sind die Parlamente in Bund und Ländern und nister persönlich aus der Nase gezogen hätten. die Parteien nicht ganz schuldlos. Darunter hat auch die Verbindung, das Verhältnis zu den Männern (Beifall bei der SPD) und Frauen in den Forschungsbereichen der Wissen- Hier muß doch einmal klar gefragt werden: Was schaft, der Wirtschaft und in den Forschungszentren wollen Sie denn? Wollen Sie, daß wir in Ihrem Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2641 Dr. Steger Wahlkreis diese Projekte, mit denen Sie sich in der — Sie sind doch nur neidisch auf unsere Wahlergeb- Presse immer so brüsten, wieder zurücknehmen? Sie nisse. Das ist doch alles. müßten das wollen, wenn Sie das, was Sie hier ge- sagt haben, ernst meinten. (Lachen bei der CDU/CSU — Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Schnell zum Psychotherapeu ten!) Präsident Carstens: Gestatten Sie eine Zwischen- Aber kommen wir hier einmal zur Sache! Ich frage des Abgeordneten Stavenhagen? möchte an zwei Beispielen aufzeigen, zu welchen Verrenkungen die Opposition fähig ist, Dr. Steger (SPD) : Ja. Ich möchte aber darauf auf- (Zuruf von der CDU/CSU: Hoffentlich ge merksam machen, daß ich es, obwohl ich Berliner lingt es Ihnen!) bin und gerne streite, angesichts der Zeit bei einer Zwischenfrage belassen möchte. Verrenkungen — Herr Stavenhagen hat es hier wie- der vorgeführt; ich will das gleich einmal am Bei- (Zurufe von der CDU/CSU) spiel des Schnellen Brüters zeigen —, wogegen die Bitte schön. Laokoon-Gruppe fast als die Darstellung einer ein- fachen Turnübung erscheinen muß. Sie sagen auf der einen Seite, der Bundesminister verzettele sich, Dr. Stavenhagen (CDU/CSU) : Herr Kollege, ist es setze keine Prioritäten, und dann kommen Sie auf Ihnen entgangen, daß ich mich mit der Praxis ausein- der anderen Seite an und sagen: Jetzt kommt die in- andergesetzt habe, die Kooperationswilligen zu be- direkte Forschungsförderung. Das ist unsere Wun- lohnen, indem man auf Rückzahlung verzichtet, und derwaffe gegen die technologischen Probleme unse- die anderen zu bestrafen, indem man Rückzahlung rer Zeit. fordert? Das war mein Punkt. Da muß ich Ihnen aber eines sagen: Es gibt doch keine größere Subventionsgießkanne als diese in- Dr. Steger (SPD) : Nein, Herr Stavenhagen, das direkte Investitionsförderung, die Sie sich vorstel- war Ihr Punkt nicht. Ihr Punkt war, ob Sie wollen, len; denn da ergießt sich ein warmer Steuerregen daß Steuergelder, die wir in die Forschungs- und über Gerechte und Ungerechte gleichermaßen. Wenn Technologiepolitik stecken, kontrolliert werden oder Sie beklagen, daß die kleinen und mittleren Unter- nicht. Sie wollen das offenbar nicht, aber für uns ist nehmen zu kurz kämen — was nicht richtig ist; aber eines klar: Wenn wir Steuergelder geben — ich sage ich gehe davon aus, daß der Minister dazu noch im gleich noch etwas dazu —, dann kann das doch nur einzelnen etwas sagen wird —, dann müßten Sie mit entsprechenden Kontrollen und Auflagen erfol- doch für die Initiativen der SPD zur Innovationsför- gen. Sonst würden wir der Verantwortung gegen- derung bei kleinen und mittleren Unternehmen sein. über dem Bürger, der für dieses Steuergeld hart arbeiten muß, nicht gerecht. - (Zuruf von der CDU/CSU — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Der trägt sein Gesamt (Beifall bei der SPD) konzept vor! Da verträgt er keine Zwischen frage!) Wenn der Minister das in dieser hervorragenden Weise tut, — Wir haben wenigstens ein Konzept. Das ist der (Lachen bei der CDU/CSU) Unterschied, der die Fraktionen hier im Hause trennt. dann sollte man ihm dafür dankbar sein und ihm (Pfeffermann [CDU/CSU] : Sie ersetzen Fach nicht noch ans Bein pinkeln. kenntnis durch akademische Bildung!) (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Der wird schon ganz rot vor soviel Diesen Widerspruch hat die Opposition nicht auf- Lob!) gelöst. Auf der einen Seite beklagt sie Verzettelung, auf der anderen Seite will sie mit der großen Gieß- — Ja, wissen Sie, der kommt ja auch aus dem Ruhr- kanne über das Land gehen. Was soll denn dieser gebiet. Vorwurf der Verzettelung? Sie wissen doch genau, Forschungsprojekte sind Projekte, die mit einer gro- ßen Ungewißheit und einem hohen Risiko behaftet Präsident Carstens: Herr Abgeordneter, der von Ihnen zuletzt gebrauchte Ausdruck ist erst nach sind. Daher ist es doch nur richtig, wenn man ver- Rückfrage von dem Präsidenten verstanden worden. sucht, zumindest anfangs die Sache breit anzulegen, Er entspricht nicht den diplomatischen und parla- damit man nicht auf Alternativen setzt, die sich hin- mentarischen Gepflogenheiten. terher als falsch erweisen. Weil diese breite Anlage erfolgen muß, entwickelt ja der Bundesforschungs- minister auch ein gezieltes Innovationsförderpro- Dr. Steger (SPD) : Herr Präsident, als neugewähl- gramm für kleinere und mittlere Unternehmen, weil ter Volksvertreter aus dem Ruhrgebiet bitte ich um wir wissen — das sollten Sie ja nun langsam auch Entschuldigung, daß ich diese Gepflogenheiten des gemerkt haben —, daß es hier gar nicht so sehr Hauses noch nicht so kenne. eine Sache des Geldes ist, sondern daß es Manage- (Zuruf von der CDU/CSU: Aus dem Berliner mentprobleme gerade in den kleinen und mittleren Ruhrgebiet ist der Junge!) Unternehmen sind, die verhindern, daß gemachte Er- 2642 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Dr. Steger findungen auch als Innovationen tatsächlich am auch den Vorstellungen mancher Herren im For- Markt durchgesetzt werden. schungsministerium der Hochtemperaturreaktor und der Sch (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU] : Ein indu nelle Brüter gleichrangig zu fördern sind und beide Reaktorlinien zur Marktreife gebracht strieerfahrener Mann, der da redet!) werden müssen. — Schauen Sie doch mal im Handbuch nach. Was soll das mit dem Industrieerfahrenen! Ich habe mehr Im Februar 1977 gab es einen von allen Parteien Jahre auf der Rentenversicherungskarte stehen als getragenen Antrag an das BMFT, eine Pro- und Ihr Chef in der Fraktion. Kontra-Argumentation zu den fortgeschrittenen Reaktorlinien vorzulegen, um im Spätsommer er- (Lachen bei der CDU/CSU — Pfeffermann neut fundiert über die weitere Entwicklung im Lichte [CDU/CSU] : Was war das jetzt? Wollen Sie neuer Probleme und Erfahrungen zu entscheiden. So nicht eine Erläuterung zu dem Witz geben?) war der Punkt. Uns, den Koalitionsfraktionen, kam — Nein, nein. Ich wollte nur sagen, wir haben es dabei vor allen Dingen darauf an, eine Beteili- Theorie u n d Praxis, das unterscheidet uns von der gung der Parlamente an diesen strategischen Ent- CDU/CSU. scheidungen sicherzustellen. Denn wir sind ja die- jenigen, die letztlich in der Öffentlichkeit dafür ge- (Pfeffermann [CDU/CSU]: Wollen Sie in radezustehen haben. Frührente gehen?) — Nein, ich bin kein Frührentner. 16. März: ein weiterer einstimmiger Beschluß. Dem Haushaltsausschuß wurde empfohlen, 22 Mil- (Pfeffermann [CDU/CSU] : Geistig bestimmt! lionen DM bei der Brüterentwicklung zu kürzen und — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) diese für nichtnukleare Forschung und für die Reak- Wir haben die notwendigen praktischen Erfahrun- torsicherheitsforschung einzusetzen. gen, die wir in die Politik einbringen. Wir reden (Dr. Probst [CDU/CSU] : Damit sich die ein nicht immer nur so daher, wie Ihr Oppositionsfüh- mal Gedanken machen müssen!) rer es tut. Das wollte ich damit sagen. Der Haushaltsausschuß — das wissen Sie, Herr Das ist der eine Punkt, wo sich die Opposition in Probst — hat zu unserem allgemeinen Bedauern unlösbare Widersprüche verheddert, daß sie nämlich abgelehnt. Herr Dübber hat vorhin die Gründe im im Gegensatz zu uns kein Konzept zur Forschungs- einzelnen dargelegt. und Technologiepolitik insgesamt hat, insbesondere zu der Beschleunigung von Innovation und ihrer Am 25. Mai gab die Bundesregierung im Aus- Durchsetzung am Markt. schuß für Forschung und Technologie einen ersten Bericht zur Pro- und Kontra-Argumentation der bei- Der zweite Punkt. Herr Stavenhagen hat hier den fortgeschrittenen Reaktorlinien. Nach einer etwas von den fortgeschrittenen Reaktorlinien er- sachlichen Diskussion sind dann zwei Dinge be- zählt. Herr Dübber hat ja schon einiges aus dem schlossen worden, das erste noch einstimmig, daß Haushaltsausschuß dazu berichtet. Ich will hier nicht ein zusätzlicher Fragenkatalog an das BMFT ge- über Ihr merkwürdiges Demokratieverständnis rech- - stellt werden solle. Davon hat der Kollege Riesen- ten, das ja offensichtlich darauf hinausläuft, daß Sie huber, der ja sicherlich von Ihnen der qualifizier- jede parlamentarische Initiative, die von uns kommt, teste Kollege auf diesem Gebiet ist, Gebrauch ge- gleich in eine Generalattacke auf die Bundesregie- macht. rung ummünzen. (Stahl [Kempen] [SPD] : Und der Herr Spies (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Aha!) von Büllesheim auch!) Ich frage Sie: Was hat denn dieses Parlament für Dann kam mit fast zehntägiger Verspätung, sozu- Funktionen, wenn es nicht auch bestimmte Dinge sagen mit Zeitzündung, die Oppositionsfraktion auf vorantreiben muß? Das ist keine Attacke auf die die Idee, daß sich in dieser Frage vielleicht doch Regierung, sondern im Gegenteil, aus diesem Zu- etwas an Sprengstoff in den Koalitionsfraktionen sammenspiel von Regierung und Parlament ergibt entwickeln könnte. sich erst eine sachlich fundierte Politik. Deswegen ist dieses hier doch völlig verkehrt. Sie suchen doch (Dr. Freiherr Spies von Büllesheim [CDU/ jetzt wieder nur einen Vorwand, wo Sie dieser CSU]: Haben die Zeitungen geschrieben!) Koalition in irgendeiner Weise am Zeug flicken — Ja, aber ich habe doch eben etwas zu diesem können. Damit verlassen Sie Positionen, die Sie merkwürdigen Demokratieverständnis gesagt, wo- jahrelang sachlich mitgetragen haben. Herr Lenzer, hin wir kommen, wenn jede Parlamentsinitiative Ihnen wird das Lachen gleich noch vergehen. zum Generalangriff auf die Regierung umfunktio- (Dr. Dübber [SPD] : Das haben wir an der niert wird. Steuergeschichte gesehen! — Zuruf des (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Zu Abg. Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]) ruf von der CDU/CSU: Ach so!) — Warten Sie ab. Ich zitiere erst einmal, was in die- Ich schließe mich da voll der Auffassung von Herrn ser Frage im zuständigen Ausschuß gelaufen ist. Wehner an, daß wir keine Puppenkompanie sind, Da gab es in der vergangenen Legislaturperiode und das sollte für Sie als Opposition in allererster eine übereinstimmende Meinung zwischen allen Linie gelten. Fraktionen, daß — entgegen den Vorstellungen vie- (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Das betraf ler Energieversorgungsunternehmen und vielleicht doch Ihre Fraktion! Der hat das doch im Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2643

Dr. Steger Hinblick auf ihre Fraktion gesagt! — Abg. und des Bundeskanzlers sowie des Bundeswirt- Dr. Probst [CDU/CSU] meldet sich zu einer schaftsministers den Stopp von Kernkraftwerken be- Zwischenfrage) schlossen hat, oder meinen sie nicht eher, daß das Ihr internes Problem sei, das Sie dadurch überspie- Präsident Carstens: Herr Abgeordneter, gestatten len, daß Sie mit einem haushaltstechnischen Trick, Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. nämlich einer Sperrung, dem Haushalt des Ministers Probst? über die Bühne helfen wollen, wobei es selbst Her- bert Wehner nicht mehr schafft, seine Schäflein zu- Dr. Steger (SPD) : Herr Probst, ich darf gerade den sammenzuhalten? Es gelingt nur noch in Ausnahme- Beschluß zitieren, dann stelle ich mich gerne Ihrer fällen. Zwischenfrage, unter der Voraussetzung, Herr Präsi- (Lachen bei Abgeordneten der SPD — Zu dent, daß mir das nicht auf die Zeit angerechnet ruf von der SPD: Der schafft noch ganz was wird. anderes!)

Präsident Carstens: Herr Abgeordneter, ich bin Dr. Steger (SPD) : Haben Sie eine Ahnung, was der von den Fraktionen darauf hingewiesen worden, noch alles schafft. Da werden Ihnen daß wir mit der Debatte nicht zurechtkommen, wenn noch die Tränen in den Augen stehen. ich die für Frage und Antwort benötigten Zeiten (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) den Redezeiten zuschlage. (Zuruf von der SPD) Herr Probst, da Sie zu den Südlichtern der Union gehören, nehme ich Ihnen nicht übel, daß Sie über - Ja, ich gebe zu, daß ich das bei dem vorigen den Bereich der Nordlichter nicht so informiert sind. Redner getan habe. Ich würde das bei Ihnen auch noch einmal tun, von da an aber nicht mehr. (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Da täu schen Sie sich! — Pfeffermann [CDU/CSU]: Eben ging es nicht um Südlichter, sondern (SPD) : Herr Probst, ich darf das ge- Dr. Steger um Nordlichter!) rade zu Ende bringen. Wir haben dann einen Antrag eingebracht, daß vom Ministerium bis zur endgülti- Der Sachverhalt ist doch folgender. Im Moment gen Beschlußfassung über die Weiterentwicklung gibt es in der SPD eine breite Debatte über die Vor- der fortgeschrittenen Reaktorlinien keine neuen und Nachteile und die Risiken der Kernenergie, eine Zusagen über weitere Förderungen im Rahmen der Debatte übrigens, die in einer Form geführt wird — noch nicht förmlich gebundenen 122,5 Millionen DM siehe Kölner Energiekongreß —, an der Sie sich als gegeben werden, um die Entscheidung des Aus- Opposition mal eine Scheibe abschneiden sollten, schusses, worüber wir alle einer Meinung waren, statt immer darüber zu lästern. nicht zu präjudizieren. Daß die Mittel nicht haus- (Beifall bei der SPD) haltsrechtlich förmlich gesperrt werden konnten, - lag nur daran, daß wir in diesem Bereich noch Im Rahmen dieser Willensbildung werden auch von keine haushaltsrechtlichen Verpflichtungen hatten. den Landes- und Bezirksparteitagen der SPD unter- An dieser Stelle — das werden Sie mir zugeben, schiedliche Beschlüsse gefaßt. Das ist in einer Demo- Herr Probst — brach die CDU/CSU-Fraktion aus kratie so üblich. Aber es kann doch keinen Zweifel dem bisherigen Konsens aller Fraktionen in dieser geben, daß wir uns auf dem Hamburger Parteitag zu Verfahrensfrage aus und sagte, sie wolle kein Alibi einer sehr fundierten und ausgewogenen Linie ver- dafür liefern, daß dem Haushalt des BMFT über die ständigen werden, die Sie erst noch finden müssen Hürden geholfen würde. und über die Sie bitte nicht lästern sollten. Da kann ich mich nur wundern: Auf der einen (Stahl [Kempen] [SPD] : Die CDU/CSU dis Seite stellen Sie den Matthöfer immer als den bö- kutiert doch ,gar nicht über Kernenergie! Die sen Linken hin, der Investitionslenkung macht, und Fraktion hat doch erst jetzt das Thema er auf der anderen Seite soll es in dieser Fraktion kannt! Bisher gab es nur Tiefschlaf!) Leute geben, die ihm sozusagen von links noch die — Jawohl, Herr Stahl, ich greife Ihren Zwischenruf Luft abdrehen. Das ist doch irgendwo ein bißchen dankbar auf und will deswegen noch einmal kurz schizophren. Ich bedaure, daß ich zu Fremdworten skizzieren — damit dieses Gerede endlich mal aus greifen muß, aber die volksnäheren Wörter sind der Welt ist —, wie sich für uns die Entscheidungs- leider nicht parlamentskonform. situation darstellt. (Zuruf des Abg. Pfeffermann [CDU/CSU]) Wir wollen sicherstellen — und damit schließe ich Ich gestatte jetzt die Zwischenfrage. auch meine Ausführungen —, daß diese Linie im Verfahren, die wir aus sachlichen Erwägungen ge- funden haben, nämlich unter dem Stichwort „Optio- Bitte schön, Herr Abgeordne- Präsident Carstens: nen offenhalten", auch durchgeführt wird. Das wer- ter Probst. den und wollen wir durchsetzen, auch gegen die Widerstände der Energieversorgungsunternehmen, Dr. Probst (CDU/CSU) : Herr Kollege, meinen Sie, die aus verschiedenen Gründen bestehen, und, Herr daß es auch das Teufelswerk der Opposition ist, Lenzer, wenn es sein muß, auch gegen den Wider- wenn die SPD in Schleswig-Holstein entgegen den stand der Opposition; denn wir sind überzeugt, wir Vorstellungen des Forschungsministers Matthöfer haben die besseren Argumente dabei auf unserer 2644 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Dr. Steger Seite, und der Bürger wird uns in dieser Frage auch halte ich für eine der unverzichtbaren Vorausset- folgen, weil wir ein Beispiel dafür liefern, wie in zungen und für die Grundlage zu weiteren Entwick- einer Demokratie offen und ehrlich auch schwierige lungen, für die Sicherung des Eigenbedarfs wie auch Entscheidungen getroffen werden. für die langfristige Sicherung der Arbeitsplätze. (Beifall bei der SPD und der FDP) Ich denke hierbei besonders an die Berufschancen junger Akademiker und ihre Aussichten, in For- schung und Wissenschaft entsprechend ihrer Lei- Meine Damen und Herren, Präsident Carstens: stungsfähigkeit und ihrer Leistungsbereitschaft Auf- bevor ich das Wort weitergebe, bitte ich um Ihr stiegsmöglichkeiten zu erhalten. Wir werden in Zu- Verständnis für die Verhandlungsführung durch den kunft mehr auf einem höheren Niveau ausgebildete Präsidenten. Wir sind an die Einhaltung der verein- barten Zeiten gebunden. Ich bitte daher die künfti- Wissenschaftler und Ingenieure brauchen. Wir wer- gen Redner, wenn sie Zwischenfragen zulassen, an den Arbeitsplätze, die infolge technischen Fort- mich nicht das Ansinnen zu stellen, ihre Redezeit schritts im produktiven Bereich fortfallen, durch ein entsprechend zu verlängern. Das werden wir leider größeres Angebot im Dienstleistungsbereich im wei- nicht können. testen Sinn, durch ein Mehr also auch im Bereich der Forschung und Entwicklung, ersetzen müssen. Das Wort hat nunmehr Herr Abgeordneter Laer- mann. (Sehr richtig! bei der SPD) Forschungs- und Technologiepolitik muß also ver- stärkt zur Lösung der Probleme eingesetzt werden, Dr. - Ing. Laermann (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Debatte über den Ein- die sich aus dem notwendigen Strukturwandel der zelplan 30 versucht die Opposition wieder einmal Volkswirtschaften in den Industrieländern ergeben. — wie ich meine, völlig unberechtigt —, ein aben- Sie muß Motivation und Innovation für Anpassung teuerliches Bild über den, wie sie meint, so deso- und Modernisierung der Produktionsprozesse sein. laten Zustand der Forschungspolitik zu zeichnen, Sie muß beitragen, die Leistungs- und Wettbewerbs- aber, wie auch in anderen Bereichen üblich, ohne fähigkeit unserer nationalen Wirtschaft zu erhalten eine klare Darstellung der eigenen Position — die und auch gegenüber den übrigen Industrieländern vermisse ich, meine Herren Kollegen — und wie zu verbessern. üblich wieder einmal auch mit den fast schon zur (Zuruf des Abg. Dr. Probst [CDU/CSU]) Gewohnheit gewordenen Widersprüchen. — Ich komme gleich darauf zurück, Herr Kollege Ich meine aber, daß wir uns in diesem Hause Dr. Probst. nicht so sehr mit Einzelvorwürfen und Detailfragen auseinandersetzen sollten — die sollten wir viel- Im Hinblick auf die Begrenztheit der Weltvorräte leicht doch mehr im Ausschuß besprechen —, son- an Rohstoffen ergibt sich eine weitere Notwendig- dern es scheint mir wichtiger, daß wir uns hier mit keit, langfristig in die Zukunft projizierte For- den Grundzügen und Grundlinien einer notwendigen schungspolitik mit globaler Zielrichtung anzusetzen. und vernünftigen Forschungs- und Technologiepoli- Denn nur verstärkte und konzentrierte Forschungs- tik auseinandersetzen sollten. Wir sollten damit und Entwicklungsbemühungen werden die Weltbe- der zentralen Rolle der Forschungspolitik für unser völkerung befähigen, die schwierigen Zukunftsauf- Land gerecht werden. Dabei sollten wir auch ver- gaben zu bewältigen: die Erschließung bisher aus suchen, die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, zu- wirtschaftlichen und technischen Gründen nicht nutz- mindest in den Grundzügen. Ich glaube auch, daß barer Rohstoffvorkommen, die Rückgewinnung und gerade in diesem Bereich parteipolitisch unter- Wiederverwendung, die Substituierung bisher ein- schiedliche Positionen weit weniger am Platze sind, gesetzter Rohstoffe, die Bewältigung der Ernäh- als das in anderen Bereichen möglicherweise der rungsprobleme, die Erhaltung einer intakten Bio- Fall ist. sphäre, die Lösung der Kommunikationsprobleme. (Beifall bei der FDP und der SPD) Ich meine, daß in den bisherigen Ansätzen für die Die zukünftige Entwicklung unserer Wirtschafts- Forschungspolitik die Bundesregierung in aller Deut- kraft, wie auch die der meisten übrigen heutigen lichkeit zum Ausdruck gebracht hat, daß sie diese Industrienationen, deren Erhalt und Sicherung Notwendigkeiten erkannt hat und entsprechend die- Grundlage unseres Lebensstandards wie auch Vor- sen Notwendigkeiten handelt. aussetzung für die Verwirklichung gesellschafts- (Beifall bei der FDP und der SPD) politischer Ziele ist, wird sicher ganz entscheidend davon abhängen, ob wir und insbesondere auch die In den letzten Jahrzehnten hat sich eine grund- übrigen europäischen Staaten neue Technologien, legende Wandlung im Verhältnis der Wissenschaft Produkte, Produktionsverfahren von höherer Intel- zum Staat vollzogen. Die Anforderungen des Staa- ligenz zu entwickeln in der Lage sein werden. Die tes an die Wissenschaft, neue Erkenntnisse für poli- Existenz und die Wirtschaftskraft der Industrie- tische Entscheidungen und politische Machtansprü- länder, ihre Rolle im Wirtschaftsgefüge wird zukünf- che zu leisten, einerseits und die zunehmende Größe tig wesentlich auch vom Technologietransfer ab- und Kostspieligkeit der Forschungsprojekte und der hängen. Lassen Sie mich aber eins unmißverständ- dazu erforderlichen Einrichtungen andererseits ma- lich zum Ausdruck bringen: Der Export von Know- chen die Wissenschaft zunehmend vom Staat ab- how, von Blaupausen allein genügt wohl nicht, son- hängig und verpflichten sie diesem. Die enormen dern die Umsetzung theoretisch-technischer Er- finanziellen Aufwendungen für Forschung und tech- kenntnisse in Produkte und Produktionsprozesse nologische Entwicklungen, aus Steuergeldern auf- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2645

Dr. - Ing. Laermann gebracht, machen es zwingend notwendig, daß der ten können. Auch müssen wir der Pluralität als ei- Staat und seine Institutionen, die Parlamente vor nem Wesensmerkmal der Forschung entsprechen allem, der Öffentlichkeit gegenüber diese Aufwen- sowie die Transparenz der Begutachtung und Be- dungen begründen und verantworten müssen. Damit wertung sichern. Doktrinäre Lehrmeinungen dürfen werden Entscheidungen hinsichtlich der Ziele der Entwicklungen nicht behindern oder verhindern. Ich Forschungsförderung, der Prioritäten, der Erfolgs- meine, daß es eine Lösung des Problems gäbe, die kontrolle, der Bewertung der Ergebnisse und ihrer in der Grundlagenforschung zu treffenden, auch Verfügbarkeit und ökonomischen Umsetzung not- politisch motivierten Entscheidungen der Wissen- wendig — unter Beachtung der der Forschung eige- schaft in die eigene Verantwortung zu geben. nen Gesetzmäßigkeiten und der Sicherung auch der Ausgeprägter als in der Grundlagenforschung Kontinuität. bestehen in der angewandten Forschung im Bereich Herr Stavenhagen hat vorhin behauptet, die deut- der technologischen Entwicklung die Notwendigkeit sche Forschung müsse wieder zumindest in die und die Verpflichtung, politische Entscheidungen Nähe des früheren Standes gebracht werden. Ich über Prioritäten bezüglich der Zielvorstellungen der weiß nicht, Herr Kollege Stavenhagen, ob Sie wirk- Forschung wie über den Transfer der Ergebnisse zu lich einen vollen Überblick über die heutige Lei- treffen. Die steigende Komplexität der Forschungs- stungsfähigkeit unserer Forschung und Wissen- aufgaben, der enorm angewachsene kostspielige schaft haben apparative und personelle Aufwand machen eine (Beifall bei der FDP und der SPD) hohe finanzielle Beteiligung durch die öffentliche Hand unerläßlich. Damit wächst aber notwendiger- und wie Sie zu dieser Behauptung kommen können. weise auch die Entscheidungskompetenz der Staates, Ich kann auch Ihren Vorwürfen, Herr Kollege seine Verpflichtung zur Ergebniskontrolle und zur Hubrig, nicht zustimmen, es handle sich hier um die Sicherung des Transfers, zur Verbesserung der Ver- Versäumnisse der letzten Jahre, zu denen auch die fügbarkeit der Ergebnisse. Bundesregierung einen Teil beigetragen habe. Ich Diese Verfügbarkeit der Ergebnisse spielt in der frage Sie: Bedeutet das, daß Sie einen Vorwurf an politischen Diskussion eine besondere Rolle. Auch Wissenschaft, Forschung und Technik richten, sie für diejenigen müssen diese Ergebnisse verfügbar hätten sich in den letzten Jahren nicht bemüht, her- sein — ich denke speziell an die kleineren und mitt- vorragende Leistungen hervorzubringen? leren Unternehmen —, die nicht über eigene Ent- (Beifall bei der FDP und der SPD) wicklungskapazität verfügen, damit gerade deren Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleibt. In enger Zu- Ich jedenfalls, Herr Kollege Hubrig, nehme mir das sammenarbeit mit den Selbstverwaltungsorganisa- Urteil heraus, rückblickend festzustellen, daß die tionen der Industrie und des Handwerks könnten bisherige Forschungs- und Technologiepolitik der ebenfallls die Forschungsinstitutionen der öffent- Bundesrepublik mit den besonderen Schwerpunkten lichen Hand eine entscheidende Rolle beim Tech- auf naturwissenschaftlich-technischem Gebiet zwei- nologietransfer spielen. fellos — das kann man mit Befriedigung feststellen — die langfristigen Förderungsprogramme zu her- (Beifall bei der FDP) vorragenden Ergebnissen geführt hat. Die Ansätze hierfür zeichnen sich ab. Es sollte in unser aller Interesse liegen, für deren Fortentwick- Präsident Carstens: Herr Abgeordneter, gestatten lung einzutreten. Ich meine, dies für die Fraktion Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten auch erklären zu müssen, daß die Bundesregierung Dr. Spies von Büllesheim? durch ihre Bemühungen zeigt, daß sie hier auf dem richtigen Wege ist. Wir sollten abwarten, wie das Konzept zur Erfüllung der Ziffer 19 der Regierungs- Dr. - Ing. Laermann (FDP) : Entsprechend Ihren erklärung aussieht. Ausführungen, Herr Präsident, möchte ich bitten, auf Zwischenfragen zu verzichten. Wir können ja im Ausschuß weiter darüber diskutieren. Danke schön Präsident Carstens: Darf ich Sie bitten, zum Ab- für Ihr Verständnis, Herr Kollege! schluß zu kommen, Herr Abgeordneter. Ein erheblicher Rückstand in der technologischen Dr. - Ing. Laermann (FDP) : Ja, Herr Präsident. Entwicklung, bedingt durch die Kriegs- und Nach- kriegszeit, konnte aufgeholt und internationale Stan- Ich erkläre für die FDP-Fraktion abschließend, daß dards konnten erreicht, zum Teil sogar deutlich sich die Grundkonzeption einer vernünftigen For- überholt werden, so daß unsere wissenschaftliche schungs- und Entwicklungspolitik der Bundesregie- und technische Leistungsfähigkeit insbesondere auf rung im Einzelplan 30 niederschlägt, daß sie hier dem Gebiet der sogenannten Schlüsseltechnologien, ihren exekutiven Ausdruck findet, unter Wahrung der Energieforschung einschließlich der Kernenergie, der Kontinuität einer behutsamen Umsetzung ent- der Elektronik, der Datenverarbeitung wie auch der sprechend dieser Grundkonzeption. Wir stimmen Luft- und Raumfahrt als ausgezeichnet angesehen daher dem Einzelplan 30 zu. werden muß. (Beifall bei der FDP) Ich glaube, wir brauchen uns hier nicht darüber zu streiten, wie notwendig eine breit angelegte Präsident Carstens: Das Wort hat der Herr Bun- Grundlagenforschung ist, auf die wir nicht verzich- desminister für Forschung und Technologie. 2646 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977

Matthöfer, Bundesminister für Forschung und Es gibt zugegebenermaßen auch schwächere Be- Technologie: Herr Präsident! Meine sehr geehrten reiche. Aber es ist doch unseriös, so zu tun, als sei Damen und Herren! Ich bin den Kollegen Dr. Sta- ein besonders großer Niveauverlust seit 1969 wegen venhagen und Dr. Hubrig dankbar, daß sie hier des Abbaus der indirekten Forschungsförderung in im Plenum des Deutschen Bundestages aufgedeckt der Wirtschaft eingetreten. haben, wo die Opposition in der Forschungspolitik nun wirklich steht. Die CDU/CSU stellt sich näm- Obwohl für die Grundlagenforschung in erster lich voll hinter die Wünsche der Wirtschaft nach Linie die Länder zuständig sind, geht immer noch möglichst pauschalen, an möglichst wenig Voraus- einmal ein Drittel der Ausgaben meines Ministe- setzungen geknüpften steuerlichen Erleichterungen. riums in ,die Grundlagenforschung. Nun würde ich Jeder, der rechnen kann, weiß doch ganz genau, daß gerne mit Ihnen darüber diskutieren, was man tun bei solchen Erleichterungen bei der allgemeinen könnte, um sie zu verbessern, z. B. bei der Krebs- steuerlichen Förderung so wenig herauskommt, daß forschung. Aber das wollen Sie ja gar nicht. Wir sie gar nicht spürbar sein wird, daß sie gar nicht könnten z. B. gemeinsam der Frage nachgehen, ob nachweisbar sein wird und vor allem, daß sie auch die Grundlagenforschung in unseren Großfor- nicht finanzierbar ist. schungseinrichtungen nicht doch besser organisiert werden könnte. Ich bin der Überzeugung, daß sie Selbst wenn wir den gesamten Haushalt des auf vielen Gebieten besser organisiert sein könnte. BMFT strichen, hätten Sie immer noch nicht genug Ich bin der Überzeugung, daß die großen Forschungs- Geld, um Ihre steuerlichen Erleichterungen, die Sie bürokratien unter Druck gehalten werden müssen, wünschen, zu finanzieren. Selbst wenn man die weil jede Bürokratie gelegentlich unter Druck ge- Erhöhung der Umsatzsteuer im alten Umfang be- setzt werden muß, wenn sie leistungsfähig bleiben käme, um sie dann einzusetzen, die Unternehmer soll. Sie versuchen nun, daraus Kapital zu schlagen, wieder steuerlich zu entlasten, z. B. über ,die For- indem Sie sagen, wir verunsicherten die Zentren; schungsförderung, wäre weder einsehbar noch plau- was diese brauchten, wäre, daß wir sie ganz allein sibel — die Untersuchungen, die wir haben machen lassen. Oh nein! Wir werden uns sehr intensiv lassen, zeigen es —, daß davon in besonderem Maße darum kümmern. Darauf können Sie sich verlassen. kleine und mittlere Unternehmen profitieren. (Sehr richtig! bei der SPD) Im übrigen schlagen Sie vor, Forschung solle im wesentlichen nur indirekt gefördert werden. Nun ist Vielmehr sind es die großen Unternehmen, die es selbst in der Wirtschaft die indirekte Forschungsför- sich erlauben können, einen großen Forschungsauf- derung, meine ich, kein taugliches Instrument, um wand zu treiben, die permanente Forschungsstäbe Spitzenqualität zu garantieren. In der Wirtschaft haben, die die Ergebnisse auch einsetzen und um- ist im Gegenteil mit Hilfe der direkten Forschungs- setzen können, die von einer solchen indirekten förderung eine Menge erreicht worden. Wir haben steuerlichen Förderung besonderen Gewinn haben so Hochleistungsforschung ermöglicht und Weltgel- würden, weil sie einen großen Daueraufwand haben. tung erworben, z. B. in der Kerntechnik. Auf Gebie- Kleinere Unternehmen können sich meist, wenn sie ten, wie der Optik, der Lasertechnik, der Meßtech- nicht auf forschungs- und entwicklungsintensive niken, der Isotopentechnik, der Verkehrstechnik Produkte spezialisiert sind, keine aufwendigen For- und der nichtnuklearen Energietechnik spielt die schungseinrichtungen und keinen ständigen Ent- direkte Forschungsförderung die entscheidende wicklungsstab leisten. Das Problem der mittelstän- Rolle für die Spitzenqualität. Ob die Bundesrepublik dischen Industrie ist doch, rechtzeitig zu erkennen, in der Elektronik, der Datenverarbeitung und der wo sich Entwicklungen vollziehen, wie man Innova- Nachrichtentechnik endgültig von den USA und viel- tionen am Markt durchsetzen kann. Sie haben doch leicht auch von Japan und Frankreich — Japan nicht das Problem des Aufbaus eigener Forschungs- und Frankreich sind ja nun wirklich Beispiele für kapazitäten. Ein solcher Aufbau wäre ja zum großen direkt gesteuerte Forschungsförderung — abge- Teil auch falsch. Man müßte davon abraten, wenn hängt wird oder ob wir uns auf einigen Schlüssel- sie ihn vornähmen. Wenn man sich ansieht, wer sich gebieten behaupten können, ist eine Frage der direk- im BDI zum Sprecher der steuerlichen Forschungs- ten Forschungsförderung. Die CDU/CSU ist nicht förderung macht, dann fällt es einem wirklich nur für steuerliche Forschungsförderung, sie ist schwer zu glauben, daß hier nun ausgerechnet eine auch gegen direkte Forschungsförderung. Lobby der Kleinen am Werke sei. Den Eindruck habe ich nicht. (Lenzer [CDU/CSU] : Das stimmt doch gar nicht! — Dr. Stavenhagen [CDU/CSU] : Es Nun komme ich zur Weltgeltung der Forschung. geht um das Verhältnis!) Die deutsche Forschung ist schon in Ordnung. Ich würde mir wünschen, die Opposition wäre auch so — Lesen Sie sorgfältig durch, was Herr Dr. Staven- in Ordnung wie die deutsche Forschung. hagen gesagt hat. (Beifall bei der SPD und der FDP) (Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Ich weise die pauschale Unterstellung zurück, die Wie wollen Sie das denn finanzieren, wenn Sie nicht deutsche Forschung habe keine Weltgeltung mehr, die direkte Forschungsförderung einstellen? Sie ar- Herr Dr. Stavenhagen. Es gibt viele Bereiche, wo gumentieren so, weil Sie gegen Fachprogramme in wir mit an der Spitze oder an der Spitze stehen. ihrer Substanz gar nicht anargumentieren können. (Beifall bei der SPD und der FDP) Darum versuchen Sie doch meist marginale Projekte Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2647 Bundesminister Matthöfer oder Details aus irgendwelchen Vorgängen heraus- Das kann man nie mit Sicherheit behaupten. Hier zupicken. gibt es doch eine Grauzone. Sie wissen genau — (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU] : Das sind vielleicht besser als andere —, daß ich versuche, aber hübsche Beispiele!) die öffentliche Förderung einzuschränken, wann immer wir feststellen, daß etwas wirklich ohne Wenn auf diesem Wege etwas korrigiert werden unsere Hilfe gemacht wird. Wir bemühen uns, mit kann, dann wäre ich Ihnen für Hinweise dankbar. öffentlichen Mitteln so haushälterisch wie möglich Das würde ich gerne mitmachen. Aber damit kön- umzugehen. Deshalb würde ich sehr gerne nur sol- nen Sie doch keinen erfolgreichen Angriff auf den che Projekte fördern, die ohne unsere Förderung Grundsatz der Förderprogramme führen. Nennen Sie nicht begonnen würden. Das ist auch der entschei- mir doch das Programm, das nach Ihrer Ansicht über- dende Unterschied zwischen unserem Konzept direk- flüssig ist und das Sie streichen wollen, sollten Sie ter Forschungsförderung und Ihrem Konzept der jemals, was das Glück der Deutschen hoffentlich ziel- und wahllosen pauschalen steuerlichen Förde- noch lange verhindert, in die Lage kommen, Re- rung. Der Abgeordnete Dr. Steger hat doch völlig gierungsverantwortung zu tragen. Das Energiefor- recht, daß dies die größte Zersplitterung verursache, schungsprogramm wollen Sie im Ernst doch wohl die man sich vorstellen könne, und ohne jede Wir- nicht abschaffen. Wenn man Ihren Verlautbarungen kung sei. Selbstverständlich bleibt bei jeder Pro- glauben will, wollen Sie da ja noch kräftig darauf- jektentscheidung die Ungewißheit, ob tatsächlich legen. erst die Förderung die entscheidende Voraussetzung Sind Sie gegen ein Programm Rohstofforschung für eine Entwicklung ist. Aber ich finde, das ist gar oder sind Sie dafür? Sind Sie gegen das dritte Da- nicht so schlimm, wenn sich letzten Endes heraus- tenverarbeitungsprogramm mit seiner Hinwendung stellt, daß es sich um ein sinnvolles und erfolgrei- zu kleinen und mittleren Unternehmen? Das können ches Projekt handelt. Sie auch nicht kritisieren. Sind Sie gegen das Pro- Sie kamen dann auf die Uhrenindustrie zu spre- gramm „Elektronische Bauelemente" ? Sind Sie ge- chen. Sie sagten, so erfolgreich, wie es immer be- gen das Programm „Humanisierung der Arbeit"? schrieben werde, sei das gar nicht. Im übrigen woll- Sind Sie gegen die Konzentrierung der Gesundheits- ten Sie mit dieser Art von Investitionslenkung forschung in einem neuen Programm? Kommen Sie Schluß machen. Das ist ja hochinteressant, nicht zu- doch einmal heraus, sagen Sie doch einmal etwas, letzt auch das Argument gegen die Kooperation. Es damit man darüber diskutieren kann! ist ja das Bedauernswerte, daß jemand die For- (Beifall bei der SPD und der FDP) schungspolitik der Bundesregierung kritisiert, der im Fachausschuß nicht immer dabei sein kann — Wenn Sie von mir die Abschaffung des Weltraum- ich kenne Ihre Arbeitsbelastung —; sonst wüßten und Luftfahrtforschungsprogramms verlangten, wür- Sie nämlich, daß der Fachausschuß, der Ausschuß für de ich mir Ihre Argumente aufmerksam anhören. Forschung und Technologie, uns immer wieder auf- Sie haben ja schon einmal Ihre Erfahrungen ge- gefordert hat, diese Kooperation herbeizuführen. sammelt, wenn ich richtig unterrichtet bin. Ich bin ziemlich sicher, daß Sie die Abschaffung nicht ver- (Beifall bei der SPD und der FDP — Stahl langen werden. Darum ist es scheinheilig, wenn Sie [Kempen] [SPD] : Das wollen sie heute nur abstrakt und allgemein gegen direkte Forschungs- nicht wissen!) förderung zu Felde ziehen, sich aber davor drücken, Sie werden verstehen, daß mich der Vorwurf, In- die Programme einzeln und konkret zu diskutieren. vestitionslenkung zu betreiben, nicht sonderlich (Beifall bei der SPD und der FDP) trifft. Natürlich betreibe ich Investitionslenkung — wer wollte das bestreiten? —, wie alle meine Vor- Wenn ich es richtig behalten habe, haben Sie drei gänger Investitionslenkung betrieben haben. Ich Projekte genannt, die Sie für besonders überflüssig will mich aber ungern mit fremden Federn schmük- halten: die energiesparende Glühbirne, den energie- ken. sparenden Kühlschrank und die augenschützende (Abg. Dr. Stavenhagen [CDU/CSU] meldet Schweißerbrille. Was kritisieren Sie denn daran nun sich zu einer Zwischenfrage) genau? Sie werden doch nicht im Ernst behaupten wollen, daß es falsch war, im Rahmen unseres Ener- — Gleich, ich will mich erst noch ein bißchen mit gieforschungsprogramms energiesparende Techni- Ihnen beschäftigen. — Mit einem Betrag von 2 Mil- ken zu fördern. Sie wollen doch auch nicht im Ernst lionen DM haben Sie selbst Investitionslenkung be- behaupten, daß es sich nicht lohnte, die für Licht- trieben — Dr. Steger hat darauf aufmerksam ge- erzeugung oder Kühlzwecke im Haushalt ver- macht —, denn auf Ihren Vorschlag hin haben wir brauchte Energie rationeller einzusetzen. Sie be- die Mittel für die Uhrenindustrie aufgestockt. streiten nicht einmal, daß beide Projekte zu einem (Hört! Hört! bei der SPD) sparsameren Energieverbrauch im Haushalt führen Da lenken Sie also kräftig Investitionen. können. Wie kam es denn in der Uhrenindustrie überhaupt Ihre Kritik geht in die Richtung — wenn ich Sie dazu, daß Probleme enstanden? Hätte eine indirekte richtig verstanden habe —, daß das alles auch ohne Forschungsförderung in der Uhrenindustrie, Herr öffentliche Förderung gemacht worden wäre. Dr. Stavenhagen, mit einem Mal zu einer weitsich- (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: So ist es! tigen Unternehmenspolitik geführt, die die Entwick- Genauso!) lungen auf dem Halbleitergebiet in den USA sorg- 2648 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Bundesminister Matthöfer fältiger beobachtet hätte? Sie werden wohl nicht nur, daß die SPD die Forschung bürokratisch gän- im Ernst behaupten wollen, daß sich die Uhrenindu- gelt, die freie Initiative lähmt, den Markt und den strie auf Grund solcher steuerlichen Anreize anders unternehmerischen Wettbewerb einengt, überall verhalten hätte und nicht in die Krise geschlittert staatliche Bürokratien wuchern läßt. wäre. (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU] : Genauso ist Wenn Sie jetzt Ihre Frage stellen wollen. es!) Niemand kann Sie daran hindern, diese Zerrbilder Dr. Stavenhagen (CDU/CSU) : Herr Minister, ist stereotyp zu wiederholen. Keiner, der wirklich die Ihr Verhältnis zum Wirtschaftsminister seit der Zeit Realität unserer Forschungspolitik kennt, wird beeinträchtigt, seitdem er zur Frage der direkten Ihnen glauben. und indirekten Forschungsförderung genau das Ge- (Beifall bei der SPD und der FDP — Stahl genteil von dem sagt, was Sie vertreten? [Kempen] [SPD] : Das sind schon Horror (Stahl [Kempen] [SPD] : Das steht doch nicht geschichten!) zur Debatte!) Die Sozialdemokraten und diese Bundesregierung werden immer wieder in ihren konkreten Entschei- Matthöfer, Bundesminister für Forschung und dungen den Nachweis führen, daß dies ein Zerrbild Technologie: Ich weiß nicht, wo er dies gesagt haben ist. soll. Wir sind für eine starke, leistungsfähige und (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU] : Im April 1976 freie Grundlagenforschung an den Hochschulen, in in Köln!) der Max-Planck-Gesellschaft und in den Großfor- Ich arbeite in diesem Ministerium jetzt seit über schungseinrichtungen. Wenn die Qualität der drei Jahren. Die Beziehungen zum Wirtschaftsmini- Grundlagenforschung unbefriedigend ist, werden sterium sind ausgezeichnet. Es ist nie irgend etwas wir nach den Ursachen suchen. Wenn sich dadurch auf meinen Tisch gekommen, was ein Minister- jemand verunsichert fühlt, muß das halt in Kauf gespräch wegen Reibungen oder irgendwelcher Wi- genommen werden. Wir werden uns auch nicht dersprüche zwischen den beiden Ministern erforder- scheuen, auf Mängel hinzuweisen. Wenn bürokra- lich gemacht hätte. tische Mängel bestehen sollten, werden wir sie be- (Beifall bei der SPD und der FDP) seitigen. Wir sind für Hinweise dankbar. Dann sagte Herr Dr. Hubrig: So erfolgreich war Wir halten die unternehmerische Initiative, insbe- aber die Investitionslenkung nicht, weil alles so sondere die der kleinen und mittleren Unterneh- bürokratisch verläuft. Wir haben das alles im men, — — BMFT ja nicht erfunden. Das sind Verfahren, die (Zuruf des Abg. Dr. Stavenhagen [CDU/ auch wir vorgeschrieben bekommen. Wenn Sie CSU]) irgendeinen Vorschlag haben, wie man das unbüro- — Sehen Sie sich doch wirklich einmal an, was da in kratischer machen kann, sagen Sie es uns! Sie wer- - den letzten drei Jahren zur Förderung der kleinen den bei uns offene Türen einrennen. und mittleren Unternehmen auf die Beine gestellt Übrigens, Herr Hubrig, bitte ich Sie doch sehr, worden ist! mit Ihrer Kritik an den vielen Beratern des BMFT (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP) aufzuhören. Das sind freie Bürger, die in der Regel woanders hoch bezahlt werden und hier uns im Sehen Sie sich nicht nur die Zahlen an, reden Sie Interesse des Gemeinwohls ihre Arbeitszeit kosten- einmal selbst mit den Leuten! Gehen Sie in die los zur Verfügung stellen, und zwar tun dies viele Industrie- und Handelskammern, verehrter Herr, Hunderte. und sprechen Sie mit den Betroffenen! Dann werden Sie aufhören, hier Ihre Zerrklischees zu verbreiten. (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch nicht Ihr (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU] : Die Ergeb Ernst!) nisse, Herr Minister! Nicht Papier produ zieren, sondern Ergebnisse!) — Jawohl. Sehen Sie sich die Listen durch! — Ich bedanke mich, daß der Abgeordnete Benz nickt. Die Forschungsförderung in der Wirtschaft ist nicht darauf angelegt, Initiativen zu lähmen, sondern im (Benz [CDU/CSU] : Ich habe nicht genickt!) Gegenteil darauf, sie zu fördern. Was Sie hier behaupten, ist falsch. Wir sollten uns (Anhaltende starke Unruhe) bedanken — und das tue ich hiermit ausdrücklich — bei den Beratern des BMFT, die auf diese Art und Präsident Carstens: Meine Damen und Herren, ich Weise die Qualität der Forschungspolitik noch wei- bitte um Ihre Aufmerksamkeit für den Redner. ter zu verbessern helfen. (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP) Matthöfer, Bundesminister für Forschung und Technologie: Herr Präsident, ich habe da eine an- Was bleibt, ist, daß Sie nicht wirklich differenziert dere Theorie: Wenn ein Redner nicht in der Lage und objektiv Tatsachen darstellen und bewerten ist, die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer zu fesseln, wollen, sondern immer wieder Klischees aufbauen und pflegen wollen, so etwa das Ihnen von der ist er selber daran schuld. CSU aufdiktierte Wahlkampfthema von „Freiheit (Lebhafte Zustimmung und Heiterkeit bei oder/ statt Sozialismus". In diese Schablone paßt halt der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2649

Präsident Carstens: Ich versuche, Sie zu unter- Präsident Carstens: Meine Damen und Herren, stützen, Herr Minister. ich bitte Sie wirklich sehr eindringlich um mehr Ruhe. (Zustimmung) Matthöfer, Bundesminister für Forschung und Technologie: Das ist doch eine normale Geschichte. Ich bitte die stehenden Abgeordneten, Platz zu neh- Jetzt kommen diejenigen in den Saal, die sich für die men und ihre Aufmerksamkeit dem Redner zuzu- wirtschaftliche Zusammenarbeit interessieren; sie in- wenden. teressieren sich nicht für die Forschungsförderung. Immer wenn bei Haushaltsberatungen das Thema wechselt, entsteht Unruhe. Esters (SPD) : Wenn die Entwicklungspolitik so viele Lobbyisten hätte, wie wir das aus anderen Wir sind gegen eine gleichmacherische indirekte Bereichen der Politik gewohnt sind, würde dieser Forschungsförderung, die letztlich nur eine allge- Einzelplan 23 in diesem Jahr mit Beifall bedacht meine steuerliche Entlastung aller Unternehmen be- werden können. Dies ist jedoch nicht so. Deswegen deutet. Wir sind für eine gezielte Förderung von sollten wir allen Gruppen und den vielen Bürgern Schlüsseltechnologien, wir sind für die gezielte danken, die uns, die Kollegen des Fachausschusses Förderung qualitativer Wachstumsveränderungen und des Haushaltsausschusses, in den letzten Mona- und für den Aufbau eines Instrumentariums, durch ten dazu aufgefordert haben, der Entwicklungspoli- das die Unternehmer unbürokratische Hilfen für tik trotz all der Sorgen, die uns im eigenen Lande technologische Entwicklungen erhalten können, auf drücken, den notwendigen finanziellen Handlungs- Zukunftschancen durch Innovationen setzen können spielraum zu sichern. und durch das das unternehmerische Risiko honoriert wird. Ich bin deshalb froh darüber, Ihnen in diesem Jahr einen Etat des Bundesministers für wirtschaftliche Wir sehen unsere Forschungspolitik durch unsere Zusammenarbeit erläutern zu können, der sich se- Erfolge bestätigt, und wir werden sie mit Unterstüt- hen lassen kann. In meiner langjährigen Tätigkeit zung der uns tragenden Bundestagsfraktionen als Berichterstatter für diesen Einzelplan ist es das erste Mal, daß dieser Haushalt in seinem Finanz- (Zuruf von der CDU/CSU: E r tragenden!) volumen deutlich über dem ursprünglichen Regie- kontinuierlich weiterführen. rungsentwurf liegt. (Beifall bei der SPD und der FDP) (Beifall bei der SPD) Wer unsere schwierige Haushaltslage insgesamt kennt, kann ermessen, welche Bedeutung wir der Präsident Carstens: Meine Damen und Herren, Nord-Süd-Politik hierdurch beimessen. Das Ergebnis weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kom- des Jahres 1977 zeigt besser als alle guten Worte, men nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan daß unsere Solidarität mit den Menschen, die auf 30. Wer dem Einzelplan 30 in der Ausschußfassung unsere Hilfe angewiesen sind, nicht an den Grenzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Hand- des eigenen Landes haltmacht. zeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — (Zurufe von der SPD) (Sehr gut! bei der SPD) Stimmenthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; Das wichtigste Ergebnis der Haushaltsberatungen der Einzelplan 30 ist damit angenommen. ist der einstimmige Beschluß des Haushaltsausschus- ses, der Bundesregierung zusätzlich 300 Millionen (Beifall bei der SPD) DM Verpflichtungsermächtigungen zur Verfügung zu stellen, die für die Sonderaktion der westlichen Ich rufe nunmehr auf: Industrieländer für besonders bedürftige Entwick- lungsländer bestimmt sind. Diese Entscheidung, die Einzelplan 23 wenige Tage vor Abschluß des Nord-Süd-Dialogs in Geschäftsbereich des Bundesministers für Paris getroffen wurde, ist ein Beispiel für die ver- wirtschaftliche Zusammenarbeit trauensvolle Zusammenarbeit von Bundesregierung — Drucksache 8/508 — und Parlament. Wir wissen, daß dieser Beschluß nicht unerheblich zu einem erfolgreichen Abschluß Berichterstatter: der Pariser Konferenz beigetragen hat. Abgeordneter Esters Abgeordneter Gärtner Weitgehend einmütig sind weitere 100 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen für die Erhö- Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — hung des Stammkapitals der Deutschen Entwick- Bitte schön, Herr Abgeordneter Esters. lungsgesellschaft bereitgestellt worden. Diese Ent- wicklungsgesellschaft ist das entscheidende entwick- Iungspolitische Instrument zur Verstärkung des pri- Esters (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und vaten Kapitaltransfers in Entwicklungsländer; dar- Herren! Zu allen Zeiten haben sich gute Nachrichten über besteht zwischen allen Fraktionen dieses Hau- leichter und angenehmer überbringen lassen als ses kein Streit. schlechte. Das gilt natürlich auch für die Berichter- statter des Haushaltsausschusses, die hier einen be- Unsere privaten Leistungen an Entwicklungslän- stimmten Einzelplan zu vertreten haben. der sind von 3,8 Milliarden DM im Jahre 1974 über 2650 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Esters 7,5 Milliarden DM im Jahre 1975 auf 9,3 Milliarden aus, daß dies auch in diesem Jahr die volle Billi- DM im Jahre 1976 gestiegen. Wir haben das Unsere gung aller Fraktionen findet. Wir werden dadurch dazu beigetragen, entwicklungspolitisch sinnvolle die Möglichkeiten der GTZ als flexibles Instrument Investitionen, vor allem kleiner und mittlerer Be- der Entwicklungspolitik und der Kooperationspolitik triebe in der Dritten Welt durch die Arbeit der weiter verbessern können. Deutschen Entwicklungsgesellschaft zu fördern. Wir haben deshalb das Stammkapital der DEG, das im In diesem Zusammenhang gehört auch die Auf- Jahre 1973 noch 175 Millionen DM betrug, auf 700 stockung des Ansatzes für handelspolitische Förde- Millionen DM im Jahre 1977 erhöht, was meistens rungsmaßnahmen. Der Haushaltsausschuß hat die durch einmütige Beschlußfassungen im Haushalts- dafür vorgesehenen Mittel um 15 % erhöht. Wir ausschuß geschah. wollen damit unsere Bereitschaft unterstreichen, den Entwicklungsländern unsere Märkte zu öffnen und Wer die Kooperationsprogramme der DEG kennt ihnen dabei die notwendige Hilfestellung zu geben. — als Beispiel könnte man hier die aufgenommenen Dieser Akzent unserer Zusammenarbeit wird eben- Verhandlungen mit den Regierungen von Sambia falls von allen Fraktionen dieses Hauses getragen. und Botswana anführen —, weiß, daß wir damit Das gilt auch für die Arbeit der politischen Stiftun- einen wichtigen Beitrag zur Sicherung unserer Roh- gen, deren Mittel sowohl beim Baransatz als auch stoffversorgung und zur Förderung unserer export- bei den Verpflichtungsermächtigungen in dem not- orientierten Wirtschaft leisten. wendigen Umfang erhöht worden sind. Der Deut- Aus den gleichen Gründen hat der Haushaltsaus- sche Entwicklungsdienst soll nach dem Willen des schuß den Baransatz der bilateralen Kapitalhilfe um Haushaltsausschusses zusätzliche Mittel für pro- 35 Millionen DM erhöht. Dem entspricht eine zu- jektgebundene Sachaufwendungen erhalten. Die sätzliche Erhöhung um 35 Millionen DM bei den Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung Verpflichtungsermächtigungen. Gleichzeitig wurde wird ebenfalls zusätzliche Programmittel für ihre die Soforthilfe von 400 Millionen DM auf 435 Mil- von uns allen gewürdigten Bildungsaufgaben be- lionen DM erhöht. Wir wissen, daß Entwicklungs- kommen. politik auch einen nicht unbedeutsamen Beitrag zur (Josten [CDU/CSU] : Sehr gut!) Stabilisierung unserer Arbeitsplätze leistet. Ohne die Aufträge aus Entwicklungsländern, ohne den un- Erlauben Sie mir noch ein Wort zur Arbeit der geheuren Bedarf an Ausrüstungsgütern hätte es in privaten Trägerorganisationen, in deren entwick- den vergangenen Jahren sicherlich mehr Arbeits- lungspolitischem Engagement in besonders hohem lose bei uns gegeben. Unsere zusätzlichen finanziel- Maße die Mitverantwortung zum Ausdruck kommt, len Leistungen für Aufgaben der Entwicklungshilfe die immer mehr Bürger unseres Landes für die Auf- sind deshalb auch ein Beitrag zur Beschäftigungs- gaben der Entwicklungshilfe zu tragen bereit sind. politik in unserem eigenen Lande. Ich bin sicher, Der Haushaltsausschuß hat die staatliche Förderung daß wir hier noch lange nicht alle Möglichkeiten dieser Träger um 1 Million DM erhöht. Ich spreche ausgeschöpft haben. Wir werden deshalb dafür sicher im Namen aller, wenn ich sage, daß dadurch sorgen, daß die vom Haushaltsausschuß zusätzlich eine Arbeit ermutigt und gewürdigt werden kann, bereitgestellten Mittel die ihnen zugedachte Wir- die zum größten Teil aus privaten Spenden finan- kung in vollem Umfang entfalten. Dies kann man ziert wird. auch mit der Blickrichtung auf den Haushalt des (Beifall) Jahres 1978 sagen. Das Gesamtergebnis des Einzelplans 23 stellt sich Was für die Möglichkeiten der Kapitalhilfe gilt, in nüchternen Zahlen wie folgt dar. Der Baransatz gilt auch für unsere technische Zusammenarbeit. Wir beträgt rund 3,2 Milliarden DM. Gegenüber dem haben das Instrumentarium der deutschen techni- Vorjahr ist dieser Ansatz um 7,1 % gestiegen. Er schen Zusammenarbeit in den letzten Jahren wesent- liegt damit deutlich über der allgemeinen Steige- lich verbessert. Der Aufbau der Gesellschaft für rung des Bundeshaushalts. Die Verpflichtungser- Technische Zusammenarbeit erweist sich immer mächtigungen betragen insgesamt rund 6,2 Milliar- mehr als einzig richtige Entscheidung. Über die den DM. Sie haben in diesem Jahr den höchsten Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit hat die Stand seit Beginn der deutschen Entwicklungshilfe Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit, mit erreicht. vergleichsweise geringem Einsatz wichtige Koope- rationserfolge und entwicklungspolitische Erfolge zu Wir alle wissen, daß ein Teil der überzogenen erzielen. Je besser wir in der Lage sind, den Ent- Forderungen der Entwicklungsländer, mit denen wir wicklungsländern technisches Wissen zur Durch- auf internationalen Konferenzen konfrontiert wer- führung ihrer eigenen Entwicklungspläne zur Ver- den, nur deshalb auf dem Tisch liegen, weil in der fügung zu stellen, desto nachhaltiger wird unsere Vergangenheit der Eindruck entstanden ist, daß die eigene Wirtschaft von der Ausweitung des Finan- Industrieländer ihre finanziellen Verpflichtungen zierungsvolumens durch Weltbank, internationale auf die leichte Schulter nähmen. Ein deutliches Be- Entwicklungsbanken, EG- und Ölländer in Form von kenntnis zu unserer gemeinsamen Leistungsbereit- Aufträgen profitieren. In der Haushaltsdebatte des schaft liegt deshalb im nationalen Interesse aller. letzten Jahres haben sich alle drei Fraktionen für Wir haben uns in den internationalen Konferenzen eine Erhöhung des Stammkapitals der GTZ einge- der jüngsten Zeit Aktionsmöglichkeiten und Bewe- setzt. Der Haushaltsausschuß hat die Bundesregie- gungsfreiheit verschafft, die unsere Position als rung beauftragt, für den Haushalt 1978 entspre- rohstoff- und exportabhängiges Industrieland we- chende Vorschläge zu unterbreiten. Ich gehe davon sentlich erleichtert haben. Ziel der Haushaltspolitik Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22, Juni 1977 2651 Esters der kommenden Jahre muß es sein, diesen Spiel- soll der Entwicklungsminister, sondern auffor- raum nicht zu gefährden. sten. (Beifall bei der SPD und der FDP) Meine Damen und Herren, wir halten es eher mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Das ist ja bekannt. Überschrift: Präsident Carstens: Meine Damen und Herren, wir treten in die allgemeine Aussprache ein. denkt nicht an Rücktritt. Das Wort hat der Abgeordnete Picard. Unterüberschrift: Wie lächerlich ist Bonn gemacht worden? Picard (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin meinem Kolle- (Beifall bei der CDU/CSU) gen Esters als Berichterstatter dankbar, daß er sehr Das ist die eigentliche Frage, nicht die, ob sich eine eingehend dargelegt hat, in welch hohem Maße, Dame mit viel Verständnis und mit einem großen was die Finanzansätze für entwicklungspolitische guten weiten Herzen in Afrika sehen läßt. Es ist die Maßnahmen angeht, Übereinstimmung im Haus- Frage, ob dieses Land, das sie vertritt, lächerlich haltsausschuß geherrscht hat. gemacht worden ist oder nicht.

(V o r s i t z Vizepräsident Dr. Schmitt (Dr. Holtz [SPD] : Alles verfälschende Vockenhausen) Kommentare!) Wir halten es aber weiter mit der „Frankfurter All- Ich brauche darauf nicht von neuem einzugehen. gemeinen Zeitung". Ich möchte lediglich noch einmal betonen, daß wir die positive Leistung von der DEG bis zum letzten (Löffler [SPD] : Ist das eine Presseschau privaten Träger würdigen und der Hoffnung sind, oder die Debatte über den Einzelplan 23?) daß sich die gute Zusammenarbeit zwischen den Da steht als weitere Unterüberschrift: Trägern, dem Ministerium und dem Parlament auch in Zukunft weiter vollzieht. Der Lernprozeß der Entwicklungsministerin geht weiter. Ich habe nicht die Absicht, in aller Breite, Tiefe Lernprozesse, sind Ihnen, Frau Minister, glaube ich, — und Höhe noch einmal auf die Afrikaexpedition sehr wohl vertraut. Wir hoffen sehr, daß Sie diesen eine Vergnügungsreise war das nicht; vielleicht Lernprozeß, den Sie vor sich haben, mit Erfolg — — war es eine Bildungsreise — der Frau Minister ein- zugehen. Von Tiefen und Höhen kann bei dieser (Löffler [SPD]: Zur Sache!) Reise auch weniger die Rede sein, denn sie war, — Moment, Herr Kollege Löffler, wenn ich die De- kurz gesagt, nicht viel mehr als ein Ärgernis. batten von gestern und von heute morgen verfolge, (Zustimmung bei der CDU/CSU — Zurufe dann muß ich fragen, wer hier mehr zur Sache ge- von der SPD) - sprochen hat, Kollegen der Koalition oder der Op- position. Die der Opposition, mit Sicherheit. Sie hat den deutschen Blätterwald genügend zum Rascheln gebracht. Ich will mich auf wenige Erin- (Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Thüsing nerungsposten beschränken. Das früher einmal als [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Leib- und Magenblatt der Regierung zu bezeichnen- de Magazin „Der Spiegel" kommentierte: „Die Frau Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Herr überschätzt ihre Möglichkeiten." Die „Süddeutsche Kollege Picard, einen Augenblick. Ein Kollege hat Zeitung", sicher kein CDU-Blatt, sprach — viel- sich zu einer Zwischenfrage gemeldet. Ich kann Ih- leicht frei nach Böll — vom peinlichen Ende einer nen die Zeit für die Beantwortung der Zwischenfra- Dienstreise. Wer „Ende einer Dienstfahrt" von gen nicht zusätzlich gewähren. Sie müßten innerhalb Heinrich Böll gelesen hat, hat sicher viel Vergnü- Ihrer Redezeit abgewickelt werden. gen empfunden. Das Lesen der Presseberichte über das peinliche Ende dieser Dienstreise war kein rei- Picard (CDU/CSU) : Es tut mir leid, Herr Präsi- nes Vergnügen. Die „Frankfurter Rundschau", si- dent; dann kann ich die Zwischenfrage nicht ge- cher kein Blatt der CDU oder der CSU, schrieb un- statten. ter der Überschrift „Äxte in Afrikas Wäldern" — ich bitte den Herrn Präsidenten, mir zu gestatten, Herr Löffler, da Sie gemeint haben, ich solle zur das einmal zu zitieren —: Sache reden, spreche ich jetzt von diesem Lernpro- zeß. Wir haben deshalb einen Antrag eingebracht, Sie hat alles erklärt, nur ihren Rücktritt nicht. die Reisekosten dieses Hauses um 300 000 DM zu Der aber wäre trotz allem fällig; denn dies darf reduzieren, um der Frau Minister die Überlegung man mindestens von einem regierenden Politi- zu ersparen, sie müßte diese Reisekosten vielleicht ker erwarten, daß er — im Wortsinn — mit auch noch selber voll ausschöpfen. Ein Lernprozeß Anstand und Würde eine Mission hinter sich dahin gehend, daß Sie im Hause Boden unter die bringen kann, auch wenn sie ihm eine Nummer Füße bekommen und dann im nächsten Jahr erfolg- zu groß ist. reiche Reisen machen, das, Frau Minister, ist unser (Beifall bei der CDU/CSU) Wunsch. Wäre Frau Schlei eine Axt: der nächste Wald (Löffler [SPD] : Das ist der Witz der Wo , müßte sich fürchten, aber nicht einschlagen che, aber keine Politik!) 2652 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Picard — Das mag Ihre Meinung sein, daß auf Reisen keine sen zu wollen, weil sie sich mit Recht als Instru- Politik gemacht werde. Meine Meinung ist das ment der Entwicklungshilfe, aber auch, zu einer nicht. Nur: wenn man Reisen macht, sollte man die sehr großen Bedeutung gelangend, als Instrument Voraussetzungen mitbringen, um sie erfolgreich zur Verbesserung der Rohstoffversorgung der Bun- durchführen zu können. desrepublik versteht. Ich leugne nicht, daß meine Fraktion mit einem besonderen Wohlwollen sowohl Meine Damen und Herren, ich gestatte mir, die GTZ als auch die DEG betrachtet, weil beide gleich einen zweiten Antrag zu begründen, einen Gesellschaften geeignet sind, dazu beizutragen, daß Antrag zu den Mitteln für Öffentlichkeitsarbeit. freie marktwirtschaftliche Ideen in den Entwick- Wir hatten diesen Antrag deshalb vorgelegt, weil er in unserem allgemeinen Antrag zur Kürzung der lungsländern und in den weniger entwickelten Län- dern Platz greifen. Von daher wollen Sie bitte zur Mittel für Öffentlichkeitsarbeit nicht untergebracht Kenntnis nehmen, daß wir auch in Zukunft bereit werden konnte. Damals war der Ansatz der Mittel sind, notwendige Kapitalerhöhungen mitzutragen. für Öfentlichkeitsarbeit in Einzelplan 23 außeror- dentlich hoch. Wir sind der Auffassung, wenn es Lassen Sie mich hier folgende Bemerkung ma- uns bisher noch nicht gelungen sein sollte, die Not- chen. Wir scheuen uns manchmal, eigene Anträge wendigkeit und Leistungsfähigkeit der Entwick- zu bringen, weil wir nicht erleben möchten, daß lungspolitik in unserem Lande darzulegen, dann das, was richtig ist, nur deshalb nicht gemacht hätten wir eine schlechte Öffentlichkeitsarbeit be- wird, Herr Kollege Löffler, weil es von der Opposi- trieben. Vielleicht ist eine kleine Reduktion ein tion kommt. Deshalb machen wir das vorher mei- heilsamer Zwang, manches, was auf diesem Gebiete stens gemeinsam, Herr Kollege Esters. geschieht, etwas besser zu machen. Ein Wort zur Stiftung für internationale Entwick- Lassen Sie mich noch wenige Bemerkungen zu lung in Berlin. Die Deutsche Stiftung für internatio- einigen anderen Punkten dieses Haushaltsplans ma- nale Entwicklung in Berlin ist eine hervorragende chen. Ich sprach eben von einem Ärgernis. Es gibt Möglichkeit, darzutun, daß Berlin eine Stätte inter- noch ein zweites Ärgernis in diesem Hause. Das ist nationaler Begegnung ist. Ich meine, wir täten gut die Abwicklungsstelle der Bundesstelle für Ent- daran — die Regierung und das gesamte Haus —, wicklungshilfe. Es ist unverständlich, wie außeror- die Anstrengungen der Stiftung für internationale dentlich schwierig es ist, diese Stelle endlich zur Entwicklung zu unterstützen, diese Chance von Abwicklung zu bringen. Ich stehe nicht an zu sa- Berlin als Drehpunkt internationaler Begegnung gen, daß ich auch kein Verständnis für die Haltung auszunutzen. des einen oder anderen Beamten oder Mitarbeiters (Beifall bei der CDU/CSU) dieser früheren Bundesstelle für Entwicklungshilfe habe, der sich mit viel Geschick und Raffinesse da- Wir hoffen sehr — darin sind wir uns wohl einig —, vor bewahrt, irgendwo wieder eine vernünftige Ar- daß Bundesregierung und Koalition diese Chance beitsstelle annehmen zu dürfen. wahrnehmen — wir sind dazu bereit —, die der Sitz Berlin bietet, und daß nicht aus irgendwelchen fal- Zur Gesellschaft für technische Zusammenarbeit schen Rücksichtnahmen — vielleicht nur vermutli- hat der Berichterstatter einige lobende Worte ge- chen Rücksichtnahmen — auf eine sogenannte Ent- sagt. Es ist nicht meine Aufgabe, diese lobenden spannungsatmosphäre auf diese Chance verzichtet Worte zu wiederholen. Wir halten die Gesellschaft wird. Auch im eigenen Interesse ist das gut. Denn für technische Zusammenarbeit für eine gute Lö- alle Besucher Berlins, die in der Deutschen Stiftung sung. Wir haben sie damals mit einiger Skepsis, für internationale Entwicklung Seminare, Kongres- aber doch mit Wohlwollen begleitet. Wir meinen se und Tagungen mitmachen, sind von der Leistung — und ich persönliche meine das aus eigener Er- dieser Stiftung beeindruckt. Sie sind aber auch be- fahrung —, daß die GTZ in ihren Entscheidungen eindruckt von der sehr deutlich vor Augen stehen- nicht genügend frei ist. Es darf unter keinen Um- den bitteren Situation unseres eigenen Vaterlan- ständen so sein, meine Damen und Herren, daß sich des. aus der GTZ so etwas entwickelt wie die BfE, also (Beifall bei der CDU/CSU) ein Ausführungsorgan des Ministeriums. Wir bitten dringend, darüber nachzudenken, ob es eine sinn- Lassen Sie mich eine Bemerkung zum Deutschen volle und glückliche Lösung ist, daß es eine außer- Entwicklungsdienst machen. Auch ich wie alle mei- ordentlich enge persönliche Verzahnung zwischen ne Freunde erkennen sehr hoch an, daß der Deut- Ministerium und der GTZ gibt. sche Entwicklungsdienst mit seinen Mitarbeitern für einen sehr bescheidenen finanziellen Ausgleich Eine zweite Bemerkung. Die Gesellschaft für eine hervorragende Arbeit leistet. Wir sehen ein technische Zusammenarbeit ist kein Konkurrenzun- Problem — ich glaube, Herr Kollege Esters, wir ternehmen zur Deutschen Entwicklungsgesellschaft. sollten das für die nächsten Haushaltsberatungen Ich sage das deshalb so deutlich, weil ich den Ein- nicht vergessen — in der Leitung des DED, die wir druck habe, als ob gerade die GTZ — ich meine vor Jahren aus bestimmten Überlegungen, so nicht die Geschäftsführung, sondern ich meine die scheint es mir, durch eine Personalverknappung er- Spitze des Aufsichtsrats — dieser Auffassung sei. schwert haben. Wir müssen das, glaube ich, wieder Die Aufgabenbereiche beider Gesellschaften sind reparieren. klar abgegrenzt. Es ist ganz verständlich, daß die GTZ nicht Aufgaben wahrnehmen kann, die die Lassen Sie mich etwas zu einem immer noch an- DEG macht. Die DEG ist völlig frei davon, sich in stehenden und schwer lösbaren Problem sagen, den Aufgabenbereich der GTZ selber hineinschleu- nämlich dem der Effizienzkontrolle, das nach wie Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2653

Picard vor nicht gelöst ist. Es wird wahrscheinlich auch zum Teil nicht nur im Interesse dieses Landes aus- nie endgültig gelöst werden können, weil natürlich gegeben werden. in der Entwicklungshilfe neue Maßnahmen wegen (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Nur der neuer Entwicklungen immer wieder notwendig blamiert die Bundesrepublik nicht so!) sind. Ich möchte aber das Ministerium auffordern, dieser Frage der Effizienzkontrolle eine vielleicht — Herr Kollege Haase, ich darf hier im Plenum des noch stärkere Bedeutung beizumessen. Das ist des- Deutschen Bundestages nicht all das erzählen, was halb außerordentlich wichtig — nicht, weil der Sie über Ihren Kollegen Todenhöfer im Haushalts- Haushaltsausschuß kritisch ist —, weil wir die Be- ausschuß gesagt haben. träge, die der Berichterstatter vorhin genannt hat, (Zuruf von der CDU/CSU) vor der deutschen Bevölkerung, vor dem deutschen — Herr Kollege Schmitz, ich bin immer gerne be- Steuerzahler nur dann rechtfertigen können, wenn reit, auf Ihre Hinweise zu reagieren. Sie bestätigen wir ihm auch den Erfolg unserer entwicklungspoli- jedenfalls, daß Sie heute morgen sehr eifrig bei der tischen Anstrengungen deutlich vor Augen führen Sache sind. können. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch Meine Damen und Herren, abschließend darf ich folgendes zu dem sagen, was der Kollege Esters sagen, meine Fraktion — und das ist nicht neu — vorgetragen hat und was zum Teil auch Herr Kolle- bejaht Entwicklungshilfe. Wir haben die Erhöhun- ge Picard an positiver Darstellung zu diesem Ein- gen gemeinsam beschlossen. Wir wären glücklich, zeletat gegeben hat. Sicherlich ist es so, daß wir wenn wir in der Lage wären, auch im nächsten Jah- alle im Rahmen dieses Etats etwas mehr Geld aus- re eine überdurchschnittliche Erhöhung des Etats geben möchten. Herr Kollege Picard, wenn Sie am für Entwicklungshilfe gemeinsam durchzusetzen. Schluß sagen, Sie würden diesen Einzeletat gerne (Josten [CDU/CSU]: So ist es!) erhöhen, dann möchte ich Sie natürlich bitten, ir- gendwann einmal bereit zu sein, mit der Koalition Entwicklungshilfe dient und soll auch nicht nur dafür zu sorgen, daß die Einnahmeseite entspre- den Interessen der Entwicklungsländer dienen. Sie chend aussieht, damit wir auch mehr Geld ausge- soll und muß auch den Interessen unseres eigenen ben können. Vielleicht können Sie sich doch noch Landes dienen, und das nicht nur dadurch, daß wir dazu durchringen, unserer Mehrwertsteuererhöhung Partner im wirtschaftlichen Bereich schaffen, son- zuzustimmen. Wir würden ja alle gerne mehr Geld dern auch dadurch, daß wir die freie Welt nicht ausgeben. Man muß nur ehrlich bleiben und sagen, schwächen, sondern möglichst stärken. wie man dieses Geld beschaffen will. Nur über den Kreditmarkt geht das nicht. Das wissen Sie genauso- Ich spreche damit ein heißes Problem an, für das gut wie ich. es keine Patentlösung gibt. Es kann aber nicht sein, meine Damen und Herren, daß wir deutlich erkenn- Der zur Beratung und Beschlußfassung vorliegen- bar kommunistische Länder oder kommunistische - de Einzelplan 23 verdient trotz aller immer noch Bewegungen unterstützen. Ich glaube, das kann möglichen kritischen Anmerkungen, was seine von uns niemand verlangen. Ich hoffe sehr, daß das Höhe angeht, unsere Zustimmung. Die Freien De- Haus dafür sorgt, daß der Eindruck, der auch im mokraten werden diesem Haushalt auch zustimmen. Zusammenhang mit der Afrikareise der Frau Mini- Das wird Sie nicht wundern. ster entstanden ist, als ob wir hier etwas leichtfer- Die innerhalb des Gesamthaushalts zu setzenden tig über unsere eigenen Interessen hinwegsähen Prioritäten haben es dem Haushaltsausschuß auch oder sie gar mißachteten, sich in der Zukunft nicht nicht leichtgemacht, in diesem Bereich möglichst weiter verstärkt. zu erhöhen. Wir sind in einigen Bereichen gemein- (Beifall bei der CDU/CSU) sam dazu gekommen; wir sind in vielen Bereichen, auch bei kleinen Beträgen, auch im Bereich der technischen Hilfe, wo es nur um zweistellige Mil- Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Das lionenbeträge ging, mit Zustimmung der Kollegen Wort hat der Herr Abgeordnete Gärtner. von der Opposition dazu gekommen, den Einzelplan etwas stärker zu gestalten. Über den Bericht des Abgeordneten Esters hinaus Gärtner (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Picard, wir hatten relativ lan- wollte ich noch darauf hinweisen, daß natürlich öf- fentliche Entwicklungshilfe ge einvernehmliche Berichterstattergespräche, und nur e i n Faktor in der internationalen Zusammenarbeit ist. Es wird zum von daher hatte ich mich ein bißchen gewundert über den Einstieg, den Sie heute morgen hier ge- Teil völlig übersehen, daß auch der private Bereich einen Beitrag dazu leistet. Von daher sollten wir nommen haben. Ich muß Ihnen sagen: so eine rela- tiv abgestandene Presseschau, wie Sie sie hier vor- bei den zukünftigen Beratungen dem Gedanken getragen haben, nützt den Interessen dieses Landes noch einmal nähertreten, inwieweit bei den Priva- ten möglicherweise eine etwas stärkere finanzielle meines Erachtens überhaupt nicht. Hilfe ins Auge gefaßt werden kann. (Beifall bei der FDP und der SPD) Eine konsequente Anwendung der Prinzipien, die Wenn Sie schon bei Reisekosten so „brutal" sind, wir in den Beratungen und auch schon bei der Re- könnten Sie gelegentlich Ihrem Kollegen Todenhö gierungserklärung dargestellt haben, wird es uns fer einmal sagen, daß auch bei ihm Reisekosten leichter machen, im Rahmen der internationalen 2654 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Gärtner Zusammenarbeit all das zu tun, was für unser Land ten Welt deutlicher wahr als noch vor wenigen notwendig ist, nicht nur in dem Sinne, daß wir die Jahren. Es ist ein sehr ermutigendes Zeichen, daß Arbeitsplätze in unserem Land sichern, sondern daß das Parlament der Debatte um den Einzelplan 23 wir auch dazu beitragen, für diejenigen Länder, die einen so breiten Raum gibt. unsere Hilfe notwendig haben, den erforderlichen Ich bedanke mich für die Arbeit der Berichter- Geldbetrag zur Verfügung stellen. statter, die ich als sehr fair bezeichnen muß. Sie haben zwei Kürzungsanträge gestellt. Der Herr Kollege Picard, Ihre Auffassung, daß Reise- eine ist der verschlüsselte Hinweis auf das Amtsge- kosten nur für erfolgreiche Reisen gewährt werden halt. Ich habe mich eben beim Kollegen Haase er- sollen, ist auch meine Auffassung. Sie könnten sich kundigt. Einen Antrag auf Streichung des Amtsge- über den Erfolg meiner Reise unter anderem bei der haltes stellen sie nicht. Sie wollen stattdessen die deutschen Wirtschaft erkundigen, der Sie ja in ge- Dienstreisekosten heruntersetzen. Dazu haben Sie wisser Weise nahestehen. Sie hätten auch selbst in noch einen pfiffigen Kürzungsantrag im Bereich der den Ländern nachfragen können. Sie hätten gestern Öffentlichkeitsarbeit gestellt. Herr Kollege Picard, und vorgestern afrikanische Staatsmänner fragen vielleicht sehen Sie doch noch einmal in den Erläu- können. Sie können morgen den Vizepräsidenten terungen nach. Es könnte Ihnen nämlich passieren, des Botsuanischen Parlaments fragen, und Sie kön- daß Sie bei diesem Kürzungsantrag z. B. Informati- nen Herrn Bradford Morse, der zu unserer großen onsprogramme mit Institutionen der Erwachsenen- Freude unter uns weilt bildung wie Volkshochschulen und Kirchen auch (Allgemeiner Beifall) streichen. Ich weiß nicht, ob Ihnen das besonders lieb ist. Dieser Betrag umfaßt rund 1 Million, und und den zu begrüßen ich schon die Ehre hatte, fra- da Sie nicht spezifizieren, was gestrichen wird, gen, ob meine Reisen erfolgreich waren. Bradford könnte es durchaus sein, daß in diesem wichtigen Morse ist Vertreter der technischen Zusammenar- Bereich eine Streichung erfolgt. beit in den Vereinten Nationen. Er weiß zu würdi- gen, zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Mit- Lassen Sie mich zum Schluß auf folgendes hin- teleinsatz wir unsere Arbeit in diesem Jahr dort be- weisen. Es gibt viele in unserem Lande, die für Ent- trieben haben. Sie brauchten sich also nicht aus wicklungspolitik — — zweiter Hand zu bedienen. (Zuruf von der CDU/CSU) Aber im übrigen ist festzustellen, daß die Berich- — Der Kollege Zimmermann hat in diesem Augen- terstatter aller drei Fraktionen versuchen, Entwick- blick wichtigeres zu tun; ich gebe Ihnen recht. lungspolitik nicht als ein Feld parteipolitischer (Zurufe von der CDU/CSU: Er hat auch Auseinandersetzungen zu sehen, sondern sie viel- recht! — Er hat immer recht!) mehr als eine Aufgabe zu verstehen, die wir ge- meinsam mit allen anderen Staaten im Westen, im Es gibt in diesem Lande nur sehr wenig Bereit- Süden, aber auch im Osten meistern müssen. schaft, für die Entwicklungspolitik mehr Geld aus- zugeben. Das heißt: eine handfeste Lobby hierfür - Frau Mi- gibt es nicht. Es ist schwierig, wenn wir versuchen, Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: nister, gestatten Sie eine Bemerkung. Der Herr Kol- gegenüber unseren Bürgern Entwicklungspolitik zu lege Dr. Friedmann hat sich zu einer Zwischenfrage begründen. Wir haben zum Teil das Problem, daß gemeldet. Ich wollte nur nochmals darauf aufmerk- die Vorurteile in unserem Lande gegenüber diesem sam machen, daß wir Zwischenfragen und ihre Be- Einzelplan sehr groß sind. Ich bitte, in der noch antwortung in die Gesamtverteilung der Redezeiten stattfindenden Debatte in diesem Bereich möglichst einrechnen müssen. nicht mehr Vorurteile zu produzieren, als sowieso schon vorhanden sind. Ich bitte weiter herzlich, in der Debatte nicht all das stehen zu lassen, was in Frau Schlei, Bundesminister für wirtschaftliche Zu- der Ostpolitik lange Zeit gestanden hat und was Ihr sammenarbeit: Ich bitte den Kollegen, mir zu erlau- Kollege Biedenkopf seit einigen Tagen aufräumen ben, in meiner ersten Haushaltsrede meine Gedan- will. Hier sollte er vielmehr aufräumen, weil dort ken im Zusammenhang zu Ende zu führen. noch eine ganze Menge an außenpolitischen Laden- Entwicklungspolitik hat heute zwei wesentliche hütern vorhanden ist. Ich weiß nicht, ob man mit Ziele: Das erste Ziel ist die Weiterentwicklung der diesen politischen Grundkonzeptionen relativ weit Weltwirtschaft zu einer Ordnung, in der alle Völ- kommt, wenn es darum geht, in der internationalen ker Platz haben und zu ihrem Recht kommen. Zwei- Zusammenarbeit voranzukommen. tens muß sie dazu beitragen, daß Freiheit von Not (Beifall bei der FDP und der SPD) und von absoluter Armut zu einer realistischen Be- schreibung der Lebenslage möglichst vieler Men- schen auf dieser einen Welt wird. Entwicklungspo- Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Ich er- litik muß aber auch — und dies ist eine Aufgabe, teile das Wort der Frau Bundesministerin für wirt- der wir uns nicht verweigern dürfen — zur Erleich- schaftliche Zusammenarbeit. terung der wirtschaftlichen Lage und zur Milderung der Not der Menschen in politischen Spannungsge- Frau Schlei, Bundesminister für wirtschaftliche Zu- bieten beitragen. Der heutige Zustand der Welt- sammenarbeit: Herr Präsident! Meine Damen und wirtschaft bedroht den Frieden, weil diese Welt- Herren! Ein großer Teil unserer Offentlichkeit wirtschaft die Chancen zugunsten der reichen Län- nimmt die Bedeutung unserer Beziehungen zur Drit- der und zuungunsten der armen Länder verteilt. Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode --- 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2655 Bundesminister Frau Schlei Unser Bundespräsident hat dazu vor einigen Ta- einander stärken. Denn schließlich sind ja die Ent- gen folgendes gesagt — ich zitiere mit Genehmi- wicklungsländer selber der größte Markt der gung des Präsidenten —: Welt. Wir treten nach wie vor für den freien Welt- Wir unterstützen den Wunsch der Entwicklungs- handel ein. Aber wir müssen uns bewußt sein, länder nach stabilen volkswirtschaftlichen Einkom- daß wir dieses Prinzip selbst gefährden, wenn men durch Regelungen im Bereich der Rohstoffe wir es nicht verstärkt mit dem sozialen Gedan- und durch Stabilisierung der Exporterlöse. Wir er ken — und das heißt hier Entwicklungshilfe — leichtern ihre Schuldenlast. Wir überdenken Mög- verbinden. Der freie Welthandel setzt ein lichkeiten, wie wir den sogenannten Schwellenlän- Gleichgewicht voraus, das gegenwärtig nicht dern — die schon fast in der Lage sind, mit den ei- vorhanden ist. Dieses Gleichgewicht schritt- genen Problemen fertig zu werden — bei der Lö- weise zu erreichen, ist die Aufgabe, die vor al- sung Ihrer Probleme in spezifischer Weise helfen lem den Industrieländern und den rohstoffrei- können, den Schwellenländern in Lateinamerika, im chen Ländern gestellt ist. Alle Menschen müs- Mittelmeerraum, in Asien und selbstverständlich sen wirklich die Chance erhalten, wettbe- auch in Afrika. werbsfähig zu werden, um am Welthandel auch zu ihrem Nutzen teilnehmen zu können. Wir übertragen unsere wirtschaftliche Zusam- Dazu brauchen sie unser Kapital, unser techni- menarbeit in Form von technischem Wissen und sches Anwendungswissen und unsere Märkte. Kapital. Weil der Bedarf an technischem Wissen Nur wenn wir ihnen dies alles verstärkt zu- und an Kapital in der Dritten Welt groß ist, wollen gänglich machen, können wir den freien Welt- wir, daß sich viele andere bei dieser Leistungsüber- handel, von dem unsere Existenz abhängt, er- tragung beteiligen, z. B. unsere deutsche Wirt- halten. schaft. Denn sie verfügt über größere Kapazitäten als der Staat. Die Dritte Welt hat längst begriffen, (Beifall bei der SPD und der FDP) daß mehr Teilhabe an der Weltwirtschaft mehr Wir profitieren von den heutigen Weltwirt- Wohlstand bedeutet. Es wird selten genug ausge- schaftsstrukturen. Denn wir sind ein ebenso export- sprochen, daß das Ziel der Entwicklungsländer bei abhängiges wie rohstoffabhängiges Land. Wir kön- der Neuordnung der Weltwirtschaft praktisch nen uns als solches eine Konfrontation mit den Ent- nichts anderes als ihre stärkere Integration in die wicklungsländern auf internationaler Ebene nicht Weltwirtschaft ist. erlauben. Dies hat Herr Kohl in seiner entwick- (Dr. Todenhöfer [CDU/CSU] : Das ist lungspolitischen Rede vor Ihrem Kongreß festge- falsch, schlicht und einfach falsch!) stellt. Damit soll er einmal recht haben. — Das ist richtig. Auch wenn es für einige Vertre- Wir sind in die Weltwirtschaft in einem Maß in- ter der Opposition schwer zu begreifen ist, Herr tegriert, das noch von zu wenigen Bürgern bei uns Todenhöfer, ist es doch so, daß unser Wohlstand gewußt wird. -eng mit unserer Integration in die Weltwirtschaft (Zuruf von der CDU/CSU: Das trifft zu!) verbunden ist. (Beifall bei der SPD und der FDP) Wir sind unter den westlichen Industrieländern der drittgrößte Verbraucher von Rohstoffen. Aber so Wenn das für uns gilt, muß es doch auch für die arm an Rohstoffen, wie wir sind, ist nur noch Ja- Entwicklungsländer gelten. Wir können nicht mehr pan. Wir können also kein Interesse daran haben, zurück; es gibt kein Zurück. Der Preis für mehr mit rohstoffliefernden Entwicklungsländern in Aus- Autarkie wäre Armut. Also gehen wir vorwärts, einandersetzungen zu geraten, die eine Verweige- Herr Kollege Köhler. Aber das ist ja weniger unser rung, eine Verknappung, eine Kartellbildung oder Problem als Ihres, wie ich meine. sprunghafte Preissteigerungen zur Folge haben könnten. Wir können uns dies um unserer Arbeits- Für uns bedeutet dies, daß wir den Entwicklungs- plätze willen nicht leisten. ländern stärker unsere Märkte öffnen müssen. Wir sehen, daß unsere Partner in der Europäischen Ge- Wir sind auch deshalb an der wirtschaftlichen meinschaft hier schneller an Grenzen stoßen, als Stärke und Leistungsfähigkeit der Dritten Welt in- uns lieb ist. Wir bemühen uns in der Europäischen teressiert, weil wir dorthin exportieren wollen. Gemeinschaft nachweisbar um verstärkte Koordi- Selbstverständlich sind hier unsere eigenen Interes- nierung und Harmonisierung der einzelnen Politi- sen identisch mit den Interessen der Entwicklungs- ken, und wir sind, wie ich meine, auf einem Weg länder. Dies muß gelernt werden. nach vorn. Deshalb fördern wir die Voraussetzungen für de- Ich wiederhole: Bei der Lösung wirtschaftlicher ren wirtschaftliche Stärke. Wir unterstützen Pro- Fragen sind die Interessen der Industrieländer und duktionen zur bedeutsameren Versorgung der Be- der Entwicklungsländer unauflöslich miteinander völkerung in den Ländern der Dritten Welt. Denn verbunden. Es ist unabdingbar geworden, für ge- Produktion ist dort Voraussetzung für mehr Kauf- meinsame Fragen, für gemeinsame Probleme ge- kraft. Wir fördern die Weiterverarbeitung von Roh- meinsame Lösungen und Antworten zu finden. stoffen und die Herstellung von Waren für den Handel der Entwicklungsländer mit uns. Aber wir (Beifall bei der SPD und der FDP) wollen auch von Jahr zu Jahr mehr Projekte för- Die berechtigten Forderungen der Dritten Welt, dern, die den Handel der Entwicklungsländer unter- nämlich der Mehrheit der Menschen und der Mehr- 2656 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Bundesminister Frau Schlei heit der Völker, nach größerer Teilhabe an der großen, einen größeren Teil unserer Hilfe den ärm- Weltwirtschaft lassen sich aus diesem Zusammen- sten Entwicklungsländern und den am meisten be- hang nicht mehr herauslösen. nachteiligten Gruppen in den Entwicklungsländern zukommen lassen. Die Konferenz für internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit, die vor drei Wochen in Paris zu (Beifall bei der SPD und der FDP) Ende ging, ist dabei einen Schritt in einem sehr, sehr langen Abstimmungsprozeß, in dem beide Sei- Das ist nicht immer einfach, weil die Souveräni- ten noch viel mehr über Abhängigkeit voneinander tät der einzelnen Staaten von uns voll respektiert zu lernen haben, vorwärts gekommen. Es kommt wird und weil manches Industrieprojekt lieber ge- nicht von ungefähr, daß die Entwicklungskommis- nommen wird als ein landwirtschaftliches Projekt. sion, die neben den Kommissionen für Energie, Fi- Wir aber müssen auf diesen Grundzielen bestehen. nanzen und Rohstoffe tagte, den verhältnismäßig Sie müssen für unsere Arbeit mit den Partnern in größten Erfolg zu verzeichnen hatte, und zwar im Asien, in Lateinamerika und gleichermaßen in Afri- Bereich der industriellen Zusammenarbeit, bei der ka gelten. Ländliche Entwicklung muß an erster Landwirtschaft und Ernährung, beim Aufbau der In- Stelle stehen; denn sie allein verbessert die Lebens- frastruktur, bei der Förderung von Wissenschaft bedingungen der weitaus größten Bevölkerungs- und Technologie und nicht zuletzt beim Volumen gruppen am nachdrücklichsten. Sie erleichtert auch und bei den Bedingungen der Entwicklungszusam- ganz besonders das Los der Frau. Nur die Einbezie- menarbeit. Ich meine, Entwicklungspolitikern ist hung der Frauen in den Entwicklungsprozeß, die die Kenntnis der Interessengleichheit, des Interes- Förderung ihrer Bildung und Ausbildung, die Ent- senausgleichs, der Tatsache, daß bei solchen Konfe- wicklung eines tragfähigen Sozialsystems bilden renzen niemand am längeren Hebel sitzt, nichts die Chance, der sogenannten Bevölkerungsexplo- Neues. Ich meine deshalb auch, es wäre möglich, sion, und zwar auf eine humane Weise, zu begeg- daß die Entwicklungspolitiker in Zukunft Schritt- nen. macher für das Bewältigen von Dialogformen Darauf hat jüngst der Weltbankpräsident McNa- sind. mara verwiesen. Er hat erklärt, es sei keineswegs Die finanzielle Sonderaktion der Industrieländer ersichtlich, daß der Hunger die Folge der angebli- mit dem Volumen von 1 Milliarde Dollar für die chen Uberbevölkerung sei. Er meint, angesichts der ärmsten Länder hat wesentlich zum feststellbaren biologischen und ökonomischen Fakten springe ins Ergebnis dieser Konferenz beigetragen. Der Beitrag Auge, daß vielmehr das Gegenteil wahr sei, daß die der Bundesrepublik dazu in Höhe von 300 Millio- Uberbevölkerung eine Folge des Hungers sei. Der nen DM ist vom Haushaltsausschuß des Deutschen Hunger, so wird gesagt, erhöhe nicht nur die Sterb- Bundestages einstimmig, rechtzeitig und als zusätz- lichkeit, sondern in viel größerem Maße die Frucht- liche Leistung beschlossen worden. Dafür ist dem barkeit. Parlament Dank zu sagen. Sie, meine Damen und Herren, haben ihre Mitverantwortung auch in die- Wenn wir dazu beitragen, die konkreten Bedürf- sem Teilbereich der Entwicklungspolitik bewiesen.- nisse einzelner Menschen konkret zu erfüllen, lin- Es ist wesentlich, daß diese Sonderaktionsleistung dern wir nicht nur Not, beseitigen wir nicht nur die als eine einvernehmliche Leistung innerhalb der absolute Armut, sondern dann geben wir ganzen Europäischen Gemeinschaft vereinbart werden Gruppen und natürlich dem einzelnen mehr Mög- konnte. lichkeiten für Lebensplanung, für Selbstverwirkli- chung und damit selbstverständlich auch Sicherheit Der Jahrestag des Marshall-Plans am 5. Juni die- für die Zukunft ihrer Länder. ses Jahres hat uns daran erinnert, daß wir gut dar- an täten, unsere Zusammenarbeit mit den Entwick- (Beifall bei der SPD und der FDP) lungsländern auch auf jene internationale Solidari- tät zu gründen, ohne die nach 1945 der Aufbau un- Das ist ein sehr hoher Anspruch. Er fordert Soli- Gruppen und serer Wirtschaft nicht in dieser Weise, wie es ge- darität. Ich bin deshalb besonders den in unserem Land dankbar, daß sie sich lang, ermöglicht worden wäre. Wir sind in dieser Institutionen Meinung von vielen internationalen Politikern be- dieser Aufgabe angenommen haben. stätigt worden. Ich denke, wir alle haben durch den (Beifall bei der SPD und der FDP) Marshall-Plan gelernt, daß sich Eigeninteresse und Solidarität durchaus verbinden lassen. Wenn das so Sie tragen in oft selbstloser Weise dazu bei, diese ist, dann muß das heute auch für die Entwicklungs- Aufgabe — zum Teil für uns mit — zu verwirkli- länder gelten. chen. Ihr Einsatz muß als eine ganz unentbehrliche Ergänzung der staatlichen Aufgabe angesehen wer- Unser entwicklungspolitisches Konzept stellt den den. Schutz des schwächeren Partners an die erste Stel- le. Das schlägt sich in der Rahmenplanung prak- Ich möchte an erster Stelle den Kirchen danken tisch nieder, die die Bundesregierung jedes Jahr sie nennen, weil sie in vorbildlicher Weise etwas dem Parlament, dem entsprechenden Ausschuß, leisten, wozu sich auch Stiftungen und freie Träges vorlegt. Wir zeigen in dieser Rahmenplanung sehr entschlossen haben. Ihre Einstellung wurde in die. frühzeitig die Schwerpunkte unserer Bemühungen sen Tagen durch einen Vertreter der Evangelischer auf. Wenn wir etwas gegen die Armut, wenn wir Kirche so formuliert: Hilfe ist nicht an politische etwas gegen die Entwürdigung des Menschen durch gesellschaftliche oder religiöse Bindungen ge die absolute Armut tun wollen, müssen wir einen knüpft, sondern nur daran, daß Menschen, die Not Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2657 Bundesminister Frau Schlei leiden, darauf warten, daß wir ihnen zum Nächsten Die Parteien haben sich dankenswerterweise in- werden. zwischen zum Ziel der Übertragung von öffentli- (Beifall bei allen Fraktionen) cher Hilfe in Höhe von 0,7 °/o des Bruttosozialpro- dukts bekannt. Wir werden gemeinsam überlegen Am Gesamtergebnis des Einzelplans 23 können müssen — und wir werden dies vielleicht als eine auch Kritiker erkennen, daß diese Regierung zu ih- nationale, gemeinsame Aufgabe begreifen —, wie ren Ankündigungen aus der Regierungserklärung wir diesem Ziel zügig näherkommen können. Regie- steht. Es ist ein Baransatz von 3,25 Milliarden DM rung und Parlament haben in diesem Jahr gezeigt, vorgesehen. Unsere Verpflichtungsermächtigungen, welche Mittel sich bei Anspannung aller Kräfte zu- d. h. unsere Möglichkeiten, zukünftige Ausgaben zu sätzlich mobilisieren lassen. planen, sind im Laufe eines Jahres auf 6,2 Milliar- den DM erhöht worden. Das Parlament hat dann Nun, weil es Sie, hoffe ich, sehr interessiert, aber darüber hinaus 440 Millionen DM Verpflich- noch ein Wort zu unserem Beitrag zur Afrikapolitik tungsermächtigungen zur Verfügung gestellt. Ich dieser Bundesregierung. Am Montag habe ich mit finde, dies ist eine Leistung. Sie muß unseren Bür- dem Präsidenten der Befreiungsbewegung ZAPU — gern deutlich gemacht werden. Wir müssen diese Zimbabwe African People's Union —, Joshua Nko- Leistung gemeinsam vor der Öffentlichkeit vertre- mo, gesprochen. Wir hatten bereits im April dieses ten. Das können wir, weil Sie mit die Garantie da- Jahres in Sambia ein dreistündiges Gespräch. Nko- für übernehmen, daß diese Mittel vernünftig ausge- mo ist der Vertreter des Volkes von Zimbabwe, das geben werden. auf seine Freiheit wartet Ein großer Teil dieser Verpflichtungsermächti- (Dr. Todenhöfer [CDU/CSU] : Ein radika gungen ist für die der Weltbank angeschlossene In- ler Vertreter, nicht d e r Vertreter!) ternationale Entwicklungsorganisation bestimmt. und das dann, wenn es seine Freiheit hat, seine Wir nennen sie abgekürzt in unserem Sprachge- Blockfreiheit behalten will. brauch IDA. Diese internationale Organisation, be- kannt für ihre präzise und solide Arbeit, wird dafür (Zuruf von der CDU/CSU: Woher wissen sorgen, daß dieser hohe Betrag, eingebracht in eine Sie das?) Gemeinschaftsleistung der Industrienationen, den Wir wollen ihn dabei unterstützen und dazu beitra- ärmeren Entwicklungsländern zugute kommt. Mit gen, daß dieses Volk, wenn es unabhängig ist, in der Aufstockung des in der Weltbank zur Verfü- der Lage sein wird, seinen eigenen Weg ohne Ein- gung stehenden Finanzvolumens haben wir einen flußnahme von irgendeiner Seite zu gehen. bedeutsamen Beitrag geleistet, weil wir unsere Lei- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten stung rechtzeitig und pünktlich erbracht haben. der FDP) Wir haben damit — so sagt es McNamara — ande- ren Nationen einen Impuls gegeben, zur rechten Wer sich so entschieden für seine Unabhängigkeit Zeit das Ihre zu tun. einsetzt, will sich dann nicht ohne Not in neue Ab- hängigkeit- drängen lassen. Und Sie müssen sich Wir haben unsere Leistungen für UNDP um 25 % fragen lassen, ob Sie bittend hingehaltene Hände steigern können. Ich weiß, daß Bradford Morse sie leer lassen wollen, ob das eine Auffassung von getreu und präzise für technische Projekte in der Menschenrechten, Menschenwürde und Mitbestim- gesamten Welt verwenden wird. mung ist, die in einem Volk gültig bleiben darf, das (Beifall bei der SPD) selber die Welt in eine große Unruhe, in einen weltweiten Krieg gestürzt hat, weil es auch bereit Bei uns wächst die Bereitschaft, die Entwick- war, rassistisch zu handeln. Dieses Thema ist, wie lungsländer bei der Erschließung ihrer Rohstoff- es scheint, noch heute ein kompliziertes Thema, ob- quellen und beim Absatz ihrer Produkte auf unse- wohl jeder seit 1945 die Ergebnisse von Rassismus ren Märkten zu unterstützen. Dies kann ich mit im Leiden des eigenen Volkes wiederfinden kann. Dank auch für unsere Gewerkschaften feststellen, Die Bundesregierung hat als Mitglied des Sicher- die sich verpflichtet haben, mit mir in Seminaren die schwierige Problematik der Entwicklungspolitik heitsrates der UNO bei der Maputo-Konferenz mit Vertretern der wichtigsten Befreiungsbewegungen ihren Mitgliedern zu vermitteln. an einem Tisch gesessen. Wir können ohne eine (Beifall bei der SPD und der FDP) Zusammenarbeit mit den Befreiungsbewegungen nicht über unsere zukünftige Zusammenarbeit mit Die Dritte Welt bestellt bei uns industrielle Pro- den Staaten im südlichen Afrika entscheiden; dies dukte, die sie für den eigenen Aufbau braucht, aber muß klar sein. nicht selber herstellen kann. Die Arbeitsplätze, die so bei uns gesichert werden, und der Spielraum, (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP) den wir dadurch für den notwendigen Strukturwan- del in unserer Arbeitswelt gewinnen, sind innenpo- Unsere Entwicklungspolitik steht auch hier im Ein- litische Erfolge, die zusätzliche Hilfe für Entwick- klang mit unseren außenpolitischen Grundsätzen, lungsländer rechtfertigen und die Sie mit Stolz den wie sie in verschiedenen bedeutsamen Konferenzen Bürgern gegenüber vertreten sollten. Ich sehe hier durch unseren Außenminister Hans-Dietrich Gen- noch nicht alle Möglichkeiten voll ausgeschöpft, scher formuliert worden sind. Ich erinnere nur an die dem Staat und der deutschen Wirtschaft zur seine Rede vor den UN im September 1976, wo er Verfügung stehen. das Thema „Menschenrechte" in einer Grundsatz- 2658 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Bundesminister Frau Schlei form erörtert hat, die wir noch öfter zur Kenntnis schaffen worden. Eine besondere Komponente hat nehmen sollten. diese kommunistische Offensive in der Dritten Welt für uns dadurch erhalten, daß die DDR im Wir haben mit die Verantwortung, das Leid zu Rahmen der sowjetischen Gesamtstrategie eine mildern, soweit es sich überhaupt mildern läßt, so- wachsende Bedeutung gewonnen hat. Das gilt für lange den Menschen dort im südlichen Afrika das die Tätigkeit politischer Berater, militärischer Bera- Recht auf Selbstbestimmung vorenthalten bleibt. ter und Ausbilder in Algerien, Libyen, Somalia so- Diese Politik, die eine Politik des Verzichts auf Ge- wie insbesondere in Mozambique und Angola, hier Verzichts auf waltanwendung, eine Politik des in Zusammenarbeit mit den Sowjetrussen und den ist, wird in Afrika verstanden. Waffenlieferungen Kubanern. Die Kirchen in unserem Lande verstehen sie auch. Ich hoffe, die Christen in der Politik sind auch in Die Bundesregierung hat auf diese neue Entwick- der Lage, sie zu verstehen. lung, vor allem in Afrika, völlig hilflos und meines Erachtens unzureichend reagiert. Sie leistet insbe- (Beifall bei der SPD) sondere weiterhin in völlig undifferenzierter Weise Uns allen sollte daran gelegen sein, daß die - ich unterstreiche: in undifferenzierter Weise — Glaubwürdigkeit der westlichen Länder im südli- Entwicklungshilfe an kommunistische Regierungen, chen Afrika, die seit dieser Maputo-Konferenz zu- ferner an Länder, die mit sowjetischer oder kubani- genommen hat, erhalten bleibt. Dann, wenn der scher Hilfe Guerillakämpfer für dritte Länder aus- Westen sein Engagement für die Dekolonialisie- bilden, und neuerdings auch humanitäre Hilfe an so- rung und gegen den Rassismus im südlichen Afrika genannte Befreiungsbewegungen. Die Bundesregie- ernst nimmt — so ernst, daß er dazu mit allen Kon- rung behauptet — auch bei Frau Minister Schlei ist sequenzen steht —, wird auch die Hilfe, die der das heute angeklungen —, sie wolle mit Entwick- Ostblock dorthin liefert, nämlich Waffen, an Wert lungshilfe und humanitärer Hilfe die Unabhängig- einbüßen, wird sich auch dort der Beitrag der kom- keit dieser Staaten und der betreffenden Befrei- munistischen Länder daran messen lassen müssen, ungsbewegungen fördern. Dies ist angesichts der was er zu einer friedlichen Entwicklung der Region massiven Waffenhilfe der Sowjetunion und anderer beiträgt. kommunistischer Staaten für diese Länder und Be- Aber das westliche System ist, wie Präsident freiungsbewegungen sehr wenig überzeugend. Das Kaunda hier in Bonn kürzlich zum Ausdruck brach- politische Ergebnis ist de facto, daß wir durch un- te, wenig wert, wenn es die legitimen Rechte ande- sere Entwicklungshilfe und humanitäre Hilfe diesen rer nicht auch auf die eigenen Fahnen schreibt. Ländern und Befreiungsbewegungen die Möglich- Dies gilt für die politischen Rechte der schwarzen keit geben, sich zusätzlich Waffen bei der Sowjet- Mehrheiten ebenso wie für die Erfüllung der union und anderen kommunistischen Staaten zu Grundbedürfnisse der Menschen in der Dritten verschaffen. Welt und die Integration der Entwicklungsländer in (Beifall bei der CDU/CSU — Stahl [Kem die Weltwirtschaft. An dem, was wir gegenüber der pen] [SPD]: Das ist doch kalter Kaffee!) Dritten Welt leisten werden, wird gemessen, was - Völlig unzulänglich ist bisher die Position der wir unter Demokratie, Freiheit, Menschenwürde Bundesregierung gegenüber Südafrika. Auch die und Menschenrecht verstehen. Die Menschen der CDU/CSU lehnt die Politik der Apartheid ab. Dritten Welt, zwei Drittel der gesamten Mensch- heit, setzen ihre Hoffnung auf uns, und nun müssen (Hört! Hört! bei der SPD) wir uns dazu ansehen. Auf Grund der traditionellen politischen und wirt- (Lebhafter Beifall bei der SPD und der schaftlichen Beziehungen unseres Landes zu Süd- FDP) afrika hätte die Bundesregierung jedoch die Chance gehabt, auf eine Änderung der südafrikanischen Politik so einzuwirken, daß eine Entschärfung des Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Das Konflikts möglich gewesen wäre. Dies hätte aller- Wort hat der Herr Abgeordnete Todenhöfer. dings vorausgesetzt, daß die Bundesregierung nicht einfach die zum Teil politisch völlig unbrauchbaren Dr. Todenhöfer (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Vorstellungen der Mehrheit der Vereinten Natio- sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich nen übernommen hätte. Es muß hier klar gesagt nach dem allgemeinen Querschnitt durch die ge- werden: insbesondere die undifferenzierte Realisie- samte Entwicklungspolitik, den Entwicklungsmini- rung des reinen Mehrheitsprinzips für Südafrika ster Schlei dem Hohen Hause vorgelegt hat, aus kann die Probleme dieses Landes nicht lösen, da dem großen Feld der Nord-Süd-Politik zwei Berei- hierfür die politischen, die wirtschaftlichen, die so- che herausgreifen, die von Minister Schlei ange- zialen und die kulturellen Voraussetzungen fehlen. sprochen wurden: die deutsche Afrika-Politik und Die Bundesregierung hätte vielmehr gegenüber den den sogenannten Nord-Süd-Dialog. USA und der Europäischen Gemeinschaft initiativ Durch die sowjetische Offensive sowohl in Afri- werden müssen mit dem Ziel, der weißen Bevölke- ka wie im Indischen Ozean und durch die vorhan- rung in Südafrika die politische, militärische und denen Konfliktherde im südlichen Afrika, am Kap wirtschaftliche Absicherung dafür zu geben, daß Horn, in Nahost, am Persischen Golf und in Südost- auch bei einer großen politischen Lösung des Süd- asien sind für unsere militärische Sicherheit und für afrika-Problems die weiße Bevölkerung nicht nur die Versorgungssicherheit unseres Landes mit Roh- kulturell, sondern auch politisch weiter bestehen stoffen neue Belastungen und Gefährdungen ge- kann. Ein solches Angebot an die weiße Bevölke- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2659

Dr. Todenhöfer rung hätte durch ein Angebot einer umfassenden Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Herr Kol- wirtschaftlichen Aufbauhilfe an die schwarze Be- lege Todenhöfer, würden Sie eine Zwischenfrage völkerung ergänzt werden können. Die bloße Ach- zulassen? tung der südafrikanischen Rassenpolitik, wie sie die SPD/ FDP betreiben, ohne zugleich eine für alle Dr. Todenhöfer (CDU/CSU) : Nein, wir wollen die Gruppen der südafrikanischen Bevölkerung an- Redezeit hier einigermaßen einhalten. Ich möchte nehmbare Alternative aufzuzeigen, trägt nicht zu deswegen ebenso, wie es die Frau Minister getan einem inner-südafrikanischen Ausgleich bei. Sie hat, keine Frage zulassen. führt im Gegenteil zu einer Verschärfung der Si- tuation, da die undifferenzierte Unterstützung des Die Bundesregierung weiß auch, daß die Leistung Prinzips „one man, one vote" auf eine an die weiße humanitärer Hilfe über die sambische Regierung Bevölkerungsgruppe Südafrikas gerichtete Auffor- gleichzeitig eine Unterstützung der Politik der derung zur politischen Selbstaufgabe hinausläuft. Staaten bedeutet, die eine kriegerische Lösung in Das aber kann niemand ernsthaft von der weißen Rhodesien befürworten. Das ist ein seltsamer Bei- Bevölkerung Südafrikas verlangen. trag im Bereich der sogenannten Friedenspolitik der Bundesregierung. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Bundesregierung hat bisher auch keinerlei Meine Damen und Herren, die Politik der Bun- Kritik an den vielfach unmenschlichen Aktivitäten desregierung war in allen diesen Fragen sehr wenig der Swapo geübt, wie z. B. an der Entführung von konstruktiv: Die Forderung nach kollektivem Schulkindern oder der Inhaftierung gemäßigter Selbstbestimmungsrecht, die von den schwarzen Swapo-Führer in Konzentrationslagern in Sambia. Mehrheiten im südlichen Afrika erhoben wird, wird Ich frage wieder: Wo ist hier das Eintreten der von der Bundesregierung und von den meisten Bundesregierung für die individuellen Menschen- westlichen Industrieländern übernommen, ohne daß rechte in Afrika? gleichzeitig die Notwendigkeit der Sicherung des (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der individuellen Selbstbestimmungsrechts betont wird. SPD: Das ist unglaublich, was der sagt! — Dieses individuelle Selbstbestimmungsrecht sowie Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU] [zur das Recht der Minderheiten werden zur Zeit sowohl SPD gewandt]: Das ist nicht unglaublich!) in Angola wie auch Mozambique mit Füßen getre- ten, ohne daß die westlichen Industrieländer oder Meine Damen und Herren, die Bundesregierung die Bundesregierung dagegen im Rahmen der Dis- geht mit ihrer Politik in Afrika einen gefährlichen kussion über das südliche Afrika jemals ihre Stim- Weg. Selbst wenn diese Politik Erfolg haben sollte, me erhoben hätten. wird ihr Ergebnis wahrscheinlich nicht darin beste- hen, daß weiße Minderheitsregierungen durch (Stahl [Kempen] [SPD] : Herr Todenhö schwarze Mehrheitsregierungen abgelöst werden, fer, Sie sprechen für sich alleine und nicht sondern darin, daß eine Ablösung durch radikale für die Fraktion!) - Minderheitsregierungen stattfindet, d. h. durch eine Ich frage Sie: Wann ist die Bundesregierung jemals neue Diktatur, eine Diktatur der schwarzen Minder- mit derselben Entschlossenheit für die Verwirkli- heit. chung der individuellen Menschenrechte im südli- (Zuruf des Abg. Stahl [Kempen] [SPD]) chen Afrika eingetreten wie für die Abschaffung Meine Damen und Herren von der Regierungskoali- der Apartheid? tion, diesen Weg wird die CDU/CSU-Bundestags- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) fraktion nicht mit Ihnen gehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Bundesregierung hat bisher auch nichts ge- tan, um die gemäßigten Führer und Gruppen der Die Bundesregierung kann auch nicht länger ein- schwarzen Bevölkerung oder der Befreiungsbewe- fach darüber hinweggehen, daß es einem großen gungen im südlichen Afrika zu unterstützen und in- Teil der Länder, die Frau Schlei vorhin genannt ternational aufzuwerten. Das wäre ein konstrukti- hat, und der Befreiungsbewegungen, die diese Bun- ver Beitrag zum Abbau der Probleme im südlichen desregierung unterstützt, nicht nur um die Beseiti- Afrika gewesen. gung der Rassendiskriminierung geht. Als Beispiel können hier die Äußerungen des tansanischen (Beifall bei der CDU/CSU) Außenministers Kaduma, den Frau Schlei vorhin Die Bundesregierung hat im Gegenteil mit ihrer Po- erwähnte, anläßlich seines DDR-Besuches am 16. Sep- litik in erster Linie die radikalen, marxistisch tember 1976 gelten. Kaduma sagte dort: orientierten Befreiungsbewegungen unterstützt und Der Kampf um die Beseitigung der Rassendis- aufgewertet. Die Bundesregierung hat beispielswei- kriminierung wird zusammen mit dem Kampf se vor kurzem über die sambische Regierung huma- gegen den Imperialismus geführt, der die Ras- nitäre Hilfe für die rhodesischen Befreiungsbewe- sendiskriminierung erst hervorbringt. gungen in Aussicht gestellt, obwohl sie sich be- wußt war, daß die sambische Regierung nur die ra- Er fuhr fort: dikale marxistische patriotische Front anerkennt Zum Erkennen dieser Zusammenhänge braucht und nur dieser Hilfe von außen zukommen lassen man einen tieferen Einblick in die Lehre vom würde, und daß dabei z. B. der gemäßigte Führer Bi- Klassenkampf. Dieser Kampf muß weiterge- schof Muzorewa leer ausgehen würde. führt werden gegen den Imperialismus, 2660 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Dr. Todenhöfer — und damit ist auch die Bundesrepublik Deutsch- tegrierte Rohstoffprogramm sollen einen Einkom- land gemeint — menstransfer erzwingen, den der Markt nicht her- gibt und zu dem die Industrieländer bisher in Form der auf neokolonialistische Weise sichern von Entwicklungshilfe nicht bereit waren. möchte, daß die Monopole die Einwohner die- ser Länder weiter ausbeuten können. Die Union hat als Alternative zu einer planwirt- schaftlichen neuen Weltwirtschaftsordnung mehr- Dies sind Zitate der Gesprächspartner, auf die sich die Bundesregierung offensichtlich stützt. fach Vorschläge zur schrittweisen Verwirklichung einer Internationalen Sozialen Marktwirtschaft vor- (Widerspruch bei der SPD) gelegt. Noch deutlicher wurde der jüngste Gast von Au- (Stahl [Kempen] [SPD] : Wo ist denn die ßenminister Genscher und von Entwicklungsmini- Alternative?) ster Schlei, der eben zitierte Präsident der rhodesi- — Das brauchen Sie nur nachzulesen. schen Befreiungsbewegung Zapu, Nkomo. Nkomo, Empfänger deutscher humanitärer Hilfe, erklärte Die Bundesregierung hingegen hat, nicht zuletzt am 9. März 1977 im DDR-Fernsehen — man sollte auf Grund ihrer inneren Zerstrittenheit, eine rein sich diese Worte ganz genau anhören, wenn man defensive und hinhaltende Taktik angewandt. Sie seine Gesprächspartner hier so lobt, wie das die hat nicht agiert, sondern hat immer nur reagiert. Ministerin getan hat —: Das Ergebnis war und ist eine Art Echternacher Wir betrachten die SED als eine revolutionäre Springprozession in den internationalen Dirigismus, Bewegung ... Der Vorsitzende des Staatsra- die ihren vorläufigen Höhepunkt bei der Abschluß- tes konferenz des Nord-Süd-Dialogs in Paris gefunden hat. — also Herr Honecker — (Beifall bei der CDU/CSU) war eingekerkert wie auch wir in Zimbabwe Meine Damen und Herren von der Regierung, das eingekerkert waren . ..; aber ungebrochen ist einzige Kompliment, das ich Ihnen hier machen er für seine Prinzipien eingestanden, für die kann, bezieht sich auf die Eleganz, mit der es Ihnen Menschenrechte und für den Kampf gegen Ras- gelungen ist, davon abzulenken, daß diese Konfe- sismus und Imperialismus. Wir arbeiten also renz für Sie ein einziges Fiasko war. „Die Zeit", zusammen mit Menschen, die ähnliche Vorstel- eine Zeitung, die Ihnen etwas näher stehen dürfte lungen und Ideen wie wir haben ... Wir arbei- als uns, hat dies in einem Artikel vom 10. Juni die- ten zusammen gegen die gemeinsamen Feinde. ses Jahres mit den treffenden Worten charakteri- Wir siert: „Die Bundesregierung hat Positionen ge- — so Nkomo, Gesprächspartner und Freund von räumt ... , die sie anderthalb Jahre lang als essen- Minister Schlei — tials, als lebenswichtig verteidigt hat." schöpfen aus dem Schatz der Erfahrungen der Das gilt insbesondere für den wichtigsten Punkt SED im Kampf gegen Faschismus, Rassismus dieser Konferenz, den sogenannten Gemeinsamen und Imperialismus ... Wir kämpfen für die Fonds, das zentrale Instrument des von den Ent- gleichen Rechte und für die ... gleichen Zie- wicklungsländern geforderten internationalen Roh- le. stoffdirigismus. Die Bundesregierung hat entgegen Meine Damen und Herren, die Organisation dieses allen Beteuerungen vor dieser Konferenz zusammen Mannes ist — ich wiederhole es — nicht nur Ge- mit den übrigen Industrieländern nunmehr eindeu- sprächspartner von Frau Schlei, sondern auch Emp- tig die Zustimmung zur Errichtung des Gemeinsa- fänger deutscher humanitärer Hilfe. Das ist ein men Fonds als „Schlüsselinstrument" zur Errei- Skandal. chung der Ziele des Integrierten Rohstoffpro- (Beifall bei der CDU/CSU) gramms gegeben. Von der Idee des Bundeskanzlers, eine bloße Verrechnungsstelle, eine Clearingstelle Hier überschneidet sich der Nord-Süd-Konflikt in ohne eigene Mittel und ohne eigenes Management gefährlicher Weise mit dem Ost-West-Konflikt. zu errichten, ist heute keine Rede mehr. Um wie- Diese Problematik verlangt von der Außenpolitik derum mit der „Zeit" zu sprechen: der westlichen Industrieländer und von der Bundes- regierung — dazu fordern wir sie hier auf — eine Interpretationskünste nützen jetzt nichts mehr, viel aktivere und viel offensivere geistige Ausein- der Text des Schlußdokuments von Paris ist zu andersetzung mit der gesamten Dritten Welt, und eindeutig formuliert. Formulierungshelfer war sie fordert ein viel stärkeres Engagement für die in- Hans-Dietrich Genscher. dividuellen Menschenrechte gegenüber einem so- Damit hat die Bundesregierung in diesem Punkt zialistischen Menschenrechtsbegriff, in dem der eindeutig den antiliberalen Kurs des Vorsitzenden einzelne und sein Recht nichts mehr gilt. der Freien Demokratischen Partei, des Außenmini- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum sters Genscher, übernommen. zweiten Thema, zu der Frage der entwicklungspoli- Die Pariser Konferenz hat nach Auffassung aller tischen Diskussion über den Nord-Süd-Dialog kom- Beobachter endgültig bewiesen, daß für Außenmini- men. Zentrales Thema dieser wirtschaftlichen Dis- ster Genscher eine freiheitliche, liberale Weltwirt- kussion ist die Forderung der Entwicklungsländer schaftsordnung einen geringeren Stellenwert hat nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung. Die als das einheitliche Auftreten der EG nach außen. neue Weltwirtschaftsordnung und vor allem das In- Der sogenannte EG-Verbund ist für den deutschen Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2661 Dr. Todenhöfer Außenminister offensichtlich wichtiger als die In- daß nicht nur die Regierung die Folgen, sondern halte der EG-Politik, auch dort, wo diese Inhalte daß wir alle die Folgen tragen müssen. eindeutig antiliberalen Charakter haben. Das muß (Beifall bei der CDU/CSU — Stahl [Kem man der FDP einmal deutlich ins Stammbuch pen] [SPD] : Das war sehr, sehr mau!) schreiben. Daß Wirtschaftsminister Friderichs keinen Wi- derstand leisten würde, war vorauszusehen. Der Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Meine Autor des Buches „Mut zum Markt" hat sich längst Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache aus der ordnungspolitischen Diskussion um die fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Holtz. neue Weltwirtschaftsordnung abgemeldet, um Schwierigkeiten mit seinem Parteivorsitzenden aus Dr. Holtz (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen dem Weg zu gehen. und Herren! Bei der Entwicklungspolitik geht es Eindeutiger Verlierer der Pariser Nord-Süd-Kon- um die Verbesserung der konkreten Lebensbedin- ferenz aber war Bundeskanzler Schmidt, der sich gungen für die Menschen in der Dritten Welt. Dazu noch auf dem Londoner Gipfel wegen seiner markt- haben wir von Ihnen nichts gehört. Das läßt Sie an- wirtschaftlichen Haltung feiern ließ. Er mußte, wie- scheinend kalt. Schade! derum laut „Zeit", „tatenlos zusehen, wie die Flag- (Beifall bei der SPD und der FDP) ge der Marktwirtschaft ... samt ihrem Träger im Sumpf dirigistischer Vorstellungen untergegangen Die beiden Koalitionsfraktionen haben bei den ist". Beratungen des diesjährigen Entwicklungshilfeetats zum Teil beträchtliche Erhöhungen durchgesetzt. Auch von den Gegenleistungen der Entwick- Damit haben wir auch deutlich unsere Unterstüt- lungsländer wie der Sicherung von Privatinvestitio- zung für Bundesminister Marie Schlei und ihrer Po- nen in Entwicklungsländern, der Verbesserung der litik unterstrichen. Versorgungssicherheit der Industrieländer im Roh- stoffbereich oder einem ständigen energiepoliti- (Beifall bei der SPD und der FDP) schen Konsultationsmechanismus zwischen Ver- Die Opposition hat weitgehend auf eigene Vor- braucher- und Erzeugerländern, die Bundeskanzler schläge verzichtet, wenn man von einigen seltsa- Schmidt noch in London auf dem Gipfel als „essen- men Kürzungsvorschlägen absieht, deren politische tials" in die westliche Position eingebracht hatte, Begründung noch aus der La-Tène-Zeit — Hall- war in Paris keine Rede mehr. stein-Zeit müssen wir heute sagen — stammt. Sie (Stahl [Kempen] [SPD] : Woher wissen Sie ist wieder einmal auch in der Entwicklungspolitik das so genau, Herr Todenhöfer?) hinter der Koalition hergelaufen, ohne konkrete Al- ternativen auf den Tisch zu legen. Auch dies ist letztlich ein Ergebnis der rein defen- siven Verhandlungsstrategie des Bundeskanzlers, (Beifall bei der SPD und der FDP) der immer erst dann aktiv wurde, wenn es längst - zu spät war. Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Herr Kol- (Wehner [SPD]: Haut ihn! — Heiterkeit lege Holtz, gestatten Sie eine Zwischenfrage? bei der SPD) Die Bundesregierung ist in der Nord-Süd-Politik Dr. Holtz (SPD) : Wir hatten vereinbart, daß wir den Ereignissen immer nur hinterhergelaufen und auf Zwischenfragen verzichten. läuft heute noch hinterher. Das gilt auch für die deutsche Afrika-Politik. Ge- (Löffler [SPD] : Ein Glück, daß Sie vorne meinsam mit der Bundesregierung haben SPD und weg sind!) FDP beharrlich darauf hingearbeitet, die Vorausset- Meine Damen und Herren, ich hätte in diesem zungen für eine konstruktive Lösung des Konflikts Zusammenhang natürlich gerne etwas zur Entwick- im südlichen Afrika zu schaffen. Wir begrüßen des- lungspolitik der Entwicklungshilfeministerin Frau halb auch ausdrücklich die Bereitschaft der von Schlei gesagt. Leider läßt sich hierzu nichts Erwäh- Helmut Schmidt geführten Bundesregierung, die nenswertes sagen außer der Tatsache, daß Entwick- Entwicklungshilfe für die Konfliktrandstaaten im lungspolitik heute weitgehend am Entwicklungsmi- südlichen Afrika zu erhöhen. Dies trägt zur Erfül- nister vorbei gemacht wird. Aber auch dafür ist in lung sozialer und politischer Menschenrechte bei. erster Linie der Bundeskanzler dieses Landes ver- (Beifall bei der SPD und der FDP) antwortlich. Kein Kanzler dieses Landes ist mit dem Entwicklungsministerium so umgesprungen, Beide Koalitionsfraktionen stehen voll hinter den wie Bundeskanzler Schmidt dies getan hat. Gesprächen, die die Bundesregierung mit verschie- denen Führern der afrikanischen Befreiungsbewe- (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von gungen eingeleitet hat. Was sollen denn eigentlich der SPD) Zitate von Leuten, mit denen Regierungsmitglieder Das Traurige hieran, meine Damen und Herren von oder Koalitionsabgeordnete sprechen? Sollen wir der Regierung, ist, jetzt hier anfangen Mao zu zitieren, um die Haltung (Stahl [Kempen) [SPD] : Sie sagen wieder von Strauß zu verdeutlichen? einmal nichts Neues! — Zurufe von der (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der SPD) FDP) 2662 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Dr. Holtz Die Bundesregierung findet sich bei dieser Politik der zeigt, daß er die Inhalte dieser Politik ablehnt. im Einklang mit der amerikanischen Regierung und Dagegen wird sich die Koalition entschieden zur den Regierungen anderer westlicher Staaten. Ge- Wehr setzen und die Anträge ablehnen. stern haben Sie, Herr Kollege Kohl, schön von den (Beifall bei der SPD und der FDP) Menschenrechten gesprochen, Arm in Arm mit Car- ter. Aber der Kampf für die Menschenrechte ist un- Auf dem Weg zu einer leistungsfähigen, solida- teilbar. Bitte, folgen Sie doch auch hier der Carter- rischen Weltwirtschaftsordnung wurden besonders Administration. in diesem Jahr dank der Initiative der Bundesregie- rung auf dem Londoner Gipfel und dem Pariser (Beifall bei der SPD und der FDP) Nord-Süd-Dialog in Abstimmung mit den anderen Die Bundesregierung befindet sich auch im Ein- Industriestaaten Fortschritte erzielt. Fortschritte in klang mit dem, was die Kirchen und das Internatio- Richtung auf einen fairen Interessenausgleich zwi- nale Rote Kreuz in diesem Raum betreiben. Wir be- schen Industrie- und Entwicklungsländern waren finden uns allerdings im Mißklang mit Ihnen; das auch deshalb möglich, weil man auf den ideologi- nehmen wir in Kauf. schen Grabenkrieg verzichtet hat, der zu nichts führt. Ihr Rezept, einen ordnungspolitischen Kreuz- (Beifall bei der SPD und der FDP) zug gegen die Welt zu führen, gleicht dem Ver- Wer den Frieden will, muß das Gespräch suchen. such, dem Patienten Weltwirtschaft anstatt der Meine Fraktion dankt deshalb Bundesminister Frau richtigen Medizin Mikroben einzuflößen; er wird Schlei dafür, daß es ihr gelungen ist, unsere Kon- auf der Strecke bleiben. takte zu den Vertretern der unabhängigen Regie- (Beifall bei der SPD und der FDP) rungen von morgen auf die Ebene zu bringen, auf Die Industriestaaten haben erkannt, daß rohstoff- der allein eine erfolgreiche Politik möglich ist. politische Instrumente wie Rohstoffabkommen mit (Beifall bei der SPD und der FDP) Ausgleichslagern, einem gemeinsamen Fonds oder der Exporterlösstabilisierung nicht isoliert vonein- Das ist das Entscheidende. ander zu sehen sind, sondern daß sie sich gegensei- (Beifall bei der SPD und der FDP) tig ergänzen. Dies sind wichtige Elemente einer lei- stungsfähigen solidarischen Weltwirtschaftsord- Hybride Gebilde zu unterstützen, etwa in der Re- nung. Die Entwicklungsländer haben ihrerseits publik Südafrika die Homelands, wie die Transkei, weithin darauf verzichtet, Maximalforderungen diese Politik können wir nicht unterstützen, weil vorzutragen. wir der Auffassung sind, daß das nur zu einer Kon- Die Entschlossenheit des Parlaments, seiner ent- fliktverschärfung in der Republik Südafrika führen wicklungspolitischen Verantwortung gerecht zu würde. werden, kommt in besonders hohem Maß in der Re- (Beifall bei der SPD und der FDP) sonanz zum Ausdruck, die das Hearing zur Roh- Außerdem ist die Opposition ein schlechter Rat- stoffpolitik gefunden hat, das der Ausschuß für geber, was diese Problematik angeht. Wir erinnern wirtschaftliche Zusammenarbeit gemeinsam mit uns an Portugal. Portugal wurde vorschnell als ein dem Auswärtigen Ausschuß und dem Wirtschafts- Vorposten Moskaus abgestempelt. Erst mit der ent- ausschuß durchgeführt hat. schiedenen Hilfe der Bundesregierung, der EG, der Ein wichtiges Ergebnis dieser Anhörung ist, daß verschiedenen, auch der sozialdemokratischen Par- über die Bedeutung der Rohstoffpolitik als Bestand- teien ist dort die Entfaltung zu einer pluralistischen teil einer umfassenden Nord-Süd-Politik kein Zwei- Demokratie möglich geworden. fel besteht. Die Anhörung hat auch jener Kritik den (Beifall bei der SPD und der FDP) Boden entzogen, die glaubte, die Bundesregierung mit pauschalen Vorurteilen vor einer aktiven Roh- Den von Teilen der Opposition geforderten ent- stoffpolitik warnen zu müssen. Insgesamt hat das wicklungspolitischen Radikalenerlaß lehnen wir ab. Hearing die Rohstoffpolitik der Bundesregierung (Beifall bei der SPD und der FDP — Klein als realistisch und verantwortungsbewußt bestä- [München] [CDU/CSU] : Ein interessanter tigt. Zusammenhang!) Den Versuch, eine leistungsfähige solidarische Weltwirtschaftsordnung aufzubauen, nennen wir Wir denken nicht daran, der Auseinandersetzung wirtschaftliche und soziale Entspannung. Sie ist ge- mit Kommunisten auszuweichen oder davonzulau- nauso nötig wie die militärische und die politische fen. Das, was einige von Ihnen von sich geben, ist Entspannung. Defätismus reinster Art: Die Kommunisten bestim- men, wo wir unsere Fahne abziehen. Dieser Politik (Beifall bei der SPD und der FDP) können wir nicht folgen. Trotz der erfreulichen Haushaltsbeschlüsse hal- (Beifall bei der SPD und der FDP) ten sich die Leistungen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Dritten Welt, gemessen Wer heute immer noch die zum Teil diffamieren- an ihrer Leistungsfähigkeit, in einem mittelmäßigen de Berichterstattung über die Afrika-Reise der Mi- Rahmen. Dabei bin ich mir der vielfältigen interna- nisterin zum Anlaß nimmt, gegen ihre zukunftswei- tionalen Leistungen der Bundesrepublik Deutsch- sende Afrika-Politik zu polemisieren, land und der wirtschaftlich schwierigen Lage unse- (Lachen bei der CDU/CSU) res Landes vollauf bewußt. Dennoch ist die Bundes- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2663 Dr. Holtz republik Deutschland im internationalen Vergleich Viertens. Stärkere parlamentarische Mitgestal- eine der stabilsten und wohlhabendsten Nationen, tung bei der Durchführung der Entwicklungspolitik. die alle Krisensituationen der letzten Jahre ver- Dies ist unerläßlich. Wenn wir den Deutschen Steuer- gleichsweise gut gemeistert hat. zahler von der Notwendigkeit größerer Entwick- lungsanstrengungen überzeugen wollen, müssen Wir dürfen deshalb nicht zulassen, daß sich für wir sicher sein, daß jede Mark so gut wie möglich unsere entwicklungspolitischen Anstrengungen ausgegeben wird. eine Tradition falscher Bescheidenheit herausbildet. Die Verhinderung einer solchen Tradition sehe ich Fünftens. Ein umfassender Marshall-Plan aller In- als eine Pflicht des Parlaments an. Wir müssen uns dustriestaaten für die Dritte Welt. der Verantwortung stellen, an die uns das Urteil (Beifall bei der SPD und der FDP) des Bundesverfassungsgerichts so nachdrücklich er- innert hat: Es geht nicht nur darum, mehr Geld zur Verfügung (Beifall bei der CDU/CSU) zu stellen, sondern auch darum, die vielfältigen, zum Teil disparaten Anstrengungen aller einzelnen Das Budgetrecht ist die vornehmste Aufgabe des Industrienationen in Ost und West zu kombinieren, Parlaments. um zu erreichen, daß wir die Probleme und Nöte Niemand von der Opposition sollte an dieser der Länder der Dritten Welt wirklich lösen kön- Stelle Anlaß zur Selbstgerechtigkeit haben. Auf nen. praktikable Erhöhungsvorschläge von Ihnen haben (Beifall bei der SPD und der FDP) wir vergeblich gewartet. Die Südpolitik — ich meine nicht nur die enge (Beifall bei der SPD und der FDP) Entwicklungshilfe — ist der Versuch, die dauernde Es ist eben eine Sache, als Privatmann für die Erhö- soziale und wirtschaftliche Krise in vielen Teilen hung der Entwicklungshilfe einzutreten, und eine der Dritten Welt zu bekämpfen, um den explosiven andere Sache, sie in der Fraktion durchzusetzen. Ausbruch zum eigenen Schaden zu verhindern. Sie muß sich daher einer Friedenspolitik im doppelten Lassen Sie mich hinzufügen: Die Opposition hält Sinne verpflichtet wissen: einmal direkt und indi- die Bundesregierung ständig zu verstärkten Lei- rekt alles zu unterlassen, was dazu führen könnte, stungen im internationalen Bereich und auch im daß die Militarisierung in der Dritten Welt weiter EG-Bereich an. Sie verweigert aber dem Bund die zunimmt — gestern wurde darüber gesprochen —, notwendigen Finanzmittel. Mit dieser Politik setzen zum andern strukturelle Gewalt abzubauen und so- Sie Ihre Glaubwürdigkeit national wie international ziale Gerechtigkeit im Weltmaßstab mit schaffen zu aufs Spiel. helfen. (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe (Beifall bei der SPD und FDP) von der CDU/CSU) Es bleibt die schwierige Aufgabe, aus den vielfälti- Lassen Sie mich ein Wort anschließen, weil eben gen Krisenerscheinungen heraus ein Konzept der Finanzminister von Niedersachsen hier anwe- durchzusetzen, das allen Menschen zugute kommt send war. Der Ausschuß hat sich im April mit den und nicht die Länder begünstigt, die bisher schon Leistungen der Bundesländer für die Entwicklungs- die Macht hatten, die Geschicke der Welt weitge- zusammenarbeit befaßt und dabei festgestellt, daß hend nach eigenem Gutdünken zu steuern. die freiwilligen Leistungen stark zurückgegangen Die sozialliberale Koalition packt diese Aufgabe sind. Wir haben dies bedauert. Allerdings gibt es entschlossen an. rühmliche Ausnahmen, die ich hier erwähnen will, z. B. das Land Bremen, das in vorbildlicher Weise (Beifall bei der SPD und der FDP) wachsende Beträge zur Verfügung stellt.

- Das Das Parlament muß stärker als bisher zur Über- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: Wort hat der Herr Abgeordnete Vohrer. nahme von Verantwortung für die Ausgabe und Kontrolle unserer Entwicklungshilfe bereit sein. Wir dürfen nicht zulassen, daß das Vorurteil vom Dr. Vohrer (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen, goldenen Bett durch den Vorwurf der goldenen meine Herren! Für mich war der Beitrag von Herrn Worte verstärkt wird, denen keine Taten folgen. Todenhöfer der Versuch, die gegenüber seinem Fraktionsführer geäußerte Kritik an seiner Haltung Deshalb werden bei uns folgende Vorschläge und gegenüber der FDP am Beispiel seiner entwick- Anregungen diskutiert: lungspolitischen Vorstellungen hier vorzuführen. Erstens. Ein Gesetz zur Entwicklungszusammen- Ich halte es für die Aufgabe der Opposition, über arbeit, in dem die Grundlagen unserer Entwick- die beiden Strategien — Strategie Todenhöfer oder lungspolitik geregelt werden sollen. Strategie Biedenkopf — zu urteilen. Ich persönlich bevorzuge die sachliche Art von Herrn Biedenkopf Zweitens. Wiederverwendung der aus den Kapi- gegenüber der Polemik von Herrn Todenhöfer. talhilfekrediten herrührenden Zinsen für Projekte in der Dritten Welt. (Beifall bei der FDP und der SPD) Drittens. Eröffnung neuer Wege zur Bereitstel- Lassen Sie mich kurz auf den uns vorliegenden lung der notwendigen Mittel, z. B. durch eine ver- Haushalt eingehen. Ich kann Ihnen ganz offen sa- stärkte Mobilisierung von ERP-Mitteln zugunsten gen: vor dem Hintergrund der von der Bundesregie- der Entwicklungsländer. rung akzeptierten internationalen Verpflichtung, 2664 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Dr. Vohrer 0,7 % des Bruttosozialprodukts für die öffentliche berale sind private Investitionen in Entwicklungs- Entwicklungshilfe bereitzustellen, kann das Haus- ländern eine wichtige Maßnahme. Es gilt hier, die haltsvolumen 1977 mit 3,25 Milliarden DM oder Voraussetzungen zu schaffen, daß solche private 0,3 % des Bruttosozialprodukts keinen Entwick- Investitionen auch erfolgreich sein können, daß das lungspolitiker erfreuen. Auch die Finanzplanung Investitionsklima und die Investitionssicherheit läßt keinen grundsätzlichen Wandel in diesem Be- verbessert werden. Wir halten die Offnung der reich erkennen. Die Zahlen, die nur zwischen 0,3 Märkte für einen Punkt, der nicht vernachlässigt und 0,32 % für die kommenden Jahre schwanken, werden darf, der aber auch auf die inländische kon- sind für uns unzureichende Ansätze. junkturelle und beschäftigungspolitische Situation Rücksicht nehmen muß. Daneben sehen wir den Dennoch gibt es auch einige erfreuliche Aspekte ganzen Komplex der Stabilisierung der Rohstoff- des Einzelplans 23. So soll hier erwähnt werden, preise, den Gemeinsamen Fonds und die Exporter- daß die Steigerungsrate mit 7,12 % deutlicher über lösstabilisierung als Elemente einer umfassenden der durchschnittlichen Steigerungsrate des Bundes- Dritte-Welt-Politik, als Elemente einer entwick- haushalts liegt. Insbesondere können die Verpflich- lungspolitischen Konzeption. tungsermächtigungen, die sich in den vergangenen Jahren — von 1976 mit 3,1 Milliarden jetzt auf den Wenn hier immer wieder von der Opposition der Betrag von 6,2 Milliarden — verdoppelt haben, als Vorwurf vorgetragen wird, diese Koalition sei ohne ein erfreulicher Aspekt gewertet werden. entwicklungspolitische Konzeption, dann kann man nur zu dem Ergebnis kommen, daß Leute wie Herr Ich möchte auch meinen Dank dem Haushalts- Todenhöfer, die fordern, daß eine umfassende Kon- ausschuß ganz deutlich zum Ausdruck bringen, der zeption vorgelegt werde, nicht darüber informiert in der Entwicklungspolitik kein Streichkonzert ver- sind, daß es gar nicht mehr eine nationale Frage anstaltete, sondern die Baransätze ebenso wie die ist, hier eine Konzeption zu erarbeiten. Eine ent- Verpflichtungsermächtigungen im Verlaufe der Be- wicklungspolitische Konzeption wird im Verlauf in- ratungen aufgestockt hat. ternationaler Konferenzen festgeschrieben. Es ist (Beifall bei der FDP und der SPD) nicht die Aufgabe einer Fraktion oder einer Partei oder der Koalition, hier in Klausur zu gehen, um Ich komme zu dem Ergebnis, daß die Bedeutung am Ende an die Offentlichkeit zu treten und zu sa- der Entwicklungspolitik deutlicher als bisher her- gen: Hier haben wir unsere gemeinsame Konzep- ausgestellt werden muß, und zwar nicht als Resi- tion erarbeitet, die wir durchsetzen wollen. Es ist dualgröße und nicht als abhängige Variable der je- ein langer Weg schwieriger Verhandlungen, der weiligen inländischen Konjunktur oder der jeweili- uns über New York, Nairobi, Rom, London, Paris, gen Finanzlage des Bundes. Der Haushalt muß Be- um hier nur die Tagungsorte der verschiedenen weis für den politischen Stellenwert sein, den wir Konferenzen kurz zu nennen, zu dem jetzigen Stand der Entwicklungspolitik einräumen. der Diskussion geführt hat. Es werden laufend wei- Daneben eröffnen die Anstrengungen bei den tere Gespräche geführt: jetzt in Genf über einzelne Verpflichtungsermächtigungen, die sich, wie ge- Rohstoffabkommen, im Herbst in der UN-Sonder- sagt, verdoppelt haben, die Möglichkeit, Projekte generalversammlung und bei den GATT-Verhand- langfristig und umfassend zu planen. Wir können lungen. An allen internationalen Fronten wird an auf dem Weg entwicklungspolitische Pannen zu- der Konkretisierung der Elemente gearbeitet. Es künftig vermeiden, wenn wir die rechtzeitige und wäre dringend erforderlich, daß sich die Opposition umfassende Planung und Kontrolle gewährleisten. auch einmal vergegenwärtigt, daß wir darauf ange- wiesen sind, uns auf europäischer Ebene abzustim- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist richtig!) men. Es mutet geradezu grotesk an, wenn einerseits Die Verpflichtungsermächtigungen lassen auch von der Opposition uns der Vorwurf gemacht wird, einen Schritt in Richtung auf das 0,7 % -Ziel erken- wir stützten uns zu stark auf unsere europäischen nen. Ich kann Ihnen nur versichern, daß unsere Nachbarn, wir führten hier zuviel europäischen Haltung und die Glaubwürdigkeit dieser Regierung Konsens herbei und legten zu wenige eigenständige an den Anstrengungen gemessen werden, diesem Positionen vor. Sie sind doch die Partei, die drau- Ziel näher zu kommen. Ich halte es für dringend er- ßen den Eindruck erwecken möchte, als hätten Sie forderlich, daß den Verpflichtungsermächtigungen den Europa-Gedanken erfunden. Wenn wir ihn in als nächster Schritt die Anhebung der Finanzpla- der Koordination im Bereich der Entwicklungspoli- nung folgt. tik praktizieren, dann sollten Sie dies nicht kritisie- (Beifall bei der FDP und der SPD) ren. (Beifall bei der FDP und der SPD) Meine Damen und Herren, die traditionelle Ent- wicklungspolitik ist e i n Instrument in einem gan- Herr Biedenkopf sagte — übrigens nicht in dem zen Instrumentenkasten geworden, wobei der Mo- oft zitierten Interview im Deutschlandfunk, sondern detrend derzeit auf eine Unterbewertung der klassi- in den „Bonner Perspektiven" des ZDF bei seiner schen Entwicklungspolitik hinausläuft. Dies ist si- Antwort auf die Frage nach seiner Beurteilung des cherlich nicht gerechtfertigt, aber die Diskussion Verhandlungsergebnisses der Pariser Gespräche, geht in stärkerem Maße auf Komplexe wie Welt- des Nord-Süd-Dialogs —: Es ist ganz selbstver- wirtschaftsordnung und auf all die weiteren Maß- ständlich; wir gehen mit unserer Vorstellung in nahmen hin, die damit verbunden sind. Deshalb Verhandlungen hinein, die andere Seite hat andere halte ich es für wichtig, daß hier der gesamte Maß- Vorstellungen; man kommt mit einem Kompromiß nahmenkatalog einmal dargestellt wird. Für uns Li- heraus. Das hat Herrn Biedenkopf dazu veranlaßt, Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2665

Dr. Vohrer ganz deutlich zu machen, daß er genau wie die nachdrücklichste Beweis dafür ist, wieviel wir mit- Bundesregierung in Paris verhandelt hätte. einander aufzuarbeiten haben. Ich bin froh, daß uns (Dr. Todenhöfer [CDU/CSU] : Aber nicht die Große Anfrage meiner Fraktion sehr bald dazu mit diesem Ergebnis! Frei erfunden!) Gelegenheit geben wird, das zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU) Dann kommt Herr Todenhöfer hierher und sagt uns, es sei fatal, daß die Bundesregierung eine Position Es kann eben einfach nicht genügen, daß hier, nach- nach der anderen aufgebe — Herr Werner, Sie be- dem es in diesem Lande seit Konrad Adenauers und stätigen es —, daß man in der Salami-Taktik Posi- Ludwig Erhards Zeiten 15 Jahre Entwicklungspoli- tionen verkaufe oder daß man umfalle. Ich habe im- tik gibt, noch einmal die hehren Zielsetzungen jeder mer den Eindruck, daß Sie völlig verkennen, was denkbaren Entwicklungspolitik in großer Breite dar- auf den internationalen Konferenzen vor sich geht, gelegt werden, wo wir doch alle wissen, daß das obwohl Sie sich ja permanent am Rande der Konfe- eigentliche Problem in dem Widerstreit zwischen renzen aufhalten. diesen Zielsetzungen und der unerhört schwierigen Realität liegt, auf dem Feld, auf dem sich Entwick- (Dr. Holtz [SPD] : Das führt gerade dazu! lungspolitik täglich zu entscheiden hat. Ich hätte — Werner [CDU/CSU] : Sie wollen wohl, daß wir nur noch schweigen?!) dazu sehr gerne von der Regierung etwas gehört. (Zuruf des Abg. Dr. Holtz [SPD]) Sie wissen, daß es für die 77 Länder leichter ist, sich einer Maximalforderung anzuschließen, als für Ich habe von der Regierung nur das gehört — Herr die Entwicklungsländer, eine abgewogene, gemein- Holtz, auf Sie komme ich gleich noch zu sprechen —, same Linie, die unsere Glaubwürdigkeit gewährlei- was wir alle schon lange wissen. stet, in die Verhandlungen einzubringen. (Beifall bei der CDU/CSU) Um zu Ihrem 2. Vorwurf zu kommen: Wir sehen Ich bedaure sehr, verehrter Kollege Holtz, daß die Gefahren, die in einer dirigistischen Weltwirt- Sie es heute offenbar als Ihr Ziel angesehen haben schaftsordnung liegen. Aber die jetzigen Elemente — wie auch schon ein anderes Mal —, uns das, was schreiben diesen Dirigismus nicht fest. Ich hielte es Sie im Ausschuß als dessen Vorsitzender an polemi- für viel sinnvoller, wenn sich die Opposition jetzt scher Kraft nicht entfalten können, im Plenum zu mit uns über die Ausgestaltung der Elemente, die servieren. ja nur einen Rahmen darstellen, unterhalten wür- de, damit die Weltwirtschaftsordnung gerade (Zurufe von der SPD: Das ist doch unerhört! nicht dirigistisch wird, damit sie mit unserer sozia- — Das beruht auf Gegenseitigkeit!) len Marktwirtschaft in Einklang gebracht werden Ich glaube, das kann ich dem Kollegen Holtz in aller kann. Wir lehnen doch die Indexierung ab. Wir Gemütsruhe sagen. Er hat damit nämlich sehr ge- sind doch ganz eindeutig gegen Verbote von Sub- schickt das überspielt, was er hier ruhig klar hätte stitutionsprodukten, wir versuchen alles, um zu sagen dürfen, wenn wir tatsächlich gemeinsam um verhindern, daß wir über Rohstoffabkommen das diese Sache ringen wollen: daß ihm wie mir der Brüsseler Modell des Agrardirigismus kopieren. gegenwärtige Zustand der Entwicklungspolitik nicht Aber warum kommen Sie nicht mit einem kon- ausreichend erscheint, daß wir voran wollen, daß es struktiven Ansatz, damit wir im Rahmen der jetzi- Probleme gibt. Sie haben das übertüncht, indem gen gemeinsamen Linie der westlichen Industriena- Sie, ohne sich zu Zeit- und Finanzfragen zu äußern, tionen zu einem Ergebnis kommen, das es uns er- ein Programm der Zukunft entwickelt haben, von laubt, den Ressourcentransfer mit den Entwick- dem Sie seit geraumer Zeit träumen. lungsländern in einer fairen Weise zu bewerkstelli- (Zuruf von der SPD) gen und mit den Entwicklungsländern gemeinsam eine Position zu erarbeiten, die den Weltrohstoffdi- — Herr Kollege, beruhigen Sie sich; es kommt noch rigismus verhindert? mehr. Ich bin der Ansicht, daß Sie mit Ihrem Erlösstabi- Wir haben noch manches Erstaunliche mehr ge- lisierungsmodell ordnungspolitisch mehr Schwierig- hört; damit möchte ich dem Kollegen Vohrer ein keiten schaffen, als dies bei vernünftig ausgehan- Wort sagen. Herr Vohrer, ich finde es bemerkens- delten Rohstoffabkommen der Fall wäre. Deshalb wert, wenn Sie uns sagen, daß Programme, Konzep- bitte ich Sie sehr, meine Damen und Herren von tionen auf Parteiebene, auf nationaler Ebene eigent- der Opposition, zu der Linie, die heute vorgetragen lich nicht mehr zur Sprache ständen, daß das auf wurde, einen konstruktiven Beitrag zu leisten und europäischer Ebene geschehen müsse. Ich hoffe, daß nicht im Bremserhäuschen zu verharren. die SPD daraufhin ihren geplanten entwicklungspo- litischen Kongreß absagt. Wir haben das ja noch (Beifall bei der FDP und der SPD) rechtzeitig gemacht, wenn ich dem folgen darf: zu dem Zeitpunkt, als Ihre Partei durch den Mund

Vizepräsident Dr. Schmitt -Vockenhausen: Das Ihres Sprechers Schleifenbaum hier erklärte, daß Sie Wort hat der Abgeordnete Köhler. sich um dasselbe bemühten, übrigens ohne damit fertig zu werden. Dr. Köhler (Wolfsburg) (CDU/CSU) : Herr Präsi- (Zurufe von der SPD) dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aber wenn dem so ist, wie Sie sagen, Herr Vohrer, Lassen Sie mich eingangs ein Wort zum Verlauf der wäre es doch eine ganze Menge wert gewesen, wenn heutigen Debatte sagen, weil ich glaube, daß sie der Sie uns hier auch erzählt hätten, wie es denn wohl 2666 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Dr. Köhler (Wolfsburg) kommt, daß die Freske der Europäischen Gemein- Entwicklungsländer, in den weltpolitischen Span- schaft zum Thema der weltweiten Ö ffnung der euro- nungsfeldern zu ihrem vermeintlichen Nutzen zu päischen Entwicklungspolitik zwar in großem Ein- manövrieren — mit der großen Gefahr, dabei von vernehmen akzeptiert worden ist, daß aber, wie wir den großen Wölfen gefressen zu werden —, freilich im Ausschuß zehn- und zwanzigmal besprochen ha- ist größer geworden. Auf diese Weise hat — mein ben, diese Regierung dafür die nötigen Geldmittel Kollege Todenhöfer hat darauf hingewiesen — das nicht bereitgestellt hat, weil sie Bedenken hat, wei- Ost-West-Spannungsfeld das Nord-Süd-Thema in tere Fonds zu schaffen. Damit aber ist das Ganze im weiten Bereichen in einer beklagenswerten Art Ansatz stecken geblieben. überlagert. Die Definition dieses Nord-Süd-Span- nungsfeldes ist letzten Endes nicht sauber. Wäre sie (Beifall bei der CDU/CSU) sauber, dann wäre auch der Ostblock in diesem Herr Vohrer, über dieses Schlachtfeld sind wir man- Spannungsfeld eindeutig untergebracht. Aber er ches Mal gegangen, und ich habe dort nie Ihre blau- verweigert diese eindeutige Position. Er ist nur da- gelbe Fahne wehen sehen. mit beschäftigt, zu schüren und die Situation für sich auszunutzen, wo immer er kann, eine Situation, Meine Damen und Herren, ich halte es für sehr die gerade entwicklungspolitischer Zielsetzung im wichtig, trotz der Kürze der Zeit noch ein Wort dar- höchsten Maße entgegenwirkt, die nachteilig ist. über zu sagen, daß bei aller Bedeutung des Themas (Dr. Holtz [SPD] : Der Ostblock wird aber Afrikapolitik, bei aller Bedeutung des Themas Welt- von den Entwicklungsländern in verstärk wirtschaftsordnung, bei aller Bedeutung des Themas tem Maße mit hineingezogen!) Rohstoffpolitik damit automatisch — und das müs- sen wir bei diesem Haushaltsplan einfach anspre- — Ich habe das soeben durchaus gesagt; hier be- chen — das Thema Entwicklung noch nicht erschöpft steht kein Gegensatz. ist. Alle diese Dinge heißen nicht automatisch Ent- Vor diesem Hintergrund muß die Frage lauten: wicklung. Deswegen ist es nicht so gut, wenn wir Wie ist die deutsche Antwort hier und heute kon- hier die Außenwirtschaft zu sehr 'in den Vorder- zeptionell im Sinne von Entwicklungspolitik be- grund rücken. schaffen? Meine Damen und Herren, hier genügt Ich bin übrigens erstaunt über einige Wendungen uns nicht der Hinweis auf die in vieler Hinsicht — das darf ich Ihnen, lieber Herr Holtz, in aller gemeinplatzartigen und nicht operationalisierten Freundschaft auch einmal sagen —: Ihr Bekenntnis Gymnicher Thesen, die uns hier nicht weiterge- zur Rohstoffpolitik hier hätte, als wir es vor zwei, bracht haben. zweieinhalb Jahren ansprachen, im Kreise Ihrer (Beifall bei der CDU/CSU) Freunde noch helles Entsetzen hervorgerufen. Und hat das wahrscheinlich gespürt, als er es ist ein Minister Ihrer Fraktion gewesen, der den in das Gespräch den Gedanken der Koexistenz hin- Dialog über die weltwirtschaftlichen Probleme, die einbrachte, den ich hier an dieser Stelle immer auf uns zukamen, bis zu seinem Rücktritt im Som- wieder als artfremd abgelehnt habe. Meine Auffas- mer 1974 strikt verweigert hat. sung hat sich in dieser Hinsicht nur noch gefestigt. - Denn Koexistenz zwischen unseren Ländern und Aber lassen Sie uns über Entwicklung sprechen! den Entwicklungsländern schafft eben nicht gemein- Denn in dem Maße, wie die Rohstoffmärkte politi- same Grundlagen, schafft eben nicht gemeinsame siert worden sind, wie Konfrontation und Härte ins Werte, sondern schafft ein Feld der Indifferenz, nicht Gespräch gekommen sind, ist es meine — und nicht der Partnerschaft, in der man zusammenarbeiten nur meine — Furcht, daß die 'Diskussion über das, kann. was Entwicklung bedeutet und was Kern der Ent- (Dr. Holtz [SPD] : Das ist einseitig ausge wicklungspolitik ist, zurückgetreten, ins Abseits ge- legt!) raten ist. Zusammenarbeit zum Zwecke der Entwick- — Mag sein; dieses Vorrecht teile ich mit Ihnen, lung kann da, wo Entwicklung nicht — wie im Falle lieber Herr Holtz. China — eine rein innere Angelegenheit sein soll, doch nur bedeuten, daß man den Zustand gegensei- (Sehr gut! bei der CDU/CSU) tiger Abhängigkeit anerkennt, daß man bereit ist, Die Zusammenarbeit zum Zwecke der Entwick- diese Abhängigkeit miteinander zu gestalten und lung setzt gewisse Minimalkonsense voraus. Ein zu optimieren, aufeinander zuzuarbeiten und mit- solcher Minimalkonsens hätte vielleicht die UNO- einander in ehrlicher Weise und in Partnerschaft die Charta sein können, aber, meine Damen und Her- Probleme auszutragen. Dieses Gespräch der Ent- ren, wir wissen doch nur zu gut, daß sich unter wicklungspolitik scheint mir weltweit darunter zu ihr inzwischen fast alles und jedes verbirgt. Es sind leiden, daß es immer mehr zu Fraktionierungen verbale Zugeständnisse nicht tauglich, diesen Kon- kommt, immer mehr zu Machtblockbildungen, immer sens zu schaffen. Die Vermeidung der Konfrontation, mehr zu dem Versuch, nur Umverteilung durchzuset- die seit der 6. Sondergeneralversammlung der UNO zen, nicht aber Entwicklung zu betreiben. die deutsche Entwicklungspolitik und darüber hin- (Beifall bei der CDU/CSU) aus auch die Außenpolitik immer wieder prägt, allein ist ebenfalls nicht konstruktiv-positiv in die- In diesem Prozeß ist der entwicklungspolitische sem Sinne, wie ich es hier fordere. Wenn ich die Spielraum in Wahrheit eingeengt worden. Deswe- Eckdaten, über die wir hier reden müssen, nenne, gen müssen wir über seine Definition hier und ist nach den Beiträgen der Koalitionsredner heute heute von neuem reden. Der entwicklungspolitische morgen für mich freilich ein sehr banger Zweifel Spielraum wurde kleiner, die Möglichkeit vieler daran entstanden, ob wir mit „Friedenssicherung", Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode - 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2667 Dr. Köhler (Wolfsburg) „Menschenwürde", „Menschenrecht" „sozialem sich in vieler Hinsicht verkrustet ist. Und das tut Fortschritt", „sozialer Gerechtigkeit" und „freiheit- mir leid, weil ich weiß, wie viele Helfer, Experten, licher Weltordnung" eigentlich noch dasselbe mei- Institutionen und auch Beamte vesuchen, hier ihr nen. Ich habe mit Bestürzung gehört, daß wir hier Bestes zu tun. Diese Politik, die uns hier noch ein- in unserem Denken offenbar einigermaßen weit von- mal kritisch beschäftigen müßte, ist leider Gottes in einander entfernt sind. mancher Hinsicht auch beim Status der immerwäh- (Josten [CDU/CSU] : Im Ausschuß ist es renden Friktionen des Ministeriums mit den Durch- besser, Herr Dr. Köhler!) führungsorganisationen wie GTZ und DEG, über die hier heute gesprochen wurde, stehengeblieben. — Im Ausschuß ist es besser; aber wo auch immer, wir müssen dies miteinander austragen. Mir fehlt — und meine Freunde denken genauso — in dieser Politik die Innovationskraft sowohl an Meine Damen und Herren, ich darf gerade im Haupt wie auch an Gliedern. Hinblick auf die Freiheitbewegungen eines sagen: (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der Als Bürger eines Landes, das in einer grauenvollen CDU/CSU: Das gilt für die ganze Regie Weise gelernt hat, daß Krieg und kriegerische Aus- rung!) einandersetzung zur Lösung von Problemen völlig untauglich sind, daß damit nur neue Probleme ge- Je weniger dieses Grundübel behoben wird, je schaffen werden, kann ich in keiner Weise — sei weniger Prioritäten geklärt und die entscheiden- es direkt, sei es indirekt — denjenigen Vorschub den Fragen beantwortet werden, mit wem wir leisten, die Waffengewalt zum Aufbau künftiger schwerpunktmäßig auf der Grundlage unserer Weltordnungen für denkbar halten. Überzeugungen wie zusammenarbeiten wollen und mit wem nicht, um so mehr greifen in der Ent- (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Holtz wicklungspolitik außenpolitische, wirtschaftliche [SPD] : Siehe Algerien! Was sagen Sie denn und andere Opportunitäten um sich. Da ist manches dazu?) nebeneinander, was auch Sie, Kollege Holtz, wie Herr Präsident, ich glaube, ich bin genötigt, all- ich weiß, schwer ertragen. Da werden ideologische mählich zum Schluß zu kommen. — Ich bin über- Ansätze in Peru gefördert, da gibt es witzige Ex- zeugt, daß wir auf diesem Feld von der Regierung perimente, die über Ghana herumfliegen, da wer- eben nicht die klare konzeptionelle Antwort bekom- den Freiheitssender unterstützt. Aber da wird auch men haben. Auch ihr Handeln — sei es die Anbie- eine Ihnen so verdrießliche kapitalistische Ordnung derung in Afrika, seien es völlig ungeschützte wie in Liberia unterstützt. Als Entwicklungspoliti- außenpolitische Äußerungen im entwicklungspoliti- ker müssen Sie inzwischen sogar Waffenlieferun- schen Raum an anderer Stelle, wie es dem Bundes- gen an Länder wie z. B. Indonesien ertragen; dieses außenminister in Liberia gelungen ist, sei es das Land wollte Egon Bahr vor zwei Jahren übrigens verbale Bekenntnis zur Marktwirtschaft oder ande- noch von der deutschen Entwicklungshilfe abkop- res — ist in vieler Hinsicht widersprüchlich und peln. - hilft uns hier nicht weiter. Wir müssen darüber Ich gebe zu: In vielen Einzelfragen sind wir reden, ob die Duldung einer europäischen Handels- einig, und wir waren auch in der Verstärkung und Handelsförderungspolitik, die mit immer mehr einzelner Ansätze einig; aber wir wollen nicht nichttarifären Hemmnissen die Entwicklungsländer vergessen, daß diese Verstärkung leider nur an allmählich zur Erregung treibt, mit unserer entwick- der zweiten Stelle hinter dem Komma etwas be- lungspolitischen Grundlinie vereinbar ist. Darüber wegt. Gemessen werden wir aber international an wird also zu reden sein. der ersten Stelle hinter dem Komma. Ich habe schon auf die weltweite Öffnung der Entscheidend ist für uns aber bei unserer Hal- europäischen Entwicklungspolitik hingewiesen. Wir tung zu diesem Haushaltsplan, daß das Gesamt- sehen immer wieder mit Sorge, daß diese Politik im bild deutscher Entwicklungspolitik nicht mehr Deklaratorischen steckengeblieben ist und daß sie stimmt und — ich bitte um Verzeihung — daß uns die wahre Verantwortung der zweitgrößten Welt- als CDU/CSU-Fraktion inzwischen auch das Ver- handelsnation für diese Welt nicht in der nötigen trauen fehlt, daß die amtsinhabende Ministerin die offensiven Weise geistiger Auseinandersetzung auf- Statur hat, um die Ressourcen des gesamten Landes genommen hat. für dieses große Ziel zu aktivieren. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der Dies hat in Wahrheit der Glaubwürdigkeit deutscher CDU/CSU: Das muß gesagt werden!) geschadet, eine Empfindung, Entwicklungspolitik Unter diesen Umständen lehnt meine Fraktion den die doch in der entwicklungspolitischen Fachwelt Einzelplan 23 ab. inzwischen allgemein verbreitet ist. Ob das daran liegt, daß es der gegenwärtigen Entwicklungspolitik (Beifall bei der CDU/CSU) in ihrer inneren Konsistenz an Überzeugungskraft mangelt, oder daran, daß der Kanzler in seiner Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Das Richtlinienkompetenz ihr nicht den nötigen Stel- Wort hat Frau Abgeordnete Schuchardt. lenwert zugewiesen hat, darüber kann man lange streiten; wahrscheinlich ist beides richtig. Frau Schuchardt (FDP) : Herr Präsident! Meine So verbleibt — leider Gottes muß ich es sagen — Damen und Herren! Ich möchte ganz zu Anfang eine Politik des Weitermachens, eine Politik, die in sicherlich in weiblicher Solidarität einige Worte zu 2668 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Frau Schuchardt den Angriffen auf Frau Minister Schlei sagen. Es Agrarminister getan hätte. Mit Sicherheit hätte er in ist, glaube ich, bisher kein Vergleich zu ziehen; diesen Bereich nicht Markt hergestellt. es gibt keine anderen Mitglieder der Bundes- (Beifall bei der FDP und der SPD — Zurufe regierung, denen von Anfang an, noch bevor sie von der CDU/CSU) ein Amt angetreten hatten, keine Chance gegeben wurde. Wenn man sich darauf bezieht, was im Ich fürchte, daß es eher möglich ist, daß die Bauern „Spiegel" stand und sich daran erinnert, was sich zu Beamten werden, als daß wir den Markt wieder dessen Herausgeber mit dem Absprechen jeglicher zurückgewinnen; ich bedaure dies sehr. Chance von Anfang an geleistet hat, so braucht (Zurufe von der CDU/CSU) man sich wohl nicht zu wundern, wenn die Redak- teure seines Blattes der Stimme des Herrn folgen. Frau Minister, Ihnen ist während dieser Debatte vielleicht aufgefallen, daß der Haushaltsausschuß zu (Beifall bei der FDP und der SPD) erkennen gegeben hat, daß auch er das, was im Haushaltsplanentwurf der Bundesregierung vorgese- Wenn hier vorgeworfen wird, daß eine Frau es hen war, eigentlich nicht als ganz ausreichend emp- wagt, ein Ministeramt abzulehnen, dem gerade findet. Dies sollte Sie moralisch doch sehr aufrüsten, Kompetenzen weggenommen sind, weil diese in für den Haushalt 1978 dem Finanzminister gegen- ein Ministerium übergingen, dem ein Mann vor- über stärker aufzutreten, zumal Sie wissen können, steht, dann mag dieses Selbstbewußtsein so man- daß Sie in dieser Frage das ganze Haus hinter sich chen Mann irritieren. haben. (Beifall bei der FDP und der SPD) (Beifall bei der FDP und der SPD) Insofern hoffe ich, daß das, was Uwe Holtz das Die Bundesregierung hat sich international verpflich- Immer-wieder-Aufbereiten eigentlich längst abge- tet, 0,7 % des Bruttosozialproduktes zu erreichen. Im hakter Berichterstattung genannt hat, endlich einmal Augenblick haben wir alle nicht den Eindruck, daß ein Ende hat. das noch in dieser Dekade passieren wird. Wir wür- den es aber alle Isehr wünschen, und der Entwick- Lassen Sie mich nur einige wenige Worte zur lungshilfeausschuß möchte hier dem guten Beispiel Weltwirtschaftsordnung und zur Marktwirtschaft des Haushaltsausschusses folgen und die Bundesre- sagen. gierung ermutigen, hier bereits in den nächsten (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das Jahren mehr zu tun. wird interessant!) Zur Afrika-Politik ein Wort. Mein Kollege Vohrer Herr Todenhöfer und ich hatten schon häufiger die hat bereits angekündigt, daß ich dazu einiges sagen Gelegenheit, gemeinsam darüber zu diskutieren. möchte. Ich glaube, daß heute bei dem, was Herr Wir waren uns darüber einig, daß auch wir als Todenhöfer gesagt hat, deutlich geworden ist, wie marktwirtschaftliches Land so manchen Sündenfall sehr die Opposition auch bei der Beurteilung Afrikas begehen. Wir sind uns darüber einig, daß die — wie in der Innenpolitik — nur in der Lage ist, in Märkte geöffnet werden sollten. Aber dann, wenn Schubladen zu denken: Hier kommunistisch und da die Entwicklungsländer unseren eigenen Markt und nicht, und was da nicht hineinpaßt, fällt eben zwi- unsere eigene Produktion empfindlich stören, spre- schendurch. chen wir sofort von Abkommen, um die Auswir- (Zurufe von der CDU/CSU) kungen der Öffnung dieses Marktes nicht allzu Dieses Schubladendenken, Herr Todenhöfer, wie Sie deutlich zutage treten zu lassen. es hier deutlich gemacht haben, wird bestimmt nicht (Beifall bei der FDP und der SPD) nützen, den vielen afrikanischen Ländern auf ihrem Weg zur Demokratie weiterzuhelfen. Über eines Man muß es wohl anerkennen, daß man die Entwick- sollten Sie sich klar sein. Die Bundesregierung be- lungsländer mit solchem Verhalten sehr stark irritie- findet sich — und nur so kann sie wirkungsvoll ren kann. Vieles muß so weit wie möglich markt- sein — in Einklang mit ihren Verbündeten. Dies ist wirtschaftlich beantwortet werden, aber dort, wo eine notwendige Voraussetzung, um überhaupt eine Härten entstehen, kann es auch einmal eine Aus- vernünftige Afrika-Politik zu machen. Sie haben bei nahme von der Regel geben. Wir haben in Europa der Weltwirtschaftsordnung im Nord-Süd-Dialog be- mit dem EG-Agrarmarkt den größten Sündenfall reits wiederholt die Aufforderung an die Bundesre- aller Zeiten begangen. Dies erleichtert die Diskus- gierung gerichtet, sich international zu isolieren. sion mit den Entwicklungsländern nicht. Ich finde, wir sollten hier nicht empfindlich reagieren, wenn (Zuruf des Abg. Dr. Todenhöfer [CDU/CSU]) die Entwicklungsländer unsere Argumente mit un- Sie machen nun auch in der Afrika-Politik den Vor- serem eigenen Verhalten kritisch abwägen. schlag, daß sich die Bundesregierung international (Josten [CDU/CSU] : Sagen Sie das Ihrem isoliert. Landwirtschaftsminister! — Weitere Zurufe (Zurufe von der CDU/CSU) von der CDU/CSU) Wenn Sie meinen, daß das unserem Einfluß förder- lich sei, sind unsere Auffassungen einander diame- Nun, Herr Ertl wird ja aus den Reihen der Opposi- tral entgegengesetzt. tion intensiv darin unterstützt, daß sich dieser Agrar- markt bewährt habe. Auch hier ist die Opposition Sie haben vor der Reise von Frau Schlei, der For- sehr starkt geneigt, sich von der Marktwirtschaft zu mulierung der Afrika-Politik und der besonderen trennen. Ich möchte einmal wissen, was ein CDU- Betonung ,der Frontstaaten es bereits außerordent- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2669 Frau Schuchardt lieh bedauert, daß die Bundesregierung in die Front- Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der staaten einen Minister zur gleichen Zeit schickt, wo CDU/CSU auf der Drucksache 8/622 auf, der eine dies auch die Russen und die Kubaner taten. Sie Herabsetzung des Ansatzes für Reisekostenvergü- meinten, dies sei geradezu unmöglich, denn diese tungen für Auslandsreisen zum Inhalt hat. Das Wort hätten ja vor, in den Frontstaaten den kommunisti- dazu wird nicht begehrt. Wer dem Antrag zuzustim- schen Einfluß stärker werden zu lassen. Ihr wirklich men wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ge- abenteuerlicher Vorschlag dazu ist, wir sollten uns genprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist dort zurückziehen. Das wäre ja geradezu die Grund- abgelehnt. voraussetzung dafür, daß das Ziel des kommunisti- Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der schen Einflusses in den Frontstaaten besonders wir- CDU/CSU auf Drucksache 8/623 auf, der eine Her- kungsvoll durchgesetzt wird. absetzung des Ansatzes für die Unterrichtung der (Beifall bei der FDP und der SPD) Öffentlichkeit über Entwicklungspolitik zum Inhalt Wir wollen das nicht. Wir werden unseren politi- hat. Ich frage, ob das Wort begehrt wird. — Das ist schen Gegnern nicht durch Nichtstun Schützenhilfe nicht der Fall. Wer dem Antrag zuzustimmen geben. Man kann auch durch Nichtstun die falsche wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegen- Seite unterstützen, Herr Todenhöfer, wie Sie es probe! — Stimmenthaltungen? — Auch dieser An- vorgeschlagen haben. trag ist abgelehnt. (Zuruf des Abg. Dr. Todenhöfer [CDU/CSU] Meine Damen und Herren, wir kommen zur Ab- und weitere Zurufe von der CDU/CSU) stimmung über den Einzelplan 23. Wer dem Einzel- plan 23 in der Ausschußfassung zuzustimmen Sie sind für die gleichberechtigte Behandlung der wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegen- weißen und der schwarzen Bevölkerung. Für die probe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Ein- FDP und, ich glaube, auch für die Sozialdemokraten zelplan 23 gegen die Stimmen der CDU/CSU gebil- und die Bundesregierung gelten die Anforderungen, ligt. die wir in bezug auf Chancengleichheit und Gleich- berechtigung von Rasse, Religion und Geschlecht Ich unterbreche die Beratungen bis 14 Uhr. stellen, nicht nur für die Anwendung hier im Innern, (Unterbrechung der Sitzung von 13.03 bis sondern wir legen diese Kriterien auch für die Län- 14.01 Uhr) der Afrikas an. Das ist der Grund, weshalb die Bun- desregierung Partei für die Schwächeren dort er- greift. Ich meine: Wir sollten sie dabei unterstützen. Vizepräsident Frau Funcke: Die Sitzung ist wieder (Beifall bei der SPD — Dr. Holtz [SPD]: Das eröffnet. ist sogar christlich!) Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt IV Sie schlagen weiter eine Politik vor, die in aus- auf: reichendem Maße die lebenswichtigen sicherheits- Erste Beratung des von der Bundesregierung und rohstoffpolitischen Interessen des Westens be- eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Ge- rücksichtige. In der Tat ist das die Aufgabe, von der setzes über die Durchführung von Statistiken wir erwarten können, daß sie von der Bundesregie- der Bautätigkeit und die Fortschreibung des rung angemessen erfüllt wird. Dies geht aber nur in Gebäudebestandes (2. BauStatG) der Kooperation und nicht, indem man sich aus — Drucksache 8/598 — diesen Bereichen zurückzieht. Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Sie sagen schließlich, die Gegenstrategie gegen Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau die sowjetisch-kommunistische Expansionspolitik in (federführend) Afrika sollte entwickelt werden. Nun kann ich nur Innenausschuß Ausschuß für Wirtschaft sagen: Die ist entwickelt worden. Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO (Zuruf von der CDU/CSU: Von wem denn? Wird das Wort zur Begründung begehrt? — Das Von euch?) ist nicht der Fall. Das stört Sie. Sie sagen, diese Strategie müßte in einem Rückzug unseres politischen, diplomatischen Was Wort zur Aussprache wird auch nicht be- und finanziellen Engagements aus diesen Gebieten gehrt. bestehen. Sie finden den Überweisungsvorschlag des Älte- Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion er- stenrats auf der Tagesordnung. Wer den Gesetzent- mutigt die Bundesregierung zu ihrer Afrikapolitik. wurf entsprechend dem Vorschlag überweisen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Ge- (Beifall bei der FDP und der SPD — Zuruf genprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlos- von der CDU/CSU: Welcher Teil der FDP?) sen.

Ich rufe Punkt V der Tagesordnung auf: Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen Beratung der Sammelübersicht 7 des Peti- nicht vor. Ich schließe die Aussprache. tionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge Wir treten in die Beratung der Änderungsanträge zu Petitionen ein. — Drucksache 8/599 — 2670 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Vizepräsident Frau Funcke Das Wort dazu wird nicht gewünscht. Ich gehe Ich höre keinen Widerspruch. Wir kommen zur davon aus, daß das Haus der Beschlußempfehlung Abstimmung über die Beschlußempfehlungen auf des Ausschusses zustimmt. — Das ist der Fall. den Drucksachen 8/613 und 8/614. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ge- Ich rufe nunmehr Punkt VI der Tagesordnung genprobe! — Enthaltungen? — Das ist einstimmig auf: so beschlossen. Beratung der Beschlußempfehlung des Innen- ausschusses (4. Ausschuß) zu der Unterrich- Nunmehr rufe ich den Zusatzpunkt 1 auf: tung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung (EWG, EGKS, Beratung des Antrags der Fraktionen der Euratom) des Rates zur Einführung der Euro- CDU/CSU, SPD päischen Rechnungseinheit (ERE) in das Sta- Wahl der Mitglieder des Rundfunkrates der tut der Beamten der Europäischen Gemein- Anstalt des öffentlichen Rechts „Deutsche schaften und die Beschäftigungsbedingungen Welle" für die sonstigen Bediensteten der Gemein- — Drucksache 8/645 — schaften sowie in sonstige Verordnungen des Rates für die Beamten, ehemaligen Beamten Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht und die sonstigen Bediensteten der Gemein- der Fall. schaften Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer zuzu- Vorschlag einer Verordnung (EWG, EGKS, stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei- Euratom) des Rates zur Einführung der Euro- chen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — päischen Rechnungseinheit (ERE) in die Ver- ordnung (EWG, Euratom, EGKS) Nr. 260/68 Es ist einstimmig so beschlossen. zur Festlegung der Bestimmungen und des Verfahrens für die Erhebung der Steuer zu- Wir kommen zu dem Zusatzpunkt 2: gunsten der Europäischen Gemeinschaften Beratung des Antrags der Fraktionen der Vorschlag einer Verordnung (EWG, EGKS, CDU/CSU, SPD, FDP Euratom) des Rates zur entsprechenden An- Wahl der Mitglieder des Rundfunkrates der passung der Berichtigungskoeffizienten, die Anstalt des öffentlichen Rechts „Deutschland- auf die Dienst- und Versorgungsbezüge der funk" Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften angewandt — Drucksache 8/646 — werden, im Anschluß an die Einführung der Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht Europäischen Rechnungseinheit in das Statut der Fall. der Beamten der Europäischen Gemeinschaf- ten und die Beschäftigungsbedingungen für Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer zuzu- die sonstigen Bediensteten dieser Gemein- stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei- schaften chen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen. — Drucksachen 8/316, 8/613 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Wernitz Nunmehr kehren wir zur zweiten Beratung des Haushaltsgesetzes 1977 zurück. Ich rufe auf: Zusätzlich rufe ich hier Punkt 3 der Zusatzliste auf: Einzelplan 06 Beratung der' Beschlußempfehlung und des Geschäftsbereich des Bundesministers des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuß) Innern zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- — Drucksache 8/496 — rung Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Riedl Vorschlag einer Verordnung (EWG, Euratom, (München) EGKS) des Rates über die Anwendung des Abgeordneter Löffler Beschlusses vom 21. April 1970 über die Er- Abgeordneter Hoppe setzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaa- ten durch eigene Mittel der Gemeinschaften Dieser Einzelplan wird verbunden mit auf die Mehrwertsteuer-Eigenmittel — Drucksachen 8/428, 8/614 — Einzelplan 36 Berichterstatter: Zivile Verteidigung Abgeordneter Rapp (Göppingen) — Drucksache 8/516 — Berichterstatter: Abgeordneter Carstens Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — (Emstek) Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache verlangt? — Auch Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? Das ist nicht der Fall. das ist nicht der Fall. Sind Sie damit einverstanden, daß wir der Ein- Das Wort zur Aussprache hat Herr Abgeordneter fachheit halber gemeinsam darüber abstimmen? — Riedl. Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2671

Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) : Frau Präsiden- hen, und Sie haben sich vor Ihre Beamten gestellt. tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich Wir erkennen dies an. stelle zu Beginn der Beratungen über diesen bedeut- (Beifall bei der CDU/CSU) samen Haushalt fest, daß der Herr Bundesinnen- minister nicht im Saal ist, obwohl ich naturgemäß Die politischen Kriterien Ihrer Amtsführung se- einen Großteil meiner Ausführungen Herrn Profes- hen jedoch anders aus, Herr Minister. Ich möchte sor Maihofer zu widmen habe. dazu drei Punkte nennen. Ihr erstes Problem, sozu- sagen Ihr persönliches Trauma, ist Ihre rechtspoli- (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Da kommt tische Vergangenheit. Herr Baum!) (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Garant liberaler Vizepräsident Frau Renger: Herr Kollege, gestat- Sie haben Ihr Amt als sogenannter ten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rechtspolitik angetreten, eng verwandt mit denen — Engelhard? ich habe Ihnen das vor einem Jahr schon einmal gesagt —, die sich als sogenannte Alternativprofes- soren ein sehr eigenartiges Verhältnis zur Rechts- Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) : Frau Präsidentin, und Sicherheitspolitik in unserem Lande geschaffen wenn die Übung heute nachmittag die gleiche ist haben. Der Opposition haben Sie, Herr Professor wie heute vormittag, daß dies auf die Redezeit Dr. Maihofer, bei jeder sich bietenden Gelegenheit angerechnet wird, tut es mir trotz der Liebenswür- in zum Teil außerordentlich demagogischer Verkür- digkeit des Kollegen Engelhard außerordentlich leid, zung vorgeworfen, im Widerstreit zwischen Freiheit daß ich diesem Petitum nicht nachgeben kann. und Sicherheit der Sicherheit den Vorrang vor der (Engelhard [FPD] : Nehmen Sie zur Kennt Freiheit geben zu wollen. Sie haben die aus Ihrem nis, daß er unterwegs ist!) Munde jetzt verständlicherweise, vor allen Dingen nach dem Fall Traube, so gut wie völlig verstummte — Der Herr Bundesinnenminister ist offensichtlich Devise plakatiert: „Im Zweifel für die Freiheit". sehr häufig unterwegs. Sie haben damit versucht — damals waren Sie noch sehr weit von den Erfahrungen weg, die Sie inzwi- (Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer be schen gesammelt haben —, einen geistigen Keil in tritt den Saal — Zurufe von der FDP und unser Volk zu treiben, indem Sie dem konservati- der SPD: Da kommt er ja!) ven Lager mit der vermeintlich nur für liberale — Das haben die großen Stars so an sich, die kom- gültigen Devise „Im Zweifel für die Freiheit" unter- men immer, kurz nachdem es begonnen hat. schwellig ein gespaltenes Verhältnis zu den Frei- heitsrechten unterschoben haben. Durch den im Haushalt des Bundesinnenmini- (Beifall bei der CDU/CSU) steriums erfaßten Aufgabenbereich werden eine Reihe wichtiger Spektren der deutschen Innenpolitik - Herr Minister, Sie haben, um es ganz einfach zu abgedeckt, beginnend bei der inneren Sicherheit sagen, zu hoch gegriffen, Sie haben Illusionen ge- über die zivile Verteidigung, die Umweltpolitik, die weckt und die Alltäglichkeit einer wehrhaften De- Sportpolitik, die Vertriebenenpolitik, das öffentliche mokratie dabei außer acht gelassen. Wenn man auf Dienstrecht, die Kulturpolitik bis hin zur politischen einem hohen Professorenstuhl sitzt, dann gelingt Bildung. Alle diese Aufgaben sollten sich im grund- einem das meistens eher als auf dem Stuhl eines sätzlichen nur sehr bedingt harter politischer Aus- Bundesinnenmnisters. einandersetzung ausgesetzt sehen und vom Grund- konsens aller Demokraten getragen werden. Macht (Beifall bei der CDU/CSU) man dies zur Prämisse, muß man andererseits vom Sie haben den damals für Sie außerordentlich inter- jeweiligen Ressortchef, vom Bundesminister des essanten Kreisen etwas vorgegaukelt und mußten Innern, ein hohes Maß an Sachkompetenz, Verant- zwangsläufig einen jähen Sturz erleben. So wie ein wortungsbewußtsein, Integrationskraft, Bereitschaft Sturzbomber ist Maihofer aus den Sphären des zur Kooperation mit allen demokratischen Kräften Rechtsprofessors in die Praxis des Bundesministers und daraus resultierend letztlich Berechenbarkeit hinuntergedonnert. und Glaubwürdigkeit verlangen. Wenn, Herr Mi- nister, diese Voraussetzungen nicht oder nur teil- (Zuruf des Abg. Löffler [SPD]) weise gegeben sind, ist es ganz unausbleiblich, daß — Die SPD kommt schon noch dran, Herr Kollege die Opposition im Bereich der Innenpolitik Kritik Löffler. anmelden muß. (Zuruf von der CDU/CSU: Er kann es gar Positiv — und das will ich zu Beginn meiner nicht abwarten!) Rede gleich sagen — rechnen wir Ihnen an, daß Sie Lassen Sie mich zunächst noch dem Minister einige sich in der sogenannten Traube - Affäre vor Ihre Be- Ausführungen widmen. amten gestellt haben, obwohl dies gar nicht selbst- verständlich war; denn von einer umfassenden Sie haben damit, Herr Minister, nicht nur bei uns

Unterrichtung des Ressortministers vor jener frag- — Sie konnten uns gar nicht so sehr überraschen —, lichen Entscheidung kann auch beim besten Willen sondern vor allem bei den Liberalen sehr viel an nicht die Rede sein, ein Faktum, das bei dem für Berechenbarkeit und Glaubwürdigkeit verloren. Im diese wichtigen Sicherheitsfragen zuständigen Mi- Einstehen für die Freiheitsrechte des einzelnen müs- nister fast unvorstellbar ist. Es ist dennoch gesche- sen sich alle hier vertretenen politischen Kräfte einig 2672 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Dr. Riedl (München) sein. Jetzt schaue ich auch zu Ihnen, Herr Kollege Die SPD ist in Ihrem Hause bisher außerordentlich Löffler, auf seiten der SPD-Fraktion. Hier hat keiner schlecht weggekommen. Sonderrabatte für sich zu beanspruchen. (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Sie haben (Beifall bei der CDU/CSU) falsche Vorstellungen, Herr Riedl!) Wird die Gemeinschaft von einzelnen unter miß- — Ach, Herr Schäfer, Sie kenne ich doch! Obwohl bräuchlicher Inanspruchnahme von Freiheitsrechten ich viel jünger bin als Sie, kenne ich Sie inzwischen im Kern angegriffen, so gilt es, die ganze Kraft des sehr gut, Herr Schäfer. Rechtsstaates um seiner selbst willen gegen solche (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD]: Das ist ja Erscheinungen einzusetzen. prima!) Mit Genugtuung kann die CDU/CSU-Bundestags- Sie sind ein ganz unwahrscheinlich parteineutraler fraktion feststellen, daß jedensfalls die Sicherheits- Beamtenpolitiker, Herr Schäfer. Sie können mich kräfte des Bundeskriminalamtes, des Bundesamtes überhaupt nicht überzeugen. für Verfassungsschutz und des Bundesgrenzschutzes nach diesen Erfordernissen gehandelt haben und Ein drittes Problem, mit dem der Minister Mai- nach wie vor handeln. Deshalb gehört diesen Be- hofer lebt und leben muß, ist der Zweifel an seiner amten unser besonderer Dank und unsere Anerken- Sachkompetenz und an seiner Eignung als Organi- nung. sationsminister. (Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Das kann man Das zweite Problem nach dem Gesichtspunkt wohl sagen!) Ihrer rechtspolitischen Vergangenheit, Herr Pro- Das nunmehr seit 1973 vollzogene Trauerspiel um fessor Maihofer, mit dem Sie draußen in der Öffent- die Errichtung einer Deutschen Nationalstiftung, lichkeit und heute bei der Verabschiedung Ihres die Hoffnung erweckenden und letzlich in Ratlosig- Haushalts fertig werden müssen, ist Ihr — ich sage keit zerrinnenden Ankündigungen im Bereich der es unumwunden — Versagen als Beamtenminister. Dienstrechtsreform seit 1969 — wie ich schon gesagt Ich will jetzt nur einen Punkt herausgreifen. Sie habe — und das völlige Desaster in der zivilen reden seit vielen Jahren so — ich komme darauf Verteidigung, auf das mein Kollege noch zu sprechen , als ob die große Dienstrechts- noch im einzelnen zu sprechen kommen wird, lassen reform im öffentlichen Dienst unmittelbar vor der auch bei gutwilligen Beobachtern Zweifel an der Tür steht. Dabei sind wir meilenweit davon ent- Sachkompetenz aufkommen. fernt. Ihre Dienstrechtsreform — die Dienstrechts- reform à la Maihofer — hat sich bisher nur in Herr Minister, ein Blick in Ihr Haus. Ihre Bereit- einer außerordentlichen Ämterpatronage nieder- schaft zur Kooperation mit den mitbestimmenden geschlagen. Dabei hätten gerade Sie als Beamten- Kräften in Ihrem Haus ist im Gegensatz zu frühe- minister in erster Linie und für alle Häuser vor- ren Bundesinnenministern nahezu verkümmert. Das bildlich dafür sorgen müssen, daß die Personal- gebotene Gespräch zur Lösung von Sachfragen fin- det so gut wie nicht mehr statt. Die Folge ist, daß politik in Ihrem Hause parteipolitisch absolut neu-- tral erfolgt. Sie sich immer noch selber in Sackgassen manö- (Beifall bei der CDU/CSU) vrieren. Ich hätte von Ihnen auch erwartet, daß Sie als Nehmen Sie mal das Gliederungsschaublatt des Organisationsminister die Sportabteilung anders Bundesinnenministeriums zur Hand, nehmen Sie organisieren. Wir haben Ihnen vor einem Jahr ge- einen gelben Stift und kreuzen Sie überall, wo ein sagt: Wir wollen eine eigene Sportabteilung. Aber Beamter des höheren Dienstes sitzt, mit gelb an daß Sie in dieser Abteilung aus fünf Referaten — das ist ja die Farbe der FDP —; dann werden gleich acht gemacht und Zuständigkeiten erfunden Sie sehen, daß aus dem weißen Gliederungsschau- haben, die in Wirklichkeit in den Bereich des Deut- blatt ein nahezu völlig gelbes Gliederungsschaublatt schen Sportbundes gehören, kapiert überhaupt kei- geworden ist, Herr Minister. Wenn das der Arbeits- ner mehr. minister macht, der Gewerkschaftsgenossen unter- (Beifall bei der CDU/CSU) bringen muß, habe ich dafür noch Verständnis. Wenn das aber ausgerechnet der für das Hüten Der Organisationsminister muß ein Vorbild bei des Beamtenrechts zuständige Minister tut, dann der straffen Organisation sein. Sie sind genau das muß er sich gefallen lassen, daß wir ihm dies heute Gegenteil davon. vorhalten. Noch eines. Herr Minister, außer dem Bundes- Ich frage mich nur, was die Kollegen von der finanzminister ist der Bundesinnenminister der ab- SPD machen. Ich sehe Herrn Wehner schon mit der solute Spitzenreiter in der Zahl der Staatssekretäre. Aktentasche unter dem Arm auf dem Weg ins Vier Staatssekretäre — zwei beamtete und zwei Innenministerium, um endlich mal auch personal- parlamentarische — im Bundesinnenministerium: politische Proporzansprüche für die SPD geltend Bei einer so geballten sachlichen Kraft müßte Ihr zu machen. Aber, Herr Minister, da helfen wir Ministerium ein Klasseministerium sein, Herr Mini- Ihnen mit neuen Planstellen mit Sicherheit nicht; ster! da müssen Sie Ihre FDP-Genossen wieder heraus- (Löffler [SPD] : Ist es auch!) nehmen. — Herr Löffler, ich zitiere jetzt nicht den „Bayern (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Aber Herr kurier", sondern den „Stern". Schauen Sie da mal Riedl!) die Qualifikationsnote für den Minister Maihofer Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode -- 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2673 Dr. Riedl (München) nach. Die ist außerordentlich mäßig. Dafür würden Die freimütigen Bekenntnisse der Allgemeinen Sie in Bayern nicht einmal die mittlere Reife be- Studentenausschüsse von Göttingen, Braunschweig kommen. und Darmstadt zur Gewalt und zur Glorifizierung (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von des Mordes an Generalbundesanwalt Buback ver- der FDP und der SPD) langen eine harte und deutliche Reaktion unseres Staates. Herr Minister, schauen Sie mal in Ihren Dies sind drei Gesichtspunkte, die wir in der all- Haushaltsplan, wieviel Geld Ihnen für Öfentlich- gemeinen politischen Auseinandersetzung Herrn keitsarbeit zur Verfügung steht! Ich habe noch nicht Professor Dr. Maihofer vorzuhalten haben. Den vier- ein einziges Flugblatt des Bundesinnenministers an ten werde ich am Schluß meiner Rede anzufügen den genannten drei Universitäten gesehen, auf dem haben. diese unverschämten Aussagen und unglaublichen Diffamierungen vom Bundesinnenminister zurück- Lassen Sie mich zuvor zu einigen Sachpunkten gewiesen worden sind. Statt dessen produziert der des Einzelplans 06 für den Geschäftsbereich des Innenminister solche Stöße von UMPLIS- und Um- Bundesministers des Innern Stellung nehmen. welt-Informationen, die kein Mensch liest. Erstens. Im Bereich der Inneren Sicherheit das (Heiterkeit bei der CDU/CSU) sind das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Ver- Aber an den Universitäten, die ich genannt habe, fassungsschutz, der Bundesgrenzschutz und die Be- vermisse ich auch nur ein einziges Flugblatt, unter reitschaftspolizeien der Länder stehen im Jahr 1977 dem steht: Ich, Bundesminister Maihofer, verurteile — ich möchte diese Zahl als Oppositionspolitiker diese Schweinereien und diese Studentenausschüsse. nennen — 1163 Millionen DM zur Verfügung. Das Kein Wort lesen Sie davon. ist gegenüber 1976 ein Plus von 5,8 %. (Beifall bei der CDU/CSU Zurufe von der Die CDU/CSU-Fraktion hat diesem Etatteil immer SPD: Sache der Landesminister! — Was sa ihre volle und uneingeschränkte Zustimmung ge- gen die CDU-Kultusminister?) geben. Wir werden das auch in Zukunft tun, wenn — Ach, die CDU-Kultusminister sind an vorderster der Bundesinnenminister damit die richtigen Maß- Front, wo sie hingehören. nahmen finanziert. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir erwarten, daß alle Möglichkeiten unverzüg- lich und voll genutzt werden, um den Terrorismus Ein zweites zur Umweltpolitik! Dazu ist in die- in unserem Land noch nachhaltiger zu bekämpfen. sem Hause schon sehr viel gesagt worden. Ich will Es genügt nicht, den deutschen Terrorismus — wie mich auf einige Bemerkungen zum Umweltbundes- es der Bundeskanzler gestern getan hat — in erster amt beschränken. Meine Freunde in der Fraktion Linie zu einem Problem des internationalen Terro- und ich haben im letzten Jahr nachhaltig kritisiert, rismus zu machen. Machen Sie erst einmal im eige- daß sich das Umweltbundesamt in seiner langfristi- nen Land Ordnung und blicken Sie dann über die gen Entwicklung auf einem schlechten Weg befin- det. Ich muß dies im Interesse der Aufgabe und auch Grenzen, Herr Bundesinnenminister! Der Terroris- - im Interesse dieses Amtes heute in aller Deutlich- mus ist in erster Linie ein Problem der Bundesrepu- keit wiederholen. Das Umweltbundesamt entwickelt blik Deutschland. Und da muß Schluß gemacht wer- sich zum Schaden der Aufgabe und zum Nachteil sei- den. Wir wollen endlich wieder geordnete Verhält- ner Bediensteten immer mehr zu einer Verwaltungs- nisse haben. Mit mehr als 1,1 Milliarde DM haben behörde, obwohl es nach dem Gesetzesauftrag eine Sie, Herr Bundesinnenminister, alle Möglichkeiten, zentrale Planungs- und Forschungseinrichtung des hier wirksam tätig zu werden. Umweltschutzes sein soll. Ich fordere Sie, Herr Bun- (Beifall bei der CDU/CSU) desminister, erneut auf, sich mit Ihrer ganzen Auto- rität für den weiteren sachlichen und personellen Wir erwarten von Ihnen klare und eindeutige Aufbau Worte zur Frontstellung gegenüber den Verfassungs- (Zuruf des Abg. Dr. Waigel [CDU/CSU]) feinden im öffentlichen Dienst. Jetzt muß ich mich etwas mehr nach links wenden. Das ist ja ein Lieb- — soweit vorhanden; Herr Kollege Waigel, ich lingsthema bei Ihren Parteitagen, vor allem der danke für diese akustische Unterstützung — einzu- Jungsozialisten, wo Sie, meine Herren, eine aller- setzen und hierbei vor allem dem Umweltbundesamt dings völlig andere Auffassung, als sie meine Frak- auch einige weitere Forschungszuständigkeiten ein- tion hat, mit Mehrheit beschließen. zuräumen. Zur Zeit wird von administrativer Seite jeglicher Ausbau in dieser Richtung verhindert. Wie auch immer diskutiert wird, es ist und bleibt Ein drittes! Das ist ein sehr bedauerliches Kapitel, unerträglich, daß — auch dies will ich Ihnen auch ich hoffe, für das ganze Haus. Das ist das totale heute wieder vorhalten, Herr Minister — die bloße Auseinanderklaffen zwischen Anspruch und Wirk- Mitgliedschaft in einer eindeutig kommunistisch lichkeit im Kulturbereich beim Thema „Deutsche orientierten Organisation nicht voll genügen soll, Nationalstiftung". Meine Fraktion stellt zu diesem jemanden vom öffentlichen Dienst fernzuhalten. Es Thema folgendes fest. Erstens. Uns, der CDU/CSU, ist eine Schande für jeden Beamten, Ihren Stand- ist es mit der Gründung der Deutschen National- punkt zum Problem „Radikale im öffentlichen Dienst" stiftung außerordentlich ernst. nach wie vor offiziös hören zu müssen. Jede Ver- harmlosung und jedes nebelhafte Verhalten gerade (Beifall bei der CDU/CSU) auf diesem Gebiet ist für die langfristige Entwick- Zweitens. Wir wollen, daß die Deutsche Na- lung unseres Staates von höchster Gefährlichkeit. tionalstiftung — ich sage dies vor allen Dingen 2674 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Dr. Riedl (München) auch im Namen meines Fraktionsvorsitzenden Dr. Ich komme zusammenfassend zum Schluß. Ich — in Berlin errichtet wird. hatte Ihnen drei wesentliche politische Gesichts- (Beifall bei der CDU/CSU) punkte zu Beginn meiner Rede vorgehalten, die deutlich machen, warum wir, die CDU/CSU-Frak- Drittens. Die Deutsche Nationalstiftung hat der tion, dem Haushalt des Bundesinnenministers nicht Natur ihrer Aufgaben nach ausschließlich den zustimmen können. Ich möchte jetzt noch einen Zweck, im kulturellen Bereich tätig zu werden — vierten Gesichtspunkt nennen. Sie haben nicht nur das weiß ein jeder —, ohne dabei hoheitliche Tätig- als Beamtenminister und als Organisationsminister keiten auszuüben; das ist der springende Punkt. Bei versagt, Sie haben auch als Verfassungsminister dieser ausschließlich humanitären und friedfertigen versagt. Herr Minister, ich habe Sie gestern genau Konstellation wäre es auch für Kritiker völlig un- beobachtet, als hier die Aussprache über das Verfas- verständlich, wenn dagegen seitens des Ostens be- sungsgerichtsurteil in Sachen Verfassungsbruch des gründete Einwände erhoben würden. Man kann seinerzeitigen Bundesfinanzministers stattfand. Da uns nicht daran hindern, in geradezu klassisch fried- haben Sie zum Teil völlig scheu auf den neben ihnen fertiger Weise für Berlin zu votieren. Würde man sitzenden Bundesjustizminister geschaut, was der uns von irgendeiner Seite daran hindern, so wider- wohl macht. Er ist dann ans Rednerpult gegangen spräche dies entschieden dem Geist, dem Sinn und und den Zukunftsperspektiven der Berlin-Verträge. (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : ... und hat falsche Auskünfte gegeben!) (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) — es tut mir leid, daß ich das meinem früheren Viertens. Herr Bundesinnenminister, Entscheiden Oberbürgermeister, den ich als Oberbürgermeister gehört zum Regieren! Die sozialliberale Regierung außerordentlich schätzte, sagen muß — ist hier total hat noch unter dem damaligen Bundeskanzler Brandt auf den Bauch gefallen, und zwar als Bundesjustiz- — in der Regierungserklärung und in anderen Erklä- minister. Das wäre ihm früher in München als Ober- rungen Willy Brandts ist das nachzulesen — in der bürgermeister nicht passiert. Da kenne ich ihn zu Bevölkerung große Erwartungen in eine solche Na- gut. Sie haben also den Bundesjustizminister ange- tionalstiftung geweckt. Die deutsche Öffentlichkeit, schaut und nicht gewußt, was der sagt. Dann haben aber auch die Öffentlichkeit im deutschen Sprach- Sie zum Bundeskanzler hinübergeschaut und wa- raum in Europa würde es nicht verstehen, wenn ren sich auch nicht ganz sicher, was der machen jetzt aus vermeintlicher oder vordergründiger politi- werde. Er hat dann einige wenige Minuten auf das scher Rücksichtnahme eine Entscheidung zugunsten für ihn außerordentlich peinliche Thema verschwen- Berlins nicht getroffen würde. det. Sie, der Bundesminister, der für den Schutz unserer Verfassung zuständig ist, saßen schweigend Fünftens. Meine Fraktion wird nach der Sommer- da, obwohl der heutige Bundeskanzler von unserem pause dieses Problem hier erneut zur Sprache brin- obersten Verfassungsgericht verurteilt wurde, weil gen und deutlich machen, daß die unter den Zif- er Verfassungsbruch begangen hat. Jetzt möchte ich fern 1 bis 4 genannten Ziele raschestmöglich ver- einmal von Ihnen als Verfassungsminister wissen, wirklicht werden müssen. was Sie zu diesem Thema zu sagen haben. Er sitzt Mein vierter Hauptpunkt! Herr Minister — dazu hier und schweigt. kann ich mich kurzfassen, weil ich schon einige Be- (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der merkungen dazu gemacht habe —, in Sachen Dienst- CDU/CSU: Und als Liberaler!) rechtsreform des öffentlichen Dienstes haben Sie völlig versagt. Hier können Sie für sich den Titel Herr Minister, wenn Sie sich dazu nicht äußern, wer- „Ankündigungsminister der ersten Klasse" in An- den wir Sie in Zukunft nicht mehr als Minister der spruch nehmen. deutschen Verfassung ansprechen können. Das drohe ich Ihnen heute schon an. (Beifall bei der CDU/CSU) Das einzige, was Sie fertiggebracht haben, ist, daß (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Das war ein Sie eine irrsinnige Menge Geld ausgegeben haben. Zungenschlag zuviel! — Weitere Zurufe Allein die Studienkommission zur Reform des öf- von der SPD) fentlichen Dienstes hat in den zwei Jahren ihres — Wie Sie es mit der Verfassung halten, habe ich Bestehens 2 Millionen DM gekostet und die Pro- gestern an Ihrem Verhalten gesehen, als Sie bei jektgruppe für die Reform der Bundesregierung und der Feststellung unseres Fraktionsvorsitzenden, daß Bundesverwaltung rund 9 Millionen DM in den der heutige Bundeskanzler ,die Verfassung eindeutig Jahren 1970 bis 1975. Das sind 11 Millionen DM zum gebrochen habe, sogar noch in frenetischen Beifall Fenster hinausgeworfenes Geld. Herr Minister, ausgebrochen sind. Meine Herren von der SPD, Sie gehen Sie endlich dazu über, ein für allemal für die haben doch jeden Anspruch verloren, sich hier zu Bundesregierung zu erklären: Das beste Beamten- diesem Punkt noch auf das Grundgesetz der Bundes- tum, das es in der freien Welt gibt, ist das deutsche republik Deutschland zu berufen. Berufsbeamtentum. Daran gibt es überhaupt nichts zu deuteln. Sie sollten sich als Bundesinnenminister (Beifall bei der CDU/CSU — Kühbacher eindeutig davorstellen. Das Reformgerede von [SPD] : Hier ist doch 'keine Oktoberwiese!) Ihnen zu diesem Bereich ist genauso falsch und Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gäbe vordergründig wie das Reformgerede seit Gründung — leider ist meine Redezeit abgelaufen — noch eine der sozialliberalen Koalition. Vielzahl von Gesichtspunkten zu sagen, warum die (Beifall bei der CDU/CSU) CDU/CSU-Fraktion den Haushalt des Bundesinnen- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2675 Dr. Riedl (München) ministers ablehnt. Wir werden in der weiteren Aus- vielmehr auch durch die Tatsache gekennzeichnet, sprache noch zu anderen gewichtigen Gesichtspunk- daß wir auf vielen Gebieten der Verbrechensbe- ten Stellung nehmen. Eines jedenfalls können wir kämpfung vorangekommen sind und bemerkens- Ihnen auch schon für das nächste Jahr ankündigen: werte Erfolge erzielt haben. Herr Bundesinnenminister, wenn Sie Ihren Ankün- Der Herr Bundesinnenminister hat kürzlich die digungen nicht endlich Taten folgen lassen und Kriminalstatistik für das letzte Jahr vorgelegt. Aus wenn Sie von den Möglichkeiten Ihres Amtes nicht der Statistik ersehen wir, daß beispielsweise die pro- endlich Gebrauch machen, wird die CDU/CSU-Frak- zentuale Steigerungsrate der Gesamtzahl der erfaß- tion auch im nächsten Jahr Ihrem Haushalt ein kla- ten Straftaten in den letzten drei Jahren stetig abge- res Nein entgegensetzen. nommen und 1976 nur noch 4,9 % betragen hat. Vor (Beifall bei der CDU/CSU) allem ist festzustellen, daß bei der Gewaltkriminali- tät ein Rückgang um nahezu 2 % gegenüber dem Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat Herr Vorjahr zu verzeichnen ist. Währenddessen ist die Abgeordneter Walther. Gesamtaufklärungsquote um 7,5 % gestiegen. Im Bereich der Gewaltkriminalität — wie Totschlag, Mord oder gefährliche Körperverletzung — ist die Walther (SPD) : Frau Präsidentin! Meine sehr ver- Aufklärungsquote bei 97 % angelangt. ehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Riedl hat hier eine seiner berühmten bayrischen Einlagen Ich sagte schon, wir werden uns demnächst wieder gebracht. Wir alle kennen ihn ja so. mit dem Phänomen des Terrorismus zu beschäftigen haben, der, Herr Kollege Dr. Riedl, eben nicht nur (Röhner [CDU/CSU] : Was haben Sie gegen ein nationales Problem ist. Wer in den letzten Ta- Bayern? — Weiterer Zuruf der CDU/CSU: gen und Wochen aufmerksam die Berichte in den Das war gut!) Massenmedien verfolgt hat, der weiß doch — es sei — Das ist ein liebenswertes Völkchen, Herr Kollege denn, Herr Kollege Riedl, Sie hätten im Fernsehen Röhner. Wenn Herr Kollege Dr. Riedl nicht morgen immer nur die Fußballspiele angeguckt —, daß Ter- Geburtstag hätte, dann würde ich ihm im gleichen rorismus ein internationales Phänomen ist, Stil antworten wollen. Aber so, am Vortage seines (Zuruf von der CDU/CSU: Was soll denn Geburtstags, werde ich ihn natürlich anständig be- das? — Löffler [SPD] : Da gibt es auch handeln. Terror!) (Dr. Klein [Göttingen] [CDU/CSU] : Wenn — Ja, da gibt es auch Terror. Aber über den wol- Sie das können! — Dr. Althammer [CDU/ len wir heute ja nicht reden. CSU]: Ausreden sind das!) (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Wenn Sie sich mehr Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen eines. Fußballspiele ansehen würden, würden Sie Je mehr Sie diesen Minister angreifen, um so mehr auch besser reden!) wird er den Rückhalt der sozialdemokratischen Bun- — Wissen Sie, Herr Kollege Dr. Kohl, ich würde destagsfraktion bekommen. mir an Ihrer Stelle einmal ein anderes Grinsen zu- (Lachen bei der CDU/CSU — Dr. Kohl legen. Dieses Grinsen, das Sie an sich haben, kennen [CDU/CSU] : Das ist die Logik! — Röhner wir mittlerweile alle. [CDU/CSU] : Das war vor nicht allzu langer Ich will der Debatte, die demnächst kommen wird, Zeit aber ein bißchen anders!) nicht vorgreifen. Aber es ist meine feste Über- Ich bin ganz sicher, daß Herr Minister Maihofer im zeugung, daß wir mit neuen strafverschärfenden Ge- Laufe der Debatte Gelegenheit nehmen wird, zu setzen, die möglicherweise an die Substanz des einer Reihe der gegen ihn erhobenen Vorwürfe Stel- Rechtsstaates gehen, nicht weiterkommen. lung zu nehmen. (Spranger [CDU/CSU]: Ach!) Lassen Sie mich ein paar Bemerkungen machen, — Wenn Sie „ach" sagen, Herr Kollege Spranger: die nach Auffassung der sozialdemokratischen Bun- Was mancher von Ihnen vom Rechtsstaat hält, wis- destagsfraktion zu diesem Haushalt gemacht werden sen wir spätestens, seitdem der Kollege Dr. Dregger müssen. Es bleibt gar nicht aus, daß im Rahmen im Iran war und sich dort lobend über das Terror- einer solchen Debatte zum Einzelplan 06 über die regime geäußert hat, und zwar in einem Ausmaß, Fragen der inneren Sicherheit geredet wird, auch daß sogar einige Karriereknaben von der Jungen wenn wir uns demnächst in einem anderen Zusam- Union empört gewesen sind. menhang darüber wieder im Plenum werden unter- halten müssen. Wer die Sicherheitslage in der Bun- (Widerspruch bei der CDU/CSU — Dr. desrepublik Deutschland nur und ausschließlich un- Riedl [München] [CDU/CSU] : ter dem Eindruck der terroristischen Aktionen, ins- war auch in Moskau!) besondere des verabscheuungswürdigen Mordan- Es ist meine feste Überzeugung, daß sich kein schlags auf den Generalbundesanwalt und seine Be- Terrorist beeindrucken läßt von höherer Strafan- gleitung, beurteilen wollte, würde den Blickwinkel drohung oder von Verteidigerüberwachung oder zwangsläufig ein wenig verkürzen. Dieser spekta- von dem, was Sie sonst noch alles an Vorschlägen kuläre und verabscheuungswürdige Fall politischer gebracht haben. Aber ich bin ganz sicher, daß sich Gewaltkriminalität allein kennzeichnet die derzei- Terroristen beeindrucken lassen, wenn wir sie mög- tige Sicherheitssituation nicht. Die Situation wird lichst schnell aburteilen und hinter Schloß und Riegel 2676 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Walther bringen. Ich meine, das ist der entscheidende Schritt, minalität vorzugehen. Ich hoffe sehr, daß wir uns den wir bei der Bekämpfung des Terrorismus tun darüber einig sind. müssen. (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Und die Zusam (Spranger [CDU/CSU]: Ihr macht ja nichts! menarbeit mit den Ländern klappt!) — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Ver — urteilt mal schnell!) Herr Kollege Miltner, falls Sie diesen Zwischen- ruf mit Überzeugung gemacht haben: Ich fürchte Wir sollten doch bitte nicht vergessen, daß in diesem sehr, daß dies nicht die ganze Wahrheit ist. Bereich wesentliche Zuständigkeiten eben nicht (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Ich rede nur das beim Bund, sondern bei den Länderinnenministern nach, was der Minister sagt!) liegen. (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Dann loben Sie Sie sagen: was der Minister sagt. Der Minister ist doch die Länder wegen der Kriminalstatistik!) ja viel höflicher, als der Kollege Dr. Riedl ihn dar- gestellt hat. — Herr Kollege Miltner, meinen Sie, es sei für die Ihrer Partei angehörenden Innenminister ein Ruh- (Schwarz [CDU/CSU] : Herr Riedl hat nicht mesblatt gewesen, daß sie sich so lange darum gesagt, der Minister sei unhöflich! — Haase herumgedrückt haben, die Innenministerkonferenz [Kassel] [CDU/CSU] : Nein, nur der Sache einzuberufen, die in diesen Tagen endlich stattge- nicht gewachsen!) funden hat? Ich füge den vielen Vorschlägen, die in Frage (Beifall bei der SPD — Dr. Miltner [CDU/ kommen könnten, einen weiteren hinzu: Die Aus- CSU] : Die Innenministerkonferenz führt weitung dieses INPOL-Systems nicht nur zu einem doch, nicht der Minister! — Schwarz [CDU/ Straßenfahndungssystem, sondern auch zu einem CSU]: Fauler Kram ist das!) Bürofahndungssystem — die Fachleute wissen, was — Verehrter Herr Schwarz, über Sie wollen wir uns damit gemeint ist —, also die Erweiterung der Ter- doch gar nicht unterhalten. Wir wissen doch, warum minal-Anlagen in Richtung auf die Büros der Poli- Sie hier und nicht mehr im Innenministerium von zeien und der Strafverfolgungsbehörden könnte da- Rheinland-Pfalz sitzen. zu führen, daß die Aufklärungsraten höher werden. (Zurufe von der CDU/CSU: Weil er gut ist!) Das Kraftfahrzeug ist Träger des Kapitalverbre- chens und des Terrorismus. Dies bedeutet, daß gegen — Ja, so gut, daß er jetzt hier sitzt. den Kraftfahrzeugdiebstahl energischer vorgegan- (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU) gen werden muß als bisher. Ich begrüße es sehr, daß nun nach langjährigen Bemühungen endlich ein Wir streben keine zusätzlichen Verantwortungen Übereinkommen erzielt worden ist, ein fälschungs- für das Bundeskriminalamt an. Wir wollen kein FBI, sicheres Kraftfahrzeugkennzeichen herzustellen. Ich wie manche Leute sagen. Aber es gibt im Bereich der bin auch sicher, daß die Bürger in diesem Lande Koordination zwischen Bund und Ländern weite Verständnis für höhere Kosten haben, wenn sie wis- Felder, die noch lange nicht ausgeschöpft sind. Las- - sen, daß sie damit ihren Beitrag dazu leisten, daß sen Sie mich beispielsweise daran erinnern, daß das die Sicherheit in unserem Lande größer wird. Bundeskriminalamt noch sehr viel effektiver arbei- ten könnte, wenn es die lückenlose Sachbeweissam- (Dr. Eyrich [CDU/CSU] : Immerhin hätten melstelle der Bundesrepublik Deutschland wäre. Wer Sie lange genug Zeit gehabt, das früher zu sich dort erkundigt, merkt doch, daß es da an vielen machen!) Ecken und Kanten hakt und daß das Bundeskriminal- — Verehrter Herr Kollege, Sie wissen, daß das ohne amt seine Aufgaben auf diesem Gebiet unter ande- die Länder nicht geht. Wie verdammt schwierig es rem deshalb nicht erfüllen kann, weil manche der ist, mit den elf Ländern unter einen Hut zu kom- Länder nicht so kooperativ sind, wie sie es eigent- men, brauche ich Ihnen, der Sie doch Föderalist sind, lich sein sollten. nun wirklich nicht zu sagen. Ich halte es auch für einen unmöglichen Zustand, Ich sage als letztes und nur ganz vorsichtig an- daß beispielsweise die Datenverarbeitungsanlagen deutend — Herr Minister Maihofer, Sie wissen, was zwischen Bund und Ländern derart inkompatibel ich meine —: Die Umfeldbeobachtung des Terroris- sind, daß ihr effektiver Einsatz zum Teil überhaupt mus ist Aufgabe Nr. 1, wenn wir diesem Phänomen nicht gewährleistet ist. Wenn es anders wäre und überhaupt beikommen wollen. Ich habe mich ge- wenn wir dazu noch, Herr Minister Maihofer, auch freut, zu hören, daß es jetzt auch darüber erste Be- auf Bundesebene einen Verbund der dem Bund un- schlüsse gegeben haben soll. Ich kann diejenigen, terstehenden Dateninformationsbanken auf diesem die hierfür in Frage kommen, nur dazu ermuntern, Gebiet hätten, würden wir bei Verbrechen noch gerade diesen Teil der Bekämpfung des Terrorismus eine sehr viel höhere Aufklärungsrate bekommen, stärker als bisher ins Auge zu fassen. als wir sie jetzt haben. Dies, meine Damen und Herren, wollte ich hier Wenn beispielsweise durch das INPOL-System nur angedeutet haben. Einiges mehr werden wir beim Bundeskriminalamt die Zahl der durch Straf- demnächst hier vortragen, wenn die entsprechen- befehl gesuchten Täter von 80 000 auf 38 000 zurück- den Gesetze zur Beratung anstehen. gegangen ist, dann ist dies doch ein Beweis dafür, Meine Damen und Herren, in diesem Zusammen- daß der Ausbau dieses Bereichs erheblich dazu bei- hang ist auch ein Unikum wie dieses zu nennen: tragen kann, noch stärker als bisher gegen die Kri- Kriminalbeamte — so habe ich mir sagen lassen — Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2677 Walther müssen, wenn sie bei der Strafverfolgung einen lege Dr. Riedl, wir sind uns ja im Ausschuß auch Zug besteigen wollen, vorher eine Fahrkarte lösen. sehr viel einiger gewesen, als Sie hier öffentlich Ich halte es in der Tat für einen Witz, daß dem so darzustellen beliebt haben. sein soll; ich könnte mir durchaus vorstellen, Herr Minister, daß dies möglichst schnell aus der Welt Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich zu schaffen ist. will dazu noch ein paar Bemerkungen machen. Zum Umweltschutz gehört zweifellos auch der Lärm- (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD) schutz; Lärm am Arbeitsplatz und im Verkehr ist Das erinnert mich an Tucholsky, der einmal die Ge- einer der Hauptverursacher beispielsweise von schichte erzählt hat, daß die Deutschen erst eine Streßkrankheiten. Die Straßenschallschutzverord- Bahnsteigkarte kaufen, wenn sie bei einer Revo- nung sollte, dem Bundes-Immissionsschutzgesetz fol- lution den Bahnhof besetzen wollen. — Meine gend, bald erlassen werden. Herr Minister, ich weiß Damen und Herren, dies und anderes scheint uns zwar, daß dies nicht die alleinige Kompetenz Ihres wirkungsvoller zu sein als die plakative Verschär- Hauses ist, aber ich denke, Sie werden dem damit fung von Strafgesetzen, die möglicherweise nichts auch befaßten Verkehrsminister ein bißchen auf die anderes als politische Selbstbefriedigung darstellt. Sprünge helfen können. Nun hat der Herr Kollege Dr. Riedl hier zu Recht Es ist sicherlich so, daß der Chemieunfall im ita- das Thema „Umweltschutz" angesprochen. Ich will lienischen Seveso noch einigen von uns im Gedächt- auch dazu einige Bemerkungen machen. Die Tat- nis geblieben ist. Ich möchte ausdrücklich daran er- sache, daß die Bundesregierung den Umweltschutz innern, daß wir in unserem Lande noch Vorkehrun- zu einem wesentlichen Bestandteil ihres Zukunfts- gen dafür treffen müssen, daß sich solches bei uns investitionenprogramms gemacht hat, macht deut- nicht wiederholen kann. Herr Minister, ich wäre lich, welchen Stellenwert diese Bundesregierung und dankbar, wenn Sie die Umweltschutzabteilung Ihres die sie tragende Koalition auch in Zukunft den Fra- Hauses gerade auf diesen Punkt ansetzen würden, gen des Umweltschutzes beimessen. Ich muß Ihnen damit wir uns nicht möglicherweise eines Tages ehrlich sagen, ich war ein bißchen traurig darüber, auch in diesem Lande Vorwürfe machen müssen. daß einige Bundesländer so lange gezögert haben, die Verträge über dieses Zukunftsinvestitionenpro- Nun hat der Kollege Dr. Riedl hier jenes Farben- gramm zu unterschreiben. bild über die Personalbesetzung im Innenministe- rium gemalt. Herr Kollege Dr. Riedl, Sie hätten es im (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD) bayerischen Innenministerium viel einfacher; Sie Wir haben ja in der Vergangenheit gerade im Be- bräuchten nur vom Minister bis zur Putzfrau die reich des Einzelplans 06 schon eine Reihe von Mit- Farbe schwarz zu nehmen, dann wären Sie durch. teln zur Unterstützung der Bundesländer, insbeson- (Zustimmung bei der SPD —Dr. dere Baden-Württembergs, eingesetzt, um die Sa- Riedl [Mün chen] [CDU/CSU]: Wir haben ja auch 70 % nierung von Bodensee und Rhein in Gang zu brin- der Wählerstimmen!) gen, und wir haben dabei schon eine Menge Erfolge erzielt. Ich bin ganz sicher, mit dem, was wir mit -— Es waren ein bißchen weniger! Und ich bin nicht den 2 Milliarden im Zukunftsinvestitionenprogramm sicher, ob 70 % der Wählerstimmen schon etwas machen wollen, werden wir auf dem Wege der Sau- über die Qualität der Beamten, Angestellten und berhaltung von Bodensee, Rhein und deren Neben- Putzfrauen aussagen, die Sie da beschäftigen, und flüssen einen großen Schritt weiterkommen. ob sie alle das CSU-Parteibuch haben müssen. — Meine sehr verehrten Damen und Herren, dort, Aber hier sitzt auch der Kollege Dr. Dregger; er wo dem Bund in der Umweltpolitik die Kompetenz sollte uns einmal erzählen, wie es denn eigentlich zufällt, wird er handeln und auch handeln müssen, bei der Stadt- und Kreisverwaltung Fulda aussieht. und zwar noch ein bißchen mehr als durch das, was (Dr. Dregger [CDU/CSU] : Anders als hier!) ich eben angedeutet habe. — Aber, Herr Kollege Dr. Dregger, das ist mög- Zum Umweltbundesamt hat der Kollege Dr. Riedl licherweise ein anderes Schwarz, obwohl ich gar einige kritische Anmerkungen gemacht. Ich will von mir aus nur folgendes sagen. Forschungsinstrumente nicht sicher bin, daß das Schwarz, das Sie vertreten, auf dem Gebiet des Umweltschutzes, Herr Kollege ein anderes als das ist, das Herr Strauß vertritt. Riedl, haben wir im Bereich des Bundes genug; ich Aber bei den Verwaltungen in Fulda müssen Sie erinnere beispielsweise an Wabolu. Es kommt nicht lange suchen und bis zum Friedhofsgärtner gehen, darauf an, neue Forschungskapazitäten in Berlin zu um einen zu finden, der das SPD-Parteibuch hat. errichten, sondern darauf, die vorhandenen For- Ich will gar nicht so tun, als sei dies eine Sünde, schungskapazitäten zu koordinieren und sie so die Sie allein begingen. Nur, Herr Kollege Dr. Riedl, effektiv wie nur irgend möglich in die Umwelt- halte ich es einfach für unehrlich, so zu tun, als gesetzgebung einzubinden. seien die einen die Bösen, und die anderen wüßten von solchen bösen Taten nichts und begingen sie (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Einver nicht. Ich denke, da sind wir allzumal Sünder. Ich standen! Sie haben ja recht!) bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie dem Minister — Ich bedanke mich für diesen Zwischenruf und da- den Hinweis gegeben haben, daß die SPD in sei- für, daß Sie „einverstanden" sagen. nem Ministerium unterrepräsentiert ist; ich brauche (Weitere Zurufe von der CDU/CSU) dies nicht zu wiederholen. — Ich freue mich ja sehr darüber, daß es auf die- (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Er ist der sem Gebiet Übereinstimmung gibt, denn, Herr Kol Beamtenminister!) 2678 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Walther — Ja, aber der bayerische Innenminister ist dies seiner Regierungserklärung — mit Ihrer Genehmi- doch auch und hat auch nur schwarze Parteibücher gung, Frau Präsidentin — zitieren: in seinem Haus. Ohne eine freie und offene Presse müßten auch (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Nein, in Liberalität und Geistesfreiheit Schaden nehmen. Bayern ist es der Finanzminister!) Jeder muß sein Grundrecht, sich frei auch über unterschiedliche Meinungen zu informieren, in Nun will ich ein paar Bemerkungen zu der an- Anspruch nehmen können. Die Bundesregie- gesprochenen Deutschen Nationalstiftung machen. rung wird deshalb auf die Verleger- und Jour- Auch wir begrüßen es sehr, daß dieses von Willy nalistenverbände einwirken, sich über eine ein- Brandt angeregte Projekt der Deutschen National- vernehmliche Regelung der inneren Pressefrei- stiftung vorangetrieben werden soll; nur, Herr Kol- heit und über Redaktionsstatute zu verständi- lege Riedl, liegt die Verzögerung nicht an dieser gen. Wenn das etwa bis zur Mitte der Periode Regierung, nicht an diesem Innenminister, sondern nicht zustande kommen sollte, werden wir ein sie liegt auch hier wieder an den Länderinnenmini- auf den Bereich der sogenannten inneren Pres- stern und den Länderministerpräsidenten, die sich sefreiheit beschränktes Presserechtsrahmenge- zu keiner endgültigen Entscheidung aufraffen kön- setz hier im Bundestage unterbreiten. nen, (Beifall bei der SPD und der FDP) Ich fürchte, daß die Regierung sich schon jetzt darauf einstellen sollte, daß sie aktiv werden muß. die so tun, als müsse der Bund bezahlen und den Eine kürzlich durchgeführte Umfrage unter Ver- Ländern in den Beschlußgremien die Dreiviertel- legern hat ergeben, daß etwa 90 % von ihnen mei- mehrheit eingeräumt werden. Dies geht nicht. nen, daß Pressefreiheit ihnen allein zustünde. Dazu (Beifall bei der SPD und der FDP — kann ich nur in aller Deutlichkeit sagen: Presse-

Schwarz [CDU/CSU] : Die Innenminister und Meinungsfreiheit stehen allen Deutschen un d haben damit gar nichts zu tun! Sie haben nicht nur den wenigen Verlegern in diesem Lande keine Ahnung! — Weitere Zurufe von der zu. CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der FDP) Weil am 1. Juli, wie ich glaube, der Bundeskanzler Ich halte es für schlimm, ja, für gefährlich, daß mit den Länderministerpräsidenten zusammen- auf dem Pressesektor die Konzentration erschrek- kommt, um unter anderem auch über diese Frage kend fortschreitet und nur in den wenigsten Fällen zu reden, richte ich an dieser Stelle meinen herz- größere Konzentrationsmacht mit steigendem Ver- lichen Appell an die Länder, nun endlich mit der antwortungsbewußtsein einhergeht. Ein schlimmes Finassiererei aufzuhören und zu Beschlüssen zu Beispiel dafür ist der Springer-Konzern. Man muß kommen, die dem entsprechen, was Sie ganz offen- schon reich wie Herr Gunter Sachs oder Franz Bek- bar in Übereinstimmung mit der von uns initiierten kenbauer sein, um sich gegen Geschmacklosigkeiten Idee als wünschenswert und richtig ansehen. des Massenblattes aus diesem Hause wehren zu (Dr. Miltner [CDU/CSU]: Wo will die SPD können. den Sitz haben? Sagen Sie es mir!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) — Herr Dr. Miltner, wenn Sie so tun, als sei die Ich sehe, daß die Redezeit abgelaufen ist. Ich kom- Frage des Sitzes das alleinige Problem der Deut- me deshalb zum Schluß und sage Ihnen: Dieser Ein- schen Nationalstiftung, dann kommen wir in der zelplan 06 mit vielen wichtigen innenpolitischen Tat nicht weiter. Schwerpunkten ist ein Kennzeichen sozialliberaler Innenpolitik und findet unsere volle Zustimmung. (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Miltner [CDU/CSU]: Sie weichen aus!) (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Mein Gott, Walther!) — Ich sage Ihnen hier ganz klipp und klar, was ich Ihnen seit drei Jahren auch im Innenausschuß Das Wort hat der Ab- gesagt habe, Herr Kollege Miltner. Vizepräsident Frau Funcke: geordnete Wendig. (Schwarz [CDU/CSU] : Wie halten Sie es denn mit Berlin?) Dr. Wendig (FDP) : Frau Präsident! Meine sehr — Wir haben nichts gegen den Standort Berlin, geehrten Damen! Meine Herren! Ich möchte auch wenn sich dies aus der Konzeption ergibt. Aber Sie für meine Fraktion, für die Freien Demokraten, über können nicht so tun, als wenn wir erst den Stand- einige Schwerpunkte der deutschen Innenpolitik ort festlegen und dann über Konzeption reden sprechen. Der Herr Kollege Riedl hat im Ansatz sehr müßten; umgekehrt wird ein Schuh daraus. richtig von der Notwendigkeit des Konsenses aller Demokraten in bestimmten Bereichen gesprochen. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie wollen doch Ich wäre allerdings sehr dafür, wenn sich dieser Berlin gar nicht! — Weitere Zurufe von Konsens nicht nur im Verbalen erschöpfen würde. der CDU/CSU) Hier herrscht in der Diskussion leider oft eine Ich will noch eine Bemerkung zum medienpoliti- Atmosphäre, die einer sachkundigen Erörterung schen Teil dieses Haushaltsplanes machen. Wir fin- nicht immer förderlich ist; das gilt vor allem in den den in diesem Einzelplan 06 auch erneut Ansätze Bereichen der inneren Sicherheit. So, wie der sicher- für medienpolitische Forschungen und Untersuchun- heitspolitische Dialog von der Opposition zum Teil gen. Ich möchte hier den Herrn Bundeskanzler aus — auch heute wieder — geführt wird, schafft er hier Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2679 Dr. Wendig und im Lande Stimmungen, Emotionen, die den ein- zeichen. Die Konferenz der Innenminister — wir zig brauchbaren Weg verstellen, der zur Lösung die- haben es schon gehört — der Länder hat zu diesem ser dringenden Probleme führt, nämlich den Weg Thema in dieser Woche Empfehlungen erarbeitet, einer nüchternen Sachlichkeit. denen wir nur zustimmen können. Darüber hinaus — (Beifall bei der FDP und der SPD) ebenfalls wieder: darüber hinaus — halte ich es, obwohl es keine neue Frage ist, für notwendig, über Was wir ebenso notwendig wie wirksame Einzel- eine Ausweitung und Konkretisierung der Kompe- maßnahmen brauchen, ist das Vertrauen des Bür- tenzen des Bundeskriminalamtes neu nachzudenken. gers in diese freiheitliche Grundordnung, ein Ver- Man muß dies gemeinsam mit den Ländern tun und trauen, das man überstrapaziert, wenn man die muß dabei wissen, daß bei einem international ope- Situation falsch und emotional aufgeladen verzeich- rierenden Terrorismus der Bürger kein Verständnis net. Man darf hier nicht Härte vortäuschen, wo und dafür hat, wenn letztlich nur noch Prinzipien der weil man meint, daß der Bürger Härte erwartet. föderativen Struktur unseres Staates einer solchen Man sollte und müßte wissen, daß man gerade in Überlegung entgegenstehen sollten. Wir Freien De- diesen Bereichen der Innenpolitik besonders sorg- mokraten jedenfalls sind bereit, auch über diese, fältig differenzieren, abwägen und dann entscheiden wie ich meine, sehr notwendige Frage, die noch muß. Das klingt nicht immer sehr populär, ist aber nicht ausdiskutiert ist, auch mit den anderen Frak- allein das von Sache her Gebotene. tionen zu sprechen. Das sind sachlich nüchtern zu betrachtende Wege, die man an den Anfang einer (Beifall bei der FDP und der SPD) solchen Erörterung stellen sollte und nicht irgend- Gerade dort, wo bei vielen berechtigte Empörung welche emotionellen Fragen. und berechtigter Zorn den Blick auf die Ursachen Ich komme zum dritten Feld. Ihm ist am schwierig- und die Wirksamkeit möglicher Maßnahmen ver- sten — wenn überhaupt — mit Mitteln der Gesetz- stellen, ist es die Verpflichtung der Politiker, der gebung beizukommen. Ich meine die sogenannte Parlamentarier, den kühlen Kopf für richtiges Urteil Sympathisantenszene. Auch wir betrachten mit und dann richtige Entscheidung zu bewahren. Sorge, daß nach den letzten Akten des Terrorismus (Zustimmung bei der FDP und der SPD) bestimmte Gruppen, u. a. an Hochschulen, mehr oder weniger verklausulierte Sympathie bezeugen. Zu der Erhaltung und Wiedergewinnung der inne- Wir verurteilen diese Stimmen mit allem Nachdruck. ren Sicherheit sind, zunächst einmal rein theoretisch Ohne den Ernst solcher Erscheinungen übersehen zu betrachtet, drei Ebenen zu bedenken — ich will kurz wollen, müssen wir auch hier Möglichkeiten und auf sie eingehen —, auf denen man sich zu bewegen Grenzen der Politik erkennen und richtig bewerten. hat: der Bereich des Strafrechts und des Strafver- fahrens, der Bereich der polizeilichen Ermittlung Um es ganz deutlich zu sagen: Auch nach unserer und der Bereich des sogenannten Sympathisanten- Auffassung ist dieser Staat ein Rechtsstaat, der rechtsfreie Räume nicht kennt und nicht kennen darf. feldes, das wohl am schwierigsten zu beurteilen ist. -Daran braucht uns niemand zu erinnern. Das gilt Wenn ich jetzt auf Strafrecht und Strafverfahren auch für Hochschulen. nicht näher eingehe, so einmal, um die Sicherheits- Man hört allerdings aus bestimmten Kreisen der debatte, die hier vor einigen Wochen stattgefunden Opposition in letzter Zeit sehr viel über neue hoch- hat, nicht zu wiederholen, zum anderen aber auch, schulpolitische Konzeptionen. Ich setze einige Zu- weil wir Freien Demokraten meinen, daß hier in der rückhaltung dagegen. Der Herr Kollege Dregger hat Tat nicht der Kernpunkt der Gesamtproblematik in seiner Eigenschaft als Landesvorsitzender der liegt, was natürlich nicht bedeutet, daß wir nach der CDU in Hessen auf seinem Hochschulkongreß in Sommerpause nicht über die von der Opposition Marburg am 14. Mai dieses Jahres ein Referat über vorgelegten Entwürfe beraten und dabei unseren Hochschulreform — wenn das richtig ist, was ich Beitrag leisten werden. im Pressedienst gelesen habe — mit einer Berner- Der zweite Bereich, meine Damen und Herren, ist kung über Mordtendenzen der letzten Jahre ein- politisch, sachlich wichtiger. Ich begrüße es daher geleitet. Hier meine ich allerdings — bei aller not- mit allem Nachdruck, daß auf Vorschlag der Bun- wendigen Kritik —: Dies ist ein untauglicher, aber desregierung die personellen und sächlichen Mittel auch ein unzumutbarer Ausgangspunkt. Im Zusam- für Verfassungsschutz, für das Bundeskriminalamt menhang mit der Sicherheitspolitik jedenfalls halte und den Bundesgrenzschutz über die Verbesserun- ich es in hohem Maße für schädlich, wenn so un- gen der ursprünglichen Regierungsvorlage hinaus differenziert Tabula rasa gemacht wird. Wenn man beträchtlich verstärkt worden sind. die Kerntruppen der Sympathisantenszene politisch wie gesellschaftlich isolieren will, erscheint ein sol- (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Und das ist alles?) ches Verfahren absolut untauglich. — Noch längst nicht; ich fange ja gerade erst an, Vor etwa zehn Tagen erschien in der Wochenend- Herr Miltner. — Dies wird die zuständigen Behörden ausgabe der sicher auch für die Opposition unver- in den Stand setzen, auch die technischen Möglich- dächtigen „Welt" ein Aufsatz, dessen Autor sich kri- keiten der Fahndung besser als bisher auszuschöp- tisch mit der Lage an den deutschen Hochschulen fen. Darüber hinaus — ich sage: darüber hinaus — befaßte. Wichtig für diese Diskussion ist u. a. der werden Legislative und Regierung weitere Schritte Satz, daß nicht eine falsche Gesetzgebung, sondern zu erwägen haben. Ich nenne hier nur die Frage der die Nichtanwendung geltenden Rechts die Ursache gefälschten Personalausweise und der Autokenn gewisser Erscheinungen sei. Hier muß man anset- 2680 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Dr. Wendig zen, wenn man diesen Bereich in die Debatte ein- gangsgruppe A 12 —, etwas ganz anderes ist als führt. das, was Herr Filbinger zu überlegen gegeben hat? Im übrigen sollte bei allen Demokraten in diesem Staat Einigkeit darüber bestehen, daß es jeder Ver- Dr. Wendig (FDP) : Herr Kollege Berger, Herr Fil- harmlosung und Verdrehung in der öffentlichen binger geht sogar noch weiter. Wir haben jetzt die Darstellung zu begegnen gilt. Anwärterbezüge abgesenkt und haben gesagt, das habe keine Konsequenz für die endgültige Besol- Was heißt das schon: politische Gefangene? Ge- dung. Herr Filbinger sagt aber, schon die Eingangs- fangene gibt es in unserem Staat — ohne Rücksicht stufen für die endgültige Besoldung sollen niedriger auf die Motivation — nur in der Folge begangener liegen. Ich glaube, er geht da weiter. Straftaten. Der Strafvollzug gestaltet sich für jede Art von Kriminalität nach den gleichen gesetzlichen Wir bejahen mit Nachdruck die Notwendigkeit Regelungen. Wir alle müssen dazu beitragen, daß eines hochqualifizierten Berufsbeamtentums. Wir jede andere Darstellung in der Offentlichkeit als das wehren uns aber zugleich dagegen, daß man in jeder bezeichnet wird, was sie im Grunde ist: eine im Er- Maßnahme, die am öffentlichen Dienstrecht etwas gebnis gefährliche und daher verwerfliche Verdre- ändert, schon die Axt zu erblicken glaubt, die an hung. Ein starker freiheitlicher Staat, stabile gesell- die Wurzeln des Berufsbeamtentums gelegt wird. schaftliche und politische Verhältnisse, klares, aber auch abgewogenes politisches Urteil aller sind im Vizepräsident Frau Funcke: Herr Abgeordneter, übrigen auf die Dauer die einzige Garantie dafür, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- daß alle Maßnahmen letztlich auch zum Ziele führen. ordneten Klein? (Beifall bei der FDP und der SPD) Dr. Wendig (FDP) : Wenn sie mir nicht von der Zum Haushalt des Bundesministers des Innern Zeit abgezogen wird, muß ich gestehen. muß auch einiges hinsichtlich der Personalpolitik und des öffentlichen Dienstes gesagt werden. Herr Dr. Klein (Göttingen) (CDU/CSU) : Darf ich im An- Kollege Riedl ist darauf aus einer anderen Perspek- schluß an die Frage von Herrn Berger noch einmal tive schon eingegangen. In der vergangenen Woche fragen: Sehen Sie nicht, daß die Erwägungen, die wurde bei der Beratung des Sechsten Besoldungs- Herr Ministerpräsident Filbinger angestellt hat, mit erhöhungsgesetzes seitens der Opposition wieder Nivellierung nichts, aber auch gar nichts zu tun einmal gesagt, hier sei ein Angriff auf das Berufs- haben? beamtentum zu bemerken. (Berger [CDU/CSU] : So war es auch!) Dr. Wendig (FDP) : Ich habe auch nicht von der — Herr Berger, ich komme darauf zu sprechen. Frage der Nivellierung gesprochen, (Dr. Klein [Göttingen] [CDU/CSU] : Aber das Die CDU/CSU ist hier, wie wir wissen, mit vor- war das Problem!) eiligen Beurteilungen sehr schnell bei der Hand. Nur stimmen sie nicht, und die Argumente werden sondern von der Frage, daß hier die Eingangsstufen nicht besser, wenn man sie ständig wiederholt. niedriger gesetzt werden sollen, etwas, was im letz- ten Besoldungsänderungsgesetz — ich sage es noch Da hat z. B. der Ministerpräsident des Landes einmal — nur für die Anwärterbezüge gedacht war. Baden-Württemberg, Herr Filbinger, vor einigen Wir haben ausdrücklich gesagt: das hat noch keine Tagen etwas ganz anderes gesagt. Wie ich der Konsequenzen für die endgültige Besoldung. Das Presse entnehmen konnte, meinte er, daß die Ein- meine ich dabei. gangsgruppen in den einzelnen Laufbahnen zu hoch seien und daß Beamte zu schnell befördert würden. Wir erwarten, daß der Bundesinnenminister die Darüber wird man nachzudenken haben. Ich weiß Reform des öffentlichen Dienstrechts nach den Aus- allerdings nicht, ob die Opposition im Hause auch bei führungen, die er im Innenausschuß hierzu gemacht solchen Vorschlägen noch von Angriffen gegen das hat, zügig fortentwickelt. Und, Herr Kollege Riedl, es Berufsbeamtentum sprechen wird. Die Frage darf ist schlicht nicht richtig, wenn Sie sagen, hier sei man stellen. nichts geschehen. Ich denke an das BSVNG, ich denke an das Personalvertretungsgesetz, ich denke an die Neuregelung des Versorgungsrechts allein in der Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, gestat- letzten Legislaturperiode. Wir Freien Demokraten ten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten verstehen unter Dienstrechtsreform ein Dienstrecht, Berger? das u. a. die Laufbahnen offener macht, die Besol- dung stärker an ausgewiesene Funktionen bindet Dr. Wendig (FDP) : Auf diese Frage habe ich ge- und die Fragen der Zugänge zu den einzelnen Lauf- wartet. Bitte schön. bahnen nach neuen Kriterien regelt. Wir alle — ein weiterer Punkt — werden dafür zu Berger (CDU/CSU) : Herr Kollege Dr. Wendig, sorgen haben, daß die Gesetzgebung nicht unnöti- erinnern Sie sich denn nicht daran, daß es in der gen Verwaltungsaufwand mit personellen Konse- vorigen Woche um einen ganz anderen Vorwurf quenzen notwendig macht. Soweit dieser Haushalt ging, und würden Sie mir zustimmen, daß die von Personalvermehrungen enthält, beschränken sie sich der Koalition beschlossene einheitliche Herabset- auf sachlich zwingende Maßnahmen, vor allem im zung, verbunden mit einer Nivellierung — Ein- Bereich der inneren Sicherheit. Es ist schlicht falsch, Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2681

Dr. Wendig von einer Aufblähung der Personalhaushalte zu Haushaltsmittel, die hier eingespart werden, sollten sprechen. Dies gilt nicht nur für den Einzelplan 06. dann vor allem im Wege einer Umschichtung im Was die Opposition für die politische Leitung in Einzelplan 36 für andere notwendige Maßnahmen, den Ressorts und für Öffentlichkeitsaufgaben an so im Schutzraumbau, verwendet werden. Die Freien Kürzungen vorgeschlagen hat, ist in der Tendenz Demokraten werden ein solches Konzept, das nach nicht neu. Aber auch diese Aufgaben sind notwen- den Erfordernissen der allgemeinen Sicherheits- dig und für die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben politik der Bundesrepublik ausgerichtet wird, nach- unerläßlich. Lassen Sie also solche Tendenzanträge, drücklich zustimmen. Wir erwarten deshalb Konse- weil darin erkennbar wird, daß es Ihnen um eine quenzen für den Haushalt Zivile Verteidigung be- Realisierung ernstlich gar nicht geht. reits im kommenden Jahr. Ein Wort zu Herren Kollegen Riedl, der in diesem Ein letzter Sprung zurück zum Einzelplan 06. Hier Zusammenhang die Bewertung des Bundesinnen- sind im Kapitel 06 07 erstmalig Mittel für den Da- ministers angehängt hat. Ich finde es ein wenig tenschutzbeauftragen des Bundes aufgeworfen wor- unter dem Niveau, wenn man hier unbedingt Klassi- den. Wir begrüßen dies als einen ersten notwen- fizierungen verwendet, die der „Stern" über Politi- digen Schritt, das außerordentlich wichtige Daten- ker in diesem Lande vorgenommen hat, abgesehen schutzgesetz nunmehr in den gesetzlich vorgesehe- davon, daß sich die Frage aufdrängt, was er wohl nen Fristen in die Praxis umzusetzen. Wir hoffen dazu sagen würde, wenn ich jetzt Qualifizierungen und erwarten, daß der Herr Bundesinnenminister von CDU-Politikern nachprüfen würde. Ich tue es für die personelle Besetzung eine gute Wahl treffen bewußt nicht, ich halte dies für falsch. wird. Das Datenschutzgesetz ist eines der wesent- (Zuruf von der CDU/CSU: So schlecht spre lichsten Gesetze der letzten Jahre im innenpoliti- schen Bereich. Ich darf hierzu ein paar Sätze sagen. chen Sie über Ihre offiziellen Berichterstat Wir haben noch im Dezember vergangenen Jahres ter! — Zuruf von der SPD: Fragen Sie mal, sehr leidenschaftlich darüber gestritten. Wir hoffen, wie Herr Kohl bewertet wird!) daß sehr bald Erfahrungen vorliegen, die dem Par- — Ich wollte keine Namen nennen, Herr Kollege. lament die Einsicht gestatten, ob das Gesetz alle Ich möchte an dieser Stelle einige Bemerkungen Fragen schon in allen Punkten richtig beantwortet. zum Einzelplan 36 — Zivile Verteidigung — einfü- Ich erinnere an die Überlegungen, die wir im gen. Ich bekenne hier offen — bisher wurde darüber 7. Deutschen Bundestag bei der Verabschiedung nicht gesprochen; ich bin der erste, der heute dazu dieses Gesetzes alle angestellt haben, Überlegungen, Stellung nimmt —, daß die Entwicklung dieses Ein- die auch heute noch fortwirken. Der Bericht des zelplans uns ganz und gar nicht behagt. Der Schutz- Datenschutzbeauftragten an das Parlament wird uns raumbau ist zuletzt durch das Haushaltsstruktur- zur gegebenen Zeit in den Stand versetzen, diese gesetz so weit reduziert worden, daß er praktisch Überlegungen zu konkretisieren. Schon jetzt möchte zum Erliegen kommen wird. Bei allem Verständnis ich aber die Aufmerksamkeit des Hauses und des für die haushalts- und finanzpolitischen Schwierig- Bundesministeriums des Innern auf eine Frage rich- keiten darf es nach unseren Auffassungen hiermit - ten, die bei Verabschiedung des Gesetzes noch keine auf die Dauer nicht sein Bewenden haben. Dabei große Rolle gespielt hat. Es geht um die Über- wird man allerdings nicht in solchen Dimensionen legung, ob der zentrale Datenschutz in der jetzigen denken können, wie der Herr Kollege Dregger es Fassung oder durch eine mögliche Novellierung getan hat, als er bei der Debatte zur Regierungs- bestimmte Spezialbereiche und deren Gegebenheiten erklärung am 21. Januar dieses Jahres von den genügend berücksichtigen kann. Ich denke dabei riesigen Tunnelsystemen unter den Städten Chinas z. B. in der öffentlichen Verwaltung an den Verfas- gesprochen hat. Man muß bei der Planung rea- sungsschutz, an das Bundeskriminalamt und an die listisch sein und auch dem Bürger sagen: eine un- Geheimdienste. Ähnliche Probleme werden sich im begrenzte Belastung der öffentlichen Haushalte, der Bereich der Sozialversicherung und der Sozialver- privaten Haushalte und damit auch der Wirtschaft waltung ergeben. Man sollte im Bundesministerium ist nicht möglich. Ich darf hier etwas einfügen: es des Innern schon heute überlegen, ob nicht neben gab einmal die Zeit, in der die Opposition, damals diesem zentralen Datenschutzgesetz bereichsspezi- noch Regierung, solchen Erkenntnissen gegenüber fische Sonderregelungen vorgesehen werden sollten. durchaus offen war. Das Schutzraumgesetz von Der Datenschutz greift im übrigen noch in eine 1965, das eine weitgehende Baupflicht vorsah, wurde andere Dimension ein. Hier wird nämlich ein wich- nämlich im Zuge der Rezession 1966/67 durch das tiger Beitrag zur Lösung des Problems geleistet, Finanzänderungsgesetz, nebenbei gegen die Stim- bedrohliche Entwicklungen, die sich auf sehr vielen men der FDP, zum großen Teil revidiert, d. h. rück- Gebieten aus modernen Technologien ergeben, in gängig gemacht. Es wäre also zu begrüßen, wenn unser rechtsstaatliches System einzubinden. Wenn wir uns in dieser Frage gegenseitige Vorwürfe er- vor wenigen Wochen in anderen Zusammenhängen sparen würden. Um so mehr begrüßen wir es, daß von dem Gegensatz von Rechtsstaat und Atomstaat der Bundesinnenminister, wie wir gehört haben, die Rede war, so ist damit genau dieses Problem an- eine Konzeption für den Bereich der zivilen Vertei- gesprochen. Ich erblicke in der rechtsstaatlichen Auf- digung angekündigt hat. Dem Vernehmen nach wird arbeitung technologischer Entwicklungen in vielen es sich unter anderem um notwendige organisato- Bereichen eine der wesentlichsten Aufgaben der rische Maßnahmen handeln, die unter Einbeziehung Rechts- und Innenpolitik, die wir in den nächsten des Katastrophenschutzes durch Straffung und Ra- Jahren zu bewältigen haben werden. tionalisierung im personellen und sachlichen Be- reich zu einer gesteigerten Effizienz führen sollen. (Beifall bei der FDP und der SPD) 2682 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Dr. Wendig Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. punkte des Zivilschutzes, so bestimmen in der SPD Der Haushalt des Bundesministers des Innern ist diejenigen das Meinungsbild, die die Bemühungen sachlich ausgewogen, er stellt eine verläßliche um die zivile Verteidigung überhaupt ablehnen. Grundlage dar, die innenpolitischen Probleme des (Beifall bei der CDU/CSU) Jahres 1977 zu lösen. Wir werden diesem Haushalt wie auch dem Einzelplan 36 mit ,den von mir ange- Ich denke hier vor allem an die Äußerungen unse- deuteten Bedenken zustimmen. res Kollegen Pawelczyk, die deshalb Beachtung ver- dienen, weil er auf diesem Felde nicht selten die (Beifall bei der FDP und der SPD) Auffassungen seines Parteivorsitzenden und seines Fraktionsvorsitzenden wiedergibt, die sich zwar un- Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der Ab- tereinander zerstritten haben und gegenseitig an- geordnete Dregger. schweigen, wenn sie nebeneinander sitzen, die aber im Negativen offenbar einige Gemeinsamkeiten be- wahrt haben. Dr. Dregger (CDU/CSU) : Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Ergänzung der Ausführungen (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der meines Kollegen Riedl möchte ich mich in dieser CDU/CSU: So ist es! — Löffler [SPD]: Keine Debatte zu drei Themen äußern: zur Zivilverteidi- Ahnung haben Sie!) gung, zur Terrorismusbekämpfung und zur Be- Inhaltlich kann ich die Äußerungen des Kollegen kämpfung von Bürgerkriegsgruppen, wie sie kürz- Pawelczyk nur als abenteuerlich bezeichnen. Die lich in Grohnde aufgetreten sind. Politiker beschäf- „Süddeutsche Zeitung" vom 5. Mai 1977 berichtet tigen sich im allgemeinen nicht gern mit solchen darüber wie folgt — mit Genehmigung der Frau Prä- Themen, weil sich mit ihnen nicht angenehme Ge- sidentin darf ich zitieren —: fühle und sympathische Zukunftserwartungen ver- binden lassen. Wenn ich sie trotzdem aufgreife, dann Der SPD-Abgeordnete Pawelczyk warnte davor, geschieht das, weil es sich um wichtige, zum Teil den Zivilschutz auf die gleiche Stufe mit der nachlässig behandelte und auf jeden Fall unerledigte militärischen Verteidigung zu stellen. Ange- Aufgaben aus dem Bereich des Bundesministers des sichts der geographischen Lage bleibe der Bun- Innern handelt, zu dessen Aufgabenbereich zu spre- desrepublik nichts anderes übrig, als eine Poli- chen meine Fraktion mich beauftragt hat. tik der Kriegsverhinderung zu betreiben. Dieser Politik entspreche die Strategie der flexiblen Erstes Thema also: Zivilverteidigung. Am 21. Ja- Verteidigung, auf die die Bundeswehr ausge- nuar 1977, in der Debatte zur Regierungserklärung richtet sei und bleiben müsse. Alle anderen Be- der zweiten Regierung Schmidt/ Genscher, die die- mühungen wären — nach Ansicht von Pawel- ses Thema verschwiegen hatte, habe ich die Regie- czyk — eher ein Schritt auf dem Wege zu einer rung aufgefordert, Zielvorstellungen zu entwickeln Kriegsführungsstrategie. und sie im Rahmen des Möglichen zu verwirklichen, Die Richtigkeit dieses Zitats aus der „Süddeut- wobei ich darauf hingewiesen habe, es sei notwen- schen Zeitung" gibt ein Interview des SPD-Organs dig, die Zivilverteidigung eng mit der militärischen „Vorwärts" vom 9. Juni 1977 mit Herrn Pawelczyk Verteidigung zu verzahnen. Auf diesen Vorstoß wieder, wo er sich noch einmal ausdrücklich zu dieser habe ich, wenn ich von den Ausführungen des Kol- Auffassung bekennt. legen Wendig soeben absehe, bis heute keine öffent- liche Antwort erhalten. Der Bundesinnenminister hat Meine Damen und Herren, hier wird eine Parallele allerdings nach dieser Debatte in der folgenden sichtbar. Dieselbe Fraktion, die dabei ist, die Wehr- Sitzung des Innenausschusses die Vorlage eines pflicht auszuhöhlen, lehnt auch die zivile Verteidi- neuen Zivilschutzkonzepts für Anfang April ange- gung ab. kündigt. Aber inzwischen haben wir Ende Juni, und (Beifall bei der CDU/CSU) dieses Konzept liegt nicht vor. Beide sind unentbehrliche Elemente der Gesamt- (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Wie immer bei verteidigung unseres Landes, und wenn auch nur Maihofer!) eines dieser Elemente fehlt, sind wirksame Ab- schreckung und wirksame Verteidigung nicht mög- Das ist um so kritikwürdiger, als die Auswertung lich. von Wintex 77 im Verteidigungsausschuß das ganze Ich möchte zu den Aussagen des Herrn Pawelczyk Dilemma des Zivilschutzes in unserem Lande deut- im einzelnen folgendes bemerken. lich gemacht hat. Erstens. Unsere Politik der Kriegsverhinderung Warum kommt die Regierung in dieser Frage nicht ist nicht nur eine Folge unserer geographischen voran? Die Zivilverteidigung gehört offenbar zu Lage, auf die Pawelczyk abhebt. Sie ist vor allem den Themen, bei denen in Regierung und Koalition — und ich glaube, das für alle Kollegen in diesem Sacherwägungen auf ideologische Barrieren stoßen. Hause sagen zu können -- eine Folge unseres unbe- (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : So ist es!) dingten Friedenswillens. Dies wird offenkundig in den Meinungsverschieden- (Beifall bei der CDU/CSU) heiten zwischen SPD und FDP und auch innerhalb Abschreckung eines Angriffs und Verteidigung ge- der FDP. Streiten sich bei der FDP noch der zustän- gen einen Angriff, wenn Abschreckung versagt, sind dige Fraktionssprecher und der zuständige Parla- die einzigen Ziele unserer Verteidigungsanstrengun- mentarische Staatssekretär über Ziele und Schwer- gen. Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2683 Dr. Dregger Zweitens. Herrn Pawelczyk ist zuzustimmen, wenn Wie kann man glauben, die Zivilbevölkerung werde er sagt, die Strategie der flexiblen Abschreckung sich in einem Ernstfall diszipliniert verhalten und entspreche der Politik der Kriegsverhinderung. Das den fast ausnahmslos falsch dislozierten NATO-Ver- gilt aber auch für die zuvor maßgebende Strategie bänden den Verkehrsraum freimachen, damit sie der massiven Abschreckung und muß für jede an- ihre Bereitstellungsräume erreichen, wenn die Zivil- dere Strategie gelten, da Strategie sich zwar auf bevölkerung auf eine solche Situation in gar keiner wechselnde Lagen einzustellen hat, an dem politisch Weise vorbereitet ist? Was soll eigentlich das Warn- gesetzten Ziel der Kriegsverhinderung aber nichts system des Zivilschutzes, wenn Warnung nur Hilf- ändern kann und nichts ändern darf. losigkeit und Verzweiflung zur Folge haben könnte? Drittens. Die Meinungsverschiedenheit mit Herrn (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) Pawelczyk beginnt, wenn er davor warnt, den Zivilschutz auf die gleiche Stufe wie die militäri- Das Problem ist auf eine einfache Formel zu brin- schen Verteidigungsanstrengungen zu stellen. Eine gen: Wenn es keinerlei Schutz für die Zivilbevölke- solche Auffassung kann vielleicht ein Amerikaner rung gibt, dann kann die Bundeswehr nicht wirksam oder ein Franzose vertreten. kämpfen, und wenn die Bundeswehr nicht wirksam (Zuruf von der CDU/CSU: In Alaska!) kämpfen kann, dann kann sie auch nicht wirksam abschrecken. Für uns Deutsche ist bei der geographischen Lage (Beifall bei der CDU/CSU) unseres Landes, beim Rüstungsstand eines mög- lichen Angreifers und bei der Verteidigungskonzep- Ausbau des Zivilschutzes ist also nicht, wie Herr tion der NATO eine solche Auffassung schlechthin Pawelczyk in absurder und diskriminierender Wei- unzumutbar. se behauptet, der Weg von der Kriegsverhinde- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) rungs- zur Kriegsführungsstrategie, sondern ganz im Gegenteil unentbehrlicher Bestandteil einer Absurd und diskriminierend ist die Behauptung Kriegsverhinderungsstrategie, weil ohne Zivil- des Herrn Pawelczyk vor allem dann, wenn er den schutz militärischer Abschreckung durch deutsche Ausbau der Zivilverteidigung als einen Übergang Truppen in Deutschland nicht glaubhaft zu machen von der Kriegsverhinderungsstrategie zur Kriegfüh- ist. rungsstrategie bezeichnet. (Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Grober Unfug!) Unbeschadet dessen ist Zivilschutz allerdings Das ist nicht nur falsch, sondern eine schlimme Dis- auch ein Stück Substanzschutz für unser Volk für kriminierung aller, die sich um den Schutz des Le- den Fall, daß die Abschreckung versagt und unser bens der Zivilbevölkerung bemühen. Land — was mit Gottes Hilfe durch eine wirksame (Beifall bei der CDU/CSU) Abschreckung und durch eine kluge Politik verhin- dert werden möge — Kriegsschauplatz werden soll- Warum ist die Ansicht des Herrn Pawelczyk te. Natürlich wäre dieser Zivilschutz kein Voll- falsch, die zivile Komponente der Gesamtverteidi- gung könne vernachlässigt werden? Nicht nur nach schutz, den es im Kriege nie gegeben hat und den der Stoßrichtung eines möglichen Angreifers, son- es in Zukunft erst recht nicht geben wird. Auch der Stahlhelm des Soldaten und die Panzerung eines dern auch nach der Verteidigungskonzeption der Kettenfahrzeuges bedeuten keinen Vollschutz. Aber NATO wäre unser Land, wenn die Abschreckung versagte, Hauptkriegsschauplatz. Anders als die das ist für keine Armee in der Welt Veranlassung, Strategie der massiven Abschreckung sieht die Stra- auf Stahlhelm und Panzerung zu verzichten. tegie der flexiblen Abschreckung, auf die sich (Beifall bei der CDU/CSU) Pawelczyk beruft, nicht in jedem Fall und nicht Warum für den Schutz der Zivilbevölkerung etwas von vornherein den Einsatz von Nuklearwaffen vor. anders gelten soll, ist das Geheimnis des Herrn Pa- Das zwingt die NATO mehr als bisher, Gewicht auf welczyk. den Ausbau der konventionellen Streitkräfte zu le- gen, um auch ihnen eine von Nuklearwaffen unab- Nun gibt es allerdings in der amerikanischen Dis- hängige Abschreckungswirkung zu geben. Die Ab- kussion eine Theorie, die der Zivilbevölkerung schreckungswirkung, die von konventionellen Divi- durch Verzicht auf Zivilschutz eine Geiselrolle zu- sionen ausgeht, hängt aber nicht nur von ihrer weisen will, die zur gegenseitigen Abschreckung Führung, Ausrüstung und Ausbildung, sondern auch beitragen soll. Das kann aber nur funktionieren, von ihrer Kampfmoral ab. wenn beide Seiten sich daran halten, was, soweit (Zuruf des Abg. Pensky [SPD]) es die Sowjetunion angeht, nicht zutrifft. Es kann — Hören Sie mal zu! Es ist sehr wichtig, daß Sie auch nur für die beiden Großmächte in ihrem Ver- darüber nachdenken. hältnis zueinander gelten, da deren Land von einem konventionellen Angriff nicht unmittelbar bedroht Wie kann man glauben, daß die Bundeswehr — ist und da sie sich durch ihre strategischen Nuklear- eine Wehrpflichtarmee — bereit wäre, im eigenen waffen gegenseitig in Schach halten. Die Lage Land energisch zu kämpfen, wenn die Angehörigen unseres Landes an der Grenze und ohne eigene Nu- der kämpfenden Soldaten schutzlos der Vernichtung klearwaffen ist völlig anders als die Lage der USA preisgegeben sind? und der Sowjetunion. Gerade die Strategie der fle- (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der xiblen Vergeltung schließt es nicht aus, daß unser CDU/CSU: Das müßte eigentlich auch der Land Opfer eines begrenzten Krieges wird. Also Herr Pensky begreifen!) muß es darauf vorbereitet sein, um dadurch dazu 2684 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Dr. Dregger beizutragen, daß die Wahrscheinlichkeit einer sol- daß er nicht kraftvoll regieren kann, weil er sich chen Katastrophe vermindert wird. nicht auf eine Partei stützen kann, die er führt. Meine Damen und Herren, ich bedaure, daß der (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Bundeskanzler nicht anwesend ist, daß er den Die Folge davon ist, daß Helmut Schmidt immer Fragen der inneren Sicherheit offenbar keine be- mehr in die Rolle eines Staatsschauspielers gerät, sondere Bedeutung beimißt. der mit blendender Rhetorik — ich habe ihn ge- (Zuruf von der SPD: Was soll denn das?) stern in dieser Hinsicht bewundert — seine Rolle spielen, aber sie eben nur noch spielen und nicht Ich wollte ihn fragen, wie denn eigentlich er zu mehr wirklich wahrnehmen kann. dieser wichtigen Frage steht. Ist auch der Herr (Beifall bei der CDU/CSU) Bundeskanzler der Auffassung, daß Zivilschutz den Übergang von einer Kriegsverhinderungs- zu einer Lassen Sie mich als Abschluß zum Thema Zivil- Kriegführungsstrategie bedeutet? Oder ist er noch verteidigung folgendes sagen. Ich habe der Regie- der Meinung, die er am 11. Juli 1962, damals als In- rung in der Debatte vom Januar, wie ich glaube, nensenator der Stadt , geäußert hat? Ich die richtigen Fragen gestellt, in der Hoffnung, das möchte einmal den Innensenator Helmut Schmidt werde es ihr erleichtern, die richtigen Antworten zitieren — mit Genehmigung der Frau Präsiden- zu geben. Nachdem Sie wegen allgemeiner Hand- tin —, er sagte damals: lungsunfähigkeit nicht zu diesen Antworten gefun- den hat, möchte ich heute darüber hinaus die Ich will aber ... nicht den Hinweis unterdrük- Schwerpunkte nennen, die meines Erachtens Ge- ken, daß natürlich die enormen Verteidigungs- genstand eines Konzepts für die Gesamtverteidi- vorbereitungen des Westens auch in ihrer rein gung sein müssen. Es sind folgende: defensiven Zwecksetzung letzten Endes ihren Eindruck beim möglichen Gegner verfehlen 1. institutionalisierte Zusammenarbeit von zivi- können, wenn sie als halbe, nicht ernstlich ge- ler und militärischer Verteidigung, wollte Verteidigung erscheinen müssen, weil 2. Straffung der Organisation und Verbesserung man ja zum Schutz der eigenen Bevölkerung der Ausrüstung und Ausbildung der Zivilschutzor- nichts tut. Jemand, der sich nur mit der mili- ganisationen, tärischen Seite auf den Verteidigungsfall vor- bereitet, nämlich mit den 500 000 Soldaten, die 3. Bau von Schutzräumen nach dem Beispiel so er hat, aber für die übrigen 50 Millionen Deut- friedliebender Nachbarländer wie die Schweiz und schen in der Bundesrepublik keine Vorsorge Schweden, trifft, wird nicht annehmen können, daß die 4. Sicherung der Versorgung der Bevölkerung Gesamtheit seiner Verteidigungsvorbereitun- auch für den Krisen- und Spannungsfall. gen auf die Dauer vom Gegner ernst genom- men wird. Meine Damen und Herren der Koalition, bitte be- achten Sie: Eine Politik, die die Realitäten ver- Wenn das damals richtig war — im Jahr 1962 —, - drängt, weil sie unangenehm sind, und die auf den ist es dann nicht heute noch viel richtiger im Hin- möglichen, wenn auch noch so begrenzten Schutz blick darauf, daß sich das Rüstungsgleichgewicht der Zivilbevölkerung verzichtet, ist, wie es Innen- inzwischen zum Nachteil des Westens grundlegend senator Schmidt 1962 mit Recht feststellte, „mit verändert hat und der Westen von der Strategie sittlichem Ernst" nicht zu vereinbaren. Ich möchte der massiven Abschreckung zur Strategie der flexi- weitergehen: bei der heutigen Lage der Verteidi- blen Abschreckung übergegangen ist? Ich meine, gung in Europa ist sie schlechthin unverantwort- der Bundeskanzler sollte endlich die Konsequenzen lich. aus seiner alten Einsicht ziehen, die er damals wie (Beifall bei der CDU/CSU) folgt formuliert hat. Ich zitiere wörtlich — mit Ge- nehmigung der Frau Präsidentin —: Zweites Thema: Terrorismusbekämpfung. Der Mord an Generalbundesanwalt Buback hat eine Ich meine, man sollte ... sich mit großem sittli- neue Phase des verbrecherischen Kampfes gegen chem Ernst statt dessen zur Maxime machen, unsere Republik eingeleitet. Ging es zuvor um so- daß wir die Verpflichtung haben, jede Chance, genannte Geiselnahmen, um den Staat zu erpressen, die es geben sollte, zum Schutz menschlichen so ist jetzt nackter Mord an ihre Stelle getreten. Lebens zu nutzen. Das Leben staatlicher Repräsentanten soll vernich- (Beifall bei der CDU/CSU — Haase [Kas tet werden, um auf diese Weise den Staat in seiner sel] [CDU/CSU] : Wo ist Herr Pawelczyk?) Abwehrbereitschaft zu lähmen. Eine weitere Steige- rung des Angriffs auf den demokratischen Staat Anders als Herr Schmidt damals und anders als liegt in der Tatsache, daß es heute — 30 Jahre ich heute kann Herr Schmidt heute in der Autorität nach Hitler — wieder deutsche Studenten gibt, die seines Amtes nicht nur eine solche Auffassung äu- bereit sind, den politischen Mord als Mittel des po- ßern, er kann ihr als Bundeskanzler auch Geltung litischen Kampfes zu verherrlichen. verschaffen, vorausgesetzt, daß er handlungsfähig (Zuruf von der CDU/CSU: Leider! — Pfui ist, was ich beim Zustand seiner Partei allerdings Rufe von der CDU/CSU) bezweifle. Es ist doch offenbar das Dilemma des Kollegen Helmut Schmidt, daß er seine Partei nicht Meine Damen und Herren, daß das noch in Presse führen kann, weil er nicht ihr Vorsitzender ist, und organen geschieht, die mit Steuergeldern und den Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch den 22. Juni 1977 2685 Dr. Dregger Zwangsbeiträgen aller Studierenden finanziert und Maßvoll und schlapp sind allerdings nicht dasselbe; von Organen der sogenannten „Studentenschaften", das wird von Ihnen häufig verwechselt. Körperschaften des öffentlichen Rechts also, her- (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU) ausgegeben werden, gibt diesem Skandal seine über den Einzelfall weit hinausreichende Bedeu- Der Bundesrat und meine Fraktion haben Geset- tung. zesvorschläge gemacht, um solchem Autoritätsver- (Beifall bei der CDU/CSU) fall entgegenzuwirken. Ich hoffe sehr, daß alle Fraktionen dieses Hauses, vor allem auch die Bun- Wie konnte es dazu kommen? Als Generalant- desregierung bereit sind, an der Verabschiedung wort kann gesagt werden: Der eigentliche Grund dieser Gesetze mitzuwirken, und sich nicht auch dieser schrecklichen Entwicklung ist die innere hier wieder in kindlichem Trotz zur Immobilität Schwäche vieler, die an hervorgehobener Stelle in verpflichtet fühlen, meine lieben Freunde von der unserem Staat Verantwortung tragen. Das ist der SPD und der FDP. tiefere Grund. (Löffler [SPD] : Haben Sie mit dieser An (Beifall bei der CDU/CSU) rede uns gemeint?) Lassen Sie mich dafür einige Beispiele nennen. Der entscheidende Grund für den zunehmenden Die Antwort der Bundesregierung auf die unge- Verfall der Autorität des Rechtsstaats liegt aber heuerliche Herausforderung unseres Staates durch auf einem dritten Feld. Ich greife das Beispiel Ham- die Ermordung des Generalbundesanwalts war — burg heraus. Der dortige Hochschulpräsident, ein ich muß es leider sagen — nicht frei von peinli- zur Treue zum Staat verpflichteter und zur sorgfäl- chem Opportunismus. Zunächst erklärte Herr Mai- tigen Beachtung seiner Gesetze verpflichteter Be- hofer — so in seinem dpa-Interview vom 8. April amter also, tritt unbekümmert um das geltende 1977 —, zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung Hochschulrecht sogenannten streikenden Studenten des Terrorismus seien schlechthin überflüssig. mit der Erklärung zur Seite — ich zitiere: „Das Dann reagierte das Kabinett unter dem Druck der Ordnungsrecht wird abgelehnt. Das politische Man- öffentlichen Meinung, die für solch achselzuckende dat wird befürwortet." Untätigkeit kein Verständnis hat, mit der Bereit- (Zurufe von der CDU/CSU: Ungeheuer stellung einiger Millionen Mark im Rahmen eines lich!) sogenannten Sofortprogramms. Die Koalitionsfrak- tionen verharrten gleichzeitig in eigensinnigem Herr Kollege Dregger, Trotz auf der pauschalen Ablehnung aller kon- Vizepräsident Frau Funcke: gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- kreten Vorschläge der Union zur Terrorismusbe- ordneten Lattmann? kämpfung, obwohl diese Vorschläge von nahezu al- len Fachleuten — auch soweit sie heute in hohen Regierungsämtern sitzen — als notwendig bezeich- Dr. Dregger (CDU/CSU) : Bitte, gern. net werden. - (Zurufe von der SPD: Das stimmt doch gar Lattmann (SPD) : Herr Kollege Dregger, da Sie im nicht!) Zusammenhang mit diesen Problemen, die uns alle sehr bewegen, Ein zweites Beispiel innerer Schwäche: Besonders (Spranger [CDU/CSU]: Das ist zu wenig!) mißlich sind die Mängel im strafprozessualen Be- reich. In etlichen Großverfahren sind prozessuale und im Zusammenhang mit der Szene an einigen Rechte so gründlich zur Verschleppung des Verfah- Universitäten von der inneren Schwäche mancher rens und zur Verhöhnung der Gerichte mißbraucht sprechen, die in unserem Staat Verantwortung tra- worden, daß die Autorität der Rechtsprechung dar- gen, frage ich Sie, ob Sie denn der Meinung sind, unter leiden mußte und, wie wir alle in unseren daß in der deutschen Geschichte der autoritäre Wahlkreisen erfahren können, tatsächlich auch ge- Staat und der Ruf nach dem starken Mann der De- litten hat. Wie kann man von einem kleinen Gano- mokratie gedient haben? ven erwarten, daß er seine Verurteilung respek- (Beifall bei der SPD und der FDP) tiert, wenn wir es hinnehmen, daß kriminelle Ge- walttäter unter Berufung auf angeblich politische Motive ihren Prozeß beinahe nach Belieben hinzie- Dr. Dregger (CDU/CSU) : Die Schwäche der Demo- hen, ihn zum Tribunal gegen diesen Staat umfunk- kraten führt dazu, daß irgendwann einmal das Ver- tionieren oder ihn zur Farce werden lassen? trauen in die Demokratie verlorengeht und man dann wieder nach dem starken Mann ruft. Das wol- (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Emmerlich len und können wir verhindern. [SPD] : Kurzen Prozeß machen?!) (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) — Nein. Sie kennen nur die Alternative, nichts zu Aber nicht nur der Hochschulpräsident ist zu rü- tun oder kurzen Prozeß zu machen. Das ist das Un- gen. Ein der FDP angehörender Bürgermeister der glück: daß Sie in Deutschland nicht eine maßvolle gleichen Stadt ruft diesen Hochschulpräsidenten und zugleich energische Politik machen können. nicht etwa zur Ordnung, vielmehr trägt er mit Er- (Bravo-Rufe und lebhafter Beifall bei der klärungen über die wünschenswerte Entwicklung CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Und was des politischen Mandats und — wie er es nennt — ist maßvoll?) „Vorkehrungen gegen eine leichtfertige Anwen- 2686 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Dr. Dregger dung des Ordnungsrechts an Hochschulen" seiner- Züricher Philosoph Lübbe — ich zitiere aus der seits zur Demontage des Rechtsstaats bei. Da der „Deutschen Zeitung" vom 27. Mai 1977 — hat si- Herr Bundeskanzler, der sonst durchaus bereit ist, cherlich recht, wenn er sagt, daß der eigentliche sich zu politischen Fragen zu äußern, die nicht un- Grund des Terrorismus Systemverachtung sei. Es mittelbar in seine Verantwortung gehören — wir ist die Verachtung für ein System, dem man nicht haben es gestern erst wieder erlebt —, zu diesem mehr zutraut, daß es sich selbst ernst nimmt. Was ungeheuerlichen Vorfall ebenso geschwiegen hat hier versäumt wird, Herr Bundeskanzler und Herr wie seine Minister für Inneres und Justiz, möchte Bundesinnenminister, kann nicht durch Bereitstel- ich im Namen meiner Fraktion feststellen: Dieser lung von Geld und durch sogenannte Sofortpro- Hochschulpräsident und dieser Bürgermeister ha- gramme wiedergutgemacht werden. Entscheidend ben ihre politische Pflicht zur Verteidigung der Re- ist die politische und die geistige Position in dieser publik gröblich verletzt. Auseinandersetzung. (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU — Haase [Kas Ein Staat, dessen Repräsentanten mit den Rechts- sel] [CDU/CSU] : Mit dieser Regierung brechern paktieren oder sie gewähren lassen, ein doch nicht!) Staat, der seine Gesetze nicht gegenüber jedermann Bundeskanzler, Bundesinnenminister und Bundes- zur Geltung bringt, verschwindet im Nebel. Ein sol- justizminister haben hinsichtlich notwendiger Ge- cher Staat verliert Vertrauen — nicht nur bei sei- setzesänderungen in diesem Bereich nicht selten nen Bürgern, sondern auch bei seinen Beamten und Ansichten vertreten, die mit den unseren überein- Richtern, die sich immer mehr im Stich gelassen stimmen. Es ist also nicht mangelnde Einsicht, mei- fühlen. ne Herren, die ich Ihnen vorwerfe. Was ich Ihnen (Beifall bei der CDU/CSU) aber vorwerfe, ist, daß Sie nicht die Kraft haben, sich in Ihren Fraktionen durchzusetzen, und daß Wir sind nicht bereit, uns dieser traurigen Hal- Sie, wenn Sie das nicht können, nicht die Kraft ha- tung weiter Teile von SPD und FDP anzuschließen. ben, von Ihren Ämtern zurückzutreten. Wir sind entschlossen, die Universität nicht den Rechtsbrechern und den Antidemokraten zu über- (Beifall bei der CDU/CSU) lassen. Wir halten nichts von der feigen Formel, Um der Machterhaltung willen sind Sie statt dessen der Staat dürfe nichts tun, um die Solidarisierung vor den Kräften in Ihren Parteien und Fraktionen von vernünftigen Studenten mit Radikalen zu ver- zurückgewichen, die lieber den demokratischen hindern. Meine Damen und Herren, die Universität Rechtsstaat in Frage stellen — wobei sie sicherlich ist kein rechtsfreier Raum. Für Studenten kann es ein besonders gutes moralisches Bewußtsein ha- keine Privilegien geben, die über die Tatsache hin- ben —, als diesen demokratischen Rechtsstaat in ausgehen, daß sie auf Kosten der arbeitenden Be- angemessener Weise zu verteidigen. völkerung studieren. Meine Damen und Herren, um den Willen der (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) Unionsparteien, der stärksten politischen Kraft in Wer den Rechtsbruch von Studenten zu einer höhe- - Deutschland, zur Verteidigung der Republik nicht ren Form des kritischen Bewußtseins hinaufstili- nur in Worten, sondern auch in Taten deutlich zu siert, erzieht diese Studenten nicht zur Demokratie, machen, wiederhole ich daher folgendes: sondern bestärkt sie in ihrer Verachtung des demo- Erstens. Wir sind nicht bereit, Gewalttätern wei- kratischen Staates, terhin den Mißbrauch des Demonstrationsrechts zu (Beifall bei der CDU/CSU) ermöglichen. Wir fordern die Wiederherstellung des 1969 abgeschafften Demonstrationsstrafrechts, einer Verachtung — das muß zur Entschuldigung damit sich Gewalttäter nicht Deckung hinter ande- und zur Entlastung dieser Studenten gesagt wer- ren Demonstranten verschaffen können. Nach den den —, die ihnen in manchen Ländern mit Hilfe Erfahrungen von Grohnde kann niemand mehr an darauf gerichteter Rahmenrichtlinien, mit Hilfe dar- der Notwendigkeit dieser Forderung zweifeln, mei- auf gerichteter Lehrbücher und mit Hilfe daraufhin ne Damen und Herren! ausgebildeter Lehrer anerzogen worden ist. (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Zu Meine Damen und Herren, gegen die Verhetzung rufe von der SPD) weiter Teile unserer jungen Generation, gegen die feige Anpassung vieler, die das geschehen lassen, Zweitens. Wir wollen unbelehrbaren Terroristen obwohl sie zum Widerstand verpflichtet wären, ma- nicht die Gelegenheit geben, alsbald nach Verbü- chen wir Front: in den Parlamenten, draußen im ßung einer Strafe zur Vorbereitung neuer Straftaten Lande und an den Universitäten selbst, in denen in den Untergrund zu gehen. Deshalb verlangen wir wir erscheinen, um Flagge zu zeigen und uns der die Einführung der Sicherungsverwahrung für ter- Auseinandersetzung zu stellen. roristische Gewaltverbrecher. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Drittens. Wir wollen die Konspiration sogenann- Die Repräsentanten unseres demokratischen Staa- tes — und dazu gehören auch wir — müssen auch ter Rechtsanwälte mit Inhaftierten nicht länger hin- in anderer Weise zeigen, daß sie gewillt sind, den nehmen. Deshalb fordern wir die Möglichkeit rich- rechtlichen und moralischen Grundlagen unserer terlicher Gesprächsüberwachung. Ordnung entschieden Geltung zu verschaffen. Der (Dr. Penner [SPD]: Nützt doch gar nichts!) Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2687 Dr. Dregger Das dritte Thema: Aufbau einer schlagkräftigen zes in der Lage ist, die in der Polizeidienstvor- Polizeitruppe, die mit Bürgerkriegsverbänden fer- schrift 100 aufgezählten Einsatzmaßnahmen in Ver- tig werden kann. Meine Damen und Herren, nicht bandsform auszuführen? Ist es richtig, daß das ge- nur der Buback-Mord und seine Verherrlichung genwärtige Ausbildungskonzept die Schwächung durch deutsche Studenten, sondern auch das Auf- weiterer Einsatzabteilungen zur Folge hat? Ist es treten von Bürgerkriegsverbänden in Brokdorf und richtig, daß die entstandenen Ausbildungsabteilun- Grohnde haben eine neue Phase des Angriffs auf gen von ihrer Struktur her nicht mehr als Einsatz- unseren Staat eingeleitet. Die Verbände, die vor al- abteilungen im Notfall verwendbar sind? Ist es lem in Grohnde auftraten, waren militärisch geglie- richtig, daß den verbleibenden Einsatzabteilungen dert, mit modernsten Nachrichtenmitteln straff ge- die ganze Aufgabenlast im Bundesgrenzschutz ver- führt, für die verschiedenen Kampfaufgaben spe- bleibt, daß ihre Hundertschaften jedoch im Mittel ziell gerüstet und vor allem zu brutalem Vorgehen nur mit wenig mehr als 50 Mann antreten können? entschlossen. Sie wurden angeleitet von Kadern der Ist es richtig, daß Planstellen der Verbände für den sogenannten Neuen Linken, die ihren Ursprung an Einzeldienst abgezogen werden? Ist es richtig, daß den Universitäten hat, voran aus dem Kommunisti- geländegängige durch nicht geländegängige Kraft- schen Bund (KB), aber auch dem Kommunistischen fahrzeuge ersetzt werden? Ist es richtig, daß eine Bund Westdeutschland (KBW) und der KPD/ML. Pionierabteilung zur Wachabteilung gemacht wur- Sie hatten feste Einsatzpläne mit präziser Aufga- de? Ist es richtig, daß ein Ausbildungskonzept für benverteilung für bestimmte Gruppen. Durch Aus- das zweite Dienstjahr entworfen wurde, ohne daß rüstung und Ausbildung waren sie in der Lage, die dazugehörenden Vorschriften für die Verbands- selbst sehr stabile Umzäunungen niederzulegen. Sie ausbildung vorhanden sind? griffen die Polizei mit brutaler Gewalt an und ver- wendeten dabei u. a. Schlagstöcke, Stahlkugeln und Herr Maihofer, wenn Sie auch nur einen Teil der Molotow-Cocktails, mit denen sie mehr als 200 Po- gestellten Fragen bejahen müssen, worauf ein Auf- lizeibeamte zum Teil erheblich verletzten. Die At- satz im Verbandsorgan des Bundesgrenzschutzver- tacken waren zunächst so erfolgreich, daß für die bandes vom Juni 1977 — Sie werden ihn kennen — Polizei in Grohnde eine sehr ernste, ja bedrohliche hinweist, dann sind Ihre bisherigen Beteuerungen Lage entstand, die erst im letzten Augenblick noch unrichtig. Dann bestehen unsere Besorgnisse zu einmal gewendet werden konnte. Es war ein glück- Recht. Dann müssen wir Ihnen auch auf diesem licher Umstand, daß während des Einsatzes in Felde den Vorwurf grober Vernachlässigung der Grohnde nicht gleichzeitig große Polizeianforderun- Vorsorge für die innere Sicherheit unseres Landes gen an anderen Orten vorlagen. machen. Hier gilt das gleiche wie im Bereich der Zivilverteidigung und im Bereich der Terrorismus- Angesichts dieser Situation dürfen wir keinen bekämpfung. Tag länger der Frage ausweichen, mit welchen Si- cherheitskräften wir operieren wollen, wenn diese Eine Politik, die Realitäten verdrängt, weil sie Gruppen ihre Drohung „Schafft ein, zwei, drei, unangenehm sind, und dadurch versäumt, sich auf schafft viele Grohndes!" wahrmachen. - gefährliche Entwicklungen rechtzeitig vorzuberei- ten, ist unverantwortlich. Sie, meine Damen und Für den Einsatz der Bundeswehr im Innern hat Herren, haben 1969 unsere Republik in intaktem unsere Verfassung mit Recht enge Schranken auf- Zustand übernommen. gerichtet. Wir wollen daran nichts ändern. Die Be- reitschaftspolizei der Länder ist fast völlig zur Aus- (Pensky [SPD] : Besonders auf dem Gebiet bildungseinheit geworden. Grohnde hat gezeigt, der Sicherheit, Herr Kollege Dregger!) daß junge, noch in der Ausbildung stehende Bereit- schaftspolizisten der Auseinandersetzung mit Bür- Inzwischen ist nicht nur die Vollbeschäftigung ver- gerkriegsgruppen vom Schlage des KB und des lorengegangen, inzwischen ist nicht nur die soziale KBW kaum gewachsen sind. Diese jungen Polizi Sicherheit in Frage gestellt worden, sondern das sten haben teilweise schockartig reagiert. gleiche gilt auch für die innere und äußere Sicher- heit unseres Landes. Damit erhält der Bundesgrenzschutz als Polizei- truppe eine Bedeutung, die er in seiner bisherigen (Beifall bei der CDU/CSU) Geschichte noch nie hatte. In der Debatte zur Re- gierungserklärung im Januar habe ich — das war Unser Volk, das nach dem Kriege eine einzigartige noch vor Grohnde — nachdrücklich davor gewarnt, Aufbauleistung erbracht hat und das in Frieden den absurden Vorschlägen derer nachzugeben, die und in Freiheit leben will, hat es nicht verdient, dem Bundesgrenzschutz seinen Truppencharakter von einer so schwachen Regierung regiert zu wer- zu nehmen beabsichtigen. Wir haben das zur Vor- den. bedingung unserer Zustimmung zum Strukturgesetz (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Verwaltet zu gemacht, das eine solche Entwicklung nicht not- werden!) wendig, aber möglich macht. Deshalb ist es Zeit, meine Damen und Herren, daß Der Bundesinnenminister versichert regelmäßig, Sie abtreten. Ihren Etat werden wir ablehnen. es sei insoweit alles zum besten bestellt. Leider ha- (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) ben wir immer mehr Anlaß, Herr Maihofer, an der Zuverlässigkeit dieser Beteuerungen zu zweifeln. [ch frage Sie daher, Herr Minister: Ist es richtig, Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der laß keine einzige Abteilung des Bundesgrenzschut- Herr Abgeordnete Liedtke. 2688 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977

Liedtke (SPD) : Frau Präsidentin! Meine Damen Nun, meine Damen und Herren, zum Bereich der und Herren! Herr Kollege Dregger, ich verstehe Ih- inneren Sicherheit. Lassen Sie mich einmal kurz ei- ren Wunsch, den Sie zum Schluß geäußert haben; nen Gedankendurchgang ausformulieren, der Ihnen nicht schmecken wird. Die Grundthese lautet: Inne- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine re Sicherheit in diesem Staate beginnt in diesem Notwendigkeit!) Hause und ist in großem Maße geprägt von dem aber Sie werden verstehen, daß ich der Sicherheit Verhalten der Parteien und Fraktionen in diesem Ausdruck gebe, daß er noch viele Jahre ein solcher Hause. Das Nein zu allen bedeutenden Gesetzge- bleibt. bungswerken im Bundesrat und hier auch der Op- (Beifall bei der SPD und der FDP Haase position im Bundestag soll offensichtlich eine Be- [Kassel] [CDU/CSU] : Immer an Osswald tonwand gegen jede notwendige Veränderung in denken! Keine langfristigen Versprechun diesem Staate werden. Regierung und Koalition rin- gen!) gen hier nicht mit alternativen Vorschlägen der Opposition; sie messen ihre Ideen auch nicht mit -- Herr Haase, ich kenne Sie als ständigen Beglei- einen konservativen Gegner. ter meiner Reden hier. Melden Sie sich mal selbst zu Wort und üben Sie sich jetzt ein bißchen in Höf- (Dr. Dregger [CDU/CSU] : Gucken Sie sich lichkeit. mal unsere Gesetzentwürfe an!) (Zuruf von der CDU/CSU: Herr Oberleh Nein, sie haben bei Ihnen, meine Damen und Her- rer! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU ren, nahezu täglich eine strategisch angelegte De- — Gegenrufe von der SPD) struktivität zu überwinden. Das geht so weit, daß Dieser Wunsch, am Schluß geäußert, macht zu- Sie wie in der vorigen Woche Ihre eigenen Lieb- mindest viele Passagen Herrn Dreggers verständ- lingskinder schlachten lich. Ich werde versuchen, wenigstens auf die wich- (Zurufe von der CDU/CSU) tigsten kurz einzugehen, weil ich hier in der Zeit gebunden bin. und gegen eine Senkung der Vermögensteuer stim men, um sie wenige Tage später hier als Ihre eige- Punkt eins. Lassen Sie mich die ständigen Wie- nen Zöglinge wiedereinzubringen. derholungen gestern und die heute von Herrn Dregger, geschickt in Nebensätzen zu Hauptargu- (Beifall bei der SPD — Zurufe von der menten verkleidet, einmal herausgreifen. Sie sind CDU/CSU) immer klüger als wir selbst. Wenn Herr Wehner Hier wird Politik zur Taktik degradiert, und Herr Brandt einmal konzentriert nebeneinander sitzen und schweigen, ist in der Partei angeblich et- (Zurufe von der CDU/CSU) was nicht in Ordnung. Wenn Sie miteinander re- und hier ist ein erster Beitrag zur Instabilität in den, ist es noch schlimmer. diesem Land. Das kann sich nur eine Fraktion er- (Zuruf von der CDU/CSU: Wie war es in lauben, die über viele Gesichter verfügt. Saarbrücken?!) - (Zurufe von der CDU/CSU) Sie sezieren ein Inneres der SPD, das Ihnen be- — Das gehört auch zur inneren Sicherheit; oh ja, kannt zu sein scheint, das uns völlig fremd ist. ich komme schon noch sehr auf den Kern, Herr (Zurufe von der CDU/CSU) Schwarz. Ich will Ihnen sagen, Herr Dregger: Sie sind so Zweite Bemerkung. Der ständige Versuch, jegli- weit von dieser SPD entfernt, Sie werden sie nie- ches berechtigte Wohlbefinden der Bürger in die- mals im Leben begreifen. sem Lande auszuräumen, indem Sie in Bereichen äußerer, sozialer, finanzieller, innerer Sicherheit bei (Beifall bei der SPD — Zurufe von der dem Bürger Unsicherheit und Angst erzeugen wol- CDU/CSU) len, um dadurch — Sie wissen es — Staatsverdros- Aber Unwissenheit und Nichtbegreifenkönnen er- senheit zu erzielen, ist ebenfalls kein Beitrag zur zeugen einen galligen Geschmack auf der Zunge, Stabilisierung der inneren Sicherheit. Sie wollen und den wollen Sie jetzt bei uns loswerden. Neh- uns treffen und treffen im Prinzip die Demokratie. men Sie bitte die Lehre von gestern zur Kenntnis: Dem politischen Ideenwettstreit hier weichen Sie Diese Fraktion und diese Koalition standen gestern, weitgehend aus und setzen Feindbilder, wodurch stehen morgen und stehen bis 1980 das Klima voraussehbar vergiftet wird. (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU) (Schwarz [CDU/CSU] : Die Arroganz bei so sauber, daß alle Versuche von Erbschleicherei, Ihnen, die darin zum Ausdruck kommt, daß wie Sie gestern sahen, von uns einmütig zurückge- Sie sich mit der Demokratie gleichsetzen, wiesen werden, ist unerträglich!) (Beifall bei der SPD und der FDP) Die Grundzüge dieser Strategie sind nicht neu, da- mit aber nicht weniger gefährlich. eine neue Erfahrung für Sie auf einem Konto, das Sie allerdings nicht neu eingerichtet haben. Ich er- Meine Damen und Herren, wir brauchen über in- spare mir einen Kommentar zu den theoretischen nere Sicherheit, wir brauchen über Zivilverteidi- Turnübungen Herrn Dreggers, um einen Konflikt gung gar nicht zu reden, wenn die Grundvorausset- mit der Frau Präsidentin zu vermeiden. zung der äußeren Sicherheit nicht gegeben ist. Las- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2689 Liedtke sen Sie mich hier feststellen, daß die Entspannungs- — Das ist nicht falsch. Es war nicht so in meiner politik den Frieden in Europa und in der Welt in Fraktion. Herr Miltner, es war nicht einmal beim qualifizierter Weise sicherer gemacht hat. Der Hearing im Innenausschuß so. Schlußakte von Helsinki haben 35 Staaten zuge- stimmt, nur nicht die Opposition in diesem Hause. (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Beim Hearing und in Ihrer Fraktion war das so!) (Zuruf von der SPD: Und Albanien!) Meine Damen und Herren, dort, wo es gilt, Ver- — Ja, und Albanien hat nicht zugestimmt. Wir ver- brechen zu verhüten oder zu erschweren, an dieser folgen das. Front haben wir mit Ihrer Hilfe, mit Ihrer Zustim- mung eine ganze Menge getan. Ich will Ihnen ein In diesem Hause erleben wir, daß Sie sich wie einziges Beispiel geben. ein hungriger Wolf auf jede neue Schwierigkeit in diesem beschwerlichen Geschäft stürzen, um der ei- Als wir 1969 diese Regierung übernahmen, war genen Regierung einen kräftigen Biß zu geben. Sie das Bundeskriminalamt in keinem beneidenswerten respektieren die Verträge, aber in Ihren Reden le- Zustand. Wenn Sie es heute nur optisch sehen wür- gen Sie darüber den Rauhreif des Kalten Krieges. den, würden Sie sagen, die alten Bauteile, die wir Wenn ein Mitglied Ihrer Fraktion den Mut hat, sei- übernommen haben, sehen im Verhältnis etwa so ne eigenen Gedanken hierzu auszuführen — wie aus, als seien es die Garagen der heute dort Täti- Herr Biedenkopf —, gerät er bei Ihnen ins Schleu- gen. dern. In Summen sieht das so aus, daß wir von 22 Mil- Lassen Sie mich zur inneren Sicherheit den lionen DM auf 172 Millionen DM in diesem Jahre Standpunkt meiner Fraktion folgendermaßen klarle- gekommen sind. Wir haben das Personal nahezu gen: Nach dem jetzigen Stand unserer Erkenntnis verdreifacht. Wir haben die Technik, soweit das erstreben die Terroristen, daß sich die Demokratie nach dem heutigen Erkenntnisstand möglich ist, an- in eine autoritäre Phase treiben läßt. In der Sprache gepaßt. Wir haben darüber hinaus der Terroristen hört sich das etwa so an: Der Staat Spezialeinheiten, wie die GSG 9, wie die Terroristeneinheiten gebil- soll sein brutales Gesicht ohne rechtsstaatliche det, und ich glaube, nicht ohne Erfolg. Dort, wo es Maske zeigen. Nur dadurch, so heißt es, daß alles gilt, im Ansatz Verbrechen zu erschweren und zu schlimmer werde, könne alles besser werden. verhüten, finden Sie diese Koalition ständig tätig. Meine Damen und Herren, ich werde Ihnen Denn dort wird der Übergriff gegen Bürger dieses gleich in wenigen Sätzen aufzeigen, wie wir auf Staates schwerer oder unmöglich. diese neuen Formen des Terrorismus mit neuen (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Für die Gefah Möglichkeiten der Abwehr in unserem Lande renabwehr im polizeilichen Bereich haben schnell reagiert haben. Eine Grenze will ich hier Sie das nicht getan, was wir vorgeschlagen aufzeigen. Wenn wir überall dort, wo Überreaktio- haben!) nen des Staates dazu führen können, daß in die - Substanz demokratischer Freiheiten eingegriffen Lassen Sie mich in dieser begrenzten Zeit noch wird, in die uns von den Terroristen zugedachte ein Wort sagen. Wenn Sie hier aufstehen, überse- Rolle gehen, dann besteht die Gefahr, daß die Bür- hen Sie geflissentlich, daß die Hauptsicherheits- ger dieses Staates die Identifizierung mit ihm weit- kräfte nicht beim Bund, sondern bei den Ländern gehend aufgeben und eine distanzierte Gleichgül- angesiedelt sind, daß der Großteil der Verantwor- tigkeit ihm gegenüber einnehmen. Das wäre eine tung nicht aus diesem Raum heraus allein getragen sehr gefährliche Entwicklung. Überall dort also, wo werden kann, sondern nur in möglichst reibungslo- wir glauben, daß auch Vorschläge aus Ihren Reihen ser Zusammenarbeit mit den Ländern. Wir haben zu weit in den Polizeistaat hineinführen und Frei- diesen föderativen Aufbau angenommen und haben heitssubstanzverluste für alle Mitbürger erzeugen, ein Sicherheitskonzept entwickelt, das auf der Zu- setzen wir unser Nein entgegen. sammenarbeit von Bund und Ländern beruht. Alles, Wir haben in langen Gesprächen mit den Prakti- aber auch alles stört diese Zusammenarbeit, was in kern an dieser Front der inneren Sicherheit nach diesem empfindlichen Bereich konträr und gegne- neuen, moderneren Methoden gesucht. Wir haben risch in diesem Raum ausgetragen wird. Gespräche mit Vertretern der Bundesanwaltschaft, des Bundeskriminalamtes, der Verfassungsschutzor- (Beifall bei der SPD und der FDP) gane, auch mit dem Polizeipräsidenten, der den Ein- Es stimmt nicht tröstlich, wenn der Vorsitzende satz in Grohnde geleitet hat, geführt. der Innenministerkonferenz beispielsweise zum (Zuruf von der CDU/CSU) 6. Juni zu einer Sitzung einlädt, um Möglichkeiten einer weiter modernisierten Terroristenbekämpfung Die Summe der Ergebnisse der Gespräche mit die- zu besprechen, und alle CDU-geführten Länder sen Experten war: Neue Gesetze sind nicht notwen- nicht erscheinen. Es stimmt auch nicht tröstlich, dig. Die alten müssen voll ausgeschöpft werden. wenn der Bundeskanzler die Fraktionsvorsitzenden (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Das ist falsch! zum gleichen Thema zu sich bittet und die Vorsit- Die Experten haben ihre Vorschläge für zenden der CDU und der CSU nicht erscheinen. Da Gesetzesänderungen gemacht! Auch in Ih hilft auch keine Zungenakrobatik Ihres Sprechers rer Fraktion war das so!) hier. 2690 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Liedtke Lassen Sie mich diesen Bereich mit dem eindring- dern noch zu leisten ist. Wir wissen auch, daß das lichen Appell nicht ohne Schwierigkeiten gehen wird. (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Wären die Ex (Dr. Dregger [CDU/CSU] : Sie träumen perten eingeladen gewesen, wären wir ge immer noch!) kommen!) — Herr Dregger, Ihr Rezept der Abschaffung der zur uneingeschränkten Solidarität aller Demokraten Gruppenuniversität, der Abschaffung der Mitbe- gegen Verbrechen und Gewalt abschließen. — Herr stimmungsgremien — Miltner, Sie sagen: Wenn die Experten eingeladen (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das ist falsch!) worden wären. Ich nehme doch an, daß in diesem ich zitiere nur Stichworte aus Ihrer Rede —, Auflö- Bereich Ihre Fraktionsvorsitzenden nicht zu den sung der Gesamthochschulen, Einstellung der BAföG- Anwärtern gerechnet werden. Zahlungen und Ihr Wunschziel, das Sie in Ihrer (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Hochschulrede formuliert haben, den Akademiker- Miltner [CDU/CSU] : Darum geht es doch überschuß — so nannten Sie es — zu verhindern, gar nicht, um die Polizei geht es!) weil er ohnehin nur eine entscheidende Rolle bei der Systemüberwindung spielen werde, das alles Etwas zum Hochschulbereich; das andere will ich hilft nicht weiter; das heißt: ab mit dem Fahrstuhl aussparen. Herr Dregger, hier muß ich Ihnen frei- in die Vergangenheit, lich einiges sagen, was uns wie so vieles in den Grundauffassungen trennt. (Beifall bei der SPD) das heißt Unruhe in die Jugend von heute tragen. (Zuruf von der CDU/CSU: Das kann ich mir vorstellen!) Meine Damen und Herren, da heißt es ganz schlicht, an der Universität wird geforscht, gelehrt, Wir teilen die Sorge, wenn uns Streik- oder Boy- gelernt, sonst nichts. Die Ordinarienuniversität al- kottaktionen oder gar diese schlimme Geschichte ten Stils feiert hier ihre Auferstehung. nach den Karlsruher Morden bekannt werden. Da sind wir völlig einer Meinung. Darüber brauchen (Zuruf des Abg. Dr. Dregger [CDU/CSU]) wir hier nicht zu diskutieren oder in einen edlen Da ist nicht die Rede von Gleichheit der Bildungs- Wettstreit einzutreten, wer hier näher am Rechs- chancen, von demokratischen Ausbildungsinhal- staat angesiedelt ist. Wir teilen nicht die Meinun- ten, Eigenverantwortung auch der Studenten und gen zur Überwindung dieser Krisenerscheinung, der Assistenten. Verantwortung gibt es bei Ihnen, Herr Dregger. Herr Dregger, erst, wenn jemand ein Amt hat. Bis dahin ist man unmündig. Es gibt sicher viele Gründe, die zu dieser Unruhe geführt haben. Einmal ist es die Umsetzung des (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Quatsch!) Hochschulrahmengesetzes in die Landesgesetze. Re- Da darf nur gelernt werden. gelstudienzeit, Ordnungsrecht spielen hier eine be- (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Ein bißchen Lo sondere Rolle. Hinzu werden die unsicherer gewor- - gik müßte ja noch drin sein! — Pfeffer denen Berufsaussichten für Akademiker kommen, mann [CDU/CSU] : Was schwatzt der schließlich die schwierigen Arbeitsbedingungen an denn?) den Hochschulen, die durch die Überlastquote, die wir demnächst einführen müssen, sicher nicht Kritische Fragen sind nicht erlaubt. In dieser Rede leichter werden. Nun aber zu sagen, wir drehen die findet sich sogar folgender Satz: ganze Entwicklung im Bildungsbereich herum, wird Auch die sogenannte Hochschuldemokratisie- diese Schwierigkeiten nicht verkleinern, sondern rung beruht auf einem Denkfehler. vergrößern. (Zurufe von der CDU/CSU) Für die Sozialdemokraten darf ich folgendes sa- Herr Dregger, mit dieser Ihrer Einstellung werden gen. Wir wehren uns dagegen, wenn die Forderung Sie die Sozialdemokraten stets als Ihre Gegner fin- nach Einstellung der sogenannten Bildungsexpan- den. sion oder gar nach Bildungsstopp von Ihnen, Herr (Zuruf des Abg. Pfeffermann [CDU/CSU]) Dregger, oder von Ihren Freunden immer wieder Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal in der Landschaft aufblitzt. Das ist keine Lö- ein Wort zu dem ersten sagen. Wir sind einverstan- sung. den, (Zuruf von der CDU/CSU: Darum geht es (Zuruf von der CDU/CSU) doch gar nicht!) daß wir eine Diskussion über den Zivilschutz in Nicht das Bildungssystem darf dem Beschäftigungs- diesem Lande neu beginnen. Ich hoffe, daß wir uns system angepaßt werden, sondern umgekehrt muß über eines klar sind, daß es nicht möglich ist, der es sein. Bevölkerung darzutun, daß im Falle eines Konflik- (Zuruf von der CDU/CSU: Das machen Sie tes auch nur ein annähernder Schutz gewährleistet mal!) werden kann. (Zuruf von der CDU/CSU: Deswegen ma Das sich verändernde Bildungssystem wird neue chen wir gar keinen?) Arbeitsstrukturen und Arbeitsbeziehungen heraus- fordern. Wir wissen, daß diese zweite Stufe einer Unsere Chancen liegen hier erstens in der Entspan Bildungsreform in diesem Hause und in den Län nungspolitik, zweitens in der sicheren Einbettung Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2691 Liedtke in die Strategie der NATO, drittens in einer gut Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Bundes- funktionierenden Bundeswehr als Verteidigungs- minister des Innern. streitmacht als Beitrag in dieser NATO. — Herr Miltner, regen Sie sich nur nicht so auf. Wenn Sie Dr. Dr. h. c. Maihofer, Bundesminister des Innern: durch deutsche Lande reisen und nach Schutzbau- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und ten suchen, die nach 1949 in diesem Lande gebaut Herren! Es ist die verfassungsmäßige Pflicht der worden sind, so werden Sie kaum welche oder kei- Opposition, die Regierung zu kritisieren, tatsäch- ne finden. Wenn das eine Unterlassungssünde war, liche oder auch nur vermeintliche Fehler in ihrem sind alle Fraktionen dieses Hauses in dieser Unter- Handeln oder auch Nichthandeln aufzuzeigen und lassungssünde vereint. dem Alternativen einer anderen Politik entgegenzu- Ich begrüße es — wenn wir diese Diskussion ehr- stellen, die unserem Gemeinwesen förderlicher wä- lich führen —, daß wir damit beginnen. Ich beken- ren. ne auch, daß wir im Innenausschuß festgestellt ha- Mißt man an diesem selbstverständlichen An- ben, der Einzelplan 36 ist ein bißchen mager. spruch, verehrter Herr Dregger, Ihre Rede zu den (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Das ist ein ein- Haushalten des Innenministers im Einzelplan 6 und ziger Skandal, den Sie verursacht haben!) 36, dann ist darin von der hier geforderten und för- derlichen konstruktiven Kritik nichts, aber auch — Wir haben ihn von Ihnen schwindsüchtig über- gar nichts zu entdecken. nommen, Herr Miltner; sehen Sie Ihre alten Pläne (Beifall bei der FDP und der SPD) nach. Aber er ist heute anerkanntermaßen immer noch mager. Ehe daß wir also hier mit mittelschwe- Vielmehr beschränken Sie sich auch in diesem Jahre ren Degen aufeinander losgehen, laßt uns die Ge- wiederum darauf, die Lage schwarz in schwarz oder meinsamkeit, die wir hier formuliert haben, nutzen. besser rot in rot zu malen, zudem mit so grobem Dann — dessen bin ich sicher — kommt auch dabei Pinsel, daß hinter diesem Schauergemälde die Wirk- etwas heraus. lichkeit überhaupt verschwindet. Was dabei her- auskommt, ist leider nicht eine Kritik des Handelns Meine Damen und Herren, lassen Sie mich lang- der Regierung, mit der man sich Punkt für Punkt sam dem Ende zustreben; meine Zeit ist begrenzt. förderlich auseinandersetzen könnte, sondern mehr Wir werden unbeirrbar eine Politik fortsetzen, die eine Karikatur des Handelns der Regierung, mit der folgende drei Grundsäulen hat, und die es den ihr — ich sage es einmal so — der Schwarze oder Menschen in diesem Staate weiterhin ermöglicht, — richtiger — rote Peter für alle Übel dieser Welt sich mit ihm zu identifizieren, weil er — erstens — zugeschoben und völlige Unfähigkeit bescheinigt sicher sein kann, daß die Solidarität des Staates werden soll. und der Gesellschaft ihm zur Seite stehen, weil ihm — zweitens — die Möglichkeit gegeben wird, ei- (Schwarz [CDU/CSU] : Vielleicht ist diese genverantwortlich und mitverantwortlich entschei- Regierung eine Karikatur!) dend im Staat, aber auch in der Gesellschaft daran Dazu möchte ich etwas Grundsätzliches sagen. teilzuhaben und — drittens — weil in Staat und Dieses Peterspiel, das ja auch von anderen in diesen Gesellschaft ein Höchstmaß an Liberalität immer Tagen betrieben worden ist, ist meiner Meinung noch meßbar und lesbar bleiben wird, solange wir nach eine ganz verhängnisvolle Sache, hier regieren. Ein Staat, der den Bürger vor mate- (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD]: Sehr richtig!) rieller Not schützt, ihm soziale Sicherheit gibt, der die Eigenverantwortung des Bürgers stärkt und ihm über deren grundsätzliche Auswirkungen Sie sich Selbstbestimmung und Mitbestimmung ermöglicht, überhaupt noch nicht klargeworden sind. der die Freiheitsrechte des einzelnen achtet und ein (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD]: Zerstörend! — Höchstmaß an Liberalität gewährleistet, ein solcher Beifall bei der FDP und der SPD) Staat braucht keinen Feind zu fürchten. Mit einem solchen Staat können sich seine Bürger identifizie- Seit den terriblen Simplifikationen oder schreckli- ren. Er wird von ihnen getragen und verteidigt. chen Vereinfachungen im Vorfeld des vorigen Wahl- kampfs, die nun fast jede politische Auseinander- (Beifall bei der SPD und der FDP) setzung zu überwuchern beginnen, Das ist das Angebot unserer Politik an die Men- (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Destruktiv!) schen in diesem Lande. scheint hier einer der Hauptgründe für die heutige Ich darf, meine Damen und Herren, schließen mit vielberufene Staatsverdrossenheit zu liegen, die in einem der Kernsätze des Godesberger Programms: Wahrheit eine Parteienverdrossenheit ist. Denn im- Wir streiten für die Demokratie. Sie muß die mer weniger verstehen unsere Bürger — das mag in allgemeine Lebens- und Staatsordnung werden, alten Demokratien anders sein —, daß sich Demo- weil sie allein Ausdruck der Achtung vor der kraten untereinander so, wie Sie dies jedesmal tun, Würde des Menschen und seiner Eigenverant- (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD]: Sehr richtig! wortung ist. Genau so ist es!) Diese Politik werden wir konsequent fortsetzen. jede Glaubwürdigkeit absprechen oder gar jede Ver- Alle sind als Mitstreiter willkommen, die diese An- trauenswürdigkeit abstreiten. Alles, was von be- sicht teilen. stimmter Seite gesagt oder getan wird, ist schon al- (Beifall bei der SPD und der FDP) lein deshalb falsch — auch wenn jeder weiß und Sie 2692 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer ganz genau wissen, daß es angesichts der Realität Wir stellen Terroristenorganisationen mit überwie- überhaupt keine Alternative hierzu gibt. gender Herkunft aus Berlin, aber jetzt auch aus Ba- den-Württemberg fest. Die letzte Haag-Bande ist (Beifall bei der FDP und der SPD) ausschließlich aus Landsleuten dieses mir heimat- So mag man es auf Nebenkriegsschauplätzen der lich verbundenen Landes zusammengesetzt. Da kön- Politik vielleicht treiben können, Herr Dregger, aber nen Sie Ihre parteipolitischen Rechnungen überhaupt nicht in zentralen Bereichen unserer Politik wie dem nicht mehr aufmachen. der inneren Sicherheit, in denen Regierung und (Beifall bei der FDP und der SPD) Opposition in Bund und Ländern ohne Unterschied ihrer politischen Couleur vor denselben schwierigen Ja, wir können noch nicht einmal — um dies noch Fragen stehen, bei denen die üblichen Gemeinplätze etwas grundsätzlicher zu sagen — bei der Erfor- nicht weiterhelfen und wir gar keine andere Wahl schung der Ursachen des Extremismus, ja selbst des haben, als in gemeinsamer Anstrengung um die Terrorismus sagen — wie uns das Zwischenergeb- besten Lösungen zu ringen. nis unserer Extremismus-Enquete lehrt —, daß da- bei, wie manche meinen, ein Zuviel an Liberalität, (Dr. Dregger [CDU/CSU] : Nun sagen Sie etwa antiautoritäre Erziehung, oder ein Zuwenig doch endlich mal was! Sie machen nur an Liberalität, wie andere meinen, also autoritäre Deklamation!) Erziehung, den größeren Anteil hat. Denn offenbar — Sie kommen auf Ihre Kosten! Sie sind bei den können — das zeigen die Beispiele, auf die wir ge- Deklamationen stehengeblieben. Sie hören schon stoßen sind — ein Zuviel und ein Zuwenig zu glei- noch alles Erforderliche zur Sache im einzelnen. chen extremistischen Entwicklungen und Verhaltens- weisen führen. Was nicht wundert, wenn man weiß, (Dr. Dregger [CDU/CSU] : Sie haben nur all daß Liberalität selbst — die Sie ja auch gern im gemeine Zensuren verteilt!) Munde führen — die schmale Mitte bezeichnet, de- — Sie werden mich hier mit Ihren Zwischenrufen ren Zuviel ebenso ins Anarchische auf der einen nicht stören. Es gilt — ich wiederhole —, in gemein- Seite führt wie ein Zuwenig ins Autoritäre auf samer Anstrengung um die besten Lösungen zu der anderen Seite. ringen, in dem von Bund und Ländern vereint ge- Hier — das habe ich bei Ihnen ganz vermißt, Kampf gegen Kriminalität, gegen Terroris- führten Herr Dregger — in solchen schwierigen Abwägun- mus, gegen Extremismus. gen, wo die jeweils richtige Mitte ist — ich sage Da sind wir bei Ihren Themen. Hier jedoch ist, es noch einmal mit Worten, die für mich unverän- wenn man wirklich ehrlich Erfolge in der Sache will, dert gelten , zwischen einem Mehr an Freiheit für Parteipolitik überhaupt kein Spielraum. Jede Po- um den Preis eines Weniger an Sicherheit oder litik der Konfrontation statt der Kooperation aller einem Mehr an Sicherheit um den Preis eines We- Demokraten ist ein geschichtsblindes Verhängnis, niger an Freiheit, liegen die realen Probleme bei dem zuallererst Sie verfallen. der inneren Verteidigung unseres freiheitlichen Rechtsstaats. Das sehen Sie schon bei der Schaf- (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. - fung eines Fahndungssystem — ob Sie es so oder Dregger [CDU/CSU] : Die Opposition? — Dr. so gestalten oder ausweiten oder nicht —, da stehen Schäfer [Tübingen] [SPD] : Systematisch!) Sie überall vor derselben Grundsatzfrage. Ich muß Sie fragen, Herr Dregger: Warum und Das gilt im Kampf gegen die Kriminalität wie ge- wann passierte denn jene Revolte der Jugend, gen den Terrorismus, ja auch gegen den Extremis- aus der all jene Entwicklungen des Extremismus, ja mus, der diese freiheitliche demokratische Grund- selbst einige des Terrorismus in unserem Lande ordnung selbst in Frage stellt. Von diesen tatsäch- seit 1968 hervorgegangen sind, die uns heute als lichen Problemen, Herr Dregger, die wir hier zu Fragen der inneren Sicherheit beschäftigen? Doch lösen haben, von den wirklichen Alternativen, die nicht in den Legislaturperioden dieser oder der ihr wir dabei zu bedenken und abzuwägen haben, war vorausgegangenen sozialliberalen Regierungen! in Ihrer Rede nichts zu hören. Wir müssen doch sehen und einsehen, daß wir in Nun, ich kann dies in der mir zugemessenen Zeit all diesen Bereichen der Innenpolitik wirklich im sel- auch nur beispielhaft nachholen. ben Boot sitzen und daß sich keiner auf Kosten (Zurufe von der CDU/CSU: Wir haben doch des anderen entlasten kann, ohne die gemeinsame unsere Vorschläge gemacht!) Sache zum Kippen zu bringen — wenn Sie mir einmal diese saloppe Formulierung gestatten. Aber ich meine, wir schulden unseren Bürgern eben darüber sachliche Auskunft, auch und gerade Anders gesagt, um es Ihnen ganz anschaulich vor- in einer solchen Haushaltsdebatte. zuführen: Wir erleben erschreckende Äußerungen der politischen Sympathie für blanken Mord auf of- Ich will dies zu vier Schwerpunkten der De- fener Straße, die ich wie Sie beklage, an Hochschu- battenbeiträge sowohl von Ihnen, als auch vom len in Niedersachsen wie in Hessen. Wir kennen Herrn Kollegen Riedl tun, nämlich 1. zur inneren militante Kader von Linksextremisten mit Schwer- Sicherheit, 2. zur zivilen Verteidigung, 3. zum öffent- punkten in Hamburg wie in Heidelberg. Sie können lichen Dienst und 4. zum Thema Kultur. sich jeweils fragen, wer hier und wer dort regiert. (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Ich bin Das führt Sie überhaupt nicht weiter. schon hier, Herr Minister!) (Zuruf des Abg. Dr. Dregger [CDU/CSU]) — Ich habe Sie schon im Visier. Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2693 Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer Erstens zur inneren Sicherheit! Die realen Pro- Wir stehen hier allerdings — auch ich möchte bleme, vor denen wir gegenwärtig bei der Bekämp- es nicht verschweigen — bei der aus Anfangszeiten fung der Kriminalität stehen — einiges ist ja vor- stammenden uneinheitlichen Ausstattung der Com- hin schon von Herrn Walther angedeutet worden --, putersysteme innerhalb der Länder noch vor großen sind die typischen Probleme einer sogenannten Anstrengungen, um zu einem optimalen Systemver- Wohlstandsgesellschaft mit entsprechender Wohl- bund zu gelangen. Sie wissen, Herr Kollege Walther, standskriminalität massenhafter Diebstahls-, Be- so gut wie ich, wovon ich rede. Hier sind noch trugs- und Fälschungsdelikte, die 75 % der Gesamt- Millioneninvestitionen nötig, um wirklich zu einem kriminalität überhaupt ausmachen. So macht etwa modernen System der Informationsverarbeitung in allein das Anwachsen der Zweiraddiebstähle ein Bund und Ländern zu kommen. Drittel des Anstiegs der Gesamtstrafenzahl über- Nicht nur die Kriminalpolizei des Bundes im BKA, haupt aus; mit dem Anwachsen der Diebstähle aus sondern auch die Vollzugspolizei des Bundes im Warenhäusern und aus Selbstbedienungsläden im BGS, und zwar im Grenzschutzeinzeldienst wie im vergangenen Jahr ergibt dies zusammen die Hälfte Grenzschutzverbandsdienst, hat allen auch heute des Anstiegs der Gesamtstrafen. wieder zu hörenden Unkenrufen zum Trotz heute Hieraus ergeben sich quantitative Probleme der einen besseren Leistungsstand erreicht als jemals Kriminalitätsbekämpfung, die nur mit modernster in ihrer 25jährigen Geschichte, Computertechnik gelöst werden können. Das Bun- (Beifall bei der FDP und der SPD) deskriminalamt, das die Servicezentrale für dieses Computersystem der Polizeien des Bundes und der wie auch die ebenso besonnenen wie entschlos- Länder darstellt, unternimmt hier, wie Sie aus den senen Einsätze des Bundesgrenzschutzes bei Ge- Haushaltsberatungen wissen, äußerste Anstrengun- waltdemonstrationen in Brokdorf oder Grohnde gen, diese Quantität noch effektiver zu bewältigen. überzeugend gezeigt haben. Diese Wirklichkeit, Wir verfolgen durch zügige Ausweitung der Daten- Herr Kollege Dregger, widerlegt alle Ihre Zweifels- kapazität und der Abfragestationen — aber hier fragen, auf die ich Ihnen Punkt für Punkt gründlich müssen wir jeweils mit den Ländern zu Vereinba- schriftlich antworten werde. Wir müßten sonst rungen kommen — weiter das ehrgeizige Ziel, die allein darüber eine halbstündige Debatte führen, derzeitige Zahl gesuchter Personen noch innerhalb um alle diese kritischen Punkte aufzugreifen. Aber dieser Legislaturperiode um ein Vielfaches herabzu- ich kann Ihnen schon heute sagen, daß Sie in Ihrer drücken. Schon jetzt ist es uns gelungen, die bisher Gesamteinschätzung, so sehr sie Ihnen durch den jeweils etwa 80 000 unerledigten Ausschreibungen einen oder anderen Ewiggestrigen eingeblasen sein zur Festnahme auf inzwischen 38 000 herabzudrük- sollte, vollständig schiefliegen. ken. Das bedeutet für den polizeilichen Alltag Ent- (Beifall bei der FDP und der SPD) scheidendes. Ihre Leistungsbeurteilung des Bundesgrenzschutzes Daran hat der steigende Erfolg unserer Grenz- schlägt der Wirklichkeit vollkommen ins Gesicht. fahndung nicht geringen Anteil, und die ist eben - Auch in diesem Bereich der Vollzugspolizei hat nicht ohne Verlagerung von Kräften in den Grenz- sich die Zusammenarbeit von Bund und Ländern schutzeinzeldienst möglich, durch den heute 60 % nach dem Modell eines kooperativen Föderalismus der Fahndungsaufgriffe in unserem Lande über- gerade in schwierigen Lagen, wie den eben genann- haupt erfolgen, und der seine Erfolgszahlen in den ten, voll bewährt. Noch nie haben wir einen solchen letzten zwei Jahren meiner Amtszeit von 1974 bis wohlabgestimmten, wohlvorbereiteten Polizeigroß- 1976 um 141 % und allein vom ersten Quartal 1976 einsatz durchgeführt, in engem Zusammenwirken zum ersten Quartal 1977 um 22 % gesteigert hat. auch des jeweiligen Landes- und des Bundesinnen- (Zuruf von der CDU/CSU: Trotz Ihrer Amts ministers, wie etwa in Brokdorf. zeit!) (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Wir hat — Eben deshalb meine ich, daß Sie an der Wirklich- ten auch vorher noch nie solche Demon keit völlig vorbeireden. strationen!) Dies steigert die Aufklärungsquoten, die sich auch Dann müssen Sie sich schon einmal mit den im im vergangenen Jahr, wie Sie ja wissen, weiter er- Einsatz Befindlichen unterhalten, um zu erkennen, höht haben, und damit den Abschreckungseffekt was gerade durch die entscheidenden Anstrengun- unseres Strafrechts viel wirksamer als alles, was wir gen auch des Bundes über unseren im Innenministe- mit Verschärfung der Straftatbestände und Erhöhung rium angesiedelten Inspekteur der Bereitschaftspo- der Strafen überhaupt ausrichten können. lizei erreicht wurde, hier zu einer einheitlichen Aus- bildung und Ausstattung sämtlicher Bereitschafts- (Beifall bei der FDP und der SPD) polizeien des Bundes einschließlich des Bundes- Das alles bedeutet realen Zuwachs an Sicherheit, grenzschutzes zu kommen. mit der wir entgegen allem öffentlichen Gerede auf Der Geist der Zusammenarbeit, allerdings einer gutem Wege sind. solchen jenseits aller Parteipolitik, die hier heute Ich kann es mir hier ersparen, noch weitere Be- zwischen Bund und Ländern im Bereich der inneren lege hierfür anzuführen. Herr Kollege Walther hat Sicherheit herrscht — ich sage das mit Stolz — un- dazu schon Triftiges gesagt. Ich meine, hier gilt terscheidet sich grundsätzlich und vorteilhaft von es überall, unbeirrt mit dem zügigen Ausbau von den künstlichen Gegensätzen, wie sie auch in dieser Personal und Technik in unserem Inpolsystem fort- Debatte wieder zwischen Regierung und Opposition zufahren, das so ersichtliche Erfolge zeigt. konstruiert werden. Ich beklage es — unverhohlen 2694 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer gesagt — zutiefst, daß wir es hier im Parlament, als Sie hätten sich über die erheblichen und verstärk- dem höchsten Souverän, nicht vermögen, auch ein- ten Anstrengungen der Bundesregierung bei der mal so miteinander zu reden, wie Innenminister Terrorismusbekämpfung in den mehrfachen Sitzun- untereinander reden und wie in Sicherheitsfragen gen des Innenausschusses des Bundestages gründ- Zusammenarbeitende in Bund und Ländern ohne lich unterrichten können. Wenn Sie bei all diesen Rücksicht auf ihre politische Couleur miteinander Beratungen dabei gewesen wären, hätten Sie ein- reden. fach nicht so reden können. (Beifall bei der FDP und der SPD) (Beifall bei der FDP und der SPD — Zuruf Dieser Geist kommt vor allem auch in der — im von der SPD: Er war ja nicht da! — Dr. übrigen auf mein Betreiben — vereinbarten Zu- Miltner [CDU/CSU] : Welche Konsequenzen sammenarbeit von Bund und Ländern bei der Be- haben Sie denn schließlich aus den Vor kämpfung des Terrorismus zum Ausdruck, über die schlägen der Experten gezogen?) ich vor dem Innenausschuß mehrfach berichten konnte. In diesem Geiste hat die Innenminister- — Aber ich bitte Sie, das wissen Sie doch am aller- konferenz im Hinblick auf die nach den Morden besten, Herr Miltner. in Karlsruhe eingetretene Lage in dieser Woche (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Treten Sie für die zusätzliche Maßnahmen eingeleitet, insbesondere Sicherungsverwahrung ein, so wie Herr auf dem schon von Herrn Walther genannten Ge- Herold?) biet der Umfeldbeobachtung des Terrorismus durch den Verfassungsschutz. Hier besteht noch eine — Ich rede über den Bereich der inneren Sicherheit, schwerwiegende Lücke — nicht so sehr im Bund, für den ich haushaltsmäßig Verantwortung trage. sondern vornehmlich in den Ländern —, vor allem Diese Debatte können Sie nachher im Zusammen- auch in Hinsicht auf die Personalausstattung dieses hang mit dem Justizetat führen, aber nicht im Rah- Bereiches. men der inneren Sicherheit. So bleibt auch hier noch einiges zu tun — wer (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. wüßte das nicht? —, um das Modell eines koopera- Miltner [CDU/CSU] : Warum kriegen wir tiven Föderalismus auf diesem schwierigen Feld kein Bundesmeldegesetz?) ohne Reibungsverluste in volle Wirklichkeit umzu- setzen. Nur, wir werden uns von niemandem — das — Entschuldigen Sie bitte, wer hat denn das Bun- sage ich Herrn Kollegen Riedl — an zäher Geduld desmeldegesetz einschließlich der Hotelmeldepflicht und tatkräftigen Beiträgen übertreffen lassen. Herr vorgelegt, und wer hat uns dann im Stich gelassen? Kollege Riedl, Sie meinen, ich sollte „den Terroris- Sämtliche Länder haben uns im Stich gelassen. mus nachhaltiger bekämpfen" so wörtlich in Ihrer (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Rede. Das höre ich gerne, wo Sie doch genau wissen Miltner [CDU/CSU] : Nur wegen der Per — oder wissen müßten —, daß es nicht zuletzt der sonenkennzeichen! — Dr. Schäfer [Tübin Bund war und ist, der seit Jahren auf nationaler gen] [SPD] : Die CDU im Rechtsausschuß hat und internationaler Ebene — auch das letztere ist- uns auch im Stich gelassen!) nicht ohne Belang — auf verstärkte Zusammenarbeit und verbesserte Maßnahmen gedrängt hat und Es grenzt wirklich — ich muß dieses harte Wort drängt. Wenn Sie wirklich guten Willens sind, verwenden — fast an Volksverdummung, wenn der können Sie am allerwenigsten uns bei einer Debatte Anschein erweckt wird, als ob der Terrorismus in über Terrorismus auf die Anklagebank setzen. unserem Lande letztlich auf Versäumnisse dieser Bundesregierung zurückgehe. (Beifall bei der FDP und der SPD) (Zuruf von der SPD: Das ist Volks Wenn Sie, Herr Kollege Riedl, mir etwa emp- verhetzung!) fehlen, ich möge an den Universitäten Flugblätter gegen Extremisten verteilen lassen, Wieso — so frage ich nochmals — gibt es denn Terroristen und Sympathisanten auch — ich möchte (Zuruf von der SPD: Persönlich bitte!) nicht sagen: gerade — in Ländern, die seit vielen dann fragen Sie einmal den Landesinnenminister Jahren von Ihren politischen Parteien regiert wer- oder gar den Landeskultusminister des betreffen- den? Es ist doch wirklich ein schäbiges Spiel — das den Landes, was er gegen eine solche Überschrei- ich von meiner Seite nicht fortsetzen möchte —, tung der verfassungsmäßigen Kompetenzen durch diese Fragen nicht in staatspolitischer Verantwor- den Bundesinnenminister sagen würde. tung anzugehen, sondern sie zu parteipolitischen (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Zwecken zu mißbrauchen. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Probieren Sie es Zweitens zur zivilen Verteidigung. Auch hier muß doch einmal in München, Herr Maihofer! — ich zu Ihren Ausführungen, Herr Dregger, sagen, Konrad [SPD] : Riedl als Agent provocateur!) daß Sie zwar beim Schutzraumbau in der Tat ein Wenn Sie, Herr Dregger, die Bundesregierung aktuelles Problem treffen — das ist gar nicht zu be- bei der Terrorismusbekämpfung — so etwa haben streiten —, das auch die Bundesregierung gegen- Sie das ja mit dürren Worten gesagt — gar der wärtig beschäftigt. Aber Sie geben doch ein völlig Schlappheit bezichtigen, dann kann ich nur ver- schiefes Bild der Lage. muten, daß Sie nicht wissen, wovon Sie reden. (Widerspruch des Abg. Dr. Miltner [CDU/ (Beifall bei der FDP und der SPD) CSU]) Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2695 Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer Die Bundesregierung ist sich sehr wohl bewußt, daß Dr. Dr. h. c. Maihofer, Bundesminister des Innern: die Glaubwürdigkeit der Gesamtverteidigung der Auf den Sparhaushalt im letzten Jahr komme ich Bundesrepublik, auf die ja auch Sie abheben, ent- gleich. scheidend mit vom Stande der zivilen Verteidigung (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Was sollen denn abhängt. Wer hat denn neulich im Verteidigungs- dann diese Zahlen? Sand in die Augen der ausschuß des Bundestages eine Zivilverteidigungs- Leute streuen, also täuschen!) konzeption genau unter diesen politischen Prämis- sen vorgetragen? Doch ein Vertreter unseres Hauses! Dennoch stimmt insgesamt Ihre Behauptung so ein- fach nicht. Uns allen ist klar, daß auch der Katastro- (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Das weiß phenschutz — wie alle Staatsausgaben — in die er nicht!) Schere zwischen sachlichen Notwendigkeiten und haushaltsmäßigen Möglichkeiten geraten ist. Des- Die sozialliberale Koalition — nur um hier keine halb hat ja die Bundesregierung bereits während der Geschichtsklitterung stehenzulassen — hat seit 1969 letzten Legislaturperiode — daran darf ich auch Sie, erhebliche Bemühungen unternommen, um der von Herr Kollege Dregger, erinnern — in zwei Berichten mir soeben genannten Tatsache Rechnung zu tragen. an den Innenausschuß des Deutschen Bundestages (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Was? Das Gegen alle diese akuten Probleme offengelegt und Vor- teil ist der Fall!) schläge zu ihrer Lösung gemacht. (Dr. Dregger [CDU/CSU] : Nicht mal eine — Offenbar kennen Sie die Zahlen nicht, Herr Vorlage ans Parlament!) Miltner. — Da nützt doch keine Vorlage ans Parlament. (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Sie haben den Zivilschutz in diesem Land zu einem Skan Wir haben genauso — das wissen Sie —, entspre- dal werden lassen!) chend unserer Ankündigung, seit April in der Tat eine vollständige Neukonzeption der Zivilverteidi- In den Jahren von 1969 bis 1977 wurden für die gung und des Katastrophenschutzes in die mühselige Zivilverteidigung insgesamt 4 716 Millionen DM — Abstimmung mit den Ressorts und Organisationen einschließlich 46 Millionen DM aus Konjunktur- und in Bund und Ländern gebracht, die hier zu beteiligen Zukunftsinvestitionsprogrammen — in den Haushal- sind, und wir werden diese Konzeption dem Kabi- ten veranschlagt. Die Mittel für den Katastrophen- nett schon in seiner nächsten Sitzung vorlegen. schutz wurden dabei kontinuierlich aufgestockt; (Beifall bei der SPD und der FDP) von rund 93 Millionen DM im Jahre 1969 — so haben wir die Dinge in der Zivilverteidigung vor- Deshalb rennen Sie, Herr Dregger, bei uns offene gefunden — auf jetzt 168 Millionen DM, also um Türen ein mit Ihren Forderungen, die sich ja weit- fast 80 °/o bis zum Jahre 1977. hin mit dem decken, was wir dem Innenausschuß vorgetragen haben. (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Das ist doch ein - schiefes Bild! Geben Sie Verhältniszahlen Wie kommt man überhaupt aus dieser Schere an!) heraus? Dazu haben auch Sie hier keinen Vorschlag vorgetragen. Wir meinen, daß wir zu einer ganz — Ich gebe sie ja an: 80 %ige Steigerung allein anderen Konzentration der Bundesleistungen im per- beim Katastrophenschutzetat in diesen wenigen sonellen wie im materiellen Bereich und zugleich zu Jahren der Regierungszeit der sozialliberalen Koali- einer besseren Abgrenzung, aber auch Verzahnung tion. zwischen Bund und Ländern kommen müssen: des (Konrad [SPD] : Und das Technische Hilfs friedensmäßigen Katastrophenschutzes, der von den werk ist der am besten ausgerüstete Ver Ländern zu gewährleisten ist, auf der einen Seite band!) und des Katastrophenschutzes im Verteidigungsfall, der Sache des Bundes ist, auf der anderen Seite, um alle hier gegenwärtig bestehenden Doppelanschaf- Vizepräsident Stücklen: Herr Bundesminister, ge- fungen und auch Doppelarbeiten abzubauen. Hier statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten liegen, wie die eben erwähnten Vorschläge zeigen Gerlach? werden, ganz erhebliche Rationalisierungschancen im Katastrophenschutz, die wir schon in wenigen Monaten in die Tat umsetzen werden. Dr. Dr. h. c. Maihofer, Bundesminister des Innern: Warum nicht? Aber — auch vor dieser Frage möchte ich mich nicht drücken — das zentrale Problem des gegen- wärtigen Standes der Zivilverteidigung liegt im Schutzraumbau. Wenn die Opposition heute ver- Gerlach (Obernau) (CDU/CSU) : Herr Bundesmini- ster, würden Sie mir zugeben, daß die von Ihnen sucht, dieses Schutzraumbaudefizit der Regierung genannten absoluten Zahlen ein schiefes Bild geben, anzulasten, verschweigt sie dabei nicht nur, daß die daß man die Zahlen vielmehr in Relation zu der Regierung seit 1969 immerhin insgesamt 363 Millio- Steigerung des Haushalts sehen muß und daß die nen allein für Schutzraumbau ausgegeben hat, son- zivile Verteidigung dann katastrophal abschneidet, dern auch, daß die entscheidenden Versäumnisse — wie Sie selber in einem Bericht an den Innenaus- und das wissen Sie offenbar nicht, Herr Miltner — schuß zugeben mußten? (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Doch!) 2696 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer schon sehr viel früher zu suchen sind. Schon die habe ich doch auch mehrfach im Innenausschuß ge- Schutzbauvorschriften des ersten Gesetzes über sagt — nicht unseren Vorstellungen entspricht. Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung vom (Dr. Klein [Göttingen] [CDU/CSU] : Und was 9. Oktober 1957 wurden durch dessen § 39 gleich- sagen Sie dann zu Herrn Pawelczyk?) zeitig ausgesetzt. Das Schutzbaugesetz vom 9. Sep- tember 1965 trat mit seinen wichtigsten Teilen, u. a. Aber Sie wissen doch ganz genau, daß dies Mil- der Schutzbaupflicht, ebenfalls gar nicht erst in lionen, ja, wenn Sie es genau nehmen wollen, auf Kraft. längere Frist Milliarden an Investitionen voraus- (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Das setzt, für die wir gemeinsam überhaupt erst die stimmt alles, aber warum haben Sie nicht haushaltsrechtlichen Voraussetzungen schaffen müs- einen Gesetzentwurf eingebracht? — Wei sen, und das gilt für Sie genauso wie für uns. tere Zurufe von der CDU/CSU) Das ist es ja, was ich zurückgeben muß: Sie ha- — Aber schauen Sie, ein solches über viele Jahre, ben in dieser Sache überhaupt kein Recht, uns hier ja Jahrzehnte entstandenes Schutzraumdefizit kön- heute Vorwürfe zu machen. nen Sie doch nicht in wenigen Jahren aufholen. (Beifall bei der FDP und der SPD — Zu (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Sie haben es doch rufe von der CDU/CSU) seit 1969 noch verschlechtert! Das wissen Sie haben in der Zeit, in der es wirklich Haushalts- Sie doch!) möglichkeiten in jedem Umfange gegeben hätte, — Das stimmt ja überhaupt nicht! diese Investitionen zu tätigen, (Dr. Miltner [CDU/CSU]: Jawohl!) (Zuruf von der CDU/CSU: Z. B. 1970!) wirklich auch das Minimum für solche Schutzraum- Wir haben, wie Sie genau wissen, heute für etwa bau-Investitionen versäumt. 10 % unserer Bevölkerung Schutzplätze und Schutz- möglichkeiten, und Sie wissen ganz genau, daß auch (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Im großen Auf wir diesen Anteil ganz und gar nicht für genügend stieg 1970 haben Sie es immer noch her halten. untergehen lassen!) (Dr. Miltner [CDU/CSU] : Es gab doch im Mir ist diese Sache der Zivilverteidigung zu ernst, letzten Jahr gar keine Anträge mehr!) um sie hier zum Gegenstand parteipolitischer Pro- filierungsversuche zu machen. Vizepräsident Stücklen: Herr Bundesminister, ge- (Beifall bei der FDP und der SPD) statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ich meine, Sie sollten, wenn Sie das genauso drän- Dr. Riedl? gend sehen wie wir — und das tun Sie ja offenbar —, alles tun, um uns in Bund und Ländern — denn ohne Dr. Dr. h. c. Maihofer, Bundesminister des Innern: die geht es auch hier nicht — dabei zu unterstützen, Bitte, aber ich würde dann wegen der Zeit unsere Zivilverteidigung und unseren Katastrophen- gerne — — - schutz effektiver zu organisieren und finanziell bes- (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Ich mache ser zu dotieren, als es heute der Fall ist. es ganz kurz!) Drittens: öffentlicher Dienst. Nun komme ich zu Ihnen, Herr Riedl. Sie haben behauptet, bei der Re- Vizepräsident Stücklen: Herr Bundesminister, je- form des öffentlichen Dienstes ,sei ich bei bloßem der Redner hat das Recht, eine Frage abzulehnen. Reformgerede stehengeblieben. (Zuruf von der CDU/CSU: Nicht nur da!) Bundesminister des Innern: Dr. Dr. h. c. Maihofer, So habe ich Sie verstanden. Sie haben es dabei sogar Die Frage von Herrn Dr. Riedl will ich gern be- unternommen — ich habe darüber gestaunt —, mir antworten, aber dann möchte ich vorankommen, um in diesem Zusammenhang auch noch die Kosten der die Zeit nicht noch länger in Anspruch zu nehmen. Studienkommission aus dem Jahre 1972 anzulasten. So kann man wirklich nicht miteinander reden. Sie Vizepräsident Stücklen: Ich bitte das Haus, das zur wissen ganz genau, daß nach der Vorlage des Ak- Kenntnis zu nehmen. — Bitte! tionsprogramms seit dem vergangenen Jahr außeror- dentliche Anstrengungen in unserem Hause im Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) : Herr Bundesmi- Gange sind, um in dieser Legislaturperiode Schritt nister, sind Sie sich darüber im klaren, daß das, was für Schritt zu einer umfassenden Reform des öffent- Sie in dieser Stunde zu diesem Bereich erklären, lichen Dienstes zu gelangen. nahezu total im Gegensatz zu dem steht, was seit Dazu will ich nur einige Stichworte anführen; Sie Jahren in den interministeriellen Arbeitsgruppen können mich zu jedem beim Wort nehmen. zu diesem Thema beklagt wird? (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Das haben Sie vor zwei Jahren schon gesagt!) Dr. Dr. h. c. Maihofer, Bundesminister des Innern: Schauen Sie, das ist doch schon in der Frage eine — Aber nein, sagen Sie doch nichts so Falsches! Wir vollkommen schiefe Sicht. Wir selbst beklagen doch haben Ihnen in den letzten Jahren gesagt, daß wir in mit Ihnen, daß dieser Schutzraumbauanteil — das I der kommenden Legislaturperiode auf der Grund- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2697 Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer lage des Aktionsprogramms zur Reform des öffent- Zur Neuorganisation der Sportpolitik erübrigt sich lichen Dienstes — kein Wort mehr haben wir gesagt meiner Meinung nach jedes weitere Wort. Sehen Sie — schrittweise all die hier vorgesehenen Maßnah- sich doch einmal die Förderungszahlen und auch die men verwirklichen werden. Das bedeutet, daß wir Wettkampfleistungen unserer Spitzensportler an, auf den gesicherten Grundlagen unserer Verfassung die ersichtlich auch auf die Verwirklichung des Lei- vorrangig zu einer Fortentwicklung des Laufbahn- stungssportprogramms der Bundesregierung zu- rechts und der Bezahlungsstruktur sowie zur Ent- rückgehen. wicklung der Instrumente für eine funktions- und (Beifall bei der FDP und der SPD — Zurufe leistungsgerechte Bezahlung und Beförderung kom- von der CDU/CSU) men wollen. Einzelheiten kann ich mir hier wirklich ersparen. Das bedeutet im einzelnen, um nur wenige Schwer- Sprechen Sie doch einmal mit den Fachverbänden, punkte herauszugreifen, um Ihre Neugier zu befrie- und Sie werden zu einer ganz anderen Beurteilung digen, Herr Riedl, daß zur Erfüllung dieser Ziele in der Sportförderung der Bundesregierung kommen. einem ersten Schritt die inzwischen in Angriff ge- So viel ist — ich scheue mich fast, Ihnen das zu nommene Fortentwicklung und Neufassung der Bun- sagen, aber was bleibt mir anderes übrig — für den deslaufbahnverordnung vorgelegt wird, die noch in Sport und für die Sportler von seiten des Bundes diesem Jahr verabschiedet werden soll. Sie liegt noch niemals getan worden wie in diesen Jahren. beschlußreif auf dem Tisch und wird soeben in die (Beifall bei der FDP und der SPD) Ressortabstimmungen eingebracht. Diese enthält eine grundlegende Änderung der Laufbahnvorschrif- Damit werden wir nach den kräftigen Haushalts- ten, Neuordnung der Bildungsabschlüsse, Einfüh- steigerungen dieses Jahres im künftigen noch kräf- rung der Fachhochschulausbildung für den gehobe- tiger fortfahren. nen Dienst, Verbesserung der Ausbildung für den Noch ein letztes Wort zur Nationalstiftung. Über mittleren Dienst. Das meint noch grundsätzlicher: sie ist nun wirklich noch nicht das letzte Wort ge- weiterentwickelte Aufstiegsverfahren, Verbesse- sprochen. Wenn es mit ihr trotz unablässiger Be- rung der Durchlässigkeit im Laufbahnsystem, womit mühungen von seiten des Bundes nicht vorangekom- auch der Wettbewerb offener, die Eignungsauswahl men ist, dann deshalb, weil entgegen einem früheren mehr an den Anforderungen der Verwendungsbe- Gesprächsstand, nachdem wir vor über einem Jahr reiche orientiert wird. Das gleiche Ziel wird mit nahezu einig über die gleichgewichtige Besetzung verbesserten Auswahlkriterien und Eignungsnach- der Stiftungsorgane durch Bund und Länder waren, weisen für die Übertragung von Dienstposten und seit dem vergangenen Jahr die Länder plötzlich auf Beförderungen angestrebt. einer Mehrheit im Stiftungsrat bestehen, was für uns vollständig unannehmbar ist, weil es dem gesamt- Das bedeutet in einem zweiten Schritt die Einfüh- staatlichen Auftrag einer solchen Nationalstiftung rung eines leistungsfähigeren Laufbahnsystems, wie schlechterdings widersprechen würde. sie mit einem dritten Beamtenrechtsänderungsgesetz noch in dieser Legislaturperiode erfolgen soll. Mit - (Beifall bei der FDP und der SPD) der Erarbeitung einer Problemstudie ist bereits be- Sie können doch mit uns nicht wollen, daß der gonnen. Sie wird, unter Einbeziehung der überschau- Bund bei einer nationalen Kulturstiftung dieses Ran- baren Entwicklung und Berücksichtigung der Ab- ges in die Rolle eines Juniorpartners gedrängt wird, hängigkeiten zwischen Bildungsbereich und Beschäf- wie dies gegenwärtig von den Ländern angestrebt tigungsbereich, einschließlich Arbeitsmarktpolitik wird. die Grundlage für Vorschläge zur Weiterentwicklung (Beifall bei der FDP und der SPD) des Laufbahnsystems abgeben. Dabei sind vorge- Wir haben dennoch die Hoffnung nicht aufgege- sehen — um dies abschließend hervorzuheben — ben, uns am Ende mit den Ländern doch zu einer Neuordnung der Berufszugänge und Berufswege, gemeinsamen Lösung zusammenzufinden, auch in künftige Laufbahngliederung entsprechend der Neu- der Sitzfrage, bei der wir gemeinsam eine Lösung gestaltung der Ausbildung und Neuregelung der finden müssen, die am Ende auch Berlin wirklich Beförderungen usw. nützt und nicht eher schadet und die dem Bundes- Ich begnüge mich mit diesen schon im Innenaus- präsidenten die Übernahme einer echten Organstel- schuß — das wissen Sie sehr wohl, Herr Riedl — lung in dieser nationalen Stiftung ermöglicht. des Bundestages erläuterten, nach gründlichen Vor- (Zuruf von der CDU/CSU: Kann denn der arbeiten der vergangenen Jahre bereits eingeleite- Sitz Berlin Berlin schaden? — Weitere Zu ten Vorhaben der Dienstrechtsreform. Ihre Durch- rufe von der CDU/CSU) führung Schritt für Schritt wird auch hier wie früher schon auf anderen Gebieten, wie etwa dem Gebiet Ich komme zum Schluß. Ich möchte mit einem der inneren Sicherheit, die vorschnellen Voraussa- ausdrücklichen Dank an Sie, Herr Kollege Riedl, für gen der Opposition widerlegen. die Zusage schließen, im nächsten Jahr den Haus- halt des Bundesinnenministers gegebenenfalls wie- Ich komme zum letzten Punkt, zum Thema Kultur. der abzulehnen. Ich werte dies als deutliches Zei- Ich kann mir diese Ausführungen nicht ersparen; Sie chen dafür, daß Sie die CDU/CSU auch im nächsten haben mich so direkt attackiert, Herr Kollege Riedl, Jahr in der Opposition sehen, wo sie auch bleiben daß ich noch um einige Minuten Geduld bitten muß. wird. (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Ich habe (Lebhafter Beifall bei der FDP und der SPD die Geduld!) — Lachen bei der CDU/CSU) 2698 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977

Vizepräsident Stücklen: Weitere Wortmeldungen die der damalige Bundesfinanzminister ohne Billi- liegen nicht vor. gung des Parlaments tätigte. Ich schließe die Aussprache und komme zur Ab- Meine Damen und Herren, heute finden wir auf stimmung über den Einzelplan 06. Wer dem Einzel- der Titelseite der „Frankfurter Allgemeinen Zei- plan 06 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein tung" einen Artikel, in dem gesagt wird, daß die Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltun- Liste der Verfassungsverstöße dieser Regierung all- gen? — Der Einzelplan ist mit Mehrheit angenom- mählich beängstigend lang werde. men. (Beifall bei der CDU/CSU) (Zurufe von der SPD: Mit großer Mehrheit! Der letzte Satz in diesem Artikel lautet: - Heiterkeit) Etwas ist schief im Verhältnis der Koalition Ich komme zur Abstimmung über den Einzel- zur Verfassung. plan 36 — Zivile Verteidigung —. Wer dem Einzel- plan 36 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Stimmenthal- Genau darum geht es. tungen? — Auch dieser Einzelplan ist mit Mehrheit Wer nun gemeint hat, es wäre endlich Schluß mit angenommen. diesen Verfassungsverstößen, der täuscht sich; denn, wenn nicht alles täuscht, so müssen wir er- Ich rufe auf: neut eine Entscheidung des Bundesverfassungs- Einzelplan 07 gerichts herbeiführen, und zwar bei der Wehrpflicht- novelle und auch beim Ausbildungsplatzförderungs- Geschäftsbereich des Bundesministers der Ju- gesetz. stiz - Drucksache 8/497 — Nun könnte man sagen: Na ja, das sind alles Ein- zelfälle. Aber auch dem ist nicht so. Vielmehr sind Berichterstatter: Abgeordneter Westphal diese Einzelfälle der Ausfluß einer einheitlichen Grundhaltung. Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Er verzichtet. Ich eröffne die Aussprache und er- (Dr. Klein [Göttingen] [CDU/CSU] : Sehr teile dem Abgeordneten Dr. Friedmann das Wort. wahr!) Im „Vorwärts", einem den Sozialdemokraten be- kannten Organ vom 2. Juni dieses Jahres steht Dr. Friedmann (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 07 sinngemäß zu lesen, mit jeder Anrufung des Bun- werde der Spielraum des — das ist der Haushalt des Bundesjustizministers — desverfassungsgerichtes umfaßt einen Betrag von knapp 280 Millionen DM. Gerichtes und auch der Spielraum der Politik ein- Gemessen am Volumen des gesamten Etats ist das geengt. relativ wenig. Allerdings müssen wir von der Oppo- (Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Löffler sition sagen: Von den Mitteln für die Öffentlich- [SPD] : Das werden Sie noch merken!) keitsarbeit abgesehen, die nach unserer Überzeu- — Auf diesen Einwurf habe ich gewartet. Ich werde gung von 750 000 auf 600 000 DM gekürzt werden noch fortfahren, Herr Löffler. Vielleicht sind Sie so müssen — darüber wollen wir später noch reden —, nett, anschließend meinen weiteren Gedankengän- haben wir von den rein zahlenmäßigen Ansätzen gen zu folgen. her nichts gegen diesen Haushalt einzuwenden. Zunächst versuche ich noch, den „Vorwärts" (Zuruf des Abg. Löffler [SPD]) sinngemäß zu zitieren. Da steht dann weiter, jede Aber, Herr Kollege Löffler, wie in jedem Haus- Opposition würde der Versuchung unterliegen, ihre halt steht hinter den Zahlen die Politik. Mit dieser Ohnmacht mit Richterurteilen zu bemänteln. An die Politik, Herr Justizminister, haben wir uns hier zu Stelle der politischen Alternative würde der Prozeß befassen. Während der Debatte zum Haushalt, ins- treten. So der „Vorwärts". besondere während der Debatte des gestrigen Ta- Am 27. Mai finden wir im Pressedienst der SPD ges, sind wiederholt die Verfassungsverstöße die- einen Aufsatz des Kollegen Dr. Weber von der ser Bundesregierung angesprochen worden, auch die SPD, in dem ausdrücklich darauf hingewiesen wird, Verfassungsverstöße der vorausgegangenen Bundes- daß er früher dem Verfassungsgerichtshof des Lan- regierung, die auch von einer SPD/ FDP-Koalition ge- des Nordrhein-Westfalen angehörte. In diesem Ar- tragen wurde. Ich brauche diese Verstöße im einzel- tikel beklagt Herr Kollege Weber, daß durch die nen nicht mehr auszuführen; denn das Urteil des Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die auf Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1972 zum Grund der Anrufungen der Opposition zustande Wiedervereinigungsgebot bei der Ostpolitik ist kämen, dieses Gericht immer mehr Entscheidungen ebenso in aller Munde wie die Entscheidung des an Stelle des Gesetzgebers und an Stelle der Re- Bundesverfassungsgerichts zur Fristenlösung bei der gierung treffen müsse. Er beklagt diesen Zustand Abtreibung. Das Urteil des Bundesverfassungs- verständlicherweise und kommt dann zu dem Resü- gerichts vom Anfang diesen Jahres, als es um die mee, daß sich eine Opposition damit ja selbst ent- zweckentfremdete Verwendung von Steuermitteln machte. So weit, so gut. für Propagandazwecke ging, ist ebenso in aller Munde wie die Entscheidung des Bundesverfas- Nun aber muß ich Sie, meine Damen und Herren sungsgerichts zu den überplanmäßigen Ausgaben, von der Koalition, einmal fragen: Um was geht es Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2699

Dr. Friedmann denn hier eigentlich? Es geht doch einfach darum, Sie waren drauf und dran, das Recht der Schwan- daß das oberste Gericht auf die Verfassung verweist. geren auf Selbstbestimmung dem Recht auf Leben Wenn Sie immer wieder sagen, wir hätten keine gegenüber dem ungeborenen Leben vorzuziehen. Sie Alternativen, dann muß ich Ihnen hier entgegen- waren damals drauf und dran, die Entscheidung halten: ganz im Gegenteil. Ihrer Politik der Ver- über werdendes Leben der Politik anheimzustellen, fassungsverstöße setzen wir eine Politik des ver- obwohl es doch gerade Aufgabe der Politik ist, ein fassungsgemäßen Handelns entgegen. Zusammenleben zwischen dem Gemeinschaftsbezo- gensein des einzelnen und der Schutzbedürftigkeit (Beifall bei der CDU/CSU) anderer zu ermöglichen. Unsere Alternative ist dieses verfassungsgemäße (Beifall bei der CDU/CSU) Handeln. Auch das neue Ehe - und Familienrecht, das jetzt Auf der Suche nach dem Schuldigen, der diese zum 1. Juli in Kraft tritt, war ein Angriff auf unsere Politik zu vertreten hat, kommen wir nicht am Familien. Bundesjustizminister vorbei. Nach der Geschäfts- ordnung der Bundesregierung sind sämtliche Vor- (Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch lagen von bestimmter Bedeutung, darunter auch bei der SPD) solche mit finanziellen Auswirkungen, dem Kabinett Wenn die Fassung so in Kraft getreten wäre, wie zuzuleiten, damit dieses beraten und beschließen es damals beabsichtigt war, wäre es noch schlimmer kann. In den Vorbemerkungen zum Einzelplan 07 gekommen, als es jetzt ohnehin kommt, nachdem — das ist der erklärte Wille des Gesetzgebers — die größten Schärfen im Vermittlungsausschuß durch steht ausdrücklich geschrieben, Herr Bundesjustiz- Politiker der CDU/CSU genommen worden sind. minister, daß Sie gemeinsam mit dem Bundesmini- ster des Innern die Verantwortung für die Verfas- (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD] : Informie sungsmäßigkeit tragen. ren Sie sich doch erst einmal!) Gerade jetzt bekommen wir in unseren Wahlkreisen (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) zu spüren, was es heißt, wenn der wirtschaftlich Sie haben bei allen Gesetzes- und Verordnungsvor- Schwächere genau diese Nachteile zu spüren be- lagen die Rechtsförmlichkeit zu prüfen. Das heißt kommt, doch schlicht und einfach, Herr Bundesjustizmini- (Zuruf des Abg. Kleinert [FDP]) ster, Sie haben Ihre Pflicht als Justitiar der Bundes- die daraus entstehen, Herr Kollege, daß das Recht regierung nicht erfüllt. des Scheidungswilligen das Recht des Scheidungs- (Beifall bei der CDU/CSU) unwilligen überlagert und daß damit dem Schei- dungsunwilligen Nachteile zugefügt werden. Es war Ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit, (Zuruf von der SPD: Sie müssen doch über in Ausübung dieser gesetzlichen Bestimmungen zu sich selbst lachen! — Weitere Zurufe von handeln. Sie können sich nicht damit herausreden, - der SPD — Dr. Kohl [CDU/CSU] : Nur ruhig daß ein Teil der Verstöße ja gar nicht gesetzlich be- Blut!) gründet gewesen sei. Denn auch die Vorlage mit finanziellen Auswirkungen bekamen Sie als Kabi- Einen dritten Punkt möchte ich hinzufügen. Auch nettsvorlage. Da hatten Sie rechtzeitig Ihr Veto das neue elterliche Sorgerecht, das zur Zeit in den innerhalb des Kabinetts einzulegen. Genau das aber Ausschüssen beraten wird, wird in die Intimität und ist nicht geschehen. Sie können sich auch nicht darauf Integrität unserer Familien eingreifen. berufen, daß ein Teil der Gesetzesverstöße von An- (Beifall bei der CDU/CSU) fang an noch bei Ihrem Vorgänger lag. Lassen Sie mich noch einen vierten Punkt heran- Sie haben für die Kontinuität des Handelns in ziehen. Der Herr Bundesinnenminister sprach vorhin Ihrem Hause zu sorgen, ganz zu schweigen davon, über die innere Sicherheit. Herr Justizminister! Zur daß weitere Verfassungsverstöße, die sich gerade inneren Sicherheit gehört ja auch die Diskussion zum abzeichnen, ja in Ihre Amtszeit, Herr Minister, fal- Beispiel über die Verteidigerüberwachung. Ich len. Damit sind Sie, Herr Justizminister, mitverant- erinnere daran: Ursprünglich waren Sie dafür, dann wortlich für die Verstöße gegen die Verfassung in waren Sie dagegen, dann waren Sie wieder dafür, den letzten Jahren. und dann blieben Sie dagegen. (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des (Zuruf von der CDU/CSU: Und jetzt?) Abg. Dr. Emmerlich [SPD]) Sie haben Ihre Meinung geändert, mehr, als Ihrer Aber nicht nur diese konkreten Verstöße, sondern Reputation dienlich war. die gesamte Rechtsreformpolitik der letzten Jahre (Beifall bei der CDU/CSU) hat Grundwerte unseres menschlichen Zusammen- lebens erschüttert und ausgehöhlt. Ich erinnere nur All dies sind Erscheinungen, die wir in Verbindung an die sogenannte Fristenlösung bei § 218. Damals mit Ihrer Rechtspolitik nicht billigen können. waren die Regierung und die sie tragende Koalition Herr Justizminister! Wir von der Opposition ha- drauf und dran, dem werdenden Leben den Schutz ben Ihnen zusammenfassend vorzuwerfen: Sie ha- zu entziehen, obwohl ein solches Schutzrecht in der ben Ihre Pflicht als Justitiar der Regierung nicht er- Verfassung postuliert wird. füllt und haben nicht verhindert, daß es zu den Ver- (Beifall bei der CDU/CSU) fassungsverstößen kam. Ihre Rechtspolitik hat an 2700 Deutscher Bundestag — 8, Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Dr. Friedmann Grundfesten unseres menschlichen Zusammenlebens hätten mit der Fristenregelung beinahe den Schutz gerüttelt. Wir haben nicht den Eindruck, daß es zu des werdenden Lebens aufgegeben, dann sage ich einer Wendung zum Besseren kommt. Deshalb, Herr zu Herrn Friedmann: Unterhalten Sie sich bitte mit Justizminister und meine Damen und Herren von Ihrer verehrten Frau Fraktionskollegin Lieselotte der Koalition, lehnen wir den Einzelplan 07 ab. Berger darüber, wie man als Anhänger der Fristen- (Beifall bei der CDU/CSU — Haase [Kas regelung gleichzeitig ein angesehenes Mitglied der sel] [CDU/CSU] : Jungfernrede!) CDU/CSU-Fraktion sein kann.

Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat Herr Ab- Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter, ge- geordneter Dürr. — Kollege Haase, dies festzustel- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten len ist hier nicht mehr üblich. Erhard?

Dürr (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und Dürr (SPD) : Bitte, Herr Kollege Erhard. Herren! Haushaltsdebatten sind keine gedrängte parlamentarische Jahresübersicht, in der sich Wie- (Bad Schwalbach) (CDU/CSU) : Herr Kol- derholungen notwendig ergeben. Deshalb möchte Erhard lege Dürr, wollen Sie mit Ihrer Erwähnung des Ver- ich, weil ich das Wort in einer Zeit erhalte, wo der hältnisses von 3 : 5 zum Ausdruck bringen, daß das, Etat des Justizministers eigentlich schon seit acht was der noch im Amt befindliche Bundesinnenmini- Minuten fertig debattiert sein sollte, mich möglichst ster gesagt hat, nämlich die Selbstbestimmung der kurz fassen und nur auf wenige Punkte eingehen. Frau sei in bestimmten Fällen vor den Schutz des Herr Kollege Friedmann werdenden Lebens zu stellen — das hat das Verfas- (Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein sungsgericht ausdrücklich verworfen —, wegen der [CDU/CSU] : Hat sehr gut gesprochen!) Mehrheit des Bundesverfassungsgerichts sehr zwei- felhaft sei? gehört zu jenen jungen Abgeordneten, die, wie es uns allen gegangen ist, am Anfang ihrer parlamen- tarischen Tätigkeit mehr Erfahrung in Wahlreden Dürr (SPD) : Nein, ich respektiere ein Urteil, gleich- als in Parlamentsreden haben. Das hat man noch gültig, ob es mit 5 : 3 oder 8 : 0 Stimmen ergangen gemerkt, aber er wird es noch lernen. ist. Ich bitte nur herzlich darum, eine so kompli- (Beifall bei der SPD — Zurufe von der zierte Problematik, mit der wir uns in allen Frak- CDU/CSU) tionen monatelang beschäftigt haben, nicht mit leichter Hand und heißer Nadel zu behandeln, wie Eine Parlamentsrede ist nun einmal keine Fortset- es vorhin gemacht wurde. zung einer Wahlrede vor anderem Publikum. (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Herr (Beifall bei der SPD und der FDP) Kollege Dürr! Das war eine unfeine Bemer Wenn der Herr Kollege Friedmann die Meinung kung!) - vertrat, beim Ehe- und Familienrecht habe die so- Zur Parlamentsrede gehört, daß man sich möglichst zialliberale Koalition einen Angriff auf unsere Fami- bald — dazu hatte Herr Friedmann, das gebe ich lie beabsichtigt, dann möge er bitte sich von denen, ihm zu, bis jetzt wenig Zeit — in die Materie ein- die dabei waren, erklären lassen, daß die Ände- arbeitet. rungen im Vermittlungsausschuß nur ein wenig (Beifall bei der SPD — Zurufe von der über Schönheitsreparaturen hinausgegangen sind CDU/CSU) und die Grundkonzeption des Regierungsentwurfs in wenigen Tagen in Kraft tritt. Wenn er das getan hätte, dann hätte er nicht so tun können, als könne man jedes Bundesverfassungs- Was seine Besorgnis um den Gesetzentwurf über gerichtsurteil ganz wunderbar parteipolitisch aus- die elterliche Sorge angeht, so sei ihm der Besuch schlachten, als wäre das Bundesverfassungsgericht des Rechtsausschusses sehr empfohlen. Hier wird so eine Art Strafgericht für Amtsdelikte, wo man nicht in die Intimität unserer Familien eingegriffen, dann mit „schuldig gesprochen wird", wie es gestern sondern hier wird nur dafür gesorgt, daß Schaden gesagt wurde, und anderen Vokabeln aus dem Straf- von Kindern nach Möglichkeit abgewendet wird, recht argumentieren kann. Wenn man schon Bei- die — ich bringe Ihnen ein Beispiel — nichts davon spiele bringt, so muß man sich darüber im klaren haben, wenn sie krank und noch mehr geprügelt sein, daß man einer Bundesregierung kein Grund- werden, wenn man ihnen sagen kann: Nein, der, vertragsurteil vorwerfen kann, wenn der Grundver- der dich geprügelt hat, war nicht voll verantwort- trag mit diesem Urteil eindeutig für verfassungsge- lich, sondern er war ein Trunksüchtiger oder ein mäß erklärt wurde. Psychopath. Das ist doch — vereinfacht ausgedrückt — der Unterschied, um den es sich bei § 1666 Bei dem Urteil etwa über den § 218 sollte man dreht. Weitere Ausführungen dazu kosteten mehr vielleicht einmal mit der Tatsache bekanntmachen, Zeit. Ich erspare mir weitere Ausführungen, weil daß dieses Urteil mit 5 :3 Stimmen ergangen ist. wir über die elterliche Sorge im Ausschuß ausführ- Man sollte sich überlegen, ob die drei Richter, lich und in zweiter und dritter Lesung im Plenum die dafür gestimmt haben, das gleiche Unwerturteil noch ausführlicher reden werden. verdienen, das Herr Friedmann den Anhängern der Fristenregelung, zu denen ich übrigens gar nicht ge- (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] meldet höre, angedeihen ließ. Wenn er pauschal sagt, wir sich zu einer Zwischenfrage) Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2701

Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter, ge- — Lesen Sie es im Protokoll nach. Da werden Sie statten Sie eine Zwischenfrage? merken, daß ich nicht danebengetappt habe. Hat er nun die Behauptung aufgestellt, die Vorfälle von Dürr (SPD) : Nein, ich möchte mit meiner Zeit aus- Grohnde zeigten, daß die alte Fassung des Land- kommen. friedensbruch-Paragraphen erforderlich sei, oder hat er sie nicht aufgestellt? Er hat! Ein paar Worte zu dem Teil, in dem der Herr Kollege Dregger — oder ich muß besser sagen: der (Zuruf des Abg. Pfeffermann [CDU/CSU]) Partisan Dregger — zur Rechtspolitik Stellung ge- — Melden Sie sich doch zu Wort, wenn Sie Ihre nommen hat. lichtvollen Ausführungen machen wollen! (Dr. Friedmann [CDU/CSU] : Das ist doch Hier zeigt sich: Hätten wir den bis 1969 gelten- nicht zu fassen! „Partisan" sagt der Bursche den Landfriedensbruch-Paragraphen gehabt, dann da vorne! — Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Wir hätte die Polizei dort ein paar am Rand Stehende sind hier doch nicht unter Ganoven! — sozusagen als Trostpreis festnehmen können. Es Weitere erregte Zurufe von der CDU/ wäre aber ein minimaler Trostpreis gewesen. CSU — Unruhe) Das Problem liegt doch darin: Eine Menge von — Augenblick! Nein, Herr Kollege Jenninger, ich Demonstranten, die nicht angemeldet hatte, daß sie liefere Ihnen gleich die Erklärung. Ich bin der Mei- kommt, wo sie hingeht und was sie macht, und die nung, daß dies zu Pfui-Rufen keinen Anlaß gibt. trotzdem gut organisiert war, hat sich hier gewalt- Ich habe „Partisan" in dem Sinn gemeint: Kommt tätig verhalten und eine Riesenmenge von Polizei — genauer gesagt: wird eingeflogen —, gibt ein dagegen erforderlich gemacht. paar Schüsse ab und verschwindet gleich wieder. Und wenn Sie auch daran denken, daß es mehr (Heiterkeit bei der SPD und der FDP — Zu als einen einzigen Polizisten erfordert, aus einer ruf von der CDU/CSU: Das ist aber nur die gewalttätigen Menge heraus einen zu greifen, zu eine Seite eines Partisanen!) verhaften und den Strampelnden und sich Wehren- Dieser Vergleich ist bei dem Herrn Kollegen Dreg- den wegzuschaffen und in Gewahrsam zu bringen, ger durchaus zulässig. dann sehen Sie, daß die Schwierigkeit im Kräftever- Sehen Sie: Er hat sich hier parteipolitisch aus- hältnis zwischen Gewalttätern und Polizei liegt und münzend zu den Problemen geäußert, die wir mit daß bei dem Stärkeverhältnis bei den Vorfällen von der Reform der strafrechtlichen Großverfahren ha- Grohnde die Verbesserung nicht von der Entschei- ben. Diese Probleme bestehen nicht erst seit dem dung der Frage, ob die alte oder die neue Fassung Stammheimer Prozeß. Sie bestehen seit dem Ausch- des Landfriedensbruch-Paragraphen vorzuziehen sei, witz-Prozeß und seit soundso vielen Verfahren kommen dann, sondern daß wir gegen solche Ge- gegen Wirtschaftskriminelle. Wir Rechtspolitiker walttätigkeiten, die keine Demonstrationen mehr aller Fraktionen sind bemüht, hier in aller Sach- sind, gemeinsam nach Lösungen suchen müssen, die lichkeit Abhilfe zu schaffen. - eben nicht in der Richtung liegen, ob der § 125 a, (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Mit Aus wie Sie ihn vorgeschlagen haben, den Vorzug ver- nahme von Ihnen!) dient. (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Resigna Wir werden es in der zweiten Hälfte dieses Jahres tion!) tun. Dazu empfehle ich Herrn Dregger den Besuch des Rechtsausschusses. Diesen Besuch kann er sicher In einem Punkt bin ich mit Herrn Dregger einig. nicht mit der Behauptung ablehnen, er müsse im Er sagte, es sei ein glücklicher Umstand gewesen, Innenausschuß sein. Denn auch dort hat man ihn daß im Zeitpunkt der Vorfälle von Grohnde nicht nur einmal gesehen. auch andere Anforderungen an die Polizei vorge- Herr Kollege Dregger hat die Behauptung aufge- legen hätten. Das ist die Situation, in der wir uns stellt, die Vorfälle in Grohnde wären nicht passiert, befinden. Ich gebe Ihnen zu überlegen: Wieviel Poli- wenn der Landfriedensbruch-Paragraph aus der Zeit zei und Bundesgrenzschutz aus allen Bundesländern vor 1969 gegolten hätte. Diese Behauptung ist grund- hätten wird in die Gegend von Grohnde schicken falsch. Die Vorführung des Grohnde-Films im In- müssen, um auf der Autobahn von Hamburg her nenausschuß und im Rechtsausschuß hat das deut- bei der Raststätte Alstertal die Omnibusse und Last- lich gezeigt. wagen abzufangen und dafür zu sorgen, daß sie die Krähenfüße, Brechanker usw. nicht nach Grohnde (Pfeffermann [CDU/CSU] : Er kann nicht zu bringen konnten! hören! So ist es doch nicht formuliert wor den! Haben Sie denn keine Ohren, so daß Hier auf dem Gebiet, also im Bereich der Strafver- Sie nicht hören können?) folgung und der Polizei, liegt das Problem weniger in der Frage der Strafgesetzbuchparagraphen, insbe- — Nein. Aber erstens habe ich eine rechte Hand sondere über den Landfriedensbruch. zum Mitschreiben, und zweitens können Sie und ich das Protokoll nachlesen. Im übrigen sehen Sie meine (Zurufe von der CDU/CSU) Ohren, Herr Pfeffermann, auf zehn Meter Entfer- — Haben Sie nicht mehrmals das Wort „Rechts- nung. politik" aus dem Munde Ihres Fraktionskollegen (Pfeffermann [CDU/CSU] : Aber ob Sie de Dregger gehört, und meinen Sie, auf seine Ausfüh- nen trauen können? — Heiterkeit bei der rungen zur Rechtspolitik dürfte nur im Rahmen des CDU/CSU) Einzelplans 06 erwidert werden? 2702 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Dürr Noch eines zu Herrn Dregger! Sein Stil muß Kampfbereitschaft sehe, kann ich mir ungefähr einen, der es mit unserer Demokratie und mit unse- vorstellen, was uns noch bevorsteht. rer Jugend ernst meint, mit Sorge erfüllen. (Heiterkeit) (Lachen bei der CDU/CSU) Herr Abgeordneter, ge- Ich hatte Anlaß, im Jahr 1974 Herrn Dregger einmal Vizepräsident Stücklen: statten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin? zu sagen, daß sein Stil, seine Redeweise, seine Art, mit Andersdenkenden umzugehen, nur mit dem Satz „Schlag nach bei Alfred Hugenberg" bezeichnet wer- Frau Dr. Däubler-Gmelin (SPD) : Herr Kollege den könne. Eyrich, sind Sie nicht der Meinung, wir sollten mit einer Bewertung noch ein paar Monate warten, be- (Zuruf des Abg. Dr. Eyrich [CDU/CSU]) vor wir so schnell urteilen, wie Sie es jetzt wollen? Ich habe nach seiner heutigen Rede Anlaß, dies zu Und sind Sie nicht weiterhin der Meinung, daß es wiederholen. uns sehr leichtfallen würde, hier abzuwägen, daß die Fälle, die in Zukunft noch ungerecht behandelt wer- Herr Kollege Eyrich, Sie erinnern sich, daß wir in den müssen, viel seltener sind als das, was wir bis- diesem Frühjahr schon einmal über Terrorismus de- her an Unrecht erlitten haben? battiert haben. Sie erinnern sich, daß ich damals die Frage erörtert habe: Wie kann sich unsere Bevölke- rung, wie können sich insbesondere die jungen Dr. Eyrich (CDU/CSU) : Liebe Frau Kollegin, indem Menschen mit diesem Staat identifizieren? Aus dieser Sie diese Feststellung treffen, räumen Sie ein, daß Sorge heraus sage ich Ihnen: in der Art, wie Herr der Gesetzgeber ein Gesetz erlassen hat, bei dem er Dregger hart und auch selbstgerecht mit anderen um- von vornherein ungerechte Fälle mit in Kauf nimmt. geht, macht er jungen Menschen diese Identifikation Nun weiß ich auch, daß es kein einziges Gesetz gibt, so schwer möglich, daß ich hoffe, er möge nie amt- das nicht auf dem einen oder anderen Sektor für den lich da drüben auf der Regierungsbank sitzen. einen oder anderen auch Folgen hat, die von ihm nicht gerne getragen werden. Aber eines lassen Sie (Beifall bei der SPD und der FDP) mich sagen. Wenn Sie draußen herumhören und wenn der einfache Bürger, von dem Sie ja immer gesprochen haben, einem sagt, daß er es nicht für Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat Herr Abge- ordneter Eyrich. richtig hält, daß Verschulden oder das, was man dem anderen angetan hat, nun überhaupt nichts mehr, gar nichts mehr bedeuten soll, dann machen Dr. Eyrich (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr Sie dem das schwer begreiflich. Noch nicht einmal verehrten Damen und Herren! Es mag mitunter das wäre das Schlimmste, weil es die Frage des passieren, daß Kollegen, die wir sonst geschätzt Zerrüttungsprinzips und des Verschuldensprinzips haben, weil sie in der Lage waren, sachliche Bei- betrifft. Aber wenn Sie daran Rechtsfolgen für den- träge zu liefern, durch die Rede eines jungen Kolle- - jenigen, der Unrecht erleidet, anschließen, dann gen offenbar so durcheinandergebracht und ins Mark wird die Sache ein bißchen schwierig, wenn Sie getroffen worden sind, daß sie hier — — nicht eine Klausel haben, die dieses Unrecht verhin- dert. (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von (Abg. Frau Dr. Däubler-Gmelin meldet sich der SPD) zu einer Zwischenfrage) — Ja, lieber Herr Schwabe, auch Ihnen bleibt diese Feststellung nicht erspart. Das, was der Kollege — Frau Kollegin, ich glaube, Sie haben nachher Friedmann hier gesagt hat, waren die Grundpro- noch genügend Gelegenheit — — bleme über Jahre in diesem Haus. Es ist doch ganz einfach die Wahrheit, daß das Bundesverfassungs- Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter Eyrich, gericht ein von Ihnen durchgepeitschtes Gesetz hat ich mache darauf aufmerksam, daß vereinbart ist, korregieren und zurückweisen müssen. die Fragen nicht zusätzlich als Bonus über die Rede- (Beifall bei der CDU/CSU) zeit hinaus zu gewähren. Das ist doch nun schlicht und einfach die Wahrheit. Dr. Eyrich (CDU/CSU) : Das ist ein Grund mehr, Es wird doch auch niemand, auch nicht diejenigen Herr Präsident, keine Fragen mehr zuzulassen. — ich komme Ihnen entgegen, Frau Kollegin —, die im Vermittlungsausschuß für dieses Eherechtsgesetz Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich gestimmt haben, bestreiten wollen, daß wir nach dem glaube, nach diesem leichten Geplänkel — man muß 1. Juli 1977 einige Fälle in unserem Lande haben sich auch ein bißchen hereinreden, Frau Kollegin — werden, die ungleich ungerechter entschieden wer- sollten wir eines feststellen. Wir haben in der den müssen als die, die auf Grund des alten Ge- Rechtspolitik in der vergangenen Legislaturperiode setzes bisher entschieden werden mußten. nun tatsächlich eine stürmische Periode mitgemacht. Wer geglaubt hat, er könne diese Rechtspolitik an (Beifall bei der CDU/CSU — Kleinert [FDP]: der Quantität der Gesetze beurteilen und messen, Das Gegenteil ist der Fall!) der müßte sagen: Es war eine gute Periode. Aber — Lieber Herr Kleinert, Sie haben nachher die Mög die Quantität steht oftmals gerade im umgekehrten lichkeit, das alles zurechtzurücken. Wenn ich Sie in Verhältnis zur Qualität. Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2703

Dr. Eyrich Das läßt mich nun zu folgender Feststellung kom- Sie reden so gerne vom Schutz des Schwächeren. men. Es ist ein Grundanliegen, Herr Minister, daß Meine Damen und Herren von der Koalition, der wir das einmal miteinander besprechen. Es geht um Schutz des Schwächeren darf aber nicht nur beim die Frage der Inkonsequenz dieser Bundesregierung Verbraucherschutz, beim Mietwucher oder bei der bei der Vorlage von Gesetzentwürfen, bei der Be- Wirtschaftskriminalität eine Rolle spielen. Niemand handlung von Tatbeständen, um die wir uns ge- in diesem Haus will die Auswüchse auf diesen Ge- meinsam mühen. Ich meine, die Rechtspolitik der bieten, die ich eben genannt habe, verharmlosen, vergangenen Legilaturperiode wird durch etwas niemand den Schutz des Betroffenen mindern und gekennzeichnet. Die breite Basis, von der aus nur schon gar nicht bestreiten, daß rechtliche Sanktionen — das ist meine Überzeugung — eine gute Rechts- ein Mittel zum Schutze der angesprochenen Perso- politik getrieben werden kann, wurde oftmals und nenkreise sind. Der Schutz des Schwächeren auf die- leider zu oft einer einseitig betrachtenden ideologi- sen Gebieten ist in der Tat eine wichtige Aufgabe schen Richtschnur wegen aufgegeben. Ideologie, des Gesetzgebers. Wir haben Sie auf diesen Ge- meine Damen und Herren, ist nirgends gefährlicher bieten nicht nur tatkräftig unterstützt, sondern sind als auf dem Gebiet des Rechts; denn das Recht lie- Ihnen auch in der Opposition, z. B. auf dem Gebiete fert das Muster, nachdem sich unsere menschliche des Verbraucherschutzes, mit gutem Beispiel voran- Gemeinschaft vollzieht. Nicht ohne Grund haben gegangen. wir unseren ersten rechtspolitischen Kongreß unter (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD] : Daß ich das Motto gestellt: Das Recht sichert die Freiheit. nicht lache!) Auch heute ist diese Frage wieder aufgetaucht. Las- sen Sie mich einmal sagen: Die Funktion des Rechts — Sicher, das werden Sie nicht bestreiten können. ist die Gewährleistung des Rechtsfriedens, der ohne Sie sind Mitglied des Rechtsausschusses, haben un- Freiheit nicht möglich ist. sere Initiativen miterlebt. Sie werden nicht bestrei- ten können, daß wir das getan haben. Liebe Frau (Beifall bei der CDU/CSU) Kollegin, es ist aber gut, daß Sie diesen Zwischen- ruf machen. Herr Bundesinnenminister, bei allen Diskussionen bleibt mir die Frage nicht erspart: Gehen Sie und Wir dürfen darüber jedoch nicht vergessen — manche Ihrer Freunde nicht von einer falschen Vor- jetzt kommen wir zu einem anderen Problem, das aussetzung aus, wenn Sie „Freiheit oder Sicherheit" Sie vielleicht mit weniger Aufmerksamkeit verfol- sagen? Gehen Sie nicht von einer völlig falschen gen —, daß der Bürger nicht nur den Schutz für sein Voraussetzung aus, wenn Sie sagen: „In dubio pro Portemonnaie sucht, sondern daß ihm ein Leben in libertate" ? Die Sicherheit ist ein Bestandteil der Sicherheit, Schutz vor Terrorismus, Gewaltkrimina- Freiheit. Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit des lität und Gewalttätigkeit mindestens ebenso wichtig anderen. ist. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU)

Wir wissen doch in der Zwischenzeit, daß der Frei- - Diesen Schutz — den Vorwurf müssen sich die Bun- heitsraum des einen dort endet, wo der Freiheits- desregierung und auch Sie von der Koalition gefal- raum des anderen beginnt. Das ist etwas so Selbst- len lassen — haben Sie dem Bürger bis heute nicht verständliches, daß wir uns doch nicht die Frage in ausreichendem Maße zu geben vermocht. Sie ha- stellen müssen, ob diese Freiheit im Gegensatz zur ben nicht den Willen gezeigt — das ist mein Vor- Sicherheit steht. Das eine bedingt das andere. wurf —, mit uns einen Weg zu gehen, von dem wir überzeugt sind, daß er die Sicherheit des Bürgers Ich weiß nicht, ob ich nun sagen soll, daß wir ge- besser gewährleistet, als das die Vorschläge zu hofft haben, daß sich diese Tendenz in ihrer Rechts- tun vermögen, die Sie gemacht haben. Sie haben politik in der 8. Wahlperiode ändern würde. Wir Recht und Gesetz — das wird mir niemand in die- haben es jedenfalls gewünscht. Der rechtspolitische sem Hause bestreiten können — nur zögernd einge- Auftakt allerdings ist nicht verheißungsvoll. setzt. (Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : Unglaub Sie sind auch nach wie vor offensichtlich nicht lich!) bereit, das zentrale Problem der inneren Sicherheit Alle Gesetze, die wir in diesem Hause verabschie- auch — ich betone: auch — mit dem rechtlichen In- det haben, haben wir Ihnen, Herr Kollege, förmlich strumentarium zu lösen zu versuchen. Ich will hier aufzwingen müssen. keine neue Debatte zu den Gesetzentwürfen herauf- beschwören, die wir in dieses Haus eingebracht (Beifall bei der CDU/CSU) haben. Aber einen Aspekt, glaube ich, muß man Ich gehöre diesem Hause zwar erst seit 1969 an, herausstellen. Ihre ganze Rechtspolitik — Herr damit aber eben seit der Zeit, in der diese Frage Minister, sie werden mir Recht geben müssen — auf dem Sektor der Rechtspolitik immer eine große scheint dadurch gekennzeichnet zu sein, daß das Rolle gespielt hat. Ich kann mich erinnern, wie Sie Recht und insbesondere auch das Strafrecht — ich Vorschläge — denen Sie dann später zugestimmt habe das schon einmal in einer Debatte hier gesagt haben — als Panikmache, als übertriebene Law and — von Ihnen vorzugsweise dort eingesetzt werden, order-Politik abgetan haben und wie Sie später ge- wo es um materielle Dinge geht. Insbesondere wird zwungen wurden, wenigstens einige Gesetze zu ver- dem Gebiet des Strafrechts hier die Wirksamkeit abschieden, um die größten Auswüchse, die mit der zugeschrieben, die man dem Strafrecht anderswo Liberalisierung des Strafrechts einhergingen, urn nicht zugestehen will. das, was Sie vorher verniedlicht haben, wieder 2704 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Dr. Eyrich einigermaßen zu korrigieren und in Ordnung zu stehende, von Ihnen geduldete Rechtsordnung ge- bringen. deckt werden soll. (Sehr richtig! bei der CDU/CSU — Kleinert (Beifall bei der CDU/CSU) [FDP]: Beispiele!) Ich glaube nicht, daß Sie das jemandem begreiflich — Lieber Herr Kleinert, Sie wissen das ja noch machen können. genauso gut wie ich. Wir haben ja nicht wenig dar- über gesprochen. Sie haben zwar, Herr Dürr, gesagt, In dem Zusammenhang, Herr Minister, ein Wort wir sollten hier jetzt nicht noch einmal die Ereig- zu Ihnen persönlich: Sie haben das Kunststück fer- nisse und Diskussionen des letzten Jahres abspu- tiggebracht, dem Ausschuß eine Vorlage zu geben, len, aber ich möchte doch einmal fragen: Wann gab in der Sie die Überwachung des mündlichen Ver- es einen Debattenbeitrag von Ihnen, der wenigstens kehrs des Verteidigers mit seinem Mandanten den Willen gezeigt hätte, in eine ernsthafte Diskus- (Kleinert [FDP] : Gespräch!) sion über die Frage der Strafverschärfung mit uns einzutreten? Bestenfalls im Zusammenhang mit der — wenn es Sie beruhigt, lieber Herr Kollege: des Sicherungsverwahrung. Gesprächs — unter bestimmten Voraussetzungen (Kleinert [FDP) : Immer noch kein Beispiel!) vorgesehen hatten, um die Möglichkeit zu nehmen, in solchen Fällen weiterhin derartige Gespräche Aber auch — lieber Herr Kleinert, das an Ihre durchzuführen. Als es dann aber zur Abstimmung Adresse und die der Regierung — bei der Dikussion in diesem Haus kam, hat der Justizminister Dr. Vo- über die Überwachung des mündlichen Gesprächs gel nicht mit uns für die Beibehaltung seines eige- des Verteidigers mit seinem Mandanten haben Sie nen, ursprünglichen Vorschlags gestimmt. trotz aller verbalen Bekenntnisse, die Sie hier ab- gegeben haben — natürlich, hier spricht man ja für (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Da draußen —, Presseerklärungen abgegeben, die auf gegen hat er gestimmt!) nichts anderes hinausliefen als darauf, daß eine Das könnte man noch hinnehmen, Herr Kollege Dr. solche Regelung in diesem Bundestag nicht verab- Vogel. Aber hinterher zu sagen, das Parlament habe schiedet wird. Können Sie mir sagen, ob unter ja anders gestimmt, geht dann doch ein bißchen zu solchen Voraussetzungen mit uns eigentlich noch weit. ein vernünftiges Gespräch auf dem Gebiet der (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Rechtspolitik möglich ist? (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn Sie eine Vorlage bringen, dann gegen diese eigene Vorlage stimmen und sich hinterher noch dar- Man kann doch nicht auf der einen Seite im Plenum auf berufen, das böse Parlament habe ja anders so tun, als prüfe man alle Vorschläge, und kaum entschieden, als Sie es sich ursprünglich gedacht ist das Plenum zu Ende, fangen auf der anderen haben, dann befinden Sie sich in bester Gesellschaft, Seite die Verlautbarungen der einzelnen Fraktionen in der Gesellschaft Ihres Bundeskanzlers, der das an, in denen es heißt: Damit haben wir uns nicht zu auch so praktiziert hat. beschäftigen. Das ist das, was ich gemeint habe: daß - Ideologie und auch Parteipolitik auf diesem Gebiete (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Deswegen ver nichts zu suchen haben, wenn wir der Bevölkerung dient er eine Ministeranklage! — Heiterkeit klarmachen wollen, daß wir hier ein Recht zu bei der CDU/CSU) schaffen beabsichtigen, das nicht die Freiheitssphäre 'Ich höre und sehe nichts mehr in der Beziehung des anderen tangiert, nicht die Freiheit des anderen von dieser Bundesregierung, die nach der Ermor- unterdrückt, sondern glasklar die Grenze zwischen dung des Generalbundesanwalts hier erklärt hat, sie der Freiheit des einen und der Freiheit des anderen wolle nun doch dem Gedanken nähertreten, das zieht. mündliche Gespräch des Anwalts mit seinem Man- Man hat uns sehr oft verschrien, wir wollten das danten überwachen zu lassen. besondere Vertrauensverhältnis zwischen dem An- walt und seinem Mandanten unterdrücken. Das hat Die Weigerung und das Zögern, staatlich gesetztes kein einziger Redner von uns gesagt. Recht und staatliche Machtmittel gegen Terrorismus, (Zuruf des Abg. Dr. Emmerlich [SPD]) terroristische Gewaltakte und auch Gewaltakte im terroristischen Um- und Vorfeld einzusetzen, füh- — Herr Kollege Emmerlich, wir haben immer darauf ren zu Rechtsunsicherheit und am Ende zu einem hingewiesen: Bei der Verteidigerüberwachung geht Abbau des Rechtsbewußtseins. Wir, meine Damen es um nicht mehr und nicht weniger als die Frage, und Herren, dürfen nicht den Eindruck erwecken, ob die Freiheit des Verteidigers, mit seinem Man- als sehe dieser Rechtsstaat Rechtsbrüchen untätig zu. danten ungestört zu sprechen, auch dann erhalten Wir dürfen auch nicht den Eindruck erwecken, ter- bleiben kann, wenn er diese Freiheit mißbraucht. roristische Gewaltakte seien Erscheinungen, die von Hier und nirgends anders scheiden sich die Geister. selbst wieder aufhörten, wenn man sie nur als Sie werden der Bevölkerung und auch vielen Fach- Jugendsünden einiger verirrter Sozialromantiker kollegen nicht klarmachen können, daß der Miß- behandelte. Dieses Verfahren hat nicht den ge- brauch dieses dem Verteidiger eingeräumten Rechts wünschten Erfolg, sondern ermutigt einerseits die (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Um Ver Rechtsbrecher fortzufahren, und andererseits wird brechen zu begehen!) der Schutz des Bürgers immer geringer. — ich nehme das sehr gern auf, Herr Kollege Stark: (Löffler [SPD] : Wer vertritt denn diese Auf um Verbrechen zu begehen — durch eine noch be- fassung?) Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2705 Dr. Eyrich — Ich habe Sie nicht verstehen können und kann — Herr Kollege Emmerlich, so wenig notwendig Ihnen deswegen nicht antworten; vielleicht könnten dieses Gesetz auch ist: Ich verlange von Ihnen Sie es wiederholen. Lieber Herr Kollege, waren Sie ja nicht, daß Sie es nur deswegen, weil der Anwalt- eigentlich in den Jahren dabei, in denen hier ein verein es nicht bejaht, nun gleich zurückziehen. inzwischen zum Innenminister des Landes Nord- rhein-Westfalen beförderter damaliger Kollege da- Nun vielleicht noch etwas, was Sie auch nicht von gesprochen hat, wir hätten nichts anderes im gern hören; aber ich kann es Ihnen in dieser De- Sinn, als einen Terrorismusfetischismus aufzubauen, batte nicht ersparen. Der Herr Kollege Dürr hat vom wir holten das alles irgendwo her, wir hätten nichts Demonstrationsrecht gesprochen. Herr Kollege Dürr, anderes im Sinn, als die Bevölkerung zu beunruhi- Sie haben dabei fast ausschließlich von den §§ 125 gen? Haben Sie nicht oftmals die Erklärung Ihres und 126 gesprochen. Sie wissen genau, daß wir damaligen Kanzlers in diesem Hause — hier von im Dezember 1969 und im Jahre 1970 lange dar- dieser Stelle aus — gehört, über gerechtet haben, ob wir § 110 StGB — Auf- forderung zu einer strafbaren, zu einer verbotenen (Löffler [SPD] : Das müssen Sie einmal rich Demonstration — ändern sollten oder nicht. Wenn tig nachlesen!) wir schon von Grohnde sprechen — und Sie haben ja den Film mit mir zusammen angesehen —, wenn in der man uns gesagt hat: Das ist eine irregeführte wir schon sehen, wie es sich dort langsam zum Jugend? Der Herr Innenminister wird sich erinnern: Ort hin kanalisiert, wie die Aufmarschbewegun- Noch zu dem Zeitpunkt, zu dem diese angeblich gen verlaufen, wäre es vielleicht gut, wir würden irregeführte Jugend schon an allen Plakatwänden gemeinsam überlegen, wie wir diese Aufmarsch- gesucht wurde, hat man hier davon gesprochen, wir bewegung dort stoppen, damit gewährleistet ist, hätten nichts anderes im Sinn, als draußen Panik zu daß es gar nicht erst zu den Gewalttätigkeiten machen. Nein, nein, Sie müssen uns dann schon kommt. verzeihen, wenn wir einmal darauf hinweisen, daß (Beifall bei der CDU/CSU) eine frühere und wirksamere Bekämpfung mög- licherweise zu mehr geführt und uns manches Herr Kollege Dürr, Sie werden mir nicht einen Au- erspart hätte, was wir heute leider ertragen müssen. genblick lang vormachen können, das sei recht- (Beifall bei der CDU/CSU — Sieglerschmidt lich nicht möglich. Es ist sogar unter dem Gesichts- [SPD] : Wollen Sie denn den vielen Richtern punkt der Freiheit der Demonstration rechtlich und Anwälten, die gegen die Überwachung möglich. Kein Mensch von uns hat etwas gegen des mündlichen Verkehrs zwischen Vertei- friedliche Demonstrationen. digern und Angeklagten sind, das Rechtsbe- (Zurufe von der SPD: Na?) wußtsein absprechen, wie Sie es vorhin ge- tan haben? — Erhard [Bad Schwalbach] — Ja, ja, vielleicht finden Sie irgendwo jemanden, [CDU/CSU]: Nein, die Tatsachenkenntnis!) den Sie falsch deuten können; das gibt es ja immer, - das wissen wir. Aber niemand wird uns unterstel- — Ich glaube, jeder, der mir nur ein bißchen auf- len können, wir hätten etwas gegen friedliche De- merksam zugehört hat, wird mir nicht unterstellen, monstrationen. Nennen Sie mir aber einmal ein paar daß ich jemandem das Rechtsbewußsein abspreche, Demonstrationen der letzten Zeit, die nicht von einer wenn er anderer Meinung ist als ich. Sie müssen Gruppe ausgenutzt worden sind, die allzugern be- sich einmal daran erinnern, daß Sie zu Zeiten, als reit war, diese friedlichen Demonstrationen umzu- der Deutsche Richterbund und der Deutsche Anwalt- funktionieren. Herr Kollege Emmerlich, dann soll- verein Äußerungen getan haben, die Ihnen nicht ten wir uns wirklich miteinander darum bemühen, gerade zustatten kamen, mit den Leuten ganz anders eine Möglichkeit zu finden, das im Ansatz — ohne umgegangen sind als wir. Beeinträchtigung der freien Meinungsäußerung — in (Beifall bei der CDU/CSU) den Griff zu bekommen. Sie können dabei mitwir- ken, wenn Sie unsere Gesetze aufmerksam lesen Wir achten die Meinung dieser Leute, beziehen sie und die dort enthaltenen Vorschläge beherzigen. in unsere Überlegungen mit ein, versuchen, sie zu überzeugen, ihnen unsere Argumente nahezubrin- gen, und dann wird in diesem Hause und im Aus- Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter Eyrich, schuß unter fachkundigen Personen darüber ge- ich bitte Sie, die Zeit einzuhalten. stritten und gerechtet, welchen Weg wir gehen kön- nen. Das halte ich für den richtigen Weg. (Dr. Penner [SPD]: Ihn hat der Eifer mit genommen!) Herr Kollege, wenn Sie schon den Anwaltverein heranziehen: Ich glaube, über eines dürfen wir ja (CDU/CSU) : Lieber Herr Kollege Pen- nicht im unklaren sein, nämlich darüber, daß Sie Dr. Eyrich ner, Sie können mit mir ruhig noch — ich bitte um dann auch die Stellungnahme des Anwaltvereins die Möglichkeit, das hier noch zu sagen — ein Pro- lesen müssen, die er erst vor drei Tagen zum Recht blem diskutieren, das uns durch das Urteil des Bun- der elterlichen Sorge abgegeben hat. Ich verlange desverfassungsgerichts erneut beschäftigen wird. von Ihnen ja auch nicht, daß Sie deswegen dieses Das Bundesverfassungsgericht hat gestern ein Ur- Gesetz — — teil gefällt, das für die Rechtspolitik von großer (Dr. Emmerlich [SPD] : Er hat das Gesetz Bedeutung ist. Ich spreche von dem Urteil zur le- grundsätzlich begrüßt!) benslangen Freiheitsstrafe. Ich möchte nur ein paar 2706 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Dr. Eyrich Bemerkungen dazu machen, da wir es bisher im we- Kleinert (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr ver- sentlichen nur aus der Presse kennen. ehrten Damen! Meine Herren! Anläßlich der Haus- haltsdebatten ist man auch gern mit Dank an den (Dr. Emmerlich [SPD]: Sie brauchen keine zuständigen Ressortminister und seine Mitarbeiter Angst zu haben, wir bezeichnen Sie deshalb zur Hand. Das wird dann so gesagt: Ich bin der nicht als Verfassungsfeind!) Meinung, daß wir Freien Demokraten heute alle — Ich hätte von Ihnen auch nicht gedacht, daß Sie so Veranlassung haben, uns bei dem Justizminister bösartig wären. Das könnten Sie auch fast nicht Jochen Vogel — wie im übrigen auch bei seinem zusammenkonstruieren, lieber Herr Kollege Emmer- Vorgänger, Herrn Jahn —, sehr herzlich für die Art lich. zu bedanken, in der er wichtige Dinge, die, um es ganz klar zu sagen, niemals in einer anderen Koali- Die lebenslange Freiheitsstrafe — das hat das tion als dieser sozialliberalen Koalition hätten ge- Bundesverfassungsgericht festgestellt — verstößt regelt werden können, regeln zu helfen, ich wollte nicht gegen das verfassungsrechtliche Gebot einer — sagen: geholfen hat; aber das ist natürlich etwas das ist entscheidend — sinn- und maßvollen Strafe. schwach, das gebe ich zu. Damit wird genau das bestätigt, was wir in den (Heiterkeit) letzten Monaten auch angesichts einer Diskussion, die der Herr Bundesjustizminister heraufbeschwo- — Ich habe diesen Text nicht auswendig gelernt, ren hat, immer wieder gesagt haben: Auch eine le- wenn ich mir diesen Einwand erlauben darf. Wir benslange Freiheitsstrafe ist eine sinn- und maß- hatten heute schon einen Fall, in dem die Benut- volle Strafe für ein Verbrechen, das diese Art der zung des Manuskripts durch Auswendiglernen er- Strafe verdient. setzt worden ist. Das hat meiner Ansicht nach überhaupt keinen Sinn. (Frau Pack [CDU/CSU]: Pfui!) Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter Eyrich, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen. — Sie müssen mich nur annehmen, dann kriegen Sie es sofort voll zurück, und zwar immer beweis- bar, mit Sachkunde. Dr. Eyrich (CDU/CSU) : Jawohl. Herr Emmerlich, ganz zum Schluß möchte ich noch etwas zu dem (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Wir sagen gemeinsamen Bemühen sagen, über das ich sprechen doch gar nichts!) wollte. Da das Bundesverfassungsgericht festgestellt Ich möchte mich also sehr herzlich für das be- hat, daß wir eine Verrechtlichung der Gnadenpraxis danken, was insbesondere der Bundesminister, Herr anstreben sollten, möchte ich allerdings noch ein Vogel, an Rechtspolitik in und mit dieser Koalition Wort an den Herrn Justizminister und an Sie rich- möglich gemacht hat. All das, was an Angriffen ten — Sie beide haben Erklärungen dazu abgege- kommt, ist doch von Jahr zu Jahr dünner gewor- ben —: Lassen Sie uns uns davor hüten, eine Gna- den. denpraxis in der Weise zu verrechtlichen, daß sie (Beifall bei der FDP und der SPD) einer Automatik gleichkommt; sonst könnte es sein, daß die tragenden Grundsätze dieses Urteils nicht Ich erinnere mich noch daran, mit welcher Begei- mehr gelten können. Das müssen wir auch im Inter- sterung die Herren von der CDU/CSU-Opposition esse derer verhindern, die durch die Leute ge- hierhergegangen sind und uns geweissagt haben, schädigt worden sind, denen diese Strafe zudiktiert jede einzelne unserer Reformen werde den soforti- wurde. In diesem Sinne sollten wir, wie ich glaube, gen Untergang der Republik zur Folge haben. Ich alle gemeinsam den Versuch unternehmen, die Pro- denke insbesondere an 1970, beispielsweise an das bleme, die uns allen am Herzen liegen oder liegen Demonstrationsstrafrecht. Ich sehe, wieviel Luft da sollten, miteinander zu lösen, weil ich davon über- jetzt bei Ihnen heraus ist, weil sich gezeigt hat, daß zeugt bin, daß eine gemeinsame Lösung dieser Pro- unsere Methode richtig war, nämlich die rechtspoli- bleme dem Verlangen der Bevölkerung entspricht tische Methode desjenigen, der den kleineren „Her- und das Rechtsbewußtsein der Bevölkerung stärken umsprechapparat" hat, der den weniger wirksamen wird. Resonanzboden an Stammtischen und in derglei- (Beifall bei der CDU/CSU) chen Kreisen hat, die Methode, das Gesetz unge- achtet all der Dinge, die Sie hier im Plenum jeweils zum besten gegeben haben, durchzusetzen und Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter Dürr, dann abzuwarten, wie es sich in der Praxis be- für die Bezeichnung „Partisan", bezogen auf ein währt; wobei sich dann jeweils gezeigt hat, daß Mitglied dieses Hauses, rufe ich Sie zur Ordnung. Ihre sämtlichen Befürchtungen null und nichtig wa- ren. Ich bin völlig überzeugt, daß dies z. B. bei (Wehner [SPD] : Das ist ja unglaublich! — dem Eherecht, das Sie vorhin hier angesprochen Dürr [SPD] : Auch mit der Erklärung?) haben, auch so sein wird. Ich wundere mich nur — Herr Abgeordneter Wehner, es ist nicht üblich, darüber, warum selbst ein so ausgeglichener und, daß Ordnungsmaßnahmen des Präsidenten kritisiert wie ich gern zugebe, das Gespräch suchender Kol- werden. lege wir Herr Eyrich jetzt hergeht und in die Fuß- (Beifall bei der CDU/CSU) stapfen seines Partei- und Fraktionsvorsitzenden tritt, allerdings nur ganz beiseite. Herr Eyrich, Sie Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert. schmollen mit Recht. Das, was Herr Kollege Kohl Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2707 Kleinert gestern hier geboten hat, das haben Sie auch nicht chen Teil so kompliziert geworden ist, wie es jetzt im Traume versucht einzustellen; das ist ganz klar. ist. Es wurden Kompromisse gemacht, von denen (Zurufe von der CDU/CSU: Hervorragend! heute noch einige der Verhandlungspartner glau- — Spitze!) ben, jeder hätte dabei recht behalten und man kön- ne sich im übrigen auf die Gerichte verlassen. Das Ich spreche von der ersten Rede; was weiß ich, wer ist natürlich eine Sache, die dem Gesetzgeber nicht sie aufgeschrieben hat. Sie sprechen offenbar von sehr gut ansteht. Aber Sie wollten den Kompromiß. der zweiten, Das haben wir auch anerkannt, weil wir der Mei- (Zuruf von der CDU/CSU: Von beiden!) nung waren, die Regelung eines so wichtigen Ge- bietes sollte lieber einvernehmlich geschehen. von der man in Fachkreisen sagt: Würde er öfter frei sprechen, käme er besser raus. Das gebe ich ja Was soll es dann aber, wenn Sie zum Schluß, zu. entgegen allen Ihren vorherigen Ankündigungen — (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der Sie haben doch das Gesetz mit getragen —, heute SPD) noch hergehen und die Bürger hinsichtlich des durch Sie selbst, wie ich eben darzulegen versucht Ich spreche aber von der ersten Rede Ihres Frakti- habe, besonders kompliziert gewordenen Ergebnis- onsvorsitzenden, in der er es als ein Mann, der un- ses verängstigen? Das kann doch nicht der Sinn der mittelbar davorsteht, hier die Regierung zu überneh- verantwortungsvollen Rechtspolitik auch einer Op- men und alles erst einmal richtig zu machen und positionspartei sein. uns zu zeigen, wie das geht, für richtig gehalten hat, uns zu sagen, diese Regierung verstoße unun- (Beifall bei der FDP und der SPD) terbrochen gegen die Verfassung, für richtig gehal- Zum Thema Versorgungsausgleich möchte ich et- ten hat, dem amtierenden Bundeskanzler Verstöße was sagen, was vielleicht zum Teil noch in den gegen das Recht, angebliche Verstöße gegen das vorher behandelten Geschäftsbereich hineinragt. Recht vorzuhalten, die bei sämtlichen Vorgängern Mit den Behörden ist es schon etwas schwierig. dieses Finanzministers in der Vergangenheit in ei- Wir haben gehört, frühestens in zwei Jahren wäre nem zugegebenermaßen schwierigen, jetzt durch es möglich — mit einer Frist von jeweils drei bis das Bundesverfassungsgericht glücklicherweise vier Monaten — den streitenden Parteien zu sagen, klargestellten Bereich immer vorgekommen sind. Er wie der Versorgungsausgleich nach ihren beider- hat das dem Bundeskanzler jetzt einfach vorgehal- seitigen Leistungen aussieht. ten, ohne einmal den Versuch zu machen, wie man bei uns zu Hause sagt, vor der eigenen Tür zu keh- (Vorsitz : Vizepräsident Frau Renger) ren. Dafür wäre gerade in dieser speziellen Frage reichlich Raum und Stoff vorhanden. Ich bin in der glücklichen Lage, Ihnen mitteilen (Beifall bei der FDP und der SPD) zu können, daß sich einige Kollegen in Hannover nach mehreren Seminaren über das neue Eherecht Dieses haben wir uns gestern zum Thema „Rechts- - mit einem Steuerberater, der sich in erster Linie als politik" von Herrn Kohl hier anhören müssen. Ich Rentenberater betätigt, und einer namhaften Firma bin der Meinung, daß es Ihnen bei der Debatte über aus dem Bereich der Datenverarbeitung zusammen- die Rechtspolitik hier im Hause gut anstehen wür- getan haben und sämtlichen Kollegen in dieser Re- de, mit Ihrem Fraktionsvorsitzenden einmal über publik anbieten, binnen einer Woche vollkommene sein Verfassungsverständnis im Hinblick darauf zu Auskunft über die zu erwartenden Folgen eines sprechen, wie er Verfassungsorgane aus parteipoli- Versorgungsausgleichs zu erteilen. Das machen sie tischer, momentaner, vorübergehender, opportuni- in Form einer GmbH. Sie haben dort eine Marktlük- stischer Räson heraus angreift. Das gehört nicht zu ke gesehen, wo eigentlich die Behörden zuständig der Art von Rechtspolitik, von der Sie uns hier vor- gewesen wären. Diese wollten ihnen die Angele- schwärmen. Wir haben seit 1969 eine Rechtspolitik genheit vermiesen, indem sie sagten, sie dürften gemacht, bei der wir eine Fülle von Verfehlungen gar keine Auskunft geben. Sie sagten: Nun wollen — die wir deshalb noch längst nicht als verfas- wir doch einmal sehen, ob die vier Kollegen oder sungswidrig eingestuft haben — früherer CDU/ das Amt mit mehreren tausend Mitarbeitern besser CSU-Regierungen mühsam abgebaut haben. in der Lage sind, zu zeigen, wie der Versorgungs- (Beifall bei der FDP und der SPD — Zuruf ausgleich im Einzelfall aussieht. von der CDU/CSU: Die Mühsal sieht man (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Herr euch an!) Kleinert, sind Sie daran beteiligt, weil Sie Das gilt insbesondere für das vorhin erwähnte hier so werben?) Eherecht. — Ich bin in gar keiner Weise beteiligt, sonst hät- te ich mir — wie Sie mich kennen — diesen Hin- Zum Schluß haben wir das Schauspiel erlebt, daß weis natürlich erspart. Das ist ganz selbstverständ- sich die Opposition, die sich gar nicht genug tun lich. Ich bin an manchem anderen beteiligt, was ich konnte, durch ihre Sprecher von diesem Platz aus hier nicht erwähne. zu erklären, wie furchtbar dieses Eherecht wäre, mit uns im Vermittlungsausschuß zusammengesetzt (Heiterkeit und Zurufe bei der CDU/CSU) hat und in einem zum Teil etwas unerfreulichen Ich erwähne dies, weil man von Ihrer Seite ver Handel über kleine und kleinste Einzelheiten erst sucht hat, das neue Eherecht besonders schwarz dafür gesorgt hat, daß das Gesetz in seinem rechtli- darzustellen. Dabei nahmen Sie auf eine Behörde 2708 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977

Kleinert Bezug, die offensichtlich mit ihrem Riesenstab und schen und somit natürlich auch rechtspolitischen ihren Riesencomputern nicht in der Lage ist, das zu Ansichten verfolgen. leisten, was einige wenige Freiberufler jetzt je- (Beifall bei der FDP und der SPD) denfalls anzubieten in der Lage sind. Dann gehen Sie doch bitte nicht über Land und machen Sie Es war absolut sagenhaft. nicht den von Ihnen selbst geschlossenen Kompro- (Zuruf von der CDU/CSU: Wir wollten in miß madig, sondern dann gehen Sie doch zu den den guten Dingen der SPD ein Vorbild ge Bürgern und sagen Sie ihnen: Wir sind froh, daß ben!) wir als CDU daran mitwirken durften, daß die von Bei dieser Abstimmung, Prinz zu Sayn-Wittgen- uns 1961 beschlossene Verschlechterung des Ehe- stein, war ich dann da — das Vorherige war nicht rechts endlich mit unserer Hilfe, wenn wir uns auch so wichtig —; denn ich mußte ja da sein, damit wir in letzter Minute erst dazugesellt haben, um nicht Ihre Angelegenheiten vernünftig in Ordnung brin- ganz einsam zu stehen, wieder in Ordnung gebracht gen. worden ist. Das wäre doch eine Aktion von Ihnen. (Heiterkeit) (Beifall bei der FDP und der SPD) Sie sind doch dazu ganz offensichtlich nicht in der Dergleichen tun Sie nicht, sondern Sie gehen her, Lage. machen alles, was hier geschieht, zunächst einmal (Müller [Berlin] [CDU/CSU] : Das ist ge nieder und geraten dabei in Gefahr, neuerdings radezu rührend von Ihnen!) häufiger als früher, aus Routine auch gleich das mit — Wir geben uns Mühe. niederzumachen, was Sie selbst mitbeschlossen ha- ben. Ich habe vorhin notiert, daß Herr Friedmann in (Beifall bei der FDP und der SPD) seiner Jungfernrede, zu der ich ihm trotz der schon erwähnten formalen Besonderheit gratulieren möch- Das ist eine Geschichte, auf die ich Sie nachdrück- te, das Wort „Freiheit oder Sicherheit" aufgebracht lich hinweisen muß. Vielleicht gibt Ihre Fraktion hat. Diese Bundesregierung hat es wahrlich nicht den einzelnen Abgeordneten gelegentlich einmal nötig, sich diese Alternative von Ihnen unterstellen Blätter, auf denen steht, wo Sie zugestimmt haben zu lassen. und wo nicht. Sonst kommen Sie auf diesem Sektor (Beifall bei der FDP und der SPD) des ständigen Neinsagens in immer größere Kom- plikationen und in erhebliche Gefahren, sobald Sie Wir haben niemals einen Zweifel daran gelassen, an sachverständige Zuhörer geraten. daß wir Freiheit u n d Sicherheit meinen. Wir haben es uns nur mit dem Spannungsverhältnis zwischen (Müller [Berlin] [CDU/CSU] : Da gibt es diesen beiden Begriffen sehr viel schwerer gemacht nur wenige! — Prinz zu Sayn-Wittgen- als Sie und wir werden es uns weiter mit diesem stein-Hohenstein [CDU/CSU] : Eine Auf- Spannungsverhältnis sehr schwermachen. Das ist stellung aber auch darüber, wer teilgenom- der Unterschied zwischen den beiden Seiten dieses men hat und wer nicht teilgenommen hat!) Hauses in diesem Punkt. - — Das ist den meisten im Hause schon mal pas- (Beifall bei der FDP und der SPD) siert. Bloß bei einigen ist es aufgefallen, bei ande- ren weniger. Wo in dieser Äußerung der Sachbei- Dann brauchen Sie nicht daherzukommen und hier trag liegt, habe ich nicht erkennen können. so mit linker Hand Verdächtigungen auszustreuen, sondern dann mögen Sie sich einmal daran orien- (Heiterkeit) tieren, was Herr Maihofer und was Herr Genscher Im übrigen ist es entscheidend, daß man dann da in der Praxis da getan haben, wo Ihre Innenmini- ist, wenn es um die Sache geht. Das ist eigentlich ster ein Bundeskriminalamt haben weiter existieren ein ganz guter Hinweis gewesen, Prinz zu Sayn- lassen, das diesen Namen nicht verdiente und das Wittgenstein. überhaupt überflüssig war, so wie da die Akten in den Gängen herumstanden. (Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein [CDU/CSU] : Also war er doch sachdien (Zurufe von der CDU/CSU) lich!) — Die haben da so herumgestanden; das haben — Ja, ich mache ihn jetzt langsam zu einem sachli- Augenzeugen hier aus dem Hause, die dort einge- chen, indem ich nämlich darüber nachdenke, was flogen wurden, immer wieder gesehen. Ihr Verhältnis zu graden, aufrechten, in sich logi- (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Das schen und ständig von den gleichen Idealen be- war die Ablage, Herr Kleinert! — Heiter- stimmten politischen Zwecken mit der Art zu tun keit bei der CDU/CSU) hat, wie Sie sich neuerdings hier zur Frage der Vermögensteuer eingelassen haben, nachdem die Inzwischen stehen da keine Akten mehr auf den Sozialdemokraten zähneknirschend aus höherer Gängen herum, das ist vielmehr ein schlagfertiger wirtschaftspolitischer Weisheit zugestimmt ha- Apparat, zu dem die Leute aus aller Welt Wall- ben. fahrten unternehmen, (Lachen bei der CDU/CSU) (Heiterkeit bei der FDP) Und Sie haben wie ein Mann gegen das gestimmt, soweit sie sicherheitstechnisch interessiert sind, um was Sie schon immer wollten. Das ist ein besonderes sich einmal anzuschauen, wie die Sozialliberalen in Beispiel der Gradlinigkeit, die Sie in Ihren politi dieser Republik ein solches Institut aufziehen, um Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2709

Kleinert für die Sicherheit ihrer Bürger zu sorgen und um Verteidigung — nicht etwa die Rechte des Vertei- so sicherer sein zu können, daß sie gleichzeitig digers — einerseits unangetastet zu lassen und an- im rechtspolitischen Bereich weiter für die Freiheit dererseits konspirativen Umtrieben zu begegnen, ihrer Bürger einstehen können. so gut das eben geht. (Beifall bei der FDP und der SPD) (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Völlig Sicherheit und Freiheit bedingen sich in der Form, wirkungslos!) daß man für die Sicherheit hier nicht Reden halten Deshalb müssen wir uns dagegen verwahren, daß Sie kann, sondern etwas dafür tun muß. Präzise das hat uns immer wieder verdächtigen, wenn wir uns diese Regierung getan, und deshalb können wir um Mühe machen, unsere Aufgabe für diesen Rechts- so mehr unserem Geschäft nachgehen, gesetzgebe- staat so zu erfüllen, wie wir das glücklicherweise in risch etwas für die Freiheit des Bürgers zu tun. Das all diesen Jahren getan haben und weiter tun wer- haben Sie bei dieser Fragestellung leider ein wenig den. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der außer acht gelassen. Opposition, in Zukunft in der Bevölkerung auf (Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Wie rechtspolitischem Gebiet für kompetent gehalten zu war das mit dem Satz: „In dubio pro liber werden wünschen, dann würden Sie gut daran tun, tate" ?) erstens das, woran Sie mitgewirkt haben, nicht zu verleugnen, und zweitens bei keiner Gelegenheit Ich habe bei Herrn Eyrich mit Interesse zur Kennt- diejenigen zu verleumden, die genauso sorgfältig nis genommen, daß er die Rechtsprechung des Bun- und rechtsstaatlich zu Werke gehen, wie Sie das desverfassungsgerichts verfolgt. Wir haben von von sich selbst behaupten. Das nehmen wir für uns Ihnen, Herr Eyrich, gehört, daß die lebenslange Frei- auch weiterhin in Anspruch. heitsstrafe nach Ansicht des Bundesverfassungs- gerichts in dieser Form verfassungsrechtlich unbe- (Beifall bei der FDP und der SPD) denklich ist. Es wäre aber sehr freundlich von Ihnen gewesen, dies nicht als einen besonderen Sieg der rechtspolitischen Tätigkeit der Opposition in die- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr sem Hause darzustellen, sondern vielmehr darzu- Bundesminister der Justiz, Dr. Vogel. stellen, daß das Bundesverfassungsgericht in dem gleichen Spruch diesem Hause mitgeteilt hat, es Bundesminister der Justiz: Frau Präsi- wünsche eine Regelung, bei der den Umständen des Dr. Vogel, Einzelfalles Rechnung getragen werde, insbesondere dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! daß niemand, der zu einer lebenslänglichen Frei- Ich möchte meine Ausführungen mit einem doppel- heitsstrafe verurteilt werde, ohne Hoffnung in be- ten Dank beginnen. Erstens der Dank an die beiden zug auf eine mögliche spätere Freilassung sein Berichterstatter im Haushaltsausschuß, Herrn West- dürfe. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, denn das phal und Herrn Dr. Friedmann, für die faire Behand- lung des Haushalts meines Ministeriums. Zweitens entspricht präzise dem rechtspolitischen Programm - dieser Bundesregierung und dieses Justizministers, bei dieser Gelegenheit — warum eigentlich nicht? den Sie dieserhalb angegriffen haben. — auch ein sehr herzlicher Dank an den Rechtsaus- schuß für die faire und sachliche Zusammenarbeit (Beifall bei Abgeordneten der SPD) in der zurückliegenden Zeit. Das stand auch in dem Urteil. Nun sage ich des- Heute allerdings steht ja offensichtlich die Kritik halb nicht, das sei ein rechtspolitischer Erfolg der im Vordergrund. Hauptsächlich in drei Richtungen Koalition, ich stelle nur fest, daß das Bundesver- sind kritische Gedankengänge geäußert worden. fassungsgericht das, was in Ihren Kreisen als völ- Erstens die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Ge- lig unmöglich dargestellt wird, inzwischen aus- setzgebung., zweitens die Frage der Terrorbekämp- drücklich von uns gefordert hat. Das muß man bei fung, und drittens die allgemeine Rechtspolitik. dieser Gelegenheit sagen, nachdem Sie vorhin nur die erste Hälfte zitiert haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, sollten wir uns nicht auch in dieser Stunde daran erinnern, Zu dem Problem der Verteidiger wollte ich eigent- daß die Verfassungsgerichtsbarkeit der Bundesrepu- lich nichts mehr sagen. blik eine Besonderheit ist, die aus gemeinsamer (Sehr gut! bei der CDU/CSU) Arbeit erwachsen ist? Hier sind Gedanken zusam- Es ist nun wieder aufgerührt worden von Ihren mengeflossen, für die ein Mann wie Thomas Dehler Freunden, Herr Jaeger. Ich kann Ihnen nur noch steht, für die Georg August Zinn steht, für die Adolf einmal sagen, hier gilt das gleiche wie für „Frei- Arndt steht, für die aber auch ein Herr von Man- heit oder Sicherheit". Für uns gibt es keine Schwarz- goldt oder ein Professor Wahl steht. Es sind die Weiß-Alternativen der Art, entweder die freie Erkenntnisse aus der Zeit der Diktatur. Es ist die Advokatur abzuschaffen und dadurch angeblich Sorge vor der Übermacht des Staates, der man eine — angeblich! — besonders viel Sicherheit zu schaf- Balance und eine Kontrolle an die Seite setzen fen oder aber hemmungslos jede Art von Konspi- wollte. Warum wollen wir eigentlich diese gemein- ration zuzulassen. Wir haben doch in den Diskus- same Wurzel nicht auch in einer Stunde kritischer sionen hier in diesem Hause, insbesondere aber in Auseinandersetzung hervorheben und deutlich ma- den Gesprächen in den Ausschüssen und unter den chen? einzelnen Mitgliedern dieser Ausschüsse deutlich (Dr. Eyrich [CDU/CSU] : Das ist unbe gemacht, daß wir versucht haben, das Institut der stritten!) 2710 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Bundesminister Dr. Vogel Auf dieser Grundlage, meine Damen und Herren, füllen. Ich biete dazu meine Hand. Im übrigen kann zwei Selbstverständlichkeiten. Es ist doch ganz man auch als Opposition beim Bundesverfassungs- selbstverständlich, daß vor dem Bundesverfassungs- gericht verlieren. Ich erinnere an das 4. Rentenver- gericht in aller Regel die jeweilige Opposition als sicherungs-Änderungsgesetz. Rheinland-Pfalz hatte Klägerin auftritt und nicht die Regierung. Das gilt damals die Klage angeführt. Meine Damen und für die Zeit bis 1966 von unserer Seite aus, und das Herren, was soll denn das, wenn wir uns gegen- gilt seit 1969 von Ihrer Seite aus. Es ist einfach seitig diese Urteile um die Ohren schlagen, als schon eine rechtslogische Frage, daß die Regierung wenn es Schwurgerichtsurteile wären, als wenn es nicht ihre eigenen Gesetze oder ihre eigenen Maß- jeweils mit der Einsperrung des Unterlegenen enden nahmen vor das Gericht bringt. Infolgedessen ist es müßte? eine bare Selbstverständlichkeit, daß die Liste der objektiven Erfolge — wenn Sie das so nennen wol- Herr Bundesminister, len — für die jeweilige Opposition vorher und Vizepräsident Frau Renger: gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten nachher größer ist. Dr. Lenz? Und eine zweite Selbstverständlichkeit: Jeder- mann in diesem Staat und vor allem jeder im öffent- Dr. Vogel, Bundesminister der Justiz: Gern. lichen Bereich ist verpflichtet, die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts für verbindlich zu (Bergstraße) (CDU/CSU) : Herr Bundes- halten und zu respektieren. Aber niemand ist ver- Dr. Lenz minister der Justiz, würden Sie mir zustimmen, daß pflichtet, jeden einzelnen rechtlichen Gedanken- einige Formulierungen in dem Urteil zum Haus- gang für richtig zu halten und dem zuzustimmen. haltsstreit, über das wir gestern gesprochen haben, (Beifall bei der SPD und der FDP) gerade diesen besonderen Fall im Hinblick auf of- fensichtlich nicht vorliegende Voraussetzungen et- Das sind doch zwei Selbstverständlichkeiten. was anders erscheinen lassen als das, was Sie hier Nun wäre es reizvoll, Herr Kollege Friedmann, mit Großzügigkeit und Selbstverständlichkeit und noch einmal die ganze Liste der von Ihnen zitierten auch mit einem gewissen Teil von Berechtigung Urteile durchzugehen. Es kann doch nicht bestritten vortragen? werden, daß der Grundlagenvertrag entgegen dem (Zuruf von der SPD: Herr Lenz, Sie sind Antrag für verfassungsgemäß erklärt worden ist. doch Jurist!) (Beifall bei der SPD und der FDP) Dr. Vogel, Bundesminister der Jusitz: Lieber Herr Sie selber waren zunächst zögernd. Erst die CSU Kollege Lenz, ich bestreite heute so wenig wie hat die Sache in Gang gebracht. Das Ziel war gestern, daß es Auseinandersetzungen über die primär, den Vertrag für verfassungswidrig erklären Frage gab, was unvorhersehbar und was unabweis- zu lassen. bar sei. Die Auffassung, die den Entscheidungen zugrunde lag, ist nicht die Auffassung, zu der sich § 218: Ich gebe Ihnen gern zu, daß man sich über das Bundesverfassungsgericht bekannt hat. Das diese Dinge sehr lange auseinandersetzen kann. akzeptiere ich. Ich gehe sogar so weit, zu sagen, Aber Sie werden doch nicht bestreiten, daß in den daß die Argumente des Bundesverfassungsgerichts Sondervoten Gedankengänge entwickelt werden, eine ganze Menge für sich haben, daß ich es also die durchaus ernst zu nehmen sind. Über Öffent- nicht nur respektiere, sondern auch unter dem Ge- lichkeitsarbeit und Haushalt haben wir gestern ver- sichtspunkt der Richtigkeit für durchaus erwägens- handelt. wert halte. Aber ich möchte jetzt noch ein bißchen ausführ- Zweite Bemerkung: Terror! Meine sehr verehrten licher auf die Frage mit der lebenslangen Freiheits- Damen und Herren, Herr Dregger hat vorhin ge- strafe eingehen. Dies ist ein Fall, wo, wenn wir sagt, es sei die Schwäche der Demokraten, daß sie schon in der Kategorie von Rechthaben miteinander das Recht nicht entschiedener als Waffe im Kampf reden, die Bundesregierung voll bestätigt worden gegen den Terrorismus einsetzten. Der Streit unter ist. Herr Kollege Eyrich, habe ich jemals für die Demokraten geht doch nicht um die Frage, ob die Regierung die lebenslange Freiheitsstrafe in Frage Terroristen Sympathie, Zustimmung oder Unter- gestellt? War es nicht so, daß wir sogar im Rechts- stützung verdienen oder ob man sie bekämpfen ausschuß in höflicher Form einen Disput darüber muß. Der Streit geht über die Rangstelle, die die hatten, ob die von mir vorgeschlagene Maßnahme politische Auseinandersetzung, die moralische Iso- nicht verfassungsrechtlich bedenklich sei? Aber es lierung, die moralische Solidarisierung mit Gerichten gibt ja noch viel bittere Worte: was ich vorhätte, und Polizei, der Vollzug der Gesetze und die Ände- sei Hohn usw. Dieser Vorschlag sah die Einführung rung der Gesetze haben. Darum geht doch der eines rechtsförmlichen Verfahrens für die Ausset- eigentliche Streit. Ich meine, meine Damen und zung der Strafe vor. Jetzt stelle ich fest, daß das, Herren von der Opposition, dieser Staat wäre dann was ich als richtig bezeichnet habe, sogar vom Bun- wirklich schwach, wenn er solche Auseinanderset- desverfassungsgericht als geboten bezeichnet wird. zungen nicht mehr führen könnte. Die wirkliche Schwäche des Staates würde offenbar, wenn wir (Dr. Penner [SPD]: Sehr richtig!) diese Auseinandersetzung wie Feinde führten, die Nun ist ein guter Spielraum entstanden. Lassen Sie im jeweils anderen politischen Lager den gefähr- uns diesen Spielraum vernünftig miteinander aus- licheren Gegner als den Terrorismus sehen. Das Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2711 Bundesminister Dr. Vogel glaube ich, will niemand. Das sage ich „to whom it der Opposition in der Frage der Vermögensteuer. may concern". Das ist mein Recht als Justizminister. Das darf ich einmal ganz ehrlich sagen. (Zuruf von der CDU/CSU: Wer spricht (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. denn von „Klassenfeinden"?) Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]) Meine Damen und Herren, darf ich einmal fragen, Aber in der Sache: Ich will, daß wir mit einer was eigentlich bei einer solch ernsten Debatte eine möglichst breiten Mehrheit zu einer Lösung kom- derartige sich selbst bestätigende Rechthaberei soll? men, die den Mißbrauch, den es auf diesem Gebiet Sind wir denn in diesem Parlament nicht mehr in gibt, abstellt. Das ist mein Ziel, aber nicht, etwas der Lage, ohne einen Schuß Häme ernsthaft über auf Hauen und Stechen durchzusetzen mit vier oder unsere gemeinsamen Sorgen zu reden? fünf Stimmen Mehrheit in der einen oder anderen Richtung, mit der Folge, daß die Schäden, die aus (Beifall bei der SPD und der FDP) einer solchen Kraftprobe entstehen, viel schwerwie- gender sind als die Erfolge, die wir mit der Maß- Ich bekenne mich gern zur Minderheit, wenn es nahme erzielen. Ich gebe Ihnen recht: Man kann wirklich eine Minderheit sein sollte, die auch dem nicht immer auf die Verbände hören. Aber mir politischen Gegner hier zuhört, ob nicht Argumente jedenfalls — ich will es ja nicht Ihnen aufoktroyie- in seinen Ausführungen enthalten sind, mit denen ren — gibt zu denken, wenn nicht nur die Anwalt- man arbeiten kann. Wenn etwas die Arbeit im schaft — übrigens ziemlich geschlossen —, sondern Rechtsausschuß kennzeichnet, dann ist es die Be- jetzt auch der Deutsche Richterbund, also die, reitschaft, einander noch gegenseitig zuzuhören und die das dann durchführen sollen, auf ihrem Richter- einander im Zweifel auch etwas Positives zu unter- tag sagen: Nach erneuter Prüfung geben wir die stellen und nicht nur das Negative. Das ist meine frühere Meinung, es sei gut, auf und sprechen uns Überzeugung. dagegen aus. Ich suche nach einer Lösung und (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf appelliere an alle Seiten des Hauses um Unter- von der CDU/CSU: Einverstanden! Es wird stützung, daß wir auf dem Wege über eine Aus- aber nicht immer diskutiert!) schußlösung — ich habe Ihnen das ja auch schon vorgetragen — mit Zustimmung der Richterschaft Lassen Sie mich noch eine persönliche Bemerkung Und Anwaltschaft dieses Loch verstopfen; denn das machen. Diese Art, die ich gerade kritisiert habe, ist das Ziel. trifft eigentlich noch härter, wenn es sich um Men- (Beifall bei der SPD) schen handelt, die der gleichen Kriegs- und Aufbau- generation angehören, die wissen, was hier ge- Letzter Punkt: Allgemeine Rechtspolitik! Herr meinsam geschaffen, erbaut und errichtet worden ist, Kollege Eyrich, da gibt es zwischen uns keinen wenn hier diese Zeichen der Polarisierung fest- Streit. Das Recht hat eine friedenssichernde Funk- zustellen sind. Im übrigen: Sie wissen doch, daß tion. Dazu gehört vor allen Dingen die Frage der wir gemeinsam auch vernünftig die Waffe des Rechtssicherheit. Es hat aber auch die Aufgabe, die Strafrechts eingesetzt haben, wo es notwendig war. materielle Gerechtigkeit zu mehren, und zwar auch Es ist doch nicht wahr, Herr Kollege Eyrich — das die soziale Gerechtigkeit. ist eigentlich gerade bei ihnen ein bißchen ent- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten täuschend —, daß nichts geändert worden ist. Sie der FDP) wissen doch, was alles geändert worden ist: § 129 a; Zuständigkeit des Generalbundesanwalts. Jetzt strei- Nie absolut! Wer hundertprozentige Gerechtigkeit ten wir — wie das im Parlament sein soll — über will, wird die Menschen ins tiefste Unglück stürzen. zwei konkrete Dinge. Das heißt: Über die eine Sache (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten — die Novelle der Strafprozeßordnung zur Straffung der FDP) der Großverfahren — streiten wir gar nicht. Sie wis- sen doch, daß auf unsere gemeinsame Anregung von Dafür gibt es Beispiele genug. Aber man darf diesen Bund und Ländern eine Arbeitsgruppe tätig ist. Sie Satz auch nicht als Entschuldigung dafür nehmen, daß man untätig bleibt. Immer ein neuer Anlauf, und wissen, daß wir jetzt einen Entwurf eingebracht ha- auch der Herausforderung angepaßt! ben, der wortgleich ist mit dem, was einige Länder sehr zum Ärger der anderen, als die Arbeit halbfer- Nun frage ich Sie, meine Damen und Herren: tig war, dort abgezapft haben. Herr Kollege Lenz Warum wird eigentlich unser gemeinsames Werk hat meine Zusage, daß wir nach der Sommerpause hier heute mit solchen Noten bedacht? Es ist ja im Kabinett die Regierungsvorlage dazu verabschie- gar nicht mein Verdienst. Die Diskussion hat schon den. Dann kann selbstverständlich beraten werden. in den sechziger Jahren begonnen. Die Vorgänger Warum wird hier so getan, als wenn wir nicht woll- haben es eingeleitet; wir konnten die Ernte in die ten oder dies nicht täten? Scheune bringen. Können wir uns denn nicht sehen lassen damit, daß wir nach 100 Jahren endlich ein Jetzt das Lieblingsthema: Verteidigerüberwa- Strafvollzugsgesetz zusammengebracht haben, das chung! Ich bekenne mich dazu, meine Damen und 'das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil Herren, daß ich hier nicht mit dem Kopf durch die übrigens mit sehr lobenden Wendungen bedenkt. Wand marschiert bin. Was die „Schlangenförmig- Adoptionsrecht, Revisionsrecht, Wirtschaftskrimina- keit der Bewegungen" angeht, so darf ich doch et- lität, Allgemeine Geschäftsbedingungen, ZPO — die was polemisch anmerken: ich bin noch immer eine tiefstgreifende Reform seit 100 Jahren — und auch klare Linie gefahren im Vergleich zum Verhalten das Eherecht! Wo sind denn die großen Kontrover- 2712 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Bundesminister Dr. Vogel sen, die jetzt hier vorgeführt werden? Es gibt eine, sich hier noch um den alten Bundesrat, in dem ganz das ist der § 218. Da steckt die Kontroverse auch eindeutige Mehrheitsverhältnisse herrschten. nicht im materiellen Recht, sondern im Verfahren, (Zuruf des Abg. Erhard [Bad Schwalbach] wie es zu der Zustimmung oder Einwilligung kommt. [CDU/CSU]) Im materiellen Recht ist die Kritik der Kirche an Ihren Vorstellungen genauso scharf und genauso — Ja, „eindeutig" im Sinne von „einer". ätzend wie die Kritik an den Vorstellungen, die Wir wollen miteinander die GmbH-Novelle er- Gesetz geworden sind! arbeiten, wir wollen das Richteramtsrecht anpassen, (Beifall bei der SPD — Jäger [Wangen] wir wollen die Bestimmungen gegen unlauteren [CDU/CSU] : Stimmt doch gar nicht!) Wettbewerb im Sinne des Verbraucherschutzes vor- anbringen. Zwei positive Vorhaben haben wir sogar — Aber, Herr Kollege Jäger, jetzt begeben Sie sich in dieser Periode schon erledigt. Einmal die Lö- auf fremdes Gebiet! Ich schicke Ihnen einmal ein schungsbewilligung. Das ist nicht nur technisch, paar Bistumsblätter neueren Datums. Da kriegen sondern es macht den Leuten das Bauen leichter. Sie genauso einen übergebraten! Sie bedeutet sogar eine kleine Investitionsermunte- (Beifall bei der SPD) rung. Außerdem haben wir Schadensersatzhöchst- beträge bei Gefährdungshaftung erarbeitet. Hier Da kann nur noch die CSU bestehen — in Teilen, haben wir als gute Demokraten sogar einen Ab- die Alt-CSU; die wacklige auch nicht. stimmungserfolg der Opposition im Rechtsausschuß Ich komme zum Eherecht. Das ist ein Kompromiß, hingenommen, und wir haben es nicht in der zwei- zu dem wir uns gefunden haben. Ich verteile keine ten oder dritten Lesung kleinlich korrigiert. Die Noten, ob hierzu der eine oder andere mehr beige- landwirtschaftlichen Fahrzeuge mit weniger als tragen hat. Das gehört für mich in das Kapitel Recht- 20 Stundenkilometern bleiben dank dieser Entschei- haberei. Aber, was ich nicht verstehe: Wir machen dung auch künftig außerhalb der Gefährdungshaf- miteinander Gesetze, Sie stimmen zu 90 % zu, und tung. dann wird hier ausgeführt, dies alles sei eine Ge- Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zeit fährdung der Rechtsgüter, angefangen beim Leben ist weit fortgeschritten. Es ist angekündigt worden, bis hin zur Freiheit. daß Sie gegen meinen Haushalt stimmen, weil ich (Wehner [SPD]: Des ganzen Abendlandes!) ein miserabler Justitiar sei — der ich gar nicht bin; die Kollegen meutern hier schon —, weil ich Terro- Wenn das Eherecht — das sage ich auch hier vor risten nicht bekämpfe und weil ich überhaupt eine dem Plenum des Bundestages — am 1. Juli in Kraft miserable Rechtspolitik mache, der Sie immer nur tritt, wird es ein, zwei Jahre lang Schwierigkeiten zustimmen. Das ist nicht mein Prüfstein, wenn Sie geben. Wir werden den Stau der Ehen haben, die dagegen stimmen. Es ist eigentlich Ihr Prüfstein, nach § 48 des Ehegesetzes nicht geschieden werden ob Sie die Chance wahrnehmen, das, was gemein- konnten und jetzt zur Scheidung kommen. Wir ha- sam geleistet worden ist, durch eine Abstimmung ben diejenigen, die sich jetzt nicht scheiden lassen, als solches deutlich zu machen, oder ob sie wenig- weil die Frauen auf die bessere Regelung warten; stens an einer Stelle die Chance nutzen — dazu ich verstehe das. Es gibt Zweifels- und Streitfragen. gehört das Recht —, das beiderseitige Bestreben Keiner soll sagen, dies sei nicht deutlich erkannt nach einem Mindestmaß an Konsens durch den Akt worden. der Abstimmung in der zweiten Lesung zu bekun- Aber so schlecht, meine Damen und Herren, kann den. Aus diesem Grunde ist es Ihr Prüfstein, nicht das doch nicht sein. Ich möchte Ihnen eine Bewer- mein Prüfstein. tung der „Badischen Neueste Nachrichten" vorlesen: (Beifall bei der SPD und der FDP)

Das neue Scheidungsrecht wertete der Justiz- Vizepräsident Frau Renger: Weitere Wortmeldun- minister überwiegend positiv. Er meinte, das gen liegen nicht vor. — Ich schließe die allgemeine frühere Verschuldensprinzip habe die Richter Debatte. bei streitigen Scheidungen häufig überfordert. Unbefriedigend sei auch die soziale Sicherung Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- der nicht berufstätigen Frau gewesen. Ihre Stel- plan 07. Wer dem Einzelplan 07 in der Ausschuß- lung sei durch den Versorgungsausgleich erheb- fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein lich verbessert worden. Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit angenommen. Das ist nicht der böse Vogel, das ist Herr Bender, Meine Damen und Herren, erlauben sie mein Kollege aus Baden-Württemberg. Gut, ein biß- mir einige Bemerkungen zur Geschäftslage. chen muß er auch davon verstehen; sonst wäre er Für die heutige Debatte sind noch etwa sechs Stun- dort nicht Justizminister. den vorgesehen. Für die Debatte über den Haus- Was haben wir in dieser Legislaturperiode an haltsplan 11 waren eineinhalb Stunden vereinbart Gesetzesvorhaben miteinander vor: Staatshaftungs- worden. Die vorliegenden Wortmeldungen ergeben recht, elterliche Sorge. Was soll daher diese Pole- jedoch bereits 100 Minuten, ohne den Bundesmini- mik? Sie wissen genausogut wie ich, daß die Cari- ster. Ich glaube, wir müssen uns bei der Debatte tas, die Innere Mission und die Freien Wohlfahrts- mehr konzentrieren; denn andernfalls würde das be- verbände eine gesetzliche Neuregelung fordern. Sie deuten, daß die heutige Sitzung erst gegen 0.30 Uhr wissen, daß sich der Bundesrat — von drei Ausnah- zu Ende ist. men abgesehen — positiv geäußert hat. Es handelt (Beifall) Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2713 Vizepräsident Frau Renger Ich bitte diejenigen, die eine längere Redezeit als Unser Nein zum Einzelplan 11 ist aber auch eine 15 Minuten angemeldet haben — was ihnen nach deutlich Kritik an dem nunmehr verantwortlichen unserer Geschäftsordnung in der ersten Runde zu- Arbeitsminister. Er hat die Chance eines Neuanfan- steht —, sehr herzlich, sich so kurz wie möglich zu ges, er hat die Chance einer vertrauensvollen Zu- fassen. sammenarbeit auch mit der Opposition nach Auffas- sung meiner Fraktion nicht genutzt. Er hat nicht den Ich rufe nunmehr auf: Mut zur Offenheit und zu einem Mehr an Koopera- tionsbereitschaft gefunden. Er hat vielmehr den Kurs Einzelplan 11 der Schönfärberei und der Unsolidität fortgesetzt. Geschäftsbereich des Bundesministers für Ar- beit und Sozialordnung Da nützt es auch nichts, wenn ein Redner der SPD- Fraktion in der Sozialdebatte davon sprach, daß das — Drucksache 8/501 — Rechenwerk des Arbeitsministers nicht aus dem Kaf- Berichterstatter: feesatz, sondern aus der sorgfältigen Beobachtung Abgeordneter aller verfügbaren wirtschaftlichen Daten stammt. Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein Das erinnert mich an ein Rechenkabinettstück, das vorhin der Herr Bundesinnenminister — den ich bit- Ich eröffne die Debatte. Das Wort hat Herr Abge- te, eben einmal von seiner Korrektur aufzusehen — ordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein. vorgeführt hat, als er uns beim Einzelplan 36 vor- hielt, diese sozialliberale Regierung habe in den letzten sieben Jahren mehr für die zivile Verteidi- Prinz zu Sayn - Wittgenstein - Hohenstein (CDU/ gung getan als die früheren Regierungen, und als er CSU) : Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! erklärte, immerhin habe man dafür 4 Milliarden DM Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird den Einzel- ausgegeben. Erstens, Herr Bundesinnenminister, wa- plan 11 ablehnen. Mit diesem Nein zum Einzelplan ren es von 1970 bis 1977 3 688 Millionen DM — das 11 lehnen wir natürlich nicht die vielen Einzelan- sind 300 Millionen DM weniger, ein wesentlicher Be- sätze ab, die ihre gesetzlichen Grundlagen z. B. in trag —, zweitens — und das ist das Entscheidende — den Initiativen und Beschlüssen früherer CDU/CSU- hat die CDU in den Jahren von 1962 bis 1969 für den Regierungen haben, sondern mit unserem Nein wol- gleichen Zweck mehr als 4 Milliarden DM ausgege- len und werden wir eine politische Bewertung der ben. Tatsache ist also genau das Gegenteil dessen, sozialpolitischen Arbeit des Bundeskanzlers wie der was Sie hier behauptet haben. Sozialpolitik des neuen Ministers vornehmen. (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Möller Der Bundeskanzler hat gestern in der Aussprache [CDU/CSU] und Franke [CDU/CSU] : Rech versucht, seinen sozialpolitischen Zickzackkurs vor nen kann er auch nicht! — Weitere Zurufe und nach der Wahl zu rechtfertigen. Er hat den Ver- von der CDU/CSU) such unternommen, sowohl die vielen widersprüch- Es nützt dem Bundesarbeitsminister auch nichts, lichen Aussagen, die er vor und nach der Wahl ge- - macht hat, als auch die vielen widersprüchlichen Ent- wenn er unter Hinweis auf die volkswirtschaftlichen scheidungen nach der Wahl einigermaßen zu korri- Grundannahmen hier den Versuch unternimmt, die gieren. Das ist ihm nicht gelungen. mittelfristige Finanzplanung von Bund und Ländern zum ausschließlichen Maßstab für die Berechnung (Dr. Ritz [CDU/CSU] : So ist es!) der Risiken der Ausgabenwirtschaft in der Renten- versicherung und der Krankenversicherung zu ma- Vielmehr muß er sich sagen lassen, daß der Versuch, chen. Er hätte eigentlich nur die Aussage des SPD- gestern dem früheren Arbeitsminister Arendt gewis- Pressedienstes vom 8. Dezember 1976 zu beachten sermaßen zu einer sehr späten Stunde noch ein brauchen, in der es hieß: schützendes Dach anzubieten, eher peinlich als ge- lungen war; Die Ehrlichkeit von Politikern erweist sich je- (Beifall bei der CDU/CSU) doch gerade darin, veränderte Fakten zur Kennt- nis zu nehmen und nötigenfalls auch ihre Richt- denn wenn der Bundeskanzler gestern die gesund- linien zu revidieren. heitspolitischen Sparmaßnahmen dieser Regierung Diese Erkenntnis, am 8. Dezember ausgesprochen in ihrem Ursprung auf Herrn Arendt zurückführte, — das war der Tag, an dem man das Wahlverspre- dann muß er daran erinnert werden, daß der neue chen gegenüber den Rentnern brechen wollte —, Bundesarbeitsminister Ehrenberg noch vor wenigen sollte sich der Bundesarbeitsminister zu eigen ma- Tagen vor dem Krankenhaustag gesagt hat, daß die chen und eben veränderte Fakten auch zur Kenntnis Verlagerung von Teilen der Gesundheitspolitik auf nehmen und in das Gesetz einarbeiten. sein Haus überhaupt erst die Möglichkeit ge- schaffen habe, wirksame Anstrengungen zur Kosten- (Beifall bei der CDU/CSU) dämpfung zu unternehmen und damit Reibungsver- Sie aber haben zahlreiche Risiken für das Sozial- luste zu vermeiden. Wenn der jetzt verantwortliche paket abgestritten oder verniedlicht. Bundesminister erklärt, daß nach der Verlagerung der Kompetenzen mit der Arbeit begonnen worden Sie haben nicht einmal berücksichtigt, was Ihnen ist, mutet es merkwürdig an, wenn der Bundeskanz- der Bundesrechungshof bei der Beurteilung der Haushaltswirtschaft des Bundesarbeitsministeriums ler nun noch nachträglich an dem Denkmal für Herrn Arendt zu basteln versucht. für das Jahr 1975 ins Stammbuch geschrieben hat. Ich darf mit Erlaubnis der Frau Präsidentin aus der (Beifall bei der CDU/CSU) Drucksache 8/373 zitieren: 2714 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein Die Angabe nur des Saldos der Einsparungen daß auch im Monat Mai die Einnahmen drastisch war eine unzureichende Grundlage für die Ent- hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind, die scheidung des Parlaments. Der Bundesminister Sie für Ihre Berechnungen zugrunde gelegt hatten. hätte dafür sorgen müssen, daß bei der Vorlage Wenn man das auf der Basis fast eines halben Jah- des Gesetzentwurfs durch die Bundesregierung res hochrechnet, meine Damen und Herren, sind das das Parlament über die Mehrausgaben unter- schon drei Milliarden DM, die insgesamt in der Be- richtet worden wäre. rechnung der Einnahmen der Rentenversicherung — unter Berücksichtigung der geplanten Gesetzesände- Sehen Sie, das, was der Bundesrechnungshof dort rungen — für ein einziges Jahr fehlen. Herr Bundes- verlangt hat, daß nämlich bei der Vorlage eines minister, wir erwarten nun heute hier Ihre Stel- neuen Gesetzes alle Risiken bekanntgegeben wer- lungnahme zu diesen Dingen! den müssen, haben Sie auch bei der Vorlage des Sozialpaketes nicht berücksichtigt. Vielmehr haben (Beifall bei der CDU/CSU) Sie meinem Kollegen Franke, als er Ihnen hier in Sie können doch auch nicht leugnen, daß 1976 seiner Rede am 12. Mai 1977 die zahlreichen Risi- die 50 %ige Erhöhung des Beitrags zur Arbeitslosen- ken im Sozialpaket vorhielt, entgegengehalten, daß versicherung hier mit der freundlichen Bemerkung die Zahlen ausschließlich auf den gesamtwirtschaft- des Bundeskanzlers begleitet wurde, daß man diese lichen Annahmen beruhten und daß das eine aus- Erhöhung so schnell wie möglich rückgängig machen reichende Grundlage sei. wolle. Sagen Sie uns doch bitte hier heute einmal, Sie, Herr Bundesminister, haben nicht berücksich- ob Sie damit noch rechnen oder ob es nicht vielmehr tigt, daß sich die gesamtwirtschaftlichen Annahmen, so ist, daß die Einnahmen unter Umständen schon die Sie zugrunde gelegt haben, schon jetzt deutlich für das, was in den nächsten Jahren zu bezahlen verändert haben. Sie gehen davon aus, daß die ist, nicht ausreichen. Bruttoentgeltsteigerung für die nächsten vier Jahre (Zustimmung bei der CDU/CSU) bei 7,5 % liegen wird. Sie gehen von einer Arbeits- All diese Dinge würde ich Sie zu beantworten bit- losenquote von 3,7 % für dieses Jahr, 3,4 % für das ten, und insbesondere auch auf das einzugehen, was Jahr 1978, 3,1 % für das Jahr 1979 und 2,8 % für der Kollege Schedl Ihnen in der letzten Lesung des das Jahr 1980 aus. Jeder weiß doch — das ist hier Sozialpakets zum Schluß ebenfalls noch gesagt hat. in diesem Hause wiederholt gesagt worden —, daß jeder Punkt weniger Lohn- und Gehaltszunahme die Aber selbst wenn — und wir alle wünschen uns Einnahmen der Rentenversicherungen der Arbeiter ja, daß möglichst viele Ihrer Annahmen zutreffen, und der Angestellten schon um jährlich 800 Millio- Herr Bundesminister — die Lohnzuwachsrate stär- nen DM verringert, und jeder Rückgang der Be- ker als 7,5 % ist, wird ebenfalls ein Risiko für den schäftigung um 100 000 Personen einen Einnahmen Bundeshaushalt sichtbar; durch die ab 1979 vorge- ausfall der Rentenversicherungen von 500 Millionen sehene Aktualisierung bei der allgemeinen Bemes- DM pro Jahr zur Folge haben wird, ab 1979 dann sungsgrundlage werden hier nämlich Auswirkungen verringert auf 200 Millionen DM. All diese Dinge auch auf den Bundeshaushalt zu erwarten sein. haben Sie bei der Auseinandersetzung mit dem, was - Denn durch die Änderung der allgemeinen Bemes- Ihnen in der ersten Lesung der frühere Bundes- sungsgrundlage und ihre Entwicklung wird sich arbeitsminister Katzer und bei der zweiten und der auch der Bundeszuschuß ändern. Diese Aktualisie- dritten Lesung andere Redner der CDU/CSU-Frak- rung, die für die Finanzen der Rentenversicherung tion, vor allem der Kollege Franke, vorgehalten ha- durch den Ausschluß des Jahres 1975 mit den ho- ben, nicht nur nicht beantwortet oder berichtigt; Sie hen Lohnsteigerungen zu einer Entlastung führen haben sich mit der Ausflucht beholfen, daß Sie hier soll, bedeutet für den Bundeshaushalt eine Mehrbe- nach wie vor die Annahmen zugrunde legen, die lastung, wenn in den Jahren ab 1978 die Arbeits- im Vorjahr einmal errechnet worden waren. entgelte jährlich um mehr als 7,5 % steigen. Den gleichen Versuch haben Sie unternommen, als Das ist gewissermaßen eine Zwickmühle. Sind es Ihnen die neuesten Zahlen von der Versammlung beim Lohnzuwachs weniger als 7,5 %, haben wir des Verbandes der Rentenversicherungsträger aus Einnahmeausfälle bei der Rentenversicherung und Hamburg vorgehalten wurden. Ich habe noch mit bei der Bundesanstalt für Arbeit. Sind es mehr als einem Zwischenruf darauf hingewiesen, daß Ihre Be- 7,5 %, wird der Bundeshaushalt durch einen erhöh- amten schon im Haushaltsausschuß den Versuch ten Zuschuß für die Rentenversicherung zusätzlich unternommen hatten, dieses Zahlenwerk, das Herr in Anspruch genommen. Sie können sich drehen Muhr dort bekanntgegeben hatte, herunterzuspielen. und wenden, wie Sie wollen: in jedem Falle wird Sie haben in der Antwort auf den Kollegen Franke der Steuerzahler oder der Beitragszahler zur Kasse gesagt, diese ersten drei Monate seien nicht typisch, gebeten. und man hätte wegen der Umstellung von den Bei- (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der tragsmarken auf die freiwillige Einzahlung mit sol- CDU/CSU: Leider wahr!) chen Rückgängen in der Rentenversicherung rechnen müssen. Sie beabsichtigen in Ihrem Vorschlag, die Rück- lagen der Rentenversicherungsträger abzuschmelzen. Inzwischen haben wir die Ergebnisse auch des Bei der Anhörung hat der Geschäftsführer des Ver- Monats Mai, und wir bitten Sie, hier heute einmal bandes der deutschen Rentenversicherungsträger zu erklären, wie Sie nunmehr zu dem Problem u. a. gesagt, eine Reduzierung der Mindestrücklage Stellung nehmen, führe zwangsläufig dahin, daß die Bundesgarantie (Beifall bei der CDU/CSU) sehr frühzeitig einsetzen müsse. Herr Bundesarbeits- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2715 Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein minister, dieses zusätzliche Risiko für den Bundes- zelner Paragraphen nicht zu lösen sind. Ein Gesetz, haushalt hätte auch stärker Erwähnung finden müs- das davon spricht, wirtschaftliche Sicherung vorzu- sen, als es in der ganzen Debatte der Fall gewesen sehen, Bedarfsgerechtigkeit und Leistungsfähigkeit ist. Wo waren denn Ihre Aussagen zu dem Risiko, des Krankenhauses bei sozial tragbaren Pflegesätzen daß ein schnelleres Abschmelzen der Rücklagen der zu garantieren, und das dafür nicht einmal die ent- Rentenversicherungsträger zu Zinsverlusten führen sprechenden Parameter schafft, ist meines Erachtens könnte und unter Umständen den Kapitalmarkt be- Flickarbeit. einflussen wird? Kein Wort war dazu zu hören, daß Es ist auch unverständlich, daß der Bundes- für das Jahr 1976 die gesetzlich vorgeschriebene arbeitsminister einerseits zahlreiche Modellunter- Liquiditätsreserve nicht erreicht wurde. suchungen einleitet, dafür Gelder ausgibt, mit Hilfe Wenn es zur Nettoanpassung kommt, wie es in der Länderminister diese Modelluntersuchungen Ihrer Berechnung für das Sozialpaket zugrunde ge- durchführt, aber bevor überhaupt Ergebnisse vor- legt worden ist — es steht nicht im Gesetz; ich habe liegen, hier schon so tut, als ob er die nötige Weis- Ihnen in der zweiten Lesung dazu zugerufen: das heit praktisch ohne äußere Hilfe erworben habe. ist eben der Trick, aber in Ihren Rechenwerken Alle diese Risiken, meine Damen und Herren, gehen Sie davon aus, daß Sie bei einer Senkung des werden uns noch in den nächsten Jahren beschäfti- Anpassungssatzes im Jahre 1979 auf 6,1 % und im gen. Ich meine, daß es notwendig gewesen wäre und Jahre 1980 auf 6,2 % im einen Jahr 2,3 Milliarden noch ist, im Rahmen der Haushaltsdebatte davon zu DM und im anderen 3,8 Milliarden DM einsparen sprechen. wollen —, dann hat das doch auch Konsequenzen für die Gemeinden, die über die Sozialhilfe dann Dem steht ein klares Konzept der CDU/CSU ge- ebenfalls zur Kasse gebeten werden. Deshalb kann genüber, man nicht in die Vorlage schreiben, daß keine (Lachen und Zurufe von der SPD) Kosten entstehen, und dabei diese Risiken für die die festhält an der jährlichen Anpassung der Renten Gemeinden so verschweigen. nach der Entwicklung der Bruttoeinkommen der Arbeitnehmer und die eine einkommensgerechte und Für die Bewertung des Einzelplanes 11 ist es auch beitragsgerechte Bemessung der Rente fordert und notwendig, die finanziellen Risiken zu kennen, die nach wie vor daran festhält, daß die Rente Lohner- sich für die Bundesanstalt für Arbeit ergeben; denn satzfunktion hat. auf Grund § 184 des Arbeitsförderungsgesetzes be- steht hier — wie in § 1384 der Reichversicherungs- (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der ordnung für die Rentenversicherung — ebenfalls für SPD) den Fall eine Zuschußpflicht, daß die Bundesanstalt Dem Bundesarbeitsminister sind Zuständigkeits- für Arbeit bzw. die Rentenversicherungen nicht bereiche aus dem Gesundheitsministerium zugeord- mehr liquide sind. Ich habe bereits davon gespro- net worden. chen, daß die Beitragserhöhung nicht rückgängig (Glombig [SPD]: Welche denn?) gemacht werden kann, weil die Arbeitslosenzahlen zu Beitragsmindereinnahmen führen, so daß auf die — Gesundheitsökonomik z. B., Krankenhauswesen, Bundesanstalt zusätzliche Lasten dadurch zukom- ärztliche Gebühren. Sie sollten das eigentlich wissen, men, daß durch die Beitragszahlungen an die Ren- Herr Glombig. — Damit ist die Zuständigkeit für tenversicherung bei Ausfallzeiten weitere Ausgaben den Bereich Gesundheit weiter zersplittert worden. entstehen. Heute schlagen Sie uns noch vor, 1 600 Es sind inzwischen das Bundesministerium für Ju- neue Arbeitskräfte bei der Bundesanstalt für Arbeit gend, Familie und Gesundheit, das Bundesministe- einzustellen. Wir brauchen darüber nicht zu ent- rium für Forschung und Technologie, das Bundes- scheiden, aber es steht in Ihrem arbeitsmarktpoliti- ministerium für Arbeit und Sozialordnung und sogar schen Programm. Sie glauben, daß sich die Proble- der Bundesinnenminister — wenn wir an den Um- matik durch die Schaffung einer neuen Institution weltschutz denken — für Gesundheitsfragen zustän- oder deren Erweiterung schon von selbst löst. Das dig. Da entstehen Reibungsverluste; das merkt man ist Ihr großer Fehler. doch an allen Ecken und Kanten. (Zuruf von der SPD: Programme!) Auch beim Krankenversicherungs-Kostendämp- fungsgesetz bestehen finanzielle Risiken für den — Gut, Programme, die im Vorjahr, noch vor der Bürger wie für den Staat. Der Bürger wird — auch Wahl, vorgelegt wurden; die sind inzwischen Maku- das ist angesprochen worden — in jedem Fall zur latur, obwohl durchaus sachkundige Leute Vor- Kasse gebeten, was am kommenden Freitag auch schläge gemacht haben, die zu beherzigen der Bun- immer herauskommen wird. Aber es war keine desarbeitsminister sehr gut beraten wäre. Rede davon, daß auch Bund, Länder und Gemeinden (Zurufe von der SPD) als Arbeitgeber dann ebenfalls zusätzliche Lasten zu tragen haben. Ich habe fast den Eindruck, daß Im Bundesministerium für Jugend, Familie und das bisher nicht einmal der Finanzminister bemerkt Gesundheit ist eine Transparenzkommission, die die hat. Die Beschlüsse, die gestern und vorgestern im Preisvergleiche und Wirksamkeitsvergleiche für Vermittlungsausschuß gefaßt worden sind, müssen Arzneimittel vornehmen muß. Dem Bundesarbeits- analysiert werden; aber ich glaube, daß es ver- minister genügt es nicht; er macht auch eine Korn- nünftig war, die Fragen des Krankenhausfinanzie- mission. Der Steuerzahler zahlt ja! Nun haben wir rungsgesetzes abzukoppeln, weil die Probleme mit zwei Transparenzkommissionen. kosmetischen Korrekturen oder Änderungen ein- (Hört! Hört! und Beifall bei der CDU/CSU) 2716 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein Meine Damen und Herren, die Forschungsschwer- widersprechen in vielem dem, was Sie draußen bei punkte, die in diesem Rahmenprogramm enthalten Ihren Kongressen und in Ihren anderen Gremien be- sind, sollten gerade von Ihnen stärker beherzigt schließen. werden, weil durch die Forschung unter Umständen (Zuruf von der SPD: Wir haben wenigstens stärkere Kosteneinsparungen möglich sind als durch ein Programm!) so manchen Paragraphen Ihres Sozialpakets. Wenn der frühere Bundesminister für Jugend, Familie und Man kann feststellen, daß bei Ihnen oft die rechte Gesundheit davon spricht, daß durch falsche Ernäh- Hand nicht weiß, was die linke tut. Sie wollen zu- rung volkswirtschaftliche Verluste von 17 Milliar- sätzliche Ausbildungsplätze bereitstellen, und der den DM entstehen und, wie wir wissen, Rheuma als Kultusminister von Nordrhein-Westfalen schreibt, eine Volkskrankheit ganz erhebliche Kosten für un- daß in diesem Jahr in der Forstwirtschaft keine Aus- sere Rentenversicherung verursacht, dann sollte der bildungsplätze bereitgestellt werden sollen, da er Bundsarbeitsminister diese Dinge ebenso in seine mit der Rechtsverordnung zur Regelung dieser Din- Überlegungen einbeziehen wie etwa Fragen der ge noch nicht so weit sei. Das alles, meine Damen Gefahren von Krankenhausinfektionen, die die Ko- und Herren, steht doch im Widerspruch zu Ihren stensituation im Gesundheitswesen ganz erheblich hochtrabenden Äußerungen. zusätzlich belasten. (Glocke des Präsidenten) (Zurufe von der SPD) — Wenn ich das noch zu Ende führen darf! Wenn Sie, Herr Arbeitsminister, die Zuständig- Herr Löffler, als wir uns vor wenigen Monaten keit für alle Bereiche des Gesundheitswesens hätten, über das arbeitsmarktpolitische Programm Ihrer Re- würden Sie z. B. auch feststellen können, daß sorg- gierung im Haushaltsausschuß unterhielten, wurde fältig durchgeführte Vorsorge-. und Schuluntersu- uns gesagt, daß die dafür bereitgestellten Mittel in chungen bei Kindern das Ergebnis haben, daß zwi- Höhe von 430 Millionen DM bis zum Mai in etwa schen 20 % und 30 % der Kinder Hör- und Seh- abfließen würden. Inzwischen zeigte sich — das störungen haben, die dazu führen, daß sie ihren wird man heute noch erfahren —, daß dieses Pro- Hauptschulabschluß nicht mehr schaffen, gramm eben nicht gegriffen hat. Sie werden 100 (Zurufe von der SPD) Millionen DM aus diesem Programm umschichten und ein neues Programm machen. Daß das nichts weil ihre Schulausbildung schon in den ersten Schul- nützen wird, werden Sie wahrscheinlich — leider — jahren Not gelitten hat. in wenigen Monaten feststellen müssen. (Löffler [SPD] : Und dann sagen Ihre Kolle- (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) gen: Immer mehr Staat!) — Entschuldigen Sie, das ist für die Zuständigkeit Vizepräsident Frau Renger: Ihre Redezeit ist ab- dieses Ministers — — gelaufen. Ich bitte um Entschuldigung, daß ich etwas strenger sein muß, aber sonst kommen wir überhaupt (Zuruf des Abg. Löffler [SPD] — Weitere nicht durch. Zurufe von der SPD — Gegenruf von der CDU/CSU: Sie sollten klatschen, weil er Herr Abgeordneter, machen Sie bitte Ihre Schluß- recht hat!) bemerkung. — Entschuldigen Sie mal, Prinz zu Sayn - Wittgenstein - Hohenstein: (CDU/ (Anhaltende Zurufe des Abg. Löffler [SPD]) CSU) : Der Herr Bundesarbeitsminister hatte eine gute Chance für einen Neubeginn. Er ist inzwi- Sie stellen seit 1969 den Bundesgesundheitsminister, schen bereits dabei, sich über weitere Beschlüsse und mit diesem Bundesarbeitsminister, der jetzt dieses Hohen Hauses hinwegzusetzen, etwa im Zu- einige Zuständigkeiten im Bereich der Gesundheits- sammenhang mit der Nutzung der Versicherungs- politik erhalten hat, müßte es doch möglich sein, kennzeichen. In diesem Fall geht es um die Einfüh- hier über ein Thema zu sprechen, das unser aller rung und Anwendung der Versicherungsnummern. Aufmerksamkeit fordert. Der Rechtsausschuß dieses Deutschen Bundestages (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe des hat in der 7. Legislaturperiode einstimmig beschlos- Abg. Löffler [SPD]) sen, von der Einführung von Personenkennzeichen Abstand zu nehmen. Das geschah auch im Hinblick Es genügt nämlich nicht, nur Programme zu ma- auf Verfassungsgerichtsurteile im Zusammenhang chen und immer mehr Geld bereitzustellen, um be- mit dem Mikrozensus und der Bewahrung persön- hinderten Jugendlichen eine spätere Berufschance licher Daten des Bürgers. Von Ihnen werden neue zu geben. Einmal die Ursachen zu untersuchen, dar- Versuche gemacht, den Menschen zu katalogisieren, auf sollten Sie, meine Damen und Herren, etwas zu reglementieren, Versuche, sich an der Verfassung mehr Gedanken verwenden und das nicht als lächer- vorbeizumogeln. lich abtun, wie das im Moment geschieht. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der Das ist ein typisches Beispiel für Ihre Politik, die SPD) Sie in vielen Fällen immer wieder — leider — be- Meine Damen und Herren, Ihre arbeitsmarktpoli- trieben haben. tischen Programme Deswegen werden wir Ihren Einzelplan ablehnen. (Zuruf von der SPD: Sind gut!) (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2717

Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- Kern unangetastet, es bleibt sozial ausgewogen, geordnete Grobecker. wenngleich uns Sozialdemokraten die Betonierung der Beitragsbemessungsgrenze besondere Sorgen bereitet; das sei hier zugegeben. Grobecker (SPD) : Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Wittgenstein, Dennoch bleibt festzuhalten: Wir können die ich will nicht sagen, daß ich schon das bin, was man Renten pünktlich auszahlen. Am 1. Juli wird für so einen alten Fuhrmann nennt. Aber ganz sicher alle Rentner gelöhnt. Alle Rentner bekommen ihre kann auch wohl keiner sagen, daß ich noch ein ihnen zustehende Erhöhung. Dasselbe gilt für die Frischling in diesem Parlament sei. Dennoch wun- Kriegsopfer, auch hier wird pünktlich gezahlt. Es dere ich mich immer, daß wir diesen Unterschied in ist schon mal etwas, daß Sie mit Ihren Möglichkeiten den klimatischen Bedingungen im Plenarsaal hier dieses Gesetz nicht haben aufhalten können. Die und da oben in der 25. Etage haben. Da oben in Konsolidierung der Rentenversicherung ist damit der 25. Etage sind wir immer ganz friedlich mitein- nicht mehr gefährdet, sondern auf den Weg ge- ander — auch Sie — und arbeiten zusammen, be- bracht. Wir werden das Ergebnis in aller Ruhe ab- schließen gemeinsam, manchmal auch kontrovers. warten. Ich denke, Herr Wittgenstein, wir werden Aber hier im Plenum des Deutschen Bundestages uns dann darüber unterhalten, ob es etwas gebracht hört sich das alles ganz anders an. Hier wird ge- hat. Ihre Prognosen teile ich nicht. Weiter wird die pustet und geprustet. Hier verzerren sich sogar die Kostendämpfung dazu beitragen, daß Beitragszahler Gesichter beim Sprechen. Ich verstehe das alles nicht unverantwortlich zur Kasse gebeten werden. nicht. Darüber hinaus ist für mich — das darf ich auch (Beifall bei der SPD) persönlich sagen — der wichtigste Punkt gerettet Ich verstehe das deshalb nicht, weil doch gerade worden, nämlich die Mitbestimmung der Selbst- der Einzelplan 11, der Einzelplan des Bundesmini- verwaltungsorgane im Bereich der Krankenkosten. sters für Arbeit und Sozialordnung, am ehesten ge- Das ist für uns der wichtigste Punkt. eignet wäre, ohne viel Drumherum sachlich beraten Zum Haushalt selber. Dieser Haushalt erreicht in zu werden, damit auch die, die uns zuhören, wissen, diesem Jahr ein Volumen von 38 Milliarden DM. wo es bei Ihnen nun eigentlich längsgeht und wo Der Sozialhaushalt ist nur im engeren Sinne hier es bei uns in der Koalition längsgeht. Im Haushalts- etatisiert. Es müssen weitere Leistungen hinzuge- ausschuß haben wir die Beratungen sachlich geführt. rechnet werden. Wenn alle Transferleistungen des Ich weiß nicht, wieso Sie die Beratung hier zum Staates hinzugefügt werden, kommt man auf eine Anlaß nehmen, so einen Donner aufzuführen, wie Summe von 65 Milliardn DM. Ich will das nicht Sie das eben hier gemacht haben. aufzählen. (Franke [CDU/CSU] : Grobecker, wer hört Entsprechend den Beschlüssen des Deutschen Bun- dir denn jetzt schon zu?) destages hat bei der Beratung des Einzelplans 11 Meine Damen und Herren, der Ausbau der sozia- im Haushaltsausschuß das Kapitel für den Zivil- len Sicherung bleibt nach wie vor unser vorrangiges dienst eine ganz große Rolle gespielt. Wir stehen Ziel. Der Haushalt des Bundesministers für Arbeit -- das darf ich hier verbindlich sagen — zu dem und Sozialordnung ist dafür ein beredtes Zeugnis. verabschiedeten Gesetz. Wir lassen uns nicht da- durch irritieren, daß Sie hier Anträge stellen, wie Wegen der Zeitökonomie in diesem Hause werde Sie das gemacht haben, die zur Streichung der ent- ich mich kurz fassen. sprechenden Mittel führen, oder daß Sie androhen, Wir lassen uns nicht von denen beirren, die sogar nach Karlsruhe zu gehen. Wir wünschen Ihnen dauernd von Anspruchsinflation reden und die uns gute Reise nach Karlsruhe. sagen wollen, daß die Grenzen des Sozialstaates (Dr. Hammans [CDU/CSU] : Ich würde an erreicht seien. Wir werden weiterarbeiten. Wir wer- Ihrer Stelle vorsichtiger sein!) den vor allen Dingen an der Beseitigung der schwe- ren Folgen der schlimmsten Rezession weiterarbei- Dennoch war es nötig — und ich denke, daß es ten, die wir seit 1945 erleben mußten. Sie hat ganz richtig ist, dies mitzuteilen —, im Haushalt das sicher ihre Spuren auch im Bereich dieses Haus- Kapitel umzustellen. Wir hoffen, daß das Gesetz halts des Bundesministers für Arbeit und Sozialord- am 1. August in Kraft treten kann. Wir haben die nung hinterlassen. Gerade deshalb hat diese Koali- finanziellen Mittel in diesen Haushalt eingestellt. tion das Konsolidierungsprogramm und das Kosten- Wir werden noch in diesem Jahr im Durchschnitt dämpfungsprogramm beschlossen, das sozial ausge- 25 000 Zivildienstleistende in Stellen vermitteln wogen ist. Deshalb haben wir weitere Hilfen für können. den Arbeitsmarkt beschlossen, insbesondere für die- (Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein jenigen, die unsere Hilfe besonders brauchen, die [CDU/CSU] : Sind Sie sicher?) älteren Arbeitnehmer, aber auch die Jugendlichen Dieses Geld muß selbstverständlich im nächsten und die Teilzeitarbeit suchenden Frauen. Jahr wieder draufgelegt werden, weil wir, insgesamt Das Ergebnis der Beratungen im Vermittlungs- gesehen, im Jahr auf 40 000 Zivildienstleistende ausschuß wird uns ja morgen im Verlaufe des kommen wollen. Wir glauben, daß damit trotz aller Tages hier noch beschäftigen. So viel kann jetzt düsteren Prophezeiungen, meine Damen und Her- schon gesagt werden, das Ergebnis ist ein vernünf- ren von der Opposition, dieses Gesetz die Wehr- tiger, ein tragfähiger Kompromiß, der von allen pflicht und die Verteidigungsbereitschaft der Bun- akzeptiert werden könnte. Das Gesetz ist in seinem deswehr nicht beeinträchtigen wird, weil nämlich 2718 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977

Grobecker genügend Zivildienstplätze vorhanden sein werden, kung für die zusätzlichen Mittel kann also zu einem so daß jeder, der sich für den Zivildienst entschei Teil durch die Rechtsmittel erfolgen. Der Ausgleich det, auch damit rechnen muß, einberufen zu werden. für die verbleibenden 300 Millionen DM wird über Neu eingestellt in diesen Haushalt wurden auch die Kreditaufnahme herbeigeführt. die Kosten für die Transfer-Enquete-Kommission, Die vorgeschlagenen Arbeitsbeschaffungsmaßnah- die den Einfluß staatlicher Transferleistungen auf men zielen genau auf akute Probleme auf dem das verfügbare Einkommen der Bürger unseres Lan- Arbeitsmarkt. Gerade die Problemgruppen sollen des ermitteln soll, und für die Kommission für die mit einem Teil der Mittel des Programms in Fortset- soziale Sicherung der Frau, die Vorarbeiten für das zung bestehender Bemühungen auch der Bundesan- zentrale sozialpolitische Vorhaben der nächsten stalt erfaßt werden. Jahre leisten soll, nämlich die Neuordnung der Mit den zusätzlichen Mitteln soll in einer Größen- sozialen Sicherung der Frauen und der Hinterblie- ordnung von 270 Millionen DM ein neuer Schwer- benen. Diese beiden Kommissionen sind in der punkt bei den sozialen Diensten gesetzt werden. Regierungserklärung angekündigt worden. Wir Jeder von uns weiß, daß gerade in diesem Bereich haben sie eingerichtet und die Mittel dafür zur Ver- ein erheblicher Nachholbedarf herrscht. Die Bereit- fügung gestellt. Wir werden sehen, welche Ergeb- stellung der Mittel wird den freien Wohlfahrtsver- nisse dabei herauskommen. Ich bin ganz sicher, daß bänden, die sich im übrigen sehr positiv zu diesem wir, was die unmittelbare Beeinflussung der priva- Programm geäußert haben, ermöglichen, in erheb- ten Haushalte durch staatliche Mittel ausmacht, zu lichem Umfang zusätzliche Hilfen einzustellen. Ge- erstaunlichen Ergebnissen kommen werden. dacht ist hier insbesondere an die Verstärkung der Die Schwerpunkte dieses Haushalts haben sich Altenpflege, z. B. auch durch vermehrte ambulante nicht verändert. Sie bestehen im wesentlichen durch Dienste. die Zuschüsse zur Rentenversicherung, zur Kriegs- Ich halte es für eine gute Idee, konjunkturell be- opferversorgung und zur Bundesanstalt für Arbeit. dingte Programme auch einmal dazu zu benutzen, Hier mußte im Gegensatz zum letzten Jahr keine weiterführende Gedanken zu entwickeln und Initial- große Summe eingestellt werden, lediglich ein auf zündungen wie in diesem Bereich auszulösen. Das 350 Millionen DM veranschlagtes Betriebsmitteldar- wird sicherlich bei diesem Programmteil der Fall lehen. Ich denke, wir werden über Ihre Prognose, sein. Ich halte es auch für eine gute Sache, daß der Herr Wittgenstein, am Ende des Jahres reden kön- überwiegende Teil dieser Mittel gerade auch Frauen nen, ob wir dafür zusätzliche Mittel brauchen. zugute kommen wird, denn die Arbeitslosenquote Herr Präsident, meine Damen und Herren, wegen ist hier — das weiß jeder — besonders hoch. Das der Zeitökonomie möchte ich an dieser Stelle kurz gilt speziell für Frauen die eine Teilzeitbeschäftigung den Antrag begründen, den wir eingebracht haben. suchen. Die Bundesregierung hat, wie Sie wissen, ein zu- Meine Fraktion begrüßt auch die weiteren Maß- sätzliches Beschäftigungsprogramm verabschiedet, nahmen, die im Bereich des Arbeitsmarktes vom das Mehrkosten von 400 Millionen DM verursachen - Kabinett beschlossen bzw. angekündigt wurden. Mit wird. Wir alle wissen, daß die Arbeitsmarktsitua- besonderem Interesse sehen wir hier, Herr Arbeits- tion nach wie vor nicht befriedigt. Die Beschäfti- minister, der Vorlage eines Entwurfs zur Änderung gungsentwicklung reagiert außerordentlich spät auf der Arbeitszeitverordnung entgegen. Wir meinen, die Wiederbelebung der Wirtschaft. das muß schnell passieren und ist ein wirksames Um so mehr begrüßt meine Fraktion, daß die Bun- Mittel. desregierung die Initiative ergriffen hat, diesem (Löffler [SPD]: Besonders für Abgeordnete!) Hause weitere wohnungswirtschaftliche, insbeson- — Ja, eine Arbeitszeitordnung für Abgeordnete dere aber auch — und darum geht es hier — ar- können wir gleich mit einführen. beitsmarktpolitische Maßnahmen vorzuschlagen. Mit den (Beifall bei der SPD und der FDP) arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wer- den wir sicher nicht alle Probleme der Beschäfti- Die arbeitsmarktpolitischen Hilfen werden sicher in gungssituation lösen können. Die Arbeitsmarktpoli- wirkungsvoller Weise die beschäftigungsrelevanten tik wäre damit auch ganz fraglos — wer weiß das wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen, die eigentlich nicht in diesem Hause? — überfordert. ebenfalls noch in dieser Woche erörtert werden, er- Die Arbeitsmarktpolitik hat aber in den vergan- gänzen. Sie sind mit dem Programm für Zukunfts- genen Jahren mit ihrem umfangreichen Maßnah- investitionen eingeleitet worden. menkatalog vom Kurzarbeitergeld bis zur Bildungs- Die von der Bundesregierung vorgeschlagenen förderung einen erheblichen Beitrag zur Entlastung zusätzlichen Maßnahmen erscheinen meiner Fraktion des Arbeitsmarktes geleistet. So wäre nach den aus mehreren Gründen besonders begrüßenswert. Berechnungen der Bundesanstalt für Arbeit im Sie bedauern das offensichtlich, Herr Wittgenstein. Da Jahre 1976 die Arbeitslosenzahl ohne diese Maß- die Mittel aus dem November-Programm nicht ab- nahmen um etwa 150 000 höher gewesen. Wir be- geflossen und nicht voll verbraucht sind, sind wir grüßen die positiven Auswirkungen der Arbeits- der Auffassung, daß es gut ist, die Restmittel aus marktpolitik und sind überzeugt, daß die neuen diesem Programm erneut für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen die Entlastungswirkungen noch ver- Zielsetzungen einzusetzen, und zwar etwas anders stärken werden. einzusetzen, als das noch im November für not- Abschließend, meine Damen und Herren, bleibt wendig und für richtig gehalten worden ist. Die Dek- mir zu sagen, daß der Einzelplan 11 insgesamt einen Deutscher Bundestag -- 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2719 Grobecker wesentlichen Beitrag zum Aufbau unseres Systems mission zur Ermittlung der staatlichen Transfer- der sozialen Sicherung leistet und wir ihm aus die- leistungen finanziert; eine, wie ich meine, außer- sem Grunde selbstverständlich zustimmen. ordentlich notwendige Untersuchung. Denn Brüche (Beifall bei der SPD) in den einzelnen Unterstützungsmaßnahmen sind unverkennbar und führen zum Teil zu außerordent- Ihren Antrag allerdings, Herr Wittgenstein, zur lich kuriosen Einzelergebnissen. Nur gesicherte Torpedierung des Zivildienstgesetzes, wie er dem Erkenntnisse ermöglichen es uns, notwendige Ein- Hause vorliegt, werden wir ablehnen. schränkungen und Koordinierungen vorzunehmen Ich denke, daß ich auf diese Weise auch zur Ob man es begrüßt oder nicht, Motivation für Humanisierung dieses Hauses beigetragen habe, in- mehr Leistung ist halt mehr Einkommen. Arbeit muß dem ich mich erheblich eingeschränkt habe, ob- sich lohnen. Wenn sich also das Nettoeinkommen schon das eine oder andere von Ihnen noch einer eines arbeitslosen Wohngeldempfängers nicht ge- Entgegnung bedurft hätte. bührend von dem Einkommen des durchschnittlichen (Beifall bei der SPD und der FDP) Arbeitnehmers unterscheidet, dann ist dies ein Alarmzeichen, eine objektive Analyse zu erstel- Vizepräsident Frau Renger: Danke schön. Die an- len. Deswegen sind wir froh, daß dem Wunsch des gemeldete Redezeit ist um acht Minuten unterschrit- Herrn Bundesministers Friderichs gefolgt worden ist ten worden; das ist bemerkenswert. und die staatlichen Transferleistungen auf ihre mög- lichen-Ungerechtigkeiten abgeklopft werden. (Beifall und Zurufe von der CDU/CSU: Da für kriegt er Beifall) Diese Transferleistungen sind Folgen unkoordi- nierter Einzelprogramme, jede Maßnahme in sich Das Wort hat Herr Abgeordneter Cronenberg. verständlich, alle zusammen oft widersprüchlich und ungerecht. Aber genau um solche Fehler zu ver- Cronenberg (FDP): Frau Präsidentin! Meine ver- meiden, möchten wir eine sachliche und objektive ehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich befürchte, Prüfung der Vorschläge zur Verbesserung der Be- daß mir die Unterschreitung nicht so perfekt gelin- schäftigungslage durchführen. Wir folgen nicht der gen wird, wie dies bei meinem Herrn Vorredner der hektischen Programmitis, die offenbar bei der Oppo- Fall war sition ausgebrochen ist, zunächst mit dem Erfolg, Das Konzept zur Sanierung der Rentenversiche- offensichtlich unterbeschäftigte Abgeordnete zu be- rung und der Sparmaßnahmen im Gesundheitswe- schäftigen und nicht beschäftigungslose Arbeitneh- sen, das von Prinz zu Sayn-Wittgenstein vorgetra- mer an die Arbeit zu bekommen. gen worden ist, entspricht nahtlos und konsequent (Zuruf von der CDU/CSU: Na, na!) denselben Meinungen, die von der CDU/CSU-Frak- tion in dieser Haushaltsdebatte vorgetragen worden Grundlage unserer Überlegung muß die Effektivi- sind: Ausgaben garantieren, möglichst steigern, Ein- tät unserer Sozialen Marktwirtschaft sein. Sy- nahmen und Sparmaßnahmen ablehnen, im Grunde stemgerechte Methoden haben in der Vergangen- genommen zur Debatte nichts Neues. Bitte ersparen - heit weiß Gott schwierigere Probleme, insbesondere Sie mir, daß wir die Debatte vom letztenmal in die- Strukturprobleme, gelöst. Die Wirtschaft hat in vol- sem Punkt wiederholen. ler Eigenverantwortlichkeit gewaltige Strukturver- änderangsprobleme gelöst. Auch die Probleme si- Im Mittelpunkt der Diskussion stehen heute unter cher nicht gerade marktwirtschaftlich orientierter Be- anderem Probleme der Beschäftigungspolitik. So reiche wie Landwirtschaft und Bergbau wurden ins- sehr es richtig ist, daß im Zusammenhang mit dem gesamt in der Vergangenheit befriedigend gelöst. Etat die grundsätzlichen Probleme des jeweiligen Fachbereichs angesprochen und diskutiert werden, Werfen wir daher einen Blick auf die Hauptur- so scheint es mir trotzdem notwendig, einige Be- sache unserer Arbeitslosigkeit und beschäftigen wir merkungen zum Etat zu machen, z. B. festzustellen, uns mit der Struktur dieser Arbeitslosigkeit. Nur daß die Betriebsmitteldariehen für die Bundesan- wer objektiv analysiert, hat die Chance, vernünftige stalt Mr Arbeit von 4,5 Milliarden DM im ver- und hoffentlich liberale Lösungen zu finden. gangenen Haushaltsplan auf 350 Millionen DM zu- Erste Ursache: Realistische Bewertung der D-Mark rückgeführt werden konnten; wie ich meine, ein durch Freigabe des Wechselkurses. Es ist einfach Beweis dafür, daß die Dinge sich nicht verschlech- lehrreich und systemgerecht, wenn die Politiker das tert, sondern verbessert haben. Wenn die Zuschüsse Ergebnis ihrer Bemühungen und Fehlleistungen am für die Arbeiterrentenversicherung, Angestellten- Kurszettel ablesen können. Ich meine, daß die Be- versicherung und knappschaftliche Rentenversiche- wertung der D-Mark an den internationalen Börsen rung um zirka 10 % gestiegen sind, so ist dies eine jedenfalls mehr für die Effektivität dieser Regie- Folge der von Ihnen und uns beschlossenen Dyna- rungspolitik spricht, als dies die Äußerungen der misierung. Wir wollen aber darauf hinweisen, daß Opposition vermuten lassen. der Abbau der Bundeszuschüsse für diese Zwecke für die Versicherung — Versicherung dreimal unter- (Beifall bei der FDP und der SPD) strichen — langfristig meines Erachtens notwendig Zweite Ursache: Rohstoffe und Energiekrise. Na- und richtig ist. türlich ist wahrscheinlich nach Meinung der Oppo- Ihre besondere Aufmerksamkeit möchte ich auf sition getreu Rudi Carrell nur die SPD an dieser den Tit. 526 08 mit 650 000 DM lenken; denn hier Geschichte schuld. In diesem Fall tragen wir die Ver- werden die Kosten für die Transfer - Enquete - Kom antwortung gern mit. 2720 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode -- 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22, Juni 1977 Cronenberg Dritte Ursache — eine ernste Ursache —: Die willige — die es in diesem Land natürlich gibt — Reallöhne und die preisbereinigten Sozialkosten von den Unternehmen nicht, auch nicht in krassen sind höher gestiegen als die Produktivität. Dies ko- Fällen, gemeldet werden, so daß die notwendigen stet Wettbewerbsfähigkeit, mindert unseren Export Maßnahmen nicht ergriffen werden können. und ist daher als Ursache für die Arbeitslosigkeit besonders zu vermerken. Vizepräsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, Das hat dazu geführt, daß wir im wesentlichen gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- drei Gruppen von Arbeitslosen haben. Erstens: Älte- ordneten Franke? re Angestellte als Folge eines grandiosen Rationali sierungsprogramms in unseren Büros. Zweitens: Cronenberg (FDP) : Aber selbstverständlich! Frauen mit geringer beruflicher Qualifikation, ins- besondere Teilzeitarbeit suchende Frauen. Drittens: Vizepräsident Frau Renger: Na! Nicht so gern, Jugendliche ohne Schulabschluß und ungelernte Ar- würde ich sagen. beiter. Primär kann dieses Problem nicht durch allgemei- Cronenberg (FDP): Aber nur wegen der Zeit! ne Beschäftigungsprogramme und Konjunkturpro- gramme gelöst werden. Die wichtigste Vorausset- Vizepräsident Frau Renger: Ja, wegen der Zeit. zun für die Minderung der Unterbeschäftigung ist ein allgemeines Wachstum von meines Erachtens . Cronenberg (FDP) Natürlich! In Ihrem Interesse real 4,5 bis 5 %. Alle, die mit der Idee des Null- muß ich also sagen: Ganz knapp! wachstums spielen, müssen sich darüber im klaren sein, daß sie Arbeitslosigkeit per excellence produ- Franke (CDU/CSU): Hier gibt es im Augenblick zieren. also drei unterschiedliche Interessenlagen. Herr (Zuruf von der CDU/CSU: Herr Eppler!) Kollege Cronenberg, darf ich Sie zu Ihrer vorheri- Nur ein solches Wachstum enthält die Chance, not- gen Bemerkung fragen: Ist Ihnen bekannt, daß sich wendige Arbeitsplätze für die geburtenstarken Jahr- die "Arbeitslosen- und die Arbeitsmarktverände gänge und auch für die durch Rationalisierungsmaß rungszahlen von 1973 bis 1976 nicht um 4,2 % verän- nahmen frei gewordenen Arbeitnehmer zu schaffen. dert haben -- damit haben Sie den augenblicklichen Arbeitslosenstand bezeichnet —, sondern uni 6,1 %, Ich möchte bei dieser Gelegenheit ein klares Ja so daß 1,613 Millionen Arbeitsplätze 1976 weniger zu Rationalisierungsmaßnahmen sagen. Wer mög vorhanden waren als 1973? liche Rationalisierungsmaßnahmen 'einschränkt oder verhindert, der gefährdet leichtsinnig und unverant- wortlich unsere Wettbewerbsfähigkeit. Mit Recht hat Cronenberg (FDP) Aber, Herr Kollege Franke, der Kanzler von dieser Stelle aus darauf hingewie- selbstverständlich ist mir dies bekannt. Und genau- so bekannt ist mir wie Ihnen, daß dies zwei Ur- sen, daß fast 30 0/o unserer Produkte. auf Expo rt sachen hat: einmal unsere konjunkturelle Lage, für märkten verkauft werden. Deswegen ist es wichtig - daß diese Arbeitsplätze nicht durch mangelnde Ra- die sicher auch die gesamte wirtschaftliche Ent- tionalisierung gefährdet werden. wicklung in dieser Welt verantwortlich ist, und das Ergebnis positiver Rationalisierungsmaßnahmen; das Damit die Arbeitslosigkeit richtig eingeschätzt ist überhaupt nicht zu bestreiten. Mit dem Problem wird, müssen wir feststellen, daß erstens die Ar- werden wir fertig werden müssen, alle gemeinsam. beitslosigkeit von 4,2 % in unserem Land die ge- ringste Arbeitslosigkeit ist, die in technologisch ver- Lassen Sie mich nun auf die einzelnen Vorschläge gleichbar entwickelten Ländern vorhanden ist — und Ideen — und zwar bei hoher Ausländerbeschäftigung. (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Und die Ver Darüber hinaus muß zweitens festgestellt werden, minderung der Arbeitsplätze auf Grund der daß wir in vielen Berufen und Branchen nicht in der vielen Pleiten?) Lage sind, den Bedarf zu decken. Es fehlen tüchtige — Entschuldigen Sie, wer ja sagt zur Marktwirt- Schlosser, Werkzeugmacher, Dreher. Aus eigener schaft, muß gelegentlich auch einmal zu Pleiten ja Erfahrung als mittelständischer Unternehmer weiß sagen. Da müssen Sie konsequent sein. ich, daß dieser Bedarf häufig beim Arbeitsamt über- (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Es kommt auf haupt nicht gemeldet wird, weil man unterstellt, daß die Methode an!) der Bedarf nicht befriedigt wird. In dieser Beziehung bin ich fest der Überzeugung, daß die Statistiken Lassen Sie mich auf einzelne Vorschläge und zum Teil falsch sind. . Ideen aus Ihrem Programm einmal eingehen. Erstens zur Frage der Arbeitszeit! Zunächst ein offenes Was die Statistik anlangt, ein kritisches Wort zu Wort zur Überstunden-Frage. Ein Verbot oder eine meinen Berufskollegen, insbesondere den mittelstän- finanzielle Bestrafung von Überstunden hat meines dischen Unternehmern: Sie sollten alle offenen Stel- Erachtens genau den gegenteiligen Effekt, den die len auch dann melden, wenn das Arbeitsamt auf Verfasser sich davon versprechen. Wenn in den Be- Grund früherer Erfahrungen nicht in der Lage ist, trieben Reparaturschlosser, Werkzeugmacher Über- den Bedarf zu decken. stunden machen, dann schaffen sie Arbeit, dann ge- Weiter: Mit Recht kritisieren die Beitrag zahlen- ben sie Arbeit und nehmen niemandem die Arbeit. den Arbeitnehmer und Arbeitgeber, daß Arbeitsun- Terminaufträge sind oft nicht anders zu erledigen. Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2721 Cronenberg Neueinstellungen für kurze Zeit lösen im allgemei- der Nation aus dem freundlichen Süden die Mög- nen überhaupt keine Probleme. Sie schaffen Pro- lichkeit zu geben, mit den gleichen vernünftigen bleme. Methoden, die die Koalition anwendet, die heile Die Verkürzung der Tagesarbeitszeit und Wo- Welt wieder herzustellen. Daß Ihnen nicht das chenarbeitszeit erscheint mir nicht sinnvoll und Wohl der Regierung am Herzen liegt, kann ich praktikabel. Es handelt sich nicht um die Verteilung Ihnen ganz gut nachfühlen. Aber daß Sie durch Ihr des Mangels — das hat noch nirgendwo geholfen —, Abstimmungsverhalten das Wohl unserer Wirt- sondern wir müssen den Mangel beseitigen. schaft zur Disposition stellen und uns damit in echte Gefahr bringen können, das geht meines Er- (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Sagen Sie das mal Ihren Genossen dort!) achtens doch ein ganz klein wenig zu weit. Sie soll- ten in diesem Zusammenhang auch einmal über die — Ich komme gleich zu Ihnen. — Aus dem Ergebnis Glaubwürdigkeit unserer Parteien nachdenken. mit Hilfe von technologischen Entwicklungen einer prosperierenden Marktwirtschaft sind wir in der (Beifall bei der FDP und der SPD) Lage, als Folge des Wachstums auch die Verkür- Lassen Sie mich noch einige Sätze zum Erzie- zung der Lebensarbeitszeit vorzunehmen. Sie ist hungsgeld sagen, ein gesellschaftspolitisch vielleicht wünschenswert und diskutabel. wünschenswerter Vorschlag. Er ist aber als Lösung Von entscheidender Bedeutung ist hierbei aller- von Arbeitsmarktproblemen meines Erachtens un- dings die unvermeidliche Belastungssteigerung für geeignet. Wie kann man denn annehmen, daß die Arbeitenden. Denn die Verlängerung der Ren- Frauen bereit sein würden, ausgerechnet in einer tenzeit, meine Herren von der CDU, die von Ihnen Zeit hoher Frauenarbeitslosigkeit ihren Arbeits- vorgeschlagen wird, kostet halt eben mehr Bei- platz für ein Jahr aufzugeben? Eine praktikable, träge für die Rentenversicherung. Verlängerung von wirksame Arbeitsplatzgarantie ist meines Erachtens Ausbildungszeit kostet natürlich mehr Steuern. in dieser Situation eine Illusion. Die CDU verlangt Belastungsstopp für zusätzliche Die CDU will als Beitrag zur Beschäftigungspoli- Steuern und Abgaben. Bravo, könnte man da rufen. tik die flexible Altersgrenze von 63 auf 60 Jahre (Lachen bei der CDU/CSU) vorübergehend, wie man sagt, senken. Hier wird mit zweifelhaftem Nutzen eine langfristige Einrichtung Nur wenn es darum geht, die Vermögensteuer zu wie die Rentenversicherung als Instrument für kurz- senken, die Gewerbesteuer zu senken, dann er- fristige Effekte mißbraucht. Bei den Problemen, die scheint der finanzpolitische Sprecher Ihrer Fraktion auf uns zukommen, ist eine Verlängerung dieser nicht eine halbe Minute hier im Plenum. Er kommt, Methodik sozusagen schon einkalkuliert. stimmt ab und geht wieder weg. Man könnte ver- sucht sein, mit Wilhelm Busch zu sagen: „Tugend Die rote Lampe hier leuchtet auf. will ermuntert sein, Bosheit kann er schon allein." (Heiterkeit Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Sie, Herr Prinz zu Sayn-Wittgenstein, haben hier Nicht immer hält das rote Licht ... !) einige Ausführungen gemacht zu der Sanierung der — ... , was es dem Wandersmann verspricht. Im Renten und zur Minderung der Kostensteigerung im Klartext heißt die Berücksichtigung versicherungs- Gesundheitswesen. Die CDU verlangt immer wieder mathematischer Abschläge aber, daß die Rente für die Bremsung der Sozialabgaben. Nur, Sie tragen einen 60jährigen um 25 O/o gekürzt wird. mit Ihren Vorschlägen dazu bei, daß eine Verwäs- serung der Kostendämpfungsmaßnahmen vorgenom- Ich möchte nun zum Schluß kommen. Wenn Sie men wird, daß eine verbindliche Bremsung der Arzt- immer wieder sagen, daß das Vertrauen in die Wirt- honorarsteigerung verhindert wird, daß eine ver- schaft mit Grundlage für die Gesunderhaltung un- bindliche Bremsung der Medikamenteninflation ver- seres marktwirtschaftlichen Systems sei, dann hindert wird. sägen Sie durch Miesmachen und durch Zerstören Sie versuchen darzustellen, daß die Rechnung bei von Vertrauen außerordentlich an diesem System. der Rentenversicherung nicht aufgeht. Dann erklä- (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Wer reduziert ren Sie mir doch einmal, warum denn die angeblich denn das Vertrauen? Diese Regierung da!) nicht ausreichenden Maßnahmen der Koalition von Ihnen abgelehnt werden! Die Folgen müssen doch Es wäre uns sehr dienlich, wenn Sie mit dazu bei- sein, daß die Dinge noch sehr viel schlimmer wer- tragen würden, daß dieses berechtigte Vertrauen, den, als Sie sie schildern. das wir haben, auf die ganze Wirtschaft übertragen würde. Denn wir sind überzeugt, daß der Nachfol- Vorschlag von Ihnen: Ausweitung öffentlicher ger eines , der Bundeswirtschafts- Investitionen. Man fragt sich doch allen Ernstes: minister , ein guter Wirtschaftsmini- was soll denn das alles? Da schreit der eine: „Die ster ist. Wir sind überzeugt, daß in Defizite der öffentlichen Kassen sind zu hoch, Julius Schäffer einen sparsamen und würdigen Staatsbankrott!" Der andere schreit: „Ihr müßt mehr Nachfolger gefunden hat. ausgeben, Programme machen für die öffentliche Hand, möglichst ohne Folgekosten natürlich." Da- (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Haben Sie mit das Ganze auch richtig funktioniert, wird es mit nicht auch Tränen in den Augen?) Steuermindereinnahmen finanziert. Wir sind überzeugt, daß , der Dieses Garantierezept zum Pleitemachen soll sich der Gesamtwirtschaft verpflichtet fühlt, für sicher das Klima schaffen, um dann dem Retter dieses Land einen guten Beitrag, der auch Ihrer 2722 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Cronenberg Unterstützung würdig wäre, leistet. Aus diesem über zu streiten, welcher Prozentsatz der konjunk- Grunde stimmen wir sehr gerne seinem Etat zu. turellen und welcher der strukturellen Arbeitslosig- keit zuzuordnen ist. Für den von der Arbeitslosig- (Beifall bei der FDP und der SPD) keit betroffenen Arbeitnehmer sind die Auswirkun- gen gleich verheerend. Das Wort hat Herr Vizepräsident Frau Renger: Viel wichtiger als die strukturelle Arbeitslosigkeit Abgeordneter Müller (Remscheid). Acht Minuten scheint mir die Struktur der Arbeitslosen zu sein. sind angemeldet, Herr Kollege. Nach wie vor bilden die Ungelernten den großen Block unter den Arbeitslosen, und nach wie vor — Müller (Remscheid) (CDU/CSU) : Frau Präsidentin! Herr Kollege Grobecker, ich bin sehr froh, daß ich Meine Damen und Herren! Ich werde mich bemü- hier die Übereinstimmung mit den Gewerkschaften hen, mir weder Ihren Zorn noch den der Parlamen- feststellen kann — gilt unsere Forderung nach einer tarischen Geschäftsführer zuzuziehen. besseren Qualifizierung der Arbeitskräfte, und nach wie vor erheben wir gemeinsam mit den Gewerk- Für uns wird es sicherlich interessant sein, beim schaften den Vorwurf, daß durch das Haushalts- Nachlesen des Protokolls einmal zu versuchen, das, strukturgesetz aus dem Jahre 1975 zum unrechten was Herr Kollege Grobecker und Herr Kollege Cro- Zeitpunkt die so dringend notwendigen Bildungs- nenberg gesagt haben, irgendwie deckungsgleich maßnahmen gedrosselt wurden. zu bringen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) Das wird außerordentlich schwer sein. Die Zahlen, die uns über den Rückgang beruflicher Bildungsmaßnahmen bekannt sind, zeigen, wie ver- (Grobecker [SPD] : Womit ist das denn heerend sich diese falsche Weichenstellung auf die deckungsgleich, was Sie als DGB-Mann so von der Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen aus- sagen?) gewirkt hat und wie wichtig und wie notwendig es — Ich will gerade etwas dazu sagen. Ich wollte ist, das Arbeitsförderungsgesetz wieder zu einem Ihnen nur sagen, daß es außerordentlich schwer ist, Instrument zu machen, mit dem die beruflich weni- etwas Deckungsgleiches in der Koalition zu finden. ger Privilegierten besser gegen die Arbeitslosigkeit Es wird mir doch wohl noch gestattet sein, daß ich geschützt werden. feststelle, daß offensichtlich zwischen den Aussa- Es gibt Leute in unserem Land, die beklagen Laut- gen, die Sie als Sprecher der SPD hier gemacht halts die hohen Unterstützungsleistungen, wie jetzt haben, und denen des Sprechers der FDP keine der Herr Staatssekretär Rohwedder, und behaupten, Deckungsgleichheit besteht. die Arbeitslosen wollten nicht arbeiten. Das scheint (Beifall bei der CDU/CSU) mir eben eine Verhöhnung der Arbeitslosen zu sein. Nun lassen Sie mich aber im Zusammenhang mit Dazu zwei Tatsachen. Obwohl die Zahl der Ar- dem Antrag auf Drucksache 8/615 etwas sagen. beitslosen im Jahre 1977 durchschnittlich um fast Ich muß etwas zitieren, was heute in der „Frank- - 100 000 Arbeitslose höher liegen wird, als ursprüng- furter Allgemeinen Zeitung" steht. Herr Kollege lich im Haushaltsplan der Bundesanstalt für Arbeit Grobecker, auch das müßte mit Ihren Ausführungen geschätzt, wird Nürnberg trotzdem mit dem dafür etwas in Übereinklang gebracht werden. Herr vorgesehenen Geld auskommen. Das ist darauf zu- Staatssekretär Rohwedder hat nach einem Bericht rückzuführen, daß die Höhe der Unterstützung die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" in Saarbrücken Schätzung bei weitem nicht erreicht. Die Kosten gesagt, daß die Ursachen der Arbeitslosigkeit die sind wesentlich niedriger als angenommen, weil die hohen Arbeits- und Soziallasten seien. Er sei sicher, Einkommen niedriger waren. Das ist ein Beweis da- daß in einigen Branchen in der Bundesrepublik die für, daß ein Teil höherer Arbeitsverdienste durch hohen Lohnkosten die Ursache der Arbeitslosigkeit Überstunden erreicht wurde, die heute weitgehend seien. Weitere Gründe sieht er in den Bestimmun- abgebaut sind. gen des Arbeits- und Steuerrechts sowie in der Per- Es bestreitet niemand, daß es unter den Arbeits- son der Arbeitslosen selbst. In der Bundesrepublik losen schwarze Schafe gibt. sei bisher zuviel Gewicht auf die Besserstellung (Müller [Berlin] [CDU/CSU]: Wie überall!) der Arbeitslosen und zu wenig auf eine bei ihm zu entwickelnde Motivation gelegt worden, diese Aber deren Zahl wird einfach überschätzt. Heute Arbeitslosigkeit wieder zu beenden. steht noch nicht einmal für jeden vierten Arbeits- losen ein freier Platz zur Verfügung. Das sind doch (Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Zurufe die Tatsachen. von der CDU/CSU: So unrecht hat er nicht!) Wir haben in unserem Programm, das wir in die- Das sagt also Herr Rohwedder. Auch dieser Wi- sem Hause vorlegen werden, eine ganze Menge von derspruch, Herr Grobecker — ich muß das noch ein- Maßnahmen vorgeschlagen. Ich habe nicht die Zeit mal sagen —, muß aufgeklärt werden. Der Arbeits- dazu, das hier im einzelnen auszuführen. Wir wer- markt bietet ja nun wirklich ein erdrückendes Bild. den das zu einem späteren Zeitpunkt tun. Da wird ja oft fälschlicherweise von einem Sockel an Arbeitslosigkeit gesprochen. Es gibt sogar ver- Ich will Ihnen jetzt nur folgendes sagen: Aus die- antwortliche Politiker, die von einer Restarbeits- ser unserer Haltung sind wir, obwohl wir den Haus- losigkeit sprechen. Bei der Zahl von rund einer Mil- halt des Bundesarbeitsministers ablehnen, der Mei- lion Arbeitslosen scheint es mir müßig zu sein, dar nung, daß wir dem Antrag auf Drucksache 8/615 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2723 Müller (Remscheid) unter Ziff. II zustimmen können, weil hier ein positi- Lutz (SPD) : Frau Präsidentin! Meine Damen und ver Beitrag zu den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Herren! Ich glaube, wir sollten dem Kollegen Müller geleistet wird. (Remscheid) Dank sagen. Das war einmal ein Sach- beitrag, Herr Kollege Müller (Remscheid), wenn es (Löffler [SPD] : Sonst dürften Sie sich in Ihnen gelänge, in die Manuskripte Ihres Vorsitzen- Remscheid auch nicht mehr sehen lassen!) den demnächst Ihre Gedanken einfließen zu lassen, — Ich sage Ihnen ja, daß wir zustimmen, weil wir dann würde das zweifelsohne hilfreich sein, selbst es ja auch gefordert haben. Eines sollte man (Zurufe von der CDU/CSU) feststellen: Von den 400 Millionen DM, die hier an- gesetzt sind, sind 100 Millionen nicht verbrauchte denn Sie sehen wie wir auch konjunkturelle und Mittel aus früheren Beschaffungsmaßnahmen, strukturelle Probleme der Arbeitslosigkeit. (Zurufe von der CDU/CSU: Sie hören nur (Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein auf einem Ohr!) [CDU/CSU]: So ist es!) Die sieht Ihr Vorsitzender offensichtlich nicht. Bei so daß jetzt also 300 Millionen DM zur Verfügung ihm reduziert sich das auf ganz einfache und damit gestellt werden. Sie wollen 200 Millionen in den nicht mehr stimmende Vokabeln. Ich fürchte, daß Haushalt 1978 der Bundesanstalt für Arbeit einset- wir da nicht weiterkommen. Aber ich glaube, auch zen. Darüber wird der Haushaltsausschuß der Bun- Ihr Vorsitzender ist ein lernfähiges System. Seien desanstalt sicherlich beraten. Sie uns behilflich, daß wir in der Arbeitsmarkt- politik ein Stück weiterkommen! Ich möchte zu einigen Ihrer Pläne, die bekannt- geworden sind, nur ganz kurz Stellung nehmen. Sie Mit Ihnen brauche ich ja nicht zu streiten; Sie sprechen von einer notwendigen Stellenvermeh- haben in einer ganzen Reihe von Fragen genau rung um 1000 Stellen in der Arbeitsvermittlung und unsere Position mit umschrieben. Es ist aber von 600 Stellen in der allgemeinen Arbeitsberatung. gestern gesagt worden, daß das Problem der Ar- Sie haben also 1600 Stellen zugesagt. Sie wissen — beitslosigkeit, wie wir es sehen, ein Problem sei, das zumindest die Fachleute unter Ihnen —, daß im von dieser Regierung verschuldet worden sei. Man Leistungsbereich der Bundesanstalt auch 700 Stellen hat die weltwirtschaftlichen, die nationalökonomi- fehlen. Sie wissen auch, daß die Personalmisere der schen, die technologischen Facetten dieses Pro- Bundesanstalt für Arbeit in den vergangenen Jahren blems geleugnet, es im Grunde darauf reduziert, daß über finanzielle Mittel für Zusatzkräfte nur unzu- diese Regierung Schmidt schuld sei an Arbeits- reichend ausgeglichen wurde. Sie wissen, daß 1 600 losenzahlen von einer Million und Gott sei Dank langfristig tätige Zusatzkräfte vorhanden sind, de- darunter. ren Beschäftigungszeit immer wieder in arbeitsrecht- (Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt auch!) lich äußerst bedenklichen Kettenarbeitsverträgen — Herr Kohl hat das gesagt; Sie haben es wohl- verlängert wurde. Die Bundesanstalt für Arbeit muß weislich nicht gesagt. diese Zahl dringend herunterfahren. Wenn jetzt 1 600 Planstellen bewilligt werden sollen, ist das Dann hat man gesagt: Erst als die Union ein sicherlich zu begrüßen, wird aber vermutlich nicht Programm zur Wiedergewinnung der Vollbeschäfti- ausreichen, um die Fehler der Bundesregierung bei gung vorgelegt habe, sei die SPD-Fraktion aus den Haushaltsbewilligungen der Bundesanstalt ver- ihrem Schlaf aufgewacht gangener Jahre auszugleichen. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) und habe nun ihrerseits auch ein Programm vor- Wenn der neue Bundesarbeitminister die Probleme gelegt. noch nicht kennt, dann habe ich die Hoffnung, daß (Müller [Berlin] [CDU/CSU] : Womit er die neue Staatssekretärin aus einschlägiger leid- recht hat!) voller Erfahrung als Vorstandsmitglied der Bundes- anstalt für Arbeit die notwendige sachliche Bera- — Nun, Sie haben ein Papier fabriziert — Sie selbst tung dazu geben kann. sicherlich nicht, aber Sie haben mitgeholfen —, das in sich, fürchte ich, widersprüchlich in seinen finan- Meine Damen und Herren, wir stimmen diesem ziellen Konsequenzen unhaltbar, in seinen beschäfti- Änderungsantrag ausdrücklich zu bei Ablehnung gungspolitischen Wirkungen fragwürdig, in seiner des Gesamthaushaltes aus politischen Gründen. Wir Praktikabilität unbrauchbar ist. Und Sie haben große hoffen, daß wir uns sehr bald über die gesamten Teile Ihres Papiers bei uns abgeschrieben, Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung in diesem Hause unterhalten können, damit wir dann etwas länger (Beifall bei der SPD — Lachen bei der und breiter alles das behandeln können, wovon der CDU/CSU) Kollege Cronenberg glaubte geringschätzig reden denn wir beschäftigen uns seit vielen Monaten da- zu müssen. Wenn wir die Arbeitslosigkeit beseitigen mit. Nur, Sie haben schlecht abgeschrieben. Sie wollen, müssen wir mehr Phantasie haben als mit haben das, was wir überlegt haben, aufgegrif- dem Instrument, das wir zur Zeit noch haben. fen — — (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Früher sagte (Beifall bei der CDU/CSU) man: Das war eine Zwölf tief links! — Heiterkeit und weitere Zurufe von der Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- CDU/CSU) geordnete Lutz. — Ach, Herr Haase! Man kennt Sie! Sie erlauben? 2724 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Lutz Wissen Sie, was Sie gemacht haben? Wir haben Finanzpolitisch muß die Beschäftigungspolitik seit vierzehn Monaten dieses und jenes bedacht. durch einen gezielteren Einsatz staatlicher Mittel und durch eine antizyklisch wirkende Haushaltspo- Manches war praktikabel, manches haben wir weg- litik von Bund, Ländern und Gemeinden flankiert geworfen. Sie haben alles einmal aufgesammelt. werden. Das heißt konkret in diesem Augenblick — Dann haben Sie daraus ein Papier gemacht, und das oder wie Ihr Vorsitzender, der nicht unter uns weilt, nennen Sie ein „Programm zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung". Sie müssen sich merken: (Dr. Hammans [CDU/CSU]: Ihrer auch nicht!) Abschreiben will gelernt sein! Sie sind miserable sagen würde: an diesem Tag und zu dieser Stun- Plagiateure! de —: durch ein offensives Fahren der öffentlichen (Beifall bei der SPD — Lachen bei der Haushalte, durch eine Personalpolitik, die sich nicht CDU/CSU — Müller [Berlin] [CDU/CSU] : darin erschöpft, Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst Das sind die Geheimrezepte der SPD!) wegzurationalisieren, sondern die für die durch den technologischen Wandel überflüssig gewordenen Meine Damen und Herren, Ihr Programm ist nicht öffentlichen Arbeitsplätze an anderer Stelle, wo ein einmal ein Programm. Kein Mensch weiß, was es ist. Bedarf besteht, etwa in den sozialen Diensten, ge- Ich nehme an, ein Denkansatz. Es wird irgendwann gensteuert. einmal von irgend jemandem, vermutlich von den (Beifall bei der SPD und der FDP) Herren der CSU, redigiert. Dann wird einiges hin- ein und einiges herausgeschrieben. Irgendwann Ich glaube, es ist schwer, Ihnen das verständlich bleibt irgend etwas übrig. Aber ich frage mich: zu machen. Ihnen, Herr Müller, ist es sicher ver- Wann bleibt was übrig, und was wird gültig blei- ständlich zu machen, aber nicht allen Ihrer Frak- ben? tion. Da gibt es viele — ich meine den Vorsitzen- den der einen und den Vorsitzenden der anderen Ich sage Ihnen ganz offen: Papier ist geduldig, Partei —, die nach Art drittklassiger Krimiautoren aber Geduld können wir uns auf die Dauer nicht Alleinschuldige suchen; das ist dann natürlich die leisten, schon im Interesse der Arbeitslosen in die- Bundesregierung. sem Lande nicht, denen es zu helfen gilt. (Dr. Hammans [CDU/CSU] : Mit Recht!) (Zurufe von der CDU/CSU: Wie hätten Sie — Da sehen Sie es wieder! Ich sage Ihnen ganz es denn gern? — Denen hätten Sie am offen: Das hohle Schwadronieren ist kein Ersatz für 3. Oktober helfen können!) eine aktive Beschäftigungspolitik. — Sehen Sie, Sie versuchen immer, eindimensional (Beifall bei der SPD — Sehr wahr! bei der zu argumentieren. Ebenso wie die Arbeitslosigkeit CDU/CSU — Dr. Hammans [CDU/CSU] : Si konjunkturelle und strukturelle Ursachen hat, so tacuisses! — Haase [Kassel] [CDU/CSU]: gibt es keinen Königsweg zur Bekämpfung der Ar- W i r hatten keine Arbeitslosen!) beitslosigkeit, sondern nur eine Fülle von Politiken Was haben Sie gemacht? Diese Bundesregierung auf den verschiedensten Feldern, hat in den letzten Jahren Milliarden eingesetzt und (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Wann wollt Hunderttausende von Arbeitsplätzen zusätzlich ge- Ihr die denn anwenden?!) schaffen und gesichert. Wäre das nicht erfolgt, dann wäre der Arbeitslosensockel wesentlich höher. Wir das heißt: international durch Stabilisierung der haben das 16-Milliarden-Programm für Zukunfts- Konjunktur, national durch Kräftigung des Auf- investitionen aufgelegt. Wir stoßen an die Grenzen schwungs, durch Ermutigung der Investitionstätig- des Programms, weil wir immer noch nicht ganz keit, sicher sind, daß der Impuls, der vom Bundeshaus- (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Vertrauen, halt ausgeht, offensiv von Ihren Ländern und in Herr Kollege!) den von Ihnen beherrschten Gemeinden aufgenom- durch die Förderung neuer Technologien, durch men wird. eine gezielte Strukturpolitik in den ballungsfernen (Dr. Hammans [CDU/CSU] : Dann müßte es Räumen, die eben nicht nur auf die Schaffung von in Ihren Ländern besser sein! Das beste Wegwerfarbeitsplätzen angelegt ist, sondern in die- Land ist Baden-Württemberg! — Weitere sen Räumen Dauerarbeitsplätze einer ausgewogenen Zurufe von der CDU/CSU) Struktur schaffen will. — Sie sollten nicht soviel dazwischenrufen. Ich (Müller [Remscheid] [CDU/CSU] : Machen habe nur noch eineinhalb Minuten Zeit, und des- Sie doch mal!) wegen kann ich nicht darauf eingehen. Ich bitte Sie um folgendes. Das Problem der Arbeitslosigkeit in — Ja, Herr Müller, Strukturpolitik ist nur ganz ent- diesem Land ist viel zu ernst, als daß wir uns den fernt Bundessache. Ich komme aus dem Lande Luxus solcher Gespräche leisten könnten. Bayern. Ich weiß, wie Hunderte von Millionen Mark durch die Schaffung von Wegwerfarbeitsplätzen (Müller [Berlin] [CDU/CSU] : Reden Sie weggeworfen worden sind. Das ist nicht die Struk- doch nicht solchen Stuß!) turpolitik, die wir wollen. Aber ich klage meine Wir müssen zusammenarbeiten. Die Arbeitslosig- Landesregierung nicht an, da der Landesvater, wie keit ist auf allen Politikfeldern zu bekämpfen, und er sich nennt, ohnehin auf Abruf oder zur Disposi- sie kann nicht durch die Politik allein bekämpft tion steht. werden. Wir brauchen hier den Beitrag der Tarif- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2725 Lutz vertragsparteien. Mein Kollege Müller (Remscheid) trifft nicht sie. Sie sind für die Ausrichtung der Poli- stimmt wieder zu; hoffentlich wird sich das auch bei tik in diesem Haus nicht verantwortlich, sondern Ihnen herumsprechen. erfüllen dort ihre Pflicht, und für diese Pflichterfül- (Beifall bei der SPD) lung gebührt den Damen und Herren ein Wort des Dankes. Diese Gesellschaft sitzt auf einem Pulverfaß. Von der Arbeitsmarktsituation und den Proble- (Müller [Berlin] [CDU/CSU] : Dank Ihrer men der sozialen Sicherung her sind in der 8. Le- Politik!) gislaturperiode bisher die Fachbereiche Arbeits- Wenn es uns nicht gelingt, bei der Arbeitslosigkeit marktpolitik, Sozialversicherung und Kriegsopfer- vom heutigen hohen Sockel herunterzukommen, versorgung in der Diskussion besonders in den dann wird diese Gesellschaft zuverlässiger in die Vordergrund getreten. Die Arbeitsmarktpolitik wur- Luft gesprengt, als das je ein Anarchist in diesem de schon mehrere Male angesprochen. Wir müssen Lande zu schaffen vermöchte. sagen: Das erste Halbjahr 1977 geht zu Ende, und die Arbeitslosigkeit bewegt sich nach wie vor um (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) die Millionengrenze. Hier gilt es, einmal den volks- Deswegen bitten wir Sie, das Thema der Arbeits- wirtschaftlichen Schaden und zum anderen die sich losigkeit als Gesamtaufgabe dieses Parlaments, als daraus ergebenden Schwierigkeiten im Bereich un- Gesamtaufgabe des Bundes, der Länder und der serer sozialen Sicherung zu sehen. Gemeinden, als Gesamtaufgabe aller gesellschaft- Es gilt aber auch, den von Arbeitslosigkeit betrof- lichen Kräfte in diesem Lande zu begreifen. fenen Menschen zu sehen; denn zur Freiheit der (Beifall bei der SPD und der FDP) Person gehören die Lebensbereiche Familie, Arbeit, Mitmenschlichkeit und Rechtssicherheit. Die Arbeit dient dem Menschen zum Broterwerb; Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher. (Zurufe von der SPD) doch wer in menschlicher Arbeit nur den Broterwerb Hölscher (FDP) : Frau Präsident! Meine Damen sieht, verkennt den Menschen. In der Arbeit, in der und Herren! Ich möchte mich den versöhnlichen Anwendung seiner Talente will der Mensch Bestäti- Tönen des Kollegen Lutz anschließen. Ich glaube gung finden. So gesehen, gehört die Arbeit, das nicht, daß diese Debatte noch wesentliche neue Er- Tätigsein, zum Leben. kenntnisse bringt. Ich finde es andererseits gut, daß (Zurufe von der SPD) sich alle Parteien, von der SPD über die CDU bis hin zur FDP, konkret an die Arbeit der Unter- Von dieser Überlegung her hat die Arbeit ein suchung von Instrumenten und Maßnahmen insbe- Schutzrecht, und sie hat ein Erfüllungsrecht. Ein sondere zur Bewältigung der strukturellen Arbeits- Schutzrecht: Wer arbeiten will, darf daran nicht ge- losigkeit gemacht haben. Niemand sollte zu Beginn hindert werden, gleichviel, ob er als Unternehmer, der Diskussion — wir stehen leider am Beginn der als Arbeitnehmer, als Freischaffender tätig ist. Ver- Diskussion — glauben, daß er das Patentrezept ge- unglimpfungen jeglicher Art verletzen die Freiheit. funden hat. Wir sollten arbeiten, und wir sollten die Ein Erfüllungsrecht: Der, der keine Arbeit hat, muß Ergebnisse unserer Arbeit über die Parteigrenzen vom Staat, der Wirtschaft und sonstigen Entschei- hinaus sachlich miteinander vergleichen. Da ich nicht dungsträgern Hilfe erhalten, annehme, daß die Vertreter der Opposition, die noch (Zurufe der SPD) nach mir sprechen, diese Debatte mit wesentlichen Argumenten anreichern können, und da liberale Ar- um wieder in Arbeit zu kommen. Dies gilt für den Arbeitslosen, dies gilt für den Behinderten. Damit beitsmarktpolitik auch nicht so zu verstehen ist, daß wollte ich sagen: Mit dem Arbeitslosengeld und der wir die Kollegen, die zu anderen Haushalten nach Arbeitslosenhilfe, so angebracht und so wichtig die uns reden wollen, von ihrer sinnvollen Beschäfti- materielle Absicherung ist, ist das Problem des gung abhalten, möchte ich hiermit meine Ausführun- betroffenen Arbeitslosen, der arbeitswillig ist, noch gen schließen und die Frau Präsidentin bitten, viel- nicht gelöst. leicht der Gesundheitsministerin die nicht ver- (Sehr richtig! bei der SPD) brauchte Redezeit zu übertragen. So ernst nehmen wir dieses Problem. (Beifall) (Zurufe von der SPD: Wir auch!) Das Wort hat der Herr Vizepräsident Frau Renger: Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben uns den Abgeordnete Höpfinger. Vorwurf gemacht, wir würden die Unternehmen Höpfinger (CDU/CSU) : Frau Präsident! Meine sehr verunsichern, deshalb komme die Wirtschaft nicht verehrten Damen und Herren! Mit der Zuständig- in Schwung. Ich würde Sie bitten, nachdem Sie keit für Bereiche der Arbeits- und Sozialgerichts- heute anwesend sind, solche Vorwürfe genauer zu barkeit umfaßt das Bundesarbeitsministerium 17 untersuchen. Sie würden dann wohl sehr bald fest- Sachbereiche, die in 6 Fachabteilungen gegliedert stellen, woher die Verunsicherung wirklich sind. Ich möchte an den Anfang meiner Ausführun- kommt. Wenn Sie fröhliche und fröhlich konsumie- gen ein Wort des Dankes an die im Bundesministe- rende Arbeitnehmer wollen — das haben Sie so rium und in den angegliederten Abteilungen be- formuliert —, dann darf ich Ihnen sagen, die Fröh- schäftigten Frauen und Männer richten. Die Ableh- lichkeit setzt zunächst die Sicherheit des Arbeits- nung des Haushalts, die wir praktizieren werden, platzes voraus. Erst die Sicherheit des Arbeits- 2726 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Höpfinger platzes ergibt den fröhlichen und auch den zum sagen: Was mir aufgefallen ist, war, daß Sie im Konsum bereiten Arbeitnehmer. Ausschuß bei den Beratungen sehr, sehr selten, wenn überhaupt einmal, anwesend waren. Ich weiß nicht, Wenn wir die Gruppen sehen, die von der Ar- wie das kommt. beitslosigkeit betroffen sind, die Frauen, die älteren (Franke [CDU/CSU] : Er war gar nicht da!) Arbeitnehmer, die ausländischen Arbeitnehmer und die Jugend, Nicht, daß wir deshalb nicht zu Rande gekommen (Zurufe von der SPD) wären, ich muß dem Kollegen Rappe sogar sagen, daß im Ausschuß eine zügige Beratung möglich dann müssen wir sagen, das schwierigste Problem, war, auch dank der CDU/CSU, der Opposition, durch das uns mit am meisten bedrückt, ist die Situation die es weder zu einer Zeitverzögerung noch zu sonst der jungen Generation. irgendeiner Erschwernis gekommen ist. Sie war viel- (Zurufe von der SPD) mehr bemüht, die Beratungen über die Bühne zu bekommen. Aber mir fiel auf, daß der Bundesmini- — Meine Damen und Herren, ich weiß ja auch um ster kaum einmal bei den Beratungen zugegen war. die Zeit. Glauben Sie ja nicht, daß ich hier unbe- dingt lange Ausführungen machen will; Das zweite, was ich hier ansprechen möchte, ist (Zurufe von der SPD) die Ablehnung aller Anträge der Opposition durch die Koalition. Vor wenigen Tagen wurde beim aber so sehen wir doch das Problem. Wenn die Mit- Ortskrankenkassentag in Hamburg Klage darüber glieder des Ausschusses für Arbeit und Sozialord- geführt, daß man alles dem Vermittlungsausschuß nung nicht mehr die Geduld haben, diese Dinge in zugeschoben habe. Meine sehr verehrten Kollegin- einer Haushaltsdebatte anzusprechen, nen und Kollegen, wenn man nicht bereit ist, auf die (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der Anträge der Opposition auch nur näher einzugehen SPD) und da und dort nachzugeben und auch einmal ja zu sagen, dann braucht man sich nicht zu wundern, dann ist das doch schlimm. Da sagt einem zum Bei- wenn alle Schwierigkeiten in das nächstfolgende spiel eine Mutter mit acht Kindern in der Diskus- Gremium geschoben werden, das sie wahrscheinlich sion: „Daß ich acht Kinder geboren habe, war mir auch nicht lösen kann. Es wäre besser gewesen, keine Last; aber daß ich jetzt Jahr für Jahr die Sorge wenn Sie die Anträge der Opposition etwas genauer habe, eines meiner Kinder beruflich unterzubringen, geprüft hätten und da und dort ja gesagt hätten. das bringt mich ins Grab." Meine Damen und Her- Dann hätten wir uns manche Schwierigkeiten erspa- ren, das ist die Situation. Wenn wir mit Jugend- ren können. lichen sprechen, dann spüren wir die Schwierig- (Beifall bei der CDU/CSU) keit und spüren die Probleme, die die jungen Men- schen haben. Deshalb meine ich, Jugendarbeitslosig- Vorhin war von einem Einanderzuhören und keit und Sorge wegen der Berufschancen, das ist ein einem Aufeinanderzugehen die Rede. Von einem menschliches Problem, ist ein gesellschaftspoliti- Aufeinanderzugehen war in diesem Ausschuß — wir sches Problem und ist ein höchst politisches Pro- waren zwar sachlich, wir waren nett zueinander — blem. im Zusammenhang mit den Anträgen in keinem Fall (Zurufe von der SPD) etwas zu spüren. Der Bundeskanzler hat gestern von der Kompromißbereitschaft gesprochen. Die Tausende von jungen Menschen gehen Woche für schönen Worte über den Kompromiß allein tun es Woche hier durch unser Parlament und durch Län- nicht. Der muß praktiziert werden. derparlamente, um eine Liebe zu unserer Demo- kratie zu gewinnen, um selber gute Demokraten Ich möchte mir die Ausführungen über meine Sor- zu werden und das zu übernehmen, was andere gen, die ich für den Fall habe, daß die Gesetze be- aufgebaut haben. Wenn aber diese jungen Men- schlossen werden, über deren weitere Entwicklung, schen spüren sollten, daß sie von dieser Gesellschaft über den Kostenauftrieb, den sie bringen werden gar nicht angenommen werden, woher sollen sie und die daraus resultierenden Beitragserhöhungen dann die Liebe zur Demokratie erhalten? ersparen. (Beifall bei der CDU/CSU -- Zurufe von der Ein kurzes Schlußwort zu den Grundvoraussetzun- SPD) gen der Demokratie. Ich sage das auf Grund der Debatte des gestrigen Nachmittags. Ich bin neu in — Das gilt ja nicht nur Ihnen, meine Damen und diesem Hohen Hause, aber nicht neu in der Partei- Herren von der SPD und der FDP, sondern das gilt politik. Angesichts der Untersuchungen und Mei- uns allen, weil wir Verantwortung im Volk tragen; nungsumfragen, die aufzeigen, wie sehr die Par- um unserer Jugend und um unseres Staates willen teien abgelehnt werden, müssen wir der Bevöl- müssen wir alles tun, um hier Abhilfe zu schaffen kerung sagen: Eine Demokratie lebt nur von unter- und damit jungen Menschen geholfen wird. schiedlichen Parteien. Ohne unterschiedliche Par- (Zurufe von der SPD) teien gibt es keine Demokratie. (Sehr wahr! bei der CDU/CSU — Sehr gut! Ein kurzes Wort zur Sozialgesetzgebung: Zwan- bei der SPD) zigstes Rentenanpassungsgesetz, Krankenversiche- rungs-Kostendämpfungsgesetz. Die Gesetzgebung ist Das Zweite: Die Auseinandersetzung unter den Par- noch im Gange. Ich möchte mir ersparen, im einzel- teien muß in der Sache sehr wohl hart sein. Es ist nen darauf einzugehen. Bloß zwei Bemerkungen: für das Wohl des Volkes immer noch das Beste, wenn Herr Bundesarbeitsminister, ich darf ganz offen die Parteien in der Sache hart ringen. Aber, meine Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2727 Höpfinger sehr verehrten Damen und Herren, es gibt eine der sozialen Rentenversicherung. Im Mai hat sich verbindende Klammer in der Demokratie. das gleiche wiederholt, was ich hier schon für die April-Eingänge gesagt habe, daß nämlich die Pflicht- (Zuruf von der SPD: Man muß ehrlich sein!) beiträge, die ja den überwiegenden Teil ausmachen, Das ist einmal das Ja zur Demokratie, zum anderen in ihrem Anstieg bis auf wenige Kommastellen den die Achtung vor der Person und zum dritten die Erwartungen entsprechen, die freiwilligen Beiträge praktizierte Personenwürde. Was der Herr Bundes- nicht. Bei der Angestelltenversicherung betrug der kanzler gestern praktiziert hat, war nicht praktizierte Anstieg der Pflichtbeiträge 7,3 %. Bei der Arbeiter- Personenwürde, sondern er wollte den politischen rentenversicherung haben wir wegen der Vielzahl Gegner fertigmachen. Das hat mit der Würde der der LVAs die Auseinanderrechnung von Pflichtbei- Person nichts zu tun. trägen und freiwilligen Beiträgen nicht so schnell (Beifall bei der CDU/CSU) vornehmen können. Da aber nach dem Ergebnis Ja- nuar bis April eine Abweichung der Arbeiterrenten- Wenn wir die Demokratie wollen, dann heißt es versicherung von der Angestelltenversicherung le- aufeinander hören. Das Wohl der Bevölkerung ver- diglich ein knappes Prozent ausmacht, kann davon langt auch, daß wir dann und wann aufeinander zu- ausgegangen werden, daß die Pflichtbeiträge auch gehen. Meine Damen und Herren von den Regie- bei der Arbeiterrentenversicherung mindestens rungsparteien, das Aufeinanderhören und Aufein- einen Anstieg zwischen 6 und 7 % ausmachen. Die anderzugehen ist der erste Schritt, der von den Re- freiwilligen Beiträge sind sehr viel langsamer ge- gierungsparteien ausgehen muß, nicht unbedingt stiegen. Dafür habe ich die Erklärung schon in der von der Opposition. Die muß Sie prüfen. Die muß zweiten und dritten Lesung unseres Gesetzeswerkes Sie kontrollieren. gegeben. (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Das gilt auch (Franke [CDU/CSU] : Wie ist denn die Ge für die Opposition!) samtsteigerung?) Meine sehr verehrten Damen und Herren, da ich — Die Gesamtbeiträge sind bei der Angestellten- die Sorge und den Eindruck habe, daß diese Bundes- versicherung um 3,59 % und bei der Arbeiterrenten- regierung jetzt noch nicht zum Aufeinanderzugehen versicherung um 2,71 % gestiegen. Ich nehme an, und zum Einanderzuhören bereit ist, lehnen wir den die Zahlen stimmen, Herr Franke. Einzelplan 11 ab. Weiterhin ist von Ihnen beklagt worden, daß die (Beifall bei der CDU/CSU) Vorsorgeuntersuchungen nicht gründlich genug aus- gewertet und durchgeführt werden. Ich würde doch Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat Herr denken, daß der Berichterstatter für den Haushalt Bundesminister Dr. Ehrenberg. des Arbeitsministeriums die neu gefundene Abgren- zung der Sachbereiche kennt. Alles, was Sie hier be- klagt haben, ist an die Adresse meiner Kollegin Dr. Ehrenberg, Bundesminister für Arbeit und So- zu richten. Das ist nämlich dort ge- zialordnung: Frau Präsidentin! Meine sehr verehr- - blieben und nicht übertragen worden. ten Damen und Herren! Der Berichterstatter, Prinz zu Sayn-Wittgenstein, hat einleitend das dem Sozial- (Abg. Franke [CDU/CSU] meldet sich zu etat und der Sozialgesetzgebung zugrunde liegende einer Zwischenfrage) Rechenwerk bezweifelt. Zu diesem Zweifel besteht Ich bitte Sie, das nachzulesen, da ich mich auf heute kein Grund. Es bestand auch bei der Einbrin- 15 Minuten beschränken wollte. Um des nachfolgen- gung der Gesetze kein Grund dazu. den Etats willen können in diese 15 Minuten nicht (Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein noch Zwischenfragen hinein. [CDU/CSU] : Wir sind gewarnt!) Eine letzte Bemerkung zum Herrn Berichterstat- Wenn aber Grund bestünde, verehrter Herr Be- ter. Sie haben verfassungsmäßige Bedenken gegen richterstatter, dann würde ich gern einmal von unsere Modellversuche mit Versicherungsnummern Ihnen gehört haben, wie Sie die hier angemeldeten angemeldet. Ich wollte Sie nur gern darauf aufmerk- Zweifel damit in Übereinstimmung bringen wollen, sam machen, diese beiden Versuche, die wir mit daß Ihre eigenen Vorschläge zur Einsparung um zwei Allgemeinen Ortskrankenkassen durchführen, rund 6 Milliarden DM hinter unserem Konzept zu- werden mit Billigung des Landes Schleswig-Holstein rückgeblieben sind. Wir haben keine Zweifel an durchgeführt. Ich hoffe sehr, daß Sie Ihrem Partei- unserem Rechenwerk, weil wir wissen, daß es solide freund Stoltenberg nicht unterstellen, daß er mit erarbeitet ist. Sie haben Zweifel, aber Sie bleiben uns gemeinsam etwas Verfassungswidriges tut. in Ihren eigenen Vorschlägen mit guten 6 Milliarden (Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein DM zurück. Das ist einer der vielen, leider allzu [CDU/CSU] : Sie tragen die Verantwortung!) vielen Widersprüche zwischen dem, was Sie fordern, und dem, was Sie tun. — Die trage ich auch gern, weil dort nichts Verfas- sungswidriges geschieht. (Franke [CDU/CSU] : Herr Ehrenberg, Sie haben das nicht gelesen!) Ich würde dann gern einige Bemerkungen zur Arbeitsmarktpolitik im Anschluß an das machen, — Herr Franke, ich will Ihnen gern noch mehr was der Kollege Müller (Remscheid) hier gesagt hat. Widersprüche aufzählen als nur diesen. Ich habe dankend zur Kenntnis genommen, daß Sie Vorweg aber zu der konkreten Frage des Be- bereit sind, dem Antrag betreffend die zusätzlichen richterstatters, zu den Mai-Beitragseingängen bei 300 Millionen und 100 Millionen DM Umschich- 2728 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Bundesminister Dr. Ehrenberg tungsmittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu- Schließlich ist es auch ein Rückgriff auf sozial- zustimmen. Hier sollte man ja wohl eine Antwort demokratische Vorschläge, wenn man glaubt, darauf erwarten können, welch eine merkwürdige durch Verlängerung der Schulzeit das Problem Art von Doppelstrategie dahintersteckt, Einzelan- der Jugendarbeitslosigkeit lösen zu können. Für träge, die sich gut verkaufen lassen, anzunehmen alle diese Vorschläge sind nur sehr verschwom- und den Gesamthaushalt abzulehnen. Was ist das mene Finanzierungsmöglichkeiten genannt wor- bloß für ein merkwürdiges politisches Verhalten, den. Wir laufen Gefahr, damit unsere Glaub- (Beifall bei der SPD) würdigkeit zu verlieren. daß man sich dicke tut, dem einen Antrag zuzustim- Verehrter Herr Kollege Müller (Remscheid), be- men, aber den Gesamthaushalt ablehnt! Ich kann da vor Sie weiter über arbeitsmarktpolitische Maßnah- nur sagen, mit der Ablehnung des Gesamthaushalts men der CDU sprechen, würde ich Ihnen doch sehr lehnt die CDU/CSU-Fraktion auch die notwendigen empfehlen, da Sie ja hier eine gemeinsame Fraktion arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen ab. bilden, mit dem Parteivorsitzenden der CSU in Übereinstimmung zu kommen. Schaffen Sie das, (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der dürfte Ihre Unterstützung für unsere Vorschläge, die CDU/CSU) Sie abgeschrieben haben, eine sehr vernünftige und — So ist es in der Tat. Nur haben Sie glücklicher- bemerkenswerte sein. weise keine Mehrheit und werden keine bekommen, (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ so daß Ihr Verhalten ohne Wirkungen bleibt. CSU: Sagen Sie mal etwas zu Herrn Staats (Müller [Berlin] [CDU/CSU] : Durch Ihr Ver sekretär Rohwedder!) halten sind wir dazu gezwungen!) Die Arbeitslosigkeit ist ein viel zu ernstes Problem, Das arbeitsmarktpolitische Programm der CDU als daß man sie mit solch hochgespielten Program- hat aber noch unendlich viele Varianten von Wider- men, denen dann nichts, aber auch gar nichts folgt sprüchen. Zur gleichen Zeit, als die CDU dieses — außer der Ablehnung des Etats des Arbeitsmini- Programm beschlossen hat, lehnt es die CSU steriums —, so behandeln dürfte. gründlich und mit Vehemenz ab. Ich kann es Ihnen Meine Damen und Herren, sozialpolitisch noch nicht ersparen, Ihnen und der Offentlichkeit ein viel weniger vertretbar ist die Tatsache, wie die Zitat des Herrn Strauß vom 5. Juni bekanntzugeben, CDU/CSU-Fraktion und die CDU/CSU in den Bun- der gegenüber „Bild am Sonntag" festgestellt desländern, in denen sie die Mehrheit hat, mit hat: — — dem Rentenkonsolidierungsprogramm und mit dem (Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie das Kostendämpfungsgesetz für die Krankenversiche- einmal Herrn Grobecker!) rung umgeht. Sie haben diesen Gesetzen in diesem Hause die Zustimmung versagt, obgleich Sie natür- lich auch für die Rentenerhöhung am 1. Juli sind Präsident Carstens: Herr Bundesminister, gestat- — selbstverständlich, aber den dazu notwendigen ten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gesetzen versagen Sie Ihre Zustimmung. Glombig? - (Hört! Hört! und Beifall bei der SPD) Dr. Ehrenberg, Bundesminister für Arbeit und So- Sie haben im Vermittlungsausschuß und mit der zialordnung: Nein, in der kurzen Zeit möchte ich, Behandlung des Beratungsergebnisses dieses Aus- da ich bereits Zwischenfragen von Abgeordneten schusses durch Ihren Generalsekretär, Herrn Geiß- der Opposition abgelehnt habe, das auch meinem ler, einen Anschauungsunterricht dafür geboten, verehrten Kollegen Glombig nicht gestatten. Herr Berichterstatter für meinen Haushalt, daß eine (Müller [Remscheid] [CDU/CSU] : Lassen Sie vertrauensvolle Zusammenarbeit, deren Fehlen Sie beklagt haben, nicht zustande kommen kann, weil doch von jedem eine zu!) Sie zu keinerlei Zusammenarbeit bereit sind. Ich möchte mich von diesem Pult aus gegenüber Kollegen aus den verschiedenen Fraktionen nicht (Müller [Berlin] [CDU/CSU] : Das haben Sie unterschiedlich verhalten. doch vorexerziert!) Herr Strauß hat gesagt: Was soll es für eine Zusammenarbeit sein, und welch verantwortungsvolles Handeln steht dahinter, CDU und CSU müssen sich hüten, Programme auszuarbeiten, die keine echten Alternativen (Franke [CDU/CSU]: Sie haben es nötig! sind, Programme, die genauso gut aus dem Sie sollten sich jetzt mal im Spiegel be politischen Gedankengut der SPD stammen trachten! — Weitere Zurufe von der CDU/ könnten. CSU) wenn der Sozialminister von Rheinland-Pfalz, kaum Daß die aus dem Gedankengut der SPD stammen, damit hat Herr Strauß recht. Es heißt dann weiter: ist die Sitzung des Vermittlungsausschusses zu Ende, zur Presse läuft, und dort erklärt, dieses Ergeb- Der Vorschlag, die Altersgrenze für ein Jahr nis des Vermittlungsausschusses habe keine Chance, auf 60 Jahre zu senken und dann von Jahr zu im Bundesrat angenommen zu werden? Jahr jeweils wieder um ein Jahr zu erhöhen, (Hört! Hört! bei der SPD) ist in keiner Weise durchdacht, weder finanz- politisch noch sozialpolitisch. Als ob der CDU-Generalsekretär über die Stimmen der Landesregierungen verfügen kann! Denn wenn Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2729 Bundesminister Dr. Ehrenberg er das nicht könnte, könnte er ja wohl solche Aus- Präsident Carstens: Meine Damen und Herren, in sprüche nicht wenige Stunden nach Abschluß der Be- der allgemeinen Aussprache wird das Wort nicht ratungen im Vermittlungsausschuß tun. mehr gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aus- sprache. (Zuruf von der CDU/CSU: Vielleicht hat er ein Telefon!) Wir kommen nunmehr zur Abstimmung. Zu Ein- zelplan 11 liegen zwei Änderungsanträge vor. Ich Glücklicherweise kann ich feststellen, daß nicht rufe zuerst den Änderungsantrag der Fraktion der alle CDU-Ministerpräsidenten bereit sind, sich von CDU/CSU zu Kap. 11 08 aus der Drucksache 8/619 Herrn Geißler beeinflussen zu lassen. Dieser ver- auf. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — nünftige und tragfähige Kompromiß, den wir erar- Abgeordneter Prinz Sayn-Wittgenstein. beitet haben, der die vorstationäre Diagnostik und die nachstationäre Behandlung, der die Bundesemp- Prinz zu Sayn - Wittgenstein - Hohenstein (CDU/ fehlungen an die Selbstverwaltung in der Kranken- CSU) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! versicherung und den Arzneimittelhöchstbetrag zur Zur Begründung des Antrags Drucksache 8/619 Eindämmung der Kostenflut bei den Arzneimitteln möchte ich mich mit dem Hinweis begnügen, daß tragfähig und kostenwirksam erhalten hat, dieses für die Finanzierung des Gesetzes zur Änderung des tragfähige Konzept ist heute vormittag in der Ka- Wehrpflichtgesetzes und des Zivildienstgesetzes binettssitzung der saarländischen Regierung voll an- auch der geringere, nach unserer Streichung verblei- genommen worden. Die saarländische Regierung hat bende Betrag ausreicht, weil das Gesetz bisher nicht gleichzeitig beschlossen, gegen das 20. Rentenanpas- in Kraft getreten ist, der Bundesrat es nicht be- sungsgesetz keinen Einspruch zu erheben. schlossen und der Herr Bundespräsident es bisher (Lebhafter Beifall und Bravo-Rufe bei der nicht unterzeichnet hat. Die politische Begründung SPD und der FDP) hat der Herr Fraktionsvorsitzende Dr. Kohl bereits gestern zu diesem Thema geliefert. Ich kann daher Ich würde gern von dieser Stelle aus dem Minister- darauf verzichten und sie lediglich bitten, unserem präsidenten Röder meinen Respekt dafür bekunden, Antrag zuzustimmen. daß er seine staatspolitische und gesamtwirtschaft- liche Verantwortung über die kurzsichtigen partei- Präsident Carstens: Wird das Wort weiter ge- egoistischen Beeinflussungsversuche des Herrn Geiß- wünscht? — Bitte schön. ler gestellt hat. (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP) Grobecker (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe vorhin schon darauf hingewie- Es wäre sehr gut — und mein Respekt vor den Mi- sen: Wir bleiben bei diesem Gesetz. Wir wollen, nisterpräsidenten, ganz gleich, welcher Zugehörig- daß dieses Gesetz in Kraft tritt. Wir haben es hier keit, ist auch groß genug, um diese Hoffnung hier ordnungsgemäß verabschiedet. Deshalb brauchen auszusprechen —, wenn auch noch andere dem guten wir den Etatansatz dafür. verantwortungsvollen Beispiel des saarländischen Ministerpräsidenten folgen werden. Ich bitte, den Antrag auf Drucksache 8/619 abzu- lehnen. (Zuruf von der CDU/CSU: Nur provozieren (Beifall bei der SPD und der FDP) Sie das immer!)

Gut 90 % der deutschen Bevölkerung sind in der Präsident Carstens: Wird das Wort weiter ge- Krankenversicherung direkt oder indirekt von dem wünscht? — Das ist nicht der Fall. Kostendämpfungsgesetz und seinen positiven Maß- Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ nahmen betroffen. CSU auf Drucksache 8/619 zuzustimmen wünscht, den (Zuruf von der CDU/CSU: Dann dürfen Sie bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die keine höheren Beiträge fordern!) Gegenprobe. — Enthaltungen? — Die Nein-Stimmen waren in der Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt. Die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände erwarten von den Ministerpräsidenten der deut- Ich rufe nun den Änderungsantrag der Fraktionen schen Bundesländer, daß sie ihre Pflicht tun und die der SPD und der FDP zu Kap. 11 11 auf Druck- Kostenflut in der Krankenversicherung nicht unge- sache 8/615 auf. hemmt steigen lassen. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP) ist nicht der Fall. Wird das Wort sonst gewünscht? — Auch das ist nicht der Fall. Ich bin sehr sicher, wenn Regierungsverantwortung Wer dem Änderungsantrag der Fraktionen der in diesem Lande noch ernst genommen wird, dann SPD und der FDP auf Drucksache 8/615, soweit er werden diesem guten saarländischen Beispiel ge- Kap. 11 11 betrifft, zuzustimmen wünscht, den bitte nügend folgen, daß es am Freitag wie auch morgen ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Ge- hier in diesem Hause zu einer Annahme des Ver- genprobe. — Enthaltungen? — Bei wenigen Ent- mittlungsvorschlags kommen wird. Ihrem schlechten haltungen einstimmig so beschlossen. Beispiel werden die anderen nicht folgen. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den (Anhaltender Beifall bei der SPD und der Einzelplan 11. Wer dem Einzelplan 11 in der Aus- FDP) schußfassung mit den soeben beschlossenen Ände- 2730 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Präsident Carstens rungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Ein ausgezeichnetes Beispiel liefert der Haushalt Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — des Jugend- und Familienministers. Ihn heute im Das erste war die Mehrheit. Der Einzelplan 11 ist einzelnen aufzuschlüsseln würde — da sind Sie damit angenommen. sicher mit mir einverstanden — aus Zeitgründen zu weit gehen. (Beifall bei der SPD und der FDP) (Zuruf von der SPD: Sagen Sie lieber mal Ich rufe nunmehr auf: ausnahmsweise etwas zur Sache!) Einzelplan 15 — Das kommt noch, Herr Kollege, warten Sie bitte Geschäftsbereich des Bundesministers für ab! Die Redezeiten sind sehr beschränkt. Wenn ich Jugend, Familie und Gesundheit nach dieser meiner ersten Rede vor diesem Hause noch Zeit habe, Zwischenfragen zuzulassen, tue ich — Drucksache 8/505 — es recht gern. Berichterstatter: (Beifall bei der CDU/CSU) Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein Dieser Haushalt läßt kaum neue Modelle oder Maß- Abgeordneter Glos nahmen erkennen. — Sie werden sich wundern, die- se Bewertung stammt nicht von mir, sie stammt von Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — dem leitenden Ministerialdirektor dieses Ministe- Das ist nicht der Fall. riums, Herrn Kosmale, der das in einer Zeitung der Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Arbeiterwohlfahrt geschrieben hat. Abgeordneter Glos. Dieser Haushalt schleppt nur sattsam bekannte Untersuchungen und Programme weiter. Er läßt die Glos (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr ver- ehrten Damen und Herren! Eine große Hamburger dringend notwendigen Lösungsvorschläge für die Illustrierte, unter anderem dafür bekannt, daß sie brennenden jugend- und familienpolitischen Proble- der CDU/CSU nicht sonderlich nahesteht, erteilte in me unserer Zeit vermissen. ihrer Ausgabe vom 26. Mai 1977 Zwischenzeug- (Zustimmung bei der CDU/CSU) nisse für diese Bundesregierung, die seit dem 16. De- zember 1976 im Amt ist. Diese Illustrierte schreibt: Frau Minister Huber erklärte vor dem Bundesrat: Mit den Noten für die bisherigen Leistungen würde „Der für Jugend zuständige Minister muß ein An- kaum einer der Bonner Minister einen Studienplatz walt sein für Kinder und Jugendliche. Er muß also bekommen. ein Augenmerk haben auf alle Felder der Politik, wo Bedürfnisse, Interessen, Chancen, Rechte und (Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch Pflichten junger Menschen berührt sind." Ich frage bei der SPD und der FDP) Sie, sehr geehrte Frau Bundesminister: Wo bleiben Frau Minister Huber, deren Etat heute zur De- Ihre ausgewogenen Lösungsvorschläge, die kurz- batte steht, kommt dabei — auch wenn es zum fristig helfen müßten, das größte Problem der Jugend Studienplatz nicht mehr reichen würde, gnädige in unserer Zeit, nämlich die verheerende Jugend- Frau — sehr gut weg: Sie kommt mit der Note 3 — arbeitslosigkeit, abzustellen? befriedigend — davon. (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Dieses Spiel müssen Sie doch nicht mitmachen!) Es kann sein, daß hier die Bundesministerin genau- so denkt wie der Parlamentarische Staatssekretär im Dieser Beurteilung kann ich mich von seiten der Arbeitsministerium, Herr Buschfort, der am 14. März Union und als zuständiger Berichterstatter im Haus- 1975 in diesem Hause gesagt hat: „Ich möchte sa- haltsausschuß leider nicht anschließen. gen, daß das Problem der Jugendarbeitslosigkeit (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Sehr richtig!) kein außergewöhnliches Problem ist." Unserer Auffassung nach hätte Frau Minister Huber (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) vielleicht die Note „mangelhaft" verdient. Ich hoffe sehr, Frau Minister, Sie denken nicht (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : So wie Herr ebenso. Kohl! — Weitere Zurufe von der SPD) (Zuruf von der CDU/CSU: Das weiß man Denn die Leistungen und Programme der Frau Bun- nicht!) desminister Huber entsprechen nicht einmal der Wir vermissen hier die Taten. Wir vermissen die Note „befriedigend". besondere Fürsorgepflicht, die Sie selbst angespro- (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Herr Kohl chen haben. Es müßte einem Minister den Schlaf bekam eine Fünf!) rauben, wenn er für den Umstand mitverantwortlich ist, daß Zigtausende von Entlaßschülern ohne Hoff- Der Haushalt der Bundesregierung und damit der nung auf einen Ausbildungsplatz jetzt nach Beendi- Haushalt jedes Ministeriums sind das in Zahlen gung ihrer Schulzeit auf der Straße stehen. ausgedrückte Regierungsprogramm. So lautet die treffende Umschreibung durch den Finanzwissen- schaftler Professor Fritz Neumark. Die Mängel des Präsident Carstens: Herr Abgeordneter, gestatten politischen Programms spiegeln sich also logischer- Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten weise im jeweiligen Haushalt wider. Sperling? Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2731

Glos (CDU/CSU) : Ich habe vorhin schon erklärt, der Luft gegriffen sind, wie Sie durch Ihre Zwischen- daß ich in meiner Redezeit beschränkt bin. Ich bin rufe teilweise vermuten lassen, ist der von Ihren gerne bereit, das hinterher zu tun. Ich bitte, das in Fraktionen eingebrachte Gesetzentwurf zur Neu- Zukunft doch zur Kenntnis zu nehmen. regelung des Rechts der elterlichen Sorge. (Zustimmung bei der CDU/CSU) (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Stimmt! Da haben die keine Ahnung!) Sowenig dieser Haushalt Maßnahmen zur Dämp- fung dieses dringenden Problems, das ich soeben Das natürliche Autoritätsverhältnis zwischen Eltern angesprochen habe, nämlich der Jugendarbeitslo- und Kind soll abgebaut und durch einen sogenann- sigkeit, bietet, so wenig zeigt er eine Kurskorrektur ten Kompromiß zwischen Eltern und Kindern er- in der verfehlten Familienpolitik. Im Gegenteil, die setzt werden — offensichtlich eine neue Spielart der falschen Denkansätze, die sich gegen die Familie als „Demokratie als Lebensform". „Das Elternrecht soll der ersten und wichtigsten, d. h. der ursprünglichen ferner durch einen, wenn auch nur durch Soll-Vor- Lebensgemeinschaft in unserer Gesellschaft wenden, schrift begründeten Zwang, Außenstehende in Mei- werden weiter fortgeführt. Sie werden in zahlreichen nungsverschiedenheiten zwischen Eltern und Kind Projekten — in diesem Haushaltsplan auch „Model- einzuschalten, unzulässig beschränkt werden." Das le" genannt — untersucht und erprobt. Diese Bun- sagt diesmal der Deutsche Anwaltsverein in seiner desregierung weiß Steuergelder zur Verfügung zu Stellungnahme. stellen, wenn es darum geht, Maßnahmen familien- (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Kluge zersetzender Natur zu finanzieren. Leute!) (Widerspruch bei der SPD) Die notwendige Politik für die Familie wird in Wenn es aber darum geht, die Kindererziehung diesem Hause durch pausenloses Drucken von Bro- durch die Mutter selbst zu ermöglichen und zu er- schüren und Faltblättchen ersetzt. Diese sind meist leichtern, dann ist das offensichtlich zu teuer, dann mit dem Bild der zuständigen Frau Bundesminister findet sich kein Geld dafür. vorne versehen, womit ich nicht sagen will, daß dadurch diese Broschüren nicht mehr so ansehnlich (Löffler [SPD]: Nicht so verkniffen!) wären wie ohne dieses Bild — im Gegenteil —; das — Herr Kollege Löffler, die diesbezüglichen Vor- war ganz bestimmt nicht meine Absicht, gnädige stellungen der Koalition sind ja hinlänglich bekannt. Frau. Aber man kann Programme nicht durch Druck- Lesen Sie sie doch in den letzten Familienberichten schriften auf Hochglanzpapier ersetzen. der Bundesregierung nach! Unter dem Stichwort (Beifall bei der CDU/CSU) „Familienersetzende Institutionen" heißt es hier wörtlich: „Erziehung der Kinder ist eine gesamt- Ein Beispiel dafür, wie man Steuergeld verschleu- gesellschaftliche Aufgabe besonderer Art und Be- dert, ist das Frauenmagazin „Treffpunkt", das bis- deutung." her auf Normalpapier erschienen ist und das jetzt, weil seine Papierqualität angeblich so schlecht war, (Lebhafte Zurufe von der SPD — Zuruf: auf Hochglanzpapier gedruckt werden soll; denn Warum zitieren Sie das jetzt?) man will glauben machen, der Erfolg der ohnehin „Die Wahrnehmung dieser Aufgabe überträgt un- unentgeltlichen Verteilung dieses Magazins sei da- sere Gesellschaft Familien und außerfamilialen päd- von abhängig, daß es zukünftig eine bessere Papier- agogischen Einrichtungen." — Das Staats- und qualität aufweise, statt daß man auf den Inhalt ab- Grundrechtsverständnis der Verfasser dieses Be- stellt und nach den Gründen sucht. Dafür entstehen richts ist erschreckend. dem deutschen Steuerzahler Mehrkosten in Höhe (Fortgesetzte Zurufe von der SPD) von 150 000 DM. Hier scheinen die gleichen Schwierigkeiten mit dem (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) Grundgesetz zu herrschen wie in anderen Teilen Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen dieser Bundesregierung. Sie mich noch ein Problem ansprechen, mit dem es (Beifall bei der CDU/CSU) mir sehr ernst ist, ein Problem, das mir eigentlich geholfen hat, zu verstehen — nachdem ich hier Dazu hat gestern an dieser Stelle eine Debatte statt- neu in dieses Hohe Haus gekommen bin —, warum gefunden; ich muß sie nicht wiederholen. es in den letzten Jahren mit unserer Wirtschaft (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Eine so abwärtsging, und bei dem mir eigentlich die Pleite war das für die Regierung! Auf den ganze Arroganz sozialistischer Weltverbesserungs- Bauch ist sie gefallen!) politik bewußt geworden ist. Wir haben es gestern erlebt. Die Familie ist nach (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der unserem Verständnis als vorstaatliche Institution SPD) mit vorgegebenen natürlichen Rechten unter den — Lachen Sie nicht. Herr Kollege Löffler, Sie haben besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt. es doch mit angehört. Stimmen Sie mir bitte zu und Ich verweise hier auf Art. 6 Absätze 1 und 2 des bestätigen Sie mir, daß das so gesagt worden ist, Grundgesetzes. wie ich es jetzt zitiere. Der beamtete Staatssekre- Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist zu tär des Jugend- und Familienministeriums sprach bei befürchten, daß diese mit System betriebene Ent- der Diskussion im Haushaltsausschuß über die Titel- funktionalisierung der Familie weitergeht. Ein neues gruppe „Maßnahmen auf dem Gebiet der rechtlichen Beispiel dafür, daß solche Befürchtungen nicht aus und sozialen Stellung der Frau" von den Millionen 2732 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Glos Frauen in unserem Land, die ein „Dasein als Haus- sich nicht wundern, wenn die Kinderzahlen in un- frauen fristen müssen". War es so, Herr Staatssekre- serem Lande rapide zurückgehen. tär? (Lachen bei der SPD und der FDP) (Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!) Die Hausfrauen und die Mütter sehen sich eben auf den unteren Platz der gesellschaftlichen Skala ge- Sie haben richtig gehört, meine sehr geehrten Da- drängt. men und Herren Kollegen: „ein Dasein als Haus- frauen fristen müssen". Damit werden Millionen (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der Frauen und Mütter in diesem Land diskriminiert und SPD — Dr. Hammans [CDU/CSU] : Für die Sozialisten ist Hausfrau eben kein vollwerti lächerlich gemacht, die in dieser Stellung als Haus- frau und Mutter ihre Lebensaufgabe sehen, ger Beruf! — Weiterer Zuruf von der CDU/ CSU: Darüber lachen die!) (Beifall bei der CDU/CSU) — Es kommt noch viel dicker. die ihre Lebensaufgabe darin sehen, für ihre Fami- lie zu sorgen, und die die Erziehung ihrer Kinder Demselben Bundesminister, der diese Zielsetzung als eine wirklich befriedigende Beschäftigung für in seinem Hause fördert, untersteht die Vertei- eine Frau empfinden. lung der Mittel aus dem sogenannten Bundesjugend- (Zurufe von der SPD) plan, der in seiner Zielsetzung an sich zu begrüßen ist, weil er Hilfe zur Selbsthilfe der Jugendverbände Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann gewährt. Nur muß diese Vielzahl von Verbänden, von mir sagen — ich weiß nicht, wie es bei Ihnen die aus diesem großen Topf finanziert wird, auch ist, Herr Kollege Zwischenrufer —, ich wäre nicht immer wieder auf ihre Förderungswürdigkeit über- hier in diesem Hohen Hause und könnte auch jetzt prüft werden, damit wir nicht Gefahr laufen, die nicht zu Ihnen sprechen, wenn meine Frau nicht Gegner unseres freiheitlich-demokratischen Rechts- bereit wäre, diese Aufgabe zu übernehmen und sich staates mit dem Geld der Steuerzahler zu subven- ihr voll zu widmen. tionieren. (Beifall auf allen Seiten — Kuhlwein [SPD]: (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Genauso Sie sollten lieber Ihre Frau hierherschik ist es!) ken!) Lenin hat einmal gesagt: Die Kapitalisten sind so Ich verwahre mich dagegen, daß dies dann alles mit dumm, die finanzieren selbst noch den Strick, mit „Hausfrauendasein" abqualifiziert wird. Diese un- dem man sie aufhängt. qualifizierte Äußerung des Herrn Staatssekretärs Wolters entspricht sicher der gleichen Geisteshal- (Dr. Waigel [CDU/CSU] : Das gilt aber tung — dieses Erlebnis stand für mich ganz am An- auch für die Sozialisten!) fang, als ich die Debatte zur Regierungserklärung Wir meinen konkret, daß dem Verband „Natur- mit anhörte — wie die Äußerung des ehemaligen freundejugend Deutschlands" die Subventionen des Bundeskanzlers Brandt, der hier in der Debatte zur Bundes entzogen werden müssen ; denn dieser Ver- Regierungserklärung im Zusammenhang mit der Bil- - band ist — leider — kommunistisch unterwandert. dungspolitik davon gesprochen hatte, daß manche in Ich bedaure sehr, daß ich diese Debatte vor dieses diesem Lande „nur Schlosser" werden könnten. Er Haus bringen muß ; ich habe dieses Thema im Be- hat mit dieser Äußerung viele Millionen fleißiger richterstattergespräch und auch im Haushaltsaus- Arbeitnehmer und Handwerker, die ihr Geld mit schuß angesprochen, aber es war uns nicht möglich, ihrer Hände Arbeit verdienen, diskriminiert, lächer- mit unseren Vorstellungen durchzudringen, denn lich gemacht und als etwas Minderwertiges hinge- der von uns gestellte Antrag wurde mit der Mehr stellt. hei von SPD und FDP abgeschmettert (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Von der Herr Brandt hat damit — wahrscheinlich ungewollt; FDP auch?) das will ich ihm gerne zugestehen — doch die — von SPD und FDP —, obwohl sich die Bundes- ganze Ursache der Misere angesprochen. regierung genötigt sieht, die engen Verbindungen (Liedtke [SPD] : Sie sind nicht in der Lage, zwischen der Naturfreundejugend und der Sozia- ihn zu verstehen! — Weitere Zurufe von listischen Deutschen Arbeiterjugend, also der Ju- der SPD) gendorganisation der DKP, in ihrem eigenen Ver- fassungsschutzbericht zur Sprache zu bringen, .. — Herr Kollege, bitten Sie ihn, das einmal zu inter- pretieren. Ich kann es nur so vortragen, wie meine Kollegen und ich das verstanden haben. Wenn man Präsident Carstens: Herr Abgeordneter, ich bitte von „nur Schlossern" spricht, darf man sich nicht Sie, zum Schluß zu kommen. wundern, daß die berufliche Bildung im Bewußtsein der Offentlichkeit jahrelang einen geringen Stellen- Glos (CDU/CSU): .. . obwohl die Bundesregierung wert einnimmt. diese Tatsache also selbst festgestellt hat, obwohl (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Bahr beschwörende Appelle verbreitet und seine Genossen auffordert, sich von den Linken ab- Wenn man dann jetzt vom „Hausfrauendasein fri zugrenzen, obwohl gestern Bundeskanzler Schmidt sten" spricht — womit der Zusammenhang mit der an dieser Stelle gesagt hat, es müsse endlich einmal Familienpolitik wiederhergestellt ist —, darf man aufhören — er findet es zum . . . ich will den Aus- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2733

Glos druck nicht wiederholen, den er gestern gebraucht nicht zum „Alice-Schwarzer-Kampffonds" umtitu- hat; er hat ihn selber zurücknehmen müssen —, daß lieren und fordern, daß hier gekürzt wird. Sozialdemokraten immer in einen Topf mit Kom- (Beifall bei der SPD und der FDP) munisten geworfen werden. Ich möchte Sie bitten: Helfen Sie Ihrem Bundeskanzler, der vom Streit in- Ich gebe gern zu, daß Herrn Staatssekretär Wolters nerhalb Ihrer Partei genug gebeutelt wird. hier eine etwas unglückliche Formulierung unter- laufen ist, (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Dank Herrn Wehner!) (Lebhafte Zustimmung bei der CDU/CSU — Glos [CDU/CSU] : Er hat sich aber nicht Folgen Sie ihm und stimmen Sie unserem Entschlie- dafür entschuldigt!) ßungsantrag zu, der Ihnen am Freitag vorgelegt wird und der eine Umschichtung der Mittel inner- die er übrigens wieder zurückgenommen hat, wenn halb des Bundesjugendplanes vorsieht. Sie tun ihm ich mich recht erinnere. damit sicher einen Gefallen. (Beifall bei der SPD) Ich bin gehalten, zum Schluß zu kommen. Die Die beste Möglichkeit, Herr Glos, uns zu beweisen, Konsequenzen aus dem, was ich kritisiert habe, be- daß Hausfrauen kein trostloses Dasein fristen, wäre stehen für uns darin, diesen Einzelplan abzulehnen. es, wenn beispielsweise Sie sich entschließen könn- Wir bitten Sie, unserem Antrag zu folgen. ten, Ihren Sitz hier aufzugeben und gegen Koch- Ich möchte am Schluß noch einen Satz anfügen. löffel und Kochtopf zu vertauschen, um einmal zu zeigen, wie interessant ein solcher Beruf zu Hause (Zuruf von der SPD: Zwei!) sein kann. — Ich habe meine Rede inzwischen so umgestellt, (Beifall bei der SPD und der FDP — Glos daß ich zum Ende komme. [CDU/CSU]: Meine Frau sitzt oben!)

Präsident Carstens: Herr Abgeordneter Glos, kom- Präsident Carstens: Frau Abgeordnete, gestatten men Sie bitte zum Ende. Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glos? Glos (CDU/CSU) : Dieser schon am Anfang zitierte Herr aus dem Ministerium hat deutlich angespro- (SPD) : Es tut mir schrecklich leid, chen, was wir nicht wollen. Er sagte: Der Kurs liegt Frau Simonis weiter links. Das wollen wir verhindern, das wollen Herr Glos. Die Zeit ist zu kurz. Aber wir können wir stoppen. Wir bitten Sie deshalb, diesen Finanz- uns nachher gerne draußen zusammensetzen; dann können Sie mir das noch einmal erklären. plan abzulehnen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : So geht es nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU) Präsident Carstens: Das Wort hat Frau Abgeord- - nete Simonis. Herr Glos, ich fände es auch sehr schön, wenn wir für kinderreiche Familien mehr tun könnten. Ich weiß nicht, was Sie unter „familienersetzender Er- Frau Simonis (SPD) : Herr Präsident! Meine Da- men und Herren! Der soziale Fortschritt ist eine ziehung" verstehen. Ich weiß nur, daß eine fami- Schnecke. Meinem Vorredner ist es gelungen, ein liengerechte Erziehung möglich ist, wenn man z. B. besonders possierliches Tierchen vorzuführen, das das Kindergeld erhöht. Aber da hat ja wohl Ihre Partei Schwierigkeiten gehabt, nicht meine. Ich er- zu einer langsamen Gangart auch noch Bremsklötze innere nur an die namentliche Abstimmung. und einen Bremsfallschirm hat. Nach draußen ver- kaufen Sie jedoch immer relativ heiße Renner, je (Beifall bei der SPD und der FDP) nachdem, welche Sprecher von Ihnen auftreten. Dort wird allen möglichen Gruppen alles Mögliche Ich persönlich bedaure es, wenn zum Jahr des mehr versprochen. Es wird z. B. mehr an Erziehungs- Baumes, zum Jahr des Denkmalschutzes, zum Jahr geld, es wird mehr für die Frauen versprochen. Es der Frau nun auch erst noch ein Jahr des Kindes tut mir eigentlich leid, Herr Glos, daß Sie mich kommen muß, um klarzumachen, wie kinderlieb, wie jetzt zwingen, mich auf dieses geschlechtsspezi- frauenlieb, wie baumlieb oder wie denkmalschutz- fische Wahl- oder Schlachtfeld zu begeben. lieb die Deutschen sind. Leider ist zur Zeit nicht mehr drin. Sie haben ja den ersten Schritt ge- (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Lang macht, indem Sie es den Familien verweigert haben, samer sprechen! Wir verstehen nichts!) mehr finanzielle Mittel für eine kinderfreundliche — Ich habe ja nur 10 Minuten Zeit; deswegen muß Familie zur Verfügung zu haben. ich schneller reden. (Beifall bei der SPD) Natürlich wäre es schön, wenn man für Frauen Ich gebe auch gern zu, daß im Bereich des Einzel- mehr tun könnte. Es wäre auch sehr schön, wenn plans 15 noch sehr viele andere Sachen gemacht wir es allen Frauen ermöglichen könnten, zu Hause werden könnten. Wir könnten z. B. im Bereich der zu bleiben, wenn wir allen Frauen die volle beruf- gesundheitlichen Aufklärung mehr tun. Aber so- liche und soziale Integration ermöglichen könnten. lange die Deutschen es vorziehen, sich mit Messer Nur, Herr Glos, dann darf man diesen kleinen An- und Gabel sozusagen dem Kalorien-Freitod ent- satz von 3 Millionen DM, der in diesem Etat steht, gegenzufuttern, wird man leider mehr als eine Mil- 2734 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Frau Simonis lion DM Zuschuß ausgerechnet der Deutschen Ge- lich dieses Geld, insgesamt 150 000 DM, der Sport- sellschaft für Ernährung zur Verfügung stellen, statt jugend zur Verfügung stellen. das Geld an anderer Stelle vielleicht sinnvoller ein- (Zustimmung bei der CDU/CSU) zusetzen. Auch ich bedaure dies, nur ist es leider nicht zu ändern. Die Deutschen futtern nun mal zu- Das haben Sie schon heute herausgegeben, obgleich viel. Sie es erst morgen beantragen wollen; Sie sind (Beifall bei der SPD und der FDP) verdammt fix, stelle ich fest. (Zurufe von der CDU/CSU) Im Hauruck-Verfahren ist leider keine eingefah- rene Verhaltensweise zu ändern. Im Hauruck-Ver- — Ich ziehe das Wort „verdammt" mit dem Aus- fahren ist niemand zu bewegen, etwas anderes als druck des Bedauerns zurück. das zu machen, was er bisher gemacht hat. Das beweisen beispielsweise alle Männer, die hier sind Ich finde, daß Ihr Antrag drei Mängel hat. Erstens und die sich genauso verhalten, wie sich bis jetzt kommt er ein bißchen plötzlich. Während der Haus- alle Männer verhalten haben. Was man hier braucht, haltsberatungen habe ich von Ihrer Liebe zur Deut- ist eine vernünftige und sehr behutsame Aufklä- schen Sportjugend nichts gemerkt. rung. Die Schriften, die Sie gerade wieder so (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Die ist moniert haben, sind meiner Meinung nach alle so sehr alt!) gut, daß ich mir Ihre Kritik nur so erklären kann, Diese Liebe ist Ihnen nun plötzlich 150 000 DM daß Sie sich noch keine angesehen haben. wert. Zweitens sind auch die Mitglieder der Fach- (Beifall bei der SPD) arbeitsgruppe Ihrer Partei mit einem solchen Antrag Ich bin davon überzeugt, daß Ihnen das Ministerium nicht einverstanden. Drittens ist der größte Mangel diese Schriften sehr gern zur Verfügung stellt. dieses Antrages, daß Sie versuchen, einen Verband gegen den anderen Verband auszuspielen. (Zuruf des Abg. Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] ) (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Da gibt es — Ich glaube, der Hinweis auf das Urteil des Bun- nichts auszuspielen!) desverfassungsgerichts zieht hier nicht, denn aus- gerechnet die Schriften dieses Ministeriums sind Die Deutsche Sportjugend hat sich heute auch da- dort sehr lobend erwähnt worden. Vielleicht lesen gegen gewandt, daß sie auf Kosten eines anderen Sie auch das noch einmal nach, ehe Sie hier be- Verbandes gefördert werden soll. haupten, daß das nicht stimmt. (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Da lachen (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. ja die Hühner!) Riedl [München] [CDU/CSU] : Ich habe nicht — Nein, die Hühner lachen nicht. Was der Jugend- das Bundesverfassungsgericht gemeint, son ring dazu gesagt hat, geht ungefähr in dieselbe dern die Fotos in den Broschüren!) Richtung. — Ach, wissen Sie, ich finde, die Fotos tun den - Broschüren ganz gut. Die Frau Ministerin putzt die Wir werden also Ihren Entschließungsantrag mor- Broschüren sozusagen. Sie sieht sehr gut aus. gen ablehnen. Wir nehmen zur Kenntnis, daß die Bundesregierung darauf Rücksicht nimmt, ob die (Beifall bei der SPD) Förderungsvoraussetzung des § 9 für den Verband Wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie ja eine der Naturfreundejugend noch gegeben ist. Die bei- 15%ige Kürzung all dieser Maßnahmen im Bereich den kritischen Punkte — nämlich das Erscheinen der Aufklärung für die Integration älterer Mitmen- der Zeitung „Schnittpunkte" sowie die Zusammen- schen, für die Integration von Randgruppen, für die arbeit mit der FDJ — sind in diesem Jahre beseitigt Integration von allen möglichen Gruppen in dieser worden; nach den Wahlen vom 17. bis 19. hat sich Gesellschaft gefordert. Es sind ungefähr 15 %. Ich der Vorstand in seiner personellen Zusammenset- habe es vorhin nachgerechnet; Sie können es auch zung entscheidend verändert. noch einmal nachrechnen. Ich persönlich bin nicht der Meinung, daß die Wenn das alles so traurig ist, wie Sie es hier dar- Kopfzahl eines Verbandes ein gutes Kriterium für gestellt haben, hätten Sie im Grunde genommen seine Bezuschussung ist. Ich glaube aber, daß es eine Erhöhung all dieser Ansätze fordern müssen, erst recht nicht richtig ist, über den Kopf aller Ver- mit denen versucht wird, in der Gesellschaft Auf- bände hinweg zu entscheiden — ohne das Kurato- klärung für eine Integration all jener Gruppen zu rium zu fragen —, wie man in Zukunft die Bezu- betreiben. schussung von Jugendverbänden gestalten will. (Beifall bei der SPD und der FDP) Meine Partei wird dem Einzelplan 15 in der Fas- Zum Schluß möchte ich ganz kurz auf Ihren An- sung der Ausschußvorlage zustimmen, damit dem trag eingehen. sozialen Fortschritt — bei kriechender Geschwindig- keit — noch ein bißchen mehr angehängt werden (Zuruf von der CDU/CSU: Der ist gut!) kann. Es geht um die Streichung der Mittel für die Natur (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. freundejugend. Sie haben den zweiten Teil Ihres Riedl [München] [CDU/CSU] : Das war eine Antrages sozusagen verschwiegen. Sie wollen näm Jungfernrede!) Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2735

Präsident Carstens: Das Wort hat der Herr Ab- Bereich der Wissenschaft und im Bereich der Poli- geordnete Burger. tik Kräfte, die die Familie selbst in Frage stellen. In die gleiche Richtung geht auch die Forderung Burger (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr im „Orientierungsrahmen '85" der SPD, wonach die geehrten Damen und Herren! Zunächst eine kurze Familie von Aufgaben zu entlasten ist, die koope- Antwort an Frau Simonis: Die CDU/CSU-Bundes- rativ oder öffentlich besser erfüllt werden können. tagsfraktion hat keineswegs gegen die Erhöhung Diese Forderung, meine Damen und Herren, beinhal- des Kindergeldes gestimmt. tet den Vorrang der Gesellschaft vor der Familie und stellt das Verhältnis zwischen Staat und Fami- (Lachen bei der SPD — Zurufe von der lie auf den Kopf, SPD: Oho! — In namentlicher Abstimmung!) (Zuruf von der SPD: Herr Burger, Sie sind Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundes- zu solide, um etwas so Unsolides vorzutra tagsfraktion hat sich einstimmig gegen das kinder- gen!) feindliche Junktim zwischen Mehrwertsteuererhö- hung und Kindergelderhöhung gewandt. weil hier, Herr Kollege, im Grunde ja verlangt wird, daß alles, was staatliche Einrichtungen leisten kön- (Beifall bei der CDU/CSU) nen, von der Familie weg auf diese staatlichen Ein- Präsident Carstens: Herr Abgeordneter, gestat- richtungen zu übertragen sei. Wir sind dagegen! ten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sper- (Kuhlwein [SPD] : Genauso können wir ling? Ihnen unterstellen, daß Sie keine Kinder gärten wollen!) Burger (CDU/CSU) : Nein, ich gestatte keine Zwi- — Die Priorität liegt bei der Familie. schenfrage; wir wollen bald zum Schluß kommen. Die Situation ist eindeutig und klar. Wir haben (Kuhlwein [SPD] : Also sind Sie gegen unseren Antrag vorgelegt. Wir wollen eine Kinder- Kindergärten und gegen Schulen!) gelderhöhung ohne eine gleichzeitige Mehrwert- Kindergärten, Schule, berufliche Bildung — das sind steuererhöhung. Ich möchte noch einmal feststellen: ergänzende Hilfen für die Erziehung in der Familie. Dies ist seit Bestehen der Bundesrepublik der ein- In dieser Rangordnung wollen wir das haben. zige Fall, der mir bekannt ist, daß eine Bundes- Die CDU/CSU will also vor allem die Erziehungs- regierung die Erhöhung des Kindergeldes von der kraft der Familien stärken. Sie begrüßt die familien- gleichzeitigen Erhöhung ausgerechnet noch einer politischen Aussagen der Familienverbände. Diese Umsatzsteuer abhängig macht. Forderungen sind Vorschläge, die sich am Gemein- (Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!) wohl orientieren und sich in den Dienst der Ge- Dies ist eine einmalige Leistung. meinschaft aller Bürger stellen. Die CDU/CSU lehnt gemeinsam mit dem Deutschen Familienverband — Aber nun kurz noch einige Sätze zur Familien- ich- möchte das noch einmal betonen — ein Junk- politik: Für uns ist die Familienpolitik eine der zen- tim zwischen Mehrwertsteuererhöhung und Kinder- tralen Aufgaben deutscher Politik. Die Familie ist geldverbesserung mit Entschiedenheit ab. Verbesse- in der Bundesrepublik Deutschland in eine schwere rungen der Leistungen nach dem Bundeskindergeld- Krise geraten. Dies empfinden die Familien selbst; gesetz sind auch ohne Mehrwertsteuererhöhungen dies erkennt aber auch zunehmend die Öffentlich- möglich. keit. Die CDU/CSU betrachtet es als eine ihrer zen- Familien mit Kindern sehen sich vor allem einer tralen Aufgaben, Lösungsvorschläge zu erarbeiten starken wirtschaftlichen und finanziellen Benachtei- und auch zu verwirklichen. Meine Damen und Her- ligung ausgesetzt. Ständig steigende Belastungen ren, wir haben uns in den letzten Wochen und Mo- der Erwerbseinkommen durch direkte Steuern und naten insbesondere beim Wohngeldgesetz darum be- durch Sozialabgaben haben zu einer Schmälerung müht, Erleichterungen für Mehrkinderfamilien durch- der Fähigkeit geführt, einen angemessenen Unter- zusetzen. Wir haben leider keine Mehrheit gefun- halt für größere Familien aus dem Verbleib der den. Wir haben uns gemüht, im Rahmen des § 7 b Nettoeinkünfte zu finanzieren. Die eine familienfreundliche Komponente durchzusetzen. wirtschaftliche Entlastung der Mehrkinderfamilien hat trotz der Leider haben wir auch vom Familienministerium Neuordnung des Familienlastenausgleichs ab 1. Ja- keinerlei Unterstützung erfahren, obwohl allgemein nuar 1975 eben nicht mit der wirtschaftlichen Ent- anerkannt wurde, daß dies notwendig gewesen wicklung Schritt gehalten. Die Zahl der Familien- wäre. Wir haben uns beim Rentensanierungspaket haushalte, die Sozialhilfe beantragen müssen, nimmt und beim Kostendämpfungsgesetz gemüht, Härten ständig zu. Es kann deshalb nicht überraschen, daß für die Familie zu beseitigen. Auch hier, meine Da- wirtschaftliche Gründe die maßgebliche Ursache für men und Herren, haben Sie uns nicht unterstützt. eine unvertretbar hohe Zahl von Schwangerschafts- In der immer schärfer werdenden Auseinander- abbrüchen sind. 13 000 Schwangerschaftsabbrüche setzung über die künftigen Grundlagen unserer Ge- in sechs Monaten, beinah die Hälfte aus sozialen sellschaftspolitik stehen wir auf der Seite aller Gründen — das ist nach meiner Auffassung eine Kräfte, die die ethisch begründete Freiheit des ein- Blamage des sozialen Rechtsstaates. zelnen Bürgers und die Institution „Familie" erhal- ten wollen. Wir wollen die Familien vor einer kol- (Beifall bei der CDU/CSU) lektiven Bevormundung durch den Staat und durch Anhaltende Geburtenrückgänge konfrontieren auch gesellschaftliche Gruppen schützen. Es gibt im Staat und Gesellschaft mit der Problematik, daß die 2736 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Burger Familien in der Bundesrepublik Deutschland zur Es heißt dort weiter: „Seit der letzten Steuerreform, Zeit offensichtlich nicht in der Lage sind, die gene- spätestens seit dem Beschluß, die Mehrwertsteuer rative Funktion so wahrzunehmen, daß der zahlen- zu erhöhen, ist klar, daß die Sozialliberalen ent- mäßige Bestand der deutschen Bevölkerung auf eine schlossen sind, Kinderreichtum zu bestrafen und ausgewogene Alters- und Erwerbsstruktur wenig- Kinderlosigkeit zu belohnen." stens annähernd gesichert ist. (Zurufe von der SPD) (Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : Das nimmt Ihnen doch niemand ab!) — So steht das in dieser Zeitung! Ich zitiere weiter: (Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : Das ist Die Bundesregierung aber unternimmt nichts, um die doch unter Niveau! — Weitere Zurufe von Ursachen des Bevölkerungsrückgangs zu beseitigen. der SPD) (Dr. Sperling [SPD] : Doch!) „Es ist auch kein Zufall, daß sich das sogenannte Herr Kosmale hat in seinem Artikel geschrieben: Familienministerium, das man besser das Ministe- „Bevölkerungspolitisch besteht kein Anlaß zur rium für Liebe und Partnerschaft nennen sollte, Sorge." Ich meine, hier irrt Herr Kosmale. Hier irrt hauptsächlich Problemen der Frauenemanzipation er, weil Aussagen kompetenter Politiker und Wis- widmet." Das sind bittere Worte! Aber es ist nicht senschaftler das Gegenteil besagen. Die Zahl der Ge- die einzige kritische Stimme. burten hat sich innerhalb der letzten zehn Jahre hal- biert. Die deutsche Bevölkerung wird bis zum Jahre Die kritische Distanz der Ministerin gegenüber 1990 um über drei Millionen Einwohner abnehmen. dem Erziehungsgeld ist bekannt. Frau Huber meint, Hält der gegenwärtige Trend an, ist damit zu rech- man dürfe den Frauen nicht durch Geldleistungen nen, daß der Anteil der Kinder an der Gesamtbevöl- ihre emanzipatorischen Errungenschaften abkaufen. kerung bis 1990 auf 15 °/o sinken wird; heute liegt er „Abkaufen?", so fragt Dr. Winkelvoss in der Zeit- noch bei 21 °/o. schrift „Die Familie" vom Mai 1977. „Für einen Kauf", so meint er richtig, „entscheidet man sich Nicht die Zahl der Bevölkerung ist maßgebend, freiwillig. Zwangskäufe gibt es nicht." sondern die Altersstruktur, die in wenigen Jahr- zehnten auf uns zukommt. Sie gibt uns Probleme Sie schreiben ja selbst im Familienpolitischen Pro- auf, die nur sehr schwer zu lösen sind. Die Wissen- gramm der SPD: schaftler mahnen hier unüberhörbar, wenn sie sagen, Die Familienpolitik der SPD will Bedingungen daß die Fragen nach einer angemessenen Bevölke- schaffen, die es Familien ermöglichen, ihr Le rungspolitik heute zu stellen und zu lösen seien, ben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. nicht aber erst in zwei oder drei Jahrzehnten. Meine Damen und Herren, warum haben Sie nicht (Dr. Meinecke [Hamburg] [SPD] : Wann hat den Mut, hier ein Angebot zu machen? Zwei Drittel denn der Knick angefangen, Herr Burger?) der befragten Frauen haben sich bereit erklärt, bei einem Erziehungsgeld die ein, zwei oder drei Jahre Den Geburtenrückgang stellen wir seit einigen Jah- - ren fest, seit etwa zehn Jahren. zu Hause zu bleiben und sich den Familien und der Kindererziehung zu widmen. (Dr. Meinecke [Hamburg] [SPD] : Seit 1961!) (Zurufe von der SPD) Die Zahl der Geburten hat sich in den letzten Jahren glatt halbiert, und wir haben zur Zeit ein Minus — Dies hat Ihr Ministerium selbst festgestellt. War- von rund 250 000. Wir haben zur Zeit jährlich um handeln Sie nicht getreu Ihrem Programm und 250 000 Geburten weniger, als die Sterberate aus- machen Angebote? Auf das Anbieten kommt es an, macht. nicht auf den Zwang. Wir wünschen dieses Ange- (Wehner [SPD]: Das ist eine Folge des So bot, vor allem natürlich aus familienpolitischen zialismus, nicht wahr?) Gründen. — Herr Wehner, dies wird wirtschaftliche, soziale (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der und strukturelle Folgen haben, SPD: Was sagt denn Herr Strauß dazu?) (Egert [SPD]: Das ist nicht die Frage!) — Herr Strauß ist ein vernünftiger Mann. Er hat sich die man nur sehr schwer wird beseitigen können, guten Argumenten immer gebeugt. wenn man nicht rechtzeitig gegensteuert. (Lachen bei der SPD) (Wehner [SPD] : Steuern Sie mal!) Das Erziehungsgeld soll vor allem die Familie Die Bundesregierung und die Frau Familienmini- stärken und den Frauen eine Wahlfreiheit zwischen ster haben diese Entwicklung bisher bagatellisiert, Beruf und Familie ermöglichen. Die Frauen sind beschönigt oder totgeschwiegen. „Wer Kinder hat, selbständig genug, um eine eigene Entscheidung zu wird bestraft." So schreibt die „Deutsche Zeitung" treffen. Machen wir ihnen das Angebot! Wir wer- am 17. Juni. Der Verfasser führt aus: „In Bonn will den sehen, was sie daraus machen, wenn sie eine sich ein Beamter scheiden lassen, weil er so die echte Wahlfreiheit haben. Gleichberechtigung heißt Familie besser ernähren kann. Grimmiger kann ja nicht, daß man alles über einen Kamm scheren selbst die böseste Polemik das traurige Ergebnis der kann. Selbst Karl Marx Bonner Familienpolitik nicht kennzeichnen." (Zuruf von der SPD: Lesen Sie sogar Karl (Wehner [SPD]: Rührend!) Marx? — Lachen bei der SPD) Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2737 Burger hat in einer These verkündet, daß gleiches Recht im Wir sind der Auffassung, daß die Frau Familienmini- Grunde für verschiedene soziale Gruppen der Ge- ster in großen Konzeptionen versagt hat, daß sie die sellschaft ungleiches Recht bedeutet. Lage der Familien nicht so sieht, wie sie wirklich (Egert [SPD]: Sie sind ja ein Marxist!) gesehen werden muß, nämlich als in einer Krisen- situation befindlich, der man abhelfen muß. Wenn — Die Analysen von Karl Marx sind nicht zu unter- wir Zukunftsinvestitionen in Milliardenhöhe für schätzen! Wir lesen ihn auch, um Ihre Argumente Wirtschaft und Wachstum aufwenden, dann müssen zu kennen und ihnen auch begegnen zu können. wir auch das Geld zur Verfügung stellen, das wir (Weiterer Zuruf des Abg. Egert [SPD]) für die Zukunft der Familien unbedingt benötigen. — Ich empfehle Ihnen auch unsere Enzykliken, Herr (Zuruf von der SPD: Das sagen Sie mal dem Egert. Das wäre auch eine gute Lektüre für Sie. Wirtschaftsminister!) Ich muß langsam zum Schluß kommen. Auch im Wir lehnen deshalb den Etat ab. anderen Teil Deutschlands ist ein Erziehungsgeld (Beifall bei der CDU/CSU) eingeführt worden. Das sollte das Familienministe- rium ein wenig nachdenklich stimmen. Was nützen Anstrengungen um Wirtschaftswachstum? Dort hat Präsident Carstens: Das Wort hat der Herr Abge- man in einer ganz anderen Richtung experimentiert. ordnete Hauck. Man hat Konsequenzen ziehen müssen, weil die Realität anders aussah. Hauck (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr verehr- ten Damen und Herren! Es ist erfreulich, daß nach Ich möchte es noch einmal sagen: Was nützen An- langer Zeit wieder einmal eine familien- und jugend- strengungen um Wirtschaftswachstum, Zukunftsin- politische Debatte in diesem Hause stattfindet. Der vestitionen und Konzeptionen in der Rentenversi- Haushalt gibt dies her. Aber ich muß sagen: Der cherung, wenn die Familie, der wichtigste Garant Zeitdruck, unter dem wir stehen, gibt uns heute nicht für die Zukunft, auf der Strecke bleibt? die Chance, den Stellenwert von Jugend- und Fa- Meine Damen und Herren, ganz kurz noch einige milienpolitik insgesamt zu verbessern. Ich würde es Sätze zur Sozialhilfe. sehr begrüßen, wenn wir länger diskutieren könn- (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Schauen Sie ten, weil Herr Glos als Neuling so viele neue Va- auf die Uhr!) rianten in die Debatte gebracht hat und es sich lohnt, darüber zu diskutieren und zu streiten. Wenn — Herr Schäfer, ich bin gleich fertig. — Konzep- ich — wie vor 25 Jahren — noch in Schweinfurt woh- tionslos bleibt der zuständige Familienminister auch, nen würde, könnten wir dort diskutieren, weil wir wenn es um Lösungen geht. Die Sozialhilfe ist ein dann aus demselben Wahlkreis wären. ganz wichtiger Bereich. Wir gehen hier einer ähn- lichen Entwicklung wie in der Rentenversicherung Wenn man Zensuren verteilt, sollte man wirklich entgegen: Es wird alles geleugnet, beschönigt, und berücksichtigen, daß z. B. Frau Wex im „Stern" eine dann stehen wir plötzlich vor der Misere. Sie ken- Fünf bekommen hat. Das sollten Sie dann auch sa- nen die Lage in den Gemeinden, Sie kennen die Ent- gen. Frau Huber hat eine Drei bekommen. Eine Drei wicklung bei der Sozialhilfe. Ich möchte die ein- ist immer noch besser als eine Fünf. schlägigen Zahlen nicht nennen. Zwei Zahlen er- Auch ich möchte ganz ernsthaft fragen, ob bei dem scheinen mir aber doch erwähnenswert: im Jahre Ausdruck „ein Hausfrauendasein fristen" das Wort 1970 3,34 Milliarden DM, im Jahre 1976 wahrschein- „fristen" richtig gewählt ist. Ich möchte Sie darauf lich etwa 10 Milliarden DM Ausgaben. Die Zahl der aufmerksam machen, daß es bei Frauen zwischen 40 Bedürftigen steigt. Sie wird noch weiter steigen, und 50 Jahren, deren Männer z. B. Schichtarbeiter weil durch die Rentensanierung und durch das Ko- sind, die allein leben, deren Kinder das Haus ver- stendämpfungsgesetz Probleme entstehen, die wahr- lassen haben, Situationen gibt, in der ihnen diese scheinlich nur zu Lasten der Sozialhilfe gelöst wer- Gesellschaft helfen muß. Wir müssen hier mehr den können. tun als bisher. Das darf man nicht einfach mit einer Es geht hier darum, bald, in Ruhe und sorgfältig Handbewegung abtun, als sei das eine Diffamierung zu Lösungen zu kommen, die nicht in die Rechts- insgesamt gewesen. Hier gibt es wirklich etwas zu substanz eingreifen, die aber doch gewisse Korrek- tun. turen, die vorgenommen werden können, ermög- (Beifall bei der SPD und der FDP) lichen. Es gibt Anregungen, es gibt Vorschläge. Es Ebenso verhält es sich mit der elterlichen Sorge. gibt auch Vorschläge, die im Auftrag des Ministe- Der Bundesrat hat drei Änderungen eingebracht. Die riums erarbeitet worden sind. Wir sollten den Mut Verbände haben im Grundsatz zugestimmt. Man haben, in den nächsten Wochen und Monaten in al- kann sich über einzelne Passagen unterhalten. Dafür ler Ruhe Konzeptionen zu erarbeiten. Ich bedaure, gibt es ja die Ausschußberatungen. Aber: Wenn wir daß Herr Staatssekretär Zander im Ausschuß er- darangehen, die elterliche Gewalt durch elterliche klären mußte, daß zur Zeit noch keine Konzeption Sorge zu ersetzen und zu reformieren, so sollte man des Ministeriums vorliegt. meiner Meinung nach darüber reden und die Be- Wir können dem Etat des Familienministeriums mühungen nicht einfach abqualifizieren. Das dazu. nicht zustimmen. Nun möchte ich Sie noch darauf aufmerksam ma- (Zuruf von der SPD: Das haben wir schon chen: in der Jugend-, Familien- und Gesundheits- einmal gehört !) politik sind wir alle engagiert. Wir haben ein gro- 2738 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Hauck ßes Aufgabenfeld. Wir müssen aber feststellen, daß sen. Das ist auch die Aufgabe dieses Parlaments. diese Bereiche ressortüberschreitend sind. Herr Glos, Hinsichtlich des Bundesjugendplans werden zweifel- was Sie zur Jugendarbeitslosigkeit sagten, geht ge- los neue Verteilungskriterien auf uns zukommen, nauso stark in Arbeits- und Sozialordnung, in Bil- wenn die Perspektiven für den Bundesjugendplan dung und Wissenschaft hinein. Bei der elterlichen vorliegen und wenn wir uns über die jeweiligen Sorge geht es um Rechtsbezüge. Wohngeld für kin- Inhalte sachkundig gemacht haben, die dort zu ver- derreiche Familien geht in die Wohnungspolitik treten sind. hinein. Ich bin der Meinung — und habe das immer Ich möchte aus aktuellem Anlaß — Sportjugend, vertreten —, daß die sogenannten Fachexperten für Naturfreunde und was dazugehört — ganz klar fest- Jugend und Familie Sachwalter für die Belange der stellen, daß für uns Sozialdemokraten dabei folgen- Jugend, der Familie und der Gesundheit sein sollten der Grundsatz gilt: Wer die freie Jugendarbeit be- und dafür sorgen müssen, daß in allen Gesetzen ju- jaht, muß für eine gleichmäßige und umfassende gend-, kinder- und familienfreundliche Akzente ge- Förderung der Verbände, ohne inhaltliche Vorgabe setzt werden. Das haben Sie ja nun auch bei § 7 b, zur Gewährleistung von Pluralität eintreten. beim Wohngeld usw. gesagt. Herr Burger hat be- klagt, daß Sie da nicht die Mehrheit bekommen (Dr. Waigel [CDU/CSU] : Aber nicht für haben. Dazu möchte ich Ihnen sagen: wenn Sie das Kommunisten!) schon beklagen, müssen Sie nicht als Bäckerdutzend Die Förderung der freien Träger der Jugendarbeit hier sitzen, wenn Änderungsanträge gestellt wer- kann und darf nicht aus Opportunitätsgründen ge- den, sondern müssen selbst den Willen haben, diese währt werden. Sie darf sich nicht danach richten, ob Anträge durchzusetzen, bevor Sie dem Gesamtpar- die Jugendverbandsarbeit den Vorstellungen von lament Vorwürfe machen. Regierung, von Parlament, einer Koalition oder (Beifall bei der SPD) einer Opposition entspricht. Das Gebot der Partner- schaft verlangt, daß man bei Meinungsstreit mitein- Denn Sie haben ja diese Anträge gestellt. ander spricht, den anderen hört und per Beschluß im Im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Bundestag keine finanziellen Einzelentscheidungen fand in diesem Jahr eine sachlich sehr harte, aber trifft, sondern nur die Kriterien der Förderungswür- fair geführte Diskussion über den Inhalt der Politik digkeit nach den Bestimmungen des Jugendwohl- und über die finanzielle Ausstattung statt. Obwohl fahrtsgesetzes zur Entscheidungsgrundlage macht. es unterschiedliche Meinungen über die einzelnen Bei Ihrem Antrag ist es für mich etwas unheimlich, Haushaltsansätze, auch im Bundesjugendplan, gege zu sagen: Wir stellen fest, daß der § 9 Abs. 1 nicht ben hat, hat der Ausschuß einvernehmlich beschlos- erfüllt wird und die Förderungswürdigkeit nicht ge- sen, keine Änderung gegenüber dem Regierungs- geben ist. Das muß später Stuttgart machen; das entwurf vorzuschlagen. Dabei wurde aber klar, daß muß gegebenenfalls in einem Gerichtsverfahren ent- in vielen Bereichen Veränderungen, und zwar finan- schieden werden, aber doch nicht durch eine Einzel- ziell und substantiell, auf uns zukommen werden. entscheidung unter Voraussetzungen, wie Sie sie zugrunde legen. Das gilt z. B. für das Kindergeld. Wir haben es - beschlossen. Bei der Abstimmung haben Sie nicht (Beifall bei der CDU/CSU) zugestimmt. Ich sage dies, weil wir Sozialdemokraten in der Nun will ich Ihnen sagen: bei Ihrem neuen Vor- Jugendförderung, die durch diesen Streit um Natur- schlag, den Sie eingebracht haben, machen Sie genau freunde, Bundesjugendplan, Sportjugend usw. wie- dasselbe: 80 DM und 150 DM, und draußen gehen der ins Zwielicht gelangen kann, echte Partner- Sie rum und sagen, wir tun zuwenig für die Mehr- schaft wollen und weil wir die Arbeit der freien kinderfamilie, während Sie genau denselben Vor- Träger der Jugendarbeit anerkennen und wissen, schlag bringen. Auch das ist doch in der Diskussion daß die Aufgaben auf diesem Gebiete nur partner- unredlich. Erziehungsgeld, Babyjahr neuer Prägung, schaftlich erfüllt werden können. Im übrigen habe ich Karenzurlaub, wie die Österreicher sagen, ist zwei- allen Beteiligten geschrieben, daß die Jugendförde- fellos eine Entwicklung, die immer aktueller wird, rung Schaden leidet, wenn man solche Diskussio- die auf uns zukommt und der wir nicht ausweichen nen auf dem offenen Markt austrägt. können. Das ganze Haus wird in der Gesamtentwick- Gestatten Sie mir abschließend noch eine Bemer- lung dieser Forderung nicht ausweichen können. kung zu den wichtigsten Vorhaben dieser Legisla- turperiode im Jugendbereich. Obwohl es dabei die Ich will nicht darüber streiten, wer Erziehungs- größten finanziellen Schwierigkeiten geben wird, geld zuerst erfunden hat und in welchem Programm wollen wir die Reform des Jugendhilferechts in An- es zuerst stand. Aber wenn wir dieses in den Griff griff nehmen und nach Möglichkeit in dieser Wahl- bekommen wollen, brauchen wir solide Finanzie- periode verabschieden. rungsgrundlagen. Darüber müssen wir uns unterhal- ten, bevor wir es draußen den Leuten groß als Er- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wartungshorizont darstellen. Ich bin auch der Mei- Für uns Sozialdemokraten gibt es dabei folgende nung, daß, wenn die Ergebnisse der Transferkommis- Schwerpunkte: Verlagerung von der Jugendfürsorge sion vorliegen, Konsequenzen in vielen Bereichen in den Erziehungs- und Bildungsbereich, allgemeine zu ziehen sind, in der Ausbildungsförderung, im Verbesserung der Rechtsstellung von Kindern und Wohngeld, in der Sozialhilfe und all dem, was hier Jugendlichen, Begründung und Konkretisierung von angesprochen worden ist. Hier werden wir bei den Rechtsansprüchen auf angemessene individuelle Er- Haushaltsdebatten um neue Positionen ringen müs ziehungshilfen, Ausgestaltung der Jugendhilfe zu Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2739 Hauck einem selbständigen Erziehungsfaktor neben Eltern- schen Sportjugend zuzuschreiben. Die Meinung der haus, Schule und Beruf, gleichberechtigte Stellung bei diesem Gespräch anwesenden Unionspolitiker der freien Jugendarbeit und ihre Absicherung und war nicht einheitlich, und ich bin neugierig, wie die Qualifizierung und partnerschaftliches Zusammen- Kollegen morgen abstimmen werden, wenn dieser wirken zwischen öffentlichen und freien Trägern. Antrag zur Debatte steht. Wie die Betroffenen selbst über diesen Antrag denken, kann man in einem offe- In dem Zusammenhang werden wir auch der nen Brief an Sie, Herr Kohl, lesen. Ich darf Sie Familie familienergänzende Leistungen anbieten daran erinnern, wer den Brief unterschrieben hat: können. Es gibt ja den großen Streit, wo die einen Werner Lichtwark, der Vorsitzende der evangeli- sagen, der Referentenentwurf in der 7. Wahlperiode schen Jugend, und Heinrich Sudmann, Bundesvor- war ein Familienförderungsgesetz, und die anderen sitzender des Bundes der Deutschen Katholischen sagen, es war die Öffnung der kommunalen Jugend- Jugend. Das zeigt deutlich, daß Sie sich hier in der arbeit. Andere wieder haben gesagt, das sei noch Isolation befinden. schlechter als das Jugendwohlfahrtsgesetz. Wir wollen bei diesem Gesetz auch den Stellenwert der (Dr. Waigel [CDU/CSU] : Was soll das? — Familienpolitik ausloten. Das tun wir, wenn wir Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Dies ist darangehen und anfangen, das Beiwerk, das Sie aus ein freier Bundestag!) dem Familienbericht zitieren, wegzuräumen. Wir kom- — Ich habe nur die Meinung des Bundesjugendrin- men dann zu einem breiten Konsens. Wir haben ges kundgetan. gerade ein Gespräch mit der katholischen Kirche geführt. Ich erkenne an, daß man die Zielvorstel- (Dr. Waigel [CDU/CSU] : Den Brief haben lungen unserer Familienpolitik als solche aner- wir doch selber gekriegt! Wir brauchen kennt, aber die Befürchtung hat, daß es bei dieser doch keine Belehrung!) Ausgangsposition umkippen kann. Daß wir das ab- Die Bundesregierung hatte aber in der Vergan- sichern, daß wir die grundgesetzgemäße Voraus- genheit immer wieder betont, daß sie die Entwick- setzung schaffen, ist eine Aufgabe, die wir in der lung innerhalb der Naturfreundejugend mit Auf- Ausschußberatung gemeinsam zu lösen haben. Da merksamkeit beobachtet, um festzustellen, ob die sollte man sich dann auch im Parlament und drau- Förderungsvoraussetzungen noch gegeben sind. Wir ßen bei Versammlungen und Fachkonferenzen der können heute feststellen, daß dieser Weg richtig gleichen Sprache bedienen. Das hilft unserem Kreis, war. Die Beanstandungen, die im vergangenen Jahr unserer Jugendarbeit, denen, die auf uns warten, zu einer zeitweiligen Sperre der Mittel geführt hat- viel mehr, als wenn wir hier Schlachten schlagen, ten, sind inzwischen abgestellt. Diese Beanstandun- deren Ergebnis am Schluß schon wieder überholt gen waren z. B. der Vertrag über die Zusammen- sind. arbeit mit der FDJ, der in diesem Jahr nicht mehr (Beifall bei Abgeordneten der SPD) verlängert wurde, zum zweiten die Zeitschrift Ich hoffe also, daß wir dieses Reformvorhaben „Schnittpunkt", die in diesem Jahr nicht mehr er- verwirklichen können und damit den Stellenwert der -schienen ist. Darüber hinaus können wir feststellen, Jugendpolitik insgesamt verbessern. Ich füge hinzu: daß sich die personelle Zusammensetzung des Vor- Ich hoffe, daß wir als Gesetzgeber, als Deutscher standes anläßlich der Bundesjugendkonferenz vom Bundestag damit einen nationalen Beitrag zum 17. bis 19. Juni dieses Jahres wesentlich verändert internationalen Jahr des Kindes leisten können, hat. das 1979 von den Vereinten Nationen durchgeführt wird. Ich hoffe, wir können das einvernehmlich zum Präsident Carstens: Herr Abgeordneter, gestatten Wohle der Familie und der jungen Generation in Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glos? diesem Lande durchsetzen. (Beifall bei der SPD und der FDP) Eimer (Fürth) (FDP) : Ich bin selber in der Zeit sehr knapp. Gestatten Sie mir deshalb, daß ich mög- lichst schnell zum Schluß komme. Präsident Carstens: Das Wort hat der Abgeord- Wir werden zwar die Naturfreundejugend nete Eimer. Deutschlands weiter im Auge behalten müssen, aber ein unmittelbarer Grund zur Streichung der Förde- Eimer (Fürth) (FDP) : Herr Präsident! Meine Da- rungsmittel ist nach unserer Meinung zur Zeit men und Herren! Der Herr Kollege Glos tut mir jedenfalls nicht gegeben. Darüber hinaus müssen hier heute abend leid, denn Sie, Herr Kollege Glos, wir auch bedenken, daß im Einzelplan 15 nur der sind von Ihrer Fraktion in eine verlorene Schlacht Bundesjugendring als Empfänger aufgeführt ist und geschickt worden. eine Kürzung deswegen auch nur den Bundes- jugendring treffen kann. Über die Entscheidung der (Zurufe von der CDU/CSU) Gelder entscheidet aber der Verband selbst. Genau Zu diesem Ergebnis muß man jedenfalls kommen, den Punkt, Herr Kohl, hat der Verband in dem wenn man heute abend an einem Gespräch beim offenen Brief an Sie deutlich aufgeführt. Bundesjugendring teilgenommen hat. Dieses Ge- Es ist aber selbst dann, wenn Ihr Antrag durch- spräch war vor vier Stunden zu Ende. Dabei ging es gehen sollte, nicht völlig sicher, ob die Zuschüsse vor allem um den Antrag, den Sie hier auch ange- für die Naturfreunde völlig gestrichen werden oder kündigt haben, nämlich die Mittel für die Natur- ob nicht etwa aus Solidarität die Streichung gleich- freundejugend zu streichen und sie dafür der Deut mäßig von allen Verbänden getragen wird. 2740 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Eimer (Fürth) Lassen Sie mich noch zu einem Thema kommen, Ich appelliere deshalb an Sie, diesen Zickzackkurs das auch von Herrn Burger angesprochen wurde: nicht mehr fortzusetzen. das Kindergeld. Die Opposition hatte in der ver- (Beifall bei der FDP und der SPD) gangenen Woche Gelegenheit, ihre verbale Fami- lien- und Kinderfreundlichkeit im Plenum unter Verlassen Sie diesen Kurs! Stimmen Sie wie wir Beweis zu stellen. Sie hat aber in namentlicher Ab- dem Einzelplan 15 zu! stimmung der Erhöhung des Kindergeldes nicht zu- (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. gestimmt. Kritisiert wurde unter anderem der zu Hennig [CDU/CSU] : Damit ist dann die Ge geringe Betrag der Erhöhung. Diese Woche legt nun meinsamkeit hergestellt!) die Union einen neuen Antrag über Kindergeld auf den Tisch des Hauses, der ebenfalls eine Erhöhung des Kindergeldes vorsieht. Wir müssen feststellen, Präsident Carstens: Das Wort hat der Herr Ab- daß sogar die Beträge die gleichen sind wie die, die geordnete Kroll-Schlüter. bei uns vorgesehen waren. Nun frage ich mich, warum man dann nicht bei dem entsprechenden Kroll - Schlüter (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Punkt unserer Vorlage zugestimmt hat. Herr Bur- sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ger, ich meine nur diesen einen Punkt. Heute kön- ich zu den Äußerungen bezüglich unseres Antrags nen Sie beweisen, wie ernst es Ihnen um die Erhö- auf Streichung der Mittel für die „Naturfreunde" hung des Kindergeldes ist. Sie, meine Damen und Stellung nehmen. Herren von der Opposition, brauchten nur dem Einzelplan 15 des Haushalts 1977 zuzustimmen. Schon im vorigen Jahr haben alle drei Fraktio- (Beifall bei der FDP und der SPD) nen einstimmig im zuständigen Ausschuß beschlos- sen, die Mittel für eine Weile zu sperren. Durch Aber auch hier wollen Sie sich, wie mein Vorredner diesen gemeinsamen Beschluß ist deutlich gewor- gesagt hat, in Ablehnung üben. Wie reimt sich das den, daß wir allen Anlaß haben, zu überlegen, ob alles zusammen? Es ist die klare Linie des Opposi- die „Naturfreunde" entsprechend dem Jugendwohl- tionskurses, und diese klare Linie ist eine Zick- fahrtsgesetz weiter förderungsfähig sind. Berech- zacklinie. tigte Zweifel wurden mehrmals angemeldet. Der (Beifall bei der FDP und der SPD) jüngste Bundeskongreß der „Naturfreunde" hat un- Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf die sere Bedenken bestätigt. Methoden der Opposition näher eingehen. Diese Zickzackstrategie wird verständlich, wenn man Nach wie vor bestimmen in der Spitze linksradi- sieht, daß die Opposition ihre eigenen Überzeu- kale, kommunistisch bestimmte Kräfte diesen Ver- gungen und Programme dann bedenkenlos über Bord band führend mit. Aber uns kann nicht gleichgültig wirft, wenn es ihr im Sinne einer Machterlangung sein, wohin das Geld der Steuerzahler fließt, auch opportun erscheint. Dieser Opportunismus ist aber nicht, wenn es um die populäre Jugendförderung eine gefährliche Sache, weil durch diese Politik jede geht. Wir haben uns diesem Auftrag zu stellen. Sachentscheidung in eine Entscheidung für oder - (Beifall bei der CDU/CSU) gegen den Kanzler umfunktioniert wird, weil, wie sich bei der Vermögensteuersenkung gezeigt hat, Wir haben der Bundesregierung angeboten, im zu- Abgeordnete gezwungen werden, aus übergeordne- ständigen Ausschuß gemeinsam zu prüfen, inwie- ten Gründen teilweise gegen ihr eigenes Gewissen weit die „Naturfreunde" förderungswürdig sind. abzustimmen. Besonders augenfällig war das in Dieses von mir vorgetragene Angebot ist vom Par- Ihrer Fraktion, Herr Kohl. lamentarischen Staatssekretär Zander brüsk zu- rückgewiesen worden. Er hat nicht mit einem Fin- (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Aber Herr Kollege, gerzeig angedeutet, diesen Weg gemeinsam mit uns was sagen Sie da für ein Zeug, das Sie sel beschreiten zu wollen. ber nicht glauben!) Damit, meine Damen und Herren von der Opposi- Daraus mußten wir folgern, daß die Bundesregie- tion, wird ein ganz wichtiges Prinzip unserer Demo- rung unkritisch und undifferenziert die „Natur- kratie verwässert. Das fällt mir als Neuling in die- freunde" nachhaltig fördern will. sem Haus besonders auf. Ich meine das Prinzip der Vor diesem Hintergrund verstehen Sie bitte unse- Gewaltenteilung. Der Gegensatz zwischen Regie- ren Antrag, der in veränderter Form morgen oder rung und Parlament wird in diesem Haus immer übermorgen von uns nochmals vorgelegt wird. Wir mehr durch den Gegensatz zwischen Regierungs- wollen einfach den Eindruck verhindern, als woll- koalition und Opposition ersetzt. ten wir über finanzielle Mittel Pressionen ausüben. (Dr. Hennig [CDU/CSU] : Das ist doch nicht Das hat diese Fraktion nie getan, und das wird sie unsere Schuld!) nie tun. Sie wird vielmehr immer nur dann, wenn ein Das führt nach meiner Überzeugung letztlich zu Verband nicht mehr förderungswürdig ist, beantra- einer Entmachtung dieses Parlaments. Wir sollten gen, die Mittel für ihn zu streichen. durch unser Verhalten hier im Parlament wieder zu (Zuruf des Abg. Westphal [SPD]) der ursprünglichen Gewaltenteilung zurückkommen. — Herr Westphal, ich habe jahrelang hier gegen (Pfeifer [CDU/CSU] : Wie haben Sie denn Ihren Widerstand dafür gekämpft, die Mittel für gestern bei dem Mißbilligungsantrag ab den SHB zu streichen. Es hat bei Ihnen Jahre ge- gestimmt?) dauert, bis Sie zur richtigen Einsicht kamen. Schließ- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2741 Kroll-Schlüter lieh haben Sie mit uns gemeinsam den richtigen eine hoffnungsvolle, freiheitliche Perspektive wei- Beschluß gefaßt. terhin haben können. (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der (Beifall bei der CDU/CSU) CDU/CSU: So war es!)

Was die Deutsche Sportjugend angeht, fallen Präsident Carstens: Das Wort hat die Frau Bun- zwei Sachverhalte zeitlich zusammen. Die Verquik- desminister für Jugend, Familie und Gesundheit. kung ist nicht die glücklichste. Aber, Herr Hauck und Herr Eimer, wir haben in der vergangenen Legislaturperiode in mehreren Gesprächen auch mit Frau Huber, Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Präsident! Meine Damen und der Deutschen Sportjugend zu erkennen gegeben, daß wir bereit sind, die Förderung der Deutschen Herren! Wenn man die Opposition heute abend Sportjugend aus Bundeshaushaltsmitteln mit dem hört, möchte man meinen, sie hätte ein ganzes Bün- Ziel der Steigerung zu überprüfen. Das ist mehr- del von Anträgen mitgebracht zur Erhöhung vieler mals von allen Fraktionen des Hauses gesagt wor- Maßnahmen, von denen sie hier so wunderschön den. Wenn man das sagt, wenn man ernstgenommen redet. Nicht ein einziger Antrag ist vorgelegt wor- werden will, muß man auch mal zu Potte kommen. den, mit Ausnahme eines angekündigten, der die „Naturfreunde" betreffen soll; und der soll noch ge- Hier sahen wir eine Gelegenheit, unseren guten ändert werden. Er soll zudem eine Streichung zum Willen zu beweisen. Diesen guten Willen werden Inhalt haben, von der nur ein Tausendstel unseres wir auch künftig nachhaltig beweisen — ich hoffe: Haushaltes betroffen ist. mit Ihnen gemeinsam. Ich muß Ihnen sagen: Ihnen mangelt es an Rechts- (Beifall bei der CDU/CSU) kenntnis. Sonst hätten Sie gewußt, daß es in der Deswegen: lösen Sie sich von der bisherigen Argu- Zeit, in der Sie Regierungsverantwortung trugen, mentation! Sie ist schon längst überholt. Wir sind eingerichtet wurde, daß der Bundesjugendring dar- einsichtig. Wir möchten, daß unsere Inhalte gerettet über verfügt. Ohne Anhörung, ohne rechtliches Ge- werden. Deswegen wird unser Antrag, etwas ge- hör und ohne eine Stellungnahme des Bundesjugend- ändert, in der Substanz aber nicht geschmälert, am kuratoriums können die Mittel gar nicht gestrichen Freitag neu vorgelegt. werden.

Was die Jugendpolitik dieser Bundesregierung Trifft es eigentlich zu, Herr Kohl, daß Sie dem angeht, so ist das jugendpolitische Feld genauso Bundesjugendring — bei einem Besuch — verspro- kahl geblieben wie in der vergangenen Legislatur- chen haben, daß er sich jederzeit an Sie wenden periode. Seit fünf Jahren versprechen Sie ein neues könne? Aber nun, da er eine Sorge hatte und sich Jugendschutzgesetz. Ergebnis: Bisher keine Initia- an Sie wenden wollte, waren Sie nicht zu sprechen. tive. Trifft das zu? Wir haben den Abdruck eines Briefes - bekommen, in dem Sie gebeten worden sind — — Es gibt einen beängstigenden Anstieg im Drogen- konsum und den steigenden Jugendalkoholismus. (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Ich werde dafür sor Es gibt einen beängstigenden Anstieg im Bereich gen, daß die Leute Sie sprechen können, junger Menschen, was Resignation, Verdrossenheit Frau Kollegin!) angeht. Es gibt viele bedenkliche Entwicklungen im — Ja, das wäre vielleicht nicht schlecht. Bereich junger Menschen, die zu tatkräftigen Initia- tiven des Parlaments und der Bundesregierung füh- (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Sie sollten über den ren sollten. Eines möchte ich hier klipp und klar Haushalt reden und nicht über ein Thema, zum Ausdruck bringen. Die jungen Menschen in die- das Sie gar nichts angeht! — Dr. Schäfer sem Lande, so hat es einmal Professor Lempp dar- [Tübingen] [SPD]: Na, na, Herr Kohl!) gelegt, leiden unter folgendem Tatbestand: auf der — Ich rede über das, was Sie hier zu meinem Haus- einen Seite eine immer schnellere Entwicklung, mehr halt vorgebracht haben. Mobilität, mehr Reform, auf der anderen Seite im- (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Seien Sie um mich mer weniger Orientierung, immer weniger Per- ganz unbesorgt! — Gegenrufe von der SPD) spektive. Genau in dieser Kluft der mangelnden Identifikation werden viele Menschen zerrieben. — Dann bringen Sie derartige Überlegungen hier Nehmen Sie das nicht leicht! Genau in dieser Kluft nicht ein. Wenn Sie das tun, rede ich darüber. finden viele Menschen zur Resignation, zur Droge, (Beifall bei der SPD und der FDP) zum Alkoholismus, zur steigenden Kriminalität. Ich finde die Art, wie Sie die Sache betreiben und die Dinge ohne jede genaue Kenntnis hier vorbrin- Präsident Carstens: Herr Abgeordneter, kommen gen, ausgesprochen unparlamentarisch. Sie bitte zum Ende. (Franke [Osnabrück] [CDU/CSU] : Jetzt zei gen Sie erst mal, daß Sie Kenntnisse haben!) Kroll - Schlüter (CDU/CSU) : Es ist bedrückend, in — Darauf können Sie sich verlassen. dieser Situation eine durch und durch phantasielose Bundesregierung zu haben. Damit das aufhört, wer- (Franke [Osnabrück] [CDU/CSU] : Jetzt fan den wir weiter Initiativen zur Förderung der jungen gen Sie mal an! Zeigen Sie, daß Sie Kennt Menschen in diesem Lande ergreifen, damit sie nisse haben!) 2742 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Bundesminister Frau Huber — Herr Franke, wir haben uns ja öfter schon in auf Hochglanzpapier, wir haben sie nie beabsich- diesem Hause unterhalten; daran brauchen Sie mich tigt und beschlossen. nicht zu erinnern. (Glos [CDU/CSU] : Sie hätten bei der Haus (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Ich würde als Mit haltsausschußsitzung dabei sein sollen, Frau glied Ihrer Regierung nicht über Kenntnisse Minister!) reden! — Weiterer Zuruf von der CDU/ — Sie sprechen hier längst abgehandelte Haushalte CSU: Zum Thema!) an, wie z. B. den Haushalt vom Arbeitsminister, bei — Mich läßt das völlig kalt, welche Zensuren mir dem bereits breit über die Jugendarbeitslosigkeit hier jemand erteilt, der heute zum erstenmal redet. gesprochen worden ist und bei dem Sie Ihre Ant- (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Ist das ein Verbre wort zu Ihren Darlegungen erhalten haben, und wo chen, daß jemand hier zum erstenmal redet?) Ihnen gesagt wurde, wie das von uns bewertet wird. Dann reden Sie über den Haushalt des Bundesmini- — Nein, durchaus nicht. Das haben Sie völlig miß- sters der Justiz, verstanden. Da kann man sehen, wie Sie zuhören! Ich finde es aber außerordentlich arrogant, wenn (Zuruf von der CDU/CSU: Schneller, schnel Sie nicht nur Zensuren erteilen, sondern mit Ihrem ler!) ganzen Unwissen Ihren Stil verbrämen und dann der auch schon abgehandelt ist. Dann reden Sie noch Dinge hier zum Ausdruck bringen, die über- über die elterliche Sorge. haupt nicht zutreffen. (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Verehrte Frau Kolle (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. gin, wenn es schon mit uns nicht geht, dann Kohl [CDU/CSU] : Unerhört!) seien Sie wenigstens mit den Stenographen — Ihr Lächeln bewirkt bei mir gar nichts, Herr Kohl. gnädig!) (Große Heiterkeit — Beifall bei der SPD — Wenn Sie nur das wollen; das kann ich gerne tun. und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU) Uns geht es um Sorge; Ihnen geht es um Autori- tät. Sehen Sie mal, Herr Glos, daß Sie unser Godes (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf berger Programm nicht richtig kennen — von der CDU/CSU: Langsam! Die Kollegen von der SPD sind ja noch nicht zur Abstim Präsident Carstens: Frau Bundesminister, gestat- mung da!) ten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glos? Sie haben unseren Frauentitel angegriffen. Ich verstehe das nicht. Das ist zwar nur ein kleiner Frau Huber, Bundesminister für Jugend, Familie Titel; aber wir bemühen uns, mit diesen Mitteln und Gesundheit: Nein, jetzt im Moment bitte nicht. durch Modelle und mit Öffentlichkeitsarbeit und ähnlichem die Emanzipation der Frauen zu ver- Daß Sie unser Godesberger Programm nicht rich- bessern. Davon haben Sie wohl noch nichts gehört? tig kennen und auch falsch zitiert haben, das nehme - Ich kann Ihnen wiederholen — ganz gleich, wie Sie ich Ihnen nicht übel. es beurteilen —, was Herr Staatssekretär Wolters Aber daß hier ein anderer Abgeordneter, der schon gesagt hat: es gibt Frauen, die zu Hause ihr Dasein länger in diesem Hause ist, davon spricht, daß wir fristen und es auch so empfinden, weil Sie ihnen uns Ihre Enzykliken anhören sollten, so etwas habe viele Jahre überhaupt keine Emanzipationsmöglich- ich noch nicht gehört. keiten eingeräumt haben. (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Das glaube ich (Beifall bei der SPD und der FDP) Ihnen!) Was soll Ihre kollektive Bevormundung? Haben Sie die gepachtet? Das ist wirklich sagenhaft. (Glos [CDU/CSU] : Gnädige Frau, was es (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe alles gibt!) von der CDU/CSU) — Ach, Ihr „gnädige Frau"! Haben Sie einmal die (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Sie haben berufstätigen Frauen mit Kindern gefragt? Ein Drit- eine Stimme wie Giesela Schlüter!) tel unserer Beschäftigten sind Frauen. Davon haben zwei Drittel Kinder unter 16 Jahren. Haben Sie Was unsere Broschüren betrifft, Herr Glos, so diese Frauen einmal gefragt, wieviel sie von Ent- ist dazu folgendes zu sagen. Diese Broschüren lastungsmaßnahmen halten, die für den Alltag wich- sind vom Bundesverfassungsgericht als ein Beispiel tig sind? Haben Sie sich mit ihnen schon einmal dafür gelobt worden, wie eine Information aussehen unterhalten? kann, die nicht in dem Ruche steht, einer Regierung zu Wahlpropaganda zu verhelfen. Sie sind ausdrück- (Glos [CDU/CSU] : Ich habe von Hochglanz lich als Musterbeispiel deklariert worden. Es gibt — papier für 150 000 DM gesprochen!) ich habe mich gerade erkundigt — bis jetzt eine — Das können Sie nicht aus unserem Haus haben; einzige Broschüre, die mein Bild tragen soll. Ich das haben wir nicht beschlossen, wie ich vorhin habe sie noch nicht gesehen. Ich habe diese Auf- schon sagte. Jetzt möchte ich auf Herrn Burger ein- machung auch nicht erbeten. Daran können Sie aber gehen. Er sprach über die Bevölkerungsstruktur. wieder einmal sehen, was Sie hier verbreiten. Sie Welche Rezepte haben Sie hierfür eigentlich? Sie sprachen von zahllosen Broschüren und Magazinen werfen uns immer wieder vor, daß wir nichts für Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2743 Bundesminister Frau Huber die Bevölkerungsstruktur täten. Ich muß Ihnen sichtlich der Maßstab: je höher die Sozialhilfe, desto sagen: wir glauben nicht, daß wir ein Recht haben, größer die Armut. Aber es sind doch gerade die Ehepaare darin zu bevormunden, wie viele Kinder Ihnen nahestehenden Verbände, die jetzt verlangen, sie wollen und wann sie Kinder wollen. daß die Sozialhilfe gekappt werden soll, weil sie (Beifall bei der SPD und der FDP) zu üppig sei. Wenn die Höhe nun heruntergesetzt wird, dann haben wir wohl weniger Arme, aber nur Glauben Sie nur nicht, daß man mit 10 DM mehr nach Ihrem Maßstab, der die Sozialhilfe hierzu Kindergeld schon mehr Kinder bekäme. macht. Ich finde, die Sozialhilfe ist nicht dazu geeig- (Unruhe) net, dauernd als Maßstab bei der Armutsdiskussion mißbraucht zu werden. Präsident Carstens: Meine Damen und Herren, ich (Beifall bei der SPD und der FPD — An bitte um Ihre Aufmerksamkeit für die Rednerin. haltende Zurufe) (Beifall bei der SPD) Präsident Carstens: Ich bitte die Kolleginnen und Frau Huber, Bundesminister für Jugend, Familie Kollegen, Platz zu nehmen und ihre Aufmerksamkeit und Gesundheit: Dafür gibt es Beispiele in Kanada der Rednerin zu schenken. und Frankreich. Gerade in Kanada — in der Provinz (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Herr Franke [Han Quebec — gibt es bei den höchsten Zuwendungen an nover] kann die Rede seiner Kollegin nicht Kindergeld die geringsten Geburtenraten. ertragen! — Dr. Riedl [München] [CDU/ Nun zu Ihrer Aufforderung an uns, wir sollten CSU] : Sogar Ihr Parteivorsitzender steht! Überlegungen zum Erziehungsgeld anstellen. Ich — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) meine, das entwickelt sich nun langsam zu einer — Ich bitte Sie nochmals um Aufmerksamkeit für Farce. Ich erinnere mich: 1974 sind Sie vier Wochen die Rednerin. vor der Abstimmung gerade noch auf unser neues Kindergeldsystem aufgesprungen. Das Land Bayern Frau Huber, Bundesminister für Jugend, Familie wollte noch einmal nach dem alten System Kinder- und Gesundheit: Sie sollten Ihre Karten endlich klar freibeträge beantragen. Sie taten sich außerordent- auf den Tisch legen. Bislang tragen Sie durch Ihre lich schwer, dieses Kindergeldsystem — Kindergeld Beiträge und Verhaltensweisen sowohl speziell im für alle Kinder — überhaupt mitzumachen. Dann Zusammenhang mit dem Kindergeld, als auch gene- haben wir erlebt, wie Sie diese Kindergeldregelung rell im Zusammenhang mit diesem Haushalt nur da- abgelehnt haben. Sie haben sie nicht im Zusammen- zu bei, die Familien in unserem Lande zu verun- hang mit der Mehrwertsteuer abgelehnt, sondern in sichern. einer Einzelabstimmung, zusammen mit der Ge- werbesteuer. (Beifall bei der SPD und der FDP) (Beifall bei der SPD und der FDP) -Die Armut betrifft doch überhaupt nur eine ganz Sie haben nun auch keinerlei Antrag eingebracht, winzige Gruppe unserer Bevölkerung, und die Dis- der vorsieht, mehr Kindergeld zu gewähren. Was kussion darüber führen Sie mit Hilfe eines falschen Sie gestern eingebracht haben, ist hinsichtlich der Maßstabes. Höhe von uns abgeschrieben. In diesem Antrag ist Und wenn Sie von Resignation sprechen: Wer nicht eine müde Mark mehr aufgeführt. resigniert denn eigentlich in diesem Lande? Doch nur (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Ich verspreche Ihnen die Leute, denen Sie das einreden möchten. feierlich, Frau Kollegin: Wir schreiben bei (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf Ihnen nicht ab!) von der CDU/CSU: Ihre Minister!) Da bin ich mir nicht sicher. Sie sprechen von großen Konzeptionen und haben Nun zum Erziehungsgeld selbst. Im Wahlkampf nicht einmal Anträge zu kleinen Teilbereichen ein- haben Sie verkündet, Erziehungsgeld werde ge- gebracht. währt werden, in Ihrem Wahlprogramm war davon jedoch nichts zu lesen. Nachdem sich dieser Bun- (Beifall bei der SPD und der FDP — Waigel destag konstituiert hatte, sprachen Sie wieder vom [CDU/CSU]: Dafür werden Sie bezahlt?!) Erziehungsgeld. Wir hören, daß die CDU es will, Dann haben Sie im Zusammenhang mit der Finan- die CSU aber nicht. Sie brachten seinerzeit eine zierung der Naturfreundejugend Deutschlands aus Vorlage ein und ziehen sie später wieder zurück. dem Bundesjugendplan Herrn Staatssekretär Zander Dann hören wir, daß die Finanzexperten der CDU beschuldigt, sich bei der Diskussion über dieses die Vorlag auch nicht gut finden, weil das zu teuer Thema brüsk verhalten zu haben. Herr Kroll würde. Das verbreiten sie lautstark. Und heute Schlüter, da muß ich Sie fragen: Haben Sie nicht fordern Sie uns nun auf, wir sollten das Erziehungs- gesagt, auch extreme Jusos seien Mitglieder der Na- geld einführen. Einer versteigt sich sogar dazu, zu turfreundejugend und deswegen müsse das Geld sagen, Herr Strauß würde einsehen, was Herr gestrichen werden? Burger meint. Glauben Sie das wirklich? (Kroll-Schlüter [CDU/CSU] : Nein! — Dr. (Beifall bei der SPD und der FDP) Kohl [CDU/CSU] : Frau Kollegin, so spricht Dann bringen Sie wieder die Armutskampagne. man über die Jusos nur im SPD-Vorstand, Dazu will ich nur kurz sagen: Bei Ihnen gilt offen- bei uns nicht!) 2744 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Bundesminister Frau Huber — Wir sprechen über die Jusos so, wie wir das für lienplanung usw. nötig haben, ein bißchen zu unter- richtig halten, Herr Kohl. stützen. Und wieviel Hilfe erhalten wir da von (Dr. Hennig [CDU/CSU]: Mit wachsendem Ihnen? Erfolg!) Nichts haben Sie gesagt über Vorsorgeuntersu- — Es gibt sicherlich manche Jusos, die in ihrer Ju- chungen und vorbeugende Medizin. gend irren, aber durch ihre Irrtümer vielleicht mehr (Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein bewegen als manche, die heute gesprochen haben, [CDU/CSU] : Ich hätte gern noch viel mehr Herr Kohl. gesagt!) (Beifall bei der SPD und der FDP) — Sie hätten gern, aber Sie haben nicht. Vielleicht Sie sprechen immer von Liebe und Partnerschaft, gelingt es Ihnen das nächste Mal, Herr Oberlehrer. Sie verwenden immer schöne Worte; aber wenn man (Beifall bei der SPD und der FDP) sie einmal untersucht, kommt man zu dem Ergeb- nis: alles hohle Hand. Dieser Haushalt ist diesmal nur ein wenig ange- wachsen. Sein Volumen wird aber das nächste Mal (Beifall bei der SPD — Dr. Kohl [CDU/CSU] : bedeutend größer sein, wenn wir das Kindergeld Das ist ähnlich wie mit Ihrer Rede, ver noch einmal um 1,8 Milliarden DM aufstocken wer- ehrte Frau Kollegin!) den. Wir denken, wir haben ein deutliches Zeichen — Mich können Sie mit Ihren Zwischenrufen nicht gesetzt für das, was wir wirklich wollen. Wir be- erschüttern, ich bin nicht so gebaut. finden uns in einer Zeit, in der es schwerfällt, (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der einen Haushalt auszubauen. Aber dieser Haushalt FDP — Ironischer Beifall bei der CDU/ hat Erhöhungen erfahren. Wir zeigen damit unsere CSU) Prioritäten, auch wenn wir größere Ziele nur in klei- nen Schritten erreichen können. Was Sie dagegen- Ich sage es deutlich: Wir finden, daß sich Fa- setzen; trägt eigentlich nur zur Verunsicherung bei, milienpolitik nicht nur auf Geldleistungen und mate- eine Hoffnungslosigkeit zu schüren, die gar nicht rielle Dinge bezieht. Sie aber haben nur davon ge- am Platze ist. Wenn Sie die Umfrageergebnisse ver- sprochen. folgen, finden Sie nicht bestätigt, daß es den Leuten (Beifall bei der SPD und der FDP) so schlecht geht. Sie haben mit Ihrer Schwarzmalerei Wir möchten insbesondere eine familienfreundliche keine Unterstützung in der öffentlichen Meinung in Umwelt schaffen und dazu beitragen, daß die Fa- diesem Lande. milien und alle Menschen kinderfreundlicher wer- (Beifall bei der SPD und der FDP) den. Wir werden uns darum in einem Programm Ich kann mir für die Zukunft nur wünschen, daß bemühen. Ich befürchte, daß nach den heutigen Auf- Sie mehr Einsicht in die Bedeutung dieses Haushalts tritten keine Schützenhilfe von der Opposition zu und seine Prioritäten haben mögen. erhoffen ist. Ich habe nur Deklamationen gehört. Ich darf mich bei sämtlichen Berichterstattern so- (Beifall bei der SPD und der FDP — Franke - wie bei allen Mitgliedern des Haushaltsausschusses [CDU/CSU] : „Auftritt" haben Sie gesagt!) und des Fachausschusses herzlich für die geleistete — Das ist doch wohl kein unparlamentarisches Wort, Arbeit bedanken. Ich darf hoffen, daß wir um der oder? Sache willen — trotz allem und trotz dieser nicht (Franke [CDU/CSU] : Nein, nein!) sehr erfreulichen Debatte — weiterhin eine gute Zusammenarbeit haben werden. Ich bedanke mich Ich bin sehr gespannt, wie Sie sich verhalten wer- nicht gerade für die Beiträge der Opposition, ich den. nehme sie dennoch als ein Zeichen dafür, daß wir Herr Kollege Hauck hat darauf hingewiesen, daß trotzdem auf diesem Felde kräftig weiterarbeiten wir als einen Schwerpunkt die Jugendhilfe haben. und vieles erreichen werden. (Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD [CDU/CSU] : Das haben wir schon einmal und der FDP — Lachen bei der CDU/CSU — gehört, von einer anderen Ministerin!) Dr. Kohl [CDU/CSU] : Aufstehen!) — Ja, das weiß ich. Trotzdem ist es nicht unaktuell. Der Erfolg hängt aber entscheidend davon ab, ob Präsident Carstens: Meine Damen und Herren, die von der CDU/CSU geführten Länder mitmachen das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich schließe werden. die Aussprache. (Beifall bei der SPD und der FDP) Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Ich halte es für außerordentlich bedauerlich, daß Einzelplan 15. Wer dem Einzelplan 15 in der Aus- Sie gerade diesen Haushalt ablehnen, obwohl Sie schußfassung zustimmen will, den bitte ich um das keine Anträge eingebracht haben. Denn dies ist der Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Haushalt der menschlichen Hilfen. Das erste war die Mehrheit; (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP) (Lebhafte Zurufe von der SPD: Mit g r o ß e r Mehrheit!) Er bringt das Kindergeld und größere Beträge für die Jugendarbeit. Er hilft uns, wenigstens in Modell- der Einzelplan 15 ist angenommen. versuchen — die Sie ja so sehr kritisiert haben —, (Beifall bei der SPD — Unruhe — Dr. Jen die mißhandelten Frauen, die arbeitslosen Frauen, ninger [CDU/CSU] : Der Alkoholspiegel diejenigen Frauen, die Beratungsstellen für Fami steigt!) Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2745 Präsident Carstens Ich rufe nunmehr auf: die negativen Folgen der SPD /FDP-Bildungspolitik bemerkbar, Einzelplan 31 (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) Geschäftsbereich des Bundesministers für Bil- dung und Wissenschaft die seinerzeit auf einer Woge von Reformutopie und — Drucksache 8/512 — -euphorie daherkam. Die Bundesregierung hat es zwar verstanden, bei den jungen Menschen viele Berichterstatter: Hoffnungen zu wecken — angefangen beim Bil- Abgeordneter Dr. Stavenhagen dungsbericht '70 bis zu den Wahlversprechungen Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? des Bundeskanzlers an die junge Generation —, hat Das ist nicht der Fall. es aber an einer realistischen Politik, die sich an den Bedürfnissen der jungen Menschen und nicht Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das an Ideologien orientiert, lange Zeit fehlen lassen. Wort in der allgemeinen Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Seit Jahren werden Vorstellungen propagiert, die Aussprache. davon ausgehen, nur Abitur und Studium seien (Beifall bei der SPD und der FDP) letztlich bildungspolitisch erstrebenswert. Heute sieht man auch in der Koalition besorgt auf die Aus- Zu Einzelplan 31 liegt auf Drucksache 8/625 ein einanderentwicklung von Bildungswesen und Be- Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. schäftigungssystem. Wenn bis zum Jahre 1980 ca. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Bitte 100 000 ausgebildete Lehrer eine Anstellung beim schön, Frau Abgeordnete Dr. Wilms. Staat nicht finden, ist das auch eine Folge dieser (Anhaltende Unruhe) Auseinanderentwicklung, und wenn an den Univer- — Meine Damen und Herren, ich bitte Sie wirklich sitäten — etwa in Köln — heute schon Jurastuden- sehr nachdrücklich um etwas mehr Ruhe. ten sind, die keine Anstellung mehr finden, zeigt sich, daß auch auf diesem Gebiet — wie auf vielen (Beifall) anderen — ein Auseinanderklaffen von Bildungs- Es ist für einen geordneten Ablauf der Debatte wirk- und Beschäftigungssystem zu verzeichnen ist. Dies lich unerläßlich, daß die Kollegen, die hier im Saal wird sich verschärfen, wenn — laut Wissenschafts- sind, der Rednerin oder dem Redner zuhören. rat — in Zukunft nicht mehr 60 %, sondern nur noch 15 °/o der Hochschulabsolventen in den Staatsdienst (Zustimmung) kommen, die Wirtschaft aber nach eigenen Angaben Bitte schön, Frau Kollegin. die anderen 85 % nicht aufnehmen kann. Es ist für die heutige studierende junge Genera- Frau Dr. Wilms (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine tion auch wenig tröstlich, von Sprechern der Bun- sehr geehrten Damen und Herren! Im Hinblick auf desregierung zu hören, in ein bis zwei Jahrzehnten die künftige Bildungspolitik der Bundesregierung hätte sich dies alles wieder auf einem Niveau ein- und damit auch auf die Gestaltung des Haushalts - gependelt, bei dem, wie es in anderen Ländern haben wir Ihnen in der Drucksache 8/625 einen Än- schon üblich ist, der Akademiker eben nicht mehr derungsantrag zum Problemkreis „Förderung der sei als ein Facharbeiter. Diese These mag sich — beruflichen Bildung" vorgelegt. Ich möchte diesen wir wissen es alle nicht — unter Umständen lang- Antrag kurz begründen und noch einiges zu zwei fristig sogar als richtig erweisen. Wenn man dies Aspekten der Bildungspolitik ausführen. aber heute den Jugendlichen als Trost sagt, so muß dies von ihnen geradezu als eine Verhöhnung emp- Die Regierungen der SPD /FDP-Koalition sind ein- funden werden. mal mit dem Versprechen und der Vision angetre- ten, der jungen Generation ein Mehr an allgemei- (Beifall bei der CDU/CSU) ner und beruflicher Bildung, an vollem Zugang zu Die Bundesregierung hat die wechselseitigen Zu- den Hochschulen, an beruflichem und sozialem Auf- sammenhänge zwischen Bildungswesen und Be- stieg, frei von Leistungsdruck und materiellen Sor- schäftigungssystem und wiederum die Abhängig- gen, bieten zu wollen. keiten beider von den wirtschafts- und finanzpoliti- (Zuruf von der SPD: Davon haben wir ja schen Entwicklungen nicht rechtzeitig gesehen oder auch eine Menge gemacht!) aus ideologischen Gründen nicht sehen wollen. An dieser Stelle fehlt bis heute eine entscheidende Die heutige Wirklichkeit sieht, wie wir alle wissen, Kurskorrektur, die zu einer in sich ausgewogenen sehr ernüchternd aus. Die Zahlen der jugendlichen Politik führt, die weder einer vollen Autonomie der Arbeitslosen, der Ausbildungsplatzsuchenden, der Bildungspolitik noch einer Vorherrschaft der Be- vor den Hochschulen Wartenden, der Berufssuchen- schäftigungspolitik das Wort redet. den sprechen für sich. Nie seit Beendigung der Wie- deraufbauphase in der Bundesrepublik sah sich die Die Bundesregierung konzentriert ihre Bemühun- junge Generation vor schlechtere Zukunftsperspek- gen auch heute noch mehr oder weniger einseitig tiven gestellt als heute. auf das, was sie die Öffnung der Hochschulen nennt, statt zu einer Politik einer in sich differenzierten Meine Damen und Herren, diese und andere Pro- Öffnung des gesamten Bildungswesens zu kommen. bleme sind keineswegs ausschließlich auf die ge- (Sehr gut! bei der CDU/CSU) burtenstarken Jahrgänge zurückzuführen, die uns jetzt und in den kommenden Jahren besonders gra- Zur Lösung der beruflichen Probleme der beson vierende Sorgen bereiten. Hier machen sich auch ders benachteiligten Jugendlichen, beispielsweise 2746 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Frau Dr. Wilms der Sonderschüler oder der Hauptschüler ohne verunsichern, wie es etwa durch das Arbeitsplatz- Schulabschluß, hat die Bundesregierung bislang förderungsgesetz geschehen ist. nicht viel beigetragen. Aber auch bei der Verbesse- Die Union begrüßt, daß die Zahl der neu abge- rung der Bildungschancen für unsere Abiturienten schlossenen Ausbildungsverhältnisse im Jahre 1976 müßte die Bundesregierung eigentlich erkennen, daß gegenüber dem Vorjahr um über 30 000 gestiegen den jungen Menschen nicht damit geholfen ist, ist, und zwar ausschließlich im Bereich der Wirt- ihnen immer noch mehr Studiengänge anzubieten, an schaft. Diese erfreuliche Entwicklung bestätigt die deren Ende für viele keine adäquate Berufschance Effizienz und die Flexibilität des dualen Systems der steht. Ausbildung und macht unseres Erachtens deutlich, (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Steger daß über Gesetze und Verordnungen hinaus Koope- [SPD] : Grober Unfug! — Weitere Zurufe rationen und Verantwortungsbewußtsein aller Be- von der SPD) teiligten die wichtigste Voraussetzung dafür sind, der stark steigenden Zahl von Jugendlichen in den Es wäre besser gewesen, wenn die Bundesregierung kommenden Jahren qualifizierte Ausbildungsplätze mit der gleichen Intensität, mit der sie die Auswei- anzubieten. Wir setzen auch hier auf die Freiheit- tung der Abiturientenquote propagiert hat, recht- lichkeit unseres Systems. zeitig auch die berufliche Bildung auf allen Qualifi- kationsebenen vorangetrieben hätte. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Die Union kritisiert entschieden, daß die Zahl der Wir brauchen eine in sich differenzierte Bildungs- abgeschlossenen Ausbildungsverträge im öffent- politik, damit auch die Durchlässigkeit, der beruf- lichen Dienst gesunken ist. Wir halten es für alar- liche und soziale Aufstieg von unten nach oben für mierend und unverständlich, wenn jetzt die Still- den einzelnen noch gewährleistet ist. legung von weiteren — wie es heißt tausend — Arbeitsplätzen bei der Bundesbahn zum 1. Septem- ber 1977 überlegt wird. Ein schlechteres Beispiel Präsident Carstens: Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten kann die Bundesregierung der ausbildenden Wirt- Scheu? schaft kaum geben. Das vorhandene Engagement zur Ausbildung muß Frau Dr. Wilms (CDU/CSU) : Nein, ich möchte wei- durch eine gezielte Förderungspolitik von Bund und termachen. — Leider war aber die berufliche Bil- Ländern unterstützt und ausgebaut werden. Diesem dung, insbesondere das duale System, jahrelang das Ziel dient das Programm der Union, das einen aus- Stiefkind der SPD /FDP-Bildungspolitik und zum Teil, gewogenen Förderungskatalog enthält, um das An- wie Sie alle wissen, auch ideologischen Anfeindun- gebot an qualifizierten Ausbildungsplätzen für alle gen ausgesetzt. An den Folgen dieser Politik leiden Jugendlichen zu erhöhen. wir alle heute noch. Zwar hören wir in letzter Zeit sehr viel Positives über das duale System der be- (Zurufe von der SPD) ruflichen Bildung, aber verbale Beteuerungen helfen Diesem Programm, das wir vorgelegt haben und das allein nicht weiter, sondern umfassende konkrete - wir ja wohl in der ersten Septemberwoche gemein- Maßnahmen sind erforderlich. sam diskutieren werden, hat die Bundesregierung (Dr. Steger [SPD] : Und Sie haben einmal bislang nichts Vergleichbares entgegenzusetzen ge- gesagt, Bildungspolitik sei nicht für partei wußt. politische Polemik geeignet!) (Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD) Eine Fassadenkosmetik ist nicht das, was gerade heute in der Berufsbildungspolitik gefragt ist. Die Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wer- CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat deshalb am den aus den genannten Gründen, die sich noch um 12. Mai 1977 ein Programm zur Sicherung und Wei- viele andere, etwa der Modellpolitik oder der Aus- terentwicklung des Ausbildungsplatzangebotes und bildungsförderungspolitik, anreichern ließen, den zur Verbreiterung der Arbeitsmöglichkeiten für Ju- Einzelplan 31 ablehnen. gendliche im Bundestag eingebracht. (Zurufe von der SPD) (Dr. Steger [SPD] : Das ist zusammenge Die Bildungspolitik der Bundesregierung ist in ihren schmiert!) generellen Zielen und Inhalten noch längst nicht von Sie dokumentiert damit, daß sie zusammen mit der der Kurskorrektur geprägt, die notwendig ist, um Bekämpfung der Arbeitslosigkeit die wichtigste Zu- der Bildungsprobleme der nächsten Jahre Herr zu kunftsaufgabe darin sieht, allen jungen Menschen werden. Wir wünschen aber, daß der Bundestag auch in unserem Lande in den nächsten Jahren die Mög- in diesem Haushalt die Voraussetzungen für eine lichkeit einer Berufsausbildung zu geben. Alle Ener- wirkungsvollere Berufsbildungspolitik zugunsten gien in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft müssen der jungen Menschen in unserem Lande schafft. Wir sich auf die Sicherung und Erweiterung des Ausbil- haben deshalb in konsequenter Fortführung unseres dungsplatzangebotes in der ganzen Breite konzen- Ausbildungsprogramms in der Drucksache 8/625 trieren. Dies ist einerseits eine Frage gezielter Maß- einen Änderungsantrag vorgelegt. Er sieht vor, in nahmen, andererseits aber auch die eines Ver- einem nach Kap. 3103 einzufügenden Kap. 3104 trauensklimas zwischen allen Beteiligten. Wir brau- Haushaltsmittel durch Umschichtung bereitzustellen, chen Maßnahmen und Gesetze, die die Beteiligten die es dem Bund erlauben, Jugendliche über den zu verstärkten Anstrengungen motivieren und nicht eigenen Bedarf hinaus auszubilden, eine freiwillige Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2747 Frau Dr. Wilms Beschäftigung von arbeitslosen Jugendlichen im nämlich für junge Menschen Arbeitsplätze und Aus- Dienstleistungsbereich zu ermöglichen, ferner der bildungsplätze zu schaffen, nicht mehr als Leertitel Bundesanstalt für Arbeit die Durchführung der ihr zu bieten hat, der demaskiert sich selbst. übertragenen Maßnahmen zu sichern. Das Geld dafür, so habe ich dem zweiten Absatz Meine Damen und Herren, wir werden zur dritten Ihres Antrags entnehmen müssen, wollen Sie sich Lesung zwei Entschließungsanträge einbringen, die dadurch beschaffen, daß Sie durch Deckungsfähig- die Bundesregierung auffordern, im Rahmen der ver- keit die Mittel da abziehen, wo wir sie im Rahmen fügbaren Mittel verstärkt Modellversuche zu för- sinnvoller Bildungspolitik für den Bau von über- dern, die erstens die Modelle zur Schaffung berufs- betrieblichen Ausbildungsplätzen und den Ausbau qualifizierender Bildungsgänge im tertiären Bereich von Kapazitäten in der beruflichen Bildung ver- außerhalb der Hochschule verbessern und die zwei- wenden. Sie ziehen also Investitionsmittel in der tens neue Modelle der Kooperation zwischen Be- Absicht ab, sie zur Deckung von Personalkosten zu trieben und überbetrieblichen Bildungseinrichtun- verwenden. Diese Umlenkung von Mitteln für Inve- gen verstärkt fördern sollen, also Verbundsysteme stitionen in den Personalbereich ist ein abenteuer- schaffen sollen, durch welche bisher nicht oder nur licher Vorschlag. in geringerem Umfang ausbildende Betriebe an die Ausbildung herangeführt werden sollen. Daneben steht — das muß man noch hinzufügen — die Zuweisung von nicht vorhandenen Mitteln — (Zurufe von der SPD) wie das bei Leertiteln nun einmal der Fall ist — an Meine sehr geehrten Damen und Herren gerade die Bundesanstalt für Arbeit, um dort Programme von der Koalition, wir bitten Sie, diesem Ände- fördern zu können, die die Bundesanstalt für Arbeit rungsantrag in der zweiten Lesung und den beiden längst durchführt. Es soll also etwas eingeführt Entschließungsanträgen in der dritten Lesung zuzu- werden, was es schon gibt. Auch freie Verbände stimmen. sollen nicht vorhandene Mittel bekommen. (Zurufe von der SPD) (Anhaltende Unruhe) Sie können damit durch Fakten Signale in der Bil- dungspolitik setzen, die sicherlich auch in der Of- Präsident Carstens: Meine Damen und Herren, ich fentlichkeit verstanden werden. bitte Sie nochmals um Ruhe und um Ihre Aufmerk- (Beifall bei der CDU/CSU) samkeit für den Redner. Ich bitte diejenigen Kolle- ginnen und Kollegen, die stehen, Platz zu nehmen. Ich bitte auch die im Hintergrund des Saales Stehen- Präsident Carstens: Das Wort hat der Abgeord- nete Westphal. den, Platz zu nehmen. Es ist für den jeweiligen Red- ner eine wirklich unzumutbare Situation, wenn er hier gegen eine Geräuschkulisse ansprechen muß. Westphal (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Wilms, eine Antragsbe- (Beifall) - gründung war das nicht. Herr Abgeordneter, bitte schön. (Zustimmung bei der SPD und der FDP) Das, was wir vereinbart hatten, war, uns heute Westphal (SPD) : Staunend steht derjenige, der sich abend in Anbetracht des Fortschreitens der Zeit mit Haushaltsfragen befaßt, diesem haushaltsrecht- wohl oder übel die Bildungsdebatte zu ersparen lichen Unikum gegenüber, das uns mit soviel Unver- und uns auf die Antragsdebatte zu beschränken. frorenheit als Antrag vorgelegt worden ist. So geht Aber gut, Sie haben Rabatt, das war Ihre erste Rede; es nicht. insofern honorieren wir das. Eigentlich müßte man also schon aus formalen Wir gehen sogar noch weiter, Frau Wilms, indem Gründen vorschlagen, den Antrag gleich abzuleh- wir — ich will die Gründe dafür gleich vortragen — nen, auch um zu vermeiden, daß etwas, was schon den Antrag, den Sie hier vorgelegt und in den letz- getan wird, hier nur noch einmal aufgeschrieben ten Minuten Ihrer Redezeit noch mit ein paar Sätzen wird. Aber, wie gesagt, wir empfehlen die Überwei- bedacht haben, nicht sofort abweisen wollen, son- sung, um Ihnen dann in den Beratungen der Aus- dern ihn beraten wollen und deshalb um Überwei- schüsse Punkt für Punkt nachweisen zu können, was sung an den Ausschuß für Bildung und Wissen- schon geschieht, was Sie durch Ihren Antrag behin- schaft und an den Haushaltsausschuß, Herr Präsi- dern, und um auch darüber sprechen zu können, dent, bitten. was die Bundesregierung auf Anregung der Koali- tionsfraktionen, in diesem Fall, insbesondere der Lassen Sie mich zu diesem Antrag der CDU/CSU sozialdemokratischen, tut, um in dem vom Bund ein paar Gedanken sagen. Wenn Sie in den Bil- direkt beeinflußten Bereich für neue Ausbildungs- dungsetat dieses Hauses einen Titel aufnehmen wol- kapazitäten zu sorgen. len, der etwas mit Lehre zu tun hat, dann hätte jemand wie ich nichts dagegen. Das, was Sie uns Sie sprachen davon, daß die Deutsche Bundesbahn vorschlagen, ist aber eine Sammlung von L e e r tausend Stellen weniger anbieten würde. Das müs- titeln, also Titeln ohne Geldansatz. sen Sie falsch gelesen haben. Das Bundeskabinett hat die Absicht, in der nächsten Woche, am 29. Juni (Beifall bei der SPD) dieses Jahres, Beschluß über das zu fassen, was ein Wer so etwas hier vorschlägt, um zu kaschieren, Staatssekretärsausschuß bereits vorbereitet hat, daß er selber im Hinblick auf das, worum es geht, nämlich bei der Deutschen Bundesbahn tausend 2748 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Westphal Plätze, die dort zur Verfügung stehen, als Ausbil- Herr Kohl, lesen sie es nach, und vielleicht auch dungsplätze zu besetzen, so daß dort mehr junge Sie, Frau Wilms! Leute ausgebildet werden können. (Beifall bei der SPD und der FDP) (Beifall bei der SPD und der FDP) Ähnliches wird auch schon seit längerer Zeit bei Präsident Carstens: Das Wort hat Frau Schuchardt. der Post vorbereitet. Das heißt, wir tun das, was Sie uns mit sinnlosen Leertiteln empfehlen. Frau Schuchardt (FDP) : Herr Präsident! Meine Ich will noch zwei, drei Gedanken hinzufügen. Damen und Herren! Frau Wilms hat hier einen An- Herr Kohl, Sie gucken mich so freundlich an. Ge- trag begründet, allerdings die gleiche Rede gehal- stern ist Ihnen empfohlen worden, Auslandsreisen ten, die sie vermutlich auch gehalten hätte, wenn zu machen, um Ihre Bildung auf dem Gebiet der wir das, was vorher abgesprochen war, eingehalten Außenpolitik zu vergrößern. — Sie machen das hätten, wenn wir also alle geredet hätten. Ich bitte sicher gern. Jemand anders hat Ihnen vorgeschla- Sie sehr um Entschuldigung, daß ich Ihre Zeit zu gen, ein bißchen mehr zur Bundeswehr zu gehen, dieser späten Stunde noch mit Fragen der Bildungs- um einen Eindruck der inneren Verhältnisse dort zu politik in Anspruch nehme. Ich möchte aber noch gewinnen. Ich wollte noch einen Vorschlag zu einige wenige Gedanken zum Ausdruck bringen. Ihrem Erwachsenenbildungsprogramm machen — Das Hauptproblem, das völlig unberücksichtigt wenn auch einen nicht so teuren. blieb, ist der demographische Unterschied zwischen (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Aber Herr Kollege, den Jahrgängen, der durch die Folge zweier Welt- das beste Programm ist, die Mitglieder der kriege hervorgerufen worden ist. Das ist das Pro- Bundesregierung hier zu beobachten! Das blem der Zukunft. Hier geht es darum — das ist ist ein abendfüllendes Programm!) schwer zu bewältigen, aber es muß bewältigt wer- den —, daß man den geburtenstarken Jahrgängen Herr Kohl, was ich Ihnen für die Anreicherung Ihres seitens der Politik nun nicht sagen kann: Es tut uns Erwachsenenbildungsprogramms für Sie persönlich außerordentlich leid, daß ihr in einem geburten- vorschlagen wollte, ist, einfach mal eine ruhige starken Jahrgang geboren worden seid und eure Stunde zu benutzen und im Haushalt zu lesen. Dann Bildungschancen folglich geringer sind. Unser Ziel würden Sie all das finden, was diese Bundesregie- ist, daß die Chancengleichheit auch für unterschied- rung — unterstützt von den Fraktionen der Libera- lich starke Jahrgänge gilt. Das bedeutet, daß man in len und der Sozialdemokraten — tut, um in diesem Zeiten, in denen geburtenstarke Jahrgänge die Schu- Land mehr Ausbildungsplätze zu schaffen und die len verlassen, über Bedarf ausbilden muß. Das ist Voraussetzungen dafür zu schaffen, die schwierige das eigentliche Problem. Lage, in der wir uns tatsächlich befinden, im Hin- (Beifall bei der FDP und der SPD) blick auf die junge Generation meistern zu können. Sehen Sie einmal hinein. Das kann man nicht mit Ideologie vertuschen. Dies ist das Problem, das besondere Ansprüche und An- Der Bund hat sich mit den Ländern geeinigt, im forderungen an die heutige Politik stellt. Rahmen des Programms „Zukunftsinvestitionen" in den nächsten Jahren 600 Millionen DM — davon (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch völlig 350 Millionen DM der Bund und 250 Millionen DM unstrittig!) die Länder — Zuschüsse für Investitionen zur För- Nun haben Sie wiederum die ideologische Platte derung überbetrieblicher beruflicher Ausbildungs- aufgelegt. Wenn Sie Chancengleichheit als Ideolo- stätten zu gewähren und für die Zuweisung an Ein- gie bezeichnen, wenn Sie es als Ideologie bezeich- richtungen im Rahmen der Titelgruppe „Investitio- nen, wenn man Einbahnstraßen, die wir heute in nen zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungskapazi- unserem Bildungssystem haben, überwinden will, täten" bereitzustellen. Das sind 600 Millionen DM dann lasse ich mich ruhig Ideologe nennen, Frau mehr allein aus diesem Programm, das jetzt anläuft. Wilms. Dies ist zum Teil eine Aufstockung des schon im vergangenen Jahr begonnen Programms, wobei wir Das Entscheidende ist, daß wir heute ein Bil- die Länder dazu bewegen mußten, mitzumachen, in- dungssystem haben, das sich herleitet aus dem letz- dem der Bund im Rahmen eines 400-Millionen-Pro- ten Jahrhundert, in dem wir ganz eindeutig ein Klas- gramms anbietet, den Ländern die Hälfte der Mittel sensystem hatten. Wenn Sie der Auffassung sind, dazuzugeben, damit sie im Bereich der beruflichen daß es überwunden werden sollte, daß Zehnjährige Schulen zusätzliche Ausbildungskapazitäten schaf- bereits in eine bestimmte Richtung in ihrer Entwick- fen. lung gedrängt werden, die den Lebensweg be- stimmt, wenn Sie der Auffassung sind, daß dies Nimmt man alles zusammen unter Einschluß der nicht mit Chancengleichheit zu vereinbaren ist, dann 350 Millionen DM für überbetriebliche Ausbildungs- sollten Sie unserem Weg folgen. stätten, die der Bund mit einem Anteil von 80 °/o allein fördert und bereits bewilligt hat, dann stehen (Beifall bei der FDP und der SPD) für die berufliche Bildung — ich beziehe mich nur Ob Sie ihn dann „ideologisch" nennen, ist uns egal. auf diesen Sektor, weil ich mich auf die Begrün- (Erneuter Beifall bei der FDP und der SPD) dung des Antrages beschränken will — mittelfristig durch Bund und Länder 2,3 Milliarden DM zur Ver- Nun haben Sie gesagt, wir sollten nicht nur von fügung. Sie müssen nicht erst in Programme ge- der Öffnung der Hochschulen reden, sondern wir schrieben werden; sie stehen bereits im Haushalt. sollten auch von der Öffnung des dualen Systems Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2749 Fxau Schuchardt reden. Nur, Sie haben dabei vergessen, daß der Ein- gang und jetzt in der bildungspolitischen Debatte fluß auf diese beiden Bildungssysteme von völlig für die geburtenstarken Jahrgänge in gleicher Weise unterschiedlichen Richtungen kommt. Das eine ist verantwortlich gemacht wird. der Einfluß der Politik, und das andere ist der Ein- (Beifall bei der SPD und der FDP) fluß der Wirtschaft. Die Politik kann mithelfen, die Chancengleichheit für starke Jahrgänge zu bringen, Soweit es die Bildungspolitik angeht, weiß die Op- indem sie die Hochschulen und das öffentliche Bil- position ganz genau, daß ihre Anklagen weder der dungssystem öffnet. Sie muß alles tun, damit auch Verfassungslage noch den tatsächlichen Verhältnis- die Wirtschaft sich der Verantwortung bewußt ist, sen entsprechen. Die CDU/CSU kann nicht bei jeder das Bildungssystem zu öffnen. Gelegenheit auf die umfassenden Zuständigkeiten der Länder pochen und für die Zustände selbst den Hier haben wir, was diesen Teil des dualen Sy- Bund verantwortlich machen. stems betrifft, das Ausbildungsplatzförderungsgesetz entwickelt, Das ist in besonderer Weise deutlich geworden (Pfeifer [CDU/CSU]: Das sogenannte!) durch den Hinweis der Sprecherin der CDU auf die Lage der Hauptschulen. Es ist in der Tat beklagens- das erst dann greift, wenn die Wirtschaft von sich wert, daß in manchen Bereichen der Bundesrepublik aus den Kapazitätsanforderungen der Ausbildung bis zu 20 % der Hauptschulabgänger diesen Schul- nicht gerecht wird. In dem Moment, wo die Wirt- zweig ohne Abschluß verlassen. Aber dies muß in schaft diesen Anforderungen nicht gerecht wird, den Landtagen diskutiert werden, wo die Entschei- verpflichtet dieses Gesetz zur Zahlung, damit die dungen über den Ausbau und die Entwicklungen der Anzahl der Ausbildungsplätze ausreicht, um die Hauptschule fallen. Soweit es uns angeht, haben wir Ausbildung sicherzustellen. Ich meine, hier haben gerade in den letzten Jahren die uns gegebenen wir es wirklich mit Ungleichem zu tun, das man Möglichkeiten der Modellförderung und der Modell- nicht miteinander vergleichen kann. Man sollte mittel für die Entwicklung der Hauptschulen einge- auch nicht verschweigen, welche Mechanismen setzt. bereits von diesem Bundestag beschlossen worden Nun ist hier, wie mir scheint, zu Unrecht der sind, um das sicherzustellen, was Sie hier gefordert Ausbau des Bildungswesens pauschal kritisiert wor- haben. den. Meine Damen und Herren, wir müssen uns (V o r s i t z : Vizepräsident Frau Renger) doch die Frage vorlegen, in welcher Situation wir Wir haben bereits bevor diese Debatte begann uns heute in der Bundesrepublik angesichts der ge- ganz eindeutig zu erkennen gegeben, daß wir der burtenstarken Jahrgänge befänden, wenn die Bil- Auffassung sind, daß der Antrag, den Sie gestellt dungskapazitäten nicht durch eine große Gemein- haben, im Ausschuß beraten werden sollte. Inso- schaftsanstrengung von Bund, Ländern und Gemein- fern haben wir noch viel Zeit, Argumente auszutau- den in den letzten Jahren enorm erweitert und die schen. Bildungseinrichtungen erheblich ausgebaut worden (Zurufe von der FDP) wären. - Darf ich nur noch eines hinzufügen. Es ist mir (Beifall bei der SPD und der FDP) nicht ganz verborgen geblieben, Frau Wilms, daß es In dieser Zeit kommt \es auf die Mobilisierung al- im Augenblick um die Nachfolge des Obmanns im ler Bildungskapazitäten und Bildungsmöglichkeiten Bildungsausschuß geht. Darf ich Ihnen Mut machen? für die geburtenstarken Jahrgänge der nächsten Ich hoffe, daß sich Ihre Partei an der FDP orien- Jahre an. Dies muß durch ein Zusammenwirken von tiert. Wir sind in dieser Fraktion vier Frauen. Das Bund und Ländern erreicht werden. Das ist die Logik macht 10 °/o. Das erreichen Sie nicht, aber das kann unseres föderalistischen Bildungssystems. Darum ja noch kommen. Von diesen vier Frauen sind eine hat die Bundesregierung die Initiative ergriffen, um Staatsminister, eine Vizepräsident und Vorsitzende in den Verhandlungen der Regierungschefs von Bund des Finanzausschusses und zwei Obfrauen. Ich und Ländern zu einer Absprache über jene bil- glaube, dies ist ein gutes Vorbild. dungspolitischen Eckwerte zu kommen, die für die (Beifall bei der FDP und der SPD — Heiter Entwicklung des Bildungsangebots und für die Zu- keit und Zurufe von der CDU/CSU — Dr. kunftssicherung der jungen Generation von Bedeu- Kohl [CDU/CSU] : Und vier Probleme!) tung sind. Dabei geht es darum, einen Abbau des Numerus Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Bun- clausus zu erreichen. Heute wurden im Planungs- desminister Rohde. ausschuß für den Hochschulbau von Bund und Län- dern zusammen rund 10 Milliarden DM für den Aus- Rohde, Bundesminister für Bildung und Wissen- schaft: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! bau unserer Hochschulen bis Anfang der 80er Jahre Schon in der gestrigen Debatte ist deutlich gewor- beschlossen. Dies ist ein sichtbarer Beitrag, um Vor- den, daß es offensichtlich zur Oppositionsroutine aussetzungen für den Abbau des Numerus clausus gehört, den Eindruck zu erwecken, als ob die Bil- zu schaffen. Jetzt müssen für den Hochschulzugang dungspolitik in der Bundesrepublik autonom durch die notwendigen Beschlüsse gefaßt werden. dieses Parlament und durch die Bundesregierung Seit der Erklärung des Bundeskanzlers über den bestimmt werden könnte. Die Bundesregierung wird Abbau des Numerus clausus liegen viele Gutachten für alles herangezogen. Ich habe in den letzten zwei — vom Wissenschaftsrat, von der Westdeutschen Stunden erlebt, daß die Bundesregierung in der fa- Rektorenkonferenz, von der Kultusministerkonferenz milienpolitischen Debatte für den Geburtenrück- und der Bund-Länder-Kommission — auf dem Tisch. 2750 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Bundesminister Rohde In dieser Situation kommt es darauf an, Entscheidun- Es ist wahr, und da stimme ich mit Ihnen überein, gen zu fällen und nicht die Ausarbeitungen all die- meine Herren von der Opposition, daß in der ersten ser Institutionen wieder in neue Expertengremien zu Phase der Bildungsexpansion vielfach die Berufs- delegieren. Das kann nur erreicht werden, wenn die schulen der Länder im Schatten der allgemeinen Einsicht dafür wächst, daß es eine politische Füh- Entwicklung und der Bildungsausgaben gestanden rungsaufgabe von Bund und Ländern ist, die geschaf- haben. Aber gerade deshalb hat der Bund seine zu- fenen Kapazitäten für die geburtenstarken Jahr- sätzliche Anstrengung trotz knapper Haushaltsmittel gänge nutzbar zu machen. Es wird in dem Gespräch unternommen. 650 Millionen DM des Bundes, ver- zwischen Bund und Ländern ferner um Eckwerte für stärkt um den Länderanteil, bedeuten, daß insge- die Studienreform, um Leistungen für den Ausbau samt 1,3 Milliarden DM für die Berufsschulen zur des beruflichen Bildungswesens und auch um die Verfügung gestellt werden. Beziehungen zwischen Bildungs- und Beschäftigungs- Rechnet man die Mittel des Bundes zusammen und system, insbesondere im Hinblick auf den öffent- die Anteile der Länder dazu, dann heißt das unter lichen Dienst, gehen. dem Strich, daß für den Ausbau von Bildungseinrich - Bei all diesen Punkten — sie sind durch andere tungen im beruflichen Bereich bis einschließlich 1979 wichtige Bereiche wie die Förderung der Forschung insgesamt rund 2,3 Milliarden DM zusätzlich zur und des wissenschaftlichen Nachwuchses zu erwei- Verfügung gestellt werden. Am Ende der 60er Jahre tern — müssen wir uns klarmachen — im Grunde haben Sie in den Bundesetats kaum etwas für die genommen besteht in diesem Hause auch die Ein- berufliche Bildung gefunden. Jetzt kommen wir zum sicht —, daß dies durch die Zusammenarbeit von erstenmal in die Lage — und dies ist eine Kurskor- Bund und Ländern bewirkt werden muß. rektur —, daß die im Etat ausgewiesenen Mittel je- Soweit es die berufliche Bildung angeht, ist die denfalls in die Nähe der Höhe jener Mittel geraten, Bundesregierung willens — das zeigt dieser Haus- die für die Hochschulen in den vergangenen Jahren halt —, im Sinne einer tatsächlichen Kurskorrektur investiert worden sind. sehr viel mehr Leistungen für den Ausbau beruf- (Beifall bei der SPD und der FDP) licher Ausbildungseinrichtungen zu erbringen, als Ich will auf die weiteren Einzelheiten in dieser jemals zuvor in einem Bundesetat gestanden haben. Stunde (Beifall bei der SPD und der FDP) (Zuruf von der SPD: Es ist schon 22 Uhr Die Sprecherin der CDU hat darauf hingewiesen, vorbei!) daß von ihrer Fraktion ein Antrag zur Ausbildungs- und mit Blick auf die anderen Etats nicht eingehen, situation und zu den Zukunftsaussichten der jungen zumal wir in den nächsten Wochen Gelegenheit ha- Generation vorgelegt worden sei. Das trifft zu. Wir ben werden, die bildungspolitische Landschaft im werden diesen Antrag im Herbst dieses Jahres be- Ganzen auszuleuchten und dabei auch deutlich zu handeln. Ich möchte Ihnen aber schon heute sagen, machen, was Bildungswerbung und Bildungsnach- daß wir dann minuziös nachweisen werden, daß frage in ihrer Auswirkung für die konkrete Situa- das, was Sie in Ihren Antrag aufgenommen haben, tion der jungen Menschen bedeuten. Es wäre der im Grunde genommen ein Nachschreiben jener Sache nicht angemessen, das heute mit nur weni- Politik bedeutet, die wir betreiben und die in die- gen Sätzen abzuhandeln. sem Etat bereits ihren Ausdruck findet. Nur eines will ich noch hinzufügen: Ich teile, Frau (Beifall bei der SPD und der FDP) Kollegin, Ihre Auffassung, daß auch im Bereich der Sie fordern von uns in dem Antrag Mittel für den öffentlichen Hand insgesamt — in den Gebietskör- Ausbau überbetrieblicher Ausbildungsstätten. Meine perschaften und in anderen Bereichen — die Aus- Damen und Herren! Wir verwirklichen bereits ein bildungskapazitäten noch nicht ausgeschöpft sind. mehrjähriges Programm, das vorsieht, 850 Millionen Wir sollten hier keine selbstzufriedenen Feststellun- DM für den Ausbau überbetrieblicher Ausbildungs- gen treffen. Wir sollten uns überall da, wo wir stätten bereitzustellen. Fahren Sie durch die Bun- Einfluß haben, dafür engagieren — von der Ge- desrepublik; da werden Sie von Schleswig-Holstein meinde bis, ich füge es hinzu, zum Bund —, mehr bei Bayern heute bereits neue überbetriebliche Aus- Ausbildungsplätze für die nächsten Jahre zu mobili- bildungsstätten finden, die bis zu 80 % aus Bundes- sieren. mitteln gefördert worden sind. (Beifall bei der SPD und der FDP) (Zuruf von der SPD: Und in Herrn Kohls Aber ich will in diesem Zusammenhang auch Rheinland-Pfalz?) deutlich machen, daß die Bundesregierung die Aus- Sie erklären in Ihrem Antrag, Sie appellierten an bildungsplätze z. B. bei der Post und jetzt durch Be- die Länder, ihre Bemühungen im Bereich der beruf- schluß auch bei der Bundesbahn erhöht hat und daß lichen Schulen verstärkt fortzusetzen. Dies ist eine Ihre Sorge, tausend Ausbildungsplätze bei der mühsame und umständliche Sprache. Bahn blieben unbesetzt, nicht gerechtfertigt ist. Die Bundesregierung wird rund 50 Millionen DM allein Wir appellieren nicht mehr. Über dieses Stadium für den Bereich Bundesbahn zusätzlich zur Verfü- sind wir hinaus. Wir stellen im Haushalt und im gung stellen. Infrastruktur-Programm insgesamt 650 Millionen Frau Kollegin, ich will es nicht überscharf sagen; DM für den Ausbau von Berufsschulen der Länder aber eines muß doch zum Abschluß angemerkt wer- zur Verfügung und leisten damit konkrete Hilfe. den: wenn die Opposition heute mit einem Antrag (Beifall bei der SPD und der FDP) aufwartet, der nur Leertitel enthält, dann ist es nicht Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2751 Bundesminister Rohde gerechtfertigt, ja dann ist es im Grunde genommen — Herr Löffler, es ist mir genauso unangenehm wie ein Stück Ignoranz, die Hunderte von Millionen, die Ihnen. im Bildungsetat für die berufliche Bildung einge- (Weitere Zurufe von der SPD) setzt sind, mit einer solchen Handbewegung bei- seite zu schieben, wie Sie es heute abend getan — Ihre Stimme ist leider mittlerweile so lädiert, haben. daß ich sie hier vorn nicht verstehe. (Beifall bei der SPD und der FDP) Vizepräsident Frau Renger: Einen Augenblick, Herr Kollege! — Meine Damen und Herren, wir Weitere Wortmeldun- kommen sehr viel schneller voran, wenn wir jetzt Vizepräsident Frau Renger: den Redner reden lassen und möglichst schnell die gen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Diskussion abschließen. Aussprache. (Fortgesetzte Zurufe von der SPD) Erlauben Sie mir, daß ich eine Bemerkung zu einer etwas schwierigen Materie mache. In Übereinstim- (Baesweiler) (CDU/CSU) : Meine sehr ver- mung mit dem Präsidenten des Deutschen Bundes- Schmitz tages, der bisher die Verhandlungen geleitet hat, ehrten Damen und Herren, ich habe Zeit genug. Ich und nach der bisherigen Praxis des Deutschen Bun- bin gewohnt, lange aufzubleiben. Deshalb kann ich destages muß ich feststellen, daß es nicht möglich mich durchaus auch darauf einstellen. ist, den von der CDU/CSU-Fraktion vorgelegten Die Diskussion um den Haushalt des Bundes- Antrag zu überweisen. Es ist nur möglich, ihn anzu- ministers für Ernährung, Landwirtschaft und For- nehmen oder abzulehnen. Das letzte ist vom Spre- sten wird in einer Zeit geführt, in der wir noch alle cher der SPD angekündigt worden. die optimistischen Vorstellungen des Agrarberichtes 1977 im Ohr haben, nach dem die landwirtschaft- Ich stelle den Antrag, wenn er nicht zurückgezo- lichen Einkommen um 20 0/o steigen sollten. Schon gen wird, jetzt zur Abstimmung. Wer dem im Zu- damals erklärte die CDU/CSU, daß dieser Einkom- sammenhang mit dem Einzelplan 31 gestellten An- menszuwachs nur im Lichte der vergangenen Jahre trag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 8/625 seinen Stellenwert haben könne. Die Ergebnisse des zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Hand- Wirtschaftsjahres 1976/77 deuten in sehr eindrucks- zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser voller Weise bereits an, daß der im Grünen Be- Antrag ist abgelehnt. richt 1976/77 auszuweisende Einkommensverlust 6 bis 8 % betragen wird. Deshalb halte ich es für Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- sehr wichtig, darauf hinzuweisen, daß die landwirt- plan 31. Wer diesem Einzelplan in der Ausschuß- schaftlichen Einkommen sehr starken Schwankun- fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das gen unterworfen sind und man aus kurzfristigen Er- Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — gebnissen keine voreiligen Schlüsse ziehen kann. Gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion mit Euphorie ist also hier fehl am Platze. großer Mehrheit angenommen. Wenn man die Vergleichsrechnung einmal über- Ich rufe auf: prüft, zeigt sich, daß nur 50 000 Haupterwerbs- Einzelplan 10 betriebe mit mehr als 50 000 DM Standardeinkom- Geschäftsbereich des Bundesministers für Er- men keine Disparität aufweisen. Bei allen anderen nährung, Landwirtschaft und Forsten sieht es schlecht aus. Während der Reinerlös je Fa- milienarbeitskraft in allen Vollerwerbsbetrieben des — Drucksache 8/500 — Testbetriebsnetzes 1976/77 gegenüber 1968/69 real Berichterstatter: Abgeordneter Schmitz (Baes- um 32 % gestiegen ist, hat sich der gewerbliche Ver- weiler) gleichslohn im gleichen Zeitraum um mehr als 42 % erhöht. Wenn wir das Wirtschaftsjahr 1976/77 und Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das die erwarteten Einkommensrückgänge zugrunde le- ist nicht der Fall. gen, so wird sich das Reineinkommen je Familien- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr arbeitskraft real um mindestens 5 bis 6 % unter Abgeordneter Schmitz (Baesweiler). dem Niveau von 1972/73 bewegen. Demgegenüber steigt der Vergleichslohn auf der gewerblichen Seite auf 8 bis 10 O/o. Faßt man dies zusammen, so ist fest- Schmitz (Baesweiler) (CDU/CSU) : Frau Präsiden- zuhalten, daß der einmalige Aussagewert des Agrar- tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es berichtes recht vorsichtig einzuschätzen ist. hat nicht an der CDU/CSU gelegen, daß diese De- batte noch zusätzlich verlängert worden ist. Es ist In diesem Zusammenhang halte ich es für wichtig, natürlich das gute Recht von Herrn Bundesminister einmal festzuhalten, daß der diesjährige Agrarbe- Rohde, sich hier noch groß auszulassen. Aber ich richt eine ganze Reihe von Übertragungsfehlern auf- glaube, es wäre besser gewesen, zumal er ja ange- weist. kündigt hat, in der kommenden Woche noch dazu (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU] : Das kann Stellung zu nehmen, er hätte diese Gelegenheit hier man wohl sagen!) ausgelassen. An dem Aussagewert dieses Berichtes werden zu (Löffler [SPD] : Wissen Sie, wer die Debatte Recht Zweifel erhoben. verlängert hat? — Weitere Zurufe von der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) 2752 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Schmitz (Baesweiler) Für mich als Haushaltspolitiker — ich sage das mit der so etwas sagt, kann sich selbst nur mit ankla- großem Nachdruck ist festzuhalten, daß wir, gen, weil er im Grunde genommen den europä- wenn wir einen solchen Bericht für 8 Millionen DM ischen Gedanken gar nicht für sich beanspruchen erstellen und dem Hause vorlegen lassen, auch er- kann. warten können, daß er stimmt. Die CDU/CSU er- Man sollte sich keiner Illusion hingeben. Die zu- wartet, daß in Zukunft die Erstellung des Grünen künftigen Agrarpreisrunden werden immer schwie- Berichts mit entsprechender Sorgfalt geschieht. Der riger werden, weil jede Möglichkeit aufgezehrt wor- Steuerzahler hat ein Recht darauf, daß mit seinem den ist, daß man noch Korrekturen ansetzen kann. Geld vernüftig umgegangen wird. Die inflationierenden Länder sind mittlerweile so (Beifall bei der CDU/CSU) weit von den relativ stabilen Ländern entfernt, daß dies auf Dauer gesehen eigentlich nicht gutgehen Der Agrarhaushalt hat in diesem Jahr eine Stei- gerungsrate von 0,8 %. Dies ist im Vergleich zum kann. Gesamthaushalt eine recht niedrige Steigerung. Man Lassen Sie mich auch sehr deutlich darauf hinwei- muß daher fragen, ob dieser Haushalt im Rahmen sen, daß die Agrarpolitik dieser Regierung, die in der mittelfristigen Finanzplanung auf die Dauer sehr starkem Maße die ländlichen Räume mit beein- seinem Auftrag gerecht werden kann. Es ist keine flußt hat, mit im Lichte der gesamten Wirtschaftspo- befriedigende Lösung, wenn wir feststellen müssen, litik zu sehen ist. Gerade die ländlichen Räume sind daß der Anteil der sozialen Leistungen, die wir be- sehr stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Die grüßen und zu denen wir auch beigetragen haben, sich abzeichnenden Schwierigkeiten lassen sich am hier dauernd größer wird und daß die investiven besten dadurch verdeutlichen, daß selbst der Agrar- Leistungen sinken. Darüber kann auch nicht hinweg- bericht ausweist, daß voraussichtlich in den unteren täuschen, daß der Herr Bundesminister Ertl jede Ge- Größenklassen weniger Betriebe aufgelöst werden, legenheit nutzt, die Ausgaben für die Marktordnun- so daß für die wachstumsintensiven Betriebe damit gen innerhalb der EG als ein zusätzliches Mittel zu weniger Fläche zum Aufstocken zur Verfügung steht. bezeichnen, um damit zu dokumentieren, es würde Ein organischer Strukturwandel, von dem die Land- mehr für die Bauern getan. wirtschaft in den letzten Jahren auch gelebt hat, fin- (Zuruf von der CDU/CSU: Unsolide) det überhaupt nicht mehr statt. Dies wäre nur logisch, wenn man die Ausgaben, Die höchsten Arbeitslosenquoten sind wiederum die ausschließlich der Landwirtschaft zugute kom- in ganz bestimmten ländlichen Räumen zu verzeich- men, die naturgemäß erheblichen Schwankungen nen. In diesem Zusammenhang halte ich es für eine unterliegen, von den Mitteln des Fonds trennte, die falsche Einschätzung der Situation, wenn Herr Ertl bei zu hohen Weltmarktpreisen die Einfuhr auf bei der Debatte zum Grünen Bericht erklärt, daß das EG-Niveau herunterdrücken, wie es z. B. 1974 die steigende Zahl der Anmeldungen in landwirt- und 1975 bei Zucker und Getreide der Fall gewesen schaftlichen Berufs- und Fachschulen das Ergebnis ist. Die Diskussion hat nur Sinn, wenn wir dies einer größeren Anziehungskraft der Landwirtschaft sauber voneinander trennen. auf junge Menschen und auf die verbesserten Zu- Ich habe Verständnis dafür, daß in der Öffent- kunftschancen zurückzuführen sei. lichkeit der Anteil des Agrarsektors, was die Haus- haltsfinanzierung innerhalb der EG angeht, kritisiert Vizepräsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, wird. Er beträgt immerhin 75 N. Dies ist sicherlich gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- auch ein Grund dafür, daß hier in dieser Diskus- ordneten Oostergetelo? sion dieser Bestandteil herausgenommen wird. Aber das ist doch nur darauf zurückzuführen, daß der Agrarmarkt heute isoliert von allen anderen Märk- Schmitz (Baesweiler) (CDU/CSU) : Bitte schön. ten dasteht. Nur in diesem Lichte kann man diese Diskussion führen. Oostergetelo (SPD) : Herr Kollege, könnten Sie (Zuruf des Abg. Löffler [SPD]) mir einen Zeitraum nennen, in dem Sie Verant- — Herr Löffler, daß Ihnen das nicht paßt, weiß ich. wortung trugen und in dem so viel für die Land- Hier ist in der Tat die SPD /FDP-Fraktion in der wirtschaft getan worden ist, und meinen Sie wirk- Mitverantwortung. Seitdem sie hier in der Bundes- lich, daß unsere Landwirte unzufrieden sind? republik regiert, sind eben keine Initiativen in (Beifall bei der SPD) Richtung auf Europa unternommen worden, um die Wirtschafts- und Währungsunion zu gestalten. (Baesweiler) (CDU/CSU) : Herr Kollege, (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von Schmitz wenn sie mit Ihrer Regierung zufrieden gewesen der CDU/CSU: Nur Sonntagsreden!) wären, hätten sie nicht zu 95 % CDU/CSU gewählt. Dies ist doch der Punkt. Es fehlt doch an politischen (Beifall bei der CDU/CSU) Initiativen. Uns allen sind doch noch die großen Worte von Herrn Schmidt und Herrn Apel im Ohr, Ich habe darauf hingewiesen, daß das nicht dar- wenn es um die Finanzierung Europas ging. Wir auf zurückzuführen ist, wie Herr Ertl meint, weil die denken noch daran, daß Herr Apel gesagt hat, das Landwirtschaft jetzt eine größere Anziehungskraft Wunder an der Marne würde für die anderen nicht ausübt. Der entscheidende Grund dafür, daß viele stattfinden. Wer hat denn hier in der Tat in dieser junge Leute in der Landwirtschaft bleiben, ist meiner Richtung politisch überhaupt weitergedacht? Einer, Meinung nach darin zu suchen, daß sie eben keine Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2753 Schmitz (Baesweiler) Alternative mehr haben. Jugendarbeitslosigkeit, DM festschreiben und jedes Jahr von neuem ver- mangelnde Lehrstellen, das sind die eigentlichen suchen müssen, aus den verschiedenen Töpfen einen Ursachen dafür. entsprechenden Millionenbetrag herauszuschind en. (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist keine vernünftige Praxis. Ich bin für einen realistischen Ansatz. Lassen Sie mich auch hinzufügen: Das gilt selbst- verständlich auch für die Landwirte, die ausschei- Was den strukturpolitischen Teil anbetrifft, habe dungswillig sind. Sie haben auf Grund der Rezes- ich eben schon gesagt, daß wir der Meinung sind, sion doch auch keine Chance mehr, einen anderen daß das verstärkt werden muß. Deshalb fordern wir Beruf zu ergreifen. Wenn Sie sich aus der Verant- auch die Bundesregierung auf, in dieser Richtung tung dafür herausmogeln wollen und unter Umstän- tätig zu werden und ihr starres einzelbetriebliches den den Versuch unternehmen, andere dafür ver- Förderungsprogramm etwas flexibler zu gestalten. antwortlich zu machen — das geht natürlich nicht. Wir begrüßen auch die Gedanken zur Neugestal- tung von Agrarkrediten. Ich habe schon im Vorjahr darauf hingewiesen, daß der Abbau der Mittel aus der Gemeinschafts- (Beifall bei der CDU/CSU) aufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und Ich glaube, hier ist aus Bayern ein vernünftiger des Küstenschutzes um 135 Millionen DM wirt- Vorschlag gemacht worden. Dabei muß die Eigen- schaftspolitisch, regionalpolitisch und strukturpoli- verantwortlichkeit des einzelnen Landwirts eine tisch unverantwortlich ist. Dadurch, daß die Koali- entsprechende Funktion erhalten. Die unternehme- tion im letzten Jahr 135 Millionen DM aus der Ge- rische Leistung muß berücksichtigt werden, ebenso meinschaftsaufgabe herausgenommen hat, sind mehr eine regionale und betriebliche Differenzierung. als 300 Millionen DM für das Jahr 1976 an Investi- Insgesamt können wir festhalten, daß im Rahmen tionsmasse ausgefallen. der Beratungen des Haushalts von seiten der Koali- (Löffler [SPD] : Das stimmt doch nicht!) tion eine Reihe von vernünftigen Anträgen ab- — Rechnen Sie doch den Länderanteil einmal hin- gelehnt worden ist. zu, Herr Löffler. (Kiechle [CDU/CSU] : Traurig, aber wahr!) (Löffler [SPD] : Sie haben keine Ahnung So ist der Antrag abgelehnt worden, die Restmittel von den Dingen!) zur Verstärkung der Gemeinschaftsaufgaben ent- - Strapazieren Sie doch Ihre Stimme nicht so sehr, sprechend zuzuweisen. Es handelte sich immerhin Herr Löffler. um einen Betrag von mehr als 20 Millionen DM. Obwohl man bereit ist, der Naturfreundejugend alle Vizepräsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, Mittel zuzuschießen, ist der Antrag abgelehnt wor- gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeord- den, den Naturparks 2 Millionen DM zu geben. Das neten Schuchardt? war eine interessante Variante dieser Politik. Meine Damen und Herren, wir müssen festhalten, daß hier die Politik von Bundesminister Ertl, der ja eigent- Schmitz (Baesweiler) (CDU/CSU) : Nein. Ich werde mich an die Praxis der anderen Redner halten. lich etwas anderes wollte, von der SPD und offen- bar auch von der FDP unterlaufen worden ist. Ich Darüber täuscht auch nicht hinweg, daß Bundes- hätte mir gewünscht, Minister Ertl hätte sein poli- minister Ertl 1977 — was wir begrüßen — 170 Mil- tisches Gewicht auch da einmal in die Waagschale lionen DM aus dem Programm für Zukunftsinvesti- geworfen. Das hat er nicht getan. Ich kann mir nicht tionen erhält. Aber das Groteske an der ganzen Ge- erklären, warum nicht. schichte kommt ja noch: Die Streichung im letzten Jahr wäre gar nicht notwendig gewesen, wenn er Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir den Vorschlägen der CDU/CSU gefolgt wäre; denn lehnen den Einzelplan 10 deshalb ab, weil Bundes- am Ende des Jahres hatte er genau 120 Millionen minister Ertl mitverantwortlich ist für die gesamt- DM übrig, d. h., eigentlich hätte er nur 15 Millionen wirtschaftliche Entwicklung im Rahmen der Politik DM gebraucht, um das zu dotieren, was er dotieren dieser Koalition. wollte. (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der (Schmidt [Gellersen] [SPD] : Er redet wider SPD und der FDP) besseres Wissen!) Wir lehnen diesen Einzelplan auch deshalb ab, weil Was das mit vernünftiger Haushaltspolitik zu tun Herr Ertl im Grunde genommen draußen anders hat, muß man uns erst noch erklären. redet als hier im Parlament. Wenn man ihn drau- ßen reden hört, glaubt man, er sei ein Liberaler. Wir haben in diesem Jahr rechtzeitig vorgeschla- Hört man ihn hier im Parlament reden und sieht gen, die Mittel, die im Sozialbereich übrigbleiben man, wie er die Politik dieser Regierung mitträgt, würden, zur Aufstockung der Mittel für die Berufs- kann man als CDU/CSU zu keiner anderen Konse- genossenschaften zu verwenden. Wir halten das quenz kommen, als den Einzelplan und damit die- für richtig und begrüßen das. Auf Dauer gesehen ist sen Minister abzulehnen. es allerdings notwendig, die Zuschüsse für die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften so in (Beifall bei der CDU/CSU) die mittelfristige Finanzplanung einzusetzen, daß sie realistisch sind. Auf Dauer geht es nicht, daß wir Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- in der mittelfristigen Finanzplanung 320 Millionen geordnete Simpfendörfer. 2754 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977

Simpfendörfer (SPD) : Frau Präsidentin! Meine Da- gabenerfüllung, müssen Wirtschaftlichkeit und Spar- men und Herren! Der Kollege Schmitz hat mühsam samkeit sein. genug begründet, wieso die Union schließlich und (Beifall bei der SPD und der FDP — Kiechle endlich zur Ablehnung des Agraretats gekommen [CDU/CSU] : Gilt das für alle?) ist. (Beifall bei der SPD und der FDP) Unter diesen Gesichtspunkten sollten wir beurteilen, Denn es gibt gar keinen Zweifel, daß die Union in ob der Agraretat ausreichend ausgestattet ist. Ich der Sache den Inhalt des Agraretats und die Politik, sage: er ist es. die dahintersteht, weitgehend mitträgt und nur aus Punkt 2: Die ist ausge- Gründen der Taktik und der Polemik die Tatsache Struktur des Agraretats wogen. Die Hauptblöcke sind die Sozialpolitik mit zu ummänteln versucht, inzwischen mehr als 50 %, die Strukturpolitik mit (Zurufe von der CDU/CSU: Da ist der annähernd 30 %, die einkommensverbessernden Wunsch der Vater des Gedankens! Er Maßnahmen mit ungefähr 10 % und ein Forschungs- glaubt ja selber nicht, was er sagt! — anteil von immerhin fast 4 %. Weitere Zurufe von der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Ich denke, diese daß sie zum Inhalt der Politik der sozialliberalen Prozentzahlen bedeuten gar nichts!) Koalition gar keine Alternative hat, Herr Kollege Picard. — Ich rede jetzt von der Struktur und nicht mehr vom Gesamtumfang. (Beifall bei der SPD und der FDP — Kiechle [CDU/CSU] : Das ist jetzt eine Pflichtübung!) Dritte Bemerkung: Die Agrarstrukturpolitik muß Im Unterschied zum Kollegen Schmitz will ich mit den ländlichen Raum insgesamt attraktiver machen. dem Dank beginnen. Sie haben sicher großes Ver- (Zurufe von der CDU/CSU: Bravo! — Fangt ständnis dafür, daß ich dabei den Bundesminister mal an!) für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten an die Spitze meiner Dankesworte stelle, Um die Besiedlungsdichte ebenso wie die Kultur- (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Bitte mit landschaft zu erhalten, müssen wir die Wohn- und Sahne!) Lebensverhältnisse im ländlichen Raum verbessern und unsere Dörfer funktionsfähig erhalten. der unserer Auffassung nach ganz entschieden die Interessen der deutschen Landwirtschaft und der (Kiechle [CDU/CSU] : Und die Gemein deutschen Verbraucher vertritt. schaftsaufgabe kürzen!) (Beifall bei der SPD und der FDP) — Der ländliche Raum ist, Herr Kollege Kiechle, An zweiter Stelle möchte ich die Mitarbeiterinnen am 16-Milliarden-Programm ausreichend beteiligt. und Mitarbeiter im Ministerium, im Haushaltsaus- schuß und in der Fraktion nennen und ihnen für - (Dr. Ritz [CDU/CSU] : Das ist sehr strittig!) ihren großen Einsatz bei der Arbeit am Agraretat Von 16 Milliarden entfallen 2,17 Milliarden auf den danken. Agrarbereich als solchen, ohne die Maßnahmen, die (Beifall bei der SPD und der FDP) in anderen Etats auftauchen, aber auch im ländlichen Schließlich und endlich möchte ich den hier noch Raum wirksam werden. Von den 8,2 Milliarden Bun- versammelten Kollegen danken für die Geduld, die desanteil sind es 940 Millionen. Damit wird eine zu- sie zu dieser späten Stunde aufzubringen bereit sind, sätzliche Gesamtinvestitionsmasse von 2,8 Milliar- um sich auch noch etwas über die Landwirtschafts- den DM in Bewegung gebracht. Ein besonders wich- politik anzuhören. tiger Punkt ist, daß im Bereich der Dorferneuerung ein großer Anfang gesetzt wird. (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Kohl [CDU/CSU] : Jetzt sollten Sie sich (Dr. Ritz [CDU/CSU] : Ein großer Anfang?) selbst noch danken! — Heiterkeit bei der CDU/CSU) Der letzte Punkt in diesem Zusammenhang: Der Haushaltsausschuß hat die Mittel der Gemein- — Herr Kollege Kohl, auf Ihren Dank warte ich im schaftsaufgabe um 7 Millionen DM aufgestockt mit Anschluß. der Zweckbestimmung, sie im Bereich der Neben- (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Wenn Sie es kurz erwerbslandwirtschaft, insbesondere bei der Ver- machen, sind Sie meines Dankes sicher!) stärkung der Wohnhausförderung einzusetzen. Das Nur einige Feststellungen. wiederum paßt genau dazu, daß im Rahmen der In- frastrukturverbesserungen die Dorferneuerung be- Erstens. Der Umfang des Agraretats ist ausrei- gonnen werden soll. chend. Prozentuale Steigerungsraten und Prozent- anteile am Gesamthaushalt sind meiner Auffassung Schließlich hat der Haushaltsausschuß den Ansatz nach schlechte Maßstäbe. der Zuschüsse an die landwirtschaftlichen Berufs- (Kiechle [CDU/CSU] : Was?) genossenschaften ebenfalls erhöht. Bei Parlamentariern wären sie in jedem Fall ver (Kiechle [CDU/CSU] : Auf den Stand vom hängnisvoll. Der Maßstab muß der Grad der Auf vorigen Jahr!) Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2755 Simpfendörfer Damit können die Leistungen verbessert, kann aber Nachdem Sie, Herr Kollege Susset, bei diesem auch die Beitragserhöhung, Herr Kollege Kiechle, Gesetzgebungsvorhaben des Bundesnaturschutzge- in Grenzen gehalten werden. setzes maßgeblich beteiligt waren, wissen Sie wohl, (Kiechle [CDU/CSU] : Es stimmt doch gar wie sehr man darum gerungen hat, dem Bund eine nicht, was Sie sagen! Sie haben nicht er Gesetzgebungs- und vor allem eine Finanzierungs- höht!) kompetenz in diesem Bereich zu sichern. — Entschuldigung, ich bitte, genau zuzuhören. Ich (Kiechle [CDU/CSU] : Aber früher konnten habe gesagt, der Haushaltsausschuß hat den Ansatz wir 10 Millionen DM einsetzen!) erhöht, — Sie wissen auch, daß diese Finanzierungskompe- (Weitere Zurufe von der CDU/CSU) tenz im Vermittlungsausschuß schließlich gescheitert und mit dieser Ansatzerhöhung sei es möglich, er- ist stens die Leistungen zu verbessern und zweitens (Susset [CDU/CSU] : Das hat mit dem Bun den Beitragsanstieg in Grenzen zu halten. deswaldgesetz zu tun, Herr Kollege Simpfendörfer!) (Beifall bei der SPD und der FDP — Zu und daß es deswegen als endgültige Aufgabe der ruf von der CDU/CSU: Gar nicht wahr!) Länder zu betrachten ist, auf diesem Aufgabengebiet Und dieser Sachverhalt trifft so zu. tätig zu werden. (Weitere Zurufe von der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der FDP) Gleichzeitig haben wir Ihnen auf Drucksache Ich muß alle Länderfinanzminister bei dieser Gele- 8/655 einen Entschließungsantrag vorgelegt, der zum genheit herzlich bitten, nun auch tatsächlich diese Ziel hat, künftig die Transparenz — zu deutsch: die Aufgabe wahrzunehmen, wie sie sie immer wahr- Durchsichtigkeit — der Beitragserhebung und der nehmen wollten. Beitragsbelastung zu verstärken. Ich hoffe, daß Sie (Susset [CDU/CSU]: Sie dürfen das nicht sich in der Lage sehen, diesem Entschließungsantrag durcheinanderbringen! — Zuruf von der zuzustimmen, nachdem Sie im Haushaltsausschuß zu- CDU/CSU: Sie bringen aber auch alles mindest dem zweiten Punkt zugestimmt haben, beim durcheinander! — Dr. Ritz [CDU/CSU] : Das ersten Punkt allerdings Bedenken hatten. ist eine vordergründige Auslegung!) Schließlich muß ich bemerken, daß trotz der unter- — Ich habe Sie als Oppositionsabgeordneten ange- durchschnittlichen Preisentwicklung bei den Lebens- sprochen, Herr Kollege Susset, weil in der Frage mitteln die Preispolitik insgesamt ausgereicht hat, alle Fraktionen derselben Meinung waren. Im Unter- um einen wesentlichen Beitrag dazu zu leisten, daß schied dazu waren die Länder anderer Meinung, und die Einkommen in der Landwirtschaft in angemesse- die Länder haben schließlich ihre Meinung durchge- ner Weise gestiegen sind. Sie sind nicht überdurch- setzt. Deswegen müssen sie jetzt auch die Aufgabe schnittlich gestiegen, aber sie sind in angemessener - finanzieren, die sie als ausschließlich ihre Aufgabe Weise mitgestiegen; ich sage das, ohne dabei im erklärt haben. einzelnen auf die unterschiedlichen Entwicklungen eingehen zu wollen. (Beifall bei der SPD und der FDP — Kiechle [CDU/CSU] : Das sind kindische Trotzreak Auch die Frage der Naturparke verdient eine kurze tionen! — Heiterkeit bei der CDU/CSU — Erwähnung. Wir mußten mit großem Bedauern dem Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Antrag der Opposition widersprechen, für die Natur- — parke erneut eine Förderung in den Bundeshaushalt Vielen Dank, Herr Kollege, für die ganz sicher gut charakterisierende Bemerkung. aufzunehmen, obwohl sich die Bundesregierung aus guten rechtlichen und finanzverfassungspolitischen (Kiechle [CDU/CSU] : Früher durften wir 10 Gründen nicht in der Lage sah, einen Ansatz vorzu- Millionen DM einsetzen, jetzt nichts!) nehmen. — Der Kollege Röhner hat es gerade richtig formu- (Zuruf von der CDU/CSU: Das stört sie doch liert: Sie kindischer Trotzreaktionär! Sie haben das sonst auch nicht!) wirklich hübsch umformuliert. Warum? Das war aus finanzverfassungspolitischen (Kiechle [CDU/CSU] : Das haben Sie um Gründen nicht möglich, formuliert, Herr Kollege! — Dr. Kohl [CDU/ (Susset [CDU/CSU] : Weil es nur 2 Millio CSU] : Sie haben versprochen, es kurz zu nen DM waren!) machen, Herr Kollege!) weil das Gesetzgebungsverfahren über das Bundes- — Ich bin noch in meiner Zeit. Wenn ich es richtig naturschutzgesetz, an dem Sie, Herr Kollege Dr. sehe, sind noch sechs Minuten übrig; aber ich be- Susset, maßgeblich beteiligt waren — — schränke mich ganz sicher auf 15 Minuten. (Susset [CDU/CSU] : Nicht Doktor! Der Dok (Zuruf von der CDU/CSU: Wenn Sie noch tor ist mein Bruder! — Heiterkeit) etwas zur Sache sagen wollen, wird es Zeit!) — Richtig. Da ich auch mit Ihrem Bruder, dem Herrn Wenn es richtig ist, daß wir nur geringe Hoffnung Landrat, ständig zu tun habe, ist vielleicht ein solch auf- eine erfolgreiche Kostendämpfung bei den EG kleiner Lapsus verständlich. Marktordnungsausgaben haben dürfen, (Susset [CDU/CSU]: Das ist nicht schlimm! (Kiechle [CDU/CSU] : Dann kommt ein neues — Heiterkeit) Gesetz!) 2756 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Simpfendörfer dann ist mittel- und langfristig eine Verstärkung — Ich habe hier Wünsche geäußert. Die Bundes- der regionalen Strukturpolitik auf der europäischen regierung wird sich zur gegebenen Zeit zu meinen Ebene unverzichtbar. Wir müssen nämlich auf der Wünschen äußern. europäischen Ebene mindestens für so viele Er- (Beifall bei der SPD — Zurufe und Lachen werbsalternativen wie in der nationalen Struktur- bei der CDU/CSU) politik sorgen. Zum Schluß: Der Kollege Hans-Peter Schmitz hat Damit leite ich zu den Wünschen über; ich habe die sozialliberale Koalition beschuldigt, sie habe nämlich auch einige Wünsche an die Bundesregie- keine Initiativen in Richtung Europa entfaltet. Ich rung aufgeschrieben. muß diesen Vorwurf hier zurückweisen. (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Donnerwetter, das (Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen ist aber unverfroren, was Sie da machen!) bei der CDU/CSU) Erster Wunsch: Die Bundesregierung möge prü- Wenn ich mich recht erinnere, ist die Erweiterung fen, der Europäischen Gemeinschaft von sechs auf neun (Zurufe von der CDU/CSU: „Prüfen" ! — auf eine wesentliche und entscheidende Initia- Zuruf von der CDU/CSU: Herbert notiert tive des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt Sie! — Heiterkeit bei der CDU/CSU) zurückzuführen. ob nicht durch eine verstärkte Unterstützung der (Beifall bei der SPD — Lachen und Zurufe Buchführung die Zahl der buchführenden Betriebe von der CDU/CSU) wesentlich erhöht werden kann. Ich habe auch den Eindruck, die Tatsache, daß wir (Beifall bei der SPD) zu einer Volkswahl in Europa für das Europäische Parlament kommen wollen, sei auch nicht ganz ohne 73 000 buchführende Betriebe mit Jahresabschluß Mitwirkung der sozialliberalen Koalition zustande von insgesamt 1 Million sind zweifellos zu wenig. gekommen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und der FDP) Zweiter Wunsch: Die Bundesregierung möge Eng- Wenn die Union als einzigen Beitrag und Initiative pässe im Sach- und Personalbereich bei den Bundes- im Augenblick nichts anderes zu bieten hat als den forschungsanstalten im Haushalt 1978 nach Möglich- Antrag auf Kürzung der Abführungen nach Europa keit beseitigen. um 500 Millionen DM, dann ist das im Vergleich dazu wirklich beschämend. (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Das ist ein echter Durchbruch, den Sie erzielen! Als Regie (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe rungsfraktion bringen Sie solche Wünsche von der CDU/CSU) hervor? Das ist ein echter Durchbruch!) Die SPD-Fraktion hält den Agraretat für ausrei- — Herr Kollege Dr. Kohl, im Unterschied zu Ihnen chend, in seiner Struktur ausgewogen und wird ihm will ich auch nicht den Eindruck erwecken, als ob infolgedessen zustimmen. ich hier Durchbrüche erziele. - (Beifall bei der SPD und der FDP — Beifall (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungs bei Abgeordneten der CDU/CSU) parteien) Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- Dritter Wunsch: Die Bundesregierung möge ihre ordnete Peters (Poppenbüll). Vorarbeiten zur Verbesserung der sozialen Lage jüngerer Witwen verstärkt fortsetzen. Peters (Poppenbüll) (FDP) : Frau Präsidentin! (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Das ist kreative Po Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr litik! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Schmitz, Sie haben bei dieser Gelegenheit wieder einmal Vierter und letzter Wunsch: Die Bundesregierung — das ist für Sie sicher interessant — möge alle (Zuruf von der CDU/CSU: Die Wahrheit Vorschläge zur Schaffung eines Agrarkredits gesagt!) (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Aha, das auch noch!) auf die Einkommenslage in der Landwirtschaft abge- hoben. Ich gebe Ihnen ja recht, daß es in der Land- sehr sorgfältig prüfen und die Erfahrungen von wirtschaft von Jahr zu Jahr auf Grund der Witte- Bundesländern einbeziehen. In diesem Zusammen- rungsverhältnisse hang will ich nicht verschweigen, daß ich zwei we- sentliche Bedenken habe: das erste Bedenken, man (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt ist der liebe könne wieder eine Gießkannenförderung einführen Gott schuld!) wollen, mein zweites Bedenken, man könne im Ver- recht unterschiedlich ist. hältnis zur gewerblichen Wirtschaft einen entschei- Nehmen Sie aber die Sache einmal mittelfristig, denden Wettbewerbsvorteil in der Finanzierung vielleicht einen Zeitraum von fünf bis sechs Jahren, herbeiführen mit der Folge, daß dann entsprechende dann sehen Sie, daß wir eine Verdoppelung bis Ver- Forderungen ebenfalls aus diesem Bereich gestellt dreifachung der landwirtschaftlichen Grundstücks- würden und dann das gesamte Finanzierungsvolu- und Pachtpreise haben. men für die öffentliche Hand nicht mehr tragbar wäre. (Zuruf von der CDU/CSU: Dank dieser Bun (Zurufe von der CDU/CSU) desregierung!) Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2757 Peters (Poppenbüll) Der Grund dafür liegt natürlich in der mittelfristi- die 200 Millionen DM hinzurechnen, die in das In gen Ertragslage der Landwirtschaft; das ist der Tat- vestitionsprogramm eingebaut worden sind. Damit bestand. wird der frühere Ansatz also erheblich überschritten. (Beifall bei der FDP und der SPD — Zurufe Noch ein letztes Wort zu den Umschichtungen im von der CDU/CSU) Agrarsozialetat, also den 80 Millionen DM für die Nun, Sie haben wie immer behauptet, daß der Berufsgenossenschaften. Wir von der Koalition — Agraretat die geringste Steigerungsrate habe. Wir und zum Teil auch Mitglieder Ihrer Fraktion, hatte haben Ihnen bei jeder Gelegenheit an dieser Stelle ich den Eindruck — waren im Ausschuß für Ernäh- hier vorgerechnet, daß man zum eigentlichen natio- rung, Landwirtschaft und Forsten der Meinung, daß nalen Etat die EG-Rückflüsse nehmen müsse, weil das Zahlungen seien, die nicht durch ein Gesetz vor- sie infolge der Marktstützung für die Produkte der gesehen sind, sondern die eine freiwillige Leistung landwirtschaftlichen Marktordnung überhaupt das des Bundes darstellen, die wir an gewisse Bedin- Entscheidende für die Landwirtschaft sind. Wenn gungen knüpfen können. Sie diese Beträge zusammenrechnen — ab 1972 ha- Wenn man verlangt, daß die Unfallrenten schon ben wir die Teilung im nationalen und im EG-Haus- ab 1. Januar steigen sollen — 1977 werden die er- halt — und die 200 Millionen für das Investitions- höhten Gelder schon gegeben —, ist das kein un- programm pro Jahr hinzunehmen, kommen Sie auf billiges Verlangen. Es ist auch nicht unbillig, zu eine Steigerungsrate von 6,2 % im Vergleich zu fordern, daß von der Eigentümerveranlagung auf die 1976. Wenn Sie den Anteil des Agrarhaushalts am Unternehmerveranlagung übergegangen wird und Bundeshaushalt nehmen, dann liegen wir heute bei die Beiträge in den 19 Berufsgenossenschaften nach 5 %, also günstiger als seit Jahren. einheitlichen Maßstäben festgesetzt werden; denn (Beifall bei der FDP und der SPD) dadurch hat der Bund natürlich — das wird ganz offen zugegeben — ein genaueres Bild der Lage und Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich kann bei der Verwendung dessen, was er zur Ver- halte es auch für falsch, wenn bei Schwierigkeiten fügung stellt, stärker mitsprechen. im Zusammenhang mit dem Agrarmarkt unsere Re- gierung angegriffen wird. Heute ist für jeden Den- (Beifall bei der FDP und der SPD) kenden, glaube ich, völlig klar, daß weder der Meine Damen und Herren, die FDP stimmt dem Agrarmarkt noch die Zollunion alleine denkbar sind. Einzelplan 10 zu. Beides hängt miteinander zusammen. Fällt die land- wirtschaftliche Marktordnung, fällt auch die Zoll- (Beifall bei der FDP und der SPD) union. Durch die Zollunion — das dürfte unbestrit- ten sein — hat die Bundesrepublik als stärkster In- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der dustriestaat innerhalb der EG die größten Vorteile. Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft Das mildert auch unsere Haltung zu den Finanzzu- und Forsten. weisungen an den EG-Agrarfonds. Wenn Sie berech- - nen, was durch dieses stärkere Wirtschaftsvolumen Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft an zusätzlicher Steuerkraft entsteht, dann ist das und Forsten: Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte ein Vielfaches dessen, was wir zusätzlich netto an Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich bei die EG zahlen müssen. Das ist, glaube ich, ein Tat- Ihnen bedanken, die Sie aushalten, ganz besonders bestand, der unbestreitbar ist. bei den Berichterstattern. (Beifall bei der FDP und der SPD) Ich habe gesehen, welche Schmerzen der ver- Wir alle wollten sicher gerne möglichst schnell ehrte Kollege Schmitz (Baesweiler) hat, eine Be- die Wirtschafts- und Währungsunion. Das hängt gründung für die Ablehnung meines Etats zu finden. aber nicht vom Willen einer Regierung ab. Das kann (Beifall bei der FDP und der SPD) niemand erzwingen. Die Lage ist heute eben so, daß Ich leide mit ihm. Er hat gesagt, daß ich an der ge- die Preissteigerungsraten in den Volkswirtschaften samtwirtschaftlichen Lage mitschuldig bin. Das wird der beteiligten Länder so weit auseinanderklaffen, wiederum meinen Kollege Friderichs schmerzen, den daß die Wirtschafts- und Währungsunion im Mo- der Kollege Kohl so gern in der Lage sieht, daß er ment nicht zu erzwingen ist. Positiv ist jedenfalls, die Unternehmer zu Tränen rührt, was für uns sehr daß die Inflationsrate in den Ländern mit der stärk- angenehm ist, vor allem wenn sie dann auch mehr sten Inflation am Sinken, nicht mehr am Steigen ist. für uns und nicht nur für die CDU spenden würden. Wir wollen hoffen, daß diese Entwicklung weiter- geht. Aber wir werden das nicht erzwingen können. Aber ich will Ihnen dazu sagen, verehrter Kollege Denn wir können die Verhältnisse in den anderen Schmitz (Baesweiler), solange dieses Land, das po- Staaten nicht direkt beeinflussen. Deshalb ist jede litisch, sozial und wirtschaftlich — — Kritik an der Bundesregierung in diesem Zusammen- (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Vorsicht mit hang völlig unsinnig oder, vorsichtiger ausgedrückt, Spenden!) völlig ohne jeden sachlichen Grund. — Ich spreche ja nicht vom Liechtenstein der Union, (Beifall bei der FDP und der SPD) lieber Freund Haase. Darüber spreche ich nicht, das Herr Schmitz, Sie haben auch noch bemängelt, daß ist nicht mein Bier. der Titel Agrarstruktur und Küstenschutz um 135 (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Millionen auf 1,2 Milliarden DM gesenkt worden sei. Kohl [CDU/CSU] : Reden Sie lieber mit Das ist der Fall. Das ist unbestritten. Sie müssen aber Herrn Karry!) 2758 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Bundesminister Ertl — Dazu bin ich Präsidiumsmitglied, Herr Kohl. Das ist der Unterschied. Sie müssen halt hier mit Aber ich habe mit Genuß den „Spiegel" gelesen. anderen Maßstäben rechnen. Ich kann mich nur daran informieren und ich wün- (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Würden Sie das für sche viel Vergnügen, wenn auch alle nicht Liechten- alle Landwirtschaftsminister sagen?) steiner sind. Zur Abendstunde muß man ja nur freundlich sein, da kann man nur viel Vergnügen — Nein, nicht für alle. Jetzt kommt mein Schwieger- wünschen. vater. Ich kenne Ihre historische Bildung, Herr Kohl; die beginnt offensichtlich erst nach 1945. Aber es Aber verehrte Freunde, solange dieses Land das macht nichts, Herr Kohl. politisch, wirtschaftlich und sozial stabilste Land der Ich möchte erstens nur sagen, es gibt keine ekla- Welt ist — und das ist es im Augenblick —, trage tanten Fehler, sondern es ist in einem Teilbereich ich gern die Mitverantwortung für dieses Land. in einem von uns beiden geliebten Land eine fal- (Beifall bei der FDP und der SPD) sche Auswertung erfolgt. Ich habe das früher schon einmal gesagt und ich entschuldige mich dafür. Dies Und, meine Freunde, auch angesichts dessen, daß läßt sich nicht ausschließen, seit es so phantastische meine verehrte Kollegin Schuchardt heute so tief- Einrichtungen wie die EDV-Anlagen gibt. Solange schürfende Feststellungen über die Agrarpolitik die Menschen mit ihrem Kopf gerechnet haben, ha- getroffen hat, sage ich Ihnen, zu dieser Stabilität hat ben sie richtig gerechnet. Seitdem die Menschen die die Agrarpolitik beigetragen. Frau Schuchardt gehört EDV-Anlagen haben, kommen offensichtlich falsche übrigens zu den wenigen Bildungspolitikern, und Rechnungen heraus. die brauchen ja bekanntlich viel Zeit, das wissen (Beifall bei der FDP und der SPD) wir. (Zuruf des Abg. Löffler [SPD]) Dies kann ich auch nicht vermeiden. Ich will das auch nicht auf die Bildungspolitiker schieben. — Herr Kollege Löffler, ich habe nicht von den Oberschulräten gesprochen. (Heiterkeit) (Heiterkeit und Beifall) Eine zweite Bemerkung, meine verehrten Kolle- gen, Damen und Herren. Aber wenn der Agrarminister einmal viel Zeit hat, (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Liebe Freunde!) wird er über die Zusammenhänge zwischen Bil- dungsreform und Besoldungsreform sprechen, und — Liebe Freunde, natürlich. da werde ich tiefschürfende Ausführungen machen. (Heiterkeit) (Beifall bei der FDP und der SPD) Sie wissen, ich habe es mit Beethovens „Seid um- schlungen, Millionen" — Aber lassen Sie mich das wirklich einmal sagen, dieses Land kann sich in seiner politischen, sozialen (Heiterkeit) und wirtschaftlichen Stabilität voll mit der Welt aber nicht nur in Liechtenstein. messen. - Ein Zweites muß ich hier noch ein klein wenig (Beifall bei der FDP und der SPD) korrigieren. Herr Kollege Schmitz (Baesweiler), Sie Das ist unsere Politik, eine Politik, die die Liberalen sprachen von Standardbetriebseinkommen. Ich seit über 7 1/2 Jahren gern mitverantworten. möchte die Kollegen jetzt weiß Gott nicht mit agrar- (Zuruf von der CDU/CSU: Was ist nun mit technischen Details aufhalten. Nur, eines ist sicher, der Frau Schuchardt?) Herr Kollege Schmitz (Baesweiler), bei der Be- trachtung der Einkommenslage müssen Sie streng — Ich habe ja gesagt, daß sie Bildungspolitikerin differenzieren zwischen Voll-, Zu- und Neben- ist, und die brauchen viel Zeit. erwerbsbetrieben. Beim Nebenerwerb zählt eben das Verehrter Herr Kollege Schmitz (Baesweiler), außerlandwirtschaftliche Einkommen als Hauptein- noch einige Bemerkungen zu Ihrer sehr freundlichen kommen und spielt deshalb für die Disparität prak- Kritik an meinem Etat. Ich muß gleich vorweg sa- tisch kaum eine Rolle. Das muß man objektiverweise gen, das zwingt mich, ebenso freundlich zu ant- feststellen, damit hier nicht ein falsches Bild ent- worten, was ich übrigens sehr gern tue. steht. Man tut der Landwirtschaft keinen Gefallen, wenn man sie immer nur ins Armenhaus stellt. Das Erstens: In der Agrarpolitik wurde nicht manipu- glaubt nämlich dann niemand. liert, sondern in der Agrarpolitik werden auf Grund (Beifall bei der FDP und der SPD) unserer föderalistischen Struktur einfach Länder- meldungen zusammengestellt. Das ist ein Schema, Sie haben dann nochmals auf die Steigerung des das nun einmal so ist. Agrarhaushalts Bezug genommen. Das muß ich lei- der ein wenig in das richtige Licht rücken. Sie (Zuruf von der CDU/CSU: Dazu brauchen stellen zum Einzelplan 10 für 1977 fest: nationaler wir einen Minister?) Teil 3,9 %, EG-Marktordnung 13,4 %; das ergibt — Den Minister brauchen Sie, damit er Politik eine Steigerung von rund 7 %. macht. Für Statistik brauchen Sie natürlich keinen (Zuruf von der CDU/CSU: 8,2 %) Minister. Aber weil dieser Minister Politik macht, — Das sage ich ganz nüchtern, und wenn Sie sagen, ist es mit der Landwirtschaft besser bestellt. Früher das ist falsch, dann kommen Sie bitte noch einmal haben Sie nur Statistik gemacht. hier herauf. Die Marktordnungsausgaben tragen we (Beifall bei der FDP und der SPD) sentlich zur Einkommenssicherung für die deut- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2759 Bundesminister Ertl sche Landwirtschaft bei. Das sind 3 Milliarden DM. auf die Uhr, aber wenn Sie mich nicht dauernd Da können Sie nicht hergehen und sagen: „Das in- unterbrechen würden, wäre ich längst fertig. teressiert uns nicht", wenn Sie gleichzeitig die EG- (Allgemeine Heiterkeit) Ausgaben in toto kritisieren. Aber bitte, ich freue mich, daß ich Ihnen vor dem (Zuruf von der CDU/CSU: Im Toto?) Zubettgehen noch eine kleine Lektion mitgeben — Nicht im „Toto". Beim Fußball gibt es Toto. kann. Das tut auch mir gut. Das will ich in aller (Heiterkeit) Nüchternheit und Offenheit sagen. Die Wirtschafts- und Währungsunion — mich wundert, daß das bei Ich bin hier aber bei der totalen Summe, und da dem großen Sachverstand in Ihrer Fraktion nicht kann man auch toto sagen; das müßte ein Bayer ja bekannt ist — können Sie haben, wenn Sie die eigentlich wissen. Aber ich sehe, sprachliche Schwie- Inflationsgemeinschaft haben wollen. Die wollen Sie rigkeiten kann es selbst bei Fußballpräsidenten ge- nicht, die wollen wir nicht und deshalb gibt es die ben. Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft im Mo- (Heiterkeit und Zurufe von der CDU/CSU) ment nicht. Aber diese Bundesregierung — und das können Sie im Londoner Protokoll nachlesen — hat Sie müssen fairerweise zugeben, daß die Einkom- sich mit ihrer Stabilitätspolitik durchgesetzt; denn menssicherung heute im wesentlichen aus den Aus- heute machen alle Länder mit uns Stabilitätspolitik. gaben für die EG-Marktordnungen resultiert. (Beifall bei der FDP und der SPD) (Zuruf von der CDU/CSU: Das sind doch die Bauern nicht schuld!) Ich sage Ihnen: auch zum Vorteil der deutschen Agrarwirtschaft. Wenn wir nämlich heute bereits in — Bitte? Ich habe Sie nicht verstanden. den ersten drei Monaten 4,4 Milliarden DM Agrar- (Heiterkeit und weitere Zurufe bei der export zu verzeichnen haben, so ist das nicht zu- CDU //CSU) letzt auf die Agrarpolitik, aber auch auf die wirt- — Sagen Sie es doch. Wenn meine Rechnung nicht schaftliche Stabilitätspolitik der Bundesregierung stimmt, dann können Sie das sagen. zurückzuführen, die der deutschen Landwirtschaft eine unendliche Wettbewerbsgleichstellung ver- (Anhaltende Heiterkeit) schafft hat. Der Kanzler hat dasselbe Recht der freien Rede wie (Beifall bei der FDP und der SPD) die Opposition. Herr Simpfendörfer, solange dieser Minister die (Zurufe von der CDU/CSU) Verantwortung trägt, wird es keine „Gießkanne" in der Agrarförderung geben. Aber bezüglich des Das ist selbstverständlich. Auf jeden Fall hat der Agrarkredits will ich ein Wort sagen. Kanzler bisher alle Marktordnungsausgaben mitbe- schlossen. (Zurufe von der CDU/CSU) (Zuruf des Abg. Dr. Ritz [CDU/CSU]) — Herr Kollege Ritz, wenn Ihre eigenen Kollegen nicht ruhig sind, bin ich daran nicht schuld. Er hat übrigens mehr Ausgaben für die Landwirt- schaft mitbeschlossen als der Finanzminister Strauß. (Zuruf des Abg. Dr. Ritz [CDU/CSU]) Das muß man auch einmal objektiv sagen, damit — Das ist gut so, weil das zeigt, daß ich auch schnell man sich hier keinen Irrtümern hingibt. denken kann. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der (Heiterkeit — Zuruf von der CDU/CSU: Das SPD — Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Ritz ist kein schlüssiger Beweis!) [CDU/CSU]) Solange ich die Verantwortung trage, wird es keine Ich wollte das nur noch einmal richtigstellen. „Gießkanne" in der Agrarförderung geben. In dem Zusammenhang muß ich auch zum Ein- (Zuruf von der CDU/CSU: Was ist das?) kommensvergleich noch ein Wort sagen. Wenn Sie, — Wenn Sie das nicht verstehen, kann ich Ihnen die Prozentsätze aus jenen Jahren vergleichen, in nachher Nachhilfeunterricht geben. Dazu bin ich denen diese Regierung die Verantwortung getragen gern bereit. Ich war Landwirtschaftslehrer und habe hat, so kann ich mit ruhigem Gewissen sagen: Die Übung in der Pädagogik, und ich nutze das auch Landwirtschaft hat voll an der Einkommensentwick- gerne in aller Freundschaft und pädagogischen lung teilgenommen. Voll! Liebe. (Beifall bei der FDP und der SPD — Zurufe (Heiterkeit) von der CDU/CSU: Voll! — Heiterkeit) Aber ich komme nicht zu Ende; tut mir furchtbar — Das können Sie nicht abstreiten, Freunde. leid! (Heiterkeit) (Zurufe von der CDU/CSU: Doch! Disparität!) Das ist wie mit einem Fußballpräsidenten, der erst Das war allerdings in den Jahren, als Sie die Ver- beweisen muß, daß er weiter aufsteigen kann. antwortung mittrugen, nicht so. (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Er ist (Beifall bei der FDP und der SPD — Zurufe aufgestiegen!) von der CDU/CSU) Es gibt keine Gießkanne. Aber, Herr Simpfendör- Weil ein Ausflug nach Europa gemacht wurde. fer, das will ich nur mit einem Satz sagen. Ich wäre — Es tut mir furchtbar leid, ich schaue auch immer sehr glücklich, wenn ich in Form des Agrarkredits 2760 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 Bundesminister Ertl ein ähnliches Instrument hätte, wie der ERP-Kredit Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und eines für die übrige mittelständische Wirtschaft ist. Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Nicht mehr oder weniger will ich. Ich bedaure sehr, Ich schließe die allgemeine Aussprache. Wir kom- daß ich, als dieses Vermögen aufgeteilt wurde, nicht men zur Abstimmung über den Einzelplan 10. Wer in der Verantwortung war. Sie können sich darauf dem Einzelplan in der Ausschußfassung zuzustim- verlassen, ein Teil davon wäre für die Landwirt- men wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — schaft abgezweigt worden. Weil das nicht der Fall Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen die Stim- ist, habe ich hier etwas nachzuholen. Das ist das men der CDU/CSU-Fraktion angenommen. Grundprinzip der Idee, so daß ich die einzelbetrieb- liche Förderung auf die echt Förderungsfähigen Wir sind am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich konzentrieren kann. Das halte ich für sinnvoll. berufe die nächste Sitzung ein für Donnerstag, den Damit will ich auf alle weiteren Bemerkungen 23. Juni 1977, 9 Uhr. verzichten. Ich bedanke mich. Ich sehe, die Opposi- tion hat Schwierigkeiten, meinem Haushalt zuzu- Die Sitzung ist geschlossen. stimmen. Aber Herr Kohl war so freundlich. Viel- leicht kann er noch grünes Licht geben, nachdem (Schluß der Sitzung: 23.14 Uhr) er mein Pairing für morgen aufgehoben hat. Das tut mir leid; denn ich wäre gern anläßlich des Bauern- tages bei den Landfrauen in Hannover gewesen. Aber das werde ich auch noch ertragen. Ich bedanke Berichtigung mich für Ihre Aufmerksamkeit zu dieser späten Stunde. 34. Sitzung, Seite 2612 D; in der Zeile 6 von unten (Allgemeiner Beifall und Heiterkeit) ist das erste Wort „nicht" zu streichen. Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 35. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 22. Juni 1977 2761*

Anlage zum Stenographischen Bericht

Anlage Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich

Liste der entschuldigten Abgeordneten Lange * 23. 6. Lemp ** 24. 6. Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Lenzer ** 24. 6. Lücker * 24. 6. Adams * 24. 6. Marquardt ** 24. 6. Dr. Ahrens ** 24. 6. Dr. Marx 24. 6. Dr. Aigner * 24. 6. Dr. Mende ** 24. 6. Amrehn ** 24. 6. Milz ** 24. 6. Angermeyer 24. 6. Dr. Müller ** 24. 6. Frau von Bothmer ** 24. 6. Müller (Mülheim) 24. 6. Büchner (Speyer) ** 24. 6. Dr. Müller-Hermann * 23. 6. Dr. Enders ** 24. 6. Pawelczyk ** 24. 6. Dr. Evers ** 24. 6. Reddemann ** 24. 6. Dr. Fuchs * 23. 6. Frau Dr. Riede (Oeffingen) 24. 6. Dr. Geßner ** 24. 6. Dr. Schäuble ** 24. 6. Handlos ** 24. 6. Schmidhuber ** 24. 6. von Hassel ** 24. 6. Schmidt (München) * 24. 6. Hoppe 24. 6. Schreiber * 23. 6. Dr. Jahn (Braunschweig) * 23. 6. Dr. Schwencke (Nienburg) ** 24. 6. Katzer 24. 6. Seefeld 24.6. Dr. Klepsch * 22. 6. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim ** 24. 6. Klinker 24. 6. Dr. Starke (Franken) * 24. 6. Dr. Staudt 24. 6. Frau Steinhauer 24. 6. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Ueberhorst 24. 6. Parlaments Dr. Vohrer ** 24. 6. ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Wawrzik * 24. 6. Union Würtz * 23. 6.