Plenarprotokoll 13/224

Deutscher Bundestag

Stenographischer Bericht

224. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Inhalt:

Begrüßung des Vorsitzenden des Auswär- zung der NATO-Rußland-Akte (Druck tige Ausschusses des Sejm der Republik sachen 13/9858, 13/10064) 20431 A Polen, Herrn Bielecki 20425 A c) Erste Beratung des von der Bundesre- Begrüßung der diesjährigen amerikani- gierung eingebrachten Entwurfs eines schen Delegation im Rahmen des parla- Gesetzes zu dem Übereinkommen mentarischen Austauschprogramms zwi- vom 19. Juni 1995 zwischen den Ver- schen US-Kongreß und Deutschem Bun- tragsstaaten des Nordatlantikvertrags destag 20429 B und den anderen an der Partnerscha ft für den Frieden teilnehmenden Staa- - ten über die Rechtsstellung ihrer Trup- Nachträgliche Glückwünsche zum Ge- pen sowie dem Zusatzprotokoll (Gesetz burtstag der Abgeordneten Dr. Ingomar zum PfP-Truppenstatut) (Drucksache Hauchler, Siegfr ied Vergin und Hans 13/9972) 20431 A Dietrich Genscher 20429 B in Verbindung mit Bestimmung des Abgeordneten Ernst Schwanhold als Mitglied des Gremiums nach § 41 des Außenwirtschaftsgesetzes Zusatztagesordnungspunkt 1: und des Abgeordneten Dieter Wiefelspütz als Mitglied des G-10-Gremiums . . . . 20429 C Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung: Öffnung der Atlan- Erweiterung der Tagesordnung . 20429C, 20496B, tischen Allianz für Polen, die Tsche- 20590 C chische Republik und Ungarn . . . . 20431 B

Tagesordnungspunkt 2: Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 20431 B a) Zweite Beratung und Schlußabstim- Günter Verheugen SPD 20435 B mung des von der Bundesregierung Dr. CDU/CSU 20438 A eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Protokollen vom 16. Dezember Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20440 D 1997 zum Nordatlantikvertrag über Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 20442 C den Beitritt der Republik Polen, der Tschechischen Republik und der Re- Andrea Gysi PDS 20445 B publik Ungarn (Drucksachen 13/9815, 13/10063 [neu]) 20430D Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 20446 C b) Beschlußempfehlung und Be richt des Karsten D. Voigt (Frankfu rt) SPD . . . 20449 B Auswärtigen Ausschusses zu dem An- Kurt J. Rossmanith CDU/CSU 20451 D trag der Fraktion der SPD: Ratifizie- rung der Beitrittsprotokolle zum Nord- BÜNDNIS 90/DIE GRÜ atlantikvertrag und weitere Umset NEN 20453 A II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Ulrich Irmer F.D.P 20454 C Zusatztagesordnungspunkt 3: Brigitte Schulte (Hameln) SPD 20455 B Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrach- Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU . . . 20457 B ten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutz- Namentliche Abstimmung 20459 A gesetzes (Drucksache 13/10186) . . . 20475 C

Ergebnis 20461 B Tagesordnungspunkt 18: Überweisungen im vereinfachten Ver- Tagesordnungspunkt 8: fahren Erste Beratung des von der Bundes- a) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurf eines regierung eingebrachten Entwurfs Vierzehnten Gesetzes zur Änderung eines Gesetzes zu dem Abkommen des Wehrsoldgesetzes (Drucksache vom 21. Juni 1997 zwischen der Bun- 13/9960) 20459 C desrepublik Deutschland und den Ver- einigten Arabischen Emiraten über die Förderung und den gegenseitigen in Verbindung mit Schutz von Kapitalanlagen (Druck- sache 13/9957) 20475 C Zusatztagesordnungspunkt 2: b) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs Beratung des Antrags der Fraktion der eines Gesetzes zu dem Abkommen SPD: Wehrsolderhöhung (Drucksache vom 9. August 1996 zwischen der Bun- 13/10191) 20459 C desrepublik Deutschland und der Jürgen Augustinowitz CDU/CSU . . . . 20459 D Demokratischen Volksrepublik Laos über die Förderung und den gegen- Dieter Heistermann SPD 20463 D seitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksache 13/9958) 20475 D Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20466 A c) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs Günther Friedrich Nolting F.D.P. 20466D, 20468 C eines Gesetzes zu dem Vertrag vom SPD 20468 A 22. Oktober 1996 zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und Burkina Heinrich Graf von Einsiedel PDS . . . . 20469 B Faso über die Förderung und den ge- Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär BMVg . 20469 D genseitigen Schutz von Kapitalanla- gen (Drucksache 13/9959) 20475 D Erste Beratung des von der Bundes- Tagesordnungspunkt 4: d) regierung eingebrachten Entwurfs Beschlußempfehlung des Ausschusses eines Zweiten Gesetzes zur Änderung nach Artikel 77 des Grundgesetzes des Patentgesetzes und anderer Ge- (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz setze (Drucksache 13/9971) 20475 D zur Neuregelung des Rechts des Na- e) Erste Beratung des von der Bundes- turschutzes und der Landschafts- regierung eingebrachten Entwurfs pflege, zur Umsetzung gemeinschafts- eines Gesetzes zu dem Abkommen rechtlicher Vorschriften und zur vom 9. Oktober 1997 zwischen der Re- Anpassung anderer Rechtsvorschrif- gierung der Bundesrepublik Deutsch- ten (Drucksachen 13/6441, 13/7778, land und der Regierung der Französi- 13/8180, 13/8268, 13/9638, 13/9837, schen Republik über die Zusammen- 13/9838, 13/10003) 20470 D arbeit der Polizei- und Zollbehörden Egon Susset CDU/CSU (Erklärung nach in den Grenzgebieten (Drucksache § 31 GO) 20471 A 13/10113) 20476 A Ulrike Mehl SPD (Erklärung nach § 31 f) Erste Beratung des von der Bundes- GO) 20471 D regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen Ulrike Höfken (Erklärung nach § 31 GO) 20472D vom 24. Oktober 1996 zwischen der Bundesrepublik Ulrich Heinrich F.D.P. (Erklärung nach § 31 Regierung der d und der Regierung der GO) 20473 D Deutschlan Tschechischen Republik über die Zu- Eva Bulling-Schröter PDS (Erklärung nach sammenarbeit auf dem Gebiet des Um- § 31 GO) 20474 C weltschutzes (Drucksache 13/10129) . 20476A Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 III g) Erste Beratung des von der Bundes- o) Antrag der Abgeordneten Marion regierung eingebrachten Entwurfs Caspers-Merk, Michael Müller (Düs- eines Ersten Gesetzes zur Anpassung seldorf), weiterer Abgeordneter und der Bedarfssätze der Berufsausbil- der Fraktion der SPD: Einführung dungsbeihilfe und des Ausbildungsgel- einer einheitlichen und umfassenden des nach dem Dritten Buch Sozial- Kennzeichnung umwelt- und gesund- gesetzbuch (Erstes Berufsausbildungs- heitsverträglicher Textilien (Öko-La- beihilfe-Anpassungsgesetz) (Druck- bel) (Drucksache 13/7530) 20476 D sache 13/10110) 20476 A p) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, h) Erste Beratung des von der Bundes- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und regierung eingebrachten Entwurfs F.D.P.: Unterstützung der neuen Frie- eines Gesetzes zu den Änderungen densinitiative zur Beilegung des West- vom 13. Februar 1997 des Überein- saharakonflikts (Drucksache 13/10025) 20477A kommens über die Internationale Fern- q) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU meldesatellitenorganisation „EUTEL- und F.D.P.: Interna SAT" (Drucksache 13/10138) . . . . 20476B tionale Kontrolle und Abrüstung von Kleinwaffen i) Erste Beratung des von der Bundes- (Drucksache 13/10026) 20477 A regierung eingebrachten Entwurfs r) Antrag der Abgeordneten , eines Gesetzes zu den Änderungen , weiterer Abgeord- vom 1. September 1995 des Überein- neter und der Fraktion der SPD: Ab- kommens über die Internationale Fern- rüstung von Kleinwaffen (Drucksache meldesatellitenorganisation „INTEL- 13/9248) 20477 A SAT" (Drucksache 13/10139) . . . . 20476 B s) Antrag der Abgeordneten Adelheid j) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- Tröscher, , weiterer Abge- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes ordneter und der Fraktion der SPD: Ar- zur Änderung des Gesetzes über die mutsbekämpfung durch Mikrofinan- Errichtung eines Fonds „Deutsche zierung in der Entwicklungszusam- Einheit" und des Gesetzes über den menarbeit - (Drucksache 13/10027) . 20477 B Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern (Drucksache 13/10023) . . . 20476 C t) Antrag der Abgeordneten , Dr. R. Werner Schuster, weite- k) Erste Beratung des von den Fraktionen rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU und F.D.P. eingebrach- der SPD: Europas gemeinsame Ver- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Um- - antwortung für Afrika (Drucksache setzung der EG-Einlagensicherungs- 13/10035) 20477 B richtlinie und der EG-Anlegerent- schädigungsrichtlinie (Drucksache 13/ u) Unterrichtung durch die Bundesregie- 10188) 20476 C rung: Erster Bericht nach § 70 des Drit- ten Buches Sozialgesetzbuch i. V. m. 1) Erste Beratung des von den Abgeord- § 35 des Bundesausbildungsförde- neten Irmingard Schewe-Gerigk, Ma rie rungsgesetzes zur Überprüfung der luise Beck (Bremen), weiteren Abge- Bedarfssätze der Berufsausbildungs- ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ beihilfe (Drucksache 13/9589) . . . . 20477 C DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchsetzung der Lohngerechtigkeit zwischen Männern Zusatztagesordnungspunkt 4: und Frauen (Drucksache 13/9525) . . 20476 C Weitere Überweisungen im verein- fachten Verfahren m) Erste Beratung des von den Abgeord- neten Irmingard Schewe-Gerigk, Ma rie Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried luise Beck (Bremen), weiteren Abge- Wolf, Rolf Kutzmutz, weiterer Abgeord- ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ neter und der Gruppe der PDS: Ver- DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs öffentlichung des Vertragsentwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung der „Multilateral Agreement on Invest- Diskriminierung von Frauen in der ment" (Drucksache 13/10083) . . . . 20477 C Erwerbsarbeit (Drucksache 13/9526) . 20476D n) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- Tagesordnungspunkt 19: gebrachten Entwurfs eines Gesetzes Abschließende Beratungen ohne Aus- zur Änderung des Strafgesetzbuches sprache (§§ 43, 44, 51, 54, 59, 59a StGB) und der Strafprozeßordnung (§§ 153, 267 a) Zweite und dritte Beratung des von der StPO) - Gesetz zur Verbesserung des Bundesregierung eingebrachten Ent- strafrechtlichen Sanktionensystems - wurfs eines Gesetzes zu dem Abkom- (Drucksache 13/9612) 20476 D men vom 9. November 1996 zwischen

IV Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

der Regierung der Bundesrepublik CDU/CSU 20488 B Deutschland und der Regierung des Christa Lörcher SPD 20489 B Staates Katar über den Luftverkehr Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 20490 D (Drucksachen 13/8816, 13/9891) . . . 20477 D Karl Hermann Haack (Extertal) SPD . . 20492 D b) Zweite Beratung und Schlußabstim- mung des von der Bundesregierung Erika Reinhardt CDU/CSU 20493 D eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Regina Schmidt-Zadel SPD 20494 B zu dem Übereinkommen vom 17. März Johannes Singhammer CDU/CSU . . 20495 B 1992 über die grenzüberschreitenden Auswirkungen von Industrieunfällen Zusatztagesordnungspunkt 12: (Drucksachen 13/8710, 13/9943) . . . 20478 A Beschlußempfehlung des Vermitt- c) Zweite Beratung und Schlußabstim- lungsausschusses zum Gesetz zur mung des von der Bundesregierung Änderung des Pflanzenschutzgesetzes eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes (Drucksache 13/10199) 20496 B zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 22. April Zusatztagesordnungspunkt 13: 1996 zwischen den Europäischen Ge- meinschaften und ihren Mitgliedstaa- Beschlußempfehlung des Vermitt ten einerseits und Georgien anderer- lungsausschusses zur Änderung des seits (Drucksachen 13/9343, 13/9985) 20478B Urheberrechtsgesetzes (Drucksache 13/10200) 20496 C d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Tagesordnungspunkt 6: wurfs eines Dritten Gesetzes zur Ände- rung des Futtermittelgesetzes (Druck a) Antrag der Abgeordneten Ursula Schön- sachen 13/9534, 13/10069) 20478 C berger, Elisabeth Altmann (Pommels- brunn), weiterer Abgeordneter und der f) Beschlußempfehlung und Be richt des Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ausschusses für Verkehr zu der Unter- Keine Castor-Transporte in die Zwi- richtung durch die Bundesregierung: schenlager Miaus, Gorleben und Vorschlag für einen Beschluß des Ra- Greifswald (Drucksache 13/9851) . . 20496 C tes über die Förderung einer dauer- haft tragbaren und sicheren Mobilität b) Beschlußempfehlung und Bericht des (Drucksachen 13/7017 Nr. 2.36, 13/9407) 20478 C Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag g) Beschlußempfehlung und Bericht des der Abgeordneten Ursula Schönberger, Ausschusses für Fremdenverkehr und - Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn), Tourismus zu der Unterrichtung durch weiterer Abgeordneter und der Frak- das Europäische Parlament: Entschlie- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: ßung des Europäischen Parlaments Beendigung der Castor-Transporte zum Fremdenverkehr (Drucksachen (Drucksachen 13/6997, 13/9755) . . . 20496 D 13/8615 Nr. 1.8, 13/9963) 20478 D c) Beschlußempfehlung und Bericht des h bis p) Beschlußempfehlungen des Peti- Ausschusses für Umwelt, Naturschutz tionsausschusses: Sammelübersichten und Reaktorsicherheit zu dem Ent- 307, 308, 309, 310, 311, 312, 313, 314 schließungsantrag der Abgeordneten und 315 zu Petitionen (Drucksachen Ursula Schönberger, Steffi Lemke, wei- 13/10042, 13/10043, 13/10044, 13/ terer Abgeordneter und der Fraktion 10045, 13/10046, 13/10047, 13/10048, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der 13/10049, 13/10050) 20479A-D Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Uwe Küster, Reinhard Weis (Stendal), Zusatztagesordnungspunkt 5: weiterer Abgeordneter und der Frak- Aktuelle Stunde betr. Vorstellungen tion der SPD: Endlager für radioaktive der Bundesregierung zur Rücknahme Abfälle in Morsleben (Drucksachen der 4. Verordnung über die personel- 13/5921, 13/7132, 13/8720, 13/9753) . 20496D len Anforderungen für Heime (Heim- d) Beschlußempfehlung und Bericht des personalverordnung) 20479 D Ausschusses für Umwelt, Naturschutz Ulrike Mascher SPD 20480 A und Reaktorsicherheit Maria Eichhorn CDU/CSU 20481 A - zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ Ursula Schönberger, Gila Altmann DIE GRÜNEN 20482 A (Aurich), weiterer Abgeordneter und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P. 20483 B der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ausstieg aus der Atom- Heidemarie Lüth PDS 20484 A energie und Lösungsansätze für das , Bundesministerin BMFSFJ 20485 A Atommüllproblem statt Absiche- Dr. Edith Niehuis SPD 20486 D rung des Weiterbetriebs Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 V

— zu dem Antrag der Abgeordneten teren Steigerung von Effektivität und Rolf Köhne, Eva Bulling-Schröter, Wirtschaftlichkeit der Bundesverwal- Dr. und der Gruppe der tung (Drucksache 13/9980) 20524 A PDS: Ausstieg aus der Atomenergie b) Unterrichtung durch die Bundesregie- (Drucksachen 13/7008, 13/7062, 13/ rung: „Schlanker Staat" : Die nächsten 9754) 20497 A Schritte (Drucksache 13/10145) . . . 20524A e) Beschlußempfehlung des Petitionsaus- c) Antrag der Abgeordneten Reinhard schusses: Sammelübersicht 246 zu Pe- Schultz (Everswinkel), Joachim Poß, titionen (Endlager Morsleben) (Druck weiterer Abgeordneter und der Fraktion sache 13/8665) 20497 B der SPD: Für eine schrittweise, sachge- f) Beschlußempfehlung des Petitionsaus- rechte, regional- und sozialverträg- schusses: Sammelübersicht 247 zu Pe- liche Neuordnung der Bundesfinanz- titionen (Einstellung der Wiederauf- verwaltung (Drucksache 13/9758) . . 20524 A arbeitung von abgebrannten Brenn- Manfred Kanther, Bundesminister BMI 20524 B elementen) (Drucksache 13/8666) . . 20497 B Fritz Rudolf Körper SPD 20526 A g) Beschlußempfehlung des Petitionsaus- Dr. CDU/CSU . . 20527 D, 20531A schusses: Sammelübersicht 248 zu Pe- titionen (Ausstieg aus der Kernener- Dr. Michael Bürsch SPD 20530 B gienutzung) (Drucksache 13/8667) . . 20497B Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN 20531 D in Verbindung mit Dr. Max Stadler F D P. 20533 B Zusatztagesordnungspunkt 6: Maritta Böttcher PDS 20534 D Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD . Antrag der Fraktionen der CDU/CSU 20535 D und F.D.P.: Castor-Transporte (Druck- sache 13/10184) 20497 C Tagesordnungspunkt 7: Ursula Schönberger BÜNDNIS 90/DIE Erste Beratung des vom Bundesrat ein- GRÜNEN 20497 C, 20507 B gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Asylbe- Dr. Peter Paziorek CDU/CSU . . 20498C, 20514 C, werberleistungsgesetzes (Drucksache 20520 B 13/10155) 20537 C Elke Wülfing CDU/CSU 20499 A Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/ Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . 20499 B CSU 20537 C Hans-Peter Kemper SPD 20500 C - Brigitte Lange SPD 20539 B Jürgen W. Möllemann F.D.P...... 20502 A Ulrich Heinrich F.D.P. 20539 D Rolf Köhne PDS 20503 D, 20507 B Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS 90/DIE Jürgen W. Möllemann F.D.P. 20504 C, 20508B, C, GRÜNEN 20541 D 20511B, 20515 D Uwe Lühr F.D.P 20543 A Eva Bulling-Schröter PDS 20505 A Dr. Heidi Knake-Werner PDS 20544 D Dr. Rolf Olderog CDU/CSU 20505 C , Bundesminister BMG . 20546 A Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/DIE Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD . . 20548 A GRÜNEN 20506 A Ulf Fink CDU/CSU 20549 A Jutta Müller (Völklingen) SPD 20507 C Dr. R. Werner Schuster SPD 20549 D Dr. Gerhard Friedrich CDU/CSU . . 20508A, 20509 B Tagesordnungspunkt 10: Bärbel Höhn, Ministerin (Nordrhein-West Beschlußempfehlung und Bericht des falen) 20510A, Rechtsausschusses zu dem Antrag der 20513C, 20515 D Abgeordneten Detlef Kleinert (Hanno- Dr. Guido Westerwelle F D P. 20512 C ver), Norbe rt Geis und weiterer Abge- Kurt-Dieter Grill CDU/CSU . . 20516B, 20518A ordneter: Rechtschreibung in der Bun- Dietmar Schütz (Oldenburg) SPD . . . . 20517 C desrepublik Deutschland (Drucksachen 13/7028, 13/10183) 20550 B Dr. Angelica Schwall-Düren SPD 20518C, 20520 D Joachim Gres CDU/CSU 20550 C Kurt-Dieter Grill CDU/CSU 20519 B Peter Enders SPD 20552 B Dr. , Bundesministerin BMU 20521 B CDU/CSU . . 20553 D, 20561 D Tagesordnungspunkt 5: Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20554 D a) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Erster Bericht und Fortschrei- Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 20556 A bung des Aktionsprogramms zur wei Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 20557 A VI Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Anke Brunn, Ministerin (Nordrhein-West Günther Bredehorn F.D.P. 20580A falen) 20557 D Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. 20558 C NEN 20581 B Dr. Hans-Joachim Meyer, Staatsminister Ulrich Heinrich F.D.P. . . . . 20581D, 20583D, (Sachsen) 20559 D 20588 C Dr. Guido Westerwelle F.D.P. . . . . 20560 D Dr. Günther Maleuda PDS 20582 B Erika Steinbach CDU/CSU 20564 A , Bundesminister BML 20583 B Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Matthias Weisheit SPD 20585 A NEN 20564 C Norbert Schindler CDU/CSU 20586 C Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU . . . 20565 B Kurt Palis SPD 20587 C Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P. (Erklärung Hansgeorg Hauser, Parl. Staatssekretär nach § 31 GO) 20566 A BMF 20589A Dr. Liesel Hartenstein SPD (Erklärung nach § 31 GO) 20566 D Zusatztagesordnungspunkt 14: Beschlußempfehlung des Vermittlungs- Tagesordnungspunkt 11: ausschusses zu dem Gesetz zur Ände- Beschlußempfehlung und Be richt des rung des Tierschutzgesetzes . . . . 20590 C Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Siegf ried Vergin, Helga Zusatztagesordnungspunkt 8: Kühn-Mengel, weiterer Abgeordneter a) Zweite Beratung und Schlußabstim- und der Fraktion der SPD: Europäi- mung des von der Bundesregierung sches Jahr gegen Rassismus 1997 eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes (Drucksachen 13/7711, 13/9667) . . 20567D zum Übereinkommen über das Verbot Helga Kühn-Mengel SPD 20568 A des Einsatzes, der Lagerung, der Her- stellung und der Weitergabe von 20569 D Erika Steinbach CDU/CSU Antipersonenminen und über deren Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE Vernichtung (Drucksachen 13/9817, GRÜNEN 20571 A 13/10197) 20590 D Cornelia Schmalz-Jacobsen F.D.P. . . . 20571D b) Erste Beratung des von der Bundes- PDS 20572 D regierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zum Überein- , Parl. Staatssekretär - kommen über das Verbot des Einsat- BMI 20573 C zes der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonen- Tagesordnungspunkt 16: minen und über deren Vernichtung vom 3. Dezember 1997 (Drucksache a) Antrag der Abgeordneten Dr. Gerald 20591 A Thalheim, (Köln), weiterer 13/10116) Abgeordneter und der Fraktion der SPD: c) Erste Beratung des von der Bundesre- Milchmarktpolitik ab dem 1. April gierung eingebrachten Entwurfs eines 2000 (Drucksache 13/9761) 20575 A Gesetzes zu dem Vertrag vom 24. Sep- tember 1996 über das umfassende Ver- b) Zweite und dritte Beratung des von der (Druck- Bundesregierung eingebrachten Ent- bot von Nuklearversuchen sache 13/10075) 20591 A wurfs eines Ersten Gesetzes zur Ände rung des Milch- und Margarinegeset- d) Erste Beratung des von der Bundesre- zes (Drucksachen 13/9535, 13/10077) . 20575 A gierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zu dem Vertrag in Verbindung mit vom 24. September 1996 über das um- fassende Verbot von Nuklearversu- Zusatztagesordnungspunkt 7: chen (Drucksache 13/10076) . . . . 20591 A

Erste Beratung des von den Fraktionen Tagesordnungspunkt 12: der CDU/CSU und F.D.P. eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur An- Antrag der Abgeordneten Dr. Heidi passung steuerlicher Vorschriften der Knake-Werner und der Gruppe der Land- und Forstwirtschaft (Drucksache PDS: Überstunden abbauen und die 13/10187) 20575 A Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden begrenzen — Das Arbeitszeitgesetz 20575 B Dr. Gerald Thalheim SPD beschäftigungsorientiert novellieren Albert Deß CDU/CSU 20576 D (Drucksache 13/10015) 20591 C Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20578D Dr. Heidi Knake-Werner PDS 20591 D Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 VII

Tagesordnungspunkt 13: Steindor, Halo Saibold, Dr. Manuel Kiper, Große Anfrage der Abgeordneten An- Manfred Such (alle BÜNDNIS 90/DIE gelika Köster-Loßack, Elisabeth Alt- GRÜNEN) zur Abstimmung über das Ge- mann (Pommelsbrunn) und der Frak- setz zu den Protokollen vom 16. Dezember tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die 1997 zum Nordatlantikvertrag über den Beziehungen zwischen Indien und der Beitritt der Republik Polen, der Tschechi- Bundesrepublik Deutschland - Aktuel- schen Republik und der Republik Ungarn ler Stand und Entwicklungsmöglich- (Tagesordnungspunkt 2) 20599* A keiten (Drucksache 13/8914) . . . . 20593 A Dr. Angelika Köster-Loßack BÜNDNIS 90/ Anlage 5 DIE GRÜNEN 20593 B Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- Dr. Willibald Jacob PDS 20594 C ten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Hube rt Deittert, , Dr. Gerd Müller, Zusatztagesordnungspunkt 9: , Meinolf Michels, Helmut Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, Rauber, Heinz-Georg Seiffert, Frede rick BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Schulze (Sangerhausen), Egon Susset, F.D.P.: Lage in Kambodscha (Druck- Gert Willner, Friedhelm Ost, Dr. Reinhard sache 13/10185) 20595 C Göhner, Steffen Kampeter, Detlef Helling, Albert Deß, Wolfgang Zöller, Günter Mar- Nächste Sitzung 20595 D ten, Hans-Ulrich Köhler (Hainspitz) (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über die Be- schlußempfehlung des Vermittlungsaus- Anlage 1 schusses zu dem Gesetz zur Neuregelung Liste der entschuldigten Abgeordneten . 20597' A des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, zur Umsetzung ge- meinschaftlicher Vorschriften und der Anlage 2 Anpassung anderer Rechtsvorschriften Erklärungen nach § 31 GO zur Abstim- (Tagesordnungspunkt 4) 20600* B mung über das Gesetz zu den Protokollen vom 16. Dezember 1997 zum Nordatlantik vertrag über den Beitritt der Republik Anlage 6 Polen, der Tschechischen Republik und Erklärung nach § 31 GO des Abgeordne- der Republik Ungarn (Tagesordnungs- ten Dr. Michael Meister (CDU/CSU) zur punkt 2) Abstimmung über die Beschlußempfeh- - Dr. Egon Jüttner CDU/CSU 20597* C lung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Kurt Neumann (Berlin) fraktionslos . . 20597*D Naturschutzes und Landschaftspflege, zur Dr. Jürgen Rochlitz BÜNDNIS 90/DIE Umsetzung gemeinschaftlicher Vorschrif- GRÜNEN 20598* B ten und der Anpassung anderer Rechts- vorschriften (Tagesordnungspunkt 4) . . 20600*D Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeord- Anlage 7 neten Cern Özdemir, Antje Hermenau, Christine Scheel, Angelika Köster-Loßack, Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- Egbert Nitsch (Rendsburg) (alle BÜNDNIS ten Elke Wülfing, Karl-Josef Laumann, 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über Werner Lensing (alle CDU/CSU) zur Ab- das Gesetz zu den Protokollen vom 16. De- stimmung über die Beschlußempfehlung zember 1997 zum Nordatlantikvertrag des Vermittlungsausschusses zu dem über den Beitritt der Republik Polen, der Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Tschechischen Republik und der Republik Naturschutzes und der Landschaftspflege, Ungarn (Tagesordnungspunkt 2) . . . . 20598* D zur Umsetzung gemeinschaftlicher Vor- schriften und der Anpassung anderer Rechtsvorschriften (Tagesordnungspunkt 4) 20601* A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- Anlage 8 ten Ludger Volmer, Angelika Beer, Win- fried Nachtwei, Christian Sterzing, Kerstin Liste der Abgeordneten der Fraktion der Müller (Köln), Elisabeth Altmann (Pom- F.D.P., die die Erklärung nach § 31 GO des melsbrunn), Gila Altmann (Aurich), Volker Abgeordneten Dr. Wolfgang Gerhardt zur Beck (Köln), Annelie Buntenbach, Amke Abstimmung über die Beschlußempfeh- Dietert-Scheuer, Monika Knoche, Steffi lung zu dem Antrag „Rechtschreibung in Lemke, Simone Probst, Irmingard Schewe der Bundesrepublik Deutschland" unter- Gerigk, Ursula Schönberger, Marina stützen 20601* B VIII Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Anlage 9 Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatz- Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages- tagesordnungspunkt 14 (Beschlußemp- ordnungspunkt 12 (Antrag: Überstunden fehlung des Vermittlungsausschusses zu abbauen und die Wochenarbeitszeit auf dem Gesetz zur Änderung des Tierschutz- 35 Stunden begrenzen - Das Arbeitszeitge- gesetzes) setz beschäftigungsorientiert novellieren) Meinolf Michels CDU/CSU 20601* C Helmut Heiderich CDU/CSU 20609* C Marianne Klappert SPD 20601* D Franz Thönnes SPD 20611* A Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN 20602* C Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20613* A Ulrich Heinrich F D P. 20603* A Eva Bulling-Schröter PDS 20603*C Uwe Lühr F.D.P 20613* D

Anlage 10 Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatz- Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages- tagesordnungspunkt 8 (a - Gesetzentwurf ordnungspunkt 13 (Große Anfrage: Die zum Übereinkommen über das Verbot des Beziehungen zwischen Indien und der Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung Bundesrepublik Deutschland - aktueller und der Weitergabe von Antipersonen- Stand und Entwicklungsmöglichkeiten) minen und über deren Vernichtung, b - Entwurf eines Ausführungsgesetzes zum Willy Wimmer (Neuss) CDU/CSU . . . . 20614* C Übereinkommen über das Verbot des Ein- Dr. Edith Niehuis SPD 20615* C satzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen Ulrich Irmer F.D.P 20617* D und über deren Vernichtung vom 3. De- Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . . 20618* C zember 1997, c - Gesetzentwurf zu dem Vertrag vom 24. September 1996 über das umfassende Verbot von Nuklearversu- Anlage 13 chen, d - Entwurf eines Ausführungsge- setzes zu dem Vertrag vom 24. September Zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatz- 1996 über das umfassende Verbot von Nu- tagesordnungspunkt 9 (Antrag: Lage in klearversuchen) Kambodscha) Hans-Dirk Bierling CDU/CSU 20604* A - Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU . . . 20619* C Uta Zapf SPD 20605* D Dr. Dietrich Mahlo CDU/CSU 20620* A Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN 20606* D Wolfgang Schmitt (Langenfeld) BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN 20620* D Dr. F.D.P 20607* C Heinrich Graf von Einsiedel PDS . . . 20608* A Jürgen Koppelin F.D.P 20621* C Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . 20608* C Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . . 20622* B Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20429

224. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsidentin Michaela Geiger: Die Sitzung ist Außenwirtschaftsgesetz den Kollegen Ernst Schwan- eröffnet. hold und für das G-10-Gremium den Kollegen Dieter Wiefelspütz vor. Sind Sie damit einverstanden? - Es Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich gibt keinen Widerspruch. Damit sind die beiden Kol- ganz besonders, den Vorsitzenden des Auswärtigen legen wie vorgeschlagen als Mitglieder in den ge- Ausschusses des Sejm der Republik Polen, Herrn nannten Gremien bestimmt. Bielecki, begrüßen zu dürfen. Herr Bielecki, der sich zu einem Besuch in Bonn aufhält, hat seinen Aufent- Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun- halt verlängert, um der heutigen für sein Land und dene Tagesordnung umzustellen und zu erweitern. für uns alle so wichtigen und bedeutenden NATO- Der geänderte Ablauf der Tagesordnung dieser Wo- Erweiterungsdebatte beiwohnen zu können. che und die Ergänzungen liegen Ihnen mit der Zu- satzpunktliste vor: (Beifall) Donnerstag: Auf der Tribüne begrüße ich außerdem ganz herz- - Regierungserklärung und Aussprache zur NATO-Erwei- lich die diesjährige amerikanische Delegation im terung Rahmen des parlamentarischen Austauschpro- - Änderung des Wehrsoldgesetzes gramms zwischen US-Kongreß und Deutschem Bun- - Beschluflempfehlung des Vermittlungsausschusses zum destag. Herzlich willkommen! Bundesnaturschutzgesetz - Beratungen ohne Aussprache (Beifall) - Aktuelle Stunde auf Verlangen der SPD-Fraktion zur Ich wünsche gute Begegnungen und Gespräche zum Heimpersonalverordnung Nutzen der deutsch-amerikanischen Freundschaft. - Castor-Transporte - Schlanker Staat Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich einigen Kollegen nachträglich zum Geburtstag - Asylbewerberleistungsgesetz gratulieren. Es sind dies der Kollege Dr. Ingomar - Rechtschreibreform Hauchler, der am 15. März seinen 60. Geburtstag - Europäisches Jahr gegen Rassismus feierte, - Milchmarktpolitik (Beifall) - Antipersonenminen/Verbot von Nuklearversuchen - Arbeitszeitgesetz (35-Stunden-Woche) der Kollege Siegfried Vergin, der am 17. März seinen 65. Geburtstag feierte, - Beziehungen mit Indien - Lage in Kambodscha (Beifall) - IHKG-Änderungsgesetz (abgesetzt) und der Kollege Hans-Dietrich Genscher, der am - Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1994 (TOP 19e) (abgesetzt) 21. März seinen 71. Geburtstag beging. (Beifall) Freitag: - Staatsangehörigkeitsrecht Ich spreche allen drei Kollegen die herzlichsten - Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen Glückwünsche des Hauses aus. das Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes (Promillegrenze) Die Fraktion der SPD teilt mit, daß der frühere Kol- - Regierungserklärung und Beratung des Jahreswirt- lege Arne Börnsen (Ritterhude) aus dem Gremium schaftsberichts 1998 nach § 41 des Außenwirtschaftsgesetzes und aus - Europol-Immunitätenprotokollgesetz dem Gremium gemäß § 9 des Gesetzes zur Beschrän- - Euro-Einführungsgesetz (abgesetzt) kung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses - 1. Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung: Öff- das ist das G-10-Gremium - ausgeschieden ist. Als nung der Atlantischen Allianz für Polen, die Tschechische Nachfolger schlägt sie für das Gremium nach dem Republik und Ungarn 20430 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Vizepräsidentin Michaela Geiger 2. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Wehrsold- - zu dem Antrag der Abgeordneten Cem Özdemir, Kerstin erhöhung - Drucksache 13/10191- Müller (Köln), Amke Dietert-Scheuer, Christa Nickels 3. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Klare F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Integrationssignale setzen: Für eine sofortige Reform Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes - Drucksache des Staatsangehörigkeitsrechts - Drucksachen 13/259, 13/10186 - 13/2833, 13/7505, 13/7923, 13/3657, 13/7677, 13/10030- 11. Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU und 4. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Er- F.D.P.: Zurückweisung des Einspruches des Bundesrates gänzung zu TOP 18) gegen das Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgeset- Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, zes - Drucksache 13/10178- Rolf Kutzmutz, Dr. Willibald Jacob, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Veröffentlichung des Vertrags- Von der Frist für den Beginn der Beratung soll - so- entwurfs „Multilateral Agreement on Investment" (MAI) - weit erforderlich - abgewichen werden. Drucksache 13/10083 - Außerdem mache ich auf nachträgliche Überweisun- 5. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Vor- stellungen der Bundesregierung zur Rücknahme der 4. Ver- gen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: ordnung über die personellen Anforderungen für Heime Der in der 219. Sitzung des Deutschen Bundestages am 12. Fe- (Heimpersonalverordnung) bruar 1998 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich 6. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und dem Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung F.D.P.: Castor-Transporte - Drucksache 13/10184 - zur Mitberatung überwiesen werden. Gesetzentwurf von den Abgeordneten Hartmut Koschyk, 7. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und und der Fraktion der CDU/CSU, den F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas- Abgeordneten , Siegfried Vergin und der sung steuerlicher Vorschriften der Land- und Forstwirt- Fraktion der SPD, den Abgeordneten Gerald Häfner, Gerd schaft - Drucksache 13/10187 - Poppe und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie 8. a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der den Abgeordneten Dr. , Dr. Max Stadler, Ina Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Albowitz und der Fraktion der F.D.P. über die Errichtung zum Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, einer Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur - Druck- der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von sache 13/9870 - Antipersonenminen und über deren Vernichtung - überwiesen: Innenausschuß (federführend) Drucksachen 13/9817, 13/10197 - Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrach- und Geschäftsordnung ten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zum Überein- Sportausschuß kommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, Haushaltsausschuß der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonen- minen und über deren Vernichtung vom 3. Dezember Der in der 221. Sitzung des Deutschen Bundestages am 4. März 1997 - Drucksache 13/10116 - 1998 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll dem Haushalts- ausschuß auch gemäß § 96 GO überwiesen werden. c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom Gesetzentwurf von den Fraktionen der CDU/CSU und 24. September 1996 über das umfassende Verbot von F.D.P. zur Förderung der Beteiligung der Arbeitnehmer am Nuklearversuchen - Drucksache 13/10075 - Produktivvermögen und anderer Formen der Vermögensbil- dung der Arbeitnehmer (Drittes Vermögensbeteiligungs- d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrach- gesetz) - Drucksache 13/10012- ten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zu dem Vertrag überwiesen: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung vom 24. September 1996 über das umfassende Verbot (federführend) von Nuklearversuchen - Drucksache 13/10076- Finanzausschuß 9. Beratung des Antrags der Fraktion CDU/CSU, SPD, Ausschuß für Wirtschaft BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Lage in Kam- Ausschuß für Raumordnung, bodscha - Drucksache 13/10185- Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß mitberatend 10. a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat einge- und gemäß j 96 GO brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung des- Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit durch Der in der 222. Sitzung des Deutschen Bundestages am 5. März Kinder ausländischer Eltern - Drucksachen 13/8157, 13/10030 - 1998 überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Sport zur Mitberatung überwiesen werden. -ausschuß b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Antrag der Abgeordneten Dr. Rolf Olderog, Klaus Riegert, Innenausschusses (4. Ausschuß) Dr. Klaus Lippold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Cornelie Sonn- der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann, tag-Wolgast, Hermann Bachmaier, Herta Däubler- Birgit Homburger und der Fraktion der F.D.P. Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Sporttourismus, neuartige Sportaktivitäten und Umwelt- SPD: Erleichterung der Einbürgerung unter Hinnah- schutz - Drucksache 13/10017 - me der doppelten Staatsangehörigkeit überwiesen: Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus - zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Neuregelung (federführend) des Staatsangehörigkeitsrechts Innenausschuß Sportausschuß - zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Gesetzesinitiati- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz ve der Bundesregierung zur Reform des Staatsange- hörigkeitsrechts und Reaktorsicherheit - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christoph Zöpel, Sind Sie - soweit Sie zugehört haben - mit den Ver- Freimut Duve, , weiterer Abgeordneter einbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Wi- und der Fraktion der SPD: Unterrichtung des Deut- derspruch. Dann verfahren wir so. schen Bundestages über internationale Vereinbarun- gen mit besonderer Bedeutung für die Ausländer-, Asyl- und Menschenrechtspolitik Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 c sowie - zu dem' Antrag der Abgeordneten Ce rn Özdemir, Ker- Zusatzpunkt 1 auf: stin Müller (Köln) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mindestkriterien für eine Reform des 2. a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung Staatsangehörigkeitsrechts des von der Bundesregierung eingebrach- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20431

Vizepräsidentin Michaela Geiger ten Entwurfs eines Gesetzes zu den Proto- Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: kollen vom 16. Dezember 1997 zum Nord- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! atlantikvertrag über den Beitritt der Repu- Der Umbau des Hauses Europa geht voran. Gestern blik Polen, der Tschechischen Republik haben EU-Kommission und Europäisches Währungs- und der Republik Ungarn institut ihre Vorschläge zum Euro-Teilnehmerkreis vorgelegt. Es gab keine Überraschungen: Deutsch- - Drucksache 13/9815 - land ist dabei. (erste Beratung 219. Sitzung) Heute verabschieden wir das Ratifikationsgesetz Beschlußempfehlung und Be richt des Aus über den Beitritt Polens, Tschechiens und Ungarns wärtigen Ausschusses (3. Ausschuß) zum Atlantischen Bündnis, und am kommenden - Drucksache 13/10063 (neu) - Montag fällt in Brüssel der Startschuß für die Erwei- terung der Europäischen Union. Einen Tag später be- Berichterstattung: reits beginnen die Verhandlungen mit den sechs er- Abgeordnete sten Kandidaten: Polen, Tschechien, Ungarn, Slowe- Karsten D. Voigt (Frankfu rt) nien, Estland und Zypern. Damit wächst in ganz Eu- Gerd Poppe ropa wieder zusammen, was zusammen gehört. Ulrich Irmer (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU b) Beratung der Beschlußempfehlung und des sowie bei Abgeordneten der SPD) Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß) zu dem Antrag der Fraktion Das ist nach Jahrzehnten der Mauer und des Stachel- der SPD drahts ein Anlaß zur Freude und auch zur Dankbar- keit, gerade für uns Deutsche, die wir davon ganz be- Ratifizierung der Beitrittsprotokolle zum sonders betroffen waren. Nordatlantikvertrag und weitere Umset- zung der NATO-Rußland-Akte (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU und der SPD) - Drucksachen 13/9858, 13/10064 - Der polnische Präsident Kwasniewski hat sich am Berichterstattung: Wochenende in Berlin für die Unterstützung Abgeordnete Dr. Friedbert Pflüger Deutschlands beim NATO-Beitritt Polens bedankt. Karsten D. Voigt (Frankfu rt) Wir Deutschen sollten uns daran erinnern: Ohne den Gerd Poppe Freiheitswillen unserer östlichen Nachbarn und Ulrich Irmer Freunde hätten wir unser wichtigstes nationales Ziel, die Wiedervereinigung, nicht erreicht. c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU zes zu dem Übereinkommen vom 19. Juni - sowie bei Abgeordneten der SPD und des 1995 zwischen den Vertragsstaaten des Abg. Gerd Poppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Nordatlantikvertrags und den anderen an NEN]) der Partnerschaft für den Frieden teilneh- menden Staaten über die Rechtsstellung ih- Deshalb war und ist es für uns Deutsche eine histori- rer Truppen sowie dem Zusatzprotokoll sche und auch eine moralische Pflicht, diesen Län- (Gesetz zum PfP-Truppenstatut) dern bei ihrer Rückkehr nach Europa, ihrem Beitritt zur NATO und zur Europäischen Union zu helfen. - Drucksache 13/9972 - Überweisungsvorschlag: Unsere Landsleute in Brandenburg, in Sachsen und Thüringen, in Sachsen-Anhalt und Mecklen- Verteidigungsausschuß (federführend) burg-Vorpommern wurden unmittelbar mit der Wie- Auswärtiger Ausschuß Rechtsausschuß dervereinigung auch von der EU und von der NATO Finanzausschuß mit wahrhaft offenen Armen aufgenommen. Die bal- tischen Staaten, Polen, Tschechien, Ungarn und an- ZP1 Abgabe einer Erklärung durch die Bundesre- dere hatten dieses Glück nicht; sie stehen noch drau- gierung ßen vor der Tür zur NATO und zur Europäischen Union. Sie klopfen an und sagen: Laßt uns rein! Es Öffnung der Atlantischen Allianz für Polen, kann und es darf - das gilt vor allem für uns Deutsche die Tschechische Republik und Ungarn - doch wohl nicht richtig sein, daß wir diesen Län- Ich weise darauf hin, daß wir nach der Aussprache dern über Jahrzehnte zugerufen haben: Legt den über den Gesetzentwurf zur NATO-Osterweiterung Kommunismus ab, legt den Marxismus-Leninismus namentlich abstimmen werden. ab, kommt in unsere freiheitliche westliche Lebens- gemeinschaft!, um jetzt, wo es ein paar Probleme Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind gibt, zu sagen: Für euch ist in diesem europäischen für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich Haus leider kein Zimmer mehr frei. Das darf es mit höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. uns nicht geben! Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU hat jetzt der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. sowie bei Abgeordneten der SPD und des Klaus Kinkel. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 20432 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Daß diesen Ländern jetzt Gerechtigkeit geschieht, Berlins gewährleistet hat. Auch das sollten wir in ei- war und ist vor allem auch dem Engagement der nem solchen Augenblick nicht vergessen. Bundesregierung zu verdanken. Wir haben in Eu- ropa gerade auch diesen Ländern gegenüber nicht (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne nur Versprechungen gemacht, wir haben Wo rt gehal- ten der CDU/CSU) ten, und dieses Verdienst der Bundesregierung wird Es kommt nicht von ungefähr, daß unsere ostlichen international anerkannt. Nachbarn nicht nur in die EU hineinwollen, sondern vor allem auch in die NATO, weil sie eben in diesem Ich möchte gern ein Wo rt an Bündnis 90/Die Grü- Bündnis ihre Sicherheit gewährleistet sehen, weil nen richten. Die Politik der Bundesregierung als An- diese Mitgliedschaft, wie keine andere Schutz, walt der Reformstaaten bei ihrem Wunsch nach Bei- Sicherheit und Stabilität garantiert. tritt zu EU und NATO ist auch ein Stück Versöh- nungspolitik. Deshalb ist Ihre zu erwartende über- 35 Staaten stehen unter der Führung der NATO in wiegende Stimmenthaltung bei unserem heutigen Bosnien zusammen für den Frieden ein. Ich glaube, Votum zur Öffnung der NATO für unsere polnischen, daß Generalsekretär Solana recht hat, wenn er die tschechischen und ungarischen Freunde nicht nur si- NATO als „magnetischen Pol" bezeichnet, um den cherheitspolitisch ein Unding; sie ist auch schlicht alles kreist. Ohne diesen Pol wäre es nicht gelungen, weg Undank. den Handlungsspielraum des hohen Repräsentanten auszubauen, die Position der versöhnungsbereiten (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Kräfte in der Republika Srpska zu stärken und die sowie bei Abgeordneten der SPD) Kriegshetzer in die Ecke zu drängen. Eine Beendi- gung der NATO-geführten internationalen Friedens- Ich sage Ihnen, daß diese Haltung unhisto risch ist, mission in Bosnien würde all das mit enormer inter- und sie ist auch ein gutes Stück unmoralisch. nationaler Unterstützung Erreichte wieder gefähr- den. Frieden, Wiederaufbau und Flüchtlingsrück- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne kehr haben in Bosnien auch heute - leider - ohne mi- ten der CDU/CSU) litärische Absicherung noch keine Chance, weil wir eben noch keine selbsttragende Stabilität haben. Das Genauso verhält es sich mit Ihren Forderungen nach muß jeder wissen, der gegen die Verlängerung unse- Auflösung der NATO oder nach „Bundeswehr - raus rer Bundeswehrpräsenz stimmen will. Er stimmt im aus Bosnien". In diesen Fällen geht es nicht um das übrigen, wenn er das tut Wolkenkuckucksheim, wie bei Ihrer Forderung nach 5 DM für den Liter Benzin oder Urlaubsreisen nur (Abg. Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜND alle fünf Jahre. NIS 90/DIE GRÜNEN] nickt mit dem Kopf) (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ - Herr Fischer, nicken Sie nur -, gegen die Hoffnung DIE GRÜNEN]: Ausgerechnet Sie müssen der Menschen in der gesamten Region. von Wolkenkuckucksheim reden! Sie haben - ein Heim ohne Kuckuck!) (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich darf Ihnen doch einmal - Herr Fischer, hören Sie heute besonders gut zu! - zustimmen!) Was schlimmer ist: Eine solche Forderung wider- Deshalb haben ganz speziell Sie nach Ihrem Besuch spricht auch unserer Verantwortung vor der Ge- in Srebrenica vor drei Jahren die Dinge offensichtlich schichte, unserer Verantwortung für den Frieden und genauso gesehen. Aber Magdeburg hat wieder ein- den Schutz der Menschenrechte. Wir sind gespannt, mal gezeigt, daß Ihre Partei in entscheidenden Fra- was Sie nachher sagen. gen eben nicht hinter Ihnen steht - entgegen dem Eindruck, den Sie immer wieder erwecken. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) Man muß Ihnen schon zurufen: Haben Sie verges- sen, wie die gepeinigten und verängstigten Men- Man kann in einer Situation, in der wir im Augen- schen im Jahr 1996 in den bosnischen Dörfern vor ih- blick sind, nicht oft genug sagen: Sicherheit und Be- ren Häusern standen und die Ifor-Soldaten begeiste rt rechenbarkeit des mit weitem Abstand bevölke- begrüßt haben? Es hat sich doch gezeigt: Wenn es rungsreichsten Landes in der Europäischen Union, in hart auf hart geht, wenn Menschen in Not und Le- der Mitte Europas vertragen keine Experimente. bensangst geschützt werden müssen, dann braucht (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne man eben einen starken und verläßlichen Helfer. Da ten der CDU/CSU) gibt es nur einen: Das ist die NATO. Wir haben mit viel Mühe in die Völkergemeinschaft (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne zurückgefunden und Vertrauen aufgebaut. Dieses ten der CDU/CSU) Vertrauen zu verspielen wäre eine höchstgefährliche Angelegenheit. Das haben wir in Deutschland doch wahrhaft am ei- genen Leibe verspürt. Die NATO war es, die die Si- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne cherheit Deutschlands in der Zeit der Teilung unse- ten der CDU/CSU sowie des Abg. Karsten res Landes und in der Zeit vor allem auch der Teilung D. Voigt [Frankfurt] [SPD]) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20433

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Was Sie in Ihrem Programm haben, ist außenpoli- Ich möchte gern umgekehrt im Hinblick auf die tisches ,,bungee-jumping", nur mit dem Unterschied, Regierungsumbildung in Moskau in den letzten Ta- daß Sie nicht genau wissen, wie lang das Halteseil ist. gen sagen: Ein solches Ereignis hätte vor ein paar Jahren noch Schockwellen ausgelöst. Heute sind wir (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - weiter. Wir vertrauen darauf - ich glaube, das ist das Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Wesentlichste -, daß Rußland seinen Weg zu Demo- DIE GRÜNEN]: Was für eine Sache? Kön kratie und Marktwirtschaft fortsetzt - unabhängig nen Sie das wiederholen?) von Regierungswechseln. Das ist ein enormer Fo rt Mit Ihrer Ablehnung der NATO stellen Sie sich nicht -schritt für Europa und auch für die Welt. Dafür sollten nur außerhalb von vier Jahrzehnten bewäh rter deut- wir allen Reformkräften in Rußland danken. Sie ha- scher Außen- und Sicherheitspolitik; Sie verweigern ben wahrlich keine leichte Aufgabe; um so bemer- auch dem Bauplan Europa einiges. Hören Sie genau kenswerter sind ihre Leistungen und ihre Unbeirr- zu: Sie stoßen die Reformstaaten zurück und gefähr- barkeit. Wir sollten hier im Deutschen Bundestag ge- den damit deren Weg zu Demokratie und Marktwirt- rade in einer auch für Rußland etwas schwierigen schaft. Sie leisten, ob Sie es wollen oder nicht, einer Zeit sagen: Wir Deutschen werden dem russischen Renationalisierung in diesen Ländern Vorschub. Sie Volk auch in Zukunft zur Seite stehen. untergraben die Schaffung einer europäischen Si- cherheits- und Verteidigungsidentität; denn die ist (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU ohne die NATO nicht denkbar. Sie schaden vor allem sowie bei Abgeordneten der SPD) auch - das ist ganz besonders wichtig - der transat- Liebe Kolleginnen und Kollegen, im gesamten mit- lantischen Partnerschaft, dem neben unserer Sonder- tel- und osteuropäischen Raum hat allein schon die beziehung zu Frankreich wichtigsten außen- und si- Perspektive des Beitritts zu EU und NATO für Stabili- cherheitspolitischen Eckstein. tät gesorgt. Unsere Nachbarn haben - was viel zu (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne wenig wahrgenommen wird - untereinander ihre ten der CDU/CSU) Minderheiten- und Grenzprobleme weitgehend aus- geräumt, weil sie genau wissen - wir müssen es ih- Mit der Erweiterung und Öffnung von EU und nen auch immer wieder sagen -: Es wird kein pro- NATO nehmen unsere mittel- und osteuropäischen blembehaftetes Land in die EU oder in die NATO Nachbarn ihren Platz in dem Europa ein, von dem sie hereinkommen können, weil wir uns dies in beiden jahrzehntelang ferngehalten wurden, in dem Europa, Wertegemeinschaften in Zukunft gerade beim Grö- das mit dem Marshallplan, dem Europarat und der ßerwerden einfach nicht leisten können. Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl be- gann und das heute den größten Binnenmarkt der (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Welt umfaßt, sich eine gemeinsame Währung schafft Markus Meckel [SPD]: Das gilt auch für und seine Anstrengungen für die innere und äußere Rumänien!) Sicherheit seiner 370 Millionen, in weiterer Zukunft - 500 Millionen Bürger bündelt. Diese historische Er- Wichtig ist jetzt, daß der Prozeß der weiteren inneren neuerung unseres Kontinents wäre eben ohne das Reform und Öffnung der NATO so fortgeführt wird, Atlantische Bündnis nicht möglich gewesen; denn daß das gewonnene Vertrauen und die zusätzliche ohne Sicherheit keine Demokratie und auch kein Stabilität in ganz Europa nicht wieder beeinträchtigt Wohlstand. werden. Die NATO stand nach dem Krieg für die Freiheit Das Sorgenkind Europas bleibt das ehemalige Ju- unseres geteilten Landes und des geteilten Berlin, für goslawien. Die Lunte am Pulverfaß Kosovo ist nicht die Freiheit des geteilten Europa. Auch heute, nach entschärft, auch wenn jetzt Gott sei Dank ein paar er- dem Fall der Mauer, bleibt es die Aufgabe der ste Schritte getan worden sind und vor allem das Bil- NATO, den Frieden zu sichern - jetzt aber für ganz dungsabkommen abgeschlossen wurde. Europa. Zusammen mit WEU, EU, Europarat und OSZE muß sie auf unserem Kontinent die Vorausset- Ich war letzte Woche mit meinem französischen zungen dafür schaffen, daß Freiheit, Demokratie und Kollegen Védrine in Belgrad und in Zagreb. Wir ha- Marktwirtschaft überall gedeihen können. Dabei las- ben in sehr langen, ausführlichen und schwierigen sen wir keine neuen Trennlinien mehr zu. Gesprächen mit Präsident Milosevic einige Fo rt -schritte, aber leider keinen endgültigen Durchbruch Die Öffnung des Bündnisses ist eingebettet in ein erzielt. Dieser Besuch war aber auch ein wichtiges wirksames Konzept der Kooperation und der Vertrau- Stück deutsch-französischer Gemeinsamkeit, das im ensbildung. Die NATO-Rußland-Grundakte und die übrigen auch gestern bei einer wieder sehr schwieri- entsprechende NATO-Ukraine-Charta sind zusam- gen Tagung der Kontaktgruppe hier in Bonn und men mit der Öffnungsentscheidung von Madrid ein auch in dem anschließenden Treffen mit den Außen- Stück äußerst erfolgreicher euroatlantischer und ministern der Region eine Rolle gespielt hat. deutscher Diplomatie und Friedenspolitik, das alle Skeptiker widerlegt hat. Ihr Kernelement ist das Es ist uns gestern nach sehr komplizierten Ver- wachsende Vertrauen Rußlands und der Ukraine in handlungen gelungen, in der Kontaktgruppe zu ei- unsere europäische Politik, das Vertrauen darin, daß ner gemeinsamen Haltung zu kommen. Es ist Präsi- wir beiden Ländern in Europa einen Platz einräu- dent Milosevic nicht gelungen - ich glaube, das ist men, der ihrer großen Geschichte und ihrem Poten- zentral wichtig und muß festgestellt werden -, uns tial entspricht. auseinanderzudividieren. Das war ein Erfolg der 20434 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel gestrigen Zusammenkunft, und das ist auch der richt der OSZE-Troika-Mission zu Rate ziehen. Falls große Unterschied zu 1991. Präsident Milosevic die Forderungen des Londoner Treffens bis dahin erfüllt hat, wird die Aufrechterhal- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU tung aller bisherigen Maßnahmen überprüft, auch sowie des Abg. Markus Meckel [SPD]) das Waffenembargo. Erfüllt Milosevic die Vorausset- Alle haben in der Zwischenzeit ihre Bosnien-Lektion zungen nicht und kommt der Dialog auf Grund der im wahrsten Sinne des Wortes gelernt. Haltung der Bundesrepublik Jugoslawien oder der serbischen Behörden nicht zustande, werden wir, wie Die klare Botschaft an die Konfliktparteien lautet - in London angekündigt, weitere Maßnahmen ergrei- ich bitte den Deutschen Bundestag, diese Botschaft fen. mit zu unterstützen, weil es wesentlich ist, daß dies nicht nur von den Regierungen getan wird, sondern Achtens. Wenn Belgrad die erforderlichen Schritte auch von den Parlamenten, die hinter diesen Regie- nicht unternimmt, wird sich auch der internationale rungen stehen -: Status des Landes nicht verbessern. Man muß wis- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und sen, daß Belgrad - leider - nicht in der UNO ist, nicht der CDU/CSU) in der OSZE und nicht im Europarat, daß es keinen Zugang zu UNEP hat und keinen Zugang zu den in- Erstens. Wir bestehen auf einer umgehenden Auf- ternationalen Finanzorganisationen - es braucht aber nahme von ernsthaften Verhandlungen über den Sta- Umschuldungen -, daß es keine Chance zum Kontakt tus des Kosovo mit der Führung der Kosovo-Albaner, mit IWF und der Weltbank hat, daß es keinen Zu- und zwar ohne Vorbedingungen und auf der Ebene gang zu Europa, keinen Zugang zu PHARE-Pro- des Bundesstaates und der Republik. Präsident Milo- grammen und keinen Zugang zu anderen Unterstüt- sevic, der immer wieder versucht, die Verantwortung zungsmaßnahmen hat. A ll das wäre möglich und wegzudrücken oder zu leugnen, muß wissen, daß er könnte schrittweise eingeleitet werden. Wir wollen höchstpersönlich dafür die Verantwortung trägt und ja, daß die Serben ihren Platz in Europa wiederlin- auch von uns dafür verantwortlich gemacht wird. den. Sie hätten ihn, wenn sie so, wie es jetzt relativ positiv in den Fragen Republika Srpska und Ost-Sla- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU wonien geschehen ist, auch im Kosovo mitwirkten. sowie bei Abgeordneten der SPD und der Das muß Milosevic wissen; das müssen wir ihm von Abg. Waltraud Schoppe [BÜNDNIS 90/DIE hier aus sagen. GRÜNEN]) Zweitens. Delegationen beider Seiten müssen um- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU gehend zusammenkommen, um einen Rahmen für sowie der Abg. Waltraud Schoppe einen substantiellen Verhandlungsprozeß festzule- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) gen. Insbesondere muß die Teilnahme Außenstehen- der möglich sein. - Am gestrigen Treffen haben acht Außenminister Drittens. Wir unterstützen weder den Status quo aus der Region teilgenommen. Das war wichtig, weil noch die Separation. Ziel muß vielmehr eine Autono- jede Lösung Teil eines Regionalkonzepts sein muß. mie mit einer sinnvollen Selbstverwaltung sein. Es ist wichtig, was in Albanien geschieht. Es ist wich- tig, was in Mazedonien geschieht. Wir müssen versu- Viertens. Belgrad muß mit Felipe González, dem chen, den Waffenexport über die Grenzen hinweg zu persönlichen Beauftragten des amtierenden OSZE- verhindern. Das bedeutet: Verlängerung der UNO- Vorsitzenden und Sondergesandten der EU, zusam- Mission in Mazedonien, Grenzsicherung gegen Waf- menarbeiten. fenschmuggel von Albanien in den Kosovo und Stär- kung der regionalen Zusammenarbeit, und am wich- Fünftens. Beide Seiten, vor allem die serbische tigsten ist: Die Nachfolgestaaten Jugoslawiens brau- Polizei und die serbischen Sonderpolizeieinheiten, chen eine europäische Perspektive. Das geht nur, aber auch die Extremisten unter den Kosovo-Alba- wenn Milosevic mit uns zusammenarbeitet. nern müssen aufgefordert werden, sich jeder Gewalt zu enthalten. Wie sehr wir Deutschen daran interessiert sind, Sechstens. Angesichts der mangelnden Fortschritte wie die Dinge im Kosovo laufen, brauche ich Ihnen werden die in London am 9. März beschlossenen nicht zu sagen. Wir haben in der Zwischenzeit an die Maßnahmen beibehalten und durchgeführt, auch 400 000 Albaner in der Bundesrepublik. Allein das Waffenembargo durch den UNO-Sicherheitsrat, 140 000 Asylbewerber in der Bundesrepublik sind und zwar bis zum 31. März. Das war gestern das aus dem Kosovo. In den letzten Monaten hatten wir zweite wichtige Ergebnis. Wir konnten Jewgenij Pri- einen Zulauf zwischen 500 und 2000 neuen Flücht- makow, den russischen Außenminister, überzeugen - lingen. Allein im letzten Monat kamen 1500 Flücht- es war sehr schwer, bis er zugestimmt hat -, diesem linge aus dem Kosovo. Wir haben mit die Hauptlast Waffenembargo im Sicherheitsrat am 31. März für zu tragen. Rußland zuzustimmen. Völlig unabhängig von der Frage der Stabilität in (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD) der Region hat Deutschland ein Anrecht darauf, Herrn Milosevic zu sagen: Dies ist nicht nur eine in- Siebtens. In vier Wochen wird die Kontaktgruppe nere Angelegenheit Ihres Landes. Vielmehr haben die Lage erneut überprüfen. Dabei wird sie einen Be wir Deutschen daran, auch wegen der Bosnien- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20435

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Flüchtlinge, zu Recht ein ganz besonderes Interesse. den Gang der europäischen Geschichte. Sie ist des- Das müssen Sie schon zur Kenntnis nehmen. halb wichtig genug, um ein paar sehr prinzipielle Überlegungen an den Anfang zu stellen, die über (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) den Tag und über den Anlaß hinausweisen. Wir leisten den mit Abstand größten Solidarbeitrag Wer in Deutschland regiert oder regieren wi ll, darf in Europa. Mehr als 20 Milliarden DM haben wir seit niemals vergessen, daß kein europäisches Land so 1991 für den Frieden im ehemaligen Jugoslawien sehr auf das Vertrauen seiner Nachbarn angewiesen aufgewandt. Deshalb können wir von der politischen ist wie Deutschland. Führung dort verlangen, daß sie selbst den Willen zum Neuanfang unter Beweis stellt. Das Jahr 1998 (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne muß einen entscheidenden Fortschritt in der Flücht- ten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ lingsrückkehr bringen, und zwar eben auch in be- DIE GRÜNEN und der F.D.P.) zug auf die Republika Srpska. Das ist deshalb wich- Für unser Land gilt ganz besonders, daß seine Au- tig, weil 60 Prozent der Flüchtlinge, die noch in ßenpolitik verläßlich und berechenbar sein muß. Ein Deutschland sind, aus der Republika Srpska stam- nationaler Konsens in den fundamentalen Fragen men. Eine Rückkehr dorthin ist aber nur möglich, unserer außenpolitischen Orientierung ist deshalb wenn die Krajina-Flüchtlinge von Präsident Tudjman nicht nur innenpolitisch enorm wichtig, sondern auch nach Kroatien zurückgenommen werden, damit eine enorme außenpolitische Leistung. Raum für die Flüchtlinge hier aus Deutschland ge- schaffen wird. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Her mann Otto Sohns [F.D.P.]) Meine Damen und Herren, wenn die NATO im nächsten Jahr in Washington ihr 50 jähriges Jubiläum Ich will deshalb auch klarstellen, daß eine außenpoli- feiert, wird dies nicht nur für Polen, Tschechien und tische Konzeption, die letztlich darauf hinauslaufen Ungarn ein ganz besonderer Anlaß sein; auch wir, würde, den bestehenden stabilen europäischen Si- die Bundesrepublik Deutschland, feiern 1999 densel- cherheitsrahmen der NATO aufzulösen und damit ben, runden Geburtstag - ein Anlaß zur Rückschau, Deutschland aus seiner wichtigsten sicherheitspoliti- zum Dank an all unsere Freunde, vor allem auch an schen Verankerung zu lösen, auch für eine Bundes- ll das, was es seit Kriegsende für uns Amerika für a regierung unter sozialdemokratischer Führung nicht getan hat. Die NATO ist dafür ein ganz besonderes einmal ein Verhandlungsgegenstand sein könnte. Symbol geworden. 50 Jahre NATO sind aber auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Anlaß, mit Zuversicht und Optimismus in die Zukunft ten der F.D.P.) zu sehen. Denn die NATO steht nun einmal für die unauflösliche Freundschaft und Pa rtnerschaft über Die internationale Öffentlichkeit wird sehr genau den Atlantik hinweg. Sie war von Anfang an nicht beobachten, wer sich heute hier im Deutschen Bun- nur ein Verteidigungsbündnis, destag wie verhält - und aus etwas anders gea rteten - Gründen die deutsche Öffentlichkeit übrigens auch. (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Sehr Verhaltensweisen, die so verstanden werden könn- wahr!) ten, als wolle Deutschland bewäh rte Partnerschaften sie war immer auch ein zutiefst politisches Bündnis, aufgeben und durch vage Zukunftskonstruktionen ein Bündnis, das jetzt, über die Verteidigungsauf- ersetzen - auch wenn etwas ganz anderes gemeint gabe hinaus, drei weitere zentrale Aufgaben hat: sein sollte -, führen zwangsläufig zu Verunsicherung „peace keeping", „peace making" und vor allem, und Mißtrauen bei unseren Partne rn und Nachbarn. Nukleus dieser neuen europäischen Sicherheitsar- Es lohnt sich doch, darüber nachzudenken, warum chitektur zu sein. wohl alle NATO-Mitglieder zu dem Ergebnis gekom- men sind, daß die NATO für die europäische Sicher- Daß wir mit der NATO gut zusammenarbeiten, war heit unverzichtbar ist. Eine andere deutsche Haltung Schlüssel für all das, was in der Vergangenheit er- würde zur Isolierung unseres Landes führen. reicht wurde, und es bleibt ein Schlüssel für die Zu- kunft. Denn was die NATO anbelangt, gilt im wahr- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie sten Sinne des Wortes: Gemeinsam sind wir stark! des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.]) Vielen Dank. Das gilt auch für unsere Bereitschaft, unseren Teil zur Bewältigung der Konflikte in Europa, vor allem (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU auf dem Balkan, zu leisten. Wir haben hier nicht nur sowie bei Abgeordneten der SPD) eine Verantwortung; wir haben in der Tat auch ein Interesse, das stärker ist als das der meisten anderen europäischen Staaten. Wir können uns nicht auf den Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich eröffne jetzt Standpunkt stellen, daß andere für uns Lasten über- die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Gün- nehmen und die Arbeit tun sollen, die für uns als das ter Verheugen, SPD-Fraktion, das Wo rt. Zielland möglicher Fluchtbewegungen ganz beson- ders wichtig sind. Wir müssen schon selber mitwir- Günter Verheugen (SPD): Frau Präsidentin! Meine ken und mithelfen. Darum ist es notwendig, daß wir sehr verehrten Damen und Herren! Die Entschei- bei der militärischen Sicherung des Friedensprozes- dung, die wir heute vormittag treffen wollen, verän- ses in Bosnien weiter mithelfen und daß die Bundes- dert für eine Reihe von europäischen Staaten, viel- wehr dort ihre positive Rolle weiter spielt, und es ist leicht auch für uns und vielleicht für ganz Europa, wichtig, daß wir weiter daran arbeiten - mehr noch 20436 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Günter Verheugen als in der Vergangenheit -, die zivilen Voraussetzun- einem: Ein Waffenembargo in diesem Teil Europas gen für eine stabile, sich selbst tragende Demokratie muß auch durchgesetzt werden können. in Bosnien zu schaffen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Deshalb scheint es mir notwendig, auch darauf hin- ten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ zuweisen, daß die Mission der Vereinten Nationen DIE GRÜNEN und der F.D.P.) an der Grenze zwischen Makedonien und dem Ko- sovo auf jeden Fall verlängert werden muß und daß In diesem Zusammenhang ein Wort zu Serbien etwas Ähnliches auch an der Grenze zwischen Alba- und zum Kosovo, weil der Bundesaußenminister die nien und dem Kosovo geschehen muß. Gelegenheit genutzt hat, im Rahmen dieser Regie- rungserklärung sehr ausführlich zu dieser aktuellen Lassen Sie mich zum eigentlichen Thema zurück- Frage zu sprechen. Wenn es eine Konfliktregion in kehren. Wer eine profilierte deutsche Außenpolitik Europa gibt, deren Gefährlichkeit und Virulenz seit will - und wer wollte das nicht -, der kann das nur vielen Jahren bekannt sind und die immer und im- auf der Grundlage absoluter Klarheit in der prinzi- mer wieder von den Fraktionen des Bundestages im piellen Orientierung erreichen. Ich will daran erin- Auswärtigen Ausschuß und hier im Plenum behan- nern, daß die Ost- und Entspannungspolitik der so- delt worden ist und in bezug auf die immer und im- zialliberalen Koalition nicht möglich gewesen wäre mer wieder angemahnt worden ist, daß eine Lösung ohne Klarheit in der Frage, wo Deutschland hinge- gefunden werden muß, dann ist das der Kosovo ge- hört und wo Deutschland steht. Es ist niemals in wesen. Seit genau zehn Jahren beschäftigen wir uns Zweifel gezogen worden, daß Deutschland die euro- mit diesem Problem. Es schmerzt doch, zu sehen, daß päischen Integrationsprozesse und die transatlanti- immer erst Gewalt ausbrechen muß, daß eine Explo- schen Strukturen klar und eindeutig unterstützt. sion unmittelbar bevorstehen muß, bevor dann tat- Wer zum Beispiel eine aktivere Rolle Deutschlands sächlich etwas geschieht und eine - es tut mir leid, für eine gesamteuropäische Sicherheitsstruktur - Herr Kinkel, das sagen zu müssen -, jedenfalls von etwa durch eine Stärkung der OSZE - erreichen wi ll, außen betrachtet, etwas hektisch und unkoordiniert der kann das auf der Grundlage der Klarheit in der wirkende Diplomatie einsetzt. anderen Frage tun. Wer eine Abrüstungsinitiative in Europa mit dem Ziel tatsächlich verminderter Rü- (Beifall bei der SPD - Widerspruch bei stung in allen europäischen Staaten für richtig hält - Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. ich tue das -, der kann das tun, wenn er klarstellt, - Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ daß er nicht die Grundlagen verändern will. DIE GRÜNEN]: Das ist sehr milde formu liert!) Meine Damen und Herren, für unsere Nachbarn, von denen ja die Initiative zur Erweiterung der - Es ist leider so. NATO ausging, ist das, was wir heute tun, eine histo- - rische Korrektur; denn sie haben ja nicht freiwillig Ich konnte dem, was Sie gesagt haben, auch nicht mehr als 40 Jahre kommunistischer Herrschaft ertra- entnehmen, ob wirklich ein tragfähiges Konzept zur gen. Sie finden jetzt ihren Platz do rt, wo sie hinwol- Bewältigung dieser Krise vorliegt. Meine Vermutung len und hingehören: in der Familie der westlichen ist, daß der Hinweis auf den früheren Autonomiesta- Demokratien. tus und der Versuch, ihn wiederherzustellen, heute (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne bereits nicht mehr ausreichen, - ten der CDU/CSU und der F.D.P.) (Bundesminister Dr. Klaus Kinkel: Das wol Die NATO-Mitgliedschaft bietet ihnen einen stabi- len wir nicht!) len sicherheitspolitischen Rahmen für Transformati- onsprozesse, die weit gediehen, aber bei weitem - das haben Sie nicht gesagt -, um den Kosovo zu be- noch nicht abgeschlossen sind. Jeder muß doch ver- frieden. Vielmehr muß man eine Ebene der Staatlich- stehen, daß diese Länder nicht in einem sicherheits- keit für den Kosovo finden, die ungefähr der Ebene politischen Niemandsland verharren können und unserer Bundesländer entspricht. Mir scheint, daß wollen, in dem sie unerwünschten äußeren Einflüs- der einzig gangbare Weg der ist, eine echte Föderali- sen ausgesetzt sein könnten. Sie wollen als gleich- sierung der Bundesrepublik Jugoslawien zu errei- wertig und gleichberechtigt anerkannt sein und ihre chen. Dann hätte der Kosovo etwa den Status von internationale Verankerung auch in eigener Verant- Montenegro. Das Problem wird sein, daß Serbien wortung entscheiden. einen solchen Zustand als eine Bedrohung für die ter- Ich freue mich darüber, daß in Polen, in Ungarn ritoriale Einheit des Gesamtstaates empfindet. Wenn und in Tschechien die demokratischen Parteien un- es Ihnen, Herr Kinkel, gelingen könnte, im Rahmen eingeschränkt hinter dieser Politik stehen. Wir hatten der Kontaktgruppe eine Garantie zu finden, die die in Ungarn ein sehr deutliches Referendum. Wir wer- territoriale Integrität der Bundesrepublik Jugosla- den in Polen und in Tschechien im Parlament die ent- wien nicht nur nach außen, sondern auch nach innen sprechenden Mehrheiten finden. Wir werden auch in sichert, dann könnte das vielleicht ein Weg sein. Tschechien nicht erleben, daß nach der Ratifizierung Aber dazu ist es notwendig, gegenüber Serbien eine etwa Bemühungen um ein Nachreferendum fortge- sehr deutliche Position einzunehmen. Sie haben hier setzt werden. eine sehr harte - eine ungewöhnlich ha rte - Sprache gefunden. Ich habe dem nichts hinzuzufügen, außer (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20437

Günter Verheugen Neue Möglichkeiten ergeben sich für uns übrigens gesamteuropäische Sicherheit auf Dauer nicht garan- durch die Mitgliedschaft Polens, Ungarns und Tsche- tiert werden kann und die deshalb auf Dauer auch chiens in bezug auf die notwendige Stabilisierung nicht aus gesamteuropäischen Integrationsprozessen und Demokratisierung in der Slowakei und in der ausgeschlossen werden darf. Ukraine, den Nachbarn dieser drei Länder, Länder, die wir aus unterschiedlichen Gründen nicht aus Es bietet sich übrigens an, die Felder der Zusam- dem Auge verlieren sollten: die Slowakei, weil sie in menarbeit mit Rußland zu erweitern. Dazu können der Mitte Europas nicht einfach ungebunden bleiben wir parlamentarische Kontakte stärker nutzen, aber kann, und die Ukraine, weil sie von allen europäi- auch neue Kooperationsfelder erschließen. Ich nenne schen Staaten zur Zeit wahrscheinlich die größten nur ein einziges Stichwort: Wenn man Sicherheits- Probleme hat. partnerschaft wirklich will, dann könnte der Ge- danke einer Ost-West-Rüstungskooperation bei- Für uns, meine Damen und Herren, ist das vorran- spielsweise bei dem großen Transportflugzeug AN 70 gige außenpolitische Interesse Stabilität in Europa. jedenfalls auch unter diesem Gesichtspunkt sehr in- Daß wir jetzt zum erstenmal in unserer Geschichte teressant sein. von Freunden und Bündnispartnern umgeben sind, daß unsere Nachbarn in eine Lage gekommen sind, (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie in der sie in Deutschland keine potentielle Gefahr des Abg. Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]) mehr sehen müssen, das ist ein gewaltiger Fortschritt und etwas, worauf wir stolz sein können und worüber Gegenüber Rußland ist Offenheit notwendig. Man wir uns freuen müssen. muß den russischen Partnern auch sagen, daß die (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der NATO-Osterweiterung in unserem Verständnis ein F.D.P.) offener Prozeß ist und wir heute damit nicht Schluß machen. Kein europäischer Staat, der es will und der Die gesamteuropäische Perspektive der europäi- die Bedingungen erfüllt, ist prinzipiell von diesem schen Integrationsprozesse eröffnet übrigens gerade Prozeß ausgeschlossen. In der vor uns liegenden unserem Land große Chancen und Möglichkeiten; Phase sind es zunächst Rumänien, Slowenien, Bul- denn ein prosperierendes Gesamteuropa bietet auch garien und die baltischen Staaten, an die zu denken uns deutlich erkennbare Vorteile und ist ein ganz ist. Weitere Phasen der Osterweiterung haben selbst- wichtiges Element zur Sicherung unserer eigenen verständlich mit der Entwicklung in Rußland zu tun. Zukunft. Auch ich glaube, daß der Reformprozeß in Rußland Vertrauen und Unterstützung verdient. Wir können Der Bundesaußenminister hat mit Recht ein paar grundsätzlich optimistisch sein, was die demokrati- Bemerkungen zu Rußland gemacht. Auch ich will sche und rechtsstaatliche Orientierung Rußlands an- das tun, zunächst aber in Verbindung mit dem geht. Keiner kann aber bestreiten, daß es hinsichtlich Thema, um das es geht. Wir wissen, für Rußland ist der Stabilität Rußlands und Osteuropas Risiken gibt. diese Entscheidung schwer verdaulich. Es ist erkenn- Ich sage dazu: Ein funktionierendes Sicherheitssy- bar, daß sich die russische Politik noch nicht ganz aus stem vergrößert diese Risiken nicht, sondern be- dem alten Denken gelöst hat. Wer Gespräche in Mos- grenzt sie. kau führt oder Besucher aus Rußland in Bonn emp- fängt, der weiß, daß wir in allen politischen Lagern in Meine Damen und Herren, noch ein Wo rt zu unse- Rußland nach wie vor auf eine massive Ablehnung rem Partner auf der anderen Seite des Atlantiks, der NATO-Osterweiterung stoßen. Die erste Runde, ohne den das alles nicht möglich gewesen wäre. Ich die wir heute beschließen, wird allenfalls hingenom- glaube, daß die NATO-Osterweiterung die transat- men. lantischen Bindungen stärkt und daß das amerikani- Ich muß darauf hinweisen, daß wir ernst nehmen sche Engagement in Europa auf diese Weise gesi- müssen, wenn uns Vertreter der demokratischen Par- chert wird. Die Partnerschaft mit den USA allerdings teien Rußlands sagen, daß in der Fortsetzung des gründet sich heute nicht mehr nur auf gemeinsamen Prozesses eine Gefahr liegt, wenn er nämlich in Ruß- Sicherheitsinteressen; aber sie sind für lange Zeit land innenpolitisch instrumentalisiert wird, um natio- wohl noch zentral. Auch hier wäre es richtig, weitere nale Emotionen zu schüren und damit von anderen Felder der Zusammenarbeit zu erschließen. Wir wün- Problemen abzulenken. Das sollten wir wissen. schen uns sehr, daß es den Europäern und Amerika- nern endlich gelingt, zu einer gemeinsamen Position Deshalb kann die Botschaft an Rußland nur lauten, etwa in der Türkei-Politik, in der China-Politik und daß die NATO-Osterweiterung keine Ausgrenzung in der Iran-Politik zu kommen. Auch bei der Bewälti- und keine strategische Einschnürung für Rußland be- gung der globalen Konflikte ist Gemeinsamkeit rich- deutet, sondern daß sie objektiv auch für die russi- tig. Wir wünschen uns eine stärkere Rolle Europas in sche Außenpolitik und für russische Sicherheitsinter- der Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von essen vorteilhaft ist. Unser Angebot an Rußland heißt Amerika. Mehr Verantwortung der Europäer.bedeu- doch, daß wir eine Sicherheitspartnerschaft mit Ruß- tet allerdings, daß wir uns in einen Zustand versetzen land entwickeln wollen. müssen, von dem wir im Augenblick leider weit ent- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie fernt sind, nämlich europäische Interessen zu definie- des Abg. Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]) ren und dann auch tatsächlich gemeinsam zu vertre- ten. In der langfristigen Perspektive gehört dazu, daß wir sagen: Rußland ist eine europäische Macht, ohne die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 20438 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Günter Verheugen Meine sehr verehrten Damen und Herren, die gen hat. Damals ging es um die Westintegration un- NATO-Osterweiterung ist ein Baustein in einem Pro- seres Landes, um den Beitritt der Bundesrepublik jekt, dessen Konturen immer deutlicher werden, von Deutschland zu dieser nordatlantischen Vertragsge- dem wir aber noch nicht ganz genau wissen, wie es meinschaft, den der damalige amerikanische Präsi- am Ende aussehen wird. Die NATO-Osterweiterung dent Truman in einer Botschaft an die Staatschefs schafft das Element äußere Sicherheit, das wir brau- dieser neuen Allianz bereits am Vorabend ihrer chen, um die Reform- und Transformationsprozesse Gründung gefordert hatte. Nur ein stabiles West- in Europa sicher zu Ende zu bringen, wobei unsere deutschland konnte nach Meinung Trumans den un- deutsche Rolle in Europa ja nur die einer unterstüt- entbehrlichen deutschen Beitrag für Frieden und Sta- zenden Partnerschaft sein kann. bilität in Europa leisten. Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt aus den dar- Dem ist, wie Sie sich erinnern, Bundeskanzler gestellten Gründen dem Beitritt der Republik Polen, Konrad Adenauer mit seiner Politik der Westintegra- der Tschechischen Republik und Ungarns zur NATO tion entgegengekommen. Adenauers Bedingung wa- zu und wird dem Ratifizierungsgesetz ihre Zustim- ren der Deutschland-Vertrag und die in ihm enthal- mung erteilen. tene Verpflichtung unserer westlichen Bündnispart- ner auf das Wiedervereinigungsgebot unseres Vielen Dank. Grundgesetzes. Für Konrad Adenauer war die West- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne integration kein Hindernis für Deutschlands Wieder- ten der CDU/CSU und der F.D.P.) vereinigung, wie der damalige Oppositionsführer Kurt Schumacher befürchtete, sondern deren Voraus- setzung. Adenauer hat recht behalten. Schumacher Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile jetzt hatte für seine damalige Gegnerschaft honorige das Wort dem Abgeordneten Dr. Alfred Dregger, Gründe - ganz anders, als dies in den 70er Jahren CDU/CSU-Fraktion. bei der weitverbreiteten Opposition der Linken ge- gen die NATO der Fall gewesen ist. Dr. Alfred Dregger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dieser Tag ist ordneten der F.D.P.) ein wichtiger Tag in der Geschichte des Hauses, weil er ein großer Tag ist im Hinblick auf den Frieden und Wir sollten uns deshalb heute auch an die großen die Freiheit in Europa. Debatten der frühen 80er Jahre erinnern, als es darum ging, die von Bundeskanzler Schmidt in- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. itiierte Nachrüstungspolitik des Bündnisses gegen sowie bei Abgeordneten der SPD) die neuen atomaren Mittelstreckenwaffen der So- Der bevorstehende Beitritt der drei Republiken Po- wjetunion durchzusetzen, - und das gegen eine von len, Tschechien und Ungarn ist ein Meilenstein auf Moskau ausgehaltene sogenannte Friedensbewe- - dem Wege zu einer europäischen Friedensordnung, gung. in der, wie es die Heimatvertriebenen schon 1950 ( [SPD]: Na, na!) ausgedrückt haben, die Völker ohne Zwang in Frie- den und Freiheit leben können. Unsere künftigen - Das ist meine Beurteilung der Lage. Dafür gibt es Bündnispartner, um die es heute geht, sind: Polen, Gründe. das mit der Erhebung der „Solidarität" in den frühen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge 80er Jahren das Sowjetsystem erschüttert hat, und ordneten der F.D.P.) zwar in einer Zeit, als dieses in Afghanistan seine Macht bis zum Indischen Ozean zu erweitern suchte, Damals war das Bündnis in seiner schwersten Krise. Ungarn, das als erstes Land den Zaun geöffnet und Sein Zerfall war möglich. Die Verweigerung der damit den Weg geebnet hat für die deutschen Bot- Nachrüstung hätte den Sieg der Sowjets und ihrer schaftsflüchtlinge, die vor den Augen der Weltöffent- militärischen Drohpolitik gegen das freie Europa be- lichkeit das SED-Regime als eine Regierung gegen deutet. das Volk demaskiert haben, und Tschechien, wo (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge 1968 durch die Invasion von Truppen des Warschauer ordneten der F.D.P.) Paktes der zaghafte Versuch erstickt wurde, dem Kommunismus wenigstens ein menschliches Gesicht An dieser Frage ist Bundeskanzler Schmidt mit ge- zu geben. scheitert, vor allem weil seine eigene Partei ihm da- mals die Gefolgschaft verweigerte. Welch eine Entwicklung in diesen 49 Jahren seit der Gründung der NATO! 40 Jahre davon waren ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge prägt durch den kalten Krieg, in dem Europa in einer ordneten der F.D.P. - Günter Verheugen erstarrten Kriegsordnung geteilt war und die aus [SPD]: Das war ein bißchen anders!) dem zweiten Weltkrieg hervorgegangenen Welt- Die Durchsetzung dieser Nachrüstung durch die mächte, die USA und die Sowjetunion, über das Koalition der Mitte unter Bundeskanzler Helmut Schicksal unseres Kontinents entschieden. Kohl hat den Zusammenhalt des Bündnisses wieder- Ich meine, wir tun gut daran, uns in diesen Tagen hergestellt. Dies führte zu einem tiefgreifenden Wan- an die großen Debatten der 50er Jahre im Deutschen del in den Ost-West-Beziehungen, der mit einer völli- Bundestag zu erinnern, in denen damals dieses Hohe gen Revision der auf Hegemonie, Expansion und mi- Haus um die Richtung der deutschen Politik gerun litärischer Einschüchterung fußenden Politik der so- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20439

Dr. Alfred Dregger wjetischen Führung begonnen hat. Ohne diese mit für sich selbst mehr gewinnen als Rußland. Denn dem von uns durchgesetzten NATO-Doppelbeschluß Rußland ist vom Westen her nicht bedroht. Seine Risi- eingeleitete neue Politik wäre der Eiserne Vorhang ken liegen eher im Inneren, im Süden und im Süd- nicht gefallen und hätte es keine Perestroika und osten seines riesigen Territoriums. Stabilität, Freund- keine deutsche Einheit gegeben. schaft und Zusammenarbeit mit seinen Nachbarn im Westen gehören daher zu den erstrangigen Zielen ei- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ner klugen russischen Politik. Der kalte Krieg hat Europa 40 Jahre lang gelähmt Natürlich hat es eine Weile gedauert, bis die frühe- und viele Kräfte verbraucht - auf beiden Seiten. In ren Antagonisten im kalten Krieg, die Vereinigten der Sowjetunion führte das schließlich zum Zusam- Staaten und Rußland, die Richtigkeit dieser Politik menbruch dieses letzten und größten Kolonialreichs erkannt haben. In Moskau werden noch immer Zwei- der Geschichte. Dieser Zusammenbruch machte den fel daran geäußert. Doch ich vertraue darauf, daß Weg frei für die Überwindung der Teilung Deutsch- sich diese Einsicht auch dort durchsetzen wird, wie lands und Europas sowie für die Erneuerung der von 1990, als wir um der Stabilität in Europa willen gefor- der Sowjetunion unterworfenen Staaten Ost- und dert haben, daß das wiede rvereinigte Deutschland Ostmitteleuropas in Freiheit. Davon, meine Damen als Ganzes Teil der Nordatlantischen Allianz bleiben und Herren, profitieren heute alle, nicht zuletzt Ruß- bzw. werden müsse. Das haben wir Gott sei Dank land selbst, das sich nun auch mit unserer Unterstüt- durchgesetzt. zung auf den schwierigen Weg einer demokratischen Erneuerung begeben hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich möchte aber auch die Vertreter des amerikani- schen Volkes im Senat und im Repräsentantenhaus Nur wenige Jahre nach dem Wegfall der Berliner bitten, der jetzigen Öffnungspolitik zuzustimmen, Mauer, der Selbstauflösung des Warschauer Paktes weil sie im Interesse der gesamten Allianz und damit und dem Zusammenbruch der Sowjetunion öffnet auch im Interesse der Vereinigten Staaten von Ame- sich nun das Bündnis für die ersten Reformstaaten rika liegt. Ostmitteleuropas. Sind dieser Erfolg und dieses Er- (Beifall bei der CDU/CSU) gebnis nicht fabelhaft, meine Damen und Herren? Ich halte es für falsch, daß - wie es in einer in die- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sem Zusammenhang von einer Kommission für die Deshalb markiert unsere heutige Debatte auch einen nationalen Interessen Amerikas 1996 verfaßten Stu- großen Tag für Europa. die heißt - die Sicherstellung der Existenz der Ver- bündeten Amerikas erst an fünfter Stelle der Prioritä- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ tenliste der amerikanischen Außenpolitik stehe. DIE GRÜNEN]: Sie sind ein Fabelwesen! - Gegenruf des Abg. Dr. - (Otto Schily [SPD]: Was soll das denn jetzt?) [CDU/CSU]: Schämen Sie sich!) Ich meine, die Zeiten sind vorüber, in denen der Wir sollten übrigens von der Öffnung der NATO Starke alleine am mächtigsten ist. Das haben die Ver- sprechen und von dem Beitritt ihrer neuen Mitglie- einigten Staaten gerade in jüngster Zeit schmerzhaft der, nicht von einer NATO-Erweiterung und schon erfahren müssen. Amerika wird stärker sein, wenn es gar nicht von Expansion. Der Begriff „Erweiterung" Partner eines starken Europas ist. Die Sicherstellung weckt Assoziationen an veraltete Denkmuster der freien Existenz seiner Verbündeten sollte daher zu den erstrangigen Zielen der amerikanischen Poli- (Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS]: Mit Recht!) tik gehören. in Macht- und Einflußbereichen, was den rückwärts Es war falsch, als der von mir sonst geschätzte frü- gerichteten Kräften nicht nur im Hause, sondern here Verteidigungsstaatssekretär der USA Fred 11E16 auch in Moskau - auch da gibt es solche - falsche Ar- meinte, wenn die NATO expandiere - er gebrauchte gumente an die Hand geben würde. tatsächlich diesen falschen Begriff -, würde das ihren Niedergang einleiten. Iklé wandte sich dagegen, daß (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) diese Militärallianz angeblich zu einem „Kindergar- In Wirklichkeit wird dieser Öffnungsprozeß flan- ten der Demokratie umgeformt werden" solle. Mit kiert von jener NATO-Rußland-Grundakte, mit der der Inkorporierung mittel- und osteuropäischer Na- eine strategische Pa rtnerschaft zwischen der NATO tionen würde, so Iklé, die NATO ihren Zweck wie und Rußland vertraglich geregelt wurde, wie ich das auch ihren Zusammenhalt verlieren. schon seit langem gefordert habe. Damit ist klarge- Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die NATO stellt, daß diese Entwicklung nicht gegen Rußland würde ihren Gründungszweck verfehlen, wenn sie gerichtet ist, sondern in dessen wohlverstandenem sich den frei gewordenen Staaten Ostmitteleuropas Eigeninteresse liegt. verweigerte. Der Beitritt der ersten mitteleuropäischen Staaten (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. zur transatlantischen Allianz unterstützt und fördert sowie bei Abgeordneten der SPD) deren demokratische Erneuerung. Er stärkt die Si- cherheit und Stabilität in ganz Europa. Niemand Sie würde ihren Zusammenhalt schwächen, wenn sie könnte - so habe ich es hier an diesem Pult am 12. De- die Werte, denen sie sich in ihrer Geschichte ver- zember 1996 ausgeführt - durch eine solche Politik pflichtet wußte, auf diese Weise verraten würde. 20440 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. 1998

Dr. Alfred Dregger Deshalb kann der Beitritt dieser ersten drei Kandi- haben, wenn sie ein Bündnis unter prinzipiell Glei- daten zur NATO, über den wir heute sprechen, auch chen sein wird - zwischen einem starken Amerika nur der Anfang eines Prozesses sein, von dem Schritt und einem starken, weil geeinten Europa. für Schritt und „ohne Pause", wie es im Be richt des Auswärtigen Ausschusses heißt, alle postkommuni- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) stischen Reformstaaten erfaßt werden, die die Nor- Zweitens. Die Europäer müssen begreifen, daß sie men und Werte des Bündnisses erfüllen. nur dann den Amerikanern ein vollwertiger Pa rtner sein werden, wenn sie mit einer Stimme sprechen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P. und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich hatte schon einmal Anlaß, Fred Iklé zu kritisie- Drittens. Die NATO würde ihrem Anspruch als ren, nämlich 1988, als er mit dem Politikwissenschaft- Bündnis für die Freiheit nicht gerecht, wenn sie ei- ler Wollstetter in einer Studie den Abschreckungs- nem unserer europäischen Nachbarn, der die Vor- verbund der europäischen Bündnispartner mit den aussetzung für die Mitgliedschaft in diesem Bündnis Vereinigten Staaten auflösen wollte. Europa sollte erfüllt, diese Mitgliedschaft verweigerte. Der Lack- sich nach seiner Vorstellung mit seinen eigenen mus-Test für die künftige europäische Friedensord- Atomwaffen verteidigen. Ich habe damals in Wa- nung, deren Stabilitätsanker die NATO sein muß, shington in einem intensiven Gespräch mit Präsident wird deshalb die Fortsetzung der gegenwärtigen Öff- Reagan, der mich liebenswürdigerweise eingeladen nungspolitik sein, bis hin zu den baltischen Staaten, hatte, darüber gesprochen und habe erklärt, daß die- die doch durch ihren Freiheitswillen 1989 und 1990 ser Abschreckungsverbund zwischen den NATO- einen wesentlichen Beitrag zu den Veränderungen Staaten für die Sicherheit Europas und für die Sicher- geleistet haben. heit der USA unerläßlich sei. Viertens. Rußland, das seit dem Ende des Nor- Zugleich habe ich damals unsere europäischen dischen Krieges, also seit dem frühen 18. Jahrhun- NATO-Partner aufgefordert, Europa politisch zu eini- dert, gen und im Rahmen der Atlantischen Allianz eine (Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: 1721!) europäische Identität in der Sicherheitspolitik zu schaffen. Entscheidend ist - so sagte ich damals -, an allen wesentlichen Entscheidungen in Europa be- daß wir Europäer aus der Rolle derer herauskommen, teiligt war, sollte unser strategischer Kooperations- die bestenfalls konsultiert werden, aber über ihr ei- partner in einer solchen gesamteuropäischen Frie- genes Schicksal nicht mehr mitentscheiden. Wovor densordnung sein. Niemand sollte Rußland aus Eu- ich damals gewarnt habe, war also das, was man ropa herausdrängen wollen. Aber Rußland muß auch heute unilaterales Handeln der Weltmacht USA nen- begreifen, daß es als große euro-asiatische Macht mit nen würde. Deshalb bin ich froh darüber und halte es erheblichem Zukunftspotential gerade in seinen asia- tischen Teilen die Institutionen und Strukturen dieses für eine großartige Sache, daß sich diese Weltmacht - heute zu Europa bekennt. gemeinsamen Europas überfordern würde, wollte man es in dieses integrieren. Amerika mußte zweimal in diesem Jahrhundert die Erfahrung machen, daß die Europäer die lebenswich- Meine Damen und Herren, wenn wir diese vier Ge- tigen Fragen von Krieg und Frieden nicht alleine re- sichtspunkte beachten, dann werden wir in der Lage geln konnten. Leider war das auch angesichts des sein, mit Hilfe der neuen NATO und in Kooperation zerfallenden Jugoslawiens so. Die NATO hatte sich mit Rußland sowie der Ukraine jene europäische nach anfänglichem Versagen auf Betreiben der Füh- Friedensordnung zu vollenden, die seit Konrad rungsmacht USA dann jedoch dieser Aufgabe ge- Adenauer das höchstrangige Ziel der deutschen Au- stellt - spät, aber nicht zu spät. Heute wirken do rt ßenpolitik ist. amerikanische und europäische Truppen vertrauens- Europa wäre in einer solchen Ordnung die „frie- voll zusammen, mit russischen Truppen übrigens. denserhaltende Mitte zwischen den Weltmächten", Das ist außerordentlich wichtig. Hier hat sich eine so wie ich das bereits Mitte der 80er Jahre gefordert neue NATO bewährt. Deren Aufgabe ist nicht mehr habe. Diese Vision sollte das Ziel der deutschen Poli- die Abschreckung einer antagonistischen Macht, tik an der Schwelle zum 21. Jahrhundert bleiben. sondern die Beherrschung der Risiken für die Sicher- Nur so sichern wir Frieden und Freiheit auch für un- heit ihrer Mitglieder. sere Kinder und Enkel. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich als älte- Ich danke Ihnen. sten gewählten Abgeordneten des deutschen Volkes zum Schluß meiner Ausführungen noch einige Emp- (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und fehlungen für die Fortentwicklung dieser großartigen der F.D.P.) Nordatlantischen Vertragsgemeinschaft zu Protokoll geben. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat Erstens. Mit der Öffnung der NATO für die Staaten jetzt der Abgeordnete Gerd Poppe, Bündnis 90/Die Ostmitteleuropas wird die NATO europäischer. Die Grünen. Vereinigten Staaten, denen wir Europäer die Bewah- rung unserer Freiheit und den Schutz vor der Sowjet- Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau union im kalten Krieg verdanken, sollten dies auch Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue als ihre Chance begreifen. Die NATO wird Zukunft mich besonders, daß wir Gäste haben - auch aus den Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20441 Gerd Poppe Staaten, um deren Zukunft es heute im besonderen gen der Demokratien Ost- und Mitteleuropas zu re- geht. Ich will deshalb wiederholen, was ich gestern spektieren. dem Vorsitzenden des polnischen Auswärtigen Aus- schusses, Dr. Bielecki, sagte. Mich erfüllt ein Gefühl (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, großer Dankbarkeit, wenn ich mich daran erinnere, bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.) was die polnische, tschechische und ungarische De- Ich gehöre deshalb zu denjenigen Mitgliedern mokratiebewegung zur friedlichen Revolution der unserer Fraktion, die dem Gesetz über den Beitritt Jahre 1989/90 beigetragen hat. Polens, Tschechiens und Ungarns zur NATO zustim- men werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Abge (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU ordneten der CDU/CSU) und der F.D.P.) Als ein ehemaliger DDR-Oppositioneller meine Gleichwohl - auch das gehört zur Debatte in unserer ich, feststellen zu dürfen, daß ohne die Solidarnosc, Partei und Fraktion - gebe ich all denjenigen recht, ohne die Charta 77 und die vielen anderen oppositio- die in dem begonnenen Erweiterungsprozeß nicht nellen und widerständigen Gruppen der Herbst 1989 nur Chancen, sondern auch Risiken sehen. Deshalb anders verlaufen und daß die deutsche Einheit so finde ich es völlig unangemessen, daß Sie, Herr Kin- schnell nicht möglich gewesen wäre. kel, diese ernsthafte Debatte zu so billigen Wahl- kampfmanövern ausnutzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - und bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten Widerspruch bei der F.D.P.) der CDU/CSU und der SPD) Ich sehe die Chance, daß der Prozeß der NATO- Zugleich möchte ich den Anteil würdigen, den pol- Öffnung einen Schritt darstellen kann, um dem sich nische, tschechische und ungarische Bürgerinnen nach dem Ende des kalten Krieges stellenden wich- und Bürger nach a ll dem, was ihnen von Deutschen tigsten sicherheitspolitischen Ziel näherzukommen. angetan wurde, an der Versöhnung unserer Völker Als solches verstehe ich die langfristige Entwicklung haben. eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems, nicht aber die bloße Erweiterung bestehender Bündnisse (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN um einzelne Staaten. Ich bin davon überzeugt, daß sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der die neuen Mitgliedstaaten eigenständige Beiträge SPD und der F.D.P.) für die europäische Sicherheit leisten können. Die polnischen Kollegen haben uns gestern darauf hin- Der Weg zur Selbstbestimmung und zur Demokra- gewiesen. Sie haben intensive Beziehungen zu sie- tisierung, den viele Polen, Tschechen und Ungarn ben Nachbarstaaten und gestalten diese im Bewußt- schon in der Zeit einer erstarrten bipolaren Welt an- - sein ihrer neuen gesamteuropäischen Möglichkeiten. strebten und der im Westen leider oft genug unbe- Sie habe n uns vieles an Kenntnissen über Osteuropa achtet blieb, war zugleich immer auch der „Weg voraus. So kann ihre Einbeziehung ein echter Ge- nach Europa", die Umsetzung eines „Traums von Eu- winn für Organisationen sein, deren Wurzeln in der ropa". Seitdem dieser Traum Wirklichkeit zu werden zu Ende gegangenen Blockkonfrontation und in dem verspricht, ist es nicht nur eine Chance, sondern aus ihr erwachsenden konfrontativen Sicherheitsver- auch eine historische Aufgabe und für uns Deutsche ständnis liegen. geradezu eine Verpflichtung, den Weg der mittel- und osteuropäischen Staaten zu erleichtern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Wir wissen doch alle, daß europäische Sicherheits- SPD und der F.D.P.) politik nach dem Ende der Blockkonfrontation nicht mehr auf traditionellen Denkmustern, Feindbildern Seit 1990 haben diese Staaten, und zwar nicht nur und Ressentiments einer verflossenen Zeit basieren ihre Politiker, sondern auch die große Mehrheit ihrer kann. Dies zu verstehen und so zu einer Neubestim- Bevölkerungen, ihren Weg darin gesehen, Demokra- mung europäischer und transatlantischer Beziehun- tie und Marktwirtschaft zu errichten - wie wir wis- gen zu kommen ist eine Herausforderung für die sen: mit durchaus bemerkenswerten Erfolgen. heutige Politik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie haben darüber hinaus den Anspruch erhoben, sowie bei Abgeordneten der SPD) der EU und der NATO anzugehören, von denen sie sich einerseits Unterstützung ihrer demokratischen Es besteht die reale Chance, daß die neuen Mitglied- und wirtschaftlichen Entwicklung, andererseits Si- staaten zur notwendigen Neuorientierung beitragen cherheit erhoffen - gerade auch wegen ihrer trauma- werden. Das ist unsere Erwartungshaltung; das tischen Erfahrungen mit Hitler und Stalin. Ich halte könnte die Gegenleistung der neuen Mitglieder sein. diesen Anspruch für legitim und für unabweisbar. Ich Es geht um Geben und Nehmen, nicht aber um eine möchte all diejenigen, die immer, und zwar nicht nur Wiederholung der aus dem Prozeß der deutschen für sich selbst, sondern auch für alle anderen, wissen, Einheit hinlänglich bekannten Fehler nach dem Mu- was „richtig" und was „falsch" ist, auffordern, die in ster: Ihr seid die Dazugekommenen, und nun über- freier Selbstbestimmung getroffenen Entscheidun nehmt einfach das bei uns Erprobte! 20442 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Gerd Poppe Andererseits gibt es unbestreitbare Risiken des Er- ungarischen Freunden und Kollegen wünsche ich, weiterungsprozesses, und ich möchte wenigstens daß die von ihnen zum Ausdruck gebrachten Erwar- zwei nennen, weil sie die Debatte in unserer Fraktion tungen und Hoffnungen erfüllt werden. Uns selbst, wesentlich geprägt haben: zum einen das Entstehen meine Damen und Herren, beglückwünsche ich zu von sicherheitspolitischen Grauzonen, von Regionen diesen neuen Partnern. Trotz aller unterschiedlicher Sicherheit in Europa. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN anderslautenden Bekenntnisse ist zu befürchten, daß und bei der SPD sowie bei ,Abgeordneten sich der NATO-Erweiterungsprozeß nicht automa- der CDU/CSU und der F.D.P.) tisch und schon gar nicht kurzfristig fortsetzen wird. Zum zweiten geht es um die Gefahr neu entstehen- der Konfrontationslinien insbesondere an der neuen Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat NATO-Außengrenze und vor allem gegenüber Ruß- jetzt der Abgeordnete Dr. Wolfgang Gerhardt, F.D.P.- land. Diese Gefahr besteht dann, wenn nicht das Ziel Fraktion. eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems im Auge behalten wird. Ein solches System verlangt Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.): Frau Präsidentin! auch einen neuen Sicherheitsbegriff. Sicherheit ist Meine Damen und Herren! Wir treffen heute eine der nicht mit militärischer Sicherheit gleichzusetzen. Si- bedeutsamsten Entscheidungen. Wir wissen a lle, daß cherheit, wie wir sie verstehen, verlangt unter ande- die Geschichte noch nicht an ihrem Ende angekom- rem die Stärkung ziviler Möglichkeiten der Konflikt- men ist, daß es auf der Welt noch viele Unverträglich- behandlung, die Verstärkung der Konfliktprävention keiten gibt und daß wir uns weltweit noch vielen kri- und die Abkehr vom Vorrang militärischer Instru- tischen Situationen gegenübersehen. mente. Für Europa aber hat es noch nie eine solch große (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Chance gegeben. Nach dem historischen Umbruch sowie des Abg. Markus Meckel [SPD]) sind wir von Freunden nahezu - wie das der Bundes- Eine einseitige Fixierung auf die NATO verstellt außenminister immer ausdrückt - umzingelt. Demo- die Möglichkeit, ein solches Sicherheitssystem zu kratie, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft ha- entwickeln. Deshalb führen wir in unserer Fraktion ben in Europa neue Chancen erhalten. Aus Feinden und auch mittels unserer parlamentarischen Initiati- und Gegnern von gestern sind f riedliche Nachbarn ven die Debatte über die notwendige Stärkung der von heute und morgen geworden. Die nuklearen OSZE, die am ehesten dafür in Frage kommt, die zi- Mittelstreckenwaffen sind verschwunden. Die strate- vilen und präventiven Elemente europäischer Sicher- gischen Nuklearwaffen sind substantiell reduziert heit zu entwickeln. Im OSZE-Rahmen sollten auch worden. Die Androhung der gegenseitigen totalen Sicherheitskonzepte im Blick auf diejenigen Staaten Vernichtung ist Vergangenheit. Dazu waren schwie- entwickelt werden, die auf längere Sicht der NATO rige und unbequeme Entscheidungen zu treffen, und der EU nicht angehören werden. manche, die mehr Verantwortung gefordert haben - als die Teilnahme an Ostermärschen. Sicherheit entsteht letztlich nicht gegeneinander, sondern miteinander. Das gilt besonders für die Be- (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Das war ziehungen mit Rußland. Die Ankündigungen der auch unbequem!) NATO-Rußland-Akte müssen schnell umgesetzt wer- Das waren manche Entscheidungen, die vermittelt den. Entsprechendes gilt für das Abkommen mit der werden mußten, manche, die in Fraktionen und Par- Ukraine. Die konventionelle Abrüstung muß voran- teien auf einmal keine Mehrheit mehr hatten und er- getrieben werden. Zu kritisieren ist die Vernachlässi- neut legitimiert werden mußten. Das waren keine be- gung der atomaren Abrüstung. Sie wissen, die quemen Veranstaltungen. Ukraine hat einen interessanten Vorschlag zur Er- richtung nuklearwaffenfreier Zonen gemacht, der Ich will für die Freie Demokratische Partei heraus- ernsthaft geprüft werden sollte. Überfällig ist vor al- heben, daß wir in der Arbeit der liberalen Außenmi- lem der Verzicht auf den nuklearen Ersteinsatz. nister , Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel einen persönlichen, politischen, pro- Denken Sie bitte grammatischen und bedeutsamen Kursbeitrag für Vizepräsidentin Michaela Geiger: diesen Abschnitt deutscher Entscheidungen sehen. an die Redezeit. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau ten der SPD) Präsidentin, ich komme zum Ende. - In nächster Zeit Diese trugen - in unterschiedlichen Koalitionen - sollte - um das noch zu sagen - der EU-Erweite- eine wichtige Verantwortung. Sie war zielgerichtet rungsprozeß mit den dazu notwendigen Reformen und ein Beitrag der Freien Demokraten zum heuti- absoluten Vorrang haben. gen Frieden in Europa. Zum Schluß möchte ich nur sagen: Ich habe nur ei- (Beifall bei der F.D.P.) nige wenige mögliche Handlungsoptionen herausge- griffen, um zu illustrieren, in welchen Gesamtrahmen Ich sage das an dieser Stelle bewußt, meine Damen der heute zu treffende Beschluß gestellt werden und Herren Kolleginnen und Kollegen von den Gril- sollte. Er wird nur in dem Maße erfolgreich sein, in nen, weil es für mich im Kern nicht entscheidend ist, dem er einen Weg zur gesamteuropäischen Sicher- wie viele sich von Ihnen heute enthalten, wie viele heit öffnet. Unseren polnischen, tschechischen und zustimmen und wie viele dagegenstimmen. Sie ha- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20443

Dr. Wolfgang Gerhardt ben zu allen Abschnitten dieser Politik, von den eine Chance habe? Wer blickt heute zurück und er- jüngsten Entscheidungen von Maast richt bis zur EU- kennt, was das für die deutsche Politik bedeutet hat? Öffnung in Amsterdam, zum Somalia-Einsatz und zum Bosnien-Einsatz nein gesagt. Sie sind nicht in (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ der Lage, den mittel- und osteuropäischen Reform- DIE GRÜNEN]: Ich!) staaten eine Antwort auf die Frage zu ihren Entwick- Europäische Union und NATO sind Grundfesten, lungschancen zu geben. Sie sind eine Partei, die sich ohne die Deutschland keine stabile internationale jetzt im Kern bemüht, Tapferkeitsauszeichnungen an Rolle finden würde und könnte. Das ist mehr als eine diejenigen zu verleihen, die Realos sind. Aber das ist Beliebigkeit. kein ausreichender Beitrag deutscher Politik zur europäischen Orientierung unserer Nachbarn. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Diese Fragen sind von so erheblicher Bedeutung, Es gibt auf eine der zentralsten Fragen keine Ant- daß eine Partei, die sie nicht klar beantworten kann, wort der Grünen. Wer international dera rt hand- Verantwortung für dieses Land nicht übernehmen lungsunfähig ist, ist auch national nicht regierungsfä- kann. hig. (Jörg van Essen [F.D.P.]: Sehr richtig!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Die Überwindung der Teilung Europas geschieht doch nicht nur durch die NATO-Erweiterung; sie ge- Das erkennen immer mehr Menschen. schieht vielmehr, wenn wir klar und couragiert den mittel- und osteuropäischen Reformstaaten über die Deutschland ist aus der größten Katastrophe seiner militärische Sicherheitsnotwendigkeit NATO hinaus Geschichte nur herausgekommen, weil es bündnisfä- auch die politische, ökonomische und ökologische Si- hig war, weil es wußte, daß es für seine eigene Si- cherheitsantwort Europäische Union und Zusam- cherheit von anderen nur soviel bekommt, wie es be- menarbeit geben. Beides getrennt geht nicht; denn reit ist, auch anderen zu geben. Deutschland ist aus es überlagert sich. Das stellt Chancen für unsere dieser Katastrophe herausgekommen, weil es gewußt Nachbarn und damit für uns selbst dar. Deshalb sind hat, daß es neben der europäischen Einbettung als die Äußerungen mancher Gruppen, die den Deut- unabdingbare Voraussetzung für die Sicherheit un- schen einreden wollen, daß nationale Lösungen bes- seres Landes einen Bezug - wie auch jüngste Krisen ser seien, so abwegig. gezeigt haben - zur amerikanischen Führungsmacht halten muß. (Jörg van Essen [F.D.P.]: Genau richtig! Genau das!) Wir sind, meine Kolleginnen und Kollegen von den Wenn unsere Nachbarn keine Chancen zu ökono- Grünen, nicht so etwas wie eine größere Schweiz in mischer Stabilität haben, dann sind auch unsere öko- der Mitte Europas, die sich aus allem heraushalten - nomische Stabilität und unsere Wertestabilität nicht könnte. Als Nation sind wir am dringendsten dazu mehr gesichert. Nur wenn andere Lebenszuverischt verpflichtet, daß andere Vertrauen in uns haben, und bekommen, haben auch wir in Deutschland Chan- die dürfen wir nicht irritieren. cen. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) ten der CDU/CSU) Das geht weit über die Beantwortung der Frage nach Das ist eine herausragende politische Überzeugungs- der Zugehörigkeit zur NATO hinaus. aufgabe für jede der Parteien, die in Deutschland an- tritt, Verantwortung zu übernehmen. Wir wissen, daß die Chancen für die Schaffung ei- ner dauerhaften europäischen Friedensordnung jetzt Wir heißen - das sage ich für meine Kolleginnen vielversprechend sind. Aber Sicherheit und Stabilität und Kollegen von der F.D.P. - unsere Nachbarn aus in Europa kommen nicht von ungefähr. Sie kommen Polen, aus Tschechien und aus Ungarn in der Vertei- nicht von Enthaltungen; sie kommen nur von klaren digungsgemeinschaft herzlich willkommen. Wir Entscheidungen. Den Aufbau dieser künftigen Frie- freuen uns auf die Zusammenarbeit mit ihnen. densgemeinschaft schaffen wir nur mit der Europäi- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne schen Union, mit ihren Erweiterungsmöglichkeiten, ten der CDU/CSU) -notwendigkeiten und -chancen. Wir schaffen ihn nur mit der Atlantischen Allianz. Wir schaffen ihn Wir wollen, daß sie Sicherheit bekommen. nur mit der Westeuropäischen Union, und wir schaf- Niemand anders als der Kollege Alfred Dregger, fen ihn nur mit der Organisation für Sicherheit und ein Vertreter der Kriegsgeneration, hätte uns heute Zusammenarbeit in Europa. morgen besser in Erinnerung rufen können, was diese Entwicklung für jemanden bedeutet, der in die- Alle diese Einrichtungen mußten in der deutschen sem Jahrhundert den anderen noch als Soldat gegen- Politik streitig erkämpft werden. Denken Sie an die übergestanden hat. NATO-Entscheidung und auch an die OSZE-Ent- scheidung. Wer erinnert sich denn noch an die Aus- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne einandersetzung über die Frage, ob man an der ten der CDU/CSU - Dr. Renate Hellwig KSZE teilnehmen sollte und ob sie denn überhaupt [CDU/CSU]: Sehr wahr!) 20444 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Dr. Wolfgang Gerhardt Manchmal mag man gar nicht ermessen - hierzu Wir wollen unserem europäischen Nachbarn Ruß- werden bei den Grünen viele Diskussionen geführt -, land klar signalisieren, daß wir nicht nur in der daß das nahezu völlig ausgeblendet wird. Wir müs- NATO-Rußland-Akte eine dauerhafte Sicherheits- sen wieder vermitteln, daß Frieden nicht beliebig ist, partnerschaft angelegt haben. Das ist für uns nicht sondern daß er täglich erstritten werden muß der Abschluß, das ist der Beginn. Es geht ja nicht nur um die klassischen Fragen der Abrüstung, der Rü- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne stungskontrolle und der Nichtweiterverbreitung; es ten der CDU/CSU) geht auch um Fragen engerer Zusammenarbeit, und und daß man dieses Wo rt nicht nur in gesinnungs- zwar nicht nur bei den Themen Katastrophenein- ethischer Absicht auf ein Transparent schreiben sätze, Umweltschutz und gemeinsame Schulung von kann, sondern daß klare politische Entscheidungen, Soldaten. Im übrigen wird diese kooperative Sicher- verbunden mit Verantwortung und schwierigen Di- heit in Bosnien erfolgreich praktiziert. Wir sind mit mensionen, zu dem geführt haben, was heute ist. deutschen Soldaten do rt, genauso wie unser Nachbar Rußland mit russischen Soldaten do rt ist. Herr Kollege Dregger, es ist völlig richtig, was Sie gesagt haben. Ich erinnere mich an die leidenschaft- Nichts prägt die Fähigkeit zur Vertrauensbildung lichen Diskussionen zum NATO-Doppelbeschluß, an mehr als die konkrete Tat in gemeinsamer sicher- die Voraussagen, daß dieser jede Friedensabsicht in heitspolitischer Zusammenarbeit. Das ist einer der Europa zerstören werde, an die Weissagung, der wichtigsten Punkte. Doppelbeschluß bedeute das Ende der Entspan- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne nungspolitik, an die Beschimpfung derer, die ihn ver- ten der CDU/CSU) treten haben, sie seien nicht so f riedliebend wie die anderen, die ihn bekämpft haben. Diejenigen, die Deshalb müssen wir unseren europäischen Nachbarn ihn vertreten haben, haben wahrscheinlich einen Rußland als selbstbewußten Nachbarn empfinden. mindestens genauso verantwortungsvollen Beitrag Unser vorrangiges Ziel ist nicht, dieses Land irgend- zum Frieden in Europa, geleistet; sie sind sogar den wie zu bedrohen. Unser vorrangiges Ziel ist, daß schwierigeren Weg zum Frieden in Europa gegangen Rußland europäische Orientierung findet und seinen als diejenigen, die nur Transparente vorgezeigt ha- demokratischen Reformprozeß verstärken kann. ben. Dazu ist es notwendig, daß Rußland zu uns Vertrauen hat. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) Ich sage es so wörtlich, wie ich es meine: Rußland muß sich auf uns verlassen können, und Rußland Die Öffnung der NATO soll zu keinem neuen Wett- kann sich auf uns verlassen. Wir haben ein massives rüsten in Europa führen. Die NATO hat darauf ver- Interesse am ökonomischen Fortschritt, an menschli- keine zichtet und klar erklärt, daß do rt Nuklearwaf- chen Zukunftschancen und an friedlicher und unge- fen stationiert werden. Das war ein wichtiges Signal; störter Nachbarschaft mit diesem großen und großar- - wir brauchen nämlich über die Mitgliedschaft dieser tigen Land, mit dem uns in der Geschichte viel ver- Länder in der NATO vertrauensbildende Signale an bindet. andere, die jetzt noch nicht im Eintrittsprozeß begrif- fen sind. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Wir begreifen das als neue Chance, in Zukunft Meine Damen und Herren, die NATO ist und bleibt weitere Abrüstungsschritte in Europa zu vereinba- der Sicherheitsanker Europas. Sie ist die kollektive ren. Aber wir sagen auch allen: Es kann kein Land Verteidigungsversicherung der Demokratien in Eu- über das Sicherheitsinteresse eines anderen Landes ropa. Ich kann mir gegenwärtig kein anderes Ge- bestimmen. Jedes Land kann nur sein eigenes Si- bäude vorstellen, das sie ablösen könnte, das sie cherheitsbedürfnis bekunden. transformieren könnte, das an ihre Stelle gesetzt wer- den und besser sein könnte. Deshalb sind die Gedan- Wir wollen mit unserem europäischen Nachbar- kenspielereien der Ablösung, des Ausscheidens, der fair umgehen. Wir erwarten aber, daß land Rußland Zeithorizonte so absurd für die deutsche Politik. Au- unsere russischen Kolleginnen und Kollegen respek- ßenpolitische Spielchen sollten sich die Deutschen tieren, daß über das Sicherheitsbedürfnis der Ungarn am allerwenigsten von allen Völkern der Welt lei- die Ungarn, über das Sicherheitsbedürfnis der Polen sten. die Polen und über das Sicherheitsbedürfnis Tsche- chiens die Tschechen entscheiden und niemand an- Deshalb ist die NATO nichts Beliebiges, nichts, ders. was man einfach zur Disposition stellen könnte. Die Allianz ist heute bereits der Motor für die breitange- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) legte Friedensbewegung in Europa. Sie ist eine Für die F.D.P. und für uns alle habe ich ein massi- Chance. Die Öffnung und die Reform der NATO be- ves Interesse an den baltischen Staaten bekundet. deuten mehr Sicherheit für alle, einschließlich Ruß- Ich sage das genauso symbolisch wie unser Kollege land. Verheugen: Das Sicherheitsbedürfnis eines Landes Wenn wir es mit der historischen Chance der end- wird von dem Land, das das Sicherheitsbedürfnis ar- gültigen Überwindung der Teilung unseres Konti- tikuliert, bestimmt und von niemand anderem. nents wirklich ernst meinen, müssen wir die Öffnung (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne der NATO und im übrigen auch die Öffnung der ten der CDU/CSU) Europäischen Union konsequent vorantreiben. Die Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20445

Dr. Wolfgang Gerhardt Westeuropäische Union ist aus ihrem Schattendasein Es wirft, finde ich, ein bezeichnendes Licht auf Ihr aufgeweckt worden, sie ist und kann der Kern für Demokratieverständnis, wenn Sie, falls jemand ande- eine zukünftige europäische Verteidigung sein. Bei- rer Meinung ist, den Respekt gegenüber der anderen des - Reform und Öffnung der NATO und Ausbau Meinung verlieren. Das ist Ihr Problem, nicht unser der WEU - werden zu einer effektiveren Prävention Problem. und Eindämmung von Konflikten führen. Die Orga- (Beifall bei der PDS) nisation für Sicherheit und Zusammenarbeit bleibt der umfassende Rahmen für europäische Anstren- Da Sie allenthalben die NATO-Erweiterung in ei- gungen. Alle zusammen sind Kernelemente einer nem Zusammenhang mit der EU-Erweiterung brin- großen Friedensordnung. gen, will ich gleich betonen: Wir sind sehr wohl da- für, daß weitere ost- und mitteleuropäische Staaten in Wir haben als Freie Demokraten an dieser Archi- die EU aufgenommen werden. Es ist aber einfach tektur mitgearbeitet. Wir haben schwierige Situatio- nicht nachvollziehbar, wieso Sie ununterbrochen ei- nen bestehen müssen. Wir haben auch schwierige nen zwingenden Zusammenhang zwischen militäri- Abstimmungen hinter uns gebracht. Wir wollen alles scher Kooperation und politischer, kultureller und daransetzen, daß dieser Weg erfolgreich weiterge- wirtschaftlicher Kooperation sehen wollen. gangen werden kann: zu einem vereinten Europa, das gemeinsam Verantwortung für Frieden und Frei- (Beifall bei der PDS) heit trägt. Zu dieser Politik gibt es keine Alternative. Sie stellen diesen Zusammenhang her, weil Sie sich es andere ist abwegig. All nichts anderes als eine militärische Integration vor- Deutschland muß wissen, wie es Vertrauen aus- stellen können. Herr Dr. Gerhardt, Sie können sich strahlt. Deutschland muß wissen, wo sein Standort gedanklich nichts anderes vorstellen, weil Sie poli- ist. Deutschland muß wissen, wer seine Verbündeten tisch nichts anderes wollen, als Sie heute hier be- sind. Deutschland muß seinen Verbündeten Bündnis- schließen. bereitschaft signalisieren, weil es sonst seine politi- (Lachen bei der F. D. P. - Dr. Wolfgang Ger sche Rolle als Land, auf das sich auch viele Erwartun- hardt [F.D.P.]: Das ist klar! - Dr. Hermann gen richten, nicht dauerhaft und beständig spielen Otto Solms [F.D.P.]: Das ist das, was wir wol kann. len!) Deshalb muß es in Deutschland Kräfte geben, die Mir fällt es demzufolge etwas schwer, das Pathos in das wissen, die unsere Lage kennen, die die Ge- diesen heutigen Äußerungen nachzuvollziehen, zu- schichte des Landes beachten und die daraus ihre mal die eigentliche Entscheidung nicht hier fällt, son- Lehren für die Zukunft ziehen. Das wird die Freie dern an anderen Orten längst gefallen ist. Die Demokratische Partei im Abstimmungsverhalten in NATO-Ostausdehnung wird kommen, es wird auch Kenntnis all dieser Fakten nachher so tun. weitere Erweiterungsrunden geben. Wir stimmen der Osterweiterung der NATO aus - Ich will noch einmal kurz unsere Positionen zusam- tiefen sicherheitspolitischen, europapolitischen und menfassen. Erstens. Wir hielten und halten die OSZE deutschlandpolitischen Erwägungen zu. für die geeignete Organisation zur Schaffung einer (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) neuen Friedensarchitektur in Europa. Die NATO ist und bleibt ein Militärbündnis, das zunehmend welt- weit interveniert, das die nukleare Erstschlagsdoktrin Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat die nicht aufzugeben bereit ist, ein Militärbündnis mit ei- Abgeordnete Andrea Gysi, PDS. ner anderen als auf politischen Dialog orientierten Philosophie. Eine dialogorientierte Philosophie ist aber die Voraussetzung für die Zivilisierung interna- Andrea Gysi (PDS): Frau Präsidentin! Meine Da- tionaler Beziehungen, und sie hätte in der und über men und Herren! Ich möchte eine Vorbemerkung die OSZE gestärkt, weiterentwickelt und gefördert machen, gerichtet an Dr. Bielecki, den Vorsitzenden werden können. des Auswärtigen Ausschusses in Polen. Weil hier in verschiedenen Redebeiträgen ziemlich polemische Zweitens. Wir sehen weiterhin die Gefahr einer Unterstellungen gefallen sind, ist es mir ein Anlie- Spaltung Europas. Ausgerechnet nach dem Ende der gen, zu betonen, Blockkonfrontation zwischen Ost und West bedeutet dies das Vertun einer einmaligen Chance. Der Gra- (Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: ben verläuft nun weiter östlich als früher, wird aber Stimmen Sie doch einfach zu! Dann brau nicht weniger tief sein, wenn die Planungen weiter chen Sie gar nicht so lange zu reden!) so verfolgt werden, wie sie jetzt diskutiert werden. daß wir selbstverständlich die Entscheidungen ande- Bei aller Euphorie über die Zusammenarbeit mit rer Völker, anderer Staaten, anderer Regierungen re- Rußland im NATO-Rußland-Rat oder auch in Bos- spektieren. nien-Herzegowina: Der Dissens über die Ausweitung (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Warum der NATO wird bleiben und die Beziehungen zu stimmen Sie dann nicht zu?) Rußland immer wieder auf harte Proben stellen. Die- ses Risiko bewußt in Kauf zu nehmen tragen wir je- Dennoch vertreten wir eine eigene Meinung, die ich denfalls nicht mit, um so mehr, als die Diskussionen nachfolgend begründen werde. um die nächsten Länder, die in die NATO aufgenom- 20446 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Andrea Gysi men werden sollen, diesen Dissens mit Rußland noch tet. Jede Erweiterungsrunde wird immer wieder eine verschärfen werden. vorübergehende Festschreibung einer Spaltung zwi- schen Nichtmitglied und Mitglied sein und damit Drittens. Die Grundakte zwischen NATO und Ruß- auch eine Gefährdung europäischer Sicherheit. land ist nicht nur nicht ausreichend, um diese Be- fürchtungen auszuräumen, sondern sie wird schon Wir hoffen sehr, daß im Nachgang zu dieser Ent- jetzt von der NATO unterlaufen. Das gilt insbeson- scheidung zumindest Bemühungen zum Thema dere im Hinblick auf die so dringend erforderlichen „Atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa" aufgegrif- konventionellen Abrüstungsschritte in Europa und fen werden und solche Fragen hier in einer anderen hinsichtlich der nuklearen Abrüstung. Weise debattiert werden, als es zu diesem Thema der Fall war. Das Verhalten der NATO-Staaten, insbesondere (Beifall bei der PDS) der USA, wird wohl kaum Anlaß für Rußland sein, selbst abzurüsten. Nach wie vor stehen Pläne der Amerikaner auf der Tagesordnung, die KSE-Ver- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile jetzt handlungen durch Vorschläge zu torpedieren, wo- dem Bundesminister der Verteidigung, Volker Rühe, nach die Obergrenzen durch ausländische Truppen das Wort. erhöht werden. Dies wie auch die Entwicklung einer neuen Wasserstoffbombe ist unter diesem Punkt ein- Volker Rühe, Bundesminister der Verteidigung: zuordnen. Wohlweislich hat man beim Thema Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Atomwaffen" keinerlei Verbindlichkeit in die Am Vorabend der Gründung der NATO, am 3. April NATO-Rußland-Grundakte Eingang finden lassen. 1949, versammelten sich Präsident Truman, sein Au- Fazit: Die NATO-Osterweiterung bringt offenkundig ßenminister Dean Acheson und die Führer der neuen mehr statt weniger Militär, mehr statt weniger Waf- Allianz im Weißen Haus. Damals erklärte der ameri- fen. kanische Präsident: Ohne die Integration Deutsch- lands in die NATO wird es keine Sicherheit und Sta- Viertens. Die aufgenommenen Länder werden die bilität für Europa geben. Die Integration Deutsch- Aufnahme in die NATO mit einem hohen Preis für lands in die westlichen Institutionen sei zwingend für die Bevölkerung bezahlen müssen. Die Anpassung die Entwicklung der deutschen Demokratie und für der Armeen an den NATO-Standard kostet Geld. Ich die wirtschaftliche Gesundung. glaube, etwaige Rüstungsaufträge werden wohl eher an westliche Firmen gehen denn an polnische, unga- 33 Jahre später, am 10. Juni 1982, hatte ein NATO- rische oder tschechische. Die Ressourcen, die dabei Gipfel in Bonn die wichtige Frage zu beantworten: draufgehen, sollten besser für eine europäische Inte- Wie können wir Spanien nach Franco demokratisch gration im Rahmen der EU verwendet werden. Wenn und ökonomisch stabilisieren? Die Antwort war klar: man die Belastungen, die in diesem Punkt noch auf durch Integration in die NATO und in die Europäi- diese Länder zukommen, betrachtet, dann muß das sche Union. erschrecken. - Heute verfolgen wir mit der Integration Polens, Un- Fünftens. Es gibt manche, die ganz listig meinen, garns und der Tschechischen Republik diese bewähr- die NATO würde sich zu einer Art anderen OSZE ten Grundsätze einer historisch bewäh rten Politik. entwickeln, wenn ganz viele Staaten und letztlich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. auch Rußland aufgenommen würden. Diejenigen, sowie bei Abgeordneten der SPD) die mit dieser Argumentation und Illusion zustimmen wollen, sollten wenigstens zur Kenntnis nehmen, daß Ich habe die Öffnung der Atlantischen Allianz von die NATO-Staaten tunlichst darauf bedacht sind, Anfang an als die richtige und notwendige Antwort Konflikte in den eigenen Reihen möglichst nicht zu- auf das legitime Begehren unserer Nachbarn gese- zulassen, militärisch stark und geschlossen nach au- hen, dazugehören zu wollen. Wenn Sie nach einem ßen gegenüber Dritten aufzutreten, also nicht etwa Schlüsselbegriff fragen: Das ist nicht „Erweiterung" eine Wandlung der NATO in Kauf zu nehmen, die sie oder „Expansion". Es geht darum, dazuzugehören - zu einer wirklich politischen, auf Konsens hinarbei- „to belong". Das ist das zentrale Anliegen: Teil der tenden Organisation macht, also zu einem echten Sy- westlichen Gemeinschaft zu werden, aus politischen, stem gegenseitiger kollektiver Sicherheit. moralischen und strategischen Gründen. Weil all das von der NATO nicht gewollt wird, ist Herr Kollege Fischer, wenn Sie hier sprechen, er- eine Aufforderung an Rußland zum Beitritt ausge- lauben Sie sich ja immer auch, ganz direkt den Bun- blieben. Deshalb war auch das Baltikum in der ersten deskanzler und andere anzusprechen. Deswegen Runde nicht dabei, obgleich sich dessen Sicherheits- darf ich Sie vielleicht einen Augenblick um Ihre ge- interessen von denen Polens oder gar schätzte Aufmerksamkeit bitten. nicht grundlegend unterscheiden. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Wir bleiben deshalb bei unserem Nein. Wir halten DIE GRÜNEN]: Aber selbstverständlich, auch das „Weiter so" für die Fortsetzung eines fal- Herr Verteidigungsminister!) schen Weges. Wir sind nach wie vor der Meinung, Es geht darum, die Stalinsche Teilung Europas zu daß das Prinzip „OSZE first" gelten sollte. Das ist überwinden. hier einmal vom Außenminister verkündet worden. Selber aber hat er diese Parole nicht ganz ernstge- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ nommen, auch wenn man seine Rede heute betrach DIE GRÜNEN]: Richtig!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20447

Bundesminister Volker Rühe Wer dabei abseits steht, der darf niemals politische men, wenn in diesen Grundsatzfragen ein falscher Verantwortung in diesem Lande tragen. Kurs gesteuert wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deswegen ist es ein historischer und moralischer Skan- In Westeuropa hat sich durch Integration und trans- dal, wenn man sich in einer solchen Frage enthält. atlantische Bindung ein Stabilitätsraum gebildet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Da ist und der F.D.P. - Joseph Fischer [Frankfu rt] dann nach den Wahlen die CDU als zweit [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber daß Sie stärkste Partei gefragt!) mich deswegen unterbrechen, das war nicht nötig!) - Nein, gefragt sind in erster Linie Sie: um aufzuklä- ren und zu verdeutlichen. Denn in Wirklichkeit kann Zu sagen, es sei Quatsch, daß sich hier die Frage Herr Schröder nur mit Hilfe der Grünen Kanzler wer- der Regierungsfähigkeit stellt, wirft ein bezeichnen- den. Anders geht es ja gar nicht. des Licht auf Sie. Sehen Sie: Man ist in seiner Partei nicht immer auf der Mehrheitsseite. Man kann auch (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ einmal unterliegen. Aber den zentralen Fragen muß DIE GRÜNEN]: Sie sind wenigstens noch man sich stellen. Wo waren Sie denn, als es in Mag- optimistisch!) deburg um den Bosnien-Einsatz ging? - Das ist so. - Deswegen nutzt es gar nichts, sich da- (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Sehr wahr!) von zu distanzieren. Wir werden das im übrigen zu verhindern wissen. Denn das würde unsere Nach- Sie haben sich der Debatte nicht gestellt. Da müssen barn auf das tiefste beunruhigen. Sie Ihre Autorität, wenn Sie sie denn haben, auch einmal einbringen, kämpfen und sagen: Hier stehe (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - ich; ich kann nicht anders. Entweder gelingt es mir, Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ den richtigen Kurs durchzusetzen, oder ich ziehe die DIE GRÜNEN]: Volker Rühe gibt uns Hoff- Konsequenzen. - Dann würden Sie endlich einmal nung! Auf den Verteidigungsminister ist glaubwürdig sein. Verlaß! Der einzige, der noch optimistisch in die Zukunft blickt! - Walter Kolbow (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) [SPD]: Das ist doch gar nicht Ihr Interesse!) Die Abmahnung, die Ihnen Herr Verheugen hier ge- Jetzt würde ich gerne noch ein bißchen meiner au- geben hat, war völlig richtig. ßenpolitischen Leidenschaft nachgehen. Vielleicht Warum beziehe ich mich auf die Haltung der Grü- darf ich auch einmal sagen: Ich freue mich über den nen? - Sie haben in der Vergangenheit die NATO be- großen Konsens. Es waren ja nicht immer alle der kämpft. Meinung, daß dieses Vorgehen richtig war. Deswe- gen möchte ich an dieser Stelle einmal (Joachim Hörster [CDU/CSU]: So ist es!) - ein großes Kompliment machen. - Ja, so ist es. Das war ein großer Fehler. Denn wenn (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU wir dieser Position gefolgt wären, hätten wir keine und der F.D.P. - Dr. Renate Hellwig [CDU/ Wiedervereinigung und hätten wir gar nicht die CSU]: Ein Einsamer in seiner Partei!) Chance der Freiheit für Polen und andere Staaten ge- habt. Und nachdem Sie mit der Bekämpfung der Herr Verheugen, ich habe Ihre Reden noch in Erinne- NATO einen alten Fehler gemacht haben, bekämp- rung. fen Sie jetzt die Öffnung der NATO und begehen gleich einen zweiten Fehler. (Günter Verheugen [SPD]: Zur NATO?) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) - Ja, natürlich, aber ich will Sie jetzt nicht gegenein- ander ausspielen. Das bleibt so lange ein Problem Ihrer Partei, wie Sie sich nicht von Ihren alten Fehlern lösen. Wir ha- (Günter Verheugen [SPD]: Können Sie ben verfolgt, welche Leute für die Grünen in den gern! Davon habe ich kein Wort zurückzu Bundestag kommen werden: Ströbele und andere. nehmen!) Das ist ein moralischer Skandal. Denn die haben im- Ich möchte wirklich ehrlich sagen: Karsten Voigt ge- mer noch nicht begriffen, daß es zwar genug Bei- bührt ein großes Verdienst. Er hat in einer Zeit, als spiele in der Geschichte gibt, die zeigen, daß es un- um Deutschland herum viele Parteien völlig das Ver- moralisch war, Soldaten einzusetzen, aber daß es zu- trauen in die Außenpolitik der Sozialdemokratie ver- tiefst unmoralisch gewesen wäre, wenn wir die deut- loren hatten, den Menschen Hoffnung gegeben. Er schen Soldaten nicht in Bosnien eingesetzt hätten. hat ein großes Verdienst daran, daß es heute im (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Deutschen Bundestag einen großen Konsens gibt. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Dr. Renate Hellwig [CDU/CSU]: Sehr Eine Partei, die das nicht begreift, kann vielleicht auf wahr!) Zeit in der einen oder anderen Kommune regieren - Vielen Dank für diesen Einsatz! das schadet zwar der Kommune, aber die meisten überleben das -, aber sie darf niemals in Deutschland (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. politische Verantwortung in der Führung überneh sowie bei Abgeordneten der SPD) 20448 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Bundesminister Volker Rühe Auch wenn Sie das nicht wissen und dafür nicht zug auf die NATO auf eine falsche Position eingelas- dankbar sind: Er hat viel für Sie geleistet. Sie haben sen haben, sind Sie heute unfähig, an der Friedens- ihn zwar bei der Gelegenheit um seine Karriere ge- ordnung des 21. Jahrhunderts mitzuwirken. bracht, (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ (Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist ja Quatsch!) DIE GRÜNEN]: Aha! Da ballt er das Fäust chen! ) aber die Polen, Ungarn und Tschechen wissen, was er für sie geleistet hat. Meine Damen und Herren, es ist hier zu Recht dar- auf hingewiesen worden, daß es keine deutsche Ein- (Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ heit ohne den mutigen Einsatz von Polen, Ungarn und CSU]: So ist es! - Dr. Peter Struck [SPD]: Tschechen, als es darum ging, die Freiheit für Europa Quatsch!) zu erkämpfen, gegeben hätte. Es ist auch in völlig - Außer „Quatsch" fällt Ihnen nicht mehr viel ein. richtiger Weise gesagt worden, daß die Öffnung der NATO auch durch eine neue Sicherheitspartnerschaft Unsere Nachbarn nehmen in Anspruch, was als po- mit Rußland und der Ukraine ausbalanciert wird. litisches Grundrecht in Europa anerkannt ist: das Recht auf freie Bündniswahl. Polen, die Tschechische (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Republik und Ungarn erfüllen als demokratische, frei- DIE GRÜNEN]: Ich bin von Volker Rühe heitlich-rechtsstaatliche europäische Staaten alle Vor- fasziniert!) aussetzungen für einen Beitritt. Sie haben das in den Wer angesichts der leidvollen Geschichte, die hin- Beitrittsgesprächen überzeugend nachgewiesen. Wir ter uns liegt, am Ende dieses Jahrhunderts dafür kein haben ja auch deutlich gemacht: Investitionen in Hu- Gefühl hat und wer meint, daß es sich bei solchen mankapital haben Vorrang vor Rüstungsprogrammen. Debatten um irgendeine Debatte handele, von der Im übrigen möchte ich sagen: Das Bündnis wird nicht man einfach weggehen könne - beispielsweise in von Waffensystemen zusammengehalten. Wenn das Magdeburg, als dort eine falsche Entscheidung ge- richtig wäre, daß Bündnisse allein von Waffen zusam- troffen wurde -, der irrt. Vor jeder Fernsehkamera ist mengehalten werden, dann gäbe es heute noch den ja Herr Fischer zu finden. Aber wenn es darum geht, Warschauer Pakt. Er hatte nämlich ausgezeichnete in seiner Partei um die Mehrheit für eine richtige Waffen - und davon sehr viele. Politik zu kämpfen, wird er nicht gesehen. Da kann ich nur sagen: erbärmlich! (Brigitte. Schulte [Hameln] [SPD]: Viel mehr als wir!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Er ist aber untergegangen; es gibt nur noch die ordneten der F.D.P.) NATO. Das sollten wir nie vergessen, wenn manche Zurück zu dem Signal für unser Vertrauen in eine in der Debatte über die Kosten solche Horrorrech- gemeinsame Zukunft: Der polnische Außenminister nungen aufmachen. - Geremek, den ich sehr schätze - - Die Bundeswehr engagiert sich wie keine zweite (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Armee - das wird von vielen noch unterschätzt - darin, DIE GRÜNEN]: Jetzt müssen Sie es aber die Streitkräfte unserer östlichen Nachbarn durch in- noch mal sagen!) tensive Zusammenarbeit in das Bündnis hineinzufüh- ren. Die Integration einer dänischen, polnischen und - Ja, das ist einer der peinlichsten Tage für Sie, Herr deutschen Division in einen gemeinsamen Korpsver- Fischer; das ist überhaupt keine Frage. Wer nicht in band, der 1999 in Stettin in Dienst gestellt werden der Lage ist, in einer der Schicksalsfragen unseres wird, ist ein besonderes Zeichen für das Vertrauen in Volkes die eigene Partei von einem schrecklichen Irr- die Bundeswehr und in unser Land, das hier gewach- weg abzubringen, der ist politisch gescheitert. Und sen ist. Das würde ich ganz hoch einschätzen. das spüren Sie auch; deswegen sind Sie so unruhig. Wir werden am 22. August, zunächst auf der polni- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schen Seite, in Gubin, ein öffentliches Gelöbnis veran- Jetzt darf ich Sie ein wenig um Ruhe bitten, Herr Fi- stalten, an dem ein deutscher Verband teilnehmen wird. Wir werden danach gemeinsam auf die deutsche scher. Seite herübergehen und do rt ein öffentliches Gelöbnis (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ von Rekruten durchführen. Vorher wird es eine DIE GRÜNEN]: Jetzt müssen Sie es noch Übung im gemeinsamen Katastropheneinsatz geben. mal wiederholen! Damit es auch der letzte Herr Fischer, wer von solchen Dingen nicht faszi- hört!) niert ist und sie nicht aus vollem Herzen unterstützt - Machen Sie ruhig weiter so! Das zeigt jedermann und wem nicht klar ist, daß hier die Ordnung des Ihren Zustand. 21. Jahrhunderts geschaffen wird, der kann mir nur leid tun. Das muß ich Ihnen einmal sagen. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) - Doch! Wenn Sie und Ihre Partei nicht begreifen, um welche faszinierenden Vorgänge es sich hier handelt, dann (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ zeigt sich darin, daß Sie mindestens 50 Jahre hinter DIE GRÜNEN]: Es zeigt Ihren Zustand! - der Geschichte herhinken. Weil Sie sich einmal in be Zurufe von der SPD) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20449

Bundesminister Volker Rühe Der polnische Außenminister Geremek - vielleicht letzten hundert Jahre für die europäische Stabilität hören Sie einen Augenblick zu -, dessen Leben Leid insgesamt von zentraler Bedeutung ist. Ich mache und Tragik, aber auch den Aufbruch des polnischen gar keinen Hehl daraus, daß jeder von uns, der sich Volkes in ganz besonderer Weise widerspiegelt, hat damit beschäftigt hat, weiß, daß dies auch einer der am 19. Dezember 1997 hier in Bonn auf der Veran- Gründe für die Entscheidung der USA und anderer staltung, zu der uns der polnische Botschafter in, wie Partner war, für die NATO-Osterweiterung zu sein. ich finde, sehr eindrucksvoller Weise alle eingeladen Ihr Motiv war nicht nur der Wunsch der Ost- und hatte, um den Beschluß der NATO-Gremien mitein- Mitteleuropäer nach Beitritt. ander zu feiern, sehr bewegende Worte gefunden. Der Beitritt zum Bündnis sei für Polen von größter Die positive Wirkung der NATO-Osterweiterung historischer Tragweite. Was ihn aber noch mehr be- wird durch den gleichzeitigen Ausbau der kooperati- rühre, sei das Wunder der deutsch-polnischen Ver- ven Beziehungen zu Rußland mit der NATO-Ruß- ständigung, das nun auch dadurch manifestiert land-Akte, durch die Vereinbarung mit der Ukraine werde, daß Polen und Deutsche Verbündete in der- und auch durch den erneut bestätigten Verbleib der selben Allianz würden. USA in Europa zusätzlich unterstrichen. Insofern ist es für mich schon ein wenig amüsant - in mancherlei (Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS]: Gegen wen? - Hinsicht gegenüber den großartigen Ansprüchen des Gegenruf von der SPD: Blödsinn!) US-Senats auch ein bißchen von einer ironischen Be- All dies werde ganz besonders bewegend in der Inte- deutung -, daß wir vor dem US-Senat unsere heutige gration deutscher und polnischer Streitkräfte in einen Entscheidung treffen werden, weil der US-Senat in Verband sichtbar. einer für die USA nicht sehr untypischen Weise der Vermischung von Innen- und Außenpolitik sowie (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Darum hat Außen- und Parteipolitik seine Entscheidung ver- sich aber als erster geküm schoben hat. Leider ist solch eine Vermischung, wie mert, nicht die CDU/CSU! Willy Brandt wir jetzt in der Debatte erlebt haben, auch für 1970! Daran wollen wir einmal erinnern!) Deutschland nicht ganz unbekannt. Die militärische Integration sei ein besonderer Aus- Ich bin dabei bei einem innenpolitischen Aspekt - druck freiwilliger, gegenseitiger Abhängigkeit und wir wollen dem als Sozialdemokraten gar nicht aus- gemeinsamer Verantwortung. Sie zeige, wie eng und weichen -, dem der Grünen. Herr Rühe hat Kritik unauflöslich wir unser Schicksal miteinander verbin- daran geübt, daß die Grünen in dieser Frage gespal- den. - Ich denke, dem ist nichts hinzuzufügen. Das ten sind. In Wirklichkeit ist die Enthaltung der Mehr- zeigt, daß Deutsche und Polen gemeinsam die heit der Grünen - die ich in der Sache für völlig un- Sicherheitsordnung des 21. Jahrhunderts gestalten befriedigend halte - gegenüber ihren früheren Ver- werden. haltensweisen in solchen Fragen ein Fortschritt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. - sowie bei Abgeordneten der SPD) [CDU/CSU]: Aber ein sehr begrenzter! - Joseph Fischer [Frank Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat furt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich darf jetzt der Abgeordnete Karsten Voigt, SPD-Fraktion. an die Geschlossenheit der Union bei den Ostverträgen erinnern! „So nicht und jetzt nicht! ") Karsten D. Voigt (Frankfurt) (SPD): Frau Präsiden- tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die - Es geht noch weiter. heutige Abstimmung zur Osterweiterung der NATO ist - das haben verschiedene Redner bereits gesagt - Erst recht ist es ein Fortschritt, wenn eine relevante eine der wichtigsten außen-, sicherheits- und letzt- Minderheit der Grünen in dieser Frage zustimmen endlich auch europapolitischen Entscheidungen, die wird. Beides sollte man positiv vermerken. Ich füge dieser Bundestag je zu treffen hatte. gleichzeitig hinzu: Es reicht nicht aus. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Historisch gesehen garantiert die Osterweiterung Denn es wird sich herausstellen, daß die Minderheit der NATO einen vertraglich abgesicherten Gleich- der Grünen in dieser Frage, auf Dauer gesehen, recht klang unserer sicherheitspolitischen Interessen mit hatte, parteipolitisch recht hatte, aber außen-, sicher- unseren westlichen und östlichen Nachbarn zu- heits- und europapolitisch ebenfalls recht hatte, wie gleich. Dies bewirkt die positivste sicherheitspoliti- übrigens die Minderheit bei der CDU/CSU, die in sche Lage für Deutschland seit Hunderten von Jah- den 70er Jahren den Ostverträgen zustimmte, darun- ren. ter der Kollege Hornhues, der sich noch unter uns be- findet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Das ist aber auch zugleich eine stabile Grundlage DIE GRÜNEN) für dauerhafte freundschaftliche Beziehungen - Da fehlt jetzt Ihr Beifall. Deutschlands zu allen seinen Nachbarn; eine Per- spektive, die nicht nur für Deutschland und seine (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Nachbarn, sondern angesichts der Geschichte der DIE GRÜNEN]: Richard von Weizsäcker!) 20450 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Karsten D. Voigt (Frankfurt) Die damalige Führung der CDU/CSU hatte sich Das wissen übrigens auch die meisten Grünen. Das bei der KSZE und bei den Ostverträgen in eine Sack- gilt übrigens nicht nur für die NATO- und die EU- gasse verirrt. Ich sage das ohne Polemik, weil Alfred Mitgliedschaft, sondern auch für eine konstruktive Dregger in seiner Rede zu Recht darauf hingewiesen Politik in der NATO und in der EU. hat, daß uns in den 50er und den 80er Jahren ähnli- Wir verabschieden heute einen Antrag - der ur- ches passiert ist. sprünglich von der SPD kommt, aber das ist nicht so Wichtig ist aber nicht, daß sich hier und do rt ein- entscheidend -, in dem steht, daß wir für die Fortset- mal die Opposition in eine Sackgasse verirrt; wichtig zung der NATO-Osterweiterung sind. Nach unserem ist, daß Oppositionsparteien, die an die Regierung Willen soll 1999 die nächste Phase beginnen. Das be- wollen, aus dieser Sackgasse herauskommen müs- deutet: Eine künftige deutsche Regierung bzw. Re- sen, weil sie sonst tatsächlich nicht regierungsfähig gierungskoalition hätte sich auch mit dieser Frage zu sind. beschäftigen. Das bedeutet: Die Grünen müssen wis- sen, daß eine Koalition mit uns nicht nur für die (Beifall bei der SPD) NATO sein muß, sondern auch für eine weitere Öff- Denn Deutschland ist zu groß, ist zu wichtig und hat nung der NATO in Zukunft eintreten muß. zu viele Nachbarn, als daß wir - erst recht vor dem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Hintergrund unserer Geschichte - eine Politik betrei- ten der CDU/CSU) ben könnten, die uns in einen unmittelbaren Gegen- satz zu all unseren Nachbarn in Ost und West treiben Es steht ja in diesem Spätsommer nicht nur die Ent- würde. scheidung über eine Fortsetzung des Bosnien-Ein- satzes selbst an, sondern so, wie die Lage in Bosnien (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ist, müßte jede Regierungskoalition, wie auch immer ten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ sie zusammengesetzt ist, auch über künftige Bos- DIE GRÜNEN und der F.D.P.) nien-Einsätze entscheiden, und zwar positiv. Das wissen wir. Eine Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands, die in einer so entscheidenden Frage in Widerspruch (Beifall bei Abgeordneten der SPD) zu der all seiner Nachbarn stünde, wäre keine Frie- Ich empfehle Ihnen, bei Ihrer Konferenz Anfang denspolitik. Da zählen nicht Absichten, da zählen Juni darüber Ihre Funktionäre und Mitglieder nicht Wirkungen. im unklaren zu lassen. Es ist nämlich falsch, mit fal- Ich habe Respekt vor dem OSZE-Modell, das übri- schen Versprechungen in den Wahlkampf zu gehen. gens auch in unserer Partei vertreten wurde und das Das bedeutet deshalb, daß von jeglichem Element ja auch ein ehrenwertes Modell ist - ich habe es zwar der Auflösung oder Überwindung der NATO in einer nicht geteilt, aber das ist eine andere Frage -; aber Koalition mit uns nichts übrigbleiben würde. Sagen - nachdem sich unsere Nachbarn in Ost und West und Sie denen das von vornherein. Dann gibt es eine Ba- die meisten Europäer, darunter alle NATO-Staaten, sis. auf ein anderes Modell gesamteuropäischer Sicher- (Dr. [CDU/CSU]: Die heit geeinigt haben, das die NATO-Osterweiterung klatschen ja gar nicht!) beinhaltet, würde ein Beharren auf diesem Modell, über das man theoretisch hätte diskutieren können - Wir sagen das aber auch, weil wir diese Klarstellung nicht mit mir, aber mit anderen -, einen deutschen im Hinblick auf unsere Nachbarn für erforderlich hal- Sonderweg und Alleingang bedeuten und somit ten. nicht friedensfördernd sein, sondern den Frieden in Jetzt aber zu dem Problem der NATO-Osterweite- Europa gefährden. rung selber. Diese erste Runde soll, wie gesagt, nicht die letzte sein. Wir sind dafür, daß bei einer nächsten (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der Runde, die 1999 beginnt, mindestens zwei neue Kan- CDU/CSU und der F.D.P.) didaten dabeisein sollten, hoffentlich aber mehr. Mit Das ist der Grund, warum viele bei uns in der Frak- den neuen Mitgliedern müssen wir dann aber auch tion, die ursprünglich für dieses Modell eintraten, über die inhaltliche Reform der NATO reden. Über heute trotzdem für die NATO-Osterweiterung stim- diese ist bisher noch viel zuwenig geredet worden. men. Man muß wissen, wann welche Entscheidun- Das eine betrifft die europäische Identität innerhalb gen zu treffen sind. Auch wir wissen das, weil wir an der NATO. Ich möchte in den Vereinigten Staaten als der Berechenbarkeit unserer Politik für unsere Nach- europäischer Politiker nicht nur gelobt, sondern auch barn festhalten wollen. respektiert werden. Volker Rühe hat zwar bestimmte Positionen bei (Beifall bei Abgeordneten der SPD) den Grünen kritisiert, aber unterschlagen, welche Damit sie respektiert werden, müssen die Europäer Antworten die Sozialdemokraten darauf geben. Für eine gemeinsame Haltung formulieren. Nicht die uns ist die Frage der NATO in Koalitionsverhandlun- Amerikaner sind zu stark, sondern die Europäer sind gen nicht Verhandlungsmasse, sondern Vorausset- zu schwach. zung. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD - Zuruf des Abg. Deshalb ist es dringend erforderlich, daß die Euro Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Ich päer ihre gemeinsame Identität innerhalb der NATO höre es gern, allein mir fehlt der Glaube!) so formulieren, daß sie auch handlungsfähig sind. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20451

Karsten D. Voigt (Frankfurt) Diese Bemerkung zur Handlungsfähigkeit geht in- Wir müssen uns hier frühzeitig abstimmen. Das be- nerhalb der NATO auch an die Adresse der Briten deutet aber gleichzeitig, daß einseitige Aktionen der und an die Adresse von Frankreich. Viele von unse- USA eher hinderlich sind. Diese Ergänzung der klas- ren polnischen, tschechischen und ungarischen sischen militärischen und politischen NATO durch Freunden werden noch begreifen, daß es innerhalb eine zivile NATO halte ich für dringend erforderlich. des Bündnisses nicht ausreicht, proamerikanisch zu sein - das bin ich auch -, sondern daß es sehr wich- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) tig ist, dabei eine eigenständige europäische Kom- Zu allerletzt: Die NATO muß den Prozeß der politi- ponente innerhalb der NATO zur Geltung zu bringen. schen und der militärischen Reform nach innen fort rt noch nicht am Ende. Der Wett--setzen. Wir sind do (Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Voll- mer) bewerb, wie viele Häuptlinge die NATO bei welchem Kommando stellt, ist zwar wichtig, darf aber nicht Zweitens. Die Kooperation mit Rußland und der weiterhin die Erkenntnis blockieren, daß die NATO Ukraine muß ausgebaut, muß mit Leben erfüllt wer- auch in ihrer Kommandostruktur mehr als bisher mit den. Je mehr Europa und die NATO handlungsfähig einer stärkeren europäischen Komponente und in ih- sind, desto weniger braucht man Sorgen bei einer rer Militärstruktur nach dem Ende des kalten Krieges Kooperation mit Rußland zu haben. Die Kooperation Konsequenzen ziehen muß. - auch Polens - mit Rußland und der Ukraine ist ein Diese verschiedenen Komponenten zusammenge- wichtiges Element gesamteuropäischer Stabilität. nommen, verbunden mit einer Stärkung der OSZE, Deshalb ist der Ausbau der NATO-Rußland-Akte in Rußland-NATO-Rat, Zusammenarbeit mit der der Praxis - dessen, was sie bedeutet - und der Ukraine und einer erweiterten, sich aber noch stärker Charta mit der Ukraine für uns von außerordentlich erweiterenden NATO, das ist das System gesamteu- großer Bedeutung. ropäischer Sicherheit. Es ist nicht, wie manche sich (Beifall bei Abgeordneten der SPD) denken, irgend etwas Neues, Phantasievolles, ganz etwas anderes, was dann irgendwie einmal erfunden Dann - und das ist ein viel schwierigerer Punkt, wird, sondern aus dem Zusammenwirken dieser ver- weil das bis in die Fragen der Ausrüstung hineingeht schiedenen Prozesse, Institutionen, Staaten und In- - muß die NATO auch als Instrument der Krisenvor- teressen entsteht ein System gesamteuropäischer Si- beugung ausgebaut und effizienter gestaltet werden. cherheit. Ich sage bei allem Verständnis für die, die Das Kontingent, das jetzt in Makedonien steht und an der OSZE noch stärker gehangen haben als ich: dort eine Eskalation der Krise über die Grenzen hin- Es ist wichtiger, daß gesamteuropäische Sicherheit aus verhindert hat, ist zwar ein UNO-Kontingent, entsteht, als daß sie allein aus den Institutionen ent- aber es sind NATO-Truppen daran beteiligt, und wir steht, bei denen man dies früher einmal gedacht hat. können gar nicht ausschließen, daß in Zukunft ent- weder über die NATO oder über die Westeuropäi- Vielen Dank. - sche Union solche Kontingente, zum Beispiel zur Ver- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne hinderung einer grenzüberschreitenden Krise in Al- ten der CDU/CSU und der F.D.P.) banien, erforderlich sein werden. Wir zumindest hal- ten das für möglich. Deshalb muß sich die deutsche Politik auf diese krisenvorbeugende Rolle der NATO Vizepräsidentin Dr. : Das Wort hat stärker als bisher orientieren. jetzt der Abgeordnete Kurt Rossmanith. Dann gibt es die NATO nicht nur als Instrument (CDU/CSU): Frau Präsidentin! der kollektiven Verteidigung, wie sie es als klassi- Kurt J. Rossmanith Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sicherlich sches Bündnis ist, sondern auch als Instrument der ist das Thema Sicherheit nicht unbedingt das Haupt- kollektiven Sicherheit, wie in Bosnien. Leider ist die thema, wenn man heute unsere Bürgerinnen und Lage in Europa und um Europa herum so, daß die Bürger im Lande nach ihren Sorgen befragt. Den- NATO als Instrument kollektiver Sicherheit über den noch haben die Menschen in unserem Lande längst klassischen Verteidigungsauftrag hinaus in Zukunft begriffen, daß es nach dem Wegfall der Ost-West- mehr als bisher erforderlich sein wird. Auch darauf Konfrontation eher schwieriger geworden ist, auch in sollten sich deutsche Politiker und eine künftige Bun- unseren europäischen Regionen Stabilität zu bewah- desregierung noch mehr als bisher einrichten. ren. Zuletzt noch zwei Komponenten. Wir müssen zu- So bedauerlich und unfaßbar das für uns ist, so ist sätzlich zur NATO, die hier alle gelobt haben - auch doch festzustellen: Krieg ist in Europa wieder denk- die bisherigen Sprecher der Grünen -, die klassische bar geworden; Krieg wird wieder auf dem Balkan ge- militärische NATO, die natürlich schon immer nicht- führt. Politische Konflikte können sehr schnell in Ge- militärische und politische Komponenten hatte, er- walt eskalieren. Unsere Bürgerinnen und Bürger ma- gänzen - nicht ersetzen - durch etwas, was ich eine chen die Erfahrung, daß äußere Sicherheit ein sehr nennen möchte. Nach dem Fortfall des zivile NATO großes Gut und ein bürgerliches Grundbedürfnis ist, Ost-West-Konflikts müssen die Beziehungen über ohne dessen Erfüllung Freiheit und Wohlstand sehr den Atlantik hinaus zu den USA und zu Kanada nicht schnell gefährdet sein können. nur mit traditionellen militärischen Mitteln verkop- pelt werden, sondern auch mit kultureller Zusam- Insofern tätigen wir heute mit unserer Zustimmung menarbeit, technologischer Zusammenarbeit und zum Beitritt Polens, der Tschechischen Republik und wirtschaftspolitischer Zusammenarbeit. Das heißt: der Republik Ungarn zum Nordatlantikvertrag eine 20452 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Kurt J. Rossmanith wichtige Investition für die Sicherheit Europas und Der Weg, den wir mit der Öffnung der NATO ge- auch für die Sicherheit unseres Landes. Der Weg, hen, heißt Integration. Das Programm der Grünen, den wir gehen müssen, heißt Integration. Denn nur das im abgetragenen Mantel des Pazifismus daher- in einem einigen Europa kann ein geeintes Deutsch- kommt, bedeutet nichts anderes als den Rückfall in land in Frieden leben. Isolationismus und kleinbürgerlichen Nationalismus. Das ist doch der Tenor. Mit der Öffnung der NATO nach Osten unter gleichzeitiger Verstärkung der Kooperation mit Ruß- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) land und der Ukraine begeben wir uns auf den richti- So darf sich der Beobachter auch nicht wundern, gen Weg. Es geht um die Erweiterung des Stabili- wenn er im Wahlprogramm der Grünen nachlesen tätsraumes Europa. Ein elementares Funktionsprin- kann, daß die Aufnahme der souveränen Staaten zip ist dabei, daß Deutschland als ein relativ großes Polen, Tschechische Republik und Republik Ungarn Land in der Mitte Europas dem Vertrauen seiner in die NATO und die Erweiterung der Europäischen Partner gerecht wird und sich mit seiner Verantwor- Union in dem Tenor kommentiert wird, daß die Tür tung stellt, so wie wir es mit unserem Engagement im weiter geöffnet werde in Richtung auf eine Militär- Bosnien-Konflikt unter Beweis gestellt haben und macht EU. noch immer tun. Die NATO ist aber nicht - wie es von den Grünen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge in geradezu diffamierender Weise dargestellt wird - ordneten der F.D.P.) ein machtkaltes Militärbündnis, das nach Auflösung Es ist sicherlich ein Erfolg unseres Bundesministers der Blöcke längst obsolet geworden ist. Nein, die der Verteidigung, Volker Rühe, und auch des Deut- NATO ist ein modernes Stabilitätsinstrument, mit schen Bundestages, daß die Bürgerinnen und Bürger dem die Werte- und Interessengemeinschaft der in unserem Lande verstanden haben, daß Deutsch- westlichen Zivilisation ausdrückt, daß sie sich den land als gleichgewichtiger Partner bereit sein muß, vielfältigen neuen Herausforderungen, Risiken und seinen Beitrag für die Stabilität im europäischen Bedrohungen internationaler Sicherheit nach dem Raum zu leisten, und daß wir auf keinen Fall mehr Ende des West-Ost-Konfliktes stellen will. eine Sonderrolle beanspruchen können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Genau dies aber hat die Partei Bündnis 90/Die Grü- und der F.D.P.) nen in Magdeburg unserem Land als Weg für die Zu- Aber - lassen Sie mich dies anmerken - auch im kunft empfohlen. Herr Joseph Fischer hat sich wieder Kreise der Beitrittskandidaten sind politische Stim- als das erwiesen, was er sicherlich nicht gerne sein men zu hören, die zeigen, daß die Rolle der NATO möchte: als ein Fischer, dem das Netz abhanden ge- manchmal noch aus dem Blickwinkel des Ost-West- kommen ist, dem seine Partei nicht mehr auf dem betrachtet wird. Ich meine gewisse Töne, Weg, den er für richtig hält, folgt. Es ist deshalb - ich Konfliktes - die in der politischen Debatte in der Tschechischen sage das so in dieser Offenheit - sicher, daß sich die Republik angeschlagen werden. Tschechische Politi- Gesinnungsdogmatiker der Grünen von der NATO, ker, die zum Teil antieuropäische und antideutsche dem jahrzehntelangen Garanten für Frieden und Si- Gefühle anheizen, müssen sich darüber im klaren cherheit in Europa, verabschieden und daß sie auf die sein, daß sie den ohnehin länger dauernden Integra- Fähigkeit zu einer leistungsfähigen Kriseninterven- tionsprozeß unnötig belasten und erschweren. Ein tion Deutschlands ebenfalls verzichten, indem sie die Beitritt, sei es zur NATO oder zur Europäischen Bundeswehr schlicht und einfach halbieren wollen. Union, verlangt eben auch das Bekenntnis zu den Was Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von Grundüberzeugungen und den Werten der Gemein- den Grünen, empfehlen, ist nichts anderes als ein ge- schaft, der man beitritt. waltiges machtpolitisches Vakuum in der Mitte Euro- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) pas. Die Wirkung von Vakuen kennt jeder sowohl aus der Physik, aber noch schmerzhafter für die Men- Für die tschechische Politik sollte dies Anlaß sein, schen auch aus der Geschichte. Die eigentliche Irr- die Frage der Bewertung der Vertreibung der Sude- sinnstat des Magdeburger Parteitags der Grünen ist tendeutschen neu zu diskutieren. Dabei geht es um deshalb sicherlich nicht die 5-Mark-Attacke gegen unsere gemeinsame Zukunft. Denn man kann nicht - die deutschen Autofahrer, sondern die Beschädigung wie es im Jugoslawienkonflikt geschieht - Vertrei- der außenpolitischen Glaubwürdigkeit unseres Lan- bung in der Gegenwart und für die Zukunft verdam- des. Das ist ja der eigentliche Punkt. Das ist wirklich men, wenn man sie in bezug auf die Vergangenheit eine unsagbare Tat, die Sie damit begangen haben. nicht ansprechen will. Mitgliedschaft setzt voraus, daß man nicht nur von den anderen die Bereitschaft ( [CDU/CSU]: Richtig!) zum Handschlag fordert, sondern auch selbst unter Ich spreche von dem Schaden, der schon jetzt Beweis stellt, daß man es mit der Absage an die durch die Politik der Grünen eingetreten ist. Denn Schatten der Vergangenheit ernst meint. Wir sollten wie wird in der Zeitschrift „Die Woche" am 13. März diese Aufgabe gemeinsam - Tschechen und Deut- 1998 geschrieben: sche, Deutsche und Tschechen - konstruktiv ange- hen. Nichts und niemandem mißtraut man in Paris, London, Prag, Warschau oder Den Haag aus nach- Ich möchte aber nicht nur zu den neuen Pa rtnern vollziehbaren historischen Gründen mehr als etwas sagen, sondern auch einen Satz zu einem lang- deutschem Idealismus und deutschen Idealisten. jährigen Partner in der NATO verlieren, der Türkei. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20453

Kurt J. Rossmanith Die Deutschen und die Türken haben immer, zurück- derführend waren, ist der historische und moralische reichend bis ins letzte Jahrhundert, eine gute Bezie- Skandal der Politik, die Sie betreiben. hung zueinander gepflegt. Wir schätzen das türki- sche Volk und die Türkei als NATO-Partner und wol- (Beifall bei Abgeordneten des BÜND len mit ihr auf europäischer Ebene eng zusammenar- NISSES 90/DIE GRÜNEN) beiten. Doch anstatt die Wut an anderen auszulassen, sollte sich die Türkei den Problemen im eigenen Lieber Karsten Voigt, Bündnis 90/Die Grünen Land zuwenden. Die Menschenrechtssituation, das brauchen sicherlich nicht den Programmratschlag Kurdenproblem und das Verhältnis zu Griechenland der SPD. Das werden wir alleine festlegen. Ich kann und Zypern sind Fragen, die in erster Linie von der nur sagen, daß wir in der Auseinandersetzung um Türkei selbst gelöst werden müssen. Deshalb sollte eine zukünftige kooperative und kollektive Sicher- Ministerpräsident Yilmaz langsam zu einer sachli- heitspolitik in ganz Europa auch von der SPD erwar- chen Sprache zurückfinden und nicht mutwillig eine ten, daß sie darüber nachdenkt, ob man Rußland altgewachsene Freundschaft aufs Spiel setzen, nicht enger einbeziehen kann, als es bisher der Fall ist. (Beifall bei der CDU/CSU) eine Freundschaft, zu der wir mit unseren östlichen (Beifall des Abg. Volker Beck [Köln] Nachbarn Gott sei Dank wieder gefunden haben. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deshalb rufe ich Polen, der Tschechischen Repu- Wir erinnern uns, daß die Vereinigten Staaten der blik und Ungarn zu: Herzlich willkommen bei uns in NATO-Osterweiterung zunächst skeptisch gegen- der NATO! übergestanden und erst auf deutsches Drängen nachgegeben haben. Ich sehe hierin und in dem (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Streit um die Reform der Kommandostruktur der NATO einen Hinweis, daß die Zurückhaltung der Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat deutschen Außenpolitik aufgegeben und zumindest jetzt die Abgeordnete Angelika Beer. im europäischen Rahmen eine klare Macht- und In- teressenpolitik betrieben wird. Die Bundesregierung mißbraucht multilaterale Politik für (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau nationale Inter- Angelika Beer Die Osterweiterung des Militärbünd- Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! essenpolitik. nisses ist ein Mittel der Politik, aber nicht eine Frage Nicht der Abgeordnete Volker Rühe aus Hamburg, der europäischen Zukunft auf niedrigem militäri- sondern der Verteidigungsminister Volker Rühe hat schen Niveau. heute genau vor fünf Jahren, nämlich am 26. März 1993, eine Rede in London gehalten (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Unglaublich!) (Michael Glos [CDU/CSU]: Eine gute Rede!) - Ich möchte mich noch einigen sicherheitspoliti- und gefordert, daß Osteuropa in sicherheitspoliti- schen Aspekten widmen. Im engeren sicherheits- scher Hinsicht kein konzeptionelles Niemandsland und militärpolitischen Bereich gibt es Entwicklun- sein dürfe. gen, die eine klare Ablehnung der NATO-Osterwei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU terung begründen: und der F.D.P.) Erstens. Die Erweiterung bedeutet eine Verschie- Die Argumentation Volker Rühes bewegte sich im bung weg vom Zivilen hin zum Militärischen und ge- Rahmen traditioneller Geopolitik. Herr Rühe, Sie fährdet die Stabilität der Regionen. schlossen Rußland aus der Entwicklung einer ge- samteuropäisch integrierten Sicherheitspolitik aus. Zweitens. Wir brauchen die wenigen Ressourcen, Ich zitiere: die vorhanden sind, für eine Stärkung der europäi- schen Gemeinsamkeit, der OSZE, und nicht für neue Die riesigen Potentiale und die geostrategische Rüstungsprojekte, die im Moment von dieser Regie- Lage Rußlands sprengen die europäischen Di- rung im Blindflug noch durchgedrückt werden. mensionen. (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Erzäh Drittens. In sicherheitspolitischen Fachkreisen be- len Sie doch einmal, was die Grünen wol steht längst Konsens, daß es in Europa keine Bedro- len!) hung gibt. Wer den Begriff von der kooperativen Si- cherheit ernst nimmt, müßte sofort auf die Doktrin Wer die Teilung Europas überwinden will, der muß des Ersteinsatzes von Atomwaffen verzichten, anstatt Rußland einbeziehen und nicht neue Unsicherheits- neue nukleare Rüstungspläne umzusetzen. zonen in Europa durch die NATO-Osterweiterung in Kauf nehmen oder riskieren. (Beifall bei Abgeordneten des (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Mit Gewalt?) PDS) Das ist der Grund, warum wir nicht zustimmen Ich möchte vor allem noch erwähnen, was für uns können. Die Tatsache, Herr Rühe, daß Sie Rußland so eminent wichtig ist - auch in diesem Punkt gibt es bewußt ausgegrenzt haben und in diesem Prozeß fe einen gewissen Konsens über Fraktionen hinweg -: 20454 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Angelika Beer die konventionelle Abrüstung. Wir können nicht so eine gemeinsame Sicherheit in Europa nicht geben tun, als sei diese Aufgabe bereits erledigt. können. Dafür stehen wir.

(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Was (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sagen Sie zu den Polen? Was sagen Sie zu sowie bei Abgeordneten der SPD und der den Ungarn?) PDS - Günther F riedrich Nolting [F.D.P.]: Was sagt Fischer dazu?) Wir wehren uns dagegen, daß die NATO die Wei- terentwicklung des KSE-Regimes benutzt, um ihre Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Vorstellung von militärischer Infrastruktur in Europa jetzt der Abgeordnete Ul rich Irmer. durchzusetzen. Das ist ein Grund, warum Rußland verunsichert ist, obwohl sich diese Struktur im Mo- (F.D.P.): Frau Präsidentin! Verehrte ment nicht gegen Rußland richtet, sondern gegen die Ulrich Irmer Kolleginnen und Kollegen! Wenn man gegen Ende südlichen sogenannten Schurkenstaaten. Nur: Mit einer solchen Debatte an das Pult tritt, hat man den dieser Politik wird neue Unsicherheit statt Stabilität großen Vorteil, daß man noch mit ein paar Dingen geschaffen. aufräumen kann, die sich im Laufe der Aussprache angesammelt haben. Ich möchte noch etwas zu der Frage der wirtschaft- lichen Folgen sagen. Es kann doch wohl kein Zufall (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ob Sie sein, daß gestern eine Lobby-Veranstaltung der Rü- da der Richtige sind, ist allerdings die große stungsindustrie in Bonn mit dem Titel „Chancen der Frage!) deutschen Industrie bei der Ausrüstung europäischer Streitkräfte vor dem Hintergrund der NATO-Oster- Ich möchte zunächst einmal das aufgreifen, was weiterung" stattgefunden hat. Die Feigenblätter, die Karsten Voigt gesagt hat, der vom Bundesverteidi- man bisher vorgehalten hat, fallen herunter, und wir gungsminister mit vollem Recht sehr gepriesen wor- sehen, daß der gesamte Rüstungskomplex jenseits je- den ist für seine sehr konstruktive Rolle in Richtung der politischen Verantwortung versucht, die Beitritts- auf europäisches Zusammenwachsen und auch auf länder zu zwingen, sich in eine Aufrüstungsspirale Stärkung der Wertegemeinschaft NATO. zu begeben, die wir nicht wollen und die politisch Mit einem, was er gesagt hat, war ich nicht einver- schädlich ist. standen. Es soll ein Fortschritt sein, so Karsten Voigt, daß sich die Grünen jetzt doch von einem strikten (Beifall bei Abgeordneten des und einmütigen Nein zu einer relativen Enthaltung BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der berappelt haben. Von dieser Auffassung habe ich bei PDS - Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: dem, was Frau Beer uns gerade kundgetan hat, aller- Ahnungslos! - Dr. Wolfgang Weng [Gerlin dings herzlich wenig gespürt. Frau Beer, ich hätte gen] [F.D.P.]: Treten Sie doch bei Herrn Gysi - von Ihnen ganz gerne gehört, was Sie dem Vorsitzen- ein!) den des Auswärtigen Ausschusses des Sejm in Polen, dem Kollegen Bielecki, der als Zuhörer auf der T ri Zusammenfassend möchte ich sagen: Die Oster- -büne sitzt, eigentlich sagen wollten. weiterung war eine falsche Entscheidung. Die Chan- cen, im Rahmen der OSZE das Sicherheitsmodell für (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der das 21. Jahrhundert zu formulieren und umzusetzen, CDU/CSU und der SPD) werden durch diesen Schritt massiv erschwert. Die Ich hätte von Ihnen gerne gehört, was Sie den Mit- OSZE hat aber - das will ich hier unterstreichen - trotz der banalen und geringen Mittel, die man ihr europäern in Ungarn und in der Tschechischen Re- zur Verfügung stellt, bewiesen, daß sie durchaus in publik sagen, die es alle freudigst begrüßen, daß der Deutsche Bundestag ihrem Beitritt in die NATO der Lage ist, Konflikte konstruktiv zu bearbeiten. heute mit großer Mehrheit zustimmen wird. Wir werden deshalb weiterhin für eine Stärkung (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU dieser Organisation und - im globalen Rahmen - der sowie bei Abgeordneten der SPD) Vereinten Nationen eintreten und auch dafür kämp- fen, daß die Mittel für zivile Konfliktbearbeitung be- Was sagen Sie diesen Menschen, indem Sie ihnen reitgestellt werden. Dies und nur dies ist der richtige den Zutritt zu unserem Bündnis verwehren wollen? Weg, eine Friedensordnung für Europa aufzubauen. Sie sagen doch: Wir Grüne, wir wissen a lles viel bes- ser. Wir sind die eigentlich moralischen Kräfte. Wir, (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Was die berühmt-berüchtigten Fernethiker, sagen der sagen Sie denn den Polen, den Ungarn und Welt, wo es langgeht. Alle anderen sollen schauen, den Tschechen?) wo sie dabei bleiben. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Eines möchte ich auch der SPD versichern: Trotz ten der CDU/CSU) der schlechten Voraussetzungen, der verschärften Ausgangslage durch die NATO-Osterweiterung wer- Es mag ja sein, daß sich in dem Kindergarten voll den Bündnis 90/Die Grünen - egal in welcher Rolle - gestörten Nachwuchses, bei den Grünen, in Selbster- für eine weitere Reduzierung der Rüstung und der fahrungsgruppen zu der Frage Bündnis und Verteidi- Drohpotentiale und für die Abschaffung der nuklea- gung etwas geregt hat. Aber, meine Damen und Her- ren Bedrohung eintreten. Ohne dieses Ziel wird es ren, ich bin nicht bereit, die Schicksalsfragen der Na- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20455

Ulrich Irmer tion in die Entscheidungsbefugnis eines solchen ge- fangen bis zum letzten Redner, viel zuviel Polemik in störten Kinderga rtens zu legen. diese Debatte hineingekommen ist. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Wahr heiten dürfen ja wohl noch gesagt werden!) Karsten Voigt hat gesagt: Eine Opposition kann sich alles mögliche leisten. Da hat er ja recht. Aber Gleichwohl ist es erfreulich, daß wir heute in einem die Grenze ist doch da erreicht, wo eine solche Oppo- breiten Konsens diese wichtige außenpolitische sitionspartei den Anspruch erhebt, im Herbst dieses Frage positiv abschließen, und das in einem hekti- Jahres an einer Bundesregierung mitzuwirken und schen Wahljahr. gar den Außenminister zu stellen. Dazu müssen Sie Wer von uns hätte denn vor zehn Jahren geglaubt, doch einmal Stellung nehmen. daß am 26. März 1998 das nationale Parlament des (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das wird geeinten Deutschland die Aufnahme der drei Staaten nicht so kommen!) Polen, Tschechien und Ungarn beschließen würde? Erinnern wir uns doch einen Moment daran, daß bei Ich finde es außerordentlich bezeichnend, daß der Gründung der NATO am 4. April 1949 die Tei- Herr Fischer, der sonst nicht zurückschreckt, wenn es lung Europas bittere Realität war und zwei von darum geht, das große Wort zu führen, in dieser De- Deutschland besonders gequälte Völker, die Polen batte keinen Ton von sich gegeben hat. Da darf Frau und die Tschechen, schon wieder in der Abhängig- Beer mit ihren Thesen aus dem kalten Krieg, die ihr keit eines totalitären Systems standen. Stalin und der heute keiner mehr glaubt, die Aufmerksamkeit auf Sowjetkommunismus beherrschten Mittel- und Ost- sich lenken. Da wird - ich sage es jetzt - der von mir europa. ganz außerordentlich geschätzte Kollege Gerd Poppe ins Rennen geschickt, der seine Auffassung ehrlich Heute morgen wurde an einige Daten erinnert, vertreten hat. und ich möchte Sie noch einmal darauf hinweisen, wie mutig Polen, Ungarn und Tschechen von 1956 Ist es ein Zufall, meine Damen und Herren, daß der bis 1989 waren. Da sind der Posener Aufstand im Gerd Poppe, der für den Widerstand in der DDR, für Juni 1956, der Ungarn-Aufstand im Oktober 1956, die Bürgerrechtsbewegung in der DDR stand, hier von April bis August 1968 der Prager Frühling, im heute die vernünftige Position vertreten darf, die er Dezember 1970, nachdem die Bundesrepublik immer vertreten hat? Ich möchte Gerd Poppe aus- Deutschland mit Polen den Weg zur Versöhnung be- drücklich für die konstruktiven Jahre unserer Zusam- gangen hatten, die Unruhen in Danzig und Ste ttin. menarbeit im Auswärtigen Ausschuß danken. Wir erinnern uns doch alle des mutigen Kampfes von (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der Solidarnosc für ein demokratisches Polen ab 1980, SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der im April 1989 mit dem Abschluß der Gespräche am Runden Tisch in Polen endete. Am 11. September Aber statt daß die Partei Bündnis 90/Die Grünen uns - 1989 öffnete Ungarn seine Grenzen für die DDR-Bür- den Gerd Poppe wieder in dieses Parlament schickt, ger und für alle anderen nach Österreich, und am schickt sie Herrn Ströbele. Gerd Poppe ist abge- 23. Oktober 1989 endete die ungarische Volksrepu- meiert worden; er hatte keine Chance mehr. Mit blik. Am 17. November begann die samtene Revolu- Gerd Poppe ist nicht nur er selbst als Person, sondern tion in Prag. auch der Teil der Partei abgemeiert worden, der sich mit Stolz „Bündnis 90" nennt. Meine Damen und Mit viel Engagement und in kürzester Zeit wandel- Herren, auf diese Arbeit können wir gerne verzich- ten sich alle drei Staaten in parlamentarische Demo- kratien, die nun ihren Platz in der internationalen ten. Gemeinschaft schon eingenommen haben, wenn (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und man an den Europarat, die OSZE und die UN denkt, der CDU/CSU) und die möglichst bald in der NATO, der EU und der WEU ihre Aufgaben erfüllen möchten. Meine Damen Ich danke Gerd Poppe und anderen konstruktiven und Herren, geben wir es doch zu, welch eine Freude Kräften bei Bündnis 90/Die Grünen, daß sie bei uns es bereitet, heute in freien Ländern durch so bedeu- jetzt der Aufnahme Polens, Tschechiens und Ungarns tende Städte wie Budapest, Prag oder Warschau zu in die NATO zustimmen, in diese Wertegemein- bummeln. schaft, auf die wir angewiesen sind und die einen wesentlichen Beitrag zum Zusammenwachsen Ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der samteuropas leistet. CDU/CSU) Ich danke Ihnen. Wer wollte denn bestreiten, daß diese Länder, Völker und historischen Städte ihren Platz in einem gemein- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) samen Europa und in einem gemeinsamen Verteidi- gungsbündnis haben? Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Nun war es aber - allen Reden von der rechten jetzt die Abgeordnete B rigitte Schulte. Seite zum Trotz -, nicht unbillig, sich 1990 und 1991 zu fragen, ob man das Nordatlantikbündnis nach der Brigitte Schulte (Hameln) (SPD): Frau Präsidentin! Auflösung des Warschauer Paktes noch benötigte, da Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich die Ost-West-Konfrontation weggefallen war. Viele ist es schade, daß, beim Bundesaußenminister ange- von uns haben Menschen, die so fragten, die Bedeu- 20456 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Brigitte Schulte (Hameln) tung des Bündnisses erläutert - ich finde, das ist ein Heute können wir mit unserer Zustimmung zur Er- wenig zu kurz gekommen -: weiterung des Bündnisses auch die NATO-Rußland- Akte und die NATO-Ukraine-Charta als Erfolg inter- Demokratische Rechtsstaaten haben sich 1949 zu nationaler Politik vorzeigen. Deshalb sollten wir als einem militärischen Verteidigungsbündnis zusam- Deutsche keineswegs aus der NATO austreten und mengeschlossen, denn gemeinsame Sicherheit gab zu einer nationalen Sicherheits- und Außenpolitik ihnen einen größeren militärischen Schutz. zurückkehren. Dessen sind wir uns hoffentlich alle bewußt: Die Allianz bleibt auch eine Sicherheitsga- Demokratische Rechtsstaaten tragen, seitdem es in rantie für unsere Nachbarn im Osten, Norden und verschiedenen Teilen der Welt immer mehr Massen- Westen, eine Garantie dafür, daß sich das zahlenmä- vernichtungswaffen gibt, auch eine gemeinsame Ver- ßig und ökonomisch starke Deutschland internatio- antwortung für die Einhaltung der Menschenrechte nalen Spielregeln fügt und keinen Sonderweg wie und des Friedens. 1933 geht, der im Krieg, in der Vertreibung und in Demokratische Rechtsstaaten führen gegeneinan- der Zerstörung Europas 1945 endete. der auch keine Kriege. Sie versuchen, selbst so (Beifall bei der SPD) schwierige Fragen wie die zwischen den Nachbar- staaten Griechenland und Türkei f riedlich zu lösen. Allerdings sind wir auch diejenigen, die heute von der Mitgliedschaft im Bündnis und in der Europäi- Besonders der langjährige Pa rtner Türkei hat uns schen Gemeinschaft ganz besonders profitieren: Erst- in den letzten Jahren immer wieder Probleme berei- mals in unserer mehr als 1000jährigen Geschichte tet, was die Einhaltung der Menschenrechte und der sind wir nur von Nachbarn umgeben, mit denen wir Spielregeln eines Rechtsstaates betrifft. Doch wäre multilateral und bilateral gut zusammenarbeiten. die Antwort darauf wirklich der Ausschluß jenes gro- Doch machen wir uns keine Illusionen: Nicht nur bei ßen Landes? Vergessen wir bitte nicht, daß die Tür- Polen und Tschechen, sondern auch bei Holländern, kei in den 30er Jahren Gegnern und Opfern des Na- Dänen und Belgiern ist im Unterbewußtsein immer tionalsozialismus Zuflucht und Zukunft gab. Verges- noch Angst, sen wir bitte bei aller Kritik an den heutigen Zustän- den in der Türkei auch nicht, daß sich das Land seit (Unruhe - Glocke der Präsidentin) Jahrzehnten mit den Problemen einer zu schnell vor den starken Deutschen vorhanden, die durch die wachsenden Bevölkerung und dem Wandel vom Anwesenheit der Amerikaner in Europa Gott sei Agrarstaat in eine Industrienation zu plagen hat. Dank gebändigt wird. Für diese kleineren Staaten ist Meine Damen und Herren, es gibt sogar die Möglich- es eine Lebensversicherung, daß wir in einem ge- keit, daß sich in den nächsten Wochen und Monaten meinsamen militärischen Bündnis zwischen den gro- das Verhältnis zwischen der Türkei und der kurdi- ßen und kleinen Staaten Europas zusammenleben. schen Bevölkerung im Osten dieses Landes ent- spannt. Hierbei sollten wir hilfreich sein. - (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger Zum Schluß bleibt festzustellen, daß es eine ge- lingen] [F.D.P.]) meinsame Sicherheit zum Nulltarif natürlich nicht geben kann. Die Bundesrepublik muß, wie alle an- Hier haben doch all diejenigen Kritiker recht, die deren Staaten auch, einen angemessenen militäri- sich in den letzten Jahren als Hilfe für die Türkei statt schen Beitrag leisten. Nur, Frau Kollegin Beer: Die Waffen lieber ökonomische Aufbauhilfen und Sach- Polen, die Tschechen und die Ungarn machen zwar verstand gewünscht hätten. große Anstrengungen, sich in die militärische Struk- tur des Bündnisses einzufügen; aber sie haben auch Zurück zur NATO: Sie hatte sich nach dem Zusam- die Chance, ihre Streitkräfte erneut zu reduzieren menbruch des Warschauer Paktes nicht überlebt. Der und damit langfristig Geld einzusparen. Gerade wir Golfkrieg und die Jugoslawienkrise zeigten, daß sie Deutsche haben ihnen in den letzten Wochen man- zwar als alte NATO nicht mehr in gleichem Maße wie ches von dem ausgeredet, was unsere Nachbarn im zuvor gefragt war, aber durch eine gemeinsame Westen, einschließlich der Amerikaner, ihnen sofort europäische Sicherheitspolitik unter Einschluß der einzureden versucht haben, nämlich daß sie dieses Nordamerikaner als neue NATO eine politische Not- oder jenes Waffensystem dringend kaufen müßten. wendigkeit bleibt. Es waren gerade die Vertreter der Bundeswehr, die gesagt haben: Baut erst einmal eure personelle Allerdings verstehen sich - wie Kritiker behaupten Struktur auf, nehmt eure veralteten Waffen; es droht - die Mitgliedstaaten des Nordatlantikpaktes nicht kein Krieg. Ich finde, dies sollte auch von Kritikern als Weltpolizisten. Zu vielschichtig sind die Pro- der NATO anerkannt werden. bleme, zu schwer zu bewältigen wäre es, wenn wir uns als Europäer und Nordamerikaner zumuten wür- Ich will ausdrücklich bekräftigen, daß wir die den, jeden Konflikt auf der Welt durch die Andro- Chance nutzen sollten, mit den übrigen Staaten Eu- hung von Waffengewalt zu bekämpfen. Die NATO ropas außerhalb der NATO über neue Abrüstungs- hat sich statt dessen seit 1991- und verstärkt in den initiativen nachzudenken und dabei immer mehr au-

letzten Jahren - einer internationalen Kooperation ßereuropäische Regionen einzubeziehen. Auf der Ba- verschrieben. Mit dem Programm Partnerschaft für sis einer vertrauensvollen Zusammenarbeit ist es ja den Frieden in Europa sind neue Wege für eine ak- zum Beispiel gelungen, die Achtung der Landminen tive militärische und zivile Zusammenarbeit beschrit- durchzusetzen. Und hier wie bei der NATO-Erweite- ten worden. rung und der Vertiefung der Zusammenarbeit mit Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20457

Brigitte Schulte (Hameln) Ukrainern, Russen und anderen europäischen Staa- Worte von Herrn Bartoszewski, dieses Klopfen an die ten außerhalb des Bündnisses will ich ausdrücklich Tür der NATO vor Augen halten, wenn wir hinhören, die Arbeit der Bundesregierung loben. Sie hat im was zum Beispiel in Polen gesagt wird, dann gibt es Auswärtigen Amt und im Verteidigungsministerium überhaupt keinen Grund, den Polen zu sagen: Nein, gute Arbeit geleistet. wir stimmen gegen eure NATO-Mitgliedschaft; wir wissen besser als ihr, was für eure Sicherheit notwen- Frau Kollegin Beer, es kann um das Verhältnis zwi- dig und richtig ist. - Das ist Arroganz und Ignoranz, schen Deutschland und Rußland nicht so schlecht be- die wir aufs schärfste zurückweisen. stellt sein, (Anhaltende Unruhe - Glocke der Präsiden (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tin) Wir erinnern uns an Lech Walesa auf der Lenin- wenn sich ausgerechnet heute der französische Prä- Werft in Danzig, an Geremek, an Mazowiecki, an die sident und der deutsche Bundeskanzler mit dem Prä- großartigen Leute der Solidarnosz, die aufgestanden sidenten der Russischen Föderation in Rußland tref- sind und denen wir in Deutschland unsere Wieder- fen. Tragen Sie es mit etwas Gelassenheit, was die vereinigung und die Europäer auf dem ganzen Konti- Lage Rußlands betrifft. nent ihre Freiheit verdanken. An die Kritiker möchte ich appellieren, sich daran (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) zu erinnern, daß 1982 bei der Öffnung der NATO für Spanien ausgerechnet ein junger und sympathischer Diesen Menschen schulden wir Dankbarkeit statt Ar- Sozialist, Javier Solana, gegen den Beitritt seines roganz und Ignoranz, Frau Kollegin Beer. Landes zur NATO war. Ich glaube, er macht seine Aufgabe heute als Generalsekretär des Bündnisses (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) hervorragend. Beweisen Sie, daß man wie er hinzu- lernen kann. Den mittel- und osteuropäischen Ländern steht es bis obenhin, von weltfremden Ideologen belehrt zu (Beifall bei der SPD - Kurt J. Rossmanith werden. Sie wissen selbst, was für sie am besten ist, [CDU/CSU]: Soll Frau Beer NATO-General und bedürfen nicht der Belehrung von Beer, Trittin sekretärin werden? - Dr. Wolfgang Weng und anderen in der Grünen-Fraktion. [Gerlingen] [F.D.P.]: Wofür empfehlen Sie Frau Beer?) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Meine Damen und Herren, zu diesem heutigen jetzt der Abgeordnete Friedbert Pflüger. Tag, zu dieser wirklich historischen Entscheidung Ich möchte darauf hinweisen, daß es für die Kolle- haben viele von uns beigetragen. Ich möchte in der - gin eben wegen der Unruhe sehr schwer war, zu re- Bundesregierung - ich glaube, ich trete damit nie- den. Bitte, hören Sie doch auch einmal auf die Glocke mandem zu nahe - ganz besonders Volker Rühe an- der Präsidentin. Ich versuche nämlich, damit Ruhe zu sprechen. Ich möchte Volker Rühe für das, was er ge- erzeugen. leistet hat, danken; denn er ist der erste in Europa, in der westlichen Welt gewesen, der das Thema der NATO-Öffnung auf die internationale Tagesordnung Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Frau Präsiden- gesetzt hat. tin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst ein Wort an den Ehrenvorsitzenden der CDU/CSU- Ich danke aber auch den Kollegen in meiner Frak- Bundestagsfraktion, an unseren Kollegen Alfred tion, dem Fraktionsvorsitzenden Schäuble, der sich Dregger, richten. ebenfalls schon zu einem Zeitpunkt dafür eingesetzt hat, als viele andere noch zögerten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich glaube, daß die Rede, die wir von Herrn Dregger (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge heute gehört haben, eine eindrucksvolle Bilanz sei- ordneten der F.D.P. - Wilhelm Schmidt ner Beiträge zur Außenpolitik der Bundesrepublik [Salzgitter] [SPD]: Karriere!) Deutschland und ein richtungweisendes Vermächt- Ich danke den vielen, die mit zahlreichen Kontakten nis für die Zukunft darstellt. und sehr vielen Reisen in diesen Ländern Vertrauen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge geschaffen haben, das 1990 und 1991 noch nicht da ordneten der F.D.P.) war. Ich nenne Reinhard von Schorlemer, den Vorsit- zenden der Deutsch-Ungarischen Parlamentarier- Die meisten von uns werden sich an eine andere gruppe, Rede erinnern, nämlich an die Rede, die der dama- lige polnische Außenminister, Herr Bartoszewski, in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) diesem Haus am 8. Mai 1995 gehalten hat. Er hat da- mals gesagt: Polen, Ungarn, Tschechien, die mittel- Karl-Heinz Hornhues, der sich in Polen engagiert und osteuropäischen Staaten wollen in die EU und in hat, Karl Lamers und , die sich um die NATO, weil das für sie die Rückkehr nach Europa Tschechien gekümmert haben. Solche Menschen bedeutet, zurück in die europäische Zivilisation nach gibt es auch in der SPD-Fraktion, sie gibt es im gan- den Jahren des Stalinismus. - Wenn wir uns diese zen Haus. 20458 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 Dr. Friedbert Pflüger Der Deutsche Bundestag hat mit einer Vielzahl von und zwar zusammen mit den mittel- und osteuropäi- Kontakten dazu beigetragen, daß dieses Vertrauen schen Staaten, zusammen mit Rußland. Wir sollten wachsen konnte und in Polen, Tschechien und Un- ihr für das danken, was sie an der Oder gemacht hat, garn der Eindruck entstanden ist: Die kommen nicht und sie nicht den peinlichen Dauerbefragungen, nur mal kurz vorbeigefahren, sondern die wenden einem Dauerverdacht aussetzen, der die Kräfte der sich uns wirklich zu, die interessieren sich für uns. Bundeswehr nur lähmen und ihr Ansehen in der Be- Daß uns diese Länder wirklich vertrauen, ist doch et- völkerung nur beschädigen kann. was, was man immer wieder spürt und worauf man auch ein wenig stolz ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Frau Kollegin Schulte, Sie haben soeben den Mos- kauer Gipfel angesprochen. Sie haben recht: Er ist Die Frage, die wir hier zu stellen haben, lautet: Wie nicht so unproblematisch. Aber dadurch, daß Helmut geht es jetzt weiter? Ich finde es sehr wichtig, daß wir Kohl, unser Bundeskanzler, da hinfährt und die gemeinsam beschlossen haben, Karsten Voigt, daß Polen, Tschechen und Ungarn Vertrauen zu ihm auf- wir jetzt nicht Schluß machen mit der NATO-Öff- gebaut haben, ist das Ganze überhaupt kein Problem nung, daß wir auch an den amerikanischen Kongreß mehr für sie. appellieren, jetzt nicht ein Morato rium zu verhängen. Das würde die Rumänen, die Bulgaren, die Slowe- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge nen, die Slowaken, die Balten auf das tiefste enttäu- ordneten der F.D.P.) schen und neue Konflikte und Unsicherheiten in die- sen Ländern schaffen. Deshalb sagen wir klar: Der Meine Damen und Herren, ich möchte ein Wo rt zu Prozeß der NATO-Öffnung muß ohne Pause in Pha- den Sozialdemokraten sagen, und zwar im Zusam- sen fortgesetzt werden. menhang mit einer sehr wichtigen Sache, die wir im- mer wieder mit sehr viel Zustimmung erleben: Es kommen Offiziere aus Polen, Tschechien und Ungarn (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU an unsere Führungsakademie nach Hamburg. Wir er- und der SPD) leben, daß die Bundeswehr ein Vorbild an Innerer Führung für sie ist. Das Bild vom Soldaten als dem Ein letztes Wort zum Thema Rußland: Heute wird Bürger in Uniform, die Innere Führung und das Pri- in Moskau zwischen Chirac, Kohl und Jelzin über mat der Politik haben für sie Vorbildfunktion. Diese eine neue, gemeinsame Agenda gesprochen. Wir se- Offiziere kommen zur Führungsakademie nach hen, daß die russische Außenpolitik konstruktiver Hamburg und gestalten ihre Armeen nach dem Vor- geworden ist: In Bosnien und im Kosovo, bei der Ver- bild der Bundeswehr. Dies tun sie aber bestimmt hinderung der Weiterverbreitung von Massenver- nicht, weil sie glauben, do rt seien Rechtsradikale am nichtungswaffen gibt es gute Ansätze; es gibt gute Werk. Ansätze bei der Abrüstung, bei der Bekämpfung in- - ternationaler Kriminalität. Wir wollen Rußland als (Beifall des Abg. Andreas Schmidt [Mül Partner einer neuen NATO haben. Aber wir sollten heim] [CDU/CSU]) uns auch darüber im klaren sein, daß diese NATO SPD und Grüne haben diesen unsinnigen Untersu- mehr ist als ein politischer Debattierklub. Sie ist und chungsausschuß eingerichtet, und er ist wirk lich ein bleibt ein Verteidigungsbündnis. Als Verteidigungs- Skandal, weil er die Bundeswehr - gewollt oder un- bündnis schafft sie Sicherheit und Stabilität für alle gewollt - unter Generalverdacht stellt. in Europa.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Meine Damen und Herren, ich glaube, daß auch ordneten der F.D.P.) in Polen, Tschechien, Ungarn und den anderen mit- tel- und osteuropäischen Staaten deutlich gewor- Diese Länder sind das beste Beispiel dafür, wie un- den ist, daß dieses Deutschland heute ein Pa rtner, sinnig Ihr Beschluß war, diesen Untersuchungsaus- ein Anwalt und nicht mehr ein Gegner und Feind schuß einzusetzen. wie in früheren Jahren ist. Ich habe von dem Spruch: Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein, oder: Ich bin stolz, ein Franzose oder Belgier oder Ameri- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Abgeord- kaner zu sein, nie viel gehalten, weil man für seine neter, einen Moment! Ich will versuchen, für Ruhe zu Staatsangehörigkeit nichts kann. Man wird geboren sorgen. Mir ist gesagt worden, daß man auf den hin- und hat erst einmal noch keine Verdienste, auf die teren Bänken nichts mehr verstehen kann, 'obwohl man stolz sein könnte. Aber wenn ich in diesen wir das Mikrofon so laut wie möglich eingestellt ha- Ländern sehe, welches Vertrauen uns Deutschen ben. Ich bitte Sie, mehr Ruhe zu halten. entgegenschlägt, wie dort erklärt wird: „Jawohl, ihr seid jetzt unser Anwalt, nachdem ihr noch vor et- was mehr als 50 Jahren über uns hergefallen seid" , Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Ich finde, daß dann, meine ich, haben wir in der Tat ein bißchen wir sehr gut daran tun, unserer Bundeswehr Dank Grund, auf unser Land und auch auf unsere Regie- für das zu sagen, was sie in Bosnien macht, rung stolz zu sein. (Günter Verheugen [SPD]: Das habe ich doch getan!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20459

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe da- Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 sowie Zusatz- mit die Aussprache. punkt 2 auf:

Wir kommen zur Abstimmung über den von der 8. Erste Beratung des von der Bundesregierung Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten den Protokollen zum Nordatlantikvertrag über den Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes Beitritt der Republik Polen, der Tschechischen Repu- blik und der Republik Ungarn. Das ist die Drucksa- - Drucksache 13/9960 - che 13/9815. Überweisungsvorschlag: Nach § 31 unserer Geschäftsordnung gibt es zahl- Verteidigungsausschuß (federführend) reiche Erklärungen zur Abstimmung, die ich Sie bitte Innenausschuß zu Protokoll nehmen zu dürfen: Es gibt eine Erklä- Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO rung des Abgeordneten Dr. Egon Jüttner, des Abge- ordneten Kurt Neumann, des Abgeordneten ZP2 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Dr. Jürgen Rochlitz, des Abgeordneten Cem Özdemir Wehrsolderhöhung und weiterer Abgeordneter sowie eine Erklärung des Abgeordneten Ludger Volmer, der Abgeordneten - Drucksache 13/10191 — Angelika Beer und weiterer Abgeordneter.*) Sind Überweisungsvorschlag: Sie einverstanden, daß wir das zu Protokoll nehmen? Verteidigungsausschuß (federführend) - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so. Innenausschuß Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksa- Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO che 13/10063 (neu), den Gesetzentwurf unverände rt Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für anzunehmen. Die Fraktion der CDU/CSU verlangt die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Wi- namentliche Abstimmung. derspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Ich werde die Aussprache aber erst eröffnen, wenn Urnen jetzt besetzt? - Nein, noch nicht. - Es fehlen Ruhe eingetreten ist. - hier links von mir noch Schriftführer. Ich bitte, diese Plätze beschleunigt zu besetzen. - Liebe Kolleginnen Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Jürgen und Kollegen, an der zweiten Urne links ist noch Augustinowitz. kein Schriftführer. - Jetzt endlich. Dann eröffne ich die Abstimmung. - Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU): Frau Präsiden- Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der gro- seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das scheint ßen Debatte über die NATO-Erweiterung kommen nicht der Fall zu sein. Ich schließe damit die Abstim- wir zu den Themen zurück, die die Soldaten unmit- mung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung telbar betreffen, insbesondere die jungen Wehr- zu beginnen. Das Ergebnis werden wir Ihnen später pflichtigen. Gerade die Änderung des Wehrsoldge- mitteilen.** ) setzes bietet einen guten Anlaß, einmal Bilanz zu zie- hen, was diese Koalition in den letzten vier Jahren Wir setzen die Beratungen fo . Da wir zunächst rt für die Grundwehrdienstleistenden in Deutschland eine Abstimmung durchführen müssen, bitte ich Sie, erreicht hat, finanziell und im Sozialbereich. die Gänge frei zu machen, damit ich ein bißchen Übersicht bekomme. (Walter Kolbow [SPD]: Nichts!) Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschus- ses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Ratifizie- - Kollege Kolbow meint, wir hätten nichts erreicht. rung der Beitrittsprotokolle zum Nordatlantikvertrag Nachdem ich gesprochen habe, nehmen Sie - das und zur weiteren Umsetzung der NATO-Rußland- verspreche ich Ihnen - das zurück. Akte; das ist die Drucksache 13/10064. Der Ausschuß ( [CDU/CSU]: Er hat es schon empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/9858 in der einmal zurückgenommen!) Ausschußfassung der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. anzunehmen. Wer stimmt für diese Be- Für das ganze Haus sage ich - aber natürlich richte schlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun- ich mich speziell an die Sozialdemokraten -: Erstens. gen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen 1995 haben wir das Verpflegungsgeld für dienstfreie der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Tage und das Wochenende verdoppelt. Das ist ein Stimmen der PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Plus von 50 DM im Monat für jeden Wehrpflichtigen. Grünen angenommen worden. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- Wir haben zweitens die Zeiten der Beförderungen wurfes auf der Drucksache 13/9972 an die in der Ta- wesentlich reduziert. Heute wird man nach den er- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- sten drei Dienstmonaten zum Gefreiten befördert gen. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht und dann eingesetzt, und man wird, wenn man sich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. bewährt, nach den ersten sechs Dienstmonaten zum Obergefreiten befördert. Das bedeutet: In dem einen *) Anlagen 2 bis 4 Fall plus 45 DM und in dem anderen Fall plus 90 DM **) Seite 20461B pro Monat. 20460 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Jürgen Augustinowitz Drittens. Diese Koalition hat den sogenannten Mo- Die Sozialdemokraten haben heute einen Antrag bilitätszuschlag eingeführt. In der ersten Stufe, die vorgelegt, demzufolge der Wehrsold um 2 DM erhöht die Entfernungen von 50 bis 99 Kilometern umfaßt, werden soll. Das kostet übrigens im Jahr 100 Millio- sind das 90 DM pro Monat mehr, Herr Kollege Kol- nen DM. Woher die 100 Millionen DM kommen sol- bow, len, das sagen die Sozialdemokraten natürlich nicht. Das ist ja immer so. (Zuruf von der CDU/CSU: Wahnsinn!) (Dieter Heistermann Das werden Sie in der zweiten Stufe, die Entfernungen von über 100 [SPD]: gleich hören!) Kilometern umfaßt, sind das 180 DM pro Monat mehr. Erst einmal Forderungen stellen und anschließend (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Phanta nicht sagen, wie es finanziert werden soll - das sind stisch!) wir ja von Ihnen gewohnt. Wir werden mit der zum 1. Juli dieses Jahres ge- (Paul Breuer [CDU/CSU]: Sie reden immer planten Änderung des Wehrsoldgesetzes eine wei- von Kassensturz! - Gegenruf des Abg. Wal tere Stufe vorsehen. Bereits ab 30 Kilometern gibt es ter Kolbow [SPD]: Da müssen Sie zum Plei 30 DM im Monat mehr. Dieses alles zusammenge- tierverein!) nommen bedeutet eine massive Erhöhung des Wehr- Sie geben in Ihrer Begründung allerdings einen soldes. Wenn man einmal eine Entfernung von über ganz wichtigen Hinweis, nämlich darauf, daß es nicht 100 Kilometern betrachtet - Herr Kollege Kolbow, nur auf die finanziellen Rahmenbedingungen an- nun hören Sie einmal gut zu -, bedeutet das eine Er- höhung von 9,10 DM. Und Sie bieten uns heute lä- kommt, unter denen die Wehrdienstleistenden in Deutschland zu arbeiten haben. Sie weisen zu Recht cherliche 2 DM an! auch auf die sozialen Bedingungen hin. Zu diesen so- (Beifall bei der CDU/CSU - Kurt J. Rossma zialen Bedingungen möchte ich auch etwas sagen. nith [CDU/CSU]: Nicht zu fassen!) Die Grünen wollen die Bundeswehr um 75 Prozent reduzieren; die SPD natürlich ein bißchen weniger. Jemand, der in der Entfernungsstufe zwischen 50 Aber in ihrer Gesamtheit rechtfertigt eine rotgrüne und 99 Kilometern ist, hat 5,80 DM mehr, und je- Sicherheitspolitik in Deutschland schon, zu sagen: mand, der in der darunterliegenden Entfernungs- Soldaten, paßt auf; die Standorte sind gefährdet! stufe ist, hat 4,10 DM mehr. (Paul Breuer [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Meine Damen und Herren, wir haben nicht das Prinzip der Gießkanne angewandt. Die sozialistische Das müssen wir den Leuten sagen. Daß die SPD Gießkanne wird nach wie vor von der SPD einge- davon getroffen ist, sehen wir ja daran, daß sie ih- setzt. Sie wollen nämlich für jeden 2 DM mehr. Wir ren Sprecher hat verkünden lassen: Wenn ihr SPD wollen diejenigen, die besonders viel leisten und die wählt, werden die Standorte zumindest in den er- - besonderen Belastungen ausgesetzt sind, einen be- sten vier Jahren gesichert sein. Dazu sage ich: Die sonderen Ausgleich geben. Deswegen haben wir Soldaten lassen sich doch nicht mit solchen Sprü- diese neuen Instrumente, die ich genannt habe, ein- chen für dumm verkaufen. Wahr ist, daß dann , geführt. Der Mobilitätszuschlag ist das wichtigste wenn eine rotgrüne Regierung die Sicherheitspoli- dieser Instrumente. Sie, Herr Kollege Kolbow, sollten tik bestimmen würde, viele Standorte in Deutsch- gleich - vielleicht im Rahmen einer Zwischenfrage - land gefährdet wären. Ich kann nur sagen: Solda- die Gelegenheit nutzen und das zurücknehmen, was ten, überlegt, was in einem solchen Fall auf euch Sie eben behauptet haben. zukommen würde! (Beifall bei der CDU/CSU - Walter Kolbow (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU [SPD]: Das müssen Sie mir überlassen!) und der F.D.P.) Um Ihnen noch einmal die Dimension deutlich zu Der zweite wichtige Punkt. Sie haben mit dem Un- machen, will ich Ihnen zwei Beispiele nennen. Ein der sich ja auf die Gesamtge- Soldat im fünften Dienstmonat, bei dem die Entfer- tersuchungsausschuß, mengelage der jungen Grundwehrdienstleistenden nung zwischen Dienstort und Wohnort 80 Kilometer auswirkt, einen Schaden für unsere Soldaten ange- beträgt, bekam früher 452 DM, und heute bekommt richtet. Ich weiß aus Gesprächen, daß Sie das zum er 635 DM. Das ist eine Wehrsolderhöhung für den Teil mittlerweile selber erkannt haben. Aber wir müs- jungen Mann von 40 Prozent. sen diese Punkte hier noch einmal deutlich machen. (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Erstaun Die jungen Grundwehrdienstleistenden wie alle Sol- lich!) daten haben es nicht verdient, von der politischen Linken in Deutschland unter einen Generalverdacht Zweites Beispiel. Die Entfernung beträgt 130 Kilo- gestellt zu werden. meter; der Soldat ist im fünften Dienstmonat. Früher bekam er 452 DM, heute 725 DM. Das ist ein Plus (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) von 63 Prozent. Das ist die Politik dieser Koalition für unsere jungen Wehrpflichtigen. Sie ist toll. Das soll Diesen Punkt werden wir Ihnen immer wieder im hier einmal deutlich gewürdigt werden. Wahlkampf vorhalten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Ein weiterer Skandal im Zusammenhang mit den ordneten der F.D.P.) sozialen Rahmenbedingungen wird deutlich beim Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20461

Jürgen Augustinowitz Thema öffentliche Gelöbnisse. Ich will das ganz kon- Endgültiges Ergebnis Peter Götz kret an einem Beispiel aus meinem Wahlkreis deut- Dr. Wolfgang Götzer lich machen. Der SPD-Bürgermeisterkandidat von Abgegebene Stimmen: 620; Joachim Gres davon Kurt-Dieter Gri ll Lippstadt, einer alten Garnisonsstadt, war sich nicht ja: 553 Wolfgang Gröbl zu schade, folgendes in der Presse öffentlich zu er- Hermann Gröhe klären: Er habe Schwierigkeiten mit öffentlichen Ge- nein: 37 Claus-Peter Grotz löbnissen; mit ihm als Hausherr würde so etwas nicht enthalten: 30 Manfred Grund stattfinden. „Das sind Rituale, die man nicht mehr er- Horst Günther (Duisburg) tragen kann. " Carl-Detlev Freiherr von Ja Hammerstein Meine Damen und Herren, das sind sozialdemo- (Großhennersdorf) kratische Bürgermeisterkandidaten in unseren Städ- CDU/CSU ten und Gemeinden. Das hat etwas mit sozialen Rah- Otto Hauser (Esslingen) menbedingungen zum Thema Wehrpflicht zu tun. Hansgeorg Hauser Peter Altmaier (Rednitzhembach) Noch schlimmer sind natürlich in dem Zusammen- Klaus-Jürgen Hedrich hang die Grünen, die in einem unerträglichen Pakt, Jürgen Augustinowitz Helmut Heiderich zum Teil auch mit Chaoten, dabei sind, öffentliche Manfred Heise Heinz-Günter Bargfrede Detlef Helling Proteste gegen Gelöbnisse der Bundeswehr anzu- Franz Peter Basten Dr. Renate Hellwig melden. Es gibt in Deutschland nicht einen Platz, Dr. Ernst Hinsken nicht eine Straße, wo die Soldaten nicht öffentlich ge- loben können, Deutschland treu zu dienen und das Josef Hollerith Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer Dr. Sabine Bergmann-Pohl Elke Holzapfel zu verteidigen. Hans-Dirk Bierling Dr. Karl-Heinz Hornhues Dr. Joseph- Siegfried Hornung Joachim Hörster (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Dr. Hubert Hüppe Peter Jacoby Ich fasse zusammen, meine Damen und Herren. Dr. Norbert Blüm Susanne Jaffke Das mußte Ihnen einmal deutlich ins Stammbuch ge- Georg Janovsky schrieben werden: nicht nur die finanziellen Dinge, Jochen Borchert Helmut Jawurek sondern auch die sozialen Rahmenbedingungen, un- Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Dr. Dionys Jobst ter denen Sie glauben, Bundeswehrpolitik machen Wolfgang Bosbach Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Wolfgang Bötsch Michael Jung (Limburg) zu können. Klaus Brähmig Rudolf Braun (Auerbach) Dr. Harald Kahl Der 27. September kommt immer näher. Paul Breuer Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy (Beifall des Abg. Walter Kolbow [SPD]) - Manfred Kanther Klaus Bühler (Bruchsal) Irmgard Karwatzki Wir spüren Ihre Unsicherheit, wenn es um das Hartmut Büttner Volker Kauder Thema äußere wie innere Sicherheit geht. Aus die- (Schönebeck) Peter Keller sem Schwitzkasten werden Sie nicht entlassen. Manfred Carstens (Emstek) Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner (Lachen bei der SPD) Hubert Deittert Ulrich Klinkert Albert Deß Hans-Ulrich Köhler (Hainspitz) Es wird deutlich werden, daß Sicherheitspolitik im Wilhelm Dietzel Manfred Kolbe außenpolitischen Bereich, vor allen Dingen, wenn es Werner Dörflinger Norbert Königshofen um die Bundeswehr geht, bei Rotgrün am aller Hansjürgen Doss Eva-Maria Kors schlechtesten aufgehoben wäre. Dr. Alfred Dregger Hartmut Koschyk Maria Eichhorn Manfred Koslowski Vielen Dank. Thomas Kossendey Rainer Eppelmann Annegret Kramp- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Heinz Dieter Eßmann Karrenbauer Horst Eylmann Rudolf Kraus ordneten der F.D.P.) Wolfgang Krause (Dessau) Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bevor ich den Ulf Fink Heinz-Jürgen Kronberg nächsten Redner aufrufe, möchte ich Ihnen das von Dirk Fischer (Hamburg) Dr.-Ing. Paul Krüger den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte (Unna) Reiner Krziskewitz (Hamburg) Dr. Hermann Kues Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Werner Kuhn Entwurf eines Gesetzes zu den Protokollen vom Dr. Gerhard F riedrich Dr. Karl A. Lamers 16. Dezember 1997 zum Nordatlantikvertrag über Erich G. Fritz (Heidelberg) den Beitritt der Republik Polen, der Tschechischen Hans-Joachim Fuchtel Karl Lamers Republik und der Republik Ungarn mitteilen. Abge- Michaela Geiger Dr. gebene Stimmen: 622. Mit Ja haben gestimmt 555. Helmut Lamp Mit Nein haben gestimmt 37. Enthaltungen: 30. Der Dr. Heiner Geißler Armin Laschet Michael Glos Herbert Lattmann Gesetzentwurf ist damit mit großer Mehrheit ange- Wilma Glücklich Dr. Paul Laufs nommen worden. Dr. Reinhard Göhner Karl-Josef Laumann 20462 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Kurt J. Rossmanith Bernd Wilz Reinhold Hiller (Lübeck) Werner Lensing Adolf Roth (Gießen) Willy Wimmer (Neuss) Stephan Hilsberg Norbert Röttgen Gerd Höfer Peter Letzgus Dr. Christian Ruck Dr. Jelena Hoffmann (Chemnitz) Editha Limbach Volker Rühe Dagmar Wöhrl Frank Hofmann (Volkach) Walter Link (Diepholz) Dr. Jürgen Rüttgers Michael Wonneberger Ingrid Holzhüter Eduard Lintner Roland Sauer (Stuttga rt) Elke Wülfing Erwin Horn Dr. Klaus W. Lippold Ortrun Schätzle Peter Kurt Würzbach Eike Hovermann (Offenbach) Dr. Wolfgang Schäuble Lothar Ibrügger Dr. Manfred Lischewski Hartmut Schauerte Wolfgang Zeitlmann Barbara Imhof Wolfgang Lohmann Heinz Schemken Benno Zierer Brunhilde liber (Lüdenscheid) Karl-Heinz Scherhag Wolfgang Zöller Gabriele Iwersen Julius Louven Gerhard Scheu Renate Jäger Sigrun Löwisch Norbert Schindler Jann-Peter Janssen Dietmar Schlee Ilse Janz Erich Maaß (Wilhelmshaven) Ulrich Schmalz SPD Dr. Uwe Jens Dr. Dietrich Mahlo Sabine Kaspereit Erwin Marschewski Christian Schmidt (Fürth) Brigitte Adler Susanne Kastner Günter Marten Dr.-Ing. Joachim Schmidt Ernst Kastning Dr. Martin Mayer (Halsbrücke) Ernst Bahr Hans-Peter Kemper (Siegertsbrunn) Andreas Schmidt (Mülheim) Doris Barnett Klaus Kirschner Wolfgang Meckelburg Hans-Otto Schmiedeberg Ingrid Becker-Inglau Marianne Klappert Rudolf Meinl Hans Peter Schmitz Wolfgang Behrendt Hans-Ulrich Klose Dr. Michael Meister (Baesweiler) Hans Berger Dr. Hans-Hinrich Knaape Dr. Angela Merkel Michael von Schmude Hans-Werner Bertl Walter Kolbow Friedrich Merz Birgit Schnieber-Jastram Friedhelm Julius Beucher Fritz Rudolf Körper Rudolf Meyer (Winsen) Dr. Rupert Scholz Rudolf Bindig Nicolette Kressl Hans Michelbach Reinhard Freiherr von Anni Brandt-Elsweier Volker Kröning Meinolf Michels Schorlemer Dr. Thomas Krüger Dr. Gerd Müller Dr. Erika Schuchardt Ursula Burchardt Horst Kubatschka Elmar Müller (Kirchheim) Dr. Michael Bürsch Eckart Kuhlwein Engelbert Nelle Dr. Dieter Schulte Hans Martin Bury Helga Kühn-Mengel (Bremen) (Schwäbisch Gmünd) Hans Büttner (Ingolstadt) Konrad Kunick Dr. Rolf Olderog Gerhard Schulz (Leipzig) Marion Caspers-Merk Werner Labsch Friedhelm Ost Frederick Schulze Wolf-Michael Catenhusen Brigitte Lange (Sangerhausen) Peter Conradi Detlev von Larcher Norbert Otto (Erfurt) Diethard Schütze (Berlin) Dr. Herta Däubler-Gmelin Waltraud Lehn Dr. Gerhard Päselt Clemens Schwalbe Christel Deichmann Robert Leidinger Dr. Peter Paziorek Dr. Christian Schwarz- Dr. Elke Leonhard Hans-Wilhelm Pesch Schilling Peter Dreßen Klaus Lohmann (Witten) Ulrich Petzold Wilhelm Josef Sebastian Ludwig Eich Christa Lörcher Horst Seehofer Peter Enders Erika Lotz Angelika Pfeiffer Marion Seib Dieter Maaß (Herne) Dr. Gero Pfennig Wilfried Seibel Petra Ernstberger Winfried Mante Dr. Friedbert Pflüger Heinz-Georg Seiffert Annette Faße Ulrike Mascher Beatrix Philipp Rudolf Seiters Elke Ferner Dr. Winfried Pinger Johannes Selle Lothar Fischer (Homburg) Ingrid Matthäus-Maier Ronald Pofalla Bernd Siebert Gabriele Fograscher Heide Mattischeck Dr. Hermann Pohler Jürgen Sikora Iris Follak Markus Meckel Ruprecht Polenz Johannes Singhammer Eva Folta Ulrike Mehl Marlies Pretzlaff Bärbel Sothmann Norbert Formanski Herbert Meißner Dr. Margarete Späte Dagmar Freitag Angelika Mertens Dr. Bernd Protzner Carl-Dieter Spranger Anke Fuchs (Köln) Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Dieter Pützhofen Wolfgang Steiger Katrin Fuchs (Verl) Ursula Mogg Thomas Rachel Erika Steinbach Monika Ganseforth Michael Müller (Düsseldorf) Hans Raidel Dr. Wolfgang Freiherr von Iris Gleicke Jutta Müller (Völklingen) Dr. Peter Ramsauer Stetten Günter Gloser Christian Müller (Zittau) Rolf Rau Dr. Gerhard Stoltenberg Uwe Göllner Volker Neumann (Bramsche) Helmut Rauber Andreas Storm Günter Graf (Friesoythe) Gerhard Neumann (Gotha) Peter Rauen Max Straubinger Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Edith Niehuis Otto Regenspurger Matthäus Strebl Dieter Grasedieck Dr. Rolf Niese Christa Reichard (Dresden) Michael Stübgen Achim Großmann Doris Odendahl Klaus Dieter Reichardt Egon Susset Karl Hermann Haack Günter Oesinghaus (Mannheim) Dr. Rita Süssmuth (Extertal) Leyla Onur Dr. Bertold Reinartz Michael Teiser Hans-Joachim Hacker Manfred Opel Erika Reinhardt Dr. Susanne Tiemann Klaus Hagemann Albrecht Papenroth Hans-Peter Repnik Gottfried Tröger Manfred Hampel Dr. Willfried Penner Roland Richter Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Christel Hanewinckel Dr. Dr. Norbert Rieder Alfred Hartenbach Georg Pfannenstein Dr. (München) Wolfgang Vogt (Duren) Dr. Liesel Hartenstein Dr. Eckhart Pick Klaus Riegert Dr. Horst Waffenschmidt Klaus Hasenfratz Joachim Poß Franz Romer Alois Graf von Waldburg-Zeil Dieter Heistermann Rudolf Purps Hannelore Rönsch Jürgen Warnke Dr. Reinhold Hemker Karin Rehbock-Zureich (Wiesbaden) Kersten Wetzel Rolf Hempelmann Margot von Renesse Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Dr. Barbara Hendricks Renate Rennebach Dr. Klaus Rose Gert Willner Monika Heubaum Dr. Edelhert Richter Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20463

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Günter Rixe Hanna Wolf (München) Nein Fraktionsios Reinhold Robbe Heidi Wright Gerhard Rübenkönig Uta Zapf Kurt Neumann (Berlin) Marlene Rupprecht Dr. Christoph Zöpel SPD Dr. Hansjörg Schäfer Peter Zumkley Gudrun Schaich-Walch Konrad Gilges Enthalten Dieter Schanz Uwe Hiksch Bernd Scheelen BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Siegfried Scheffler CDU/CSU Horst Schild Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNE Otto Schily Matthias Berninger Dr. Egon Jüttner Günter Schluckebier Dr. Uschi Eid Annelie Buntenbach Horst Schmidbauer Joseph Fischer (Frankfurt) Amke Dietert-Scheuer (Nürnberg) Rita Grießhaber Monika Knoche SPD (Aachen) Gerald Häfner Dr. Jürgen Rochlitz Dagmar Schmidt (Meschede) Dr. Helmut Lippelt Halo Saibold Dr. Marliese Dobberthien Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Oswald Metzger Ursula Schönberg Dr. Ingomar Hauchler Regina Schmidt-Zadel Gerd Poppe Dr. Heinz Schmitt (Berg) Rezzo Schlauch Dr. Dr. Emil Schnell Wolfgang Schmitt PDS Walter Schöler (Langenfeld) Waltraud Schoppe Wolfgang Bierstedt BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Gisela Schröter Dr. Antje Vollmer Petra Bläss Dr. Mathias Schubert Margareta Wolf (Frankfurt) Marina Böttcher Elisabeth Altmann Schuhmann Richard Eva Bulling-Schröter (Pommelsbrunn) (Delitzsch) Heinrich Graf von Einsiedel Volker Beck (Köln) Brigitte Schulte (Hameln) F.D.P. Dr. Ludwig Elm Angelika Beer Reinhard Schultz Dr. Franziska Eichstädt-Bohlig (Everswinkel) Dr. Antje Hermenau Volkmar Schultz (Köln) Hildebrecht Braun Andrea Gysi Kristin Heyne Dr. R. Werner Schuster (Augsburg) Dr. Gregor Gysi Uli Höfken Dietmar Schütz (Oldenburg) Jörg van Essen Hanns-Peter Hartmann Michaele Hustedt Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Olaf Feldmann Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Manuel Kiper Ernst Schwanhold Gisela Frick Dr. Barbara Höll Dr. Angelika Köster-Loßack Paul K. Friedhoff Dr. Willibald Jacob Steffi Lemke Bodo Seidenthal Ulla Jelpke Kerstin Müller (Köln) Lisa Seuster Gerhard Jüttemann Winfried Nachtwei Horst Sielaff Hans-Dietrich Genscher Dr. Heidi Knake-Werner Christa Nickels Erika Simm Dr. Wolfgang Gerhardt Rolf Köhne Egbert Nitsch (Rendsburg) Johannes Singer Joachim Günther (Plauen) Rolf Kutzmutz Cem Özdemir Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Dr. Christa Luft Simone Probst Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Dr. - Heidemarie Lüth Christine Scheel Wieland Sorge Ulrich Heinrich Dr. Günther Maleuda Irmingard Schewe-Gerigk Wolfgang Spanier Walter Hirche Manfred Müller (Berlin) Albert Schmidt (Hitzhofen) Dr. Dietrich Sperling Dr. Rosel Neuhäuser Marina Steindor Jörg-Otto Spiller Birgit Homburger Dr. Uwe-Jens Rössel Christian Sterzing Antje-Marie Steen Dr. Dr. Peter Struck Ulrich Irmer Klaus-Jürgen Warnick Manfred Such Dr. Joachim Tappe Dr. Klaus Kinkel Winfried Wolf Ludger Volmer Gerhard Zwerenz Jörg Tauss Detlef Kleinert (Hannover) Helmut Wilhelm (Ambern) Dr. Bodo Teichmann Roland Kohn Jella Teuchner Dr. Heinrich L. Kolb Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rah- Dr. Gerald Thalheim Jürgen Koppelin men ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versamm- Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann lungen des Europarates und der WEU, der NAV oder der IPU Franz Thönnes Dr. Uta Titze-Stecher Sabine Leutheusser Abgeordnete(r) Adelheid Tröscher Schnarrenberger Hans-Eberhard Urbaniak Uwe Lühr Antretter, Robe rt, SPD Siegfried Vergin Jürgen W. Möllemann Zierer Benno, CDU/CSU Günter Verheugen Günther Friedrich Nolting Ute Vogt (Pforzheim) Dr. Rainer Ortleb Karsten D. Voigt (Frankfurt) Lisa Peters Hans Georg Wagner Dr. Günter Rexrodt (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Hans Wallow Dr. Klaus Röhl Wolfgang Weiermann Helmut Schäfer (Mainz) F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜND Reinhard Weis (Stendal) Cornelia Schmalz-Jacobsen NISSES 90/DIE GRÜNEN) Matthias Weisheit Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Wiesloch) Dr. Das Wort in der laufenden Debatte hat jetzt der Jochen Welt Dr. Abgeordnete Dieter Heistermann. Hildegard Wester Dr. Max Stadler Lydia Westrich Carl-Ludwig Thiele Inge Wettig-Danielmeier Dr. Dieter Thomae Dieter Heistermann (SPD): Frau Präsidentin! Meine Heidemarie Wieczorek-Zeul Jürgen Türk Damen und Herren! Wenn es noch eines Beweises Dieter Wiefelspütz Dr. Wolfgang Weng Berthold Wittich (Gerlingen) bedurft hätte, wie nervös die Koalition auftritt, dann Verena Wohlleben Dr. Guido Westerwelle war der Kollege Augustinowitz ein Beispiel dafür, 20464 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Dieter Heistermann wie unsicher Sie die kommenden Monate auf sich zu- gesetzt worden ist, der einem General die Ehre wie- kommen sehen. dergegeben hat, dem Sie die Ehre nehmen wollten. Das ist ein Ergebnis. Ich sage das deshalb, weil er (Beifall bei der SPD - Kurt J. Rossmanith von unerträglichen Beschlüssen gesprochen hat, die [CDU/CSU]: Absolut ruhig! - Günther die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen be- Friedrich Nolting [F.D.P.]: Warten Sie es erst trafen. einmal ab!) (Frederick Schulze [Sangerhausen] [CDU/ Weil ich bei dem Beitrag daran erinnert wurde - CSU]: Recht hat er! - Paul Breuer [CDU/ mit dem Eigenlob ist das immer so eine Sache; wenn CSU]: So ist es!) man sich hier in einer bestimmten Art und Weise dar- stellt, dann gibt es bestimmte Gerüche; ich will das Das fällt auf Sie zurück. Wir nehmen ein Verfas- hier nicht unparlamenta risch ausdrücken -, möchte sungsrecht in Anspruch. Dieses Verfassungsrecht ich sagen: Ein bißchen weniger aufgetragen wäre lassen wir uns von niemandem beschneiden. Wir ent- der Debatte angemessener gewesen. scheiden selbst, ob wir etwas einrichten oder nicht. (Beifall bei der SPD - Kurt J. Rossmanith (Beifall bei der SPD) [CDU/CSU]: Er muß doch wenigstens rech Die im Entwurf eines Vierzehnten Gesetzes zur nen können!) Änderung des Wehrsoldgesetzes ab 1. Januar 1999 Es ist erstaunlich, das doppelte Verpflegungsgeld angekündigte Erhöhung des Wehrsoldes um 1 DM hier als besondere Leistung einzuführen, nachdem ist schon lange überfällig. Meine Damen und Her- man es erst gestrichen hatte. Da kann ich nur sagen: ren von der Koalition, überheben Sie sich bloß Kollege Augustinowitz, ein bißchen weiter runter! nicht; denn nach so vielen Jahren des Nichtstuns Auch andere Abgeordnete haben verfolgt, was diese muß Ihnen erst einmal jemand nachmachen, auf Koalition in den letzten Jahren getan hat. diesem Gebiet zu so einem Vorschlag zu kommen. Der Betrag der angekündigten Erhöhung ist seiner (Walter Kolbow [SPD]: So sind die!) Höhe nach völlig unbefriedigend. Er kommt zudem Ich möchte noch eines zu diesem berühmten viel zu spät. Schwitzkasten sagen. Ich hoffe, daß Sie sich das Das Einbringen des vorliegenden Gesetzentwurfes Wahlergebnis in Schleswig-Holstein noch einmal an- zum jetzigen Zeitpunkt und die Ankündigung - man schauen: In den Standorten, wo Bundeswehreinhei- höre und staune! -, den Wehrsold zum 1. Januar 1999 ten stationiert sind, haben die Sozialdemokraten zu erhöhen, sind zudem ein durchsichtiges Manöver. überdurchschnittliche Gewinne erreicht. (Walter Kolbow [SPD]: Sehr wahr!) (Walter Kolbow [SPD]: In Niedersachsen auch!) Es ist Wahljahr, und so entdeckt die Koalition die - Wehrpflichtigen. Deshalb will sie den Wehrsold 1999 Vielleicht könnte das den Denkprozeß bei Ihnen um 1 DM erhöhen. Dabei weiß diese Koalition genau, noch ein wenig in die Richtung stärken, daß sich die daß eine Wehrsolderhöhung erst nach der Bundes- Soldaten eben nicht von einer Partei sozusagen ein- tagswahl am 27. September mit dem Haushalt 1999 kassieren lassen, sondern Staatsbürger in Uniform eingebracht werden kann. Das von ihr heute hier vor- sind. geführte Manöver zeigt, wie billig sie auf Wähler- (Beifall bei der SPD) stimmenfang gehen will. Da spielt es auch keine Rolle, welche Partei den Ver- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ teidigungsminister stellt. Diese Bürger wissen al- DIE GRÜNEN) leine, nach welchen Kriterien sie zu entscheiden ha- ben; sie bedürfen da keines Rates, auch nicht des Wir dürfen jedenfalls heute davon ausgehen, daß die Kollegen Augustinowitz. Verantwortung für den nächsten Verteidigungshaus- halt ohnehin in sozialdemokratischer Hand liegen (Walter Kolbow [SPD]: Wer ist das?) wird Ich möchte aber, weil das hier in die Debatte einge- (Frederick Schulze [Sangerhausen] [CDU/ führt worden ist - ich war schon von der Bandbreite CSU]: Nie im Leben!) sehr überrascht, was man alles in eine Debatte über Wehrsolderhöhung reinpacken kann -, noch etwas und dann unsere Erhöhung um 2 DM pro Tag greifen zu dem Kollegen Pflüger sagen, der hier Anwürfe wird. Darauf kann der Kollege Augustinowitz heute macht, dann aber leider der weiteren Debatte nicht schon einen trinken. folgt. (Frederick Schulze [Sangerhausen] [CDU/ (Paul Breuer [CDU/CSU]: Sehr gute Rede CSU]: Dafür nehmen die Grünen aber lieber gehalten!) die Angelika Beer!) Das ist vielleicht ein Stil, in einer Debatte, in der es Die SPD will eine sofortige Angleichung des Wehr- um Soldaten der Bundeswehr geht, den Untersu- soldes an die veränderten Lebenshaltungskosten chungsausschuß anzuführen, aber dann an den wei- durch eine sachgerechte Erhöhung um 2 DM pro Tag teren Beratungen nicht teilzunehmen! Dem Kollegen für alle Wehrsoldgruppen. Diese notwendige Anpas- Pflüger kann ich nur sagen: Es war ein Untersu- sung haben Sie, meine Damen und Herren von der chungsausschuß, der von den Sozialdemokraten ein Regierungskoalition, unseren Wehrpflichtigen seit Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20465

Dieter Heistermann 1993 beständig verweigert. Dafür tragen Sie mit Ih- rungskoalition ist heute abermals aufgerufen, ihre rem strikten Nein zu unseren Vorschlägen für eine Glaubwürdigkeit unter Beweis zu stellen und unse- Anpassung in einer angemessenen und notwendigen ren Antrag zu unterstützen. Mittelfristig sollte der Höhe, nämlich im Rahmen der Lebenshaltungsko- Wehrsold schrittweise an das Einkommen der Auszu- sten, die Verantwortung. bildenden im ersten Lehrjahr der Gruppe Angestell- ten- und Arbeiterrentenversicherungspflichtige im Bezeichnenderweise begründen Sie Ihre Verwei- öffentlichen Dienst angepaßt werden. gerungshaltung damit, daß eine Wehrsolderhöhung mittelbar auch den Zivildienstleistenden zugute (Paul Breuer [CDU/CSU]: Ist das der Kas käme, was Sie nicht wollten. Sie haben damit die sensturz?) Chance vertan, gemeinsam mit uns, den Sozialdemo- kraten, parteiübergreifend für ein gerechtes Anpas- Ich möchte an dieser Stelle nicht verschweigen, sen des Wehrsoldes an die Lebenshaltungskosten daß auch der Deutsche Bundeswehr-Verband, die und an die bisherige Preisentwicklung durch eine Er- Interessenvertretung der Soldaten der Bundeswehr, höhung um 60 DM pro Monat zu sorgen. Es wäre für die Anhebung des Wehrsoldes um 1 DM für völlig die Wehrpflichtigen und die Zivildienstleistenden ein ungenügend hält. wichtiges Zeichen gewesen, wenn wir ihren gesetz- (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Was lich geforderten Dienst nicht nur in wohlwollenden sagt denn Herr Schröder mit seinem Kas Reden beschwören, sondern ihnen auch den Geld- sensturz dazu?) wertverlust des Wehrsoldes ausgleichen. Die letzte Wehrsolderhöhung erfolgte, wie gesagt, Der Deutsche Bundeswehr-Verband verweist auf die im Oktober 1992 und liegt damit schon lange zurück. zutreffende Begründung der Bundesregierung, daß Seitdem sind eben auch bei den Grundwehrdienst- die seit der letzten Wehrsolderhöhung am 1. Oktober leistenden die Lebenshaltungskosten im bekannten 1992 eingetretene Entwicklung der wi rtschaftlichen Umfang gestiegen. In allen übrigen Bereichen unse- Verhältnisse eine Anhebung des Wehrsoldes erfor- rer Gesellschaft wurden die Einkommen an die ge- derlich macht. Nötig ist aber nach Auffassung des stiegenen Lebenshaltungskosten angepaßt. Nur den Deutschen Bundeswehr-Verbandes sogar eine Min- Grundwehrdienstleistenden, die einen Ehrendienst destanhebung um 3,50 DM täglich, und zwar mit so- für unser Land leisten, der auch dadurch gekenn- fortiger Wirkung. Dieser Auffassung können wir uns zeichnet ist, daß er nicht mit einem gerechten, vollen nicht voll anschließen, sie zeigt aber überdeutlich, Lohn besoldet wird, wurde bisher eine gerechte wie notwendig eine Verbesserung empfunden wird. Wehrsolderhöhung durch den Verteidigungsminister Der Gesetzentwurf der Koalition sieht vor, daß der und die Regierungskoalition vorenthalten. 1996 eingeführte Mobilitätszuschlag für Grundwehr- (Paul Breuer [CDU/CSU]: Brüllende Igno dienstleistende durch eine weitere Differenzierung ranz!) verbessert werden soll. Diese weitere Differenzie- - rung des Mobilitätszuschlages löst nicht das Problem Statt aufwendige Werbekampagnen - ein bißchen und ist kein Ersatz für eine angemessene Wehrsold- weniger täte es auch - für einen neuen Kämpfertyp erhöhung. Die Staffelung des Mobilitätszuschlages zu finanzieren, sollten Sie, Herr Minister Rühe, die führt letztendlich dazu, daß nicht der Dienst, sondern jungen Soldaten besser ordentlich besolden und ih- die Entfernung zwischen Heimat- und Dienstort ver- nen eine ausreichende politische Bildung ermögli- gütet wird. Grundwehrdienstleistende, die in relati- chen. ver Heimatnähe stationiert sind, gehen nämlich leer (Widerspruch bei der CDU/CSU) aus. Das ist die beste Werbung, und das ist auch der beste (Paul Breuer [CDU/CSU]: Ist doch völlig Weg für unsere junge Bundeswehr. Da könnten Sie normal!) Beispielhaftes leisten, Geld an der richtigen Stelle auszugeben. Die Folge ist eine Schlechterstellung von Grund- wehrdienstleistenden, deren Dienstort nur einen (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Besser Kilometer weniger als gefordert vom Heimatort ent- kann man es nicht ausgeben!) fernt ist. Sie erhalten weniger Sold als Grundwehr- Eine angemessene materielle Grundsicherung ist dienstleistende, die diese Grenze überschreiten. für die Wehrpflicht unerläßlich. Denn es handelt sich Wir werden den Mobilitätszuschlag aber nicht ab- bei dem Wehrsold für die Grundwehrdienstleisten- lehnen, denn er ist letztendlich besser als nichts. den eben nicht um Lohn, sondern um ein notwendi- Aber es bleibt dabei: Er ist kein Ersatz für die von ges Taschengeld für die p rivate Lebensführung als uns geforderte Wehrsolderhöhung um 2 DM pro Tag, Entschädigung für eine staatsbürgerliche Pflichter- die uns wichtiger ist als die weitere Differenzierung füllung. Wer die Wehrpflicht erhalten will, muß für des Mobilitätszuschlages. ihre Akzeptanz in der Bevölkerung Sorge tragen. So- ziale und finanzielle Rahmenbedingungen für (Beifall bei der SPD) Grundwehrdienstleistende, Reservisten sowie deren Familien spielen dabei eine ganz wesentliche Rolle. Die Regierungsparteien haben einen Kurs einge- schlagen, der an den tatsächlichen Erfordernissen Vier Jahre lang hatte die Regierungskoalition jedes vorbeigeht. Sie tragen damit zum Unfrieden in der Mal die Möglichkeit, die SPD-Forderung einer Erhö- Bundeswehr bei. Ich hoffe, daß Sie unserem Antrag hung des Wehrsoldes zu unterstützen. Die Regie- zustimmen. 20466 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Dieter Heistermann Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Wenn Sie das wirklich ernst meinen und das in den letzten Jahren gleichzeitig mit einer realen Wehr- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- soldabsenkung verbinden, dann muß man sagen, ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - daß das erstere nichts als warme Worte sind. Walter Kolbow [SPD]: Wo ist der Verteidi- gungsminister denn hingegangen? Die (Dieter Heistermann [SPD]: So ist das!) Wehrpflichtigen liegen ihm so am Herzen, daß er die Debatte verläßt! - Frede rick Zur sogenannten Verbesserung der Wehrgerech- Schulze [Sangerhausen] [CDU/CSU]: Er tigkeit: Der Gesetzentwurf hat mit Verbesserung der macht etwas Wichtigeres, als dem Kollegen Wehrgerechtigkeit nichts zu tun. Er setzt vielmehr Heistermann zuzuhören! - Walter Kolbow die bisherigen Ungerechtigkeiten und Ungleichge- [SPD]: Wo ist er denn? - Frede rick Schulze wichte fort. Zwei Beispiele: Zivildienstleistende, die [Sangerhausen] [CDU/CSU]: Wir haben ja drei Monate länger dienen müssen als Grundwehr- viele gute Leute, ihr nicht einmal einen!) dienstleistende, erreichen im Vergleich zu einem Wehrdienstleistenden in der Regel noch nicht einmal die Soldstufe 3. Das heißt, diese Leute dümpeln bei Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat einem Tagessold von derzeit 15 DM herum. jetzt der Abgeordnete Winfried Nachtwei. Kraß schließlich ist die Diskrepanz zu Auslandsver- wendungszuschlägen, die ja bekanntlich zwischen Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 50 und 180 DM liegen. Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Kollege Augustinowitz, Ihr Selbstlob war zu erwar- (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ ten. Sie haben allerdings bei Ihrem Selbstlob einen NEN]: Und die Buschzulage für Töpfer erst wichtigen Teil Ihres Paketes vergessen, nämlich die einmal! Die sollte man einmal umlegen!) freie Wahl zwischen weißer Bundeswehrunterwäsche oder einer Entschädigungszahlung von 50 DM. Diese Hier kann es dann bei einem freiwillig Wehrdienst- dritte Säule Ihres Konzeptes zeigt die Dimension Ih- leistenden so aussehen, daß er bis zu 5400 DM pro rer Verbesserungsvorschläge. Monat erhält. Daß die Höhe des Auslandsverwen- dungszuschlages auch in keinem Verhältnis zu den Die Bundesregierung hat als Ziel ihres Gesetzent- Zuschlägen steht, die Hilfsorganisationen ihren Mit- wurfes angeführt, erstens solle der Wehrsold an die arbeitern in Krisengebieten zahlen - das Technische wirtschaftliche Entwicklung angepaßt und zweitens Hilfswerk zum Beispiel zahlt 50 DM -, das sei hier solle die Wehrgerechtigkeit verbessert werden. Zur nur am Rande erwähnt. wirtschaftlichen Entwicklung: Seit 1992 ist der Wehrsold nicht mehr erhöht worden. Seit dieser Zeit Sie legen uns heute das Vierzehnte Gesetz zur Än- - sind die Lebenshaltungskosten um ungefähr 15 Pro- derung des Wehrsoldgesetzes vor. Inhaltlich ist es lä- zent gestiegen. Wenn die Bundesregierung es mit cherlich. Aber es deutet auch zugleich immer mehr dem Kaufkraftausgleich ernst meinen würde, dann darauf hin, daß es die letzte Änderung des Wehrsold- müßte sie den täglichen Wehrsold zum Beispiel eines gesetzes in der bisherigen Form ist, weil nämlich die Obergefreiten nicht von 16,50 auf 17,50 DM pro Tag Tage der Wehrpflicht gezählt sind. erhöhen, sondern auf mindestens 19 DM. (Beifall bei Abgeordneten des BÜND (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: NISSES 90/DIE GRÜNEN - Paul Breuer Das würde meinen Daniel freuen!) [CDU/CSU]: Dummes Zeug!)

Ungeachtet unserer Kritik an der gegenwärtigen Hier ergibt sich der Zusammenhang mit der vorheri- Militärpolitik hat unsere Fraktion schon seit einigen gen Debatte. Wenn in den nächsten Jahren die Jahren eine deutlich andere Erhöhung des Wehrsol- NATO-Osterweiterung umgesetzt wird, wenn des verlangt, nicht, wie Sie jetzt vielleicht denken, 500 000 Soldaten aus den mittelosteuropäischen Län- wieder um 5 DM, sondern - hier waren wir enorm dern zur NATO kommen, dann werden die jetzige realpolitisch nur um 3 DM, was ja der Forderung Größe der Bundeswehr und die Wehrpflicht noch viel des Bundeswehr-Verbandes ungefähr entspricht. weniger zu rechtfertigen sein als heute. (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Danke schön. NEN]: Wir sind vorsichtiger geworden mit den 5 DM!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In der Auseinandersetzung um das Für und Wider der Wehrpflicht können Sie sich, meine Damen und Herren von der Koalition, kaum einkriegen in Ihrem Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Lob für die Wehrpflichtigen. Sie sagen von den jetzt der Abgeordnete Nolting. Wehrpflichtigen, sie seien Garanten eines offenen Geistes in der Bundeswehr, der Integration der Bun- deswehr in die Gesellschaft und schließlich sogar ei- Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Frau Präsiden- ner militärisch zurückhaltenden Außenpolitik. tin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung die Verbesserung des Mobilitätszu- (Paul Breuer [CDU/CSU]: So ist das!) schlages zum 1. Juli dieses Jahres und die Anhebung Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20467

Günther Friedrich Nolting des Wehrsoldes zum 1. Januar 1999. Auch so tragen als Ganzes zu Unrecht in das Licht eines vermeintlich wir der Entwicklung der wirtschaftlichen Verhält- rechtsradikalen Sumpfes rücken. nisse Rechnung. (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE Herr Kollege Heistermann, wenn Sie schon die fi- GRÜNEN]: Das haben wir nicht getan, und nanziellen Verbesserungen ansprechen - der Kollege das wird auch nicht wahrer dadurch, daß Augustinowitz hat das sehr eindrucksvoll hier aufge- Sie das immer wiederholen!) zeigt -, Heute spielen Sie sich hier als Interessenvertreter ge- nau dieser Soldaten auf, und das auch noch vor dem (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aufge Hintergrund - Sie haben das hier erwähnt -, daß Sie blasen war das!) die Wehrpflicht abschaffen wollen. Das ist schon mehr als dreist zu nennen; das sage ich Ihnen in aller so will ich auch Ihnen - wenn Sie zuhören, Herr Kol- Offenheit. lege Schmidt - (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Mache ich immer!) Aber das paßt genau zu Ihren unsinnigen Forde- rungen. 5 DM pro Liter Benzin - damit schnüren Sie einmal sagen: Allein in dieser Legislaturperiode la- vielen Berufsgruppen die Luft ab, gen die finanziellen Verbesserungen für Wehrpflich- (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE tige zwischen 27 und 63 Prozent, je nach Belastung. GRÜNEN]: Unsinn!) Wir wollen hier kein Gießkannenprinzip, sondern ausdrücklich die finanziell mit unterstützen, die eine auch den Angehörigen der Bundeswehr, den Solda- entsprechende Belastung haben. ten, den Zivilisten und gerade den Wehrpflichtigen, die, wie Sie selbst wissen, viel fahren müssen, weil (Beifall bei der CDU/CSU) wir viele Standorte in der Fläche haben. Aber auch die, die zu den Schulen und zu den Lehrgängen müs- Ich kann Sie schon jetzt herzlich einladen, uns dabei sen, sind auf das Auto angewiesen. Doch wer die zu unterstützen. Bundeswehr abschaffen wi ll, braucht ja auf die Sol- daten keine Rücksicht mehr zu nehmen. Wenn Sie uns hier den Vorwurf der Wahltaktik un- terstellen, Herr Kollege Heistermann, will ich doch Herr Kollege Nachtwei, Sie haben die vorangegan- einmal darauf hinweisen, daß Sie jetzt, in diesen Ta- gene Debatte erwähnt. Sie haben die NATO-Öffnung gen, einen eigenen Antrag eingebracht haben, in abgelehnt, dem Sie eine Erhöhung um 2 DM forde rn, ohne daß (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE Sie dabei die einzelnen Belastungen der Wehrpflich- - GRÜNEN]: Sie kennen ja nicht mein tigen individuell berücksichtigen. Ich sage Ihnen Abstimmungsverhalten!) dazu: Sie haben sich bei dem, was Sie vorschlagen, nicht einmal um die Finanzierbarkeit gekümmert. Sie wollen den Bosnien-Einsatz beenden, Sie wollen Sie verfahren da genauso wie Ihr Kanzlerkandidat, die NATO ablösen, Sie wollen die Bundeswehr ab- der alles unter einen finanziellen Vorbehalt stellt, schaffen. nach dem Motto: Alles versprechen, aber nichts hal- ten. (Walter Kolbow [SPD]: Wehrsold! Wehr sold!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Wer dies fordert - ich wiederhole, was mein Bundes- Dieser Regierungsentwurf ist sinnvoll und auch so- vorsitzender Dr. Gerhardt dazu gesagt hat -, ist inter- lide finanziert. national nicht handlungsfähig und national nicht re- gierungsfähig. (Dieter Heistermann [SPD]: Ja, wo denn?) (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Nicht wählbar!) Der vorliegende Regierungsentwurf geht auf eine In- itiative der Koalition im Verteidigungsausschuß zu- Das erkennen nicht nur die Bürger, sondern das er- rück. Sie können sich sicher daran erinnern, daß kennt mittlerweile auch der Kanzlerkandidat Ihres diese Initiative bereits im letzten Jahr ergriffen potentiellen Koalitionspartners. wurde. Wer hier also Taktik vortäuscht oder taktisch vorgeht, kann man schon erkennen, wenn man sich Die F.D.P. steht zur Bundeswehr. Die F.D.P. steht zu die zurückliegenden Anträge und die Zeitachsen an- den Wehrpflichtigen. sieht. (Walter Kolbow [SPD]: Bis zum Umfallen!) Ich will auch kurz auf die Ausführungen des Kolle- - Herr Kollege Kolbow, ich würde das Thema etwas gen Nachtwei eingehen. Herr Kollege Nachtwei, Ihre ernster nehmen, wenn Sie wirklich Verantwortung Ausführungen waren mehr als unglaubwürdig. Sie für Ihre Fraktion in diesen Fragen übernehmen wol- haben in den letzten Monaten mit der SPD zusam- len. Ich bitte Sie wirklich um etwas mehr Ernst in die- men einen Untersuchungsausschuß angezettelt. Sie ser Angelegenheit. Die Wehrpflichtigen haben es wollten sich - ich sage aber: vergebens - auf Kosten nicht verdient, daß Sie in dieser Weise versuchen, der Soldaten profilieren, indem Sie die Bundeswehr das Thema lächerlich zu machen. 20468 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Günther Friedrich Nolting Auch Sie sollten für die Wehrpflicht eintreten. Für wieder, indem wir untersuchen, ob strukturelle Män- uns sind die Wehrpflichtigen das Rückgrat der Bun- gel vorhanden sind, etwa Schieflagen in der inneren deswehr. Wir sollten in dieser Stunde auch an ihre Führung, in der politischen Bildung oder in der zeit- Leistungen in bezug auf die deutsche Einheit, aber gemäßen Menschenführung. auch an ihre Leistungen im Rahmen des hervorra- Wir werden am Ende des Untersuchungsausschus- genden Hilfseinsatzes an der Oder erinnern. Hier ha- ses feststellen können, wie die Verantwortung des ben die Wehrpflichtigen Einsatzbereitschaft und Mo- Bundesministers der Verteidigung ist, der sein Inter- tivation gezeigt. Deswegen lade ich Sie herzlich ein: esse für die Menschen in der Bundeswehr und für Lassen Sie uns gemeinsam etwas für diese Wehr- die Wehrpflichtigen dadurch unter Beweis stellt, daß pflichtigen tun! sein Stuhl in dieser Debatte leer bleibt. Das ist die Vielen Dank. Wahrheit über Herrn Rühe, und das ist auch ein Cha- rakteristikum Ihrer Politik. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: 2 Mark! (Beifall bei der SPD - Hans Raidel [CDU/ - Weiterer Zuruf von der SPD: Mit 2 Mark CSU]: Mein Gott Walter, das haben nicht sind Sie dabei!) einmal deine Leute verstanden!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zu einer Kurzin- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Nolting, tervention erteile ich das Wo rt dem Kollegen Kolbow. bitte.

Walter Kolbow (SPD): Herr Kollege Nolting, Sie Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Herr Kollege waren so freundlich, mich anzusprechen. Kolbow, jeder der Ihren Beitrag verfolgt hat, konnte feststellen, was Sie beabsichtigen, nämlich Wahl- (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Ich kampf, Wahlkampf, Wahlkampf - und dies mit vorge- wollte dir Gelegenheit geben, für deine täuschten Tatsachen. Fraktion zu reden!) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das Deswegen möchte ich ebenfalls freundlich - für Sie war nur die Antwort auf Augustinowitz und möglicherweise unfreundlich - replizieren. Nolting!) Sie versuchen, in Sachdebatten über den Wehrsold Ich habe auch den Untersuchungsausschuß ange- auf Themen auszuweichen, mit denen Sie sich bis sprochen. Wir haben gemeinsam, Herr Kollege Kol- zum Wahltag über die Runden zu retten glauben. Sie bow, viele Stunden in diesem Untersuchungsaus- wollen damit die Wählerinnen und Wähler dazu brin- schuß gesessen und haben viele Fragen gestellt. Als gen, Sie im Bundeswehrbereich zu unterstützen. In Zwischenergebnis kann ich feststellen - Herr Kollege Niedersachsen und in Schleswig-Holstein lautete die Kolbow, Sie werden mir in diesem Punkt nicht wider- Antwort auf Ihre bisherige Bundeswehrpolitik: In sprechen können -, daß wir zu keinen neuen Ergeb- Bundeswehrstandorten waren überdurchschnittliche nissen gekommen sind als zu denen, die im soge- Stimmengewinne der Sozialdemokraten zu verzeich- nannten Dau-Bericht des Verteidigungsministeriums nen, weil wir den Soldatinnen und Soldaten und den bereits enthalten waren. Wir hätten schon bedeutend Zivilbeschäftigten die Wahrheit sagen, auch die weiter sein können, als wir es mit diesem Untersu- Wahrheit über Ihre Politik in den letzten vier Jahren. chungsausschuß sind. Wenn Sie behaupten, daß Sie die Wehrpflichtigen Sie wollten diesen Untersuchungsausschuß als gewissermaßen als Menschen in den Mittelpunkt Ih- Mittel im Wahlkampf einsetzen. Sie sehen aber mitt- rer Politik stellen, dann sage ich Ihnen, daß sich Ihre lerweile selbst ein, daß Sie damit vor die Wand fah- Politik nach dem Satz ausrichtet: Der Mensch ist Mit- ren. Nicht umsonst drängen Sie darauf, daß wir die- tel - Punkt. sen Untersuchungsausschuß möglichst rasch been- Die Behauptung, wir würden einen Untersu- den; denn Sie wissen, daß dieser Untersuchungsaus- chungsausschuß - in diesem Punkt haben Sie mich schuß eine fatale Wirkung in die Bundeswehr hinein angesprochen - einrichten, um die Bundeswehr in hat. Generalverdacht zu bringen, entspricht nicht den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Tatsachen. Auch durch Ihre Wiederholungen wird Ihre Behauptung nicht wahrer. Sie können sich daran erinnern, daß ich es war, der gesagt hat, der Bundestag solle sich darüber unter- (Beifall bei der SPD) halten: Wie sieht es mit Gewalt in der Gesellschaft Wir nehmen nur das im Grundgesetz verankerte aus? Wie sieht es mit Radikalität in der Gesellschaft Minderheitenrecht wahr. aus? Wie sieht es mit Extremismus in dieser Gesell- schaft aus, und zwar nicht nur auf der rechten Seite, Wir wollen der Bundeswehr ihren guten Ruf wie- sondern auch auf der linken Seite? Denn auch das, dergeben bzw. helfen, ihn zu erhalten. was sich in Ahaus und Gorleben abgespielt hat, ist Gewalt gegen Sachen und gegen Menschen. Ich (Beifall bei der SPD) denke, es wäre eine Aufgabe des gesamten Deut- Einige haben die Bundeswehr in Mißkredit gebracht, schen Bundestages gewesen, sich über diese Fragen weil sie als militärische Führer oder Beteiligte versagt und über die Auswirkungen auf die Bundeswehr zu haben. Wir geben der Bundeswehr ihren guten Ruf unterhalten. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20469 Günther Friedrich Nolting Mit diesem Untersuchungsausschuß fokussieren Aber auch der Antrag der SPD ändert nichts an der Sie alles nur noch auf die Bundeswehr. Sie lenken Tatsache, daß der Staat die jungen Männer dieses von den eigentlichen Problemen, die es in dieser Ge- Landes über Monate hinweg ohne irgendeinen plau- sellschaft gibt, ab. Sie wissen, Rechtsextremismus ist siblen Grund zu Zwangsdiensten heranzieht, deren ein Problem dieser Gesellschaft. Aber Sie tun mit die- persönliche Freiheit und Freizügigkeit erheblich ein- sem Untersuchungsausschuß so, als sei Rechtsextre- schränkt und sie während dieser Zeit letztlich mit ei- mismus ein Problem der Bundeswehr. Das stimmt nem Taschengeld abspeist. nicht. Eher ist es ein Problem der Gesellschaft. An der Lösung dieses Problems hätten Sie mitarbeiten Er ändert nichts an der Tatsache, daß insbesondere können. Aber da haben Sie sich verweigert. Das be- Wehrpflichtige, die sich noch in der Ausbildung be- dauere ich. finden oder gerade den Einstieg in einen Job ge- schafft haben und dann eingezogen werden, mit er- Eine letzte Bemerkung: Wir haben hier aufgeführt, heblichen beruflichen Nachteilen zu kämpfen haben. was wir in dieser Legislaturperiode für die Wehr- Er ändert nichts an der Tatsache, daß von Gleich- pflichtigen getan haben. Ich brauche das nicht im behandlung Wehrdienstleistender und Zivildienstlei- einzelnen zu wiederholen. Aber ich bitte, daran zu stender keine Rede sein kann und daß Zivis mit den denken, daß wir hinsichtlich des Mobilitätszuschla- neuen Regelungen für den Mobilitätszuschlag noch ges auf den einzelnen abgezielt haben, daß wir indi- stärker ins Hintertreffen geraten, wobei die Rekruten viduelle Lösungen haben wollen und uns weiterhin in der Regel ja nichts dafür können, daß sie nicht hei- dafür einsetzen, weil das letztendlich dem einzelnen matnah eingesetzt werden. Soldaten zugute kommt. Auch da haben Sie Ihre Mit- arbeit verwehrt und haben sich nicht beteiligt. Er ändert nichts an der Tatsache, daß ein paar D- Mark mehr all diese Nachteile, die aus der anachro- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - nistischen Wehrpflicht resultieren, keineswegs kom- Abg. Dieter Heistermann [SPD] meldet sich pensieren können. zu Wort) Wir bleiben daher bei unseren Forderungen an die Bundesregierung: Verkleinern Sie die Bundeswehr Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege personell drastisch, indem Sie die Wehrpflicht ab- Heistermann, Sie dürfen darauf jetzt nicht antworten, schaffen! Organisieren Sie die Streitkräfte, wenn sie weil wir keine internen Debatten zulassen können. denn für nötig erachtet werden, auf der Basis der Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Graf von Ein- Freiwilligkeit, so wie dies für andere Gemeinschafts- siedel. aufgaben - Polizei, Zoll, Bundesgrenzschutz - gilt! Entlohnen Sie die Freiwilligen entsprechend!

Heinrich Graf von Einsiedel (PDS): Frau Präsiden- Danke. tin! Sehr verehrte Kollegen und Kolleginnen! Die Ge- (Beifall bei der PDS) - walt in der Gesellschaft betrifft natürlich nicht nur die Bundeswehr. Aber schließlich regieren Sie das Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich gebe jetzt Land seit 16 Jahren. Für das, was sich in dieser Zeit das Wort dem Herrn Staatssekretär Bernd Wilz. entwickelt hat, tragen deshalb hauptsächlich Sie, die Regierung, die Verantwortung. Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne nister der Verteidigung: Frau Präsidentin! Meine Da- ten der SPD - Wilhlem Schmidt [Salzgitter] men und Herren! Ich beginne mit zwei Vorbemer- [SPD]: Das Produkt der geistig-moralischen kungen und gehe zunächst auf etwas ein, was der Wende ist das!) Kollege Kolbow angesprochen hat. Ich darf feststel- len, daß der Ruf und das Ansehen der Bundeswehr Aber lassen wir das. Das, was Sie hier von sich ge- im In- und Ausland noch nie so gut waren wie heute. ben, ist alles nur Getöse. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Angesichts der gestiegenen Lebenshaltungskosten dürfen Wehrpflichtige finanziell nicht noch mehr ins Lieber Kollege Kolbow, dazu bedarf es nicht eines Hintertreffen geraten, als sie es ohnehin schon sind. Untersuchungsausschusses, sondern das hat die Wir unterstützen daher den vorliegenden Antrag der Bundeswehr durch ihre Einsätze, ob in Kambodscha, SPD; denn er forde rt wenigstens einen geringen Aus- in Somalia, im Irak, in Bosnien oder an der Oder, sel- gleich der Preisentwicklung - und dies umgehend ber geleistet. Dafür danken wir ihr. und nicht erst im nächsten Jahr. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Nach Auffassung der Koalition ist dies angeblich sowie bei Abgeordneten der SPD) nicht finanzierbar. Seltsam: Finanzpolitische Skrupel Die zweite Vorbemerkung: Ich kann immer verste- dieser Regierung, wenn es darum geht, beim Sold hen, wenn aus der Opposition heraus Einzelpunkte noch eine D-Mark mehr draufzupacken, aber völlige kritisch hinterfragt werden oder manches noch Skrupellosigkeit bei einem zweistelligen Milliarden- schneller oder besser gehen soll. Nur, wenn man fair betrag für das gigantischste Rüstungsprojekt der und objektiv ist, muß man feststellen, daß das, was Nachkriegszeit, den Eurofighter. wir im Gesamtzusammenhang geleistet haben, be- (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Gott sei achtlich ist und sich wirklich sehen lassen kann. Dank haben wir den!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 20470 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Parl. Staatssekretär Bernd Wilz Für unsere Überlegungen ist maßgeblich: Die Bun- vestition in die Menschen bei der Bundeswehr gut deswehr gehört als Teil des Volkes in unsere Mitte. angelegt. Ihre Struktur und ihr Charakter werden seit mehr als 40 Jahren durch die allgemeine Wehrpflicht geprägt. Ergänzend zu diesen Maßnahmen hat der Bundes- Die Qualität unserer Streitkräfte und ihre Fähigkeit, verteidigungsminister im März 1996 die Leitlinie zur auch neue Herausforderungen zu meistern, hängen Verbesserung der Rahmenbedingungen und Steige- dabei nicht allein von Strukturen und Waffensyste- rung der Attraktivität des Wehrdienstes erlassen. Mit men ab. Vor allem kommt es auf die Menschen an, ihr werden vorrangig die nichtmateriellen Aspekte die in der Bundeswehr dienen. Die grundwehrdienst- des Grundwehrdienstes gestärkt und ideelle Motiva- leistenden Soldaten sind und bleiben dabei eine tra- tionsanreize geschaffen. gende Säule der Streitkräfte. Es wird nicht das ein- treten, was Sie, Kollege Nachtwei, hier vorgeträumt Durch den jetzt vorgelegten Entwurf wollen wir haben, daß nämlich die Tage der Wehrpflicht gezählt die schon veranlaßten Maßnahmen noch weiter stei- seien. Nein, die Wehrpflicht wird erhalten bleiben; gern. Es geht dabei nicht um neue Leistungen, son- das ist auch die Zukunft für Deutschland. dern wir wollen Vorhandenes verbessern oder anhe- (Beifall der Abgeordneten Kurt J. Ross ben. Das eine ist der Mobilitätszuschlag - ich freue manith [CDU/CSU] und Günther F riedrich mich, Kollege Heistermann, daß Sie hier zustimmen -, Nolting [F.D.P.]) der ab dem 1. Juli 1998 auch für die Distanz zwischen 31 und 50 Kilometern eingeführt wird. Das ist eine Die grundwehrdienstleistenden Soldaten helfen weitere gute Sache. massiv, daß die Bundeswehr ihre Aufgaben optimal erfüllen kann. Wir sind nicht zuletzt auf die Fähigkei- Das zweite ist die Wehrsolderhöhung um 1 DM ten und beruflichen Qualifikationen der jungen Ge- täglich ab dem 1. Januar 1999. Ich glaube, wenn man neration angewiesen. Deshalb müssen wir dafür das zusammen mit dem sieht, was wir bereits alles Sorge tragen, daß auch in Zukunft genügend Wehr- getan haben, ist das - so finde ich - angemessen und pflichtige in den Streitkräften dienen. Der Steigerung auch, was den Haushalt angeht, als vertretbar zu be- der Attraktivität des Wehrdienstes sowohl durch eine zeichnen. sinnvolle, fordernde und erlebnisorientierte Ausbil- dung als auch in materieller und ideeller Hinsicht Die Kosten für die von uns angestrebte Anhebung kommt dabei eine unverände hohe Bedeutung zu. rt des Wehrsolds und die weitere Ausgestaltung des (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Mobilitätszuschlags werden jedes Jahr zusätzlich rund 64 Millionen DM betragen. Wir werden daher Mit dem Wehrrechtsänderungsgesetz haben wir mit diesem Gesetzesvorhaben in Verbindung mit ab Januar 1996 vor allem die materielle Lage der dem schon Geleisteten auch in Zukunft dafür Sorge wehrpflichtigen Soldaten deutlich verbessern kön- tragen, daß der Wehrdienst in der Bundeswehr aner- nen. Ich weise noch einmal auf die wesentlichen - kannt und attraktiv bleibt. Ich finde, unsere Wehr- Punkte hin: Mit der Verkürzung der Dauer des Wehr- pflichtigen haben es verdient. Wir sollten sie weiter- dienstes auf zehn Monate verlangen wir den jungen hin - gerade auch bei öffentlichen Gelöbnissen - Menschen nur den Dienst ab, der sicherheitspolitisch massiv unterstützen. erforderlich und geboten ist. Die Einführung eines freiwilligen zusätzlichen Wehrdienstes von zwei bis Herzlichen Dank. 13 Monaten mit einem finanziellen Zuschlag von mo- natlich 1200 DM hat die Flexibilität für beide Seiten erhöht, für die Bedürfnisse der Streitkräfte wie auch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) für die Lebensplanung unserer Wehrpflichtigen. Von der erstmaligen Einführung eines Mobilitätszuschla- ges in Höhe von monatlich 90 oder 180 DM bei hei- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe da- matferner Stationierung von mehr als 50 oder 100 Ki- mit die Aussprache. Interfraktionell wird die Über- lometern profitiert zur Zeit rund die Hälfte aller weisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/9960 Wehrdienstleistenden. und 13/10191 an die in der Tagesordnung aufgeführ- Erinnern möchte ich in diesem Zusammenhang ten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Antrag der Frak- auch an das Vorziehen des Dienstzeitausgleichs vom tion der SPD auf Drucksache 13/10191 soll dem siebten auf den vie rten Monat. Darüber hinaus ha- Haushaltsausschuß jedoch nur zur Mitberatung und ben wir die Beförderungszeiten für Mannschaften nicht gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen verkürzt; das hat Kollege Augustinowitz hier vorge- werden. Ist das richtig so? - Dann sind die Überwei- tragen. Im übrigen weise ich noch einmal darauf hin, sungen so beschlossen. daß wir für Mannschaften den neuen Spitzendienst- grad Oberstabsgefreiter eingeführt haben. Das er- höht die Attraktivität für junge Männer ebenfalls. Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf: (Dieter Heistermann [SPD]: Dafür kriegen Sie auch unsere Zustimmung!) Beratung der Beschlußempfehlung des Aus- schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes Meine Damen und Herren, nur für diese Verbes- (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur serungen geben wir jährlich rund 300 Millionen Neuregelung des Rechts des Naturschutzes DM aus. Dieser Betrag ist, wie wir meinen, als In und der Landschaftspflege, zur Umsetzung Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20471 Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften und zur nötig; vielmehr betonen sie selbst, daß der Schutz Anpassung anderer Rechtsvorschriften von Boden, Luft und Wasser ein ureigenes Interesse - Drucksachen 13/6441, 13/7778, 13/8180, 13/ der Landwirtschaft ist. 8268, 13/9638, 13/9837, 13/9838, 13/10003 - Man muß sich auch vergegenwärtigen, daß ein Berichterstattung: großer Teil der nun im Rahmen der FFH-Richtlinie Abgeordneter Michael Müller (Düsseldorf) zur Ausweisung anstehender Naturschutzgebiete erst durch die landwirtschaftliche Tätigkeit geschaf- Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - fen wurde. Nein. Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? - Dann rufe ich den Abgeordneten Susset auf. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Es dürfen keine Debattenbeiträge geleistet, son- sowie des Abg. Ulrich Hein rich [F.D.P.]) dern nur Erklärungen abgegeben werden. 84 Prozent der Gesamtfläche Deutschlands werden von der Land- und Forstwirtschaft in einem gepfleg- Egon Susset (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine ten Zustand gehalten und damit auch der Gesell- lieben Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU- schaft insgesamt zur Verfügung gestellt. 40 Prozent Bundestagsfraktion hat es sich mit der Umsetzung der Fläche Deutschlands werden von der Land- und der FFH-Richtlinie nicht leichtgemacht. Bekanntlich Forstwirtschaft freiwillig in Umweltprogramme ein- haben die Koalitionsfraktionen im Juni 1997 ein Ge- gebracht, im Rahmen derer über die gute fachliche setz zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes Praxis hinaus Maßnahmen auf den Gebieten des Na- beschlossen. Dieses Gesetz sah eine Ausgleichsrege- tur-, Boden- und Gewässerschutzes durchgeführt lung für die Land- und Forstwirtschaft bei natur- werden. In zirka 5500 Naturschutzgebieten erfüllen schutzbedingten Nutzungsbeschränkungen vor. die Landwirte erhöhte Anforderungen an die Bewirt- schaftung, um wildlebenden Tieren und Pflanzenar- Anschließend hat der Bundesrat das Gesetz abge- ten ihren Lebensraum in einer dichtbesiedelten Indu- lehnt und den Vermittlungsausschuß angerufen. Lei- strienation zu erhalten. Auf 15 Prozent der Fläche in der war dessen Beratungsergebnis für die Landwirt- der Bundesrepublik wird ein erhöhter Gewässer- schaft völlig unakzeptabel, weil es sich um die pure schutz in Form von Wasserschutzgebieten prakti- Umsetzung der FFH-Richtlinie ohne jegliche Aus- ziert. gleichsregelungen handelte. Auch die erneute Anru- fung des Vermittlungsausschusses durch die Koaliti- Viele in der Land- und Forstwirtschaft befinden onsfraktionen erbrachte kein anderes Ergebnis. sich in einer schwierigen Situation. Sie sind durch Wir stimmen heute dennoch der Umsetzung der hohe Umwelt-, Naturschutz- und Tierschutzauflagen FFH-Richtlinie zu, weil inzwischen ein Weg gefun- im Wettbewerb mit ihren EU-Nachbarn benachtei- den wurde, um die berechtigten Ausgleichsansprü- ligt. Sie können auf keinen Fall noch zusätzliche Na- che von Land- und Forstwirtschaft gesetzlich zu ver- - turschutzauflagen ohne finanziellen Ausgleich hin- ankern. Dazu bringen die Regierungsfraktionen nehmen. heute den Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Ände- Wir bedanken uns bei Frau Minister Merkel und rung des Bundesnaturschutzgesetzes ein. Dies ist bei Herrn Bundeslandwirtschaftsminister Borche rt notwendig, weil im Rahmen der Umsetzung der für die kooperative Zusammenarbeit. Wir stimmen FFH-Richtlinie bundesweit Schutzgebiete ausgewie- dem Vermittlungsergebnis deshalb zu, weil wir uns sen werden können. Davon sind natürlich auch Flä- auf einen zustimmungsfreien Gesetzentwurf zur Än- chen von land- und forstwirtschaftlichen Bet rieben derung des Bundesnaturschutzgesetzes geeinigt ha- betroffen. Konkret bedeutet dies: Der Staat erläßt Be- ben, auf einen Gesetzentwurf, der die Entschädigung wirtschaftungsauflagen, die für die Betriebe Ertrags- regelt. einbußen, eine Erschwernis der landwirtschaftlichen Arbeit sowie eine Beschränkung der Betriebsent- Ich bedanke mich. wicklung bedeuten. Dies ist nichts anderes als ein di- rekter Eingriff in das Eigentum. Denn kann man es (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge anders bezeichnen, wenn ein Bet rieb durch gesetzli- ordneten der F.D.P.) che Auflagen Einkommensverluste ohne Ausgleich hinnehmen muß? Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ebenfalls zu ei- Meine Damen und Herren, ich möchte einmal den ner Erklärung erhält das Wo rt die Abgeordnete Ul- Aufschrei derer hören, die für die Verweigerung der rike Mehl. Ausgleichsregelung verantwortlich sind, wenn der Staat zu Zwecken des Naturschutzes vielleicht 30 Prozent ihres Gehaltes einziehen würde. Es kann Ulrike Mehl (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolle- doch keine verantwortliche und dem Eigentum ver- ginnen und Kollegen! Daß der kleine Teil des Bun- pflichtete Politik sein, den Land- und Forstwirten zu desnaturschutzgesetzes, der heute verabschiedet erklären, die Einkommensverluste seien im Rahmen werden soll, nun das Licht der Öffentlichkeit noch er- der Sozialpflichtigkeit des Eigentums hinzunehmen. blickt, habe ich überhaupt nicht mehr zu hoffen ge- Für meine Fraktion ist der Schutz des Eigentums eine wagt. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen der Grundsatzposition. Deshalb respektieren wir natür- Koalition, daß sie die Wahl in Sachsen-Anhalt nicht lich auch das Bodeneigentum der Land- und Forst- zum Anlaß genommen haben, die Verabschiedung wirte. Diese haben keine Nachhilfe im Naturschutz dieses Gesetzes noch einmal zu verschieben. 20472 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Ulrike Mehl Ich bedauere außerordentlich, daß Sie aus wahl- gierung. Sie suchen dafür einen Sündenbock und taktischen Gründen die Verabschiedung des Geset- glauben, ihn im Naturschutz gefunden zu haben. zes über Monate hinweg verschoben und gleichzeitig eine beispiellose Kampagne gegen den Naturschutz (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne gefahren haben, die die Akzeptanz in der Öffentlich- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) keit um mindestens zehn Jahre zurückzuwerfen Wir wollen den Weg zu einer insgesamt flächen- droht. Sie haben dabei in Kauf genommen, daß Ihre deckenden, umweltverträglichen Landwirtschaft fin- Umweltministerin öffentlich lächerlich gemacht den, und wir wollen, daß die Landwirte einen finan- wurde. ziellen Ausgleich für ökologische Leistungen erhal- ten. Warum unterschlagen Sie permanent, daß Mil- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: So lionenbeträge in den Ländern an die Landwirtschaft ein Unsinn!) gezahlt werden? Warum unterschlagen Sie das? Aber das ist Ihr Problem. Das ist nur der Beginn des (Beifall des Abg. Ecka rt Kuhlwein [SPD]) Ganzen. Ich habe noch nicht gehört, daß ein Landwirt gegen Weil Sie immer sagen, wir hätten blockiert, erkläre solche Auflagen erfolgreich oder überhaupt geklagt ich noch einmal, wie es tatsächlich abgelaufen ist. hätte. Die Landwirte, die diese Ausgleichszahlungen Begonnen hat es bereits bei der Beratung im Bundes- bekommen, sind in der Regel damit zufrieden. tag. Frau Merkel ist mit dem Anspruch angetreten, eine umfassende Novelle vorzulegen. Bei der Entste- Statt dessen legen Sie bei der Verabschiedung der hung und Beratung dieses Gesetzes haben sowohl zweiten Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz be- die Regierung als auch die Koalition keine Gelegen- reits eine dritte Novelle vor. Ich glaube, daß das ein heit ausgelassen, dieses Gesetz zu demontieren. Die einmaliger Vorgang in diesem Hause ist. Ich wun- abschließende Beratung im federführenden Umwelt- dere mich auch, daß die Geschäftsordnung zuläßt, ausschuß wurde auf Ihr Verlangen hin mehrmals von daß an einem Tage die zweite Novelle zu einem Ge- der Tagesordnung abgesetzt, weil Sie sich inte rn setz verabschiedet wird, und gleichzeitig die dritte nicht einig waren. Mit jeder Woche, die ins Land Novelle in erster Lesung vorliegt. ging, trieb es den Umweltpolitikern in der Koalition Mit dem vorgelegten Vorschlag lösen Sie nicht die den Angstschweiß auf die Stirn, weil sie nicht mehr absehen konnten, welche Skurrilitäten als weitere Probleme, die in erster Linie in der Landwirtschafts- Demontage des Naturschutzes noch auftreten wür- politik zu lösen wären, sondern Sie versuchen, die den. Probleme im Naturschutz zu lösen. Das ist der völlig falsche Weg. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Was heraus kam, ist folgendes - ich möchte es mit ei- nem Vergleich darstellen -: Sie gehen in ein Gast- - Wenn Sie endlich dazu bereit wären, mit uns dar- haus und bestellen dort ein Schnitzel. Der Kellner über zu reden, mit welchen gesetzlichen Instrumen- bringt Ihnen aber Labskaus und erklärt Ihnen auf die ten die Landwirte in die Lage versetzt werden könn- Frage, ob das denn das Schnitzel sei: Ja, dies ist das ten, insgesamt umweltverträglich zu wirtschaften, Schnitzel. Den Vergleich des Gesetzes mit Labskaus dann hätten wir viele Probleme der Landwirtschaft halte ich allerdings insofern für schlecht, als Labs- und des Naturschutzes gelöst. Was Sie vorlegen, ist kaus ein gutes Ge richt ist; Ihr Gesetz hingegen ist weiße Salbe. nicht gut. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Wider- Ich sage Ihnen: Das haben die Landwirte nicht ver- spruch bei der CDU/CSU) dient. Das Ganze erlebte seine Krönung in der abschlie- (Beifall bei der SPD) ßenden Beratung des Bundesrates; auch darauf möchte ich Sie noch einmal hinweisen. Im Bundesrat Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort zu ei- wurde Ihr Gesetz von allen Ländern abgelehnt; kein ner Erklärung erhält nun die Kollegin Ul rike Höfken. einziges Land hat diesem Gesetz zugestimmt. Der Präsident war fassungslos über dieses Ergebnis und (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die stellt sich hat noch einmal nachgefragt, ob er es richtig gesehen wahrscheinlich dagegen!) habe. Er hatte es richtig gesehen. Einem schlechten Gesetz kann man nämlich nicht zustimmen. Keiner hatte zugestimmt. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Herren! Tatsächlich wird heute der Umsetzung der europäischen FFH-Richtlinie und der Artenschutz- Sie haben die Diskussion um die Verbesserung des verordnung zugestimmt. Die Verzögerungen, die Naturschutzes zu einer Nutzerförderungsdiskussion Deutschland durch die entstandenen Rechtslücken verkommen lassen. Ich sage Ihnen, Herr Susset: im Artenschutz zu einem regelrechten Schmuggelpa- Wenn der Landwirtschaft heute das Wasser bis zum radies der organisierten Kriminalität im Handel mit Hals steht, dann ist nicht der Naturschutz schuld, geschützten Arten machte, sind vollkommen unnötig sondern die Landwirtschaftspolitik dieser Bundesre und reine Wahltaktik gewesen. Das gilt übrigens Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20473

Ulrike Höfken ebenso für die Anhebung der Vorsteuerpauschale. kann, da die Ausweisung der FFH-Gebiete nicht in Das muß hier noch einmal betont werden. der direkten Kompetenz der Länder liegt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Sicher doch! Gerade doch!) Es war doch diese Bundesregierung, nicht die Län- der und nicht die Opposition, die die FFH-Richtlinie Die Bundesregierung kneift damit vor der natur- 1992 in dieser Form unterschrieben hat. Das haben schutzpolitischen und agrarpolitischen Verantwor- wir natürlich auch unterstützt. Aber daß diese Bun- tung. desregierung, die rechtliche Umsetzung vertrödelt und jetzt ihre eigenen Richtlinien zum „Job der Län- Bündnis 90/Die Grünen sind für Ausgleichszahlun- der" macht, ist doch ein Skandal! gen, für Nutzungsausfälle, wenn die Umweltanforde- rungen über die Anforderungen der ordnungsgemä- (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Ul rich ßen Landwirtschaft hinausgehen - immerhin gibt es Heinrich [F.D.P.]: Fragen Sie doch mal, wie im Pflanzenschutzgesetz jetzt ein Stück weit Defini- die in Sachsen-Anhalt mit den Bauern tionen -, aber unter Beteiligung des Bundes. Einen umgehen!) Entschädigungsautomatismus lehnen wir ab. Mit diesem unverantwo rtlichen Umgang mit einer Mit der jetzt von Ihnen geplanten, noch nicht ein- EU-Richtlinie hat diese Bundesregierung die Pro- gebrachten Gesetzesänderung zum Bundesnatur- bleme der Planungsunsicherheit bei Landwirtschaft schutzgesetz - jetzt geht es in die dritte Runde im und Wirtschaft erst geschaffen. Mit dieser mangeln- Kreis - durch die Koalition soll nach Abschluß des den Umsetzung und rechtlichen Unverantwortlich- wahlkampftaktischen Geplänkels das Gesicht ge- keit treibt sie die Leute jetzt in Bürgerinitiativen zur wahrt werden. Sicherung des Eigentums, die faktisch Bürgerinitiati- ven gegen diese Bundesregierung und nicht gegen Rechtlich wird diese unzulässige Finanzierungs- den Naturschutz sind. verlagerung auf die Länder wohl kaum Bestand ha- ben. Die Bundesregierung zeigt sich damit verhand- ( Vo r s i t z: Vizepräsident Hans-Ulrich Klose) lungsunfähig und als unfähig, die Interessen der Bauern und des Naturschutzes zu vertreten. Ein neues Verhandlungsangebot legte die Bundes- regierung nicht vor. Ein Verhandlungsangebot muß Die konstruktiven Vorschläge kommen von der finanzielle Komponenten enthalten. Die CDU/CSU- Opposition. Die Grünen fordern eine Finanzierung und F.D.P.-Agrarpolitiker haben vor den Kommunal- der Nutzungsausfälle aus der Gemeinschaftsaufgabe wahlen in Schleswig-Holstein geschworen, niemals Agrarstruktur bei gleichzeitiger Aufstockung um den eine Umsetzung ohne Entschädigung zuzulassen. neu geschaffenen Naturschutztitel aus dem Bereich Das war alles nur heiße Luft. Die Bundesregierung des BMU, und zwar mit Geldern aus der Atomkraft- gibt für die Bauern keine müde Mark aus. Die Länder förderung. Dies haben wir bereits in Änderungsan- weisen nicht nach Belieben FFH-Gebiete aus. - trägen zum letzten Haushalt so geäußert. (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Aber Nord Alles andere, eine solche Gesetzesvorlage ohne ein rhein-Westfalen wohl!) finanzielles Angebot, ist eine schamlose Bauernfän- gerei. - Die Länder weisen nicht nach eigenem Belieben FFH- und Naturschutzgebiete aus, sondern sie müs- Danke. sen sie nach den Bestimmungen der erlassenen und von Ihnen unterschriebenen europäischen Richtlinie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ausweisen, nach festgelegten Kriterien. Das Wort zu ei- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Gehen Sie mal Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: ner Erklärung hat der Kollege Ulrich Heinrich, F.D.P. nach Schleswig-Holstein!)

(F.D.P.): Herr Präsident! Meine ver- Darf ich einmal Ulrich Heinrich Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: ehrten Kolleginnen und Kollegen! Obwohl wir hier dazwischengehen, Frau Kollegin Höfken? Ich möchte nur Erklärungen abzugeben haben, möchte ich vor- Sie darauf aufmerksam machen, daß dies keine De- her aber doch einen Satz sagen: Es fällt einem wirk- batte ist. Vielmehr werden hier Erklärungen nach lich schwer, hier eine Erklärung abzugeben, ohne § 31 unserer Geschäftsordnung abgegeben. Debat- auf die vorangegangenen Beiträge einzugehen. tenbeiträge werden nicht geduldet. Die jeweiligen Denn jedem Fachmann stellt sich das Nackenhaar Redner hier müssen sich an das Stichwort „Erklä- auf, wenn man diese Erklärungen zur Kenntnis neh- rung" halten. Sie müssen erklären, warum Sie wie men muß. abstimmen, und das ist es. Es tut mir leid, aber so sind die Regeln. Sonst muß man eine Debatte verein- Die Regierungskoalition von F.D.P. und CDU/CSU baren. beweist in einer schwierigen Lage ihre Entschlossen- heit und ihre Handlungsfähigkeit. Zwar konnten wir Also, bitte, eine Erklärung zur Abstimmung. bisher im Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat weder im Bundesnaturschutzgesetz noch Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich mit der Umsetzung der Flora-Fauna-Habitat-Richtli- erkläre dann weiter, daß die Finanzierung auch des- nie eine Ausgleichsregelung durchsetzen. Diesen halb nicht allein auf die Länder abgeschoben werden Weg hat die Opposition versperrt und damit die No- 20474 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Ulrich Heinrich welle zum Bundesnaturschutzgesetz zum wiederhol- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die ten Male an einer Ausgleichsregelung für Land- und Kollegin Bulling-Schröter, PDS. Forstwirte scheitern lassen. Dennoch zeichnet sich jetzt in dieser zentralen Eva Bulling-Schröter (PDS): Herr Präsident! Liebe Frage zum Schutz der Eigentumsrechte eine befriedi- Kolleginnen und Kollegen! Die zwei Ehrenrunden, gende Lösung ab. Durch den abgespeckten dritten die das Vermittlungsergebnis drehen durfte, wären Entwurf einer Nove lle zum Bundesnaturschutzge- eigentlich wie so viele Absurditäten dieses Hauses setz, den wir heute nach der Abstimmung hier eben- kaum an die Allgemeinheit gelangt. Allein der Um- falls einbringen, wollen wir den Grundeigentümern stand, daß die Sendung „Monitor" dieses Trauerspiel zu ihrem Recht verhelfen. Dieser neue Gesetzentwurf im Zusammenhang mit dem Artenschutz an die Öf- enthält unter anderem eine Ausgleichsregelung. Da- fentlichkeit zerrte, entfachte diesmal einen Sturm der nach sollen Aufwendungen für Anforderungen des Entrüstung. Naturschutzes, die über der guten fachlichen Praxis liegen, den Landwirten erstattet werden. Auflagen, Wir stimmen dem Vermittlungsergebnis zu. Wir die über die gute fachliche Praxis hinausgehen, sind meinen, daß die wahltaktische Ablehnung des Ver- Eingriffe in das Eigentum und mit gravierenden Ein mittlungsergebnisses im Plenum dazu beigetragen kommenseinbußen verbunden. hat, daß die Geltung einer Gesetzeslücke verlängert wird, die kriminellen Händlern bedrohter Tier- und (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und Pflanzenarten seit zirka einem Jahr weitgehende der CDU/CSU) Straffreiheit verschafft. Diese Gesetzeslücke war mir übrigens bei der letzten Abstimmung genausowenig Sie sind deshalb ausgleichspflichtig, und sie sind bekannt wie sicher den meisten hier im Saal. Die Ab- keine Subventionen. geordneten werden in den Ausschüssen zwar oft mit Gleichzeitig bewahren wir so den bewährten Ver- Papier zugeschüttet, mit solchen wichtigen Details tragsnaturschutz vor einem möglichen Eigentor. Da- aber leider nicht belästigt. mit gewährleisten wir, daß auch zukünftig Natur- (Birgit Homburger [F.D.P.]: Menschenskind, schutz mit und nicht gegen die Land- und Forstwirte darum muß man sich vielleicht selber küm verwirklicht wird. mern!) (Beifall bei der F.D.P.) Wir stimmen zu. Wir meinen, daß das Grundpro- Mit der Umsetzung der FFH-Richtlinie in nationa- blem der Auseinandersetzung um die Novellierung les Recht widerlegen wir zudem alle Vorwürfe, wir des Naturschutzgesetzes allerdings weiterhin darin wollten mit der Nichtumsetzung dem Natur- und besteht, daß die Koalition an Landwirte für deren Flä- Umweltschutz in Deutschland die Rechtsgrundlage chen pauschal Geld ausschütten will - egal ob be- entziehen. Seither haben Sie durch Ihr Verhalten da- wirtschaftet oder nicht, egal ob Acker, Brache, Wiese für gesorgt, daß wir nicht vorangekommen sind, - oder sogar Wald -, wenn diese innerhalb von Schutz- meine Damen und Herren von der Opposition. gebieten liegen - und dies auch noch rückwirkend. Neu an unserem Gesetzentwurf zur dritten Nove lle Ich bin der Auffassung, daß viele Landwirte bei- zum Bundesnaturschutzgesetz ist ebenfalls - das ist spielsweise beim Vertragsnaturschutz einen wertvol- für die weitere parlamentarische Beratung aus- len Beitrag zum Erhalt unserer natürlichen Umwelt schlaggebend -, daß wir mit dieser Vorlage nicht leisten. Deshalb sollen sie auch entsprechende Kom- mehr auf die Zustimmung des rotgrün dominierten pensationszahlungen erhalten können. Allerdings Bundesrates angewiesen sind. Es handelt sich näm- muß einerseits ein sachlicher und zeitlicher Zusam- lich um ein Rahmengesetz, bei dem der Bundesrat menhang mit dem Naturschutz erkennbar sein und nur ein Einspruchsrecht hat. Die Ausgestaltung liegt andererseits die aus Naturschutzgründen erwach- dann bei den Ländern. sende Belastung der Land- und Forstwirte über ein Maß hinausgehen, welches eigentlich im Rahmen Abschließend appelliere ich an alle Landesregie- der Sozialpflichtigkeit des Eigentums hinzunehmen rungen, an denen CDU, CSU und F.D.P. beteiligt wäre. Konkret hieße das, daß durch eine Mischung sind, die von uns eröffnete Chance zur Verabschie- von Übergangshilfen und Vertragsnaturschutz eine dung der dritten Novelle zum Bundesnaturschutzge- Änderung der Nutzung vom Staat finanziell begleitet setz mutig zu ergreifen und durch ihre Unterstützung werden muß. die Dauerblockade von Rotgrün im Bundesrat zu bre- chen. Wir stimmen dem Ergebnis zu und bleiben dabei: Pauschale Ausgleichszahlungen für Flächen, die in Ich erkläre hier für die F.D.P.-Bundestagsfraktion: Naturschutzgebieten liegen bzw. liegen werden und Der Umsetzung der FFH-Richtlinie stimmen wir zu, teilweise nie bewirtschaftet wurden, oder, wie im Re- weil in der dritten Novelle zum Bundesnaturschutz- gierungsentwurf der Novelle zum Bundesnatur- gesetz die von uns immer geforderte Ausgleichsrege- schutzgesetz neu festgeschrieben, rückwirkende lung enthalten ist und wir diese Novelle somit auch Zahlungen an Eigentümer solcher Flächen sind öko- gegenüber dem Grundeigentümer verantworten logisch unsinnige Geldgeschenke. Wenn tatsächlich können. den wirtschaftenden Bauern und nicht den Eigen- Ich bedanke mich. tümern schlechthin geholfen werden so ll, dann dür- fen nur Ertrags- und Einkommensverluste als Folge (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) von Naturschutzmaßnahmen auf tatsächlich land- Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20475

Eva Bulling-Schröter wirtschaftlich bewi rtschafteten Flächen finanziell Ich rufe jetzt Zusatzpunkt 3 auf: ausgeglichen werden. Und dies passiert schon heute, und zwar in erheblichem Umfang. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs Die Politik der Bundesregierung gefährdet aber eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bun- genau diese Zahlungen, die zwischen den Länder- desnaturschutzgesetzes umweltministerien und den jeweiligen Bauern aus- - Drucksache 13/10186 — gehandelt werden. Wenn das Regierungsprogramm Realität würde, dann würden die EU-Kofinanzie- Überweisungsvorschlag: rungsmittel der momentan laufenden Agrarumwelt- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit programme, also zirka die Hälfte der jährlich rund (federführend) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 750 Millionen DM - den Rest tragen Bund und Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Länder -, gestrichen. Da aus der Freiwilligenver- Haushaltsausschuß einbarung zwischen Landwirten und Ländern ein Rechtsanspruch werden würde, wäre dies mit EU- Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Interfraktio- Mitteln nicht förderfähig. Deutschlands öffentliche nell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Haushalte würden sich also finanziell auch hier Drucksache 13/10186 an die in der Tagesordnung „ins Knie schießen", wie es der Naturschutzbund aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es an- formulierte. derweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir stimmen dem Ergebnis zu und meinen, daß darüber hinaus der Bundesrepublik durch die Nicht- Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 18a bis umsetzung der FFH-Richtlinie Fördermittel aus dem 18u sowie den Zusatzpunkt 4 auf: EU-LIFE-Programm verlorengehen. Die Vergabe der Mittel ist an Gebiete gebunden, die nach der FFH- 18. a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Richtlinie und der EU-Vogelschutzrichtlinie als rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Schutzgebiete der EU gemeldet sind. Die Bundesre- zes zu dem Abkommen vom 21. Juni 1997 publik erhielt 1995 rund 10 Millionen DM aus dem zwischen der Bundesrepublik Deutschland LIFE-Programm. Ungefähr genausoviel hat sie aber und den Vereinigten Arabischen Emiraten verschenkt, da die Hälfte der Anträge auf Grund der über die Förderung und den gegenseitigen Nichtmeldung deutscher Gebiete von der EU zurück- Schutz von Kapitalanlagen gewiesen wurde. - Drucksache 13/9957 — Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stimmen zu Überweisungsvorschlag: und meinen, daß eine tatsächliche Novellierung des Ausschuß für Wirtschaft Bundesnaturschutzgesetzes noch aussteht. Das bleibt traurige Realität. b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- (Beifall bei der PDS) zes zu dem Abkommen vom 9. August 1996 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Demokratischen Volksrepublik Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Keine weiteren mündlichen Erklärungen. Laos über die Förderung und den gegen- seitigen Schutz von Kapitalanlagen Bevor wir jetzt zur Abstimmung kommen, teile ich - Drucksache 13/9958 — dem Hause mit, daß es schriftliche persönliche Erklä- rungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung gibt: Überweisungsvorschlag: eine Sammelerklärung des Kollegen Gert Willner Ausschuß für Wirtschaft und weiterer 18 Kolleginnen und Kollegen aus der c) Erste Beratung des von der Bundesregie- Fraktion der CDU/CSU, eine Erklärung des Kollegen rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Dr. Michael Meister sowie eine Erklärung der Kolle- zes zu dem Vertrag vom 22. Oktober 1996 gen Elke Wülfing, Karl-Josef Laumann und We rner zwischen der Bundesrepublik Deutschland Lensing. *) und Burkina Faso über die Förderung und Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungs- den gegenseitigen Schutz von Kapitalanla- ausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Ge- gen schäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bun- - Drucksache 13/9959 - destag über die Änderungen gemeinsam abzustim- Überweisungsvorschlag: men ist. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die Be- Ausschuß für Wirt schlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf schaft Drucksache 13/10003? - Die Gegenprobe! - Enthal- d) Erste Beratung des von der Bundesregie- tungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit der Mehr- rung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten heit des Hauses aus CDU/CSU, F.D.P., SPD, Gesetzes zur Änderung des Patentgesetzes Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen, bei - und anderer Gesetze (2. PatGÄndG) wenn ich es recht gesehen habe - drei Gegenstim- - Drucksache 13/9971 - men aus der Fraktion der CDU/CSU-Fraktion, keine Enthaltung. Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß (federführend) ') Anlagen 5 bis 7 Ausschuß für Wirtschaft 20476 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose e) Erste Beratung des von der Bundesregie- j) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- zes zu dem Abkommen vom 9. Oktober derung des Gesetzes über die Errichtung 1997 zwischen der Regierung der Bundes- eines Fonds „Deutsche Einheit" und des republik Deutschl and und der Regierung Gesetzes über den Finanzausgleich zwi- der Französischen Republik über die Zu- schen Bund und Ländern sammenarbeit der Polizei- und Zollbehör- - Drucksache 13/10023 — den in den Grenzgebieten Überweisungsvorschlag: - Drucksache 13/10113 — Haushaltsausschuß (federführend) Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß Innenausschuß (federführend) k) Erste Beratung des von den Fraktionen der Rechtsausschuß Finanzausschuß CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der f) Erste Beratung des von der Bundesregie- EG-Einlagensicherungsrichtlinie und der rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- EG-Anlegerentschädigungsrichtlinie zes zu dem Abkommen vom 24. Oktober - Drucksache 13/10188 — 1996 zwischen der Regierung der Bundes- republik Deutschl and und der Regierung Überweisungsvorschlag: der Tschechischen Republik über die Zu- Finanzausschuß (federführend) sammenarbeit auf dem Gebiet des Umwelt- Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß schutzes - Drucksache- 13/10129 1) Erste Beratung des von den Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Marieluise Beck Überweisungsvorschlag: (Bremen), Volker Beck (Köln), weiteren Ab- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz geordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ und Reaktorsicherheit DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Durchsetzung der Lohn- g) Erste Beratung des von der Bundesregie- gerechtigkeit zwischen Männern und Frau- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten en Gesetzes zur Anpassung der Bedarfssätze der Berufsausbildungsbeihilfe und des Aus- - Drucksache 13/9525 — bildungsgeldes nach dem Dritten Buch So- Überweisungsvorschlag: zialgesetzbuch Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) (Erstes Berufsausbildungsbeihilfe-Anpas- Rechtsausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sungsgesetz —1. BABAnpG) - Drucksache 13/10110 — m) Erste Beratung des von den Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Marieluise Beck Überweisungsvorschlag: (Bremen), Volker Beck (Köln), weiteren Ab- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) geordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei- Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung nes Gesetzes zur Beseitigung der Diskrimi- Haushaltsausschuß gemäß I 96 GO nierung von Frauen in der Erwerbsarbeit - Drucksache 13/9526 — h) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Überweisungsvorschlag: zes zu den Änderungen vom 13. Februar Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) 1997 des Übereinkommens über die Inter- Rechtsausschuß nationale Fernmeldesatellitenorganisation Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend „EUTELSAT" n) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- - Drucksache 13/10138 — brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- derung des Strafgesetzbuches (§§ 43, 44, Überweisungsvorschlag: 51, 54, 59, 59a StGB) und der Strafprozeß- Ausschuß für Post und Telekommunikation ordnung (§§ 153, 267 StPO) - Gesetz zur Verbesserung des strafrechtlichen Sanktio- i) Erste Beratung des von der Bundesregie- nensystems - rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu den Änderungen vom 1. September - Drucksache 13/9612 — 1995 des Übereinkommens über die Inter- Überweisungsvorschlag: nationale Fernmeldesatellitenorganisation Rechtsausschuß „INTELSAT" - Drucksache 13/10139- o) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marion Caspers-Merk, Michael Müller Überweisungsvorschlag: (Düsseldorf), Hermann Bachmaier, weiterer Ausschuß für Post und Telekommunikation Abgeordneter und der Fraktion der SPD Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20477

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Einführung einer einheitlichen und umfas u) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- senden Kennzeichnung umwelt- und ge- desregierung sundheitsverträglicher Textilien (Öko-La- Erster Bericht nach § 70 des Dritten Buches bel) Sozialgesetzbuch i. V. m. § 35 des Bundes- - Drucksache 13/7530 - ausbildungsförderungsgesetzes zur Über- Überweisungsvorschlag: prüfung der Bedarfssätze der Berufsausbil- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz dungsbeihilfe und Reaktorsicherheit (federführend) - Drucksache 13/9589 — Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Gesundheit Überweisungsvorschlag: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) und Entwicklung Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, p) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/ Technologie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. ZP4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Unterstützung der neuen Friedensinitiative Verfahren zur Beilegung des Westsaharakonflikts (Ergänzung zu TOP 18) - Drucksache 13/10025 — Beratung des Antrags der Abgeordneten Überweisungsvorschlag: Dr. Winfried Wolf, Rolf Kutzmutz, Dr. Willibald Auswärtiger Ausschuß Jacob, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS q) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. Veröffentlichung des Vertragsentwurfs „Mul- tilateral Agreement on Investment" (MAI) Internationale Kontrolle und Abrüstung von Kleinwaffen - Drucksache 13/10083 — - Drucksache 13/10026 - Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag : Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Finanzausschuß Auswärtiger Ausschuß (federführend) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Innenausschuß Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Verteidigungsausschuß und Entwicklung r) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Uta Zapf, Edelgard Bulmahn, Katrin Fuchs Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- (Verl), weiterer Abgeordneter und der Frak- ten Verfahren ohne Debatte. tion der SPD - Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen Abrüstung von Kleinwaffen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse - Drucksache 13/9248 — zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das Überweisungsvorschlag: ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be- Auswärtiger Ausschuß (federführend) schlossen. Innenausschuß Verteidigungsausschuß Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunk- ten 19a bis 19d sowie 19f bis 19p. Es handelt sich s) Beratung des Antrags der Abgeordneten um Beschlußfassungen zu Vorlagen, zu denen keine rigitte Adler, Klaus Adelheid Tröscher, B Aussprache vorgesehen ist. Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Tagesordnungspunkt 19 a: Armutsbekämpfung durch Mikrofinanzie- rung in der Entwicklungszusammenarbeit Zweite Beratung und Schlußabstimmung des - Drucksache 13/10027 — von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Überweisungsvorschlag: wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. November 1996 zwischen der Regierung Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland und der Re- gierung des Staates Katar über den Luftver- t) Beratung des Antrags der Abgeordneten kehr Freimut Duve, Dr. R. Werner Schuster, Joa- chim Tappe, weiterer Abgeordneter und der - Drucksache 13/8816 - Fraktion der SPD (Erste Beratung 203. Sitzung) Europas gemeinsame Verantwortung für Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- Afrika schusses für Verkehr (15. Ausschuß) - Drucksache 13/10035 — - Drucksache 13/9891 - Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Berichterstattung: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Abgeordneter Lothar Ibrügger 20478 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf Druck- Tagesordnungspunkt 19 d: sache 13/9891, den Gesetzentwurf unverände rt anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- Zweite und dritte Beratung des von der Bun- entwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer desregierung eingebrachten Entwurfs eines stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- Dritten Gesetzes zur Änderung des Futtermit- wurf ist damit einstimmig angenommen. telgesetzes - Drucksache 13/9534 - Tagesordnungspunkt 19 b: (Erste Beratung 216. Sitzung) Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- Zweite Beratung und Schlußabstimmung des schusses für Ernährung, Landwirtschaft und von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Forsten (10. Ausschuß) wurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen - Drucksache 13/10069- vom 17. März 1992 über die grenzüberschrei- tenden Auswirkungen von Industrieunfällen Berichterstattung: - Drucksache 13/8710 - Abgeordneter Matthias Weisheit (Erste Beratung 203. Sitzung) Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten empfiehlt auf Drucksache 13/10069, den Ge- Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- setzentwurf unverände rt anzunehmen. Ich bitte die- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, torsicherheit (16. Ausschuß) um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthal- - Drucksache 13/9943 - tungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be- ratung einstimmig angenommen. Berichterstattung: Dritte Beratung Abgeordnete Dr. Peter Paziorek Wolfgang Behrendt und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die Dr. Jürgen Rochlitz dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- Dr. Rainer Ortleb ben. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ge- setzentwurf ist einstimmig angenommen. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reak- torsicherheit empfiehlt auf Drucksache 13/9943, den Tagesordnungspunkt 19f: Gesetzentwurf unverände rt anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- Beratung der Beschlußempfehlung und des len, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Berichts des Ausschusses für Verkehr (15. Aus- - Der Gesetzentwurf ist bei Stimmenthaltung von schuß) zu der Unterrichtung durch die Bun- Bündnis 90/Die Grünen und PDS mit den Stimmen desregierung des Hauses im übrigen angenommen. Vorschlag für einen Beschluß des Rates über die Förderung einer dauerhaft tragbaren und sicheren Mobilität Tagesordnungspunkt 19 c: - Drucksachen 13/7017 Nr. 2.36, 13/9407 - Zweite Beratung und Schlußabstimmung des Berichterstattung: von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Abgeordnete Gila Altmann (Aurich) wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit vom Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die 22. April 1996 zwischen den Europäischen Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußemp- Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen einerseits und Georgien andererseits und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der - Drucksache 13/9343 - Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen. (Erste Beratung 213. Sitzung) Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- Tagesordnungspunkt 19 g: schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) Beratung der Beschlußempfehlung und des - Drucksache 13/9985 - Berichts des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus (21. Ausschuß) zu der Unter- Berichterstattung: richtung durch das Europäische Parlament Abgeordneter Paul K. Friedhoff Entschließung des Europäischen Parlaments zum Fremdenverkehr Der Ausschuß für Wi rtschaft empfiehlt auf Druck- - Drucksachen 13/8615 Nr. 1.8, 13/9963 - sache 13/9985, den Gesetzentwurf unverände rt an- zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- Berichterstattung: wurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Ge- Abgeordnete Halo Saibold genprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist Dr. Roll Olderog bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS mit den Brunhilde Irber Stimmen des Hauses im übrigen angenommen. Dr. Olaf Feldmann Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20479

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die men der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußemp- SPD bei Enthaltung der Gruppe der PDS angenom- fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen men. gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS bei Stimmenthal- Tagesordnungspunkt 19m: tung der Fraktion der SPD angenommen. Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- Wir kommen jetzt zu Beschlußempfehlungen des tionsausschusses (2. Ausschuß) Petitionsausschusses. Sammelübersicht 312 zu Petitionen Tagesordnungspunkt 19 h: - Drucksache 13/10047 - Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Enthaltun- tionsausschusses (2. Ausschuß) gen? - Die Sammelübersicht 312 ist gegen die Stim- Sammelübersicht 307 zu Petitionen men der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen. - Drucksache 13/10042 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Ent- Tagesordnungspunkt 19 n: haltungen? - Sammelübersicht 307 ist bei Stimment- haltung der Gruppe der PDS mit den Stimmen des Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- Hauses im übrigen angenommen. tionsausschusses (2. Ausschuß) Sammelübersicht 313 zu Petitionen Tagesordnungspunkt 19 i: - Drucksache 13/10048- Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Enthaltun- tionsausschusses (2. Ausschuß) gen? - Sammelübersicht 313 ist gegen die Stimmen Sammelübersicht 308 zu Petitionen der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen an- - Drucksache 13/10043 - genommen. Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Enthaltun- gen? - Die Sammelübersicht 308 ist gegen die Stim- Tagesordnungspunkt 19 o: men der Gruppe der PDS mit den Stimmen des Hau- Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- ses im übrigen angenommen. tionsausschusses (2. Ausschuß) Tagesordnungspunkt 19j: Sammelübersicht 314 zu Petitionen - Drucksache 13/10049 - Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuß) Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Enthaltun- Sammelübersicht 309 zu Petitionen gen? - Sammelübersicht 314 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die - Drucksache 13/10044 - Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS ange- Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Enthaltun- nommen. gen? - Die Sammelübersicht 309 ist gegen die Stim- men der Gruppe der PDS mit den Stimmen des Hau- Tagesordnungspunkt 19 p: ses im übrigen angenommen. Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- Tagesordnungspunkt 19 k: tionsausschusses (2. Ausschuß) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- Sammelübersicht 315 zu Petitionen tionsausschusses (2. Ausschuß) - Drucksache 13/10050- Sammelübersicht 310 zu Petitionen Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Enthaltun- - Drucksache 13/10045 - gen? - Sammelübersicht 315 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Enthaltun- Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS ange- gen? - Die Sammelübersicht 310 ist mit den Stimmen nommen. der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Op- position angenommen. Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 5 auf: Tagesordnungspunkt 191: Aktuelle Stunde Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- auf Verlangen der Fraktion der SPD tionsausschusses (2. Ausschuß) Vorstellungen der Bundesregierung zur Sammelübersicht 311 zu Petitionen Rücknahme der 4. Verordnung über die per- - Drucksache 13/10046- sonellen Anforderungen für Heime (Heim- personalverordnung) Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Ent- haltungen? - Die Sammelübersicht 311 ist mit den Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat die Kolle- Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim- gin Ulrike Mascher, SPD. 20480 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Ulrike Mascher (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolle- einer Protestversammlung in München erklärt hat, gen! Liebe Kolleginnen! Die SPD-Bundestagsfraktion „gefährliche Pflege". hat diese Aktuelle Stunde beantragt, um öffentlich im Parlament die Pläne zu diskutieren, mit denen die Nun sagt Norbe rt Blüm immer wieder, daß bei der Minister Blüm und Seehofer und wohl auch Frau Pflege in der Familie auch keine Fachpflegekräfte tä- Nolte in einer Nacht-und-Nebel-Aktion beabsichti- tig sind, sondern die Familie mit persönlichem Enga- gen, die Qualitätsanforderungen für die Pflege von gement pflege und niemand die Qualität dieser Fa- alten Menschen in Pflegeheimen abzusenken. milienpflege anzweifle. Also warum nicht auch in Pflegeheimen auf Fachpflegekräfte verzichten und Diese Aktuelle Stunde ist auch deshalb notwendig, Geld mit 620-DM-Hilfskräften sparen? weil Minister Blüm nicht bereits gestern bereit war, im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung einen von Herr Minister Blüm, Sie wissen, daß in den Pflege- uns angeforderten Be richt über seine Absichten ab- heimen hochbetagte, häufig schwer kranke Men- zugeben, sondern das strikt verweigert hat. Ich freue schen, die oft auch noch altersverwirrt sind, leben. mich, daß er heute hier im Parlament ist. Vielleicht Sie kommen in das Pflegeheim, weil die Pflege zu erklärt er, was er mit dieser Absenkung der Fachpfle- Hause nicht mehr geleistet werden kann, weil Sp rit- gequote eigentlich plant. zengeben, Absaugen der Luftröhre, der Umgang mit Kathetern und die Vermeidung von Wundliegen Die SPD-Bundestagsfraktion wendet sich entschie- Fachpersonal erfordern. Selbst der 50 prozentige den gegen die Absichten, das Angebot an Fachpfle- Fachpersonalschlüssel ist bei einem hohen Anteil gekräften von 50 Prozent als Mindeststandard aufzu- von Schwerstpflegebedürftigen nicht ausreichend. geben. Wir befinden uns dabei in einem breiten Niemand will hoffentlich die Altenpflege in Deutsch- Bündnis mit den Wohlfahrtsverbänden, mit den Be- land auf den Standard „Satt, sauber, trocken" fest- schäftigten in den Pflegeheimen und vor allem mit schreiben. Das Ziel der Pflegeversicherung war hu- den Pflegebedürftigen selbst sowie mit ihren Ange- mane und aktivierende Pflege. Das haben wir noch hörigen. lange nicht erreicht! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Anstatt dafür zu kämpfen, daß die Mindestquote ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN von 50 Prozent Fachpersonal nicht aufgegeben wird, und der PDS) müßten wir dafür sorgen, daß wir mehr gut ausgebil- Am 16. März hatte die „Süddeutsche Zeitung" dete Pflegekräfte in die Heime bekommen. dankenswerterweise auf der ersten Seite groß über die Pläne der Bundesregierung berichtet und damit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne zumindest in Bayern ganz neue Bündnisse gegen die ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Absichten von Blüm, Seehofer und Nolte zustande und der PDS) gebracht. Der Münchner Oberbürgermeister Ch ri Das heißt auch: Wenn jetzt wegen des öffentlichen -stian Ude, SPD, und die Bayerische Staatsregierung, - Drucks die Geltung der Übergangsregelung verlän- CSU, das Bayerische Rote Kreuz, die Ca ritas, die Ar- gert wird, dann können wir diesen Druck nicht ver- beiterwohlfahrt, die Diakonie und viele Pflegeinitiati- mindern, sondern müssen weiter dafür kämpfen, daß ven, die Regierung von Oberbayern als Heimaufsicht die Personalausstattung in den Heimen besser wird. und die ÖTV, alle Berufsverbände der Altenpflege, Wir wissen doch, daß alte Menschen über eine Sonde alle Ausbildungseinrichtungen rufen zum Wider- ernährt werden, obwohl sie mit einiger Unterstüt- stand gegen die Absenkung der Fachpflegequote zung noch selbst essen und trinken könnten. Wir wis- auf. sen, daß Menschen mit Medikamenten ruhiggestellt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne und im Bett fixiert werden, weil nicht genug Pflege- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN kräfte da sind, die mit altersverwirrten Menschen an- und der PDS) gemessen, fachlich orientiert umgehen können. Wir wissen, daß Menschen einen Katheter gelegt bekom- Heute hat hier in Bonn eine Kundgebung der ÖTV men, weil das Zeit spart . Wir wissen auch um die Ge- mit einem schönen Button mit etwa tausend Teilneh- fahr der völligen Überforderung von Pflegekräften, merinnen und Teilnehmern unter dem Motto „Quali- die ohne ausreichende fachliche Betreuung arbeiten tät statt Verwahrlosung" stattgefunden. Es wären si- müssen. Es gibt aus dem Ministerium von Frau Nolte cher noch sehr viel mehr gewesen, wenn die Pflege- Untersuchungen über Gewalt an alten, pflegebedürf- kräfte als verantwortungsvolle Pflegende nicht in tigen Menschen, die uns aufschrecken lassen müß- den Altenpflegeheimen zur Pflege der Pflegebedürf- ten. tigen hätten bleiben müssen. Niemand, Herr Blüm - weder die Pflegebedürfti- Warum empören sich denn so viele gegen eine gen noch ihre Angehörigen -, wird begreifen, warum höchst bürokratisch klingende Formel zum Wegfall angesichts einer Rücklage in der Pflegeversicherung, der Fachpflegequote? Weil alle wissen, die nicht nur die doppelt so hoch ist wie im Gesetz vorgeschrieben, unter der Käseglocke in Bonn Politik machen: Wenn die Finanzierung der notwendigen Fachpflegekräfte dieser Mindeststandard von 50 Prozent Fachpersonal nicht machbar sein soll. Das können Sie niemandem in den Altenpflegeheimen für eine fachlich gute in der deutschen Öffentlichkeit mehr erklären. Pflege aufgegeben oder verwässert wird, dann wird ein fataler Wettlauf um Kostensenkung durch Absen- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne kung des Fachpersonalanteils einsetzen. Dann droht, ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN wie der Vertreter des Bayerischen Roten Kreuzes auf und der PDS) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20481

Ulrike Mascher Für mich bleibt der Maßstab, den ich bei der Dis- klar sagen: Auch in Zukunft werden die Pflegestan- kussion um Pflegequalität anlege, ein sehr persönli- dards auf hohem Niveau gesichert bleiben. cher: Wie sollen mein Vater und meine Mutter ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) pflegt werden? Vielleicht stellen sich die Vertreter der Bundesregierung, die den Fachpersonalschlüssel Vorwürfe an die Bundesregierung, hier Abstriche absenken wollen, auch einmal diese Frage. Die Ant- machen zu wollen, sind fehl am Platze. Das oberste wort würde dann sicher anders ausfallen als bisher. Ziel ist und bleibt die Sicherung der Qualität der Ein- richtungen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Zuruf von der SPD: Dazu braucht man und der PDS) Fachkräfte!) Welcher Weg dazu der richtige ist, dies muß frei von Vorwürfen und Unterstellungen erörtert werden. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die Kollegin Maria Eichhorn, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Diese Bundesregierung war es, die durch die Ein- Maria Eichhorn (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine führung der Pflegeversicherung neue Maßstäbe in lieben Kolleginnen und Kollegen! Am 30. September der Pflege gesetzt hat. Die Pflegebedürftigen sind dieses Jahres läuft die Frist aus, um die Fachkraft durch das Heimgesetz mit seinen Verordnungen so- quote von 50 Prozent in Pflegeeinrichtungen umzu- wie durch die Pflegeversicherung klar geschützt. setzen. Tatsache ist, daß nicht alle Heime mit Ablauf Zweck des Heimgesetzes ist es vor allem, die Interes- der Übergangsfrist diese Vorgabe, die in der Heim- sen und Bedürfnisse der Heimbewohner vor Beein- personalverordnung verankert ist, vollständig erfül- trächtigungen zu schützen, insbesondere die Selb- len. Wenn die SPD jetzt Kritik übt, muß sie zunächst ständigkeit und Selbstverantwortung der Bewohner in die SPD-geführten Bundesländer schauen. Hier zu wahren. Frau Nolte hat es auf den Punkt gebracht, läßt sich feststellen, daß gerade sie das Ziel noch weit indem sie sagte: Das Heimgesetz ist das Verbrau- verfehlt haben. cherschutzrecht für Heimbewohner. (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Anspruch und (Zuruf von der SPD: Ihr macht es kaputt!) Wirklichkeit klaffen weit auseinander! So Es ist für uns selbstverständlich, daß es auch in Zu- seid ihr immer!) kunft so bleibt. Von daher ist es billig, über das Verfahren zu schimp- Gesetzliche Voraussetzungen für den Heimbetrieb fen, wenn man selbst die Hausaufgaben nicht ge- sind unter anderem Zuverlässigkeit und wirtschaftli- macht hat. che Leistungsfähigkeit. Ebenso ist festgeschrieben, - daß die Betreuung der Bewohner in Heimen in ange- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) messener Weise gewährleistet sein muß. Die Bayerische Staatsregierung zum Beispiel hat sich (Zuruf von der SPD: Genau!) frühzeitig mit den Beteiligten an einem „Runden Die Instrumente der Heimüberwachung, die Mög- Tisch Altenpflege" zusammengesetzt, um die Vor- lichkeiten der Heimaufsicht, Anordnungen zu erlas- aussetzungen zu erfüllen. sen, Bußgelder und Beschäftigungsverbote zu ver- Wir stehen jetzt vor dem Problem, daß die Heime hängen oder gar Heime zu schließen, sichern diese im Zweifel geschlossen werden müßten, weil sie die Vorgaben ab. In diesem Rahmen sind die Ände- Quote nicht erreichen. Der grundsätzliche politische rungsüberlegungen zu sehen. Handlungsbedarf ist bei dieser Sachlage klar. Wir wollen und wir brauchen eine Pflege auf ho- hem Niveau. Das Vertrauen der Bürger in die hoch- (Karl Hermann Haack [Extertal] [SPD]: Das wertige Betreuung ist für uns ganz besonders wich- ist doch alles Quatsch! - Gegenruf des Abg. tig, und auch wenn Änderungen der Heimpersonal- Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist Tatsa verordnung erfolgen, bleibt diese unsere Zielsetzung che!) unbestritten. Grundlage für die Qualität der Pflege in Heimen ist Deregulierung spielt heute eine große Rolle. Die zunächst das Heimgesetz. Es ist unbest ritten, daß Kontrolle des Staates zurückzunehmen, um die durch die Pflegeversicherung wichtige Neuregelun- Selbstverantwortung zu stärken, kann nicht der fal- gen hinzugekommen sind, die stärker aufeinander sche Weg sein, wenn gleichzeitig die Qualität erhal- abgestimmt werden müssen. Die von Ministerin ten bleibt. Darum geht es, meine Damen und Herren. Nolte und den Ministern Blüm und Seehofer vertrete- nen Vorschläge haben in der Öffentlichkeit für Auf- (Gerd Andres [SPD]: Quatsch!) regung gesorgt. Das ist so. Es ist auch klar, daß die Ich bin sicher, daß bei den Gesprächen, die heute mit Wohlfahrtsverbände deutlich machen, daß ein hoher den Wohlfahrtsverbänden geführt wurden - nächste Pflegestandard gesichert werden muß. Das ist auch Woche mit den Ländern -, die Mißverständnisse, die ihr gutes Recht. Aber die plakativen Darstellungen in entstanden sind, ausgeräumt werden. den Medien und die Überschriften in den Zeitungen der letzten Tage haben viele Menschen in einer (Dr. Uwe Küster [SPD]: So nennt man das Weise verunsichert, die nicht berechtigt ist. Ich will Zurückrudern: Mißverständnisse!) 20482 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Maria Eichhorn Da heute vorgeschlagen wurde, die Übergangsrege- gierung vorstellen kann, alte und behinderte Men- lung zu verlängern, ist genügend Zeit, um mit den schen in ihren schwierigen Alters- und Krankheits- Beteiligten eine einvernehmliche Lösung zu finden. stadien von unausgebildetem, unqualifizie rtem und häufig noch überfordertem Hilfspersonal betreuen zu (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lassen, ist, so finde ich, ein ziemlicher Skandal.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die (Bundesminister Dr. Norbe rt Blüm: Was Sie Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die sagen, ist ein Skandal!) Grünen. Denken Sie doch an die Einrichtungen, in denen schon jetzt alte Menschen vernachlässigt werden, Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sich wund liegen, in denen das „Füttern" in wenigen NEN): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werter Herr Minuten erledigt wird und Zuwendung ein Fremd- Präsident! Darf eine Gesellschaft wie die unsere es wort ist. Es geht doch in diesem Berufsfeld nicht zulassen, daß alte und behinderte Menschen nur darum, an einem technischen Gerät irgendein Teil noch zum Kostenfaktor in bet riebswirtschaftlichen mehr oder weniger anzuschrauben. Es geht hier viel- Kalkülen werden? mehr entscheidend um die Verantwortung für das Leben und die Gesundheit älterer Menschen, die ein (Zurufe von der SPD: Nein! - Zuruf von der hohes Maß an Professionalität erfordert, und das F.D.P.: Deshalb CDU/CSU und F.D.P.!) nicht nur bei den 430 000 schwerstpflegebedürftigen Dürfen wir zulassen, daß die Bundesregierung den Menschen in Heimen. Pflege braucht generell Fach- Niedergang der Pflege beschließt, der alte und be- personal. Da nützt es auch nichts, Herr Minister hinderte Menschen wieder einer Satt-und-sauber- Blüm, wenn Sie immer sagen: Pflegen kann jeder. Pflege überantwortet? Das ist ein Hohn, wenn Sie wissen, daß die Men- schen immer älter werden, bevor sie in Altenheime (Zurufe von der SPD: Nein!) kommen, und mit welchen Erkrankungen man dort Am 1. April wird das Kabinett darüber entscheiden: zu tun hat. über die Zukunft der Pflege und der Menschen, die Der zweite Skandal: Genau dieses ausgebildete sie brauchen. Die Pflichtquote soll ausgehebelt wer- Fachpersonal wird nun wahrscheinlich in hohem den, die mindestens 50 Prozent fachlich geschultes Maße entlassen werden müssen. Das heißt, daß es Pflegepersonal in Alten- und Pflegeheimen vor- einmal-wieder vor allem die Frauen sein werden, die schreibt. Das betrifft 600 000 pflegebedürftige Men- ihre Arbeitsplätze verlieren. schen in diesem Land: in Altenheimen, aber auch in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Warum soll denn jemand entlassen werden?) Innerhalb eines großzügigen Übergangszeitraums von fünf Jahren sollte Ende September 1998 in den - Denn der Anteil der Frauen im Pflegebereich beträgt Heimen die Hälfte des Personals aus Pflegefachkräf- bekannterweise 90 Prozent. Sie selbst, Frau Nolte, ten bestehen - ein Mindeststandard, um die Pflege haben in einer Studie aus dem letzten Jahr errechnen zu sichern. Jetzt, da der Zeitpunkt naht, an dem es lassen, daß der Anteil an Pflegefachkräften in West- ernst wird, will die Bundesregierung von ihren eige- deutschland heute im Durchschnitt um die 47 Prozent nen Vorschriften nichts mehr wissen. Sie witte rt Ein- beträgt. Wie kommen Sie dazu, das bisher Erreichte sparungen in Milliardenhöhe. jetzt zu gefährden, frage ich Sie. Sie haben die Studie doch wahrscheinlich gelesen. Was wird passieren, wenn es so kommt? Wird die Quote gekippt, heißt das: Bahn frei für billiges Hilfs- Für die Bündnisgrünen ist klar: Die Fachkraftquote personal. Eine massive Senkung der Pflegequalität darf nicht dem freien Fall überlassen werden. Sie ist vorprogrammiert. Denn viele gewerbliche Pflege- muß bleiben; in einigen Bereichen muß sie erhöht heime erfüllen die Quote bisher nicht und müssen sie werden. Eine Pflege zu Dumpingpreisen darf es nicht dann auch gar nicht mehr erfüllen. Die Einrichtun- geben. gen der freien Wohlfahrtspflege befürchten einen noch stärkeren Preisdruck von seiten der Pflegekas- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sen, so daß auch hier mit weniger Fachkräften gear- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten beitet werden wird. der PDS) Daß die Bundesregierung dies alles dementiert, ist Ein Wort zum Schluß: Die Bundesregierung muß reiner Hohn: Die Vereinbarungen zwischen den Pfle- endlich auch ihren Widerstand gegen eine bundes- gekassen und den Heimträgern über die Qualität der einheitliche Altenpflegeausbildung aufgeben. Es Pflegeeinrichtungen haben es nicht vermocht, einen kann doch nicht angehen, daß wir demnächst in der angemessenen Anteil an Fachpersonal zu schaffen. Europäischen Union eine einheitliche Währung ha- Denn gerade dort regiert ja das Prinzip der Kosten- ben, den Euro einführen, es aber in der Bundesrepu- senkung. blik 16 Länder mit 16 unterschiedlichen Pflegeaus- bildungen gibt. Diese Ausbildung zum Beruf der Al- Auch das Loblied auf die flexiblen Regelungen, tenpflegerin gibt es in ganz Europa nicht. das Frau Nolte und Herr Blüm jetzt anstimmen, ist nur wenig überzeugend. Denn die flexiblen Quoten (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das können Sie sehen keinen Mindeststandard mehr vor. Auf der aber der Bundesregierung nicht zum Vor Strecke bleibt der Mensch. Daß sich die Bundesre wurf machen!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20483 Irmingard Schewe-Gerigk - Nein. Ich mache es Baye rn zum Vorwurf, daß das Auf der einen Seite gibt es Heime, in denen es wich- immer blockiert wird. Aber ich denke schon, daß die tig ist, daß es 50 Prozent gelerntes Fachpersonal und Bundesregierung hier einen großen Einfluß hat. 50 Prozent von nur angeleitetem, nicht in diesem Umfang ausgebildetem Fachpersonal gibt. Denn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN man muß sehen, daß das Durchschnittsalter in Hei- und bei der SPD) men ansteigt und jetzt bei 85 Jahren liegt, daß es im- Meine Damen und Herren, ich appelliere an Sie: mer höhere Anforderungen in der medizinischen Be- Auch wenn die jetzige Regierung den Menschen, die handlungspflege gibt und daß immer mehr Pflegebe- der Pflege bedürfen, offenbar völlig gleichgültig ge- dürftige Demenzkranke sind. Aber es gibt auf der an- genübersteht, deren Seite auch Heime, in denen die Situation so ist, daß eine gute und angemessene Pflege mit einem (Uwe Lühr [F.D.P.]: So ein Blödsinn! Unver größeren Anteil von nur angelerntem Personal und schämtheit!) einem entsprechend geringeren Anteil von Fachkräf- bitte tragen Sie dazu bei, daß es nicht dazu kommt, ten genauso gewährleistet ist. daß die Würde der Menschen derart mit Füßen getre- ten wird. (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Wer will dem widersprechen?) Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich finde die Untersuchung eines Institutes der und bei der SPD sowie bei Abgeordneten AOK sehr beeindruckend, die zu dem Ergebnis ge- der PDS) kommen ist, daß die beste Fachkraftquote und die beste personelle Ausstattung in p rivaten Heimen be- stehen soll. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, F.D.P. (Karl Hermann Haack [Extertal] [SPD]: Das (Karl Hermann Haack [Extertal] [SPD]: Die ist im ambulanten Bereich genau umge Pflegeexpertin kommt! - Gegenruf des Abg. kehrt!) Wolfgang Vogt [Düren] [CDU/CSU]: Selbst gerechtigkeit kommt vor dem Fall, Herr Das zeigt, daß das, was die Bundesregierung und die Kollege Haack!) Koalitionsfraktionen im Bereich der Pflegeversiche- rung und anderer Sozialversicherungen bisher gelei- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (F.D.P.): Herr stet haben, nicht zu einem niedrigeren Standard und Präsident! Meine Damen und Herren! Die Reak- zu einer Verringerung der Leistungen führen soll, tionen und die bisherige Debatte erwecken den Ein- sondern daß wir uns zu Recht den Kopf darüber zer- brechen, wie gerade auch angesichts der unter- druck, daß es manchem überhaupt nicht ernsthaft - darum geht, sich mit der Frage, wie es mit der Heim- schiedlichen Situationen in den Bundesländern eine personalverordnung und der 50prozentigen Fach- möglichst gute Pflege gewährleistet werden kann. kraftquote weitergehen soll, zu beschäftigen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist aber eine böse Unterstellung! - Gegenruf des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Doch, so ist Es ist doch bezeichnend, daß Niedersachsen und es!) Nordrhein-Westfalen bisher keine Zahlen geliefert haben, wie es dort mit der Erreichung der Fachkraft Daß es heftige Reaktionen auf die Überlegungen quote aussieht. der Bundesregierung gegeben hat, ist ja richtig. Das ist nicht deshalb richtig, weil es zum Niedergang der (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Hochinteressant!) Pflege kommt, sondern deshalb, weil es ja ein nicht ganz gewöhnliches Vorgehen war, ohne Beteiligung Wir wissen, daß es in den östlichen Bundesländern der Betroffenen, der Verbände und der Länder, die ja auf Grund des dort seit längerem vorhandenen Fach- letztlich zustimmen müssen, diesen Vorschlag in die personals eine Erfüllung oder sogar eine Übererfül- Öffentlichkeit zu bringen. Deshalb ist es richtig, daß lung der Quote gibt. Wir wissen, daß auch in Bayern es heute Gespräche von seiten der Bundesregierung eine gute Quote - ich glaube, annähernd 50 Prozent mit den Vertretern der Verbände gab und solche in - erreicht ist. Hat man in den anderen Ländern viel- einigen Tagen wohl auch mit den Ministern der Län- leicht nicht mit dem nötigen Nachdruck die vergan- der stattfinden werden. Deshalb ist es auch richtig, genen vierdreiviertel Jahre genutzt, um zu einer ent- daß wir uns hier mit dieser Frage beschäftigen. sprechenden Ausstattung zu kommen? (Dr. Edith Niehuis [SPD]: Warum dann die Nacht- und Nebel-Aktion?) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Es geht darum, die unterschiedlichen Situationen in den Heimen, die nämlich nicht alle vergleichbar Ich denke, daß es deshalb zu dieser Aufgeregtheit sind, auch künftig entsprechend zu berücksichtigen. und der Form der Auseinandersetzung, wie sie bisher von der Opposition geführt worden ist, keine Veran- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne lassung gibt. Ich finde es richtig, wenn es, wie es ten der CDU/CSU) heute aussieht, zu einer Verlängerung der Über- 20484 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gangsfrist kommt. Dann können Sie Ihre Hausaufga- rende Verschlechterung der Qualität der Betreuung, ben machen. also weg von einer menschenwürdigen Pflege nicht zuletzt jener 26,6 Prozent von Personen, die in die Vielen Dank. Pflegestufe III eingruppiert sind; Gefährdung von Ar- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - beitsplätzen; Zunahme von 620- bzw. 520-DM-Jobs Gerd Andres [SPD]: Wir machen dann die im Pflegebereich; Ausgrenzung vor allem von Frauen Hausaufgaben! - Ul rich Heinrich [F.D.P.]: mit einer qualifizierten Ausbildung, wenn sie denn Darauf freuen wir uns heute schon! Wenn nicht bereit sind, zu Dumpinglöhnen zu arbeiten; In- es ins Detail geht, versagt ihr!) fragestellung des PflegeVersicherungsgesetzes, das ja die Situation pflegebedürftiger Menschen verbes- sern sollte. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die Kollegin Heidemarie Lüth, PDS. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wieviel sol cher Fachkräfte haben Sie in Ihrem Land?) Heidemarie Lüth (PDS): Herr Präsident! Liebe Kol- - Wir in Sachsen haben einen Anteil von über 50 Pro- leginnen und Kollegen! Herr Präsident, mit Ihrer Er- zent. laubnis möchte ich an den Anfang meiner Rede zwei Zitate stellen. Das erste ist in einer Erklärung des (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist ja in Deutschen Berufsverbandes für Altenpflege vom Ordnung! Dort gibt es einen CDU-Minister 18. März 1998 nachzulesen: präsidenten!) Wir haben uns gegen unser Gewissen bereit er- - Ich klage ja nicht. Interessant ist aber, daß vor allem klären müssen, Pflegebedürftige und altersbe- die alten Bundesländer darunter liegen. dingt verlangsamte Menschen zu nötigen, in drei Treffend charakterisiert der VdK-Präsident, Herr Minuten ihre Notdurft zu verrichten, müssen sie Hirrlinger, den Gehalt des Pflege-Versicherungs-Än- in fünf Minuten ins Bett scheuchen und in einer derungsgesetzes als „Demontage-Papier, stationäre Viertelstunde durchs Badewasser ziehen. So hat- Pflege ohne Rücksicht auf Verluste zu Lasten der ten wir Altenpfleger unseren Beruf nicht gelernt. Pflegebedürftigen". (Horst Günther [Duisburg] [CDU/CSU]: Das Nun waren der Protest, der regelrechte Aufschrei Heim wird am besten sofort geschlossen!) von Verbänden, Organisationen, Initiativen aus Hei- - Wenn Sie sich über diesen Punkt so erregen, dann men und Bildungseinrichtungen und das klare Nein lesen Sie doch bitte einmal in der Verordnung nach, aus Bayern so stark, daß das Kabinett erst am 1. April wie der Medizinische Dienst diese Tätigkeiten nach beschließen will. Heute, am Tag der Aktuellen Zeittakten unterteilt. Dann werden Sie genau diese Stunde und am Tag des Protestes „Aktionstag Alten- Minuteneinteilung finden, und nur dieser Zeitauf- heim" , finden nun die Kompromißverhandlungen wand wird bezahlt. - statt. Angepeilt aber bleibt das Ziel: still, sauber, satt. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die Verände- Am 7. November 1995 meldete sich das Bundesmi- rung der Heimpersonalverordnung würde dann mit nisterium für Arbeit und Sozialordnung zu Wo rt : der Aufhebung der Deckelung der Pflegesätze ein- Die Heimpersonalverordnung ist in ihrer Kombi- hergehen. nation mit länderdeterminierten Personalschlüs- Im gleichen Zeitraum - seit 1996 - blockieren die seln im Ergebnis kostentreibend und begünstigt Bundesregierung und die Koalition die Anträge des Unwirtschaftlichkeit. Sie überläßt die Bestim- Bundesrates, der Fraktionen und der Gruppe der mung des Gesamtpersonals den Ländern und PDS zu einer bundeseinheitlichen Altenpflegeausbil- fügt mit ihrer schematischen Fachkraftquote, die dung, die dann ja wohl nicht mehr gebraucht wird. überdies von den Ländern weiter ausgehoben Die Kosten kann man sparen, wenn die Fachkompe- werden kann, der pflegerischen Versorgung ei- tenz nicht mehr gefragt ist. Darum erachten wir es nen zusätzlichen Kostentreibsatz hinzu. für ganz besonders notwendig, daß das System der Ausbildung in den Altenpflegeberufen neu geordnet Es ist also kein Schnellschuß der Frau Ministerin Nolte, sondern ein Teil der Strategie der sozialen wird. Dreifaltigkeit von Nolte, Blüm und Seehofer, mit Ei- Wir meinen weiter: Nicht der Mensch, sondern der seskälte heute die Pflege- und Betreuungsqualität in Kostenfaktor ist zur Grundprämisse für den Umgang den Heimen unter dem Deckmantel der Selbstver- mit der älteren Generation in Heimen geworden, zu- waltung durch die Veränderung der Heimpersonal- mal die meisten Menschen, die in Heimen leben und verordnung drastisch zu senken. sich selber nicht mehr wehren können, 80 Jahre und älter sind. Daher sind die Vereine und die Verbände (Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Wer hat der Altenpflegerinnen und Altenpfleger und die Ihnen denn das aufgeschrieben?) Wohlfahrtsverbände ihre einzige Lobby. Der Mensch, auch der behinderte und der alte, ist Die PDS erhebt folgende Forderungen an die Re- uns lieb und teuer. Doch wenn seine Pflege zu teuer gierung, die hier schon mehrfach von anderen ge- wird, wird er zum Kostenfaktor. Spätestens dann ist stellt worden sind: Hände weg von der Qualität der er eine Last. Pflege und keine Aushebelung der Heimpersonalver- Die Folgen dieser Veränderungen sind: Aushebe ordnung, in welcher Form auch immer. Aufgabe der lung der Schutzfunktion des Heimgesetzes; gravie Bundesregierung muß es doch eigentlich sein - das Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20485

Heidemarie Lüth wird ja beklagt -, Wege aufzuzeigen, wie die Forde- Es ist absehbar, daß wir diesen Mangel bis zum rungen der Heimpersonalverordnung überall erfüllt 30. September nicht werden beheben können. Davor werden können, da die festgelegte Quote an Fach- können wir doch nicht einfach die Augen verschlie- kräften von 50 Prozent bei weitem, vor allem in den ßen und nichts tun; sondern wir müssen reagieren, neuen Bundesländern - Verzeihung, ich meine: in gerade im Interesse der Heimträger, die eine Rechts- den alten Bundesländern; meist ist es genau umge- sicherheit brauchen und wissen wollen, welche Re- kehrt, daher der Versprecher - noch nicht erreicht ist. gelung ab 1. Oktober gilt. Es kann doch niemand wollen, daß die Heimaufsicht Heime schließen muß, Obwohl ich es niemandem wünsche, muß ich sa- weil die Fachkraftquote nicht erfüllt ist. gen: Einigen, die sich hier so vehement mit Zwi- schenrufen äußern, würde ich manchmal wünschen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge einen Dekubitus zu haben und von einer nicht aus- ordneten der F.D.P.) gebildeten Pflegekraft ständig hin und her gewendet Es ist ebenfalls wahr, daß sich durch die Einfüh- zu werden. rung der Pflegeversicherung einiges verändert hat. Danke. Als die Heimpersonalverordnung eingeführt worden ist, gab es noch keine Pflegeversicherung. Tragendes (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne Prinzip dieser neuen Versicherung ist nun einmal die ten der SPD - Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Selbstverwaltung. Zwei gleichwertige Pa rtner führen Das war aber sehr primitiv!) miteinander Verhandlungen über die Personalaus- stattung und die Qualitätssicherung, und zwar auf Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die der Grundlage der konkreten Situation in dem jewei- Bundesministerin Claudia Nolte. ligen Heim. Auch über die Kosten muß miteinander verhandelt werden.

Claudia Nolte, Bundesministerin für Familie, Se- Deshalb haben wir schon bei der Einführung der nioren, Frauen und Jugend: Herr Präsident! Liebe Pflegeversicherung innerhalb der Bundesregierung Kolleginnen und Kollegen! Was wir in den letzten Ta- vereinbart, die Heimpersonalverordnung im Lichte gen erlebt haben und auch heute wieder hier erle- der Erfahrungen der Pflegeversicherung zu überprü- ben, ist für mich ein klassisches Beispiel, wie durch fen und entsprechend anzupassen. Genau das war Uninformiertheit und durch Halbwahrheiten Unruhe der Auslöser dafür, im Rahmen des Auslaufens der und Stimmung erzeugt werden. Übergangsfrist über einen solchen Vorschlag nach- zudenken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Uwe Lühr [F.D.P.]) Wir haben einen entsprechenden Vorschlag ge- macht, dessen Ziel es ist - ebenso wie im übrigen bei Leidtragende einer solchen Kampagne sind die Mit- der Krankenversicherung -, das Prinzip der Selbst- arbeiterinnen und Mitarbeiter in den Pflegeheimen -verwaltung in der Pflegeversicherung ernst zu neh- und die zu Pflegenden nebst ihren Angehörigen, die men, zu stärken und auf die konkrete Situation in vollkommen unnötig verunsichert werden. dem jeweiligen Heim, für das die Vereinbarung ge- (Zuruf von der SPD: Wer war denn der Aus troffen werden muß, abzustellen. Das heißt, in den löser?) Heimen, in denen Versorgungsverträge und Verein- barungen nach dem Pflege-Versicherungsgesetz Es ist entweder Torheit oder Boshaftigkeit, der oder nach der Sozialhilfegesetzgebung bestehen, soll Bundesregierung zu unterstellen, sie sei für eine Ab- künftig nicht eine starre Quote entscheidend sein, senkung der Pflegequalität. sondern die Vertragspartner sollen miteinander aus- handeln, wie hoch der Fachkräftebedarf ist und wel- (Beifall bei der CDU/CSU) ches Zahlenverhältnis zwischen Fachkraft und Nicht- Das ist doch horrender Unsinn! fachkraft bestehen soll. Um was geht es denn eigentlich? Wie ist der Sach- Das hat doch überhaupt nichts mit einem Abbau verhalt? Sie alle wissen: 1993 ist die Heimpersonal- von Fachkräften zu tun. verordnung verabschiedet worden. Es waren die (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ Länder, die eine Fachkraftquote vorgesehen haben. DIE GRÜNEN]: Daß es keinen Mindeststan Die Bundesregierung war schon damals skeptisch, dard mehr gibt!) ob eine starre Quote überhaupt etwas mit Qualitätssi- cherung zu tun haben kann. Da schon damals abseh- Im Gegenteil: Sie müssen doch damit rechnen, in bar war, daß man diese Quote nicht in kurzer Zeit Verhandlungen immer wieder auf die 50-Prozent- würde erreichen können, wurde eine Übergangsfrist Quote gestoßen zu werden. Das kann sich auch zu ei- vorgesehen, die bis zum 30. September dieses Jahres nem Problem entwickeln - gerade do rt, wo man währt; das heißt, sie läuft bald aus. mehr Fachkräfte braucht. Es ist doch Fakt, daß wir diese Fachkraftquote in (Beifall bei der CDU/CSU - Widerspruch vielen Heimen nicht bis zum 1. Oktober erreichen bei der SPD) werden. Die Schätzungen gehen zwar auseinander; Es ist doch nicht wahr, daß allein eine Quote etwas aber alle stimmen darin überein: Es gibt noch eine er- über die Qualität aussagt. hebliche Anzahl an Heimen, deren Fachkraftquote lediglich bei 35 bis 40 Prozent liegt. (Gerd Andres [SPD]: Mindestquote!) 20486 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Bundesministerin Claudia Nolte Wir müssen uns fragen, um was es uns hierbei deutlich zu machen, daß es mir darum geht, eine geht. Es geht uns um das Ordnungsprinzip. Ich frage sachgerechte Lösung zu finden und sachlich mitein- mich: Warum soll Selbstverantwortung, warum soll ander zu diskutieren, habe ich heute vormittag den Selbstvereinbarung weniger leisten als eine staatli- Vorschlag gemacht, die Übergangsregelung um zwei che, starre Quote? Jahre zu verlängern. (Zuruf von der SPD: Da kann ich Ihnen Bei (Beifall bei der CDU/CSU) spiele nennen!) Dann haben wir Ruhe und können die Zeit nutzen - Das hat nichts damit zu tun, daß Qualität vermindert sie muß dann auch genutzt werden -, um die Pflege- wird. Natürlich geht es uns um Qualität. Aber die qualität in den Heimen sicherzustellen, um zum Bei- Frage ist: Kann eine starre Quote das leisten? Es ist spiel auch gemeinsam über Bemessungskriterien für oft zu Recht gesagt worden: In manchen Heimen Pflegepersonal zu sprechen, die die Pflegekassen zu- brauchen wir eine Fachkraftquote von 70 oder 80 Pro- sammen mit den Heimträgern und den Wohlfahrts- zent. Es gibt aber auch Heime, in denen eine gerin- verbänden absprechen sollten, damit es gemeinsame gere Quote nötig ist. Bewertungsmaßstäbe gibt. Daß 50 Prozent Fachkräfte in einem Heim kein Es gilt, auf dieser Grundlage miteinander zu reden. Mindeststandard sein können, zeigt doch die heutige Wir müssen diese Zeit nutzen, um Heimgesetz und Situation. Wer von Ihnen will ernsthaft behaupten, Pflegeversicherung besser aufeinander abzustim- daß die Heime mit einer Fachkraftquote von 35 und men. Die Wohlfahrtsverbände waren mit diesem Vor- 40 Prozent keine qualitativ gute Pflege leisten? Ge- gehen sehr einverstanden, auch die anderen am Ge- gen diese Behauptung werden sich die Heimträger spräch Beteiligten. Deshalb habe ich auch die große sicherlich zu Recht wehren. Hoffnung, daß dies eine gute Grundlage für die Ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - spräche mit den Ländern ist, damit wir auch do rt eine Zuruf von der SPD: Unglaublich!) Zustimmung bekommen, um Zeit für eine sachge- rechte Debatte im Sinne einer guten Pflegequalität Außerdem muß man doch sagen: Eine starre Quote zu gewinnen und um Zeit zu haben, eine feste sagt wenig über die Qualität und eigentlich nichts Grundlage für eine Neuregelung zu finden. über die Fachkunde und die Fachkräfte aus. In diesem Sinne, liebe Kolleginnen und Kollegen, (Peter Dreßen [SPD]: Es ist keine starre empfinde ich die ganze Aufregung mehr als unnötig, Quote! Es ist eine Mindestquote!) sogar als schädlich, weil es völlig unnötig Verunsi- - Ich habe gerade erklärt, warum es keine Mindest- cherung geschaffen hat. quote sein kann. Wissen Sie, ich erreiche eine niedri- Vielen Dank. gere Fachkraftquote ganz einfach auch dadurch, daß ich unqualifizie rtes Personal entlasse. An der Pflege- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - - qualität ändert sich dadurch nichts. Gerd Andres [SPD]: Schön beigedreht ist die Bundesregierung!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich habe dann lediglich weniger Personal zur Verfü- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die gung. Die Fachkraftquote ist erreicht, aber die Pflege Kollegin Edith Niehuis, SPD. wird nicht verbessert. Das zeigt, wie irrsinnig eine starre Quote ist, die keine Qualitätskriterien beinhal- tet. Dr. Edith Niehuis (SPD): Herr Präsident! Sehr ge- ehrte Damen und Herren! Ich bin ausgesprochen ent- Liebe Kolleginnen und Kollegen, letztlich müssen täuscht darüber, wie Sie, Frau Ministerin Nolte, als wir uns im Sinne der Verantwortung auch der Heim- Bundesseniorenministerin auf die Strategie von Mi- träger für eine Regelung öffnen, die Rechtssicherheit nister Blüm hereingefallen sind. Das muß ich Ihnen schafft. Mir ist dabei wichtig, daß wir eine Lösung wirklich sagen. finden, die auf die Akzeptanz aller Beteiligten stößt. Ich halte überhaupt nichts davon, daß wir hier Fron- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ten aufbauen, wo keine Fronten sein dürfen, da uns DIE GRÜNEN) ja allen an der Pflegequalität gelegen ist. Wir alle sind in unseren Überlegungen gleichermaßen davon Was Sie hier eben verbreitet haben, sagt mir, daß die getragen, daß wir eine gute Qualität benötigen. Es Empörung der letzten Woche vollkommen ange- geht nur um die Frage des Wie, um das Ordnungs- bracht war. Die Fristverlängerung bedeutet nur, daß prinzip. das Aus des Fachkräfteschlüssels beschlossen ist. Deswegen hatten wir heute vormittag das Ge- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das haben spräch mit den Wohlfahrtsverbänden, die zusammen Ihre eigenen Leute nicht kapiert! - mit den Berufsverbänden, den kommunalen Spitzen- Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ verbänden und den Pflegekassen meiner Einladung CSU]: Haben Sie nicht zugehört?) gefolgt sind. Es war ein sehr konstruktives, sehr gu- - Ich habe sehr gut gehört, was Ministerin Nolte ge- tes und sehr offenes Gespräch. Natürlich wurde auf sagt hat. Grund des Aufruhrs, der hier produziert worden ist, eine sachlich geführte Diskussion auf der Grundlage (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Aber nichts unseres Vorschlages sehr schwer gemacht. Aber um kapiert!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20487

Dr. Edith Niehuis Ich möchte begründen, warum ich gesagt habe, lung, die eher mehr denn weniger fachliche Kompe- daß sie Minister Blüm auf den Leim gegangen ist. tenz in den Heimen erfordert. Wir wissen doch - Frau Lüth hat das eben schon ge- sagt -, daß nach der Verabschiedung der Pflegever- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sicherung Minister Blüm von Anfang an die Strategie DIE GRÜNEN sowie bei Abgeodneten der betrieben hat, mit der Pflegeversicherung die Heim- PDS) personalverordnung auszuhebeln. Frau Lüth hat Darum leuchtet es mir nicht ein - heute nicht und vollkommen zu Recht einen B rief vom 7. November 1995 zitiert, der aus dem Bundesarbeitsministerium auch nicht in zwei Jahren -, daß gerade jetzt die Si- stammt und in dem steht, die Heimpersonalver- tuation gekommen sein soll, den Fachkräfteschlüssel ordnung sei nur ein Kostentreibsatz und mehr nicht. der Heimpersonalverordnung zu vernichten; gerade Nun wollen Sie uns heute hier weismachen, Ihnen jetzt nicht. gehe es um die Qualität stationärer Pflege und Be- Wenn Sie, Frau Nolte, seitens der Bundesregierung treuung? behaupten, die Heimpersonalverordnung sehe eine (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Jawohl!) starre Quote vor, streuen Sie den Menschen Sand in die Augen. Dort ist keine starre Quote vorgeschrie- Das ist einfach nicht glaubwürdig. ben. Damit Sie wissen, welche Verordnung Sie in Ih- rem Hause betreuen, lese ich einmal § 5 Abs. 2 der (Beifall bei der SPD) Heimpersonalverordnung vor. Darin steht, daß ein Was ich Frau Nolte besonders übelnehme, ist, daß Abweichen von dieser Quote dann vorzusehen ist, sie sehr gut wissen muß, daß der Ausschuß für Fami- wenn dies für eine fachgerechte Betreuung erforder- lie, Senioren, Frauen und Jugend im Mai 1996 eine lich oder ausreichend ist. Dies ist eine flexible und Anhörung zum Heimgesetz und zur Kurzzeitpflege keine starre Quote. Sie behaupten das nur, um diese durchgeführt hat, in der das Thema von heute schon Quote zu vernichten. eine große Rolle spielte. Damals hat die Ca ritas voll- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE kommen zu Recht gesagt - ich zitiere aus der Anhö- GRÜNEN und der PDS - Zuruf von der rung -: SPD: Sie kennt nicht einmal ihr eigenes Nach unserer Vorstellung von der grundlegen- Gesetz!) den Bedeutung des Heimgesetzes sollte die Ziel- richtung nicht sein, das Heimgesetz an das Die Vorlage, die in Ihrem Hause, Frau Nolte, erar- Pflege-Versicherungsgesetz anzupassen, son- beitet wurde, war eine Vorlage, die schlichtweg das dern das Pflege-Versicherungsgesetz dahin zu Aus der Quote vorgesehen und dann als Auffanglö- überprüfen, inwieweit es mit den Anforderungen sung im Heimgesetz folgende Regelung vorgesehen des Heimgesetzes kompatibel ist. hat: Wenn trotzdem Mängel auftreten, muß die - Heimaufsicht notfalls auch für mehr Personal in den Genau das wäre der richtige Weg gewesen. Heimen sorgen. Sie wollen sehenden Auges in Kauf nehmen, daß in den Heimen, in der Pflege zunächst (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nein!) Mängel entstehen, und wollen diese Mängel dann Ich möchte - das hat Frau Nolte vollkommen ver- nach einer zeitlichen Verzögerung eventuell beseiti- gessen - ein wenig auf die Situation in den Altenhei- gen. Das ist keine gute Altenpolitik. men eingehen. Ich kann mir= nicht denken, daß die (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Bundesregierung nicht bemerkt hat, daß sich do rt ei- GRÜNEN und der PDS) niges getan hat. Heute müssen zwei Punkte mehr denn je berück- Sie müssen bei Ihrem Hinweis auf die Selbstver- sichtigt werden: Erstens. Pflege ist eine hochqualifi- waltung auch sehen, daß die Heimträger, die mit den zierte Tätigkeit, die auch eine entsprechende Ausbil- Pflegekassen verhandeln, jetzt einem ungeheuren dung erfordert. Zweitens. Dies gilt nicht weniger, Druck ausgesetzt sein werden, insbesondere die sondern immer mehr auch für Altenheime. Heimträger, die bisher die Fachquote eingehalten haben. Ihnen wird man von jetzt an sagen, daß sie Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie nicht ge- billiger, daß sie mit unqualifiziertem Personal arbei- merkt haben, daß das Netz von ambulanter und teil- ten müssen. stationärer Hilfe nach der Einführung der Pflegever- sicherung immer besser und breiter geworden ist (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wer sagt und daß die Menschen immer mehr dazu übergegan- denn das?) gen sind, behinderte und alte Menschen zu Hause zu pflegen. - Dann gehen Sie doch einmal in die Verhandlungen. Es läuft doch heute schon so. Es wird künftig noch (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist doch viel häufiger so laufen. Wo sind Sie denn bei den Ver- erfreulich!) handlungen? Dann machen Sie doch mit!

Dies hat aber eine Folge, Herr Hein rich, nämlich (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wir sind bei daß der Anteil der Hoch- und Höchstbetagten, der den Verhandlungen dabei! Wir haben keine Anteil der Pflegebedürftigen mit schweren körperli- Probleme!) chen oder/und psychologischen Erkrankungen in den Heimen ständig wächst. Das ist eine Entwick - Dann sehen Sie doch einmal, was heute abläuft. 20488 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Achten Sie bitte das jedermann machen. Es wäre richtig gewesen, auf die Zeit. wenn irgend jemand vorbeigekommen wäre. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Dr. Edith Niehuis (SPD): Ja. - Ich will Ihnen eines und der F.D.P.) sagen: In der „FAZ" stand im letzten Jahr ein A rtikel mit dem Titel: „Wenn ein Blick in die Augen zum Lu- Hier wird mit einem völlig falschen Beispiel Stim- xus wird" . Den ersten Absatz dieses A rtikels will ich mung gemacht. Ihnen vorlesen, weil ich hoffe, daß das nie die natio- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ist es!) nale Normalsituation wird. Es wird überhaupt nicht der Versuch unternommen, (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die Zeit ist um!) das zu tun, was die Bundesregierung hier in Angriff genommen hat, nämlich für eine differenzie rte Auf- gabe eine differenzie rte Lösung zu finden. Wir sagen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin, das kann ich nicht akzeptieren. Sie sind eine Minute nicht, daß es mindestens 50 Prozent sein müssen, und 20 Sekunden über der Zeit. Das ist zuviel. sondern sagen, daß es von der jeweiligen Einrich- tung abhängt und daß die Einrichtung zusammen mit der Pflegekasse entscheidet, welche fachliche Dr. Edith Niehuis (SPD): Diesen einen Satz noch. Kompetenz man in dem entsprechenden Heim braucht.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Einen Satz gebe (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ich Ihnen noch, und dann ist Schluß. Ich kann mich nur wundern, daß gerade die Kolle- ginnen und Kollegen von der SPD ihren Mitgliedern Dr. Edith Niehuis (SPD): Es ist nur ein Satz, mein in der Selbstverwaltung so wenig menschliche und Schlußsatz, aus einem „FAZ"-Artikel vom letzten fachliche Kompetenz zutrauen, diese Aufgabe vor Jahr: Ort lösen zu können. Die 87 Jahre alte Frau muß schon lange in ihrem (Beifall bei der CDU/CSU) Erbrochenen gelegen haben. Um Hilfe rief sie Wir haben Pflegesatzverhandlungen im Bereich nicht. Starke Medikamente hatten sie in einen der Krankenpflege, der Nachsorgekrankenhäuser. Dämmerzustand versetzt, Gurte schränkten sie in Dort hat noch niemand eine Quote eingefordert; viel- ihren Bewegungen ein. mehr wissen die Krankenkassen und die Anbieter Dies darf nicht die Normalsituation in unseren Hei- vor Ort ganz genau, was sie den Menschen schuldig men werden! sind, denen sie die Leistung anbieten. Dies wird mit hoher Verantwortung und hohem Verantwortungs- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ bewußtsein gemacht. Warum soll dies nicht auch bei DIE GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU/ der Pflege passieren? Ich hätte da überhaupt keine CSU und der F.D.P.) Bedenken. Ich möchte noch eines ansprechen: Ich bitte Sie Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der von der Opposition herzlich, sich in Ihren Aussagen Kollege Volker Kauder, CDU/CSU. zu mäßigen, (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig! - Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Gegenruf von der SPD: Nein, warum denn?) sehr verehrten Damen und Herren! Niemand in die- um etwas nicht zu machen, was aus Ihren Worten ei- sem Deutschen Bundestag und auch niemand in der gentlich deutlich herausgehört werden muß. Wollen Bundesregierung will, daß in unseren Heimen die Sie etwa behaupten, daß in all den Pflegeheimen, in notwendige fachpflegerische und menschliche Kom- denen die Quote von 50 Prozent Fachpersonal nicht petenz verlorengeht. Niemand! Auch deswegen erreicht ist, die Qualität so schlecht ist, daß man do rt halte ich es für unmöglich, daß hier Kolleginnen und möglichst niemanden mehr hinschickt? Die Pflege- Kollegen aus der Opposition auftreten und ausge- heime, die noch keine 50 Prozent erreicht haben, lei- rechnet Norbe rt Blüm, dem Vater der Pflegeversiche- sten doch eine qualifizierte Arbeit. rung, vorhalten, er wolle, daß in den Pflegeheimen nicht mehr richtig gepflegt werde. Das weise ich aus- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) drücklich zurück. Wir von der Regierungskoalition lassen auf keinen (Beifall bei der CDU/CSU - Widerspruch Fall zu, daß diejenigen Frauen und Männer, die bei der SPD) keine fachliche Ausbildung haben und jetzt den 35 Prozent Fachleuten helfen, eine qualifizierte Der Fall, der soeben von meiner Vorrednerin ge- Pflege zu machen, hier beschimpft und diffamiert schildert worden ist, ist ein typischer Fall mangelnder werden. menschlicher Kompetenz. Zu merken, daß jemand in Erbrochenem liegt, ist keine Frage, die durch eine (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Fachpflegekraft geklärt werden muß; vielmehr kann Widerspruch bei der SPD ) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20489

Volker Kauder Wenn Sie sagen, ohne 50 Prozent Fachquote errei- schlüssel von 1 : 2,37 in den stationären Einrichtun- chen wir nicht die notwendige Qualität, dann be- gen für alte und pflegebedürftige Menschen. Was scheinigen Sie jetzt den Heimen, die diese nicht ha- bedeutet das? 1:2,37 meint: Auf einer Station mit ben, daß dort die notwendige Qualität nicht erreicht 24 pflegebedürftigen Bewohnerinnen und Bewoh- ist. nern sind 10 Pflegekräfte beschäftigt, wenn alle Stel- len besetzt sind. Das klingt gut, aber was bedeutet (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU das für den Alltag auf dieser Station? sowie des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.] - Zurufe von der SPD: So ein Quatsch! - Blöd- Eine Schwester ist im Nachtdienst, eine im Urlaub, sinn! - Gerd Andres [SPD]: Nebelwerfer!) eine ist krank, eine auf Fortbildung. Das bedeutet, - Wahrheiten werden auch dann Wahrheiten blei- die restlichen sechs verteilen sich auf zwei Schichten, ben, wenn der Kollege Andres es gerne anders sehen drei in der Frühschicht und drei in der Spätschicht. würde. Ich nehme Sie, Herr Kollege Andres, gern einmal in eine Veranstaltung wie diejenige mit, die (Zuruf von der SPD: Das ist. die Realität!) ich vor wenigen Tagen durchgeführt habe. Do rt wa- ren Leute, die seit 25 Jahren als Nichtfachkraft in Wenn das Haus vorbildlich ist, Herr Kauder, dann ist Pflegeheimen arbeiten und die mir gesagt haben: vielleicht in der Früh- und in der Nachtschicht eine Herr Kauder, sollen wir jetzt, wenn diese Verordnung Fachkraft dabei, und wenn es ganz gut ist, sind zwei am 1. Oktober in Kraft tritt, aus den Heimen heraus- Fachkräfte dabei, die sich um 24 pflegebedürftige äl- getrieben werden? Sollen wir arbeitslos werden? Wir tere Menschen kümmern, jeder, jede mit gesundheit- leisten seit 25 Jahren unsere Arbeit und werden jetzt lichen Problemen, mit psychischen oder sozialen so hingestellt, als wenn wir bisher überhaupt keinen Schwierigkeiten, mit Diabetes, Herzinsuffizienz, Par- Beitrag erbracht hätten! kinson, mit Depressionen oder an einer Demenz lei- dend. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sie liegen völlig falsch. In Ihrem Eifer, nach Wahl- Dazu sagt der für die Pflegeversicherung zustän- kampfthemen zu suchen, haben Sie sich ein falsches dige Minister: Überlassen wir es doch den Heimen, Feld - auf dem Rücken von alten Menschen und vor den Trägern, den Verhandlungen mit den Pflegekas- allem von Frauen, die ohne eine qualifizierte Ausbil- sen, wie viele Menschen in der Pflege beschäftigt dung eine qualifizierte Arbeit leisten - ausgesucht. sein sollen und wie viele von ihnen eine qualifizierte Ausbildung haben sollen. Ich erinnere mich gut an (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die Worte von Ihnen, Herr Blüm, die in diesem Haus gefallen sind: „20 Prozent tun's auch. Zum ,Füttern' ' " Wir wollen, daß vor Ort von den Trägern der Ein- - ich sage das in Anführungszeichen, wir würden das richtungen und von den Pflegekassen, von den in der Pflege nie sagen - „eines alten Menschen Heimbeiräten, die es auch do rt gibt, festgestellt wird, - braucht man keine acht Semester Psychologie, son- welche fachliche und menschliche Kompetenz in dern ein großes Herz und eine ruhige Hand. " - Das, welchem Verhältnis benötigt wird. Das ist der beste Herr Minister, zeugt nicht von großer Sachkenntnis Weg zu einer richtigen Pflege in unseren Heimen. der Situation in der Pflege. Die Bundesregierung ist hier auf dem richtigen Weg. Herr Minister Blüm, ich lasse nicht zu, daß Sie in die- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ser Frage so unqualifizie rt, wie dies geschehen ist, ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) angegriffen werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Eine Längsschnittstudie in Mannheim über zehn Widerspruch bei der SPD) Jahre hinweg zeigt, daß sich das Heimeintrittsalter in dieser Zeit um zwei Jahre erhöhte und die Dauer des Heimaufenthalts durchschnittlich etwa drei Monate Das Wort hat die Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: länger wurde. Alle, die sich mit Alter und Pflege be- Kollegin Christa Lörcher, SPD. schäftigen, wissen: Mit zunehmendem Alter wächst die Wahrscheinlichkeit, pflegebedürftig zu werden, Christa Lörcher (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolle- und das Risiko, an einer Demenz zu erkranken. Viele ginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! der in Heimen lebenden älteren Menschen leiden Herr Kauder, ich habe in unserer Region eine Um- nicht nur an einer, sondern an mehreren Krankhei- frage in Heimen zur Fachkraftquote durchgeführt. In ten. Fachleute nennen das Multimorbidität. dieser Umfrage war auch Ihr Kreis dabei. Die Fach- kraftquote lag zwischen 20 und 60 Prozent. Ich Was muß eine Fachkraft lernen, um für die Pflege möchte Ihnen gern sagen, wie viele Klagen ich aus und Betreuung dieser Menschen - Frauen und Män- Heimen von Betroffenen, von Angehörigen und vor ner mit ganz unterschiedlicher Lebensgeschichte, allen Dingen von Pflegekräften bekomme. Sie hören mit verschiedenen Krankheiten, aber auch ganz ver- das vielleicht nicht, aber so ist es. Wir haben gute schiedenen Fähigkeiten - gut vorbereitet zu sein? Pflege, aber wir haben auch Pflege, die wirklich bes- ser sein könnte. In 16 Bundesländern - das wurde bereits gesagt - haben wir 16 verschiedene Altenpflegeausbildungen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) mit unterschiedlichen Ausbildungszielen, Zugangs- Ich möchte jetzt ein paar Informationen zum voraussetzungen, Dauer, Schwerpunkten, Prüfungen Thema geben. Es gab bei uns einmal einen Pflege und verschiedenen Ansprüchen auf Ausbildungsver- 20490 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Christa Lörcher gütung. Seit Jahren ist eine bundeseinheitliche Re- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin, gelung überfällig. Die Ministerin, die sich gerade gut achten Sie bitte auf die Uhr. unterhält, (Dr. Edith Niehuis [SPD]: Wenn sie nicht Christa Lörcher (SPD): Ja. - Die Zunahme der Zahl zuhört, wird sie nie wissen, wovon sie der Älteren über 65 in den nächsten Jahren von etwa redet!) 13 auf 20 Millionen Menschen - das ist bekannt - wird eine entsprechende Zunahme der Zahl der im hat am Anfang dieser Legislaturperiode versprochen; Gesundheitswesen Beschäftigten zur Folge haben. es war im „Spiegel" im letzten Sommer nachzulesen. Für diese Menschen wollen wir eine qualifizierte Erreicht hat Frau Nolte nichts - sie braucht offen- Ausbildung. Für sie müssen wir bessere Vorausset- sichtlich nicht zuzuhören -, weil die bayerische Re- zungen und Rahmenbedingungen schaffen. gierung es nicht will. (Zuruf von der CDU/CSU: Ein kürzerer Text Dabei hat eine Anhörung im November 1996 die wäre besser gewesen!) Dringlichkeit einer bundeseinheitlichen qualifizier- ten Altenpflegeausbildung noch betont. Ich weiß nicht, ob sie dabei war. Der Vertreter aus Bayern war Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin, der einzige bei der Anhörung, der es anders sah, und nur noch einen Satz, bitte. Frau Nolte kann sich leider nicht gegen ihn durchset- zen. Christa Lörcher (SPD): Kein Unternehmer würde auf die Idee kommen, an einer teuren CNC-Ma- (Zuruf von der SPD: So ist es!) schine einen Beschäftigten arbeiten zu lassen, der Es gibt einen Entwurf des Ministeriums für Familie, nichts davon versteht. Ein Mensch ist komplexer als Senioren, Frauen und Jugend zur bundeseinheitli- jede Maschine; chen Regelung der Altenpflegeausbildung, (Zuruf von der CDU/CSU: Einen Menschen (Zurufe von der SPD: Wer blockiert denn können Sie auch streicheln - im Gegensatz hier wieder einmal? - Bayern!) zur Maschine!) es gibt einen Gesetzentwurf aus Hessen, der den ein Mensch hat Gefühle, Wünsche, Bedürfnisse, die Bundesrat passiert hat, und es gibt Anträge von Möglichkeit zur Kommunikation. Bündnis 90/Die Grünen, von der PDS und von uns (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt reicht's!) aus der SPD. Was tun die Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition im Ausschuß für Familie, Senioren, Um damit umgehen zu können, brauchen wir mehr Frauen und Jugend? Mit einer Kampfabstimmung Kenntnisse und Fähigkeiten als für den Umgang mit gestern morgen haben sie verhindert, daß der Tages- jeder technischen Innovation. ordnungspunkt „Altenpflegeausbildung" in unserem (Zuruf von der CDU/CSU: So ein Quatsch!) Ausschuß überhaupt diskutiert werden konnte. Ich bitte Sie, das bei den kommenden Entscheidun- (Zurufe von der SPD: Hört! Hört! - So geht gen zu bedenken. es zu!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ein jämmerliches Bild von Unfähigkeit, von fehlen- DIE GRÜNEN) dem Mut zu Auseinandersetzungen in den eigenen Reihen mit einem Bundesland, das Scheuklappen trägt gegenüber Regelungen, die über die eigenen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat Grenzen hinausreichen könnten, ein erbärmliches Herr Bundesminister Blüm. Bild den Pflegebedürftigen und denjenigen gegen- über, die eine qualifizierte Ausbildung, mit Blick auf Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und die Mobilität in Europa auch mit europäischen Stan- Sozialordnung: Herr Präsident! Meine Damen und dards, machen wollen! Herren! Ich lasse mich in der Sorge für die Pflegebe- Trotz unterschiedlicher Regelungen ist eine Ausbil- dürftigen von niemandem hier im Saal übertreffen. dung besser als keine, drei Jahre sind besser als (Beifall bei der CDU/CSU) zwei, zwei besser als eines, und eine einjährige Hel- ferausbildung ist vernünftiger als gar keine Ausbil- Es geht aber gar nicht darum, daß die einen für dung. eine qualitativ befriedigende Pflege und die anderen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dagegen sind. Liebe Frau Mascher, wir haben in den Pflegeheimen Pflegebedürftige mit ganz unter- Aber nur eine volle Ausbildung in Krankenpflege schiedlichem Hilfebedarf: Wir haben Schwerstpfle- oder Altenpflege ermöglicht eigenverantwortliches gebedürftige, Schwerpflegebedürftige und leichter pflegerisches Handeln, hilft, Ressourcen bei alten Pflegebedürftige; erheblich Pflegebedürftige nennen Menschen zu entdecken und zu fördern, ermöglicht wir sie. Diese drei Gruppen sind über die Pflege- qualifizierte Gespräche mit Angehörigen und mit heime in Deutschland nicht gleichmäßig verteilt. In dem therapeutischen Team und bereitet auf die lau- einem Heim gibt es sehr viel Schwerstpflegebedürf- fend umfangreicher werdenden Aufgaben bei Pfle- tige, in einem anderen mehr Pflegebedürftige mit gedokumentation und -management vor. weniger Pflegebedarf. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20491

Bundesminister Dr. Norbert Blüm Erklären Sie mir bitte einmal, was das Schema F - Wenn Sie mich fragen, wo das eigentliche Problem Sie wollen nämlich das Schema F: 50 Prozent - mit liegt, dann antworte ich, es liegt, so meine ich, eher Qualitätssicherung zu tun hat. darin, daß wir zuwenig Personal, zuwenig Pflege- kräfte haben. (Dr. Edith Niehuis [SPD]: Quatsch!) Ich bin der Meinung, es gibt Heime, die 80 oder Sie haben gesagt: Ein Mensch hat Gefühle. Wollen 90 Prozent Fachkräfte brauchen werden. Es wird Sie sagen, nur eine Fachkraft könne auf Gefühle ein- auch Heime geben, die mit 20 Prozent zurechtkom- gehen? Ich muß einmal alle in Schutz nehmen, die in men. Sie aber wollen das Schema F. Pflegeheimen arbeiten, (Zuruf von der SPD: Nein!) (Beifall bei der CDU/CSU) Sie sagen, das sei eine Mindestausstattung. Was die ein großes Herz und möglicherweise kein Diplom hilft einem Pflegeheim, das Schwerstpflegebedürf- haben. Was ist das eigentlich für eine Welt, in der die tige hat, eine Mindestquote von 50 Prozent, wenn es Mitmenschlichkeit von Diplomen abhängig gemacht 90 Prozent Pflegekräfte braucht? wird? In welcher Welt leben Sie eigentlich? Wir streiten eigentlich nur darum, wie wir Qualität sichern. Da bin ich gegen schematische, bürokrati- (Beifall bei der CDU/CSU - Zurufe von der sche Lösungen, weil sie den Menschen nicht gerecht PDS) werden. (Beifall bei der CDU/CSU) - An Ihrer Stelle wäre ich vorsichtig. Ich wi ll jetzt nicht an die Pflegeheime der DDR erinnern. Fachkraftquote: Das ist ein relativ bürokratisches Herangehen. Frau Nolte hat schon gesagt: Stellen Wen ich auch noch in Schutz nehmen muß, das ist wir uns einmal ein Heim mit zehn Pflegekräften vor, die Pflegeversicherung. Sie ist doch auch der Anwalt in dem vier Fachkräfte und sechs Helfer sind. Wenn der Pflegebedürftigen. In der Selbstverwaltung sit- die Verordnung käme, könnte das Heim die Fach- zen übrigens Gewerkschaften. Wollen Sie sie alle un- kraftquote dadurch erreichen, daß es zwei Heller ent- ter den Verdacht stellen, sie wären an der Qualität läßt; dann hätten sie eine Quote von 50 Prozent. Man nicht interessiert? Wollen Sie das wirk lich tun? Da bräuchte noch nicht einmal zu entlassen. Man könnte gibt es einen Sozialmedizinischen Dienst; er kann im Arbeiten, für die man kein pflegerisches Fachperso- Streitfall helfen. Darin sind Mediziner und Pflege- nal braucht, zum Beispiel in der Küche oder in der kräfte. Da gibt es eine Schiedsstelle. Wäscherei, einfach auslagern. Im übrigen: Die Pflegekasse hat gar keine finan- Sehen Sie nicht, daß eine Quote über die Intensität ziellen Interessen daran; denn sie zahlt für jeden der Pflege gar nichts aussagt? 2000, 2500, 2800 DM. Sie verdient an diesen Ver- (Beifall bei der CDU/CSU) - handlungen nicht. - Sie ist aber auch Anwalt der Ver- sicherten und der Pflegebedürftigen, wenn sie über Darum aber geht es doch; es geht doch um Zuwen- Heimentgelte verhandelt. Je höher nämlich das dung. Heimentgelt ist, um so mehr muß der einzelne hinzu Wenn es so ist, wie Sie sagen, daß die Quote Quali- zahlen. Sie ist doch auch Anwalt der Pflegebedürfti- tät sichert: Warum haben Sie dies dann, Frau Ma- gen! scher, in den Krankenhäusern mit Zustimmung der Länder abgeschafft? In Krankenhäusern gibt es Frau Mascher, Sie werden das Pflegeheim kennen, keine Fachkraftquoten, noch nicht einmal für die In- wo mehrere Pflegepersonen „ausgetrocknet" sind. tensivstation - trotzdem werden da natürlich Fach- Da hätte eine Fachkraft gereicht. Das hat mit 50 Pro- kräfte gebraucht -, zent Fachkräften überhaupt nichts zu tun. Es hat da- mit zu tun, welcher Geist in dem Heim herrscht, mög- (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Das ist ja etwas licherweise auch mit der Überlastung von Pflegekräf- ganz anderes!) ten. weil der Bedarf eben unterschiedlich ist. Eine Univer- Ich stimme Ihnen in einem zu: Ich bin für eine Auf- sitätsklinik hat einen anderen Bedarf als ein Kreis- wertung des Pflegeberufes als eines hochqualifizier- krankenhaus. ten Berufs, vielleicht auch abgestuft. (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Es geht um Men schen und die beste Ausbildung!) (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie doch - Es geht um Menschen. Wollen Sie sagen, im Kran- dem grünen Antrag zu!) kenhaus ginge es nicht um Menschen? (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Ich kämpfe seit Jahren dafür; ich werde das auch weiterhin tun. Ich wehre mich aber dagegen, alles Es geht um Menschen, im Krankenhaus und im Pfle- nur von Diplomen und Quoten abhängig zu machen. geheim. Sie wollen die Frage der Menschlichkeit Ich glaube, daß es viel wichtiger ist, den Beruf aufzu- durch eine starre Quote regeln, während ich sage: werten. Fachkräfte sind um so mehr do rt nötig, wo sie ge- braucht werden. 90 Prozent - ich sehe doch, daß teil- Wir haben in den Ländern 17 Altenpflegeberufe; weise ein hoher Bedarf an Fachkräften besteht. Hamburg hat sogar zwei. Es macht doch keinen 20492 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Bundesminister Dr. Norbert Blüm Sinn: eine bundesweit einheitliche Quote, aber un- Nur, ich teile nicht die Ansicht, Bürokratie bedeute terschiedliche Definitionen in den Ländern? in jedem Fall Sicherung von Humanität. Den Glau- ben habe ich nicht. (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir brauchen auch eine (Beifall des Abg. Julius Louven [CDU/CSU]) bundesweite Ausbildung!) Ich glaube vielmehr, man muß den guten Willen der Eines will ich hier nur einmal klarstellen, denn so Beteiligten mobilisieren. Die Pflegeversicherung hat werden wir die Diskussion hoffentlich nicht führen. es nicht verdient, in den Verdacht zu geraten, mit ihr Da lese ich von dem Geschäftsführer der Rheinischen wolle man die Qualität der Pflege drücken. Gesellschaft für Innere Mission, unser Vorschlag - (Dr. Edith Niehuis [SPD]: Die Kosten!) eine differenzie rte Lösung und keine Lösung nach Schema F - sei eine moderne Form von Euthanasie. - Soll ich es Ihnen noch einmal ganz ruhig erklären? Für die Pflegeversicherung bringt das doch gar (Julius Louven [CDU/CSU]: Pfui!) nichts. Das sollten wir gemeinsam zurückweisen, und (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die wollen zwar nicht meinetwegen. gar nicht zuhören!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Sie zahlt einen Zuschuß ans Heim, ohne Rücksicht sowie bei Abgeordneten der SPD) darauf, welche Entgelte das Heim hat. Ich bin durchaus für eine Übergangsregelung. Es Unsere Diskussion löst in den Heimen eine unge- gibt nämlich noch mehr offene Fragen in dem Be- heure Angst aus. Hier wird der Eindruck erweckt, als reich. Laßt uns sachlich, ruhig und ohne Emotionen - wären wir für - wie haben Sie gesagt? - das Motto schon gar ohne den Versuch, hier Wahlkampf zu be- „Satt, sauber! " , als ginge das alles nicht mehr mit treiben - eine befriedigende Lösung im Sinne der Herz. Das sind hilflose Menschen. Und „Euthana- Humanität suchen und finden! sie": Eine solche Debatte habe ich schon einmal bei der Gesundheitsreform gehabt. Da hat die Pharmain- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dustrie gesagt: Keine Medikamente mehr für Krebs- kranke! - Hört auf, politische Diskussionen mit der Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat Angst um den Tod zu führen! jetzt der Kollege Karl Hermann Haack, SPD. (Zuruf von der SPD: Das haben wir doch gar nicht gemacht!) Karl Hermann Haack (Extertal) (SPD): Herr Präsi- dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Stimmen wir darin überein! Minister Blüm, Sie haben hier die entsprechende (Beifall bei der CDU/CSU) - Verordnung für die Krankenhäuser zitiert, die Kran- kenhauspersonalverordnung. Ich muß Ihnen ein biß- Ich werbe dafür, die Diskussion behutsam zu füh- chen aufhelfen, damit Sie begreifen, daß dies der ren. Der Unterschied besteht lediglich darin: Soll es Weg wäre, mit dem man dieses Problem sachgerecht eine flächendeckende Schema-F-Quote für Fach- lösen könnte. kräfte geben - bei höchst unterschiedlichen Heimen, Wir hatten verabredet, die Personalausstattung der mit hohem Pflegebedarf, weil schwerstpflegebedürf- Krankenhäuser mit Fachkräften in vier Stufen zu re- tig, mit niedrigem Pflegebedarf, weil weniger pflege- geln: Stufe 1 - realisiert. Stufe 2 - realisiert. Stufe 3 - bedürftig? Ich werbe sehr dafür, auch das gute Herz realisiert. Aufwuchs an Fachpersonal in den deut- der Menschen und den guten Willen der Menschen schen Krankenhäusern: 20 000. Die Stufe 4 ist nicht in den Heimen zu sehen, die kein Diplom haben und realisiert worden, weil die Fachleute, die dies wissen- doch Menschen helfen wollen. Auch die Frauen, die schaftlich begleitet haben, zu dem Ergebnis kamen, nach der Erziehungsphase ins Berufsleben zurück- der Aufwuchs an Fachpersonal sei ausreichend. kehren, werden nicht alle Examen machen. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Es wären nur (Dr. Edith Niehuis [SPD]: Verdrehen Sie 13 000 notwendig gewesen!) doch nicht alles!) Genau dies wäre auch für die Realisierung der Trotzdem brauchen wir sie. Fachkraftquote von 50 Prozent in unseren Einrich- tungen der richtige Weg. Das Problem, das Sie hier Keiner hier sagt, es gebe vernünftige Pflege ohne beklagen - was die Opposition hierzu vertritt, sei hochqualifiziertes Personal. Aber, so frage ich Sie, Brunnenvergiftung -, hat seine Ursache eigentlich wer soll darüber entscheiden? Ich glaube, eine Ver- bei Ihnen selbst. handlungslösung - eine differenzierte Lösung, selbst eine mit Schiedsstellen - ist besser als eine Schema- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne F-Regelung. Deshalb: Hören Sie auf, Angst zu ma- ten der PDS) chen! Wir wollen eine befriedigende, qualitativ hoch- Sie haben diesen Vertrauensbruch doch in einer wertige Pflege. Wir wollen den Pflegeberuf aufwer- Nacht-und-Nebel-Aktion provoziert. ten, weil es, so glaube ich, einer der schönsten und wichtigsten Berufe ist, Menschen zu dienen. Darin Ich will, da ich mir immer alles aufschreibe, im Da- stimmen wir völlig überein. tenkranz der Beratungen bleiben: Im Zuge der Um- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20493

Karl Hermann Haack (Extertal) setzung der Pflegeversicherung haben wir dieses sich nur um das Notwendigste handeln. Das ist dann Thema immer mit diskutiert. Demnächst, so wurde an der F.D.P. gescheitert. Daraufhin haben uns die da gesagt, gibt es eine bundeseinheitliche Altenpfle- Wohlfahrtsverbände gefragt, welchen Wert ein Ge- geausbildung; die jeweiligen Länder stellen die Aus- spräch zwischen der Politik und den Verbänden bildungskapazitäten bereit; für den Bereich der Um- überhaupt noch hat, wenn anschließend in einer sol- schulung werden Mittel aus der Bundesanstalt für chen Weise verfahren wird. Arbeit bereitgestellt. Das war die große Linie. Es wäre richtiger gewesen, dann, wenn Sie die Ab- Wir konnten immer davon ausgehen, daß die senkung der Fachkraftquote planen - wir haben vor Quote von 50 Prozent Fachpersonal Sinn macht, auch Jahren schon einmal darüber diskutiert, ob es richtig deswegen, weil die gemeinsame Selbstverwaltung in ist -, bei der Vorstellung des Pflegeberichts zu sagen: zunehmendem Maße versagt, wie man im Bereich Hier gibt es noch Klärungsbedarf; wir müssen mit der gesetzlichen Krankenversicherung nachvollzie- den Verbänden reden, wenn das WIDO-Gutachten hen kann, und weil wir zunehmend darauf angewie- vorliegt. Dieses WIDO-Gutachten liegt vor. Man sen sind, die Rahmenbedingungen selbst zu setzen, hätte sagen müssen: Bei Vorlage dieses Gutachtens wenn wir unsere politische Verantwortung wahrneh- machen wir im zuständigen Ausschuß eine Anhö- men wollen. rung. Dann werden wir auf der Grundlage dieser An honing entscheiden, wie weiter verfahren werden In der Sitzung des Arbeits- und Sozialausschusses soll. Das wäre der normale Gang der Dinge gewesen. am 4. März ist der Pflegebericht vorgestellt worden. Dies haben Sie nicht getan. Vielmehr versinkt der Er- Es ist gesagt worden, wie die Lage zur Zeit ist. Zu der folg der Pflegeversicherung in zunehmendem Maße Frage der Veränderung der Fachkraftquote und der im Sumpf der Götterdämmerung der Koalition. Frage der Heimpersonalverordnung ist kein Ton ge- sagt worden. Man hat aber den Kollegen Fuchtel (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie dazu bewegt, exakt dies in einer schriftlichen Frage bei Abgeordneten der PDS - Wolfgang Zöl an die Bundesregierung zum Thema zu machen. In ler [CDU/CSU]: Da muß er selber lachen! der sitzungsfreien Woche vom 9. März lag die Ant- Endlich einmal jemand, der über sich selber wort vor. Das ist in der Drucksache 13/10121 nachzu- lachen kann! - Weiterer Zuruf von der lesen. Dort steht genau das, was Sie uns hier erzäh- CDU/CSU: Das Niveau war tief!) len, nämlich warum die Fachkraftquote geändert werden muß. Statt den zuständigen Ausschuß bei der Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die Vorstellung des Pflegeberichts über das zu informie- Kollegin Erika Reinhardt, CDU/CSU. ren, was bei der Pflegeversicherung beabsichtigt ist, statt die Wohlfahrtsverbände und die Kirchen im Vor- (CDU/CSU): Herr Präsident! feld über das, was geplant ist, zu unterrichten, ma- Erika Reinhardt Meine Damen und Herren! Das, was wir gerade zum chen Sie eine Nacht-und-Nebel-Aktion. Dieser Ver- Schluß gehört haben, klingt wie ein Witz. trauensbruch Nummer drei macht die Umsetzung - der Bestimmungen über die Pflegeversicherung in (Gerd Andres [SPD]: Das ist die bittere unserem Land so schwierig. Wahrheit, Frau Kollegin!) (Beifall bei der SPD - Dr. Norbe rt Blüm Denn ich glaube, es war eine enorme Leistung dieser [CDU/CSU]: Stimmen Sie denn in der Regierung und von Minister Norbert Blüm, diese Sache mit mir überein?) Pflegeversicherung auf den Weg zu bringen. Den ersten Vertrauensbruch, den Sie begangen (Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das hat er haben, hat der Kollege Waigel zu verantworten. Als doch nicht allein gemacht!) er nämlich die Schuldenquote senken mußte, weil er Wie Sie dem Bericht entnehmen können, ist es ein die Maastrichter Kriterien einhalten wollte, versuchte Bombenerfolg. Daß Sie uns diesen Erfolg nicht gön- er, nach den Überschüssen der Pflegekasse zu grei- nen, kann ich verstehen. Ich kann auch verstehen, fen. daß Sie damit schlecht umgehen. (Julius Louven [CDU/CSU]: Wo sind denn (Christa Lörcher [SPD]: Wer hat denn dafür die Überschüsse?) 20 Jahre gekämpft, Frau Reinhardt?) Wir haben dann einen öffentlichen Aufschrei organi- Sie reden jetzt dauernd von 50 Prozent. Wenn Sie siert; daraufhin hat Herr Waigel seinen Finger zu- sich die Quote anschauen, dann werden Sie feststel- rückgezogen, wie seinerzeit auch im Falle des Gol- len, daß diese Quote von den SPD-regierten Ländern des der Deutschen Bundesbank. Der zweite Vertrau- noch lange nicht erreicht wird. ensbruch ereignete sich, als die Wohlfahrtsverbände und die Kirchen zu uns gekommen sind und uns vor- (Zuruf von der SPD: Das stimmt nicht!) getragen haben, was alles geändert werden müßte - Baden-Württemberg und Bayern haben sie erfüllt. Stichwort: Demente. Da ging es um ein Mehr an Be- treuung. Wir haben ihnen gesagt: Wartet doch den Herr Minister Blüm, ich habe natürlich auch Ver- Pflegebericht ab; wir werden auf der Grundlage des ständnis dafür, daß die Verbände, vor allem aber die Pflegeberichtes Änderungen vorschlagen. Wir haben Heimträger etwas hellhörig waren und sich Sorgen bei den Kirchen und Wohlfahrtsverbänden dafür ge- gemacht haben. Ich erinnere mich noch an das Pfle- worben, daß wir nur ein kleines Paket in einem Um- gestandardmodell, das ja für sehr viel Unruhe ge- fang von 260 Millionen DM machen. Dabei konnte es sorgt hat und das, wenn man es umgesetzt hätte, zu 20494 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Erika Reinhardt einer erheblichen Absenkung geführt hätte, vor al- Sie haben dabei die Einführung der neuen Sozialver- lem in Baden-Württemberg und Bayern. Ich bin Ih- sicherung als erfolgreiche Punktlandung gefeiert nen sehr dankbar, daß Sie sich damals dafür einge- und freudestrahlend betont, daß die Pflegebedürfti- setzt haben, daß dieses Modell so nicht umgesetzt gen nun gut versorgt sind und sich - zumindest der wurde. Umfrage zufolge - auch gut versorgt fühlen. Ihr Fazit war, die Pflegeversicherung sei ein voller Erfolg. Aber über was wir heute sprechen, ist - da sind wir uns einig -, daß wir den Pflegestandard erhalten Diese Erfolgsmelodie, Herr Minister, wurde aber müssen. Dies ist im Pflegegesetz auch so festgehal- bereits damals von erheblichen Mißtönen begleitet. ten. Bei allen Diskussionen ist es uns wichtig, daß wir Ich nenne nur die Debatte um die Unzulänglichkei- die nicht vergessen, die in der Pflege sind und unsere ten bei der Abgrenzung der Eingliederungshilfe und Hilfe brauchen. der Pflegeversicherung bei behinderten Menschen in Behindertenheimen, die zu großen Unruhen geführt Es ärgert und stört mich schon sehr, wenn Sie sich hat. Ich nenne nur das Debakel in Ihrer Koalition bei hier hinstellen und so tun, als wären nur die rechtli- den bereits fest verabredeten Verbesserungen bei chen Fachkräfte - es sind ja nur rechtlich sogenannte Leistungen wie der Urlaubs- und Nachtpflege. Diese Fachkräfte - gute Kräfte, wichtigen Nachbesserungen sind ja bekanntlich an (Christa Lörcher [SPD]: Das sagt doch kei koalitionsinternen Grabenkämpfen gescheitert, meine ner!) Damen und Herren. während diejenigen, die schon zehn Jahre zu Hause Schon diese Punkte machen deutlich: Die Bundes- oder auch in einem Altenheim pflegen, so hingestellt regierung ist zwar bemüht, ihren Stolz über das Kind werden, als wären sie keine Fachkräfte. Hier muß Pflegeversicherung zu zeigen. Die auftretenden Kin- man unterscheiden. derkrankheiten und die richtige Entwicklung dieses Kindes liegen Ihnen aber anscheinend viel weniger (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - am Herzen. Herr Minister, man könnte Sie, der Sie - Dr. Edith Niehuis [SPD]: Es geht nicht um wir haben es ja gerade gehört - als Vater der Pflege- die 100-Prozent-Quote!) versicherung bezeichnet werden, mit einiger Berech- tigung auch zum Rabenvater der Pflegeversicherung Deshalb ist es richtig, wenn wir hier nicht in ein ernennen. Schema verfallen, sondern eine Lösung finden, die die Qualität sichert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Dr. Edith Niehuis [SPD]: Dann können wir ja zusammenarbeiten!) Frau Nolte, Ihnen will ich sagen: Man hat Sie in dieser Frage bisher immer noch im Tal der Ahnungs- Ich lege großen Wert darauf, losen gelassen oder man hat Sie schlecht beraten. (Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Sehr rich - Das wird auch wieder in der aktuellen Diskussion um tig!) die Heimpersonalverordnung deutlich. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Haben Sie daß wir die Qualität in unseren Heimen sichern. nicht zugehört, was sie gesagt hat?) Aber es muß auch Möglichkeiten geben, das Ganze flexibel zu gestalten. - Doch, wir haben zugehört. Ich habe gut zugehört, was sie gesagt hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Ulrike Mascher [SPD]: Ja, der § 5 Abs. 2!) Eines, meine Damen und Herren, muß doch unum- wunden zugegeben werden: Je weniger Fachkräfte sich in den Pflegeheimen um die Pflegebedürftigen Das Wort hat die Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: kümmern, desto schlechter ist auch die Qualität der Kollegin Regina Schmidt-Zadel, SPD. Pflege. Hoffentlich sind wir in diesem Punkt wenig- stens einig. (SPD): Herr Präsident! Regina Schmidt-Zadel Wenn sich nun aber in der Praxis zeigt, daß die an- Meine Damen und Herren! Ich kann nur hoffen, daß gestrebte Fachquote nicht erreicht werden kann, viele betroffene Menschen heute dieser Diskussion dann kann man als Gesetzgeber doch nicht hingehen zugehört haben und sich ihr Urteil bilden. und diese Verordnung einfach außer Kraft. setzen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Heben wir denn die Schulpflicht auf, weil sich nicht CDU/CSU) alle Eltern daran halten? Durch Handauflegen, meine Damen und Herren, ist (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dieses Problem nicht zu lösen. Oder wird die Gurtpflicht abgeschafft, weil sich ei- (Beifall bei der SPD und der PDS) nige Autofahrer nicht anschnallen? Bezüglich der Pflegeversicherung scheint Ihnen eine solche Art der Vor gerade einmal - ich glaube - drei Monaten hat Politik jedenfalls sehr angebracht zu sein. der Arbeitsminister, Herr Blüm, der Öffentlichkeit eine erste Bilanz der Pflegeversicherung vorgestellt. Eine Aufhebung der Fachkraftquote würde einen Teufelskreis in Gang setzen, an dessen Ende eine un- (Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Die war sehr würdige Schmalspurpflege stehen würde, meine Da- gut!) men und Herren. Wer oder was spricht denn dage- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20495

Regina Schmidt-Zadel gen, einem Heim zu sagen: In fünf Jahren müssen 1700 000 Menschen profitieren von der neuen Pflege- 50 Prozent erreicht sein? Ihr habt jetzt 30 Prozent, versicherung. also wird in jedem Jahr 5 Prozent Fachpersonal zuge- legt. Eine solche Stufenregelung könnte dann in den (Gerd Andres [SPD]: Sehr gut!) Pflegesatzverhandlungen mit den Heimen verbind- Wir wollen, daß alle Pflegebedürftigen die benötig- lich festgelegt werden und würde die Verlängerung ten Hilfen und Leistungen erhalten. der Ausnahmeregelung für alle akzeptabel und das Erreichen der Quote für alle Einrichtungen kalkulier- (Gerd Andres [SPD]: Bravo!) bar machen. Wir wollen eine fachlich hochwertige Pflege, die Meine Damen und Herren, es gibt noch eine ganze menschliche Zuwendung einschließt. Reihe von Argumenten, die für die Fachkraftquote (Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Richtig!) sprechen: zum Beispiel die Tatsache, daß die Alten- pflege einer der wenigen Bereiche ist, in denen die Wir wollen eine sorgsame und behutsame Fortent- Arbeitsämter noch Arbeitsplätze vermitteln können, wicklung der Pflegeversicherung. (Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Richtig!) Wir wollen aber nicht, daß die Menschen, die Pfle- geleistungen erhalten, damit geängstigt werden, sie oder die Tatsache, daß eine qualifizierte Fachpflege würden in Zukunft nur noch unzureichend versorgt. in den Pflegeeinrichtungen die Verweildauer in den Mit den Besorgnissen der über 1,3 Millionen Senio- Krankenhäusern verringern und damit auch die Ko- ren, die Pflegeleistungen erhalten und von denen sten für die GKV spürbar entlasten würde. Das wäre viele Krieg und Not mitgemacht haben, spielt man doch ein Signal gewesen. Ich hätte mich gefreut, nicht und kocht damit vor allen Dingen kein politi- wenn der Herr Bundesgesundheitsminister heute et- sches Süppchen. was zu diesem Thema gesagt hätte und nicht nur im Hintergrund die Fäden zöge. (Beifall des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne In den letzten Monaten geschieht doch etwas ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Merkwürdiges. Wir haben in schwieriger Zeit trotz Mein Appell an Sie alle: Wir haben die Pflegeversi- einer schwierigen Haushaltssituation und trotz hoher cherung gemeinsam gewollt und eingeführt; wir Arbeitslosigkeit eine neue, fünfte Säule der Sozial- müssen auch gemeinsam dafür sorgen, daß diese versicherung geschaffen. In Inte rvallen von wenigen Versicherung im Sinne der pflegenden und der zu Monaten wird versucht, das neue gemeinsame Werk pflegenden Menschen angewendet wird. schlechtzureden. Der erste Akt war die Kampagne vor einigen Jahren, die unter dem Motto „Sta rt ins (Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: Sehr rich- Pflegechaos" stand. Sie ist gescheitert. Die Pflegever- tig!) - sicherung funktioniert. Dann wurden die berufsmäßi- gen Schwarzseher mit ihren Vorhaltungen, daß es ei- Eine hochwertige Pflege mit ausreichend Fachperso- nen Antragsstau gebe und 500 000 Anträge unbear- nal muß unser zentrales Anliegen sein. Ich kann a ll beitet seien, widerlegt. denen, die jetzt Angst haben, daß ihre Pflege nicht mehr gewährleistet ist, versichern: Wir lassen das (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Rotseher!) nicht zu und werden ab Oktober ohnehin andere Wenige Monate später lösen sich alle Behauptungen, Maßstäbe setzen. Auch das ist im Sinne der Humani- drei Feiertage müßten zur Kompensation aufgegeben tät, Herr Minister. werden, in Luft auf. Schließlich kehrten sich alle Un- Vielen Dank. heilsprophezeiungen über ein Milliardendefizit ins Gegenteil. Jetzt wird über die Zukunft der Über- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne schüsse in Höhe von 9 Milliarden DM diskutiert. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Gerd Andres [SPD]: Nein, über Personal und des Abg. Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU] planung!) - Dr. Nobert Blüm [CDU/CSU]: Das war nur ein partieller Beifall!) Nun kommt nach wenigen Wochen der Pause ein neues Katastrophenszenario: Vor allem ältere Mitbür- ger sollen nicht mehr sachgerecht versorgt werden - Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der so heißt es. Ich sage Ihnen hier klipp und klar: Wir Kollege Johannes Singhammer, CDU/CSU. wollen eines nicht, nämlich schlechte Leistungen statt ehrlichem Dank für ein arbeitsreiches Leben. Mit uns nicht! Johannes Singhammer (CDU/CSU): Herr Präsi- dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu- (Beifall bei der CDU/CSU) nächst hat diese Debatte eindeutig die Behauptung, hier würde mit der Abrißbirne gegen die Pflegeversi- Der Münchner Oberbürgermeister Ude spricht in cherung vorgegangen, widerlegt. Das Gegenteil ist einer Presseerklärung vom 16. März 1998 von einer der Fall. Die Pflegeversicherung wird nicht abgeris- drohenden Katastrophe und von einem Gesetz, das sen, sondern aufgebaut. heute, am 26. März, an diesem Donnerstag, im Deut- schen Bundestag durchgepeitscht werden soll. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, nichts von 20496 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Johannes Singhammer dem wird eintreten, weder eine Katastrophe noch ein Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Durchpeitschen ist angesagt. Wir werden mit den Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Bundesländern und den entsprechenden Wohlfahrts- Deutschen Bundestag über die Änderungen gemein- verbänden eine gemeinsame Lösung erreichen, und sam abzustimmen ist. diese Gespräche werden in sachlicher und ruhiger Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ver- Atmosphäre geführt. mittlungsausschusses auf Drucksache 13/10199? - (Christa Lörcher [SPD]: Na, hoffentlich!) Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Be- schlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer onsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Stimment- Schlichtlösungen in diesem Bereich vorgaukelt, der haltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS ange- wird bald spüren, daß er den komplizierten Sachver- nommen. halten der Pflegeversicherung nicht gerecht wird. Ein Pauschalsatz an Fachkräften ist noch keine Ga- rantie für den Pflegehimmel. Dann rufe ich den Zusatzpunkt 13 auf: (Christa Lörcher [SPD]: Wir wollen gute Beschlußempfehlung des Vermittlungsaus- Pflege auf Erden! - Bundesminister schusses zur Änderung des Urheberrechts- Dr. Norbe rt Blüm: Ja, richtig!) gesetzes Wir meinen - ich glaube, was jetzt geplant ist, ist Berichterstatter ist unser Kollege Dr. Jürgen richtig -, daß eine Fortsetzung der Übergangsrege- Warnke. - Das Wort zur Berichterstattung wird aber lung über den 30. September 1998 hinaus sicherlich nicht gewünscht. - Auch keine Erklärungen. Dann nicht die schlechteste Lösung wäre. Dafür sprechen kommen wir zur Abstimmung. eine Reihe guter Gründe. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ver- Den Menschen, die draußen zuhören und diese mittlungsausschusses auf Drucksache 13/10200? Ge- Debatte verfolgen, möchte ich sagen: Die Leistungen genprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfeh- der Pflegeversicherung stimmen; sie sollen sich nicht lung ist einstimmig angenommen. unnötig in Sorge bringen lassen. Wir wollen weder, Dann rufe ich jetzt die Tagesordnungspunkte 6a daß die Pflegeversicherung kaputtgespart noch daß bis 6 g sowie den Zusatzpunkt 6 auf: sie kaputtgeredet wird. 6. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lassen Sie mich ganz zum Schluß noch eines sa- Ursula Schönberger, Elisabeth Altmann gen: All denjenigen, die heute sozusagen die Haupt- (Pommelsbrunn), Gila Altmann (Aurich), personen waren, das Personal in den Pflegeheimen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion möchte ich an dieser Stelle zunächst einmal sehr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sehr herzlich für die Leistung danken, die sie voll- Keine Castor-Transporte in die Zwischen- bracht haben. lager Ahaus, Gorleben und Greifswald (Beifall bei der CDU/CSU) - Drucksache- 13/9851 Das ist mir besonders wichtig. Und ich möchte, daß Überweisungsvorschlag: eines nicht passiert: daß ein Keil zwischen Fachkräfte Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und und Nichtfachkräfte getrieben wird. Denn nur ge- Reaktorsicherheit (federführend) Ausschuß für Wirtschaft meinsam können sie ihre schwierige Aufgabe mei- Ausschuß für Verkehr stern. Dazu wünsche ich allen viel Glück. b) Beratung der Beschlußempfehlung und des (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Berichts des Ausschusses für Umwelt, Na- turschutz und Reaktorsicherheit (16. Aus- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Die Aktuelle schuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Stunde ist beendet. Ursula Schönberger, Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn), Gila Altmann (Aurich), Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tages- weiterer Abgeordneter und der Fraktion ordnung um die Beschlußempfehlung des Vermitt- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lungsausschusses zum Pflanzenschutz- und zum Ur- heberrechtsgesetz zu erweitern. Über die Vorlagen Beendigung der Castor-Transporte soll jetzt gleich abgestimmt werden. Sind Sie mit der - Drucksachen 13/6997, 13/9755 - Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? - Das Berichterstattung: ist der Fall. Dann ist so beschlossen. Abgeordnete Ku rt-Dieter Grill Dietmar Schütz (Oldenburg) Dann rufe ich jetzt den Zusatzpunkt 12 auf: Michaele Hustedt Beschlußempfehlung des Vermittlungsaus- Dr. Rainer Ortleb schusses zum Gesetz zur Änderung des Pflan- c) Beratung der Beschlußempfehlung und des zenschutzgesetzes Berichts des Ausschusses für Umwelt, Na- Berichterstatter ist der Kollege Michael Müller turschutz und Reaktorsicherheit (16. Aus- (Düsseldorf). Das Wort zur Berichterstattung wird schuß) zu dem Entschließungsantrag der aber nicht gewünscht. Erklärungen? - Auch nicht. Abgeordneten Ursula Schönberger, Steffi Dann kommen wir zur Abstimmung. Lemke, Elisabeth Altmann (Pommels- Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20497

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose brunn), weiterer Abgeordneter und der ZP6 Beratung des Antrags der Fraktionen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der CDU/CSU und F.D.P. Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Uwe Castor-Transporte Küster, Reinhard Weis (Stendal), Michael - Drucksache- 13/10184 Müller (Düsseldorf), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Endlager für radioaktive Abfälle in Mors- (federführend) leben Innenausschuß Ausschuß für Wirtschaft - Drucksachen 13/5921, 13/7132, 13/8720, Ausschuß für Verkehr 13/9753 - Es liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der Berichterstattung: SPD sowie drei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Abgeordnete Kurt-Dieter G rill Michael Müller (Düsseldorf) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für Michaele Hustedt die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Kein Wi- Dr. Rainer Ortleb derspruch. - Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle- d) Beratung der Beschlußempfehlung und des gin Ursula Schönberger, Bündnis 90/Die Grünen. Berichts des Ausschusses für Umwelt, Na- turschutz und Reaktorsicherheit (16. Aus- schuß) Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr - zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Präsident! Frau Merkel, Ihre Rechnung ist nicht auf- Schönberger, Gila Altmann (Aurich), Mi- gegangen. chaele Hustedt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Ihre auch nicht!) NEN Ahaus ist eine beschauliche Stadt, in der sich in den Ausstieg aus der Atomenergie und Lö- letzten Jahren ein großer Teil der Bevölkerung mit sungsansätze für das Atommüllproblem der Existenz eines Zwischenlagers für Brennele- statt Absicherung des Weiterbetriebs mente in einer regional begrenzten Funktion arran- giert hatte. Dann sind Sie, Frau Merkel, gekommen - zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf und haben den Münsterländern gesagt: Da sie nicht Köhne, Eva Bulling-Schröter, Dr. Gregor so aufmüpfig seien wie die Wendländer, könnten sie Gysi und der Gruppe der PDS auch gleich noch den Müll aus dem Rest der Repu- Ausstieg aus der Atomenergie blik aufnehmen. Das, Frau Merkel, war ein nicht wie- dergutzumachender Affront gegen die Ahäuser und - Drucksachen 13/7008, 13/7062, 13/9754 - deren Vernunft. Ihre Rechnung ist nicht aufgegan- Berichterstattung: gen. Abgeordnete Kurt-Dieter Grill (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wolfgang Behrendt sowie bei Abgeordneten der SPD) Michaele Hustedt Die Auseinandersetzung um den Castor-Transpo rt Dr. Rainer Ortleb nach Ahaus hat sich substantiell in nichts von den Transporten nach Gorleben unterschieden. Es geht e) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- den Betroffenen eben nicht nur um einen bestimmten tionsausschusses (2. Ausschuß) Standort, zum Beispiel weil man dort selbst lebt oder Sammelübersicht 246 zu Petitionen weil er besonders symbolträchtig ist wie Gorleben, sondern darum, daß Ihre Politik, Frau Merkel, den (Endlager Morsleben) Atommüll sinnlos hin- und herzuschieben, prinzipiell - Drucksache 13/8665 - abgelehnt wird. Viele der Ahäuser und Ahäuserin- nen, die auf ihrem Grundstück ein großes gelbes X f) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- aufgestellt und Plakate in die Fenster gehängt ha- tionsausschusses (2. Ausschuß) ben, haben sich jetzt zu diesem Vorgehen entschlos- Sammelübersicht 247 zu Petitionen sen, weil sie gemerkt haben, daß Ihre Politik, Frau Merkel, eben gar nichts mit Entsorgung zu tun hat (Einstellung der Wiederaufarbeitung von und daß es Ihnen nur darum geht, Dumme zu finden, abgebrannten Brennelementen) die den Müll hinnehmen. - Drucksache 13/8666 - (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) g) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- Atommüll zu verschieben ist keine Lösung. Jeder tionsausschusses (2. Ausschuß) Transport, der mit staatlicher Gewalt gegen die Be- völkerung durchgesetzt wird, zehrt an der Substanz Sammelübersicht 248 zu Petitionen des sozialen Friedens in der Gesellschaft. (Ausstieg aus der Kernenergienutzung) Nun haben nicht Sie, Frau Merkel, das Demonstra- - Drucksache 13/8667 - tionsverbot und die Taktiererei gegenüber der Bevöl- 20498 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Ursula Schönberger kerung zu verantworten gehabt, sondern die Landes- Weise und Hartnäckigkeit immer wieder auf die regierung in Nordrhein-Westfalen. reale Gefährlichkeit dieses Mülls hinweisen, wären die letzten, denen egal wäre, was mit diesem Müll (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Oh! Diese passiert. Um sich dieser Frage nähern zu können, Angriffe auf Frau Höhn weise ich mit Empö gibt es jedoch zwei Voraussetzungen: Erstens. Es rung zurück!) muß eine ernsthafte Bereitschaft zur sozialen Ver- Das ist, offen gesagt, bedrückend. Doch die Frage ist ständigung geben. Zweitens. Es muß um die Ab- eine andere: Welche Handlungsfreiheit hat denn wicklung der atomaren Altlasten gehen. eine Landesregierung heute überhaupt, wenn ihr sol- (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Steht che Transporte aufgezwungen werden? doch in unserem Antrag!) (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Frau Höhn Das ist nur schwer möglich, solange diese Politik so hat Sie taktiert! Ist ja unglaublich!) weitergeht. Sobald die erste Kettenreaktion in Gang gesetzt Ich hoffe, daß es für eine solche verantwortungsbe- wird, entsteht ein Bedrohungs- und Gefahrenpoten- wußte Politik ab Herbst eine Chance gibt. tial, das dann mit aller Gewalt geschützt werden muß. Das ist, Herr Möllemann, keine Frage der Partei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN oder der Bewertung der Risiken dieser Technik. Das und bei der PDS sowie bei Abgeordneten ist vielmehr eine Frage, die mit der Atomtechnik an der SPD) sich einhergeht. Ihr Kollege Hirsch erinnert sich sicher noch an den Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Herbst 1977, als zigtausend Menschen gegen den Kollege Dr. Peter Paziorek, CDU/CSU-Fraktion. Bau des Schnellen Brüters in Kalkar demonst riert ha- ben. Er ließ damals als nordrhein-westfälischer In- Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Herr Präsident! nenminister Kalkar großräumig absperren, Anrei- Meine Damen und Herren! Die Castor-Transpo rte be- sende bereits im Vorfeld stoppen und Polizeieinhei- rühren nicht nur die Energie- und Umweltpolitik; sie ten von Hubschraubern zwischen den Demonstran- berühren in grundsätzlicher Hinsicht auch die Wirt- tinnen und Demonstranten absetzen. schaftspolitik. Investoren brauchen verläßliche Rah- menbedingungen. Es wird kein neuer Arbeitsplatz Das, was Robe rt Jungk seinerzeit als Atomstaat geschaffen, wenn sich der Investor nicht auf Zusagen prognostizierte, ist eben keine Frage von guten oder und Genehmigungen, auch durch Landesregierun- schlechten Politikerinnen und Politikern, sondern gen, verlassen kann. des Sachzwanges, der dieser Technik immanent ist. Genau diese Sachzwänge wollen wir nicht vertreten Wie sieht es nun mit der Verläßlichkeit einer rot- müssen. Darum ist der Ausstieg aus der Atomenergie grünen Landesregierung wie der in Nordrhein-West- ein wichtiger politischer Schritt, um gesellschaftliche - falen aus? In Nordrhein-Westfalen ist Garzweiler II Handlungsfreiheit zurückzugewinnen. noch nicht vergessen, da liefert Rotgrün mit Ahaus ein weiteres negatives Beispiel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der (Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Sagen PDS) Sie das einmal der Bevölkerung!) Wie begründet unsere sachliche Kritik ist, hat sich Mit Beschluß vom 28. September 1979 haben sich die vor wenigen Tagen in Großbritannien gezeigt, als Bundesregierung, damals noch mit einem SPD-Bun- endlich einmal ein realer Test mit den Castor-Behäl- deskanzler, und die Ministerpräsidenten in einem tern, den Typ-B-Behältern, gemacht wurde. Das er- gemeinsamen Beschluß auf ein Entsorgungskonzept schreckende Ergebnis war: Der Behälter wurde be- geeinigt. Unter anderem haben die Ministerpräsi- schädigt; die Deckelstoßdämpfer wurden so verformt, denten zugesichert, die Errichtung und den Bet rieb daß mehrere Schrauben ausrissen. Wir können den externer Zwischenlager ordnungsgemäß durchzu- konsequenten Schritt der rotgrünen Landesregie- führen und zu gewährleisten. rung Schleswig-Holsteins nur begrüßen, alle Trans- (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Bay porte aus dem AKW Krümmel, die bis dato genau mit ern!) diesem Behälter durchgeführt wurden, sofort zu un- tersagen. Schon auf Grund dieser evidenten Sicher- Auch Ministerpräsident Rau hat am 28. September heitsmängel darf es keine weiteren Castor-Trans- 1979 diesem Entsorgungskonzept zugestimmt. porte geben. (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Baden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Württemberg!) sowie bei Abgeordneten der SPD und der Mit dem Schreiben vom 9. Oktober 1990 - jetzt der PDS) Hinweis auf 20 Jahre - an den Chef des Bundeskanz- Noch ein Wort zum nationalen Entsorgungskon- leramtes hat der damalige Chef der Staatskanzlei sens, auf den die SPD in ihrem Antrag abstellt. Nordrhein-Westfalen, Herr Clement, die weitere Be- Selbstverständlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, reitschaft der Landesregierung betont, ein externes gibt es ohne Wenn und Aber eine nationale Verant- Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente aus wortung für den Atommüll, der in Deutschland pro- Leichtwasserreaktoren zu übernehmen. Darüber hin- duziert worden ist. Gerade wir, die in besonderer aus war die nordrhein-westfälische Landesregierung Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20499 Dr. Peter Paziorek und damit auch Minister Clement sowohl an der Ge- nen nur benutzt wurde, um die Landesregierung un- nehmigung für die Zwischenlagerung abgebrannter ter Druck zu setzen? Brennelemente in Ahaus durch das Bundesamt für Strahlenschutz vom November 1997 wie auch an der (Lachen bei der CDU/CSU - Heiterkeit und Genehmigung der jetzt laufenden Castor-Transpo rte Beifall des Abg. Rolf Köhne [PDS]) beteiligt. Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Lieber Herr Müller, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Pa- das habe ich an keiner Stelle so gesagt, so daß ich ziorek, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Ihre Frage mit einem klaren Nein zurückweisen Wülfing? kann. Aber ich weiß natürlich, daß Sie in Sachen Kohlepolitik in Nordrhein-Westfalen in der SPD völ- lig isoliert waren und daß Sie do rt keine Unterstüt- Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Ja. zung für Ihre Antikohleäußerungen gefunden haben. Ich kann nur sagen: Die Geschäftsgrundlage für ei- nen Kohlekompromiß im Jahre 1980 war unter ande- Elke Wülfing (CDU/CSU): Herr Kollege Paziorek, rem auch hierdurch erreicht. Es ist sehr erstaunlich, sind Sie eigentlich mit mir der Meinung, daß zu der daß die SPD diese politische Geschäftsgrundlage in Vorgeschichte der Transpo rte nach Ahaus auch der Nordrhein-Westfalen heute nicht mehr zur Kenntnis Kohlekompromiß gehört, den die Bundesregierung nimmt. Sie haben in dieser Frage ein kurzes Ge- mit der Landesregierung Nordrhein-Westfalen dahin dächtnis. gehend geschlossen hat, daß, wenn die weitere Sub- ventionierung der Kohle stattfinden soll, dann auch (Beifall bei der CDU/CSU - Michael Müller die Landesregierung mit Kernenergie und Ahaus [Düsseldorf] [SPD]: Er antwortet nicht auf einverstanden ist? Ich denke, die Äußerungen von die Frage!) Minister Kniola und Minister Clement passen ganz sicherlich nicht zu diesem Kohlekompromiß. Sind Sie Die Landesregierung war auch 1997 an der Geneh- auch dieser Meinung? migung der laufenden Castor-Transpo rte beteiligt. Diese Vorgeschichte hält Herrn Clement nicht davon ab, die Castor-Transpo rte als Provokation oder als Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Frau Wülfing, ich nicht zu verantwortenden Unsinn zu bezeichnen. stimme Ihnen zu. Denn das Entsorgungskonzept von Aber eines geht doch nur: Entweder ist diese Äuße- 1979 hatte nicht nur die Regelung, daß die Zwischen- rung zu einem nach Recht und Gesetz abgelaufenen lagerung in Niedersachsen und in Nordrhein-Westfa- Verfahren eine Amtspflichtverletzung, oder ich habe len stattfinden soll, hatte nicht nur die Regelung, daß vorher bei den Genehmigungsverfahren eine Amts- das Endlager in Gorleben wissenschaftlich erforscht pflichtverletzung begangen, indem ich nicht auf die werden soll, hatte nicht nur den Inhalt, daß die Wie- Bedenken hingewiesen habe. Eines geht nur, und deraufbereitungsanlage nach Bayern, Süddeutsch- - die Linie muß von Herrn Clement zukünftig sauber land, kommen sollte, durchgehalten werden. (Eva Bulling-Schröter [PDS]: Das haben wir Aber was noch viel schöner ist: Mit dieser Äuße- verhindert!) rung hat Herr Clement auch den Kanzlerkandidaten sondern war eine ganz wichtige politische Geschäfts- der SPD kompromittiert. Bei einem Gespräch der grundlage auch dafür, daß ab 1980 die entschei- Bundesregierung mit der SPD und den Energiever- dende Voraussetzung für die Einführung eines Koh- sorgungsunternehmen am 17. April 1997 wurde über die lepfennigs geschaffen wurde, so daß ich Ihnen in po- Entsorgungssituation der deutschen Kernkraft- litischer Hinsicht voll und ganz zustimmen kann, werke diskutiert. Bei diesem Gespräch wurde von Frau Wülfing. Leider kann die SPD in Nordrhein dem Ministerpräsidenten Schröder und von Herrn Westfalen das heute so nicht mehr öffentlich äußern. Müntefering die Notwendigkeit der Castor-Trans- porte in die Zwischenlager nicht in Zweifel gezogen. (Elke Wülfing [CDU/CSU]: Das hat sie lei Dabei war klar, daß ein Transpo rt nach Ahaus auch der vergessen!) kurzfristig erfolgen könne. Die deutschen Elektrizi- tätsversorgungsunternehmen, die nicht nur im Ver- trauen auf Recht und Gesetz, sondern auch im Ver- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege, ge- trauen auf das Wort der Landesregierungen von Nie- statten Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar des dersachsen und Nordrhein-Westfalen in Gorleben Kollegen Michael Müller? und in Ahaus in ein externes Zwischenlager inve- stiert haben, müssen von ihrem verfassungsrechtlich Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Ja. geschützten Recht Gebrauch machen können. Mit seiner Wechselpolitik zerstört Clement aus ko- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte. alitionsinternen und opportunistischen Gründen mutwillig Vertrauenskapital bei möglichen Investo- ren. Blumige Bekenntnisse zur Notwendigkeit der Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Erstens: Wür- Schaffung neuer Arbeitsplätze reichen nicht aus. Ar- den Sie mir einmal das Papier zeigen, in dem eine beitsplätze, auch die in Nordrhein-Westfalen, brau- solche Koppelung steht? Zweitens: Wollen Sie ernst- chen Investitionssicherheit. Diese können und wollen haft behaupten, daß die Kohlefinanzierung von Ih SPD und Grüne nicht gewährleisten. 20500 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Dr. Peter Paziorek Niemand ist in dieser Frage vor dem rotgrünen Ha- es wird kein Endlager. In Niedersachsen muß alles rakirikurs mehr sicher. getan werden, damit die Arbeiten am Endlager in Gorleben im Jahre 2003 endlich beendet werden (Lachen des Abg. Rolf Köhne [PDS]) können, so daß Gorleben tatsächlich ein Endlager Herr Müller, daß es ein Harakirikurs ist, kann sehr werden kann und Ahaus ein Zwischenlager bleibt. gut mit einer Pressemeldung belegt werden, die Sie Eines ist wohl ganz deutlich: Die Debatte um den für die SPD-Bundestagsfraktion am 29. Januar her- Castor-Transport nach Ahaus mit den wirklich unsin- ausgegeben haben. Darin sprechen Sie mit einer er- nigen Äußerungen aus dem rotgrünen Regierungsla- staunlichen Wortwahl vom Widerstand des Landes ger in Düsseldorf zeigt: Immer da, wo Rotgrün re- Nordrhein-Westfalen gegen die atomsüchtigen Lan- giert, verliert das Bündnis letztlich an politischer desregierungen in Bayern und Baden-Württemberg. Strahlkraft. (Beifall der Abg. Annelie Buntenbach Schönen Dank, meine Damen und Herren. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Diese Wortwahl disqualifiziert die Fraktion, in deren Namen Sie hier eine Erklärung abgegeben haben. Das muß heute ganz deutlich herausgestellt werden. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Hans-Peter Kemper. Von welchen Maximen sich dabei auch die grüne Politik leiten läßt, hat die grüne Vizepräsidentin des Landtages in Nordrhein-Westfalen, Frau Grüber, vor Hans-Peter Kemper (SPD): Herr Präsident! Meine kurzem noch einmal schriftlich belegt. In einem Damen und Herren! Der Castor-Transpo rt am Schreiben an den Vorsitzenden der CDU-Fraktion im 20. März hat einen jungen Polizeibeamten das Leben Landtag von Nordrhein-Westfalen findet sich ein - gekostet, ohne daß dafür irgend jemandem die aus meiner Sicht - entlarvender Satz. Ich möchte ihn Schuld gegeben werden könnte. Dieser junge Poli- zitieren, Herr Präsident: zeibeamte des Bundesgrenzschutzes hat seinen Dienst versehen ohne Rücksicht auf die Fragen: Bin Ich bin nach wie vor der Meinung, daß es zu re- ich für oder gegen Atomenergie? Bin ich für oder ge- spektieren ist, wenn Menschen in aller Öffent- gen Atomkraftwerke? Er hat seinen Dienst in einer lichkeit eine Handlung begehen, die geeignet demokratischen Polizei versehen, weil es seine Auf- sein kann, gegen bestehendes Recht zu versto- gabe war. Er ist seiner Pflicht nachgekommen. Ich ßen, wenn sie verhältnismäßig erscheint, ihr Ziel denke, ihm gebühren unser Dank und unsere Aner- ein ehrenwertes ist, wenn dies f riedlich geschieht kennung. Seiner Familie, seinen Angehörigen, sei- und wenn sie bereit sind, die Folgen auf sich zu nen Freunden und Kolleginnen und Kollegen im nehmen. Bundesgrenzschutz bringen wir unser tiefstes Mitge- fühl entgegen. Das stand in einem Schreiben der Vizepräsidentin - des nordrhein-westfälischen Landtages. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und (Zuruf von der CDU/CSU: Ungeheuerlich!) dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS) - Auch ich halte das wirklich für ungeheuerlich. Der am 20. März 1998 durchgeführte Castor-Trans- (Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard port aus Bayern und Baden-Württemberg nach Hirsch) Ahaus ist eine neue Etappe auf dem langen Weg der verfehlten Energiepolitik dieser Bundesregierung, Jeder hat das Recht, an friedlichen Demonstratio- der verfehlten Entsorgungspolitik dieser Bundesre- nen teilzunehmen. Jeder hat auch das Recht auf freie gierung. Meinungsäußerung. Wir lassen aber nicht zu, daß durch gewaltbereite Gegner der f riedlichen Nutzung (Elke Wülfing [CDU/CSU]: Die Sie mitge der Kernenergie die rechtsstaatliche Freiheit zu Ver- macht haben, immer wieder!) kehrsgefährdungen und Blockaden, zum Widerstand gegen die Staatsgewalt, zu Nötigungen und anderen Es ist eine Etappe auf einem völlig falsch angelegten Straftaten mißbraucht wird. Weg. Nicht zuletzt der nordrhein-westfälische Wi rt -schaftsminister, Wolfgang Clement, hat diesen Trans- Die völlig verquere Sichtweise der Grünen wird port völlig zu Recht als „politische Provokation" be- dadurch deutlich, daß der Bundestagskollege Nacht- zeichnet. Ich kann ihm in diesem Punkt ausdrücklich wei das Vorziehen der Transporte als einen politi- zustimmen. schen Betrug darzustellen versuchte, weil die De- monstranten um ihr Demonstrationsrecht gebracht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ worden seien. Die Frage der Zwischenlagerung hat DIE GRÜNEN) ja nun wirklich nichts mit spätpubertären Sandka- Die Menschen in Ahaus, im Kreis Borken und in stenspielen zu tun. Aber grüne Ideologen scheinen der gesamten Region haben bei den Sonntagsspa- das wohl so zu sehen. ziergängen und am 20. März ein f riedliches, kraftvol- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) les Zeichen gegen die Atomenergie, für den Ausstieg aus der Atomenergie und gegen unsinnige Castor- Im übrigen ist die Position der Bundesregierung Transporte quer durch die Bundesrepublik gesetzt. ganz klar und eindeutig: Ahaus ist für uns nur ein ex- Sie haben friedlich gegen diese unerträgliche Provo- ternes Zwischenlager und bleibt ein Zwischenlager; kation einer zur Atomlobbyistin mutierten Umwelt- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20501 Hans-Peter Kemper ministerin protestiert. Sie haben die Grenzen des le- Hans-Peter Kemper (SPD): Nein, ich möchte meine galen Widerstandes eingehalten. Rede zu Ende führen.

Wie anders als unerträgliche Provokation sollte Es ist schon erstaunlich, mit welchen Argumenten man das Verhalten der Umweltministerin Merkel Frau Merkel - Herr Paziorek, auch Sie haben das nennen, wenn sie wenige Tage nach dem Transpo rt eben getan - den verfehlten Kurs rechtfertigen will. nach Gorleben in der noch aufgeheizten Atmosphäre Sie beziehen sich auf die Bund-Länder-Vereinba- sagt: Die Widerstände für solche Transpo rte nach rung von 1979, zitieren einen Teil daraus - aber eben Gorleben sind viel zu groß; demnächst werden die nur einen Teil. Sie verschweigen einen anderen - Transporte nach Ahaus gehen? Was soll man dazu sa- ganz wichtigen - Teil, nämlich daß eine Einlagerung gen, wenn sie in ihre öffentlichen Überlegungen die in die Zwischenlager, eine Einlagerung in Ahaus nur Verlagerung der fabrikneuen Brennelemente von erfolgen kann, wenn die Endlagerung gesichert er- Kalkar nach Ahaus einbezieht? Was, liebe Kollegin- scheint. nen und Kollegen, soll man von einer Bundesum- weltministerin halten, die den Menschen in der Re- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gion, in Ahaus, im Kreis Borken, im Münsterland den DIE GRÜNEN) Eindruck vermittelt, daß ihnen zum Dank für ihr bis- heriges friedliches und zurückhaltendes Verhalten Wie sichert man die Endlagerung? Frau Merkel steht nun der gesamte atomare Dreck der Bundesrepublik auf und sagt: Ich erkläre die Endlagerung für gesi- vor die Tür gekippt wird? chert. Kein Fachmann, keine Fachfrau hat sich zu ei- ner solchen These verstiegen, nur Frau Merkel macht Wir Sozialdemokraten verfolgen einen anderen das. Die Bund-Länder-Vereinbarung ist von einer Weg. Wir wollen den Ausstieg aus der Atomenergie, völlig anderen Grundkonzeption ausgegangen. und wir wollen die unsinnigen Transpo rte quer durch die Bundesrepublik verhindern. (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Das stimmt nicht!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Das hat Frau Merkel bisher immer verschwiegen. und der PDS) Aber mit dem „ungeheuren Wissensschatz", den sie Im übrigen ist nicht einzusehen, daß Bayern und dargetan hat, steht sie völlig alleine. Tatsache ist, daß Baden-Württemberg Atomkraftwerke betreiben, und es bundesweit kein funktionierendes Endlager gibt Gorleben und Ahaus müssen die Folgen dieser un- und daß auch keines in Sicht ist. Das ist die Wahr- verantwortlichen Politik auf unbegrenzte Zeit tragen. heit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es hat aber noch einen anderen Aspekt gegeben: Nicht nur die Bürger haben f riedlich und sehr beson- Wir Sozialdemokraten werden ein anderes Konzept nen gegen Atomenergie protestiert, sondern auch - fahren. Wir werden kurz- und mittelfristig die kraft- die Polizeibeamten, die vor Ort waren, haben sehr werksnahe Zwischenlagerung anstreben und am besonnen reagiert. Das Konzept der nordrhein-west- Ausstieg aus der Atomenergie festhalten. fälischen Politik und die Besonnenheit der vor Ort eingesetzten Polizeibeamten haben dazu beigetra- (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Was ist mit gen, daß es zu einem friedlichen Protest ohne dem Endlager in Gorleben?) schwerwiegende Zwischenfälle gekommen ist. Das zeigt, meine Damen und Herren: Auf die sozialdemo- Es ist völlig klar, daß es einen riesigen Unterschied kratische Innenpolitik ist Verlaß. Nicht die Devise ausmacht, ob Transpo rte und Einlagerungen dem „Knüppel raus und drauf ", sondern ein Deeskalati- Ausstieg aus der Kernenergie oder dem Weiterbe- onskurs, wie er in Nordrhein-Westfalen seit Jahren trieb dienen. Die Transpo rte, die Sie vornehmen las- gefahren wird, war das Gebot der Stunde und ist mit sen, dienen ausschließlich dem Weiterbetrieb. Nicht Erfolg umgesetzt worden. ansatzweise dienen sie dem Ausstieg aus der Atom- energie. Deshalb bekommen Sie auch den gesell- (Beifall bei der SPD) schaftlichen Konsens, den Konsens mit den Bürge- rinnen und Bürgern, nicht hin. Wer aussteigen will Ich habe mit vielen Kolleginnen und Kollegen aus und dabei den Konsens mit den Bürgerinnen und dem Münsterland an den Konfliktlinien gestanden. Bürgern sucht, bekommt das hin. Sie aber haben Ich habe gesehen, wie die Emotionen hochgingen. eine Konstellation herbeigeführt, bei der ein Konsens Ich habe gesehen, wie sich beide Seiten immer wie- nicht mehr erreichbar ist. Wie soll auch der Konsens der zurückgenommen haben, um Eskalationen zu mit einer Bundesumweltministerin und einer Bun- vermeiden. Ich denke, den Menschen, die da f ried- desregierung erreicht werden können, die uneinsich- lich demonstriert haben, gebührt unser Dank ebenso tig am Weiterbetrieb der Kernkraftwerke und an völ- wie den Politikern und den do rt eingesetzten Polizei- lig überflüssigen und völlig dummen Transpo rten beamten. quer durch die Republik festhalten? Das ist schlech- (Abg. Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU] meldet terdings unmöglich. sich zu einer Zwischenfrage) Wir wollen eine andere Politik. Wir werden das im Konsens mit der Bevölkerung machen. Eine Bundes- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, regierung, der nichts anderes einfällt, als Entsor- gestatten Sie eine Zwischenfrage? gungsfragen gegen große Teile der Bevölkerung mit 20502 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Hans-Peter Kemper dem Polizeiknüppel lösen zu lassen, hat Zukunfts- Es geht Ihnen darum, einen Hofknicks nach dem an chancen verspielt. -deren zu machen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Hans-Peter Kemper [SPD]: Das müssen DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rolf Köhne ausgerechnet Sie sagen!) [PDS]) - Nein, zu Hofknicksen bekommen Sie mich nicht. Sie machen sie vor den Damen und Herren, die wis- sen, daß sie selbst dann, wenn sie morgen einen Aus- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das stiegsbeschluß faßten - ich habe ja deren Programm Wort dem Abgeordneten Jürgen Möllemann. gelesen und weiß, wann sie was anstreben wollen -, weiterhin zwischenlagern müssen. Jürgen W. Möllemann (F.D.P.): Herr Präsident! Ver- (Hans-Peter Kemper [SPD]: Haben Sie nicht ehrte Kolleginnen und Kollegen! Am 28. September zugehört?) 1979 traf sich hier in dieser Stadt der damalige Bun- deskanzler - Kanzler der soziallibe- Sie werden dort zwischenlagern müssen, wo das ralen Koalition - mit den damaligen Ministerpräsi- Zwischenlager ist, nämlich in Ahaus. Sie können sich denten der alten Bundesländer; für Nordrhein-West- doch jetzt nicht hier hinstellen und sagen: Wir haben falen war es der damalige und heutige Ministerpräsi- damals an eine regionale Lösung gedacht. - Das ha- dent Johannes Rau. Sie verabredeten bestimmte ben Sie überhaupt nicht. Sie haben damals dezidiert Maßnahmenpakete zur friedlichen Nutzung der gesagt: Wir wollen nicht, daß die Zwischenlager über Kernenergie. die ganze Bundesrepublik verteilt werden. Wir wol- len sie an zwei Plätzen, um es kontrollierbar zu hal- (Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Vor ten. Sie haben das mit uns gemeinsam beschlossen. Tschernobyl!) Heute, nachdem Sie zwischenzeitlich auch die Be- Eines davon war, die Zwischenlagerung von Brenn- stimmungen des Atomrechts mit uns gemeinsam for- elementen in Nordrhein-Westfalen in einem exter- muliert haben, reden Sie davon nen Zwischenlager zu ermöglichen. (Abg. Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Richtig ist, daß damals gesagt wurde, wie es der Vorredner gerade erwähnte, daß außerdem von da - nein, ich möchte diesen Gedanken zu Ende führen an alles für die Verwirklichung eines Endlagerkon- -, man könne dezentralisieren und die Brennele- zeptes getan werden solle. mente bei den Kernkraftwerken belassen. Das ist wieder so eine Schlickefängerei, die Sie hier betrei- (Hans-Peter Kemper [SPD]: Das steht da ben. Sie wissen, daß Kernkraftwerke nach dem gel- anders drin!) tenden Atomgesetz nur bet rieben werden dürfen, wenn sie Verträge zur Zwischenlagerung nachwei- - Es heißt, es solle alles dafür getan werden, „daß sen können. Sie wären doch die ersten, die die Sti ll zum Zeitpunkt der ersten Einlagerung von abge- -legung dieser Kernkraftwerke vor Ort verlangen brannten Brennelementen die Aufnahmefähigkeit würden, wenn die Betreiber sagen würden: Wir hal- des Salzstockes in Gorleben gesichert erscheint". ten uns nicht an das geltende Recht, wir lagern die (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Genauso ist Brennelemente am Ort zwischen. - Nein, Sie sind in es!) sich widersprüchlich. Sie sind nicht ehrlich. Sie ver- stoßen gegen die geschlossenen Verträge und wollen Sie erscheint gesichert. Damals wie heute wurde sich davonstehlen. Das ist keine seriöse Argumenta- nicht gesagt, daß das Konzept bis dahin verwirklicht tion. sein müsse. Das konnte zum damaligen Zeitpunkt (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) niemand definieren. Aber weder Helmut Schmidt noch Johannes Rau wollten deswegen auf die Nut- Ich frage mich im übrigen, wie es mit der Seriosität zung der Kernkraft verzichten. Beide wußten, daß des von mir in der Debatte der letzten Monate sehr die Brennstäbe auch dann, wenn Gorleben als Endla- geschätzten Kollegen Wolfgang Clement aussieht, ger vorhanden ist, do rt nicht direkt eingelagert wer- der genau weiß, daß sein Ministerpräsident Johannes den können, sondern daß sie zum Abklingen ir- Rau die Vereinbarung getroffen hat, der genau weiß, gendwo zwischengelagert werden müssen. daß sich sein Koalitionspartner unmöglich verhält. Beim Thema Garzweiler ist das wirk lich hinreichend Verehrter Herr Kollege, worin liegt denn die grö- vorgeführt worden. ßere Sinnhaftigkeit eines Transpo rts von abgebrann- ten Brennelementen nach Ahaus, wenn nach 40 bis (Abg. Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD] 80 Jahren dann in Gorleben endgelagert werden meldet sich erneut zu einer Zwischenfrage) kann? Tun Sie doch nicht so, als ginge es Ihnen um diese Frage! Es geht Ihnen darum, sich klammheim- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege? lich aus Verträgen und Vereinbarungen davonzu- schleichen, die Helmut Schmidt und Johannes Rau unterschrieben haben. Jürgen W. Möllemann (F.D.P.): Nein. - Jetzt hören wir von der Sprecherin der Grünen, daß sich die (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nordrhein-westfälische Landesregierung im Umgang Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20503 Jürgen W. Möllemann mit den Protesten der Bürger unmöglich benommen übesser, auf dieses merkwürdige Spielchen der Gr habe. Frau Kollegin, Sie vergaßen, darauf hinzuwei- nen gar nicht einzugehen und dort nicht hinzugehen. sen, daß Sie selber in der nordrhein-westfälischen Landesregierung sitzen. (Beifall bei der F.D.P. - Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lächerlich!) (Ursula Schönberger [BÜNDNIS 90/DIE - Herr Nachtwei, hier in Bonn haben 400 000 Men- GRÜNEN]: Das ist hier allgemein bekannt!) schen für eine entschlossene Friedenspolitik demon- striert. Nun tun Sie doch nicht so, als wenn Sie aus Sie wollten also Selbstkritik üben. der Präsenz von 10 000 Leuten an einem Tag und Ich finde es hervorragend, wie Innenminister 10 000 an einem anderen Tag eine moralische Legiti- mation gegen den politischen Willen der Mehrheit Kniola zwei vernünftige Ansätze gleichzeitig verfolgt hat. Erstens hat er dafür gesorgt, daß keine ver- dieses Hauses ableiten könnten. Das ist schwer er- träglich. schwommenen Debatten darüber aufkommen, was Gesetzesbruch ist und was nicht. Er hat klargestellt: (Beifall bei der F.D.P. - Widerspruch des Wer sich auf Gleise setzt und diese blockiert, verstößt Abgeordneten Winfried Nachtwei [BÜND gegen das geltende Recht und muß bestraft werden. NIS 90/DIE GRÜNEN]) Der Koalitionspartner geht hin und erklärt durch Zum letzten Punkt, den ich hier ansprechen wi ll: die grüne Vizepräsidentin des Landtages und durch Ich möchte ausdrücklich dem Polizeipräsidenten den Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Landtag, von Münster, Herrn Wimber, danken. Er ist einer, der Herrn Appel, diesen Robin Hood in Strumpfhosen derzeit noch der grünen Partei angehört. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. sowie (Zuruf von der SPD: Er war früher in der des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/ F.D.P.!) DIE GRÜNEN]) - das macht die Sache nicht besser, das war sozusa- Er hat dafür gesorgt, daß die abenteuerlichen Formu- gen der zweite Irrtum -, man könne sich natürlich auf lierungen der grünen Vizepräsidentin des nordrhein- die Gleise setzen, das seien doch interessante Hap- westfälischen Landtags und des Fraktionsvorsitzen- penings. Wie soll sich denn das Verständnis der Bür- den der Grünen im nordrhein-westfälischen Landtag ger von Recht und Gesetz festigen, wenn selbst die nicht ansatzweise zur Handlungsmaxime werden Gesetzgeber sagen: Ihr könnt ruhig gegen das Ge- konnten. Er hat dafür gesorgt, daß Recht und Gesetz setz verstoßen, das ist ein interessantes Happening? zur Geltung gebracht wurden. Das ist in Ordnung. Daß er sich dafür in den verschiedensten Versamm- Herr Kniola hat klar Position bezogen. Mich hätte lungen von Grünen-Sprechern schwere Vorwürfe hat es nur gefreut, wenn der Regierungschef nicht seg- anhören müssen, zeigt mir nur, verehrte Kollegen - nend seine Hand über die beiden do rt offiziell vertre- von der SPD, auf welchem Weg Sie sind. Die Äuße- tenen Positionen gehalten, sondern erklärt hätte: Ich rungen Ihres sehr geehrten Herrn Ministerpräsiden- stehe voll und ganz und ausschließlich hinter der Po- ten Schröder zeigen mir, daß auch er ahnt, was Ihnen sition von Herrn Kniola. Das war ihm im Blick auf blüht. spätere Ambitionen offenbar ein bißchen zu wage- mutig. Schade! Vielen Dank.

Meine Damen und Herren, ich fand das zweite, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne das Herr Kniola gemacht hat, auch gut: Er hat den ten der CDU/CSU) hanebüchenen Denkansatz, man habe die operativen Maßnahmen gefälligst so zu gestalten, daß sie mög- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das lichst aufwendig und teuer seien, zurückgewiesen Wort dem Abgeordneten Rolf Köhne. und gesagt: Wir machen es so, wie es zweckmäßig ist. Rolf Köhne (PDS): Herr Präsident! Liebe Kollegin- nen und Kollegen! Herr Paziorek, Herr Möllemann, Das am meisten Erheiternde war, die betretenen Gesichter der Damen und Herren zu erleben, die of- es ist fast unerträglich, wie borniert Sie hier die fenbar ihre Dienstpläne nicht mehr schnell genug Atomkraft verteidigen und an ihrer Nutzung festhal- ten. umstellen konnten. Eine Demo von Dienstag auf Freitag der Vorwoche vorzuziehen, ist natürlich auch (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne schwer. Das kann man wirk lich nicht hinbekommen. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der F.D.P.) Dabei berufen Sie sich immer auf einen Energiekon- sens zwischen Bund und Ländern, den es 1979 si- Bei allem Respekt, Frau Kollegin: Es waren 20 000 cherlich gegeben hat. Demonstranten da, 10 000 an dem einen und 10 000 (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Waren Sie an dem anderen Tag. Mein Dank gilt denen, die do rt schon mal in Greifswald? Sagen Sie mal riedlich demonstriert haben und sich nicht von de- f was zu Greifswald!) nen, die es anders wollten, haben aufrühren lassen. Mein Dank gilt aber auch den 79 980 000 deutschen Doch dieser Energiekonsens liegt 20 Jahre zurück. In Bürgern, die der Auffassung gewesen sind, es sei der Zwischenzeit hat die Reaktorkatastrophe von 20504 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März

Rolf Köhne Tschernobyl stattgefunden; das sollten Sie auch ein- soll, können die abgebrannten Brennelemente eben- mal bedenken. Diese Reaktorkatastrophe hat aller sogut in Castor-Behältern direkt bei den Atomkraft- Welt vor Augen geführt, welches Risikopotential die werken gelagert werden, und das wäre vernünftig. Atomenergie hat. (Erneuter Zuruf des Abg. Jürgen W. Mölle (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Wie ist das mann [F.D.P.]) in Greifswald?) - Herr Möllemann, Sie sollten einmal den Mut haben, Rund 125 000 Menschen sind bisher an den Folgen hier eine Zwischenfrage zu stellen, damit ich Ihnen von Tschernobyl vorzeitig gestorben. Rund ein Fünf- eine gebührende Antwort geben kann. tel der Fläche von Weißrußland ist noch immer radio- aktiv verseucht. Gucken Sie sich das mal an! (Beifall bei der PDS - Heiterkeit im ganzen Hause) (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Wie sieht es denn in Greifswald aus?) Herr Kollege, Und selbst Kühe in Weißrußland erkranken noch im- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ihr Wunsch geht in Erfüllung. Gestatten Sie eine mer an Leukämie. Zwischenfrage des Abgeordneten Möllemann? (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Und in Greifswald?) Rolf Köhne (PDS): Ja. - Ich sage Ihnen, Herr Möllemann: Auch in der Bun- desrepublik ist ein schwerer Kernschmelzunfall mög- lich. Bis zu 1 Million Menschen müßten in diesem Jürgen W. Möllemann (F.D.P.): Könnten Sie mir Lande im Notfall evakuiert werden. Sie wissen ganz eine Chronologie des Einsatzes Ihrer Partei und Ihrer genau, daß das nicht möglich sein wird. Vorgängerpartei gegen die Nutzung der Kernkraft in Greifswald darstellen und mir die Frage beantwor- (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Was war ten, wie Greifswald zu seinem Namen kommt? denn jetzt in Greifswald?) Bis zu 20 Millionen Menschen müßten schlimmsten- (PDS): Meine Vorgängerpartei - das falls umgesiedelt werden. Das müssen Sie sich ein- Rolf Köhne sage ich hier ganz offen - war die Deutsche Kommu- mal überlegen. Was hat denn das mit der Sicherung nistische Partei. Ich bin erst 1990 in die PDS gegan- des Standortes Deutschland zu tun? Das ist die Ge- gen. Ich kann Ihnen daher nur Auskunft über meine fährdung des Standortes Deutschland, die Sie hier Vergangenheit geben; das tue ich ganz offen. Ich war betreiben! früher - das gebe ich gern zu - nicht in dem Maße (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne Gegner der Atomkraft, wie ich das heute bin. Ich ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) - habe erst durch den Reaktorunfall von Tschernobyl gelernt - das gebe ich offen zu -, aber ich erwarte, Kein Gewerbebetrieb, der ein solches Risiko in sich daß auch alle anderen Menschen lernfähig sind. Ich birgt, würde zugelassen; aber die Atomenergie las- habe jedoch meine Zweifel, Herr Möllemann, ob Sie sen Sie zu. lernfähig sind. (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Was haben Sie denn gegen Greifswald gemacht?) (Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Jürgen W. Möllemann - Herr Möllemann, seit Tschernobyl gibt es in dieser [F.D.P.]: Jetzt hat er mich zerschmettert!) Republik keinen Konsens mehr über die Atompolitik, weder in diesem Deutschen Bundestag noch in der Eine Regierung, die trotz der zahlreich vorgebrach- Bevölkerung. ten und gut begründeten Argumente, die gegen die Verantwortbarkeit der Atomenergie sprechen, an (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Was heißt diesem Irrsinn festhält, kann sich zwar auf die Mehr- eigentlich Greifswald auf russisch?) heit berufen, aber sie verhält sich letztendlich wie ein Viele Menschen sehen ihr Recht auf Leben und auf Autofahrer, der absichtlich einen Unfall herbeiführt, körperliche Unversehrheit bedroht. Dadurch wächst indem er auf seiner Vorfahrt beharrt. Wenn Sie so ihre Bereitschaft, sich gegen die Nutzung der Kern- weitermachen, meine Damen und Herren von der energie zur Wehr zu setzen. Das ist der Hintergrund Regierungsbank, dann gefährden Sie absichtlich die für die Proteste gegen die Castor-Transporte. Demokratie und verwandeln diese Bundesrepublik schleichend in einen Polizeistaat. (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Greifswald heißt Greifswald, weil man aufgegriffen (Widerspruch bei der CDU/CSU und der wurde!) F.D.P.) Diese Transporte sind erstens gefährlich und zwei- - Natürlich, darauf hat die Kollegin Schönberger be- tens unsinnig. reits hingewiesen. Es gibt einen Sachzwang, der aus der Atomenergie herrührt. Sie müssen die Transporte Sie begrei (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: ständig schützen. Damit setzen Sie das Demonstrati- fen das nicht mit Greifswald!) onsrecht und das Recht auf Freizügigkeit in unver- Solange es kein Entsorgungskonzept gibt, also nicht hältnismäßiger Weise außer Kraft. Das sollten Sie ein- klar ist, wo der Atommüll irgendwann einmal bleiben mal bedenken. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20505

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das Köhne, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihrer Kolle- Wort dem Abgeordneten Dr. Rolf Olderog. gin Bulling-Schröter?

Dr. Rolf Olderog (CDU/CSU): Herr Präsident! Rolf Köhne (PDS): Ja. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Niemand in diesem Haus bestreitet besorgten Gegnern der Kernenergie das Recht, für ihre Überzeugung f ried- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte schön, lich zu demonstrieren. Auch wenn ich diese nicht Frau Kollegin. teile, so verstehe ich deren Verunsicherung, deren Besorgnisse. Für Meinungs- und Demonstrationsfrei- heit einzutreten ist die Pflicht eines jeden Abgeord- Eva Bulling-Schröter (PDS): Herr Kollege Köhne, neten. können Sie bestätigen, daß das Kernkraftwerk in Greifswald vom selben Typ ist wie das in Mochovce, Aber klar muß auch dies sein: Wer mit Hakenkral- das jetzt mit Hermes-Krediten und mit Unterstützung len die Oberleitung der Bahn zerstört, wer Schienen der Bundesregierung hochgerüstet wird, und können blockiert, den Bahndamm untertunnelt oder gar Sie mir erklären, warum es in Deutschland abgestellt Schienen ansägt und Molotowcocktails einsetzt und wird, während es in einem anderen Land als sicher damit Menschenleben gefährdet, der ist kein De- gilt? monstrant, der ist ein krimineller Gewalttäter. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Rolf Köhne (PDS): Fakt ist, liebe Kollegin Bulling- Schröter, daß die Reaktorblöcke in Greifswald nach Wo immer wir politisch stehen, wir alle haben als Ab- den deutschen Sicherheitsstandards nicht genehmi- geordnete die Pflicht, dem Rechtsbruch, der organi- gungsfähig sind und daß es von daher unwirtschaft- sierten Rechtsverletzung und dem Mißbrauch des lich wäre, sie so aufzurüsten, daß sie nach dem gel- Demonstrationsrechtes durch fanatisierte Gewalttä- tenden deutschen Atomrecht und den Sicherheitsbe- ter mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten. stimmungen genehmigungsfähig gewesen wären. Es Wir haben unsere Energiepolitik immer wieder ist von daher ein Widerspruch der Politik dieser Bun- sorgfältig geprüft. Keine Regierung - ich glaube, das desregierung in sich, auf der einen Seite Greifswald ist schon deutlich geworden; das ist die Wahrheit - dichtzumachen, aber auf der anderen Seite Hermes könnte heute auf diese Transpo rte verzichten. Wohin Bürgschaften für Mochovce zu gewähren. kämen wir, wenn Parlament und Regierung in unse- (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Wollen rem Land nicht mehr in der Lage wären, den notwen- Sie Hermes-Bürgschaften für Greifswald?) digen und absolut nach Recht und Gesetz ablaufen- den Castor-Transpo rt durchzuführen? Die PDS ist aus den genannten Gründen für einen - (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie. Ange- sichts der Überkapazitäten in der Stromerzeugung ist Wer heute bei Grundsatzentscheidungen unserer dies ohne weiteres möglich. Die meisten Atomkraft- Energiepolitik vor Gewalttätern zurückweicht, der werke entsprechen nicht mehr dem Stand von Wis- ermutigt sie, morgen mit Gewalt gegen andere Ent- senschaft und Technik und sind längst abgeschrie- scheidungen von Parlament und Regierung vorzuge- ben. Einem Entzug der Betriebsgenehmigung steht hen, vielleicht gegen die Gentechnik durch die Zer- aus unserer Sicht deshalb nichts entgegen. störung von Feldversuchen gegen den Bau des Transrapid oder mit Kasernenblockaden gegen den Ich hoffe, daß wir in der nächsten Legislaturpe- UN-Einsatz unserer Soldaten. riode in dieser Frage weiterkommen. Allerdings gibt es da ein paar Wermutstropfen. Wenn ich in der „Wirtschaftswoche" von lesen muß, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege daß er mit einem Wirtschaftsminister aus der Vor- Olderog. standsetage von Siemens liebäugelt, ist das schon et- was komisch. Dr. Rolf Olderog (CDU/CSU): Wenn ich das noch (Beifall des Abg. Dr. Guido Westerwelle zu Ende sagen darf, Herr Präsident. [F.D.P.]) Nein, vor Rechtsbruch und Gewalt, selbst vor tau- Aber nichtsdestotrotz, vor allem an Ihre Seite ge- send Gewalttätern darf der Rechtsstaat nicht in die richtet: Wer die Atompolitik und die Atomtransporte Knie gehen. politisch angreift, der gefährdet den Profitstandort (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutschland, aber er schützt den Lebensstandort Deutschland. In diesem Sinne fordere ich Sie auf, un- serem Antrag sowie den Anträgen der Grünen zuzu- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege stimmen. Olderog, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- gen Nachtwei? Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne Dr. Rolf Olderog (CDU/CSU): Ja, Herr Kollege, ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) bitte schön. 20506 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte schön. - Hören Sie einmal zu: Die Vizepräsidentin des Land- tages in Nordrhein-Westfalen, Frau Gräber, Bündnis 90/Die Grünen, hat diesen Leuten, diesen Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gesetzesbrechern, die sich dort auf die Schienen set- Herr Kollege, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie zen, die, wie sie bewundernd sagt, mit Mut zivilen soeben in Ihrer Aufzählung von verschiedenen De- Ungehorsam begehen, ausdrücklich ihren Respekt likten friedliche Sitzblockierer ebenfalls zu kriminel- erwiesen. Sie hat sie sogar aufgefordert, noch mehr len Gewalttätern erklärt haben? zivilen Ungehorsam zu leisten. Und sie hat sie dazu aufgefordert, sich auf die Schienen zu setzen, was Dr. Rolf Olderog (CDU/CSU): Lesen Sie denn nicht ein Rechtsverstoß ist - eindeutig, da gibt es unter Ju- die Zeitung? Haben Sie nicht vor kurzem gelesen, risten keine zwei Meinungen. daß das höchste Ge richt festgestellt hat: Wer sich auf (Beifall bei der CDU/CSU) die Schienen setzt, begeht einen Rechtsbruch und macht sich strafbar. Ähnlich hat sich der Herr Appel geäußert; ich will das nicht weiter vertiefen. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN) (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das reicht schon, weil das Sie nehmen die Wirklichkeit des Rechts in unserem flach genug ist!) Land überhaupt nicht zur Kenntnis. Das ist Ihr Pro- blem. Es ist schon unerhört, daß die Grünen Polizeibeamte, die ihre Pflicht tun, als „Berliner Schlägertrupps" be- (Beifall bei der CDU/CSU) zeichnet haben. Sie haben ein Rechtsverständnis, das mit dem wirkli- (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Unglaub chen Gesetz in Deutschland nichts zu tun hat. lich!) (Dr. Renate Hellwig [CDU/CSU]: Wir lassen Lieber Herr Möllemann, ich muß auch die Minister keine Verharmlosungen mehr zu!) Clement und Kniola kritisieren. Wenn man in einer solch angespannten Situation erklärt, der Castor- Meine Damen und Herren, das müssen wir uns be- Transport sei eine „Provokation", wußt machen: Es sind doch vor allem glückliche Um- stände und taktisches Geschick gewesen, daß sich (Günter Rixe [SPD]: Ist er ja auch!) das kriminelle Gewaltpotential, das in gleichem Um- und er sei „Unsinn", dann heizt man die Stimmung fang wie beim letzten Gorleben-Transport vorhanden an und dann ist jedes Wort von Deeskalation unbe- war, nicht entfalten konnte. Können wir ausschlie- rechtigt. Das ist doch die Wahrheit. ßen, daß durch einen Anschlag auf Bahnschienen das nächste Mal ein Zug entgleist und Menschen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) - schwer verunglücken? Man kann doch geradezu froh Wer öffentlich so redet, der sorgt nur dafür, daß die sein, daß bei all den Anschlägen auf die Bahnstrek- Stimmung höher kocht und mehr Gewalttaten be- ken so etwas bisher noch nicht passiert ist. gangen werden. (Abg. Wolf-Michael Catenhusen [SPD] mel (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Da haben det sich zu einer Zwischenfrage.) Sie recht!) Meine Damen und Herren, Anerkennung verdient Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege die besonnen und situationsgerecht handelnde Poli- Olderog, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? zei. Ich danke namens meiner Fraktion allen Polizei- beamtinnen und -beamten des Bundes und der Län- Dr. Rolf Olderog (CDU/CSU): Nein, ich möchte das der, die durch ihren Einsatz das Recht und damit jetzt zu Ende bringen. auch die Entscheidungsfreiheit und Handlungsfähig- keit unseres Rechtsstaates schützen. Ist den Gewalttätern eigentlich bewußt, was sie dort tun und welch ein Maß an Gefährdung für Men- (Beifall bei der CDU/CSU) schen damit verbunden ist? Unsere Polizeibeamten haben mit Besonnenheit und, (Hans-Peter Kemper [SPD]: Es hat da ja wenn nötig, mit Entschlossenheit überhaupt keiner Gewalt angewendet!) (Ursula Schönberger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und mit Gewalt!) - Ich habe ja gerade gesagt, daß wir Glück gehabt haben. Auch darüber ist vorhin schon geredet wor- ihren Auftrag erfüllt. Ich finde, das war vorbildlich. den. Ich kenne noch nicht jedes Detail des Einsatzes der Ich finde es unerhört, daß Abgeordnete dazu bei- Berliner Beamten. Es gibt noch einzelne Punkte, die tragen, das Klima der Auseinandersetzung noch zu geprüft werden. Nach meinen Recherchen aber kann verschärfen und anzuheizen. man sagen, daß die Berliner Beamten insgesamt vor- bildlich und eindrucksvoll ihre Pflicht erfüllt haben. (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau das Gegenteil war vor (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE Ort der Fall!) GRÜNEN]: Waren Sie dabei?) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20507

Dr. Rolf Olderog Es ist doch empörend, daß der Innenminister von Jutta Müller (Völklingen) (SPD): Herr Präsident! Nordrhein-Westfalen die Berliner Beamten an dem Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unter dem heuti- heißesten Brennpunkt der Konfrontation einsetzt gen Tagesordnungspunkt, der sich mit den Castor- Transporten beschäftigt, sind auch drei Petitionen zu- (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Quatsch!) sammengefaßt, die in unserem Ausschuß behandelt und ihnen hinterher vorwirft, sie hätten nicht genü- worden sind. Es sind Petitionen, die sich mit der Nut- gend für die Deeskalation getan. Das kann doch zung der Kernenergie befassen, Eingaben von wohl nicht anständig sein. Bürgerinnen und Bürgern, die zum Teil durch viele Unterschriften getragen werden und die uns zeigen, (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Sie erfin daß die Nutzung der Kernenergie immer mehr an ge- den schöne Märchen!) sellschaftlicher Akzeptanz verliert. Neben dem gene- rellen Ausstieg aus der Atomenergie befassen sich Ich komme zum Schluß. Wir trauern um einen Poli- zwei Petitionen mit der Wiederaufarbeitung abge- zeibeamten. Der junge BGS-Beamte Christian Lang brannter Brennelemente und dem Dauerbrenner ist auf der Bahnstrecke auf tragische Weise ums Le- Morsleben. ben gekommen. Gestern ist er unter großer Anteil- nahme seiner Kollegen und hoher politischer Vertre- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn, wie im ter beigesetzt worden. Trägt wirklich niemand Ver- vorigen Jahr passiert, in La Hague erhöhte Radioakti- antwortung für diesen Tod, Herr Kemper? Vielleicht vität festgestellt wird, wenn die Zahl der Leukämie- denken jene, die gewaltbereit an die Transpo rt fälle bei Kindern dieser Region um das Fünffache -strecke zu kommen pflegen, einmal darüber nach, steigt, dann ist das nicht nur ein französisches, son- wer denn moralisch für diesen Tod Verantwortung dern auch ein deutsches Problem. Jahr für Jahr wer- und Mitverantwortung trägt. den 230 Millionen Liter radioaktiver flüssiger Atom- müll in La Hague ins Meer abgelassen. Mindestens Vielen Dank für Ihre Geduld. ein Drittel davon stammt aus Deutschl and. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Wir reden heute über Castor-Transpo rte nach Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Ahaus und Gorleben. Aber wir müssen heute auch - NEN]: Was sagt die Gewerkschaft der Poli deshalb passen diese Eingaben sehr gut zu diesem zei dazu?) Tagesordnungspunkt - über die Transpo rte nach La Hague und Sellafield reden. Als im vorigen Jahr die erhöhte Radioaktivität bei der Greenpeace-Messung Ich gebe das Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: bekannt wurde, meinte ein Vertreter der französi- Wort zu einer Kurzintervention der Kollegin Ursula schen Betreiberfirma Cogema, die do rt verantwort- Schönberger. lich ist, dies sei alles halb so schlimm, da das Abfluß- rohr, aus dem die Radioaktivität ausströme, unterhalb Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): - des Wasserspiegels liege; außerdem würden die Herr Kollege, ich möchte es ganz kurz machen. Auch Schleusen nur dann geöffnet, wenn die Strömung vor wir trauern um den Polizeibeamten, der sein Leben der Küste am stärksten sei, also immer ein bis zwei lassen mußte. Ich finde es aber völlig unerträglich, Stunden nach der Flut. diese Tatsache zu einem Gegenstand der politischen Nun, das ist wirklich beruhigend. Es ist beruhi- Argumentation hier im Haus zu machen. gend, daß ein Großteil der Wiederaufarbeitung von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN deutschem Atommüll in so verantwortungsvolle sowie bei Abgeordneten der SPD und der Hände gelegt ist. Die Bundesregierung hat damals PDS) dazu geschwiegen; sie schweigt zu diesen und ande- ren Störfällen in der französischen Atomindustrie, aber auch in Sellafield, obwohl sie als Hauptkunde Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Köhne, dieser Anlagen einen politischen Hebel in der Hand handelt es sich um eine Kurzintervention zu dersel- hätte. ben Rede? - Bitte schön. Ich denke, allein aus der moralischen Verantwor- tung gegenüber den Menschen in La Hague und Sel- Rolf Köhne (PDS): Herr Kollege Olderog, nachdem lafield und entlang der Transportstrecken sollten wir Sie den tragischen Tod eines Polizisten angesprochen unseren Atommüll im eigenen Land lagern. Aber haben, muß ich natürlich auch für unsere Seite sa- wenn wir uns hier über Lagerung unterhalten, dann gen, daß dies eine traurige Angelegenheit ist. Ich muß auch klar sein, über welche Mengen wir spre- weise aber darauf hin, daß das genausogut bei einer chen. Ich bin der Auffassung, daß verantwortungs- Autobahnkontrolle oder ähnlichem hätte passieren voller Umgang mit radioaktiven Abfällen zunächst können. Das hat mit dem Castor-Transport, also mit einmal damit beginnt, daß man die Produktion weite- dem politischen Hintergrund, nichts zu tun. rer solcher Abfälle stoppt. (Beifall des Abg. Dr. Jürgen Rochlitz (Beifall bei Abgeordneten der SPD) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe der gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Abgeordneten Jutta Müller das Wo rt. Friedrich? 20508 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Jutta Müller (Völklingen) (SPD): Ja. Das ist kein sonderlich feines Verhalten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer bekommt Bitte schön. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: denn den Großteil der Kohlesubventionen?)

Dr. Gerhard Friedrich (CDU/CSU): Frau Kollegin, Wenn Herr Stoiber und Herr Teufel auf Ke rnenergie nachdem Sie die Entsorgung im Ausland kritisieren, setzen, dann müssen sie sich auch einmal über Zwi- frage ich Sie: Teilen Sie inzwischen meine Auff as schenlagerstätten in ihren Ländern Gedanken ma- sung, daß es besser gewesen wäre, die Wiederaufar- chen. beitung in Wackersdorf durchzuführen? Über die Endlagerfrage müssen wir ganz anders (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gute Frage!) reden. Herr Möllemann, wenn wir über Endlagerung reden, dann müssen wir auch einmal konkret dar- Jutta Müller (Völklingen) (SPD): Lieber Herr Kol- über reden, welche Mengen das umfassen soll. Wenn lege Friedrich, diese Auffassung teile ich natürlich wir uns nicht auf einen Ausstieg verständigen und nicht, weil ich das ganze Projekt der Wiederaufarbei- wissen, wann mit der Produktion des Atommülls tung für Blödsinn halte. Schluß ist, können wir sehr schlecht über Endlager- stätten reden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was ich teile, ist die Ansicht, daß wir nationale Lager- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, stätten finden müssen, weil es unverantwo rtlich gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kolle- wäre, den Dreck, den wir hier produzieren, ins Aus- gen Möllemann? - Bitte. land zu bringen. Darüber können wir uns sicherlich einigen. Aber über das Unterfangen der Wiederauf- arbeitung brauchen wir, denke ich, gar nicht mehr zu Jürgen W. Möllemann (F.D.P.): Ich finde das groß- reden. Wir haben für diese Form der Energie in die- zügig. Vorhin habe ich meinerseits keine Zwischen- sem Land keine Akzeptanz mehr. Sie finden doch frage gestattet. Vielen Dank. kein einziges großes EVU, das überhaupt auf die Idee käme, einen neuen AKW-Standort auszuweisen. Wenn Herr Schröder in bezug auf das Kernkraft- Sogar im atomfreundlichen Land Baye rn sind Sie werk in Lingen, in dem Atomstrom produziert wird, doch mit Wackersdorf ganz böse auf die Schnauze der zu 80 Prozent nach Nordrhein-Westfalen geht, gefallen. also in ein Land, in dem zweifellos nicht die CDU re- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE giert GRÜNEN und der PDS) - (Monika Ganseforth [SPD]: In beiden Län dern nicht! Das soll auch so bleiben!) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten - ich führe das nur an, weil ich es interessant finde, Möllemann? - Bitte schön. wenn jemand abgebrannte Brennelemente in ihrer Qualität danach beurteilt, wer in dem betreffenden Jürgen W. Möllemann (F.D.P.): Frau Kollegin, weil Land regiert -, den Wunsch hätte, daß auch die abge- ich Ihre Einschätzung teile - ohne daß ich sie be- brannten Brennelemente logischerweise nach Nord- grüße -, daß es ungeheuer schwer ist, in diesem Zu- rhein-Westfalen, nämlich nach Ahaus, gehen sollten, sammenhang neue Standorte zu definieren, frage ich würden Sie dem dann zustimmen? Sie: Wie würde denn nach Ihrer Meinung ein politi- scher Konsens aussehen können, der an Stelle von drei zentralen Zwischenlagern in Ahaus, Gorleben Jutta Müller (Völklingen) (SPD): Ich finde, wir füh- und Greifswald viele dezentrale in der ganzen Repu- ren hier langsam eine Hasendiskussion. Darum geht blik vorsähe und der dann überall akzeptiert würde? es doch im Endeffekt gar nicht mehr. Haben Sie nicht mit mir die Besorgnis, daß das eine Potenzierung des Widerstandes, und zwar immer mit (Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Doch!) denselben Leuten, mit denselben Gruppen, an ganz vielen Orten ergäbe? Es geht doch jetzt darum, daß auf Weisung der Frau Merkel speziell aus den süddeutschen Ländern (Völklingen) (SPD): Jetzt reden wir Atommüll nach NRW gefahren wird mit der Begrün- Jutta Müller dung: Jetzt haben wir die Niedersachsen geärgert über zwei Probleme. Sie fragen selbst: Wo wird das akzeptiert? Ich finde es nur etwas merkwürdig, daß und die haben uns Arger gemacht, und nun karren wir den Dreck nach Nordrhein-Westfalen, weil die man in den Bundesländern, wo sich die Landesregie- rungen sehr für die Kernenergie stark machen, sagt: Nordrhein-Westfalen so geduldig und so ruhig sind. rt ja enorm provo- Aber den Müll, den wir produzieren, schicken wir Damit hat man die Bevölkerung do den anderen, den schicken wir den Rotgrünen; die ziert. Das halte ich politisch für falsch. Ich halte es politisch immer für falsch, wenn man eine Politik ge- sollen sehen, wie sie mit dem Dreck fertig werden. gen den Willen der Bevölkerung macht. Ich denke, (Beifall bei der SPD) es gibt doch in der Bevölkerung einen Konsens dar- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20509

Jutta Müller (Völklingen) über, daß wir ein Ende der Atomenergie wollen. Der Atomendlager Morsleben sehr sicher sei. Die Einla- ist doch da. gerung von Atommüll ohne geprüften Langzeitsi- cherheitsnachweis und ohne umfassende Sicher- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne heitsüberprüfung ist ein erhebliches Risiko für die ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Bevölkerung. Deshalb haben wir immer gefordert, Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Nein, der ist daß das Endlager in Morsleben durch ein Sti ll eben nicht da! Das ist falsch! - Gegenruf -legungsverfahren zügig begrenzt und zeitlich befri- der Abg. Monika Ganseforth [SPD]: Aber stet wird. sicher ist der da!) Damit, daß es dann immer noch Müll gibt - Gott sei Im vorigen Jahr konnte auch jeder, der das wollte, es geklagt -, müssen wir zurechtkommen. Wenn wir ein Gutachten lesen, aus dem hervorgeht, daß in einen Konsens über das Ende erzielen können, dann Morsleben auch die bisher für unbedenklich gehalte- können wir ebenfalls einen Konsens darüber herbei- nen Bereiche deutliche Sicherheitsmängel aufwei- führen, was wir mit den Müllmengen machen sollen. sen. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, daß Dazu sind wir bereit. Es haben ja auch Gespräche nicht ausgeschlossen werden kann, daß auch der stattgefunden. Es gab Konsensgespräche. Schacht „Bartensleben" undicht gegen Wasserein- tritte aus dem darüberliegenden Gebirge ist. Bisher (Zuruf von der CDU/CSU: Daß Transpo rte galt übrigens nur der Schacht „Ma rie" wegen Zuflüs- nicht mehr stattfinden, oder wie?) sen aus dem Deckgebirge als undicht und daher zur Atommüllagerung nicht geeignet. Damit ist nun ein- - Das hat doch jetzt damit überhaupt nichts zu tun. mal mehr bewiesen, daß im einzigen deutschen End- (Monika Ganseforth [SPD]: Die Diskussion lager für Atommüll keine Langzeitsicherheit gege- muß auf die Füße gestellt werden!) ben ist.

Man kann nicht darauf bauen, daß es ein besonde- Frau Kollegin, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: res Vertrauen in der Bevölkerung für eine solche Poli- gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage, dies- tik gibt, wenn wir deutschen Atommüll in „Merkel mal des Abgeordneten Friedrich? schen" Tropfsteinhöhlen einlagern. Diese Expertise stammt noch nicht einmal von Greenpeace oder vom Jutta Müller (Völklingen) (SPD): Ich gestatte noch BUND, sondern sie stammt von der Betreibergesell- eine eines bayerischen Kollegen, nachdem wir bis schaft selbst. Trotzdem wurde mit einer Novelle zum jetzt fast nur solche von nordrhein-westfälischen hat- Atomgesetz - übrigens gegen unsere Stimmen - er- ten. möglicht, daß in Morsleben fünf Jahre länger, als im Einigungsvertrag festgelegt, Atommüll eingefahren werden darf. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte. - Im Atommüllager Morsleben wird aber nicht nur Dr. Gerhard Friedrich (CDU/CSU): Frau Kollegin, gestopft und geflickt, sondern es wird auch das Hohl- nachdem Sie uns unterstellt haben, wir entsorgten raumvolumen unter Tage ausgebaut. Die Einlageka- nur in SPD- oder Grün-regierte Länder: Ist Ihnen be- pazität für Atommüll im Westfeld ist ausgeschöpft, so kannt, daß vereinbart wurde, Gorleben zum Standort daß ein Weiterbetrieb nur Sinn macht, wenn, wie zu machen, als do rt ein CDU-Ministerpräsident re- vom BfS beim Bergamt Staßfurt beantragt, die Erwei- giert hat? terungsarbeiten im Ostfeld voranschreiten. (Zuruf von der SPD: Der gesagt hat, das Dieser Antrag stellte nach Auffassung des Umwelt- wäre nicht durchsetzbar!) ministeriums des Landes Sachsen-Anhalt eine we- sentliche Änderung der Atomanlage dar und bedarf Jutta Müller (Völklingen) (SPD): Ja, das ist mir be- der atomrechtlichen Genehmigung und Planfeststel- kannt. Aber Gott sei Dank regiert er heute do rt nicht lung. Der Bund teilte diese Auffassung natürlich mehr. Nur, ich warte auf einen Standort in Bayern nicht. In solchen Fällen arbeitet die Umweltministe- oder Baden-Württemberg. Vielleicht können Sie ein- rin mit Weisungen. Es wird nicht mit den Ländern mal einen entsprechenden Vorschlag machen. diskutiert oder verhandelt, es wird nicht erörtert. Das Land Sachsen-Anhalt wurde angewiesen, einer Ost- (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Die Wieder felderweiterung zuzustimmen. aufbereitungsanlage ist nach Bayern ge kommen!) Der Entsorgungsschuh scheint Frau Merkel mitt- Ich will jetzt zu den Petitionen zurückkommen, die lerweile so sehr zu drücken, daß sie wider besseres uns erreicht haben. Wenn wir über Zwischen- oder Wissen an einem Weiterbetrieb von Morsleben fest- Endlager reden, dann müssen wir ebenfalls darüber hält. Wir halten ein solches Verfahren für skandalös. reden, wo denn zwischen- oder endgelagert werden Daß dies die Menschen vor Ort beunruhigt, ist ei- soll. Wir müssen doch feststellen, daß das einzig exi- gentlich normal. Die Bürgerinnen und Bürger schrei- stierende Endlager in Deutschland Morsleben ist. Es ben unserem Ausschuß ja nicht, weil sie sonst nichts gab in den vergangenen Jahren sehr viele Eingaben. zu tun hätten. Sie demonstrieren auch nicht, weil sie Es verhält sich eben nicht so - wie die Bundesregie- sonst nichts zu tun hätten. Sie tun dies in großer rung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der Sorge. Sie tun es in großer Sorge um das Leben und SPD-Fraktion darzustellen versuchte -, daß das die Gesundheit nachfolgender Generationen. 20510 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Jutta Müller (Völklingen) Von daher fordern wir Sie auf, Frau Merkel: Hören Deshalb ist es dickköpfig, was diese Bundesregie- Sie auf, Energiepolitik gegen den Willen der Men- rung macht, gerade auch was die Wi rtschaftspolitik schen zu machen. Beschäftigen Sie sich mit den Ein- angeht; denn es ist eben gesagt worden: Aus wirt- gaben der Bürgerinnen und Bürger, die Ihnen ihre schaftspolitischen Gründen müßten Sie hier die Inve- Sorgen hier mitteilen. Vollziehen Sie eine Wende in stitionssicherheit gewährleisten. der Energiepolitik, damit Sie wenigstens, fa lls Sie nicht mehr an der Regierung sind, als Umweltmi- Ihre Atompolitik schadet den Arbeitsplätzen in nisterin und nicht als Atomministerin in die Ge- diesem Land. schichte eingehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE sowie des Abg. Rolf Köhne [PDS]) GRÜNEN und der PDS) Alle Millionen, die Sie hier einsetzen, und jede Mil- liarde fehlen am Ende für erneuerbare Energien und Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Nun spricht als für zukunftsfähige Arbeitsplätze. Mitglied des Bundesrates die Ministerin für Umwelt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Raumordnung und Landwirtschaft des Landes Nord- sowie bei Abgeordneten der SPD und der rhein-Westfalen, Frau Bärbel Höhn. PDS)

Ministerin Bärbel Höhn (Nordrhein-Westfalen): Sie haben doch dafür gesorgt, daß die Solarenergie Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer seine in die USA abgewandert ist. Das war die Bundesre- Politik mit Zehntausenden von Polizisten gegen den gierung der Bundesrepublik Deutschland. Als Sie Willen der Bevölkerung und gegen den Willen der gemerkt haben, daß die Zahl der Windkraftanlagen betroffenen Landesregierung notfalls auch durchprü- durch das Stromeinspeisungsgesetz immer größer geln lassen will, der hat gezeigt, daß seine Politik- wurde, haben Sie versucht, das Stromeinspeisungs- konzepte in die Sackgasse geraten sind, der hat ge- gesetz zu ändern und wieder zurückzufahren, zeigt, daß seine Politik gescheitert ist. (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das stimmt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN doch gar nicht! Sie sind doch gar nicht sowie bei Abgeordneten der SPD und der informiert!) PDS - Zuruf von der CDU/CSU: Schwach weil Sie nicht wollten, daß erneuerbare Energien in sinn!) diesem Land einen Fuß auf den Boden bekommen. Gescheitert ist damit auch die Energiepo litik der Wir haben mittlerweile zehntausend Arbeitsplätze im Bundesregierung; denn sie ist eine reine Atompoli- Bereich der Windkraftenergie. Das ist der Punkt. tik. Und Sie versuchen immer noch auf die veraltete und risikoreiche Atompolitik zu setzen. Es gibt gute Gründe, gegen die Nutzung der Atom- kraft zu sein. Sie sind selten deutlicher gewesen als - (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in den letzten Wochen. Wir haben zum einen den Deshalb sage ich Ihnen sehr deutlich und klar, was Normalbetrieb von Atomkraftwerken, wir haben die eine Landesregierung besser machen kann, als es Gefährdung der Umwelt, und wir haben die Gefähr- momentan die Bundesregierung macht. Die Landes- dung der Gesundheit. Wir haben nicht nur Unfälle in regierung von Nordrhein-Westfalen wird allein in Atomkraftwerken. Dafür steht nicht nur Tschernobyl, das REN-Programm, in Bauinvestitionen bei Gebäu- dafür steht auch Harrisburg. Man sollte nicht immer den, in erneuerbare Energien und in energietechni- nur sagen, die in der Sowjetunion, damals die Ukrai- sche Verbesserungen in dieser Legislaturperiode ner, oder in Rußland, können es nicht. Vielmehr gibt 500 Millionen DM stecken. Das sind Möglichkeiten, es auch in den USA Probleme mit Atomkraftwerken. um etwas zu tun. Wenn das eine Landesregierung Es gibt auch Probleme mit Atomtransporten. Ich kann, dann kann das eine Bundesregierung auf Bun- möchte da nur auf den Atomtransport vor einem Jahr desebene noch viel eher. Sie verschenken durch Ihre in Frankreich verweisen, wo ein Zug mit deutschem Politik zukunftsfähige Arbeitsplätze. Das sage ich Ih- Atommüll zu einer Gefahr der radioaktiven Verseu- nen deutlich. chung beigetragen hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das ist ja sowie bei Abgeordneten der SPD) unerhört! - Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Die Vorwürfe, die Sie gegen meine Kabinettskolle- Wo denn?) gen Kniola und Clement ausgesprochen haben, sind Auch das sind Probleme, die mit dem Transpo rt ver- absurd, weil sie weit an dem vorbeigehen, was mo- bunden sind. mentan in der Bevölkerung gedacht wird. Sie von der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag ha- Insofern sage ich: Jeder Castor-Behälter, der hier ben ja gar keinen Bezug mehr zur Bevölkerung. auf dem Zug gestanden hat, hatte die Radioaktivität des Unfalls von Tschernobyl. Wenn etwas passiert (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - wäre, hätten wir enorme Probleme in diesem Land Lachen bei der CDU/CSU) gehabt. Die Haltung der Landesregierung, nicht nur die von (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Aha, wo ist Herrn Clement und Herrn Kniola, sondern des ge denn die Verseuchung?) samten NRW-Kabinetts - das sage ich Ihnen deutlich -, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20511

Ministerin Bärbel Höhn (Nordrhein-Westfalen) ist folgende: Ein schneller Ausstieg aus der Atom- tion. Sie wissen gar nicht mehr, was Sie tun, weil Sie energie ist dringend erforderlich und dringend gebo- so an die Wand gedrückt wurden. ten. In Nordrhein-Westfalen ist jetzt schon - das mag Eine Bereitschaft zur ökologischen Steuerreform ein Vorbild für Sie sein - kein kommerzielles Atom- besteht bei Schäuble und bei weiten Teilen der CDU. kraftwerk mehr am Netz. Für diese gibt es einen Grundkonsens bis in die Indu- (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Und das strie hinein. Die einzigen, die sie nicht wollen, sind schon ohne Grüne!) die F.D.P. und Teile der Industrie. Die Massenarbeits- losigkeit in diesem Land muß man über die ökologi- Das muß in Zukunft auch in der übrigen Bundesre- sche Steuerreform bekämpfen. publik so sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Nur so wird es gehen, denn Sie müssen die Lohnne- benkosten senken. Wo wollen Sie das Geld herneh- Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat men? Sie müssen es durch eine Belastung der Res- sich eindeutig dafür ausgesprochen, daß die Wieder- sourcen bekommen. Das ist der Weg, den die Grünen aufbereitung abgebrannter Brennelemente generell gehen werden. Das wird auch die Bevölkerung ver- nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern in der ge- stehen. samten Bundesrepublik verboten und aus dem atom- politischen Konzept der Bundesrepublik gestrichen Wo Ihr Bezug, Herr Möllemann, zur Realität ist, werden muß. Die Landesregierung in Nordrhein- habe ich vorhin an Ihrem Einwurf gemerkt. Sie ha- Westfalen hat gesagt, daß sie Atommülltransporte ben auf den Beschluß von 1979 zur Zwischenlage- quer durch die gesamte Bundesrepublik ablehnt. Das rung in Ahaus hingewiesen und erwähnt - das haben ist die Haltung der Landesregierung von Nordrhein- Sie zum Glück noch einmal zitiert -, daß die Endlage- Westfalen. rung gesichert sein muß. (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Erscheinen Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Ministe- muß!) rin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord- neten Möllemann? - Gesichert erscheinen muß. - Daß Sie heute immer noch glauben, daß die Endlagerung gesichert er- scheine, zeigt, wie weit Sie von der Realität in der Ministerin Bärbel Höhn (Nordrhein-Westfalen): Bundesrepublik Deutschland entfernt sind. Aber sicher, Herr Möllemann. Nordrhein-Westfalen dürfen immer fragen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Jutta Müller [Völklingen] [SPD]) Jürgen W. Möllemann (F.D.P.): Frau Kollegin, Sie wir haben es für zweckmäßig gehalten, der Koalition vor- - Ja, wir brauchen einen neuen Energiekonsens, zuhalten, sie habe keinen hinreichenden Bezug mehr brauchen ihn auch im Konsens mit der Bevölkerung. zur Bevölkerung. Halten Sie es für einen Ausweis Ih- (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Erst haben res Bezuges und des Bezuges Ihrer Partei zur Bevöl- Sie Clement angegriffen und jetzt Herrn kerung, wenn Sie ihr künftig für jeden Liter Sp rit Schröder!) 5 DM Gerade deshalb sage ich Ihnen sehr deutlich: Wir (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werden ihn nur schaffen, wenn wir ihn mit dem Aus- und für Auslandsreisen Aufschläge aufbrummen stieg aus der Atomenergie verbinden. Nur dann wer- wollen? Ich habe das Gefühl, daß die Bevölkerung den wir ihn hinbekommen. dazu einen ganz anderen Bezug hat. Daß die Menschen in Ahaus 50 Transporte nach (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Ahaus ohne Murren und ohne Demonstrationen hin- ten der CDU/CSU) genommen haben, ist dem Umstand zu verdanken, daß diese 50 Transpo rte für die Stillegung des AKW Hamm-Uentrop notwendig waren. Das ist der Grund. Ministerin Bärbel Höhn (Nordrhein-Westfalen): Die Leute haben dafür Verständnis, wenn man damit Herr Möllemann, anders als Sie haben gerade die gleichzeitig den Ausstieg aus der Atomenergie ver- Grünen eine ökologische Steuerreform vorgeschla- bindet. Unser Konzept lautet daher, daß man das gen. Dabei sind die 5 DM für den Liter Benzin ein nicht gegen die Bevölkerung machen darf, sondern kleiner Baustein. nur mit der Bevölkerung zusammen. Das werden (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Das fürchte auch wir tun. ich!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Allein mit der ökologischen Steuerreform werden Sie Walter Hirche [F.D.P.]: Das hat also nichts die Massenarbeitslosigkeit bekämpfen können. Die mit Sicherheit zu tun?) Konzepte der F.D.P. sind so hinterwäldlerisch, daß - Das hat auch eine Menge mit der Sicherheit der Be- Herr Westerwelle schon sagen mußte, es sei gut, daß völkerung zu tun. die Grünen endlich diesen Beschluß gefaßt hätten, denn damit erscheine für die F.D.P. wieder ein Hoff- (Walter Hirche [F.D.P.]: Blanker Opportunis nungsschimmer am Horizont. Das ist doch Ihre Situa mus!) 20512 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Ministerin Bärbel Höhn (Nordrhein-Westfalen) Denn solange man auf die Atomkraft setzt, ohne die aus überprüfen. Das lassen wir uns nicht so einfach Endlagerung sicher zu haben, und den Ausstieg bieten. überhaupt noch nicht mal in die Reichweite der Ge- danken bringt, solange man sogar noch neue Atom- (Walter Hirche [F.D.P.]: Donnerwetter!) kraftwerke installieren will, solange setzt man die Am Ende vielleicht folgendes: Sie haben soeben Bevölkerung über Jahrzehnte einem Sicherheitsri- hier in vielen Reden sehr deutlich gemacht, daß Sie siko aus, das wir nicht wollen. Gerade deshalb muß ein Recht hatten, diesen Transpo rt durchzusetzen. In man den Ausstieg aus der Atompolitik damit verbin- der Tat, Sie hatten ein Recht, diesen Transpo rt durch- den. zusetzen, und haben ihn deshalb eben auch gegen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Landesregierung durchgesetzt. Aber ich sage Ih- sowie bei Abgeordneten der SPD) nen: Genausogut hat die Bevölkerung in diesem Land, haben die Bürgerinnen und Bürger der Bun- Ich sage Ihnen: Daß wir, die wir von Anfang an im- desrepublik Deutschland das Recht, eine Bundesre- mer gegen die Atompolitik und den Atommüll ge- gierung abzuwählen, die eine verfehlte Atompolitik kämpft haben, nach dem 27. September, gemacht hat. Das erwarten wir am 27. September. (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Diese Vielen Dank. Angriffe auf Schröder müssen jetzt aber all- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mählich unterbleiben! Der arme Kerl ist auf sowie bei Abgeordneten der SPD und des Reisen, und dann wird er hier angegriffen!) Abg. Rolf Köhne [PDS]) dafür verantwortlich sein werden, ihn wegzubringen, das ist in der Tat eine Ironie des Schicksals. Man Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Es liegen Wün- braucht eine lange Zeit, bis man eine solche Regie- sche nach zwei Kurzinterventionen vor. Ich gebe das rung abgelöst hat. Aber wir werden es schaffen. Das Wort zur ersten Kurzintervention dem Abgeordneten werden Sie sehen. Dr. Guido Westerwelle. (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Wie Pfeifen im Walde!) Dr. Guido Westerwelle (F.D.P.): Herr Präsident! Noch einmal zu den Demonstrationen vor O rt. Ich Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe weise auch die Vorwürfe gegen meine Kollegin Grü- zwei Bemerkungen in Ihrer Rede zum Anlaß genom- ber zurück und sage Ihnen sehr deutlich: Katrin Grü- men, mich zu melden. Die erste: Sie sind auf die ber hat aus einem Urteil des Bundesverfassungsge- 5 DM für einen Liter Benzin lediglich deshalb ange- richts zitiert, das sehr deutlich aussagt, daß klar diffe- sprochen worden, weil Sie behauptet haben, daß Sie renziert werden muß zwischen Ordnungswidrigkei- besonders nahe an der deutschen Bevölkerung seien. ten bei dem offenen Symbolakt, sich auf eine Schiene Sie haben darauf geantwortet, daß die ökologische - zu setzen, und heimlichen Straftaten. Wer das hier Steuerreform, die ja so, wie Sie sie vorschlagen, de facto nichts anderes ist als ein höheres Abkassieren, vermischen will, der schürt die Eskalation. schließlich bis zu Herrn Schäuble in den Reihen der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Union besonders beliebt sei. Dr. Rolf Olderog [CDU/CSU]: Als wenn es Also, wir haben innerhalb der Koalition manche darauf ankäme!) unterschiedliche Auffassung. Aber in einem Punkt, Deshalb: Gehen Sie da doch mal hin! meine ich, muß man die Kollegen von der Union in Schutz nehmen: Man kann die Union wirklich nicht Ich sage Ihnen: Die Abgeordneten des Bundesta- für den Beschluß 5 DM für einen Liter Benzin in Haf- ges und des Landtages, die do rt waren und zu einer tung nehmen. Es ist sogar so, daß Ihnen dafür von Deeskalationsstrategie beigetragen haben, haben der SPD und ihrem Kanzlerkandidaten, Herrn Schrö- eine Menge damit zu tun, daß die Demonstrationen der, der „Jagdschein" ausgestellt wird. Tun Sie also gegen die Transporte friedlich waren. Ohne diese nicht so, als seien Sie nahe an der Bevölkerung! Sie Abgeordneten wäre es, glaube ich, sehr viel schwie- sind mit solchen Beschlüssen weit weg, auf dem riger gewesen, das hinzubekommen. Mond. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) Die Polizisten insbesondere aus Nordrhein-Westfa- Die zweite Bemerkung, die Sie gemacht haben, ist len haben dort an vielen Stellen gute Einsätze ge- meines Erachtens viel entscheidender. Sie haben am macht. Sie haben es auch demonstrativ gesagt. Herr Anfang davon gesprochen, es sei - sinngemäß - ein Kniola - und da bin ich mit ihm einer Meinung - hat starkes Stück, daß die „Politik hier mit den Polizisten das Verhalten einiger Polizisten sehr deutlich kriti- durchgeprügelt" werden müsse. Das entlarvt ein siert, insbesondere das von Polizisten von außerhalb Rechtsstaatsverständnis, das wirklich skandalös ist. Nordrhein-Westfalens, insbesondere aus Berlin. (Dr. Renate Hellwig [CDU/CSU]: Sehr rich (Walter Hirche [F.D.P.]: Das waren diese tig!) Ausländer, nicht?) Wer Recht und Gesetz in Deutschland durchsetzt, Da kann ich mit ihm nur übereinstimmen. Diese der ist kein Prügler, meine Damen und Herren. Wer Punkte werden wir auch von Nordrhein-Westfalen Recht und Gesetz durchsetzt, der prügelt Recht und Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20513

Dr. Guido Westerwelle Gesetz nicht durch, sondern der sorgt dafür, daß die Die Grünen sind nicht liberal; sie sind gefährlich Prinzipien unserer Verfassung, unseres Rechtsstaates für die Liberalität in diesem Lande. zur Geltung kommen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Ministe- rin Höhn, Sie können darauf antworten. Ihr gestörtes Verhältnis zum Gewaltmonopol des Rechtsstaates und zu Recht und Gesetz steht in Kon- (Ina Albowitz [F.D.P.]: Aber kurz! Sie hat tinuität zu einer weiteren Diskussion, die ja mittler- vorhin schon überzogen!) weile auch vielen Kolleginnen und Kollegen der SPD nicht gefällt. Sie weisen beispielsweise darauf hin, Ministerin Bärbel Höhn (Nordrhein-Westfalen): daß ein gigantischer finanzieller und materieller Auf- Herr Westerwelle, nur eines dazu. Das, was Sie hier wand nötig sei, um diese Transporte zu ermöglichen. sagen, wird nicht dadurch besser, daß Sie Worte von Die Transporte sind aber von der Politik, den Parla- mir hier verdrehen. Deshalb wiederhole ich deutlich menten und der Exekutive genehmigt worden. Die das, was ich am Anfang meiner Rede gesagt habe - Gerichte haben diese Transporte bis in die obersten das wird man im Protokoll auch nachlesen können -: Instanzen genehmigt. Es ist ein Stück rechtsstaatli- Wer seine Politik mit Zehntausenden von Polizisten che Sensibilität, dann auch klarzumachen, daß das gegen den Willen der Bevölkerung und gegen den Durchsetzen von Recht keine Kostenfrage ist. Sonst Willen der betroffenen Landesregierung notfalls müssen wir nämlich bei allen Dingen fragen, wie durchprügeln lassen muß, teuer die Durchsetzung des Rechts in Deutschland eigentlich sein darf. Es ist ein skandalöser Ansatz, (Widerspruch von der CDU/CSU und der den Sie hier verfolgen. F.D.P.) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) dessen Politikkonzepte sind an der Wand. Das ist auch so. Denn worauf Sie sich berufen - auch das Eine dritte Bemerkung ist hier notwendig. - Auch habe ich sehr deutlich in meiner Rede gesagt -, ist das ist entlarvend für Sie, die Grünen, und Ihr das Recht. Deshalb haben diese Transpo rte ja auch Rechtsstaatsbewußtsein. stattgefunden. • (Dr. Rolf Olderog [CDU/CSU]: Ein Trauer (Walter Hirche [F.D.P.]: Denken Sie bitte spiel ist das!) doch einmal nach!) Es ist wirklich lobenswert, daß Sie, Frau Höhn, das Aber ich sage Ihnen: Nach dem, was hier ausge- Wort hier ergriffen haben. Gerade Sie sollten mög- führt worden ist, habe ich den Eindruck, Ihnen wäre lichst oft hier im Hause vor den Augen der deutschen es lieber gewesen, die Transpo rte wären nicht so Öffentlichkeit sprechen. - - friedlich abgelaufen, wie sie am Ende abgelaufen sind. (Beifall bei Abgeordneten des BÜND NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN - Widerspruch von Ich muß Ihnen folgendes sagen: Ihr Verhalten steht der CDU/CSU und der F.D.P.) in Kontinuität zu Aufrufen von Grünen des Deut- schen Bundestages und des Europaparlaments in der Denn warum macht man so etwas gegenüber einer deutschen Presse, Schienen zu demontieren und zu rotgrünen Landesregierung gerade im Bundestags- zersägen. wahlkampf? (Ursula Schönberger [BÜNDNIS 90/DIE (Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Sie sollten GRÜNEN]: Aber Herr Westerwelle!) schweigen! Das wäre besser! - Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Ein Mitglied des Ver Wenn Abgeordnete dieses Hauses zur Brechung des fassungsorgans Bundesrat spricht hier! - Rechts aufrufen, das sie selber gesetzt haben, ist das Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der ein Skandal. Das muß auch so genannt werden. F.D.P.: Unglaublich!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Gerade deshalb sage ich: So wie das Recht hier auf Ihrer Seite steht, deshalb dieser Transport auch statt- gefunden hat und die Landesregierung alles getan Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, hat, um diesen Tansport stattfinden zu lassen - das Sie müssen zum Schluß kommen. haben wir getan -, gibt es ebenso das Recht der Be- völkerung, die Bundesregierung zu wählen. Von die- sem Recht wird die Bevölkerung, auch was die Atom- Dr. Guido Westerwelle (F.D.P.): Ein letzter Satz, politik angeht, sehr wohl Gebrauch machen und sich bitte. Daß das nicht einzelne Entgleisungen sind, das am 27. September dieses Jahres für eine andere zeigt der B rief, den die Vizepräsidentin des Landta- Atompolitik entscheiden. ges von Nordrhein-Westfalen, Ihre Parteikollegin Grüber, Herrn Kollegen Linssen geschrieben hat. Bezüglich der von Ihnen angesprochenen Bemer- Dort wird wieder einmal das Brechen des Rechts als kungen der Vizepräsidentin Karin Grüber stelle ich besonders moralische, höherwertige Tat benannt und fest - aus dem B rief, aus dem Sie zitiert haben, geht begründet. das ja deutlich hervor -: Sie zitiert hier aus einem 20514 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Ministerin Barbel Höhn (Nordrhein-Westfalen) Bundesverfassungsgerichtsurteil. In diesem Urteil nuten dauert nach den Regeln dieses Hauses maxi- wird sehr differenzie rt, daß man, wenn man sich sym- mal drei Minuten. bolhaft auf Schienen setzt, sehr offen eine Ordnungs- widrigkeit begeht, und im Unterschied dazu stehen (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Straftaten, die heimlich verübt werden. Auf nichts NEN]: Er hat doch auch überzogen! Hören anderes hat die Vizepräsidentin des Landtages in Sie auf!) Nordrhein-Westfalen hingewiesen. Auch das ist nach - Eine Sekunde. - Sie haben als Mitglied des Bun- Recht und Gesetz. desrates das Recht, jederzeit und ohne Zeitbegren- zung zu sprechen. Wenn Sie das tun, hat das aber (Dr. Rolf Olderog [CDU/CSU]: Reden Sie Folgen für die Redezeit der Fraktionen, die ihre Re- nur weiter so! Sie reden sich um Kopf und dezeit bereits ausgeschöpft haben. Wenn wir also in Kragen!) diesem Sinne fortfahren, wird es eine nicht unerheb- Wenn man hingeht wie Sie, Herr Olderog, und liche Verlängerung der Debatte geben. Darauf sagt, daß man sie alle in einen Topf werfen könne, möchte ich Sie aufmerksam machen. wenn man also die, die sich symbolisch hinsetzen, Das zweite. Der Bundesrat achtet bei Reden im mit heimlichen Straftätern zusammenpacken wi ll, Bundesrat darauf und forde rt mit Recht, daß der be- dann trägt man zur Eskalation bei. sonderen Situation Rechnung getragen wird, daß (Beifall bei der PDS - Ina Albowitz [F.D.P.]: man im Hause eines anderen Verfassungsorgans Die, die dazu beitragen, sind Sie!) spricht. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie bei der Wortwahl und der Argumentation nicht anders ver- Was Sie hier immer gesagt haben, nämlich daß da fahren würden, als Sie es von Mitgliedern dieses nur die Chaoten sein würden - - Hauses im Bundesrat erwarten. (Ministerin Bärbel Höhn [Nordrhein-Westfa Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Ministe- len]: Können Sie das konkretisieren? Was rin, eine Sekunde. Ich muß Sie darauf aufmerksam habe ich denn gesagt?) machen, daß Sie auf die Intervention des Kollegen Damit gebe ich das Wort zur zweiten Kurzinterven- Westerwelle und nicht auf die Rede des Kollegen Ol- tion dem Abgeordneten Dr. Peter Paziorek. derog antworten.

Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Herr Präsident! Ministerin Bärbel Höhn (Nordrhein-Westfalen): Meine Damen und Herren! Ich möchte zu den Aus- Das mache ich ja gerade. führungen der Umweltministerin von Nordrhein- Westfalen drei Bemerkungen machen. (Lachen bei der CDU/CSU - Ina Albowitz [F.D.P.]: Das machen Sie nicht!) Erstens. Ich finde es schon merkwürdig, daß Frau - Höhn hier einfach behauptet, die Münsterländer hät- Das, wovon Sie eben gesprochen haben, Herr We- ten in Ahaus gegen die Transporte demonstriert. Ich sterwelle, der Sie deutlich die Berufsdemonstranten wohne im Münsterland und finde es sehr erstaunlich, erwähnt haben, hat sich in Ahaus überhaupt nicht daß Sie eine pauschale Behauptung von sich geben bewahrheitet. Es ist doch ein Widerspruch, wenn Sie und so tun, als ob das gesamte Münsterland Ihre Po- auf der einen Seite sagen, sie konnten sich so schnell sition, die Sie heute hier vorgetragen haben, trägt. nicht mehr freinehmen, und auf der anderen Seite, es Ich weiß gar nicht, wie Sie zu einer solch anmaßen- seien Berufsdemonstranten. Berufsdemonstranten den Haltung kommen. haben immer frei. Sie wären die ersten gewesen, die hätten dasein können. Deshalb stimmt das so nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) Im Münsterland hat die Bevölkerung selber dieser Zweitens. Ihre Ausführungen müssen in diesem Bundesregierung die Quittung gegeben. Frau Mer- Hause auf Widerspruch stoßen, und zwar aus folgen- kel ist hingegangen und hat gesagt: „In Ahaus wird dem Grunde: Sie haben auf den schon nichts passieren, da können wir die Castor Transportunfall in Frankfurt hingewiesen und diesen als einen Beleg Transporte rollen lassen", und die Münsterländer ha- für die Gefährlichkeit von Transpo rten anführen wol- ben gesagt: „Das lassen wir uns von Frau Merkel len. Sie sind überhaupt nicht darüber informiert, was nicht bieten. Wir wissen, wo und wann wir demon- gerade aus dem rotgrünen Lager in diesem Hause strieren wollen. " Die Demonstranten waren aus der hier immer wieder zu diesen Transpo Region und haben ihren Protest deutlich gemacht. rten gesagt wird. Es kann nämlich nicht angehen, daß Transpo rte Das ist ein Unterschied zu dem Verhalten bei allen einmal - wie Sie es gerade getan haben - als Risiko anderen Castor-Transpo rten, die vorher stattgefun- den haben. und als gefährlich bezeichnet werden, wodurch letzt- lich auch rechtswidrige Proteste - zwar nicht in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ahaus, aber woanders - moralisch legitimiert werden sowie bei Abgeordneten der SPD) und daß es zum anderen die Äußerung gibt - wie von Ihrer Kollegin Schönberger bei uns im Umweltaus- schuß -, daß diese Transpo rte wohl durchgeführt Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Ministe- werden könnten, wenn vorher feststehe, ob ein Aus- rin Höhn, ich muß Sie auf zwei Dinge ansprechen. stieg aus der Kernenergie erfolge oder nicht. An sol- Die Antwort auf eine Kurzintervention von drei Mi- chen Beispielen wird deutlich, welchen argumentati- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20515 Dr. Peter Paziorek ven Schlingerkurs sowohl Grüne als auch Rotgrüne Werfen Sie mir bitte eine Äußerung vor, die ich ge- fahren. macht habe! (Ursula Schönberger [BÜNDNIS 90/DIE Der zweite Punkt. Herr Paziorek, ich habe vorhin GRÜNEN]: Da müssen Sie mich aber ver nicht von einem Unfall in Frankfurt, sondern in wechseln!) Frankreich gesprochen. Es ist nämlich nicht möglich, den Ausstiegsbeschluß (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Entschuldi zur Voraussetzung dafür zu machen, ob ein Transport gung, ich habe mich versprochen!) als gefährlich angesehen werden kann oder nicht. Dieser Unfall ist vor einem Jahr passiert und hat in Ich sage ganz klar und deutlich: Wir halten diese der Tat zu erheblichen Problemen geführt. Transporte für sicher und nicht gefährlich. Der dritte Punkt. Sie kommen aus dem Münster (Beifall bei der CDU/CSU) land. Das habe ich eben dem Abgeordnetenverzeich- Ein dritter Punkt. Wenn Sie davon sprechen, daß nis entnommen. Ich war in Ahaus vor Ort und sage durch Polizeieinsatz die Transporte notfalls durchge- Ihnen: knüppelt werden würden, dann kann ich überhaupt (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ich auch! nicht verstehen, daß die SPD-Bundestagsfraktion ge- Nur auf einer anderen Veranstaltung!) gen diese unmöglichen Worte keinen Widerspruch erhebt, so wie es die SPD-Landtagsfraktion in Nord- Auf der Straße dort waren - das werden Sie bestäti- rhein-Westfalen hinsichtlich der Äußerungen der gen können, wenn Sie da waren - die Münsterländer. Grünen zu Recht getan hat. Es waren Münsterländer Bauern, die den größten Umzug mit über 200 Treckern durchgeführt haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich bin stolz darauf, als Landwirtschaftsministerin Herr Kemper stellt sich hierhin und tut so, als ob die von Nordrhein-Westfalen. Deeskalation in Nordrhein-Westfalen hervorragend (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gelaufen sei. Das haben Sie doch gesagt, Herr Kem- per. Das war eine kraftvolle Demonstration insbesondere von Wählerinnen und Wählern der CDU und - das (Hans-Peter Kemper [SPD]: Jawohl, ist es behaupte ich - nicht der Grünen und der Sozialde- auch! Dazu stehe ich!) mokraten. Aber gleichzeitig tut eine Ministerin aus Nord- (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Do rt woh rhein-Westfalen mittels einer scharfen Wortwahl und nen über eine Million Menschen!) Tonart so, als ob die Bereitschaft aus nordrhein-west- Gerade deshalb muß es Ihnen besonders weh tun, fälischer Sicht bestanden hätte, notfalls etwas durch- wenn Sie sehen, was diese Menschen dort unterneh- zuknüppeln. Wo ist denn die gemeinsame Linie von - men. Rotgrün in dieser Frage? Hier wird mit unterschiedli- chen Zungen gesprochen. Daß Sie als Ministerin in In diesem Sinne wünsche ich mir für die Bundesre- Nordrhein-Westfalen, Frau Höhn, diesen Kurs mit- publik Deutschland eine andere Atompolitik, und machen, obwohl sich die SPD anders dazu stellt, diese wird es auch geben. zeigt, daß Sie unredlich argumentieren. Das soll nach meiner Meinung in diesem Haus nicht weiter fortge- Vielen Dank. führt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Vielen Dank. PDS - Günter Rixe [SPD]: So ist es!) (Beifall bei der CDU/CSU - Günter R ixe [SPD]: Das war doch keine Kurzinterven Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Nach § 44 tion! Das hätte man auch rügen müssen!) Abs. 2 der Geschäftsordnung gebe ich dem Abgeord- neten Möllemann das Wo rt für eine Rede von zwei Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Auch darauf Minuten. können Sie antworten. Jürgen W. Möllemann (F.D.P.): Frau Ministerin, Sie haben erneut versucht, die Äußerungen der Land- Ministerin Bärbel Höhn (Nordrhein-Westfalen): Ich gebe eine sehr kurze Antwort darauf. Erst einmal tagsvizepräsidentin und inzidenter auch die von muß ich sagen, Herr Präsident, daß ich es gewohnt Herrn Appel zu relativieren und zu bagatellisieren, bin, wenn Äußerungen im Parlament kritisiert wer- indem Sie auf hier nicht näher zitierte Ausführungen den, daß diese konkret genannt werden. Deshalb von Verfassungsorganen abgehoben haben. bitte ich, mir eine konkrete Äußerung vorzuwerfen (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE und nicht pauschal zu sagen, ich verhielte mich dem GRÜNEN]: Es geht um Differenzierung!) Hohen Hause nicht angemessen. Das kann man so pauschal nicht sagen. Ich akzeptiere nicht, wie Sie hier argumentieren, und frage Sie: Wie lange soll eigentlich der Bürger im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Land noch verstehen, daß der dem gleichen Kabinett sowie bei Abgeordneten der SPD und der wie Sie angehörende, für die innere Sicherheit zu- PDS) ständige Innenminister Kniola erklärt, die Besetzung 20516 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Jürgen W. Möllemann von Gleisen sei eben keine Bagatelle oder kein Hap- baren Energien in die Steinkohlesubventionen im pening, sondern eine Straftat? Wie soll ein Bürger Bundeshaushalt umschichten wollten. Das ist die diesem Innenminister und seinem Rechtsverständnis Realität der Auseinandersetzung. folgen, wenn im Deutschen Bundestag eine Landes- Drittens. Sie sollten sich mit dem Vorbild „Energie- ministerin für den Bundesrat seine Auffassung relati- politik Nordrhein-Westfalen" wirklich zurückhalten. viert? Wer praktisch null Kernenergie hat und 100 Prozent (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!) CO2 emittiert, nimmt auf andere genausowenig Rücksicht, wie Sie das hier von denen, die die Ke rn Morgen kann schon der nächste Widerspruch auf- -energie nutzen wollen, behaupten. tauchen. Das ist es, was nicht akzeptabel ist. Ihre Fraktionskollegin und Ihr Fraktionssprecher haben (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dezidiert dazu aufgerufen, etwas zu tun, wovon der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen sagt, Auf diese Klemme komme ich noch zurück. das sei Rechtsbruch. Aber ich will mich der SPD zuwenden. Ich stelle Zweitens. Sie setzen damit eine Argumentation fest, daß das einzige, was sowohl an der Presse- fort, die allmählich wirklich Verblüffung auslöst. Als erklärung von Müller, Catenhusen und Genossen als Ihr Kabinettskollege Clement die Genehmigung für auch an dem Antrag, den die SPD hier heute vor- gelegt hat, stimmt, die Rechtschreibung ist; denn einen Braunkohletagebau vorlegte, haben Sie er- klärt, dies sei teilweise rechtswidrig. Wie will eigent- Frau Schwall-Düren, Herr Kemper, Herr Müller und lich eine Landesregierung das Vertrauen in Recht alle anderen, die diesen Antrag unterschrieben und Gesetz beim Bürger einfordern und ihn auffor- haben, Sie können doch nicht ernsthaft behaupten, dern, sich daran zu halten, wenn eine Ministerin fo rt daß das, was in dem Antrag steht, richtig ist. -laufend mitteilt, daß etwas rechtlich einwandfrei sei, Ich widerlege Ihnen das mit Fakten. Sie gehen von wovon aber der Innenminister sagt, es sei Rechts- vollkommen falschen Voraussetzungen aus bei dem bruch, und wenn eine Ministerin eine Genehmigung, Versuch, der Bundesregierung und der Bundesum- die der angehende Ministerpräsident erteilt, als weltministerin ständig die alleinige Verantwortung rechtswidrig bezeichnet? Ich halte es für unerträg- für die Entsorgung der Kernenergie und für die Ke rn lich, wie die Landesregierung von Nordrhein-Westfa- -kraftwerke in Deutschland zuzuschieben. Sie wissen len hier im Hohen Hause argumentiert. ganz genau, daß Sie gegen die Verhältnisse, gegen (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ die Realitäten, gegen Ihre eigene Mitverantwortung NEN]: Ich sage nur Lambsdorff, Herr Mölle reden. Ich werfe Ihnen vor, was Sie draußen tun; Sie mann!) instrumentalisieren nämlich die Ängste der Men- schen. Ich werfe Ihnen auch folgenden Widerspruch vor: Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe nun - das Wort dem Abgeordneten Kurt-Dieter Grill. Sie konnten sich in der ganzen Zeit, in der Sie die nu- klearen Entsorgungen unmittelbar mitzuverantwor- ten hatten, darauf verlassen, daß sich die CDU - ich Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Herr Präsident! denke etwa an Niedersachsen 1976/77 unter Ernst Meine Damen und Herren! Frau Höhn, ich habe den Albrecht - der gesamtstaatlichen Verantwortung Eindruck, daß Sie wieder versuchen, aus Tätern Op- stellte, die der damalige Bundeskanzler Helmut fer zu machen. Schmidt dem Land Niedersachsen auferlegt hatte; (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE aber Sie haben sich in dem Augenblick, in dem Sie GRÜNEN]: Wo waren die Täter?) aus der Macht in Bonn ausgeschieden sind, von die- ser gesamtstaatlichen Verantwortung verabschiedet. Ich weise Ihre bösartigen Unterstellungen zur Rolle Sie haben im Grunde genommen aus dem Verlust der Bundesregierung im Zusammenhang mit den der Macht eine unverantwo rtliche Politik konstruiert. Transporten nachdrücklich zurück. Davon ist nicht Diesen Wechsel haben Sie vorgenommen. ein Wort wahr. Sie handeln nach der Methode: „Don't confuse me with facts! " Ich will das einmal an (Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Nach dem aufzeigen, was Sie hier vorgetragen haben. Tschernobyl!) Erstens. Es ist unverschämt, wenn sich jemand aus - Nein, das hat vor Tschernobyl angefangen, Herr Nordrhein-Westfalen - die Kohle wurde in Nord- Schütz. 1984 in Essen haben Sie sich aus der Wieder- rhein-Westfalen und im Saarland mit 100 Milliarden aufbereitung verabschiedet. Der Versuch, die Grü- DM subventioniert - in einer solchen A rt und Weise nen zu überholen, scheiterte dennoch an der Realität über eine Energieart ausläßt, die für den wirtschaftli- und an Gerhard Schröder. chen Standort Deutschlands wirklich einen enormen Keine der auf die Wünsche der SPD zurückgehen- Beitrag geleistet hat. den Anlagen - ich weise Ihnen das dezidiert nach - (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ist in der konkreten Anwendung sicher, daß Sie noch zu dem stehen, was Sie mit dieser Bundesregierung Zweitens. Auch Ihre Zahlen zu erneuerbaren und mit den Ländern verabredet haben. Das ist das Energien sind relativ lächerlich, wenn man zur eigentliche Problem. Kenntnis nimmt, daß die Grünen - ich habe es hier immer wieder vorgetragen - angesichts der streiken- Ich will einige Beispiele nennen. Sie setzen auf die den Bergarbeiter 2 Milliarden DM von den erneuer direkte Endlagerung. Dazu gehört die langfristige Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20517 Kurt-Dieter Grill Zwischenlagerung; dazu gehört die Frage der Pilot- Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Dann möchte ich konditionierungsanlage. Sie verweigern aber all das zum Schluß noch eine Bemerkung zu den Petitionen im konkreten Fall. machen, Herr Präsident. (Beifall des Abg. Dr. Peter Paziorek [CDU/ Frau Müller, was Sie hier zu den Petitionen vorge- CSU]) tragen haben, zeigt das, was ich im Kern meine. Sie haben hier erklärt, Sie befürworteten die Petitionen Den Entsorgungskonsens von 1990, der mit der gegen La Hague und Sellafield. Bestätigung des Zwischenlagers in Ahaus und der Aufforderung an den Bund, schnellstmöglich ein (Jutta Müller [Völklingen] [SPD]: Gegen die Endlager für nicht wärmeentwickelnde Abfälle zu er- Wiederaufarbeitung!) richten, auf Wunsch von Johannes Rau und Wolfgang - Ja, gegen die Wiederaufarbeitung. Wenn Sie jetzt Clement zustande gekommen ist, setzen Sie nicht aber sämtliche sozialdemokratisch geführten Landes- um. Sie verweigern den Vollzug und behaupten an- regierungen, die darauf setzen, daß die Transpo rte schließend noch, diese Beschlüsse seien das Ergebnis nach La Hague stillschweigend akzeptiert werden, einer nicht weitsichtigen Politik gewesen. aufforderten, diese Transpo rte sofort einzustellen, (Beifall des Abg. Dr. Peter Paziorek [CDU/ dann bekämen wir wirklich ein Problem in Deutsch- CSU]) land. Genau dies ist der Widerspruch in Ihrer Politik. So sagte es Wolfgang Clement im Nordrhein-Westfä- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge lischen Landtag. ordneten der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, wer wie Wolfgang Cle- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Zu einer Kurz- ment im Februar 1997 im Hinblick auf die Nutzung intervention gebe ich dem Abgeordneten Schütz das des Zwischenlagers in Ahaus noch dazu aufforderte, Wort. daß der Innenminister die Genehmigung erteilen solle, damit die Transpo rte überhaupt laufen können, und es im Landtag anschließend fertigbringt, inner- Dietmar Schütz (Oldenburg) (SPD): Danke sehr, halb von fünf Minuten zwei Thesen gegensätzlicher Herr Präsident. - Meine lieben Kolleginnen und Kol- Natur zu vertreten, indem er am Anfang sagte, die legen! Herr Grill, Sie haben gerade der Landesregie- Bundesregierung handle unverantwo rtlich, wenn sie rung von Nordrhein-Westfalen und auch der Landes- die Züge durchpeitsche, und am Schluß, im übrigen regierung von Niedersachsen Rechtsbruch vorgewor- könne er als Mitglied der Landesregierung garantie- fen. Das ist ein ziemlich starkes Wo rt, ein ziemlich ren, daß die Transpo rte sicher seien - genauso hat starker Tobak angesichts der Situation, mit der wir dies Frau Griefahn bestätigt -, der muß sich die Frage uns hier auseinanderzusetzen haben. vorwerfen lassen, warum er die Geister auf die Straße Es geht hier um die politische Bewe rtung des Tat- rief, um anschließend mit relativ bescheidenen Mit- - bestandes, daß es aus den süddeutschen Kernkraft- teln zu versuchen, die Dinge wieder einzufangen. werken permanent Transporte zu den Zwischenla- (Beifall bei der CDU/CSU) gern in Gorleben und in Ahaus gibt. Wir müssen hier über Akzeptanzverhalten reden. Die Rechtsbewer- Es gibt eine Fülle von Fällen, bei denen die SPD in tung ist eine Sache, die Akzeptanzbewertung eine Niedersachsen den Rechtsbruch als Mittel eingesetzt andere Sache, und das haben wir zu unterscheiden. hat. Schröder hat die Leute aufgefordert, auf die Es ist legitim, in der politischen Diskussion auch Straße zu gehen, und anschließend mußte Herr Glo- möglicherweise unter dem Verhältnismäßigkeitsprin- gowski mit der Polizei dieses Problems Herr werden. zip zu bewerten, ob es immer sinnvoll und politisch Monika Griefahn mußte 100 Millionen DM aus der geboten ist, diese Position mit Polizeigewalt durchzu- Steuerkasse nehmen, um nach einem Rechtsbruch setzen, oder ob wir nicht langsam dazu kommen den Schaden wiedergutzumachen. Wer Rechtsbruch müssen, in Süddeutschland Lagerkapazitäten vorzu- als Mittel einer Landesregierung gegenüber dem halten, um derartige Einsätze zu vermeiden, was wir Bund einsetzt, der muß sich doch nicht wundern, immer gefordert haben. Das ist der Kern der Ausein- wenn die Menschen Rechtsbruch als legitimes politi- andersetzung. Wir wehren uns dagegen, daß Sie sches Mittel ansehen. diese Transporte von Süddeutschland nach Ahaus oder nach Gorleben immer wieder durchführen, und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) unterstützen auch Demonstrationen dagegen. Dabei kann es nicht hingenommen werden, daß Sie uns sa- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, gen, das sei rechtlich anders zu bewe rten. Es besteht Ihre Redezeit ist abgelaufen. wirklich ein Unterschied, ob man hier eine Rechtsbe- wertung oder eine Akzeptanzbewertung bzw. eine politische Bewertung vornimmt. Darum geht es in Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Ich komme gleich dieser Auseinandersetzung, daß Sie das immer zum Schluß, Herr Präsident. Aber Frau Höhn hat durcheinanderwerfen. ebenfalls erheblich überzogen. Wenn wir uns daran erinnern - Sie haben das vor- hin angesprochen -, wie es war, als Albrecht vor der Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, Situation stand, daß es politisch nicht mehr durch- Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum setzbar war - Sie kennen die Situation aus Ihrer Schluß. Nachbarschaft noch sehr gut -, dann müssen wir uns 20518 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Dietmar Schütz (Oldenburg) doch einmal fragen: Ist es politisch durchsetzbar, daß Der tiefere Hintergrund, Herr Schütz, ist - das wis- wir permanent diese Transporte aus Süddeutschland sen Sie -: Wenn die Landesregierung diesen Vertrag durchführen? Oder müssen wir nicht erst aus der nicht unterschrieben hätte, hätte das Landge richt Kernenergie aussteigen, um so die Akzeptanz für La- Hannover die Landesregierung, und zwar Herrn gerkapazitäten an den verschiedenen Orten - auch Schröder und Frau Griefahn, für Amtspflichtverlet- in Süddeutschland - zu schaffen? Das ist der politi- zungen zu einer Schadensersatzleistung in Höhe von sche Kern unserer Auseinandersetzung. Das sollten 15 Millionen DM verurteilt. Das ist die Realität. Sie zur Kenntnis nehmen. (Ursula Schönberger [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei Abgeordneten der SPD) GRÜNEN]: Vielleicht!) Deswegen sage ich Ihnen: Frau Griefahn hat für Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Rechtsbruch 60 Millionen DM aus der Steuerkasse Grill, Sie haben das Wort zu einer Erwiderung. Niedersachsens zahlen müssen. Wenn das keine Politik ist, in der instrumentalisiert wird, in der Sie im Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Herr Präsident! Grunde genommen der Verfassung nicht mehr ge- Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schütz, ich recht werden, dann weiß ich nicht, welche Beweise bin Ihnen ausgesprochen dankbar für diese Interven- ich Ihnen noch vorlegen sollte, es sei denn, ich muß tion, weil sie mir Anlaß gibt, auf einige Zusammen- davon ausgehen, daß Sie Fakten nicht akzeptieren. hänge hinzuweisen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Erstens. Am 8. Mai 1989 hat der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau, die Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das Bundesregierung gebeten, einen neuen Entsor- Wort der Abgeordneten Angelica Schwall-Düren. gungskonsens in Deutschland zu erreichen. Die Bun- desregierung ist dieser Bitte nachgekommen. Es ging (Zuruf von der SPD: Zurück zur Umwelt! - dabei auch um das Zwischenlager Ahaus und die Ca- Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Jetzt wissen stor-Behälter. wir auch, warum Frau Griefahn nicht mehr Ministerpräsidentin werden wird! - Gegen Ich sage Ihnen folgendes: Der Ministerpräsident ruf von der SPD: Warum sind Sie denn aus des Landes Nordrhein-Westfalen hat dann am 31. Ok- allen Ämtern geflogen?) tober 1990, nachdem alle Ministerpräsidenten der al- ten Bundesländer dem Beschluß zugestimmt haben, nämlich einem Entsorgungsbeschluß, in dem externe Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): Herr Präsident! Zwischenlager expressis verbis enthalten sind, mit Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich bin erschrok- der Zustimmung von Herrn Schröder, mit der Zustim- ken darüber, welches Niveau diese Debatte teilweise mung von Frau Griefahn, mit der Zustimmung des hat. Ich empfinde es als Hohn, wie Sie von seiten der grünen Staatssekretärs Bulle die Aufforderung an - Koalition hier in der Debatte und auch in Ihrem An- den Bund gerichtet, schnellstmöglich ein Endlager trag zunächst einmal auf Gewalthandlungen im Zu- für nicht wärmeentwickelnde Abfälle zu errichten. sammenhang mit Demonstrationen abheben. Wenn Das Genehmigungsverfahren ist dann anschließend Sie auf diese Weise die Bürgerinitiativen, die kirchli- in Niedersachsen contra legem, wie ich meine, von chen Gruppen, die Naturschutz- und Umweltver- Frau Griefahn auf sechs Jahre hinausgezögert wor- bände, die Landwirte und die vielen Menschen vor den. Ort diffamieren, dann beweisen Sie in der Tat nur, daß Sie weder Einfühlungsvermögen haben noch et- Das ist genau das, was ich meine: Sie setzen das was von den Sorgen der Menschen verstehen. Recht nicht so ein, wie es gemeint ist, nämlich daß man prüft, ob die Genehmigung zu erteilen ist. Sie (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE setzen das Recht ständig als Verhinderungsinstru- GRÜNEN und der PDS - Jürgen ment ein und kehren damit letztendlich den Sinn des W. Möllemann [F.D.P.]: Darüber haben wir Gesetzes um. Das ist das eine, ganz abgesehen von gar nicht geredet!) den Kosten. Lassen Sie es sich gesagt sein: Der Protest ist weit- Ich möchte Ihnen noch eines sagen, weil das, was gehend friedlich und ohne dramatische Vorkomm- hier passiert, wirklich schlimm ist: Frau Griefahn hat nisse verlaufen. Herr Paziorek, im Gegensatz zu Ih- mit ihrem Ministerium und ihrem Staatssekretär so- nen waren die Münsterländer SPD-Abgeordneten gar versucht, die Genehmigung von Schacht Konrad vor Ort, haben mit den Leuten do rt gestanden und gegen die Zustimmung von Frau Merkel für den Na- können das deswegen beurteilen. tionalpark Elbetal einzusetzen. So viel ist Ihnen Si- Die Menschen im Münsterland haben nicht verge- rt. cherheit we bens demonstriert. Sie haben mit ihrem Protest und Zweitens. Ich möchte Sie nur darauf aufmerksam ihrem Widerstand gegen die unsinnigen Verschie- machen: Die Landesregierung hat erst vor kurzem in bungen des Atommülls ein wichtiges und ein großes einem Gerichtsverfahren über Schadensersatzforde- Zeichen gesetzt. Wir Politiker und Politikerinnen und rungen für die Pilot-Konditionierungsanlage einen gerade Sie, meine Damen und Herren aus der Koali- Vertrag mit der GNS unterschrieben, in dem steht: tion, werden daran erinnert, daß man nicht nur in Die Landesregierung Niedersachsen hält sich in Zu- Sonntagsreden davon sprechen darf, daß wir die kunft an Recht und Gesetz. Daraus ist zu schließen, Verantwortung für die kommenden Generationen daß sie es bisher nicht getan hat. zu übernehmen haben; denn, so lesen wir es in ei- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20519 Dr. Angelica Schwall-Düren nem Kommentar der „Süddeutschen Zeitung" vom Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): Dieser Vor- 21. 3. 1998: schlag kann so nicht stehenbleiben; er ist immer im Zusammenhang mit einer sicheren Endlagerung ge- Aber die mit ausgedienten Brennelementen ge- sehen worden. Auch die Beschickung war mit dieser füllten Abklingbecken und die sich langsam fül- Endlagerung verknüpft, und - das ist das Entschei- lenden Zwischenlager bieten ein geradezu über- dende, auf das ich auch noch kommen wollte - es wältigendes Bild vom Gegenteil, von versäumter macht alles nur einen Sinn, wenn wir zum Ausstieg Verantwortung. aus der Atomenergie kommen. (Beifall des Abg. Michael Müller [Düssel (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne dorf] [SPD]) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN In der Tat, bei der Diskussion um die Zwischenla- und der PDS) ger in Ahaus und Gorleben, um das sogenannte End- lager in Morsleben geht es nicht um rein regionale Das ist klar, Frau Merkel - das haben Sie sehr deut- Probleme. Man kann den Menschen nicht unterstel- lich gemacht; insofern muß man sich wirk lich fragen, len, daß sie nach dem Sankt-Florians-Prinzip han- ob Sie als Umweltministerin oder eher als Atom- deln. Zwar hätten die Bürger und Bürgerinnen ministerin in die Geschichte eingehen werden -: Sie Grund genug dazu, da sie im Münsterland jede wollen ja nicht über das reden, was in 10 oder in Menge Belastungen zu tragen haben. Ich erinnere an 20 Jahren sein wird. die Uran-Anreicherungsanlage in Gronau, an die (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.] zu Bundes Sondermülldeponie in Ochtrup, an das Kraftwerk ministerin Dr. Angela Merkel gewandt: Sie Lingen - an schönen Tagen zum Greifen nahe. gehen jedenfalls in die Geschichte ein, hat Die Bundesregierung verstärkt mit ihren erzwun- die SPD gesagt!) genen Transporten die räumliche Ungleichverteilung Sie gehen in die Geschichte als Atomministerin ein. der Risiken und Lasten; das wurde schon mehrfach Wenn Sie das als Lob auffassen, dann verstehe ich gesagt. Trotzdem haben sich die Bürgerinnen und das nicht. Bürger im Münsterland, die entlang der Bahnstrek- ken demonstriert haben, nicht nur quergestellt, um Das Zwischenlager Ahaus nämlich, Herr Gri ll - hö- die Castoren am Erreichen ihres Ziels zu hindern. ren Sie gut zu -, sollte erst in Bet rieb genommen wer- Die Menschen haben erkannt, daß mit der Beschik den, wenn eine sichere Endlagerung gegeben ist. In kung der Zwischenlager die Befürworter der Kernen- NRW wurde es nun dazu genutzt, durch die Sti ll ergienutzung darüber hinwegtäuschen wollen, daß -legung des THTR in Hamm den Ausstieg aus der bis heute, Herr Grill, die Entsorgungsfrage für die Atomenergie einzuleiten. Ich finde, es ist ein untaug- Jahrtausende strahlenden Altlasten eben nicht gelöst licher Versuch, von der eigenen Verantwortungslo- ist. Das wird bedeuten, daß Ahaus zu einem vorläufi- sigkeit abzulenken, wenn Sie Minister Clement an- gen Endlager werden muß. - greifen, weil er richtigerweise ausspricht, was auch Sie wissen sollten, nämlich, daß die Castor-Trans- Die Demonstrierenden wollten mit ihrer Verweige- porte nach Ahaus derzeit nicht nur unnötig, sondern rung auch deutlich machen, daß sie diese gefährliche auch ökologisch, ökonomisch und sozial unsinnig und teure Form der Energiegewinnung ablehnen. sind. Deshalb sind sie auch nicht allein geblieben; deshalb sind Menschen auch von weither gekommen, um (Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das hat er so deutlich zu machen, was Sie eigentlich auch längst gar nicht behauptet!) wissen sollten: Die Mehrheit der Bevölkerung in un- Für eine Lastenteilung gibt es nur mit einer siche- serem Land will den Ausstieg aus der Atomenergie- ren Endlagerung und dem Ausstieg eine gesetzliche nutzung. Grundlage. (Kurt Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, -Dieter Grill [CDU/CSU]: Sie sollten gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten mal die Rede von Herrn Matthiesen nachle Grill? sen!) Der Ausstieg bringt den Atommüll - da haben Sie Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): Bitte schön, recht - zwar noch nicht zum Verschwinden - die Herr Grill. Sünde ist nun einmal in der Welt -, aber das kann und darf nicht heißen, daß man die nicht zu beseiti- genden Lasten noch weiter anhäuft. Wir haben der- (CDU/CSU): Herr Präsident! Kurt-Dieter Grill zeit eine Überkapazität in Höhe von einem Drittel im Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Schwall Strombereich, deswegen kann die wirtschaftliche Be- Düren, Sie haben soeben gesagt, daß möglicherweise deutung inzwischen in Frage gestellt werden. Die aus Ahaus ein Endlager werden könnte. Dem wider- Überkapazität ist so hoch, daß wir aus Bedarfsgrün- spreche ich entschieden. Wie beurteilen Sie in die- den sofort aus der Atomnutzung aussteigen könnten. sem Zusammenhang denn den Vorschlag des nieder- sächsischen Ministerpräsidenten, den er gemeinsam Auch Ihre CO2-Argumentation verfängt nicht. Wir mit Wolfgang Clement und anderen gemacht hat, haben bereits jetzt so viel technisches Wissen, um aus dem ersten Energiekonsens, an Stelle der Endla- weiter Energie einsparen zu können. Alle Studien ger die Zwischenlager als Entsorgungsnachweis zu haben bisher belegt, daß wir weit mehr CO 2 einspa- nehmen? ren könnten, wenn wir nur annähernd so viele Mil- 20520 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Dr. Angelica Schwall-Düren harden in Energiesparprogramme stecken würden Wir haben bei einer Veranstaltung die Diskussion wie in die Atomenergie. darüber erlebt, ob es zulässig sei, auf das Gelände des BZA, des Zwischenlagers, zu marschieren, weil Außerdem können wir Know-how weiterentwik- dort eventuell Rechtsverstöße nicht stattfinden wür- keln und weitergeben, wie durch Einsatz regenerier den, ganz im Gegensatz zu einer Sitzblockade auf öf- barer Energien und durch Steigerung der Energieef- fentlichem Gelände. Man kann jetzt, nachdem das fizienz auch der noch ansteigende Energiehunger Ganze friedlich ablief, weil gewaltbereite Gruppen der Länder des Südens bef riedigt werden kann. zu spät gekommen sind, da der Castor-Transpo rt auf Meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kolle- Grund einer guten Strategie vorgezogen wurde, gen, Sie sollten keine falschen Schlußfolgerungen nicht so tun, als hätten all diese Diskussionen vorher aus dem friedlichen Protest der Münsterländer Atom- nicht stattgefunden. Es kann doch nicht unter den gegner ziehen. Zwar sagte eine Bürgerin aus meinem Teppich gekehrt werden, daß diese Diskussion maß- Wahlkreis, durch deren Dorf der Castor rollte: „Fas- geblich und in unverantwo rtlicher Weise von Mitglie- sungslos, sprachlos, mit Tränen in den Augen können dern der Grünen-Fraktion im Vorfeld hochgepuscht wir hier nur stehen und den Castor an uns vorbeirol- worden ist. len lassen. " Die momentane Ohnmacht der Bürger ist Zweitens. Sie sprachen von Ahaus als vorläufigem aber nur eine Seite. Endlager. Sie müssen wissen, daß bei allen Überle- (Zuruf von der CDU/CSU: Eure Regierung gungen von Anfang an bekannt war, daß die Ab- hat unterschrieben!) klingphase und damit auch die Aufstellphase für die Castor-Behälter in Ahaus wie bei anderen Zwischen- Ich stimme dieser Bürgerin zu, wenn sie sagt: „Aber lagern im Schnitt 30 bis 40 Jahre dauern wird. Das er hat gestoppt, zwar nur für eine Stunde, aber ich war bekannt. So war das Zwischenlager auch geneh- bin sicher: Wir werden ihn einmal für immer stop- migt und konzipiert. pen. " Wenn jetzt Frau Griefahn bzw. - sie ist ja nicht Die SPD wird dazu beitragen; denn nur das ist ver- mehr Ministerin - ihr Nachfolger Gorleben weiter un- nünftig und verantwortungsbewußt. Die meisten terstützt, können wir durchaus schon im nächsten Menschen in diesem Land wollen den Ausstieg aus Jahrzehnt zu einer definitiven Entscheidung in Sa- der Atomenergie. chen Endlager Gorleben kommen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wieso kommt überhaupt der Widerspruch zu- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der stande, daß bei einer Entscheidung, die schon im PDS) nächsten Jahrzehnt möglich ist, gleichzeitig gesagt wird: „Ahaus wird definitiv ein Endlager" , wenn wir Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Zu einer Kurz- von vornherein wissen: Die Aufstellzeit für Castoren intervention gebe ich dem Abgeordneten Dr. Peter - im Zwischenlager beläuft sich auf 30 bis 40 Jahre Paziorek das Wort. nach der Genehmigung? Auch hier zeigt sich wieder, welch argumentativer Schlingerkurs von Ihnen ge- wählt wird, um zu verunsichern und Bürger in Angst Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr zu versetzen. Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolle- ginnen und Kollegen! Zwei Bemerkungen: Erstens. Es kann nicht angehen, daß unsere kritischen Worte Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, gegen Aufrufe zu Gewalt, auch zu Gewalt gegen Sa- Ihre Redezeit ist beendet. chen, jetzt in Verbindung mit dem durchaus friedli- chen Protest vieler Münsterländer Bürgerinitiativen Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Wir haben eines im gebracht werden. Münsterland festgestellt: Oft wird mit der Angst ar- (Dr. Willfried Penner [SPD]: Das hat doch gumentiert, um politische Abhängigkeiten zu erhal- Ihr Kollege gemacht!) ten. Das halte ich für ganz schlecht. Aber ich muß klar und deutlich sagen: Es kann Vielen Dank, daß ich das noch sagen durfte. auch nicht angehen, daß jetzt so getan wird, als ob es (Beifall bei der CDU/CSU) im Vorfeld von Ahaus nicht zu Aufrufen bedenklicher Art gekommen sei. Für mich ist es schon bedenklich, Frau Kollegin wenn wenige Tage vor dem vorgesehenen Castor- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Schwall-Düren, Sie können darauf antworten. Transport Mitglieder dieses Hauses demonstrativ im Beisein der Medien Sitzblockaden proben und der Öffentlichkeit andeuten, so könnte man sich eventu- Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): Herr Paziorek, ell rechtswidrig verhalten. es ist eine Sache, Verständnis für Menschen zu äu- ßern, die durch Sitzblockaden darauf aufmerksam Gleichzeitig, Frau Schwall-Düren, findet eine aka- machen möchten, daß sie sich in ihren Menschen- demische Diskussion auf Veranstaltungen - wir ha- rechten beeinträchtigt fühlen. Das war der Punkt in ben zum Beispiel an einer gemeinsam teilgenommen jener Veranstaltung; das wollen wir hier nicht vertie- - zu der Frage statt, ob man eventuell zu Gewalt ge- fen. gen Sachen greifen dürfe, weil der Staat in Sachen Castor-Transport zu Gewalt gegen f riedliche Bürger Das zweite ist die Frage, welche Gewichtung Aus- greift. sagen zu Gewalthandlungen bekommen. Ich habe Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20521 Dr. Angelica Schwall-Düren Ihren Antrag vorliegen. Do rt wird am Anfang in drei Natürlich gibt es neben dem Recht auch die Frage Spiegelstrichen über Gewalthandlungen im Zusam- der politischen Einigung. Recht läßt sich besser menhang mit den Castor-Transpo rten gesprochen. durchsetzen, wenn es eine politische Einigung gibt. Die Debattenbeiträge hier waren davon geprägt, daß Diese Einigung gab es zum letztenmal 1979; darüber Sie von der Koalition permanent darauf abhoben, ist heute gesprochen worden. daß hier Gewalttäter am Werke gewesen sind. Ich kann das nur als eine Diffamierung der f riedlich de- (Hans-Peter Kemper [SPD]: Den Konsens monstrierenden Menschen vor Ort verstehen. haben Sie zerstört!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Damals war der Leiter der nordrhein-westfälischen DIE GRÜNEN) Staatskanzlei und spätere langjährige Innenminister Schnoor in Ahaus. Er hat den Ahausern erklärt, Ein weiteres: Meine Aussage, daß Ahaus zum fak- warum die Landesregierung das Zwischenlager als tischen Endlager wird, ist durchaus begründet, wenn notwendig ansieht, nämlich weil Nordrhein-West- man weiß, welche Probleme es in Gorleben gibt. Ich falen aus politischen, aus gesamtstaatlichen Gründen darf nur ein Stichwort nennen: Laugenzuflüsse. Es seinen Beitrag leisten muß. Die Landesregierung hat gibt dort nach wie vor einen großen Unsicherheits- dann den Ahausern erklärt, daß mit der Ansiedlung faktor. des Zwischenlagers für die Stadt Ahaus keine wirt- schaftlichen, strukturellen und finanziellen Nachteile Ich möchte noch einmal betonen: Die Plausibilität verbunden sein werden. Das scheint sich auch be- von Transporten, von Burden sha ring, von Verteilung wahrheitet zu haben. Die Frage ist nur: Wie lange der Lasten, macht für die Menschen nur dann Sinn, stehen Sie zu einer solch gesamtstaatlichen Verant- wenn sie auch erkennen können: Es wird mit dem wortung? ganzen Unsinn Schluß gemacht, und es gibt einen geordneten Ausstieg aus der Atomenergienutzung. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Aha, jetzt Das, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen sind Sie wieder weg von der Gefährlich und Kollegen, ist der Punkt, weshalb ich nicht be- keit!) greifen kann, daß der gleiche Ministerpräsident, den demnächst Herr Clement sozusagen beerbt, heute in- Das ist der ganz entscheidende Punkt, den Sie immer sofern desavouiert wird, als sein Nachfolger erklärt, wieder vergessen. das Ganze sei nichts weiter als „politische Provoka- tion" und „Unsinn". (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das erleben wir tagtäglich in Nordrhein-Westfalen!)

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Nun gebe ich Was sollen die Polizisten, die do rt im Einsatz sind, ei- das Wort der Bundesministerin für Umwelt, Natur- - gentlich von ihrer Landesregierung denken? schutz und Reaktorsicherheit, Dr. Angela Merkel. Und das Minimum, das ich erwarte, wenn man so etwas äußert, ist, daß man eine machbare, vernünf- Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Umwelt, tige Alternative vorlegt. Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren! Frau Höhn, es ist schon beschwerlich, muß ich sagen, wenn Sie erklären, das Ich habe zweimal mit denen zusammengesessen, die einzige, worauf Sie sich berufen könnten, sei das zu einer solchen Alternative in der Lage gewesen Recht. Das Recht habe ich zum Beispiel in Teilen mei- wären. Man muß sagen, daß sich Herr Schröder nes Lebens wirklich vermißt, zumal demokratisch le- zweimal in seiner eigenen Partei mitnichten irgend- gitimiertes Recht. wie durchsetzen konnte. Das ist ein Charakteristi- kum zumindest seiner früheren politischen Tätigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Zum anderen muß man sagen, daß die SPD im Jahre Es ist doch einer der großen Vorzüge - das gilt 1994 insofern für eine Novelle zum Atomgesetz ein- doch auch, wenn Sie Gesetze machen -, daß das getreten ist, als sie gesagt hat: Wir wollen raus aus Recht gilt, demokratisch legitimiert ist und nicht von der Wiederaufarbeitung und rein in die direkte End- jeder politischen Einzelmeinung wieder außer Kraft lagerung. gesetzt werden kann. (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Rich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tig!) Diesem Wunsch ist Rechnung getragen worden. Da- Wenn wir uns darüber nicht mehr einigen können, dann, meine Damen und Herren, müssen wir ganz mals war klar, daß dies für die schon genehmigten bzw. noch zu genehmigenden Zwischenlager Ahaus andere Debatten in diesem Lande führen. Aber das und Gorleben zu gelten hat. wäre außerordentlich bedauerlich. Man muß nur lei- der feststellen: Wir sind in dieser Debatte fast schon (Zuruf der Abg. Dr. Angelica Schwall-Düren wieder auf dem Grundschulniveau angekommen. [SPD]) (Dr. Renate Hellwig [CDU/CSU]: Sehr rich - Frau Schwall-Düren, hören Sie mir noch eine Se- tig! Das ist es, was mir Sorgen macht!) kunde zu! 20522 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Bundesministerin Dr. Angela Merkel Im letzten Jahr ist Herr Müntefering auf die Idee „Deutschlandfunk", danach befragt, auf meine Äu- gekommen, daß nunmehr die Lagerung an den Ke rn ßerung mit einem schlichten Ja geantwortet. -kraftwerken, die immer abgelehnt wurde, weil ge- sagt wurde: „Wir wollen keine Dezentralisierung", (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Was hat der Lösung letzter Versuch sein sollte. Als wir dann der denn damit zu tun? Genehmigt er das?) zusammensaßen - Herr Rexrodt, Herr Bohl, Herr - Er genehmigt es nicht, er kandidiert aber für die Schröder, Herr Müntefering und ich - und uns ge- SPD für den Bundestag und ist zudem ihr Umweltex- meinsam von der Wirtschaft haben vorlegen lassen, perte. welche der Transporte - es gibt ja nicht zu viele Transporte - von Kernkraftwerken, die keine Ver- (Zuruf des Abg. Michael Müller [Düssel träge mehr mit La Hague und Sellafield haben, auf dorf] [SPD]) der Grundlage des neuen, 1994 geänderten Atomge- setzes mit politischer Billigung der SPD, für das Jahr - Lassen Sie es in sieben Jahren gehen, Herr Müller. 1997 unabdingbar notwendig sind. Alle haben Sie wissen doch ganz genau, daß die Genehmigung schweigend zugehört und gesagt: Jawohl, ein Trans- des Zwischenlagers in Lubmin sieben Jahre gedauert hat. Sie sind für die Beteiligung der Öffentlichkeit, port muß stattfinden. - Wir haben viele Nachfragen gestellt; aber es stand überhaupt nicht zur Debatte, auch ich bin dafür. Es wird 20 000 Einwendungen ge- daß dies notwendig ist. Es hat sich auch keinerlei Wi- ben. Selbst wenn man es machte, würde es lange dauern. Und bis dahin muß transportiert werden. derspruch geregt. (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das (Uwe Lühr [F.D.P.]: Gucken Sie mal an!) stimmt doch nicht! Erzählen Sie das doch Dann ist der Transport in Gang gesetzt worden, und hier nicht!) plötzlich stellt sich Herr Clement hin - Herr Müntefe- Wenn wir uns anscheinend alle gemeinsam, aber ring hat es nicht persönlich gemacht - und sagt: Das offensichtlich doch mit sehr unterschiedlichen Ein- ist Unsinn. stellungen, für den Wi rtschaftsstandort einsetzen, Ich sage: Das ist Populismus, dann sage ich hier ganz klar: Viele wollen - das sage ich für unsere Koalitionsfraktion -, daß Deutschland (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ein Energiestandort bleibt. Das heißt, daß Energie wirtschaftlich und umweltverträglich erzeugt werden nichts weiter als Populismus und Scheinfrieden. Das muß, und nicht, daß wir den Strom aus der Steckdose ist eine Verwirrung der Bürger. Hinzu kommt, daß nehmen und uns nicht dafür interessieren, woher er diese Menschen zum Teil Angst haben. Sie spielen kommt. mit der Angst der Leute. (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Aber (Hans-Peter Kemper [SPD]: Sie schüren Frau Merkel!) doch mit Ihren Bemerkungen die Angst!) - Wenn wir das wollen, dann brauchen wir Berechen- rieben Und wenn Sie argumentativ in die Enge get barkeit für die Wirtschaft. werden, dann sagen Sie, es gehe gar nicht um Fra- gen der Sicherheit, sondern eigentlich - das sagen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sie heute schon den ganzen Nachmittag - um den Ausstieg aus der Kernenergie. Denn das Kapital ist ein scheues Gut. Meine Damen und Herren, Sie haben das 1986 auf Verläßlichkeit: Sie kämpfen mit den Grünen in einem Parteitag beschlossen; über die zeitlichen Fri- Nordrhein-Westfalen um die Genehmigung für Garz- sten gibt es auch innerhalb Ihrer Partei noch völlig weiler. Um genau dasselbe geht es bei den Hunder- verschiedene Vorstellungen. Sie haben bis heute, bis ten von Millionen, die von den Kernkraftwerken in 1998, keine politische Mehrheit für diesen Ausstieg die Zwischenlager für 500 Stellplätze investiert wur- bekommen. Wir sind doch nicht per Daffke an der den. Deshalb sage ich Ihnen: Man kann über vieles Macht, sondern durch demokratische Wahlen immer sprechen. Man kann aber nicht Rechte in Kraft set- wieder auch wegen unseres Energiemixes in der zen und wieder außer Kraft setzen. Rein in die Kartof- Bundesrepublik Deutschland gewählt worden. Sie feln, raus aus den Kartoffeln: Das ist eine Politik, die müssen das schon akzeptieren. mit Sicherheit die Wi rtschaft aus Deutschland ver- treibt. Wir wollen das nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Herzlichen Dank. Deshalb sage ich: Wenn Herr Schröder sagt: „Ener- giepolitik in Deutschland muß parteiübergreifend (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) definiert werden", dann ist das sicherlich den Ver- such wert. Dann muß man es aber auch machen und Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Damit schließe darf nicht Chimären aufbauen, daß man Transpo rte ich die Aussprache. vermeiden könnte, indem man Lagerungen an den Kernkraftwerken durchführt, obwohl man genau Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf weiß, daß jede dieser Genehmigungen, selbst wenn Drucksache 13/9851 an die in der Tagesordnung auf- es darüber theoretisch eine Einigung mit den Bun- geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit desländern gäbe, acht bis zehn Jahre dauern würde. einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Wider- Selbst Ernst Ulrich von Weizsäcker hat neulich im spruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20523

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß- lung mit den Stimmen der Koalition bei Stimment- empfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur- haltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des schutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Hauses im übrigen angenommen worden ist. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Beendigung der Castor-Transpo rte, Drucksache 13/9755. Der Aus- Dann kommen wir zur Beschlußempfehlung des schuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6997 Petitionsausschusses auf Drucksache 13/8665; das ist abzulehnen. die Sammelübersicht 246. Dazu liegt ein Änderungs- antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der Drucksache 13/10207 vor, über den wir zuerst ab- SPD auf Drucksache 13/10189 vor, über den wir zu- stimmen. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion nächst abstimmen. Wer dem Änderungsantrag der Bündnis 90/Die Grünen zustimmt, bitte ich um das Fraktion der SPD zustimmt, den bitte ich urn das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltun- Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltun- gen? - Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag mit gen? - Dann stelle ich fest, daß der Antrag mit den den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/ Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Die Grünen bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS gegen die Stimmen der Fraktion der SPD abge- Dann kommen wir zur Beschlußempfehlung des lehnt worden ist. Petitionsausschusses. Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Die Ge- Dann kommen wir zur Beschlußempfehlung des genprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, Ausschusses. Wer der Beschlußempfehlung des Aus- daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der schusses zustimmt, den bitte ich um das Handzei- Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen chen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - angenommen worden ist. Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung des Ausschusses mit den Stimmen der Koalition bei Dann kommen wir zur Beschlußempfehlung des Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Petitionsausschusses auf Drucksache 13/8666; das ist Stimmen des Hauses im übrigen angenommen wor- die Sammelübersicht 247. Auch hierzu liegt ein Än- den ist. derungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10208 vor, über den zunächst ab- Dann rufe ich die Beschlußempfehlung des Aus- gestimmt wird. Wer dem Änderungsantrag der Frak- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- tion Bündnis 90/Die Grünen zustimmt, bitte ich um heit zu dem Entschließungsantrag der Fraktion das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthal- Bündnis 90/Die Grünen zu der Großen Anfrage der tungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfeh- Fraktion der SPD zum Endlager für radioaktive Ab- lung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim- fälle in Morsleben, Drucksache 13/9753. Der Aus- men des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. schuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/8720 abzulehnen. Wer der Beschluß- Dann kommen wir zur Beschlußempfehlung des empfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich - Petitionsausschusses selbst. Wer der Beschlußemp- um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimm- fehlung des Petitionsausschusses zustimmt, bitte ich enthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Be- um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimm- schlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei enthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußemp- Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die fehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen wor- Stimmen des Hauses im übrigen angenommen wor- den ist. den ist. Dann rufe ich die Beschlußempfehlung des Aus- Dann kommen wir zur Beschlußempfehlung des schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Petitionsausschusses auf Drucksache 13/8667; das ist heit zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Sammelübersicht 248. Dazu liegt wiederum ein zu einem Ausstieg aus der Atomenergie und zu Lö- Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- sungsansätzen für das Atommüllproblem, Drucksa- nen auf Drucksache 13/10209 vor. Wer dem Ände- che 13/9754 Nr. 1, auf. Der Ausschuß empfiehlt, den rungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu- Antrag auf Drucksache 13/7008 abzulehnen. Wer der stimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegen- Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den probe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abge- Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition lehnt worden ist. gegen die Stimmen des Hauses im übrigen ange- nommen worden ist. Wir kommen jetzt zur Beschlußempfehlung des Pe- titionsausschusses. Wer ihr zustimmt, bitte ich um Dann rufe ich die Beschlußempfehlung des Aus- das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthal- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- tungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfeh- heit zum Antrag der Gruppe der PDS zum Ausstieg lung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim- aus der Atomenergie, Drucksache 13/9754 Nr. 2, auf. men des Hauses im übrigen angenommen worden Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache ist. 13/7062 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltun- auf Drucksache 13/10184 an die in der Tagesord- gen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfeh nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind 20524 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen bedingungen für unser Land, die wir selbst bestim- Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. men können. Andere Standortbedingungen hängen sehr von dem ab, was andere tun - diese nicht. (Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Voll mer) Mit dem am 18. März durch das Kabinett verab- schiedeten „Maßnahmepapier Schlanker Staat" ha- ben wir nun einen zukunftsorientierten Baustein für Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf: dieses Thema gesetzt. In dieser Legislaturperiode sind viele Dinge, insbesondere immer wieder ausge- a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- hend von den Beratungen der Kommission „Schlan- regierung ker Staat" unter dem Vorsitz von Professor Scholz, Erster Bericht und Fortschreibung des Ak- schrittweise vorangekommen. Wir haben Genehmi- tionsprogramms zur weiteren Steigerung von gungsverfahren beschleunigt. Zahlreiche Gesetzes- Effektivität und Wirtschaftlichkeit der Bun- novellierungen sehen Vereinfachungen und Verbes- desverwaltung serungen vor. Das hilft Investoren, das sichert Ar- beitsplätze von morgen. - Drucksache 13/9980 — Überweisungsvorschlag: Es liegt in der Hand der Länder und Kommunen, Innenausschuß (federführend) von neuen gesetzgeberischen Möglichkeiten stark Finanzausschuß Gebrauch zu machen. Wir haben Deregulierung vor- Haushaltsausschuß angebracht. Als Beispiele seien die großen Sektoren b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- Telekommunikation, Post und Bahn zu nennen. Die regierung Öffnung der Energiemärkte für mehr Wettbewerb wird folgen. „Schlanker Staat": Die nächsten Schritte - Drucksache 13/10145 — Die Normenflut einzudämmen ist ein wesentlicher Aspekt dieses umfassenden Programms. Die Bundes- Überweisungsvorschlag: regierung hat ihre Geschäftsordnung geändert und Innenausschuß Rechtsausschuß ganz neue Begründungszwänge für die Notwendig- Finanzausschuß keit eines Gesetzentwurfes geschaffen. Die Notwen- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung digkeitsprüfung beinhaltet heute für die Bundesre- Haushaltsausschuß gierung eine konsequente Gesetzesfolgenabschät- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rein- zung, die nicht nur wie bisher den Mehrbedarf an hard Schultz (Everswinkel), Joachim Poß, Haushaltsmitteln ausweisen, sondern auch die Frage Wolf-Michael Catenhusen, weiterer Abgeord- beantworten muß: Was kostet der Gesetzesvorschlag neter und der Fraktion der SPD nachgeordnete Verwaltungen, Länder, Kommunen? Was kostet er die Wi rtschaft oder den Bürger? Für eine schrittweise, sachgerechte, regional- - und sozialverträgliche Neuordnung der Bun- Einen Freiraum für Innovationen in Wi rtschaft und desfinanzverwaltung Gesellschaft zu schaffen heißt, energisch die Verwal- - Drucksache 13/9758 — tungsverpflichtungen zu reduzieren. Ich erinnere nur Überweisungsvorschlag: an unser Programm zur Verminderung von Statisti- ken. Es bringt alles nichts, wenn man nur Sprüche Finanzausschuß (federführend) Haushaltsausschuß macht. Es müssen auf dem Weg zum schlanken Staat Taten folgen. Es liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 45 Kürzungsmaßnahmen im Bereich der Statistik, vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist die Streichung von 15 Statistiken, und der Steuerzah- für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Kein ler spart 15 Millionen DM jährlich. Der Abbau von Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Bürokratie bedeutet, daß nicht alles staatlich geregelt werden muß, vieles von der Wirtschaft selbst organi- Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat zunächst siert werden kann und der Staat nur noch die Errei- Herr Bundesminister Manfred Kanther. chung des vorgegebenen Ziels kontrolliert. Das Bei- spiel Öko-Audit weist hier den richtigen Weg. Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Frau (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine lingen] [F.D.P.]) Herren! Auf dem Weg zum schlanken Staat voranzu- kommen ist ein ganz wesentliches Ziel der Innenpoli- Die konsequente Fortsetzung der Privatisierungs- tik der Bundesregierung. Ganz gezielt haben wir zu- politik - nicht durch die Abgabe von Wirtschaftsun- gepackt. Zunächst einmal haben wir mit der Kom- ternehmen in den Markt, sondern auch durch die Pri- mission „Schlanker Staat" in einem erstaunlichen vatisierung öffentlicher Aufgaben - ist ein weiterer Maße Aufgeschlossenheit für dieses Thema geweckt. Schwerpunkt dieser Politik. In diesem Zusammen- Selten ist ein Begriff so zum geflügelten Wo rt gewor- hang sind zum Beispiel die Privatisierung von Ser- den wie dieser. Das zeigt, daß es in der Bevölkerung, vicebereichen der öffentlichen Verwaltung - etwa aber auch in der Staatsverwaltung Verständnis dafür der Ministerien, mit Blick auf den Umzug nach Berlin gibt, dieses Ziel anzustreben und ihm näherzukom- - sowie die Fortschreibung des Aktionsprogramms men. Denn eine gute, eine rechtstreue, schnelle und zur weiteren Steigerung der Effizienz und Effektivität zuverlässige Verwaltung gehört mit zu den Standort der Bundesverwaltung zu nennen. Wir werden, so Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20525

Bundesminister Manfred Kanther hoffe ich, keine ressorteigenen Druckereien mehr in res Landes seit 1992 1,8 Milliarden DM eingespart Berlin unterhalten, weil die Aufgaben kostengünsti- werden. ger an Private abgegeben werden können; gleiches Die Bundesverwaltung ist von 381 000 Stellen im gilt für den ärztlichen Dienst, die Gebäudebewirt- Jahr 1991 auf 315 000 sozialverträglich reduziert wor- schaftung, die Fahrbereitschaft. den, das heißt um 17 Prozent, bei einem Einsparvolu- (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger men von rund 4,8 Milliarden DM. Politisches Ziel ist lingen] [F.D.P.] - Zuruf von der SPD: Na die weitere Rückführung der Stellenpläne auf den toll!) Stand vor der Wiedervereinigung, das heißt auf rund 300 000 Bedienstete. Moderne Bundesverwaltung be- - Ich höre schon den Zuruf: „Na toll!" deutet schließlich modernes Personalmanagement. (Fritz Rudolf Körper [SPD]: Ich habe ihn gar Ganz entscheidend für den Reformprozeß ist die Mit- nicht gemacht!) wirkung der Beschäftigten. - Das ist ja gar nicht schlimm, ich habe ihn halt ge- (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Die hat nicht hört. stattgefunden! - Gegenruf des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Ich weiß doch, daß das Kleinigkeiten sind, Herr Natürlich hat sie stattgefunden!) Kollege Körper. Das sind kleine Dinge. Unter Tausen- Alles dies wäre ohne die Mitwirkung der Beschäftig- den von Statistiken sind 45 reduzierte oder 15 einge- ten nie möglich gewesen. Aber die Politik, vor allem sparte natürlich nicht viel, aber der Steuerzahler die politische Führung in der Leitung der Ministe- spart 15 Millionen DM. Wenn man die Druckereien rien, ist immer zur Stichwortgebung und zum ersten für ein Drittel weniger Kosten betreiben kann, spart Schritt verpflichtet. der Steuerzahler dieses Drittel. Deshalb müssen wir mit Verwaltungskönnern an das Problem herange- (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Par ordre du hen. Die Sprüche führen nicht weiter. mufti!) Wir wollen, daß die Ministerien fit und schlank Mit dem Dienstrechtsreformgesetz ist ein erster nach Berlin umziehen. grundlegender Schritt in Richtung zu mehr Effizienz, Leistung, Mobilität und Führungsverhalten gemacht (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger worden. Führungsverhalten ist ein besonders wichti- lingen] [F.D.P.]) ges Stichwort für eine leistungsfähige öffentliche Wir führen neue Steuerungselemente . ein, nichtmi- Verwaltung. Da kann uns sicher noch manches zu- nisterielle Tätigkeiten werden auf vollzugsnähere wachsen. Der hiermit eingeführte Maßstab setzt nachgeordnete Behörden verlagert. Ich nenne zum neue Zeichen, die in manchen Verwaltungen sicher Beispiel Bereiche wie Personalkostenberechnungen ungewohnt sind, die auch an Besitzstände und Ge- oder die Kontrolle von Verwendungsnachweisen. Die wohnheiten rühren. Es ist immer schwer, wenn sich Anzahl der Stellen in den Bundesministerien ist seit - Menschen neu gewöhnen müssen. 1991 um 13 Prozent zurückgegangen. Das macht uns Die Veränderungen, die sich überall im Arbeitsle- so schnell keine andere Regierung in unserem Land ben und im gewerblichen Bereich abspielen, können nach. am öffentlichen Dienst nicht vorbeigehen. Dazu ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge hört auch, daß wir das Stichwort „Wi rtschaften statt ordneten der F.D.P.) Verwalten" verstärkt in die Finanzwirtschaft der öffentlichen Hände einführen. Mit dem Haushalts- An diesem Punkt wird deutlich, daß zu dem Projekt rechts-Fortentwicklungsgesetz haben wir dies ange- „Schlanker Staat" die Reform und die Straffung der packt. Budgetierung, die Einführung von Kosten- öffentlichen Verwaltung entscheidend dazugehören. und Leistungsrechnung, das Erstarken von Kosten- Eine leistungsfähige und tüchtige Verwaltung - ich bewußtsein in der öffentlichen Verwaltung sind sage es noch einmal - ist ein Lebenselexier für den einige Stichworte, die dazugehören. Wirtschaftsstandort Deutschland. All dies ist keine Aufgabe, die man mit einem Don- Mit dem Kabinettsbeschluß vom 7. Februar 1996, nerschlag unter das Volk bringen kann, sondern hier der zur Verringerung und Straffung von Bundesbe- entsteht ein Mosaik von Maßnahmen, die zwar nicht hörden geführt hat, sind wir auf diesem Wege, der überall gleich greifen, weil sie stark von den Men- für viele Verwaltungen sehr ungewohnt ist, wesent- schen abhängen. Aber dann, wenn sie von der politi- lich weiter gekommen. So wurden Behörden wie das schen Führung entschlossen in Angriff genommen Bundesausgleichsamt neu organisiert und mit dem werden, werden sie uns allen, den Bürgern - dafür Bundesverwaltungsamt verbunden. Reorganisiert sind die Verwaltungen ja da -, sowohl eine effizien- wurden das Bundesamt für die Anerkennung auslän- tere und zukunftsorientiertere wie auch eine kosten- discher Flüchtlinge, das Eisenbahn-Bundesamt, das günstigere Verwaltung bescheren. Deshalb ist dies Bundesamt für Güterverkehr. Die Aus- und Fortbil- eine Daueraufgabe für Politik. Manchem mag sie un- dungseinrichtungen werden in ihrer Arbeit in neuer spektakulär erscheinen. Ich glaube, daß sie zur Form koordiniert. Durch die Auflösung des Bundes- Wohlfahrt unseres Landes wesentlich beitragen verbands für den Selbstschutz und die Reduzierung kann. des Zivil- und Katastrophenschutzes konnten auf der Danke sehr. Basis der hinsichtlich der Bedrohung von außen glücklicherweise veränderten Sicherheitslage unse (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 20526 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat vor beispielsweise im Bereich des Personals noch jetzt der Kollege F ritz Rudolf Körper. nicht wieder den Stand von 1989, vor den einigungs- bedingten Erhöhungen, erreicht. Herr Kanther, wenn Fritz Rudolf Körper (SPD): Frau Präsidentin! Liebe ich den gesamten Bereich Bundeswehr einmal ab- Kolleginnen und Kollegen! Herr Kanther, wie spekta- ziehe, dann sieht die Bilanz noch ein bißchen kulär dieses Thema ist, sieht man insbesondere schlechter aus. Ich will hierum keinen Streit, ich wi ll daran, wie viele Kolleginnen und Kollegen im Ple- im Grunde nur die Fakten klarstellen. num des Deutschen Bundestages weilen. Der Bundesrechnungshof stellt fest: Während die (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wir haben die Gesamtstellenzahl der Ministerien im gehobenen absolute Mehrheit!) und höheren Dienst seit 1983 um rund 30 Prozent ge- stiegen ist, beträgt der Stellenzuwachs im Leitungs- Dabei sind wir im Vergleich mit der CDU/CSU-Frak- bereich nahezu 50 Prozent. tion immerhin noch überproportional vertreten. (Hans-Peter Kemper [SPD]: Das ist entlar (Hans-Peter Kemper [SPD]: Laßt uns vend!) abstimmen!) Das ist offensichtlich Verschlankung à la Manfred Meine Damen und Herren, ich habe mir mal einen Kanther. Überblick verschafft, ob es überhaupt schon einmal eine Grundsatzdebatte zu der Frage Modernisie- Es ließe sich hier weiter fortsetzen, was die Kom- rung von Verwaltung, Modernisierung von staatli- mission „Schlanker Staat" hierzu sagt: „Alle Gesetz- chem Handeln gegeben hat. Da war in den letzten gebung muß sich endlich und vor allem auch ernst- 15 Jahren leider Fehlanzeige, obwohl immerhin der haft auf ihre jewei lige Erforderlichkeit überprüfen noch amtierende Bundeskanzler 1982 erklärte: Wir lassen." Herr Kollege Scholz wird ja darauf noch ein- wollen den Staat auf seine ursprünglichen und wirk- gehen. Und es wird auch geschrieben: „Eine wirk- lichen Aufgaben zurückführen, zugleich aber dafür sam und ernsthaft bet riebene Gesetzesfolgenab- sorgen, daß er diese zuverlässig erfüllen kann. schätzung fehlt bisher in Gänze. " Es wird vor allem eine endlich ernsthafte Vollzugskostenprüfung an- (Dr. Willfried Penner [SPD]: Daraufhin ist gemahnt. So sind die Urteile in diesem Bericht. Ich die Verbeamtung im Postwesen weiterbe denke, da klafft eine Lücke zwischen Anspruch und trieben worden!) Wirklichkeit. Daran sollte sich auch die Bundesregie- rung messen lassen. - Darauf komme ich noch. - Auf eine entsprechende Anfrage wurde geantwortet: Sie ist mit den Schlagworten „Weniger Staat", „Weniger Bürokratie ", „Abbau der Gesetzesflut" an- In jedem einzelnen Bereich wird sorgfältig zu getreten. Aber ich denke, das haben Sie offensicht- prüfen sein, wo staatliches Handeln notwendig lich nicht ganz so ernst gemeint. ist, wo der Staat lenkend eingreifen und Rahmen- - bedingungen setzen soll und wo ihm Aufgaben Was haben Sie getan? Sie haben insbesondere pri- zugewiesen worden sind, die unnötig zu regulie- vatisiert. ren sind und den einzelnen nur gängeln und ein- engen. Die Entscheidung darüber kann nicht (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: pauschal getroffen werden; dazu hängt zu viel Sehr vernünftig!) vom Einzelfall ab. Sie haben eine Privatisierungspolitik sowie einen Das waren mit Sicherheit keine schlechten Absich- Personalabbau von einem vereinigungsbedingten ten. hohen Niveau betrieben. Zu dem Standard habe ich bereits etwas gesagt. Aber wie war die Reaktion? Es wurde 1983 zu- nächst einmal eine Kommission eingesetzt. Sie hatte Was wächst, ist die Flut der Papiere zum Thema die Aufgabe, Rechts- und Verwaltungsvereinfachung Verschlankungspolitik. Aber dies ist immer vor dem herbeizuführen. Sie wurde begleitet von einer inter- Hintergrund der großen finanziellen Schwierigkeiten ministeriellen Arbeitsgruppe zum Thema Gesetzes- der öffentlichen Haushalte zu sehen. Das heißt, hier und Ausführungskosten. Das ist vor 15 Jahren ange- geht es um eine Sparpolitik, um einen rein fiskali- kündigt und in Angriff genommen worden. schen Ansatz. Den halten wir gerade im Rahmen der Debatte um eine Modernisierungsstrategie für zu Wie waren die Ergebnisse, meine Damen und Her- einseitig. ren? Ich zitiere den Sachverständigenrat „Schlanker (Beifall bei der SPD) Staat", Seite 48: „Die Aufgaben der staatlichen Stel- len haben inzwischen ein Übermaß angenommen." Unserer Auffassung nach müßten zuerst die Aufga- Oder: „Die Flut der Gesetzgebung steigt." Das wird bendefinition und die Aufgabenkritik kommen, nach dort so festgehalten. dem Motto: Was soll zukünftig eigentlich noch öffent- liche Aufgabe sein? Was soll der öffentliche Dienst Wir haben seit 1983 immerhin sage und schreibe zukünftig noch leisten dürfen, sollen und können? 1 518 Gesetzesvorlagen, und davon waren 1064 Re- Das muß an den Anfang gestellt werden. Denn bei gierungsvorlagen. Es wird weiter festgehalten: „Der Ihrer Vorgehensweise besteht die Gefahr, daß zu- öffentliche Dienst wurde zunehmend ausgedehnt." - nächst erst dort gespart wird, wo es bequem ist, wo Eigentlich ein bißchen was anderes als das, was Herr es schnell geht und wo es relativ wenig Widerstand Kanther hier dargelegt hat. Und wir haben nach wie gibt. Oder es werden lukrative Aufgaben abgebaut, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20527

Fritz Rudolf Körper weil die private Wirtschaft daran interessiert ist. Bei- Das haben auch Sie schon leidvoll erfahren müssen. spiele kennen wir. Es wird zum Beispiel beim Perso- Es ist das Ziel, mit einer solchen Leitstelle reformeri- nal pauschal gespart, ohne daß eine ausreichende sche Fachkompetenz und politische Durchsetzungs- Aufgabenkritik vorausgegangen ist. Es fehlen nach kompetenz zu bündeln. Fehlt es daran, leidet entwe- unserem Dafürhalten die politischen Schwerpunkte der die Durchsetzungsmöglichkeit oder die inhaltli- für einen zukunftsorientierten Modernisierungspro- che Qualität der Vorschläge. zeß. Den Bundesministerien kommt im Politikprozeß (Beifall bei der SPD) eine aktive Rolle zu. Ihnen obliegt die Lösung von Die Forderung nach einem schlanken Staat ist ein Zukunftsproblemen. Wir schlagen deshalb vor, die Stück Wiederkehr des alten liberalen Kredos, demzu- Beratungs- und Gestaltungsfunktion der Ministerien folge weniger Staat gleichzeitig mehr Freiheit und deutlicher von den ausführenden Verwaltungsaufga- damit mehr Vorteile für den einzelnen bedeutet. Was ben zu trennen und letztere den Oberbehörden zu diese Forderung in Konsequenz beispielsweise für übertragen. Ich denke, das wäre ein sinnvolles Kon- den Bereich der inneren Sicherheit bedeuten würde, zept. Der bevorstehende Umzug der Bundesregie- wäre ein interessantes und abendfüllendes Thema. rung nach Berlin böte für diese Organisationsmaß- nahmen eine einmalige Chance. Sie sollte am (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Was ist Schopfe gefaßt werden. mit der Ausbildungsplatzabgabe und der Bürokratie?) (Beifall bei der SPD - Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Und du willst Präsident dieser Der handelnde, der handlungsfähige, der ausglei- Oberbehörde werden!) chende Staat scheint bei Ihnen am Pranger zu ste- hen, scheint nicht hoch im Kurs zu stehen. Dieser Es ist schon erstaunlich, wie wenig die Bürgerin- Staatsbegriff reicht aber als Leitbild für die Moderni- nen und Bürger dem Staat und der Politik heute noch sierung unseres Staates nicht aus, weil er die wirkli- zutrauen. Das hat sicher verschiedene Ursachen. Wer chen Aufgaben unseres Staates in einer zunehmend sich aber für unzuständig erklärt, darf sich nicht komplizierter werdenden Welt nicht beschreibt. Des- wundern, wenn er letztendlich für inkompetent ge- halb wird es der Bundesregierung auch nicht gelin- halten wird. gen, auf der Grundlage dieses Staatsbegriffes staatli- (Dr. Willfried Penner [SPD]: Er ist es!) che Aufgaben treffsicher zu bestimmen sowie Staat und Verwaltung so zu modernisieren, daß die vielfäl- Frau Margaret Thatcher, die Ihnen bekannt ist, hat tigen und schwierigen gesellschaftlichen Probleme einmal so schön gesagt: So etwas wie Gesellschaft wirksam gelöst werden können. gibt es nicht. - Für sie war jeder für sich selbst ver- antwortlich. Ich glaube, daß sie, wie alle konservati- (Beifall bei der SPD) ven Regierungen der letzten Zeit - die Bundesregie- Meine Damen und Herren, ich glaube, daß es nicht rung muß man da mit einschließen -, mit dieser Phi- so sehr an Ideen und Konzepten, sondern daß es losophie gründlich gescheitert ist. ganz wesentlich an Umsetzungsstrategien mangelt. Bundeskanzler Kohl kündigte - damit komme ich Hier scheint das eigentliche Defizit zu liegen. Die Bundesregierung nimmt nach meinem Dafürhalten zum Schluß; ich habe damit begonnen und ende da- mit - 1982 unserem Land die geistig-moralische nicht zur Kenntnis, daß es bei der Umsetzung von Re- Wende an. Heute ist gewiß, daß die Wende vollzogen formen nicht zuletzt auch um Machtfragen geht. An- ist: Werte, die klugen Konservativen etwas gelten, ders ausgedrückt: Keiner soll, keiner darf glauben, sind mehr als ramponiert. Der Gemeinsinn droht auf Reformen ließen sich ohne handfeste Auseinander- der Strecke zu bleiben. Was wir, auch in der Frage setzungen erreichen. Ebenso sollte man nicht dem Trugschluß unterliegen, Modernisierung ließe sich von Verwaltungsmodernisierung, dringend brau- gegen die Betroffenen von oben anordnen. Einem zu- chen, ist ein neuer gesellschaftlicher Grundkonsens. kunftsorientierten Modernisierungsprozeß liegt zu- (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Eine grunde, daß man ihn mit den Be troffenen und nicht neue Behörde! Eine Oberbehörde! - gegen sie gestaltet. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: (Beifall bei der SPD und der PDS) Eine Oberlehrerbehörde!) Wir haben in unseren früheren Vorlagen und in un- Dazu sollten wir alle in den Diskussionen, wo auch serem Entschließungsantrag, den Vorschlag einer immer wir sie führen, beitragen. Leitstelle unterbreitet - ein Vorschlag, gegen den Schönen Dank. man auch Kritik einwenden kann. (Beifall bei der SPD) (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Wieder erst einmal neue Bürokratie!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Wir haben nämlich festgestellt, lieber Wolfgang Zeitl- jetzt der Abgeordnete Professor Dr. Rupe rt Scholz. mann, daß relativ schnell, bestimmte Ideen und Kon- zepte zum Spielball unterschiedlicher Interessen Scholz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! werden. Dr. Rupert Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Vielleicht man so will, kann man natürlich sagen: Wir diskutie- einen Minister für den schlanken Staat!) ren heute hier über den schlanken Staat, und das 20528 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Dr. Rupert Scholz Parlament leistet einen ersten, insofern fragwürdigen Sie wollen nämlich in Wahrheit gar keine Verschlan- Beitrag, indem es zu schlank besetzt ist. Da bin ich kung des Staates. mit Herrn Körper einig. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: So Das Thema, das wir heute auf der Grundlage des ist es! - Fritz Rudolf Körper [SPD]: Wir wol Maßnahmenkataloges der Bundesregierung bespre- len einen effizienten Staat!) chen, ist wichtig. Es ist ein zentrales Thema. Ich Sie wollen am omnipotenten Staat und am Transfer- möchte sehr deutlich vor allem dem Bundesinnenmi- staat festhalten. Sie wollen ferner an dem festhalten, nister für dieses Papier danken, das sich im Grunde was nicht auf eine Reduzierung des öffentlichen systematisch an die Maßnahmen anfügt, die diese Dienstes hinausläuft. Bundesregierung und diese Koalition bereits, von der Dienstrechtsreform bis hin zu den Beschleunigungs- (Dr. Wolfgang Weng • [Gerlingen] [F.D.P.]: gesetzen - Herr Kanther hat darauf im einzelnen hin- Den totalen Versorgungsstaat!) gewiesen -, ergriffen haben, und im Ergebnis sehr klar belegt: Diese Koalition nimmt die Verschlan- Der Bundesinnenminister hat auf die herausragen- kung des Staates ernst, den Entwicklungszahlen im öffentlichen Dienst im Bereich des Bundes hingewiesen. Er hat darauf hin- (Beifall bei der F.D.P.) gewiesen, daß es eine Rückführung um 17 Prozent gegeben hat. im Unterschied, Herr Penner, zu vielen der von Ihnen geführten Landesregierungen. Ich verweise nur auf das, was in den von Ihnen re- gierten Ländern geschieht. 1998 wollte Herr Schrö- (Dr. Willfried Penner [SPD]: Baden-Würt der laut seiner ausdrücklichen Ankündigung 8000 temberg ist so schlank wie nur irgendwas!) von 172 000 Stellen im öffentlichen Dienst mit einem - Darauf komme ich noch zu sprechen. Einsparvolumen von 900 Millionen DM abbauen. Was ist passiert? Es hat kein Minus, sondern ein Plus Was heißt Verschlankung des Staates? Natürlich von 9700 Stellen gegeben, das inzwischen zu einem heißt Verschlankung des Staates zunächst - Herr Personalkostenanteil von 42,6 Prozent am Haushalt Körper, da bin ich mit Ihnen sogar einig - Überprü- des Landes Niedersachsen geführt hat. fung der Staatsaufgaben, substantielle Aufgabenkri- tik. Die substantie lle Aufgabenkritik muß allerdings (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: ernst genommen werden. Sie muß natürlich auch in Grauenvoll!) eine Gesetzesfolgenabschätzung einmünden. Diese Das ist der höchste Personalkostenanteil in allen Gesetzesfolgenabschätzung ist von der Bundesregie- Bundesländern. Der Bund hat es geschafft, auf rung umgesetzt worden, und sie beginnt zunehmend 10,7 Prozent zu kommen. Der Durchschnitt der Län- zu greifen. Man muß natürlich sehen, daß das im Ein- der liegt bei 39 Prozent. Das von Herrn Schröder re- zelfall schwierig ist, aber ohne eine Gesetzesfolgen- gierte Land liegt aber definitiv vorn. abschätzung wird man eine wirksame Aufgaben- - reduzierung angesichts der Dynamik unserer Gesetz- Wenn wir das Saarland betrachten - das gehört gebung nicht erreichen. dazu, damit die Gleichheit zwischen Schröder und Lafontaine gewahrt bleibt -, dann kann man erken- Verschlankung des Staates bedeutet, Subsidiarität nen, daß dort die Personalausgaben des öffentlichen ernster zu nehmen. Verschlankung des Staates be- Dienstes pro Einwohner bei 2258 DM liegen. Der deutet mehr Freiheit, aber auch mehr Eigenverant- Bundesdurchschnitt liegt bei 2071 DM. Hier liegt wortung des einzelnen. Da hinkt es in unserem Land Schröder vorn; dort liegt Lafontaine vorn. Die Gleich- in einer schwierigen Situation natürlich oft bei heit ist also gewahrt. Mit der Verschlankung des schwierigen Bewußtseinslagen. Insofern bedeutet Staates hat dies allerdings nichts zu tun. Verschlankung des Staates ganz entscheidend auch Bewußtseinsbildung in der Gesellschaft. (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Bayern liegt auch bei 40 Prozent! Die haben die Lehrer! Verschlankung des Staates bedeutet Rückführung Die haben Sie im Bund nicht!) der Staatsquote. Dieser Bundesregierung ist es ge- lungen, die Staatsquote wieder auf 48,6 Prozent zu- - War das eine Zwischenfrage, Herr Bürsch, oder war rückzuführen, obwohl Sie sich bei der Steuerreform das ein Zuruf? Sie können mir gerne eine Frage stel- verweigert haben. Das ist ein ganz entscheidender len, dann antworte ich darauf. Aber ein Zwischenruf Fortschritt. Zu diesem Ergebnis kommt man, wenn in einem so dünn besetzten Haus kommt viel zu laut man daran denkt, daß wir im Zuge der Lasten des an. Ich würde an Ihrer Stelle so nicht vorgehen. Es Aufbaus Ost, also bedingt durch die Wiedervereini- stört. gung, zunächst auf über 50 Prozent gehen mußten. Aufgabenkritik und Reduzierung der Staatsaufga- Wenn ich mir das Papier der SPD ansehe - ich ben bedeutet weiterhin, daß man es mit der Privati- räume gerne ein, daß es vieles aus den Arbeiten des sierung in der Tat ernst meint. Privatisierung ist nö- Sachverständigenrates nicht nur verstanden, sondern tig. Wir haben eine Fülle von Aufgaben, die eben auch sorgfältig und vernünftig aufgenommen hat; nicht mehr in öffentlicher Hand zu halten sind, weil das freut mich alles sehr, Herr Körper -, dann muß dieser Staat - Bund, Länder und Gemeinden - finan- ich feststellen, daß darin ein Satz verräterisch ist. Sie ziell an die Grenze seiner Kapazitäten gelangt ist. lehnen nämlich den Ausdruck „schlanker Staat" ab. Wenn der Staat wirtschaftliche Aufgaben und Dienstleistungsfunktionen übernimmt oder weiter- (Fritz Rudolf Körper [SPD]: Ja!) führt, muß er sich dem Wirtschaftlichkeits- und dem Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20529

Dr. Rupert Scholz Wettbewerbstest stellen. Es geht dann natürlich Meine Damen und Herren, wir haben - das hat die nicht, daß man wieder eine Verstaatlichungspolitik Bundesregierung in ihrem Maßnahmenkatalog deut- einführt, wie es wiederum Herr Schröder mit der lich gemacht - ein neues Paket, wir haben neue Eck- Preussag gemacht hat. Das hat mit der Verschlan- werte, die Grundlegendes in der Verwaltungsreform kung des Staates nichts zu tun; das ist genau das Ge- leisten und bewegen werden, wenn sie ernstgenom- genteil. Sie meinen es nicht ernst. Im Gegenteil: Sie men und aufgenommen werden. Der Schritt zu Audi- gehen auf den alten, ausgetretenen Pfaden weiter. tierungsverfahren, der Schritt zu Projektmanage- ments - alles das kann uns unendlich weiterhelfen (Zuruf von der SPD: Aber mit Erfolg!) und kann in entscheidender Weise zur Schaffung Das ist schlimm. von Arbeitsplätzen beitragen. Der Bundesinnenmi- nister hat darauf hingewiesen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Meine Damen und Herren, wir müssen unsere Ver- Wir brauchen eine Verwaltungsreform. Verschlan- waltungen modernisieren, natürlich. Darüber sind kung des Staates heißt Verwaltungsreform. Es ist not- wir uns einig. Modernisierung der Verwaltung heißt wendig, daß wir die Strukturen der Verwaltung und aber ebenso - auch das muß man begreifen - Stär- auch das Bewußtsein des öffentlichen Dienstes auf kung der Eigenverantwortung in vielen Bereichen vielfältige Weise ändern. Der Sachverständigenrat der Verwaltung. Eine vom Gesetzgeber fast strangu- „Schlanker Staat" hat formuliert - ich denke, das ist lierend bürokratisierte Verwaltung ist keine Verwal- die richtige Formel -: von der traditionellen Ämter- tung, die motiviert, leistungsbewußt, effektiv und verwaltung zur modernen Dienstleistungsverwal- wirtschaftlich arbeiten kann. tung. Das ist nicht von heute auf morgen zu leisten. Das muß von den Menschen und von den Mitarbei- Diesen Satz möchte ich ausdrücklich auch an uns, tern im öffentlichen Dienst mitgetragen werden. In- an den Gesetzgeber, adressieren. Ich weiß dabei sehr sofern wird jede Verwaltungsreform, jede substan- wohl, daß wir als Gesetzgeber vor allem durch Ver- tielle Verschlankung des Staates und jeder Abbau fassungsgerichtsjudikatur mitunter im Übermaß zur von Bürokratie - das unterstreiche ich - nur mit den gesetzgeberischen Regelung verpflichtet werden. Mitarbeitern und nicht gegen sie zu leisten sein. Das Aber wir haben solche Entwicklungen auch im Be- ist richtig. reich unserer Verwaltungsgerichtsbarkeit zu ver- (Dr. Willfried Penner [SPD]: Und schon gar zeichnen. Es gibt immer mehr Verwaltungen, die Ge- nicht ohne sie!) setze nicht nur im Sinne der Umsetzung von Rechts- fragen vollziehen, sondern die bei der breiten Masse Wir haben nach den Berechnungen des Instituts ihrer Aufgaben im Grunde - so kann man es formu- für Mittelstandsforschung Bürokratiekosten für die lieren - metajuristische, außerjuristische Funktionen Wirtschaft von 58 Milliarden DM im Jahr, von denen wahrzunehmen haben: von der Technik über die der Mittelstand allein 56 Milliarden zu tragen hat. Wirtschaft bis hin zu pädagogischen Entscheidun- Dies ist ein Faktor, der den Wi rtschaftsstandort gen, beispielsweise bei Lehrern. Alles das sind doch Deutschland schon kostenmäßig im Übermaß bela- nur sekundär Rechtsfragen. stet. Über die Rechtsprechung unserer Verwaltungsge- Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist auch im richte sind Beurteilungsspielräume mit einge- übrigen durch Überregulierung vielfältig belastet, schränkter Justitiabilität auf den Stand von Null ge- wie wir sehr wohl wissen. Diese Koalition hat schon bracht worden. Das, was man Ermessen nennt, was vieles über Beschleunigungsmaßnahmen in Pla- im Grunde gerade jene außerjuristischen Entschei- nungs- und Genehmigungsverfahren ins Werk ge- dungsbereiche und Parameter für die Entschei- setzt. Aber schauen Sie einmal in die Verwaltungs- dungsfindung umschreibt, ist immer weiter zusam- verfahrensgesetze auf Landesebene. Dann stellen mengeschrumpft im Lichte auch überzogener - ich Sie fest: In viele ist das gar nicht aufgenommen wor- formuliere das ganz bewußt so - Justitialisierungen. den. Das große Land Nordrhein-Westfalen zum Bei- Auch hier ist dringend Umkehr, ist eine Korrektur an- spiel hat überhaupt noch nicht daran gedacht. Große gesagt. Sprüche hören wir dort. Aber es passiert nichts. Auch hierzu hat die Bundesregierung in ihrem Maß- Ich darf auch in diesem Sinne darauf hinweisen: nahmenkatalog unter den Stichworten „Fachgesetze" Wir leben in einem Bundesstaat: Das Schwergewicht und „Verwaltungsgerichtsordnung" die entscheiden- der Gesetzgebung liegt beim Bund, der Vollzug, die den Daten genannt. Wir werden sie gemeinsam disku- Verwaltung bei den Ländern. In diesem Sinne ist De- tieren. Es sind schwierige, es sind sensible Fragen. regulierung, ist Entbürokratisierung, ist mehr Effek- Aber diese Fragen müssen beantwortet werden, wenn tuierung bis hin zur Stärkung des Wirtschaftsstand- wir es mit einer modernisierten Verwaltung ernst mei- orts Deutschland natürlich eine echte Gemein- nen, die hier und dort von bestimmten - ich will es ein- schaftsaufgabe - hier paßt der Beg riff einmal - von mal so formulieren - vom Gesetzgeber überregulie- Bund und Ländern. Wenn sich die Länder im Bereich rend angelegten Fesseln befreit werden muß. der Verwaltung dem aber verweigern und wenn sie, wie beispielsweise in Niedersachsen - wie hier ge- Es geht darüber hinaus natürlich um die weitere nannt -, sogar den gegenteiligen Kurs steuern, dann Reform des öffentlichen Dienstes. Wir haben die muß einem angst und bange werden um das, was so Dienstrechtsreform verabschiedet. Wir haben damit notwendig ist wie niemals zuvor in der Geschichte erste maßgebende Schritte vollzogen. Aber auch dies unseres Landes. ist wie alles, was mit Modernisierung und Verschlan- 20530 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Dr. Rupert Scholz kung zusammenhängt, nur ein erster Schritt. Weitere rium und in keiner nachgeordneten Behörde, findet Schritte müssen folgen. Die Verschlankung des Staa- der Personalabbau in Höhe von 2,4 Prozent pro Jahr, tes ist ein grundlegender Prozeß, der natürlich Zeit worauf Sie in Ihren Kabinettsvorlagen stolz hinwei- braucht. Es sind Mosaiksteine - wie der Bundesin- sen, nach irgendeinem Personalentwicklungskon- nenminister mit Recht ausgeführt hat -, die sich wei- zept statt. Es gibt keine personalpolitischen Vorga- ter zu einem Gesamtmosaik eines wiederum auch in- ben, die diesen Namen wirklich rechtfertigen. Es ist, ternational wettbewerbsfähigen Gemeinwesens fü- wie gesagt, Personalabbau um jeden Preis. Es entste- gen müssen. - Meine Damen und Herren, weitere hen Löcher, die nicht gestopft werden. Das ist das wichtige Daten können Sie dem Maßnahmenkatalog Entscheidende, wogegen wir uns wenden. Schlanker der Bundesregierung im einzelnen entnehmen. Staat heißt für Sie Personalabbau, und darauf allein kann man nicht stolz sein. Ein großes Problem der Überregulierung liegt in dem Übermaß an Standards, die wir inzwischen ha- Punkt zwei, Mitwirkung der Beschäftigten: Darüber ben. Sie waren einmal als eine qua Typisierung ef- hat Herr Kanther vorhin auch mit Stolz gesprochen. fektuierende Maßnahme gedacht. Inzwischen sind Aber sie findet nicht statt. In einem Ministerium, im diese Standards aber auch zu Hemmnissen allerer- Verkehrsministerium, ist das einmal halbwegs ge- sten Ranges geworden. Sie haben zu Verkrustungen schehen. Betrachten Sie dagegen die Aufgabenkritik und auch zu Kartellierungen in der Form geführt, in den Ländern: Im Land Schleswig-Holstein haben in daß diejenigen, die die Standards zum Teil formulie- allen Ministerien alle Beschäftigten von A bis Z an der ren, im Grunde protektionistische Interessen verfol- Aufgabenkritik teilgenommen; vom Boten über die gen. Hier formuliere ich ganz ausdrücklich auch ein Sekretärin bis zum Staatssekretär haben sich alle kritisches Wort an bestimmte Teile der Wirtschaft. daran beteiligt. Diese Aufgabenkritik hat ihren Na- Das muß man aufbrechen. Das, was hier vorgeschla- men verdient. Aber das ist bei Ihnen nicht geschehen, gen ist, bricht auf und schafft über Öffnungsklauseln und es wird bei Ihnen nicht geschehen. die Wege, hier wieder mehr Eigeninitiative und mehr Eigenverantwortung möglich zu machen. Punkt drei, Vorschriftenabbau: Herr Scholz, Sie wissen selbst, was mit Ihren schönen blauen Prüffra- Meine Damen und Herren, Verschlankung des gen passiert. Sie stehen in Ihrem Be richt und liegen Staates umschreibt ein ganz breites Programm. Es überall in den Ministerien aus. Zunächst wird ge- beginnt bei finanziellen Fragen. Vielleicht sind mit- fragt, ob überhaupt etwas geschehen soll. Das beant- unter leere Staatskassen sogar eine Chance. Volle wortet ein Referent mit „Ja, wir brauchen ein Ge- Staatskassen sind in aller Regel verführerisch; das ist setz" . Aber diese blauen Prüffragen werden entwe- eine Feststellung, die wohl jeder in diesem Haus un- der ignoriert oder lächerlich gemacht. Sie werden je- terschreiben kann. Die Zeit der leeren Kassen muß denfalls nicht von einer Instanz, die es kann, kritisch auch zur Besinnung genutzt werden, auf das eine bewertet. Sie haben in Diskussionen selbst gesagt, oder andere einmal zu verzichten, das eine oder an- wir bräuchten eine Instanz im Kanzleramt, damit die- dere einmal zurückzuführen und unser Gemeinwe- - ses Instrument überhaupt greift. sen in seiner Gesamtheit wieder stärker der Freiheit und Eigenverantwortung, stärker dem Subsidiaritäts- (Dr. Willfried Penner [SPD]: Eine Prüfbe prinzip, stärker der Modernität und stärker dem zu hörde!) verpflichten, was die Bundesrepublik Deutschland Diese Instanz gibt es nicht im Kanzleramt. Das heißt, dringend braucht. die blauen Prüffragen werden von denen, die diese Vielen Dank. Gesetze machen, selbst mit Ja beantwortet, weil da- mit ihre Existenzberechtigung erbracht wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Punkt vier: Es wird immer so schön von 800 Moder- nisierungsprojekten gesprochen; darüber gibt es Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zu einer Kurzin- auch viele Papiere. Das geht wirk lich nach dem Prin- tervention erhält der Kollege Bürsch das Wo rt. zip „Masse statt Klasse". Sehen Sie sich nur einmal an, welche Projekte da aufgeführt sind: Einstellung Dr. Michael Bürsch (SPD): Herr Scholz, damit ich der Produktion von Gelbfieberimpfstoff durch das das nicht so laut dazwischenrufe, führe ich jetzt in al- Robert-Koch-Institut. Das ist ja ein hervorragendes ler Ruhe ein paar Punkte aus, um Ihnen noch einmal Verwaltungsreformprojekt! Genannt ist auch die deutlich zu machen, was wir unter einem schlanken weitgehende Streichung von Nachkuren und Schon- Staat verstehen, weshalb wir diesen Begriff ablehnen zeiten für alle Beamten des öffentlichen Dienstes. und was bei Ihnen sonst alles dem widersp richt, was Herr Kanther zu Recht gesagt hat, daß nämlich nicht Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege Sprüche, sondern nur Taten weiterhelfen. Bürsch, die Redezeit bei einer Kurzintervention be- trägt drei Minuten. Sie müssen zum Schluß kommen. Punkt eins, schlanker Staat: Sie haben unsere Vor- lage gelesen. Ziel der Modernisierung ist nicht der schlanke Staat, der weniger Aufgaben und Personal- Dr. Michael Bürsch (SPD): Diese Projekte - gehen abbau um jeden Preis anstrebt, sondern der effiziente Sie einmal die Liste der 800 durch - sind von sehr un- Staat, der seine Aufgaben wirtschaftlich, gerecht und terschiedlicher Qualität. Sie belegen nicht das, was bürgernah erfüllt. Sie dagegen - das kann man Ihren Herr Körper für unsere Fraktion zu Recht beantragt Vorlagen auch entnehmen - betreiben Personalab- hat, nämlich daß es systematische Aufgabenkritik bau um jeden Preis. Nirgendwo, in keinem Ministe- gibt. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20531

Dr. Michael Bürsch Ich sage Ihnen - Punkt 5 -, woran es entscheidend auf morgen vollständig funktionieren wird, weiß ich fehlt. auch. Die Normprüfungsstelle, die der Sachverständi- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Nein, Herr Kol- genrat Schlanker Staat, angesiedelt beim Kanzler- lege Bürsch. Es ist wirklich nicht möglich, daß Sie amt, vorgeschlagen hat, ist in der Tat vorerst nicht hier einen ganzen Debattenbeitrag halten. Die Zeit realisiert. Ich sage: vorerst. Die Bundesregierung hat für eine Kurzintervention beträgt drei Minuten. Die gesagt - das akzeptiere ich -: Änderung der Ge- sind vorbei. Ich muß Sie bitten, jetzt aufzuhören. schäftsordnung. Zunächst einmal sollen die einzel- nen Häuser selber zeigen, ob sie in der Lage und - ich füge hinzu - bereit sind, dies zu leisten. Dr. Michael Bürsch (SPD): Frau Präsidentin, ich bin in der Sache engagiert. Deshalb sage ich: Es ist keine Schauen Sie in die Gesetzesvorlagen, die in der Chefsache. Der Kanzler schert sich kein Stück um letzten Zeit auf den Tisch des Hauses gekommen diese Verwaltungsreform. Deshalb kann sie auch sind. Es beginnt in einer sehr erfreulichen Weise. nicht gelingen. Aber was mich wundert, ist, daß die Opposition in solche Dinge nicht einsteigt. Manchmal denke ich, (Dr. Willfried Penner [SPD]: Er will den die Opposition könnte eigentlich in solche Prüffragen Prüfminister im Kanzleramt!) und Prüfabwägungen einsteigen. Das tut sie nicht, Danke schön. weil sie zu sehr damit beschäftigt ist, nun wiederum überregulierende Gesetzesvorschläge von Ausbil- dungsabgaben bis zu dieser fabelhaften Bürokratie- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte, Herr maschine Gleichstellungsgesetz zu machen. Es las- Scholz. sen sich beliebig viele Beispiele anführen. Kommen Sie an den Tisch vernünftiger Prüfungen. Dr. Rupert Scholz (CDU/CSU): Herr Bürsch, ich Machen Sie das mit! Das ist eine Chance nicht nur möchte kurz etwas auf das erwidern, was Sie gerade für die Opposition, nicht nur für das Haus insgesamt, gesagt haben. Noch einmal: Sie sprechen von Effizi- sondern für das ganze Land. enz. Effizienz ist richtig, davon sprechen wir auch. Aber wir wissen, daß Effizienz nicht ohne Verschlan- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge kung denkbar ist. Das andere, was Sie sagen, näm- ordneten der F.D.P.) lich daß wir Verschlankung nur im Sinne von Abbau von Personal verstehen, ist abenteuerlich. Das weise ich mit Nachdruck zurück. Das ist das Rasenmäher- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat prinzip, das man von einigen Ihrer Ministerpräsiden- jetzt der Abgeordnete Oswald Metzger. ten hört, etwa von Frau Simonis, die bei dem Thema - (Dr. Willfried Penner [SPD]: Jetzt kommt „Verschlankung des Staates" nur von Reduzierung Baden-Württemberg; Personalanteil 40 Pro des öffentlichen Dienstes spricht. zent!) Die Reduzierung des öffentlichen Dienstes ist not- wendig. Aber das setzt voraus - das können Sie sehr Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): deutlich bei uns nachlesen -, daß die Verwaltungs- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Weil strukturen und die Aufgaben stimmiger werden, die wir eine kleine Runde sind, kann das Thema in dem Verwaltungsstrukturen effizienter werden. Kein öf- Kreis offensichtlich durchaus differenziert behandelt fentlicher Dienst kann besser und effizienter sein als werden. die Verwaltungsstrukturen, in und mit denen er zu arbeiten hat. Das ist unser Grundprinzip und nicht Ich möchte mit einem Paukenschlag beginnen. das, was Sie erzählen. Wenn das Wort „schlanker Staat" nicht nur Rhetorik sein soll, muß man sich den Berlin-Umzug und das Im übrigen hätte ich von Ihnen erwartet, daß Sie ansehen, was wir daraus gemacht haben, seit der etwas zu Herrn Schröder sagen, etwas zu den Zah- Sachverständigenrat eingesetzt worden ist. len, die ich genannt habe. Sagen Sie einmal etwas Kritisches. Haben Sie den Mut, zu kritisieren. Aber Herr Scholz, ich habe nachgelesen, was auf das tun Sie nicht. Seite 51 Ihres Abschlußberichtes zum Berlin-Umzug zu strukturellen Änderungen der Ministerialbürokra- (Zuruf des Abg. Dr. Michael Bürsch [SPD]) tie steht, nämlich daß beispielsweise nur etwa 40 Pro- - Jetzt sind Sie wieder beim Zwischenruf. zent der Aufgaben in den Ministerien genuin poli- tisch sind und der Rest im Prinzip nachgeordnete Be- Ich komme noch kurz auf die Gesetzesfolgenab- reiche darstellt. Trotz dieser Erkenntnis sind wir - schätzung zu sprechen. Ich habe eben sehr deutlich alle zusammen, von links bis rechts in diesem Haus, gesagt - wenn Sie wollen: eingeräumt -, daß es auch der Innenminister - nicht in der Lage, zu sagen: schwierig ist - das ist mir völlig klar -, wenn sich Mi- Diese Kombinationslösung, die der Bundestag in be- nisterialbürokratien mit solchen zusätzlichen Prüf- zug auf den Umzug beschlossen hat, nämlich sechs aufgaben und Fragestellungen, die man regelungs- Ministerien hier mit Bonner Dienstsitzen zu belassen, mäßig ins Auge faßt, selber in Frage stellen müssen. den Rest nach Berlin zu verlagern, ist das Gegenteil Dies setzt ein Stück Bewußtseinsbildung voraus. Das von schlanker, unbürokratischer Organisation der ist völlig richtig. Daß das in der Praxis nicht von heute Bundesverwaltung. Daß sich in diesem Bereich fast 20532 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Oswald Metzger nichts getan hat, zeigen alle Berichte des Rechnungs- deren Ministerien zu sagen: Aufgabenkritik heißt hofes der letzten 12 oder 14 Monate. auch, daß ihr Hierarchien verschlankt, Stellen redu- ziert, Projektmanagement einführt, die durch Kleinst- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, referate fragmentierte Arbeitsweise in den Ministe- bei der SPD und der PDS) rien auflöst und dadurch einen entsprechenden Der letzte Be richt des Rechnungshofs, der sich zur Druck ausübt. Vielmehr setzt sich jeder Ressortchef Organisationsstruktur der Ministerien geäußert hat, gem mit den Leitern seiner Abteilungen hin und stammt von Dezember 1996. Er besagt - ich zitiere schützt sein Resso rt vor Angriffen im Hinblick auf frei aus der Erinnerung -, daß der Rechnungshof bei Personaleinschnitte oder strukturelle Reorganisa- seinen Prüfungen in den Ministerien keinen leiten- tionsmaßnahmen. den Mitarbeiter und keine leitende Mitarbeiterin ge- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: funden hat, der oder die dem Kombinationsmodell Nur Druck hilft!) eine dauerhafte Existenz bescheinigt hätte; vielmehr gehen alle vom Rutschbahneffekt aus, der durch das Es ist ein Kernfehler des Systems, daß in keinem Kombinationsmodell sehr teuer wird und die Verwal- Ressort der Bundesregierung die entsprechende Zu- tungs- und Betriebskosten des Unternehmens Bun- ständigkeit für die Verwaltungsreform gebündelt ist. desrepublik Deutschland ab Herbst 1999 erhöhen Ich meine, das BMF wäre dazu eigentlich prädesti- wird. Das ist eine traurige Tatsache. niert, weil es die Haushaltsführung des Bundes ins- gesamt, die tatsächliche Finanzierung, steuern sollte. In unserem Entschließungsantrag, den wir heute Von dieser zu schaffenden Stelle aus müßte auch in vorlegen, haben wir wenigstens in der Analyse dar- Teilbereiche, in die Organisationshoheit von fremden auf hingewiesen, daß in diesem Haus ein absolutes Ressorts, im Hinblick darauf eingegriffen werden Defizit in dieser Frage herrscht, weil bestimmte Leute können, daß nachhaltige Einsparerfolge erzielbar aus politischen Gründen an diesem Kombinations- sind. modell nicht mehr herumdoktern wollen, da sie mei- nen, sie würden damit eine alte Bonn-Berlin-Diskus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sion wiederholen. Dazu bräuchten wir allerdings zum Beispiel auch

Allein das, was wir an Investitionskosten in Berlin flächendeckend die Kosten - und Leistungsrechnung. eingespart hätten, wenn die Aufgabenkritik in den Ressorts und die entsprechenden Gebäudezuschnitte (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist richtig!) in bezug auf neue Ressortstrukturen bemessen wor- Diese ist bisher im Haushaltsgesetz nur fakultativ den wären, hätte sich im Bereich von satten 1,5 bis enthalten, nämlich als Soll-Bestimmung und nicht als 2 Milliarden DM bewegen können. Die laufenden Muß-Bestimmung. Ohne daß ich meine Kosten Mehrkosten für die Zeit bis zum Abschluß des kenne, ohne daß ich als Haushaltsgesetzgeber auch Rutschbahneffektes, also des endgültigen Umzugs - politische Ziele dahin gehend definiere, was ich ei- aller Ressorts von Bonn nach Berlin, werden noch gentlich von meiner Verwaltung will, kann ich weder viele hunderte Millionen DM jährlich an Friktionen, eine Personalmengensteuerung zustande bringen, Kommunikations- und Reisekosten betragen. Auch noch kann ich irgendwelche Budgets organisieren, das ist traurige Realität. Ich glaube, die Menschen in noch kann ich Verantwortung und Kompetenz an be- diesem Land spüren, daß im Bereich des Berlin-Um- stimmten ausführenden Stellen paaren; damit wird zugs vieles nicht gemacht wurde, was in rheto rischen eine öffentliche Verwaltung nie und nimmer effektiv. Floskeln zum Thema „schlanker Staat" von vielen so gern gesagt wird. Vor dem Hintergrund meiner früheren Tätigkeit als Kommunalpolitiker habe ich in den dreieinhalb (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jahren, die ich jetzt hier in Bonn bin, eines gemerkt: sowie bei Abgeordneten der PDS - Zuruf Wir reden zwar in Bonn inzwischen wesentlich mehr von der SPD: Da hat er recht!) über Verwaltungsmodernisierung und Verschlan- Das ist der eine Bereich. kung von Strukturen. Aber in der Praxis sind uns eine Vielzahl von Gemeinden und Landkreisen in Zum zweiten Bereich. Ich möchte dem Innenmi- diesem Land weit voraus, weil den Kommunen in nister, mit dem ich politisch in vielen Bereichen über dieser Republik natürlich schon länger durch den Kreuz liege, sehr wohl sagen, daß, wenn ein Ministe- Zangengriff von Bund und Ländern finanzpolitisch rium in Teilbereichen tatsächlich strukturell seinen das Wasser bis zum Hals steht und in der Not wirk- Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern etwas an Verän- lich für viele eine Chance liegt, tatsächlich struktu- derungsbereitschaft zumutet, sich dieses relativ relle Neuordnungen anzugehen. nachdrücklich zum Beispiel im Bereich des Innenmi- nisters niederschlägt. Das muß man konzedieren. Eines dürfen wir zum Abschluß nicht machen: in Veränderungspotentiale in der Bundesverwaltung dieser gesamten Debatte den öffentlichen Dienst hängen von der Bereitschaft von Akteuren in der Ver- schlechtreden. Wir haben in den öffentlichen Verwal- waltungsspitze ab, in dieser Frage tatsächlich auch tungen mit Sicherheit nicht weniger qualifizierte politisch zu denken, strukturelle Einsparungen zu Leute als in der Privatwirtschaft. Die Strukturen sind erzielen und eben nicht nur den eigenen Apparat zu teilweise dafür verantwortlich, daß sich die guten schonen. Leute in der öffentlichen Verwaltung nicht durchset- zen können, sondern mit der Zeit zu einem Laisser- Wir besitzen aber in der Bundesverwaltung kein faire-Verhalten, einem Absitzen ihrer Dienstzeit übergeordnetes Resso rt mit der Kompetenz, den an kommen, so wie es sich auch im Dienstrecht in den Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20533

Oswald Metzger Dienstalterstufen niederschlägt, daß man eben alle kationssektors, der Bundesbahn und der Lufthansa zwei oder drei Jahre mehr Gehalt bekommt, ohne durchgeführt. daß es leistungsorientiert ist. Hier müssen wir Ab- schied von der Haltung nehmen, daß die Mitarbeiter Ich weiß sehr wohl, daß in Teilen der Öffentlichkeit im öffentlichen Dienst schlecht sind. Das Problem ist diese Projekte bisweilen mit Skepsis betrachtet wer- vielmehr: Die Strukturen belohnen gute Leute nicht den. Gerade das Beispiel der Liberalisierung des Te- belohnen. lekommunikationsmarktes wird aber zeigen, daß der Verbraucher daraus die Vorteile zieht; denn Privati- In diesem Sinne ist auch Privatisierung für uns sierung ist für uns kein Selbstzweck, sondern ein er- keine Ideologie, die als Alternative zum öffentlichen ster Schritt der Überführung eines Monopolbereichs Dienst in jeder Form vorgezogen werden sollte. Da in den Wettbewerb. Sobald sich die Anfangsverwir- unterscheiden wir uns auch mit Sicherheit von der rung über die verschiedenen Tarife gelegt haben F.D.P. wird, wird sich allgemein die Bewe rtung durchset- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: zen: Das Telekommunikationsgesetz führt zu mehr Die F.D.P. hat keine Ideologien!) Wettbewerb und daher zu besserem Service und günstigeren Tarifen für die Verbraucher. Aber wir wollen, daß der öffentliche Dienst in einem Leistungsvergleich mit der Privatwirtschaft tatsäch- Dieselbe Bewertung wird sich eines Tages einmal lich seine Leistungsstärke beweisen kann und da- niederschlagen, wenn der Energiemarkt liberalisiert durch unter Beweis stellt, daß öffentliche Leistungs- sein wird. Allerdings sind wir hier mit der Gesetzge- erbringung auch effektiv vonstatten gehen kann. bung noch nicht ganz zu Ende, sondern das Projekt hängt bekanntlich im Vermittlungsausschuß. Vielen Dank. (Dr. Wilfried Penner [SPD]: Wie ist es denn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit dem öffentlichen Personennahverkehr?) sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS und des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger Völlig zu Recht ist von mehreren Vorrednern, von lingen] [F.D.P.]) Professor Scholz und Oswald Metzger, darauf hinge- wiesen worden, daß es gerade die Finanzknappheit der Kommunen gewesen ist, die do rt zu einem ge- Das Wort hat Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: wissen Reformschub geführt hat. Kommunen, die jetzt der Abgeordnete Dr. Max Stadler. sich jahrelang gegen jede Privatisierung gesperrt ha- (Dr. Wilfried Penner [SPD]: Jetzt redet er . ben, sind jetzt bereit, ernsthaft darüber nachzuden- über die Vielfalt der bayerischen Staatsver ken oder haben dies schon in die Tat umgesetzt. Ich waltung!) meine aber, während bei der Verwaltungsreform die Kommunen die Nase vorn hatten, liegt bei der Priva- - tisierung der Bund wesentlich günstiger. Das Poten- Dr. Max Stadler (F.D.P.): Gleich! - Frau Präsidentin! tial in den Kommunen scheint mir hier noch gewaltig Meine Damen und Herren! Die F.D.P.-Bundestags- zu sein. Richtig ist, daß bei der Verwaltungsreform in fraktion nimmt die beiden uns vorliegenden Berichte den Kommunen vielfältige Ansätze schneller als bei der Bundesregierung mit Zustimmung zur Kenntnis, den Ländern und beim Bund angegangen worden entsprechen sie doch einem jahrelangen Grundanlie- sind. gen liberaler Innenpolitik. Für uns sind Zielsetzun- gen wie Privatisierung, Deregulierung und Bürokra- Aber, Herr Kollege Metzger, die Probleme liegen tieabbau keine leeren Worte, sondern wir sorgen da- natürlich auch hier im Detail. Sie haben zu Recht die für, daß der sogenannte schlanke Staat nach und Notwendigkeit der kaufmännischen Buchführung nach Wirklichkeit wird. angesprochen, die Notwendigkeit, über die konkre- ten Kosten wirklich Bescheid zu wissen, die eine Ver- Daß der schlanke Staat freilich nicht von heute auf waltung für jede einzelne Dienstleistung verursacht, morgen zu erreichen ist, ist mittlerweile Allgemein- damit man in den Vergleich etwa mit anderen Ver- gut. Deshalb ist es wichtig und zu begrüßen, daß die waltungen eintreten kann, um Schwachstellen der Bundesregierung in regelmäßigen zeitlichen Abstän- eigenen Verwaltung festzustellen, und in den Ver- den über den Stand der Umsetzung des Aktionspro- gleich mit den Angeboten der Privatwirtschaft, damit gramms zur weiteren Steigerung von Effektivität und man überhaupt sieht, wo sinnvoll gespart werden Wirtschaftlichkeit der Bundesverwaltung berichtet. kann. Das Maßnahmepapier „ >Schlanker Staat<: Die nächsten Schritte" zeigt zudem als Konsequenz aus Meine Erfahrung aus der Kommunalpolitik sagt dem Bericht konkret auf, was als nächstes zu tun ist, aber, daß die Bewe rtung der einzelnen Kosten außer- um Wirtschaftswachstum, Wohlstand und soziale Si- ordentlich schwierig ist und einen großen Zeitraum cherheit im Deutschland des 21. Jahrhunderts zu er- in Anspruch nimmt. Insofern verwundert es nicht, halten. daß der Bund, der mit seinen Pilotprojekten etwas später begonnen hat, mittlerweile aber kräftig nach- Lassen Sie mich kurz näher auf die drei entschei- zieht, hierbei vielleicht noch Erfahrungsbedarf hat. denden Stichworte Privatisierung, Deregulierung Es stünde dem Bund durchaus gut an, wenn er aus und Bürokratieabbau eingehen. Punkt 1: Wir haben den praktischen Erfahrungen, die in den Kommunen in den letzten Jahren große Privatisierungsprojekte gerade gesammelt werden, seine Lehren ziehen wie die Privatisierung des Post- und Telekommuni würde. 20534 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Dr. Max Stadler Punkt zwei. Deregulierung bedeutet für uns Libe- und Sozialgerichtsbarkeit sollte zu den Justizministe- rale auf Bundesebene vor allem die Verringerung rien erfolgen; denn da, wo dies bereits realisiert wor- der Normenflut und - immerhin kann man es als Pro- den ist, hat man damit gute Erfahrungen gemacht. grammsatz nennen, der immer wieder anzustreben ist - die leichtere Lesbarkeit und Verständlichkeit Zweitens. Ich bringe das Stichwort Abschaffung von Gesetzen. So verständlich, daß die Anwaltszunft des Oberbundesanwalts an. Er ist eine aus unserer arbeitslos würde, werden sie im Endeffekt doch nicht Sicht entbehrliche Behörde. ausfallen. Insofern braucht man keine allzugroße Be- Drittens. Wir regen als Pilotprojekt die Zusammen- sorgnis um diesen Berufsstand zu haben. legung der ordentlichen Gerichte und der Arbeits- Neue Gesetze müssen einer Bedürfnis- und Wirt- gerichte an, freilich unter gleichzeitiger Bildung von schaftlichkeitsprüfung unterzogen werden. Wir ha- spezialisierten Spruchkörpern für die Arbeitsge- ben dafür gesorgt, daß Verwaltungsverfahren bereits richtsbarkeit, aber mit dem Ziel der Verringerung der vereinfacht worden sind. Dies muß übrigens keines- Gerichtszweige und der Verwaltungsvereinfachung. wegs auf Kosten der Bürgerbeteiligung gehen; denn Meine Damen und Herren, ich stelle zum Schluß das sind ja immer die beiden Pole: rasche Verwal- fest: Wir wollen Deutschland nicht nur für in- und tungsverfahren einerseits, aber die Notwendigkeit ausländische Unternehmen attraktiver machen und der Bürgerbeteiligung und die Individualrechte von damit neue Arbeitsplätze schaffen. Wir wollen unse- Bürgern andererseits. Das schließt sich nicht aus. ren Staat auch für seine Bürger attraktiver machen. Vielmehr können Verwaltungsverfahren optimal so Die Verwaltung ist Dienstleister für den Bürger; der organisiert werden, daß a ll diese Ziele erreichbar Bürger ist Kunde, nicht Bittsteller. Eine bürgerorien- sind. tierte Verwaltung hat einen wesentlichen Anteil an Sie dürfen aber aus unserer Sicht auch keine Inve- der Akzeptanz des Staates durch seine Bürger. stitionshemmnisse sein. Insofern ist es doch zufrie- Wir sind der Meinung, daß die Bundesregierung denstellend, was der Präsident der Indust rie- und mit dem vorgelegten Aktionsprogramm auf dem rich- Handelskammer von Oberbayern, Dieter Soltmann, tigen Weg ist, und werden diese Politik weiterhin un- kürzlich gesagt hat. Er hat gemeint, schon auf Grund terstützen. der Gesetzesänderungen, die in jüngster Vergangen- heit vorgenommen worden sind, würde heute eine (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) rasche Ansiedlung etwa eines Automobilwerkes wie BMW, die bekanntlich in Spa rtanburg sehr schnell Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat abgelaufen ist, durchaus auch in seinem Bereich, in jetzt die Kollegin Maritta Böttcher. München, möglich sein. Dieses Urteil eines Prakti- kers aus der Wi rtschaft zeigt, daß wir auf dem richti- gen Weg sind. Marine Böttcher (PDS): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sicherlich ist es richtig, daß Punkt drei. Für die F.D.P. hat der Standort Deutsch- nach Wegen gesucht wird, Staat und Verwaltung ef- land nur dann Zukunft, wenn neben Privatisierung fizienter und bürgerfreundlicher zu gestalten. Das und Deregulierung auch der Bürokratieabbau Maß- muß selbstverständlich auch für die Bundesverwal- stab deutscher Innenpolitik bleibt. Wir sind der Auf- tung gelten. Wenn der Königsweg allerdings die ra- fassung, daß das Dienstrechtsreformgesetz, das viel- dikale Privatisierung auf allen staatlichen Ebenen leicht in vielen Einzelheiten umstritten gewesen sein sein soll, so wird am Ende nicht der schlanke, son- mag, sehr wohl ein wesentlicher Schritt von der Per- dern der amputierte Staat stehen. sonalverwaltung zum Personalmanagement ist. Es bringt die Bediensteten zu mehr Eigenverantwor- (Beifall bei Abgeordneten der PDS) tung. Mehr Eigenverantwortung schafft mehr Moti- vation. Mehr Motivation bedeutet größere Leistungs- Das DIW hat errechnet, daß in den 90er Jahren bereitschaft. Größere Leistungsbereitschaft führt zu über eine halbe Million Arbeitsplätze bei Bund, Län- einer effizienteren Verwaltung. dern und Gemeinden verlorengegangen sind, der größte Teil davon in den Kommunen, denen im Ge- Dies alles - das richte ich bewußt an die Kollegin- genzug immer mehr Aufgaben übertragen wurden. nen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen - ist Wie diese Art Verschlankung dem Nutzen der Bürge- erreichbar innerhalb der herkömmlichen Grundsätze rinnen und Bürger dienen soll, ist schlicht nicht nach- des Berufsbeamtentums, innerhalb der Grundstruk- vollziehbar. turen, die sich nach unserer Auffassung bewährt ha- ben, und ohne umwälzende Änderungen des Beam- Da auf kommunaler Ebene die Verwaltungsreform tenrechts, wie Sie sie andauernd vorschlagen. schon viel weiter gediehen ist als auf Bundesebene - das wurde heute schon angesprochen -, kann aus Gleichwohl bleibt viel zu tun. Ich nenne einige den entsprechenden Zwischenbilanzen schon man- Stichworte aus dem Bereich der Justiz, die im Be richt che Schlußfolgerung gezogen werden, die sich auf der Bundesregierung noch nicht enthalten sind, die andere Bereiche übertragen läßt. mir aber gleichwohl diskussionswürdig erscheinen. Das Verhältnis zwischen Bürgerinnen und Bürgern Erstens. Es ist zu denken an die Bildung von und Verwaltung dagegen hat sich nicht verbessert. Rechtspflegeministerien im Bund und in den Län- Im Gegenteil: Aus Bürgerinnen- und Bürgersicht dern, in denen dies bisher noch nicht geschehen ist. wirkt die Verwaltungsreform eher negativ, da Reform Das heißt, die Zuordnung von Verwaltungs-, Arbeits- offenbar vor allem Einsparung bedeutet. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20535

Maritta Böttcher Spürbar sind solche Auswirkungen auch im Bil- tungsaufwand des Bundes in diesem Bereich 1998 dungsbereich, wenn durch Personaleinsparungen nicht etwa nach unten, sondern nach oben. Die Stel- die Betreuungsrelation in den Schulen verschlechtert lenpläne von Wirtschaftsministerium und Regulie- wird, Stundentafeln gekürzt und Klassenfrequenzen rungsbehörden bleiben ein Eldorado für Spitzenver- erhöht werden. Das DIW weist in diesem Zusammen- diener, deren Ausgaben weitestgehend unklar sind. hang auf die gefährlichen Folgewirkungen der Ver- Die Verschlankung des Staates erfolgt vor allem do rt, greisung im öffentlichen Dienst hin: Überaltertes Per- wo er gebraucht wird, nämlich vor O rt. sonal in Ausbildung und Forschung wird immer mehr zum Hemmschuh für qualifizierte Aktivitäten. Im Bericht ,,,Schlanker Staat': Die nächsten Im Bildungs- und Wissenschaftsbereich kann es nicht Schritte" ist von einer Steigerung der Effizienz der nur um die Erhaltung des Status quo gehen. Hier Verwaltung durch Einsatz von Informationstechnik sind zusätzliche Ausgaben notwendig, um Leistungs- die Rede. Auch das ist ein Bereich, der weder Len- fähigkeit zu sichern. kungsausschüsse noch Sachverständigenräte erfor- dert. Ein Blick in den Be richt des Bundesrechnungs- (Beifall bei der PDS) hofes genügt. Do rt erfahren wir beispielsweise, daß beim Kraftfahrt-Bundesamt Datenhaltung, Anwen- Am wenigsten vom Stellenabbau betroffen sind of- dungssoftware und Verfahrensabläufe dem Entwick- fenbar die Ministerien, womit wir wieder beim lungsstand der 70er Jahre entsprechen und im Zen- Thema wären. Eben in diesem Bereich hätte die Bun- tralen Fahrzeugregister jährlich 200000 Fehler durch desregierung schon sehr viel früher praktisch tätig doppelte Datenhaltung entstehen, die durch 30 Mitar- werden müssen und können. Massive Kritik wurde beiterinnen und Mitarbeiter berichtigt werden müs- in den letzten Jahren vom Bundesrechnungshof hin- sen. Damit ist natürlich kein Staat zu machen. A ll sichtlich der überproportionalen Personalaufstok- diese Dinge sind seit 1980 bekannt und sollen immer- kung in den Leitungsbereichen der Ministerien, der hin bis 1999 beseitigt werden. Zunahme von Kleinreferaten oder der Einstufung des Personals geübt. Daß es hier kein Wissens-, sondern Das ist nur ein Beispiel. Es macht jedoch sehr gut ein Handlungsdefizit gibt und in welche Richtung deutlich, daß es um grundlegende Dinge geht, wenn gehandelt werden muß, macht der SPD-Antrag deut- Organisationsstrukturen wirklich optimiert werden lich. sollen. Da wird keine Privatisierung von Servicebe- reichen und auch kein Lenkungsausschuß etwas än- Wie die Verringerung und Straffung von Behörden dern können. Handlungsmöglichkeiten der Bundes- im konkreten Fall des Prestigeobjekts ,,Umstruktu- regierung sind über Jahre hinweg versäumt worden. rierung der Bundesabteilungen der Oberfinanzdi- So wird wohl auch der Berlinumzug - dazu ist schon rektionen" aussieht, wird am Beispiel Chemnitz einiges gesagt - nicht viel Neues bringen. deutlich, das ich kurz skizzieren will. 1994 wurde die Stadt Dresden als Sitz der Zoll- Wir brauchen kein Konglomerat von Einzelmaß- nahmen, sondern ein abgestimmtes Reformpro- und Verbrauchsteuerabteilung der Oberfinanzdirek- - tion Chemnitz festgelegt. Vor dieser Entscheidung gramm, wie es im Antrag der Grünen umrissen wird, war das Thema Verlegung durch eine speziell einge- dem wir ausdrücklich zustimmen. setzte Arbeitsgruppe geprüft worden, die allein die (Beifall bei der PDS) Verlegungskosten auf einen Betrag von über 1 Mil- lion DM schätzte. Inzwischen kommen zu diesen Ko- sten weitere 4 Millionen DM getätigter Bauausgaben Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat im Bereich des Dresdner Dienstgebäudes hinzu. Un- jetzt der Abgeordnete Reinhard Schultz. ter Beachtung weiterer Kosten für Beschäftigte, de- nen ein Ortswechsel nicht zugemutet werden kann Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Frau Präsi- und die auf kw-Stellen geparkt werden müssen, wür- dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte den die Gesamtverlegungskosten die 10-Millionen- hier - sozusagen als Fallbeispiel für die Art und DM-Grenze überschreiten, zumal in Chemnitz ein Weise, wie sich Verwaltungsreformen unter der Bun- neues Dienstgebäude beschafft werden muß. desregierung vollziehen - etwas über eine randstän- dige Erscheinung im Verwaltungsaufbau, die Ein- Die 160 betroffenen Beschäftigten wehren sich zu nahmeverwaltung von Bund und Ländern, nämlich Recht gegen diese verwaltungsökonomisch unsin- die die nachgeordneten Be- nige Verschleuderung von Steuergeldern und den Oberfinanzdirektionen, hörden, sagen. zynischen Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitar- beitern, die bei solchen Sandkastenspielen nur noch Das Finanzverwaltungsgesetz hat ausdrücklich wie Verschiebemasse behandelt werden. und als sinnvolle Ausnahme von den ansonsten übli- (Beifall bei der PDS) chen Trennungen von Bundes- und Landeszustän- digkeiten im Behördenaufbau festgelegt, daß die Die Ergebnisse der Privatisierungsstrategie der Mittelinstanz der Finanzverwaltung in Gestalt der Bundesregierung lassen sich am Beispiel Post und Oberfinanzdirektionen in der Regel eine Gemein- Telekommunikation sehr gut deutlich machen. Wäh- schaftsverwaltung des Bundes und der Länder ist. rend die Post ihr Netz von Außenstellen von 1996 bis Das hatte gute Gründe. Die Einnahmeverwaltung zur Jahrtausendwende um fast die Hälfte reduziert, des Bundes und der Länder sollte in der mittleren was nicht nur einen Verlust von Arbeitsplätzen, son- Führungsebene miteinander verknüpft sein, um bun- dern auch eine Verschlechterung des Dienstlei- deseinheitlichen Vollzug, wechselseitige Information stungsangebots bedeutet, bewegt sich der Verwal über die Einnahmeentwicklung bei Steuern und Zöl- 20536 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Reinhard Schultz (Everswinkel) len, gemeinsame Einschätzung regionalwirtschaft- Vortäuschung eines politischen Zeitdrucks, der dann licher Trends und jenseits der natürlichen Konkur- jedoch nicht bestand. Er hat die Bedenken und die renz von Bund und Ländern in finanzwirtschaftlichen Bitten der Länder um eine Konsenslösung ignoriert. Fragen eine Politik des Konsenses durch Transparenz Und er hat - das ist das Schlimmste - weder die per- gewährleisten zu können. sonalwirtschaftlichen noch die finanziellen Folgen seiner Bemühungen auch nur annähernd nachvoll- Eine Änderung dieses Grundsatzes ist nicht über ziehbar dokumentiert. Damit verstößt er in diesem den Verordnungsweg im Rahmen der Organisations- konkreten Fall gegen alle Grundsätze, die Herr Pro- hoheit des Bundesfinanzministers einseitig für die fessor Scholz in seinem dicken Werk zur Neuord- Bundesabteilungen der Finanzverwaltung möglich. nung von Verwaltungen aufgestellt hat. Sie bedarf nach unserer Auffassung der Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes. Eine solche Ände- Wenn Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen, die rung bedürfte wiederum der Zustimmung des Bun- Antwort auf unsere Kleine Anfrage - Drucksache 13/ desrates. Nun hat aber der Bundesfinanzminister mit 9893 - einmal anschauen, finden Sie keine Informa- seinem Konzept „Straffung der Bundesabteilungen" tionen, die uns weiterhelfen könnten. Der Finanzmi- die gemeinsame Mittelinstanz zur Ausnahme ge- nister verordnet ein Grobkonzept ohne Beteiligung macht, ohne die Bundesländer in diese Überlegun- der Länder, seiner Oberfinanzpräsidenten und der gen angemessen einzubeziehen. Natürlich - da Personalvertretung und erwartet dann, daß diese ihm stimme ich einem Gutachten des Wissenschaftlichen maßgeschneiderte Feinkonzepte wenige Wochen Dienstes des Bundestages zu - könnte, wie auch bis- und Monate vor der Wahl auf den Tisch legen. Das her, an dem einen oder anderen Standort eine reine funktioniert natürlich so nicht. Bis Ende August wird Landes- oder eine reine Bundesoberfinanzdirektion es kein abgestimmtes Feinkonzept geben. Die Ver- gebildet werden, wenn der Grundsatz der gemeinsa- wirklichung des Ziels, die Bundesabteilungen der men Verwaltung dadurch nicht gefährdet wird. Die- Oberfinanzdirektionen neu zu ordnen, wird an der sen Grundsatz hat jedoch die Bundesregierung wider Wirklichkeit scheitern. alle Vernunft mißachtet. Sie überschreitet damit die Grenzen des Grundgesetzes auf eine für die Zukunft Wer zum Beispiel die Situation an den Grenzen des Föderalismus und die Zusammenarbeit von Bund nach Osten kennt, der weiß, daß wöchentlich die und Ländern bedrohliche A rt und Weise. Bundesabteilung Zoll kleine Grenzverkehre eröffnet, daß täglich abfertigungstechnische Regelungen mit Natürlich wandeln sich Aufgaben der Bundesfi- Polen und der Tschechischen Republik vereinbart nanzverwaltung. Natürlich ist eine Straffung von werden müssen, daß selbst nach einer Osterweite- Aufgaben auch hier erforderlich. Auch wir wissen, rung der EU die Grenzen nur schrittweise geöffnet daß in absehbarer Zeit die Eigentumszuweisung und werden können und daß es im Übergang eher kom- die Verwertung ehemaliger Militärgelände durch die plizierter sein wird und daß der Abstimmungsbedarf Bundesvermögensabteilungen erledigt sein werden. mit den Stellen vor Ort besonders intensiv sein wird. Auch wir wissen, daß die Aufgaben der Zollverwal- - Wer das weiß, wird sich davor hüten, zum jetzigen tungen sich immer mehr an die Außengrenzen der Zeitpunkt zu versuchen, Bundeszollabteilungen aus- EU und an die Schnittstellen des internationalen gerechnet aus Ostdeutschland abzuziehen. Luftverkehrs verlagern, während wir auf der anderen Seite feststellen, daß die Verwaltung der Umsatzsteu- (Beifall bei der SPD) ern in Zukunft eher an Bedeutung zunehmen wird. Wer weiß, daß die Drehkreuze des internationalen Auch wir wissen, daß mit modernen Führungsme- Flugverkehrs die zollpolitischen Brennpunkte der thoden und im Zeitalter moderner Kommunikations- Zukunft sein werden, der wird sich bei Großflughä- mittel eine Rationalisierung sinnvoll und möglich ist. fen wie zum Beispiel Frankfu rt nicht ohne Not nur Mir geht es vielmehr darum, daß fachlich und sach- auf ein Zollamt beschränken wollen. lich korrekt zum richtigen Zeitpunkt und unter Be- Wer glaubt, daß die Vermögenszuordnung und rücksichtigung der Interessen des Personals, der Vermarktung von ehemaligen militärischen Liegen- Länder und der betroffenen Regionen der richtige schaften bis zum Jahr 2005 weitgehend erledigt sein Weg zur Reform dieser Mittelinstanz beschritten kann, der kennt dieses schwierige Geschäft nicht. wird. Davon kann leider keine Rede sein. Natürlich sind dann Innenstadtobjekte oder stadt- Der Bundesfinanzminister hat ein holzschnittarti- nahe Großflächen vermarktet, aber die Truppen- ges Acht-zu-acht-zu-acht-Modell an den Anfang sei- übungsplätze, die Depots, die Raketenstationen und ner Überlegungen gestellt - das sollte ein Marken- andere schwierige Liegenschaften sind nach wie vor zeichen sein -, bevor er die Inhalte festgelegt hat. in der Hand des Bundes, der noch eine lange Zeit Damit war er eigentlich von vornherein verhand- brauchen wird, bis sie vermarktet worden sind. Wer lungsunfähig. Er hat dieses Modell gegenüber den jetzt stolz in bezug auf die Vermögensabteilungen Präsidenten der Oberfinanzdirektionen und den Per- ein Datum 2005 setzt, schafft lediglich Unruhe, löst sonalvertretungen geradezu in einem Kasernenhof aber leider nicht das Problem. ton verkünden lassen, Alternativen, wie das Modell (Beifall bei der SPD) der Bundesabteilungen zur flexiblen Aufgabenwahr- nehmung und Personalbewirtschaftung, das die Fi- Wieso nun im Zusammenhang mit dem Zusam- nanzpräsidenten selbst vorgeschlagen haben, ohne menlegen von Standorten ausgerechnet die einnah- jede Prüfung verworfen. Er hat die Personalvertre- mestärkste Verbrauchsteuerabteilung in Münster mit tung mehrfach in die Irre geführt, zum Beispiel durch etwa 30 Prozent der Gesamteinnahmen des Bundes Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20537

Reinhard Schultz (Everswinkel) aufgelöst und nach Köln verlagert werden soll, ist geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Entschlie- völlig schleierhaft. ßungsanträge der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf den Drucksachen 13/ Ich erkenne an, daß auf Grund der Informationsar- 10 190 und 13/10204 sollen an dieselben Ausschüsse beit der Opposition und der von uns begleiteten Wi- überwiesen werden wie der Be richt der Bundesregie- derstände vor Ort der Bundesfinanzminister im letz- rung. Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. ten Moment, im Februar, Korrekturen vorgenommen Dann sind die Überweisungen so beschlossen. und Aufweichungen seines strafffen Konzeptes vor- geschlagen hat. So soll die Frage der Existenz einer Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Bundes-OFD in Rostock erst nach Wegfall der Auf- gaben der Vermögenszuordnung entschieden wer- Erste Beratung des vom Bundesrat einge- den; das schafft dort vor Ort sicherlich Luft. So bleibt brachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur zunächst offen, ob die Zoll- und Verbrauchsteuerab- Änderung des Asylbewerberleistungsgeset- teilung der OFD Chemnitz nach Hannover oder zes nach Erfurt verlagert wird - unabhängig davon, ob - Drucksache 13/10155 — das sinnvoll ist. So ist zu begrüßen, daß durch Erhalt der Bundesvermögensabteilung in Münster - wenn Überweisungsvorschlag: auch als Außenstelle der OFD Köln - der Bund in Ausschuß für Gesundheit (federführend) Innenausschuß Westfalen präsent bleibt und der Standort durch Zu- Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ordnung von Sonderfunktionen, zum Beispiel durch die geplante Zentralstelle für Risikoanalysen, ge- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für stärkt wird. Alle diese von uns erzwungenen Gesten die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Wider- des Entgegenkommens können nicht darüber hin- spruch gibt es nicht. Dann ist so beschlossen. wegtäuschen, daß diese Reform mit der heißen Nadel Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst gestrickt ist und daß sie weder rechtlich noch tat- der Abgeordnete Wolfgang Lohmann. sächlich in der vorgesehenen Form Bestand haben kann. Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU): Wir haben die Bundesregierung in unserem Ent- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und schließungsantrag aufgefordert, die Neuordnung der Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits am gemeinsamen Finanzverwaltung des Bundes und der 6. Februar 1998, nur wenige Minuten nach dem Be- Länder durch Änderung des Finanzverwaltungsge- schluß des Bundesrates, haben wir uns hier in einer, setzes auf dem dafür vorgesehenen Wege zu regeln. wie ich finde, völlig überflüssigen Aktuellen Stunde Wir möchten, daß die Kriterien der Einheitlichkeit inhaltlich mit dem Entwurf des Bundesrates eines des Verwaltungshandelns, der Effizienz, des flexi- Zweiten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerber- blen Personaleinsatzes sowie der Regional- und So- leistungsgesetzes beschäftigt. Heute nun wird dieser zialverträglichkeit zur Anwendung kommen. Wir Entwurf offiziell eingebracht. möchten alternative Lösungsansätze, die vorliegen, - geprüft sehen. Darüber hinaus möchten wir eine Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Änderungen partnerschaftliche Abstimmung mit den Ländern haben eine emotionale Springflut ausgelöst, die nach und den Betroffenen. unserer Auffassung sachlich völlig unbegründet ist. Kirchliche Gruppen und Wohlfahrtsverbände haben Wenn bei einem solch komplizierten Sachverhalt sich offensichtlich durch die Verbände der Flücht- schon kein externer Sachverstand hinzugezogen linge und Bündnis 90/Die Grünen instrumentalisie- wird, dann würden wir uns wünschen, daß wenig- ren lassen. stens der Bundesrechnungshof die alternativen Vor- schläge - einschließlich der Vorschläge der Bundes- Bereits vor der Verabschiedung im Bundesrat hat regierung - unter den Gesichtspunkten der Kostenef- der Bundesvorstandssprecher von Bündnis 90/Die fizienz, der Einheitlichkeit des Verwaltungshandelns Grünen, Jürgen Trittin, den Inhalt des Gesetzes - ich und der Zukunftsfähigkeit im Hinblick auf den stän- zitiere aus der „Westfälischen Rundschau" - als digen Wandel von Aufgaben der Finanzverwaltung „Ausdruck eines institutionalisierten Rassismus" be- gutachterlich bewertet und dem Deutschen Bundes- zeichnet. tag berichtet. (Amke Dietert-Scheuer [BÜNDNIS 90/DIE Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden nach GRÜNEN]: Sehr richtig!) den Wahlen, da bis dahin tatsächlich nichts passiert Die Entgleisung von Herrn Trittin wird verständ- sein wird, alles, was vorliegt, kritisch überprüfen und lich, wenn man bedenkt, daß vor dem Hintergrund da neu einsteigen, wo neu einzusteigen ist. des bevorstehenden Bundestagswahlkampfes ein Vielen Dank. Thema hochgeredet werden soll, von dem man sich Pluspunkte bei der vermeintlich einzig moralischen (Beifall bei der SPD - Georg Brunnhuber Kompetenz verspricht. [CDU/CSU]: Armes Deutschland!) (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Aber Trittin ist nicht Mitglied des Hauses!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe da- mit die Aussprache. Interfraktionell wird Überwei- Meine Damen und Herren von den Grünen - sie sind sung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/9980, 13/ es noch -, Ihr grünes Ü, das Sie jetzt ständig plakatie 10 145 und 13/9758 an die in der Tagesordnung auf ren, steht auch beim Asylbewerberleistungsgesetz 20538 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) für Übertreibung. Was ist denn eigentlich so skanda- nehmen, um diesen ihr wirklich menschenverachten- lös an diesem Gesetzentwurf des Bundesrates? Wir des und schmutziges Geschäft kaputtzumachen. Das meinen: nichts. wollen wir. Drei Personengruppen, die bislang uneinge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) schränkt Leistungen nach dem Asylbewerberlei- stungsgesetz erhalten haben, sollen künftig nur noch Wir wollen auch Leistungsmißbrauch zu Lasten un- Leistungen bekommen, soweit dies im Einzelfall serer Gemeinschaft erschweren. Dies haben wir bei nach den Umständen unabweisbar geboten ist. Zu- vielen Sozialleistungen leider tun müssen; warum künftig sollen also Ausländer von den Leistungen nicht jetzt auch in diesem Bereich? Schließlich wollen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ausgenom- wir auch den Menschen, deren Gastrecht in Deutsch- men werden, die nur nach Deutschl and einreisen, land abgelaufen ist und die jetzt in ihre Heimat zu- um diese Leistungen zu erlangen, aber keinen Asyl- rückkehren müssen und dies auch können, Anreize antrag stellen. für ihre Rückkehr geben. (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig so!) Ich persönlich kann zum Beispiel Personen aus Bosnien verstehen, die nicht in ihre Heimat zurück Auch Ausländer, die die Durchsetzung der Ausreise- wollen. Ihre derzeitige Versorgung hier ist staatlich pflicht beispielsweise durch Paßzerstörung verhin- gesichert. Zu Hause müßten sie eigenverantwortlich dern oder die nicht ausreisen, obwohl sie freiwillig ein neues Leben beginnen. Wer hätte für diese Men- ausreisen könnten, sollen zukünftig keine Leistun- schen nicht mehr Verständnis als Personen, die bei- gen mehr erhalten. spielsweise wie ich als Kind noch die Flüchtlinge und (Beifall bei der CDU/CSU) ausgebombten Menschen erlebt haben. Aber auch diese Menschen haben sich nach dem menschenver- Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf einige An- achtenden Zweiten Weltkrieg an neuer oder an alter gleichungen des Gesetzes an bereits gültige Rege- Stelle eine Existenz aus dem Nichts aufgebaut. lungen des Bundessozialhilfegesetzes vor. Bedauer- lich an den Regelungen ist eigentlich nur, daß die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) SPD-Mehrheit im Bundesrat im April 1997 noch nicht den Mut gehabt hatte, diese Änderungen im Rahmen Ist es deshalb unmenschlich, wenn wir den Bosniern der Beratung des Ersten Gesetzes zur Änderung des jetzt deutlich machen, daß es Zeit ist, daß auch sie in Asylbewerberleistungsgesetzes in den Vermittlungs- ihre Heimat zurückkehren und wir ein längeres Blei- ausschuß einzubringen. Warum nicht gleich so, muß ben in Deutschland nicht befürworten, sie aber nicht man eigentlich fragen. durch staatliche Gewalt gegen ihren Willen zum Ausreisen zwingen? Ich denke: Nein. Niemand wird (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gerade der zuletzt erwähnten Gruppe von Menschen die Unterkunft verweigern oder die notwendige Er- Doch zurück zur Gegenwart: Interessensgruppen, - nährung einschränken, wie die übertriebenen Bündnis 90/Die Grünen, leider auch Sie, Frau Sonn- Schlagworte dauernd heißen. tag-Wolgast, wenden sich gegen die Regelungen. Von Aushungern, unmenschlichen Behandlungsme- (Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Sehr rich thoden und der Verletzung der Menschenrechte ist fig!) die Rede. Auch der üble Begriff Ausländerfeindlich- keit wird teilweise in diesem Zusammenhang ge- Aber müssen diese Menschen weiterhin Taschen- braucht. Kein Kommunalpolitiker, kein Landespoliti- geld, Geld für Kleidung, Geld für andere Ge- und ker und auch keiner von uns Bundespolitikern würde Verbrauchsgüter oder für Miete erhalten? Ich meine, einer Regelung das Wort reden, die tatsächlich einen wie Bundesrat und auch Bundesregierung: Nein. solchen Charakter hätte. Wir garantieren in Deutsch- land in einem großen politischen Konsens, manife- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) stiert im Grundgesetz, das Asylrecht. Wir eröffnen in Nur damit nicht morgen wieder von den Grünen be- unserem Land jedem Asylbewerber nach der Ableh- hauptet wird, die CDU/CSU wolle Flüchtlinge nackt nung im Verfahren den Rechtsweg. Wir haben in herumlaufen lassen: Es gibt schon sehr lange sehr Deutschland zu Zeiten des Bürgerkriegs im ehemali- gut ausgestattete Kleiderkammern in den Städten gen Jugoslawien mehr Flüchtlinge aufgenommen als und Gemeinden. jedes andere europäische Land. Das sind Fakten, die Kritiker an dieser Stelle einfach einmal zur Kenntnis Auch das füge ich hinzu: Die wirklich unseriöse nehmen müssen. Politik betreiben doch Sie. In Nordrhein-Westfalen, in jenem rotgrünen Möchtegern-Musterländle, las- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sen Sie seit dem 1. Januar dieses Jahres die Kommu- Auf diesen Rechtsrahmen sind wir stolz und werden nen mit den finanziellen Lasten der Bürgerkriegs- ihn auch verteidigen. Wir und auch der Kanzler und flüchtlinge allein und verschleppen die Abschiebun- die Bundesregierung wollen keine ausländerfeindli- gen. Gleichzeitig versuchen Sie im Deutschen Bun- chen Regelungen, und, wie ich überzeugt bin, auch destag, überfällige Leistungskürzungen zu verhin- die Ministerpräsidenten, ob sie nun Teufel, Lafon- dern, die direkt den Kommunen zugute kommen sol- taine oder Schröder heißen, wollen das nicht. len. Wir Befürworter des Gesetzentwurfes wollen ledig- (Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Das ist lich den Schlepperbanden den finanziellen Anreiz unerhört!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20539 Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) Geld übrigens, das viele Kommunen liebend gerne signalisieren, daß es dabei bleibt, daß bei uns Schutz- auch in eine verbesserte Betreuung von ausländi- suchenden, die vorübergehend Aufnahme in unse- schen Jugendlichen, bessere Integrationsmaßnah- rem Land finden, eine menschenwürdige Versorgung men von anerkannten Asylbewerbern oder Asylbe- garantiert wird. werberheime stecken würden, wie mir Kommunalpo- litiker immer wieder versichern. (Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/ CSU: Das ist keine andere Meinung!) Unterstellt man, daß auch nur ein Drittel der insge- samt 600 000 vollziehbar ausreisepflichtigen Auslän- Ich bin von Schulkindern gefragt worden: „Müssen der von den Einschränkungen betroffen sein würden, Entscheidungen bei euch immer so lange dauern? " ergäben sich direkte Einsparungen von 250 bis Ich habe versucht, ihnen zu erklären, warum Ent- 300 Millionen DM im Jahr. Würden diese Anreize scheidungen manchmal sehr lange dauern müssen. nur 10 Prozent der Betroffenen bis 1999 zur Ausreise Hier haben wir ein Beispiel dafür, daß die Kürze der bewegen, würden die Kommunen im nächsten Haus- Beratung nicht unbedingt ein Ausweis dafür sein haltsjahr um etwa 600 Millionen DM entlastet. muß, daß ein Gesetz gelingt. Inhaltlich wird die CDU/CSU-Fraktion trotz der ge- (Zuruf von der CDU/CSU: Aber die Länge nerellen Befürwortung des Gesetzentwurfs des Bun- auch nicht!) desrates im weiteren Verfahren natürlich sorgfältig prüfen, ob nicht an der einen oder anderen Stelle Ich bin mir sicher - das ist aus den Erklärungen der Konkretisierungen, zum Beispiel beim Leistungsum- Länder auch abzulesen -, daß sie eigentlich etwas fang, in den Gesetzentwurf aufgenommen werden anderes gewollt haben sollten. Wir werden jedoch auch prüfen, ob nicht der weitergehende Vorschlag der Bundesländer Baden- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Württemberg und Bayern wieder aufgegriffen wer- CSU]: Das kommt vom Bundesrat!) den sollte, nämlich die Ausweitung der Einschrän- und daß sie im Gestrüpp der Formulierungen hän- kung auf alle Personen, die sich unerlaubt in den gengeblieben sind. Das zu vermeiden ist ja auch Geltungsbereich des Gesetzes begeben haben. nicht ganz einfach. Denn so, wie das Gesetz angelegt Grundsätzlich, meine Damen und Herren, bleibt und gestrickt ist, kann es schon passieren, daß je- festzuhalten: Wir können doch nicht in einer Zeit, in mand, der sich in dem Recht nicht so auskennt, mög- der wir angesichts der weltweiten Globalisierung vor licherweise einer Sache zustimmt, die er so nicht die deutschen Bürger treten und ihnen erklären müs- wollte. Lesen Sie, was Bürgerkriegsflüchtlinge anbe- sen, warum wir Leistungen teilweise einschränken trifft, Äußerungen nach! und Leistungsmißbrauch bekämpfen - weil er unso- (Zuruf von der F.D.P.: Wo kommt das denn zial ist -, gleichzeitig tatenlos zusehen, wie sich ein her?) kleiner Teil - ich sage bewußt: ein kleiner Teil - der Ausländer durch rechtswidriges Verhalten einen Lei- Insofern danke ich - im Gegensatz zu Ihnen, Herr stungsanspruch sichert. Lohmann - allen Organisationen, den Kirchen, den Gewerkschaften, die uns geschrieben Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, denken Sie an die Zeit! (Zuruf von der CDU/CSU: Und der eigenen Partei! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU): - wenn der uns geschrieben hätte, hätte ich ihm auch Übrigens: Dieses Verhalten ist auch sehr vielen Aus- gedankt - und uns auf das Problem aufmerksam ge- ländern gegenüber ungerecht, die sich an Recht und macht haben. Übertreibungen sind für diejenigen, Gesetz in unserem Land halten. die Anwälte der Flüchtlinge sind, erlaubt. In unserer Gesellschaft, so sage ich einmal, sind sie erst recht er- (Beifall bei der CDU/CSU) laubt.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat (Beifall bei der SPD - Wolfgang Lohmann jetzt die Abgeordnete B rigitte Lange. [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Sie dürfen aber nicht zum Vorwand werden!) Brigitte Lange (SPD): Frau Präsidentin! Meine Da- Nur, in der Frage der Bürgerkriegsflüchtlinge, meine men und Herren! Ihre Rede, Herr Lohmann, macht es Damen und Herren, haben sie sich leider nicht geirrt. mir wirklich sehr schwer, das durchzuhalten, was ich mir vorgenommen habe: zu beachten, daß wir hier über ein sehr sensibles Thema reden, dessen Auswir- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin, kungen in der Öffentlichkeit wir einschätzen können gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hein- und bei dem jedes Wo rt auf Mühlen geraten könnte, rich? die wir nicht haben wollen. (Beifall bei der SPD) Brigitte Lange (SPD): Ja. Ich denke, wir sollten bei a llem, was wir sagen, im Auge behalten und überprüfen, ob es den Menschen Ulrich Heinrich (F.D.P.): Frau Kollegin, sind Sie be- hilft, um die es heute geht. Wir sollten von hier aus reit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir heute die erste 20540 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Ulrich Heinrich Lesung haben - weil Sie eben gerade die Kürze der fenen hätten so viel, daß man davon noch etwas weg- Beratung kritisiert haben? nehmen könnte.

(Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/ (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU) CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)

Es ist gerade das Minimum an Versorgung. Einmal Brigitte Lange (SPD): Das Mißverständnis läßt sich im Kommentar zum Bundessozialhilfegesetz nachzu- leicht aufklären. Ich meine die Kürze der Beratung lesen könnte Ihnen helfen - Herr Lohmann, da ken- im Bundesrat. nen Sie sich ja aus -: Da wird das Unerläßliche als (Cornelia Schmalz-Jacobsen [F.D.P.]: Die das um 20 Prozent gekürzte Regelsatzgeld definiert. Bundesratsbank ist erstaunlich leer! Das (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ muß ich schon sagen! - Ul rich Heinrich CSU]: Es geht um die Anspruchsberechtig [F.D.P.]: Das ist kein Mißverständnis, Frau ten!) Kollegin! Das ist falsch ausgedrückt!) - Ich kann doch nicht jemanden meinen, der es nicht Da wären wir bei dem, was ein Betroffener jetzt er- gemacht hat. Das war eindeutig. Es ist etwas schwie- hält. rig. Es wird sehr schwierig sein, tatsächlich zu be- (Beifall bei der SPD) schreiben, was man mit dem Gesetzentwurf vorhat. Aber wenn Sie schon das schlechte Gewissen packt, Von der Leistungseinschränkung sind zwei Gruppen habe ich Hoffnung. betroffen: diejenigen, die man nachträglich bei der letzten Änderung des Asylbewerberleistungsgeset- (Zurufe von der CDU/CSU) zes dessen Geltungsbereich hinzugefügt hat, näm- lich Personen, die nach § 55 des Ausländergesetzes - Wäre es möglich, daß Sie mir ganz kurz zuhören? eine Duldung besitzen, und Personen, die vollziehbar Dann geht es nämlich schneller. ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschie- bungsandrohung noch nicht oder nicht mehr voll- Ich möchte Ihnen kurz den Bundesratsentwurf er- ziehbar ist. Ich will Ihnen gern einmal diejenigen läutern, der bei Enthaltung der rotgrün geführten Gruppen nennen, die von dieser Duldung nach § 55 Länder und bei der Gegenstimme Schleswig-Hol- betroffen sein werden: steins eine mehrheitliche Zustimmung gefunden hat. Das macht Ihnen deutlich, daß ihm nicht alle Länder (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ zugestimmt haben, sondern daß bereits Bedenken CSU]: Aber auch die anderen!) bestanden haben. Darunter fallen unter anderem bosnische Kriegs- (Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Schröder - flüchtlinge ohne Rücksicht auf Herkunft und Rück- hat nicht zugestimmt!) kehrmöglichkeiten, darunter auch Lagerinsassen, Die Bedenken werden in diesbezüglichen Erklärun- Opfer von Kriegsverbrechen, Vergewaltigungen und gen, Briefen und Stellungnahmen deutlich. Ich emp- Folter; auch Zeugen des Haager Kriegsverbrechertri- fehle Ihnen, die Stellungnahme des UNHCR zu le- bunals und deren Familienangehörige. Darunter fal- sen. Müssen wir in einer so sensiblen Debatte wirk- len auch Flüchtlinge, die aus humanitären Gründen lich auf diese Weise miteinander umgehen? und wegen Gefahr für Leib und Leben eine Duldung erhalten, zum Beispiel Flüchtlinge aus Afghanistan, (Beifall bei der SPD) Somalia oder Algerien. Darunter fallen Flüchtlinge, die eine Duldung erhalten, weil sie nicht abgescho- Ich bitte doch herzlich darum, mir zuzuhören. Ich re- ben werden können, zum Beispiel Flüchtlinge aus feriere Ihnen jetzt einfach, was im Gesetzentwurf dem Kosovo, Palästinenser aus dem Libanon und steht. Hören Sie erst einmal zu. Vielleicht stimmen Kurden aus der Türkei. Sie mir dann zu. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ (Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Lesen Sie CSU]: Um die geht es doch gar nicht!) es doch selber! Wir kennen es!) Hauptziel dieses Gesetzentwurfes ist, Mißbrauch Das zu der Erklärung, welcher Personenkreis hier im zu verhindern. Das wollte man durch Leistungsein- Gesetzentwurf beschrieben wird. schränkungen erreichen. An dieser Stelle füge ich hinzu - damit keine falsche Vorstellung entsteht -: (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Die hier angesprochenen Leistungen, die bereits un- CSU]: Theoretisch!) terhalb der Sozialhilfe liegen, also nur 80 Prozent der - Nein, nicht theoretisch. Es steht ausdrücklich in Sozialhilfe betragen, sind wahrlich nicht üppig dem Gesetzentwurf, nämlich „Leistungsberechtigte (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5". Ich empfehle Ihnen, das CSU]: Das behauptet ja keiner!) Asylbewerberleistungsgesetz von 1997 nachzulesen. und stellen ein Minimum an Versorgung sicher. Nur (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sagen Sie das damit nicht immer der Eindruck entsteht, die Betrof doch einmal dem Herrn Schröder!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20541

Brigitte Lange Diese Gruppe soll Leistungseinschränkungen erhal- von Flüchtlingen nur behutsam und nur in bestimmte ten. Gegenden erfolgen kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - CSU]: Wenn sie ausreisen könnten und es Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ nicht tun!) CSU]: Wer sagt denn etwas anderes?)

Das bedeutet praktisch keine Leistungen mehr, Wir wissen, daß in manchen Regionen, in die man wenn sie sich erstens in unser Land hineinbegeben reisen kann, die Häuser zerstört sind, daß zum Teil haben, um Sozialleistungen zu empfangen - diese andere Familien in den nicht zerstörten Häusern Regelung ist aus dem BSHG übernommen; wenn Sie wohnen, daß Flüchtlinge wieder in Lagern aufge- sich erkundigen, werden Sie herausfinden, daß die- nommen werden und daß Flüchtlinge nicht auf Aner- ser Paragraph selten angewendet werden kann und kennung stoßen. Der Prozeß wird nur langsam fo rt Schwierigkeiten machen wird -, oder wenn sie zwei- -schreiten. Ich bitte Sie, einmal darüber nachzuden- tens aus von ihnen zu vertretenden Gründen nicht ken, ob man hier wirklich so argumentieren kann. ausreisen oder abgeschoben werden können. Da, (Zuruf von der CDU/CSU: Ich bin froh, daß Herr Lohmann, könnte ich mir vorstellen, daß das die die die Wahlen nicht gewinnen werden!) Gruppe ist, bei der man sagt, sie könne nicht bei uns bleiben, weil sie selber ihre Ausreise verhindert, um Ich denke, daß wir uns - nach der geplanten Anhö- weiter Leistungen zu erhalten. Es ist richtig, daß das rung, in der wir auf all diese Fragen Antworten be- Gesetz vollzogen werden muß und daß sie unser kommen - bemühen und unsere ganzen Anstrengun- Land verlassen müssen. Aber wir als Sozialpolitiker gen dareinsetzen sollten, mit den Ländern zusammen müssen ganz grundsätzlich fragen: Welche Mittel dieses Gesetz so zu verändern, daß die Menschlich- nehmen wir? Es bleibt die Frage, ob man dazu das keit, der Anspruch auf Menschenwürde und auch Sozialrecht oder das Ausländerrecht nimmt. Es muß der Rechtsstaat nicht auf der Strecke bleiben. für uns als Politiker zwingend sein, darüber nachzu- Vielleicht erlauben Sie mir eine letzte Bemerkung: denken: Was machen wir? Welche Konsequenzen ha- Das ist jetzt die dritte Änderung des Asylbewerber- ben wir, wenn wir ein Sozialrecht dahin gehend er- leistungsgesetzes. Jedesmal hat es eine Verschlech- weitern, daß wir es als Ordnungsrecht gebrauchen, terung gegeben. Wir suchen hier nach den richtigen quasi als Ersatz für die Unmöglichkeit eines Ord- Mitteln, um die Flüchtlingsfrage zu lösen. Ich würde nungsrechts? Wir werden darüber nachdenken müs- mir wünschen, wir würden uns mindestens so enga- sen. gieren und so viel Phantasie aufwenden und Mittel ersinnen, die es erlauben, daß die Menschen, die bei Das zweite ist - insbesondere da hat der Protest an uns Zuflucht suchen, in ihren Heimatländern bleiben geduldete Flüchtlinge praktisch keine-gesetzt -, daß können. Dann wäre es wirklich möglich, menschlich Leistung erhalten sollen, wenn sie nicht ausreisen, - miteinander umzugehen. obwohl ihrer Ausreise in den Herkunftsstaat oder ei- nen anderen zur Aufnahme bereiten Staat keine (Beifall bei der SPD) rechtlichen oder tatsächlichen Hinde rnisse entge- genstehen. Wir alle, die wir zu Hause Flüchtlinge aus Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Jugoslawien haben, wissen, wie schwer es für die Fa- jetzt die Abgeordnete Amke Dietert-Scheuer. milien ist, zurückzukehren. Herr Lohmann, der Ver- gleich mit der Situation nach dem Krieg zieht nicht. Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ legen! Als das Asylbewerberleistungsgesetz 1993 be- CSU]: Das sagen Sie! Das sagen Sie einmal schlossen wurde, hieß es: Für ein Jahr, auf keinen den Menschen vor Ort!) Fall länger, sollen Asylsuchenden die Leistungen im Vergleich zu deutschen Sozialhilfeempfängern ge- Er zieht nicht, weil die Flüchtlinge damals nicht an kürzt werden. Vergangenen Sommer wurde der Per- Leib und Leben bedroht waren, wie manche es jetzt sonenkreis erweitert. Die Bürgerkriegsflüchtlinge noch sind. und die Geduldeten kamen hinzu. Außerdem wurde die Kürzung um zirka 20 Prozent im Verhältnis zu (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ den Sozialleistungen auf drei Jahre verlängert. CSU]: Bitte, was? - Georg Brunnhuber Der Gesetzentwurf, um den es heute geht, ist nicht [CDU/CSU]: Wo leben Sie denn?!) mehr nur eine Kürzung, sondern die Aufkündigung jedes sozialstaatlichen Konsenses. Einem Teil der Ich bin auf Einladung Ihres Verteidigungsministers hier lebenden Bevölkerung - die Bundesregierung Rühe in Sarajevo gewesen. Die Generäle haben uns redet von zirka 600 000 Menschen - soll jeglicher Ver- den Zustand der Region do rt geschildert. Sie haben sorgungsanspruch und damit im Prinzip das Lebens- uns gesagt: Wenn unser Aufenthalt hier einen Sinn recht verweigert werden. haben soll, wenn es uns gelingen soll, diese Gegend (Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: So ein aus von Minen freizuräumen, wenn es uns gelingen soll, gemachter Blödsinn!) den Frieden in dieser Region einigermaßen zu be- wahren, dann sagt bitte zu Hause, daß die Rückkehr Das dürfen wir nicht hinnehmen! 20542 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Amke Dietert-Scheuer Erinnern wir uns an die von uns beantragte Aktu- und andere Vorschläge kursieren. Es ist völlig offen, elle Stunde zum Asylbewerberleistungsgesetz am wie verfahren werden soll. 6. Februar. Wir haben aufgezeigt, wer von diesen Maßnahmen betroffen wäre: bosnische Kriegsflücht- Was bedeutet der Gesetzentwurf für die konkrete linge, Flüchtlinge aus Algerien, aus dem Kosovo und alltägliche Praxis auf dem Sozialamt? Werden die afghanische Frauen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sozialämter nun in jedem Fall feststellen müssen, ob eine Familie (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ freiwillig ausreisen könnte, ob ein krankes Kind zum CSU]: Sprechen Sie doch endlich über die Arzt darf oder nicht? Nicht zuletzt sollten wir uns die Schlepperbanden! ) absehbaren Nebeneffekte dieses Gesetzes vor Au- gen führen. Was wurde uns da nicht alles vorgeworfen: Greuel szenarien, Unkenntnis des Gesetzestextes. Von mehreren Seiten kamen Warnungen, daß die- ser Gesetzentwurf die Asylbewerberzahlen in die Der Debatte vom 6. Februar war aber auch zu ent- Höhe treiben wird. Flüchtlinge aus Kriegen und Bür- nehmen, daß es auch in den Reihen der Koalitions- gerkriegen haben im Asylverfahren so gut wie keine fraktionen Bedenken gegen das Gesetz gibt. Zumin- Anerkennungschancen. Mit dem leider nie umge- dest wurde die Auffassung geäußert, daß bosnische setzten § 32 Ausländergesetz sollte daher vermieden Flüchtlinge und Personen, die auf Grund von werden, daß sie ins Asylverfahren gedrängt werden. Abschiebungshindernissen geduldet werden, nicht Dieser gewünschte Effekt wird nun mit der Neurege- davon betroffen sein dürften. Bei Ihnen, Herr lung des Asylbewerberleistungsgesetzes hintertrie- Lohmann, klang das vorhin schon wieder deutlich ben. anders. Die vorgesehene Regelung wird ein enormes Maß Der vorliegende Gesetzentwurf erfüllt aber nicht an bürokratischen Einzelfallprüfungen und Gerichts- einmal diese Voraussetzungen. Nach wie vor sind verfahren nach sich ziehen. Was sollen Personen, die auch bosnische Kriegsflüchtlinge und Geduldete, auf Grund von Gefahr für Leib und Leben nicht in bei denen Abschiebungshindernisse nach § 53 des ihre Heimatländer zurückkehren können, anderes Ausländergesetzes festgestellt wurden, weil ihnen tun, als den Klageweg zu beschreiten, um sich nicht Gefahr für Leib und Leben, Folter oder Todesstrafe durch diese Politik des Aushungerns aus dem Land drohen, von dem Leistungswegfall betroffen. Eine treiben zu lassen? Klarstellung in einem Referentenentwurf aus dem Gesundheitsministerium, die diese Personen ausge- Nicht zuletzt ist es der soziale Sprengstoff, den nommen hätte, wurde von der Bundesregierung in dieser Gesetzentwurf enthält, über den wir uns ernst- ihrer Stellungnahme nicht übernommen. Dies und haft Gedanken machen sollten. Sollen etwa die be- auch die von der Bundesregierung geschätzten troffenen Menschen in die Illegalität gehen, um ihren 600 000 Betroffenen machen deutlich, daß gerade Lebensunterhalt anderweitig zu beschaffen? auch diese Personengruppen unter diese Regelung - (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ fallen sollten. CSU]: Die sollen nach Hause gehen!) Die Bundesregierung will den Entwurf des Bun- Wir werden Kriminalität produzieren, wenn wir die- desrates sogar noch weiter verschärfen. Was im Ple- sem Gesetzentwurf unsere Zustimmung geben. Oder num des Bundesrates noch verworfen wurde, wi ll sie ist etwa gerade das gewollt: Flüchtlinge in die Krimi- wieder einführen. Von Leistungen ausgeschlossen nalität zu treiben, um weiterhin Angst und Vorurteile soll auch werden, wer unerlaubt in die Bundesrepu- zu schüren? blik eingereist ist. Gerade Personen, die vor politi- scher Verfolgung oder auf Grund von Gefahr für Leib (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So was Dum- und Leben fliehen, ist es so gut wie unmöglich, legal mes! - Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] in die Bundesrepublik einzureisen. Genau deswegen [CDU/CSU]: Ich war 16 Jahre in der Kom- schließt die Genfer Flüchtlingskonvention in A rt. 31 munalpolitik! Soll ich mir so was anhören?) eine Bestrafung wegen i llegaler Einreise ausdrück- Der Gesetzentwurf enthält eine Reihe von Unklar- lich aus. Es ist ein Verstoß gegen den Geist des Völ- heiten und Ungereimtheiten. Eines ist jedoch voll- kerrechts, wenn hier bei uns nun eine Bestrafung kommen klar: Mit diesem Gesetz verläßt die Bundes- über das Sozialrecht vorgenommen werden soll. regierung den Boden des Sozialstaates. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und bei der PDS) Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wird Nach wie vor unklar ist, was es zu bedeuten hat, einer Gruppe von Menschen das pure Existenzrecht wenn diejenigen Personen, die keinen Anspruch abgesprochen. Nach dem Willen der Bundesregie- mehr haben, nur noch Leistungen erhalten, „soweit rung werden Hunderttausende von Menschen ge- dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar zwungen sein, auf der Straße zu leben und zu hun- geboten ist. " Sollen alle Sozialleistungen gestrichen gern. Dies kann man nur als einen Rückfall in die werden, also die ca. 600 000 Betroffenen auf die Barbarei bezeichnen. Straße gesetzt werden? Sollen sie medizinisch notver- sorgt werden? Sollen ihre Kinder vom Schulrecht Die Kirchen, die Wohlfahrtsverbände und der ausgeschlossen werden? Sollen sie lediglich eine UNHCR laufen - vollkommen zu Recht - dagegen Rückfahrkarte und ein Butterbrot erhalten? Diese Sturm. Ich hoffe, daß Sie sich bei der geplanten An- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20543

Amke Dietert-Scheuer hörung zu dem Gesetzentwurf wenigstens von deren Allerdings besteht auch die Gefahr, daß in die falsche Argumenten überzeugen lassen. Richtung weitergedacht wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nach wie vor nicht befriedigend geklärt ist, wen sowie bei Abgeordneten der SPD und der genau die vorgesehenen Kürzungen treffen sollen. PDS) Handelt es sich um diejenigen, die mehrfach Sozial- hilfe beziehen und somit zweifellos Sozialleistungen mißbrauchen? Sind es diejenigen, von denen wir an- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat nehmen, daß sie ausreisen könnten, es aber nicht jetzt der Abgeordnete Uwe Lühr. tun? Oder sind es eventuell auch diejenigen, die ille- gal eingereist sind, weil sie vor Folter oder Todes- Uwe Lühr (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine sehr strafe fliehen mußten? verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Zumindest läßt sich zunächst feststellen, daß sich Liebe Kollegen! Zwei Bemerkungen am Anfang: Daß derjenige, der eine ausländerrechtliche Duldung be- der Bundesrat bei der Debatte seines Gesetzent- sitzt, legal im Bundesgebiet aufhält. Jede Abgren- wurfs, der über das Schicksal von vielen Menschen zung innerhalb dieser Gruppen ist ausgesprochen durchaus wichtige Entscheidungen treffen wird, schwierig. nicht angemessen präsent ist, empfinde ich als eine Zumutung für unser Hohes Haus. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der SPD) (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der SPD und der PDS) Diese Arbeit, denke ich, liegt noch vor uns. Nehmen wir beispielsweise die Gruppe der sogenannten ille- Zweite Bemerkung: Auch ich werde versuchen, gal Eingereisten, die der Bundesrat mit Bedacht mich in meinem Diskussionsbeitrag differenzie rt zu nicht in die Neuregelung einbezogen hat. Gleich- dem Gesetzentwurf zu äußern. Ich möchte aber zu- wohl formuliert die Bundesregierung in ihrer Stel- nächst darauf hinweisen - speziell mit Blick auf die lungnahme, den Antrag zu „prüfen", ob auch die il- Rede der Kollegin Lange -, daß der Bundesrat diesem legale Einreise für Leistungseinschränkungen heran- Gesetzentwurf mehrheitlich zugestimmt hat. Nun ist gezogen werden sollte. die SPD ja kampferprobt, was die Blockade von Ge- setzen im Bundesrat angeht, die nach Meinung der Meine Damen und Herren, illegal ist jeder einge- SPD unvollständig sind. reist, der bei seiner Einreise nicht über die notwendi- gen Ausweisdokumente verfügt. Dies betrifft völlig (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ unterschiedliche Personengruppen. Da ist zum einen CSU]: Das kann man wohl sagen!) derjenige, der nach Deutschland gekommen ist, weil er sich hier ein besseres Leben verspricht, und der Es wäre sinnvoll gewesen, diesen Gesetzentwurf, der gefahrlos ins Herkunftsland zurückreisen könnte. in meinen Augen wirkli ch nicht ausreichend ist, zu - Hier spricht nichts, aber auch gar nichts dagegen, blockieren. ihm hier in Deutschland das Leben so ungemütlich (Beifall bei der F.D.P.) wie möglich zu machen, damit er wieder ausreist. Meine Damen und Herren, in der ersten Lesung (Zustimmung des Abg. Ulrich Hein rich dieses Gesetzentwurfs des Bundesrates möchte ich [F.D.P.]) kurz beleuchten, wie es zu dem jetzt diskutierten Ge- Es betrifft aber auch Bürgerkriegsflüchtlinge und setzentwurf gekommen ist. Menschen aus Ländern, in denen staatliche Verfol- Ausgegangen war das Verfahren von einem An- gung herrscht. Diese Menschen können die erforder- trag des Landes Berlin, daß Leistungen nach dem lichen Dokumente zum Zeitpunkt ihrer Flucht oft nur Asylbewerberleistungsgesetz dann beschränkt wer- schwer oder gar nicht beschaffen. den sollten, wenn Menschen in das Bundesgebiet Man muß sich gerade im Hinblick auf Bürger- einreisen, um Leistungen nach dem Asylbewerber- kriegsflüchtlinge oder auf Menschen aus Ländern, in leistungsgesetz zu erhalten. Dieser Antrag, der eine denen staatliche Verfolgung herrscht, klarmachen, Regelung des Bundessozialhilfegesetzes aufgreift, daß solche Papiere nicht oder nur unter ganz großen war als solcher inhaltlich zweifellos sinnvoll. Aller- Schwierigkeiten zu beschaffen sind. Wir haben es dings hat sich durch das Plenum des Bundesrates die deswegen mit einer zahlenmäßig recht umfangrei- Möglichkeit einer erheblichen Erweiterung ergeben. chen Gruppe zu tun. Was ist mit Flüchtlingen, in de- Diese Erweiterung hat aber in keiner Weise dazu bei- ren Heimatländer - wie beispielsweise Afghanistan - getragen, inhaltliche Verbesserungen oder gar klare keine Rückflüge möglich sind? Viele der i llegal Ein- Regelungen zu erreichen. Im Gegenteil: Die bishe- gereisten erhalten nach § 53 oder § 54 Ausländerge- rige Diskussion hat zu einer Verunklarung, Verschär- setz zu Recht eine Duldung im Bundesgebiet, weil ih- fung und damit aus meiner Sicht zu einer „ Ver- nen im Heimatland Tod oder Folter drohen. Diese schlimmbesserung " geführt. Flüchtlinge sind nicht etwa gekommen, um Leistun- gen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu er- Mittlerweile hat die Bundesregierung Stellung ge- langen, sondern weil sie Schutz begehren und den nommen. Diese Stellungnahme zeichnet sich durch Schutz brauchen. eine große Offenheit, aber auch durch Interpretati- onsmöglichkeiten nach allen Seiten aus. Das hat den (Beifall der Abg. Cornelia Schmalz-Jacob Vorteil, daß sie für weitere Interpretationen offen ist. sen [F.D.P.]) 20544 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Uwe Lühr Die Genfer Flüchtlingskonvention legt dazu interna- mit den genauen Voraussetzungen dieser Regelun- tional geltende Maßstäbe fest, an die sich alle Staa- gen befassen. ten und damit auch die Bundesrepublik Deutschland zu halten haben. Diesen Menschen kann man doch Meine Fraktion hat sich deswegen dafür ausge- nicht auch noch die Leistungen beschneiden! sprochen, daß wir im Rahmen der Ausschußberatun- gen unbedingt eine Anhörung mit den beteiligten (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der Verbänden, insbesondere dem UNHCR und anderen SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ Organisationen, durchführen sollten. NEN) (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und Meine Damen und Herren, sicherlich gibt es Miß- der SPD - Wolfgang Lohmann [Lüden brauchsfälle, in denen der Staat den Mißbrauch nicht scheid] [CDU/CSU]: Aber auch mit den dulden darf und einschreiten muß. Das sollte uns Kommunen!) aber nicht Anlaß geben, eine ganze Gruppe pauschal mit Leistungseinschränkungen zu belegen, so daß es Das hat der Gesundheitsausschuß dankenswerter- auch die Falschen treffen kann. So sehr ich für Ver- weise auch so beschlossen. waltungsvereinfachung bin: Hier ist es unumgäng- (Vorsitz : Vizepräsidentin Michaela Gei lich, klare und präzise Regelungen zu treffen und ge- ger) naue Voraussetzungen zu schaffen, nach denen eine Leistungseinschränkung im Einzelfall beurteilt wer- Es handelt sich um eine so schwierige und ver- den kann. zweigte Materie, daß wir uns nicht anmaßen sollten, auf den Sachverstand und das Detailwissen dieser Es geht nicht an, im Schnellverfahren noch ein so Verbände zu verzichten. Wir müssen hinterher mit wichtiges Gesetz vor der Bundestagswahl durch die den negativen Konsequenzen dieser Entscheidung Gremien zu peitschen. Es könnte uns dann sehr leben. Bevor wir uns nicht restlos über die Konse- leicht passieren, daß wir die Fortentwicklung der un- quenzen klar sind, habe ich und hat meine Fraktion zureichenden Gesetzesregelungen der Rechtspre- deutliche Vorbehalte gegen den Gesetzentwurf, je- chung überlassen müssen, die die Einzelfälle indivi- denfalls wie er jetzt aussieht. duell beurteilen wird, was sich über Jahre hinweg- ziehen würde. Die Sozialbehörden vor O rt, die mit Schönen Dank. diesem Gesetz umgehen müßten, dürften mit den Re- gelungen, wie sie derzeit vorgeschlagen werden, (Beifall bei der F.D.P. und der SPD) überfordert sein - und das zu Recht. Die Behörden, die mit dem Gesetz umgehen sollen, müssen wissen, Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat wann genau Mißbrauch vorliegt. Der Personenkreis, jetzt die Abgeordnete Heidi Knake-Werner, PDS. der mißbräuchlich Leistungen beansprucht, muß klar (Dr. Wilfried Penner [SPD]: Rheinland-Pfalz definiert sein. - hat auch zugestimmt!) Es wäre zudem auch wichtig, zu erfahren, wie an mit Asylbewerbern und-dere europäische Länder Flüchtlingen umgehen. Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es wird Sie nicht (Beifall der Abg. Cornelia Schmalz-Jacob in Erstaunen versetzen, wenn ich Ihnen gleich zu Be- sen [F.D.P.]) ginn sage, daß die PDS den Gesetzentwurf der gro- ßen Länderkoalition ablehnt. Dieser Bundesratsent- Kaum ein anderes europäisches Land verfügt über so wurf bestätigt unsere Befürchtungen, die wir bereits ausgefeilte und differenzie rte Regelungen zum Aus- 1993 bei der Verabschiedung des Asylbewerberlei- länderrecht wie die Bundesrepublik. Nach Auskunft stungsgesetzes hatten. des UNHCR behandeln manche europäische Länder Bürgerkriegsflüchtlinge und Asylbewerber einfach Wer einmal von dem Grundsatz abweicht, daß die einheitlich als Flüchtlinge. Auch im Hinblick auf die Menschenwürde unteilbar ist, wer einmal eine Erteilung von Arbeitserlaubnissen sind andere Län- Gruppe von Menschen unter diskriminierendes Son- der großzügiger. Wenn aber eine legale Arbeitsauf- derrecht stellt, der wird bei passender Gelegenheit nahme nicht möglich ist, muß der Staat Flüchtlingen weiter an dieser Schraube drehen. Aus welchen in anderer Weise ein menschenwürdiges Existenz- Gründen auch immer: Finanzkalkül und Ausländer- minimum sichern, wie zum Beispiel bei uns durch feindlichkeit ergänzen sich hier auf bedrohliche Geld- oder Sachleistungen nach dem Asylbewerber- Weise. leistungsgesetz. Erst im vergangenen Jahr hat eine Mehrheit im Ich sehe sehr wohl, daß soziale Leistungen des Bundestag und auch im SPD-dominierten Bundesrat Staates finanzierbar bleiben müssen. Das darf aber dafür gesorgt, daß die obligatorische Leistungskür- nicht auf Kosten solcher Menschen gehen, die wirk- zung um 20 bis 25 Prozent im ersten Jahr des Aufent- lich schutzbedürftig sind. Darauf legen wir wirklich haltes von Asylantragstellern noch einmal für drei Wert. Solchen Menschen darf auch nicht von vorn- Jahre fortgeführt wird und daß das ausgrenzende herein unterstellt werden, sie seien gekommen, um und diskriminierende Sachleistungsprinzip ver- sich an Leistungen des deutschen Sozialstaats zu be- schärft angewandt wird. Und nun - so jedenfalls die reichern. Das kann nicht Sinn der Übung sein. Ich Intention des Bundesrates - versuchen SPD und CDU bin hier dringend dafür, daß wir uns noch eingehend erneut, sich im Kampf gegen die sogenannte miß- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20545

Dr. Heidi Knake-Werner bräuchliche Inanspruchnahme von Sozialleistungen Zweitens. Die Leistungseinschränkung soll Lei- durch Ausländer zu übertreffen. stungsberechtigte treffen, die nicht freiwillig ausrei- sen. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wollen Sie die fördern?) (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wenn sie es könnten!) Gegen die Bekämpfung von Mißbrauch kann nie- mand ernsthaft etwas einwenden. Dabei spielt bei der Auslegung der Freiwilligkeit (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ das, was die Menschen nach ihrer Rückkehr erwar- CSU]: Etwas machen, nicht nur reden!) tet, überhaupt keine Ro lle. Sich darüber hinwegzu- setzen ist zutiefst unmoralisch. - Hören Sie mir doch einfach einmal zu, Herr Loh- mann. - Aber da liegt gar nicht das Problem. Hier (Beifall bei der PDS - Wolfgang Lohmann geht es nicht um die Verhinderung von Mißbrauch, [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Daß Sie die sondern hier soll der Verdacht des Leistungsmißbrau- Moral nennen, ist ein Witz, wenn es nicht so ches dazu herhalten, Sozialleistungen für bestimmte traurig wäre!) Gruppen von Flüchtlingen zu kürzen - Sie können mir und auch meinetwegen der DDR (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ viel vorwerfen, aber nicht, daß sie keine Flüchtlinge CSU]: Das sagen Sie!) aufgenommen hat. und auf das unabweisbar Lebensnotwendige - Sie (Uwe Lühr [F.D.P.]: Der Salto war interes- sollten einmal erklären, was das ist - zusammenzu- sant! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU) stutzen. (Beifall bei der PDS) - Selbst dieses Thema ist Ihnen nicht ernst genug, Dabei spielt neben Bayern auch Niedersachsen um es für solche Schoten zu nutzen. wieder eine besonders unrühmliche Rolle. Liebe Kol- Drittens. Die Leistungseinschränkung soll schließ- leginnen und Kollegen von der SPD, ich will es noch lich Leistungsberechtigte betreffen, die eingereist einmal deutlich sagen: Diese Aufgabenteilung zwi- sind, „um Leistungen zu erhalten", wie es wörtlich schen Bundesrat und Bundestagsfraktion macht Ihre heißt. Darunter können alle Flüchtlinge fallen, die Flüchtlingspolitik wirklich nicht glaubwürdiger. ausländerrechtlich weiterhin geduldet oder zumin- (Beifall bei der PDS) dest aktuell nicht abgeschoben werden können, zum Beispiel Frauen und Männer, die in ihrem Heimat- Das Sozialrecht wird zur Regulierung von Asyl- land von Folter und Tod bedroht sind, oder jene, die und Flüchtlingsfragen mit der bösen Konsequenz in- auf Grund eines Abschiebestopps geduldet werden; strumentalisiert, Flüchtlinge durch Aushungern zu auch solche, die auf Grund ethnischer Konflikte aus vertreiben - man kann es nicht anders nennen, Herr ihren Ländern fliehen. Lohmann -, All diesen Menschen wird die Existenzgrundlage (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ entzogen, egal, ob sie aus dem Kosovo, aus Algerien, CSU]: Das, was Sie sagen, ist primitiv und aus dem Libanon oder aus Afghanistan kommen. Mit beleidigend!) einem Butterbrot und einer Fahrkarte werden sie wenn der, der wohnen will, der essen will, der eine dorthin zurückgeschickt. Und sie sagen, diese Men- medizinische Versorgung haben will, ausreisen muß, schen sollen Rechtsmittel einlegen. Auf welcher weil ihm nichts anderes mehr bleibt. Auf diesen Grundlage denn eigentlich, Herr Lohmann? Wie sol- skandalösen Vorgang ist in der Tat in den vielen Stel- len die denn in dieser Zeit hier leben? lungnahmen hingewiesen worden, die wir in den letzten Wochen erhalten haben. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Den Asylbewerbern werden alle Die Frage, ob jemand Sozialleistungen bekommt Rechtsmittel geboten!) oder nicht, wird nicht mehr danach entschieden, ob der- oder diejenige für den Lebensunterhalt selbst Aber man geht ja auch noch viel weiter: Die Bun- sorgen kann oder nicht, sondern danach, ob das alles desregierung begrüßt die Initiative des Bundesrates ins ausländerpolitische Konzept paßt. Das stellt in und möchte sie darüber hinaus noch verschärfen. der Tat das Sozialstaatsprinzip komplett auf den Herr Bundesminister Seehofer geht davon aus, daß Kopf. 600 000 im Lande lebende Ausländerinnen und Aus- (Beifall bei der PDS) länder für die Leistungseinschränkung in Betracht kommen können. Betrachtet man die Regelungen im einzelnen, ver- stärkt sich natürlich dieser Eindruck: Erstens. Die Natürlich wollen Sie auch diejenigen erfassen, die Leistungseinschränkung soll Personen treffen, deren illegal eingereist sind. Das können sich wirklich nur Asylverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlos- Bürokraten ausdenken, in deren Vorstellungswelt es sen ist und bei denen der Verdacht besteht, daß sie nicht paßt, daß Menschen, die vor gesundheits- und eine Abschiebung verhindern, um Sozialleistungen lebensbedrohenden Situationen in ihrem Heimatland zu erhalten. Daß diese Menschen einfach von der fliehen, nicht auch noch Anträge in fünffacher Aus- Angst um ihr Leben get rieben sein könnten, hat wohl fertigung ausfüllen können. Nein, in Ihre Köpfe geht in solchen Gehirnwindungen keinen Platz mehr. so etwas nicht hinein. 20546 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Dr. Heidi Knake-Werner Der Gesetzentwurf, der hier vorliegt, hat für diese der eingeschränkt werden sollen, die sich in der Bun- Menschen nur eine Botschaft: Raus, aber schnell! desrepublik Deutschland rechtswidrig aufhalten, die Das halten wir für einen unerträglichen Verstoß ge- also rechtlich verpflichtet wären, die Bundesrepublik gen den Sozialstaat und gegen die Menschlichkeit. Deutschland zu verlassen. Das ist der Grundtatbe- Ich versichere Ihnen: Die PDS wird den breiten Wi- stand. derstand gegen dieses unsoziale und rassistische Ge- (Beifall bei der CDU/CSU) setz unterstützen. Zu diesem Grundtatbestand muß eine von drei (Beifall bei der PDS sowie der Abg. Amke Fallgruppen hinzutreten - und nur eine dieser drei Dietert-Scheuer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Fallgruppen. Es ist nicht so, wie in der Öffentlichkeit NEN]) immer behauptet wird. Wenn eine dieser Fallgrup- pen vorliegt, dann kann es zu Leistungseinschrän- kungen kommen. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile jetzt das Wort dem Bundesminister für Gesundheit, Horst Erste Fallgruppe: Die Leistungseinschränkung soll Seehofer. für diejenigen Ausländer gelten, die nach Deutsch- land gekommen sind, um Leistungen zu erhalten. Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: Leistungsberechtigte Ausländer nach dem Asylbe- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und werberleistungsgesetz sollen nämlich rechtlich nicht Herren! Angesichts so vieler Falschbehauptungen anders behandelt werden als leistungsberechtigte möchte ich mit dem beginnen, worum es heute nicht Ausländer nach dem Bundessozialhilfegesetz. Wir geht. Es geht nicht darum, daß Leistungen für Men- haben seit eh und je die Bestimmung im Bundesso- schen eingeschränkt werden, die sich in einer Not- zialhilferecht, wonach Ausländer, die nur zum Zweck lage befinden und denen deshalb der Aufenthalt in des Leistungsbezugs nach Deutschland gekommen Deutschland gestattet ist, zum Beispiel Asylbewer- sind, eingeschränkte Leistungen erhalten. bern während des Asylverfahrens oder anerkannten Nun gibt es keinen einleuchtenden Grund, warum Asylbewerbern. Es geht auch nicht darum - das im- die Rechtsbestimmung, die seit Jahrzehnten für Aus- mer wieder bemühte Beispiel -, einem durch Folter länder nach dem Sozialhilferecht gilt, nämlich daß traumatisierten Menschen, der in Deutschland die er- Ausländer, die nur zu uns kommen, um Sozialhilfe zu forderliche medizinische Hilfe erhält, Leistungen zu beziehen, Leistungseinschränkungen hinnehmen kürzen; denn diesen Menschen wird es nicht zumut- müssen, nicht auch für Leistungsberechtigte nach bar sein, in ihre Heimat zurückzukehren. dem Asylbewerberleistungsgesetz gelten soll. Das (Zurufe von der Tribüne - Die Zurufer wer versteht doch niemand in der Öffentlichkeit. den vom Ordnungsdienst des Saales ver (Beifall bei der CDU/CSU) wiesen - Die Abgeordneten der Gruppe der PDS verlassen den Saal - Wolfg ang Zöller - Die zweite Fallgruppe: Unter die Leistungsein- [CDU/CSU]: Die haben auf den Auftritt schränkungen sollen auch die ausreisepflichtigen gewartet und gehen jetzt geschlossen raus! Ausländer fallen, die selbst dafür verantwortlich Das ist ein dicker Hund!) sind, daß sie nicht ausreisen und nicht abgeschoben werden können. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn sie ihre Identität oder Nationalität verschleiern Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Minister, oder wenn sie ihre Ausweispapiere weggeworfen ha- ich schlage vor, daß Sie jetzt mit Ihrer Rede von vorne ben. beginnen.

Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Minister, Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: gestatten Sie eine Zwischenfrage? Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte angesichts vieler Falschbehauptungen noch einmal feststellen, worum es heute nicht geht. Es Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: geht nicht darum, Leistungseinschränkungen für Nein, Herr Schuster. Menschen vorzusehen, die in einer Notlage sind, und Sie können doch in der Öffentlichkeit niemandem sich hier berechtigterweise aufhalten. Es geht auch erklären, daß uneingeschränkt Leistungen nach dem nicht um Menschen - um das noch einmal zu sagen -, Asylbewerberleistungsgesetz erforderlich sind, wenn die durch Folter traumatisiert sind, die hier in jemand vorsätzlich die Feststellung seiner Identität Deutschland die erforderliche medizinische Hilfe er- verhindert. fahren und denen man nicht zumuten kann, in ihr Heimatland zurückzukehren. (Beifall bei der CDU/CSU) Worum geht es eigentlich bei diesem Bundesrats- Eine dritte Personengruppe, die unter die Lei- entwurf? Nach der aktuellen Rechtslage haben Aus- stungseinschränkung fallen soll, sind ausreisepflich- länder einen Rechtsanspruch auf uneingeschränkte tige Ausländer, die zwar aus bestimmten Gründen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht abgeschoben werden können, aber ohne weite- selbst dann, wenn sie diese Leistungen rechtsmiß- res freiwillig in ihr Herkunftsland oder in einen ande- bräuchlich in Anspruch nehmen. So ist heute die ren aufnahmebereiten Staat ausreisen könnten und Rechtslage. Deshalb hat der Bundesrat einen Gesetz- es nicht tun. Darunter - das wissen Sie - fallen Perso- entwurf vorgelegt, nach dem Leistungen für Auslän nen, zum Beispiel Vietnamesen, für die von seiten Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20547

Bundesminister Horst Seehofer der Bundesrepublik Deutschland kein Rückübernah- Wir sind sehr dafür, daß man den Gesetzentwurf meabkommen abgeschlossen werden konnte, weil diskutiert - ich komme noch einmal darauf zurück -, die zuständige Regierung dazu nicht bereit war, die auch im Detail. Aber eines lassen wir nicht durchge- aber ohne weiteres freiwillig in ihr Heimatland zu- hen, Frau Lange: Hier als SPD links reden, als Schrö- rückkehren könnten. der im Bundesrat rechts handeln und das Ganze als Politik der Mitte ausgeben. Um diese drei Personengruppen geht es. Aus- schließlich in den drei hier genannten Fällen sollen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ausreisepflichtige Ausländer künftig nur noch einen Anspruch auf eingeschränkte Leistungen haben; nur Das ist keine Politik der Mitte, das ist eine Politik der in diesen drei Fällen, wo es in der Person des Ausrei- Täuschung. Die lassen wir im Bundestag nicht durch- sepflichtigen liegt und er es zu vertreten hat. Das ist gehen. Da werden wir Sie stellen. Das ist ein Bild von weder inhuman noch stellt es eine soziale Härte dar. Uneinigkeit und Zerfahrenheit bei SPD und Grünen, Ich sage, es ist eine Notwendigkeit. Es ist schon gar das Sie nicht nur in dieser Frage bieten. Das zeigt nicht ausländerfeindlich. deutlich, daß es nicht im Interesse dieses Landes wäre, wenn die deutsche Politik von Ihren Entschei- Wir vollziehen jetzt im Asylbewerberleistungsge- dungen abhängig wäre. setz lediglich etwas, was für Deutsche und Ausländer seit eh und je nach dem Bundessozialhilfegesetz gilt. In Deutschland leben 7,4 Millionen Ausländer, dar- Auch Deutsche, die sich rechtsmißbräuchlich verhal- unter nicht wenige, die berechtigt wegen Verfolgung ten, haben nach dem Bundessozialhilfegesetz keinen und Folter bei uns Schutz suchen. Diese Tatsache ist Anspruch auf Sozialhilfe. Ausdruck der Hilfsbereitschaft der Deutschen ge- genüber ihren ausländischen Mitbürgern. Diese Wenn wir diesen Grundsatz im Asylbewerberlei- Hilfsbereitschaft läßt sich nur aufrechterhalten, wenn stungsgesetz in drei ganz konkreten Fallgruppen sich die Menschen in der Bundesrepublik Deutsch- konkretisieren und hinzufügen, daß wir von diesen land darauf verlassen können, daß es bei der Gewäh- Leistungseinschränkungen nicht Menschen erfassen rung von Hilfe und Schutz gerecht zugeht. wollen, die sich hier in einer Notsituation aufhalten, zum Beispiel wegen Folter traumatisiert und hier in (Zuruf von der SPD: Richtig!) medizinischer Behandlung sind, dann kann man Dazu gehört, daß unterschieden wird zwischen Aus- nicht ernsten Gewissens sagen, daß dies inhuman ländern, die sich zu Recht hier aufhalten, und Aus- oder gar ausländerfeindlich ist. ländern, die Deutschland verlassen müßten, dies (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge aber rechtsmißbräuchlich nicht tun und dadurch So- ordneten der F.D.P.) zialleistungen in Anspruch nehmen. Dazwischen müssen wir schon unterscheiden; denn sonst zerstö- Dieser generelle Leitgedanke, daß man dann, wenn - ren wir jede Akzeptanz, wenn es darum geht, jenen man gegen Recht und Gesetz verstößt, mit Leistungs- Menschen, die anders glauben oder politisch anders einschränkungen rechnen muß, gilt auch für deut- denken, bei uns Schutz zu gewähren, weil sie in ih- sche Staatsbürger in der Bundesrepublik Deutsch- ren Herkunftsländern um ihre Gesundheit oder gar land. ihr Leben fürchten müssen. Wir brauchen die Akzep- tanz der deutschen Bevölkerung. Wir werden sie nur Ich darf erinnern, weil Sie, Frau Lange gesagt ha- aufrechterhalten, wenn wir da, wo es in der Person ben, daß wir zu schnelle und zu häufige Änderungen des Ausländers liegt, in Gründen, die er zu vertreten vornehmen: Vor genau einem Jahr haben wir lang- hat, die Sozialhilfeleistungen drastisch einschränken, wierige Verhandlungen im Vermittlungsverfahren und zwar in den drei Fallgruppen, die ich genannt zwischen Bundestag und Bundesrat zum Asylbewer- habe. berleistungsgesetz geführt. Sie haben sich ein Jahr lang dagegen gesträubt. Wir haben über diese Dinge Ich bin sehr dafür, Herr Kollege Lühr, daß wir im auch in der zuständigen Arbeitsgruppe im Vermitt- zuständigen Ausschuß des Deutschen Bundestages lungsausschuß gesprochen. Es ist damals von der manche Dinge noch griffiger zu formulieren versu- SPD abgelehnt worden. Jetzt kommt die große Über- chen, um eine klare und saubere Anwendung in der raschung: Die SPD-regierten Länder machen plötz- Praxis zu gewährleisten. lich bei Vorhaben mit, über die sie vor einem Jahr mit (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) uns noch nicht einmal diskutiert haben. Wer aber Rechtsmißbrauch akzeptiert, muß wissen, Nachdem es fast einhellige Zustimmung in den daß das die Fundamente der Solidarität mit Auslän- Bundesratsausschüssen gab, hat es schon ein erstes dern zerstört, und zwar gerade im Hinblick auf die unklares Stimmverhalten im Plenum des Bundesrates Ausländer, die als Opfer von Verfolgung und Folter bei Rot und Rotgrün gegeben. Es ist ein Novum in dringend auf unsere Hilfe angewiesen sind. der Parlamentsgeschichte, daß parallel zur Verab- schiedung dieses Gesetzentwurfs im Bundesrat - von (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) einer Mehrheit, die zur Zeit nicht die Union stellt - die Grünen hier eine Aktuelle Stunde beantragen. Ich weiß bis jetzt nicht, welche Haltung die SPD dazu Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat die hat, weil sich die Fraktionsführung bisher in betrete- Abgeordnete Cornelie Sonntag-Wolgast, SPD-Frak- nes Schweigen hüllt. tion. 20548 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD): Frau Präsi- rung bis auf weiteres ausgenommen sind, oder für dentin! Meine Damen und Herren! Seit Jahr und Tag eine Frau aus Afghanistan, die davor zurückschreckt, ist in der Diskussion, in welchem Maße Bürgerkriegs- sich dem Unterdrückungsapparat der Taliban auszu- flüchtlinge und Asylbewerber während ihres Aufent setzen, oder für Flüchtlinge aus Algerien oder Soma- halts in der Bundesrepublik finanziell unterstützt lia; für Menschen, die ungeachtet der rein rechtli- werden sollen. Volkes Stimme ist da im allgemeinen chen und tatsächlichen Lage mit unserer Fürsorge mit dem Urteil schnell fertig: So gering wie möglich, und unserem humanitären Verantwortungsbewußt- heißt es da. Weiter heißt es, viele kämen nur her, um sein rechnen dürfen. Soweit diese Gruppe. Geld zu kassieren. Wer als Asylsuchender abgewie- sen sei, der müsse so schnell wie möglich raus. Ich gebe noch ein weiteres Argument zu beden- ken. Nach den Plänen des Bundesrates sollen dieje- Aber so simpel, so einfach liegen die Dinge nun nigen keine vollen Leistungen mehr erhalten, die nur einmal nicht. Zweifellos sind es hohe Kosten, die Un- einreisen, um finanzielle Unterstützung einzustrei- terbringung und Versorgung von Flüchtlingen von chen. Das leuchtet erst einmal jedem ein, ist aber in uns allen fordern. Zweifellos gibt es solche, denen es der Realität kaum zu praktizieren. Dieser Grund muß vorwiegend darum geht, unter besseren wirtschaftli- dem einzelnen nämlich jeweils als prägendes Motiv chen Bedingungen zu leben, als es in ihrer Heimat für seine Ankunft nachgewiesen werden. Das ist in der Fall war. Aber es gibt eben auch die anderen. Es den zurückliegenden Jahren in verschwindend ge- gibt diejenigen, die nicht nach den strengen Katego- ringen Fällen überhaupt gelungen. Außerdem erfor- rien unseres Asylrechts politisch verfolgt sind und dert die Beweisführung dann einen hohen Verwal- dennoch aus humanitären Gründen vorerst hier blei- tungsaufwand. Beim Bürger, der solche Bemühungen ben dürfen. Die gesamte Problematik entzieht sich sicherlich mit Beifall begleitet, erweckt es Erwartun- simplen Lösungen. gen, die in der Praxis überhaupt nicht erfüllt werden. Nun zu Ihrem Beitrag, Herr Minister Seehofer. Die- Auch das halte ich für bedenkenswert. ser Bundesratsentwurf für dieses Zweite Gesetz zur (Beifall bei der SPD) Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes war noch nicht Gegenstand unserer parlamentarischen Nachvollziehbar - das will ich ganz ehrlich sagen - Beratungen. Es gab lediglich seinerzeit die Aktuelle halte ich allerdings die Absicht, ausreisepflichtigen Stunde, als noch der Disput in der Länderkammer Ausländern die Gelder zu kappen, wenn sie wirklich lief. Eine differenzie rte Auseinandersetzung war da- mit allen möglichen Tricks versuchen, ihre Rückfüh- mals, Anfang Februar, nicht möglich. rung zu verhindern, etwa dadurch, daß sie ihre Pa- Wohl aber hat die Initiative ein überaus lebhaftes piere vernichten oder mit anderen Mitteln ihre Iden- und höchst kritisches Echo in den Medien, in den Kir- tität verschleiern. Das ist, zugegeben, in vielen Städ- chen, bei den Wohlfahrtsverbänden, Flüchtlingsorga- ten, besonders zum Beispiel in Hamburg, ein großes Problem. nisationen und natürlich auch bei uns Parlamenta- - riern erzeugt. Selbstverständlich gab es einige über- Meine Damen und Herren, wir sind bereit, zu ei- hitzte Formulierungen, denen ich mich nicht an- nem Konsens bei dieser schwierigen Thematik zu schließe. Trotzdem begrüße ich diesen Disput aus- kommen. Das setzt aber - ich sage es noch einmal drücklich. Er hat übrigens auch in Kreisen des Bun- - deutliche Korrekturen vor allem zugunsten des desrates Nachdenklichkeit ausgelöst. Das stärkt die Status der Geduldeten und der Bürgerkriegsflücht- Chancen einer Korrektur. linge voraus. Übrigens, einen Teil unserer Sorgen (Beifall bei der SPD) wären wir los, wenn der in § 32 a des Ausländerge- setzes vorgesehene Status für Bürgerkriegsflücht- Ich erkläre Ihnen mit aller Deutlichkeit: So, wie der linge mit einer gerechten Kostenverteilung zwi- Gesetzentwurf jetzt vorliegt, kann er unsere Zustim- schen Bund und Ländern jemals Wirk lichkeit ge- mung nicht finden. Das will ich an einigen Punkten worden wäre. begründen. Herr Kollege Lohmann, offenbar sind Sie in die Details und die Formulierungen nicht richtig (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne eingestiegen, die in diesem Gesetzentwurf stecken. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Cornelia Schmalz-Jacobsen Die geplanten Leistungsabstriche - das hat der [F.D.P.]) Herr Minister eben durchaus noch einmal bestätigt - sollen auch Ausländer betreffen, die nicht freiwillig Wenn ich das Meinungsbild in dieser Diskussion ausreisen, obwohl es ihnen tatsächlich und rechtlich noch einmal Revue passieren lasse, gibt es ja interes- möglich wäre. Genau diese Formulierung halte ich so sante unterschiedliche Beurteilungen, etwa zwischen für nicht akzeptabel. den Sprechern der CDU und dem Sprecher der (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ F.D.P., die wir eben gehört haben. Deswegen kann CSU]: Dabei ist sie genau richtig!) ich uns allen nur eine gründliche Beratung, eine sorgfältige Anhörung vor den beteiligten Ausschüs- - Ich will das erklären. - Denn bei dieser Formulie- sen und einen behutsamen, differenzie rten Umgang rung wird nicht danach gefragt, ob den Betroffenen mit der Thematik empfehlen. Dem dienen im übrigen eine Heimkehr in ihr Land zumutbar ist oder ob sie Auftritte, wie wir sie eben hier oben auf der Empore nicht weiterhin den Schutz des Aufnahmelandes erlebt haben, nicht. Deutschland brauchen. Das gilt zum Beispiel für Flüchtlinge, die wegen einer Härte von der Rückfüh (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20549

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Aber was der Stammtisch forde rt, darf ebensowenig nicht alle betroffen, sondern nur diejenigen, die unter Richtschnur unserer politischen Handlung sein. die drei Fallgruppen fallen: diejenigen, die eingereist sind, um Sozialleistungen zu erhalten, diejenigen, Danke schön. bei denen aufenthaltsbeendende Maßnahmen des- (Beifall bei der SPD) halb nicht vollzogen werden können, weil sie zum Beispiel ihre Ausweispapiere vernichten, und dieje- nigen, die ausreisen könnten, die aber nicht ausrei- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Als letzter im Rahmen dieser Debatte spricht der Abgeordnete Ulf sen, obwohl „keine rechtlichen oder tatsächlichen Fink, CDU/CSU-Fraktion. Hindernisse" dem entgegenstehen. Davon sind na- türlich sehr viel weniger als 600 000 betroffen. Des- halb sollten Sie diese Zahl nicht so in den Raum stel- Ulf Fink (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr len. verehrten Damen und Herren! Frau Wolgast, Ihre Aufforderung, sich über eine solche Frage vernünftig Ich gebe sehr wohl zu, daß wir uns über die Frage- zu verständigen, können wir ohne weiteres akzeptie- stellung, was „rechtliche oder tatsächliche Hinder- ren. Dem dient es allerdings nicht sehr, wenn Frau nisse" sind, im Ausschuß vertieft unterhalten müs- Lange zum Abschluß ihrer Rede sagt, man solle sen. Denn es ist uns doch klar: Wir wollen und kön- durch Änderungen des Gesetzes dafür sorgen, daß nen nicht erwarten, daß mit einem Male 200 000 Bos- die Menschlichkeit nicht auf der Strecke bleibe, nier in ihre Heimat zurückkehren. Das erwartet auch niemand. Deshalb müssen wir in den Ausschußbera- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - tungen, in dem Hearing genau klären, wie in diesen Amke Dietert-Scheuer [BÜNDNIS 90/DIE Fällen zu verfahren ist, damit nicht jedes Sozialamt GRÜNEN]: Was tun Sie denn dagegen?) für sich entscheidet: Dieser Bosnier kann, jener Bos- zumal dies gar kein Gesetzentwurf der Bundesregie- nier kann nicht. Das muß natürlich geklärt und klar- rung oder der Regierungskoalition im Deutschen gestellt werden. Bundestag ist. Vielmehr reden wir über einen Ge- setzentwurf des Bundesrates, und zwar in erster Le- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Abgeordne- sung. ter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord- Diesem Gesetzentwurf des Bundesrates hat das neten Schuster? Land Niedersachsen mit dem Kanzlerkandidaten der SPD zugestimmt. Diesem Gesetzentwurf hat der Par- Ulf Fink (CDU/CSU): Ja. teivorsitzende der SPD für das Saarland zugestimmt. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wenn es sein (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) muß!) Herr Abgeordneter Lühr, auch das Land Rheinland- Pfalz mit einer Regierung aus SPD und F.D.P. hat die- sem Gesetzentwurf im Bundesrat zugestimmt, so daß Vizepräsidentin Michaela Geiger: Bitte schön. wir uns heute mit diesem Gesetzentwurf beschäfti- gen. Dr. R. Werner Schuster (SPD): Herr Kollege Fink, Der Umsetzung der Aufforderung, sich vertieft da- im vollen Bewußtsein, daß Sie mit dem Satz recht ha- mit auseinanderzusetzen und eine schwierige Mate- ben, daß der Entwurf aus dem Bundesrat stammt, rie miteinander ordentlich zu behandeln, dient des- will ich doch Ihre Aufforderung hinterfragen, mit Fin- halb die Aussage, Menschlichkeit sei nur gewahrt, gerspitzengefühl gegebenenfalls das eine oder an- wenn man es anders mache als hier, nicht sehr. Das dere zu ändern. Ich bin Entwicklungspolitiker. Ich muß ich ganz offen sagen. kenne Fälle, die viele von Ihnen nicht kennen: Nige- rianer, die in Nige ria verfolgt werden, nach Benin (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Wieso flüchten - Benin ist unbestritten ein sicheres Dritt- ist das ein Gegensatz?) land dorthin zurücküberwiesen werden. Aber nur Insider wissen, daß wegen der Tatsache, daß Benin - Das ist doch ganz klar, Frau Sonntag: Weil es doch ein so kleines Land ist, und wegen seiner Nachbar- heißt, wenn man den Gesetzentwurf in dieser Fas- schaft mit Nigeria die Behörden Benins keine sung verabschiede, diene man der Menschlichkeit Chance haben, wenn nigerianische Truppen in das nicht. Das heißt es doch. Was denn sonst? Land kommen und die Personen verschleppen. (Amke Dietert-Scheuer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Dazu sagt der UNHCR am Schluß seiner Stellung- nahme: Der Gesetzentwurf macht erforderlich, daß Lassen Sie uns deshalb eine andere Tonart wählen, Sozialbehörden komplexe ausländerrechtliche Sach- damit wir mit dem Problem richtig umgehen können. verhalte beurteilen. Was entgegnen Sie dem UNHCR auf eine solche, wie ich meine, berechtigte Forde- Ein Zweites. Sie sagen immer, daß 600 000 Men- rung? schen von diesem Gesetzentwurf betroffen wären. Das stimmt nicht. Tatsache ist vielmehr - worauf der Bundesgesundheitsminister aufmerksam gemacht Ulf Fink (CDU/CSU): Herr Abgeordneter Schuster, hat -, daß es 600 000 Menschen gibt, die vollziehbar ich habe gerade zum Ausdruck gebracht, daß es sich ausreisepflichtig sind oder eine Duldung nach § 55 in der Tat um eine schwierige Mate rie handelt. Des- des Ausländergesetzes besitzen. Aber die sind ja halb darf man nicht mit Schlagworten arbeiten. 20550 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Ulf Fink Der Bundesrat versucht hier, einem erkennbaren Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für Mißbrauch entgegenzutreten. Ich selber war Sozial- die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich senator in Berlin. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlos- habe mich über acht Jahre lang exakt mit diesen sen. Themen beschäftigt. Es gibt in der Tat Menschen, die (Unruhe) zu Recht bei uns Zuflucht suchen, aber es gibt auch Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich die Kolle- andere, die - so sage ich es einmal - in geradezu ginnen und Kollegen, die nicht teilnehmen wollen, schamloser Art und Weise das Sozialsystem der Bun- den Saal ruhig zu verlassen. desrepublik Deutschland ausnutzen. Gegen die Letztgenannten soll vorgegangen werden, nicht ge- Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile das gen die Erstgenannten. Wort dem Abgeordneten Joachim Gres, CDU/CSU- Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb sage ich zum Abschluß: Auch wir sind der Joachim Gres (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Auffassung, daß gar keine Rede davon sein kann, Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Spra- daß etwa der Versuch unternommen werden soll, che gehört dem Volk. Dieser eigentlich selbstver- Menschen, die sich zu Recht bei uns aufhalten, über ständliche Kernsatz des heute zur Abstimmung an- das Sozialhilferecht auszuhungern. Nein, das ist stehenden Gruppenantrags gehört an den Anfang nicht die Absicht. Ausländerrecht, Aufenthaltsrecht unserer heutigen Diskussion und bedarf der aus- und Sozialrecht müssen natürlich parallel laufen. drücklichen Betonung, da diese Erkenntnis offenbar Aber es darf auf der anderen Seite auch nicht sein, nicht überall verbreitet ist. daß man sich nicht bemüht, den Mißbrauch zu besei- Die deutsche Sprache ist jedenfalls keine Verfü- tigen. Dieser Mißbrauch trifft ja letztendlich in seinen gungsmasse der Kultusbürokratie, die sich beliebig finanziellen Konsequenzen nicht etwa die Reichen. der Sprache bemächtigen könnte; denn das Regel- Vielmehr verhält es sich dann, wenn Mißbrauch ge- werk der deutschen Sprache entspringt der Überein- trieben wird, regelmäßig so, daß die Allerärmsten stimmung in der Sprachgemeinschaft, was als ge- nicht mehr die für sie vorgesehenen Leistungen der bräuchlich und richtig anzusehen ist. Kommunen und der Länder empfangen können. Deshalb sollte es, finde ich, unser gemeinsames Be- Die danach richtige deutsche Sprache - dazu zählt mühen sein, auf der einen Seite dafür zu sorgen, den selbstverständlich auch die Schriftsprache und damit Mißbrauch zu beseitigen, aber auf der anderen Seite auch die Rechtschreibung - läßt sich nicht von einer Menschen, die sich zu Recht bei uns aufhalten und wie auch immer gearteten Amtsautorität von oben zu Recht zu uns geflüchtet sind, einen angemessenen herab verordnen. Der Konsens der Sprachgemein- Aufenthalt zu ermöglichen. schaft kann von einer dazu berufenen Institution nur - nachgezeichnet, festgestellt und - falls notwendig - (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge behutsam fortentwickelt werden, indem sie sprach- ordneten der F.D.P. - Dr. Willfried Penner liche Tendenzen auffängt und systematisch stimmig [SPD]: Dem stimme ich zu!) macht. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsidentin Michaela Geiger: Weitere Wort- meldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aus- Bei der Rechtschreibreform, über die wir heute dis- sprache. kutieren müssen, ist aber genau das Gegenteil ge- schehen. Die Kultusbürokratie hat nach jahrzehnte- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- langem Hin und Her und verschiedenen Modell- wurfes auf Drucksache 13/10155 an die in der Tages- wechseln den Kulturministern ein Regelwerk zur Bil- ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. ligung vorgelegt, das der deutschen Sprache eine Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht Neuordnung aufzwingt und bei ihren Anwendern der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. nicht die notwendige breite Akzeptanz findet. Bar jeglicher öffentlicher Rückkopplung wurde auf dem Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf: linguistischen Reißbrett festgelegt, wie in Zukunft Beratung der Beschlußempfehlung und des richtig zu schreiben sei. Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) Um in der Öffentlichkeit keine breiter angelegte zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Klei- Diskussion über die sprachliche Sinnhaftigkeit der nert (Hannover), Norbe rt Geis, Reinhold Rob- sogenannten Reform aufkommen zu lassen, sollte die be und weiterer Abgeordneter Rechtschreibreform in den Schulen in einer höchst Rechtschreibung in der Bundesrepublik intransparenten Form über kultusministerielle Er- Deutschland lasse eingeführt werden, im Vertrauen auf die nor- - Drucksachen 13/7028, 13/10183 - mative Kraft des Faktischen. Aber genau hier ist die Grenze des rechtsstaatlich Berichterstattung: Hinnehmbaren erreicht bzw. überschritten, eine Abgeordnete Joachim Gres Grenze, die den Deutschen Bundestag auf den Plan Peter Enders rufen muß. Ich möchte dabei allerdings gar keinen Volker Beck (Köln) Zweifel daran lassen, daß es nicht unsere Aufgabe Detlef Kleine rt (Hannover) sein kann, im Bundestag über sprachliche Einzelhei- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20551

Joachim Gres ten der Reform zu debattieren. Dazu haben soeben Sie sind Opfer der Geister geworden, die sie riefen, erst 51 renommierte Sprach- und Literaturwissen- aber jetzt nicht mehr loswerden. Es geht deshalb schaftler eine deutliche Erklärung abgegeben, die ei- darum, den Länderkultusministern zu helfen, aus nem Verriß nahekommt. dem von ihnen selbst zu verantwortenden Dilemma wieder herauszukommen. Eine vernünftige Systematik der Rechtschreibung ist jedenfalls auch für mich nicht zu erkennen, wenn Einige Mitglieder des Rechtsausschusses haben zum Beispiel in Zukunft aus dem Begriff des unter dem Vorsitz von Horst Eylmann viele Gesprä- „Schwarzen Brettes" als Anschlagtafel durch Klein- che mit Vertretern der Kultusministerkonferenz ge- schreibung ein schlichtes schwarzes Brett wird, wäh- führt. Ich möchte Horst Eylmann hierfür an dieser rend bei dem Begriff des „Schwarzen Meeres" alles Stelle herzlich danken. beim alten bleiben soll. Ähnliches gilt für den Beg riff (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. des „Hohen Hauses", also unseres Parlaments, das sowie der Abg. Dr. Liesel Hartenstein nach den Reformüberlegungen mittels Kleinschrei- [SPD]) bung am Ende nur noch ein räumlich hohes Haus ist. Oder versteht irgendeiner der hier Anwesenden, Ich habe den Eindruck, daß bei gutem Willen auf warum zukünftig „eislaufen" in zwei Worten ge- allen Seiten am Ende eine tragfähige Einigung mög- schrieben werden soll, aber „seiltanzen" ein Wort lich ist. Hierbei ist aber an folgendem festzuhalten, bleiben soll? und zwar unvoreingenommen und ohne falsches Pre- stigedenken: Mitglieder der zwischenstaatlichen Heute geht es jedoch nicht um diese Inhalte. Wir Kommission unter dem Vorsitz von Herrn Augst ha- sollten das lassen; damit müssen sich die Fachleute ben die Rechtschreibreform ursprünglich auf die Rä- beschäftigen. Uns interessiert heute vor allen Dingen der gesetzt. Im Januar dieses Jahres hat dann die die Unrichtigkeit des von den Länderkultusministern Kommission Vorschläge zur Reparatur von eklatan- gewählten Verfahrens. Heute geht es darum, daß wir ten Mängeln ihres Reformvorschlags unterbreitet, die dazu beitragen, vom Verfahren her den Prozeß einer auch das Regelwerk betreffen und damit die Unzu- Rechtschreibreform auf eine rechtsstaatlich gesi- länglichkeit dieser ursprünglichen Reform authen- cherte einwandfreie Basis zu stellen; denn inzwi- tisch nachgewiesen haben. schen laufen gegen die jetzige Rechtschreibreform verschiedene Volksbegehren. In Schleswig-Holstein Doch die Kultusminister wollen jetzt in einer A rt fehlen für die Herbeiführung eines Volksbegehrens Kopf-durch-die-Wand-Mentalität an der ursprüngli- noch 15 000 Stimmen. chen Fassung festhalten, obwohl die Erfinder dieser ursprünglichen Fassung den sprachlichen Toten- Außerdem liegen in Sachen Rechtschreibreform in- schein ausgestellt haben. zwischen zirka 30 verwaltungsgerichtliche Entschei- dungen vor, die meisten im Eilverfahren, aber auch (Zuruf von der CDU/CSU: Wo bleibt denn bereits zwei in der Hauptsache, nämlich vom Verwal- die Kultur?) tungsgericht Berlin und vom Verwaltungsgericht Dies ist für sich allein schon ein grotesker Zustand. Hannover. Diese beiden Urteile gehen mit unabweis- Wenn dann auch noch zwei der bedeutendsten Mit- barer Begründung davon aus, daß die Einführung je- glieder dieser Kommission, nämlich Professor denfalls dieser Rechtschreibreform an den Schulen Munske und Professor Eisenberg, unter Protest ihren nur durch ein förmliches Gesetz erfolgen kann; denn Austritt aus der Kommission erklären, ist das Chaos nach der vom Bundesverfassungsgericht entwickel- komplett. Deshalb kann es im Ergebnis nicht bei den ten Wesentlichkeitstheorie müssen alle wesentlichen Inhalten der Rechtschreibreform in der jetzt ange- Entscheidungen im normativen Bereich vom Parla- kündigten Form bleiben. ment getroffen werden. Dazu zählen insbesondere Eingriffe in grundrechtliche Freiheiten, im vorliegen- Wie soll es weitergehen? Als Ausweg und Brücke den Fall in die Grundrechte von Eltern, Schülern und bietet sich meiner Meinung nach allein der Beschluß- Lehrern. Das kann nicht durch einen kultusministe- vorschlag des Gruppenantrages an, wie er heute zur riellen Erlaß erledigt werden. Das Bundesverwal- Abstimmung steht: Ein unabhängiges Gremium der tungsgericht ist mit der Angelegenheit in dem Berli- Unterzeichnerstaaten der Wiener Absichtserklä- ner Fall bereits befaßt. rung, dem neben Sprachwissenschaftlern auch Prak- tiker der Sprache angehören, soll mit der Beobach- Die mündliche Verhandlung vor dem Bundesver- tung der Sprachentwicklung beauftragt werden, um fassungsgericht findet am 12. Mai dieses Jahres statt. nachzuzeichnen und festzustellen, was in der Das Verfassungsgericht will seine Entscheidung Sprachgemeinschaft als Konsens gelten kann. In die noch vor Beginn des neuen Schuljahres verkünden. Prüfungen und Beratungen ist die vorliegende Recht- Dem heutigen Votum des Deutschen Bundestages schreibreform einschließlich der bereits in die Schul- kommt daher große Bedeutung zu. Wir stehen inso- praxis übernommenen Teile einzubeziehen. Bis das weit in einer besonderen Verantwortung. Überprüfungsergebnis vorliegt - was hoffentlich möglichst rasch geschieht -, bitten wir die Bundesre- Die Kultusminister haben in einer kaum nachvoll- gierung, die hergebrachte Amtssprache des Bundes ziehbaren Beharrlichkeit an der ihnen letztlich von beizubehalten. den eigenen Bürokraten als Kuckucksei unterscho- benen Rechtschreibreform festgehalten. Wegen ihrer von der Kultusministerkonferenz pro- klamierten Vorbildfunktion hat die Rechtschreibre- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) form auch eine gesamtgesellschaftliche Relevanz, 20552 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Joachim Gres der sich der Bundestag heute stellen muß. Die unter- Wollte der Antragsverfasser, der Kollege Kleine rt, breiteten Verfahrensvorschläge sind geeignet, die ursprünglich die Regeln sowohl in der Amtsschrei- Verunsicherung nicht nur der betroffenen Schüler, bung wie auch in der Schule verhindern, so wird in Eltern und Lehrer, sondern aller Schreibenden und der Beschlußempfehlung unter der Ziffer 3 akzep- Sprechenden im deutschen Sprachraum möglichst tiert, daß die Reform im Schulbereich nun bereits ein- bald zu beenden und vor allen Dingen auch die Justi- geführt ist. Das ist auch gut so. Jede andere Lösung tialisierung der Sprach- und Rechtschreibreform zu wäre geeignet gewesen, Zweifel an der Zuverlässig- stoppen. keit von Politik zu erzeugen. (Beifall des Abg. Horst Eylmann [CDU/ (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Haben CSU] und des Abg. Dr. Wolfgang Weng Sie einen anderen Antrag als ich?) [Gerlingen] [F.D.P.]) - Den Eindruck hatte ich beim Kollegen Gres auch; Ziel unseres Antrages ist damit, das zu verwirkli- das muß ich ganz ehrlich sagen. chen, was die zwischenstaatliche Kommission als er- In mehreren Berichterstattergesprächen und im sten Auftrag hatte, nämlich auf die Wahrung einer Rechtsausschuß habe ich immer wieder gefordert, einheitlichen Rechtschreibung im deutschen Sprach- daß nach einigen Jahren überprüft werden soll, wel- raum hinzuwirken. Wenn der Vorschlag von 1996 che neuen Regeln sich bewäh rt haben. Ich war näm- nicht spürbar verbessert wird, kommt es zu einer lich nie ein Freund davon, daß die neuen Regeln au- Spaltung in den Schreibweisen der Sprachanwender, tomatisch im Jahre 2005 allein gültig werden. Inso- zu Hausorthographien der Verlage, zu einem heillo- weit kann ich den Kern der Formulierung des dritten sen Durcheinander in einer Frage, die bislang nie ein Absatzes akzeptieren, nämlich nachzuzeichnen und Problem war. Nur ein Vorschlag, der von der Mehr- festzustellen, „was als Konsens in der Sprachgemein- heit der Bürger der schreibenden Zunft akzeptiert schaft gelten kann". werden kann, begründet die Aussicht, daß die Ein- heit der Schriftsprache erhalten bleibt, die wir - dank An dieser Stelle will ich durchaus zugestehen, daß Konrad Duden - seit 1902 als selbstverständlich anse- auch mir manche neue Regel und manche Wort- hen. Es wäre eine gesamtstaatliche Groteske, wenn schreibung völlig gegen den Strich geht. Insoweit wir zum Ausgang unseres Jahrhunderts hinter diese bin ich kein blinder Anhänger der neuen Schrei- Maxime zurückfallen würden. bung, aber mich stört der Populismus, der hinter die- sem Antrag steckt. Ich danke Ihnen sehr herzlich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Ul rich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Heinrich [F.D.P.]: Den betreiben doch Sie!) ordneten der F.D.P. und des Abg. Reinhold Wer im Alltag die neuen Schreibweisen nicht ver- Robbe [SPD]) wenden will, ist damit nicht ungebildet - das hat das - Bundesverfassungsgericht festgestellt -, sondern ist lediglich ein „Altschreiber". Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat der Abgeordnete Peter Enders, SPD-Fraktion. Es geht aber bei der Rechtschreibreform vor allen Dingen um die Jugend. Aus den Schulen wird mir glaubhaft versichert, daß die Menge der Fehler zu- Peter Enders (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr rückgeht. Dies war das Ziel der seit Anfang des Jahr- geehrten Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich be- hunderts eingeforderten Reform. dauere ich es, daß der Antrag überhaupt gestellt wurde. Er hat nämlich die Verunsicherung in der Be- (Zuruf von der CDU/CSU: Wo es keine völkerung erhöht, besonders weil Hunderttausende Regeln gibt, gibt es auch keine Fehler!) von Eltern der vorzeitigen Einführung der Recht- Ich bin sehr wohl dafür, erst einmal abzuwarten, ob schreibreform bereits zugestimmt hatten und sich die Rechtschreibreform an den Schulen dauerhafte aus guten Gründen eigentlich darauf verlassen konn- Erfolge bringt. Das sage ich aber gerade als enga- ten, daß die Reform vom Inhalt und vom Verfahren gierter Berufsbildungspolitiker. her in Ordnung war. Ich will an dieser Stelle kurz begründen, weshalb Gleichwohl bin ich froh, daß der Bundestag die Be- ich den Einführungsweg im Schulbereich für recht- schäftigung mit diesem leidigen Antrag heute ab- lich akzeptabel halte. Bei der Anhörung des Rechts- schließt. Eines höre ich aus der Basis im Wahlkreis ausschusses hat sich ja ergeben, daß es entscheidend immer wieder: Habt ihr nichts Besseres zu tun? Dem darauf ankommt, wie Professor Löwer ausführte, daß kann ich wirklich nur zustimmen. Es gibt viel wich- die Regeln für die Schreibenden etwas völlig Neues tigere Themen als dieses. sind. Wenn das der Fall sein sollte, benötigt man (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne selbstverständlich ein Gesetz. Allerdings habe ich ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Texte in der neuen Schreibung problemlos gelesen. (Zuruf von der CDU/CSU: Es gibt keine Im übrigen können wir heute sowieso beschließen, neuen Buchstaben!) was wir wollen. Das Bundesverfassungsgericht wird so oder so urteilen müssen, obwohl ich persönlich ei- Also gilt im Umkehrschluß, daß die vorliegende gentlich eine abschließende Lösung auf politischem Reform einer gesetzlichen Regelung nicht bedarf. In- Wege immer bevorzugen würde. soweit ist der Erlaßweg in allen Bundesländern, und Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20553

Peter Enders zwar in den A- und in den B-Ländern, korrekt. Die ich überspitze es jetzt - in Einzelabstimmung und - Landtage sind zu dem Thema auf dem laufenden ge- man kann ja noch einen draufsatteln - namentlich. halten worden. Das ist mehrfach bestritten worden. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Bezüglich des Schulbereichs machen wir heute ei- GRÜNEN]: Nein, in der Volksabstimmung!) gentlich das gleiche: Wir beschäftigen uns mit dem Thema, aber wir können nichts abschließend ent- - In der Volksabstimmung. scheiden. Das hat natürlich auch etwas mit Kompe- tenzen zu tun. Schlimm ist es natürlich, wenn Kollegen hier aus dem Haus sogar noch als Obergutachter auftreten. Im übrigen noch eine Bemerkung zu den deut- Hier geht es um eine politische Entscheidung, eine schen Schulen im Ausland. Inhaltlich werden sie politische Wertung, und die ist erfolgt. über die KMK und nicht durch den Bund gesteuert - Dem Antragsverfasser - jetzt wende ich mich be- auch das ist mehrfach falsch übergekommen -, ob- sonders an den Kollegen Kleine rt - ging es ja nur wohl der Bund die Schulen finanziert. darum, die Kultusminister öffentlich vorzuführen. Ich persönlich bin optimistisch, daß das Bundesver- Schließlich stellt die F.D.P. nicht mehr einen einzigen fassungsgericht bis zu den Sommerferien das Verfah- Kultusminister. ren der Kultusminister im Prinzip bestätigt. Do rt, wo (Zurufe von der CDU/CSU: Das ist bedauer es um Umstellung von Inhalten ging, zum Beispiel lich! - Darauf wird er antworten!) bei der Einführung der Mengenlehre und der Ganz- heitsmethode - ich muß sagen, ich habe beides als - Ihm gehört das Problem, mir nicht. - Ich darf die Vater noch in schlimmster Erinnerung -, F.D.P. daran erinnern, daß ihr jetziger Parteivorsit- zender, Herr Gerhardt, wie man mir sagte, in seiner (Heiterkeit) Eigenschaft als KMK-Präsident von 1987 bis 1991 die Reform ganz wesentlich vorangetrieben hat. Das war war ein Gesetzesbeschluß nicht erforderlich. Ausge- noch die Zeit, als man „Kaiser" mit „e" schreiben rechnet der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat wollte, „Boot" mit einem „o" und „Obst" mit „p". dies im Fall der Mengenlehre so entschieden. Das war Ihre Zeit, Herr Gerhardt. Das widerlegt vor allem das Argument von Herrn Kleine rt, der seine Mit einem anderen Märchen möchte ich an dieser späte Ablehnung häufig genug damit begründet, - - Stelle gleich mit aufräumen: Von den Antragstellern wird immer so getan, als wäre der Bund nicht betei- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Abgeordne- ligt gewesen. Der BMI hat die Wiener Übereinkunft mit unterschrieben. Es bleibt also der Vorwurf, daß ter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord- der BMI den Bundestag nicht rechtzeitig von seiner neten Eylmann? Mitwirkung in Wien unterrichtet hat, obwohl das BMI in allen Phasen der Neuregelung dabei war. Im - Peter Enders (SPD): Bitte sehr. übrigen verweise ich da auf eine Antwort von Dr. Waffenschmidt auf eine Frage des Abgeordneten Vizepräsidentin Michaela Geiger: Bitte, Herr Abge- Jüttner am 10. März 1997; das können Sie nachlesen. ordneter Eylmann. Es gibt einen Kabinettsbeschluß vom April 1996, mit dem der BMI beauftragt worden ist, diese Absichtser- klärung mit zu unterschreiben. Ich frage also die An- Horst Eylmann (CDU/CSU): Verehrter Herr Kol- tragsteller, warum sie ihre Attacken nicht gegen den lege, wenn Sie den Initiatoren des Antrags vorwer- BMI richten. fen, es sei ihnen darum gegangen, die Kultusministe- rinnen und Kultusminister vorzuführen: Wie beurtei- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker len Sie dann meine fast ein Jahr lang dauernden Be- Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) mühungen als Initiator des Antrages, mit den Kultus- ministerinnen und -ministern zu einem Kompromiß Ich wiederhole an dieser Stelle: Es ist eine kleine zu kommen? Reform, und die ist Sache der Exekutive. Ich muß al- lerdings auch die Kritik anbringen: Warum hat man Wenn Sie selbst, wie Sie hier ausgeführt haben, ei- uns nicht früher informiert? niges an dieser Reform zu kritisieren haben, wie be- urteilen Sie dann die jüngste Haltung der KMK, jegli- Hieraus ergibt sich, daß man rechtliche Argumente che Änderungen der Reform, nur vorschiebt, um die Reform inhaltlich zu kippen. (Joachim Gres [CDU/CSU]: Notwendige Wenn es den Antragstellern wirklich um das Verfah- Reparaturen!) ren und nicht um das inhaltliche Ergebnis gegangen wäre, hätte man sehr viel früher die Beteiligung des die auch von der Kommission selbst vorgeschlagen Bundestages einfordern müssen. Viele der Mitunter- worden sind, abzulehnen? zeichner des Antrages sind ja nicht in der ersten Peri- ode hier im Bundestag. Ich kann bei dem Antrag und (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) bei der Beschlußempfehlung nur erkennen, daß da eine Kommission gebraucht wird, bei der Fachleute Peter Enders (SPD): Herr Eylmann, zu Ihrer ersten ein Gesamtkonzept entwickeln. Denn keiner von uns Frage: Ich habe es sehr hoch angerechnet, daß Sie will doch wirklich über mehrere tausend Wörter und sich Mühe gegeben haben. Ich habe immer gesagt: Dutzende von Regeln abstimmen, wenn möglich - Es gibt in dem Bereich Scharfmacher und solche, die 20554 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Peter Enders den Kompromiß wollen. Sie wissen, wir haben uns oft gewisse Zeit Alternativschreibung - wohlgemerkt, genug darüber unterhalten. Meine Losung war ja ei- nicht Beliebigkeit - bekommen, ob wir es wollen gentlich: Laßt es erst einmal laufen, und laßt uns oder nicht. nach drei oder vier Jahren schauen, was von dieser Es ist noch einmal die Frage zu stellen, wie wir da Reform sich wirklich bewäh rt hat. Denn ich bin in der herauskommen. Ich kann nur sagen: Wir sollten ei- Tat nicht überzeugt, daß sich diese Sache hundert- nige Jahre nach der Einführung der Rechtschreibre- prozentig durchsetzen läßt. Das war also die ganze form noch einmal grundsätzlich überprüfen bzw. Zeit über meine Position. eine Kommission beauftragen, festzustellen, was sich Zu Ihrer zweiten Frage: Ich bin nicht darüber bewährt hat. Insoweit finde ich es gut, daß in der letz- glücklich, daß sich die Kultusminister so verhalten ten Beschlußempfehlung tatsächlich steht, daß nach- haben, weil das nämlich meine Intention, für eine be- gearbeitet werden muß bzw. eine Kommission das zu grenzte Zeit Varianten zuzulassen, im Grunde ge- klären hat. nommen konterkariert hat. Aber dazu können die an- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: wesenden Kultusminister selbst etwas sagen. Sie sollten der Vorsitzende dieser Kommis sion werden! - Joachim Gres [CDU/CSU]: Ich darf dann noch einmal auf das Thema Amts- Dann können Sie ja zustimmen!) schreibung zurückkommen. Herr Kleinert, Sie haben natürlich in Ihrem Interview im „Focus" dieser Wo- Abschließend möchte ich sagen, daß die Beschluß- che - a'uf gut deutsch gesagt - ein neues Faß aufge- empfehlung sehr interpretationsfähig ist und das macht. selbstgesteckte Ziel, der Verunsicherung entgegen- zuwirken, nicht erreicht. Insoweit müssen wir doch (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ auf das Karlsruher Urteil warten, wobei ich aus vielen CSU]: Was ist denn drinnen, Bier oder vorhin ausgeführten Gründen sehr optimistisch bin. Wein?) Auch ich hätte mir gewünscht, daß in dem Antrag - Ich meine „neues Faß" im übertragenen Sinne. - Er ein kurzer Vorschlag hinsichtlich des Verfahrens bei zitiert in diesem Interview die Bundestreue. Die Bun- künftigen wirklichen Reformen enthalten wäre. Au- desamtsschreibung als Verhinderungshebel gegen ßer der Aufforderung an die Kultusminister, sich ein die Länder zu mißbrauchen ist völlig unangemessen, Verfahren auszudenken, wie man die Fortentwick- zumal diese sich ja einig sind. Er unterschlägt dabei lung der Sprache in den Griff bekommen will, und wissentlich den Beschluß der Ständigen Konferenz dem Bremsen bei der Amtsschreibung des Bundes ist der Innenminister und Innensenatoren der Länder in dem Antrag im Prinzip nur heiße Luft und viel Ly- vom Juni 1997. Dort heißt es im Kern, daß die Neure- rik enthalten. Wichtig ist, daß die Schulen, die die gelung der deutschen Rechtschreibung im dienstli- neue Schreibung schon eingeführt haben, mit ihr un- chen Verkehr ab 1. August 1998 in den Ländern an- besorgt weiterarbeiten können. Im übrigen sind so- zuwenden ist. Bundestreue ist keine Einbahnstraße, mit die Ausgaben für die Schulbücher - das ist vor al- indem die Länder zu springen haben, wenn der Bund - len Dingen für die Eltern und die Kommunen wichtig etwas will. Da der BMI, wie vorhin bereits ausgeführt - nicht umsonst gewesen. worden ist, bei der Wiener Übereinkunft mit unter- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. schrieben hat, würde die Beschlußempfehlung eine Aufforderung zum Wortbruch sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im übrigen, wo wollen Sie eigentlich die Rechts- grundlage für eine solche Weisung hernehmen? Es Ich erteile das gibt keine gesetzlichen Regelungen. Auch die wollen Vizepräsidentin Michaela Geiger: Wort dem Abgeordneten Volker Beck, Bündnis 90/ Sie ja nicht. Es herrscht doch wohl Einigkeit darüber, Die Grünen. daß Sprache und Schreibung Teile der Kultur sind und daß die Kultur im Grundsatz Länderangelegen- (Joachim Gres [CDU/CSU]: Er spricht nur heit ist. Bundeseinheitlichkeit im Wege der Selbstko- für sich selbst! Der Häfner ist ganz anderer ordination - das haben gerade der Schulbereich und Meinung!) der Medienbereich gezeigt - kann auch durch die Länder selbst gewährleistet werden. Daß die Länder- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): innenminister ihren Beschluß bezüglich der Recht- Herr Gres, diesbezüglich kann ich Sie beruhigen: schreibreform freiwillig zurücknehmen, ist nur denk- Wir haben in der Fraktion eine Probeabstimmung ge- bar, wenn das Bundesverfassungsgericht die Einfüh- macht. Da gab es eine Stimme für Ihren Antrag. Ich rung an den Schulen stoppt. denke, aus gutem Grund gab es nicht mehr. Was passiert nun am 1. August 1998 in den deut- Unsere Fraktion bejaht grundsätzlich das Ziel der schen Amtsstuben? Auf Grund der Tatsache - ich Rechtschreibreform, die deutsche Schriftsprache zu glaube, das machen Sie sich gar nicht klar -, daß die vereinfachen und schwer einsehbare Regeln zumin- neuen Regeln vielerorts nicht nur an den Grundschu- dest nicht mehr mit dem Rotstift in den Schulen len, sondern auch an weiterführenden Schulen ein- durchsetzen zu wollen. Ich denke, das dient den geführt wurden, ist es wahrscheinlich, daß ab 1. Au- Schülerinnen und Schülern beim Erlernen der gust 1998 Auszubildende für den Beruf des Verwal- Schriftsprache. Das macht die deutsche Sprache tungsfachangestellten, die die neuen Schreibweisen auch im Ausland wieder etwas attraktiver, die ge- bereits in den Schulen gelernt haben, in die Amtsstu- meinhin als viel zu schwer erlernbar gilt. Da gibt es ben drängen. Also ist zu erwarten, daß wir für eine einiges zu tun, damit die deutsche Sprache im inter- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20555

Volker Beck (Köln) nationalen Verkehr nicht jegliche Bedeutung verliert. lung kein Wort. Allgemeine Erwägungen, gegen die Deshalb bin ich dankbar dafür, daß man sich dieser man nichts sagen kann, wie „Die Sprache gehört Aufgabe der Rechtschreibreform gestellt hat. dem Volk" - wer wollte das bestreiten? -, Die Debatte, wie wir sie in den letzten Wochen hier (Joachim Gres [CDU/CSU]: Sie! Mit Ihrem im Bundestag geführt haben, geht eigentlich am Beitrag!) Kern der Problematik vorbei. Ich hätte mir ge- finden wir da, viel mehr leider nicht. wünscht, daß man in dem Antrag ein Verfahren vor- schlägt und das auch an die Kultusministerinnen und Die Antragstellerinnen und Antragsteller haben Kultusminister heranträgt, das die Frage näher be- den Rückzug in der Sache angetreten. Das möge die leuchtet: Wie gehen wir mit den alten Schreibweisen Wogen bei diesem Thema in den nächsten Wochen um? Ich habe da, auch von den Befürwortern der Re- glätten. Sie haben einen konkreten Vorschlag ge- form, Töne gehört, die mir nicht gefallen haben, weil macht, gegen den man auch nichts einwenden kann: sie illiberal sind. Ich plädiere dafür, daß wir sagen: Es soll ein Koordinierungsgremium zur Begleitung Das, was heute richtig ist, kann künftig nicht falsch geben. Ich habe es aus der Ecke der Reformbefür- sein und soll auch in den Schulen nicht als veraltet worter und der Kultusminister so verstanden, daß oder unrichtig angestrichen werden. man bei der Umsetzung der Reform in den nächsten Jahren durchaus eine fachliche Begleitung will. Daß Wenn man den Grundgedanken der Vereinfa- man alle von Sprache besonders betroffenen Perso- chung ernst nimmt, kann es nur so sein, daß die ver- nengruppen und Berufsstände mit beteiligt, ist in un- einfachte Schreibweise zukünftig gelehrt wird und serer partizipativen Demokratie ohnehin eine Selbst- die Schüler sie grundsätzlich schreiben, daß es aber verständlichkeit. selbstverständlich als richtig bewe rtet werden muß, wenn die Schüler, weil sie alte Bücher oder Literatur Ferner fordern Sie einen Be richt der Bundesregie- lesen, die die anderen Schreibweisen benutzen, rung über die Fortentwicklung. In der Tat: Da gibt es dann diese Schreibweisen in ihren Aufsätzen und allerdings Mängel. Wenn Sie - ich gehörte dem Haus Diktaten verwenden. nicht an, als das in der Exekutive zur Diskussion stand - damals nicht informiert wurden, dann wirft Der Appell, die liberale Umsetzung der Reform an das allerdings ein bezeichnendes Licht auf Sie, weil den Schulen zu befördern und auch zu sagen, daß Sie der Bundesregierung so ein Verhalten durchge- nicht das letzte Wort die Wiener Absichtserklärung hen lassen. Der Bundesinnenminister hat die Wiener bezüglich des Ergebnisses sein kann, wie sich die Absichtserklärung unterschreiben lassen. Er hätte deutsche Schriftsprache weiterentwickelt, wäre die dem Parlament freilich vorher sagen sollen, was darin richtige Aussage einer Beschlußempfehlung gewe- steht, und daß er beabsichtigt, diese Erklärung unter- rt sen, weil sie tatsächlich die Diskussion weitergefüh schreiben zu lassen. Das würde zum guten Ton zwi- hätte, die Ängste, die in der Bevölkerung bezüglich schen Parlament und Exekutive gehören. Daß Sie an- der weiteren Entwicklung der Schriftsprache be- mahnen, daß das in Zukunft anders werden soll, ist stehen, abgebaut hätte und wir trotzdem gemeinsam - positiv. Ich kann Ihnen versprechen: Die zukünftige vorangekommen wären. rotgrüne Landesregierung - ich meine, Bundesregie- Aber darum ging es vielen Antragstellerinnen und rung - wird sich daran halten. Antragstellern bei der Sache nicht. Einige bemühten (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sich um Vermittlung; das erkenne ich auch an. An- dere haben allerdings die Intention gehabt, daß es - Ich wohne in einem Land, in dem die Landesregie- keine Rechtschreibreform geben soll, nicht diese und rung rotgrün ist. Deswegen bin ich den besseren Um- auch nicht irgendeine andere, weil sie hier stehen- gang zwischen Parlament und Regierung gewohnt bleiben wollen, die Probleme, die sich hier stellen, und hoffe, daß dieser auch in Bonn bald einzieht. einfach nicht wahrhaben wollen, immobil sind und Der Antrag ist im wesentlichen heiße Luft. Für programmatisch für den Reformstau in Deutschland heiße Luft mache ich mir die Schuhe nicht mehr zu. stehen. Die F.D.P. hat sich in der Diskussion in dieser Deshalb wird unsere Fraktion den Antrag ablehnen. Richtung ganz besonders verdient gemacht. Sie ist Aber es ist letztendlich einerlei, ob man ihn be- die Antireformpartei in puncto Rechtschreibung. schließt oder ablehnt. Für die Rechtschreibreform än- (Peter Enders [SPD]: Und in vielen anderen dert sich in der Substanz nichts. Bereichen!) Der einzig gefährliche Satz, mit dem Sie versucht Ich wundere mich, daß ich das am Thomas-Dehler- haben, Unruhe in die Debatte zu bringen, ist ein Satz Haus noch nicht lesen konnte; da steht noch immer am Ende der Antragsbegründung. Antragsbegrün- ein anderer Spruch. dungen, das muß man vielleicht für die Öffentlichkeit hier feststellen, sind nicht Gegenstand der Beschluß- Worum geht es jetzt bei der vorliegenden Be- empfehlung. Jeder kann mit jedweder Begründung schlußempfehlung, die wir heute verabschieden wol- einem Antrag zustimmen oder ihn ablehnen. Sie len? Da muß ich sagen: Da geht es nicht um viel. Da schlagen doch allen Ernstes vor: liegt etwas ganz anderes vor als der ursprüngliche Antrag. Es ist ein rechtliches und politisches Nullum. Bis das Ergebnis dieser Überprüfung vorliegt, Was haben wir bei der Anhörung nicht alles über die - die wir durchaus begrüßen - wichtigen Rechtsfragen gehört und darüber, daß diese Reform auf unsicheren Füßen steht. Davon ist die hergebrachte Amtssprache des Bundes finde ich in der heute vorliegenden Beschlußempfeh beizubehalten. 20556 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Volker Beck (Köln) Sie haben vorhin von Hausorthographien gespro- Macht verliert, die ihr im Laufe der letzten 50 Jahre - chen, Herr Kollege Gres. Das ist die Einführung der das ist ja kürzlich anekdotisch gefeiert worden, weil Kanzleisprache des Bundes. Das ist ein Rückschritt in die Inhalte nicht so viel hergegeben haben - mittelalterliche Verhältnisse und ist in der Sache völ- lig albern. Es darf nicht sein, daß der Bund eine an- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) dere Sprache als Amtssprache haben will als die, die zugekommen ist und die möglichst erhalten werden wir an den Schulen haben. Deswegen muß das, was soll. an den Schulen gilt, auch in der Amtssprache des Bundes umgesetzt werden. Ich hoffe, daß die Bun- Vereinfachen wäre ja ganz erstrebenswert, wenn desregierung genau weiß, daß dieser Satz nur in der es nicht mit Verwirrung erkauft würde und wenn - Begründung steht. Auch wenn der Antrag heute hier was noch schlimmer ist - Vereinfachen hier nicht mit eine Mehrheit finden sollte, ist es deshalb nicht der Verarmen zusammenklingen würde. Wille des Deutschen Bundestages, daß sie solche al- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) bernen Kapriolen zum Gegenstand des Handelns der Exekutive macht. Das, was wir überhaupt nicht gebrauchen können und was wir nicht wollen, ist eine Verarmung der Vielen Dank. deutschen Sprache, nur damit sie dem einen oder an- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) deren Legastheniker die Sache etwas erleichtert. Das kann nicht das Ziel sein.

Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile jetzt (Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. sowie das Wort dem Abgeordneten Detlef Kleine rt, F.D.P.- bei Abgeordneten der CDU/CSU - Heiter Fraktion. keit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Detlef Kleine rt (Hannover) (F.D.P.): Frau Präsiden- Wieso 16 Kultusministerien - alle mit kriegsstarken tin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ih- Rechtsabteilungen; obwohl sie das in den Justizmi- nen geht die Reform nicht weit genug in Richtung nisterien abfragen sollten, da würden sie vermutlich auf die Beliebigkeit, Herr Beck. Das haben wir ver- auch besser bedient - standen. Wir sind aber nicht der Meinung, daß das, (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) womit wir uns alle verständigen, daß das, was uns letzten Endes verbindet und unsere Gedanken zum nicht dahinterkommen, daß eine Reform von so um- Ausdruck bringen so ll, in beliebiger Form - mal so, fassender, von so schwerwiegender Bedeutung we- mal so - gestaltet werden kann. Darum werden uns gen des Wesentlichkeitsgrundsatzes nicht ohne eine Ihre Wege schon überhaupt nicht weiterführen kön- gesetzliche Grundlage geschaffen werden kann, ist nen. wirklich erstaunlich. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) - (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das kön Um sich zu erklären, warum Sie in einer so wichti- nen nur Juristen sagen!) gen Angelegenheit wie der unserer Muttersprache Es ist nicht nur erstaunlich, es ist auch sehr bedau- so handeln, muß man sehr viel Mühe aufbringen. erlich, daß diejenigen, die für die politische Bildung Man muß von Anfang an wissen, daß es sich um et- unserer Jugend ein großes Stück Verantwortung ha- was ganz Wichtiges und im Sinne der obergerichtli- ben, mit Grundbegriffen unserer Demokratie so um- chen und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung gehen, wie das in diesem Falle geschehen ist. auch um etwas sehr Wesentliches für Volk und Ge- sellschaft handelt. Das ist der Grund, warum wir un- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) seren Antrag gestellt haben. Das ist der Grund, Bei viel weniger gewichtigen Themen wird hier warum wir heute zum wiederholten Male diskutie- und später beim Bundesverfassungsgericht sehr ren. sorgfältig abgewogen, ob die Regeln aus A rt. 20 und Diejenigen, die das viel zu spät beg riffen haben 28 unseres Grundgesetzes eingehalten worden sind. und die jetzt liebenswürdigerweise angereist sind, (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Sie haben Frau Kultusministerin und Herr Kultusminister, ha- wirklich keine anderen Sorgen!) ben sich all den Bemühungen unseres Ausschußvor- sitzenden, Herrn Eylmann, widersetzt, zu irgendei- Sie sind hier keineswegs eingehalten worden. Da ner vernünftigen Regelung zu kommen. Sie haben Herr Enders hoffnungsfroh auf das Bundesverfas- insbesondere auf Punkt und Komma obsternatsch sungsgericht blickt, kann ich nur sagen: Es wird darauf beharrt - egal wie unsinnig die Kommas sein wohl so kommen. mögen -, daß an dieser von ihnen bzw. ihren Mitar- beitern ersonnenen, ihnen dann untergeschobenen Wir werden mit unserer Debatte, insbesondere mit Reform nichts mehr geändert werden darf, weil sie der Anhörung herausragender Staatsrechtler, mit ansonsten einen Gesichtsverlust befürchten den Zeugnissen, die daraus für die weitere Debatte gewonnen worden sind, und mit dem, was wir dazu (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) gesagt haben und was wir hier heute zu beschließen gedenken, und weil sie befürchten, daß die staatsrechtlich nun wirklich ein Nullum darstellende Konferenz der Kul (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Rechtsge tusminister bei dieser Gelegenheit etwas von der schichte machen!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20557

Detlev Kleinert (Hannover) dazu beitragen, daß an dieser Stelle wieder klarge- Unsinn. Das Argument, das Herr Rupert Scholz im macht wird, daß in einer so wichtigen Frage die „General-Anzeiger" vom 21. Februar 1997 gebraucht Macht wirklich vom Volke ausgeht - gerade dann, hat, die 16 Länder könnten 16 verschiedene Spra- wenn es sich um die Sprache handelt, die dem Volk chen einführen, ist doch wohl lächerlich. Die Recht- gehört. schreibreform zeigt ja wohl, daß sich 16 Länder über eine Schreibweise einigen können und auch geeinigt (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne haben. ten der CDU/CSU) Die Beschlußempfehlung löst das Problem nicht; Dieser Gegenstand ist eine sehr gute Gelegenheit, sie ist eher kontraproduktiv. Im Grunde läuft sie dar- im Sinne des Hamlet-Monologs etwas gegen den auf hinaus, die Reform auf unabsehbare Zeit abzu- Übermut der Ämter zu tun. blasen. An der Schule müssen Regeln für das Schrei- Herzlichen Dank. ben gelten, gelehrt und gelernt werden, und Regeln und deren Änderungen müssen nun einmal erlassen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU werden. Große Sprüche über den Konsens der sowie des Abg. Gerald Häfner Sprachgemeinschaft helfen den Lehrern vor Ort [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) nicht. Jetzt soll verzögert werden; im Grunde soll nichts passieren. Das Wort hat der Vizepräsidentin Michaela Geiger: Nun wird erklärt, die Amtssprache sei bis zum Er- Abgeordnete Dr. Uwe-Jens Heuer, PDS. gebnis einer Überprüfung beizubehalten. Die Verfas- ser haben sich nicht getraut, diesen Befehlston im Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Frau Präsidentin! Beschlußteil anzuschlagen. Aber sie sind offenbar Meine Damen und Herren! Das, was Herr Gres und der Meinung, daß zwischen Rechtschreibung im Amt Herr Kleinert hier gesagt haben, erweckt den Ein- und in der Schule kein Gleichklang herrschen muß. druck, als ob die Sprache in größter Gefahr sei. Herr Gres hat gesagt, es gehe darum, daß hier etwas, was Nach meiner Meinung wäre es vernünftig, wenn dem Volk gehöre, jetzt eine Verfügungsmasse der unter der Federführung der Kultusminister der Län- Kultusminister werde. Herr Kleinert hat entspre- der noch einmal über diese Fragen diskutiert und chend formuliert. versucht würde, sich über eventuelle Modifikationen zu einigen. Im übrigen bin ich aber der Meinung, Ich möchte erst einmal sagen, daß Vertreter einer daß es bedeutsamere Dinge gibt, vor allem die Be- Koalition, die nicht bereit sind, Volksbegehren und kämpfung der Massenarbeitslosigkeit. Volksentscheid anzuerkennen, also dem Volk dieses Recht zu geben, in dieser Frage eigentlich schweigen (Beifall bei der PDS) sollten. (Beifall bei der PDS) Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile das - Wort der Ministerin für Wissenschaft und Forschung Es geht hier übrigens nicht um die Sprache; es des Landes Nordrhein-Westfalen, Anke Brunn. geht um das Schreiben. Das ist doch wohl ein Unter- schied. Ich persönlich kann mit der Rechtschreibre- form leben. Sie ist nach meiner Meinung maßvoll. Ich Ministerin Anke Brunn (Nordrhein-Westfalen): sehe keine Gefahr, daß meine Enkel und die Ihren, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der wenn sie nach den neuen Regeln lernen, die Romane schon mehrfach zitierte Satz aus Ihrem Antrag, die von Thomas Mann, die Stücke von Be rtolt Brecht Sprache gehöre dem Volk, ist eigentlich eine Selbst- oder die Gedichte von Rainer Ma ria Rilke nicht mehr verständlichkeit. Wer wollte dem widersprechen? lesen können. Aber das Problem beginnt ja dort, wo bei der ge- schriebenen Sprache der Staat ins Spiel kommt. Das (Beifall bei Abgeordneten der PDS) ist seit alters her in der Schule und bei der sogenann- Die Gefährdung der Sprache liegt in meinen Augen ten amtlichen Sprache der Fall. Lassen Sie es mich vielmehr in dem Einfluß des Fernsehens und der ganz schlicht sagen: Es muß eine Verständigung dar Computer, liegt vielmehr in der bürokratischen über geben, wo die Lehrerinnen und Lehrer ein meist Amtssprache. Im Vergleich zu dem, was dem Volk an rotes „f" oder ein Häkchen an einen Schülertext ma- unverständlichen Gesetzestexten zugemutet wird, ist chen müssen. Diese Korrektur kann und darf nicht in die Rechtschreibreform ein heilsam-harmloses Unter- das Belieben des einzelnen Lehrers gestellt werden, nehmen. sondern hierfür muß es jedenfalls nach überwiegen- der europäischer Auffassung Spielregeln geben. (Beifall bei Abgeordneten der PDS) (Joachim Gres [CDU/CSU]: Die gab es doch Nachdem allerdings die Ge richte und das Bundes- bis jetzt schon! Über Jahrzehnte!) verfassungsgericht damit befaßt worden sind, wollen nun die Antragsteller auch etwas dazu sagen. Sie Die deutsche Rechtschreibung war jedenfalls in hätten es lieber bleiben lassen sollen; denn die Kul- der Schule auch vor der Wiener Erklärung zur Neu- turhoheit und damit auch die Sprachpflege sind Län- regelung der Rechtschreibung im Juli 1996 nicht ge- dersache. Eine Bundeszuständigkeit ist nicht gege- rade unreglementiert. Im Gegenteil: Jeder, der die ben. 136 Regeln der „Richtlinien zur Rechtschreibung, Zeichensetzung und Formenlehre" des Duden wirk- Was hier zur „Natur der Sache" und zum Wesens- lich kennt, wird zugeben, daß man sich bei allen an- gehalt gesagt worden ist, halte ich, offen gesagt, für zuerkennenden Bemühungen der Duden-Redaktion 20558 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Ministerin Anke Brunn (Nordrhein-Westfalen) schon die Frage nach der Logik und nach der Sy- Wir sollten bis nach dem Ende der Übergangsfrist, stematik unserer Rechtschreibung stellen konnte. So also bis zum Jahre 2005, beobachten, wie sich die ging es in der Reformdebatte auch um größere Über- Neuregelungen in der Praxis bewähren. Wir sollten schaubarkeit der Regeln, um weniger Regeln und Kritik aufgreifen und feststellen, wo Korrektur- und um weniger Ausnahmen von den Regeln. Es ging Nachbesserungsbedarf besteht. Übrigens ist mir darum, daß Kinder und Jugendliche - das darf man eben zumindest in einem Teil der Debatte aufgefal- auch in der Debatte im Bundestag nicht vergessen - len, daß die Übergangsregelung, die in der Vereinba- die deutsche Rechtschreibung besser und einfacher rung bis zum Jahre 2005 vorgesehen ist, übrigens so- lernen können. Das war der Ausgangspunkt. gar mit einer Verlängerungsmöglichkeit, hier so we- nig eine Rolle gespielt hat. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Michaela Geiger: Frau Ministerin, Es ging ferner darum - meine Damen und Herren, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten das halte ich ebenfalls für wichtig -, daß die deutsche Braun? Sprachgemeinschaft auch bei der Schreibweise zu- sammenbleibt. Ministerin Anke Brunn (Nordrhein-Westfalen): Ja, gern. Deshalb hat sich die Kultusministerkonferenz, hier vor allem als Schulministerkonferenz verstanden, dieses Themas angenommen. Schon vor elf Jahren Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Frau Kul- haben Bund und Länder - die Kultusministerkonfe- tusministerin, würden Sie uns liebenswürdigerweise renz und der Bundesinnenminister - gemeinsam das mitteilen, in welcher Rechtschreibung die Erkennt- Institut für die deutsche Sprache beauftragt, verein- nisse niedergelegt sind, die Sie uns gegenwärtig fachte Rechtschreibregeln zu erarbeiten. Zunächst freundlicherweise mitteilen? stand sogar eine große Reform zur Debatte, die auch (Heiterkeit bei der F.D.P. sowie bei Abge die Groß- und Kleinschreibung einbezogen hätte. ordneten der CDU/CSU) Um so mehr überrascht es jetzt, daß die nun gefun- dene kleine Reform so lange nach ihrer Beratung, nach Beschlußfassung und nach Unterzeichnung von Ministerin Anke Brunn (Nordrhein-Westfalen): Ich Abkommen Aufsehen erregt. mache von der Möglichkeit Gebrauch, ganz in mei- ner traditionellen Rechtschreibung zu schreiben. Ich Zu Recht hat der langjährige Leiter der Duden-Re- habe vor, das auch in Zukunft so zu machen. daktion die Neuregelung als aktualisierte Pflege der (Detlef Kleine rt [Hannover] [F.D.P.]: Das ist Rechtschreibung bezeichnet. Manch spät aufgekom- erhellend!) mene Kritik überrascht besonders, weil die Fachver- bände und die Öffentlichkeit von Anfang an nicht - Die traditionelle Rechtschreibung, Herr Kollege, nur informiert, sondern auch beteiligt waren. Auch wird keineswegs über Nacht ersatzlos abgeschafft; die Parlamente, jedenfalls die meisten Länderparla- Sie haben sich mit Ihrer Zwischenfrage genau an der mente, waren einbezogen und haben sich do rt, wo richtigen Stelle gemeldet. Diese ist nämlich nicht ab- sie das für nötig erachtet haben, in Resolutionen und geschafft, sondern die gewohnte Rechtschreibung - Beschlußfassungen dazu geäußert. da kann ich Sie alle trösten - bleibt weiterhin zulässig - und nicht nur im allgemeinen Sprachgebrauch. Nun mag man im nachhinein darüber streiten, ob die Einbindung wirklich breit genug war und ob sie Unabhängig von der aktuellen Debatte, unabhän- immer in der richtigen Form geschehen ist. Auch gig davon, was wir hier debattieren, werden sich über die Streitkultur im Laufe der Debatte möchte Sprache und Schreibweise weiterentwickeln. Dem ich an dieser Stelle nicht richten. Das gebietet auch werden auch die Schreibregeln folgen. Das ist eine mein Respekt vor dem Bundestag. Selbstverständlichkeit. Übrigens gilt diese Über- gangsregelung bis zum Jahre 2005 in den Schulen Niemand kann bestreiten, daß es Verunsicherun- und Behörden. Bis zum Ablauf dieser Übergangsfrist gen gab und daß auch verunsichert wurde. Was aber kann man Erfahrungen sammeln und Rat einbrin- jetzt auf jeden Fall vermieden werden sollte und gen. auch vermieden werden kann, ist eine neue und zu- Der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages sätzliche Verunsicherung. Darum bitte ich auch den schlägt nun ebenso wie die Amtschefs der KMK vor - Bundestag. das halte ich für einen sehr wichtigen Schritt -, bei (Beifall bei der SPD) der weiteren Entwicklung der deutschen Recht- schreibung Schriftsteller, Journalisten, wissenschaft- Die Verunsicherung würde darin bestehen, daß liche Institute und sonstige mit der Sprache und über man ohne Not die Einführung der neuen Recht- die Sprache Arbeitende kontinuierlicher in die wei- schreibung zum 1. August 1998 wieder in Frage tere Diskussion mit einzubeziehen. Ich finde, das stellt. Ich denke, wir müssen nach vorn blicken. Wir sollte geschehen. Das ist ein entscheidender positiver müssen gemeinsam versuchen, die Unsicherheit, die Beitrag. durch die erneute öffentliche Debatte hervorgerufen worden ist, wieder auf eine sachliche Gesprächs- Die Arbeit der internationalen Kommission sollte ebene zu bringen und einen konsensbildenden Pro- damit nicht ersetzt, sondern konstruktiv begleitet zeß in Gang zu setzen. werden. Denn sie haben unterschiedliche Sichtwei- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20559

Ministerin Anke Brunn (Nordrhein-Westfalen) sen. Darüber, wie das Verfahren vernünftigerweise die Neuregelung zum 1. August 1998 auch in ihre ablaufen kann, wird man Regeln finden können. Wir Amtssprachen einzuführen. Einen Bleichlautenden wollen keine Reform hinter verschlossenen Türen. Beschluß haben auch die Innenminister der deut- Das kann ich für alle Kultusminister sagen. Wir ha- schen Länder gefaßt. ben sie übrigens nie gewollt. Wir wollen die Erfah- rungen mit der neuen Rechtschreibung offen austau- Es könnte also die merkwürdige Situation eintre- schen und breit diskutieren, damit am Ende der Ein- ten, daß die Amtssprache unserer deutschsprachigen führungsphase Regeln stehen, die eine breite Akzep- Nachbarländer ebenso wie die Länder der Bundesre- tanz finden. publik Deutschland die neuen Regeln der Recht- (Beifall bei der SPD) schreibung übernehmen, die Bundesregierung aber, die das Abkommen unterzeichnet hat, jedoch nicht. Schon bisher kann man nämlich feststellen - das Das würde nur neue Unsicherheit auslösen. sollte auch hier in der Debatte gesagt werden -, daß überall dort, wo die neuen Regeln in den Schulen Übrigens, auch überzeugte Vertreter der Reform praktiziert werden, außer den bekannten juristischen sagen offen, daß die neuen Regeln noch verbessert Interventionen nur selten praktische Probleme aufge- werden können. Deshalb finde ich es so sinnvoll, ge- treten sind. meinsam mit unseren Nachbarn bis zum Jahre 2005 die in der Vereinbarung enthaltene Option für wei- Unsere österreichischen Freunde, die die neuen tere Veränderungen und Verbesserungen dieser Re- Regeln schon etwas länger praktizieren, haben je- form offenzuhalten. denfalls berichtet, daß die Schüler bei ihnen 50 Pro- zent weniger Kommafehler und 10 Prozent weniger (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Schreibfehler machen. Sie haben das positiv hervor- Bis dahin sollten wir einen konsensstiftenden Pro- gehoben. zeß in Gang halten, in dem Schriftsteller, Journali- Übrigens - das bitte ich Sie auch zu berücksichti- sten, Publizisten, Verlage, Sprachforscher und Ger- gen -: Lehrerverbände, Bundeselternrat und Schul- manisten die Einführung der neuen Rechtschreibung buchverlage sind sich darüber einig, daß es unver- in der Übergangszeit beobachten und begleiten. antwortlich wäre, die Neuregelung jetzt zurückzu- nehmen. Das sollte im übrigen auch für die amtliche (Detlef Kleine rt [Hannover] [F.D.P.]: Das Schreibweise gelten. kommt spät! Sehr spät!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir sollten dann das Gute und für richtig Erkannte bewahren, und dort, wo Korrekturbedarf besteht, Es ist deshalb gut, daß die Beschlußempfehlung des sollten wir dann auch Verbesserungen vornehmen. Rechtsausschusses nicht mehr verlangt, die Einfüh- rung in die Amtssprache des Bundes rückgängig zu Ich appelliere wirklich an Sie, meine Damen und machen. Herren: Blicken Sie nach vorne, und nehmen Sie - diese Debatte als Anstoß zu einer neuen Konsensstif- (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Das tung! Streckenweise habe ich das in der Debatte steht unter Ziffer 4!) auch schon so erfahren. - Ich weiß es nicht; ich habe es gelesen, Herr Kollege. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. - In gewissem Widerspruch dazu steht allerdings der letzte Satz in der Begründung der Beschlußempfeh- (Beifall bei der SPD) lung des Rechtsausschusses, (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Nein, Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile jetzt der hebt das nur hervor!) das Wort dem Staatsminister für Wissenschaft und Kunst des Freistaates Sachsen, Professor Dr. Hans wonach die hergebrachte Amtssprache des Bundes Joachim Meyer. beizubehalten ist. Nun weiß ich, daß eine Begründung nicht Bestand- Staatsminister (Sachsen): teil des Beschlusses ist; aber dieser Satz könnte je- Dr. Hans-Joachim Meyer Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute denfalls zu neuen Mißverständnissen Anlaß geben. fiel schon das Wort „Groteske". In der Tat, der Sturm Zwar bleibt es der deutschen Bundesregierung vor- gegen die Neuregelung der Rechtschreibung wird behalten, zu entscheiden, welche Schlußfolgerungen einmal in die historische Erinnerung als eine der Gro- und Konsequenzen sie aus dem Beschluß des Bun- tesken der deutschen Geschichte eingehen. destages zu ziehen gedenkt. Wenn sie aber die Neu- regelung nicht zuließe, dann wäre sie die einzige Un- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU terzeichnerin der Wiener Absichtserklärung vom und der SPD - Widerspruch des Abg. Joa 1. Juli 1996, die die damit eingegangenen Verpflich- chim Gres [CDU/CSU]) tungen nicht termingerecht einführte. - Herr Gres, Sie müssen nicht dazwischenschreien. (Detlef Kleine rt [Hannover] [F.D.P.]: Sie ver Hören Sie doch zu, dann lernen Sie etwas! gessen das Land Ihres Kanzlerkandidaten!) (Widerspruch bei der F.D.P.) - Nein, die machen es auch zum 1. August - Öster reich, das Fürstentum Liechtenstein und die Schweiz Man muß sich einmal in aller Ruhe klarmachen, beabsichtigen nach mir vorliegenden Informationen, um was es hier geht. Seit 1950 wird in Deutschland 20560 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer (Sachsen) über die Notwendigkeit gesprochen, die Rechtschrei- schen näherstehenden Schreibung. Auch hier kann bung neu zu regeln. man sich durchaus auf den Standpunkt stellen, daß das dem Trend zur Internationalisierung zuwider- (Ina Albowitz [F.D.P.]: Auf so was haben wir läuft. Aber wer von Ihnen schreibt denn Fremdwörter gewartet!) grundsätzlich so wie in der Ursprungssprache, so er Das kann ja auch niemanden verwundern, der sich es überhaupt könnte? Wer auch vor der Neuregelung klarmacht, daß die Regelung der Rechtschreibung zu „Foto" mit „f" oder „Komitee" mit dieser merkwürdi- diesem Zeitpunkt ein halbes Jahrhundert zurücklag. gen englisch-französischen Mischung geschrieben hat Wie immer, wenn eine Reformnotwendigkeit be- steht, sind Revoluzzer und Radikalinskis zur Stelle. (Joachim Gres [CDU/CSU]: Das ist eine Zumutung!) (Ina Albowitz [F.D.P.]: Ja, so sehen Sie aus!) Ihre Vorschläge, die Vorschläge, die 1950 und in den - ja, es ist eine Zumutung, sich einmal die Wahrheit Folgejahren gemacht wurden, hätten uns in der Tat anzuhören -, der kann gegen den Grundsatz der Ein- von der kulturellen und literarischen Tradition abge- deutschung überhaupt keine Einwände erheben. schnitten. Was sich von diesen neuen Schreibungen bewähren wird, werden wir sehen. Die wildesten Vorschläge kamen übrigens aus je- ner akademischen Profession, aus der uns jetzt die Jedenfalls wird der Anteil der durch die erste und lautesten Vorwürfe erreichen, wir würden die Einheit zweite Änderung erfolgten Veränderungen im deut- und Tradition der Schriftsprache gefährden. Es war schen Wortschatz maßlos überschätzt. Es sind 185 die Kultusministerkonferenz, die 1984 - übrigens un- Wörter, gleich 0,5 Prozent des Wortschatzes. ter der Präsidentschaft von Georg Gölter - diesem Treiben einen Riegel vorschob. Es war die Kultusmi- Drittens. Die Neuregelung bringt segensreiche und längst überfällige nisterkonferenz, die bis zum endgültigen Beschluß Vereinfachungen im Bereich über die Neuregelung sorgfältig darauf achtete, daß der Groß- und Kleinschreibung; denn die bisherigen Regelungen der Groß- und Kleinschreibung waren - die Regelung folgenden Kriterien genügen muß: er- stens: Augenmaß und Zurückhaltung, um die deut- freundlich gesagt - alles andere als stimmig. Was sche Schrifttradition zu bewahren, zweitens: Größere würde wohl dabei herauskommen, wenn wir die hier Handhabbarkeit und geringere Fehleranfälligkeit versammelten Gegner der Neuregelung der Recht- schreibung einmal dazu auffordern würden, in einem der neuen Regeln, und schließlich: ein Höchstmaß von Übereinstimmung mit allen Ländern des deut- Diktat ihre sichere Beherrschung der Regeln der schen Sprachraums. Groß- und Kleinschreibung nachzuweisen? Genau dies bringt die neue Regelung: erstens (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU eine größere Übersichtlichkeit und Systematisie- und der SPD) rung zwischen vielen Wörtern, die bisher nicht - - Frau Präsidentin, ich bin ganz sicher, der Bundes- wenige Menschen wegen für sie nicht erklärbarer tag könnte hier eine Textsammlung zusammenstel- Widersprüche zur Verzweiflung brachten. Daß ei- len, die den deutschen Schulkindern zum Weih- nige der neuen Schreibungen nicht der Etymolo- nachtsfest eine große Freude bereiten würde. gie, nicht dem geschichtlichen Ursprung dieser Wörter, entspringen, ist überhaupt kein Argument (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gegen die Reform. Das heutige Wortverständnis muß genutzt werden. Wie schreiben Sie denn beispielsweise in dem Satz „Es wäre das beste, wir würden uns heute über wich- Ich will überhaupt nicht verhehlen, daß ich als Phi- tigere Themen unterhalten" „das beste" und warum, lologe nicht ohne Verständnis für diese Kritik und für mit welcher Begründung? diese Bedenken bin. Aber ich weiß auch, daß man diejenigen in Deutschland, für die es einen Sinn macht, daß man „behende" mit „e" statt mit „ä" Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Minister, schreibt, „Tolpatsch" nicht mit Doppel-1, daß man gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten „Stengel" mit „e", „überschwenglich" mit „e", aber Westerwelle? „Überschwang" mit „a" schreiben muß, bequem in diesem Saal versammeln kann. Staatsminister (Sachsen): Selbst unter den Germanisten ist es nur ein gerin- Dr. Hans-Joachim Meyer Aber gerne, Herr Westerwelle. Für Sie tue ich immer ger Prozentsatz, für die dies noch einen Sinn ergibt. etwas. Für die übergroße Mehrheit der Sprachnutzer sind diese Schreibungen heute beziehungslos. Eine Or- thographiestunde ist kein germanistisches Seminar. Dr. Guido Westerwelle (F.D.P.): Es muß jetzt hier Da kann man lernen, welche Veränderungen es in nicht jeder Redner unter Beweis stellen, daß er die der deutschen Schreibung gegeben hat. deutsche Sprache beherrscht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Herr Minister, Sie haben gesagt, man müsse über und der SPD) Wichtigeres sprechen. Finden Sie nicht auch, daß Zweitens. Die Neuregelung führt bei einer größe- eine Kultusministerkonferenz, die die Frage, ob man ren Anzahl von Fremdwörtern zu einer dem Deut „Schiffahrt" mit zwei oder drei „f" schreibt, für wich- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20561

Dr. Guido Westerwelle tiger als die Verkürzung der Ausbildungszeiten in scheiden. In allen Fällen wird „fallen" und „schwer" Deutschland hält, ziemlich weit weg vom Leben ist? auseinandergeschrieben. Wo sind da Ihre Probleme?

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und (Beifall bei der SPD - Zuruf von der SPD: Es der CDU/CSU) fällt ihnen schwer! - Detlef Kleine rt [Hanno ver] [F.D.P.]: Das ist aber ein sehr unernster Vortrag, meine Herren!)

Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer (Sachsen): - Aber Herr Kleinert, das muß doch nicht gerade von Herr Westerwelle, Ihre Feststellung in bezug auf die Ihnen kommen. Ausbildungszeit zeugt von Unkenntnis der Be- Meine Damen und Herren, lassen Sie sich von ei- schlüsse der Kultusministerkonferenz. nem Anglisten sagen: Im Englischen gibt es ähnliche Zusammensetzungen. Kein Mensch kommt auf die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Idee, dort eine Regel aufzustellen, daß alle diese ten der PDS - Lachen bei der F.D.P.) Wörter zusammengeschrieben werden müssen. Da- durch spart man sich im Englischen viele Schulstun- Was „Schiffahrt" mit zwei oder drei „f" anbetrifft, den und sehr viele Tränen. wäre es vielleicht ganz nützlich gewesen, Sie hätten das einem Abgeordneten Ihrer Fraktion rechtzeitig (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne gesagt; denn der hat im Sturm auch die Neuregelung ten der PDS) der Rechtschreibung auf den Weg gebracht, weil er der Meinung war, jetzt dürfe er Schiffahrt nicht mehr Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Minister, mit drei „f " schreiben. darf ich Sie kurz unterbrechen! Es besteht der Wunsch nach zwei Zwischenfragen, des Abgeordne- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie ten Eylmann und des Abgeordneten Dr. Gerhardt. bei Abgeordneten der PDS) Wollen Sie die beantworten? Ich habe ja ein gewisses Verständnis für diese Auf- fassung; denn in der Tat: Wer in die Reichsverfas- Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer (Sachsen): sung von 1849 hineinsieht, der wird feststellen, daß Ich bin gern bereit, die Frage des Abgeordneten Eyl- „Schiffahrt" dort in der Tat mit drei „f" geschrieben mann zu beantworten. wurde. Möglicherweise hat diese historische Erinne- (Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der rung die Schulkenntnisse dieses Abgeordneten über- CDU/CSU und der F.D.P. - Dr. Guido lagert. Westerwelle [F.D.P.]: Er hat die Hosen voll! - Joachim Gres [CDU/CSU]: Arrogant bis zum Letzten! Ein starkes Stück!) Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Minister, es - besteht der Wunsch zu einer zweiten Zwischenfrage, - Also gut, ich beantworte auch die Frage von Herrn diesmal des Abgeordneten Dr. Gerhardt. Gerhardt.

Horst Eylmann (CDU/CSU): Herr Minister, obwohl Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer (Sachsen): Vokabular und Diktion Ihrer Rede genau der uner- Nein, jetzt mache ich weiter. träglichen Arroganz der Kultusministerkonferenz entspricht Viertens. Die Neuregelung räumt mit einer Marotte (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) auf, die sich im Deutschen zum Schrecken der Schul- kinder und der Ausländer immer mehr eingebürgert und sich - den Vorwurf kann ich Ihnen nicht erspa- hat, nämlich, daß Begriffe und Vorstellungen, die ren - sehr zu Ihrem Nachteil von den Ausführungen durch mehr als ein Wort ausgedrückt werden, zusam- Ihrer Vorrednerin unterscheidet, mengeschrieben werden müssen. Dafür gibt es über- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU haupt keinen zwingenden Grund. Ob ich nun sage und der F.D.P.) „Wir müssen uns bald wiedersehen" oder „Wir sehen uns bald wieder": In beiden Fällen drücken die bei- will ich mir erlauben, Ihnen eine sehr sachbezogene den Wörter „wieder" und „sehen" die gleiche Vor- Frage zu stellen, weil Sie so sehr auf den Vereinfa- stellung aus. Aber nur in einem Fall, nämlich wenn chungseffekt abgestellt haben, der den Schülerinnen die beiden Wörter unmittelbar nebeneinander ste- und Schülern und den Menschen überhaupt die hen, muß man sie zusammenschreiben. Dafür gibt es Schreibung der deutschen Sprache ja angeblich er- überhaupt keinen Grund. leichtern soll: Stimmen Sie mir zu, daß der Unter- schied zwischen Aussprache und Schreibung in der Heute habe ich in einem interessanten Papier, das englischen Sprache wesentlich größer ist als in der Sie, Herr Gerhardt, in Umlauf gesetzt haben, gelesen, deutschen? Stimmen Sie mir des weiteren zu, daß die man könne „schwerfallen" und „schwer fallen" nicht Regierungen in Großbritannien und den USA trotz- mehr unterscheiden. Das macht überhaupt keine dem nicht auf die Idee gekommen sind, die Schrei- Mühe. „Er fiel schwer" und „Das fiel mir schwer" bung des Englischen zu vereinfachen? Stimmen Sie oder „Es fiel ihnen schwer, die Gründe für die Recht- mir ferner zu, daß diese großen Unterschiede zwi- schreibreform zu verstehen" ist ohne Mühe zu unter schen Schreibung und Aussprache kein Hindernis 20562 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Horst Eylmann dafür waren, daß sich die englische Sprache zu einer Aber dann kam der große Aufstand der Schriftstel- Weltsprache entwickelt hat? ler und Dichter. Diese hatten sich jahre- und jahr- zehntelang um die Orthographiedebatte nicht ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU kümmert, aber dann ließen sie sich von einem Stu- und der F.D.P.) dienrat einreden, ihre literarische Freiheit sei be- droht. Sachargumente sind von den Dichtern und Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer (Sachsen): Schriftstellern nicht gekommen. Vielmehr liefen alle Zunächst zu Ihrer Einleitung, Herr Abgeordneter Proteste nur darauf hinaus, es dürfe überhaupt keine Eylmann: Ich weiß nicht, mit welchem Recht Sie uns Regelung erlassen werden, jedenfalls keine Neure- hier Arroganz vorwerfen. gelung. Das ist im Zusammenhang mit einer Recht- schreibungsdebatte kein Sachargument. Aber da die (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Wider Debatte in Deutschland stattfindet, stehen mystische spruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und irrationale Argumente in hohem Ansehen. Sie haben die Anhörung des Rechtsausschusses zur (Beifall der Abg. Dr. Ruth Fuchs [PDS]) Neuregelung der Rechtschreibung mit dem Satz be- gonnen, jetzt ginge es erst einmal darum, darzustel- Wir haben heute schon mehrfach gehört: Die Spra- len, was die reaktionärste aller Einrichtungen, die che gehört dem Volk. Natürlich gehört die Sprache Kultusministerkonferenz, vorgelegt hat. dem Volk, wem denn sonst? Nur, bei einer Recht- schreibregelung ist dies das abwegigste aller denk- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) baren Argumente. Es geht hier nämlich nicht um die Das war ein Höhepunkt der Unfairneß in bezug auf Sprache. Es geht um die Schreibung, genauer gesagt Ihre Stellung als Vorsitzender des Rechtsausschus- um die Rechtschreibung. Es geht um Regeln, die fest- ses. stellen, welche Schreibung richtig ist. Solche Schreibregeln, meine Damen und Herren, sind in je- (Beifall bei der SPD - Anhaltende Zurufe dem Land und zu jeder Zeit definiert, von einer Auto- von der CDU/CSU und der F.D.P.) rität vorgegeben und durchgesetzt worden. Es gibt keine Rechtschreibung, die aus dem Volk erwächst. Nun zu Ihrer Sachfrage. In der Tat kann es solche Es kann keine Rechtschreibung geben, die aus dem Bemühungen im Englischen nicht geben, weil die Volk erwächst. Unterschiede zwischen Schreibung und Lautung in- zwischen ein solches Maß erreicht haben, daß solche Ganz generell neigt jede Sprache zu einer ständig Systematisierungsansätze dort zu nichts führen wür- fortschreitenden Differenzierung. Selbst die gespro- den. Aber eine solche Situation haben wir nicht. Mit chene Sprache, die nun wirklich dem Volk gehört, dem von mir erwähnten Beispiel hat dieses über- bedarf gesellschaftlich anerkannter Normen oder haupt nichts zu tun; denn die Zusammen- oder Ge- doch zumindest prägender Vorbilder, wenn die trenntschreibung hat mit der Schreibung der einzel- Sprachgemeinschaft nicht zerfallen soll. Schreibnor- - nen Wörter überhaupt keinen Zusammenhang. men sind überhaupt nur von einem Punkt aus defi- nierbar und müssen immer bewußt gelernt werden. Und nun, Herr Gerhardt. Darum gibt es auch keine nachvollziehende Recht- (Beifall bei Abgeordneten der SPD - schreibregelung. Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: So teilen Sie Auch für eine einmal definierte Rechtschreibnorm mich hier nicht zu! Ich möchte gleich fünf gilt, daß sie durch Einzelentscheidungen immer dif- Minuten reden! - Dr. Guido Westerwelle ferenzierter und komplizierter wird, wie die Entwick- [F.D.P.]: Herr Oberlehrer! Die Arroganz der lung der deutschen Rechtschreibung seit 1901 zeigt. absoluten Mehrheit!) Einzelentscheidungen machen die Sache vielleicht für den konkreten Fall einfacher. Das System wird im Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich bitte um allgemeinen aber komplizierter. Ruhe, der Minister hat das Wort. Herr Minister, wol- Wer also seine literarische Persönlichkeit durch die len Sie fortfahren, oder sind Sie mit Ihrer Rede am Neuregelung beschädigt sieht, wer meint, das Volk Ende? schaffe in einem spontanen Prozeß die Rechtschrei- (Beifall der Abg. Birgit Homburger [F.D.P.]) bung, der mag ein angesehener Autor sein, aber die- ser Ansatz ist falsch. Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer (Sachsen): (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Nein, ich bin nicht zu Ende. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Rechtschreibung war dera rtig passend und be- Nun, meine Damen und Herren, ein Wo rt zu den hutsam angelegt sowie der Aufgabe gemäß, daß zu- Professoren. nächst auch große Akzeptanz bestand. Es sind in den (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Da gibt es deutschen Zeitungen Texte in der neuen Recht- auch gute, das ist wahr!) schreibung mit dem ausdrücklichen Hinweis erschie- nen: Dies war im übrigen gemäß der neuen Recht- Wir erlebten das gleiche wie immer: Jeder tritt mit schreibung, falls Sie es bemerkt haben sollten bzw. dem Modell auf, nach dem sich dann die Wirklichkeit falls Sie es nicht gemerkt haben sollten. Die Zielstel- zu richten hat. In eine jahre- und jahrzehntelange lung der Kultusministerkonferenz war also durchaus Debatte kann man nicht mit der Vorstellung hinein- erreicht. gehen, jetzt gäbe es die einmal und alles erlösende Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20563

Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer (Sachsen) Idee, und das hätten alle zu akzeptieren. Leibniz eine Debatte über Fachfragen als eine politische De- muß an deutsche Professoren der Geisteswissen- batte. Es geht um die Tatsache, ob dieses Land ver- schaften gedacht haben, als er in die Philosophie den änderungswillig und veränderungsfähig ist. Begriff der „fensterlosen Monade" einführte. Neu ist das Schauspiel im übrigen nicht. Schon 1876 flog die (Lachen bei der F.D.P. - Beifall bei Abgeord erste Konferenz zur Vereinheitlichung der deutschen neten der SPD und der PDS) Rechtschreibung in erbittertem Gelehrtenstreit buch- stäblich in die Luft. Über diesen Skandal hat die hi- Die weitverbreitete Übellaunigkeit, weil dieses Land storische Erinnerung allerdings mittlerweile den unübersehbar vor großen Veränderungen steht, der Schleier mildtätigen Vergessens gebreitet; man ist generelle Mißmut, weil Besitzstände auf den Prüf- wieder zu neuen Taten erstarkt. stand gehören, die Verdrossenheit über Politik und Politiker, das allgemeine Nörgeln gegen „die da Ich würde mir gern den Spaß machen, die 51 Ger- oben", dazu noch die nie ausgelüfteten Ressenti- manistikprofessoren, die es im übrigen zu einer Pro- ments gegen Schule und Lehrer: testerklärung von maximal drei Sätzen gebracht ha- ben, (Dr. Hermann Otto Sohns [F.D.P.]: Es reicht!) (Lachen bei Abgeordneten der SPD) das alles ließe sich - ohne Gefahr, dafür geradeste- hen zu müssen - bequem bündeln und als Wurfge- aber unlängst die mangelnden sprachwissenschaftli- schoß verwenden. Sie wissen doch ganz genau, daß chen Grundlagen der Neuregelung der Rechtschrei- die meisten, die sich an Unterschriftenaktionen be- bung beklagt haben, jeweils getrennt in ein Zimmer' teiligen, nicht wissen, was der Inhalt dieser Neurege- zu sperren. Sie sollen einmal die von ihnen vermißten lung der Rechtschreibung ist, Grundlagen zu Papier bringen! (Joachim Gres [CDU/CSU]: Der Herr Ober (Beifall des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgit lehrer weiß alles besser!) ter] [SPD]) sondern schlicht und ergreifend gegen Veränderun- Das Experiment würde nämlich erweisen, was jeder gen sind. Philologe im Studium lernt oder jedenfalls lernen sollte: Es gibt gar keine einheitlichen Grundlagen für (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die Rechtschreibung. Jede Rechtschreibung ist ein Mixtum compositum aus einer Vielzahl unterschiedli- Nicht um die Neuregelung der Rechtschreibung cher Prinzipien. Darum ist auch die ganze Fehler- geht es in Wahrheit. und Mängeldebatte völlig unsinnig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/D1E GRÜNEN (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [PDS]) - und der PDS) Die jetzige Neuregelung der Rechtschreibung ist ja Es geht um die Frage, ob diese Gesellschaft verände- nicht, wie hier behauptet wurde, von der Kultusbüro- rungsfähig und veränderungswillig ist. kratie ersonnen worden. Dies ist das Werk von Fach- leuten. (Widerspruch bei der F.D.P. - Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Die Rechtschreibre (Horst Eylmann [CDU/CSU]: Das ist der form als Standortfaktor! - Zurufe von der Fehler!) SPD und der PDS) Der einzige Eingriff von Kultusministern bestand dari n, daß sie eine Vielzahl von Vorschlägen für die Vizepräsidentin Michaela Geiger: Sehr verehrte Neuregelung ablehnten, daß sie das Maß des Mögli- Kolleginnen und Kollegen, darf ich Sie um etwas chen immer weiter einengten. Es sind Vorschläge Ruhe bitten! - Herr Minister, darf ich Sie vielleicht von Fachleuten, und es gibt Kritik von Fachleuten, darauf aufmerksam machen, daß Sie als Mitglied des weil es nämlich darum geht, Möglichkeiten abzuwä- Bundesrates natürlich jede Menge Zeit zu reden ha- gen, weil man zwischen Alternativen entscheiden ben; aber wenn Sie mehr als 20 Minuten reden, eröff- muß. Da kann man über Entscheidungen sprechen, nen Sie die Debatte neu. aber nicht über Fehler und Mängel.

Darum wird es auch niemals ein Ende einer sol- Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer (Sachsen): chen Debatte geben. Es gibt keine Rechtschreibre- Ich komme jetzt zum Ende, Frau Präsidentin. form, zu der anschließend alle sagen: Das ist es, was wir gewollt haben. Ich bekenne freimütig, daß auch Wenn es schon bei einem Reförmchen wie diesem mich eine ganze Reihe von Punkten an dieser Recht- zu solchen Reaktionen kommt, was soll dann erst ge- schreibreform stört. Aber es gibt keinen anderen An- schehen, wenn es wirklich ernst wird mit Verände- satz, und es kann auch keinen anderen geben, es sei rungen in Deutschland? denn, wir verzichten auf jeden Versuch einer Einfüh- rung neuer Rechtschreibregelungen. (Lachen und Beifall bei der SPD und der PDS - Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten Verräter! - Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: uns darüber einig sein: Diese Debatte ist weniger Realsatire!) 20564 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer (Sachsen) Daher, meine Damen und Herren: Setzen Sie ein Danach erhalten Sie, Herr Professor, Gelegenheit, positives Zeichen, daß dieses Land nicht verände- darauf zu antworten. rungsscheu ist! Lehnen Sie diesen Antrag ab! Ich danke Ihnen. Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr verehrter Herr Minister! Auch ich fühle mich durch (Beifall bei der SPD und der PDS - Zurufe Ihre Rede angesprochen. Sie haben ja das, was hier von der F.D.P.) läuft, als Groteske bezeichnet. Ich teile Ihre Mei- nung. Ich frage mich und ich frage vor allen Dingen Vizepräsidentin Michaela Geiger: Sehr verehrte Sie ganz ernsthaft, ob Sie angesichts des in Teilen Kolleginnen und Kollegen, ich darf Ihnen zur Ge- doch sehr beklagenswerten Zustandes des Schulwe- schäftslage folgendes mitteilen: Vor der Abstimmung sens in Deutschland, ob Sie angesichts der Situation haben wir noch zwei Kurzinterventionen und drei Er- an den Universitäten kein dringenderes Problem klärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Ge- sehen als die Frage, ob wir zum Beispiel „ Schnee- schäftsordnung. wächte " in Zukunft nicht mehr mit „ä", sondern mit „e" schreiben dürfen. Es ist so lächerlich, so unglaub- Erste Kurzintervention. Bitte schön, Frau Abgeord- lich und so absurd. nete Erika Steinbach, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. ) Erika Steinbach (CDU/CSU): Herr Kultusminister! Seit Kaiser Wilhelms Zeiten hat sich Sprache im Frau Kultusministerin! Ein parlamentarisches Gre- Gebrauch und Vollzug der Menschen entwickelt mium ist allerlei gewöhnt. Allerdings muß ich eines und verändert. Ich habe hier schon einmal gesagt: sagen: Eine solche Arroganz und Überheblichkeit Daß ich „Foto" in meiner Schulzeit mit „ph" ge- gegenüber einem Parlament ist mir in den sieben schrieben habe und es heute mit „f" schreibe, ver- Jahren meiner Abgeordnetentätigkeit noch nicht vor- danke ich keiner Anordnung eines Kultusministers. gekommen. Vielmehr habe ich selbst das so entschieden. Sprache ist ein lebendiger Organismus, der sich ständig ver- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU ändert, und Sprache ist eines von den Dingen - das sowie bei der F.D.P. - Widerspruch bei der bitte ich Sie nun wirklich ernst zu nehmen -, die der SPD und der PDS) Politik vorausgehen. Man soll Dinge nicht in statischer Weise auf sich be- ruhen lassen. Das Leben geht weiter, und die Dinge (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS verändern sich. Man soll auch Veränderungen wol- SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und len. Nur, diese Veränderungen müssen am Ende ei- der F.D.P.) nen Sinn ergeben, verehrter Herr Kultusminister Wir Politiker machen Sprache nicht; wir nutzen sie Meyer. - mehr oder weniger gut. Darüber kann man ja strei- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ten. Wir leben in der Sprache; wir gestalten sie mit. Aber wer gibt Ihnen denn das Recht, sich als Kultus- Ich prophezeie Ihnen: Wenn Sie unter Zugrundele- minister hinzustellen und zu sagen, daß das deutsche gung der Regeln der neuen Rechtschreibung, so wie Volk in Zukunft dieses Wort so und jenes anders zu Sie sie haben möchten, ein Diktat mit dem von Ihnen schreiben hat? Ist das nicht absolut absurd? beschriebenen Personenkreis durchführen würden, das Ergebnis wäre kein anderes als das, das Sie vor- Nehmen Sie doch diesen Geßler-Hut von der her bei dem anderen Diktat erzielt haben. Aber Stange, ehe die Leute ihn herunterschießen. Es gibt wenn Sie, verehrter Herr Minister Meyer, einen Ih- im ganzen Land Prozesse über diese Frage; es gibt nen unbekannten Text, dessen Zeichensetzung nach Volksbegehren über diese Frage. Ihrer eigenen Kom- den neuen Regeln erfolgte, vortragen müßten, ohne mission laufen die vernünftigen Sachverständigen ihn vorher studiert zu haben, dann werden Sie eine davon. glatte Bauchlandung erleben, weil Sie das nicht kön- (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Ja, genau!) nen werden. Nur die Kultusminister halten die Fahne hoch und sa- Ich möchte Ihnen einen Rat mit auf den Weg geben gen: Wir wollen Veränderungen in Deutschland. In - das ist jetzt scherzhaft gemeint -: Bitte überprüfen Zukunft darf man „schlechtmachen" nicht mehr zu- Sie im Zuge Ihrer Vereinfachung, ob man nicht alle sammenschreiben; man muß es auseinanderschrei- Meyers gleich schreiben sollte. ben. Ja, wenn Sie diese Reform schlecht gemacht ha- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - ben, Herr Minister, dann ist es etwas anderes, als Heiterkeit bei der SPD) wenn sie sie schlechtgemacht haben. (Beifall bei Abgeordneten des BÜND Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich schlage vor, NISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei der daß zunächst der Abgeordnete Gerald Häfner zu ei- CDU/CSU und der F.D.P.) ner zweiten Kurzintervention das Wort erhält. An- Die Behauptung, daß Schrift und Sprache nicht zu- schließend kommt eine dritte Kurzintervention, näm- sammenhängen, ist falsch. Lassen Sie doch den lich vom Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger. Deutschen ihre Sprache und ihre Schrift. Sie verän- (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Auch das dert sich sowieso ständig. Daß man in Amerika jetzt noch!) teilweise „You, too" als „U 2" schreibt und nicht so, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20565

Gerald Häfner wie die Grammatik es vorgibt, hat den Amerikanern nute Ihrer Rede zu sagen: „Hören Sie zu, dann lernen niemand vorgeschrieben. Das machen einige so und Sie etwas! ", und eine Diskussion, die in der gesam- andere anders. Auch in Deutschland werden sich die ten Öffentlichkeit geführt wird - bei mir im Wahlkreis Dinge verändern, auch dann, wenn die Kultusmi- zum Beispiel gibt es eine Bürgerinitiative -, als Gro- nister ihre Finger davon lassen. Deshalb wäre ich teske zu bezeichnen ist ein Stil, den wir im Deut- sehr froh, wenn wir diesen Antrag beschlössen. schen Bundestag jedenfalls nicht hinnehmen wer- den. Ein Letztes noch zu den Kosten. Auch ich bin von den Schulbuchverlegern und anderen Verlegern an- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - gerufen worden. Ich will Ihnen erzählen, was sie mir Zurufe von der SPD - Unruhe - Glocke der erzählt haben. In meinem Bundesland zum Beispiel, Präsidentin) in Bayern, dürfen seit dem Beginn des letzten Schul- jahres nur noch Schulbücher zugelassen werden, in Das zweite, was ich sagen will, ist folgendes: Sie denen komplett die neue Rechtschreibung angewen- haben gesagt - auch das ist eine Stilfrage -, die det wird. Was ist passiert? - Sie haben für Physiklehr- Schriftsteller hätten nichts beigetragen, sie hätten bücher, für Chemielehrbücher, für Mathematiklehr- keine Sachargumente gehabt. Ich kann mich an den bücher Neuauflagen gemacht; sie sind auf den alten Vortrag von Reiner Kunze auf dem letzten Bundes- Auflagen in einem Wert von Millionen sitzengeblie- parteitag der CDU in Leipzig erinnern und kann nur ben. Jetzt können sie die Neuauflagen nicht unter sagen: Ich fand, das war ein glänzender Vortrag mit die Leute bringen, weil vieles von dem, was damals vielen sachlichen Argumenten. Sein zentraler Punkt vorgeschrieben wurde, jetzt schon wieder verändert war, daß es hierbei um eine Sprachnivellierung geht, worden ist. die er unerträglich findet. Ich weiß nicht, ob man es, (Zuruf von der SPD: Das schafft Arbeits wenn deutsche Schriftsteller so etwas sagen, einfach plätze!) als Groteske abtun kann. Sie würden sich selbst ei- nen größeren Gefallen tun, wenn Sie auf die Inhalte eingehen und sie debattieren würden, anstatt in die- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ihre Redezeit ist ser Weise Leute abzuwerten. zu Ende. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluß. Dritter Punkt. Wir haben uns, Herr Professor Meyer, um einen Konsens bemüht. Der Kollege Eyl- Herr Wernstedt hat mir, als wir zusammensaßen mann war einigungs- und gesprächswillig. Wenn et- und ich ihn gefragt habe, wie es denn nun mit dem was grotesk ist, dann ist es die Tatsache, daß darauf Fluch dieser bösen Tat, der Kommission und den Vor- nicht eingegangen worden ist, sondern auch das ab- schriften weitergehen soll, gesagt: Wir werden natür- - gebügelt worden ist. lich eine ständige Kommission einsetzen müssen, die die deutsche Rechtschreibung begleitet und in regel- Letzter Punkt. Sie sprachen davon, bei dem Gan- mäßigen Zeitabständen Neuschreibungen verordnet. zen handele es sich in Wirklichkeit um die Frage, ob Dazu sage ich: Bitte nicht! Lassen Sie den Blödsinn. Reformwillen bestünde oder nicht. Ich kann Ihnen Deswegen bitte ich Sie: Stimmen Sie für den Antrag! nur sagen: In meinem Wahlkreis hat mich in den acht Jahren, in denen ich im Bundestag bin, noch nie ir- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. gendein Mensch angesprochen, um mir zu sagen, sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS daß eine Reform auf diesem Gebiet notwendig sei. In SES 90/DIE GRÜNEN) bezug auf alle anderen Gebiete tun sie das. Diesbe- züglich hat es keiner getan. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Wir haben eine Kurzintervention mehr und eine Erklärung nach § 31 (Beifall bei der F.D.P.) der Geschäftsordnung weniger. - Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Pflüger. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Minister, Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Herr Minister möchten Sie darauf antworten? Professor Meyer, zu dem Politisch-Inhaltlichen möchte ich mich gar nicht äußern; denn es ist Ihr gu- (Zuruf von der CDU/CSU: Sie müssen nicht! tes Recht, Ihre Meinung zu haben. Wir hatten ja eine Sie dürfen nur!) Debatte dazu. Ich möchte aber schon etwas zu der Art und Weise sagen, in der Sie hier vorgetragen ha- ben. Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer (Sachsen): Ich möchte es sehr kurz machen. Den Vorschlag von (Zuruf von der SPD: Haben wir doch schon Frau Kollegin Steinbach nehme ich gern an, wenn gehört!) ich meine eigene Schreibung behalten kann. Ich glaube, das ist etwas, was das ganze Haus an- geht. Ihre Forderung in bezug auf das Zurücktreten der Kultusministerkonferenz hätte zur Folge, daß das Ich weiß nicht, wie es im Sächsischen Landtag üb- bleibt, was jetzt ist, nämlich daß die Dudenredaktion, lich ist. Aber einem Kollegen gleich in der ersten Mi also eine private Institution, das festlegt, was für das 20566 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer (Sachsen) gesamte Land verbindlich ist. Das ist der entschei- nist Eisenberg sagt, er wolle sich nicht länger zum dende Punkt. Narren halten lassen. Angesichts Ihrer Ansprache hier möchte auch ich das nicht. Wir als F.D.P.-Frak- (Detlef Kleine rt [Hannover] [F.D.P.]: Nur tion hätten gerne einer weitergehenden Beschlußfas- kein Neid! - Joachim Gres [CDU/CSU]: sung zugestimmt. Was ist daran schlecht?) (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das ist - Es wäre insofern gut, als Sie im Bundestag darauf doch keine Erklärung zur Abstimmung!) dann keinen Einfluß hätten. - Zur Abstimmung: Wir hätten gerne einer weiterge- (Beifall bei der PDS) henden Beschlußfassung zugestimmt. - Es ist aus un- Aber Sie müssen sich doch einmal überlegen, was serer Sicht keine Schande, wenn die Deutsche Aka- Sie tun. Sie halten es für richtig, daß eine zufällig zu- demie für Sprache und Dichtung sagt, die Recht- sammengesetzte Dudenredaktion generelle Verbind- schreibreform solle so nicht mehr eingeführt werden, lichkeiten festlegt. Dagegen protestieren Sie nicht. die Kultusministerkonferenz solle innehalten, nach Aber wenn im Ergebnis eines langen Diskussions- einem neuen Konsens suchen und zu neuen Einsich- prozesses ein solcher Vorschlag erarbeitet wird, dann ten gelangen. halten Sie das für einen staatlichen Eingriff. Das (Zuruf von der SPD: Das ist doch keine per kann ich nicht nachvollziehen. sönliche Erklärung!) (Beifall bei der SPD und der PDS) Dem schließen wir uns inhaltlich voll an.

Vizepräsidentin Michaela Geiger: Dann kommen (Beifall bei der F.D.P.) wir zu den Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 Wir fordern Sie auf, mit Zustimmung zu dem vorlie- der Geschäftsordnung. Das Wort hat der Abgeord- genden Antrag innezuhalten, die Reform zu überprü- nete Dr. Wolfgang Gerhardt, F.D.P.-Fraktion. fen, die Träger der deutschen Schriftkultur zu beteili- (Zurufe von der SPD: Oh!) gen, den Schulen nicht eine Einführung zuzumuten, die so ungeordnet vonstatten geht.

Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.): Ich will in Überein- (Zuruf von der SPD: Das ist ein Debatten stimmung mit vielen Kolleginnen und Kollegen der beitrag! - Weitere Zurufe von der SPD) F.D.P.-Fraktion') zur Abstimmung folgendes erklä- Wir hegen die Erwartung, - ren: Der Deutsche Bundestag wird in der vorgesehe- nen Beschlußvorlage die Kultusminister der Länder (Glocke der Präsidentin) bitten, an der Entwicklung eines Verfahrens mitzuar- beiten, in dem Fortentwicklung der Sprache behut- Herr Abgeordne- - Vizepräsidentin Michaela Geiger: sam nachgezeichnet und festgestellt wird, was als ter, bitte sprechen Sie zur Abstimmung. Konsens in der Sprachgemeinschaft gelten kann. An dieser Aufgabe sollen alle, die durch ihre beruflichen und wissenschaftlichen Bezüge der Sprache beson- Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.): - daß ein Innehal- ders verpflichtet sind, beteiligt werden. Damit macht ten nicht Ausdruck von Reformfeindlichkeit ist, son- der Bundestag auf einen kardinalen Fehler bei der dern Ausdruck des Verantwortungsbewußtseins ge- bisherigen Arbeit aufmerksam, nämlich auf den Ver- genüber der deutschen Sprachgemeinschaft. Des- zicht der Beteiligung der Träger deutscher Schriftkul- halb fordern wir Sie dazu auf. tur, von der Deutschen Akademie für Sprache und Das ist eine klare Erklärung zum Abstimmungsver- Dichtung bis zu Schriftstellern, Journalisten und vie- halten vieler Kolleginnen und Kollegen der F.D.P.- len anderen. Fraktion. So werden wir jetzt entscheiden und ver- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU binden damit diesen politischen Wunsch. sowie des Abg. Gerald Häfner [BÜND (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne NIS 90/DIE GRÜNEN]) ten der CDU/CSU) Herr Kultusminister, es ist doch nicht die Frage, ob man Thunfisch ohne „h", plazieren mit „tz" und Ne- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort zu ei- cessaire mit zweimal „ss" schreibt, es geht doch nicht ner Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Ge- um die Frage der Eindeutschung und Kommaset- schäftsordnung hat die Frau Abgeordnete Dr. Liesel zung. Es geht um die Frage des kulturellen Verlu- Hartenstein. stes der deutschen Schriftsprache im Bereich der Ge- trennt- und Zusammenschreibung; das macht die große Thematik aus. Dr. Liesel Hartenstein (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß, Ihre Ge- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne duld ist sehr schnell am Ende. Ich werde mich des- ten der CDU/CSU - Widerspruch bei der halb bemühen, mich kurz zu fassen. Wenn man man- SPD) che dieser Debattenbeiträge heute verfolgt hat, Deshalb sind Ihnen führende Germanisten aus der konnte man sich nur wundern. Das gilt auch, Herr Kommission davongelaufen. Der Potsdamer Germa- Staatsminister, in bezug auf Ihren Beitrag. Ich will darauf aber nicht eingehen, weil ich etwas zur Ab- *) siehe Anlage 8 stimmung sagen will. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20567

Dr. Liesel Hartenstein Ich möchte aber vorausschicken, daß man offen- ein Konsens herausbilden, daß Rechtschreibung nur sichtlich zwei selbstverständliche Dinge nicht sehen durch eine sorgsame Nachzeichnung des tatsächli- bzw. nicht wahrhaben will: chen Sprachgebrauchs verändert werden kann. Für den Staat ist hier Zurückhaltung geboten. Ich möchte Erstens. Jede Reform braucht Akzeptanz in der klarstellen: Keiner von uns hat gesagt, daß wir ein Gesellschaft. Bundesgesetz oder 16 Ländergesetze bräuchten. Das (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und muß man doch bitte zur Kenntnis nehmen. der CDU/CSU) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Re- Diese Rechtschreibreform hat aber nicht die nötige form ist nicht abgeschlossen. Sie wird erst beginnen. breite Akzeptanz in der Gesellschaft. Das ist jeden- falls meine Erfahrung. Danke schön. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) ten der CDU/CSU) Zweitens. Man will auch nicht sehen, daß sich ge- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich schließe die rade an diesem Punkt die Grundsatzfrage stellt, wie Aussprache. man denn überhaupt mit der Sprache umgehen kann und wie nicht. Man muß einfach wissen, daß es sich Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß- nicht um ein hölzernes Instrument handelt, das man empfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag nach Belieben zurechtschnitzt, oder um etwas, das der Abgeordneten Detlef Kleine rt (Hannover), Nor- man in ein Paragraphenkorsett einschnüren könnte. bert Geis, Reinhold Robbe und weiterer Abgeordne- Wenn man Veränderungen an der Sprache vor- ter zur Rechtschreibung in der Bundesrepublik nimmt, kann das nicht als Verwaltungsakt geschehen Deutschland, Drucksache 13/10183. Dazu darf ich und darf nicht von oben her übergestülpt werden. noch sagen, daß ich eine Liste von Erklärungen zur Das wird nicht funktionieren. Abstimmung der die Rechtschreibreform unterstüt- zenden Abgeordneten habe, die ich zu Protokoll (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gebe. Zur Abstimmung, liebe Kolleginnen und Kollegen: Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksa- Ich möchte dem Antrag auch in dieser zugegebener- che 13/7028 in der Ausschußfassung anzunehmen. maßen abgeschwächten Form zustimmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer (Zuruf von der SPD: Schwammigen Form!) stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mit ihm soll eine gründliche Überarbeitung und Kor- rektur des Regelwerkes erreicht werden; die Kultus- (Zurufe von der SPD: Sehr unübersichtlich! minister werden ausdrücklich darum gebeten. Ich - - Hammelsprung!) halte es für unerläßlich, daß dies geschieht. Das ist - Nach Ansicht des gesamten Präsidiums ist die nämlich der Kerngehalt dieses Antrages. Damit ver- Mehrheit eindeutig gewesen. Die Beschlußempfeh- bunden ist der dringende Appell an den Herrn Bun- lung ist damit angenommen. desinnenminister, die neue Schreibweise doch nicht vor dieser Überarbeitung in die Amtssprache des (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Bundes zu übernehmen. Ein zweiter Gesichtspunkt ist für mich wichtig: Für Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: eine solche sprachadäquate Überarbeitung sollte ein unabhängiges Gremium eingesetzt werden, in das Beratung der Beschlußempfehlung und des auch Schriftsteller, Journalisten und Pädagogen ein- Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß) bezogen werden. zu dem Antrag der Abgeordneten Siegf ried Vergin, Helga Kühn-Mengel, Gerd Andres, Das ist nämlich bisher versäumt worden. Ich freue weiterer Abgeordneter und der Fraktion der mich, Frau Ministerin Brunn, daß Sie den gleichen SPD Gedanken zum Ausdruck gebracht haben. Ich möchte allerdings, daß diese Personengruppen, de- Europäisches Jahr gegen Rassismus 1997 ren eigentliches Handwerkszeug ja die Sprache ist, - Drucksachen 13/7711, 13/9667 - nicht nur angehört, sondern in diese Kommission ak- tiv einbezogen werden. Berichterstattung: Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kann doch Abgeordnete E rika Steinbach nicht einfach ums Rechthaben gehen. Dafür ist mir Siegfried Vergin und vielen von uns das Thema Sprache zu wichtig. Cern Özdemir Es kann nicht darum gehen, wer im Kampf letztlich Cornelia Schmalz-Jacobsen obsiegt hat. Es kann nicht nur um einen fruchtlosen Ulla Jelpke Streit um Bundes- und Länderkompetenzen gehen. Deshalb bitte ich darum, daß wir uns darauf besin- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für nen, daß die Sprache wirklich zum Urbesitz aller die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich menschlichen Individuen gehört. Deswegen müssen höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlos- wir behutsam mit ihr umgehen. Deswegen sollte sich sen. 20568 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Vizepräsidentin Michaela Geiger Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abge- In der deutschen Bundesregierung wurde hierüber I ordnete Helga Kühn-Mengel von der SPD-Fraktion, noch nicht einmal ernsthaft nachgedacht. der ich zu ihrer ersten Rede viel Glück wünsche. (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Quatsch! (Beifall) Wir denken über alles ernsthaft nach! Dum mes Zeug!) Die Art, mit der der zuständige Bundesinnenminister Helga Kühn-Mengel (SPD): Frau Präsidentin! Liebe das Europäische Jahr gegen Rassismus gehandhabt Kolleginnen und Kollegen! Das Europäische Jahr ge- hat, kann man wohl als äußerst kühl bezeichnen. Zur gen Rassimus 1997 ist vorbei. Der Antrag der SPD Ehrenrettung Deutschlands haben allerdings die kla- hierzu kommt nun endlich im Bundestag zur Spra- ren Worte von Bundespräsident Roman Herzog bei- che, ein Vierteljahr nach Ablauf des Europäischen getragen, mit denen er am 4. März letzten Jahres das Jahres gegen Rassismus. Das ist vielleicht beschä- Europäische Jahr gegen Rassismus eröffnet hat. Er mend spät, aber besser jetzt als nie. forderte Toleranz und den Dialog zwischen den Kul- (Beifall bei der SPD) turen und traf damit die Stimmungslage vieler Men- schen, die Aktivitäten gegen Rassismus ergreifen (Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard wollen. Hirsch) So hat es auch in der Bundesrepublik Deutschland auf lokaler Ebene eine Fülle von Aktivitäten zum Der Antrag löste, wenigstens, so hoffe ich, wäh- Europäischen Jahr gegen Rassismus gegeben, wenn rend er durch die Arbeitsgruppen und Ausschüsse auch nicht immer mit der gewünschten Medienprä- lief, fruchtbare Diskussionen aus. An Aktualität hat senz. Das Interesse der Bürgerinnen und Bürger an er bis heute nichts verloren; denn bekanntlich ist der diesem Thema kann man vielleicht nicht zuletzt Kampf gegen rassistische Tendenzen und Fremden- daran ablesen, daß es hierzu allein im deutschspra- feindlichkeit für uns eine Daueraufgabe. chigen Raum 668173 Treffer im Internet gibt. Sehr (Beifall bei der SPD) bedauerlich ist, daß der Deutsche Bundestag erst im Jahre 1998 die Zeit findet, die Initiativen zum Euro- In Deutschland haben wir allen Anlaß, uns mit päischen Jahr gegen Rassismus 1997 öffentlich zu dem alltäglichen Rassismus in all seinen Erschei- befürworten. nungsformen, den subtilen und den offen ausgeleb- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten, und vor allem mit seinen Ursachen zu befassen. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Fast täglich lesen wir von Ausschreitungen gegen- über Schwarzafrikanern oder von schändlichen Aber gut, daß es die vielen Schüler- und Studen- Schmierereien auf jüdischen Friedhöfen. Noch öfter tengruppen, die Vereine und Verbände gibt. Von ih- kommt es vor, daß junge Musliminnen angepöbelt - nen, den NGOs, kamen, wie mein Fraktionskollege werden. Siegfried Vergin bei anderer Gelegenheit feststellte, die spannendsten Projekte. Von der Bundesregie- Während man in manchen unserer europäischen rung kam wenig, und kosten durfte es auch nichts. Nachbarländer das Europäische Jahr gegen Rassis- Eigenmittel vom Bund für die Finanzierung von Pro- mus bereits genutzt hat, um ein konkretes Signal jekten über die EU-Mittel hinaus waren nicht vorge- für Fairneß und Pa rtnerschaft zwischen den Men- sehen. schen verschiedener Herkunft zu setzen, hat der zuständige Bundesinnenminister Kanther diese Natürlich ändert allein die Ausrufung eines sol- Chance für einen Beitrag der deutschen Bundesre- chen Jahres gegen Rassismus überhaupt nichts. gierung über das Jahr 1997 hinweg praktisch ver- Auch markige und einstimmig gefaßte Bundestags- streichen lassen. beschlüsse bewegen für sich genommen noch nichts. Dennoch sind klare Worte und Strategien gefordert. (Beifall bei der SPD - Wolf-Michael Caten Ausschreitungen mit rassistischem Hintergrund auch husen [SPD]: Leider wahr!) in den Nachbarländern und die Zunahme der elek- tronisch verbreiteten rassistischen Propaganda ma- Selbst in der Woche der ausländischen Mitbürger chen deutlich, daß diese Phänome grenzüberschrei- wurde die Gelegenheit von seiten der Bundesregie- tend bekämpft werden müssen. Einzelne Staaten rung nicht genutzt, der europäischen Menschen- können hier nur noch wenig ausrichten. rechtspolitik im Rahmen des Europäischen Jahres gegen Rassismus Ausdruck zu verleihen. Mit unserem Antrag unterstützt der Bundestag die europaweite Initiative zur Bekämpfung von Rassis- In Frankreich gingen führende Politiker und Politi- mus, Rechtsextremismus, Diskriminierung und Frem- kerinnen an der Spitze von landesweiten Demonstra- denfeindlichkeit, eine Initiative, die den Schutz der tionen gegen Rassismus mit. In Griechenland wurde Menschenrechte als zentralen Wert europäischer eine große Toleranzwoche auf die Beine gestellt und Identität betont. das Thema Einwanderung in eine Regierungsagenda (Beifall bei der SPD) aufgenommen. Dänemark führte Veranstaltungen di- rekt auf kommunaler Ebene durch, und in Österreich Unser Antrag enthält konkrete Bitten an verschie- hat man auf nationaler Ebene einen zusätzlichen dene gesellschaftliche Gruppen, die Initiativen ge- Haushaltstopf geschaffen, um Projekte zu ermögli- gen Rassismus zu unterstützen. Vor allem setzt sich chen. der Deutsche Bundestag in unserem Antrag nach- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20569

Helga Kühn-Mengel drücklich für die Einrichtung einer Europäischen Be- Ich hätte mir eine inhaltlich weitergehende Erklä- obachtungsstelle für Rassismus ein. Diese ermöglicht rung zum Europäischen Jahr gegen Rassismus vor- Datenvergleiche und die Erarbeitung spezifischer stellen können. Strategien im Kampf gegen Rassismus. Nur eine sol- che europäische Beobachtungsstelle hat die Möglich- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ keit, die Entwicklung von Rassismus und Fremden- DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Jelpke feindlichkeit in der Europäischen Union aufmerksam [PDS]) zu verfolgen. Sie hilft, konkrete politische Maßnah- Ich hätte mir im vergangenen Jahr einen breiten poli- men vorzubereiten. Diese Stelle ermöglicht erstmals, tischen Diskurs über eine moderne Einwanderungs- Daten verschiedener Länder Europas aufzuarbeiten politik gewünscht. Wir hätten im Zusammenhang mit und für geeignete Strategien im Kampf gegen Rassis- dem Thema Bekämpfung von Rassismus auch über mus nutzbar zu machen. eine Liberalisierung des Ausländer- und Staatsange- hörigkeitsrechts diskutieren können. Das alles darf aber nicht heißen, daß wir über die Ereignisse in unserem Lande hinwegsehen oder (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne uns auf öffentlich vorgetragene Empörung be- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schränken, wenn wieder einmal rassistische Vor- Der Antrag zum Europäischen Jahr gegen Rassis- fälle die Schlagzeilen bestimmen. Diese reißeri- mus 1997 fordert unter anderem die Bundesregie- schen Berichte künden oft auch von der weitver- rung dazu auf, die Einbürgerung zu erleichtern. Um breiteten Irrmeinung, man brauche nur einen or- dem Antrag eine breite Zustimmung zu sichern, dentlich funktionierenden Polizei- und Justizappa- wurde in der vorliegenden Ausschußfassung aber rat, um rassistischer Ausschreitungen Herr zu wer- darauf verzichtet, die Forderung zu den umstrittenen den. Der Ruf nach Polizei und ha rten Strafen ist Bereichen der Einbürgerung näher zu konkretisie- natürlich viel bequemer als die Erforschung und ren. So enthält der Antrag in der jetzigen Fassung Bekämpfung von Ursachen. des Innenausschusses zum Beispiel nichts Konkretes zum Thema der doppelten Staatsbürgerschaft und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne zum Anspruch auf Einbürgerung von in der Union ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) geborenen Kindern. Der Antragstext ist weitgehend auf den Kern des Menschenrechtsschutzes reduziert Wir werden aber nicht darum herumkommen, worden. In diesen Kernfragen sind wir uns, so hoffe uns der Tatsache zu stellen, daß Rassismus, Rechts- ich, alle einig. extremismus und Fremdenfeindlichkeit auch etwas mit der Verschlechterung der Lebensbedingungen, Über die Fraktionsgrenzen hinweg können wir mit hoher Arbeitslosigkeit, vor allem mit Jugendar- denjenigen Unterstützung geben, die sich vor Ort für beitslosigkeit und Jugendhoffnungslosigkeit, zu tun Integration und gegen rassistische Ausgrenzung en- haben. Wer sich getreten fühlt, der tritt selber gagieren. Mit einem Beschluß des Deutschen Bun- auch. Wer zum Verlierer gemacht wurde, der sucht - destages wird zudem ein deutliches Zeichen gesetzt, sich andere, die er seinerseits zum Verlierer stem- daß sich die demokratischen Parteien gegen den peln kann. Wer sich ausgegrenzt sieht, der entwik- Rechtsextremismus stellen und diesen Kampf als kelt eine größere Bereitschaft, sich auf einfache Er- eine ständige Aufgabe betrachten. klärungsmuster und entsprechende politische Kon- zepte einzulassen. Ich bitte Sie daher um Zustimmung zum Antrag. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Auch darauf zielt unser Antrag: ins Bewußtsein zu DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der rufen, daß die Bekämpfung des Rassismus nicht nur F.D.P.) den direkt Betroffenen helfen soll, sondern daß er in unser aller Interesse liegt. Wir sind uns mit der Mehr- zahl der Bürger und Bürgerinnen aus den Ländern Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, der Europäischen Union einig, daß die kulturelle Sie hatten als Nachrückerin erst jetzt Gelegenheit, und ethnische Vielfalt in den Gesellschaften europäi- im Bundestag zu sprechen. Zu Ihrer ersten Rede scher Staaten einen positiven und bereichernden möchte ich Ihnen nach der Sitte des Hauses herzlich Faktor darstellt. gratulieren. (Beifall) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Ich gebe das Wo rt der Abgeordneten E rika Stein- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) bach. Die überwiegende Mehrheit der Menschen in der Europäischen Union begrüßt das Diskriminierungs- Erika Steinbach (CDU/CSU): Herr Präsident! verbot, wie es die Europäische Konvention zum Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kol- Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten leginnen und Kollegen! Mit dem Europäischen Jahr vorsieht. Aber es ist auch immer wieder wichtig, daß gegen Rassismus 1997 wurde der Leitgedanke von wir uns in der Öffentlichkeit mit diesem Thema be- Toleranz und mitmenschlichem Verständnis zentral fassen, das Bewußtsein für die Ursachen und Erschei- in das Bewußtsein der Völker Europas gerückt. Der nungsformen von Diskriminierung und Rassismus Schutz von Menschenrechten und Grundfreiheiten schärfen und uns über geeignete Gegenmaßnahmen ist ein zentraler Wert in der europäischen Identität. verständigen. Rassismus darf in den Ländern der Europäischen 20570 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Erika Steinbach Union keinen Platz erlangen. Vor diesem Hinter- Predigten und erhobene Zeigefinger gehen dann grund war das Jahr gedacht. ins Leere, wenn die Sinnhaftigkeit von Gesetzen nicht im Bewußtsein unserer Bürger verankert ist. „Die Würde des Menschen ist unantastbar. " Mit Wir dürfen doch berechtigte Sorgen und Ängste dieser Kernaussage unseres Grundgesetzes ist der nicht so einfach abtun und zur Seite schieben, son- Geist der deutschen Haltung zum Europäischen Jahr dem müssen diese Ängste ernst nehmen, sonst wer- gegen Rassismus vollständig beschrieben. Wir Deut- den die bindenden Werte für menschliches Miteinan- sche wissen ja um die Notwendigkeit, daß Würde der leicht ganz einfach über Bord geworfen. Das wol- und Rechte des einzelnen und das f riedliche Zusam- len wir eben nicht. Deshalb brauchen wir auch weiter menleben aller immer und immer wieder im Bewußt- eine strikte Zuwanderungsbegrenzung für Deutsch- sein der Menschen gehalten werden müssen. land. Die massiven Integrationsprobleme in vielen Alle Staaten der Europäischen Union haben ihre Städten müssen unabdingbar immer im Blickfeld be- Bürger im vorigen Jahr daran erinnert, daß Rassis- halten werden, wenn es um die Frage von Zuwande- mus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus in rung geht. diesem Europa nicht toleriert werden. In Deutschland (Beifall bei der CDU/CSU) wird darüber hinaus seit vielen Jahren, bevor dieses Unser Bundespräsident Roman Herzog hat über Jahr ausgerufen wurde, sehr engagiert in Informati- diesen Bereich hinaus in seiner Rede zur deutschen onskampagnen für einen menschlichen Umgang mit- Eröffnungsveranstaltung zum Europäischen Jahr ge- einander geworben. gen Rassismus mit vollem Recht darauf hingewiesen, (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr daß auch Toleranz ihre Grenzen kennt. Er sagte do rt : wahr!) Wer massiv gegen geltendes Recht verstößt und Das Bewußtsein dafür ist in der breiten Öffentlichkeit vor allem wer Gewalt und Terror verbreitet, miß- mehr - so behaupte ich voller Überzeugung - als in braucht und verwirkt sein Gastrecht. Hier muß vielen anderen Ländern sensibilisiert. Und das ist gut der Staat auch im Interesse der vielen f riedlich so. mit uns lebenden Ausländer handeln. Das ist ge- nauso notwendig wie die unnachsichtige Straf- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge verfolgung fremdenfeindlicher Gewalttaten von ordneten der F.D.P.) Deutschen. Die Öffentlichkeitsarbeit von Bund und Ländern Er hat recht. gemeinsam mit der Aktion „Fairständnis" - fragen wir einmal nicht nach, wie dieses Wo rt nach der (Beifall bei der CDU/CSU) Rechtschreibreform geschrieben würde - hat Früchte Im Einklang mit seinen Aussagen steht deshalb auch getragen. Die Zahl der ausländerfeindlichen Gewalt- die Verschärfung des Ausländerrechtes und des taten ist in Deutschland seit dem Höchststand 1992 Strafrechtes in diesem Zusammenhang. um 70 Prozent zurückgegangen. Dazu haben unter - anderem die konsequente Strafverfolgung der Ge- Allein mit Strafverfolgung - das wurde von meiner walttäter und empfindliche Freiheitsstrafen beigetra- Vorrednerin auch gesagt - werden wir allerdings in gen. Aber auch andere staatliche Maßnahmen wie Deutschland und Europa Rassismus nicht bekämpfen der Erlaß von Vereins- und Versammlungsverboten können. Da sind wir uns völlig einig. Wir müssen die zeigten ihre Wirkung. Potentielle Gewalttäter muß- Herzen und die Hirne der Menschen für mehr Tole- ten so erkennen, daß die überwältigende Mehrheit ranz und mitmenschlichen Umgang gewinnen. Dazu der Bevölkerung in Deutschland Gewalt, Rassismus, brauchen wir alle gesellschaftlichen Kräfte. Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus nach- drücklich ablehnt. Die entscheidende Vorsorge gegen Extremismus und Gewalt ist eine wertorientierte Erziehung, in Darüber hinaus muß aber auch festgestellt werden, deren Mittelpunkt die Geltung von Menschenwürde daß ohne die Änderung des Asylrechtes 1993 die und Recht steht. Da ist in den vergangenen Jahr- Entwicklung mit Sicherheit anders verlaufen wäre. zehnten in den Schulen vieles im argen gewesen. Nach wie vor muß mehr Gewicht auf diesen Bereich (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr gelegt werden; denn das transportiert sich fo in die richtig!) rt nächsten Generationen hinein. Orientierung durch Das Gefühl der Ohnmacht gegenüber Zuwanderung Wertevermittlung und beispielhaftes Vorbild auf der war bis 1993 mehr als nur latent ein Nährboden für einen Seite und die Annahme von Fragen und Be- Fremdenfeindlichkeit. Jeder hier im Lande muß sich schränkungen auf der anderen Seite sind gleicher- deshalb auch darüber im klaren sein, daß die verträg- maßen notwendig, um im Lande den Konsens zu er- liche Ausgestaltung des Ausländer- und Asylrechtes halten. unabdingbare Voraussetzung für ein f riedliches Mit- einander in Deutschland ist. Eine weitere Änderung Das Elternhaus, die Schulen, die Kirchen und die des Asylbewerberleistungsgesetzes - vorhin wurde Medien sind genauso gefordert wie wir Politiker, um ja hier darüber diskutiert - ist notwendig, um den ein friedliches und tolerantes Miteinander für die Zu- Nährboden für fremdenfeindliches Verhalten un- kunft in Deutschland und im gesamten Europa aus- fruchtbar zu machen. Sie müssen das wissen. zubauen und am Ende zu sichern. Gesetzgeberisches Handeln und staatliche Aktivitäten sind zwar einer- (Beifall bei der CDU/CSU - Erwin Mar seits notwendig, auf der anderen Seite lebt eine schewski (CDU/CSU): Sehr wahr!) wehrhafte Demokratie durch das Engagement ihrer Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20571

Erika Steinbach Bürger. In Deutschland, meine sehr geehrten Damen abgelaufenen Europäischen Jahr gegen Rassismus und Herren, wird viel dafür getan, mehr als in den eine recht traurige Bilanz vorzuweisen hat, weil sie meisten anderen europäischen Ländern. eben genau jene Ausgrenzung fördert, durch die die Neonazis sich in ihrer Gewalt bestätigt sehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P. - Dr. Cornelie Sonntag (Beifall bei der PDS - Dr.-Ing. Dietmar Wolgast [SPD]: Das war eine Rede für Untä Kansy [CDU/CSU]: Was Sie da machen, ist tigkeit!) Brandstiftung!) Zur Bilanz dieses Jahres gehört der Visumszwang Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das für Minderjährige. Dazu gehört eine pauschale und Wort der Abgeordneten Annelle Buntenbach. diskriminierende Kampagne des Innenministeriums gegen die islamische Kultur. Dazu gehört eine pani- Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sche Angstkampagne, deren Anlaß einige wenige NEN): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Her- Kurden waren, die in Italien Schutz vor Verfolgung ren! Hinsichtlich des Europäischen Jahres gegen gesucht haben. Zu dieser Bilanz gehört auch der Vor- Rassismus 1997 können wir bereits jetzt Bilanz zie- schlag für eine weitere Verschärfung des Asylbewer- hen. Wir sollten allerdings diese Bilanz ziehen, ohne berleistungsgesetzes - leider mit angeregt von der sie schönzureden, Frau Steinbach, SPD -, mit dem Flüchtlinge jeden Anspruch auf Lei- stungen verlieren, ausgehungert und auf kaltem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wege vertrieben werden sollen. Eine solche Politik sowie bei Abgeordneten der SPD) verschärft die bestehende Ausgrenzung und Diskri- und ohne, wie immer, den falschen Leuten die minierung von Minderheiten in der Bundesrepublik Schuld für das in die Schuhe zu schieben, was wir und trägt nicht zu ihrer Integration bei. hier in Deutschland haben. Das sind beileibe keine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) paradiesischen Zustände. Das Jahr gegen Rassismus ist nämlich mit einer großen Zahl fremdenfeindlicher Wenn Sie wirklich etwas gegen den Rassismus in und rassistischer Straf- und Gewalttaten zu Ende ge- dieser Gesellschaft unternehmen wollen, dann been- gangen. Wir alle wissen, daß die Dunkelziffer gerade den Sie endlich diese Ausgrenzung und Diskriminie- in diesem Bereich immens ist und die offiziellen Zah- rung und hören Sie damit auf, Opfer zu Tätern zu len den wirklichen Zustand nur unzureichend wider- machen und diejenigen zu legitimieren, die zur spiegeln. Selbsthilfe gegen die sogenannte Asylantenflut grei- In einigen Teilen des Landes, das Sie eben so ge- fen. lobt haben, Frau Steinbach, werden „ausländerfreie Erkennen auch Sie, meine Damen und Herren von Zonen" oder „national befreite Zonen" propagiert. den Regierungsfraktionen, endlich die Realität an, Auch wenn ich diese Unwörter sehr ungern in den und bekennen Sie sich zu einer solidarischen Gesell- Mund nehme, können wir doch vor dieser Realität - schaft, zu der alle hier lebenden Menschen gehören die Augen nicht verschließen. Die bittere Realität im und die selbstverständlich Asyl für Verfolgte bietet - Europäischen Jahr gegen Rassismus ist, daß sich als letztes Menschenrecht, wenn alle anderen Men- Menschen, die nicht deutscher Herkunft sind, in eini- schenrechte gebrochen sind, als Konsequenz aus den gen Regionen dieses Landes nicht mehr angstfrei in bitteren Erfahrungen des Nationalsozialismus. Be- der Öffentlichkeit bewegen können. kennen Sie sich dazu, daß Deutschland ein Einwan- Kein Zweifel, hier sind die Handelnden Neonazis derungsland ist! und ihre Anhänger. Es wäre aber allzu billig - so bil- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, lig können wir das hier nicht machen, auch Sie nicht, bei der SPD und der PDS) Frau Steinbach -, den gesellschaftlichen Zusammen- hang außer acht zu lassen. Zu den Brandstiftern ge- hören die Biedermänner, die sogenannte Mitte der Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe der Gesellschaft, die den Tätern das Gefühl gibt, im Ein- Abgeordneten Cornelia Schmalz-Jacobsen das Wo rt. klang mit den Ansichten vieler zu handeln; denn neonazistische und rassistische Gewalt richtet sich Cornelia Schmalz-Jacobsen (F.D.P.): Herr Präsi- meist gegen diejenigen Menschen, die auch von der dent! Meine Kolleginnen und Kollegen! Nachdem Gesellschaft ausgegrenzt werden. Hier müßte die das Europäische Jahr gegen Rassismus bereits seit Politik gegensteuern, hier hätte auch der Bundestag drei Monaten zu Ende ist, ist es an der Zeit, im Na- Vorbild- und Signalfunktion. men des Deutschen Bundestages all jenen Dank zu Wir hätten gerne dem ursprünglichen Antrag der sagen, die mit ihren Initiativen und Projekten in den SPD zugestimmt, weil er wenigstens einige konkrete Vereinen, in den kleinen und großen Verbänden und Schritte in die richtige Richtung enthielt, zum Bei- in den Behörden eine ganze Menge auf die Beine ge- spiel die Forderung nach doppelter Staatsbürger- bracht haben. Das ist nicht selbstverständlich, und es schaft oder den Rechtsanspruch auf Einbürgerung. kann nicht nur die Politik sein, die etwas tut. Bei dem Antrag in seiner jetzigen Form werden wir (Beifall des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.]) uns als Bündnisgrüne aber enthalten, weil wir der Meinung sind, daß den schönen Worten auch Taten Solche Jahre und solche Wochen wie die Woche folgen müßten und die schönen Worte nicht verdek- der ausländischen Mitbürger haben sicher ihren ken können, daß die Regierungspolitik in dem nun Sinn. Sie hinterlassen aber auch eine Menge Zwie- 20572 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch spältigkeit. In der letzten Woche traf ich in Branden- des Internets für die Kooperation und Kommunika- burg einen Mann - er ist Vietnamese -, der do rt seit tion der Rechtsextremen ist außerordentlich hoch. 20 Jahren lebt und mir gesagt hat: Ich denke über- Hier scheinen die Hemmschwellen zusehends zu sin- haupt nicht daran, mich an der Woche der ausländi- ken. Immer offener und immer dreister wird agiert. schen Mitbürger selber zu beteiligen. Das ganze Jahr Die „national befreiten Zonen", die eigentlich „natio- über darf ich angepöbelt werden, und dann dürfen nal besetzte Zonen" heißen müßten, sind hier ge- wir eine Woche lang Geige spielen. - Ich habe großes nannt worden. Verständnis dafür. Wir sollten uns nicht täuschen. Diese Entwicklung Ich möchte einige Dinge aus dem Antrag hervorhe- ist ebenso brisant wie rechtsextreme Gewalt oder ben. Mir scheint die Erarbeitung sinnvoller Unter- Aufmärsche rechter Gruppen auf unseren Straßen. richts- und Informationsmaterialien durch die Bun- Über das Internet laufen längst schon Kontakte deszentrale für politische Bildung besonders wichtig. rechtsextremer Gruppierungen auf europäischer Wir müssen noch sehr viel stärker an die Kinder her- Ebene. Wir haben sicher keinen Anlaß, die Dinge ankommen, die zur Schule gehen. Sie sollten dort über Gebühr zu dramatisieren; aber wir haben auch nicht nur Toleranz lernen, sondern auch die Achtung ganz und gar keinen Anlaß, sie herunterzuspielen. und den Respekt vor Kindern, die aus anderen Kultu- Lassen Sie mich noch zwei Gedanken ansprechen. ren kommen, und mehr Verständnis für sie haben. Wir werden morgen über das Thema der Hier kann man sich noch eine Menge einfallen las- Staatsange- sen. hörigkeit reden. Die Dinge ernsthaft betrachtend, glaube ich nicht, daß die Doppelstaatsbürgerschaft Es reicht nicht, wenn wir nur an die Medien appel- oder eine erleichterte Einbürgerung oder ein Ein- lieren, den Zugang zu ethnischen Minderheiten stär- wanderungskontrollgesetz die Fremdenfeindlichkeit ker zu thematisieren, statt Leute nur entweder als in diesem Lande im Kern treffen könnten. Die Leute, Opfer oder als Täter zu zeigen. Diejenigen von uns, die sich da zusammentun, haben eine andere Philo- die Mitglieder in entsprechenden Gremien sind, kön- sophie. Sie würden sich davon nicht abschrecken las- nen dazu das Nötige tun, und zwar mehr als das, was sen. Ich glaube, das muß man sagen. jetzt geschieht. (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Das Ich möchte ausdrücklich begrüßen, daß die Bun- war doch der Hauptgrund für die Reform!) desregierung inzwischen hat erkennen lassen, daß Das zweite ist folgendes: Wir haben auch in der das Jahr gegen Rassismus keine Sonderveranstal- Anhörung gehört, daß ein Klima der tung ohne Fortsetzung ist. In der letzten Woche hat Arbeitslosig- keit, ein Klima der Sorge sicherlich geeignet ist, so sich das Forum gegen Rassismus konstituiert. Es ist etwas zu befördern. Aber der Umkehrschluß, daß die ein Nachfolgegremium des letztjährigen Koordinie- Gewalttäter vor allen Dingen unter arbeitslosen oder rungsausschusses. ausbildungslosen Jugendlichen zu suchen sind, ist Ziel muß es auch sein, daß die Arbeit der Europäi- - schlicht falsch. Wir brauchen einen politischen Kon- schen Beobachtungsstelle in Wien bald aufgenom- sens, der über den heutigen Konsens hinausgeht. men wird und wir uns dort informieren. Denn do rt - Wir müssen den Rechtsextremismus ernst nehmen. das ist hier schon gesagt worden - können Fakten Wir müssen besonders darauf achten, was in den gesammelt und sicherlich Anregungen gegeben wer- neuen Bundesländern passiert und wie dort die Ge- den. Der falscheste Weg wäre, zu sagen: Wir haben mengelage aussieht. Wir dürfen uns nicht einfach zu- diese Beobachtungsstelle eingerichtet, und das war's rücklehnen und gegenseitig beruhigen. dann. Das kann es nicht sein. Danke. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne der CDU/CSU) ten der CDU/CSU, der SPD und des BÜND Die Gewaltstatistik scheint zu zeigen, daß die NISSES 90/DIE GRÜNEN) schlimmsten Zeiten von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in der Bundesrepublik Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat Deutschland vorbei sind. Aber mir geht sehr nach - die Abgeordnete Ulla Jelpke. ich denke wie die Kollegin, die in der vergangenen Woche bei der kleinen Expertenanhörung im Innen- ausschuß dabei war -, daß - - Ulla Jelpke (PDS): Herr Präsident! Meine Damen und Henen! Die Bundesregierung war von Anfang (Zuruf der Abg. Dr. Cornelie Sonntag-Wol an bemüht, das Europäische Jahr gegen Rassismus gast [SPD]) zu einer Farce werden zu lassen. Frau Schmalz-Ja- - Ja, es ist schade, daß doch relativ wenige Kollegen cobsen, auch Sie gehören zur Bundesregierung. Die- dabei waren. Das bringt einen schon sehr zum Nach- ses Jahr begann nämlich mit der Einführung des Kin- denken. dervisums, es wurde fortgesetzt mit dem Arbeitsver- bot für Asylsuchende, es ging weiter mit der Ver- Der Organisationsgrad rechtsextremer Gruppen, schärfung des Ausländer- und Asylverfahrensgeset- sowenig strukturiert er bisher sein mag, nimmt zu. zes, der Abschiebung von bosnischen Bürgerkriegs- Das muß uns sehr unruhig machen. Die Netzwerke flüchtlingen in Chaos und Gewalt und der von der werden ja nicht nur in Hinterzimmern geknüpft, son- Union angezettelten Kampagne zur sogenannten dern Rechtsradikale rotten sich - ich sage das ganz Ausländerkriminalität. Der hier zur Debatte stehende bewußt so - im Internet zusammen. Die Bedeutung Antrag spielte jedoch keine Rolle. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20573

Ulla Jelpke Gerade eben haben wir die Debatte um das Asyl- Ich frage mich wirklich, warum Sie von der SPD bewerberleistungsgesetz verfolgen können. Bürger- eine solche Verhohnepipelung unserer im öffentli- kriegsflüchtlingen, geduldeten oder illegalisierten chen Dienst drastisch unterrepräsentierten Mitbürge- Menschen sollen nur noch der Proviant zur Rückfahrt rinnen und Mitbürger ausländischer Herkunft mit- verbleiben. Finden Sie es nicht beschämend, jetzt ei- machen. Sie wissen, daß sie hauptsächlich bei der nen Antrag zu verabschieden, in dem die Würde und Müllabfuhr und bei der Straßenreinigung beschäftigt die Rechte des einzelnen als unsere grundlegenden sind. 1995 betrug der Anteil ausländischer Beschäf- Werte bezeichnet werden? Die Würde des Menschen tigter im gesamten öffentlichen Dienst 3,4 Prozent. haben Sie, meine Damen und Herren von der Koali- tion, erst vor wenigen Minuten mit Füßen getreten. Ich meine, daß ein Antrag, der den Kampf gegen den Rassismus fordert, mehr beinhalten muß. Deswe- (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Reden gen können wir ihm leider nicht zustimmen. Sie doch nicht so einen Quatsch! Das ist unverschämt!) (Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sie wollen das Asylbewerberleistungsgesetz hier zweifellos durchsetzen. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Für die Bun- (Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ desregierung spricht der Parlamentarische Staatsse- DIE GRÜNEN) kretär Manfred Carstens. In Bayern strengt beispielsweise der CSU-Politiker Gauweiler ein Volksbegehren zur Änderung der Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär beim Bun- Landesverfassung an, mit dem er feststellen will: desminister des Innern: Herr Präsident! Meine ver- Bayern ist kein Einwanderungsland. Das entspricht ehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte damit vornehm umschrieben der Formulierung: Ausländer beginnen, daß die Bundesregierung dem Europäi- raus! Das ist mit dem Anspruch dieses Antrags, Ras- schen Jahr gegen Rassismus von Anfang an und das sismus bekämpfen zu wollen, nicht zu vereinbaren. ganze Jahr hindurch einen hohen Stellenwert gege- ben hat. Deutschland steht hier in besonderer histori- (Beifall bei Abgeordneten der PDS) scher Verantwortung. Es hat sich dieser Verantwor- Dem ursprünglichen Antrag der SPD hätten wir, tung gestellt und wird dies auch künftig tun. wenn auch mit Bauchschmerzen, zugestimmt. Den Nicht nur in diesem Jahr hat sich die Bundesregie- Antrag, den Sie heute vorlegen, können wir aller- dings nicht mehr unterstützen. Im ursprünglichen rung mit diesem Problem befaßt, sondern schon viele Antrag war nämlich noch die Forderung nach der Jahre vorher, so wie Frau Kollegin Steinbach es hier eben eindrucksvoll geschildert hat. Dieser Einsatz doppelten Staatsbürgerschaft und dem erweiterten war in den vergangenen Jahren nicht ohne Erfolg. Rechtsanspruch auf Einbürgerung enthalten. Jetzt finden wir nur noch die unverbindliche Aufforderung Offensichtlich ist man hier nicht bereit, auf Fakten an die Bundesregierung, die Einbürgerung zu er- einzugehen. Diese Erfolge sind hier eben schon ge- leichtern. nannt und mit Prozentzahlen belegt worden. 6721 fremdenfeindlich motivierte Straftaten sind in unse- Sie und ich, werte Kolleginnen und Kollegen, wis- rem Land im Jahre 1993 begangen worden. Diese sen genau, daß die Bundesregierung, daß die Koali- Zahl ist bis 1996 kontinuierlich auf 2232 zurückge- tion selber ihrer eigenen Forderung nicht nachkom- gangen. Das ist in der Tat ein Rückgang um mehr als men wird. Wir werden es morgen früh an dieser zwei Drittel. Man kann auch sagen: 1996 ist gegen- Stelle erleben, wenn wir erneut über die Reform der über dem Jahre 1993 nur noch ein Drittel dieser Fälle doppelten Staatsbürgerschaft und des Staatsbürger- zu verzeichnen gewesen. Das war ein großartiger Er- schaftsrechts debattieren. folg all derer, die sich an der Bekämpfung dieser Straftaten beteiligt haben. Man braucht nicht nach Hunderttausende von Migrantinnen und Migran- Ausreden zu suchen und Vorwürfe zu erheben, son- ten, die hier seit Jahren leben, warten dringend auf dern wir sollten uns darüber freuen, daß dieser Tat- ein Signal der Politik. Sie wollen hören: Ihr gehört bestand festgestellt werden kann. zu uns, zu dieser Gesellschaft. Das wäre ein weiterer Beitrag zur Bekämpfung von Rassismus. Doch das Schade und schwierig zugleich ist es, festzustellen, einzige, was diese Koalition unseren ausländischen daß 1997 ein leichter Anstieg auf 2952 Fälle stattge- Bürgerinnen und Bürgern vermittelt, ist, daß sie auch funden hat. Aber man bedenke, daß wir noch vier nach Jahrzehnten immer noch als Gäste behandelt Jahre vorher 6721 Fälle hatten. Der Anstieg muß werden, daß sie eine Bedrohung sind, daß sie Fremde ernst genommen und darf nicht hingenommen wer- bleiben. den. Wir fordern alle gesellschaftlichen Gruppen auf, an der Lösung dieses Problems mitzuwirken; denn es Geradezu verhöhnend ist die Aussage in dem handelt sich doch um eine gesamtgesellschaftliche neuen Antrag - ich zitiere -: „Der Deutsche Bundes- Aufgabe. Die Bundesregierung ist gefragt, selbstver- tag begrüßt, daß die Bundesregierung in ihrem Ver- ständlich. Aber auch die Landesregierungen, die Kir- antwortungsbereich Ausländer beschäftigt." In der chen, andere gesellschaftliche Gruppen und im Ursprungsfassung der SPD forde rte der Bundestag Grunde jeder Bürger unseres Landes sind gefragt, die Bundesregierung immerhin noch auf, den öffent- hier mitzumachen. lichen Dienst einschließlich BGS verstärkt für Nicht- deutsche zu öffnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 20574 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Parl. Staatssekretär Manfred Carstens Es ist angenehm, bei empirischen Untersuchun- und Du?" produziert und finanziert, um die Öffent- gen feststellen zu können, daß es auch ganz erfreuli- lichkeit für diese Problematik zu sensibilisieren. che Ansätze gibt, nach denen man durchaus auch zu- versichtlich sein darf. Zum Beispiel ist durch solche (Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Für die Einbürge Umfragen - ich nenne die Shell-Studie - bekannt, rung in 24 Stunden!) daß rechtsextremistische Gruppierungen auf größte Dann haben Bund, Länder und Gemeinden - Frau Ablehnung bei Jugendlichen stoßen. Ober 80 Prozent Schmalz-Jacobsen hat es eben schon gesagt und da- der Jugendlichen geben an, solche Gruppierungen für Dank ausgesprochen, dem ich mich anschließen abzulehnen. Diese empirischen Untersuchungen zei- möchte - und viele Nicht-Regierungsorganisationen gen auch regelmäßig, daß der Anteil der Jugendli- der Geschäftsstelle im BMI eine Fülle von Projekten chen, die sich selbst der rechtsextremistischen Szene gemeldet und durchgeführt, die zur Zeit dokumen- zuordnen, bei maximal 1 bis 2 Prozent, und der Anteil tiert werden. Sie werden sich allesamt darüber wun- derjenigen, die mit der Szene sympathisieren, deut- dern, wieviel in diesem einen Jahr in unserem Land, lich unter 5 Prozent dieser Altersgruppe liegen. in Deutschland, zu diesem Thema getan worden ist: Wir haben bei unseren Initiativen - von der Aufklä- mehr als in allen anderen Ländern Europas, wage ich rungskampagne der Innenminister von Bund und zu behaupten. Ländern ist ja eben schon die Rede gewesen - auch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge festgestellt, daß es einen gesellschaftlich breit getra- ordneten der F.D.P.) genen Konsens gegen extremistische Ideologien und Fremdenfeindlichkeit gibt. Dieses Europäische Jahr gegen den Rassismus ist nun aus kalendarischer Sicht beendet; doch alle Be- Die wieder wachsende Gewaltkriminalität von Ju- teiligten haben sich dafür entschieden, daß der be- gendlichen führt uns aber erneut zu der Frage nach gonnene Dialog zwischen Nicht-Regierungsorgani- den Ursachen und nach den Hintergründen hierfür. sationen und Regierungsstellen in einem Nachfolge- Die Ursachen sind vielschichtig. Sie werden in der gremium, dem Forum gegen den Rassismus, fort Politik- und Sozialwissenschaft, aber auch in der Pu- -geführt wird. Das Gremium hierfür ist schon am blizistik breit erörtert. Ein umfassendes, konsistentes 19. März in Frankfurt konstituiert worden. und allgemein anerkanntes Analyse- und Erklä- rungsmodell liegt bislang nicht vor. Eine wichtige Letzte Ausführung: Rassismus und Fremdenfeind- Rolle spielen aber sicher eine zunehmende Orientie- lichkeit sind keine auf Deutschland beschränkten Er- rungs- und Bindungslosigkeit, ein zunehmender scheinungen. In praktisch allen Ländern der Europäi- Werteverlust, Medieneinflüsse und in den neuen schen Union, in denen in den letzten Jahren ein star- Bundesländern sicher auch der totale gesellschaftli- ker Zuzug von Ausländern stattgefunden hat, sind che Umbruch. sie zu beobachten. Zur Zeit leben über 7,3 Millionen Ausländer in Deutschland. Das spricht nicht für Die Bundesregierung hat sich selbstverständlich - Fremdenfeindlichkeit. auch um die Erforschung der Ursachen bemüht. Auf den Bericht zu dem Forschungsprojekt „Analyse Die damit verbundene Begegnung verschiedener fremdenfeindlicher Straftäter" möchte ich besonders Kulturen und Traditionen kann die Lebensverhält- hinweisen. Darüber hinaus führt die Bundesregie- nisse der Bürger bereichern, aber auch zu Spannun- rung vielfältige Maßnahmen sowohl im gesetzgeberi- gen führen. Einheimische wie Zuwanderer sind auf- schen und administrativen als auch im Bereich der gefordert, solche Spannungen nicht durch Mißach- Prävention durch. Ich weise insbesondere auf die tung und Provokation zu verstärken, sondern durch „Offensive gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit" Offenheit und Toleranz, Verständnis und Respekt ab- hin, in der auf Beschluß der Bundesregierung vom zubauen. 2. Dezember 1992 alle einschlägigen Maßnahmen und Planungen der Bundesregierung zusammenge- Danke schön. faßt worden sind. Zuletzt wurde dieser Be richt im (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Mai 1997 aktualisiert. Auch die Maßnahmen der Bundesregierung im Bildungsbereich sind hier auf- geführt. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Damit schließe ich die Aussprache. Nun noch einiges zum Europäischen Jahr gegen Rassismus: Hier hat sich die Bundesregierung sehr Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß- stark engagiert, anders als es die Rednerin der SPD empfehlung des Innenausschusses zum Antrag der eben zum Ausdruck gebracht hat. Mit der Umset- Fraktion der SPD zum Europäischen Jahr gegen Ras- zung dieser Initiative in Deutschland war am 7. Okto- sismus, Drucksache 13/9667. Der Innenausschuß ber 1996 ein nationaler Koordinierungsausschuß be- empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7711 in der auftragt worden, dem sowohl Vertreter von Regie- Ausschußfassung anzunehmen. Wer der Beschluß- rungsstellen als auch von Nicht-Regierungsorganisa- empfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzei- tionen angehörten. Vorsitz und Geschäftsführung la- chen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltung? - Dann gen beim BMI. Die nationale Eröffnungsveranstal- stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den tung fand am 4. März 1997 mit dem Bundespräsiden- Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei ten als Hauptredner statt. Wir haben auf Initiative Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- des BMI zum Beispiel im Rahmen dieses Jahres ein nen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS ange- Poster mit dem Motto „Sportler gegen Rassismus - nommen worden ist. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20575

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16a und b so- Mir geht es darum - das ist der Hintergrund der wie den Zusatzpunkt 7 auf: ganzen Politik, die ich in diesem Jahr eingeleitet habe -, z.B. die Milchmarktordnung und ihren 16. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten garantierten Mindestpreis langfristig zu erhalten. Dr. Gerald Thalheim, Anke Fuchs (Köln), Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der An anderer Stelle heißt es: Fraktion der SPD Ich bin lieber bereit, hinsichtlich der Menge Kon- Milchmarktpolitik ab dem 1. April 2000 zessionen zu machen als hinsichtlich des Preises.

- Drucksache 13/9761 - Die SPD hat schon damals gewarnt. Der uns unver- Überweisungsvorschlag: gessene Jan Oostergetelo hat in der gleichen Debatte ganz frei nach Schiller ausgeführt: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend) Das eben ist der Fluch der bösen Tat, daß sie, fo rt Ausschuß für Angelegenheiten der Europäischen Union -zeugend, Böses muß gebären! b) Zweite und dritte Beratung des von der Leider behielt er recht. Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist Milch- und Margarinegesetzes sozialistisch! ) - Drucksache 13/9535 - - Herr Hornung, lesen Sie einmal die Reden von da- mals nach. Es ist eine sehr interessante Lektüre. (Erste Beratung 216. Sitzung) (Günther Bredehorn [F.D.P.]: Sie waren Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- dabei! Das war der Vorteil!) schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) - Ja, ich habe Ihren Beitrag auch gelesen. - Drucksache 13/10077 - Die Garantiemengenverordnung hat mittlerweile 34 Änderungen. Sie ist dadurch nicht besser gewor- Berichterstattung: den. Im Gegenteil: Es sind Fehlwirkungen eingetre- ten, die man sich damals - zumindest, wenn man die Abgeordnete Jella Teuchner Debatte nachliest - nicht hätte vorstellen können. ZP7 Erste Beratung es von den Fraktionen der Das Einkommen der Milchviehbetriebe ist trotz CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs Quote heute tief wie nie zuvor; an Altverpächter, die eines Gesetzes zur Anpassung steuerlicher nie selbst gemolken haben, sind Quotengelder zu Vorschriften der Land- und Forstwirtschaft zahlen; die aktiven Milcherzeuger, denen als Reak- - Drucksache 13/10187 - tion auf fallende Milchpreise das Betriebswachstum - Überweisungsvorschlag: empfohlen wurde - Herr Kollege Deß, Sie sollten an dieser Stelle ruhig einmal zuhören -, müssen die Finanzausschuß (federführend) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Mehrarbeit, die damit verbunden war, heute teuer Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO bezahlen. Viele Milcherzeuger müssen von dem Milchpreis, den sie pro Liter einnehmen, 10 Pfennig Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für und mehr für Quotenpacht und Quotenkauf ausge- die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe ben. und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so be- schlossen. (Albert Deß [CDU/CSU]: Das ist bei Getrei debauern genauso, wenn sie Pachtflächen Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wo rt dem haben!) Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim. Das wird dann mit dem Argument gerechtfertigt - das ist mehrfach ausgeführt worden -, die Idee sei ja Dr. Gerald Thalheim (SPD): Sehr geehrter Herr Prä- gut; man habe sie nur nicht richtig umgesetzt. Da sident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es muß ich Ihnen sagen: Das Gerede habe ich gelegent- tut mir leid, daß ich Ihnen nicht ersparen kann, daß lich schon in der DDR gehört, Sie sich jetzt die Bilanz von 14 Jahren Milchgarantie- mengenverordnung anhören müssen und wir uns (Albert Deß [CDU/CSU]: Da hat es ja auch nicht auf das Nachlesen beschränken können. gestimmt! - Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Diese Vergleiche wollen wir lieber nicht führen!) (Horst Sielaff [SPD]: Aber es ist notwendig!) sowohl solange sie existierte als auch danach. Ich denke, die Bilanz ist so, daß es schon würdig ist, diese hier einmal ausführlich zu diskutieren. Die Frage, die man heute stellen muß, lautet: Ist Nach meiner Auffassung kann man sie vielleicht am die Mengenbegrenzung heute noch dafür geeignet, besten mit dem Satz zusammenfassen: Das Gegenteil Einkommenspolitik zu machen? von gut ist gut gemeint. Zumindest kommt man zu (Günther Bredehorn [F.D.P.]: Nein!) dem Ergebnis, wenn man einmal nachliest, was für Ziele bei der Einführung so formuliert wurden. Bun- - Das gilt sowohl für die aktuelle Situation bei 20 Pro desminister hat dazu am 29. März 1984 zent mehr Produktion als Verbrauch als auch erst im Deutschen Bundestag erklärt - ich zitiere: recht im Hinblick auf die Agenda 2000. Sie wissen 20576 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Dr. Gerald Thalheim alle: Die Quotenmenge in Europa soll um weitere Zweitens. Die aktiven Milcherzeuger würden von 2 Prozent ausgeweitet werden, und der Interven- den erheblichen zusätzlichen Kostenbelastungen be- tionspreis soll um 15 Prozent abgesenkt werden. freit, die - man höre und staune; Herr Hornung, jetzt können Sie einmal besonders zuhören - (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist ja unsinnig!) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber Herr Herr Hornung, da kommen wir zum eigentlichen Dr. Thalheim!) Kernpunkt der ganzen Debatte. Die einzige Schluß- die Bundesregierung auf eine Frage, die von mir am folgerung aus dieser europäischen Agrarpolitik ist: 17. März gestellt wurde, nicht einmal annäherungs- Die Kommission hat das Ziel, mit Mengenbegren- weise beziffern konnte. Ich kann mir das nicht vor- zung Preispolitik zu machen, längst aufgegeben - stellen: Wie will man an dieser Stelle sachliche Politik ich füge hinzu: mit Recht. machen, wenn, wie gesagt, nicht einmal eine annä- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das hat sie nie herungsweise Festlegung oder Bezifferung dieses ernsthaft verfolgt!) Betrages möglich war? - Sie hat es nie verfolgt; das ist noch schlimmer. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Ja, so ist das!) Ein drittes wichtiges Argument. Unser Vorschlag Erst recht in Zeiten der Globalisierung - die Oster- würde es ermöglichen, die Lieferrechtslösung in den weiterung steht vor der Tür; die nächste GA TT neuen Ländern beizubehalten. Jede Kapitalbindung, -Runde, die vielen bilateralen Abkommen eröffnen die es in den neuen Ländern gäbe, würde eine we- immer mehr Zugang zu den Märkten der Europäi- sentliche Verschlechterung darstellen. Sie hätte ne- schen Union - muß diese Politik scheitern. Die Leid- gative Konsequenzen. Die Quoten würden in den tragenden sind die Milchbauern, die nicht nur mit Westen verkauft; die Milchviehhaltung in den neuen sinkenden Milchpreisen fertigwerden müssen, son- Ländern ginge weiter zurück, und wir bekämen eine dern auch durch hohe Quotenkosten einen zusätzli- neue Nachfolgedebatte, weil sich vermutlich die Fal- chen Preis zahlen. schen das Geld in die Tasche stecken würden. Das ist (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie zahlen festzuhalten. doch überhaupt nichts für die Quoten! - Matthias Weisheit [SPD]: Ach, Siegf ried! (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Sieg Was soll denn das!) fried Hornung [CDU/CSU]: Und deswegen kommt es ja nicht so, wie Sie es eben apo - Herr Hornung, es geht ja nicht um das, was im strophiert haben!) Osten ist. Ich komme darauf zurück: Die künftigen Lösungen werden da noch schlimmer. - Das werden wir ja sehen. Gehen Sie auf unseren - Vorschlag ein, der wichtige Ansatzpunkte für eine or- Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation und dentliche Lösung bietet. der Ungleichgewichte muß es wenigstens darum ge- hen, die Milcherzeuger von diesen zusätzlichen Ko- Natürlich wird es schwierige Anpassungsprozesse sten und Belastungen zu befreien. geben, vor allem im Sozialbereich. Hier muß man über die Härtefälle nachdenken. Im Grundsatz bleibt Wir haben mit unserem Antrag, der heute zur De- natürlich eines festzuhalten - das kann man auch in batte steht, wichtige Eckpunkte für eine künftige den Protokollen von 1984 nachlesen -: Milchpolitik vorgeschlagen. (Zuruf von der F.D.P.: Das hatten wir schon Erstens. Den aktiven Milcherzeugern wird ab dem einmal!) 1. April 2000 ein Lieferrecht in Höhe ihrer im Wirt- schaftsjahr 1999/2000 abgabenfreien Anlieferungs- Die Milchgarantiemengenverordnung ist nicht als menge eingeräumt. Teil der Agrarsozialgesetzgebung eingeführt wor- Zweitens. Die nicht genutzten Lieferrechte sollen den, sondern sie sollte eine Stärkung für die Milcher- ab diesem Zeitpunkt an die nach Landesrecht zu- zeuger sein und ihnen hohe Preise sichern. Davon ständige ausgebende Stelle fallen. sind wir weit entfernt. Ich kann Sie nur auffordern, unserem Vorschlag, dem Übergang zum Bewirtschaf- Drittens. Diese freiwerdenden Lieferrechte werden terprinzip , zuzustimmen. in einem festzulegenden Rahmen zur Saldierung ver- wendet. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Zuruf von der F.D.P.: Reine Von diesem System würden alle Milchbauern pro- Planwirtschaft!) fitieren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das DIE GRÜNEN) Wort dem Abgeordneten Albe rt Deß. Mit dieser Lieferrechtsregelung wäre eine ganze Reihe von Vorteilen verbunden. Albert Deß (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kol- Erstens. Es würde gelingen, die unsägliche Alt- leginnen und Kollegen! Es ist schon auffällig, daß die pachtregelung aus der Welt zu schaffen. SPD-Fraktion einen Kollegen sprechen läßt, der aus Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20577

Albert Deß einem Gebiet kommt, in dem es weder „Sofamelker" Aber auch das Verhalten von Vertretern meines ei- noch Kosten für die Milchquote gibt. genen Berufsstandes hat eine Entlastung des Milch- marktes mit der Folge positiverer Milchpreise verhin- (Horst Sielaff [SPD]: Warte mal ab, mein dert. Als Ignaz Kiechle Ende der 80er Jahre europa- Lieber! Wir haben mehrere Redner!) weit die Milchquoten gegen eine Entschädigung von Wenn heute im Deutschen Bundestag das Thema 1,26 DM pro Kilogramm Milch um 2 Prozent kürzen Milchquote auf der Tagesordnung steht, wissen wir, wollte, gab es heftigste Proteste. Auf Grund dieser daß dieses Thema auch draußen bei den Landwirten Proteste wurde der Vorschlag leider nicht umgesetzt. heiß diskutiert wird. Spreche ich mit zehn Berufskol- Eine Quotenregelung kann aber nur zu steigenden legen über die Vorschläge zur Ausgestaltung der Milchpreisen führen, wenn durch eine Verknappung Milchmengenregelung ab dem 1. April 2000, höre der Produktion eine bessere Marktsituation erreicht ich mindestens zehn verschiedene Vorschläge - von wird. Es schadet dem Marktgeschehen auch, wenn jedem Gesprächspartner gerade so, wie es für seinen Landwirte über ihre Quote hinaus Übermengen an eigenen Betrieb am günstigsten ist. Eine Lösung, die die Molkereien abliefern. Die gleichen beschweren auf die Wünsche jedes Betroffenen Rücksicht nimmt, sich hinterher, weil der Milchpreis nicht hoch genug wird es nicht geben. ist. Beides geht nicht: Mehr Menge und besserer Wir Politiker werden unserer Verantwortung nicht Preis schließen sich aus. gerecht, wenn wir nur auf diejenigen Rücksicht neh- Weltweit wird nur in Kanada eine Milchquotenre- men, die zur Zeit am lautesten schreien. gelung dem Marktbedarf konsequent angepaßt mit (Horst Sielaff [SPD]: Mit wem sprichst du der Folge, daß dort der Milchpreis über dem EU- denn?) Milchpreis liegt. Es war natürlich auch ein jahrelan- ges Versagen der Brüsseler Administration, in Italien Wir werden unserer Verantwortung nur gerecht, ein Unterlaufen der Milchquotenregelung zu dulden. wenn wir nach Abwägung aller Interessenlagen ei- (Zuruf von der SPD: Wer sitzt denn in Brüs nen Weg beschreiten, sel am Tisch?) (Horst Sielaff [SPD]: Das erzähle den Leuten In der Frage, ob ab dem 1. Ap ril 2000 das Milch- mal, die davon betroffen sind!) mengenbegrenzungssystem abgeschafft oder weiter- der zum einen politisch umsetzbar und rechtlich halt- geführt werden soll, bin ich eindeutig der Meinung, bar ist und zum anderen den überwiegend bäuerlich daß wir gut beraten sind, im Interesse der bäuerli- strukturierten Milchbetrieben eine Perspektive für chen Milcherzeuger ein Quotensystem weiterzufüh- die Zukunft bietet. ren. Keine Perspektive bieten Schaufensterreden und (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Richtig!) Schauanträge, die in ihren Auswirkungen nicht zu - Eine Abschaffung der Quotenregelung hätte drama- Ende gedacht sind. Der SPD-Antrag ist in diese Kate- tische Auswirkungen auf viele bäuerliche Bet riebe. gorie einzuordnen. Würde das Mengenbegrenzungssystem abgeschafft, könnte durchaus die Situation eintreten, daß Italiens (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Landwirte den Bedarf für den italienischen Markt zu Zuruf von der F.D.P.: Wo er recht hat, hat er 100 Prozent selbst erzeugen. Auf welchem Markt recht! - Horst Sielaff [SPD]: Das werden wir dann vor allem die bayerischen Übermengen unter- den Milchbauern sagen!) gebracht werden sollen, die jetzt über den Brenner Er weckt Hoffnungen, die wie Seifenblasen zerplat- transportiert werden, wird von den Befürwortern der zen werden. Quotenabschaffung nicht beantwortet. Die grundsätzliche Frage ist: Soll es nach dem Aus- Auch das von Initiativgruppen befürwortete A/B- laufen der jetzigen Milchmengenregelung weiter oder A/C-Quotenmodell ist nicht zu Ende gedacht. eine Milchmengenregelung in der EU geben oder (Horst Sielaff [SPD]: Ihr wollt nur „Weiter nicht? Es gibt in der EU, aber auch unter den Bauern so", oder wie?) sehr unterschiedliche Meinungen. Landwirte, die für eine Abschaffung der Quotenregelung eintreten, be- Ein solches Stufenmodell sieht auf den ersten Blick gründen dies damit, daß der Milchpreis trotz Men- ganz attraktiv aus. Es ist aber mehr Wunschdenken, genbegrenzung in den Jahren 1989 bis 1996 rückläu- was hier den Milcherzeugern vorgeschlagen wird. fig war. Dazu ist aber anzumerken, daß dies nicht am Die Folge eines solchen Stufenmodells, bei dem der System der Garantiemengenregelung lag, sondern A-Quotenmilchpreis in der EU auf dem hohen Ni- an der unvollständigen Anwendung des Systems. veau abgesichert werden soll und die B-Quoten mit unbegrenzter Produktion zu Weltmarktpreisen ver- (Lachen bei der SPD) kauft werden sollen, wäre eine Ausweitung der Wenn die Kommission in Brüssel die laut GATT Milchproduktion in der Europäischen Union. -Vertrag möglichen Exportmengen unvollständig aus- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Volle schöpft, bedeutet dies Preisdruck auf den innereuro- Zustimmung!) päischen Märkten. Wenn hierdurch 10 Millionen Tonnen Milch mehr (Dr. Gerald Thalheim [SPD]: Das ist wie im produziert werden, können diese nur am Weltmarkt Sozialismus! Nur falsch angewandt!) abgesetzt werden. Bereits jetzt stammen von den 20578 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Albert Deß zirka 30 Millionen Tonnen Milch, die am Weltmarkt haupt keine Menge hineinkäme, die zu verteilen gehandelt werden, zirka 14 Millionen Tonnen aus wäre. der Europäischen Union. Wenn weitere 10 Millionen (Dr. Gerald Thalheim [SPD]: In Ostdeutsch- Tonnen dazukommen würden, würde dies einen dra- land haben wir das Lieferrecht!) matischen Preisverfall bei Milchprodukten auf dem Weltmarkt verursachen, der auch dazu führen würde, - Das Lieferrecht funktioniert in Ostdeutschland, so- daß der A-Quotenpreis in Deutschland nicht mehr lange dort die 100 Prozent nicht erreicht sind. Wenn gehalten werden könnte. Sie nach Mecklenburg-Vorpommern gehen, dann werden Sie feststellen, daß do rt Milchmengen über (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Dabei ist Verträge von einem LPG-Nachfolgebetrieb auf den das Mineralwasser schon teurer als die anderen LPG-Nachfolgebetrieb übertragen werden, Milch!) ohne daß Sie etwas dagegen machen können. Ihr Vorschlag, meine Kollegen von der SPD, bietet Ich bin also der Meinung, daß wir über das Jahr keine Lösung; das tut mir leid. Der heutige Antrag 2000 hinaus die Milchmengenregelung beibehalten der SPD zur Milchmarktpolitik ab dem 1. Ap ril 2000 sollten. Sie hat sich bewährt. Ich darf, Herr Präsident, ist eine Milchmädchenrechnung. Wer glaubt, daß noch die Milchpreise meiner Molkerei mitteilen: Wir man mit diesem Lieferrechtsmodell die aktiven Milch- haben im Dezember 1997 im Durchschnitt einen erzeuger stärken kann, hat die Rechnung ohne den Milchpreis - Wirt gemacht. Ein solches Lieferrecht würde bei vie- len Betrieben dazu führen, daß die Entscheidung Ihre Redezeit über die Aufgabe der Milchviehhaltung bei einer Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: ist abgelaufen. entschädigungslosen Abgabe der Quote in einen Pool mit Sicherheit oft hinausgezögert würde - mit entsprechenden Auswirkungen auf den Struktur- Albert Deß (CDU/CSU): - von 71,34 Pfennig be- wandel. zahlt. Das ist ein durchaus attraktiver Milchpreis, mit dem die Bauern zufrieden sind. Die Molkereien sol- Wird ein Poolsystem eingeführt, müssen diese len sich anstrengen, daß sie für ihre Bauern einen gu- Mengen - vorausgesetzt, es kommen überhaupt ten Preis erreichen. Mengen in diesen Pool - verteilt werden. Wer verteilt diese Mengen, die Politik, der Berufsstand oder die (Beifall bei der CDU/CSU) Molkereien? Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das (Dr. Gerald Thalheim [SPD]: Lesen Sie Wort der Abgeordneten Ul rike Höfken. meine Rede nach!)

Die Politik ist gut beraten, dies nicht zu überneh- - Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr men. Würde diese Aufgabe dem Bauernverband geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und übertragen, würde ich sofort den Kreisvorsitz nieder- Herren! Es wäre ja wirklich einmal interessant, zu legen, da ich auch in Zukunft in meinem Dorfwirts- hören, wenn alle Modelle schon nichts taugen, was haus ein Bier ohne Personenschutz trinken möchte. denn bitte schön die Bundesregierung vorlegt. Tatsache ist: Es kann keine gerechte Verteilung ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Albe rt ben. Wird eine Milchmenge - von wem auch immer - Deß [CDU/CSU]: Ich hätte es ja gern noch durch einen Bescheid verteilt, kann auch dagegen gesagt, aber ich hatte ja keine Möglichkeit geklagt werden. Eine Flut von Prozessen würde dann mehr!) unsere Gerichte beschäftigen. Es gibt bis jetzt keinen einzigen konkreten Vorschlag In Wirklichkeit würde aber in diesem Pool nur sel- außer irgendwelchen Absichtserklärungen, nach de- ten Milch zum Verteilen vorhanden sein. Sollte ein nen die Einkommen der Milchbauern erhöht und die solches Lieferrechtssystem beschlossen werden und aktiven Bewirtschafter gestärkt werden sollen und befaßt sich ein Landwirt dann mit dem Gedanken, die Entwicklung in Richtung einer Börse gehen soll. seine Milchviehhaltung mit zum Beispiel 200 000 Ki- (Günther Bredehorn [F.D.P.]: Das haben wir logramm Lieferrecht aufzugeben, wird er mit einem doch alles vorgelegt! Können Sie doch Landwirt einen GbR-Vertrag abschließen und so die nachlesen!) Milchquote am Pool vorbei übertragen. Aber das Was und das Wie ist beim besten Willen (Glocke des Präsidenten) nicht klar. Das ist doch nun wirklich weit von einer Konkretisierung entfernt - und das zwei Jahre vor - Herr Präsident, ich komme zum Schluß, obwohl mir dem Auslaufen der Quotenregelung. Das muß man der Herr Staatssekretär Hauser signalisiert hat, daß sich wirklich einmal vorstellen. er bereit ist, mir eine Minute abzutreten. Trotz der bestehenden Überproduktion hat die EU- Wir haben rechtlich keine Möglichkeiten, solche Kommission im Rahmen der Agenda 2000 vorge- Betriebszusammenführungen zu verhindern. Ich bin schlagen - das halte ich übrigens für ein großes Pro- der Meinung, daß das Lieferrechtssystem in der Pra- blem, Herr Thalheim -, die Milchquoten global um xis überhaupt nicht umsetzbar ist, weil es Umge- 2 Prozent anzuheben. Für die deutschen Milchbau- hungstatbestände gibt, so daß in diesen Pool über ern wären es 1,3 Prozent. Ich habe nichts dagegen, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20579

Ulrike Höfken daß Junglandwirte und Bergbauern beim Verteilen Es gibt allerdings noch einen Punkt, der Quoten bevorzugt werden sollen, aber insgesamt hat diese Entscheidung katastrophale Auswirkun- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Ihr könnt doch gen, weil sie schlicht und ergreifend die Preise noch auch selber denken!) weiter herunterdrückt, das Überangebot erhöht und der für uns wichtig ist: die Anpassung der Milch- die Lagerungshallen wieder füllen wird. Das alles menge an den Verbrauch in Europa. Wir sind schon geht mit einer Senkung des Stützpreises um 15 Pro- der Auffassung, daß die Milchmenge in Europa bei zent einher. Ich finde, das ist eine unmögliche Ent- Beibehaltung der nationalen Mengenverteilung an scheidung. Sie wird im Prinzip nur deswegen getrof- den tatsächlichen Verbrauch in der EU angepaßt fen, weil man sich vor den politischen Entscheidun- werden sollte. Dieser Punkt kommt im SPD-Antrag gen drückt wie Sie, Herr Deß, eben auch. nicht vor. Eine Kürzung und nicht eine Erhöhung der Nach unserer Auffassung sollte die zukünftige Milchmenge muß das Ziel sein. Und bei einer sol- Milchmarktpolitik die bisherigen Eigentumsansprü- chen Kürzung und der Umverteilung, die damit ver- che nicht aktiver Milcherzeuger an der Quote been- bunden ist, müssen nach unserer Auffassung Be- den. Das ist der ganze Sinn des Poolsystems, triebe unter einer Referenzmenge von 150 000 kg ohne Abzug bleiben. In den neuen Bundesländern (Albert Deß [CDU/CSU]: Das funktioniert sind die vorläufig zugeteilten Referenzmengen auf- doch nicht!) rechtzuerhalten und ein unrechtmäßiger Verkauf oder Handel durch wirksame Kontrollen zu verhin- weil es mit keinem anderen Modell funktioniert. Alle dere. anderen Vorschläge, auch Ihre Börse, behalten die Eigentumsbindung und die Kapitalansprüche bei. Ich möchte noch ein paar Sätze zu dem Punkt Dann haben Sie über kurz oder lang genau das glei- verlieren, der heute hier wohl auch aufgerufen ist, che „Sofamelkerproblem" wie bisher. nämlich die Anpassung steuerlicher Vorschriften in der Landwirtschaft. Ich finde die Anhebung der Vor (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das ist doch nicht steuerpauschale, diese Zelebrierung, die die Bundes- wahr!) regierung damit betreibt, nicht in Ordnung. Schon heute wirken sich die unterschiedlichen (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das ist doch eine Wettbewerbsbedingungen in Ost und West negativ tolle Sache! - Günther Bredehorn [F.D.P.]: auf die Kostenstruktur aus. Sie sind doch nicht dagegen?) (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das kann doch stellt sich beim Jubiläum des Deutschen nicht wahr sein!) Bauernverbandes hinter das Rednerpult und erklärt Wenn der Euro eingeführt wird und die Regierungen den Bauern, die Vorsteuerpauschale werde ange- europaweit noch stärker in Konkurrenz stehen, ist paßt. eine Kostenbelastung der Milcherzeugung in - (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Da haben alle Bei Deutschland durch Quoten, Leasing oder Handel fall geklatscht!) überhaupt nicht mehr hinzunehmen. Ich finde es eine Frechheit, daß diese Anpassung an Ziel von Bündnis 90/Die Grünen ist, die Nutzung die Erhöhung der Mehrwertsteuer als politische Lei- der Milchquoten ausschließlich den aktiven Bewirt- stung verkauft wird. schaftern zu ermöglichen, wie es auch die SPD möchte, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Mit der Änderung der macht die Hofnachfolge bei einem Generationenwechsel Vieheinheitenstaffel die Bundesregierung einen Schritt in die genau fal- problemlos zu ermöglichen und die regionale Bin- sche Richtung, indem sie nämlich die Intensivierung dung der Milchproduktion aufrechtzuerhalten. der Produktion und einen hohen Tierbesatz steuer- Hierzu gibt es einen Punkt im SPD-Antrag, der mich lich belohnt, statt genau das Gegenteil zu tun, näm- doch etwas irritiert. Sie sagen ganz einfach: Den Re- lich die Leistungen für mehr Tierschutz und gerin- gionen soll ermöglicht werden, eine regionale Bin- gere Bestandsdichten finanziell zu begünstigen. dung einzuführen. Das ist für mich aber ein grund- sätzlicher Unterschied zu der Aussage, daß diese re- (Zuruf von der CDU/CSU: Ein Onkel, der gionale Bindung so gestaltet werden soll, daß die etwas mitbringt, ist beliebter als eine Tante, heutige Bewirtschaftung des Grünlandes auch tat- die Klavier spielt! - Gegenrufe von der sächlich gesichert ist. SPD) (Zuruf von der CDU/CSU: Die SPD macht - Sie können gern eine Zwischenfrage stellen. Dann keine grundsätzlichen Aussagen!) kann ich Ihnen antworten. Aber so geht das nicht. Man kann sich darüber auseinandersetzen, ob das in Angesichts des hohen Mißtrauens in der Bevölke- Form von Molkereiquoten, wie es früher einmal dis- rung und der Abwendung der Bevölkerung vom kutiert wurde, oder ähnlichem geschieht. Fleischverbrauch finden wir das natürlich einen Schritt Die neuesten anderen Punkte, die Sie, Herr Thal- in genau die falsche Richtung, eine Intensivierung statt einer Qualitätsproduktion zu unterstützen. Es ist dann heim, vorgeschlagen haben, unterstützen wir. kein Wunder - das sage ich Ihnen als Agrarpolitikerin; (Günther Bredehorn [F.D.P.]: Ach!) da werden Sie sich noch umgucken -, daß die Forde- 20580 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Ulrike Höfken rungen nach der Abschaffung steuerlicher Sonderbe- den - erhebliche strukturelle Überschüsse von rund günstigungen für die Landwirtschaft immer lauter wer- 20 Prozent. Diese Mengen sind nur mit Exporterstat- den. Was die Bauern brauchen, sind nicht undurch- tungen auf dem Weltmarkt oder Beihilfen auf dem sichtige Steuerbegünstigungen, sondern eine bessere EU-Binnenmarkt unterzubringen. Mit Marktwirt- Agrarpolitik. Die Änderung der Vieheinheitenstaffel schaft hat das alles wenig zu tun. lehnen wir ab. (Zuruf von der SPD: Und was wollen Sie Danke. dagegen tun?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Die aktuellen Milcherzeugerpreise liegen rund Günther Bredehorn [F.D.P.]: So wie die Grü 20 Prozent unter denen des Jahres 1989. Obwohl wir nen in Sachsen-Anhalt! - Ulrich Heinrich zur Zeit ja erfreulicherweise - der Kollege Deß hat es [F.D.P.]: Ich kann jedem nur empfehlen, gesagt - wieder im Aufwärtstrend sind, muß man nach Sachsen-Anhalt zu fahren!) ganz klar sagen: Die Philosophie, die hier seinerzeit verkündet worden ist - Mengen herunter, Preise her- auf -, hat sich ja nun endgültig Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Günther Bredehorn. (Zuruf von der SPD: Deß, jetzt zuhören!) als nicht machbar erwiesen. Wir sollten auch weiter- Günther Bredehorn (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe hin diesen Eindruck hier nicht zu erwecken versu- Kolleginnen und Kollegen! Wieder einmal, diesmal chen. auf Grund des vorliegenden SPD-Antrags, diskutie- ren wir über die Zukunft des EU-Milchmarktes. Ei- Positiv muß man sicher anmerken, daß es heute nes möchte ich vorweg sagen: Die Vorschläge der keine Butterberge und Milchseen mehr gibt. Trotz- SPD zur Milchmarktpolitik ab dem 1. Ap ril 2000 sind dem verursacht die EU-Milchmarktpolitik nach wie zur Problemlösung in sich ungeeignet. Ich muß das vor erhebliche Kosten. Mit großer Sorge sehe ich ins- so deutlich sagen. Das bedeutet in diesem Sektor besondere, daß sich gerade in der Bundesrepublik im nämlich noch mehr Planwirtschaft - nach all den ne- letzten Jahrzehnt die Struktur der Milcherzeugerbe- gativen Erfahrungen, die wir damit haben. Und ins- triebe gegenüber unseren Mitkonkurrenten eher ver- besondere der vorgesehene Lieferrechtspool, den Sie schlechtert hat. Das betrifft gerade auch die Struktur vorschlagen, wirft neue Fragen auf. Wer soll die Lie- unserer Molkereiwirtschaft. Auch hier gibt es noch ferrechte verteilen? Nach welchen Kriterien wollen einiges zu tun. Auch hier ist die Politik gefordert, ent- Sie diese Lieferrechte verteilen? sprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Nach der Farbe Am gravierendsten ist natürlich: Ein erheblicher der Augen! - Horst Sielaff [SPD]: Sind Sie Teil der Quoten ist inzwischen nicht mehr in der so phantasielos?) - Hand von Landwirten, die selber melken. - Wir haben sehr viel Phantasie; das sage ich Ihnen (Horst Sielaff [SPD]: Sagen wir doch!) gleich noch. Die aktiven Milcherzeuger und hier insbesondere die Es wird dann immer noch so dargestellt - für die jungen, gut ausgebildeten, tüchtigen Landwirte, die Landwirte, die do rt wirklich unter Druck und in Not sich eine Existenz aufbauen und ihren Bet rieb ent- sind -, das könne, wenn man ein solches System wickeln wollen, müssen immer mehr für den Zukauf machte, alles kostenlos gehen. Ich sage hier noch- oder die Zupacht von Quoten zahlen, um ihre Be- mals für uns alle - nicht nur für die SPD - eines: So- triebe fortentwickeln zu können. Ich meine, dies darf lange wir eine solche Regelung haben, ob das Lief er- sich so nicht fortsetzen. Wir müssen einfach auch ein- recht oder Quotenregelung heißt, wird dieses Lief er- mal sehen, für wen wir unsere Agrarpolitik machen. recht oder diese Quote einen Wert haben, und der Für die Quotenbesitzer oder für aktiv melkende wird sich auch irgendwo auf dem Markt bilden. Da Landwirte? können Sie machen, was Sie wollen. Dann müssen (Horst Sielaff [SPD]: Richtig!) Sie konsequent sein und die Sache auslaufen lassen. Dann hat sie natürlich keinen Wert mehr. Wir brauchen also möglichst bald einen klaren Grundsatzbeschluß zur Neuregelung des Milchmark- Es ist richtig und notwendig - deswegen ist der tes ab dem 1. April 2000. Die F.D.P. hat bereits im SPD-Antrag durchaus positiv zu sehen -, daß wir Mai 1996 ihre Vorschläge zur Fortentwicklung der jetzt über die Neugestaltung der Milchgarantiemen- Milchgarantiemengenregelung vorgelegt, die auch genregelung ab dem 1. Ap ril 2000 diskutieren. Un- noch heute gültig und aktuell sind. sere Landwirte, unsere Milcherzeuger und die Milch- wirtschaft brauchen rechtzeitig Klarheit und Sicher- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sie werden lang heit über den künftigen Milchmarkt. Sie brauchen sam akzeptiert!) Sicherheit für ihre Planungen, bet rieblichen Ent- scheidungen und Investitionen. Man muß ja deutlich sehen, daß sich im Grundsatz sowohl der Deutsche Bauernverband als auch das (Zuruf von der SPD: Das ist richtig!) BML und andere unserem Modell angeschlossen ha- ben. Die Bilanz der bisherigen Garantiemengenrege- lung gibt ja nun leider wenig Anlaß zum Jubeln. Ich darf das hier noch einmal erläutern: Kernpunkt Nach wie vor haben wir - das ist hier erwähnt wor- ist ein Bewirtschafterbörsenmodell. Ich sage hier Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20581 Günther Bredehorn ganz klar: Mit der F.D.P. ist eine abrupte Beendigung stellen, daß die Grünlandregionen nun überhaupt des Garantiemengensystems nicht zu machen. Wir nicht mehr bewirtschaftet werden und daß die Milch- müssen nämlich sehen, daß sich viele Bet riebe im viehhaltung von dort weggeht in Gunstlagen? Das Vertrauen auf diese Politik auf diese Regelung ver- dritte: Warum eigentlich ist ein Börsenmodell so viel lassen und investiert haben. Die würden eine solche weniger verwaltungsaufwendig als ein Pool? Flurbe- kurzfristige, abrupte Abschaffung wi rtschaftlich reinigungsverfahren, die viel komplizierter und kom- schwer oder nicht überstehen. Wir wollen aber eine plexer sind als ein solcher Pool, wie er beispielsweise marktwirtschaftliche Weiterentwicklung der Milch- vom DLV vorgeschlagen wurde, funktionieren doch garantiemengenregelung. Unser Ziel ist die Flexibili- auch. Was ist nun eigentlich das Argument dagegen? sierung, Deregulierung und Liberalisierung des Milchmarktes. (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat doch nichts miteinander zu tun!) Nun komme ich zu unseren Vorschlägen: Erstens. Ab dem 1. April 2000 wird ein Lieferrecht Günther Bredehorn (F.D.P.): Genau: Das hat nichts eingeführt. Jeder melkende Bet rieb erhält ein Liefer miteinander zu tun. Ich habe das zu Anfang schon recht, das der Quote in den alten Ländern - bzw. dem gesagt: Wer will beim Pool verteilen? Die Molkerei, Lieferrecht in den neuen Ländern - entspricht, über der Berufsverband, der Staat? Nach welchen Krite- die der Betrieb am 31. März 2000 verfügt hat. Das be- rien will man verteilen? Ich erinnere mich an einen trifft sowohl die selbst ermolkene Quote wie auch die Vorschlag, der seinerzeit im Land Niedersachsen ver- Pachtquote. wirklicht worden ist. Da hat das Ministerium nämlich erklärt: Allen „Landwirten", die unter 60000 Kilo Die Zuweisung der Milchquote an den Bewirtschaf- Quote haben, teilen wir jetzt ein paar tausend Liter ter erfordert allerdings für die bisherigen Pachtquoten zu. Dann kann es sein, daß der Landwirtschaftsmini- eine Entschädigungsregelung zugunsten der ehema- ster in Sachsen-Anhalt sagt: Alle, die unter 300 000 ligen Quoteninhaber. Da behauptet der Deutsche Kilo Quote haben, bekommen nichts, sondern nur Bauernverband etwas anderes. Ich kann das ja verste- die, die darüber liegen. Nach welchen Kriterien also hen, wenn man sich draußen einer emotionalen Dis- soll verfahren werden? Ich sage Ihnen ganz klar und kussion mit den Berufskollegen stellen muß. Aber es deutlich: Dies will ich nicht, dies wollen wir nicht. ist ein Gebot der Ehrlichkeit, hier auch zu sagen - das ist eben der Vertrauensschutz, der sich dort gebildet Denn es ist falsch - leider glauben und behaupten hat -, daß wir das nicht ohne eine gewisse Entschädi- das noch immer einige Politiker; auch das ist noch gung tun können. Damit werden wir juristisch nicht eine Antwort auf Ihre Frage -, daß mit Hilfe der Ga- durchkommen. So ehrlich muß man dann auch sein. rantiemengenregelung regionalpolitische, sozialpoli- tische, strukturpolitische - - Zweitens. Die Flächenbindung der Quote wird auf- gehoben. Da können wir unseren Minister Jochen (Horst Sielaff [SPD]: Der Heinrich versteht Borchert nur unterstützen - wir tun das -, damit das - nicht, was Sie sagen, und will eine Frage in Brüssel dann auch durchgesetzt wird. stellen!) Drittens. Die Lieferrechte sind frei handelbar. Sie können jedoch nicht verpachtet werden. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Bredehorn, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage Viertens. Der Handel von Lieferrechten erfolgt des Kollegen Heinrich? über eine Milchbörse, die mehr Markttransparenz schafft und auch preisdämpfend wirkt, zumindest wenn man es denn will und diese Milchbörse bun- Günther Bredehorn (F.D.P.): Gerne. desweit installiert. Ulrich Heinrich (F.D.P.): Herr Kollege Bredehorn, Fünftens. Lieferrechte, die nicht mehr beliefe rt gehe ich richtig in der Annahme, daß das Börsenmo- - werden, müssen über die Börse verkauft werden dell durchaus eine regionale Steuerung ermöglicht? also Verkaufsgebot. Es muß nicht zwangsläufig eine Bundesbörse sein, sondern es können auch Länderbörsen - oder wie Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege auch immer strukturiert - eingerichtet werden, um Bredehorn, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Ab- der Entwicklung, die Kollegin Höfken hier angespro- geordneten Höfken? chen hat, nämlich einem Leerlaufen der Quoten in den Grünlandgebieten, entgegenzuwirken. Günther Bredehorn (F.D.P.): Ja, wenn es nicht von meiner Redezeit abgeht. Bitte. Günther Bredehorn (F.D.P.): Schönen Dank, Herr Kollege, für die Zwischenfrage. Es ist ohne weiteres Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, möglich, daß wir die Börsen regional einrichten. das kommt ja noch zu Ihrer Redezeit hinzu. - Ich (Horst Sielaff [SPD]: Seid ihr euch einig in kann mir folgende Frage nicht verkneifen: Was tun der F.D.P.?) Sie denn, wenn Sie erstens feststellen, daß der Quo- tenpreis nach oben steigt - Sie gehen ja davon aus, - Da sind wir uns völlig einig. daß mit einem solchen Börsenmodell der Quotenpreis (Horst Sielaff (SPD): Weil er so fragt!) nach unten geht -, sich also in die andere Richtung entwickelt? Was machen Sie zweitens, wenn Sie fest- - Er wollte es noch einmal deutlicher machen. 20582 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Einen Augen- die Reise geht. Aber das Ziel ist zur Zeit unbekannt. blick, meine Herren! - Herr Kollege Sielaff, so geht Es geht um die Zukunft von über 30 Prozent der bäu- das nicht. Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen wol- erlichen Einkommen, die aus der Milch und der da- len, tun Sie das. Aber die Debatte muß weitergehen. mit verbundenen Produktion kommen. Die von der SPD vorgeschlagene Poollösung wird Günther Bredehorn (F.D.P.): Ich hatte in dem Zu- von uns grundsätzlich unterstützt. Offen bleibt aller- sammenhang nur deutlich gemacht: Wenn man mög- dings auch hier - ich glaube, das hat Herr Bredehorn lichst preisdämpfend wirken will, ist ein bundeswei- gerade noch einmal sichtbar gemacht - die Beant- tes Angebot sicherlich das richtige. Wenn man - wortung der Frage, wie es nach dem Jahr 2006 wei- fälschlicherweise, wie ich sage - meint, mit der Börse tergehen soll. Hinsichtlich der Investitionen ist hier Regionalpolitik oder Strukturpolitik machen zu sol- bereits frühzeitiger zu entscheiden. len, dann wird das sicherlich regional möglich sein, Herr Kollege. Ich glaube, da sind wir gar nicht aus- Die Auffassung, wonach es der Markt schon rich- einander. ten wird, ist sicher zu eng gesehen. Gebraucht wird eine Vision, die die sehr unterschiedlichen Interes- Unsere wirtschaftenden Milchbetriebe, die in ei- sen, die konkreten ökonomischen und gesellschaft- nem harten Konkurrenzkampf stehen, erwarten von lichen Sachverhalte und die Konsensfähigkeit in der der Politik klare Antworten zur Weiterentwicklung Europäischen Union berücksichtigt. Es geht be- des Milchmarktes. Viele junge Landwirte lehnen die kanntlich um einen Anteil der EU am Welthandel mit jetzige Quotenregelung ab und wollen sich mehr Milch und Milcherzeugnissen von etwa 45 Prozent. dem Wettbewerb stellen. Von daher sollten wir wirk- Eine einseitige Orientierung am Weltmarkt hätte lich überlegen, ob wir nicht die Milchquotenregelung nach unserer Auffassung möglicherweise auch nega- im Jahr 2006 auslaufen lassen und rechtzeitig das tive Folgen für die europäischen Milchproduzenten. entsprechende Signal geben. Es gibt keinen Zweifel: In den Produktionsstruktu- ren der deutschen Milcherzeugung liegen nach wie Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege vor erhebliche Produktivitätsreserven. Das gilt so- Bredehorn! wohl für die primäre als auch für die Verarbeitungs- stufe. Milchpolitik muß deshalb für beide Bereiche Günther Bredehorn (F.D.P.): Ich bin bei meinem im Zusammenhang diskutiert und entschieden wer- letzten Satz. den. Wenn man sich einmal die Kommissionsvorschläge Wir stimmen Minister Borchert in seinen Zielset- ansieht - ob sie so verwirklicht werden, wissen wir zungen für die nächste Zeit zu. noch nicht, aber es scheint in diese Richtung zu lau- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Guter An fen -, nämlich die Interventionspreise um 15 Prozent - satz!) zu kürzen und die Mengen um 2 Prozent anzuheben, muß man sich fragen, ob wir diese Regelung im Jahr Unterstützung der milchproduzierenden Bet riebe 2006 überhaupt noch brauchen. Meine Meinung und Stabilisierung der Erzeugereinkommen, Siche- kennen Sie. rung der Milcherzeugung an schwierigen Standorten und Stabilisierung der Marktordnungskosten wären verbindliche Zielsetzungen, die zur Erleichterung Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Bredehorn, Sie müssen zum Schluß kommen. führen würden. Wir plädieren für eine langfristige Mengenregulie- Günther Bredehorn (F.D.P.): Wir müssen hier wie- rung, die allerdings, so wie der Bauernverband for- der zu mehr Markt kommen. dert, wesentliche Änderungen gegenüber dem bis- herigen System beinhalten müßte. Herr Bredehorn Danke. hat hier das Konzept seiner Partei vorgestellt. Auch (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) ich möchte gern in fünf Punkten unsere Sicht vortra- gen:

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das Erstens. Übertragung der Marktordnungsfunktio- Wort dem Abgeordneten Dr. Günther Maleuda. nen für eine mit dem Bedarf übereinstimmende Milchproduktionsmenge in die Verantwortung der einzelnen EU-Länder. Dr. Günther Maleuda (PDS): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In vielen Veröffentlichungen Zweitens. Umwandlung der flächengebundenen und auf einer Vielzahl von Tagungen wurde ver- Quote in ein Lieferrecht für milcherzeugende Unter- sucht, mit der Milchquote verbundene Probleme zu nehmen. lösen. Man muß eindeutig sagen: bisher ohne Erfolg. Drittens. Entkapitalisierung der Milchquote und Ich glaube, auch unsere heutige Debatte kann nur ei- Beendigung des Verkaufs, der Verpachtung und des nen bescheidenen Beitrag dazu leisten. Verleasens der Lieferrechte. Wir wenden uns gegen Es gibt mehr Fragen als Antworten. Die Lösungen, bei denen durch Handel „das Lieferrecht Agenda 2000 hat zu einer weiteren Verunsicherung zum besseren Wirt wandert " und ein existenzver- in den milchproduzierenden Bet rieben geführt. Die nichtender Verdrängungswettbewerb fortgesetzt Betriebe wollen wissen - das ist berechtigt -, wohin wird. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20583

Dr. Günther Maleuda Viertens. Verwirklichung eines nationalen Kon- Milchquoten aufbringen müssen. Deswegen müssen zepts einer standortgerechten Verteilung nicht nur wir Lösungen schaffen, die den Bet rieben wieder der Milchproduktion, sondern auch der Milchverar- langfristige Perspektiven geben. beitung. Wir sollten uns immer wieder darüber im klaren Fünftens. Eine demokratische Verwaltung der Lie- sein, daß es hier um die wirtschaftliche Existenz von ferrechte durch die Bauern in eigener Verantwortung Menschen geht, deren Tagesrhythmus von der Arbeit zusammen mit den milchverarbeitenden Bet rieben. im Stall und auf der Weide geprägt ist, die unter Ergebnis müßte auch die Herausbildung fester Ver- schwierigen Bedingungen hart arbeiten, die in harter tragsbeziehungen sein. Dadurch kann auch die be- Arbeit unsere tägliche Milch produzieren und mit ih- fürchtete Bürokratie in Grenzen gehalten werden. rer Arbeit gleichzeitig Kulturlandschaft erhalten und pflegen. Unsere Milcherzeuger brauchen Hand- Die Milchproduktion ist der landwirtschaftliche lungsfreiheit, um ihre bet riebliche Entwicklung aus Wirtschaftszweig, der in vielen Regionen die einzige eigener Kraft vorantreiben zu können. Wir haben die Möglichkeit darstellt, natürliche Rohstoffangebote Sonderregelung für die neuen Bundesländer bis zum und Koppelprodukte zu nutzen. Sie beeinflußt nach- Jahr 2000 verlängert. Wir müssen dann ein einheitli- haltig die Entwicklung der Kulturlandschaft und die ches Recht für ganz Deutschland schaffen. Dafür ha- Aufrechterhaltung von Stoffkreisläufen. Mit den zu- ben wir in Brüssel eine Lösung eingebracht, die auf künftigen Rahmenbedingungen für die Milchpro- die Marktkräfte setzt und die auf eine breite Zustim- duktion und -verarbeitung wird maßgeblich über mung des Berufsstandes stößt. eine nachhaltige Landwirtschaft und die Entwick- lung vieler ländlicher Räume entschieden. Unsere Ziele sind klar. Wir wollen erstens die akti- ven Milcherzeuger stärken. Wir wollen ihnen zwei- Meine Damen und Herren, abschließend zum Ge- tens betriebliche Entwicklungsperspektiven ver- setzentwurf zur Anpassung der Vorsteuerpauschale: schaffen. Wir wollen drittens die Milchproduktion an Obwohl kurzfristig aufgenommen und auch als schwierigen Erzeugerstandorten sichern. Dafür wol- Wahlofferte zu we rten, werden wir uns vor allem im len wir das Bewirtschafterprinzip im europäischen Interesse der pauschalierenden westdeutschen Land- Recht verankern. Wir haben die dazu notwendigen wirte dazu positiv verhalten. Änderungen im EU-Recht der Kommission ausführ- Die vorgeschlagene Lösung zur Vieheinheitenstaf- lich dargelegt. Die konkreten Vorschläge der Bun- fel bezüglich der Abgrenzung zwischen Landwirt- desregierung liegen seit längerem in Brüssel vor. schaft und Gewerbe betrachten wir kritisch. Aber es Unsere Vorschläge besagen im einzelnen: Wir wol- besteht ja bereits in der kommenden Woche die len zum einen die Altpachtproblematik lösen und Möglichkeit, im Agrarausschuß dazu einen prinzi- zum anderen unter Wahrung des Vertrauensschutzes piellen Meinungsaustausch durchzuführen. eine endgültige Zuweisung der Milchquoten an die Ich danke Ihnen. Bewirtschafter erreichen. Dies wird nicht ohne Ent- schädigung gehen. Aber wir können die Entschädi- (Beifall bei der PDS) gung gesetzlich festlegen. Sie kann deutlich unter den Marktpreisen liegen und damit zu finanziell Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das tragbaren Bedingungen erfolgen. Dafür müssen wir Wort dem Bundesminister für Ernährung, Landwirt- die Flächenbindung der Quote im europäischen schaft und Forsten, Jochen Borche rt. Recht aufheben, und die freiwerdenden Quoten müs- sen nach der Neuregelung über den Markt an die melkenden Betriebe gelangen. Der Quotenhandel Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, bleibt innerhalb festgelegter Regionen zugelassen. Landwirtschaft und Forsten: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sollten uns immer wieder bewußt machen, daß wir die Debatte hier vor Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Minister, dem Hintergrund einer schwierigen wi rtschaftlichen gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Situation der milchproduzierenden Bet riebe sowie al- Heinrich? ler Futterbaubetriebe führen. Die Einkommensent- wicklung ist alles andere als erfreulich. Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, (Horst Sielaff [SPD]: Sehr richtig!) Landwirtschaft und Forsten: Gern. Albert Deß hat darauf hingewiesen, daß sich die Aussichten wieder verbessert und sich die Milch- Ulrich Heinrich (F.D.P.): Herr Minister Borche rt, Sie preise stabilisiert haben. Dies ist sicherlich auch dar- haben gerade angesprochen, daß die Flächenbin- auf zurückzuführen, daß sich auf Grund unseres Ein- dung gelöst werden müsse. Wie sehen Sie realisti- satzes die Marktverwaltung der Kommission spürbar scherweise die Chance, daß Brüssel unserem Anlie- verbessert hat. gen Rechnung trägt? Es sieht ja so aus, als verträten alle hier im Raum befindlichen Kräfte, aber auch der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Bauernverband die gleiche Meinung. Aber wir wissen natürlich auch, daß damit nicht alle Probleme gelöst worden sind und daß nach wie vor Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, die Perspektiven der Bet riebe darunter leiden, daß Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Hein rich, sie viel zu hohe Beschaffungskosten für zusätzliche um unser Modell umzusetzen oder um andere Mo- 20584 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Bundesminister Jochen Borche rt delle umzusetzen, die diskutiert werden, brauchen verleast werden kann. Bei Aufgabe der Produktion wir Änderungen im europäischen Recht. Wir können sollen die Rechte in den Pool zurückfließen. das nicht allein mit einer Änderung im nationalen Recht erreichen. Wir haben in Brüssel zwei Änderun- Für mich verblüffend - das ist neu an dem Vor- gen vorgeschlagen: die Aufhebung der Flächenbin- schlag, aber eigentlich eine weitere Verschlechte- dung und die Festschreibung des Bewirtschafterprin- rung dieses Modells - sollen die Mengen im Pool zur zips im europäischen Recht. Über beide Punkte ha- Saldierung der Überlieferungen dienen. Damit lie- ben wir ausführlich mit der Kommission diskutiert. fern Sie die produzierenden Bet riebe einem Lotterie- Ich bin enttäuscht, daß die Kommission von den Vor- spiel aus. Die Betriebe wissen nie, wieviel sie zusätz- schlägen wenig übernommen hat. Die Veränderung lich produzieren können. der Vorschläge ist ein kleiner Schritt in Richtung auf (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mehr Flexibilität. Nach vielen bilateralen Gesprä- chen mit den anderen Mitgliedsländern bin ich aber Sie können mehr produzieren, sind aber darauf an- optimistisch, daß wir unsere Forderungen im Rahmen gewiesen, welche Mengen im Pool zur Saldierung der Beratungen im Agrarrat noch durchsetzen wer- zur Verfügung stehen. den. Wenn Sie dann weiter sagen: Darüber hinausge- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Danke!) hende Quoten sollen an Junglandwirte verteilt wer- den, ist dies eine Luftnummer. Hier werden Quoten Herr Kollege Thalheim, Sie haben in Ihren Ausfüh- versprochen, die schon bei der Saldierung nicht rungen darauf hingewiesen, daß das Festhalten an mehr ausreichen, die nicht vorhanden sind. Quoten und die Übertragung der Quoten auf die neuen Länder dazu führt, daß ein Ausverkauf droht Herr Thalheim, Sie verweisen auf Erfahrungen in und die Quoten aus den neuen Ländern in die alten anderen Mitgliedstaaten. Wir haben Erfahrungen in verkauft werden können. Herr Kollege Thalheim, Wallonien in Belgien gesammelt. Do rt standen den lassen Sie mich ganz offen sagen: Sie haben diese Betrieben im Jahre 1996 pro Bet rieb 3130 Kilogramm Aussage wider besseres Wissen gemacht. aus dem Pool zur Verfügung. Diese Menge reicht nicht einmal aus, um damit eine halbe Durchschnitts- (Widerspruch des Abg. Dr. Gerald Thalheim kuh einzustallen. [SPD]) (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das ist nicht ein - Nein, Herr Kollege Thalheim, hier müssen wir mal eine halbe Kuh!) schon fair miteinander umgehen. Sie wissen, daß wir die Handelbarkeit bereits jetzt regional begrenzt ha- Das heißt, Sie müßten eine Kuh einstallen, für die Sie ben und daß die regional begrenzte Handelbarkeit eine Hälfte aus dem Pool bekommen. Die andere dazu geführt hat, daß aus den schwierigen Stand- Hälfte der Kuh müßten Sie stillegen. orten keine Quoten abfließen, sondern wir die Milch- produktion an schwierigen Standorten in Bayern und - (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Zwei Zitzen!) in anderen Regionen gesichert haben. Wer dann be- Dies ist sicher keine Perspektive. hauptet, bei einer regional begrenzten Handelbar- keit gebe es in den neuen Bundesländern einen Aus- (Dr. Gerald Thalheim [SPD]: Das ist unter verkauf der Quoten, schürt Ängste, für die es keine Niveau!) Begründung gibt. Ich behaupte darüber hinaus, Herr Thalheim: Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - bekommen überhaupt keine Quote in den Pool. Un- Dr. Gerald Thalheim [SPD]: Abwarten!) terschätzen Sie doch nicht die Cleverneß der Bauern. Ein Landwirt weiß, daß er dann, wenn er die Produk- Meine Damen und Herren, ich habe bereits gesagt, tion aufgibt, keine Quote bekommt. Er weiß, daß im daß das, was die Kommission vorgeschlagen hat, ein Nachbardorf ein Bauer ist, der seinen Bet rieb auf- erster kleiner Schritt in die richtige Richtung ist. Er stocken möchte, der aber nicht weiß, was er aus dem reicht aber bei weitem nicht aus. Deshalb werden wir Pool bekommt. Also werden die beiden eine GbR bil- unsere Forderung weiter mit allem Nachdruck verfol- den. Das, was er bisher an Pacht gezahlt hat, zahlt er gen. Wir brauchen Vorschläge, die für unsere Bauern in Form von Anteilen an die GbR. Ihr Vorschlag ist akzeptabel sind. Wir wollen, daß unsere Bäuerinnen also eine Luftnummer. Dadurch gibt es keine Verbes- und Bauern in der Lage sind, ein ausreichendes Ein- serung der melkenden Bet riebe. kommen über den Markt zu erwirtschaften. Wir wol- len aber mit der regionalen Handelbarkeit gleichzei- Herr Thalheim, darüber hinaus habe ich den Ein- tig erreichen, daß eine flächendeckende Landbewirt- druck gehabt, daß der erste Teil Ihrer Rede entweder schaftung aufrechterhalten wird. Wir brauchen in zu einem anderen Zeitpunkt oder von einem anderen Deutschland eine Landwirtschaft, eine Milchwirt- Redenschreiber geschrieben worden ist als der schaft, die unternehmerisch, leistungsfähig und um- zweite Teil. Im ersten Teil haben Sie kritisiert, daß weltverträglich wirtschaftet. Dafür werden wir in die Mengensteuerung, die Mengenbegrenzung im Brüssel weiter kämpfen. Zeitalter der Globalisierung versagt. Dann aber ha- ben Sie mit dem Lieferrecht wiederum eine Mengen- Der Vorschlag der SPD, den Herr Thalheim heute begrenzung vorgeschlagen - im Zeitalter der Glo- vorgetragen hat, ist völlig unakzeptabel. Dieses Sy- balisierung. stem von Lieferrechten mit einem Pool ist nicht praktikabel. Die Produzenten sollen ein Lieferrecht (Dr. Gerald Thalheim [SPD]: Für eine Über erhalten, das weder verkauft noch verpachtet oder gangszeit!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20585

Bundesminister Jochen Borchert Auch das Lieferrecht ist eine Mengenbegrenzung. dert Leuten voll besucht, auf denen diejenigen Leute Sie müssen offen sagen, daß Sie die Quote ab dem Beifall bekommen, die sagen, daß die ganze Land- Jahre 2006 aufgeben wollen. Sie müssen sagen, zu wirtschaftspolitik der Bundesregierung gescheitert welchen Bedingungen Bet riebe dann in Europa und ist. Sie sei vergeblich und schlecht gewesen. in Deutschland produzieren können. In Wangen im Allgäu im Kreisbauernverband - (Dr. Gerald Thalheim [SPD]: Das steht im man muß sich das einmal vorstellen - sind kreuz- Antrag, Herr Minister!) brave Bauern, die normalerweise immer schön an- Das wäre das Ende der Milchproduktion an be- ständig schwarz gewählt haben, nachteiligten Standorten. Das wäre das Ende der Er- haltung der Kulturlandschaft an den benachteiligten (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ma chen die auch in Zukunft!) Standorten. Wir werden alles tun, um zu verhindern, daß ein solches Modell Wirklichkeit wird. hergegangen, haben in einem Antrag mit Mehrheit Vielen Dank. gefordert, daß dem Ehrenpräsidenten des Deutschen Bauernverbandes die Würde seines Amtes aberkannt (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) werden muß, weil er die Milchbauern do rt verraten habe. Das sind die Vorgänge, die do rt zur Zeit statt- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das finden. Bekommen Sie das gar nicht mit? Wort dem Abgeordneten Matthias Weisheit. (Horst Sielaff [SPD]: Da gehen die nicht hin!) Matthias Weisheit (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Merkwürdigerweise sind Wir haben es hier nicht mit Brüssel zu tun. wir uns ja manchmal einig, auch wenn das hier heute abend nicht so deutlich wird. Es gibt nur einen Der springende Punkt ist ganz einfach folgender: Punkt, für den das nicht gilt: Wenn Sie das Wo rt vom Diese vor allen Dingen relativ jungen und gut ausge- Bewirtschaftermodell in den Mund nehmen und bildeten Bauern haben alles das gemacht, was ihnen gleichzeitig das Kapital aus dem Modell nicht her- Politiker, Agrarwissenschaftler und Betriebswirt- ausnehmen, dann ist das Wo rt Bewirtschaftermodell schaftler in den letzten Jahren erzählt haben. Diese eine Mogelpackung; davon zu sprechen ist verlogen. Ratschläge haben sie brav und fleißig befolgt. Sie ha- ben von ihren Eltern die Betriebe übernommen und (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ haben sie auf die doppelte Größe aufgestockt. Dazu DIE GRÜNEN) mußten sie eine Quote kaufen. Anstatt 25 waren in- Nichts anderes ist es. Dann muß man konsequent zwischen 50 Kühe in den Ställen. Diese Bauern ste- sein. hen jetzt bei fallenden Preisen und bei ständig stei- genden Betriebskosten mit dem Rücken an der Wenn Sie unseren Antrag richtig gelesen hätten, - Wand. Sie haben im Prinzip keine Überlebenschance Herr Minister, dann würden Sie wissen, daß als drit- mehr, wenn es so weitergeht und die Quote nicht ter Punkt angeführt wird, daß die Quote noch über- entkapitalisiert wird. Es handelt sich um die eigent- gangsweise bis zum Jahre 2006 und keinen Tag län- lich guten Betriebe, die auch auf dem Weltmarkt ger Bestand haben kann. Das steht da drin. Darin konkurrenzfähig wären. Diese eigentlich guten Be- sind wir uns ja einig. triebe gehen durch diese Kapitalisierung der Quote Eigentlich hatte ich vor, heute abend noch etwas über den Jordan. ganz anderes zu sagen. Die Grünlandregion, aus der ich komme - dazu gehört natürlich auch ein großer (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Teil von Bayern -, ist seit 500 Jahren eine sehr ruhige Das ist eine Entwicklung, die wir stoppen müssen. Region. Vor knapp 500 Jahren gab es do rt einmal ei- nen ordentlichen Aufstand. Die Bäuerinnen und die Genau das ist der Punkt: Die Bet riebe, die nichts Bauern dort hatten sich nämlich von ihrer Obrigkeit getan haben, die wenig investiert haben, die keine ziemlich hinters Licht geführt gefühlt. Sie litten unter neuen Ställe gebaut haben, die weiterhin ihre höheren Abgaben, immer niedrigeren Einkommen, 20 Kühe haben, können mit dieser Situation leben. Verarmung, und sie wurden, wie wir heute sagen Aber diejenigen, die in den letzten Jahren ihre Be- würden, in ihrer Menschenwürde nicht ernst genom- triebe ausgebaut und die Größe erreicht haben, die men. Das war der Grund für den Aufstand do rt im sie angeblich haben sollten, die wirklich konkurrenz- Allgäu, in Baltringen, am Bodensee, überall. fähig produzieren können, mit ihrer Arbeitskraft aber Wenn Sie in den letzten Monaten die Zeitungen an einer Grenze angelangt sind, wo eine weitere Auf- richtig gelesen haben, dann haben Sie feststellen stockung nichts mehr bringt, sind über die Quoten- können, daß unter den Bauern in der Region do rt, in kosten inzwischen an einen Punkt gekommen, mit Oberschwaben, im bayerischen Allgäu, überall der dem sie rechnerisch belegen können, daß sie von der Teufel los ist, und zwar ganz ordentlich. Außerdem Substanz leben und nicht mehr von ihrem Einkom- haben Sie feststellen können, daß der Zorn auf die men. Obrigkeit - dieses Mal ist es die Bundesregierung (Beifall des Abg. Horst Sielaff [SPD]) und die Koalition - ganz gewaltig ist. Gewaltig ist auch der Zorn auf den Deutschen Bauernverband. Deswegen müssen die Kapitalkosten aus der Plötzlich sind dort Veranstaltungen mit vielen hun Quote herausgenommen werden. Es ist doch Unfug, 20586 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Matthias Weisheit wenn jemand, der aufstocken wi ll, zwischen 10 und Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe dem 20 Prozent allein für Quotenkosten ausgeben muß. Abgeordneten Norbe rt Schindler das Wort. (Zuruf von der CDU/CSU: Das tut doch nie mand!) Norbert Schindler (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Weisheit, - Das würdest du nicht machen; das ist wunderschön. was uns guttut und auch in Süddeutschland verbin- Du kannst diesen Stall mit 50 Milchkühen, den du det - wir haben vorhin über die Rechtschreibung und hast, und den Fortschritt, den du durch die Zucht be- die deutsche Sprache geredet -, ist, daß wir in diesem sitzt, nicht erlangen, wenn du die Quote im Gegen- Parlament die deutsche Sprache in ihrer Unter- zug nicht bekommst. Dann hast du deinen Stall um- schiedlichkeit gerne pflegen. sonst gebaut. So einfach ist das. (Horst Sielaff [SPD]: Das war nur Dialekt!) Diejenigen, die gefolgt und eigentlich die zu- kunftsfähigen Bet riebe sind, stehen jetzt mit dem - Jawohl. - Deswegen aus der süddeutschen Emp- Rücken an der Wand. Die Kapitalkosten müssen aus findlichkeit heraus ein Wort zur Milch, obwohl ich der Quote heraus. Das ist überhaupt keine Frage. bei diesem Tagesordnungspunkt zur Steuerfrage Wenn Sie es mir nicht glauben, dann glauben Sie es rede. doch der Landwirtschaftsministerin von Baden-Würt- temberg. Sie steht Ihnen doch politisch sehr nahe. Wenn der Teufel in Baden-Württemberg regiert - Sie fordert genau dasselbe: keine Handelbarkeit von das ist eine Feststellung - - Quoten mehr. Sie will kein Modell mit Poolen. Sie (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Dann ist will es bei den Molkereien angesiedelt haben. Dar- der Himmel auf Erden!) über kann man diskutieren. Es ist völlig gleichgültig, ob das einen Pool ergibt oder ob das bei der Molkerei - Jawohl, und der ist gut. - Wenn wir aber in dem Be- angesiedelt ist. Entscheidend ist, daß die Kapitalko- zug in einer Rede Entkapitalisierung dreimal wieder- sten aus der Quote herauskommen. Das ist einzig holen und nicht sagen, wie wir das machen, dann be- und allem entscheidend und nichts anderes. sitzen wir nur Schlagworte. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch (Dr. Gerald Thalheim [SPD]: In unserem eine letzte Bemerkung machen. Antrag steht alles d rin!) (Zurufe von der CDU/CSU: Um was geht es Ich bin Vertreter regionalen Bezugs von Lieferrech- jetzt eigentlich?) ten und Quoten. Wenn wir es sozialpolitisch sehen, dann haben die Altquotenbesitzer in Deutschland - Daß die Kapitalkosten aus der Quote herauskom- ein Besitzstandsrecht auch vom Ge richt zugespro- men und um nichts anderes. chen bekommen. Dies ist in Zukunft nicht zu Höchst- (Günther Bredehorn [F.D.P.]: Das ist ein - preisen zu finanzieren, aber wir müssen im ländli- Widerspruch!) chen Raum einen Mittelweg mit viel Vernunft fahren. In dieser Verantwortung stehen wir alle. Dies gilt - Wieso denn? Die Kapitalkosten müssen aus der nicht nur für den „Sofamelker" - für ihn weniger -, Quote heraus. So wie die Leute ihre Quote ohne jeg- sondern vor allem für den Zukunftsbetrieb. Deswe- liche Kosten bekommen haben, so haben sie sie auch gen ist es vielleicht ein bißchen wenig, dies nur drei- wieder abzugeben. Genau das ist der Punkt. mal zu wiederholen. (Egon Susset [CDU/CSU]: Das ist doch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sozialismus! - Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir haben heute unter anderem den Gesetzent- wurf zur Anpassung der steuerlichen Vorschriften - Das hat mit Sozialismus nichts zu tun. Hör doch der Land- und Forstwirtschaft zu beraten. Die Anpas- auf! sung der Vieheinheitenstaffel zur Abgrenzung der Landwirtschaft vom Gewerbe im Bereich der Tierhal- Jetzt will ich Ihnen noch eine Konsequenz klarma- tung ist der erste Teil. Dies ist ein vernünftiger Weg. chen. Das Modell mit zwei Milchquoten oder zwei Hier müssen wir unbedingt auch im steuerlichen Arten innerhalb der Bundesrepublik läßt sich über Bereich für die Strukturentwicklung in der Landwirt- das Jahr 2000 nicht fortführen. Das haben wir gerade schaft eine Antwort geben. Dazu müssen wir § 13 des eben gehört. Das heißt, in den neuen Ländern be- Einkommensteuergesetzes und § 51 des Bewertungs- kommen die Betriebe, die vor ein paar Jahren Millio- gesetzes anpassen bzw. ändern. nen an Kontingenten kostenlos zugeteilt bekommen haben, plötzlich in dieser Höhe Kapitalwerte. Ich Der zweite Fall - hier wird seitens der Opposition weiß gar nicht, wie das mit eurer sonstigen Politik zu- Zustimmung signalisiert, wenn ich das richtig ver- sammenpaßt. Das geht doch überhaupt nicht. Sie be- standen habe - ist die Durchschnittssatzanpassung kommen Millionen an Kapitalwerten zugeschustert. der Vorsteuerpauschale von 9,5 auf 10 Prozent für Wenn das kommt, dann weiß ich eins: Dann brennt landwirtschaftliche Erzeugnisse und die Anhebung es ganz anständig im Allgäu, und der nächste Bau- von 5 auf 6 Prozent für forstwirtschaftliche Erzeug- ernkrieg steht vor der Tür. nisse. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ein Lob DIE GRÜNEN) dem Minister und dem Bundeskanzler!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20587

Norbert Schindler - Dieses Lob nehme ich nicht allein an; wir sind alle Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das dabeigewesen. Wir haben aber auch lange genug Wort dem Abgeordneten Kurt Palis. dafür gekämpft. (Zuruf von der SPD: Wir sollten das Parla Kurt Palis (SPD): Herr Präsident! Meine Damen ment entscheiden lassen! - Weitere Zurufe und Herren! Lieber Herr Hornung, Gratulation dem von der CDU/CSU) Herrn Bundeskanzler, der es möglich gemacht hat, den Landwirten einen erhöhten Ausgleich für eine - Es wäre gut, wenn sich auch die Abgeordneten der Höherbelastung insgesamt zu avisieren. eigenen Fraktion mit undiszip linierten Zwischenru- fen zurückhalten würden. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sehr sach gerecht, richtig!) (Heiterkeit - Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das entscheidet der Präsident!) Vergessen Sie bei dem ganzen Geschäft bitte nicht, daß wir die Bevölkerung insgesamt vorweg mit einer Bei der Anhebung der Vorsteuerpauschale geht es Mehrwertsteuererhöhung „beglücken" mußten. natürlich um Gerechtigkeit in der Forstwirtschaft (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Zur Entla und in der Landwirtschaft insgesamt. Daß wir hier stung der sozialen Leistungen!) keine Neiddiskussion führen, dafür bin ich allen Kol- leginnen und Kollegen im Parlament dankbar. Daß - Ja, das ist richtig. wir auch die Pauschalregelung so behalten, begrüßt der gesamte Berufsstand. Ich betone ausdrücklich: Lassen Sie mich aber zu Beginn meiner Ausführun- der gesamte Berufsstand. Es dient der steuerlichen gen - ich spreche nur zum Thema steuerrechtliche Vereinfachung. Änderungen - kurz auf die Vorgeschichte dieses Ge- setzentwurfes eingehen. Das Bekanntwerden der äu- Ich mache hier gerne noch einmal ein Rechenbei- ßerst kurzfristigen Einbringung - fast kann man sa- spiel auf. Bei 300 000 DM Umsatzerlös in einem mitt- gen: im Hauruckverfahren - dieses Gesetzentwurfes leren landwirtschaftlichen Bet rieb sind 9,5 Prozent - zur Anpassung steuerlicher Vorschriften der Land- nach der derzeitigen Pauschalregelung - 28 500 DM. und Forstwirtschaft wurde - das merkt man, wenn Ab dem 1. April 1998 muß der Betrieb beim Einkauf man die Zeitungsmeldungen dieser und der letzten im Durchschnitt Kosten von 232 000 DM inklusive Woche durchblättert - von erheblichem Mißtrauen 16 Prozent zu zahlender Umsatzsteuer - das sind begleitet. So meldete eine Regionalzeitung in mei- etwa 37 000 DM - berappen. Dies ist ein Unterschied nem Wahlkreis, die „Walsroder Zeitung", vor genau von 28 500 DM zu 37 000 DM. Wir wollen hierbei - so einer Woche: „Die Bundesregierung will in letzter wie bei diesem Beispiel ist es sehr oft in der Republik Minute ein Wahlgeschenk an die Bauern durch den zu sehen - eine Angleichung der Differenzen. Deutschen Bundestag peitschen" . Sie meinte damit diesen heute hier eingebrachten Gesetzentwurf. Daß wir trotzdem nicht in die Optierung gehen, - wie das manchmal gern vom Bundesrechnungshof Sie, lieber Herr Minister Borche rt, sollen nach die- vorgerechnet und gefordert wird, liegt daran, daß sen Presseberichten in einem B rief an Ihren Kollegen man bei diesem Beispiel den Vorteil von 2000 DM Finanzminister die Notwendigkeit einer gesetzlichen Steuern in der Gegenrechnung bei der Optierung Neuregelung damit begründet haben, „daß Bauern- nicht in Anspruch nimmt, weil man diesen Mehrer- verbände sonst in den bevorstehenden Wahlen die trag bei weniger zu zahlender Umsatzsteuer dem fehlende Hilfe thematisieren würden" . Dies mag zur Steuerberater als Gebühren zahlen müßte. Herr Mi- Vorgeschichte genügen, die einem unbelasteten Bür- nister Borchert hat in den letzten Tagen noch einmal ger schon etwas merkwürdig erscheinen kann. deutlich gemacht, daß bei der Veröffentlichung der markroökonomischen Daten unsere berechtigten (Norbert Schindler [CDU/CSU]: Das ist seit Forderungen auch belegt sind. drei Monaten thematisiert!) Nebenbei müßte bei den forstwirtschaftlichen Um- Schauen wir uns den Gesetzentwurf kurz an. Da sätzen die Vorsteuerpauschale fairerweise nicht nur geht es zunächst einmal um die Anhebung der Vor auf 6 Prozent, sondern auf 7 Prozent angehoben wer- steuerpauschale zum 1. Juli 1998. Hinsichtlich der den. Aber das ist leider auch in den eigenen Fraktio- Notwendigkeit dieser Maßnahme besteht - das ist nen der Koalition nicht durchsetzbar. mit Recht von Herrn Schindler betont worden - zwi- schen der SPD-Fraktion und der Regierungskoalition Trotzdem bin ich insgesamt dankbar - das sage ich grundsätzlich Einigkeit. auch für die Klientel -, daß wir auf diesem Weg sind. Wir hatten uns in der gemeinsamen Erörterung im Ich sage auch ein Dankeschön, wenn die Opposition Ausschuß zu dieser Frage am 29. Oktober des ver- - wie heute angedeutet - dafür sorgt, daß dies auch gangenen Jahres, als wir - um zu vermeiden, daß wir im Bundesrat ohne großes Wenn und Aber durch- den Rentenbeitrag von 20,3 auf 21 Prozent anheben geht. Dann haben wir schnell ein Gesetz verabschie- müssen - über die Erhöhung des Bundeszuschusses det, mit dem wir Gerechtigkeit in der Landwirtschaft zur Rentenversicherung diskutierten, dazu entschlos- und der Forstwirtschaft in diesem Staat erhalten. sen, die Mehrwertsteuer als Kompensation anzuhe- Ich danke Ihnen. ben. Es war in der Tat so, daß die Anhebung von uns als die logische Konsequenz dieser Erhöhung zum (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 1. April diesen Jahres gesehen wurde. 20588 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Kurt Palis Es handelt sich nach unserer Meinung nicht um feststellung 1964. Da ist es also allerhöchste Zeit, daß eine Subvention, sondern um eine notwendige An- insbesondere im Bereich der Schweine- und Geflü- passung. Auch wir sehen keinen Anlaß, an dieser gelhaltung eine Reformüberlegung angestellt wird. Stelle in die alte Grundsatzdiskussion um die Durch- Hier besteht weiterer Handlungsbedarf, der aller- schnittsbesteuerung oder Pauschalierung der land- dings wegen der neuen Einheitsbewertung an einen und forstwirtschaftlichen Einkünfte neu einzustei- neuen Termin, an einen neuen Hauptfeststellungs- gen; bei dieser Gelegenheit weiß Gott nicht. Den- zeitpunkt gebunden ist. noch gebe ich hier den Hinweis, daß im Rahmen ei- ner großen Steuerreform auch das Thema allgemeine Insgesamt gesehen besteht bei diesem Teil des Ge- Buchführungspflicht für landwirtschaftliche Bet riebe setzentwurfes aus Sicht der SPD-Fraktion noch er- auf den Prüfstand muß. heblicher Erläuterungsbedarf, insbesondere im Hin- blick auf die Auswirkungen einer Staffelverände- (Günther Bredehorn [F.D.P.]: Jawohl, rich rung, zum Beispiel auf die Düngeverordnung, wo an- tig!) dere Staffeln vorhanden sind und wir die Frage nach der Vereinbarkeit mit dieser Vorschrift überprüfen Herr Staatssekretär Hauser, der noch hier ist, hat in müssen. Insofern sei hier nur die Frage erlaubt, ob einem Papier an den Finanzausschuß darauf hinge- eine Trennung - das ist jetzt für unsere Fraktion wiesen, daß auch die land- und forstwirtschaftlichen wichtig, meine Herren - der beiden Gesetzesteile im Subventionen - so heißt es dort sogar - bei einer gro- Interesse einer schnellen Regelung bei der Vorsteu- ßen Steuerreform, die ja noch hängt, auf den Prüf- erpauschale nicht sinnvoll wäre. Wir kündigen an, stand müssen. daß wir den zweiten Punkt stärker thematisieren (Parl. Staatssekretär Hansgeorg Hauser: werden. Ob die Zeit dafür ausreicht, ist die Frage. Das ist eine allgemeine Feststellung!) - Ja, das ist eine allgemeine Feststellung. Ich will sie Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege in Erinnerung rufen, weil die Steuerreform hängen- Palis, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen geblieben ist und ein bißchen vergessen wurde. Heinrich? (Lachen bei der CDU/CSU - Norbert Schindler [CDU/CSU]: Wo ist sie denn hän Kurt Palis (SPD): Ich gestatte die Zwischenfrage, gengeblieben?) Herr Heinrich. - Herr Schindler, ich kann Sie zwar nicht verstehen, aber ich weiß ganz genau, was Sie meinen. Sie wol- Ulrich Heinrich (F.D.P.): Herr Kollege Palis, sind Sie len wieder Blockade sagen. Richtig. Es ist gut, daß bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß das Bewer- wir das blockiert haben, was unsinnig ist. tungsrecht, das auch Sie im Grundsatz begrüßt ha- ben, eine steuerliche Abgrenzung beinhaltet und mit (Beifall bei der SPD) der Viehhaltung und mit der Düngeverordnung über- - haupt nichts zu tun hat? Wie steht es nun mit dem zweiten Teil des Gesetz- entwurfes, der Anpassung der Vieheinheitenstaffel zur Abgrenzung zwischen Landwirtschaft und Ge- Kurt Palis (SPD): Herr Heinrich, mir ist schon klar, werbe im Bereich der Tierhaltung? Hier ist, meine daß die zwei Vorschriften zwei verschiedene politi- Damen und Herren, ein sorgfältiger Blick auf den zu sche Ziele haben. Aber wir müssen mindestens die verändernden Tatbestand notwendig. Wo liegen, zu- Frage gründlich untersuchen, ob nicht doch innere nächst aus der Sicht der Bundesregierung, die Zusammenhänge beachtet werden sollten, die auf Gründe für den Veränderungsbedarf? Einmal sei die den ersten Blick nicht sichtbar sind. Ich kann mir bei- zu verändernde Vieheinheitenstaffel auf das Jahr spielsweise vorstellen, daß eine bestimmte Staffelung 1970 zurückzuführen. Sie sei bisher nicht verändert im Gewerbebetrieb und im landwirtschaftlichen Be- worden, also veraltet. Zweitens. Eine Veränderung trieb durchaus unterschiedlich gehandhabt wird. Ich biete die Chance, bäuerliche Veredelungsbetriebe zu kündige das an; das Ergebnis am Ende der Prüfung stärken, insbesondere im europäischen Wettbewerb. kann sein, daß die zwei Dinge in der Tat nichts mit- Sie ermögliche weiterhin eine Anpassung an einen einander zu tun haben. Vielen Dank. bereits vollzogenen Strukturwandel in den alten Zum Schluß noch ein ganz kurzes Wo rt zur Kosten- Bundesländern und die vorhandenen Strukturen in frage. Da heißt es in der Vorlage der Koalitionsfrak- den neuen Bundesländern. tionen zu § 24 des Umsatzsteuergesetzes, eine Anhe- Die Anreize - darauf sollten wir bei den Beratun- bung der Durchschnittsätze und Vorsteuerpauschal- gen achten - für Betriebsteilungen müssen allerdings sätze verursache keine Kosten. Zur Änderung der bedacht werden. Ob die neue Staffelung das in ge- Vieheinheitenstaffel heißt es: Die Kosten „lassen nügender Weise berücksichtigt, steht für mich noch sich ... nicht beziffern, dürften jedoch nicht ins Ge- nicht fest. Hier muß im Rahmen der Ausschußbera- wicht fallen". tungen noch geprüft werden. (Heiterkeit bei der SPD - Horst Sielaff (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die ist ja so mode [SPD]: Sehr präzise ist das! - Siegfried Hor rat!) nung [CDU/CSU]: Eine gute Formulierung!) Dringend notwendig ist aber auch die Anpassung Ob dem so ist, wird bei den nun anstehenden Aus des Vieheinheitenschlüssels. Dieser Schlüssel beruht schußberatungen ebenfalls zu klären sein. Allerdings auf Futterbedarfsnormen zum Zeitpunkt der Haupt steht eines für mich fest: Wenn es zutrifft, daß beide Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20589

Kurt Palis Gesetzesänderungen keine Kosten verursachen, tung sowie der Erzeugung gesunder Nahrungsmittel dann sollten die Bauern sich auch nicht allzusehr für den Markt. über dieses Wahlgeschenk freuen; denn dann kommt Die geltende Abgrenzungsregelung ist ja schon nicht viel auf sie zu. fast 30 Jahre alt. In dieser Zeit hat sich die Durch- Herzlichen Dank. schnittsgröße landwirtschaftlicher Bet riebe mittler- weile von 11,7 auf 32,7 Hektar fast verdreifacht. Die (Beifall bei der SPD) Ertragsleistung landwirtschaftlicher Nutzflächen ist auf das Doppelte angestiegen. Angesichts dieses Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das Strukturwandels erweist sich die geltende Abgren- Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Hansge- zungsregelung zunehmend als Hemmnis für die wei- org Hauser. tere Entwicklung der bäuerlichen Bet riebe. Auch im europäischen Vergleich erscheint eine Hansgeorg Hauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- Verbesserung der Chancen für unsere Veredelungs- desminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine ver- betriebe, das heißt vor allem für die bäuerlichen ehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Palis, Sie ha- Schweinemast- und Geflügelhaltungsbetriebe, gebo- ben sehr richtig den Ausdruck verwendet, die Steu- ten. Denn trotz der relativ günstigen Gewinnent- erreform sei hängengeblieben. Sie ist nämlich im wicklung in den letzten Wirtschaftsjahren besteht Bundesrat hängengeblieben; sie wurde do rt blok nicht nur ein erheblicher Einkommensrückstand ge- kiert. Daß Sie sich jetzt langsam an die Zahlen heran- genüber der gewerblichen Wirtschaft, sondern es pirschen, die wir vorgelegt haben, und Vorschläge gibt auch einen deutlichen Strukturnachteil bei der machen, zeigt sehr deutlich, daß wir eigentlich doch Tierhaltung gegenüber den wichtigen europäischen ein ganz gutes Konzept hatten und daß Sie aus rei- Wettbewerberländern, wie beispielsweise den Nie- nem Machtstreben heraus ein Trauerspiel verursacht derlanden und Dänemark. und diese so wichtige Reform blockiert haben. Der vorliegende Gesetzentwurf will eine maßvolle (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Leider! Anhebung der Tierbestände für Bet riebe über Leider!) 30 Hektar unter Beibehaltung der degressiven Staffe- lung verbessern, so daß je Bet rieb bis zu 1200 Mast- Wir verlieren hier leider drei Jahre. Das wird uns schweine - das sind also umgerechnet 500 Stallplätze noch bitter weh tun. - oder 7500 Legehennen mehr erzeugt oder gehalten (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) werden können. Wir sehen dieses Vorhaben nicht als Lockerung der notwendigen Flächenbindung, son- Meine Damen und Herren, in der jetzigen Debatte dern als vertretbare Verbesserung der Produktions- geht es, wie gesagt, um die Änderung steuerlicher und Marktchancen der bäuerlichen Bet riebe. Vorschriften für land- und forstwirtschaftliche Be- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) triebe im Bereich der Abgrenzung der landwirt- - schaftlichen von der gewerblichen Tierhaltung und Herr Palis hat auf die Auswirkungen für den Haus- bei den Umsatzsteuerdurchschnittsätzen. Wir brau- halt hingewiesen. In der Tat können diese Größen- chen diese Anpassungen, weil aus der wirtschaftli- ordnungen vernachlässigt werden. Der aus unserem chen Entwicklung und aus dem stärkeren europäi- Vorschlag resultierende Wegfall der Gewerbesteuer schen Wettbewerb heraus die Fortschreibung der kann vernachlässigt werden, da die wenigen gewer- Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft notwen- betreibenden Tierhaltungsbetriebe die derzeitigen dig ist. Tierbestandsgrenzen in der Regel erheblich über- Nun zunächst zur Abgrenzungsproblematik. Wie schreiten. Sie bleiben deshalb von den Änderungen Sie wissen, grenzen wir im Steuerrecht - ich möchte, des Gesetzentwurfes weitgehend unberüh rt. Deshalb Herr Heinrich, noch einmal ausdrücklich betonen, können wir sagen: Es gibt kaum Auswirkungen. daß es sich hier um steuerrechtliche Vorschriften Auch im Bereich der Umsatzsteuer lassen wir die handelt und nicht um irgendwelche anderen Dinge; Land- und Forstwirte nicht im Regen stehen. Wie ich Herr Palis, Sie sollten das nicht schon wieder vermi- bereits ausführte, hat sich deren wirtschaftliche Si- schen und hier irgendwelche Vorwände produzieren, tuation zwar in einigen Bereichen bef riedigend ent- damit Sie nicht zustimmen müssen - wickelt. Aber insgesamt ist sie eben noch nicht stabil (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) genug. In diesem Zusammenhang von einem Wahl- geschenk zu reden ist - so glaube ich - mit Sicherheit seit jeher die bodengebundene landwirtschaftliche vollkommen unangebracht. Sie haben ja selber be- Tierhaltung von der gewerblichen Tierhaltung ab. tont, daß sich das aus den wirtschaftlichen Notwen- Das geschieht, weil es unsere Überzeugung ist, daß digkeiten ergibt. Deswegen ist es vollkommen abwe- die bäuerliche Tierhaltung auf einer sicheren Flä- gig, von einem Wahlgeschenk zu sprechen. Sie ha- chengrundlage auch mit den Mitteln der Steuerpoli- ben ja Ihre Äußerung zum Schluß relativiert. Was soll tik gegenüber der gewerblichen Massentierhaltung es, darüber groß zu streiten? gefördert werden muß. Nach den Berechnungen des Bundesministeriums Die landwirtschaftliche Tierhaltung bietet den für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ist die bäuerlichen Betrieben nicht nur wichtige Einkom- Entwicklung der mit den Verkaufserlösen und Be- menschancen; sie dient auch einer umweltverträgli- triebsausgaben in der Land- und Forstwirtschaft an- chen und ökologisch sinnvollen Landbewirtschaf fallenden Umsatzsteuer ansteigend. Die zur Zeit gel- 20590 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Parl. Staatssekretär Hansgeorg Hauser tenden Sätze von 9,5 Prozent für die Landwirte und den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der 5 Prozent für die Forstwirte reichen ihnen zur pau- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen wor- schalen Abdeckung der tatsächlichen Vorsteuerbela- den ist. stungen nicht mehr aus, wenn wir zum 1. April 1998 den allgemeinen Umsatzsteuersatz von 15 auf 16 Pro- Wir treten dann in die zent anheben. Die Notwendigkeit dieser Anhebung dritte Beratung ist ja bereits erwähnt worden. Ich darf in diesem Zu- sammenhang doch noch einmal sehr deutlich sagen, und Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die daß es eine Anhebung des ermäßigten Umsatzsteuer- dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- satzes nicht geben wird. Dieser Satz bleibt bei 7 Pro- ben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich zent. Die Grundnahrungsmittel werden also nicht stelle fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Lesung teurer. mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen worden ist. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sehr rich tig! Die Verbraucher spüren nichts davon!) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 13/10187 an die in der Tages- Da Mieten nicht mit der Umsatzsteuer belastet wer- ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. den, ergibt sich auch hier keinerlei Veränderung. Für Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht einen Durchschnittshaushalt bleibt die Änderung der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. sehr geringfügig. Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tages- Der vorliegende Gesetzentwurf der Koalitionsfrak- ordnung und die Beratung der Beschlußempfehlung tionen zur Anpassung der Umsatzsteuerdurch- des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Än- schnittsätze wirkt dieser nicht kostengerechten Ab- derung des Tierschutzgesetzes zu erweitern. Sind Sie deckung entgegen: Die Durchschnittsätze sollen da- damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Wi- her - wie bereits erwähnt - auf 10 Prozent für die derspruch. Dann ist das so beschlossen. Landwirte bzw. 6 Prozent für die Forstwirte angeho- ben werden. Damit entsteht für die meisten Land- Ich rufe also den Zusatzpunkt 14 auf: wirte, deren Umsätze nach einem pauschalierten Verfahren besteuert werden, auch künftig keine Beschlußempfehlung des Vermittlungsaus- Zahllast. Die Land- und Forstwirte dürfen nach die- schusses zu dem Gesetz zur Änderung des sem System ihren Abnehmern Umsatzsteuer in Rech- Tierschutzgesetzes. nung stellen - künftig eben mit 10 Prozent bzw. 6 Pro- Berichterstatterin ist die Abgeordnete Anke Fuchs. zent -, brauchen jedoch keine Umsatzsteuer an das Eine Berichterstattung wird nicht gewünscht. Finanzamt abzuführen. Dabei wird natürlich davon ausgegangen, daß sich pauschalierte Vorsteuerbela- Erklärungen zu Protokoll geben die Abgeordneten stung und in Rechnung gestellte pauschalierte Um- Meinolf Michels, Marianne Klappert, Ulrike Höfken, satzsteuer ausgleichen - Kollege Schindler hat ja hier - Ulrich Heinrich und die Abgeordnete Bulling-Schrö- eine solche Rechnung aufgemacht -, so daß die Zahl- ter.*) - Ich sehe, daß Sie damit einverstanden sind, last also jeweils null DM beträgt. daß die Erklärungen zu Protokoll genommen wer- den. Beide Maßnahmen sind geeignet, durch sinnvolle Anpassung der geltenden Vorschriften an geänderte Dann treten wir in die Abstimmung ein. Der Ver- Rahmenbedingungen positive Akzente für die wei- mittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 sei- tere Entwicklung der land- und forstwirtschaftlichen ner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deut- Betriebe in Deutschland zu setzen. Ich glaube, wir schen Bundestag über die Änderungen gemeinsam leisten hier einen wichtigen Beitrag für die wirt- abzustimmen ist. Wer der Beschlußempfehlung des schaftliche Besserstellung der Land- und Forstwirte. Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/10198 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Damit schließe des Hauses bei Stimmenthaltung der Fraktion ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Über- Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS an- weisung der Vorlage auf Drucksache 13/9761 an die genommen worden ist. in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor- geschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist Ich rufe die Zusatzpunkte 8 a bis 8 d auf: der Fall. Dann ist diese Überweisung so beschlossen. a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des Wir treten dann in die Abstimmung über den von von der Bundesregierung eingebrachten Ent- der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf wurfs eines Gesetzes zum Übereinkommen zur Änderung des Milch- und Margarinegesetzes auf über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, Drucksache 13/9535 ein. Der Ausschuß für Ernäh- der Herstellung und der Weitergabe von An- rung, Landwirtschaft und Forsten empfiehlt auf tipersonenminen und über deren Vernich- Drucksache 13/10077, den Gesetzentwurf unverän- tung dert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- - Drucksache 13/9817 - setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. (Erste Beratung 219. Sitzung) - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit *) Anlage 9 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20591

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Beschlußempfehlung und Be richt des Auswär- Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- tigen Ausschusses (3. Ausschuß) ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drucksache 13/10197 auf Drucksache 13/10206. Wer dem Entschließungs- antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. —Berichterstattung: - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle Abgeordnete Dr. Friedbert Pflüger Gernot Erler fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen Angelika Beer der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Dr. Olaf Feldmann Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist. b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungs- Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzent- gesetzes zum Übereinkommen über das Ver- würfe auf den Drucksachen 13/10116, 13/10075 und bot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstel- 13/10076 an die in der Tagesordnung aufgeführten lung und der Weitergabe von Antipersonen- Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu andere Vor- minen und über deren Vernichtung vom schläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Über- 3. Dezember 1997 weisungen so beschlossen. - Drucksache 13/10116 — Überweisungsvorschlag: Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß Beratung des Antrags der Abgeordneten c) Erste Beratung des von der Bundesregierung Dr. Heidi Knake-Werner und der Gruppe der eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu PDS dem Vertrag vom 24. September 1996 über Überstunden abbauen und die Wochenar- das umfassende Verbot von Nuklearversu- beitszeit auf 35 Stunden begrenzen - Das Ar- chen beitszeitgesetz beschäftigungsorientiert no- - Drucksache 13/10075 — vellieren Überweisungsvorschlag: - Drucksache 13/10 015 — Auswärtiger Ausschuß (federführend) Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) d) Erste Beratung des von der Bundesregierung Ausschuß für Wirtschaft eingebrachten Entwurfs eines Ausführungs- Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gesetzes zu dem Vertrag vom 24. September Ausschuß für Gesundheit Haushaltsausschuß 1996 über das umfassende Verbot von Nukle- arversuchen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für - Drucksache 13/10076 — die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich Überweisungsvorschlag: sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so Auswärtiger Ausschuß (federführend) beschlossen. Rechtsausschuß Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ich eröffne die Aussprache. Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Ich kann dazu mitteilen, daß die Kollegen Heide- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor. rich, Thönnes, Marieluise Beck und Lühr ihre Reden mit dem Einverständnis des Hauses zu Protokoll ge- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für geben haben.*) die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so Ich gebe nun noch das Wo rt der Abgeordneten beschlossen. Dr. Knake-Werner. Die Kollegen Bierling, Zapf, Feldmann, Beer, Graf (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Sie machen sich sehr von Einsiedel und Herr Staatsminister Schäfer haben, beliebt! Sie haben doch den Text! Sie das Einverständnis des Hauses voraussetzend, ihre machen sich noch beliebter, wenn Sie den Reden zu Protokoll gegeben' ). - Ich stelle fest, daß Text zu Protokoll geben!) das Haus damit einverstanden ist. Dann schließe ich die Aussprache. (PDS): Das habe ich mir Wir kommen zur Abstimmung über den von Dr. Heidi Knake-Werner fast gedacht, Herr Irmer, aber ich möchte mich jetzt der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf nicht so beliebt machen. zu dem genannten Übereinkommen auf Drucksache 13/9817. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/10197, den Gesetzentwurf unver- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, ändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem bitte, Sie haben das Wo rt. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen des Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Herr Präsident! ganzen Hauses angenommen worden ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Stunde ist ja s) Anlage 10 *) Anlage 11 20592 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Dr. Heidi Knake-Werner sehr geeignet, über den Überstundenabbau zu re- die Hälfte sozusagen in neue Arbeitsplätze umsetzen den, insofern machen wir das jetzt einfach einmal. könnten; das wären immerhin schon 400 000 bis 500000. Das wäre ja etwas. Das würde die politische (Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Das be Aussage, die Arbeitslosigkeit bis zur Jahrtausend- trifft die Mitarbeiter des Hauses hier! - wende zu halbieren, deutlich unterstreichen. Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das gibt jetzt Nachtzuschläge!) Allein wenn wir die Arbeitszeit Ost an die Arbeits- zeit West angleichen würden, brächte das rechne- Die PDS legt also einen Antrag zum Abbau von Über- risch 135 000 zusätzliche Arbeitsplätze. Die Diskus- stunden und zur Arbeitszeitverkürzung vor. Wir be- sion über die Einführung der 35-Stunden-Woche hat absichtigen damit eine Novellierung des bestehen- sich auch in der zweiten Hälfte der 80er Jahre durch- den Arbeitszeitgesetzes vor allen Dingen aus zwei aus bewährt. Immerhin sind durch Arbeitszeitverkür- Gründen. zung in dieser Zeit 700 000 bis 1 Million neue Arbeits- Erstens denken wir, daß es ein unverzichtbares plätze geschaffen worden. Mittel zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit Auch der inte rnationale Vergleich zeigt, daß wir ist. Ich betone ausdrücklich: ein Mittel im Rahmen ei- uns mit der Diskussion um die 35-Stunden-Woche in nes Katalogs von Maßnahmen zur Bekämpfung der einer sinnvollen Diskussion bewegen. Frankreichs Arbeitslosigkeit, aber immerhin ein wichtiges Mittel. Regierung hat sie gerade beschlossen, und heute hat Zweitens wollen wir die Arbeitszeitverkürzung auch Italien die 35-Stunden-Woche beschlossen. und auch den Abbau von Überstunden nicht alleine Wenn wir nur um soviel reduzierten, wie es die Fran- den Tarifvertragsparteien überlassen, zumal sie ein zosen gegenwärtig beabsichtigen, dann bestünde Arbeitszeitgesetz im Rücken haben, das mit seinen die Chance, 1,7 Millionen neue Arbeitsplätze zu Gummiparagraphen im Prinzip jede Arbeitszeitüber- schaffen. schreitung bis zu 60 Stunden in der Woche zuläßt. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ein ganz Genau das wollen wir einschränken. Außerdem - das schlechtes Beispiel!) will ich auch dazu sagen - wollen wir es deshalb nicht den Tarifvertragsparteien allein überlassen, Dies alles ist für die PDS Anlaß genug, ihren An- well immerhin ein Drittel der abhängig Beschäftigten trag einzureichen. Wir wollen in diesem Antrag die in Unternehmen arbeitet, die nicht tarifvertraglich 35-Stunden-Woche festschreiben. Wir wollen natür- gebunden sind. Auch denen wollen wir die Chance lich auch Ausnahmen und Flexibilisierungsmöglich- zu Arbeitszeitverkürzung und Überstundenabbau keiten zulassen, bis 40 Stunden in der Woche. Wir einräumen. wollen das auf einen möglichst kleinen Ausgleichs- zeitraum begrenzen: Innerhalb eines halben Jahres Die PDS will also deshalb zukünftige Tarifausein- muß diese Art von Überstunden ausgeglichen wer- andersetzungen unterstützen und die gesetzlichen den. Aber wir wissen auch, daß es noch andere Aus- Rahmenbedingungen schaffen, um die Überstunden - nahmesituationen gibt, auf die man Rücksicht neh- deutlich zu reduzieren und auch die Arbeitszeitver- men muß. Deshalb haben wir in unserem Antrag kürzung mit großen Schritten zu unterstützen. Ich eine Jahresarbeitszeit festgelegt, so daß auch von da- finde, daß wir damit ganz gut in die politische Land- her eine größere Flexibilität möglich ist. schaft passen, denn gerade vor wenigen Tagen hat ja das IAB seine neuesten Studien veröffentlicht und Wir fordern natürlich den vollen Lohnausgleich deutlich gemacht, welchen Umfang die Überstunden bis zu einem Nettojahreseinkommen von 60 000 DM. im Jahr 1997 einnahmen. Es sind immer noch 1,8 Mil- Ich sage Ihnen auch: Ich habe damit absolut kein liarden Überstunden im Jahr. Das entspricht dem Problem, weil die Lohn- und Gehaltsquote derzeit Wert, der auch 1996 registriert worden ist. auf dem niedrigsten Stand seit den 60er Jahren ist. Wir können uns eine Arbeitszeitverkürzung ohne Der Direktor des IAB - das sage ich hier noch ein- Lohnausgleich schon allein wegen der Binnenkon- mal - sagt, daß es dringend erforderlich und auch junktur überhaupt nicht leisten. möglich ist, die Überstunden um mindestens 40 Pro- zent zu reduzieren. Er hofft, daß die Politik nach der (Beifall bei der PDS) Bundestagswahl ihre Reform- und Handlungsfähig- keit hoffentlich wiedererlangt. Ich sage Ihnen auch: Ein Lohnausgleich, der mögli- cherweise die Gewinnquote bei den Unternehmen (Beifall bei der PDS) senkt, wäre eine Teilkorrektur der enormen fast 20jährigen Umverteilung zugunsten der Gewinne. Ich habe den Eindruck, liebe Kolleginnen und Kolle- Ich finde, daß das durchaus zumutbar ist. gen von der CDU/CSU, daß sich hier wieder ein Insti- tut zu Wort meldet, dem Sie künftig möglicherweise (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie haben die Mittel kürzen wollen. die Gewinne so lange verteilt, bis alle bank rott waren!) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wenn die falsche Zahlen bringen!) - Ach du lieber Gott! Sie müssen mal ab und zu ein bißchen in die Vermögensumverteilungsstatistik Nun aber zur gegenwärtigen Ausgangslage. Sie gucken, dann wüßten Sie, wovon ich rede. haben einen Überstundenumfang von 1,8 Milliarden. Das entspricht rein rechnerisch etwa 1,2 Millionen (Beifall bei der PDS - Ul rich Irmer [F.D.P.]: Vollzeitarbeitsplätzen. Eine solche Umwandlung ge- Daß die PDS jetzt den lieben Gott anruft, ist lingt uns nicht, aber es wäre ja schon toll, wenn wir ja auch schon etwas!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20593

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, 50 Jahre Unabhängigkeit von der britischen Kolo- denken Sie bitte an die Redezeit! Die ist nämlich ab- nialherrschaft. Davon ist in Deutschland wenig wahr- gelaufen. genommen worden, insbesondere was die zentrale Rolle Indiens in Asien angeht. Im Gegenteil: In den letzten Wochen wurden in erster Linie die negativen Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Ich bin auch am Bilder eines durch ethnische und religiöse Konflikte Ende. Vielen Dank. bestimmten Wahlkampfes hervorgehoben. Aber ge- Ich sage zum Abschluß: Der Kollege Zwickel von rade angesichts der Herausforderungen, die sich auf der IG Metall hat heute gesagt, daß er die 35-Stun- Grund der politischen Wachablösung in Indien erge- den-Woche zum Wahlkampfthema machen wird, ben, ist es um so dringender geboten, daß von unse- rer Seite die bilateralen Beziehungen auf eine neue (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Wun Grundlage gestellt werden. derbar! Am besten mit Ihnen zusammen!) Bisher spielte Indien nur eine untergeordnete Rolle daß er allerdings befürchtet, daß sich keine Partei in der Asienpolitik der Bundesregierung. Dies wird dieser Forderung stellt. Ich kann ihm jetzt von dieser auch daran deutlich, daß ein solches Thema bis an Stelle aus sagen: Wir trauen uns und hoffen auf seine das Ende der Tagesordnung geschoben worden ist. Unterstützung. Ich finde es im Grunde genommen problematisch, daß Südasien bisher so wenig in den Mittelpunkt der (Beifall bei der PDS) politischen Auseinandersetzungen gestellt worden ist - gerade auch angesichts der Entwicklungen, die Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Damit schließe sich im mittleren Osten abspielen, wo Indien eine ich die Aussprache. zentrale geostrategische Rolle spielt. Dies erfüllt mich mit Besorgnis. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/10015 an die in der Tagesordnung (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Frau Kol aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie legin, da haben Sie wirklich recht!) damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Wi- derspruch. Damit ist das so beschlossen. Interessanter erschienen bisher China und andere Nationen in Asien, die als wichtige Wirtschaftspart- ner angesehen werden. Dort wird großzügig über die Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 13 auf: sehr beklagenswerte Menschenrechtssituation und Beratung der Großen Anfrage des Abgeordne- autoritäre Regime hinweggesehen. Doch Indien - ten Angelika Köster-Loßack, Elisabeth Alt- nicht weniger wirtschaftskräftig, mit einer breiten mann (Pommelsbrunn) und der Fraktion Mittelschicht und nicht zuletzt mit seinen enormen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN menschlichen, kulturellen und wi rtschaftlichen Ent- - wicklungspotentialen - kommt nur am Rande vor. Die Beziehung zwischen Indien und der Bun- desrepublik Deutschland - aktueller Stand Auch wenn es bei den Menschenrechten nach wie und Entwicklungsmöglichkeiten vor Probleme gibt, so muß doch anerkannt werden, - Drucksache 13/8914 - daß die indische Regierung sehr wichtige Schritte unternommen hat, um diese Probleme zu lösen. Dazu Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion gehörte die Einsetzung einer nationalen Menschen- Bündnis 90/Die Grünen vor. rechtskommission und die Verabschiedung von wichtigen Gesetzen zum Beispiel gegen Kinderar- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für beit. die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wo- bei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sechs Minu- Angesichts der Tatsache, daß in Indien seit 50 Jah- ten erhalten soll. - Ich sehe und höre keinen Wider- ren demokratische Regierungen gewählt werden, ist spruch. Dann ist das so beschlossen. es mir unverständlich, warum die Bundesregierung in ihrem Asienkonzept nur am Rande auf dieses Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst be- große Land eingeht. Es fehlt zusätzlich - wie auch in kannt, daß die Kollegen Wimmer, Niehuis, Irmer und anderen Bereichen der Außenpolitik - ein wirklich der Staatsminister Schäfer ihre Reden zu Protokoll kohärentes Konzept, das eine zukunftsweisende, auf gegeben haben ). Dieses vorausgeschickt, gebe ich Dialog und Partnerschaft beruhende Politik formu- das Wort der Kollegin Angelika Köster-Loßack. liert. Statt dessen fließen zum Beispiel im Bereich der (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Kön Entwicklungspolitik weiterhin die meisten Gelder in nen wir nicht die Tagesordnungspunkte ökologisch bedenkliche Großprojekte. tauschen, damit wir gehen können? Nach (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Auch dem wir schon darauf verzichtet haben zu das ist richtig!) reden, muß die jetzt noch schwätzen!) So wurde zum Beispiel das Braunkohlekraftwerk Neyveli 1997 noch mit insgesamt 375 Millionen DM Dr. Angelika Köster-Loßack (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kol- im Rahmen der Verbundfinanzierung unterstützt, leginnen und Kollegen! Im letzten Jahr feierte Indien während kaum etwas für die Unterstützung nachhal- tiger Energieerzeugung getan wird. Die eigenen *) Anlage 12 Schwerpunktsetzungen des BMZ, wie Armutsbe- 20594 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Dr. Angelika Köster-Loßack kämpfung, Nachhaltigkeit und Umweltverträglich- neuen außenpolitischen Aufbruchs wird die Region keit, wurden hier nicht ausreichend beachtet. Südasien mit Indien als Kernland eine zunehmend wichtige Partnerin werden. Wenn wir diese Entwick- Der Vater der indischen Unabhängigkeit, Mohan- lung nicht verschlafen wollen, sollten wir diese Re- das Karamchand Gandhi, hat bis heute gültige gion auf der Basis der prinzipiell vertrauensvollen grundlegende Konzepte einer ökologisch nachhalti- Beziehungen mit Indien ernst nehmen und die Ver- gen und sozial gerechten Entwicklung formuliert. Es tiefung der Beziehungen als eine Chance für beide wäre wichtig, auch über diese Konzepte als Grund- Seiten begreifen. lage für heutige Entwicklungen zum Beispiel im Be- reich der Agenda 21 in beiden Ländern zu diskutie- Ich danke Ihnen. ren. Es gibt in Indien eine sehr lebendige Bewegung sozialer ökologischer Art, die auch auf soziale Ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rechtigkeit setzt. Diese Konzepte warten auf ihre und bei der CDU/CSU, der SPD und der Umsetzung. PDS) Konsequente Unterstützung für stark benachtei- Ich gebe das ligte Gruppen, wie die Dalits, die sogenannten Unbe- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Wort dem Abgeordneten Willibald Jacob. rührbaren, und die Adivasis, die indigenen Völker Indiens, finden auch in den bisherigen Konzepten (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Da des BMZ zu wenig Beachtung. frage ich mich, warum wir zu Protokoll geben! - Ulrich Irmer [F.D.P.]: Das war Im Bereich der präventiven Konfliktlösung und zi- eigentlich nicht der Sinn der Sache!) vilen Konfliktbearbeitung ist es dringend geboten, daß die Bundesregierung klare, mit europäischen Partnern abgestimmte Konzepte in ihrer Indien- und Dr. Willibald Jacob (PDS): Herr Präsident! Meine auch Südasienpolitik insgesamt verfolgt. Denn die Damen und Herren! Ich halte die Zeit für diese De- ungelösten Konflikte in dieser Region sind ein ge- batte nach Mitternacht zu diesem Thema fährliches Risikopotential. Deutschland muß aktiv (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Bei Ihnen dazu beitragen, daß der Politikdialog in dieser Re- geht die Uhr doch sonst eher nach als vor!) gion, vor allem natürlich zwischen Indien und Paki- stan, nicht abreißt, sondern - im Gegenteil - ausge- - ich berichtige mich, Verzeihung: kurz vor Mitter- baut und vertieft wird. nacht -, (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Zwi schen Indien und China! Das ist fast viel Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, wichtiger!) in dieser Hinsicht eilen Sie der Zeit etwas voraus.

Außerdem müssen wir im bilateralen Dialog darauf - einwirken, Indien zu einem Verzicht auf Atomwaffen Dr. Willibald Jacob (PDS): - zu unseren Beziehun- und zur Unterzeichnung des Minenprotokolls zu be- gen zur Republik Indien, für unangemessen. Wir Ab- wegen. Die Region Südasien braucht stabile Netze geordneten signalisieren damit ein großes Unver- der regionalen Kooperation auf der Grundlage von ständnis einem Subkontinent mit einer Milliarde Gegenseitigkeit. Natürlich ist der Konflikt mit China Menschen gegenüber, der wachsende Bedeutung einer der Konflikte, die von der Region aus bearbeitet gewinnt. werden müssen. Das ist nichts Akutes wie der Kon- Die Realisierung des Entschließungsantrages der flikt mit Pakistan, aber er ist mittelfristig jederzeit Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu ihrer Großen An- wieder heraufzubeschwören. Das ist auch mir klar. frage würde die Beziehung Deutschland/Indien tat- Schließlich müßte auch der Politikdialog auf Re- sächlich verbessern und weiterentwickeln. Die PDS gierungsebene und auf Parlamentsebene durch eine macht darauf aufmerksam, daß wir dabei wahrlich sehr viel stärkere Förderung von kultureller und wis- auf dem guten Verhältnis aufbauen könnten, das In- senschaftlicher Zusammenarbeit dringend ergänzt dien zu beiden deutschen Staaten hatte. Indien inter- werden. Hierfür sind institutionelle Verbesserungen essiert sich nach wie vor für die Entwicklungen in al- vorzunehmen. Ich denke auch daran, daß es nicht len Bereichen in Ost- und Westdeutschland. ausreicht, daß im Südasien-Institut in Heidelberg, (Dr. Dietrich Mahlo (CDU/CSU: Das mußte das zwar seit über 30 Jahren vorbildliche Austausch- einmal gesagt werden!) arbeit leistet, immer nur einige wenige Stipendiaten ausgetauscht werden. Da könnte mehr getan wer- Da muß nichts neu entwickelt werden. Fehler, die den. Die Begegnung zwischen Menschen aus Indien in der Kooperation gemacht wurden, können zukünf- und Deutschland muß stärker als bisher gefördert tig vermieden werden. Niemand kann und wird In- werden, auch im Bereich der Studierenden, denn das dien von außen entwickeln oder ihm Entwicklungs- ist eine notwendige Ergänzung zu Expertenrunden. konzepte aufpfropfen können. Die Zusammenarbeit muß konzentriert werden. Dazu jedoch bedarf es ei- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, ner Überprüfung des bisherigen Konzeptes deutsch- Ihre Redezeit ist abgelaufen. indischer Zusammenarbeit. Indien erwirtschaftet ein sehr hohes Bruttosozial- Dr. Angelika Köster-Loßack (BÜNDNIS 90/DIE produkt. Es ist damit im letzten Jahrzehnt in die GRÜNEN): Ich komme zum Schluß. Im Kontext eines Reihe der potentesten Wirtschaftsnationen aufge- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20595

Dr. Willibald Jacob rückt. Es hat hervorragende Fähigkeiten zu wirt- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, schaftlicher, wissenschaftlicher und technischer Ent- ich habe Sie mehrfach aufgefordert, zu stoppen. wicklung und zu Investitionen. Es braucht aber un- sere Unterstützung bei seinem Hauptproblem, der Massenarmut. Die akuten Spannungen zwischen Be- Dr. Willibald Jacob (PDS): Danke, ich bin am Ende völkerungsgruppen haben letztendlich sozialökono- meiner Rede. mische Ursachen. Es handelt sich um Verteilungspro- (Beifall bei der PDS) bleme. Wie zu beobachten ist, haben die Spannun- gen nach der Öffnung Indiens gegenüber dem Welt- markt noch zugenommen und die Spaltung der indi- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich schließe schen Gesellschaft weiter vertieft. die Aussprache. Entsprechend der Schwerpunktsetzung deutscher Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag Entwicklungszusammenarbeit sollten sich deutsche der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache Möglichkeiten für Kooperation und Hilfe ausschließ- 13/10205 zur federführenden Beratung an den Aus- lich auf Armutsbekämpfung konzentrieren. Diese wärtigen Ausschuß, zur Mitberatung an den Aus- kann und muß natürlich verschiedene Formen ha- schuß für Wirtschaft, an den Verteidigungsausschuß ben. Ich möchte hier nur in Kürze zwei ansprechen: und an den Ausschuß für wi rtschaftliche Zusammen- arbeit und Entwicklung zu überweisen. Sind Sie da- Erstens. Frauen und Mädchen müssen entspre- mit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Wi- chend der indischen Gesetzgebung vollen Zugang derspruch. Dann ist das so beschlossen. zu Bildung und Ausbildung haben. Sie müssen moti- viert und unterstützt werden bei der Selbstorganisa- Ich denke, daß sich aus der Überweisung an zahl- tion, bei Aufklärung, Information und schließlich bei reiche Ausschüsse dieses Hauses eindeutig erkennen den Schritten, sich aus Unterprivilegierung, Diskri- läßt, daß von einer Geringschätzung dieses Themas minierung, einseitigen Abhängigkeits- und Gewalt- überhaupt keine Rede sein kann. verhältnissen zu befreien. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Zweitens. Die mehr als 140 Millionen Adivasis und sowie des Abg. Wolf-Michael Catenhusen Dalits brauchen Rahmenbedingungen, um sozial und [SPD]) kulturell zu überleben. Ich selbst habe mehr als drei Jahre unter Adivasis gelebt und weiß, daß es oft der Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf: Traktor ist oder die kleine Solaranlage, die nötig sind, um das Überleben zu sichern oder ein Mehrpro- Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/ dukt zu schaffen und auf dem lokalen Markt zu ver- CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und kaufen. Es bedarf keiner gigantischen Großprojekte, F.D.P. die die natürliche Umwelt, den Lebensraum für Tau- Lage in Kambodscha sende Adivasis zerstören und nachhaltige Schäden - Drucksache 13/10185 - für die Umwelt hervorrufen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so Ihre Redezeit ist bei weitem abgelaufen. beschlossen. Ich kann Ihnen mitteilen, daß alle Kollegen - Dr. Willibald Jacob (PDS): Gleichzeitig bereichern Dr. Kansy, Herr Schanz, Herr Koppelin, Herr Schmitt, sich einige wenige durch Marktdominanz und Kor- Staatsminister Schäfer und Dr. Mahlo - Ihre Reden ruption. Die Adivasis müssen nicht aus ihrem dörfli- dankenswerterweise zu Protokoll gegeben haben.*) chen Umfeld herausgelockt werden. Wir kommen damit zur Abstimmung über den ge- meinsamen Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. auf Drucksache bitte schließen Sie Ihre Rede ab. 13/10185. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltun- gen? - Dann stelle ich fest, daß der Antrag mit allen (PDS): Ich bin sofort fertig. - Dr. Willibald Jacob Stimmen des Hauses angenommen worden ist. Sie brauchen Unterstützung, um in einem vernünfti- gen Maße lokalen und regionalen Austausch zu be- Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tages- treiben. ordnung. Die Idee, Beziehungen auf Länderebene zu för- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- dern, kann ich auf Grund positiver Erfahrungen im destages auf morgen, Freitag, den 27. März 1998, um Besucheraustausch zwischen Indien und Mecklen- 9 Uhr ein. burg-Vorpommern nur unterstützen. Das Land Mecklenburg-Vorpommern unterhält seit Jahresfrist Die Sitzung ist geschlossen. ein Büro in Kalkutta. Auf diese Weise lassen sich sehr (Schluß der Sitzung: 23.39 Uhr) gut kultureller, wirtschaftlicher und geistiger Aus- tausch intensivieren. *) Anlage 13

Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20597*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Anlage 2

Liste der entschuldigten Abgeordneten Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über das Gesetz entschuldigt bis zu den Protokollen vom 16. Dezember 1997 Abgeordnete(r) einschließlich zum Nordatlantikvertrag über den Beitritt der Republik Polen, der Tschechischen Republik Altmann (Aurich), Gila BÜNDNIS 26. 3. 98 und der Republik Ungarn 90/DIE (Tagesordnungspunkt 2) GRÜNEN Antretter, Robert SPD 26. 3. 98 Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU): Im Grundsatz befür worte ich die Aufnahme mittelosteuropäischer Staa- Dr. Babel, Gisela F.D.P. 26. 3. 98 ten in die NATO. Ich bedauere deshalb, daß keine Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 26. 3. 98 getrennte Abstimmung über den Beitritt von Polen, Tschechien und Ungarn möglich ist. In Anbetracht Dempwolf, Gertrud CDU/CSU 26. 3. 98 meiner Vorbehalte gegenüber der Aufnahme Tsche- chiens in die NATO bin ich deshalb gezwungen, dem Fischer (Berlin), Andrea BÜNDNIS 26. 3. 98 gesamten Gesetz nicht zuzustimmen. 90/DIE GRÜNEN Im Fall der Tschechischen Republik halte ich die Aufnahme aus folgenden Gründen für verfrüht. Be- Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 26. 3. 98 reits in der Vergangenheit habe ich immer wieder ge- Fuhrmann, Arne SPD 26. 3. 98 fordert, daß die Diskriminierung der in diesem Land lebenden tschechischen Staatsbürger deutscher Na- Ilte, Wolfgang SPD 26. 3. 98 tionalität noch vor einer Aufnahme der Tschechi- schen Republik in die NATO und in die Europäische Jung (Düsseldorf), Volker SPD . 26. 3. 98 Union beendet sein muß oder zumindest Maßnah- Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 26. 3. 98 men ergriffen sein müssen, die eine baldige Beendi- gung der andauernden Diskriminierung der im Kurzhals, Christine SPD 26. 3. 98 Lande verbliebenen Sudetendeutschen erwarten läßt. Diejenigen Deutschen, die nach dem Krieg ge- (B) Dr. Luther, Michael CDU/CSU 26. 3. 98 gen ihren Willen in der Tschechoslowakei bleiben Marx, Dorle SPD 26. 3. 98 mußten, werden do rt im Hinblick auf die Rückgabe - ihres Eigentums weiterhin als Menschen zweiter Mosdorf, Siegmar SPD 26. 3. 98 Klasse behandelt. Viele von ihnen wurden nach dem Ostertag, Adi SPD 26. 3. 98 Krieg interniert, durften lange Zeit unter Strafandro- hung ihre Muttersprache nicht sprechen, durften Reschke, Otto SPD 26. 3. 98 keine höheren Schulen besuchen und nicht studie- ren. Sie wurden gezwungen, ihre Heimatorte zu ver- Scharping, Rudolf SPD 26. 3. 98 lassen und wurden später bewußt in anderen Orten Schenk, Christina PDS 26. 3. 98 verstreut angesiedelt, um sie zu entwurzeln. Diese Menschen wurden entschädigungslos enteignet und Dr. Schuchardt, Erika CDU/CSU 26. 3. 98 müssen auch heute noch - obwohl sie seit mehr als 40 Jahren wieder tschechoslowakische bzw. tsche- Schulz (Berlin), Werner BÜNDNIS 26. 3. 98 chische Staatsbürger sind - erdulden, daß ihnen un- 90/DIE ter Hinweis auf die immer noch geltenden völker- GRÜNEN und menschenrechtswidrigen Benes-Dekrete ihr Schumann, Ilse SPD 26. 3. 98 Eigentum nicht zurückgegeben wird. In dieser von der Tschechischen Republik betriebenen Politik sehe Tippach, Steffen PDS 26. 3. 98 ich eine Verletzung der Menschenrechte und ein deutliches Demokratiedefizit. Dieser Zustand wider- Vosen, Josef SPD 26. 3. 98 spricht eklatant demokratischen Grundüberzeugun- Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 26. 3. 98 gen der NATO, die nicht nur ein Verteidigungsbünd- nis, sondern auch eine Wertegemeinschaft ist. Dr. Wegner, Konstanze SPD 26. 3. 98 Ich sehe mich deshalb nicht dazu in der Lage, für Weißgerber, Gunter SPD 26. 3. 98 eine Aufnahme der Tschechischen Republik in die Dr. Wieczorek, Norbe rt SPD 26. 3. 98 NATO zu stimmen. Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 26. 3. 98 Kurt Neumann (Berlin) (fraktionslos): Ich stimme dem Gesetz nicht zu, weil mit der vereinbarten NATO-Osterweiterung die verfehlte Politik fortge

* für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union setzt wird, dem Vormachtstreben einer Weltmacht 20598* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 folgend ein militärisches Bündnis auszuweiten und teidigungsbündnisses. Andererseits bedeutet eine zu verstärken, statt übergreifend eine gesamteuro- künstlich erhaltene NATO, mehr noch eine nach päische Friedensordnung zu entwickeln und den Osten erweiterte, ein Bedrohungspotential für alle Vereinten Nationen die Perspektive eines weltwei- Anrainer, wie die Russische Föderation. Aufrechter- ten Instruments gewaltfreier Weltinnenpolitik zu ge- haltung eines überflüssig gewordenen Bündnisses ben. und seine partielle Ausweitung nach Osten führt zu einer neuen Demarkationslinie in Osteuropa. In den Ich sehe mich dem Berliner Programm, dem gel- ausgeschlossenen Staaten wird die Frage nach die- tenden Grundsatzprogramm der Sozialdemokrati- sem Ausschluß immer virulent bleiben. Aber auch in schen Partei Deutschlands, an dem ich mitarbeiten Deutschland sollte die Frage aktuell bleiben, wem durfte, jetzt und auch zukünftig politisch verpflichtet. die Osterweiterung wirklich nützen wird, denn Ich teile die Grundaussage dieses Programms: „Un- Deutschland muß aus historischen wie auch aus ser Ziel ist eine gesamteuropäische Friedensordnung geopolitischen Gründen mit allen osteuropäischen auf der Grundlage gemeinsamer Sicherheit, der Un- Ländern incl. Rußland ein besonders gutes Verhält- verletzlichkeit der Grenzen und der Achtung der nis pflegen. Souveränität aller Staaten in Europa. ... Unser Ziel ist es, die Militärbündnisse durch eine europäische Frie- Die NATO-Organisation hat als Folge der wahn- densordnung abzulösen." sinnigen Aufrüstung der beiden Blöcke einen mili- tärisch-industriellen Komplex in den westlichen In- Die Chance, diesen Zielen nach dem Ende des dustriestaaten entstehen lassen, dem es schon seit Warschauer Pakts näher zu kommen, wurde vertan. Jahren schwerfällt, sich an die neuen friedlicheren Die Vereinten Nationen wurden nicht gestärkt und in Umstände zu gewöhnen. Dieser Komplex ist an ihrer Bedeutung aufgewertet, sondern zunehmend einem Weiterbestehen der NATO interessiert, noch zu einer formalen Legitimationsinstanz militärischer mehr an einer Erweiterung, die zu Umrüstungsauf- Einsätze der NATO herabgestuft. trägen führt. Eigentlich müßte alles unternommen Die jetzige ungleiche Behandlung der früher mit werden, Rüstungsindustrie zurückzubauen nach der Sowjetunion verbündeten Staaten schafft neue den Erfahrungen mit ihr in diesem Jahrhundert. Mit Gegensätze zwischen den aufgenommenen Staaten der NATO-Osterweiterung wird dieser Prozeß blok und den anderen. Vor allem ist die NATO-Osterwei- kiert. terung deswegen nicht friedensfördernd, weil sie die Deutschland, ja Europa insgesamt sollte seine poli- alte Abgrenzung zu Rußland befestigt und neue Ge- tischen Entscheidungen leiten lassen von der Gewiß- gensätze heraufbeschwört. Es gibt keine, auch keine langfristige Perspektive der Einbeziehung Rußlands heit einer europäischen Kultur vom Atlantik bis zum und der anderen europäischen GUS-Staaten, um der Ural; jede neue künstliche Grenze zwischen Ural und Atlantik knüpft an die grauenvolle kriegerische Ver- NATO so die Entwicklungsmöglichkeit vom Militär- gangenheit an. bündnis zum System kollektiver Sicherheit zu geben. - Mit der Aufwertung der NATO und mit der Teil- nahme der Bundeswehr an militärischen Einsätzen außerhalb des Bündnisgebiets trat ein weiteres Ziel in den Hintergrund: „Friedenspolitik muß die Vor- Anlage 3 herrschaft militärischer, bürokratischer und rüstungs- wirtschaftlicher Interessen brechen und Rüstungs- Erklärung nach § 31 GO produktion in die Produktion ziviler Güter überfüh- der Abgeordneten Cem Özdemir, Antje Hermenau, ren. " Christine Scheel, Angelika Köster-Loßack, Egbert Nitsch (Rendsburg) Die allgemeine sicherheitspolitische Entwicklung, (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) deren integraler Bestandteil die jetzige Osterweite- zur Abstimmung über das Gesetz rung der NATO ist, geht prinzipiell in die falsche zu den Protokollen vom 16. Dezember 1997 Richtung. Deshalb stimme ich mit Nein. zum Nordatlantikvertrag über den Beitritt der Republik Polen, der Tschechischen Republik Dr. Jürgen Rochlitz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und der Republik Ungarn Das Gesetz zur NATO-Osterweiterung lehne ich ab (Tagesordnungspunkt 2) und stimme mit Nein aus folgenden zusammengefaß- ten Gründen: Die NATO hat sich in den letzten Jahrzehnten ver- schiedenen Veränderungen unterzogen. Diese Ver- Der Nordatlantikvertrag diente als Verteidigungs- änderungsprozesse werden in unserer Partei mit gro- pakt seit den Zeiten des „Kalten Krieges"; er spielte ßer Skepsis betrachtet. Wir respektieren diesen poli- dabei eine große Rolle in den Jahrzehnten der Ost- tischen Meinungsbildungsprozeß innerhalb des West-Blockkonfrontation. Mit der Auflösung dieser Bündnisses 90/Die Grünen, indem wir uns heute ent- Blockkonfrontation und mit dem Zusammenbruch halten, obwohl wir persönlich die Veränderungspro- des sogenannten Ostblocks, mit der do rt begonne- zesse innerhalb der NATO für weitreichend und die nen Entwicklung demokratischer Gesellschaften er- NATO-Osterweiterung für einen wichtigen Schritt übrigt sich das alte Verteidigungsbündnis. Weder halten, was insbesondere aus der Sicht der Länder, gibt es in Osteuropa auf Ang riff erpichte noch auf die der NATO beitreten wollen, gewürdigt werden Angriff eingestellte potentielle Gegner eines Ver muß. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20599*

Anlage 4 lehnt Rußland die Ost-Erweiterung im Prinzip nach wie vor ab. Obwohl die Grundakte einen Erklärung nach § 31 GO enormen historischen Fortschritt gemessen an den der Abgeordneten Ludger Volmer, Angelika Beer, Zeiten des Kalten Krieges darstellt, bleibt sie hin- Winfried Nachtwei, Christian Sterzing, ter den mit dem Ende der Blockkonfrontation ver- Kerstin Müller (Köln), Elisabeth Altmann bundenen Hoffnungen und Notwendigkeiten zu- (Pommelsbrunn), Gila Altmann (Aurich), rück. Volker Beck (Köln), Annelie Buntenbach, Amke Dietert-Scheuer, Monika Knoche, Ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem jen- Steffi Lemke, Simone Probst, Irmingard Schewe seits der Militärbündnisse, beruhend auf einer ge- Gerigk, Ursula Schönberger, Marina Steindor stärkten und erneuerten OSZE wäre die richtige Halo Saibold, Dr. Manuel Kiper, Man fred Such Antwort in Europa auf das Ende des Kalten Krie- (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ges gewesen. Diese Chance wurde leider nicht zur Abstimmung über das Gesetz genutzt. Zwar stellt die Grundakte die zentrale zu den Protokollen vom 16. Dezember 1997 Rolle der OSZE als „einziger gesamteuropäischer zum Nordatlantikvertrag über den Beitritt Sicherheitsorganisation" heraus und schreibt ihr der Republik Polen, der Tschechischen Republik „eine Schlüsselrolle für Frieden und Stabilität in und der Republik Ungarn Europa" zu. Zugleich aber fokussiert die NATO- (Tagesordnungspunkt 2) Erweiterung faktisch die sicherheits- und frie- denspolitische Diskussion auf die NATO als Nu- Wir stimmen diesem Gesetzentwurf der Bundesre- kleus europäischer Sicherheit. Damit wird die gierung aus folgenden Gründen nicht zu: Ausfüllung des von den KSZE-Staaten in der Charta von Paris 1990 verabschiedeten Rahmens Wir solidarisieren uns mit den tschechischen und eines „Sicherheitsmodells für das 21. Jahrhun- ungarischen Grünen, die den Beitritt ihrer Länder dert" massiv erschwert. Ob der Prozeß der Neu- zur NATO ablehnen. Uns bewegen die gleichen Mo- beitritte und die Grundakte eine Dynamik in tive: Gang setzen, die diesem formulierten Ziel ent- sprechen, ist zweifelhaft. 1. Die auf dem Gipfel von Madrid im Juli 1997 be- schlossene NATO-Osterweiterung wurde ohne 3. Angesichts der Gefahren einer falschen, aber zur gesamteuropäische Perspektive begonnen. Auch Realität werdenden NATO-Erweiterung ist es jetzt heute läßt der Prozeß noch nicht erkennen, ob er um so wichtiger, die Prozesse zu verstärken und allen europäischen und nordamerikanischen Staa- zu beschleunigen, die dem Ziel umfassender Si- ten gleichermaßen Sicherheit bringen wird. Die cherheit und Kooperation und der Zivilisierung Aufnahme von drei ausgewählten Staaten wirft der internationalen Beziehungen entsprechen. die Frage auf, wie eine gesamteuropäische Frie- Dem transatlantischen Verhältnis kommt dabei be- densordnung, an der alle Staaten beteiligt sind, sonderes Gewicht zu. Im Zeichen geopolitischer - hergestellt werden kann. Völlig ungeklärt ist die Entspannung, deutscher Wiedervereinigung und Frage, wie die NATO die Erwartungen, die sie der Auflösung des Warschauer Paktes hat die geweckt hat, einlösen kann, ohne entweder Ruß- westliche Militärpolitik ihre Bindungswirkung für land erneut zu brüskieren oder aber Hoffnungen das transatlantische Verhältnis eingebüßt. Dieses auf Beitritt zu enttäuschen und damit die Erweite- Verhältnis bedarf einer neuen Fundierung. Eine rung zu einer Que lle von Bedrohungs- und Isolie- neue transatlantische Agenda muß die gemein- rungsängsten in den betroffenen Ländern zu ma- same Verantwortung der Industriestaaten für chen. Die Vorstellung, ohne Unterbrechung mit einen globalen umweltverträglichen, sozialen und weiteren Aufnahmekandidaten zu verhandeln, demokratischen Wandel betonen. Mit Rußland blendet die entscheidende Frage aus, ob die und den GUS-Staaten muß über eine gemeinsame NATO-Erweiterung zu einem Sicherheitssystem Sicherheitsperspektive in einer einheitlichen Or- einschließlich oder ausschließlich Rußlands und ganisation verhandelt werden. Nach dem Muster anderer GUS-Staaten führen wird. Da die NATO der deutsch-französischen Freundschaft, deren historisch als Verteidigungsbündnis gegen die zivile Elemente vertieft werden sollen, müssen die Sowjetunion entstanden ist, beinhaltet jede Er- freundschaftlichen Beziehungen Deutschlands mit weiterung, die Rußland nicht ausdrücklich eine allen Nachbarländern, insbesondere mit Polen konkrete Beitrittsperspektive anbietet, die Gefahr, und der Tschechischen Republik, weiterentwickelt daß die Teilung Europas nur weiter nach Osten werden. verschoben und Rußland aus einer europäischen Perspektive ausgeklammert wird. Wenn das Ar- 4. Deutschland muß ein besonderes und existentiel- gument richtig ist, daß eine Beitrittsperspektive les Interesse daran haben, daß die friedenspoliti- zur NATO einen innenpolitisch demokratisieren- sche Fortentwicklung hin zu einem gesamteuro- den und stabilisierenden Effekt bei den Beitritts- päischen Sicherheitssystem gelingt. Denn die kandidaten hat und ein Symbol für die Zugehö- Tragödie der ostmitteleuropäischen Staaten ist rigkeit zur demokratischen Welt ist, dann trifft es durch die Aggression des nationalsozialistischen auf alle Staaten zu. Deutschlands verursacht. Eine Verständigung Deutschlands mit Rußland über diese Länder hin- 2. Trotz der Grundakte zwischen NATO und Ruß- weg verbietet sich heute von selbst. Andererseits land, die die NATO der russischen Mitberatung aber verdankt Deutschland die Wiedervereini- zugänglich und sie für Rußland transparent macht, gung auch der Zustimmung Rußlands, die eindeu- 20600 * Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

tig auf dem Verständnis beruhte, daß es keine wei- zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung tere Ost-Ausdehnung der NATO geben würde. des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz Diesem Dilemma kann Deutschland nur entgehen, zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes wenn es eine Friedenspolitik betont, die die Gren- und der Landschaftspflege, zur Umsetzung zen Europas nicht nur weiter nach Osten ver- gemeinschaftlicher Vorschriften und schiebt, sondern gesamteuropäisch, das heißt, un- der Anpassung anderer Rechtsvorschriften ter Einschluß Rußlands, orientiert ist. (Tagesordnungspunkt 4) Wir fordern Wir stimmen dem Vermittlungsergebnis deshalb zu, weil parallel dazu durch den Gesetzentwurf eines - die Bundesregierung und die Europäische Union Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesnatur- auf, sich mit äußerster Energie dafür einzusetzen, schutzgesetzes der Fraktionen der CDU/CSU und daß die Erweiterung der Europäischen Union nach F.D.P. sichergestellt wird, daß Osten schnell umgesetzt und eine neue politische Initiative für die Vereinbarung eines umfassenden a) bei der Beschränkung der land- und forstwirt- transatlantischen Grundlagenvertrages ergriffen schaftlichen Nutzung durch die Ausweisung von wird; Schutzgebieten nach der FFH-Richtlinie die sich dadurch ergebenden finanziellen Belastungen die Bundesregierung und die Europäische Union - ausgeglichen werden, auf, mit Nachdruck darauf zu dringen, daß die OSZE institutionell, operativ und finanziell ge- b) eine gesetzliche Grundlage für den Vertragsnatur- stärkt und nicht durch eine Ausweitung der Aktivi- schutz geschaffen wird. täten und Aufgaben der NATO weiter blockiert wird; Im Gesetzgebungsverfahren muß noch darüber ent- schieden werden, daß - die Bundesregierung auf, sich bei der Neuver- handlung des von der OSZE koordinierten KSE- 1. Schutzgebietsausweisungen und Anmeldungen Vertrages dafür einzusetzen, die konventionellen aufgrund der FFH-Richtlinie, die vor Inkrafttreten Rüstungsobergrenzen weit unter den heute be- eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundes- stehenden realen Rüstungspotentialen anzusetzen; naturschutzgesetzes erfolgten, ausgeglichen wer- den können und - die Bundesregierung auf, bei den Atommächten darauf zu dringen, daß die im Nichtverbreitungs- 2. Vorgaben für die Angemessenheit des zu zahlen- vertrag für Atomwaffen verabredeten Rüstungs- den Ausgleichs einbezogen werden, damit eine kontroll- und Abrüstungsschritte im atomaren Be- möglichst ländereinheitliche Umsetzung und ein reich schnellst möglich umgesetzt und nicht unter- gemeinsames Verständnis des Mindestmaßes laufen werden und sich insbesondere bei Rußland eines angemessenen Ausgleichs gewährleistet ist. für eine baldige Ratifizierung des Start-Il-Vertra- Das Vermittlungsergebnis sah eine Ausgleichsre- ges einzusetzen; gelung für die betroffenen Grundeigentümer nicht - die Bundesregierung auf, eine politische Initiative vor. Es kann jedoch nicht erwartet werden, daß be- zur Unterstützung des Vorschlages der Ukraine für troffene Eigentümer - insbesondere Landwirte - ihre eine atomwaffenfreie Zone in Mittel- und Ost- Flächen zum „Nulltarif" für den Naturschutz zur Ver- europa zu ergreifen und die Bereitschaft Deutsch- fügung stellen müssen und keinen Ausgleich für die lands zur Teilnahme zu erklären; Nutzungsbeschränkungen erhalten. - die Bundesregierung auf, einseitige Abrüstungs- schritte zu unternehmen. Dazu gehören insbeson- dere die deutliche Verkleinerung der Bundeswehr durch die Abschaffung der Wehrpflicht und erste Anlage 6 Schritte zu ihrer Abrüstung durch den Verzicht auf global interventionsfähige Krisenreaktionskräfte. Erklärung nach j 31 GO des Abgeordneten Dr. Michael Meister (CDU/CSU) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes Anlage 5 und der Landschaftspflege, zur Umsetzung gemeinschaftlicher Vorschriften und Erklärung nach § 31 GO der Anpassung anderer Rechtsvorschriften der Abgeordneten (Tagesordnungspunkt 4) Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Hubert Deittert, Helmut Lamp, Dr. Gerd Müller, Rol and Pofalla, Bei Unterschutzstellungen, die über die gute land- Meinolf Michels, Helmut Rauber, Heinz-Georg wirtschaftlich-fachliche Praxis hinausgehen, ist es er- Seiffert, Frederick Schulze (Sangerhausen), forderlich, daß der Eigentümer einen Ausgleich für Egon Susset, Gert Willner, Friedhelm Ost, die Nutzungsbeschränkungen erhält. Der Ausgleich Dr. Reinhard Göhner, Steffen Kampeter, sollte von demjenigen erfolgen, der die Unterschutz- Detlef Helling, Albert Dell, Wolfg ang Zöller, stellung vornimmt. Ich bedauere, daß eine entspre- Günter Marten, Hans-Ulrich Köhler (Hainspitz) chende Regelung in der vorliegenden Beschlußemp- (alle CDU/CSU) fehlung des Vermittlungsausschusses aufgrund der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20601 * unterschiedlichen Mehrheitsverhältnisse in Bundes- Dr. Klaus Röhl tag und Bundesrat nicht getroffen werden konnte. Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Ich sehe mich nur deshalb in der Lage, dieser Be- Dr. Irmgard Schwaetzer schlußempfehlung zuzustimmen, weil ich davon aus- Dr. Hermann Otto Sohns gehe, daß im Rahmen des Dritten Gesetzes zur Ände- Carl-Ludwig Thiele rung des Bundesnaturschutzgesetzes (Drucksache Dr. Dieter Thomae 13/10186) die von mir für erforderlich gehaltene Re- Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) gelung getroffen wird. Guido Westerwelle

Anlage 7 Anlage 9

Erklärung nach § 31 GO Zu Protokoll gegebene Reden der Abgeordneten Elke Wülfing, zu Zusatztagesordnungspunkt 14 Karl-Josef Laumann, We rner Lensing (Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses (alle CDU/CSU) zu dem Gesetz zur Änderung zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Tierschutzgesetzes) des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, zur Umsetzung MeinoIf Michels (CDU/CSU): Die Unterarbeits gemeinschaftlicher Vorschriften und gruppe Tierschutz, zusammengesetzt aus Vertretern der Anpassung anderer Rechtsvorschriften von A- und B-Ländern, hatte den Auftrag, zu (Tagesordnungspunkt 4) 21 Punkten des Tierschutzgesetzes, die vom Bundes- rat zurückgewiesen waren, eine Überarbeitung vor- Wir können dem Vermittlungsergebnis nicht zu- zunehmen. Nach dreimaliger Befassung mit diesem stimmen. hochsensiblen Thema konnten wir am Montag dieser Woche dem Vermittlungsausschuß ein einstimmig Begründung: Das Vermittlungsergebnis zum Na- verabschiedetes Kompromißpapier vorlegen. turschutzrecht enthält nicht die notwendigen Aus- gleichsregelungen für Landwirte, die für natur- Die Beratung war von allen Beteiligten von dem schutzbedingte Einschränkungen vor dem Hinter- Bemühen getragen, zu einer tierschutzgerechten und grund der Meldung von FFH-Gebieten unverzicht- praktikablen Regelung zu kommen. Widerspruch bar sind. bzw. Enthaltungen wurden nicht angemeldet. In der Gruppe der A-Länder waren auch Vertreter der Frak- - tion Bündnis 90/Die Grünen beteiligt. So konnten Frau Anke Fuchs und ich abschließend feststellen, daß wir dem Vermittlungsausschuß zu al- Anlage 8 len 21 Punkten einen einvernehmlichen Änderungs- vorschlag unterbreiten können. Liste der Abgeordneten der Fraktion der F.D.P., die die Erklärung nach § 31 GO Darüber hinaus wurde auf Initiative von Frau des Abgeordneten Dr. Wolfg ang Gerhardt Fuchs ein gemeinsamer Entschließungsantrag verab- zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung schiedet. Ich gehe davon aus, daß der Bundesrat die zu dem Antrag „Rechtschreibung in der gemeinsam erarbeiteten Vorschläge übernehmen Bundesrepublik Deutschland" unterstützen wird. Für den Tierschutz und die Praxis wurde eine gute Hildebrecht Braun (Augsburg) Regelung erzielt. Jörg van Essen Gisela Frick In der Kürze der Zeit will ich nicht auf Einzelheiten Dr. Gerhard Friedrich eingehen. Rainer Funke Hans-Dietrich Genscher Allen Beteiligten sage ich recht herzlichen Dank. Dr. Karlheinz Guttmacher Ulrich Heinrich Marianne Klappert (SPD): Meine Fraktion stimmt Walter Hirche der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschus- Birgit Homburger ses zu. Ausschlaggebend für diese Zustimmung ist Dr. Werner Hoyer die Tatsache, daß nach unserer Auffassung bei der Ulrich Irmer Novellierung des Tierschutzgesetzes - nach über Dr. Klaus Kinkel 6jähriger Arbeit daran - eine weitere Verzögerung Roland Kohn nicht zu vertreten wäre. Die Empfehlung des Ver- Jürgen Koppelin mittlungsausschusses enthält zudem zahlreiche Ver- Uwe Lühr besserungsvorschläge, die auch im ursprünglichen Günther-Friedrich Nolting Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion enthal- Dr. Rainer Ortleb ten waren. Daß die SPD weitergehende Tierschutz- 20602* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 ziele verfolgt hat, macht unser Novellierungsentwurf Bundesregierung ursprünglich angeboten hat, ist es deutlich. Der aber wurde in den Ausschußberatun- viel. gen mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abge- lehnt. Das ist sehr bedauerlich, weil ich nach wie vor Dennoch bleiben Defizite im Gesetz, die beseitigt der Überzeugung bin, daß unser Gesetzentwurf dem werden müssen. Das sensible Thema Tierschutz ver- Anliegen einer gründlichen Novellierung des Tier- langt eine seriöse Behandlung, jetzt und später. Des- schutzgesetzes weit besser entsprochen hätte. Ge- halb stimmen wir dem Vermittlungsergebnis zwar genstand des Vermittlungsverfahrens waren dann zu, stellen aber fest, daß die Lücken im Gesetz noch der Gesetzentwurf der Bundesregierung und die Än- geschlossen werden müssen. Dafür wird sich die derungsbegehren des Bundesrates. SPD-Bundestagsfraktion auch nach dieser Novellie- rung mit Nachdruck einsetzen. Die heutige Zustim- Nach der Ablehnung des eigenen Gesetzentwurfes mung zur Beschlußempfehlung des Vermittlungsaus- kam es der SPD darauf an, möglichst viele ihrer Ziel- schusses ist nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu vorstellungen noch im Gesetz zu verankern. Deshalb einem verbesserten Tierschutzrecht in Deutschland, hat sie sich an den Beratungen im Vermittlungsaus- aber ein Zwischenschritt, der nach der Auffassung schuß und an der Formulierung eines tragfähigen der SPD-Fraktion jetzt getan werden mußte. Kompromisses konstruktiv beteiligt - wie die Grü- nen-Kollegin Uli Höfken übrigens auch. Deshalb ist Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Keine ihre Absicht, sich bei der heutigen Abstimmung im frohe Osterbotschaft für die in den Käfigen einge- Bundestag der Stimme zu enthalten, kaum zu verste- quetschten Legehennen bedeutet die heutige Verab- hen. Wir haben uns konstruktiv beteiligt und - was schiedung des Tierschutzgesetzes. Immerhin konn- noch wichtiger ist - mit Erfolg. Hatte die Regierungs- ten im Vermittlungsausschuß eine Reihe von Verbes- koalition bei den parlamentarischen Beratungen im serungen des Regierungsentwurfes erreicht werden Bundestag noch zahlreiche Forderungen der SPD- - allerdings konnte es aus diesem Tief der Regie- Bundestagsfraktion und des Bundesrates schlicht rungsposition auch nur noch aufwärts gehen. Der ignoriert, mußte sie jetzt bei den meisten der Ände- Kompromiß im Vermittlungsausschuß klammert wei- rungswünsche nachgeben. terhin die Brennpunkte im Tierschutz aus. Als originäre SPD-Vorstellungen, die durch das Für einige wenige der Leidensgenossinnen in den Vermittlungsverfahren noch durchgesetzt werden Hühnerkäfigen soll es in Zukunft durch die Einfüh- konnten, sind in erster Linie zu nennen: rung eines „Prüfsiegels" für tiergerechtere Haltungs- - eine Ermächtigung für das Bundesministerium, systeme einen Hoffnungsschimmer geben, wenn die das Verbringen von Tieren oder deren Einfuhr Wirtschaft diesen Anreiz zur Qualitätsvermarktung nach Deutschland von der Einhaltung von Tier- aufnimmt. Doch der Hühner-Knasthaltung steht mit schutzbestimmungen abhängig zu machen; diesem Gesetzentwurf weiterhin nichts im Wege. - die Aggressionsdressur von Tieren wird faktisch Im Bereich der Sachkundeanforderungen konnten ebenso verboten wie die Aggressionszucht; Verbesserungen erreicht werden, wie auch beim Ex- und Import von Tieren. Ein längst überfälliges Zen- - der Sachkundenachweis wird auf die Personen tralregister für Zirkusse und Tierschauen wird einge- ausgedehnt, die gewerbs- oder berufsmäßig Tiere führt, um den Tierschutz auch do rt verstärkt durch- betäuben oder töten; zusetzen. - das Kupieren von Hunderuten wird nur noch in Tierversuche sollen nicht mehr ausschließlich für Ausnahmefällen zugelassen, jedoch nicht mehr dekorative, sondern nunmehr für sämtliche Kosme- zur Erlangung von Rassestandards; tika ausgeschlossen werden. Doch es bleibt wieder ein Hintertörchen offen, da durch Rechtsverordnung - das Halten oder Ausstellen von Wirbeltieren, an Tierversuche wieder zugelassen werden können. So- denen durch tierschutzwidrige Handlungen aus- mit wird die vorgenommene Regelung selbst wieder gelöste Schäden feststellbar sind, wird grundsätz- zur Kosmetik. lich verboten; Den (kleinen) Verbesserungen stehen auch Ver- - der Einstieg in die Zertifizierung von serienmäßi- schlechterungen gegenüber. Tiere, die in staatliche gen Haltungssystemen mit erhöhten Anforderun- Obhut genommen wurden, weil sie gequält wurden, gen an die Tiergerechtheit dieser Systeme ist er- dürfen nun in ihrem Asyl, staatlich genehmigt, getö- reicht; tet werden - wohl kaum eine Verbesserung aus Sicht - für Zirkusbetriebe wird ein Zentralregister einge- der Betroffenen. Unakzeptabel ist weiterhin die soge- führt. nannte Genehmigungsfiktion. Jeder Tierversuch, der nicht innerhalb von zwei bzw. drei Monaten versagt Dem Bundesrat ist dafür zu danken, daß er sich wurde, gilt zukünftig als genehmigt. Eine solche Re- zahlreichen Forderungen der SPD-Bundestagsfrak- gelung wäre sicher der Traum für jeden, der schon tion angeschlossen und diesen bei den parlamentari- einmal eine Baugenehmigung beantragt oder einen schen Beratungen bzw. im Vermittlungsverfahren Lohnsteuerjahresausgleich abgegeben hat. Für Ver- Geltung verschafft hat. suchstiere durfte sie nur allzu oft das Todesurteil be- deuten. Gemessen an dem, was die SPD-Bundestagsfrak- tion ursprünglich gewollt hat, scheint das Vermitt- Das Verhandlungsergebnis des Vermittlungsaus- lungsergebnis wenig. Gemessen an dem, was die schusses zum Tierschutzgesetz entspricht bei weitem Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20603* nicht den Ansprüchen, die Bündnis 90/Die Grünen gebnis zufrieden und wird der Novellierung des Tier- unter anderem an ein modernes und wirksames Tier- schutzgesetzes zustimmen. schutzgesetz für die nächste Legislaturperiode stel- len: deutliche Verbesserung der Haltung von Nutz- (PDS): Ich wundere mich, tieren in der Landwirtschaft durch eine Zulassungs- Eva Bulling-Schröter warum dieses Vermittlungsergebnis heute zu später pflicht für Haltungssysteme; Begrenzung der Dauer Stunde ohne große Debatte noch schnell durch den von Schlachttiertransporten auf vier Stunden; Ge- Bundestag gepeitscht wird. Hier werden Fakten ge- nehmigung von Tierversuchen von strengeren Aufla- schaffen, die auf Jahre wirken werden, und ich finde gen abhängig zu machen; Förderung von tierver- es schade, daß nicht substantiellere Änderungen suchsfreien Testmethoden. durchgesetzt wurden, zumal ich nicht weiß, ob eine Wir betrachten das Vermittlungsergebnis als ech- zukünftige rot-grüne Regierung das Tierschutzgesetz ten Fortschritt gegenüber der Regierungsvorlage - gleich wieder ändern wird. Um es vorweg zu sagen: mehr war unter den heutigen Verhältnissen nicht Wir werden uns beim Vermittlungsergebnis enthal- herauszuholen. Zustimmen werden wir dem Ergeb- ten. nis mit Blick auf die nicht geglückte Gesamtnovelle Das Gesamtergebnis ist von wirtschaftlichen Inter- des Tierschutzgesetzes nicht, sondern auf weitere essen diktiert und stellt in wesentlichen Fragen Verbesserungen abzielen. keine Verbesserung dar. Auch hier wurde, wie bei vielen anderen Gesetzen, die Standortkeule ge- Ulrich Heinrich (F.D.P.): Das vorliegende Ergebnis schwungen, und die Pharmakonzerne haben sich zum Tierschutzgesetz kann sich sehen lassen. durchgesetzt. Apropos Standortkeule: Wenn mir ein Hundezüchterverband zum Tierschutzgesetz Für die F.D.P. war im Rahmen der Verhandlungen schreibt, daß das Verbot des Kupierens von Hunden des Vermittlungsausschusses wichtig, Vorschläge der den Standort Deutschland gefährde, kann ich nur sa- Opposition, die weitere Regulierungen und eine Bü- gen: Ich befinde mich im falschen Film. Und ich rokratisierung bestehender Systeme bedeuteten, ab- frage mich, was die Verbandsmitglieder dazu sagen zuwehren bzw. auf ein vernünftiges Maß zurückzu- würden, wenn ihnen entsprechende Körperteile ver- führen. Dies ist uns insgesamt gelungen. stümmelt oder abgeschnitten würden. Darüber hinaus war uns besonders wichtig: 1. ein Wir enthalten uns, weil in der Novelle des Tier- Verbot der Qual- und Aggressionszucht. Damit wer- schutzgesetzes Tierversuche sogar erleichtert wer- den einmal den Tieren selbst unnötige Schmerzen er- den sollen. Es sollen geringfügige nachträgliche Än- spart und zum anderen die Menschen vor nicht kal- derungen bereits genehmigter Versuchsvorhaben kulierbaren Angriffen und Verletzungen solcher auf ohne erneute Genehmigung möglich sein, sofern den Aggression gezüchteter Tiere geschützt. Versuchstieren keine stärkeren Schmerzen oder Lei- Besonders wichtig waren uns 2. die Regelungen den entstehen und sich die Anzahl der verwendeten - zum Kupieren der Hunderuten. Sichergestellt ist, daß Versuchstiere nicht wesentlich erhöht. Wird hier das Kupieren der Ruten bei Jagdhunden auch zu- nicht Tür und Tor geöffnet, sich schwer oder nicht ge- künftig bei entsprechender tierärztlicher Behand- nehmigungsfähige Versuche im nachhinein selbst zu lung durchgeführt werden darf. Waidgerechtes Ja- genehmigen? gen mit Hunden bleibt auch in Zukunft möglich. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens für Tier- 3. Mit einer Lösung zur freiwilligen Prüfung von versuche muß innerhalb von drei Monaten entschie- serienmäßigen Haltungssystemen kann zukünftig den werden, ansonsten gilt der Tierversuch als auto- auf bewährte Verfahren, wie sie zum Beispiel durch matisch genehmigt. Im Rahmen des schlanken Staa- die DLG-Prüfungen erfolgen, zurückgegriffen wer- tes, aufgrund der oft schlechten Personalsituation, den. Damit sind die bürokratischen Überreglemen- können diese Fristen nicht immer eingehalten wer- tierungsvorschläge der SPD erfolgreich abgewehrt, den. Das ist für mich keine Regelung im Sinne des die zu erheblichen Kosten geführt und damit der Pra- Tierschutzes. xis geschadet hätten. Wir enthalten uns, weil wir der Meinung sind, daß 4. Dem Wunsch der SPD nach weiteren Beschrän- Tierversuche prinzipiell verboten werden müssen. kungen der Tierversuche, die in den vergangenen Ausnahmen müssen ethisch vertretbar sein, und sie Jahren erheblich reduziert werden konnten, jedoch dürfen nur genehmigt werden, wenn nachweislich für Lehre und Forschung immer noch notwendig keine Alternativmethoden existieren. Gleichzeitig sind, konnte von uns nicht entsprochen werden. Eine müssen Alternativmethoden gefördert und verstärkt weitere Erhöhung des mit Tierversuchen verbunde- evaluiert werden. Das Tierschutzgesetz schafft recht- nen bürokratischen Aufwandes hätte unseren Wis- liche Möglichkeiten, beschlagnahmte Tiere zu töten, senschafts- und Forschungsstandort im internationa- wenn sie - ich zitiere - „aus rechtlichen oder tatsäch- len Wettbewerb geschwächt. Die F.D.P. wird auch lichen Gründen nicht vermittelbar sind" . Ich ver- weiterhin dafür kämpfen, langwierige Genehmi- stehe, daß Fundtiere die Haushalte der Länder und gungsverfahren zu entbürokratisieren, d. h. Verwal- Kommunen belasten, nur, ich meine, hier müssen tungswege zu verkürzen und Entscheidungen zu be- Gelder zur Verfügung gestellt werden evtl. aus ei- schleunigen. nem Fonds. Es kann ja wohl nicht angehen, daß in diesem reichen Land nicht ein paar Pfennige für Sechs Jahre Beratungszeit waren nötig, um den Tiere übrigbleiben, und ein Freibrief zum Töten von Kompromiß zu erlangen. Die F.D.P. ist mit dem Er Fundtieren kann nicht akzeptiert werden. 20604* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Wir verkennen nicht, daß auch einige kleine Ver- geboten werden muß und daß die Industriestaaten besserungen im Tierschutzgesetz verankert wurden, und die Rüstungsindustrie und die Politik künftig da- wie der Sachkundenachweis oder das Verbot von für sorgen müssen, daß die Entwicklungsländer erst Aggressionszuchten. Aber in wichtigen tierschützeri- gar nicht in den Besitz dieser menschenverachten- schen Zielen gibt es eben nicht den Fortschritt, der den Kampfmittel gelangen. Natürlich können wir die notwendig wäre und der dann als moderner, zeitge- Herstellung von Minen in Kellerwerkstätten nicht mäßer Tierschutz bezeichnet werden könnte. verhindern, aber die Massenproduktion ist fast im- mer auf technisch höher entwickelte Staaten und Wir haben den Entwurf der Bundesregierung ab- ihre Rüstungsindustrie zurückzuführen. gelehnt, werden uns aber den minimalen Verbesse- rungen im Vermittlungsergebnis nicht verschließen. Darum haben sich dieses deutsche Parlament und Das ist keine Akzeptanz des verabschiedeten Tier- diese deutsche Bundesregierung bereits vor Jahren schutzgesetzes unsererseits, denn die Hühnerlege- an die Spitze der humanen Bewegung gegen Anti- batterien werden weder abgeschafft noch überhaupt personenminen gestellt und können gemeinsam be- der Versuch dazu gemacht, und auch bei den Le- achtliche Erfolge verzeichnen. Ich habe jedoch schon bendtiertransporten ändert sich nichts Wesentliches. einmal an dieser Stelle zum gleichen Thema gesagt, daß wir nicht alles machen können. Wir können das Im übrigen meine ich, daß es besser gewesen Leiden in mehr als 60 Ländern mit zirka 110 Mil- wäre, das Gesetz noch einmal gründlich zu überar- lionen bisher ungeräumten Minen, mit monatlich 800 beiten und das ganze Gesetzgebungsverfahren neu getöteten oder verstümmelten Kindern nicht im Al- aufzurollen. Aber leider fehlen dafür die Mehrheiten. leingang verhindern. Es werden noch Jahrzehnte Menschen, vor allem Kinder, durch wild verlegte Mi- nen sterben. Wir können nicht ganz Afrika und Asien sanieren. Aber wir können einen Beitrag dazu lei- sten, und das haben wir getan und werden es auch Anlage 10 künftig tun. Bonn hat 1993 ein Minendokumentationszentrum Zu Protokoll gegebene Reden gegründet, in dessen Datenbank Informationen über zu Zusatztagesordnungspunkt 8 Landminen, Sprengmittel und Zünder gespeichert (a - Gesetzentwurf zum Übereinkommen über sind. Damit unterstützen wir die Vereinten Nationen das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, in ihrem Kampf gegen den Minentod. der Herstellung und der Weitergabe von Anti personenminen und über deren Vernichtung, 1994 hat Deutschland einen auf drei Jahre befriste- b - Entwurf eines Ausführungsgesetzes ten Exportstopp beschlossen, der 1996 unbef ristet zum Übereinkommen über das Verbot verlängert wurde. des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und - Die CDU/CSU-Fraktion thematisierte als erste über deren Vernichtung vom 3. Dezember 1997, Fraktion das Minenproblem im Bundestag und stellte c - Gesetzentwurf zu dem Vertrag einen Antrag mit Lösungsvorschlägen zur Bekämp- vom 24. September 1996 über das umfassende fung dieser menschlichen Katastrophe. Dieser An- Verbot von Nuklearversuchen, trag wurde am 29. Juni 1995 in interfraktioneller Fas- d - Entwurf eines Ausführungsgesetzes sung gemeinsam mit F.D.P. und SPD durch dieses zu dem Vertrag vom 24. September 1996 über Haus angenommen. Kern dieses Antrags war der das umfassende Verbot von Nuklearversuchen) vollständige Verzicht auf APM und deren internatio- nale Ächtung. Deutschland ist Mitinitiator der Nichtverbreitungs- (CDU/CSU): Die Bundesregie Hans-Dirk Bierling aktion der EU über APM, die seit 1995 in Kraft ist. rung hat dem Parlament die Gesetzentwürfe zum Leider fiel das Exportmoratorium nicht so umfassend Thema Antipersonenminen zugeleitet, die das Er- aus, wie Deutschland das unilateral erlassen hatte. gebnis langer und sachgerechter Diskussionen sind Man kann sagen, daß wir auch auf diesem Gebiet und über deren Inhalt erfreulicher Konsens in diesem Hause besteht. Allerdings hat die Fraktion der Bünd- eine Vorreiterrolle haben. nisgrünen dazu gestern einen Entschließungsantrag Bei der Überprüfungskonferenz zum Minenproto- vorgelegt, der dadurch nicht besser wird, daß er noch koll der UN in Wien und Genf 1995/96 hat Deutsch- druckfrisch ist. Ich möchte mich dazu nicht äußern, land weitgehende Verbote und Beschränkungen ge- denn wieder einmal verwechseln die grünen Fundis fordert. Wenn auch das Ergebnis nicht ganz befrie- das Wünschenswerte mit dem Machbaren, statt digte, stellte es doch einen Fortschritt dar, an dem die Schritt für Schritt über Erweiterungen zu sprechen. Bundesrepublik erheblichen Anteil hat. Das Machbare ist aber ausgewogen und abgestimmt, es ist das Ergebnis intensiver politischer Arbeit unse- Da man einen solchen Prozeß nicht allein auf einer rer Bundesregierung. In den Gesetzentwürfen finden Schiene zum Erfolg bringen kann, setzte die Bundes- wir die Handschrift der Abrüstungspolitiker sowohl regierung von Anfang an auch auf den Ottawa-Pro- der Koalitionsfraktionen als auch der SPD wieder. zeß. Der Herr Bundesaußenminister hat in seinem 7- Punkte-Aktionsprogramm zu APM vom Juli 1996 ein Wir sind uns in diesem Hause darüber einig, daß deutliches Zeichen gesetzt. So konnte die CDU/CSU- dem grauenhaften Spuk des Masseneinsatzes von Fraktion sich letztlich mit ihrem Ansatz durchsetzen, APM vor allem in den Entwicklungsländern Einhalt daß der Versuch auf verschiedenen Wegen und in Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20605* unterschiedlichen Gremien letztlich doch zum heuti- dert uns aber nicht, schon heute darüber nachzuden- gen Sachstand führt und als Erfolg zu we rten ist, ken, wie man alle Landminen in den Abrüstungspro- wenn wir auch noch immer nicht mit dem Ergebnis zeß einbeziehen kann. Das setzt aber geeignete Al- ganz zufrieden sein dürfen. Aber das darf man nie. ternativen voraus. Nur darf man nicht den Fehler machen, zu viel zu wollen. So wie das „Bessere" immer der Feind des Im Namen meiner Fraktion danke ich der Bundes- „Guten" ist, so bringen einen Maximalforderungen regierung für ihren konsequenten Einsatz, der uns wie die von Frau Beer letztlich in die Sackgasse. heute erlaubt, dem Gesetz, Drucksache 13/9817, in zweiter und dritter Lesung zuzustimmen, und uns er- Lassen Sie mich noch einige Worte zum Abkom- möglicht, das Ausführungsgesetz nun zügig parla- men von Ottawa sagen: Über 120 Staaten haben sich mentarisch zu bearbeiten. dort verpflichtet, vollständig auf Produktion und Ein- satz von APM zu verzichten. Und die bisher nicht Lassen sie mich noch einige Sätze zu den Drucksa- beigetretenen Staaten werden dem Drängen der an- chen 13/10075 und 13/10076 sagen: Der 1996 gelun- deren nicht auf Dauer eine Absage erteilen können. gene Abschluß des Vertrages über das umfassende Sie werden dem Beispiel der Unterzeichnerstaaten Verbot von Nuklearversuchen war das Ergebnis folgen müssen, damit wir den Kampf gegen den langjähriger Bemühungen der internationalen Staa- schmutzigen Minenkrieg gewinnen können. In die- tengemeinschaft, Kernwaffenversuche und alle an- sem Punkt, aber auch nur in diesem, Frau Beer, sind deren nuklearen Explosionen für alle Zeiten und in wir mit Ihrem Entschließungsantrag einverstanden, allen Testmedien umfassend und verifizierbar zu ver- wo Sie unter Ziffer 6 die Bundesregierung auffordern bieten. wollen, sich bei den noch fehlenden Unterzeichner- Bundestag und Bundesregierung haben sich im- staaten für den Beitritt zum Abkommen einzusetzen. mer wieder für ein umfassendes Testverbot einge- Aber auch in diesem Punkt ist Ihr Antrag überflüssig, setzt und wollen nun mit diesem Gesetz die Forde- weil die Bundesregierung sich diese Verpflichtung rungen des Vertrages über die Nichtverbreitung von im heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf bereits Kernwaffen (NVV) erfüllen, die die Vertragsstaaten auf der ersten Seite selbst auferlegt. anläßlich der Verlängerung des Nichtverbreitungs- vertrages 1995 beschlossen haben. Im April 1996, vor zwei Jahren, verzichtete unser Verteidigungsminister Volker Rühe für die Bundes- Natürlich kann auch dieser Vertrag nicht Maximal- wehr auf APM und vernichtete seitdem 1,7 Millionen wünsche erfüllen, denn z. B. mit der Einbeziehung Minen aus westlichen Beständen und 1,3 Millionen von „Subkritischen Tests" - das sind Tests, bei denen APM der NVA. Die Bundesrepublik ist einer der er- keine nukleare Kettenreaktion stattfindet -, wäre der sten Staaten, in dem das geschah; die Führungsrolle Vertrag überhaupt nicht zustande gekommen. Das auf diesem Gebiet wird weltweit anerkannt. hat heute zur Folge, daß die zur Zeit in den USA an- gelaufene Testreihe ein unschönes Licht auf die Be- Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich persönlich - mühungen zum Bann aller Nukleartests wirft. So ist und im Namen meiner Fraktion hier besonders bei auch auf diesem Feld der Abrüstungspolitik nicht den nichtparlamentarischen, humanitären Organisa- das Wünschenswerte erreicht, aber das Machbare tionen bedanken, die unermüdlich im Kampf gegen durchgesetzt, und das ist ein großer Erfolg. die Mine stehen. Nicht zuletzt ihnen ist es auch zu verdanken, daß wir heute so weitreichende Fo rt Der Vertrag ist ein wichtiger Mosaikstein der nu- -schritte auf diesem Gebiet haben. Aber auch diese klearen Nichtverbreitung und damit der Abrüstung. Organisationen erkennen heute den bedeutenden Mit ihm soll die Entwicklung neuer Generationen Einsatz Deutschlands bei der Ächtung der APM an von Kernwaffen beendet werden. Selbst hochentwik- und verzeichnen auch dankbar die Hilfe, die durch kelten Kernwaffenstaaten wird es ohne Nukleartests die Bundesregierung bei der Räumung von Minen kaum möglich sein, neue Kernwaffen zu entwickeln, weltweit geleistet wird. und noch viel eher verhindert dieser Vertrag, daß an- dere Länder durch die Entwicklung von Kernwaffen Ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß Pan- nachziehen können. Zu beidem sind Versuche not- zerabwehrminen in diesen Ächtungsprozeß noch wendig. nicht einbezogen sind. Kein Land der Erde wäre heute dazu bereit, weil Panzer immer noch gefährli- An den Arbeiten zu diesem Vertragswerk hat die che Offensivwaffen sind, gegen die man sich mit An- Bundesregierung bedeutenden Anteil, was sich auch tipanzerminen schützen muß. Wer also Panzerab- in der Entscheidung für einen Deutschen zum Leiter wehrminen ächten will, muß auch Panzer ächten. der im Aufbau begriffenen Vertragsorganisation wi- Solche Forderungen, Frau Beer, klingen schön, sind derspiegelt. aber wohl leider doch nicht ganz von dieser Welt! Zirka 150 Staaten haben den Vertrag bisher unter- Weltfremde Spinnereien haben in der Abrüstungspo- zeichnet. Leider wurde er erst von 11 Staaten ratifi- litik nichts zu suchen, solange die Welt so ist, wie sie ziert. Deshalb ist besonders wichtig, hier im Deut- ist, solange es auf dieser Welt noch kriegerische Kon- schen Bundestag ein Zeichen zu setzen, den Vertrag flikte gibt. Auch in der Abrüstungspolitik gilt der zügig, aber gründlich zu beraten und zu verabschie- Grundsatz, daß man das Wünschenswerte nicht mit den, damit andere unserem Beispiel folgen. dem Machbaren verwechseln darf. Ihre Fraktion, Frau Beer, hat ja heute morgen erst ein eindruckvol- les Beispiel für ihre Zerrissenheit in dieser grundsätz- Uta Zapf (SPD): Wir verhandeln hier heute zwei lichen Frage der Politikfähigkeit geboten. Das hin Abkommen, die große Bedeutung für die internatio- 20606* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 nalen Abrüstungsbemühungen haben. Es handelt Arsenale weiter entwickeln oder, wie manche vermu- sich um das umfassende Verbot von Nukleartests ten, sogar neue Atomwaffendesigns entwickeln. und um das Verbot von Antipersonenminen. Damit wäre dies ein Abkommen, das zwar neue Mein Kollege Volker Kröning hat am 12. Februar Staaten an der Entwicklung eigener Atomwaffen den Ottawa-Prozeß zum Verbot von Antipersonenmi- hindert, aber die „Besitzer" weiter privilegiert. Der nen umfassend gewürdigt. Die SPD-Fraktion stimmt zweite Schönheitsfehler des Vertrages liegt in der In- dem Ausführungsgesetz der Bundesregierung zu krafttretensklausel. Voraussetzung für das Inkrafttre- und begrüßt es. Der Kollege Kröning hat ebenfalls ten ist die Ratifizierung durch 44 namentlich ge- ausführlich die Position der SPD zum weitergehen- nannte Staaten, unter anderem Indien, Pakistan, Is- den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen dargestellt. rael.

Ich kann mich deshalb in meinem Beitrag auf die Indien hat ausdrücklich erklärt, es werde nicht un- Position der SPD zum Nukleartestverbot konzentrie- terzeichnen, weil die Kernwaffenstaaten ihren Abrü- ren. stungsverpflichtungen aus Art. VI des Atomwaffen- Wir treten heute in den Ratifizierungsvorgang ein. sperrvertrages nur mangelhaft nachkommen. Es f or- Die SPD begrüßt den Gesetzentwurf der Bundesre- dert Verhandlungen über eine vollständige Beseiti- gierung und stimmt ihm zu. Wir drängen ebenso auf gung aller Atomwaffen und einen Zeitplan zur Um- einen schnellen Abschluß der Beratungen im Deut- setzung dieses Ziels. schen Bundesrat, um den Ratifizierungsprozeß für Wir halten es zwar für nicht akzeptabel, aus diesen die Bundesrepublik Deutschland zum Abschluß zu Gründen einen wichtigen Vertrag zu blockieren, bringen. dennoch steckt in dem Begehren Indiens ein wichti- Wir freuen uns, daß die Vorbereitungen zum Auf- ger Kern. bau der Verifikations- und Überwachungsorganisa- Die Atomwaffenstaaten müssen endlich ihre Ver- tion zu diesem Vertrag gut voranschreiten und daß pflichtungen zur atomaren Abrüstung, die sie bei der die Bundesrepublik personell hervorragend vertreten Verlängerungskonferenz des Atomwaffensperrver- ist. trages eingegangen sind, auch umsetzen. Der Weg zu diesem Abkommen zum umfassenden Verbot von Nukleartests war lang. 2036 Nukleartests In der Abrüstungskonferenz in Genf gibt es bisher (nach anderer Zählung 2055) sind ober- und unterir- keine Agenda, dort wird ein Ad-hoc-Ausschuß zu disch seit dem ersten Test der USA am 16. Juli 1945 Fragen der Nuklearabrüstung durch die Atomwaf- durchgeführt worden. fenstaaten blockiert. Deshalb fordern wir die Bundes- regierung nachdrücklich auf, sich für die Einsetzung Es hat Teilabkommen und Begrenzungsabkommen eines solchen Ausschusses einzusetzen und die wich- bei Nukleartests gegeben und Moratorien, die tigen Verhandlungen zu einem Vertrag zum Verbot Schritte auf dem langen Weg bis zu diesem Vertrag der Produktion waffenfähigen Spaltmaterials (sog. darstellen. cut-off) endlich wieder in Gang zu bringen.

1984 hat die Abrüstungskonferenz in Genf einen Auf Initiative der SPD-Bundestagsfraktion wird am Ad-hoc-Ausschuß zur nuklearen Abrüstung, aller- 27. April eine öffentliche Anhörung des Auswärtigen dings ohne Verhandlungsmandat, eingerichtet. Erst Ausschusses zur Frage der nuklearen Abrüstung fast zehn Jahre später, 1993, wurde ein Verhand- stattfinden. Die SPD-Fraktion hält einen Prozeß der lungsmandat erteilt. Es folgten extrem schwierige schrittweisen nuklearen Abrüstung mit dem Ziel der Verhandlungen, die fast zum Scheitern des Vertrages völligen Abschaffung von Nuklearwaffen für drin- geführt hätten. Wegen der Blockadehaltung Indiens gend notwendig. Nicht zuletzt das Gutachten des In- konnte der Text nicht in der Abrüstungskonferenz ternationalen Gerichtshofes in Den Haag stellt fest: verabschiedet werden, sondern wurde als Resolution Nukleare Abrüstung ist eine Verpflichtung aller Staa- in eine Sondersitzung der 50. Generalversammlung ten, also auch der Bundesrepublik Deutschland. der UN am 10. September 1996 eingebracht und ver- abschiedet. Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bis heute haben 149 Staaten unterzeichnet, elf ha- Ratifizierung des Ottawa-Abkommens hätte eine ins- ben ratifiziert. gesamt positive Rede verdient. Da wir aber heute Besonders wichtig an diesem Vertrag sind drei auch noch über das Teststoppabkommen reden, muß Punkte: erstens der Schwellenwert Null für Nukle- ich im Laufe der Debatte einige sehr kritische Bemer- arexplosionen, zweitens die unbegrenzte Geltungs- kungen machen. dauer und drittens die Tatsache, daß es keine Aus- Doch zunächst zum Abkommen von Ottawa. Ich nahmen vom Verbotstatbestand gibt. habe ja in diesem Hause schon mehrfach darauf hin- Allerdings hat der Vertrag auch zwei Schönheits- gewiesen, daß ich das Abkommen für einen wichti- fehler: erstens die Tatsache, daß subkritische Tests gen Schritt auf dem Weg zu einer vollständigen Äch- erlaubt sind. Nach wie vor bestehen Zweifel, ob da- tung aller Landminentypen halte. Es kann und darf, durch der Zweck des Vertrages, nämlich ein Beginn das ist klar, nicht das Ende des Weges sein. Darauf der nuklearen Abrüstung zu sein, nicht unterlaufen haben auch die humanitären Hilfsorganisationen wird. Die Kernwaffenstaaten mit ihren technischen hingewiesen, die sich in der internationalen Kam- Möglichkeiten der Computersimulation können ihre pagne gegen Landminen zusammengeschlossen ha- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20607* ben und für ihre Verdienste den Nobelpreis verlie- Dr. Olaf Feldmann (F.D.P.): Die vorliegenden Ge hen bekommen haben. setzentwürfe zum Ottawa-Abkommen sind ein gro- ßer Erfolg für das humanitäre Völkerrecht und die Es zeichnet sich jedoch ab, daß die Bundesregie- Abrüstung. Sie markieren eine bedeutende Etappe rung aus dieser Entwicklung nicht die notwendigen auf dem Weg zur Reduzierung der weltweiten Mi- Schlüsse zieht. Im Gegenteil: Aus dem Haushalt des nenproblematik. Ob es allerdings notwendig ist, die- Verteidigungsministeriums werden weiter Mittel für ses Thema innerhalb von sechs Wochen ein zweites die Entwicklung, Erprobung und Beschaffung von Mal öffentlich zu debattieren, erscheint mir fraglich. modernen Landminen und für militärische Minen- räumung ausgegeben. Zwar wurden die Mittel für Wir haben in kurzer Zeit viel erreicht. Erstmals in die Humanitäre Minenräumung erhöht, es besteht der Geschichte wird eine ganze Waffenkategorie ge- aber die Gefahr, daß die Rüstungsindustrie jetzt ein- ächtet. Diesen Erfolg haben wir durch kontinuierli- steigt und mit mechanischer Minenräumung zum che Detailarbeit Schritt für Schritt erreicht. Wir ha- Doppelverdiener wird. Wir sind der Ansicht, daß der- ben uns auf das Machbare konzentriert. Die Minen- jenige, der an Rüstung und insbesondere Landminen problematik läßt keinen Platz für irreale Forderun- verdient, nichts an humanitärer Minenräumung ver- gen. Deutschland ist im Kampf gegen APM interna- dienen darf, und verurteilen die Subventionierung tionaler Vorreiter. von Rüstungsbetrieben, die jetzt unter dem Deck- Mit der unbefristeten Verlängerung des deutschen mantel von Konversion die bloße Erweiterung ihrer Exportmoratoriums für APM wurde früh ein weltwei- Produktpalette betreiben. tes Signal gesetzt. Im April 1996 haben wir als einer der ersten Staaten auf APM verzichtet. Die Bestände Politisch notwendig ist erstens ,daß alle Staaten Ot- der Bundeswehr sind vollständig vernichtet. tawa beitreten, zweitens, daß der Ottawa-Prozeß mit dem Ziel der Ächtung aller Landminentypen fortge- Unser Respekt gilt Außenminister Kinkel, der setzt wird, und drittens, daß die Bundesregierung durch sein hartnäckiges internationales Engagement einseitige Schritte vornimmt, die den Verzicht auf auch andere Länder zur Ächtung von APM motiviert Landminen sicherstellen. Wer das Landminenpro- hat. blem in vorausschauender Weise lösen will, den bitte ich, unserem Antrag zuzustimmen, in dem einige der Wir bedauern die Beitrittsweigerung Indiens, notwendigen weiteren Schritte angesprochen sind. Chinas, Rußlands und der USA sowie anderer Staa- ten. Das Ziel ist erst dann erreicht, wenn alle Staaten Aber vor allem der zweite Punkt, den wir heute de- das Abkommen unterzeichnet und ratifiziert haben. battieren, die Frage des Nuklearteststoppabkom- Voraussetzung für den Erfolg des Ottawa-Abkom- mens, stimmt mich skeptisch, was die Rüstungspoli- mens ist seine Universalität. Nationale Eitelkeiten tik der Bundesregierung anbelangt. Das Abkommen sind hier fehl am Platz. ist eine Art Besitzstandswahrungsabkommen der Wir begrüßen, daß trotz knapper Kassen allein im Atomwaffenmächte. Die weitere Entwicklung von - AA dieses Jahr die Mittel für humanitäres Minenräu- Atomwaffen wird dadurch zwar verlangsamt, sie men auf zirka 20 Millionen DM erhöht wurden. Ins- wird aber nicht verhindert bzw. unterbunden. Dies gesamt hat diese Regierung in den letzten fünf Jah- gilt insbesondere für die atomwaffenbesitzenden ren hierfür über 130 Millionen DM bereitgestellt. Staaten. Ich erwähne nur die subkritischen Tests, die die USA durchführen wollen. Durch diese völlige Landminen sind Entwicklungsverhinderungswaf- Ignorierung des Abrüstungsgebotes des Nichtver- fen. Minenräumung ist daher der erste Schritt zur breitungsvertrages verstoßen die Atomwaffenstaaten Entwicklungshilfe. Länder, die Minen legen, dürfen nicht nur gegen das Völkerrecht, sie gefährden die zukünftig nicht gleichzeitig Entwicklungshilfe bezie- Glaubwürdigkeit des Nichtverbreitungsregimes. hen. Meßlatte für alle bleibt die Unterzeichnung und Ratifikation des Ottawa-Abkommens. Die Entwicklung einer vierten Generation von Atomwaffen verschärft die Situation weiter. Denn Deutschland muß treibende Kraft bei der weltwei- diese bzw. deren Tests fallen nicht mehr unter das ten Ächtung von APM bleiben. Abkommen. Ich frage: Was unternimmt die Bundes- Die F.D.P. begrüßt die fraktionsübergreifende Ge- regierung, die als Schwellenland über Technologien meinsamkeit in der Frage eines umfassenden Atom- verfügt, die für solche Entwicklungen relevant sind, teststoppabkommens. Ein Teststopp-Vertrag ist na- um dem vorzubeugen? Wir haben einen gemeinsa- türlich kein Ersatz für nukleare Abrüstung. Aber ein men Beschluß zur präventiven Rüstungskontrolle im umfassender Teststoppvertrag ist ein wichtiger Bei- Unterausschuß Abrüstung und Rüstungskontrolle trag, um die Verbreitung von A-Waffen einzudäm- angenommen, auf den ich hinweisen möchte. An die- men. Ein Teststopp sollte auch die Akzeptanz der ser Stelle entscheidet sich, wie ernst der Beschluß ge- Nichtverbreitungspolitik bei den atomaren Schwel- meint war. Ist die Bundesregierung bereit, die ent- lenländern und den Nicht-Kernwaffenstaaten erhö- sprechenden Technologien zu stoppen? hen. Da das Teststoppabkommen zu viele Lücken auf- Unsere gemeinsame Forderung, auch die Produk- weist, können wir diesem Abkommen nicht zustim- tion von spaltbarem Material für Kernwaffen men. Die Bundesregierung ist gefordert, eine In- schnellstmöglich generell zu verbieten, gewinnt itiative zu entwickeln, die die Lücken dieses Abkom- mehr und mehr an Bedeutung. Der Sonderstatus der mens schließt und den Weg in die nukleare Abrü- A-Mächte darf nicht verstärkt werden. Die große stung erleichtert. Mehrheit der Staaten ist kernwaffenfrei. 20608* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Deutschland hat auf Kernwaffen definitiv verzich- Präambel ausgedrückte Hoffnung auf nukleare Ab- tet. Unser weltpolitisches Gewicht ist dadurch nicht rüstung darf nicht nur beschriebenes Papier bleiben. gemindert worden. Im Gegenteil: Am Beispiel unse- Den vorliegenden Gesetzentwürfen wird die PDS rer Politik wird deutlich, daß internationale Bedeu- selbstverständlich zustimmen. tung nicht von Kernwaffen abhängt. Die Staaten, die auf Kernwaffen verzichten, müssen Sicherheit vor nuklearer Bedrohung haben. Die Frage einer Bei- Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen standsgarantie für Nicht-Kernwaffenstaaten ist nach Amt: Der heutige Tag markiert einen großen Erfolg wie vor akut. deutscher Abrüstungspolitik und einen Meilenstein des humanitären Völkerrechts. Als erstes großes Dazu ist notwendig, daß sich auch die anerkannten Land in Europa beschließt Deutschland die Ratifizie- A-Mächte einem strikten und transparenten Kontroll- rung des Verbotsabkommens für Antipersonenminen regime durch die IAEO unterwerfen. Ein umfassen- und setzt damit ein ganz wichtiges Signal. Bereits des Teststoppabkommen ist ein Schritt zu mehr Si- Ende 1997 haben wir die letzten Antipersonenminen cherheit - gerade auch für die Nicht-Kernwaffenstaa- der Bundeswehr vernichtet; das waren 1,7 Millionen ten. sowie 1,3 Millionen der früheren NVA. Und wir ha- ben als eines der ersten Länder völlig auf solche Mi- Heinrich Graf von Einsiedel (PDS): Ich denke, das nen verzichtet. Ottawa-Abkommen über das Verbot von Antiperso- Wie Sie wissen, war Deutschland von Anfang an nenminen und der zügige Ratifizierungsprozeß hier aktiv am Ottawa-Prozeß beteiligt. bei uns haben von allen Seiten dieses Hauses die an- gemessene Würdigung erfahren. Und wir sind uns Unser entschiedenes Eintreten hat ganz wesentlich auch einig, daß alles getan werden muß, um die Staa- zu diesem großen Erfolg beigetragen! Ich denke, wir ten zum Beitritt zu bewegen, die bisher nicht unter- können stolz sein auf diesen Erfolg. zeichnet haben, insbesondere die bedeutenden Mi- nenproduzenten. Mein Dank gilt den Kolleginnen und Kollegen hier im Hause. Dank und Respekt wollen wir aber auch Die Bundeswehr hat die Vernichtung ihrer Anti- allen engagierten Bürgern in der „Internationalen personenminen zur Jahreswende abgeschlossen - Kampagne zur Ächtung von Landminen" zollen. Wir immerhin 1,7 Millionen Minen! Einerseits respekta- waren sehr glücklich, daß Jody Williams und ihre bel, da noch vor Inkrafttreten des Verbots, anderer- Mitstreiter 1997 den Friedensnobelpreis erhielten. seits erschreckend, wie viele dieser heimtückischen Waffen bis zu diesem Zeitpunkt gehortet wurden. Wir alle haben das Leid vieler Minenopfer vor Au- gen - in Kambodscha, in Angola, in Mosambik, in Mit dem Verbot der Antipersonenminen ist den vielen anderen Ländern. Aus Bosnien allein werden Opfern anderer Minenarten aber nicht geholfen. Mi- - über zwei Jahre nach Kriegsende - immer noch je- nen, auch die technologisch ausgefeiltesten, können den Monat Dutzende von Minenopfern gemeldet. letztlich nicht eindeutig zwischen militärischen und zivilen Zielen unterscheiden. Wir werden uns daher Mit dem Vertrag von Ottawa verbieten wir den weiterhin dafür einsetzen, daß die Millionen Anti- Einsatz, die Herstellung, die Weitergabe und die La- tankminen der Bundeswehr das gleiche Schicksal er- gerung von Antipersonenminen. Wir verpflichten leiden. Wenn in der nächsten Legislaturperiode der uns, die noch vorhandenen Bestände zu vernichten, Bundesminister der Verteidigung - wer immer es und wir unterwerfen uns einem strengen Verifikati- dann ist - erklärt, daß die Bundeswehr ab sofort auf onssystem - dafür hat sich Deutschland ganz beson- sämtliche Landminen verzichtet, dann werden wir ders eingesetzt. Das Ausführungsgesetz, das wir die letzten sein, die ihm eine solche Vorreiterrolle heute in erster Lesung beraten, schafft dazu die in- mißgönnen würden. Ein Verteidigungsminster „im nerstaatliche Rechtsgrundlage. Die bestehenden Einsatz" - für Abrüstung! Verbots- und Kontrollmechanismen werden ver- schärft. In das Kriegswaffenkontrollgesetz wird ein Solange jedoch von dieser Bundesregierung immer ausdrückliches Verbot von Antipersonenminen auf- noch Millionen dafür ausgegeben werden, neue Mi- genommen; Verstöße werden unter Strafe gestellt. nentypen und minenähnliche Waffen zu entwickeln Auch für dieses Gesetz kommt es darauf an, daß es und zu beschaffen, wird sich der Dank allerdings in möglichst rasch in Kraft tritt. Und ich danke bereits Grenzen halten. jetzt für den breiten Konsens, den wir in diesem Hause, aber auch im Bundesrat haben. Und auch das Thema Minenräumung und Hilfe für die Minenopfer ist nicht vom Tisch; es ist drängender Antipersonenminen verursachen von allen Minen denn je. Es ist doch offensichtlich, daß viele der be- das schrecklichste Leid. Mit ihrer Beseitigung haben troffenen Länder in der Dritten Welt die Kosten für wir einen wichtigen Durchbruch geschafft. Selbstver- die Zerstörung der verlegten Minen nicht alleine tra- ständlich werden wir uns dafür einsetzen, daß der gen können. Dafür sollten diese Millionen eingesetzt Schutz der Zivilbevölkerung auch vor Panzerminen werden. Das hat schließlich etwas mit Glaubwürdig- weiter verbessert wird. Hier werden wir uns für alle keit zu tun. denkbaren und realistischen Optionen einsetzen. Genauso wie Landminen müssen auch Atomwaf- Für die Bewe rtung von Ottawa muß aber eines fen weltweit geächtet werden. Unser Ziel bleibt die ganz klar sein: Hätten wir die Einbeziehung von Pan- umfassende nukleare Abrüstung. Der Teststopp-Ver- zerabwehrminen zur Conditio sine qua non für die- trag ist ein wichtiger Teilschritt dorthin. Die in der ses Abkommen erklärt, wäre das Abkommen ge- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20609*

scheitert. Wir wären mit leeren Händen zurückge- vor allem auch im Nahen und Mittleren Osten ener- kommen, wir hätten schließlich niemandem gehol- gischer Friedensbemühungen und im Zusammen- fen, am wenigsten den Menschen in den betroffenen hang damit echter Abrüstungsverhandlungen statt Ländern. der andauernden Aufrüstung in fast all diesen Staa- ten. Der Fall Irak macht deutlich, wie gefährlich Noch immer liegen schätzungsweise 100 Millionen schnell die Entwicklung eskalieren kann. Seien Sie ungeräumte Minen und Blindgänger in über versichert, daß unsere Außenpolitik energisch für die 60 Ländern der Erde. Jetzt kommt es darauf an, er- Eindämmung solcher Risiken eintreten wird. stens die weltweite Geltung des Abkommens zu er- reichen. Ich appelliere von hier aus erneut an die USA, an Rußland, an China, an alle, die noch zögern, dem Abkommen beizutreten! Zweitens. Wir müssen in allen betroffenen Ländern Anlage 11 über die Gefahren der Minen aufklären und vor ih- nen warnen - vor allem Kinder schützen. Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 12 Drittens. Wir müssen dazu beitragen, daß die Op- (Antrag: Überstunden abbauen und fer besser versorgt und betreut werden, damit sie ein die Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden begrenzen - einigermaßen menschenwürdiges Leben führen kön- Das Arbeitszeitgesetz beschäftigungsorientiert nen. novellieren) Viertens. Wir brauchen mehr Geld für das Auf spü- ren und Räumen der Minen. Deutschland hat seit (CDU/CSU): 1993 über 66 Millionen DM dazu bereitgestellt und Helmut Heiderich Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist und bleibt das wichtigste Ziel zusätzlich 28 Prozent der EU-Mittel von 245 Millionen unserer Politik. Dazu gibt es keine Patentrezepte. DM; 1998 kommen national weitere 20 Millionen DM Dies betonen seit Jahren Fachleute, wissenschaftli- und auf EU-Ebene mindestens 25 Millionen DM hinzu. che Institute, Bundesbank, Verbände der Arbeitneh- mer wie Arbeitgeber. Zum 1. Juli 1998 hat der Bundesaußenminister zu einer weiteren Expertenkonferenz, speziell zu mo- Mit unserem breit angelegten Programm für derner Minenräumtechnologie, nach Karlsruhe ein- Wachstum und Beschäftigung haben wir die Voraus- geladen. setzungen für einen neuen Aufschwung geschaffen. Hätte nicht die SPD im Bundesrat viele wichtige Die Testeinsätze deutscher Räummaschinen geben Maßnahmen über Monate blockiert oder - wie die Mut für die Zukunft. Auf Deutschlands Vorreiterrolle Streuerreform - völlig verhindert, wir wären längst setzen viele in der Welt - und darauf, daß diese Rolle weiter voran. Trotzdem wird deutlich: Die Reform- auch weiterhin von Verantwortung getragen ist. Es - maßnahmen greifen. Der Aufschwung gewinnt an bleibt dabei: Deutschland, dieses Parlament und Breite und Tiefe. Tagtäglich verbreiten die Wi rt diese Bundesregierung bleiben weltweit Vorreiter im -schaftsschlagzeilen der Zeitungen Erfolgsmeldungen Kampf gegen die Minen. über Rekordumsätze, steigende Gewinne und gute Auftragslagen. Positive Stimmungen auch bei den Auch der Vertrag über das umfassende Verbot von Ausstellungen, von der Handwerksmesse in Mün- Atomtests, den wir heute beraten, ist ein Meilenstein chen bis zur CeBIT in Hannover. Im vergangenen der Abrüstung. Der Vertrag setzt der Entwicklung Monat lag die Zahl der Arbeitslosen in den alten neuer Arten von Kernwaffen ein Ende und schiebt Bundesländern erstmals unter dem Niveau des Vor- ihrer Weiterverbreitung einen Riegel vor. Dies ist ein jahres. großer Schritt nach vorne, der unsere Welt sicherer macht! Diese positiven Tendendenzen müssen mit aller Die Bundesregierung hat sich als Nichtnuklear Kraft zum weiteren Abbau der Arbeitslosigkeit ver- staat in diesen komplizierten Verhandlungen sehr stärkt werden. Die Wirtschaftswissenschaftler, ge- engagiert. Das wird international anerkannt; das stern der „Kronberger Kreis", nennen die noch vor- zeigt auch die Wahl unseres Verhandlungsführers, handenen Schwächen des Standortes. Überregu- Botschafter Wolfgang Hoffmann, zum Exekutivsekre- lierte, unflexible Arbeitsmärkte, ein investitonsfeind tär der neuen Vertragsorganisation. liches Steuerungssystem und überfrachtete Sozial- versicherungen. Jetzt geht es um ein möglichst frühzeitiges Inkraft- treten des Vertrags. Bislang haben ihn 149 Staaten Die bekannte Studie des IAB (Institut für Arbeits- unterzeichnet, aber erst elf ratifiziert. Nun müssen markt und Berufsforschung) konkretisiert es in vier die übrigen folgen, insbesondere die 44 im Vertrag Punkten. Eine mittelfristige Senkung der Arbeitslo- einzeln aufgeführten Staaten, ohne deren Ratifika- senzahlen sei möglich, wenn durch Konsolidierung tion der Vertrag nicht in Kraft treten kann. Zu diesen der Staatshaushalte mehr Mittel für öffentliche Inve- gehört Deutschland. Zu diesen gehören auch Indien, stitionen eingesetzt würden, durch Senkung von So- Pakistan, Nordkorea, Kuba, deren Unterschrift noch zialabgaben und Steuern Investitionsanzreize für die fehlt. Mit unserer Ratifikation setzen wir ein Beispiel. private Wirtschaft gegeben würden, eine längerfri- stig zurückhaltende Tarifpolitik unterhalb des Pro- Wir dürfen in unseren Abrüstungsbemühungen duktivitätsfortschritts erfolgte, die die Wettbewerbs- nicht nachlassen! Und deshalb bedarf es dringend fähigkeit der Arbeitsplätze verbesserte, durch mehr 20610* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Teilzeitangebote und weniger Überstunden ein Be- Arbeitnehmer anreizt, Mehrarbeit zu leisten, sowohl schäftigungseffekt erreicht würde. Dies müsse aller- innerhalb des Betriebes durch Überstunden wie auch dings in flexibler, kostengünstiger Form umgesetzt außerhalb. werden. Vor einer Woche erklärten die Berliner Forscher Eine Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich des DIW, daß die Erkenntnis, welche ja auch dem habe allerdings deutliche Risiken: geringeres Wachs PDS-Antrag zugrunde liegt, das Arbeitsvolumen in tum, höhere Kosten und eine höhere Inflation. modernen Volkswirtschaften sei nicht vermehrbar, Wenn man die Gesamtzahl der Überstunden im falsch sei. In den USA, wo allein im vergangenen vergangenen Jahr in Deutschland von insgesamt Jahr die Zahl der Erwerbstätigen um 3 Millionen zu- 1,8 Milliarden betrachtet, so ist dies zunächst eine genommen hat, sei auch das Arbeitsvolumen im pri- beeindruckende Zahl. Umgerechnet auf die Zahl der vaten Sektor um 17 Prozent seit 1991 gestiegen. Beschäftigten sind es etwa 59 Stunden pro Jahr. Also Neue Arbeitsplätze setzten allerdings in Deutsch- knapp 5 Stunden pro Monat. land, so die OECD in einer Studie, weitere Deregulie- rungen bei der Arbeitsmarktpolitik voraus. Unbestritten ist allerdings, daß ein gewisses Maß an Überstunden für aie Flexibilität der Auftragsab- Den Thesen der PDS widersp richt auch die Fest- wicklung in den einzelnen Unternehmen notwendig stellung des Wirtschafts- und sozialwissenschaftli- ist. Ein Teil dieser Überstunden könnte aber in neue chen Instituts, wonach die tarifliche Arbeitszeit in Beschäftigung umgewandelt werden. den alten Bundesländern seit 1987 durchschnittlich um 88 Stunden auf 1644 Stunden im Jahr gesunken Für Teilzeitarbeit, Flexibilisierung der Arbeitszei- ist. Wer die Entwicklung des Arbeitsmarktes dage- ten, eine bessere Anpassung an die Auftragssituation gen vergleicht, wird leicht zu der Erkenntnis kom- hat die Regierungskoalition bereits viele Vorausset- men, daß dies keinen positiven Effekt auf Beschäfti- zungen geschaffen. Genannt seien nur die Möglich- gung gehabt hat. Der Weg muß deshalb ein anderer keiten der Altersteilzeit ab dem 55. Lebensjahr. Ge- sein. Durch Flexibilisierung des Einsatzes der Ar- nannt seien befristete Arbeitsverträge bis zu zwei beitskräfte, durch Arbeitszeitkonten, durch Freizeit- Jahren mit mehrfacher Verlängerungsmöglichkeit, ausgleichsmodelle, durch Teilzeitbeschäftigung müs- um kurzfristigen Arbeitsanfall in neue Beschäftigung sen neue Beschäftigungschancen erschlossen wer- umzusetzen. Verbesserte Rahmenbedingungen für den. Zeitarbeit haben bereits 80 000 neue Beschäftigungs- verhältnisse in diesem Bereich geschaffen. Mit den Beispiel gibt unter anderem der Tarifvertrag zur Vereinbarungen über die Ganzjahresbeschäftigung Beschäftigungssicherung in der Eisen-, Metall- und im Bau und in Baunebenbereichen werden in dieser Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens, wo äußerst Branche Überstunden in erheblichem Umfang abge- flexible Wochenstundenzahlen und Ausgleichszeit- baut. Mit dem Arbeitsverbot der PDS würde diese räume bis 12 Monate vereinbart sind, wobei mehr Ar- - fortschrittliche Regelung schlicht torpediert. beitsstunden ganz oder teilweise durch Freizeit ab- Es ist und bleibt aber wesentliche Aufgabe der Ta- gebaut werden. rifpartner, Überstundenausgleich und Teilzeitbe- Beispiel gibt auch das gerade beschlossene Gesetz schäftigung weiter voranzubringen. Solche Verein- zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeits- baren müssen auch von den Beschäftigten und Be- zeitregelungen vom 5. März 1998, welches durch die triebsräten angenommen werden. Nur dann werden PDS-Initiative in seiner Wirkung ausgehebelt würde. sie in der Praxis zum Erfolg führen. Wenn die PDS meint, ein Patentrezept, eine Sofort- Ein Flexibilisierungsbeispiel in anderer Richtung maßnahme, wie sie es nennt, gefunden zu haben, so gibt das Unternehmen Viessmann. Do rt wurde eine geht dies an der Realität weit vorbei. Ihr Antrag läuft Erhöhung der Wochenarbeitszeit von 35 auf letztlich auf ein zwangsweises gesetzliches Arbeits- 38 Stunden ohne Lohnausgleich mit den Beschäftig- verbot hinaus. Das würde mit neuem Dirigismus, ten vereinbart. Ab 1. Juni diesen Jahres wird die un- neuen bürokratischen Regelungen einen Rückschritt entgeltliche Mehrarbeit auf zwei Stunden verringert. bedeuten, der die Beschäftigungssituaton ver- Mit dieser Maßnahme ist es nicht nur gelungen, die schlechtern und nicht verbessern würde. Denn das gesamte Belegschaft in Beschäftigung zu halten, es Ziel des PDS-Antrages ist letzlich die staatlich ge- wurde auch ein neues Werk aufgebaut, in dem inzwi- steuerte Umverteilung von Arbeit mit dem Ziel einer schen 167 neue Arbeitsplätze in Nordhessen entstan- 30-Stunden-Woche. den sind. Fachleute und Fakten sprechen eindeutig eine an- Was von der PDS hier vorgetragen wird, ist letzt- dere Sprache. So hat das Deutsche Institut für Wirt- lich der alte Glaube an die Allmacht des Staates und schaftsforschung bereits vor Jahren darauf dahinge- der Bürokratie. Die Umsetzung dieser Pläne wäre wiesen, daß insbesondere diejenigen Länder Be- Gift für den Arbeitsmarkt und kontraproduktiv für schäftigungserfolge erzielt haben, die die Arbeitszeit die Beschäftigung. Der geforderte Lohnausgleich aus nicht verkürzt, sondern eher verlängert haben, die dem Staatshaushalt wäre nicht zu finanzieren oder strenge Regelungen für den Arbeitsmarkt aufgeho- würde Verschuldung und Inflation in die Höhe trei- ben und der Flexibilisierung weiten Raum gegeben ben. Die strikte Deckelung von Arbeitszeiten würde haben. Auch kommen aus vielen Bet rieben, die be- die betriebliche und auch tarifvertraglich notwen- sonders kurze Wochenarbeitszeit vereinbart haben, dige Beweglichkeit fast vollständig einschränken. die Erkenntnisse, daß diese Situation erst recht viele Die gerade zurückgewonnene Wettbewerbsfähigkeit Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20611 * am Standort Deutschland, der weitere Anstieg von reichend an der Bekämpfung der Massenarbeits- Wachstum und Beschäftigung würden gestoppt. losigkeit beteiligen, durch diese Erhebung un- terlegt werden soll. Wir werden es nicht hinneh- Wir brauchen keine neuen Reglementierungen, men, daß die Kommunen, die Opfer der Arbeits- sondern mehr Öffnung, mehr Beweglichkeit, mehr losigkeit sind, zu Tätern gemacht werden. Eigenverantwortung. Dafür sind die Rezepte der PDS völlig unbrauchbar. Soweit die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände zur gescheiterten Regierungspoli- tik. Franz Thönnes (SPD): Wir befassen uns bei der Be handlung dieses Antrags mit der wichtigsten Heraus- Die Folgen dieser Politik zeigen sich auch an jüng- forderung unserer Gesellschaft - der Massenarbeits- sten Konflikten zwischen dem Bundesarbeitsminister losigkeit. 4,8 Millionen Menschen sind bei der Ar- und dem Spitzenvertreter des BDI. Die Bitte, nach beitsverwaltung als arbeitslos gemeldet. Hinzu kom- der angebotsorientierten Politik und den vielen Ver- men gut 207 000 Arbeitslose über 58 Jahre und schlechterungen für die Arbeitnehmer und Arbeit- 125 000 vorübergehend kranke Arbeitslose. Beide nehmerinnen nun doch bitte Arbeitsplätze zu schaf- Gruppen erscheinen nicht mehr in der Statistik. fen, wurde abschlägig beschieden. Rechnet man die „stille Rese rve" sowie die Teilneh- mer an Fortbildungs-, Umschulungs- und Arbeitneh- Um so erstaunter konnte die Öffentlichkeit vor ei- mer in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen hinzu, so nigen Tagen sein, als Repräsentanten der Wi rtschaft kann wohl von zirka 7,5 bis 8 Millionen von Arbeits- verkündeten, in diesem Jahr würden doch noch losigkeit Betroffenen gesprochen werden. 500 000 neue Arbeitsplätze entstehen. Aber schon zwei Tage später reduzierte man diese Zahl dann Das sind Menschen, die Opfer einer gescheiterten wieder auf 200 000. Es hat den Anschein, als würden Regierungsstrategie geworden sind, die im Rahmen Teile der Wirtschaft jetzt schon Beschäftigte entlas- ihrer Angebotspolitik einseitig auf die reinen Markt- sen, die sie noch gar nicht eingestellt haben. kräfte gesetzt und sich dabei kräftig verkalkuliert hat. Allzu durchsichtig sind diese Manöver. Es stehen Wahlen an. Die Menschen glauben diesen Verspre- Mag der Tenor des Antrages der PDS sich viel- chungen schon lange nicht mehr. Sie wissen, die jet- leicht im ersten Moment noch gut anhören, so geht er zige Bundesregierung hat nicht mehr die Kraft, die im Detail und der Art und Weise seiner Umsetzung Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen. an der Realität vorbei. Es wird der Anschein erweckt, Konservative und Liberale haben soziale Ein- als ließe sich auf diesem Weg die Massenarbeitslosig- schnitte vorgenommen und mehr Beschäftigung ver- keit in bedeutendem Umfang reduzieren. Nicht nur, sprochen, doch die Arbeitslosigkeit steigt. daß der Antrag von einer gering ausgeprägten Sensi- bilität hinsichtlich der grundgesetzlich garantierten Konservative und Liberale haben den Beschäftigen Tarifautonomie gekennzeichnet ist; er rückt mit sei- - Lohnzurückhaltung auferlegt. Nach Veröffentlichun- nem erweckten Anschein in gefährliche Nähe zu den gen des Presse- und Informationsamts der Bundesre- Scheinlösungen, die uns die Bundesregierung und gierung sind im letzten Jahr die Bruttoeinkommen die Koalitionsparteien in den letzten Tagen vorfüh- aus unselbständiger Tätigkeit um 0,2 Prozent und die ren. Bruttoeinkommen aus unternehmerischer Tätigkeit und Vermögen um 8,9 Prozent angewachsen. Und Je näher der Bundestagswahltermin rückt, desto die Arbeitslosigkeit steigt. verzweifelter werden die Vorschläge der Regierungs- koalition, wie mehr Arbeit geschaffen werden Konservative und Liberale haben eine Senkung könnte. Höhepunkt war hier im Zusammenhang mit der unerträglichen Steuerlast angekündigt. Doch die der niedersächsischen Landtagswahl die Aufforde- Abgaben sind inzwischen auf gut 42 Prozent des Ein- rung an die Kommunen, neben den bisherigen kommens eines Arbeitnehmers angewachsen, und 200 000 noch einmal 100 000 Sozialhilfeberechtigte die Arbeitslosigkeit steigt. einzustellen. Mit diesen Plänen will die Koalition die Verantwortung für die Beschäftigungspolitik weiter Konservative und Liberale haben eine Reform der auf die Kommunen verlagern. Dabei sind diese schon Arbeitsförderung verabschiedet. jetzt systemwidrig mit 8 Milliarden DM Kosten der Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen wur- Arbeitslosigkeit belastet. den bis zu 30 Prozent reduziert, ABM zurückgefah- ren, und die Arbeitslosigkeit steigt. Die Präsidentin des Deutschen Städtetages, Petra Roth (CDU), hat derartige Pläne schon im letzten Konservative und Liberale haben die Lebensar- Jahr zurückgewiesen. Und deutlich ist auch die Spra- beitszeit verlängert. Jüngeren wird der Weg ins Be- che der Bundesvereinigung der kommunalen Spit- schäftigungssystem versperrt, und die Arbeitslosig- zenverbände in einem Schreiben an den Bundesmi- keit steigt. nister für Gesundheit am 19. Dezember 1997, mit dem man auf die Bitte nach Teilnahme an einer dies- Der Bundeskanzler spricht in seiner Neujahrsan- bezüglichen Erhebung antwortet: sprache von der Notwendigkeit, die Zahl der Über- stunden zu reduzieren. Der SPD-Antrag zur Senkung Insgesamt besteht hier vor dem Hintergrund ein- der 1,8 Milliarden Überstunden wurde jedoch ge- zelner Äußerungen in der politischen Diskussion stern bei den Ausschußberatungen von der Koaliti- über Hilfen zur Arbeit der Verdacht, daß der onsmehrheit abgelehnt. Und die Arbeitslosigkeit Vorwurf, die Kommunen würden sich nicht aus steigt. 20612* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Der Antrag der PDS verkennt die Notwendigkeit denden und nichtausbildenden Bet rieben gesetzlich einer differenzie rten Behandlung des Themas. Der erforderlich. Jungen Menschen darf beim Übergang Gesetzgeber muß bei der Schaffung von arbeitszeit- von der Schule in das Beschäftigungssystem nicht rechtlichen Rahmenbedingungen die Tarifautonomie die Tür vor der Nase zugeschlagen werden. beachten und damit auch die unterschiedlichen Vor- stellungen der Gewerkschaften und die inzwischen Immer wichtiger wird die Verzahnung von notwen- entstandene tarifpolitische Landschaft berücksichti- diger Weiterbildung aller Beschäftigten und der gen. Reintegration Arbeitsloser in den ersten Arbeits- markt. Hier kann die flexible Arbeitszeitverkürzung Der Antrag geht in seinem Grundverständnis von in Form von Elternurlaub und Freistellung für Wei- einem statischen Gebilde des Arbeitsmarktes aus. Er terbildung, unterstützt von der Bundesanstalt für Ar- verkennt die bestehende Alltagsrealität. So existie- beit, mit dazu beitragen, daß für die Zeiten der Frei- ren bereits Tarifverträge, die unter Gesichtspunkten stellung Langzeitarbeitslose wieder eine Beschäfti- der Beschäftigungssicherung flexible Festlegungen gung in den Betrieben erhalten. Ihnen wird damit der Arbeitszeit zwischen 29 und 33 Stunden in der auch die Möglichkeit geboten, mittelfristig wieder ei- Woche ermöglichen. So im Metallbereich in West- nen Dauerarbeitsplatz zu erhalten. Dänemark und bzw. in Ostdeutschland. Bei VW existiert die 28,8- Schweden haben auf diesem Weg in den letzten Jah- Stunden-Woche. Im Bereich der IG Bergbau, Chemie ren vorbildhafte Arbeitsmarktpolitik geleistet. und Energie haben wir die 37,5-Stunden-Woche mit einer Variablen von plusminus zwei Stunden. Hier Wir brauchen kreative Formen der Arbeitszeitver- finden wir im Schichtarbeitsbereich auch bereits be- kürzung, gekoppelt mit einer intelligenten Organisa- triebliche Regelungen mit einer Arbeitszeit von unter tion von Arbeit. Dabei gilt es die unterschiedlichen 33 Stunden in der Woche. Interessen in den Bet rieben und Wirtschaftsberei- chen sowie der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- Die rigide Feststellung der PDS auf eine Arbeits- mer zu berücksichtigen. Erforderlich ist eine Auswei- zeit von maximal sieben Stunden am Tag und eine tung der Teilzeitmöglichkeiten und der Nutzung be- ebenso beschriebene Festlegung auf fünf Tage in der reits tarifvertraglich gegebener Möglichkeiten der Woche bedeuten eine Eingrenzung bislang vernünf- Flexibilisierung. Noch besteht bei zu vielen Unter- tiger flexibler Regelungen, auf die sich Tarifvertrags- nehmen und Managern eine falsch verstandene Zu- parteien und Arbeitgeber sowie Bet riebsräte in Be- rückhaltung. Gewerkschaften und Bet riebsräte sind triebsvereinbarungen verständigt haben. in der Alltagspraxis mit ihren Vorstellungen hier Verkannt werden von der PDS Unterschiede der schon teilweise viel weiter. eblichen Strukturen, der Branchen, der Berufs- betri Der PDS-Antrag grenzt im übrigen in seiner vorlie- gruppen, der Interessen von Beschäftigten und Un- genden Fassung den Gestaltungsspielraum der Tarif- ternehmen sowie auch der Angebots- und Nachfra- vertragsparteien viel zu sehr ein. Angesichts von Mit- gerelation bestimmter Qualifikationen auf dem Ar- - gliederverlusten auf beiden Seiten der Sozialpartner beitsmarkt. besteht eine Gefahr der schleichenden Auflösung Finanzpolitisch ist es im übrigen völlig unsolide, ei- der Verbändedemokratie als wichtiger Bestandteil nen Lohnausgleich aus dem Bundeshaushalt gesetz- des Sozialstaates. Gerade jetzt sollte den Wirtschafts- lich zu regeln, wie es der Antrag vorsieht. Bei Zu- verbänden Gelegenheit gegeben werden, ihre ar- grundelegung der bestehenden Entlohnungsgrößen beitszeitpolitische Regelungskompetenz unter Be- würde dies zu einer Stundenlohnerhöhung von 13 weis zu stellen und damit auch attraktive Arbeitszeit- bis 15 Prozent führen. regelungen für die Beschäftigten und die Unterneh- men in Form von betrieblich auszufüllenden Rah- Der Herausforderung auf dem Arbeitsmarkt muß menbedingungen zu vereinbaren. Der Gesetzgeber dagegen mit mehr Glaubwürdigkeit, Zielgenauigkeit hat dabei selbstverständlich die Aufgabe, dies för- und Wirksamkeit begegnet werden. Notwendig ist dernd zu flankieren. zunächst die Wiederherstellung von Recht und Ord- nung auf dem Arbeitsmarkt. Hierzu gehört eine wirk- Ein dringend notwendiges Bündnis für Arbeit und same Bekämpfung des Mißbrauchs bei den 620- bzw. Ausbildung kann nur mit den Verbänden der Wirt- 520-DM-Jobs und der Scheinselbständigkeit. Hinzu schaft auf beiden Seiten und nicht gegen sie zu- kommt eine aktive Arbeitsmarktpolitik mit Lohnko- stande kommen. Deshalb wird sofort nach Regie- stenzuschüssen und Einarbeitungshilfen. Die Hälfte rungsübernahme im September dieses Jahres ein so- der Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit ist für ak- zialdemokratischer Bundeskanzler Gewerkschaften tive Leistungen zu verwenden statt bislang nur und Wirtschaft an einen Tisch zusammenholen und 27 Prozent. gemeinsam mit ihnen die Schritte vereinbaren, die zu einer Reduzierung der Arbeitslosigkeit erforder- Wir brauchen ein Sofortprogramm für junge Ar- lich sind. Dabei wird die Verkürzung der Arbeitszeit beitslose. Der Antrag der SPD hierzu, der 100 000 auf Grund ihrer positiven Wirkung für die Schaffung jungen Menschen neue Perspektiven geboten hätte, und Sicherung von Arbeitsplätzen eine wichtige wurde gestern leider ebenfalls von der Regierungs- Rolle spielen. Sie wird jedoch in einem herbstlichen mehrheit im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Strauß bunter Blumen der Arbeitsmarktpolitik einzu- abgelehnt. binden sein. Ein enges Korsett der starren arbeitszeit- Wenn die Wirtschaft in ihrer Gesamtheit kein aus- rechtlichen Vorschriften und der unsoliden Finan- reichendes Ausbildungsplatzangebot vorhält, so wird zierung der Beschäftigungspolitik, wie sie im PDS- ein solidarischer Leistungsausgleich zwischen ausbil Antrag vorgesehen ist, wird den bestehenden Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20613*

Notwendigkeiten dagegen nicht gerecht. Die SPD- zentral. Und wir haben 1984 und 1987 - in Abgren- Fraktion lehnt daher den vorliegenden Antrag ab. zung gegen das unsägliche Arbeitszeitgesetz der Bundesregierung - einen eigenen Arbeitszeitgesetz- entwurf vorgelegt, in dem wir unter anderem die ge- Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Alle reden von Arbeitszeitverkürzung: Während Herr setzliche 40-Stunden-Woche, die strikte Begrenzung Blüm auf „Mobilzeiten" setzt, wird der Präsident der von Überstunden und den obligatorischen Freizeit- Bundesanstalt für Arbeit nicht müde, darauf hinzu- ausgleich forde rten. Diesen Entwurf, der durchaus weisen, daß der Abbau von nur 40 Prozent der Parallelen zu dem heute von der PDS vorgelegten 1,8 Milliarden Überstunden 400000 neue Arbeits- Antrag aufweist, haben wir aus gutem Grund in die- plätze bedeuten würde. Selbst der Kanzler reiht sich ser Legislaturperiode nicht wieder aufgelegt. gelegentlich in die Reihen der Überstundenkritiker Wir gehen davon aus, daß Arbeitszeitpolitik sich ein. darauf konzentrieren muß, die Flexibilisierung und Die Einsicht, daß Arbeitszeitverkürzung Beschäfti- Differenzierung der Arbeitszeiten sozialverträglich gung schafft, findet sich somit quer durch alle politi- zu begrenzen und zu flankieren. Wir brauchen ein schen Lager. Die Modellrechnungen zu den Beschäf- neues Arbeitszeitgesetz, das die tariflich erreichten tigungseffekten mehren sich und kommen samt und Standards - und das heißt wesentlich die 40-Stun- sonders zu dem Ergebnis, daß sowohl die weitere den-Woche - absichert und weiteren Arbeitszeitver- Verkürzung der Jahresarbeitszeiten und der Abbau längerungen vorbeugt. Wir brauchen ein Arbeitszeit- von Überstunden als auch die Erhöhung der Teilzeit- gesetz, das den Arbeitsschutz wieder in den Vorder- quote schnell zu Beschäftigung in beachtlicher Grö- grund stellt. Und wir brauchen politische Vorgaben, ßenordnung führen würden. um Mehrarbeit teuer zu machen. Wenn aber die Rechnung „weniger Zeit für mehr Zudem muß es uns um die Stärkung tariflicher Re- Arbeitsplätze" so eindeutig und einleuchtend ist, gelungskompetenz in Arbeitszeitfragen gehen, um warum passiert dann arbeitszeitpolitisch so wenig? den Ausbau kollektiver Schutz- und Mitbestim- Warum provoziert die Zwickelsche Forderung nach mungsrechte. Ergänzend wollen wir individuelle der 32-Stunden-Woche einen Sturm der Entrüstung Rechte einführen, die dem einzelnen größtmögliche nicht nur im Arbeitgeberlager? Warum muß man im Zeitsouveränität eröffnen. Denn die Flexibilisierung Wahlprogrammentwurf der SPD das Stichwort „Ar- der Arbeitszeiten bietet eine - wenn bisher auch we- beitszeitpolitik" mit der Lupe suchen? Und warum nig genutzte - Chance für die Anpassung von Ar- hat die Einführung der 35-Stunden-Woche in Frank- beitszeiten an die Zeitbedürfnisse der Beschäftigten. reich nicht dazu geführt, daß die Gewerkschaften Maxime moderner Arbeitszeitpolitik muß die Ver- auch bei uns ein solches Gesetz einklagen? knüpfbarkeit von allen Formen von Tätigkeit, muß die Rotation zwischen Erwerbsarbeit, lebenslanger Die Antwort liegt nahe: Die arbeitszeitlichen Reali- Weiterbildung, Familienarbeit und sonstiger gesell- täten und die verteilungspolitischen Rahmenbedin- schaftlich notwendiger Arbeit oder auch Muße sein. gungen haben sich in den letzten Jahren in einem sol- chen Tempo und in einem solchen Ausmaß verändert, Last, not least müssen die neuen Erwerbs- und Ar- daß sich sowohl die Tarifparteien als auch die Politik beitszeitmuster arbeits- und sozialversicherungs- vor gänzlich neue Anforderungen gestellt sehen. rechtlich nachvollzogen und finanzielle und steuerli- che Diskriminierungen abgebaut werden. Denn nur Die Tarifverträge räumen der bet rieblichen Ebene wenn es gelingt, den Existenzängsten, die sich mit immer größere Flexibilisierungsspielräume ein. Arbeitszeit- und Lohnkürzungen verbinden, gerecht Schon heute arbeiten mehr als drei Viertel der zu werden, hat das Projekt Arbeitszeitverkürzung Beschäftigten nicht mehr in der Form des starren gesellschaftlich eine Chance. 8-Stunden-Tages an fünf Wochentagen. Wechsel- schichten, Gleitzeit, variable Arbeitszeiten im Rah- men von Korridormodellen und saisonalen Arbeits- Uwe Lühr (F.D.P.): Bis zu 600000 Arbeitsplätze zeitregelungen werden immer mehr zur Regel. Die durch Abbau von Überstunden, mehr als eine halbe Bezugsgröße Wochenarbeitszeit wird durch Jahresar- Million Arbeitsplätze durch die gesetzliche 35-Stun- beitszeiten abgelöst, die je nach bet rieblichen Bedar- den-Woche, davon allein im öffentlichen Dienst fen unendlich variierbar sind. 130000! Dabei ist die 35-Stunden-Woche nur der Ein- stieg. 30 Stunden an 5 Tagen sind genug und natür- Dieser Prozeß der Verbetrieblichung der Arbeits- lich bei vollem Lohnausgleich. Für Beschäftigte mit zeitregulierung stellt tariflich Regelungskompetenz einem Jahresnettoeinkommen von nur unter 60 000 in Frage. Und die Gewerkschaften sind bemüht, die DM darf die Arbeitszeitverkürzung nicht mit Lohn- Reichweite des Flächentarifs auch in diesem Feld einbußen verbunden sein. Wenn doch, zahlt der neu zu definieren. Wenn die Machtfrage aber einmal Staat zu! gestellt ist, dann sollte Politik sehr vorsichtig sein mit allzu rigiden Vorgaben. Es kann also nicht überra- Man muß sich wirklich wundern, wie geduldig Pa- schen, daß gesetzliche Regelungen zur Umverteilung pier ist. Aber vermutlich gibt es in den neuen Bun- des Arbeitsvolumens zur Zeit bei den Gewerkschaf- desländern noch immer genügend Menschen, die ten kaum Konjunktur haben. den Autoren das Märchen glauben. Vor allem die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die Bei uns Bündnisgrünen war die Forderung nach auch in Ostdeutschland den Löwenanteil an Arbeits- Umverteilung der Arbeit - und damit war immer plätzen bereitstellen, können sich nur gratulieren an- auch die unbezahlte Arbeit gemeint - schon immer gesichts einer Partei, die solche Zielvorstellungen 20614* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 verfolgt. Ein Glück, daß sie nicht die Möglichkeit hat gezählt haben, wenn ein hoher Anteil Schwarzarbeit und nicht bekommen wird, diese Konzepte in die zu beklagen ist und die geringfügigen Beschäfti- Wirklichkeit umzusetzen. gungsverhältnisse zunehmen, dann ist das ein klarer Beweis dafür, daß es nicht grundsätzlich an Arbeit Viele Unternehmer sind doch schon heute entwe- mangelt, sondern daran, daß ein Großteil der vorhan- der nicht mehr Mitglied im Arbeitgeberverband oder denen Arbeit mit der auf sie berechneten Abgaben- verstoßen gezwungenermaßen gegen tarifliche Re- last für unsere teuren Standards nicht bezahlt wer- gelungen und treffen betriebsbezogene Vereinba- den kann. Es wird Sie deshalb nicht verwundern, daß rungen mit ihren Arbeitnehmern. Sie würden nach die F.D.P.-Fraktion diesen Unfug ablehnt. dem Willen der PDS zukünftig mit noch teurer be- zahlter Arbeitszeit noch häufiger gegen Arbeitszeit- bestimmungen verstoßen - aber dann, bitte schön, gleich mit Bußgeld bis zu 30 000 DM. Erstaunlich ist auch, daß eine Partei, die so lautstark vorgibt, der Ta- Anlage 12 rifautonomie verpflichtet zu sein, sie sofort verrät, wenn es ihr in den populistischen Wahlkampf-Kram Zu Protokoll gegebene Reden paßt. Dann wird der öffentlich-rechtliche Arbeits- zu Tagesordnungspunkt 13 schutz, der Höchstgrenzen für die tägliche Arbeits- (Große Anfrage: Die Beziehungen zwischen Indien zeit setzt, zum Vehikel einer verquasten Arbeits- und der Bundesrepublik Deutschland - aktueller marktpolitik gemacht, in PDS-Deutsch: ,,beschäfti- Stand und Entwicklungsmöglichkeiten) gungsorientiert novelliert".

Der öffentliche Arbeitsschutz sichert Gesundheit Willy Wimmer (Neuß) (CDU/CSU): Die Antragstel- und Persönlichkeit des Arbeitnehmers; er verfolgt ler haben die Beratung der Großen Anfrage zum jet- aber insbesondere keine arbeitsmarktpolitischen zigen Zeitpunkt ausschließlich und alleine zu vertre- Ziele. Die gesetzlichen Arbeitszeitregelungen gestal- ten. Es gibt keine sachliche Notwendigkeit, im Zu- ten schließlich auch nicht den Pflichteninhalt von Ar- sammenhang mit der vorliegenden Großen Anfrage beitsverträgen, verpflichten also auch den Arbeit- auf unangemessene Eile zu drängen. Die Große An- nehmer nicht zu einer bestimmten Dauer seiner Ar- frage ist am 31. Oktober 1997 eingebracht worden. beitszeit. Diese Regelungen werden durch Tarifver- Es ist beabsichtigt, nach umfangreicher Vorarbeit trag, in der Bet riebsvereinbarung oder im einzelnen noch im Mai die entsprechende Kabinettsentschei- Anstellungsvertrag festgelegt. dung herbeizuführen, um dann eine angemessene Das seit 1. Juli 1994 geltende Arbeitszeitgesetz Beratung im Deutschen Bundestag durchführen zu konzentriert sich auf wenige übersichtliche und am können. Gesundheitsschutz von Frauen und Männern orien- Eine sorgfältige Beantwortung der vorliegenden tierten Grundnormen für die höchstzulässige tägliche Anfrage und eine ebenso sorgfältige Beratung im Arbeitszeit. Die Ausfüllung dieses Rahmens, konkret Deutschen Bundestag sind angemessen. Sie sind aus bezogen auf die Notwendigkeiten des Arbeitslebens, mehreren Gründen angemessen und nicht das, was soll durch die Tarifvertragsparteien und - unter be- heute zu dieser Debatte Veranlassung ist, auch nicht stimmten Voraussetzungen - die Betriebspartner er- in Form des jetzt vorgelegten Entschließungsantra- folgen. Dies liegt im Interesse eines zeitgemäßen Ar- ges. beitszeitschutzes. Die Sozialpartner sind näher vor Ort und können besser als der Gesetzgeber praxis- Auf der einen Seite ist dieser Anlaß gegeben durch nahe adäquate Regelungen finden. den Stand der umfassenden Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Indien. Die Die am Gesundheitsschutz ausgerichtete höch- Bundesregierung und der Deutsche Bundestag ha- stens zulässige regelmäßige Wochenarbeitszeit von ben in den zurückliegenden Jahren immer wieder 48 Stunden wird in der heutigen bet rieblichen Praxis deutlich gemacht, welchen Rang unsere Beziehun- ohnehin nur in Ausnahmefällen erreicht. Für fast alle gen zu einem der volkreichsten Staaten auf der Erde Arbeitnehmer ist tariflich eine Arbeitszeit unterhalb haben. der 40-Stunden-Woche als regelmäßige Arbeitszeit vereinbart. Nach den tarifvertraglichen Regelungen Ein besonderer Ausdruck für diese Beziehungen muß die Arbeitszeit allerdings nicht starr in jeder Wo- waren unter anderem die mehrfachen Besuche von che gleich lang sein. Die Tarifverträge sehen entwe- Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl in Indien, der stän- der selbst oder durch Übertragung die Regelungs- dige Gesprächskontakt der zuständigen Bundesmi- kompetenz auf die Betriebsparteien vielfach flexible nister mit ihren indischen Kollegen und die vor weni- Regelungsmöglichkeiten vor. So ist es auch richtig, gen Jahren durchgeführte Technologieausstellung in und so soll es auch bleiben. Indien. Das Austricksen der Tarifvertragsparteien, die Mit Indien verbindet uns aber mehr als eine gute staatliche Umverteilung von Arbeit, die ausgerech- und kontinuierliche politische Beziehung. Die kultu- net von den Arbeitnehmern erledigt wird, die einen rellen und menschlichen Beziehungen zwischen In- wettbewerbsfähigen Arbeitsplatz haben, kann nur dien und Deutschland sind von so substantieller Be- von lernunfähigen Staats- und Planwirtschaftlern deutung, daß sie besonders hervorgehoben werden vorgeschlagen werden, die noch nicht in der Bundes- müssen. Man ist sich nahe, ohne daß dies jeden Tag republik Deutschland angekommen sind. Wenn neue ins Bewußtsein kommt, und dies ist ein Fundament, Erhebungen mehr als 1,8 Milliarden Überstunden das vor Jahrzehnten geschaffen wurde und diese Be- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20615* ziehungen auch auf Dauer in hervorragender Weise Eine sorgfältige Stellungnahme durch die Bundes- tragen wird. Diese traditionell guten kulturellen und regierung ist aber auch aus einem anderen Grund menschlichen Beziehungen sind nichts fürs politi- geboten. Indien hat sich Anfang der 90er Jahre poli- sche Antiquariat. Sie werden ergänzt durch eine tisch und ökonomisch umgestellt. Das Ende des Ost- wirtschaftliche Beziehung, die sich mit dem Stich- West-Konfliktes hatte enorme Auswirkungen auf In- wort Bangalore nur unzureichend umschreiben läßt. dien in seinen Beziehungen zu Moskau, auch was Hier wächst etwas heran, was zwischen einem der die ökonomische Struktur anbetrifft. Der immer grö- bedeutendsten und größten Staaten dieser Erde und ßer werdende indische Mittelstand, eine gesteigerte einer europäischen Wirtschaftsnation von globaler innere Leistungsfähigkeit und andere Aspekte sind Bedeutung einen konstruktiven Übergang in das Ausdruck dieses Umstandes. Sind die Aussagen der nächste Jahrhundert sicherstellen wird. neuen Regierung, wonach das moderne Indien durch die Inder selbst aufgebaut werden soll, die Zielvor- Wir sollten auch nicht verkennen, daß die politi- gabe, oder wird Indien auf Dauer offen für jede Form schen Verbindungen nach Ende des kalten Krieges der Kooperation sein? In diese Fragestellung sind uns Indien in jeder Beziehung nähergebracht haben. auch andere Problemfelder einbezogen, die uns hin- Wir müssen keine Umwege mehr gehen, weil eine länglich bekannt sind. der Vergangenheit angehörende Sowjetunion uns Beispiele dieser Art machen deutlich, daß die Ab- den direkten Weg nach Indien versperren würde. sicht der Bundesregierung einer sorgfältigen Ant- Diese Überlegung macht aber deutlich, daß es einen wort auf die vorliegende Große Anfrage jedenfalls „Restposten" aus Konflikten der Vergangenheit noch mehr Unterstützung verdient als die unsachgemäße gibt, und Afghanistan ist zusammen mit anderen Be- Eile der Antragsteller. griffen ein Ausdruck für Schwierigkeiten, die es zu überwinden gilt. Dr. Edith Niehuis (SPD): Indien feiert das 50. Jahr seiner Unabhängigkeit und zugleich sein 50. Jahr als Die gute Grundlage für unsere Beziehungen zu In- größte Demokratie der Welt. Wenn ein so großes dien erlaubt es uns auch, und dies von beiden Seiten, Land mit so vielen Kontrasten in religiöser, sozialer, Dinge anzusprechen, die uns mit Sorge erfüllen. Es ökonomischer und regionaler Hinsicht, eine wahrhaft ist vielleicht ein guter Umstand, daß die Beantwor- multikulturelle Gesellschaft, auf 50 Jahre Demokra- tung der Großen Anfrage noch nicht abgeschlossen tie zurückblicken kann, dann haben wir Grund ge- ist, weil mit der Wahl eines der BJP angehörenden nug, Indien mit Respekt zu diesem Jubiläum zu gra- Ministerpräsidenten in Indien und der damit verbun- tulieren. denen neuen politischen Mehrheit Fragen aufgewor- fen werden, die unsere Beziehungen ebenso tangie- Und wie die letzten Wahlen gezeigt haben, scheint ren können, wie sie Einfluß auf die Sicherheit einer die indische Demokratie lebendiger zu sein als je zu- ganzen Region im Guten und im Schlechten nicht vor. ausschließen. Indien hat in den zurückliegenden Jahrzehnten großen Wert auf die Tatsache gelegt, Zum zweitenmal ist die hindu-nationalistische Par- daß es eine säkulare politische Ordnung habe, die tei BJP als Siegerin aus den Wahlen hervorgegangen sich bemüht, vorhandenen religiös motivierten und stellt, von 13 kleinen Koalitionsparteien unter- Sprengstoff aus dem politischen Leben zu verban- stützt, den Premierminister. Ohne Zweifel hat sich nen. Die neue Regierungspartei hat diesen religiösen mit der Wahl das innen- und außenpolitische Gesicht Hintergrund, und es interessiert natürlich auch die Indiens verändert. Freunde Indiens, zu denen wir gehören, welche Aus- Die Schlußfolgerung des Europäischen Rates vom wirkungen das hat. Ist Indien nur groß, oder wird es 17. Januar 1997, die südasiatische Region sei aus au- auf Dauer indische Regierungen geben, die sich ak- ßen- und sicherheitspolitischer Sicht eine wichtige tiv dafür einsetzen, Konflikte im Lande und außer- Region, gilt es mehr denn je zu berücksichtigen. halb seiner Grenzen zu verringern? Das politische Verhältnis zwischen Indien und Kaschmir, die Beziehungen zu kleineren Nachbar- Deutschland ist ein freundschaftliches, auch wenn es staaten, Hegemonialüberlegungen auf Kosten ande- aus deutscher, europäischer und amerikanischer rer und die Positionen zu Massenvernichtungswaffen Sicht getrübt ist, weil Indien weder dem Atomwaf- und ihre Weitergabe sind einige der Punkte einer fensperrvertrag beitritt noch das Atomteststoppab- ständigen Tagesordnung. Es kann nicht verkannt kommen unterzeichnet. werden, daß Kaschmir Ausdruck für eine besorgnis- Da Pakistan sich gleichermaßen verhält, ist dies si- erregende Vorgehensweise ist. Sie liegt weniger in cherheitspolitisch keine beruhigende Situation, son- den Beziehungen zu Pakistan und den drei Kriegen dern die Gefahr des bilateralen Wettrüstens ist imma- der letzten Jahrzehnte als in dem Umstand, daß die nent. indische Zentralregierung die besonderen Vertrags- beziehungen zu Kaschmir mit System unterminiert Angesichts des Parteiprogramms der neuen größ- hat. Kaschmir und mögliche weitere Konfliktherde in ten Regierungspartei BJP haben viele befürchtet, In- der Region sind für uns deshalb von so herausragen- dien könne diese Entwicklung vorantreiben, indem dem Interesse, weil sie neben innenpolitischen Aus- es den Schritt von der Nuklearoption zu einer akti- wirkungen gravierender A rt die Einladung an Dritte ven Atommacht propagiere. Davon nimmt das der für die Austragung von Konflikten mit globaler Wir- Öffentlichkeit vorgestellte Regierungsprogramm er- kung zum Inhalt haben könnten. freulicherweise Abstand. Es ist vielmehr eine 20616* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Chance, daß in Indien ein Nationaler Sicherheitsrat gements in Afghanistan und anderen zentralasiati- eingerichtet werden soll, der die militärische, ökono- schen Republiken. mische und politische Bedrohung des Landes analy- sieren soll. Dies ist eine Situation, in der die interna- Umgekehrt wird dem entgegengehalten, Indien tionale Staatengemeinschaft durchaus unterstützend sorge selbst durch seine Nuklearpolitik, durch Ent- tätig werden kann. wicklung von Kurz- und Mittelstreckenraketen für ein Bedrohungsszenario, das zu einem Wettrüsten in Dabei bleibt es aus friedenspolitischer Sicht rich- der Region führe. tig, Indien zu einer Änderung seiner Nuklearpolitik aufzufordern, aber nicht nur aus friedenspolitischer, Dieses gegenseitige Mißtrauen und die gegensei- sondern auch aus grundsätzlicher internationaler tige Schuldzuweisung könnte der Stoff sein, aus dem Sicht, weil es wichtig ist, daß dieser große südasiati- Konflikte und Kriege entstehen. sche Staat weltpolitisch eine anerkannte Rolle spielt. Ich wünschte mir, die internationale Staatenge- Der deutsche Außenminister hat doch zu Recht meinschaft würde etwas mehr Augenmerk auf die darauf hingewiesen, daß Indien insbesondere mit sei- südasiatische Region legen, weil hier ohne Zweifel nem Nein zum Atomteststoppvertrag seine Aussich- ein Konfliktzentrum in der Weltpolitik liegt. ten auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat er- In diesem Zusammenhang ist es sehr begrüßens- heblich verschlechtert hat. wert, daß Pakistan laut Agenturmeldungen der neuen indischen Regierung Gespräche über ein Waf- Grundsätzlich darf nicht in Zweifel gezogen wer- fenkontrollabkommen angeboten hat und zu Recht den, daß die internationalen Beziehungen eine ver- darauf aufmerksam macht, daß ein neues Wettrüsten bindliche Struktur brauchen, damit die Welt sich zu Lasten wichtige Dinge gehe, wie sauberes Trink- nicht irgendwann einmal als ein unorganisiertes wasser, Straßen, Schulen und Arbeitsplätze. Bündel von Staaten wiederfindet. Dieses würde zum Nachteil und zur Gefährdung aller gereichen. Daran Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erin- muß auch Indien nachdrücklich erinnert werden. Al- nern, daß es seit Jahren den Vorschlag gibt, in Süd- lerdings bleibt die Frage, wieviel Zeit braucht dieses asien einen ähnlichen wie den KSZE-Prozeß in Eu- Land, seine weltpolitische Rolle zu finden, und wel- ropa einzuleiten. Bisher haben die internationalen che Unterstützung kann es erwarten. Zweifler solch einen Versuch verhindert. Die neue politische Situation in Südasien forde rt uns meines Ohne Zweifel gehört es zu jenen Ländern, die nach Erachtens geradezu heraus, in diesem Sinne initiativ dem Ende des kalten Krieges, des Zerfalls der So- zu werden. wjetunion und der daraus folgenden Bedeutungslo- sigkeit der Blockfreienbewegung außen- und wirt- Indien, das ist bekannt, möchte zudem Ständiges schaftspolitisch erheblichen Veränderungen unter- Mitglied im UN-Sicherheitsrat werden. Das Neben- worfen sind. Zu Recht hat Europa die Schritte, die - einander der beiden asiatischen Großmächte China insbesondere unter dem Außenminister Gujral ge- und Indien ist in der Tat ein ungleichgewichtiges, gangen wurden, nämlich die regionale Zusammenar- wenn man die internationale Anerkennung als Maß beit zu verbessern, begrüßt. Konnte man lange den nimmt. Eindruck haben, daß 1985 gegründete Südasiatische Bündnis für regionale Zusammenarbeit (SAARC) China ist anerkannte Nuklearmacht und Ständiges schlummert zufrieden vor sich hin, so hat es sich jetzt Mitglied im UN-Sicherheitsrat mit Vetorecht. Indien zum Beispiel in Richtung einer südasiatischen Frei- ist beides nicht, weil immer zu spät gekommen: In- handelszone erheblich aktiviert. dien wurde erst zwei Jahre nach der UN-Gründung unabhängig. Die Zusammenarbeit mit dem südostasiatischen Bündnis ASEAN wurde intensiviert ebenso wie mit Psychologisch scheint es mir kein Stabilitätsfaktor APEC in den pazifischen Raum hinein. zu sein, wenn eine Großmacht das Gefühl hat, inter- national nicht genügend anerkannt zu sein. Darum Außenpolitisch wurden Konflikte mit den Nach- würde es nach meiner Einschätzung der Stabilität in barn gelöst wie Grenzprobleme mit China oder Was- der Region dienen, neben Japan eben auch Indien serprobleme mit Bangladesch, und der Dialog mit Pa- als asiatische Großmacht in den UN-Sicherheitsrat kistan wurde vorangetrieben. Es ist gut, daß auch die aufzunehmen. neue indische Regierung hier Kontinuität in der Au- ßenpolitik verspricht. Indiens großer Vorzug vor anderen asiatischen Staaten ist der, daß es sich um eine Demokratie han- Um diese positive Entwicklung zu stärken, sollte delt, eine Demokratie allerdings mit ungeheuren in- Deutschland weiterhin darauf drängen, daß Indien nenpolitischen Problemen. auch in den Kreis der ASEM-Staaten aufgenommen wird. Wer das Land kennt mit seinen großen regionalen Unterschieden, seinen religiösen Unterschieden und Wir wissen, daß Indien immer wieder potentielle sozialen Unterschieden, wozu in erster Linie die Bedrohungsszenarien durch Nachbarländer artiku- große Armut zählt, weiß, daß dieses Land noch vieles liert, wie durch Nachbarn wie China, insbesondere leisten muß, um wirtschaftlich Anschluß zu bekom- aufgrund der politischen und rüstungspolitischen Zu- men. Diese ökonomische Ausgangslage macht einen sammenarbeit mit Pakistan und Myanmar, und durch Vergleich zwischen der Entwicklung der ASEAN- Nachbarn wie Pakistan, auch aufgrund seines Enga Staaten mit den SAARC-Staaten schwierig. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20617*

Armut und Bevölkerungswachstum sind eine gen wurde als in den Tigerstaaten, oft auch wegen schwere Hypothek bei der Entwicklung dieses süd- dieser Behäbigkeit kritisiert wurde, letztendlich der asiatischen Landes. Insofern wird es neben eigenen richtige Weg gewesen sei. Anstrengungen noch lange auf Entwicklungshilfe von außen angewiesen sein, auf Hilfe bei der Ar- Ich bin davon überzeugt, daß Indien diesen Weg mutsbekämpfung, im Gesundheits- und Bildungswe- der Wirtschaftsreformen weitergehen wird, aber sen. eben im Sinne eines indischen Weges - ein Weg, der auch bisher ausländische Direktinvestitionen nicht Auch wenn Deutschland immer wieder zu Recht übermäßig angezogen hat. Mit weniger als betont, daß Indien das größte Empfängerland deut- 10 Milliarden US-Dollar belaufen sich die jährlichen scher Entwicklungshilfe ist, so muß man angesichts Direktinvestitionen auf weniger als drei Prozent am der Größe dieses Landes realistischerweise zur gesamten indischen Investitionsvolumen. Kenntnis nehmen, was diese Hilfe pro Kopf der Be- Das Land braucht weitere ausländische Investoren. völkerung bedeutet. So manches kleinere Entwick- Das neue Regierungsprogramm darf nicht als neue lungsland bekommt pro Kopf der Bevölkerung mehr Abschottungspolitik mißverstanden werden. Alle re- finanzielle Hilfe. den von Globalisierung, die Kapitalströme fühlen Diese Relationen zeigen, welch ungeheure wirt- sich wohl, aber ob die Menschen diese Entwicklung schaftliche Dynamik Indien braucht, um die Armut als vorteilhaft sehen, darf durchaus in Frage gestellt im Lande zu besiegen. Als es Ende der 80er Jahre be- werden. Der islamische Fundamentalismus nimmt gann, seine Abschottungspolitik auf dem Weltmarkt zu, und Indien wird hindu-nationaler. zu beenden, Wirtschaftsreformen und Liberalisie- Das alles sind Entwicklungen, die uns dem Welt- rung einleitete, wurde dieses international einhellig frieden nicht näherbringen. begrüßt. Es warb fortan erfolgreich um ausländische Investoren, obwohl es Japan, China, Hongkong oder Dieses zu bedenken werden wir nicht den Schalt- Singapur nicht erreichen konnte. Der indische Ele- zentralen multinationaler Konzerne überlassen kön- fant war eben nicht so schnell wie der chinesische nen, sondern wird weiterhin Aufgabe von Politik Drache oder der südostasiatische Tiger. sein. Dennoch zeigten die relativ stabile indische Demo- Gerade auch politische Entwicklungen wie in In- kratie und die zahlenmäßig beachtliche, kaufkräftige dien sollte die internationale Politik zum Anlaß neh- Mittelschicht als Anreiz ihre Wirkungen, die zwi- men, politische Ziele und Maßstäbe den Interessen schen 60 und 200 Millionen geschätzt wird. des internationalen Finanzmarktes nicht unterzuord- nen. So ist Deutschland nach den USA Indiens zweit- größter Handelspa rtner. Bruttoinlandsprodukt, Indu- strieproduktion und Export wuchsen, scheinen jetzt Ulrich Irmer (F.D.P.): Indien ist nicht nur eine der allerdings wieder zurückzugehen. größten Mächte Asiens, seine Stimme hat als bevöl- - kerungsstärkstes Land nach China und als aufstre- Bei aller Euphorie fehlte es darum im Lande nicht bende Wirtschaftsnation weltweit großes Gewicht. an Kritik an den Wirtschaftsreformen. Es wurde Ab- Seine politische, wirtschaftliche und strategische Be- bau von Arbeitslosigkeit und Armut nach der Libera- deutung wird in den nächsten Jahrzehnten weiter lisierungspolitik vermißt, Stagnation im landwirt- wachsen. schaftlichen Sektor festgestellt. Ausländische Kon- sumprodukte verdrängten einheimische vom Markt. Im vergangenen Jahr feierte Indien den 50. Jahres- Neue Industriezweige entstanden, aber nicht wenige tag seiner Unabhängigkeit. In diesen 50 Jahren indische Unternehmen fühlten sich von der interna- wurde Enormes geleistet: Trotz einer Verdreifachung tionalen Konkurrenz auch bedroht. der Bevölkerung wurde die Ernährungssituation er- heblich verbessert. Heute ist Indien einer der größten Im Unterschied zu anderen asiatischen Diktaturen regionalen Exporteure von Nahrungsmitteln. Eine macht sich diese Sorge der Bevölkerung in einer De- leistungsfähige Industrie wurde aufgebaut, die nach mokratie mit einer freien Presse Luft. Das prominen- den mutigen Liberalisierungsschritten zum Entwick- teste Opfer, neben anderen Ursachen, war die Con- lungsmotor der gesamten südasiatischen Region gress-Partei, jene Partei, die unter Rajiv Gandhi die wird. Wirtschaftsreformen einleitete und die Wahlen 1996 eben mit diesem Thema führte. Sie verlor kräftig. Die Die Rolle der Wachstumsregion Südasien und da- Gewinnerin angesichts der Sorgen ist die heutige mit Indiens ist seit der Krise der Finanzmärkte in Ost- stärkste Regierungspartei, die nationalistisch orien- asien noch gewachsen. Die soziale Infrastruktur, ins- tierte BJP. besondere Schulunterricht und Gesundheitsvorsorge auf dem Land sind erheblich verbessert worden. In- Der aus ihren Reihen stammende Slogan „Wir wol- dien hat das drittgrößte Potential an Wissenschaftlern len keine Kartoffelchips, sondern Computerchips" und Ingenieuren weltweit. machte seit langem die Runde. Indien ist aber vor allem die größte Demokratie der Im Regierungsprogramm heißt es nun doppeldeu- Welt. Parlamentarismus, unabhängige Justiz und tig, daß der „Reformprozeß fortgeführt werden soll" freie Presse sind fest verankert. Der Föderalismus und daß „Indien von Indern gebaut" werden soll. schafft die Grundlage für ein f riedliches Zusammen- Nicht zuletzt die Asienkrise hat viele Inder über- leben der verschiedenen Volksgruppen und Religio- zeugt, daß ihr Reformkurs, der langsamer angegan nen. Mit den jüngsten Wahlen zum Unterhaus des in- 20618* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 dischen Parlaments hat die indische Demokratie sich und Nepal waren ein Durchbruch nach jahrelanger erneut bewährt. Die Wahlbeteiligung von immerhin Stagnation. Das zeigt, mit einer Politik der kleinen 60 Prozent zeigt, daß sich die Wähler von negativen Schritte und mit langem Atem kann auch in Süd- Begleitumständen in einigen Landesteilen nicht ha- asien das gelingen, was in Europa gelungen ist. ben abschrecken lassen.

Europa genießt in Indien einen hohen Stellenwert. Helmut Schäfer,, Staatsminister im Auswärtigen Deutschland als größter EU-Mitgliedsstaat ist Indiens Amt: Ich gehe davon aus, daß die Antwort der Bun- zweitwichtigster Handelspa rtner weltweit. Es liegt desregierung auf die Große Anfrage der Fraktion daher nahe, daß unsere beiden Länder ihre schon Bündnis 90/Die Grünen zu Stand und Entwicklungs- sehr enge Zusammenarbeit noch weiter verstärken. möglichkeiten der deutsch-indischen Beziehungen Ich begrüße daher grundsätzlich die Intention der noch in dieser Legislaturperiode, und zwar - wie von Großen Anfrage, neue Perspektiven für eine Intensi- der Bundesregierung in Aussicht gestellt - im Mai vierung der Beziehungen zu Indien zu finden. dieses Jahres, vorgelegt wird. Die Vorbereitungen hierzu sind bereits weit fortgeschritten. Im Gegensatz zu den Behauptungen des Antrags hat das deutsche Asienkonzept Indien bereits früh- Ich möchte aber schon heute unterstreichen, daß zeitig einen herausragenden Platz eingeräumt. Seit die Bundesregierung den Beziehungen zu Indien im Beginn der indischen Wirtschaftsreform 1991 hat sich Rahmen ihrer Asienpolitik einen besonders hohen das deutsch-indische Handelsvolumen fast verdop- Stellenwert zumißt. Die politische und wi rtschaftliche pelt und liegt gegenwärtig bei knapp 10 Milliarden Bedeutung dieses großen asiatischen Landes mit sei- DM. Die deutsch-indische Handelskammer ist mit nen fast einer Milliarde Einwohnern, seiner seit Jahr- 6000 Mitgliedern unsere größte Auslandskammer zehnten gefestigten Demokratie und einem großen weltweit. wirtschaftlichen Entwicklungspotential wird in den Vor gut einem Jahr wurde die größte Auslandskon- kommenden Jahren weiter zunehmen. Indien hat ferenz deutscher Unternehmen, die Regionalkonfe- gute Aussichten, zu den führenden Wirtschaftsmäch- renz des Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen ten des 21. Jahrhunderts zu gehören. Die Bundesre- Wirtschaft mit großem Erfolg in Delhi durchgeführt. gierung ist sich der Tatsache bewußt, daß sich hier Ziel dieser Bemühungen sind nicht einseitige Vor- Chancen bieten, die im Interesse der bilateralen, teile, sondern eine ausgeglichene Handelsbilanz und aber auch der europäisch-asiatischen Zusammenar- enge Partnerschaft, die beiden Seiten nützen. beit genutzt werden müssen. Der intensive und hochrangige Besucheraustausch Die deutsch-indischen Beziehungen haben ein be- zwischen beiden Regierungen zeigt den hohen Rang achtliches Niveau erreicht. Das gilt insbesondere für und die Vielseitigkeit der Beziehungen, die weit über die Wirtschaftsbeziehungen, die in den letzten Jah- Wirtschaftsfragen hinaus auch außen- und sicher- ren einen steilen Aufschwung genommen haben. heitspolitische Fragen umfassen. Gerade in Fragen Dies läßt sich aber auch an den intensiven, hochran- der globalen Zusammenarbeit und Sicherheit wird gigen Besucheraustausch der letzten Monate ablesen unsere Freundschaft geschätzt. Deutschland wird (BM Rühe Oktober 1996; BM Dr. Kinkel Januar 1997; keine an eigenen Interessen orientierte Machtpolitik Finanzminister Chidambaram Juni 1997, BM Bötsch in der Region unterstellt. Geschätzt wird auch unsere September 1997 und BM Dr. Rexrodt Januar 1998). zurückhaltende Rüstungsexportpolitik sowie mode- Im September dieses Jahres wird Präsident Naraya- rierende und verständnisvolle Haltung gegenüber nan zu einem Staatsbesuch in der Bundesrepublik dem tiefgreifenden Umstrukturierungsprozeß, in Deutschland erwartet. dem sich das Land befindet. Grundlegende gemeinsame Interessen und We rt Im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit -vorstellungen sowie das über einen langen Zeitraum bleibt Indien weltweit unser wichtigster Pa rtner. Seit gewachsene Vertrauen sind eine solide Basis für die 1958 sind insgesamt 16,4 Milliarden DM in bilaterale traditionell enge deutsch-indische Pa rtnerschaft. Die Entwicklungsprojekte geflossen. Dabei kommt der Bundesregierung ist entschlossen, hierauf weiter auf- im Antrag erwähnten partizipativen Armutsbekämp- zubauen: So erarbeiten beide Außenministerien der- fung eine besondere Rolle zu. Die von der Deutschen zeit eine „Agenda 2000 für die deutsch-indischen Be- Stiftung für Internationale Entwicklung im Auftrag ziehungen", die ein umfassendes Konzept über Ak- der Bundesregierung in Neu Delhi durchgeführte zente und Schwerpunkte der bilateralen Kooperation Konferenz über die deutsch-indische Zusammenar- enthält. Sie setzen damit eine Empfehlung um, die beit konzentriert sich besonders auf wirksame Bei- auf der letzten Sitzung der deutsch-indischen Bera- spiele selbsthilfeorientierter Maßnahmen. tungsgruppe im November 1997 ausgesprochen wurde. Das Kooperationsabkommen Indiens mit der Euro- päischen Union von 1993 hat unsere Regionen noch Auf der Ebene der Außen- und Verteidigungsmi- enger zusammengebracht. Natürlich kann man euro- nister sowie hoher Beamter findet ein intensiver Dia- päische Modelle nicht einfach übertragen. Aber auch log zu Sicherheitsfragen mit einem umfassenden für Indien ist die regionale Kooperation der Schlüssel Themenkatalog statt. Seit 1993 gibt es regelmäßige für Frieden und Wohlstand. Daher ist das Engage- Nichtverbreitungskonsultationen. Die Bundesregie- ment Indiens im Rahmen der Südasiatischen Vereini- rung nutzt jede sich bietende Gelegenheit, Indien gung für Regionale Kooperation (SAARC) besonders zum Beitritt zum NVV und zur Zeichnung des UVNV wichtig. Indiens jüngste Verträge mit Bangladesh zu bewegen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20619*

Die Bundesregierung teilt die Auffassung der Frak- der nuklearen Option tatsächlich Gebrauch machen tion von Bündnis 90/Die Grünen, wonach die in der wird. südasiatischen Region schwelenden ungelösten Kon- flikte ein erhebliches Gefahrenpotential mit Auswir- Die Partner Indiens werden sicherlich mit einer kungen auch auf unsere Region beinhalten. Die Bun- selbstbewußteren Politik des Landes konfrontiert desregierung tritt daher mit Nachdruck für eine in- werden. Für sie wird es darauf ankommen, das ge- disch-paktistanische Entspannung ein, ohne die eine wachsene nationale Bewußtsein in konstruktive Bah- Lösung des gefährlichen Kaschmirkonfliktes nicht nen zu lenken. Die Bundesregierung wird im Rah- möglich ist. In der Stärkung der regionalen Zusam- men ihrer Möglichkeiten hierzu beitragen. menarbeit im Rahmen von SAARC sieht sie ein ent- scheidendes Element für Sicherheit und Wohlstand in der Region.

Wie Sie wissen, haben kürzlich in Indien Wahlen Anlage 13 zum Unionsparlament stattgefunden. Aus dieser Wahl ist die BJP (Bharatiya Janata Pa rty) zwar als Zu Protokoll gegebene Reden stärkste Partei hervorgegangen, aber sie hat erneut zu Zusatztagesordnungspunkt 9 die absolute Mehrheit verfehlt. Ihr Fraktionsvorsit- (Antrag: Lage in Kambodscha) zender Vajpayee wurde letzte Woche vom Präsiden- ten mit der Regierungsbildung beauftragt. Vajpayee, der neben dem Amt des Premierministers auch das Dr. Dietrich Mahlo (CDU/CSU): Ich begrüße das des Außenministers bekleidet, hat Ende letzter Wo- Zustandekommen einer gemeinsam beantragten Re- che sein Kabinett vorgestellt und das Regierungspro- solution. Der Text spricht für sich selbst und bedarf gramm verkündet. Die neue Regierung ist eine Koali- keiner Wiederholung und keiner Interpretation. Ich tionsregierung aus 13 Parteien und einer Gruppe un- beschränke mich daher auf wenige Feststellungen. abhängiger Abgeordneter. Sie muß sich am 29. März einer Vertrauensabstimmung im Parlament stellen, Resolutionen sollen nicht Außenpolitik ersetzen die sie aller Voraussicht nach gewinnen wird. Ob können, aber Bestandteil von Außenpolitik sein. Na- diese Regierung stabiler als ihre Vorgängerinnen türlich ist es einfach, vom sicheren Ort der Bonner sein wird, ist allerdings schwer einzuschätzen. Parlamentssessel anderen Moral zu predigen. Aber wir sprechen in Vertretung unseres Volkes, und ob Nach Bekanntwerden des Wahlprogramms der das Wort eines frei gewählten, wenn auch fremden, BJP hat es sowohl in Indien als auch bei dessen fernen Parlaments folgenlos bleibt oder ob sich in ei- Nachbarn manche Befürchtungen gegeben, daß es ner enger gewordenen Welt asiatisches Selbstwert- unter einer BJP-Regierung zu einer hindunationali- gefühl dann doch getroffen fühlt, wird sich zeigen. stischen Radikalisierung sowohl in der Innen- als Deutschland ist Signatarmacht des Pariser Vertra- auch in der Außen- und Sicherheitspolitik des Lan- ges. Deutschland hat sich darin in aller Form ver- des kommen wird. pflichtet, rechtsstaatliche und demokratische Ver- hältnisse in Kambodscha zu befördern. Wenn wir Diese Befürchtungen sind aus Sicht der Bundesre- also die Stimme erheben, geschieht dies in Erfüllung gierung nicht begründet. Der indische Wähler hat für völkerrechtlich übernommener Verantwortung. einen Zwang zu Koalitionen votiert und regionale Parteien und Gruppierungen gestärkt. Dies zwingt Asien ist, auf dem Hintergrund einer langen Ge- zu Kompromissen, und, was besonders wichtig ist, zu schichte und einer großen, differenzie rten Kultur, ein Pragmatismus in allen wichtigen Politikfeldern. Gesamttatbestand; mit unabschätzbaren Risiken und Struktur des Kabinetts und Inhalt des Regierungspro- ebenso großen Potentialen. Nur eine ganzheitliche gramms weisen dementsprechend auf einen gemä- Sicht ist ehrlich und realistisch. Daher halte ich die ßigten Kurs der neuen Regierung hin. Für künftigen Praxis des Hauses, sich dem Thema Asien fast nur Pragmatismus steht nicht zuletzt Premierminister über den Ansatz der Menschenrechtsverletzungen Vaypayee selbst, der sich schon in den Jahren 1977 zu nähern, nicht für adäquat. Im Einzelfall kann der bis 1979 als Außenminister um Entspannung zu den konkrete Beitrag zur Verbesserung der realen Ver- Nachbarn Indiens bemüht hat. Radikale innenpoliti- hältnisse wichtiger sein als das Aufstellen von Forde- sche Forderungen des BJP-Parteiprogramms wie die rungen nach den Maßstäben einer absoluten Ethik. Aufhebung des Sonderstatus für Kaschmir werden Wer Menschen hellen will, braucht Kontakt und Ein- nicht in das Regierungsprogramm aufgenommen. fluß bei ihren Machthabern. Eine Politik der zuge- Der Akzent liegt auf Versöhnung und Respektierung schlagenen Tür dient niemandem. aller Religionsgemeinschaften. Dies alles eingestanden, bleibt festzustellen, daß Allerdings lassen die Äußerungen des Programms die demokratischen und Menschenrechtsverhält- erkennen, daß die künftige Wirtschaftspolitik stärker nisse in Kambodscha keine Beschönigung zulassen protektionistische Züge tragen wird. Das Regie- und daß Wahlen, bei denen nur eine Seite Zugang zu rungsprogramm betont ebenfalls das Festhalten an den Medien hat und politisch Andersdenkende der nuklearen Option. Im Unterschied zu den Vor- zwecks Abschreckung immer wieder zum Abknallen gängerregierungen wird der indische Nuklearan- freigegeben werden wie Hasen, ihren Namen nicht spruch lautstärker vorgetragen, aber bisher gibt es verdienen und keinerlei demokratische Legitimation keine Hinweise dafür, daß die neue Regierung von verschaffen können. 20620* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

In Kambodscha gibt es eine Blutspur. Es ist be- wir bestehen darauf, daß zur Wiederherstellung der kannt, zu welchem Mann sie hinführt. Dieser Mann politischen Stabilität in Kambodscha die für den ist das Produkt eines politischen Milieus, das durch 26. Juli 1998 vorgesehenen Parlamentswahlen tat- millionenfaches Leid und unsägliche Menschen- sächlich stattfinden und insbesondere, daß diese rechtsverletzungen belastet ist und das die Welt Wahlen in freier und fairer Weise unter Teilnahme al- heute weniger denn je zu akzeptieren bereit ist. ler kambodschanischen Parteien durchgeführt wer- den. An uns ist es, auf jede neue Scheußlichkeit mit dem Finger zu zeigen. Der Spagat zwischen Men- Unabhängig von der Bundesregierung beabsich- schenrechten und Kommerz, zwischen Handel und tigt der Deutsche Bundestag - wie andere Parla- Moral hat Grenzen. Die Grundsätze unserer eigenen mente auch -, den Ablauf dieser Wahlen genau zu Zivilisation werden wir nicht verleugnen. beobachten, um daraus unsere Politik gegenüber Kambodscha wesentlich mitzubestimmen. Das angeblich entwicklungslose Asien ist in Bewe- gung geraten, teilweise von Hyperaktivität erfaßt. Al- Wir erwarten dabei, daß nicht nur das zwischen- lerdings rechnet es nicht in Wahlperioden, sondern zeitlich verabschiedete Wahlgesetz mit den interna- in Generationen. Wer eine Generation zurückdenkt, tionalen Standards für freie, faire und allgemeine kann feststellen, daß die Demokratie in Asien an Bo- Wahlen dem Buchstaben und Geiste nach strikt be- den gewann: in Japan, in Südkorea, in Taiwan, in achtet wird, sondern erwarten auch vor den Wahlen Thailand, auf den Philippinen und anderswo. Die den freien Medienzugang für alle politischen Par- Verhältnisse in Kambodscha haben keine Zukunft. teien, der zur Zeit noch nicht gewährleistet ist. Die Völker wollen auch in Asien mehr Nettowohl- In diesem Zusammenhang begrüßen wir ausdrück- fahrt, und unweigerlich wird der wirtschaftlichen lich die konstruktive Politik der ASEAN-Länder ins- Partizipation die politische folgen. Wir beschönigen gesamt in dieser ernsten K ri in Kambodscha nichts, aber wir haben Grund zur Zu- se, die durch die vorläu- versicht. fige Verweigerung der Aufnahme Kambodschas in den Kreis der ASEAN-Staaten nicht nur den Macht- habern in Phnom Penh den Ernst der Situation vor Dr. Ing. Dietmar Kansy (CDU/CSU): Wir Deutsche Augen führte, sondern auch gemeinsam mit anderen sind in Südostasien weder Missionare noch Oberleh- Ländern, insbesondere Japan und den Vereinigten rer, sondern Partner. Partnerschaft aber bedeutet für Staaten, erreicht hat, daß - wenn auch auf umständli- uns auch, daß wir im Wissen und mit Respekt vor den chem Wege - Prinz Ranariddh, Sam Rainsy und an- unterschiedlichen historischen und kulturellen Be- dere Politiker, die nach dem Putsch ins Ausland gin- dingungen unserer Länder uns dann zu Wo rt mel- gen, an den Wahlen teilnehmen können. den, wenn wir uns partnerschaftlich - oder wie im Falle Kambodschas sogar vertraglich - miteinander Ich bedauere persönlich, daß sich die Europäische vereinbart haben und die Realität anders aussieht als Union in diesem Zusammenhang etwas sehr zurück- die Absprachen. Als Signatarstaat des Pariser Ab- gehalten hat. Um so wichtiger ist es, daß auch wir Eu- kommens vom 23. Oktober 1991 hat die Bundesrepu- ropäer jetzt klar machen, daß nach der Begnadigung blik Deutschland Mitverantwortung für die weitere Prinz Ranariddhs durch König Sihanouk der Prinz Entwicklung Kambodschas übernommen. Wir taten jetzt unbehinde rt und ungefährdet in den nächsten dies, um dazu beizutragen, dem durch viele Kriege Tagen nach Kambodscha zurückkehren kann. Ohne und Bürgerkriege und das grauenvolle Pol-Pot-Re- die Chance einer fairen Teilnahme Ranariddhs und gime leidgeprüften kambodschanischen Volk auch der FUNCINPEC wären die Wahlen bei allem Re- als Deutsche ein Stück Hoffnung und Zukunft zu ge- spekt vor den sonstigen politischen Kräften in diesem ben. Land eine Farce. Wie die Vereinten Nationen, wie die Vereinigten Wir erwarten zudem von der Bundesregierung und Staaten von Amerika, wie Japan zum Beispiel oder der Europäischen Union, daß eine finanzielle Beteili- wie die ASEAN-Länder bringen alle Fraktionen des gung an der Wahlvorbereitung sofort ausgesetzt Deutschen Bundestages ihre ernste Besorgnis über wird, wenn deutlich wird, daß der freie, faire und all- die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, ein- gemeine Charakter dieser Wahlen nicht mehr ge- schließlich außergerichtlicher Hinrichtungen, Folter, wahrt ist. Unabhängig davon unterstützen wir die unrechtmäßiger Verhaftung und Haft, wie in den Be- Fortsetzung der humanitären Hilfe für die notlei- richten des Sonderbeauftragten der Vereinten Natio- dende Bevölkerung sowie für die Flüchtlinge und nen beschrieben, zum Ausdruck. Wir fordern die Vertriebenen. kambodschanische Regierung auf, in Übereinstim- mung mit den ordnungsgemäßen Verfahren und den Wolfgang Schmitt (Langenfeld) (BÜNDNIS 90/DIE internationalen Standards bezüglich Menschenrech- GRÜNEN): Im Namen meiner Fraktion begrüße ich ten alle die strafrechtlich zu verfolgen, die Men- es außerordentlich, daß sich alle Fraktionen dieses schenrechtsverletzungen begangen haben. Hauses auf eine gemeinsame Entschließung zur Lage in Kambodscha verständigt haben. Dieses Insbesondere verurteilen wir die gewaltsame Ver- kleine und bitterarme südostasiatische Land bedarf änderung des Wahlergebnisses von 1993 durch den unserer Aufmerksamkeit. Staatsstreich vom 5. und 6. Juli 1997 durch den Zwei- ten Ministerpräsidenten Hun Sen. Dabei identifizie- Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, die aus ren wir uns nicht in jedem Fall mit dem Handeln des einer kolonialen Vergangenheit heraus zu einiger- Ersten Ministerpräsidenten Prinz Ranariddh. Aber maßen stabilen staatlichen Verhältnissen gefunden Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20621* haben, durchlebt das kambodschanische Volk eine Mir ist bewußt, daß die Reichweite unseres außen- Leidensgeschichte, die bis heute anhält. politischen Instrumentariums Grenzen hat. Aber diesmal sollten wir uns nicht vorhalten lassen, fahr- Dem Abzug der Franzosen folgten Regierungen, lässig das kambodschanische Volk seinen Peinigern die sich primär mehr durch ihre Korruptheit und all- überlassen zu haben. gemeine Verkommenheit auszeichneten und von wechselnden ausländischen Mächten, darunter auch von den USA, ausgehalten wurden. Jürgen Koppeln (SPD): Es ist gut, daß wir heute Die sich daran anschließende Herrschaft der Roten hier im Deutschen Bundestag in Form eines gemein- Khmer von 1975 bis Ende 1978 ist eine der finstersten samen Antrags von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Tragödien der Menschheitsgeschichte. Den heute Grünen und F.D.P. die Gelegenheit haben, über die noch lebenden Peinigern des kambodschanischen Lage in Kambodscha zu debattieren. Volkes fiel eine Million Menschen, darunter die ge- Kambodscha selbst, ein Land mit 11 Millionen Ein- samte Intelligenz des Landes, zum Opfer. Noch heute wohnern und einer Wirtschaftsleistung von rund hat man den Eindruck, daß sich seitdem die Seele ei- 700 Dollar pro Kopf, ist nicht nur wirtschaftspolitisch, nes ganzen Volkes verfinstert hat. sondern auch innen- und außenpolitisch in einem Di- Kollege Karsten Voigt hat heute morgen von au- lemma. Nach dem brutalen Putsch durch Minister- ßenpolitischen Irrtümern der Vergangenheit gespro- präsident Hun Sen Mitte letzten Jahres gerät Kambo- chen. Einer dieser großen Irrtümer bestand darin, dscha immer mehr ins politische Abseits. Die UNO daß die inte rnationale Gemeinschaft die Roten hatte mit Milliardenaufwand demokratische Wahlen Khmer auch nach ihrer Vertreibung im Jahre 1979 in Kambodscha organisiert, bei der als stärkste Partei weiterhin als die legitime Vertretung des von ihnen die FUNCINPEC unter dem jetzt im Exil lebenden geschundenen kambodschanischen Volkes aner- Prinzen Ranariddh hervorging. Zweitstärkste Partei kannte. wurde die Volkspartei CPP unter Hun Sen, der seine damalige Niederlage nicht hinnehmen wollte. Unter Auch deshalb ist es wichtig und auch eine Art dem Druck eines möglichen erneuten Bürgerkrieges „Wiedergutmachung", wenn wir heute die Lage in beugte sich die internationale Staatengemeinschaft Kambodscha aufmerksamer verfolgen. Seit Juli ver- dem Ansinnen von Hun Sen und ermöglichte ihm gangenen Jahres ist die aus den Wahlen von 1993 den Weg gemeinsam mit Prinz Ranariddh in die Re- hervorgegangene Koalitionsregierung aus ehemali- gierung. gen Kommunisten und Royalisten endgültig zerbro- chen. Staatsstreichartig hat der starke Mann Kambo- Es gab somit zwei Ministerpräsidenten, und gleich- dschas, der Zweite Ministerpräsident Hun Sen, die zeitig wurde auch jedes Ministerium mit einer Dop- Macht an sich gerissen und den Ersten Ministerpräsi- pelspitze besetzt. Das mußte die Regierung zwangs- denten des Landes, P rinz Ranariddh, zum Verlassen läufig lähmen. Abmachungen, die Macht auf allen des Landes gezwungen. Dem vorausgegangen wa- Ebenen mit dem Wahlsieger Ranariddh zu teilen, ren gewalttätige Übergriffe von beiden Seiten, der wurden von Hun Sen zu keiner Zeit eingehalten. Ein makabre Versuch Ranariddhs mit Restbeständen der Bruch der Koalition war zwangsläufig die Folge. Roten Khmer ins Geschäft zu kommen und ein Mas- saker, das mutmaßlich die Schergen Hun Sens vor Was folgte, war der Putsch im Juli des letzten Jah- fast einem Jahr mitten in Phnom Penh bei einer f ried- res durch Hun Sen. Dabei versanken Hunderte Häu- lichen Demonstration anrichteten und bei dem ser in Schutt und Asche, Tausende von Menschen 17 Menschen ermordet und über 150 verletzt wur- verloren ihr Dach über dem Kopf. Uniformierte räum- den. ten die Häuser politischer Gegner, kritische Journali- sten tauchten ab, oppositionelle Blätter erschienen Es ist nun auch an uns und der internationalen Ge- nicht mehr. Eine Unzahl von Verbrechen und Men- meinschaft, dafür zu sorgen, daß nach der Rückkehr schenrechtsverletzungen ereigneten und ereignen der maßgeblichen Oppositionellen wie geplant die sich noch in Kambodscha. Wahlen in Kambodscha am 26. Juli 1998 stattfinden können, Wahlen, die fair, frei und geheim sein müs- Nach Erkenntnissen von Menschenrechtlern und sen. Es ist kein Geheimnis, daß Hun Sen versucht, aus persönlichen Gesprächen mit dem Vorsitzenden seinen Staatsstreich vom vergangenen Juli durch ein der Oppositionspartei, dem früheren Finanz- und manipuliertes Wahlergebnis nachträglich zu legiti- Wirtschaftsminister, Herrn San Rainsy, ist eine Viel- mieren. Nur die aktive Unterstützung und Kontrolle zahl von Oppositionellen ermordet bzw. festgenom- der Wahlen von außen gepaart mit glaubhaften men worden. Es hat eine regelrechte Hexenjagd auf Sanktionsdrohungen wird dazu führen, daß die Wah- politische Oppositionelle stattgefunden. len etwas anderes sein werden als die Fassade zur Machtabsicherung eines monomanischen Autokra- Diese Menschenrechtsverletzungen gilt es zu ver- ten. urteilen. Die internationale Staatengemeinschaft ist aufgefordert, ihren Beitrag zu einer stabilen Situation Für den Fall, daß sich akzeptable Wahlen wegen in Kambodscha zu leisten. Die Bundesrepublik der Obstruktion des Hun Sen Regimes nicht durch- Deutschland muß zusammen mit den anderen Ge- führen lassen, möchte ich die Bundesregierung auf- berländern darauf hinwirken, der kambodschani- fordern, mit Sanktionen nicht zu zögern und dement- schen Regierung deutlich zu machen, daß die Verfas- sprechend auch auf unsere Partner in der EU und auf sung des Landes einzuhalten ist und die Menschen- die Vereinten Nationen einzuwirken. rechte zu achten sind. 20622* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998

Der auf den 26. Juli 1998 terminierten Parlaments- den Weg der Demokratie und der Beachtung der wahl kommt daher eine ganz besondere Bedeutung Menschenrechte zurückfindet und so auf den enor- zu. Gelänge es, im Vorfeld der Wahl ein Umfeld zu men Anstrengungen aufbaut, die die internationale schaffen, das allen politischen Parteien eine Teil- Gemeinschaft 1993 mit der Vorbereitung und Durch- nahme ermöglicht, so wäre man sicherlich schon ei- führung der nach jahrzehntelangem Krieg ersten de- nen Schritt weiter im fairen Umgang miteinander mokratischen Wahlen erbracht hat, oder abermals in und in Richtung einer Abkehr von einem möglichen Chaos und Bürgerkrieg versinkt. Die Bundesregie- Bürgerkrieg. rung begrüßt es daher ausdrücklich, daß sich der Deutsche Bundestag in dieser für Kambodscha kriti- Eine wichtige Rolle übernimmt dabei die vom kam- schen Zeit mit der Lage in diesem Land auseinander- bodschanischen Parlament eingesetzte Wahlkommis- setzt und mit dem vorliegenden Antrag aller in die- sion. Das elfköpfige Gremium soll die geplante Parla- sem Hohen Hause vertretenen demokratischen Par- mentswahl organisieren und überwachen. Es gibt teien die Politik der Bundesregierung unterstützt. Stimmen, die dieser Wahlkommission eine Neutrali- tät absprechen, weil sie dem jetzigen Ministerpräsi- Die Lage in Kambodscha ist gekennzeichnet von denten Hun Sen nahestünde. positiven, aber auch von negativen Entwicklungen. Zunächst das Positive: Die innenpolitische Lage ist Dies wäre nicht ungewöhnlich, denn die Erfahrun- relativ stabil. Hun Sen, der Zweite Premierminister gen der Vergangenheit zeigen, daß Hun Sen jedes ist unbestritten der mächtigste Mann im Land. Das Mittel zur Erlangung seiner Ziele recht ist. So gab er Parlament hat seine Arbeit wieder aufgenommen. eine Erklärung ab, in der er sein Vorgehen gegen Seit Anfang Dezember 1997 sind zahlreiche während Prinz Ranariddh rechtfertigt, weil dieser angeblich der Juli-Krise ins Ausland geflohene Oppositionspoli- ein Komplott zusammen mit einem Rest der Roten tiker nach Phnom Penh zurückgekehrt. Oppositio- Khmer gegen ihn geschmiedet habe. nelle FUNCINPEC-Abgeordnete haben ihre Sitze im Dies war auch der Grund dafür, warum in jüngster Parlament wieder einnehmen können. Zumindest in Zeit ein kambodschanisches Militärgericht P rinz Ra- Phnom Penh können alle politischen Parteien sich nariddh in seiner Abwesenheit zu 30 Jahren Haft frei artikulieren. und weitere Oppositionelle zu 20 Jahren Haft verur- teilt hat. Beide Seiten, die seit Juli 1997 in bewaffnete Aus- einandersetzungen im Norden des Landes verstrickt Hieran kann man erkennen, mit welcher Raffi- waren, haben Ende Februar 1998 einen Waffenstill- nesse und welchem taktischen Geschick Hun Sen stand ausgerufen, der im großen und ganzen hält. gegen seine Gegner vorgeht. Auf der einen Seite ver- Damit wurde eine Forderung des japanischen Vier- sucht er, seine Vorgehensweise im letzten Jahr ge- Punkte-Planes grundsätzlich erfüllt. gen Ranariddh zu legitimieren, um ihm auf der ande- ren Seite mit diesem Schuldspruch eine Teilnahme Auch das größte innenpolitische Problem, die - an den Parlamentswahlen im Juli zu verwehren. Frage nach der Rückkehr von P rinz Ranariddh und dessen Teilnahme an den Wahlen im Juli dieses Jah- Sollte dies gelingen bzw. sollte es auf irgendeine res, ist gelöst, nachdem König Sihanouk am 21. März Art und Weise zu einer Wahlmanipulation kommen, 1998 auf bitten Hun Sens seinem Sohn eine umfas- ist zu befürchten, daß sämtliche Oppositionsparteien sende Amnestie in bezug auf alle Vorwürfe, ein- - neben der FUNCINPEC und der San-Rainsy-Partei schließlich der zivilrechtlichen Schadensersatzforde- noch einige andere - völlig von der Bildfläche ver- rungen, gewährt hat. Damit steht der Rückkehr P rinz schwinden. Eine demokratische Opposition würde Ranariddhs voraussichtlich am 30. März 1998 nichts nicht mehr existieren. Kambodscha, dieses ge- mehr im Wege. Die Bundesregierung, die sich zu- schundene Land, das so viel Leid erlitten hat, sammen mit ihren Partnern in der EU für die Rück- braucht den inneren Frieden. Hun Sen bringt ihn kehr aller ins Ausland geflohenen kambodschani- nicht. schen Politiker eingesetzt hat, begrüßt diese positi- ven Enwicklungen. Vor diesem Hintergrund erscheint es mir wichtig, festzustellen, daß alle Anstrengungen seitens der Jetzt kommt es darauf an, daß die für den 26. Juli Bundesregierung und der westlichen Geberländer 1998 angesetzten Wahlen tatsächlich stattfinden und zusammen mit den ASEAN-Staaten unternommen daß diese frei und fair verlaufen. Freie und faire werden müssen, die faire und freie Wahlen garantie- Wahlen sind der Schlüssel für die weitere Entwick- ren. Nur auf diesem Wege erhält Kambodscha das, lung Kambodschas. Deutschland und die EU wollen was es so dringend benötigt: Demokratie und Frie- bei der Vorbereitung und der Organisation der Wah- den! len helfen. Die EU hat daher mit der kambodschani- schen Regierung ein Wahlunterstützungsprogramm Ich wünsche auch von hier aus - erlauben Sie mir vereinbart, das von der EU-Kommission implemen- die Bemerkung - besonders San Rainsy Erfolg. Er tiert wird. Von den insgesamt 9,5 Millionen ECU ent- wird die Unterstützung der deutschen Liberalen bei fallen 7 Millionen ECU auf eine Unterstützung bei seinem schweren Weg benötigen. der Wählerregistrierung und 2,5 Millionen ECU auf Wahlbeobachtung. Bei der Ausarbeitung des Finan- Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen zierungsvertrages wurde sichergestellt, daß die fi- Amt: Kambodscha befindet sich heute an einem nanzielle Beteiligung der EU an den Wahlvorberei- Scheideweg. Die Ereignisse der kommenden Wo tungen ausgesetzt werden kann, sobald sich heraus- chen werden darüber entscheiden, ob das Land auf stellt, daß faire und freie Wahlen nicht möglich sind. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 224. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. März 1998 20623*

Zu den Kriterien, die die EU in diesem Zusammen- daß sich die Regierung dieses Problems annehmen hang besonders im Auge hat, gehören eine interna- will. tionalem Standard entsprechende Wahlgesetzge- bung, eine unabhängige nationale Wahlkommission Beide Premierminister haben dessenungeachtet und die praktische Möglichkeit aller Parteien, an der wiederholt versichert, an der Durchführung freier Wahl teilzunehmen, der gleiche Zugang insbeson- und fairer Wahlen festhalten zu wollen. Insgesamt dere zu den elektronischen Medien für alle, die sich geben die rechtlichen Rahmenbedingungen nach an den Wahlen beteiligen wollen, ebenso wie die Einschätzung der Bundesregierung eine zufrieden- Freiheit vor Einschüchterung, die Rede- und Ver- stellende und unter demokratischen Gesichtspunk- sammlungsfreiheit und die unbehinderte Tätigkeit ten akzeptable Basis für die Durchführung freier und internationaler Wahlbeoachter in jedem Stadium der fairer Wahlen ab. Erhebliche Sorge bereitet jedoch Wahlen. der Umstand, daß die kambodschanische Regierung kürzlich mit einer israelo-argentinischen Privatfirma Dennoch - und jetzt komme ich zu den eben er- einen Vertrag abgeschlossen hat, mit dem diese mit wähnten negativen Entwicklungen - ist erhebliche der Vorbereitung und Durchführung der Wahlen für Skepsis im Hinblick auf die politische Großwetter- den Fall beauftragt wird, daß internationale Wahl- lage und die Aussichten auf freie und faire Wahlen hilfe ausbleibt. Als Gegenleistung soll das Unterneh- angebracht. Es liegen Berichte vor, die von einem men 26 Millionen US-Dollar erhalten. Der Wahlmani- Klima der politischen Einschüchterung insbesondere pulation ist damit Tür und Tor geöffnet. Es ist daher in den Provinzen sprechen. Bisher wurden keinerlei entscheidend, daß die EU nicht voreilig und unüber- ernsthafte Bemühungen unternommen, um die zahl- legt ihr Wahlunterstützungsprogramm einstellt. reichen Menschenrechtsverletzungen im Gefolge des Staatsstreiches zu untersuchen. Im Gegenteil: Japan legte einen Vier-Punkte-Plan für eine politi- Seit Juli 1997 kam es zu weiteren 44 Morden an der sche Lösung des Konflikts vor, der mittlerweile von Opposition nahestehenden Personen; 12 Menschen den kambodschanischen Konfliktparteien akzeptiert werden vermißt. Die Opposition hat bislang kaum und teilweise umgesetzt wurde. Die Bundesregie- Zugang zu den elektronischen Medien. Das wohl rung hat zusammen mit ihren EU-Partnern diesen schwierigste Problem - weil das allgemeine politi- Plan von Anfang an ebenso unterstützt wie die Be- sche Klima prägend - liegt in der allgemein prakti- mühungen der ASEAN-Staaten um eine politische zierten und gesetzlich verankerten Straffreiheit für Stabilisierung der Lage. Als Mitglied der „Freunde Staatsbedienstete, die Menschenrechtsverletzungen Kambodschas" wird sie sich auch weiterhin dafür wie Morde an kritischen Journalisten oder Bomben- einsetzen, daß Kambodscha unter demokratischen attentate auf Anhänger politischer Parteien erheblich Vorzeichen endlich zur Ruhe kommt. Die Menschen begünstigen. Es gibt noch keine Anzeichen dafür, in diesem leidgeprüften Land haben es verdient.