30/System-Deb
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Deutschland REGIERUNG Der Rambo von Bonn BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel sorgt mit seiner Fundamentalkritik an Föderalismus und Wahlrecht für Wirbel. Viele Manager halten jedoch Distanz zu dem Systemkritiker. Henkels Vorbild, Bundespräsident Roman Herzog, lehnt das Rütteln an der Verfassung ab. in Ruck müsse durch das Land ge- nervte mit der Frage, was sie denn nun zu unserer föderalen Struktur, mit 16 Bun- hen, forderte Bundespräsident Ro- tun gedächten. „Der Herzog hat gut re- desländern, einem Verhältniswahlrecht, Eman Herzog Ende April im Berliner den“, war die regelmäßige Antwort, „er überhaupt eine Chance hat, sich so schnell Hotel Adlon. Bei einem im Lande ruckte es muß ja keine Entscheidungen fällen.“ zu verändern wie andere“. sofort ganz gewaltig. Sie würden ja gern so vieles ändern, ver- Die Politiker hatten schon gewußt, war- Hans-Olaf Henkel, der Präsident des sicherten die bedeutendsten Politiker aus um sie Henkel den Vortritt ließen. Der Ruf Bundesverbandes der Deutschen Industrie Regierung wie Opposition Henkel im Ver- nach einer „Systemdebatte“ brachte ihn (BDI), war „total begeistert“ von der „Ber- trauen, aber das politische System hinde- sogleich in die Nähe der Verfassungsfeinde. liner Rede“: „Endlich spricht es mal einer re sie leider daran. Da sei zum Beispiel der Er bedenke wohl gar nicht, daß „System“ aus.“ Bundesrat mit seinem Veto – ein Teil der fö- ein Schmähwort der Weimarer Republik Was der Präsident der Deutschen Indu- deralistischen Verfassung – oder der kleine gewesen sei, belehrte der ehemalige SPD- strie schon immer gesagt hatte, das ver- Regierungspartner mit seinen Sonderwün- Vorsitzende Hans-Jochen Vogel den Indu- kündete nun auch der Präsident der Deut- schen – eine Folge des Verhältniswahlrechts strie-Lobbyisten. Die süddeutsche zei- schen: daß wir von Asiaten und Amerika- und des Zwangs zu Koalitionen. tung drohte ihm mit dem Grundgesetz- nern lernen sollten, daß die Deutschen kei- Keiner der Systemkritiker aber wollte Artikel 20,Absatz 4, dem Widerstandsrecht ne Zeit verlieren dürften, um Reformstau trotz Henkels Drängen öffentlich gegen die der Bürger gegen jeden, der die verfas- und Stillstand endlich zu überwinden. hinderliche Verfassungsordnung anreden – sungsmäßige Ordnung beseitigen wolle. Wo immer Henkel danach auf einen so tat er es am Ende denn selber. Der BDI-Präsident ist von der Reaktion Politiker traf – von Wolfgang Schäuble In einem Beitrag für den Band „Stim- heftig getroffen und fühlt sich 20 Jahre bis Oskar Lafontaine –, brachte er das men gegen den Stillstand“, in dem der wo- nach dem Mord an Hanns Martin Schley- Gespräch auf die bewegende Rede und che-Herausgeber Manfred Bissinger Ant- er „zum Abschuß freigegeben“. worten auf die Herzog-Rede sammelte, Auch der Bundespräsident reagierte „mit- * Beim Unternehmertag in München am 1. Juli. fragte der BDI-Präsident, „ob ein Land mit nichten“ erfreut auf Henkels Vorschlag, sei- C. LEHSTEN / ARGUM Kanzler Kohl, Unternehmer*: Die Reformen scheitern nicht an den Machtverhältnissen 22 der spiegel 30/1997 ner Berliner Rede einen zweiten Teil Erst machte Henkel den Standort über das Systemproblem nachzu- Deutschland zu seinem Thema, dann schicken. Das Bemühen um rasche ging er den Gewerkschafts- und Problemlösungen sei eine Sache, eine Wohlfahrtsstaat an, nun ist das poli- ganz andere aber die „unangebrach- tische System dran. te Diskussion über bewährte Verfas- Die Radikalität von rechts er- sungsprinzipien“. innert den SPD-Wirtschaftspoli- Henkel provoziert und polarisiert tiker Gerhard Schröder an eigene – manchmal unbedacht mit der Juso-Zeiten: „Immer wenn etwas politischen Naivität eines Managers, nicht so läuft, wie man es sich oft aber mit dem gezielten Kalkül vorstellt, wird die Systemfrage ge- eines Systemveränderers. In Klaus stellt.“ Doch Henkel habe das von Dohnanyi hat er einen über- deutsche System offenbar nicht ver- zeugten Mitkämpfer gefunden (siehe standen. „Was er im Grunde außer Seite 24). Kraft setzen will, ist das demokra- Henkels holpriger Angriff auf Fö- tische Prinzip der Machtteilung“, deralismus und Wahlgesetz trifft ei- meint der mutmaßliche Kanzler- nen wunden Punkt. Was immer die kandidat, „und das halte ich für Bonner Koalition in den letzten Jah- verkehrt.“ ren an großen Reform-Projekten Der Föderalismus, der sich in der ankündigte – es blieb von der Steu- Macht des Bundesrats manifestiert, er bis zur Rente in kleinlichen Ran- ist nicht ohne Grund in Artikel 79 geleien um Prozentpunkte stecken. der Verfassung mit einer „Ewig- Sogar die Unternehmer sind mit IMO keitsgarantie“ versehen – nicht ein- ihrer selbstgewählten Regierung un- BDI-Chef Henkel: Wider das „Konsensgesülze“ mal ein einstimmiger Beschluß des zufriedener denn je. In der Umfrage Parlaments könnte die „grundsätz- des Magazins capital unter den Führungs- liche Mitwirkung der Länder bei der kräften, dem „Elite-Panel“, sorgen sich Verflochtene Politik: Gesetzgebung“ aufheben. diesen Monat 83 Prozent, daß die Bonner Die verfassunggebende Versammlung nichts mehr voranbringen. hatte diese Bestimmung 1949 besonders Verschreckt über die Reaktion seiner doch auf Druck der Amerikaner so scharf ge- so heftig umworbenen Unternehmer-Klien- faßt: Nie mehr sollte wie unter der Hitler- tel, konstatierte FDP-Chef Wolfgang Ger- Diktatur, die umgehend die Länder – allen hardt vergangene Woche ein „Ansehens- voran das große Preußen – entmachtete, tief“ der Regierung. Der ständige Hinweis eine Zentral-Gewalt die totale Herrschaft auf die SPD-Mehrheit im Bundesrat ist für an sich reißen können. Gerhardt „keine ausreichende Begründung Nach welchem Modus die Deutschen für mangelnde politische Fortschritte“. wählen sollen, läßt die Verfassung dagegen Helmut Kohl blieb vergangenen Freitag offen. „Das Grundgesetz schreibt kein be- lieber beim bewährten Feindbild und warf stimmtes Wahlsystem vor“, befand das der SPD die „totale Blockade der wesent- Bundesverfassungsgericht bereits 1957. lichen Zukunftsaufgaben“ per Bundesrat M. DARCHINGER FOTOS: Nur einmal in der Geschichte der Bun- vor. Von den Änderungswünschen des In- Bundestag desrepublik gab es ernsthafte Chancen, das dustrie-Lobbyisten aber hält er wenig: „Da bestehende, komplizierte Verhältniswahl- kommt nichts raus.“ recht wieder abzuschaffen – 1966, während Für den ehemaligen IBM-Manager Hen- der Großen Koalition unter Kanzler Kurt kel ist die Bundesrepublik ein behäbig ge- Georg Kiesinger. Doch damals scheiterte wordenes Unternehmen, das wie der große das Vorhaben schließlich an den Sozialde- Computer-Konzern von blitzschnellen klei- mokraten – sie spekulierten schon auf die nen Konkurrenten überholt wird.Wie einst Macht im Kanzleramt mit Hilfe der Libe- bei „Big Blue“ müßten entscheidungs- ralen, wie es 1969 dann ja auch kam. hemmende Hierarchiestufen abgebaut, ein Da sich solche Konstellationen immer in Jahrzehnten erstarrtes Regelwerk von wieder einstellen, wird es das Mehrheits- Dienstvorschriften durchgeforstet werden. wahlrecht in Deutschland wohl nie geben Mit seiner forschen Art konnte der Auf- Bundesrat – auch wenn das britische Beispiel mal wie- steiger aus Hamburg die deutsche IBM er- der verlockend erscheint. Ein ruckartiger folgreich durcheinanderwirbeln. Daß aber Umschwung wie zu Tony Blair garantiert Deutschland nicht wie eine Aktiengesell- für fünf Jahre ungestörte Machtausübung. schaft zu führen ist, begreift er nicht. So sind Reformen auch ohne Mitwirken Seit er 1995 an die Spitze kam, sucht der Opposition möglich. Freilich können Henkel die Konfrontation. Das „Konsens- sie auch nach der nächsten Wahl genauso gesülze“, wie er das typisch deutsche Zu- leicht rückgängig gemacht werden, wenn sammenspiel von Gewerkschaften und Ar- die Opposition wieder in die Regierung ge- beitgebern intern nennt, ist ihm zuwider. wählt wird. Und: Bei der Mehrheitswahl Da zeigt er die Radikalität des Konvertiten, hapert’s mit der Gerechtigkeit: Die Zahl der sich aus kleinen Verhältnissen über der Sitze reflektiert meist nicht die Zahl eine Speditionslehre und die gewerk- der Wählerstimmen. schaftsnahe „Akademie für Gemeinwirt- Bundesregierung Das Verhältniswahlrecht mit seinem re- schaft“ hochgearbeitet hat. gelmäßigen Zwang zur Koalition verspricht der spiegel 30/1997 23 Deutschland „Aufstand der Mandarine“ Hans-Olaf Henkel gibt Anstöße für eine überfällige politische Diskussion. Von Klaus von Dohnanyi Sozialdemokrat Dohnanyi, 69, war Was die 16 Länder angeht, so haben Bundesministerium für Finanzen darf von 1981 bis 1988 Hamburger Bürger- wir gerade den Versuch hinter uns (1996) ausdrücklich feststellen, daß die meister. Im Herbst erscheint sein Buch (Brandenburg/Berlin), eines weniger zu „föderale Ordnung in Deutschland zu zum Reformthema „Im Joch des Pro- werden. Und ich kenne niemanden, der korrumpieren“ drohe: an Politikver- fits?“. den Fehlschlag nicht bedauert. Es gab mischung, da keine Ebene voll verant- einmal einen Artikel im Grundgesetz, wortlich sei. ngst“ ist ein gängiges Fremd- der die Länderneugliederung zur Ver- Deutschland hat in den letzten Jah- wort in anderen europäischen ringerung der Zahl der Bundesländer ren aus Genf, Lausanne und andernorts ASprachen – „German Angst“, ausdrücklich vorsah. Er wurde nach immer negativere Rangplätze interna- wie es die Angelsachsen so passend Fehlschlägen zu einer bloßen Hoffnung tionaler Wettbewerbsfähigkeit erhalten. nennen.Angst grenzt auch das Feld ab, eingedampft. Zuletzt hat sich die renommierte Ge- in dem eine offene politische Diskus- sellschaft für Konsum- sion bei uns noch stattfinden darf. Und forschung in Nürnberg wenn gar einer