Fußball Und Politik Herausgegeben Von Der Landeszentrale Für Politische Bildung DER BÜRGER Baden-Württemberg IM STAAT
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DER BÜRGER IM STAAT 56.Jahrgang Heft 1 2006 Fußball und Politik Herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung DER BÜRGER Baden-Württemberg IM STAAT Redaktion: Siegfried Frech Redaktionsassistenz: Barbara Bollinger Stafflenbergstraße 38, 70184 Stuttgart Fax (0711) 164099-77 [email protected] 56. Jahrgang Heft 1 2006 [email protected] Inhaltsverzeichnis Fußball und Politik Dietrich Schulze-Marmeling Uli Jäger Die Geschichte der FIFA-Fußball- Straßenfußball, Fair Play und weltmeisterschaft 4 globales Lernen 63 Christiane Eisenberg Wolfgang Walla Fußball als globales Phänomen 14 Statistisch gesehen 70 Bernd-M. Beyer Walther Bensemann: Kosmopolit Aus unserer Arbeit 73 des Fußballs 20 Buchbesprechungen 76 Verena Scheuble / Michael Wehner Fußball und nationale Identität 26 Dirk Schindelbeck „Nun siegt mal schön!“ 32 Bernd Strauß Das Fußballstadion als Pilgerstätte 38 Gunter A. Pilz „Tatort Stadion“ – Wandlungen der Zuschauergewalt 44 Rainer Koch / Wolfgang Maennig Spiel- und Wettmanipulationen – und der Anti-Korruptionskampf im Fußball 50 Einzelbestellungen und Abonnements bei der Landeszentrale (bitte schriftlich) Michael Glameyer Impressum: Seite 19 „ballance 2006“ – Integration Bitte geben Sie bei jedem Schriftwechsel und Toleranz für eine friedliche mit dem Verlag Ihre auf der Adresse aufgedruckte Fußballweltmeisterschaft 59 Kunden-Nr. an. Fußball und Politik DER „FUSSBALL-GLOBUS“ AUF DEM OPERNPLATZ IN FRANKFURT/MAIN. DER VOM KÜNSTLER ANDRÉ HELLER GESCHAFFENE GLOBUS IST 15 METER HOCH UND PRÄSENTIERT SICH TAGSÜBER ALS FUSSBALL UND ABENDS ALS BLAU BELEUCHTETE WELTKUGEL. picture alliance / dpa 1 Fußball und Politik „Die Welt zu Gast bei Freunden“, lautet das Mot- tionale Überschwang erklärte sich nicht zuletzt to der Fußball-WM 2006. Diesem Sportereignis dadurch, dass Deutschland seine Abseitsstel- wird eine Menge aufgebürdet. Die Zeiten sind lung in der Völkergemeinschaft durch das vorbei, in denen einfach das „Runde ins Eckige“ „Wunder von Bern“ relativieren konnte. Verena musste. Fußball bewegt die Massen, die Köpfe Scheuble und Michael Wehner zeigen, wie die und Gemüter. Fußball „bewegt“ aber noch mehr. Konstrukte „Nation“ und „nationale Identität“ Zwischen Fußball, Medien, Ökonomie und Politik als „Seelenkitt“ bei WM-Spielen aktiviert wer- werden unzählige „Doppelpässe“ gespielt. Wenn den. Die kritische Analyse des Zusammenhangs eine Landeszentrale für politische Bildung an- von Fußball und nationaler Identität stellt ne- gesichts der WM nicht im „Abseits“ stehen will, ben all den Ambivalenzen und negativen Be- dann ist nur nahe liegend, das Politische – die gleiterscheinungen auch die positive Funktion historischen, sozialen, symbolischen, kulturellen dieser Symbiose dar. Nichts trägt mehr zur Bil- und ökonomischen Bezüge – der Sportart Fuß- dung einer schichtenübergreifenden Gemein- ball aufzugreifen und zu thematisieren. schaft bei und nichts beeinflusst die (politische) Fußball wird heutzutage in mehr Ländern ge- Stimmungslage mehr als Fußballweltmeister- spielt, als die UNO Mitglieder hat. Die Erfolgs- schaften. Gleichwohl zeigt sich auch, dass das story dieser Sportart begann als „englisches Konstrukt der „Nation“ im deutschen Alltagsle- Spiel“ und erlangte im 20. Jahrhundert auf allen ben zwar eine wichtige, aber schwierige und his- Kontinenten eine herausragende Bedeutung. torisch belastete Bezugsgröße ist. Dietrich Schulze-Marmeling entfaltet die span- Fußball funktioniert nicht losgelöst von öko- nende und ereignisreiche Geschichte der Fuß- nomischen Gesetzmäßigkeiten. Keine andere ballweltmeisterschaft und zeigt, dass in diesem Sportart hat sich in den letzten Jahren in einer weltumspannenden Ereignis stets eine gehörige derart engen Wechselbeziehung mit den Me- Portion Politik steckt. Fußball ist eine wahrhaft dien, mit Kommerz und Werbung entwickelt wie globale Sportart. Christiane Eisenberg geht den der Fußball. Die „Geldmaschine“ Fußball ist Fragen nach, worauf sich die Popularität des ein echter Wirtschaftsfaktor geworden. In den Spiels gründet und welches die sozialen, ökono- Anfangszeiten des bundesdeutschen Fußballs mischen, politischen und kulturellen Rahmen- tummelten sich „ehrliche“ Amateure auf dem bedingungen dieses beispiellosen Erfolges sind. grünen Rasen. Inzwischen haben sich Profifuß- Ausgehend vom „Mutterland England“, in dem baller zu Privatunternehmern mit Managern der Fußball am grünen Tisch auf eine vernünfti- und Beratern entwickelt. Werbebranche, Medien ge organisatorische Basis gestellt und damit für und Wirtschaft nutzen Fußball als Instrument, andere Länder reproduzierbar wurde, beschreibt um Botschaften und Produkte zu vermarkten. Christiane Eisenberg den weltweiten Siegeszug Dirk Schindelbeck schildert in seiner „Kleinen dieser Sportart. Geschichte der Kommerzialisierung“ diese Ent- Bis zum Beginn des Nationalsozialismus symbo- wicklung. lisierte die Person Walther Bensemann unter- Spätestens seit dem 20. Jahrhundert hat es den schiedliche Facetten der deutschen Geschichte. Anschein, dass das Fußballstadion einer der be- Er war nicht nur der wichtigste Fußballpionier in liebtesten Versammlungsorte unserer Zivilisa- Süddeutschland, sondern stand zugleich für ein tion ist. Und dies, obwohl es dort gelegentlich kosmopolitisches Sportverständnis, das zuneh- gar nicht so zivilisiert zugeht. Immer wieder sind mend in Konflikt mit deutsch-nationalen Strö- Stadien Orte der Aggression und Gewalt. Warum mungen geriet und dem die NS-Diktatur ein bru- opfern Menschen einen nicht unerheblichen Teil tales Ende bereitete. Zugleich verweist die jüdi- ihrer Freizeit mit dem Anschauen von Fußball- sche Herkunft Bensemanns auf den gewichtigen spielen und welchen „Kick“ erfahren sie dabei? Beitrag, den Juden bei der Popularisierung des Welche Motive treiben die Fans in Heerscharen Fußballs in Mitteleuropa bis in die 1930er-Jahre in die Fußballstadien? Warum pilgern sie allwö- leisteten. Bernd-M. Beyer erinnert an einen Fuß- chentlich zu Fußballspielen? Die Motive und ballpionier der ersten Stunde, der beinahe in psychologischen Facetten der Zuschauerinnen Vergessenheit geriet und dessen Andenken es zu und Zuschauer, die Bernd Strauß schildert, sind wahren gilt. äußerst vielfältig, spannend und letztlich zu- Fußballspiele sind in nationaler Hinsicht nicht tiefst menschlich. von Politik zu trennen. Welche politische Wir- Warum gibt es bei Fußballspielen immer wieder kung der Fußball hat, zeigte der deutsche Sieg gewaltsame Ausschreitungen? Welche beson- bei der Weltmeisterschaft 1954 in Bern. Der na- dere Faszination übt Gewalt auf jugendliche 2 Fußball und Politik Fans aus? Gunter A. Pilz geht auf die Fangrup- Wie soll mit gewaltbereiten, zumeist jugend- pen der Hooligans und der Ultras ein. Hooligans lichen Fans umgegangen werden? Das 2001 ins suchen den Nervenkitzel bei der Eroberung Leben gerufene Projekt „ballance 2006“ will in fremden Territoriums, genießen das stete Auslo- und um Hessen auf den friedlichen und fairen ten der Grenzen und gieren förmlich nach dem Charakter der WM hinwirken. Mit vielfältigen „Kick“, den sie bei körperlichen Konfrontationen Aktivitäten wird jungen Menschen die Erfah- finden. Dieses Phänomen ist in jüngster Zeit rung vermittelt, dass Fairness und Toleranz bes- auch bei einem Teil der Ultras zu beobachten. sere Alternativen als Randale, Diskriminierung Wenngleich beide Gruppen eine Minderheit und Gewalt sind. Michael Glameyer schildert die innerhalb der Fangemeinde darstellen, lässt sich Projektziele, beschreibt einzelne Aktivitäten und an ihnen zeigen, dass sie Verhaltensnormen der erbringt den Nachweis, dass sich Integration Moderne radikal ausleben und einen direkten und Toleranz durchaus mit sportlichem Ehrgeiz Weg zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse suchen. verbinden lassen. Vor diesem Hintergrund diskutiert Gunter A. Pilz „Vom Fußball für das Leben lernen“ – so kann ordnungspolitische Maßnahmen, die sich im das Hauptziel des Projektes „WM Schulen: Fair Spannungsfeld von Prävention und Repression Play for Fair Life“ überschrieben werden. In ganz bewegen, die „Räume“ der jugendlichen Fans Deutschland beteiligen sich 204 Schulen an die- einengen, gleichzeitig aber Freiräume lassen sem einzigartigen Projekt. Sie bekamen per Los- und Möglichkeiten der Identitätsvergewisse- entscheid ein FIFA-Land als Patenland zugeteilt. rung erlauben. Schülerinnen und Schüler sind bis zur Fußball- „Verpfiffen!“ – Der Skandal, der die Karriere des weltmeisterschaft Botschafter für ihr Paten- Schiedsrichters Robert Hoyzer jäh beendete, er- land, vertreten es in der Öffentlichkeit und auf schütterte den deutschen Fußball und die Öf- dem grünen Rasen. Gleichzeitig will das Projekt fentlichkeit. Bis zu diesem Vorfall glaubte man, bei den beteiligten Schulen das Interesse an der dass die Mannen in Schwarz unbestechliche Ge- Beschäftigung mit Themen der Entwicklungs- hilfen der Regelkunde sind. Auch die beliebteste zusammenarbeit und weltweiter Verständigung aller Sportarten ist nicht frei von Skandalen und fördern. So lernen die involvierten Schülerinnen Affären. Ob Wettmanipulationen, der Kampf um und Schüler im Unterricht und in Projekten alles bessere Rangplätze, ob beim Sponsoring: Ver- über die Themen „Fair Play“ und „Fair Life“ in der dachtsmomente und Korruptionsvorwürfe wur- Einen Welt. Uli Jäger beschreibt die Konzeption, den schon in der Vergangenheit laut und haben die Methoden des Projektes und vermittelt sich gelegentlich bewahrheitet. Trotz einzelner, Einblicke in die konkrete Arbeit in und an den oft spektakulärer Vorfälle gibt es keine klaren