CDU/CSU – 05. WP Fraktionssitzung: 07. 11. 1967

37.

7. November 1967: Fraktionssitzung

ACDP, 08-001-1015/1.

Zeit: 15.07 Uhr – 17.58 Uhr. Vorsitz: Barzel, Blank.

[1. Eröffnung der Sitzung durch den Fraktionsvorsitzenden] Barzel: Meine Damen und Herren, ich eröffne die Fraktionssitzung. Der Herr Bundes- kanzler wird im Laufe der Sitzung zu uns kommen, aber wir haben bis 14.30 Uhr ohne Essen noch ein Koalitionsgespräch gehabt, und die Gefahr besteht, daß wir bald alle Kohlenstaub im Gehirn haben. Ich hoffe, wir behalten aber alle noch Öl in den Kno- chen. Womit wir eigentlich beim Thema dieser Woche wären. Meine Damen und Herren, ich begrüße zunächst in unserer Mitte unseren neuen Kolle- gen [Hellige]1. Wir heißen Sie herzlich willkommen. Auf gute Zusammenarbeit! Und wir freuen uns sehr, daß Sie da sind. [2. Lage im Steinkohlenbergbau] [a) Einführung durch den Fraktionsvorsitzenden] Ich habe dann das Vergnügen, einige Mitstreiter aus dem Lande Nordrhein-Westfalen hier zu begrüßen. Ich begrüße unsere Kollegen Dufhues, Lenz und Vogel, die uns hel- fen wollen bei der Kohledebatte. Auf meine persönliche Bitte ist der Staatssekretär des Bundesministeriums für Wirtschaft, Herr Neef, anwesend, um für Auskünfte zur Ver- fügung zu stehen für den Fall, daß die Kabinettsbeschlüsse von heute morgen2 nicht deutlich genug übermittelt werden können. Ich möchte gerne mit Ihrer Erlaubnis die Verhandlung heute so führen, daß wir zunächst die Kohledinge3 behandeln. Darf ich wenige politische Dinge dazu sagen. Wer sich mit dem Problem beschäftigt hat seit geraumer Zeit, der weiß, daß die finanziellen Dinge für den Bundeshaushalt ja kei-

1 In der Vorlage: Heilige. Am 13. Oktober 1967 verließ Walther Hellige die Fraktion der FDP, war vorübergehend fraktionslos und trat am 24. Oktober 1967 in die Fraktion der CDU/CSU ein, nach- dem er im CDU-Kreisverband Göttingen als Parteimitglied aufgenommen worden war. Dass er bei der Bundestagswahl 1969 mit einer Wiederaufstellung als FDP-Kandidat in Göttingen nicht mehr rechnen konnte, bildete den Hintergrund für Helliges Austritt aus der Fraktion der FDP. Vgl. hierzu »Bundestagsabgeordneter Hellige verläßt die FDP«, in: »FAZ« vom 16. Oktober 1967; »Hellige will sich der CDU-Fraktion anschließen«, in: »Die Welt« vom 16. Oktober 1967; »FDP-Abgeordneter tritt zur CDU-Fraktion über«, in: »WAZ« vom 25. Oktober 1967. 2 Das Kohleanpassungsgesetz, dessen 1. Lesung im am 8. November 1967 stattfand, sollte die Grundlage der Kohlepolitik der Großen Koalition bleiben, aber durch Maßnahmen vor allem im Sozialbereich ergänzt werden. Dafür sollten über die im laufenden und im folgenden Jahr bereits vor- gesehenen Mittel hinaus insgesamt 100 Millionen DM zur Verfügung gestellt werden. Vgl. »Koalition einig: Kohlebergbau dem Markt anpassen«, in: »FAZ« vom 8. November 1967. 3 Am 8. November 1967 stand im Bundestag eine große Debatte zur Krise im deutschen Steinkohlen- bergbau an, in der mehrere Regierungsvorlagen zum strukturellen Umbau des Steinkohlenbergbaus und für soziale Hilfsmaßnahmen für die betroffenen Bergleute behandelt wurden. Vgl. BT STEN. BER., 5. Wahlperiode, 131. Sitzung am 8. November 1967, S. 6631–6700 in Verbindung mit den Ent- würfen der Bundesregierung für ein Gesetz zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkoh- lenbergbaus und der deutschen Steinkohlenbergbaugebiete (BT-Drucksache V/2078), für ein Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes für Bergmannsprämien (BT-Drucksache V/2014), für ein Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenberg- bau (BT-Drucksache V/2232) und für ein Gesetz über das Zollkontingent für feste Brennstoffe 1968, 1969 und 1970 (BT-Drucksache V/2233). Copyright © 2017 KGParl Berlin 1 CDU/CSU – 05. WP Fraktionssitzung: 07. 11. 1967

neswegs leichter geworden sind dadurch, daß die Zahl der Zechen und die Zahl der Arbeitnehmer dort erheblich gesunken sind. Auf der anderen Seite hilft es niemandem, wenn man die Probleme vor sich herschiebt. Wenn Sie mich fragen nach einem Schlag- wort, wie soll das gemacht werden, dann sage ich Ihnen: sozial, schnell und, was die Energie betrifft, billig. Ich will das jetzt nicht im einzelnen behandeln. Und je länger man sich all die vielen Pläne ansieht, desto größeren Rang bekommt die Regierungsvor- lage als Basis. In dieser Richtung hat sich gestern der Fraktionsvorstand verständigt. In dieser Richtung waren unsere Freunde tätig. Und ich möchte zunächst dem Kollegen Brand und den Mitgliedern seiner Kommission4, die beinahe seit Jahresfrist auf diesem Gebiet vorzügliche Arbeit geleistet haben, hier in aller Form und sehr herzlich danken. Was die Debatte morgen betrifft, so würde ich es dankbar begrüßen, wenn wir alle daran denken würden, daß die Kritik am Parlament draußen im Lande immer heftiger wird, gerade wegen mangelnder Präsenz. Und ich würde bitten, daß wir vielleicht mor- gen ein bißchen präsenter sind als sonst. In diesem Falle ist der Komparativ immer noch weniger als »präsent«. Und es wird sich so abspielen, daß Herr Schiller die Gesetzesvor- lage einbringt, dann haben wir das erste Wort beantragt. Unser erster Sprecher wird der Kollege Brand sein. Es wird dann für die Sozialdemokraten nach menschlicher Voraus- sicht sprechen, während das für die FDP noch offen ist. Wir rechnen damit, daß spätestens dann die Ministerpräsidenten von NRW5 und Saarland6 sich in die Debatte einschalten werden. Es bedeutet, dann ist der Nachmittag erreicht. Der Vorstand und die Arbeitsgruppe hielten es für richtig, daß dann der Vorsitzende der Fraktion das Wort hat. Und, je nach dem, ob die Debatte zu Ende geht oder nicht, werden wir uns auf weitere Redner einrichten müssen. Ein Versuch, diese Debatte zu ordnen in zwei Umgänge, ist bis zur Stunde nicht erfolg- reich gewesen, weil unser Koalitionspartner der Meinung ist, hier müßte nun jeder die Gelegenheit haben, sich auch auszusprechen. Ich bitte hier die Kollegen, die besonders sachverständig sind, sich auch für kürzere Beiträge zur Verfügung zu halten. Wenn ich richtig informiert bin, hat die Bundesregierung heute drei Beschlüsse gefaßt, die aus meiner Sicht Ergänzungen der Regierungsvorlage darstellen. Es sah ja gestern in der Presse so aus, als würde nichts mehr von dem gelten, was in der Regierungsvorlage stand. Das sei falsch, sagte uns der Bundeskanzler. Das Kabinett hat erstens einige soziale Maßnahmen beschlossen, die insgesamt – wie ich höre – ein Volumen von 100 Millio- nen haben, wovon ein Teil von den Ländern getragen wird, der andere Teil soll aus den Haushalten, die jetzt da sind, aufgebracht werden. Wenn es im einzelnen gewünscht wird, wird sicher Herr Neef so freundlich sein, das vorzutragen.

4 Gemeint ist die von der Fraktion der CDU/CSU in ihrer Sitzung am 11. April 1967 eingesetzte Arbeitsgruppe für energiepolitische Fragen, insbesondere der Kohle. Vorsitzender dieses Gremiums war der Abgeordnete , weiter gehörten dieser Arbeitsgruppe an die Abgeordne- ten , , Ingeborg Geisendörfer, Maria Jacobi, Linus Memmel, Günter Rinsche, Hermann-Josef Russe, , Kurt Schober, Gerd Springorum, Anton Stark und Josef Stecker. Ihre Aufgabe hatte die Arbeitsgruppe darin gesehen, die aktuelle Situation in der Energiewirtschaft und insbesondere im Steinkohlenbergbau zu untersuchen, eine Stellungnahme zum energiepolitischen Programm der Bundesregierung zu erarbeiten und die wesentlichen Grundlinien für ein zeitnahes energiepolitisches Konzept der Fraktion der CDU/CSU aufzuzeigen. Vgl. »Bericht der Arbeitsgruppe ›Energie/Kohle‹ für die Beurteilung der aktuellen energiepolitischen Lage«, Aus- arbeitung vom Oktober 1967, in: ACDP, 01-004-011/3. 5 Heinz Kühn. 6 Franz Josef Röder. Copyright © 2017 KGParl Berlin 2

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Zweitens hat die Bundesregierung beschlossen, es sei gut, eine Einheitsgesellschaft auf freiwilliger Basis zu schaffen. Welche Aufgaben die haben soll, wie sie zustande kommt usw., wird sicherlich Herr Neef Gelegenheit nehmen, sie vorzutragen. Drittens Heizölsteuer. Die Bundesregierung hat dazu keinen Beschluß gefaßt und mit der erkennbaren Tendenz, hier nichts zu tun – so bin ich unterrichtet worden. Ich habe aber Anlaß, zu glauben, daß aus dem Hause, vielleicht vom Koalitionspartner, diese Frage nach vorne geschoben werden wird. Meine Damen und Herren, wenn Sie einverstanden sind, daß wir erst die Kohledinge besprechen, wobei dies eine 1. Lesung ist und es nicht darum geht, sich auf alle Einzel- heiten festzulegen, sondern eben zu denken, was in unserem Lande notwendig ist. Wenn ich das als Vorsitzender dieser Fraktion sagen darf, daß wir nicht nur das Ruhr- problem haben, daß wir auch andere Strukturprobleme haben, daß wir auch konjunktu- relle Notwendigkeiten haben, daß ein Teil unserer Wachstumsindustrien eben das Öl braucht, daß wir alle miteinander das Interesse an billigen Energiekosten haben und daß das Präjudiz, das hier geschaffen wird – ob mit Einheitsgesellschaft oder nicht –, auf jeden Fall für andere morgen eine Berufung sein wird, weshalb man hier mit spitzem Bleistift rechnen muß.

Wir haben über 300 000 Arbeitnehmer weniger an der Ruhr und an der Saar, und wir haben fast die Hälfte der Zechen geschlossen. Wenn Sie sich angucken, wie das Verhält- nis zwischen Beitragsaufkommen und Staatszuschuß in der Knappschaft ist, dann wer- den sie 1957 noch feststellen – ich nenne jetzt die runden Zahlen – ein Aufkommen von 900 Millionen und einen Zuschuß von 600 bis 700 Millionen. In diesem Jahr ein Auf- kommen von einer Milliarde und einen Zuschuß von 2,5 Milliarden. Damit wird deut- lich, daß hier in jedem Millimeter, in dem man sich bewegt, auch in jeder Mitverantwor- tung und in jedem Engagement, was der Staat übernimmt in diesem Bereich, natürlich die Lage der Kasse mit zu berücksichtigen sein wird. Ich meine, daß diese paar wenigen nüchternen Worte jetzt hier zum Eingang gesagt sein sollten, damit wir die anderen Probleme zumindest nicht vergessen haben. [b) Bericht aus dem Arbeitskreis II] Burgemeister: Ich darf an den Anfang meines Berichtes einen Dank stellen an den Kol- legen Brand, der in sehr mühseliger monatelanger Kleinarbeit, gestützt auf zahlreiche Kollegen der Fraktion, sich darum bemüht hat, in Gesprächen mit den beteiligten Or- ganisationen und Verbänden die Grundlagen zu schaffen für die Debatte, die morgen hier geführt werden muß. Kollege Brand hat wirklich sehr mühselige und sehr zeitrau- bende Verhandlungen führen müssen und hat für viele Gespräche sich zur Verfügung stellen müssen, die im Sinne dieser Aufgabe, welche die Kommission übernommen hatte, zu lösen waren. Der Arbeitskreis hat heute morgen getagt in Anwesenheit von Herrn Staatsminister a.D. Dufhues, Bundesminister a.D. Etzel und dem Herrn Vorsitzenden der Landtags- fraktion [von Nordrhein-Westfalen], Herr Dr. Lenz. Sie mögen aus der Anwesenheit dieser Herren schon ersehen, welche Bedeutung dem Arbeitskreis heute zugemessen worden ist. Ich möchte sagen, daß wählend der Diskussion im Arbeitskreis eigentlich alle Kollegen, die ein Interesse an dieser Debatte haben, auch die Möglichkeit gehabt haben, sich zu Wort zu melden und Ausführungen zu den anstehenden Problemen zu machen. Dabei hat sich herausgestellt, daß Differenzen, die in wirren Zeiten noch viel schärfer sichtbar geworden sind, heute auf ein Minimum zusammengeschrumpft sind. Es ist deutlich geworden, daß die Kollegen, die auch aus anderen Bereichen als die der Ruhr kommen, die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Regelung dieser Schwierigkei-

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ten einsehen und bereit sind, sich dafür einzusetzen, wenn dabei die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden. Der Arbeitskreis war sich klar darüber, daß es sich nicht um Lösungen handelt, die einem Strukturproblem der Kohle etwa zukämen. Es wurde deutlich, daß es sich hier nicht nur um ein Kohleproblem handelt, sondern auch um eine Lösung eines Gesamtenergieprogramms. Entsprechend waren auch die Aus- führungen und Beiträge, die von den einzelnen geleistet wurden. Kollege Brand hat berichtet über das Ergebnis seiner Arbeitsgruppe. Er hat darauf hin- gewiesen, zur Abkürzung seiner Ausführungen, daß allen Mitgliedern in die Fächer gelegt worden ist ein Bericht über diese Kommission. Die Ausführungen heute morgen gipfelten darin, daß wir der Empfehlung des Fraktionsvorstandes folgen sollten, die morgige Debatte möglichst kurz zu halten und möglichst nicht mehr als zwei Redner in die Schlacht zu schicken. Wir waren dabei der Meinung, daß als Hauptsprecher der Fraktion unser Kollege Brand auftreten sollte, der, wie ja schon betont, dafür die ent- sprechenden Voraussetzungen geschaffen hat, indem er sich in den letzten Monaten mit den Dingen so vertraut gemacht hat, wie das hier notwendig ist. Wir waren der Mei- nung, daß darüber hinaus, aber auch politische Probleme sehr stark angesprochen wer- den müssen, wir müssen damit rechnen, daß die Sozialdemokraten, die in den letzten Wochen doch eine sehr sichtbare und spürbare Nervosität in diesem Bereich gezeigt haben, auch morgen hier im Bundestag sich mit Dingen melden werden, die es notwen- dig machen, daß wir dazu auch ein politisches Wort sagen. Dazu ist gestern schon im Fraktionsvorstand der Fraktionsvorsitzende gebeten worden, sich bereit zu halten und dazu zu sprechen. Der Arbeitskreis hat sich dieser Empfehlung des Vorstandes ange- schlossen und hat zugegeben, daß das die beste Möglichkeit wäre, über die Runden zu kommen. Das schließt nicht aus, daß für den Fall, daß etwa die anderen Fraktionen weitere Redner benennen werden und Spezialprobleme etwa in der Diskussion ange- sprochen werden, sich weitere Sprecher des Arbeitskreises zur Verfügung halten wer- den. Ich denke an Prof. Burgbacher, Dr. Müller-Hermann, Russe, Schmidhuber und andere, die vorbereitet sind. Der Sinn und Zweck der Aussprache des Arbeitskreises gipfelte darin, der Fraktion zu empfehlen, morgen in der 1. Lesung der Überweisung der Vorlagen an die Ausschüsse zuzustimmen und morgen noch nicht detailliert Stellung zu nehmen zu den einzelnen damit zusammenhängenden Problemen, wie zum Beispiel dem Rheinstahlplan7, dem Walsumplan8, dem Russeplan9, und wie andere Pläne noch benannt sein mögen. Wir

7 Der sogenannte Rheinstahl-Plan zur Rationalisierung des Steinkohlenbergbaus war ein Programm der Unternehmer, das von etwa 70 Prozent des deutschen Bergbaus vertreten wurde. Er hatte seinen Namen daher, dass die Verhandlungen der Unternehmer im Essener Rheinstahl-Haus stattgefunden hatten. Der Plan sah die Konzentration der Kohlenförderung auf die rentabelsten Anlagen vor und – ohne Rücksicht auf die Eigentumsverhältnisse – deren Zusammenfassung in eine oder zwei Betriebs- führungsgesellschaften. Den Eigentümern sollte ein vom Bund zu garantierender Pachtzins von 6 Prozent gezahlt werden. Die Bundesgarantie sollte aber nur wirksam werden, wenn und soweit der Pachtzins von der oder den Betriebsführungsgesellschaften nicht selbst erwirtschaftet werden konnte. Mit dem BDI-Präsidenten Fritz Berg, dem DIHT-Präsidenten Ernst Schneider, dem Bankier Her- mann Josef Abs und dem Vorsitzenden der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie, Hans- Günther Sohl, hatte der Rheinstahl-Plan gewichtige Befürworter. Vgl. SCHAAF, S. 280–283; Hans Overberg: »Viele Pläne – doch kein Konzept«, in: »Rheinische Post« vom 4. November 1967. 8 Der sogenannte Walsum-Plan, entwickelt von dem kaufmännischen Vorstandsmitglied der Berg- werksgesellschaft Walsum AG, ging davon aus, dass die Zechenauslese über die Preise zu erfolgen habe. Eine Einheitsgesellschaft war nicht vorgesehen, dafür ein produktionsbezogenes Syndikat, das den Verkauf von Kohle zentral durchführen sollte. Die einzelnen Zechen sollten diesem Verkaufskar- tell ihre Kohle zu ihren optimalen Kosten anbieten, die dann für die Entscheidung herangezogen würden, welche Schachtanlagen geschlossen werden müßten, weil sie nicht mehr konkurrenzfähig seien. Der Plan ging davon aus, dass die Kohlepreise im Durchschnitt um 10 DM je Tonne gesenkt Copyright © 2017 KGParl Berlin 4

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sind und waren uns klar darüber, daß im Rahmen einer 1. Lesung diese Dinge so einge- hend noch nicht angesprochen werden sollten, wir sie auch noch nicht so eingehend behandeln können, daß aber ganz von selbst sich in den Ausschußberatungen die Not- wendigkeit ergeben wird, mit diesen einzelnen Plänen sich zu befassen. Der Fraktions- vorsitzende hat bereits deutlich gemacht, daß die Bundesregierung bereits dabei ist, Überlegungen anzustellen, die darin gipfeln, die Vorlage der Bundesregierung in dem einen oder anderen Punkte noch zu erweitern. Minister Schiller wird morgen wahr- scheinlich in der Debatte darauf eingehen. Der Arbeitskreis empfiehlt Ihnen also, die Debatte in dem Sinne ablaufen zu lassen und daran zu denken, daß es eine 1. Lesung ist, daß alle Probleme in den Ausschußberatungen angesprochen werden können und dazu mehr Zeit und bessere Gelegenheit gegeben ist, als daß in der 1. Lesung morgen der Fall ist. Weiter empfiehlt der Arbeitskreis, als Hauptsprecher den Kollegen Brand zu be- nennen, als Zweitsprecher aus dem politischen Bereich unseren Fraktionsvorsitzenden. [c) Bericht aus dem Arbeitskreis III] Pohle: Der Arbeitskreis III hat sich heute ebenfalls mit der Vorlage beschäftigt, und zwar aus haushaltspolitischen Gründen. Es bestehen ja immerhin eine ganze Menge Belastungen. Ich kann gleich am Anfang sagen, daß ich mich inhaltlich für den Arbeits- kreis III voll an das anschließe, was Kollege Burgemeister für den Arbeitskreis II vorge- tragen hat. Die Vorlage zum Kohleanpassungsgesetz soll passieren. Allerdings ist im Arbeitskreis III ebenfalls zum Ausdruck gekommen, daß wir nur dann weiterkommen, wenn ein gesamtenergiepolitisches Konzept entwickelt wird, und daß es keinen Zweck hat, eine Politik der kleinen Schritte zu unternehmen. Ganz besonders lag dem Arbeits- kreis III am Herzen der Hinweis, daß alle weiteren Maßnahmen Geld kosten und daß es notwendig ist, zu prüfen, wieweit die bisherigen Maßnahmen in die mittelfristige Finanzplanung Eingang gefunden haben, und bevor weitere Maßnahmen getroffen werden, ein ganz klares Bild darüber zu haben, wie viele Mittel für weitere Maßnahmen erforderlich sind und woher die Deckung genommen werden soll. Allgemein kam schließlich zum Ausdruck, daß es zweckmäßig ist, bei der Debatte, von der wir uns vorstellen, daß sie entsprechend den Vorschlägen des Vorstandes geführt wird, wie es Herr Burgemeister eben vorgetragen hat, auch zum Ausdruck kommt, was die bisheri- gen Regierungen an großen Hilfsmaßnahmen und an Maßnahmen für den Bergbau schon getan haben, um auch nach außen nicht in Erscheinung treten zu lassen, als ob nun plötzlich diese ganze Sache nur ein Verdienst der Regierung sei, in der sich auch die Sozialdemokraten befinden.

werden konnten, wenn die Zechen wieder voll ausgefahren würden, und dass durch ein entsprechen- des Marketing Energieverbraucher der Kohle zurückgewonnen werden könnten. Wer dem Syndikat

nicht beitrete, solle auch keine Unterstützungen mehr erhalten. Vgl. Hans Mundorf: »Der Walsum- Plan ist noch nicht tot«, in: »Industriekurier« vom 14. Oktober 1967; Hans Overberg: »Viele Pläne – doch kein Konzept«, in: »Rheinische Post« vom 4. November 1967. 9 Der sogenannte Russe-Plan wurde von einer Parteikommission unter Leitung des Bundestagsabge- ordneten Hermann-Josef Russe erarbeitet, die sich mit den Themen Kohle, Stahl und Energie be- schäftigte und den Auftrag der CDU hatte, hierzu Vorschläge für das geplante Aktionsprogramm der CDU vorzulegen. Dieser Plan sah die Bildung einer »Deutschen Energie AG« vor, in der alle Kohle-, Öl-, Kernenergie und Elektrizitätsunternehmen zusammengefaßt werden sollten. Später könnten dann auch die Bergbau-Chemie-Interessen darin eingebracht werden. Das Kapital für eine solche AG von etwa acht bis zehn Milliarden DM sollte durch eine gleichzeitig zu errichtende »Kapitalfinan- zierungs-AG« aufgebracht und durch Sparmittel – möglichst aus Arbeitnehmerhand – ergänzt wer- den. Vgl. »Russe-Plan gegen Halden«, in: »Rheinische Post« vom 31. Oktober 1967; »Super Energie AG möglich«, in: »Frankfurter Rundschau« vom 3. November 1967; »Eine deutsche Energie AG?«, in: »Stuttgarter Zeitung« vom 7. November 1967. Copyright © 2017 KGParl Berlin 5

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[d) Bericht aus dem Arbeitskreis IV] Stingl: Der Arbeitskreis IV hat sich heute auch sehr ausführlich mit der Debatte dieser Woche beschäftigt. Ausgesprochen sozialpolitische Maßnahmen sind neu nicht vorge- sehen. Die Änderung der Bergmannsprämie betrifft bloß die Neuformulierung des Begriffs der Untertagearbeit, andererseits ist unverkennbar, daß in allen Dingen, die mit der Kohle zusammenhängen, jeweils auch die Probleme der Bergleute eine Rolle spie- len. Wir haben nach einer sehr guten Debatte Ihnen vorzuschlagen, daß, wenn es nicht bei den beiden Rednern bleibt, wir es begrüßen würden, daß der Kollege Russe bei seinem energiepolitischen Teil auch die sozialpolitische Seite der Frage der Bergleute ansprechen soll, daß aber auch der Kollege Klein sich bereithalten soll, falls Fragen der Knappschaftsversicherung hochkommen, was möglich wäre, und daß zu dem Problem, daß jeweils wieder der Arbeitsplatz an der Kohle hängt, also zu den Problemen in einer breit geführten Debatte, die beiden Kollegen Lampersbach und Krampe sprechen soll- ten, und vom Revierfernen her, wo wir auch Probleme der Arbeitslosigkeitsstruktur haben, dann Kollege Franke. Für den Fall, daß die Debatte weiterläuft, sind diese Her- ren vom Arbeitskreis benannt. Barzel: Ich begrüße zwischendurch den Herrn Bundeskanzler herzlich in unserer Mitte. [e) Bericht des Staatssekretärs Neef] Staatssekretär Neef: Die Bundesregierung hat ausdrücklich durch die Worte des Herrn Bundeskanzlers heute im Kabinett bekräftigt, daß das Gesetz zur Anpassung und Ge- sundung des deutschen Steinkohlenbergbaus und der Steinkohlengebiete unverändert der Vorschlag ist, den die Bundesregierung dem Parlament zur Lösung des Steinkoh- lenbergbaus machen wird. Dieses Gesetz enthält jene drei Abschnitte, unter denen sich alle Vorschläge, wo immer sie gemacht worden sind, summieren lassen, nämlich die Einsicht, daß wir um eine Anpassung im Steinkohlenbergbau nicht herumkommen. Zweitens, daß das Ganze nicht erträglich ist ohne einen gleichgewichtigen Sozialplan für diesen Prozeß. Drittens die Tatsache, daß wir Anstrengungen unternehmen müssen, dem Ruhrgebiet eine neue industrielle Struktur zu geben. Schon dieses Gesetz hob hervor, daß es eine oder mehrere optimale Betriebsgrößen geben wird. Und der Unter- schied seit der Einbringung dieses Gesetzes ist, daß die Bundesregierung sich darüber klar wurde, daß es eine zentrale Betriebsführungsgesellschaft sein soll. Der Vorsitzende hat mich aufgefordert zu sagen, welche Forderungen wir an diese Gesellschaft stellen, welches die Gründe waren, warum wir uns zu einer Gesellschaft entschlossen haben, weshalb wir also meinen, daß jene Paragraphen des Gesetzes, mit denen man Zwang ausüben kann, durch Verweigerung von Unterstützung in die Rich- tung einer Gesellschaft angewendet werden sollen. Der erste Grund ist, daß wir nur auf diese Weise eine zuverlässig überbetriebliche Rationalisierung in jenem Maße bekom- men, daß dann eines Tages keine Zweifel mehr darüber bestehen können, daß der Stein- kohlenbergbau seine Leistung, sein Optimum an Rationalisierung betreibt. Der zweite Grund ist, daß nur auf diese Weise eine einheitliche Belegschaftspolitik betrieben wer- den kann, so daß in einem Kopf in einem Büro das ermöglicht wird, was bei der Entlas- sung von Bergarbeitern als Milderung ausgedacht werden kann. Wenn heute eine Zeche Bergarbeiter entläßt, dann war es häufig ein Zufall, ob die Zeche, die dem gleichen oder einem anderen Konzern gehörte, ein Jahr vorher Anstrengungen machte, für diese Bergarbeiter einen Auffangarbeitsplatz zu schaffen. Und schließlich würde, was sich in den letzten Wochen besonders eindringlich zeigte, keine Regierung Fälle unangekün- digter, planloser Stillegungen auf die Dauer aushalten. Es können nur noch solche Stil- legungen politisch ertragen werden, die im Rahmen eines Gesamtplanes geschehen, der

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vorher diskutiert und akzeptiert worden ist. Aus diesen Gründen wird die Bundesregie- rung an jene einheitliche Gesellschaft folgende Forderungen stellen: 1. Diese Gesellschaft soll erweisen durch eine Wirtschaftlichkeitsrechnung nach allen Prinzipien moderner Betriebsvorherschau, daß sie mit einem positiven Betriebs- und Wirtschaftsergebnis arbeiten wird. 2. Das Engagement der öffentlichen Hand bei oder in dieser Gesellschaft und die damit verbundenen Risiken sollen auf alle Fälle so klein als möglich eingegrenzt sein. 3. Diese Gesellschaft sollte womöglich freiwillig oder ohne gesetzlichen Zwang entste- hen und 4. sie sollte so schnell als irgend möglich entstehen. Die vielen Vorschläge, die der Bundesregierung gemacht worden sind, werden geprüft werden unter diesen vier Gesichtspunkten. Die meisten der Pläne sind, was die Wirt- schaftlichkeitsrechnung angeht, noch nicht zu Ende geprüft. Der eine Plan, über den schon längere Zeit verhandelt wird, ist im Zustand des Aushandelns zwischen den Au- toren, also den Eigentümern des Steinkohlenbergbaus, und der Bundesregierung. Ich darf schließen damit, daß der Finanzminister10 im Kabinett heute sich ausdrücklich an den Wirtschaftsminister11 wandte, um ihm zu danken. Er habe eine Lösung für den Steinkohlenbergbau vorgeschlagen, die eine geringe Belastung des Haushalts bedeute. Dies sei in der gegenwärtigen Zeit nach seiner Meinung das wichtigste Erfordernis, wenn ein Plan zur Lösung des Steinkohlenbergbaus realistisch sein solle. [f) Allgemeine Aussprache] Barzel: Ich danke Herrn Staatssekretär Neef für den sehr präzisen Bericht. Damit könn- ten wir die Aussprache eröffnen. Es geht um eine 1. Lesung. Sie haben gehört, daß wir sagen wollen, daß es eine gute Diskussionsgrundlage ist, was die Bundesregierung vor- legt. Es gibt viele Einzelheiten, über die man im Ausschuß sprechen muß. Es wird na- türlich unser Interesse sein, viele der Fragen, die draußen im Lande gestellt werden, ins Parlament zu nehmen, um zu versachlichen und zu beruhigen. Es muß dann halt die Bundesregierung beantworten oder dann später der Ausschuß. Stecker: Ich hätte nur eine Frage, nach Ihrer Auskunft, Herr Vorsitzender, wird von der Bundesregierung die Frage der Erhöhung der Mineralölsteuer nicht angeschnitten werden. Die Frage wäre, wie wir uns verhalten, wenn das von der Koalitionsfraktion angeschnitten werde. Ich würde das für meinen Bereich für sehr bedeutsam halten. Barzel: Ich habe die Absicht, entsprechend einer Anregung, die mir gegeben worden ist, für den Fall, daß – sei es durch Herrn Kühn, sei es durch unseren Freund Röder, sei es durch Helmut Schmidt oder andere – weitergehende Vorschläge gemacht werden, die irgendwie die Volkswirtschaft oder den Steuerzahler belasten, ich erst mal sage, wie interessant dieser Vorschlag ist, und dann frage, was meinen Sie, Herr Bundeswirt- schaftsminister, dazu? Ich glaube, daß das die Methode sein könnte, um in der Debatte ein Stückchen weiterzukommen. Brück (Köln): Ich habe eine Anfrage. Ich habe mir am Samstagmorgen in Osnabrück die Nationalzeitung12 einmal interessenhalber gekauft. Auf der ersten Seite war das Kohleproblem auch angesprochen. Es könnte morgen einer da unten auf die Pauke hauen und sagen, wie kommt es, obwohl wir diesen großen Kohlenüberschuß haben, daß wir noch 6 Millionen Kohlen importieren. Auf diese Frage müssen wir, weil sie uns

10 Franz Josef Strauß. 11 . 12 Gemeint ist die »Deutsche Nationalzeitung«, das Parteiblatt der NPD. Copyright © 2017 KGParl Berlin 7

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dauernd draußen gestellt wird, auch in diesem Artikel anklang, eine für die Allgemein- heit vernünftige Antwort geben. Sollte sie nicht gestellt werden, so wäre ich der Mei- nung, daß einer von uns diese Frage aufgreift und allgemein verständlich darlegt, weil diese Frage uns immer wieder gestellt wird. Im übrigen würde ich Sie bitten, daß Sie sich auch die Zeitung anschauen, weil da noch jemand angegriffen worden ist in einer Weise, die geradezu unverschämt war, der hier im Saale ist. Barzel: Die Frage, die Herr Brück gestellt hat, ist eine von dem Dutzend von Fragen, die im Volk eine Rolle spielen und die ich an die Regierung zu stellen die Absicht habe mit der Bitte, doch deutlich zu machen, warum das notwendig ist, auch zu fragen, ob es wirklich stimme, daß man in den USA die Kapazität ausweite, und warum, wenn das stimmt, das so sei. Wir wollen doch hier einmal dafür sorgen, daß wir Fragen von drau- ßen aufnehmen. Die Regierung kann doch dann sagen, warum dies und das so und so ist. Ich glaube, daß das eine Methode sein könnte. Russe (Bochum): Ich darf mir eine Frage erlauben, heute morgen in der Diskussion des Arbeitskreises II ist durch einen Vertreter des Finanzministeriums die eventuelle Grö- ßenordnung der haushaltsmäßigen Belastung einer Einheitsgesellschaft dargestellt wor- den. Mich würde es interessieren nach den Darstellungen, die Sie und der Herr Staats- sekretär Neef gegeben haben, ob inzwischen die dort vorgetragenen Überlegungen überholt sind, nachdem Herr Staatssekretär Neef vorhin gesagt hat, daß eine weitestge- hende Mindestbelastung für den Haushalt in Frage käme. Ich wäre dankbar, wenn ich darauf eine Antwort bekommen könnte. Staatssekretär Neef: Der Grund, warum die Bundesregierung in dem Kohleeinfuhrge- setz die Beibehaltung der 6 Millionen Tonnen vorgeschlagen hat, ist folgender: wie groß oder klein immer die Belastung der Volkswirtschaft sein wird für das Kohleprogramm, das beschlossen werden wird, wir werden sie erarbeiten müssen mit der übrigen Volks- wirtschaft unseres Landes. Diese Volkswirtschaft hängt zu einem erheblichen Teil von der Chance ab, mit den übrigen Ländern der Welt Handel zu betreiben. Und nun gibt es in diesen Tagen und Wochen eine wirklich ungeheuer große Gefahr, die man nicht überschätzen kann. Die Gefahr nämlich, daß in den Vereinigten Staaten unter einer hauchdünnen Decke sich ein neuer Protektionismus, ein handelspolitischer Protektio- nismus breit macht, der im Begriffe ist, eine große Partei gegen den bisher nur theoreti- schen Erfolg der Kennedy-Runde13 zu bilden. Es ist noch nicht entschieden, ob jene Bewegung eines neuen amerikanischen Protektionismus nicht Ergebnisse der Kennedy- Runde aufheben kann. Und in diesem Augenblick, in dem von einem solchen Funken sehr viel mehr abhängen kann, als sich in diesen 2 Millionen Tonnen ausdrückt, in die- sem Augenblick meinten wir, sollten wir vor der ganzen Handel treibenden Welt nicht dasjenige Land sein, daß den Funken gibt, am Ende mißbraucht zu werden als Ursache für eine solche schreckliche Reaktion. Und was die Kosten für die Einheitsgesellschaft angeht, so sollte ich folgendes noch einmal präzisieren: Ich habe allgemeine Bedingun- gen formuliert, die an diese Einheitsgesellschaft zu stellen sind. Ich habe keine Prophe- zeiungen machen können, welches das finanzielle Engagement der öffentlichen Hand und des Bundes bei der einen oder anderen Einheitsgesellschaft sein wird, weil mit keinem Partner, der uns eine solche Gesellschaft anbietet, die Verhandlungen zu Ende geführt sind. Ich weiß nicht, wie Vertreter des Finanzministeriums zu Schätzungen kommen können, es sei denn, sie basieren auf den Offerten, die uns bisher von den

13 Gremium aus GATT und EWG-Kommission, das den Vorschlag des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy aus dem Jahr 1961 zu einer allgemeinen Zollunion zwischen 1964 und 1967 verhan- delte. Die Kennedy-Runde legte im Juni 1967 eine Entschließung vor, wonach das Zollniveau der Mitgliedsländer um etwa 35 Prozent gesenkt wurde. Vgl. AdG 1964, S. 11209 f. u. 1967, S. 13272 f. Copyright © 2017 KGParl Berlin 8

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Eigentümern gemacht worden sind. Es wäre sehr unklug, dies anzunehmen, denn wir schicken uns ja erst an, wie wir meinen, in harten Verhandlungen unsere Bedingungen, so hoffen wir, durchzusetzen. Die Bemerkung, Herr Russe, die ich am Ende machte, bezog sich nicht auf diesen Teil meiner Ausführungen, sondern war das Ende eines Berichts über die Kabinettsberatung, indem ich sagte, der Finanzminister hat dem Ge- samtprogramm, dessen Bestandteil weder die eine noch die andere Gesellschaft bisher ist, attestiert, daß es Rücksicht genommen hat auf die Haushaltslage des Bundes. Blumenfeld: Eine Frage, die noch nicht beantwortet worden ist. Ich hätte gerne gewußt hinsichtlich der zusätzlichen Sozialmaßnahmen, die heute das Kabinett beschlossen hat, ob wir von ihnen eine nähere Auskunft haben können. Staatssekretär Neef: Das Kabinett hat heute folgendes beschlossen: Der Gesamtsozial- plan, den die Bundesregierung morgen anbieten wird, soll bestehen aus 1. dem schon im Gesetz vorgesehenen Abfindungsgeld bis zu 5000 DM, 2. den Anpassungshilfen des Bundes der Montanunion nach Artikel 5614, die schon bisher bezahlt wurden, und 3. den Leistungen des Bergbaus im Rahmen seiner betrieblichen Fürsorge, worunter folgendes zu verstehen ist: Bisher war es Glück oder Pech des einzelnen Bergmannes, ob er entlassen wurde in einer sehr großzügigen Gesellschaft oder in einer anderen, die das weniger war. Jetzt soll für alle Bergleute, die entlassen werden, ein einheitlicher gesamter Sozialplan entstehen, der schon die Konsequenz der Einheitsgesellschaft sein würde, so daß kein Bergmann mehr davon abhängt, ob nun die letzte Aufsichtsratssit- zung vor der Stillegung ihm einen besonders guten oder mäßigen Sozialplan bescheren wird. Weiter wurde beschlossen, dem Bergmann für diejenigen unbezahlten Feierschichten, die er 1967 seit dem 1. Mai auf sich nehmen mußte, weil nun wirklich kein Kilogramm Kohle auf die Halden ging, den gleichen Härteausgleich zu zahlen, den er seit Beginn der Krise regelmäßig erhalten hat. Es wurde weiter beschlossen, für 1968 so viele Feierschichten zu ermöglichen, daß das Stillegungsvolumen 1968 auf alle Fälle politisch beherrschbar bleiben wird. Zu dem Wort Stillegungsstopp muß [ich] hier mit größtem Nachdruck sagen, der Herr Bundes- kanzler hat es selbst formuliert, in dem Vokabularium der Bundesregierung existiert es nicht. Und schließlich wurde beschlossen, daß jene Regelung, die im vergangenen Jahr den Tarifkonflikt im Steinkohlenbergbau vermieden hat, als die Fünf-Tage-Woche im Berg- bau eingeführt wurde, damit der Zustand aufhörte, daß im Bergbau länger gearbeitet wurde als in anderen Industriezweigen, für das Jahr 1968 fortgesetzt wird. Dies macht insgesamt 152 Millionen DM aus, davon würde der Bund zwei Drittel tragen unter conditio sine qua non, daß die Bergbauländer das übrige Drittel übernehmen. Von den 101 verbleibenden Millionen DM sind in dem Haushalt des Wirtschaftsministers für 1968 schon 50 enthalten. Weitere 30 Millionen hat der Wirtschaftsminister versprochen, im Jahre 1968 aus anderen Positionen seines Haushalts einzusparen, um zu vermeiden,

14 Nach Artikel 56 konnten nicht rückzahlungspflichtige Beihilfen für beschäftigungslos gewordene Arbeitskräfte der Kohle- und Stahlindustrie gewährt werden zur Zahlung von Entschädigungen, die es den Arbeitnehmern ermöglichten, ihre Wiedereinstellung abzuwarten, für die Kosten, die dem Ar- beitnehmer zur Erlangung eines neuen Arbeitsplatzes entstanden, und zur Finanzierung der Um- schulung der Arbeitnehmer, die ihre Beschäftigung wechseln mussten. Vgl. »Gesetz betreffend den Vertrag vom 18. April 1951 über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl« vom 29. April 1952, BGBl. 1952 II S. 445. Copyright © 2017 KGParl Berlin 9

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daß auch dieses Programm in diesem Augenblick zu zusätzlichen Haushaltsforderun- gen führt. Springorum: Ich darf nur eines ganz kurz richtig stellen. Herr Staatssekretär Neef sprach davon, daß alle anderen Länder sehr vorsichtig wären in ihren Beziehungen zu den Vereinigten Staaten in der augenblicklichen Situation. Hierzu darf ich folgendes sagen, daß alle anderen Länder innerhalb der EWG ihre Importkohlen aus Drittländern eingeschränkt haben zugunsten der kohlefördernden Länder im EWG-Raum. Selbst Italien bezieht zur Zeit erheblich mehr Mengen aus der Bundesrepublik als früher und hat amerikanische Importe eingeschränkt; dasselbe gilt für Holland, Belgien und Frank- reich. Für uns, die wir im Europäischen Parlament tätig sind, ist immer die Frage so außerordentlich schwer, daß uns von italienischen Kollegen geradezu vorgeworfen wird, daß sie sagen, wir nehmen jetzt deutsche Kohle mehr nach Italien und ihr erhaltet euer Einfuhrkontingent nach wie vor. Das ist für uns immer eine peinliche Frage, be- sonders da die Deutschen draußen immer darauf drängen, nun mehr deutsche Kohle abzunehmen. Und dann hätte ich noch eine Frage, was bedeuten die Stillegungsmög- lichkeiten, was ist politisch beherrschbar. Diese Frage zu beantworten, scheint mir außerordentlich schwierig, denn es muß zumindest politisch beherrschbar mehr sein als dieser Absatzschwund, mit dem wir leider jedes Jahr in der letzten Zeit haben rechnen müssen. Wir haben seit vier Jahren Jahr für Jahr 10 Millionen Tonnen Absatzschwund. Wenn etwa die Menge von 10 Millionen Tonnen als zu hoch gilt, bedeutet es, daß die Krise im Bergbau durch diese Maßnahmen nicht bereinigt werden kann. Es kommt also darauf an, tatsächlich die Stillegungen schneller durchzuführen, als der Absatz schwin- det, damit tatsächlich der Bergbau die Möglichkeit hat, die Rationalisierungsmaßnah- men so durchgreifend anzuwenden, daß der gesunde Kern tatsächlich auch wieder le- bensfähig wird. Haase (Kassel): Herr Staatssekretär, beabsichtigt die Bundesregierung immer noch, die Honorierung der Schichten, die ausfallen, um die 40-Stunden-Woche zu ermöglichen, höher zu gestalten als die Honorierung der Feierschichten. Ist da immer noch ein Un- terschied drin zu Lasten des Bundes? Staatssekretär Neef: Die Antwort auf die erste Frage, warum wir uns in der Kohleein- fuhrfrage so verhalten, lautet: Es ist ein Unterschied, ob ein Land, seine Importeure auf die Preisgestaltung für amerikanische Kohle reagieren, oder ob eine Regierung in einem Gesetz einen langjährigen handelspolitischen Besitzstand ausdrücklich einschränkt. Meine zweite Antwort lautet: Die Bundesregierung hat sich entgegen den Empfehlun- gen des Bundesrates, ich habe das dort selbst vertreten, mit Nachdruck dafür eingesetzt, daß die Erlaubnis, für den Fall einer Bedrohung das Kontingent um jene 20 Prozent zu senken, der Bundesregierung wiedergegeben wird. Das Kabinett hat heute morgen beschlossen, dieses Gesetz morgen im Bundestag in der Regierungsfassung zu verteidi- gen. Das würde heißen, wir sind dann frei, auch jene 20 Prozent zu kürzen. Und die Frage nach dem Unterschied zwischen den Anpassungsschichten und den Feierschichten lautet wohl: Die Anpassungsschichten werden zu 100 Prozent ersetzt und die Feierschichten zu 80 Prozent. Die Entschädigung für die Anpassungsschichten erhält der Unternehmer. Das war damals die Lösung für die Vermeidung des Tarifkon- flikts an der Ruhr. Das Geld für die Feierschichten erhält das Arbeitsamt und zahlt es an den Bergmann aus. Vielleicht ist hier wichtig der Satz, was die Anpassungsschichten angeht, so haben wir festgestellt im Text, daß in dem Beschluß für 1968 keinerlei Präju- diz für die Fortsetzung liegt. Damit meinten wir, eine Änderung dieses Systems wird eine neue Verhandlung zwischen den Tarifpartnern bedeuten. Und diese wollten wir in diesen Wochen, in diesen Monaten nicht provozieren. Copyright © 2017 KGParl Berlin 10

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Barzel: Ich danke Herrn Neef für die Beantwortung der Fragen. Darf ich dann feststel- len, daß wir mit der Kohlesache für heute zu Ende sind. Der Bundeskanzler würde auf einen Bericht verzichten. Ist aber bereit, Fragen zu be- antworten. Haben Sie Fragen. Dann darf ich aus meinem Bericht nur einen Punkt nachtragen. Ich habe vorigen Diens- tag Gelegenheit gehabt, für mehr als drei Stunden mit unserem Kollegen Schröder zu- sammenzusein. Mein Eindruck war wie der von anderen Freunden, daß er wieder ganz gesund ist.15 Und wir hoffen, ihn in der nächsten Woche wieder unter uns zu haben. Kollege Stücklen, über dessen Erkrankung ich Sie unterrichten mußte heute vor 14 Tagen, ist für einige Zeit zur Erholung weg.16 Er wird in 14 Tagen, drei Wochen wieder da sein. Ich habe ihm die Grüße der Fraktion übermittelt. Ich hoffe, in Ihrem Namen das sagen zu dürfen. [3. Bericht aus dem Ältestenrat] Rasner: Bericht aus dem Ältestenrat Wir haben es erlebt, wie es am Freitag angesichts der außenpolitischen Debatte17 mit der Präsenz im Plenum ist. Die Reaktionen haben Sie gesehen, besonders die Reaktio- nen bei den Rechts- und Linksradikalen. Wenn wir bei der Debatte über die Studienre- form18 am Freitag der nächsten Woche wieder ein leeres Plenum haben, sind die Folgen für das Ansehen nicht nur von uns, sondern für den Parlamentarismus verheerend. Wir müssen deshalb darum bitten, daß Sie den Freitag der nächsten Woche unter allen Um- ständen bis 15.00, 16.00 Uhr in Ihren Zeitberechnungen einbeziehen und diese Debatte nicht an dem Lautsprecher in Ihrem Zimmer, sondern im Plenum verfolgen. Es ist im Ältestenrat heute beispielsweise die Frage aufgeworfen worden, ob der Präsi- dent19 nicht aus den Zimmern aller Abgeordneten die Lautsprecher wieder entfernen oder abschalten lassen solle. Die Frage ist auch, ob man das gleiche bei der Presse tun soll, denn die Pressetribüne ist genauso leer, wie unsere Bänke leer sind. Ich halte an sich von diesen mechanischen Mitteln gar nichts, aber wenn das Plenum weiterhin bei einer außenpolitischen Debatte oder bei einer Debatte über die Studienreform nur mit 40 Abgeordneten gefüllt ist, dann wird man dem Präsidenten nicht verargen können, wenn er über solche an sich kindlichen Mittel nachzudenken beginnt. Das ist doch einfach wahr. Ich bitte noch einmal, sich den Freitag der nächsten Woche für Präsenz bis mindestens 16.00 Uhr vorzumerken. Eine Verschiebung dieser Debatte, um das gleich zu sagen, auf einen anderen Tag als den Freitag ist nach den ganzen Absprachen, die vorher getroffen worden sind, einschließlich derer mit den Kultusministern der

15 Bundesverteidigungsminister Gerhard Schröder hatte am 29. August 1967 in seinem Haus auf Sylt einen schweren Kollaps erlitten, musste längere Zeit rekonvaleszieren und konnte erst im November 1967 seine Amtsgeschäfte wiederaufnehmen. Vgl. OPPELLAND, S. 696 f. 16 Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Richard Stücklen, war Mitte Oktober 1967 an einer Grippeinfektion erkrankt, die eine Bronchitis auslöste und zu einer Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens führte. Nach mehrtägiger klinischer Beobachtung hatten die Ärzte ihm zu einem dreiwöchigen Erholungsurlaub geraten. Vgl. »Stücklen in Erholung«, in: »FAZ« vom 27. Oktober 1967. 17 Gemeint ist wohl die mehrstündige Debatte über die Außenpolitik der Regierung der Großen Koali- tion im Deutschen Bundestag am 13. Oktober 1967. Für den Wortlaut dieser Debatte vgl. BT STEN. BER., 5. Wahlperiode, 126. Sitzung am 13. Oktober 1967, S. 6331–6390. 18 Am 17. November 1967 standen die Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU vom 12. Mai 1967 betreffend eine Studienreform (BT-Drucksache V/1742) und der Fraktion der SPD vom 4. Oktober 1967 betreffend die Wissenschaftsförderung und Wissenschaftsplanung (BT-Drucksache V/2132) auf der Tagesordnung der 136. Sitzung des Deutschen Bundestages. 19 . Copyright © 2017 KGParl Berlin 11

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Länder, nicht mehr möglich. Davon haben wir uns nach Rücksprache mit allen Frakti- onen zweifelsfrei überzeugt. Im übrigen steht auf der Tagesordnung der nächsten Woche an Punkten, die zur Debat- te Anlaß geben werden, noch der Bericht des Verteidigungsausschusses über zwei Ent- schließungsanträge zum Einzelplan 14 des Haushaltes 196720, zwei Vorlagen, die im Verteidigungsausschuß gegen die Stimmen der FDP abgelehnt worden sind und zu denen die FDP dann natürlich das Wort ergreifen will. (Blank übernimmt den Vorsitz) Merkatz: Das Bild, das das Plenum bietet, das Bild, das unsere Debatte bietet in der Öffentlichkeit, wird langsam wirklich zu einer Gefahr für das Parlament. Der Grund liegt meiner Ansicht nach darin, daß immer wieder dieselben reden und dieselben lange Reden halten, daß der einzelne Abgeordnete, der nicht gerade der federführende Sach- verständige ist, so gut wie nie zu Wort kommt. Ich würde eine Reform begrüßen, daß der Schwerpunkt der Sachdarlegung beim Berichterstatter liegt und vielleicht beim Hauptsprecher der Fraktion, daß im übrigen aber die Kurzrede bevorzugt wird. Eine Rede, die nicht länger dauert als sieben bis acht Minuten – und dann gezielt und mit Leidenschaft. Blank: Morgen ist die Kohledebatte. Ich glaube, wir müssen mit allem Ernst in unserer Fraktion darauf sehen, daß nicht immer zu derselben Materie dieselben Damen und Herren Ausführungen machen, sondern daß all diejenigen Damen und Herren zu Wort kommen, die die Fähigkeit haben, und die haben die meisten, in relativ kurzer Zeit einiges Vernünftiges zum anstehenden Problem zu sagen. Wenn es uns nicht gelingt, dieses Parlament lebendig zu machen, dann befürchte ich, daß das Ansehen, das das deutsche Parlament bisher in der Öffentlichkeit hatte, es war nicht riesengroß, bald dahin ist. Und das bedeutet den Anfang vom Ende der Demokratie. Wörner: Nach diesem eindringlichen Appell bleibt mir an sich nur noch die eine Bitte, daß Sie die Konsequenzen daraus ziehen und dem Antrag, den eine Reihe von Kollegen damals bei dieser abendlichen Aussprache eingebracht haben, nämlich den Vorrang der Kurzreden in der Geschäftsordnung zu verankern, zustimmen. Denn ich fürchte eines bei allem Respekt vor der Aufforderung und vor dem Appell unseres Vorsitzenden eben. Ich fürchte, daß dieser moralische Appell verhallen wird über kurz oder lang. Wenn wir an den Symptomen kurieren und nicht wirklich zu den Ursachen kommen. Und Sie können eben nicht erwarten, daß in diesem Plenum Leute sitzen, wenn nicht dieses Plenum ein Bild bietet und nicht nur ein Bild, sondern Leben bietet, das es loh- nend macht, in diesem Plenum zu sitzen. Und darum betrachten Sie es bitte nicht als Aufdringlichkeit, wenn wir darauf beharren, nun wirklich auch in der Geschäftsord-

20 Zum einen handelte es sich um einen Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vom 8. Juni 1967, mit dem die Bundesregierung aufgefordert werden sollte, gemäß Paragraph 66 des Soldatengesetzes den Entwurf eines Gesetzes über die Organisation der Landesverteidigung vorzulegen, der auch die gewandelten Anschauungen innerhalb der NATO berücksichtigte. Die FDP wollte sichergestellt ha- ben, dass innerhalb der Streitkräfte eine durchgehende Kommandogewalt vom Generalinspekteur bis zu den untersten Einheiten geschaffen wurde. Zum anderen lag ein Entschließungsantrag von insge- samt 47 Mitgliedern der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 12. Juni 1967 vor, der die Bundes- regierung zur Prüfung der Frage auffordern sollte, ob es möglich sei, Soldaten, die studieren wollten, nach Beendigung des ersten Ausbildungsjahres an einen Standort in einer Universitätsstadt zu verset- zen und ihnen die Möglichkeit zu geben, in den letzten sechs Monaten ihres Wehrdienstes von der Kaserne aus das Hochschulstudium aufzunehmen, unter voller Aufrechterhaltung ihrer Zugehörig- keit zur Bundeswehr und ihrer ständigen militärischen Einsatzbereitschaft. Zu den beiden Entschlie- ßungsanträgen vgl. BT STEN. BER., 5. Wahlperiode, 115. Sitzung am 14. Juni 1967, S. 5736 f. (Um- drucke 260 u. 265). Copyright © 2017 KGParl Berlin 12

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nung diesen Vorrang einzuführen und durchzusetzen. Ich hatte an sich vor, bei der Steinkohlendebatte den Antrag Dichgans21 zu wiederholen. Ich habe davon Abstand genommen mit Rücksicht auf die Bundesratsbank und der Dinge, die von daher kom- men. Aber ich möchte Ihnen hier schon ankündigen, daß nicht bloß ich, sondern eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen entschlossen sind, diesen Antrag so oft im Plenum bei wichtigen Debatten zu wiederholen, bis er sich unter dem Druck der Öffentlichkeit durchgesetzt hat (Beifall). Blank: Ich pflichte Ihnen bei. Ich danke Ihnen aber, daß Sie das für morgen nicht tun wollen, denn es war ein besonderer Wunsch des Fraktionsvorsitzenden unter Umstän- den morgen die Möglichkeit zu haben, mit einer längeren Rede antworten zu können. In der Sache stimme ich Ihnen bei, ja, ich ermuntere Sie und Ihre Freunde sogar zur Beharrlichkeit mit Ihrem Anliegen. Unertl: Was ich jetzt sage, ist bestimmt nichts Neues, aber die meisten werden mir Recht geben. Was nützen denn die schönen Appelle, wenn wir wieder erfahren, daß am nächsten Freitag eine Landwirtschaftsdebatte22 ist zu einer Zeit, zu der die Abgeordne- ten, die weit entfernt wohnen, wegmüssen, oder am darauffolgenden Freitag dann die jetzt angekündigte Debatte, wenn alle Abgeordneten, die an dem Thema interessiert sind, da sind, dann ist es gut, aber man kann nicht gezwungen werden, bei jeder Debatte mit dabei zu sein – wann soll die Post erledigt werden, wann soll man denn die Besuche in den Ministerien machen, Besuchergruppen müssen bedient werden, Besprechungen im Hause finden statt. Seit vier Perioden gehöre ich dem Bundestag an, und jedes Mal wird bei Beginn der Legislaturperiode versprochen, die Arbeitsweise muß geändert werden, sie wird gestrafft. Die Sitzungen soll man dann auch so einrichten und legen, daß man eben dabei sein kann und nicht mehr machen wie unbedingt notwendig, und dazu gehört der Antrag Dichgans und anderes wie endlich die Ausstattung mit Sekretä- rinnen, damit jeder, der seine Post diktieren will, hier im Hause dazu kommt, die Post zu erledigen. Oder noch etwas, was mir passiert ist, ein Brief des Herrn Bundesver-

21 Gemeint ist wohl der Antrag des Abgeordneten Hans Dichgans zur Begrenzung der Redezeiten bei der 1. Lesung des Bundeshaushalts 1968 am 25. Oktober 1967. Der erste Redner jeder Fraktion sollte eine Redezeit von 60 Minuten haben, alle folgenden Redner eine Redezeit von höchstens 15 Minuten. Zur Begründung verwies er auf die große außenpolitische Debatte vom 13. Oktober 1967, als sich zeitweise nur 30 Abgeordnete im Plenarsaal befunden hätten. Die Präsenz könnte nur verbessert werden, wenn die Debatten lebhafter würden und wenn auch diejenigen Abgeordneten, die nicht die Meinung ihrer Fraktion, sondern ihre eigene Meinung vortrügen, eine Chance hätten, zu Wort zu kommen. Das konnte nach seiner Überzeugung nur durch eine Begrenzung der Redezeit erreicht werden. Diese Auffassung teilte die Mehrheit der Abgeordneten nicht. Der Antrag von Dichgans zu Paragraph 39 der Geschäftsordnung des Bundestages wurde bei einer Enthaltung mit 166 zu 161 Stimmen abgelehnt. Vgl. hierzu BT STEN. BER., 5. Wahlperiode, 128. Sitzung am 25. Oktober 1967, S. 6455 f. 22 Am 15. November 1967 standen im Bundestag folgende Anfragen und Anträge zur Agrarpolitik auf der Tagesordnung: Große Anfrage der Fraktion der FDP vom 6. September 1967 betreffend die Lage der Landwirtschaft (BT-Drucksache V/2099), Große Anfrage der Fraktion der SPD vom 4. Oktober 1967 betreffend die EWG-Marktordnung für Milch und Milchprodukte (BT-Drucksache V/2133), Antrag der Fraktion der FDP vom 27. Juni 1967 betreffend den Erzeugerpreis für Milch (BT-Druck- sache V/1967), Antrag der Fraktion der FDP vom 27. Juni 1967 betreffend den Getreideausgleich (BT-Drucksache V/1968), Antrag der Abgeordneten Wächter, Effertz, Logemann, Ertl, Sander, Reichmann, Walter und Genossen und der Fraktion der FDP vom 6. September 1967 betreffend die Gemeinsame Marktordnung für Milch und Milcherzeugnisse (BT-Drucksache V/2100 neu), Antrag der Abgeordneten Reichmann, Rutschke, Jung, Mauk, Schultz (Gau-Bischofsheim), von Gemmingen und der Fraktion der FDP vom 13. Oktober 1967 betreffend die EWG-Marktordnung für Rohtabak (BT-Drucksache V/2175) und Antrag der Fraktion der FDP vom 19. Oktober 1967 betreffend eine Erhöhung der Brennrechte bei Kartoffeln (BT-Drucksache V/2193). Copyright © 2017 KGParl Berlin 13

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kehrsministers23 vom 7. Juni dieses Jahres wird am 3. November beantwortet, am Tag vorher bekommt dann noch der von der SPD einen Abdruck meines Briefes, damit er diesen in der Öffentlichkeit verkauft usw. All die Dinge muß man draußen über sich ergehen lassen. Man soll den Wahlkreis pflegen, man soll Sprechstunden halten, man soll Termine draußen fertig bringen. Jedes Wochenende geht drauf, aber die recht nahe an Bonn sitzenden Kollegen sollen sich auch einmal Gedanken darüber machen, wie es denen geht, die 700 km Anreiseweg zurücklegen müssen, bis sie hier sind. Blank: Kollege Unertl, das ist alles bekannt. Aber das fasse ich jetzt nicht so auf, als ob Sie meinem Appell, nun recht zahlreich morgen an der Debatte teilzunehmen, wider- sprechen wollen. Rasner: Kollege Unertl, die Agrardebatte ist nicht am Freitag, sondern am Mittwoch. Zweitens, um den Freitag als Plenartag kommen wir unter keinen Umständen mehr herum. Wir müssen den ganztägigen Donnerstag als Ausschußtag unter allen Umstän- den sichern, sonst schaffen die Ausschüsse gar nichts. Drittens, wir haben hier in der Fraktion mit Mehrheit beschlossen, den 14-Tage- Rhythmus einzuführen, bei dem der Freitag und der Sonnabend und der Montag, der zwischen der ersten und zweiten Woche liegt, zur Verfügung stehen soll. Dieser Vor- schlag stößt zur Zeit auf den leidenschaftlichen Widerstand der SPD. Er ist bei der SPD gegen 17 Stimmen abgelehnt worden. Ich weiß, daß auch der Bundestagspräsident kein Freund dieses Vorschlages ist. Wir werden im Ältestenrat alles tun, ihn in der nächsten Ältestenratssitzung durchzusetzen. Aber ich bitte, den Gedanken ein für allemal aufzu- geben, daß wir auf den Freitagvormittag als Plenartag verzichten können. Tun wir das, dann geht erstens das Reisen am Donnerstag los, zweitens ist der Donnerstag als ganz- tägiger Ausschußtag nicht mehr geschützt. Und jeder Ausschußvorsitzende wird Ihnen bestätigen, daß zwei halbe Ausschußtage erheblich weniger wert sind als ein ganzer Ausschußtag, unabhängig von der Tatsache, daß wir beispielsweise im Rechtsausschuß die nächsten fünf Donnerstage schon ganztägig für die Notstandsgesetzgebung festge- legt haben. Und schließlich, wir haben im Jahr 22 oder 23 Arbeitswochen, das bedeutet, daß wir in 22 oder 23 Wochen im Jahr einen Mittwoch und einen halben Freitag fürs Plenum zur Verfügung stellen müssen. Wenn man diese Zahl sieht, dann muß ein solches Maß an Plenararbeit für jeden Abgeordneten zumutbar sein. Und daran wird sich auch in Zu- kunft, was die Zahl der Plenartage anbelangt, 23 Wochen im Jahr mit einem ganzen und halben Tag, mit absoluter Sicherheit nichts ändern. Eher wird diese Zahl der Plenartage angesichts der Dinge, die wir in der Großen Koalition lösen sollen, noch wachsen. Es hat keinen Zweck, sich irgendeiner Illusion hinzugeben. Ott: Es ist vorhin von der Beteiligung an Plenumssitzungen gesprochen worden. Ich glaube, wir sollten morgen bereits mit dem besseren Stil in der Weise beginnen, daß nicht Fleißreden vorgelesen werden, sondern daß die betreffenden Kollegen, die zur Diskussion sprechen, aufgrund eines Konzeptzettels reden können. Die Regierung kann meinetwegen herunterlesen, aber wenn auch von den Abgeordneten die ganze Zeit heruntergelesen wird, ist es schade für die Zeit. Stark (Stuttgart): Zu dem, was Kollege Wörner gesagt hat, kann ich nur bestätigen, daß unsere Maßnahmen auf dem Gebiete der Sozialpolitik, selbst unpopuläre Maßnahmen, nicht so schlecht ankommen, aber man im Augenblick in jeder Versammlung auf den leeren Plenarsaal angesprochen wird. Ich glaube, wir sollten nicht leichthin über das Problem hinweggehen, sondern wir sollten über die Maßnahmen, die jetzt schon vorge-

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schlagen sind, nachdenken. Ein kleiner Kreis sollte sich damit beschäftigen, wie das ganze Problem überhaupt von der Institution her zu lösen ist. Mit diesen moralischen Appellen, die ich jetzt schon zwei Jahre höre, daß wir das Plenum besser besuchen sol- len, kommen wir nicht weiter. Das ist völlig unmöglich, das kommt nicht an. Wenn hier in der Fraktion bestimmt wird, was und wer spricht, und das sind immer die gleichen, habe ich überhaupt keine Möglichkeit, auf das Ganze Einfluß zu nehmen. Dann können Sie doch nicht von mir verlangen, daß ich acht Stunden im Plenum herumsitze und das anhöre, was hier bereits vorgetragen ist und wo wir wissen, was und wie er es sagt. Das muß sich hier grundsätzlich ändern. Ich möchte den Antrag stellen, daß sich eine kleine Kommission mit dieser Frage ganz ernsthaft befaßt, weil es ein Problem ist. Wir verges- sen über alle Einzelheiten draußen, daß unsere Demokratie daran – für uns vielleicht Kleinigkeiten – kaputtgehen kann. Blank: Kollege Stark, ich will Ihren Vorschlag gerne aufgreifen, aber ich glaube, aus meiner Erfahrung sagen zu können, wer redet, entscheidet sich ja meistens in den Ar- beitskreisen. Ich fordere Sie noch einmal dazu auf, wenn Sie sich an den Beratungen in den Arbeitskreisen beteiligen, darauf zu sehen und Ihr Wort zu machen, damit nicht das Reden immer bei denselben hängen bleibt. Das läßt sich nur auf diese Art und Weise machen. Und ich hätte auch nichts dagegen, daß die betreffenden Kollegen das einmal beim Fraktionsvorstand monieren. Lemmer: Ich nehme dieses Thema sehr ernst, und ich schließe mich den vielfachen Anregungen, die hier ganz konkret gegeben worden sind, an. Ich möchte vor allem aufgreifen, daß erst mal in unserem Kreise, in einem sehr kleinen Kreise in Gegenwart des Herrn Bundestagspräsidenten dieses Thema mit viel Zeit und Gründlichkeit erör- tert wird und dann interfraktionell mit den beiden anderen Fraktionen diese Überle- gungen geteilt werden. Ich sehe mit sehr großer Sorge diese Nichtachtung der qualifi- zierten Arbeit, die dieses Parlament sachlich zweifellos leistet, in der Öffentlichkeit. Aber, meine Freunde, lassen Sie mich einiges sagen, was wir kaum ändern können. Was leider eine der Ursachen ist, dazu gehört erstens der einer Turnhalle ähnliche Sitzungs- saal unseres Plenums. In diesem Saal gibt es niemals parlamentarische Atmosphäre, und ich habe in früheren Jahren gesagt, wir müssen einen anderen Aufbau der Sitzreihen herbeiführen, damit man dichter beieinandersitzt, vis-à-vis der Regierung sitzt und den Sprechern, aber wenn man einen Kilometer entfernt auf den Hinterbänken sitzt, ich übertreibe ein wenig, kann eine Atmosphäre überhaupt nicht entstehen. Das zweite, was ich sagen will, Kollege Blank hat mit Recht darauf hingewiesen, wie in der Weimarer Zeit die radikalen Elemente ihren Kampf führten mit der Herabsetzung des Parlaments. Ich erinnere mich auch dieses Ausdrucks »Quasselbude«. Ich möchte aber bemerken, daß das Weimarer Parlament schon deshalb eine ganz andere Spannung und Lebendigkeit hatte, weil wir massive Gegensätze auszutragen hatten zwischen Parteien, die uns zum Kampf forderten, und wenn Sie die Stenogramme des Reichstages mal nachlesen, werden Sie staunen, wie lebendig es da zugegangen ist. Es kann natürlich auch zu lebendig zugehen, auf die Gefahr möchte ich auch hinweisen. Aber ich bin der Auffassung, daß es auch in der Struktur unserer Parlamentszusammensetzung liegt, und jetzt nach der Bildung der Großen Koalition umso mehr, daß die Sitzungen langweili- ger und langweiliger werden, weil keine echten leidenschaftlichen Auseinandersetzun- gen mehr da sind. Was sich Opposition nennt, die FDP, ist viel zu kümmerlich. Dabei könnte sie mit ihren Mandaten, wenn sie das Format, das Temperament hätte, zur Bele- bung beitragen. Aber von dieser Seite her ist es nicht zu erwarten. Also, ich glaube, wir sollten das mit ganz großem Ernst aufnehmen. Die Plenarsitzungen des Reichstages waren unvergleichlich stärker besetzt als dieses Bundestages aus den Gründen, die ich

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vorhin ausführte, weil es interessant war und Präsident Löbe strikte darauf achtete, keiner durfte Reden ablesen (Beifall). Wenn ich schon sehe, daß einer mit solch einem Manuskript zum Ablesen kommt, flüchte ich, weil das ja nichts mehr mit Sprechen zu tun hat, denn wir befinden uns in einem Parlament. Eine Frage: Wir haben ja ein 50jähriges Jubiläum, die Existenz der Sowjetunion,24 und heute abend ist ja ein Empfang, und ich habe mir berichten lassen, daß zwei unserer Freunde heute abend die Fraktion in Rolandseck25 vertreten werden. Bei der Bedeu- tung dieser Fraktion scheinen mir zwei zu wenig zu sein, ich möchte den Berliner Kol- legen Johannes Müller als dritten Vertreter unserer Fraktion vorschlagen. Rasner: Zum letzten Punkt. Zu dem Empfang sind Einladungen ergangen und nicht etwa Einladungen an die Fraktion, sondern Einladungen ad personam. Da Einladungen ad personam ergangen sind, da die Botschaft der Sowjetunion schon bei den Ministern eine Auswahl getroffen hat, wen sie einlud und wen sie nicht einlud (Zwischenrufe), hat das Kabinett beschlossen, daß vom Kabinett nur der Außenminister26 auf diesen Emp- fang zu einem Staat geht, mit dem wir außenpolitische Beziehungen unterhalten. Das geschah, bevor irgendein besonders begabter Mensch die Frage an die sowjetische Bot- schaft gerichtet hatte, ob die an den Bundesratspräsidenten Lemke ergangene Einladung auch für den Bundesratspräsidenten Schütz gelte.27 Nachdem diese ungewöhnlich be- gabte Frage gestellt worden war, hat die sowjetische Botschaft geantwortet: Nein. Denn sie besteht natürlich auf der Drei-Staaten-Theorie.28 Ob der Bundesaußenminister vor diesem Hintergrund – er ist zur Zeit krank – heute abend die Einladung wahrnehmen kann, oder ob sie wahrgenommen wird durch den Staatssekretär des Auswärtigen, ist eine Frage, die in der Zuständigkeit des Auswärtigen Amtes und nach dem Gesund- heitszustand des Außenministers entschieden werden muß. Was uns anbelangt, unsere Fraktion, so wurde eingeladen der Kollege Kopf, zweifellos in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses. Der Kollege Kopf hat in seiner eigenen Zuständigkeit sich entschieden, hinzugeben, da der Außenminister auch vertreten ist, wir Beziehungen zur Sowjetunion haben. Er hat die Einladung angenommen. Ich bin dafür, daß wir seine Entscheidung in dieser Sache zu respektieren haben. Der Kollege Majonica ist eingeladen worden, ich nehme an, in seiner Eigenschaft als Vorsitzender unseres Außenpolitischen Arbeitskreises (Zwischenrufe). Der Kollege Majonica konnte zwei Überlegungen anstellen, erstens Ja zu sagen, das hat er getan, oder Nein zu sagen

24 Gemeint ist der 50. Jahrestag der Oktoberrevolution von 1917. Aus Anlass dieses Jahrestages fanden in Moskau, aber auch in anderen Städten der Sowjetunion, in den sozialistischen Ländern und in allen sowjetischen und sozialistischen Botschaften in aller Welt zum Teil mehrtägige Feiern statt. Die wichtigste Veranstaltung war eine Festveranstaltung am 3. und 4. November 1967 im Kongresspalast des Kreml, auf der der Generalsekretär des ZK der KPdSU, Leonid Breschnew, das große Festreferat zum Thema »50 Jahre große Siege des Sozialismus« hielt. Vgl. AdG 1967, S. 13517–13522. 25 In Rolandseck am Rhein befand sich die Botschaft der Sowjetunion in der Bundesrepublik Deutsch- land. 26 . 27 Der Bundesrat wählte am 27. Oktober 1967 den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Schütz, für das am 1. November 1967 beginnende neue Geschäftsjahr zu seinem Präsidenten. Er folg- te damit dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Helmut Lemke, der die Präsidentschaft vom 1. November 1966 bis zum 31. Oktober 1967 ausübte. Vgl. BULLETIN, Nr. 123 vom 31. Okto- ber 1967, S. 1047. 28 Seit 1958 verfocht die Sowjetunion eine Drei-Staaten-Theorie, nach der Deutschland 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation als Staat aufgehört habe zu existieren und 1949 drei neue selbständige deutsche Staaten an seine Stelle getreten seien: die DDR, die Bundesrepublik und West-Berlin, für das die Sowjetunion in einem Ultimatum am 27. November 1958 ohne Erfolg den Status einer »Freien Stadt« forderte. Copyright © 2017 KGParl Berlin 16

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und damit allerdings gleichzeitig sich dem Verdacht auszusetzen, als reagiere er auf die Unfreundlichkeiten von Moskau im Schmollwinkel. Der Kollege Majonica ist in seiner Entscheidung selbstverständlich ebenso frei gewesen, und er hat sich entschieden, diese Einladung anzunehmen und hinzugeben. Was die Fraktion jetzt kann, ist nach einer Diskussion den Kollegen Majonica zu bitten, das zu unterlassen. Ich weiß allerdings nicht, ob Sie eine solche Diskussion hier und jetzt womöglich mit einer Beschlußfas- sung führen wollen, ich würde Ihnen davon abraten. Mir ist nicht bekannt, ob ein ande- rer Kollege noch eingeladen ist. Nachdem das Einladungen ad personam sind, halte ich es für unmöglich, daß wir jetzt etwa an die sowjetische Botschaft herantreten, wir möchten von uns aus auch noch diesen oder jenen schicken. Blank: Wir haben noch eine Tagesordnung. Erhard (Bad Schwalbach): Ich habe nur eine kleine Bitte, nach dem, was gesagt worden ist, brauche ich nichts zu wiederholen, aber die Bitte, daß sich der Fraktionsvorstand bei dem Herrn Präsidenten einmal meldet und ihn bittet, die Geschäftsordnung so zu hand- haben, wie es hier zu lesen ist, daß nämlich nicht vorgelesen werden soll. Und wenn der jeweils amtierende Präsident von dieser Bestimmung einen harten Gebrauch macht, braucht er künftig keine Übertragungsanlage in irgendeinem Zimmer abzustellen. Hofmann (Mainz): Vielleicht wäre es doch sinnvoll, daß endlich auch mal nach außen hin, um das Parlament noch mehr präsent zu machen, nicht nur in dem körperlichen Dasein, auch ein Protokoll gemacht wird, daß ein Abgeordneter landauf, landab weiß, wo er hingehört und wie sie ihn zu behandeln haben. Das ist eine Frage, die absolut notwendig ist. Sie erleben es ja immer wieder. Ich habe gehört, welche Hintergründe es hat, es sollte aber endlich nun einmal doch entschieden werden. Es ist ganz egal, wo es ist, aber legen Sie endlich einmal fest, wo ein Abgeordneter hingehört. Es ist in Deutschland offenbar nicht anders möglich. Zweitens wollte ich sagen, daß in diesem Saale, er wurde eben als Turnsaal bezeichnet, keinerlei Stimmung aufkommen kann. Es ist eine Zumutung, in diesem Vorlesungssaal stundenlang sitzen zu müssen. Es ist körperlich nicht durchhaltbar. Drehen Sie die Sitze um, machen Sie es wie in anderen Parlamenten, so daß eine Atmosphäre kommt. Dritter Vorschlag: Heben Sie die Sitzordnung auf. Es ist ein Versuch, ich weiß nicht, ob es geht, lassen Sie den Fraktionsvorstand vorne sitzen, nehmen Sie sonst die Namens- schilder weg, lassen Sie die Fraktion festlegen, so wie einer kommt, daß er sitzt und daß er nicht zurücktreten muß, wenn andere viel später kommen. Das ist eine Sache, die notwendig erscheint, dann haben sie wenigstens vorne ein optimistisches Bild einer geschlossenen Gruppe. Viertens weiß ich nicht, ob das klug ist, es ist nicht endgültig durchdacht, ich rege es dennoch an. Sollte man nicht einen zweiten Parlamentssaal, wenn es in diesem großen nicht möglich ist, nebenan in dem Ruheraum einrichten? Ich bin mal durchgegangen und habe es mal auszurechnen versucht, für 100 Kollegen reichte er aus. Machen Sie dort die Fragestunden und die 2. Lesung und die Fachdiskussionen, indem man die Abgeordneten gegenübersetzt ohne Sitzordnung, zehn Minuten reden läßt und mit Lichtsignalen eine aktuelle Atmosphäre schafft. Es würde sicherlich helfen, das muß nicht in Form von großen Plätzen sein, es genügen einfache Sitzreihen. Denken Sie an das englische und kanadische Unterhaus. Das ist sicherlich möglich, da haben Sie auch Atmosphäre. Diese Dinge kommen draußen an und die Presse kann es gut berichten, lassen Sie endlich mal ein Gespräch im Parlament kommen und nicht nur Vorlesungen. Ich glaube, das würde wesentlich zu unserer Repräsentanz, wenn diese vier Punkte täglich wären, beitragen.

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Orgaß: Es ist hingewiesen worden auf die Bedeutung der Debatte am kommenden Freitag, ich fühle mich demgegenüber verpflichtet, darauf hinzuweisen, daß der Gene- ralsekretär der CDU29 alle norddeutschen Abgeordneten für diesen Freitag um 14.00 Uhr nach Hamburg eingeladen hat. Blank: Dann fühle ich mich verpflichtet, den Herrn Generalsekretär darauf hinzuwei- sen, daß die erste Pflicht der Parlamentarier ist, sich am parlamentarischen Leben zu beteiligen. Ich werde das tun. Rasner: Erster Punkt: Protokoll, für das Protokoll ist zuständig das Innenministerium. Wir liegen mit dem Innenministerium hinsichtlich des Protokolls für die Bundestagsab- geordneten in einem dauernden Streit, der auch noch nicht ausgetragen ist. Um das zur Ehrenrettung des Protokolls zu sagen, ist man bisher nicht einmal in der Lage gewesen, den alten Streit, ob nach dem Bundespräsidenten die Protokollnummer zwei der Bun- deskanzler oder der Bundestagspräsident oder der Bundesratspräsident oder der Präsi- dent des Bundesverfassungsgerichts ist, einer definitiven Entscheidung zuzuführen. Was das Protokoll auf der Länder- oder Gemeindeebene anbelangt, so hat das Bundes- innenministerium keine Zuständigkeit. Wir werden auf jeden Fall für eines Sorge tra- gen, daß die Abgeordneten an ihre Wagen Kennzeichen bekommen, die beim Vorfahren ihnen noch eine Vorfahrt sichert, so daß sie nicht hinter dem letzten Kreisinspektor rangieren. Mehr ist im Augenblick auf diesem Gebiet auf der Länder- oder Gemeinde- ebene vom Bund her nicht zu machen. 2. Der Gedanke, keine feste Plenarsitzordnung unten, wird sofort geprüft werden. Ich halte diese Anregung persönlich für ausgezeichnet. Es gibt gewisse technische Schwie- rigkeiten. Aber wir gehen sofort dran, im übrigen erspart es der Fraktionsgeschäftsfüh- rung, in diesem Fall dem Kollegen Rösing, einen irren Haufen Ärger. 3. Mit dem Nebenplenarsaal, das ist schon ein paar Mal überlegt worden, das ist nicht ganz so einfach. Es beginnt damit, daß der Bundesrat ebenso zugelassen sein muß wie vor allen Dingen die Öffentlichkeit. Eine Plenarsitzung ohne Öffentlichkeit ist nach unserem Grundgesetz ausgeschlossen. Wir müßten dann wirklich zu einem zweiten Plenarsaal kommen, in dem wir auch Bundesrat und Öffentlichkeit, das heißt Presse usw., benutzen können. Im übrigen mache ich hier darauf aufmerksam, daß Gersten- maier mit Recht bei allen Lösungen Schwierigkeiten macht, die, aus welchen Gründen auch immer, geeignet sein können, das Recht des einzelnen Abgeordneten zu beein- trächtigen. Aber, Kollege Hofmann, ich greife auch diese Sache auf. Nur ist diese etwas schwieriger als der zweite Vorschlag, den ich für primär halte. Blank: Ich möchte das zum Abschluß bringen. Ich verspreche Ihnen aber, daß wir an- hand des stichwortartigen Protokolls, das wir hier anfertigen, diese Fragen im Vorstand besprechen und tunlichst uns bemühen werden, diesen Anregungen zu folgen. Aber da müssen Sie auch etwas dazu tun, a) durch Ihre Anwesenheit und b) durch Ihren Willen, solche parlamentarischen Gespräche auch zu führen. Aber ich nehme an, daß die jünge- ren Herren dazu bereit sind, wenn man ihnen den Raum dazu gibt. Ich werde mich bemühen, diesen Raum ein wenig zu vergrößern helfen. [4.] Große Anfrage zur Lage der deutschen Raum- und Luftfahrtindustrie30 Burgemeister nicht zu verstehen. Wörner: [...]31 Ich bin sehr dankbar für diese Möglichkeit, da ich sonst einfach das hätte

29 . 30 Vgl. Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU vom 13. Juni 1967 betreffend die Lage der deut- schen Luft- und Raumfahrtindustrie (BT-Drucksache V/1869). 31 Lücke in der Überlieferung. Copyright © 2017 KGParl Berlin 18

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sagen müssen, was sich nach den Vorbesprechungen ergeben hat, in der Hoffnung, daß mir dann kein Kollege in den Rücken fällt und ich auch nicht erdolcht werde, wenn ich etwas als Fraktionsmeinung darstelle, was nun meine persönliche Meinung ist. Die Anfrage wurde ausgelöst durch die bedrohliche Lage der deutschen Luft- und Raum- fahrtindustrie Anfang des Jahres, die Sie mitbekommen haben. Die Große Anfrage glie- dert sich in vier verschiedene Punkte, vier verschiedene Fragen, und zwar in die Frage nach der Bedeutung, in die Frage nach der Struktur und der Lage der luftverdienenden Industrie, in die Frage nach der Struktur der Führungsstruktur der Bundesregierung und in die Frage, ob die Bundesregierung bereit ist, ein Rahmenprogramm für einige Jahre aufzustellen, das der Luft- und Raumfahrtindustrie konkrete Aufgaben zuweist. Ich kann es ganz kurz machen, in der Bedeutung der Luft- und Raumfahrtindustrie werde ich abheben darauf, daß diese Industrie eine Schlüsselindustrie für den technolo- gischen Fortschritt ist, daß man also nicht hoffen kann, die technologische Lücke zu den USA und der UdSSR jemals aufzuheben, wenn man nicht eine eigenständige natio- nale Luft- und Raumfahrtindustrie aufrechterhält. Ich werde zweitens unterstreichen, daß natürlich eine solche Luft- und Raumfahrtindustrie nicht isoliert bestehen kann, sondern daß nur eine verstärkte europäische Zusammenarbeit gerade auf diesem Gebiet die Chance bietet für die Europäer, die technologische Lücke aufzuholen. Und da wer- de ich einige Projekte konkret ansprechen. Das bedeutet unter Umständen, daß wir unsere Prioritäten anders setzen müssen. Zusammenarbeit mit den Amerikanern, Zu- sammenarbeit mit den Franzosen und Briten. Zu Punkt zwei werde ich sehr stark und nachdrücklich auf die Konzentration der Luft- und Raumfahrtindustrie drängen. Leider haben erste Versuche in diese Richtung Schiff- bruch erlitten, weil die Herren vom Ministerium aus oder von der Bundesregierung nicht genügend unter Druck gesetzt wurden. Die Referenten wollten an sich, daraufhin kam aber von ganz oben, wie mir inzwischen bekannt wurde, die Weisung ein bißchen Zurückhaltung im Druck auf die Luft- und Raumfahrtindustrie; was dahintersteckt, kann ich im Moment nicht sagen. Das kann ich nur vermuten. Da war eine bestimmte Firma im Spiel. Zum dritten Punkt: Die Führungsstruktur der Bundesregierung auf diesem Gebiet ist nach meiner Überzeugung nicht richtig. Es sind vier verschiedene Ministerien zustän- dig. Vier verschiedene Konzeptionen. Die einzige Koordinierung erfolgt in einem Ko- ordinierungsausschuß auf Ministerialdirektorenebene. Eine Führungsentscheidung, die ganz klar festlegen würde, was nun wie gemacht werden soll, erfolgt nicht. Ich möchte das als Anhaltspunkt dafür nehmen, beispielhaft aufzuzeigen, daß das Kanzleramt und die Bundesregierung, wenn sie so organisiert ist und so verfährt, wie sie bis jetzt verfah- ren ist, diese Fragenbereiche nicht lösen kann. Und das ist der heikelste Punkt. Im Ar- beitskreis VI ist besprochen worden die Rolle des Wissenschaftskabinetts. Wir werden anregen, daß das Wissenschaftskabinett für die Fragen der Forschung und Entwicklung in diesem Bereich nun die Koordinierungsarbeit verstärken müßte. Zum vierten Punkt meine ich, es muß möglich sein, ein konkretes Programm aufzustel- len, das der Luft- und Raumfahrtindustrie Anhaltspunkte bietet für ihre Arbeit. Wir kriegen aus dieser Industrie die Unsicherheit nur dann heraus, wenn wir ihr klar sagen, was wir von ihr erwarten. Diese Luft- und Raumfahrtindustrie lebt zu 85 Prozent von Staatsaufträgen, übrigens in allen Staaten der Welt, und das ist der Preis, den wir prak- tisch für die Technologie zu zahlen haben, aber das bedeutet auch, daß der Staat eine große Einflußnahme hier ausüben kann, das bedeutet, daß er der Luftfahrtindustrie sagen muß, welche Projekte er in der Zukunft von ihr durchgeführt erwartet, das be- deutet, daß er natürlich nicht hergehen kann und in einem Jahr sagen kann, entwickelt Copyright © 2017 KGParl Berlin 19

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das Projekt, um es dann im nächsten Jahr zu stoppen; wenn das Entwicklungsteam darauf angesetzt ist, dann kommen wir zu solchen Krisenzuständen, wie wir sie hatten. Das heißt, man muß also hinaus auf ein Entwicklungsprogramm mittelfristiger oder langfristiger Art, das natürlich jährlich neu überprüft werden muß. Ich brauche das in diesem Zusammenhang nicht zu unterstreichen. Das sind also – in ganz groben Zügen – die Punkte zur Begründung. Blank: Ich danke Ihnen, ich hätte aber noch eine Anregung. Ich wäre Ihnen sehr dank- bar, wenn Sie bei der Gelegenheit auch ein wenig darauf hinweisen auf die Bedeutung der Arbeit der Wissenschaftler und denen ein wenig Dank sagen. Das kommt gut an, und Sie wissen ja, daß wir nach der Richtung hin für unsere Partei einiges aus der Ver- gangenheit wieder gutzumachen haben. Schober: Diese Große Anfrage leidet etwas darunter, daß sie ziemlich plötzlich kommt. Kollege Wörner hat sich lange damit beschäftigt. Die Sache ist aber nicht in den Arbeits- kreisen lange besprochen worden. Wir haben uns heute im Arbeitskreis abgesprochen, daß wir uns etwas die Rolle zuteilen und daß wir vom Arbeitskreis VI gerade die Fra- gen, Herr Vorsitzender, die Sie angeschnitten haben, nämlich die Frage der wissenschaft- lichen Forschung, stark betonen werden. Es ist, glaube ich, so, daß wir etwas differen- zieren müssen. Es ist so, daß die Wirtschaft Vorarbeit geleistet hat, daß aber auch starke Vorarbeit auf dem Gebiet der Forschung geleistet worden ist, daß es darauf ankommt, zu koordinieren. Ich glaube, daß wir uns mit Herrn Wörner abstimmen. Es ist so, daß wir noch nicht wissen werden, wer vom Bereich der Wirtschaft sprechen soll. Vielleicht könnte das hier noch einmal geklärt werden. Wir haben heute im Arbeitskreis VI dar- über gesprochen, daß Herr Wörner begründet, daß ich spreche für den Arbeitskreis VI. Wir müssen Klarheit darüber schaffen, wer für den Arbeitskreis II die wirtschaftlichen Aspekte behandelt, damit wir uns nicht auseinanderreden. Es ist ja auf dem Gebiet der Forschung wirklich eine gewisse Systematik schon da. Ich möchte gerne hören, mit wem wir uns zusammensetzen können, um die Aspekte der Wirtschaft zu behandeln. Althammer: Ich wollte nur dem Kollegen Wörner einen Hinweis geben, daß er hier nicht auf Dinge losrennt, die längst gelaufen sind. Er hat ja nur im Telegrammstil das wiedergeben können. Ich darf also nur darauf hinweisen, daß zum Beispiel im Bereich der Weltraumforschung ein sehr ausführliches Fünf-Jahres-Programm vorliegt mit einem Kernausgabenetat von 200 Millionen. Hier liegen also die exakten Planungen bereits vor. Zweitens, der Zusammenschluß der Organisationen, auch hier hat seit Jah- ren der Haushaltsausschuß durch Sperrung von Mitteln jetzt in einem langen Kleinkrieg erreicht, daß die verschiedenen Forschungsanstalten sich zu einem gemeinsamen Ver- band zusammenschließen. Diese Dinge sind also bereits geschehen. Ich würde also sagen, hier müßte man ganz klar herausstellen, was an Arbeit geleistet worden ist auf diesem Gebiet. Ich gebe dem Kollegen Wörner insofern Recht, als daß auf zwei Gebie- ten einige Ansätze zur Kritik gegeben sind. Das eine ist die Luftfahrt, also der kommer- ziell-wirtschaftliche Teil, und das andere ist die Verteidigungsforschung mit den Senk- rechtstartern usw. Aber ich glaube, der Kollege Wörner wird gut daran tun, wenn er sich über den neuesten Stand auf diesem Gebiet, sofern er es noch nicht getan hat, er- kundigt, denn ich hatte aus seinem Telegrammstil so ein bißchen die Befürchtung, daß er vielleicht Dinge anprangert, wo man hinterher ihm dann entgegenhalten wird, von der Ministeriumsseite, daß das alles ja inzwischen – (Blank: So feinfühlig sind wir nicht) –, Kollege Wörner wird uns keine Fensterscheiben einschmeißen. Schober: Kollege Althammer, ich glaube, wir verstehen den Kollegen Wörner falsch, wenn er meint, es wäre keine Planung auf dem Gebiete der Weltraumforschung getrie- ben worden. Aber was er mit Recht etwas kritisiert, ist die mangelnde Koordinierung

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sowohl der wirtschaftlichen Entwicklung als auch der Forschung, die auch von der Industrie getrieben wird. Ich glaube, wir sollten hier etwas vorsichtig vorgehen, damit wir uns nicht unsere eigenen Fensterscheiben einschmeißen. Da werden wir uns mit dem Kollegen Wörner abstimmen. Aber daß Planung auf dem Gebiet der Forschung getrieben ist, das bezweifelt er nicht, soweit ich ihn verstanden habe. Das werden wir nachdrücklich unterstreichen und auch den Dank aussprechen an diejenigen Weltraum- forscher, die das getan haben. Blank: Wer sind die Redner? Herr Wörner begründet, Herr Schober, gut, Herr Burge- meister. Schön, dann läuft das so. [5.] Entwicklungshilfesteuergesetz32 Pohle: Wir haben uns heute morgen im Arbeitskreis III mit dieser Frage beschäftigt. Die Frage des neuralgischen Punktes ist die Einbeziehung des Vorratsvermögens in die Begünstigung, und der Entwurf sieht diese Einbeziehung nicht vor. Das wird wahr- scheinlich der Angriffspunkt der FDP sein, und deshalb schlagen wir der Fraktion vor, daß nach der FDP Dr. Artzinger spricht. Herr Schmid-Burgk ist ja als weiterer Redner bereit. Diese Redner sollen darauf hinweisen, daß gegen die Einbeziehung des Vorrats- vermögens Bedenken bestehen, daß aber die Sache im Ausschuß eingehend geprüft werden würde. Der Arbeitskreis kann sich dann vor den Ausschußberatungen noch einmal mit der Angelegenheit beschäftigen. [6.] FDP-Antrag: Umwandlung von Unternehmen33 Auch darüber ist heute morgen im Arbeitskreis gesprochen worden. In dieser Sache liegt eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Deringer und der CDU/CSU-Fraktion vor.34 Diese Kleine Anfrage ist beantwortet worden. Im Bundesfinanzministerium, mit dem wir dauernd verhandeln, ist nunmehr gesagt worden, daß der Entwurf bis Ende des Jahres vorliege. Die Sache ist etwas dringlich geworden, zumal auch der Kollege Schmü- cker eben gesagt hat, daß er dringlich die Vorlage eines solchen Gesetzes erwarte. Mit Rücksicht darauf, daß der Bundesfinanzminister zugesagt hat, um die Jahreswende ein Gesetzentwurf vom Kabinett zu verabschieden und dem Bundestag vorzulegen, ist deshalb dieser Antrag der FDP an sich überflüssig. Er wird eingebracht, die FDP wird dazu sprechen, wir werden darauf hinweisen, daß dieser Antrag überflüssig ist, weil ja schon seit langem innerhalb der CDU/CSU-Fraktion ähnliche Erwägungen schweben und wir in enger Verbindung mit dem Bundesfinanzminister diese gesetzgeberische Arbeit vorantreiben. Ich werde wahrscheinlich dazu Stellung nehmen, und Herr Stecker hält sich ebenfalls bereit. [7.] Beseitigung der Wohnungszwangswirtschaft35 Hesberg: Sie werden sich erinnern, daß Minister Lauritzen bei Übernahme seines Am- tes vorgeschlagen hatte, den Schlußtermin für den Abbau der Wohnungszwangswirt-

32 Vgl. den von der Bundesregierung am 19. Oktober 1967 eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Entwicklungshilfe-Steuergesetzes (BT-Drucksache V/2197). 33 Vgl. Antrag der Fraktion der FDP vom 28. Juni 1967 betreffend die Umwandlung von Unternehmen (BT-Drucksache V/1994). 34 Vgl. Kleine Anfrage des Abgeordneten Deringer und der Fraktion der CDU/CSU vom 26. Juni 1967 betreffend einer Erleichterung der freien Wahl der Unternehmensform (BT-Drucksache V/1945). 35 Vgl. den von der Bundesregierung am 28. August 1967 eingebrachten Entwurf der Bundesregierung eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Schlusstermins für den Abbau der Wohnungszwangswirt- schaft und über weitere Maßnahmen auf dem Gebiete des Mietpreisrechts (BT-Drucksache V/2074). Die 1. Lesung des Gesetzentwurfs fand am 4. Oktober 1967 statt. Zur weiteren Beratung wurde er an den Ausschuss für Kommunalpolitik, Raumordnung, Städtebau und Wohnungswesen überwiesen. Vgl. BT STEN. BER., 5. Wahlperiode, 121. Sitzung am 4. Oktober 1967, S. 6152. Copyright © 2017 KGParl Berlin 21

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schaft durch eine Reihe von Kreisen über das Jahresende 1967 bis zum Ende 1968 hin- auszuschieben. Als diese Pläne aufkamen, ist in der Fraktion die Meinung vertreten worden, daß diese Maßnahme nicht unsere Billigung finden könnte, weil nämlich diese Kündigung, wenn der Termin 1. Januar 1969 wäre, die Wahl36 beschatten könnte und auch die Gemeindewahlen in NRW. Wir waren daher überrascht, daß die Bundesregie- rung eine Vorlage einbrachte, die wir dann hingenommen haben, aber mit der Maßgabe, sie darüber hinaus nicht auszuweiten, wie es der Vorschlag des Bundesrates gewesen ist. Die weitere Erörterung hat dann bei der 1. Lesung im Bundestag auch ergeben, daß wir der Vorlage zustimmten, aber keine Erweiterung wünschten. Die SPD hat dann aus dem Mund des Abgeordneten Könen noch dafür plädiert, Düsseldorf und Köln einzu- beziehen. Kollege Mick hat mit Recht darauf hingewiesen, daß es für uns weniger um die Frage der Abbautermine gehe, sondern mehr darum, daß der Mieter im Zeitpunkt der Liberalisierung das Gefühl der Sicherheit haben könne. Das ist geschehen, indem jetzt die Sozialklausel verbessert worden ist, leider kann, weil der Rechtsausschuß noch nicht Stellung genommen hat, beides zusammen nicht gelesen werden. Die SPD möchte aber morgen bereits das fertige Gesetz verabschiedet wissen und hat auch erkennen lassen, daß sie keine Abänderungsanträge stellen wird. Daher wird unsererseits empfoh- len, der Vorlage zuzustimmen, die vorsieht die Verlängerung um ein Jahr für Hamburg, München-Stadt, Bonn-Stadt, Bonn-Land, Göttingen und Freiburg und ferner auch eine Mieterhöhung in diesen schwarzen Kreisen ab 1.1. um 10 Prozent der Grundmiete. Ich möchte empfehlen, nachdem der Arbeitskreis bereits früher dieser Lösung zugestimmt hat, daß die Fraktion auch dementsprechend beschließt. Rasner: Die SPD ist eben bei mir gewesen und hat die Geschäftsgrundlage, unter der dieser Punkt auf die Tagesordnung heute gekommen ist, aufgekündigt. Der SPD- Fraktionsvorstand hat beschlossen, daß der Antrag Köln und Düsseldorf auch noch auszunehmen, erneut gestellt werden soll. Und es ist nicht daran zu zweifeln, daß die SPD-Fraktion diesem Antrag ihres Vorstandes folgen wird.37 Vor diesem Hintergrund erhebt sich die Frage, ob wir die Vorlage morgen verhandeln wollen oder nicht, oder ob wir sie erst verhandeln wollen, wenn die im Rechtsausschuß anhängige Vorlage gleich- zeitig mit auf der Tagesordnung steht. Die SPD ist sich darüber im klaren, daß, wenn wir sagen, jetzt absetzen, wir im Recht sind, sie wird auch sofort zustimmen, weil, wie gesagt, die Geschäftsgrundlage von heute morgen hinfällig ist. [8.] Novelle LAG38 Stingl: Bericht hierzu aus dem Arbeitskreis IV. Pohle: Berichterstatter ist Kollege Baier. Der Entwurf hat im wesentlichen zwei Ände- rungen: 1. die Anhebung der Unterhaltshilfe, 2. die Festlegung einer Ausschlußfrist. Herr Stingl hat darüber eben berichtet. Der Arbeitskreis hat sich auf den Standpunkt gestellt, die Vorlage soll passieren und dann im Ausschuß beraten werden. Wir müssen jedoch darauf hinweisen, daß durch die Neunzehnte LAG-Novelle die Reserven des Ausgleichsfonds weitgehend ausgekehrt wurden. Vorschläge, die etwa darauf gerichtet

36 Gemeint ist die Bundestagswahl 1969. 37 Vgl. Änderungsantrag der Fraktion der SPD vom 14. November 1967 zur 3. Lesung des von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurfs am 1. Dezember 1967, in: BT STEN. BER., 5. Wahlpe- riode, 139. Sitzung am 1. Dezember 1967, S. 7072 (Umdruck 307). 38 Vgl. den von der Bundesregierung am 19. Oktober 1967 eingebrachten Entwurf eines Zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes (BT-Drucksache V/2192). Copyright © 2017 KGParl Berlin 22

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sind, über die Regierungsvorlage hinaus zu gehen, müssen deshalb abgelehnt werden, weil der Bund die Kosten für die Defizithaftung zu tragen hat und wir auf dem Stand- punkt stehen, daß wir an die Defizithaftung des Bundes unter keinen Umständen her- angehen wollen. [9. Berichte aus den Arbeitskreisen] Schwarzhaupt: Ich möchte in Vertretung von Herrn Even, der im Augenblick nicht da ist, nur zwei Punkte herausheben, nämlich die Beratungen, die wir über die Frage zivi- ler Bevölkerungsschutz39 hatten und über das Rundfunk- und Fernsehgesetz.40 Bericht des Arbeitskreises I Picard: Ich will anknüpfen an einen Bericht des Vorsitzenden des Arbeitskreises über die Gesetzgebungsvorhaben des Justizministeriums, weil darunter ein Problem war, das uns in allernächster Zeit sehr stark berühren wird. Das Problem nämlich der auf uns zukommenden Entscheidung der Verjährung. Sie erinnern sich, daß wir das vor der Bundestagswahl 1965 schon einmal gehabt haben, Verlängerung um vier Jahre.41 Vor Ablauf der Frist 1969 werden wir die gleiche Frage haben. Bundesjustizminister Hei- nemann hat angekündigt, daß er der Auffassung sei, eine Verjährung für Mord und Völkermord sei völlig zu beseitigen.42 Ich halte es für dringend erforderlich, daß diese

39 Gemeint sind die sogenannten einfachen Notstandsgesetze zum zivilen Bevölkerungsschutz, und zwar das Katastrophenschutzgesetz, das Arbeitssicherstellungsgesetz und das vom Kabinett zum da- maligen Zeitpunkt noch nicht verabschiedete Schutzbauänderungsgesetz. Hierzu erläuterte im Ar- beitskreis I ein Vertreter des Bundesinnenministeriums die Konzeption seines Hauses. In der Aus- sprache kam der Arbeitskreis I zu der Auffassung, dass von der Fraktion her der Regierungsentwurf zur Grundgesetzänderung im Zusammenhang mit der zu verabschiedenden Notstandsverfassung mit Härte vertreten werden sollte; eine Mehrheit des Arbeitskreises war sogar der Meinung, dass die Re- gierungsvorlage nicht den Bedürfnissen entsprach. Daher musste es nach Ansicht des Arbeitskreises Ziel der Fraktion sein, im weiteren Gesetzgebungsverfahren die Regierungsvorlage zu verbessern. Vgl. Protokoll der Sitzung des Arbeitskreises I vom 7. November 1967, in: ACDP, 08-001-411/2. 40 Der Abgeordnete Blumenfeld hatte den Entwurf eines Bundesrundfunk- und Fernsehgesetzes, der mit einer Grundgesetzänderung verbunden war, vorgelegt. Zu dieser Initiative erstattete der Abge- ordnete Süsterhenn im Arbeitskreis I ein Referat, an dessen Ende das Votum stand, diesen Antrag ab- zulehnen. Danach begründete Blumenfeld von seiner Sicht aus seine Initiative, und der Arbeitskreis- vorsitzende Even fasste die Meinung des Arbeitskreises I nach kurzer Diskussion wie folgt zusam- men: Rein rechtlich bestanden keine Bedenken gegen ein Grundgesetzänderung, da Artikel 79 des Grundgesetzes nicht berührt wurde. Fraglich sei jedoch, ob der Entwurf eines Bundesrundfunkgeset- zes in all seinen Einzelheiten durch die vorgeschlagene Rahmenkompetenz des Bundes gedeckt wäre oder ob es dazu nicht einer weitergehenden Kompetenz des Bundes bedürfe. Überwiegende Meinung des Arbeitskreises sei, aus politischen Gründen von der Initiative abzuraten wegen der seinerzeitigen Aussichtslosigkeit und um weitere Streitpunkte zwischen Bund und Ländern zu vermeiden. Nach Ansicht des Arbeitskreises I sollte dafür gesorgt werden, dass über die technische Entwicklung so in- formiert werde, dass die gesamte Problematik überschaubarer werde. Erst dann könne endgültig ent- schieden werden. Vgl. ebd. 41 1965 endete nach dem damals geltenden deutschen Strafrecht die Verjährungsfrist für Mord. Strittig war, ob diese Frist auch für die Verfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen gelten sollte. Die Beantwortung dieser Frage und damit eine Entscheidung über die grundsätzliche Abschaffung der Verjährung bei Mord und Völkermord wurde bis 1969 vertagt. Mit dem »Gesetz über die Be- rechnung strafrechtlicher Verjährungsfristen« vom 13. April 1965, auf das sich die Mehrheit der Ab- geordneten der Fraktion der CDU/CSU und die Fraktion der SPD geeinigt hatten, blieb bei der Ver- folgung von Verbrechen, die mit lebenslangem Zuchthaus bedroht wurden, die Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 31. Dezember 1949 »außer Ansatz«, das heißt, in dieser Zeit habe »die Verjährung dieser Verbrechen geruht«. Für den Wortlaut vgl. BGBl. 1965 I S. 315. 42 Vgl. »Heinemann will Verjährung bei Mord abschaffen«, in: »Die Welt« vom 24. August 1967; »Heine- mann: Mord soll nicht verjähren«, in: »Süddeutsche Zeitung« vom 24. August 1967; »Justizminister Heinemann setzt sich für Aufhebung der Verjährungsfristen bei Mord ein«, in: »Stuttgarter Zeitung« vom 24. August 1967. Copyright © 2017 KGParl Berlin 23

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Fraktion sich zu einem Zeitpunkt, wo wir noch nicht unter Pressionen entweder der kommenden Wahl oder des Auslandes stehen, über diese Frage eingehend unterhält und sich eine Meinung bildet, einige von uns haben sich leider schon im Sinne des Bundes- justizministers festgelegt. Ich knüpfe an das an, was unser amtierender Vorsitzender vorhin vom Ruhrgebiet vorgetragen hat. Wir haben 10 Prozent Radikale in allen Län- dern, wenn nicht mehr. Wir werden sie in der Bundesrepublik auch behalten. Es ist aber trotzdem hier eine Frage, die meiner Ansicht nach nicht vom Gefühl oder irgendwel- chen Pressionen her gelöst werden kann, sondern streng sachlich, nämlich ganz nüch- tern nach der Überlegung, warum sollten wir nach einer so langen Zeit nach 1945 die Verjährung entweder noch einmal verlängern oder ganz aufheben. Wir werden geprüft werden, unter anderem auch an der Entscheidung dieser Frage, denn sachliche Gründe gibt es so gut wie keine mehr. Ich möchte also dringend noch einmal bitten, daß die Fraktionsführung dafür sorgt, daß wir bald eine ausgiebige Diskussion mit einer Mei- nungsbildung haben werden. Blank: Danke schön, ich darf Ihnen aber sagen, daß darüber gestern schon im Vorstand gesprochen worden ist, das Problem ist bekannt. Wir sind dabei, es zu behandeln. Aus dem Arbeitskreis II nichts mehr. Arbeitskreis III Zollrechtsangleichung43, Initiativantrag betreffend Änderung des Einkommensteuergesetzes44 Die Fraktion ist mit einem Gruppenantrag einverstanden. Beratung Drittes Steueränderungsgesetz 196745, Ergänzungsabgabe46, Besteuerung der Genossenschaften47, Berlinhilfegesetz.48 Erhard (Bad Schwalbach): Ich möchte den Antrag stellen, im Dritten Steueränderungs- gesetz 1967 eine weitere Ziffer bei der Änderung des Einkommensteuergesetzes aufzu- nehmen, nämlich die, den Paragraph 6 b des Einkommensteuergesetzes zu streichen.

43 Vgl. Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU vom 8. November 1967 betreffend die Zollrechts- angleichung innerhalb der EWG (BT-Drucksache V/2248). 44 Vgl. Antrag der Abgeordneten Kühn (Hildesheim), Meis, Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, von Nordenskjöld und Genossen vom 7. November 1967 betreffend ein Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (BT-Drucksache V/2243). 45 Vgl. den von der Bundesregierung am 17. Oktober 1967 eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die ertragsteuerlichen und vermögenssteuerlichen Auswirkungen des Mehrwertsteuergesetzes vom 29. Mai 1967 und zur Änderung steuerlicher Vorschriften (BT-Drucksache V/2185). 46 Der von der Bundesregierung am 1. September 1967 eingebrachte Entwurf eines Zweiten Steuerände- rungsgesetzes 1967 sah die Einführung einer dreiprozentigen Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer für einkommensstärkere Schichten als selbständige und gesondert zu erhe- bende Steuer vor. Vgl. BT-Drucksache V/2087. 47 Wie der Abgeordnete Schmidt im Arbeitskreis III erläuterte, seien bei der Beratung des Zweiten und Dritten Steueränderungsgesetzes 1967 – BT-Drucksachen V/2087 und V/2185 – noch zwei Fragen offen, unter anderem die Besteuerung der Genossenschaften. Hierzu lägen zwei Anträge vor, nämlich entweder einen Steuersatz von 32 Prozent einzuführen oder aber die ausgeschütteten Gewinne mit einem ermäßigten Steuersatz zu besteuern. Der Arbeitskreis III beschloß, dieses Problem unmittelbar vor der Sitzung des Finanzausschusses am 9. November 1967 zu erörtern. Vgl. Sitzung des Arbeits- kreises III vom 7. November 1967, in: ACDP, 08-004-001/2. 48 Vgl. den von der Bundesregierung am 3. November 1967 eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Berlinhilfegesetzes (BT-Drucksache V/2237). Copyright © 2017 KGParl Berlin 24

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Ganz kurz. Ich will Ihnen vorlesen, was in dem größten Kommentar zum Einkommen- steuergesetz zu dieser Bestimmung ausgeführt ist: Paragraph 6 b ist ein Monstrum, das sowohl seinem Umfang als auch seinem Inhalt und schließlich auch seiner Stellung im System der steuerlichen Gewinnermittlung nach den Grundsätzen des geltenden Ein- kommensteuerrechts zuwiderläuft. Die Vorschrift führt zu einer ungeheuren steuerli- chen Vergünstigung der Steuerpflichtigen, die sie in Anspruch nehmen können. Sie enthält eine einseitige Bevorzugung zugunsten der begünstigten Wirtschaftskreise, die diesen das Unternehmerrisiko einseitig abnimmt. Treffen die in der Begründung zum Entwurf der Vorschrift zu ihrer Rechtfertigung angeführten Gründe zu, so hätten an- gemessene Steuerstundungen genügt. Das Gesetz selbst läßt keinerlei Schluß darauf zu, daß hiermit die wahren Beweggründe für die Schaffung der Vergünstigung genannt sind. Die Inanspruchnahme ist jedenfalls nicht vom Nachweis der Notwendigkeit einer Veräußerung und der damit bezweckten Neuanschaffung oder Herstellung abhängig gemacht worden. Paragraph 6 b ist eine Kapitulation des Gesetzgebers vor den Lobbyisten, vor den Inte- ressenten. Ich weiß als Anwalt aus eigener Anschauung, zu welch ungeheuren steuerli- chen Vorteilen in jedem konkreten Einzelfall diese Bestimmung führt und geführt hat und weiterführen soll. Sie ist als Anpassungsvorschrift deklariert. In unserem Gesetz- entwurf, in dem Gesetzentwurf der Regierung zur Anpassung des Kohlebergbaus, sind entsprechende Vorschriften noch weitergehender Art drin, und dort auch zu Recht enthalten. Für die allgemeinen Betriebe und Wirtschaftskreise sind sie aber falsch. Wir sollten das, was kluge Kommentatoren zu dieser Bestimmung ausgeführt haben, uns sehr zu Herzen nehmen und einmal darüber nachdenken, ob wir solch ungeheuerlichen Steuervorteile für kleine und ohnehin sehr begüterte Kreise wirklich weiter bestehen lassen sollten, wenn wir auf der anderen Seite den Gürtel enger schnallen müssen. Pohle: Ich würde doch vorschlagen, Kollege Erhard, daß wir den Geschäftsordnungs- gang einhalten bei solch schwerwiegenden Fragen und die Sache zunächst über den Fraktionsvorstand dem Arbeitskreis anhängig machen. Dann wird im Arbeitskreis darüber gesprochen und dann wird darüber entschieden, ob und wo dieser Antrag ein- gebracht werden soll. Allerdings, und das sage ich jetzt schon, gestern hat der Finanzminister im Vorstand ganz eindringlich den Standpunkt vertreten, daß wir in der zweiten Hälfte dieser Legis- laturperiode möglichst weitere Änderungen des Einkommensteuergesetzes unterlassen sollten, damit endlich der Attentismus überwunden wird. Er hat geradezu einen dringli- chen Appell an den Vorstand gerichtet, in dieser Richtung so zu verfahren, und ich glaube, wir sollten uns hier nicht mit dem Finanzminister in Widerspruch setzen. Erhard (Bad Schwalbach): [...]49 wehre ich mich, was haben unsere Fraktionssitzungen überhaupt noch für einen Sinn, wenn wir zu einer vorliegenden Gesetzesmaterie nicht einen Ergänzungsantrag hier in der Fraktion stellen können, da uns die Bilozität, also an zwei Stellen gleichzeitig zu sein, nicht gegeben ist; ich bin im Arbeitskreis I gewesen. Das ist einfach nicht möglich. Und wenn man solche Anregungen zuerst zu einer Vor- lage schriftlich formulieren muß und erst noch in den Vorstand geben muß, um zu fragen, darf ich überhaupt den Mund aufmachen, dann werden wir weder in der Frakti- on zu einer Meinungsbildung kommen, noch werden wir in einem lebendigen Parla- ment sein. Ich wehre mich also ganz entschieden gegen diesen Einwand. Das zweite, daß der Finanzminister sagt, wir sollten keine Änderungen vornehmen, dem möchte ich mit folgender Bemerkung begegnen. Der Bundesfinanzminister hat

49 Lücke in der Überlieferung. Copyright © 2017 KGParl Berlin 25

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sowohl hier wie in den Plenarsitzungen wiederholt darauf hingewiesen, es sei leichter, erhebliche Einschränkungen bei irgendwelchen Fragen vorzunehmen, als auch nur eine einzige Steuervergünstigung abzubauen. Die größte Schwierigkeit, also Steuervergüns- tigungen abzubauen, hat auch der Finanzminister erkannt. Weil er natürlich auch den Interessenten entgegensteht, haben wir hier zuerst die Frage dessen, was wir für richtig halten, erörtert, oder haben wir zunächst gefragt, wen es interessiert? Ich meine, wir haben eine Gesamtverantwortung und haben nicht irgendwelchen Leuten Steuerge- schenke zu machen. Blank: Zunächst muß ich dem Kollegen Erhard darin folgen. Es ist sein gutes Recht, sonst hätten die Fraktionssitzungen keinen Sinn, einen Antrag zu stellen. Das ist sicherlich ein Antrag von großer Tragweite, soweit ich das als Laie übersehen kann. Ich würde daher niemals einen solchen Antrag jetzt abstimmen lassen, sondern ich bin der Meinung, das muß dann schon in den zuständigen Arbeitskreisen ernsthaft beraten werden. Ich bin weiterhin der Meinung, daß Sie, Herr Kollege Erhard, auch das Recht hätten, natürlich nach Absprache mit den Kollegen, eventuell auch im Ausschuß diese Auffassung zu vertreten. Ich möchte dahingehend entscheiden, der Arbeitskreis unter dem Vorsitz Dr. Pohle beschäftigt sich mit dem Wunsch des Kollegen Erhard. Was dabei herauskommt, ist eine andere Frage. Arbeitskreis IV Stingl: Schlechtwettergeldverbesserung50, Arbeitslosenstatistik.51 Blank: Gegen das letztere ist wohl nichts einzuwenden. Es ist wohl im Vorstand nicht behandelt worden, aber es stand auf der Tagesordnung. Man ging einfach davon aus, der Arbeitskreis wird schon einen Entschluß fassen. Ich glaube, dagegen ist doch nichts einzuwenden. Weimer: Im Telegrammstil gestatten Sie mir, kurz folgendes vorzutragen. Wir haben mit dem Siebten Änderungsgesetz zum AVAVG die Geldleistungen in der Arbeitslo- senversicherung beachtlich erhöht.52 Im Rahmen der Beratungen des Ausschusses für Arbeit hatte ich den Antrag gestellt, bei dieser Gelegenheit die alte Relation zwischen Arbeitslosengeld und Schlechtwettergeld wiederherzustellen im Gegensatz zu der da- maligen Regierungsvorlage. Ich wurde dann gebeten, im Interesse einer zügigen Durch- ziehung dieses Änderungsgesetzes, im Interesse der damals sehr hohen Zahl von Ar- beitslosen meinen Antrag zurückzustellen, zumal die ganze Situation erhoffen ließ, daß es gelänge, bis zum Beginn der neuen Schlechtwetterperiode, die in der vorigen Woche am Mittwoch begonnen hat, vielleicht noch eine Zwischenregelung zu finden.

50 Die Fraktion der SPD wollte zum Schlechtwettergeld einen Zuschlag gewähren, der – unabhängig vom Familienstand – je Ausfallstunde 5 Prozent des Stundenlohnes für Maurer in Ortsklasse I nach dem jeweils geltenden Lohntarifvertrag für das Baugewerbe betrug. Im Arbeitskreis IV wurde aus- giebig die Frage diskutiert, welche Haltung die Fraktion zu diesem Initiativantrag einnehmen sollte. Da sich kein klares Bild ergab, hielt der Arbeitskreis IV eine Entscheidung durch die Gesamtfraktion für erforderlich. Vgl. Protokoll der Sitzung des Arbeitskreises IV vom 7. November 1967, in: ACDP, 08-005-011/1. 51 Gemeint ist die Kleine Anfrage der Abgeordneten Freiwald, Lampersbach, Kühn (Hildesheim), Müller (Berlin) und Genossen vom 8. November 1967 betreffend Aufschlüsselung der Arbeitslosen- statistik und Verbesserung der regionalen Mobilität der Arbeitskraftreserven (BT-Drucksache V/2247). Der Arbeitskreis IV hatte eine entsprechende Empfehlung für die Einbringung dieser Klei- nen Anfrage ausgesprochen. Vgl. Protokoll der Sitzung des Arbeitskreises IV vom 7. November 1967, in: ACDP, 08-005-011/1. 52 Vgl. »Siebentes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversi- cherung (Siebentes Änderungsgesetz zum AVAVG)« vom 10. März 1967, BGBl. 1967 I S. 266. Copyright © 2017 KGParl Berlin 26

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In der Zwischenzeit haben sich einige Freunde der Fraktion mit diesem Thema beschäf- tigt und haben einen kleinen Gesetzentwurf erarbeitet, der nur aus zwei Paragraphen besteht. Diesen Gesetzentwurf zu begründen, hatte ich die Ehre, im Vorstand als Gast auf besondere Einladung vorzutragen. Der Vorstand der Fraktion hatte das damals abgelehnt. Daraufhin hat sich nun die SPD-Fraktion dieses Anliegen zu eigen gemacht und stellt einen Antrag. Worum geht es? Es geht um folgendes: der Bauarbeiter ist verpflichtet, während der Schlechtwetterzeit, es betrifft 1,2 Millionen Beschäftigte in der Industrie der wandern- den Fabriken, täglich Arbeitsbereitschaft vorzuhalten, auch für Entfernungen zwischen Wohnung und Arbeitsplatz, für die Sie bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel bis zu eineinhalb Stunden Fahrzeit im einzelnen benötigen. Das bedeutet, daß der Bauar- beiter während der Schlechtwetterzeit, beispielsweise auch der, der in Bonn wohnt, verpflichtet ist, sich täglich auf der Baustelle in Düsseldorf zu melden, ohne daß er die Gewißheit hat, daß er an witterungsunsicheren Tagen die Möglichkeit hat, Lohn zu verdienen. Er muß drei Stunden Arbeitsbereitschaft vorhalten und möglicherweise dann wieder heimfahren. Er gehört nicht zu dem Kreis derer, die Anspruch auf Erstattung nicht ausgenutzter Berufsfahrten bei öffentlichen Verkehrsmitteln haben. Das ist der Zustand. Und diesem Zustand hatte der Gesetzgeber in der Vergangenheit Rechnung getragen, bis zum 31. März diesen Jahres hielt man es für richtig. Es hat sich sozialpolitisch aus- gezeichnet bewährt und drückt sich aus in einer wirklich spürbaren Verbesserung der kontinuierlichen Bautätigkeit im Winter. Der sozialpolitische Erfolg ist eingetreten, und die Bundesregierung hat dem, was bis dahin als richtig angesehen wurde, auch in dem neuen Gesetzentwurf zur Arbeitsförderung, dem AFG, was im Augenblick im Bundesrat behandelt wird53, wiederum Rechnung getragen mit der gleichen Begrün- dung, mit der wir auch darum gebeten haben, dieses Anliegen doch jetzt zu reparieren. Was also in der Vergangenheit als richtig erkannt wurde und auch für die Zeit nach dem Inkrafttreten des Arbeitsförderungsgesetzes wieder für richtig gehalten wird, gilt jetzt nicht, und das ist ein schmerzliches Kuriosum, welches 1,2 Millionen Menschen – wechselnd natürlich nach Witterungslage – in den Monaten von November bis ein- schließlich März betrifft. Und der SPD-Antrag, ich habe ihn noch nicht gesehen, enthält also eine Bestimmung, die nicht vorsieht eine Erhöhung des Schlechtwettergeldes. Man muß das sehr wohl auseinanderhalten. Die Geldleistungen sollen die gleichen sein, nur dem Mehraufwand des Bauarbeiters, der täglich das Risiko des Nichtarbeitenkönnens in Kauf nimmt, soll wegen der Aufwendungen, die er hat infolge Vorhaltens der Arbeitsbereitschaft, Rech- nung getragen werden durch einen Zuschlag in Höhe von 5 Prozent, gerechnet vom tariflichen Ecklohn des Maurers. Das würde in der Stunde 23 Pfennig betragen. Und einen ausgabenwirksamen Beschluß in bezug auf den Bundeshaushalt stellt es nicht da. Es wäre von der Bundesanstalt zu erbringen, wie auch in der Vergangenheit – im übri- gen hat die Bundesanstalt, deren Verwaltungsrat ich angehöre, eigentlich auch schon damit gerechnet, aber ich weiß aus internen Kreisen, um eine Größenordnung Ihnen

53 Am 3. Oktober 1967 übersandte die Bundesregierung den von ihr beschlossenen Entwurf eines Arbeitsförderungsgesetzes dem Bundesrat. Vgl. BR-Drucksache 484/87. Der Bundesrat nahm in sei- ner Sitzung vom 27. Oktober 1967 ausführlich Stellung zu dem Gesetzentwurf und tat dabei seine Ansicht kund, daß das Gesetz seiner Zustimmung bedurfte. Vgl. Bundesrat, 315. Sitzung am 27. Ok- tober 1967, S. 234–239 in Verbindung mit der BR-Drucksache 484/67 (Beschluss). Am 16. November 1967 wurde der Gesetzentwurf mit der Stellungnahme des Bundesrates und der Gegenäußerung der Bundesregierung dem Bundestag zugeleitet. Vgl. BT-Drucksache V/2291. Copyright © 2017 KGParl Berlin 27

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vorzutragen, es wird etwa ein Betrag von 18 bis 25 Millionen DM erfordern. Als Zu- schlag zum Schlechtwettergeld, vorausgesetzt, daß die Witterungslage nicht eine ausge- sprochen abnormale darstellt. Die Gefahr besteht, wenn wir eine Regelung dieser Art nicht treffen, daß dann die Auf- rechterhaltung der Beschäftigungsverhältnisse in der Schlechtwetterzeit für den Bauar- beiter wenig attraktiv erscheint, weil er Aufwendungen hat, ohne zu wissen, ob er überhaupt Lohn verdient, und dann, wenn er ohne Ergebnis nach Hause kommt, nicht mehr hat als der Arbeitslose, der hinter dem Ofen sitzt und genau weiß, wann sein Stempeltag ist, wann sein Zahltag ist, und der Aufwendungen übriger Art nicht hat. Die

1,2 Millionen Beschäftigten sind verteilt in rund 3000 Industriebetrieben, rund 56 000 Handwerksbetrieben. Man kann bei der vermutlichen Verhaltensweise in Auswirkung des derzeitigen Rechtslage sicher den Schluß ziehen, daß der Arbeitsbereitschaft in dieser witterungsabhängigen Zeit und dem Willen zur kontinuierlichen Bautätigkeit im Winter ein empfindlicher Rückschlag erteilt wird, wenn nicht wieder die alten Relatio- nen hergestellt werden. Aus diesem Grunde plädiere ich dafür, bitte ich um Ihr Ver- ständnis, daß man dieser Sache als einer vernünftigen Regelung seine Zustimmung gibt. Es wird als Argument gegen ein Achtes Änderungsgesetz vorgebracht, daß der Bundes- arbeitsminister befürchtet, mit einer solchen Regelung würde dem Arbeitsförderungs- gesetz eine Rosine vorweggenommen. Das Arbeitsförderungsgesetz ist ein derartig umfangreiches Gesetzeswerk, welches im Gegensatz zu dem jetzt seit 40 Jahren beste- henden Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung54 eine solche Vielzahl konstruktiver Neuheiten enthält für die Mobilität der Arbeitskräfte, daß es meines Erachtens geradezu eine Abwertung dieses Gesetzentwurfs bedeuten würde, wenn man sagen würde, die Regelung dieser Zuschlagsfrage wäre das Herausbrechen einer Rosine, das kann man im Verhältnis zu dem, was das Gesetz bringt, nicht als Ro- sine bezeichnen, und aus diesem Grunde wollte ich Sie bitten, doch diesem Anliegen positiv gegenüberzustehen, sich die Fraktion also diesem Antrag anschließt. Blank: Als wir die Koalitionsbesprechungen hatten, die zu dem bekannten Kompromiß führten, legte uns Herr Schellenberg dieses Ding vor. Wir haben damals Nein gesagt. Wir haben uns zweimal im Vorstand damit beschäftigt. Der Vorstand hat zweimal dazu Nein gesagt. Es ist nicht meine Aufgabe, den derzeitigen Arbeitsminister55 zu vertreten, aber aus leidvoller Erfahrung vertrete ich ihn jetzt hier. Es ist die alte Übung, aus einem Gesetzestext das, was einem erstrebungswert erscheint, herauszunehmen, was wir schlechthin mit Rosinentheorie bezeichnen, und den Rest liegen zu lassen. Ich wäre unredlich, wenn ich Ihnen nicht in dieser Stunde sagte, daß das Arbeitsförderungsgesetz des Arbeitsministers nicht auf ungeteilte Gegenliebe stößt, insbesondere nicht bei den Gewerkschaften, das sage ich nicht im Sinne des Vorwurfs. Es ist ihr gutes Recht, eine bestimmte Auffassung zu haben. Nun können aber die Gewerkschaften sehr schlecht gegen gewisse Bestimmungen dieses Gesetzes Nein sagen, zum Beispiel gegen eine Erhöhung des Stückarbeitergeldes. Und so haben wir die zwei Dinge, die die Bauarbei- ter wollen und die die übrigen wollen, und mit dem Rest von dem Gesetz kann Katzer sehen, wie er zurechtkommt. Ich sage Ihnen nur, das ist meine aus leidvoller Erfahrung gewonnene Überzeugung, widerstehen Sie im Anfang, machen Sie Schluß mit der Rosi- nenpraxis, sagen Sie Nein dazu. Wie wir nachher das gesamte Gesetz behandeln, das

54 Vgl. »Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung« vom 16. Juli 1927, RGBl. 1927 I S. 187. Durch dieses Gesetz wurde die Erwerbslosenfürsorge in eine Arbeitslosenversicherung um- gewandelt und als Träger dieses neuen Versicherungszweiges die Reichsanstalt für Arbeitsvermitt- lung und Arbeitslosenversicherung errichtet. 55 Hans Katzer. Copyright © 2017 KGParl Berlin 28

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werden die Beratungen zeigen müssen. Gerade im Februar dieses Jahres hat man erst den Beschluß gefaßt. So wie die Rechtslage heute ist, besteht für mich jedenfalls kein zwingender Anlaß, von dieser Sache jetzt im Augenblick abzugehen. Ich sage noch einmal, ich lasse völlig offen, wie man votieren wird. Müller (Berlin): Die Kollegen aus dem Arbeitskreis, die gegenteiliger Meinung waren, haben den Standpunkt eingenommen, den der Kollege Blank eben vorgetragen hat. In der Sache ist kein Widerspruch erfolgt. Nur in dem Verfahren dieser ganzen Frage. Die Sache ist überhaupt nicht weiter diskutiert worden. Nun darf ich zur Sache noch etwas sagen. Es ist wahrscheinlich den Nichtsachverstän- digen nicht so deutlich, daß derjenige, der Schlechtwettergeld bezieht, ja gar nicht schlechter gestellt ist. Nur die Relation ist nicht mehr die wie früher vor dem Siebenten Änderungsgesetz. Er muß aber in ungekündigter Stellung sein, und nur durch die Aus- falltage als Schlechtwettergeld kann man nicht ohne weiteres schlechter oder genau gestellt werden wie der Arbeitslose. Dazu möchte ich nur noch folgendes sagen: Wenn wir das Arbeitsförderungsgesetz, das uns sehr am Herzen liegt und dessen Antrag von dieser Fraktion in der Drucksache 222 im Februar 1966 eingebracht worden ist56, durchbringen wollen, möglichst zügig, dann müssen wir nicht die Dinge vorwegneh- men, sondern als geschlossenes Ganzes in dem Sinne, wie Blank es hier vorgetragen hat, verabschieden. Ich bin auch der Meinung, wir sollten auch dem Arbeitsminister nicht in den Rücken fallen, das ist jetzt meine persönliche Meinung. Ich nehme auch an, daß es die Meinung derjenigen ist im Arbeitskreis, die mit mir übereinstimmen, daß wir nicht das herausbrechen sollen aus dem Gesetz. Wir sollen dem Arbeitsminister nicht in den Rücken fallen, sondern wenn die SPD darauf besteht, wieder einmal eine Schau zu ma- chen, dann muß eine Koalitionsfrage daraus werden, deshalb sollen wir dem nicht zu- stimmen. Müller (Remscheid): Ich glaube, das Gebot der Fairness gebietet es, einiges hier über das Vergangene gerade zu rücken, und zwar möchte ich das als Ausschußvorsitzender57 tun. Als im Frühjahr das Siebente Änderungsgesetz zum AVAVG beraten wurde, hatte das Kabinett ja bekanntlich die Erhöhung des Arbeitslosengeldes um 10 Prozent und des Schlechtwettergeldes um 20 Prozent beschlossen.58 Damit wurde offensichtlich deutlich, daß das Kabinett für eine bessere Behandlung der Schlechtwettergeldbezieher war, ich will hier nicht untersuchen, auf wessen Initiative das im Kabinett geschehen ist. Der Ausschuß hat dann in langen Beratungen, in die dann ja die Fraktion auch einge- schaltet war, sich durchgerungen, einheitlich die Arbeitslosenunterstützung, die Kurz- arbeiterunterstützung und das Schlechtwettergeld um 15 Prozent anzuheben. In der Vorbesprechung unserer Freunde im Ausschuß für Arbeit hat der Kollege Weimer immer wieder auf die Lage der Bauarbeiter als Schlechtwettergeldbezieher hingewiesen. Und wir haben ihn – und aus dem Grunde sage ich das, damit wirklich kein falscher Eindruck entsteht – nicht zuletzt mit Hinblick darauf, daß diese Sache im Frühjahr nicht akut war, dazu gebracht, daß er dann im Ausschuß nicht mehr von diesem Schlechtwettergeld gesprochen hat und daß es dann zu der einstimmigen Annahme

56 Vgl. Antrag der Fraktion der CDU/CSU vom 26. Januar 1966 betreffend die Anpassung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung an den technischen Fortschritt und an die wirtschaftliche Entwicklung (BT-Drucksache V/222) in Verbindung mit der Stellungnahme des Aus- schusses für Arbeit vom 23. Juni 1966 (BT-Drucksache V/752). Der Ausschuss empfahl, den Antrag unverändert anzunehmen. Bei zahlreichen Enthaltungen folgte der Bundestag der Empfehlung des Ausschusses. Vgl. BT STEN. BER., 5. Wahlperiode, 52. Sitzung am 29. Juni 1966, S. 2531. 57 Der Abgeordnete Adolf Müller war Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit. 58 Vgl. hierzu Protokoll der Fraktionssitzung vom 14. Februar 1967, TOP 1 u. 3 c. Copyright © 2017 KGParl Berlin 29

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dieses Gesetzentwurfs im Ausschuß gekommen ist. Man muß der Fairness halber eben- falls hinzufügen, daß der leitende Beamte des Arbeitsministeriums damals gesagt hat, bis zum kommenden Winter würde man dann entsprechend initiativ werden. Ich glau- be, die volle Wahrheit muß man sagen; man muß also das Anliegen des Kollegen Wei- mer dabei sehen. Die Fraktion hat dann das, was einmal vorberaten worden war, zu Papier gebracht im Vorstand, abgelehnt. Und wir haben dann auch die Sache nicht weitergetrieben, obwohl der eine oder andere in dieser Fraktion der Meinung sein kann, was kürzlich in der Presse stand, daß es CDU-Abgeordnete gäbe, die zum DGB gehörten, die offensicht- lich dem DGB näher verpflichtet wären als der Union. Eine Sache, die ich für absolut unmöglich halte, wenn sie insbesondere aus diesem Kreise oder zumindest aus der Fraktion nahestehenden Kreisen kommt. Ich möchte mich in aller Form gegen eine solche Unterstellung hier auch vor der Fraktion bewahren. Mir scheint aber, wenn die SPD einen Antrag einbringen sollte, ich weiß es nicht, ich habe mit der SPD nicht dar- über in Verbindung gestanden, wenn sie also einen Antrag einbringen sollte, entsteht, glaube ich, für die Fraktion eine neue Lage, die sie beraten muß, weil man dann absehen muß, ob man das dann auch durchhält, zumal der Bundesarbeitsminister im Entwurf zum Arbeitsförderungsgesetz selbst vorschlägt, daß die Schlechtwettergeldbezieher einen Zuschlag bekommen sollen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf einen Gesichtspunkt aufmerksam machen, der dann dabei zu prüfen ist, wenn wir im kommenden Winter keine Regelung für das Schlechtwettergeld haben, dann könnte die Zahl der arbeitslosen Bauarbeiter erheblich steigen, wenn wir ohnehin ein Anwachsen der Arbeitslosigkeit im kommenden Winter befürchten, und Präsident Sabel hat es sehr deutlich gemacht, dann möchte ich einmal zu bedenken geben, ob es aus psychologischen Gründen richtig ist, dann die Zahl der Arbeitslosen noch weiter zu erhöhen, denn die Schlechtwettergeldbezieher gelten nicht als Arbeitslose, werden nicht als Arbeitslose ausgewiesen, wenn aber die Bauarbeiter wohl Schlechtwettergeld bekommen, aber nicht diesen Zuschlag bekommen, sondern genau das gleiche wie der Arbeitslose, können sich unter Umständen die Betriebe allzu leicht von ihren Mitarbeitern trennen und sie dem Arbeitsamt zur Verfügung stellen – und das sind einige Hunderttausende. Wir haben dann eine höhere Zahl von Arbeitslo- sen. Das wollte ich zu bedenken geben, wenn der SPD-Antrag eingebracht und darüber beraten wird. Blank: Ich hätte eine Frage, wer hat denn eine halbe Wahrheit hier dargetan? Ich nehme doch an, daß alle, die zur Sache hier gesprochen haben, nach bestem Wissen und Gewis- sen die Wahrheit dargetan haben, nicht eine halbe. Nun noch eine zweite Sache, damit ich die endlich einmal ausräume, ein leitender Be- amter des Arbeitsministeriums habe eine Novelle in Aussicht gestellt. Dieser leitende Beamte bestreitet das, wie mir sein Minister sagt. Aber unterstellen wir einmal, er habe das in der Tat getan, ein leitender Beamter kann keine Verpflichtung eingehen, daß ein Gesetz novelliert wird, aber sein absoluter Vorgesetzter, der dafür verantwortliche Bundesarbeitsminister hat mehrfach mir erklärt und heute auf Rückfrage durch Stingl noch einmal bestätigt, daß er bäte, das nicht zu tun. Ihm also nicht das Gesetz durch die Vorwegnahme durch Einzelregelungen in der bekannten Weise zu erschweren. Also kann die Frage, ob Herr Staatssekretär Kattenstroth etwas gesagt oder nicht gesagt habe, bei diesem Sachverhalt völlig außer Betracht bleiben. Die Bauarbeiter bekommen ja ihr Schlechtwettergeld. So ist das doch gar nicht. Es dreht sich doch nur darum, ob die Relationen, die es früher einmal gab, wiederhergestellt werden oder nicht. Dazu ist Zeit, wenn wir dieses Gesetz beraten. Und wem es so eilig Copyright © 2017 KGParl Berlin 30

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ist um diese Einzelbestimmung, dem kann ich nur den guten Rat geben, er würde dem Arbeitsminister einen Gefallen tun, sehr viel Druck auszuüben auf die beschleunigte Beratung dieses Gesetzes, aber dazu haben manche Leute sehr viel Zeit. Im übrigen hat der Präsident der Bundesanstalt [für Arbeit]59 sich ebenfalls zu dieser Frage geäußert, er hat damit auch keine Eile. Wenn die SPD das Gesetz einbringen will, soll sie das tun. Kollege Müller, ich will akzeptieren, daß es dann für uns eine neue Lage gibt, aber wir haben bereits im Vorstand beschlossen, dem nicht beizutreten. Wir würden dann wahr- scheinlich mit der FDP ein Koalitionsgespräch haben müssen, und ob der Arbeitsminis- ter dann von seinem Recht Gebrauch macht, den Bundeskanzler darauf hinzuweisen, das sei ein im Kabinett beschlossenes Gesetz, und der Bundeskanzler sich dann seiner- seits veranlaßt sieht, nun wieder mit den Ministern der Koalition zu sprechen, muß ich dahingestellt sein lassen. Ich kann bei Lage der Dinge nur empfehlen, dem Antrag Wei- mer nicht beizutreten. Orgaß: Trotz der engagierten Worte des Vorsitzenden möchte ich mir erlauben, einige Bedenken gegen diese Argumentation zu stellen. Ich weiß, daß ein Beschluß des Vor- standes eine sehr ernst zu nehmende Angelegenheit ist, dennoch ist sie kein Dogma und kann kein Dogma sein. Es wird zum zweiten erklärt, wir müssen uns gegen eine Rosi- nentheorie wenden. Hier ist meines Erachtens die Situation aber genau umgekehrt, denn aus dem Rosinenkuchen, in dem ohnehin nur eine Rosine war, ist diese Rosine herausgekommen, wie es der Kollege Müller dankenswerterweise sehr korrekt gesagt hat. Damit ist überhaupt keine Rosine mehr drin, und der Hinweis auf die Rosinenthe- orie sticht offenbar nicht ganz. Ich kann aus der intensiven Kenntnis der Situation am Baumarkt, denn ich war fast 20 Jahre selber Bauarbeiter und war darunter beinahe acht Jahre Vorsitzender einer großen Bauunternehmung, genau erklären, daß hier die Dinge doch etwas anders sind, als sie dargestellt wurden. Es wurde behauptet, der Bauarbeiter wird durch diese Regelung ja nicht benachteiligt gegenüber anderen Arbeitslosen, und das stimmt nicht. Und ich möchte den Vorsitzenden bitten, nun auch zuzuhören. Es wurde von dem Vorsitzen- den und anderen behauptet, daß der Bauarbeiter durch die jetzige Regelung nicht be- nachteiligt wird gegenüber anderen Arbeitslosen. Diese Behauptung mag ehrenwert sein, aber sie stimmt sachlich nicht, denn man muß Genaues wissen, und das kann ich aus meiner Erfahrung sagen. Ich habe zwar jetzt nicht mehr die Unterlagen, aber Kolle- ge Weimer wird bestimmt in der Lage sein, sie herbeizuführen, die richtigen nämlich. Es wird nämlich trotz der Arbeitsbereitschaft nur dann Schlechtwettergeld gezahlt, wenn an einem Tag nicht mehr als drei Stunden gearbeitet wird. Dann kann es oftmals die Situation geben – und ich habe vor jetzt beinahe zehn Jahren bereits dem damaligen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, dem verstorbenen Kollegen Arndgen, einen langen Bericht über die praktischen Auswirkungen dieser Schlechtwetterregelung gege- ben, weil ursprünglich ebenfalls diese Harken drin waren –, daß in der Praxis trotz Arbeitsbereitschaft für den Arbeitnehmer ein geringeres Entgelt in der Woche heraus- kommt, als wenn er gearbeitet hätte, oder auch, als wenn er sich arbeitslos gemeldet hätte. Aufgrund dessen ist ja nachher die andere Relation gekommen, und diese Relati- on ist durch Dinge, die mit dem System, auch mit der Neustruktur eines neuen Arbeits- förderungsgesetzes an sich gar nichts zu tun haben, entzogen worden. Aber es soll jetzt nur angereichert werden mit Dingen, die vorher entzogen wurden. Wenn diese Situation in diesem Winter wieder so eintritt, dann ist absolut kein Anreiz mehr gegeben, nein, dann wird sich der Bauarbeiter fragen müssen, ob er denn dumm und dämlich ist, wenn er diese Arbeitsbereitschaft aufrechterhält und unter Umständen

59 Anton Sabel. Copyright © 2017 KGParl Berlin 31

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weniger hat, als wenn er arbeitslos wäre, denn hinzugefügt muß ja auch werden, daß die Schlechtwetterregelung vor allem auch aus einem gesamtökonomischen Aspekt ge- kommen ist, dem die Bauarbeiter zugestimmt haben, die aber weitgehend bei der der- zeitigen Regelung auf Knochen der Arbeitnehmer gehen, denn es ist weiß Gott kein Zuckerlecken mit blutigen Fingerspitzen, weil vereiste Steine, die Arbeit aufzunehmen, und die Voraussetzungen für das Schlechtwettergeld den Arbeitgebern geboten wurden durch finanzielle Ausgleichsleistungen von Seiten der Bundesanstalt, daß diese Maß- nahmen aber in vielen Fällen nicht weitergeleitet worden sind in bezug auf diese Schutzmaßnahmen, sondern daß trotzdem dann die Arbeit gemacht wurde und die Unternehmer gesagt haben, wir können euch nicht in Schlechtwetter melden, denn unsere Baustelle ist als Winterbaustelle angemeldet worden. Ich möchte Sie ganz drin- gend bitten, daß die Fraktion dem Antrag Weimer ihre Zustimmung gibt. Müller (Remscheid): Vier Bemerkungen60 zum Antrag: 1. Ich kann mich nicht entsinnen, daß ich gesagt habe, die Fraktion würde dem Antrag Weimer zustimmen. Die Fraktion wird sich vielleicht entsinnen, daß ich gesagt habe, wenn die SPD einreichen sollte, ist für die Fraktion eine neue Lage entstanden, sie muß dann beraten. Wenn der Vorsitzende sich dadurch angegriffen gefühlt hat, daß ich viel- leicht einen falschen Zungenschlag in der Frage der vollen Wahrheit hier gesagt hätte, dann möchte ich ihn hier offiziell um Entschuldigung bitten, mir kam es darauf an, aus den Vorgesprächen in unserer Fraktion das zu sagen, was wir damals beraten haben. Ich habe das als ein Gebot der Fairness gegenüber dem Kollegen Weimer angesehen. 3. Der Kollege Weimer, und aus dessen Position heraus habe ich das ja nur gesagt, weil er es selbst nicht sagen konnte, wird selbst dazu Stellung nehmen können, ob Herr Kattenstroth ihm die Zusicherung gegeben hat oder nicht. 4. Wenn ich etwas zur Frage der Arbeitslosenzahl gesagt habe, dann darf ich Sie viel- leicht daran erinnern, daß ich in diesem Jahr der Vorsitzende des größten Landesar- beitsamtes bin, nämlich des Verwaltungsausschusses des Landesarbeitsamtes NRW. Ich habe in den vergangenen Wochen eine Bereisung der Ruhrgebietsarbeitsämter durchge- führt. Und wenn ich Ihnen da die Stimmung wiedergeben soll, dann würde es jetzt allerdings etwas psychologisch sein, das möchte ich nicht tun, ich möchte hier meiner großen Sorge über die Entwicklung nicht nur auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch hinsichtlich der Stimmung der Arbeitslosen Ausdruck geben, und das kann man nicht mit einem Wort wegwischen. Blank: Ich danke Ihnen, Herr Müller, daß sie das klargestellt haben. Also, mit halben Wahrheiten hat hier niemand gearbeitet. Ich bleibe dabei, es gibt eine Schlechtwetter- geldregelung, die gibt es in anderen Berufen nicht. Ob sie ausreichend oder nicht ausrei- chend ist, dazu mag man unterschiedliche Auffassungen haben. Die Frage wird neu angesprochen in einer vorliegenden Gesetzesvorlage. Dort ist Zeit und Raum dazu. Die SPD hat einen Antrag noch nicht eingereicht, der Vorstand hat sich zweimal damit beschäftigt und zweimal Nein gesagt. Wenn Sie aber wollen, lasse ich eine Abstimmung herbeiführen, denn bei uns ist die Fraktion ja immer beschlußfähig. Ich glaube aber, es ist für die Antragsteller sehr viel klüger, sich zurückzuziehen auf das, was Müller sagt, na schön, wenn die SPD einreicht, werden wir uns wieder mit der Situation beschäfti- gen müssen. Lampersbach zur Geschäftsordnung: Vertagung. Blank: Es erfolgt kein Widerspruch, die Sache ist vertagt.

60 Eine zweite Bemerkung des Abgeordneten Müller (Remscheid) ist nicht überliefert. Copyright © 2017 KGParl Berlin 32

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Martin: Wir haben zwei Sachen augenblicklich, die Studienreform und die Beschäfti- gung mit der Presse. Ich will das zweite vorwegnehmen, und zwar deshalb, weil ich Sie einladen möchte. Die Sache hat ja zwei Seiten, einmal die Frage Konzentration der Presse und ihre Folgen, daß andere ist die Tatsache, daß Axel Springer stellvertretend für die ganze Gesellschaft im Widerstreit ist. Wir haben mit ihm gesprochen und fol- gende Lösung gefunden. Wir werden am nächsten Dienstag Axel Springer und Johannes Binkowski im Arbeitskreis VI sprechen lassen, und zwar zu dem Thema »Die wirt- schaftlichen Voraussetzungen der Pressefreiheit in einer demokratischen Gesellschaft«. Das ist der etwas aufgeblasene Slogan. Ich halte das für sehr wichtig, das zu tun, wir haben uns das sorgfältig überlegt, wir haben gar keinen Grund, uns von Herrn Springer politisch zu distanzieren. Wir haben hier eine Form gefunden, in der wir Distanzierung und Nähe sehr gut verbunden haben. Wir haben damit einen Großverleger und einen Kleinverleger. Binkowski ist der Vorsitzende des Südwestdeutschen Zeitungsverleger- verbandes. Dann, um die Delikatesse noch anzureichern, werden wir am 5.12. Alfred Nau von der SPD, der von Konzentration etwas versteht, haben, und dann Prof. Ron- neberger aus Nürnberg, der die Sache von der wissenschaftlichen Seite bearbeitet. Ich glaube, daß das sehr gut ist, wir werden es hier in diesem Saale machen, weil ja an die- sem Problem nicht nur der Arbeitskreis VI, sondern auch die Leute von der Wirtschaft und die Juristen beteiligt werden müssen. Ich hoffe, daß wir hier eine sehr gute Aus- sprache mit ihm haben werden. Bericht aus dem Arbeitskreis zur Studienreform Picard: Es ist kein Achtel der Fraktion mehr hier. Wir haben noch nicht drei Stunden. Ich verstehe das nicht, daß immer nur die Hälfte bis zum Schluß anwesend ist und die anderen nicht. Ich zweifele beinahe an den Fähigkeiten unserer Fraktionsführung. Ich habe das Vergnügen gehabt, etwa sieben Jahre Kulturpolitik in einem Landtag61 machen zu dürfen und dabei die bittere Feststellung bei jeder Diskussion treffen müs- sen, daß es vielleicht elf verschiedene Auffassungen über kulturpolitische Notwendig- keiten innerhalb der Christlich Demokratischen Union gibt. Wir haben eben im Ent- wurf eine Konzeption gehört, die nach meinen Erfahrungen von damals, die noch gar nicht lange zurückliegen, nach meinem Überblick über die kulturpolitische Landschaft unserer Partei so revolutionär sind, daß sie auf eine weitgehende Kritik in der eigenen Partei stoßen werden. Das ist eine Feststellung, ich weiß nicht, ob der Arbeitskreis einmal eine solche Überlegung angestellt hat, was an Wirkungen zu verspüren sein wird, wenn wir wirklich dazu kämen, in diesem Bundestag einen so einheitlichen Ap- pell zu richten, der von unseren eigenen Organen nicht befolgt wird, das muß man sich politisch überlegen. Trotzdem halte ich es für notwendig, daß wir so etwas tun, nur mache ich darauf aufmerksam, daß wir, wenn wir in der nächsten Sitzung der Fraktion zu einer einhelligen Meinungsbildung kommen wollen, einige Vorklärungen werden getroffen haben müssen, damit wir nicht hinterher ein Debakel erleiden, das wir uns nicht erlauben können. Ich habe deshalb nur die bescheidene Frage, inwieweit diese internen Vorbereitungen und Abklärungen getroffen sind und ob man sich auch einmal die Frage überlegt hat, welche Möglichkeiten wir denn haben einzuwirken, abgesehen von einem vielleicht günstigen Presseecho, auch wenn die Debatte am Freitag sein wird. Ich glaube, wir können es uns nämlich nicht erlauben, nach einer etwa zehn Jahre wäh- renden Diskussion um Studienreform, um Schulreform, um weitere Entwicklungen des Bildungswesens, und wie Sie das alles nennen wollen, hier einen großen Appell zu rich- ten, ohne hinterher auch nur ein ganz kleines Minimum an Erfolg zu zeigen. So wichtig eine solche Initiative publizistisch sein kann, ich glaube nicht, daß wir uns einbilden

61 Der Abgeordnete Walter Picard war von 1958 bis 1965 Mitglied des Hessischen Landtags. Copyright © 2017 KGParl Berlin 33

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dürfen, wir müssen irgend etwas in Bewegung setzen, in der Landschaft der deutschen Universität, wenn wir dort nicht eine weitgehende Bereitschaft haben bei denen, die entscheidend sind. Weshalb sind wir denn heute auf so geradezu revolutionäre Ideen gekommen, einmal, weil uns die Masse über den Kopf wächst, und zum anderen, weil wir den mit Recht revolutionierenden Studenten nicht mehr Herr werden können, weil es unerträglich ist, daß man Menschen mit 25 Jahren an einer deutschen Universität sitzen läßt nach einer Zahl von 150 000, die in der Gesellschaft nichts gelten, die nichts zu sagen haben, die insbesondere im eigenen Bereich über ihr eigenes Schicksal so gut wie keine Mitbestimmung haben. Ich weiß nicht, ob man sich nun einmal überlegt hat, was an negativen Folgen herauskäme, wenn diese Initiative nicht von einem zumindest minimalen Erfolg begleitet wäre. Martin: Diese Fragen kann man eigentlich nur beantworten, wenn man das Papier im Detail kennt. Deshalb würden wir uns jetzt keinen Gefallen tun, wenn wir darüber diskutieren. Ich würde Sie bitten, sich zu gedulden, bis wir das Papier haben. Ich per- sönlich sehe die Gefahr der Deklamation, aber es ist gerade durch die Studenten eine Frage, der der Deutsche Bundestag überhaupt nicht mehr ausweichen kann. Er muß eine klare Antwort darauf geben. Zweitens gibt es auch eine gewisse Chance, auf ganz gewisse Vorgänge einzuwirken, auf Initiativen, die bereits vorbanden sind, aber ich bitte Sie, mir die endgültige Antwort heute zu erlassen.

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