Versuche Der Einflußnahme Der SED Auf Die Politischen Parteien Der Bundesrepublik Nach Dem Mauerbau
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Jochen Staadt Versuche der Einflußnahme der SED auf die politischen Parteien der Bundesrepublik nach dem Mauerbau Expertisenauftrag Quellenlage Quellenbewertung Ziele der SED-Westpolitik gegenüber den Parteien des Bundestages Institutionen der SED-Westpolitik Fallbeispiele 1. Die Denunziations-Kampagne gegen Herbert Wehner 2. Versuche der Einflußnahme der SED auf Bundestagswahlen 3. Versuche innerparteiliche Differenzen auszunutzen Hinweise zu den vorgelegten Dokumenten des weiteren Expertisenauftrages Zusammenfassung Dokumentenanhang Expertisenauftrag Der Auftrag beinhaltete ursprünglich neben dieser Thematik noch zwei weitere allgemeine Fragestellungen: Die Infiltration in die Neue Linke in den 60er Jah- ren und Versuche der Einflußnahme auf westdeutsche Schriftsteller und Künst- ler. Die Expertise (Dokumentation) sollte auf der Grundlage von Archivbestän- den der ehemaligen DDR erstellt werden. Die zerklüftete Quellensituation zu den letztgenannten Themen und der archivalische Erschließungsstand bei der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdien- stes der ehemaligen DDR läßt jedoch eine zusammenhängende Darstellung dieser Themenkomplexe noch nicht zu. Es werden deshalb am Ende dieser Untersuchung lediglich Einzelaspekte hierzu berührt und durch Dokumente unterschiedlicher Provenienz beleuchtet. Die vorliegende Expertise entstand mit nachhaltiger und geduldiger Unterstützung durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv und der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Eine Studie zu versuchten Einflußnahmen der SED auf politische Parteien der Bundesrepublik enthält angesichts der in diesem Jahr anstehenden Wahl- kämpfe eine überaus problematische Dimension. Es stellt sich die Frage, ob es Einflußnahme der SED auf politische Parteien 2407 überhaupt möglich ist, das zu dieser Thematik vorliegende historische Quel- lenmaterial wissenschaftlich auszuwerten und zu präsentieren, ohne dadurch parteipolitischen Auslegungen Raum zu öffnen. Nach Inhalt der untersuchten Überlieferungen des Partei- und Staatsapparates des SED-Regimes ergibt sich diese Gefahr nahezu zwangsläufig, insbesondere da ca. zwei Drittel der in den einschlägigen Archiven aufbewahrten Dokumente über Parteien des Deutschen Bundestages bzw. deren Mitglieder Analysen, Gespräche und Maßnahmenpläne enthalten, die sich auf eine der beiden großen Bundestags- parteien konzentrieren. Außerdem liegen den in dieser Expertise vorgestellten Archivalien zeitgeschichtliche Vorgänge zugrunde, die – wie die jüngste Debatte um Herbert Wehner verdeutlichte – noch immer umstritten sind und es wohl auch noch eine Weile bleiben werden. Auf der anderen Seite können insbesondere zeitgeschichtlich konfliktive Zusammenhänge nur in Kenntnis der vorliegenden unterschiedlichen Quellen erschlossen werden. Diese Exper- tise versucht insoweit, dem Meinungsbildungsprozeß der Enquetekommission Perspektiven, Motivlagen sowie die politische Praxis einer der beteiligten Seiten zu erschließen. Insbesondere auch angesichts der aktuellen Problemlage ist der Autor be- strebt, eine nach bestem Wissen und Gewissen streng auf Quellen gestützte Darstellung der Zusammenhänge vorzulegen, die keine Empfehlungen für die Enquetekommission formuliert und um eine unparteiliche und sachbezogene Auswertung der zugänglichen Materialien bemüht ist. Daß dabei einige bisher wenig beachtete Aspekte der Entspannungspolitik in den Vordergrund gerückt werden, liegt an der Aufgabenstellung dieser Expertise. Es sei – um Fehlinterpretationen vorzubeugen – folgende Feststellung vor- ausgeschickt: Die ausgewerteten Quellen bestärken den Autor in der Auf- fassung, daß es zu keinem Zeitpunkt eine grundsätzliche Alternative zur der von den verschiedenen Bundesregierungen betriebenen Entspannungs- und Vertragspolitik gab. Sie belegen, daß es gelungen ist, auf dem Gebiet der menschlichen Erleichterungen vieles zu erreichen, was über lange Jahre ausgeschlossen schien. Von praktischer Hilfe in abertausenden von Fällen zeugen in den Archivbeständen Aktenbündel voller Namenslisten inhaftierter oder ausreisewilliger DDR-Bürger. Es war nahezu die Regel, daß Politiker aus allen Parteien des Deutschen Bundestages solche Listen mit der Bitte um humanitäre Lösungen am Rande ihrer jeweiligen Gespräche den Reprä- sentanten der SED/DDR übergaben. Vor allem aber sind die Erfolge der Friedens- und Abrüstungspolitik zu nennen, die im europäischen Maßstab zur Verständigung zwischen den beiden Machtblöcken führten und die Rah- menbedingungen für die weitgehend friedlichen Revolutionen in Osteuropa schufen. An dieser Entwicklung hatte unbestritten die von allen Parteien des Deutschen Bundestages vertretene und in Kontinuität betriebene Deutschland- und Entspannungspolitik ihren bedeutenden Anteil. 2408 Jochen Staadt Für einen anderen Aspekt der Deutschland- und Außenpolitik weisen die Quellen allerdings auf eine Erosion des Konsenses zwischen den Parteien hin, die in der achtziger Jahren eine erhebliche Beschleunigung erfuhr. Es handelt sich dabei um eine Seite der Außen- und Deutschlandpolitik, die insbesondere im Vorfeld von Wahlkämpfen starke innenpolitische Implikationen enthielt. Dieser Gesichtspunkt steht im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen. Im Rahmen der Expertise kann dabei nur durch die Präsentation von exem- plarischen Vorgängen das komplexe Zusammenspiel der verschiedenen für die Westpolitik zuständigen Institutionen des SED-Staates beleuchtet werden. Mitgedacht werden müssen beim Lesen dieser herauspräparierten Detaila- spekte der komplizierten und höchst widersprüchlichen deutschen Nachkriegs- geschichte die weltpolitischen Rahmenbedingungen, unter denen die Konstel- lation eines geteilten Deutschland entstand, und unter denen sich der politische Prozeß in beiden deutschen Teilstaaten bis zur Wiedervereinigung vollzog. Quellenlage Die allgemeinen Ziele der Einflußnahme auf die Parteien des Deutschen Bundestages können aus den Überlieferungen des Zentralen und Internen Parteiarchives ebenso rekonstruiert werden, wie zahlreiche konkrete Maßnah- menpläne der ZK-Abteilungen, der diversen beratenden Expertenkommissio- nen des Politbüros und der dem zentralen Parteiapparat zuarbeitenden wis- senschaftlichen Einrichtungen. Das von der DDR hinterlassene Archivgut zur Westpolitik enthält in diversen Teilbeständen grob gegliedert sechs Grundtypen von Dokumenten: – Einen Schwerpunkt der Archivalien bilden Berichte, die „Reisekader“ nach Beendigung ihres Aufenthaltes in Westdeutschland verfaßt haben. Von diesen Einsatzberichten wurden, wie aus den standardisierten Deckblattbe- schriftungen hervorgeht, jeweils drei Exemplare ausgefertigt. Zwei davon erhielt das SED-Zentralkomitee, während eines bei der auftraggebenden Leitungsebene verblieb. Es handelt sich bei diesen Niederschriften nicht um geheimdienstlich gewonnene Erkenntnisse, wiewohl sie verschiedentlich auch für die Hauptabteilung Aufklärung des Ministeriums für Staatssi- cherheit von Interesse gewesen sein dürften. In Einzelfällen geben hand- schriftliche Weitergabevermerke auch darüber Aufschluß,daß die auftrag- gebende Bezirksleitung den betreffenden Reisebericht an eine Dienststelle des Ministeriums für Staatssicherheit übermittelt hat. Naheliegend ist fer- ner, daß auch dem Zentralkomitee zugeleitete Berichte im Bedarfsfall an die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) der Staatssicherheit weitergereicht wurden. Im Grundsatz waren die Reisekader der SED jedoch mit Partei- Einflußnahme der SED auf politische Parteien 2409 auftrag in der Bundesrepublik unterwegs. Berichte der Reisekader bilden für die 60er Jahre einen Schwerpunkt für die Westarbeit der SED. – Im Zuge der Etablierung vertraglich geregelter Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten nahmen offizielle und inoffizielle Gespräche zwischen der SED und Vertretern der Bundes- und Landesregierungen bzw. der jeweiligen Oppositionsparteien einen immer größeren Raum ein. Den zweiten Schwerpunkt des hinterlassenen Schrifttums über die Westpolitik der SED bilden deswegen Berichte über Unterredungen zwischen Vertretern der SED bzw. staatlicher Stellen der DDR und ihren Gesprächspartnern aus der Bundesrepublik. Diese Art von Dokumenten bildet einen deutlichen Schwerpunkt des Archivguts über die Westpolitik der 70er und 80er Jahre. – Den dritten Dokumententyp bilden Analysen über die politische und wirt- schaftliche Lage in Westdeutschland, die Rolle der Bundesrepublik in geopolitischer und geostrategischer Hinsicht, die Entwicklung des Kräfte- verhältnisses zwischen und in den Parteien, die Rolle der Gewerkschaften, die Bedeutung außerparlamentarischer Bewegungen etc. Diese Untersu- chungen wurden von den Experten der zuständigen Abteilungen der SED und ihrer Massenorganisationen, von Fachwissenschaftlern diverser Partei- institute bzw. Staats-Akademien, Universitäten, zuständigen Ministerien, der Ständigen Vertretung der DDR in Bonn und Auslands-Journalisten verfaßt. – An vierter Stelle sind Analysen, Berichte und Mitteilungen über die Bundesrepublik aus mit der DDR befreundeten Staaten zu nennen, die der SED bzw. staatlichen Organen der DDR informationshalber übergeben wurden sowie Maßnahmepläne und politische Empfehlungen der SED für das koordinierte Vorgehen des sozialistischen Lagers gegenüber der Bundesrepublik. – Den fünften Komplex bilden Materialsammlungen unterschiedlicher Pro- venienz aus der Bundesrepublik selbst. Dieses Schriftgut diente der Hin- tergrundinformation