FDP – 03. WP Fraktionssitzung: 18. 08. 1961

18. August 1961: Fraktionssitzung

ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A40-739. Überschrift: »Kurzprotokoll über die Sitzung der Fraktion am 18. August 1961«. Zeit: 9.20–10.52 Uhr. Vorsitz: Mende. Anwe- sende Fraktionsmitglieder: keine Angaben.

Sitzungsverlauf: A. Geschäftliche Mitteilungen. B. Vorbereitung der Aussprache über die Regierungserklärung von Bundeskanzler Ade- nauer über die Lage Berlins.

[A.] TOP I: Geschäftliche Mitteilungen 1. Der Bundeskanzlererklärung, 11 Uhr im Plenum, folgt eine Erklärung des Regie- renden Bürgermeisters Brandt1. Darauf schließen sich die Erklärungen der drei Fraktionsvorsitzenden in der Reihenfolge Krone2, Ollenhauer3, Dr. Mende an. Schließlich geben Schneider4 (Bremerhaven) noch eine persönliche oder sachliche Erklärung für die Gesamtdeutsche Partei und Behrisch5 für die DFU6 ab. Die Erklä- rungen werden im Rundfunk und Fernsehen übertragen. Für die Kanzlererklärung sind 45 Minuten, für die Brandt-Rede ebenfalls 45 Minuten und für die Erklärungen der drei Fraktionsvorsitzenden je 15 Minuten vorgesehen. 2. Am Dienstag, den 22. August, findet eine Fraktions- und Bundestagssitzung statt. In Nürnberg findet am Sonntag eine Besprechung der Referenten zum Bundeswahl- kongreß statt. Es werden anwesend sein: Döring, Dr. Bucher, Mischnick, Frau Dr. 7 Kiep-Altenloh , Dr. Dehler, Dr. Starke u. a. 3. Die Wahlversammlungen sind wegen des steigenden Interesses der Bevölkerung überfüllt. So war das Interesse insbesondere in Hamburg, Wilhelmshaven, Iserlohn, Dortmund sehr groß. 4. Der FDP-Appell an Bundespräsident Lübke zur Vorverlegung der Bundestagswahl und der damit verbundenen Wahlkampfverkürzung wurde wegen der dadurch ge- gebenen Anfechtungsmöglichkeit abgelehnt. Statt dessen plädierte auch Lübke für einen fairen Wahlkampf.

5. Dr. Dehler und Frau Dr. Dr. h. c. Marie-Elisabeth Lüders sollten so viel wie möglich ihre Ämter in den Vordergrund stellen, um einen Ausgleich der Regierungsämter der anderen Parteien zu geben. Auch die Länderminister und Senatoren sollten von ihren Ämtern Gebrauch machen.

1 , Regierender Bürgermeister von West-Berlin (SPD). 2 , MdB (CDU), Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. 3 , MdB (SPD), Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. 4 Herbert Schneider, MdB (fraktionslos), Mitvorsitzender der GDP. 5 Arno Behrisch, MdB (fraktionslos), Direktoriumsmitglied der DFU und Landesvorsitzender der DFU in Nordrhein-Westfalen. 6 Deutsche Friedens-Union. 7 Emilie Kiep-Altenloh, Senatorin für Ernährung und Landwirtschaft sowie der Gefängnisbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg (FDP).

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6. Die Wahlkampfaussagen sollten auf der seit März verfolgten Linie bleiben. Neue Vorschläge sollten nicht gemacht werden. Neu ist nur unsere Forderung nach Auf- rechterhaltung des Interzonenhandels. Insbesondere sollten auf dem nordrhein-westfälischen Wahlkongreß keine neuen Aussagen gemacht werden. Das Dreiparteiensystem ist herauszustellen, für den Rest wurde der Begriff »Papierkorbparteien« geprägt. 7. Es wurden Glückwünsche zu folgenden Geburtstagen ausgesprochen: Scheel (42), Dr. Stammberger (41), Dr. Bucher (47), Kreitmeyer (53), Sander (51), Ramms (52), Zoglmann (48). 8. Auf die Anfrage des CDU/CSU-Abgeordneten Wacher8 hat Dr. Mende geantwor- tet, daß das Plakat »Wer Strauß9 kennt und Brandt hört, wählt Mende« von der FDP nicht verwendet wird. Entsprechende Anweisung wurde an die Landesverbän- de gegeben. 9. Dr. Mende: Die Information über angebliche SPD/FDP-Koalitionsgespräche geht auf die Urheberschaft Dr. Glaessers10 vom Bundespresseamt zurück. Schultz: In dem Rednerschnellbrief sollten Angriffe anderer Parteien und wichtige Aussagen von uns bekanntgegeben werden. von Kühlmann: Das Gespräch Mende – Strauß sollte hier näher erläutert werden. Dr. Mende: Es handelt sich hier um ein rein privates Gespräch. Döring: Man sollte […]11 Schulz vom »Spandauer Volksblatt« näher unter die Lupe nehmen. Dieser ist nicht nur Mitarbeiter von diesem Blatt, sondern auch vom »Spiegel« und vom »Freien Wort«. Schulz hat die Information über das Mende-Strauß-Gespräch veröffentlicht. Dr. Mende: Schulz (Manfred Georgi12) soll nicht mehr im »Freien Wort« veröffentli- chen, ebensowenig wie Wolfram von Wolmar13. Dr. Bucher: Der Vermittlungsausschuß tagt am kommenden Montag, am Dienstag kommen die dort behandelten Angelegenheiten um 12 Uhr ins Plenum. Die Fraktions- sitzung findet um 11 Uhr statt. Dr. Lüders: Brandt sollte man nicht angreifen wegen der Zusammenarbeit in Berlin. Dr. Mende: Wer uns angreift, auch wenn es Brandt ist, bekommt von uns entsprechend Antwort. [B.] TOP II: Vorbereitung der FDP-Erklärung Dr. Mende: Die Bundeskanzlererklärung ist gestern abend zugegangen. Sie hat fünf Schwerpunkte: 1. die Protestseite, 2. Absage an Revanchismus, 3. Selbstbestimmungsrecht,

8 Gerhard Wacher, MdB (CSU), Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe. 9 Franz Josef Strauß, MdB (CSU), Bundesminister der Verteidigung. 10 Wolfgang Glaesser, Leiter der Abteilung Inland des Presse- und Informationsamts der Bundesregie- rung. 11 Vom Bearbeiter gestrichen: »sich«. 12 Manfred Georgi, Redakteur der FDP-Wochenzeitung »Das Freie Wort«. 13 Wolfgang Wolfram von Wolmar, 1939–1942 Leiter der Unterabteilung »Presse« bei der Behörde des Reichsprotektors in Böhmen und Mähren, Redakteur der FDP-Wochenzeitung »Das Freie Wort«.

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4. Widersprüche in der Sowjetpolitik, 5. Gegenmaßnahmen. Die Regierungserklärung ist mild, nur Ulbricht14 wird scharf angegriffen. Auch die Ollenhauer-Erklärung ist zahm. Infolgedessen müssen auch wir Polemik vermeiden. Selbst Strauß ist gegen Scharfmacherei. Die Bevölkerung will kein Korea in Berlin. Die Regierungserklärung wird verlesen. Dr. Dehler berichtet über die gestrige Tagung des Arbeitskreises Außenpolitik und die gemeinsame Sitzung des Bundestagsausschusses für Außenpolitik und des gesamtdeut- schen Ausschusses. Von Brentano15 berichtete über die Pariser Konferenz. Verlegung einer Division aus Algerien und Verstärkung der britischen Rheinarmee sowie über ein evtl. Embargo. Hierzu wurden jedoch keine Beschlüsse gefaßt. Von Brentano bot ein Bild der Hilflosigkeit. Eine Belebung der Aussprache brachte lediglich die Erklärung Dr. Achenbachs gegen die Scharfmacher. Aus dem Arbeitskreis Außenpolitik der Frak- tion berichtet Dr. Dehler, daß die Handlungen Pankows von Dr. Will als Aggression gekennzeichnet wurden. Der Viermächtestatus und die Rechtsposition der Alliierten wurden verletzt. Der Viermächtestatus wird von uns jedoch nicht als beseitigt betrach- tet. Sollte es jedoch dazu kommen, tritt die FDP dafür ein, daß Berlin 12. Bundesland wird. Die FDP-Erklärung fußt auf den positiven Vorschlägen der Erklärung Dr. Ger- stenmaiers16. Dr. Mende verliest die von Genscher17 formulierte und vom außenpolitischen Arbeits- kreis ergänzte FDP-Erklärung. Dr. Achenbach: Die Polemik gegen die Westmächte und die Bundesregierung sollte aus der Erklärung herausgenommen werden. Statt dessen sollte man hineinnehmen, daß wir es begrüßen, daß die Bundesregierung endlich die Initiative ergreifen will. Margulies: Dringlichkeit des Europazusammenschlusses in dieser Lage sollte hinein. Mischnick: Wir sollten in unserer Erklärung nicht allzu vorsichtig sein. Dr. Will: Er unterstützt die Ausführungen Mischnicks und gibt zu bedenken, daß Brandt auch etwas schärfer argumentieren wird, da er sich sonst in Berlin gar nicht wieder sehen lassen kann. Zoglmann: Die Verletzung der Menschenrechte sollte stärker herausgestellt werden. Dr. Will: Er ist im wesentlichen mit der Erklärung einverstanden, obgleich er von seiner Berliner Sicht her etwas schärfer vorgegangen wäre. Die Vorbehalte gegen die Regie- rung werden zurückgestellt, sollten aber angemeldet und an anderer Stelle vorgebracht werden. Dr. Mende: Er verliest die neuformulierten Sätze, die die Anregungen von Dr. Achen- bach und Dr. Will aufnehmen: »Heute ist nicht die Stunde, Kritik an der Bundesregie- rung zu üben. Wir begrüßen es daher, daß die Bundesregierung zu stärkerer Initiative in der Deutschlandfrage übergehen will und für alsbaldige Verhandlungen in der Deutsch- landfrage eintritt.« Dr. Rutschke: Gemeinsamkeit mit Erklärung Gerstenmaiers sollte herausgestellt wer- den.

14 Walter Ulbricht, Erster Sekretär des Zentralkomitees der SED und Vorsitzender des Staatsrates der DDR. 15 , MdB (CDU), Bundesminister des Auswärtigen. 16 , MdB (CDU), Bundestagspräsident. 17 Hans-Dietrich Genscher, Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion.

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Dr. Kohut: Schneider wird scharf vorgehen. Er befürchtet, daß man nachher sagt, daß die FDP »auch nichts gesagt« habe. Dr. Mende: Er stellt fest, daß die Erklärung von der Fraktion akzeptiert wird.

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