Deutscher Drucksache 12/6988 12. Wahlperiode 08. 03. 94

Gesetzentwurf der Abgeordneten Herbert Werner (Ulm), Hubert Hüppe, Claus Jäger, Dr. Klaus-Dieter Uelhoff, , Dr. , Wilfried Böhm (Melsungen), Karl Deres, Albert Deß, , Wolfgang Erler (Waldbrunn), Dr. Karl H. Fell, Dr. Wolfgang Götzer, Dr. Norbert Herr, Dr. Paul Hoffacker, Josef Hollerith, Siegfried Hornung, Georg Janovsky, Hartmut Koschyk, Franz Heinrich Krey, Karl-Josef Laumann, Ortwin Lowack, Rudolf Meinl, Alfons Müller (Wesseling), Dr. Günther Müller, Engelbert Nelle, Friedhelm Ost, Norbert Otto (Erfurt), Otto Regenspurger, Dr. (München), Werner Ringkamp, Franz Romer, Dr. Klaus Rose, Kurt J. Rossmanith, Helmut Sauer (Salzgi tter), Roland Sauer (Stu ttgart), Dr. , Joachim Graf von Schönburg-Glauchau, Dr. Hermann Schwörer, Ferdi Tillmann, Alois Graf von Waldburg-Zeil, Benno Zierer

Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der ungeborenen Kinder (GSuKi)

A. Problem Durch Urteil vom 28. Mai 1993 hat das Bundesverfassungsgericht Bestimmungen des Gesetzes zum Schutz des vorgeburtlich/ werdenden Lebens, zur Förderung einer kinderfreundlicheren Gesellschaft, für Hilfen im Schwangerschaftskon flikt und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs (Schwangeren- und Familienhilfegesetz) vom 27. Juli 1992 als mit dem Grundgesetz unvereinbar für nichtig erklärt. Der sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 ergebende gesetz- geberische Handlungsbedarf ist umzusetzen. Insbesondere unter Berücksichtigung des Untermaß-Verbots muß ein gesetzgeberisches Gesamtkonzept erstellt werden, das Aus- sicht bietet, der Tötung ungeborener Kinder wirksam zu begeg- nen. Drucksache 12/6988 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode

B. Lösung

Das Lebensschutz-Konzept des vorliegenden Entwurfs eines Arti- kelgesetzes enthält eine Anzahl zusätzlicher gesetzgeberischer Maßnahmen zum Schutz des Lebensrechts ungeborener Kinder, insbesondere zur Belebung des öffentlichen Bewußtseins, durch familienpolitische Maßnahmen zugunsten schwangerer Frauen und ergänzt den daneben eingebrachten Gesetzentwurf für eine Neufassung der Strafbestimmungen der §§ 218ff. StGB. Es beach- tet die Vorgaben durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 und zu Artikel 31 Abs. 4 des deutschen Eini- gungsvertrages.

C. Alternativen Keine

D. Kosten

Die Kosten können erst im Zuge des gesetzgeberischen Verfahrens ermittelt werden. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode Drucksache . 12/6988

Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der ungeborenen Kinder (GSuKi)

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlos- (3) Der Lebensschutz-Beauftragte ist im Deutschen sen: Bundestag anzuhören, wenn Fragen seines Aufga- benbereichs behandelt werden. Er hat das Recht, an den Sitzungen der für seinen Aufgabenbereich zuständigen Fachausschüsse teilzunehmen. Der Artikel 1 Deutsche Bundestag und die in Satz 2 genannten Gesetz über den Lebensschutz-Beauftragten Ausschüsse können jederzeit die Anwesenheit des des Deutschen Bundestages (LebSchBG) Lebensschutz-Beauftragten verlangen; er steht ihnen für Auskünfte zur Verfügung.

§1 Verfassungsrechtliche Stellung §3 (1) Beim Deutschen Bundestag wird ein Beauftrag- Wahl des Lebensschutz-Beauftragten, ter für den Schutz des Lebensrechts ungeborener Wählbarkeit Kinder, hochbetagter, schwerbehinderter oder schwerkranker Personen (Lebensschutz-Beauftrag- (1) Der Lebensschutz-Beauftragte wird vom Deut- ter) bestellt. schen Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder in geheimer Wahl für eine Amtsdauer von fünf Jahren (2) Der Lebensschutz-Beauftragte steht nach Maß- gabe dieses Gesetzes in einem öffentlich-rechtlichen gewählt. Er kann einmal wiedergewählt werden. Amtsverhältnis. Die §§ 15 bis 18 des Gesetzes über (2) Zum Lebensschutz-Beauftragten ist jeder Deut- den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages sche wählbar, der das Wahlrecht zum Deutschen finden entsprechende Anwendung. Bundestag besitzt und das 35. Lebensjahr vollendet hat. Nicht wählbar ist, wem die bürgerlichen Ehren- rechte aberkannt sind, oder wer wegen der Teilnahme §2 an einer Straftat gegen das Leben bestraft ist. Nicht wählbar ist auch, wer sich selbst einer Teilnahme an Aufgaben einer solchen Straftat bezichtigt, auch wenn deswe- gen kein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet worden (1) Dem Lebensschutz-Beauftragten obliegt es, ist. daran mitzuwirken, das öffentliche Bewußtsein a) (3) Zum Lebensschutz-Beauftragten soll eine Per- bezüglich des Lebensrechts des in § 1 Abs. 1 sönlichkeit gewählt werden, die auf dem Gebiet des bezeichneten Personenkreises zu beleben und Lebensschutzes im Sinne von § 1 Abs. 1 Erfahrungen wachzuhalten; gesammelt und Engagement gezeigt hat. b) sich zu Gesetzes- und Verordnungsentwürfen, die das Lebensrecht des in § 1 Abs. 1 genannten Personenkreises und seinen Schutz berühren, gut- achtlich zu äußern; §4 Verschwiegenheitspflicht c) statistisches Material über die Bedrohung und Verletzung des Lebensrechts des in § 1 Abs. 1 genannten Personenkreises zu sammeln und aus- Der Lebensschutz-Beauftragte bewahrt über die zuwerten; ihm bekanntgewordenen Angelegenheiten Ver- schwiegenheit. § 10 des Gesetzes über den Wehrbe- d) Beschwerden und Gesuche von im Bundesgebiet auftragten des Deutschen Bundestages gilt entspre- lebenden Personen auf dem Gebiet seines Auf- chend. gabenbereichs entgegenzunehmen und an die zuständigen Ausschüsse des Deutschen Bundes- tages weiterzuleiten. §5 (2) Der Lebensschutz-Beauftragte erstattet dem Deutschen Bundestag jährlich einen Bericht über den Allgemeine Richtlinien Stand des Schutzes des Lebensrechts des in § 1 Abs. 1 bezeichneten Personenkreises; darin soll er auch Der Deutsche Bundestag kann allgemeine Richtli- gesetzgeberische und Verwaltungsmaßnahmen anre- nien für die Arbeit des Lebensschutz-Beauftragten gen, die nach seiner Beurteilung zur Verbesserung erlassen. Der Beauftragte ist im übrigen von Weisun- des Lebensschutzes beitragen. gen frei. Drucksache 12/6988 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode

§6 (3) Familiengeld wird nur gezahlt, wenn das Ein- Amtshilfe, Amtseid kommen die in § 5 Abs. 2 des Bundeserziehungsgeld- gesetzes festgelegten Einkommensgrenzen nicht übersteigt. (1) Gerichte und Verwaltungsbehörden des Bundes, der Länder, der Sozialversicherungsträger und der (4) Zur Ermittlung des Einkommens gilt § 6 des kommunalen Körperschaften sowie der öffentlich- Bundeserziehungsgeldgesetzes entsprechend. rechtlichen Standesorganisationen sind verpflichtet, dem Lebensschutz-Beauftragten bei seiner Tätigkeit Amtshilfe zu leisten. § 2 (2) Der Lebensschutz-Beauftragte leistet bei der Beginn und Ende des Anspruchs Amtsübernahme vor dem Deutschen Bundestag den in Artikel 56 des Grundgesetzes vorgesehenen Eid. (1) Familiengeld wird für Kinder gewährt, deren Geburt nach dem 31. Dezember 1991 zu erwarten ist. Für angenommene und Kinder im Sinne des § 1 Abs. 3 §7 Nr. 1 des Bundeserziehungsgeldgesetzes wird Famili- engeld bei der Inobhutnahme gewährt. Familiengeld, Inkompatibilität das der leiblichen Mutter gewährt worden ist, wird angerechnet. Der Lebensschutz-Beauftragte darf kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf (2) Familiengeld wird auf schriftlichen Antrag ausüben und weder der Leitung noch dem Aufsichts- gewährt. Der Antrag muß bis zur Vollendung des rat eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens ange- sechsten Lebensmonats des Kindes gestellt werden. hören. Er darf weder dem Europäischen Parlament noch dem Deutschen Bundestag noch einem Landes- parlament angehören. §3 Andere Sozialleistungen

§8 (1) Das Familiengeld und vergleichbare Leistungen Zusammenarbeit mit Ländern der Länder bleiben als Einkommen bei Sozialleistun- gen, deren Gewährung von anderen Einkommen Haben Bundesländer eigene Lebensschutz-Beauf- abhängig ist, unberücksichtigt. § 15 b des Bundessozi- tragte eingesetzt, so arbeitet der Lebensschutz-Beauf- alhilfegesetzes -findet keine Anwendung. tragte des Deutschen Bundestages mit ihnen zusam- (2) Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen men, vor allem durch Informations- und Erfahrungs- anderer, auf die kein Anspruch besteht, dürfen nicht austausch. deshalb versagt werden, weil in diesem Gesetz Lei- stungen vorgesehen sind. (3) Leistungen, die außerhalb des Geltungsberei- Artikel 2 ches dieses Gesetzes in Anspruch genommen werden Gesetz zur Gewährung eines Familiengeldes und dem Familiengeld vergleichbar sind, schließen (Bundesfamiliengeldgesetz) Familiengeld aus.

§1 §4 Berechtigte, Höhe des Familiengeldes, Einkommensgrenze Unterhaltspflichten Unterhaltspflichten werden durch die Gewährung (1) Anspruch auf Familiengeld hat eine werdende eines Familiengeldes nicht berührt. Dies gilt nicht in Mutter, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Auf- den Fällen des § 1361 Abs. 3, der §§ 1579, 1603 Abs. 2 enthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat oder und des § 1611 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbu- die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2, 4 oder 6 des ches. Bundeserziehungsgeldgesetzes erfüllt. Für den An- spruch einer Ausländerin ist Voraussetzung, daß sie im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung, Aufent- haltserlaubnis oder Aufenthaltsbefugnis ist. §5 Zuständigkeit, Verfahren bei der Ausführung (2) Das Familiengeld beträgt insgesamt 1 000 Deut- sche Mark. Es kann in zwei Raten vor und nach der (1) Die Landesregierungen oder die von ihnen Geburt in Höhe von jeweils 500 Deutsche Mark bestimmten Stellen bestimmen die für die Ausführung gezahlt werden. Der Anspruch auf das vorgeburtliche dieses Gesetzes zuständigen Behörden durch Rechts- Familiengeld besteht sechs Wochen vor dem voraus- verordnung. sichtlichen Entbindungstermin. Er ist durch Zeugnis eines Arztes oder einer Hebamme nachzuweisen. Bei (2) Bei der Ausführung dieses Gesetzes ist das Erste Mehrlingsgeburten wird das Familiengeld auch für Kapitel des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch anzu- jedes weitere Kind gewährt. wenden. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode Drucksache 12/6988

§6 nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzei- tig mitteilt oder Kostentragung 3. § 7 auf Verlangen eine Bescheinigung nicht, nicht Die Ausgaben für Familiengeldleistungen trägt der richtig oder nicht vollständig ausstellt. Bund. (2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geld- buße geahndet werden. §7 (3) Verwaltungsbehörden im Sinne des § 36 Abs. 1 Auskunftspflicht des Arbeitgebers Nr. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten sind die nach § 5 zuständigen Behörden. § 12 des Bundeserziehungsgeldgesetzes gilt ent- sprechend. Artikel 3 Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches §8 Rechtsweg Das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. September 1990 (BGBl. I Über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in den S. 2002), zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt Angelegenheiten dieses Gesetzes entscheiden die geändert: Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit. 1. In § 16151 Abs. 2 Satz 2 werden die Worte „wenn die Mutter nicht oder nur beschränkt erwerbstätig §9 ist, weil das Kind anderenfalls nicht versorgt wer- den könnte" durch die Worte „wenn von der Bußgeldvorschrift Mutter wegen der Pflege oder Erziehung des Kindes eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet wer- (1) Ordnungswidrig h andelt, wer vorsätzlich oder den kann" ersetzt. fahrlässig entgegen 2. In § 16151 Abs. 2 Satz 3 werden die Worte „ein 1. § 60 Abs. 1 Nr. 1 oder 3 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Jahr" durch die Worte „drei Jahre" ersetzt. des Ersten Buches Sozialgesetzbuch auf Verlangen die leistungserheblichen Tatsachen nicht angibt - oder Beweisurkunden nicht vorlegt, Artikel 4 2. § 60 Abs. 1 Nr. 2 des Ersten Buches Sozialgesetz- buch eine Änderung in den Verhältnissen, die für Inkrafttreten den Anspruch auf Kindererstausstattungsgeld er- heblich ist, der nach § 5 zuständigen Behörde nicht, Dieses Gesetz tritt am ... in Kraft.

Bonn, den 8. März 1994

Herbert Werner (Ulm) Dr. Paul Hoffacker Otto Regenspurger Hubert Hüppe Josef Hollerith Dr. Erich Riedl (München) Claus Jäger Siegfried Hornung Werner Ringkamp Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Georg Janovsky Franz Romer Norbert Geis Hartmut Koschyk Dr. Klaus Rose Dr. Wolf Bauer Franz Heinrich Krey Kurt J. Rossmanith Wilfried Böhm (Melsungen) Karl-Josef Laumann Helmut Sauer (Salzgitter) Karl Deres Ortwin Lowack Roland Sauer (Stuttgart) Albert Deß Rudolf Meinl Dr. Andreas Schockenhoff Wolfgang Engelmann Alfons Müller (Wesseling) Joachim Graf von Schönburg-Glauchau Wolfgang Erler (Waldbrunn) Dr. Günther Müller Dr. Hermann Schwörer Dr. Karl H. Fell Engelbert Nelle Ferdi Tillmann Dr. Wolfgang Götzer Friedhelm Ost Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Norbert Herr Norbert Otto (Erfurt) Benno Zierer Drucksache 12/6988 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode

Begründung

I. Allgemeines bilden. Dabei ist besonderer Wert darauf zu legen, daß die Fragen der Empfängnisregelung partnerschaftlich Der Schutz des menschlichen Lebens ist für Staat und angegangen und auch die Männer herangezogen Gesellschaft die a lles überragende Aufgabe. Eine werden, ihren Teil der Verantwortung zu tragen. besondere Verpflichtung besteht dabei gegenüber dem schwächsten Mitglied der menschlichen Ge- meinschaft, dem ungeborenen Kind. Die Qualität b) Beratung einer Gesellschaft erweist sich gerade daran, wie sie ihre schwächsten Mitglieder schützt und Entschei- Im Bereich der Schwangerenberatung steht mit dem dungen zum Leben fördert. Die hohe Zahl von Tötun- in Artikel 1 des Schwangeren- und Familienhilfege- gen ungeborener Kinder in den alten und neuen setzes (SFHG) enthaltenen Gesetz über Aufklärung, Bundesländern stellt deshalb Staat und Gesellschaft Verhütung, Familienplanung und Beratung ein vor eine besondere Herausforderung. Instrument zur Verfügung, mit dem die notwendige Information und Hilfe für schwangere Frauen bewäl- tigt werden kann. Da nach den geänderten strafrecht- 1. Bewußtseinsbildung lichen Bestimmungen eine spezielle Schwangeren Konfliktberatung als Voraussetzung der Straffreiheit Zur Schutzpflicht des Staates für das ungeborene Kind der Tötung eines ungeborenen Kindes nicht mehr gehört zunächst, daß er versucht, auf den Motivations- notwendig ist, bedarf es keiner über Artikel 1 SFHG und Entscheidungsprozeß, der zu einer Abtreibung hinausgehenden Beratungsbestimmungen. In diesem führen könnte, Einfluß zu nehmen. Die Überzeugung, Gesetz ist bereits ein Rechtsanspruch auf umfassende daß das ungeborene Kind als Mitmensch gleicher Beratung geschaffen. Die Beratung wirkt in doppelter Würde und gleichen Rechts des Schutzes der Gemein- Hinsicht zum Schutz des ungeborenen Kindes. Auf der schaft und jedes einzelnen Mitbürgers bedarf, muß einen Seite steht das Bemühen, die Austragung des gestärkt und — wo sie verlorengegangen ist — durch Kindes psychisch-emotional zu stützen, auf der ande- bewußtseinsbildende Maßnahmen wieder herbeige- ren Seite werden- öffentliche und p rivate Hilfen durch führt werden. So hat es das Bundesverfassungsgericht die Beratungstätigkeit bekanntgemacht oder vermit- in seinem Urteil vom 28. Mai 1993 dem Staat zur telt —teilweise auch direkt vergeben — und damit erst Pflicht gemacht. Dies kann auf breiter Basis durch in vollem Umfang wirksam. Letzteres wirkt wiederum Aufklärungs- und Informationsarbeit im „konflikt- auf das Bewußtsein schwangerer Frauen zurück, freien Raum" und durch Beratung in konkreten Ein- indem das Leben mit dem Kind als realisierbare und zelfällen geschehen. von der Gemeinschaft unterstützte Alternative erfah- ren wird. Somit ist die Schwangerenberatung — ihrer Aufgabe entsprechend — ein wesentlicher Bestand- teil der Bewußtseinsbildung für einen stärkeren a) Aufklärung und Information Schutz des ungeborenen Kindes. Die Bewußtseinsbildung für den Schutz des ungebo- Im offenen und vertraulichen Gespräch soll die renen Kindes muß bereits im Rahmen der Sexualer- Schwangere Konflikte, Probleme und Spannungen ziehung, der Aufklärung über verantwortliches Sexu- ansprechen und gemeinsam mit den Beratungsfach- alverhalten und den Gebrauch von empfängnisre- kräften Lösungen und Perspektiven für ein Leben mit gelnden Mitteln und Methoden beginnen. „Aufklä- dem Kind erarbeiten können. In der Beratung werden rung" darf sich aber nicht darin erschöpfen, eine Kenntnisse über die vorgeburtliche Entwicklung des „technische Anleitung zur Verwendung von Verhü- Kindes, über alle zur Verfügung stehenden gesetzli- tungsmitteln" zu geben. Keinesfalls darf die vorge- chen Leistungen und öffentlichen und p rivaten Hilfen burtliche Kindestötung als Mittel der „Familienpla- vermittelt. Den Bereich der Sexualaufklärung und nung" bezeichnet oder angeboten werden, wie dies Empfängnisregelung, d. h. das Bemühen um eine im früheren DDR-Recht der Fall war. verantwortliche Elternschaft (vgl. oben Buchstabe b), schließt die Beratung ebenso ein wie eine Ehe- oder Auch wenn empfängnisverhütende Maßnahmen fehl- Partnerberatung, soweit die Frau es wünscht. schlagen sollten, ist das Lebensrecht des ungeborenen Kindes zu respektieren. Wo immer möglich, sollte schon im konfliktfreien Raum eine entsprechende c) Weitere bewußtseinsbildende Bewußtseinsbildung einsetzen, damit nicht dann, Gesetzesänderungen wenn tatsächlich eine ungeplante Schwangerschaft entstanden ist, doch die Tötung des Kindes als „letzter Die Zahlung von Familiengeld ist nicht nur eine Ausweg" angesehen wird. Ethische Fragestellungen materielle Hilfe für die Anschaffungen, die mit der und die Möglichkeiten verantworteter Elternschaft Geburt eines Kindes in Zusammenhang stehen, son- sind deshalb besonders zu berücksichtigen und müs- dern sie kann darüber hinaus einen wichtigen sen den Schwerpunkt von Aufklärung und Beratung bewußtseinsbildenden Effekt haben. Denn ein unge- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode Drucksache 12/6988 borenes Kind, das vom Staat als Anknüpfungspunkt des Staates rechnen können. Die Hälfte des Fami- für eine Sozialleistung anerkannt wird, wird auch von liengeldes steht vor der Geburt zur Verfügung. Es denjenigen eher als Kind und Mitmensch akzeptiert, ist einkommensabhängig und bei anderen Sozial- die dies nicht schon aus ihrer allgemeinen Überzeu- leistungen nicht als Einkommen zu berücksichti- gung heraus tun. gen.

Auch die Änderungen in den strafrechtlichen Bestim- — Der geltende Unterhaltsanspruch der nichteheli- mungen des neben diesem Gesetzentwurf einge- chen Mutter gegen den Kindesvater ist unzurei- brachten Entwurfs zur Neufassung des Abtreibungs- chend: strafrechts dienen der Schärfung des Bewußtseins. Das Strafrecht kennzeichnet Recht und Unrecht in Nichteheliche Mütter befinden sich vielfach nach unserer Gesellschaft. Die bewußtseinsbildende Wir- der Geburt des Kindes in einer schwierigen wirt- kung ist auch von den Befürwortern einer völligen schaftlichen Situa tion, insbesondere dann, wenn oder weitgehenden Abtreibungsfreigabe auf anderen sie über kein hinreichendes Einkommen verfügen Gebieten, etwa dem Umweltstrafrecht, anerkannt. und finanziell abhängig sind. In diesen Fällen ist Wer dieses Argument aber nur dann gelten lassen die Mutter auf Unterstützung angewiesen, um das will, wenn es der eigenen gesellschaftspolitischen Kind betreuen zu können. Zielsetzung entspricht, macht sich unglaubwürdig. Rechtlich sind diese Frauen nur in begrenztem Zu den bewußtseinsbildenden Maßnahmen dieses Ge- Umfang abgesichert. Der Betreuungsunterhalts- setzes gehört auch die Bestellung eines Lebensschutz anspruch ist zeitlich eng beschränkt und hilft nur Beauftragten. Er soll speziell das Bewußtsein des für eine kurze Übergangszeit weiter (maximal für Gesetzgebers schärfen, darüber hinaus aber auch in zwölf Monate nach der Entbindung). Die übrigen der Öffentlichkeit an der Belebung des Bewußtseins Sozialleistungen stellen zwar in mehrfacher Hin- vom Lebensrecht der ungeborenen Kinder mitwirken. sicht eine Unterstützung dar (Erziehungsgeld, Kin- dergeld, Ansprüche nach dem Mutterschutzge- setz, Sozialhilfe, Wohngeld), können jedoch eine vollständige wirtschaftliche Sicherstellung nicht 2. Sozial- und familienpolitische Hilfen bieten.

Angesichts der besonderen Verantwortung des Staa- Die wirtschaftliche Instabilität schlägt sich oft tes für den Schutz ungeborener Kinder muß Familien- negativ auf die sozialen Beziehungen und die politik dazu beitragen, daß das „Ja zum Kind ” nicht physische und psychische Befindlichkeit der Mut- auf Benachteiligungen und unvertretbare Schwierig- ter nieder. Dies- wiederum beeinträchtigt die Ent- keiten trifft. Schwangeren Frauen, die sich in einer wicklungschancen des nichtehelichen Kindes. Um Konfliktsituation befinden, müssen Wege aufgezeigt unverheiratete Schwangere nicht in eine persönli- werden können, die es ermöglichen, das Kind auszu- che Konfliktsituation zu bringen, muß deshalb der tragen und für die eigene Familie eine Lebensper- Betreuungsunterhaltsanspruch der nichtehelichen spektive zu sehen. Die Rahmenbedingungen für ein Mutter erheblich verbessert werden. Leben mit Kindern müssen so gestaltet bzw. verbes- sert werden, daß Schwangere und Familien die Soli- darität der Mitwelt erfahren, daß sie die Förderung II. Finanzielle Auswirkungen ihrer Kinder gemäß ihren Vorstellungen verwirkli- chen und Familie und Beruf miteinander in Einklang Die Kosten des Gesetzentwurfs können erst im Zuge bringen können, daß die Umgebung für ein partner- des gesetzgeberischen Verfahrens ermittelt werden. schaftliches Miteinander aller Familienmitglieder för- derlich ist und daß sie Unterstützung, Beratung und Hilfe in Lebenssituationen erfahren, die sie aus eige- III. Begründung der einzelnen Bestimmungen ner Kraft nicht bewäl tigen können. Vorgesehen sind — auch im Sinne der Entscheidung Zu Artikel 1 (Gesetz über den des Bundesverfassungsgerichts — neben der Einfüh- Lebensschutz-Beauftragten rung eines Lebensschutz-Beauftragten wesentlich des Deutschen Bundestages) verbesserte sozialflankierende Maßnahmen (Fami- liengeld, Verbesserungen im Kinder- und Jugendhilfe- Zu § I gesetz und im Bürgerlichen Gesetzbuch). Die vorgeschlagenen Regelungen in ihrer Gesamtheit Die verfassungsrechtliche Stellung des Lebensschutz orientieren sich an der sozialethisch motivierten Ziel- Beauftragten wird in Anlehnung an das Gesetz über setzung der Sicherung des Gemeinwohls auch in den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages seiner Dimension für folgende Generationen. geregelt. Mit den in diesem Artikelgesetz vorgesehenen Maß- nahmen soll eine wirksame Verbesserung der staatli- Zu §2 chen Leistungen zum Schutz der ungeborenen Kinder erfolgen: Die Aufgaben des Lebensschutz-Beauftragten erge- — Ein Familiengeld in Höhe von insgesamt 1 000 ben sich materiell aus den Leitsätzen (6 und 10) und Deutsche Mark soll den Eltern schon vor der aus der Begründung des Urteils des Bundesverfas- Geburt eines Kindes zeigen, daß sie auf die Hilfe sungsgerichts vom 28. Mai 1993, die dem Staat das Drucksache 12/6988 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode

Untermaßverbot und die Nachbesserungspflicht so- Mehrlingsgeburten wird für jedes Kind das Familien- wie die Belebung des öffentlichen Bewußtseins geld gezahlt. bezüglich des Lebensrechts der ungeborenen Kinder zur Pflicht macht.

Da durch Euthanasie-Bestrebungen in europäischen Zu Artikel 3 (Änderung des Bürgerlichen Nachbarländern, die in Deutschland bereits da und Gesetzbuches) dort als beispielhaft angesehen werden, auch das Lebensrecht hochbetagter, schwerbehinderter und Gemäß Artikel 6 Abs. 5 GG sind nichtehelichen schwerkranker Personen bedroht werden kann, ist Kindern „durch die Gesetzgebung die gleichen auch dieser Personenkreis in den Aufgabenbereich Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwick- des Lebensschutz-Beauftragten einbezogen. lung und Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie Der Jahresbericht an den Deutschen Bundestag ist ein den ehelichen Kindern" . Diese Wertentscheidung hat Kernstück der Aufgaben des Lebensschutz-Beauf- auch Geltung hinsichtlich der Rechtsbeziehung zwi- tragten. Um seine Aufgabe erfüllen zu können, muß er schen der nichtehelichen Mutter und dem nichteheli- ein Recht auf Anhörung im Deutschen Bundestag und chen Vater. Die geltende Rechtslage benachteiligt die in den zuständigen Ausschüssen haben. Entwicklung eines nichtehelichen Kindes mittelbar durch die starke gesetzliche Einschränkung des Betreuungsunterhaltsanspruches. Es ist daher verfas- Zu § 3 sungsrechtlich geboten, diesen Betreuungsunter- haltsanspruch erheblich zu erweitern. Auch diese Bestimmung lehnt sich an die Regelung beim Wehrbeauftragten an. Die Wählbarkeitsbestim- mungen der Absätze 2 und 3 ergaben sich aus den besonderen Aufgaben des Lebensschutz-Beauftrag- Zu Nummer 1 ten. Mit diesen Änderungen sollen nichteheliche Väter mehr in die Verantwortung für die Schaffung der Zu den §§ 4 bis 7 Voraussetzung der Betreuung eines nichtehelichen Kindes einbezogen werden. Es erfolgt eine Anglei- Auch hier lehnt sich das Gesetz an entsprechende chung an § 1570 BGB, der im Falle einer Scheidung Regelungen beim Wehrbeauftragten an. den Anspruch auf Unterhalt sichert, wenn wegen der Kindererziehung von dem Ehegatten „eine Erwerbs- tätigkeit nicht erwartet- werden kann" . Damit wird die Zu § 8 soziale und wirtschaftliche Ausgangslage eines nicht- ehelichen Kindes mittelbar verbessert, da die Mutter Auch die Länder tragen nach dem Urteil des Bundes- nicht mehr nachweisen muß, daß sie nicht oder nur verfassungsgerichts Mitverantwortung für eine er- beschränkt erwerbstätig ist, „weil das Kind anderen- folgreiche Eindämmung der Abtreibung, vor allem falls nicht versorgt werden kann". durch die Gewährleistung einer dem Lebensschutz dienenden Schwangeren-Beratung. Es ist daher zu erwarten, daß auch Bundesländer Lebensschutz Beauftragte bestellen. Mit ihnen soll der Beauftragte Zu Nummer 2 des Deutschen Bundestages eng zusammenarbei- ten. Um die Entwicklungschancen der nichtehelichen Kin- der denen ehelicher Kinder anzugleichen, wird der zeitliche Anspruch des Betreuungsunterhaltes von Zu Artikel 2 (Bundesfamiliengeldgesetz) einem Jahr auf drei Jahre ausgedehnt. Hierdurch wird eine Vollbetreuung des Kindes durch die nichteheli- Zu § 1 — Berechtigte, Höhe des Familiengeldes, che Mutter bis zum Kindergartenalter ermöglicht. Einkommensgrenze

Absatz 1 legt den Kreis der Berechtigten fest. Er orientiert die Voraussetzungen des Anspruchs auf Zu Artikel 4 (Inkrafttreten) Familiengeld an j 1 des Bundeserziehungsgeldgeset- zes. Die Festsetzung eines festen Kalender-Datums für das Inkrafttreten des Gesetzes bietet den Verwaltungen Nach Absatz 2 beträgt das Familiengeld 1 000 Deut- und den betroffenen Personen mehr Rechtssicherheit sche Mark. Es kann in Höhe von 500 Deutsche Mark und die Möglichkeit, sich auf die neue gesetzliche vor und in derselben Höhe nach der Geburt gezahlt Lage einzurichten. Der ... erscheint im Hinblick auf werden. das Gesetzgebungsverfahren realistisch. Die Weiter- Durch die Leistung wird sichergestellt, daß der Fami geltung der Übergangsregelung des Bundesverfas- lie Mittel für das Kind zur Verfügung stehen. Bei sungsgerichts wird nicht über Gebühr ausgedehnt.