Z 8398 C Informationsdienst der Christlich Demokratischen Union Deutschlands Union in Deutschland Bonn, den 13. Dezember 1973

BUNDES- Brandt hat Berlin AUSSCHUSS Der Bundesausschuß hat am wieder vergessen 10. Dezember richtungweisende Aussagen zu akuten Problemen Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, , gemacht, wie Bundespräsidenten- erklärte zur Unterzeichnung des deutsch-tschechoslowakischen Ab- wahl, Energiekrise, Wettbewerb, kommens mit Zustimmung der Fraktion folgendes: Preise/Löhne, Entspannung, Der Ausgleich mit der Tschechoslowakei ist von jeher ein Neutralismus, Ostblock-Kredite, europäische Gipfelkonferenz Ziel der Außenpolitik der CDU/CSU gewesen und bleibt es weiter. Aber wir müssen feststellen, daß dieser Vertrag an Seite 3, 4 einem schweren Mangel leidet, nämlich daran, daß über seine entscheidende Aussage zum Münchener Abkommen eine Meinungsverschiedenheit besteht, schon jetzt wird diese Ver- • GRUNDGESETZ tragsklausel von beiden Seiten unterschiedlich ausgelegt. Der Prof. H. H. Klein widerlegt die historische Ablauf ist nach unserer Ansicht einseitig darge- gefährliche und als Modellversuch stellt. Es ist wohl von nationalsozialistischer Gewalt, aber nicht zu wertende These Bahrs, das von der Vertreibung der Sudentendeutschen aus ihrer Heimat den Berlin-Verkehr betreffende die Rede. Transit-Abkommen mit der DDR In dem Briefwechsel zu humanitären Fragen verpflichtet sich sei als Bestandteil des Vier- die tschechoslowakische Seite, lediglich Fälle der Ausreise mächte-Abkommens Besatzungs- recht und stehe als solches über wohlwollend zu prüfen. Dies bleibt weit hinter dem zurück, dem Grundgesetz was allgemein erwartet worden war, und läßt wohl die Be- Seite 5, 6 fürchtung aufkommen, daß auch in diesem Zusammenhang finanzielle Forderungen an die Bundesrepublik Deutschland gerichtet werden. BUNDES- Besonders zu bedauern ist, daß sich die Bundesregierung KANZLER mit ihrer Forderung nach voller Einbeziehung Berlins in die Ab- machungen nicht durchgesetzt hat. Es ist erinnerlich, daß der „Der Spiegel" hat sich zum Bundeskanzler im September dieses Jahres eine Reise nach Vorreiter der Presse-Kritik an gemacht. Auszüge Prag absagte, weil dieser Punkt nicht geklärt war; der Punkt aus seinem Artikel „Kanzler in ist auch heute nicht geklärt. der Krise" sowie aus anderen Die CDU/CSU-Fraktion hat eine Gruppe eingesetzt, die eine Zeitungen bringen wir auf endgültige Stellungnahme zu diesem Vertrag vorbereiten wird. Seite 13-15

Union In Deutschland - Informationsdienst der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. Redaktion: Gisbert von Wersebe. Anton Georg Grützner, Dr. Peter Wellert. 53 Bonn. Konrad-Adenauer-Haus, Tel. 20 21. Informationen

noch 4 567 Bewerber zugelassen ren" herauszunehmen, als private Rechtsauskunft werden konnten, mußten 1972 Banken das wagen würden." für sozial Schwache von 26 107 Bewerbern 20 465 ab- Erste Reaktion auf die Junghans- gewiesen werden. Noch schlim- Thesen: Bei der Wahl zum Frak- mer sieht es im Fach Zahn- tionsvorsitzenden sank sein An- In Rheinland-Pfalz sollen in medizin aus: 1968 konnten von allen größeren Städten und an teil von 172 Stimmen 1972 auf 3 892 Bewerbern noch 981 zu- 129 Stimmen. Die Linken gaben zentralen Orten des Landes gelassen werden; demgegenüber Rechtsauskunftsstellen eingerich- dem unorthodoxen Kollegen konnten 1972 von 12 058 Bewer- einen Denkzettel. tet werden. Diese Forderung hat bern nur noch 1 059 zugelassen in Mainz der Arbeitskreis christ- werden. Die von der Bundes- lich-demokratischer Juristen in regierung im Jahre 1971 zum Rheinland-Pfalz aufgestellt. Unter Ausdruck gebrachten Erwartun- Geheimtitel Wahrung der Selbständigkeit gen, daß der Numerus clausus und Eigenständigkeit dieser mit Ausnahme des Faches Hu- Auf Grund der Erfahrungen aus Rechtsauskunftsstellen sollen manmedizin bis 1975 überwun- der Bestechungsaffäre Steiner/ sie organisch möglichst an vor- den sein werde, haben sich als Wienand hat die CDU/CSU im handene Institutionen angelehnt Seifenblase erwiesen. Haushaltsausschuß bei der Be- werden, so daß deren Verwal- ratung des Geheimtitels des Bun- tungsapparat mitbenutzt werden deskanzlers „zur Verfügung zu kann (z. B. Amtsgerichte, Orts- Scheel wurde nicht allgemeinen Zwecken" den An- gerichte oder sonstige geeignete trag auf eine parlamentarische staatliche oder kommunale Be- gefragt Kontrolle des Titels gestellt. Die hörden). Die enge Zusammen- CDU/CSU forderte, daß der Ge- arbeit mit der Anwaltschaft soll Im Auswärtigen Amt wird be- heimtitel vom Bundesrechnungs- dabei gewährleistet sein. Auf- stätigt, daß Bundesaußenminister hof geprüft und das Ergebnis der gabe der öffentlichen Rechtsaus- bei der Terminie- Prüfung einem Unterausschuß kunftsstellen soll es sein, sozial rung der Brandt-Visite in der des Haushaltsausschusses vor- schwachen Rechtssuchenden auf CSSR nicht konsultiert wurde. gelegt wird. allen Gebieten des Rechts Rechtsauskunft zu erteilen. SPD und FDP im Haushalts- ausschuß haben diese auf Grund Notwendig ist ein Team von Linke schneiden aktueller Vorgänge berechtigte ehrenamtlichen Mitarbeitern, die Junghans Forderung abgelehnt. Damit ist aus dem Kreis der Rechtsanwälte der unkontrollierten Verwendung und Notare, der Rechtspflege der Mittel aus dem Geheimtitel und der Verwaltung gewonnen Die SPD-Linke hat ein neues des Bundeskanzlers weiterhin Tür werden können. Nach den Erfah- Opfer gefunden: Den wirtschafts- und Tor geöffnet. rungen in anderen Ländern darf politischen Sprecher der SPD- mit einer genügenden Bereit- Fraktion, Hans-Jürgen Junghans. Der sozialdemokratische Abge- schaft zur ehrenamtlichen Mit- Baracken-Politik arbeit gerechnet werden. ordnete hatte es gewagt, in der neuesten Ausgabe des SPD-Mit- gliedsmagazins „einblick" gegen Unter Bonner Journalisten wird Studienchancen die Forderung aufzutreten, die gegenwärtig ein angeblicher Plan Banken zu verstaatlichen. Jung- des SPD-Fraktionsvorsitzenden der Abiturienten hans führte als Beispiel die ver- gestreut, wegen noch nie so schlecht staatlichten Banken in Frankreich der Wirtschaftskrise und der und Italien an und fragte provo- Öl-Situation eine Große Koali- katorisch: „Ist dort bei dem staat- tion oder gar eine Allparteien- Die Studienchancen der Abitu- lichem Bankenapparat die so- Koalition zu bilden. Die aben- rienten in der Bundesrepublik ziale Stellung des Arbeitnehmers teuerlichen Gerüchte kommen waren erwiesenermaßen noch nie besser und sicherer als bei uns? offenbar aus der SPD-Baracke. so schlecht wie nach vier Jahren Und unterstützen die Staatsban- Wohlinformierte Bonner Beobach- SPD/FDP-Regierung. Immer mehr ken die Regierungspolitik dort ter halten die lancierten „Indis- Studienbewerber mußten in den vorbehaltloser als bei uns die Pri- kretionen" für einen Versuch, die letzten Jahren abgewiesen wer- vatbanken? Der staatliche Ban- FDP mit Hilfe hintergründiger den. Während 1968 beispiels- kenapparat scheint sich dort eher Drohungen auf den Kurs der weise im Fach Medizin von 11 943 mehr gegen seinen „Diensther- SPD-Fraktion einzuschwören. Bundespartei Klare Aussagen zur Lage

Auf der Sitzung des Bundesausschusses der CDU am 10. 12. 1973 im Bonner Kon- rad-Adenauer-Haus haben der Parteivorsitzende und der Fraktionsvorsit- zende Karl Carstens eindeutige Aussagen zu den aktuellen politischen Problemen gemacht. Außerdem hat der „Kleine Parteitag" jene Anträge beraten und entschieden, die auf dem 22. Parteitag in Hamburg aus zeitlichen Gründen nicht mehr behandelt werden konnten. (Worlaut der Beschlüsse siehe Dokumentation).

Helmut Kohl stellte fest: vorstandes vom Wochenende notwendigem Maße nicht kurzfri- beweist, daß die Bundesregie- stig durchsetzbar ist, sind sofor- Bundespräsidentenwahl rung nicht in der Lage ist, die tige Eingriffe nach dem Kartell- Energiekrise richtig einzuschät- und Energiegesetz erforderlich. Das Amt des Staatsoberhaup- zen und ihre Folgen in den Griff tes befindet sich nicht im Privat- Der Marktwirtschaft sind so- zu bekommen und zu meistern. besitz der Koalition, deshalb for- ziale Interventionen nicht fremd. dert die CDU die Vorsitzenden Die CDU ist bereit, an der Im Gegenteil: unsere Wirt- der beiden Koalitionsparteien zu Überwindung der augenblick- schaftsordnung, die Soziale einem gemeinsamen Gespräch lichen Schwierigkeiten mitzuwir- Marktwirtschaft, erfordert sie so- auf. Solange offiziell kein Kan- ken. Sie kann jedoch nur mit gar; allerdings müssen sie didat für die Nachfolge Dr. Hei- einer Bundesregierung zusam- marktwirtschaftlich organisiert nemanns benannt sei, ist die menarbeiten, die selber weiß sein. CDU „weder so noch so" fest- was sie will. gelegt, ob sie einen eigenen Preise/Löhne Kandidaten aufstellen wird. Wettbewerb, kein Dirigismus Die SPD läßt im Augenblick Meinungsumfragen keine Gelegenheit aus, mit der In der führenden Partei der Energiekrise und ihren Folgen Die jüngsten demoskopischen Koalition, der SPD, ist der Trend von den eigenen schweren kon- Umfragen bestätigen, daß die zum Dirigismus erheblich ge- junkturpolitischen Fehlern abzu- Stimmung in der Bevölkerung wachsen und wird nur noch für die Unionsparteien außer- lenken. Die Behauptung Brandts durch Formelkompromisse über- ordentlich günstig ist. Dennoch vor seinen Führungsgremien, deckt. Die Äußerung Wehners, die Preise hätten nur deshalb muß davor gewarnt werden, daß jetzt der Staat „das Kom- wieder angezogen, weil durch diese positiven Meinungsumfra- mando über die Wirtschaft" gen schon als endgültigen Er- die Verteuerung der Energie- übernehmen müsse, verdeutlicht kosten eine sehr positive Preis- folg zu sehen. Die Union muß nur, was auch die Entschlie- entwicklung gestoppt worden stets bereit und willens sein, ßung des SPD-Vorstandes vom ihre eigene Lage kühl zu prü- wäre, ist nachweislich falsch. Wochenende zum Ausdruck fen. So ist jetzt die Zeit für eine Bereits vor der Ölkrise war ein bringt: verstärkte staatliche Kon- neuer inflationärer Preisauftrieb verstärkte Mitgliederwerbung, trolle und Weisungsrecht gegen- die Anfang nächsten Jahres an- zu verzeichnen. Die Lohnforde- über der gesamten Mineralöl- laufen wird. rungen, die weit über den er- wirtschaft. Damit wird die Nei- warteten Produktivitätszuwachs Bei den Landtagswahlen in gung in der SPD sichtbar, Kri- hinausgehen, lagen bereits vor den kommenden Jahren wird die sen mit der Flucht in den Diri- der Energiekrise vor, ohne daß Bundespartei die Landesver- gismus und in den Sozialismus die Bundesregierung durch bände tatkräftig unterstützen. zu begegnen. Orientierungsdaten ihre Füh- rungsaufgabe erfüllt hätte. Energie-Krise Die CDU hält es — im Gegen- satz zu den Dirigisten — für er- Daß die Energiekrise auch Der Bundeskanzler hat in Lud- forderlich, den Wettbewerb im noch als Alibi dafür herhalten wigshafen erklärt, er sähe sich Energiesektor zu verstärken; muß, daß die groß angekündig- außerstande, die „neue Lage" denn nur so kann verhindert ten Reformen weder begonnen zu charakterisieren, „auf die wir werden, daß einige wenige die noch verwirklicht werden konn- uns einzustellen haben". Die Notsituation zu Lasten vieler ten, ist ein besonders markantes Entschließung des SPD-Partei- ausnutzen. Nur wenn das in Beispiel politischer Unaufrich- Bundespartei tigkeit. Die Regierung mißachtet jeweiligen politischen Erforder- der unbestrittenen Partnerschaft damit erneut ihren eigenen An- nissen ausgerichtete Initiativen mit den USA sowie unter besse- spruch auf mehr Transparenz ergriffen habe. Im einzelnen rer Verständigung mit Frank- und Offenheit. nannte Carstens folgende reich mehr Eigenständigkeit ent- Punkte: wickeln muß. Daher wird die Entspannung Opposition Anfang des kommen- Kredite an Ostblock den Jahres im Parlament eine Mit großer Sorge beobachtet Initiative zur Europapolitik ein- Vor wenigen Tagen hat die die CDU die ostberliner Schau- bringen, deren Kernpunkt die CDU/CSU-Fraktion den Minister prozesse gegen Fluchthelfer Forderung nach einer Direkt- für wirtschaftliche Zusammen- Diese Prozesse machen jedem in wahl der Abgeordneten des arbeit, Eppler, im Parlament ge- Deutschland und in der Welt europäischen Parlaments dar- stellt und ihn wegen des Kredits klar, daß Ost-Berlin von einer stelle. Auch wenn alle Staaten an Jugoslawien befragt. In die- wirklichen Entspannung nichts noch nicht die Bereitschaft dazu ser Debatte hat Eppler den Arg- hält und alles tut, um trotz der äußern sollten, müsse von der wohn der Opposition nicht zer- zugesicherten menschlichen Er- Bundesrepublik Deutschland ein streuen können, daß bei diesem leichterungen einen harten Ab- Ansporn durch die bei uns dann Kredit in Höhe von 700 Millionen grenzungskurs zu steuern. durchgeführte Direktwahl ausge- DM ganz andere Maßstäbe an- Besonders bestürzend sind in hen (vgl. UiD Nr. 47, Seite 3). diesem Zusammenhang bisher gelegt werden, als das sonst im unwidersprochene Meldungen, Rahmen der Entwicklungshilfe nach denen verantwortliche Po- üblich ist. Gezielte Hilfsmaßnahmen litiker der SPD der Meinung sind, Kredite in Milliardenhöhe an Die CDU/CSU-FraWion hat daß das Transitabkommen zwi- Polen und die Sowjetunion sind sich in der Energiekrise nicht schen der Bundesregierung und zu erwarten. Dies geschieht trotz darauf beschränkt, Kritik an Re- der Ostberliner Regierung dem großer Schwierigkeiten in der gierung und Koalition zu üben. Grundgesetz im Rang vorgehe. Wirtschaft der Bundesrepublik Sie ist auch bereit, weitere ein- Die CDU erblickt darin den Ver- Deutschland und zu einem Zeit- schneidende Maßnahmen mitzu- such, die Entscheidung des punkt, da jedem Beobachter of- tragen. Anders aber als das Ka- Bundesverfassungsgerichts zum fenbar sein müsse, wie sehr die binett Brandt/Scheel hat sie ge- Grundvertrag zu unterlaufen. arabischen Staaten in ihrem öl- zielte Hilfsmaßnahmen vorge- Die CDU verlangt von der boykott — auch gegen die Bun- schlagen und entsprechende Bundesregierung eine verbind- desrepublik Deutschland — ge- Gesetzentwürfe im liche Aufklärung über diese un- rade von den Ostblockstaaten eingebracht. glaublichen Meldungen und er- unterstützt werden. wartet insbesondere eine unmiß- „Lage der Nation" verständliche Stellungnahme zu Gipfelkonferenz der unbeschränkten Geltung un- in Kopenhagen In der zweiten Parlaments- woche des Januar 1974 wird die serer Grundrechte. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt Bundesregierung aller Voraus- die europäische Gipfelkonferenz sicht nach einen Bericht zur Neutralismus in Kopenhagen. Diese Konfe- „Lage der Nation" vorlegen. Die In der öffentlichen Meinung renz allein kann aber nicht die Opposition wird diese Aussa- ist ein erfreuliches Nachlassen Wünsche erfüllen, die man an gen kritisch prüfen und fordern, der neutralistischen Tendenzen Europa zu stellen hat, das mit unmittelbar in einem eigenen festzustellen. Umfragen haben einer Stimme sprechen soll. Nie- Bericht „von der anderen Seite" ergeben, daß die auf 39 Prozent mand kann verlangen, daß darauf anworten zu können. Be- abgesunkene Quote der Befür- Europa jeder Maßnahme der wußt will die CDU/CSU damit worter einer Eingliederung in USA zustimmen muß. Wenn die das früher übliche Verfahren das westliche Bündnis inzwi- USA aber etwas Richtiges tun, durchbrechen, nach der Regie- schen wieder auf mehr als müßten sie dafür nicht noch kri- rungserklärung drei Tage Zeit 50 Prozent angestiegen ist. tisiert werden. Das Verhalten lassen, bis eine Antwort der In seinem Rechenschaftsbe- während des Nahost-Konflikts Opposition erfolgte. Es ist zu sei gegenüber den Vereinigten richt über die Arbeit der CDU/ hoffen, daß die Regierung der CSU-Bundestagsfraktion sagte Staaten falsch gewesen. CDU/CSU rechtzeitig umfassen- deren Vorsitzender, Karl Car- Die CDU/CSU-Fraktion vertritt de Informationen über die stens, daß die Opposition im die Meinung, daß Europa im Schwerpunkte ihres Berichtes Parlament viele und nach den Rahmen des Bündnisses und geben werde. Thema der Woche

Folge, daß diese Rechtsvorschrif- — ten der Nachprüfung durch deut- sche Gerichte auf ihre Vereinbar- einmal mehr auf Abwegen keit mit deutschem Verfassungs- recht entzogen und diesem daher Pressemeldungen zufolge hat Bundesminister Bahr im Rahmen auch im Range vorgeordnet wa- einer Sitzung des Bundestagsausschusses für innerdeutsche Bezie- ren. hungen sinngemäß erklärt, das Abkommen zwischen der Bundes- regierung und der Regierung der DDR über den Transitverkehr zwi- Deutschlandvertrag schen der Bundesrepublik und Berlin (West) sei ein integrierender hat Rechtslage verändert Bestandteil des Viermächte-Abkommens über Berlin, es sei also Besatzungsrecht und stehe als solches im Range über dem Grund- Mit dem Inkrafttreten des Deutschlandvertrages dürfte sich gesetz. die Rechtslage, von der das Bun- Prof. Dr. weist nach, daß diese Rechtsauffassung desverfassungsgericht damals falsch ist. ausging, jedoch insoweit geän- dert haben, als dieser Vertrag, Träfe diese Rechtsmeinung Bundesrepublik mit Rücksicht auf insbesondere sein Artikel 2, den zu, wäre die Bundesrepu- den in Art. 2 des Deutschlandver- Drei Mächten nicht das vorher blik beispielsweise bei Maß- trages enthaltenen Vorbehalt der aus ihrer Besatzungsgewalt er- nahmen gegen den sog. Mißbrauch Drei Mächte in bezug auf Berlin wachsene Recht gibt, Organe der der Transitwege (Fluchthilfe) und den Transitverkehr keine Bundesrepublik Deutschland mit nicht gehalten zu beachten, daß, eigene Vertragsschließungskom- bindenden Weisungen zu verse- wie das Bundesverfassungsge- petenz. Insofern bedurfte es in hen und gar anzuordnen, daß sie richt erst jüngst in seinem Urteil der Tat, um die Bundesregierung sich in deren Ausführung über zum Grundvertrag entschieden zum Abschluß des Transitabkom- deutsches Verfassungsrecht hin- hat, auch die in der DDR leben- mens in den Stand zu setzen, der wegsetzen. Zwar sind die Organe benden Deutschen das Grund- in Artikel II A in Verbindung mit der Bundesrepublik natürlich be- recht der Freizügigkeit in An- der Anlage 1 Ziff. 3 des Vier- fugt, Aufträge der Drei Mächte spruch nehmen können, sobald mächte-Abkommens enthaltenen entgegenzunehmen, aber sie kön- sie in den Schutzbereich der Ermächtigung. Es kann aber nen sie nicht als Alibi benutzen, staatlichen Ordnung der Bundes- keine Rede davon sein, daß diese um sich unter Berufung auf sie republik Deutschland gelangen Ermächtigung die Bundesregie- von ihrer Pflicht zur Beachtung Namens der Bundesregierung hat rung berechtigte, bei der von ihr des Grundgesetzes zu dispen- Regierungssprecher Grünewald auszuhandelnden Regelung vom sieren. Die Konsequenzen wären Bahrs Rechtsauffassung unter- Grundgesetz abzuweichen. unabsehbar. dessen bestätigt. Daß deutsche Staatsorgane Davon abgesehen enthalten sich auf bindende Anweisung der weder das Viermächte-Abkommen Brutale Offenheit Besatzungsmächte über deut- vom 3. September 1971 noch die Neu daran ist nicht, daß die sches (Verfassungs-)Recht hin- es begleitenden Erklärungen der Bundesregierung auf diesem der wegsetzen konnten, war aller- Drei Mächte und der Bundes- deutschen Interessen abträgt dings nach 1945 zunächst aner- regierung einen Hinweis darauf, liehen Standpunkt steht. Neu ist kannt. Das Bundesverfassungs- daß die Drei Mächte die Bundes- nur die brutale Offenheit, mit der gericht entschied damals (1953): regierung bindend anweisen woll- sie ihn heute zu vertreten wagt. „Ist der Inhalt für die Rechtsvor- ten, ohne Berücksichtigung des Schon 1971 hat H. H. Mahnke schrift einer deutschen Stelle Grundgesetzes mit der Regierung (Bundesministerium für inner- vollständig von der Besatzungs- der DDR Transitregelungen zu deutsche Beziehungen) in einem macht vorgeschrieben oder vereinbaren. Der Bundesregie- Aufsatz die Meinung geäußert, entspricht die Rechtsvorschrift rung blieb es nach Wortlaut und da die Bundesregierung das einer Ermächtigung, die aus- Sinn des Viermächte-Abkommens Transitabkommen im Auftrag der drücklich oder nach Sinn und vielmehr durchaus freigestellt, Westmächte aushandle, also von Zweck von der Beachtung deut- erstens, ob sie überhaupt mit originären Rechten der Alliierten schen übergeordneten Rechts der DDR Verhandlungen über den Gebrauch mache, sei sie insoweit entbindet, so werden die der Transitverkehr aufnehmen und dem Grundgesetz nicht unterwor- Form nach deutschen Rechtsvor- ggf. zum Abschluß bringen, und fen. schriften vom Wesen des Besat- zweitens, weitgehend auch wel- Diese Rechtsauffassung ist zungsrechts in gewissem Umfang chen Inhalt sie einer evtl. Ver- eindeutig falsch. Zwar besitzt die mitergriffen." Das hatte zur einbarung geben wollte. Thema der Woche

Aus Ermächtigungen dieser Art Nach allem steht fest: Das lingen, wie beispielsweise das konnten deutsche Stellen aber Transitabkommen ist nur gültig, Zentralkomitee der Esten, Let- niemals, auch nicht zur Zeit des soweit es mit dem Grundgesetz ten und Litauer, das lettische, unbeschränkten Besatzungsregi- vereinbar ist. Wer aus der DDR litauische und ungarische Gym- mes, die Befugnis herleiten, sich flieht, macht aus der Sicht der nasium und den ukrainischen inhaltlich über höherrangiges Bundesrepublik von dem ihm Schulverein, wie auch bei an- deutsches Recht hinwegzusetzen. nach Art. 11 GG zustehenden deren Einrichtungen ebenfalls, Allenfalls fehlende Zuständigkei- Grundrecht auf Freizügigkeit Ge- auf ein Maß zu beschränken, das ten konnten durch solche Er-, brauch. Weder der Flüchtling an den Lebensnerv dieser Ein- mächtigungen substituiert wer- selbst noch der, der ihm hilft, richtungen geht. Liedtke schlug den. darf in der Bundesrepublik, in eine Kürzung von insgesamt welcher Form auch immer, recht- 526 735 DM vor. In seinem vor- Der Wortlaut des Transitabkom- lichen Nachteilen ausgesetzt wer- gelegten Papier sind 24 Ver- mens beweist übrigens, daß die den, soweit er nicht gegen all- Bundesregierung — oder doch bände und Institutionen aufge- gemeine deutsche Gesetze ver- führt. Diese unterliegen sowieso ihre an der Formulierung des stößt. schon Mittelkürzungen. Jetzt Abkommens beteiligten Vertre- müßte man an ihrem weiteren ter - sich dieser Rechtslage Egon Bahrs Rechtsauffassung, die sich die Bundesregierung all- Bestand zweifeln. durchaus bewußt war. Anders ist zu beflissen zu eigen gemacht es nicht zu erklären, daß sich die hat, ist falsch. Sie ist aber keines- Der Haushaltsausschuß des Bundesregierung in Art. 17 ledig- wegs, wie aus dem innerdeut- Bundestages hat in seiner lich verpflichtete, „im Rahmen schen Ministerium verlautet sein letzten Sitzung am 10. De- ihrer Möglichkeiten" bzw. „der soll, nur akademisch. Denn sie zember auf ausdrücklichen An- allgemein üblichen Vorschriften offenbart einmal mehr, wie we- trag der SPD beschlossen, im der Bundesrepublik Deutsch- nig es dieser Bundesregierung Haushaltsplan 1974 erneut eine land", zu denen ja auch nach um die Wahrung der Interessen Förderung des sozialistischen Meinung der Bundesregierung Deutschlands und der Deutschen Hochschulbundes (SHB) in Höhe geht, und wie sehr doch die die Grundrechte gehören dürften, von 88 000 DM wirksam werden Frage berechtigt ist, die Fritz Ul- die zur Verhinderung eines „Miß- zu lassen. Dazu erklärte der rich Fack dieser Tage in der FAZ CDU-Abgeordnete Horst Schrö- brauches" der Transitwege nö- aufgeworfen hat: Wessen Politik der, Berichterstatter für den ent- tigen Vorkehrungen zu treffen. wird hier eigentlich betrieben? sprechenden Haushaltsplan des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit, daß die Mittel für den SHB für 1974 nach früherer Entscheidung eigentlich Kurzberichte aus der Fraktion gestrichen worden seien. Wenn jetzt die Mehrheit gegen die Die CDU/CSU hat vor kur- rung abgelehnt. Damit ist nach Stimmen der CDU/CSU und bei zem im Haushaltsausschuß Ansicht der CDU/CSU der un- Abwesenheit der FDP eine ge- des Bundestages bean- kontrollierten Verwendung der genteilige Beschlußfassung tragt, aufgrund der Erfahrungen Mittel aus dem Geheimtitel des durchgeboxt hätten, könne man aus der Bestechungsaffäre Stei- Bundeskanzlers weiterhin Tür nur sagen: „Erneut fördert die ner/Wienand bei den Beratun- und Tor geöffnet. SPD einen Verband, dessen er- gen des Geheimtitels des Bun- klärtes Ziel die Beseitigung der deskanzlers „zur Verfügung zu Sehr als befremdlich findet freiheitlich demokratischen allgemeinen Zwecken" den An- die CDU/CSU-Bundestags- Grundordnung unseres Staates trag auf eine parlamentarische fraktion eine Forderung ist. Diese Haltung der SPD ist Kontrolle des Titels zu stellen. des SPD-Obmanns im Innenaus- um so erstaunlicher, als der SHB Die Opposition forderte weiter, schuß des Bundestages, Liedtke, sich seit kurzem nicht mehr als daß der Geheimtitel vom Bun- nicht nur die finanziellen Zu- ,sozialdemokratisch' bezeichnen desrechnungshof geprüft — wie schüsse für die Einrichtungen darf, sondern als sozialistischer bisher — und das Ergebnis der zur Förderung und Eingliede- Hochschulbund firmiert." Hier do- Prüfung einem Unterausschuß rung der Vertriebenen und kumentiere sich wieder einmal des Haushaltsausschusses vor- Flüchtlinge zu kürzen, sondern der zunehmende Einfluß der gelegt wird. Die Koalition hat im darüber hinaus auch nichtdeut- linksextremen Elemente in der Haushaltsausschuß diese Forde- sche Einrichtungen von Flücht- SPD.

6 Argumente

Kanzler in der Krise — Deutschland in der Krise

Bei ihrem Bemühen, die Bundesrepublik Deutschland in einem jahrelangen psychologischen Umstellungsprozeß von West- auf Ostkurs zu bringen, haben sich Willy Brandt, Herbert Weh- ner und Egon Bahr einer meisterhaften Sprach-Strategie bedient. Besonders Willy Brandt ver- steht sich darauf, scheinbar verschwommene Begriffe und Formulierungen zu schaffen, inner- halb derer sich das Umdenken vollziehen kann, wobei vollzogene Tatsachen den nötigen Nachdruck verleihen. Aber der Bundeskanzler hat diese künstliche Ost-West-Euphorie in seiner exponierten Position offenbar menschlich nicht bewältigt. Er flüchtet sich frustriert, ent- scheidungsgehemmt, in höhere Sphären und verliert den Kontakt mit seiner Mannschaft. Diese, allen voran „Der Spiegel", kritisiert ihn mehr und mehr wegen seiner Entschlußlosigkeit, ohne offenbar die wahre Ursache des seltsamen Kanzler-Verhaltens zu erkennen oder erken- nen zu wollen. Wir zitieren in Folgendem Passagen aus dem Spiegel-Artikel „Kanzler in der Krise" und anderen Blättern.

Brandt und seine Führungsequipe sind ange- Wer im Betrieb ist, weiß, daß die Stimmung in klagt, durch lasches Auftreten in der Regie- Richtung Bundesregierung äußerst mies ist. rung sozialdemokratisches Programm und Profil zu verschenken — und dies in einer Zeit der Düpiert auch fühlen sich die Sozis aller Schattie- Bewährung, in der die Sorge über anhaltende Teue- rungen von der Willfährigkeit ihres Chefs, freide- rung die Arbeitnehmer in wilde Streiks getrieben mokratische Postenwünsche zu erfüllen. Brandt- hat und aufkeimende Angst um die Arbeitsplätze in Kritiker Schmidt: „Niemals hätte die FDP fünf Mini- eine Schreckensvision vom Ende der Wirtschafts- ster haben dürfen. Drei wären das Äußerste ge- blüte und des Wohlstands umzuschlagen droht. wesen." Als im Gefolge des Nahost-Krieges die Welt in Wie im außenpolitischen Bereich, wo Brandts ver- Brand zu geraten drohte, warteten die Genossen schwommene Ausdrucksweise dazu dient, die Be- vergebens auf die Worte des Kanzlers an die Na- völkerung über das im Unklaren zu lassen, was tion - Brandt machte Ferien an der Cöte d'Azur. schon längst beschlossene und mit Moskau abge- SPD-Vize Heinz Kühn: „Absolut unmöglich." sprochene Sache ist, ist der Bundeskanzler auch auf dem wirtschaftlichen Sektor gezwungen, dem Die Welt vom 6. Dezember beleuchtet den liberalen Koalitionspartner mit Hilfe beschwichti- psychologischen Hintergrund dieser Entschlußlosig- gender Formeln über seine waren Absichten hin- keit: „Willy Brandt hat auch in dieser Krise die Par- wegzutäuschen. Die Schweizer Weltwoche schreibt tei und die Fraktion nicht geführt. Er ist ein Ge- hierzu am 5. Dezember: „Die wirtschaftspolitische triebener, der mit einem Auge auf die Koalition, Sprachverwirrung macht erneut den bedenklichen mit dem anderen auf die SPD-Fraktion schaut. Dar- Zustand sichtbar, in den Willy Brandts Kanzler- um sind seine Aussagen auch so verschwommen. schaft geraten ist. Der Regierungschef kann sich Das ist die Meinung eines SPD-Abgeordneten." der eigenen Partei längst nicht mehr sicher sein. Der Spiegel fährt fort: „Mangel an konzeptiver Sein sozial-gefärbter Neo-Liberalismus, der ihm Kraft und ein Übergewicht eher konservativen die Rückendeckung der Freien Demokraten ver- Staatsverständnisses lassen Brandt die ausgelob- schafft, wird in den eigenen Reihen als Schlapp- ten Reformen der Gesellschaft als beinahe lästigen, heit gedeutet." gar aufschiebbaren Beipack einer sich selbst genü- genden Regentschaft verstehen. Weiter Der Spiegel: „Die Kritik an Willy Brandt ist nicht mehr zu überhören. Der Ruf nach Änderung Den Mißmut an der Basis artikulierten bei der wird lauter. Die Linken reklamieren den in seiner SPD-Arbeitnehmerkonferenz in Duisburg Mitte Ok- Integrations- und Führungsmacht geschwächten, tober Delegierte wie der Südbayer Ernst Hüttinger: aber noch immer attraktiven Kanzler als .Vehikel'

13 Argumente

(Altsozialist Harry Ristock) ihrer Interessen. Sie .Brandt gefällt sich natürlich', so ein Kanzler- sehen die Stunde gekommen, im Bündnis mit Berater, ,in der Rolle des über den Dingen stehen- sympathisierenden Repräsentanten der Mitte und den Staatsmannes, der seine geschichtliche Lei- mit Brandt als Vormann - so das Kalkül der auf stung mit der Ostpolitik vollbracht hat.' Längst dem Hannover-Parteitag geborenen sozialdemokra- nicht mehr ist Willy der unkonventionelle Ge- tischen Mitte-Links-Koalition - stärker über den nosse und Kumpel, der er noch als Außenminister Kurs der Partei und die Posten in ihr zu bestimmen war - kontaktfreudig und trinkfest. Der Hausherr als bisher. des Palais Schaumburg gibt sich würdevoll, hält auf Distanz zu Mitarbeitern und Parteifreunden. Auch der alte Kampfgefährte Walter Hesselbach von der „Ich mag nicht mehr Gewerkschafts-Bank für Gemeinwirtschaft spürt: — das sagt er öfter." ,Es ist in ihn eingedrungen, daß er ein Staatsmann ist.' " So unrealistisch mangels einer Alternative der- zeit alle Spekulationen auf einen Sturz Brandts sind, Die politischen Hintergründe seines Verhaltens, so sehr irritieren den Kanzler Vertrauensschwund die sich aus der geplanten Überleitung der Bundes- im Volk und Mißmut in den eigenen Reihen. Brandt: republik Deutschland aus dem westlichen in das ,lch stehe auf keinem Denkmalsockel, aber ich Östliche Fahrwasser ergeben, kommen den meisten brauche von der sonst viel zitierten Solidarität auch Genossen offenbar nicht zum Bewußtsein. Sie nicht ausdrücklich ausgenommen zu werden.' klingen aber deutlich an in dem, was der Münch- ner Merkur hierzu am 6. Dezember schreibt: Immer wenn er meint, die Anklagen, so wie sie etwa Herbert Wehner vorgebracht hat, seien zu hart „Der unglückliche Kompromiß zwischen Bonn und und zu ungerecht, befällt den kritikempfindlichen Prag bei der Frage des konsularischen Schutzes Regierungschef Endzeit-Stimmung. Im Parteivor- für West-Berlin beispielsweise wäre vermutlich ohne stand hebt er dann zu schier alttestamentarischer Insistieren Wehners und Sonderminister Bahrs Klage an: ,lch habe die Partei zu dem großen Sieg nicht geschlossen worden. Wie lange wird es dau- geführt. Jetzt wird das bedroht. Da fangen an, uns ern, bis der Kanzler auch bei der Energiekrise dem die Jungen wegzulaufen, da fangen an, uns die Al- Drängen Wehners und der SPD-Fraktion nachgibt ten wegzulaufen.' Dann, nach einer Pause, sucht und sich mit Höchstpreisverordnungen und Kontin- er müde Zuflucht in der Elegie: ,Da muß man sich gentierungen einverstanden erklärt?" überlegen, wie lange man noch zur Verfügung steht.' Noch deutlicher wird der Bayern-Kurier am 8. De- Freilich, Brandt-Kenner glauben zu wissen, was zember: „Wehners Konzept eines sozialistischen Ge- sie von der Drohung des Chefs zu halten haben. samtdeutschlands, das Konzept eines Kommunisten Freund Klaus Schütz, Berlins derzeit Regierender: seit den frühen zwanziger Jahren, gerät in den .Ich mag nicht mehr - das sagt er öfter. Aber das Verdacht des Verzugs und der Verzögerung, wenn darf man nicht ernst nehmen.' Brandt weiterhin so wie bisher es allen rechtzuma- chen versucht und in seiner Ohnmacht, als Resultat Angetreten war Brandt 1969 mit starken Worten. solcher Taktik, nichts anderes als ein Plus minus In der Hochstimmung des Machtwechsels provo- Null erreicht." zierte der neue Kanzler die Unions-Opposition mit der Parole: ,Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an.' Der Spiegel ignoriert die politische Motivation der Verhaltensweisen Brandts und fährt fort: „Zu Nach dem Streß der harten Jahre nach einem dem konservativen Wesensbild des späten, des schweren Wahlkampf aus dem Stand meinte der sechzigjährigen Brandt passen ungewohnte Über- Regierungschef aber, erst einmal ausruhen zu dür- reaktionen. Als das Fernsehen im Herbst in Schau- fen, sich wieder ,Zeit zum Nachdenken' nehmen bildern darstellte, wie sich die wilden Streiks aus- zu können. Statt ,das Gottesgeschenk des ersten breiteten, fürchtete der aufgebrachte Kanzler, die wahlfreien Jahres' (Forschungsminister Horst detaillierten TV-Berichte könnten auch noch die Ehmke) zum energischen Start seines immer wie- letzten Arbeitswilligen zum Ausstand verleiten. der versprochenen Reformprogramms zu nutzen, Brandt gab seinem Staatssekretär Günter Gaus, gewöhnte sich Brandt an die Rolle des geruhsam einstmals Programmdirektor des Südfunks, die Or- reflektierenden Staatsmannes auf dem Sockel, der, bei den früheren Kollegen zu intervenieren .Gottvater auf der Wolke' (Harry Ristock). und die Berichterstattung ein wenig zu lenken.

14 Argumente

Willy Brandt hat keinen Egon Bahr für die Innen- Profil und Konturen des Programms leiden zu- politik. Und dieses Defizit wird noch größer, weil sätzlich unter des Kanzlers Desinteresse an Haus- Brandt, der in Planung und Organisation stets halt und Finanzen, das ihn abhängig macht von schwach war, es zugelassen hat, daß auf ihn einge- , abhängiger noch, als es der ohne- spielte Zuarbeiter wie Ehmke und die Wirtschafts- dies schon überragenden Figur des .ersten Man- experten Herbert Ehrenberg und Karl Otto Pohl nes der Mannschaft' (Brandt) zukommt. Schmidt das Kanzleramt verließen. Jetzt herrscht dort Akten- über Brandt: ,Der hat ja vor kurzem noch nicht ordner Horst Grabert. Auch Wehner klagt: ,Es fehlt gewußt, ob hundert oder tausend Millionen 'ne Mil- ein wirtschaftlicher Kopf im Kanzleramt.' liarde machen.'

Brandt selber wird nicht selten zum Opfer seiner Schmidt, nicht Brandt, hat allzuoft das letzte Wort Personalpolitik in der Kanzleramtsspitze. So ließen in der Politik. Als Forschungsminister Ehmke aus ihn seine politischen Berater unmittelbar nach den einer EG-Sitzung heraus telephonisch beim Kanz- Sommerferien in eine peinliche Falle rennen. Ge- ler um zehn Millionen Mark für ein dringendes und rade aus einem Norwegen-Urlaub zurückgekehrt, politisch gebotenes europäisches Forschungspro- bestellte der Kanzler Journalisten und versprach jekt bat, kniff der Herr über einen Bundeshaushalt populäre Steuersenkungen fürs neue Jahr. Helmut von 120 Milliarden Mark: .Das geht nicht. Ich habe Schmidt hörte davon - und Brandt mußte demen- schon genug Ärger mit Helmut.' Darauf Ehmke: tieren. Die Brandt-Berater ließen zu, daß der Re- .Dann spreche ich eben mit Helmut.' Prokurist gierungschef zum Problem der Beschäftigung Radi- Schmidt hatte keine Bedenken und zahlte. kaler im öffentlichen Dienst nichts Klügeres vor- trug als: .Brschnew würde sich totlachen, wenn Wenn Schmidt nicht will, muß auch Brand sich wir einen KPD-Mann zum Richter machten.' Folge: fügen. Als Ehmke bei den Haushaltsverhandlungen Das lästige Radikalen-Thema wird zum Dauerbren- kräftige Zulagen für die Nuklearforschung ver- ner (Jochen Steffen). langte, lehnt Schmidt ab — wenige Wochen vor Aus- bruch der Energiekrise. Statt selbst Regie zu führen und, gestützt auf die ihm vom Grundgesetz zugewiesene Richtlinienkom- Dabei hätte die Regierung Brandt schon vor der petenz, seine politischen Prioritäten in der Regie- Herausforderung durch die Araber Weitblick be- rungsarbeit zu setzen, läßt sich Brandt, seiner Nei- weisen können — wenn das 37 Tage vor dem vier- gung folgend, in langatmige Diskussionen ein. All- ten Nahostkrieg verabschiedete, inzwischen schon zuoft läßt er ein und dasselbe Thema mehrfach revidierte Energie-Programm des FDP-Bundeswirt- durchhecheln, im Koalitionskreis, am Kabinettstisch schaftsministers mehr gewesen und in der Fraktion. Allzuoft endet es in Entschei- wäre als eine bloße Fortschreibung der Energie- dungen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. bilanzen und -prognosen aus CDU-Zeiten mit dem simplen Rezept: mehr öl, viel weniger Kohle. So beispielsweise bewältigte das Kabinett zwar die Steuerreform, klammerte aber einen im Streit Arndt über den FDP-Minister: .Friderichs ist ein zwischen Sozial- und Freidemokraten strittigen ganz klarer Lobbyist der Großwirtschaft. Es ist ein Hauptpunkt aus: die Körperschaftsteuer. Eine Ra- politischer Skandal erster Güte, wie der Friderichs dikal-Kur der seit Jahrzehnten vernachlässigten die ölgesellschaften gebauchpinselt hat.' Lehrlingsausbildung konnten die liberalen Ressort- herren Hans Friderichs und Hans-Dietrich Genscher Rücksicht auf die Industrie, die inzwischen die verhindern. Sie verweigerten Bildungsminister Klaus freidemokratische Partei-Kasse großzügig versorgt, von Dohnanyi die volle Zuständigkeit für die beruf- prägt auch das Verhalten eines anderen FDP-Mi- liche Bildung — entgegen freidemokratischen Par- nisters, des Umweltschützers vom Dienst Hans- teitagsbeschlüssen ressortieren auch künftig 90 Dietrich Genscher. Trotz Smog-Alarm in Frankfurt Prozent der Ausbildungsordnungen beim Wirt- und München, trotz Fischsterben in Rhein und Mo- schaftsminister, hat auch weiterhin der Innenmini- sel, trotz Giftmüll und Lärm-Neurosen wird der Um- ster über die Ausbildung der Beamten zu befinden. weltschutz noch immer vernachlässigt. Zwar hat Genscher es verstanden, sich als großer Ökologe Auch Städtebauminister Hans-Jochen Vogel, des- zu geben, aber viel geschehen ist dennoch nicht. sen Bodenreform inzwischen überfällig ist, brach- Achselzuckend meint der Kanzler Brandt, daran ten die Koalitionspartner durch geschickte Hinhalte- nicht viel ändern zu können: ,Jetzt sitzt einer un- taktik in Verlegenheit. serer Freunde auf der Umwelt und verwaltet diese."

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Teures nen Jahr an dieser Stelle. Der den sind. „Der Luxus ist gestor- Weihnachtsfest Teuerungsschub in diesem ben, das praktische Geschenk Jahr bringt einen neuen Rekord. steht im Vordergrund", hieß es in Nahezu alles ist teurer ge- dieser Zeitung am 3. Dezember. worden. Zum Fest erwarten Beim Weihnachtseinkauf fällt Diese Entwicklung hat sich schon Marktbeobachter ein reich- ferner auf, daß besonders die in den Herbstmonaten angekün- liches Angebot von Mastenten. Preise für Bekleidung, Schuhe digt. Im dritten Quartal hat der Bratenten sollen jetzt im Ver- und Textilien stark geklettert private Verbrauch real das Vor- gleich zu Gänsen und Puten ver- sind. Der erste lange Samstag in jahresniveau nicht mehr erreicht hältnismäßig preiswert angebo- diesem Dezember hat bestätigt, — ein ganz ungewöhnliches Er- ten werden. Ein Kilogramm brat- daß die Käufer wegen der über- gebnis. Es ist Resultat wachsen- fertige Ente kostet aber immer durchschnittlichen Teuerung der Teuerung und zunehmender noch 5,60 bis 5,70 DM, fast 10 durchweg preisbewußter gewor- Kaufzurückhaltung zugleich. Prozent mehr als vor einem Jahr. Eine tiefgefrorene Gans ist für durchschnittlich 6,20 DM je Kilo Preise % Veränd. Ware/Leistungen Einh. in DM Nov. 73 gegen zu erstehen; der Preis liegt um Nov. 73 Nov. 72 8 Prozent höher als vor zwölf Mo- naten. Für ein Kilogramm Reh- Nahrungsmittel/Getränke braten aus Keule und Rücken Schweinekotelett 1 kg 10,22 + 1,0 + 13,1 zahlt die Hausfrau statt 16 bis Streichmettwurst 1 kg 9,70 + 1,7 + 13,1 Salami inl. Herkunft 1 kg 28 DM jetzt zwischen 22 und 30 15,14 + 0,4 + 12,4 Brathähnchen A, Tiefk 1 kg DM. Der Wildschweinbraten ist 4,68 + 0,9 + 21,3 um 2,40 bis 4 DM je Kilo aufge- Dt. Eier Kl. A, Gew. Kl. 3 1 St. 0,28 + 9,8 + 27,1 Helles Mischbrot 1 kg schlagen worden; Rücken und 1,90 + 1,1 + 7,1 Apfelsaft 1 | Keule kosten zwischen 18 und 25 1,19 — 1,7 + 30,7 Kartoffeln, l„ neue 2,5 kg 1,30 DM. Die Preise für frische Brat- + 4,8 + 10,2 Apfelsinen, I. Qual 1 kg 2,14 + 5,9 + 8,1 hähnchen sind seit dem Frühjahr fast jede Woche gestiegen; mit Bekleidung, Texillen, Schuhe H.-Hose, Chemief.//Wolle 1 rund 5 DM je Kilogramm sind sie 61,58 + 0,7 + 15,7 um ein Viertel höher als im ver- D.-Rock, Chemief./Wolle 1 50,42 -,- + 10,5 Srampelhöschen, Bw 1 gangenen Jahr. Für Puten mußte 6,80 + 0,6 + 10,9 die Hausfrau zuletzt 6,30 DM je Kraftfahrzeugbedarf, Brennstoffe, Mieten Normalbenz., Markenware 11 Kilogramm bezahlen, 20 Prozent 0,74 + 3,5 + 19,6 mehr als vor Jahresfrist. Leichtes Heizöl, 5000 I 11 36,67 + 31.7 +145,2 Altbauwohng. soz., Bad, 2 Z 113,60 + 0,8 + 5,8 Kartoffeln, Obst, Gemüse sind 3-Zi.-Wohnung, ZH, Bad, Balk., 75-85 qm nach 1948 frei fin an diesem Höhenflug der Preise 317,46 0,4 L 7,2 ebenso beteiligt wie Fleisch- und Leistungen und Tarife Wurstwaren. Während Rosenkohl Besohlen H.-Sch., Leder 1X 18,10 0,4 + 12,7 und Blumenkohl um ein Drittel Waschen in Automaten 1 x 3,79 0,3 + 10,8 und die Hälfte teurer sind als vor Autowäsche, Mittelkl.-W 1 x 7,45 + 13,8 zwölf Monaten, hat die Hausfrau Taxifahrt, 2 Pers., 3 km 1 x 5,52 + 11,1 für Eier fast 30 Prozent mehr zu Herren-Fassonschnitt 1 x 5,01 0,6 + 9,4 bezahlen. Von den rund 60 Posi- Krankenhaus 2. Kl 1 Tag 87,35 + 11,1 tionen unserer Preistabelle sind Oper, 2. Rang, Mitte 1 x 11,50 + 18,0 nur 5 billiger als im Vorjahr, da- Anmerkung: Die ausgewählten Preise sind Durchschnittspreise des Landes von Butter um 3 Prozent. „Das Hessen, das infolge seiner Struktur dem Bundesdurchschnitt am nächsten teuerste Weihnachtsfest seit Jah- kommt. ren", hieß es schon im vergange- (Aus Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6. Dez. 1973)

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