50. 50. 5. März 1968: Fraktionssitzung in Berlin
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Fraktionssitzung 5. 3. 1968 50. 50. 5. März 1968: Fraktionssitzung in Berlin ACDP, 08-001-1016/1. Zeit: 9.30 Uhr – 12.56 Uhr. Vorsitz: Barzel. [1. Bericht des Fraktionsvorsitzenden] Barzel: Ich eröffne unsere Fraktionssitzung und begrüße herzlich unseren Freund Am- rehn hier. Der Herr Bundeskanzler wird um 10.30 Uhr kommen. Wir tagen heute noch einmal hier im Hotel Kempinski. Inzwischen ist der Saal fertig geworden, der auch uns im Reichstag zur Verfügung steht. Wir werden also das nächste Mal dank der zügigen Arbeit unseres Bundesschatzministers1 im Reichstag tagen können. Wir haben gestern – und ich nehme an, daß Sie damit einverstanden sind – für Vorstand und Fraktion un- serem Freund Lemmer, der ja noch in Bonn im Krankenhaus liegt, die besten Wünsche gesandt.2 In der heutigen Sitzung werden wir vor allem außer dem Bericht des Kanzlers über die agrarpolitischen Dinge3 zu sprechen haben, die, wie jeder spürt, sehr wichtig sind. Nicht nur für die Kollegen, die davon persönlich aus Berufs- oder Wahlkreisgründen betroffen sind. 13.00 Uhr wollen wir unterbrechen, 14.30 Uhr fortsetzen, und um 17.00 Uhr ist dann ein Gespräch mit dem Präsidenten4 und einem gestern vom Vorstand ein- gesetzten Kreis in der Frage des Altersruhegeldes für Abgeordnete. Aber vorher wer- den Sie das Vergnügen haben, meinen Bericht zur Lage zu hören. Ich möchte auch hier mit zwei Sätzen beginnen, die wir auch gestern im Vorstand an den Beginn gestellt haben, weil jeder weiß, in welcher Situation wir hier in der deut- schen Hauptstadt diesmal zusammen sind. Es ist gut, wenn wir mit aller Ruhe noch einmal sagen: Wir tagen hier in Berlin als die frei gewählten Abgeordneten des deut- schen Volkes. Was an der Mauer zu sehen ist und was die Mauer selbst ist, ist ein Zei- chen der Gewalt und die Verletzung internationaler Abkommen. Das, was wir hier tun, ist im Einklang mit internationalen Abkommen. Dies ist wohl wichtig festzustellen. In den letzten Sitzungen der Fraktion haben Sie in dem Bericht des Vorsitzenden – mal direkt, mal etwas versteckt und mal gestützt auf mehr oder weniger offizielle oder offi- ziöse Pressestimmen – immer wieder außenpolitische Sorgen gehört. Sie gingen im we- sentlichen um drei Punkte, und mancher unter uns war besorgt, daß das vielleicht zeit- lich kulminieren könnte, und zwar zu einer politischen Erschütterung der Landschaft führen könnte, die dann für den Konjunkturaufschwung und die Notwendigkeiten des Devisenausgleichs mit den USA zu besonderen Schwierigkeiten hätte führen können. Ich glaube, daß man heute sagen kann und darf, daß die ersten beiden Probleme, die wir hatten, die Fragen, die mit Berlin zusammenhängen, und die Fragen, die mit dem Gewaltverzicht zusammenhängen, in dem Sinne gelöst sind, wie wir sie ins Gespräch gebracht haben, wie sie der Kanzler vorgetragen hat, und ich hoffe nicht, daß es eine neue Verwicklung gibt, denn es gibt eine aus Bonn offensichtlich gesteuerte Informati- onspolitik – nicht von uns, sondern von den anderen –, daß heute mittag bei dem übli- chen Koalitionsgespräch solche Fragen noch einmal kontrovers zur Sprache kommen würden.5 Ich glaube das nicht. Dagegen haben wir einige Sorgen hinsichtlich der Non- proliferation. Wir möchten sie nicht in dieser Woche, aber spätestens in der nächsten 1 Kurt Schmücker. 2 Der Abgeordnete Ernst Lemmer erlitt während der Bundestagsdebatte am 9. Februar 1968 einen Schwächeanfall. Der Arzt des Bundestages ließ Lemmer sofort ins Bonner Johanniter-Krankenhaus einweisen. Erste Diagnose: Verdacht auf Herzinfarkt. Vgl. »Lemmer erlitt Herzinfarkt im Bundes- tag«, in: »Bild-Zeitung« vom 10. Februar 1968. 3 Am 13. März 1968 standen im Bundestag neben der Aussprache über den Bericht der Bundesregie- rung über die Lage der Landwirtschaft gemäß Paragraph 4 des Landwirtschaftsgesetzes (»Grüner Be- richt«) zwei Gesetzentwürfe der Fraktion der FDP – Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung des Deutschen Agrarfonds für Absatzförderung (BT-Drucksache V/2663), Entwurf eines Gesetzes zur Förderung landwirtschaftlicher Investitionen (BT-Drucksache V/2665) – sowie jeweils ein Antrag der Fraktion der SPD – Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Umstellungshilfen und Umschulungsbeihilfen zur Agrarstruktur (BT-Drucksache V/2672) – und der Fraktion der CDU/CSU – Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung eines Strukturfonds für die Land- und Ernährungs- wirtschaft (BT-Drucksache V/2678) – auf der Tagesordnung. 4 Eugen Gerstenmaier. 5 Vgl. Protokoll des Koalitionsgesprächs vom 5. März 1968 in Berlin, in: ACDP, 01-226-010. Teil- nehmer des Koalitionsgesprächs waren Bundeskanzler Kiesinger, die Bundesminister Brandt, Heck, Schiller und Wehner, die Abgeordneten Barzel, Franke (Hannover), Schmidt (Hamburg) und Stück- len, die Parlamentarischen Staatssekretäre Guttenberg und Jahn sowie Staatssekretär Carstens. Copyright © 2016 KGParl Berlin 1 Fraktionssitzung 5. 3. 1968 50. Woche im Vorstand, Arbeitskreis und Fraktion erörtern, denn der Fahrplan, daß die Genfer6 am 15. März einen Bericht an die UNO geben und an die Regierungen, dann im April und Mai diskutiert wird und ab Mai möglicherweise unterschriftsreife Vorla- gen mit der Aufforderung zur Unterzeichnung vorliegen könnten, muß uns veranlas- sen, rechtzeitig, das heißt in der nächsten Woche, unsere Meinung zu bilden in einer sehr, sehr schwierigen Frage. Und ich möchte bitten, daß wir heute hier in Berlin davon Abstand nehmen, und über die Fragen, die den Besuch des Bundeskanzlers in Paris betreffen7, wird er sicher selbst berichten. Ich glaube, daß in den Vordergrund unserer Besorgnis aber innenpolitische Sorgen treten. Und Sie werden mir erlauben, nicht alles so direkt beim Namen zu nennen. Aber wir werden uns sicher gleich verstehen, wenn ich sage, daß sicherlich unsere aller- erste Sorge der sichtbare Autoritätsverlust [des Herrn Bundespräsidenten] ist. Und hier dem in einer vernünftigen Weise Einhalt zu gebieten, und wie dies geschehen könnte, muß Gegenstand von Gesprächen unter uns sein. Ich möchte hier jetzt keine Debatte über all das haben, was in den letzten zehn Tagen vor allem die deutsche Presse und das deutsche Fernsehen gefüllt hat, denn das ist nun alles passiert. Ich kann nur empfehlen, daß wir hier einfach feststellen, daß wir hinter die Erklärung treten, die der Kollege Heck abgegeben hat. Kollege Lücke hat uns mitgeteilt, daß er noch in dieser Woche ei- ne auf den neuesten Stand gebrachte Dokumentation zu den Angriffen auf den Herrn Bundespräsidenten, von denen ich ja hier spreche, uns in dieser Woche vorlegen wird. Ich habe im Vorstand angeboten und möchte das auch hier tun, wenn einer unserer Kollegen meint, zu dieser Sache etwas besonderes auf dem Herzen zu haben, daß wir dann das Verfahren wählen, daß er den Vorsitzenden der Fraktion besucht, damit wir uns hier Debatten ersparen. Ich werde das dankbar begrüßen, wenn wir so verfahren könnten, denn wir wollen ja nicht noch durch Debatten oder Beschlüsse oder sonst was beitragen zu all diesen Minderungen, die unser Staat hier erleben muß. Das zweite, was uns bedrückt, ist, daß wir der Presse haben entnehmen können, daß diesmal die demoskopischen Zahlen umgedreht sind, nämlich schlecht für uns, und die Sozialdemokraten mit 7 Punkten vorne liegen.8 Wir wollen dies nur zur Kenntnis nehmen, ohne uns jetzt hier zu erregen, wie wir das ja miteinander besprochen haben. Die Frage der Unruhe der Bauern wird also heute der Hauptpunkt unserer Debatte sein. Und ich muß noch einen Punkt eben hier aufgreifen, weil ich gerne auch Ihre Zu- stimmung heute mittag für das Gespräch mit dem Koalitionspartner, wo ich das doch sehr deutlich zur Sprache bringen möchte, haben möchte: Nach übereinstimmenden Pressemeldungen hat der stellvertretende Vorsitzende der SPD, Herr Wehner, am Wo- chenende uns kräftig angegriffen auf einer Gebietskonferenz für Niederbayern in Landshut.9 Herr Wehner habe dort erklärt, die CDU/CSU wolle seit Jahren vergam- melte, lebenswichtige Existenzentscheidungen auf einen Verschiebebahnhof stellen. Als Prüfstand für die Existenzberechtigung der gegenwärtigen Regierung bezeichnete er die Ernsthaftigkeit und Folgerichtigkeit, mit der eine Politik entwickelt werde, die zu einem Interessenausgleich zwischen den Bündnissen im Westen und im Osten und zu einer Zusammenarbeit führe. Das kann nun alles heißen und nichts, aber der Vorwurf gegen uns muß zurückgewiesen werden. Ich werde das heute mittag [im Koalitionsge- spräch] tun, und ich glaube, daß ich mich da mit Ihnen einig weiß. In der nächsten Woche werden wir außer der Agraraussprache den Bericht zur Lage der Nation am Montag haben10 und die Aussprache dazu am Donnerstag.11 Die Vor- 6 Gemeint ist die 18-Mächte-Abrüstungskommission. Im Dezember 1961 einigten sich die USA und die Sowjetunion auf die Einsetzung eines neuen Abrüstungsgremiums. Am 13. Dezember 1961 wur- de dieser Vorschlag von der UNO-Vollversammlung angenommen, und am 14. März 1962 nahm die 18-Mächte-Abrüstungskommission in Genf ihre Arbeit auf. Vgl. dazu EA 1962, Z 9 u. 72. 7 Am 15. und 16. Februar 1968 weilte Bundeskanzler Kiesinger, begleitet von einer Regierungsdelega- tion, der die Bundesminister Brandt, Schiller, Strauß, Schröder, Leber, Wischnewski, Stoltenberg und Heck angehörten, im Rahmen der Konsultationen, die der deutsch-französische Vertrag von 1963 vorsah, zu einem Arbeitsbesuch in Paris. Vgl. AdG 1968, S. 13735–13738; AAPD 1968, Nr. 59, 60, 62. 8 Vgl. Untersuchungen des Instituts für Demoskopie Allensbach, »Die Stimmung im Bundesgebiet«, Nr. 793, in: BA, B 145–4253. Für Januar 1968 ergab die sog. Sonntagsfrage für die CDU/CSU