CSU-LG – 8. WP Landesgruppensitzung: 13. 11. 1978

13. November 1978: Sitzung der Landesgruppe

ACSP, LG 1978: 20. Überschrift: »Protokoll der 151. Sitzung der CSU-Landesgruppe am 13. November 1978«. Zeit: 20.00–23.00 Uhr. Vorsitz: Zimmermann.

Anwesend: Althammer, Becher, Bötsch, Dollinger, Engelsberger, Gerlach, Glos, Handlos, Hartmann, Höffkes, Höpfinger, Graf Huyn, Jaeger, Jobst, Kiechle, Klein, Kraus, Krone- Appuhn, Kunz, Lemmrich, Niegel, Probst, Rainer, Regenspurger, Riedl, Röhner, Rose, Schedl, Schleicher, Schneider, Spilker, Spranger, Graf von Stauffenberg, Stücklen, Voss, Waigel, Warnke, Wittmann, Zimmermann.

Sitzungsverlauf: A. Bericht des Landesgruppenvorsitzenden Zimmermann über das Problem der Beschäftigung Radikaler im öffentlichen Dienst, die Vorwürfe gegen Bundestagspräsident Carstens wegen dessen Mitgliedschaft in der NSDAP und den FDP-Parteitag. B. Erläuterungen des Parlamentarischen Geschäftsführers Röhner zum Plenum der Woche. C. Allgemeine Aussprache mit besonderer Berücksichtigung der Beratungen im Vermittlungsausschuss über das Steueränderungsgesetz 1979. D. Ergänzungswahlen für den Wirtschaftsausschuss des Bundestages, für den Landesgruppenvorstand und für den Europarat. E. Aussprache über die geplante Änderung des Wehrpflicht- und Zivildienstgesetzes. F. Bericht und Aussprache über die geplante Änderung der Verjährungsvorschriften für Mord. G. Verschiedenes.

[A.] TOP 1: Bericht des Landesgruppenvorsitzenden Dr. Zimmermann begrüßt den ehemaligen Abgeordneten Herrn Notar Seidl1. Er weist dabei darauf hin, daß das vorweihnachtliche Treffen der ehemaligen Abgeordneten am 8. Dezember 1978 von 16.30 Uhr bis 18.00 Uhr im Palais Preysing in München stattfindet. Er lädt dazu, auch im Namen von Herrn Notar Seidl, die jetzigen Mandatsträger ein. Wichtigste Frage sei zur Zeit das Problem Beschäftigung Radikaler im öffentlichen Dienst.2 Der Bundeskanzler sei dabei, auf die CDU/CSU-Linie einzulenken. Letzte Woche habe das Kabinett eine diskussionswürdige Vorlage verabschiedet.3 Dennoch

1 Franz Seidl, 1953–1965 MdB (CSU). 2 Der Gemeinsame Runderlass der Ministerpräsidenten und aller Landesminister vom 18. Februar 1972 zielte auf eine einheitliche Behandlung der Frage der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst, um eine Beschäftigung von Extremisten im öffentlichen Dienst zu verhindern. Der Erlass stellte eine Antwort auf die Aktivitäten der Außerparlamentarischen Opposition und ihren angekündigten »Marsch durch die Institutionen« dar. Vgl. das Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen, Nr. 20 vom 29. Februar 1972, S. 342. Ferner Dominik RIGOLL: Staatsschutz in Westdeutschland. Von der Entnazifizierung zur Extremistenabwehr, Göttingen 2013, S. 335–371. 3 Das Bundeskabinett verabschiedete am 8. November 1978 die »Darstellung des rechtlichen, insbesondere verfassungsrechtlichen Rahmens für die Verfassungstreueprüfung im öffentlichen

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laufe die Kampagne auf der politischen Ebene unvermindert weiter. Weiter sei festzustellen, daß sich der Bundeskanzler in allen entscheidenden innenpolitischen Fragen, wie Extremismus, Wehrpflicht und Verjährung, um eine Entscheidung herumlavieren möchte. Die Kampagne um die Neuwahl des Bundespräsidenten4 habe einen neuen Höhepunkt erreicht. Die Vorwürfe gegen Carstens seien von uns bereits im Ansatz gestoppt worden.5 Auch Scheel, Schmidt und Vetter6 seien NSDAP-Mitglieder gewesen. Diese unwürdige zweite Entnazifizierungsdiskussion müsse unbedingt verhindert werden. Keine der demokratischen Parteien könne davon profitieren. Die Kommentare in den überregionalen Zeitungen, wie zum Beispiel in der »FAZ« oder in der »Welt« seien anfangs sehr mißverständlich gewesen.7 Die Kommentatoren, die sich bereits auf Carstens eingeschossen haben, schwenken nach den Verlautbarungen Scheels um. Carstens habe das einzig Richtige getan. Er habe die Kampagne aktiv nach vorne angetreten. Dazu habe ich ihm bei einer Unterredung auch dringend geraten. Die Debatte sei nunmehr beendet. Einem Allparteiengespräch, welches Genscher 8 fordert, könne nicht zugestimmt werden. Dr. Zimmermann berichtet, daß er aus mehreren Gesprächen mit dem Bundespräsidenten wisse, daß Scheel kein Kandidat einer Minderheit sein werde. Er bereite sich auf die Zeit nach seiner Legislaturperiode schon heute sehr gut vor. Die Berichte im »Spiegel« lassen dies ganz deutlich erkennen.9 Im übrigen weist Dr. Zimmermann auf seine heutige Pressemitteilung zum Verwirrspiel hin.10

Dienst«. Vgl. die 98. Sitzung des Bundeskabinetts, SVP 3; DIE KABINETTSPROTOKOLLE DER BUNDESREGIERUNG 1978, online. 4 Die Amtszeit von Bundespräsident (FDP) lief 1979 aus. Die Wahl des deutschen Bundespräsidenten fand am 23. Mai 1979 statt. 5 Bundestagspräsident (CDU) war 1937 Mitglied des NS-Rechtswahrerbundes geworden und hatte im selben Jahr die Mitgliedschaft in der NSDAP beantragt. Vgl. Tim SZATKOWSKI: Karl Carstens. Eine politische Biographie, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 36 f. 6 Heinz Oskar Vetter, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes. 7 Vgl. den Kommentar von Peter Boenisch »Alte Sache neu auf dem Tisch«; »Die Welt« vom 10. November 1978, S. 1: Die Union werde noch einmal darüber nachdenken müssen, ob sie Carstens als Kandidaten für das Bundespräsidentenamt aufstellen solle. »Denn die offenen und versteckten Feinde der Bundesrepublik Deutschland werden nicht sagen, daß unser Staatsoberhaupt in der Nazi- Partei war, aber …, sondern sie werden das ›Aber‹ weglassen. Mit allen Mitteln der Agitation und Propaganda wird man dem Bundesadler wieder ein Stückchen Hakenkreuz an die Krallen hängen.« – Vgl. auch den Artikel von Karl Feldmeyer »Wie Karl Carstens durch die Zeit des Nationalsozialismus kam«; »Frankfurter Allgemeine« vom 10. November 1978, S. 2. Ferner den Artikel »Carstens: ›Ich habe so dunkle Erinnerungen‹«; »Der Spiegel«, Nr. 46 vom 13. November 1978, S. 21–23. 8 Hans-Dietrich Genscher, Bundesaußenminister, Vizekanzler, Bundesvorsitzender der FDP. 9 Vgl. die Artikel »Bundespräsident. Eine Mordsmasche«; »Der Spiegel«, Nr. 41 vom 9. Oktober 1978, S. 20 f.; »Bundespräsident. Freudige Pflicht«; »Der Spiegel«, Nr. 44 vom 30. Oktober 1978, S. 35 f. 10 Vgl. die Pressemitteilung vom 13. November 1978 »Schluß mit dem Präsidententrick«. Von Dr. , Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen ; ACSP, Z- LG, CSU-Presse-Miteilungen. Nachrichten aus der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag: »Die FDP ist dabei, einen Wahlschwindel besonderer Güte vorzubereiten. In Mainz hat soeben der Parteivorsitzende Genscher zur Wiederwahl Walter Scheels aufgerufen und erneut den Versuch unternommen, pseudo-plebiszitäre Elemente einzuführen. Er tut dies im klaren Wissen um die eindeutige Verfassungslage, die in der Frage der Bundespräsidentenwahl kein Plebiszit zuläßt.«

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Zum FDP-Parteitag11 könne gesagt werden, daß Genscher, der Parteivorsitzende, drei Niederlagen habe einstecken müssen: Dies sei erstens die Nichtwahl von Graf Lambsdorff12 ins FDP-Präsidium. Statt dessen sei der linke Bremer Vorsitzende Lahmann13 gewählt worden. Zweitens, die knappe Bestätigung Verheugens14 zum Generalsekretär. In der Regel werde der Generalsekretär auf Vorschlag des Vorsitzenden mit großer Mehrheit gewählt. Dies müsse als Niederlage von Genscher betrachtet werden. Und drittens, die beifallumrauschte Borm15-Rede mit den harten Attacken auf die FDP-Spitze.16 Im weiteren Verlauf gibt Dr. Zimmermann das Wahlergebnis für die Mitglieder des Gesamtvorstandes bekannt. Es zeige sich, daß hier die Linken eindeutig im Vormarsch seien. In der Frage des Extremismus habe sich die Linie Baums17 durchgesetzt. Ertl18 und Hirsch19 seien mit ihren Vorstellungen unterlegen. Zur Energiefrage zeige sich Graf Lambsdorff verärgert. Der Minister werde aber wohl keine dramatischen Schritte einleiten. Eines habe der Parteitag bis heute gezeigt, die FDP werde über 1980 hinaus fest an die SPD gebunden sein. Sie müsse als eine echte Block-Partei, eine Mehrheitsbeschaffungspartei, angesehen werden. Der FDP-Politiker aus dem Saarland, Klumpp20, habe in einem Rundfunkgespräch die Situation sehr gut dargestellt: »Ein Parteitag, der meint, er könne auf den Bundeswirtschaftsminister, Graf Lambsdorff – dem profiliertesten FDP-Politiker neben dem Bundesvorsitzenden Genscher – im Präsidium verzichten, dieser Parteitag spricht sich damit selbst ein Urteil.«

[B.] TOP 2: Plenum der Woche Röhner gibt einen kurzen Überblick über das Plenum der Woche. Er sagt, daß über die Rednerfolge noch nichts vereinbart worden sei. Er bittet alle Landesgruppenmitglieder, an den Arbeitskreissitzungen teilzunehmen und dafür Sorge zu tragen, daß die CSU- Landesgruppe entsprechend vertreten ist. Darüber hinaus gibt er den voraussichtlichen Termin für die zweite und dritte Lesung zum Bundeshaushalt 1979 bekannt.21 Die

11 Der Bundesparteitag der FDP fand vom 12. bis 14. November 1978 in Mainz statt. Vgl. EUROPA- ARCHIV 1978, Z 218. 12 , Bundesminister für Wirtschaft (FDP). 13 Horst-Jürgen Lahmann, Md Bremer Bürgerschaft, Vorsitzender der FDP-Bürgerschaftsfraktion, Landesvorsitzender der Bremer FDP. 14 Günter Verheugen. 15 William Borm, 1965–1972 MdB (FDP), 1960–1969 Landesvorsitzender der Berliner FDP, 1960–1982 Mitglied des FDP-Bundesvorstands. 16 Vgl. dazu auch den Artikel »Deutschland. FDP: Genschers Ritt auf dem Igel«; »Der Spiegel«, Nr. 47 vom 20. November 1978, S. 21 f., hier S. 21: »Mit einem kräftigen Linksruck überraschten die Delegierten auf dem Mainzer FDP-Kongreß ihre Führungsgarde. Parteichef Genscher, sonst stets Herr der Lage, war offenkundig schlecht vorbereitet. Folge: Abstimmungsniederlagen und deftige Vorwürfe von rechts. Graf Lambsdorff über Generalsekretär Verheugen: ›Falsche Wahl.‹« 17 , Bundesinnenminister. 18 , Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. 19 , Innenminister Nordrhein-Westfalens. 20 Werner Klumpp, Landesvorsitzender der FDP Saar. 21 Die zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurfs über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1979 (Haushaltsgesetz 1979) fanden vom 23. bis 26. Januar 1979 statt. Vgl. BT Drs. 08/2150 vom 8. September 1978, 08/2317 vom 24. November 1978; BT Plenarprotokoll 08/130, S. 10131–10263; 08/131, S. 10267–10391; 08/132, S. 10395–10523; 08/133, S. 10527–10559.

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Debatte werde voraussichtlich in der letzten Januar- bzw. in der ersten Februarwoche stattfinden. Ein zweites wichtiges Datum sei die abschließende Sitzung des Untersuchungsausschusses Lutze/Wiegel. Diese Woche beendet der Ausschuß seine Beratungen und legt einen Abschlußbericht vor.22

[C.] TOP 3.: Allgemeine Aussprache Höpfinger bittet um Klärung, ob der Vorwurf von Frau Matthäus-Maier23 über das Verhalten des Bundesministeriums der Verteidigung24 im Petitionsausschuß stimme. Dr. Bötsch fragt nach dem Steuerpaket.25 Zur Frage der Verjährung weist er auf einen »Main-Post«-Leitartikel hin.26 Dr. Althammer berichtet über den Stand im Vermittlungsausschuß. Die Haltung der Koalition verhärte sich immer mehr. Ein Kompromiß sei völlig offen. Zur Frage des ersten Untersuchungsausschusses könne gesagt werden, daß die ersten beiden Teile abgeschlossen seien. Für den dritten Teil stehe die Beweisaufnahme noch bevor. Durch den Wehner-Brief sei die Problematik an die Öffentlichkeit getragen worden.27 Auf diesen Brief habe Kollege Dr. Riedl entsprechend öffentlich reagiert. Folgende Komplexe stehen in erster Linie zur Diskussion. Einmal soll dargestellt werden, daß die Dienste für ihre notwendigen Aufgaben die Unterstützung des Parlaments dringend benötigen. Zweitens sollen Fehler der Vergangenheit aufgedeckt werden. Und drittens soll gezeigt werden, wie man diese zukünftig vermeiden könne. Er berichtet, daß der Abgeordnete Schmidt-Kempten28 seinen Sitz im Ausschuß niedergelegt habe. Dr. Zimmermann ergänzt, daß die Mitglieder der Landesgruppe in diesem Untersuchungsausschuß bei ihm zu einem Gespräch waren. Das weitere Vorgehen sei einvernehmlich festgelegt worden.

22 Die Beschlußempfehlung und der Bericht des Verteidigungsausschusses als 1. Untersuchungsausschuss nach Artikel 45 a Abs. 2 des Grundgesetzes zu dem Antrag der Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion im Verteidigungsausschuss auf Einsetzung des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuss zur Untersuchung des Spionagefalles Lutze/Wiegel und damit im Zusammenhang stehender Sachverhalte wurden am 15. November 1978 vorgelegt. Vgl. BT Drs. 08/2290. 23 Ingrid Matthäus-Maier, MdB (FDP). 24 (SPD). 25 Die Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und anderer Gesetze (Steueränderungsgesetz 1979) wurde am 17. November 1978 eingebracht und im Bundestag beraten. Vgl. BT Drs. 08/2300; BT Plenarprotokoll 08/118, S. 9189–9194. 26 Vgl. den Artikel »Bisher offenbar nur wenig Chancen für die Abschaffung der Verjährung«; »Main- Post« vom 13. November 1978, S. 2. 27 Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, , forderte in einem an die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen gerichteten, offenen Brief, den Komplex Militärischer Abschirmdienst (MAD) in der parlamentarischen Kontrollkommission, in der auch der bayerische Ministerpräsident Strauß vertreten war, zu behandeln. Der Untersuchungsausschuss zur Abhöraffäre Strauß/Scharnagl sollte ihn dagegen nur zur Kenntnis nehmen. Der Ausschuss setzte sich jedoch über die Aufforderung Wehners hinweg und beschloss, den früheren Chef des MAD, General a. D. Scherer, zu vernehmen. Vgl. den Artikel »Fragen nach Abhörpraktiken des MAD. Untersuchungsausschuß hört entgegen den Wünschen Wehners General a. D. Scherer«; »Süddeutsche Zeitung« vom 11./12. November 1978, S. 1 f. 28 Hansheinrich Schmidt, MdB (FDP).

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Frau Krone-Appuhn antwortet auf die Vorwürfe von Frau Matthäus-Maier. Sie glaube, daß es Frau Maier lediglich darum gehe, ihr Demokratieverständnis auch in die Bundeswehr zu tragen. Sie bezweifle allerdings, ob dieses Demokratieverständnis vernünftig sei. Dr. Riedl sagt zum Steuerpaket, daß die öffentlichen Medien die CDU/CSU als den alleinigen Bremser darstelle. Es sei katastrophal, welcher Eindruck hier im Fernsehen erweckt worden sei. Dr. Jaeger geht nochmals auf die anstehende Wahl des Bundespräsidenten ein. Er schlägt vor, daß die Kandidatur von Carstens bekanntgegeben werden müsse. Es müsse hier Klarheit geschaffen werden, und zwar aus drei Gründen. Erstens, die CDU/CSU habe in der Bundesversammlung die Mehrheit und damit einen Auftrag, zweitens, Scheel habe schuld an dieser Koalition, und drittens, Scheel sei derjenige gewesen, der 1/4 des Reichsgebietes habe aufgegeben, ohne dafür entsprechende Gegenleistungen zu erhalten. Dr. Zimmermann sagt, daß er nicht der Meinung sei, heute den Kandidaten zu benennen. Er sei der Ansicht, daß Scheel recht bald seine Nicht-Kandidatur bekanntgeben werde. Dann sei die ganze Diskussion vorbei. Im übrigen habe die Vergangenheit gezeigt, daß gerade die CSU-Landesgruppe Carstens wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP offensiv verteidigt habe. Hier seien deutliche Zeichen gesetzt worden. Dr. Kunz geht auf ein Problem in diesem Zusammenhang ein. Bei Versammlungen stelle er immer wieder eine latente Bereitschaft für die Wiederwahl Scheels fest. Hier müsse offensiv der Standpunkt der CDU/CSU draußen vertreten werden. Glos fragt, ob im Vermittlungsausschuß auch das Problem der vorgezogenen Altersrente für Schwerbehinderte behandelt werde. Dr. Bötsch antwortet, daß dies bereits im Bundesgesetzblatt veröffentlicht sei29 und kein Gegenstand des Vermittlungsausschusses sei. Dr. Dollinger berichtet kurz von der EKD-Synode in Bethel.30 Dr. Probst weist auf die Zerreißprobe in Fragen Energiepolitik innerhalb der Koalition hin. Der Forschungsminister, der Bundeskanzler und der Wirtschaftsminister stehen diese Zerreißprobe, insbesondere in der Frage des »Schnellen Brüters« kaum durch. Aus unserer Sicht könne nur gesagt werden, daß der Bau des »Schnellen Brüters« voll zu unterstützen sei. Die Zukunft unserer Energieversorgung stehe auf dem Spiel.

[D.] TOP 4: Ergänzungswahlen Dr. Zimmermann lobt die hohe Präsenz, dieses sei aber bei Wahlen wohl überall der Fall. Die Wahlen seien deshalb notwendig, da der Kollege Schmidhuber demnächst

29 Gesetz zur Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung für Schwerbehinderte (Fünftes Rentenversicherungs-Änderungsgesetz – 5. RVÄndG). Vom 6. November 1978; BGBl. 1978, I, Nr. 60, S. 1710 f. 30 Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) fand vom 5. bis 10. November 1978 in Bethel statt. Mit dem Thema »Leben und Erziehen – wozu?« versuchte die Tagung einen Beitrag zur damaligen Diskussion über kontroverse Einzelfragen der Bildungspolitik zu leisten. Vgl. den Artikel »EKD-Synode behandelt Grundfragen der Bildung«; »Süddeutsche Zeitung« vom 3. November 1978, S. 9.

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ausscheiden werde. Es müssen drei Wahlen durchgeführt werden. Einmal die Wahl für den Wirtschaftsausschuß, für den Landesgruppenvorstand und für den Europarat.

TOP 4 a: Wirtschaftsausschuß Dr. Zimmermann weist darauf hin, daß, sich einem alten Brauch in der CSU- Landesgruppe folgend, der Vorstand auf seiner letzten Sitzung mit dieser Ergänzungswahl beschäftigt habe. Es werde Dr. vorgeschlagen. Verbunden mit dieser Wahl sei ebenfalls das Amt des Obmanns im Wirtschaftsausschuß. Hier habe die CSU ein Vorschlagsrecht. Dr. Zimmermann fragt, ob weitere Vorschläge gemacht werden. Das ist nicht der Fall. Er fragt, ob eine Personaldiskussion gewünscht werde. Das ist nicht der Fall. Da nur ein Kandidat zur Wahl stehe, könne offen abgestimmt werden. Er fragt, ob trotzdem eine geheime Wahl gewünscht werde. Das ist nicht der Fall. Bei der offenen Abstimmung wird Dr. Theo Waigel bei zwei Enthaltungen gewählt. Dr. Theo Waigel nimmt die Wahl an.

TOP 4 b: Landesgruppenvorstand Dr. Zimmermann gibt bekannt, daß im Büro des Landesgruppenvorsitzenden aus den Reihen der CSU-Landesgruppe folgende drei Kandidaturen eingegangen seien: Dr. , Dr. Oscar Schneider und Carl-Dieter Spranger. Dr. Zimmermann fragt, ob weitere Vorschläge gemacht werden. Das ist nicht der Fall. Er fragt, ob eine Personalaussprache gewünscht werde. Das ist nicht der Fall. Dr. Zimmermann weist darauf hin, daß derjenige gewählt sei, der die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erreicht. Gelinge dies im ersten Wahlgang nicht, so finde eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten statt, auf die die meisten Stimmen fielen. Komme es bei diesem Wahldurchgang zur Stimmengleichheit, werde die Wahl wiederholt. Bringe auch dieser Wahlgang keine Entscheidung, so werde durch Los entschieden. Bei der Wahl wurden 39 gültige Stimmen abgegeben. Davon entfielen auf Dr. Jaeger 10, Dr. Schneider 13, Spranger 15 und Schedl 1. Im zweiten Wahlgang wurden ebenfalls 39 Stimmen abgegeben. Auf Dr. Oscar Schneider entfielen 20 und auf Carl-Dieter Spranger 19. Dr. Schneider nimmt die Wahl an.

TOP 4 c: Europarat (Stellvertretendes Mitglied) Für den Europarat als Stellvertretendes Mitglied wird Dr. Wittmann vorgeschlagen. Dr. Zimmermann fragt, ob weitere Vorschläge vorhanden seien. Das ist nicht der Fall. Er fragt, ob eine Personaldiskussion gewünscht werde. Das ist nicht der Fall. Er fragt, ob eine geheime Abstimmung gewünscht werde. Das ist nicht der Fall. Dr. Wittmann wird bei einer Enthaltung einstimmig gewählt. Dr. Wittmann nimmt die Wahl an.

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[E.] TOP 5: Änderung des Wehrpflicht- und Zivildienstgesetzes31 Berichterstatter: Ursula Krone-Appuhn MdB. Frau Krone-Appuhn geht kurz auf das Kraske-Papier ein.32 Sie setzt voraus, daß dieses Papier jeder kenne. Dem Fraktionsvorstand liege nun eine Beschlußempfehlung vor. Diese enthalte sechs wesentliche Punkte: Erstens, die Notwendigkeit der Bundeswehr werde bekräftigt. Zweitens, es gebe keine andere Lösung als das Anerkennungsverfahren. Drittens, die Wehrpflicht habe vor jeder anderen Lösung Priorität. Viertens, die Mängel im Anerkennungsverfahren müssen beseitigt werden. Fünftens, die Dauer der Ersatzdienstzeit solle 16 Monate betragen und sechstens, es werde den Koalitionsparteien ein Gesprächsangebot gemacht, um in dieser Frage zu einer endgültigen Lösung zu kommen. Frau Krone-Appuhn begrüßt dieses Papier, es sei deshalb notwendig, da es draußen im Wahlkreis als Argumentationshilfe äußerst wichtig sei. Die Grundsatzposition der CDU/CSU-Fraktion sei hier festgehalten. Dr. Zimmermann dankt Frau Krone-Appuhn für die knappe und umfassende Berichterstattung. Er betont, daß die Vorlage Hand und Fuß habe. Ihr könne zugestimmt werden. Handlos unterstreicht, daß die Frage der Länge der Ersatzdienstzeit 16 oder 18 Monate unbedingt eine Diskussion erforderlich mache. Es gebe viele Argumente, die für eine Verlängerung der Ersatzdienstzeit sprechen. Frau Schleicher gibt zu bedenken, daß Wehrdienstverweigerer gleichzeitig einen Waffenschein beantragen können. Sie fragt, ob dies mit dem Gewissen vereinbar sei. Dr. Dollinger stellt die Position der Kirchen in diesem Punkt klar. Dr. Jaeger geht nochmals auf das Verfassungsurteil ein, welches das Wahlrecht verneine. Es sei nun höchste Zeit, hier einen Vorschlag zu machen. Er begrüße diese Beschlußempfehlung. Dr. Jobst sagt, daß ihm auch ein anderes Verfahren möglich erscheine. Es müßten dann die gesamten Verfahrensfragen nicht erörtert werden. Es gebe Beispiele wie Österreich, wo der Wehrdienst 12 Monate und der Zivildienst 24 Monate betrage. Graf Stauffenberg betont, daß alle im Wehrdienstalter sich befindlichen Jugendlichen auch gezogen werden müssen. Es besteht sonst die Versuchung, daß aus Mangel an Ersatzdienstplätzen ein Gros an Wehrdienstverweigerern auftrete, die aufgrund von Platzmangel aber nicht gezogen werden können.

31 Das Bundesverfassungsgericht erklärte am 13. April 1978 das vom Bundestag am 27. Mai 1977 verabschiedete Gesetz zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes und des Zivildienstgesetzes wegen der Abschaffung der Gewissensprüfung für grundgesetzwidrig. Vgl. ENTSCHEIDUNGEN DES BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS, Bd. 48, S. 127–206. 32 Vgl. dazu auch den Artikel »Wehrdienstverweigerer. Mängel beim Anerkennungsverfahren müssen beseitigt werden«; »Union in Deutschland«, Nr. 40 vom 20. November 1978, S. 7 f., hier S. 7: »Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich jetzt einstimmig darauf festgelegt, daß bei der Neugestaltung des Rechts der Wehrdienstverweigerung an einem förmlichen Anerkennungsverfahren für Wehrdienstverweigerer festgehalten werden muß. Sie will sich jedoch dafür einsetzen, daß die bei dem jetzigen Anerkennungsverfahren aufgetretenen Mängel unter Beachtung des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes beseitigt werden, erklärten die CDU- Abgeordneten Irma Tübler und Konrad Kraske.«

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Handlos unterstützt diese Beschlußempfehlung. Das Anerkennungsverfahren sei notwendig. Über die Länge der Ersatzdienstzeit 16, 18 oder 24 Monate könne gesprochen werden. Dr. Zimmermann macht darauf aufmerksam, daß bei einer Verlängerung der

Ersatzdienstzeit von 16 auf 24 Monate das Platzangebot um das 2 ½ -Fache vergrößert werden müsse. Frau Krone-Appuhn geht nochmals darauf ein, daß dieses Papier nicht gegen die evangelische oder katholische Kirche gerichtet sei, sondern vielmehr als eine Hilfestellung für die Kirchen angesehen werde. Kiechle wendet ein, daß, wenn zuwenig Zivildienstplätze vorhanden seien, man doch mindestens 18 Monate beantragen müsse. Je höher die Zivildienstzeit, desto weniger Wehrdienstverweigerer werde es geben und desto weniger Plätze werden auch benötigt. Dr. Zimmermann stellt den Antrag, darüber abzustimmen, ob in der CDU/CSU- Fraktion morgen ein CSU-Landesgruppenantrag folgenden Inhalts gestellt werden solle, die Zivildienstzeit auf 18 oder 24 Monate zu erhöhen. Über das Anerkennungsverfahren bestehen keine Zweifel. Höpfinger stellt die Frage, wer alles zu Reserveübungen eingezogen werde. Frau Krone-Appuhn erläutert, daß bisher lediglich Spezialisten dazu einberufen worden seien. Die Heeresstrukturreform sehe aber vor, hier eine höhere Zahl von Reservisten zu berücksichtigen. Dr. Zimmermann formuliert nochmals den Landesgruppenantrag. Die Mehrheit spricht sich für 18 Monate aus. Frau Krone-Appuhn bekommt den Auftrag, diesen Antrag in der Fraktionssitzung zu stellen und zu begründen.33

[F.] TOP 6: Veränderung der Verjährungsvorschriften für Mord Berichterstatter: Dr. Fritz Wittmann (MdB). Dr. Wittmann gibt einen historischen Abriß über die bisherigen Debatten über das Thema »Verjährung«. Es sei nun zum dritten Mal, daß über diese Probleme im Deutschen Bundestag diskutiert werde, 1965, 1969 und nun 1978.34 Es gehe hierbei um die Verjährung von Mord. Man dürfe dieses Problem nicht nur auf NS-Verbrechen beschränken. Am 31. Dezember 1979 werde die 1969 beschlossene Verjährung von 30 Jahren eintreten. Von der Verjährung nicht betroffen seien alle Verfahren, die bereits eingeleitet seien. In diesem Zusammenhang müsse auch an die Alliiertenurteile erinnert werden. Dieser Personenkreis könne nicht mehr zur Verantwortung herangezogen werden. Es werde hier nach unterschiedlichen Maßstäben geurteilt, hier Sieger, dort Verlierer. Die juristische Frage, ob man eine abgelaufene Verjährungsfrist wieder in Gang setzen könne, habe schon 1969 im Mittelpunkt der Debatte gestanden. Neue

33 Die Beschlussempfehlung der Arbeitsgruppe Kriegsdienstverweigerung der CSU-Landesgruppe wurde in der Sitzung der CDU/CSU-Fraktion am 14. November 1977 angenommen. Vgl. ACDP, 08-001-1054/1. 34 Die zwanzigjährige Verjährungsfrist für Mord wurde 1965 um fünf und 1969 um zehn Jahre verlängert. Vgl. dazu Peter REICHEL: Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur in Politik und Justiz. Zweite, aktualisierte und

überarbeitete Neuauflage, München 2007, S. 182–198.

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Argumente gebe es keine. Im internationalen Vergleich könne gesagt werden, daß eine UN-Konvention existiere, dieser seien aber die meisten westeuropäischen Staaten nicht beigetreten.35 Des weiteren habe der Europarat eine Resolution vorgelegt, die lediglich von Frankreich unterzeichnet worden sei.36 Der Common Law sehe keine Verjährung von Mord vor. Auch sei die Frage von Kriegsverbrechen in den einzelnen Ländern, vor allem im Ostblock, sehr unterschiedlich geregelt worden. In Polen und in der DDR unterliegen Verbrechen aus der NS-Zeit keiner Verjährung. Dagegen wurden alle Taten, wenn sie zum Zwecke der Befreiung begangen worden seien, für rechtens erklärt. Für ein Hinausschieben der Verjährung werden folgende Argumente angeführt: das sogenannte Sühnebedürfnis, die Tatsache, daß eventuell neue Täter auftauchen könnten, die bisher unbekannt waren, das Ansehen der Bundesrepublik im Ausland, die Bekämpfung von Terroristen könne damit erleichtert werden, und die internationale Tendenz gehe immer mehr auf eine Aufhebung der Verjährung bei Mord. Gegen eine Verlängerung der Verjährung sprechen die Zahlen der Zentralstelle in Ludwigsburg. Der Leiter bestätigt, daß in den letzten Jahren keine großen Täter mehr ermittelt worden seien. Die ständige Diffamierung im Ausland aufgrund der milden Urteile, die mangels Beweise nach 30 Jahre im Sinne unserer Rechtsauffassung gefällt werden müssen. Ein weiterer Punkt sei, daß keine Fälle bekannt geworden seien, daß ein Täter rückfällig geworden sei, und des weiteren die Generalamnestie im Ostblock. In diesem Zusammenhang müsse auch auf das Amnestiegesetz von 1954, wonach kleine Straftaten straffrei bleiben, hingewiesen werden. Dr. Wittmann möchte kein Votum empfehlen. Seiner Meinung nach dürfe die Verjährung nicht verlängert werden, sondern es müsse endlich Schluß sein. Würde man einer Verlängerung der Verjährung zustimmen, so hätte man eine permanente Diskussion um diese Prozesse. Lemmrich unterstützt diesen Standpunkt. Dr. Jobst geht ebenfalls mit der Auffassung von Dr. Wittmann überein. Man müsse aber draußen dieses Problem ohne Emotion ansprechen. Es gebe noch viele Menschen, die davon tief berührt seien. Hartmann spricht sich gegen eine Verlängerung der Verjährung aus. Er stellt diese als eine Rechtsfrage gemäß Artikel 20 Grundgesetz dar. Er weist in diesem Zusammenhang auf die Äußerung des damaligen Justizministers Bucher und auf den Leitartikel von Karl Fromme in der »FAZ« hin.37 Graf Huyn unterstützt die Meinung von Dr. Wittmann. Er ruft nochmals ins Gedächtnis, daß es zu Anfang teilweise erzwungene Verfahren gab. Er fragt, wie viele Verfahren in den letzten Jahren neu aufgenommen worden seien und wie viele Verfahren mangels Beweise eingestellt werden mußten.

35 Zum deutschen Wortlaut der Resolution Nr. 239 der UN-Vollversammlung betreffend Konvention über die Nichtanwendbarkeit der Verjährungsfrist auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom 26. November 1968 vgl. AdG 1968, S. 14366 f. 36 Am 25. Januar 1974 verabschiedete der Europarat das Europäische Übereinkommen über die Nichtanwendbarkeit von Verjährungsvorschriften auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Vgl. EUROPEAN TREATY SERIES Nr. 82. 37 Bundesjustizminister Ewald Bucher (FDP) lehnte aus rechtsstaatlichen Bedenken die Aufhebung bzw. Verlängerung der Verjährungsfrist für Mord ab. Vgl. die Rede Buchers am 10. März 1965; BT Plenarprotokoll 04/170, S. 8516–8519. Ferner die Sitzung der FDP-Bundestagsfraktion am 9. März 1965; FDP-BUNDESTAGSFRAKTION 1949–1969, Bd. 2, Dok. 169, S. 1012. – Vgl. den Artikel von Friedrich Karl Fromme »Verjährung: zum dritten Mal«; »Frankfurter Allgemeine« vom 13. November 1978, S. 1.

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Dr. Jaeger sieht in dieser Diskussion einen Beweis für die Grenzen der politischen Machbarkeit. Die Diskussion werde nun zum dritten Male geführt. Wenn man nicht einen Schlußstrich ziehe, habe man die Diskussion in fünf oder zehn Jahren wieder. Er macht aber darauf aufmerksam, daß sich natürlich der Deutsche Bundestag als Institution schwertue, eine einmal gefällte Entscheidung wie 1969 diesmal umzukehren. Er weist darauf hin, daß sich die SPD-Rechtspolitik in dieser Frage widerspreche. Des weiteren würde er es begrüßen, wenn hier heute kein Beschluß gefaßt werde, da bis zu einer Entscheidung noch lange Zeit sei. Dr. Bötsch unterstützt die Auffassung von Dr. Wittmann. Er ergänzt, daß das Institut der Verjährung seit 150 Jahren Bestandteil des Deutschen Strafrechts sei. Dies habe eine alte Tradition, die nicht ohne weiteres über Bord geworfen werden könne. Er spricht sich gegen weitere Berichte und Vorlagen durch die Zentralstelle in Ludwigsburg aus. Denn wer nicht bekannt sei, könne auch nicht genannt werden. Wer bekannt sei, gegen den verjährt nichts. Engelsberger unterstützt Dr. Jaeger in seiner Auffassung, die Verjährung nicht zu verlängern. Man müsse auch die unterschiedlichen Maßstäbe ansprechen, die Sieger und Verlierer angelegt haben. Die Taten der Siegermächte seien aufgrund der Überleitungsgesetze für uns tabu. Dr. Becher weist nochmals auf gleiches Recht für alle hin. Mit dieser Bemerkung bekomme er bei allen Versammlungen frenetischen Beifall. Bei den Juden könne man für die Haltung kaum Verständnis wecken, aber diese Debatte im Ausland werde man sicherlich durchstehen. Graf Stauffenberg bedauert, daß sich die Präsenz inzwischen sehr gelichtet habe. Dr. Zimmermann unterstreicht dies. Da es hier nicht um rechtliche Formalien gehe, sondern um eine politische Entscheidung, wolle er bei dieser geringen Präsenz über die Frage heute nicht abstimmen lassen.

TOP 7: Transplantationsgesetz38 Berichterstatter: Dr. Fritz Wittmann (MdB) Dr. Zimmermann schlägt vor, diesen Tagesordnungspunkt zu verschieben. Er erhält keinen Widerspruch.

[G.] TOP 8: Verschiedenes Dr. Voss gibt einen Bericht über den Abschlußbericht im Spionagefall Lutze/Wiegel. Der Bericht sei nun fertiggestellt. Er umfasse 200 Seiten. Er enthalte einen gemeinsamen Teil und ein Minderheitsvotum. Es werde festgestellt, daß im Spionagefall möglicherweise tausend Verschlußsachen an die DDR verraten worden seien. Darunter seien 17 Vorgänge streng geheim und 401 Vorgänge geheim eingestuft gewesen. Der dadurch entstandene Schaden für die Sicherheit unseres Landes sei nach Einschätzung des Untersuchungsausschusses auch im Vergleich mit anderen Fällen als besonders schwerwiegend anzusehen. Durch den Verrat habe der nachrichtendienstliche Gegner Einblick in die Stärken und Schwächen der Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland erhalten. Dieser Schaden, so heißt es, sei im überwiegenden Teil

38 Die Bundesregierung legte am 16. März 1979 einen Gesetzentwurf über Eingriffe an Verstorbenen zu Transplantationszwecken (Transplantationsgesetz) vor. Vgl. BT Drs. 08/2681.

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irreparabel. Zu den Dokumenten, die verraten worden seien, gehören das NATO- Pipelinesystem, Berichte über die Militärstrategiekommission der Bundeswehr, die Streitkräfteberichte 1975 bis 1978 und der Alarmplan für die Bundeswehr in der Fassung von 1972. Über die Mängel in den Sicherheitsvorkehrungen, die den Spionen ihr Geschäft erleichtert haben, seien SPD- und FDP-Mehrheit und CDU/CSU- Minderheit im Ausschuß unterschiedlicher Meinung. Es gebe zwei Voten. Die Koalition sei der Auffassung, ursächlich für den Spionagefall sei die verhältnismäßig großzügige Ermächtigung von Bediensteten des Bundesverteidigungsministeriums im Umgang mit geheim oder streng geheimen Unterlagen, die CDU/CSU komme dagegen zu dem Schluß, daß Ministerialdirektor Laabs39 die Vorschriften über den Umgang mit Geheimakten über Jahre hinweg grob mißachtet habe. In diesem Zusammenhang werfe die CDU/CSU dem Bundeskanzler Schmidt vor, daß er diesen Spionagefall wie einen Allerweltsfall behandelt habe und von seiner Seite keine Sorge getragen worden sei, daß eine zügige Schadensbewertung auch gegenüber der NATO erfolgt sei. Dem früheren Bundesverteidigungsminister Leber40, der unter dem Druck des Spionagefalls zurückgetreten sei, werde vorgeworfen, er habe erst 19 Monate nach Aufdeckung des Verrates Anweisung gegeben, den Schaden umfassend zu bewerten. Lebers früherem Staatssekretär Fingerhut41, der in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurde, beschuldige die Union, er habe einen für den Wahlausgang schädlichen Skandal möglichst lange zu vertuschen versucht. Einig waren sich die Koalitionsparteien und die CDU/CSU in den Folgerungen, die gezogen werden müssen. Einmal sei dies, daß das Sicherheitsbewußtsein aller Personen im Ministerium und in der Bundeswehr geschärft werden müsse, zweitens, daß eine klare und zweifelsfreie Zuordnung von Aufgaben und Befugnissen auf dem Gebiet der militärischen Sicherheit geschaffen werden müsse, drittens, daß die vorhandenen Möglichkeiten, Verschlußsachen beliebig und unkontrolliert zu vervielfältigen, unterbunden werden müsse, und viertens, daß die Praxis der Ermächtigung von Vorzimmerkräften beim Zugang zu Verschlußsachen als besonderes Sicherheitsrisiko eingestuft werden müsse. Handlos weist darauf hin, daß zu diesem Spionagefall zwei Flugblätter existieren, die bis zu 1000 Stück bestellt werden könnten. Dr. Zimmermann dankt für die Arbeit im Untersuchungsausschuß. Er macht allerdings klar, daß dieser Fall wohl kein großes Interesse in der Öffentlichkeit erregen werde. Das sei in der Politik oft so. Ein langfristiger Trend verblasse sehr schnell. Die Figuren seien ausgewechselt, die Nachfolger heilen die Wunden, die die Vorgänger hinterlassen haben. Trotzdem könne man die Sache im Bewußtsein behalten und bei einem gegebenen Anlaß nochmals auf den Tisch bringen. Dr. Zimmermann beendet die Sitzung um 23.00 Uhr.

39 Herbert Laabs. 40 (SPD) war von 1972 bis zum 16. Februar 1978 Bundesverteidigungsminister. 41 Helmut Fingerhut, 1972–1978 Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium.

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