Plenarprotokoll 12/237

(zu diesem Plenarprotokoll folgt ein Nachtrag)

Deutscher

Stenographischer Bericht

237. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Inhalt:

Erweiterung der Tagesordnung 20775 A, 20e6 A, d) Beratung der Beschlußempfehlung und 20871 C des Berichts des EG-Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hans Absetzung der Punkte 10f, 18 c, 19 e und 6 b Modrow, Andrea Lederer und der von der Tagesordnung 20776 A, 20831 A Gruppe der PDS/Linke Liste: Anforde- rungen an die Präsidentschaft der Bun- - desrepublik Deutschland in der Euro- Abweichung von den Richtlinien für die päischen Union (EU) vom 1. Juli bis Fragestunde, für die Aktuellen Stunden 31. Dezember 1994 (Drucksachen sowie der Vereinbarung über die Befra- 12/7687, 12/8124) gung der Bundesregierung in der Sitzungs- woche ab 5. September 1994 20871 B in Verbindung mit

Begrüßung des Präsidenten des Unterhau- Zusatztagesordnungspunkt 2: ses der Republik Indien, Herrn Shivraj Beratung des Antrags der Abgeordne- Patil, und seiner Delegation 29787 A, 20788 B ten Michael Stübgen, Dr. Renate H ell wig und der Fraktion der CDU/CSU Zur Geschäftsordnung sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. und der Frak- Petra Bläss PDS/Linke Liste 20776 B tion der F.D.P.: Zur deutschen EU-Rats- präsidentschaft (Drucksache 12/8158) Tagesordnungspunkt 1: in Verbindung mit a) Abgabe einer Erklärung der Bundesre- gierung: Deutsche Präsidentschaft in Zusatztagesordnungspunkt 3: der Europäischen Union Beratung der Beschlußempfehlung und b) Erste Beratung des von der Bundesre- des Berichts des EG-Ausschusses zu der gierung eingebrachten Entwurfs eines Unterrichtung durch die Bundesregie- Gesetzes zu dem Vertrag vom rung: Bericht der Bundesregierung zur 24./25. Juni 1994 über den Beitritt des Stärkung der gesetzgeberischen Befug- Königreichs Norwegen, der Republik nisse des Europäischen Parlaments Österreich, der Republik Finnland und (Drucksachen 12/7214, 12/8104) des Königreichs Schweden zur Euro- Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA päischen Union (Drucksache 12/7977) 20777 C, 20799 C c) Beratung der Beschlußempfehlung und Hans-Ulrich Klose SPI) des Berichts des EG-Ausschusses zu 20780 B, 20800 A dem Antrag der Fraktion der SPD: Dr. Renate Hellwig CDU/CSU 20783 C Anforderungen an die deutsche Dr. Helmut Haussmann 20785 C EU-Ratspräsidentschaft (Drucksachen F.D.P. 12/7276, 12/8123) Dr. I lans Modrow PDS/Linke Liste 20787 B

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Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20788 C Dr. PDS/Linke Liste 20812B, 20815 B SPD 20789 D Peter Paterna SPD 20814 A Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 20790 A Dr. SPD 20814 D Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20790 C Dr. Bernd Protzner CDU/CSU 20815 C Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD 20792 B, 20798 A Peter Paterna SPD 20817 A Dr. , Bundeskanzler 20792 D Dr. Wolfgang Bötsch, Bundesminister BMPT 20819A Ingrid Matthäus-Maier SPD 20793 A Jürgen Timm F.D.P 20821 A Peter Radunski, Senator für Bundes- und Europaangelegenheiten des Landes Ber- Arne Börnsen (Ritterhude) SPD 20822 D lin 20794 C CDU/CSU 20824 D Michael Stübgen CDU/CSU 20795 D Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 20826 A Ingrid Walz F.D.P 20797 B Dr. Christian Schwarz-Schilling CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO) 20826 D Hans-Eberhard Urbaniak SPD 20800 B Josef Grünbeck F.D.P 20800 C Namentliche Abstimmung 20827 D , Parl. Staatssekretär BMJ 20801 A Ergebnis 20828 B Claus-Peter Grotz CDU/CSU 20801 B Tagesordnungspunkt 19 r: Siegfried Scheffler SPD 20801 C r) Zweite Beratung und Schlußabstim- Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 20802 B mung des von der Bundesregierung ein- Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu (zur GO) 20803 B dem Vertrag vom 24./25. Juni 1994 über den Beitritt des Königreichs Norwegen, - der Republik Österreich, der Republik Tagesordnungspunkt 2: Finnland und des Königreichs Schwe- Postreform den zur Europäischen Union (Drucksa- a) Zeite und dritte Beratung des Entwurfs chen 12/7977, 12/8188) eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Drucksachen 12/6717, Namentliche Abstimmung 20830 D 12/7269, 12/8108) b) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs Ergebnis 20835 B eines Gesetzes zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunika- Tagesordnungspunkt 18: tion (Postneuordnungsgesetz) (Druck- Überweisungen im vereinfachten Verfah sachen 12/6718, 12/7270) ren Zweite und dritte Beratung des vom a) Erste Beratung des von der Bundesre- Bundesrat eingebrachten Entwurfs gierung eingebrachten Entwurfs eines eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zu den Protokollen vom Postverfassungsgesetzes (Drucksachen 19. Dezember 1988 betreffend die Aus- 12/4329, 12/8060, 12/8129) legung des Übereinkommens vom Beratung der Beschlußempfehlung und 19. Juni 1980 über das auf vertragli- des Berichts des Ausschusses für Post che Schuldverhältnisse anzuwendende und Telekommunikation zu dem Antrag Recht durch den Gerichtshof der Euro- der Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, päischen Gemeinschaften sowie zur Dr. Ilja Seifert und der Gruppe der Übertragung bestimmter Zuständigkei- PDS/Linke Liste: Reform der Deutschen ten für die Auslegung dieses Überein- Bundespost (Drucksachen 12/6635, kommens auf den Gerichtshof der Euro- 12/8060) päischen Gemeinschaften (Drucksache 12/7979) Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU . . 20804 C, 20822 D b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Hans Gottfried Bernrath SPD 20807 C Gesetzes zu dem Übereinkommen vom Bernd Henn PDS/Linke Liste 20808 D 6. November 1992 über den Beitritt der Griechischen Republik zu dem Schen- Hans-Eberhard Urbaniak SPD 20809 B gener Übereinkommen vom 19. Juni 1990 Rainer Funke F.D.P 20810 B (Gesetz zum Beitritt der Griechi- schen Republik zum Schengener Über- Hans Gottfried Bernrath SPD 20811 C einkommen) (Drucksache 12/8048)

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d) Beratung des Antrags der Fraktion der h) Zweite und dritte Beratung des von den SPD: Verbot von Landminen und die Fraktionen der CDU/CSU, SPD und Unterstützung der Länder der „Dritten F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Welt" bei der Lösung ihrer Probleme Gesetzes zur Aussetzung der Vorschrif- durch Minen und andere gefährliche ten über die repräsentative Wahlstati- Munition (Drucksache 12/8031) 20831 B stik für die Wahl zum 13. Deutschen Bundestag (Drucksachen 12/8152, Zusatztagesordnungspunkt 6 a: 12/8193) Weitere Überweisung im vereinfachten i) Beratung des Antrags der Abgeordne- Verfahren ten Horst Sielaff, Lothar Ibrügger, weite- a) Erste Beratung des von der Bundesre- rer Abgeordneter und der Fraktion der gierung eingebrachten Entwurfs eines SPD: Verlängerung des Moratoriums Ersten Gesetzes zur Änderung des für die Zulassung von Rinder-Somato- Gesetzes über die elektromagnetische tropin (rBST) (Drucksache 12/7972) Verträglichkeit von Geräten (Drucksa- che 12/8006) 20831 C j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirt- Tagesordnungspunkt 19: schaft zu der Verordnung der Bundesre- gierung: Aufhebbare Dreiunddreißig- Abschließende Beratungen ohne Ausspra- ste Verordnung zur Änderung der che Außenwirtschaftsverordnung (Druck- a) Zweite und dritte Beratung des von der sachen 12/7492, 12/8121) Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Bewertung k) Beratung der Beschlußempfehlung und eines land- oder forstwirtschaftlichen des Berichts des Ausschusses für Frem- Betriebes beim Zugewinnausgleich denverkehr und Tourismus zu dem (Drucksachen 12/7134, 12/8140) Antrag der Abgeordneten Carl Ewen, b) Zweite und dritte Beratung des von der Robert Antretter, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der SPD: Förderung Bundesregierung eingebrachten Ent - wurfs eines Gesetzes zur Änderung des des Fahrradtourismus (Drucksachen Zeitgesetzes (Drucksachen 12/7631, 12/3035, 12/7363) 12/8131) 1) Beratung der Beschlußempfehlung und c) Zweite und dritte Beratung des vom des Berichts des Ausschusses für Ver- Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- kehr zu dem Antrag der Abgeordneten nes Gesetzes zur Änderung des Flur- Carl Ewen, Robert Antretter, weiterer bereinigungsgesetzes (Drucksachen Abgeordneter und der Fraktion der SPD: 12/7909, 12/8138) Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit d) Zweite und dritte Beratung des von der der deutschen Binnenschiffahrt (Druck- Bundesregierung eingebrachten Ent- sachen 12/6221, 12/6611) wurfs eines Ersten Gesetzes zur Ände ung des Straßenverkehrsunfallstati- m) Beratung der Beschlußempfehlung und -r stikgesetzes (Drucksachen 12/7522, des Berichts des Ausschusses für For- 12/8116) schung, Technologie und Technikfol- genabschätzung zu dem Antrag der f) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Monika Ganseforth, Her- Abgeordneten , Georg mann Bachmaier, weiterer Abgeordne- Brunnhuber, weiteren Abgeordneten ter und der Fraktion der SPD: Kündi- und der Fraktion der CDU/CSU sowie gung des deutsch-brasilianischen Ab- den Abgeordneten , kommens über Zusammenarbeit auf Manfred Richter (Bremerhaven), weite- dem Gebiet der friedlichen Nutzung der ren Abgeordneten und der Fraktion der Kernenergie (Drucksachen 12/6881, F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines 12/8067) Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Übernahme der Beamten n) Beratung der Beschlußempfehlung und und Arbeitnehmer der Bundesanstalt des Berichts des Ausschusses für wirt- für Flugsicherung (Drucksachen schaftliche Zusammenarbeit zu dem 12/8038, 12/8115, 12/8203) Antrag der Abgeordneten Dr. R. Werner g) Zweite und dritte Beratung des von Schuster, Dr. Uwe Holtz, weiterer Abge- den Fraktionen der CDU/CSU, SPD ordneter und der Fraktion der SPD: und F.D.P. eingebrachten Entwurfs Stärkung der kommunalen Nord- eines Gesetzes über die Errichtung Süd-Arbeit — Förderung der Lokalen einer Bundeskanzler-Willy-Brandt Agenda 21 — Umsetzung der Charta Stiftung (Drucksachen 12/7880, von Berlin (Drucksachen 12/6263, 12/8134, 12/8135) 12/8064)

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o) Beratung der Beschlußempfehlung und land und der Republik Polen über den des Berichts des Ausschusses für wirt- Autobahnzusammenschluß im Raum schaftliche Zusammenarbeit zu dem Frankfurt/Oder und Schwetig (Druck-

Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried sachen 12/7495, 12/8113, 12/8141) Pinger, , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der c) Zweite Beratung und Schlußabstim- CDU/CSU sowie der Abgeordneten mung des von der Bundesregierung ein- Ulrich Irmer, Ingrid Walz, weiterer gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Abgeordneter und der Fraktion der dem Abkommen vom 5. April 1993 F.D.P.: Aufbau und Stärkung kommu- zwischen der Regierung der Bundes- naler Selbstverwaltungsstrukturen in republik Deutschland und der Regie- Entwicklungsländern zur Förderung rung der Republik Lettland über die von regionaler und lokaler Selbsthilfe Seeschiffahrt (Drucksachen 12/7769, (Drucksachen 12/6727, 12/8021) 12/8114) p) Beratung der Beschlußempfehlung d) Zweite Beratung und Schlußabstim- des Petitionsausschusses: Sammelüber- mung des von der Bundesregierung ein- sicht 149 zu Petitionen (Verwendung gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu von neuen Zusatzstoffen auf dem deut- dem Abkommen vom 16. Dezember schen Lebensmittelmarkt infolge von 1992 zwischen der Regierung der Bun- Regelungen der Europäischen Union) desrepublik Deutschland und der Re- (Drucksache 12/7336) gierung der Russischen Föderation über die gegenseitige Hilfeleistung bei q) Beratung der Beschlußempfehlung Katastrophen oder schweren Unglücks- des Petitionsausschusses: Sammelüber- fällen (Drucksachen 12/7506, 12/8092) sicht 159 zu Petitionen (Drucksache

12/8091) 20831 D e) Zweite Beratung und Schlußabstim- mung des von der Bundesregierung ein- Tagesordnungspunkt 8: gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen a) Zweite und dritte Beratung des von den vom 16. Oktober 1980 über den Über- Abgeordneten , Michael gang der Verantwortung für Flücht- - Wonneberger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie linge (Drucksachen 12/6852, 12/8094) den Abgeordneten Dr. , f) Zweite und dritte Beratung des von den Dieter-Julius Cronenberg (Arnsberg), Abgeordneten Ingrid Köppe, Dr. Wolf- und der Fraktion der F.D.P. eingebrach- gang Ullmann und der Gruppe BÜND- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten rung der Verordnung über die Gewäh- Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung rung von Vorruhestandsgeld (Drucksa- des Bannmeilengesetzes (Drucksachen 12/4530, 12/7857) chen 12/8039, 12/8170, 12/8202) b) Beratung des Antrags der Abgeordne- g) Beratung der Beschlußempfehlung des ten Petra Bläss, Dr. Gregor Gysi und der Haushaltsausschusses zu der Unterrich- Gruppe der PDS/Linke Liste: Verlänge- tung durch die Bundesregierung: Au- rung der Bezugsdauer für Altersüber- ßerplanmäßige Ausgabe im Haushalts- gangsgeld (Drucksache 12/8037) 20833 C jahr 1994 bei Kapitel 60 02 Titel apl. 652 01 — Soforthilfe des Bundes für Zusatztagesordnungspunkt 7: die von Hochwasserschäden betroffe- nen Länder Sachsen-Anhalt und Weitere abschließende Beratungen ohne Thüringen (Drucksachen 12/7533,

Aussprache 12/8103) a) Zweite Beratung und Schlußabstim- h) Beratung der Beschlußempfehlung und mung des von der Bundesregierung ein- des Berichts des Ausschusses für Frauen gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu und Jugend dem Abkommen vom 7. September zu dem Antrag der Abgeordneten 1993 zwischen der Regierung der Bun- Dr. Edith Niehuis, Dr. Sissy Geiger desrepublik Deutschland und der Re- (Darmstadt), weiterer Abgeordneter gierung Seiner Majestät des Sultans und der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und Yang Di-Pertuan von Brunei Darus- und F.D.P.: Frauenförderung innerhalb salam über den Luftverkehr (Drucksa- der Europäischen Strukturförderung chen 12/7496, 12/8112) zu dem Antrag der Abgeordneten b) Zweite Beratung und Schlußabstim- Dr. Edith Niehuis, Hanna Wolf, weiterer mung des von der Bundesregierung ein- Abgeordneter und der Fraktion der SPD: gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Frauenförderung innerhalb der Euro- dem Abkommen vom 23. April 1993 päischen Strukturförderung (Drucksa-

zwischen der Bundesrepublik Deutsch chen 12/7504, 12/4164, 12/8142) 20833 D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 V

Tagesordnungspunkt 3: ordneten Ulrich Irmer, Manfred Richter Wirtschaftsdebatte (Bremerhaven), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Stärkung der Zusammenarbeit mit Asien a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- zu der Unterrichtung durch die Bundes- wurfs eines Gesetzes zu dem Überein- regierung kommen vom 15. April 1994 zur Er- Asien-Konzept der Bundesregierung richtung der Welthandelsorganisation zu dem Entschließungsantrag der Abge- (Drucksachen 12/7655 [neu], 12/8122, ordneten Dr. und der 12/8125) Gruppe der PDS/Linke Liste zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- b) Beratung der Beschlußempfehlung und rung des Berichts des Ausschusses für Wirt- Asien-Konzept der Bundesregierung schaft zu der Unterrichtung durch die (Drucksachen 12/5959, 12/6151, Bundesregierung: Entwurf eines Geset- 12/6279, 12/7775) zes zu dem Übereinkommen vom 15. April 1994 zur Errichtung der Welt- h) Beratung der Beschlußempfehlung und handelsorganisation des Berichts des Ausschusses für Wirt- hier: Information über die multilatera- schaft len Übereinkommen der GATT-Uru- zu dem Antrag der Abgeordneten guay-Runde, die nicht unter die natio- Dr. Uwe Jens, Dr. Sigrid Skarpelis- nale Gesetzgebungszuständigkeiten Sperk, weiterer Abgeordneter und der fallen (Drucksachen 12/7986, 12/8122) Fraktion der SPD: Arbeitsplätze in der deutschen Textil- und Bekleidungsin- c) Beratung der Unterrichtung durch die dustrie sichern, ihren Strukturwandel Bundesregierung: Fortschrittsbericht aktiv begleiten und unterstützen zum Bericht der Bundesregierung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ zur Zukunftssicherung des Standorts CSU und F.D.P.: Die Strukturkrise der Deutschland (Drucksache 12/8090) deutschen Textil- und Bekleidungsin- dustrie überwinden, den Textilstandort - d) Beratung der Unterrichtung durch die Deutschland erhalten (Drucksachen Bundesregierung: Bericht der Bundes- 12/4919, 12/7242, 12/8025) regierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der in Verbindung mit Steuervergünstigungen gemäß § 12 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft Zusatztagesordnungspunkt 4: (StWG) vom 8. Juni 1967 für die Jahre Beratung des Antrags der Abgeordne- 1991 bis 1994 (14. Subventionsbericht) ten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Ernst (Drucksache 12/5580) Hinsken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der e) Beratung des Antrags der Abgeordne- Abgeordneten Paul K. Friedhoff, Horst ten Dr. Uwe Jens, , weiterer Friedrich, weiterer Abgeordneter und Abgeordneter und der Fraktion der der Fraktion der F.D.P.: Gemeinschafts- SPD: Für eine neue Wirtschaftspolitik aufgabe „Verbesserung der regiona- (Drucksache 12/7029) len Wirtschaftsstruktur" (Drucksache 12/8153) f) Beratung der Großen Anfrage der Abge- ordneten Dr. Uwe Jens, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion in Verbindung mit der SPD: Beurteilung der wirtschaftli- chen Krise nach konjunkturellen bzw. Zusatztagesordnungspunkt 5: strukturellen Ursachen und ihre Aus- wirkung auf die Wettbewerbsfähigkeit Erste Beratung des von dem Abgeordne- der deutschen Wirtschaft (Drucksachen ten (Berlin) und der 12/6760, 12/7476) Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Erfolgskontrolle bei g) Beratung der Beschlußempfehlung und der Vergabe von Subventionen (Druck- des Berichts des Auswärtigen Ausschus- sache 12/8150) ses zu dem Antrag der Abgeordneten Karl Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister Lamers, (Nord- BMWi 20840 D strand), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge Siegmar Mosdorf SPD 20843 A

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Dr. Walter Hitschler F.D.P. 20843 B b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses Oskar Lafontaine, Ministerpräsident des Saarlandes 20844 B zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Ernst Hinsken CDU/CSU 20844 C Entlastung der Bundesregierung für das Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 20848 D Haushaltsjahr 1991 — Vorlage der Dr. F.D.P. 20851 B Haushaltsrechnung und Vermögens- rechnung des Bundes (Jahresrechnung Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste 20854 B 1991) Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE zu der Unterrichtung durch den Bundes- GRÜNEN 20856 B rechnungshof Peter W. Reuschenbach SPD 20858 B Bemerkungen des Bundesrechnungs- hofes 1993 zur Haushalts- und Wirt- Rainer Haungs CDU/CSU 20860 D schaftsführung (einschließlich der Fest- Peter W. Reuschenbach SPD 20861 D stellungen zur Jahresrechnung des Bundes 1991) (Drucksachen 12/4764, Joachim Hörster CDU/CSU 20862 B 12/6101, 12/5650, 12/7951) Dr. Uwe Jens SPD 20865 A c) Beratung der Beschlußempfehlung und Friedhelm Ost CDU/CSU 20867 B des Berichts des Haushaltsausschusses Ortwin Lowack fraktionslos 20869 B zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Dr. und Wolfgang Lüder F.D.P. 20870 A der Gruppe der PDS/Linke Liste: Rück- kehr zu einer verfassungskonf or Tagesordnungspunkt 4: en Haushaltspolitik (Drucksachen Beratung der Beschlußempfehlung und 12/6474, 12/7057) des Berichts des Ausschusses für Ge- sundheit zu dem Antrag der Abgeordne- Uta Titze-Stecher SPD 20880 C ten Dr. Marliese Dobberthien, Angelika CDU/CSU 20883 A Barbe, weiterer Abgeordneter und der --m Fraktion der SPD: Prüfung des Präpara- Carl-Ludwig Thiele F.D.P 20884 C tes RU 486 in der Bundesrepublik Karl Deres CDU/CSU 20886 A Deutschland zum medikamentösen Schwangerschaftsabbruch (Drucksa- Jürgen Echternach, Pari. Staatssekretär chen 12/1835, 12/8024) BMF 20887 C Dr. Marliese Dobberthien SPD 20872 B Tagesordnungspunkt 7: Editha Limbach CDU/CSU 20873 C Zweite und dritte Beratung des von Dr. Bruno Menzel F D P 20874 C den Abgeordneten Dr. Roswitha Petra Bläss PDS/Linke Liste 20875 B Wisniewski, Alfons Müller (Wesseling), weiteren Abgeordneten und der Frak- Regina Schmidt-Zadel SPD 20875 D tion der CDU/CSU sowie den Abgeord- Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatsse neten Dr. Gisela Babel, Dieter-Julius kretärin BMG 20876 D Cronenberg (Arnsberg) und der Frak- tion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs Tagesordnungspunkt 5: eines Gesetzes zur Änderung des Sech- Zweite und dritte Beratung des von den sten Buches Sozialgesetzbuch (Druck- Fraktionen der CDU/CSU, SPD und sachen 12/8040, 12/8145, 12/8201) F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Dr. Alexander Warrikoff CDU/CSU 20889 B Zweiten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (Drucksa- Günther Heyenn SPD 20890 D chen 12/7878, 12/8132) Dr. Gisela Babel F.D.P. 20891 C CDU/CSU 20877 B Petra Bläss PDS/Linke Liste 20892 B Dorle Marx SPD 20878 A

Ortwin Lowack fraktionslos 20879 B Tagesordnungspunkt 9: Dorle Marx SPD 20879 C Unterrichtung durch die Parlamentari- sche Kontrollkommission (PKK): Bericht Tagesordnungspunkt 6: über die Kontrolltätigkeit gemäß § 6 des a) Zweite und dritte Beratung des von der Gesetzes über die parlamentarische Bundesregierung eingebrachten Ent- Kontrolle nachrichtendienstlicher Tä- wurfs eines Fünften Gesetzes zur Ä n- tigkeit des Bundes (Berichtszeitraum: derung der Bundeshaushaltsordnung 1. Juli 1993 bis 20. Juni 1994) (Drucksa- (Drucksachen 12/5835, 12/7402) che 12/8102) 20893 A

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Tagesordnungspunkt 10: ren Abgeordneten und der Fraktion der SPD: Mahn- und Gedenkstätten in der a) Beratung der Beschlußempfehlung und Bundesrepublik (Drucksachen 12/6111, des Berichts des Innenausschusses zu 12/3179, 12/3178, 12/1189, 12/7884) dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ros- witha Wisniewski, Werner H. Skowron, e) Beratung der Beschlußempfehlung und weiterer Abgeordneter und der Fraktion des Berichts des Innenausschusses zu der CDU/CSU sowie der Abgeordneten dem Antrag der Abgeordneten Freimut Wolfgang Lüder, Gerhart Rudolf Baum Duve, Peter Conradi, weiterer Abgeord- und der Fraktion der F.D.P.: Abschlie- neter und der Fraktion der SPD: Zen- ßende Regelungen zur Wiedergutma- trale Gedenkstätte des Bundes (Druck chung von NS-Unrecht (Drucksachen sachen 12/4536, 12/6931) 20893 B 12/6748 [neu], 12/7989)

b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu Zusatztagesordnungspunkt 8: dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ros- Weitere Überweisungen im vereinfachten witha Wisniewski, Wolfgang Zeitlmann, Verfahren weiterer Abgeordneter und der Fraktion a) Erste Beratung des von den Abgeordne- der CDU/CSU sowie den Abgeordneten ten Dr. , Dr. Walter, Wolfgang Lüder, Manfred Richter (Bre- Franz Altherr, weiteren Abgeordneten merhaven) und der Fraktion der F.D.P.: und der Fraktion der CDU/CSU sowie Entschädigung für Opfer nationalsozia- den Abgeordneten Detlef Kleinert (Han- listischen Unrechts in den baltischen nover), Jörg van Essen und der Fraktion Staaten der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines zu dem Antrag der Abgeordneten Gert Gesetzes zur Änderung des Personen- Weisskirchen (Wiesloch), Angelika standsgesetzes (Drucksache 12/8187) Barbe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Entschädigung natio- b) Beratung des Antrags der Fraktionen nalsozialistischen Unrechts in den Bal- der CDU/CSU, SPD und F.D.P.: Schutz von Kindern und Jugendlichen tischen Staaten (Drucksachen 12/7467, - 12/5638, 12/7988) vor Gewaltdarstellungen in Medien (Drucksache 12/8164) c) Beratung der Beschlußempfehlung und c) Beratung des Antrags der Fraktionen des Berichts des Innenausschusses zu der CDU/CSU, SPD und F.D.P.: Kunst dem Antrag der Abgeordneten Dr. Bar- am Bau (Drucksache 12/8184) 20894 D bara Höll und der Gruppe der PDS/ Linke Liste: Einrichtung einer Stif- tung zum Schutz und zur Bewah- rung der Stätten des antifaschistischen Zusatztagesordnungspunkt 9: Widerstandes (Drucksachen 12/1117, Weitere abschließende Beratungen ohne 12/7830) Aussprache a) Zweite und dritte Beratung des von der d) Beratung der Beschlußempfehlung und Bundesregierung eingebrachten Ent- des Berichts des Innenausschusses zu wurfs eines Gesetzes zur Änderung des dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ros- Beamtenversorgungsgesetzes, des Sol- witha Wisniewski, Erwin Marschewski, datenversorgungsgesetzes sowie son- Wolfgang Zeitlmann, weiterer Abgeord- stiger versorgungsrechtlicher Vor- neter und der Fraktion der CDU/CSU schriften (BeamtVGÄndG 1993) (Druck- sowie der Abgeordneten Wolfgang Lü- sachen 12/5919, 12/7547, 12/7548) der, Dr. Jürgen Schmieder, und der Fraktion der F.D.P.: Gedenk- b) Zweite und dritte Beratung des von der stätten des geeinten Deutschlands Bundesregierung eingebrachten Ent- zu dem Antrag der Abgeordneten Sieg- wurfs eines Gesetzes über die Anpas- fried Vergin, Freimut Duve, weiterer sung von Dienst- und Versorgungsbezü- Abgeordneter und der Fraktion der SPD: gen in Bund und Ländern 1994 (Bundes- Leitlinien zu den Gedenkstätten in der besoldungs- und -versorgungsanpas- Bundesrepublik Deutschland sungsgesetz 1994 — BBVAnpG 94) zu dem Antrag der Abgeordneten Frei- (Drucksachen 12/7706, 12/8194, mut Duve, , weiterer 12/8195) Abgeordneter und der Fraktion der SPD: c) Beratung des Antrags der Abgeordne- Gedenkstätten ehemaliger NS-Konzen- ten Egon Susset, Meinolf Michels, wei- trations- und Vernichtungslager in terer Abgeordneter und der Fraktion der Osteuropa CDU/CSU sowie der Abgeordneten zu dem Antrag der Abgeordneten Frei Günther Bredehorn, Ulrich Heinrich, mut Duve, Dr. Willfried Penner, weite weiterer Abgeordneter und der Fraktion

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der F.D.P. (Unbefristetes Anwendungs- j) Beratung der Beschlußempfehlung verbot von Rinder-Somatotropin des Petitionsausschusses: Sammelüber- [rBST])(Drucksache 12/8161) sicht 160 zu Petitionen (Drucksache 12/8189) d) Beratung des Antrags der Abgeordne- k) Beratung der Beschlußempfehlung ten Anneliese Augustin, Dr. Winfried des Petitionsausschusses: Sammelüber- Pinger, weiterer Abgeordneter und der sicht 161 zu Petitionen (Drucksache Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- 12/8190) ordneten Verena Wohlleben, Dr. Ingo mar Hauchler, weiterer Abgeordneter l) Beratung der Beschlußempfehlung und der Fraktion der SPD sowie der des Petitionsausschusses: Sammelüber- Abgeordneten Ingrid Walz, Ulrich ir- sicht 162 zu Petitionen (Drucksache mer, weiterer Abgeordneter und der 12/8191) Fraktion der F.D.P.: Weltbevölkerungs- m) Beratung der Beschlußempfehlung konferenz ICPD vom 5.-13. September des Petitionsausschusses: Sammelüber- 1994 in Kairo (Drucksache 12/8162) sicht 163 zu Petitionen (Drucksache 12/8192) 20895 A e) Beratung des Antrags der Abgeordne- ten Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Tagesordnungspunkt 11: Schulz (Berlin) und der Gruppe BÜND- Beratung des Berichts des Rechtsaus- NIS 90/DIE GRÜNEN: Akuter Hand- schusses (6. Ausschuß) gemäß § 62 lungsbedarf in Deutschland vor der Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem ersten Klima-Vertragsstaatenkonfe von der Fraktion der SPD eingebrachten renz in Berlin 1995 (Drucksache Entwurf eines Gesetzes zur Änderung 12/8149) des Sexualstrafrechts — §§ 177 bis 179, f) Beratung der Beschlußempfehlung und 184c StGB (Drucksachen 12/1818, des Berichts des Ausschusses für Arbeit 12/8130) und Sozialordnung zu dem Antrag des Dr. Hans de With SPD 20897 B Abgeordneten Konrad Weiß (Berlin) Jörg van Essen F.D.P. 20897 C und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kinderarbeit erfolgreich CDU/CSU 20898 -D bekämpfen (Drucksachen 12/7067, Dr. Hans de With SPD 20900 B, 20901 C 12/8163) Jörg van Essen F.D.P. 20901 B g) Beratung der Beschlußempfehlung und Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste 20902 A des Berichts des Ausschusses für Ernäh- rung, Landwirtschaft und Forsten zu Ursula Männle CDU/CSU 20903 A dem Antrag der Abgeordneten Horst Annie Brandt-Elsweier SPD 20903 D Sielaff, Marianne Klappert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Tagesordnungspunkt 12: zur Regelung von Altpachten landwirt- Beratung des Antrags der Abgeordne- schaftlicher Flächen im Zusammen- ten Katrin Fuchs (Verl), , hang mit der Garantiemenge-Milch weiterer Abgeordneter und der Fraktion (Milchquotenregelung) (Drucksachen der SPD: Politische Stärkung und insti- 12/7412, 12/8083) tutioneller Ausbau der KSZE (Druck- sache 12/7959) 20904 C h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit Tagesordnungspunkt 13: und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit für einen Beschluß des Rates über die und Sozialordnung zu dem Antrag der Wahrnehmung der auswärtigen Zu- Abgeordneten Petra Bläss und der ständigkeit der Gemeinschaft im Rah- Gruppe PDS/Linke Liste: Änderung des men der internationalen Arbeitskonfe- § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes renzen bei gemeinsamer Zuständigkeit (Drucksachen 12/6674, 12/7997) der Gemeinschaft und ihrer Mitglied- staaten (Drucksachen 12/7064 Nr. 2.7, b) Beratung der Beschlußempfehlung und 12/8002) des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der i) Beratung der Beschlußempfehlung des Abgeordneten Petra Bläss, Dr. Fritz Haushaltsausschusses zu dem Antrag Schumann (Kroppenstedt) und der des Bundesministeriums der Finanzen: Gruppe der PDS/Linke Liste: Novellie- Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundes- rung des Betriebsverfassungsgesetzes haushaltsordnung in die Veräußerung (Drucksachen 12/6448, 12/7998) der bundeseigenen Liegenschaft Petra Bläss PDS/Linke Liste 20905 A Hohbergweg 2 in Lahr/Schwarzwald (Drucksachen 12/7882, 12/8198) Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 20906 C

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Karl-Josef Laumann CDU/CSU 20908 A Tagesordnungspunkt 15: Dr. Eva Pohl F.D.P. 20909 B Zweite Beratung und Schlußabstim- mung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Tagesordnungspunkt 14: dem Seerechtsübereinkommen der Ver- a) Beratung der Großen Anfrage der Abge- einten Nationen vom 10. Dezember ordneten Vera Wollenberger und der 1982 (Vertragsgesetz Seerechtsüber- Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: einkommen) (Drucksachen 12/7829, Maßnahmen gegen Fremdenfeindlich- 12/8185, 12/8186) 20911 C keit, Neonazismus und Gewalt (Druck- sachen 12/4570, 12/7008) b) Beratung der Beschlußempfehlung und Tagesordnungspunkt 16: des Berichts des Innenausschusses zu Zweite und dritte Beratung des von der dem Antrag der Abgeordneten Ulla Bundesregierung eingebrachten Ent- Jelpke und der Gruppe der PDS/Linke wurfs eines Gesetzes über die Wer- Liste: Stiftung für die Opfer ausländer- bung für Säuglingsanfangsnahrung und feindlicher Übergriffe (Drucksachen Folgenahrung (Säuglingsnahrungs- 12/2084, 12/6295) werbegesetz) (Drucksachen 12/7620, c) Beratung der Beschlußempfehlung und 12/8146) 20911 D des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Siegfried Nächste Sitzung 20912 C Vergin, Evelin Fischer (Gräfenhaini- chen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Rechtsextremis- Berichtigung 20912 mus und Gewalt in der Bundesrepu- blik Deutschland: Fakten, Ursachen und Gegenmaßnahmen (Drucksachen 12/5602, 12/7955) Anlage 1 Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20910 C Liste der entschuldigten Abgeordneten 20913* A

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237. Sitzung

Bonn, den 29. Juni 1994

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der und Kollegen! Ich eröffne unsere Sitzung. Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 7. September 1993 zwischen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung Seiner Majestät des Sultans und Yang Di- verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Pertuan von Brunei Darussalam über den Luftverkehr Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktli- — Drucksachen 12/7496, 12/8112 — ste aufgeführt: b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der 1. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur zes zu dem Abkommen vom 23. April 1993 zwischen der Aussetzung der Vorschriften über die repräsentative Wahl- Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen statistik für die Wahl zum 13. Deutschen Bundestag über den Autobahnzusammenschluß im Raum Frank- — Drucksache 12/8152 — furt/Oder und Schwetig — Drucksachen 12/7495, 12/8141, 12/8113 — 2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Stübgen, Dr. Renate Hellwig, Reinhard Freiherr von Schorlemer, c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Ernst Hinsken und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. Helmut Haussmann, zes zu dem Abkommen vom 5. April 1993 zwischen der Dr. Otto Graf Lambsdorff und der Fraktion der F.D.P. Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft — Drucksache Regierung der Republik Lettland über die Seeschiffahrt 12/8158 — Drucksachen 12/7769, 12/8114 —

3. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des d) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der EG-Ausschusses (24. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung zur zes zu dem Abkommen vom 16. Dezember 1992 zwi- Stärkung der gesetzgeberischen Befugnisse des Europäi- schen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland schen Parlaments — Drucksachen 12/7214, 12/8104 — und der Regierung der Russischen Föderation über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder 4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Börnsen schweren Unglücksfällen — Drucksachen 12/7506, (Bönstrup), Ernst Hinsken, Kurt J. Rossmanith, weiterer 12/8092 — Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paul K. Friedhoff, , Josef e) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Grünbeck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- F.D.P.: Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regiona- zes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 16. Ok- len Wirtschaftsstruktur" — Drucksache 12/8153 — tober 1980 über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge — Drucksachen 12/6852, 12/8094 — 5. Erste Beratung des von dem Abgeordneten Werner Schulz (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- f) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Ingrid Köppe, Dr. , Konrad Weiß Erfolgskontrolle bei der Vergabe von Subventionen (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Drucksache 12/8150 — eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Bannmeilengesetzes — Drucksachen 12/4530, 6. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Er- 12/7857 — gänzung zu TOP 18) g) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsaus- a) Erste Beratung des von der Bundesregierung einge- schusses (8. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung Bundesregierung: Außerplanmäßige Ausgabe im Haus- des Gesetzes über die elektromagnetische Verträglich- haltsjahr 1994 bei Kapitel 60 02 Titel apl. 652 01 — So- keit von Geräten (1. EMVGÄndG) — Drucksache forthilfe des Bundes für die von Hochwasserschäden 12/8006 - betroffenen Länder Sachsen-Anhalt und Thüringen — — Drucksachen 12/7533, 12/8103 — b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ilse Janz, Lothar Fischer (Homburg), , weiterer Abge- h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des ordneter und der Fraktion der SPD: Luftfahrtforschungs- Ausschusses für Frauen und Jugend zu dem Antrag der programm — Drucksache 12/8155 — Abgeordneten Dr. Edith Niehuis, Dr. Sissy Geiger (Darm- stadt), Uta Würfel, weiterer Abgeordneter und der Frak- 7. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache (Er- tionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P.: Frauenförderung gänzung zu TOP 19) innerhalb der Europäischen Strukturförderung 20776 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Edith Niehuis, Was steckt dahinter? Soll der Widerstandswille der Hanna Wolf, Angelika Barbe, weiterer Abgeordneter Ostdeutschen gebrochen werden? und der Fraktion der SPD (Freimut Duve [SPD]: Welcher Wille? — Frauenförderung innerhalb der Europäischen Struktur Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) förderung — Drucksachen 12/7504, 12/4164, 12/8142 — Denn es ist in der Tat unlogisch, wenn alle etablierten Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, Parteien in Sachen Rentenüberleitungskorrektur ge- soweit erforderlich, abgewichen werden. radezu beschworen werden, doch die Urteile des Bundessozial- und des Bundesverfassungsgerichts Die Tagesordnungspunkte 10f — Unrechtsurteile abzuwarten. Nun aber, wo einmal für die Klagenden während der NS-Gewaltherrschaft —, 18 c — Leitziele ein günstiges Urteil gefällt wurde, wird es ohne der Bildungsarbeit sowie 19e — NATO-Truppen Skrupel nicht anerkannt und gesetzgeberisch ne- statut — sollen abgesetzt werden. Sind Sie damit giert. einverstanden? — Das ist der Fall. Dann verfahren wir entsprechend. (Freimut Duve [SPD]: Die PDS/Linke Liste hat im Ausschuß zugestimmt!) Außerdem ist vereinbart worden, den interfraktio- nellen Gesetzentwurf zur Aussetzung der Vorschrif- — Ich habe überhaupt nicht zugestimmt. Wir haben ten über die repräsentative Wahlstatistik für die Wahl heute noch eine Ausschußsitzung dazu. Die Abstim- zum 13. Deutschen Bundestag auf Drucksache mung ist noch nicht einmal erfolgt. — De facto wird der 12/8152 aufzusetzen und sogleich an den Innenaus- Sozialgerichtsweg mit diesem Vorgehen als ein Mittel schuß zu überweisen. Sind Sie auch damit einverstan- deklassiert, das die Anliegen von Bürgerinnen und den? — Das ist der Fall. Dann ist das so beschlos- Bürgern nur auf die lange Bank zu schieben vermag. sen. Mit den Urteilen kann dann nach Belieben hantiert werden. Die Beratungen ohne Aussprache werden — mit Ausnahme des Tagesordnungspunktes 19 s, Neuglie- Als Begründung für das Vorhaben wird der Deck- derung der Länder Berlin und Brandenburg, der für mantel der Herstellung gleicher Rechtsgrundlagen Donnerstag vorgesehen ist heute nach der Bera- vorgeschoben. Sicher besteht nach dem Urteil eine tung zur Postreform aufgerufen. Ungleichheit zwischen Vorruheständlerinnen und Vorruheständlern, die bereits in Rente sind, ohne Interfraktionell ist weiterhin vereinbart, den Tages- einen fünfjährigen Vorruhestandszeitraum in An- ordnungspunkt 8 — Vorruhestands- und Altersüber- spruch genommen zu haben, sowie denen, die noch gangsgeld — ohne Aussprache zusammen mit Tages- im Vorruhestand sind und einen Fünfjahreszeitraum- ordnungspunkt 19 zu beraten. zugesprochen bekamen. Aber es gibt noch viel mehr Die Gruppe PDS/Linke Liste wünscht hingegen Ungleichheiten auch innerhalb des Altersübergangs eine Debattenzeit von 30 Minuten. Wird zu diesem geldes. Geschäftsordnungsantrag das Wort gewünscht? — Wir schlagen vor, diese Ungleichheiten zu beseiti- Bitte schön. gen, indem alle Vorruheständlerinnen und Vorruhe- ständler und Altersübergangsgeldempfängerinnen gleichgestellt werden. Petra Bläss (PDS/Linke Liste): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie haben heute vor, ein Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Abgeordnete Bundessozialgerichtsurteil kommentarlos zu kippen. Bläss, wir befinden uns nicht in der inhaltlichen, Dagegen protestieren wir und beantragen eine sondern in der Geschäftsordnungsdebatte. Debatte zum Tagesordnungspunkt 8: Änderung der Verordnung über die Gewährung von Vorruhe- (PDS/Linke Liste): Das gehört aber standsgeld. Petra Bläss dazu. Ich muß eine Begründung geben, weshalb und In den ersten Junitagen fällte das Bundessozialge- warum wir das heute noch auf die Tagesordnung zu richt ein Urteil zum Vorruhestand, das heute mit setzen haben. einem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen fak- tisch im Handstreich revidiert werden soll. Die PDS/ (Lachen und Widerspruch bei der CDU/ Linke Liste hält es für eine politische Ungeheuerlich- CSU) keit, was sich der Bundestag hiermit erlauben will. Wir lassen, genau wie die Vorruheständlerinnen und Vorruheständler in den neuen Bundesländern, (Gerd Andres [SPD]: Das war gestern im das mit uns nicht machen. Wir wollen das nicht Ausschuß anders, Frau Kollegin!) sprachlos hinnehmen. Deshalb fordern wir die Aufset- Da ist es Bürgerinnen und Bürgern der neuen Bundes- zung dieses Tagesordnungspunktes für die heutige länder auf dem beschwerlichen Weg der Sozialge- Debatte. richtsbarkeit gelungen, ein für sie günstiges Urteil zu (Beifall bei der PDS/Linke Liste) erstreiten. Flugs beeilen sich die Regierungsparteien, diesen Erfolg mit einem parlamentarischen Verfahren bar jeder Solidität zunichte zu machen. — Sie spre- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Weitere Wortmel- chen zu Recht an, daß es gestern im Ausschuß für dungen liegen nicht vor, so daß wir zur Abstimmung Arbeit und Sozialordnung auf der Tagesordnung über den Geschäftsordnungsantrag der Gruppe PDS/ stand. Es waren ganze sechs Minuten, die diese Linke Liste kommen. Wer stimmt für den Geschäfts- Debatte gedauert hat. Die SPD macht leider ohne ordnungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? Zögern mit. Damit ist der Geschäftsordnungsantrag zum Tages- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20777

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth ordnungspunkt 8 gegen die Stimmen der PDS/Linke Bericht der Bundesregierung zur Stärkung der Liste abgelehnt. Er wird ohne Debatte aufgerufen. gesetzgeberischen Befugnisse des Europäi- schen Parlaments Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 a bis d und die — Drucksachen 12/7214, 12/8104 — Zusatzpunkte 2 und 3 auf: Berichterstattung: 1. a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregie- Abgeordnete Michael Stübgen rung Dieter Schloten Deutsche Präsidentschaft in der Europäi- Dr. Helmut Haussmann schen Union Zur Regierungserklärung liegen ein Entschlie- b) Erste Beratung des von der Bundesregie- ßungsantrag der Fraktion der SPD und zwei Entschlie- ßungsanträge der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- NEN vor. zes zu dem Vertrag vom 24./25. Juni 1994 über den Beitritt des Königreichs Norwe- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für gen, der Republik Österreich, der Republik die gemeinsame Aussprache im Anschluß an die Finnland und des Königreichs Schweden Regierungserklärung eineinhalb Stunden vorgese- zur Europäischen Union hen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Wir — Drucksache 12/7977 — verfahren so. Überweisungsvorschlag: Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung Auswärtiger Ausschuß (federführend) hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus Innenausschuß Kinkel. Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft EG-Ausschuß Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Berichts des EG-Ausschusses (24. Aus- Europäische Rat von Korfu hat die europäische Eini- schuß) zu dem Antrag der Fraktion der gung ein weiteres Stück vorangebracht, auch wenn es SPD nicht gelang, sich auf einen neuen Kommissionspräsi- denten zu einigen. Anforderungen an die deutsche EU-Rats- präsidentschaft Die Unterzeichnung der Beitrittsverträge mit Öster- reich, Finnland, Schweden und Norwegen, die Unter- — Drucksachen 12/7276, 12/8123 - zeichnung des Partnerschafts- und Kooperationsab- Berichterstattung: kommens mit Rußland machten eines deutlich: Die Abgeordnete Peter Kittelmann Europäische Union hat die Gestaltung Europas in die Dieter Schloten Hand genommen, und zwar mit Erfolg in Richtung Dr. Helmut Haussmann einer gemeinsamen Zukunft der europäischen Völker d) Beratung der Beschlußempfehlung und des in einer Europäischen Union, die partnerschaftlich mit Berichts des EG-Ausschusses (24. Aus- Rußland verbunden ist und zu der die Ostsee genauso schuß) zu dem Antrag der Abgeordneten gehört wie das Mittelmeer. Dr. , Andrea Lederer, Dr. Ruth (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Fuchs, Dr. Ursula Fischer und der Gruppe sowie bei Abgeordneten der SPD) der PDS/Linke Liste Nach dem beeindruckenden Ja der Österreicher zu Anforderungen an die Präsidentschaft der Europa bin ich zuversichtlich: Auch unsere nordi- Bundesrepublik Deutschland in der Euro- schen Nachbarn werden für diese Gemeinsamkeit päischen Union (EU) vom 1. Juli bis 31. De- stimmen, denn nie war in Europa deutlicher: Im zember 1994 Handeln auf eigene Faust liegt keine Zukunft mehr. — Drucksachen 12/7687, 12/8124 - (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Berichterstattung: sowie bei Abgeordneten der SPD) Abgeordnete Peter Kittelmann Dieter Schloten Mit diesem Appell an die Partner wird sich die Dr. Helmut Haussmann Bundesregierung während ihrer Präsidentschaft ab 1. Juli um einen Konsens in der Nachfolge von ZP2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jacques Delors bemühen, der sich um Europa wahr- Michael Stübgen, Dr. Renate Hellwig, Rein- haft große Verdienste erworben hat. hard Freiherr von Schorlemer, Ernst Hinsken und der Fraktion der CDU/CSU sowie der (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. Helmut Hauss- SPD) mann, Dr. Otto Graf Lambsdorff und der Frak- Falls notwendig, wird sie hierfür am 15. Juli in Brüssel tion der F.D.P. einen außerordentlichen Europäischen Rat einberu- Zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft fen. Die Europäische Union braucht einen kraftvollen Europäer an der Spitze der Kommission, und diese — Drucksache 12/8158 — Entscheidung muß schnell getroffen werden. Das ZP3 Beratung der Beschlußempfehlung und des letzte, was die Union an dieser entscheidenden Weg- Berichts des EG-Ausschusses (24. Ausschuß) zu marke gebrauchen könnte, wäre ein Mangel an Ent- der Unterrichtung durch die Bundesregierung schlußfähigkeit und Konsensfähigkeit. 20778 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Meine Damen und Herren, in zwei Tagen wird das wir werden das auch nach dem Maastricht-Vertrag wiedervereinigte Deutschland erstmals den Vorsitz weiter tun. übernehmen. Wir im Rat der Europäischen Union (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) werden alles in unseren Kräften Stehende tun, um in diesem begrenzten Zeitraum von 6 Monaten die Die besonders von der Bundesregierung geforderte Sache Europas voranzubringen, und zwar in engstem und in Korfu beschlossene Beteiligung von zwei Schulterschluß mit Frankreich, das uns in der Präsi- Vertretern des Europäischen Parlaments an der Vor- dentschaft nachfolgt, mit dem wir also anschließend in bereitung der Regierungskonferenz von 1996 setzt der Troika sind, aber auch mit den dann in der das richtige Zeichen. Präsidentschaft nachfolgenden Ländern Spanien und Der bei unserem Europäischen Rat in Essen anste- Italien. hende Bericht zur Umsetzung des Subsidiaritätsprin- (Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Und in zips hat ebenfalls größte Bedeutung für ein gesundes Abstimmung mit Holland, hoffentlich!) und bürgerfreundliches Gleichgewicht der verschie- denen Ebenen. Dem Prinzip der Subsidiarität wirk- Ich reise im Augenblick durch die zwölf europäi- lich zum Durchbruch zu verhelfen, auch durch das schen Länder, um dies vorzubereiten. Wir Deutschen Zurückholen von Entscheidungen, die sonst durch sehen unsere Zukunft im gemeinsamen europäischen Europa getroffen werden, muß ganz oben auf unserer Weg. Das muß unser Kompaß sein. Präsidentschaftsagenda stehen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, die Erhaltung unserer Wir wollen dabei nichts versprechen, was wir nicht europäischen Lebensart und Kultur, die Sicherung des halten können. Es muß uns um eine solide, weiterfüh- sozialen Netzes hängen entscheidend von unserer rende Geschäftsführung gehen. Dabei sind sehr kon- weltweiten Wettbewerbsfähigkeit ab. Mit dem Ziel krete Fragen anzupacken, z. B. die Beschäftigungssi- eines Modernisierungsschubs und der Befreiung von tuation, die Arbeitslosigkeit und die Kriminalität, die Wachstums- und Beschäftigungshemmnissen wurden den Menschen in Europa im wahrsten Sinne des in Korfu eine ganze Reihe wichtiger Maßnahmen Wortes auf den Nägeln brennen. Es geht aber zugleich beschlossen. An erster Stelle stehen hier die Projekte um die weitere Gestaltung unseres Kontinents, d. h. zum Ausbau der transeuropäischen Verkehrs-, Ener- um die Vertiefung und Erweiterung des Kerneuropa, gie- und Kommunikationsnetze, darunter zwei Hoch- das die Union heute darstellt. Zu all dem müssen wir geschwindigkeitsbahnen in Deutschland. Für die unsere Bürger, die Menschen mitnehmen. Bundesregierung ist dabei — das haben wir deutlich (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Und wie und klar gesagt — eine solide Finanzierung unabding- machen Sie das?) bar. Was in den Mitgliedstaaten not tut, gilt auch für Trotz einer Wahlbeteiligung von nur 56 % bei den Brüssel: strengste Haushaltsdisziplin. Europawahlen bin ich überzeugt, die große Mehrzahl (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU der Menschen in Europa hat wohl verstanden: Keiner sowie bei Abgeordneten der SPD) schafft es in Europa mehr allein. Solidarisches Zusam- Der zweite große Bereich ist die Reform des Arbeits- mengehen und Zusammenstehen sind für alle Völker, marktes, die Erschließung von Arbeitsplätzen im große und kleine, unverzichtbar. Aber die Menschen Dienstleistungssektor, die Förderung mittelständi- erwarten von Europa, daß es entschlossen beiträgt zur scher Betriebe und die Bündelung der Ressourcen im Überwindung der Arbeitslosigkeit und zur Förde- Forschungsbereich. Alle waren sich in Korfu einig: Die rung des Friedens und vor allem eben auch zur dringend notwendige Entrümpelung in der europäi- inneren Sicherheit. Das sind die Aufgaben, die in schen Wirtschafts- und Arbeitswelt darf trotz wieder Korfu im Mittelpunkt standen und die die Schwer- anspringender Konjunktur nicht verschoben werden. punkte der deutschen Präsidentschaft vom 1. Juli an Das wäre für den Wirtschaftsstandort Deutschland sein werden. Wenn wir auf diesen Gebieten voran- lebensgefährlich. kommen, brauchen wir uns um die Unterstützung der Bürger nicht zu sorgen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Unter diesem Vorzeichen sieht die Bundesregierung auch die unabhängige Expertengruppe, die der Kom- Die Idee vom „Europa der Bürger" und die demo- mission bei der Deregulierungsaktion zur Seite stehen kratisch-parlamentarische Legitimation hängen un- soll. Wir werden weiterhin darauf hinwirken, daß sich trennbar zusammen. Bereits jetzt gilt: Ohne die auch die Sozialpartner mit ihrem Sachverstand an Zustimmung des Europäischen Parlaments kann dieser Aufgabe beteiligen. keine Kommission ernannt, kein Haushalt verabschie- det und kein Beitritt vollzogen werden. Die Bundes- Modernisierung des Wirtschaftsstandortes Europa regierung wird während ihrer Präsidentschaft auf eine heißt auch ökologische Weiterentwicklung des Bin- enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen nenmarkts. Umwelttechnologie ist dabei die Wachs- Rat, Kommission und Parlament besonderen Wert tumsbranche der Zukunft. Auf diesem Gebiet sind wir legen. Sie weiß sich dabei vom Konsens des Deut- in Deutschland sehr weit fortgeschritten und führend schen Bundestages unterstützt. in der Welt. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Wir Deutsche haben uns von Anfang an für stärkere Für die deutsche Präsidentschaft ist klar: Eine CO2- Rechte des Europäischen Parlaments eingesetzt, und Steuer bedarf einer europäischen Lösung. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20779

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Im Bereich der Innen- und Rechtspolitik, meine Meine Damen und Herren, dem Europäischen Rat Damen und Herren, steht beim Rat in Essen ein in Essen sollen neue Vorschläge zur konkreten Über- Bericht zur Bekämpfung des internationalen Verbre- brückung der schwierigen Übergangsphase, in der chens, des Terrorismus und der Drogenmafia an. Hier sich die Reformstaaten bis zum Beitritt befinden, sind, wie auch in der Asyl- und Zuwanderungspolitik, vorgelegt werden. Weitere Marktöffnung und engere Kernbereiche staatlicher Souveränität berührt. Nir- politische Zusammenarbeit schon im Vorfeld sind für gendwo sind deshalb konkrete Schritte so unendlich uns wichtig, und wir wollen uns als Deutsche ganz mühsam. Nirgendwo, von der Frage der Arbeitsplätze besonders darum bemühen. abgesehen, wird aber auch ein entschlossenes Han- Bis Essen ist auch die in Korfu eingebrachte Idee deln, d. h. wirksamerer Schutz der Bürger, dringlicher einer Konferenz der Europäischen Union mit allen angemahnt und erwartet als hier. Das neue Europa hat Mittelmeeranrainern aufzuarbeiten und die Zoll- seinen Bürgern mehr Freiheit, mehr Freizügigkeit und union mit der Türkei abzuschließen. mehr Lebenschancen gebracht. Jetzt müssen die erforderlichen Maßnahmen getroffen werden, um die Die beiden vergangene Woche mit Moskau abge- persönliche Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. schlossenen Vereinbarungen, die Vereinbarung über Partnerschaft für Frieden mit der NATO und das Die deutsch-französische Initiative gegen Rassis- Partnerschafts- und Kooperationsabkommen von mus und Fremdenfeindlichkeit hat bei unseren Part- Korfu, verdeutlichen: Auch Rußland hat im europäi- nern große Zustimmung erfahren. Dieses Problem schen Haus einen Platz als Freund und Partner. betrifft alle Mitgliedstaaten. Beim Europäischen Rat in Essen werden wir dazu eine gemeinsame Strategie (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der vorlegen. SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, der Wille, alte, tiefe Präsident Jelzin hat recht, wenn er sagt: Damit wurde nationale Rivalitäten in Europa zu überwinden und ein wichtiger Schritt zur Herstellung der Einheit sich unwiderruflich gemeinsam den großen lebens- unseres Kontinents getan. wichtigen Aufgaben der europäischen Nation zu stel- In Korfu wurde auch die deutsch-französische len, war das Leitmotiv der Gründungsväter der Euro- Initiative zur Verhinderung eines neuen Tschernobyl päischen Gemeinschaft. Fünf Jahre nach dem Fall der aufgegriffen, dessen Folgen nicht auszumalen wären. Berliner Mauer und dem Beginn der großen Umbrü- Ziel muß das möglichst baldige Abschalten dieses che in Europa und in der Welt gilt dies mehr denn je, gefährlichen Reaktortyps sein. aber es gilt in einem neuen gesamteuropäischen - (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Rahmen. Heute haben wir ein klareres Bild davon, welche Herausforderungen es aufzunehmen, welche ten der CDU/CSU und der SPD) Risiken es einzugrenzen und welche Gespenster der Dafür müssen alternative Energiequellen her. Das Vergangenheit es zu bannen gilt. Wenn es eine kostet zwar Geld, aber das ist gut angelegt — im besondere deutsche außenpolitische Verantwortung Interesse aller Menschen in Europa. Die Europäische vor der Geschichte gibt, dann die: das Europa, das wir Union wird auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Neapel anstreben, zusammen und gemeinsam mit den neuen die anderen G-7-Partner zur Mithilfe auffordern. Das Demokratien in Mittel- und Osteuropa zu bauen. geht alle an: die Industriestaaten und natürlich in erster Linie auch die ukrainische Regierung. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie des Abg. Karsten D. Voigt [Frankfurt] Die deutsche Präsidentschaft wird den Besuch von [SPD]) Präsident Clinton am 12. Juli in Berlin nutzen, um das Freundschaftsband über den Atlantik hinweg zu Die Bundesrepublik Deutschland bleibt der Anwalt bekräftigen. Ohne dies kann Europa weder sein des ganzen Europa. Die Unterzeichnung der Beitritts- inneres noch sein äußeres Gleichgewicht finden. verträge mit Österreich und den skandinavischen Staaten wie die Beschlüsse zur Heranführung der (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) mittel- und osteuropäischen Nachbarn, der baltischen Die täglichen schlimmen Fernsehbilder aus Bosnien Staaten und Sloweniens untermauern: Das deutsche oder aus unserem Nachbarkontinent Afrika belegen: Europabild ist mit dem unserer Partner in der Union Frieden und Freiheit sind nach dem Ende des Ost identisch. Auch unsere Partner wissen, daß es dem West-Konflikts beileibe nicht selbstverständlich, auch Westen nicht auf Dauer gut gehen kann, wenn es dem nicht auf unserem europäischen Kontinent mit heute Osten schlecht geht. 36 Staaten — die GUS-Mitglieder nicht mitgerechnet. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Das heißt aber: Wir brauchen eine gemeinsame sowie des Abg. Freimut Duve [SPD]) Außen- und Sicherheitspolitik, die diesen Namen wirklich verdient. Dem Bundestag liegt heute das Gesetz über den Beitritt Österreichs und der skandinavischen Staaten (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — zur Beratung und Abstimmung vor. Dieses rasche, von Zuruf von der SPD: Machen Sie sie doch!) einer breiten Mehrheit getragene Verfahren ist ein Dies braucht Zeit. Aber die Beschlüsse von Korfu deutliches politisches Signal an die Bürger in diesen bestätigen den Willen, hier ernst zu machen. Ländern, das Signal: Ihr seid uns herzlich willkom- Die men. Verhandlungen mit den Konfliktparteien im ehemaligen Jugoslawien befinden sich in einem ent- (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der scheidenden Stadium. Die Bundesregierung ist an SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS diesen Verhandlungen im Rahmen der Kontakt- SES 90/DIE GRÜNEN) gruppe beteiligt. Die Kontaktgruppe hat gestern 20780 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel getagt und hat, wie ich weiß, gute Ergebnisse 18 Millionen Arbeitslose gibt es derzeit in der erzielt. Europäischen Union. Auf Korfu aber hat man nicht (Freimut Duve [SPD]: Nämlich?) über diese Menschen, sondern über einen Men- schen, den künftigen Kommissionspräsidenten, gere- Europäische Union, USA und Rußland müssen eine det. Dies bestimmte die Meldungen — als sei dies die Friedenslösung anbieten und dabei deutlich machen, wichtigste Entscheidung, die zu treffen ist. daß die Geduld der internationalen Staatengemein- schaft erschöpft ist. Das muß allen drei Konfliktpar- ( [CDU/CSU]: Schlimmer als in teien gegenüber jetzt deutlich gemacht werden. Hier Halle!) ist entschlossenes Handeln und Geschlossenheit der Die Europäische Union, Herr Außenminister, befindet Union, Rußlands und Amerikas notwendig. sich nicht wegen dieser Frage in schwerem Wasser, Für uns Europäer ist die Übernahme der Admini- sondern weil Ihnen ganz offenkundig nichts zur Über- stration von Mostar unter der Leitung des Administra- windung der Massenarbeitslosigkeit einfällt. tors von ganz besonderer Bedeu- tung. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der [PDS/Linke Liste]) SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNE N) Die Bundesregierung hofft, daß hier ein Modell für ein 18 Millionen Arbeitslose, meine Damen und Her- friedliches Zusammenleben verschiedener Bevölke- ren, das ist Sprengstoff für die Europäische Union. Ich rungsgruppen verwirklicht werden kann. Nur so kann bin kein Prophet, aber wage eine Prophezeiung: die Versöhnung der Völker im ehemaligen Jugosla- Wenn es nicht gelingt, diese Zahl zu mindern und die wien gelingen. Sie ist dringender denn je notwendig, Arbeitslosigkeit zu senken, wird der heute schon in aber immer noch sehr schwer zu erreichen. der Europäischen Union zu beobachtende Wettbe- werb um Arbeitsplätze den Zusammenhalt der Union Meine Damen und Herren, die erste Präsidentschaft schwächen und zu einer Renationalisierung auch in des wiedervereinten Deutschlands bedeutet eine Westeuropa führen. Das ist eine besorgniserregende besondere politische Chance, aber eben auch eine Perspektive. besondere Verpflichtung. Nicht nur die Augen der Europäer sind auf Deutschland und diese Präsident- (Beifall bei der SPD) schaft gerichtet. Die Verantwortlichen in Europa, allen voran die Die Bundesregierung will die anstehenden Ent- Bundesregierung, müßten sich daher vorrangig um scheidungen voranbringen. Sie will darüber hinaus dieses Problem, um Beschäftigung und Wachstum, aber deutlich machen, daß die europäische Integra- kümmern. Richtig ist: Sie reden seit etwa einem Jahr tion zentrale Orientierung auch des wiedervereinig- darüber; an Worten herrscht kein Mangel. Es mangelt ten Deutschlands bleibt. an Taten. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Nehmen wir z. B. die Bundesregierung: Im Mittel- Wir haben die meisten Nachbarn in Europa. Zum punkt der Beschäftigungsstrategie der Bundesregie- erstenmal in der deutschen Geschichte ist das Verhält- rung stehen drei Worte: Deregulierung, Flexibilisie- nis zu allen unseren Nachbarn geprägt vom gegensei- rung und Kostenreduzierung. Mal abgesehen von der tigen Willen zu dauerhafter Freundschaft und Zusam- Stillosigkeit, der Kommission in Brüssel in diesen menarbeit unter einem gemeinsamen Dach. Diese Bereichen mangelnden Sachverstand öffentlich zu Chance müssen und werden wir nutzen. Deutschlands bescheinigen, mal unterstellt, dies wären die richtigen Zukunft liegt in Europa. Rezepte, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen (Anhaltender Beifall bei der F.D.P. — Beifall Wirtschaft zu verbessern: Was hat denn die Bundes- bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten regierung konkret getan, um Aus- und Weiterbildung der SPD) zu verbessern? Was hat sie zur Senkung der Lohnne- benkosten getan, was, um die oft beklagte Abgaben- last der Unternehmen zu reduzieren? Die Antwort Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht lautet: nichts! der Fraktionsvorsitzende der SPD, Hans-Ulrich Nicht die Bundesregierung hat gehandelt. Die Klose. Unternehmen haben sich auf den Weg gemacht, ihre Produktivität zu steigern — überwiegend zu Lasten Hans-Ulrich Klose (SPD): Frau Präsidentin! Meine der Arbeitnehmer und mit der Folge noch höherer sehr geehrten Damen und Herren! Die „Neue Zürcher Arbeitslosigkeit. Zeitung" nannte den Aufgabenkatalog der kommen- ( [CDU/CSU]: Sie wissen den deutschen Ratspräsidentschaft in Europa „ambi- doch, daß das nicht wahr ist, was Sie hier tiös", berichtet aber zugleich, der deutsche Außenmi- sagen!) nister habe vor der Presse erklärt, daß man nicht den Anspruch erhebe, alle Programmpunkte zu erfüllen. Die Gewerkschaften haben — ganz im Sinne der --- Das, meine Damen und Herren, trifft den Kern: geforderten solidarischen Wirtschaft — Lohnzurück- große Ankündigungen, aber wie immer ein Hintertür- haltung geübt und Nettoeinkommensverluste hinge- chen offen, falls es anders kommt. nommen. Die Gewerkschaften waren das, nicht die Bundesregierung! (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der F.D.P.) (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20781

Hans-Ulrich Klose Die tut nur so, als täte sie etwas. In Wahrheit aber über Straßburg in Karlsruhe endet. Wo bleibt die macht sie nichts. Verbindung nach Frankfurt, wo die nach Berlin? Gilt das, meine Damen und Herren, auch für Korfu: (Beifall bei der SPD) Worte und sonst nichts? — Stichwort: transeuropäi- Hier erwarten wir eine baldige Nachbesserung mit sche Netze. Seit Wochen und Monaten wird aus Erweiterungsperspektive über Berlin hinaus. Brüssel, aber auch von der Industrie geklagt, daß die zuständigen deutschen Staatssekretäre offenbar nur Es ist gerade aus deutscher Sicht vernünftig und ein Ziel hätten: vorgelegte Programmvorschläge zu notwendig, mit der Unterstützung der Europäischen verhindern. Die Herren machten in Brüssel überhaupt Union die Infrastrukturnetze in Mitteleuropa auszu- keinen Hehl aus ihrer Überzeugung, daß sie Investi- bauen und diese mit den westeuropäischen Netzen zu tionen zum Ausbau der transeuropäischen Netze für verbinden. Dies gilt in erster Linie für den Verkehr groben Unfug hielten. „Warum sitze ich hier eigent- und die Telekommunikation, aber auch für die Ener- lich rum?", wird ein deutscher Staatssekretär zitiert. — gienetze und die Ver- und Entsorgung. Da Deutsch- Ob er sich so geäußert hat oder nicht, ist mir letztlich land der beste Systemanbieter von Infrastrukturen ist, egal. ist es auch in deutschem Interesse, diese Projekte zu unterstützen. Dies sind Zukunftsinvestitionen im (Michael Glos [CDU/CSU]: Sie sollten schon wahrsten Sinne des Wortes. bei der Wahrheit bleiben!) (Beifall bei der SPD - Dr. Dionys Jobst Nicht egal ist mir, daß die Bundesregierung offenbar [CDU/CSU]: Unterstützen Sie den Transra bis zur Tagung des Europäischen Rates in Korfu die pid!) Chance für Wachstums- und Modernisierungsimpulse Wir haben gehört, daß der Bundeskanzler in Korfu verzögert und ganz bewußt behindert hat. zugestimmt hat — ich zitiere —, „sicherzustellen, daß diese vorrangigen Projekte nicht auf finanzielle Hin- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ilja dernisse stoßen, die ihre Durchführung in Frage Seifert [PDS/Linke Liste]) stellen." Wir wüßten nur sehr gern, Herr Bundeskanz- Letztendlich haben sich die europäischen Staats- ler, wie Sie dies machen wollen, und Regierungschefs in Korfu auf eine erste Liste mit (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Wolf vorrangigen, insgesamt I 1 größeren Verkehrsprojek- gang Roth anrufen!) ten geeinigt. Auch wenn die Zustimmung der Bundes- - regierung spät kommt: Wir begrüßen sie, weil von den wie diese Finanzierung sichergestellt werden soll transeuropäischen Netzen Wachstumsimpulse ausge- oder ob es sich dabei um jene vielzitierte Finanzpla- hen werden, weil hoffentlich Arbeitsplätze geschaffen nung handelt, von der wir hören, daß es sie gibt, die werden und weil Deutschland noch stärker mit seinen aber nicht auf den Tisch gelegt wird, weil der Finan- Nachbarn verbunden wird. Dies ist für die Menschen zierungsteil fehlt. und auch für die Wirtschaft ein Gewinn. (Beifall bei der SPD) Wir fordern die Bundesregierung allerdings nach- In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf die drücklich auf, bei der Umsetzung der Beschlüsse von unbestreitbare Tatsache hinweisen, daß die Ände- Korfu ihre bisherige Verzögerungstaktik aufzugeben. rung der Förderungspolitik für die ostdeutschen Daran, daß sie dazu bereit wäre, haben wir noch Länder, denen in den nächsten sechs Jahren immer- immer Zweifel, nicht nur wegen der Versäumnisse in hin 26 Milliarden DM aus europäischen Töpfen zuflie- der Vergangenheit. Denn erstens hat es die Bundes- ßen sollen, von der Kommission gegen den Wider- regierung nicht für nötig gehalten, vor der Anmeldung stand des deutschen Wirtschaftsministers durchge- der prioritären Verkehrsprojekte in Brüssel den Deut- setzt werden mußte. schen Bundestag damit zu befassen. Sie wollte das (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) nicht wegen der höheren Verbindlichkeit. Zweitens entscheidet in Brüssel offenbar nicht der deutsche In Brüssel gilt die deutsche Förderpolitik schon seit Verkehrsminister über die Durchführung verkehrs- längerem als nicht mehr zeitgemäß. Künftig sollen politisch wichtiger Projekte, sondern der Bundesfi- deshalb nicht mehr nur Infrastrukturmaßnahmen nanzminister, der sich bisher einer soliden Finanzie- sowie Gewerbeunterstützung und -ansiedlung geför- rung ständig entgegengestellt hat. dert werden, sondern auch Umwelt-, Forschungs- und Entwicklungsvorhaben sowie Projekte der Aus- und (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Das Weiterbildung. Was spricht eigentlich dagegen? nehmen Sie sofort zurück!) Nichts, im Gegenteil: Wer die Probleme vorurteilslos — Das nehme ich nicht zurück, auch wenn Sie es sind, sieht, wer die Lage gestaltend verändern will, der Herr Kollege Waigel. müßte eigentlich dankbar sein, wenn sich zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen. (Beifall bei der SPD) Der Bundeswirtschaftsminister sieht das offenbar Schließlich nimmt sich der deutsche Anteil an dem anders. Er setzt auf Nichtstun und nennt das Markt. Investitionsvolumen für die Netze mit ca. 18 % seltsam Wir nennen es falsche Politik. bescheiden aus. (Beifall bei der SPD) Höchst bedenklich ist, daß das Vorhaben „Hochge- Die Leistung des Bundeswirtschaftsministers mes- schwindigkeitszug Paris-Berlin" in seiner Variante sen wir an seiner Fähigkeit, die Arbeitslosigkeit zu über Saarbrücken in Mannheim und in der Variante mindern. Geleistet hat er in den Jahren seiner Amts- 20782 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Hans-Ulrich Klose tätigkeit in diesem Sinne nichts: Schlechte Nachrich- Ich bin sicher, meine Damen und Herren, die ten für Deutschland und schlechte Aussichten für Osterweiterung wird nicht gelingen, wenn sie zu Europa. Lasten der Südeuropäer erfolgt. Dort entwickelt sich der zweite Krisenbogen, dort baut sich ein Druck und (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Risikopotential auf, das niemand unterschätzen DIE GRÜNEN — Dr. Wolfgang Weng [Ger sollte. lingen] [F.D.P.]: Unerhört!) Nehmen wir allein die demographische Entwick- Meine Damen und Herren, der Wettbewerb um lung. Während die einheimische Bevölkerung in Arbeitsplätze schwächt nicht nur den Zusammenhalt Westeuropa, auch in katholischen Ländern wie Italien der Union, er mindert auch ihre Möglichkeiten, aktiv und Spanien, abnimmt, nimmt sie z. B. im Maghreb zur Stabilisierung und Entwicklung im Osten und im stark zu. Über 55 % der dort lebenden Menschen sind Süden beizutragen. Europa ist faktisch noch immer in jünger als 25 Jahre. Die Bevölkerung in Nordafrika unterschiedliche Wohlstandszonen geteilt. In diesem wird sich in den nächsten 30 Jahren mehr als verdop- weiterhin geteilten Europa ist Deutschland Grenz- peln. Schon heute gibt es dort hohe Arbeitslosigkeit, land. Solange die Ungleichgewichte so sind, wie sie soziale Konflikte, ökologische Probleme; Stichwort sind, wird es keine Sicherheit in Europa geben. Wie Wasserknappheit. schnell ökonomische und soziale Probleme in offene ethnische und religiöse Konflikte umschlagen, wie Der Nährboden für politischen Fundamentalismus, schnell sie sich brutalisieren, wie stark sie mit zerstö- religiös begründet und politisch mißbraucht, ist rerischer Tendenz ausstrahlen, das alles haben wir gefährlich fruchtbar. Dies nicht zu sehen wäre igno- erlebt. rant. Daß freilich nur oder in erster Linie der General- inspekteur der Bundeswehr darüber nachdenkt und Was aber tut die Bundesregierung konkret, um redet, erfüllt mich mit Sorge. vorbeugend konfliktmindernd zu arbeiten? Natürlich, Herr Kollege Kinkel, ist es richtig, den mittel- und (Beifall bei der SPD) mittelosteuropäischen Ländern die europäische Per- Noch geht es nicht um ein militärisches, sondern um spektive zu eröffnen: die Beitrittsperspektive für die ein politisches Problem. einen, die Kooperationsperspektive für die anderen. Sie haben freundlich davon gesprochen. Auch wenn es schwerfällt: Europa braucht die institutionalisierte Zusammenarbeit mit den Ländern Ich füge nicht unfreundlich, aber sachlich folgendes des südlichen Mittelmeers. Der Dialog mit diesen- hinzu: Unsere Möglichkeiten, Assoziierungs- und Ländern — ökonomisch, ökologisch, technologisch Kooperationsverträge mit materiellem Inhalt zu erfül- und kulturell — muß verstärkt, persönliche Kontakte len, müssen realistisch gesehen werden. Sie sind müssen ausgebaut und genutzt werden, um einer derzeit außerordentlich begrenzt. Die Zustimmung für weiteren Entfremdung entgegenzuwirken. Dieser Marktöffnung und Kooperation hält sich in der Bevöl- Dialog ist schwierig genug; er ist durch das Versagen kerung in Grenzen, wenn die Arbeitslosigkeit hoch ist Europas in Bosnien noch schwieriger geworden. Aber und bleibt und weitere Arbeitsplatzverluste durch er muß geführt werden. Die Europäische Union muß Billiglohnkonkurrenz drohen. Wir müssen unsere die Verhandlungen mit den nordafrikanischen Län- begrenzten Handlungsmöglichkeiten realistisch se- dern mit Nachdruck vorantreiben, sonst, sage ich hen. Illusionen sind hochgefährlich. voraus, wird sich hier eine neue Konfliktlinie entwik- (Beifall bei der SPD) keln, bei der am Ende die Militärs das Nachdenken übernehmen müssen. Schon deshalb bin ich dagegen, daß der Herr Herr Kollege Kinkel, das Mittelmeer kam in Ihrer Außenminister unentwegt als Anwalt der Osteuropäer Erklärung nicht vor. Ich unterstelle gleichwohl, daß — heute war er der Anwalt des ganzen Europa — Sie darüber nachdenken. Aber ich frage: Was tut die durch die Gegend reist. Bundesregierung konkret? Hat sie in ihren Reihen (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: einen einzigen Hans-Jürgen Wischnewski, der den Gegen das Richtige sollte man nicht sein!) Dialog mit der arabischen Welt dauerhaft, mit Sach- verstand und mit Einfühlungsvermögen führt? Wir Deutschen haben keine besondere, keine Brük- kenfunktion; wir sollten im Kontext Westeuropa ope- (Beifall bei der SPD - Gerd Andres [SPD]: rieren. Das zum einen. Nein, leider nicht!) Zum anderen: Wer allen alles geben will, muß auch Was genau wollen Sie, Herr Kollege Kinkel, tun, um sagen, wie er das bezahlen will. die deutsche Präsidentschaft für mehr Dialog und Zusammenarbeit im Mittelmeer zu nutzen? Reduziert (Beifall bei der SPD) sich das am Ende alles auf Abschottungsmaßnah- Schon heute wird doch in allen politischen Lagern men? darüber geredet, daß die deutschen Beiträge für Wir stimmen Ihnen ja zu, wenn Sie die Notwendig- Europa zu hoch seien. Der Kanzler selbst hat in seiner keit einer europäischen Zuwanderungs- und Asylpoli- letzten Erklärung zu Europa hier im Bundestag so tik betonen. Wir stimmen zu, daß Arbeitsgenehmigun- gesprochen. Wenn wir aber die Beiträge für Europa gen nur noch restriktiv erteilt werden sollen. Aber das nicht erhöhen können und wollen, dann könnte die allein kann es doch nicht sein. Wenn die Hoffnungen notwendige Finanzierung der Osterweiterung nur der Menschen auf ein besseres Leben im eigenen durch Minderung der Zuwendungen für den Süden Land nicht erfüllbar sind, wird sich der Zuwande- erfolgen. Ich frage: Wollen wir das? rungsdruck auf Westeuropa verstärken. Mit gesetzli- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20783

Hans-Ulrich Klose Chen Maßnahmen allein werden Sie diesem Druck Recht hat sie, die norwegische Ministerpräsidentin. nicht begegnen können. Nutzen Sie daher die Präsi- Wir sollten auf sie hören, Herr Kollege Kinkel, Sie dentschaft, um in enger Kooperation mit Frankreich, auch! Spanien, Italien und Griechenland ein System der (Beifall bei der SPD — Dr. Karl-Heinz Horn Zusammenarbeit mit der arabischen Welt zu entwik- hues [CDU/CSU]: Der Mahnung hätte es keln! Entwicklungszusammenarbeit ist Friedensar- nicht bedurft!) beit, Herr Außenminister.

(Beifall bei der SPD) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht die Kollegin Renate Hellwig. Die Opposition hat die Regierung, wenn es um Europa geht, in der Regel unterstützt. Wir werden das so lange tun, solange wir Opposition und Sie Regie- Dr. Renate Hellwig (CDU/CSU): Frau Präsidentin! rung sind. Solange Sie Regierung sind, erwarten wir Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Klose, von Ihnen mehr als schöne Worte. es ist schade, (Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Sehr (Beifall bei der SPD) wahr!) Von Krise will ich nicht reden. Europa hat alle daß die Gelegenheit, hier gemeinsam zu beweisen, Chancen, mehr als ein Fels in der Brandung zu sein. daß es in bezug auf den europäischen Einigungspro- Ohne Perspektive, ohne Gestaltungswillen und Hand- zeß über die Parteigrenzen hinweg eine ganz eindeu- lungsoptimismus geht es aber nicht. Wir vermissen tige deutsche Einigungspolitik gibt, von Ihnen absolut ebendies: ein realistisches Konzept und zielstrebiges versäumt worden ist Handeln. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Die europäische Wirklichkeit hat sich verändert. und wir statt dessen wieder einmal den Schlagab- Die Mittel- und Mittelosteuropäer sind nach Europa tausch über die Unterschiede im nationalen Rahmen zurückgekehrt. Aber, frage ich mich manchmal, in — was die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit betrifft, welches Europa: in das Europa des beginnenden was die Frage einer erfolgreichen Außen- und Sicher- 21. Jahrhunderts oder in das Europa des ausgehenden heitspolitik betrifft -- erleben mußten. Das haben Sie 19. Jahrhunderts? Zurückgekehrt sind jedenfalls viele eigentlich nur auf den europäischen Rahmen, also auf Probleme und Konflikte, von denen wir glaubten, wir eine höhere Ebene, übertragen. - hätten sie ein für allemal überwunden: Armut, (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Arbeitslosigkeit, Nationalismus, Krieg. Ärmlich!) (Zuruf von der CDU/CSU: PDS!) Ich hatte die Gelegenheit, in den letzten zwei Tagen in Paris verschiedene Gespräche zu führen. Herr Wir sind in schwerem Wasser — sehr richtig, Herr Klose, ich darf Ihnen ausrichten, daß sich in Paris Außenminister —, aber nicht, weil auf der Ebene der selbst die Sozialisten deshalb Sorgen machen Chefs unter ziemlich trampeliger deutscher Führung (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Ja, das über den neuen Kommissionspräsidenten gestritten stimmt!) wird. und glauben, daß die deutsche und französische (Beifall bei der SPD - Dr. Karl-Heinz Horn Präsidentschaft der nächsten zwölf Monate in besse- hues [CDU/CSU]: Das ist doch absoluter ren Händen ist, wenn diese Koalition, diese Regierung Blödsinn!) die Verantwortung weiter trägt, als wenn es zu einem Regierungswechsel käme. Es geht um die wirklichen Probleme, um die konkre- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — ten Sorgen und Ängste der Menschen. Lachen bei der SPD — Freimut Duve [SPD]: Was zu tun ist, hat Gro Harlem Brundtland wie folgt Wollen Sie das nicht etwas genauer ausfüh gesagt: ren?) Ich darf Sie vielleicht daran erinnern, daß Präsident Wir wollen dafür kämpfen, daß die Politik die Mitterrand, als er damals vor uns in diesem Bundestag Wirklichkeit wieder in den Griff bekommt. Wir zum Thema der gemeinsamen Außen- und Sicher- brauchen mehr grenzüberschreitende politische heitspolitik gesprochen hat, diesen Dissens ganz Maßnahmen, damit die Menschen ihre Zukunft offen und deutlich gemacht hat, indem er wie selbst- selbst gestalten können. verständlich darauf hingewiesen hat, daß in Frank- reich über alle Parteigrenzen hinweg in bezug auf Und: eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik Laßt uns zeigen, daß Europa eine Verantwortung wegen der internationalen Verantwortung ein Kon- trägt für globale Gerechtigkeit. sens besteht. Wir hoffen, daß das Bundesverfassungsgericht mit Schließlich: seiner Entscheidung zu Ihren Verfassungsbedenken Einige tragen mehr Verantwortung als andere, gegen den Einsatz von AWACS jetzt für uns einen einige haben bessere Voraussetzungen als Befreiungsschlag macht. andere, die Initiative zu ergreifen und Ziele zu (Freimut Duve [SPD]: Wir lassen uns von verwirklichen. niemandem schlagen!) 20784 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Dr. Renate Hellwig — Sie wissen genau, wie die Probleme zustande haben mit Abstand die geringste Jugendarbeitslosig- gekommen sind keit von allen Mitgliedstaaten. (Hans-Ulrich Klose [SPD]: Wir auch!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) und daß es an Ihnen liegt, daß es zu der gebotenen Verfassungsänderung nicht gekommen ist. Die anderen eifern darum, es uns in diesem Punkte nachzumachen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P. — Zurufe von der SPD) Mir blutet das Herz, wenn ich immer wieder erlebe, mit welcher Ängstlichkeit in Deutschland die Frage Es würde also einen ganz klaren Dissens geben: der europäischen Einheitswährung und die Schritte keine Kooperation während der deutschen und fran- dorthin, nämlich Konsolidierung der öffentlichen zösischen Präsidentschaft, wenn die Sozialisten in die Haushalte, Sparprogramm und Umbau des Sozial- große Bremsfunktion treten. staates, behandelt werden. Das sind Punkte, die von Der zweite wichtige und entscheidende Punkt der den anderen voll übernommen werden. Selbst sozia- gemeinsamen europäischen Politik ist die Frage der listische Regierungen geben sich große Mühe, diese Wirtschaftspolitik, damit auch die Frage der Bekämp- unsere Philosophie nachzuahmen. fung der Arbeitslosigkeit. Herr Rexrodt, ich darf Sie (Freimut Duve [SPD]: Nur die bayerische dazu beglückwünschen. Landesregierung nicht! — Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Staatsregierung!) (Lachen bei der SPD) Überlegen Sie sich einmal, welch ein Erfolgsrezept Denn unsere Vorstellungen, die wir in das Weißbuch wir gerade gegenüber unserem Partner Frankreich der Europäischen Union eingebracht haben, sind im aufzuweisen haben. Noch vor zehn Jahren hatten wir wesentlichen auf Grund der Philosophie der Vor- einen großen Dissens darüber, ob eine stabile Wäh- schläge, die in ihrem Hause erarbeitet worden sind, rung, verbunden mit einer soliden, strengen Haus- übernommen worden. haltspolitik, zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. erfolgreicher ist oder eine Deficit-spending-Politik. Hans-Ulrich Klose [SPD]: Jetzt übertreiben Selbst die Sozialisten in Frankreich, als sie an der Sie aber ein bißchen!) Regierung waren, sind auf unsere Philosophie umge- schwenkt. Inzwischen ist es Grundkonsens aller zwölf- — Wenn Sie das nicht gerne hören, Herr Klose, dann Mitgliedsländer, daß dies die einzig mögliche Politik lesen sie sich einmal den Erfolgsbericht der jüngsten ist. Sie ist zwar nicht kurzfristig erfolgreich, weil es Sitzung auf Korfu durch. sehr schwer ist, die damit verbundenen unpopulären Ich muß sagen: Ich bedaure es auch, daß, weil die Maßnahmen national durchzusetzen, aber trotzdem Journalisten von Vereinfachungen leben, nur die fand die gemeinsame Ermutigung dazu in Korfu Frage des Vorsitzes, die aus meiner Sicht eine sehr eindeutig statt. vorübergehende Frage ist, einseitig im Vordergrund Meine Damen und Herren, ebensowenig ist es gestanden hat und daß die viel wichtigeren Fragen, Ihnen gelungen, durch eine systematische Verhet- die mittel- und langfristig über den Erfolg dieser zungskampagne Europäischen Union entscheiden, und die Glaubwür- digkeitsfragen, die auch Sie angesprochen haben, (Freimut Duve [SPD]: Was?) Herr Klose — so u. a. die Frage, wie es mit der unsere Solidaritätspolitik in Deutschland zu konter- erfolreichen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit inner- karieren. halb der Europäischen Union aussieht —, kaum zur (Widerspruch bei der SPD) Geltung kamen. Wir haben in den letzten drei Jahren angesichts der Sie werden feststellen, daß der Europäische Rat die wirklich harten Konsolidierungspolitik bei der Dop- vollständige Nutzung des Beschäftigungspotentials pelaufgabe, die Rezession in Westdeutschland zu kleinerer und mittlerer Unternehmen, die Reformen überwinden und die Sanierung der neuen Bundeslän- zur Effizienz der Beschäftigungssysteme, die Herab- der vorzunehmen, einen langen Atem gehabt und setzung überzogener Nebenkosten, Fragen der Kon- haben uns nicht verführen lassen, Ihre Ausgaben solidierung der Haushalte in den Vordergrund gestellt programme umzusetzen. hat. Das sind alles genau die Punkte, die wir in heftigem Kampf mit Ihnen hier auf nationaler Ebene (Peter W. Reuschenbach [SPD]: Die Rezes durchgesetzt haben, und die auch bereits erste Erfolge sion ist Ihnen hervorragend gelungen!) zeigen. Die ersten Erfolge sind sichtbar. Sie gelten in den (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — anderen Mitgliedstaaten als durchaus nachahmens- Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Sehr gut!) wert. Ich sage Ihnen dazu noch folgendes: Wenn inner- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge halb der Europäischen Union darüber diskutiert wird, ordneten der F.D.P.) wie man am besten von der hohen Arbeitslosigkeit Herr Klose, auf einen Punkt möchte ich Sie noch herunterkommt, dann gelten wir Deutschen wieder hinweisen. Sie kritisieren hier in kleinkrämerischer einmal als großes Vorbild. Das gilt sowohl beim Art und Weise, wir hätten mit der Kommission einen dualen System als auch bei der schnellen Eingliede- Dissens, was die Unterstützung der mittel- und osteu- rung der Jugendlichen in den Arbeitsmarkt. Wir ropäischen Staaten anbelangt. Ich hätte mir von Ihnen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20785

Dr. Renate Hellwig eines dringend gewünscht: Sie wissen genau, wie Dr. Helmut Haussmann (F.D.P.): Liebe Frau Präsi- schwer wir es innerhalb der Europäischen Union dentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es war haben, eine deutliche Akzentverschiebung der leider ein Rückfall von Herrn Klose, indem er Europa- gesamten Ausgabenpolitik zugunsten eines stärkeren politik für innenpolitische Wahlkampfzwecke ge- Engagements in den mittel- und osteuropäischen brauchen wollte. Staaten durchzusetzen. Deutschland erbringt hier (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) eine unglaubliche Vorleistung. Wenn Sie das wollen, dann gehen wir sehr gerne auf (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge den Zusammenhang zwischen Europa- und Beschäf- ordneten der F.D.P.) tigungspolitik ein. Wer nicht verstanden hat, Herr Dies immer wieder zu betonen sollte über die Partei- Klose, daß Deregulierung, Privatisierung und p rivate grenzen hinweg ein gemeinsames Interesse sein. Arbeitsvermittlung dazu beitragen, daß Europa im (Peter W. Reuschenbach [SPD]: Das war doch Weltvergleich mit Amerika und Asien mehr Arbeits- plätze gewinnt, der hat von moderner internationaler gar nicht das Thema!) Beschäftigungspolitik wenig verstanden. — Natürlich ist das das Thema. Das ist das ganz entscheidende Thema, mit dem sich in (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) den nächsten Wochen und Monaten in der Haushalts- Wer nicht begriffen hat, daß Mittel - und Osteuropa politik und unsere Kollegen im Europäischen Parla- diejenigen Märkte vor unserer Haustür sind, die in ment mit den Kollegen der anderen Mitgliedstaaten Westeuropa für mehr Beschäftigung sorgen, wenn wir werden rumschlagen müssen. Hier wird sich die sie entwickeln, der hat von internationaler Beschäfti- Glaubwürdigkeit unserer Bekenntnisse in Richtung gungspolitik ebenfalls wenig verstanden. Mittel- und Osteuropa erweisen müssen. Da, glaube (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) ich, ist die Gemeinsamkeit wesentlich wichtiger als die Unterschiede. Ich frage die Opposition, ob es zu einer Veränderung Ihrer Haltung zur schnellen Integration von Mittel- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und Osteuropa gekommen ist. Lassen Sie mich noch auf einen weiteren Punkt (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Sehr eingehen, was den gemeinsamen Motor — auch Sie gut!) haben das angesprochen in bezug auf die Nord- afrika-Politik anbelangt. Wir werden in der Familie Ich habe den Eindruck, Sie wollen weder die- der Europäischen Union nur dann zu einer wirklich Bevölkerung darauf hinweisen, noch wollen Sie in überzeugenden gemeinsamen Strategie der Außen- Westeuropa sparen, um für die Integration von Osteu- politik kommen, wenn wir sozusagen die jeweiligen ropa Mittel zu gewinnen. Frau Matthäus-Maier, wir Kinder des anderen adoptieren. hatten diese Woche schon die Gelegenheit: Wer nicht bereit ist, im Inland mehr zu sparen, wer nicht zuläßt, Ich habe gestern unseren französischen Gesprächs- daß durch Postprivatisierung, durch Deregulierung, partnern gesagt: Wir verlangen von euch, daß ihr durch die Unterstützung kleiner und mittlerer unser aus geschichtlichen Gründen entstandenes Betriebe mehr Arbeitsplätze entstehen und damit Kind, nämlich das osteuropäische Engagement, adop- mehr Steuern gezahlt werden, damit endlich die tiert, daß ihr die Dringlichkeit des Sanierungs- und strukturelle Verschuldung angegangen werden kann, Reformprozesses nicht als ein typisch deutsches Pro- der macht die Wirtschafts- und Währungsunion blem, sondern als ein ebenso französisches Problem unmöglich. Die Wirtschafts- und Währungsunion und europäisches Problem begreift. sichert die Integration und ist mittelfristig die richtige (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Antwort auf den Wettbewerb mit Amerika und ordneten der F.D.P. und der SPD) Asien. Aber, meine Damen und Herren, dies verlangt in (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Reziprozität, in Gegenseitigkeit, daß wir das Kind der ten der CDU/CSU) Franzosen, nämlich ihr Engagement in Afrika — in Meine Damen und Herren, ich gehe umgekehrt Nordafrika, aber auch in Gesamtafrika — mehr als vor. bisher als einen wichtigen Ordnungsfaktor verstehen und als gemeinsames europäisches und damit zukünf- (Abg. Ingrid Matthäus-Maier [SPD] meldet tig auch deutsches Problem mittragen. sich zu einer Zwischenfrage) Es ist dringend geboten, daß wir, die wir in einer — Danke, ich habe sehr wenig Zeit. Wir können das an relativen Teilsouveränität, versteckt hinter der anderer Stelle fortsetzen. Mauer, außenpolitisch nicht erwachsen geworden Ich werbe innenpolitisch für Europa. Denn es muß sind, es im Interesse der Handlungsfähigkeit der uns allen klar werden: Wenn es uns nicht gelingt, den gemeinsamen Europäischen Union werd en. unauflösbaren Zusammenhang zwischen mehr Ar- Vielen Dank. beitsplätzen und mehr Europa herzustellen, werden wir die Herzen der jungen Europäer für Europa nicht (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU gewinnen. In einer globalen Weltwirtschaft, in einer Beifall bei der F.D.P.) Welt mit multinationalen Unternehmen bestimmt eben nicht mehr der nationale Markt, sondern nur noch der europäische Markt unsere beschäftigungs- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht politische Zukunft. Nur noch große Märkte, nur noch der Kollege Helmut Haussmann. das Bündel aller europäischen Stärken, nur das Aus- 20786 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Dr. Helmut Haussmann schöpfen europäischer Kostenvorteile in Mittel- und land an der Wirtschafts- und Währungsunion teil- Osteuropa sichern uns Arbeitsplätze im direkten Ver- nimmt. Denn, meine Damen und Herren, ohne die gleich mit Amerika und Asien. D-Mark könnte man in der Tat nicht von einer (Abg. Siegmar Mosdorf [SPD] meldet sich zu europäischen Währung sprechen. einer Zwischenfrage) (Beifall bei der F.D.P.) Ein zweites Problem sind die Arbeitsplätze. Nur Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Kollege Hauss- durch die schnelle Integration arbeitskostengünstiger mann -- — MOE-Staaten lassen sich bei uns in Deutschland teure Arbeitsplätze in einer Mischkalkulation sichern. Dr. Helmut Haussmann (F.D.P.): Nein, vielen Dank. (Zustimmung des Abg. Dieter-Julius Cro Ich habe zuwenig Zeit. Tut mir leid, Herr Mosdorf, nenberg [Arnsberg] [F.D.P.]) sonst immer. Das heißt, die Strategie, bewußt nach Osten zu gehen, Ich will drei Beispiele nennen, wie wir mehr Arbeit ist gerade auch für kleine und mittlere Betriebe für Europäer schaffen können. wichtig. Das erste ist die termingerechte Vollendung der (Beifall bei der F.D.P.) Wirtschafts- und Währungsunion am 1. Januar 1999. Hierbei handelt es sich nicht um ein entwicklungspoli- Denn es herrscht kein Zweifel: Der europäische Markt tisches Almosen für Länder wie Polen, Tschechien wird erst mit der Vollendung der Wirtschafts- und oder Ungarn, sondern es ist eine große Chance, daß Währungsunion zu einem richtigen Binnenmarkt. die inzwischen zu teuren Westeuropäer mit Hilfe (Beifall der Abg. Uta Würfel [F.D.P.]) kostengünstiger osteuropäischer Arbeitnehmer im Das heißt konkret: Erst wenn der deutsche Mittel- internationalen Vergleich mit Asien und Amerika stand in einem einheitlichen Markt von 200 bis wieder insgesamt kostengünstiger werden. 250 Millionen Verbrauchern ohne Kursprobleme, (Beifall bei der F.D.P.) ohne Umtauschkosten und mit einer einheitlichen Mehrwertsteuer bedient werden kann, werden Das ist der entscheidende Zusammenhang. Nur durch zusätzliche Arbeitsplätze in deutschen mittelständi- Direktinvestition und nur durch die Schaffung von schen Betrieben entstehen. Arbeitseinkommen entstehen auch schnell zusätzli- che Märkte in Mittel- und Osteuropa, die wir benöti-- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne gen, weil wir eben in der Elektroindustrie, im Maschi- ten der CDU/CSU) nenbau und auch in anderen Branchen Überkapazitä- Die Chancen stehen besser, vor allem an der Infla- ten haben. tionsfront. Wir sollten mit dem Vorwurf an unsere Meine Damen und Herren, neben der Wirtschafts- europäischen Nachbarn vorsichtig sein, sie sollten politik benötigen wir auch weitere Fortschritte bei der sich an unserem Beispiel messen. Derzeit ist die gemeinsamen europäischen Außen-, Friedens- und europäische Inflationsrate der acht führenden EU- Sicherheitspolitik. Liberale Außenminister haben seit Staaten mit 2,6 % deutlich günstiger als die deutsche 1969 immer wieder eine gesamteuropäische Vision Inflationsrate, die durch die Wiedervereinigung angestrebt. Walter Scheel hat damals gegen konser- zwangsläufig höher liegt: bei etwa 3,2 %. Aber mit der vativen Widerstand die Ostverträge durchgesetzt. Vollendung des Binnenmarkts 1999 werden wir einen wesentlichen Beitrag leisten. (Zustimmung bei der F.D.P.) Durch die Neuaufnahme der früheren vier EFTA- Hans-Dietrich Genscher hat entscheidenden Anteil Staaten würde im Moment die durchschnittliche euro- am Abschluß der Zwei-plus-Vier-Verträge, und Klaus päische Inflationsrate auf 2,27 % absinken, d. h. Kinkel hat durch seinen enormen persönlichen Ein- Europa wäre weltweit gesehen in der Bekämpfung satz die Beitrittsverhandlungen der früheren vier der Inflation sehr weit vorn. Deshalb lautet das Argu- EFTA-Staaten zum Erfolg geführt. ment umgekehrt: Wer die D-Mark dauerhaft sichern (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) will, muß für die termingerechte Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion einstehen. Entscheidend für die Zukunft wird es aber sein, daß zu dieser Europäisierung unserer Beschäftigungs- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) und Außenpolitik auch die noch unterentwickelte Meine Damen und Herren, nicht die Inflationsrate ökologische Dimension in der europäischen Dimen- wird das Problem sein, sondern die Verschuldungs- sion hinzutritt. Gerade beim Umweltschutz kann es rate. Da kommt es eben darauf an, daß die europäi- kein enges Souveränitätsdenken mehr geben, das an schen Staaten in einem nationalen Wettbewerb dafür Landesgrenzen halt macht. Eine richtig ausgestaltete, sorgen, daß sie ihre strukturellen Haushaltsprobleme ökologische und soziale Marktwirtschaft in ganz in den Griff bekommen. Hier kann und darf man nicht Europa wird nicht nur die Umweltbedingungen ver- ausschließlich auf die Ausgabenseite schauen, man bessern, sondern eben auch zusätzliche, dauerhafte muß auch auf die Entstehungsseite schauen. Es ist Teil und interessante Arbeitsplätze schaffen. unserer Beschäftigungspolitik, daß wir durch mehr Dynamik, durch mehr Deregulierung, durch weniger (Zustimmung bei der F.D.P.) Verteilungspolitik, durch Steuersenkungen für kleine Wer die Geschäftsbilanzen der deutschen Maschi- und mittlere Betriebe eben dafür sorgen wollen, daß nenbau- und Anlagefirmen studiert, weiß, daß die das Steueraufkommen so steigt, daß wir 1999 die Umwelttechnologie derzeit derjenige Bereich ist, der Verschuldungsrate unterschreiten, damit Deutsch- das höchste Wachstum aufweist und der die meisten Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20787

Dr. Helmut Haussmann Arbeitsplätze schafft. Umweltpolitik und Beschäfti- Wer sich mit einigen Partnern in der Union auf eine gungspolitik müssen also Hand in Band gehen. besonders enge Koordinierung einigt, der darf sich nicht wundern, wenn sich andere, die zudem andere (Beifall bei der F.D.P.) Vorstellungen von der europäischen Integration Wir möchten daher die deutsche Präsidentschaft haben, ausgegrenzt fühlen. unterstützen, daß durch mehr marktwirtschaftliche Die Bundesregierung spricht viel von Normalität Instrumente in ganz Europa mehr Umweltschutz, aber auch mehr Arbeitsplätze entstehen. Die von uns und Sensibilität. Es genügt aber, die niederländische Nachrichtenagentur anzuführen, die zum Auftreten konzipierte euroweite CO2-/Energie-Steuer muß stu- des Bundeskanzlers auf Korfu feststellt: Er ging wie fenweise realisiert werden. ein Bulldozer ans Werk und scheute sich nicht, den Fazit: Die deutsche Präsidentschaft bietet die große Mitgliedstaa ten Daumenschrauben anzulegen. — Ein Chance, sehr wichtige liberale Konzepte der Beschäf- Kommentar erübrigt sich. tigungs-, Außen- und Europapolitik euroweit voran- zutreiben. Die jetzige und die nachfolgende Bundesregierung müssen sich entscheiden, ob sie die europäischen Ich bedanke mich. Interessen in den Vordergrund stellen oder ob sie (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) lediglich die Gelegenheit nutzen wollen, die soge- nannte deutsche Normalität durchzusetzen, und zwar vom vorherrschenden Einfluß in Europa über einen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat bis hin zu globa- und Kollegen, bevor wir in den Debattenbeiträgen len militärischen Einsätzen. fortfahren, möchte ich auf der Ehrentribüne ganz Wenn Europa keine Perspektive gleichberechtigter herzlich den Präsidenten des Unterhauses der Repu- Kooperation geboten wird, dann ist auch keine blik Indien, Herrn Shivraj Patil, und seine Delegation Akzeptanz der Bürger zu erwarten. Angesichts der begrüßen. immer geringer werdenden Wahlbeteiligung bei den (Beifall) Europawahlen sind auch in der Bundesrepublik die Alarmglocken nicht zu überhören. Ich freue mich, daß Sie inmitten der Europa-Debatte hier auf der Ehrentribüne Platz genommen haben und Urteilt man nach der hier vorgetragenen Erklärung für eine Zeit teilnehmen können an dem, was uns in der Bundesregierung, dann scheint es keine Fehlent- Europa im Umbruch beschäftigt, gleichzeitig wissend, wicklungen zu geben. Offensichtlich kann die Bun- wie eng die Kontakte, auch die parlamentarischen desregierung auch hier nicht von der Schönung der Kontakte, mit Indien, mit unseren Kollegen im indi- realen Lage lassen. Das Bild der EU nach Maastricht schen Parlament sind. Ich erinnere nur an unsere ist aber nun einmal nicht so schön wie die Insel Präsenz bei der Asien-Konferenz im vergangenen Korfu. Jahr in Neu Delhi. Ich hoffe, daß wir in den Tagen, in Die Bundesregierung tritt die europäische Präsi- denen Sie sich in Hessen, in Berlin und hier in Bonn dentschaft zu einem Zeitpunkt an, zu dem Massenar- beim Deutschen Bundestag aufhalten, fruchtbare beitslosigkeit, Existenzbedrohung und Verarmung in Gespräche haben und unsere Kontakte ausbauen. vielen europäischen Staaten alltäglich sind. Allein im Herzlich willkommen. Vorjahr mußten rund 400 Milliarden DM aufgebracht werden, um die schlimmsten sozialen Folgen der (Beifall) Arbeitslosigkeit von inzwischen bald 20 Millionen Als nächstem erteile ich nun dem Abgeordneten Menschen zu mindern. Hans Modrow das Wort. Was liegt in dieser Situation denn näher, als alle Potenzen und allen Einfluß darauf zu konzentrieren, dieses soziale Übel zu beseitigen? — Was aber von der (PDS/Linke Liste): Frau Präsiden- Dr. Hans Modrow Regierung heute dazu gesagt wurde, beweist eigent- tin! Meine Damen und Herren! Nach Korfu dürfte klar lich nur, daß sie das Ausmaß der sozialen Konflikte sein, daß die EU-Präsidentschaft der Bundesrepublik mißachtet. Wenn hier von Solidarität die Rede war, nicht unter einem so guten Stern steht, wie es der Herr dann geht es wohl um die Solidarität mit den Reichen, Außenminister zu beschreiben versucht hat. Es ist nicht aber mit den sozial Schwachen. nicht so, daß andere der Bundesrepublik eine Ent- scheidung vor die Haustür gekippt haben, sondern Die PDS/Linke Liste fordert die Bundesregierung das Problem ist in Wirklichkeit hausgemacht. Im Streit nachdrücklich auf, den deutschen Vorsitz zu nutzen, um die Nachfolge des EU-Kommissionspräsidenten um über das Weißbuch hinausgehend eine EU-weite spiegeln sich Gegensätze und Meinungsverschieden- koordinierte Initiative zur Bekämpfung der Massenar- heiten über die weitere Entwicklung der Europäi- beitslosigkeit einzuleiten. Der Weg dazu führt über schen Union wider, die unter Ausschluß der europäi- eine aktive Wirtschafts-, Struktur- und Beschäfti- schen Völker mit dem Vertrag von Maastricht auf gungspolitik, über eine gerechte Verteilung der einen falschen Weg gedrängt wurde. Arbeit, über eine Aufwertung sozialer, kultureller und ökologischer Arbeit und nicht zuletzt über eine Ver- Die Bundesregierung hat bei der Vorbereitung der hinderung der Steuerflucht. deutschen Präsidentschaft auf eine Langzeitwirkung ihres bestimmenden Einflusses gesetzt. Frau Kollegin Was für die Arbeitslosigkeit zutrifft, gilt leider für Hellwig geht so weit, von einer gemeinsamen den gesamten sozialen Bereich. Die Regierung ist deutsch-frazösischen Präsidentschaft zu sprechen. Ich weder willens noch fähig, eine an den Interessen der weiß nicht, wie das in die Ordnung der EU paßt. Menschen orientierte europäische Sozialpolitik zu 20788 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Dr. Hans Modrow befördern. Symptomatisch dafür ist die Tatsache, daß Auch auf Deutschlands Straßen haben wir Stau. sie bisher mit ihrem Veto die Fortsetzung des EG- Als nächster spricht der Kollege Poppe. Programms zur Bekämpfung der Armut blockiert, was katastrophale Folgen für Sozialgemeinschaften in West- und Ostdeutschland und das gesamte Projekt Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau im Rahmen der Europäischen Union hat. Die EU- Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her- Kommission hat gegen die Bundesregierung sogar ein ren! Der bundesdeutschen EU-Präsidentschaft kommt Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, nachdem eine wesentliche Bedeutung zu; denn durch sie und diese ihr eigenes Arbeitsschutzrahmengesetz im Bun- die französische Nachfolge können die Weichen für destag abgesetzt hat und die Umsetzung der EU- das Vorankommen des europäischen Zuges gestellt Richtlinien blockiert. Das alles bestätigt ein übriges werden. Die Vorbereitung der für 1996 vorgesehenen Mal, wie dringlich es ist, der jetzigen Regierung eine Regierungskonferenz wird dafür mitentscheidend Quittung für ihren unsozialen Kurs zu erteilen und das sein, ob die innerstaatlichen und auf die EU bezoge- Ringen um soziale Gerechtigkeit, in dem den Gewerk- nen Rechte der Bürgerinnen und Bürger gestärkt schaften eine hohe Verantwortung zukommt, zu ver- werden, ob in der EU stärker als bisher die Kommunen stärken. und Regionen mitbestimmen können, ob und wieweit sich die EU Mittel- und Osteuropa öffnet. Verträge Neben den sozialen sind es vor allem Menschen- über partielle Marktöffnung, Beobachterstatus und rechtsaspekte, die in den etwa 200 bisher nicht Assoziation sind ein ermutigender Anfang, mehr umgesetzten Verordnungen und Richtlinien der EU zunächst nicht. an erster Stelle stehen. In der Regierungserklärung blieben sie einfach unerwähnt. Dabei wäre es doch In diesem Zusammenhang ist der Ratifizierung der das mindeste gewesen, endlich über die Schritte zu Beitrittsverträge Österreichs, Norwegens, Schwe- informieren, die die Bundesregierung zur Korrektur dens und Finnlands ausdrücklich zuzustimmen. Diese der vom Europäischen Parlament festgestellten Men- Staaten sind u. a. auch am Ausbau enger Beziehungen schenrechtsverletzungen in Ostdeutschland, vor al- zu den mittel- und osteuropäischen Staaten interes- lem mit der Kategorie „Staatsnähe", einzuleiten siert und können viel dazu beitragen, daß deren gedenkt. Integration gefördert wird. Eine friedliche Perspektive Europas liegt in der Aber auch Deutschland — ich kann Ihnen in vielem gemeinsamen Sicherheit. Doch wie es scheint, setzt recht geben, Herr Klose, aber in diesem Punkt nicht — die Bundesregierung auch weiterhin mehr auf Sicher- hat eine Brückenfunktion. Unsere Geschichte beginnt heit vor statt miteinander. Ein Europa mit unter- nicht erst mit Westeuropa. Fragen Sie mal die Polen schiedlichem Sicherheitsniveau und -status kann und die Russen, was sie von uns erwarten. Diese jedoch kein sicheres Europa sein. Die Bundesregie- Brückenfunktion ergibt sich auch schon als Auftrag rung bleibt aufgefordert, als wesentlichen Schritt aus der deutschen Einheit. endlich eine Initiative zu unternehmen, die den KSZE- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Prozeß mit all seinen Möglichkeiten ausschöpft, und Vorrangiges Ziel einer gesamteuropäischen Politik zwar als Rahmen für ein künftiges gesamteuropäi- muß die Demokratisierung der EU sein. Nach der sches System der Sicherheit und der allseitigen part- Verabschiedung des Maastrichter Vertrages hat jetzt nerschaftlichen Zusammenarbeit, das die Friedens- erstmalig das Europäische Parlament ein Recht auf potenzen mobilisiert sowie wirtschaftliche und soziale Zustimmung zu neu zu bestimmenden FU-Kommissa- Stabilität auch für die Zukunft dauerhaft gestalten ren. Dies ist ein Fortschritt, den es umzusetzen gilt. läßt. Leider zeigt sich die jetzige Bundesregierung In diesem Zusammenhang und ungeachtet der dazu nicht bereit. mangelhaften Ergebnisse von Korfu sei an die Ent- Auch in der Europapolitik verharrt sie im alten schließung des Europäischen Parlaments vom 7. Juni Denken. Sie schreibt angeblich Bewährtes fort, und in erinnert. Dort wird gefordert, Wirklichkeit ist sie unfähig, die Zeichen der Zeit und daß die Entscheidung über die Person des neuen die neuen Erfordernisse zu erkennen, wenn der Präsidenten der Kommission an Hand von Krite- Außenminister mehr Zeit fordert. Ich glaube, es geht rien getroffen wird, die die volle Unabhängigkeit vor allem um neue Ideen und Überlegungen. Viel- der Kommission gegenüber den Regierungen der leicht werden sie erst mit einem Regierungswechsel Mitgliedstaaten garantieren und ein nachhaltiges möglich werden. Engagement für eine demokratischere Union (Beifall bei der PDS/Linke Liste) sicherstellen. Dem ist nur hinzuzufügen, daß diese Union, um demokratisch zu sein, auch sozial und ökologisch verträglich sein muß. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe eben schon die indische Das bürokratische Geflecht des Brüsseler Apparats, Delegation begrüßt. Sie war mir angekündigt, war die an Geheimpolitik erinnernden Entscheidungspro- zesse von Rat und Kommission verstellen vielen Men- aber noch nicht auf der Tribüne. Sie ist jetzt eingetrof- fen, so daß ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, schen den positiven Zugang zum europäischen Pro- bitten möchte, den Präsidenten noch einmal herzlich zeß. Statt dessen erscheint die EU als Riesenbehörde, zu begrüßen. — Herzlich willkommen beim Deut- in der sich konkurrierende Regierungen regelmäßig schen Bundestag. treffen, um keine Entscheidungen zu fällen oder solche, deren Bedeutungen für die EU-Bürgerinnen (Beifall) und -Bürger nicht nachvollziehbar sind. Ich unter- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20789

Gerd Poppe stelle nicht, daß die Bundesregierung die daraus Zahlreiche weitere berechtigte Erwartungen an die resultierende Mischung aus Desinteresse, Uninfor- deutsche Präsidentschaft kann ich aus Zeitgründen miertheit und Skepsis aufrechterhalten will. Aber sie nicht behandeln. sollte endlich entschieden etwas dagegen tun. Ich will deshalb nur noch einen Themenkomplex Dafür gibt es eine Reihe von Möglichkeiten. Man nennen. Was ist angesichts der Kriege in Bosnien, muß sie nur nutzen. Vor allem müssen die demokra- Ruanda und anderen Ländern die Ankündigung einer eigent- tischen Mitwirkungsrechte für die Bürgerinnen und gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik Bürger, für die nationalen Parlamente und für das lich wert? Die EU hat im Falle Bosniens kläglich Europäische Parlament gestärkt werden. Selbst ohne versagt und auch zum Völkermord in Ruanda viel zu Veränderung des EU-Vertrages ist dies sofort mög- lange geschwiegen. lich, indem die in Maastricht verabschiedete Erklä- Die Mitgliedstaaten der EU — Deutschland einge- rung zum Informationszugangsrecht endlich umge- schlossen — vertreten noch immer vor allem partiku- setzt wird. Dieses Recht darf von der Bundesregierung lare und nationale Interessen. Sie reagieren auf lange nicht blockiert werden. erkannte Konfliktherde zu spät und dann vorrangig in Erwägung militärischer Interventionen, unabhängig (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) von derer tatsächlicher Durchsetzung. Gemeinsam- Wie soll beispielsweise der Bundestag in die Lage keiten, die über Formelkompromisse hinausgehen, versetzt werden, angemessene und glaubwürdige lassen sich allenfalls zur Besitzstandswahrung nach Entscheidungen zur europäischen Politik zu treffen, außen erkennen. Besonders aufschlußreich dafür ist wenn er oft genug von weitreichenden Brüsseler der Umgang mit den Rüstungsexporten. Statt eine Entscheidungen erst Monate später unterrichtet wird weitreichende EU-weit abgestimmte Konversionspo- oder gar nur aus den Medien erfährt? Wie soll den litik in Angriff zu nehmen, wird seit Monaten unter Bürgerinnen und Bürgern plausibel gemacht werden, dem Vorwand der Harmonisierung einer Liberalisie- daß sie u. a. wegen der ungenügenden Kompetenzen rung der Rüstungsexporte das Wort geredet. des Europäischen Gerichtshofes noch immer keine Priorität in der gemeinsamen EU-Politik müssen die ausreichenden Beschwerde- und Rechtsschutzmög- Kriterien der Konfliktvermeidung, der nichtmilitäri- lichkeiten gegenüber EU-Organen haben? Diese schen Konfliktschlichtung und der Garantie von Men- Defizite werden immer offenkundiger, je intensiver schenrechten und Völkerrecht haben. Auch darauf die Bundesregierung auf der anderen Seite den Aus- bezogen, sind die Bemühungen skandinavischer bau von Europol zu einer Art europäischem FBI Staaten und ihre Erfolge bei der Konfliktprävention forciert. beispielhaft. (Beifall des Abg. Dieter Schloten [SPD]) Im Entschließungsantrag unserer Gruppe wird bewußt der Bogen von der Demokratisierung der EU Wir legen heute einen zweiten, auf die gemeinsame zu den Schwerpunkten Arbeits- und Beschäftigungs- Außen- und Sicherheitspolitik zielenden Entschlie- politik, Asyl- und Einwanderungspolitik sowie Steu- ßungsantrag vor, der eine Reihe von Vorschlägen zu erpolitik, hier der Klimasteuer, gespannt. Welchen einer Deeskalation in den beiden angesprochenen Stellenwert das Problem der Erwerbslosigkeit in den Kriegsgebieten enthält. Mit ihrer Durchsetzung könn- Mitgliedstaaten der EU hat, muß nicht erläutert wer- ten die Lehren aus der verfehlten Politik gegenüber den, ebensowenig, daß Wachstumsstrategien es nicht Aggressionskrieg und Völkermord gezogen und ein lösen. Deshalb gibt es unseren Vorschlag zur EU-weit Signal für eine konstruktive Außen- und Sicherheits- abgestimmten Arbeitszeitverkürzung. politik der EU gesetzt werden. Beide Anträge beschreiben Möglichkeiten für angemessene Bei- Die EU-weit herrschende Wirtschaftskrise ist be- träge im Rahmen der deutschen EU-Präsidentschaft. reits zum Vorwand für den Abbau des Sozialstaats Daher fordere ich Sie auf, unseren Anträgen zuzu- geworden oder dafür, ihn gar nicht erst aufzubauen. stimmen. Dem entsprechen die Bestrebungen, die Europäische Union zu einer Wohlstandsfestung auszubauen, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gegen vermeintliche Angriffe geschützt werden müsse. Das beginnt mit der Abwehrhaltung gegen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zu einer Kurzinter- Flüchtlinge und Einwanderer. vention erhält der Kollege Freimut Duve das Wort. Gerade wenn Menschenrechtspolitik glaubwürdig werden soll, darf die Harmonisierungspolitik nicht Freimut Duve (SPD): Frau Präsidentin, ich beziehe wegen ökonomischer Eigeninteressen auf den klein- mich auf die Ausführungen des Herrn Außenmini- sten gemeinsamen Nenner reduziert werden. sters. Mir macht für die deutsche Präsidentschaftszeit, aber auch für die drei dann folgenden, ein Gegen- Vergleichbares gilt für die Umweltpolitik — in stand Sorge, den ich hier gern loswerden möchte. Wir unserem Antrag mit dem Thema der Klimasteuer merken immer wieder, daß es in den Mitgliedstaaten abgehandelt. Die Umsetzung ökologischer Steuerre- — ich erinnere an Diskussionen der letzten Zeit in formen muß in der Bundesrepublik durchgesetzt wer- Italien — Politiker gibt, die sich nicht im klaren den, ohne auf sie begrenzt zu sein. Maßstäbe für darüber sind, daß ihre nationalen Grenzen zugleich soziale und ökologische Mindesstandards setzen auch EU-Außengrenzen sind. Ich bitte sehr, hinsicht- gerade die jetzt in die EU aufgenommenen skandina- lich dieser Präsidentschaft ganz deutlich zu machen, vischen Staaten. Die EU sollte sich auf diese beziehen, daß wir alle unsere nationalen Grenzen da, wo sie anstatt die Anpassung auf unterem Niveau anzustre- EU-Außengrenzen sind, als eine gemeinsame politi- ben. sche Grenze verstehen. Ich brauche das Stichwort im 20790 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Freimut Duve Zusammenhang mit Italien und Slowenien hier nicht doch alle darüber freuen. Paßt Ihnen das vielleicht mehr zu nennen. nicht in Ihr Wahlkampfkonzept? Dann, Frau Hellwig, habe ich noch eine Bitte. Zu (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Recht haben Sie gesagt, wir sollten gemeinsam das Wenn Sie uns allerdings — ich wollte das jetzt nicht mit übernehmen, was Frankreich in Afrika tut. Der tun, Herr Klose — so angreifen und für die Massenar- Begriff „Ordnungsfaktor" gilt im Zusammenhang mit beitslosigkeit verantwortlich machen wollen, dann der Geschichte Frankreichs in Afrika in den letzten 20 erspare ich Ihnen die Frage nach dem größten Inve- und 30 Jahren. Wir sollten den Begriff, glaube ich, in stitionshindernis nicht. Das ist nämlich eine Konstel- der Zukunft durch „Gemeinsame Verantwortung" lation Rot - Grün. Und eine verheerende Wachstums- ersetzen. Der Begriff „Ordnungsfaktor" könnte zu initiative negativer Art wäre Rot-Grün mit Volksfront- Mißverständnissen führen. Ich kann ihn so nicht hintergrund, wie Sie es jetzt in Sachsen-Anhalt anpei- tragen. len. Ich danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der SPD) (V o r sitz : Dieter Julius Cronenberg) Das, Herr Kollege Klose, wäre nicht nur für Sachsen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht Anhalt eine Katastrophe, es wäre ein verheerendes der Bundesminister der Finanzen, Theodor Waigel. Zeichen für die Welt. Ich kann Sie als einen verant- wortungsvollen Politiker nur auffordern, hier rechtzei- tig auch in Ihrer Partei dafür zu sorgen, daß dies in Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen: Deutschland nicht stattfindet. Es wäre gut für unseren Frau Präsidentin! meine Damen und Herren! Herr Wahlkampf, aber schädlich für Deutschl and, meine Kollege Klose, Sie haben zu Recht auf das Thema Damen und Herren. Nummer eins hingewiesen: die Massenarbeitslosig- keit in Europa. Es ist nicht wahr, wenn Sie uns - Herr Bun- unterstellen, daß wir dieses Thema vernachlässigten. Vizepräsident Dieter Julius Cronenberg: desfinanzminister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage Das Gegenteil ist richtig. des Abgeordneten Weiß zu beantworten? Es gibt kein Thema, das so im Mittelpunkt aller Debatten und aller Initiativen stand, sowohl bereits Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen: beim Gipfel in Brüssel Ende des vergangenen Jahres Bitte sehr. - als auch beim Beschäftigungsgipfel der G-7 in Detroit, vor allen Dingen auf deutsche Initiativen, was Ausbil- dung anbelangt, was duales System, Fortbildung und Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Umschulung anbelangt. Diese Erfolge wurden gera- Herr Bundesminister, darf ich Sie beruhigen, daß die dezu als vorbildlich dargestellt. Zum ersten Mal Volksfront, die Sie in Sachsen-Anhalt sehen, mit wurde eine Mittelstandspolitik mitgetragen und Sicherheit aus dem ganz einfachen Grunde nicht gefordert, die wir seit Jahren, ja seit Jahrzehnten eintreten wird, weil BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in immer wieder auf den Weg gebracht haben. Es Sachsen-Anhalt eine Partei ist, die aus dem Wider- können und werden nicht allein die Großen sein, stand gegen die SED entstanden ist sondern die Mittleren und Kleinen, die schnell und (Zurufe von der CDU/CSU) flexibel in der Lage sind, auf große ökonomische und nichts mit dem zu tun hat, was die SED bisher Herausforderungen reagieren zu können. Wir haben gemacht hat. Wir werden gemeinsam mit der SPD in das zum Thema gemacht. Sachsen-Anhalt eine Politik für die Bürgerinnen und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Bürger machen — — Wir haben dazu ein Memorandum verabschiedet. Wir haben die Grundzüge der Wirtschaftspolitik Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Herr Ab- begleitet, die Wachstumsinitiative, gerade auch das, geordneter Weiß, würden Sie das bitte in Frageform was der Kollege Rexrodt in Sachen Deregulierung hier kleiden, damit ich hier oben nicht in Verlegenheit vorgeschlagen hat, eine Initiative, an der führende komme. Wirtschaftler und Gewerkschaftler, Wissenschaftler mitarbeiten sollen, um genauso wie bei uns auch in Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Europa die Sekundärgesetzgebung zu überdenken Ich habe den Bundesfinanzminister gefragt, ob ich ihn und auf Wachstumshindernisse hin zu überprüfen. Ich beruhigen darf. Und ich möchte ihn gerne beruhi- verstehe nicht, warum sie daran Kritik üben, was eine gen. ganz breite Zustimmung und auch Aufnahme in Danke. Europa und nun auch bei der Kommission gefunden hat. Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen: Ich weiß nicht, welch merkwürdig gespaltenes Ver- Herr Kollege Weiß, wenn das BÜNDNIS 90 aus lauter hältnis Sie zur Konjunkturentwicklung in Deutsch- solchen Männern und Frauen wie Ihnen bestehen land haben. Wir werden mehr als 1,5 % Wachstum würde, dann wäre eine andere Gesprächsmöglichkeit haben. Obwohl noch vor wenigen Wochen IWF, gegeben. Aber Sie repräsentieren nicht die GRÜNEN, OECD und andere unser Wachstum auf 0,1, 0,9 und die ja auch in diesem Bündnis sind. Darüber hinaus 1,2 % prognostizierten, steht heute fest: Dieses Wachs- haben Sie kein Wort zur PDS gesagt. Wenn man auf tum wird zwischen 1,5 und 2, nach manchen Progno- PDS-Stimmen angewiesen ist, dann ist dies eine stikern eher bei 2 als bei 1,5 % liegen. Wir sollten uns verhängsnisvolle Entwicklung für ganz Deutschland, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20791

Bundesminister Dr. Theodor Waigel nicht nur für Sachsen-Anhalt. Darum bin ich nicht Investitionsbank in der Lage ist, die Mittel aufzubrin- beruhigt. gen, durch die eine Privatfinanzierung gewährleistet (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) werden kann. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: haben in Ihren bisherigen Reden überhaupt nicht Aber der Herr Roth, da habe ich Beden- gewürdigt, welche Dimension Korfu hatte. Es ist wahr: ken!) Der Streit um Personen hat ja leider verdeckt, was an — Herr Roth ist, was seine Ansichten zur Marktwirt- Perspektiven und Dimensionen aufgezeigt wurde. schaft anbelangt, allmählich in Ordnung gekommen. Wenn der russische Präsident Jelzin in seiner Rede Es war ein weiter, aber guter Weg, von der Zeit, als er sagt: „Ein gespaltener Kontinent wächst wieder noch Vorsitzender der Jungsozialisten war und ich mit zusammen", dann spürt man darin etwas von einer ihm Fernsehdiskussionen hatte, bis dahin, als seine Entwicklung, von der vor 50 Jahren unsere Väter und Person in der Sozialdemokratischen Partei ein Hort Mütter und unsere älteren Brüder und Schwestern nur der Marktwirtschaft war. Es sieht ja niemand, Herr träumen konnten. Klose, wenn Sie ihn anrufen. Wenn es durch die Erweiterung der Europäischen (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Union um die skandinavischen Staaten zum erstenmal zu einer gemeinsamen Grenze zwischen der Europäi- Glauben Sie mir, er kann Sie davon überzeugen: Das schen Union und Rußland kommt, und wenn solche Kapital der Europäischen Investitionsbank reicht ureuropäischen Staaten wie Österreich und die skan- aus. dinavischen Länder eine Funktion als Brücken- und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Kernländer ausüben können, ist dies eine Sternstunde ordneten der F.D.P.) für Europa, auf die wir alle, aber besonders diese Bundesregierung, stolz sind. Meine Damen und Herren, eines muß klar sein: Wenn wir den Konvergenzprozeß einleiten und dabei (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) exzessive Haushaltsdefizite feststellen — eine derar- Wenn es dabei durch unser ständiges Drängen tige Prüfung müssen wir bei der Vorbereitung der gelungen ist, daß eine gemeinsame europäische zweiten Stufe der WWU vornehmen —, werden wir Initiative nun auch auf dem Gipfel in Neapel zu einer ganz konsequent auf die Einhaltung der Kriterien gemeinsamen Initiative der G 7 wird und endlich die achten. Das muß alle betreffen, auch uns. Eine Auf- ganze Welt erkennt, was in der Ukraine geschieht weichung gibt es nicht. Stabilitätskriterien gehen vor- oder geschehen könnte, dann ist auch das ein Stück Termin. Dabei wird es bleiben. neugewonnener internationaler Verantwortung, die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) in die Zukunft reicht. Meine Damen und Herren, trotz aller Beengtheit des Haushalts in Deutschland sage Was die Ausgabenprogramme anbelangt, stehen ich: Wenn dazu Geld notwendig ist, muß es in den selbstverständlich auch sie, genauso wie die Ausga- Haushalt eingestellt werden. Das sind wir den Bür- ben bei uns, zur Disposition. Es kann doch wohl nicht gern in Deutschland, in Europa und in der ganzen wahr sein, daß alles, was es einmal an Programmen in Welt schuldig; das hat absolute Priorität. der EU gegeben hat, ad infinitum weitergeführt wird. Wir müssen einmal das eine oder andere durchforsten, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge auch einmal das eine oder andere Programm auslau- ordneten der F.D.P.) fen lassen bzw. eine Umschichtung vornehmen. Wenn Meine Damen und Herren, die deutsche Präsident- wir bei einer solchen Umschichtung für die großen schaft gibt uns die Chance, wie vor sechs Jahren Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen, für die transeuro- entscheidende Fortschritte für Europa zu erreichen. päischen Netze Geld freischaufeln können, dann Das geht durch Stabilisieren, durch Dynamisieren und scheint mir das ein wichtiger, notwendiger Ansatz für auch durch Deregulieren. Dazu sind strikte Finanzdis- Wachstum und für eine bessere Infrastruktur in ziplin sowie Modernisierung und Ausbau der europäi- Europa zu sein. schen Verkehrsinfrastruktur notwendig. Daß eine (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Defizitfinanzierung, wie sie in den 60er und 70er Jahren in der Globalsteuerung versucht wurde, nicht Wir werden uns auch mit allem Nachdruck für die mehr trägt, das muß man auch in Europa wissen. nachhaltige Bekämpfung von Betrügereien zu Lasten des Gemeinschaftshaushaltes einsetzen. Das ist not- Es würde keinen Sinn machen, wenn man in den wendig, um die Akzeptanz der Bürger für Europa zu Beitritts- und den Mitgliedsländern eine konsequente gewinnen. Reduzierung der Defizite vornehmen würde, um die Kriterien von Maastricht zu erfüllen, und wenn dann Natürlich nehmen wir uns auch des Themas der die EG-Kommission mit einer Defizitfinanzierung Beitragszahlung an. An dem, was in der mittelfristi- arbeiten würde. gen finanziellen Vorausschau bis 1999 geregelt ist, wird nicht gerüttelt. Meine Damen und Herren, wir (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlin müssen uns sehr gut überlegen, ob wir mehr Pro- gen] [F.D.P.]) gramme wollen; denn bei jedem neuen Programm Es gibt genügend Möglichkeiten, über die hervorra- sind wir mit 30 % Beitragszahlung dabei, können aber gend geführte Europäische Investitionsbank den höchstens 19 bis 20 % bekommen. Selbstverständlich Kapitalmarkt in Anspruch zu nehmen. Lieber Kollege müssen wir darauf sehen, daß bei den Rückflüssen Klose, ein kurzer Anruf bei Ihrem früheren Kollegen auch mehr nach Deutschland zurückkommt. Sehr Roth wird Sie davon überzeugen, daß die Europäische wohl müssen wir darauf sehen, daß bei den Ausgaben 20792 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Bundesminister Dr. Theodor Waigel strengste Kriterien und das Gebot der Sparsamkeit Finanzminister Waigel gibt mir Anlaß zu folgender genauso gelten wie bei uns. Aber die anderen euro- Kurzintervention. päischen Partner müssen sich auch auf uns verlassen (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Redebeitrag!) können, daß das, was vereinbart wurde, selbstver- ständlich fortgesetzt wird. Es ist von ihm darauf hingewiesen worden, wie schwierig das mit Rot-Grün sei. Aus einem Bundes- Der Vorteil Europas ist nicht allein an der Nettozah- land kommend, in dem sich alle großen Arbeitgeber lerposition auszumachen, sondern man muß ihn der Industrie positiv über rot-grüne Regierungspolitik volkswirtschaftlich sehen. Wenn auf jeden Deutschen in Hessen, 7 000 Dollar Export entfallen, auf jeden Amerikaner 2 000 und auf jeden Japaner 1 850, dann weiß jeder, (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) was für uns offene Grenzen bedeuten und was es für u. a. die chemische Industrie, ausgesprochen haben, uns bedeutet, in andere Länder exportieren zu kön- (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Nur weil Sie nen. etwas Grünes anhaben, brauchen Sie nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so einen Unsinn zu reden!) sowie bei Abgeordneten der SPD und des kann ich in dieser Frage nur sagen: Herr Waigel, Sie BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sollten dort einmal mit den Arbeitgebern sprechen: Was die transeuropäischen Netze anbelangt, Herr Dann würden Sie auch erfahren, daß die Unterneh- Kollege Klose, ist das in einer Gruppe des Kommissars merverbände in Hessen Ihre Politik der transeuropäi- Christophersen identifiziert worden, in der die Beauf- schen Netze, nämlich die Streckenführung zwischen tragten zusammengefaßt sind. Paris und Warschau über den Nürnberger Christ- kindlmarkt vorzusehen statt über die Rhein-Main- (Hans-Ulrich Klose [SPD]: Haben Sie sich Region, wo sich die Europäische Zentralbank und der einmal erzählen lassen, wie das gegangen Frankfurter Flughafen befinden und wo die Verbin- ist?) dung wirklich notwendig ist, als eine provinzielle — Herr Staatssekretär Haller ist ein ganz hervorragen- Politik betrachten, die für den Standort Hessen schäd- der Mann. Selbstverständlich wird dies im Einverneh- lich ist. — Das zum einen. men und in Abstimmung mit dem zuständigen Mini- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sterium erfolgen. Das ist doch ganz klar. Bei uns gibt es eine solche Koordinierung, die Sie in Ihrer Fraktion Das zweite: Eine Partei wie die CDU/CSU, die zwei erst einführen müssen. Blockparteien inkorporiert und deren Erbe angetreten- hat, sollte sich mit unberechtigten Vorwürfen gegen- (Beifall bei der CDU/CSU) über der SPD sehr zurückhalten und im übrigen Wir werden uns auch weiterer Dinge annehmen. Ich Selbstkritik üben; das wäre angebracht. nenne nur die Stichworte Steuerharmonisierung (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ — eine ganz entscheidende Frage in Europa und DIE GRÜNEN) darüber hinaus — und Ursprungslandprinzip bei der Mehrwertsteuer. Die Energiesteuer ist vorher schon vom Kollegen Haussmann und vom Außenminister Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile angesprochen worden. dem Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl das Wort. Wir sind, was die ökonomische Situation anbelangt, auf einem guten Weg. Wir haben für die politische Situation in Europa die Weichen gestellt wie nie zuvor, Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler: Meine Damen und und dies alles ist ganz eng mit unserem Beitrag, mit Herren, ich will hier nur eine kurze Bemerkung dem, was Deutschland in Europa ohne Dominanz in machen. Es ist halt ein Problem, wenn wir zwar das großer Kollegialität tut, verbunden. Ich habe als Parlament unterrichten, wenn ich als Regierungschef Finanzminister in den letzten Wochen und Monaten viele Stunden den zuständigen Ausschüssen zur Ver- alle unsere Partner besucht, ich habe vor wenigen fügung stehe, aber diejenigen, die hier sprechen, die Tagen auch noch einmal mit den Finanzministern der Informationen zum Teil überhaupt nicht aufneh- neuen Beitrittsländer gesprochen, um in einem har- men. monischen, kollegialen, kooperativen Prozeß die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nächsten sechs Monate vorzubereiten. Mit Deutsch- Ich habe mich hier nur gemeldet, weil schon zwei- land für Europa das ist das Motto unserer Präsident- mal in der letzten Stunde im Blick auf die Eisenbahn- schaft, auf die wir uns gut vorbereitet haben. streckenführung völlig falsche Informationen gege- Vielen Dank. ben worden sind. Die Absprache, die auch jetzt in Korfu eingehend diskutiert wurde, ist, daß als Gesamt- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) linienführung — ich spreche jetzt nur von der Linie, die hier angesprochen worden ist — vorgesehen ist: London — Nutzung des neuen Tunnels — -Paris Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zu einer Metz. Dann soll eine Gabelung der Linie erfolgen. Die Kurzintervention erteile ich der Abgeordneten Hei de eine Linienführung ist: Saarbrücken-Mannheim- Frankfurt am Main-Berlin-Warschau-Moskau — ich-marie Wieczorek-Zeul das Wort. weiß gar nicht, woher Sie Ihre Informationen haben—, und die andere Linienführung ist: Straßburg-Appen- Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Liebe Kollegin- weier-Karlsruhe-Stuttgart-München und von dort nen und Kollegen! Die Wortmeldung von Herrn weiter in den Süden. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20793

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Ich verstehe überhaupt nicht, wie Sie hier die Arbeitgeber betrachtet, den sollte man daran erin- Behauptung aufstellen können, eine Linienführung nern, daß sozialer Frieden nicht nur ein Kostenfaktor ginge über den Christkindlmarkt in Nürnberg. ist; sozialer Frieden ist auch eine Stärke der Wirt- (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Ge schaftsstandorte Deutschland und Europa, und man meinheit gegen !) darf ihn nicht in Gefahr bringen, meine Damen und Herren. Wenn man sich anmaßt, über europäische Dinge zu reden, und womöglich sogar noch andere Vorstellun- (Beifall bei der SPD — Dr. Wolfgang Weng gen von europäischen Entwicklungen hat, dann sollte [Gerlingen] [F.D.P.]: Siehe Postgewerk- man wenigstens Grundkenntnisse auf diesem Gebiet schaft!) vorweisen. Deswegen ist der Weg über die transnationalen Netze (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) in Europa ein richtiger Weg. (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Da haben Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile wir kein Problem!) der Abgeordneten Ingrid Matthäus-Maier das Wort. Wir halten es auch für richtig, daß nicht ein eigenes Verschuldungsrecht der Europäischen Union ge- Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Herr Präsident! schaffen wird. Nach den verheerenden Erfahrungen Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie mit den Sondertöpfen und Schuldentöpfen von Herrn sollten aber der Ehrlichkeit halber hinzufügen — so Waigel zur Finanzierung der deutschen Einheit kön- sind jedenfalls meine Informationen —, daß bis heute nen wir uns einen neuen Schuldentopf nicht leisten, die Gesamtfinanzierung der Schnellbahnverbindung meine Damen und Herren. Paris-Berlin im Rahmen der transeuropäischen Netze (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nicht gesichert ist. Hinzu kommt, daß wir, wenn wir dem zustimmen (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) würden, auch die Stabilitätsbedingungen des Maas- Meine Damen und Herren, wir stehen vor der trichter Vertrages nicht einhalten könnten. Wir sind ersten gesamtdeutschen EU-Ratspräsidentschaft. Ich nämlich, gerade was die Verschuldung angeht, in glaube, auch die Polemik heute morgen — gerade von Europa vom Musterschüler zum Sitzenbleiber gewor- Herrn Waigel — sollte uns nicht vergessen lassen, daß den. diese gesamtdeutsche Ratspräsidentschaft zwei Ent- - wicklungen zeigt, für die wir dankbar sein sollten. (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Die Wie- dervereinigung!) Vor einigen Jahren war ich in einer Podiumsdiskus- sion mit dem Kollegen Poppe. Er sagte als ostdeut- — Und wenn man immer — ich höre es gerade scher Kollege etwas, was mich sehr beeindruckt hat. wieder — erklärt, Grund dafür sei die Wiedervereini- Er sagte nämlich: „40 Jahre hatte ich keinen gesamt- gung, dann sage ich Ihnen, meine Damen und Herren: deutschen Paß, jetzt habe ich endlich einen, und nun Selbstverständlich war es erlaubt, für die deutsche brauche ich ihn in Europa fast nicht mehr." Einheit eine höhere Kreditaufnahme vorzunehmen; aber das konnte und kann doch kein Freibrief für die Ich finde, dies zeigt, daß es trotz aller Probleme maßlose Staatsverschuldung sein, die Sie seit Jahren Fortschritte gibt, Dinge, über die wir froh sein können, betreiben. nämlich die deutsche Einheit einerseits und die euro- päische Integration andererseits. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Es gibt Menschen — Bürger und Politiker —, die DIE GRÜNEN) angesichts dieser Schwierigkeiten sagen, wir sollten Die Debatte sollte auch nicht verdecken, daß wir die Stabilitätskriterien von Maastricht aufweichen heute über den Beitritt von vier Staaten abstimmen, oder den Zeitplan verschieben. die hinzukommen: Österreich, Finnland, Schweden (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Nicht mit und Norwegen. Das ist ein weiterer Schritt nach vorn. uns!) Wir freuen uns darüber; aber der Beitritt der skandi- navischen Länder ist nicht gesichert, weil die Bevöl- Beides halte ich für falsch. Die Stabilitätskriterien kerung in diesen Ländern Angst davor hat, daß die dürfen nicht aufgeweicht werden; denn Europa hat Europäische Union zuwenig gegen die Arbeitslosig- nur als Stabilitätsgemeinschaft eine Chance. Und die keit tut, meine Damen und Herren. notwendige einheitliche europäische Währung muß mindestens so stabil sein wie die Mark. Da kann ich für die Sozialdemokraten nur hinzufü- gen: Wenn diese Bundesregierung auf europäischer Aber auch ein Verschieben des Zeitplans wäre ein Ebene so einseitig auf Eingriffe in die Tarifautonomie, Fehler; denn nur durch die Kombination von strengen Sozialabbau, untertarifliche Bezahlung, Abbau von Stabilitätskriterien und Zeitplan wird auf die nationa- Arbeitnehmerrechten setzt, wie sie das auf nationaler len Politiker endlich der Druck ausgeübt, verstärkt Ebene tut, dann ist die Skepsis der anderen Länder sparsam mit den öffentlichen Finanzen umzugehen. berechtigt, meine Damen und Herren. So bekämpft (Beifall bei Abgeordneten der SPD — man Arbeitslosigkeit nicht, so verstärkt man sie allen- Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Und auf die falls. Opposition!) (Beifall bei der SPD) Zu Ihrer Ratspräsidentschaft wird auch gehören, zu Nach der Debatte der letzten Tage sage ich: Wer mehr Beitragsgerechtigkeit zu kommen, meine sich im Deutschen Bundestag als verlängerter Arm der Damen und Herren. Es ist nicht antieuropäisch, wenn 20794 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Ingrid Matthäus-Maier wir als Deutsche darauf hinweisen, daß wir in der dieses Thema in Europa auch viel zu spät disku- Wohlstandsskala nach der deutschen Einheit weit tiert. zurückgefallen sind. Es gibt mehrere Möglichkeiten, Wenn es nicht solche groben Ärgerlichkeiten gäbe, das zu korrigieren. könnten wir sicher die Bereitschaft der Menschen, Die eine Möglichkeit wäre ein deutscher EU- Europa mit Kopf und Herz zuzustimmen, stärken. Dies Beitragsrabatt. Ich hielte das für falsch. Wir brauchen wäre wichtig für Europa, aber auch für uns Deut- keine Extrawürste, auch keine deutschen. Deswegen sche. ist es der richtige Weg, daß wir den britischen Rabatt (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ endlich wegverhandeln. Es ist nicht einzusehen, daß DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der wir dafür über eineinhalb Milliarden DM im Jahr PDS/Linke Liste) ausgeben.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Re Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Ich erteile nate Hellwig [CDU/CSU]) nunmehr dem Senator für Bundes- und Europaange- legenheiten des Landes Berlin, Senator Peter Die dritte Möglichkeit ist, daß die Rückflüsse an Radunski, das Wort. Deutschland, z. B. an die neuen Länder zum Aufbau der dortigen Infrastruktur, stärker werden als bis- her. Senator Peter Radunski (Berlin): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß, daß es für Der vierte Weg ist der einfachste. Wir brauchen in manches Mitglied dieses Hohen Hauses noch immer Europa eine sehr viel striktere Ausgabendisziplin. etwas gewöhnungsbedürftig ist, wenn ein Vertreter (Beifall des Abg. Dr. Martin Mayer [Siegerts des Bundesrates in einer Europadebatte das Wort brunn] [CDU/CSU]) ergreift. Ich bin aber zuversichtlich, daß wir uns gemeinsam daran gewöhnen werden. Wir müssen klarmachen, daß die Obergrenze des EU-Eigenmittelplafonds, die in Edinburgh 1992 ver- (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Die Bayern einbart worden ist, wirklich eine Obergrenze ist. Kein nicht!) Mensch zwingt uns dazu, in Europa diese Obergrenze Wenn wir die wichtigen grundlegenden Entschei- auszuschöpfen. Auf diese Weise können wir Geld dungen zur Europapolitik in Bundestag und Bundes- sparen. Insbesondere ist Sparsamkeit im Agrarhaus- rat gemeinsam treffen wollen — selbstverständlich halt der Europäischen Union vonnöten, der leider unter strikter Wahrung der unterschiedlichen Verant-- immer noch mehr als 50 % der EU-Ausgaben auffrißt. wortlichkeiten von Bundestag und Bundesrat —, scha- Größere Anstrengungen gegen Subventionsbetrug in den wir der deutschen Position in Brüssel nicht. Im der Union gehören auch dazu. Gegenteil, ich bin der Meinung, daß wir sie stär- ken. Meine Damen und Herren, Herr Waigel wird die Ratspräsidentschaft endlich auch dazu nutzen müs- Die Länder waren erstmals an Erweiterungsver- sen, zu einer einheitlichen europäischen Zinsbesteue- handlungen beteiligt. Als Berliner Europasenator rung zu kommen. Wenn er dies heute endlich möchte, habe ich stellvertretend für die übrigen Länder die darf ich ihn daran erinnern, daß er im Jahre 1989 schwierigen Verhandlungen im Allgemeinen Rat zusammen mit den Luxemburgern eine EU-weite direkt verfolgen können. Ich möchte der Bundesregie- Harmonisierung verhindert hat. Ich nehme an, daß er rung dafür meine Anerkennung aussprechen. Die dies heute bereut, weil ihm dadurch Milliarden D- besondere Verhandlungsleistung von Außenminister Mark im Haushalt fehlen. Es darf nicht länger so sein, Kinkel sowie der Einsatz des Bundeskanzlers haben daß in Deutschland die ehrlichen Steuerzahler bei der erheblich zum Erfolg dieser Beitrittsverhandlungen Zinsbesteuerung die Deppen sind. beigetragen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der SPD) Die deutsche Präsidentschaft steht jetzt vor einer Ich ärgere mich auch immer wieder darüber, daß die wichtigen Aufgabe. Wir sind zuversichtlich, daß die großen Fortschritte in Europa — Frieden, Freizügig- deutsche Europapolitik, die in diesem Hause eine keit, großer sozialer Wohlstand — durch Argerlichkei- breite Mehrheit hat, wieder so geschickt und erfolg- ten, wie z. B. die völlig verrückte Bananenmarktord- reich geführt wird, wie das bei diesen Erweiterungs- nung, zu Lasten unserer Verbraucher überdeckt wer- verhandlungen der Fall war. Dazu wünschen wir den. Klaus Kinkel und seiner Euro-Mannschaft viel Glück. (Zuruf von der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ein anderes Ärgernis: Der Beschluß des europäi- Meine Damen und Herren, die nächsten sechs schen Agrarministerrates über die Zulassungskrite- Monate sind unsere Chance in Europa. Die Deutschen rien für Pflanzenschutzmittel ist schlicht und einfach sind jetzt verpflichtet, europäische Führungsaufgaben ein Skandal, weil er einen Rückschritt im Hinblick auf wahrzunehmen. Wir dürfen die Dynamik unserer unseren Gewässerschutz bedeutet. Europapolitik nicht mit ungeklärten Verhältnissen in (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der deutschen Innenpolitik belasten. DIE GRÜNEN) (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) Sie haben sich im Agrarministerrat bei dieser Ent Wir können nicht sagen: Europa muß warten, weil wir scheidung ohne Not überstimmen lassen. Sie haben Bundestagswahlen haben. Wir können auch nicht Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20795

Senator Peter Radunski (Berlin) sagen, Europa muß warten, weil sich Bund und Länder machbar, wenn wir grundlegende Reformen in der noch einigen müssen. Agrar - und Regionalpolitik vornehmen. Aber hier schließt sich der Kreis: Eine Reform der europäischen Deshalb lassen Sie mich einige wenige Worte zum Landwirtschaft, die auch eine Reform der deutschen Verhältnis zwischen Bund und Ländern in der Euro- Landwirtschaft und ihrer Regionalpolitik ist, wird nur papolitik sagen. Bund und Länder sollten sich in der in einer Zusammenarbeit zwischen Bundesländern Europapolitik eine klare Maxime setzen: Der Bund und Bund angegangen werden können. setzt die europapolitische Linie fest. Wir sollten die Vorbereitung der Regierungskonfe- (Zuruf von der F.D.P.: Sagen Sie es Baden renz in der deutschen Präsidentschaft für 1996 sehr Württemberg!) ernst nehmen und zwei Themen in den Vordergrund Die Länder beteiligen sich an den einzelnen Mate- stellen: die Revision selbst, aber auch die Osterweite- rien durch ihre in Art. 23 garantierten Mitwirkungs- rung. Die Konferenz der Europaminister der Länder rechte. Europapolitik — das ist ganz deutlich gewor- hat dazu erste Vorschläge gemacht. Wir fordern eine den — wird immer mehr zur Innenpolitik. Selbstver- Stärkung der parlamentarischen Kontrolle und Mit- ständlich haben die Länder deshalb gesteigerte Mit- entscheidung in der Europäischen Union sowie den wirkungsrechte in europäischen Angelegenheiten Übergang von Einstimmigkeits- zu Mehrheitsent- durch Art. 23 erhalten. scheidungen im Rat. Die Bedeutung des letzteren ist in Korfu angesichts der Haltung der Briten sehr deutlich Unsere Zusammenarbeit wird aber nur erfolgreich geworden. sein, wenn der gute Wille und das pragmatische Vorgehen auf beiden Seiten vorhanden sind. Deshalb Die Mitgliedstaaten sollten aber, wie bereits ange- hat der Senat von Berlin bereits am 10. Mai beschlos- sprochen — das müssen wir jetzt vorbereiten —, 1996 eine Reform der EU-Politiken insgesamt beraten, sen, der EU - Erweiterung im Bundesrat zuzustimmen, und wir bleiben dabei. Nicht juristische Rechthaberei denn es kann nicht angehen, daß uns die bisherigen um die Zweidrittelmehrheit dieser Zustimmung im Politiken, die etwas festgefahren sind, die Zukunfts- Bundesrat, sondern politische Verantwortung be- möglichkeiten einer Erweiterung nach Osten ver- stimmt unsere Haltung. bauen. Ich bin auch dafür, daß wir ein Zieldatum für den Beitritt der assoziierten mitteleuropäischen Staa- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ten zur Union festlegen. Lassen Sie uns gemeinsam, Der Beitritt der vier EFTA-Staaten zur Europäischen Bund und Länder, bei unseren europäischen Partnern Union erfolgt auf der Grundlage des Vertrags über die dafür werben! - Europäische Union. Mit ihrem überraschend klaren Ja Danke schön. für eine EU-Mitgliedschaft haben sich die Osterrei- (Beifall bei der CDU/CSU) cher am 12. Juni in ihrem Referendum für den Unions-Vertrag und die darin vorgezeichnete Rich- tung ausgesprochen. Das ist ein Ausweis für die Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort Attraktivität der Europäischen Union. hat der Abgeordnete Michael Stübgen. Wir alle wissen, wie schwierig es jetzt sein wird, in den nordischen Staaten die Volksbefragungen durch- Michael Stübgen (CDU/CSU): Herr Präsident! zubekommen. Wir gefährden sie ernsthaft, wenn wir Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wieder in Deutschland einen Streit über Bund- und Länder- einmal scheint Europa nach dem Gipfeltreffen auf kompetenzen vom Zaun brechen, den keiner unserer Korfu, zumindest wenn man sich ausschließlich auf europäischen Nachbarn, aber auch deutsche Insider die Berichterstattung in den Medien bezieht, hoff- kaum noch verstehen werden. nungslos zerstritten und unfähig zur Einigung zu sein. Das in der Tat unerträgliche Hin und Her um die Die Erweiterung liegt im besonderen Interesse der beiden offiziellen Bewerber um das Amt des Kommis- neuen Bundesländer und Berlins. Wir brauchen die sionspräsidenten, Dehaene und Lubbers, nahm in der Erweiterung nach Norden und Osten. Berlin will öffentlichen Diskussion breiten Raum ein. Ich will hier Bundeshauptstadt in der Mitte Europas sein. Die keine allgemeine Medienschelte beginnen. Es ist nun Erweiterung um Österreich und die nordischen Län- einmal in der Tat so, daß die Presse notwendigerweise der ist deshalb für uns der erste Schritt. Der nächste, selektieren muß. Es ist leider auch so, daß eine die Erweiterung nach Osten, muß folgen. Vorausset- schlechte Nachricht für die Medien besser ist als eine zung für die Erweiterung nach Osten aber ist das gute Nachricht. wird während der deutschen Präsidentschaft eine Offensichtlich hat die SPD aber den Fehler began- Rolle spielen —, daß wir bereit sind, überfällige Reformen endlich anzugehen. Vertiefung und Erwei- gen, sich allein auf die Berichterstattung der Medien terung der Europäischen Union — das haben wir zu verlassen und das, was für das Ergebnis dieses gelernt — sind angesagt. Aber das ist kein paralleler Gipfels auf Korfu ausschlaggebend ist, nämlich die Prozeß. Das eine bedingt das andere. Erst die notwen- Schlußfolgerung des Rates, nicht zu lesen. digen Reformen zur Vertiefung der europäischen (Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Hornhues Integration werden es uns ermöglichen, die wichtige [CDU/CSU]) Zielsetzung der Erweiterung zu erreichen. Sonst hätten Sie nicht behauptet — darauf hat der Kommissionspräsident Jacques Delors hat in einer Bundeskanzler schon hingewiesen —, die Strecke Konferenz mit den neuen Ländern und Berlin am nach Berlin sei überhaupt nicht geplant. 13. Mai in Schwerin darauf hingewiesen: Ein Beitritt (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Darauf der mittel- und osteuropäischen Staaten ist nur dann kommen wir gleich zurück!) 20796 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Michael Stübgen Ein Blick auf diese Schlußfolgerung hätte gezeigt, daß schichte. Die Europäische Union stellt sich ihrer Ver- es in der Tat so ist, wie der Bundeskanzler sagt. Sie antwortung zu Osteuropa. Dies wird langfristig auch wären dann auch nicht darauf verfallen, den Gipfel so zu einer Verlagerung der Schwerpunkte der europäi- schlechtzumachen, hätten nicht immer nur gesagt, die schen Politik führen. Einigung sei nicht erreicht worden, und es sei eigent- lich alles schlecht gewesen. Die jetzt vertraglich festgelegte Zusammenarbeit mit Rußland stellt das Ergebnis intensiver Bemühun- (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Sie le gen dar, die bereits im letzten Jahr in Kopenhagen sen keine Zeitung!) ihren Anfang nahmen. Dort beschloß man, auch mit Schließlich hätten Sie auch nicht auf die Idee den baltischen Staaten Europaabkommen anzustre- kommen können — das verstehe ich sowieso nicht, ben. Der Rat wurde beauftragt, bis zum Essener Gipfel welche Rechnung Sie da aufmachen —, der Bundes- eine Strategie auszuarbeiten, den Beitritt der balti- kanzler trage irgendeine Schuld daran, daß es keine schen Staaten vorzubereiten. In Korfu herrschte aller- Einigung auf den Kommissionspräsidenten gab. Es dings auch Einigkeit darüber, daß diese Beitrittsver- war eben nicht so, daß der Bundeskanzler mittels handlungen nicht vor 1996 beginnen sollten. Auch eines Vetos den Kandidaten der elf anderen Regie- diese Terminierung halte ich für richtig; denn 1996 rungschefs verhindert hat. Vielmehr hat der britische finden die Nachverhandlungen zum Maastrichter Premierminister den Kandidaten der elf anderen ver- Vertrag statt. Erst dann wird sich zeigen, inwieweit die hindert. Vorgaben des Vertrages in der Europäischen Union eingehalten worden sind und ob Korrekturen notwen- (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: So ist dig sind. Darüber hinaus benötigt die Europäische es! — Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr Union Zeit, um den Beitritt der Länder Norwegen, wahr!) Schweden, Finnland und Österreich zu vollziehen. Meine Empfehlung ist: Rechnen Sie das noch einmal Erst wenn diese Staaten voll integriert sind und offene nach, und schauen Sie sich die Schlußfolgerung des Fragen des Maastrichter Vertrages geklärt sind, kann Rates genauer an, bevor Sie hier Dinge erzählen, die sinnvoll über die Aufnahme weiterer Staaten ent- Schlichtweg nicht richtig sind. schieden werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Übereilte Beitrittsaktionen nutzen niemandem, Natürlich ist es ärgerlich, daß es noch keinen zumal die wirtschaftliche Entwicklung dieser Staaten einheitlichen Vorschlag für das Amt des Kommis- — darauf kommt es bei den mittel- und osteuropäi- - sionspräsidenten gibt. Gerade deshalb halte ich die schen Staaten in erster Linie an — durch Assozi- Initiative des Bundeskanzlers für unterstützenswert, ierungsabkommen unterstützt wird. Hier ist die Aus- noch im Juli zu klären, wen der Europäische Rat weitung der Handelsabkommen allerdings nach mei- einstimmig zum Präsidenten vorschlägt. Auch das ner Einschätzung wünschenswert, ja notwendig; denn scheinen Sie nicht registriert zu haben; denn wenn ich wenn die Staaten des ehemaligen RGW nicht in der nicht davon ausgehen soll, daß Ihre ständigen Beteue- Lage sind, ihre Produkte in der Europäischen Union rungen, das Europäische Parlament müsse in seinen abzusetzen, dann werden sie auch nicht das nötige Rechten weiter gestärkt werden, reine Sprechblasen Geld haben, um ihre Wirtschaft und ihr Sozialwesen sind, müßten Sie eigentlich auch das unterstützen. aufzubauen. Der wichtige Grund dafür ist: Eigentlich könnte man Meine Damen und Herren, die Erweiterung der mit dem Vorschlag und der letztgültigen Entschei- Europäischen Union ist gerade für die Bundesrepublik dung über den Kommissionspräsidenten noch warten. Deutschland von herausragendem Interesse. Deshalb Es ist noch etwas Zeit. Aber dann passiert folgendes: In sollten wir die Ratifizierung der Beitrittsverträge, die einer Phase, in der das Europäische Parlament erst- inhaltlich völlig unstrittig sind, auch schnellstmöglich malig nach Maas tricht sein Konsultations- und umsetzen. Inhaltlich sind sie nur im Deutschen Bun- Zustimmungsrecht nutzen kann, würde dieses Recht destag völlig unstrittig. bei der Wahl des künftigen Kommissionspräsidenten verkürzt und unterlaufen und könnte vom Europäi- Es war wohl eine vergebliche Hoffnung von mir, schen Parlament nicht wahrgenommen werden. eine gleiche Haltung auch im Bundesrat zu erwarten. Mir ist völlig unverständlich, daß der Bundesrat (Dr. Renate Hellwig [CDU/CSU]: Sehr bezüglich der Ratifizierung des Beitrittsgesetzes den wahr!) Antrag gestellt hat — er wurde bei einer einzigen Unter der deutschen Ratspräsidentschaft wird so Gegenstimme, das muß ich zur Ehrenrettung sagen, etwas nicht geschehen. Im Juli muß darüber Klarheit nämlich der von Berlin, angenommen —, über die bestehen. Sie sollten diese Initiative des Kanzlers eher Ratifizierung des Beitrittsgesetzes im Deutschen Bun- unterstützen, als ihm vorzuwerfen, er habe schuld destag mit Zweidrittelmehrheit zu entscheiden. daran, daß das bis jetzt noch nicht geklappt hat. Dabei bezieht er sich auf den neuen Europaartikel (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. des Grundgesetzes, nämlich auf Art. 23 Abs. 1 Satz 3, Uwe Lühr [F.D.P.]) wonach für grundlegende Änderungen der Verträge Meine sehr verehrten Damen und Herren, die nach der Europäischen Union, die — und das ist der meiner Meinung entscheidenden Punkte des Gipfels entscheidende Satz — eine Änderung des Grundge- setzes nach sich ziehen, eine Zweidrittelmehrheit im von Korfu sind der Abschluß des Kooperationsab- Bundestag nötig ist. kommens mit Rußland und die Unterzeichnung der Beitrittsverträge mit den vier Beitrittsländern. Das ist Unzweifelhaft ist es so, daß sich die vertraglichen eine wirklich neue Phase der europäischen Ge Grundlagen der Europäischen Union mit dem Beitritt Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20797

Michael Stübgen der EFTA-Staaten verändern. Für eine Zweidrittel- wirksame Bekämpfung des globalen Bevölkerungs- mehrheit setzt Art. 23 des Grundgesetzes aber weiter- wachstums national und auf FU-Ebene vorstellen. hin voraus, daß durch die Vertragsänderung der Leider, meine Damen und Herren, soll dieser Europäischen Union Kausalveränderungen des Antrag auf Wunsch der SPD heute nachmittag ohne Grundgesetzes notwendig sind. Aussprache über die Bühne gehen. Ich empfinde dies Dies trifft aber nicht zu. Ich weiß nicht, vielleicht angesichts der Größe dieser Problematik als einen waren die Vertreter im Bundesrat nicht in der Lage, Skandal. Der Antrag enthält wichtige Empfehlungen diesen Satz nachzulesen. Da dies nicht zutrifft, brau- für die Haltung der Bundesregierung in Kairo. chen wir heute auch nicht mit Zweidrittelmehrheit Die Ausgangsbasis für diese Weltbevölkerungskon- abzustimmen. ferenz hat sich im Vergleich zu früheren Konferenzen Meine Damen und Herren von der SPD, ich will Sie erheblich verbessert. Der langjährige Dissens zwi- daran erinnern: Im Bundesrat hat die SPD die Mehr- schen dem Norden und dem Süden in der Beurteilung heit. Ich würde Ihnen, bevor Sie hier Sprechblasen von der Bevölkerungsentwicklung scheint beigelegt. Ein sich geben, empfehlen, als SPD mit Ihrer Mehrheit langer und strittiger Weg liegt hinter uns. Endlich dafür zu sorgen, daß das, was Sie hier positiv im greift die Erkenntnis, daß Bevölkerungsentwicklung Bundestag zur Europapolitik sagen, auch im Bundes- kein isoliertes oder gar statistisches Problem ist, son- rat durchgesetzt wird und nicht durch die Blockade- dern daß es einen verhängnisvollen Zusammenhang politik die Gefahr besteht, daß erstens Unsicherheit zwischen Bevölkerungsentwicklung, Ressourcenver- bei den Beitrittsländern Schweden, Norwegen und brauch, Umwelterhaltung, Ernährungssicherung, Ge- Finnland entsteht und zweitens möglicherweise die sundheitsvorsorge, Bildung und Entwicklung gibt. ganze Geschichte verzögert wird, wenn es zu einer Unkontrolliertes Bevölkerungswachstum wird damit Verfassungsklage in Karlsruhe kommt. zum Teufelskreis, der auch uns erfaßt. Die Zahl der Das wäre Ihre erste Aufgabe gewesen. Wenn Sie Armuts- und Umweltflüchtlinge nimmt weltweit zu, dazu nicht in der Lage sind, dann frage ich mich: Wie mit katastrophalen Folgen auch für uns. wichtig soll ich Ihre offenen Äußerungen für Europa Das Morden in Ruanda, meine Damen und Herren, — Sie setzen sich so sehr für Europa und den Beitritt ist nicht nur Ausdruck ethnischer Konflikte, sondern der neuen Länder ein — nehmen, wenn Sie es nicht Ausdruck von Landmangel und Hunger. Der Bürger- einmal schaffen, dort, wo Sie die Mehrheit haben, das krieg in Ruanda ist der Vorbote eines weltweiten auch umzusetzen? Konflikts, der nicht mehr weggeredet, weggedacht Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. oder mit traditionellem Handeln gelöst werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Der Bevölkerungsdruck vor allem in Afrika hält unvermindert an mit der Folge: Die wirtschaftliche Entwicklung kann mit der Bevölkerungszunahme nicht mehr Schritt halten. Das Wirtschaftswachstum Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Ingrid Walz das Wort. wird schneller aufgefressen, als es entstehen kann. Ausbeutung und Zerstörung der natürlichen Ressour- cen und der Umwelt sind die Folge. Armut und Ingrid Walz (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen Hunger nehmen weiter zu. Wir können nicht mehr nur und Herren! Die europäische Präsidentschaft hat die mit Nahrungsmittelhilfe oder gar mit militärischer Aufgabe, die großen wirtschaftlichen und politischen Intervention die Probleme lösen. Wo soll dies enden? Herausforderungen Europas zu sehen und Antworten An der Südflanke Europas, am Mittelmeer, bauen sich darauf zu geben, so der Antrag der CDU/CSU und Armutsarmeen auf, die, durch fundamentalistische F.D.P. zur europäischen Präsidentschaft. Generäle geführt, sehr schnell das Mittelmeer über- Eine dieser großen Herausforderungen nicht nur winden können. Europas ist die explosionsartige Zunahme der Weltbe- Aber die globale Bevölkerungszunahme hat nicht völkerung. Anfang September wird in Kairo die nur einen ökologischen Hintergrund, der uns alle Weltbevölkerungskonferenz stattfinden. Dieses Tref- zerstören kann, sondern sie ist auch eine soziale fen wird deutlich machen, daß die Zunahme der Zeitbombe. Bereits heute ist die Mehrheit der Weltbe- Weltbevölkerung eine unaufhaltsam tickende Zeit- völkerung deutlich unter 18 Jahre. Ein Großteil davon bombe ist. Die Brisanz dieses Themas wird uns zwin- hat bereits heute weder Arbeit noch Zukunftsperspek- gen, über den Tellerrand unserer eigenen, im Welt- tiven — bisher ein Problem für uns in weiter Ferne. Die maßstab kleinen Welt einen Blick auf das große Asyl- und Flüchtlingsströme der letzten Jahre, die mit Ganze, auf das Überleben der Welt insgesamt zu dem Ausmaß einer Völkerwanderung aus den armen werfen. Nach Kairo, meine Damen und Herren, darf Ländern des Südens und Ostens in die wohlhabenden die Bevölkerungsproblematik nicht länger in Sonn- Länder des Nordens drängen, haben uns endgültig tagsreden oder in gut formulierten Feuilleton-Beiträ- aus di esem trügerischen Dornröschenschlaf gerissen. gen untergehen oder gar zwischen unterschiedlichen Wir erkennen heute die Ursachen, und wir müssen politischen oder religiösen Interessen zerrieben wer- europäisch handeln und gemeinsam helfen. den. Von Kairo muß die unmißverständliche Botschaft (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) ausgehen, daß die Eindämmung der globalen Bevöl- Deshalb ist es wichtig, daß sich die Fraktionen der kerungszunahme einen entscheidenden Faktor für CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. auf einen Antrag das Überleben nicht nur Europas, sondern der ganzen verständigen konnten, der im Vorfeld von Kairo Welt darstellt. Der Erfolg von Kairo unter unserer Absichten und Strategien beschreibt, wie wir uns eine Präsidentschaft muß ein absolutes Muß sein. 20798 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Ingrid Walz Danke. Rolle beschäftigen, die Bundeskanzler Kohl bei den (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Beratungen über die Nachfolge des EG-Kommis- sowie der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul sionspräsidenten Jacques Delors auf Korfu gespielt [SPD]) hat. Ich will im übrigen an dieser Stelle dem EG- Kommissionspräsidenten Jacques Delors ausdrück- lich danken und ein Wort des Lobes an ihn richten. Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Ich erteile Denn vieles, was in der Europäischen Gemeinschaft nunmehr der Abgeordneten Heidemarie Wieczorek- vorangekommen ist, ist ihm zu verdanken. Das sollte Zeul das Wort. der Deutsche Bundestag ihm gegenüber heute auch ausdrücken.

Heidemarie Wieczorek - Zeul (SPD): Liebe Kollegin- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nen und Kollegen! Was Bundeskanzler Kohl vorhin DIE GRÜNEN) hier gezeigt hat, ist ein typisches, negatives Beispiel für Desinformationspolitik in bezug auf europäische Herr Stübgen scheint die Zeitungen nicht gelesen Angelegenheiten zur Frage der transeuropäischen zu haben. Die Empörung über „die Methode der Netze. Dampfwalze", die von Helmut Kohl angewandt wor- den sei, ist nicht nur in den Nachbarländern groß. „Die (Widerspruch bei der CDU/CSU und der Art und Weise, in der Bundeskanzler Kohl hinter den F.D.P. — Dr. Walter Franz Altherr [CDU/ Kulissen den ungeliebten Kandidaten Lubbers Zug CSU]: Das ist unerhört!) um Zug ausmanövrierte, hat das ohnehin nicht einfa- Ich verweise auf folgenden Sachverhalt: Ausweislich che holländisch-deutsche Verhältnis möglicherweise der Schlußfolgerungen des Vorsitzes von Korfu ist die auf lange Zeit belastet." So formuliert eine große Finanzierung der Streckenführung zwischen dem deutsche Zeitung. Rhein-Main-Gebiet, von Frankfurt aus, und Berlin nicht gesichert. Das heißt, es wird nach dem Gipfel von (Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch!) Korfu keine Finanzierung der Streckenführung zwi- Manche sagen sogar, Helmut Kohl wirke sich mittler- schen dem Rhein-Main-Gebiet und Berlin geben. Das weile als Belastung für Europa aus. ist die lautere Wahrheit. (Dr. Renate Hellwig [CDU/CSU]: Das hätten Wer abstrakt von Streckenführung spricht, aber den Sie gern!) Leuten im Rhein-Main-Gebiet, in Hessen und anderswo nicht die Wahrheit sagt, daß nämlich die Die Reaktionen zeigen doch, liebe Kolleginnen und Finanzierung nicht gesichert ist, und zwar durch die Kollegen: Selbstherrliches Gehabe und Überrumpe- Bundesregierung selbst, der sagt Falsches und trägt lungsmethoden, die offensichtlich in den Regierungs- dazu bei, daß Schlimmes auf die Europäische Union parteien zum innerparteilichen Machtwerkzeug ge- geschoben und an Kritik abgeladen wird, während die hören, sind in der Außenpolitik und für die Europäi- Kritik eigentlich an die Adresse der Bundesregierung sche Union schädlich. zu richten ist. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Das muß nach dem Scheitern des Gipfels von Korfu an DIE GRÜNEN) dieser Stelle sehr deutlich gemacht werden. Das ist die Methode, wie in bezug auf die Europa- Ich erinnere an entsprechende Drohungen von politik häufig Desinformation betrieben wird. Von Außenminister Kinkel gegenüber der spanischen jemandem, der sich anschickt, die EU-Ratspräsident- Regierung aus Anlaß der ursprünglichen Erweite- schaft zu übernehmen, muß man Ehrlichkeit erwar- rungsentscheidung — die nachher angeblich so nicht ten. Das gebe ich an den Bundeskanzler zurück. waren — oder an die peinliche Unterstützung Öster- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Beschlüsse des reichs, die er mit den Worten zum Ausdruck brachte: europäischen Gipfels in bezug auf die Aufnahme Wir sind doch eure Schutzmacht. neuer Mitglieder in die Europäische Union — Öster- reich, Schweden, Norwegen und Finnland — und die (Bundesminister Dr. Klaus Kinkel: Das habe Unterzeichnung der entsprechenden Verträge finden ich nie gesagt! Das ist eine Unverschämtheit! unsere volle Unterstützung. Wir werden dem Gesetz — Zuruf von der CDU/CSU: Die absolute zu dem Vertrag über diese Beitritte heute zustimmen. Unwahrheit ist das, was Sie sagen!) Wir sagen an die Adresse der neuen Mitglieder: Wir Wer eine solche Sprache verwendet, liebe Kollegin- hoffen, daß sich die Mehrheit der Bevölkerung in nen und Kollegen, der trägt dazu bei, daß das Miß- Schweden, in Finnland und auch in Norwegen dafür trauen bei unseren Nachbarn größer wird und daß entscheidet, Mitglied der Europäischen Union zu keine einvernehmliche korrekte Regelung in diesen werden. Wir freuen uns auf sie, personellen Fragen zustande kommt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ DIE GRÜNEN) CSU: Totale Unwahrheit!) und wir hoffen, daß die Entscheidung in den Referen- den wie in Österreich ausgehen wird. Ich will an dieser Stelle im übrigen sagen: Wenn die Regierungschefs versagen, dann sollten wir die Kon- Wir begrüßen insbesondere auch das mit Rußland sequenz daraus ziehen und fordern: Demnächst soll abgeschlossene Abkommen. das Europäische Parlament den Präsidenten der Euro- Ich möchte mich im folgenden — der Kollege päischen Kommission wählen. Dann wird nämlich Stübgen hat versucht, sich davor zu drücken — mit der einer schnell und tatsächlich berufen, und dann gibt es Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20799

Heidemarie Wieczorek-Zeul eine entsprechende verantwortliche Regelung in Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile Europa. nunmehr dem Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus Kinkel, das Wort. (Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Uli Klose und Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: Ingrid Matthäus-Maier haben für die SPD-Fraktion Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte unsere Erwartungen an die deutsche Ratspräsident- endlich mit einer Mär aufräumen. schaft zum Ausdruck gebracht. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich anmahnen, was wir darüber hin- (Zuruf von der F.D.P.: „Mär" ist ein besseres aus brauchen. Wir brauchen eine Rechtsnorm in Wort für Lüge!) Europa, die es möglich macht, daß Druck, Verbreitung Erstens. Ich versichere Ihnen, daß es absolut unwahr und Versand von rechtsextremem und fremdenfeind- ist, daß ich im Zusammenhang mit den EU-Erweite- lichem Propagandamaterial in allen Mitgliedslän- rungsverhandlungen gegenüber einem Vertreter dern der Europäischen Union endlich strafrechtlich Österreichs jemals gesagt habe: Wir sind eure Schutz- sanktioniert werden. macht. — Ich bin meiner Worte mächtig. Das habe ich nicht gesagt. Wer etwas anderes behauptet, sagt die (Beifall bei der SPD — [F.D.P.]: Unwahrheit. Und von linksextremem! Ihr macht jetzt in Sachsen-Anhalt mit der PDS gemeinsame (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Sache!) Zuruf von der CDU/CSU: Eine Entschuldi- gung ist fällig! — Zuruf von der F.D.P.: Das muß eine zentrale Aufgabe der deutschen Rats- Entschuldigen Sie sich, Frau Wieczorek!) präsidentschaft für die Zukunft sein. Zweitens. Ich möchte endlich auch mit der Mär aufräumen, ich hätte bei den Erweiterungsverhand- Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum weiteren lungen dem spanischen Außenminister gegenüber Verfahren. Ich warne die Bundesregierung. Sie ist — ausgerechnet ihm gegenüber, mit dem ich mich bereits wieder dabei, den gleichen Weg der Überprü- persönlich besonders gut verstehe — gesagt, was mir fung wie beim Maastricht-Vertrag einzuschlagen. da unterstellt wird. Ich will es nicht wiederholen. Sie Ohne daß es der Öffentlichkeit besonders bekanntge- haben wieder darauf angespielt. Ich habe eine solche worden ist — auch da würde man mehr Ehrlichkeit Äußerung nie getan! - von Bundeskanzler Kohl erwarten —, ist beschlossen worden, daß eine Vorbereitungsgruppe zur Überprü- (Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!) fung des Maastricht-Vertrages und zur weiteren Dies ist eine Unwahrheit. Fragen Sie den spanischen Reform eingesetzt wird. Bis zum Juni 1995 erarbeiten Außenminister! hinter verschlossenen Türen Heere von Beamten nach (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU dem bekannten Muster die Vorberichte für die dann —Zuruf von der F.D.P.: Eine Unverschämt- zu beratende zukünftige Struktur der Europäischen heit ist das! —Weiterer Zuruf von der F.D.P.: Union. Rote Polemik!) Mit den Worten des scheidenden Präsidenten des Drittens. Richtig ist, daß ich mich in den Erweite- Europäischen Parlamentes Egon Klepsch mahne ich rungsverhandlungen für alle vier Länder stark einge- Sie, kein Verfahren zur Weiterentwicklung der Euro- setzt habe und stolz darauf bin, päischen Union zu wählen, bei dem — so hat er es (Zuruf von der F.D.P.: Zu recht!) ausgedrückt — hinter „hermetisch abgeriegelten daß dieses Ergebnis zustande gekommen ist, so daß Türen" neue Vorschläge zur Weiterentwicklung der Europäischen Union gemacht werden. Es wird zu am 1. Januar 1995 wohl der Beitritt erfolgen kann. einem Auseinanderdriften von Bürgern und Bürgerin- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nen führen, wenn Sie ein solches Verfahren wählen. Viertens möchte ich Ihnen, Frau Wieczorek-Zeul, Als Konsequenz werden Sie weniger Europafreudig- auch sagen: Das, was Sie dem Bundeskanzler vorge- keit haben. Schließen Sie sich deshalb unserem Vor- worfen haben, ist unrichtig. Ich war bei den Gesprä- schlag an! Das Europäische Parlament soll im näch- chen und Verhandlungen dabei. — Ich spreche jetzt sten Jahr zusammen mit Vertretungen der nationalen von dem, was Sie ihm im Zusammenhang mit der Parlamente eine öffentliche Debatte über die Reform Nachfolge Delors' vorwerfen. Das ist unrichtig. der Europäischen Union beginnen. Dann kann sich jeder Bürger und jede Bürgerin beteiligen und zuhö- (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Ah, das ren, jeder Journalist und jede Journalistin kann sich andere ist also richtig!) beteiligen. Das Verfahren, das zu Maastricht und das Lassen Sie endlich diese billigen Anschuldigungen in zu so viel Ärger und Frust bei der Bevölkerung geführt einer schwierigen Situation auch für Deutschland! Wir hat, wäre damit ein für allemal überwunden. Ich haben uns wahrhaftig um eine Lösung der Delors appelliere an Sie, unserer Schlußfolgerung zuzustim- Nachfolgefrage bemüht. men. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ich bedanke mich sehr herzlich. Kritisieren ist in diesem Zusammenhang wahnsin- nig leicht, besser machen ist schwieriger. Wir haben (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ immerhin ein Ergebnis von 11:1 erreicht. Ich bemühe DIE GRÜNEN) mich im Augenblick genauso wie der Bundeskanzler, 20800 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel in dieser Frage am 15. Juli zu einem Konsens zu weil die Mitbestimmung auf Grund der Fusionsricht- kommen. Erschweren Sie das nicht unnötig! linie sonst ausgehöhlt worden wäre. Dem ging eine (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Entscheidung des Bundestages, eine einstimmige Entschließung, voraus. Ich muß an dieser Stelle fest- stellen: Leider haben die Koalitionsfraktionen dazu Ich lasse Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: beigetragen, daß das Mitbestimmungs-Beibehal- jetzt die Kurzintervention des Fraktionsvorsitzenden tungsgesetz bei kleinen Aktiengesellschaften gleich- Ulrich Klose zu; zwei weitere Wünsche nach einer wohl eine Aushöhlung der Mitbestimmung bedeu- Kurzintervention liegen mir dann noch vor. Ich bitte tet. Sie aber, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir angesichts der jetzigen Geschäftslage vermutlich bis nach Mitter- Dies ist kein guter Start für die Sicherung und nacht tagen werden, wobei der Präsident, der als Ausweitung der Unternehmensmitbestimmung auf letzter hier sitzen wird, nach Plan mehr als vier europäischer Ebene. Die Unternehmensmitbestim- Stunden lang die Sitzung zu leiten hat. Ich bitte Sie, mung müßten wir als Bundesrepublik in der Präsi- darauf ein wenig Rücksicht zu nehmen und sich zu dentschaft auf jeden Fall entscheidend voranbringen. beschränken. Ich bitte Sie also, das, was da entschieden worden ist, zu bedenken. Herr Abgeordneter Klose, Sie haben das Wort. Wir haben dem trotzdem zugestimmt, um eine einheitliche Haltung des deutschen Parlaments Hans-Ulrich Klose (SPD): Herr Präsident, ich gegenüber der EU zu erhalten. Die Unternehmensmit- beschränke mich auf zwei Punkte. bestimmung ist wichtig für den zwischen den Arbeit- Es ist ganz zweifellos so, daß dann, wenn man schon nehmern und den Unternehmern in der Europäischen von Störenfrieden reden will ich würde den Begriff Gemeinschaft notwendigen Konsens. vermeiden —, es eher die britische Seite ist, die im (Beifall bei der SPD) Augenblick Probleme macht. Ich habe nichts dagegen — ganz im Gegenteil , daß sich die deutsche Präsidentschaft mit der folgenden Präsidentschaft, Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile also mit den Franzosen, besonders eng abspricht. Ein nunmehr dem Abgeordneten Josef Grünbeck das Problem scheint mir allerdings darin zu bestehen, daß Wort. Ich nehme an, das bezieht sich auf die Rede der diese Absprachen und das deutsch-französische Agie- Kollegin Wieczorek-Zeul. Ich sage das, weil der Bezug bei dem letzten Beitrag nicht so ganz erkennbar ren relativ häufig bewirken, daß sich Kleinere und - andere am Ende überfahren fühlen. Herr Außenmini- war. ster, darin liegt ein Problem. Es ist ja ganz unbestreitbar, daß nicht nur die Briten Josef Grünbeck (F.D.P.): Herr Präsident! Meine in Korfu das Verfahren kritisiert haben, sondern daß Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, sich auch andere kritisch dazu geäußert haben. Dar- weil mir in dieser ernsten Stunde, die dieses Parlament aus sollten Sie, wie ich finde, ohne daß Sie beleidigt heute erlebt, etwas abhanden gekommen zu sein sind, Schlußfolgerungen ziehen. Man sollte eben auch scheint. Ich mag keinen einzigen Redebeitrag kritisie- mit den Briten rechtzeitig über die Präsidentschaft ren; aber ich glaube, bezüglich des Weges zur euro- reden. Dann kann man solche Störungen vermei- päischen Integration muß doch noch etwas erwähnt den. werden. (Beifall bei der SPD) Wir hatten im Krieg 1870/71 in Europa 2 Millionen Tote; wir hatten 1914 bis 1918 20 Millionen Tote; wir Das ist der erste Punkt. hatten 1939 bis 1945 40 Millionen Tote. Nun ist Der zweite Punkt. — Sie haben gesagt — mir kommt Europa auf dem Weg zu einem dauerhaften Frie- es auf diesen Österreich-Fall besonders an —, Sie den. hätten die Formulierung „Wir sind eure Schutzmacht" Ich glaube, das allein müßte alle Parteien in diesem nicht gebraucht. Wenn der deutsche Außenminister Hohen Hause darin einigen, daß es sich lohnt, um hier im Parlament erklärt, er habe diese Formulierung dieses Europa zu streiten und miteinander zu reden, nicht gebraucht, dann gehen wir davon aus, daß das statt aufeinander zu schießen. Ich glaube, daß dies stimmt. hier eine Stunde ist, und zwar auch für die SPD, die (Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei auch zu meiner großen Freude und zu meinem Stolz Abgeordneten der CDU/CSU — Bundesmi einmal einen Friedensnobelpreisträger gestellt hat, in nister Dr. Klaus Kinkel: Davon können Sie der wir alle darüber glücklich sein sollten, daß wir uns ausgehen! — Zuruf von der F.D.P.: Das ist nicht mehr in Kriegen auseinandersetzen, sondern die so!) Streitigkeiten, ob nun über eine Person oder über eine Sache, im Interesse eines dauerhaften Friedens in Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Der Abge- Europa und im Interesse einer zukünftigen Perspek- ordnete Hans Urbaniak hat mir zugesichert, eine ganz tive auch für unsere junge Generation f riedlich aus- kurze Kurzintervention zu machen. tragen. (Beifall bei der F.D.P.; der CDU/CSU und der Hans-Eberhard Urbaniak (SPD): Herr Präsident! SPD) Meine Damen und Herren! Wir haben in der vorigen Woche auf Grund einer Fusionsrichtlinie der Europäi- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile schen Gemeinschaft hier das Mitbestimmungs - Beibe- dem Parlamentarischen Staatssekretär Rainer Funke haltungsgesetz verabschiedet. Dies war notwendig, das Wort. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20801

Rainer Funke, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- gut entwickelt hat, an dieser Frage einen Abbruch ministerin der Justiz: Herr Präsident! Meine Damen erleben wird; die Beziehung ist tiefer. und Herren! Ich wollte nur auf den Einwand des Herrn Ich sage dies auch deshalb, weil wir jetzt am Schluß Kollegen hinsichtlich der Mitbestimmung bei kleinen der Debatte dabei waren, eine wichtige europapoliti- Aktiengesellschaften kurz erwidern. — Es handelt sche Debatte kleinzureden, eine Debatte, die ja auch sich nicht um einen Abbau der Mitbestimmung; denn in anderen Ländern als Signal gesehen wird, eine die kleinen Aktiengesellschaften, die bereits jetzt eine Debatte, die beobachtet wird im Hinblick auf eine Mitbestimmung haben, behalten ihre Mitbestimmung Einladung, auf ein Signal zum Beitritt zur Europäi- zunächst, und diejenigen Unternehmen, die von einer schen Union. Auch daran sollten wir denken. GmbH in eine kleine Aktiengesellschaft umgewan- delt werden, fallen aus der Mitbestimmung nicht Diese Debatte heute, glaube ich, richtet — — heraus, sondern bleiben insofern so, wie sie sind. Es ist keine aktienrechtliche Mitbestimmung vorgesehen, Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- weil wir sie ja auch bei der GmbH nicht haben. geordneter, ich habe schon seit längerer Zeit den (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aber wir wol Wunsch des Abgeordneten Scheffler, Ihnen eine Zwi- len doch mehr Mitbestimmung!) schenfrage zu stellen, registriert. Sind Sie bereit, sie — Wenn Sie bei der Umwandlung von der GmbH in zuzulassen? — Okay. Bitte schön. die kleine Aktiengesellschaft mehr Mitbestimmung vorsehen, wie Sie es wollen, dann führt das dazu, daß Siegfried Scheffler (SPD): Vielen Dank. — Herr die attraktive Form der Aktiengesellschaft von den Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege, Sie kennen ja mittelständischen Unternehmern nicht gewählt wird, sicherlich unseren Antrag im Verkehrsausschuß zur sondern diese bei der Rechtsform der GmbH blei- Einbindung von Frankfurt in das europäische Hoch- ben. geschwindigkeitsnetz und die Stellungnahme der (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Mitbestim Bundesregierung. mung ist nichts Böses, sondern was Gutes! — (Zurufe von der CDU/CSU) Weitere Zurufe — Unruhe) Seitens des Bundesverkehrsministeriums wurde näm- lich in den Ressortberatungen die Strecke Frankfurt/ Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine Main-Erfurt-Berlin als Planung Damen und Herren, ich erteile nunmehr dem Abge- (Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Ge-- ordneten Claus-Peter Grotz das Wort. Damit sind wir hen Sie in den Stadtrat! — Unruhe) wieder in der vorgesehenen Reihenfolge der Red- ner. dieser europäischen Strecke von London bis zu einem späteren Zeitpunkt vom Tisch gedrückt, auch mit dem Hinweis seitens der Bundesregierung, des Verkehrs- Claus-Peter Grotz (CDU/CSU): Herr Präsident! ministers — das sage ich, weil Sie das wieder ange- Meine Damen und Herren! Wir stehen am Ende einer sprochen haben —, daß eine Aufnahme der Teil- europapolitischen Debatte und liefen in den letzten strecke nach Frankfurt Beiträgen Gefahr, Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, (Zurufe von der CDU/CSU) Europa kleinzureden. Europa wird und darf nicht an einer Eisenbahnstrecke scheitern, die im übrigen deshalb nicht erfolgen kann, weil in den nächsten aufgenommen ist, anerkannt ist und vielleicht, wenn zwei Jahren keine Baureife zu erwarten ist. — Ist sich Ihre Fraktion bewegt, bei anderen Verkehrsfi- Ihnen das bekannt? nanzierungsmodellen in der Tat auch finanziert wer- (Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Pro- den könnte. vinzieller kann es kaum sein! — Unruhe) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei der F.D.P.) Claus-Peter Grotz (CDU/CSU): Herr Kollege Scheff- Europa braucht auch Motoren. Ein solcher Motor ist ler, wir beraten heute die Ratifikation betreffend natürlich die deutsch-französische Zusammenarbeit. Beitritt zur Europäischen Union. Wir beraten heute Sie muß sensibel gehandhabt werden. Ohne deutsch- auch den Antrag zur deutschen Ratspräsidentschaft. französische Zusammenarbeit würde sich in der Euro- Diese Frage können Sie gerne im Verkehrsausschuß päischen Union, zumindest streckenweise, überhaupt einbringen. nichts bewegen. Sie ist auch kein Closed Shop, (Beifall bei der CDU/CSU) sondern offen für andere, was gerade von den Nieder- landen anerkannt wird. Zweitens hat sich der Bundeskanzler heute morgen hier und letzte Woche in einer mehrstündigen Diskus- Deshalb denke ich: Eine Europäische Union, die im sion im Auswärtigen Ausschuß klar zu dieser Weg- Wachsen begriffen ist, die zusammenkommt, auch ein strecke bekannt. Machen Sie den Weg frei zu unkon- einzelnes Land, wird es aushalten, wenn es in einer ventionellen Finanzierungsmodellen! Dann werden sachlichen oder auch in einer personellen Frage wir weiterreden können. einmal zu einer Unstimmigkeit kommt. Was für ein Europa wäre dieses, wenn es an einer solchen Frage Lassen Sie mich jetzt zu meinem eigentlichen verzweifeln oder gar scheitern würde? Thema kommen, dem Beitritt zur Europäischen Union. Vorhin sprach der Vertreter des Bundesrates. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir müssen uns nicht an Beiträge des Bundesrates in Deshalb glaube ich nicht, daß das deutschniederlän diesem Plenum gewöhnen. Wir hätten uns allerdings dische Verhältnis, das sich in den letzten Jahrzehnten gewünscht, daß noch mehr Mitglieder des Bundesra- 20802 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode -- 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Claus-Peter Grotz tes dieselbe Auffassung wie die des Vertreters von Europa. Es war nicht gerade so, wie es in einem Berlin hier vorgetragen hätten. Deshalb werde ich Rundfunkkommentar des Bayerischen Rundfunks anschließend in der Beratung des Auswärtigen Aus- hieß: „Europa taumelt von einer Krise in die andere, schusses dem Ausschuß vorschlagen, die Haltung der und die europäischen Sonnengötter in Paris und Bonn Bundesregierung eindeutig in einem Beschluß zu tun so, als ob sie alles fest im Griff haben." bekräftigen, daß keine Abstimmung nach Art. 23 Abs. 2 notwendig ist. Das ist zweifellos überzogen. Man muß aber sehen, daß die EU und der weitere Einigungsprozeß in Wir müssen heute mit dieser Debatte klar ja zu Europa durchaus noch verwundbar sind. Sie können Europa sagen und ein Signal an die skandinavischen durchaus noch sabotiert werden. Sie können z. B. Länder und an Österreich senden. Ich glaube, die sabotiert werden durch die neu erwachenden und Europawahl hat uns hier den notwendigen Rücken- erstarkenden Nationalismen. Das nicht sehr würde- wind gegeben. Diese Europawahl hat in Deutschland volle Tauziehen um die Nachfolge von Jacques Delors diejenigen Parteien bestätigt, die nicht die Nase in legt zudem ein Maß an politischer Insensibilität großer den Wind gehalten, sondern sich klar zur Europäi- EU-Länder gegenüber den kleineren Ländern wie schen Union, zur Erweiterung und auch zur Vertie- den Niederlanden offen, das den weiteren europäi- fung bekannt haben. Das war in Deutschland die schen Einigungsprozeß ebenfalls nachhaltig stören Union mit Bundeskanzler Helmut Kohl. Deshalb war könnte. Hier und in ähnlichen Fällen ist — das an die es vorher völlig unangebracht, zu sagen, Helmut Kohl Adresse der Bundesregierung — mehr Sensibilität habe in der Europäischen Union kein Ansehen mehr. und mehr Rücksicht gegenüber allen EU-Partnerlän- Im Gegenteil, er ist derjenige, der die Integration dern notwendig. vorantreibt. Dies wird auch die jetzt anstehende Ratspräsidentschaft unterstreichen. Dennoch ist es im Prinzip zu begrüßen, daß (Beifall bei der CDU/CSU) Deutschland und Frankreich gemeinsam rasch wei- tere Initiativen zur europäischen Integration ergrei- Wir müssen — darum geht es heute, und dies ist an fen wollen. Europa ist Deutschlands einzige Chance, die Adresse der PDS gerichtet — über die Europäische auch und gerade angesichts der unbestreitbar neo- Union weniger eine Risiko-, eine Problemdiskussion nationalistischen Tendenzen in diesem Lande. Das führen, sondern eine Chancendiskussion und die EU gilt auch, nachdem die Republikaner Gott sei Dank gerade als eine Chance für die jüngere Generation nicht ins Europaparlament gewählt worden sind. darstellen. (Dr. Ilja Seifert [PDS/Linke Liste]: Das Der Beitritt der drei skandinavischen Länder und machen wir ja gerade!) Österreichs zur EU trägt dazu bei, die EU noch Am Vorabend des Ersten Weltkrieges sprach der vielfältiger, noch reicher zu machen, reicher nicht nur englische Außenminister Edward Grey: „Die Lichter an Wirtschaftskraft und Wohlstand, sondern reicher gehen aus in Europa, und unsere Generation wird sie vor allem auch auf kulturellem Gebiet und an gelebter nicht wieder angehen sehen." Wir haben heute zum demokratischer Tradition. erstenmal seit den 40er Jahren in Westeuropa die Es ist aber nicht zu übersehen, daß sich in der Chance ergriffen, daß die Lichter wieder angehen. EU-Politik Muster abzeichnen, die dem europäischen Frieden, Freiheit und wirtschaftliche Stabilität herr- Einigungsgedanken zuwiderlaufen. Der europäische schen. Wir haben heute mit unserer Beschlußfassung Einigungsprozeß soll Ausgleich schaffen, soll alle an zum Beitritt zur Europäischen Union die Möglichkeit, den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Fort- Länder aufzunehmen, ja zu sagen zur Aufnahme von schritten teilhaben lassen. Deregulierung, Privatisie- Ländern, die eine große demokratische Tradition rung und Flexibilisierung dagegen bestärken die haben, die das Gewicht der Europäischen Union wirtschaftlich bereits Starken und Mächtigen in den verstärken werden und so auch eine Brücke zu neuen einzelnen EU-Ländern und in Europa. Erweiterungsrunden und zu einer weiteren Vertie- fung der Europäischen Union darstellen werden. Wenn z. B. die Stromnetze — wie von der Bundes- Herzlichen Dank. regierung gefordert — für Dritte geöffnet werden, dann können sich große Energieversorgungsunter- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nehmen lukrative Großabnehmer herauspicken; dar- unter leidet die Flächenversorgung.

Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dr. Ulrich Briefs das Die Hauptsorge der europäischen Politik muß heute Wort. und in Zukunft neben dem Kampf gegen alte und neue Nationalismen der Auseinandersetzung mit der Massenarbeitslosigkeit gelten. Der Kurs auf eine Dr. Ulrich Briefs (fraktionslos): Herr Präsident! noch modernere Wirtschaftsstruktur, auf noch mehr Meine Damen und Herren! Noch ein kurzes Wort zu Spitzentechnologien, auf noch mehr Großprojekte den Europawahlen. Sie haben meines Erachtens ein und auf transeuropäische Netze sowie die damit wichtiges Ergebnis gebracht. Sie haben nämlich verbundene Politik der Deregulierung, Privatisierung gezeigt, daß die Europagegner jeglicher Couleur in und Flexibilisierung lösen die Probleme nicht, son- Deutschland offensichtlich keine nennenswerte poli- dern verlagern und verschärfen sie in vielen Fällen; tische Basis haben. sie schaffen z. B. zusätzliche Armut in der Dritten Deutschland ist weiter auf dem Weg in die europäi- Welt. Die Dritte Welt muß nämlich in der Folge immer sche Integration, und das ist gut. Aber es gibt auch größere Teile ihrer Naturressourcen und ihrer Anzeichen für erhebliche Krisenentwicklungen in schwach entwickelten Arbeitsproduktivität im Aus- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20803

Dr. Ulrich Briefs tausch für unsere raffinierten Spitzentechnologiepro- machen: Wenn Sie sich auf § 88 Abs. 2 unserer dukte an uns abliefern. Geschäftsordnung, der der antragsteilenden Fraktion Hinzu kommt: Der Sinn zahlreicher moderner Tech- oder Gruppe die Möglichkeit gibt, sofortige Abstim- nologie- und Industrieentwicklungen ist gerade, mung zu verlangen, berufen, dann ist das in diesem menschliche Arbeit durch Maschinenarbeit zu erset- Fall nicht zulässig, weil der Geschäftsordnungsaus- zen. Das ist ein Grundgesetz der modernen industri- schuß klargestellt hat, daß bei Entschließungsanträ- ellen Produktionsweise und auch z. B. der sogenann- gen zu Regierungserklärungen — und darum handelt ten Informationsgesellschaft von morgen und über- es sich hier—nicht auf sofortiger Abstimmung bestan- morgen, auf die man in Europa so sehr setzt. den werden kann. Zentrale Aufgabe der europäischen Politik, auch Ich lasse also entsprechend dem interfraktionellen unter der deutschen Präsidentschaft, muß daher der Vorschlag abstimmen. Wer dem Vorschlag der Ober- Kampf gegen Arbeitsplatzvernichtung und Massenar- weisung an den Auswärtigen Ausschuß zuzustimmen beitslosigkeit, für sozialen Ausgleich und für die gedenkt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer Schaffung neuer und sinnvoller Arbeitsplätze sein. stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist die Diese ganz vordringliche und extrem schwierige Auf- Überweisung nur gegen die Stimmen des BÜNDNIS- gabe muß die Tagesordnung der deutschen Präsident- SES 90/DIE GRÜNEN beschlossen. schaft bestimmen; es darf nicht — wie man hier spürt — der diffuse Glaube sein, daß eine marktradi- Wir kommen jetzt zum Gesetzentwurf auf der kale Politik es schon irgendwie und irgendwann auch Drucksache 12/977. Es handelt sich um den von der in Europa richten wird. Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu Herr Präsident, ich danke Ihnen. dem Vertrag über den Beitritt des Königreichs Norwe- gen, der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zur Europäischen Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine Union. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf Damen und Herren, wir kommen nun zur Abstim- an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse mung über den Entschließungsantrag der Fraktion zu überweisen. Gibt es da andere Vorschläge? — Das der SPD, der Ihnen auf Drucksache 12/8159 vorliegt. ist nicht der Fall. — Dann ist es so beschlossen. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Mo Wir kommen dann zur Beschlußempfehlung des EG-Ausschusses zum Antrag der Fraktion der SPD zu ment! Stimmen wir über die Beschlußemp - fehlung oder über den Antrag ab? — Zuruf Anforderungen an die deutsche EU-Ratspräsident- von der CDU/CSU: Ihr müßt schon aufpas schaft. Das liegt Ihnen auf der Drucksache 12/8123 sen!) vor. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der SPD auf Drucksache 12/7276 abzulehnen. Wer dieser Aus- — Ich habe gesagt: Wir kommen zur Abstimmung schußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — auf Drucksache 12/8159. — Wenn ich es richtig sehe, Enthaltungen? — Dann ist diese Ausschußempfeh- beabsichtigen Sie, zuzustimmen. — Wer stimmt dage- lung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei gen? — Enthaltungen? — Damit ist der Entschlie- Enthaltung der PDS/Linke Liste angenommen. ßungsantrag bei Enthaltung der PDS/Linke Liste mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Wir kommen nunmehr zur Beschlußempfehlung Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- des EG-Ausschusses zu. dem Antrag der Gruppe schließungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE PDS/Linke Liste zu Anforderungen an die Präsident- GRÜNEN. Er liegt auf Drucksache 12/8151 vor. Wer schaft der Bundesrepublik Deutschland in der Euro- stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltun- päischen Union. Das liegt Ihnen auf Drucksache gen? — Es gibt Enthaltungen der PDS/Linke Liste; 12/8124 vor. Hier empfiehlt der Ausschuß auf der SPD, CDU/CSU und F.D.P. lehnen den Entschlie- Drucksache 12/7687, diesen Vorschlag abzulehnen. ßungsantrag ab. Wer dieser Ausschußempfehlung zuzustimmen Wir kommen nun zum Entschließungsantrag der wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache Dagegen? — Gegen die Stimmen der PDS/Linke Liste 12/8154. Interfraktionell wird vorgeschlagen, diesen ist diese Ausschußempfehlung angenommen wor- Antrag an den Auswärtigen Ausschuß zu überwei- den. sen. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Herr Abgeordneter Poppe. Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrach- ten Antrag zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Er Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr liegt Ihnen auf Drucksache 12/8158 vor. Wer stimmt Präsident, gemäß der Geschäftsordnung kann ich diesem Antrag zu? — Wer stimmt dagegen? — Dieser dieser Überweisung nicht zustimmen. Es geht hier um Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen Ruanda, Bosnien, um sehr aktuelle Konflikte. Es gegen den Rest des Hauses angenommen worden. macht keinen Sinn, diesen Antrag auf die Zeit nach Wir kommen zur Beschlußempfehlung des EG- der Sommerpause zu verweisen. Ich bestehe also auf Ausschusses zum Bericht der Bundesregierung zur der Abstimmung. Stärkung der gesetzgeberischen Befugnisse des Euro- päischen Parlaments. Das sind die Drucksachen Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- 12/7214 und 12/8104. Wer stimmt für diese Beschluß- geordneter Poppe, ich muß Sie darauf aufmerksam empfehlung? — Dagegen? — Enthaltungen? — Mit 20804 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg der Enthaltung der PDS/Linke Liste ist das einstimmig Ich weise darauf hin, daß im Anschluß an die angenommen. Aussprache über das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes namentlich abgestimmt wird. Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von Meine Damen und Herren, ich rufe nun Tagesord- zwei Stunden vor. Ist das Haus damit einverstanden? nungspunkt 2a und b auf: Das ist offensichtlich der Fall. Dann kann ich die Debatte eröffnen. Postreform Zunächst erteile ich dem Abgeordneten Elmar Mül- a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines ler (Kirchheim) das Wort, der, so ist mir mitgeteilt Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes worden, auch eine Berichtigung des Ausschußbe- — Drucksachen 12/6717, 12/7269 — richts vorzunehmen gedenkt. Herr Abgeordneter, Sie (Erste Beratungen 208. und 225. Sitzung) haben das Wort. Beschlußempfehlung und Bericht des Rechts- ausschusses (6. Ausschuß) Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Herr Präsi- — Drucksache 12/8108 — dent! Meine Damen und Herren! Ich möchte vorweg Berichterstattung: tatsächlich eine Berichtigung vortragen dürfen, und Abgeordnete Dr. zwar im Einvernehmen mit den übrigen Berichterstat- Dieter Wiefelspütz tern. Der Innenausschuß hat einstimmig beschlossen, und der Postausschuß hat dies auch schon gebilligt, b) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines daß in Art. 7 in § 10 Abs. 4 Nr. 1 am Ende des Textes Gesetzes zur Neuordnung des Postwesens und das Komma durch einen Punkt ersetzt und dann der Telekommunikation folgender Satz eingefügt wird: „§ 28 BDSG" — Bun- — PTNeuOG) (Postneuordnungsgesetz desdatenschutzgesetz — „gilt entsprechend". Das — Drucksachen 12/6718, 12/7270 — wäre diese Korrektur. (Erste Beratungen 208. und 225. Sitzung) Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegin- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat nen und Kollegen! Wenn man heute einen Briefträger eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur oder eine Schalterbeamtin fragt, was sie von der Änderung des Postverfassungsgesetzes Postreform II halten, dann wird es kaum erlebbar — Drucksache 12/4329 — sein, daß jemand antwortet, er sei mit dieser Postre- form zufrieden. Dafür — und das bedauere ich sehr — (Erste Beratung 208. Sitzung) hat die Deutsche Postgewerkschaft mit ihrem destruk- aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- tiven Verhalten in den vergangenen Wochen ausgie- schusses für Post und Telekommunikation big gesorgt. (18. Ausschuß) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) — Drucksache 12/8060 — Wenn man Verbände befragt, ergeben sich aus der Berichterstattung: jeweiligen Sicht und Interessenlage sehr verschie- Abgeordnete Elmar Müller (Kirchheim) dene, dafür um so mehr Kritikpunkte, da die Reform Dr. Bernd Protzner nicht sofort den völligen Wettbewerb in allen Berei- Hans Gottfried Bernrath chen zuläßt, sondern nur die Möglichkeit für zukünf- Arne Börnsen (Ritterhude) tige Veränderungen eröffnet, und leider nicht gleich Jürgen Timm alle Monopole abgeschafft werden. bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Kritiker rügen auf der einen Seite die Vorteile der schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung verbleibenden Monopole, auf der anderen Seite die — Drucksache 12/8129 — den Unternehmen gerade deswegen auferlegten Berichterstattung: zusätzlichen Finanzlasten. Wenn man sich dann noch Abgeordnete Manfred Kolbe vor Augen hält, daß die Pensionsverpflichtungen der Werner Zywietz Postunternehmen hochgerechnet rund 100 Milliarden Rudi Walther (Zierenberg) DM betragen und in der gleichen Größenordnung Schulden aufgelaufen sind und im Zusammenhang Beratung der Beschlußempfehlung und des mit dem Aufbau in den neuen Bundesländern weitere Berichts des Ausschusses für Post und Tele- auflaufen werden, so wird sich der eine oder andere kommunikation (18. Ausschuß) zu dem Antrag die Frage stellen, ob es nicht besser gewesen wäre, die der Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Dr. Ilja ganze Sache „Postreform" doch lieber sein zu las- Seifert, Bernd Henn und der Gruppe der PDS/ sen. Linke Liste Riesige Schwierigkeiten mit der Antwort darauf hat Reform der Deutschen Bundespost aber offensichtlich auch die SPD. Dort wollen die — Drucksachen 12/6635, 12/8060 — einen wirtschaftspolitischen Weitblick beweisen. Sie Berichterstattung: werden kalt von ihrem Parteivorsitzenden Scharping Abgeordnete Elmar Müller (Kirchheim) erwischt, der seine Zustimmung von der Erfüllung der Dr. Bernd Protzner Forderungen einer Gewerkschaft abhängig machen Hans Gottfried Bernrath wollte, deren erklärtes Ziel von Anfang an war, diese Arne Börnsen (Ritterbude) Reform zu verhindern. Dagegen stehen die Kollegen Jürgen Timm Bernrath, Börnsen und Struck, die ja gesagt haben und Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20805

Elmar Müller (Kirchheim) zustimmen wollten, bereits vor einigen Tagen, vor der kationsmarktes klar, der in den nächsten Jahren zu entscheidenden Sitzung der SPD. Ein anderer Teil der den größten Wachstumsmärkten in Deutschland und SPD, jene aus dem Tal der wirtschaftspolitisch der ganzen Welt gehören wird! Und nehmen Sie bitte Ahnungslosen, möchte nein sagen. Schließlich ist der zur Kenntnis, daß sich die Rahmenbedingungen vor Kollege Paterna zu nennen. Er versucht, seinen allem im Telekommunikationssektor mit einer bisher Genossen zu erklären, daß die Reform eigentlich ein nicht gekannten Dynamik grundlegend verändert Teufelswerk sei, aber gleichwohl in der jetzigen haben! Situation einen absolut notwendigen und den einzi- gen gangbaren Weg darstelle. Ich sage dazu: Bravo. Eine der größten Umbruchphasen in der Geschichte der Post begann 1989 mit der Postreform I. Völlig Eine solche Reform, in der es um die wirtschaftspoli- neue, der Wirtschaft angepaßte Führungsstrukturen tische Zukunft der Bundesrepublik Deutschland geht, mußten geschaffen werden, und bis heute sind die darf nicht von Zufallsmehrheiten abhängig sein. Des- Umstrukturierungsmaßnahmen in wesentlichen Be- halb bezeuge ich hier allen Respekt vor der Mehrheit reichen noch nicht abgeschlossen. Gleichwohl muß- der SPD-Fraktion, die sich gestern abend für die ten wir erkennen, daß die bisherigen gesetzgeberi- Zukunft der Postunternehmen entschieden hat. Letzte schen Maßnahmen nicht ausreichen werden, um den Zweifel, aus welcher politischen Vergangenheit die Unternehmen der Deutschen Bundespost einen siche- Verweigerer dieser Reform kommen, sollten für Sie ren Platz in einem zukünftig von Wettbewerb gekenn- bereits gestern vormittag ausgeräumt worden sein, als zeichneten deutschen und vor allem internationalen die SPD-Abgeordneten das schriftliche Angebot der Markt bieten zu können. PDS-Bundestagsfraktion erhielten, heute gemeinsam, SPD und PDS, diese Reform zu verhindern. Schließlich Der Vorwurf einer bürger- oder arbeitnehmerfeind wurde das Angebot gemacht, das Thema nach der lichen Privatisierungspolitik ebenso wie die Forde- Wahl zusammen erneut zu verhandeln. Das Magde- rung nach einer Beibehaltung der Monopole bis hin burger Modell scheint die Sommermode des Jahres zum Streikrecht für Beamte findet sich übrigens nicht 1994 zu sein. erst in den heutigen Erklärungen der Gewerkschaft, sondern — wie an den genannten Beispielen deutlich (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das darf nachweisbar ist bereits in den sogenannten Dort- doch nicht wahr sein! — Ingrid Matthäus munder Erklärungen der Deutschen Postgewerk- Maier [SPD]: Das ist Quatsch, richtiger schaft aus dem Jahre 1987. Wie wenig zukunftsorien- Quatsch!) tiert die Deutsche Postgewerkschaft schon damals - — Sie regen sich auf. gewesen ist, zeigt ihre Warnung vor dem Verkauf von Telefonen durch private Anbieter, heute eine kunden- Die Reform, meine Damen und Herren, darf nicht freundliche Selbstverständlichkeit, und es könnte sich später kommen. Die Unternehmen haben sonst wirk- keiner das anders vorstellen. lich keine Chancen, sich auf diesen zukünftigen Markt einzustellen. Sie werden weiter Marktanteile Kaum einer dürfte heute behaupten, daß die Lizenz- einbüßen und dafür Arbeitsplätze in einer Größenord- -erteilung an private Anbieter für das D-2- und E nung verlieren, die sicherlich nachweisbar um ein 1-Netz Nachteile für die Bürger unseres Landes oder Vielfaches höher sein wird, als dies durch die bereits die Beschäftigten bei der Telekom gebracht habe. seit einem Jahr eingeleiteten Rationalisierungsmaß- Diese Lizenzvergaben, die selbstverständlich mit klar nahmen erforderlich sein wird. formulierten Infrastrukturvorgaben verbunden sind, haben nicht nur zu einer Verbesserung der angebote- Die Gewerkschaften verschweigen das ganz nen Dienstleistungen im Telekommunikationsbereich bewußt den Beschäftigten und gaukeln ihnen, unter- geführt, sondern auch wesentlich dazu beigetragen, stützt durch Teile der Öffentlichkeit, allerdings auch daß Deutschland im Telekommunikationsmarkt der Opposition, vor, es könne so weitergehen wie heute eine herausragende Rolle einnimmt. bisher, mit ein paar Korrekturen kosmetischer Art hier und dort. In welchem Rahmen im übrigen Verände- Die Deutsche Bundespost Telekom ist heute das rungen mit den Gewerkschaften möglich wären, bele- drittgrößte Telekommunikationsunternehmen welt- gen eindrucksvoll die derzeitigen Tarifverhandlun- weit. Diese Position gilt es mindestens zu halten, aber gen, in denen um jede noch so unbedeutende Rege- sie kann es nur, wenn ihr die Fesseln des Grundge- lung aus postbehördlicher Zeit gerungen wird. setzes dafür gelöst werden. Bitte verwechseln Sie nicht Gewerkschaftsinteres- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sen mit den wirklichen Interessen der Menschen, ordneten der F.D.P.) denen gegenüber wir hier alle Verantwortung tra- gen! Überall in der Welt sind zur Zeit Informations Superhighways und Multimedia die zentralen Stich- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) worte. Nach der Initiative des amerikanischen Präsi- Lesen Sie in diesem Zusammenhang noch einmal den denten Clinton wetteifern Länder in aller Welt, um es Brief des Vorsitzenden des Postausschusses, des den Amerikanern nachzutun. geschätzten Kollegen Paterna! Lesen Sie vor allem die (Hans Gottfried Bernrath [SPD]: Das macht hier zur Abstimmung stehenden Gesetze, in denen seine Frau!) ganz andere Dinge stehen, als die Gewerkschaften ständig erklären oder über die sie, besser gesagt, — Das weiß ich nicht; ich kenne die Familienverhält- schweigen! Vor allem machen Sie sich unvoreinge- nisse nicht so sehr, aber ich halte es nicht für ausge- nommen die zukünftigen Realitäten eines Kommuni schlossen, Kollege Bernrath. 20806 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Elmar Müller (Kirchheim) Für über 500 Milliarden DM will Japan ein Glasfa- Meine Damen und Herren, ich bin der festen sernetz errichten. Täglich erreichen uns außerdem Überzeugung, daß die Reform so, wie sie uns heute als Nachrichten über gigantische Zusammenschlüsse in Gesetzentwurf vorliegt, der richtige Weg ist, weil alle, der Telekommunikationsbranche. die die Reform kritisieren, recht und zugleich unrecht Dadurch, daß die deutsche Telekom nicht nur haben. Sie haben recht in einzelnen Kritikpunkten, Telekommunikationsnetze, sondern auch nahezu alle Sie haben aber alle miteinander auch unrecht, wenn Kabelfernsehnetze betreibt, hat sie die besten Voraus- sie glauben, daß es irgendeine Möglichkeit gibt, die setzungen für eine multimediale Infrastruktur, die sich Umwandlung einer der größten Behörden in unserem andere erst erarbeiten müssen. Diese Ausgangsbasis Lande in eine Aktiengesellschaft ohne diese Schwie- darf doch nicht dadurch verhindert werden, daß die rigkeiten und Widersprüche durchzuführen. Postreform II von kalten Kriegern einer Staatswirt- Wir machen die Post mit der Reform nicht schöner, schaftsideologie gekippt werden soll. wir machen sie überlebensfähig. Wir wollen nicht, daß (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zukünftig irgendein Unternehmen die Versorgung Meine Damen und Herren, wer glaubt, es ginge in der Bevölkerung mit Telekommunikationsdienstlei- Zukunft ohne internationale Kooperationen, die z. B. stungen und Postdienstleistungen übernimmt, son- auch den Austausch von Aktien erforderlich ma- dern wir wünschen, daß dies deutsche Anbieter, chen, insbesondere die Deutsche Telekom AG und die Deutsche Post AG, künftig als Marktführer sein wer- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Und da wol den. len Sie eine Zweidrittelmehrheit!) Die Reform schafft hierfür die notwendigen Voraus- wer nicht erkennt, daß jährlich Milliardenbeträge in setzungen, und sie bietet zugleich der künftigen Netze anderer Länder investiert werden müssen, und Postbank AG die Chance zum Überleben, weil sie jetzt wer immer noch glaubt, die Telekom könne sich auf alle Finanzdienstleistungen, also auch das Kreditge- einem faktisch schon längst unterlaufenen Monopol schäft, anbieten darf. innerhalb Deutschlands ausruhen, der ist nicht in der Lage, eine verantwortungsvolle Wirtschaftspolitik zu Wir wollen die Unternehmen von den Fesseln des machen, die das Dienstleistungsangebot für die öffentlichen Dienstrechts befreien. Wir schaffen dies Bevölkerung auch in Zukunft gewährleistet. mit der Reform ohne jeden Nachteil für die heute dort Beschäftigten.

Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Herr Ab- Wir wollen, daß der Infrastrukturauftrag für die- geordneter Müller, sind Sie bereit, eine Zwischen- Bevölkerung gesichert bleibt. Die Reform gewährlei- frage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier zu stet dies, ohne die deutschen Postunternehmen einsei- beantworten? tig gegenüber den deutschen und ausländischen Anbietern zu benachteiligen. Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Ich habe Wir wollen, daß sich die Postunternehmen, insbe- überhaupt keine Probleme mit Zwischenfragen, aber sondere die Telekom, künftig auch im hart umkämpf- ich habe vom Präsidenten vorhin gehört, daß wir heute ten Auslandsgeschäft betätigen dürfen. insgesamt in Zeitnot sind, Hierfür gilt es das Grundgesetz zu ändern sowie das (Beifall bei der CDU/CSU) Ihnen vorliegende Gesetzeswerk zu schaffen. Lassen und ich möchte deshalb darauf verzichten. Es würde Sie mich deshalb, meine sehr geehrten Damen und mir, Frau Kollegin Matthäus-Maier, ein Vergnügen Herren, einige ganz wesentliche Punkte des Reform- bereiten, aber ich bitte um Nachsicht. konzepts kurz herausgreifen. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Dann frage Hervorzuheben ist die volle im Grundgesetz veran- ich laut: Wollen Sie unsere Zustimmung, kerte Aufgabenprivatisierung. Damit wird über die oder wollen Sie uns diffamieren? — Gegen Schaffung von Aktiengesellschaften hinaus eine deut- rufe von der CDU/CSU) liche Perspektive auch für andere zukünftige private Die Unternehmen, meine Damen und Herren, brau- Dienstleistungsanbieter, insbesondere im Telekom- chen Zeit, um sich auf den zukünftigen Wettbewerb munikationsbereich, geboten. und auf die Anforderungen des Marktes einstellen zu In einem der größten Wachstumsmärkte ist der Weg können. zu einer umfassenden Liberalisierung und Entbüro- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist doch kratisierung frei. Im Hinblick auf die zukünftige unmöglich, was der hier macht!) internationale Entwicklung gerade im Bereich der Sie brauchen diese Zeit jetzt und nicht erst, wenn die Telekommunikation werden verschiedene Gesetze Märkte im Rahmen der Europäischen Union geöffnet befristet, so daß der nächste Deutsche Bundestag über werden, ganz gleich, ob dies 1998 geschehen soll oder eine weitere Öffnung des Marktes zu beschließen erst im Jahre 2000. haben wird. Wir sind verantwortlich für fast 700 000 Menschen Die Grundzüge für eine zukünftige Regulierung des bei den Postunternehmen und viele zehntausend Marktes sind Inhalt dieses Gesetzentwurfs. Aber auch Menschen, für Hunderttausende von Menschen, die hier ist der zukünftige Gesetzgeber gefordert, unter direkt oder indirekt von der deutschen Telekommuni- Berücksichtigung der sprunghaften Entwicklungen kationswirtschaft abhängig sind. Hier Tagträumen am Markt Modelle zu entwickeln, die nach dem nachzuhängen ist lebensgefährlich und würde Ar- Auslaufen der Monopole eine angepaßte Regulierung beitsplätze in Deutschland vernichten. vorsehen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20807

Elmar Müller (Kirchheim) Der Infrastrukturauftrag bleibt dabei unverändert Hans Gottfried Bernrath (SPD): Herr Präsident! gesichert. Hierfür ist die Mehrheitsbeteiligung des Verehrte Damen! Meine Herren! Wir haben in der Bundes an den Unternehmen nicht erforderlich, son- Einbringungslesung ausdrücklich begründet, warum dern eine Regulierung des Telekommunikations- wir uns beteiligen. Wir sehen die Notwendigkeit dazu marktes und des Postwesens als hoheitliche Auf- im Scheitern der Postreform I, in der inzwischen gabe. eingetretenen und zunehmenden Internationalisie- rung der Märkte, in dem faktisch schon vorhandenen Der paritätisch mit Vertretern des Bundestages und Wettbewerb, der geordnet werden muß, in der Libe- des Bundesrates besetzte Regulierungsrat gewährt ralisierung durch die EU — auch über GATT — und in den Ländern — auch auf Grund der neuen Aufgaben- den Anforderungen, die uns die Vereinigung stellung — ein qualifiziertes Mitspracherecht bei Deutschlands gebracht hat, insbesondere aber auch wesentlichen, die Infrastruktur betreffenden Ent- darin, dem Personal Zukunftsperspektiven zu erhal- scheidungen. ten. Die für die Erfüllung des Infrastrukturauftrages weiterhin wichtige Zusammenarbeit der zukünftigen (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr Post AG und Postbank AG im Schalterbereich ist gut!) zwischen den Unternehmen vertraglich geregelt. Ich möchte hier im Zusammenhang mit dem, was Zusätzlich wurde in der Form eines Entschließungs- Herr Müller gesagt hat, ausdrücklich betonen, daß ich antrages der Fraktionen der Verbund der Unterneh- den billigen Nickel kleinlicher Unterschiede bei die- men als weiteres politisches Ziel vorgegeben. sem großen Werk nicht in den Vordergrund rücken Daß das Reformwerk im Hinblick auf den notwen- werde. Das überlasse ich Ihnen. Richtig ist, daß es ein digen Konsens bei einer Grundgesetzänderung nicht gutes Werk ist, das zustande gekommen ist, und daß frei von Kompromissen ist, zeigt sich am deutlichsten wir alle daran unseren Anteil haben. Ich möchte das an der Bildung einer die Unternehmen verbindenden ausdrücklich auch in Richtung der CDU/CSU und der Holding, die sich im wesentlichen mit den sozialen F.D.P. sagen. Ohne unsere — auch harten — Ausein- Belangen der bei den Postunternehmen Beschäftigten andersetzungen wäre es nicht zustande gekommen. befassen soll. Dabei konnte jedoch sichergestellt wer- Ich möchte ebenfalls betonen: So sperrig die Deut- den, daß diese Holding als Anstalt des öffentlichen sche Postgewerkschaft gelegentlich war, so hilfreich Rechts unter keinen Umständen in das operative waren aber auch ihre vielen, vielen Hinweise, die Geschäft der Postunternehmen eingreifen kann. fachlich sehr wertvoll waren, insbesondere im perso-- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr wich nellen und sozialen Bereich. Wahrscheinlich wäre es tig ist das!) ohne diese Hinweise noch sehr viel schwerer gewor- den, mit unserer Aufgabe fertig zu werden. Die Belange der Beschäftigten sind, soweit dies per Gesetz möglich ist, umfassend gesichert. Die (Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie des Umwandlung der Unternehmen wird sozialverträg- Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS/Linke Liste]) lich und ohne Nachteile für das Personal erfolgen. Der Bund übernimmt wesentliche Garantien. Der Bundes- Für die Unternehmen haben wir damit eine Reihe haushalt wird hierdurch jedoch nicht belastet wer- von Zielen verfolgt. Der Telekom wird damit die den. Chance gegeben, sich national und international im Wettbewerb zu stärken und einer der sechs bis acht Die im Gesetzentwurf im einzelnen enthaltenen großen „global players" zu werden. Dafür ist vor allen Regelungen sind, wie Sie sehen, zum Teil komplizier- Dingen eine Basis geschaffen worden, um die Eigen- ter und umständlicher, als dies aus unserer Sicht kapitalausstattung zu verbessern, die vor allem im häufig hätte sein müssen. Sie sind jedoch im Hinblick internationalen Vergleich viel zu schmal war. auf die Änderungen des Grundgesetzes und die hierfür notwendige Zustimmung der Opposition hin- Für die Post sichern wir auf diese Weise den zunehmen. Anschluß an die Entwicklung dynamischer europäi- scher und auch ganz anderer Märkte, auch im Wett- Mit der Postreform II werden die Weichen heute bewerb mit organisationsrechtlich anders aufgebau- richtig gestellt, um die Zukunft der Unternehmen der ten ausländischen Unternehmen. Deutschen Bundespost und damit den Wirtschafts- standort Deutschland zu sichern. Für die Postbank schaffen wir die Voraussetzungen, als flächendeckende Vollbank Allianzen mit Anbie- Ich bitte alle, sich ihrer Verantwortung bewußt zu tern, die parallele Interessenlagen haben, einzuge- werden und die Arbeitsplätze in den Bereichen der hen, was wir über die Einzelregelungen auch mit dem Unternehmen und der Indust rie durch Freigabe und Kapitalvorbehalt für vier Jahre sichern. Wir waren Zustimmung zu diesem Gesetz zu sichern. aber auch übereingekommen, daß dem Erwerb wei- Herzlichen Dank. terer Aktienanteile durch die Postdienste, wenn die Postbank an die Börse geht, nichts entgegensteht. Im (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Gegenteil, wir würden das vor dem Hintergrund Ihrer Bereitschaft begrüßen, nun auf der Basis der neuen Vereinbarung enger zusammenzuarbeiten und damit vor allem das flächendeckende Angebot unter preis- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile günstigen Bedingungen — dabei geht es ja immer um nunmehr das Wort dem Abgeordneten Hans Gottfried die Kosten — zu erhalten oder auch wieder zu Bernrath. festigen. 20808 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Hans Gottfried Bernrath Die Ausgangslage, die vor etwa zwei Jahren zu Der Druck des Wettbewerbs ist im Fernmeldewe- erkennen war und die uns bewogen hat, mit Ihnen sen, also in der Telekommunikation bereits so groß, zusammen die Grundgesetzänderung vorzubereiten, daß heute sicher ist, daß ohne die von uns vorgese- ist in der Grundtendenz nach wie vor unverändert. hene Eigenkapitalaufstockung über privates Kapital, Eher kann man davon ausgehen, daß sich eine Ent- das dann in die Unternehmen fließen wird, das Unter- wicklung zuungunsten der Postunternehmen durch- nehmen Telekom mit Sicherheit den Weg der Bundes- gesetzt hat, diese Reform also dringend notwendig bahn in den vergangenen Jahrzehnten hätte gehen geworden ist. müssen. Das drückt sich aus in der Liberalisierung der Post- (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr! Wirt- und Telekommunikationsmärkte vor allem in der schaftspolitisch sehr vernünftig gesagt!) Nachbarschaft und in den zu erwartenden internatio- Postwesen und Postbank stehen noch schlechter da, nalen Aktivitäten der Europäischen Union. Wir haben als wir uns das selbst klarmachen. Wenn die EU ab außerdem erkannt, daß besondere Kundensegmente, 1998 entscheidet, können wir von hier nicht mehr obwohl die Monopole nicht aufgehoben worden sind, gegensteuern. Dann wirken die Entscheidungen der schon in diese Märkte drücken und besondere Rege- EU unmittelbar. lungen, besondere Lizenzierungen beanspruchen, um Mit öffentlich-rechtlichem Status wäre ein Bestehen auch unter ihren Bedingungen kostengünstig Tele- im Wettbewerb nicht möglich gewesen. Er hätte kommunikation in Anspruch nehmen zu können. äußerstenfalls in der Anpassung an die Entwicklung Der nationale Regulierer fördert diese Entwicklung zu einer dann überhaupt nicht mehr übersehbaren bereits. Aber sie geht unkontrolliert vor sich. Wir Anzahl von Töchtern, die gegründet worden wären, dürfen uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese mit dem Zweck geführt, in diesen Teilbereichen Entwicklung auch Chancen mit sich bringt. Aber wir wenigstens den Status eines privaten Unternehmers wollen sie nachregeln und vor sich gehen lassen. Wir zu erlangen. Diese Entwicklung der kalten Privatisie- wollen dabei vor allen Dingen auch schon jetzt die rung wollten wir auf jeden Fall vermeiden. Daher Interessen der Privat- und Geschäftskunden berück- rührt unsere Beteiligung an diesem Projekt. sichtigen. Aus heutiger Sicht war es auch sachlich und poli- In bezug auf die Infrastruktur — das ist vorhin schon tisch richtig, daß sich die SPD von Anfang an an der gesagt worden geht es um eine moderne und Vorbereitung der Grundgesetzänderung in Verbin- dung mit dem Ziel, die Mängel, die sich aus der flächendeckende Versorgung mit Post-, Postbank-, Postreform I zeigten, zu beseitigen, beteiligt hat. Dies und Telekommunikationsdienstleistungen. Dafür ha- ben wir klare Rahmenbedingungen geschaffen. Wir hat die Verhandlungen entscheidend geprägt. Beide werden auf diese Weise insbesondere die Rolle Aufgaben wurden dabei im Auge behalten. Deutschlands als Know-how-Standort in der Tele- Damit ist es gelungen, eine Vielzahl unserer Forde- kommunikation, den Posttechniken, den Postdiensten rungen — insbesondere bei den einfachen Geset- und den Postdienstleistungen stärken. zen — zugunsten einer verbesserten Ausgangslage für die Unternehmen beim Start unter der Rechtsform Wichtig ist für uns aber auch, daß wir mit einer der Aktiengesellschaft einzubringen, wozu die Koali- solchen Grundgesetzänderung die Voraussetzungen tion sonst nicht bereit gewesen wäre. Sie wurde und dafür schaffen, daß das Personal eine Zukunftsper- mußte immer wieder an ihre Verantwortung für die spektive in modernen Betrieben unter — das war Postreform I und die mißlichen Bedingungen, die sich wesentlich für die Verhandlungen — Wahrung ihrer daraus ergaben, erinnert werden. existentiellen Arbeitsbedingungen und ihrer Besitz- Kom- stände im sozialen Bereich sowie in einer modernen Es ist allerdings für jeden verständlich, daß promisse notwendig waren, Kompromisse zwischen Personalstruktur hat. — ich sage das ausdrücklich SPD und DPG einer- Jeder weiß, daß die Unternehmen mit einer viel zu seits, Kompromisse aber auch zwischen der Regie- sehr auf einen Massenbetrieb eingestellten Personal- rungskoalition und uns sowie Kompromisse in Ihrer struktur arbeiten statt mit differenzierten Qualifikatio- Koalition. Herr Funke und Herr Timm sind dafür nen für die differenzierten Märkte, denen sie sich Garanten gewesen. Oftmals war Herrn Bötsch die gegenübersehen. Zusammenarbeit mit uns viel angenehmer als mit Wir wollen auf diese Weise auch sicherstellen, daß Ihnen. die Unternehmensleitungen personal- und sozialver- (Abg. Bernd Henn [PDS/Linke Liste] meldet antwortlich entscheiden müssen. Dazu dienen diese sich zu einer Zwischenfrage) ausgedehnten besonderen Regelungen bezüglich des Personals in diesem Gesetz. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Entschul- Es ist unserer Verhandlungsdelegation zusammen digung, wenn ich unterbreche, aber ich habe den mit den Bundesländern gelungen, in diesem Bereich Wunsch nach der Beantwortung einer Zwischenfrage weiterzukommen. Wir haben dies noch ergänzt, um vorliegen. auch Zeit für die Vorbereitungen solcher Entschei- dungen zu gewinnen, die sich auf Märkte sowie auf Hans Gottfried Bernrath (SPD): Es kommt drauf an, Personal beziehen, indem wir ein Moratorium für die wer das ist. — Bitte. Lizenzierungen und Regulierungen in den kommen- den Monaten und Jahren vereinbart haben, das sich in Bernd Henn (PDS/Linke Liste): Herr Kollege Bern- drei Stufen an das Wirksamwerden der Regulierungs- rath, Sie haben gerade beschrieben, was Ihnen auf instanz anlehnt. dem Kompromißwege gelungen ist. Ich muß sagen, in Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20809

Bernd Henn den zwei Jahrzehnten, in denen ich Mitglied Ihrer Der Streik der Postbediensteten — darüber müssen Partei war, war das Ziel, Mitbestimmung nach dem wir uns im klaren sein — ist gerade darauf zurückzu- Montanmodell über Kohle und Stahl hinaus zu errei- führen, daß wir notwendige Lösungen im Detail nicht chen, ein allgemein gültiges Ziel in der SPD. Ich frage rechtzeitig angegangen sind. Wir haben immer wie- Sie: Warum ist es, gerade weil Sie eine Zweidrittel- der darauf hingewiesen, daß unternehmerisch- orga- mehrheit brauchen, um die Postreform durchzubrin- nisatorische Fragen der Aufgabenstellung und perso- gen, im Rahmen der Kompromisse nicht auch möglich nelle Regelungen gleichgewichtig zu verhandeln und gewesen, dieses Modell der Mitbestimmung in den in das Gesetz einzubringen sind, nicht zuletzt weil wir Kompromissen mit der Regierung unterzubringen? uns völlig darüber im klaren waren, daß das eigentli- che Risiko des ersten Schritts in die Privatisierung das Personal und ausschließlich das Personal trägt. Von Hans Gottfried Bernrath (SPD): Sie haben zwei daher war es unverständlich, daß wir dafür so lange Fehler gemacht, Herr Kollege. Einmal sind Sie zu früh gebraucht haben und erst nach mehreren Unterbre- aus der SPD ausgetreten. chungen der Verhandlungen ersthafte Bereitschaft (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) bei Ihnen gefunden haben, die Personalfragen klar Zum zweiten haben Sie das Gesetz gar nicht gelesen. und deutlich unter Berücksichtigung der Erwartun- Wir haben die 76er Mitbestimmung, angereichert um gen und den Rechten, die das Personal hat, zu die sogenannte Krupp-Lösung, untergebracht. Damit sichern. haben wir ein vorzügliches Modell, mitbestimmte Ich räume dabei ein, daß es sich im Detail natürlich Unternehmen in die Zukunft zu führen. Treten Sie um sehr schwierige und komplexe Materien handelt. wieder ein, und wirken Sie an diesem Prozeß mit! Aber es war eine Aufgabe, die wir vorher kannten. Ich (Rainer Funke [F.D.P.]: Braucht er doch nicht stehe auch nicht an, zu sagen, daß, gemessen an den mehr! Er ist in der Koalition!) Bedingungen, die uns gesetzt waren, das Ergebnis Aus heutiger Sicht jedenfalls stelle ich fest: Die nicht nur tragfähig, sondern gut ist. reuigen Schäflein sind immer noch die angenehmsten Wir haben in großem Umfang personelle Regelun- gewesen. Das war immer so. — Hans Urbaniak will gen über die gesetzlichen Regelungen, über die auch noch etwas fragen. Tarifverträge gesichert, die hoffentlich jetzt unter- zeichnet werden. Ich bin überzeugt, daß wir für die Beamten wie auch für das Tarifpersonal einen Rechts- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- rahmen bekommen haben, der nicht nur ihren Status geordneter Urbaniak, ich sehe, Abgeordneter Bern- sichert, nicht nur ihre Rechte sichert, der die Unter- rath ist bereit, Ihre Frage zu beantworten. Aber ich nehmen auch mit diesem qualifizierten Personal befä- muß noch einmal daran appellieren, sich wirklich zu higt, sich unter der neuen Rechtsform in die Zukunft beschränken. Bitte sehr. hinein zu entwickeln. Dabei — ich will nur diesen einen Punkt anführen — Hans-Eberhard Urbaniak (SPD): Das werde ich tun, spielte für uns der Wohnungsbau eine ganz besondere Herr Präsident. Rolle. Jeder weiß, warum: weil wir gerade in den Trotz intensivster Verhandlungen, Herr Kollege großen Städten hohe Bestände an Personal mit unte- Bernrath, ist es aber doch nicht gelungen, das Mon- ren Einkommen haben, die überhaupt nicht in der tanmodell unterzubringen. Wir hätten es sehr Lage wären, Wohnungen ohne ein solches Angebot gewünscht. ihres Arbeitgebers überhaupt zu mieten. (Rainer Funke [F.D.P.]: Die Post ist auch kein Die weitgehenden gesetzlichen Absicherungen Montanbetrieb!) sind durch Tarifverträge ergänzt — ich habe es angedeutet —, so daß auch von daher eigentlich kein Schaden auftreten kann. Wir haben darum gestern in Hans Gottfried Bernrath (SPD): Wie soll das denn der Fraktion ausdrücklich die Erwartung ausgespro- gehen? Nach der nächsten Wahl werden wir das chen, daß vor Beschlußfassung im Bundesrat in der korrigieren. Mit absoluter Mehrheit werden wir es kommenden Woche die Tarifverträge, über die zur dann unterbringen. Zeit noch verhandelt wird, abgeschlossen sein müs- (Beifall bei der SPD) sen. Aus heutiger Sicht stelle ich ausdrücklich fest, daß (Zuruf von der CDU/CSU: Nicht klug!) es in bezug auf die Sicherstellung des Infrastruktur- auftrags — das ist für die Länder und Kommunen ganz Hier geht es um Eingruppierungen, Tarifverträge zur wichtig — neben der Sicherung der Monopole erstma- Unkündbarkeit, Mitbestimmung und Dinge im sozia- lig gelungen ist, diese Aufgabe in der Verfassung zu len Bereich. Wir gehen auch davon aus, daß das nicht verankern, für alle im Kommunikationssektor tätigen in Sandkastenspielen gemacht wird, sondern auch Unternehmen dann einheitlich auch in Lizenzen zu unter gegenseitigem Respekt und ohne taktische bringen und durch eine starke Regulierungsinstanz Verzögerungen, damit letztlich auch auf diese Weise durchsetzen zu lassen, die an einen einheitlichen die Tarifpartnerschaft der Unternehmen mit der Deut- gesetzlichen Rahmen gebunden ist. Im Ergebnis gibt schen Postgewerkschaft, die der Töchter der Unter- es also klare einheitliche Bedingungen für Anbieter nehmen mit der Deutschen Postgewerkschaft gesi- auf dem deutschen Markt mit starken Prioritäten für chert wird. die Unternehmen, die aus dem Sondervermögen des Von daher, meine sehr verehrten Damen und Her- Bundes stammen. ren, bin ich persönlich mit dem Ergebnis zufrieden. Ich 20810 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Hans Gottfried Bernrath kann es verantworten. Ich sage das auch ausdrücklich werk für notwendig; denn solche Umwandlungen als Postler, der dort 30 Jahre aktiv zugebracht hat und benötigen auch einen gesellschaftlichen Konsens. Ich heute noch sein Lebenszentrum bei den Unternehmen bin dankbar, daß sich die SPD diesem gesellschaftli- der Post sieht. Ich lebe ja auch davon. chen Konsens nicht entzogen hat. Aber es wäre nicht möglich, hier zu stehen und Schließlich handelt es sich bei den drei Postunter- dafür einzutreten, wenn man das nicht gegenüber den nehmen mit zusammengenommen 670 000 Mitarbei- vielen, vielen Kollegen, die man in diesen Bereichen tern, mit Vermögenswerten von 150 bis 200 Milliarden hat, verantworten könnte, das aber auch in der nöti- DM sowie einer Dienstleistungspalette, die im moder- gen Loyalität anderen demokratischen Kräften und nen Kommunikationsbereich eine immer bedeuten- auch den Gewerkschaften gegenüber tun könnte. dere Rolle spielen wird, um das größte Dienstlei- Darum bedanke ich mich sehr herzlich bei allen, die stungsunternehmen Europas. mitgemacht haben. Die Umwandlung der Postunternehmen in Aktien- Herr Minister Bötsch, was die SZ schreibt, ist sehr gesellschaften stellt formal die Organisationsprivati- ungerecht. Das möchte ich ausdrücklich sagen. Sie sierung dar. Die Telekom AG wird so schnell wie haben in aller Klarheit Ihre Positionen vertreten. Aber möglich private Aktionäre erhalten. Zu diesem Zweck Sie haben eben auch gewußt, daß Sie mit einer wird die Telekom AG das Grundkapital erhöhen und Koalition und einer starken SPD verhandeln mußten die Aktien spätestens 1996 an der Börse anbieten. und daß Sie später den Unternehmen eine Basis erhalten mußten, um mit der Deutschen Postgewerk- Dieser Vorgang wird sich in den nachfolgenden schaft verhandeln zu können. Dafür sind wir Ihnen Jahren ständig wiederholen. Dadurch wird der Anteil dankbar. Ich danke auch den Staatssekretären und des Bundes schnell sinken. Wegen des besonderen Finanzbedarfs der Telekom, aber auch im Interesse ihren Mitarbeitern. Ich will ausdrücklich Herrn Kühn und Herrn Reinke erwähnen, weil ich die einmal der technologischen Entwicklung und der finanziel- beleidigt hatte. Es ist alles wieder gut. len Kooperation haben wir gemeinsam darauf ver- zichtet, dem Bund für einen bestimmten Zeitraum eine (Zuruf von der SPD: Denk an deine Redezeit! Mehrheitsbeteiligung zu sichern. — Heiterkeit) Das Wichtigste ist jedoch, daß die Telekom über die Ich bedanke mich auch bei meinen Mitarbeitern Börse mehr Eigenkapital erhält, als sie jemals vom Herrn Rötzel und Herrn Heller, die mir zur Verfügung Bund erhalten könnte. Die Telekom AG wird auch gestellt worden sind, die ganz hervorragend mitgear- durch ihre Kooperationspartner — und ich bin sicher,- beitet haben. Dank ist wichtiger als Redezeit; ich will daß sie Kooperationspartner finden wird — institutio- dir nämlich einige nehmen. Vielen Dank Ihnen. nelle Anleger als Aktionäre zusätzlich aufnehmen Ich bitte Sie, Herr Minister, die Zusammenarbeit mit können und damit ein interessanter Partner am welt- uns mindestens bis zur Gründung der Aktiengesell- weiten Telekommunikationsmarkt sein. schaft fortzusetzen, damit wir strittige Punkte klären. Ich bitte Sie auch dringend, mit einem Arbeitsstab Das Unternehmen ist frei, sich ausschließlich nach dafür zu sorgen, daß das reibungslos vor sich geht. Das unternehmerischen Gesichtspunkten auszurichten ist ein einmalig gigantisches Unternehmen. Das geht und zu entscheiden. Mit dieser neuen Kapitalkraft nicht ohne Reibungen ab. Wir wollen das gemeinsam können Investionen und Innovationen umgesetzt wer- machen. Ich gehe davon aus, daß Sie weiter bereit den, denn kein Markt der Welt wächst so schnell wie sind, unsere Bedingungen dabei zu akzeptieren und der Telekommunikationsmarkt, aber auch kein damit zu einem guten Ergebnis beizutragen. Markt wandelt sich so schnell wie dieser. Danke. Deswegen brauchen wir ein flexibles, finanzstarkes Unternehmen, das wettbewerbsfähig ist. Dies ist im (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Interesse der Arbeitnehmer. Dies ist auch im Interesse F.D.P.) der deutschen Wirtschaft; denn Telekommunikation verursacht Kosten, und preiswerte Telekommunika- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile tionsleistungen tragen zur Wettbewerbsfähigkeit der nunmehr dem Abgeordneten Rainer Funke das gesamten deutschen Wirtschaft bei. Wort. (Vorsitz: Vizepräsident Hans Klein) Wir sind uns bewußt, daß der schnelle Weg an die Rainer Funke (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Börse für die Postdienst AG nicht möglich sein wird, Damen und Herren! Nach fast zweijährigen Verhand- solange dieses Unternehmen noch mit Verlust arbei- lungen beschließen wir endlich die Postreform II. Mit tet. Aber mit der Umwandlung in eine Aktiengesell- der Entscheidung über die Privatisierung der Postun- schaft ist der Weg an die Börse vorprogrammiert. Wir ternehmen Telekom, Postdienst und Postbank stellen rechnen damit für das Jahr 1998. Bis dahin wird die wir damit die Weichen für die notwendige Liberalisie- Postdienst AG durch Rationalisierung und durch ver- rung der bisher staatlichen Postunternehmen. besserte Dienstleistungen in der Lage sein, Gewinne Die SPD nahm an den Verhandlungen teil, um die zu erwirtschaften. Zweidrittelmehrheit für die notwendige Grundgesetz- (Zuruf von der SPD: Da kommt kein Funke änderung sicherzustellen. Aber selbst wenn eine rüber!) Grundgesetzänderung nicht notwendig gewesen wäre, halte ich die Beteiligung der wichtigsten Oppo- Mit der dann verbesserten Eigenkapitalausstattung sitionspartei an einem solch bedeutenden Reform wird auch dieses Unternehmen immer mehr zu einem Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20811

Rainer Funke modernen Dienstleistungszentrum unserer Wirtschaft Vizepräsident Hans Klein: Herr Parlamentarischer werden. Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bernrath? Diese Organisationsprivatisierung erfolgt nicht zum Selbstzweck oder - um den Kollegen Bernrath zu zitieren — „aus ideologischen Gründen". Diese Rainer Funke (F.D.P.): Natürlich, ja. Wir hatten ja Organisationsprivatisierung wird, wenn auch nicht zwei Jahre lang genug Gelegenheit zu diskutieren. immer ganz parallel, mit einer Aufgabenprivatisie- rung einhergehen. Monopole der bisherigen Deutschen Bundespost Hans Gottfried Bernrath (SPD): Herr Staatssekretär werden abgeschafft. Nicht umsonst steht in Art. 87 f Funke, wollen Sie ernsthaft von einem politischen des Grundgesetzes, daß die Unternehmen ihre Dienst- Streik sprechen, wenn im Rahmen einer politisch zu leistungen als private Tätigkeiten durch die aus dem entscheidenden Privatisierung eine Unzahl von Tarif- Sondervermögen der Deutschen Bundespost hervor- verträgen zu ändern und zu ergänzen sowie Inhalte zu gegangenen Unternehmen durch Wettbewerber an- sichern sind, damit das Personal — ich wiederhole: das bieten. nach übereinstimmender Auffassung das Risiko des ersten Schrittes trägt —mit in die Privatisierung gehen (Zuruf des Abg. Peter Paterna [SPD]) kann, ohne Rechte und ohne Existenzerwartungen zu verlieren? Ich frage Sie das ausdrücklich auch unter — Herr Kollege Paterna, als private. So soll es im dem Gesichtspunkt: Viele der Bedingungen, die wir Grundgesetz stehen; so habe ich es zitiert. eingebracht haben, wurden von Ihnen mit Hinweis (Jürgen Timm [F.D.P.]: So soll es auch blei auf die Interessen der Anleger, also der Aktionäre, ben!) abgeschmettert. Sehen Sie das Recht der Aktionäre vorrangig vor dem der Mitarbeiter? Das ist doch völlig Der europäische Markt erzwingt geradezu die Auf- ausgeschlossen. gabenprivatisierung. Wir sollten nicht die letzten sein, Wir haben es mit einem Streik um Inhalte von die auf diesen fahrenden Zug aufspringen. Vielmehr Tarifverträgen und mit einer großen Unbeweglichkeit müssen wir im europäischen Markt Vorreiter für mehr der Arbeitgeber in den Verhandlungen über diese Wettbewerb sein. Ich habe es eigentlich nie verstan- Tarifverträge zu tun. Würden wir dem nachgeben, den, daß der eine oder andere aus diesem Hause der würden wir uns am Abbau sozialer Rechte beteiligen. Auffassung gewesen ist, wir sollten erst als letzte auf - Von daher bitte ich Sie, das Wort vom politischen den europäischen Zug des Wettbewerbs springen. Ich Streik zurückzunehmen. Sie können natürlich sagen, glaube, daß gerade wir Deutschen allen Anlaß haben, Ihnen gefällt das nicht, aber es ist kein politischer den Wettbewerbsgedanken hier in den Vordergrund Streik. zu stellen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Deswegen stehe ich einigermaßen verständnislos der PDS/Linke Liste) vor der Tatsache, daß die Postgewerkschaft seit Wochen streikt und die Postunternehmen gefährdet. (F.D.P.): Herr Kollege Bernrath, ich (Beifall bei der F.D.P.) Rainer Funke habe nicht von politischem Streik gesprochen, son- Denn dies schadet den Postunternehmen in ihrer dern von politisch motiviertem Streik. Das hat der Wettbewerbsfähigkeit. Die Postgewerkschaft läßt Vorsitzende der Postgewerkschaft, Herr van Haaren, gegen die Interessen der Unternehmen streiken. Dies ausdrücklich bestätigt. ist ein politisch motivierter Streik (Zuruf von der CDU/CSU: Na so was!) (Beifall bei der F.D.P.) Er hat gesagt, er wolle, daß bis zum Abschluß dieser Verhandlungen in der gemeinsamen Verhandlungs- und hat mit den berechtigten Interessen der Arbeit- kommission die Verhandlungspartner unter Druck nehmerschaft überhaupt nichts zu tun. gesetzt werden, damit die Interessen der Postgewerk- (Widerspruch bei der SPD) schaft hinreichend berücksichtigt würden. Die Verhandlungskommission hat die berechtigten (Zuruf von der F.D.P.: So ist es!) Interessen der Arbeitnehmerschaft gemeinsam ver- Hier geht es aber nicht um die Interessen der treten, insbesondere bei der Sicherstellung der Pen- Postgewerkschaft. Hier geht es um die Interessen der sionsansprüche der Beamten und Angestellten sowie Unternehmen und der Arbeitnehmerschaft. der bisher gewährten Sozialleistungen. Dies sind (Josef Grünbeck [F.D.P.]: Und der Postbenut- keine Selbstverständlichkeiten gewesen, insbeson- zer!) dere wenn man bedenkt, daß die Pensionsverpflich- tungen der Unternehmen allein 100 Milliarden DM Deswegen haben wir uns für die Interessen der Arbeitnehmerschaft eingesetzt, indem wir gemein- betragen und die tarifvertraglich zugesagten zusätzli- chen Sozialleistungen einen hohen zweistelligen Mil- sam mit Ihnen, Herr Bernrath, dafür gesorgt haben, liardenbetrag ausmachen. daß die sozialen Errungenschaften, die die Gewerk- schaften gemeinsam mit den Unternehmen vereinbart Die Postbank AG wird als erstes Unternehmen die haben, sogar gesetzlich abgesichert werden und daß Möglichkeit erhalten, Kooperationspartner aufzu- die Unternehmen in Zukunft neue Tarifverträge abzu- nehmen und in neue unternehmenspolitische Dimen- schließen und dann gemeinsam mit den Unternehmen sionen vorzustoßen. neue Regelungen zu finden haben. 20812 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Rainer Funke Was jetzt von der Postgewerkschaft gemacht wird, stern bedankt. Man ist schon ganz froh, daß man nicht ist, insbesondere Ihre Partei unter Druck zu setzen, einbezogen ist. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Damit wer (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das wird den wir schon fertig! Keine Sorge!) auch nie geschehen!) um die Postreform II in letzter Minute zu verhindern. Insofern haben wir auch keine Chance. Das gleiche Herr van Haaren hat gestern in Ihrer Fraktion geschieht jetzt von der F.D.P. Hier ist also die ganz, (Uwe Lühr [F.D.P.]: Sehr ungewöhnlich!) ganz große Koalition entstanden und wird gebraucht. ein wunderbares Beispiel von Pression gebracht. Ich Ich sage Ihnen nur eines: Sie tun so, als ob es ein möchte einmal wissen, was passiert wäre und wie der uraltes Denken ist, wenn man sich gegen die Postre- Aufschrei gewesen wäre, wenn wir die gesammelte form II stellt, als ob man altes staatssozialistisches Unternehmerschaft in unserer Fraktion gehabt hät- Denken etc. einbringt. ten. Das, was bisher geltendes Recht ist, steht nun (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die ist eh einmal im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutsch- dauernd da, Mann!) land. — Frau Matthäus-Maier, Sie wissen, wie das bei uns in (Beifall bei der PDS/Linke Liste) der Fraktion abläuft. Sie brauchen vor dem Plenum nicht auch noch zu lügen. Das ist nicht von uns verabschiedet worden, sondern von Ihren Parteien. Sie haben offensichtlich vierzig (Jürgen Timm [F.D.P.]: Sie hat sich selbst Jahre lang ganz gut mit diesem furchtbaren staatsso- disqualifiziert!) zialistischen Gedanken in Ihrem Grundgesetz gelebt, Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ohne daran zugrunde gegangen zu sein. abschließend zu dem dritten Unternehmen, der Post- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das waren bank, kommen. Ich hatte ausgeführt, daß die Postbank andere Zeiten!) jetzt die Chance hat, Vollbank zu sein. Demgemäß kann sie flächendeckend Bankleistungen anbieten Zum zweiten ist auch deutlich, daß wir nach wie vor und wird damit interessant für Kooperationspartner. dieses Grundgesetz verteidigen, während Sie es zum Das kommt insbesondere den Kunden der Deutschen x-ten Mal in dieser Legislaturperiode aushebeln wol- Postbank AG entgegen. len. Auch das ist eine Tatsache. - Die Postreform kann ein Meilenstein für die Unter- Gesellschaftspolitisch geht es um folgende Frage. nehmen sein, wenn die Chancen, die in diesem Die Wirtschaft, vor allen Dingen die großen Banken Gesetzeswerk enthalten sind, ergriffen werden. und die großen Konzerne, hat einen gewaltigen Ein- Hierzu bedarf es eines tüchtigen, flexiblen und am fluß in unserer Gesellschaft. Das kann niemand leug- Markt erprobten Managements. Bereits mit der Post- nen. Sie ist aber auf den Staat angewiesen, und zwar reform I — ich sehe hier Herrn Dr. Schwarz nicht nur deshalb, weil der Staat die Rechtshoheit hat Schilling — — die selbstverständlich wichtig ist —, sondern auch (Peter Paterna [SPD]: „Post 2000" hieß deshalb, weil der Staat auch Eigentum hat. Die das!) Banken und Konzerne sind sozusagen auf den Staat angewiesen. Wozu ist das wichtig? Das ist wichtig, sind Grundlagen hierfür geschaffen worden. Es gilt, weil der Staat eine regulierende Funktion hat. Wenn diese Chancen verstärkt zu nutzen. Wir geben ein Sie selbst von „Sozialer Marktwirtschaft" sprechen, großes volkswirtschaftliches Kapital in die Hände der wissen Sie, daß eine Marktwirtschaft nicht von alleine privatisierten Unternehmen und deren Manage- sozial wird. Dazu muß man regulierend eingreifen. ments, weil wir überzeugt sind, daß nur privatwirt- Wenn Sie mehr soziale Gerechtigkeit wollen, brau- schaftliche Lösungen die Unternehmen nach vorne chen Sie als Staat den entsprechenden Einfluß, das bringen. auch durchzusetzen. Ich danke meinen Gesprächspartnern Herrn Bern- rath und Herrn Müller. Ich danke dem Minister und (Arne Börnsen [Ritterbude] [SPD]: Lesen Sie seiner gesamten Mannschaft für die Kooperation. Ich einmal das Gesetz; das wäre hilfreich!) glaube, wir sind zu einem guten Ergebnis gekom- Das Interessante ist, daß Sie sich durch Privatisie- men. rung der wenigen staatlichen Unternehmen Schritt für Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Schritt den wirtschaftlichen Hintergrund dafür neh- men, solchen Einfluß auszuüben. Eine Rechtshoheit, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) hinter der keine wirtschaftliche Macht mehr steht, wird ausgehöhlt. Das wissen Sie. Das gilt für die Steuergesetzgebung und für viele andere Bereiche. Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- Bisher war es noch so, daß der Verkehr, die Kommu- ordnete Dr. Gregor Gysi. nikation — dazu gehört eben auch die Post —, die Autobahnen sozusagen im Bereich des Staates waren und deshalb die Wirtschaft ebenso auf den Staat angewiesen war wie der Staat auf die Wirtschaft. Jetzt Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! privatisieren Sie das alles Schritt für Schritt, bis Sie Meine Damen und Herren! Herr Kollege Bernrath, Sie Ihre eigene Rechtshoheit völlig ausgehöhlt haben und haben sich bei allen Fraktionen und bei allen Mini- praktisch überhaupt keinen Einfluß mehr in die Rich- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20813

Dr. Gregor Gysi tung nehmen können, von der Sie immer vorgeben, alles festgezogen ist. Dann fehlt Ihnen doch wieder die daß Sie sie gehen wollen. Zweidrittelmehrheit, um entsprechende Veränderun- gen vorzunehmen, wenn Sie als Wahlsiegerin aus der (Zuruf von der F.D.P.) Wahl hervorgehen sollten. Zweitens geht es doch darum, daß die Privatisierung Abgefedert sind die ärgsten Punkte einer totalen dieser Postunternehmen viele enthält, Gefährdungen Privatisierung; aber die Konsequenzen sind nicht auch z. B. für Postdienstleistungen. Zwar soll im benannt, die heute und morgen, aber spätestens in Grundgesetz festgeschrieben werden, daß eine flä- fünf Jahren drohen. Erstens geht es darum, ob die chendeckende Versorgung zu erreichen ist; aber Umwandlung der drei Postunternehmen in eine pri- welche Instrumentarien haben Sie denn dann noch? vate Rechtsform mit oder ohne verfassungsrechtlich Wenn nach fünf Jahren die Kapitalmehrheit aufgege- gesicherte dauerhafte Kapitalmehrheit des Bundes ben wird — das steht auch im Grundgesetz —, werden erfolgen soll. Der jetzige Kompromiß sieht keine diese Möglichkeiten doch immer stärker eingeengt. verfassungsrechtliche Bindungsfrist bei der Telekom Je größer der private Wettbewerb wird, desto mehr vor, und für die gelbe Post ist eine Fünfjahresfrist muß man sich dann auch den Konsequenzen stellen. festgeschrieben, die einem einfachen gesetzlichen Ich sage es noch einmal: Dann rechnet sich eben ein Vorbehalt mit Zustimmung des Bundesrates unter- Telefonanschluß in einem Dorf für eine Bewohnerin, liegt. Die Postbank wird in der Verfassungsänderung die nur gelegentlich einmal ihren Arzt anrufen will, gar nicht mehr erwähnt. Die Kapitalmehrheiten des aber im ganzen vielleicht nur zehn- oder zwanzigmal Bundes werden bei Telekom, Postdienst und Postbank im Jahr telefoniert, nicht. Wer soll denn die Leitung aufgegeben. Wer jedoch erst die Kapitalmehrheit legen? Wer soll denn das finanzieren? Das ist markt- aufgibt, begibt sich in Abhängigkeiten und Sach- wirtschaftlich nicht zu regulieren. zwänge der p rivaten Postdienste. Wir werden in vier Es gibt noch ein Beispiel. Ich will Sie einmal oder fünf Jahren erleben, was die gesetzlichen Vorbe- ausdrücklich loben, was die Entwicklung der Tele- halte durch den Bundesrat noch Wert sein werden. kommunikation in den neuen Bundesländern be- trifft. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie haben doch überhaupt keine Ahnung von Privat- (Zuruf von der CDU/CSU: Das Lob bekommt wirtschaft!) uns gar nicht! Lassen Sie es bleiben!) Zweitens geht es darum, ob die Postunternehmen — Das bekommt Ihnen nicht, und das soll Ihnen auch ihre öffentlichen Aufgaben behalten oder ob ihre gar nicht bekommen. — Ich muß wirklich sagen: Da ist Aufgaben als private Dienstleistungen angeboten Gewaltiges investiert worden. Die Telekommunika- werden sollen. Zwar wird im Entwurf des Art. 87f des tion in den neuen Bundesländern hat sich beachtlich Grundgesetzes gesagt, daß die hoheitlichen Auf ga- entwickelt. Das ist völlig unstrittig. Aber Sie werden ben der Post und der Telekom in bundeseigener mir zugeben müssen, daß das durch ein privates Verwaltung — das ist auch interessant — vorgenom- Unternehmen niemals geleistet worden wäre. men werden, aber die Ausstattung dieser staatlichen (Zuruf von der F.D.P.: Aber ja!) Holding mit realen Steuerungs- und Koordinierungs- kompetenzen ist ungenügend. Das ging nur, weil es ein bundeseigenes Unterneh- men war. Das wissen Sie auch. Bezüglich der gegenwärtigen Verhandlungen zwi- schen der Deutschen Postgewerkschaft und den Post- (Zustimmung bei der PDS/Linke Liste — arbeitgebern ist zu begrüßen, daß die Tarif- und Zuruf von der F.D.P.: In Amerika geht es doch Manteltarifverträge sowie die Versorgung der Beam- auch!) tinnen und Beamten weitergelten. Aber nach wie vor Im übrigen haben die Entscheidungen, die Sie weigern sich die Unternehmen, einen unbegrenzt vorbereiten, verheerende beschäftigungspolitische geltenden Sozialtarifvertrag, der die gegenwärtigen Vereinbarungen festschreibt, zu unterzeichnen. Die Folgen. Nehmen Sie doch das Beispiel von British Telecom. Im Verlaufe der Privatisierung ist ein Drittel bisherige Zusage der Arbeitgeberseite, der Tarifver- der Beschäftigten entlassen worden. Nichts anderes trag solle unter den Vorbehalt späterer Vereinbarun- wird hier passieren. gen mit den drei Aktiengesellschaften gestellt wer- den, ist abzulehnen; denn hier zeigt sich, daß sich die (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.) Unternehmerseite möglichst schnell den sozialen Ver- einbarungen von der ärztlichen Versorgung über die Was die SPD betrifft, so rückte sie im Laufe der Wohnungen bis hin zu Ferienreisen entziehen will. Verhandlungen über die Postreform Il nach und nach Für sie sind das Kosten, die nicht in ihre neue private von ihren eigenen Forderungen ab und nahm dabei Landschaft passen. letztlich bewußt einen Konflikt mit ihren Kolleginnen und Kollegen der Postgewerkschaft in Kauf. Es ist Drittens sind Postdienst und Postbank nur unzurei- schade, diese Gewerkschaft hat in Bonn nur eine chend institutionell miteinander verbunden. Die bei- schwache Lobby. Wer — frage ich noch einmal — den Unternehmen wollen ihre Ehe vertraglich bis zum zwingt denn die SPD, unbedingt vor den Wahlen Jahre 2000 fortsetzen. Gleichwohl ist die 12,5prozen- einem solchen Kompromiß zuzustimmen? tige Kapitalbeteiligung des Postdienstes an der Post- bank gestrichen, was letztlich auch nicht durch die (Zuruf von der F.D.P.: Die Vernunft!) Zuweisung des Bundes in Form einer Sperrminorität Warum warten Sie nicht bis nach dem 16. Oktober? Sie kompensiert wird. Eine bloße Absichtserklärung wissen doch, daß mit den Grundgesetzänderungen reicht mit Sicherheit nicht aus. 20814 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Dr. Gregor Gysi Viertens nehmen die Personalräte die Aufgaben der natürlich genau nicht die paritätische Mitbestimmung Betriebsräte in einer Übergangsperiode wahr, bis in nach dem Montanmodell. den Einzelbetrieben neue Betriebsräte auf Basis des (Zuruf von der SPD: Die haben Sie in der DDR Betriebsverfassungsgesetzes gewählt sein werden. damals gehabt!) Wer jedoch A sagt und die Postunternehmen privati- sieren will, der müßte auch B sagen und alle Regelun- Wenigstens darauf hätte die SPD zwingend bestehen gen des Betriebsverfassungsgesetzes einschließlich müssen. Ich sage Ihnen: Die Regierungskoalition hätte der überbetrieblichen Mitbestimmung gelten lassen. die Postreform II an einer solchen Bedingung nicht Auch Beamtinnen und Beamten stünde dann die scheitern lassen, wenn Sie darauf bestanden hätten. Tarifautonomie in vollem Umfang zu. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie hatten das früher! — Zuruf von der SPD: Mitbestim- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Gysi, mung des FDGB bei den volkseigenen gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Betrieben! — Weitere Zurufe von der SPD)

Paterna? — Ach, wissen Sie: Lassen Sie es doch bleiben! Es zieht doch nicht mehr. Sie versuchen das seit vier Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Ja. Jahren mit der billigen Variante. Sie müssen endlich einmal lernen, sich mit uns politisch auseinanderzu- Peter Patema (SPD): Herr Kollege Gysi, können Sie setzen. Das andere wird Ihnen nichts bringen. Und sie bitte mir und dem Hohen Hause erklären, warum die als Partei der Besserverdienenden haben eben nicht PDS/Linke Liste bei den Ausschußberatungen weder berücksichtigt, daß es in Sachsen-Anhalt nur 3,6 % A noch B, sondern gar nichts gesagt hat? Sie waren Besserverdienende gibt. nämlich nicht eine einzige Minute bei den Einzelbe- (Beifall bei der PDS/Linke Liste) ratungen anwesend und sind erst zur Schlußabstim- Mehr ist in einem solchen Fall dann auch nicht zu mung dort aufgetaucht. — Können Sie mal begrün- holen. den, wie dieses mit der hier so herausgestellten volkswirtschaftlichen Bedeutung dieses Reformwerks Der harte Privatisierungsangang, wie ihn die F.D.P. übereinstimmt? favorisiert hatte, konnte zugunsten einer „Privatisie- rung light" — so sage ich einmal — vor den schlimm- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der sten Sünden bewahrt werden -- das ist wahr —; aber F.D.P.) das rechtfertigt noch nicht unsere Zustimmung. Die Gefahr sowohl für die 670 000 Beschäftigten als Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Ja, das kann ich Ihnen erklären. — Sie sollten nicht schon bei der Frage auch für eine quantitativ wie qualitativ für alle Bürge- klatschen, sondern Sie sollten immer erst auf die rinnen und Bürger notwendige Grundversorgung mit Antwort warten. Dienstleistungen der Post und der Telekom ist auf die Zukunft vertagt worden. Hier sind Weichen grundle- Erstens haben Sie ein interfraktionelles Gremium gend falsch gestellt. gebildet, an dem Sie uns nicht beteiligt haben, in dem Sie mit der CDU/CSU, der Bundesregierung und der F.D.P. alles Entscheidende beraten haben, so daß die Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, Ihre Rede- Ausschußsitzungen letztlich Makulatur waren, weil zeit ist abgelaufen. das Entscheidende in dem interfraktionellen Gre- mium beraten wurde. Zweitens waren wir bei den Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Wir lehnen die Anhörungen beteiligt und haben dort auch mit ent- Postreform —ich bin sofort am Ende, Herr Präsident — sprechenden Fragen aufgewartet. Drittens ist es so, daher entschieden ab, weil die soziale Ausgestaltung daß unser Mitglied im Postausschuß zugleich Mitglied nicht ausreichend., der öffentliche Auftrag der Post- im Wohnungsausschuß, im Bauausschuß und in ande- dienste verwässert und die Beschäftigungsinteressen, ren Ausschüssen ist. Wir sind leider nur 16 Mitglie- insbesondere die Sozial- und Mitbestimmungsinteres- der. sen, nicht oder nicht auf Dauer gesichert sind. (Dr. Renate Hellwig [CDU/CSU]: Andere (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Sitzungen waren also wichtiger!) Ich verspreche Ihnen: Nach dem 16. Oktober wird das anders aussehen. Dann werden wir auch an allen Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile gleich das Wort Ausschußsitzungen teilnehmen. dem Kollegen Peter Glotz zu einer Kurzintervention. (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Aber erlauben Sie mir die Bemerkung, daß ich im Hinblick darauf, daß wir in großer zeitlicher Verzöge- Etwas anderes, was Sie eigentlich erreichen woll- rung sind und noch eine gigantische Tagesordnung ten, nämlich die paritätische Mitbestimmung, haben vor uns haben, deren Abwicklung über Mitternacht Sie auch nicht erreicht. Ich finde es nicht gut, daß Sie, hinausreichen wird, bei weiteren Worterteilungen zu Herr Bernrath, in diesem Zusammenhang hier gesagt Kurzinterventionen sehr engherzig sein werde. haben, Sie hätten sogar mehr erreicht. Bitte, Herr Kollege Glotz. Was Sie erreicht haben, ist eine Mitbestimmung nach 76er Modell, d. h. a) auf der Arbeitnehmerseite mit einem leitenden Angestellten, aber b) mit der Dr. Peter Glotz (SPD): Herr Kollege Gysi, ich halte es Regelung, daß bei Stimmengleichheit die Stimme des in der Tat für albern, Ihnen Staatssozialismus vorzu- Vorsitzenden doppelt zählt, wobei der Vorsitzende werfen, weil Sie die Privatisierung ablehnen. Ich halte immer von der Kapitalgeberseite gestellt wird. Das ist es aber auch für albern, wenn Sie umgekehrt sozusa- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20815

Dr. Peter Glotz gen besondere Treue zum Grundgesetz reklamie- durchdacht hätte und den Versuch unternommen ren, hätte. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der Natürlich weiß ich, daß man das Grundgesetz CDU/CSU und der F.D.P.) ändern darf. Wir selber schlagen ja auch Änderungen wenn wir eine Änderung vornehmen müssen. Es kann des Grundgesetzes vor. Ich finde es eben nur illegitim, technische Revolutionen geben, die verlangen, daß uns, weil wir an der bisherigen Regelung hängen, man einen Artikel im Grundgesetz verändert, ohne sozusagen ein falsches Verhältnis zu dieser Gesell- daß das Untreue zum Grundgesetz bedeutet. schaft oder zu diesem Grundgesetz vorzuwerfen. Das halte ich nicht für zulässig. Das wollte ich damit zum (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Ausdruck bringen. F.D.P.) Ich glaube, daß die Sorgen der Postgewerkschaft Zweitens. 1998 verschwindet das Monopol, das über ihre Mitglieder hinausgehen und auch die Frage Sprachmonopol, das Telefonmonopol. Es gibt dann der diesbezüglichen Dienstleistungen betreffen. Das eine ganz neue Konkurrenzsituation, in der dieses sollten wir nicht unterschätzen. Ich habe Ihnen ein Unternehmen lebensfähig und weltweit konkurrenz- Beispiel dafür genannt. Wir werden in ein paar Jahren fähig sein muß. Sie spielen hier den Propheten, wenn sehen, wie sich das gestaltet. Wir wissen aus Großbri- Sie sagen, das könnte Arbeitsplätze bei der Telekom tannien, daß z. B. die sogenannten einfachen kleine- kosten. Wenn wir es aber nicht machen, wird es noch ren Kunden durch höhere Gebühren praktisch die mehr Arbeitsplätze bei Siemens, bei Philips und bei Rabatte mitbezahlen, die die großen Abnehmer der anderen kosten. privaten Telekommunikationsbetriebe als Einspa- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der rung geschenkt bekommen. Das ist die Realität. F.D.P.) (Beifall bei der PDS/Linke Liste — Zurufe von Da haben wir eine Verantwortung. Diese Verantwor- der SPD: Das ist unwahr! — Unruhe) tung haben wir wahrgenommen, Meine dritte und letzte Bemerkung. Mein Eindruck ist: Sie werfen mit der Wurst nach der Speckseite. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Dr. Bernd Früher hätte man gesagt: Das ist eine Ranschmeiße. Protzner, Sie haben das Wort. Sie versuchen, Ihr Verhältnis, das Verhältnis Ihrer Partei zu den Gewerkschaften zu reparieren. Das Dr. Bernd Protzner (CDU/CSU): Herr Präsident!- kann ich ja verstehen. Es ist auch legitim, daß Sie die Meine Damen und Herren! Herr Gysi, Sie müssen Interessen einer Einzelgewerkschaft besonders ver- schon noch viel lernen, um etwas von Unternehmen zu treten. Aber ich muß Ihnen sagen: Die Argumente, die verstehen. Es gibt den Grundsatz für Unternehmen: Sie dafür benutzt haben, sind dünn, dünner, am Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. — Daß dünnsten. sich die Staatswirtschaft überholt hat, das konnte man (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der ja gerade dort sehen, wo Ihre Partei, die SED, Verant- F.D.P. und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ wortung getragen hat. NEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Dort ist die Wirtschaft zusammengebrochen. Vizepräsident Hans Klein: Zur Replik Herr Gysi. Wenn ich mir die Post- und Telekommunikations- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie haben versorgung noch einmal vor Augen führe. wie sie dort doch schon zu lange geredet!) war — 20 Jahre Warten auf ein Telefon; beim Brief mußte man warten, his er von der Stasi gelesen war; er war zwar billiger als bei uns, aber dafür gelesen —, Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Ich will dazu nur dann frage ich mich, wo die Vorteile waren. soviel sagen: Es geht doch nicht, wie Sie das formu- lieren, um eine Ranschmeiße an eine Einzelgewerk- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schaft. Sehen Sie auch die vielen Betroffenen, die auf Was Sie auch den Mitarbeitern zugemutet haben, Dienstleistungen angewiesen sind! Wir werden uns in Herr Gysi! Es waren Mitarbeiter der Post, die Briefe ein paar Jahren wieder sprechen, nämlich dazu, was aufschlitzen mußten, die Inhalte entnehmen mußten, sie dann für Postdienstleistungen, welcher Art auch die Geld und anderes mehr entnehmen mußten. Etwas immer, zu bezahlen haben, wenn eben die staatliche Arbeitsplatzfeindlicheres in einem staatlichen Unter- Verantwortung für diesen Bereich Schritt für Schritt nehmen habe ich noch nie erlebt. abgebaut wird. Wir werden uns dann auch darüber Staatsbetriebe gehören der Vergangenheit an. unterhalten, welchen Einfluß der Staat im Verhältnis Kombinate sind mittlerweile als Irrtum in die Unter- zu solchen Konzernen, die Sie genannt haben, über- nehmensgeschichte eingegangen. haupt noch geltend machen kann, (Beifall bei der CDU/CSU) (Zurufe von der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, spät, aber nicht zu spät, wenn er solche Möglichkeiten wie das Monopol bei stehen wir in dieser Legislaturperiode beieinander in der Telekommunikation und in anderen Bereichen der letzten Sitzungswoche vor den Wahlkampfwo- nicht mehr besitzt. chen, um die Postreform zu verabschieden. Wir haben Man hätte auch ein bundeseigenes Unternehmen so einen Kompromiß erzielt, lieber Kollege Bernrath, gestalten können, daß es im Wettbewerb durchaus einen Kompromiß, zu dem wir stehen, einen Kompro- reale Chancen hat, wenn man das je wirklich ernsthaft miß, zu dem es bei uns in der Bundesrepublik eine 20816 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Dr. Bernd Protzner ganze Reihe amtlicher Bedenkenträger gibt, die ihn Regulierungen und Lizenzen, sie sind auf Zeit da, nicht gut heißen, und auch notorische Besserwisser. nicht auf Ewigkeit. Wir bekennen uns zu diesen Festlegungen, nicht mehr und auch nicht weniger. Wir haben in diesem Gesetz mit Sicherheit nicht die reine Lehre verwirklicht; aber Gesetze sind auch nicht Ich will in diesem Zusammenhang aber auch eine dazu da, die reine Lehre zu verwirklichen. Das über- Mahnung aussprechen, erstens eine Mahnung an die lassen wir gern den Universitäten und den wissen- neuen Aktiengesellschaften. Weder kann die Holding schaftlichen Gremien, die die reine Lehre pflegen vor Wettbewerbern schützen, noch kann der Staat mit können. Uns geht es darum, praktische Politik für die seinen Aktienanteilen in den nächsten Jahren vor Bürger, für das Land, für den Standort Deutschland zu Wettbewerb schützen, und erst recht kann die Regu- machen. Das ist uns auch in diesem Kompromiß lierung nicht vor Wettbewerb bewahren. Es gibt kein gelungen. Ausruhen. Die Herausforderung läuft, der Countdown Lassen Sie mich auch angesichts der negativen läuft für die Auseinandersetzung und für die Bewäh- Kritik in der Öffentlichkeit drei positive Seiten hervor- rung auf dem Markt. Alle drei erwähnten und in den heben. Gesetzen verankerten Institute wären überfordert, den Unternehmen zu helfen. Die Unternehmen brau- Wir haben erstens den drei Unternehmen Postbank, chen ihre eigenen Kräfte, allen voran die Kräfte, die Postdienst und Telekom eine zukunftsfähige Gesell- sie als Arbeitnehmer, also als Mitarbeiterinnen und schaftsform ab 1. Januar 1995 gegeben, die Form der Mitarbeiter, haben. Sie müssen ihre Kundenkontakte Aktiengesellschaft, die sich für so etwas am besten nutzen, sie müssen Produktinnovation betreiben, und bewährt hat. sie müssen die Kapitalkraft, die sie durch Aktienemis- Ein zweites Positives ist: Wir haben diesen Unter- sionen schöpfen können, nutzen. nehmen beste Chancen auf dynamischen Märkten, auf Wachstumsmärkten gegeben; denn sowohl die Eine zweite Mahnung möchte ich vorbringen, die Finanzdienstleistungsmärkte als auch der Logistik sich an uns selbst, an die Politiker, richtet. Es sind markt und erst recht der Telekommunikationsmarkt Möglichkeiten des Eingriffs in Märkte und Wettbe- sind Märkte mit zweistelligen Wachstumsraten, sind werb da; aber wir sollten sie, wenn möglich, nicht damit stärkere Märkte als andere, die wir in der nutzen. Niemand zwingt uns dazu, sie extensiv zu Bundesrepublik und in Europa haben. Es sind Märkte, gebrauchen. Wir sollten möglichst sparsam mit ihnen wo Innovationen auf der Tagesordnung stehen, wo wir umgehen, sie allenfalls im Notfall nutzen. Die Arbeits- nicht nur nationale, sondern auch internationale plätze werden am besten dann gesichert, wenn die- Chancen haben, wo wir Umsatzzuwächse herausho- Unternehmen Dynamik entwickeln und nicht, wenn len, wo Gewinne und Erträge erzielt werden können wir als Politiker weiter hineinreden. und womit auch Arbeitsplätze für die Zukunft gesi- Lassen Sie mich eine dritte Mahnung und Aufforde- chert werden. rung an alle anschließen, die auf diesen Märkten tätig (Zuruf von der PDS/Linke Liste: Erst einmal sind — an alle Wettbewerber auf den Märkten der abwarten!) Finanzdienstleistungen, der Logistikleistungen und der Telekommunikation, an alle Aktiengesellschaf- Positiv ist noch etwas Drittes, und das ist genauso ten, an die internationalen wie an die nationalen wichtig und ebenfalls ein Bestandteil des Kompromis- Unternehmen, an die Konzerne wie an die mittelstän- ses. Wir machen Wachstumsmärkte im Bereich des dischen Familienunternehmen —: Die Märkte werden Postwesens und der Telekommunikation zu Wettbe- von Unternehmen gestaltet. Maßstab für die Soziale werbsmärkten; denn Dynamik erwächst erst aus dem Marktwirtschaft ist — damit darf ich noch einmal Wettbewerb, aus der Konkurrenz. Die Aktiengesell- Ludwig Erhard zitieren — der Nutzen für die Verbrau- schaften Postbank AG, Postdienst AG und Telekom cher. Die Unternehmen müssen darstellen, daß der AG müssen sich dem Wettbewerb stellen und sich im Markt funktioniert. Sie müssen darstellen, daß die Wettbewerb durchsetzen. Monopole und Schonräume Verbraucher einen möglichst guten Nutzen haben: gehen unweigerlich ihrem Ende zu. Herr Glotz, Sie niedrige Preise, hervorragende Technik, besten Ser- haben recht, durch die technische Entwicklung gehen vice. sie dem Ende zu, durch die Marktentwicklung, aber auch durch den Wegfall marktwidriger Regulierun- Wir als Union betreiben eine klare Politik für die gen gehen sie dem Ende zu, wie es das politische Soziale Marktwirtschaft. Wir be treiben sie national Standortprogramm für Deutschland und Europa als mit der Postreform. Wir werden sie auch auf europäi- einzigen Weg in die Zukunft weisen kann. Diese scher Ebene betreiben und damit gewissen falschen Zukunft läßt sich nicht aufhalten. Erwartungen hinsichtlich der transeuropäischen Wir wissen natürlich, daß der Übergang von der Netze entgegenwirken. Staatsverwaltung über die von Minister Schwarz- Es wäre ein Aberwitz der Geschichte, wenn wir die Schilling eingeführten Generaldirektionen hin zu den Unternehmen hier privatisieren und dann staatliche, Aktiengesellschaften eine schwierige Phase ist. Wir transeuropäische Netze oder gar eine „EU-Post" auf- von der Union wissen das, und wir als Union sind auch bauen würden: in Brüssel und von dort be trieben. Das der Sozialen Marktwirtschaft verpflichtet, die eine wäre ein Abersinn; dazu darf es nicht kommen. solche Phase begleitet. Ich darf hier Ludwig Erhard zitieren, der gesagt hat: Ziel der Marktwirtschaft ist es, Machen wir daher mit diesem Gesetzeswerk den dem einzelnen zu helfen, ohne Hilfe zu laufen. Am Standort Deutschland stark! Erneuern wir ein Stück Anfang stellen wir Hilfen für diese Aktiengesellschaf- weiter unsere Soziale Marktwirtschaft! Stärken wir ten bereit, aber, wie gesagt, nur am Anfang. Hilfen, Soziale Marktwirtschaft auch auf europäischer Ebene Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20817

Dr. Bernd Protzner durch unsere Zustimmung zu diesem Gesetzeswerk mir und weiteren Mitgliedern der SPD-Fraktion bei und zur Grundgesetzänderung! sorgfältiger Abwägung aller Vor- und Nachteile die Vielen Dank. Zustimmung verwehren. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Erstens. Eine so tiefgreifende Strukturreform wird Herr Präsident, mit Ihrem Einverständnis darf ich im von vornherein gefährdet, wenn sie gegen den erklär- ten und organisierten Namen der Berichterstatter noch eine redaktionelle Widerstand des Personals Korrektur, die sich aus unserer vorhergehenden Kor- durchgesetzt werden soll. Kein vernünftiger Unter- rektur ergeben hat, an der vorliegenden Drucksache nehmer wäre so bescheuert, wie sich Politiker hier bekanntgeben. Ich verweise auf Art. 7 § 10 Abs. 5. verhalten. Die Haltung der Bundesregierung, der Dieser Absatz ist durch unsere vorhergehende redak- Koalitionsfraktionen und insbesondere des früheren tionelle Korrektur obsolet geworden. Ich bitte, das zur Postministers und jetzigen Unternehmensberaters Kenntnis zu nehmen. Schwarz-Schilling war viel zu lange auf Konfronta- tion mit der Deutschen Postgewerkschaft angelegt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) Da will ich Ihnen, verehrter Herr Kollege Müller, auch wenn ich Sie sonst in Ihrer verbindlichen Art schätze, mal deutlich sagen, daß diese billige Polemik Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kollege gegen die Deutsche Postgewerkschaft hier völlig Peter Paterna. unangebracht ist. (Beifall bei der SPD) Peter Paterna (SPD): Herr Präsident! Meine Damen Sie organisiert mehr als 75 % des Personals; da ist und Herren! Ich rate, mit Lobeshymnen auf diese jeder freiwillig Mitglied. Und wir haben eine demo- Reform noch mindestens zwei Jahre zu warten. Ähn- kratisch legitimierte Führung. Also unterlassen Sie liche Lobeshymnen und Selbstbeweihräucherungen bitte solche Pauschalverurteilungen! Das ist völlig haben wir im Deutschen Bundestag 1989 nämlich unangemessen und trägt mit Sicherheit zum Gelingen schon einmal gehört: auf die Trefflichkeit der „Post dessen, was hier heute versucht wird, nicht bei. 2000", wie das damals hieß. Genau zwei Jahre später, 1991, wurde dann nach der „Reform der Reform" (Beifall bei der SPD) gerufen. Diese haben wir heute zu bewerten. Die Öffentlichkeitsarbeit und die Verschleppungs-- Diese Reform heute abzulehnen fällt mir schon taktik der Unternehmensvorstände in den Tarifver- deshalb nicht leicht, weil ich selber in die Gesetzes- handlungen der letzten Wochen lassen auch nichts beratungen der letzten vier Monate weit mehr als Gutes ahnen. Sollte sich der Eindruck von heute nacht 500 Arbeitsstunden investiert habe; in den Jahren verfestigen, daß die Arbeitgeber die Zustimmung der davor waren es mehrere tausend. SPD-Fraktion heute im Bundestag als Ermutigung zur Die Ablehnung fällt mir auch deshalb schwer, weil Verschleppungstaktik verstehen, kann ich nur war- die Notwendigkeit der Reform unbestritten und kei- nen: Wir haben unsere Zustimmung davon abhängig neswegs sicher ist, ob in einem erneuten Anlauf zu gemacht, daß spätestens zur Sitzung des Bundesrates Beginn der nächsten Legislaturperiode insgesamt am 8. Juli nicht nur die Verhandlungen der Tarifpart- Besseres zustande zu bringen wäre. ner einvernehmlich abgeschlossen sind, sondern auch ein Schlußstrich gezogen ist durch Unterzeichnung (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ einer Nichtmaßregelungsklausel, durch Rücknahme CSU) der Berufungen gegen einstweilige Anordnungen der Das sage ich an die Adresse aller Seiten — hier und ersten Instanzen und Verzicht auf Schadensersatzfor- auch draußen. derungen. Mir macht auch — das sage ich ganz offen — der Es wäre auch nicht die notwendige vertrauensbil- Loyalitätskonflikt mit unserem Verhandlungsführer, dende Maßnahme, wenn jetzt die Verhandlungen bis Hans Gottfried Bernrath, zu schaffen, der sich mit kurz vor die Bundesratssitzung verschleppt würden. kaum vorstellbarer Kraftanstrengung und hervorra- Die SPD kann es nicht hinnehmen, wenn ihr Abstim- gendem Geschick — insbesondere in den letzten acht mungsverhalten heute faktisch zu einer Stärkung der Monaten — bemüht hat, loyal zu unseren Zielen das Arbeitgeber- und Schwächung der Arbeitnehmer- Bestmögliche gegenüber der Koalition durchzuset- seite führen würde. zen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Käme es zu einem Vermittlungsverfahren, hätte die Ich will auch nicht verschweigen, daß sich die SPD-Bundestagsfraktion erneut abzustimmen. Ein so Koalition in einer Reihe wesentlicher Punkte bemüht knappes Abstimmungsergebnis wie das gestern hat, für uns den Kompromiß akzeptabel zu machen, abend kann dann leicht ins Gegenteil umschlagen. daß es bei einem Rechtsformwandel von einer Bun- desbehörde in eine Aktiengesellschaft auch bei (Beifall bei Abgeordenten der SPD) bestem Willen nicht vermeidbare Systembrüche gibt Die SPD hat lange erklärt, in wesentlichen Forde- und daß ich selbst insbesondere bezüglich der geeig- rungen nicht gegen Beschlüsse und berechtigte Inter- netsten Rechtsform für die Telekom in den letzten essen der DPG zu handeln. Über diese Zusage setzt zwei Jahren mein Urteil geändert habe. sich die Mehrheit heute hinweg. Es gab allerdings Dies vorausgeschickt, muß ich aber pflichtgemäß — das will ich hinzufügen — bis heute auch keine auf eine Reihe wesentlicher Mängel hinweisen, die realistische Chance für die SPD, gegenüber der Koali- 20818 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Peter Paterna tion einen Kompromiß durchzusetzen, der von der gungsanstalt Post und mögliche Nachversicherungen DPG akzeptiert worden wäre. Bis zu dieser Stunde ist der Beamten bei freiwilligem Statuswechsel die Bör- nicht kalkulierbar, ob die Zusage aller Fraktionen und senfähigkeit von Telekom und Postbank auf das der Regierung, mit der Privatisierung sollten die schwerste gefährdet, und die Postbank wäre nie und vorhandenen Rechte und sozialen Besitzstände des zu nimmer in das Handelsregister eingetragen worden. übernehmenden Personals nicht angetastet werden Hier ist dann in letzter Minute eine Lösung gefunden — das haben wir ja alle gesagt —, tatsächlich eingelöst worden, nämlich jene mit den Unterstützungskassen, wird. die zwar im Prinzip in Ordnung ist, aber systematische Fehler aufweist. Auf Grund einer mit Rücksicht auf Zweitens. Am Anfang der Verhandlungen zwischen den Finanzminister über Gebühr hoch angesetzten den Fraktionen gab es weitgehende Übereinstim- Erblast mit einem Kapitalwert von 35 Milliarden DM mung, daß es eine unbefristete Mehrheitsbeteiligung werden diese Unternehmen in ein Windhundrennen geben solle, um der des Bundes an den Unternehmen mit ihren Wettbewerbern geschickt. Dies wird noch Gefahr feindlicher Übernahmen vorzubeugen und mit eine schwere Hypothek sein. Man kann nach meiner den Rechten eines Mehrheitsaktionärs die Wahrneh- Überzeugung in diesem Punkt nicht von tatsächlich mung von Infrastrukturaufgaben durchzusetzen. Da- fairen Startbedingungen reden, wenn man angesichts von sind nach reichlich sachfremdem Politpoker, in der starken Wettbewerber wirklich wirtschaftlich dem vor allem die F.D.P. kräftig mitgemischt hat, bei erfolgreiche Unternehmen schaffen will. Hier rächt der Post fünf Jahre übriggeblieben, bei der Telekom sich im übrigen ein weiterer grundsätzlicher Fehler durch die Vorrangregelung für junge Aktien allenfalls der Postreformdiskussion, in der man nämlich fast einige Jahre und bei der Postbank lediglich eine ausschließlich immer nur an die Telekom gedacht hat Sperrminorität für vier Jahre. — Und was dann z. B. und an die speziellen Erfordernisse von Postdienst bei der Postbank mit einem Grundkapital im Nenn- und Postbank allenfalls nebenbei. wert von 400 Millionen DM vielleicht mal eine „Erd- nuß-Bank " veranstaltet, das werden wir in Zukunft (Beifall bei Abgeordneten der SPD) noch sehen. Also, ich glaube wir sind da ziemlich Fünftens. Für die flächendeckende Versorgung leichtfertig zu Werke gegangen, was diesen Punkt ländlicher Räume mit Postdienstleistungen am Schal- anbelangt. — International übliche Sicherungen wie ter zu wirtschaftlich vertretbaren Bedingungen ist der selbst im privatisierungswütigen England oder zur dauerhafte Verbund mit der Postbank unerläßlich. Zeit in Holland mit einem „golden share" sind nicht Darüber waren und sind sich verbal alle einig. Die erwogen worden, Herr Kollege Müller. Wenn Sie einschlägigen Rahmenvereinbarungen taugen aber schon vom Tal der Ahnungslosen reden und hier eine nach meiner Überzeugung nichts und entsprechend solche Postreform machen, dann gucken Sie gefälligst wenig die jetzt gemachten Ergänzungen. Die Politik nach Japan, nach England, nach USA, nach Holland hat für die Erfüllung dieser wichtigen Infrastruktur- oder wohin sonst: Sie werden nirgendwo finden, daß aufgabe keine zuverlässige Vorsorge getroffen und der Staat auf dieses letzte Mittel einer Steuerung in begibt sich jetzt auf Gedeih und Verderb in die Hand gewissen — volkswirtschaftlich und infrastrukturell von möglicherweise unwilligen oder überforderten erforderlichen — Fällen verzichtet. Vorständen, nachdem die Bundesregierung in den vergangenen Jahren diesem unsäglichen Treiben (Beifall bei Abgeordneten der SPD) verantwortungslos viel zu lange zugeschaut hat. Hier Das ist ja keine Erfindung von ewiggestrigen Sozial- rächt sich in besonders eklatanter Weise ein weiterer demokraten, die von Wirtschaftspolitik keine Ahnung grundsätzlicher Fehler der Reformdiskussion: Die Pri- haben. Da suchen Sie einmal in anderer Richtung. vatisierungsbefürworter haben Heilslehren über die Drittens. Ausgehend von dem einheitlichen Sonder- Segnungen der Rechtsform der Aktiengesellschaft vermögen Deutsche Bundespost und der lange erfolg- verbreitet — reichen Tradition dieses großen Unternehmens und den darin gewachsenen Organisationsinteressen der Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Paterna, DPG, wurde von der SPD eine starke Klammer in Form Ihre Redezeit ist abgelaufen. einer Managementholding angestrebt. Eine Mogel- packung à la Direktorium wollten wir kein zweites Peter Paterna (SPD): — ich danke für den Hin- Mal. Ich will darauf verzichten, diese Holding hier im weis —, statt vor allem zukunftssichere Unterneh- einzelnen zu kritisieren, aber eines möchte ich sagen: mensstrategien und solide Konzepte für Strukturver- Es ist dabei ein Zwitter herausgekommen, dem vor- änderungen zu entwickeln. Nur der Postdienst bleibt hergesagt werden kann, daß er wenig Überlebensfä- bis auf weiteres von dieser meiner Kritik ausgenom- higkeit haben wird. men. Viertens. Ein schwerer Fehler der Koalitionsfraktio- Meine Damen und Herren, ich wollte mir jetzt noch nen und der Bundesregierung ist gewesen, bis vor drei ein paar ausgewogene Bemerkungen zu diesem Monaten die Probleme bagatellisiert zu haben, die Reformwerk erlauben, die ich aus zeitlichen Gründen sich aus der Abwicklung der vor dem Rechtsformwan- überspringen muß. Herr Präsident, wenn Sie mir eine del erworbenen, nicht durch Rückstellung gedeckten halbe Minute gestatten wollen, weil es garantiert die Ansprüche des zu übernehmenden Personals zwin- letzte Rede ist, die ich in meinem parlamentarischen gend ergeben. In der noch im Februar eingebrachten Leben halte. Fassung des Gesetzentwurfs hätten von den Aktien- gesellschaften zu übernehmende Ansprüche auf Pen- Vizepräsident Hans Klein: Diese Zeit wird dann von sionen und Beihilfen, auf Leistungen der Beamten- der Redezeit des nächsten Redners Ihrer Fraktion krankenkasse, der Zusatzversicherung in der Versor- abgezogen. 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Peter Paterna (SPD): Ja, das habe ich ihm schon für die F.D.P. und des Kollegen Bernrath für die angedroht; angesichts meiner innigen Freundschaft SPD. zu dem Kollegen Börnsen ist das auch gnädig gewährt (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. worden. sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich bin am Ende einer 18jährigen Tätigkeit im Herr Kollege Bundestag, und Sie werden mir abnehmen, daß ich Bernrath, wenn ich zu Ihnen ein Wort mir wegen der außerordentlichen Tragweite dieses mehr sagen darf: Ich habe heute im Berliner „Tages- Reformwerkes einen überzeugenderen Abschluß ge- spiegel" ein Porträt über Sie gelesen, und ich stimme wünscht hätte. dem Porträt ausdrücklich zu. Es zeigt Sie nämlich in allen Ihren Bemühungen, in Ihren wirklich ausglei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten chenden Anstrengungen, dieses Ergebnis zu erzielen. der PDS/Linke Liste) Es ist ein Fehler — Gott sei Dank ist es ein Fehler — in Ich möchte mich aber bei allen, mit denen ich viele diesem Porträt. Es steht nämlich darin, Sie würden Jahre — und noch einmal besonders intensiv in den dem neuen Deutschen Bundestag nicht mehr angehö- letzten Monaten - zusammenarbeiten durfte, in der ren, weil Sie nicht mehr kandidieren. — Ich sage, ich Gewißheit verabschieden, daß es zu unserer parla- freue mich, daß Sie wieder kandidieren, Kollege mentarischen Demokratie trotz zahlreicher Mängel Bernrath. keine grundsätzliche Alternative gibt und daß diese (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der parlamentarische Demokratie eine große Chance auf F.D.P. und der SPD) eine gute Zukunft hat. Herr Kollege Paterna, auch Sie entkommen nicht Ich danke Ihnen. meinem Lob, auch wenn Sie am Anfang gesagt haben, (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste hier werde nur gelobt. Ich hatte heute den Eindruck sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und - und dies insbesondere nach dem Lesen Ihres der F.D.P.) Briefes, den Sie an Ihre Fraktionsmitglieder geschickt haben—, daß Sie etwas einer Figur, die Nestroy einem seiner Stücke zugrunde gelegt hat, gleichen. Von 49 Stücken, die Nestroy geschrieben hat, könnte man Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem vielleicht das eine oder andere hier im Parlament Bundesminister für Post und Telekommunikation, anführen, aber eines heißt „Der Zerrissene" — der Dr. Wolfgang Bötsch. Zerrissene, der sich in verschiedenen Fragen gequält hat. Und das Lob, Herr Kollege Paterna, bezieht sich auf Ihre Verhandlungsführung im Postausschuß. Als Dr. Wolfgang Bötsch, Bundesminister für Post und ehemaliger Parlamentarischer Geschäftsführer weiß Telekommunikation: Herr Präsident! Meine sehr ver- ich natürlich sehr gut, welcher „Instrumentenkasten" ehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir sind heute hier dem Vorsitzenden eines Ausschusses zur Verfügung angetreten, um in zweiter und dritter Lesung die steht, um Dinge, die man inhaltlich nicht mag, vom Privatisierung der Postunternehmen endgültig auf Zeitablauf zu verhindern. Sie haben auch nicht den den Weg zu bringen. Hauch eines Versuches gemacht, den Zeitplan hier durcheinanderzubringen, sondern, im Gegenteil, Sie Es geht um die Privatisierung von bisher öffentli- waren der Motor, der dafür gesorgt hat, daß der chen Unternehmen mit 670 000 Beschäftigten, rund Zeitplan eingehalten wird, auch wenn Sie persönlich 90 Milliarden DM Umsatz und mit tiefen und weitrei- anderer Meinung waren. Ich kann nur sagen: Respekt, chenden Traditionen. Es geht zugleich um die Priva- Herr Kollege Paterna! tisierung eines wirtschaftlichen Schlüsselbereiches, den eine moderne Volkswirtschaft braucht: moderne (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der Kommunikationsmittel. Diese Rahmenbedingungen SPD) belegen die im Umfang bisher größte Privatisierung in Da ich nun nach Ihnen der nächste Redner bin, der Bundesrepublik Deutschland und auch die damit nachdem Sie hier, wie Sie sagten, Ihre letzte Rede verbundenen Schwierigkeiten. Dokumentiert durch gehalten haben, mache ich mich anheischig, Ihnen für das Erfordernis einer Grundgesetzänderung mit den Ihre Arbeit in diesem Bereich während der letzten dafür erforderlichen Zweidrittelmehrheiten im Bun- 18 Jahre ein herzliches Dankeschön zu sagen: persön- destag und im Bundesrat, belegt sie aber auch die lich, aber auch als der im Augenblick für Post und Notwendigkeit eines auf einer breiten Basis angeleg- Telekommunikation Verantwortliche in diesem Be- ten Konsenses über dieses Unterfangen. reich. Recht herzlichen Dank! Insofern ist das, meine sehr verehrten Damen und (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der Herren, was wir heute vorlegen, ein Gemeinschafts- SPD) werk, welches in vielen Beratungen der Fraktionen der Koalition und der SPD-Opposition gewachsen ist. Ich kann Ihnen allerdings in der Schlußfolgerung Ich habe versucht, als Moderator dieser Gespräche nicht zustimmen, insbesondere wenn Sie noch einmal einen bescheidenen Beitrag zu diesem Ergebnis mit ausführen, was war und mit welchen Vorstellungen zu leisten. man teilweise in die erste Lesung gegangen ist. Ich möchte mich aber zuvörderst bedanken bei den Herr Kollege Paterna, wir beurteilen heute das Kollegen der Verhandlungskommission unter der Lei- Ergebnis. Ich will nicht verschweigen, daß wir im tung des Kollegen Müller und des Kollegen Protzner Laufe des Gesetzgebungsverfahrens, das wirklich für die Fraktion der CDU/CSU, des Kollegen Funke umfangreiche Regelungen erforderlich gemacht hat, 20820 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Bundesminister Dr. Wolfgang Bötsch alle dazugelernt haben — da nehme ich mich nicht die Postgewerkschaft für die Beschäftigten. Nein, aus, da nehme ich auch die Kolleginnen und Kollegen meine Damen und Herren, das sind drei Seiten eines der Koalition nicht aus; ich hoffe, Sie nehmen sich gemeinsamen Vorhabens. Ich meine, daß die Interes- auch nicht aus —, daß wir um sachliche Entscheidun- sen der Beschäftigten, sowohl was die gesetzlichen gen wirklich miteinander gerungen haben. Insofern, Regelungen als auch das anlangt, was in den Tarifver- glaube ich, ist auch die Frage, die Sie besonders trägen zum Teil schon vereinbart ist oder was sich als angesprochen haben, nämlich der Pensionsregelung Lösung abzeichnet, gewahrt sind. für die Beschäftigten, in einer befriedigenden Art und Meine Damen und Herren, Sie müssen sich schon Weise von uns gelöst worden. damit auseinandersetzen, daß wir es bei der Deut- Insbesondere haben wir uns verpflichtet, nach eini- schen Postgewerkschaft natürlich mit einem Ge- gen Jahren auch unter dem Gesichtspunkt der Wett- sprächspartner zu tun hatten, der bis zum heutigen bewerbsfähigkeit für die Unternehmen eine Überprü- Tage immer wieder gesagt hat: Wir wollen diese fung möglich zu machen. Wir haben uns an dem Postreform nicht. Herr van Haaren hat in jedem Maßstab orientiert: Wettbewerb ist nötig, und die Gespräch — ich habe zahlreiche Gespräche mit ihm Unternehmen müssen diesen Wettbewerb bestehen geführt am Anfang gesagt: Nur daß Sie es wissen, können. Sie dürfen aber gegenüber potentiellen Wett- wir führen zwar die Gespräche über die Ausgestal- bewerbern in einem liberalisierten Markt auch keine tung der Postreform, aber grundsätzlich sind wir Vorteile haben. dagegen. — Beim zehnten Mal habe ich ihm gesagt: Das weiß ich jetzt; Sie brauchen es nicht mehr zur Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie Gesprächseröffnung zu sagen. Damit sparen Sie mir noch einmal die Präambel lesen, die Sie Ihren zehn Zeit! — Deshalb gibt es die Schwierigkeiten, zu Punkten am 1. Februar 1994 vor dem Einbringen hier gemeinsamen Lösungen zu finden. im Bundestag vorausgestellt haben, dann werden Sie sehen, daß die Gründe für eine Postreform II nach wie Aber ich greife auch gern auf, was ein Vorredner vor gelten. Sie haben da nämlich ausgeführt: gesagt hat: Verzögern hat jetzt keinen Sinn mehr. Wir müssen bei den Tarifvertragsverhandlungen der Wir brauchen eine Postreform II, um der zuneh- Unternehmen mit der Postgewerkschaft zu einem menden Dynamik des Kommunikationsmarktes, vernünftigen Ende kommen. — Ich bin auch der der wachsenden Internationalisierung im Kom- Auffassung: Nicht erst dann, sondern spätestens von munikationssektor, dem zunehmenden fakti- heute an sollte eine Beendigung der Streiks stattfin- schen Wettbewerb, der fortschreitenden Liberali- den. Dafür gibt es jetzt keinen Grund mehr. sierung auf europäischer Ebene und durch das GATT gerecht werden zu können. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Dem ist nichts hinzuzufügen. — Ich habe jetzt für Meine sehr verehrten Damen und Herren, alles in diejenigen bei Ihnen, die vielleicht zweifeln, extra mit allem haben wir hier ein Paket im Kompromiß vorge- einem SPD-Papier argumentiert, weil Sie möglicher- legt. Wenn jemand der Auffassung wäre, er müsse die weise meinen Worten weniger geglaubt hätten als Idealvorstellung finden, dann wäre es kein Kompro- dem, was Sie selber zugrunde gelegt haben. miß. Ich könnte vieles zu dem Paket sagen, was ich mir, wenn ich es persönlich niedergeschrieben hätte, Wir haben jetzt — Kollege Funke hat darauf hinge- anders vorstellen könnte. wiesen — den Weg nicht nur für die Privatisierung der Unternehmen geebnet, sondern auch für die Liberali- Meine Damen und Herren, Wolfgang Schäuble hat sierung, die notwendig ist. Dabei bleibt es. Wir gehen letzte Woche von dem Mut gesprochen, den wir zur nicht als letzte, Kollege Funke. Wir gehen im europäi- Erneuerung brauchen. Der Wirtschaftsstandort schen Gleichklang und versuchen, in Europa die Deutschland braucht diesen Mut, um auch in Zukunft Dinge mit voranzutreiben. gegen die stärker gewordene internationale Konkur- renz zu bestehen. Das heißt nichts anderes als die Auch wegen einer Meldung, die heute abgedruckt Sicherung unseres Wohlstandes, unserer sozialen ist, die gestern über eine Agentur lief, will ich Ihnen Errungenschaften. sagen: Meine Position ist ganz klar: Wir wollen versu- chen, in der zweiten Hälfte dieses Jahres unter der Mit der Postreform II gehen wir für diesen Bereich deutschen Präsidentschaft Klarheit über die Termine einen kreativen Weg. Wir machen die Postunterneh- zu schaffen. Ich habe mich nicht zu einem Termin men fit für den begonnenen nationalen und globalen geäußert, zu dem die Netze liberalisiert werden sol- Wettbewerb. Mit der Postreform II geben wir deshalb len. Ich habe immer gesagt: Logisch wäre es, wenn auch ein Zeichen an andere Nationen. Der Wirt- zusammen mit der Freigabe des Telefondienstmono- schaftsstandort Deutschland hat sich nicht abgemel- pols, des Sprachmonopols auch die Netze liberalisiert det. Er ist bereit und willens, mitzuhalten. würden. Ich kann mir aber auch vorstellen, daß man (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) das mit einem gewissen Time-lag vereinbaren kann. Er darf allerdings nicht zu lange sein. Das muß man Dies betrifft besonders die international an erster sich meines Erachtens noch einmal in Ruhe vor Augen Stelle stehende Wachstumsbranche, nämlich den führen. Telekommunikationsbereich. Es ist hier viel davon geredet worden - ich greife Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage das auf, was ich in der ersten Lesung dazu gesagt nochmals: Wir haben einen Kompromiß. Ich bedanke habe —, daß man manchmal den Eindruck habe, als mich bei allen. Ich bedanke mich auch bei den Damen sei die CDU/CSU für das Geschäftsergebnis der und Herren meines Ressorts. Ich bedanke mich bei Unternehmen zuständig, die SPD für die Kunden und denen anderer Ressorts, die in ungewöhnlicher Weise, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20821

Bundesminister Dr. Wolfgang Bötsch oft mit eng bemessenen Zeitvorstellungen konfron- raum für die Unternehmen geschaffen haben. Sie tiert, konsequent über die 38,5-Stunden-Woche hin- wären gut beraten, ihn auszuschöpfen und die Wett- weggesehen und ihre Zeit dem Reformwerk zur bewerbsfähigkeit nicht nur zu erhalten, sondern auch Verfügung gestellt haben. weiterhin auszubauen. Nach meiner Auffassung sind Ihnen, meine Damen und Herren Kollegen, danke die Unternehmen dazu durchaus in der Lage. ich für die Aufmerksamkeit. Ich bitte Sie um Zustim- Wir haben mit dieser flexiblen Unternehmensstruk- mung für das vorliegende Gesetzeswerk. tur gerade in einem wachsenden Markt von Kommu- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — nikationsdienstleistungen den notwendigen Schritt Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Bravo! getan. Deswegen ist es so erfreulich, daß wir gerade Sehr gut!) der Telekom diesen Schritt in den Verhandlungen sehr erleichtert haben. Dies mag auch für den Post- dienst gelten, auch wenn hier noch Restriktionen Vizepräsident Hans Klein: Bevor ich dem nächsten bestehen. Redner das Wort erteile, will ich etwas bekanntgeben: Angesichts der Tatsache, daß der Herr Bundesmini- Ich meine, daß allein die Möglichkeit der interna- ster seine Redezeit nicht ganz ausgeschöpft hat, tionalen Tätigkeit der Unternehmen und damit der Einstieg in Innovationen und die Setzung eigener (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und technischer Normen ein Schlüssel für den Unterneh- der SPD) menserfolg der Zukunft ist. Nur mit dem Ausbau sind wir in der Situation, daß wir kurz vor 14 Uhr zur dieser Aktivitäten können wir in Zukunft in diesem namentlichen Abstimmung kommen werden. Bereich wieder Arbeitsplätze schaffen. Dies ist ja Ich erteile das Wort dem Kollegen Jürgen Timm. unser aller Ziel. Daß darüber hinaus die Post AG und die Postbank Jürgen Timm (F.D.P.): Herr Präsident! Meine sehr AG ein flächendeckendes System ihrer Dienstleistun- verehrten Damen und Herren! Wir sind ein gutes gen anbieten, ist in Ordnung und soll so bleiben. Stück des Weges gemeinsam gegangen und haben Darüber besteht Einverständnis. Aber ich denke, es ist eine Anhöhe erreicht. Daß es noch nicht der Gipfel ist, richtig, daß wir beiden Unternehmen unabhängig wissen wir; aber ich gehe davon aus, daß wir wissen, voneinander die eigenständige Entwicklung eröffnet es ist die richtige Anhöhe. haben und sie nicht per Gesetz zu einer institutionel- Für die F.D.P. war von Anfang an wichtig, daß wir len Verbindung gezwungen haben. Hier müssen für- auf dem Wege sind, die drei Postunternehmen in jedes Unternehmen das gleiche Recht und die glei- unabhängige, selbständige Aktiengesellschaften um- chen Möglichkeiten gelten. zuwandeln. Postreform I hin oder her — es ist nun Ich gebe zu, daß die Schaffung der Bundesanstalt, einfach erforderlich, dazu unser Grundgesetz zu der sogenannten Holding, für uns ein besonderes ändern und die Staatsunternehmen aus der Verfas- Problem war. Wir hatten die Befürchtung, daß hieraus sung herauszunehmen. Demzufolge ist es auch eine Konzernholding entstehen wird. Wir haben dies logisch, daß das öffentliche Dienstrecht in privatrecht- einvernehmlich anders geregelt, und das ist gut so. liches Tarifrecht überführt werden wird. Damit ist auch sichergestellt, daß die Unternehmen in Mit der Überführung der Unternehmen in Aktien- eigenständiger wirtschaftlicher Form tätig sein kön- gesellschaften, also mit der Umstrukturierung, geben nen. Eine Konzernholding hätte die Bildung von wir den Unternehmen die Luft zum Atmen, die sie Aktiengesellschaften sicher größtenteils zu einer benötigen, um dem — zugegebenermaßen immer Farce gemacht. rauher werdenden — Wettbewerb und der Atmo- Wir sind der Überzeugung, daß die Holding, die sphäre auf einem großen Markt gerecht zu werden. Bundesanstalt für Post und Telekommunikation, (Beifall der Abg. Uta Würfel [F.D.P.]) schon sehr bald ihren Zweck und ihre Aufgaben erfüllt Das ist eine Grundvoraussetzung für die Zukunft auch haben wird. der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Unterneh- Ich möchte in diesem Zusammenhang kurz zwei men. wichtige Dinge ansprechen. Wir haben in diesem Wir haben mit der Umstrukturierung einen notwen- Gesetz natürlich auch das Problem der Dienstherren digen Reformschnitt durchgeführt und haben nach eigenschaft, der Dienstherrenbefähigung und der meiner Auffassung zukunftsträchtige Organisations- Dienstherrenbefugnis geregelt. Es ist dabei geblie- formen gefunden. Daß ich das — ich verweise auf das ben, daß die Unternehmen die Dienstherrenfähigkeit von mir gewählte Bild der Anhöhe — als eine Ein- erhalten und die Vorstände die Dienstherrenbefugnis gangsstufe zu einer Abschlußreform bezeichne, liegt ausüben dürfen. Ich denke, dies ist ein wichtiger daran, daß der Gesetzgeber auch in Zukunft noch Punkt in bezug auf die Selbständigkeit. gefordert sein wird, sein Werk endgültig zu vollen- den. Der zweite Punkt ist die Frage des Manteltarif rechts. Auch hier haben wir eine Lösung gefunden, Wir hätten es uns als F.D.P. gewünscht, daß wir die sich verfassungsrechtlich noch erträglich darstellt. genannt hätten. Daten zum Fortfall der Monopole Die Holding kann nur einvernehmlich für die Unter- Dies war im Kompromiß nicht zu erreichen. Jetzt muß nehmen Manteltarifverträge abschließen. der Markt seine Kräfte spielen lassen. Er wird es tun, und er wird es schneller tun, als viele von uns es Für die F.D.P. war es von besonderer Bedeutung, erwarten oder sich gar wünschen. Aber ich glaube, von vornherein die Belange der Mitarbeiterinnen und daß wir den richtigen Schritt gemacht und den Frei Mitarbeiter der Postunternehmen zu regeln. Allein 20822 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Jürgen Timm das Problem der Überführung des beamteten Perso- 800 Millionen DM bekommen. Ich denke, man muß nals in privatrechtlich organisierte Unternehmens- auch einmal erwähnen dürfen, daß — strukturen ist auch in Zukunft noch ein schwieriges Kapitel. Hier gilt es, sehr viel Fingerspitzengefühl Vizepräsident Hans Klein: Aber wenn es geht, aufzubringen. Das gilt vor allem auch für die Neure- innerhalb der Redezeit. gelung der Mitbestimmung nach dem Betriebsverfas- sungsgesetz 1976. Ich glaube, es war eine politisch Jürgen Timm (F.D.P.): — ja, gut — wir nicht nur sehr klare Auseinandersetzung. Dabei ist auch ein einfach so mit Geld oder neuen Strukturen gespielt gutes Ergebnis herausgekommen, auf das wir uns haben, sondern etwas für die nachfolgenden politi- verständigt haben, so daß alle Rechte, sowohl die schen Gemeinschaften getan worden ist. Rechte der Unternehmer als auch die Rechte des Personals, gewahrt werden. Herr Präsident, ganz zum Schluß möchte ich doch noch eine kleine Danksagung vornehmen. Die SPD (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) hat sich durch ihre Vertreter immer als zu diesem Ich möchte nur kurz erwähnen, daß zu diesem Geschäft Eingeladene gefühlt. Ich bin Ihnen zu Dank Kapitel natürlich auch die Garantie des Abschlusses verpflichtet, daß sich das in der Art der Beratung und der Ausbildung und die Erfüllung der Ausbildungszu- der Behandlung dieses Themas nicht widergespiegelt sagen gehören. Dies ist ja auch ein Punkt, der die hat und wir zu einem gemeinsamen Ergebnis gekom- Beschäftigten mit Sicherheit berührt. men sind. Ich möchte mich bei den Kolleginnen und Kollegen, die intensiv mitgewirkt haben, sehr herzlich Meine Damen und Herren, die Tatsache, daß wir in bedanken. Es war eine wirklich hervorragende Erfah- den Gesetzen niedergeschrieben haben, daß die rung. Auch wenn gesagt wurde, die Zusammenarbeit Tarifverträge so lange weitergelten, bis neue abge- mit Herrn Bötsch und mit der Deutschen Postgewerk- schlossen werden, führt mich natürlich schon dazu, schaft hätte Ihnen besser gelegen als mit uns: Das ehrt die Frage zu stellen, warum ausgerechnet jetzt in uns ganz gewaltig. Die Anhöhe, die wir erreicht dieser Richtung gestreikt werden muß. Ich sage das haben, haben wir gemeinsam erreicht. Es war ein nicht unter dem Gesichtspunkt, daß ich etwas verur- steiniger Weg. Aber wir glauben, daß wir daraus für teile. Die Gewährleistung des Streikrechts ist klar. Ich die Unternehmen einen Erfolg gemacht haben. will nur meine ganz große Befürchtung zum Ausdruck Vielen Dank. bringen, daß der Schaden, der damit insbesondere für das Unternehmen Postdienst angerichtet wird — es wird noch weiter gestreikt —, in diesem Unternehmen Vizepräsident Hans Klein: Es sind noch zwei redak- nur mit ganz großer Mühe und großem Aufwand tionelle Änderungen vorgenommen worden. Ich darf, — dann sind wieder die Beschäftigten betroffen — damit die Kolleginnen und Kollegen das noch zur aufgearbeitet werden kann. Es ist nicht klar, ob es am Kenntnis nehmen können, den Kollegen Elmar Müller Ende nicht Arbeitsplätze kosten wird. Man sollte bitten, sie vorzutragen. lieber die Ärmel aufkrempeln, sich zusammensetzen und sagen, wir wollen eine Zukunft aufbauen, wir Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Herr Präsi- haben gültige Verträge, und wir können uns über den dent! Ich darf die beiden Änderungen präzise vortra- Neuabschluß der Verträge durchaus noch in Zukunft gen. Zunächst: In Art. 7 § 10 Abs. 4 Nr. 1 des Entwurfs Gedanken machen. des Postneuordnungsgesetzes wird am Ende des Tex- tes das Komma durch einen Punkt ersetzt und folgen- (Beifall des Abg. Dr. Walter Hitschler [F.D.P.]) der Satz angefügt: „ § 28 BDSG gilt entsprechend." Ich führe mir auch vor Augen, was an Druckmitteln Ebenfalls in Art. 7 § 10: Abs. 5 wird gestrichen. gegen Personen angewendet worden ist. Ich bin nicht Dieser Absatz ist durch die Einfügung in Art. 7 § 10 der Meinung, daß es ein so gutes Werk war, das jetzt Abs. 4 obsolet geworden. eingeleitet worden ist. Den Schaden tragen die Unter- nehmen, die Beschäftigten der Unternehmen, und die Vizepräsident Hans Klein: Vielen Dank. Möglichkeiten, Arbeitsplätze zu erhalten und zu Jetzt, Herr Kollege Arne Börnsen, haben Sie das schaffen, werden geschmälert. Wort. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Die technischen Dinge, Unterstützungskassen, Re- Arne Börnsen (Ritterhude) (SPD): Herr Präsident! gulierungsrat, will ich einmal herauslassen. Ich will Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn zum Schluß einen Punkt erwähnen, der noch nicht ein Kompliment an den Kollegen Paterna zurückge- angesprochen ist. Der Bund hat bisher durch die ben. Wir sind uns in der Sache sicherlich in manchen Bundesablieferung erhebliche Mittel eingenommen; Punkten uneinig gewesen und sind es auch heute der Finanzminister weiß das. Die Postunternehmen noch. Aber das Kompliment, das man ihm wirklich haben sehr schön abgeliefert. Das wird ab dem Jahr machen muß, ist, daß ohne Peter Paterna die Verhand- 1996 anders sein. Da werden die Unternehmen voll lungen im Postausschuß nicht so gelaufen wären, wie der Steuerpflicht unterliegen. Das führt natürlich sie gelaufen sind. Ohne diesen Verhandlungsstil wäre dazu, daß der Bund auf diese Einnahmen zum über- es möglicherweise gar nicht zu diesem Ergebnis wiegenden Teil verzichten muß. Aber die Einnahmen gekommen. Ich meine, es ist ein hoher Grad der verschwinden nicht irgendwo. Es werden ungefähr Loyalität auch dem Parlament gegenüber, was Peter 1,6 Milliarden DM als Gewerbesteuern an die Kom- Paterna hier geleistet hat. Dafür herzlichen Dank. munen gehen, die Länder werden ungefähr 1,4 Milli- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der arden DM erhalten. Der Bund wird noch ungefähr F.D.P.) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20823

Arne Börnsen (Ritterhude) Lassen Sie mich dann etwas sagen, was ich mit viel Lassen Sie mich in Abweichung von meinem Papier Zurückhaltung formulieren muß. Wir haben gestern in — was ist schon Papier? — nach dieser Debatte noch dem Beschluß der SPD-Bundestagsfraktion unsere auf zwei Sachpunkte zu sprechen kommen, die endgültige Zustimmung davon abhängig gemacht, gerade für uns Sozialdemokraten von hoher Bedeu- daß die laufenden Tarifgespräche bis zum 8. Juli, bis tung sind. Es geht einmal um die Frage: Ist es zur Entscheidung des Bundesrates zu einem Abschluß eigentlich notwendig, diesem Reformpaket nur zuzu- gebracht werden. Wir meinen das sehr ernst, weil es stimmen, um etwas Schlimmeres zu verhindern, oder auch für uns als Sozialdemokraten, die wir zum bietet die Postreform II in der Zukunft Perspektiven größten Teil Mitglied einer Gewerkschaft sind, eine zur Verbesserung der gegenwärtigen Situation? hohe Beanspruchung ist, einen solchen Beschluß wie Über den Bereich Telekommunikation ist heute gestern in Kenntnis der Tatsache zu fassen, daß zu schon zu Recht viel gesprochen worden. Der Anstoß diesem Thema — nicht in direktem Zusammenhang für diese Reform ist auf Grund der Veränderungen der mit dem politischen Beschluß, aber mit dem Thema — zu erwartenden Liberalisierung aus dem Bereich der Tarifauseinandersetzungen geführt werden. All die Telekommunikation gekommen. Aber daß auch Post Kollegen, die aus diesem Grunde gestern nicht und Postbank in eine andere Rechtsform übergeführt zustimmen konnten, verdienen durchaus Respekt in werden sollen, entspringt nicht nur dem Wunsch, auch ihrer Haltung. künftig den Zusammenhalt zwischen den Unterneh- Wir haben diesen Beschluß gestern mit großer men durch gleiche Rechtsform wahren zu wollen. Das Ernsthaftigkeit gefaßt und meinen ihn so, daß wir von hat auch etwas mit der Tarifzuständigkeit in bezug auf beiden Tarifpartnern erwarten, daß bis zum 8. Juli, wo eine Gewerkschaft zu tun, wenn wir das mit einer die letztgültige Entscheidung im Bundesrat gefällt einheitlichen Rechtsform gestalten wollen. werden soll, die Unsicherheiten, bezogen auf die Nein, viele Mitbürgerinnen und Mitbürger haben Beschäftigten bei den Unternehmen, aus der Welt sein den Eindruck, das mit der Telekommunikation sollen. Ich appelliere noch einmal an beide Tarifpart- machen wir nur, weil das den Preisen dient, die für die ner — bei aller Anerkennung der Tarifautonomie —, Wirtschaft die Konkurrenzfähigkeit verbessern kön- dieses Signal auch zu nutzen und die Unsicherheit nen, aber die Interessen der sogenannten kleinen gegenüber den Beschäftigten auszuräumen. Leute, die Interessen insbesondere derer, die auf dem Lande wohnen, bleiben dabei unberücksichtigt. Ich Ich bitte auch sehr herzlich darum, daß in keiner möchte das ganz bewußt noch einmal aufgreifen. Ich Weise der Eindruck erweckt wird, als würde das möchte versuchen, darzustellen, daß wir, wenn wir Datum, welches dort gesetzt worden ist, in irgendeiner positive Änderungen der Postversorgung in der Flä- Weise als Hebel benutzt werden. Das wäre gegenüber che erreichen wollen, gerade auf die Änderung der dem Thema ebenfalls nicht angemessen. Aber ich Rechtsform angewiesen sind. erwarte das auch nicht. Meine herzliche Bitte ist, Unabhängig von der Rechtsform ist die Postversor- unser Signal als Aufforderung zu interpretieren, die gung auf dem Lande und auch in den Städten in Verhandlungen bis spätestens 8. Juli abzuschließen. vergangenen Jahren immer weiter zurückgegangen, Ich meine auch — um zum Inhalt zu kommen — daß weil die Inanspruchnahme der Dienstleistungen, die dies möglich ist. Wir haben — sonst hätten wir als dort am Schalter angeboten wurden, zurückgegangen Sozialdemokraten dem Postreformpaket niemals zu- ist. Irgendwann muß man darauf reagieren. Man kann stimmen können — bei der Gesetzesberatung die die entstehenden Kosten, die durch weniger Einnah- Grundlagen dafür gelegt, daß alle kollektiven und men in ein immer größeres Ungleichgewicht geraten, individuellen Rechte der Arbeitnehmer, wie sie heute nicht auf Dauer durch Subventionierung ausgleichen. bei den Postunternehmen bestehen, auch in Zukunft Wenn wir hier also eine Verbesserung der Versorgung abgesichert sind. Auf Grund der neuen Rechtsform der Fläche erreichen wollen, dann geht das nur über muß das über andere Tarifverträge neu aufgerollt ein größeres, ausgedehntes Angebot an Dienstleistun- werden. Es ist aber bereits darauf hingewiesen wor- gen am Schalter. den, daß alle Tarifverträge bis zum Abschluß eines Über die kommunalen Dienstleistungen ist in der neuen Tarifvertrages weitergelten. Es entsteht für den Vergangenheit viel spekuliert worden. Das ist ein einzelnen und auch kollektiv keine Unsicherheit. gutgemeinter Wunsch, das ist auch eine Hilfestellung. Es wird aber nie ausreichen, um die Struktur und die In vielen Bereichen werden den Postbediensteten Angebotsgrundlage der Postversorgung auf dem Sonderleistungen ermöglicht. Ich will einen Bereich Lande zu verbessern. Das reicht nicht hin und nicht nennen, der heute schon einmal eine Rolle gespielt her. hat: die Wohnungsfürsorge. Wir haben auch das in Absichtserklärungen und Festlegungen so weit fest- Deswegen ist es unser Ziel, daß der Postbank als geschrieben, daß niemand Angst haben muß und darf, einer Kapitalgesellschaft die Möglichkeit eröffnet daß ihm auf Grund der Änderung der Rechtsform bei wird, Kooperationen mit anderen Partnern aus dem der Wohnungsbewirtschaftung, bei der Inanspruch- Bereich des Versicherungsgewerbes, der Bausparkas- nahme von Postwohnungen Nachteile entstehen. sen und des Bankgewerbes einzugehen. Die Postbank Wenn das über Tarifverträge weiter abgesichert und wird dadurch, daß wir sie zur Kapitalgesellschaft noch im Detail geregelt wird, ist das in Ordnung. Nur, umfirmieren, zur Vollbank gemacht. die Grundlage dafür ist gegeben, daß das über den Sie hat die Möglichkeit, auch viele andere Dienst- Tarifvertrag weiter abgesichert werden kann. Ich leistungen anzubieten. Sie verfügt aber nicht über das habe also die herzliche Bitte an die Tarifparteien, das Know-how. Deswegen werden Modelle der Koopera- zu nutzen. tion zwischen Postbank und privaten Unternehmen, 20824 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Arne Börnsen (Ritterhude) die heute noch nicht existieren, die Möglichkeit eröff- steht, wird uneingeschränkt in die Unterstützungskas- nen, daß andere, im Augenblick noch postfremde sen eingeführt, um der Absicherung der Pensionser- Dienstleistungen am Schalter angeboten werden. wartungen bzw. der Pensionslasten der drei Unter- Wenn wir das machen wollen, dann ist die Grundlage nehmen zu dienen. Bei dieser Privatisierung wird der einer Kapitalgesellschaft Voraussetzung dafür. Denn gesamte Erlös, sowohl Aktienpotential als auch eine private Versicherungsgesellschaft, die als GmbH Aktienerlös, in Unterstützungskassen zur sozialen oder AG organisiert ist, wird niemals eine Kooperation Absicherung der bei der Post Beschäftigten einge- mit einem öffentlichen Unternehmen eingehen, das bracht. Ich glaube, auch das ist ein ganz wesentlicher fast noch Behördenstruktur hat. Hinweis darauf, daß es bei dieser Postreform gelungen ist — wie ich zu behaupten wage —, die soziale Wir gehen davon aus, daß eine solche Kapitalver- Absicherung der Beschäftigten ohne jede Einschrän- flechtung mit anderen Anbietern und zugleich mit der kung zu erhalten und ihnen neue zusätzliche Perspek- Post die Voraussetzung dafür schafft und eine ver- tiven in den Unternehmen zu geben. nünftige Perspektive dafür eröffnet, daß das Angebot in der Fläche wieder auf eine gesunde, stabile Grund- Meine Damen und Herren, es wird hier langsam lage gestellt wird. Damit wird neben all den volkswirt- unruhig. Das ist vor namentlichen Abstimmungen und schaftlich so bedeutenden Zielen im Bereich der insbesondere dann, wenn über eine Grundgesetzän- Telekommunikation, was die Diensteversorgung der derung abgestimmt werden soll, kein Wunder. Ich Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik nicht freue mich ausdrücklich über diese Unruhe. Ich habe zuletzt in der Fläche angeht, eine Stabilisierung, eine nämlich vor jetzt drei Jahren, drei Monaten und Verbesserung und eine Stärkung der Grundversor- einigen Tagen im Wasserwerk in einer nicht gehalte- gung mit Dienstleistungen — so ist meine Hoffnung — nen Rede, also körperlich abwesend, zu Protokoll ermöglicht, die über die des reinen Postwesens hin- gegeben, daß ich auf Grund bestimmter Bewertungen ausgehen. im Bereich der Post- und Telekommunikationspolitik eine Änderung des Art. 87 des Grundgesetzes für Es ist nicht nur Glaube und das Prinzip Hoffnung, erforderlich halte. Ich habe das damals ganz zurück- sondern wir haben diesbezügliche Gespräche natür- haltend angedeutet, um die Diskussion nicht mit lich auch am Rande der Verhandlungen geführt. Nur einem Paukenschlag zu eröffnen. Sie wurde in der können Sie eine solche Perspektive nicht ins Gesetz Zwischenzeit trotzdem ziemlich laut. hineinschreiben. Eine solche Perspektive muß unter- nehmerisch entwickelt werden. Dafür müssen die Daß wir heute an diesem Punkt angelangt sind, daß Unternehmen auch den entsprechenden Freiraum heute Art. 87 des Grundgesetzes tatsächlich geändert bekommen. Das wird durch die Postreform ermög- wird, daran habe ich immer geglaubt, weil ich es für licht. Ich glaube, daß wir uns dann auf einem guten unabdingbar notwendig halte. Sie mögen mir glau- Weg befinden. ben, daß ich mich sehr darüber freue, daß wir heute an diesen Punkt gekommen sind. Hinsichtlich der Frage, die uns manchmal gestellt Herzlichen Dank. wurde — was wird denn wohl in zwei bis vier Jahren das Ergebnis dieser Postreform sein? —, wage ich (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ durchaus die Prognose: Über das, was die Menschen CSU und der F.D.P.) oftmals direkter angeht als Tarife im Telefonbereich, etwa über die Frage, ob sie auch in Zukunft über ihr Postamt in erreichbarer Nähe verfügen können, wer- Vizepräsident Hans Klein: Verehrte Kolleginnen den wir in zwei bis vier Jahren wieder sprechen. und Kollegen, wir haben jetzt noch drei Redner mit Ich habe die begründete Hoffnung, daß wir dann ein einer Redezeit von jeweils fünf Minuten. Das heißt, besseres Ergebnis werden feststellen können, als das daß wir in etwa 15 Minuten zur namentlichen Abstim- heute mit einer weiter abnehmenden Angebotsstruk- mung kommen werden. Aus Fairneß gegenüber den tur im Bereich des Postwesens der Fall ist. Auch das ist Kollegen, die jetzt noch das Wort bekommen, bitte ich ein Grund, warum ich Sie bitte, dieser Postreform diejenigen, die anderweitigen Gesprächsbedarf ha- zuzustimmen. ben, ihn außerhalb des Plenarsaals zu decken. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch Herr Kollege Schulhoff, Sie haben das Wort. einen zweiten Punkt nennen — dann komme ich zum Schluß und Sie irgendwann zur Abstimmung —: Wir haben noch vor einem halben Jahr zentral darüber Wolfgang Schulhoff (CDU/CSU): Herr Präsident! gestritten, ob diese Privatisierung der Deutschen Bun- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute despost dazu dient, die Kasse des Finanzministers stimmen wir über eine Reform ab, die von elementarer aufzubessern. Es wurde darüber spekuliert, daß die Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland Börsenerlöse, insbesondere der Telekom, dem und dessen Zukunft ist. Finanzminister zu einem wesentlichen Teil zugute 1991, zu Beginn der Diskussion, forderte der dama- kommen, was bei manchen auf sozialdemokratischer lige Postminister Schwarz-Schilling eine Post ohne Seite, die über einen Regierungswechsel nachdach- Beamte. Dies wird sicherlich ein Ergebnis der Postre- ten, zu einer gewissen Kalkulation über mögliche form II sein. Wir haben dieses Projekt aber nicht in zusätzlich zu verteilende Präsente führte. Angriff genommen, um den vielen verdienten Diese Diskussion ist heute völlig aus der Welt. Das, Beschäftigten der Postunternehmen zu schaden. Ganz was an Sondervermögen des Bundes für die Unter- im Gegenteil: Wir wollen ihre Arbeitsplätze langfristig nehmen der Deutschen Bundespost zur Verfügung sichern. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20825

Wolfgang Schulhoff Die von den Gewerkschaften geschürten Ängste gungen vorzugeben, bei denen es sich lohnt, zu — lassen Sie mich das in aller Ruhe sagen sind völlig investieren und zu arbeiten. unbegründet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Nach Ansicht von Wirtschaftsfachleuten wird es Man braucht sich nur die Mühe zu machen und in den zwei Märkte mit großen Expansionsmöglichkeiten Gesetzestext zu blicken. Sieht man darüber hinaus in geben. Einmal handelt es sich hier um den Bereich der den Entwurf zum Abschluß eines Sozialtarifvertrages, Gentechnik, zum anderen um den der Kommunika- stellt man fest, daß auf allen Gebieten die Arbeitgeber tion. Leider haben wir bei der Gentechnik inte rnatio- den Arbeitnehmern entgegengekommen sind. Die nal großes Terrain verloren. Ich will mich heute einer Besitzstände bleiben in ihrem Kern unangetastet. Das politischen Wertung auf Grund der guten Stimmung wissen die Gewerkschaften genau. Hieran hatten sie enthalten, die hier vorherrscht. Jetzt gilt es zumindest, auch ihren Anteil. Das muß man sagen. Deshalb geht unsere Position auf dem Kommunikationsmarkt zu sichern. es ihnen jetzt bei diesen Streiks — ich lege großen Wert auf das Wort „jetzt" — leider nicht um Besitz- (Unruhe) standswahrung, sondern um Erhaltung gewerkschaft- licher Macht. Vizepräsident Hans Klein: Entschuldigen Sie bitte. (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Unerhört!) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, geben Sie bitte dem Redner eine Chance. Wenn Sie sich Das Verhalten der Gewerkschaften, lieber Herr unterhalten, wenn Sie Gespräche führen wollen — es Kollege Bernrath, war doch etwas mehr als „sperrig", ist noch Zeit bis zur Abstimmung —, dann kann das wie Sie es formulierten. Diese Streiks sind jetzt — ich auch vor dem Plenarsaal geschehen. lege nochmals Wert auf das Wort „jetzt" — „van den Bitte fahren Sie fort, Herr Kollege. Haaren" herbeigezogen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Wolfgang Schulhoff (CDU/CSU): In diesem Zusam- Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Unglaub menhang begrüße ich ausdrücklich die anvisierte lich!) Zusammenarbeit der Telekom Frankreichs und Deutschlands mit der Sprint Corporation, dem dritt-- Mit dieser Politik treibt die Gewerkschaft die Post- größten US-Anbieter. Das ist ein Schritt in die richtige kunden in die Arme der privaten Wettbewerber. Ich bin deshalb froh und dankbar, daß sich die SPD nicht Richtung. vorführen und erpressen ließ, wie gestern noch in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) einer namhaften Zeitung, der „Süddeutschen Zei- Aber es gibt einen weiteren Punkt, der die Telekom tung", in einem Kommentar stand. Das ist gerade Ihr zum internationalen Wettbewerb zwingt: Nur wer Verdienst, Herr Bernrath und Herr Penner, aber auch seine Produkte und Dienste weltweit anbietet, hat durch die souveräne Führung im Postausschuß von auch die Chance, über Normen und Geräte mitzube- Herrn Paterna ermöglicht worden. Ich darf an dieser stimmen. Stelle dafür Dank sagen. (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Was wollen wir mit dieser Reform, meine sehr So kann, wie die „Frankfurter Allgemeine" in einem verehrten Damen und Herren? Mit dieser Reform Kommentar schrieb, die „Telekom als Türöffner für befreien wir die Postunternehmen von den Zwängen die deutsche Industrie wirken". Das ist nur ein Bei- des Behördenstatus und des öffentlichen Dienstrech- spiel für viele andere. Es gilt auch für die beiden tes, mit denen sie auf Dauer einfach nicht leben anderen Betriebe. können. Die Postreform legt die Basis dafür, daß Wenn auch das jetzt vorliegende Gesetz nicht Arbeitsplätze erhalten und neue, zukunftsorientierte Ausdruck der reinen Lehre der Marktwirtschaft und Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden. Al- einer sinnvollen Trennung von Staat und Wirtschaft len müßte klar sein, daß unrentable Arbeitsplätze ist, so ist es zumindest ein Kompromiß, der uns auch in einem Staatsunternehmen auf Dauer nicht zu wesentlich weiterführt. Der Staat hat leider — das ist halten sind. Die Postreform ist deshalb kein Selbst- meine persönliche Meinung — seine Hand noch im zweck, sondern bittere ökonomische Notwendigkeit. Spiel. Ich hoffe im Sinne der Unternehmen und Die Unternehmen müssen die Chance erhalten, sich Mitarbeiter — um einen Vergleich aus der Fußball- im freien Wettbewerb zu bewähren. Die Zeit der welt zu ziehen —, daß sein Handspiel auf Dauer nicht Staatsmonopole ist endgültig vorbei, wenn auch die zum Strafstoß führt. PDS — wir haben das heute gehört — eine Restaura- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte tion des Kommunismus betreibt. Sie herzlich, dem Gesetz zuzustimmen, und danke (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Ihnen. der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der F.D.P.) Der Staat soll sich mit hoheitlichen und nicht mit wirtschaftlichen Aufgaben befassen; denn davon ver- steht er nichts. Seine Aufgabe ist es, ein investitions- Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Kollegen freundliches Klima zu schaffen, also Rahmenbedin Dr. Ulrich Briefs das Wort. 20826 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Dr. Ulrich Briefs (fraktionslos): Herr Präsident! nikationstechnischen Versorgungsauftrags der frü- Meine Damen und Herren! Als wir in der vorigen heren Post führen. Die Leidtragenden werden die Legislaturperiode die Poststrukturreform hier, d. h. Menschen fern der Ballungsgebiete sein, und unter drüben im Wasserwerk, diskutiert haben, wurden ihnen vor allem die sozial Schwachen, die auf Post- Privatisierungsabsichten lauthals bestritten. Jetzt sind dienste, Postbank und auf die Telekommunikations- wir soweit. Die Postunternehmen werden privatisiert, dienste besonders angewiesen sind. im Grunde einem marktwirtschaftlichen Dogma ge- Diese Privatisierungsaktion ist nicht nur ein gewich- opfert, das doch längst seine problematischen Effekte tiger Brocken, den man den nationalen und interna- vielfältig offengelegt hat. Das zeigen der Arbeits- tionalen Kapitalanlegern hinwirft, sie ist auch ein platzabbau und der Abbau von Lehrstellen, die in weiterer Schritt zur Spaltung der Gesellschaft in die anderen Ländern mit Privatisierungsprojekten gerade Metropolen und in die Randbereiche. In den Metro- auch im Telekommunikationsbereich verbunden wa- polen wird mit Hilfe moderner Informations- und ren. Das zeigt eine Studie von sechs führenden Wirt- Kommunikationstechniken ein immer größeres Rad schaftsforschungsinstituten, die alleine für Deutsch- immer schneller gedreht werden, übrigens auch mit land den privatisierungsbedingten Verlust von weite- ganz problematischen ökologischen Folgen. Schauen ren 140 000 Arbeitsplätzen bis zum Jahre 1998 voraus- Sie sich nur einmal Städte wie Hongkong oder Singa- sagt. 140 000 Arbeitsplätze weniger alleine durch pur an. In den Randbereichen, aber auch in den Privatisierungsmaßnahmen. Andere Effekte wie z. B. Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfängergettos am die Auswirkungen von Konzentrationsmaßnahmen Rande der Metropolen befinden sich dagegen die gerade auch in der Telekommunikationswirtschaft Menschen, die auf der Strecke des marktwirtschaftli- kommen ja noch hinzu, und das bei einer völlig chen Dogmas geblieben sind. verfahrenen, perspektivlosen Arbeitsmarktsituation. In dieser Politik läßt sich kaum etwas von dem Nochmals: Eine verantwortungsvoll handelnde entdecken, was wir positiv mit dem Bild des Sozial- Bundesregierung müßte Zug um Zug mit notwendi- staats verbinden. Das — letzte Anmerkung, Herr gen Anpassungs- und Umbaumaßnahmen bei Rechts- Präsident gilt übrigens auch für die mit der moder- formen, Eigentumsverhältnissen usw. ein Konzept nen Telekommunikationsentwicklung dringlicher zum Auffangen der Arbeitsplatzabbaueffekte und der werdenden Datenschutzregelungen. Mit der Privati- weiteren sozialen Effekte vorlegen. Nehmen wir ein- sierung werden wichtige Kontrollmöglichkeiten in mal das Tauziehen um die Wahrung der sozialen bezug auf die Einhaltung des Rechts auf informatio- Besitzstände. Hier geht es um ein sehr berechtigtes nelle Selbstbestimmung durch die Postunternehmen- Anliegen der Deutschen Postgewerkschaft. Sehen Sie aufgegeben. sich doch nur einmal die unteren Gehälter etwa im Herr Präsident, ich danke Ihnen, Postdienst oder in den Fernmeldeämtern an. Auch das Tauziehen um die Beibehaltung der Mitbestimmungsrechte zeigt, wo man die hauptsäch- Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- lichen Effekte erwartet. Wenn Sie so sicher sind, daß ren, ich weiß schon, es gibt eine Reihe von Kollegin- die privatisierte Telekom, die Postdienste und die nen und Kollegen, die sich ärgern, wenn sie durch Postbank mit dieser sogenannten Postreform II fit eine Ermahnung von mir in ihren Unterhaltungen werden für den Wettbewerb der Zukunft, dann könn- gestört werden. Ich kann das auch verstehen. Nur hat ten Sie doch bei den Mitbestimmungsrechten und der Redner hier vorn einen Anspruch darauf, daß ihm -regelungen, die nichts oder wenig kosten, und auch der Präsident Gehör verschafft. bei einer ganzen Reihe sozialer Regelungen den Ich erteile jetzt das Wort zu einer Erklärung nach Beschäftigten und der Deutschen Postgewerkschaft § 31 unserer Geschäftsordnung dem Kollegen entgegenkommen. Nein, Sie wollen die Postreform, Dr. Christian Schwarz-Schilling. weil sie zu Ihrer marktwirtschaftlichen Dogmatik paßt und weil in der Tat insbesondere die Telekommuni- - (CDU/CSU): Herr kationsdienste profitable Wachstumsmärkte für die Dr. Christian Schwarz Schilling Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zukunft bieten. Sie sollen für private Interessenten- Dieser Tag ist ein sehr wichtiger Tag nicht nur für die gruppen kapitalanlagemäßig und dann auch über die drei Unternehmen der Post, sondern für die gesamte Unternehmenspolitik der privatisierten Postunterneh- Volkswirtschaft, für die Arbeitsplätze, für die Innova- men geöffnet werden. Allerdings ist dieses Wachstum tionen, für den Standort Bundesrepublik Deutschland. in der Tendenz ein No-Job-Wachstum. Es ist Wachs Ich sehe diesem Gesetzespaket mit einem lachenden tum mit nur geringen Arbeitsplatzzuwächsen im und einem weinenden Auge entgegen. Dienstleistungssektor, dagegen das wird immer übersehen mit erheblichen Arbeitsplatzverlusten in (Dr. Willfried Penner [SPD]: Dann machen den Anwendungsbereichen der modernen Informa- Sie das auch einmal!) tions- und Kommunikationstechni ken. — Ich werde das sehr genau sagen. Wer also einfach nur so privatisiert, ohne entspre- Das lachende Auge ist, daß das Gesetzespaket die chende gegensteuernde Beschäftigungs- und soziale Umwandlung in AGs und die Privatisierung, einen Maßnahmen und Sicherungen, wie es diese Bundes- Teil der Liberalisierung, wie wir das bereits seit zwei, regierung tut, der programmiert damit bereits zum drei Jahren verfolgt haben, nunmehr im wesentlichen Teil die Dauerkatastrophe am Arbeitsmarkt. realisiert. Die geplante Postreform II, also die Privatisierung, Es ist natürlich — das möchte ich hier hinzufügen — wird zudem wie in anderen Ländern zur Vernachläs- fast eine List der Geschichte, daß sich, als ich im Jahre sigung des Infrastruktur- und des post- und kommu- 1991 als Antwort auf das, was der Kollege Arne Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20827

Dr. Christian Schwarz-Schilling Börnsen damals gesagt hat, den Stein ins Wasser Ich hätte mir gewünscht, lieber Kollege Pate rna, daß geworfen und gesagt habe „Jawohl, die Privatisie- Sie diesmal nicht Ihrem Herzen, sondern Ihrem Ver- rung muß kommen; wir müssen die Überführung stand einen Stoß gegeben hätten. dieser Unternehmen aus einer öffentlichen, beamten- (Beifall bei der CDU/CSU) rechtlichen Form in eine privatrechtliche Form voran- treiben", ausgerechnet von meinem eigenen Frak- Dann wären wir bei dieser Sache letzendlich gemein- tionskollegen in der Öffentlichkeit abgemahnt wor- sam besser weggekommen. den bin und daß nun dieser Kollege, nämlich mein Ich danke Ihnen. lieber Kollege Gerhard Pfeffermann — ich sagte: eine List der Geschichte —, im Ministerium für Post und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Telekommunikation genau dies zu tun hat. Darüber freue ich mich.

Meine Damen und Herren, damit komme ich zu Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- dem weinenden Auge. Es ist weniger die Frage der ren, mir liegt eine größere Anzahl schriftlicher Erklä- Holding. Dies wird die Geschichte selber lösen; denn rungen zur Abstimmung vor.*) Ich muß allerdings in mit zunehmender Privatisierung wird es neben der zwei Fällen die Kollegen fragen, unter welche Erklä- Hauptversammlung ein solches Gremium, das durch rung sie ihre Unterschrift gern gesetzt hätten, nämlich die Fähigkeit, Rahmentarifverträge abzuschließen, den Kollegen Kubatschka und den Kollegen Lambi- auch Managementfunktionen hat, nicht geben. Das nus, die gleich auf zwei verschiedenen Erklärungen wird das Aktiengesetz auf Dauer nicht erlauben. unterschrieben haben. (Heiterkeit — Unruhe) Der zweite Punkt beim weinenden Auge sind die gleichzeitig stattfindenden Tarifvertragsverhandlun- — Entschuldigung. Vielleicht wollen Sie auch — — Gut. gen. — Herr Kollege Bernrath, es geht hier nicht darum, die Postgewerkschaft zu verteufeln. Der Feh- Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstim- ler liegt darin, daß der Gesetzgeber freiwillig dazu mung über die von den Fraktionen der CDU/CSU, der eingeladen hat, Druck auf ihn auszuüben, indem SPD und der F.D.P. sowie der Bundesregierung ein- gerade von Ihrer Seite, auch heute wieder, das Junk- gebrachten Gesetzentwürfe zur Änderung des Grund- tim zum 8. Juli betont wird und damit der einen Seite gesetzes — Drucksachen 12/6717, 12/7269 und alle Macht in die Hand gegeben wird, 12/8108. Der Rechtsausschuß hat die Gesetzentwürfe zusammengefaßt. (Beifall bei der F.D.P.) Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der wodurch der Respekt vor der Tarifautonomie seitens Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- des Gesetzgebers nicht gegeben ist. Das ist das zeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich Traurige. der Stimme? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei zahlreichen Gegenstimmen in der SPD- (Beifall bei der F.D.P. und bei Abgeordneten Fraktion, bei der PDS und bei einigen Gegenstimmen der CDU/CSU) bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei mehreren Enthaltungen bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dritter und letzter Punkt. — Gegen den Regulie- NEN angenommen. rungsrat, der hier geschaffen wird, habe ich meine Wir kommen zur schwersten Bedenken. Dies findet in keinem anderen Land der Welt eine Entsprechung, weder in Amerika dritten Beratung noch in England noch in Frankreich noch sonstwo. Der und Schlußabstimmung. Regulierungsrat hat eine Aufgabe bekommen, die eine so große Professionalität und Kompetenz erfor- Ich weise darauf hin, daß zur Annahme des Gesetz- dert, daß ich schwerste Bedenken dagegen habe, daß entwurfs nach Art. 79 Abs. 2 des Grundgesetzes die das durch die politische Repräsentanz des Bundes und Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des der 16 Länder bewältigt werden kann. Wie groß das Bundestags erforderlich ist. sachliche Interesse der Länder ist, sehen Sie ja hier an Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstim- der leeren Bundesratsbank. Was hier bei der Tele- mung. kommunikationsregelun g an Professionalität und Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Kompetenz notwendig ist, können sich die Länder wahrscheinlich heute gar nicht vorstellen. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? — Sind alle (Beifall bei der CDU/CSU) Stimmen abgegeben? — Dann schließe ich die Abstimmung. Meine Damen und Herren, das sind die Dinge, bei Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu denen ich große Sorge habe. Daß diese Sorge berech- beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen tigt ist, wird sich im Laufe der Zeit zeigen. später bekanntgegeben.**) Doch muß es bei allen Bedenken weitergehen. Die Wir setzen die Beratungen fort. Zeit geht voran. Aus diesem Grunde werden Herr Staatssekretär a. D. Rawe — mit dem ich mir darin *) Anlage 2 und 3 (Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll) einig bin — und ich diesem Gesetz zustimmen. **) Seite 20828 B 20828 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Vizepräsident Hans Klein Endgültiges Ergebnis Glos, Michael Meine Damen und Herren, bitte nehmen Sie Platz, Göttsching, Martin weil wir weiter abstimmen. Abgegebene Stimmen: 583; Dr. Götzer, Wolfgang Wir kommen zur Abstimmung über die von den davon: Gres, Joachim Grochtmann, Elisabeth Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. sowie der ja: 470 Grotz, Claus-Peter Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwürfe zur Dr. Grünewald, Joachim Neuordnung des Postwesens und der Telekommuni- nein: 92 Günther (Duisburg), Horst kation — Drucksachen 12/6718, 12/7270 und 12/8060 enthalten: 21 Frhr. von Hammerstein, Carl-Detlev Nr. I 1. Absatz. Harries, Klaus Der Ausschuß für Post und Telekommunikation Haschke (Großhennersdorf), empfiehlt, die Gesetzentwürfe zusammenzuführen Gottfried Ja Haschke (Jena), Udo und in der Ausschußfassung anzunehmen. Hasselfeldt, Gerda Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf mit den CDU/CSU Haungs, Rainer beiden vom Berichterstatter vorgetragenen Berichti- Hauser (Esslingen), Otto Dr. Ackermann, Else Hauser (Rednitzhembach), gungen in der Ausschußfassung zustimmen wollen, Adam, Ulrich Hansgeorg um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer Dr. Altherr, Walter Franz Hedrich, Klaus-Jürgen enthält sich der Stimme? — Der Gesetzentwurf ist Augustin, Anneliese Heise, Manfred damit in zweiter Beratung angenommen. Augustinowitz, Jürgen Dr. Hellwig, Renate Austermann, Dietrich Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Wir kommen zur Bargfrede, Heinz-Günter Dr. Herr, Norbert Dr. Bauer, Wolf Hiebing, Maria Anna dritten Beratung Baumeister, Brigitte Hinsken, Ernst und Schlußabstimmung. Ich bitte die Kolleginnen und Belle, Meinrad Hintze, Peter Hörsken, Heinz-Adolf Kollegen, die dem Gesetzentwurf zustimmen, sich zu Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Bierling, Hans-Dirk Hörster, Joachim erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Blank, Renate Dr. Hoffacker, Paul Gesetzentwurf ist mit großer Mehrheit bei zahlreichen Dr. Blens, Heribert Hollerith, Josef Gegenstimmen von SPD und PDS/Linke Liste und Bleser, Peter Dr. Hornhues, Karl-Heinz Hornung, Siegfried einigen Enthaltungen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE Dr. Blüm, Norbert Dr. Böhmer, Maria Hüppe, Hubert GRÜNEN angenommen. Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Jäger, Claus Dr. Bötsch, Wolfgang Jaffke, Susanne Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Aus- Dr. Jahn (Münster), schusses für Post und Telekommunikation zu dem Bohl, Friedrich Bohlsen, Wilfried Friedrich-Adolf Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Borchert, Jochen Janovsky, Georg Postverfassungsgesetzes, Drucksache 12/8060 I Brähmig, Klaus Jeltsch, Karin Breuer, Paul Dr. Jobst, Dionys Abs. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf Dr.-Ing. Jork, Rainer Brunnhuber, Georg auf Drucksache 12/4329 für erledigt zu erklären. Wer Dr. Jüttner, Egon Büttner (Schönebeck), stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegen- Hartmut Jung (Limburg), Michael probe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung Buwitt, Dankward Junghanns, Ulrich Dr. Kahl, Harald ist angenommen. Carstens (Emstek), Manfred Kampeter, Steffen Carstensen (Nordstrand), Dr. n-Ing. Kansy, Dietmar Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Aus- Peter Harry Karwatzki, Irmgard schusses für Post und Telekommunikation zu dem Dehnel, Wolfgang Kauder, Volker Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste zur Reform der Dempwolf, Gertrud Keller, Peter Deutschen Bundespost, Drucksache 12/8060 I Abs. 3. Deres, Karl Kiechle, Ignaz Deß, Albert Klein (Bremen), Günter Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache Diemers, Renate 12/6635 abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschluß- Klein (München), Hans Dörflinger, Werner Klinkert, Ulrich empfehlung zu? — Wer stimmt dagegen? — Enthal- Doss, Hansjürgen Köhler (Hainspitz), tungen? -- Die Beschlußempfehlung ist angenom- Dr. Dregger, Alfred Hans-Ulrich men. Echternach, Jürgen Dr. Köhler (Wolfsburg), Ehlers, Wolfgang Volkmar Der Ausschuß für Post und Telekommunikation Ehrbar, Udo Kolbe, Manfred empfiehlt unter II seiner Beschlußempfehlung die Eichhorn, Maria Kors, Eva-Maria Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Engelmann, Wolfgang Koschyk, Hartmut Eppelmann, Rainer Kossendey, Thomas Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltun- Erler (Waldbrunn), Wolfgang Kraus, Rudolf gen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Eylmann, Horst Krause (Dessau), Wolfgang Eymer, Anke Der Ausschuß für Post und Telekommunikation Krey, Franz Heinrich Falk, Ilse Kriedner, Arnulf empfiehlt unter III seiner Beschlußempfehlung auf Dr. Faltlhauser, Kurt Kronberg, Heinz-Jürgen Drucksache 12/8060 Erklärungen der Bundesregie- Feilcke, Jochen Dr.-Ing. Krüger, Paul rung zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Dr. Fell, Karl H. Krziskewitz, Reiner Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Fockenberg, Winfried Lamers, Karl Francke (Hamburg), Klaus Dr. Lamme rt , Norbert Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfeh- Frankenhauser, Herbert Lamp, Helmut lung ist angenommen. Dr. Friedrich, Gerhard Lattmann, Herbert Meine Damen und Herren, ich gebe das von den Fritz, Erich G. Dr. Laufs, Paul Fuchtel, Hans-Joachim Laumann, Karl-Josef Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Er- Ganz (St. Wendel), Johannes Lenzer, Christian gebnis der namentlichen Abstimmung über den Dr. Geiger (Darmstadt), Sissy Dr. Lieberoth, Immo Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes auf Geis, Norbert Limbach, Editha den Drucksachen 12/6717, 12/7269 und 12/8108 Dr. Geißler, Heiner Link (Diepholz), Walter Dr. von Geldern, Wolfgang Lintner, Eduard bekannt. Abgegebene Stimmen: 586. Mit Ja haben Gerster (Mainz), Johannes Dr. Lippold (Offenbach), gestimmt 472, mit Nein 93, Enthaltungen 21. Gibtner, Horst Klaus W. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20829

Vizepräsident Hans Klein Dr. Lischewski, Manfred Schmidt (Mülheim), Andreas Bock, Thea Schütz, Dietmar Löwisch, Sigrun Schmidt (Spiesen), Trudi Börnsen (Ritterhude), Arne Dr. Schuster, R. Werner Lohmann (Lüdenscheid), Schmitz (Baesweiler), Brandt-Elsweier, Anni Schwanhold, Ernst Wolfgang Hans Peter Dr. Brecht, Eberhard Schwanitz, Rolf Lummer, Heinrich von Schmude, Michael Büchner (Speyer), Peter Seidenthal, Bodo Dr. Luther, Michael Dr. Schneider (Nürnberg), Dr. von Bülow, Andreas Seuster, Lisa Maaß (Wilhelmshaven), Erich Oscar Burchardt, Ursula Sielaff, Horst Männle, Ursula Dr. Schockenhoff, Andreas Bury, Hans Martin Singer, Johannes Magin, Theo Graf von Schönburg - Caspers-Merk, Marion Sorge, Wieland Dr. Mahlo, Dietrich Glauchau, Joachim Conradi, Peter Dr. Sperling, Dietrich Marienfeld, Claire Dr. Scholz, Rupert Daubertshäuser, Klaus Dr. Struck, Peter Marschewski, Erwin Frhr. von Schorlemer, Dr. Diederich (Berlin), Nils Dr. Thalheim, Gerald Dr. Mayer (Siegertsbrunn), Reinhard Diller, Karl Thierse, Wolfgang Martin Schulhoff, Wolfgang Dr. Ehmke (Bonn), Horst Vergin, Siegfried Meckelburg, Wolfgang Dr. Schulte (Schwäbisch Eich, Ludwig Verheugen, Günter Meinl, Rudolf Gmünd), Dieter Dr. Elmer, Konrad Dr. Vogel, Hans-Jochen Dr. Merkel, Angela Schulz (Leipzig), Gerhard Esters, Helmut Vosen, Josef Michalk, Maria Schwalbe, Clemens Ewen, Carl Wallow, Hans Michels, Meinolf Schwarz, Stefan Fischer (Gräfenhainichen), Waltemathe, Ernst Dr. Möller, Franz Dr. Schwarz-Schilling, Evelin Walter (Cochem), Ralf Müller (Kirchheim), Elmar Christian Formanski, Norbert Walther (Zierenberg), Rudi Müller (Wesseling), Alfons Dr. Schwörer, Hermann Fuchs (Köln), Anke Wartenberg (Berlin), Gerd Nelle, Engelbert Seehofer, Horst Ganseforth, Monika Weißgerber, Gunter Dr. Neuling, Christian Seesing, Heinrich Dr. Gautier, Fritz Welt, Jochen Neumann (Bremen), Bernd Seibel, Wilfried Gleicke, Iris Dr. Wernitz, Axel Niedenthal, Erhard Seiters, Rudolf Dr. Glotz, Peter Wettich-Danielmeier, Inge Nitsch, Johannes Sikora, Jürgen Graf, Günter Weyel, Gudrun Nolte, Claudia Skowron, Werner H. Großmann, Achim Wieczorek (Duisburg), Helmut Dr. Olderog, Rolf Sothmann, Bärbel Haack (Extertal), Wimmer (Neuötting), Ost, Friedhelm Spranger, Carl-Dieter Karl Hermann Hermann Oswald, Eduard Dr. Sprung, Rudolf Hacker, Hans-Joachim Dr. de With, Hans Otto (Erfurt), Norbert Steinbach-Hermann, Erika Hämmerle, Gerlinde Wohlleben, Verena Dr. Päselt, Gerhard Dr. Stercken, Hans Hampel, Manfred Zapf, Uta Dr. Paziorek, Peter Dr. Frhr. von Stetten, Hanewinckel, Christel Dr. Zöpel, Christoph Pesch, Hans-Wilhelm Wolfgang Hasenfratz, Klaus Petzold, Ulrich Stockhausen, Karl Dr. Hauchler, Ingomar Pfeifer, Anton Dr. Stoltenberg, Gerhard Heistermann, Dieter F.D.P. Dr. Pfennig, Gero Strube, Hans-Gerd Dr. Holtz, Uwe Dr. Pflüger, Friedbert Stübgen, Michael Horn, Erwin Albowitz, Ina Dr. Pinger, Winfried Dr. Süssmuth, Rita Huonker, Gunter Dr. Babel, Gisela Pofalla, Ronald Susset, Egon Iwersen, Gabriele Baum, Gerhart Rudolf Dr. Pohler, Hermann Szwed, Dorothea Jäger, Renate Dr. Blunk (Lübeck), Michaela Priebus, Rosemarie Tillmann, Ferdi Dr. Jens, Uwe Eimer (Fürth), Norbert Dr. Protzner, Bernd Dr. Töpfer, Klaus Kastner, Susanne Engelhard, Hans A. Pützhofen, Dieter Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Kemper, Hans-Peter van Essen, Jörg Rahardt-Vahldieck, Susanne Verhülsdonk, Roswitha Klappert, Marianne Dr. Feldmann, Olaf Raidel, Hans Vogt (Düren), Wolfgang Klose, Hans-Ulrich Friedhoff, Paul K. Dr. Ramsauer, Peter Dr. Voigt (Northeim), Dr. Knaape, Hans-Hinrich Friedrich, Horst Rau, Rolf Hans-Peter Körper, Fritz Rudolf Funke, Rainer Rauen, Peter Harald Dr. Vondran, Ruprecht Koltzsch, Rolf Gallus, Georg Rawe, Wilhelm Dr. Waffenschmidt, Horst Kretkowski, Volkmar Ganschow, Jörg Reichenbach, Klaus Dr. Waigel, Theodor Dr. Küster, Uwe Gries, Ekkehard Reinhardt, Erika Graf von Waldburg-Zeil, Alois Lange, Brigitte Grünbeck, Josef Repnik, Hans-Peter Dr. Warnke, Jürgen Leidinger, Robert Grüner, Martin Dr. Rieder, Norbert Dr. Warrikoff, Alexander Lennartz, Klaus Günther (Plauen), Joachim Riegert, Klaus Werner (Ulm), Herbert Lohmann (Witten), Klaus Dr. Guttmacher, Karlheinz Dr. Riesenhuber, Heinz Wetzel, Kersten Matthäus-Maier, Ingrid Hansen, Dirk Ringkamp, Werner Wiechatzek, Gabriele Meckel, Markus Dr. Haussmann, Helmut Rode (Wietzen), Helmut Dr. Wilms, Dorothee Meißner, Herbert Heinrich, Ulrich Rönsch (Wiesbaden), Wilz, Bernd Dr. Mertens (Bottrop), Dr. Hirsch, Burkhard Hannelore Wimmer (Neuss), Willy Franz-Josef Dr. Hitschler, Walter Romer, Franz Dr. Wisniewski, Roswitha Dr. Meyer (Ulm), Jürgen Homburger, Birgit Dr. Rose, Klaus Dr. Wittmann, Fritz Mosdorf, Siegmar Dr. Hoth, Sigrid Rossmanith, Kurt J. Wittmann (Tännesberg), Müller (Schweinfurt), Rudolf Dr. Hoyer, Werner Roth (Gießen), Adolf Simon Müller (Zittau), Christian Irmer, Ulrich Rother, Heinz Wonneberger, Michael Neumann (Gotha), Gerhard Dr. Jordan, Jens Dr. Ruck, Christian Wülfing, Elke Odendahl, Doris Kleinert (Hannover), Detlef Rühe, Volker Würzbach, Peter Kurt Dr. Otto, Helga Kohn, Roland Dr. Rüttgers, Jürgen Yzer, Cornelia Palis, Kurt Dr. Kolb, Heinrich L. Sauer (Salzgitter), Helmut Zeitlmann, Wolfgang Dr. Penner, Willfried Koppelin, Jürgen Sauer (Stuttga rt), Roland Zöller, Wolfgang Poß, Joachim Dr. -Ing. Laermann, Karl-Hans Schätzle, Ortrun Rappe (Hildesheim), Hermann Dr. Graf Lambsdorff, Otto Dr. Schäuble, Wolfgang von Renesse, Margot Leutheusser-Schnarrenberger, Schell, Manfred SPD Schaich-Walch, Gudrun Sabine Schemken, Heinz Schanz, Dieter Lüder, Wolfgang Scheu, Gerhard Andres, Gerd Schily, Otto Lühr, Uwe Schmalz, Ulrich Bachmaier, Hermann Schloten, Dieter Dr. Menzel, Bruno Schmidbauer, Bernd Bartsch, Holger Schluckebier, Günter Mischnick, Wolfgang Dr. Schmidt, Christa Becker (Nienberge), Helmuth Schmidt (Aachen), Ursula Nolting, Günther Friedrich Schmidt (Fürth), Christian Berger, Hans Dr. Schmude, Jürgen Dr. Ortleb, Rainer Dr. -Ing. Schmidt (Halsbrücke), Bernrath, Hans Gottfried Dr. Schnell, Emil Otto (Frankfurt), Joachim Beucher, Friedhelm Julius Schöler, Walter Hans-Joachim 20830 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Vizepräsident Hans Klein Paintner, Johann Opel, Manfred Klemmer, Siegrun BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Parr, Detlef Paterna, Peter Kolbe, Regina Peters, Lisa Peter (Kassel), Horst Kuhlwein, Eckart Poppe, Gerd Dr. Pohl, Eva Dr. Pick, Eckhart Mehl, Ulrike Dr. Ullmann, Wolfgang Richter (Bremerhaven), Rennebach, Renate Müller (Düsseldorf), Michael Wollenberger, Vera Manfred Reschke, Otto Dr. Niese, Rolf Rind, Hermann Reuschenbach, Peter W. Oostergetelo, Jan Dr. Röhl, Klaus Reuter, Bernd Scheffler, Siegfried Fraktionslos Schäfer (Mainz), Helmut Rixe, Günter Schröter, Gisela Schmalz-Jacobsen, Cornelia Schmidbauer (Nürnberg), Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Lowack, Ortwin Schmidt (Dresden), Arno Horst Dr. Schmieder, Jürgen Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Dr. Schnittler, Christoph Schmidt-Zadel, Regina Schüßler, Gerhard Dr. Schöfberger, Rudolf Dr. Schwaetzer, Irmgard Schreiner, Ottmar Sehn, Marita Schulte (Hameln), Brigitte Der Gesetzentwurf ist mit der erforderlichen Mehrheit Seiler-Albring, Ursula Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid angenommen. Dr. Semper, Sigrid Steen, Antje-Marie Dr. Solms, Hermann Otto Stiegler, Ludwig (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Dr. Starnick, Jürgen Tappe, Joachim sowie bei Abgeordneten der SPD) Thiele, Carl-Ludwig Terborg, Margitta Dr. Thomae, Dieter Titze-Stecher, Uta Timm, Jurgen Toetemeyer, Hans-Günther Türk, Jürgen Urbaniak, Hans-Eberhard Walz, Ingrid Voigt (Frankfurt), Karsten D. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19r auf: Dr. Weng (Gerlingen), Wagner, Hans Georg Wolfgang Dr. Wegner, Konstanze Zweite Beratung und Schlußabstimmung des Würfel, Uta Weiermann, Wolfgang von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Zurheide, Burkhard Weiler, Barbara wurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom Zywietz, Werner Weisheit, Matthias Weisskirchen (Wiesloch), Gert 24./25. Juni 1994 über den Beitritt des König- Westrich, Lydia reichs Norwegen, der Republik Österreich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Wetzel, Margrit der Republik Finnland und des Königreichs Wieczorek-Zeul, Heidemarie Schweden zur Europäischen Union Schulz (Berlin), Werner Wittich, Berthold Weiß (Berlin), Konrad Wolf, Hanna — Drucksache 7977 — (Erste Beratung 237. Sitzung) Nein PDS/Linke Liste Beschlußempfehlung und Bericht des Auswär- tigen Ausschusses (3. Ausschuß) SPD Bläss, Petra Dr. Fischer, Ursula — Drucksache 12/8188 — Adler, Brigitte Dr. Fuchs, Ruth Berichterstattung: Becker-Inglau, Ingrid Dr. Gysi, Gregor Abgeordnete Ulrich Irmer Bindig, Rudolf Henn, Bernd Blunck (Uetersen), Lieselott Dr. Heuer, Uwe-Jens Dieter Schloten Dr. Böhme (Unna), Ulrich Dr. Höll, Barbara Claus-Peter Grotz Jelpke, Ulla Büchler (Hof), Hans Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Büttner (Ingolstadt), Hans Dr. Keller, Dietmar Bulmahn, Edelgard Lederer, Andrea Die Kollegin Heidemarie Wieczorek-Zeul hat für Dreßler, Rudolf Dr. Modrow, Hans die Fraktion der SPD eine schriftliche Erklärung zu Duve, Freimut Philipp, Ingeborg Ebert, Eike Dr. Schumann (Kroppenstedt), Protokoll gegeben.*) Dr. Eckardt, Peter Fritz Wir kommen zur Abstimmung. Die Fraktion der Erler, Dr. Seifert , Ilja Gernot SPD verlangt namentliche Abstimmung. Fischer (Homburg), Lothar Fuhrmann, Arne Ich eröffne die Abstimmung. Gilges, Konrad BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Hartenstein, Liesel Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das Janz, Ilse Dr. Feige, Klaus-Dieter seine Stimme nicht abgegeben hat? — Sind alle Dr. Janzen, Ulrich Köppe, Ingrid Stimmen abgegeben? — Das ist offensichtlich der Fall. Jungmann (Wittmoldt), Horst Kirschner, Klaus Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Fraktionslos rer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis Kolbow, Walter wird Ihnen später bekanntgegeben.**) Kubatschka, Horst Dr. Briefs, Ulrich Dr. Kübler, Klaus Schenk, Christina Jetzt, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, Kuessner, Hinrich müssen wir ein etwas ungewöhnliches Verfahren Lambinus, Uwe vornehmen. Es liegt auch noch eine Beschlußempfeh- von Larcher, Detlev lung zu dieser Abstimmung vor, die aber erst jetzt Dr. Leonhard, Elke Enthalten Lörcher, Christa eingegangen und auch noch nicht verteilt ist. Ich stelle Dr. Lucyga, Christine SPD die Frage, ob Sie damit einverstanden sind, daß wir Maaß (Herne), Dieter über die Beschlußempfehlung, nachdem ich sie Ihnen Marx, Don e Barbe, Angelika vorgelesen habe, abstimmen. Besteht damit Einver- Mascher, Ulrike Catenhusen, Wolf-Michael Mattischeck, Heide Dr. Dobberthien, Marliese ständnis? — Es erhebt sich kein Widerspruch, dann ist Müller (Pleisweiler), Albrecht Gansel, Norbert das so beschlossen. Neumann (Bramsche), Volker Heyenn, Günther Hiller Dr. Niehuis, Edith (Lübeck), Reinhold *) Anlage 4 (Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll) Oesinghaus, Ibrügger, Lothar Günter **) Seite 20835 B Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20831

Vizepräsident Hans Klein Der Text lautet: d) Beratung des Antrags der Fraktion der Der Deutsche Bundestag stellt fest, daß die ver- SPD fassungsrechtliche Grundlage für die Ratifizie- Verbot von Landminen und die Unterstüt- rung Art. 59 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes ist. zung der Länder der „Dritten Welt" bei der Durch den Beitritt Norwegens, Österreichs, Finn- Lösung ihrer Probleme durch Minen und lands und Schwedens zur Europäischen Union andere gefährliche Munition werden weder Hoheitsrechte übertragen noch — Drucksache 12/8031 Änderungen der vertraglichen Grundlage der —Überweisungsvorschlag: Europäischen Union oder vergleichbare Ände- Verteidigungsausschuß (federführend) rungen vorgenommen, durch die das Grundge- Auswärtiger Ausschuß setz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ZP6 Weitere Überweisungen im vereinfachten ermöglicht werden. Des weiteren wird ein erneu- Verfahren ter Zustimmungsbedarf des Bundesrates auch a) Erste Beratung des von der Bundesregie- insofern nicht ausgelöst, als der Vertrag über die rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Europäische Union allen europäischen Staaten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Beitritt eröffnet und diese Perspektive von die elektromagnetische Verträglichkeit Bundestag und Bundesrat bereits mit verfas- von Geräten (1. EMVGÄndG) sungsändernden Mehrheiten gebilligt worden — Drucksache 12/8006 — ist. Überweisungsvorschlag: Nimmt das Haus diesen Entschließungsantrag an? Ausschuß für Post und Telekommunikation (federfüh- Ich bitte um das Handzeichen. — Wer lehnt ihn ab? — rend) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher Wer enthält sich der Stimme? — Der Entschließungs- heit antrag ist angenommen. Eine Debatte ist nicht vorgesehen. Interfraktionell ist vereinbart worden, den heute Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen morgen aufgesetzten Zusatzpunkt 6b wieder von der an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse Tagesordnung abzusetzen. Es handelt sich um den zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Antrag der Fraktion der SPD zu einem Luftfahrtfor- Dies ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überwei- schungsprogramm auf Drucksache 12/8155. Sind Sie sungen so beschlossen. mit der Absetzung einverstanden? Es erhebt sich - kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19a bis d, 19 f bis q, 8 a und b sowie Zusatzpunkt 7 a bis h auf: Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18a, b und d 19. Abschließende Beratungen ohne Aussprache sowie den Zusatzpunkt 6 a auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der 18. Überweisungen im vereinfachten Verfahren Bundesregierung eingebrachten Entwurfs a) Erste Beratung des von der Bundesregie- eines Gesetzes zur Bewertung eines Land- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- oder forstwirtschaftlichen Betriebes beim zes zu den Protokollen vom 19. Dezember Zugewinnausgleich 1988 betreffend die Auslegung des Über- — Drucksache 12/7134 — einkommens vom 19. Juni 1980 über das (Erste Beratung 228. Sitzung) auf vertragliche Schuldverhältnisse anzu- Beschlußempfehlung und Bericht des wendende Recht durch den Gerichtshof der Rechtsausschusses (6. Ausschuß) Europäischen Gemeinschaften sowie zur — Drucksache 12/8140 — Übertragung bestimmter Zuständigkeiten für die Auslegung dieses Übereinkommens Berichterstattung: auf den Gerichtshof der Europäischen Abgeordnete Margot von Renesse Gemeinschaften Dr. Wolfgang Frhr. von Stetten — Drucksache 12/7979 — b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Überweisungsvorschlag: eines Gesetzes zur Änderung des Zeitgeset- Rechtsausschuß zes b) Erste Beratung des von der Bundesregie- — Drucksache 12/7631 — rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- (Erste Beratung 233. Sitzung) zes zu dem Übereinkommen vom 6. Novem- ber 1992 über den Beitritt der Griechischen Beschlußempfehlung und Bericht des In- Republik zu dem Schengener Übereinkom- nenausschusses (4. Ausschuß) men vom 19. Juni 1990 — Drucksache 12/8131 — (Gesetz zum Beitritt der Griechischen Berichterstattung: Republik zum Schengener Übereinkom- Abgeordnete Gerd Wartenberg (Berlin) men) Wolfgang Lüder — Drucksache 12/8048 — Überweisungsvorschlag: c) Zweite und dritte Beratung des vom Bun- Innenausschuß (federführend) desrat eingebrachten Entwurfs eines Geset- Auswärtiger Ausschuß zes zur Änderung des Flurbereinigungsge- EG-Ausschuß setzes (FlurbG) 20832 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Vizepräsident Hans Klein — Drucksache 12/7909 — Gerd Wartenberg (Berlin) (Erste Beratung 233. Sitzung) Dr. Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- bb) Bericht des Haushaltsausschusses schusses für Ernährung, Landwirtschaft und (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- Forsten (10. Ausschuß) schäftsordnung — Drucksache 12/8138 — — Drucksache 12/8135 — Berichterstattung: Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Hornung Abgeordnete Karl Deres Rudolf Müller (Schweinfurt) Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) d) Zweite und dritte Beratung des von der Manfred Hampel Bundesregierung eingebrachten Entwurfs h) Zweite und dritte Beratung des von den eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. Straßenverkehrsunfallstatistikgesetzes eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur — Drucksache 12/7522 — Aussetzung der Vorschriften über die (Erste Beratung 230. Sitzung) repräsentative Wahlstatistik für die Wahl zum 13. Deutschen Bundestag Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr (16. Ausschuß) — Drucksache 12/8152 — — Drucksache 12/8116 — Beschlußempfehlung und Bericht des In- nenausschusses (4. Ausschuß) Berichterstattung: Abgeordneter Wolfgang Börnsen (Bön- — Drucksache 12/8193 — strup) Berichterstattung: Abgeordnete Gerd Wartenberg (Berlin) f) Zweite und dritte Beratung des von den Dr. Burkhard Hirsch Abgeordneten Renate Blank, Georg Brunn- Franz Heinri ch Krey huber, Gernot Erler, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion der CDU/CSU sowie i) Beratung des Antrags der Abgeordneten den Abgeordneten Ekkehard Gries, Man- Horst Sielaff, Lothar Ibrügger, Marianne fred Richter (Bremerhaven), Roland Kohn, Klappert, weiterer Abgeordneter und der weiteren Abgeordneten und der Fraktion Fraktion der SPD der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Verlängerung des Moratoriums für die- Zweiten Gesetzes zur Änderung des Geset- Zulassung von Rinder-Somatotropin zes zur Übernahme der Beamten und (rBST) Arbeitnehmer der Bundesanstalt für Flug- — Drucksache 12/7972 — sicherung — Drucksache 12/8038 — j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (Erste Beratung 235. Sitzung) (9. Ausschuß) zu der Verordnung der Bun- aa) Beschlußempfehlung und Bericht des desregierung Ausschusses für Verkehr (16. Aus- Aufhebbare Dreiunddreißigste Verord- schuß) nung zur Änderung der Außenwirtschafts- — Drucksache 12/8115 — verordnung Berichterstattung: — Drucksachen 12/7492, 12/8121 — Abgeordneter Ferdi Tillmann Berichterstattung: bb) Bericht des Haushaltsausschusses Abgeordneter Erich G. Fritz (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- k) Beratung der Beschlußempfehlung und des schäftsordnung Berichts des Ausschusses für Fremdenver- — Drucksache 12/8203 — kehr und Tourismus (23. Ausschuß) zu dem Berichterstattung: Antrag der Abgeordneten Carl Ewen, Abgeordnete Ernst Waltemathe Robert Antretter, Friedhelm Julius Beucher, Dr. Klaus Rose weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Werner Zywietz SPD Förderung des Fahrradtourismus g) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. — Drucksachen 12/3035, 12/7363 — eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Berichterstattung: über die Errichtung einer Bundeskanzler Abgeordnete Wolfgang Börnsen (Bön- Willy-Brandt-Stiftung strup) — Drucksache 12/7880 — Klaus Lohmann (Witten) Dr. Michaela Blunk (Lübeck) (Erste Beratung 233. Sitzung) 1) Beratung der Beschlußempfehlung und des aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Berichts des Ausschusses für Verkehr Innenausschusses (4. Ausschuß) (16. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeord- - Drucksache 12/8134 — neten Carl Ewen, Robert Antretter, Holger Berichterstattung: Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Abgeordnete Erwin Marschewski Fraktion der SPD Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20833

Vizepräsident Hans Klein Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der q) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- deutschen Binnenschiffahrt tionsausschusses (2. Ausschuß) — Drucksachen 12/6221, 12/6611 — Sammelübersicht 159 zu Petitionen Berichterstattung: — Drucksache- 12/8091 Abgeordnete Renate Blank 8. a) Zweite und dritte Beratung des von den m) Beratung der Beschlußempfehlung und des Abgeordneten Maria Michalk, Michael Berichts des Ausschusses für Forschung, Wonneberger, Udo Haschke (Jena), weite- Technologie und Technikfolgenabschät- ren Abgeordneten und der Fraktion der zung (20. Ausschuß) zu dem Antrag der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Dr. Gi- Abgeordneten Monika Ganseforth, Her- sela Babel, Dieter-Julius Cronenberg (Arns- mann Bachmaier, Holger Bartsch, weiterer berg), Ulrich Heinrich und der Fraktion der Abgeordneter und der Fraktion der SPD F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung der Verordnung über die Kündigung des deutsch-brasilianischen Abkommens über Zusammenarbeit auf Gewährung von Vorruhestandsgeld dem Gebiet der friedlichen Nutzung der — Drucksache 12/8039 — Kernenergie (Erste Beratung 235. Sitzung) — Drucksachen 12/6881, 12/8067 — aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Berichterstattung: Ausschusses für Arbeit und Sozialord- Abgeordnete Heinrich Seesing nung (11. Ausschuß) Horst Kubatschka — Drucksache 12/8170 — Jürgen Timm Berichterstattung: Abgeordneter Claus Jäger n) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche bb) Bericht des Haushaltsausschusses Zusammenarbeit (22. Ausschuß) zu dem (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- Antrag der Abgeordneten Dr. R. Werner schäftsordnung Schuster, Dr. Uwe Holtz, , — Drucksache 12/8202 — weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Berichterstattung: SPD Abgeordnete Stärkung der kommunalen Nord-Süd- Hans-Gerd Strube - Arbeit — Förderung der Lokalen Ina Albowitz Agenda 21 — Umsetzung der Charta von Berlin b) Beratung des Antrags der Abgeordneten — Drucksachen 12/6263, 12/8064 — Petra Bläss, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke Liste Berichterstattung: Abgeordnete Ulrich Schmalz Verlängerung der Bezugsdauer für Alters- Dr. R. Werner Schuster übergangsgeld Ingrid Walz — Drucksache 12/8037 — ZP7 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus- Beratung der Beschlußempfehlung und des o) sprache Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit (22. Ausschuß) zu dem a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Pin- von der Bundesregierung eingebrachten Ent- ger, Anneliese Augustin, Klaus-Jürgen wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen Hedrich, weiterer Abgeordneter und der vom 7. September 1993 zwischen der Regie- Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeord- rung der Bundesrepublik Deutschland und neten Ul ri ch Irmer, Ingrid Walz, Dr. Mi- der Regierung Seiner Majestät des Sultans chaela Blunk (Lübeck), weiterer Abgeord- und Yang Di-Pertuan von Brunei Darussa- neter und der Fraktion der F.D.P. lam über den Luftverkehr Aufbau und Stärkung kommunaler Selbst- — Drucksache 12/7496 — verwaltungsstrukturen in Entwicklungs- (Erste Beratung 230. Sitzung) ländern zur Förderung von regionaler und Beschlußempfehlung und Bericht des Aus lokaler Selbsthilfe schusses für Verkehr (16. Ausschuß) — Drucksachen 12/6727, 12/8021 — — Drucksache 12/8112 — Berichterstattung: Berichterstattung: Abgeordnete Ulrich Schmalz Abgeordneter Ferdinand Tillmann Dr. R. Werner Schuster Ingrid Walz b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- p) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen tionsausschusses (2. Ausschuß) vom 23. April 1993 zwischen der Bundesre- Sammelübersicht 149 zu Petitionen publik Deutschland und der Republik Polen (Verwendung von neuen Zusatzstoffen auf über den Autobahnzusammenschluß im dem deutschen Lebensmittelmarkt infolge Raum Frankfurt/Oder und Schwetig von Regelungen der Europäischen Union) — Drucksache 12/7495 — — Drucksache 12/7336 — (Erste Beratung 230. Sitzung) 20834 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Vizepräsident Hans Klein aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ullmann, Konrad Weiß (Berlin) und der Ausschusses für Verkehr (16. Aus- Gruppe schuß) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten — Drucksache 12/8113 — Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Berichterstattung: Bannmeilengesetzes Abgeordneter Dr. Klaus Röhl — Drucksache 12/4530 — bb) Bericht des Haushaltsausschusses (Erste Beratung 155. Sitzung) (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- schäftsordnung schusses für Wahlprüfung, Immunität und — Drucksache 12/8141 — Geschäftsordnung (1. Ausschuß) Berichterstattung: — Drucksache 12/7857 — Abgeordnete Ernst Waltemathe Berichterstattung: Wilfried Bohlsen Abgeordnete Anni Brand-Elsweier Werner Zywietz Dr. c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung g) Beratung der Beschlußempfehlung des des von der Bundesregierung eingebrach- Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Unterrichtung durch die Bundesregierung Abkommen vom 5. April 1993 zwischen der Außerplanmäßige Ausgabe im Haushalts- Regierung der Bundesrepublik Deutsch- jahr 1994 bei Kapitel 60 02 Titel apl. 652 01 land und der Regierung der Republik Lett- — Soforthilfe des Bundes für die von Hoch- land über die Seeschiffahrt wasserschäden betroffenen Länder Sach- — Drucksache 12/7769 — sen-Anhalt und Thüringen — (Erste Beratung 233. Sitzung) — Drucksachen 12/7533, 12/8103 — Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- Berichterstattung: schusses für Verkehr (16. Ausschuß) Abgeordnete Dr. Klaus Rose — Drucksache 12/8114 — Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Helmut Wieczorek (Duisburg) Berichterstattung: Abgeordneter Carl Ewen h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Frauen und d) Zweite Beratung und Schlußabstimmung Jugend (14. Ausschuß) des von der Bundesregierung eingebrach- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Edith ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Niehuis, Dr. Sissy Geiger (Darmstadt), Uta Abkommen vom 16. Dezember 1992 zwi- Würfel, weiterer Abgeordneter und der schen der Regierung der Bundesrepublik Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. Deutschland und der Regierung der Russi- schen Föderation über die gegenseitige Frauenförderung innerhalb der Europäi- Hilfeleistung bei Katastrophen oder schwe- schen Strukturförderung ren Unglücksfällen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Edith Niehuis, Hanna Wolf, Angelika Barbe, wei- — Drucksache 12/7506 — terer Abgeordneter und der Fraktion der (Erste Beratung 233. Sitzung) SPD Beschlußempfehlung und Bericht des In- Frauenförderung innerhalb der Europäi- nenausschusses (4. Ausschuß) schen Strukturförderung — Drucksache 12/8092 — — Drucksachen 12/7504, 12/4164, Berichterstattung: 12/8142 — Abgeordnete Erika Steinbach Berichterstattung: Bernd Reuter Abgeordnete Dr. Sissy Geiger Dr. Burkhard Hirsch Hanna Wolf e) Zweite Beratung und Schlußabstimmung Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. des von der Bundesregierung eingebrach- Zur Sammelübersicht 149 des Petitionsausschusses ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Euro- — das ist Tagesordnungspunkt 19p — liegt ein Ände- päischen Übereinkommen vom 16. Okto- rungsantrag der Fraktion der SPD vor. ber 1980 über den Übergang der Verant- wortung für Flüchtlinge Ich komme zum Tagesordnungspunkt 19a. Dabei handelt es sich um die Abstimmung über den von der — Drucksache 12/6852 — Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ge- (Erste Beratung 213. Sitzung) setzes zur Bewertung eines land- und forstwirtschaft- Beschlußempfehlung und Bericht des In- lichen Betriebes beim Zugewinnausgleich auf den nenausschusses (4. Ausschuß) Drucksachen 12/7134 und 12/8140. Ich bitte diejeni- — Drucksache 12/8094 — gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung Berichterstattung: zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. — Gegen- Abgeordnete Erika Steinbach probe! — Wer enthält sich der Stimme? — Der Gesetz- Cornelia Schmalz-Jacobsen entwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Dritte Beratung f) Zweite und dritte Beratung des von den und Schlußabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Abgeordneten Ingrid Köppe, Dr. Wolfgang Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20835

Vizepräsident Hans Klein Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich seiner Deß, Albert Kiechle, Ignaz Diemers, Renate Klein (Bremen), Günter Stimme? — Der Gesetzentwurf ist angenommen. Dörflinger, Werner Klein (München), Hans Doss, Hansjürgen Klinkert, Ulrich Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 19b. Es Dr. Dregger, Alfred Köhler (Hainspitz), handelt sich um die Abstimmung über den von der Echternach, Jürgen Hans-Ulrich Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ge- Ehlers, Wolfgang Dr. Köhler (Wolfsburg), setzes zur Änderung des Zeitgesetzes auf den Druck- Ehrbar, Udo Volkmar Eichhorn, Maria Kolbe, Manfred sachen 12/7631 und 12/8131. Ich bitte diejenigen Engelmann, Wolfgang Kors, Eva-Maria Kolleginnen und Kollegen, die dem Gesetzentwurf in Eppelmann, Rainer Koschyk, Hartmut der Ausschußfassung zustimmen wollen, um ihr Erler (Waldbrunn), Wolfgang Kossendey, Thomas Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Eylmann, Horst Kraus, Rudolf Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung Eymer, Anke Krause (Dessau), Wolfgang Falk, Ilse Krey, Franz Heinrich angenommen. Dr. Faltlhauser, Kurt Kriedner, Arnulf Feilcke, Jochen Kronberg, Heinz-Jürgen Dritte Beratung Dr. Fell, Karl H. Dr.-Ing. Krüger, Paul Fockenberg, Winfried Krziskewitz, Reiner und Schlußabstimmung: Ich bitte diejenigen Kollegin- Francke (Hamburg), Klaus Lamers, Karl nen und Kollegen, die dem Gesetzentwurf zustimmen Frankenhauser, Herbert Dr. Lammert, Norbert wollen, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthal- Dr. Friedrich, Gerhard Lamp, Helmut tungen? — Der Gesetzentwurf ist angenommen. Fritz, Erich G. Lattmann, Herbert Fuchtel, Hans-Joachim Dr. Laufs, Paul Abstimmung über den von der Bundesregierung Ganz (St. Wendel), Johannes Laumann, Karl-Josef Lenzer, Christian eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Flur- Dr. Geiger (Darmstadt), Sissy Geis, Norbert Dr. Lieberoth, Immo bereinigungsgesetzes, Drucksachen 12/7909 und Dr. Geißler, Heiner Limbach, Editha 12/8138. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Dr. von Geldern, Wolfgang Link (Diepholz), Walter zustimmen, um ihr Handzeichen. — Gegenprobe! — Gerster (Mainz), Johannes Lintner, Eduard Dr. Lippold (Offenbach), Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Gibtner, Horst Glos, Michael Klaus W. Beratung angenommen. Göttsching, Martin Dr. Lischewski, Manfred Dr. Götzer, Wolfgang Löwisch, Sigrun Dritte Beratung Gres, Joachim Lohmann (Lüdenscheid), Wolfgang und Schlußabstimmung: Wer dem Gesetzentwurf Grochtmann, Elisabeth Grotz, Claus-Peter Lummer, Heinrich zustimmen will, möge sich bitte erheben. — Gegen- Dr. Grünewald, Joachim Dr. Luther, Michael probe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist Günther (Duisburg), Horst Maaß (Wilhelmshaven), Erich angenommen. Frhr. von Hammerstein, Männle, Ursula Carl-Detlev Magin, Theo Inzwischen kann ich das von den Schriftführern und Harries, Klaus Dr. Mahlo, Dietrich Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentli- Haschke (Großhennersdorf), Marienfeld, Claire Gottfried Marschewski, Erwin chen Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf der Haschke (Jena), Udo Dr. Mayer (Siegertsbrunn), Bundesregierung zu dem Vertrag vom 24./25. Juni Hasselfeldt, Gerda Martin 1994 über den Beitritt des Königreichs Norwegen, der Haungs, Rainer Meckelburg, Wolfgang Republik Österreich, der Republik Finnland und des Hauser (Esslingen), Otto Meinl, Rudolf Hauser (Rednitzhembach), Dr. Merkel, Angela Königreichs Schweden zur Europäischen Union auf Hansgeorg Michalk, Maria Drucksache 12/7977 bekanntgeben. Abgegebene Hedrich, Klaus-Jürgen Michels, Meinolf Stimmen: 573; mit Ja haben gestimmt 573, Heise, Manfred Dr. Möller, Franz Dr. Hellwig, Renate Müller (Kirchheim), Elmar (Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Müller (Wesseling), Alfons Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Herr, Norbert Nelle, Engelbert Hiebing, Maria Anna Dr. Neuling, Christian kein Nein, keine Enthaltung. Hinsken, Ernst Neumann (Bremen), Bernd Hintze, Peter Niedenthal, Erhard Hörsken, Heinz-Adolf Nitsch, Johannes Hörster, Joachim Nolte, Claudia Endgültiges Ergebnis Bierling, Hans-Dirk Dr. Hoffacker, Paul Dr. Olderog, Rolf Blank, Renate Hollerith, Josef Ost, Friedhelm Abgegebene Stimmen: 568; Dr. Blens, Heribert davon: Dr. Hornhues, Karl-Heinz Oswald, Eduard Bleser, Peter Hornung, Siegfried Otto (Erfurt), Norbert Dr. Blüm, Norbe rt ja: 568 Hüppe, Hubert Dr. Päselt, Gerhard Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Jäger, Claus Dr. Paziorek, Peter Dr. Bötsch, Wolfgang Jaffke, Susanne Pesch, Hans-Wilhelm Ja Bohl, Friedrich Dr. Jahn (Münster), Petzold, Ulrich Bohlsen, Wilfried Friedrich-Adolf Pfeifer, Anton CDU/CSU Borchert, Jochen Janovsky, Georg Dr. Pfennig, Gero Brähmig, Klaus Jeltsch, Karin Dr. Pflüger, Friedbert Dr. Ackermann, Else Breuer, Paul Dr. Jobst, Dionys Dr. Pinger, Winfried Adam, Ulrich Brunnhuber, Georg Dr.-Ing. Jork, Rainer Pofalla, Ronald Dr. Altherr, Walter Franz Büttner (Schönebeck), Dr. Jüttner, Egon Dr. Pohler, Hermann Augustin, Anneliese Hartmut Jung (Limburg), Michael Dr. Protzner, Bernd Augustinowitz, Jürgen Buwitt, Dankward Junghanns, Ulrich Pützhofen, Dieter Austermann, Dietrich Carstens (Emstek), Manfred Dr. Kahl, Harald Rahardt-Vahldieck, Susanne Bargfrede, Heinz-Günter Carstensen (Nordstrand), Kampeter, Steffen Raidel, Hans Dr. Bauer, Wolf Peter Harry Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Dr. Ramsauer, Peter Baumeister, Brigitte Dehnel, Wolfgang Karwatzki, Irmgard Rau, Rolf Belle, Meinrad Dempwolf, Gertrud Kauder, Volker Rauen, Peter Harald Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Deres, Karl Keller, Peter Rawe, Wilhelm 20836 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Vizepräsident Hans Klein Reichenbach, Klaus Dr. Warrikoff, Alexander Huonker, Gunter Dr. Schmude, Jürgen Reinhardt, Erika Werner (Ulm), Herbe rt Ibrügger, Lothar Dr. Schnell, Emil Repnik, Hans-Peter Wetzel, Kersten Iwersen, Gabriele Dr. Schöfberger, Rudolf Dr. Rieder, Norbert Wiechatzek, Gabriele Jäger, Renate Schöler, Walter Riegert, Klaus Dr. Wilms, Dorothee Janz, Ilse Schreiner, Ottmar Dr. Riesenhuber, Heinz Wilz, Bernd Dr. Janzen, Ulrich Schröter, Gisela Ringkamp, Werner Wimmer (Neuss), Willy Dr. Jens, Uwe Schütz, Dietmar Rode (Wietzen), Helmut Dr. Wisniewski, Roswitha Kastner, Susanne Schulte (Hameln), B rigitte Rönsch (Wiesbaden), Dr. Wittmann, Fritz Kemper, Hans-Peter Dr. Schuster, R. Werner Hannelore Wittmann (Tännesberg), Kirschner, Klaus Schwanhold, Ernst Romer, Franz Simon Klappert, Marianne Schwanitz, Rolf Dr. Rose, Klaus Wonneberger, Michael Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Seidenthal, Bodo Rossmanith, Kurt J. Wülfing, Elke Klemmer, Siegrun Seuster, Lisa Roth (Gießen), Adolf Würzbach, Peter Kurt Klose, Hans-Ulrich Sielaff, Horst Rother, Heinz Yzer, Cornelia Dr. Knaape, Hans-Hinrich Singer, Johannes Dr. Ruck, Christian Zeitlmann, Wolfgang Körper, Fritz Rudolf Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid Rühe, Volker Zöller, Wolfgang Kolbe, Regina Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Dr. Rüttgers, Jürgen Kolbow, Walter Dr. Sperling, Dietrich Sauer (Salzgitter), Helmut Koltzsch, Rolf Steen, Antje-Marie Sauer (Stuttgart), Roland SPD Kretkowski, Volkmar Stiegler, Ludwig Schätzle, Ortrun Kubatschka, Horst Dr. Struck, Peter Dr. Schäuble, Wolfgang Adler, Brigitte Dr. Kübler, Klaus Tappe, Joachim Schell, Manfred Andres, Gerd Kuessner, Hinrich Terborg, Margitta Schemken, Heinz Bachmaier, Hermann Dr. Küster, Uwe Dr. Thalheim, Gerald Scheu, Gerhard Barbe, Angelika Kuhlwein, Eckart Thierse, Wolfgang Schmidbauer, Bernd Bartsch, Holger Lambinus, Uwe Titze-Stecher, Uta Dr. Schmidt, Christa Becker (Nienberge), Helmuth Lange, Brigitte Toetemeyer, Hans-Günther Schmidt (Fürth), Christian Becker-Inglau, Ingrid von Larcher, Detlev Urbaniak, Hans-Eberhard Dr. -Ing. Schmidt (Halsbrücke), Berger, Hans Leidinger, Robert Vergin, Siegfried Joachim Beucher, Friedhelm Julius Lennartz, Klaus Verheugen, Günter Schmidt (Mülheim), Andreas Bindig, Rudolf Dr. Leonhard-Schmid, Elke Dr. Vogel, Hans-Jochen Schmidt (Spiesen), Trudi Blunck (Uetersen), Lieselott Lörcher, Christa Voigt (Frankfurt), Karsten D. Schmitz (Baesweiler), Bock, Thea Lohmann (Witten), Klaus Vosen, Josef Hans Peter Dr. Böhme (Unna), Ulrich Dr. Lucyga, Christine Wagner, Hans Georg von Schmude, Michael Börnsen (Ritterhude), Arne Maaß (Herne), Dieter Wallow, Hans Dr. Schockenhoff, Andreas Brandt-Elsweier, Anni Marx, Dorle Waltemathe, Ernst Graf von Schönburg - Dr. Brecht, Eberhard Mascher, Ulrike Walter (Cochem), Ralf Glauchau, Joachim Büchler (Hof), Hans Matthäus-Maier, Ingrid Walther (Zierenberg), Rudi Dr. Schotz, Rupert Büchner (Speyer), Peter Mattischeck, Heide Wartenberg (Berlin), Gerd Frhr. von Schorlemer, Dr. von Bülow, Andreas Meckel, Markus Dr. Wegner, Konstanze Reinhard Büttner (Ingolstadt), Hans Mehl, Ulrike Weiermann, Wolfgang Schulhoff, Wolfgang Bulmahn, Edelgard Meißner, Herbert Weiler, Barbara Dr. Schulte (Schwäbisch Burchardt, Ursula Dr. Mertens (Bottrop), Weisheit, Matthias Gmünd), Dieter Bury, Hans Martin Franz-Josef Weißgerber, Gunter Schulz (Leipzig), Gerhard Caspers-Merk, Marion Dr. Meyer (Ulm), Jürgen Weisskirchen (Wiesloch), Gert Schwalbe, Clemens Catenhusen, Wolf-Michael Mosdorf, Siegmar Jochen Welt, Schwarz, Stefan Conradi, Peter Müller (Düsseldorf), Michael Dr. Wernitz, Axel Dr. Schwarz-Schilling, Daubertshäuser, Klaus Müller (Pleisweiler), Albrecht Westrich, Lydia Christian Dr. Diederich (Berlin), Nils Müller (Schweinfurt), Rudolf Wettig-Danielmeier, Inge Dr. Schwörer, Hermann Diller, Karl Müller (Zittau), Christian Dr. Wetzel, Margrit Seehofer, Horst Dr. Dobberthien, Marliese Neumann (Bramsche), Volker Weyel, Gudrun Seesing, Heinrich Duve, Freimut Dr. Niehuis, Edith Wieczorek (Duisburg), Helmut Seibel, Wilfried Dr. Eckardt, Peter Dr. Niese, Rolf Wieczorek-Zeul, Heidemarie Seiters, Rudolf Dr. Ehmke (Bonn), Horst Odendahl, Doris Wimmer (Neuötting), Sikora, Jürgen Eich, Ludwig Oesinghaus, Günter Hermann Skowron, Werner H. Erler, Gernot Oostergetelo, Jan Dr. de With, Hans Sothmann, Bärbel Esters, Helmut Opel, Manfred Wittich, Berthold Spranger, Carl-Dieter Fischer (Homburg), Lothar Dr. Otto, Helga Wohlleben, Verena Dr. Sprung, Rudolf Formanski, Norbert Palis, Kurt Wolf, Hanna Steinbach-Hermann, Erika Fuchs (Köln), Anke Paterna, Peter Zapf, Uta Dr. Stercken, Hans Fuhrmann, Arne Dr. Penner, Willfried Dr. Zöpel, Christoph Dr. Frhr. von Stetten, Gansel, Norbert Peter (Kassel), Horst Wolfgang Dr. Gautier, Fritz Dr. Pick, Eckha rt Stockhausen, Karl Gilges, Konrad Poß, Joachim F.D.P. Dr. Stoltenberg, Gerhard Gleicke, Iris Rappe (Hildesheim), Hermann Strube, Hans-Gerd Dr. Glotz, Peter von Renesse, Margot Albowitz, Ina Stübgen, Michael Graf, Günter Rennebach, Renate Baum, Gerhart Rudolf Dr. Süssmuth, Rita Großmann, Achim Reschke, Otto Dr. Blunk (Lübeck), Michaela Susset, Egon Haack (Extertal), Reuschenbach, Peter W. Eimer (Fürth), Norbert Szwed, Dorothea Karl Hermann Reuter, Bernd Engelhard, Hans A. Tillmann, Ferdi Hacker, Hans-Joachim Rixe, Günter van Essen, Jörg Dr. Töpfer, Klaus Hämmerle, Gerlinde Schaich-Walch, Gudrun Dr. Feldmann, Olaf Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Hampel, Manfred Schanz, Dieter Friedhoff, Paul K. Verhülsdonk, Roswitha Hanewinckel, Christel Scheffler, Siegfried Friedrich, Horst Vogt (Düren), Wolfgang Dr. Hartenstein, Liesel Schily, Otto Funke, Rainer Dr. Voigt (Northeim), Hasenfratz, Klaus Schloten, Dieter Dr. Funke-Schmitt-Rink, Hans-Peter Dr. Hauchler, Ingomar Schluckebier, Günter Margret Dr. Vondran, Ruprecht Heistermann, Dieter Schmidbauer (Nürnberg), Gallus, Georg Dr. Waffenschmidt, Horst Heyenn, Günther Horst Ganschow, Jörg Dr. Waigel, Theodor Hiller (Lübeck), Reinhold Schmidt (Aachen), Ursula Gries, Ekkehard Graf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Holtz, Uwe Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Grünbeck, Josef Dr. Warnke, Jürgen Horn, Erwin Schmidt-Zadel, Regina Grüner, Martin Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20837

Vizepräsident Hans Klein Günther (Plauen), Joachim Timm, Jürgen probe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist Dr. Guttmacher, Karlheinz Türk, Jürgen angenommen. Hansen, Dirk Walz, Ingrid Dr. Haussmann, Helmut Dr. Weng (Gerlingen), Abstimmung über den von den Fraktionen der Heinrich, Ulrich Wolfgang CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf Dr. Hirsch, Burkhard Würfel, Uta zur Übernahme der Beamten und Arbeitnehmer der Dr. Hitschler, Walter Zurheide, Burkhard Homburger, Birgit Zywietz, Werner Bundesanstalt für Flugsicherung, Drucksache Dr. Hoth, Sigrid 12/8038. Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf Dr. Hoyer, Werner Drucksache 12/8115, den Gesetzentwurf unverändert Irmer, Ulrich anzunehmen. Wer diesem Gesetzentwurf zustimmt, Dr. Jordan, Jens PDS/Linke Liste den bitte ich um sein Handzeichen. — Wer lehnt ihn Kleinert (Hannover), Detlef Kohn, Roland Bläss, Petra ab? — Wer enthält sich der Stimme? — Der Gesetz- Dr. Kolb, Heinrich L. Dr. Fischer, Ursula entwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Koppelin, Jürgen Dr. Fuchs, Ruth Dr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Dr. Gysi, Gregor Dritte Beratung Dr. Graf Lambsdorff, Otto Henn, Bernd und Schlußabstimmung: Wer dem Gesetzentwurf Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Heuer, Uwe-Jens zustimmen will, möge sich bitte erheben. — Gegen- Sabine Dr. Höll, Barbara Lüder, Wolfgang Jelpke, Ulla probe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist Lühr, Uwe Dr. Keller, Dietmar angenommen. Dr. Menzel, Bruno Lederer, Andrea Abstimmung über den von den Fraktionen der Mischnick, Wolfgang Dr. Modrow, Hans CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Gesetzent- Nolting, Günther Friedrich Philipp, Ingeborg Dr. Ortleb, Rainer Dr. Schumann (Kroppenstedt), wurf über die Errichtung einer Bundeskanzler-Willy- Otto (Frankfurt), Fritz Brandt-Stiftung, Drucksachen 12/7880 und 12/8134. Hans-Joachim Dr. Seife rt , Ilja Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die diesem Paintner, Johann Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen Parr, Detlef Peters, Lisa wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? Dr. Pohl, Eva — Wer enthält sich der Stimme? Der Gesetzentwurf Richter (Bremerhaven), BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist damit in zweiter Beratung angenommen. Manfred Rind, Hermann Dr. Feige, Klaus-Dieter Dritte Beratung Dr. Röhl, Klaus Köppe, Ingrid Poppe, Gerd und Schlußabstimmung: Wer dem Gesetzentwurf (Mainz), Helmut Schäfer Schulz (Berlin), Werner zustimmt, möge sich bitte erheben. — Wer lehnt den Schmidt (Dresden), Arno Dr. Ullmann, Wolfgang - Dr. Schmieder, Jürgen Gesetzentwurf ab? — Wer enthält sich seiner Stimme? Christoph Weiß (Berlin), Konrad - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Dr. Schnittler, Wollenberger, Vera Schüßler, Gerhard Abstimmung über den von den Fraktionen der Dr. Schwaetzer, Irmgard Sehn, Marita CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Gesetzent- Seiler-Albring, Ursula wurf zur Aussetzung der Vorschriften über die reprä- Dr. Semper, Sigrid Fraktionslos sentative Wahlstatistik für die Wahl zum 13. Deut- Dr. Solms, Hermann Otto schen Bundestag, Drucksache 12/8152. Der Innenaus- Dr. Starnick, Jürgen Dr. Briefs, Ulrich Thiele, Carl-Ludwig Lowack, Ortwin schuß empfiehlt auf Drucksache 12/8193, den Gesetz- Dr. Thomae, Dieter Schenk, Christina entwurf unverändert anzunehmen. Wer dem zu- stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Dieser Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstim- Der Gesetzentwurf ist angenommen. mig angenommen. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der Dritte Beratung SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — und Schlußabstimmung: Wer dem Gesetzentwurf zu- Uta Würfel [F.D.P.]: Daß ich das noch erleben stimmen will, möge sich bitte erheben. — Wer stimmt durfte!) dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Der — Ich glaube, es ist zulässig, wenn ich übermittle, daß Gesetzentwurf ist ebenfalls einstimmig angenom- dieses Ergebnis auch der Europäerin Würfel beson- men. ders gutgetan hat. Abstimmung über den von der Fraktion der SPD Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Antrag zur Verlängerung des Morato- eingebrachten Entwurf eines ersten Gesetzes zur riums für die Zulassung von Rinder-Somatotropin, Änderung des Straßenverkehrsunfallstatistikgesetzes, Drucksache 12/7972. Wer stimmt für den Antrag? — (Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU/CSU): Um Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? Gottes willen!) — Der Antrag ist abgelehnt. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirt- Drucksachen 12/7522 und 12/8116. Ich bitte diejeni- schaft zur Änderung der Außenwirtschaftsverord- gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung nung, Drucksachen 12/7492 und 12/8121. Wer stimmt zustimmen, um ihr Handzeichen. — Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dage- dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Der gen? — Wer enthält sich der Stimme? — Bei einer Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange- Stimmenthaltung aus der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE nommen. GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung einstimmig Dritte Beratung angenommen. und Schlußabstimmung: Wer dem Gesetzentwurf Beschlußempfehlung des Aussschusses für Frem- zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegen denverkehr und Tourismus zu dem Antrag der Frak- 20838 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Vizepräsident Hans Klein tion der SPD zur Förderung des Fahrradtourismus, den Änderungsantrag? — Gegenprobe! - Enthaltun- Drucksache 12/7363. Der Ausschuß empfiehlt, den gen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Antrag der SPD auf Drucksache 12/3035 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? — Gegen- Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Peti- probe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung tionsausschusses? — Gegenprobe! - Enthaltungen? ist angenommen. — Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Der Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung die Drucksache 12/8091; das ist die Sammelübersicht 159. Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Wer lehnt sie ab? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung ist Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen. angenommen. Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Sicherung der zur Änderung der Verordnung über die Gewährung von Vorruhestandsgeld, Drucksache 12/8039. Der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Binnenschiff- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf fahrt, Drucksache 12/6611. Der Ausschuß empfiehlt, Drucksache 12/8170, den Gesetzentwurf anzuneh- den Antrag auf Drucksache 12/6221 in der Ausschuß- men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf fassung anzunehmen. Wer stimmt dieser Beschluß- zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegen- empfehlung zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — probe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist Bei zwei Enthaltungen aus der Gruppe PDS/Linke damit in zweiter Beratung angenommen. Liste und bei Enthaltung des fraktionslosen Abgeord- neten Lowack ist die Beschlußempfehlung angenom- Dritte Beratung men. und Schlußabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Beschlußempfehlung des Ausschusses für For- Gesetzentwurf zustimmen, sich zu erheben. — schung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Kündigung ist gegen zwei Stimmen der Gruppe PDS/Linke Liste des deutsch-brasilianischen Abkommens über die bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen. Zusammenarbeit auf dem Gebiet der friedlichen Nut- zung der Kernenergie, Drucksache 12/8067. Der Aus- Wir stimmen über den Antrag der Gruppe PDS/ schuß empfiehlt, den Antrag der SPD auf Drucksache Linke Liste zur Verlängerung der Bezugsdauer für 12/6881 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluß- Altersübergangsgeld auf Drucksache 12/8037 ab. Wer empfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält stimmt für diesen Antrag? — Wer stimmt dagegen? — sich seiner Stimme? — Die Beschlußempfehlung ist Wer enthält sich der Stimme? — Der Antrag ist gegen angenommen. die Stimmen von PDS/Linke Liste bei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt. Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirt- schaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Frak- Abstimmung über den von der Bundesregierung tion der SPD zur Stärkung der kommunalen Nord- eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit Süd-Arbeit, Drucksache 12/8064. Der Ausschuß emp- Brunei Darussalam über den Luftverkehr, Drucksache fiehlt, den Antrag der SPD auf Drucksache 12/6263 in 12/7496. Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt dem Drucksache 12/8112, den Gesetzentwurf unverändert zu? — Wer lehnt es ab? — Wer enthält sich der anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- Stimme? — Die Beschlußempfehlung ist angenom- wurf zustimmen möchten, sich zu erheben. — Gegen- men. probe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirt- schaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Frak- Abstimmung über den von der Bundesregierung tionen der CDU/CSU und F.D.P. zu Aufbau und eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit Stärkung kommunaler Selbstverwaltungsstrukturen der Republik Polen über den Autobahnzusammen- in Entwicklungsländern, Drucksache 12/8021, Nr. I. schluß im Raum Frankfurt/Oder und Schwetig, Druck- Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache sache 12/7495. Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt 12/6727 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer auf Drucksache 12/8113, den Gesetzentwurf unverän- stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer lehnt dert anzunehmen. Wer dem zustimmt, möge sich bitte sie ab? — Wer enthält sich der Stimme? — Die erheben. — Wer lehnt ihn ab? — Wer enthält sich der Beschlußempfehlung ist angenommen. Stimme? — Bei zwei Stimmenthaltungen aus der Gruppe PDS/Linke Liste ist der Gesetzentwurf ange- Der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit nommen. empfiehlt unter Nr. II seiner Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Abstimmung über den von der Bundesregierung Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltun- eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit gen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen. der Republik Lettland über die Seeschiffahrt, Druck- sache 12/7769. Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt Zur Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 12/8114, den Gesetzentwurf unverän- auf Drucksache 12/7336 — das ist die Sammelüber- dert anzunehmen. Wer dem zustimmt, möge sich bitte sicht 149 — liegt ein Änderungsantrag der Fraktion erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der der SPD auf Drucksache 12/8136 vor. Wer stimmt für Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20839

Vizepräsident Hans Klein Abstimmung über den von der Bundesregierung 3. Wirtschaftsdebatte eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit a) Zweite und dritte Beratung des von der der Russischen Föderation über die gegenseitige Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Un- eines Gesetzes zu dem Übereinkommen glücksfällen, Drucksache 12/7506. Der Innenaus- vom 15. April 1994 zur Errichtung der schuß empfiehlt auf Drucksache 12/8092, den Gesetz- Welthandelsorganisation entwurf unverändert anzunehmen. Wer dem zu- — Drucksache 12/7655 (neu) — stimmt, möge bitte aufstehen. — Gegenprobe! — (Erste Beratung 230. Sitzung) Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist bei zwei aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Stimmenthaltungen aus der Gruppe PDS/Linke Liste Ausschusses für Wirtschaft (9. Aus- angenommen. schuß) Abstimmung über den von der Bundesregierung — Drucksache 12/8122 — eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Europäischen Berichterstattung: Übereinkommen über den Übergang der Verantwor- Abgeordneter Erich G. Fritz tung für Flüchtlinge, Drucksache 12/6852. Der Innen- bb) Bericht des Haushaltsausschusses ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/8094, den (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte schäftsordnung diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- — Drucksache 12/8125 — len, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltun- Berichterstattung: gen? — Der Gesetzentwurf ist bei einer Enthaltung aus Abgeordnete Kurt Rossmanith der Gruppe PDS/Linke Liste angenommen. Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Helmut Wieczorek (Duisburg) Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- wurf der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Aufhebung des Bannmeilengesetzes auf Drucksache Berichts des Ausschusses für Wirtschaft 12/4530. Der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität (9. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch und Geschäftsordnung empfiehlt auf Drucksache die Bundesregierung 12/7857, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte Entwurf eines Gesetzes zu dem Überein- diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- kommen vom 15. April 1994 zur Errichtung len, um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthal- der Welthandelsorganisation hier: Information über die multilatera- tungen? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung len Übereinkommen- der GATT abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsord- Uruguay-Runde, die nicht unter die nung die weitere Beratung. nationale Gesetzgebungszustän- Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu digkeit fallen einer außerplanmäßigen Ausgabe im Haushaltsjahr — Drucksachen 12/7986, 12/8122 — 1994, Drucksachen 12/7533 und 12/8103. Es handelt Berichterstattung: sich um die Soforthilfe des Bundes für die von Hoch- Abgeordneter Erich G. Fritz wasserschäden betroffenen Länder Sachsen- Anhalt c) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- und Thüringen. Wer stimmt für diese Beschlußemp- desregierung fehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen Fortschrittsbericht zum Bericht der Bun- eine Stimme aus der F.D.P.-Fraktion einstimmig ange- desregierung zur Zukunftssicherung des nommen. Standorts Deutschland Beschlußempfehlung des Ausschusses für Frauen — Drucksache 12/8090 — und Jugend zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ Überweisungsvorschlag: CSU, SPD und F.D.P. zur Frauenförderung innerhalb Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Auswärtiger Ausschuß der Europäischen Strukturförderung, Drucksache Finanzausschuß 12/8142 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 12/7504 in der Ausschußfassung Ausschuß für Frauen und Jugend Ausschuß für Post und Telekommunikation anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- lung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der heit Stimme? — Die Beschlußempfehlung ist angenom- Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfol- men. genabschätzung d) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- Beschlußempfehlung des Ausschusses für Frauen desregierung und Jugend zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Bericht der Bundesregierung über die Ent- Frauenförderung, Drucksache 12/8142 Nr. 2. Der wicklung der Finanzhilfen des Bundes und Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache der Steuervergünstigungen gemäß § 12 des 12/4164 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dieser Gesetzes zur Förderung der Stabilität und Beschlußempfehlung zu? — Gegenprobe! — Wer des Wachstums der Wirtschaft (StWG) vom enthält sich der Stimme? — Diese Beschlußempfeh- 8. Juni 1967 für die Jahre 1991 bis 1994 lung ist angenommen. (14. Subventionsbericht) — Drucksache 12/5580 — Überweisungsvorschlag: Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 a bis h sowie die Haushaltsausschuß (federführend) Zusatzpunkte 4 und 5 auf: Finanzausschuß 20840 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Vizepräsident Hans Klein Ausschuß für Wirtschaft Arbeitsplätze in der deutschen Textil- und Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Bekleidungindustrie sichern, ihren Struk- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Verkehr turwandel aktiv begleiten und unterstüt- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- zen heit Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfol- zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ genabschätzung CSU und F.D.P. Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Die Strukturkrise der deutschen Textil- und e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bekleitungsindustrie überwinden, den Dr. Uwe Jens, Gerd Andres, Hans Berger, Textilstandort Deutschland erhalten weiterer Abgeordneter und der Fraktion der — Drucksachen 12/4919, 12/7242, SPD 12/8025 — Für eine neue Wirtschaftspolitik Berichterstattung: — Drucksache 12/7029 — Abgeordnete Elke Wülfing Überweisungsvorschlag: ZP4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolf- Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Finanzausschuß gang Börnsen (Bönstrup), Ernst Hinsken, Kurt Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung J. Rossmanith, weiterer Abgeordneter und der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordne- Haushaltsausschuß ten Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich, Josef f) Beratung der Großen Anfrage der Abgeord- Grünbeck, weiterer Abgeordneter und der neten Dr. Uwe Jens, Gerd Andres, Hermann Fraktion der F.D.P. Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der re- Fraktion der SPD gionalen Wirtschaftsstruktur" Beurteilung der wirtschaftlichen Krise — Drucksache 12/8153 — nach konjunkturellen bzw. strukturellen ZP5 Erste Beratung des von dem Abgeordneten Ursachen und ihre Auswirkung auf die Werner Schulz (Berlin) und der Gruppe BÜND- Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirt- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs schaf t eines Gesetzes zur Sicherung der Erfolgskon- — Drucksachen 12/6760, 12/7476 — trolle bei der Vergabe von Subventionen g) Beratung der Beschlußempfehlung und des — Drucksache 12/8150 — Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß) Zum Gesetzentwurf zu dem Übereinkommen zur zu dem Antrag der Abgeordneten Karl Errichtung der Welthandelsorganisation liegt ein Ent- Lamers, Peter Harry Carstensen (Nord- schließungsantrag der Fraktion der SPD vor. strand), Rainer Haungs, weiterer Abgeord- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die neter und der Fraktion der CDU/CSU sowie gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgesehen. der Abgeordneten Ulrich Irmer, Manfred — Dagegen erhebt sich offensichtlich kein Wider- Richter (Bremerhaven), Wolfgang Lüder, spruch. Dann ist das so beschlossen. weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundes- Stärkung der Zusammenarbeit mit Asien minister für Wirtschaft, Dr. Günter Rexrodt, das zu der Unterrichtung durch die Bundesre- Wort. gierung Asien-Konzept der Bundesregierung Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: zu dem Entschließungsantrag der Abgeord- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und neten Dr. Ursula Fischer und der Gruppe der Herren! In einer Tageszeitung gab es vor einigen PDS/Linke Liste zu der Unterrichtung durch Tagen eine treffende Karikatur: Rudolf Scharping als die Bundesregierung Don Quichotte und Oskar Lafontaine als Sancho Asien-Konzept der Bundesregierung Pansa, beide im Kampf gegen die Windmühlen der — Drucksachen 12/5959, 12/6151, 12/6279, Regierungspolitik. Gegen was kämpft die Opposition 12/7775 — denn eigentlich? Schauen wir uns doch einmal um! Sie Berichterstattung: kämpft gegen eine Politik, die unbestreitbar neues Abgeordnete Willy Wimmer (Neuss) Vertrauen in den Wirtschaftsstandort Deutschland Dr. Hartmut Soell begründet hat. Dr. Helmut Haussmann (Widerspruch bei der SPD) Dr. Hans Modrow Sie kämpft gegen einen klaren Kurs auf Marktwirt- h) Beratung der Beschlußempfehlung und des schaft und private Initiative, den wir mit Entschlos- Berichts des Ausschusses für Wirtschaft senheit verfolgt haben und für den wir international (9. Ausschuß) allergrößte Anerkennung gewonnen haben. zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe Jens, Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Wolfgang (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Roth, weiterer Abgeordneter und der Frak- Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aber national tion der SPD nicht soviel!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20841

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt 1 Oder ist es nur die Tatsache, daß es nicht in das besseres Wissen verstößt, sondern auch gegen vorhe- Wahlkampfkonzept der Opposition paßt, daß der rige, eigentlich vernünftigere Aussagen. Aufschwung stetig an Fahrt gewinnt? Herr Jens, Sie haben in der FAZ vor ca. einem Jahr (Dr. Uwe Jens [SPD]: Die Arbeitslosigkeit folgendes geschrieben. steigt!) (Zuruf des Abg. Dr. Uwe Jens [SPD]) Damit gewinnen Sie offenbar nichts. Die Feindbil- der sind Ihnen abhanden gekommen. Alternativen — Das fällt mir manchmal schwer. Das ist schon wahr. sind nicht in Sicht. Meine Damen und Herren von der Aber trotzdem hat er geschrieben: Opposition, worin besteht denn Ihre neue Wirtschafts- Zukunftsträchtige Entwicklungen können nur politik? schwer prognostiziert werden. Wenn es jemand ( [SPD]: Erklären Sie erst einmal kann, dann können es nach meiner Überzeugung die Ihre!) am Markt tätige Unternehmen besser als Erst schieben Sie zehn Punkte vor, dann zwanzig, und Beamte. dann schieben Sie das Regierungsprogramm nach. Wie wahr, Herr Kollege Jens. (Peter W. Reuschenbach [SPD]: Sie haben (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) eine ganze Bibliothek veröffentlicht!) Wie schade, daß Sie nicht bei dieser Einsicht geblie- Ich will aus diesem Sammelsurium, das voller ben sind! Auch wir wollen den Dialog in Technik und Widersprüchlichkeiten ist, nur vier Punkte heraushe- Zukunftsfragen, aber keine Verwischung der Verant- ben. wortlichkeiten. Erstens. Sie kündigen in fröhlicher Unbekümmert- heit eine solide Finanzpolitik und gleichzeitig neue Nun zu Nummer 3. Wenn man der SPD glaubt, dann staatliche Ausgabenprogramme für alles und für verfügt sie mit einem Konzept für eine umfassende jeden an, für staatliche Investitionsprogramme in den ökologische Steuerreform über eine Wunderwaffe, neuen Bundesländern, für eine noch umfassendere die sowohl Umwelt- als auch Beschäftigungsprobleme Arbeitsmarktpolitik, für Mittelstand, für vom Staat schnell und umfassend lösen kann. Bei näherer definierte sogenannte Schlüsseltechnologien, für den Betrachtung reduziert sich dann dieses sogenannte Wohnungsbau und anderes mehr. Konzept aber sehr schnell auf die altbekannte Forde- rung nach drastisch steigenden Energiepreisen. Wieder einmal bleibt offen, aus welchen Mitteln das Subventionsfüllhorn der SPD gespeist werden soll. (V o r s i tz : Vizepräsident Helmuth Becker) Bereits das 10 - Punkte - Programm für mehr Arbeit, das Meine Damen und Herren, natürlich führt kein Weg offenbar die unübersichtlich gewordene Fülle pro- daran vorbei, die Kosten des Umweltschutzes im grammatischer Aussagen zusammenfassen soll, er- Rahmen marktwirtschaftlicher Mechanismen den gibt Mehrausgaben, meine Damen und Herren, von Verursachern anzulasten. Aber wir müssen im Auge 34 Milliarden DM. haben, daß die Wirtschaft durch Umwelt- und Ener- (Zurufe von der CDU/CSU: Nur! — Hört mal giesteuern gerade in einer Phase des Aufschwungs zu!) wie der heutigen nicht überfordert wird. Hier möchte ich Ihren Fraktionsvorsitzenden zitieren, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- der heute vormittag sagte: ten der CDU/CSU) Wenn einer allen alles bezahlen will, dann muß er Wir dürfen nicht vergessen, daß ein nationaler sagen, wie das zu finanzieren ist. Alleingang mit allen Konsequenzen für unsere Wett- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — bewerbsfähigkeit Umweltprobleme nicht ohne weite- Beifall bei der SPD) res löst, sondern nur ins Ausland verlagert. Deshalb unser Einsatz für eine mindestens aufkommensneu- Diese Frage ist Ihnen zu stellen. trale CO2 - /Energie - Steuer. Niemand bestreitet, daß Auch auf der Einnahmeseite werden neue Löcher Ökologie und Ökonomie am meisten gedient wäre, gerissen. Der Verzicht auf den Solidarzuschlag bei wenn diese CO2-/Energie-Steuer mindestens europa- gleichzeitiger Erhebung einer Ergänzungsabgabe weit käme. würde Steuerausfälle in der Größenordnung von 7,5 Milliarden DM zusätzlich verursachen. Insgesamt (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- stellt das wirtschaftspolitische Konzept der SPD einen ten der CDU/CSU) ungedeckten Scheck in Höhe von über 50 Milliarden Wie die Grünen auch verschließt die SPD die Augen DM dar. vor simplen ökonomischen Zusammenhängen. Statt (Zurufe von der CDU/CSU: Unglaublich! — dessen zieht sie es vor, unerfüllbare Erwartungen zu Hört! Hört!) wecken. Sie tut dies auch mit einem Änderungsent- wurf zum Stabilitäts- und Wachstumsgesetz, der Meine Damen und Herren, Nummer 2 aus diesem ebenfalls heute zur Diskussion steht. Als wenn die Sammelsurium : Forschung und Technologie, die Ent- Ergänzung des Gesetzes um die Worte „ökologisches wicklung neuer Produkte bis hin zur Markteinfüh- Gleichgewicht" und eine Flut neuer Berichte auch nur rung, das sind für Sie offensichtlich in erster Linie einen einzigen konkreten Beitrag für den Umwelt- staatliche Aufgaben. Zukunftssicherung nicht durch schutz bringen würden! Kreativität und Leistungsfähigkeit der Unternehmen, sondern durch die Weitsicht eines gesamtstaatlichen Wir wollen Umweltschutz durch Beschränkung des Zukunfts- und Technologierates, das ist eine Vorstel- Ordnungsrechts. Wir wollen Umweltschutz durch pre- lung, von der ich meine, daß sie nicht nur gegen tiale Lenkung und freiwillige Vereinbarungen. Unser 20842 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt Ansatz für mehr Umweltschutz ist ein marktwirt- Das ist keine neue Wirtschaftspolitik. Das ist ein schaftlicher Ansatz und nicht ein ordnungsrechtlicher Neuaufguß längst abgeschriebener und nicht be- Ansatz. währter Rezepte aus der sozialistischen Mottenki- ste. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Dr. Uwe Jens [SPD]: Sagen Sie mal was Viertens. Zur Kernaufgabe der Wirtschaftspolitik, Vernünftiges! Das ist nur Polemik!) der Schaffung neuer Freiräume für wirtschaftliche — Dem konzeptionslosen Hin und Her können wir mit für private Leistungsfähigkeit und damit für Dynamik, aller Gelassenheit klare Fakten gegenüberstellen. neue Arbeitsplätze bleiben Sie weitgehend stumm. Das war das richtige Stichwort, Herr Kollege Jens. Ein bißchen Deregulierung, ein bißchen Privatisie- rung und ein bißchen Reform im sozialen Bereich, Vor einer Woche habe ich eine Bilanz für die Politik aber nur dort, wo es um Gottes willen die Klientel nicht zum Standort Deutschland vorgelegt. Ich kann verärgert. zunächst einmal sagen: Von den dort vorgesehenen Maßnahmen haben wir drei Viertel abgeschlossen (Hans-Ulrich Klose [SPD]: Das müssen Sie oder auf den Weg gebracht. Wir haben im Gegensatz gerade sagen! — Weitere Zurufe von der zu Ihren Vorschlägen ein Maßnahmepaket aus einem SPD) Guß gemacht, das sich an folgenden Schwerpunkten — Sie praktizieren das jeden Tag neu, daß Sie orientiert. Klientelpolitik machen. Sie praktizieren das gerade in Wir haben eine klare Perspektive für den Abbau diesen Tagen, und die Bürger haben das durch- staatlicher Ausgaben und Defizite mit einer konse- schaut. quenten Sparpolitik vorgegeben. Wir machen damit den Weg für steuerliche Entlastungen frei. Diese sind Wo bleibt denn das Bekenntnis der SPD zur Erhal- unverzichtbar. Wir haben allen Grund, uns selbst zu tung der Leistungsfähigkeit und der Finanzierbarkeit loben. unserer sozialen Sicherungssysteme? Wo bleibt denn die Bereitschaft für ein Subventionsabbaugesetz, das (Lachen bei der SPD) man ernst nehmen könnte? Das ist schon wahr. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das müssen Wir sind ein gutes Stück beim Abbau von Hinder- Sie sagen!) nissen für private Initiativen, beim Abbau von Regu- lierungen, bei der Privatisierung und der Stärkung des- Sie fordern es doch ein. Wie ist denn Ihre Haltung in Wettbewerbs vorangekommen. Nun sind die Länder den heiklen Bereichen, wenn es beispielsweise darum und Kommunen gefordert, wo Sie zum großen Teil das geht, die Kohlesubventionen abzubauen, die wir uns Sagen haben und wo wenig oder nichts passiert. nicht mehr leisten können? Wir haben die Funktionsfähigkeit des Arbeits- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne marktes von der Aufhebung des Vermittlungsmono- ten der CDU/CSU) pols der Bundesanstalt für Arbeit bis hin zu verbesser- ten Möglichkeiten bei der Teilzeitarbeit gestärkt, und Glücklicherweise haben die Gewerkschaften zwar ohne die von Ihnen geforderten staatlichen — nicht alle Gewerkschaften, aber einige und vor Zuschüsse. Wir geben neue Impulse für die technolo- allem einige wichtige — in vielen Tarifrunden eine gische Entwicklung in unserem Land. Wir fördern hingenommen Flexibilisierung des Arbeitsmarktes mittelständische Unternehmen, die die Basis für und haben sich aufgeschlossener gezeigt als die SPD. Wohlstand und Beschäftigung schaffen. Bewegung, Veränderung und Auflösung von überhol- ten Strukturen: Das geht nicht von Ihnen aus, das geht Wir haben die Präsenz Deutschlands auf den von anderen aus. Wirtschaftliches Handeln und das, boomenden Märkten in Asien und Lateinamerika was Anspruch ist, klaffen auseinander. verbessert. Das Asien-Konzept und der Asien-Pazifik Ausschuß haben einiges in Bewegung gebracht. Im Ich darf ganz objektiv hier feststellen: Das Saarland Export in diese Region haben wir eine Steigerung von hat sich aus vielen Gründen — ich gebe zu, auch aus 14 % und nach China sogar eine von 67 %. Das ist objektiv zu berücksichtigenden Gründen — ins wirt- Bestandteil unseres wirtschaftlichen Erfolgsprogram- schaftliche Abseits manövriert, wo der Abstand zum mes. Bundesdurchschnitt immer größer wird und die Unter- nehmen Schwierigkeiten haben, dorthin zu kom- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — men. Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das Ihre Abschiedsrede?) (Dr. Uwe Jens [SPD]: Vorsicht! Lafontaine Zu dieser Bilanz gehört auch die Sicherung offener kommt danach!) Märkte und eines freien Welthandels. Sie laufen weg.

Die Pro-Kopf-Verschuldung macht 13 000 DM aus. Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Minister, Im nicht gerade vorbildlichen Rheinland-Pfalz ist es gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mos- ungefähr die Hälfte, und in Bayern liegt die Pro- dorf? Kopf-Verschuldung bei 3 000 DM. Herr Schröder betreibt fröhlich eine Industriepolitik, die auf Kosten des Steuerzahlers die Probleme nicht löst, sondern Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: über Wahltermine hinwegführen will. Ja, bitte. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20843

Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Kollege Mos- die Rezession gut überstanden hat, der darauf auch dorf. stolz ist (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Dort gibt es Siegmar Mosdorf (SPD): Herr Minister, ich habe mehr Arbeit als Arbeiter!) eine Frage an Sie. Mir liegt ein Dokument des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks vor und der uns immer wieder vermittelt hat, daß unsere — vor wenigen Tagen ist das vorgelegt worden —, in Politik, die nämlich auf Stärkung der Marktkräfte und dem 34 Punkte aufgeführt worden sind, in denen das Förderung der Existenzgründungen gerade in diesem Handwerk in der Bilanz die Arbeit Ihrer Regierung Bereich ausgerichtet ist, dazu einen wesentlichen bedauert: die Abschaffung der Förderung der Mei- Beitrag geleistet hat. sterschüler, die Verschlechterung der Zinsverbilli- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — gung usw. Sie kennen dieses Papier, das vor wenigen Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU] meldet sich Tagen vorgelegt worden ist. Wenn Sie sagen, Sie zu einer Zwischenfrage) hätten allen Grund, sich selbst zu loben, worauf führen Sie zurück, daß das Handwerk Sie nicht lobt und auch die Wähler Sie nicht loben? Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Minister, las- sen Sie eine weitere Frage zu? (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: Ich habe hier nicht vor, mich über Lob oder Nichtlob Nein, ich würde, wenn Sie gestatten, sehr gerne einzelner Verbände auszulassen. fortfahren, Herr Kollege Hinsken. (Hans-Ulrich Klose [SPD]: Sie bleiben gleich (Dr. Uwe Jens [SPD]: Er meint es doch gut mit beim Selbstlob!) Ihnen!) Ich kann Ihnen nur sagen — das ist das Ergebnis Ich spreche über unsere Bilanz, die Ihrem konzep- zahlreicher Beratungen und zahlreicher Kontakte mit tionslosen Hickhack und der Suche nach Positionen, dem Handwerk , daß das Handwerk mit unserer die sich von den unseren abheben, gegenübersteht. Politik voll einverstanden ist Ich möchte in diesem Zusammenhang die Sicherung (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist doch der offenen Märkte und des freien Welthandels nun nicht wahr!) anführen. Wir haben vor, uns sehr stark gegen die - und daß das Handwerk unsere Politik in der Zielrich- Kinderarbeit und für den besseren Schutz der Umwelt tung und in unseren Maßnahmen für richtig hält. Daß einzusetzen und uns damit im Zusammenhang ein Wirtschaftsverband dieses Gewichts immer stehenden Handelsproblemen zu widmen. Aber wir zusätzliche Wünsche und Vorstellungen hat, die wir werden es nicht zulassen, daß unter Vorschieben aber mit Blick auf das Ganze nicht immer voll erfüllen dieser Themen — so ernst sie sind — durch die können, das ist Ihnen doch bekannt. Das wissen Sie Hintertür Protektionismus in der Europäischen Union doch. Insofern geht Ihre Frage ins Leere. Sprechen Sie eingeführt wird. mit Vertretern des Handwerks! Fragen Sie nach der (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Bewertung unserer Politik, und Sie werden volle Zustimmung hören, meine Damen und Herren. In dieser Debatte wird abschließend das Vertrags- paket von Marrakesch behandelt. Der Bundesrat wird (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — das nächste Woche tun. Dieses außergewöhnlich Otto Schily [SPD]: Das stimmt! Die Frage ist komplexe und umfangreiche Vertragswerk wurde in ins Leere gegangen — bei dem Adressa den Ausschüssen von Bundestag und Bundesrat sowie ten!) in den Fraktionen schnell beraten. Ich möchte mich über die Parteigrenzen sehr herzlich dafür bedan- Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Minister, ken. gestatten Sie noch eine Frage des Kollegen Dr. Hitschler? Meine Damen und Herren, wir haben den Forde- rungen nach staatlichem Aktionismus, nach Inter- Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: ventionismus und Protektionismus einen klaren Kurs Ja, ich lasse diese Frage gerne zu. der marktwirtschaftlichen Stärkung des Standorts Deutschland entgegengestellt. Wir sind dabei von Dr. Walter Hitschler (F.D.P.): Herr Minister, haben einer realistischen Analyse der Stärken und Schwä- Sie Anlaß, davon auszugehen, daß es dem deutschen chen ausgegangen und haben Antworten darauf Handwerk schlechtgeht? gefunden. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Haben Sie Die Entwicklung zeigt, daß das Vertrauen in die Anlaß, davon auszugehen, daß es der F.D.P. deutsche Wirtschaft zurückgewonnen werden schlechtgeht?) konnte; die Entwicklung der Konjunkturdaten macht das deutlich. Wir werden ein Wachstum haben, das Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: über die bisherigen Erwartungen hinausgeht; auch Ich habe alles andere als Anlaß, davon auszugehen, ein Wert über 1,5 % ist nicht ausgeschlossen. Wir daß es dem deutschen Handwerk schlechtgeht. Dem haben in den neuen Bundesländern eine gute Ent- deutschen Handwerk geht es gut. Die Wachstumsra- wicklung. Auch was den Arbeitsmarkt angeht, haben ten sind höher als in anderen Bereichen. Die Zahl der wir dort eine erste Stabilisierung und Wachstum, Neugründungen im Handwerk kann sich sehen las- selbstverständlich auf niedrigem Niveau, aber doch in sen. Das ist ein Wirtschaftszweig, der boomt, der selbst der Größenordnung von 8 %, erreicht. 20844 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt Dies alles ist von den Kolleginnen und Kollegen, die Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland): Ich hier sitzen, noch vor wenigen Wochen und Monaten habe zwar überhaupt noch nichts gesagt, sehr intensiv als Schönfärberei und Berufsoptimismus (Heiterkeit) bezeichnet worden. aber vielleicht hat er etwas Wesentliches beizutragen. (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: So ist Bitte schön. es!) Wir kommen voran; der Aufschwung findet statt. Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Kollege Hins- Ich sage aber uns allen: Wir dürfen trotz dieses ken. Aufschwungs nicht nachlassen, wenn es darum geht, die wirklichen, die strukturellen Probleme in diesem Ernst Hinsken (CDU/CSU): Selbstverständlich, Lande zu lösen. Diese sind noch lange nicht gelöst. Es Herr Ministerpräsident, haben Sie etwas gesagt. Sie ist noch vieles an Erstarrungen aufzubrechen. Ich bin sagten, daß Sie nicht der ganzen Debatte beiwohnen fest davon überzeugt, daß wir, weil wir Veränderun- können. Deswegen habe ich mich gemeldet. Ich gen wollen und weniger — ich sage nicht: nicht — im möchte Sie fragen, warum Sie heute überhaupt nach Besitzstandsdenken verhaftet sind, mehr Kraft haben Bonn gekommen sind, um hier aufzutreten. werden, um dies voranzubringen. Das ist auch not- (Michael Glos [CDU/CSU]: Gute Frage!) wendig. Die hohe Arbeitslosigkeit und die dringend notwendige Schaffung neuer, dauerhafter Arbeits- plätze in unserem Land haben allererste Priorität. Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland): Herr Kollege, es ist nun einmal so, daß im Grundgesetz Wir wollen die Arbeitslosigkeit bekämpfen — ich steht, daß die Mitglieder des Bundesrates jederzeit komme zum letzten Absatz, Herr Präsident -, Inve- das Wort nehmen können. Merken Sie sich: Wann ich storen in Deutschland halten, ausländische Investoren hier auftrete und wann nicht, entscheide ich und nicht in unser Land holen und Steuern senken. Wie wollen Sie. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Sie das schaffen, wenn Sie auf den Wunschpartner Ihrer Basis, wenn Sie auf die GRÜNEN setzen? Wie (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Petra steht es dann mit Technologie und freiem Welthandel? Bläss [PDS/Linke Liste]) Meine Damen und Herren, die Bürger werden zwi- Meine Damen und Herren, ich möchte zu zwei schen verwaschenen, unfinanzierbaren Plänen auf wesentlichen Punkten der letzten Entwicklung Stel- der einen Seite und einer seriösen Strukturpolitik lung nehmen. Es sind zwei Punkte, die dem Bundes- sowie einer konjunkturellen Erholung auf der ande- wirtschaftsminister eigentlich zu denken geben soll- ren Seite zu unterscheiden wissen. ten: Das sind die Entwicklung des Dollarkurses und die Entwicklung der langfristigen Zinsen. Schönen Dank. Dazu hat der Bundeswirtschaftsminister nicht Stellung genom- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) men; ich bedaure dies sehr. Wir können aber nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß die Entwicklung die- ser beiden entscheidenden Größen unserer wirt- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und schaftlichen Rahmenbedingungen eine entschei- Herren, ich erteile jetzt dem Ministerpräsidenten des dende Herausforderung auch für die Politik der Bun- Saarlandes, Herrn Oskar Lafontaine, das Wort. desregierung darstellen. Ich will dies nachher begrün- den. Wenn die Entwicklung so weitergeht, wenn sich der Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland): Dollar in dieser Art und Weise entwickelt und die Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Zinsen am langen Ende weiter ansteigen, dann kann Herren! Ich möchte mich zunächst bei den Kollegin- der eine oder andere seine Prognosen, die er bisher nen und Kollegen, die nach mir sprechen werden, aufrechterhalten hat, sehr schnell revidieren. entschuldigen, wenn ich der Debatte nicht ganz Meine Damen und Herren, es ist ja gut, daß im folgen kann. Sie war mir für einen früheren Zeitpunkt ersten Quartal 1994 die weltweiten Konjunkturergeb- annonciert worden; ich habe am späten Nachmittag nisse durchaus befriedigend waren. Wir müssen uns andere Termine. Ich bitte insoweit um Entschuldi- aber kritisch fragen: Auf welche Faktoren sind diese gung. Entwicklungen zurückzuführen? Da ist zunächst ein- Ich wollte heute zunächst zu zwei Punkten Stellung mal eine weltweite Zinswende festzustellen, von der nehmen, von denen ich erwartet hätte, daß sie auch ich bereits gesprochen habe, die bei den Investoren der Bundeswirtschaftsminister zumindest angespro- den Eindruck hervorgerufen hat, so günstig könne chen hätte, zu zwei Punkten, die uns Veranlassung zur man nun für lange Zeit kein Investitionskapital mehr Diskussion sein müßten. bekommen. Diese weltweite Zinswende hat dazu Es wird allgemein begrüßt, daß die Auslandsnach- geführt, daß bestimmte Investitionen schlicht und frage anstieg und dies eine erste wichtige Entwick- einfach vorgezogen worden sind. lung ist, die unsere Konjunktur in Gang bringen Zweitens. In einer ganzen Reihe von Ländern, die kann. im Außenhandel mit uns verflochten sind, gibt es wirtschaftspolitische Maßnahmen — z. B. Abwrack-

prämien — , die die Anschaffung von Investitionsgü- Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Ministerpräsi- tern begünstigen. dent, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Drittens. Wie alle wirtschaftswissenschaftlichen Hinsken? Institute feststellen, stützt sich die private Nachfrage Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20845

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) bei sinkendem Realeinkommen derzeit noch auf ein nicht in der Lage waren, die Strukturkrise zu bewäl- Entsparen der Haushalte. Eine solche Entwicklung tigen. kann nach Adam Riese nicht von Dauer sein. (Beifall bei der SPD — Friedhelm Ost [CDU/ CSU]: Sie haben doch Sonderhilfen bekom- Die Frage ist also: Wie wird das weitergehen? Wir men!) müssen davon ausgehen, daß sich das Entsparen nicht ohne weiteres fortsetzen wird. Schonjetzt gibt es dafür Wenn man diese beiden Faktoren — Dollar und klare Anzeichen im Einzelhandel und in der Ver- langfristige Zinsen — angeht, muß man gleichzeitig brauchsgüterindustrie. Wir müssen erkennen, daß die noch andere Daten zur Kenntnis nehmen, die gegen- Abwrackprämien etwa in unserem Nachbarland wärtig nicht wegdiskutiert werden können. Die Frankreich zeitlich befristet sind und daß sie zu Arbeitslosigkeit steigt weiter. Meine Damen und Her- Effekten geführt haben, die nicht von Dauer sind. Zum ren, ich sage für die Bevölkerung draußen: Wir Sozial- dritten müssen wir zur Kenntnis nehmen, daß der demokraten reden erst dann von einem Aufschwung, Zinsanstieg der stärkste jemals zu Beginn eines Auf- wenn er sich in mehr Beschäftigung niederschlägt. schwungs verzeichnete ist und daß die damit einher- Alles andere ist für uns nicht akzeptabel. gehenden Turbulenzen an den Finanzmärkten — die (Beifall bei der SPD) Abwertung des Dollars — massive Auswirkungen auf unsere Konjunktur und auf den Arbeitsmarkt haben Zweitens. Die Realeinkommen sinken. Das sollte können. Ihnen zu denken geben. Sie können nicht darauf setzen, daß wir eine konjunkturelle Erholung haben werden, ohne daß sich der private Verbrauch verste- Der anhaltende Anstieg der langfristigen Zinsen tigt und sogar wieder leicht anzieht. verhindert eine durchgreifende Belebung der Investi- tionstätigkeit und hindert damit die zukünftige Schaf- Drittens. Durch Deutschland rollt die größte Pleite fung neuer Arbeitsplätze, die wir dringend brauchen. welle der Nachkriegszeit. Ebenfalls unstrittig ist, daß ein schwacher Dollar die Viertens. Die Staatsverschuldung explodiert. Erholung unserer Exportkonjunktur gefährdet. Daher bietet sich die Frage an: Wie reagiert unsere Bundes- Fünftens. Die langfristigen Zinsen steigen. — Das regierung auf diese Entwicklung? sagte ich bereits. Sechstens. Der Außenhandel und damit die Wettbe- Es gibt ja nun einmal ein Datum, das wohl nicht zu werbsfähigkeit unserer Exportwirtschaft sind durch- einem Kaffeekränzchen-Datum heruntergeredet wer- einen schwachen Dollar eher gefährdet. Weltwirtschaftsgipfel vom 8. den kann, nämlich den Das sind die Rahmendaten, über die nicht zu bis zum 10. Juli. Da wäre es angemessen gewesen, diskutieren ist. wenn der Sprecher der Bundesregierung deren Reak- tionen auf diese beiden für die Rahmendaten unserer (Zuruf von der SPD) Wirtschaft wichtigen Veränderungen genannt hätte. — Richtig, dazu hat er nichts gesagt. — Unsere Aber dazu kam kein einziges Wort, meine Damen und Aufgabe ist es, auf diese Entwicklung richtig zu Herren. reagieren. (Beifall bei der SPD) Es sind bereits in der Vergangenheit Fehler gemacht worden, die darin bestanden, daß man die Rezession allzustark auf eine Kostenkrise zurückge- Ich will daher sagen, was wir Sozialdemokraten führt hat. Mittlerweile ist diese Diskussion passé. dringend anmahnen. Wenn sich der Aufschwung Mittlerweile redet auch die Bundesbank in ihrem weiter fortsetzen soll, muß die Bundesregierung auf jüngsten Monatsbericht von einer klassischen Rezes- dieser Konferenz dringend darauf hinwirken, daß die sion, die auf eine stagnierende Nachfrage und auf zu Abstimmung der Geld- und Finanzpolitik und die hohe Zinsen zurückzuführen ist. Stabilisierung des Dollars im Rahmen der G 7 ange- strebt und weitere Zinssenkungen in Europa ermög- Wenn man aber wirklich der Auffassung ist, die licht werden, um die Rückkehr der Anleger in langfri- Kostenkrise sei schlechthin für die rezessive Entwick- stige Titel und in den Dollar zu fördern. Notwendig ist lung der letzten Zeit verursachend gewesen, dann ebenso ein überzeugendes Konsolidierungskonzept konnte man natürlich auch nur zu Fehlentscheidun- für die Staatsfinanzen, um die Verunsicherung an den gen kommen. Diese Fehlentscheidungen will ich Kapitalmärkten nicht weiter zu schüren. gleich benennen. Neben den sechs Punkten, die ich gerade genannt (Zurufe von der CDU/CSU) habe, dürfen wir nicht übersehen, daß wir auf Grund Ihrer Fehleinschätzungen und Ihrer falschen Ent- — Herr Kollege Ost, ich will Ihnen gerne noch einmal scheidungen die höchste Steuer- und Abgabenquote die saarländische Entwicklung erklären. Im übrigen der Nachkriegszeit haben — eine Startbedingung für können sich die Wählerinnen und Wähler an der Saar einen konjunkturellen Aufschwung, die wir in diesem besser ein Urteil bilden als Sie. Wenn Sie dieses Urteil Ausmaß und in diesem Umfang noch niemals hatten betrachten, meine Damen und Herren, dann haben und die wir nicht ignorieren dürfen. Sie keinen Grund zur Freude, weil die Wählerinnen (Beifall bei der SPD) und Wähler sehr gut wissen, wodurch die hohe Verschuldung des Saarlandes vor 15 Jahren in Gang Nachdem Sie, Herr Kollege Rexrodt, eben hier Ihre gekommen ist, nämlich dadurch, daß Ihre Amtsbrüder richtigen Entscheidungen genannt haben, sage ich: 20846 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) Vor vier Jahren standen alle, die jetzt nach mir reden Dann kommen Sie, Herr Kollege Rexrodt, hierher werden, hier und haben hoch und heilig versprochen: und fragen — entschuldigen Sie, ich versuche, das in Es gibt keine Steuererhöhungen. — Sie haben die aller Sachlichkeit anzusprechen —: deutsche Volkswirtschaft dann pro Jahr mit Steuer- und Abgabenerhöhungen von 116 Milliarden DM (Zurufe von der CDU/CSU) belastet — ein einmaliger Vorgang in unserer Repu- Wo bleibt die Seriosität? — Ich will Sie einmal mit blik. Wenn ich versprochen hätte „Keine Steuererhö- einem Staatsgeheimnis konfrontieren: Wir haben im hungen", würde ich, wenn ich eine solche Politik zu nächsten Jahr 100 Milliarden DM an Zinszahlungen verantworten hätte, gar nicht mehr antreten. im Bundeshaushalt. — Dieses bestgehütete Geheim- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nis müssen Sie sich irgendwann einmal zu Gemüte DIE GRÜNEN) führen. Wenn Sie bei dieser Entwicklung jetzt weitere Steuersenkungen für Unternehmen versprechen, Meine Damen und Herren, noch nie in der ohne die Gegenfinanzierung offenzulegen, dann ist Geschichte der Bundesrepublik Deutschland sind die dies in höchstem Maße unse riös. Wählerinnen und Wähler in einem solchen Ausmaß getäuscht worden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Steuerlüge!) Im übrigen trifft dieser Vorwurf nicht nur Sie, Ich sehe ja noch vor mir, was Sie alle hier erzählt sondern er trifft eben auch die Unionsparteien, die, bis haben, und mittlerweile ist ja auch bekannt, daß Sie hin zum Bundeskanzler, munter von Steuersenkun- zum Teil wider besseres Wissen geredet haben. gen für Unternehmen reden und der Frage, wie das (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: eigentlich bezahlt werden soll, ausweichen. Was?!) Ich spreche das deswegen hier an, weil die ameri- — Herr Kollege Waigel, bei Ihnen bin ich manchmal kanischen Nobelpreisträger festgestellt haben geneigt zu sagen: Sie haben nicht wider besseres (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Wel Wissen geredet. cher?) (Beifall bei der SPD) — zu Ihrer Frage, Herr Kollege Lambsdorff: unter Ob das allerdings ein Kompliment ist, das müssen Sie anderem Robert Solow; Sie können das in der „Frank-- sich einmal überlegen. furter Allgemeinen Zeitung" nachlesen —, daß die Hälfte der hohen Arbeitslosigkeit in Europa die Folge (Beifall bei der SPD — Bundesminister einer Schwäche der gesamtwirtschaftlichen Nach- Dr. Theodor Waigel: Ich komme nach Ihnen! frage sei. Wenn man durch ökonomische Entschei- — Michael Glos [CDU/CSU]: Bei Ihnen ist es dungen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage strangu- schwer zu glauben, daß Sie wider besseres liert, dann darf man sich über die Folgen eines solchen Wissen etwas sagen!) Vorgehens nicht wundern. Wenn Sie weiterhin darauf Sie kommen nach mir, ja. setzen — dies ist ja Ihr Plan, und Sie sollten zumindest dazu stehen —, daß Sie Ihre Unternehmensteuersen- Meine Damen und Herren, diese Steuerlüge ist eine kungen über Verbrauchsteuererhöhungen finanzie- der Ursachen für die Fehlentwicklungen der Wirt- ren wollen, dann gehen Sie genau an dieser Stelle in schafts- und Finanzpolitik. Das Schlimme ist, daß alles die falsche Richtung, und Sie brauchen sich über die darauf hindeutet, daß Sie bereit sind, diese Steuerlüge daraus resultierenden Folgerungen nicht mehr zu in großem Ausmaß zu wiederholen. Deshalb muß das wundern. hier angesprochen werden. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ihrer Politik liegt nämlich ein falscher Leistungs- begriff zugrunde; ich habe das immer wieder gesagt. Noch im Jahreswirtschaftsbericht haben Sie ge- Wer glaubt, daß nur die Bezieher hoher Einkommen schrieben — Sie haben ja die Gelegenheit, das zu Leistungsträger unserer Volkswirtschaft seien, der korrigieren —: Die Bundesregierung wird ihr steuer- sollte sich einmal mit der Frage konfrontieren, was politisches Konzept für die nächste Legislaturperiode eigentlich passieren würde, wenn beispielsweise alle bis zum Sommer vorlegen. — Jetzt, kurz vor der Unternehmensvorstände einmal eine Woche lang Bundestagswahl, wahrscheinlich auch geschockt streiken würden, oder sollte sich einmal mit der Frage durch Ergebnisse, die Ihren Erwartungen nicht ent- konfrontieren, was passieren würde, wenn alle sprochen haben, kündigt die Bundesregierung plötz- Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Woche lich an, daß sie diese Zusage nicht einhalten will. lang streiken würden. Ich bin der Auffassung, es ist einmal eine Frage des (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Streiken Sie Bundestages, wie er mit dieser Verfahrensweise doch mal eine Woche!) umgeht; es ist aber auch eine Frage des Bundesrates. Wir können nicht so ohne weiteres akzeptieren, daß Vielleicht ist dieses Modell dazu geeignet, Ihnen solche Zusagen, die für das wirtschaftliche Entschei- klarzumachen, daß Leistungsträger unserer Volks- den auch in den Ländern von Bedeutung sind, schlicht wirtschaft nicht nur diejenigen sind, die hohe Einkom- und einfach wieder kassiert werden. So kann man das men haben, sondern auch diejenigen, die die Lkws einfach nicht machen. fahren, die die Kranken pflegen, die die PCs bedie- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20847

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) nen, die die Kunden beraten, die Häuser bauen, die schwächen und die soziale Ungerechtigkeit noch Stahl kochen und die Verbrechen aufklären. weiter treiben? Ich würde Ihnen mit großem Interesse zuhören, wenn Sie darlegen würden, wie Sie das (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Verfassungsgebot erfüllen werden. Sie werden das DIE GRÜNEN) aber nicht tun. Sie wollen sich wieder bis zur Wahl Das sind die Leistungsträger unserer Volkswirtschaft, durchmogeln. Sie wollen sich nicht einigen, und Sie die durch Ihre Steuer- und Abgabenpolitik in die bereiten die nächste Steuerlüge vor. Die Wählerinnen Schwarzarbeit getrieben werden, weil Sie nicht und Wähler müssen das wissen. Sie müssen wissen, erkannt haben, daß man so mit der Nachfrage und mit wie sie dann zu entscheiden haben. der Verteilung des erwirtschafteten Wohlstandes (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nicht umgehen kann. DIE GRÜNEN) (Zurufe von der CDU/CSU: Das ist doch Meine Damen und Herren, neben einer sozial selbstverständlich! — Das wissen wir doch gerechten Steuerpolitik, die aus drei Komponenten alle!) besteht, nämlich erstens geringere Belastung der Weil die gesamtwirtschaftliche Nachfrage so ram- niedrigen Einkommen, zweitens Verbesserung des poniert ist, sagen wir, daß wir unverzüglich darange- Familienlastenausgleichs und drittens Freistellung hen müssen, Ihre verfehlte Steuer- und Abgabenpoli- des Existenzminimums, wollen wir selbstverständlich tik zu korrigieren. auch unseren Beitrag dafür leisten, daß die zweite Stufe einer Investitionskonjunktur in Gang kommen Das erste, was wir nach wie vor anmahnen müssen, kann, nämlich die Stärkung der Nachfrage nach ist, die falsche Belastung aller Einkommen mit 7,5 % Dazu wollen wir ab 1995 die auf die Steuerschuld abzuschaffen; denn Sie fördern Investitionsgütern. durch diese Entwicklung die Schwarzarbeit. Abschreibungsbedingungen verbessern und auch Investitionszulagen gewähren. (Beifall bei der SPD — Siegfried Hornung (Friedhelm Ost [CDU/CSU]: Wie wollen Sie [CDU/CSU]: Sie wollen sogar 10 %!) das denn finanzieren? Finanzierung gleich Sie entsprechen nicht den Vorgaben des Verfassungs- nennen!) gerichts, das Existenzminimum freizustellen. Und Sie Wir brauchen in ganz Deutschland eine Mittel- unterlaufen die vernünftige Tarifpolitik der Tarifver- standsoffensive. Es ist bedauerlich, daß die kleinen tragsparteien, und mittleren Unternehmen in den letzten Jahren von- (Beifall bei der SPD) Ihnen vernachlässigt worden sind; die Stellungnahme die doch gerade jetzt einen Beitrag zur ökonomischen des Handwerks ist ja ein Beleg dafür. Erholung geleistet haben. (Beifall bei der SPD - Michael Glos [CDU/ Zweitens. Sie sollten sich gar nicht über Strafsteuern CSU]: Unglaublich!) streiten. Stimmen Sie doch unserem seit langem auf Es ist wirklich ein Meisterstück, daß Sie hier zur dem Tisch liegenden Vorschlag zu, einen anderen Gesichtswahrung ein Rabattgesetz durchgepaukt Familienlastenausgleich auf dem Gesetzesweg zu haben, mit dem Sie sieh bei allen betroffenen Verbän- beschließen. 250 DM ab dem ersten Kind wären ein den nur lächerlich gemacht haben. richtiger Einstieg in einen gerechten Familienlasten- (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke ausgleich und würden auch die Nachfrage in unserem Liste) Land stützen und stärken. So kriegt man die Investitionskonjunktur in unserem (Beifall bei der SPD) Land nicht in Gang. Drittens. Herr Kollege Waigel, da Sie so vollmundig Wir wollen die Forschung, die Bildung und die angekündigt haben, Sie würden nachher hier ans Pult Wissenschaft stärken. Dies wird verbal von Ihnen treten zwar immer wiederholt, (Zuruf des Bundesministers Dr. Theodor (Johannes Nitsch [CDU/CSU]: Machen wir Waigel) auch!) — ich bin ja sehr gespannt, was Sie ausführen wer- aber die Zahlen sprechen eine gegenteilige Sprache: den —, dann sagen Sie doch einmal, wie Sie das Die Forschungsausgaben sinken in den Haushalten steuerliche Existenzminimum freistellen wollen. des Bundes seit Jahren. Sie haben das nicht verändert. Wenn Sie das hier überzeugend darlegen können, Um die Inkonsequenz Ihrer Politik deutlich zu dann schenke ich Ihnen eine goldene Uhr. Aber Sie machen: Sie sprechen in Sonntagsreden von der werden das nicht sagen. Sie werden wieder lavieren. Stärkung der Forschung, und dann fordern Sie hier Sie werden vor der Wahl lügen. beispielsweise eine Erhöhung der Patentgebühren. (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ Das ist doch ein Beweis dafür, daß bei Ihnen die linke CSU) Hand nicht mehr weiß, was die rechte tut und daß eine konsistente Wirtschaftspolitik, geschweige denn Ord- Wir warten jetzt schon mit großem Vergnügen darauf, nungspolitik, überhaupt nicht mehr gegeben ist. wie Sie die Besserverdienenden zur Kasse bitten werden, um dem Gebot des Verfassungsgerichts zu (Beifall bei der SPD — Michael Glos [CDU/ entsprechen. Oder wollen Sie etwa wieder über Ver- CSU]: Laßt doch den Lafontaine mal regie brauchsteuern den Personenkreis, den ich vorhin ren! — Friedhelm Ost [CDU/CSU]: Ist das ein genannt habe, hinsichtlich der Nachfrage noch weiter altes Manuskript?) 20848 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Saarland) Meine Damen und Herren, an einer Stelle haben Sie Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und sich korrigiert. Noch vor etwa einem Jahr haben Sie Herren, gestatten Sie mir eine kurze Bemerkung, die hier alle eine Verlängerung der Arbeitszeit gefordert. durch die Zwischenfrage des Kollegen Hinsken ver- Sie haben dann auch durch den Bundeskanzler immer anlaßt ist. Wir haben, wie Sie alle wissen, hier im wieder das Urteil verbreiten lassen: Nur wenn wir jetzt Hause eine Menge Arbeit zu verrichten, die auch alle die Ärmel hochkrempeln und länger arbeiten, während der Plenarsitzung erledigt wird. Das betrifft werden wir die Arbeitslosigkeit in unserem Lande sowohl den Bundeskanzler wie den Oppositionschef, bekämpfen können. Mittlerweile sind Sie belehrt die Fraktionsvorsitzenden und die Geschäftsführer worden und sind — wir begrüßen dies ja — von diesem und die zur Zeit in fünf Ausschußsitzungen, die vor der Dampfer herunter. Sie haben jetzt die Teilzeit ent- Sommerpause unabwendbar sind, sitzenden Kolle- deckt. Das ist durchaus begrüßenswert. gen. Dies alles darf uns nicht dazu verleiten, jeman- dem wegen Terminen oder wegen Fehlens bei der (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Teilzeitar einen oder anderen Veranstaltung Vorhaltungen zu beit!) machen. — Die Teilzeitarbeit, Herr Kollege Lambsdorff. Hinzu kommt noch, daß ein Teil der Kollegen schon nach Berlin abgereist ist. Sie haben unabwendbare Nur, meine Damen und Herren: Wir sollten auch an Termine für die morgigen Sitzungen in Berlin. dieser Stelle redlich miteinander umgehen. Wenn die Besetzung in diesem Hause bei dieser (Johannes Nitsch [CDU/CSU]: Das ist etwas wichtigen Debatte nicht so gut ist, dann gibt es dafür ganz Neues! — Dr. Otto Graf Lambsdorff also sehr gewichtige Gründe. [F.D.P.]: Das fällt Ihnen aber schwer!) (Zurufe von der SPD) Wenn wir die Beschäftigungsstatistik genau betrach- — Ja, aber nicht die Redner. Dann muß ich Ihnen ten, stellen wir fest: Es sind in den letzten Jahren sagen: Das gilt genauso. Es gibt hier manchen, der erheblich mehr Teilzeitarbeitsplätze dazugekommen; durch unsere terminlichen Verschiebungen bei der es sind aber in noch größerem Umfang Beschäfti- Verlängerung von Debatten mit seinen Terminen gungsverhältnisse ohne soziale Absicherung dazu- überhaupt nicht zurechtkommen kann. Auch denen gekommen. Der Weg kann nicht sein, mit sozial nicht sollen wir keine Vorwürfe machen. gesicherten Beschäftigungsverhältnissen und (Beifall bei Abgeordneten der SPD) schlecht bezahlten Teilzeitarbeitsplätzen für die Frauen die Beschäftigungsprobleme des Arbeits- Nun, bitte schön, Herr Bundesfinanzminister Theo- marktes zu lösen. Waigel. (Otto Schily [SPD]: Jetzt verdienen Sie sich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die goldene Uhr!) DIE GRÜNEN — Siegfried Hornung [CDU/ CSU]: Wer redet denn davon?) Wir haben begrüßt, daß Sie sich dieses Themas Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen: angenommen haben. Aber was herausgekommen ist, Herr Präsident! Die Uhr stünde mir zu, aber ich nehme ist mehr oder weniger eine Werbekampagne. Das ist sie nicht an. auch nicht schlecht, doch es wird nicht ausreichen, um (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P. die Beschäftigung in Deutschland wieder in Gang zu — Lachen bei der SPD) bringen. Denn zum einen trage ich keine goldene Uhr. Ich bin Was Sie auf Grund Ihrer überzogenen Standortde- mit meiner einfachen metallenen Uhr zufrieden. Ich batte übersehen haben, ist, daß immer zwei Dinge zu stamme aus kleinen Verhältnissen. beachten sind, einmal die Angebotsbedingungen (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und — da möchte ich durchaus einräumen, daß Sie einiges der F.D.P. — Lachen bei der SPD und dem verbessert haben —, zum anderen aber auch die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nachfrageseite unserer Volkswirtschaft. Sie haben Im übrigen, Herr Kollege Lafontaine, sollten Sie mit die Nachfrage in einem Ausmaße stranguliert — und dem Geld, das der Bund Ihnen für die Sanierung des Sie sind nicht bereit, es zu ändern —, daß hinsichtlich Saarlandes zur Verfügung stellt, sparsam umgehen des privaten Verbrauchs wirklich begründete Veran- lassung besteht, sich Sorgen zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der F.D.P.) Nach der Erfahrung unserer Republik in den letzten und niemandem etwas Goldenes versprechen. Ich Jahrzehnten war Grundlage unseres wirtschaftlichen hoffe, Sie nehmen die Bemerkung so auf, wie sie Wohlstandes auch soziale Gerechtigkeit in unserem gemeint ist. Volke. Man kann nicht ungestraft gegen diese Grund- lage immer wieder verstoßen. Sie haben etwas zum Dollar gesagt. Die entschei- dende Frage, Herr Lafontaine, ist, ob die Fundamen- (Anhaltender Beifall bei der SPD — Beifall taldaten in Ordnung sind. Bei solchen Spekulationen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Michael muß man sehr vorsichtig sein, um bei solchen Ent- Glos [CDU/CSU]: Schade um die Reiseko wicklungen nicht das Falsche zu sagen. Die Funda- sten! — Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Außer mentaldaten, vor allen Dingen in Europa, sind gut, die Spesen nichts gewesen! — Dr. Kurt Faltlhau Wachstumsziffern werden stärker, die Stabilität wird ser [CDU/CSU]: Dafür hätten Sie nicht extra besser — wenn man bedenkt, daß Länder wie z. B. kommen müssen!) Frankreich Stabilitätsfaktoren von immerhin 1,5 % Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20849

Bundesminister Dr. Theodor Waigel haben, die bei uns unter 3 % fallen, so daß wir die heuer mit dieser, wie ich meine, günstigen Mittel- Chance haben, 2 % zu erreichen —, die Tarifab- standskomponente ausgestattet. schlüsse sind günstig. All das führt zu Zinssenkungs- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) spielräumen, die auch die Bundesbank in diesen Obwohl dies eine Wirtschaftsdebatte ist, nehme ich Tagen wieder vorsichtig wahrgenommen hat. die Gelegenheit wahr, Herr Ministerpräsident, um Auch in den Vereinigten Staaten ist das Wachstum etwas zurückzuweisen, was ich heute in einem Maga- stabil, ist auch die Währung stabil, ist auch die zin gelesen habe. Sie haben dem Kollegen Schäuble Stabilität gegeben. Das sind gute Daten. abenteuerlich reaktionäre Vorstellungen unterstellt. Wenn wir klar erkennen lassen, daß die Zusammen- (Dr. -Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Un- arbeit der G 7 und der anderen fortgesetzt wird, dann, glaublich! — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: glaube ich, ist das das richtige Signal für die Unerhört! — Michael Glos [CDU/CSU]: Märkte. Schämen Sie sich!) Ein zweiter Punkt. Sie haben über die Kostenkrise Sie haben von neuen nationalistischen Tönen und von gesprochen. Die Bundesbank hat sich sehr wohl anderem mehr gesprochen. Das, was Sie hier tun, ist mehrmals auch über die Kostenkrise, die Kostensitua- verletzend, es ist bösartig, und es ist falsch. Schäuble tion und die Nachteile geäußert. Es kann doch wohl nationalistisch zu nennen, das ist schlichtweg eine nicht wahr sein, daß Sie hier die Meinung vertreten, es politische und menschliche Unanständigkeit. fehle an der Nachfrage, wenn sich die Lohnstückko- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sten in Deutschland in den letzten Jahren stärker ordneten der F.D.P.) entwickelt haben als in jedem anderen Land und andere Länder ohne Wiedervereinigung wesentlich Welches Weltbild, welches Geschichtsbild haben geringere Steigerungen der Lohnstückkosten hatten Sie eigentlich? Das ist ein Mann, der den Einigungs- als wir. Dies war natürlich auch ein Grund dafür, daß vertrag weitgehend gestaltet hat, der zur deutschen Einheit so viel beigetragen hat. Sie brauchen sich Ihrer die Konjunktur bei uns zurückgegangen ist. Rolle im Jahre 1990, was die deutsche Einheit anbe- Zur Steuer- und Abgabendiskussion. Wenn man so langt, nicht zu berühmen. Sie stehen im Schatten von diskutiert wie Sie, dann frage ich mich allerdings, Wolfgang Schäuble, und Sie sollten sich dieser Bemer- warum Sie bei den Verhandlungen über das föderale kungen schämen. Ich weise sie für die CDU und die Konsolidierungspaket noch immer ein Vorziehen des CSU zurück. Solidaritätszuschlages verlangt haben. Ich finde es (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und ein starkes Stück, den Solidaritätszuschlag in Frage zu der F.D.P. — Zurufe von der SPD) stellen: Sie und Herr Scharping haben ihm im Bun- desrat doch zugestimmt, Wer so schlecht wie Sie in der Debatte um Deutsch- land abschneidet, der muß jetzt zu diesen Mitteln der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Geschichtsklitterung greifen. damit das föderale Konsolidierungspaket verabschie- Meine Damen und Herren, ich bin eben dabei. Ich det werden konnte. Hier werden die Menschen von weiß, das ist Ihnen unangenehm, aber ich mußte die Ihnen getäuscht, als ob Sie ein anderes Instrument kurze Anwesenheit des Ministerpräsidenten benut- hätten. Sie haben dem zugestimmt. zen, um ihm dies vor dem deutschen Parlament sagen Meine Damen und Herren, Sie würden gerade die zu dürfen. beginnende Investitionskonjunktur in ganz entschei- dendem Umfang eindämmen, wenn Sie jetzt eine Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Minister, Ergänzungsabgabe einführten. Wenn Sie uns schon gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen nicht zuhören, dann hören Sie doch wenigstens auf Schily? Karl Schiller, und andere, die Sie dringend davor warnen, zu diesem Konzept zu grei- f en. Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen: Ich bitte um Verständnis. Ich nehme mir sonst die Zeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sie hatten neulich acht Stunden Zeit, mit mir zu Was das Existenzminimum anbelangt, wissen Sie sprechen, Herr Schily. Das genügt mir für den Rest sehr wohl, daß nicht auf einen Schlag eine Erhöhung dieses Sommers. von 5 000 auf etwa 12 000 DM stattfinden kann, daß (Beifall und Lachen bei der CDU/CSU — dies ein Volumen von 44 Milliarden DM erfordern Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Völlig rich würde, daß wir hier nach Lösungen suchen müssen. -tig!) Darum gibt es im Moment eine Expertenkommission, die darüber berät, wie wir das — am besten auch in Setzen Sie sich hin! Ich lasse mich von Ihnen nur Stufen — finanzieren, so daß ein leistungsgerechter befragen, wenn es verfassungsrechtlich unabdingbar Tarif erhalten bleibt. notwendig ist. Sonst beschränke ich meine Kontakte mit Ihnen auf ein Minimum. Sie sind plötzlich der große Liebhaber der steuer- stundenden Investitionsrücklage. Warum haben Sie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dann unser Ansparmodell, das wir zum 1. Januar 1994 Die wirtschaftliche Lage wird besser. Darum wird in Kraft setzen wollten, im Vermittlungsausschuß um die Opposition nervöser. Der Kollege Rexrodt hat die ein Jahr verschieben lassen? Sie rühmen sich einer Daten dargestellt. Es gibt allerdings einen Unsicher- Sache, die wir durchgesetzt und die Sie um ein Jahr heitsfaktor für die ökonomische Entwicklung. Das verzögert haben. Sonst wäre der Mittelstand schon wäre, wenn widrigenfalls, was die Umfragen und die 20850 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Bundesminister Dr. Theodor Waigel Hoffnungen der Menschen im Moment nicht ausdrük- unmöglich geworden. Die politischen Affären im ken, die SPD die Wahl gewinnt. Dann sähe es in der Saarland wirken sich nach außen hin negativ aus. Tat düster aus. Meine Damen und Herren, wenn dann (Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar Sie noch, Herr Lafontaine, Doppelminister für Wirt- land]: Schauen Sie nach Bayern!) schaft und Finanzen wären, dann wäre das der ökonomische Super-GAU unserer Nachkriegsge- Jetzt noch zum Geld. Das Saarland erhält jährlich schichte. Milliardenbeträge aus dem Finanzausgleich. In die- sem Jahr sind es z. B. fast 2 1/2 Milliarden DM: 1,6 Mil- (Beifall bei der CDU/CSU) liarden DM für die Sanierung des Saarhaushaltes, Darum wird das nicht eintreten. rund 100 Millionen DM für politische Führung und zentrale Verwaltung, rund 250 Millionen DM für (Konrad Gilges [SPD]: Das ist Agitation! Pro Bundesergänzungszuweisungen und über 400 Millio- paganda und Agitation!) nen DM im horizontalen Finanzausgleich. In den Jahren 1988 bis 1993 wurden aus den Mitteln der Noch eine Bemerkung zu Ihrer ökologischen Steu- regionalen Wirtschaftsförderung Investitionsprojekte erreform. Sie müssen schon einmal überlegen, was im Saarland mit einem Volumen von fast 6 Milliarden Sie wollen. Wenn Sie mit Umweltabgaben die Sen- DM gefördert und hierfür über 500 Millionen DM an kung der Lohnnebenkosten finanzieren wollen, dann Bundesmitteln bereitgestellt. müssen Sie sich die Frage stellen: Was passiert, wenn der Lenkungseffekt greift, wenn die Bemessungs- (Abg. Siegmar Mosdorf [SPD] meldet sich zu grundlagen der Umweltsteuer schwinden und so das einer Zwischenfrage) Steueraufkommen zurückgeht? Wollen Sie dann die — Nein, ich bin so schön im Fluß. Umweltsteuerschraube immer weiter drehen, bis es überhaupt nichts mehr zu besteuern gibt? Oder stei- Zwischen 1992 und 1994 flossen rund 1,5 Milliarden gen dann die Lohnnebenkosten wieder, und alle DM in die Steinkohleförderung des Saarlandes; die erhofften Beschäftigungseffekte werden zunichte Mittel aus dem Kohlepfennig in mindestens der glei- gemacht? Auch darauf haben Sie keine Antwort chen Höhe wurden dabei noch nicht einmal mitge- gegeben. rechnet. Meine Damen und Herren, ich lasse mich gerne (Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar land]: Das ist unverschämt! Warum schieben auch in meiner Finanzpolitik kritisieren. Aber daß mir - der Ministerpräsident des Saarlandes Schulden vor- Sie denn alles nach Bayern?) wirft, das, meine Damen und Herren, ist schon ein Wir tun das alles für die Menschen im Saarland, die starkes Stück. unter schwierigeren Bedingungen leben als in vielen anderen Regionen Deutschlands. Nur, meine Damen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und Herren, wenn dem so ist und wenn wir uns in 1985 hat der Kandidat Oskar Lafontaine für das Zeiten einer solchen gewaltigen finanziellen Heraus- Saarland verkündet: Wir haben eine schwarze Regie- forderung des Bundes auf Grund der Finanzierung der rung und rote Zahlen; wir brauchen endlich eine rote deutschen Einheit zu diesem großen Akt der Entschul- Regierung und schwarze Zahlen. dung des Saarlands und auch Bremens bekennen, dann sollten Sie hier ein Wort des Dankes sagen und (Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar sollten sich angesichts Ihrer eigenen Haushaltspolitik and]: Sehr richtig!) bei Vorwürfen anderen gegenüber etwas mäßigen. -l Heute haben wir ein Doppelrot, eine zweifache rote (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ampel. Hier geht vorerst überhaupt nichts mehr. Ich lasse mir doch von Ihnen nicht 2 000 Milliarden (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU!) DM Schulden anhängen. Das letzte Mal, als Ihr Kanzlerkandidat hier die Höhe der Schulden genannt Sie sollten sich vielleicht, mindestens in der glei- hat, ist er für die Bundesrepublik Deutschland auf eine chen Häufigkeit wie hier, auch im Landtag des Saar- Verschuldung pro Kopf der Bevölkerung von 65 000 landes sehen lassen, um dort vielleicht auf Feststel- DM gekommen. Nach einem Zeitungsbericht mußte lungen des Rechnungshofs des Saarlandes einzuge- das nachträglich im Protokoll berichtigt werden. Wer hen: Zins-Steuer-Quote 1992 mit 30 % ungefähr drei- das nicht rechnen kann, wer brutto und netto nicht mal so hoch wie im Durchschnitt der alten Länder, unterscheiden kann und wer, wie Sie, mit solchen Kreditfinanzierungsquote mit 14 % ebenfalls beim Vorstellungen auftritt, der darf Deutschland nicht dreifachen Durchschnitt. Das Saarland hat die höchste regieren, und die Wähler werden das auch nicht Pro-Kopf-Verschuldung aller Flächenstaaten. Die mitmachen. Ausgabensteigerungen liegen deutlich über dem Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts, und die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Personalausgaben stellen den größten Einzelposten ordneten der F.D.P.) im Landesetat dar. Wir setzen auf entschlossene Konsolidierung; wir (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und wer ist gehören zu den wenigen Ländern in Europa, die die dort Ministerpräsident?) Kriterien für die Haushaltsdisziplin gemäß dem Ver- trag von Maastricht nahezu einhalten, und das trotz Sie sollten sich mit dem auseinandersetzen, was der Herausforderung, 5 % des Bruttosozialprodukts Dr. Jost Prüm, Präsident der IHK, kürzlich festgestellt für die größte Solidaraktion in Deutschland zur Ver- hat: Werbung für den Wirtschaftsstandort Saar ist fast fügung zu stellen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20851

Bundesminister Dr. Theodor Waigel Wir werden auch die Abgabenlast wieder begren- erlebt, auf dessen Bitte hin die Aktuelle Stunde zen, sobald der finanzpolitische Spielraum dafür verschoben wurde. Aber der Präsident hat das Nötige gegeben ist. Hierbei ist ganz entscheidend, daß wir dazu gesagt. Man muß ihm ja nicht immer zustim- uns darüber im klaren sind: Sobald der Spielraum da men. ist, kann es keine weiteren Ausgabenprogramme, (Abg. Siegmar Mosdorf [SPD] meldet sich zu sondern muß es eine Steuer- und Abgabensenkung einer Zwischenfrage) geben, um die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirt- schaft und der Betriebe zu gewährleisten. — Nein, vielen Dank. Ich muß jetzt die Anwesenheit von Herrn Lafontaine noch benutzen, um mich mit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge dem, was ich sonst im zweiten Teil meiner Rede ordneten der F.D.P.) gesagt hätte, zu Beginn auseinanderzusetzen. Wir tun etwas für den Subventionsabbau. Wir erreichen einen erheblichen Subventionsabbau im „Für eine neue Wirtschaftspolitik" nennt die sozial- Westen, zugunsten des Ostens. Bezogen auf West- demokratische Fraktion ihren Antrag. Und was ist es? deutschland ging der Anteil der Finanzhilfen und Es ist präzise die alte Wirtschaftspolitik. Steuervergünstigungen des Bundes von 1,1 % des (Konrad Gilges [SPD]: Sie haben immer nur Bruttoinlandsprodukts im Jahre 1991 auf 0,75 % im die alten Sprüche drauf!) Jahre 1994 zurück. Wir haben im steuerlichen Bereich Sie haben offensichtlich nichts dazugelernt. Steuersubventionen in Höhe von 40 Milliarden DM in den letzten Jahren abgebaut, um damit die Steuerpo- Wenn Sie, Herr Lafontaine, im übrigen davon spre- litik gestalten zu können. chen, wir meinten, Leistungsträger seien nur die Unsere nationalen und internationalen Wachstums- Bezieher hoher Einkommen, und dann eine Aufzäh- lung machen, bei der ich Ihnen völlig zustimme, daß konzepte sind deckungsgleich: Subventionsabbau, Privatisierung, Deregulierung und gestaltende Steu- Sie recht haben — Leistungsträger ist selbstverständ- erpolitik. Wir befinden uns damit in Übereinstimmung lich auch die Krankenschwester genauso wie das Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft —, mit Europa, mit der G 7, dem IWF und der OECD. Meine Damen und Herren, es gibt eine Empfehlung (Beifall bei der F.D.P.) von einem Herrn namens Jean de La Fontaine, einem dann haben Sie eines vergessen: Leistungsträger sind Novellisten des 17. Jahrhunderts. auch die, die Leistungsträger sein möchten und es aus tausend Gründen nicht sein können. (Zuruf von der CDU/CSU: Kluger Mann!) - Er hat festgestellt: Eilen hilft nicht; zur rechten Zeit ( [Köln] [SPD]: Die Arbeitslosen fortgehen ist die Hauptsache. Diese Empfehlung kann zum Beispiel! — Konrad Gilges [SPD]: Das ist ich nur nachdrücklich unterstreichen. zynisch! — Zuruf des Abg. Siegmar Mosdorf (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge [SPD]) ordneten der F.D.P. Heiterkeit bei der SPD — Ja, die hat er aber nicht erwähnt, Herr Mosdorf. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Und da sind wir beim Thema Arbeitslosigkeit sehr Bevor es für Sie am 16. Oktober 1994 endgültig zu spät schnell angelangt, und darauf komme ich zurück. ist, lesen Sie Ihren Namensvetter! (Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE Vielen Dank. GRÜNEN]: Ihre Freunde in Sachsen-Anhalt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge sind solche Leistungsträger, die es nicht ordneten der F.D.P. — Anke Fuchs [Köln] können!) [SPD]: Das war aber nix! — Otto Schily [SPD]: Sie rühmen sich Ihrer in der Praxis erfolgreichen Ein mißglücktes Unternehmen!) Wirtschaftspolitik; die Sozialdemokraten tun das. So hat ja Ihr Kollege Gerhard Schröder im „Spiegel" Ihre Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Industriepolitik, H err Lafontaine, gerade gelobt. Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Ist sie lobenswert? — Von sieben seit 1991 im Dr. Otto Graf Lambsdorff. Land tagsuntersuchungsausschuß Landtag des Saarlandes, versteht sich, „Steuervollzug des Saarlan- Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Herr Präsident! des" — dort überprüften und ganz offensichtlich Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der steuerlich begünstigten Firmen haben sechs inzwi- saarländische Ministerpräsident hat mir eben signali- schen Konkurs gemacht oder sind in ein anderes siert, daß er noch fünf Minuten Zeit habe. Der Spät- Bundesland abgewandert. Bei der siebenten sind zur nachmittag fängt im Arbeitspensum des saarländi- Zeit die Konten gepfändet. schen Ministerpräsidenten ziemlich früh an. Im Saarland alles in Ordnung? Ausweis erfolgrei- (Konrad Gilges [SPD]: Sie waren schon mal cher Industriepolitik? Ist das, was Sie bei der Dillinger witziger! Sie haben doch auch manchmal Hütte veranstalten, nämlich die Verstaatlichung, ver- einen Termin! — Otto Schily [SPD]: Sie ehrter Herr Ministerpräsident, eigentlich die Weisheit waren schon mal besser! — Siegmar Mosdorf Ihrer Industriepolitik? Und ist es eine richtige Indu- [SPD]: Unter Ihrem Niveau! - Weitere striepolitik, ist es eine staatlich richtige Politik, wie Sie Zurufe von der SPD) die Vorstandsbesetzung dort betreiben? Einen Ober- Ich sage es noch einmal, Herr Mosdorf: Ich finde das bürgermeister — übrigens war das der große Jubila nicht in Ordnung. Wir haben das in der vorigen Woche tor, als Herr Honecker kam — haben Sie als Staatsse- in der Aktuellen Stunde mit Herrn Struck genauso kretär nach Niedersachsen geschickt; da paßt er nicht 20852 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Dr. Otto Graf Lambsdorff mehr, da eignet er sich nicht mehr; jetzt soll er Wer inhaltlich so nah bei PDS - Positionen ist, der Vorstandsmitglied einer Gesellschaft werden. wird sich dann auch in Magdeburg mit duldender (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Was für eine Hilfe der PDS ins Amt des Ministerpräsidenten brin- dumme Rede!) gen lassen. Und das nennen Sie Industriepolitik und auch noch (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- erfolgreiche. ten der CDU/CSU — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Und wo sind Sie in Magdeburg? — Konrad Gilges [SPD]: Nirgends!) Vizepräsident Helmuth Becker: Graf Lambsdorff, Meine Damen und Herren, die gemeinsame Erklä- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mos- rung von SED und SPD vom 27. August 1987 zur dorf? Überwindung der sprachlosen Konfrontation der Sozi- aldemokratischen und der Kommunistischen Partei Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Nein, nein. Ich trägt jetzt späte Früchte. werde keine — — (Zustimmung bei der F.D.P. und der CDU/ (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Herr Lambs CSU — Fortgesetzte Zurufe des Abg. Konrad dorff, die 3,4 % sind nach unten offen!) Gilges [SPD]) Meine Damen und Herren, im übrigen fallen ja den Der Ministerpräsident Lafontaine wagt es — jetzt ist Sozialdemokraten immer nur neue steuerliche Bela- er weg — stungsvorschläge ein. Wir kennen ja die ganze Latte (Zurufe von der SPD) aus den letzten Wochen: Erbschaftsteuer, Vermögen- — es scheint Sie irgendwie zu stören — steuer, Vermögensabgabe, Mineralölsteuer, Ergän- — zungsabgabe, Einbeziehung der freien Berufe in die Gewerbesteuer — Nordrhein-Westfalen —, höhere Besteuerung kinderloser Ehepaare. Vizepräsident Helmuth Becker: Meine sehr verehr- ten Damen und Herren, Zwischenrufe sind gestattet Das, meine Damen und Herren, ist keine Steuer- — das wissen wir alle —, aber keine Störungen. politik für rauchende Schlote, allenfalls für schlau- Deswegen bitte ich, das zu beachten. chende Rote. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und der der F.D.P.) CDU/CSU — Lachen bei der SPD und dem - BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bitte, Kollege Graf Lambsdorff. Und dann dazu, meine Damen und Herren, noch Ihr grüner Partner. „Wendepunkte" haben die GRÜNEN ihr neuestes Papier genannt, und das sieht dann so Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Der Ministerprä- aus: Arbeitsmarktabgabe, Solidaritätsabgabe von sident Lafontaine wagt es, die frühere LDP, die Partei 10 % ab 50 000 DM — warum sollen wir auf den von Arno Esch, Karl Hamann, Hans-Dietrich Gen- Schelm der Sozialdemokraten nicht noch anderthalbe scher, Wolfgang Mischnick, unseren Kollegen, als daraufsetzen? —, gewinnabhängige Investitionshilfe- Honecker-Partei zu bezeichnen. abgabe, Zwangsanleihe unter Marktzinsniveau, Erb- (Friedhelm Ost [CDU/CSU]: Unglaublich!) schaftsteuererhöhung. Die SPD in Sachsen-Anhalt wirbt um demokratische SPD und GRÜNE, beide wollen erst die Vermögens- Wählerstimmen und hat sie bekommen. Drei Tage bildung fördern und dann die angesparten Vermögen später erfleht sie die Duldung der SED-Nachfolgepar- steuerlich bestrafen — mit einem Fuß auf dem Gaspe- tei — Duldung! dal, mit dem anderen auf der Bremse. Sie bestrafen die Die Zwangsvereinigung von SED und SPD ist keine Kapitalbildung; Sie verteuern damit die Basis für neue 50 Jahre her, jetzt gehen Rudolf Scharping, Oskar Arbeitsplätze, und solche Politik ist arbeitnehmer- Lafontaine, Reinhard Höppner und Genossen den feindlich, sie ist auch eigentumsfeindlich; sie ist frei- freiwilligen Weg zur Volksfront. heitsfeindlich, denn — ich zitiere Immanuel Kant: Frei ist nur der, der Eigentum hat oder Eigentum erwerben (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) kann. Meine Damen und Herren, auch in unserer Die weite Entfernung des demokratischen Sozialis- bedrängten Situation sagen wir von der F.D.P. Ihnen: mus von diesem Essential der persönlichen Freiheit Wir werden alles tun, damit die Bundesrepublik haben SPD und PDS hier im Hause in enger Umar- Deutschland diesen Weg nicht geht. mung in ihrer Haltung zum Entschädigungsgesetz (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — gezeigt. Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Weiter so!) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Und Sie haben Meine Damen und Herren, das Stichwort Arbeitslo- 3, 4 % in Sachsen-Anhalt! Und Sie haben sich sigkeit habe ich genannt. „Denn das Leiden aller am Vermögen der Ost-LDPD bereichert!) Leiden ist die Arbeitslosigkeit" , hat Martin Walser Jetzt blockieren Sie es, und damit blockieren Sie auch geschrieben. den Zugriff der Siedler in den neuen Bundesländern Wir freuen uns über die anziehende Konjunktur. auf landwirtschaftliches Eigentum. Wir erwarten 1,5 % reales Wachstum in ganz Deutsch- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Traurig, land, vielleicht sogar mehr, 8 bis 9 % in den neuen traurig!) Ländern. Die Produktivität steigt. Vernünftige Tarif- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20853

Dr. Otto Graf Lambsdorff abschlüsse zeigen positive Wirkung. Der Export zieht Bei dieser Problemlage setzen die Bürgergeldüber- an, die Preissteigerungen gehen zurück. legungen der F.D.P. an. Kann es eine begrenzbare, gegen Mißbräuche abgesicherte staatliche Bezu- Aber es gibt — da bin ich mit dem Bundesfinanzmi- schussung solcher Arbeitsverträge geben? nister und Herrn Lafontaine einer Meinung — auch einige warnende Zeichen: Die Zinsen am langen Ende Der Vorsitzende der CDU-Mittelstandsvereini- des Kapitalmarktes sind in den letzten Monaten um gung, Herr Bregger, hat das einen Griff in die Motten- fast 2 % gestiegen. Kapital ist knapp, im Gegensatz kiste genannt. Der Herr weiß offensichtlich nicht, zum Angebot an Arbeitskraft, und es wird angesichts worüber er redet. Die „negative Einkommensteuer" des Bedarfes in der Welt knapp und teuer bleiben. ist vor Jahren von Milton Friedman ins Gespräch gebracht worden. Sie wurde lange davor schon einmal Der niedrige Dollarkurs verbilligt die Importe. von der Fabian Society in England diskutiert. Damit wirkt er den gestiegenen Weltrohstoffpreisen entgegen. Aber die Kehrseite sind die Erlöse unserer Wir meinen, eine vertiefte Diskussion ist nötig, nicht Exporte auf Dollarbasis. zuletzt auch deshalb, weil sich durch eine Bündelung der steuerfinanzierten staatlichen Transferleistungen Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang eine eine Möglichkeit eröffnen könnte, das jetzige Durch- Bemerkung zur Währungspolitik der Vereinigten einander zu beenden, das darin besteht, daß heute Staaten. Jahrelang wurde der Yen heraufgeredet, 37 Stellen für 152 unterschiedliche Leistungen zustän- jetzt äußert der Finanzminister Besorgnis, während dig sind. der Handelsminister der USA das Ergebnis begrüßt. Ich frage mich wirklich, ob man in Washington ernst- Frau Matthäus-Maier hat gemeint, das sei unbe- lich geglaubt hat, die Relation Yen/Dollar könne zahlbar. Wir halten ihre Berechnungen auch nach ausschließlich bilateral behandelt werden. Feststellungen von Wissenschaftlern, die sich mit der Frage befassen, vor allem von Professor Mitschke, für Nun entwickelt sich das Verhülntis DM/Dollar ent- falsch. gegen allem, was in den Lehrbüchern steht. Oder haben die Lehrbücher vielleicht übersehen, daß zur Herr Lafontaine hat die Nachfragetheorie hier wie- Stärke einer Währung auch das internationale Ver- der ins Spiel gebracht. Es ist ja alles richtig, das ist ein trauen in die Politik des Landes gehört? volkswirtschaftlicher Faktor. Wir haben das letzte Mal schon mit ihm darüber gesprochen. Ich kann die Wir sollten dieses Exempel aufmerksam beobach- Kosten so erhöhen, daß ich die Nachfrage nicht mehr ten. Wenn der Dollar außen- und wirtschaftspolitische habe, weil die Arbeitsplätze, an denen die Löhne- Irritationen nicht erträgt, um wieviel weniger täte es bezahlt werden sollen, verlorengegangen sind. Dann die D-Mark! Die Reaktion der Währungs- und Kapi- habe ich nur noch die Nachfrage durch Arbeitslose mit talmärkte auf eine Politik rot-grüner Experimente ist Arbeitslosengeld. Das macht keinen Sinn. leicht vorherzusagen. Im übrigen wird von Herrn Lafontaine immer wie- Zurück zur Arbeitslosigkeit: Da zeichnet sich eine der übersehen oder jedenfalls nicht erwähnt, daß das interessante Konstellation ab. Liberale und linke Öko- Thema der Sparquote, die Frage der Entsparung in nomen kommen von verschiedenen Ausgangspositio- einer solchen Situation auf der Nachfrageseite nen her an ein gemeinsam erkanntes Hindernis: die berücksichtigt werden muß. Sie wird in diesem Jahr Tarifautonomie. Deutlich niedrigere Löhne führen nach unseren Erwartungen um etwa ein halbes Pro- weg vom Allgemeinverbindlichkeits- und Günstig- zent zurückgehen. Das klingt nach wenig, ist aber keitsprinzip. Umverteilung auf die 30-Stunden- eine Menge Geld. Woche ohne Lohnausgleich führt ebenso dahin. Meine Damen und Herren, Debatten am Ende einer Ich weiß, daß das ein Thema ist, das wir in Vorwahl- Legislaturperiode sind immer dasselbe: Wahlkampf zeiten nicht rational diskutieren können. Eigentlich ist — das ist ja auch in Ordnung — und ein Tagesord- das bedauerlich; denn das mündet doch in die Frage, nungskehraus nach dem Motto „Reim dich, oder ich ob die bei uns praktizierte Tarifautonomie nicht fast freß dich!" , und das auch heute. Was hat denn wohl ausschließlich zugunsten der Arbeitsplatzbesitzer und die Welthandelsorganisation mit der elektromagneti- mehr und mehr zu Lasten der Arbeitslosen geht. schen Verträglichkeit von Geräten zu tun? Ich habe zu diesem weltbewegenden Thema von den bisherigen (Zuruf von der SPD: Das ist ein alter Hut!) Rednern nichts gehört, und ich stimme ihnen zu. Muß das so bleiben? Darf das so sein? Ich will mich, meine Damen und Herren, nur noch mit ein oder zwei Themen beschäftigen. GATT und (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne haben wir im Bundestag diskutiert. Ich wieder- ten der CDU/CSU) WTO hole die Zustimmung der F.D.P.-Fraktion und unseren Die neue internationale Arbeitsteilung wird heute Dank für den erfolgreichen Einsatz der Bundesmini- wesentlich durch weit unterschiedliche Arbeitsko- ster Kinkel und Rexrodt in einem lebenswichtigen sten in benachbarten Ländern in Europa bestimmt. Feld deutscher Wirtschaftspolitik. Das kann nicht ohne Einfluß auf Einkommen in den (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- unteren Lohngruppen bei uns bleiben. Und das kann ten der CDU/CSU) — nicht muß — zu unzureichenden Einkommensver- hältnissen führen, zu dem, was man in den Vereinig- Ich finde, es ist wichtig, daß wir uns mit dem ten Staaten die „armen Arbeitenden" nennt. Ist das Problem der Textilindustrie, die vorwiegend mittel- schlimmer, oder sind „arme Arbeitslose" bedrücken- ständisch geprägt ist, beschäftigen. Sie ist ein Muster- der? beispiel dafür, wie sich ein Wirtschaftszweig unter 20854 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Dr. Otto Graf Lambsdorff schwierig en Wettbewerbsbedingungen ohne staatli- mittels steuerlicher Anreize eine umwelt- und ressour- che Hilfe und ohne Subvention durchgekämpft hat. censparende Energiestruktur aufgebaut werden. Sie hat Anspruch darauf, daß ihre Wettbewerbsbedin- gungen nicht verfälscht werden. Statt dessen wurden bis 1990 Projekte wie der schnelle Brüter in Kalkar oder der Hochtemperaturre- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der aktor in Hamm subventioniert. Subventionen für die CDU/CSU) Atomindustrie, den Airbus, die Raumfahrt oder den Die Verpflichtungen der Lieferländer aus dem GA TT Transrapid gelten als Zukunftsinvestitionen; aber es müssen eingehalten werden. Umwegseinfuhren müs- ist schon heute abzusehen, daß eben diese Projekte sen verhindert werden. dauernd am Subventionstropf hängen werden. Erfreulicherweise kann festgestellt werden, daß das Subventionen bis hin zu Markteinführungshilfen soeben verabschiedete Arbeitszeitrechtsgesetz fle- sind für die PDS/Linke Liste dann sinnvoll und unter- xiblere Maschinenlaufzeiten ermöglicht. Es war stützenswert, wenn sie Bestandteil eines Gesamtkon- schwer, die Einsicht des Bundesarbeitsministers in zepts sind. Finanzhilfen für krisengeschüttelte Bran- diese Notwendigkeit zu gewinnen. Bei der SPD ist es chen und Wirtschaftsregionen sind berechtigt, wenn erwartungsgemäß zu dieser Einsicht nicht gekom- und solange sie Umstrukturierungsprozesse fördern men. Sie wollte die 40-Stunden-Woche gesetzlich und beschleunigen und wenn sie einer regional- und festschreiben. Sie beharrt auf veralteter Denkweise arbeitsmarktpolitisch abgestimmten Gesamtstrategie und nimmt wirklich unnötige Arbeitslosigkeit sehen- folgen. den Auges in Kauf. Meine Damen und Herren, wir sind längst nicht Für branchenspezifische Subventionen, die in der über alle Schwierigkeiten hinweg; aber es hat auch Regel an Anpassungsauflagen gebunden sind, müs- gar keinen Sinn und wäre ein Unrecht gegenüber den sen klare Entscheidungsregelungen entwickelt wer- Menschen im Lande, aus wahlpolitischen Gründen den, um willkürlich erscheinende Entscheidungen den sich abzeichnenden und immer deutlicher wer- auszuschließen. Aber der Subventionspolitik der Bun- denden Aufschwung herunterzureden. Gewiß, er desregierung fehlt jegliche Qualitätskontrolle. bereinigt nicht — der Bundeswirtschaftsminister hat Die bisher vorgelegten Subventionsberichte konn- das offen und ehrlich gesagt — die strukturellen ten keine Zielkontrolle ersetzen. Es fehlen immer Schwierigkeiten; aber ohne den konjunkturellen Auf- noch klare Angaben darüber, ob das, was mit den schwung werden wir die strukturellen Schwierigkei- Subventionen bewirkt werden sollte, tatsächlich ten überhaupt nicht beseitigen. erreicht wurde. Die Bundesregierung ist nicht in der Deswegen ist die Bundesregierung mit ihrer Wirt- Lage, eine Bewertung der Subventionen hinsichtlich schafts- und Finanzpolitik auf dem richtigen Wege. ihrer Effizienz vorzunehmen, deren Kriterium nicht Wir unterstützen sie dabei. die Medienwirksamkeit der einen oder anderen popu- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) listischen Äußerung ihres Wirtschaftsministers ist. Die PDS/Linke Liste bekennt sich vor dem Hinter- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und grund der Krise auf dem Arbeitsmarkt insbesondere in Herren, nächste Rednerin ist jetzt unsere Frau Kolle- den neuen Bundesländern dazu, mittels Subventionen gin Dr. Barbara Höll. die Sicherung von Arbeitsplätzen und Produktion sowie die Sanierung mittelfristig sanierbarer Betriebe zu ermöglichen. Die PDS/Linke Liste ist auch gern Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): I Zerr Präsident! bereit, an der Ausarbeitung eines derartigen Konzepts Meine Damen und Herren! Ich gebe meinem Vorred- mitzuwirken, das Subventionskürzungen mit klaren ner in einem Punkt recht. Diese heutige Debatte ist ein Förderprioritäten und Zielvorgaben verbinden ziemliches Sammelsurium. sollte. Ich möchte mich auf einige kritische Bemerkungen Ich komme nun zum GATT-Abkommen. In der zum Subventionsbericht, zum GATT-Abkommen, Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregie- zum Thema Standortsicherung sowie zum Asienkon- rung zur Errichtung einer Welthandelsorganisation zept der Bundesregierung beschränken. heißt es — ich zitiere: Der 14. Subventionsbericht der Bundesregierung ist ein weiterer Beleg dafür, daß es der Regierung Für die Entwicklungsländer bedeutet der erfolg- nicht gelingt, bei der Gewährung von Finanzhilfen reiche Abschluß der Verhandlungen einen weite- dem Lobbyismus zu entsagen. Aber das ist wahr- ren Schritt zu einer tieferen Integration in das scheinlich auch nicht das Ziel. Zu deutlich tritt auch in multilaterale Handelssystem, verbunden mit diesem Bericht hervor, daß nicht zuletzt mit dem zahlreichen Liberalisierungsgewinnen. Steueränderungsgesetz 1992 und dem Standortsiche- rungsgesetz 1993 die Tendenz fortgesetzt wurde, den Über das Interesse, das sich in solche Vertragstexte zu Unternehmen massive Steuererleichterungen und kleiden pflegt, heißt es in einer anderen Schrift sehr Steuerstreichungen zu bescheren. zutreffend — ich zitiere nochmals: Aus Sicht der PDS/Linke Liste führt eine abstrakte Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Diskussion über Subventionen in die Irre. Wir fordern Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über seit langem eine Verknüpfung staatlicher Finanzhil- die ganze Erdkugel. Überall muß sie sich einni- fen mit einer ökologischen und sozialen Kriterien sten, überall anbauen, überall Verbindungen folgenden Wirtschafts- und Finanzpolitik. So könnte herstellen. ... Sie zwingt alle Nationen, die Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20855

Dr. Barbara Höll Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueig- steckt hinter dieser Politik nichts anderes als ein nen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen. nationalistisches Motiv (Zuruf der CDU/CSU: Wer hat denn das (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist noch geschrieben?) schlimmer als Marx!) — Marx-Engels-Werke, Band 3. und die stillschweigende Übereinkunft der Herr- Während beim GATT die Bewältigung der inner schenden, diese Weltwirtschaftsordnung zu verteidi- westlichen Konflikte zwischen den Industrienationen gen, die Hungersnöte, Armut, Ruinen und Tote gefeiert wird, vegetieren die Masse der Entwicklungs- bedeutet. länder und zunehmend auch die mittel- und osteuro- Auch die systemimmanente Bilanz dieser Politik ist päischen Staaten am Rande des Weltwirtschaftssy- verheerend. stems. Diese Länder bilden die sogenannten struktur- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das müssen schwachen Regionen der Weltwirtschaft und sind Sie am besten wissen!) eher Objekte als Subjekte der internationalen Wirt- schaftspolitik. Die Industrialisierungsbemühungen sind gescheitert, deren ökonomisch-soziale Folgewirkungen die ärm- Die damit verbundenen Verluste der Entwicklungs- sten Bevölkerungsschichten treffen. Das Gesamtsy- länder und die Zugewinne der Industrieländer wer- stem internationaler Abhängigkeiten wird inbeson- den in der Begründung der Bundesregierung aus dere dadurch stabilisiert, daß gerade von den verständlichen Gründen nicht erwähnt. Die tatsächli- schwächsten Gliedern innerhalb der weltwirtschaftli- che soziale und wirtschaftliche Entwicklung der Ent- chen Arbeitsteilung Anpassungsleistungen abgefor- wicklungsländer verläuft völlig anders als propagiert. dert werden, zu denen die ökonomisch wesentlich Einige Schwellenländer stehen zwar weit günstiger stärkeren industrialisierten Nationen nicht bereit da als früher, aber in ganzen Regionen in Afrika, sind. Lateinamerika und Asien haben sich die sozialen Bedingungen der großen Mehrheit der Bevölkerung Durch die vor allem von den nordwestlichen Indu- gerade in den letzten zehn bis zwanzig Jahren rapide strieländern und den transnationalen Konzernen verschlechtert. dominierten Weltwirtschaftsstrukturen entstehen in den unterentwickelten Ländern vielfältige ökonomi- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Der Kom sche Verwüstungen, die sich nach den Schätzungen munismus hat auch nichts geholfen!) des UN-Entwicklungsprogramms allein 1990 auf rund- - Hören Sie zu, die Zahlen sprechen für sich. 500 Milliarden US-Dollar beliefen. Die staatlich In Lateinamerika ist das Pro-Kopf-Einkommen wäh- gewährte Entwicklungshilfe umfaßt nur ein Zehntel rend der 80er Jahre gesunken. Die Einkommen liegen dieses Betrags, rund 54 Milliarden US-Dollar. gegenwärtig um mehr als 10 % unter dem Stand von Nach Meinung der PDS/Linke Liste sind ohne eine 1980. In Afrika sank das Pro-Kopf-Einkommen noch wirkliche Gewährung von Entwicklungschancen, erheblich stärker, im Durchschnitt um ein knappes ohne den Transfer moderner, den ökologischen Erfor- Viertel, nämlich um 23 %. 1,1 Milliarden Menschen, dernissen entsprechender Technologien sowie ohne das sind 20 % der Weltbevölkerung, sind absolut arm. eine weltweite Arbeitsteilung, die nicht weiter zu Diese äußerst ungleichmäßige Entwicklung wird sich Lasten einer rückständigen Region geht, die drohende nach den jüngsten Einschätzungen der Weltbank Entwicklungskatastrophe im Süden und Osten und fortsetzen. ihre Folgewirkungen auf die entwickelten Länder Die Wachstumsimpulse ergeben sich danach in kaum abzuwenden. erster Linie für die Industrienationen, während die Neben den Defiziten, die von der Wirtschaftspolitik Chancen für die Entwicklungsländer sehr ungleich- der Bundesregierung für die Entwicklung der Welt- mäßig verteilt sind. Selbst die nicht linksradikale wirtschaft ausgehen, wird auch im Inland die Politik Weltbank erwartet, daß die in Armut lebende Bevöl- zugunsten der Profite der Unternehmen und zu Lasten kerung auf dem afrikanischen Kontinent eher noch der Mehrheit der Bevölkerung fortgeführt und zunehmen wird. Dazu gesellen sich auch noch viele beschleunigt. Die Bundesregierung verfaßt einen militärische Konflikte. Bericht nach dem anderen, wie sie gegen eine feind- Die Flüchtlingsbewegung in die reichen Länder liche Welt, in der es zu hohe Löhne und noch höhere oder — anders gesagt — in Länder, in denen Men- Steuer- und Abgabenbelastungen der Unternehmun- schen nicht an Hunger sterben müssen, nimmt unter gen gibt, die Zukunft des sogenannten Standorts diesen Bedingungen zu. Die von Koalition und SPD Deutschland sichern will. Doch manchmal schimmert beschlossene juristische Abschottung nach außen hinter dem ideologischen Wulst der Regierungsprosa beseitigt zwar nicht die Ursachen dieser Flüchtlings- ein Körnchen Wahrheit hindurch. Auf Seite 3 der bewegungen, aber sie schottet die bundesdeutsche Unterrichtung ist zu lesen: Gesellschaft vor den Opfern der kapitalistischen Welt- Das Standortsicherungsgesetz hat die Ertragsbe- wirtschaftsordnung ab. steuerung der Unternehmen Was Koalition und SPD als leistungsgerechten und — man höre! — fairen Welthandel bezeichnen und was die Wettbe- werbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sichern soll, auf das niedrigste Niveau seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland gesenkt. das dient nur dem einen Ziel: Die Position des deutschen Kapitals muß weltweit und gegenüber (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: War höch- anderen Nationen gesichert werden. Aus meiner Sicht ste Zeit!) 20856 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Dr. Barbara Höll Doch das ist noch nicht genug. 1994 soll dann eine obwohl er doch bestens weiß, Herr Hörster, daß die neue Losung gelten: „nationaler Beschäftigungs- seit der Standortdebatte Deutschland erkannten pakt". Hier, muß ich sagen, sind mir die Scheinge- strukturellen Mängel und Defizite längst nicht beho- fechte etwas unverständlich, die wir von den Herren ben sind, daß dieser Aufschwung — ich sage das ganz der anderen Parteien bisher gehört haben. Letztend- deutlich, so wie das Tyll Necker gesagt hat — nicht lich sind Sie sich da doch einig. Die „Sicherung der mehr ist als ein kleines Auf ohne Schwung. Wettbewerbsfähigkeit" ist eine in Worte gekleidete Um im Bild Ihrer Karikatur zu bleiben, Herr Rexrodt: Verharmlosung, denn es geht um die Stärkung der Die Mühle, die Sie offensichtlich betreiben und auf die Offensivkraft des deutschen Kapitals. Das, was Sie Lafontaine und Scharping anreiten, wird ja wohl mehr hier machen, heißt nichts anderes, als daß Sie die mit versetzten Winden betrieben als mit regenerativer sozialen Folgen möglichst auf Wohlfahrtsverbände Energie. Aber wir wissen ja, Kohl bläht. An Ihnen abwälzen wollen und weiter sicherstellen wollen, daß kann man das deutlich erkennen. die Gewinne der kapitalistischen Wirtschaftspolitik bei den Herrschenden bleiben und dann noch der (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Bundesgrenzschutz die Grenzen absichert, damit Eines möchte ich noch einmal sagen. nicht irgend jemand in dieses Land hineinkommt. (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Sagen Sie Sehen wir uns das Asien - Konzept der Regierung doch einmal etwas Substantielles!) an. Die kapitalistische Erschließung und Durchdrin- gung dieses Erdteils erfolgen unter dem stereotypen Sie haben das vielleicht ganz gut verstanden, Herr Hinweis, daß deutsche Wirtschaftskraft in die „dyna- Waigel, daß Sie den Solidaritätsbeitrag und den mischste Wachstumsregion der Welt" hinein muß. Die Unterschied zu Ihrer Ergänzungsabgabe so demago- PDS/Linke Liste befürwortet selbstverständlich die gisch verwischen. Es besteht ja so ein großer Unter- Entwicklung partnerschaftlicher und gerechter Bezie- schied nicht, zumindest nicht im Betrag, der erhoben hungen der Bundesrepublik zu den Ländern der wird. Da sind es nur 2,5 % Abweichung. Aber wie wird asiatisch-pazifischen Region. Wir lehnen dieses Kon- er erhoben? Auf der einen Seite wollen Sie alle zept jedoch ab, weil es über die bekannten und von abkassieren. Sie betreiben also eine Politik ohne Bart, mir kritisierten Phrasen, siehe „Wirtschaftsstandort wo alle abrasiert werden. Auf der anderen Seite Deutschland", nicht hinausgeht und sich darin nehmen wir die in die Pflicht, die in dieser Gesellschaft erschöpft, die Verteilungskämpfe zwischen den drei noch solidaritätsfähig sind, die in der Lage sind, das zu Weltwirtschaftszentren zu organisieren. bezahlen, obwohl das schwer genug ist. Sie haben - Deshalb treten wir für eine grundlegend andere diese Solidarität in diesem Land ja wirklich auf den Politik ein, die sich an den Grundbedürfnissen der Hund gebracht. Sie haben sie nämlich nach der deutschen Einheit nicht abberufen. Mehrheit der Bevölkerung orientiert. Die Alternativen der PDS/Linke Liste liegen auf dem Tisch: Wie tief der politische Tiefgang ist, also wie sehr der (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was? Eine Countdown läuft, das hat Ihre Rede gezeigt, Graf Alternative?) Lambsdorff. Sie sollten sich lieber den Kopf zerbre- chen, wo die 10 % Wähler in Sachsen-Anhalt geblie- die Demokratisierung der Weltwirtschaft nach öko- ben sind, als daß Sie hier gute Ratschläge geben. Die logischen Kriterien mit verbindlichen Standards für Wähler danken es Ihnen jedenfalls nicht. Sie müssen alle Länder, eine Steuerreform, die u. a. auch daran sich offensichtlich schon selbst und Ihre beiden Mi- gebunden sein sollte, daß Investitionen Arbeitsplätze nister loben, die hier langsam ihre Abschiedsvorstel- schaffen müssen, daß entsprechende Subventionen lung geben. und auch entsprechende Abgaben z. B. von Höher verdienenden ab einer bestimmten Einkommens- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN grenze erfolgen. Das alles kann man nachlesen. Ich und der SPD — Bundesminister Dr. Theodor denke, es ist Zeit, daß Sie sich nach den jüngsten Waigel: Hahaha!) Wahlergebnissen, die Sie im Lande erzielten, diesem — Aber selbstverständlich. Problem endlich widmen. Ich will nur einen Punkt dieser miserablen Wirt- Ich danke Ihnen. schaftspolitik herausgreifen, die wir in den letzten (Beifall bei der PDS/Linke Liste — Siegfried dreieinhalb, vier Jahren erlebt haben, ein liberales Hornung [CDU/CSU]: Das machen Sie jetzt Steckenpferd. Wer hätte es bisher nicht geritten. Es in Magdeburg!) geht um die Absichtserklärungen zu der fröhlich weiterwuchernden Subventionitis, die wir in diesem Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Land haben. Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Werner (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Wovon leben Schulz das Wort. Sie denn!)

(Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Von den Finanzhilfen und Steuervergünstigungen Werner Schulz des Bundes profitieren vielfach gesellschaftliche NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich Gruppen, die überhaupt nicht der staatlichen Unter- kann jeden verstehen, der dieser Wirtschaftsdebatte stützung bedürfen. nicht folgen kann. Da stellt sich der Wirtschaftsmini- ster hin und lobt sich und seine dürftige Politik über Ich werte Ihre Zurufe als Zuspruch, daß Sie die allen grünen Klee, Probleme ebenfalls so erkennen. (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Recht tut er Die Bundesregierung hat diesen Zustand nicht daran!) geändert, obwohl sie mit den Versprechen angetreten Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20857

Werner Schulz (Berlin) ist, die Subventionen auf den Prüfstand zu stellen. In Die Bundesregierung stellt sich im 14. Subventions- den Koalitionsvereinbarungen ist der Abbau der Sub- bericht die Aufgabe, Dauersubventionen abzubauen. vention sowie sonstiger Vorteile von Großunterneh- Die Zahlen belegen jedoch glatt das Gegenteil. men gegenüber kleineren und mittleren Unterneh- Die Steuersubventionen haben sich insgesamt von men ausdrücklich vereinbart worden. Doch Reden 18 Milliarden DM im Jahre 1990 auf fast 22 Milliarden und Handeln der Regierung sind bekanntlich zweier- DM im Jahre 1993 erhöht. Dabei zeigt sich auch, daß lei Sachen. diese Subventionen nur in relativ geringem Maß in die Das deutlichste Beispiel ist das Subventionssystem neuen Bundesländer fließen. Die Forderung nach in der Landwirtschaft, das Verbraucher und Steuer- Abbau blieb also ein Lippenbekenntnis, dem keine zahler mehr kostet, als die Landwirte dem Sozialpro- Taten gefolgt sind. dukt hinzufügen. Die Bundesregierung subventio- Die Bundesregierung handelt nach dem Motto in niert mit jährlich etwa 30 Milliarden DM eine die Goethes Faust: „Wir wollen alle sparen und brauchen Umwelt zerstörende Überproduktion im Agrarsek- alle Tage mehr." Die ständige Beschwörung der tor. Forderung nach Subventionsabbau hat offensichtlich Auch andere Beispiele zeigen, daß die Bundesre- nur dazu geführt, daß die staatlichen Förderleistungen gierung kein Interesse am Abbau der unnötigen immer weiter ausgedehnt worden sind. Dabei bleiben Subventionen hat. So wird klammheimlich die Zonen- die Zwecke dieser Subventionen meist im Verborge- randförderung über das Jahr 1994 hinaus fortgesetzt. nen. Da befindet sich wahrscheinlich das Gros der bäueri- Namentlich die Liberalen rufen ständig lauthals schen Schankwirte. Gefördert werden hier Unterneh- nach Subventionsabbau und versorgen dennoch men, für die heute der Subventionstatbestand weitge- ungeniert ihre Klientel mit guten Gaben. Politische hend entfallen ist. Inhalte sind in dieser Partei zur Beliebigkeit verkom- men. Die Hauptsache ist, daß in Bonn mitregiert wird Noch schwerer wiegt, daß damit die steuerlichen und daß die Besserverdienenden keine Steuervorteile Förderungen von Unternehmen in den neuen Bundes- einbüßen. ländern, wenn Sie so wollen, die neue Zonengrenze, die wir eigentlich im Grenzbereich zu Polen und Das ökologische Handeln dieser Regierung ist unter Tschechien haben, unterlaufen wird. dem Stichwort Blackout zu finden. Die Umweltsünder werden mit Subventionen belohnt, umweltgerechtes Kennzeichnend für die durch mächtige Interessen- Handeln wird nicht honoriert oder sogar bestraft. Die verbände beherrschte Subventionsvergabe ist auch Subventionen von Bund und Ländern begünstigen die Tatsache, daß bei den Finanzhilfen im Bereich der ökologisch unsinniges Verhalten. Dafür werden ins- Luftfahrtindustrie, der Werften und im Stahlbereich gesamt mehr als 10 Milliarden DM ausgegeben, ein einziger Großkonzern, und zwar Daimler-Benz, mit einem Anteil von 70 % hervorsticht. (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Herr Schulz, nennen Sie ein Beispiel!) Die Bundesregierung gibt heute vor, die Subventio- nen seien zurückgegangen. Das ist reine Lüge. Insge- so ein Expertenbericht für die Umweltministerkonfe- samt sind die Subventionen sogar in der Abgrenzung renz des Bundes und der Länder, während sich die des Bundes von 25 Milliarden DM im Jahre 1990 auf Subventionen des Bundes für den Umweltschutz im über 37 Milliarden DM im Jahre 1993 gestiegen. Das Jahre 1991 auf verschwindende sage und schreibe sagt Ihre Regierung ja selbst aus; wir haben das alles 2,4 Millionen DM beliefen. über unsere Kleinen Anfragen abgefragt. Nur ein Beispiel dieser ganzen Absurditätenliste: Fast 700 Millionen DM kosten die Steuervergünsti- (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Sie gungen durch den Verzicht auf die Kfz-Steuer in der wissen doch, warum!) Land- und Forstwirtschaft. Diese Ausnahmeregelung — Ich sage nur, was Sie sagen und was auf der aus dem Jahre 1935 sollte die Motorisierung in der anderen Seite Tatsache ist, Herr Waigel. Landwirtschaft fördern. Der Subventionszweck ist längst erreicht. Die Subvention besteht dennoch wei- Ansonsten können wir uns ein andermal unterhal- ter. Rückschrittlicher kann man eine Politik doch gar ten. Ich glaube, von der Regierungsbank aus sind Sie nicht mehr machen. nicht zu Zwischenrufen berechtigt. Die gesetzlichen Regelungen der Subventionsver- (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Es ist gabe taugen nichts. Deshalb muß an die Stelle der furchtbar!) klientelorientierten Subventionierung eine neue Form öffentlicher Förderleistung treten. Wir haben — Sie können ja als Abgeordneter Waigel eine Zwi- deshalb einen Gesetzentwurf eingebracht, der dieses schenfrage stellen. Chaos in der Subventionspraxis, diese Unübersicht- (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Lohnt lichkeit überwindet. sich nicht! Seien Sie nicht so empfindlich!) Wenn Herr Rexrodt beklagt, daß es hier kein Gesetz Das Gesamtvolumen der Subventionen unter Ein- zum Subventionsabbau gibt, dann haben Sie heute schluß der Länder, Gemeinden, ERP-Finanzhilfen und die Möglichkeit, dem zuzustimmen bzw. das zu unter- Marktordnungsausgaben stieg im gleichen Zeitraum stützen. von 78 Milliarden DM auf 114 Milliarden DM. Die Ich will einen anderen Punkt der strukturellen Subventionen pro Einwohner der Bundesrepublik Fehlsteuerung herausgreifen. Das ist die derzeit f eh stiegen von 1990 bis 1993 von 1 300 auf 1 400 DM. ökologische Steuerpolitik. Es ist schon beinahe-lende 20858 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Werner Schulz (Berlin) rührend, wie sich nun auch der Wirtschaftsminister tun haben, ist erst dann wiederhergestellt, wenn Ihre dieses Thema erobert. Die Steuern in der Bundesre- Partei darauf verzichtet, sich an dem Vermögen der publik, so sagt er, müssen mittelfristig so reformiert Helfershelfer der SED, nämlich der LDP, zu berei- werden, daß ökologischen Belangen und der Scho- chern, das Ihnen insgesamt und wahrscheinlich auch nung natürlicher Ressourcen endlich Rechnung getra- auf heute bezogen recht ist, wohl nach dem Motto: gen wird. Mein Gott, warum tun Sie es dann nicht? Geld stinkt nicht. Ihre Partei ist seit 25 Jahren an der Regierung, und (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ bisher ist nichts in dieser Richtung geschehen. DIE GRÜNEN) Solange Sie die Ökosteuern unter den Europavorbe- halt stellen, wird auch weiterhin nichts geschehen. Alle drei Reden haben darüber hinaus, meine sehr Immer wenn es darauf ankommt, wenn es spannend verehrten Damen und Herren, bestätigt, was kluge wird, ist bei der Partei der Besserverdienenden Fehl- Beobachter der sich entwickelnden Wahlkampfszene anzeige zu vermelden. schon seit geraumer Zeit prognostizieren, Statt der ökologischen Auszeit, wie sie die Bundes- (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Klären Sie mal regierung praktiziert, müssen jetzt die Chancen der Ihr Verhältnis zur PDS!) Strukturkrise für eine gezielte Reformpolitik genutzt daß Sie nämlich in Regierung und Koalition drauf und werden. Die Bundesrepublik muß in dieser Frage, dran sind, der Steuerlüge des letzten Wahlkampfes wenn möglich mit anderen reformwilligen Ländern eine Täuschung mit dem Etikett „Aufschwung" in gemeinsam, vorangehen, muß einen ersten Schritt diesem Wahlkampf folgen zu lassen. Denn die 1, 1,5 tun, um die Ökosteuer in Europa voranzubringen. Die oder 2 % Wachstum beruhen auf der Nachfragesteige- Ergebnisse der jüngsten DIW-Studie über Öko- und rung in großen Teilen der Welt, aber außerhalb der Energiesteuern bestätigen den Reformansatz von Bundesrepublik Deutschland. Das ist die Ursache für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. den Export. Eine Steuerreform, die ökologisch wirksam den (Beifall bei der SPD) Energieverbrauch schrittweise verteuert und die dar- aus entstehenden Einnahmen dafür verwendet, die Dies als eine besonders hervorragende Leistung die- Lohnnebenkosten zu verringern, schafft eine große ser Bundesregierung auszugeben, das ist schon ein Zahl neuer Arbeitsplätze; denn der Rationalisie- starkes Stück. rungsdruck in den Unternehmen wird vom Problem (Beifall bei der SPD) Arbeitsplatzabbau auf das wirkliche Problem Ener- - gieeinsparung verlagert. Das hilft der Umwelt und Wenn irgendwo in der Welt, in den Vereinigten belebt den Arbeitsmarkt. Staaten, in Südostasien und in Japan, die dortigen Regierungen es erreicht haben, daß in ihrem Land die Wir wissen, meine Damen und Herren, es genügt Nachfrage wächst, Investitionen gesteigert werden nicht, die notwendigen Reformen einzufordern. Kon- und stattliches Wachstum zu verzeichnen ist und zepte dafür sind vorhanden. Es wird Zeit, sie umzu- wenn die Bundesrepublik Deutschland davon profi- setzen. Deshalb wollen wir, daß diese abgewirtschaf- tiert, das dann als einen Leistungsbeweis der hiesigen tete Regierung abtritt. Politik heranzuziehen ist so durchsichtig, daß Sie (Josef Grünbeck [F.D.P.]: Sie haben Vor damit wohl kaum durchkommen werden. tritt!) (Beifall bei der SPD) Solche Wahrheiten sind aber nur die eine Seite der Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Medaille Täuschung mit dem Namen „Aufschwung". Herren, nächster Redner ist jetzt unser Kollege Peter Die andere ist wesentlich dramatischer. Wer nämlich 1 Reuschenbach. oder 2 % Steigerung des Bruttosozialproduktes feiert und vergessen machen will, daß parallel dazu von Peter W. Reuschenbach (SPD): Sehr verehrter Herr Dezember 1993 bis Ende Mai 1994 die Zahl der Präsident! Meine Damen und Herren! In den 22 Jah- Arbeitslosen saisonbereinigt noch einmal um 100 000 ren, in denen ich dem Bundestag angehöre, habe ich und gegenüber dem gleichen Zeitpunkt des Vorjahres selten eine Debatte — jedenfalls in ihrem ersten um 360 000 zugenommen hat, und wer verschweigen Teil — und schon gar keine wirtschaftspolitische will, daß die Prognose für das BPS mit einer weiteren Debatte erlebt, in der in einer so miesen, schludrigen Steigerung in diesem Jahr von 300 000 bis 400 000 und stilwidrigen Art und Weise mit Themen und mit zusätzlichen Arbeitslosen begleitet ist, der täuscht Personen umgegangen worden ist. Zwei Minister und sich, aber auf jeden Fall das staunende Publikum, vor ein ehemaliger Minister sind in einer persönlichen, allen Dingen dann, wenn Sie die These verbreiten, gehässigen Art und Weise über einen Ministerpräsi- jetzt habe man es aber gepackt. denten hergefallen, was sie sich allenfalls in Bierzel- (Beifall bei der SPD — Anke Fuchs [Köln] ten oder auf irgendeinem Marktplatz drei Tage vor der [SPD]: Mit Absicht!) Wahl leisten könnten. Was heißt denn diese bittere Erfahrung: Steigerung (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der des BPS um 1 oder 2 %, parallel dazu Steigerung um CDU/CSU und der F.D.P.) Hunderttausende von Arbeitslosen? Das heißt: Wer 2 Aber es ehrt sie nicht, hier so aufgetreten zu sein. oder 3 % als Wende feiert, findet sich in Wirklichkeit Ihnen, verehrter Graf Lambsdorff, will ich sagen: damit ab, daß es bei diesem Tempo viele, viele Jahre, Ihre Glaubwürdigkeit in allen Fragen, die mit DDR- ein Jahrzehnt oder länger, dauern würde, die fehlen- Nachfolgewirkungen und -Nachfolgeproblemen zu den sechs Millionen Arbeitsplätze zu schaffen. In Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20859

Peter W. Reuschenbach Wirklichkeit haben Sie sich auch mit der Millionen- darunter leben. Das ist doch alarmierend in einem zahl von Arbeitslosen abgefunden. Die interessieren so reichen Land. Sie überhaupt nicht mehr. Weiter sagt er: (Beifall bei der SPD) Ich kritisiere die Verteilung des Erwirtschafteten. Die bittere Lehre heißt auch, daß allenfalls ideolo- Die Entwicklung führt zu einer polarisierten gische Verbohrtheit noch daran hindert, Gesellschaft. Und wenn fast vier Millionen Arbeitslose vom Wirtschaftsprozeß einfach aus- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Bei Ih geschlossen sind, dann ist das schlimm, dann ist nen!) das ein Skandal. einzuräumen, daß konjunkturelle Erholung, so nötig (Beifall bei der SPD) und so wünschenswert sie ist, die aber von hier aus nicht stimuliert wird, um den Ausbau öffentlich geför- Das sagt kein Sozialdemokrat, sondern ein katholi- derter Beschäftigung und Qualifizierung auf hohem scher Bischof in Deutschland, der sich mit Ihrer Politik Niveau ergänzt werden muß, befaßt hat und sie kritisiert. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Dazu brau (Beifall bei der SPD) chen Sie jetzt die Kommunisten!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, daß auf wenn man überhaupt — das bezweifle ich — Arbeits- Grund steigender Auslandsnachfrage der Export losigkeit durchgreifend abbauen will. steigt, widerlegt auch andere zentrale Thesen Ihrer sogenannten Konzeption, der neoliberalen Wirt- Mir ist schon klar, daß Sie denken und auch sagen: schaftspolitik, der die Regierung und die Koalition zur Da ist wieder einer mit der spinnerten Idee eines Zeit so huldigen. Die Schwächen der Wirtschaft in den verbohrten staatsgläubigen Sozialdemokraten. Aber letzten Jahren waren nicht in Löhnen begründet, die es wird Ihnen schwerfallen, auch jene so abzutun, die Sie drücken wollen, nicht in Arbeitszeiten, die Sie in diesen Tagen z. B. auf einem vom Berliner Senat verlängern wollen, veranstalteten Kongreß genau diese These dargelegt und begründet haben. Das waren das Gemeinschafts- (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Son- werk des Instituts für Arbeit und Technik Gelsenkir- dern?) chen, das Europäische Forschungsinstitut Königswin- und nicht im Schutz von Arbeitsverhältnissen, den Sie ter, das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und durchlöchern wollen. - Berufsforschung, sogar das Deutsche Institut für Wirt- (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Son- schaftsforschung, das Oswald-von-Nell-Breuning- dern?) Institut und das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftli- che Institut des DGB, der Städtetag, das Rationalisie- Denn das Anspringen des Exports auf Grund von rungs-Kuratorium der Deutschen Wirtschaft und die konjunktureller Belebung in den Vereinigten Staaten beiden Kirchen. Das sind weiß Gott keine sozialdemo- und in Südostasien kennzeichnet Ihre obengenannten kraten Agitatoren, wie ich hinzufügen darf. Ziele genau als das, was sie sind, nämlich als Versuch, die Gunst der Stunde ökonomischer Probleme zu Aber selbst kirchliche Empfehlungen zur Wirt- nutzen, um ungeliebte und ideologisch verhaßte schafts- und Sozialpolitik, meine sehr verehrten Rechts - und Sozialstandards abzubauen. Damen und Herren, haben bei der Union kaum noch Gewicht. (Beifall bei der SPD — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie träumen immer noch vom (Konrad Gilges [SPD]: Leider wahr!) Sozialismus!) und evangelische Sozial- Katholische Soziallehre Das ist der wirkliche Hintergrund. Die Thatcheri- kommen bei ihr allenfalls noch in Sonntagsre- ethik sten und die Reaganomics, die eine solche Politik in den vor. ihren Ländern eine Reihe von Jahren betrieben (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wagen Sie haben, haben ihren Ländern eher geschadet, sie so ein Wort überhaupt in den Mund zu jedenfalls nicht zu neuen Wirtschaftshöhen geführt. nehmen?) Erst durch den Kurswechsel scheint in den Vereinig- In der politischen Praxis hat sich die Union meilenweit ten Staaten die Wende zum Besseren eingeläutet zu davon entfernt. sein. (Beifall bei der SPD) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber nicht mit den Sozialisten!) So ist es kein Wunder, daß die Caritas, die Diakonie, die Kolpingverbände, der Bund der katholischen Wenn es der Regierung und der Koalition mit der Kirche Ihnen öffentlich die Leviten lesen, so wie es Senkung von Arbeitskosten wirklich ernst wäre, dann dürfte sie sich nicht permanent an den Einkommen, an Bischof Kamphaus in diesen Tagen drastisch formu- liert hat Sie können es im „Spiegel" nachlesen: den Löhnen der Arbeitnehmer reiben. Sie hätte im weiten Feld der Lohnnebenkosten genug Spielraum, Früher habe ich, wenn von der sich immer weiter ihrem ständigen Gerede Taten folgen zu lassen. öffnenden Schere zwischen Arm und Reich die Rede war, bloß an die Dritte Welt gedacht. Inzwi- (Beifall bei der SPD) schen beschreibt dieses Bild die Realität in Es hat sich nämlich weit über die Reihen der Sozial- Deutschland. Eine Caritas- Untersuchung vor demokraten hinaus herumgesprochen, daß die Kla- kurzem hat ergeben, daß zehn Prozent der deut- gen über hohe Lohnnebenkosten wie ein Bumerang schen Bevölkerung an der Armutsgrenze und auf die Regierung zurückfallen, weil Sie mit Ihrer 20860 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Peter W. Reuschenbach Koalitionsmehrheit, Graf Lambsdorff, — das ist völlig — Ich bitte um Entschuldigung, Volker Wolff. Er hätte unbestreitbar — die Lohnnebenkosten in den zurück- auch statt „Führungskräfte" „Leistungsträger" sagen liegenden vier Jahren zum Zwecke der Finanzierung können. Also genau die, die die Anführer der man- anderer Aufgaben in unglaubliche Höhen getrieben chester-liberalistischen Wirtschafts- und Sozialpolitik haben. dieser Regierung zu ihren Hätschelkindern erklärt (Beifall bei der SPD) haben. Das Wort „Besserverdienende" möchten die Herren ja wohl nicht mehr hören, aber gemeint ist das Alle Versuche, Sie davon abzuhalten, haben Sie gleiche. ignoriert. (Zuruf von der CDU/CSU) Vielen geht es auch über die Hutschnur, daß Unter- Wie dem auch sei: Wenn das Konzept dieser Man- nehmer wie Wahlhelfer Stihl ständig klagen und chester-Liberalisten aufgeht und realisiert wird, fordern, aber kaum darüber berichten können, auf welche Weise Produkte erneuert und entwickelt und (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Tut es nicht!) Marktanteile zurückgewonnen werden können. Steuersenkungen für Unternehmen und für höhere Einkommen, Privatisierung sozialer Risiken, Lohnre- (Beifall bei der SPD — Siegfried Hornung duzierungen bei Arbeitnehmern, bei Berufsanfängern [CDU/CSU]: Sie haben keine Ahnung!) — Herr Rexrodt hat es gestern gesagt; ich denke, er Ich weiß, ich kenne den Zwischenruf: Billige Pole- wird scheitern wie Balladur in Frankreich —, chaoti- mik und unfaire Unternehmerschelte. Der mußte jetzt sierende Individualisierung des Arbeitsmarktes und auch kommen. Aber dann lassen Sie sich das bitte von der Arbeitsverhältnisse, wenn das alles aufgeht, dann jemandem andern sagen. Ich zitiere wieder: ist das Ergebnis eine andere Politik und eine andere Republik. Die Krise der vergangenen Jahre quer durch die Branchen legte gigantische Fehlentscheidungen (Beifall bei der SPD — Siegfried Hornung ganzer Vorstandsriegen bloß. Die Stützen ihrer [CDU/CSU]: Sie wollen eine andere mit der Gesellschaften mit dem Ziel der Diversifikation PDS!) auf unbekannte Geschäftsfelder suchen jetzt Wir wollen das, was unsere Republik war und was aber, nachdem sie die Aktionäre das Lehrgeld unsere Republik in der Verfassung stehen haben soll, haben zahlen lassen, bewahren. Wir wollen einen demokratischen und — ich füge hinzu: nachdem sie die Beschäftigten sozialen Rechtsstaat und keinen Nachtwächterstaat haben das Lehrgeld zahlen lassen — der Jahrhundertwende. - wieder die Konzentration auf das ureigene (Beifall bei der SPD — Siegfried Hornung Geschäft. Häufig sind es dieselben Konzernlen- [CDU/CSU]: Sie wollen einen anderen mit ker, die entschlossen die Rolle rückwärts kom- der PDS!) mandieren. Daneben offenbaren die meisten Bilanzen des Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und vergangenen Jahres erhebliche Fehlentwicklun- Herren, ich mache Sie noch einmal darauf aufmerk- gen in einzelnen Bereichen. Kommt die Rede sam, daß Redezeiten vereinbart worden sind. Ich bin darauf, blicken die im wahrsten Sinne des Wortes wirklich nicht kleinlich; aber über drei Minuten sind reichlich. — Als nächster hat der Kollege Rainer Verantwortlichen bestenfalls betrübt in ihre Unterlagen und finden blumige Erklärungen, Haungs das Wort. und damit hat es sich dann. Und die Aufsichtsräte, (Zuruf von der SPD: Und wo ist Herr Ost? — die das Treiben der Manager beaufsichtigen Gegenruf von CDU/CSU: Er kommt noch!) sollen, — zehn oder fünfzehn, Graf Lambsdorff — Rainer Haungs (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die beiden Reden zu viele haken Bilanzen offenbar nur ab, machen der sozialdemokratischen Wirtschaftspolitiker waren Kurswechsel klaglos mit, verlassen sich auf die nun wahrlich kein Signal zum optimistischen Auf- Wirtschaftsprüfer und fühlen sich, wenn es ganz bruch in dieser Gesellschaft und in dieser Wirt- dick kommt, schnöde hintergangen. Ein Hauch schaft. von Filz läßt sich nicht leugnen. (Beifall bei der CDU/CSU — Anke Fuchs (Zuruf von der F.D.P.: Mitbestimmung!) [Köln] [SPD]: Das meine ich aber doch!) — Ja, ich kenne das Stichwort. Da ich mich aber an den Appell des Kollegen Reu- Kontrolleure und Kontrollierte treffen sich so schenbach halten will, über Anwesende und vor allem häufig wieder, mit vertauschten Rollen. über nicht Anwesende nichts Unhö fliches zu sagen, erlauben Sie mir nur folgende Bemerkungen. Kein Sozialdemokrat, kein Gewerkschafter! Es Ich habe den Eindruck, daß die Prognosen der würde ja auch einen Sturm der Entrüstung bei Ihnen Sozialdemokraten zur Qualität der wirtschaftlichen hervorrufen, wenn das jemand dieser Couleur gesagt hätte. — in der jüngsten „Wirtschaftswo- Verbesserungen in der Bundesrepublik Deutschl and von Monat zu Monat, bei jeder Debatte verändert che" zur Verantwortung von Führungskräften. So hat er das charakterisiert. werden. Wurde bei der vorletzten Debatte, ich glaube, bei der zum Jahreswirtschaftsbericht, noch der Auf- (Beifall bei der SPD — Dr. Otto Graf Lambs schwung generell bestritten, wurde bei der letzten dorff [F.D.P.] Volker Hauff?) Debatte gesagt, daß es sich um ein kleines Lüftchen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20861

Rainer Haungs handeln könne, das man aber gar nicht ernst nehmen Wer, wie Sie, vor allem wie Herr Lafontaine, die solle, so gilt heute wieder das Motto, und zwar vor Kostenkrise erst einmal leugnet oder, wie andere, allem von seiten des wirtschafts- und finanzpoliti- diese Kostenkrise gar nicht zur Kenntnis nimmt und schen Sprechers der SPD: „Laßt alle Hoffnung fahren gleichzeitig behauptet — dies finde ich nicht sehr fair, dahin! Die Prognosen sind nicht sicher." Herr Kollege Reuschenbach —, daß uns, die CDU/ CSU, die Arbeitslosigkeit gar nicht interessiere, der Nachdem wir nach unserer Definition zweifellos hat meines Erachtens wenig Anspruch auf eine ernst- einen Aufschwung haben, hat Herr Lafontaine die hafte, seriöse Diskussion. glorreiche Idee, einfach die Definition des Auf- schwungs zu ändern. Nach seiner Definition haben (Beifall des Abg. Siegfried Hornung [CDU/ wir erst dann einen Aufschwung, wenn sich dies auch CSU]) in der Verbesserung der Zahl der Arbeitslosen nieder- Ich will diese Diskussion trotzdem zu führen versu- schlägt. chen. Die Rezession ist überwunden — darüber sind wir (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Was ist daran uns einig —, die Konjunkturaussagen deuten auf falsch?) einen Aufschwung hin — wir wollen hier auch nichts Dabei weiß jeder Volkswirtschaftsstudent im ersten in der Definition umformulieren —, und die Indikato- Semester, daß sich eine wirtschaftliche Erholung in ren zeigen nach oben. mehreren Schritten vollzieht und daß es auch durch Sie fragen: Zufall, glückliche Fügung des Schick- noch so kraftvolle Beschlüsse eines SPD-Parteitags sals nicht möglich ist, (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Nein, die Politik (Peter W. Reuschenbach [SPD]: Eines CDU- der Regierung!) Parteitags erst recht nicht!) oder das sich abzeichnende Ergebnis einer erfolgrei- in der ersten Phase der wirtschaftlichen Erholung chen Wirtschaftspolitik? gleich auch Hunderttausende neuer Arbeitsplätze zu Ich glaube schon, daß wir in den letzten Monaten schaffen. den Grundstein zur wirtschaftlichen Besserung gelegt haben — ein Fundament, auf dem wir weiter aufbauen Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen aber können —, daß wir aber noch vieles benötigen, auch ganz genau, daß die Zahl der Arbeitslosen glückli- etwas Glück, daß wir allerdings eines nicht benötigen, cherweise geringer ausfällt, als Sie uns dies noch vor nämlich eine neue Wirtschaftspolitik, wie Sie sie in einem Jahr vorhergesagt haben, und Sie wissen auch Ihrem Uraltantrag gefordert haben. ganz genau, wenn Sie die so sehr gescheiterte Wirt- schaftspolitik der Vergangenheit betrachten, daß es (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Da irren Sie! — unter der erfolgreichen Regierung dieser Koalition in Weiterer Zuruf von der SPD: Eine neue den Jahren 1985 bis 1990 gelungen ist, immerhin Regierung benötigen wir!) 3 Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen. Um es vorwegzunehmen: Eine Wirtschaftspolitik, wie von dem so von Terminnöten geplagten wirt- Wenn Sie, meine Damen und Herren von der SPD schafts- und finanzpolitischen Sprecher Lafontaine — ich will also vor allem auf die Einlassungen der vorgestellt und uns in ihrem Antrag vorgelegt, ist Vertreter der SPD eingehen, weil mir, obwohl ich weder neu noch in der heutigen Situation ange- intensiv und sehr konzentriert zugehört habe, bei den bracht. Beiträgen der anderen Redner nicht allzuviel Beant- wortbares aufgefallen ist , uns schon nicht glauben Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege und dem Wirtschaftsminister vorwerfen, er habe sich Haungs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- zu sehr selber gelobt, dann sehen Sie sich doch einmal gen Reuschenbach? ganz unbefangen das Urteil einer führenden interna- tionalen Investmentbank an, die in ihren Untersu- chungen über den derzeitigen Wirtschaftszustand bei Rainer Haungs (CDU/CSU): Bitte. uns in der Bundesrepublik folgendes geschrieben hat: Vizepräsident Hans Klein: Bitte, Herr Kollege Reu- schenbach. Eine Renaissance der Produktivität in Deutsch- land, verbunden mit der Deregulierung Peter W. Reuschenbach (SPD): Sehr verehrter Herr — ein Wort, das Sie ja allenfalls als Schimpfwort Kollege Haungs, wollen Sie diese nadelstichelnde benutzen — Bemerkung in bezug auf Herrn Lafontaine, „von Terminnöten geplagt", auch auf Herrn Waigel aus- und der Reform des Arbeitsmarkts, führt weiter dehnen? auf dem langen Weg, (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Überhaupt — ich unterstreiche: langen Weg — nicht!) die Wettbewerbsfähigkeit dieses Landes wieder- Rainer Haungs (CDU/CSU): Nein. Ich habe vorhin, herzustellen. als sich der Präsident zu diesem Thema eingelassen Ich füge hinzu: Damit ist die Schaffung neuer, wettbe- hat, gesagt: Wir sind alle sehr viel von Terminnöten werbsfähiger Arbeitsplätze wieder möglich, aller- geplagt. Das wissen Sie ganz genau, Herr Kollege dings nur unter einer Wirtschaftspolitik, die ich Ihnen Reuschenbach. Deshalb anerkenne ich es, daß Sie und hier kurz darlegen möchte. andere Kollegen hier sind. Aber eine Debatte, wie wir 20862 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Rainer Haungs sie in diesem Plenum eigentlich führen sollten, ist alte sozialistische Wortgeklingel etwas durchgebro- natürlich besser mit Anwesenden zu führen, vor allem chen. Wenn man in der heutigen Situation von sozia- mit denjenigen, die mit einem so hohen Anspruch len Schieflagen, von Bedrohung des sozialen Frie- kommen. Ich stelle fest: Der Wirtschaftsminister ist dens, von Sozialabbau usw. redet, dann empfehle ich hier und bleibt hier. Wir führen ja vornehmlich eine in aller Bescheidenheit, nicht den Standortbericht Wirtschaftsdebatte, wenn ich das richtig sehe. Im nachzulesen, sondern nehmen Sie Nachhilfe bei übrigen brauche ich mit dem Finanzminister keine Ihrem geschätzten Super-Finanz- und -Wirtschaftsmi- strittige Debatte zu führen, weil ich mit ihm in allen nister Professor Schiller. Er schrieb neulich in einem Punkten übereinstimme. sehr beachtenswerten Buch (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf der Abg. (Zurufe von der SPD) Anke Fuchs [Köln] [SPD]) — man kann ja nur diejenigen loben, die etwas Das, was der Ministerpräsident des Saarlandes hier Gescheites schreiben, ich habe das mit viel Vergnü- an abenteuerlichen Theorien zu einer Nachfragepoli- gen gelesen —: tik vorgebracht hat, ist so wackelig, daß ich ihm das gern in einigen Punkten widerlegt hätte, damit sich Es ist völlig verfehlt, über den Abbau des Sozial- dies bei Ihnen nicht allzusehr herumspricht, damit Sie staates zu klagen. Wer jetzt das Ziel verkündet, es nicht glauben, daß dies ein Weg aus unserer Wirt- müsse das System — — schaftskrise wäre. (Zurufe von der SPD) Man kann der Bundesregierung als Opposition ja — viel vorwerfen. Man kann ihr aber keinesfalls vorwer- Soll ich Ihnen auch noch die Seite nennen? fen, daß sie keine nachfrageorientierte Politik (Zuruf des Abg. Peter W. Reuschenbach betreibe. Ein wesentlicher Bestandteil unserer nach- [SPD]) frageorientierten Politik besteht ja darin, daß wir in — Ich glaube, es wäre auch im Sinne der Pietät richtig, den — die Beträge kennen neuen Bundesländern wenn Sie mir die Chance gäben, bevor ich zu meinen Sie — dreistellige Milliardenbeträge ausgeben, um Ausführungen komme, diesen einen Satz eines so dort eine neue Infrastruktur, um dort neue Arbeits- verdienten Sozialdemokraten vorzulesen, wenn er plätze aufzubauen. Wenn dies nicht historisch gese- schon nicht von Ihnen, sondern von mir zitiert wird. Ich hen das größte nachfrageorientierte Konjunktur- und sage es also noch einmal. Strukturprogramm ist, das ein Industriestaat jemals durchgeführt hat, dann weiß ich nicht mehr, was Professor Schiller schreibt: Nachfragepolitik sein soll. Es ist völlig verfehlt, über den Abbau des Sozial- (Beifall bei der CDU/CSU) staates zu klagen. Wer jetzt das Ziel verkündet, es müsse das System der Sozialleistungen unge- Vizepräsident Helmuth Becker: H err Kollege schmälert durch Rezession und Strukturbrüche Haungs, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des gebracht werden, der sorgt dafür, daß Deutsch- Kollegen Hörster? land im Wettbewerb zurückfällt. (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Sehr wahr! — Rainer Haungs (CDU/CSU): Bitte. Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das geht ja noch!) Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Herr Kollege Hörster. — Ja, das ist auch richtig. Sie haben vorhin kritische Stimmen aus der Wirt- Joachim Hörster (CDU/CSU): Herr Kollege schaft — die kamen in früheren Monaten mehr als Haungs, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß jetzt — zitiert. Dazu muß ich Ihnen sagen, daß der der Bundesfinanzminister Waigel deswegen der BDA-Präsident Murmann in einer beachtenswerten Debatte nicht mehr folgen kann, weil er augenblick- Rede neulich nicht den Verfall des Dollarkurses, der lich hier in Bonn ein Gespräch mit dem britischen für die Exportindustrie schwierig ist, und auch nicht Schatzkanzler führt? die Zinssituation in der Bundesrepublik Deutschland angemahnt hat — beides Dinge, die Lafontaine als Rainer Haungs (CDU/CSU): Das kann ich bestäti- äußerst wichtig angemahnt hat —, sondern er sagt gen. Im Gegensatz zu dem anderen zitierten Herrn hat klipp und klar: er sich hier ja auch nicht grußlos verabschiedet, Die Achillesferse der Wettbewerbsfähigkeit der sondern mit dem Ausdruck des Bedauerns und der exportierenden Industrie ist die Tatsache, daß die Begründung, die Sie genannt haben. Kostenkrise bis heute noch nicht vollständig (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das hat Lafontaine überwunden ist. auch getan!) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das sagen die Aber kommen wir doch zur Sache! In Ihrem Antrag Arbeitgeber seit 30 Jahren!) zu einer „neuen Wirtschaftspolitik" kritisieren Sie, daß unsere Wirtschaftspolitik einseitig angebotsorien- Versetzen wir uns zurück in das Jahr 1993: Die tiert ausgerichtet sei. Da lachen ja wirklich die Hüh- konjunkturelle Schwäche, die sich bei uns auf Grund ner, daß unsere Politik einseitig angebotsorientiert der Sonderbedingungen der deutschen Wiederverei- ausgerichtet sein soll. Da ist bei Ihnen tatsächlich nigung erst zwei Jahre später als in den Nachbarlän- dern bemerkbar gemacht hat, — dieses Gefühl hatte ich trotz aller Wertschätzung auch bei Ihnen, Herr Kollege Reuschenbach — das (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Weltweit!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20863

Rainer Haungs legte die strukturelle Krisenanfälligkeit der deut- beschäftigung entschieden. Die Tarifpartner müssen schen Wirtschaft frei. Diese Krisenanfälligkeit resul- eine Tarifpolitik betreiben, die den Betrieben die tierte nicht nur aus einer Verschlechterung der Pro- Möglichkeit gibt, auch in Krisensituationen im Sinne duktpalette, aus der Tatsache, daß wir in einigen der Arbeitnehmer zu entscheiden. Bereichen nicht die neuesten Produkte haben, son- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das tun sie dern vor allem aus einer Verschlechterung der Wett- doch!) bewerbsbedingungen im Angesicht von neu auftre- tenden Konkurrenten, die unter vollkommen anderen Wir brauchen keine schematisch vorgesehenen Rahmenbedingungen produzieren. Lösungen von Funktionären, sondern die Öffnung vor Ort, um die lokalen, regionalen und Branchenpro- Die Internationalisierung der Märkte und des Wett- bleme verantwortungsvoll aufzunehmen. bewerbs führt demzufolge nicht nur zu einem Wettbe- werb der Produkte, sondern parallel hierzu auch zu Glücklicherweise ist ein Großteil unserer Bevölke- einem Wettbewerb der Standorte. Von diesem Aus- rung flexibler und einsichtiger, als das manch einer gangspunkt betrachtet, wurden die strukturellen seiner Vertreter wahrhaben möchte. Ich betone noch Defizite des Standorts Deutschland erkennbar. Wir, einmal: Mit dem von Ihnen so kritisierten Standortbe- die Bundesregierung und die Fraktionen der CDU/ richt hat die Bundesregierung eine nüchterne und CSU und F.D.P., haben die Diskussion um den Stand- klare Analyse der Situation vorgelegt wie auch kon- ort Deutschland in der breiten Öffentlichkeit geführt. krete Umsetzungsaufgaben formuliert. Erweitert Damit — dies ist ein großer Erfolg — wurde dieses wurde dieser Katalog durch das Aktionsprogramm Problem auch in der Bevölkerung wahrgenommen. zur Belebung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt, das Die Liste derer, die sich an der konstruktiven Erarbei- seine Umsetzung in einer Reihe von gesetzgeberi- tung von Lösungsvorschlägen beteiligten, reicht sehr schen Maßnahmen findet, so z. B. in dem Beschäfti- weit. Wir haben nicht nur von vielen Seiten Kritik gungsförderungsgesetz mit der Möglichkeit der priva- bekommen, sondern wir haben von vielen Seiten des ten Arbeitsvermittlung, von der Sie bekanntlich nichts breiten gesellschaftlichen Spektrums, von Arbeitneh- halten, oder dem Magnetschwebebahnplanungsge- mervertretungen bis zur Katholischen Bischofskonfe- setz, von dem die einen so, die anderen so reden, renz, vom BDI bis zu Bürgerinitiativen, auch konstruk- wobei Sie insgesamt einen unklaren Standpunkt tive Anregungen bekommen. haben. Wir haben in dieser schwierigen Situation nicht Der von der Bundesregierung nun nach nur zehn Kassandra gespielt, wie Sie es so gerne tun, sondern Monaten vorgelegte Fortschrittsbericht ist ein ein- mit Mut und Entschlossenheit gezeigt, daß wir die drucksvolles Beispiel für das entschlossene Handeln Aufgaben der Politik, nämlich auch zu diesem und die Fähigkeit dieser Bundesregierung und der sie Umdenkungsprozeß beizutragen und dann tragfähige tragenden Parteien, Probleme zu lösen und auf Lösungsansätze vorzustellen, gemeistert haben. zukünftige Herausforderungen zu reagieren. Dieser Umdenkungsprozeß zeigte sich sowohl im (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die positi- Standortbericht wie auch in den maßvollen Tarifab- ven Wirkungen zeigen sich schon!) schlüssen, beispielsweise bei der Chemie, bei einer Die Schaffung neuer wettbewerbsfähiger und ren- Rückkehr der Tarifpartner zu einer beschäftigungs- tabler Arbeitsplätze wird auch in Zukunft eine unse- orientierten Tarifpolitik, um das vordringliche Ziel der rer Hauptaufgaben sein. Ich wiederhole aber: Jeder Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erreichen zu kön- Ökonom weiß, daß zu Beginn der Behebung einer nen. Strukturkrise, zu Beginn eines Aufschwunges Ar- Die Reaktion der SPD — auch heute haben wir es beitsplätze nicht geschaffen werden, daß es aber wieder gesehen und gehört —: Die Kostenkrise wird keine andere Chance gibt, in den nächsten Jahren negiert oder bagatellisiert, und selbst in dem noch entsprechende Arbeitsplätze zu schaffen.

vorhandenen Antrag wird über das Pauschalwort „Lohnsenkungen" Angst und Unsicherheit verbreitet. (Beifall bei der CDU/CSU) Was Sie hingegen als Lösungsansatz in Form eines Deshalb: Deregulierung, Privatisierung - so wie „nationalen Beschäftigungspakts" propagieren, ist von uns vorgeschlagen. Ihre Mithilfe — ich will das mehr Semantik als greifbare Strategie zur Überwin- vorsichtig ausdrücken — ist hier sehr gering. Deregu- dung der Arbeitslosigkeit. lierung und Privatisierung sind keine Ziele, die Sie (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wer hat aktiv betreiben. Im besten Fall hindern Sie uns nicht etwas anderes erwartet? — Joachim Hörster daran, unsere wichtigen Pläne zu verwirklichen. Sehr [CDU/CSU]: Sehr wahr!) oft tun Sie es aber durch Ihre Blockadepolitik im Bundesrat. Eine Flexibilisierung der Tarifgestaltung mit der Möglichkeit von Einstiegstarifen, wie wir es immer (Zustimmung bei der CDU/CSU) fordern, wie es auch manche Gewerkschaften richti- Die Flexibilisierung der Rahmenbedingungen zur gerweise tun, wurde von Ihnen immer abgelehnt und Schaffung von individuellen Lösungen und Freiräu- kritisiert. Das gleiche gilt für die Anwendung von men für wirtschaftliche Kreativität kommt in Ihren Härtefallregelungen für einzelne Betriebe. All diese Programmen nicht vor. Wer Deutschland modernisie- Regelungen haben doch das Ziel, die Verantwortung ren will dezentral in die Betriebe zu verlagern, wo es sehr viel mehr Phantasie, Kreativität, aber auch Verantwort- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wollen wir!) lichkeit bei der Lösung der Probleme gibt. Dort, in den — wollen Sie, sehr schön —, dessen Hauptsorge bei Betrieben, wird über Entlassungen oder über Mehr- der Postreform aber der Wahrung des Besitzstandes 20864 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Rainer Haungs der Arbeitnehmer gilt, ohne durch Reform des Unter- Also, hier ist von der Notwendigkeit einer „neuen nehmens überhaupt erst Produktivität und damit Ein- Wirtschaftspolitik", wie Sie sie in Ihrem Antrag for- kommen und Beschäftigung in der Zukunft zu schaf- dern, nicht sehr viel zu hören. fen, der wirkt auf mich nicht sehr überzeugend. Meine Damen und Herren, die SPD kommt mir vor (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das haben wir wie ein Mensch, der als einziges Instrument einen doch gemacht!) Hammer besitzt und deshalb dazu neigt, jedes Pro- blem für einen Nagel zu halten. Deshalb machen Sie — Ja, aber unter welchen Bedingungen? Ihre pessimistischen Aussagen zur Wirtschaftspolitik, Ich zitiere Ihren Vorsitzenden Scharping, der gesagt weil Sie glauben, daß dies die einzige Möglichkeit für hat: Die SPD kann nur unter drei Bedingungen zustim- die Ablösung der von Ihnen ungeliebten Regierung men. — Obwohl Sie heute zugestimmt haben, weil Sie ist. sonst der Blamierte gewesen wären, können Sie durch (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sie geben zu, daß die Hintertür des Bundesrates eine ungeliebte Ent- das Bild nicht besonders witzig war?) wicklung noch konterkarieren — wahrhaft eine — Wenn Sie nicht gelacht haben, dann kann ich auch mutige Partei bei der Modernisierung des Wirtschafts- nichts dafür. standorts Deutschland! Nein, meine Damen und Her- ren, man kann die SPD wirklich nicht als Motor der Aber zum Abschluß meiner Rede habe ich mir noch Privatisierung ansehen; man kann sie auch nicht als etwas sehr viel Lustigeres aufgeschrieben. Die Bemü- Befürworter einer Modernisierung unserer Volkswirt- hungen der Opposition erinnern mich — vielleicht schaft betrachten. Denn immer, wenn Sie konkret gefällt Ihnen dieses Bild besser — an die Geschichte gefordert sind, gehen Sie irgendwie noch durch eine des Wettlaufs zwischen Hase und Igel. Ich kann mir Hinter- oder Seitentür. schon vorstellen, was der Kollege Jens nachher for- dern wird, nämlich alle Dinge, die wir in unser So kann ich mich nicht erinnern, daß Sie bei der Aktionsprogramm aufgenommen haben: Wiederein- Modernisierung der deutschen Energiepolitik dafür führung des Eigenkapitalhilfeprogramms, gewesen sind, daß wir in Zukunft neue Kernreaktoren entwickeln, die wesentlich sicherer sind. (Dr. Uwe Jens [SPD]: Auf unser Drängen hin!) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das wäre auch ein Rückschritt, Herr Kollege!) (Vorsitz : Präsidentin Dr. Rita Süssmuth) Förderung des Mittelstandes über Existenzgrün- — Das wäre ein Rückschritt, meinen Sie, und gleich- dungs- und Innovationsinitiativen, Ausbildungsförde- zeitig wollen Sie all die unsicheren Reaktoren, die im rung über ein Darlehensprogramm zur Förderung der Ostblock stehen, nicht durch die modernste deutsche beruflichen Fortbildung, Unterstützung und Einsatz und europäische Kernenergietechnologie moderni- moderner Technologien, Offensive für Teilzeitarbeit, sieren und sicher gestalten. Sie sagen statt dessen: Förderung regenerativer Energien im Energieartikel- Wenn der SPD-Parteitag es beschlossen hat, gesetz. Es ist natürlich keine große Kunst, wenn wir beschränken wir uns auf unseren nationalen Rahmen ein Dreißig-Punkte-Programm machen, wenn dann und kümmern uns nicht um Dinge im Ausland — anschließend Scharping ein Zehn-Punkte-Programm wahrhaftig eine solidarische, eine der Umwelt verant- und Lafontaine ein Zwanzig-Punkte-Programm ma- wortliche und sehr progressive Politik zum Fortschritt chen und dabei die wesentlichen Dinge aus unseren unserer Sicherheit und zur Verbesserung der Lebens- Programmen übernehmen. bedingungen in Europa. Ich gehe gerne auf den Zwischenruf von Herrn (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sehr gut Kollegen Jens ein. Er hat gesagt, auf Drängen der SPD formuliert!) hätten wir wieder ein Existenzgründungsprogramm Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur in den alten Bundesländern eingeführt. Die Wahrheit raten, den Fortschrittsbericht gut durchzulesen. Dort ist doch die — die kennen Sie genauso wie ich auch —, können Sie lernen, wie man gute Politik macht. daß wir zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung unsere ganzen Mittel zum Aufbau einer mittelständischen Meine Damen und Herren, Sie haben immer so gern Wirtschaftsstruktur für eine begrenzte Zeit in den die Kritik der Wirtschaft gehört. Sie wundern sich, daß neuen Bundesländern konzentrieren mußten. Wenn sie derzeit weniger geäußert wird. Das hängt damit Sie aber gleichzeitig die Staatsverschuldung kritisie- zusammen, daß unsere Politik etwas länger erklä- ren, dann muß man beim Abwägen der Dinge für rungsbedürftig war, daß wir aber jetzt, nachdem sich einige Jahre auf ein Eigenkapitalhilfeprogramm in die Erfolge einstellen, durchaus auch Forderungen den alten Bundesländern verzichten können. aus der Wirtschaft hören, Aber ich stimme Ihnen gerne zu, daß Sie diesem (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das hat etwas mit Eigenkapitalhilfeprogramm — im Gegensatz zu dem Wahlkampf zu tun, Herr Kollege!) manch anderen Reformen — keinen Widerstand ent- gegengesetzt haben. — Höchstens am Rande. — Ich zitiere den BDA- Präsidenten Murmann: Meine Damen und Herren, ich komme zum Ende. Wir dürfen auf dem Weg der Restrukturierung der Notwendig ist schließlich, daß die Fortsetzung Wirtschaft nicht zurückfallen. Wolfgang Schäuble des von der Bundesregierung eingeschlagenen mahnt in seinem Buch „Und der Zukunft zugewandt" wirtschaftspolitischen Kurses mit einem klaren den Mut zur Zukunft an. Dieser Mut zur Zukunft und Konzept weitergeführt wird. damit automatisch zur Veränderung ist gerade für die Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20865

Rainer Haungs Bewältigung nicht nur der heutigen, sondern auch der lich — dem Ende seiner Regierungszeit entgegen- zukünftigen Probleme wichtig. geht, (Beifall des Abg. Friedhelm Ost [CDU/ (Widerspruch bei der CDU/CSU) CSU]) von der „geistig-moralischen Wende" gesprochen Deshalb werden wir bei dem klaren Konzept, wie es hat. Was wir jetzt erleben, macht mich im höchsten von den Rednern der Regierung, unserer Fraktion und Grade ängstlich. Auch Herr Pöhl spricht mittlerweile von mir vorgestellt wurde, bleiben; denn die Vor- davon, daß wir es in der Wirtschaft nur noch mit schläge der SPD sind ungeeignet. Ich darf zum Gaunern und Ganoven zu tun haben und daß sie das Abschluß Goethe zitieren: „Wer in schwankenden Erscheinungsbild der deutschen Wirtschaft prägen. Zeiten sich schwankend verhält, der mehret das Ich erinnere an Maxwell, die Metallgesellschaft und Übel. " an die Milliardenbetrügereien des Herrn Schneider (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und der Firma Balsam, (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Leistungsträger nach der F.D.P.!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht der Kollege Uwe Jens. die mit dazu beigetragen haben, daß viele tausend kleine und mittlere Unternehmen mit in den Konkurs gerissen wurden, und zwar auf Grund von Ganove Dr. Uwe Jens (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr reien, die es aus meiner Sicht in der Offentlichkeit verehrten Damen und Herren! Ich habe das Gefühl, verstärkt anzuprangern gilt. der Ton wird etwas rauher. (Beifall bei der SPD) (Widerspruch bei der CDU/CSU) Die Kriminalität in der Wirtschaft hat aus meiner Die Wahl wirft ihre Schatten voraus. Die F.D.P. kämpft Sicht ein bisher unbekanntes Ausmaß angenommen. um ihr Überleben. Da gilt es gegenzuhalten. Wir erwarten endlich auch Ich will Ihnen sagen, der Waigel hat die goldene Uhr einmal von dieser Regierung vernünftige Vorschläge, wirklich nicht verdient. Der hat nämlich überhaupt wie sie diesem Wildwuchs entgegentreten will. nicht deutlich gemacht, wie er dem Urteil des Verfas- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Tut sie nicht! — sungsgerichts gerecht werden will, mit keinem Satz. Hörster [CDU/CSU]: Lappas, Stein- Joachim - (Beifall der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD] — kühler!) Zurufe von der CDU/CSU) Ich wollte allerdings Ihnen, meine Damen und — Von Tchibo, 49,95 DM. Herren, ganz sachlich „verklickern", was wir machen (Weitere Zurufe von der CDU/CSU) würden, wenn wir am 16. Oktober die Macht und die Regierungsverantwortung übernehmen. Meine Damen und Herren, es ist natürlich immer so: Jeder spielt ein wenig seine Rolle. Die Regierungsko- (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ alition versucht, alles in goldenen Farben darzustel- CSU) len. Und wir das gebe ich gerne zu — versuchen, ein Ich bin davon überzeugt, meine Damen und Herren: bißchen Objektivität in die Diskussion hineinzubrin- Wir würden bis zum Jahre 2000 die Anzahl der gen. Wenn man um Objektivität bemüht ist — und das Beschäftigten sicherlich um 3 Millionen bis 3,5 Millio- sollten wir wenigstens von Zeit zu Zeit sein —, dann ist nen erhöhen. es wirklich sehr schwierig, von einem großen Auf- (Zuruf von der CDU/CSU) schwung zu reden. Ich gebe zu, wir werden am Ende dieses Jahres — Wenn Sie eine Frage zu stellen haben, dann stehen wahrscheinlich einen BSP-Zuwachs von 1,5 bis 2 % Sie doch auf. — Es geht darum, daß das Ziel Vollbe- haben. Wir werden allerdings auch bei den Arbeits- schäftigung in Zukunft wieder das wirtschaftspoliti- losen weiterhin einen Zuwachs haben. Also Herr sche Ziel Nummer eins wird, meine Damen und Rexrodt, beachten Sie bitte auch die Gefahren, die es Herren. zur Zeit gibt: Das Geschäftsklima ist nach Ifo im Mai (Beifall bei der SPD — Siegfried Hornung keineswegs besser geworden. Die langfristigen Zin- [CDU/CSU]: Das machen aber wir und nicht sen steigen schon, obgleich sie sonst in dieser Situa- Sie!) tion eigentlich nach unten gehen müßten. Das ist eine Erstens. Wir brauchen dringend einen Beschäfti- ganz gefährliche Sache. Und schließlich wertet die gungspakt von Bundesregierung, Gewerkschaften D-Mark gegenüber dem Dollar weiter auf. Das einzige und Bundesbank. Ziel muß sein, daß die Zinsen eben Fünkchen Hoffnung, das wir haben, der Export, wird nicht mehr steigen, sondern daß sie wieder nach unten dadurch möglicherweise kaputtgemacht. gehen. Ich will auch das Folgende sagen — darin Meine Damen und Herren, wir wollen nicht Kassan- unterscheiden wir uns elementar von dieser Regie- dra spielen, aber es gibt ein ganz gefährliches Rück- rung —: Ziel muß ebenfalls ein, daß die Reallöhne in schlagspotential. Wir sollten uns wirklich um Objekti- Zukunft nicht weiter sinken. Aber Sie — das habe ich vität bemühen. Wir müssen die wirtschaftliche Ent- leider aus den Reden herausgehört — wollen, daß die wicklung durch neue Weichenstellungen fördern. Reallöhne der breiten Schichten in diesem Lande (Beifall bei der SPD) weiter absinken, und das kann keine vernünftige Politik sein. Ich weiß noch sehr genau, wie 1982, vor zwölf Jahren, Bundeskanzler Kohl, der ja wohl — hoffent (Beifall bei der SPD) 20866 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Dr. Uwe Jens Zweitens. Wir brauchen eine europäische Beschäf- ansprechen und mit Nachdruck vertreten, meine tigungsinitiative, um die transnationalen Netze in Damen und Herren. Europa besser zu verbinden. Dabei müssen wir auch unkonventionelle Finanzierungswege beschreiten; Dazu gehört erstens der Kampf gegen die Wäh- das gebe ich gerne zu. rungsspekulation. Abwertungswettläufe, (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Schulden (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Eines Herrn sind unkonventionell?) Steinkühler!) Aber zur Zeit werden diese Wege von Herrn Rexrodt wie sie immer wieder vorkommen, müssen unterbun- und von Herrn Waigel blockiert. Das muß anders den werden. Es darf doch auf Dauer nicht sein, daß die werden; dafür müssen die Bürgerinnen und Bürger in Spekulanten auf den internationalen Finanzmärkten diesem Lande sorgen. bestimmen, Drittens. Wir brauchen eine ökologische Steuerre- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die sitzen form, vor allem um die Lohnnebenkosten endlich zu doch in Ihren Reihen!) senken und den Faktor Arbeit billiger zu machen, was politisch in den einzelnen Nationen zu geschehen damit er verstärkt eingesetzt wird. hat und was nicht. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Auch Wirtschaftsminister Rexrodt redet ja mittler- Das muß verhindert werden, meine Damen und Her- weile davon. Ich sage Ihnen: Wir werden alles tun, ren! damit so etwas auf europäischer Ebene zustande kommt; aber wir werden notfalls, wenn wir dort Zweitens geht es darum, daß wir mit allen Ländern scheitern sollten, dieses auch im nationalen Allein- Handel treiben wollen, die auch einheitliche Wettbe- gang machen. werbsregeln akzeptieren, so wie wir sie in unserem Lande kennen. Dazu gehören zum Beispiel Kartellver- Viertens. Wir brauchen eine Regionalisierung der bote, dazu gehört die Kontrolle über marktbeherr- aktiven Arbeitsmarktpolitik, um Arbeit statt Arbeits- schende Unternehmen. Wenn wir hier nicht voran- losigkeit zu finanzieren und um vor Ort zu entschei- kommen, wird den demokratisch legitimierten Institu- den, auf welche Art und Weise endlich Arbeitsplätze tionen eines Tages von monopolisierten Unternehmen geschaffen werden können. Das ist sinnvoll; aber die das Fell über die Ohren gezogen werden. Berlusconi Regierung macht auf diesem Felde nichts. läßt grüßen! Fünftens. Wir brauchen eine Innovationsoffensive, die sich insbesondere an kleine und mittlere Unter- (Beifall bei der SPD) nehmen richtet, aber die natürlich auch dafür sorgt, Das ist eine Entwicklung, vor der ich äußerste Sorge daß in Zukunft mehr für Forschung und Technologie habe, und wir müssen alles tun, um so etwas in ausgegeben wird. unserem Lande zu verhindern. Ansätze dazu gibt es Dies sind nur einige wenige Beispiele; das gebe ich leider schon. zu. Aber nur mit einer grundlegenden neuen Wei- (Beifall bei der SPD) chenstellung in der Wirtschaftspolitik lösen wir die wirtschaftspolitischen Probleme von morgen. Drittens. Wir brauchen wirksame Absprachen im Rahmen der World Trade Organisation über soziale Ich will Ihnen auch sagen, daß ich zutiefst davon Mindeststandards. Kinder- und Zwangsarbeit können überzeugt bin, daß es auch ökonomisch sinnvoll ist doch von zivilisierten Ländern auf Dauer nicht hinge- — Herr Lafontaine hatte vorhin auch davon gespro- nommen werden. Wer Handel treiben will, muß auch chen —, den Solidarbeitrag, der alle Bürger in diesem Gewerkschaften akzeptieren. Aber als es um diese Lande mit 7,5 % der Steuerschuld belasten soll, auch entscheidenden Fragen in Marrakesch ging, ist Wirt- den kleinsten Einkommensbezieher, sofern er Ein- schaftsminister Rexrodt dem Präsidenten Clinton aus kommensteuer zu zahlen hat, durch eine Ergänzungs- den Vereinigten Staaten in den Rücken gefallen. abgabe zu ersetzen, die dazu beiträgt, daß erst die belastet werden, die alleinstehend — über 60 000 (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das kann ja nicht DM brutto oder — verheiratet — über 120 000 DM wahr sein! Ist ja unglaublich!) brutto verdienen. Das ist auch ökonomisch vernünftig, Wir brauchen viertens ökologische Mindeststan- das stärkt die Nachfrage in unserem Lande. dards. Sie sind von besonderer Bedeutung. Warum (Beifall bei der SPD) greift diese Bundesregierung nicht endlich diesen Vorschlag von Paul Klemmer auf, damit wir zu einer Das ist auch ein Beitrag zu mehr sozialer Gerechtig- Zertifikatslösung kommen, um die CO2-Emissionen keit, meine Damen und Herren. zu reduzieren? Das ist doch dringend notwendig! (Beifall bei der SPD) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie brem- Wir begrüßen selbstverständlich die Ratifizierung sen doch jeden Ansatz!) der GATT-Vereinbarung, die heute ansteht. Um diese Muß es wirklich erst zu Klimakatastrophen kommen, Vereinbarung zu erreichen, haben wir die Regierung bis diese Regierung endlich handelt? Das kann doch manchmal recht kräftig treten müssen. In Zukunft wohl nicht sein! werden wir allerdings in der Außenwirtschaftspolitik meine Kollegin Elke Leonhard, die das bei uns Meine Damen und Herren, von all diesen Proble- federführend vertritt, sitzt da — vier weitere Probleme men will diese Regierung leider nichts wissen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20867

Dr. Uwe Jens Ich bin zutiefst davon überzeugt: Wenn wir mit der Ihre Finger von der Pressefreiheit und schauen Sie auf Lösung unserer nationalen Wirtschaftsprobleme vor- die Realitäten! ankommen wollen, brauchen wir auch im internatio- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nalen Bereich mehr Koordination und eine neue Politik. Auf nationaler Ebene muß die Wirtschaftspo- Bei Oskar Lafontaine habe ich das Gefühl, daß er mit litik wieder auf Vollbeschäftigung ausgerichtet wer- seinem Blick auf die „rote Laterne" fast schon einsei- den. tig orientiert ist. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr richtig!) (Uwe Lambinus [SPD]: Das ist doch Un -sinn!) Auf internationaler Ebene müssen wir mit den USA an einem Strang ziehen. Das ist bei der jetzigen Regie- Wir haben doch hervorragende Plätze in der interna- rung leider nicht der Fall. Wer ein wenig von prakti- tionalen Tabelle der Wirtschaften der einzelnen Län- scher Wirtschaftspolitik versteht, weiß, daß ein politi- der. scher Wechsel zwingend notwendig ist. (Uwe Lambinus [SPD]: Das ist doch völlig (Beifall bei der SPD) unter Ihrem Niveau!) Ich fasse noch einmal kurz zusammen, worin der — Das mag ja sein. elementare Unterschied zwischen dieser Regierung Lieber Kollege Uwe Jens, das ist ja wirklich ebenso der sie tragenden Koalition sowie den Sozialde- und alternatives wie absurdes Ökonomietheater, was Sie mokraten besteht. Graf Lambsdorff hat davon gespro- uns heute hier vorgespielt haben. chen, Herr Haungs auch. Sie sind einseitig neoliberal festgelegt, auf die Ideen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) eines Milton Friedman — das heißt, die Löhne müssen Wir haben doch in der Tat das gemeinsame Ziel — das herunter, die Löhne müssen flexibler gestaltet wer- sollten wir wirklich auch nach draußen vermitteln — den, Deregulierung, Privatisierung —, und Sie glau- der Wiederherstellung der Vollbeschäftigung; wir ben, daß Sie damit die Probleme von morgen lösen — wollen die Vollbeschäftigung in unserem Lande ein großer, gewaltiger Irrtum, meine Damen und gemeinsam erreichen. Herren. (Dr. Uwe Jens [SPD]: Aber die Arbeitslosig- (Beifall bei der SPD) keit ist doch immer höher geworden!) Worum geht es? — Die Sozialdemokraten greifen Aber es geht um die Wege dahin. — Lieber Herr zurück auf die Ideen eines Schumpeter und auch eines Kollege Jens, wir haben in der Tat viele Arbeitslose John Maynard Keynes. Wir wollen Innovation, wir übernommen wollen mehr Produktivität in dieser Wirtschaft. Wir wollen auch die Nachfrage stärken, und wir müssen (Dr. Uwe Jens [SPD]: Warum ist denn die die außenwirtschaftliche Politik intensiver betreiben Arbeitslosigkeit immer gestiegen?) als bisher. Nur das bringt uns aus dieser Krise heraus, und haben in den 80er Jahren über 3 Millionen neue und das muß dringend passieren. Ein Wechsel steht Arbeitsplätze geschaffen. unmittelbar bevor. (Dr. Uwe Jens [SPD]: Aber die Arbeitslosig- Schönen Dank. keit ist doch gestiegen!) (Beifall bei der SPD) Sie sollten unsere Rezepte wirklich einmal lesen und vielleicht auch dem Ministerpräsidenten des Saarlan- des wenigstens die Drucksache übersenden, nämlich Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächstem Red- den Fortschrittsbericht zum Bericht der Bundesregie- ner erteile ich das Wort dem Kollegen Friedhelm rung zur Zukunftssicherung des Standorts Deutsch- Ost. land: Dort sind 97 Maßnahmen aufgeführt, die wir ergreifen, um den Weg in Richtung mehr Wachstum und Beschäftigung wirkungsvoll zu beschreiten. Die Friedhelm Ost (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sollten auch Sie zur Kenntnis nehmen und nicht so tun, verehrten Kolleginnen und Kollegen! Bei den ver- als ob Sie mit weiteren Kostenerhöhungen und einer schiedenen Redebeiträgen aus der SPD, die ich gehört weiteren Verteuerung der Arbeit hier mehr Arbeits- habe, habe ich mich an Karl Marx erinnert gefühlt, der plätze schaffen. Das bedeutet doch mehr Arbeitslosig- gesagt hat: Das Sein bestimmt das Bewußtsein. keit. (Uwe Lambinus [SPD]: Da hat er aber recht Ihr Kollege Hermann Rappe hat es doch begriffen: gehabt, mit dem Satz!) In der Chemie hat man die Tarife nach unten geöffnet,

— Hören Sie einmal zu; ich erkläre Ihnen das doch. — weil Arbeit in einigen Bereichen, auch im internatio- Sie blicken zu sehr auf die Baisse der eigenen Partei in nalen Vergleich und im internationalen Wettbewerb, den Demoskopien, auf die Talfahrt, auf die schlechten zu teuer geworden ist. Deshalb müssen wir in der Tat Ratings ihres Spitzenkandidaten, und Sie schauen sehen, daß wir mit den Kosten herunterkommen. zuwenig auf die Daten und Fakten der wirtschaftli- Ich will Ihnen hier nicht die praktische Wirtschafts- chen Entwicklung. politik, die auch in den Ländern betrieben wird, Natürlich, im Saarland versucht man sogar, die vorhalten. Aber wer sich sozusagen als Doppelstra- Pressefreiheit etwas einzuschränken, damit man in tege für Wirtschaft und Finanzen in der Bundesliga den Medien nicht mehr die Kritik daran ertragen muß, bewirbt, der sollte in der Tat einmal gucken, was er in was man selbst sozusagen nicht schafft. Lassen Sie der Regionalliga Saarland erreicht hat. Das Fazit einer 20868 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Friedhelm Ost Umfrage ist — ich will Ihnen das nicht vorlesen —, daß — Sagen Sie nicht: „So ist es!" Wir haben natürlich über 30 der Unternehmen an eine Produktionsver- auch gewisse Vorteile, wenn der Dollar fällt, weil wir lagerung aus dem Saarland heraus denken. lediglich 10 % unserer Exporte, aber 30 % unserer Ich habe mit großer Aufmerksamkeit, lieber Herr Importe in Dollar fakturieren. Das heißt, wir haben einen gewissen Wohlstandsgewinn. Kollege Jens, Ihren Antrag für eine neue Wirtschafts- politik gelesen. Das einzig Richtige ist der letzte Ich selber will die Gefahr nicht geringschätzen: Satz: Arbeitsplätze hängen von Kosten ab, lieber Herr Kollege. Die Arbeitsplätze werden infolge der Kosten Die Zukunftsvorsorge muß wieder mehr Gewicht für Vormaterialien und Energieimporte zu teuer; sie gegenüber dem Gegenwartskonsum erhalten. hängen eben nicht nur von den Arbeitskosten, son- Aber alles das, was Sie vorher schildern, heißt: mehr dern auch von den Materialkosten ab, und wir müssen Konsum, mehr Nachfrage, von der Sie gesagt haben, alle Rohstoffe kaufen. Wenn die Rohstoffe billiger sie sei zu schwach. Nein, wir haben eine massive werden, kann man hier billiger produzieren. Das Nachfrage, teilweise eine zu große staatliche Nach- müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen! Die Volks- frage. Wir brauchen in der Tat eine private Nachfrage wirtschaft ist etwas komplizierter, als Sie es in Ihrem im Bereich der Investitionen, kleinen SPD-Einmaleins gelernt haben! (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Lachen und Zurufe von der SPD) Gegenwartskonsum begrenzend, um die Investitio- Wir haben aber in der Tat eine Chance, diesen nen zu stärken, vor allem die privaten. Aufschwung zu verstärken. Alle Prognosen gehen davon aus, daß wir 1995 und 1996 ein stärkeres (Uwe Lambinus [SPD]: Warum sollen die Wachstum haben werden und auch wieder positive denn investieren, wenn die nichts verkaufen Effekte auf dem Arbeitsmarkt erreichen können. können?) Und nun hören Sie endlich mit diesem Lügenkata- Mit Ihrer Feststellung am Anfang liegen Sie schon log, mit der Steuerlüge auf! Sonst fangen wir an, hier völlig falsch: Erst einmal nehmen Sie alte Daten. über die Deutschlandlüge, die Engholmlüge und auch über andere Lügen, vor allem die PDS-Lüge, zu Die Verteilung des Volkseinkommens hat sich sprechen. Das, was Sie in Sachsen-Anhalt machen, ist mit einer Lohnquote von jetzt 66 vom Hundert eine Schande für das Land, für die Menschen. einseitig zugunsten der Unternehmen verän- dert, . . . (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) - Sie wissen doch ganz genau, lieber Herr Professor Sie werden den Standort Sachsen-Anhalt nicht ver- Jens, wenn Sie sich die Verteilung des Sozialproduk- bessern, sondern verschlechtern — allein durch das tes angucken, daß die Einkommen aus unselbständi- Signal, das Sie gegeben haben. Kein privater Investor ger Arbeit von 1990 bis 1993 gestiegen sind, während wird jetzt mit fliegenden Fahnen nach Sachsen die Einkommen aus Unternehmertätigkeit leider Anhalt gehen, sondern er wird woanders hingehen. zurückgegangen sind. Wenn die zurückgehen, wenn (Dr. Barbara Höll [PDS/Linke Liste]: Blöd- keine Rendite zu erzielen ist, gehen leider auch die sinn!) privaten Investitionen zurück. Und wenn die privaten Dies ist Ihre Lüge. Vor der Wahl haben Sie eine völlig Investitionen zurückgehen und Firmen pleite machen andere Aussage gemacht. — Und hören Sie endlich oder nicht neu investieren können, gehen auch mit dem Gerede von der Steuerlüge auf, auch wenn Arbeitsplätze verloren. Oder umgekehrt: Wir müssen Frau Matthäus-Maier das noch so kreischend in die alles tun, damit die Unternehmen wirklich wieder Gegend schreit. kräftiger investieren. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sollten Dazu haben wir einiges getan: Steueränderungsge- auch sehen, daß in den Betrieben selbst gewaltige setze, Standortsicherungsgesetz, auch Deregulierung Anstrengungen gemacht wurden. Auch von den und viele andere Dinge. Wir sind auf dem richtigen Tarifpartnern sind gewaltige Anstrengungen ge- Wege. Aber Sie wissen ganz genau — Sie tun immer macht worden. Edzard Reuter, der Daimler-Benz so, als ob es das gäbe —, daß es kein Patentrezept gibt. Chef, der Ihnen ja nicht ganz so fern steht, hat jüngst in Es gibt nicht eine Operation, sondern wir müssen 30, einem Gespräch gesagt, daß wir 1995 eine gute 40, 50 verschiedene Maßnahmen gleichzeitig durch- Chance für einen sich selbst tragenden Aufschwung führen, um zum Ziel zu kommen. haben, daß wir aber auch zur Lösung vieler Probleme, Natürlich haben wir — schauen Sie sich die Fakten vor allem auf dem Arbeitsmarkt, eine neue Gesell- an! — sozusagen die Rezession beendet und sind in schaftspolitik haben müssen. Er sagt wörtlich — ich einem Aufschwung, der noch auf schwachen Beinen darf das einmal zitieren, verehrte Frau Präsiden- steht. Es hat keinen Zweck, darüber hinwegzureden. tin —: Dieser Aufschwung ist in Gefahr, wenn der Dollar Ich sehe keinen ernsthaften Ansatz, der durch plötzlich um 5 % oder 10 % abgewertet und die staatliche klassische Konjunkturprogramme so- D-Mark aufgewertet wird. In den Unternehmen sind zusagen ein gewaltiges Feuer im Kamin entzün- kräftige, massive Anstrengungen gemacht worden, den könnte, das dazu führt, daß die Arbeitslosig- um die Kosten herunterzubringen, und dies wird keit reduziert wird. teilweise durch währungspolitische Verschiebungen zunichte gemacht. Sie selber sind immer noch von Keynes beeindruckt, variieren das ein wenig und meinen, damit könne man (Uwe Lambinus [SPD]: So ist es!) die Arbeitslosigkeit abbauen. Nein, wir gehen den Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20869

Friedhelm Ost Weg der Verbesserung der Rahmenbedingungen, der Dies zeigen aber auch die chaotische Rede und die Senkung der Kosten. Wir wollen nicht eine Kahl- Schimpfkanonade, die heute Theo Waigel gehalten schlagpolitik in der Sozialpolitik, wie Sie es uns hat, in der er niemals wirklich zur Sache gekommen unterstellen. Das mögen Sie manchen anderen unter- ist. stellen, aber nicht der CDU/CSU. Wir sind die Partei (Beifall des Abg. Peter W. Reuschenbach der Sozialen Marktwirtschaft. Wir schreiben „sozial" [SPD]) weiterhin groß, und wir bleiben dabei. Aber ich sage Ihnen: Wir müssen die Kosten in allen Die chaotische Vertretung der Bundesrepublik zeigt Bereichen senken. Das gilt auch für die Sozialkosten. Deutschland in der Europäischen Gemeinschaft Richtig ist: Wenn wir die Sozialausgaben wirklich auf auch, wie wenig eigentlich unsere Interessen wahrge- Schwache und Bedürftige konzentrieren und Eigen- nommen werden. Gerade hat der Finanzminister ja verantwortung, Selbstverantwortung mehr stärken, einem unglaublich aufwendigen Vorhaben im Be- haben wir eine Chance, die Kosten für das soziale Netz reich der sogenannten transnationalen Netze zuge- zu senken. stimmt, bei denen wir überproportional zur Kasse gebeten werden und überhaupt keine Kontrolle dar- Nun lassen Sie mich ganz kurz noch eines sagen. über haben, ob diese Projekte gebraucht werden. Der Der Kollege Mosdorf hat eine Zwischenfrage an den Finanzminister hat das Kunststück fertiggebracht, Bundeswirtschaftsminister Rexrodt zu der Position des 93 Milliarden DM der europäischen Kasse zu verspre- Handwerks gestellt. Ich habe es nachgelesen: Gerade chen, damit wir schließlich 27 Milliarden DM für die das Handwerk hat in diesen 24 Thesen das Standort- neuen Bundesländer erhalten. sicherungsgesetz ausdrücklich gelobt, aber ange- mahnt, daß wir die Steuerreform im Unternehmensbe- Wir brauchen keine neuen Pakte, Kollege Jens, reich fortführen. Hören wir endlich auf, einzelne keine neuen Gesetze. Wir brauchen keine Steuerflut. Zitate herauszugreifen und falsch zu interpretieren. Wir brauchen endlich weniger Staat, damit unsere Betriebe wieder befreit arbeiten können. Heute ist es Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, meine doch schon eine Wissenschaft, überhaupt noch einen Zeit ist abgelaufen. Betrieb unterhalten zu wollen. (Uwe Lambinus [SPD]: Das ist wohl wahr!) Eigentlich wollte ich zum Asien - Konzept der Bun- — Warten Sie ab. Lassen Sie das Paderborner Ergeb- desregierung sprechen, das seinen Ausgangspunkt nis, das ich erziele, als Maßstab für alle SPD- darin hat, daß eine Reihe von Abgeordneten des Wahlkreise gelten, dann können Sie sich kräftig Deutschen Bundestags gegen die an Dummheit kaum anstrengen. Ich lade Sie ein zu einem Bildungsurlaub zu überbietende Entscheidung vom 28. Januar letzten nach Paderborn. Jahres vorgegangen ist und eine Aktion gestartet hat. Wir setzen unsere Politik fort und verstärken damit Ich nenne hier ausdrücklich den Kollegen Wolfgang die Schubkraft für mehr Wachstum, mehr Beschäfti- Lüder, der mit seiner Initiative Ausgangspunkt für gung, mehr Arbeitsplätze und auch für mehr Wohl- dieses sogenannte Asien-Konzept war, das leider das, stand für alle. Wir sind auf dem richtigen Weg und was die Initiatoren wollten, nicht wiedergibt. gehen diesen Weg fort. So fehlt eine Perspektive der Bundesregierung für (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) eine koordinierte China - Politik. Wir werden uns als Deutsche niemals allein gegenüber einem kommuni- Letzter Redner zu stischen Regime in Peking durchsetzen, das Katz und Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Maus mit uns und anderen Europäern spielt. Wir diesem Debattenpunkt ist Herr Ortwin Lowack. brauchen dringend eine Koordinierung zumindest der G-7-Staaten zu einer gemeinsamen Politik gegenüber Ortwin Lowack (fraktionslos): Frau Präsidentin! Peking. Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Ost, ich Mir fehlt die Perspektive einer abgestimmten Politik hoffe doch, daß Ihre Zeit noch nicht abgelaufen ist, gegenüber den einzelnen Ländern in Asien. Mir fehlt auch wenn Sie darauf bestanden haben sollten. überhaupt die Länderanalyse, die es ermöglicht, Die Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Bundesre- gezielte Maßnahmen politisch zu beschließen und gierung ist dank ihrer Spitze ein einziges und einzig- durchzuführen. artiges Chaos, unüberschaubar für die Regierung selbst, für die Wirtschaft ohnehin, für Steuerberater, Mir fehlt auch die politische Perspektive gegenüber dem nach dem Fall Hongkongs eine weit Gerichte, Arbeitnehmer und Arbeitslose ebenfalls. Taiwan, höhere Bedeutung zukommen wird, als den meisten Dies hat gestern die Rede des Bundeskanzlers beim Bundesverband der Freien Berufe gezeigt, als er auf heute vielleicht bewußt ist. Wo ist die Stellungnahme der Bundesregierung zum Antrag Taiwans, Mitglied kein einziges berufsspezifisches Thema eingegangen ist, sondern eineinviertel Stunden lang von der Fami- im GATT oder auch der Welthandelsorganisation zu lienpolitik bis hin zu allen möglichen Dingen, sich werden? Ich halte es schon für bodenlos, wenn im Asien-Konzept der Bundesregierung immer nur von selbst betreffend, gesprochen hat. China oder Volksrepublik China gesprochen wird, (Zuruf von der CDU/CSU: Das gehört alles ohne das dynamische, freie, demokratische China zusammen!) anzusprechen. Das haben die Menschen dort nicht Ich hatte den Eindruck, er hatte sich vom Selbst- verdient. Ich habe fast den Eindruck, als ob die auf-die-Schulter-Klopfen schon eine ganz schiefe Bundesregierung mit ihrer Formulierung beschwö- Haltung geholt. Aber manche sind ja schon dankbar, rend bewirken möchte, daß Taiwan und seine freiheit- wenn er überhaupt spricht. liche Entwicklung auch noch unter ein kommunisti- 20870 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Ortwin Lowack sches Joch kommt. Ich glaube, hier müssen wir vom Bevor wir zur Abstimmung kommen, teile ich mit, Parlament etwas entgegensetzen. daß eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung (Abg. Wolfgang Lüder [F.D.P.] meldet sich zu der Kollegen Michael Müller, Dr. , einer Zwischenfrage) Professor Monika Ganseforth, Detlev von Larcher, Horst Peter (Kassel) und Friedhelm Julius Beucher — Ich bin gerne bereit, eine Zwischenfrage des vorliegt. *) Kollegen Wolfgang Lüder zuzulassen. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ge- Herr Lüder. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: setzes zu dem Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation. Es handelt sich um die Wolfgang Lüder (F.D.P.): Herr Kollege Lowack, Drucksachen 12/7655 (neu) und 12/8122. Der Aus- nachdem Sie mich schon freundlicherweise positiv schuß für Wirtschaft empfiehlt, den Gesetzentwurf erwähnt haben, man aber mit der Bundesregierung nach Kenntnisnahme der Unterrichtung durch die nicht so umgehen kann, frage ich: Sehen Sie nicht, Bundesregierung, Drucksache 12/7986, in der Aus- was die Bundesregierung bisher auf den Weg schußfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die gebracht hat, z. B. die Aufwertung der Vertretung der dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustim- deutschen Wirtschaft in Taiwan durch Präsentation men wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? eines Botschafters, und daß sich die Bundesregierung — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in bei den europäischen Bemühungen nicht querlegt, zweiter Beratung bei zwei Gegenstimmen der PDS/ wenn es darum geht, wie Taiwan gleichberechtigt mit Linke Liste angenommen. Rotchina in das GA TT und in andere Institutionen als Wir kommen zur Vorstufe einer UN-Mitgliedschaft aufgenommen wer- den kann? dritten Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ortwin Lowack (fraktionslos): Kollege Lüder, Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — gerade Sie müßten eigentlich wissen, was es für ein Dagegen? — Enthaltungen? — Keine. Damit ist der unglaublich schwieriger Prozeß aus der Mitte des Gesetzentwurf bei zwei Gegenstimmen der PDS/ Parlaments gewesen ist, um die Bundesregierung hier Linke Liste angenommen. millimeterweise nach vorne zu schieben, und wieviel Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Arbeit noch notwendig ist, um aus diesen Millimetern ßungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache eine größere Wegstrecke zu machen. 12/8157. Wer stimmt für diesen Entschließungsan- (Wolfgang Lüder [F.D.P.]: Aber die Meter trag? — Gegenprobe! — haben wir schon!) (Peter W. Reuschenbach [SPD]: Im Ausschuß — Wir haben viele, aber nur aus der Mitte des war das aber einvernehmlich! — Zuruf von Parlaments heraus, nachdem sich die Bundesregie- der F.D.P.: Die Zeiten ändern sich!) rung in einer für logisch denkende Menschen nicht Enthaltungen? — Damit ist der Entschließungsantrag verständlichen Weise geradezu abstinent gezeigt hat, mit den Stimmen der CDU/CSU und F.D.P. abge- was die Entwicklung Taiwans betroffen hat. lehnt. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich darf Tagesordnungspunkt 3 c bis 3 e: Interfraktionell nur einmal zeigen, wie paradox die Formulierung in wird vorgeschlagen, die Vorlagen zum Tagesord- dem Asien-Konzept ist, wenn man sich nicht traut, von nungspunkt 3 c bis 3 e an die in der Tagesordnung Taiwan überhaupt zu sprechen. Es heißt dort z. B.: genannten Ausschüsse zu überweisen. Die genauen Die GATT-Beitrittskandidaten besonders die Titel dieser Vorlagen sowie die Nummern der Druck- Volksrepublik China — fordert sie auf, die Refor- sachen entnehmen Sie bitte der Tagesordnung. men zur Marktorientierung und -öffnung konse- Der Fortschrittsbericht zur Zukunftssicherung des quent fortzusetzen. Standorts Deutschland soll überwiesen werden zur Das heißt, man spricht gar nicht an, wer das soll, federführenden Beratung an den Ausschuß für Wirt- sondern man spricht ein Beispiel an, weil man nicht schaft und zur Mitberatung an den Auswärtigen den Mut hat, ganz konkret zu sagen, wer Adressat Ausschuß, den Finanzausschuß, den Ausschuß für dieser Aufforderung der Bundesregierung sein soll. Arbeit und Sozialordnung, den Ausschuß für Frauen Der Bundeskanzler hat gestern seine Rede mit und Jugend, den Ausschuß für Post und Telekommu- einem interessanten Zitat beendet. Helmut Schmidt nikation, den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und hatte es vor ihm schon einmal gebraucht, deswegen Reaktorsicherheit sowie an den Ausschuß für For- war es wohl mehr der Raub eines kleinen Redebei- schung, Technologie und Technikfolgenabschätzung. trags. Er hat gesagt: „Die Hunde bellen, die Karawane Gibt es noch anderweitige Überweisungsvorschläge? zieht weiter." Bei dem Wort „Karawane" zog so ein — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen nettes Lächeln über seine Züge, so daß ich mir gedacht so beschlossen. habe, wahrscheinlich ist ihm gerade eingefallen, was Tagesordnungspunkt 3 g: Beschlußempfehlung des eine Karawane eigentlich ist. Eine Karawane besteht Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktio- nun leider aus vielen Kamelen, einigen Kameltreibern nen der CDU/CSU und F.D.P. zur Stärkung der und einigen Würdenträgern an der Spitze. Zusammenarbeit mit Asien, Drucksache 12/7775 Nr. 1. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aussprache. *) Anlage 5 (Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20871

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksa- Sind Sie mit dieser Abweichung von der Geschäfts- che 12/5959 unverändert anzunehmen. Wer stimmt ordnung einverstanden? — Ich höre keinen Wider- für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — spruch. Dann ist das so beschlossen. Enthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung Nach einer ebenfalls interfraktionellen Vereinba- bei Enthaltung der SPD und zwei Gegenstimmen der rung soll die verbundene Tagesordnung um weitere PDS angenommen. Zusatzpunkte erweitert werden. Die Punkte sind in Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt: zum Asien-Konzept der Bundesregierung, Drucksa- Weitere8.(Er- Überweisungen im vereinfachten Verfahren che 12/7775 Nr. 2: Der Ausschuß empfiehlt, die Unter- gänzung zu TOP 18) richtung auf Drucksache 12/6151 zur Kenntnis zu a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Else nehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? Ackermann, Dr. Walter Franz Altherr, Dietrich Auster- mann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschluß- CDU/CSU sowie den Abgeordneten Detlef Kleinert (Han- empfehlung ist bei zwei Enthaltungen der PDS ange- nover), Jörg van Essen, Manfred Richter (Bremerhaven), nommen. Burkhard Zurheide und der Fraktion der F.D.P. einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses Personenstandsgesetzes — Drucksache 12/8187 — zu dem Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD Liste zum Asien-Konzept der Bundesregierung, und F.D.P. Drucksache 12/7775 Nr. 3: Der Ausschuß empfiehlt, Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gewaltdar- den Entschließungsantrag auf Drucksache 12/6279 stellungen in Medien — Drucksache 12/8164 — abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- c) Beratung des An trags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD lung? Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die und F.D.P. Beschlußempfehlung ist bei einigen Enthaltungen Kunst am Bau- - Drucksache 12/8184 und zwei Gegenstimmen angenommen. 9. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache (Er- Tagesordnungspunkt 3 h: Beschlußempfehlung des gänzung zu TOP 19) Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Frak- a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung tionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Überwindung der eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strukturkrise der deutschen Textil- und Bekleidungs- Beamtenversorgungsgesetzes, des Soldatenversor- gungsgesetzes sowie sonstiger versorgungsrechtlicher industrie, Drucksache 12/8025 Nr. 1. Der Ausschuß Vorschriften (BeamtVGÄndG 1993) — Drucksachen empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/7242 in der 12/5919, 12/7547, 12/7548 — - Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltun- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpas- gen? — Die Beschlußempfehlung ist bei Gegenstim- sung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und men der SPD und PDS angenommen. Ländern 1994 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsan- passungsgesetz 1994 — BBVAnpG 94) — Drucksachen Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirt- 12/7706, 12/8194, 12/8195 — schaft zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Egon Susset, Sicherung der Arbeitsplätze in der deutschen Textil- Meinolf Michels, Siegfried Hornung, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeord- und Bekleidungsindustrie, Drucksache 12/8025 Nr. 2: neten Günther Bredehorn, Ulrich Heinrich, Johann Paint- Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache ner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. 12/4919 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluß- Unbefristetes Anwendungsverbot von Rinder-Somato- empfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — tropin (rBST) — Drucksache 12/8161 — Damit ist die Beschlußempfehlung bei Gegenstimmen d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Anneliese Augu- der SPD und Enthaltung der PDS angenommen. stin, Dr. Winfried Pinger, Klaus Jürgen Hedrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Wir kommen zur Abstimmung über den von den Abgeordneten Verena Wohlleben, Dr. Ingomar Hauchler, Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrach- Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion ten Antrag zur Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der SPD sowie der Abgeordneten Ingrid Walz, Ulrich der regionalen Wirtschaftsstruktur" auf Drucksache Irmer, Dr. Michaela Blunk (Lübeck), weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der F.D.P. 12/8153. Wer stimmt für den Antrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? Damit ist die Beschlußempfeh- Weltbevölkerungskonferenz ICPD vom 5.-13. Septem ber 1994 in Kairo — Drucksache 12/8162 — lung bei zwei Enthaltungen von der PDS/Linke Liste angenommen. e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz (Berlin) und der Gruppe BÜND- Wir kommen zum Zusatzpunkt 5. Interfraktionell NIS 90/DIE GRÜNEN wird vorgeschlagen, den Antrag der Gruppe BÜND- Akuter Handlungsbedarf in Deutschland vor der ersten NIS 90/DIE GRÜNEN zur Sicherung der Erfolgskon- Klima-Vertragsstaatenkonferenz in Berlin 1995 trolle bei der Vergabe von Subventionen auf der — Drucksache 12/8149 — Drucksache 12/8150 an den Haushaltsausschuß zu f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß) überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist zu dem Antrag des Abgeordneten Konrad Weiß (Berlin) der Fall. Dann haben wir es so beschlossen. und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bevor ich zu Tagesordnungspunkt 4 komme, füge Kinderarbeit erfolgreich bekämpfen — Drucksachen ich folgende amtliche Mitteilung ein: Interfraktionell 12/7067, 12/8163 — ist vereinbart worden, daß in der ersten Sitzungswo- g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des che im September wegen der Haushaltsberatungen Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Horst keine Befragung der Bundesregierung, keine Frage- Sielaff, Marianne Klappert, Rolf Koltzsch, weiterer Abge- stunden und keine Aktuellen Stunden stattfinden. ordneter und der Fraktion der SPD 20872 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth zur Regelung von Altpachten landwirtschaftlicher Flä- tung und Behandlung von den Koalitionsfraktionen chen im Zusammenhang mit der Garantiemenge jedoch nur behindert und blockiert wurde. Milch (Milchquotenregelung) — Drucksachen 12/7412, 12/8083 — Der Text des Antrages ist kurz und klar. Er enthält h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts die Aufforderung an die Hoechst AG und an deren des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung französische Tochter Roussel Uclaf, beim Bundesge- (11. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung sundheitsamt einen Antrag auf Zulassung des Präpa- Vorschlag für einen Beschluß des Rates über die rats RU 486 zum medikamentösen Schwangerschafts- Wahrnehmung der auswärtigen Zuständigkeit der abbruch zu stellen, damit die pharmazeutische, medi- Gemeinschaft im Rahmen der internationalen Arbeits- zinische und übrige wissenschaftliche Prüfung des konferenzen bei gemeinsamer Zuständigkeit der Präparates durch das Bundesgesundheitsamt einge- Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten — Drucksa- chen 12/7064 Nr. 2.7, 12/8002 — leitet werden kann. i) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsaus- Um es deutlich zu machen: Den Zulassungsantrag schusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der zu befürworten bedeutet nicht die Förderung des Finanzen Schwangerschaftsabbruchs. Es geht lediglich um eine Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaushaltsord- weitere medizinische Methode. Die rechtlichen Vor- nung in die Veräußerung der bundeseigenen Liegen- schaft Hohbergweg 2 in Lahr/Schwarzwald -- Druck- aussetzungen eines Schwangerschaftsabbruchs gel- sachen 12/7882, 12/8198 — ten weiterhin, und niemand redet einer unkontrollier- j) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsaus- ten Freigabe das Wort. Wer Gegenteiliges behauptet, schusses ist böswillig und will diffamieren! Sammelübersicht 160 zu Petitionen — Drucksache 12/8189 — Seit Einbringung des Antrags steht die Zeit still, die Positionen sind unverändert. Die Hoechst AG und k) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsaus- schusses Roussel Uclaf weigern sich, den Zulassungsantrag zu Sammelübersicht 161 zu Petitionen — Drucksache stellen. Von führenden Politikerinnen der CDU/CSU- 12/8190 — und F.D.P.-Fraktion ist seit Jahren öffentlichkeits- 1) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsaus- wirksam zu vernehmen, man wünsche den Zulas- schusses sungsantrag. Das sind große Worte, viele Worte, aber Sammelübersicht 162 zu Petitionen — Drucksache leider keine Taten. 12/8191 — Darum hat die SPD den Handlungsspielraum von m) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsaus- schusses Parlamentariern genutzt und den Antrag eingebracht.- Sammelübersicht 163 zu Petitionen — Drucksache Doch dieser erlitt ein merkwürdiges Schicksal im 12/8192 — parlamentarischen Verfahren. Der Aufruf dieser Zusatzpunkte erfolgt nach Aufruf (Dr. Jens Jordan [F.D.P.]: Gut so!) des Tagesordnungspunktes 10. Von der Frist für den Beginn der Beratung soll auch hier, soweit erforder- Trotz mehrfacher Anmahnung kam er nicht auf die lich, abgewichen werden. Sind Sie damit einverstan- Tagesordnung, oder es hieß: Nichtbefassung. Wir den? — Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann mußten sogar den Geschäftsordnungsausschuß be- verfahren wir so. mühen, um die fachliche Beratung zu erzwingen. Schließlich, nach zweieinhalb Jahren, wurde der Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Antrag abgelehnt. Wie paßt dies alles — öffentliche Beratung der Beschlußempfehlung und des Verlautbarungen und faktische Ablehnungen — Berichts des Ausschusses für Gesundheit zusammen? (15. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordne- ten Dr. Marliese Dobberthien, Angelika Barbe, Ein Privatunternehmen besitzt ein Monopol auf ein Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter Präparat, das eine Schwangerschaft in einem frühzei- und der Fraktion der SPD tigen Stadium zu beenden vermag. Doch statt das Präparat, wie normalerweise üblich, zu erproben und, Prüfung des Präparates RU 486 in der Bundes- sofern als zuverlässig und unbedenklich eingestuft, republik Deutschland zum medikamentösen auf den Markt zu bringen, schwingt sich die Herstel- Schwangerschaftsabbruch lerfirma zur großen Bedenkenträgerin gegen Schwan- — Drucksachen 12/1835, 12/8024 — gerschaftsabbrüche auf. Berichterstattung: Was in Frankreich, Großbritannien, Schweden, Abgeordnete Regina Schmidt-Zadel Österreich und in den USA möglich ist, wird Frauen in Die ursprünglich für diesen Tagesordnungspunkt Not in der Bundesrepublik verweigert, obwohl reich- verlangte namentliche Abstimmung wurde zurückge- lich positive Erfahrungen aus dem Ausland vorliegen. zogen. Wir stimmen deshalb nach der Aussprache RU 486 kann sehr wohl eine gesundheitlich verträgli- nicht namentlich ab. chere und risikoärmere Methode des Schwanger- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die schaftsabbruchs sein. Im Einzelfall sollte ein Arzt oder Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Sie eine Ärztin über die schonendste Abbruchmethode damit einverstanden? — Dann verfahren wir so. entscheiden und nicht ein privates Unternehmen. Als erste spricht die Kollegin Marliese Dobber- Die Hoechst AG beugt sich jedoch allzu willig und thien. eilfertig den vermeintlichen Boykottdrohungen der Dr. Marliese Dobberthien (SPD): Frau Präsidentin! selbsternannten Lebensschützer, die versuchen, das Meine Damen und Herren! Im Dezember 1991 haben Präparat reißerisch als „after-morning-pill" zu diskre- wir den Antrag zu RU 486 eingebracht, dessen Bera ditieren, obgleich die fünfjährigen französischen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20873

Dr. Marliese Dobberthien Erfahrungen eindeutig gezeigt haben, daß RU 486 Bigotterie, öffentlich etwas zu fordern und es gleich- nicht die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche anstei- zeitig parlamentarisch niederzustimmen. gen läßt. Umgekehrt gilt aber auch: Die Verweige- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das scheinen Sie rung des Präparats verhindert auch keinen einzigen gar nicht kapiert zu haben!) Schwangerschaftsabbruch. So bitte ich heute um Ablehnung der Beschlußemp- Dabei ist die Firma Hoechst in Sachen Lebens- und fehlung des Gesundheitsausschusses und um die Gesundheitsschutz ansonsten nicht so zimperlich. Ihre Zustimmung zu unserem Antrag. schweren Chemieunfälle der Vergangenheit zeugen (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke nicht immer von einem besonders sorgfältigen Bemü- Liste) hen um einen vorbeugenden Schutz. Warum spielen moralische Bedenken denn hier keine Rolle? Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste Editha Die Unterlassung der Antragstellung ist in Wahrheit Limbach. eine unerträgliche Bevormundung von Frauen und Ärzten. Es grenzt an einen Mißbrauch unternehmeri- Editha Limbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! scher Macht, Frauen in Not eine schonende Methode Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Anders, als vorzuenthalten. Frau Dobberthien meint, handelt es sich bei dem, was ich vortragen will, nicht um formale Bedenken oder (Claus Jäger [CDU/CSU]: Das ist an den weniger, sondern um eine wichtige ordnungspoliti- Haaren herbeigezogen! - Siegfried Hor sche Entscheidung. Ich glaube, es ist nicht richtig, daß nung [CDU/CSU]: Barer Unfug!) der Gesetzgeber ein Pharmaunternehmen auffordert, Man stelle sich vor, ein Unternehmen würde ein Mittel für ein bestimmtes Präparat die Zulassung beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gegen Krankheiten wie Aids entwickeln und dann zu beantragen. keinen Zulassungsantrag stellen — eine nicht gut denkbare Alte rnative. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch wenn es sich nicht um einen speziellen Anlaß Der Hoechst AG und Roussel Uclaf soll nun mit handelte, bin ich der festen Überzeugung, daß nie- einem Appell des Deutschen Bundestages ausdrück- mand auf den Gedanken käme, bei anderen Präpara- lich klargemacht werden, daß der Zulassungsantrag ten, die entwickelt worden sind, so zu verfahren und- für RU 486 gewünscht ist. Ich habe die Hoffnung, daß nach dem Gesetzgeber zu rufen. Das ist auch nicht sich das Unternehmen nach dem Wechsel in der unsere Aufgabe. Wir sind dafür nicht kompetent und Führungsspitze bewegt und den Zulassungsantrag nicht zuständig und haben auch nicht die Verantwor- stellen wird oder zumindest eine Lizenz vergibt. Ellis tung. Huber, Präsident der Berliner Ärztekammer, hat heute erklärt, daß diese Ärztekammer bereit wäre, die Natürlich hat die Diskussion einen speziellen Verantwortung und den Vertrieb für das Präparat zu Akzent, weil es nicht um irgendein Präparat geht, übernehmen. sondern um ein Präparat zum medikamentösen Schwangerschaftsabbruch. Es ist ja interessant: Die Diejenigen, die öffentlich eine Zulassung von Firmen Hoechst und Roussel Uclaf haben in gemein- RU 486 gefordert haben, wie z. B. Frau Merkel, Frau samen unternehmenspolitischen Grundsätzen nie- Süssmuth — Frau Präsidentin, auch Sie Frau dergelegt — nachzulesen in der Hoechst-Broschüre Würfel, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Herr See- vom Juni 1992 —, daß als Voraussetzung für einen hofer, Sie alle bitte ich: Stehen Sie zu Ihrem Wort, und Antrag auf Zulassung folgendes gelten soll: eine stimmen Sie folgerichtig für unseren Antrag. eindeutige gesetzliche Regelung für den Schwanger- schaftsabbruch, der von der Gesellschaft toleriert (Zuruf von der CDU/CSU: Nein!) wird, sowie der ausdrückliche Wunsch auf Zulassung von Mifepriston — das ist RU 486 — von einer Aber fast niemand der Genannten ist hier anwe- repräsentativen verantwortlichen Instanz eines Lan- send. des. Frau Funke-Schmitt-Rink — ich sehe auch sie Ich frage nur: Wie kommt ein Unternehmen dazu, so nicht — hat vor zwei Tagen an den Deutschen etwas zu verlangen? Erstens gibt es so etwas wie Bundestag appelliert, dem Zulassungsantrag zuzu- Unternehmenshaftung. Zweitens können und wollen stimmen. Ich hoffe, dieser Appell gilt für die gesamte wir, der Gesetzgeber, dem Unternehmen diese Ver- Fraktion der F.D.P. antwortung und diese Entscheidung nicht abnehmen. Es ist nicht unsere Aufgabe, Aufgabe des Gesetzge- Meine Kolleginnen und Kollegen von den Regie- bers, hier einen Anstoß zu geben. Diese Entscheidung rungsfraktionen, hören Sie auf, sich hinter formalen muß das Unternehmen, bitte schön, selbst und in Bedenken zu verschanzen, der Bundestag dürfe kein eigener Verantwortung treffen. Ich bin sicher, wenn es privates Unternehmen zu irgendeiner Handlung auf- das täte, würde bei dem entsprechenden Bundesinsti- fordern. Natürlich kann er appellieren. Er tut es in tut nach Recht und Gesetz verfahren und ordnungs- zahllosen anderen Fällen auch. Ein solcher Appell ist gemäß geprüft. Dann würde das alles seinen Gang weitaus wirksamer als der offene Brief an Roussel nehmen. Uclaf, den Sie, meine Damen und Herren von der Ganz abgesehen davon fürchte ich, daß es hier F.D.P., gerade formuliert haben. Ich denke, es grenzt — vielleicht wissen Sie das nicht, Frau Dobberthien — fast — verzeihen Sie den harten Vorwurf an auch aus anderen Gründen Hemmungen gibt. Denn 20874 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Editha Limbach Hoechst hat eine Lizenzvergabe angeboten. Auch in Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen, d. h. der den USA ist es über eine Lizenzvergabe gegangen. Es Beschlußempfehlung des Gesundheitsausschusses scheint sich allerdings niemand zu finden, der daran zustimmen. Interesse hat. Es könnte möglich sein, daß das mit (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Haftungsfragen zusammenhängt. Ich weiß das nicht. Jedenfalls ist es auch nicht meine Aufgabe als Politi- Als nächster hat der kerin, das zu entscheiden. Ich bin nicht gewählt Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: worden, um Unternehmensentscheidungen zu tref- Kollege Bruno Menzel das Wort. fen, sondern um hier im Parlament der Deutschen Verantwortung für die politischen Entscheidungen zu Dr. Bruno Menzel (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine tragen. sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn zwei Dinge klarstellen. Erstens. Ebenso wie (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die meisten meiner Kollegen aus der F.D.P.-Fraktion Dann möchte ich auch warnen, Frau Dobberthien. würde ich es begrüßen, wenn das Präparat RU 486 in Sie haben es nicht so deutlich gesagt, aber in dem Deutschland zugelassen werden könnte. Zweitens Antrag der SPD kommt die Vorstellung zum Aus- möchte ich aber auch feststellen, daß es nach unserem druck, der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch Verfassungsverständnis nicht Aufgabe des Deutschen sei eine sanfte Methode; sie den Frauen vorzuenthal- Bundestages sein kann, in der Frage von Arzneimit- ten stelle „ein schwer überbietbares Maß an Frauen- telzulassungen für den deutschen Markt Empfehlun- verachtung" dar, wie die SPD erklärt hat. gen oder Aufforderungen an Pharma-Unternehmen auszusprechen. (Dr. Bruno Menzel [F.D.P.]: Unglaublich!) Die in der Gesundheitspolitik engagierten Mitglie- Hätten Sie an der Anhörung teilnehmen können, Frau der der F.D.P.-Bundestagsfraktion sprechen sich seit Dobberthien — — Jahren für die Zulassung des Präparates aus, und zwar (Dr. Marliese Dobberthien [SPD]: Habe seit die Erfahrungen, die bisher in Frankreich, Schwe- ich!) den und England gemacht worden sind, den Schluß zulassen, daß es sich bei diesem Präparat unter — Dann wundert es mich erst recht. Denn dort wurde bestimmten Voraussetzungen um eine echte Alterna- eines ganz deutlich. Die Sachverständigen aus der tive zur operativen Schwangerschaftsunterbrechung ehemaligen DDR, die an dem internationalen Versuch handeln kann. beteiligt waren, haben — für mich überraschend — - Ich möchte an dieser Stelle nicht näher auf etwaige sehr deutlich mit großer Zurückhaltung über diese Vor- und Nachteile von RU 486 eingehen. Das ist nicht Methode zum Schwangerschaftsabbruch berichtet. Sinn dieser Debatte und könnte ohnehin von uns nicht (Dr. Marliese Dobberthien [SPD]: Es war abschließend geklärt werden. Die wissenschaftliche höchst unterschiedlich!) Prüfung und gegebenenfalls die Erteilung der Zulas- Sie haben von der notwendigen sozialpsychologi- sung für den deutschen Markt sind Aufgaben, die dem Arzneimittelinstitut zukommen. Dieses kann nur schen Begleitung der Frauen gesprochen. Sie haben — wie es bisher arzneimittelrechtlicher Usus war und gesagt, es könne Fälle geben, in denen das medizi- auch bleiben soll — seinen Pflichten nachkommen, nisch sinnvoll sei, aber es könne auch andere geben. wenn eine entsprechende Unternehmensentschei- Dazu muß ich sagen: Ich kann auch keine medizini- dung getroffen wird und der Hersteller eines neuen sche Entscheidung fällen. Medikaments einen Antrag auf Zulassung stellt. (Dr. Marliese Dobberthien [SPD]: Das sollen Ich frage Sie, meine Damen und Herren, was hat Sie auch nicht!) denn der Deutsche Bundestag mit dieser Angelegen- Ich empfehle auch niemandem, Kürettage oder heit zu tun? Es kann nicht angehen, daß das Parlament Absaugmethode anzuwenden, weil ich dazu weder sozusagen als eine Art Vorinstanz des Arzneimittelin- kompetent noch gewählt bin. Das ist eine medizini- stituts zunächst über die Notwendigkeit eines sche Entscheidung. bestimmten Präparates befindet und dann einem Hersteller die unternehmerische Entscheidung über (Dr. Marliese Dobberthien [SPD]: Das ver die Einführung bzw. Nichteinführung abnimmt und so langt auch niemand!) aus seiner Verantwortung entläßt. Ich bin davon überzeugt, daß es richtig ist, wenn die (Beifall bei der F.D.P. — Dr. Marliese Dob- Verantwortung für den Antrag auf Zulassung des berthien [SPD]: Das tun wir doch gar Präparats beim Unternehmen bleibt, wo es hingehört, nicht!) wenn die Verantwortung für die Zulassung selber Ich gebe ja gerne zu, daß es sich im Falle von RU 486 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinpro- um eine Diskussion handelt, die durch den Anwen- dukte bleibt, wo das nämlich hingehört, und wenn die dungsbereich des Präparates sehr intensiv geführt Verantwortung dafür — wenn es zugelassen wäre —, wird und dadurch auch eine besondere Emotionalisie- ob es bei einem straffrei gestellten Schwangerschafts- rung erfahren hat. Sollte man aber wirklich so weit abbruch wegen besonderer Konfliktlage medizinisch gehen und die Zulassung von RU 486 eine moralische die richtige oder nicht die richtige Methode wäre, Frage nennen, wie es bereits angeklungen ist? Selbst beim Arzt und bei der betroffenen Frau bliebe. wenn dies für einige eine Frage der Moral sein sollte, In diese Verantwortlichkeiten einzugreifen, sieht hat der Bundestag sie nicht zu beeinflussen; denn die CDU/CSU-Fraktion keinerlei Anlaß. Wir wollen letztlich ist das Kernproblem nur darauf zurückzufüh- auf diese Entscheidung auch keinen Einfluß nehmen. ren, ob seitens eines Pharmaherstellers ein Antrag auf Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20875

Dr. Bruno Menzel Zulassung eines Arzneimittels gestellt wird — mit rats RU 486 zu stellen, damit, wie es im Antrag heißt, allen positiven und negativen Konsequenzen, die eine die pharmazeutische, medizinische und wissenschaft- solche Entscheidung für das Unternehmen mit sich liche Prüfung durch das Bundesgesundheitsamt ein- bringen kann und die es selbstverständlich auch geleitet werden können, können wir als Politikerin- alleine tragen muß. Und so soll es auch bleiben. nen und Politiker nämlich gar nicht tun. (Dr. Marliese Dobberthien [SPD]: So soll es Angesichts dessen möchte ich mich kurz auf zwei auch bleiben!) Aspekte beschränken. Zum einen wirkt die nunmehr Meine Damen und Herren, bedenken Sie die Fol- über Jahre hingezogene Debatte um die Zulassung gen, finge der Deutsche Bundestag nun damit an, sich der Abtreibungspille angesichts der international in solche Entscheidungen einzumischen und in gemachten Erfahrungen — ich denke da an Frank- Zukunft praktisch am Vorstandstisch welcher Unter- reich, England und Schweden — einfach peinlich. nehmen auch immer zu sitzen. Die eigentlich Verant- Aber die absolute Mehrheit dieses Hauses hat sich wortlichen hätten nicht nur eine vortreffliche Rück- wohl schon längst damit abgefunden bzw. scheint zugslinie, fielen unternehmerische Entscheidungen sogar noch stolz darauf zu sein, daß Deutschland in zu ihren Ungunsten aus, sondern es wäre auch äußerst Sachen Abtreibungsgesetzgebung im internationalen bedenklich im Hinblick auf die Konkurrenzsituation Vergleich mächtig hintansteht. zwischen einzelnen Firmen. Wer weiß denn, ob mitt- Zum anderen hat sich die RU-Debatte — und das lerweile nicht auch andere Hersteller ähnliche Pro- scheint nicht wenigen sehr entgegenzukommen — dukte entwickeln? Sollen wir denn jedesmal zusam- zum Teil dermaßen verselbständigt und zu einem menkommen und den Unternehmen Rückendeckung Nebenschauplatz entwickelt, daß sie von der eigent- geben? Das ist in meinen Augen ein merkwürdiges lichen Kernfrage ablenkt. Und die lautet nach wie vor: Verständnis von unserer Marktwirtschaft. Wie halte ich es mit dem Selbstbestimmungsrecht der (Beifall bei der F.D.P. — Zustimmung bei der Frau, CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist auch der Gleichwohl — und damit komme ich noch einmal Hintergrund bei Ihnen!) zum Ausgangspunkt meiner Rede zurück — hätte ich womit wir mal wieder bei der scheinbar unendlichen persönlich nichts gegen die Einführung des Präpara- Geschichte des § 218 wären. tes. Ich weiß, daß viele meiner Kollegen ähnlich Solange eine im Strafgesetzbuch verankerte Rege- denken. Deshalb haben wir uns in einem offenen Brief lung des Schwangerschaftsabbruchs Frauen krimina-- an den Hersteller von RU 486 gewandt und unsere lisiert und bevormundet, bewegen wir uns in der Tat Auffassung in dieser Frage dargelegt. Das ist das nur auf der Stelle. Recht und die Pflicht, die Parlamentarier haben. Die Aufforderung, die Zulassung der RU 486 zu Dieser Weg ist nach meiner Auffassung der richtige, beantragen, unterstützt die PDS/Linke Liste, denn wir weil er auch dem Selbstverständnis des Parlaments sind der Auffassung, daß Frauen eine Wahlfreiheit gerecht wird. zwischen den unterschiedlichen Methoden des Meine Damen und Herren von der SPD, ich biete Schwangerschaftsabbruchs haben müssen. Deshalb Ihnen an: Ziehen Sie Ihren Antrag zurück, schließen werden wir dem SPD-Antrag zustimmen. Sie sich unserer schriftlichen Aufforderung an. Dann können wir gemeinsam etwas für das tun, was wir alle (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei gemeinsam wollen. Abgeordneten der SPD) Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der F.D.P.) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste Frau Regina Schmidt-Zadel.

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächstes hat die Kollegin Petra Bläss das Wort. Regina Schmidt-Zadel (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt wohl kaum ein Präparat, um das so erbittert gestritten wird und um Petra Bläss (PDS/Linke Liste): Frau Präsidentin! das eine solch lange und hitzige Diskussion entbrannt Meine Damen und Herren! Ich denke, die Argumente ist, wie es um RU 486 heute wieder zu sehen ist. Der pro und contra RU 486 sind zur Genüge ausgetauscht. Besonderheit dieser Diskussion tragen wir Sozialde- Im übrigen geht es in dem heute zur Abstimmung mokratinnen und Sozialdemokraten nun Rechnung, stehenden SPD-Antrag auch nicht darum, das Präpa- indem wir den Antrag stellen, der Deutsche Bundes- rat für den medikamentösen Schwangerschaftsab- tag möge die Pharmafirma Hoechst auffordern, end- bruch medizinisch zu bewerten. Wir haben heute über lich die Zulassung des Präparates zu beantragen. nicht mehr, aber eben auch nicht weniger zu entschei- den, ob wir als Parlament willens sind, ein politisches (Zuruf des Abg. Detlef Parr [F.D.P.]) Signal zu setzen. — Warten Sie doch einmal ab, Herr Parr, es kommt ja Frau Kollegin Limbach und Herr Kollege Menzel, so alles. ungewöhnlich ist das durchaus nicht. In Frankreich Meine Damen und Herren von der Regierungsko- hat die Regierung mit einem Beschluß grünes Licht für alition, Sie haben natürlich nicht ganz unrecht, wenn die Freigabe dieses Präparats gegeben. Denn mehr als Sie bezweifeln, ob eine solche Aufforderung Aufgabe die Firma Hoechst bzw. deren französische Tochter- des Gesetzgebers ist. In der Tat, die von uns bean- firma Roussel Uclaf aufzufordern, beim Bundesge- tragte Aufforderung an Hoechst mag ein ungewöhn- sundheitsamt einen Antrag auf Zulassung des Präpa licher und vielleicht auch bisher einmaliger Vorgang 20876 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Regina Schmidt-Zadel sein, aber das Verhalten der Hoechst AG in Sachen hörungen haben gezeigt, RU 486 ist nichts weiter als RU 486 ist ein ebenso einmaliger und ungewöhnlicher eine reine Frühabbruchmethode, die maximal bis zur Vorgang. sechsten Schwangerschaftswoche möglich ist. Da- durch ist die Zielgruppe für den Einsatz schon sehr (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ stark eingegrenzt. Aus medizinischen Gründen wird CSU: Wir haben schlechte Erfahrungen aus die Gruppe dieser Frauen dann noch weiter einge- der Vergangenheit!) grenzt: Die Frauen dürfen nicht rauchen und nicht Die Hoechst AG weigert sich beharrlich, in Deutsch- älter als 35 Jahre sein. land die Zulassung eines Präparates zu beantragen, Mit anderen Worten: RU 486 ist ein Präparat, das für das sie über Tochterfirmen in Österreich, Frankreich, eine klarumrissene Gruppe von Frauen und für eine Großbritannien, Schweden und demnächst auch in klarumrissene Zahl der Fälle und auch nur dann, den USA vertreibt. Die Hoechst AG verweigert den wenn die Frauen dies wollen, eine sichere und scho- Zulassungsantrag für ein Präparat, das in den genann- nende Alternative zum herkömmlichen Abbruch dar- ten Ländern und auch bei den meisten Fachleuten in stellt. der Bundesrepublik längst als eine erwiesene, sichere und weniger risikobehaftete Methode des Schwan- (Widerspruch bei der CDU/CSU) gerschaftsabbruches gilt. Auf eine ungewöhnliche Meine Damen und Herren, lassen Sie uns endlich zu Haltung muß daher auch eine ungewöhnliche Reak- dieser nüchternen und pragmatischen Sichtweise tion erfolgen. kommen. Ich bin sicher, daß dann auch die öffentliche Diskussion diese notwendige Sachlichkeit bekommt. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Alles andere, auch die Debatten um Nebenwirkungen Liste) und Erfolgschancen, sollten wir den Arzneimittelex- Das ist der Gesetzgeber den Frauen schuldig, für die perten überlassen, die dies dann auch übernehmen ein medikamentöser Schwangerschaftsabbruch eine würden. Dafür ist dann ja ein Zulassungsverfahren Reduzierung des gesundheitlichen Risikos darstellt. geeignet. Der Gesetzgeber hat die Pflicht, meine Damen und Meine Damen und Herren, Ihr Ja zu unserem Herren, dafür zu sorgen, daß Frauen die jeweils Antrag bringt uns diesem Zulassungsverfahren und optimale medizinische Abbruchmethode angeboten auch der Versachlichung der Debatte ein gutes Stück wird. Wenn ein medikamentöser Schwangerschafts- näher. Ich begrüße daher ausdrücklich die Initiative abbruch dazugehört — vieles spricht dafür; das haben von Abgeordneten der F.D.P. und würde mir wün-- auch die Anhörungen gezeigt —, dann hat er auch die schen, Sie würden heute auch unserem Aufruf zustim- Pflicht, alles für die Zulassung dieses Präparates zu men, damit wir wirklich endlich zu einer sachlichen tun. Das schließt aus unserer Sicht die Forderung an und vernünftigen Diskussion und weg von allen die Firma mit ein. Unser Antrag mag daher unge- Emotionen kommen, die dieses Thema bisher so wöhnlich sein, meine Damen und Herren, notwendig belastet haben. Ich freue mich ja, daß Sie mir den Brief aber ist er allemal. zeigen, Herr Dr. Thomae. Dann können Sie auch zustimmen. Wir hätten dann gemeinsam eine gute (Beifall bei der SPD) Basis, um das weiterzuführen. Notwendig erscheint es mir auch, dem Medikament Vielen Dank. RU 486 den Mythos zu nehmen, der die Diskussion (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten über das Präparat so belastet und der bisher eine der F.D.P.) sachliche Auseinandersetzung über Vor- und Nach- teile einer Zulassung fast unmöglich gemacht hat. Genaugenommen sind es eigentlich zwei Mythen, mit Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als letzte zu diesem denen man auf dem Weg zu einer sachlichen Debatte Tagesordnungspunkt Frau Staatssekretärin Sabine aufräumen muß, und die will ich hier vortragen. Bergmann-Pohl. Zum einen ist da der unsägliche Begriff der Todes pille. Die erbitterten Gegner von RU wollen damit Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin suggerieren, das Medikament sei dafür geschaffen, beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Präsiden- eine Schwangerschaft mal eben und so nebenbei zu tin! Meine Damen und Herren! Schon vor zwei Jahren beseitigen, so wie man Aspirin einnimmt, wenn man habe ich gesagt: Der Antrag der SPD ist völlig über- Kopfschmerzen hat. Schwarzmarktphantasien und flüssig. Daran hat sich bis heute nichts geändert; im angeblicher Mißbrauch als „Pille danach" schüren Gegenteil. zusätzlich die Emotionen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist auch so!) Meine Damen und Herren, ich sage heute: Der — Nein, das ist nicht so. Wenn Sie sich genau Antrag ist sogar verantwortungslos! informiert hätten, müßten Sie das wissen. (Zuruf von der SPD: Ach Gott!) Auf der anderen Seite wird die Debatte aber auch Haben Sie denn aus den Diskussionen des 3. Unter- von dem Trugschluß bestimmt, RU 486 sei bei jeder suchungsausschusses zu HIV und Blutprodukten Frau und in jedem Fall die ideale Alternative zum überhaupt nichts gelernt? Ich sage es noch einmal: Es operativen Schwangerschaftsabbruch. Kolleginnen muß klare Verantwortungen geben. Frau Schmidt- und Kollegen, wie so oft liegt die Wahrheit auch hier in Zadel, es ist auch fragwürdig, von einer schonenden, der Mitte. Die Erfahrungen in den Ländern, in denen sicheren und risikoarmen Methode zu sprechen. Sie RU zugelassen ist, und auch die Sachverständigenan- haben ja selbst die Einschränkungen schon genannt. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20877

Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl Damit widersprechen Sie sich selbst. Im übrigen um die Hinterlassenschaft des Stasi-Imperiums und waren wir, muß ich sagen, wahrscheinlich auf ver- seiner Befehlsgeber aufzuarbeiten. Auch wurde schiedenen Anhörungen; denn ich habe von den betont, daß sich das Stasi-Unterlagen-Gesetz in der Gutachtern andere Aussagen gehört. Praxis im wesentlichen bewährt hat. Diese Bewertung Deshalb noch einmal, meine Damen und Herren: hat auch heute noch uneingeschränkt Bestand. Die Die Verantwortung für die Entscheidung über einen Arbeit der Gauck - Behörde ist hervorragend. Ich Zulassungsantrag für ein Präparat liegt allein beim meine, wir können keinesfalls auf sie verzichten. Hersteller. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: In der Tat!) ordneten der SPD) Das ist so, und das bleibt auch so. Daran gibt es nichts Deswegen greift die vorliegende Novelle nur ein zu rütteln. Die Diskussion, die die SPD hier heute paar Einzelfragen auf, die sich in der Praxis als führt, gehört in die Chefetagen der Unternehmen, regelungsbedürftig gezeigt haben. Alle Punkte sind nicht in den Deutschen Bundestag. von den Fraktionen dieses Hauses aufgenommen, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) kritisch diskutiert und gemeinsam in den Deutschen Bundestag eingebracht worden. Unsere kleine Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Damit schließe ich Reform haben wir auch mit den Medienverbänden die Aussprache. eingehend erörtert. So konnte ein breiter Konsens so weit wie möglich erzielt werden. Ich möchte diese Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß- Gelegenheit wahrnehmen, mich bei allen Beteiligten empfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem herzlich für die konstruktive Zusammenarbeit zu Antrag der Fraktion der SPD zur Prüfung des Präpa- bedanken. rates RU 486 zum medikamentösen Schwanger- schaftsabbruch, Drucksachen 12/1835 und 12/8024. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Der Ausschuß für Gesundheit empfiehlt, den Antrag Im einzelnen enthält die zu verabschiedende abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- Novelle des Gesetzes folgende Regelungen: Erstens. lung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist Anzeigepflicht nach § 7 Abs. 1 und 3 des Stasi- die Beschlußempfehlung gegen die Stimmen der SPD Die Unterlagen-Gesetzes soll auch auf Duplikate von und der PDS angenommen. Stasi-Unterlagen ausgeweitet werden. Dies ist einfach nötig; denn ich sehe keinen Unterschied da rin, ob es Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: sich um Originale, um Abschriften oder um ähnliches- Zweite und dritte Beratung des von den Frak- handelt. Erforderlich ist natürlich auch, daß wir die tionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. einge- Nichtanzeige des Besitzes von Duplikaten künftig mit brachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes einem Bußgeld belegen können. zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (2. StUÄndG) (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) — Drucksache 12/7878 — Die Gauck-Behörde muß einfach Kenntnis davon (Erste Beratung 232. Sitzung) haben, daß jemand Abschriften von Stasi-Unterlagen bei sich hat. Erst dann kann die Herausgabe verlangt Beschlußempfehlung und Bericht des Innen- werden. Deswegen wollen wir dies ordnungswidrig- ausschusses (4. Ausschuß) keitsbewehrt gestalten. — Drucksache 12/8132 — Berichterstattung: Zweitens. Wir schaffen mehr Gerechtigkeit mit Abgeordnete Hartmut Büttner (Schönbeck) einer praxisnäheren und ausgewogeneren Gebüh- Gerd Wartenberg (Berlin) renregelung. Während schon bisher Betroffene und Dr. Jürgen Schmieder Dritte für Auskünfte und Akteneinsicht keine Gebüh- ren zu zahlen hatten, wurden — das ist unverständ- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für lich; es handelt sich wohl um ein Redaktionsverse- die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei hen — nahe Angehörige dieses Personenkreises mit die Gruppen je fünf Minuten Redezeit erhalten sollen. Gebühren belastet. Dies ist nicht sinnvoll. Wir wollen — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. eine Änderung. Ich eröffne die Aussprache. Als erster spricht der Kollege Erwin Marschewski. Ein dritter kleiner Bereich, den wir ansprechen, ist: Erhebliche Arbeitskraft der Gauck-Behörde wurde bisher durch das Kopieren von Unterlagen gebunden. Erwin Marschewski (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Die Forschung und die Medien brauchten bisher kein Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kürzlich Entgelt für die entsprechenden Fotokopien, für die haben wir in diesem Hause über den Tätigkeitsbericht Personalkosten zu entrichten. Auch das wollen wir des Bundesbauftragten für die Unterlagen des ändern. Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR debat- tiert. Dabei haben alle Seiten dieses Hauses, ausge- (Beifall bei der CDU/CSU) nommen die PDS — sie hat offensichtlich ihren Sie wissen, daß weitere Änderungsvorschläge zum Grund —, Stasi-Unterlagen-Gesetz bei uns eingegangen sind. (Dr. Barbara Höll [PDS/Linke Liste]: Blöd Wir sind aber angesichts der endenden Legislaturpe- sinn!) riode natürlich nicht mehr in der Lage, diese Vor- die Arbeit der Gauck-Behörde gewürdigt und festge schriften entsprechend zu ändern. Wir werden dies stellt, daß sie auch in Zukunft unverzichtbar sein wird, dem künftigen Gesetzgeber überlassen. 20878 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Erwin Marschewski Zusammenfassend stelle ich fest: Wenn nun für die Forscher und Medien bei Anfor- Erstens. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz hat sich ins- derungen an die Gauck-Behörde neben den Auslagen gesamt voll bewährt. noch Gebühren hinzukommen sollen, wird die Bela- stung auch nicht unerträglich. Der Blick in die sehr Zweitens. Die Arbeit der Gauck-Behörde verdient moderate Kostenordnung, die die Kritiker dieser hohes Lob. Dies gilt nicht nur für ihren Leiter, sondern Regelung wahrscheinlich nicht gelesen haben, zeigt auch für dessen Mitarbeiter. Sie alle haben ihre z. B., daß für die Herausgabe von Dokumenten neben schwierige Aufgabe, die Stasi-Hinterlassenschaft in den Kopierkosten noch eine Gebühr von 10 bis 15 DM einem nicht selten feindseligen Klima nach Recht und anfällt — also der Preis einer Pizza. Das dürfte bei den Gesetz aufzuarbeiten, in bewunderswerter Weise Betriebsausgaben der anfragenden Stellen doch erfüllt. Dafür noch einmal ganz herzlichen Dank. sicherlich noch drin sein. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, diesen Noch heißer geht es bei der von uns beantragten kleinen Änderungen zuzustimmen. Es handelt sich, Einbeziehung von Duplikaten in die Anzeigever- wie gesagt, um einen interfraktionellen Antrag der pflichtung gegenüber dem Bundesbeauftragten zur CDU/CSU-, der SPD- und der F.D.P.-Fraktion. Ich Sache. Verständlicher ausgedrückt: Schon bisher meine, wir sollten diesem Ganzen zustimmen. müssen Kopien von Stasi-Unterlagen auf Verlangen Herzlichen Dank. des Bundesbeauftragten an ihn herausgegeben wer- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) den. Neu ist die Verpflichtung, den Bundesbeauftrag- ten vom Besitz solcher Kopien in Kenntnis zu setzen, damit er dann von seinem Recht, sie herauszuverlan- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht gen, auch Gebrauch machen kann. die Kollegin Dorle Marx. Das Ziel dieser neuen Regelung ist es, die außerhalb der Behörde noch immer vielfältig vagabundierenden Bestände besser aufzufinden und damit den Bestand Don e Marx (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen der Behörde soweit wie möglich zu komplettieren. und Herren! Mit dem interfraktionellen Gesetzent- Außerdem kann eine unkontrollierte Duplikatsnut- wurf wollen wir vor Abschluß der Legislaturperiode zung nicht geduldet werden. Es erstaunt, daß trotz- — der Kollege Marschewski hat schon darauf hinge- dem der Presserat durch diese neue Regelung seinen wiesen — wenigstens noch die dringendsten Hausauf- verfassungsmäßigen Auftrag in Gefahr sieht. - gaben erledigen, die sich aus den bisherigen guten Die Kollegin Köppe hat noch eins draufgelegt und Erfahrungen mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz erge- der Presse mitgeteilt, es solle offenbar versucht wer- ben haben. den, unbequeme Stasi-Enthüllungen über Politiker zu Wir wollen die Einbeziehung der Duplikate oder verhindern. Hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, Abschriften von Originalunterlagen des MfS in die fange ich an, mich ganz massiv zu ärgern. Es ist Anzeigepflicht des § 7. Die Nichtherausgabe solcher nämlich ein schlichter Denkfehler, wenn die zur Duplikate soll mit Bußgeld belegt werden können. Herausgabeverpflichtung neu hinzutretende Anzei- Angehörige von Vermißten oder Verstorbenen sol- gepflicht mit einem Veröffentlichungsverbot der len von der bisherigen Pflicht zur Entrichtung von Medien gleichgesetzt wird. Wer behauptet, hier soll- Gebühren und Auslagen für Auskünfte der Gauck ten brisante Informationen dem Markt entzogen wer- Behörde befreit werden, Forschung und Medien den, sieht in der Gauck-Behörde ein Bermudadreieck, dagegen künftig Gebühren und Auslagen zahlen. in dem einmal an sie gegebene Unterlagen auf Nim- Also alles in allem nichts Dramatisches, sollte man merwiedersehen verschwinden. Das kann aber nicht meinen. nur nicht wahr sein, das ist auch nicht wahr. Doch haben sich in den letzten Tagen einige Gemü- Wir haben gemeinsam ein Stasi-Unterlagengesetz ter erhitzt. Mit der Einführung von Gebühren und verabschiedet, das Täterakten ausdrücklich nicht Auslagen für Auskünfte gegenüber Forschung und schützt. Auch Informationen zu sogenannten Perso- Medien würden — so hieß es vereinzelt — die Kleinen nen der Zeitgeschichte können und sollen weiter beim Informationszugang behindert, wenn nicht gar erfragt werden. ausgeschlossen. Über dieses Argument wundere ich So richtig „die Hand drauf" hat die Gauck-Behörde mich. Bisher waren Anforderungen von Medien und — und das muß auch immer wiederholt werden — nur Forschung gebühren- und auslagenfrei, d. h. vor auf einer Sorte Akten. Und das, liebe Kolleginnen und allem die erheblichen Fotokopierkosten wurden vom Kollegen, sind mit gutem Grund und einzig und allein Steuerzahler getragen. die Opferakten. Diese Opferakten und nur diese Ich kann mich persönlich noch sehr gut daran sollen durch die beabsichtigte Neuregelung erfolgrei- erinnern, daß ich in meiner Studienzeit immer einen cher als bisher endgültig vom Markt genommen dicken Beutel mit Kleingeld in der Tasche hatte, um werden können. Opferakten gehören nicht in Presse- die Kopierautomaten im Juristischen Seminar der archive. Ich wundere mich deshalb sehr, wenn ausge- Universitätsbibliothek oder der Deutschen Bibliothek rechnet die Vertreter von BÜNDNIS 90 dem unbe- zu füttern. Ich denke, daß da ein Haufen Geld zusam- rechtigten Wehgeschrei der Medien auf den Leim mengekommen ist. Bei allen Mängeln im Bildungswe- gehen. sen wäre ich aber nie auf die Idee gekommen, daß die Nochmals: Die weitreichenden Rechte der Medien Tatsache, daß ich meine Fotokopien selber bezahle, auf Auskunftserteilung bleiben unangetastet. Die eine unerträgliche Belastung für mein Studium und Medien werden nicht behindert. Sie verlieren, wenn meine wissenschaftliche Arbeit darstellt. sie künftig ihrer Anzeigepflicht genüge tun, allenfalls Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20879

Dorle Marx vielleicht einen Wettbewerbsvorteil im Konkurrenz- — Nein, das ist kein dummes Zeug, sondern das ist kampf um eine schöne Stasi-Geschichte. Das Grund- heute noch einmal im einzelnen belegt worden. Diese recht der Opfer auf Persönlichkeitsschutz wiegt aber Gruppen haben nicht das Geld, um diese Kopien in doch wohl schwerer als dieser Wettbewerbsvorteil. dieser Art und Weise bezahlen zu können. Sie werden Frau Köppe hätte ich jetzt gerne gefragt, ob sie ihre Arbeit im wesentlichen einstellen müssen. anderer Meinung ist. Leider ist sie heute nicht hier. (Abg. Dorle Marx [SPD] meldet sich zu einer

Auch an dem Ziel, den Bestand der Gauck - Behörde Zwischenfrage) so weit wie möglich zu komplettieren, müssen wir alle — Bitte schön. gemeinsam ein großes Interesse haben. Die Lücken im Bestand bieten nämlich eine Angriffsfläche für all diejenigen, die die Akten lieber heute als morgen Dorle Marx (SPD): Gehe ich recht in der Annahme, wieder schließen würden. Mit dem Argument, die daß Ihnen bisher verborgen geblieben ist, daß die Unterlagen seien ohnehin unvollständig, wird sugge- Kostenordnung zum Stasi-Unterlagen-Gesetz, die riert, daß eine Ent- oder Belastung von Personen offenbar die meisten hier nicht kennen, vorsieht, daß immer mit Fragezeichen versehen bleibe. in Fällen, in denen eine soziale Notlage vorliegt, Wenn wir aber darauf verzichten, mit allen uns zur Gebühren oder Auslagen ganz erlassen werden kön- Verfügung stehenden Mitteln das aus heutiger Sicht nen? rechtswidrig zustande gekommene, hochsensible (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das weiß Datenmaterial in der Gauck-Behörde zusammenzu- er ja alles nicht! Das ist so viel dummes Zeug, fassen, gefährden wir die noch lange nicht abge- was er geredet hat!) schlossene Vergangenheitsbewältigung. Und wir vernachlässigen vor allen Dingen — ich sagte es bereits — unsere Fürsorgepflicht gegenüber den Ortwin Lowack (fraktionslos): Entschuldigung, es Opfern der Staatssicherheit. Die im Gesetzentwurf geht doch gar nicht um eine soziale Notlage. Ich bin vorgesehenen Ergänzungsregelungen sind also nicht seit 1966 Jurist, vielleicht einer der ältesten in diesem nur unproblematisch, sondern auch geboten. Raum überhaupt. Ich kenne meine Kostenordnungen wie wahrscheinlich kein anderer hier in diesem Raum, Über eine echte Novellierung, zu der auch meine vielleicht diese spezielle nicht so genau. Ich nehme Fraktion schon einige Vorstellungen hat, werden wir nur einen Sachverhalt auf, der heute sogar Gegen- uns dann in der nächsten Legislaturperiode gern stand einer Fernsehdebatte war, in der gerade die streiten. Für heute hätten wir Sozialdemokraten es Gruppen, die diese Arbeit leisten, gesagt haben, sie begrüßt, wenn der interfraktionelle Antrag auch von müßten sie einstellen, weil sie nicht damit rechnen BÜNDNIS 90 als das angesehen worden wäre, was er könnten, daß ihnen irgendwelche Gebühren erlassen ist, nämlich ein schlichtes Vernunftswerk. Lohnen- werden. Es geht hier doch gar nicht um die Frage einer dere Wahlkampfthemen gibt es dann immer noch zur Berechtigung aus sozialen Gründen, sondern es geht Genüge. hier darum, daß die Gruppen ja nicht vorweisen Wir stimmen aus ganzem Herzen und Überzeugung können, sie seien arm. Vielmehr können diese Grup- dem interfraktionellen Antrag zu. pen von vornherein überhaupt kein Geld investieren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sie leisten eine Arbeit, die sie persönlich überhaupt nicht betrifft. Wenn Sie, liebe Frau Kollegin, mir sagen würden, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort in dieser diese Gruppen würden in Zukunft die Gebühren Debatte hat jetzt der Abgeordnete Lowack. erlassen bekommen, so daß ihre Arbeit nicht behin- dert wird, dann würde ich Ihnen gerne zustimmen. Dann erklären Sie das bitte aber auch verbindlich all Ortwin Lowack (fraktionslos): Frau Präsidentin! jenen gegenüber, die das Gesetz beschließen wol- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt len. Gründe und Abgründe. Es gibt vorgeschobene (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das Ge- Gründe und es gibt wahre Gründe. Die Gründe des setz einmal lesen! Das ist besser!) liebenswürdigen Kollegen Marschewski sind sicher nicht die wahren Gründe, sondern sind eher Vorder- gründe. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Damit schließe ich Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt die Aussprache. Die Kollegen Dr. Schmieder, Frau hier natürlich einen Hauptgrund oder ein Hauptpro- Köppe und Professor Dr. Heuer haben ihre Redebei- blem. Das ist, daß in Zukunft die Gruppen, die sich mit träge zu Protokoll gegeben.*) Ich teile noch mit, daß der Auswertung der Gauck-Unterlagen überhaupt die Kollegin Angelika Barbe eine Erklärung nach § 31 noch beschäftigen können, weil sie auf Grund ihres unserer Geschäftsordnung schriftlich abgegeben Ursprungs die Erfahrung haben, diese Menschen- hat.**) rechtsgruppen, die Gruppen, die heute aus einem Wir kommen zur Abstimmung über den von den großen Idealismus heraus arbeiten, ohne dafür Geld Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. einge- zu verlangen, in Zukunft auf Grund der Kostenrege- brachten Entwurf zur Änderung des Stasi-Unterla- lung davon ausgeschlossen sind, diesen Idealismus gen-Gesetzes auf Drucksache 12/7878. Der Innenaus- noch einbringen zu können. (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das ist *) Anlage 7 (Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll) dummes Zeug!) **) Anlage 6 (Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll) 20880 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth schuß empfiehlt auf Drucksache 12/8132, den Gesetz- Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) entwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejeni- Helmut Wieczorek (Duisburg) gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthal- gemeinsame Aussprache eine Dreiviertelstunde vor- tungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter gesehen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Beratung bei einer Gegenstimme aus der SPD und einer aus der PDS angenommen. Erste Rednerin ist die Kollegin Uta Titze-Stecher. Dritte Beratung und Schlußabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plät- Uta Titze-Stecher (SPD): Frau Präsidentin! Liebe zen zu erheben. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir in mei- — Damit ist der Gesetzentwurf bei einer Enthaltung ner Funktion als Jahresberichterstatterin der Haus- und zwei Gegenstimmen angenommen. haltsgruppe der SPD-Bundestagsfraktion einige Sätze zur Arbeit im Rechnungsprüfungsausschuß, ehe ich Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 a bis 6 c auf: zur Auseinandersetzung mit den unter den Tagesord- a) Zweite und dritte Beratung des von der nungspunkten 6 a, 6 b und 6 c angesprochenen drei Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Komplexen komme. eines Fünften Gesetzes zur Änderung der Ich will dich ansprechen, lieber Karl Deres. Ich Bundeshaushaltsordnung spreche dich sicherlich auch im Namen a ller Kollegin- — Drucksache 12/5835 — nen und Kollegen des Haushaltsausschusses ganz (Erste Beratung 189. Sitzung) persönlich an, weil in diesem Rahmen die letzte Beschlußempfehlung und Bericht des Haus- Gelegenheit dazu besteht. Du hast dich entschieden, haltsausschusses (8. Ausschuß) deine parlamentarische Arbeit, wie du mir eben auf dem Weg hierher gesagt hast, im Landtag und im — Drucksachen 12/6612, 12/7402 - Bundestag nach rund 20 Jahren zu beenden. Berichterstattung: Abgeordnete Adolf Roth (Gießen) Ich bin dankbar dafür, in dir einen Kollegen ken- Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) nengelernt zu haben, der über all diese Jahre ausge- Helmut Esters sprochen menschlich und verständnisvoll geblieben ist — wie du mir versichert hast, war das dein fester b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Wunsch und Wille; du hast es geschafft —, aber auch Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- einen Kollegen, der seine Funktion, nämlich den schuß) Vorsitz des so wichtigen Rechnungsprüfungsaus- zu dem Antrag des Bundesministeriums der schusses, in vorbildlicher Weise wahrgenommen Finanzen hat. Entlastung der Bundesregierung für das Ich denke, daß auf Grund deiner souveränen Lei- Haushaltsjahr 1991 — Vorlage der Haus- tung die Arbeit des Rechnungsprüfungsausschusses haltsrechnung und Vermögensrechnung insgesamt als sehr gewissenhaft, sachlich und immer des Bundes (Jahresrechnung 1991) zu der orientiert an tragbaren Problemlösungen gelten darf. Unterrichtung durch den Bundesrech- Allerdings darf dein gemütliches Äußeres nicht dar- nungshof über hinwegtäuschen, daß du mit bissiger Hartnäk- Bemerkungen des Bundesrechnungshofes kigkeit die Prüfungs- und Kontrollrechte von Parla- 1993 zur Haushalts- und Wirtschaftsfüh- ment und Bundesrechnungshof immer dann vertei- rung digt hast, wann und wo dir dies angebracht schien, (einschließlich der Feststellungen zur Jah- z. B. wenn es um die Möglichkeit der Finanzkontrolle resrechnung des Bundes 1991) bei privatrechtlichen Trägern geht, die öffentliche — Drucksachen 12/4764, 12/6101, 12/5650, Aufgaben wahrnehmen. 12/7951 — Also, trotz all dem Schmalzgebackenen und all dem Berichterstattung: Ahrwein hast du deinen Biß bis zuletzt behalten. Abgeordnete Adolf Roth (Gießen) Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Helmut Esters F.D.P.) Hans Georg Wagner Da ich gerade beim Danken bin, will ich an dieser Karl Deres Stelle ausdrücklich Dank und Anerkennung sagen für c) Beratung der Beschlußempfehlung und des die Arbeit, die auch die Mitglieder des Haushaltsse- Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- kretariats über das ganze Jahr leisten. Sie sind die schuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Mädchen — pardon, die Männer für alles; sie sorgen Dr. Gregor Gysi, Dr. Dietmar Keller, Dr. Bar- nicht nur für die Sitzungsunterlagen. Die Kolleginnen bara Höll und der Gruppe der PDS/Linke und Kollegen wissen, daß alle Wünsche erfüllt wer- Liste den, von sauren Gurken über Kopfwehtabletten bis Rückkehr zu einer verfassungskonformen zum Erscheinen des Kellners, damit wir bei den Haushaltspolitik stundenlangen Beratungen nicht vom Fleisch fallen. — Drucksachen 12/6474, 12/7057 - Ein Extralob verdienen unsere beiden Sekretäre, Berichterstattung: die Sekretäre von Rechnungsprüfungsausschuß und Abgeordnete Adolf Roth (Gießen) Haushaltsausschuß. Ich bin mir sicher, daß sie so Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20881

Uta Titze-Stecher manches Wochenende für ihre detailgetreuen Auf- erheblichen Gefälles noch nicht einmal von schweren zeichnungen opfern. Güterzügen benutzt werden kann. Da kann ich Herrn Wissmann nur empfehlen, seinem eigenen Satz zu Mein Dank gilt als drittes auch allen Kolleginnen folgen — Zitat —: „Gutachten des Bundesrechnungs- und Kollegen des Rechnungsprüfungsausschusses, hofes sind auf jeden Fall ernst zu nehmen." Wie insbesondere Ihnen, Herr Bohlsen, der Sie auch mit wahr! Ablauf dieser Legislaturperiode ausscheiden, und Frau Bock. Der Haushaltsausschuß hat mit einer weiteren wesentlichen Änderung des § 91 der Haushaltsord- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ nung klargestellt, daß es für die Haushaltskontrolle CSU und der F.D.P.) des Parlaments unverzichtbar ist, auch den öffentlich Ihnen alles Gute für Ihr weiteres, ich denke: nicht ganz rechtlichen Bereich, der in privater Gesellschafts- unpolitisches Leben. form abgewickelt wird — das war unsere Beschäfti- gung in den letzten Ausschußsitzungen —, der Haus- In insgesamt 46 Sitzungen haben wir uns alle halts- und Rechnungskontrolle zu unterwerfen, sofern gemeinsam bemüht, trotz und jenseits politisch auch nur eine müde Mark aus dem Bundeshaushalt bedingter Unterschiede zu einvernehmlichen Lösun- fließt. gen zu kommen. Das ist auch dank der souveränen Leitung von Karlchen meist gelungen. Wir haben es uns mit dieser Frage nicht leichtge- macht. Es hat zahlreiche, lange und schwierige Dis- Mein Dank gilt last not least — ich weiß nicht, ob sie kussionen dazu gegeben. Dies betrifft insbesondere da ist — der Präsidentin des Bundesrechnungshofes den Prüfungsumfang bei den beiden privatisierten sowie ihrem langjährigen Vorgänger und den Mitar- deutschen Staatsbahnen. beiterinnen und Mitarbeitern des Bundesrechnungs- hofes. Ohne deren kontinuierliche Zuarbeit, d. h. die Der Haushaltsausschuß — und ich natürlich auch — Erstellung von Prüfberichten, insbesondere aber ohne sieht diese Diskussion noch lange nicht als beendet deren Unabhängigkeit wäre die Wahrnehmung einer an. Die Frage war, inwieweit durch eine Änderung des glaubwürdigen parlamentarischen Finanzkontrolle Eisenbahnneuordnungsgesetzes der Prüfungsumfang undenkbar. des Bundesrechnungshofs erweitert werden muß. Freilich erleben wir Mitglieder des Rechnungsprü- Ich will hier ausdrücklich für die SPD feststellen, daß fungsausschusses immer häufiger, daß sich Ministe- niemand von uns die unternehmerischen Spielräume- rien und Behörden mal mehr, mal weniger vehement der Bundesbahn beschränken will. Wir stehen zu gegen kritische Berichte des Bundesrechnungshofes dieser Entscheidung. mit dem Hinweis wehren, dieser Bericht prüfe ja nicht Aber wir stehen als Parlament in der Verantwortung nur die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Bun- gegenüber dem Steuerzahler, da allein die Zuschüsse desverwaltung, d. h. die effiziente und gesetzlich an die Bahn AG im Volumen von 25 Milliarden DM festgelegte Verwendung von Steuergeldern, nein, der — praktisch 5 % des Bundeshaushalts — eine beson- Bundesrechnungshof erlaube sich, ihm nicht zuste- dere Kontrolle erzwingen. hende politische Bewertungen zu treffen. Nur als kleine Anmerkung: Diese Zuschüsse ent- Ich denke, weder der Bundesrechnungshof noch die sprechen immerhin den Gesamtausgaben des Bundes Parlamentarier sehen das so. Wir brauchen nicht nur für solche Ministerien wie Bau, Bildung, Frauen und die begleitende, wir brauchen zunehmend mehr die Jugend, Gesundheit und Umweltschutz. präventive Prüfung von Vorhaben durch den Bundes- rechnungshof. Das ist unser ausdrücklicher Wunsch. Angesichts genereller Weichenstellungen in Rich- Wenn dies seitens der Geprüften als politische Einmi- tung Deregulierung, schlanker Staat und Privatisie- schung statt als Hilfe für die politische Entscheidungs- rung wird die Frage der Wahrnehmung und Sicherung findung definiert wird, dann müssen sich jene, die sich der Kontrollrechte des Parlaments garantiert noch so äußern, die Frage nach ihrem Verständnis von weiter auf der Tagesordnung bleiben müssen. parlamentarischer Kontrolle stellen lassen. Ich komme nun — jetzt wird es ein bißchen unge- Dies gilt z. B. für einen ganz aktuellen Fall. In einem mütlicher, Karl — zu den Tagesordnungspunkten 6a, 6 b und 6 c, d. h. zum Gesetz zur Änderung der Zwischenbericht an das Bundesministerium für Ver- kehr stellt der Bundesrechnungshof die Pläne der Bundeshaushaltsordnung, zur Entlastung der Bundes- regierung für das Haushaltsjahr 1991 im Zusammen- Deutschen Bahn für den Bau einer 3 Milliarden DM hang mit den Bemerkungen des Bundesrechnungsho- teuren, völlig neuen ICE-Strecke in Bayern — kon- fes 1993 und zum Antrag der PDS/Linke Liste „Rück- kret: zwischen München und Nürnberg über Ingol- kehr zu einer verfassungskonformen Haushaltspoli- stadt — aus wirtschaftlicher Sicht in Frage — für mich tik". zu Recht angesichts einer wesentlich günstigeren Alternative, nämlich dem Ausbau einer bereits vor- Ich fasse einmal zusammen: Der finanzpolitische handenen Strecke über Augsburg. Kern aller drei Vorlagen ist eine Grundsatzkritik am generellen finanzpolitischen Kurs der Bundesregie- Es grenzt für mich an einen Schildbürgerstreich, für rung und an ihrer nicht mehr verfassungskonformen den Vorteil von nur wenigen Minuten eine 80 Kilome- Verschuldungspolitik. ter lange neue Strecke mit 31 Tunneln durch das größte zusammenhängende Waldgebiet Ostbayerns Der Bundesrechnungshof hat mit seinen Bemerkun- zu favorisieren, und das noch auf der Preisbasis von gen eine jahrelang insbesondere vom Bundesfinanz- 1989 und bei der Tatsache, daß die Strecke wegen des minister eifrig gepflegte Legende zerstört: die Aus- 20882 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Uta Titze-Stecher blendung der Schattenhaushalte des Bundes aus Kreditobergrenze nach Art. 115 Grundgesetz, die den seiner finanzpolitischen Gesamtverantwortung. Der Gesetzgeber verpflichtet, im Haushaltsplan grund- Bundesrechnungshof unterstreicht in seinen Ausfüh- sätzlich nicht mehr an Krediten zu veranschlagen, als rungen die Auffassung der SPD, daß die finanzwirt- für Investitionen vorgesehen ist. schaftlichen Belastungen des Bundes für die Zukunft Wir kritisieren, daß diese Bundesregierung wie nur dann angemessen und umfassend bewertet wer- selbstverständlich die Ausnahmeregelung von der den können, wenn die Verschuldung des Bundes und Schuldenbegrenzung in Art. 115 Abs. 2 Grundgesetz deren Folgekosten insgesamt also unter Einschluß in Anspruch nimmt. Der Bundesrechnungshof stellt der Sondervermögen, sprich: Schattenhaushalte — dazu geradezu genüßlich dar, an welche politischen einschließlich der daraus folgenden Zinslast einbezo- Voraussetzungen die Inanspruchnahme dieser Aus- gen werden. Konkret betrifft das die Einbeziehung nahmeregelung gebunden ist. Danach ist entschei- von Bundeseisenbahnvermögen, Fonds „Deutsche dend, daß mit der Überschreitung der Schuldenober- Einheit" und Erblastentilgungsfonds. grenze eine Politik finanziert wird, die nachprüfbar Auf der Basis des noch geltenden Finanzplans und glaubhaft zur Wiederherstellung des gesamtwirt- kommt der Bundesrechnungshof zu dem gleichen schaftlichen Gleichgewichts führt. vernichtenden Urteil wie die SPD-Fraktion auch: Wir Daß dies nicht der Fall ist, werden Sie nicht bestrei- steuern auf eine Zins-Steuer-Quote von 24 % zu. Das ten können; denn Ihre eigenen Zahlen belegen, daß bedeutet im Klartext: In Kürze — der Bundesrech- im nächsten Jahr mit einer Staatsverschuldung von nungshof nennt hier das Jahr 1997 — wird jede vierte über 2 Billionen Mark und einem Anstieg des Zinsan- Steuermark zur Begleichung von Zinszahlungen teils auf 24 % die Bewertung Ihrer Wirtschaftspolitik benötigt. wohl wirklich nicht im Sinne eines finanzpolitischen Auf deutsch: Die Zinsen fressen die Steuern auf, Gleichgewichts erfolgen kann. Steuern, die von unseren Bürgern hart erarbeitet Diese deprimierende Politik kann unserer Meinung werden müssen und die zur Ausweitung künftiger nach nur durch notwendige Strukturreformen korri- Lebenschancen, auch derer ihrer Kinder, nicht mehr giert werden. Ich nenne drei als Beispiele: die Moder- zur Verfügung stehen. Das nenne ich ein Ergebnis nisierung der Wirtschaft durch eine ökologische Poli- verantwortungsloser Finanzpolitik. tik zur Energie- und Ressourceneinsparung; eine Ich will das am Beispiel der Nettokreditaufnahme Reform des öffentlich geförderten Arbeitsmarktes und verdeutlichen: Obwohl der Fonds „Deutsche Einheit", seiner Finanzierung; eine Reform der beruflichen der Erblastentilgungsfonds und das Eisenbahnvermö- Bildung und Forschungsförderung. Wir denken, daß gen Schuldentöpfe des Bundes sind — das Wort dann das vom Grundgesetz geforderte gesamtwirt-

Sondervermögen ist ja nun wirklich euphemistisch — , schaftliche Gleichgewicht eher herzustellen ist als die nunmehr auch im Bundeshaushalt veranschlagt durch das, was Sie vorlegen. werden müssen, werden sie aus der Neuverschuldung Die Zustimmung der SPD-Fraktion zur Änderung des Bundes, wie bisher üblich, ausgeblendet. Für 1995 der Bundeshaushaltsordnung bedeutet insofern kein sollen sie schamhaft in den sogenannten Sonderrech- Abrücken von der Grundsatzkritik an der Finanzpoli- nungen des Bundes zusammengefaßt werden — auch tik dieser Regierung. Der Sinn einer an sich vernünf- wieder ein verschönender Ausdruck. tigen Vorschrift wird in der haushaltspolitischen Pra- Diese Schuldenfonds nehmen zu ihrer Finanzierung xis der Bundesregierung bedauerlicherweise gera- insgesamt 11 Milliarden DM an Krediten auf. Ein- dezu ins Gegenteil verkehrt, der Vorschrift nämlich, schließlich der vom Bundesfinanzminister bereits daß es eines Nachtragshaushalts dann nicht bedarf, genannten 70 Milliarden DM neuer Schulden beträgt wenn mit den über- und außerplanmäßigen Ausgaben somit die Neuverschuldung des Bundes für das Jahr eine Rechtsverpflichtung erfüllt wird. Diese Vorschrift 1995 rund 80 Milliarden DM. Dies wurde kürzlich im ist zum Einfallstor einer beispiellosen Verwahrlosung Haushaltsausschuß vom Bundesfinanzministerium in dessen geworden, was wir ein seriöses Haushaltsver- der Berichterstattung über den Finanzplanungsrat fahren nennen können. selbst ausgeführt. Wenn überplanmäßige Ausgaben auf Grund von Da ist die Frage schon erlaubt: Wann endlich wird Rechtsverpflichtungen — ich nenne als Beispiel nur diese Bundesregierung mit dem Verbiegen finanz- die Defizitabdeckung bei der Bundesanstalt für politischer Wahrheiten und ihrer permanenten Schön- Arbeit — von der Verpflichtung ausgenommen wer- färberei der Finanzlage des Bundes aufhören? Nen- den, in einem Nachtragshaushalt ordentlich ausge- nen Sie doch die 80 Milliarden DM öffentlich und nicht wiesen zu werden, so ist dies an die Voraussetzung hinter der diskreten Doppeltür des Haushaltsaus- geknüpft, die ich bereits genannt habe. Bei der schusses! Aufstellung des Haushaltsplans sowie auch im Bera- tungsverfahren im Haushaltsausschuß müssen alle (Zuruf von der CDU/CSU: Na, na, na!) erkennbaren Haushaltsrisiken auf den Tisch. Diese — Was heißt hier na, na, na! Alle Haushälter wissen, entscheidende Voraussetzung aber ist bei der Finanz- daß unsere Tür wirklich diskret ist, eben weil es eine politik der Bundesregierung schon längst nicht mehr Doppeltür ist. Aber die Dinge, die gesagt werden gegeben. müssen, gehören auch vor die Tür. So wurden bereits in den vergangenen vier Jahren Der Bundesrechnungshof weist aber noch auf einen systematisch die Defizitabdeckung für die Bundesan- weiteren kritischen Punkt hin, der uns Sozialdemo- stalt für Arbeit — ich erwähnte es — und die Ausgaben kraten ebenfalls aufstößt: die verfassungsrechtliche für die Arbeitslosenhilfe zu niedrig oder die Steuern zu Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20883

Uta Titze-Stecher hoch angesetzt, um die wahre Finanzlage des Bundes — Dies würde ich auch so sagen. Er bleibt es auch. zu verschleiern, vielleicht nach der Devise: Die (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der Öffentlichkeit interessiert sich allenfalls noch für den SPD) Haushaltsplan, vom Haushaltsvollzug nimmt später fast niemand — außer uns natürlich — Notiz. Dem Dank an die Mitarbeiter des Rechnungsprü- Ich möchte mit einem Zitat enden — den Autor fungsausschusses und des Sekretariats kann ich mich nenne ich am Schluß —: nur nachdrücklich anschließen. Unser Umgang im Ausschuß war freundschaftlich. Ich meine, daß wir Die Bundesregierung hat die Aufgabe, bei ihrer intensiv gearbeitet haben, wobei wir in vielen Fällen Haushaltswirtschaft zu verhindern, daß sich ein Zustimmung gefunden haben, was ein Beweis dafür stetig wachsender Schuldensockel bildet, der ist, daß der Rechnungshof eine für uns gute und schließlich die Fähigkeit des Staatshaushaltes, wichtige Vorarbeit geleistet hat. auf die Probleme der Gegenwart und der Zukunft zu reagieren, in Frage stellt. Ich möchte drei Beispiele nennen, um deutlich zu machen, wie unterschiedlich wir votieren. Ich hatte im Sie werden unschwer erraten, von wem das Zitat Rechnung sprüfungsausschuß die Berichterstattung stammt: vom Bundesrechnungshof. für das Bundeskanzleramt, das Auswärtige Amt, das Es ist in unseren Augen höchste Zeit, daß die Presse- und Informationsamt und für das Ministerium Bundesregierung diese Aufgabe erledigt. Wir fordern für Post und Telekommunikation. die Bundesregierung nachdrücklich auf, endlich zu einer verfassungskonformen Haushaltsaufstellung Ich möchte mit dem letzteren, der Post beginnen, wo zurückzukehren. wir uns mit der Einlieferung von Massendrucksachen beschäftigt haben und feststellen mußten, daß für (Beifall bei der SPD) Großanlieferungen von Massendrucksachen durch die Bundespost keine Gebühren erhoben wurden, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht nicht zuletzt auch deswegen, weil die Postverwaltun- der Kollege Wilfried Bohlsen. gen der neuen Bundesländer darin gar nicht geübt waren. Uns sind Millionenschäden entstanden, weil dafür keine Postgebühren entrichtet wurden. Wilfried Bohlsen (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsi- dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Wir haben versucht, das aufzuarbeiten und zu Damen und Herren! Wir wollen uns in dieser Debatte aktualisieren. Wir sind zu Regelungen gekommen, noch einmal mit der Feststellung auseinandersetzen, nach denen sogar Nachzahlungen seitens der Einlie- inwieweit die Bundesregierung im Haushaltsjahr ferer geleistet werden mußten. Es ist gelungen, die Technik vermehrt einzusetzen, so daß wir durch neue 1991 ordnungsgemäß gewirtschaftet hat. Abwiege- und Zählmaßnahmen zu Regelungen Bei der Wahrung unserer parlamentarischen Kon- gekommen sind, die den Schaden im nachhinein stark trollfunktionen sind wir auf die umfangreichen Prü- gemindert haben. Mit diesem Beispiel möchte ich nur fungsberichte des Bundesrechnungshofs sehr wohl deutlich machen: Durch das schnelle Eingreifen angewiesen. Das Haushaltskontrollrecht, also das haben wir konkrete Verbesserungen erreicht. Recht des Rechnungsprüfungsausschusses, den Staatshaushalt zu überwachen, ist aus meiner Sicht In einem zweiten Beispiel aus dem Auswärtigen eine der wichtigsten parlamentarischen Aufgaben, Amt möchte ich deutlich machen, daß wir nicht immer die wir als gewählte Volksvertreter zu erfüllen dem Votum des Bundesrechnungshofs gefolgt sind. Es haben. ging um Visumsbescheide, bei denen der Bundes- rechnungshof erstens festgestellt hatte, sie würden zu Aber eines muß ich anmerken: Die Bedeutung der schnell und manchmal ohne abgesicherte Überprü- Haushaltskontrolle hat in neuerer Zeit insofern an fung erteilt. Dadurch sei es möglich, daß Asylanten Bedeutung gewonnen, als die Staatsaufgaben insbe- ungerechtfertigt in den Genuß eines Visums kom- sondere nach der Vereinigung stark zugenommen men. haben und wir bei immer knapper werdenden Haus- haltsmitteln sehr auf alles, sogar auf Details achten Der Bundesrechnungshof hatte zweitens festge- müssen. stellt, daß die Gebühren nicht entsprechend den Neben einer vergangenheitsbezogenen Kontrolle entstehenden Kosten ermittelt wurden. — ich erwähnte das Haushaltsjahr 1991, das wir hier Wir haben dies sehr unterschiedlich behandelt, behandeln — waren wir allerdings immer bemüht, haben dann aber doch gesagt, daß eine zu bürokrati- auch eine aktualisierte Berichterstattung einfließen zu sche Verhaltensweise des Auswärtigen Amtes sicher- lassen, um die neueste Entwicklung mit einzufan- lich auch dazu führen kann, daß Geschäftsleute, die in gen. die Bundesrepublik einreisen wollen, durch einen Die verehrte Frau Kollegin Titze-Stecher hat bereits langen Verfahrensgang davon abgehalten werden, zu das angenehme Arbeitsklima in unserem Ausschuß uns einzureisen, um hier Geschäfte zu tätigen. Wir angesprochen und den Dank an den Ausschußvorsit- haben gesagt, dann würden sie in andere westliche zenden gerichtet. Ich schließe mich, lieber Karl Deres, Länder gehen, und der Wirtschaftsstandort Deutsch- auch von unserer Gruppe gern diesem Dank an. Ich land würde leiden. habe diese Zusammenarbeit immer als sehr ange- Wir haben über ein Abfragesystem in einer Behörde nehm empfunden. in Köln die Möglichkeit geschaffen, daß die auswärti- (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Der gen Vertretungen sofort eingreifen und über die Deres war ein guter Mann!) Nachfrage in Köln zu schnellen Ergebnissen kommen 20884 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Wilfried Bohlsen können, damit die Visa schnell erteilt werden kön- Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Sehr geehrte Frau Prä- nen. sidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kolle- Den zweiten Punkt, die Kostendeckung, den wir gen! Es ist vermutlich nicht überraschend, Uta Titze, noch einmal kritisch beleuchtet haben, haben wir daß wir einige Dinge möglicherweise etwas anders dahin gehend ausgelegt, daß wir angesichts der Höhe sehen. Aber das hat uns auch in der Vergangenheit der Gehälter des Auswärtigen Dienstes eine Kosten- überhaupt nicht daran gehindert, konstruktiv zusam- deckung bei der Visagebühr sicher nicht erreichen menzuarbeiten, wie auch gesagt werden muß, daß wir können, denn wir stehen in einem internationalen gerade im Haushaltsausschuß und auch im Rech- Wettbewerb. Insofern ist der Rechnungsprüfungsaus- nungsprüfungsausschuß über die Parteigrenzen hin- schuß einen anderen Weg gegangen, indem wir weg sehr gute und engagierte Arbeit betreiben und gesagt haben, wir müssen bemüht sein, die Visa versuchen, das Beste für das deutsche Volk zu errei- gebühren angeglichen an andere westliche Länder chen. Ich finde gut, daß das im Konsens geschieht, wie ohne Beachtung des Kostendeckungsprinzips festzu- auch in den Redebeiträgen deutlich wurde. legen. Ich glaube, da sind wir einen Weg der Mitte (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) gegangen, der auch von den anderen Fraktionen mitgetragen wird. Da schließe ich auch die SPD mit ein, denn das ist An einem letzten Beispiel positiver Art aus dem wirklich häufig recht angenehm. Bereich des Bundeskanzleramts möchte ich noch etwas anderes deutlich machen. Der Rechnungshof (Gerlinde Hämmerle [SPD]: Wir sind auch hatte kritische Anmerkungen gemacht. Es ging um eine Partei! — Zuruf des Abg. Helmut Wiec- den Bereich Wissenschaft und Politik. Der Zuwen- zorek [Duisburg] [SPD]) dungsempfänger wurde über das Bundeskanzleramt — Wir auch. Lieber Helmut Wieczorek, darauf komme aufgefordert, mit anderen Wissenschaftsinstituten ich gleich noch zurück. Das bleiben wir auch. besser zusammenzuarbeiten, um Doppelforschungen zu vermeiden. Da haben wir begrüßt, daß das Bundes- Der Jahresabschlußbericht gibt immer wieder kanzleramt von sich aus auf die Stiftung „Wissen- Anlaß, in dem üblichen Tagesgeschäft einzuhalten schaft und Politik" eingewirkt hat und von sich aus und Bilanz über das Erreichte zu ziehen. Er gibt aber ohne Eingreifen des Rechnungsprüfungsausschusses ebenso Gelegenheit, sich über die zukünftige Ent- eine Haushaltssperre veranlaßt hat, die diese Einrich- wicklung des Bundeshaushalts Gedanken zu machen. tung gezwungen hat, diesen Aufforderungen zu fol- Hierzu möchte ich einige wenige Grunddaten des- gen. Haushalts ansprechen. Ich will daher im Namen der CDU/CSU-Bundes- tagsfraktion beantragen, daß wir der Bundesregie- (Vorsitz: Vizepräsident Hans Klein) rung für das Haushaltsjahr 1991 Entlastung erteilen. Die Bundesregierung hat seit der deutschen Einheit Ich möchte zum Abschluß einen besonderen Dank Enormes zur Bewältigung der finanziellen Krisen auch an die, so darf ich sagen, neue Präsidentin des geleistet. Jahrhundertaufgaben sind in dieser Wahl- Bundesrechnungshofs richten, Frau Dr. Czasche- periode gelöst worden: Bahnreform, jetzt gerade Post- Meseke, die für lange Zeit unsere Kollegin im Bun- reform, Privatisierung der Lufthansa, um nur einige zu destag war. Frau Präsidentin, Ihnen und Ihren Mitar- nennen, und vor allem die Finanzierung der deut- beiterinnen und Mitarbeitern im Bundesrechnungs- schen Einheit, deren finanzielle Probleme natürlich hof möchte ich für die gute Zuarbeit, die wir erfahren noch weiter andauern. durften, herzlichen Dank sagen. 1990 wäre — ohne die deutsche Einheit — das Jahr Als scheidendes Mitglied hier im Bundestag und gewesen, in dem erstmalig wieder Schulden hätten somit auch im Rechnungsprüfungsausschuß wünsche getilgt werden können. Durch die deutsche Einheit, ich dem Ausschuß bei weiter unangetasteter Unab- welche die F.D.P. immer geschlossen unterstützt hat hängigkeit des Bundesrechnungshofs auch zukünftig und über die ich mich auch heute noch freue, hat sich eine wirkungsvolle wirtschaftliche Kontrolle. Ich darf das Finanzgefüge total geändert. Wir haben von der abschließend sagen, daß mir als jemand, der aus der sozialistischen DDR ein Konkursunternehmen geerbt, Wirtschaft kommt, die Arbeit im Haushaltsausschuß, dessen ganzer Umfang an Schaden erst jetzt langsam aber auch im Rechnungsprüfungsausschuß wichtige deutlich wird. Fingerzeige gegeben hat. Allen, die sich einmal um ein Mandat im Bundestag bemühen, kann ich nur Wir haben aber alles darangesetzt, im Interesse der empfehlen, eine Zeitlang auch im Rechnungsprü- Bürger in den neuen Bundesländern und zur Herbei- fungsausschuß zu sitzen. Es ist eine wahre Lehr- führung der inneren Einheit Deutschlands einzigar- stunde. tige Hilfestellung zu geben, die historisch ohne Ver- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. gleich ist. Das bedeutet z. B. für den Haushalt 1994, daß bei 160 Milliarden DM Bruttotransfer aus dem (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der Bundeshaushalt in die neuen Bundesländer — wir SPD) erhalten einen Rückfluß von etwa 40 Milliarden DM — netto ein Viertel des gesamten Bundeshaushaltes, nämlich 120 Milliarden DM in die neuen Länder transferiert werden, und dieses bei einer Nettoneuver- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Jetzt hat Carl schuldung von 70 Milliarden DM. Hätten wir also die Ludwig Thiele das Wort. deutsche Einheit nicht gehabt, über die ich mich nach Deutscher Bundestag — 12. Wahlperi ode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20885

Carl-Ludwig Thiele wie vor freue, und wäre seit 1990 so gespart wor- knapp 30 % des Gesamtetats. Wenn im Haushalt 1995 den — — der Erblastentilgungsfonds und die Schulden generell in den Haushalt aufgenommen sind, werden wir (Dr. Barbara Höll [PDS/Linke Liste]: Wenn Zinsausgaben von knapp 100 Milliarden DM zu das Wörtchen „wenn" nicht wär'!) tätigen haben. Das bedeutet, daß etwa 50 % des Etats — Ich weiß, daß einige die deutsche Einheit nicht durch diese beiden Brocken gebunden sind. gerne hätten, Frau Kollegin. Aber ich vermute, den Bürgern in den neuen Bundesländern geht es doch im (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ja- wohl, Sie haben eine falsche Politik ganzen erheblich besser. gemacht!) (Dr. Barbara Höll [PDS/Linke Liste]: Warum — Nein, das ging nicht. Wir mußten ja die Konkurs- unterstellen Sie mir so etwas?) masse übernehmen; und die wollte keiner ausschla- — Ja, wenn Sie solche Zwischenrufe machen, dann gen. Es war richtig, daß wir die nicht ausgeschlagen müssen Sie sich nicht wundern. haben. (Dr. Barbara Höll [PDS/Linke Liste]: Haben Die Zinsen können nur abgebaut werden, wenn Sie es überhaupt verstanden?) Schulden getilgt werden. Davon sind wir momentan meilenweit entfernt. Da die Neuverschuldung von — Dann sagen Sie es doch noch einmal. Ich habe Sie 70 Milliarden DM aber entschieden zu hoch ist und verstanden: Wenn das Wörtchen „wenn" nicht wär'! gesenkt werden muß, sind Sparmaßnahmen auch — Das heißt, einige wollen es nach wie vor nicht; zukünftig im Bundeshaushalt unumgänglich. Deshalb anders war Ihr Zwischenruf leider überhaupt nicht zu kann auch der dickste Brocken des Etats, der Etat von verstehen. Norbert Blüm, nicht unangetastet bleiben. Das wird ja Hätten wir also die deutsche Einheit nicht und wäre auch von führenden Sozialdemokraten mitunter seit 1990 so gespart worden, wären aber auch die erklärt, dann aber von anderen gleich widerrufen. Steuern so erhöht worden, wie geschehen, so hätten Die PDS fordert die Rückkehr zu einer verfassungs- wir jetzt eine Schuldentilgung von 50 Milliarden DM konformen Haushaltspolitik. im Jahre 1994. Diese Zahlen belegen überdeutlich, daß sich die (Dr. Barbara Höll [PDS/Linke Liste]: Ganz Bundesregierung auf dem richtigen Weg zur Konsoli- genau! - Uta Titze-Stecher [SPD]: Wir auch!) dierung unserer Staatsfinanzen befindet. Ich sage - Ihnen aber auch ganz deutlich: Weitere Sparmaßnah- Das ist so, als würde man den Totengräber beauftra- men sind unumgänglich, sie sind sogar das Gebot der gen, neues Leben zu schaffen. Stunde. (Dr. Barbara Höll [PDS/Linke Liste]: Wieso? Die Opposition hält dem Bundesfinanzminister vor, Sie sollen es doch machen! Sind Sie der daß er die Schulden der letzten Jahre gemacht habe, Totengräber?) die doch eine Folge der Konkursmasse der DDR — Es ist klar, Sie wollen es ja auch nicht machen. sind! (Dr. Barbara Höll [PDS/Linke Liste]: Das (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Rich könnte Ihnen so passen!) tig! — Uta Titze-Stecher [SPD]: In vier Jahren mehr als alle Vorgänger!) Die Steuer - und Abgabenlast in Deutschland ist zu hoch. Sie erdrückt die Leistungsfähigkeit und entmu- Dieser Vorwurf zeigte doch nur eines, daß auch jetzt tigt die Leistungsbereitschaft der Menschen. Die noch seitens der SPD von vielen die deutsche Einheit F.D.P. will deshalb die Steuer- und Abgabenlast gar nicht gewollt ist. senken. Die Finanzierung muß über konsequente (Dr. Barbara Höll [PDS/Linke Liste]: So ein Überprüfung und Reduzierung von Staatsaufgaben Blödsinn! — Zuruf von der SPD: So ein und Staatsausgaben erfolgen. Wir müssen unseren Nonsens!) Staat verändern, wenn wir die Aufgaben der Zukunft meistern wollen. Die jetzige Situation gibt uns die Im derzeitigen Haushalt ist der größte Etat- einzigartige Chance, Veränderungen in unserem posten — — System vorzunehmen, die wir wohl so nie hatten. (Dr. Barbara Höll [PDS/Linke Liste]: Böswil Lassen Sie uns gemeinsam diese Chance nutzen. lige Unterstellung! — Zuruf von der SPD: Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich Blödsinn!) möchte mich an dieser Stelle für die F.D.P., aber auch — Warum schreien Sie immer so dazwischen, Frau vor allem sehr persönlich bei den Kolleginnen und Kollegin? Kollegen bedanken, die aus freien Stücken nicht wieder für den Deutschen Bundestag kandidieren, vor (Dr. Barbara Höll [PDS/Linke Liste]: Damit allem bei dir, Karl Deres, der du immer engagiert und Sie mich verstehen, weil ich ein so freundli mit vollem Interesse an der Sache den Rechnungsprü- cher Mensch bin!) fungsausschuß geleitet hast. Ich bedanke mich aber Kommen Sie doch einmal zu einer aktiven Sacharbeit auch bei den anderen Kollegen wie Wilfried Bohlsen im Ausschuß! Da ist von der PDS nie etwas zu oder auch in einer gewaltenteilungsübergreifenden sehen. Rolle bei Herrn Echternach. Im derzeitigen Haushalt ist der größte Etatposten Ich hoffe, daß sich diejenigen, die wieder kandidie- mit etwa 130 Milliarden DM der Etat Blüm. Das sind ren, auch nach dem 16. Oktober hier wiedertreffen, 20886 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Carl-Ludwig Thiele denn die Runde, die dort im Rechnungsprüfungsaus- einig, daß die Finanzkontrolle eine Aufgabe des schuß gearbeitet hat, hat nicht nur in die Vergangen- gesamten Parlaments gegenüber der Regierung ist. heit gesehen, sondern hat auch positive Weichen für Daher fassen wir die überwiegende Zahl unserer die Zukunft zu stellen. Das sollten wir auch weiterhin Beschlüsse auch einstimmig, womit unsere Voten das machen. Insofern bin ich den Kolleginnen und Kolle- notwendige Gewicht gegenüber der Exekutive gen dankbar, die nicht nur Opposition betreiben und bekommen. herumstänkern, sondern die aktiv bereit sind, in den Ich habe heute allen Anlaß, bei meinem Dank etwas Ausschüssen Verantwortung zu tragen. weiter als gewohnt auszuholen. Vorneweg möchte ich Herzlichen Dank. den Bundesrechnungshof nennen, der es uns ermög- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU licht hat, unsere Kontrollarbeit in so effektiver Art und sowie bei Abgeordneten der SPD) Weise durchzuführen. Dafür möchte ich der Präsiden- tin, Frau Czasche-Meseke, und ihrem Vorgänger und allen Mitarbeitern ein herzliches Dankeschön und Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Karl Deres, „Weiter so!" sagen und sie zu dieser weiteren Arbeit Sie haben das Wort. ermuntern. Die unabhängige Kontrolle öffentlicher Ausgaben Karl Deres (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kol- ist und bleibt unverzichtbar. Steuergroschen und erst leginnen und Kollegen! Ich bin in der Sache sehr froh, recht Steuermillionen sind schließlich anderer Leute daß wir die Entlastung der Bundesregierung noch vor Geld. Der Umgang damit bedarf besonderer Sorgfalt der Sommerpause durchführen können. Dies ist im und effektiver parlamentarischer Kontrolle. Dieser Hinblick auf das nahe Ende der Wahlperiode die Aufgabe galt unser ganzes Engagement. einzig sinnvolle Möglichkeit: So können wir noch in Es ist etwas einfacher für den deutschen Steuerzah- der alten Besetzung — wenn ich das so formulieren lerbund, gewisse Punkte sehr kritisch herauszustel- darf — über die Ergebnisse unserer umfangreichen len, wogegen wir ja gar nichts haben; die Wirkungen Arbeit im Rechnungsprüfungsausschuß berichten. bleiben dann aber auf der Strecke, denn da geschieht Wir Rechnungsprüfer sind ja nur ein kleiner Kreis, ja nichts mehr. dessen bewährte Reihen sich zudem mit Ablauf der Legislaturperiode kräftig lichten werden. Es war Ich möchte aber auch die Mitarbeiter des Sekreta- daher auch unser fraktionsübergreifender Wunsch, riats in meinen Dank einschließen, die die Arbeit des daß wir unsere Arbeit noch vollenden und sie quasi bis Rechnungsprüfungsausschusses in unauffälliger, zur letzten Stunde tun können, auch wenn diese letzte aber wirkungsvoller Weise unterstützt haben. Stunde im Parlament nur 45 Minuten dauern wird. Vergessen möchte ich nicht — wenn auch etwas Der Bedeutung dieses wichtigen Themas wird eine abseits der Tagesordnung meine persönlichen derart kurze Debattenzeit — das habe ich jedes Jahr Mitarbeiter, die mich in den vergangenen 14 Jahren gesagt — bei dieser Diskussion allerdings nicht begleitet und hervorragend unterstützt haben. Für sie gerecht. Ich hoffe, daß die zukünftigen Kolleginnen blieb immer noch ein Stück Arbeit übrig, das eigent- und Kollegen das vielleicht etwas ausdehnen kön- lich in den RPA gehört hätte; aber wir hatten keine nen. Schwierigkeiten mit der Aufteilung. (Uta Titze-Stecher [SPD]: Das war schon Auch wenn dies meine letzte Rede vor dem Deut- schlimmer! ) schen Bundestag ist, lautet das Motto nicht Rück- In vielen vollgepackten Sitzungen hat der Rech- schau, sondern Vorausschau — dies um so mehr, als nungsprüfungsausschuß die Grundlagen für die wir auch die Arbeit des Rechnungsprüfungsausschus- Beschlußempfehlung erarbeitet, die uns jetzt auf der ses mehr und mehr unter dieses Motto stellen sollten. Drucksache 12/7951 vorliegt. Hinter diesem un- Vergangenheitsbewältigung ist unverzichtbar, reicht scheinbaren Druckwerk versteckt sich ungemein allein für die Gestaltung der Zukunft aber nicht intensive Arbeit. Ohne die schon hier von allen aus. Kollegen genannte gute Arbeitsatmosphäre in unse- (Beifall der Abg. Uta Titze-Stecher [SPD]) rem Ausschuß hätten wir das Arbeitspensum sicher nicht bewältigen können. Das darf ich kurz begründen. Das wichtigste Recht eines Parlamentes ist es, über Einnahmen und Ausga- Gestatten Sie mir, daß ich allen Ausschußmitglie- ben der Regierung zu bestimmen. Dazu gehört kon- dern für die harmonische und stets konstruktive sequenterweise aber auch die Budgetkontrolle, also Zusammenarbeit danke. die Überprüfung, ob die bewilligten Mittel in der Einen besonderen Gruß sende ich von hier aus an Vergangenheit sack- und bestimmungsgerecht aus- den stellvertretenden Vorsitzenden, unseren Kolle- gegeben wurden. gen Rudolf Purps, dem ich von hier aus noch einmal baldige Genesung wünsche, daß er gesund an diese In den allermeisten Fällen ist das der Fall — das muß Stätte zurückkehren möge. man einmal zu Ehren der Exekutive sagen —, (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der (Uta Titze-Stecher [SPD]: Aber wo es nicht SPD) stimmt, ist es schlecht!) Die gute Atmosphäre in unserem Ausschuß ist nicht und doch sind — bei den unzähligen Aktivitäten, die nur dadurch gekennzeichnet, daß die „persönliche unternommen werden, beinahe unvermeidbar und in Chemie" , liebe Uta Titze-Stecher, stimmt. Vielmehr den seltensten Fällen böswillig — auch immer wieder sind wir uns über alle Parteigrenzen hinweg darüber Fälle von unsachgemäßer Steuergeldverwendung Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20887

Karl Deres festzustellen. Diese gilt es schonungslos aufzuklären Jürgen Echternach, Parl. Staatssekretär beim Bun- und für die Zukunft auszuschließen. desminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine Kontrolle darf aber nie nur einseitig rückwärts Damen und Herren! Das Haushaltsjahr 1991 steht orientiert sein. Unsere Arbeit hat doch nur dann stellvertretend für unsere Finanzpolitik, die eine dop- wirklich Sinn, wenn unsere Beschlüsse auch in die pelte Herausforderung zu bewältigen hat, nämlich die Gegenwart und die Zukunft wirken. So jedenfalls deutsche Einheit wirtschaftlich und sozial zu vollen- haben wir unsere Aufgabe verstanden, und hierauf den und die Wachstumskräfte der Wirtschaft zu stär- lege ich besonderen Wert. Denn nur so können wir ken, und die auf beiden Feldern sichtbar erfolgreich sparsame und wirtschaftlich vernünftige Wege für die ist. jeweils zu lösenden Probleme aufzeigen. Ich gehe Der Haushalt 1991 stand ganz im Zeichen der sogar so weit, zu sagen, daß der Rechnungsprüfungs- Wiedervereinigung. Es war der erste gesamtdeutsche ausschuß mit seinen Beschlüssen auf Grund der Vor- Haushalt ; in den die zentralen staatlichen Leistungen arbeit des Rechnungshofes einen wesentlichen Punkt für die neuen Länder voll integriert wurden. Das in Richtung Stabilität unserer Währung gesetzt hat Konzept der Bundesregierung hat das stabile Funda- und hoffentlich auch in Zukunft setzen wird. Unsere ment gelegt, mit dem wir auch diese Jahrhundertauf- Arbeit hat also auch eine stark vorbeugende Kompo- gabe meistern werden. Der Aufbau in den neuen nente. Ländern ist eine Investition in unsere gemeinsame Zukunft. Das stabile Wirtschaftswachstum der guten In diesem Ziel wissen wir uns mit dem Haushalts- 80er Jahre macht vorübergehend eine erhöhte Netto- ausschuß einig, dessen ständiger Unterausschuß wir kreditaufnahme möglich, deren mittelfristigen Rück- ja sind. Wir sind daher immer stärker auch zu gegen- gang wir in der Finanzplanung des Bundes fest wartsbezogener und begleitender Prüfung überge- verankert haben. Die Reaktionen der nationalen und gangen. Auf diesem Wege können wir anstehende internationalen Finanzmärkte zeigen: Die Finanz- Planungen und deren Umsetzung schon im Vorfeld experten aller Welt vertrauen der konsequenten Poli- schnell und wirksam begleiten und gegebenenfalls tik der Bundesregierung. positiv beeinflussen. Oder um es in einfachere Worte zu fassen: Wir dürfen nicht erst handeln, wenn das Unmittelbar nach der Wiedervereinigung Deutsch- Kind im Brunnen liegt. Vielmehr kommt es darauf an, lands hatte die Bundesregierung mit dem Eck- erstens den Brunnen sicherer zu machen und zweitens wertebeschluß die Konsolidierungsziele für die wei- die Kinder zur Vorsicht zu erziehen. Ich meine damit tere haushaltspolitische Entwicklung vorgezeichnet. auch die Kinder der Exekutive. Diese Ziele sind mit dem Bundeshaushalt 1991 ver- wirklicht worden. Gelegentlich haben wir gehört, daß wir unsere Kompetenzen doch bitte schön nicht überstrapazieren Ein Schwerpunkt war die wirtschaftliche Umstruk- sollten. Ich halte jedoch dagegen: Wenn wir oder der turierung in den neuen Bundesländern. Im März 1991 Rechnungshof Fehlentwicklungen erkennen, dann haben wir dafür u. a. mit dem Beschluß über das müssen wir die Dinge doch auch unverzüglich auf- Gemeinschaftswerk „Aufschwung Ost" mit einem greifen können. Oder sollen wir sehenden Auges jährlichen Volumen von 12 Milliarden PM eine ent- warten, bis es in den Schlagzeilen heißt: Diese oder scheidende Voraussetzung geliefert. jene Verschwendung hätten die Politiker doch ver- Ein weiterer Schwerpunkt im Haushalt 1991 waren meiden können? Solche Meldungen oft auch im Vor- die internationalen Verpflichtungen Deutschlands griff auf Prüfungsberichte, die noch nicht abgeschlos- z. B. aus dem Golfkonflikt und den Veränderungen in sen sind, erzeugen bei den Menschen zu Recht eine Osteuropa. Allein die Hilfen der Bundesrepublik für tiefe Bitternis, die leider allzuoft in Resignation die Krisenbewältigung am Golf beliefen sich im Jahre umschlägt. Sind wir es da nicht den Menschen in 1991 auf 11 Milliarden DM. unserem Land schuldig, so früh und aktiv wie möglich (Dr. Barbara höll [PDS/Linke Liste]: Das gegen absehbare Fehlentwicklungen anzusteuern? hätten Sie sich auch sparen können!) Ich finde, das müssen wir tun. Damit helfen wir übrigens auch, die Institutionen des Staates, unseres Mit beträchtlichen Einsparungen und maßvollen Steuererhöhungen haben wir diese Belastungen auf- Staates und Gemeinwesens, vor vermeidbaren Vor- würfen zu bewahren. Ich denke, dieses Ziel ist durch- fangen können. Zu diesen Einnahmeverbesserungen gehörten die Anhebung der Mineralölsteuer bei aus des Schweißes der Edlen wert. gleichzeitiger Erhöhung der Kilometerpauschale und Diese Anregungen möchte ich unseren Nachfolgern die Erhöhung der Versicherungsteuer. hinzu kam der im 13. Deutschen Bundestag mit auf den Weg geben. auf ein Jahr befristete Solidaritätszuschlag. Weil das Leben weitergeht, bitte ich Sie abschließend, Auf der Einnahmenseite ergaben sich Steuermehr- der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1991 Ent- einnahmen von 6,1 Milliarden DM. Auf der Ausga- lastung zu erteilen. Vielen Dank noch einmal in alle benseite haben wir im Haushaltsjahr 1991 die Politik Richtungen, adieu und tschüs. der Konsolidierung und der Begrenzung der Staats- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der ausgaben konsequent durchgehalten. Trotz zwangs- SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) läufiger Mehranforderungen in einigen Bereichen lagen die Ausgaben im Ergebnis um 8,6 Milliarden DM unter dem Soll. Außerdem haben wir die im Haushalt veranschlagte globale Minderausgabe von Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem 9,3 Milliarden DM voll erwirtschaftet. Mit diesen Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesmini- Ergebnissen konnten wir erreichen, daß die Nettokre- ster der Finanzen, Jürgen Echternach. ditaufnahme mit 52 Milliarden DM um ca. 14,5 Milli- 20888 Deutscher Bundestag — 12, Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Parl. Staatssekretär Jürgen Echternach arden DM unter dem Soll von 66,4 Milliarden DM aber auch ein wichtiger Ratgeber der Verwaltung für geblieben ist. wirtschaftliches Handeln. (Uta Titze-Stecher [SPD]: Wenn Sie ihn las Mit dem Konsolidierungsprogramm hat die Finanz- sen!) politik der Bundesregierung ihre wichtigste Hausauf- gabe gemacht. Stabilität in unserem Land ist nicht nur Gerade der Finanzminister weiß diese Tätigkeit des eine Aufgabe des Bundesfinanzministers. Sie kann Rechnungshofes ganz besonders zu schätzen. auf Dauer nur bewahrt werden, wenn sie von allen Der Deutsche Bundestag hat sich mit dem Rech- gesellschaftlichen Kräften solidarisch getragen wird: nungsprüfungsausschuß des Haushaltsausschusses von jedem einzelnen Bundesminister, von den Tarif- eine Institution geschaffen, die sorgfältig und unnach- partnern, von jedem Bundesland, von jeder einzelnen giebig den Hinweisen des Bundesrechnungshofes Gemeinde. Hier wende ich mich insbesondere an die nachgeht. Mit seinen besonderen Möglichkeiten trägt Länder und Gemeinden, deren Ausgabesteigerungen gerade dieser Ausschuß dafür Sorge, daß aus den zum Teil um mehr als das Doppelte über die im Beanstandungen des Bundesrechnungshofes auch die Finanzplanungsrat vereinbarte Steigerungsrate hin- notwendigen Konsequenzen gezogen werden, bis hin ausgehen. zur Regreßfrage. Dabei kommt naturgemäß der Per- sönlichkeit des Ausschußvorsitzenden eine besondere Ich bin sicher: Wir werden die wirtschaftlichen und Bedeutung zu. finanziellen Aufgaben, die uns die deutsche Einheit Lieber Kollege Deres, Sie scheiden genau wie ich stellt, bewältigen. Dafür aber müssen wir alle unseren nach vier Legislaturperioden aus dem Deutschen Beitrag erbringen: Wir müssen uns für einen begrenz- Bundestag aus. In den letzten eineinhalb Legislatur- ten Zeitraum mit dem erreichten Wohlstand zufrie- perioden haben Sie als Vorsitzender des Rechnungs- dengeben. Wir dürfen keine neuen Anforderungen an prüfungsausschusses eine besondere Verantwortung den Staat stellen, wenn wir nicht bereit sind, an wahrgenommen, in der Ihnen eigenen Art, mit Sach- anderer Stelle Verzicht zu leisten. kunde, Verantwortungsbewußtsein und Augenmaß, immer aber auch kollegial und fair. Dafür, für die gute (Beifall der Abg. Dr. Gisela Babel [F.D.P.]) persönliche Zusammenarbeit, aber vor allem für das, was Sie für die Finanzkontrolle unseres Staatswesens Wir können uns jetzt keine Verteilungskonflikte lei- geleistet haben, möchte ich Ihnen auch im Namen der sten und müssen die Löhne und Preise stabil halten. Bundesregierung Dank und Anerkennung ausspre-- Die Unternehmen müssen ihre Investitionschancen in chen. Sie haben mit Ihrer Arbeit Maßstäbe gesetzt. den neuen Bundesländern voll wahrnehmen. Wir müssen die Konsolidierung der Staatsfinanzen als (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der Gemeinschaftsaufgabe sehen. Was wir für den Auf- SPD) bau im Osten Deutschlands aufbringen, ist immer auch eine gute Investition in die gemeinsame Zukunft. Es geht nicht nur um die Begleichung alter Schulden, Vizepräsident Hans Klein: Ich habe noch die Zustim- sondern um den Aufbau neuer Werte, die auch unsere mung des Hauses dazu einzuholen, daß der Kollege Kinder und Enkelkinder noch gewinnbringend nut- Dietmar Keller seine Rede zu diesem Tagesordnungs- zen können. punkt zu Protokoll gibt.*) (Zuruf von der CDU/CSU: Er ist gar nicht da! Bei der Durchführung des laufenden Haushaltes Wo ist er denn?) und auch bei der Beratung kommender Haushalte — Dagegen erhebt sich, wie ich sehe, keinerlei dürfen uns die in 1991 erzielten Erfolge nicht dazu Widerspruch. verleiten, nachlässig zu werden. Deswegen, Frau Kollegin Titze-Stecher, werden wir auch bei der Dann kommen wir zu den Abstimmungen. Zunächst Beschlußfassung über den Haushalt 1995 im nächsten lasse ich über den von der Bundesregierung einge- Monat den konsequenten Spar- und Konsolidie- brachten Gesetzentwurf zur Änderung der Bundes- rungskurs durchhalten und uns dabei auch nicht von haushaltsordnung auf den Drucksachen 12/5835 und irgendwelchen akuten Terminen irritieren lassen. 12/7402 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wollen, um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen eine Stimme von PDS/Linke Die hochbelasteten Steuerzahler haben ein Recht Liste ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung ange- darauf, daß die Verwaltung den Haushalt getreu den nommen. Parlamentsbeschlüssen vollzieht und mit dem Geld Wir kommen zur des Steuerzahlers wirtschaftlich und sparsam umgeht. dritten Beratung Im großen und ganzen ist dies - wie in den Vorjah ren - auch im Jahre 1991 geschehen. Fehler und und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Versäumnisse beim Vollzug eines Haushaltes müs- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — sen allerdings aufgedeckt, offen diskutiert und für die Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzent- Zukunft abgestellt werden. Aus Fehlern müssen wurf ist angenommen. jeweils auch die richtigen Schlußfolgerungen gezo- In der 216. Sitzung wurde die Beschlußempfehlung gen werden. Der Bundesrechnungshof leistet einen des Haushaltsausschusses auf Drucksache 12/6612 an unverzichtbaren Beitrag dafür, daß Fehler beim Haus- haltsvollzug aufgedeckt und abgestellt werden. Er ist *) Anlage 8 (Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20889

Vizepräsident Hans Klein den Haushaltsausschuß zurückverwiesen. Der Haus- hen läßt. Es ist so, daß wir hier ein Konsensgesetz haltsausschuß empfiehlt nunmehr, die zurückverwie- präsentieren. Trotzdem Herr Kollege Heyenn, wenn sene Vorlage für erledigt zu erklären. Wer stimmt für Sie sich hier zu irgendwelchen Zwischenrufen aufraf- diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? fen könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar, damit ich - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlußemp- nicht aus der Übung komme. fehlung ist angenommen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Haus- der F.D.P. — Günther Heyenn [SPD]: Zur haltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers Sache, Herr Kollege!) der Finanzen auf Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1991 und zu den Bemerkungen des — Danke. Ich komme nunmehr, auf Vorschlag meines Bundesrechnungshofes 1993 auf den Drucksachen Ausschußvorsitzenden Heyenn, zur Sache. Es handelt 12/4764, 12/6101, 12/5650 und 12/7951. Wer stimmt sich um die Frage des Kündigungsschutzes für Arbeit- dieser Beschlußempfehlung zu? — Die Gegenprobe! nehmer, die über 65 Jahre alt sind. Dieses Thema ist — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist aus bestimmten Gründen im Rentenrecht geregelt, angenommen. obwohl es sich in Wirklichkeit um ein Problem des Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Haus- Arbeitsrechtes handelt. haltsausschusses zu dem Antrag der PDS/Linke Liste Nach geltendem Recht, das seit dem Rentenreform- zur Rückkehr zu einer verfassungskonformen Haus- gesetz 1992 geltendes Recht ist, hat auch derjenige, haltspolitik auf Drucksache 12/7057. Der Ausschuß der über 65 Jahre alt ist, Anspruch auf Kündigungs- empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/6474 abzu- schutz, auch dann, meine Damen und Herren, wenn lehnen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? geltende Tarifverträge eine Beendigung der Arbeits- — Gegenprobe! — Enthaltungen? - Die Beschluß zeit mit dem 65. Lebensjahr vorsehen. Dieses beruht empfehlung ist angenommen. weniger auf der Intention des Gesetzgebers von damals, sondern vielmehr auf dem Urteil des Bundes- Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf: sozialgerichts, das diese Tarifverträge für ungültig Zweite und dritte Beratung des von den Abge- erklärt hat und auch für den großen Bereich der ordneten Dr. Roswitha Wisniewski, Alfons Mül- Tarifverträge, insbesondere den öffentlichen Dienst, ler (Wesseling), Dr. , weiterer Abge- den Kündigungsschutz über das 65. Lebensjahr hin- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie aus ausdehnt, es sei denn, der Arbeitnehmer hat - den Abgeordneten Dr. Gisela Babel, Dieter- mindestens drei Jahre vor Erreichen des 65. Lebens- Julius Cronenberg (Arnsberg), Ulrich Heinrich jahres gesagt, daß er nicht weitermachen will. Das und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten bedeutet also, daß er noch zwei Wochen vor Erreichen Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des des 65. Lebensjahres sagen kann: Lieber Arbeitgeber, Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI ich will weitermachen. ÄndG) Dem damals im Konsens verabschiedeten Gesetz Drucksache 12/8040 — liegt ein wichtiger Gedanke zugrunde, nämlich der a) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- Gedanke der demographischen Entwicklung. Es gibt schusses für Arbeit und Sozialordnung hier alle möglichen Betrachtungen. Eine ist trauriger (11. Ausschuß) als die andere. Alle laufen darauf hinaus, daß sich die — Drucksache 12/8145 — Zahl der Arbeitenden im Vergleich zur Zahl der Rentner immer mehr zuungunsten der ersteren ver- Berichterstattung: schiebt, bis irgendwann einmal ein Arbeitnehmer Abgeordnete Ulrike Mascher einen Rentner voll zu versorgen hat, eine wirklich b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- kaum vorstellbare Situation. Die größte Hoffnung, die schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung wir in diesem Zusammenhang haben, ist natürlich, — Drucksache 12/8201 — daß vielleicht doch irgendwann einmal die Zahl der Berichterstattung: Kinder in Deutschland wieder zunimmt. Abgeordnete Hans-Gerd Strube (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ina Albowitz Das wäre allerdings eine langfristige Entwicklung, die Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die eine gewisse Zeit braucht, bis sie wirkt. Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. — Dage- gen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so Wir haben auch die Erwartung, daß sich die Betei- beschlossen. ligung der Frauen am Erwerbsleben verstärkt. Die Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kolle- Zahl der Frauen, die im Arbeitsleben stehen, ist im gen Dr. Alexander Warrikoff das Wort. Vergleich zu anderen Industriestaaten bei uns niedri- ger. Wir haben die Hoffnung, daß sich die Studien- und Ausbildungszeiten verkürzen. Dr. Alexander Warrikoff (CDU/CSU): Herr Präsi- dent! Meine Damen und Herren! In den vergangenen Schließlich und endlich haben wir das Thema, das Jahren hatte ich des öfteren Gelegenheit, zu kontro- uns hier beschäftigt, nämlich die Frage: Inwieweit versen Themen Stellung zu nehmen, wobei mir die können und wollen Menschen länger als bis zum Opposition die Freude nicht nur zahlreicher, sondern 65. Lebensjahr arbeiten, was natürlich auch ganz auch lebhafter Zwischenrufe gemacht hat. Heute ist gravierend zu einer Entlastung der Rentenkasse und mein letzter Auftritt im Bundestag, vorbehaltlich einer zu einer Verstärkung der Gesamtproduktivität führen Einwirkung höherer Gewalt, die sich nicht vorausse würde? 20890 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Dr. Alexander Warrikoff So gut der Gedanke im Prinzip ist, so sehr führt er im Kontroversen ausgelöst, und bereits erreichte Eini- Augenblick zu ganz erheblichen Konflikten, die letz- gungen sind vielfach wieder weggefallen, so daß wir ten Endes im Arbeitsmarkt begründet sind. Die Wirk- uns in weiser Selbstbeschränkung lichkeit ist die, daß das mittlere Alter derjenigen, die in (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Das war ein den Ruhestand treten, bei etwa 59 Jahren liegt und es Tango!) jetzt überhaupt nicht darum geht, Menschen zu ver- — das war ein Tango, ein Tango verschiedener Lagen, anlassen, über 65 Jahre hinaus zu arbeiten, sondern muß man sagen; verschiedener Levels, heißt das ja daß es ganz im Gegenteil der Wirtschaft schwerfällt, heute — entschlossen haben, eben nicht vorzusehen, Leute über 59 Jahre angemessen zu beschäftigen. was die folgende Regelung sein kann, wenn sich die In dem Konflikt, ob man nun lieber jemanden, der heutige als nicht praktikabel erweist. über 65 Jahre alt ist, mit Kündigungsschutz versieht Herr Präsident, gestatten Sie mir die Bemerkung, und auf der anderen Seite jemanden, der sehr viel daß ich diesem Hause gern angehört habe und ja noch jünger ist, entweder entläßt oder in seinem berufli- für einige Monate angehöre. Mir hat auch die Mitar- chen Fortkommen beschränkt — die Älteren besetzen beit in der Sozialpolitik eine große Freude bereitet. Ich ja interessante Positionen oder aber womöglich vermute, Herr Vorsitzender Heyenn, daß wir in unse- einem Arbeitslosen eine Chance versperrt, muß man rem Ausschuß, verglichen mit anderen Ausschüssen, sich, meine ich, bei der gegenwärtigen Arbeitsmarkt- möglicherweise die heftigsten Auseinandersetzungen lage dazu entschließen, den Kündigungsschutz der hatten, weil die Konfliktpotentiale ja außerordentlich Älteren nicht voll aufrechtzuerhalten, wobei natürlich zahlreich sind. Aber ich möchte doch diese Gelegen- hinzukommt, daß die Rentner ab 65 Jahre in der Regel heit nutzen, um zu sagen, daß ich nie das Gefühl hatte, aller Fälle über ein gesichertes Renteneinkommen daß von irgendeiner Seite, ganz besonders nicht vom verfügen. Ausschußvorsitzenden, mit unfairen Mitteln gearbei- Ein zweites Motiv für die Änderung, die wir heute tet wurde. Ich scheide daher mit dem angemessenen beschließen, ist der Mißbrauch. Wir haben es erlebt, lachenden und weinenden Auge aus dieser Funktion, daß Menschen, die in Wirklichkeit nach 65 gar nicht wenn es soweit ist. weiterarbeiten wollten, ihre Arbeitgeber mit der Hoff- Vielen Dank. nung oder mit der Erwartung unter Druck gesetzt (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der haben, weiterarbeiten zu wollen, um auf diese Weise SPD) nicht unerhebliche Abfindungszahlungen zu errei- chen. Wir schlagen daher vor, und ich hoffe zuversicht- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Günther lich, daß wir nachher dafür eine Mehrheit bekommen Heyenn, Sie haben das Wort. werden, daß wir zu der Regelung zurückkehren, wie sie bis zum Jahre 1992 gegolten hat. Das bedeutet, daß Günther Heyenn (SPD): Herr Präsident! Meine der Kündigungsschutz — ich verkürze jetzt etwas — Damen und Herren! Herr Dr. Warrikoff, wir haben in ab dem 65. Lebensjahr nicht mehr besteht und daß den vergangenen Jahren gut zusammengearbeitet. insbesondere auch Verabredungen in Tarifverträgen, Ich muß Sie dennoch kritisieren. Betriebsvereinbarungen und Einzelverträgen zuläs- sig sind. Im Hinblick auf die Tarifverträge möchte ich (Dr. Uwe Küster [SPD]: Richtig!) ganz besonders erwähnen, daß für den Bundesrat die Denn ich habe mir die Mühe gemacht, das, was ich Gültigkeit der Tarifverträge in bezug auf die Alters- sagen möchte, aufzuschreiben, in der Hoffnung, daß grenze von großer Bedeutung gewesen ist. Sie bei Ihrer letzten Rede genauso fleißig sein würden und wir vielleicht beide Reden zu Protokoll geben Wir verschließen aber nicht die Augen vor der könnten. Aber ich habe volles Verständnis für Ihre Sachlage, daß sich möglicherweise in der Zukunft der Arbeitsmarkt so verändert, daß wir wieder sehr gern Haltung. auf die älteren Menschen zurückgreifen, sofern sie Lassen Sie mich sagen: Es ist gut gewesen, daß die über 65 Jahre hinaus arbeiten wollen. Wir beschließen Koalition Selbstbescheidung geübt hat. Denn so sind daher heute einen Überprüfungsauftrag an die Bun- wir zu einem Kompromiß gekommen und haben die desregierung, der dazu führen soll, daß dieser ganze Linie, Rentenversicherung gemeinsam zu gestalten, Sachverhalt im Jahre 1997, wenn der Rentenversiche- nicht verlassen. rungsbericht erstattet wird, überprüft werden und die Die zu beschließende Änderung über die gesetzli- Bundesregierung eventuell Vorschläge dafür machen che Regelung zur Beendigung des Arbeitsverhältnis- soll, wie wir die Arbeitskraft, die Erfahrung, das ses mit dem 65. Lebensjahr ist notwendig. Ich vertrete Können, auch das Engagement älterer Arbeitnehmer aber noch heute die Auffassung, daß das, was wir 1989 wieder wirksam werden lassen, ohne — das ist das für die Rentenreform 1992 beschlossen haben, von der Entscheidende — daß dies zu Lasten der Jüngeren Zielsetzung her richtig war und richtig ist. Wir wollten und möglicherweise auch der Arbeitslosen geht. damals nicht mehr und nicht weniger, als zu verhin- Der Vorschlag, den wir machen, ist, wie gesagt, bis dern, daß Arbeitnehmer bei Erreichen der renten- auf weiteres richtig. Wir haben uns bei der Erarbei- rechtlichen Altersgrenze gegen ihren Willen aus dem tung des Konzeptes ein wenig schwergetan, weil wir Arbeitsleben ausscheiden müssen. den Versuch unternommen haben der sich als zu Deshalb haben wir in das Gesetz hineingeschrie- schwierig herausgestellt hat , schon jetzt zu sagen, ben , daß arbeitsrechtliche Vereinbarung en unwirk- welche Regelung gelten soll, wenn die Übergangszeit sam sind, nach denen das Arbeitsverhältnis endet, vorbei ist. Das hat viel Energie verbraucht, auch viele wenn der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Alters- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20891

Günther Heyenn rente hat. Wir wollten, daß solche Vereinbarungen nur Die von der Koalition ursprünglich vorgesehene dann wirksam sind, wenn sie innerhalb der letzten Befristung hätte die Gefahr beinhaltet, daß Arbeits- drei Jahre vor Erreichen der Altersgrenze geschlossen verhältnisse durch Einzelverträge z. B. auf das 60. oder vom Arbeitnehmer bestätigt worden sind. Unser oder 63. Lebensjahr befristet werden und mit Errei- Ziel war, mehr Flexibilität zu schaffen — allerdings chen dieses Alters dann auch gegen den Willen des mehr Flexibilität für die Arbeitnehmer. Arbeitnehmers enden. Dies haben wir mit unserer Entfristung, der Sie gefolgt sind, So richtig der I 992 eingeschlagene Weg war, gibt es Forderung nach überwunden. Sie tragen — dafür danken wir — auch doch zwei Gründe, die jetzt eine Änderung erfordern: den Entschließungsantrag mit uns gemeinsam, in dem Erstens. Der Gesetzgeber hat auf eine Entscheidung wir die Bundesregierung auffordern, im Rahmen des des Bundesarbeitsgerichts vom Oktober 1993 zu rea- 1997 zu erstellenden Rentenversicherungsberichts gieren. die Auswirkung der Neuregelung darzustellen und (Dr. Alexander Warrikoff [CDU/CSU]: Des gegebenenfalls Vorschläge für eine angemessene Sozialgerichts!) Änderung des Gesetzes zu unterbreiten. Nach diesem BAGUrteil fallen auch Tarifverträge Ich glaube, es ist richtig, was wir tun. Ich möchte unter den Begriff der „Vereinbarung". Die Folge abschließend sagen, daß ich mich als jemand, der am davon ist, daß sämtliche Klauseln in Tarifverträgen, Zustandekommen der Rentenreform 1992 beteiligt denen zufolge das Arbeitsverhältnis mit dem 65. Le- war, freue, daß wir auch hier eine einvernehmliche bensjahr endet, unwirksam sind. Dies kann genutzt Regelung gefunden haben. werden und wird genutzt. Es wird auch ausgenutzt. Ich danke Ihnen. Teilweise wird auch richtiggehend abgezockt, insbe- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der sondere von Angestellten in gehobenen Positionen. F.D.P.) Nicht wenige aus dem Kreis der Besserverdienenden lassen sich ihr Ausscheiden aus dem Berufsleben mit. Abfindungen in fünf- und sechsstelliger Höhe hono- Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Dr. Gisela rieren. Babel, ich erteile Ihnen das Wort. Zweitens. Dies war so nicht intendiert, und dies kann so auch nicht toleriert werden, insbesondere Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Herr Präsident! Meine dann nicht, wenn man die nach wie vor katastrophale Damen und Herren! Wir beraten heute in zweiter und Lage auf dem Arbeitsmarkt — 7 Millionen Arbeits- dritter Lesung die Änderung des § 41 Abs. 4 Satz 3 lose — betrachtet. Es kann nicht angehen, daß eine SGB VI. Er erlaubt in seiner gegenwärtigen Fassung Weiterbeschäftigung mit vollem Arbeitsentgelt recht- die Weiterarbeit eines Arbeitnehmers über das 65. Le- lich durchsetzbar ist, wenn zugleich die volle Alters- bensjahr hinaus, und zwar gegen den Willen des rente bezogen werden kann und die Alternative dazu Arbeitgebers und auch dann, wenn es frühere Verein- nur in der Zahlung einer nicht unerheblichen Abfin- barungen über das Ausscheiden des Arbeitnehmers dung besteht. bei Erreichen der Altersgrenze gibt. Wenn Sie so wollen, haben wir es hier mit einem Die Motive, die beim Rentenreformgesetz zu dieser Konflikt zwischen dem vorhin von mir hervorgehobe- Regelung geführt haben, waren sicher ehrenwert. nen Ziel der individuellen Souveränität und der Man ging zu Recht von der Notwendigkeit einer Notwendigkeit von gesellschaftlicher Solidarität zu verlängerten Lebensarbeitszeit in der Zukunft aus. tun. Diese Frage darf nicht zu Lasten der Solidarität Hierfür spricht in der Tat die demographische Ent- mit den Arbeitslosen entschieden werden. wicklung. Aus diesem Grunde sieht das Rentenre- formgesetz eine Anhebung der Altersgrenzen im Die Koalition hat in ihrem ersten Entwurf vorge- schlagen, die Möglichkeit der Arbeitnehmer, auch Rentenrecht ab dem Jahre 2001 vor. § 41 Abs. 4 Satz 3 war als eine arbeitsrechtliche Flankierung gedacht, dann gegen den Willen der Arbeitgeber über das 65. Lebensjahr hinaus zu arbeiten, wenn vertragliche als eine Art Impuls: Gewöhnt euch schon mal daran, daß ihr länger arbeitet! Altersgrenzklauseln bestehen, auf Dauer und gene- rell zu beseitigen. Als Alternative wollten Sie für die Von einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit Zeit bis 1998 die frühere Regelung aus dem Gesetz in kann aber heute noch nicht die Rede sein. Denn in der der Fassung von 1972 wiederherstellen. Dort war als Realität gehen Arbeitnehmer noch heute durch- arbeitsrechtliche Flankierung der flexiblen Alters- schnittlich schon mit 58 Jahren in Rente. Gerade im grenze bestimmt worden, daß ein Altersrentenan- öffentlichen Dienst hat es darüber hinaus — das wurde spruch vor dem 65. Lebensjahr kein Kündigungs- schon von meinen Vorrednern gesagt — einige skan- grund sei. dalöse Einzelfälle gegeben, in denen sich Arbeitneh- mer ihr Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis mit Mit dieser materiell-rechtlichen Regelung haben 65 Jahren vom Arbeitgeber mit einer dicken Prämie wir uns einverstanden erklärt. Sie bedeutet im Klar- abkaufen lassen wollten. text, daß einerseits Altersgrenzenklauseln für ein Alter unter 65 unwirksam sind und keinen Grund für Dieser Zustand wurde von allen Parteien als uner- eine arbeitgeberseitige Kündigung des Arbeitsver- träglich empfunden. Es ist nicht vermittelbar, daß hältnisses bieten, daß aber andererseits die Arbeits- ältere Arbeitnehmer bei vollem Kündigungsschutz verhältnisse mit Vollendung des 65. Lebensjahres gleichzeitig Gehalt und Rente beziehen, während der enden. Dies ist ein sinnvoller Kompromiß. Aber dieser Nachwuchs in einer schwierigen Arbeitsmarktphase Kompromiß muß langfristig gesichert werden. Er darf auf Arbeitslosengeld angewiesen bleibt. nicht zeitlich befristet werden. (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!) 20892 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Dr. Gisela Babel Die Korrektur des § 41 SGB VI war einfach notwen- doktern Sie an einem nicht unwesentlichen Pfeiler dig. Die F.D.P. hatte diese Verhandlungen mit dem Ihres sonst so hochgepriesenen Kompromisses zur Ziel geführt, möglichst eine Gleichbehandlung von Rentenreform 1992 herum. tarifgebundenen und tarifungebundenen Arbeitneh- Im Grunde geht es doch bei dem Gesetzentwurf mern zu erreichen. Die Frage, ob jemand mit 65 aus darum, die Freiheit von Arbeitnehmerinnen und einem Arbeitsverhältnis ausscheidet oder nicht, ist aus Arbeitnehmern einzuschränken, über die Dauer ihrer liberaler Sicht eine sehr persönliche Angelegenheit, Lebensarbeitszeit selbst zu entscheiden. Als Argu- die individuell entschieden werden sollte. Für die mente müssen der Mißbrauch von Regelungen des Zukunft hält die F.D.P. daher an dem Ziel fest, daß Kündigungsschutzes und die Arbeitsmarktsituation diese Frage der Altersgrenze individuell, aber zwi- herhalten. schen den Vertragsparteien, zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, geregelt werden sollte. Wir sind grundsätzlich für Möglichkeiten eines gleitenden Übergangs in den Altersruhestand. Was (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Politikern und Managern jederzeit freisteht, sollte ten der CDU/CSU) schließlich auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Der Bundesarbeitsminister wollte aber in den Ver- nehmer gelten. Es ist wohl evident, daß die Leistungs- handlungen unbedingt an dem Signal festhalten, daß fähigkeit und auch die Bedeutung der Arbeitstätigkeit in Zukunft längere Lebensarbeitszeiten notwendig für das Lebenswertgefühl des einzelnen nicht vom werden. So richtig diese Botschaft ist, so falsch waren Lebensalter abhängig sind. die Vorschläge des Bundesarbeitsministers. Die Gerade hierfür erleben wir doch in der jüngsten Gesetzentwürfe, die uns aus dem I lause Blüm vorge- Vergangenheit massenhaften Anschauungsunter- legt wurden, sahen samt und sonders nur die rein richt, vor allem in den neuen Bundesländern. Da tarifvertraglichen Lösungen vor. Dieser Zwang zum werden mit dem Argument „Platz für Jüngere" Hun- Kollektiv stand im direkten Widerspruch zum indivi- derttausende leistungsfähige und hochmotivierte duellen Ansatz der Liberalen. Ältere in den Vorruhestand geschickt, mit allen psy- Es war schließlich ausgerechnet die F.D.P., die chischen und materiellen Folgen. Und anschließend geholfen hat, liberale Ansichten durchzusetzen. Die werden trotzdem auch die Jüngeren gefeuert. unbefristete Rückkehr zum alten Recht bezieht Deshalb sind wir gegen Flickarbeit und undurch- sowohl tarifvertragliche Regelungen als auch Be- dachte Lösungen. Uns reicht es nicht aus, nur einen triebsvereinbarungen und auch individuelle Abma- Satz im § 41 zu verändern. Man muß sich schon den chungen zur Altersgrenze ein. Die Gleichbehandlung Kontext des gesamten Paragraphen ansehen. Dieser- aller Arbeitnehmer ist dadurch weitgehend sicherge- ist doch mit dem Argument entstanden, daß es Chan- stellt und die Verengung auf eine rein tarifvertragli- cen geben muß, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, che Regelung vermieden. und dazu wurden ja auch noch im § 77 entsprechende Die unbefristete Rückkehr zum alten Recht wird Zu- und Abschläge erfunden. verbunden mit einem Entschließungsantrag. Der Wir könnten uns vernünftige Lösungen für eine Gesetzgeber ist aufgefordert, im Lichte der Entwick- sozial abgesicherte Gestaltung der individuellen lung des Arbeitsmarktes über Neuregelungen nach- Lebensarbeitszeit vorstellen, wenn die Möglichkeiten zudenken. Damit ist Spielraum geschaffen, liberale des § 42 zu Teilrenten ausgebaut und besser genutzt Ideen in einem späteren Gesetzentwurf noch stärker würden. Auch über die tarifvertragliche Ergänzung zu berücksichtigen, auch wenn es die Damen und ist neu nachzudenken. Und sicher könnte man tat- Herren von der SPD vielleicht nicht glauben wollen. sächlichen Mißbrauch von Sozialregelungen auch Obwohl die Konsensfindung zwischen den im Deut- verhindern, wenn die Rechte der Betriebs- und der schen Bundestag vertretenen Fraktionen dieses Mal Personalräte ausgebaut würden. verschlungene Wege gegangen ist, haben letztlich alle Fraktionen zu einer übereinstimmenden Haltung Statt dessen bieten Sie eine Lösung an, mit der Sozialgerichtsurteile ausgehebelt werden und einsei- gefunden. Dies wollen wir von der F.D.P. besonders tig den Interessen der Arbeitgeber entgegengekom- positiv herausstellen. Auch in Zukunft werden wir uns men wird. Das können wir nicht akzeptieren. um den Erhalt dieses Konsenses in Rentenfragen bemühen. Wir werden aber dem Entschließungsantrag zustim- Ich bitte Sie daher, dem Gesetzentwurf wie auch men, da ich denke, daß eine Analyse der Erfahrungen dem Entschließungsantrag zuzustimmen. auf diesem Gebiet sehr geboten ist. Vielen Dank. (Beifall bei der PDS/Linke Liste) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Ausspra- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kollegin che. Wir kommen zur Abstimmung - Frau Kollegin Petra Bläss. Babel, seien Sie froh, wenn die Debatte kürzer wird über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung Petra Bläss (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir lehnen die vorgese- des VI. Buches des Sozialgesetzbuches, Drucksachen hene Änderung des SGB VI ab, nicht, weil wir keinen 12/8040 und 12/8145, Buchstabe a. Regelungsbedarf beim flexiblen Übergang in den Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die dem Altersruhestand sehen, sondern weil wir die Art, wie Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zuzustimmen das geschehen soll, ablehnen. Binnen einer Woche wünschen, um das Handzeichen. Gegenprobe! — Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20893

Vizepräsident Hans Klein Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zu dem Antrag der Abgeordneten Gert Weiss- zweiter Beratung gegen zwei Stimmen der PDS/Linke kirchen (Wiesloch), Angelika Barbe, Hans Liste angenommen. Gottfried Bernrath, weiterer Abgeordneter und Wir kommen zur der Fraktion der SPD Entschädigung nationalsozialistischen Un- dritten Beratung rechts in den Baltischen Staaten und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem — Drucksachen 12/7467, 12/5638, 12/7988 — Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf Berichterstattung: ist angenommen. Abgeordnete Dr. Roswitha Wisniewski Uwe Lambinus Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung emp- Wolfgang Lüder fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt dieser c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Beschlußempfehlung zu? — Gegenprobe! — Enthal- Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß) zu tungen? — Die Beschlußempfehlung ist einstimmig dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll angenommen. und der Gruppe der PDS/Linke Liste Einrichtung einer Stiftung zum Schutz und zur Bewahrung der Stätten des antifaschistischen Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Widerstandes Unterrichtung durch die Parlamentarische — Drucksachen 12/1117, 12/7830 — Kontrollkommission (PKK) Berichterstattung: Bericht über die Kontrolltätigkeit gemäß § 6 Abgeordnete Dr. Roswitha Wisniewski des Gesetzes über die parlamentarische Kon- Freimut Duve trolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Wolfgang Lüder Bundes (Berichtszeitraum: 1. Juli 1993 bis d) Beratung der Beschlußempfehlung und des 20. Juni 1994) Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß)

— Drucksache 12/8102 -- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Roswitha Soweit ich das jetzt hier erkennen kann, wollen die Wisniewski, Erwin Marschewski, Wolfgang Redner aller Fraktionen und Gruppen ihre Beiträge zu Zeitlmann, weiterer Abgeordneter und der diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll geben.') Ist Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordne- das Haus damit einverstanden? — Dies ist der Fall. ten Wolfgang Lüder, Dr. Jürgen Schmieder, Ina Dann ist das so beschlossen. Albowitz und der Fraktion der F.D.P. Gedenkstätten des geeinten Deutschlands zu dem Antrag der Abgeordneten Siegfried Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10a bis e auf: Vergin, Freimut Duve, Angelika Barbe, weite- a) Beratung der Beschlußempfehlung und des rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß) zu Leitlinien zu den Gedenkstätten in der Bundes- dem Antrag der Abgeordneten Dr. Roswitha republik Deutschland Wisniewski, Werner I 1. Skowron, Michael Stübgen, weiterer Abgeordneter und der Frak- zu dem Antrag der Abgeordneten Freimut tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Duve, Angelika Barbe, Ingrid Becker-Inglau, Wolfgang Lader, Gerhart Rudolf Baum, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Dr. Burkhard Hirsch, Heinz- Dieter Hackel und SPD der Fraktion der F.D.P. Gedenkstätten ehemaliger NS-Konzentra- Abschließende Regelungen zur Wiedergutma- tions- und Vernichtungslager in Osteuropa chung von NS-Unrecht zu dem Antrag der Abgeordneten Freimut — Drucksachen 12/6748 (neu), 12/7989 — Duve, Dr. Willfried Penner, , weiteren Abgeordneten und der Fraktion der Berichterstattung: SPD Abgeordnete Dr. Roswitha Wisniewski Mahn- und Gedenkstätten in der Bundesrepu- Uwe Lambinus blik Deutschland Wolfgang Lüder Drucksachen 12/6111, 12/3179, 12/3178, b) Beratung der Beschlußempfehlung und des 12/1189, 12/7884 — Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Roswitha Berichterstattung: Wisniewski, Wolfgang Zeitlmann, Werner Abgeordnete Dr. Roswitha Wisniewski H. Skowron, weiterer Abgeordneter und der Freimut Duve Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordne- Uwe Lambinus ten Wolfgang Lüder, Manfred Richter (Bremer- Siegfried Vergin haven) und der Fraktion der F.D.P. Wolfgang Lüder Entschädigung für Opfer nationalsozialisti- e) Beratung der Beschlußempfehlung und des schen Unrechts in den baltischen Staaten Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Freimut Duve, ") Anlage 9 (Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll) Peter Conradi, Angelika Barbe, weiterer Abge- 20894 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Vizepräsident Hans Klein ordneter und der Fraktion der SPD dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Zentrale Gedenkstätte des Bundes Beschlußempfehlung ist angenommen. — Drucksachen 12/4536, 12/6931 — Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu den Gedenkstätten auf Drucksache 12/7884 Nr. 1. Der Bericherstattung: Ausschuß empfiehlt zunächst die Annahme einer Abgeordnete Dr. Roswitha Wisniewski Entschließung. Wer stimmt dieser Beschlußempfeh- Freimut Duve lung zu? — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich der Wolfgang Lüder Stimme? — Die Beschlußempfehlung ist angenom- Zur Beschlußfassung des Innenausschusses zur men. abschließenden Regelung zur Wiedergutmachung Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem von NS-Unrecht liegt ein Änderungsantrag der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor. zu Gedenkstätten des geeinten Deutschlands auf Drucksache 12/7884 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, Auch hier wollen die Sprecher aller Fraktionen und den Antrag auf Drucksache 12/6111 in der Ausschuß- Gruppen ihre Beiträge zu Protokoll geben. *) Ist das fassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluß- Haus damit einverstanden? — Dies ist der Fall. Dann empfehlung? — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — ist das so beschlossen. Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Wir kommen dann zu den Abstimmungen. Beschlußempfehlung des Innenausschusses zum Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu Leitlinien zu den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland zu abschließenden Regelungen zur Wiedergutma- auf Drucksache 12/7884 Nr. 3. Der Ausschuß emp- chung von NS-Unrecht auf Drucksache 12/7989. Der fiehlt, den Antrag der SPD auf Drucksache 12/3179 Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- 12/6748 (neu) in der Ausschußfassung anzunehmen. lung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/8156 vor, Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu den über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Anträgen der Fraktion der SPD zu Gedenkstätten Änderungsantrag? — Wer stimmt gegen den Ände- ehemaliger NS-Konzentrations- und Vernichtungsla- rungsantrag? — Wer enthält sich der Stimme? — Der ger in Osteuropa und zu Mahn- und Gedenkstätten in Änderungsantrag ist in Abwesenheit der Antragstel- der Bundesrepublik Deutschland auf Drucksache ler bei zwei Enthaltungen der Gruppe PDS/Linke 12/7884 Nr. 4. Der Ausschuß empfiehlt, die Anträge Liste abgelehnt. der SPD auf Drucksache 12/1189 und 12/3178 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dieser Beschlußemp- Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? — Gegen- fehlung zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die probe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung Beschlußempfehlung ist angenommen. ist angenommen. Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einer zentralen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zu Gedenkstätte des Bundes auf Drucksache 12/6931. einer Entschädigung für Opfer nationalsozialistischen Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der SPD auf Unrechts in den baltischen Staaten auf Drucksache Drucksache 12/4536 für erledigt zu erklären. Wer 12/7988 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Wer stimmt auf Drucksache 12/7467 unverändert anzunehmen. dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer Beschlußempfehlung ist angenommen. stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Ich rufe den Zusatzpunkt 8a bis c auf: Antrag der Fraktion der SPD zu einer Entschädigung Weitere Überweisungen im vereinfachten nationalsozialistischen Unrechts in den baltischen Verfahren Staaten auf Drucksache 12/7988 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der SPD auf Drucksache a) Erste Beratung des von den Abgeordneten 12/5638 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dieser Dr. Else Ackermann, Dr. Walter Franz Altherr, Beschlußempfehlung zu? — Wer stimmt dagegen? — , weiteren Abgeordneten Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfeh- und der Fraktion der CDU/CSU sowie den lung ist angenommen. Abgeordneten Detlef Kleinert (Hannover), Jörg van Essen, Manfred Richter (Bremerhaven), Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Burkhard Zurheide und der Fraktion der F.D.P. Antrag der Gruppe der PDS/Linke Liste zur Einrich- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur tung einer Stiftung zum Schutz und zur Bewahrung Änderung des Personenstandsgesetzes der Stätten des antifaschistischen Widerstandes auf Drucksache 12/7830. Der Ausschuß empfiehlt, den — Drucksache 12/8187 — Antrag auf Drucksache 12/1117 abzulehnen. Wer Überweisungsvorschlag: stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Wer stimmt Innenausschuß (federführend) Rechtsausschuß Ausschuß für Familie und Senioren *) Anlage 10 (Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll) Ausschuß für Frauen und Jugend Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20895

Vizepräsident Hans Klein b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ aa) Beschlußempfehlung und Bericht des CSU, SPD und F.D.P. Innenausschusses (4. Ausschuß) Schutz von Kindern und Jugendlichen vor — Drucksache 12/8194 — Gewaltdarstellungen in Medien Berichterstattung: — Drucksache 12/8164 Abgeordnete Otto Regenspurger Fritz Rudolf Körper —Überweisungsvorschlag: Dr. Burkhard Hirsch Ausschuß für Frauen und Jugend (federführend) Innenausschuß bb) Bericht des Haushaltsausschusses Rechtsausschuß (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- Ausschuß für Familie und Senioren schäftsordnung EG-Ausschuß — Drucksache 12/8195 — c) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ Berichterstattung: CSU, SPD und F.D.P. Abgeordnete Karl Deres Kunst am Bau Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) — Drucksache 12/8184 Helmut Wieczorek (Duisburg) —Überweisungsvorschlag: c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Egon Innenausschuß (federführend) Susset, Meinolf Michels, Siegfried Hornung, Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Haushaltsausschuß CDU/CSU sowie der Abgeordneten Günther Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen Bredehorn, Ulrich Heinrich, Johann Paintner, an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse weiterer Abgeordneter und der Fraktion der zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — F.D.P. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Unbefristetes Anwendungsverbot von Rinder- Somatotropin (rBST) — Drucksache 12/8161 — Ich rufe den Zusatzpunkt 9 a bis m auf: d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Anne- liese Augustin, Dr. Winfried Pinger, Klaus Jür- Weitere abschließende Beratungen ohne Aus- gen Hedrich, weiterer Abgeordneter und der sprache - Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordne- a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- ten Verena Wohlleben, Dr. Ingomar Hauchler, desregierung eingebrachten Entwurfs eines Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Gesetzes zur Änderung des Beamtenversor- Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten gungsgesetzes, des Soldatenversorgungsge- Ingrid Walz, Ulrich Irmer, Dr. Michaela Blunk setzes sowie sonstiger versorgungsrechtlicher (Lübeck), weiterer Abgeordneter und der Frak- Vorschriften (BeamtVGÄndG 1993) tion der F.D.P. — Drucksachen 12/5919, 12/7547, 12/7548 — Weltbevölkerungskonferenz ICPD vom 5.- (Erste Beratung 185. Sitzung) 13. September 1994 in Kairo — Drucksache 12/8162 — aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuß) e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige, Werner Schulz (Berlin) — Drucksache 12/7547 — und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Berichterstattung: Akuter Handlungsbedarf in Deutschland vor Abgeordnete Otto Regenspurger der ersten Klima-Vertragsstaatenkonferenz in Fritz Rudolf Körper Berlin 1995 Dr. Burkhard Hirsch — Drucksache 12/8149 — bb) Bericht des Haushaltsausschusses f) Beratung der Beschlußempfehlung und des (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozial- schäftsordnung ordnung (11. Ausschuß) zu dem Antrag des — Drucksache 12/7548 — Abgeordneten Konrad Weiß (Berlin) und der Berichterstattung: Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Abgeordnete Karl Deres Kinderarbeit erfolgreich bekämpfen Ina Albowitz — Drucksachen 12/7067, 12/8163 — Rudolf Purps Berichterstattung: b) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Abgeordneter desregierung eingebrachten Entwurfs eines g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Berichts des Ausschusses für Ernährung, Land- Versorgungsbezügen in Bund und Ländern wirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu dem 1994 Antrag der Abgeordneten Horst Sielaff, Mari- (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpas- anne Klappert, Rolf Koltzsch, weiterer Abge- sungsgesetz 1994 — BBVAnpG 94) ordneter und der Fraktion der SPD — Drucksachen 12/7706, 12/8194, 12/8195 — zur Regelung von Altpachten landwirtschaftli (Erste Beratung 230. Sitzung) cher Flächen im Zusammenhang mit der 20896 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Vizepräsident Hans Klein Garantiemenge-Milch (Milchquotenrege Dritte Beratung lung) und Schlußabstimmung. Ich bitte die Kolleginnen und — Drucksachen 12/7412, 12/8083 — Kollegen, die dem Gesetzentwurf zustimmen, sich zu Berichterstattung: erheben. - Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Abgeordneter Enthaltung der PDS/Linke Liste ist der Gesetzentwurf angenommen. h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Abstimmung über den von der Bundesregie- Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozial- rung eingebrachten Entwurf des Bundesbesoldungs- ordnung (11. Ausschuß) zu der Unterrichtung und Versorgungsanpassungsgesetzes, Drucksachen durch die Bundesregierung 12/7706 und 12/8194. Ich bitte diejenigen, die dem Vorschlag für einen Beschluß des Rates über Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen die Wahrnehmung der auswärtigen Zustän- wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — digkeit der Gemeinschaft im Rahmen der Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in internationalen Arbeitskonferenzen bei ge- zweiter Beratung gegen die Stimmen von SPD und meinsamer Zuständigkeit der Gemeinschaft PDS/Linke Liste angenommen. und ihrer Mitgliedstaaten Dritte Beratung — Drucksachen 12/7064, Nr. 2.7, 12/8002 und Schlußabstimmung. Ich bitte alle, die dem Berichterstattung: Gesetzentwurf zustimmen, sich zu erheben. — Abgeordnete Dr. Eva Pohl Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf i) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- ist insgesamt gegen die Stimmen von SPD und PDS/ haltsausschusses (8. Ausschuß) zu dem Antrag Linke Liste angenommen. des Bundesministeriums der Finanzen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zu Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaus- einem unbefristeten Verbot der Anwendung von Rin- haltsordnung in die Veräußerung der bundes- der-Somatotropin, Drucksache 12/8161: Wer stimmt eigenen Liegenschaft Hohbergweg 2 in Lahr/ für den Antrag? — Wer stimmt gegen den Antrag? — Schwarzwald Wer enthält sich der Stimme? — Der Antrag ist — Drucksachen 12/7882, 12/8198 einstimmig angenommen. Berichterstattung: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur- Abgeordnete Nils Diederich (Berlin) Weltbevölkerungskonferenz in Kairo, Drucksache Hans Werner Müller (Wadern) 12/8162: Wer stimmt für diesen Antrag? — Gegen- Werner Zywietz probe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenom- men. j) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tionsausschusses (2. Ausschuß) zum akuten Handlungsbedarf vor der ersten Klima- Sammelübersicht 160 zu Petitionen Vertragsstaatenkonferenz in Berlin, Drucksache — Drucksache 12/8189 - 12/8149: Wer stimmt für den Antrag? — Gegenprobe! Enthaltungen? — In Abwesenheit der Antragsteller k) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- — ist der Antrag abgelehnt. tionsausschusses (2. Ausschuß) Sammelübersicht 161 zu Petitionen Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zur Kinderarbeit, Drucksache - Drucksache 12/8190 12/8163 Nr. 1: Der Ausschuß empfiehlt die Annahme 1) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschluß- tionsausschusses (2. Ausschuß) empfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Sammelübersicht 162 zu Petitionen Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit — Drucksache 12/8191 — und Sozialordnung zu dein Antrag der Gruppe BÜND- m) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- NIS 90/DIE GRÜNEN zur erfolgreichen Bekämpfung tionsausschusses (2. Ausschuß) der Kinderarbeit, Drucksache 12/8163 Nr. 2: Der Sammelübersicht 163 zu Petitionen Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/7067 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dieser — Drucksache 12/8192 — Beschlußempfehlung zu? — Gegenprobe! — Enthal- Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorla- tungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenom- gen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. men. Abstimmung über den von der Bundesregierung Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernäh- eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des rung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Beamtenversorgungsgesetzes, des Soldatenversor- Fraktion der SPD zur Milchquotenregelung, Drucksa- gungsgesetzes sowie sonstiger versorgungsrechtli- che 12/8083: Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf cher Vorschriften, Drucksachen 12/5919 und 12/7547. Drucksache 12/7412 in der Ausschußfassung anzu- Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die dem nehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschluß- wollen, um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — empfehlung ist angenommen. Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit zweiter Beratung angenommen. und Sozialordnung zu dem Vorschlag für einen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20897

Vizepräsident Hans Klein Beschluß der Europäischen Union über die Wahrneh- Als wir Sozialdemokraten im Rechtsausschuß den mung der auswärtigen Zuständigkeit im Rahmen der Antrag stellten, über unseren Gesetzentwurf abzu- internationalen Arbeitskonferenzen, Drucksache stimmen, beantragten die Koalitionsfraktionen ein 12/8002: Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? Anhörungsverfahren in dem sicheren Wissen, daß mit — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschluß- diesem Manöver — etwas anderes war es nicht - für empfehlung ist angenommen. diese Legislaturperiode die Einführung einer Vor- Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zur schrift zur Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe Veräußerung einer bundeseigenen Liegenschaft in wieder einmal verhindert wird. Lahr/Schwarzwald, Drucksachen 12/7882 und Herr Kollege van Essen, bitte schön. 12/8198: Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? - Die Beschluß Jörg van Essen (F.D.P.): Herr Kollege de With, sind empfehlung ist angenommen. Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich die F.D.P. Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf bereits bei der ersten Lesung Ihres Gesetzentwurfs im den Drucksachen 12/8189 bis 12/8192 — das sind die Bundestag positiv zu Ihrem Anliegen ausgesprochen Sammelübersichten 160 his 163 —: Wer stimmt für hat und daß es seit vielen Jahren insbesondere ein diese Beschlußempfehlungen? — Gegenprobe! Anliegen des damaligen Justizministers Hans Engel- Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlungen sind hard gewesen ist, zu einer Verbesserung des straf- angenommen. rechtlichen Schutzes in diesem Bereich zu kom- men? Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung des Berichts des Rechtsausschusses Dr. Hans de With (SPD): Ich will überhaupt nicht (6. Ausschuß) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäfts- verhehlen — ich komme darauf noch zu sprechen —, ordnung zu dem von der Fraktion der SPD daß die Vertreter aller Fraktionen, auch der Koalition, eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur also auch die Vertreter Ihrer Partei, bei der ersten Änderung des Sexualstrafrechts — §§ 177 bis Lesung vor einem Jahr gesagt haben, es sei längst 179, 184c StGB fällig, dies zu verabschieden, wobei Sie von der F.D.P. und auch die Damen und Herren von der CDU/CSU — Drucksachen 12/1818, 12/8130 — einen Zehnjahresprozeß benötigt hatten, um dahin zu Berichterstattung: kommen. Nur war die Koalition nicht in der Lage, sich Abgeordneter Horst Eylmann in dem Zeitraum von Januar 1993 bis heute dergestalt- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die zu einigen, daß wir die drei dürren Paragraphen Aussprache dreiviertel Stunden vorgesehen. — Dage- hätten verabschieden können. Es ist die Unfähigkeit gen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so der Koalition in Rechtssachen, die zum Nachteil der beschlossen. Frauen gereichen, wenn ich hier und heute diese Rede Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem halten muß. Kollegen Hans de With. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste) Dr. Hans de With (SPD): Herr Präsident! Meine sehr Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit ist verehrten Damen und Herren! Der offizielle Titel des der vierte Versuch gescheitert, die von der Frau wohl soeben aufgerufenen Tagesordnungspunktes lautet am schmerzlichsten empfundene Demütigung end- — ich wiederhole ihn —: lich unter Strafe zu stellen. Beratung des Berichts des Rechtsausschusses Ich sage das nicht von ungefähr, Herr van Essen. Als (6. Ausschuß) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäfts- ich am 1. März 1972 - wohlgemerkt, 1972! — im ordnung zu dem von der Fraktion der SPD einge- Strafrechtssonderausschuß im Rahmen der Reform brachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sexualstrafrechts den Antrag stellte, die Verge- des Sexualstrafrechts — §§ 177 bis 179, 184 c waltigung durch Streichung des Wörtchens „außer- StGB. ehelichen" in § 177 unseres Strafgesetzbuches in Für den normalen Zuhörer ist diese Bezeichnung jedem Fall unter Strafe zu stellen, auch wenn sie mit Sicherheit absolut nichtssagend. In Wahrheit ver- innerhalb der Ehe begangen wurde, unterlag ich birgt sich dahinter das erneute Nein von CDU/CSU einen Tag später, also am 2. März, mit nur einer und F.D.P. zur Einführung einer Strafvorschrift gegen Stimme. Wir hätten es also beinahe schon vor 22 Jah- die Vergewaltigung in der Ehe. ren geschafft. Als wir Sozialdemokraten im Rechtsausschuß den Sie verstehen deshalb, wenn ich es als besonders Antrag stellten, über unseren Gesetzentwurf abzu- bitter empfinde, daß sich die Situation — ich sage noch stimmen — — einmal: nach 22 Jahren — um keinen Deut gebessert hat. Das ist um so schlimmer — ich komme auf das (Abg. Jörg van Essen [F.D.P.] meldet sich zu zurück, was Sie erfragt haben —, als in der ersten einer Zwischenfrage) Lesung nach dem, was hier gesagt wurde, generell angenommen werden mußte, es bestünde Einigung, Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege de With, endlich diesen Schritt zu gehen. Ich erinnere an die gestatten Sie eine Zwischenfrage? Ausführungen des Kollegen Eylmann, der damals unter dem Beifall des gesamten Hauses erklärt hat: Dr. Hans de With (SPD): Ja, wenn ich meinen Satz zu Es ist wirklich an der Zeit — lassen Sie mich das Ende führen darf. zum Schluß sagen —, die letzten Spuren eines 20898 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Dr. Hans de With überholten Ehebildes in unserem Strafgesetz- Im krassen Gegensatz hierzu hat dasselbe Gericht buch zu tilgen. bei einer deutlich minder schweren Tat, nämlich der Nachdem Sie mit dem Geschäftsordnungstrick des Nötigung, angenommen, daß das bloße Hinsetzen vor Anhörungsverfahrens — ich muß sagen, es ist beinahe eine Straßenbahn — Stichwort für die Juristen: schon mehr als ein Manöver und als ein Geschäftsord- Läpple-Urteil — oder das Versperren eines Weges nungstrick; es ist ganz unverhohlen eine Ableh- durch bloßes Dazwischentreten durchaus eine Ge- nung — unsere Initiative wieder blockierten, läßt das, waltanwendung ist. Einen gröberen Gegensatz gibt es wenn ich es richtig sehe, im Grunde — ich sage es wohl nicht. ganz ruhig — nur zwei Schlüsse zu: Entweder Sie Ich habe deshalb schon in der ersten Lesung gesagt haben trotz aller Beteuerungen immer noch nicht und wiederhole es hier: Dem Opfer kann es völlig begriffen, daß es für eine Ehefrau wohl nichts Ernied- gleichgültig sein, ob sein Widerstand durch tatsächli- rigenderes gibt, als vom eigenen Ehemann als Sexu- che, körperliche erkennbare Gewalt gebrochen wird alobjekt mißbraucht zu werden, oder aber Sie schie- oder durch das Versetzen in eine völlig aussichtslose ben in Kenntnis dessen die Einführung dieser bitter Lage, in der jeder Widerstand das Geschehen nur notwendigen Strafvorschrift gleichwohl wieder hin- noch verschlimmert. Beide Handlungsweisen sind aus, weil Sie glauben, dies den Frauen mit Rücksicht gleichermaßen strafwürdig. auf eine kleine Minderheit in Ihrem Lager — sehr Ich frage Sie von der Regierungskoalition: Wie wahrscheinlich im Lager der CSU — zumuten zu können Sie es hinnehmen — das gilt auch für den können. Es ist bezeichnend, daß von der CSU nie- Präsidenten —, daß durch Ihr Verhalten diese mand anwesend ist. schmerzliche Lücke noch immer nicht geschlossen (Ursula Männle [CDU/CSU]: Doch! — Jörg wird? van Essen [F.D.P.]: Frau Männle!) Schließlich wollen wir den Vergewaltigungspara- — Sehr richtig, Frau Männle. Dann sage ich: keiner graphen geschlechtsneutral fassen. Es ist einfach der Männer der CSU; an den Frauen liegt es wohl nicht einzusehen, warum die Vergewaltigung zwi- nicht. schen Männern nicht gleichermaßen strafbar sein soll. Es ist auch nicht einzusehen, warum nur die Demüti- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege de With, es gung des erzwungenen vaginalen Geschlechtsver- tut mir schrecklich leid, aber ich bin männlichen kehrs als Verbrechen erfaßt sein soll. Geschlechts und Anhänger der CSU. Meine sehr verehrten Damen und Herren, am (Heiterkeit - Siegfried Vergin [SPD]: Aber Montag dieser Woche war in der „Süddeutschen Präsident!) Zeitung" zu lesen, daß in den USA alle 15 Sekunden eine Frau von ihrem Ehemann oder Freund mißhan- Dr. Hans de With (SPD): Herr Präsident, es verbietet delt wird, und trotzdem werde diese häusliche Gewalt der Takt, mit dem Präsidenten zu rechten. Aber Sie noch immer tabuisiert. Das mag in diesem Ausmaß bei sind hier in amtlicher Eigenschaft und nicht als uns sicher nicht der Fall sein. Unbestreitbar aber ist, Abgeordneter, der etwas repräsentieren will. daß auch bei uns mehr und mehr aufgedeckt wird, wie (Siegfried Vergin [SPD]: Der Präsident ist sehr Frauen und auch Kinder unter ich gebrauche völlig wertneutral!) dasselbe Wort — häuslicher Gewalt zu leiden haben. Dabei ist die Vergewaltigung wohl die schlimmste Form häuslicher Gewalt, Tötungsdelikte einmal aus- Die Abgeordneten sind Vizepräsident Hans Klein: genommen. alle in amtlicher Eigenschaft hier. Wenn CDU/CSU und F.D.P. dann immer noch nicht (Siegfried Vergin [SPD]: Aber der Präsident in der Lage sind, Widerstände in den eigenen Reihen ist überragend!) zu überwinden und mit uns Sozialdemokraten eine längst überfällige Reform durchzusetzen, die wirklich Dr. Hans de With (SPD): Was auch immer, meine auch ein Signal wäre, dann hat — lassen Sie mich das sehr verehrten Damen und Herren von den Regie- so formulieren — wieder einmal der alte Adam rungsparteien, Ihre wahren Gründe sind: Ihr Handeln gesiegt. Wir Sozialdemokraten werden jedenfalls ist schlechthin nicht mehr vertretbar. Es geht ja nicht sofort nach Zusammentreten des neuen Bundestages nur darum, die Vergewaltigung in der Ehe ebenso zu unsere Vorlage erneut einbringen — zum fünften bestrafen wie die Vergewaltigung außerhalb der Ehe, Mal. nämlich als Verbrechen. Es geht auch darum, in unserem überholten Vergewaltigungsparagraphen Vielen Dank. ganz offenkundige Lücken zu schließen. (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste Ich darf Ihnen ein Beispiel nennen, ein — wie ich sowie bei Abgeordneten der F.D.P.) meine — ganz schlimmes: Wenn ein Mann mit dem Auto so an eine Hecke fährt, daß sich die Beifahrertür Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Horst Eyl- nicht öffnen läßt, damit für die Frau jede Gegenwehr mann, Sie haben das Wort. hoffnungslos ist und sie deshalb die Vergewaltigung — ich nenne es so — über sich ergehen läßt, ist dies nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Horst Eylmann (CDU/CSU): So sehr viel Neues, keine Vergewaltigung. Denn nach der Auffassung Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und dieses Obersten Gerichts wird hier — völlig unver- Herren, fällt einem auch nicht mehr ein, wenn man ständlich — das Vorliegen einer Gewaltanwendung nun schon etliche Male zu diesem Thema hat Stellung nicht angenommen. nehmen müssen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20899

Horst Eylmann Natürlich muß § 177 StGB geändert werden. Daß die wenn Spuren von Gewaltanwendung fehlen. Da Vergewaltigung nun plötzlich keine Vergewaltigung Zweifel für den Angeklagten ausschlagen müssen, mehr sein soll, wenn es sich um die eigene Ehefrau sind Freisprüche häufig unumgänglich, mögen sie handelt, ist ein Relikt alter römischer und germani- auch von den betroffenen Frauen als empörend emp- scher Rechtsvorstellungen, wonach die Ehefrau dem funden werden. Diese Beweisschwierigkeiten sind Ehemanne untertan war und es deshalb sein gutes allerdings noch nie als Argument gegen die Strafbar- Recht war, den Geschlechtsverkehr zu verlangen und keit der Vergewaltigung schlechthin verwendet wor- ihn notfalls auch zu erzwingen. Nun plädiert zwar den. Es ist daher wenig überzeugend, wenn man sie heute niemand mehr dafür, daß der Ehemann Gewalt für die Straflosigkeit der ehelichen Notzucht ins Feld anwenden dürfe. Aber weil sich der Mann auch bei führt. einer Gewaltanwendung nur das hole, was ihm seine Selbstverständlich wird es auch hier in vielen Fällen Frau zu gewähren verpflichtet sei, sei dies doch ganz Beweisschwierigkeiten geben. Ich nenne Ihnen einen anders zu beurteilen als der typische Fall einer Ver- Fall, der im vergangenen Jahr in Norddeutschland gewaltigung — das liest und hört man noch ab und durch die Presse ging. Ein in Scheidung und getrennt zu. lebender Mann suchte kurz vor dem Scheidungster- In Wahrheit läßt sich die eheliche Geschlechtsge- min seine Frau in deren Wohnung auf und vergewal- meinschaft aber nicht auf ein Gläubiger/Schuldner- tigte sie in brutaler Weise in Gegenwart eines fünfjäh- Verhältnis reduzieren, in dem jeder Teil auf Verlan- rigen Kindes. Der Mann konnte nur wegen Körperver- gen des einen Teils Ansprüche zu erfüllen habe. Die letzung und Nötigung bestraft werden. Wie soll das Ehe ist vielmehr eine Partnerschaft, eine Verbindung gerecht sein? zweier Menschen, in der sich die sexuellen Beziehun- gen aus dieser Partnerschaft immer wieder neu kom- Nun liegt ja, meine Damen und Herren, die Frage munikativ entwickeln müssen. Hier kann und darf nahe, warum wir diesen Anachronismus nicht endlich nichts einseitig eingefordert und beansprucht werden. beseitigt haben. Dafür gibt es zwei Gründe. Vor allem bestimmt doch nicht der Mann allein den Als wir vor Jahren schon einmal nahe dran waren, Zeitpunkt, wann ihm seine Ehefrau sexuell zur Verfü- kam der Einwand, die Ausweitung des § 177 StGB gung zu stehen habe, etwa nach einem bierschwan- auch auf die Vergewaltigung innerhalb der Ehe dürfe geren Herrenabend, und weil er es nicht allein zu nun aber nicht dazu führen, daß die kriminologische bestimmen hat, ist er innerhalb der Ehe auch keines- Indikation auf eine Schwangerschaft erstreckt würde, wegs berechtigt, seine Wünsche mit Gewalt durchzu- die aus der Vergewaltigung innerhalb einer Ehe setzen. Im Gegenteil läßt sich aus dem besonderen herrühre. verfassungsrechtlichen Schutz, den die Ehe genießt, folgern, daß sich ein Ehemann in gesteigertem Maße Ich habe diesen Einwand nie für begründet gehal- strafwürdig verhält, wenn er in einer solch engen ten. Ich kann noch den rigorosen Standpunkt gedank- menschlichen Gemeinschaft seiner Aggression freien lich nachvollziehen, daß auch eine Vergewaltigung Lauf läßt und sie zur Durchsetzung sexueller Wünsche nicht zum Abbruch berechtige, weil doch das unge- instrumentalisiert. Wie will man es denn rechtfertigen, borene Leben nichts dafür könne, gewaltsam in die daß in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft die Welt gesetzt worden zu sein. Wenn man aber einer Frau einen besseren strafrechtlichen Schutz genießt Frau nicht die psychische Tortur zumuten will, ein ihr als in einer Ehe? gewaltsam aufgedrängtes Kind austragen und aufzie- hen zu müssen, dann kann es doch keinen Unter- Nun gibt es andere Argumente, die immer wieder schied machen, ob der Vergewaltiger ihr eigener hervorgeholt werden. Man fragt, wie man denn eine Ehemann oder ein anderer ist. Vergewaltigung beweisen wolle, die sich unter zwei Menschen im ehelichen Schlafzimmer abspiele; die (Jörg van Essen [F.D.P.]: Sehr richtig!) Ehe müsse von staatlicher Schnüffelei frei bleiben; der Denken Sie doch einmal an den vorhin erwähnten Fall Staatsanwalt unter dem Bett, das sei doch wohl das einer Vergewaltigung kurz vor dem Scheidungster- Letzte, was man sich in der Ehe wünschen könne. min. Diese Argumentation klingt auf den ersten Blick plausibel, hat auch einen gewissen populären Wir wissen ja alle, meine Damen und Herren, wie Charme, trägt aber nicht, wenn man genauer hinsieht. schwierig alle Fragen sind, die mit dem Schwanger- Die Vergewaltigung ereignet sich nämlich auch schaftsabbruch zusammenhängen, und wie emotional außerhalb der Ehe, in den meisten Fällen innerhalb belastet sie sind. Deshalb haben wir uns damals einer schon bestehenden Zweierbeziehung. Täter und entschlossen, die Neufassung des § 177 zurückzustel- Opfer kennen sich mehr oder weniger intensiv, und len. Nun sind wir zwar mit der Neuordnung des Rechts das Spektrum der Fälle reicht von der Disco-Bekannt- des Schwangerschaftsabbruchs immer noch nicht am schaft, die sich nachher im PKW nicht nach den Ziel, und in § 218a Abs. 3 haben wir immer noch die Wünschen des Mannes entwickelt, über länger kriminologische Indikation, die sich auf die §§ 176 und dauernde Beziehungen im Bekannten-, Freundes- 179 bezieht. und Verwandtenkreis bis hin zum eheähnlichen Aber das Problem ist durch den beratenden Zusammenleben. Der Mann hinter dem Busch, der Abbruch innerhalb der zwölf Wochen doch entschärft einer Frau auflauert, ist eben nicht der typische worden. Denn nun kann die Schwangere nach Bera- Notzuchttäter. tung selbst entscheiden — sie muß es dann auch Es liegt auf der Hand — spektakuläre Prozesse verantworten —, ob sie einen Abbruch will, wenn die beweisen es immer wieder —, daß in solchen Fällen Schwangerschaft auf einer Vergewaltigung beruht. die Beweisschwierigkeiten groß sind, vor allem dann, Wer zweifelt denn daran, meine Damen und Herren, 20900 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Horst Eylmann daß sich die allermeisten Ehefrauen dazu entschlie- Antrag gestellt, diesen Gesetzentwurf auf die Tages- ßen werden? Diese Gründe hat man zu respektieren. ordnung zu setzen, wobei Sie doch wissen, Herr Im Ergebnis meine ich, dieser erste Grund hat sich Kollege Dr. de With, daß Sie es mit einem Antrag erledigt. erzwingen können. Nun sind wir zweitens mit der SPD auseinander, Nun mögen Sie ja wie auch wir gedacht haben, es welche Rechte der Ehefrau im Strafverfahren zuste- gelingt uns nicht, uns wegen der noch nicht geregel- hen sollen. In dem einen Punkt halte ich eine differen- ten Problematik des Schwangerschaftsabbruchs zu zierte Betrachtung der Vergewaltigung innerhalb und einigen. Sie mögen ebenso wie wir gedacht haben, wir außerhalb einer Ehe für notwendig. Es wäre schwer haben im Rechtsausschuß im letzten Jahr soviel zu tun erträglich, daß der Staat bei bestehender Ehe gegen gehabt, insbesondere um die innere Wiedervereini- den Willen der Ehefrau das Delikt einer Notzucht in gung zu bewerkstelligen, daß wir das zurückstellen der Ehe verfolgt. Wenn sich die Ehepartner wieder können. versöhnen, ist das Rechtsgut der Erhaltung der Ehe Aber weshalb Sie jetzt, kurz vor Toresschluß, noch höher einzuschätzen als das Interesse der Rechtsge- meinen, dieser Gesetzentwurf müsse in aller Eile meinschaft an der Bestrafung des Täters. Vertraut eine verabschiedet werden, das überzeugt mich nicht. Das Frau darauf, daß es ihrem Ehemann gelingen könne, deutet darauf hin, daß Sie nicht an einer Sachlösung seine Aggression zu zügeln, und nimmt sie es auf sich, interessiert sind, sondern daß Sie uns vorführen wol- ihm dabei zu helfen, so ist das ohnehin der aussichts- len. Das ist allerdings ein allzu durchsichtiges Manö- reichere Weg zur Resozialisierung des Täters. Frei- ver. heitsstrafen sind zwar bei sexuellen Gewaltdelikten zur Abschreckung in der Regel unvermeidlich und (Dr. [SPD]: Quatsch! — Sieg- unverzichtbar. Ihr Vollzug ist aber meistens nicht fried Vergin [SPD]: Herr Eylmann, das ist geeignet, sexuell inadäquates Verhalten abzubauen. unter Ihrem Niveau!) Eine Vergewaltigung in der Ehe, so meinen wir, sollte daher nur auf Antrag der Ehefrau verfolgt werden. Ihr Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Eylmann, ist auch die Möglichkeit einzuräumen, durch die der Kollege Dr. de With möchte gerne noch eine Frage Rücknahme eines gestellten Antrages ein schon ein- stellen. geleitetes Verfahren zu beenden. Ich meine, eine Einigung müßte hier mit der Opposition möglich sein. Horst Eylmann (CDU/CSU): Ich gebe dazu gerne noch die Gelegenheit. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege de With würde gern eine Zwischenfrage stellen, Herr Kollege Eylmann. Dr. Hans de With (SPD): Herr Kollege Eylmann, sind sie so nett und räumen Sie ein, daß ich mehrmals in Obleutebesprechungen und auch so versucht habe Horst Eylmann (CDU/CSU): Bitte sehr. nachzufragen, ob die Koalition jetzt so weit sei, dies zu Dr. Hans de With (SPD): Herr Kollege Eylmann, behandeln. Bei der F.D.P. gebe es keine größeren räumen Sie ein, daß unser Entwurf für diese Situation Schwierigkeiten, so hieß es, ebensowenig beim Bun- eine Möglichkeit vorsieht, wobei es für mein Dafür- desministerium der Justiz, das einmal einen eigenen halten im Grunde relativ gleichgültig ist, ob das durch Entwurf hatte. das Antragsrecht reguliert wird oder durch das Abse- (Jörg van Essen [F.D.P.]: So ist es!) hen von Strafe, wenn nur die Möglichkeit gegeben ist, Nur bei der CDU/CSU hat es geknirscht und falls sich beide wieder einig sind, die Ehe zu retten? geknirzt. Räumen Sie ein, daß diese Problematik so zweitrangig ist, daß wir uns mit Sicherheit zusammengerauft ( [CDU/CSU]: Bei uns knirscht hätten? Denn im Vordergrund steht, daß wir endlich und knirzt es nie!) das Signal, das Zeichen setzen und Lücken schlie- Verstehen Sie dann, daß wir unter diesen Umstän- ßen. den zugewartet haben, weil wir, Ihre Mehrheit wis- send, nicht in dem sicheren Wissen abstimmen woll- Horst Eylmann (CDU/CSU): Mein letzter Satz war, ten, daß dieser Entwurf endgültig verschwindet und Herr Kollege de With, daß auch ich annehme, daß hier damit die Frauen noch länger zuwarten? Aus diesem eine Einigung möglich ist. Im Augenblick sind wir Grunde haben wir gehofft: Vielleicht klappt es am noch etwas auseinander. Aber gerade weil Sie die Ende noch. Möglichkeit einer Strafmilderung schon vorgesehen Mit anderen Worten: Wir haben gehofft, das Ziel zu haben, wenn Sie sie auch nicht von der Zustimmung erreichen, nachdem wir vorher sondiert hatten und der Ehefrau abhängig machen, deutet das auf Kom- hörten, es komme möglicherweise noch. promißmöglichkeiten hin. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist eine faule Lassen Sie mich fortfahren. Sie können nun sagen: Ausrede!) Warum haben Sie diesen Kompromiß bisher nicht erzielt? Die sozialdemokratische Fraktion hat es nun wirklich nicht eilig gehabt. Am 15. Januar 1993 fand Horst Eylmann (CDU/CSU): Herr Kollege de With, die erste Lesung ihres Gesetzentwurfes statt. Er ist ein wir haben es sicherlich in den Obleutebesprechungen einziges Mal im Rechtsausschuß beraten worden, und einmal erörtert, aber dann habe ich auch immer darauf zwar am 16. Juni dieses Jahres, eineinhalb Jahre hingewiesen, daß, solange die Neuregelung des später. Vorher haben Sie nicht ein einziges Mal einen Schwangerschaftsabbruchs nicht unter Dach und Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20901

Horst Eylmann Fach sei, die Sache in unserer Fraktion schwierig des selbstverständlichen Rechts auf sexuelle Selbst- sei. bestimmung von Ehefrauen kommt. (Dr. Hans de With [SPD]: Das ist mehr als ein Jahr her!) Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege van Essen, Daß es unterschiedliche Auffassungen in unserer gestatten Sie eine Zwischenfrage? Fraktion gibt, wissen Sie. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir waren alle Jörg van Essen (F.D.P.): Ja, gerne. einer Meinung!) - Nein, dann hätten wir die Regelung längst. Dr. Hans de With (SPD): Herr Kollege van Essen, (Norbert Geis [CDU/CSU]: Nicht die von der darf ich daran erinnern, daß ich in einer Obleutebe- SPD!) sprechung ausdrücklich darum gebeten habe, daß Ich meine, meine sehr verehrten Damen und Her- dies auf die Tagesordnung gesetzt werde mit der Bitte ren, wir haben dieses Problem wirklich lange genug gegenüber dem Bundesministerium der Justiz, daß hin- und hergewendet. In der nächsten Wahlperiode der dort zuständige Unterabteilungsleiter, Herr von — da stimme ich Ihnen völlig zu, Herr Kollege Bülow, mit seinen Leuten kommen möge, damit die de With — muß dieses Problem geregelt werden. besagten drei Paragraphen, die des langen und brei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ten in einem der größten Anhörungsverfahren erörtert der F.D.P.) worden waren, endlich verabschiedet werden könn- ten, und daß in der Tat Herr von Bülow mit seinen Es wird auch in der nächsten Wahlperiode geregelt Leuten vom Bundesministerium der Justiz da war, daß werden; da bin ich völlig sicher. Dann können Sie wir nichts mehr zu beraten hatten — es war allerdings sagen: Es hat lange genug gedauert. Es gibt andere spät — und daß wir dies ohne weiteres in einer halben Beispiele, wo wir uns auch jahrelang um eine Lösung oder einer Stunde hätten beraten können, nachdem bemüht haben. Aber hier meine ich: Die Zeit ist jedem diese Problematik seit Jahren klar war? wirklich reif. Vielen Dank. Jörg van Essen (F.D.P.): Herr de With, ich kann (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und darauf antworten: Unser Koalitionspartner hat eine der F.D.P.) Anhörung gefordert. Das ist sein gutes Recht. Aber ich gebe zu: Gibt es wirklich noch Anhörungsbedarf? Ich meine, nicht. Es ist ein offenes Geheimnis — ich Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Jörg van glaube, der Kollege Eylmann hat es hier deutlich Essen, Sie haben das Wort. gesagt —, daß bei unserem Koalitionspartner insbe- sondere deshalb Widerstand gegen diese Strafbestim- mung besteht, weil sie eine zusätzliche Möglichkeit zu Jörg van Essen (F.D.P.): Herr Präsident! Meine einer legalen Abtreibung eröffnen würde. Damen und Herren! Die F.D.P. bedauert außerordent- Ich darf daran erinnern, daß der Kollege Engelhard lich, daß es in dieser Legislaturperiode erneut nicht zu — Sie wissen, daß er sich in gleicher Weise wie Sie einer Verabschiedung der notwendigen Gesetzesän- engagiert hat — in der ersten Lesung darauf hinge- derungen kommt, die insbesondere die Vergewalti- wiesen hat, daß allenfalls 0,1 % — ich wiederhole es: gung in der Ehe unter Strafe stellen. 0,1 % — aller legalen Abbrüche nach einer Vergewal- (Beifall bei der F.D.P. sowie der Abg. tigung erfolgen. Dies kann doch wohl kein durch- Dr. Margrit Wetzel [SPD]) schlagendes Argument gegen eine Änderung des Herr Kollege de With, wir haben gerade das Pro- § 177 des Strafgesetzbuches sein. blem der Behandlung im Rechtsausschuß schon erör- (Beifall bei der F.D.P.) tert. Ich habe Verständnis dafür, daß Sie möglicher- Ich meine, das, was der Kollege Eylmann hier weise zugewartet haben. Aber eines ist auch klar: ausgeführt hat, ist wirklich nachdenkenswert. Ich Wenn man die Sache am 16. Juni auf die Tagesord- hoffe, daß viele, die Bedenken haben, seine Ausfüh- nung setzen lassen will, dann wird es schwierig, noch rungen, die er heute hier gemacht hat und die ich zu einer Verabschiedung zu kommen. Das wundert nachdrücklich unterstütze und unterstreiche, im Pro- mich deshalb, weil ich weiß, welches Herzensanlie- tokoll nachlesen und ihre Position dann noch einmal gen es Ihnen ist, in dieser Frage zu einer Neuregelung prüfen. zu kommen. Wir wollen auch den besseren strafrechtlichen Ich muß ganz deutlich sagen: Wenn Sie mich als Schutz der Frauen, die in einer hilflosen Lage bei einer denjenigen, der in der F.D.P.-Fraktion für diesen bevorstehenden Vergewaltigung zu der Beurteilung Bereich zuständig ist, angesprochen hätten, hätte ich kommen, daß Widerstand und Ablehnung ihre Situa- Sie unterstützt und hätte mich auch bemüht, daß wir in tion verschlechtern und sie möglicherweise sogar in dieser Legislaturperiode zu einer Lösung gekommen Lebensgefahr bringen würden. Sich genau so, näm- wären. lich situationsangepaßt, zu verhalten, wird den Sie wissen — der Kollege Eylmann hat es schon Frauen doch gerade von polizeilichen Beratungsstel- angesprochen —, daß wir auch andere schwierige len empfohlen. Dies darf nicht zu einer Privilegierung, strafrechtliche Fragen in dieser Legislaturperiode zu einem besseren strafrechtlichen Stand des Täters geregelt haben. Deshalb bedaure ich sehr, daß es führen, der dann keine Gewalt mehr anwenden muß, damit zum viertenmal nicht zu einem besseren Schutz sich aber die Todesangst der Frau schamlos zunutze 20902 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Jörg van Essen macht und ebenso verwerflich wie ein Gewalttäter die mindestens einmal straflos eine Frau vergewalti- handelt. gen durften. Ich bin auch für die Erweiterung des bei der In der Bundesrepublik sind Straftaten gegen das Vergewaltigung auf die vaginale Penetration be- sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Frau wie Ver- grenzten Begriffs des Beischlafes. Herr Kollege de gewaltigung, sexuelle Nötigung und der sexuelle With, Sie haben eine Begründung gegeben, der nichts Mißbrauch Widerstandsunfähiger nur außerhalb der hinzuzufügen ist; ich kann es deshalb kurz machen. Ehe wirklich strafbar. Damit werden derartige Straf- Die F.D.P. hat ähnliche Anliegen, wie sie der Gesetz- taten per Gesetz in erlaubte und unerlaubte unterteilt. entwurf der SPD seit langem verfolgt. Ich darf noch Geregelt wird also nicht der Schutz der Frauen vor einmal sagen, daß es insbesondere der Kollege Engel- dieser Art Kriminalität, sondern lediglich die Bedin- hard war, der sich als Bundesjustizminister hier in gungen, unter denen Männer sie begehen dürfen. besonderer Weise engagiert hat. Wir hätten dies gerne Innerhalb einer Ehe bejaht der Gesetzgeber noch im Rechtsausschuß abgeschlossen. heute de facto das Verfügungsrecht des Mannes über Es lag nicht an uns, daß dies nicht geschehen ist. die Sexualität, den Körper und die psychische und Denn die Dissenspunkte, die bleiben, sind außeror- physische Gesundheit der Frau und verfestigt so dentlich gering. Ich bin sicher, daß sie zu beseitigen patriarchale Strukturen der Gesellschaft weiter. gewesen wären. Ich hoffe mit Ihnen, Herr de With, daß der fünfte Anlauf erfolgreich ist, und wünsche Ihnen, Dem patriarchalen Frauen- und Weltbild unserer uns und insbesondere den Frauen, die davon betroffen Gesellschaft entspricht auch die Tatsache, daß als sind, dafür allen Erfolg. Vergewaltigung ausschließlich die erzwungene au- ßereheliche Penetration anerkannt wird, anale oder Herzlichen Dank. orale Vergewaltigung als minderschwerer Fall nur als (Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie des sexuelle Nötigung verfolgt werden. Der Hintergrund Abg. Horst Eylmann [CDU/CSU]) hierfür ist wichtig; denn er ist darin zu suchen, daß eine Schwangerschaft und damit die Möglichkeit Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kollegin nichtehelicher Kinder allein durch vaginale Penetra- Dr. Barbara Höll. tion entstehen kann. Auch hier wird in Wahrheit nicht die Würde oder das Selbstbestimmungsrecht der Frau, sondern der Ehemann vor unliebsamen illegitimen Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! Nachkommen geschützt. Meine Damen und Herren! Ich rede als erste Frau in dieser Debattenrunde und muß sagen, daß ich über Obwohl seit Jahrzehnten darüber diskutiert wird, die Argumentation doch schlicht erstaunt bin. Ich bin diese veralteten und dem grundgesetzlichen Gebot auch entsetzt darüber, wie Sie hier ein Hin- und der Gleichbehandlung widersprechenden Straf- Hergeschiebe versuchen: Der Entwurf sei von den rechtsbestimmungen zu ändern, konnten sich vor Obleuten nicht zeitig genug auf die Tagesordnung wenigen Tagen die Koalitionsfraktionen doch wieder gesetzt worden oder ähnliches. Niemand verbietet einmal nicht durchringen, das Inkrafttreten eines Ihnen, meine Herren, von sich aus, aus Ihren Fraktio- entsprechenden Gesetzes in dieser Legislaturperiode nen das Problem zu thematisieren. Sie haben ein zu ermöglichen. Sie peitschen hier nacheinander Papier. Warum äußern Sie sich nicht dazu? Gesetze von großer und auch kleinerer Tragweite Ich glaube, es ist symptomatisch, daß es in diesem durch. In diesem Punkte aber können Sie sich nicht Hause nicht möglich ist, allgemein über Themen zu dazu entschließen, obwohl umfängliche Expertisen sprechen, die etwas mit Sexualität zu tun haben. Dies vorliegen und die Meinung einer Vielzahl von Sach- erfolgt stets zu späten Nachtstunden; heute ist es verständigen bereits eingeholt ist. Ich muß sagen: Das wirklich relativ zeitig. Ich muß sagen, Sie kommen ist ein Skandal mehr in der Kette des frauenpolitischen nicht auf das Thema, denn es geht hier ja nicht um Rollback der Bundesregierung und der Koalition. Sexualität, sondern es geht um Gewalt gegen Frauen Wir werden uns nunmehr mit großer Wahrschein- in einer bestimmten Form und, wie Herr de With sagte, lichkeit in der nächsten Legislaturperiode erneut mit in einer für Frauen besonders schlimmen Form. der Problematik der in der Ehe begangenen Sexual- Wenn als ein Punkt nebenbei erläutert wird, daß straftaten beschäftigen. Die SPD wäre gut beraten, Frauen auf diese Weise möglicherweise unberechtigt wenn sie die zur Verfügung stehende Zeit nutzen zu einem legalen Schwangerschaftsabbruch kom- würde, die noch vorhandenen Mängel des eigenen men, finde ich das eine äußerst makabere Unterstel- Entwurfs — ich verweise hierzu auf das, was bereits lung, die Sie Frauen a priori unterschieben. von Frau Schenk dazu angemerkt wurde — zu behe- Positiv ist, daß Gewalt gegen Frauen heute ein ben, d. h. in erster Linie die Opferperspektive in den Thema ist, das tatsächlich innerhalb der Bundesrepu- Mittelpunkt der Beurteilung derartiger Straftaten zu blik thematisiert wird. Das ist Ergebnis des Kampfes stellen. Das würde dem Ausmaß des Unrechts, das der Frauenbewegung. Frauen durch die Verletzung des sexuellen Selbstbe- stimmungsrechtes und ihrer Würde widerfährt, besser Haupttatort von Gewalt gegen Frauen und Mäd- gerecht. Dies würde es mir und meinen Kollegen chen ist die Familie; das wurde hier schon erwähnt. erleichtern, Sie dann wirklich mit voller Kraft in allen Das Institut für Demoskopie Allensbach schätzt nach Punkten zu unterstützen. Hochrechnung entsprechender Befragungen, daß in jeder fünften Ehe Frauen mindestens einmal von Ich bedanke mich. ihrem Ehemann vergewaltigt wurden. Das macht eine Gesamtzahl von mehr als 4 Millionen Männern aus, (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20903

Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kollegin um sexuelle Gefügigkeit zu erreichen, ist für uns kein Professor Ursula Männle. Kavaliersdelikt, sondern strafwürdiges Unrecht. (Zustimmung bei der CDU/CSU) derartigen Verhaltens dient Ursula Männle (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Eine Sanktionierung Damen und Herren! Herr de With, ich darf Sie gleich dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutz der Ehe. ansprechen: Es ist in der Tat so, daß wir eine unend- Wir sind der Meinung, daß die bestehende Gesetzes- liche Geschichte „Vergewaltigung in der Ehe" haben. lücke geschlossen werden muß. Wir haben seit mehreren Legislaturperioden disku- Ich möchte nicht wiederholen, was der Kollege tiert und mangels Konsens — nicht im Grundsatz, Eylmann bereits ausgeführt hat. Er hat deutlich sondern in Einzelheiten — immer wieder zurückge- gemacht, wo die Unterschiede zwischen unseren stellt. Auffassungen sind. In Anbetracht der fortgeschritte- Auch Sie werden aber sicherlich zugeben müssen, nen Zeit und der vielen Tagesordnungspunkte, die daß es in Teilen der Bevölkerung noch immer an dem heute noch erledigt werden sollen, verzichte ich auf Bewußtsein mangelt, daß Vergewaltigung auch unter diese Ausführungen. Eheleuten eine Vergewaltigung und damit Unrecht Ich denke, wir brauchen endlich eine Regelung, ist. Nicht selten kursiert die Auffassung, mit der aber wir sollten uns nicht darüber streiten, woran es Eheschließung sei das ständige Verfügenkönnen über gelegen hat, daß diese Frage erst am Ende der die Frau verbunden. Das Ja zur Ehe wird gleichge- Legislaturperiode wieder auf die Tagesordnung stellt mit dem Ja zum Beischlaf. Daher wird sexueller gekommen ist. Ich habe es eigentlich auch bedauert, Mißbrauch in der Ehe, d. h. — so würde ich es daß niemand auf einen zukam, auch die Frauen der ausdrücken — die Mißachtung des sexuellen Selbst- SPD-Fraktion nicht, wo es doch bisher eigentlich bestimmungsrechts der Ehefrau, vom Täter häufig immer üblich war, diese Themen untereinander zu nicht als Unrecht bewertet. diskutieren. Ich bedauere, daß wir nicht früher dazu Der Kollege Eylmann hat schon sehr deutlich darauf gekommen sind, uns ausführlich über diese Fragen zu hingewiesen, daß in der Öffentlichkeit eigentlich ein unterhalten und sie einer Lösung zuzuführen. Ich falsches Bild von Vergewaltigung verbreitet ist. Die denke aber, es ist nicht zu spät. Das gemeinsame Vergewaltigung, die im Dunkeln, im Park, von Frem- Bewußtsein ist vorhanden, daß eine Änderung not- den geschieht, ist ja nicht der Normalfall der Verge- wendig ist. Versuchen wir eine Neuregelung doch in waltigung. Ich möchte deutlich zum Ausdruck brin- der nächsten Legislaturperiode wirklich gemeinsam gen, daß der Mißbrauch in der Ehe, unter sehr anzugehen! Versuchen wir, das noch fehlende Vertrauten, eigentlich schwerer zu bewerten ist als ein Bewußtsein in der Öffentlichkeit, das ich angespro- Mißbrauch durch Fremde, weil Vertrauen dadurch chen habe — leider Gottes habe ich das Fehlen dieses massiv gestört wird. Bewußtseins in vielen Veranstaltungen, in denen ich dieses Thema ganz bewußt angesprochen habe, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) immer wieder gespürt —, zu wecken, und zwar nicht Da werden psychische Verletzungen zugefügt, die dadurch, daß wir aus diesem Thema ein Wahlkampf- sicherlich sehr gravierend sind. thema machen und Schuldzuweisungen hin und her Von daher komme ich für die Frauen der Union, schieben, sondern dadurch, daß wir sensibel mit aber nicht nur für die Parlamentarierinnen der Union dieser Thematik umgehen, daß wir deutlich machen, — ich darf hier den Kollegen Geis, der auch von der daß wir an einer Lösung interessiert sind. Ich bin CSU ist, mit einbeziehen, weil Sie, Herr de With, die überzeugt, daß wir diese dann in der nächsten Legis- CSU vorhin angesprochen haben — zu dem Schluß, laturperiode wirklich gemeinsam erreichen können. daß die Einschränkung des Strafrechts auf Vergewal- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tigungen und sexuellen Mißbrauch außerhalb der Ehe nicht mehr zeitgemäß ist. Wir müssen gleiche Tatbe- Frau Kollegin Brandt- stände gleich und nicht ungleich bewerten. Vizepräsident Hans Klein: Elsweier, Sie haben das Wort. Alle Fraktionen im Deutschen Bundestag sind sich im Prinzip einig, daß sexuelle Gewalt in der Ehe verabscheuungswürdig und ein strafwürdiges Un- Anni Brandt-Elsweier (SPD): Herr Präsident! Meine recht ist. Wir müssen uns bemühen, im Detail zu Damen und Herren! Es ist leider so: Wir müssen uns Regelungen zu kommen, die dem gemeinsamen heute wieder einmal mit dem Thema Strafbarkeit der Anliegen dienlich sind. Vergewaltigung in der Ehe auseinandersetzen. Schon in der Sitzung am 15. Januar 1993 habe ich mich hier Die Frauen in der Union halten es für geboten, dem in meiner Rede inhaltlich mit dem Thema auseinan- Wesen der Ehe als engster Lebensgemeinschaft, die dergesetzt, und so, wie es heute aussieht, wird es nicht unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ord- das letzte Mal gewesen sein. Denn die Regierungs- nung steht, Rechnung zu tragen. Erzwungene sexu- koalition hat wieder in die Trickkiste gegriffen, um elle Handlungen in der Ehe sind nicht nur für das das Gesetzgebungsverfahren zu verzögern, um es in Opfer zutiefst entwürdigend, demütigend und verlet- die nächste Legislaturperiode zu verschleppen. zend, sie bedeuten auch einen Mißbrauch der eheli- chen Lebensgemeinschaft, die — ich denke, hier (Zuruf von der F.D.P.: Die F.D.P. hat den besteht Übereinstimmung — auf Liebe, auf gemein- Antrag nicht gestellt!) same Verantwortung, auf Respekt, auf Toleranz und Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie auf gegenseitige Rücksichtnahme der Partner aufge- mögen es als Erfolg bezeichnen, hier eine Änderung baut ist. Die Ausnutzung physischer Überlegenheit, des Sexualstrafrechts verhindert zu haben, aber glau- 20904 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Anni Brandt-Elsweier ben Sie mir: Die betroffenen Frauen und diejenigen, Frauen geborgen fühlen und offen über ihre Situation die mit ihnen Solidarität üben — und das sind sicher- reden können, so trifft dieses sicherlich nicht das lich nicht wenige —, sehen hier nur die Handlungs- Thema, das wir heute diskutieren. unfähigkeit der Regierung gegenüber den Tätern. Ich Was wir wollen, sind keine leeren Worte. Wir denke, dieses Verhalten wird Ihnen möglicherweise wollen, daß sich die Bundesregierung an die von ihr auch am 16. Oktober quittiert werden. gegebenen Worte hält, und deshalb dürfen wir die Ich bin nur darauf gespannt, wie Sie den Wählerin- Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe nicht mit nen und Wählern die Notwendigkeit einer erneuten der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs ver- Anhörung zu diesem Thema verkaufen wollen. Wel- knüpfen. che neuen Ergebnisse erhoffen Sie sich denn? Ich Die Frauen brauchen auch — und das geht an Sie, denke, die Zielrichtung ist eine ganz andere. Es geht Frau Kollegin Männle —, gerade um das Bewußtsein Ihnen nicht mehr in erster Linie um die angemessene zu ändern, die Hilfe und den Beistand des Gesetzge- Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe, denn bers. Lassen Sie sie nicht noch einmal 22 Jahre wenn ich den Bericht des Rechtsausschusses richtig warten! lese, so fällt mir dort der folgende Satz auf — und das (Beifall bei der SPD, der F.D.P. und der ist hier schon zur Sprache gekommen —: Die PDS/Linke Liste) Problematik sei auch im Hinblick auf die krimi- nologische Indikation mit der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs in Zusammenhang Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Ausspra- gebracht worden. che. Damit ist für mich die Katze aus dem Sack. Sie wollen eine Verknüpfung der Themen Strafbarkeit Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: der Vergewaltigung in der Ehe und Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs. Offensichtlich verfolgt Beratung des Antrags der Abgeordneter Katrin Sie wieder einmal die traumatische Vorstellung, die Fuchs (Verl), Gernot Erler, Robert Antretter, Frau sei ein verantwortungsloses Wesen. Nicht nur weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD das: Diese Vorstellung verstellt Ihnen sicherlich auch die Sicht auf das Wesentliche, denn heute habe ich aus Politische Stärkung und institutioneller Aus- den Redebeiträgen nur gehört, daß wir eigentlich bau der KSZE konsensfähig sind. — Drucksache 12/7959 — Kernproblem ist und bleibt — und dies seit 22 Jah- Überweisungsvorschlag: ren; Kollege Hans de With hat darauf hingewiesen —: Auswärtiger Ausschuß Hat die Frau ein Recht auf sexuelle Selbstbestim- Soweit ich das überblicken kann, haben die vorge- mung, ja oder nein? Wir sagen klar und deutlich: Ja, sehenen Redner ihre Beiträge zu Protokoll gegeben.*) sie hat dieses Recht. Sie stellen diesem deutlichen Ja Ist das Haus damit einverstanden? ein weichgekochtes „Jein" gegenüber. So beweist (Zustimmung) man niemandem Handlungsfähigkeit. Hier muß auf eine ganz einfache Frage eine klare Antwort gegeben — Dann ist das mit der erforderlichen Mehrheit so beschlossen. werden. Wir kommen gleich zur Abstimmung. Wer stimmt Wenn es der Minderheit in der Regierungskoalition für den Antrag? — Gegenprobe! — Stimmenthaltun- also doch noch gelingen sollte, die Mehrheit zu einem gen? — Der Antrag ist einstimmig angenommen. klaren Ja zu bewegen, so muß dies auch für Ehefrauen gelten. Denn niemandem werden Sie glaubhaft begründen können, warum eine Frau, die außerehe- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13a und b auf: lich vergewaltigt wurde, die ungewollte Schwanger- a) Beratung der Beschlußempfehlung und des schaft abbrechen darf, eine vergewaltigte Ehefrau diese Möglichkeit nicht haben soll. Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozial- ordnung (11. Ausschuß) zu dem Antrag der Ich nehme an, Ihre Ministerin für Frauen und Abgeordneten Petra Bläss und der Gruppe der Jugend, , hat einen etwas gestörten PDS/Linke Liste Informationsdraht zu den eigenen Abgeordneten des Änderung des § 116 des Arbeitsförderungsge- Rechtsausschusses. Denn anders kann ich es mir nicht setzes erklären, daß Frau Merkel in der Illustrierten „Super- — Drucksachen 12/6674, 12/7997 — Illu" noch am 16. Juni erklärt, die Vergewaltigung in der Ehe müsse unter Strafe gestellt werden, während Berichterstattung: diese Möglichkeit am gleichen Tage von ihren Kolle- Abgeordneter Hans Büttner (Ingolstadt) gen im Rechtsausschuß verhindert wurde. Wem dür- b) Beratung der Beschlußempfehlung und des fen wir hier bitte schön noch glauben? Sicherlich wird Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozial- es dann zynisch, wenn sich Frau Merkel dann eine ordnung (11. Ausschuß) zu dem Antrag der Woche später an einer großen Telefonanhörung der- Abgeordneten Petra Bläss, Dr. Fritz Schumann selben Illustrierten beteiligt und den Frauen zur (Kroppenstedt), Dr. Gregor Gysi und der Verfügung steht, damit Sie ihnen zuhören kann. Wenn Gruppe der PDS/Linke Liste man dann liest, daß Frau Merkel der Meinung ist, daß wir mehr Beratungsstellen brauchen, in denen sich *) Anlage 11 (Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20905

Vizepräsident Hans Klein Novellierung des Betriebsverfassungsgeset- chen Fragen, die in den letzten Jahren neu entstanden zes sind, keine Bewegungsform für die Beschäftigten und ihre Interessenvertretung vorsieht. — Drucksachen 12/6448, 12/7998 — Handlungsbedarf besteht unserer Auffassung nach Berichterstattung: vor allem durch die Entwicklung neuer Technologien Abgeordneter Heinz Adolf Hörsken und die sich daraus ergebenden Anforderungen an Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die die Arbeitsweise, durch die Erfordernisse des gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgese- Umweltschutzes — Untersuchungen zum Thema „Ar- hen, wobei die Gruppe PDS/Linke Liste zehn Minuten beit und Ökologie" machen deutlich, daß hier der erhalten soll. — Dagegen erhebt sich kein Wider- betrieblichen Interessenvertretung ein enorm wichti- spruch. Dann ist das so beschlossen. ger Bereich zuwächst —, durch Fragen des Daten- Zu Wort gemeldet haben sich PDS, Union und SPD. schutzes, durch Gleichstellungsansprüche von Frauen Als erste erteile ich der Kollegin Petra Bläss das und schließlich durch veränderte Anforderungen an Wort. betrieblichen Gesundheitsschutz und Prävention. Gerade der letzte Punkt erhält durch das von den Petra Bläss (PDS/Linke Liste): Die heute von uns Regierungsparteien nun wohl endgültig verhinderte beantragte Debatte zum Betriebsverfassungsgesetz Gesetzgebungsverfahren zum Arbeitsschutzrecht ak- und zur Änderung des § 116 des Arbeitsförderungs- tuelle Brisanz. Bei allen Mängeln des vorgelegten gesetzes ist uns deshalb so wichtig, weil wir in dieser Arbeitsschutzrahmengesetzes hätte hier die Chance ablaufenden Legislaturperiode noch einen Pflock in bestanden, arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren Sachen Verbesserung der Rechte der abhängig einzudämmen und den Betriebsrätinnen und Be- Beschäftigten setzen möchten. Dies vor allem deshalb, triebsräten in diesen Fragen einen gesetzlich verein- weil sich die vergangenen vier Jahre, die ich in diesem heitlichten und modernisierten H andlungsspielraum Hause miterleben durfte, durch massive Angriffe auf zu eröffnen. Nun müssen sie es selber in die Hand eben diese Rechte auszeichnen. Dazu gehört der nehmen, und genau dazu brauchen sie nicht nur Abbau von sozialen und arbeitsrechtlichen Standards Anhörungs- und Beratungsrechte, sondern sie müssen ebenso wie der Versuch, die Tarifautomonie auszu- wirklich mitbestimmen können. höhlen und Entscheidungsspielräume einzuschrän- Dies ist natürlich nur ein Beispiel. Für die anderen ken. von mir genannten Bereiche gilt das gleichermaßen.- Nun wird uns ja vorgeworfen, daß es sich um Ich will noch einmal sagen, warum wir zu diesem Schaufensteranträge handelt. Wenn das von den Zeitpunkt die Verbesserung der Mitbestimmungs- Regierungsfraktionen kommt, interessiert es mich rechte der Beschäftigten und ihrer Interessenvertre- nicht sonderlich. Daß aber Sie von der SPD dieses tung auf die Tagesordnung gesetzt haben. Wir wollen dümmliche Totschlagargument nachbeten, halte ich damit einen Kontrapunkt setzen gegen die unsägliche für ziemlich daneben und außerdem für reichlich Standortdebatte, die vor allem darauf hinausläuft, mit überheblich. Sie sollten sich einfach daran gewöhnen, Hilfe von Regierungs- und Parlamentsmehrheiten daß Sie keinen Alleinvertretungsanspruch für die die Unternehmerstrategien auf Kosten der abhängig Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerinteressen Beschäftigten durchzusetzen. Der beabsichtigten betreffenden Themen haben, zumal Sie offensichtlich Intensivierung der Arbeit oder der Flexibilisierung keine ausreichenden Anstrengungen unternommen rund um die Uhr sowie der Lohn- und Lohnnebenko- haben, sie so zu besetzen, daß Alternativen zur stensenkung kann nur durch verbesserte Mitbestim- Deregulierungspolitik der Bundesregierung erkenn- mungsrechte auf seiten der Betriebsräte begegnet bar werden. werden. (Beifall bei der PDS/Linke Liste) (Zuruf von der F.D.P.: Dann bekommen wir Wenn der Kollege Büttner uns vorwirft, daß — ich noch mehr Arbeitslose!) zitiere — „die Arbeitnehmer in diesem Land etwas Uns geht es um die Erweiterung ihrer Handlungs- Besseres verdient haben als die schlampige Behand- möglichkeiten und um die Stärkung ihrer Position lung von Sozial- und Arbeitsrechtsgesetzen", dann gegenüber der Kapitalseite. Das entspricht nicht nur kann ich nur entgegnen: Die abhängig Beschäftigten einem Bedürfnis vieler Betriebsrätinnen und Betriebs- in diesem Land und vor allem diejenigen, die ohne räte — und auch da hatten wir inzwischen ausrei- Beschäftigung sind, haben es verdient, daß überhaupt chend Gelegenheit, uns unmittelbar mit Betroffenen jemand ihre Probleme in diesen Bundestag trägt. zu beraten —, nein, unser Vorschlag geht auch zurück Damit haben wir keinen Alleinvertretungsanspruch. auf das Verlangen einer zunehmend qualifizierter (Zurufe von der SPD) werdenden Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmer- — Ich habe gerade gesagt, wir haben den Alleinver- schaft nach demokratischer Beteiligung und Gestal- tretungsanspruch nicht. tungsrechten statt autoritärer Kommandostrukturen und Fremdbestimmung. Kurz und gut, ich bin der Auffassung, daß es richtig ist, daß wir hier und heute über unsere Anträge Das wissen natürlich auch kluge Manager. Deshalb debattieren, zumal in der ersten Lesung zum Betriebs- propagieren sie unternehmensorientierte Beteili- verfassungsgesetz — soweit es aus den zu Protokoll gungskonzepte, die das Ziel haben, diese Bedürfnisse gegebenen Reden nachzuvollziehen ist — Einmütig- im Interesse des Unternehmens zu nutzen. Gruppen- keit darüber bestand, daß das Betriebsverfassungsge- arbeit, Qualitätszirkel und andere von oben initiierte setz weiterzuentwickeln sei, weil es für die zahlrei Maßnahmen sind dafür Beispiele. Nicht selten ist es 20906 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Petra Bläss so, daß sich Resultate dieser Arbeit unmittelbar gegen Nun hat der Kollege Scharping bereits auf dem die Interessen der Beschäftigten selbst richten. DGB-Kongreß erklärt, daß eine SPD-geführte Bun- desregierung nach dem 16. Oktober den jetzigen Die Gestaltungsoptionen von Arbeitnehmerinnen § 116 AFG ändern will. Da machen wir natürlich gerne und Arbeitnehmern müssen bei der Novellierung des mit. Es würde uns gewiß leichter fallen, wenn Sie Betriebsverfassungsgesetzes eine wichtige Rolle spie- heute unseren Antrag nicht ablehnten. len durch verwirklichte Mitbestimmungsrechte der (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Betriebsräte. Wir schlagen deshalb in unserem Antrag vor, daß ein von der Bundesregierung vorzulegender Gesetzentwurf von solchen Grundsätzen ausgeht, wie Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kollege wir sie formuliert haben. Ein zentraler darunter heißt: Hans Büttner. Stärkung der Mitbestimmungsrechte an Stelle von Unterrichtungs- und Beratungsrechten der Betriebs- räte und Erweiterung der Felder, auf denen sie tätig Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Herr Präsident! werden müssen. Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Für die Sozialde- mokratische Partei war und ist die Weiterentwicklung Zum Gesundheitsschutz habe ich eingangs schon der Betriebsverfassung stets ein Hauptanliegen etwas ausführlicher argumentiert. Ich will hier noch gewesen; denn die Betriebsverfassung ist eine auf einen anderen Bereich zu sprechen kommen: wesentliche Grundlage für die Stabilität und Lei- Frauengleichstellung und Frauenförderung. Da wird stungsfähigkeit unserer Wirtschaft und Gesellschaft. mir gern entgegengehalten, wir hätten ja jetzt ein Sie ist aber auch ein wesentlicher Grund für die famoses Gleichberechtigungsgesetz, und damit sei Wertschätzung, die deutsche Unternehmen im Aus- nun alles paletti. Weit gefehlt, werte Kolleginnen und land genießen, wie eine Umfrage der „Financial Kollegen von der Koalition! Dieses Gesetz gilt nur für Times" in diesen Tagen wieder bestätigt hat, eine den öffentlichen Dienst und für sonst gar nichts. Wenn Umfrage übrigens, die ein weiterer Beleg für die die Frauen in der privaten Wirtschaft um gleiche Absurdität der Standortdebatte ist, wie die Bundesre- Rechte kämpfen wollen, müssen sie es selber tun. gierung sie geführt hat, um ihre unsinnige Steuer- und Dazu aber brauchen sie Strukturen wie die der Abgabenpolitik des letzten Jahrzehnts zu kaschie- Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragten, die nicht ren. ernannt, sondern gewählt und mit Entscheidungs- Mitbestimmung und Betriebsverfassung sind rechten ausgestattet werden müssen. Zur Unterstüt- ebenso wie die uneingeschränkte Tarifautonomie die zung der Arbeit der Frauenbeauftragten auf der Garanten für wirtschaftliche Stabilität und wirtschaft- Grundlage eines novellierten Betriebsverfassungsge- lichen Erfolg. Wir Sozialdemokraten betrachten dies setzes bedarf es einer im Gesetz zu regelnden Beweis- als Eckpfeiler solider Wirtschaftspolitik; denn nur lastumkehr, wonach nicht die Frauen den Beweis wenn Arbeitnehmer- und Kapitalseite gleichberech- erbringen müssen, daß gegen Gleichstellung und tigt mitbestimmen können, lassen sich Zufriedenheit Frauenförderung verstoßen wird. und Effektivität, die Voraussetzungen für Produktivi- Mir ist dieser Bereich deshalb so wichtig, weil tät, herstellen. Wir Sozialdemokraten werden dieses offensichtlich bis in die Reihen der CDU hinein Hauptanliegen auch weiterhin verfolgen, so wie wir es akzeptiert wird, daß trotz vorhandener Personalräte schon getan haben, als wir es selbst bestimmen im öffentlichen Dienst Frauenbeauftragte und gesetz- konnten, nämlich bei der Reform des Betriebsverfas- liche Gleichstellungsregelungen notwendig sind. sungsgesetzes 1972. Wir werden es auch tun, wenn Aber die in der privaten Wirtschaft um gleiche Rechte wir wieder eine Mehrheit haben. kämpfenden Frauen bleiben ohne vergleichbaren Die konservative Regierung hat, wie gesagt, in der gesetzlichen Schutz. Deshalb bedarf es dringend der Zwischenzeit nichts unversucht gelassen, um diese Regelung im Betriebsverfassungsgesetz. Mitbestimmung abzubauen. Sie hat damit dazu bei- getragen, daß die Wirtschaft eher geschwächt denn Ich will abschließend noch etwas zu der von uns gestärkt worden ist. vorgeschlagenen Änderung des § 116 des Arbeitsför- Frau Babel, zu Ihrem Zwischenruf vorhin nur eine derungsgesetzes sagen. Ich weiß, daß es um die Bemerkung: Sie sollten sich wirklich einmal die Mühe Durchsetzung der jetzigen Fassung dieses Paragra- machen, mit den Unternehmern und qualifizierten phen 1986 massive Auseinandersetzungen gegeben Managern zu reden, die nun seit Jahrzehnten Mitbe- hat. Trotz heftiger Gegenwehr aus Gewerkschaften stimmung praktizieren und Ihnen bestätigen werden: und Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerschaft ist Ohne diese Mitbestimmung wären viele Krisen über- die sogenannte kalte Aussperrung damals mit Mehr- haupt nicht lösbar gewesen, hätte es viele Möglich- heit beschlossen worden. Deutlicher konnte die Par- keiten zur Umstrukturierung nicht gegeben, jeden- teinahme der Mehrheit dieses Hauses für die Kapital- falls nicht in der Weise, in der wir das in diesem Land seite kaum ausfallen. Die mit dem Streikrecht aner- geschafft haben. kannte strukturelle Unterlegenheit der Arbeitnehme- rinnen und Arbeitnehmer gegenüber dem Kapital (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und wurde damit verstärkt. Das erklärte Ziel dieser denk- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) würdigen Koalition aus Kabinett und Kapital bestand Auch die heute morgen von der Koalition geführte darin, die Beschäftigten zu entsolidarisieren, die Debatte zur Postreform hat gezeigt: Sie hält eigentlich Streikkassen der Gewerkschaften zu plündern und wenig von gleichberechtigter Partnerschaft im Wirt- ihre Kampfkraft zu schwächen. Dies alles paßte zum schaftsleben. Denn bei den derzeit laufenden Tarif- Konzept der neokonservativen Wende. verhandlungen geht es nicht um irgendwelche Son- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20907

Hans Büttner (Ingolstadt) derrechte für die Postgewerkschaft oder für die Post- Was in Bad Harzburg verbreitet wird, was Hewlett ler, Packard und andere verbreiten, ist wortwörtlich aus diesen Broschüren abgeschrieben. Das sollten Sie (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Natürlich geht es auch einmal zur Kenntnis nehmen, bevor Sie so darum!) leichtfertig bestimmte Forderungen aufstellen. sondern es geht lediglich darum — hören Sie einmal Die meisten Vorschläge aus dem Antrag der PDS genau zu und informieren Sie sich —, den Arbeitneh- sind aus dem Forderungskatalog des DGB abge- merinnen und Arbeitnehmern die gleichen Rechte schrieben, Forderungen, die auch die SPD schon in einzuräumen, die es in jedem privatwirtschaftlichen ihrem Programm hatte, bevor es die PDS in ihrer Betrieb gibt. jetzigen Form überhaupt gab, zu einer Zeit also, als Wenn der größte Betrieb Europas, die Deutsche ihre Vorgängerpartei die Mitbestimmung geradezu Bundespost, aus einer staatlichen in eine private auf den Kopf gestellt und mißbraucht hat. Unternehmensform umgewandelt wird, dann haben (Beifall bei der SPD) die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften wohl ein Recht darauf, die gleiche Rechtsstellung zu erhalten, Die Mitbestimmung muß durch eine sorgfältige wie sie z. B. Beschäftigte bei Daimler, Siemens oder Arbeit weiterentwickelt werden. Ich bleibe dabei, VW haben. Auch dort gibt es Betriebsvereinbarungen Kollegin Bläss: Aus diesem Grund sind Ihre Anträge in und Tarifverträge, die neben Lohn und Gehalt auch der Tat nur Schaufensteranträge. Sie sind jung, Sie Sozialleistungen vielfältiger Art bis hin zu Wohnungs- sind engagiert. Sie setzen sich für Vorschläge zugun- darlehen und dergleichen regeln. Diese Leistungen sten der Arbeitnehmer ein. Aber die Initiatoren, die gelten auch bei der Kündigung so lange weiter, bis Sie dazu bewogen haben, genau sechs Monate vor eine neue Betriebsvereinbarung abgeschlossen ist. Ablauf einer Legislaturperiode ein umfassendes Gesetzeswerk — sechs Monate vorher! — auf den Weg Genau dies jedoch wollen die Postunternehmen zu bringen, haben fahrlässig gehandelt. Hierzu nicht. Sie wollen zwar die Weitergeltung dieser Tarif- braucht man genügend Zeit, hierzu braucht man verträge; aber sie wollen sie im Falle der Kündigung genügend Ansätze. auslaufen lassen. Das ist ein eklatanter Rückschritt gegenüber dem jetzigen Recht bei jedem Privatunter- (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Zuruf nehmen. der Abg. Petra Bläss [PDS/Linke Liste]) (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: § 116 ist das - Das werfe ich Ihnen nicht vor, aber ich sage: Für die Thema! Das hat nichts damit zu tun!) Interessen der Arbeitnehmer und für die Würde derer, die den Wohlstand in diesem Lande schaffen, ist es — Das hat damit zu tun, meine liebe Frau Babel. wesentlich wichtiger, zu wissen, daß man sich zu (Erneuter Zuruf der Abg. Dr. Gisela Babel Beginn einer Legislaturperiode auf eine Partei verlas- [F.D.P.]) sen kann, die mit ausreichender Mehrheit für wirkli- che Reformen im Betriebsverfassungsrecht und für — Ich komme schon dazu. Man muß mit Ihnen noch eine Reform des Tarifvertragsrechts eintritt. viel massiver umgehen, weil Sie keine Ahnung haben, wie man Wirtschaft in diesem Lande vernünftig und (Beifall bei der SPD) partnerschaftlich gestaltet. Wir werden — das garantiere ich Ihnen — nach der (Beifall bei der SPD) Bundestagswahl zu Beginn der Legislaturperiode für beide Bereiche entscheidende Reformvorschläge hier Ich sage Ihnen dazu in aller Deutlichkeit: Wenn man auf den Tisch bringen. Wir werden dann mit ausrei- sich über diese Streiks hätte aufregen können, dann chender Mehrheit allen, die diesem Hause dann noch deswegen, weil die Postunternehmen es überhaupt angehören, Gelegenheit geben, darüber mitzubera- dazu haben kommen lassen. Sie hätten Selbstver- ten und sich für eine Weiterentwicklung und Fortent- ständlichkeiten längst unterschrieben haben können, wicklung eines modernen Deutschlands in einer mit- statt sich ständig zu weigern. bestimmten Wirtschaft einzusetzen. Ich komme zu den beiden vorliegenden Beschluß- (Zuruf der Abg. Dr. Gisela Babel [F.D.P.]) empfehlungen. — Ach, wissen Sie, Frau Babel, Ihre Zwischenrufe sind (Zuruf des Abg. Karl-Josef Laumann [CDU/ miserabel; trotzdem halte ich mich zurück. CSU]) (Erneuter Zuruf der Abg. Dr. Gisela Babel — Ich habe noch einige Zeit, ich komme noch auf das [F.D.P.]) zurück, was Sie wollen. — Die Betriebsverfassung, die — Nein, das war kein Fehler. Ihnen unterlaufen Mitbestimmung und die Tarifparität sind durch Ihre ständig nur Fehler. Insofern kommt es auf einen nicht Politik im Land, aber auch durch die europäische weiter an. Entwicklung gefährdet. Ich will nicht wiederholen, was ich in der ersten Lesung schon zu Protokoll Wir werden Ihren Anträgen nicht zustimmen, weil gegeben habe. Interessant dabei ist nur so viel, daß wir die Arbeitnehmer und ihre Interessen wirklich das, was heute unter neuen Managementschulungen ernst nehmen. Sie können zu allem möglichen Schau- verkauft wird, nichts, aber auch gar nichts anderes ist, fensteranträge stellen, aber nicht, wenn es um wirk- als was Sie in den Mitbestimmungsbroschüren des lich ernste Belange der Menschen geht, die wir seit DGB aus dem Jahre 1983 über die Weiterentwicklung Jahrzehnten vertreten und auch weiter zu vertreten der betrieblichen Mitbestimmung nachlesen können. gedenken. 20908 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Hans Büttner (Ingolstadt) Wir können allerdings auch — das sage ich ganz Arbeitnehmer der Bundesanstalt für Arbeit bedienen deutlich — den Beschlußempfehlungen des Aus- können, um Arbeitskampfgewichte zu ihren Gunsten schusses nicht folgen. Die dort getroffene Feststel- zu verschieben. Die Mittel der Beitragszahler nach lung, daß es nicht notwendig sei, die Betriebsverfas- dem Arbeitsförderungsgesetz sind weder als Streik- sung zu reformieren, teilen wir nicht. Wir meinen, sie gelder der Gewerkschaften noch als Aussperrungs- sei zu reformieren. subvention der Arbeitgeber gedacht Ihre Feststellung, daß das Arbeitskampfrecht durch (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: So ist es!) die jetzige Regelung des § 116 AFG einigermaßen paritätisch und fair sei, ist blanker Hohn. Dem können und dürfen als solche auch nicht mißbraucht wer- wir keinesfalls zustimmen. Wir wollen die klare Parität den. in § 116 AFG, die faire Parität, und eine novellierte (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Wer miß- Betriebsverfassung. braucht sie denn?) Deswegen werden wir bei der Abstimmung über die Beschlußempfehlungen mit Nein stimmen. Aus diesem Grunde lehnen wir den Antrag der PDS ab. (Beifall bei der SPD) Nun zum Antrag der PDS, das Betriebsverfassungs- gesetz zu ändern. Sie begründen Ihren Antrag damit, Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Karl - Josef daß sich die gesellschaftliche und betriebliche Wirk- Laumann, Sie haben das Wort. lichkeit erheblich verändert hat. Der Einzug neuer Technologien, die Verwirklichung der Gleichstellung von Frauen und Männern in den Betrieben, der Karl - Josef Laumann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Tarifautonomie bedeutet, Umweltschutz machten eine Änderung des Betriebs- daß Arbeitskämpfe, so hart ihre Auswirkungen für die verfassungsgesetzes aus Sicht der PDS notwendig. Ich betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber auch sein teile grundsätzlich die Auffassung, daß auch ein sehr mögen, möglich sind. So gerne wir den Abschluß von bewährtes Gesetz wie das Betriebsverfassungsgesetz Tarifverträgen ohne Arbeitskämpfe sähen, muß man fortentwickelt werden muß, wenn einige Punkte die- wissen, daß Arbeitskämpfe lebendiger Ausdruck ses Gesetzes überholungsbedürftig erscheinen. Aber, einer freiheitlichen Gesellschaft sind. In einer staatli- meine Damen und Herren, alle Betriebsräte in diesem chen Befehlswirtschaft gibt es keine Freiheit der Land wissen es und werden es auch bestätigen, daß Tarifpartner und somit auch keine Arbeitskämpfe. Ich gerade wir von der CDU immer wieder dafür gesorgt- sage das ganz offen: Ich halte es für einen Witz, daß haben, daß das Betriebsverfassungsgesetz verbessert gerade Sie von der PDS, die ja die Nachfolgerin der worden ist und an die Entwicklung angepaßt SED ist, die die Arbeitnehmer in der DDR viele wurde. Jahrzehnte unterdrückt hat, Aber der Gruppe PDS/Linke Liste — wir sollten uns (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Geknech immer wieder vor Augen halten, daß sie die Nachfol- tet! — Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: So ist es!) gerin der SED ist; viele vergessen das ja anschei- nend — geht es in Wirklichkeit nicht um eine Erwei- die viele Jahrzehnte dafür gesorgt hat, daß es keine terung des Betriebsverfassungsgesetzes, sondern um freien Tarifverhandlungen gab, die viele Jahrzehnte Systemveränderung. Kurz auf den Nenner gebracht: jeden Arbeitskampf verhindert hat und, wenn es Sie machen praktisch aus dem Betriebsrat durch welche gab, sie mit Waffengewalt niedergeschlagen Gesetzesinitiative einen Mitunternehmer. So soll dem hat, es wagen, sich hier um die Parität in Arbeitskämp- Betriebsrat u. a. ein volles Mitbestimmungsrecht über fen zu sorgen. Produktions- und Investitionsprogramme, über Ratio- Wir Arbeitnehmer und auch unsere Gewerkschaf- nalisierungsvorhaben, darüber, welche Produkte her- ten brauchen Ihre Fürsorge nicht. Kommunisten gestellt werden sollen, sowie über eine volle Mitbe- — nichts anderes verbirgt sich ja hinter Ihrer Partei — stimmung in Personalentscheidungen eingeräumt sind die größten Feinde der Tarifautonomie; sie sind werden. Berücksichtigt man zudem, daß dem die größten Feinde von freien Arbeitnehmern und Betriebsrat bereits im Rahmen seiner allgemeinen freien Unternehmern, und sie sind die größten Feinde Aufgaben auch ein Initiativ- und Vetorecht einge- von Wohlstand in diesem Land. räumt werden soll, kann man von einer unternehme- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) rischen Handlungsfreiheit, wenn Ihr Antrag durch- Meine Damen und Herren, dieses sollten alle demo- käme, nicht mehr reden. kratischen Parteien in diesem Land bedenken, wenn Ich halte es in der Praxis für äußerst schwierig — ich sie darüber nachdenken, inwieweit man mit der PDS habe über zehn Jahre einem Betriebsrat angehört —, zusammenarbeiten kann. Volksfrontbündnisse sind in einem Betriebsrat, der ja Mitarbeitervertretung ist, gegen die Menschen in diesem Land gerichtet, und wiederstreitende Interessen, nämlich unternehmeri- wir dürfen sie auf gar keinen Fall zulassen. sches Denken, unternehmerisches Führen, unterneh- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) merisches Handeln und Vertretung von Mitarbeiter- interessen, in Einklang zu bringen. Der Staat hat sich seit Bestehen der Bundesrepublik aus Arbeitskämpfen herausgehalten, und er wird es Im Bereich des betrieblichen Umweltschutzes, der auch weiterhin tun. § 116 des Arbeitsförderungsgeset- weitgehend betrieblicher Arbeits- und Gesundheits- zes in seiner jetzigen Form ist Ausdruck dieser Grund- schutz ist, bestehen bereits nach dem geltenden Recht haltung. Er sichert die Neutralität des Staates, weil er zahlreiche Beteiligungsrechte des Betriebsrates. gewährleistet, daß sich weder Arbeitgeber noch Diese reichen von der Überwachung bestehender Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20909

Karl-Josef Laumann Umweltvorschriften zugunsten der Arbeitnehmer bis Der Staat darf nicht bevormundend oder gar hin zur echten Mitbestimmung bei allen betrieblichen befehlsmäßig in die Konflikte zwischen den Arbeits- Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen vertragspartnern eingreifen. Staatliche Neutralität ist und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheits- eine unabdingbare Voraussetzung für eine gedeih- schutz im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen liche wirtschaftliche Entwicklung. und der Unfallverhütungsvorschriften. Vor diesem Hintergrund entspricht die gegen- Für die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und wärtige Fassung des § 116 Arbeitsförderungsgesetz Männern haben wir für den Bereich des öffentlichen — und hier stimme ich voll und ganz mit dem Votum Dienstes das Gleichberechtigungsgesetz geschaffen, des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung über- das uns hier eine Menge Instrumente an die Hand ein — den Voraussetzungen einer Waffengleichheit geben wird, und diese Entwicklung im öffentlichen bei Arbeitskämpfen. Nach langen ausführlichen Dis- Dienst — da bin ich sicher — wird mittelfristig ihre kussionen hat die Regierungskoalition mit viel Mut im Auswirkungen auch auf die private Wirtschaft haben. Jahre 1986 eine Regelung beim § 116 AFG durchset- Ich glaube, daß wir dadurch weiterkommen. zen können, die sich als ausgewogen und sorgfältig Ein tragender Pfeiler des geltenden Betriebsverfas- ausgearbeitet erwiesen hat. sungsgesetzes ist der Grundsatz, daß der Unterneh- mer wirklich wirtschaftliche Entscheidungen im Es ist eigentlich schon eine Unverschämtheit, wenn Betrieb mitbestimmungsfrei entscheiden kann. Der sich nun ausgerechnet eine Partei wie die PDS, die in Unternehmer soll selbst entscheiden können, in wel- ihrem eigenen Parteinamen dem Sozialismus huldigt, chen Bereich er investieren will, welche Produkte er jener Staats- und Gesellschaftsform, die den Osten herstellen möchte und mit welchem Personalbedarf er Deutschlands heruntergewirtschaftet und die Mehr- die erforderlichen Arbeiten im Betrieb organisiert. zahl der Menschen 40 Jahre lang betrogen hat, Diese Entscheidungsfreiheit ist Ausdruck unserer (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Sehr wahr!) Sozialen Marktwirtschaft, im übrigen das Wirtschafts- system, das den Arbeitnehmern in Deutschland den hier für Arbeitnehmerrechte stark macht. größten Wohlstand in der Geschichte unseres Landes gebracht hat, und dabei wollen wir es belassen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Aus diesem Grunde lehnen wir die von der PDS Auch bei dem von ihr eingebrachten Antrag zur beantragte Änderung des Betriebsverfassungsgeset- Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes sucht zes ab. die Nachfolgepartei der SED das Rad der Geschichte- Danke schön. zurückzudrehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Petra Bläss [PDS/Linke Liste]: Blödsinn!) Wie bei den Änderungsanträgen und Gesetzesvor- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kollegin schlägen zur Rentengesetzgebung und bei der sozia- Dr. Eva Pohl. len Grundsicherung, so geht es auch hier bei der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes dieser Dr. Eva Pohl (F.D.P.): Sehr geehrter Herr Präsident! Partei Meine Damen und Herren! Die Änderung des § 116 (Petra Bläss [PDS/Linke Liste]: Um soziale Arbeitsförderungsgesetz und die Novellierung des Grundrechte!) Betriebsverfassungsgesetzes — beides Anträge der PDS — liegen mit der Beschlußempfehlung und dem um einen grundlegenden Systemwechsel. Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung diesem Hohen Hause vor und dienen uns einmal mehr (Dr. Barbara Höll [PDS/Linke Liste]: Nee, als Grundlage für eine Beschäftigung mit den sozial- nee, nee, Sie müssen das mal gründlich politischen Vorstellungen der PDS. lesen!) (Petra Bläss [PDS/Linke Liste]: Ganz ge Staatliche Bevormundung, Kollektivismus und mög- nau!) lichst wenig Freiheit des einzelnen heißt ihre Lassen Sie mich in Verbindung mit diesen beiden Devise. Anträgen einmal etwas Grundsätzliches sagen: Zu Meine Damen und Herren, ein über Jahrzehnte unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft mit bewährtes Gesetz soll mit diesem Antrag nicht mit ihrer Sozialen Marktwirtschaft gehören konsequen- neuen Fragestellungen systematisch fortentwickelt terweise auch Arbeitsauseinandersetzungen zwi- werden, sondern es soll ausgehöhlt und zum Einsturz schen den Tarifpartnern. Gerade das eigenverant- gebracht werden. wortliche Aushandeln von Tarifen und Arbeitsbedin- gungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, (Lachen und Widerspruch bei der PDS/Linke das den Grundstock für die Prosperität der Bundesre- Liste) publik nach 1949 gelegt hat, war ja ein großer Wie sähe denn das Resultat dieser Novellierung Unterschied zur bankrotten DDR, die 40 Jahre lang aus? Die Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers vom Arbeiter-und-Bauern-Staat fabulierte, aber aus- würde praktisch aufgehoben. Der Betriebsrat würde gerechnet diesen Berufsgruppen noch nicht einmal letztendlich zum Mitunternehmer, genauso wie das existentielle Rechte im Hinblick auf eigene Forderun- auch der Kollege Laumann hier gerade schon gesagt gen zugestehen wollte. hat. Sollten aber solche Vorstellungen realisiert wer- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) den, könnten wir uns als Industriestandort aus Europa 20910 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Dr. Eva Pohl verabschieden. Keine einzige Mark aus dem Ausland Jochen Welt würde bei uns mehr investiert, Wolfgang Lüder (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: So ist c) Beratung der Beschlußempfehlung und des es!) Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß) zu und unsere deutschen Unternehmer würden gera- dem Antrag der Abgeordneten Siegfried Ver- dezu fluchtartig ihre Fertigungsstätten aus Deutsch- gin, Evelin Fischer (Gräfenhainichen), Brigitte land in die Nachbarländer oder gar nach Fernost Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion verlagern. der SPD Rechtsextremismus und Gewalt in der Bundes- (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Kommu republik Deutschland: Fakten, Ursachen und nisten begreifen das nun einmal nicht! Dazu Gegenmaßnahmen sind sie zu dumm!) — Drucksachen 12/5602, 12/7955 — Denn kein potentieller Arbeitgeber würde sich einer Berichterstattung: solchen Knebelung, meine Damen von der PDS, Abgeordnete unterwerfen. Jochen Welt Meine Damen und Herren, Freiheit muß auch Dr. Burkhard Hirsch immer unternehmerische Freiheit — natürlich im Alle Fraktionen und eine Gruppe haben die Bei- Rahmen der Sozialgesetzgebung — beinhalten. Dafür träge ihrer Redner zu Protokoll gegeben. *) Besteht wird die F.D.P. auch weiterhin stehen. damit Einverständnis? — Das ist der Fall. (Zuruf von der PDS/Linke Liste: Nicht mehr Für die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile lange!) ich das Wort der Kollegin Wollenberger. Dafür wird sie auch weiterhin kämpfen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Vera Wollenberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- gen! Die Beratung über die Große Anfrage der Gruppe Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Ausspra- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Maßnahmen gegen che. Wir kommen zu den Abstimmungen. Fremdenfeindlichkeit, Neonazismus und Gewalt sind bereits einmal von der Tagesordnung dieses Hohen- Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit Hauses abgesetzt worden, weil eben diese Tagesord- und Sozialordnung zu dem Antrag der Gruppe PDS/ nung überfüllt war und man darauf Rücksicht nehmen Linke Liste zur Änderung des Arbeitsförderungsge- wollte. setzes, Drucksache 12/7997. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/6674 abzulehnen. Wer Heute stand sie zum zweitenmal auf der Tagesord- stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegen- nung, und es spricht, glaube ich, für das Interesse, probe! — Enthaltungen? Die Beschlußempfehlung oder besser: Desinteresse der Fraktionen und einer ist angenommen. Gruppe in diesem Hause, daß die Reden zu diesem Problem zu Protokoll gegeben wurden. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Gruppe PDS/ (Zuruf von der PDS/Linke Liste: Nach zwölf Linke Liste zur Novellierung des Betriebsverfassungs- Stunden! — Zuruf von der CDU/CSU: Dafür gesetzes, Drucksache 12/7998. Der Ausschuß emp- waren Sie den ganzen Tag nicht da!) fiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/6448 abzuleh- Ich finde es einen schlechten politischen Stil, wenn nen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — unsere Gruppe, die immerhin einen Antrag vorgelegt Wer lehnt sie ab? — Wer enthält sich der Stimme? — hat, Beschlußempfehlung ist angenommen. Die (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das liegt nur daran, daß Ihre Anträge so schlecht sind!) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14a bis c auf: davon nicht einmal unterrichtet worden ist und mir Beratung der Großen Anfrage der Abgeordne- a) dann im Plenum süffisant mitgeteilt wird, ich könne ja ten Vera Wollenberger und der Gruppe BÜND- auch als einzelne Abgeordnete reden, das könne man NIS 90/DIE GRÜNEN mir schließlich nicht verbieten. Ich finde das sehr Maßnahmen gegen Fremdenfeindlichkeit, bezeichnend für den politischen Stil, der hier im Neonazismus und Gewalt Hause herrscht. — Drucksachen 12/4570, 12/7008 — Ich finde das sehr bedauerlich. Ich hätte es besser b) Beratung und Beschlußempfehlung und des gefunden, wenn sich das Parlament ernster nehmen Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß) zu würde. dem Antrag der Abgeordneten und der Gruppe der PDS/Linke Liste Stiftung für die Opfer ausländerfeindlicher Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, darf ich Sie Übergriffe einen Moment unterbrechen. — Erstens rufe ich Sie — Drucksachen 12/2084, 12/6295 — zur Sache. Berichterstattung: Abgeordnete *) Anlage 12 (Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20911

Vera Wollenberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Ich habe zur Sache gesprochen. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Vizepräsident Hans Klein: Zweitens weise ich Sie wurfs eines Gesetzes zu dem Seerechtsüber- darauf hin: Wenn Sie hier eine Stildebatte führen — einkommen der Vereinten Nationen vom Ihre Gruppe ist bei Anträgen, die sie selbst gestellt hat, 10. Dezember 1982 (Vertragsgesetz Seerechts heute dauernd abwesend gewesen. übereinkommen) (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der — Drucksache 12/7829 — SPD) (Erste Beratung 232. Sitzung) Bitte, lassen Sie also dieses Thema und kommen Sie a) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- zur Sache! wärtigen Ausschusses (3. Ausschuß). — Drucksache 12/8185 — Vera Wollenberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Berichterstattung: Herr Präsident, ich bin nicht dafür verantwortlich, daß Abgeordnete Christian Schmidt (Fürth) meine Kollegen bei Anträgen eventuell nicht dagewe- Dr. sen sind. Ich war bei meinem Antrag hier. Deswegen Ulrich Irmer trifft Ihre Kritik auf mich nicht zu. b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Dann spie schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung en Sie sich nicht gegenüber anderen auf! — Drucksache 12/8186 — Zeigen Sie nicht auf andere mit dem Fin Berichterstattung: ger!) Abgeordnete Dr. Klaus Rose Nach diesen Bemerkungen, die ich mir aus dem Dr. Sigrid Huth Plenum anhören muß, habe ich keine Lust mehr, zur Ernst Waltemathe Sache zu reden, weil mir sowieso nicht zugehört wird. Dazu ist interfraktionell vereinbart, die Redebei- Deswegen werde ich meine Rede zu Protokoll träge zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. geben. *) Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist (Gerlinde Hämmerle [SPD]: Wunderbar! Die der Fall. Dann ist es so beschlossen. Märtyrer sind unter uns!) Wir kommen zur Abstimmung über den von der-l- Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zum Seerechtsübereinkommen, Drucksache 12/7829. Der Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Ausspra- Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache che. Wir kommen zu den Abstimmungen. 12/8185, den Gesetzentwurf unverändert anzuneh- Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste zu einer Stiftung zustimmen wollen, sich zu erheben. — Gegenprobe! für die Opfer ausländerfeindlicher Übergriffe, Druck- — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist einstimmig sache 12/6295. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag angenommen. auf Drucksache 12/2084 abzulehnen. Wer stimmt für Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? zu dem Antrag der Fraktion der SPD zum Seerechts — Wer enhält sich der Stimme? — Die Beschlußemp- übereinkommen, Drucksache 12/8185 Nr. 2. Der Aus- fehlung ist angenommen. schuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/6394 Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Be- Rechtsextremismus und Gewalt, Drucksache 12/7955 schlußempfehlung? — Gegenprobe! —Enthaltungen? Nr. 1. Der Innenausschuß empfiehlt zunächst die — Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenom- Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese men. Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltun- gen? — Die Beschlußempfehlung ist einstimmig ange- Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf: nommen. Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem desregierung eingebrachten Entwurfs eines Antrag der Fraktion der SPD zu Rechtsextremismus Gesetzes über die Werbung für Säuglingsan- und Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland, fangsnahrung und Folgenahrung (Säuglings- Drucksache 12/7955 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, nahrungswerbegesetz — SNWG) den Antrag auf Drucksache 12/5602 für erledigt zu — Drucksache 12/7620 - erklären. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? (Erste Beratung 230. Sitzung) — Gegenprobe! — Wer enthält sich? — Die Beschluß- empfehlung ist gegen die Stimmen der Gruppe PDS/ Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- Linke Liste angenommen. schusses für Gesundheit (15. Ausschuß) — Drucksache 12/8146 — Ich muß jetzt noch die Zustimmung des I lauses dazu einholen, daß die Kollegin Wollenberger, die schon Berichterstattung : eine Weile geredet hat, ihre Rede gleichwohl zu Abgeordnete Editha Limbach Protokoll gibt. *) — Die Zustimmung ist erteilt. Ich (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Noch ein bedanke mich. gutes Gesetz!)

*) Anlage 12 (Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll) *) Anlage 13 (Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll) 20912 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Vizepräsident Hans Klein Auch dazu liegt eine interfraktionelle Vereinbarung — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist gegen die vor, die Redebeiträge zu Protokoll zu geben.*) Besteht Stimmen der PDS/Linke Liste angenommen. damit Einverständnis? — Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Der Ausschuß für Gesundheit empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung die Annahme einer Ent- Wir kommen zur Abstimmung über den von der schließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Säug- lung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der lingsnahrungswerbegesetzes auf den Drucksachen Stimme? — Damit ist die Beschlußempfehlung ange- 12/7620 und 12/8146. Ich bitte alle Kolleginnen und nommen. Kollegen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfas- sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist der Wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesord- Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. nung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 30. Juni Dritte Beratung 1994, 10 Uhr ein. Die Sitzung findet im Reichstagsge- bäude in Berlin statt. und Schlußabstimmung: Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, der erhebe sich bitte. — Gegenprobe! Die Sitzung ist geschlossen.

*) Anlage 14 (Nachtrag zu diesem Plenarprotokoll) (Schluß der Sitzung: 21.31 Uhr)

Berichtigung

235. Sitzung, Seite 20629 D, 5. Zeile von unten: statt „ ... 95 % von Ihnen ... " ist „ ... 25 % von ihnen ... " zu lesen. Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20913*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 entschuldigt bis Abgeordnete(r) Liste der entschuldigten Abgeordneten einschließlich Dr. Mildner, Klaus CDU/CSU 29. 6. 94 entschuldigt bis Gerhard Abgeordnete(r) einschließlich Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 29. 6. 94 Antretter, Robert SPD 29. 6. 94 Müller, Günther CDU/CSU 29. 6. 94 Dr. Blank, CDU/CSU 29. 6. 94 Müller (Wadern), CDU/CSU 29. 6. 94 Joseph-Theodor Hans-Werner Blunck (Uetersen), SPD 29. 6. 94 Ostertag, Adolf SPD 29. 6. 94 Lieselott Pfeiffer, Angelika CDU/CSU 29. 6. 94 Böhm (Melsungen), CDU/CSU 29. 6. 94 Pfuhl, Albert SPD 29. 6. 94 Wilfried Dr. Probst, Albert CDU/CSU 29. 6. 94 Brudlewsky, Monika CDU/CSU 29. 6. 94 Purps, Rudolf SPD 29. 6. 94 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 29. 6. 94 Reddemann, Gerhard CDU/CSU 29. 6. 94 Clemens, Joachim CDU/CSU 29. 6. 94 Reimann, Manfred SPD 29. 6. 94 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 29. 6. 94 Dr. Röhl, Klaus F.D.P. 29. 6. 94 Herta Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 29. 6. 94 Dr. Enkelmann, Dagmar PDS/Linke 29. 6. 94 Ingrid Liste Dr. Scheer, Hermann SPD 29. 6. 94 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 29. 6. 94 von Schmude, Michael CDU/CSU 29. 6. 94 Fuchs (Verl), Katrin SPD 29. 6. 94 Schröter, Karl-Heinz SPD 29. 6. 94 Geiger, Michaela CDU/CSU 29. 6. 94 Simm, Erika SPD 29. 6. 94 Genscher, Hans-Dietrich F.D.P. 29. 6. 94 Dr. Soell, Hartmut SPD 29. 6. 94 Götz, Peter CDU/CSU 29. 6. 94 Habermann, SPD 29.6.94 Spilker, Karl-Heinz CDU/CSU 29. 6. 94 Frank-Michael Steiner, Heinz-Alfred SPD 29. 6. 94 Jung (Düsseldorf), Volker SPD 29. 6. 94 Dr. von Teichman, F.D.P. 29. 6. 94 Kastning, Ernst SPD 29. 6. 94 Cornelia Kittelmann, Peter CDU/CSU 29. 6. 94 Thierse, Wolfgang SPD 29. 6. 94 Koschnick, Hans SPD 29. 6. 94 Weisheit, Matthias SPD 29. 6. 94 Dr. Krause (Bonese), fraktionslos 29. 6. 94 Welt, Jochen SPD 29. 6. 94 Rudolf Karl Dr. Wieczorek, Norbert SPD 29. 6. 94 Lehne, Klaus-Heiner CDU/CSU 29. 6. 94 Wohlrabe, Jürgen CDU/CSU 29. 6. 94 Louven, Julius CDU/CSU 29. 6. 94 Wolfgramm (Göttingen), F.D.P. 29. 6. 94 Dr. Matterne, Dietmar SPD 29. 6. 94 Torsten Dr. Meyer zu Bentrup, CDU/CSU 29. 6. 94 Zierer, Benno CDU/CSU 29. 6. 94 Reinhard Zurheide, Burkhard F.D.P. 29. 6. 94

Nachtrag zum Plenarprotokoll 12/237

Deutscher Bundestag

Nachtrag zum Stenographischen Bericht

237. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Inhalt:

Anlage 2 Vertrag vom 24./25. Juni 1994 über den Beitritt weiterer Staaten zur Europäischen Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung Union (Tagesordnungspunkt 19r) 20917* -D über die Gesetzentwürfe a) Änderung des Grundgesetzes, b) Postneuordnungsgesetz, Änderung des Postverfassungsgesetzes Be- Anlage 5 schlußempfehlung zu dem Antrag: Reform der Deutschen Bundespost (Tagesord- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten nungspunkt 2) Friedhelm Julius Beucher, Monika Ganse- Elke Ferner SPD 20915* A forth, Detlev von Larcher, Michael Müller (Düsseldorf), Horst Peter (Kassel), Dr. Her- SPD 20915* A mann Scheer (alle SPD) zur Abstimmung Renate Schmidt (Nürnberg) SPD 20915* C über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 15. April 1994 zur Margitta Terborg SPD 20915* D Errichtung der Welthandelsorganisation Hanna Wolf SPD 20916* B (Tagesordnungspunkt 3 b) 20918* A

Anlage 3 Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Rudolf Schöfberger, Hans Büttner (In- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten golstadt), Ulrike Mascher, Heide Matti- Angelika Barbe (SPD) zur Abstimmung scheck, Horst Kubatschka, Sigrid Skarpelis über den Entwurf eines Zweiten Gesetzes Sperk, Horst Peter (Kassel), Hanna Wolf, zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Geset- Uta Titze-Stecher, Matthias Weisheit, zes (Tagesordnungspunkt 5) 20918* C Bernd Reuter (alle SPD) zur Abstimmung über die Gesetzentwürfe a) Änderung des Grundgesetzes, b) Postneuordnungsgesetz, Anlage 7 Änderung des Postverfassungsgesetzes Be- schlußempfehlung zu dem Antrag: Reform Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- der Deutschen Bundespost (Tagesord- nungspunkt 5 (Entwurf eines Zweiten nungspunkt 2) 20916' D Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterla- gen-Gesetzes) Anlage 4 Dr. Jürgen Schmieder F.D.P. 20919* A Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ingrid Köppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20919* D Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) zur Ab stimmung über den Gesetzentwurf zu dem Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste 20920* C

II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Anlage 8 Edelgard Bulmahn SPD 20931 A Dr. Helmut Haussmann F.D.P. 20932* C Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesord- nungspunkt 6 c (Rückkehr zu einer verfas- Dr. Hans Modrow PDS/Linke Liste 20933* C sungskonformen Haushaltspolitik) Christian Ruck F.D.P. 20934* A Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste 20921* B Helmut Schäfer, Staatsminister AA 20934* D

Anlage 9 Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- nungspunkt 9 (Bericht über die Kontrolltä- Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- tigkeit gemäß § 6 des Gesetzes über die nungspunkt 14 (a Große Anfrage: Maß- parlamentarische Kontrolle nachrichten- nahmen gegen Fremdenfeindlichkeit, dienstlicher Tätigkeit des Bundes — Be- Neonazismus und Gewalt, b — Antrag: richtszeitraum: 1. Juli 1993 bis 20. Juni Stiftung für die Opfer ausländerfeindlicher 1994) Übergriffe, c Antrag: Rechtsextremismus und Gewalt in der Bundesrepublik Dr. Rolf Olderog CDU/CSU 20922* A Deutschland) Dr. Willfried Penner SPD 20923* B Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN 20935* C Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 20924* C Erika Steinbach CDU/CSU 20936* B Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 20924* D Siegfried Vergin SPD 20936* D Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 20938* C Anlage 10 Ulla Jelpke PDS/Linke Liste 20938* D Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- - nungspunkt 10 (Beschlußempfehlungen zu den Anträgen: a — Abschließende Regelun- Anlage 13 gen zur Wiedergutmachung von NS- Unrecht, b — Entschädigung für Opfer Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- nationalsozialistischen Unrechts in den bal- nungspunkt 15 (Gesetzentwurf: Vertragge- tischen Staaten, c Einrichtung einer Stif- setz Seerechtsübereinkommen) tung zum Schutz und zur Bewahrung der Stätten des antifaschistischen Widerstan- Klaus Harries CDU/CSU 20939* C des, d — Gedenkstätten in der Bundesrepu- 20940* A blik Deutschland, e — Zentrale Gedenk- Dietmar Schütz SPD stätte des Bundes) Helmut Schäfer, Staatsminister AA 20941* A Dr. Roswitha Wisniewski CDU/CSU 20925* B Rainer Funke, Parl. Staatssekretär BMJ 20941* C Gert Weiskirchen (Wiesloch) SPD 20927* A Wolfgang Lüder F.D.P. 20927* B Anlage 14

Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- GRÜNEN 20928* B nungspunkt 16 (Gesetzentwurf: Säuglings- nahrungswerbegesetz) Petra Bläss PDS/Linke Liste 20929* A Editha Limbach CDU/CSU 20942* B Siegfried Vergin SPD 20929* D Antje-Marie Steen SPD 20943* A 20944* A Anlage 11 Dr. Dieter Thomae F.D.P. Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste 20944* C Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- nungspunkt 12 (Antrag: Politische Stärkung Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatsse und institutioneller Ausbau der KSZE) kretärin BMG 20945* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20915*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 2 Grundsätzlich bedauern wir, daß der Postdienst auch wegen des Widerstandes des gegenwärtigen Erklärungen nach § 31 GO Postministers keine öffentliche Aufgabe mehr ist und zur Abstimmung über die Gesetzentwürfe damit der postalische Universaldienst nicht mehr in a) zur Änderung des Grundgesetzes staatlicher Hand bleibt. b) Postneuordnungsgesetz, Änderung des Postverfassungsgesetzes Wir vertreten die Auffassung: Eine Postreform muß kommen, aber nicht diese. Denn sowohl in ordnungs- Beschlußempfehlung zu dem Antrag: politischen Grundfragen als auch in den entscheiden- Reform der Deutschen Bundespost den Weichenstellungen zur Kompetenz der öffentlich (Tagesordnungspunkt 2) rechtlichen Holding Deutsche Bundespost sind noch keine befriedigenden Ergebnisse erzielt worden. Elke Ferner (SPD): Wegen eines Trauerfalles im engeren Freundeskreis kann ich an dieser Abstim- mung nicht teilnehmen. Renate Schmidt (Nürnberg) (SPD): Ich bin der Auffassung, daß die Reformierung und Privatisierung Ich habe in meiner Fraktion bereits gegen die der Postdienste dringend notwendig ist. gemeinsame Einbringung der Postreform II ge- stimmt. Jedoch ist es in einer durch Streiks gekennzeichne- ten Atmosphäre kurz vor den Neuwahlen zum Deut- Nach Abschluß der Verhandlungen und nach Wür- schen Bundestag nicht möglich, vernünftige Kompro- digung der erreichten Ergebnisse sehe ich mich im misse zu finden. Ergebnis nicht in der Lage, der Postreform zuzustim- men. Die Entscheidung über die Postreform II könnte ebenso vom neu gewählten Parlament in Überein- Im übrigen schließe ich mich der Erklärung meines stimmung mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Kollegen Albrecht Müller an. nehmern getroffen werden. Die Gründung der Privat- unternehmen könnte auch auf diese Weise noch Walter Kolbow (SPD): Den Gesetzen zur Neuord- rechtzeitig erfolgen. nung von Post und Telekommunikation und der damit Der noch nicht erfolgte Abschluß des Sozialtarifver-- verbundenen Änderung des Grundgesetzes können trages sowie die noch nicht abgeschlossene Nichtbe- wir derzeit nicht zustimmen. nachteiligungsklausel sind weitere Argumente dafür, Bei aller Würdigung der geführten Verhandlungen, zum jetzigen Zeitpunkt nicht über die Grundgesetz- insbesondere des sozialdemokratischen Verhand- änderung abzustimmen. lungsführers Gottfried Bernrath werden die Gesetze Aus diesen Gründen werde ich mich an der heuti- verabschiedet, ohne daß ein Sozialtarif- und Mitbe- gen Abstimmung zur Postreform II nicht beteiligen. stimmungstarifvertrag zwischen den Tarifpartnern Deutsche Postgewerkschaft und Postunternehmen vereinbart worden ist. Dies ist für uns nicht hinnehm- Margitta Terborg (SPD): Eine Änderung des Grund- bar. gesetzes und die Postreform II lehne ich ab. Der Eine persönliche Bewertung des vorliegenden Geschäftsordnung folgend begründe ich dieses Gesetzes ergibt für uns im weiteren: Stimmverhalten nachstehend wie folgt: 1. Es ist bis zum heutigen Tag nicht gelungen, die Gewitzt durch üble Praktiken in der Vergangenheit, Versorgungsansprüche der Arbeiter und Angestellten die diese Koalition zu verantworten hat, weiß ich durch eine Bundesgarantie für den Insolvenzfall eines nämlich nicht, wie lange die heute gegebenen Zusa- Unternehmens abzusichern. gen gelten, und ob ich mit meiner Zustimmung zur Verfassungsänderung nicht doch den Weg zu Verän- 2. Es ist nicht gelungen, eine Kapitalmehrheit des derungen öffne, die weit über die heute getroffenen Bundes bei den Unternehmen Telekom und Post- Verabredungen gehen. dienst dauerhaft festzuschreiben. Es gibt auch keine verfassungsrechtliche Klarstellung, daß die Unterneh- Das liegt daran, daß Sie sich, meine Damen und men Telekom und Postdienst auf Dauer Träger des Herren von der Koalition, als Verhandlungspartner Infrastrukturauftrages sind. diskreditiert haben. Sie sind nicht fair und Kompro- misse gelten für Sie nur so lange, bis Sie die Zeit für 3. Die Manteltarifvertragskompetenz der Unterneh- gekommen halten, gegebene Zusicherungen zu bre- mensholding wird nicht gestärkt. chen. 4. Der Verbund Postdienst/Postbank wird nicht Deshalb werde ich einer Änderung des Grundge- gestärkt. Die Rahmenvereinbarung Postdienst/Post- setzes nicht zustimmen. Ich nenne weitere sechs bank ist so gefaßt, daß eine dauerhafte enge Zusam- Gründe für mein Stimmverhalten. menarbeit als Garant für die Erhaltung des flächen- deckenden und damit bürgernahen Filialnetzes des 1. Wenn Sie heute zusichern, daß die Verkaufser- Postdienstes nicht erreicht wird. Es wurde im Gegen- löse „vorrangig" der Post zufließen sollen, dann ist mir teil die Beteiligung des Postdienstes an der Postbank das zu wenig. Der Finanzminister hätte es in der Hand, im Gesetz auf null reduziert. letztlich zu bestimmen, was Vorrangigkeit für ihn 20916* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 bedeutet. Ihm würde eine Blankovollmacht ausge- Gemeinwohl herausgenommen werden und nur noch stellt. Das will ich nicht. den Bestimmungen des Aktiengesetzes und nicht mehr den Weisungen des Ministeriums unterlie- 2. Volks- und betriebswirtschaftlich wäre es sinn- gen. voll, daß „gelbe Post" und Postbank zusammenarbei- ten und besonders in der Fläche gemeinsame Schal- Die negativen Konsequenzen für die Wohnbevölke- terdienste betreiben. Man spricht von einer Art rung sind jetzt schon sichtbar: „Schaltergesellschaft". Wie lange hält diese Kon- — Sogenannte „nicht rentable" Postämter wurden struktion, so frage ich mich und was geschieht, wenn und werden geschlossen. Dies führt für die Bürge- zwei eigenständige und in Privathand befindliche rinnen und Bürger zu längeren Wegen und zur Unternehmen sich von dieser Fessel lösen? Da das Erhöhung von unerwünschtem Verkehrsaufkom- empfindliche Rückwirkung für die Versorgung auf men. dem flachen Lande hätte, befriedigt mich die Lösung nicht, ich lehne sie ab. — Ortsgespräche sollen im Gegensatz zu Fernge- sprächen erheblich teurer werden. Dies schränkt 3. Wir haben gerade das dramatische Ringen um unwillkürlich die Kommunikationsmöglichkeiten den Abschluß längerfristiger Tarifverträge miterlebt, von ohnehin weniger mobilen Teilen der Bevölke- die alle unter dem Blickpunkt geschlossen wurden, rung erheblich ein. sozusagen im Vorfeld die Zustimmung zur Verfas- sungsänderung zu erleichtern. Das stimmt mich sehr Gegen beide Maßnahmen ist von vielen Seiten nachdenklich. Auch Tariverträge kann man ändern. protestiert worden, namentlich von vielen Senioren- Die neuen Eigner wären töricht, wenn sie sich lang- verbänden und Seniorenbeiräten. Sie hatten bisher fristig und praktisch fremdbestimmt vertraglich fes- jedoch keinen Erfolg. seln ließen. Die rücksichtslose Anwendung der Gesetze des 4. Mit dieser Postreform werden die Postunterneh- Marktes bevorzugt nur eine kleine Zahl von Großkun- men mit den Altlasten befrachtet, die aus aufgelaufe- den. Dies geht langfristig auf Kosten der gesamten nen Versorgungsansprüchen resultieren. Wir reden Infrastruktur und birgt nicht nur wirtschaftliche, son- hier von einem Brocken von 35 Milliarden Mark. dern auch damit einhergehende soziale Gefahren. Werden sie den Postunternehmen aufgehalst, gehen sie mit einem gewaltigen Handikap in den Wettbe- werb. Dafür gebe ich meinen Arm nicht her.

5. Daß die Versorgungsansprüche der Beamten gesichert sind, ist so selbstverständlich, daß ich darin Anlage 3 keinen Vorteil sehe. Gleiches gilt für die Zusatzver- sorgungsansprüche der Arbeiter und Angestellten bei den drei Unternehmen. Hier wird nur dem Rechts- Erklärung nach § 31 GO grundsatz entsprochen, daß man eingegangene Ver- der Abgeordneten Dr. Rudolf Schöfberger, tragspflichten einzuhalten hat. Wird allerdings bei Hans Büttner (Ingolstadt), Ulrike Mascher, allen Neuzugängen eine andere Form der Alterssiche- Heide Mattischeck, Horst Kubatschka, rung gewählt und davon ist auszugehen —, entsteht Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Horst Peter (Kassel), für diese Arbeitnehmer die Situation, daß sie nicht nur Hanna Wolf, Uta Titze-Stecher, schlecht bezahlt wären, sondern künftig auch eine Matthias Weisheit, Bernd Reuter (alle SPD) ungenügende Alterssicherung hätten. Das muß ich zur Abstimmung über die Gesetzentwürfe bei meiner Entscheidung beachten. Ein Grund mehr, a) zur Änderung des Grundgesetzes nicht zuzustimmen. b) Postneuordnungsgesetz, Änderung des Postverfassungsgesetzes Und nun mein 6. Einwand: Sie wollen die Voraus- Beschlußempfehlung zu dem Antrag: setzungen dafür schaffen, das Tafelsilber der Nation Reform der Deutschen Bundespost verscherbeln zu können. Sie wollen es in hektischer (Tagesordnungspunkt 2) Eile tun, der Stempel der Unwahrhaftigkeit steht diesem Unterfangen auf der Stirn. Post und Telekommunikation dienen einem menschlichen und gesellschaftlichen Grundbedürfnis Ich halte es für keinen Nachteil, wenn erst in der und damit der elementaren Daseinsvorsorge. Post- nächsten Legislaturperiode entschieden würde. Mit und Kommunikationspolitik ist daher Gesellschafts- Partnern, auf deren Seriosität Verlaß ist. politik, nicht nur Wirtschaftspolitik. Wir sind wie die Mehrheit des Bundestages für ein Aus all den genannten Gründen stimme ich gegen leistungsstarkes, bürgernahes, kostengünstiges und eine Änderung des Grundgesetzes und gegen die auch international wettbewerbsfähiges Post- und Postreform II. Telekommunikationswesen. Die flächendeckende In- frastruktur ist Voraussetzung einer am Gemeinwohl orientierten Daseinsvorsorge. Nicht zuletzt legen wir Hanna Wolf (SPD): Ich kann der Privatisierung der ganz besonderen Wert auf menschenwürdige Lebens- Post vor allem nicht zustimmen, weil die Dienste der und Arbeitsbedingungen für 670 000 Beschäftigte, die Post dann aus der Verpflichtung gegenüber dem uns allemal wichtiger sind als der Profit. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20917*

Wir können der sogenannten „Postreform II" aus 7. Nach dem Gang an die Börse wird sofort filetiert folgenden Gründen nicht zustimmen: werden: Für die Aktien der unrentablen Postdienst AG wird der Bund allenfalls Spottpreise erzielen, die 1. Die „Postreform II" mag zwar geeignet sein, die Aktien der rentablen Telekom AG werden reißenden künftige Wettbewerbsfähigkeit der Telekom auf dem Absatz finden, aber sicher nicht in Streubesitz kom- europäischen Markt zu stärken. Der dafür zu zahlende men. Die Postbank AG wird wegen ihres attraktiven Preis, die Zerschlagung und Totalprivatisierung des Zweigstellennetzes von einer Großbank geschluckt größten Unternehmens in Europa, ist uns viel zu hoch. werden. Insgesamt wird abermilliardenschweres Die Wettbewerbsfähigkeit ließe sich auch anderwei- Volksvermögen in konzentrierten Privatbesitz über- tig sichern, z. B. durch weiteren Abbau beamtenrecht- führt. Dies ist ein skandalöser Beitrag zur weiteren licher, hierarchischer und bürokratischer Strukturen, Verschärfung des Verteilungsunrechts in der Bundes- durch Einführung eines zukunftsorientierten, innova- republik. Die Zeche für die neue Vermögenskonzen- tionsfreudigen Managements oder durch eine Son- tration zahlen die Postbenutzer. derlösung für Telekom. 8. Als Folge der Privatisierung und der künftigen 2. Die „Postreform II" bricht mit einer in Deutsch- Gewinnorientierung ist in absehbarer Zeit mit drasti- land seit Jahrhunderten bestehenden und bis heute schen Preiserhöhungen, mit dem Einstellen unrentab- wohlbegründeten Verfassungstradition, wonach die ler Dienstzweige, mit Massenentlassungen, mit deut- Post öffentlich-rechtlich organisiert ist und damit im lich höherem Leistungsdruck auf die Beschäftigten Dienste des Gemeinwohls und nicht des privaten und deshalb mit harten Lohnkämpfen zu rechnen. Profits steht. Wer für den blanken Kapitalismus sorgt, darf sich nicht wundern, wenn er ihn bekommt. 3. Die „Postreform II" fördert gewollt oder unge- wollt die Verwirklichung der neoliberalen Ideologie, 9. Selbst wenn man der „Postreform II" ganz oder wonach sich der Staat gefälligst auf die kostspielige teilweise zustimmen könnte, ist die heutige Entschei- und nichtprofitable Sicherung bestehender Eigen- dung des Bundestages eine Brüskierung der Deut- tums- und Machtverhältnisse durch Bundeswehr, schen Postgewerkschaft und des Deutschen Gewerk- Polizei und Justiz, auf die kostenträchtige Bereitstel- schaftsbundes, der wir uns als Sozialdemokratinnen lung von Infrastrukturen (z. B. Straßenbau), auf die und Sozialdemokraten wie als Gewerkschaftsmitglie- Ausbildung von Menschen für den Verwertungspro- der energisch widersetzen. Die Postgewerkschaft zeß und allenfalls auf die (noch) nicht profitablen kämpft in diesen Tagen zäh und mit Warnstreiks um Zweige der Daseinsvorsorge zu beschränken habe, die Sicherung der durch die Privatisierung bedrohten und alles, was gewinnträchtig ist oder werden könnte, sozialen Rechte und der Mitbestimmung der Beschäf- nach dem Motto „social costs and private benefit" dem tigten. Die begleitende Anzeigenkampagne der ungehinderten Profitstreben Privater überlassen Arbeitgeber zeigt uns bereits jetzt, was die 670 000 bleibt. Beschäftigten künftig zu erwarten haben und was dagegen vorbeugend getan werden muß. Wir sind 4. Die „Postreform II" zerschlägt ein ehemals lei- nicht bereit, eine wie immer geartete „Postreform II" stungsstarkes einheitliches oder jetzt zumindest noch ohne Sicherung der sozialen Rechte und der Mitbe- verbundenes Post- und Fernmeldewesen in drei selb- stimmung von 670 000 Beschäftigten zu verabschie- ständige Teile. Damit zerschlägt sie den bisherigen den. Finanzverbund, der sowohl bürgerfreundliche Tarife im Postdienst aber auch regelmäßige Milliardenab- führungen an den Bundeshaushalt gewährleistet hat, deren künftiger Ausfall unverantwortlich ist. 5. Die drei Teile der ehemaligen Deutschen Bundes- post werden in Aktiengesellschaften umgewandelt Anlage 4 und völlig privatisiert, statt sie zumindest als öffent- lich-rechtliche Körperschaften zu organisieren. Nach Erklärung nach § 31 GO einer dürftigen Übergangsfrist behält sich der Staat der Abgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) weder die Aktienmehrheit (wie bei der Bahn AG) noch zur Abstimmung über den Gesetzentwurf einen nachhaltigen rechtlichen oder politischen Ein- zu dem Vertrag vom 24./25. Juni 1994 fluß auf die künftigen AGs vor. Damit werden diese über den Beitritt weiterer Staaten AGs mittelfristig nur noch nach marktwirtschaftlichen zur Europäischen Union Grundsätzen d. h. profitorientiert geführt werden. (Tagesordnungspunkt 19r) Über kurz oder lang steht der dürftige Infrastruktur- vorbehalt auf dem Papier. Infrastruktur nur noch, wenn und so lange sie sich rentiert. Die umfangreiche Wir stimmen dem Gesetzentwurf zu. Wir lehnen Stillegung gut frequentierter aber dennoch „unren- allerdings den Bezug auf Artikel 59 GG ab, weil aus tabler" Großstadt-Postämter und der Rückzug der guten rechtlichen Gründen auch Artikel 23, Abs. 1 Post aus dem Land läßt für die Zukunft Böses befürch- Satz 3 GG zur Grundlage gemacht werden könnte. ten. Der Streit über diese Frage ist aber bei der Frage der Erweiterung der Europäischen Union um Österreich, 6. Vor dem Gang an die Börse muß der Bund die drei Finnland, Schweden, Norwegen deshalb irrelevant, AGs mit Milliarden Steuergelder (z. B. für Pensionsla- weil im Deutschen Bundestag alle Fraktionen der sten) entschulden und sanieren, damit die AGs über- Erweiterung zustimmen, mithin die Zwei-Drittel- haupt börsenfähig werden. Mehrheit erreicht ist. 20918* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Anlage 5 Umweltklauseln in Weltwirtschaft und Welthandel aufzunehmen. Negative Effekte zu Lasten der Umwelt Erklärung nach § 31 GO und sozial schwächerer Gruppen dürfen nicht länger der Abgeordneten Friedhelm Julius Beucher, externalisiert werden. Alle verantwortlichen Positio- Monika Ganseforth, Detlev von Larcher, nen fordern eine Intemalisierung der sozialen und Michael Müller (Düsseldorf), Horst Peter (Kassel), ökologischen Kosten in die Preisbildung. Das GATT Dr. Hermann Scheer (alle SPD) -Abkommen provoziert das Gegenteil: Sozial- und zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes Umweltdumping. zu dem Übereinkommen vom 15. April 1994 Diese Form des Freihandels zwischen Ländern und zur Errichtung der Welthandelsorganisation Unternehmen mit großer unterschiedlicher Kosten- (Tagesordnungspunkt 3 b) internalisierung ist sozialpolitisch äußerst ungerecht, verzerrt den Wettbewerb und führt zum Raubbau an Wir stimmen dem Gesetz nicht zu, weil wir es für der Natur. Sie schränkt letztlich demokratische Hand- unverantwortlich halten, daß diese wichtige Entschei- lungsmöglichkeiten ein und verbaut wirtschaftlich dung über die Zukunft der Weltwirtschaft ohne sorg- sinnvolle Entwicklungsspielräume. Deshalb lehnen fältige Beratung im Parlament und in den Ausschüs- wir den Entwurf ab. sen durchgezogen wird. Wir stellen fest, daß der Vertragstext bisher nicht in deutscher Sprache vor- liegt. Wichtige Ausschüsse hatten nicht die Möglich- keit, dieses Gesetz der Bedeutung entsprechend zu beraten. Anlage 6

Zwei Jahre nach dem Erdgipfel von Rio ist das Erklärung nach § 31 GO Übereinkommen vom 15. April 1994 ein falsches der Abgeordneten Angelika Barbe (SPD) Signal. Es ist nicht glaubwürdig, sich auf der UN- zur Abstimmung über den Entwurf Konferenz zu einem Kurswechsel in Richtung auf eine eines Zweiten Gesetzes zur Änderung dauerhafte Entwicklung zu verpflichten, aber schon des Stasi-Unterlagen-Gesetzes kurze Zeit später mit dem GA TT Entscheidungen zu (Tagesordnungspunkt 5) treffen, die darauf keine Rücksicht nehmen und die Fehlentwicklungen sogar verschärfen. Leider ist die jetzige Novellierung unter Ausschluß Das ausgehandelte Übereinkommen verfestigt die der Betroffenenverbände und der Landesbeauftrag- krisenhaften Strukturen der Weltwirtschaftsordnung ten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes und ist nicht in der Lage, die großen sozialen, ökolo- der ehemaligen DDR auf den Weg gebracht wor- gischen und ökonomischen Probleme der Weltge- den. meinschaft zu lösen: Die ökologische Krise wird ins- besondere durch das exponentielle Wachstum der Nach dem Urteil der Landesbeauftragten und der Verkehrsströme und des Energieumsatzes verschärft, Betroffenenverbände sind die vorgesehenen Ände- in der Entwicklungszusammenarbeit wird die Kluft rungen unwesentliche Probleme des derzeit gelten- zwischen Arm und Reich vertieft, ökonomisch wird an den StUG. den Strukturen festgehalten, die für die zunehmende Andererseits bleiben inzwischen deutlich gewor- Instabilität auf den Weltmärkten verantwortlich sind. dene Fragen unberücksichtigt, wie z. B. Insgesamt ist das GATT-Abkommen nicht in der Lage, die existentiellen Herausforderungen der Weltge- — die Einbeziehung hauptamtlicher Mitarbeiter des meinschaft, die zunehmend aus dem Gleichgewicht Arbeitsgebietes 1 der Kriminalpolizei gerät, zu bewältigen. Im Gegenteil wird die soziale — die Auskunftserteilung des politisch-operativen Kluft vertieft und ökologische Zerstörungsdynamik Zusammenwirkens zwischen MfS, SED und Teilen weiter beschleunigt. der Verwaltung Es hat sich historisch als ein Irrtum erwiesen, daß die — die Erweiterung des überprüfbaren Personenkrei- Orientierung am maximalen Produktionswachstum, ses u. ä. an den Methoden der expansiven Industrialisierung und den bisherigen Formen des Freihandels zu all ge- Außerdem wird befürchtet, daß die beabsichtigten meinem Wohlstand und dauerhafter Stabilität führt. Strafbestimmungen dazu führen werden, daß in Pri- Tatsächlich werden im GA TT zentrale Fragen wie die vathand befindliche MfS-Unterlagen bzw. -Kopien in Verteilung wirtschaftlicher Macht, die Zerstörung der Zukunft ins Ausland verbracht und dort veröffentlicht Natur und die Zwänge der Geldwirtschaft ausgeblen- werden. det. Die GATT-Vereinbarungen weisen keinen Weg Die vorgesehene Kostenregelung birgt die Gefahr zur Herstellung von Chancengleichheit und zum in sich, daß freie Träger wie Betroffenenverbände, Schutz der Umwelt, sondern helfen denen, die über Bürgerkomitees und Privatpersonen weitestgehend große Macht verfügen und die Märkte beherrschen. von der Forschung und Nutzung von MfS-Unterlagen Dies ist in einer ungleichen Welt mit ungleichen für die politische Bildung ausgeschlossen sind, wenn Wettbewerbsbedingungen, endlichen Rohstoffen und sie nicht über genügend finanzielle Mittel verfügen. störanfälligen Öko-Systemen unverantwortlich. Das StUG wurde im Interesse der MfS-Opfer verab- Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich Ver- schiedet und sollte nicht über deren Köpfe hinweg handlungen über weltweit wirksame Sozial- und geändert werden. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20919*

Anlage 7 erweitert. Dies ist gerechtfertigt, da das Gesetz hin- sichtlich der übrigen Rechte nahe Angehörige ähnlich Zu Protokoll gegebene Reden wie Betroffene und Dritte behandelt, weil eine ver- zu Tagesordnungspunkt 5 gleichbare Interessenlage besteht. (Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes) Durch die vorgesehene Änderung wird eine gerech- tere Regelung im Kostenbereich erzielt. (F.D.P.): Bei der Diskussion Dr. Jürgen Schmieder Bei der Bußgeldvorschrift wird ein redaktionelles über eine Novellierung des Stasi-Unterlagengesetzes Versehen bereinigt, durch das derzeit die Nichther- ist es zwingend erforderlich, selbstverständlich auch ausgabe von Duplikaten nicht mit Bußgeld belegt das Stasi-Unterlagen-Gesetz selbst zu betrachten. Der werden kann. Mit diesen Änderungen wird die Novel- erste Jahresbericht des Beauftragten für die Unterla- lierung vorerst abgeschlossen. gen des Staatssicherheitsdienstes belegt eindeutig: Das StUG hat sich in der Praxis bewährt. Auch die lange diskutierte Veränderung des § 44, Abgesehen von kleinen Formkorrekturen geht es die unter Umständen eine Beeinflussung der Presse- jetzt darum, kleine Ungerechtigkeiten, die sich beim freiheit herbeigeführt hätte, wurde zumindest vorerst Alltagsgeschäft herausgestellt haben, zu beseitigen. aufgeschoben und in die jetzige Novellierung nicht Ohne diese Veränderung wäre natürlich weiterhin einbezogen, da hier noch dringender Diskussionsbe- der Gebrauch des StUG gegeben. Jetzt werden beste- darf besteht. Die Notwendigkeit einer umfassenderen hende Unterschiede zwischen privaten und öffentli- Novellierung des Gesetzes kann derzeit noch nicht chen Nutzern, insbesondere der Medien, beseitigt. abschließend beurteilt werden, insbesondere deshalb, Gleichzeitig wird ein redaktionelles Versehen aus weil die für diese Entscheidung erforderliche Kenntnis dem ersten Durchgang der Gesetzesberatung vor der Rechtstatsachen noch nicht gegeben ist. Es ist zu zwei Jahren korrigiert. Der Bericht des Bundesbeauf- erwarten, daß die vollständige Erschließung der tragten weist aber auch auf die großartige Leistung Akten in absehbarer Zeit durchgeführt sein wird. seiner Behörde hin. Daher möchte ich hier die Gele- Daraus ergibt sich dann die Möglichkeit, daß eine genheit nutzen, allen Mitarbeitern der Gauck gegebenenfalls erforderliche umfassendere Novellie- Behörde noch einmal für die geleistete Arbeit zu rung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes im Laufe der danken. kommenden Legislaturperiode in Angriff genommen Damit die Arbeit in der Behörde auch in Zukunft werden könnte. - ordnungsgemäß und reibungslos ablaufen kann, bitte ich den Innenminister, Herrn Kanther, für drei Schwerpunktbereiche den Einstellungsstop aufzuhe- Ingrid Köppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit ben. In der Außenstelle Chemnitz der Gauck-Behörde einigen Tagen ist bekannt, daß der BND seit 1990 fehlt beispielsweise dringend ein Mitarbeiter für den Informationssammlungen nutzt, die die Stasi über Bereich Archiv. Darüber hinaus gibt es noch zwei bespitzelte DDR-Bürger angelegt hat. Es handelt sich Stellen, die im Interesse der Arbeitsfähigkeit der dabei u. a. um 329 operative Vorgänge, um Informa- Behörde unbedingt besetzt werden müssen. tionen über DDR-Bürger, die Ausreiseanträge gestellt hatten, legal die DDR verlassen hatten oder aus der Doch nun zur eigentlichen Novellierung des StUG: DDR geflohen sind. Diese geheimdienstliche Nutzung Nur in einigen Punkten hat sich, wie schon angespro- von Stasi-Material über Betroffene ist ein eindeutiger chen, kurzfristig ein Änderungsbedarf ergeben. Verstoß gegen das entsprechende Verbot im § 25 des Betroffen davon sind die Anzeigepflichten, die Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Hier hat sich der BND Kostenregelung sowie die Bußgeldregelung. zum Erben des MfS gemacht. Die Anzeigepflichten in § 7 Abs. 1 und 3 gegenüber dem Bundesbeauftragten beziehen sich bisher nur auf Doch nicht mit diesem Gesetzesverstoß beschäftigt Originalunterlagen, während die Herausgabepflicht sich die Debatte um das StUG heute. Sondern es geht auch für Duplikate gilt. Diese Herausgabepflicht um eine Novellierung des Gesetzes zum Nachteil der besteht allerdings nur auf ausdrückliches Verlangen öffentlichen Auseinandersetzung mit der Stasi-Pro- des Bundesbeauftragten. Es ist daher zwingend erfor- blematik. derlich, daß dieser erst einmal von der Existenz der Duplikate Kenntnis erhält. Eine große Koalition aus CDU/CSU, SPD und F.D.P. beabsichtigt, u. a. eine Anzeigepflicht für „Kopien, Die Anzeigepflicht wird sich deshalb auch auf Abschriften oder sonstige Duplikate" von MfS-Mate- Duplikate erstrecken, im öffentlichen wie im nicht- rial einzuführen. öffentlichen Bereich. Die Änderung des § 42 (Kostenregelung) ist Angezeigt werden müßten hiernach in der Praxis notwendig, da Forschung und Medien bisher für z. B. all die vielen seit 1989 erschienenen Bücher und Auskünfte und Kopien weder Personal- noch Mate- Broschüren sowie Zeitungen und Zeitschriften, die rialkosten tragen müssen. Im Zuge einer Gleich- aus Stasi-Unterlagen zitiert oder solche auszugsweise stellung mit anderen Antragstellern, denn selbst nachgedruckt haben. Wer zu Hause z. B. noch einen Betroffene müssen ihre Kopien bezahlen, sind hier alten „Spiegel", „Stern", „Focus", die FAZ, die „an- demnach auch Forschung und Medien einzubezie- dere" oder gar die „Super-Illu" liegen hat, dem droht hen. Gleichzeitig wird die Gebührenfreiheit für nun mit gewisser Wahrscheinlichkeit Bußgeld bis zu Betroffene und Dritte bei Auskunft und Akteneinsicht einer halben Million, wenn der Behörde diese auch auf die nahen Angehörigen der Betroffenen Bestände nun nicht rasch angezeigt werden. 20920* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Entsprechend müßten Verlage und Medien, die dende Behinderung des Begreifens unserer gemein- jemals über das MfS berichtet haben oder dies noch samen deutschen Vergangenheit." vorhaben, jetzt sehr genau ihre Archive und Recher- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schließt sich dieser cheunterlagen sichten und diese anzeigen. Kritik an und lehnt diese Novellierung des StUG Selbst wer als Betroffener aus der eigenen Akte ab. Kopien von der Behörde erhalten hat, müßte diese nach dem Wortlaut der Novelle nun wieder anzeigen, Dr. Uwe - Jens Heuer (PDS/Linke Liste): Bei der erst recht natürlich handschriftliche Notizen aus die- Durchsicht der zu Protokoll gegebenen Reden zur sen Unterlagen oder weitere Kopien hiervon. ersten Lesung des Entwurfs eines 2. Stasi-Unterlagen- Änderungsgesetzes hat sich für mich der erste Ein- Falls diese völlig unpraktikablen, aberwitzigen und druck bestätigt: Die vorgeschlagenen Regelungen gefährlichen Regelungen Gesetz würden, könnte die scheinen überwiegend begründet zu sein, die eigent- Gauck-Behörde nur dankbar sein, wenn es niemand lichen Probleme aber werden entweder gar nicht oder merkt oder ernst nimmt. Sonst würde die Behörde von nur äußerst zaghaft zur Kenntnis genommen. den Anzeigen überrollt, lahmgelegt und müßte — ent- Die vorsichtigen Andeutungen des Kollegen War- gegen der irreführenden Beschlußempfehlung des tenberg von der SPD in seiner Rede zu dem interfrak- Innenausschusses — erheblichen finanziellen Mehr- tionellen Gesetzentwurf bestätigen diesen Eindruck, bedarf anmelden. Dies gälte natürlich erst recht, wenn daß das Stasi-Unterlagen-Gesetz in der Praxis erheb- die Behörde tatsächlich die neue Befugnis nutzen liche Mängel offenbart, daß insbesondere der notwen- sollte, z. B. Redaktionen zur Herausgabe der Kopien dige Schutz der Betroffenen mit dem Gesetz nicht aufzufordern oder gar Bußgeldverfahren einzulei- erreicht worden ist. ten. Auf jeden Fall ist damit klargestellt: Es ist falsch, daß Welche Motive mögen die Initiatoren aus Union, das Stasi-Unterlagen-Gesetz sich bewährt hat; es ist SPD und F.D.P. getrieben haben, eine solch schildbür- vielmehr grundsätzlich novellierungsbedürftig, und gerliche und in ihren Folgen nichtsdestotrotz auch zwar aus folgenden Gründen: gefährliche Regelung zu ersinnen? Wie groß muß die Die sog. Stasi-Vergangenheit vorrangig über die Angst sein vor dem Bekanntwerden von Stasi-Unter- Erschließung und Aufarbeitung der Stasi-Akten auf- lagen vor allem über westdeutsche Politiker und zuarbeiten ist eine schwerwiegende Fehlentschei- Firmen, daß man sich nicht entblödet, mit solchen dung. Die Stasi-Unterlagen spielen eine entschei- - Vorschriften nun sämtliche Kopien für das Gauck'sche dende Rolle bei der gnadenlosen Hexenjagd in Ost- Monopol erfassen zu wollen? Diese Initiative fällt auf deutschland. Allein schon die Existenz von Stasi die Verfasser selbst zurück. Akten scheint in vielen Fällen, so etwa im Falle des Außerdem sollen nach dem Willen von CDU/CSU, Bundesligafußballspielers Ulf Kirsten, ausreichend zu SPD und F.D.P. Forscher und Medien für von der sein, um, mit entsprechenden Kommentierungen der Behörde erhaltene Auskünfte Gebühren zahlen. Dies Gauck-Behörde versehen, in der Öffentlichkeit eine ist eine erhebliche Einschränkung der öffentlichen Kampagne gegen vermeintliche Mitarbeiter der Stasi Auseinandersetzung mit der MfS-Problematik, da entfachen zu können, insbesondere dann, wenn sie absehbar ist, daß z. B. kleinere Forschungsverbände nicht so mitarbeiten, wie die Gauck-Behörde und sich diese Arbeit nicht mehr leisten könnten. deren Sachbearbeiter es sich vorstellen. Ulf Kirsten erhielt den Schutz des Vereins; sein Fall Ihnen liegen zahlreiche Kritiken an der von Ihnen wurde für ihn günstig zu den Akten gelegt. beabsichtigten Gesetzesänderung vor. Diesen Schutz finden andere nicht; sie sind der So befürchtet der Journalistenverband mit dieser Willkür der Gauck-Behörde meist hilflos ausgeliefert. Novellierung des StUG einen „unverhältnismäßigen In zahlreichen anderen Fällen wie z. B. denen des Eingriff in die Medienfreiheit" und kritisiert die beab- Zoologen Prof. Dr. Werner Mohring (Greifswald) und sichtigte Anzeigepflicht von Kopien, Abschriften, des Physikers Dr. Heinz Preuß (Zittau) führten eindeu- handschriftlichen Notizen als geeignet, Veröffentli- tig falsche, wahrheitswidrige Wertungen der Gauck chungen von Medien zu verhindern. Behörde zu Entlassungen. Der Deutsche Presserat hält die geplanten Ände- An die Stelle der politischen und wissenschaftlichen rungen des StUG für verfassungsrechtlich bedenklich, Aufarbeitung der Vergangenheit sowie des konkre- da diese Regelungen die Recherchearbeit der Medien ten, verfahrensrechtlich abgesicherten Nachweises einschränkt. von strafbaren Handlungen ist die Denunziation mit dem Hinweis auf Stasi-Akten und deren Kommentie- Die Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen rung durch die Gauck-Behörde getreten. Auf dieser lehnen die geplanten Änderungen des StUG als — auch verfassungsrechtlich — fragwürdigen Grund- „übereilt und in der sachlichen Absicht fragwürdig" lage wird eine Schablone von der Täter-Opfer-Struk- ab und weisen darauf hin, daß durch die geplante tur der DDR konstruiert, die jede vernünftige Aufar- Gebührenregelung z. B. Betroffenenverbände und beitung der Vergangenheit in Frage stellt. Bürgerkomitees weitestgehend von Forschung und Nutzung von Stasi-Unterlagen für die politische Bil- Wer eine Veränderung dieser Sicht- und Hand- dung ausgeschlossen werden. lungsweisen will, muß auch das Stasi-Unterlagen- Gesetz grundlegend novellieren wollen. Zugunsten Das Bürgerkomitee Leipzig, das 1991 erheblich an der Beteiligten müssen Verfahrensgarantien geschaf- der Ausarbeitung des StUG beteiligt war, erklärt: „Die fen werden, die deren Persönlichkeitsrechte eind euti- geplanten Änderungen bedeuten eine einschnei ger schützen, sowohl gegenüber der zuständigen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20921*

Behörde als auch gegenüber der Öffentlichkeit, auch im Namen des F.D.P.-Präsidiums einen Nachtrags- gegenüber den Medien. haushalt für das Jahr 1994 gefordert. Es ist falsch, daß eine Erweiterung der Rechte der Auch die SPD befürchtete Haushaltslücken in zwei- Betroffenen eine unzulässige Einschränkung der stelliger Höhe und erneuerte zwei Tage nach Eingang Pressefreiheit bedeuten würde. Diese Behauptung ist unseres Antrags, am 22. Dezember, ihre Forderung, angesichts der Willkürlichkeit, mit der mit Informatio- die Bundesregierung müsse für 1994 unverzüglich nen aus den Stasi-Akten gehandelt werden, allenfalls einen Nachtragshaushalt vorlegen. Der von der SPD eine Schutzbehauptung; nach Art. 5 Abs. 2 des Grund- gestellte Vorsitzende des Haushaltsausschusses nahm gesetzes findet auch die Pressefreiheit ihre Grenze in für sich sogar in Anspruch, er habe „diese Zahl, die dem allgemeinen Gesetz sowie in dem Recht der Graf Lambsdorff jetzt nennt, seit mehr als drei Mona- persönlichen Ehre. Mit der Rechtslage hat diese ten öffentlich gesagt und prophezeit" . Und er fügte Behauptung also nichts gemein. orakelnd hinzu: „Die Zahl von 15 Milliarden halte ich für die Untergrenze dessen, was gilt." Es fehlt in der Bundesrepublik Deutschland grund- sätzlich das Recht auf die eigenen Akten. Das Stasi- Da offenbar nicht nur die PDS/Linke Liste und der Unterlagen-Gesetz muß um ein entsprechenden Free- Bundesrechnungshof, sondern auch F.D.P. und SPD dom-of-Information-Act ergänzt werden. Hierbei geht den Haushalt 1994 als einen Verstoß gegen das es insbesondere um die Abwehr der „Eroberung der Verfassungsgebot der Haushaltsklarheit und Haus- Akten" durch die Geheimdienste der BRD, die Akten haltswahrheit zu interpretieren schienen, waren wir unter Verschluß halten. Diese Akten müssen den auf das Abstimmungsverhalten dieser Fraktionen Betroffenen zugänglich gemacht werden. natürlich besonders gespannt. Schließlich ist eine breit angelegte Amnestie zu Die F.D.P. hatte zwar den Mund gespitzt, aber nicht fordern. Nur dadurch können Bedingungen dafür gepfiffen. Daß die Koalitionsfraktionen diesen Antrag geschaffen werden, daß die Bürger und Bürgerinnen der PDS/Linke Liste niederstimmten, überraschte und der neuen Bundesländer sich als gleichberechtigte verstimmte uns allerdings nicht. Bürger anerkannt fühlen und „den Kopf hochtragen Das Schauspiel, das uns jedoch die größere Oppo- dürfen wie wir" (Ernst Mahrenholz, zit. nach Leipziger sitionspartei bot, spottete allerdings jeder Beschrei- Volkszeitung vom 6. Mai 1994). bung. Im Bericht des Haushaltsausschusses ist die rhetorische Springprozession der SPD mit allen Man wird im neuen Bundestag mit einer starken - Fraktion der PDS zu rechnen haben, für die es eine Details festgehalten. Die SPD hat sich als Oppositions- wichtige Aufgabe sein wird, das Stasi-Unterlagen- partei schon längst verabschiedet und vertritt die Gesetz grundlegend zu novellieren. Politik des Sowohl-als-auch. Es heißt im Bericht unter anderem: Die Fraktion der SPD vertrat (...) die Auffassung, der Bundeshaushalt 1994 biete keine hinreichen- den Lösungsansätze für die gesellschaftlich- und Anlage 8 wirtschaftspolitischen Aufgaben der Zukunft. Ferner bemängelte die Fraktion der SPD, der Zu Protokoll gegebene Rede Haushalt sei unehrlich, da er von viel zu optimi- zu Tagesordnungspunkt 6c stischen Wirtschaftsdaten ausginge. Dadurch (Rückkehr zu einer verfassungskonformen ergeben sich sowohl auf der Einnahmen- wie auf Haushaltspolitik) der Ausgabenseite noch nicht absehbare Haus- haltsrisiken, die einen Nachtragshaushalt mög- lich erscheinen ließen. Dr. Dietmar Keller (PDS/Linke Liste): Knapp drei Wochen nach der Verabschiedung des Haushalts 1994 Ich fasse zusammen: Auch die SPD hat den Haushalt durch den Bundestag hatte der Bundeskanzler am 1994 als unehrlich bezeichnet, nicht absehbare Haus- 16. Dezember 1993 gegenüber der Bundespressekon- haltsrisiken gesehen und einen Nachtragshaushalt ferenz weitere drastische Sparmaßnahmen zur Dek nicht ausgeschlossen. Doch weil nicht sein konnte, kung des bereits absehbaren Defizits des Bundes- was nicht sein durfte, das heißt, weil für die SPD als haushalts 1994 in Höhe von mindestens 7,5 Milliarden Generallinie zu gelten scheint, daß ein Antrag der DM angekündigt. PDS/Linke Liste immer und möglichst ungelesen abzulehnen ist, deshalb hat auch die SPD trotz ihrer Daraufhin hatte die PDS/Linke Liste am 20. Dezem- von mir eben zitierten Kritik empfohlen, unseren ber 1993 beantragt, die Bundesregierung aufzufor- dern, eine Änderungsvorlage zum verabschiedeten Antrag abzulehnen. Haushaltsplan vorzulegen, weil der Haushalt 1994 in Mittlerweile hat die SPD ein zentrales Argument Einnahmen und Ausgaben nicht ausgeglichen ist. unseres Antrags aufgegriffen. Sie wirft der Bundesre- Ähnliche Forderungen waren auch aus den Reihen gierung, der sie noch im März per Abstimmung die der F.D.P. laut geworden. Die F.D.P.-Bundestagsfrak- haushaltspolitische Absolution erteilt hat, vor, die tion hatte den Bundesfinanzminister am 21. Dezember „wahre Lage der Staatsfinanzen" zu verschleiern. Die aufgefordert, ein Haushaltssicherungsgesetz vorzule- „volle Wahrheit über die Lage der Staatsfinanzen" gen. Herr Lambsdorff hatte einen Tag später bereits verspricht sich die SPD jetzt von ihrer Kleinen Anfrage eine Haushaltslücke zwischen 15 und 20 Milliarden zur Staatsverschuldung und von ihrer Forderung nach DM entdeckt. Und das neue Jahr war noch keine Sondersitzungen des Haushaltsausschusses. Jetzt drei Wochen alt, da hatte Herr Kinkel am 17. Januar — sechs Monate nach Einbringung unseres Antrags — 20922* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 will die SPD von der Bundesregierung wissen, wie sie Indiskretionen, die den Bereich der Nachrichtendien- es mit dem Verfassungsgrundsatz der Vollständigkeit ste betreffen, verantwortlich macht. und der Einheitlichkeit des Haushaltsplans hält. Wäre Es gibt bemerkenswerterweise auch nicht den es nach uns gegangen, dann hätte das Parlament ansonsten schwer zu vermeidenden parteipolitischen bereits im März darüber beraten. Und der SPD sei ins Hickhack. Stammbuch geschrieben: Unter dem Teppich kann man nicht kämpfen! Hinzu kommt, daß wir uns nicht nur als bloße Kontrolleure verstehen, die ausschließlich Fehler auf- decken wollen, obwohl das natürlich unsere Haupt- aufgabe ist, sondern daß wir uns auch im Dialog mit der Bundesregierung und den Präsidenten der Dien- Anlage 9 ste bemühen, durch eigene Vorschläge immer wieder auch die Leistungskraft der Dienste zu erhalten und zu Zu Protokoll gegebene Reden steigern. zu Tagesordnungspunkt 9 (Bericht über die Kontrolltätigkeit gemäß § 6 3. Natürlich gibt es auch in den Diensten unver- des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle meidbar Fehler und Pannen. nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes) Aber das sind im ganzen unvermeidbare Einzel- (Berichtszeitraum: 1. Juli 1993 bis 20. Juni 1994) fälle.

Dr. Rolf Olderog (CDU/CSU): Mit vier Bemerkun- Insgesamt weist auch dieser zweite Bericht der PKK gen möchte ich zum Bericht der PKK Stellung neh- zutreffend darauf hin, daß die Nachrichtendienste sich men. an Recht und Gesetz halten und auftragsgemäß das Ziel verfolgt haben, die innere und äußere Sicherheit 1. Zunächst darf ich darauf hinweisen: Der Bericht der Bundesrepublik Deutschland zu bewahren. der PKK ist zwar keine Premiere mehr wie der erste Bericht 1993. Ich möchte das auch von meiner Seite nachdrück- lich unterstreichen. Aber es ist immer noch ein bemerkenswerter Vor- gang, daß in der Bundesrepublik Deutschland nicht Diese Aussagen stehen in einem auffälligen Gegen- nur eine Parlamentarische Kontrollkommission die satz zu manchen spekulativen Presseberichten, Geheimdienste überwacht, sondern daß über die angeblichen Skandalgeschichten und auch wenig Tätigkeit der Dienste auch noch öffentlich im Parla- sachlichen Sachbüchern, die immer wieder der ment berichtet und debattiert wird. Öffentlichkeit ein ganz anderes Bild der Dienste Das beweist, daß sich unser Weg zu mehr Kontrolle vermitteln wollen. und Transparenz im neuen PKK-Gesetz bewährt Fast immer sind diese Berichte weit entfernt von der hat. Realität, unsachlich und falsch. 2. Ich möchte unterstreichen, was der Bericht schon Ich betone mit Nachdruck: Das Bundesamt für hervorhebt, daß es zwischen den Mitgliedern der PKK Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst und und den Vertretern der Bundesregierung und der der Militärische Abschirmdienst haben das Vertrauen Nachrichtendienste eine ausgesprochen vertrauens- unserer Bürgerinnen und Bürger verdient. volle Zusammenarbeit gibt. Ich möchte allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Das ist keineswegs selbstverständlich. der Dienste herzlich dafür danken, daß sie diese Ich kann mich noch sehr gut - einige Jahre schwierige und für unseren demokratischen Staat zurück — an eine ganz andere Situation und Stim- wichtige Aufgabe erfüllen. mungslage in der PKK erinnern. 4. Letzte Bemerkung: Der PKK-Bericht macht deut- Heftigste Auseinandersetzungen, wechselseitige lich: Trotz der rasanten politischen Entwicklung in der Vorwürfe, Mißtrauen gegeneinander und perma- Welt haben die Nachrichtendienste nichts von ihrer nente Indiskretionen waren an der Tagesordnung bis Bedeutung verloren. hin zum endgültigen Auszug und zur Mandatsnieder- legung eines Mitglieds der Kontrollkommission. Nach der Beendigung des Ost-West-Konflikts ist die geopolitische Spannung zwar beseitigt, aber statt Daß heute wechselseitiges Vertrauen kennzeich- dessen gibt es viele Probleme auf neuen Feldern. nend ist, das hängt sicher nicht damit zusammen, daß die Abgeordneten ihre Kontrollaufgabe etwa zu lasch 1. Extremismus und Terrorismus bedrohen den handhabten. Frieden in unserer Gesellschaft und in der Welt. So streitbare und parlamentserfahrene, aber auch 2. Wesentliche neue internationale Schwerpunkte über jeden Verdacht erhabene Kollegen wie Burk- heißen Proliferation, Rauschgifthandel und Geldwä- hard Hirsch und Peter Struck bieten allein da schon sche. hinreichende Gewähr. 3. Es gibt weiter Spionage gegen Deutschland. Der Es gibt von uns Parlamentariern keine Klagen über Schwerpunkt hat sich verlagert vom militärisch-poli- mangelnde Auskunftsbereitschaft der Bundesregie- tischen Bereich in den wirtschaftlich-politischen rung und der Dienste. Bereich. Ich habe auch nicht den Eindruck, daß die Bun- Deshalb besteht kein Anlaß, in der Wahrung unse- desregierung uns Parlamentarier für gelegentliche rer Sicherheitsinteressen nachzulassen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20923*

Für ebenso besorgniserregend wie unverantwort- ren, hat sichtbar nachgelassen. Denn bei den Diensten lich halte ich die Entscheidung der GRÜNEN/BÜND- ist die Einsicht gewachsen, daß sie gegen Schwatzhaf- NIS 90, im Bundestagswahlprogramm 1994 die tigkeit aus den eigenen Reihen weniger gefeit sind Abschaffung der Dienste zu fordern. und dadurch eher ins Rampenlicht geraten als etwa durch mitteilungsfreudige Parlamentarier. Wer die Nachrichtendienste zudem noch als eine „Gefahr für die Demokratie" bezeichnet, hat von der Es besteht demnach kein Anlaß, den Geheimdien- heutigen Wirklichkeit in der Welt und hat von dem sten, den Mitarbeitern und den Leitungsspitzen, die Gedanken der „wehrhaften Demokratie" rein gar Anerkennung für ihre Tätigkeit zu versagen. Ich sage nichts begriffen. es jedenfalls aus voller Überzeugung: Sie haben gute Arbeit geleistet. Unabhängig vom Gesagten bleibt Sorgenvoll stimmt mich auch, daß einigen Landes- immer wieder festzuhalten: Die Tätigkeit der Dienste verfassungsschutzämtern, z. B. in Schleswig-Holstein, steht unter dem Recht und nicht etwa über oder neben durch Haushaltsentscheidungen auch j enes Minimum dem Recht. Das kann in der Konsequenz bitter sein an personellen und sachlichen Mitteln entzogen wird, und zu strafrechtlichen Konsequenzen für die Verant- die zum Funktionieren der Landesämter für Verfas- wortlichen führen. Konkret gesagt: Auch wenn es um sungsschutz unerläßlich sind. Israel geht, dürfen Waffen oder deren Bestandteile eben nicht unter Umgehung des Rechts als Landma- Deutschland hat seinen Beitrag für Frieden und schinen bezeichnet und ausgeführt werden. Das kann Freiheit in der Welt zu leisten, kriegerische Auseinan- ein Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz dersetzungen und terroristische Anschläge zu vermei- und damit ein Verbrechen sein. den. Aber auch die andere Seite dieses Themas darf nicht Dazu brauchen wir die Nachrichtendienste, dazu verschwiegen werden. Es widerspricht dem Gerech- brauchen die Dienste aber auch das notwendige tigkeitsgebot, eine seit Jahren durch Bundesregie- rechtliche Instrumentarium. rung jedweder Couleur und Bundessicherheitsräte in Nach meiner Überzeugung besteht heute die Not- parlamentarischer Übereinstimmung gegründete wendigkeit, die organisatorischen und rechtlichen Staatspraxis durch Mitarbeiter des BND als verbre- Instrumentarien neu zu justieren und sie erforderli- cherisch abbüßen zu lassen, wobei eben lediglich die chenfalls zu verschärfen. Art der Ausführung und deren Umstände als Besetz widrig eingestuft werden können. Das gilt insbesondere auch für den internationalen Rechtlich abgesichert und zulässig ist es hingegen,- Waffenhandel und die Proliferation. wenn dem BND die Möglichkeit zum Sammeln von Ich verweise auf das Verbrechensbekämpfungsge- Informationen auf dem Sektor der internationalen setz, das auf unsere Initiative im Bundestag verab- Waffenschiebereien (und dabei insbesondere auf dem schiedet worden ist. Nuklearsektor) wie auch der internationalen Drogen- kriminalität zugestanden wird. So jedenfalls hat es der Bekennen wir uns weiterhin zur wehrhaften Demo- Rechtsausschuß des Bundestages einstimmig festge- kratie! stellt. Der BND tut gut daran, dies nicht als Ermächti- gung zur polizeilichen Tätigkeit im Ausland mißzu- verstehen. Die bisherige Wahrnehmung der diesbe- Dr. Wilfried Penner (SPD): Auch die Geheimdienste in der Bundesrepublik Deutschland machen Fehler, züglichen Tätigkeit durch den BND gibt dafür aber und sie haben ihre Fehler. Wie denn auch nicht? Aber, auch keinen Anlaß. Der nötige Umbau der Organisa- es kann keine Rede davon sein, daß die Fehlerquote tion für die Erledigung der neuen Aufgabenfelder macht hingegen große Schwierigkeiten. Es war ein aus dem Rahmen bei vergleichbaren Institutionen fiele. Die Dienste leisten in der Regel gute Arbeit. Sie Irrtum anzunehmen, daß auch nur ein Teil des in sind Institutionen des demokratischen Rechtsstaats, Zeiten des Ost-West-Konflikts und für die damals und sie halten sich ganz selbstverständlich an die anfallenden spezifischen Aufgaben eingesetzten Per- Vorgaben und Entscheidungen des Gesetzgebers. Es sonals für die neuen Tätigkeitsbereiche in Betracht kann keine Rede davon sein, daß sie etwa einen Staat kommen könne. Die völlig andere Aufgabenstellung im Staate bildeten. Ja, sie könnten es wohl gar nicht. und die notwendige andere Struktur der Arbeit, in Die Möglichkeit der öffentlichen Kontrolle, die Kon- Verbindung mit Sprachproblemen, machen dies, trolle des Parlaments und der Exekutive, lassen dies zumal bei den älteren Mitarbeitern, nahezu unmög- lich. Es wird wohl nicht ohne finanziell aufwendigen nicht zu. Bei uns ist das Selbstverständnis der Dienste und seiner Mitarbeiter ein demokratisches, und damit personellen Neuaufbau und korrespondierende Vor- sind sie integrierter Bestandteil des demokratischen ruhestandsregelungen abgehen. Dabei wird die Effi- Ganzen. Die parlamentarische Kontrolle der Dienste zienz gerade auch dieses Sammelns von Nachrichten wird von ihnen selbst zunehmend auch als Chance im Hinblick auf die staatlichen Interessen der Bundes- begriffen, endlich die Rolle des demokratischen republik Deutschland immer wieder neu gewichtet Außenseiters abzustreifen. und überprüft werden müssen. Neuerdings verstärkt zu beobachtende Tendenzen, die Grenzen zwischen Natürlich gibt es immanente Grenzen der Kontrolle nachrichtendienstlicher und polizeilicher Tätigkeit von außen. Geheimdienstliche Tätigkeit und das mehr und mehr zu schleifen, werden von der SPD Transparenzgebot der Demokratie sind und bleiben nicht unterstützt. Es ist zwar richtig, daß es eine einander gegensätzlicher Natur und lassen sich nicht lückenlose Trennung nie gegeben hat, ja nicht geben deckungsgleich übereinbringen. Aber die Sucht zur konnte. Dies gilt namentlich für den Bereich der Geheimniskrämerei, auch gegenüber den Kontrolleu Staatsschutzdelikte, bei denen die von Gesetzes 20924* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 wegen vorgesehene Informationsbeschaffungspflicht der mit seiner robust-zupackenden Art manchen Kno- des Verfassungsschutzes und das ggf. gesetzlich ten zu lösen mitgeholfen hat. gebotene Einschreiten der Polizei doch sehr ineinan- Die Parlamentarische Kontrollkommissio bleibt der übergehen können. Auch die Terrorbekämpfung auch nach der Wahl im Amt, bis der neu gewählte ist seit Jahren keine ausschließlich polizeiliche Auf- Bundestag eine neue Parlamentarische Kontrollkom- gabe, sondern wird mit allgemeiner Billigung zumin- mission gewählt hat. Im Interesse der Sache wäre in dest ergänzend auch vom Verfassungsschutz wahrge- Zukunft eine noch breitere Beteiligung des Parla- nommen. Damit muß es aber sein Bewenden haben. ments wünschenswert. Kriminalität zu verhüten und zu verfolgen ist eine polizeiliche Aufgabe, auch wenn das in Einzelsekto- ren noch so schwierig ist wie bei der internationalen Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Wir erstatten hiermit Banden- und Drogenproblematik. Gerade der Einsatz zum zweiten Mal einen Bericht über unsere Tätigkeit, des Verfassungsschutzes auf diesem Gebiet insinuiert bei der wir gesetzlich zur Verschwiegenheit verpflich- Lösungsansätze romantisierender Art — dies hat aber tet sind. Besondere Schwerpunkte waren das mit wirksamer Strafrechtspflege nichts zu tun. Anwachsen des politischen Extremismus, die Vor- gänge in Bad Kleinen, der Tod des früheren Minister- Der Verfassungsschutz sei auf dem rechten Auge präsidenten Dr. Barschel, die internationale Bekämp- blind, war in der Öffentlichkeit, auch in jüngster Zeit, fung der Drogenkriminalität, besondere Fälle der zu hören. Das kann so nicht bestätigt werden. Mag Zusammenarbeit mit anderen Diensten, Erkenntnisse sein, daß hier und da die Krake des verbrecherischen im Zusammenhang mit Stasi-Unterlagen. Schließlich Rechtsextremismus nicht klar genug erkannt worden haben wir uns in besonderer Weise mit Vorgängen ist. Unbestreitbar ist aber, daß die Organisationen des auseinandergesetzt, die Mitarbeiter der Dienste selbst rechten Spektrums eher zersplittert sind, was die betroffen haben. Beobachtung sehr erschwert. Übrigens hat das nichts mit dem Grad der Gefährlichkeit zu tun. Wir dürfen Ich möchte in besonderer Weise hervorheben, daß uns mit übrigen aber keinen trügerischen Illusionen es trotz der umfangreichen Tätigkeit der Nachrichten- hingeben: Gerade weil der Rechtsextremismus ein dienste in den dargestellten Fällen zu keinem Miß- Teil unserer Gesellschaft ist und nicht neben der brauch der gegebenen Möglichkeiten gekommen ist, Gesellschaft steht, ist das Risiko einer organisierten, und daß die Nachrichtendienste nicht versucht haben, zentralistischeren und wesentlich strafferen Organi- Gesetz und Recht zu brechen. Ich wünschte, daß die sierung und Steuerung nicht von der Hand zu wei- Nachrichtendienste aller Länder eine solche Bilanz- sen. vorlegen könnten. In diesem Zusammenhang ist das Gezetere um die Person des V-Mannes in der berüchtigten Kampf- Ulla Jelpke (PDS/Linke Liste): Nichts ist spannen- sportschule in Solingen heuchlerisch und wenig sach- der, als einen Bericht zu lesen, der unter der absoluten dienlich. Wer den Einsatz des Verfassungsschutzes in Einhaltung des Grundsatzes der Geheimhaltung der Auseinandersetzung gegen den Rechtsextremis- abgefaßt worden ist. Man stellt nach der Lektüre von mus fordert, verliert das Recht, darüber in Ach- und acht Seiten fest, daß der Umfang tatsächlich so dürftig Wehgeschrei auszubrechen, wenn der Verfassungs- ist wie der Informationswert dieses Berichtes. Das schutz tätig geworden ist; auch dann nicht, wenn die einzige, was man aus diesem Bericht erfährt, ist, daß Risiken eines solchen Einsatzes handfest und manifest die Parlamentarische Kontrollkommission sich diesen werden. Was übrigens Kontrolle und Nachsteuerung Mumpitz der Geheimniskrämerei der Dienst rückhalt- im Detail nicht ausschließt. los unterworfen hat und willig die Rolle des Akzep- tanztrottels einnimmt. Der jeweilige Koordinator der Nachrichtendienste Man liest in diesem Bericht kein zusätzliches Wort im Kanzleramt hat es nicht leicht. Der jetzige Amtsin- zu den großen und kleinen Aktionen und Affären der haber ist geschätzt wegen seines Fleißes, seiner Dienste, geschweige denn, daß man hier ein Wort der Lebendigkeit und seines Engagements. Bleibt nur zu Kritik erfährt. Nicht einmal zur Weitergabe von Stasi sagen: Der Koordinator ist Instanz, nicht Akteur, so Unterlagen durch den zuständigen Staatssekretär im steht es im Gesetz. Nicht gesetzlich vorgesehen ist BMI, Vöcking, kann die Kontrollkommission sich zu flächendeckende Mitteilungsfreude. Sie ist auch nicht einem noch so leichten Rüffel hinreißen lassen. Sie wünschenswert. Auch der Koordinator steht unter mag nicht einmal öffentlich der Auffassung der Bun- dem Gebot der Diskretion, das ihn mit den Mitglie- desregierung widersprechen, daß es sich bei diesen dern der Parlamentarischen Kontrollkommission ver- Materialien nicht um Unterlagen im Sinne des Stasi- bindet. Noch eines: Ein Regierungsmitglied kann sich Unterlagen-Gesetzes handelt. Diese Form der Erobe- seine Gesprächspartner nicht aussuchen, gerade im rung der Stasi-Unterlagen findet hier ihre Abseg- Zusammenhang mit humanitären Fragen nicht. Bei nung. der Wahl des Gesprächsorts ist Bedacht gefordert. Die Bundesrepublik Deutschland hat kein Interesse an der Auch zur Beteiligung des Geheimdienstes an der Aufwertung zwielichtiger, ja verbrecherischer Ver- Polizeiaktion in Bad Kleinen erfährt man keine neue haltensweisen von Funktionsträgern anderer Staaten. Information. Obwohl Mitglieder der Kontrollkommis- Unabhängig von unterschiedlicher Sicht der Dinge im sion zum Teil die Geheimniskrämerei der Bundesre- Grundsätzlichen war die Arbeit der Parlamentari- gierung bei der Unterrichtung des Innen- und Rechts- schen Kontrollkommission im Detail wohltuend sach- ausschusses angriffen, hat man sich jetzt dieser gro- lich. Sicherlich auch ein Verdienst des demnächst aus ßen Verschwiegenheit fügsam angepaßt. Auf die dem Bundestag ausscheidenden Kollegen Gerster, mögliche Frage beispielsweise, wieso wegen dieser Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20925*

Aktion eine wiederholte Unterrichtung erfolgen erneut ein Kapitel deutscher Geschichte in Erinne- mußte, wird keine Antwort gegeben. Weitere Fragen rung, das nicht vergessen werden darf. Gleichzeitig ist schließen sich an: Hatten die Dienste bei der ersten dies ein Moment der Besinnung auf die Aufgaben, die Unterrichtung nicht alle Aktivitäten offengelegt? War in der Zukunft bewältigt werden müssen. der BND an der Operation mit Steinmetz, beispiels- weise bei den bekannt gewordenen Treffen mit Ange- Die vorliegenden Anträge zur Wiedergutmachung hörigen der RAF in Metz und Paris beteiligt? Gab es da nationalsozialistischen Unrechts zeigen, daß das eine Zusammenarbeit mit französischen Behörden? große politische Wiedergutmachungswerk, dessen Kein Wort dazu, keine Kritik an der Verdunkelungs- Mittelpunkt immer noch das Bundesentschädigungs- politik der Bundesregierung. gesetz von 1953 ist, Bestand hat. Es wirkt fort, wenn auch zu Ergänzungen von Härterichtlinien und zu Völlig katastrophal ist die Rolle, die die Parlamen- Einzelkorrekturen immer wieder Anlaß besteht. Das tarische Kontrollkommission bezüglich der Arbeit des bezieht sich vor allem auf jene Gruppen von Betroffe- Bundesamtes für Verfassungsschutz und der anderen nen, hinsichtlich derer erst im Laufe der Jahre die Dienste bezüglich der rechtsextremen Umtriebe in Einsicht wuchs, daß sie Opfer nationalsozialistischen diesem Lande spielt. Man sucht vergeblich nach Unrechts sind und Anspruch auf Wiedergutmachung Kritik, daß das Bundesamt und die Bundesregierung haben. In diesem Bereich ist immer erneutes Nach- die gesetzlich vorgeschriebene Aufgabe der Aufklä- denken und Korrigieren der Richtlinien notwendig. rung der Öffentlichkeit selbst bei parlamentarischen Die vorliegenden Anträge zeigen dies, und auch in Anfragen völlig ungenügend wahrnehmen und sich Zukunft wird immer wieder die Mahnung notwendig statt dessen immer hinter einer angeblichen Geheim- sein, die rechtlichen Möglichkeiten, so weit nur irgend haltungspflicht verstecken. Was soll man davon hal- möglich, auszuschöpfen. Alle wissen, daß materielle ten, wenn die Bundesregierung nicht einmal die Leistungen das geschehene Unrecht nicht beseitigen numerisch aufgeführten rechtsextremen Organisatio- können, aber die Folgen müssen gemildert und die nen, Verlage und Presseorgane namentlich aufführen Verbundenheit mit den Betroffenen muß artikuliert mag, weil dadurch angeblich die Arbeitsweise der werden. Behörde aufgedeckt wird? Wann und wo wurde diese Praxis in der Kommission einmal bemängelt? Wann Lassen Sie mich besonders auf die Gruppe derer wurde von den Diensten Bericht abverlangt über die eingehen, die Opfer von Zwangssterilisierungen Agenten und V-Leute wie Weinmann und dem Solin- geworden sind. Der Deutsche Bundestag wiederholt ger Schmitt und seine Rolle beim Brandanschlag? heute die Feststellung, daß Zwangssterilisierungen Meine Damen und Herren, alle wesentlichen Fra- auf der Grundlage des Gesetzes zur Verhütung erb- gen hat die Kommission unberührt gelassen. In der Tat kranken Nachwuchses nationalsozialistisches Un- war sie so verschwiegen wie die Dienste selber. Man recht waren und Ausdruck einer menschenverachten- sollte der Offenheit wegen die Berichtspflicht strei- den Ideologie. chen. Die Kommission ist wahrhaft kein Kontrollor- gan. Der Wahrheit und der Ehrlichkeit wegen sollte Um auch den kommenden Generationen diese die Bundesregierung doch gleich erklären: Wir Verirrung menschlichen Geistes warnend vor Augen machen mit den Diensten, was wir wollen, und eine zu stellen, ist es meines Erachtens notwendig, durch Kontrolle über deren dubiose Aktivitäten findet nicht Forschungsarbeiten und Dokumentationen genauer statt. als bisher darzustellen, welche ideologischen Ursa- chen, welches Ausmaß und welche die Menschen- würde mißachtende Form der Durchführung diese Maßnahmen hatten, vor allem aber auch, welch schreckliche seelischen und leiblichen Folgen für die Anlage 10 Betroffenen daraus erwuchsen. Durch den wachsen- den zeitlichen Abstand wird es m. E. besser möglich, aber auch immer notwendiger, erneut und im Gesamt- Zu Protokoll gegebene Reden zusammenhang die verschiedenen Bereiche und Aus- zu Tagesordnungspunkt 10 wirkungen nationalsozialistischer Rassenpolitik zu (Beschlußempfehlungen zu den Anträgen: bedenken, darzustellen und ggf. auch neu zu bewer- a — Abschließende Regelungen zur ten. Das gilt z. B. auch für die Zwangsarbeiterproble- Wiedergutmachung von NS-Unrecht, matik, die ebenso wie die Zwangssterilisierungen im b — Entschädigung für Opfer Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Ras- nationalsozialistischen Unrechts senpolitik gesehen werden muß. Das gilt auch für die in den baltischen Staaten, erneute Überprüfung der Voraussetzungen, Durch- c — Einrichtung einer Stiftung zum Schutz führung und der Auswirkungen der Unrechtsurteile und zur Bewahrung der Stätten nationalsozialistischer Militärjustiz. des antifaschistischen Widerstandes, d — Gedenkstätten Daß viele der vom nationalsozialistischen Rassen- in der Bundesrepublik Deutschland, wahn betroffenen Menschen gerade im Alter Hilfe e — Zentrale Gedenkstätte des Bundes) brauchen, muß vor allem den jungen Menschen erklärt werden. Für sie ist Hitlers „tausendjähriges Dr. Roswitha Wisniewski (CDU/CSU): Es ist zu Reich" mit seiner totalitären Diktatur weit zurücklie- begrüßen, daß am Ende dieser Legislaturperiode eine gende Vergangenheit, und viele wollen damit nichts — wenn auch nur kurze — Wiedergutmachungsde- mehr zu tun haben. Der Generationenvertrag, der für batte im Deutschen Bundestag stattfindet. Dies ruft uns alle ein wichtiges soziales Netz darstellt, gilt 20926* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 jedoch auch für die Folgen von Schuld, die in der was aus diesen ideologischen Ansätzen folgte. Jüdin- Eltern- oder Großelterngeneration begangen wurde. nen und Juden wurden nach 1945 im SED-Staat Ein anderer Gesichtspunkt: vielfach als Vertreter des Kapitalismus ideologisch diffamiert. Das von den Nationalsozialisten enteig- Durch den Zusammenbruch der sozialistischen nete Vermögen wurde ihnen nicht zurückgegeben. Staaten des Ostblocks und die anschließend erfolgte Viele entzogen sich dieser erneuten Diskriminierung Öffnung dieser Länder gegenüber dem Westen hat dadurch, daß sie der DDR den Rücken kehrten. In den eine neue Epoche der Wiedergutmachungspolitik 50er Jahren gab es aus diesem Grund eine regelrechte begonnen. Sie ist gekennzeichnet durch Glohalzah- Fluchtwelle. Wer sich aus religiösen Gründen dem lungen der Bundesrepublik an Stiftungen und ähnli- Marxismus-Leninismus gegenüber ablehnend ver- che Einrichtungen in Polen, den Nachfolgestaaten der hielt, wurde gesellschaftlich ausgegrenzt. Die jüdi- UdSSR und in anderen Staaten im östlichen Europa. schen Gemeinden wurden mit Stasi-Spitzeln durch- Heute stehen Anträge auf der Tagesordnung, die eine setzt und ständig überwacht. Regelung für die baltischen Staaten betreffen. Es ist Die jahrzehntelage Indoktrination der Menschen in sehr zu begrüßen, daß für diese Staaten eine eigene, der ehemaligen DDR ist natürlich nicht ohne Folge- von der in Rußland eingerichteten Stiftung unabhän- wirkungen geblieben. Es ist dringend notwendig, das gige, Regelung durch die Bundesregierung geschaf- in der DDR verbreitete, ebenso verzerrte wie einsei- fen wurde, und daß die notwendigen finanziellen tige Bild vom nationalsozialistischen System, seinen Mittel bereits eingeplant wurden. Es ist erfreulich, daß Opfern und dem Widerstand, den es hervorrief, zu Estland bereits seine Zustimmung zu dieser Lösung korrigieren. Es ist auch notwendig, gegen die verbrei- gegeben hat, und wir appellieren an die übrigen tete Vorstellung anzugehen, daß bereits die Erinne- baltischen Staaten, diesem Beispiel alsbald zu folgen, rung an den Nationalsozialismus obsolet, bzw. damit den Menschen, für die dieses Angebot bestimmt ist, möglichst rasch geholfen werden kann. — durch den „Antifaschismus-Kult" der DDR — überflüssig sei. Ein weiterer Gesichtspunkt: Zu dieser Aufgabe der Auseinandersetzung mit Durch die Herstellung der deutschen Einheit ist die einer ideologisch bedingten Geschichtsverzerrung Gestaltung der Gedenkstätten in der ehemaligen DIR können die Gedenkstätten einen wichtigen Beitrag als neue Aufgabe der Wiedergutmachung und der leisten. Es ist daher dringend geboten, die Gedenk- Kulturpolitik des Bundes entstanden. Nicht finanzielle stätten von der marxistisch-leninistisch-antifaschisti- Hilfen für die Betroffenen, sondern angemessene schen DDR-Gestaltung zu befreien und sie zu einem Formen des geistigen Umgangs mit diesem düsteren Ort politischer Besinnung auf der Grundlage eines Kapitel deutscher Geschichte sind hier zu finden und objektiven Geschichtsverständnisses zu machen. Die umzusetzen. vorliegenden Anträge geben diesem Anliegen nach- Die Mahn- und Gedenkstätten in der ehemaligen drücklich Ausdruck. DDR waren Ausdruck einer ideologischen Haltung, Die Gedenkstättenarbeit der kommenden Zeit wird die mit dem Begriff „Antifaschismus" eher verschlei- sich darüber hinaus der besonders schwierigen Auf- ert als zutreffend bezeichnet wurde; denn im Sprach- gabe zu widmen haben, angemessene Formen des gebrauch der SED und der DDR war „Antifaschismus" Gedenkens auch dort zu finden, wo Haftstätten der ein Begriff, mit dem der Kampf gegen die freiheitli- Nationalsozialisten weiterbenutzt wurden von der chen Demokratien geführt wurde. Es wurde unter- sowjetischen Besatzungsmacht und dann von der stellt, daß sie Stätten des latent nachlebenden „Fa- DDR. Nirgendwo kommt der totalitäre Charakter schismus" seien, wobei Faschismus abweichend vom beider Diktaturen in Deutschland so sinnfällig zum allgemeinen Gebrauch des Wortes verstanden wurde Ausdruck wie in Haftstätten bzw. nunmehr Gedenk- als „höchstentwickelte Form des Monopolkapitalis- stätten wie Buchenwald oder Sachsenhausen. An mus". Entsprechend instrumentalisiert wurden die Orten wie diesen oder mit ihnen verbunden sollte Gedenkstätten in der DDR. Sie besaßen für die Pflege durch Dokumentationseinrichtungen, Bildungsstät- des DDR-Antifaschismus eine zentrale Funktion. Im ten und in Forschungsprojekten den vielfältigen Fra- Mittelpunkt quasi-religiöser Ehrungen standen je- gen nach den ideologischen Ursachen von staatlich doch keineswegs die Opfer des Rassenwahns, also gelenktem diktatorischen Verhalten, natürlich aber nicht die Juden oder die Sinti und Roma, die den auch nach den Unterschieden, die beide Diktaturen nationalsozialistischen Verfolgungen zum Opfer fie- dabei aufwiesen, nachgegangen werden. len, sondern die kommunistischen Widerstandskämp- Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt das vor- fer. liegende Gesamtkonzept für die Beteiligung des Bun- Mit der Instrumentalisierung des Antifaschismus des an der Errichtung bzw. Erhaltung und Umgestal- verbunden war die Verdrängung der Mithaftung des tung von Mahn- und Gedenkstätten in den neuen östlichen Teils Deutschlands für die nationalsozialisti- Bundesländern. Wir erwarten, daß dem Parlament ein sche Epoche und die mit ihr verbundenen Unrechts- detailliertes Konzept für die Auswahl und die ange- taten. Dem Westen gegenüber fühlte man sich mora- messene Gestaltung einzelner Gedenkstätten vorge- lisch überlegen, die Wiedergutmachungspolitik der legt wird. Dabei müssen möglichst alle Ausprägungen Bundesrepublik mit ihren erheblichen finanziellen und alle Gruppen der vom nationalsozialistischen Aufwendungen und mit ihren Bemühungen um gei- Terrorsystem Betroffenen Berücksichtigung finden. stige Aufarbeitung wurde schlicht verschwiegen. Lassen Sie mich abschließend in meiner Eigenschaft Am Beispiel der Behandlung der jüdischen Verfolg- als Vorsitzende des Unterausschusses „Wiedergutma- ten in der ehemaligen DDR läßt sich verdeutlichen, chung" des Deutschen Bundestages allen danken, die Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20927* an der schwierigen und bedrückenden Wiedergutma- Diese Arbeit verschaffte Bef riedigung, weil wir in chungsarbeit in dieser Legislaturperiode mitgewirkt diesen Jahren für viele Verfolgte manches erreicht haben. Das gilt in erster Linie den Kolleginnen und haben. Wir konnten Menschen helfen, die vom NS- Kollegen aller Fraktionen sowie der Gruppe BÜND- Staat verfolgt waren. Wir haben Verantwortung für NIS 90/DIE GRÜNEN im Unterausschuß, das gilt den einzelne wahrgenommen, um ihnen zu helfen, insbe- Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ausschußse- sondere für jene Opfer deutschen staatlichen kretariat und in den Fraktionen — an der Spitze Herrn Unrechts, die — wegen der Auswirkungen der NS- Hans-Anton Hilgers — das gilt den beteiligten Beam- Verfolgung — heute zu den Bedürftigen zählen. Bei ten in den Ministerien, vor allem im Bundesfinanzmi- den Hilfen, die wir erreichen konnten, ging es nicht nisterium und im Bundesinnenministerium. Dankbar um Fragen, die die Öffentlichkeit und ganze Gruppen erwähnt sei aber auch die engagierte Arbeit der der Bevölkerung bewegen, ging es nicht um die Verbände und Vereine, der Vertreter von Städten und Frage, ob Lehrer nach A 11 oder A 12 eingestuft Gemeinden, die sich der Gedenkstättenbetreuung werden sollen. Nein, es ging darum, ob wir einem widmen, der Sachverständigen und der vielen Men- NS-Verfolgten, der lange im KZ saß und seither — seit schen, die dazu beitragen, daß die Erinnerung an das 50 Jahren — keine Entschädigung erhielt, weil er im Unrecht, das von den zwei Diktaturen in Deutschland Osten Europas festgehalten war, und der deswegen in diesem Jahrhundert ausging, nicht verblaßt. Diese nicht aussiedeln und keine Anträge stellen konnte, ob Erinnerung soll dazu beitragen, daß sich Ähnliches diesen Menschen eine Einmalzahlung von 5 000 DM nicht wiederholt. In diesem Sinne wünsche ich, daß oder, wenn es sich um besondere Härtefälle handelte, auch in der kommenden Legislaturperiode die Wie- eine kleine laufende Zahlung von wenigen hundert dergutmachungspolitik den ihr gebührenden wichti- Mark im Monat zur Ausbesserung der Sozialhilfe gen und würdigen Platz in der politischen Arbeit gewährt werden konnte. einnimmt. Mit den heute zur Beschlußfassung vorliegenden Anträgen wollen wir sicherstellen, daß gegenüber den Opfern, die heute noch leben, die Verpflichtung des (Wiesloch) (SPD): Wenn die SPD-Bundestagsfraktion darauf verzichtet hat, ihren Bundes auch dann weiter eingehalten wird, wenn die Finanzplanungen des Bundes ein Ende vorsehen, Antrag — Drucksache 12/5683 — im Plenum zur Abstimmung zu stellen, dann deshalb, weil wir in den obwohl die Opfer noch leben. Solange sie leben, Beratungen zum Antrag — Drucksache 12/7167 — die sollen sie Anspruch auf Zahlung behalten. Überzeugung gewonnen haben, wir können uns dem Den Opfern zu helfen heißt, Verantwortung vor der Tenor anschließen. Der SPD geht es darum, einen Geschichte wahrzunehmen. Dieser Verantwortung Weg zu finden, damit den wenigen noch lebenden sind wir verpflichtet, solange die Opfer noch unter der Opfern nationalsozialistischen Unrechts in den Balti- Verfolgung leiden. Es geht um ein bescheidenes Stück schen Staaten eine individuelle Entschädigung Wahrnehmung deutscher Verantwortung, häufig au- zukommt. Die Mitglieder der Fraktionen von CDU/ ßerhalb des Scheinwerferlichts der Fernsehkameras. CSU und F.D.P. haben in den Beratungen der betei- Zu dieser Verantwortung gehört auch die Gestal- ligten Fachausschüsse zu erkennen gegeben, daß wir tung und Bewahrung von Gedenkstätten, da wir über uns in diesem Ziel einig sind. Weil wir unsere Intention dem Unrecht der Nachkriegszeit in Ostdeutschland in dem nunmehr von Frau Prof. Wisniewski und das ihm vorhergehende und dieses erst auslösende anderen vorgelegten Antrag wiederfinden, unterstüt- Unrecht des NS-Staats, da wir die Einmaligkeit des zen wir auf diese Weise unser Anliegen. Holocaust und des Völkermordes an Roma und Sinti, Nachdem der Deutsche Bundestag den Beschluß da wir das Unrecht, das deutsche Militärjustiz gegen- gefaßt haben wird, erwarten wir von der Bundesregie- über Wehrdienstverweigerern und Deserteuren rung, daß sie das Parlament umgehend unterrichtet brachte, nicht vergessen dürfen. über den Fortgang der Gespräche mit den Baltischen Zur Wahrnehmung dieser Verantwortung gehört, Staaten. Die zu unterbreitenden Angebote an die das Unrecht auch zu benennen, Dazu ist es notwendig Baltischen Staaten müssen eine Entschädigung ent- auch mit Unterstützung des Bundes — in Gedenk- halten, die die individuellen Bedürfnisse der Opfer stätten das Wissen von Unrecht wachzuhalten. berücksichtigt. Zur Wahrnehmung der Verantwortung vor der Die Erfahrungen mit den Stiftungen „Verständi- Geschichte gehört auch, daß wir uns für die Wieder- gung und Aussöhnung" in Rußland, Belarus und gutmachung, falls dieses Wort in Anbetracht der Ukraine zeigen, daß es klug ist, die Verbände der geringen Beträge, die wir den Opfern zahlen, nicht zu Opfer an den Entscheidungen der Institutionen direkt hoch angesetzt ist, gegenüber den Opfern in den zu beteiligen. Daher erwarten wir von der Bundesre- Baltischen Staaten einsetzen. gierung auch, daß sie bei einer Neukonstruktion von Dies alles erarbeitet zu haben schafft Befriedigung, vornherein einbezogen werden. weil es dazu beiträgt, daß wir Deutschen, die wir uns so gern und hoffentlich zu Recht als Angehörige einer Kulturnation verstehen, Verantwortung gegenüber Wolfgang Lüder (F.D.P.): Die Themen, die in der der Geschichte als Verantwortung gegenüber Men- heutigen Debatte zusammengefaßt sind, lassen mich einerseits mit Befriedigung, andererseits mit Verbitte- schen wahrnehmen. rung auf acht Jahre Wiedergutmachungsarbeit im Mit Bitterkeit denke ich an die Auseinandersetzun- zuständigen Unterausschuß des Innenausschusses gen im finanziellen Bereich zurück, die uns über die des Deutschen Bundestages zurückblicken. Jahre begleitet haben. Ich werde nicht vergessen, wie 20928* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

1987, zu Beginn der vorletzten Legislaturperiode, als abschließenden Verfassungsdebatte, wodurch vielen wir wenig Geld für die noch nicht entschädigten Kolleginnen und Kollegen des Hohen Hauses die überlebenden Opfer des NS-Regimes, für Juden und persönliche Teilnahme an dieser wichtigen Debatte Nichtjuden, durch Aufstockung oder Neuschaffung nicht möglich ist. von Härtefonds erhalten wollten, der Finanzminister Zunächst zu den Opfern der NS-Militärjustiz: Es ist auch in Auswertung einer großen öffentlichen Anhö- beschämend, daß die Koalitionsparteien immer noch rung nein sagte; „nicht einen Pfennig wird es geben", nicht bereit sind, den beinahe 50 000 Menschen, die sagte mir der Vertreter des Finanzministers in einer von nationalsozialistischen Militärrichtern zum Tode Koalitionsverhandlungsrunde im Kanzleramt. verurteilt wurden, endlich eine rechtliche Rehabilitie- Und dann hat die Koalition — mit Unterstützung der rung zu verschaffen. Durch die Vertagung der Abstim- SPD und der GRÜNEN, mit denen wir uns bei diesen mung über den Entwurf der SPD hat die Koalition die Fragen im Grundsatz stets einig waren — wenigstens Chance erhalten, ihre Position noch einmal zu über- die bescheidenden Zahlungen ermöglicht, die wir denken und zu überprüfen. Ich hoffe, daß sie im jetzt für die Zukunft festschreiben wollen. Es ging Interesse der Opfer davon Gebrauch machen wird. nicht um die Wahrnehmung der verantwortlichen Auch Zwangssterilisierte und „Euthanasie"-Ge- Aufgaben der Finanzpolitik, überflüssige Ausgaben schädigte werden voller Enttäuschung und Zorn sein, zu vermeiden, es ging um unterschiedliche Denkrich- daß der Deutsche Bundestag ihre berechtigten Forde- tungen zwischen den Parlamentariern und dem Mini- rungen wiederum nicht berücksichtigen wird. Die sterium, diese freilich unterstützt von unseren Haus- heute vorgelegte Entschließung wurde bereits vor haltskollegen: Wir Innenpolitiker aus allen Fraktionen sechs Jahren mit identischem Wortlaut vom Bundes- waren und sind uns einig, den Menschen zu sehen, tag verabschiedet. Ich finde es beschämend, wie ausschließlich den Menschen, nicht die Strukturen krämerisch Deutschland mit den Opfern der beiden haushälterischer Bedenklichkeiten. Wir sehen die totalitären Systeme umgeht, den Tätern hingegen Opfer deutschen staatlichen Unrechts, wo immer sie großzügige Renten gewährt. leben. Es ist ganz und gar unverständlich, daß der Bundes- Unverständlich bleibt, warum die Bundesregie- tag nicht endlich eine politische Nichtigkeitserklä- rung, die sonst jede noch so kleine Wohltat presse- rung für die Urteile der NS-Erbgesundheitsgerichte wirksam zu verkünden sucht, peinlich schweigt, wenn verabschiedet. Die Betroffenen, die sich mit mehr als das Parlament oder das Bundessozialgericht — bei 8 000 Unterschriften an den Petitionsausschuß ge- den Wehrdienstverweigerern — kleine Verbesserun- wendet haben, werden diese Entscheidung zu Recht gen für NS-Opfer durchgesetzt haben. nicht akzeptieren. Es ist nicht einsehbar, daß trotz gesicherter medizinischer Erkenntnisse über die Fol- Unverständlich bleibt, mit Bitterkeit denke ich geschäden der Zwangs-Sterilisierungen die Opfer zurück, warum mehrere Sitzungen unseres Unteraus- immer noch entwürdigenden Gesundheitsprüfungen schusses notwendig waren, um z. B. der Claims Con- ausgesetzt werden. Dabei wurden dem Deutschen ference zu gestatten, für überlebende jüdische Opfer Bundestag überzeugende Gutachten von Fachärzten deutschen NS-Terrors, die jetzt in den Baltischen vorgelegt. Auch führende Persönlichkeiten aus den Staaten leben, aus bereits zur Verfügung gestellten Kirchen haben solche Regelungen immer wieder Finanzmitteln zu genehmigen, diese für ein Alters- befürwortet. Im Interesse der Betroffenen bitte ich die heim in einem der Baltischen Staaten zur Verfügung Fraktionen dieses Hauses, unserem hier vorgelegten zu stellen, auch wenn die staatlichen Verhandlungen Änderungsantrag zuzustimmen. über die Opferhilfe noch nicht abgeschlossen sind. Auch die verschiedenen Anträge über die Gedenk- Wir wollen nicht warten, bis noch mehr Menschen stätten in Deutschland hätten eine ausführliche gestorben sind, denen wir heute mit bereits zur Debatte und viel Öffentlichkeit verdient. Die Situation Verfügung gestelltem Geld, nicht mit neu bewillig- ist fatal: Die Verantwortung für die Stätten des natio- tem, helfen könnten. Wenn dann sogenannte Territo- nalsozialistischen und des stalinistischen Terrors ist rialitätsprinzipien eine Rolle spielen, die in Zeiten des aufgesplittert; es gibt keine klare Kompetenzvertei- Kalten Krieges mauerbedingt Hilfe nach Osteuropa lung zwischen Bund und Ländern und noch immer ausschlossen, dann erreicht liberale Toleranz gegen- keine ausreichenden Konzepte; die Opferverbände über dem Andersdenkenden bisweilen ihre Gren- haben Mühe, sich gegenseitig zu respektieren. Immer zen. neue Probleme werden uns bewußt, etwa durch die Gräberfunde in den ehemaligen Speziallagern oder in Ich bitte Sie um Zustimmung zu den heute vorlie- ihrer Nähe oder durch die Erinnerung an nationalso- genden Ausschußempfehlungen. Dann setzen wir zialistische Verbrechen, insbesondere an den Homo- unsere Verantwortung auch für die Zukunft fort. sexuellen oder den Opfern der „Euthanasie", die zu DDR-Zeiten sträflich mißachtet worden ist. Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So werden gerade in Oranienburg/Sachsenhausen Der Deutsche Bundestag berät am heutigen Abend heftigte Debatten geführt um die unsensible Benen- über eine Fülle von Gesetzen und Anträgen, die sich nung von Straßen in einem neu entstehenden Gewer- mit dem nationalsozialistischen Terror befassen. Ich beviertel auf einem Gelände, das zum ehemaligen fürchte, die Betroffenen und ihre Angehörigen wer- Konzentrationslager gehört. Die Empfehlung und -den es als Demütigung empfinden, wenn im Sammel Bitte der Jüdischen Gemeinden, der Opferverbände und Schnellverfahren über ihre unterschiedlichen und der Landesregierung, diese Straßen nach Antifa- Belange befunden wird. Und dies am Vorabend der schisten zu benennen, die in Sachsenhausen ums Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20929*

Leben gekommen sind, wurde von der Kommune in auch immer, dem Krieg und dem Völkermorden ein der Gemeinde gröblich mißachtet. Ebenso unsensibel Ende setzen wollten und damit allen betroffenen war der bisherige Umgang mit einem Schießstand, der Völkern unermeßliches Leid und Millionen von Toten zum Konzentrationslager gehörte. Wir wissen inzwi- erspart hätten. Diese Auffassung spiegelt sich auch im schen aus den Berichten von Überlebenden, daß hier Konzept der Gedenkstätte des deutschen Widerstan- Häftlinge als lebende Zielscheiben mißbraucht wor- des im Bendlerblock wider, wie sie von ihrem wissen- den sind. Von der Volksarmee der DDR wurde dieser schaftlichen Leiter, Professor Steinbach, vertreten Schießstand pietätlos weitergenutzt, bis vor kurzem wird. auch noch von der brandenburgischen Polizei. Dies ist Der Regisseur von zur Mühlen bemerkte dieser durch einen Erlaß des brandenburgischen Innenmini- Tage, daß eine umfassende, sachliche und ein Millio- sters nun abgestellt. nenpublikum erreichende Dokumentation des Wider- Ähnliche Beispiele ließen sich viele nennen. Ich standes vom 20. Juli 1944 nicht zuerst in Westdeutsch- betrachte es als bleibende Aufgabe der deutschen land vorgelegt wurde, sondern vom Fernsehen und Politik, sich verantwortlich zu wissen für den würdi- Rundfunk der DDR im Jahre 1984. gen und respektvollen Umgang mit den Orten der Jetzt aber soll die Frage nach den tatsächlichen oder deutschen Geschichte, an denen die grausamen Ver- möglichen Absichten verschiedener Gruppen des brechen zweier totalitärer Regime verübt worden antifaschistischen Widerstandes wieder zum ent- sind. Ich hoffe und erwarte, daß der künftige Bundes- scheidenden Kriterium bei der Gestaltung von tag sich mit einem gewichtigen Unterausschuß Wie- Gedenkstätten werden. Und nicht nur das. Tote und dergutmachung und Gedenkstätten dieser Verant- Überlebende, deren Absichten in eine konservative wortung bewußt ist und daß sich der künftige Bundes- Gesellschafts- und Geschichtsauffassung passen, sind innenminister konzeptionell und organisatorisch und gute Tote und Überlebende, Sie gehören geehrt und deutlicher als bisher der Stätten des totalitären Terrors in das kollektive Gedächtnis. Tote und Überlebende in Deutschland, vor allem aber der noch lebenden aber, die ihren antifaschistischen Widerstand mit der Opfer annimmt. Hoffnung auf eine andere Gesellschaft verbanden, sind schlechte Tote und Überlebende. Sie gehören Petra Bläss (PDS/Linke Liste): Bei der Vielzahl der nicht in Gedenkstätten und ihre Namen nicht auf zu beratenden Beschlußempfehlungen und einer Straßenschilder. So jedenfalls beantwortet CSU-Mit- Redezeit von vier Minuten verzichte ich darauf, zu glied Franz Ludwig Graf Stauffenberg die Frage nach einzelnen Vorlagen etwas zu sagen. angemessener Würdigung antifaschistischen Wider- standes: Ulbricht, Pieck, Honecker und Abertausende Ich verzichte jedoch nicht darauf, die einseitige und ähnlich Gesinnter gehören aus dem antifaschistischen für Wahlkampfzwecke mißbrauchte Geschichtsauf- Widerstand gestrichen, weil sie andere Absichten fassung der CDU/CSU zu kritisieren. Eine solche hatten als der Vater des Grafen. Geschichtsauffassung verbreitete der Abgeordnete Eppelmann in seiner Rede zum Abschlußbericht der Der Graf, und deshalb spreche ich hier dazu, steht Enquetekommission am 17. Juni, im Vorfeld der mit seinem Versuch, linken Widerstand und damit Gedenkfeiern zum 50. Jahrestag des 20. Juli über- auch linke Bewegungen zu kriminalisieren, nicht nahm Graf Stauffenberg den Stafettenstab, und für die allein. Wenn ich die Gedenkstättendebatte resümiere, nächste Runde, die Gedenkrede zum 20. Juli, steht der wie sie von der CDU/CSU geführt wird, so ist die Bundeskanzler höchstpersönlich bereit. Stoßrichtung des Grafen auch die der CDU/CSU, und er ist ihr Vorsprecher. Ich wähle den Streit um die Ausstellung zum Gedenken an den 20. Juli 1944 als geeignetes und Meine Damen und Herren von der CDU/CSU: aktuelles Beispiel für unterschiedliche Bewertungen Ihrem Geschichtsbild fehlt die dazugehörige linke des antifaschistischen Widerstandskampfes. Der Hälfte. Ich bin trotz Ihrer Kampagnen aber guter 20. Juli ist aber auch ein Beispiel dafür, wie ein in der Hoffnung, daß es im Lande und auch hier im Bundes- wissenschaftlichen Geschichtsschreibung schon ge- tag genügend Frauen und Männer gibt, die dafür fundener Konsens aus vordergründigen politischen sorgen, daß immer wieder ein vollständiges Bild Erwägungen wieder in Frage gestellt wird. hergestellt und bewahrt wird. Die Schwierigkeiten in der DDR im Umgang mit dem 20. Juli 1944 rührten lange Zeit aus der Frage: Siegfried Vergin (SPD): Im nächsten Jahr begehen wir den fünfzigsten Jahrestag des Kriegsendes und Was wäre aus Deutschland geworden, wenn der der Befreiung der Überlebenden aus den national- Attentatsversuch erfolgreich gewesen wäre? Eine sozialistischen Konzentrations- und Vernichtungsla- Monarchie? Eine Militärdiktatur? Auch in der west- gern. Sicher zum letzten Mal werden sich in größerer deutschen Geschichtsschreibung war die Auffassung Zahl Opfer deutscher Barbarei zum Gedenken treffen. verbreitet, daß ein nach dem jetzigen Grundgesetz Was für ein Signal wäre es gewesen, wenn die verfaßtes Deutschland nach einem Erfolg der hinter dem Attentat stehenden Kreise nicht möglich gewe- Fraktionen des Deutschen Bundestages heute einen gemeinsamen Antrag hätten beschließen können, der sen wäre. gezeigt hätte: Die Bundesrepublik Deutschland ist 1984, 40 Jahre nach dem 20. Juli 1944, setzte sich in sich ihrer Verantwortung für die Erinnerung an die der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung in Ost Schrecken zweier Diktaturen bewußt, und sie ist und West die sehr viel vernünftigere Ansicht durch, gewillt, im Rahmen ihrer gesamtstaatlichen Verant- den 20. Juli vor allem als breiten Zusammenschluß wortung herausragende Gedenkstätten auf Dauer zu von Kräften zu würdigen, die, aus welchen Motiven fördern. 20930* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Dies ist nun trotz intensiver Vorbereitungszeit nicht Für die SPD erkläre ich: Wir können der Entschlie- gelungen. Fast zweieinhalb Jahre hat der Deutsche ßung mit der Feststellung der Grundüberzeugungen Bundestag gebraucht, um sich eine Meinung zu der zu den Gedenkstätten und der Verantwortung des gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes für die Bundes zustimmen. Wir bleiben bei unserem „Leitli- Gedenkstätten zu bilden. Ich will nicht verhehlen: Ich nien"-Antrag. Den Antrag der Regierungskoalition hätte es begrüßt, wenn wir schneller zu einem Kon- lehnen wir begründet ab. Im Umgang mit den sens gekommen wären — und dann natürlich auf dem Gedenkstätten zeigt sich die politische Kultur unseres Boden der SPD-Vorstellungen, die in Fachkreisen und Landes. Mit dem Antrag der Regierungskoalition bei den unmittelbar betroffenen Opferverbänden auf kann die Bundesrepublik dieser Verantwortung nur breite Zustimmung stoßen. unvollkommen gerecht werden. Andererseits hat die intensive Beschäftigung dem Lassen Sie mich aus aktuellem Anlaß noch einige Deutschen Bundestag sehr gut angestanden. Die Worte zu der Diskussion um die Gedenkstätte Deut- SPD-Bundestagsfraktion hat sich intensiv am 28. No- scher Widerstand im Berliner Bendler-Block sagen, vember 1991 im Gespräch mit Sachverständigen ihre auch eine Gedenkstätte, die ab Herbst 1994 vom Bund Meinung gebildet, der Innenausschuß ist am 7. März und vom Land Berlin gefördert werden soll: 1994 mit einer eigenen Anhörung — im übrigen der ersten überhaupt in dieser Parlamentsgeschichte zu Ich achte das Engagement von Franz Ludwig Graf diesem Problem — gefolgt. Die Berichterstatter haben Stauffenberg, dem Sohn des Hitlerattentäters, der das sich wiederholt getroffen und beraten. Wir haben es Andenken seines Vaters durch die gleichzeitige Dar- uns nicht leichtgemacht. stellung des kommunstischen Widerstandes in der Gedenkstätte beschädigt sieht. Ich bin froh, daß die Fraktionen sich wenigstens in den Grundpositionen haben einigen und in einer Ich warne die Bundesregierung aber davor, aus Entschließung diese Überzeugungen als gemeinsa dieser persönlichen Betroffenheit heraus politische mes Zeichen an das In- und Ausland senden kön- Konsequenzen für eine Ausstellung zu ziehen, an nen: deren wissenschaftlicher Seriösität bisher niemand auch nur den geringsten Zweifel hatte. Wir sind übereingekommen, daß die Gedenkstätten als Orte der Trauer, der Erinnerung und der Mahnung Wer sich aus welchen Gründen auch immer für das gestaltet sein müssen. Abhängen von Bildern einsetzt, muß wissen: Er blen- - Wir sind übereingekommen, daß es für einen frei- det historische Wahrheit aus, er sorgt für eine Katalo- heitlichen Rechtsstaat Verpflichtung sein muß, diese gisierung in Widerstand erster und zweiter Klasse. Erinnerung an die Schrecken zweier Diktaturen Dies widerspricht der historischen Wahrheitsfin- wachzuhalten. dung. Wir sind übereingekommen, daß die Gedenkstätten Ich will keine politisch beeinflußte, gar gesteuerte der Weiterentwicklung der demokratischen Gesell- Geschichtswissenschaft. Wissenschaft, Forschung schaft dienen, die die Motivation verstärken, zur und Lehre sind frei. Die Politik sollte sich dieses Verhinderung ähnlicher Verbrechen in Gegenwart Grundsatzes erinnern und entsprechend den Wissen- und Zukunft beizutragen. schaftlern das Feld überlassen. In wesentlichen Punkten konnte die SPD den Vor- Die Gesamtkonzeption der Bundesregierung zu den stellungen der Regierungskoalition nicht folgen: Gedenkstätten liegt vor. Die Förderung hervorragen- der Gedenkstätten in Ostdeutschland in gemeinsamer Erster Punkt: Der Antrag der Regierungskoalition Arbeit von Bund und Ländern kann in absehbarer Zeit sieht nur noch die Förderung von Gedenkstätten in beginnen. Wie die finanzielle Ausstattung aussehen Ostdeutschland vor. Mit den in den beiden Anhörun- wird, bleibt abzuwarten. Ich will nicht hoffen, daß es gen gehörten Sachverständigen sind wir der Auffas- hier zu Enttäuschungen kommt. Jüngstes Beispiel bei sung, daß dies nicht ausreicht. Auch die westdeut- der bereits zugesagten Unterstützung ausländischer schen Einrichtungen sind dringend auf die Unterstüt- Gedenkstätten: Ich habe mit Schrecken gehört, daß zung des Bundes angewiesen. für die Stiftung Theresienstadt keine Mittel für 1995 Zweiter Punkt: Die Regierungskoalition will die vorgesehen sind. Und wer kann mir erklären, weshalb ostdeutschen Gedenkstätten vorerst für 10 Jahre för- die Mittel für Gedenkstätten in Ostdeutschland noch dern. Als ob die Verantwortung vor der Geschichte mit geschmälert werden sollen durch zwei aus dem glei- dieser Zeitgrenze ein Ende finden würde! chen Topf zu fördernde Ausstellungen, die mit den Gedenkstätten, über die wir heute entscheiden, nichts Dritter Punkt: Die Verankerung der politischen zu tun haben? Diese Entscheidung muß aufgehoben Bildung in den Gedenkstätten ist uns zu unbestimmt werden. formuliert. Wenn vor allem die jungen Menschen, die die Zeiten des Terrors nicht mehr aus eigenem Erle- Ich kann versprechen, daß wir den weiteren ben kennen, erreicht werden sollen, ist ein hohes Maß Umgang mit den Gedenkstätten sorgfältig beobach- an Professionalität notwendig, braucht man kluge ten und politisch begleiten werden. Manches hätten didaktische Konzepte. Es reicht also nicht eine vage wir anders gestaltet, aber die jetzt gefundene Lösung Zusicherung, daß „möglichst" die politische Bildung verstehen wir als immerhin ersten wichtigen Schritt. bei den Gedenkstätten verankert werden soll. Denn: Nur wer die Vergangenheit versteht, kann die Gedenkstätten und die professionell betriebene poli- Zukunft im Sinne von Toleranz und Demokratie tische Bildung gehören eng zusammen. gestalten. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20931*

Anlage 11 Dies ist nach meiner Überzeugung längerfristig der richtige Ansatz, um die Grundlagen für ein stabileres, Zu Protokoll gegebene Reden friedlicheres Zusammenleben der Völker zu schaf- zu Tagesordnungspunkt 12 fen. (Antrag: Politische Stärkung und institutioneller Gerade das im letzten Jahr eingerichtete Amt des Ausbau der KSZE) Hochkommissars für nationale Minderheiten steht beispielhaft dafür, wie die KSZE-Arbeit angelegt Edelgard Bulmahn (SPD): In kaum einer anderen ist: Frage sind sich die Kolleginnen und Kollegen, die sich mit außen- und sicherheitspolitischen Fragen be- Der Hochkommissar ist ein „Instrument zur Kon- schäftigen, so weitgehend einig, wie bei der notwen- fliktverhütung im frühestmöglichen Zeitpunkt". Es ist digen Stärkung der KSZE. Ich hoffe daher, daß unser inzwischen weithin anerkannt, daß Max van der Stoel Antrag von allen getragen werden kann, weil es in kurzer Zeit bereits Erhebliches geleistet hat. Wenn darum geht, durch ein breites parlamentarisches man dabei bedenkt, daß dieses Amt bisher mit sage Votum zu einem positiven Ergebnis der KSZE-Gipfel- und schreibe drei Mitarbeitern ausgestattet ist, weiß konferenz Ende dieses Jahres beizutragen. man dies besonders zu schätzen. Vor einem Jahr ist es uns gelungen, mit den Es verweist aber zugleich darauf, daß die KSZE gemeinsamen Anträgen zur Einstellung der Atomwaf- noch weit unter ihren Möglichkeiten bleibt. Sie ist fenversuche und zur Nichtverbreitung von Kernwaf- schlicht und einfach unzureichend ausgestattet. fen international beachtliche Wirkung erzielen. Daran Meine Fraktion unterbreitet im vorliegenden sollten wir anknüpfen. Antrag Vorschläge, wie die KSZE weiter ausgebaut Noch immer wird die KSZE unterschätzt. Langfristig werden kann. Wir wollen zugleich, daß der KSZE ausgerichtete, zähe diplomatische Arbeit ist eben endlich die Mittel zu kommen, die sie für ihre Arbeit wenig spektakulär. Aber jüngst konnten wir in der braucht. FAZ, die ja die KSZE sonst eher links liegen läßt, Es geht dabei nicht darum, eine neue Einrichtung Erstaunliches zu lesen: die KSZE sei besser als ihr Ruf bürokratisch aufzublähen. Dies hat Generalsekretär und sei mit ihrer „wenig beachteten Feldarbeit von Höynck bei einer Anhörung des Auswärtigen Aus- allgemeinem Nutzen". schusses ja auch deutlich gemacht. Wir haben uns in In der Tat: KSZE-Vertreter haben in einigen Kon- Gesprächen in Wien und bei einer Anhörung unserer fliktherden die Kärrnerarbeit für Entspannung und Fraktion einen sehr genauen Einblick verschafft, was friedliche Streitbeilegung übernommen. Sie haben jetzt getan werden muß. dazu beigetragen, daß sich die Lage zwischen Balten Es geht erstens darum, die Arbeit der KSZE auf eine und Russen teilweise entspannt hat. verläßliche finanzielle Grundlage zu stellen. In Nagornyi Karabach ist die KSZE intensiv tätig. Dort soll auch die Probe aufs Exempel gemacht Zweitens muß die KSZE bei ihren Missionen auf werden, wie friedenserhaltende Missionen auf dem ausreichend qualifiziertes Personal zurückgreifen Gebiet der ehemaligen Sowjetunion unter dem Dach können. Wir können dabei mithelfen, indem wir dafür der KSZE durchgeführt werden können. Russische eine angemessene Personalreserve im Auswärtigen Blauhelme sollen zusammen mit KSZE-Beobachtern Amt bilden. Dies, Herr Außenminister, sollten wir eine Verhandlungslösung möglich machen. Auch im gemeinsam angehen. Krim-Konflikt ist die KSZE inzwischen aktiv gewor- Drittens sollte die Rolle des Generalsekretärs den. gestärkt werden. Schnelle Reaktionsfähigkeit und Die KSZE verfügt mit ihren Langzeitmissionen, mit Flexibilität können der KSZE nur gut tun. dem Hochkommissar für nationale Minderheiten und Der Ausbau der KSZE-Institutionen wird aber nur mit dem Ständigen Ausschuß über Instrumente, um dann etwas bringen, wenn die KSZE politisch aufge- Konflikte frühzeitig angehen zu können, Frühzeitig wertet wird. Die ganze knifflige Debatte der letzten heißt, bevor Gewalttätigkeiten ausgebrochen sind. Wochen um die Ost-Erweiterung der NATO, der WEU Sicher: die KSZE kann ohne die Bereitschaft der oder der EU hat ein Dilemma offenbart: Die Staaten im Konfliktparteien zum Frieden nichts unmittelbar KSZE-Raum werden in unterschiedlichem Tempo bewirken. zusammenwachsen. Die Integration der östlichen Staatenwelt wird nur mittelfristig und in unterschied- Die KSZE kann aber immer wieder die Vorteile licher Geschwindigkeit erfolgen. Daraus erwächst die friedlicher Konfliktregelung vor Augen führen, sie Gefahr, daß neue Gräben oder gar Brüche entstehen, kann Initiativen zum Ausgleich widerstreitender die wir unter allen Umständen vermeiden müssen. Ein Interessen entwickeln, sie kann beharrlich vermitteln Weg, dies zu verhindern, ist die politische Stärkung und Verhandlungen in Gang bringen. der KSZE. Sie kann mithelfen, demokratische Strukturen auf- zubauen und zu festigen. Sie kann als gesamteuropäisch-transatlantische Einrichtung die ständige politische Konsultation aller Sie kann dazu beitragen, Menschen- und Minder- KSZE-Teilnehmerstaaten sicherstellen. Sie kann da- heitenrechte zu sichern. mit auch wesentlich zur Einbindung Rußlands beitra- Mit ihrem Wirtschaftsforum kann die KSZE — ne- gen. Der Streit um eine hierarchische Ordnung der ben der Europäischen Union — einiges tun, um mit bestehenden Einrichtungen — NATO, WEU, KSZE — Wirtschafts- und Sozialprogrammen konfliktmin- scheint mir müßig. Auf die Eigenheiten, auf die dernd zu wirken. Spezifika der jeweiligen Einrichtung kommt es an. 20932* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Und es bleibt dabei, daß nur die KSZE alle Staaten von vor, diese Fragen bei künftigen Abrüstungsverhand- Vancouver bis Wladiwostok auf gleichberechtigter lungen einzubeziehen. Grundlage umfaßt. Daher scheint sie zur friedlichen 4. Friedenssicherung hängt immer stärker von der Streitbeilegung und zur Konfliktverhütung besonders Erreichung regionaler Stabilität ab; daher wird die geeignet. Einrichtung „regionaler Tische. Wir fordern Sie, Herr Eines liegt mir besonders am Herzen: Abrüstung Außenminister, daher auf, im Sicherheitsforum der und Rüstungskontrolle bleiben auch unter den verän- KSZE initiativ zu werden und in der Öffentlichkeit derten Rahmenbedingungen in Europa wichtig. Nur noch mehr auf neue Abrüstungsverhandlungen zu leider wird darüber im Forum für Sicherheitskoopera- drängen. tion gegenwärtig nicht gesprochen. Wir wissen, daß wir uns in Wahlkampfzeiten befin- Für Budapest haben sich die Teilnehmerstaaten die den. Dennoch mein Appell an die Kolleginnen und Verabschiedung eines Verhaltenskodex vorgenom- Kollegen in den anderen Fraktionen: hier geht es um men, der das Prinzip der Nichtanwendung von Gewalt ein gemeinsames Anliegen deutscher Außenpolitik: weiter konkretisieren soll. Wir unterstützen dies. Die die politische Stärkung und den institutionellen Aus- EU-Staaten haben dazu einen Vorschlag vorgelegt. bau der KSZE. Nutzen wir unsere parlamentarische Wir regen zugleich an, in einem nächsten Schritt Verantwortung, um dieses Ziel im Vorfeld des Buda- Vorschläge anderer Delegationen aufzugreifen, die pester Gipfeltreffens voranzubringen! mit dem erweiterten Sicherheitsgriff der KSZE Ernst machen wollen. Dr. Helmut Haussmann (F.D.P.): Seit den 70er Wir wollen aber weder bei diesem Verhaltenskodex Jahren ist der Ausbau der KSZE Kernbestand unserer noch bei der Harmonisierung der Abrüstungs- und liberal geführten Außenpolitik. Sie hat — zunächst nur Rüstungskontrollverpflichtungen stehenbleiben. Wir durch die politische Kraft ihrer Ideen — unseren wollen weiter gehen: Ende 1995 müssen die Abrü- östlichen Nachbarn die Hoffnung auf Freiheit und stungsverpflichtungen nach dem KSE-Vertrag erfüllt eine bessere Zukunft gegeben und damit Europa sein. Und jeder weiß, daß die dort festgelegten Ober- entscheidend verändert. grenzen nach heutigen Maßstäben viel zu hoch ange- setzt sind. Außerdem gilt: Stillstand bei der Abrüstung Nach dem Umbruch war die KSZE der erste politi- wird zum Rückschritt, weil die Rüstungsmodernisie- sche Anknüpfungspunkt aller neuen Demokratien. rung auf allen Seiten weitergeht. Wenn ein Imperium wie die Sowjetunion unter der Kraft von Ideen zusammenbrechen konnte, was Warum werden die Ankündigungen des russischen könnte sich dann noch, so schien es, einem besseren Präsidenten und seines Verteidigungsministers, die Europa in den Weg stellen? russischen Streitkräfte erheblich zu verkleinern, nicht zum Anlaß genommen, um Verhandlungen zu ver- Mit der Charta von Paris 1990 sowie der Erklärung traglich abgesicherten und den KSZE-Raum umfas- von 1992 zur „regionalen Abmachung " im Sinne von sende Reduzierungen der Streitkräfte und der Kapitel VIII der UN-Charta und der damit verbunde- Rüstungshaushalte vorzuschlagen? nen Verpflichtung, örtlich begrenzte Streitigkeiten friedlich beizulegen, hat die KSZE ihre Aufgabe neu Dies wäre aus vielerlei Gründen dringend gebo- definiert. ten: Bei alledem baute sie auf die Vernunft und Einsicht 1. Wenn weniger Waffen vorhanden sind, werden des Menschen und die Mechanismen der präventiven auch die Möglichkeiten des Waffeneinsatzes in Kon- Diplomatie, der Konfliktregelung und -eindämmung, flikten vermindert. der Streitschlichtung, notfalls auch den Druck der Daher müssen Abrüstung und restriktive Rüstungs- internationalen Öffentlichkeit. exportpolitik Hand in Hand gehen. Schöne Absichts- Wie alle europäischen Foren war die KSZE unvor- erklärungen der KSZE-Delegationen sind gut, besser bereitet auf die aufbrechenden, meist innerstaatlichen wären konkrete Festlegungen, mit denen sich alle Konflikte in Europa, die mit den Mitteln der ersten verpflichten würden, Waffengeschäfte zu drosseln, Hälfte des Jahrhunderts ausgefochten wurden und statt sie wiederzubeleben (was ja leider der Fall ist). werden. Für die Bekämpfung brutaler Gewalt war sie 2. Die Möglichkeiten bewaffneter Angriffe werden nicht geschaffen. Ihr fehlten nicht die Konzepte, wohl durch eine Reduzierung von Waffen und Soldaten und aber die Mechanismen, um sie durchzusetzen. durch eine weiterreichende defensive Ausrichtung Dabei ist sie von der Idee und Struktur her durchaus der Streitkräfte beträchtlich verringert. Dies ist nach das geeignete Forum, um auf die Grundursachen der wie vor ein Schlüsselglied bei der Vertrauensbildung Probleme einzugehen und Konflikte zu verhüten, zu zwischen den Staaten. bewältigen und beizulegen. 3. Der nahezu ungebremsten Rüstungsdynamik Inzwischen ist es so weit, daß auch die Durchset- sind Fesseln anzulegen, wenn wir von den immer noch zungsmechanismen nach und nach geschaffen und viel zu hohen Rüstungsausgaben herunterkommen verfeinert werden. Mit der Ernennung eines deut- wollen. schen Generalsekretärs sowie eines Hohen Kommis- Der vermeintliche Zwang zur Rüstungsmodernisie- sars für nationale Minderheiten, der Organisation von rung verschlingt viele Ressourcen gerade in den Wahlbeobachtungen in den neuen Demokratien Staaten, die genug andere Probleme haben — ich sowie diversen Krisenmissionen erbringt die KSZE nenne nur die osteuropäischen Staaten, aber auch mehr und mehr den Nachweis ihrer Handlungsfähig- Griechenland und die Türkei. Deshalb schlagen wir keit. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20933*

Sie hat — oft von der Öffentlichkeit unbemerkt KSZE von einem Diskussionsforum über Sicherheit erfolgreiche diplomatische Missionen nach Estland, und Zusammenarbeit in Europa durch die Kraft ihrer Makedonien, Georgien, Moldau, Lettland und Tad- politischen Aussage, nicht durch rechtliche Verbind- schikistan durchgeführt. Demnächst werden die lichkeit, unersetzbar gemacht. Ukraine, Sarajewo und wohl auch Nagornij-Karabach mit einbezogen. Erinnern wir noch einmal an die 70er Jahre: Schon aus geographischen Gründen kann die KSZE politische Erklärungen zu Gewaltverzicht, Men- bei Konflikten sehr viel effizienter tätig werden als schenrechten, Selbstbestimmungsrecht, territorialer NATO und WEU. Sie deckt ein anderes Spektrum ab, Integrität, Unverletzlichkeit von Grenzen — und ist jedoch für Sicherheit und Gesamteuropa minde- damit der Möglichkeit, sie friedlich zu ändern —, an stens ebenso wichtig wie andere europäische und wirtschaftliche und Umwelt-Kooperation. transatlantische Institutionen. Erinnern wir an die Gipfelkonferenz von Helsinki Mit dem am 17. Mai dieses Jahres von den Außen- 1975, Belgrad 1977/78, Madrid 1980-83, Wien ministern Kinkel und Kooijmans in Wien vorgestellten 1986-89, Paris 1990, Helsinki 1992. Thesenpapier zur zukünftigen Gestaltung der KSZE Die KSZE ist im Laufe dieser Jahre zu einem Forum werden präzise Vorschläge zur Effektivierung der der Sicherheit durch Zusammenarbeit geworden. Konfliktverhütung und Frühwarnung gemacht. Unser Europa ist ohne sie nicht mehr denkbar. Diese „Agenda für Budapest" stellt die entschei- denden Weichen für das diesjährige KSZE-Gipfeltref- fen. Damit wurden die Konsequenzen aus den inner Dr. Hans Modrow (PDS/Linke Liste): Der Antrag der europäischen Konflikten der letzten Jahre gezogen. SPD behandelt ein dringliches Anliegen, denn Rolle und Platz der KSZE entsprechen keineswegs den Entscheidend ist der Vorschlag, daß dieses Forum heutigen sicherheits- und kooperationspolitischen bei Friedensstörungen auch ohne Zustimmung der am Herausforderungen, auch nicht den Möglichkeiten, Konflikt Beteiligten den Sicherheitsrat anrufen kann; die die KSZE schon heute bietet. Und die Bundes- des weiteren verpflichtet es sich zur Unterstützung regierung ist daran keineswegs schuldlos. Sie be- entsprechender Sicherheitsratsbeschlüsse. teiligt sich daran oder läßt es zumindest zu, daß die Chancen der KSZE durch einen militärisch determi- Es handelt sich sowohl um eine Umsetzung des nierten sicherheitspolitischen Alleinvertretungsan-- Subsidiaritätsprinzips als auch zugleich um eine Stüt- spruch von NATO und WEU untergraben wurden und zung des Systems der Vereinten Nationen. Konflikte werden. So wird die KSZE aus substantiellen Sicher- werden nur dann dem Sicherheitsrat vorgelegt, wenn heitsfunktionen verdrängt, zentrale Funktionen der sie durch regionale Organisationen nicht gelöst wer- Zusammenarbeit werden ihr vorenthalten. den können. Mit der „Partnerschaft für den Frieden" wird eine Die KSZE — und künftig auch andere regionale selektive Ostausdehnung der NATO vorbereitet, die Organisationen — erhalten in ihrem jeweiligen Raum die sicherheitspolitische Spaltung des Kontinents bei Konfliktlösung mit friedlichen Mitteln den Vor- noch vertiefen wird. Im Ergebnis dessen ist in Europa rang. Das Prinzip lautet: „Zuerst die KSZE". ein sicherheitspolitisches Chaos entstanden, dessen Konsequenzen nicht absehbar sind. Heute wirken in Die Umsetzung größerer friedenserhaltender und Europa neue Konfliktrisiken, die nicht zuletzt dadurch vor allen Dingen friedensherstellender Maßnahmen entstanden bzw. aufgebrochen sind, weil nach den wird sie anderen Institutionen überlassen müssen. Umbrüchen 1989/90 wirkungsvolle gesamteuropäi- Doch auch dann ist sie bei der politischen Steuerung sche Sicherheits- und Kooperationsstrukturen fehlen. und Lösungsfindung beteiligt. Es geht darum, Sicherheit, Abrüstung und Koopera- Wenn die KSZE in den letzten Jahren erhebliche tion wirklich komplementär zu gestalten. Fortschritte auf dem Weg zu einer handlungsfähigen Die PDS/Linke Liste tritt seit jeher dafür ein, die völkerrechtlich verankerten Organisation gemacht KSZE politisch zu stärken und auch institutionell hat, so hat Deutschland, hat liberal geführte Außen- auszubauen. Auch in ihrem Antrag zur EU-Präsident- politik auch hieran maßgeblichen Anteil. schaft, der heute früh mit den Stimmen der SPD Sowohl die Aufgaben des Generalsekretärs als auch abgelehnt wurde, forderte sie von der Bundesregie- die des ständigen Beschlußgremiums in Wien müssen rung, diese Frage zu einem Schwerpunkt ihrer EU- weiter ausgebaut und mit umfassenderen Mandaten Präsidentschaft zu machen und vor allem eine Initia- versehen werden. tive zu unternehmen, die den KSZE-Prozeß mit allen seinen Möglichkeiten ausschöpft, und zwar als Rah- Nicht zu vergessen ist die KSZE auch als Schirm für men für ein künftiges gesamteuropäisches System der ein umfassendes Rüstungskontrollregime, das auf der Sicherheit und der allseitigen partnerschaftlichen Idee eines „gemeinsamen Sicherheitsraumes" auf- Zusammenarbeit, das die Friedenspotenzen mobili- baut. siert sowie wirtschaftliche und soziale Stabilität dau- erhaft gewährleistet. Die KSZE bietet dafür unter- So kann stufenweise und in enger Vernetzung von schiedliche, z. T. aber wesentliche konzeptionelle, KSZE, NATO, Nordatlantischem Kooperationsrat und funktionale und strukturelle Ansätze. Die Bundesre- EU eine große Sicherheitszone von Vancouver bis gierung muß nur politisch wollen, daß sie qualitatativ Wladiwostok entstehen. In 20 Jahren hat sich die weiterentwickelt werden. 20934* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Christian Ruck (F.D.P.): Der Vorliegende Antrag sere, wenn möglich nahtlose Verzahnung der Kon- der SPD zur politischen Stärkung und dem institutio- fliktverhütungsinstrumente der Vereinten Nationen nellen Aufbau der KSZE enthält, das muß man einfach und der KSZE. Wir sollten daraufhin arbeiten, daß die sagen, sehr viel richtiges und wichtiges. Wenngleich KSZE als anerkannte regionale Abmachung in ihrem das Lob über die Rolle der KSZE im Kalten Krieg mir Geltungsbereich und auf einer niedrigeren Interven- doch zu dick aufgetragen erscheint, hat sie in den tionsschwelle die Vorfeldarbeit im Rahmen der friedli- vergangenen Jahrzehnten erheblich mehr bewegt, als chen Streitbeilegung unternimmt. Erscheint jedoch die meisten in Ost und West ihr zugetraut hätten. Und eine Konfliktbeilegung ohne Zwangsmaßnahmen es stimmt auch mich durchaus hoffnungsvoll, zu aussichtslos, sollte die KSZE übergangslos auf die sehen, wie sehr die KSZE behutsam und unspektaku- Einflußmöglichkeiten der Vereinten Nationen nach lär nach Ende des Ost/West-Konflikts ihren Spielraum den Kapiteln 6 und 7 der UN-Charta zurückgreifen nützt, um z. B. auch durch Missionen Konflikte zu können. Damit bekäme die KSZE auch die notwen- vermeiden oder zu schlichten, wie in Georgien, Est- dige, abschreckende Rückendeckung für ihre präven- land und Tadschikistan. tive Diplomatie. Ein solcher Übergang von einer horizontalen in eine vertikale Arbeitsteilung zwischen Was die Perspektiven und Handlungsmöglichkei- UNO und KSZE setzt allerdings eine bessere politi- ten in der deutschen KSZE-Politik betrifft, läuft der sche und technische Verknüpfung der beiden Orga- SPD-Antrag bei uns und auch bei der Bundesregie- nisationen voraus, aber auch einen stärkeren Willen rung — siehe etwa die Agenda für Budapest des seitens der Vereinten Nationen, ihre Abschreckungs- Außenministers — meistens offene Türen ein: Auch maßnahmen gegenüber Aggressoren und Unruhestif- wir halten eine weitere Konkretisierung des zukünfti- tern glaubwürdiger zu machen. gen Aufgabenprofils der KSZE, das ihre komparativen Vorteile voll zur Geltung bringt, für wichtig. Ebenso Die Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag eine baldige Verabschiedung eines Verhaltenskodex waren und sind der Meinung, daß eine gemeinsame, für die jeweiligen Streitkräfte im Innenleben der von allen demokratischen Parteien dieses Hauses Einzelstaaten. Ein anderer wichtiger Punkt ist ferner getragene Außenpolitik zum Wohle unseres Landes das angesprochene Problem der Drittstreitkräfte. Die von größter Bedeutung ist. Leider ist die SPD in der russische Armee z. B. könnte in den GUS-Staaten von jüngsten Vergangenheit und in wichtigen Punkten Fall zu Fall eine wichtige friedenserhaltende und von dieser Maxime deutscher Nachkriegspolitik streitschlichtende Rolle spielen. Einen Blanko-Scheck abgewichen. Lassen Sie mich die Hoffnung äußern,- dafür durch die KSZE kann es nicht geben. Wir daß die Sozialdemokraten bald — vielleicht auch müssen daher auch die KSZE dazu drängen, daß sie durch höheres Urteil — wieder zu einer gemeinsamen möglichst bald strikte und unzweideutige Regelungen außenpolitischen Linie des Deutschen Bundestages für derartige Einsätze von Drittstreitkräften aufstellt. zurückfinden. Nicht zuletzt als Signal unseres unein- Ein weiteres gemeinsames Anliegen ist schließlich geschränkt guten Willens zu einer verantwortungsbe- eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung wußten außenpolitischen Zusammenarbeit stimmen der KSZE. Hier müssen wir auch vor unserer eigenen wir dem SPD-Antrag „Politische Stärkung und institu- Haustür kehren. Finanziell ist ja eine deutliche Stei- tioneller Ausbau der KSZE" zu. gerung des entsprechenden Haushaltstitels bei uns eingeplant und wird hoffentlich auch durchgesetzt werden können. In der Personalpolitik schlage ich Helmut Schäfer, Staatsminister beim Bundesmini- noch einmal vor, im Auswärtigen Amt ein Kontingent ster des Auswärtigen: Der vorliegende Antrag lenkt von Lehrstellen für deutsche KSZE-Spezialisten vor- das Augenmerk in einer Zeit auf die KSZE, in der die zuhalten, die im Bedarfsfall rasch aktiviert werden Suche nach einer dauerhaften europäischen Sicher- könnten. Jedenfalls wären die Verrenkungen, die wir heitsordnung und nach wirksamen Instrumenten zur z. Zt. bei jeder neuen KSZE-Friedensmission machen Eingrenzung neuer Stabilitätsrisiken an Intensität müssen, wenn sich Deutsche daran beteiligen sollen, zugenommen hat. Die kriegerischen Auseinanderset- auf die Dauer ein Armutszeugnis. zungen im früheren Jugoslawien, aber auch in Teilen der früheren Sowjetunion sind mit den herkömmli- Gewisse Bedenken habe ich beim Punkt „ökologi- chen Instrumenten militärischer Abschreckung nicht sche Sicherheit" des SPD-Antrages. Das Grundanlie- gen, nämlich auf allen Ebenen etwas gegen die zu lösen. Besser als nachträgliche Heilungsversuche fortschreitende Umweltzerstörung zu unternehmen, sind das rechtzeitige Erkennen der Konfliktursachen, wird ungeschränkt geteilt. An anderer Stelle des die rechtzeitige Vermittlung und Beratung. Antrags ist jedoch zu Recht von Abstimmungs- und Die KSZE bleibt auf absehbare Zeit die einzige Koordinationsmängeln der internationalen Institutio- Sicherheitsstruktur in Europa, der alle Staaten zwi- nen untereinander die Rede. Um noch mehr Doppelar- schen Vancouver und Wladiwostok mit gleichen beit und Verzettelung zu vermeiden, sollte noch Rechten und Pflichten angehören. Dies erklärt auch einmal genau geprüft werden, ob nicht gerade die das jüngst wieder in Brüssel und Istanbul bekundete Bekämpfung der ökologischen Probleme auch im Interesse Rußlands an einer Stärkung der KSZE, das KSZE-Raum von anderen bestehenden Organisatio- nicht als bloßes Propagandamanöver zur Schwächung nen besser erfüllt werden könnte. der NATO abgetan werden kann. Wir haben ein Lassen Sie mich zu den Stichworten „Koordination" elementares Interesse daran, daß in Europa keine und „KSZE als regionale Abmachung im Sinne der neuen Gräben aufgerissen und daß eine Verselbstän- UN-Charta" noch einen wichtigen Punkt nennen, auf digung der Entwicklung im GUS-Raum vermieden den der Antrag nicht konsequent eingeht: Eine bes wird. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20935*

Die KSZE hat ihr eigenes Gewicht bei der Förde- zu der Erkenntnis beitragen könnte, daß präventive rung von Demokratie und Menschenrechten, bei der Diplomatie und Konfliktverhütung zwar neu sind und Frühwarnung und Konfliktverhütung, künftig auch neue Mittel erfordern, jedoch unendlich weniger bei der wirtschaftlichen Einbindung und Beobach- kosten als Truppeneinsätze oder gar Wiederaufbau- tung friedenserhaltender Maßnahmen. Der Antrag programme. setzt in diesem Bereich die richtigen Akzente. Mit dem Die Bundesregierung hat die KSZE und die Vorbe- beschriebenen Aufgabenprofil deckt die KSZE ein reitung des Gipfeltreffens in Budapest zu einem der anderes Spektrum ab als NATO und WEU, ist jedoch Schwerpunkte ihrer Präsidentschaft gemacht. Sie läßt für die Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit sich dabei von Überlegungen leiten, die denen des nicht weniger wichtig. vorliegenden Antrags sehr weitgehend entsprechen. Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund Lassen Sie uns gemeinsam für einen Erfolg des gemeinsam mit den Niederlanden eine „gemeinsame Gipfeltreffens und für eine feste Verankerung der Agenda für Budapest" vorgelegt. Dieses Programm, KSZE in der Öffentlichkeit arbeiten. das von BM Kinkel am 17. Mai 1994 in Wien gemein- sam mit seinem niederländischen Amtskollegen Kooijmans vorgestellt wurde, strebt keine grundle- gende Umwälzung der europäischen Sicherheits- Anlage 12 struktur an. Es schlägt vielmehr vor, die KSZE als „regionale Abmachung" im Sinne der Charta der Zu Protokoll gegebene Reden Vereinten Nationen weiter auszubauen. zu Tagesordnungspunkt 14 (a — Große Anfrage: Im Sinne der Charta — so der deutsch-niederländi- Maßnahmen gegen Fremdenfeindlichkeit, sche Vorschlag — soll die KSZE bei friedlicher Streit- Neonazismus und Gewalt, beilegung und bei der Konfliktverhütung in ihrem b — Antrag: Stiftung für die Opfer Raum Vorrang vor den Vereinten Nationen erhalten. ausländerfeindlicher Übergriffe, Gleichzeitig haben wir klarere Regeln für die Verbin- c — Antrag: Rechtsextremismus und Gewalt dung zwischen KSZE und dem Sicherheitsrat der in der Bundesrepublik Deutschland: Vereinten Nationen vorgeschlagen. Fakten, Ursachen und Gegenmaßnahmen) Wir erkennen damit an, daß die KSZE für die Frühwarnung und für die Konfliktverhütung eine Vera Wollenberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): besondere Eignung mitbringt, nicht zuletzt aufgrund Die Antwort, die die Bundesregierung nach einem der umfassenden politischen Verpflichtungen, die die Jahr Bedenkzeit auf unsere große Anfrage gegeben KSZE-Staaten untereinander übernommen haben. Im hat, ist unbefriedigend. Sie zeugt davon, daß die KSZE-Rahmen gilt es nicht als Einmischung, wenn ein Regierung zunehmende Gewalt und Fremdenfeind- Staat einem anderen gegenüber Menschenrechtsver- lichkeit in unserem Landes lange ignoriert hat, ja letzungen anspricht oder andere innerstaatliche Ent- dieser Entwicklung in einer gewissen Weise auch wicklungen zur Sprache bringt, die sich zu einem Vorschub geleistet hat. Der daraufhin nun entwickelte ernsthaften Konflikt auswachsen können. Die Mehr- Aktionismus, welchen die Bundesregierung referiert, zahl der neuen Konflikte hat innerstaatliche Ursa- greift in der Praxis viel zu wenig. chen. In diesen Konflikten hat sich die KSZE mit den So halten die Gewalttaten gegen Ausländer weiter seit 1992 geschaffenen neuen Instrumenten wie den an; ich nenne beispielhaft nur die skandalösen Mag- Konfliktverhütungsmissionen und dem Hohen Kom- deburger Ereignisse am „Herrentag". Die Förderung missar für Nationale Minderheiten als besonders wir- der Jugendarbeit im Osten unter Betreuung des Insti- kungsvoll erwiesen. tuts „ISM" erfolgt zu „gießkannenartig", letztlich Inhalt der deutsch-niederländischen Initiative ist es ohne überzeugendes Konzept und ist im übrigen auch u. a., diese Wirkung durch den Aufbau von zusätzli- zu sehr ein Tropfen auf den heißen Stein, um den chem politischen Druck zu erhöhen. Die KSZE soll in gesellschaftlichen Bedingungen für die Entstehung die Lage versetzt werden, notfalls ohne Zustimmung von Neonazismus und Fremdenfeindlichkeit nachhal- der Konfliktbeteilligten kollektiv den Sicherheitsrat tig entgegenwirken zu können. der Vereinten Nationen anzurufen, wenn sie mit ihren Denn wir haben es heute nicht nur mit Gewalttaten eigenen Mitteln am Ende ist und Zwangsmaßnahmen von randständigen Jugendlichen oder organisierten erforderlich werden. Darüber hinaus schlagen wir Rechtsextremisten gegen — als solche erkennbare — eine bessere Steuerung der KSZE-Konfliktverhü- Ausländer zu tun. Mitten in der Gesellschaft quer tungsmissionen und eine Stärkung des Generalsekre- durch alle sozialen und Alters-Gruppen ist eine viel- tärs vor: Der Antrag stellt zurecht fest, daß der fältige Diskriminierung von „Asylbetrügern, Fid- Generalsekretär nicht nur auf Administration be- schis, Zigeunern, Pennern, Spastikern, Schwulen, schränkt ist, sondern in enger Abstimmung mit dem Juden" und anderen Minderheiten fast zur Normalität KSZE-Vorsitzenden politische Funktionen wahrzu- geworden. Daß als besonders gewalttätige Vollstrek- nehmen hat. ker dieses Klimas häufig junge Menschen hervortre- Es geht darum, die KSZE für die Situationen, mit ten und ihre Opfer bislang vor allem unter Ausländern denen sie gegenwärtig zu tun hat, handlungsfähiger suchen, darf angesichts des offenbar strukturellen und glaubwürdiger zu machen. Ob dies gelingt, wird Problems die Suche nach Ursachen und Gegenmaß- ganz wesentlich von der Praxis und von den Beiträgen nahmen nicht verengen. Soll heißen: die leider zuneh- abhängen, die ihre Teilnehmerstaaten ihr zur Verfü- menden Berichte von Übergriffen auch gegen andere gung stellen. Es wäre gut, wenn die heutige Debatte Minderheiten — wie Schwule, Behinderte, Ob- 20936* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 dachlose usw. — sowie Hinweise auf erwachsene Diskussion stehenden Antwort der Bundesregierung Täter zeugen davon, daß Ursachen und Auswirkun- auf die Große Anfrage von BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen der in Rede stehenden Entwicklung offenbar NEN sind alle diese Maßnahmen aufgeführt. weiter reichen. Viel wichtiger scheint es mir jedoch zu sein, das Nach der deutschen Vereinigung ist die anfängliche Übel an der Wurzel zu packen, uns zu überlegen, Euphorie nicht nur unter Ostdeutschen von tiefgrei- woher die Entwicklung, die uns alle bedrückt, ihren fender sozialer Verunsicherung abgelöst worden, Nährboden gewinnt. besonders bei Jugendlichen vielfach ohne greifbare Perspektive zum Besseren. Eigentlich notwendige Hierzu ist es unbedingt notwendig, sich umzuhören arbeitsmarkt-, wohnungsbau-, bildungs-, jugend- und unter den Bürgern dieses Landes, herauszufinden, sonstige sozialpolitischen Maßnahmen, wie wir sie was ihre Sorgen sind, und diese Sorgen dann ernst zu von der Bundesregierung gefordert haben, um dieser nehmen. Unsicherheit zu begegnen, bleiben aus. Statt dessen Wenn wir die Toleranz und die Gastfreundschaft haben Unionspolitiker die „Überfremdung und der Bürger in diesem Lande überstrapazieren, wenn Durchrassung" der Gesellschaft beschworen und kal- wir ihnen eine Form des Zusammenlebens mit Aus- kuliert die emotionalisierte Asyldebatte losgetreten. ländern aufzwingen, die sie so nicht wollen — ich Dies leistete Neigungen in der Bevölkerung Vor- spreche von der multikulturellen Gesellschaft —, und schub, Ausländer als lästige Problemfaktoren und wenn wir durch eine ungezügelte Zuwanderung mehr Sündenböcke anzusehen. Wirksame Angebote zu Ausländer hier bei uns aufnehmen, als wir beim deren Integration — etwa erleichterte Einbürgerung, besten Willen verkraften, dann brauchen wir uns gar doppelte Staatsbürgerschaft, Wahlrecht — sind dem- nicht zu wundern, wenn es insgesamt eine unzufrie- gegenüber viel zu lange versäumt worden; unsere dene Stimmung im Lande gibt. Und diese unzufrie- entsprechenden Anträge in diesem Haus sind von der dene Stimmung mißverstehen dann radikale Gruppen Mehrheit abgelehnt worden. nur zu gerne als Ermunterung für ihre Untaten. Außer solchen Maßnahmen sind wirksame Vorkeh- Diese Untaten müssen wir bestrafen als das, was sie rungen zur Bewahrung potentieller Gewaltopfer vor sind: Schwere Verbrechen gegen Menschen. Auf die allem unter Ausländern nötig, z. B. Personen- und Unzufriedenheit im Lande dürfen wir jedoch nicht mit Objektschutz wie für Unternehmen oder Politiker, einer Bürgerbeschimpfung reagieren, sondern müs- mobile Polizeistreifen, Verbesserung der Notruf-Ver- sen wir eine Politik betreiben, die diese Unzufrieden-- bindungen und Alarmpläne. Die immer noch unzurei- heit abbaut bzw. gar nicht erst aufkommen läßt. Das chenden Entschädigungsregelungen für Ausländer, heißt konkret: Verzicht auf Herumexperimentieren nach denen etwa den Angehörigen der Opfer von mit der multikulturellen Gesellschaft, eine starke Solingen und Mölln effektive Ausgleichszahlungen Beschränkung des Zuzugs weiterer Ausländer nach versagt bleiben, müssen erweitert werden. Deutschland und eine weitgehende Integration der Neue Strafgesetze oder Befugnisse für Polizei und bereits lange hier lebenden Ausländer. Verfassungsschutz jedoch, wie sie die Regierung Wenn wir diese Politik, die ja erklärtes Ziel der fordert, erscheinen demgegenüber als symbolische Bundesregierung ist, weiterhin fortsetzen, dann ist Politik, mit der schon die bisherigen Gewaltakte nicht dies das beste Mittel, um ausländerfeindlichen Aus- verhindert werden konnten. Vielmehr appelliere ich schreitungen ganz schnell den Boden zu entziehen. an dieser Stelle auch an die Bürgerinnen und Bürger, Neonazis und Fremdenfeindlichkeit noch entschlos- sener als bisher entgegenzutreten. Siegfried Vergin (SPD): Mehr als einmal mußten wir uns in dieser Legislaturperiode mit Rechtsextremis- Erika Steinbach (CDU/CSU): Alle uns heute unter mus und Gewalt beschäftigen, oft dann, wenn Mord diesem Tagesordnungspunkt vorliegenden Anträge und Brandstiftung den traurigen aktuellen Anlaß für drehen sich um eine einzige Frage: Was können wir eine Debatte lieferten. tun, um zu verhindern, daß es in Deutschland zu Der Antrag der SPD-Fraktion, einen regelmäßigen Ausländerfeindlichkeit und zu Ausschreitungen ge- Bericht über Fakten, Ursachen und Gegenmaßnah gen bei uns lebende Ausländer kommt. men im Bereich Rechtsextremismus zu erstellen, will Denn Deutschland ist — ich habe dies an dieser die Wurzeln und Ursachen offenlegen, um sie Stelle ja nun schon sehr häufig gesagt — ein auslän- bekämpfen zu können. derfreundliches Land und ich weiß, wovon ich rede; Die Antwort der Bundesregierung auf die Große schließlich lebe ich in Frankfurt am Main, wo es einen Anfrage „Maßnahmen gegen Fremdenfeindlichkeit, Ausländeranteil von derzeit 28 % der Einwohner Neonazismus und Gewalt" listet ausführlich Maßnah- gibt. men auf, die ganz überwiegend Reaktionen auf Die Anschläge gegen Ausländer in den vergange- rechtsextremistische, fremdenfeindliche Verbrechen nen Jahren mußten uns mit großer Sorge erfüllen. Was und deren Echo in den nationalen und internationalen also können wir dagegen tun? Medien sind. Die Bundesregierung hat hier bereits entschieden Der Antrag, der die Entschädigung der Opfer frem- reagiert und eine Vielzahl von Maßnahmen in den denfeindlicher Gewalt in Deutschland thematisiert, Bereichen der Jugendpolitik, der Bildungsarbeit und steht mit seinem Anliegen quasi am Ende der Kette des Strafrechts in die Wege geleitet. In der hier zur von Ursache und Wirkung. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20937*

Es ist beschämend, daß sich die Notwendigkeit Ein Beispiel dafür ist der Umgang mit rechtsextre- geradezu aufgedrängt hat, ein Gesetz zu schaffen, das mistischen Aktionen und Parolen in der Bundes- „Schaden" — ein höchst unzureichendes Wort für wehr. Tote, Verletzte und gedemütigte Menschen — wenig- Obwohl der Wehrbeauftragte des Bundestages in stens materiell ausgleichen soll. seinen jährlichen Berichten immer wieder rechtsex- Eine Entschädigungsregelung für die Opfer von tremistische und fremdenfeindliche Erscheinungen Gewalttaten ist moralisch zwingend. Sie ist ein Signal unter den Angehörigen der Bundeswehr benannt hat, für die Bereitschaft unserer Gesellschaft, Verantwor- redet die Bundesregierung das Problem immer noch tung für fremdenfeindliche Untaten anzuerkennen. klein. Die SPD-Fraktion geht davon aus, daß die Regelun- „Wehret den Anfängen" ist ganz offensichtlich gen des inzwischen verabschiedeten neuen Opferent- nicht das Motto dieser Regierung. schädigungsgesetzes dem Anliegen der Entschädi- gung weitgehend Rechnung tragen. Der vorliegende Gutgläubige könnten meinen, die Koalitionspar- Antrag hat sich damit für uns erledigt. teien seien nicht in der Lage, phantasievoller, energi- scher und deutlicher gegen rechtsextremistisches Ich schlage allerdings vor, die Folgen des neuen Gedankengut und das entsprechende Umfeld vorzu- Gesetzes zu überprüfen, wenn Erfahrungen dazu gehen. vorliegen. Wer der Bundesregierung allerdings nicht so naiv Wir wissen, Entschädigung ist im Grunde nur ein gegenübersteht, könnte auf den Gedanken kommen, hilfloser Versuch, Schaden an Leib und Seele eines CDU/CSU und F.D.P. wollten sich auf diesem Gebiet Opfers zu lindern. Wiedergut-gemacht wird damit gar gar nicht deutlicher profilieren. nichts. Hauptziel von Entscheidungen und Handlungen Er könnte sogar auf den Gedanken kommen, daß muß es sein und bleiben, Gewalttaten zu verhindern. die derzeit Regierenden gar keine grundlegenden Dieses Ziel ist sehr hoch gesteckt, aus den Augen Änderungen wollen, weil sie sonst das Ergebnis ihrer verlieren dürfen wir es aber nicht. „geistig-moralischen Wende" in Frage stellen müß- ten: eine Ellenbogengesellschaft, in der das Recht des Damit bin ich bei der Antwort der Bundesregierung Stärkeren gilt, eine Gesellschaft, in der Gerechtigkeit auf die Große Anfrage. und Solidarität immer mehr zum Fremdwort wer- Diese Antwort bestätigt einmal mehr, daß das, was den. die Bundesregierung tut, und wie sie es tut, nicht Diese Legislaturperiode ist gekennzeichnet durch ausreicht, um der Probleme Herr zu werden. wachsenden Rechtsextremismus, zunehmende Ge- Die vorliegende Drucksache ist sichtbares Zeichen walt, Anschläge auf Ausländerinnen und Ausländer. einer Fleißarbeit der Verwaltung. Aus jeder Ecke, aus Das hängt mit den Verwerfungen unserer Gesellschaft jedem Ministerium wurde zusammengetragen, was in zusammen, die politisch vorgegeben wurden. irgendeiner Form den Eindruck erweckt, die Bundes- Mit unserem Antrag auf eine regelmäßige Bericht- regierung sei tätig gewesen. erstattung fordern wir die aufmerksame, wachsame Dabei kommt eine ganze Menge zusammen, und Beobachtung, Analyse und Beschreibung von rechts- ich werfe der Bundesregierung deshalb nicht vor, extremistischer und fremdenfeindlicher Gewalt und völlig untätig gewesen zu sein. Sie reagiert wenn der Gründe dafür. etwas passiert ist. Wir wollen die ständige Kontrolle der Wirksamkeit Was ich dieser Bundesregierung allerdings vor- der politischen Maßnahmen, die Gewalt und Rechts- werfe, ist ihre Denkfaulheit in bezug auf Konzeptio- extremismus eindämmen sollen. Die Frage nach den nen. Ich werfe ihr vor, jenseits der Zählerei nicht Ursachen von Gewalt und die Frage nach der Effekti- genug nach dem Warum und nach dem Wohin zu vität von Gegenstrategien muß regelmäßig auf der fragen. Sie ist eine Re-a-gierungskoalition, wenn es Tagesordnung stehen und im Bewußtsein bleiben. um den Kampf gegen Rechts und gegen Gewalt geht. Die oft schon wie eine Schablone wirkenden Betrof- fenheitsformeln, wenn wieder einmal Opfer von Die Antwort der Bundesregierung zeigt mir erneut, Gewalttaten zu beklagen sind, reichen nicht aus. daß die Bekämpfung des Rechtsextremismus als poli- tische Prioritäten- und Querschnittsaufgabe angelegt Wir wollen kein zur Schau getragenes Bedauern. und in dieser Weise in der Bundesverwaltung und den Wir fordern gründliches Nachdenken und konkretes Länderverwaltungen verankert werden muß. Handeln. Ich schlage deswegen erneut vor, sowohl auf Bun- Diese Forderung ist und bleibt Grundlage sozialde- des- als auch auf Länderebene Beauftragte einzuset- mokratischer Politik. Wir haben uns dennoch auf zen, die die notwendigen Maßnahmen ressortüber- einen Kompromiß eingelassen und werden der greifend aufeinander abstimmen. Und dazu gehört Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu unse- auch die Einrichtung einer zentralen Anlauf- und rem Antrag zustimmen. Dokumentationsstelle rechtsextremistisch motivierter Die Bundesregierung signalisierte schon bei der Straftaten. Debatte zur Einbringung unseres Antrags die Bereit- Die Bundesregierung muß sich vorhalten lassen, schaft, den Verfassungsschutzbericht in unserem daß sie immer wieder auch zur Verharmlosung des Sinne zu erweitern. Dieses Signal haben wir aufge- Rechtsextremismus neigt. nommen. 20938* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Der Verfassungsschutzbericht 1993 geht bereits Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Wir denken, daß der etwas mehr als frühere auf gesellschaftliche Rahmen- von der SPD geforderte jährliche Bericht zusammen bedingungen von Gewalt und Rechtsextremismus ein. mit dem Verfassungsschutzbericht gegeben werden Die Ursachen werden immer noch zu oberflächlich kann und daß die Einrichtung einer Stiftung für Opfer benannt. ausländerfeindlicher Übergriffe nicht mehr notwen- dig ist, nachdem wir die Ansprüche von Ausländern, Nach wie vor fehlt der Versuch, politische Entschei- die Opfer ausländerfeindlicher Straftaten geworden dungen auf ihre Wirksamkeit bzw. Nichtwirksamkeit sind, gesetzgeberisch geregelt haben. Die Bundesre- zu überprüfen und damit über die Folgen nachzuden- publik ist verpflichtet, angemessene Entschädigung ken, und es werden die vorliegenden Vorschläge zum zu leisten, und es wäre gut, wenn alle Staaten nach Umgang mit Gewalt nicht ausreichend gewürdigt. unserem Vorbild verfahren und dabei auf das Prinzip Eine umfassende Konzeption dieser Bundesregie- der Gegenseitigkeit verzichten würden. rung für eine wirkungsvolle Politik, die gegen Rechts- Im übrigen: Wir haben im Deutschen Bundestag extremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus schon wiederholt über Ursachen und Ausmaß von und Gewalt angeht, ist nicht in Sicht. Extremismus und Fremdenfeindlichkeit in der Bun- Das gehört ebenso zu dem traurigen Fazit dieser desrepublik debattiert. Ich will für meine Fraktion das 12. Legislaturperiode wie die viel zu lange Liste der weder wiederholen, noch hier eine Inhaltsangabe der Morde und Anschläge in unserem Land. umfangreichen und interessanten Antwort wiederge- geben, die die Bundesrepublik auf die Anfrage unter Die Bekämpfung von Rechtsextremismus wird erst Darstellung vieler organisatorischer und personeller dann wirksam, auf Dauer angelegte Erfolge der Maß- Einzelheiten gegeben hat. Wir wollen, daß Ausländer- nahmen gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus, feindlichkeit und Rassismus sich nie mehr in der Fremdenfeindlichkeit und Gewalt werden erst dann Bundesrepublik festsetzen können. Sie sind ein Rück- sichtbar, wenn sie sich dem Bündel von Ursachen fall in die Barbarei. Wir wollen, daß Ausländer in der stellen, das bisher zur Seite geschoben wird und das Bundesrepublik ohne Furcht leben können, und zwar ich in zehn Punkten zusammenfasse: unabhängig davon, wo sie herkommen, welche Spra- — die bewußt in Kauf genommene Verarmung großer che sie sprechen und welche Religion sie haben. Wir Bevölkerungsteile in unserem Land wollen, daß ihre Identität geachtet wird, vom Staat und von jedermann. — die Angst vor der Zukunft und die Sorge, in einer sich wandelnden Gesellschaft den Platz zu verlie- Wir sind der Überzeugung, daß dieses Ziel nicht ren allein mit Mitteln der Polizei und des Strafrechtes erreicht werden kann. Wir sind auch der Überzeu- — das Fehlen von Solidarität und Gerechtigkeit gung, daß die Ursachen fremdenfeindlichen Verhal- — die verschärften Konkurrenzlagen zwischen Men- tens nicht nur in wirtschaftlichen Lebensbedingungen schen, die bereits in der Schule ihren Anfang liegen. Manche sind auf der Suche nach Sündenbök- nehmen ken für eigene Probleme. Das ist auch keine Angele- genheit etwa allein der neuen Bundesländer. Ursa- — die seelisch belastende Vereinzelung vieler Men- chen der Fremdenfeindlichkeit sind auch darin zu schen suchen, daß wir in einer Zeit des Übergangs leben und — das Dulden und das Gewöhnen an Gewalt als die Werteordnung mancher Bürger, ihr Wunsch nach Mittel der Konfliktbewältigung sowie als Möglich- traditionellen Geborgenheiten, mit der Wirklichkeit keit der Selbstdarstellung nicht mehr übereinstimmen. Das alles kann keine Entschuldigung für Pogrome, Gewalt und Brutalitäten — die an Einschaltquoten und Auflagenhöhe orien- sein, die wir in den letzten Monaten beobachtet haben tierte gnadenlose Fernseh- und Medienkonkur- und die unser Ansehen ebenso ruinieren, wie es renz unsere eigene demokratische Substanz beschädigt. Wir sind am Anfang eines harten Wahlkampfes. Da — die gravierenden Mängel im Erziehungswesen mag die Versuchung groß sein, ob man aus solchen und die ungenügende Kenntnis der unterschiedli- Emotionen Nutzen ziehen könne. Jeder Demokrat chen Kulturen in unserem Land muß sich seiner Verantwortung bewußt sein, die er mit — die fehlende Möglichkeit einer positiven Identifi- der Wahl seiner Worte, Argumente und Emotionen kation insbesondere in den neuen Bundeslän- übernimmt. Es ist leicht, Pogrome zu schüren; aber wir dern würden das nicht schweigend hinnehmen. — die ungenügende Aufarbeitung der NS-Vergan- Das Thema „Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und genheit. Neonazismus" wird uns weiter begleiten, so lange, bis sie endgültig überwunden sind. In dieser Auseinan- Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, dersetzung sind Kompromisse nicht zulässig, und sie Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt werden nicht gemacht werden. muß kontinuierlich und offensiv von der ganzen Gesellschaft geführt werden, weil ihre Spuren überall in unserem Land zu finden sind. „Weder verharmlo- Ulla Jelpke (PDS/Linke Liste): Die zentrale Aussage sen noch dämonisieren" lautet die Devise. Rechtsex- der Bundesregierung in der Antwort auf die Große tremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus Anfrage von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist in dem und Gewalt müssen dort bekämpft werden, wo sie ihre Satz enthalten: „Die Bundesregierung ist dem Extre- Ursachen finden: in der Mitte der Gesellschaft. mismus, gleichviel ob links oder rechts (...) stets mit Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20939*

Nachdruck entgegengetreten. " Wir kennen diese eben erwähnten Beispiele zeigen, werden sogar ärg- Erklärung der Bundesregierung auch bei der Beant- ste rechtsextreme Bestrebungen politisch und finanzi- wortung von Anfragen in der Abwandlung: „Die ell unterstützt. Die schlimmsten fremdenfeindlichen Bundesregierung verurteilt jedwede rechtsextreme Exzesse werden notfalls geduldet und protegiert, Äußerung aufs schärfste." wenn sie zum Beispiel aus Organisationen kommen, Diese Erklärungen der Bundesregierung sind falsch die aus einem Bündnis von Konservativen und Rechts- und sie sind verlogen. Wir müssen erleben, nachdem extremisten bestehen. wir hier in einer Aktuellen Stunde über den Brandan- Der Beschlußempfehlung stimmen wir nicht zu, weil schlag auf die Synagoge in Lübeck diskutiert haben, wir die Informationen im Verfassungsschutzbericht daß das „Ostpreußenblatt" sich schützend in einem für 1993 als ungenügend empfinden. Hier werden Leitartikel an die Seite der rechtsradikalen „Republi- ganze Strömungen des Rechtsextremismus ausge- kaner" vor den Vorsitzenden des Zentralrats der blendet, vor allem die Neue Rechte und ihre Theo- Juden, Ignaz Bubis, gestellt hat und die REP's von der rieorgane und Denkfabriken werden mit keinem Wort geistigen Urheberschaft von ausländerfeindlichen erwähnt. Eine vernünftige Darstellung der politischen und antisemitischen Überfällen reinwusch. Und wir Ursachen des Rassismus und Neofaschismus erfährt müssen erleben, daß dieselbe Zeitung, nur wenige man aus diesem Bericht nicht. Wochen nach diesem Anschlag, sich an die Seite der Holocaust-Leugner stellt und „Bewunderung" für die — wie sie es nennt — „Zivilcourage" etwa eines Ernst Nolte aufbringt, der die Zahl der 6 Millionen ermor- deten Juden anzweifelte und sogar die Existenz der Verbrennungsöfen in Frage stellte. Dieselbe Zeitung zeigte sich übrigens empört über die Eröffnung des Anlage 13 Holocaust-Museums in Washington. Zu Protokoll gegebene Reden Das „Ostpreußenblatt" ist das Organ der staatlich zu Tagesordnungspunkt 15 geförderten Landsmannschaft Ostpreußen. Von ei- (Gesetzentwurf: nem öffentlichen Entgegentreten der Bundesregie- Vertragsgesetz Seerechtsübereinkommen) rung ist nichts bekannt. Im Gegenteil, die Bundesregierung hatte diese Zeitung bereits 1991 vor antifaschistischer Kritik in Klaus Harries (CDU/CSU): Das Seerechtsüberein- Schutz genommen, obwohl ich in einer Kleinen kommen der Vereinten Nationen tritt am 16. Novem- Anfrage nachgewiesen hatte, daß hier rechtsextreme ber dieses Jahres in Kraft. Die Bundesrepublik Autoren publizieren und für rechtsextreme Druck- Deutschland wird dabeisein. Die heutige dritte werke Reklame gemacht worden ist. Unter diesem Lesung des Ratifizierungsgesetzes ebnet diesen Weg. Schutz können Woche für Woche an 200 000 Leserin- Die Bundesrepublik Deutschland wird sich dabei nen und Leser rechtsextreme und fremdenfeindliche nicht nur zu Dritte-Welt-Ländern gesellen, sondern in Inhalte gereicht werden. Gemeinschaft und Solidarität mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und allen anderen Industrie- Ähnlich verhielt es sich mit der Zeitung „Der ländern den Weg der Mitarbeit und der Ratifikation Schlesier". Drei Jahre und sieben Kleine Anfragen beschreiten. Wir haben allen Anlaß, anzunehmen, daß waren nötig, um der Bundesregierung die Auskunft die Generalversammlung der Vereinten Nationen in abzutrotzen, daß es „rechtsextreme Bestrebungen" in New York Ende Juli die Änderungsvorschläge zum dieser Zeitung gibt. Unter dem Schutz der Bundesre- Abschnitt 11 des Übereinkommens, der die Nutzung gierung konnte „Der Schlesier" unbekümmert gegen des Meeresbodens zum Inhalt hat, akzeptieren wird. die „Umerzieher des deutschen Volkes" hetzen und Diese notwendigen Änderungen, über die aus Anlaß die sogenannte Kriegsschuldlüge und Rassismus ver- der ersten Lesung dieses heutigen Gesetzes im Bun- breiten. destag diskutiert worden ist, hat den Weg auch für Selbt die Leugnung der Ermordung der Juden wird Deutschland zur Ratifikation geöffnet. in diesem Land durch die Haltung der Bundesregie- rung immer mehr zum Kavaliersdelikt. Eine Einrich- Das Seerechtsübereinkommen stellt wichtiges und tung wie die Zeitgeschichtliche Forschungsstelle unverzichtbares Völkerrecht dar. Es leistet einen Ingolstadt, in der sogar die Echtheit des Protokolls der Beitrag zum Frieden, zur wirtschaftlichen Zusammen- Wannsee-Konferenz angezweifelt wird, wird nicht als arbeit, zur Sicherheit auf den Meeren, zur Verbesse- rechtsextrem klassifiziert. Ihr Leiter, Alfred Schickel, rung des Umweltschutzes und zur sachgerechten der bereits 1980 die Zahl der ermordeten Juden weit Nutzung von Ressourcen in den Weltmeeren. nach unten leugnete und deswegen von den Neofa- Deutschland wird darüber hinaus mit Hamburg Sitz schisten als „Legenden-Killer" gefeiert wurde, erhielt des Seegerichtshofs werden. Mit der Beherbergung sogar auf Vorschlag des bayerischen Ministerpräsi- dieses wichtigen Organs der Vereinten Nationen tritt denten das Bundesverdienstkreuz wegen seines die Bundesrepublik in jeder Weise als gleichberech- Engagements gegen „Unkenntnis, Vorurteil und tigtes und wichtiges Mitglied der Weltstaatengemein- Desinformation". schaft hervor. Wir erwarten, daß Fragen der Finanzie- Ich behaupte hier: Die Bundesregierung ist dem rung und der schnellen Arbeitsaufnahme des Seege- Rechtsextremismus eben nicht entgegengetreten, richtshofes nach Inkrafttreten des SRÜ rechtzeitig, sondern sie hat einen äußerst schonenden Umgang abschließend und sachgerecht mit allen Staaten erör- mit ihm entwickelt. Im schlimmsten Falle, wie die tert und abgestimmt werden können. 20940* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

Das Seerechtsübereinkommen wird nach seinem ergänzen sind; internationale Kooperation wird ver- Inkrafttreten und durch eine aktive Mitarbeit aller pflichtend vorgegeben; ein Katalog ausführlicher Staaten und durch Beachtung der Bestimmungen ein Durchsetzungsbestimmungen aufgestellt; Verant- Baustein für die Zusammenarbeit in der Welt wer- wortung und Haftung werden klar benannt. den. Der Umweltschutz liefert auch den argumentativen Brückenschlag zum Internationalen Seegerichtshof, Dietmar Schütz (SPD): Nur zwei Wochen nach der denn mit dem ISGH wird erstmals ein internationales ersten Beratung des Vertragsgesetzes zum Seerechts Streitforum errichtet, dessen Entscheidungen für die übereinkommen der Vereinten Nationen kommen wir Vertragsparteien bindend sind. heute bereits zur zweiten Lesung dieses wichtigen internationalen Vertragswerkes zusammen, mit dem Die in Art. 235 SRÜ festgeschriebene Verantwort- die Bundesrepublik Deutschland Mitglied dieser lichkeit und Haftung der Staaten für „die Erfüllung ersten umfassenden Rechtsordnung für den Meeres- ihrer internationalen Verpflichtungen betreffend den raum wird. Schutz und die Bewahrung der Meeresumwelt" und die Pflicht, „eine umgehende und angemessene Ent- Ich begrüße diese rasche Behandlung, denn es steht schädigung für alle durch Verschmutzung der Mee- uns gut an, diesem „Grundgesetz der Meere" jetzt so resumwelt verursachten Schäden zu gewährleisten", rasch wie möglich beizutreten. bedeuten eine völkerrechtlich bislang nicht existie- Das große Maß an Übereinstimmung zwischen den rende neue Qualität des Umweltrechts und werden Parlamentariern der CDU/CSU, der F.D.P. und der nicht ohne Auswirkungen auf die nationalen Umwelt- SPD bei der Bewertung des Seerechtsübereinkom- gesetzgebungen bleiben. mens habe ich, wie auch meine Kollegen Harries und Das mit dem ISGH geschaffene umfassende Streit- Richter, hier vor 14 Tagen ausführlich gewürdigt; beilegungssystem auf der Grundlage der Charta der ebenso die Differenzen in der Bewertung der lange Vereinten Nationen bekräftigt den Grundsatz der abwartenden Haltung der Bundesregierung. Wahl friedlicher Streitbeilegungsmittel. Verschie- Ich will deshalb die Historie heute nicht erneut dene Streitbeilegungsmittel werden detailliert gere- bemühen, sondern nur noch einmal auf die beiden in gelt; sie alle sind obligatorische Verfahren, die zu meinen Augen zentralen Elemente des Seerechts- bindenden Entscheidungen führen. übereinkommens eingehen: den Umweltschutz und Ich freue mich, daß mit dem nun eingeleiteten und- den Internationalen Seegerichtshof. hoffentlich rechtzeitig abzuschließenden Beitritt zum Vom Umweltschutz-Teil des SRÜ erhoffe ich mir SRU die Bundesrepublik ihren Teil dazu beiträgt, um einen substantiellen Beitrag zur Internationalisierung den Seegerichtshof nach Hamburg zu holen. Der des Umweltschutzes, denn der Schutz der Ozeane ist Internationale Seegerichtshof wird die erste UN- eine globale Aufgabe, die in enger Wechselbeziehung Institution in Deutschland sein, und der Seegerichts- zum zweiten großen internationalen Auftrag, dem hof ist die mit Abstand bedeutendste der drei neuen Klimaschutz, steht. Institutionen, die mit dem Seerechtsübereinkommen geschaffen werden; m. E. haben weder die Internatio- Mit dem SRÜ wurde zum ersten Mal — gut zehn nale Meeresbodenbehörde noch die Festlandssockel- Jahre vor dem Rio-Gipfel und in gewisser Weise unter grenzkommission auch nur ansatzweise dessen Vorwegnahme eines wichtigen Teil-Aspektes dieser Bedeutung. Konferenz — in einem völkerrechtlich verbindlichen Vertragswerk der Schutz der Umwelt einklagbar Ich formuliere dies hier mit Nachdruck so positiv, festgeschrieben. Dies war und ist etwas qualitativ denn es wird eine Institution geschaffen, die der Neues. Dies ist deutlich mehr als die auch heute noch Verrechtlichung der internationalen Beziehungen üblichen „Umwelt-Gipfel" mit ihren mehr oder weni- und der friedlichen Beilegung internationaler Kon- ger ernstgemeinten Deklarationen. flikte und Streitigkeiten dient, einem Ziel, dem wir Sozialdemokraten uns seit unseren Gründungsjahren Die Regelungen des Seerechtsübereinkommens verschrieben haben, einem Ziel, das zu den wertvoll- zum Umweltschutz sind umfassend. Ich will hier nur sten Traditionslinien unserer Partei gehört. einige grundsätzliche Punkte erwähnen. Es ist heute mehr denn je richtig und notwendig, Das SRÜ eröffnet seinen Teil XII „Schutz und angesichts der Krisenherde dieser Welt und der Dis- Bewahrung der Meeresumwelt" mit der Allgemeinen kussionen über militärische Aufgaben und Einsätze, Verpflichtung des Art. 192: „Die Staaten sind ver- die Stärkung der zivilen Organe der UN nicht aus den pflichtet, die Meeresumwelt zu schützen und zu Augen zu verlieren. Ich denke: Es steht uns Deutschen bewahren" . Und diese Pflicht erstreckt sich auch auf in besonderer Weise gut zu Gesicht, Sitz dieser neuen die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen: „Die und zutiefst zivilen Institution zu werden. Staaten haben das souveräne Recht, ihre natürlichen Ressourcen im Rahmen ihrer Umweltpolitik und in Ich beglückwünsche die Freie und Hansestadt Übereinstimmung mit ihrer Pflicht zum Schutz und zur Hamburg, die sich stets um den Sitz des Internationa- Bewahrung der Meeresumwelt auszubeuten. " len Seegerichtshofs bemüht hat, und hoffe, daß die (Art. 193) Hamburger nun bald die Früchte ihrer Arbeit ernten können. Für alle Quellen der Meeresverschmutzung — Land, Luft, Schiffe, Meeresbergbau und Abfallbe- Die SPD-Fraktion begrüßt das eingebrachte Ver- seitigung — werden internationale Regeln aufgestellt, tragsgesetz Seerechtsübereinkommen. Der uns be- die jeweils durch nationale Rechtsvorschriften zu kannte Zeitplan läßt hoffen, daß das Beitrittsverfahren Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20941* so zügig und rechtzeitig abgeschlossen werden wird, Mitglieder aller Fraktionen sowohl bei den Arbeiten daß die Bundesrepublik zum Datum des Inkrafttretens der seerechtlichen Vorbereitungskommission wie bei des Übereinkommens Mitglied ist. Wir Sozialdemo- den Dialog-Verhandlungen des VN-Generalsekre- kraten haben dies immer aktiv unterstützt und bleiben tärs. Diese Unterstützung hat wesentlich dazu beige- dabei. tragen, daß das deutsche Engagement zugunsten des Seerechtsübereinkommens über die langen Verhand- lungsjahre hindurch von dritter Seite nie in Zweifel Helmut Schäfer, Staatsminister beim Bundesmini- gezogen wurde. Mit dem rechtzeitigen Beitritt zum ster des Auswärtigen: Ich freue mich, feststellen zu Seerechtsübereinkommen und der Errichtung des können, daß das vorliegende Vertragsgesetz zum Seegerichtshofs in Hamburg wird dieses Engagement Seerechtsübereinkommen weiterhin auf ungeteilte eindrucksvoll bestätigt. Zustimmung stößt: Nach der einstimmig positiven Bewertung durch Rainer Funke, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- das Plenum des Bundesrats und das Plenum des nister der Justiz: Das Internationale Seerechtsüber- Bundestages in der ersten Lesung haben sich in den einkommen, dessen Vertragsgesetz Ihnen heute zur vergangenen Tagen auch alle mit der Sache befaßten Beschlußfassung vorliegt, kodifiziert erstmals in Bundestags- und Bundesratsausschüsse für die bemerkenswert umfassender Weise das Internatio- Annahme des Gesetzes und damit für den rechtzeiti- nale Seerecht. gen deutschen Beitritt zum Seerechtsübereinkommen Geregelt wird z. B. die lange umstrittene Frage, wie ausgesprochen. weit ein Küstenstaat sein Hoheitsgebiet erstrecken Auf die Einzelheiten der Regelungen des Durchfüh- darf. Als Konsequenz wird auch die Bundesrepublik rungsübereinkommens, mit dem die wirtschafts- und Deutschland ihr Küstenmeer auf zwölf Seemeilen finanzpolitischen Bedenken der Industrieländer ge- ausdehnen. gen die ursprünglich im Seerechtsübereinkommen Zur wirtschaftlichen Nutzung des daran anschlie- vorgesehenen Tiefseebergbauregelungen ausge- ßenden Meeres wird die Möglichkeit der Errichtung räumt wurden, brauche ich hier nicht nochmals ein- ausschließlicher Wirtschaftszonen bis zu 200 Seemei- zugehen. Wir haben inzwischen Bestätigung erhalten, len geschaffen. Auch davon wird die Bundesrepublik daß mit der für den 29. Juli in New York vorgesehenen Deutschland wie die anderen Nordseeanleger, vor Annahme des Durchführungsübereinkommens auch allem im Interesse des Umweltschutzes, Gebrauch für unsere EG-Partner wie für die übrigen Industrie- machen. länder der Weg zur Ratifikation des Seerechtsüberein- kommens frei ist. Dieser politische Gleichschritt mit Der Umweltschutz ist im übrigen, ebenso wie die unseren Partnern, auf den die Bundesregierung stets wissenschaftliche Meeresforschung, erstmals einge- großen Wert gelegt hat, ist auch aus allgemein außen- hend geregelt. Das Internationale Seerechtsüberein- politischer Sicht zu begrüßen. Die Bundesregierung kommen ist damit die bedeutendste Kodifikation des hofft, daß auch Rußland, das sich seine abschließende Umweltschutzes: Alle Arten der Meeresverschmut- Haltung noch vorbehalten hat, zu einer mit der zung werden erfaßt, ob sie nun von Land, von Schiffen, Haltung der übrigen Industrieländer übereinstim- aus der Luft oder von Tätigkeiten auf dem Meeresbo- menden positiven Bewertung des Durchführungs- den ausgehen. übereinkommens kommt. Wir sind ebenso wie andere Mit der Regelung des Tiefseebergbaus greift das Partner hierüber mit der russischen Regierung in Übereinkommen weit in die Zukunft, denn in den intensivem Kontakt. nächsten 20 bis 30 Jahren wird ein Tiefseebergbau, der Gewinn abwirft, nicht möglich sein. Lassen Sie mich heute nochmals zwei besonders bedeutsame außenpolitische Aspekte im Zusammen- Für uns Deutsche, die sich in ihrer Verfassung zu hang mit dem bevorstehenden Inkrafttreten des See- einer allgemeinen, umfassenden, obligatorischen, rechtsübereinkommens und der deutschen Vertrags- internationalen Schiedsgerichtsbarkeit bekennen, ist mitgliedschaft herausstellen: vor allem wichtig, daß das Übereinkommen Rechtssi- cherheit schafft und dazu ein detailliertes Streitrege- Dem Seerechtsübereinkommen kommt durch seine lungsverfahren einführt, zu dem auch der Inte rnatio- umfassenden materiellen Regelungen der Meeres- nale Seegerichtshof gehört. nutzungen wie durch seine — teilweise obligatori- schen — Regelungen zur friedlichen Streitbeilegung Mich als Hamburger Bundestagsabgeordneten eine unmittelbar friedensfördernde Wirkung zu. freut es natürlich besonders, daß dieser Gerichtshof seinen Sitz in Hamburg haben wird. Bereits 1981 habe Mit der Errichtung des Internationalen Seegerichts- ich mich als Delegationsmitglied bei der 3. Seerechts- hofs in Hamburg bringen wir auch — wie es der konferenz für die Wahl Hamburgs als Sitz für den Kollege Harries einmal sehr zutreffend formuliert Internationalen Seegerichtshof einsetzen können. In hat — „ein sichtbares Bekenntnis zum weltweiten den folgenden Jahren habe ich dieses Ziel bei den Interessenausgleich, zum Völkerrecht, einer koopera- Beratungen der Vorbereitungskommission weiter tiven Außenpolitik und zur Beilegung von Streitigkei- verfolgt. ten mit friedlichen Mitteln" zum Ausdruck. Die Wahl Hamburgs stellt ein Kompliment der Als Vertreter des für das Seerechtsübereinkommen Völkergemeinschaft an diese weltoffene Stadt mit und alle damit zusammenhängenden Verhandlungen ihrer hanseatischen Tradition dar. Freilich war diese federführenden Ressorts möchte ich abschließend Wahl lange Zeit gefährdet, denn sie war an die danken für die kontinuierliche Unterstützung durch Voraussetzung geknüpft worden, daß Deutschland 20942* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994

beim Inkrafttreten des UN-Seerechtsübereinkom- übereinstimmende Meinung aller ist, daß das Stillen mens dessen Vertragspartei ist. das Beste für die Gesundheit des Kindes und auch der Wie Sie wissen, haben wir wegen der im ursprüng- Mutter ist. In der Anhörung wurde dies von allen lichen Teil XI des Seerechtsübereinkommens zum Sachverständigen, auch von den Vertretern der Her- Tiefseebergbauregime enthaltenen planwirtschaftli- steller von Säuglingsanfangsnahrung, eindeutig be- chen Elemente wie die übrigen Industriestaaten lange stätigt. Zeit gezögert, dem Übereinkommen beizutreten. Gerade bei so großer Übereinstimmung müssen wir Erst als mit dem Beitritt des 60. Staates zum Über- aber auch aufpassen, daß nicht indirekt eine Diskri- einkommen klar war, daß dieses am 15. November minierung der Mütter stattfindet, die, aus welchen 1994 in Kraft treten wird, wurden die vom Generalse- Gründen auch immer, nicht bzw. nur begrenzte Zeit kretär der Vereinten Nationen initiierten Beratungen stillen. über die Ausgestaltung des künftigen Tiefseeberg- Andererseits sind alle Beteiligten verpflichtet, auf baus so beschleunigt, daß wir nun ein für alle akzep- die Bedeutung des Stillens hinzuweisen und das tables Durchführungsübereinkommen vorlegen kön- Stillen zu fördern. Erfreulich ist deshalb, daß wir heute nen. Darin wird der Teil XI den politischen und auch einen gemeinsamen Entschließungsantrag aller wirtschaftlichen Änderungen so angepaßt, daß es nun Fraktionen vorliegen haben, in dem entsprechende auch den Industriestaaten möglich ist, dem Überein- Maßnahmen verlangt werden. Daß die Bundesregie- kommen zuzustimmen. rung hier — auch aus verfassungsrechtlichen Grün- Dieses Durchführungsübereinkommen bedarf al- den — nur einen begrenzten Handlungsspielraum lerdings noch der Annahme durch die Generalver- hat, wissen wir; aber dort wo es möglich ist, soll auch sammlung der Vereinten Nationen am 29. Juli dieses die Bundesregierung Maßnahmen ergreifen. Unsere Jahres. Damit wir trotzdem rechtzeitig dem Seerechts Aufforderung richtet sich natürlich ebenfalls an die übereinkommen beitreten können, um Hamburg als Länder, die Ärzteschaft und andere Beteiligte, z. B. Sitz des Seegerichtshofs zu sichern, ist die Bundesre- bei der Ausbildung von Ärzten und anderem Fachper- gierung in ihrem Entwurf des Vertragsgesetzes den sonal. ungewöhnlichen Weg einer Rechtsverordnungser- Das Gesetz über die Werbung für Säuglingsan- mächtigung gegangen. Durch sie wird die Bundesre- fangsnahrung und Folgenahrung setzt einen Teil der gierung ermächtigt, das Durchführungsübereinkom- entsprechenden EG-Richtlinie um, nämlich die men in Kraft zu setzen, wenn es nach Zielsetzung, Begrenzung der Werbung. Soweit Fragen der Inhalt und Art dem entspricht, was bisher ausgehan- Beschaffenheit, der Zusammensetzung und der Kenn-- delt worden ist. zeichnung der Säuglingsnahrung betroffen sind, wird das in der Diätverordnung geregelt. Selbstverständ- Ich möchte Ihnen danken, daß Sie diesen Weg lich muß die Kennzeichnung so sein, daß eine im mitgegangen sind und bei Ihren Beratungen der jeweiligen Fall gute und klare Information für die besonderen Eilbedürftigkeit Rechnung getragen ha- Kaufentscheidung vorliegt. Dies könnte auch durch ben. Mein Dank gilt auch dem Bundesrat für die eine Selbstverpflichtung der Hersteller für Säfte, Kin- beschleunigte Behandlung. Besonders danke ich aber dertees und Babybrei ergänzt werden. Wir würden der Freien und Hansestadt Hamburg, die eine Eini- auch hier eine solche Selbstverpflichtung sehr begrü- gung über die Verteilung der finanziellen Lasten, die ßen. mit dem Seegerichtshof verbunden sind, möglich gemacht hat und bereit war, 20 % der Kosten zu Die mit diesem Gesetz vorgesehene Einschränkung übernehmen. Die übrigen Kosten wird der Bund der Werbung für Muttermilchersatzprodukte findet tragen. unsere Zustimmung, weil wir die vorhandene Stillbe- reitschaft der Mütter stärken und nicht möglicher- Nun gilt es, den Bau des Gerichtsgebäudes am weise schwächen wollen. Die Werbeeinschränkung Elbeufer ins Werk zu setzen. Bis zu dessen Fertigstel- schöpft den WHO-Kodex aus dem Jahr 1981 nicht voll lung muß für die vorläufige Unterbringung des aus, aber dies ist angesichts der positiven Entwicklung Gerichts gesorgt werden. Eine Delegation der Verein- in der Bundesrepublik Deutschland auch nicht erf or- ten Nationen konnte sich bei ihrem Besuch in Ham- derlich. Die in den letzten Jahren erheblich gestie- burg im März dieses Jahres davon überzeugen, daß gene Zahl von stillenden Müttern belegt das deut- auch dafür alle Voraussetzungen vorhanden sind. lich. Der Internationale Seegerichtshof wird die erste Dennoch ist es sinnvoll, daß die Bundesregierung bedeutende Institution der Vereinten Nationen sein, nach zwei Jahren einen Erfahrungsbericht vorlegen die sich in Deutschland niederläßt. soll, um so eventuell nötige Anpassungen vornehmen zu können. Wichtig ist uns auch, daß die Einrichtung eines Beirates, der Werbeaussagen begutachtet und Anlage 14 bewerten soll, geprüft wird. Eine Bestimmung der EG-Richtlinie 91/321/EWG Zu Protokoll gegebene Reden wollen wir sinnvoll erweitern. Die Festlegung auf zu Tagesordnungspunkt 16 festumschriebene Punkte, die auf der Verpackung (Gesetzentwurf: genannt werden dürfen, auf den heutigen Stand der Säuglingsnahrungswerbegesetz) Wissenschaft, halten wir für falsch. Eine Sachinforma- tion auf den Erzeugnissen, die zutreffende und wis- Editha Limbach (CDU/CSU): In den Beratungen senschaftlich hinreichende gesicherte Aussagen trifft, zum Gesetz über die Werbung für Säuglingsanfangs- muß möglich sein. Wir wollen nicht Werbeaussagen nahrung und Folgenahrung hat sich gezeigt, daß es ermöglichen, sondern eine ausreichende und für die Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20943*

Kaufentscheidung wichtige Sachinformation. Ob z. B. satznahrungsherstellern unabhängigen Fachleuten das Produkt Kuhmilch oder Soja enthält, ob andere für aus Medizin, Geburtshilfe und Verbraucherorganisa- die Ernährung des Säuglings wichtige Bestandteile tion — als wesentlichen Beitrag zur Klarstellung der vorhanden sind oder nicht, diese Information muß Werbeeinschränkung bzw. zur Aufklärung wichtiger auch für Mütter oder Väter beim Kauf erkennbar Informationen für unerläßlich. Nunmehr ist die Bun- sein. desregierung aufgefordert, zwei Jahre nach Inkraf t- Wir haben heute morgen eine große Europa- treten des SNWG über die gemachten Erfahrungen Debatte im Deutschen Bundestag geführt. Ich freue Bericht zu erstatten. Wir erwarten über die Selbstver- mich, daß auch mit diesem Gesetz ein weiteres pflichtung der Hersteller hinaus, verbraucherver- Mosaiksteinchen für das gemeinsame Europa gelegt ständliche Kennzeichnung bei Kindertees, Säften werden kann. usw. vorzunehmen, daß auch Vermarktungs- und Produktverteilungsstrategien im Sinne des Vorranges des Stillens ausgeübt werden. Der Be ri Antje-Marie Steen (SPD): Wir begrüßen es, daß am cht wird kri- 23. Juni 1994 der Gesundheitsausschuß des Deut- tisch zu bewerten haben, inwieweit zusätzliche Maß- schen Bundestages die Beratung zum sogenannten nahmen zur Einschränkung der Produktwerbung, Säuglingsnahrungswerbegesetz (SNWG) abgeschlos- Werbeartikeln oder deren Verteilung zu ergreifen sind. sen hat und somit ein weiteres wichtiges Gesetz im Sinne der EG-Richtlinie umgesetzt werden kann. Übereinstimmung herrscht zwischen allen Parteien, Es ist weltweit unbestritten, daß die Muttermilcher- daß Stillen das Beste für die Gesundheit des Kindes nährung aus gesundheitlichen, sozialen, umweltpoli- und der Mutter ist. Deshalb müssen alle Anstrengun- tischen und ökonomischen Gründen die beste Ernäh- gen darauf hinauslaufen, die Stillbereitschaft der rung des Säuglings im ersten Lebensjahr ist. Das Mütter zu unterstützen und durch fachkundige Bera- Stillen verhindert Durchfall- und Mangelerkrankun- tung das Stillen positiv zu beeinflussen. Das Gesetz gen, stärkt das Immunsystem der Säuglinge und beugt trifft diese Feststellung ebenfalls, indem es die Über- u. a. Brust- und Eierstockerkrankungen der Mütter legenheit der Muttermilch und des Stillens deutlich vor. herausstellt. Das begrüßen wir ausdrücklich; aller- dings sind weitere Maßnahmen in bezug auf Informa- Daher ist es besonders zu begrüßen, daß mit dem tion und Beratung der Schwangeren wie der stillen- vorliegenden Gesetz das Stillen künftig gefördert den Mütter erforderlich. werden soll und eine Regelung der Werbung für - Muttermilchersatzprodukte in Ang riff genommen Wichtige Informationsträger und -vermittler sind wird. dabei neben den Mütterberatungsstellen vor allem Hebammen, Krankenschwestern und Ärzte. In ihrer Allerdings geht uns der Gesetzentwurf nicht weit Aus- und Fortbildung ist das Wissen um den Bereich genug, um auch sicherzustellen, daß in die Beschrän- Stillen zu verstärken, damit die Beratung für die kung der Werbung auch die Produktförderung, die Mütter fach- und sachgerecht erfolgen kann. Es kann Produktverteilung und die Produktöffentlichkeitsar- nicht befriedigen, wenn trotz allen Wissens um die beit usw. werden einbezogen. Ebenso hätte auch der positive Auswirkung des Stillens für Mutter und Kind Anwendungsbereich auf die Geräte wie Flaschen und bereits wenige Wochen nach der Geburt bereits 50 % Sauger erweitert werden müssen, wie auch im WHO- aller stillender Mütter diese Tätigkeit einstellen. Kodex (Art. 2) formuliert. Dem „Internationalen Kodex für die Vermarktung von Muttermilchersatz- Auch sollte auf die Initiative „Babyfreundliches nahrung" hat die Bundesregierung bereits am 21. Mai Krankenhaus" hingewiesen werden, in dem beson- 1981 zugestimmt. Die Möglichkeiten im Rahmen des dere Aufmerksamkeit und Aktivitäten zur Förderung Kodex ausgeschöpft hat sie nicht, zumal der Art. 8 der des Stillens unternommen werden. Hier könnten Richtlinie hier durchaus nationale Lösungen zuläßt. besonders Länder, Kreise oder Kommunen, die ja Um Verbraucher und Verbraucherinnen über überwiegend Träger der Krankenhäuser sind, auf Zusammensetzung und Inhaltsstoffe verbraucherver- diese Möglichkeit aufmerksam gemacht werden. ständlich informieren zu können, sprechen wir uns für Die SPD hat im Gesundheitsausschuß den Gesetz- eine bessere Sachinformation auf den Produkten aus, entwurf dahin gehend mehrfach scharf kritisiert, daß die aber natürlich keine Werbeaussagen beinhalten die gerade in letzter Zeit vermehrt unter berechtigten dürfen. Ein Zutatenverzeichnis, in das erfahrungsge- Beschuß geratenen Kindertees und Kindersäfte nicht mäß nur der Hersteller Einblick hat, nützt verantwor- unter das SNWG fallen. nach zähen Verhandlungen tungsbewußten Frauen in ihrer Entscheidung für ein wurde im Rahmen des Entschließungsantrages ein Muttermilchersatzprodukt nichts. In einem einstim- Passus aufgenommen, der die Bundesregierung auf- mig verabschiedeten Entschließungsantrag wird die fordert, bei den Herstellern von Kindertees, Säften Bundesregierung daher aufgefordert, sich hier im und Breien auf eine Selbstverpflichtung zur verbrau- europäischen Konsens für eine klare und eindeutige cherverständlichen Kennzeichnung der Inhaltsstoffe Kennzeichnung und Deklarierung auf dem Produkt hinzuwirken. durchzusetzen. Es ist schon wichtig zu erfahren, ob Wir wissen um die Eilbedürftigkeit der Gesetzesvor- und in welchem Umfang Zucker, Honig oder Ersatz- lage und begrüßen es daher ausdrücklich, daß nun der milchprodukte verwandt werden. Weg geebnet ist, um das Gesetz noch in dieser Auch dem Antrag der SPD-Fraktion auf Einsetzung Legislaturperiode zu verabschieden. Wir haben dem eines Werbebeirates konnte im Rahmen der Ent- Gesetz zugestimmt, obwohl wir bedauern, daß dieser schließung Rechnung getragen werden. Wir halten Entwurf nicht die Umsetzung des internationalen dieses Gremium — besetzt aus von den Säuglingser Kodex der WHO zum Inhalt hat. Wir behalten uns vor, 20944 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 anknüpfend an die Ergebnisse des Erfahrungsbe- Lassen Sie mich noch ein Wort sagen zu der Umset- richts, den die Bundesregierung in zwei Jahren vorle- zung von Grundsätzen der Weltgesundheitsversamm- gen wird, weitergehende Maßnahmen wie z. B. die lung in nationales Recht. Ich denke, jedem dürfte klar der Umsetzung des WHO-Kodex zu fordern. sein, daß die Lebensumstände in den einzelnen Län- dern äußerst unterschiedlich sind. Auch Stillen ist ein Kulturgut, das regional diffe riert. WHO-Entscheidun- gen müssen deshalb regional umgesetzt werden, Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Mit dem Thema der damit sie Sinn machen. Die Situation afrikanischer Säuglingsanfangsnahrung begibt man sich auf ein Frauen ist sicherlich eine ganz andere als die bundes- heiß diskutiertes Feld. Ich kann mich des Eindrucks deutscher Frauen. Dem muß auch der Gesetzgeber nicht erwehren, daß die Auseinandersetzung über Rechnung tragen. Sinn und Unsinn zum Teil auf äußerst ideologisch gefärbte Art und Weise läuft. Selbstverständlich sollen das natürliche Stillen gefördert und die Frauen nicht Dr. Ursula Fischer (PDS/Linke Liste): Mit dem dazu angehalten werden, auf das Stillen zu verzich- vorliegenden Gesetz wird eine Richtlinie der Europäi- ten. Andererseits muß natürlich auch festgestellt wer- schen Union zur Einschränkung der Werbung für den, daß es Frauen gibt, die nicht stillen können, nicht Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung in deut- stillen sollen oder auch — aus welchen Gründen auch sches Recht umgesetzt. immer — nicht Stillen wollen. Für diese Frauen muß es möglich sein, sich über Alternativen entsprechend zu Die Regelungen betreffen zum einen die Werbung informieren. Der ideologische Spruch, daß nicht sein unmittelbar, zum anderen die Gestaltung und Vertei- kann, was nicht sein darf, führt auch hier nicht zum lung von Materialien und Gegenständen zu Informa- Ziel. Ich bin von daher der Auffassung, daß sachge- tions- und Ausbildungszwecken, die mittelbar diesem rechte Informationen über Säuglingsanfangsnahrung Zweck dienen. Insgesamt soll letztlich auch das Stillen nicht nur in wissenschaftliche Publikationen gehören, als die unbestritten optimale Ernährung für Säuglinge sondern daß sie auch in speziellen Zeitschriften für und Kleinkinder gefördert werden. den Verbraucher zugänglich sein müssen. Die Zahl der Mütter, die stillen wollen und dies anfangs auch tun, ist erfreulich hoch. Aber bereits Es ist doch ein durch und durch chauvinistischer nach wenigen Wochen sinkt dieser Anteil dramatisch Ansatz, wenn den Frauen ein schlechtes Gewissen ab. Nach drei Monaten beträgt er nach Expertenmei- eingeredet werden soll, wenn sie nicht stillen. Selbst- nung noch etwa 20 Prozent. Damit werden die vielfäl- verständlich sind Kliniken und Ärzte in allererster tigen Vorzüge des Stillens für die Gesundheit sowohl Linie verpflichtet, den Frauen klarzumachen, welche der Kinder als auch der Mütter zu großen Teilen Vorteile das Stillen gegenüber der Säuglingsnahrung verschenkt. Eine beträchtliche Rolle wird dafür der hat. Wenn sich die Frau aber dann anders entscheidet allgegenwärtigen Herstellerwerbung für Babynah- — und ich betone hier nochmals: aus welchen Grün- rung, die intensiv auf Schwangere und Mütter ein- den auch immer , dann müssen ihr entsprechende wirkt, zugemessen. Im Ergebnis dessen ist letztlich Alternativen zur Verfügung stehen. Es ist ein zutiefst auch die öffentliche Meinung zu weiten Teilen dahin illiberaler Ansatz, die Entscheidungsfreiheit des ein- gehend geprägt, daß Flaschennahrung der Mutter- zelnen beschneiden zu wollen. Es macht mich insbe- milch so gut wie gleichwertig sei. sondere ein wenig unruhig, wenn die EG für Pro- gramme zur Überwachung der Säuglingsnahrungsin- Zum vorliegenden Gesetzentwurf muß gesagt wer- dustrie 1,2 Millionen DM für die Bundesrepublik, die den, daß er wesentliche Möglichkeiten ausläßt, den Niederlande und Frankreich zur Verfügung stellt. Einfluß dieser Werbung zurückzudrängen bzw. das Wenn ich dann höre, daß die Niederlande zusätzlich Stillen aktiv zu fördern. Das Gesetz übernimmt ledig- noch Geld für Aktvitäten in der Bundesrepublik und lich die mit der EU-Richtlinie unausweichlich vorge- Frankreich bereitgestellt hat, dann frage ich mich, ob schriebenen Werbungseinschränkungen. Ausdrück- damit dem Ziel einer optimalen Ernährung von Säug- lich mögliche darüber hinausgehende Regelungen lingen tatsächlich Rechnung getragen wird. Wir brau- werden im Gegensatz zu anderen EU-Ländern nicht chen die Industrie insbesondere auch für die Fälle, in getroffen. So gilt beispielsweise das im Gesetz enthal- denen Kinder bei bestimmten Krankheitssymptomen tene Verbot, Gegenstände kostenlos zu verteilen, mit spezieller Nahrung versorgt werden müssen. Hier welche indirekt der Werbung für Säuglingsnahrung hat die bundesdeutsche Industrie Beachtliches gelei- dienen, dann nicht, wenn es auf Wunsch über Institu- stet. Wenn wir auch in Zukunft sicherstellen wollen, tionen der Gesundheitsvorsorge und -versorgung daß solche Produkte entwickelt werden und For- geschieht. In der Begründung zum Gesetzentwurf schung auf diesem Gebiet betrieben wird, müssen wir wird noch dazu ausdrücklich vermerkt, daß diese aufhören, die Produzenten zu verteufeln. Formulierung als weit zu verstehen sei. So umfaßt sie nicht nur Krankenhäuser und Gesundheitsämter, son- Das Gesetz ist deshalb auf die absolut notwendigen dern auch Ärzte, Hebammen, Stillgruppen, Apothe- Regelungen zu beschränken. Wir werden darauf ach- ken usw. Indirekte Werbung ist aber seit eh und je ten müssen, daß nicht über den Umweg der EG noch eine bevorzugte Methode der Hersteller. Wie die weiterreichende Einengungen erfolgen. Ausdrück- Praxis zeigt, wird gerade über die Beeinflussung des lich begrüße ich, daß die Errichtung eines verantwort- Gesundheitspersonals Babyanfangsnahrung vielfach lichen Beirats geprüft werden woll, der Werbeaussa- auch für solche Säuglinge eingesetzt, die bei etwas gen begutachtet. Dies ist ein praktikabler Weg, um mehr Anleitung und Ausdauer gestillt werden könn- den Interessen der Beteiligten gerecht zu werden. ten. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 237. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. Juni 1994 20945*

Höchst ungenügend erfüllt das Gesetz den Zweck, Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Par]. Staatssekretärin das Stillen zu fördern und zu schützen. Genau dies beim Bundesminister für Gesundheit: Muttermilch ist aber ist beispielsweise das vorrangige Ziel des ein- anerkanntermaßen die beste Nahrung für Säuglinge. schlägigen WHO-Kodex. Wer sein Kind stillt, trägt damit ganz wesentlich zu einer gesunden Entwicklung des Kindes bei. Deshalb Hinzu kommt, daß die im Gesetz gewählten Formu- muß das Stillen gefördert werden. Hierzu leistet das lierungen der Ausdeutung im Interesse der Babynah- Gesetz über die Werbung für Säuglingsanfangsnah- rungshersteller Tür und Tor offenlassen. Letztlich rung und Folgenahrung einen wesentlichen Beitrag. wird das alles dazu führen, daß die Produzenten auch künftig ihre kommerziellen Ziele entgegen den Mit dem Säuglingsnahrungswerbegesetz wird die Gesundheitsinteressen der Kinder und Mütter durch- Werbung für Muttermilchersatz-Erzeugnisse stren- setzen werden. gen Regelungen unterworfen, um die Stillbereitschaft Dagegen hätte das oberste Ziel des Gesetzes darin der Mütter zu fördern und das Stillen zu schützen. bestehen müssen, das Stillen wieder stärker zur Nor- Das Gesetz verbietet insbesondere in der Werbung malität werden zu lassen. Dazu ist es aber unter für Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung jede anderem notwendig, auch Säuglingstees, Säfte und Einflußnahme auf Schwangere oder Stillende, die Breie ebenso wie Flaschen und Sauger, die den dazu beitragen könnte, daß Mütter das Stillen unter- Stillwillen ebenfalls untergraben und oft schon für die lassen, vorzeitig einschränken oder aufgeben. ersten Lebenswochen von den Herstellern empfohlen werden, in den Anwendungs- und Geltungsbereich Werbung darf auch nicht den Eindruck vermitteln, des Gesetzes aufzunehmen. Dagegen beschränkt sich daß Flaschennahrung der Muttermilch gleichwertig der vorliegende Entwurf von vornherein auf Anfangs- oder überlegen ist. Darüber hinaus darf für Säuglings- und Folgenahrung. anfangsnahrungen nur noch in wissenschaftlichen Publikationen oder in Veröffentlichungen geworben Sehr wichtig wäre es, wie von der WHO empfohlen, werden, die sich in ihrer Themenstellung mit Säug- ein grundsätzliches Verbot der kostenfreien Abgabe lingspflege befassen. von Produkten auch über Personen aus dem Gesund- heitsbereich auszusprechen. Solange jedoch Herstel- Die Beeinflussung von Eltern durch Proben oder lergeschenke an das Gesundheitspersonal weiterhin sonstige Werbung mittels Zugabeartikel, Sonderan- verteilt werden dürfen, wird es bei der allseits beklag- geboten und Lockartikel wird generell verboten. ten Situation bleiben, daß nicht die Ärzte oder Hebam- Auch mittelbare Werbung, die in geschriebenem oder men, sondern die herstellende Industrie der wichtig- audiovisuellem Material über die Ernährung von ste Informationsträger für Schwangere und Mütter ist. Säuglingen erfolgt, wird inhaltlichen Schranken Soll also das Stillen ernsthaft gefördert werden, dann unterworfen. wird es nicht ohne ein tatsächliches Verbot der Wer- bung in ihren direkten wie indirekten Formen gehen. Die kostenlose Abgabe von Gegenständen zu Infor- Natürlich muß es die sachbezogene Information über mations- und Ausbildungszwecken, die mittelbar der Säuglingsnahrung geben. Sie sollte aber wissen- Werbung dienen, darf nur auf Wunsch und über in der schaftlich gesichert und herstellerunabhängig erfol- Gesundheitsvorsorge tätige Institutionen erfolgen. gen. Jede zulässige Werbung für Säuglingsanfangsnah- Vor allem aber ist eine aktive Propagierung des rung oder Folgenahrung muß die notwendigen Infor- Stillens nötig, natürlich vor allem durch Ärzte, Schwe- mationen über die bestimmungsgemäße Verwendung stern und Hebammen, aber auch durch die Bildungs- der Erzeugnisse enthalten, um so schon in der Wer- einrichtungen und Massenmedien. Dafür müßte sich bung die notwendigen Informationen über den dann allerdings die öffentliche H and auch finanziell adäquaten Einsatz des jeweiligen Erzeugnisses zu einsetzen. vermitteln. Insgesamt braucht das Gesetz also sowohl erwei- Wie Sie wissen, setzen wir mit diesem Gesetz die terte Anwendungsbereiche als auch weitergehende Richtlinie der EG-Kommission vom 14. Mai 1991 über Werbeverbote und Einschränkungen der Vermark- Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung um. tungstrategien der Hersteller. Diese Richtlinie entspricht den Zielen und Grundsät- Fazit: Von einer ernsthaften Absicht, das Stillen zen des WHO-Codex über die Vermarktung von wirklich erneut voranzubringen, ist kaum etwas zu Muttermilchersatz. Dabei wurden die Besonderheiten spüren. Es wurde gewissermaßen das Minimum der der rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse in Umsetzungspflicht erfüllt. Die eigentliche gesund- Europa berücksichtigt. Eine vollständige Übernahme heitspolitische Chance, mit diesem Gesetz der des WHO-Codex war weder sinnvoll noch geboten. Gesundheitsförderung für Mutter und Kind einen Die Bundesregierung hat seinerzeit die Annahme nachhaltigen Impuls zu verleihen, wurde leider ver- des WHO-Codex auch ausdrücklich unter den Vorbe- geben. halt gestellt, die Übernahme des Codex den Verhält- Aus diesen Gründen kann ich dem Gesetz nicht nissen und Erfordernissen in der Bundesrepublik zustimmen. Das gleiche gilt für den vorliegenden Deutschland entsprechend zu übernehmen. Dem Entschließungsantrag. trägt das Gesetz voll Rechnung.