Pariser Historische Studien Bd. 50 1999
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In den Erinnerungen Monnets oder seines Mitarbei ters Etienne Hirsch tauchen Industrielle aus dem östlichen Nachbarland nur ganz am Rande, wirklich einflußreiche sogar überhaupt nicht auf1. Auch die Gegenprobe fallt kaum besser aus: Hans-Günther Sohl, Vorstandsmitglied der Vereinigten Stahlwerke, später Vorstandsvorsitzender der August-Thys sen-Hütte und Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), erwähnt Monnet nur kurz; Günter Henle, Mitinhaber des Stahlunternehmens Klöckner, widmet ihm immerhin fast eine ganze Seite, doch stehen dabei eher persönliche Reminiszenzen im Vordergrund2. Ein ähnliches Bild bietet die einschlägige biographische Literatur: Selbst in den umfangreichen Mon- net-Biographien von Ehichêne und Roussel sucht man vergeblich nach den Namen prominenter deutscher Unternehmer3. Aus diesem Befund die Schlußfolgerung abzuleiten, die deutsche Industrie habe Monnet ebensowe- 1 Jean MONNET, Erinnerungen eines Europäers, München, Wien 1978, S. 488, nennt lediglich das Vorstandsmitglied der Dortmunder Bergbau AG, Hennann Dehnen; Etienne HIRSCH, Ainsi va la vie, Lausanne 1988, S. 106, erwähnt Hans C. Boden von der AEG, Mitglied der deutschen Schuman-Plan-Verhandlungsdelegation; zu den maßgeblichen In dustriellen zählte keiner der beiden. Bei einem weiteren wichtigen Mitarbeiter Monnets kommen im hier relevanten Zusammenhang gar keine deutschen Unternehmer vor: Pierre URI, Penser pour l'action. Un fondateur de l'Europe, Paris 1991. 2 Vgl. Hans-Günther SOHL, Notizen, Bochum 1985 (Privatdruck), S. 135; Günter HENLE, Weggenosse des Jahrhunderts. Als Diplomat, Industrieller, Politiker und Freund der Musik, Stuttgart 1968, S. 110 u. 112, beschreibt vor allem, wie er in seinem Jagdhaus Monnet mit Franz Etzel, dem Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten der Hohen Behörde, zusammenbrachte. MONNET, Erinnerungen, S. 473, erwähnt diese Episode zwar ebenfalls, allerdings ohne Henles Namen zu nennen. In Jean Monnet - Robert Schuman. Correspondance 1947-1953, hg. von der Fondation Jean Monnet pour l'Europe, Lausanne 1986, S. 146, wird Henle allerdings einmal kurz erwähnt. 3 François DUCHÊNE, Jean Monnet. The First Statesman of Interdependence, New York, London 1994; Eric ROUSSEL, Jean Monnet 1888-1979, Paris 1996. 206 Werner Bührer nig interessiert wie er diese, wäre indes voreilig. Bekanntlich spielte insbe sondere die Ruhrindustrie in Monnets Überlegungen eine zentrale Rolle; um gekehrt verfolgte die deutsche Unternehmerschaft dessen Pläne und Aktivitä ten nicht erst seit den Verhandlungen über den Schuman-Plan mit großer Aufmerksamkeit. Ziel der folgenden Betrachtungen ist es, das Verhältnis der deutschen In dustrie zu Monnet und ihr Bild von ihm in der Zeit zwischen 1946/47 und den frühen siebziger Jahren unter Rückgriff auf unveröffentlichte und veröf fentlichte Quellen nachzuzeichnen und zu analysieren. Bild und Beziehungen waren geprägt vor allem durch seine Tätigkeit als Leiter des Planungskom missariats und durch seine integrationspolitischen Aktivitäten. Er verkörperte für die deutschen Unternehmer wie kein anderer die ungeliebte »planification française« und die nicht sonderlich geliebte supranationale Integration: Was sie ablehnten oder sogar energisch bekämpften, das verband sich mit seinem Namen; er galt als einer der Drahtzieher jener alliierten Bemühungen, die auf eine Schwächung insbesondere der Stahlindustrie an Rhein und Ruhr hinaus zulaufen schienen. Erst seit Mitte der 1950er Jahre entspannte sich das Ver hältnis allmählich. Die meisten Berührungspunkte gab es naturgemäß mit den deutschen Montanunternehmern; ihre Sicht des französischen Modernisierers und Eu ropapolitikers und ihre Beziehungen zu ihm stehen (deshalb im Mittelpunkt dieses Aufsatzes. Außerdem wird die Haltung des BDI zu Monnet und des sen Politik in die Untersuchung einbezogen. Obwohl insbesondere die Stahlindustrie im hier interessierenden Zeitraum im Spitzenverband eine wichtige Rolle spielte, kam den Stellungnahmen des BDI dank des Einflusses der anderen Branchen doch jenes Maß an Repräsentativität zu, das den Titel des Beitrags gerechtfertigt erscheinen läßt. Allerdings waren die Aversionen gegen Monnet bei Vertretern etwa der verarbeitenden Industrie mitunter so gar stärker als bei den von seinen Plänen und politischen Aktionen unmittel bar betroffenen Schwerindustriellen. I. Implikationen des Monnet-Plans für die deutsche Montanindustrie Während des »Dritten Reiches« war die privatkapitalistische Wirtschaftsord nung wiederholten und besonders nach Kriegsbeginn an Intensität zuneh menden Eingriffen des Staates ausgesetzt gewesen, und die Industriellen hatten Einschränkungen ihrer gewohnten unternehmenspolitischen Autono- Dirigismus und europäische Integration 207 mie hinnehmen müssen4. Obgleich zumindest die Konzerne trotz staatlicher Kontrolle und Lenkung immer noch über einen größeren Handlungsspiel raum verfugten, als nachträgliche Klagen vermuten lassen könnten, gehörten Forderungen nach einer Abkehr von staatlichem Dirigismus und der Rück kehr zu »freier Unternehmerinitiative« und »unternehmerischer Selbstver waltung« gegen Kriegsende und vor allem danach zum Standardrepertoire, wenn Industrielle ihre Wünsche für die Zukunft artikulierten. Daß solche Forderungen zugleich eine implizite Kritik an den als restriktiv empfundenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Besatzungsmächte darstellten, stei gerte noch ihren Wert in der tagespolitischen Auseinandersetzung5 . In den ersten Jahren der Besatzung versuchten nämlich alle drei westli chen Militärregierungen, zum Teil unter Beibehaltung bestimmter Vorschrif ten und Verfahren des nationalsozialistischen Kriegswirtschaftssystems, die Versorgung der Besatzungstruppen und der deutschen Bevölkerung sowie die Befriedigung eigener wirtschaftlicher oder reparationspolitischer Interes sen in ihrer jeweiligen Zone durch eine mehr oder weniger straffe Planung und Lenkung der Produktion und Verteilung sicherzustellen. Am konsequen testen gingen dabei die Briten vor6. Vermutlich war dies, neben der Ver- 4 Vgl. Paul ERKER, Industrieeliten in der NS-Zeit. Anpassungsbereitschaft und Eigen interesse von Unternehmern in der Rüstungs- und Kriegswirtschaft 1936-1945, Passau 1994, bes. S. 73ff; Lothar GALL, Manfred POHL (Hg.), Unternehmen im Nationalsozia lismus, München 1998; für die Montanindustrie Gerhard Th. MOLLIN, Montankonzerne und »Drittes Reich«. Der Gegensatz zwischen Monopolindustrie und Befehlswirtschaft in der deutschen Rüstung und Expansion 1936-1944, Göttingen 1988. 5 Vgl. Werner BÜHRER, Zum Wandel der wirtschafts- und sozialpolitischen Zu kunftsvorstellungen in der deutschen Industrie zwischen Weltwirtschaftskrise und Wirt schaftswunder, in: Matthias FRESE, Michael PRINZ (Hg.), Politische Zäsuren und gesell schaftlicher Wandel im 20. Jahrhundert. Regionale und vergleichende Perspektiven, Pa derborn 1996, S. 81-104, bes. S. 93-97. 6 Vgl. Werner PLUMPE, Vom Plan zum Markt. Wirtschaftsverwaltung und Unterneh merverbände in der britischen Zone, Düsseldorf 1987, bes. S. 335f.; zu den Planungsver suchen in einzelnen Branchen vgl. Alexander DREXLER, Planwirtschaft in Westdeutsch land 1945-1948. Eine Fallstudie über die Textilbewirtschaftung in der britischen und Bi- zone, Stuttgart 1985; Friedrich STRATMANN, Chemische Industrie unter Zwang? Staatli che Einflußnahme am Beispiel der chemischen Industrie Deutschlands 1933-1949, Stutt gart 1985; Wolfgang KRUMBEIN, Wirtschaftssteuerung in Westdeutschland 1945 bis 1949. Organisationsformen und Steuerungsmethoden am Beispiel der Eisen- und Stahlin dustrie in der britischen/Bi-Zone, Stuttgart 1989. Zur britischen Wirtschaftspolitik im ei genen Land vgl. Hermann VAN DER WEE, Der gebremste Wohlstand. Wiederaufbau, Wachstum und Strukturwandel der Weltwirtschaft seit 1945, München 1984, bes. S. 331ff.; Sir Alec CAIRNCROSS, Years of Recovery. British Economic Policy 1945-1951, London 1985; Martin CHICK, Industrial Policy in Britain 1945-1951. Economic Planning, Nationalisation and the Labour Governments, Cambridge 1998. 208 Werner Bührer staatlichungspolitik der Labourregierung in Großbritannien und der seit An fang 1947 betriebenen Entflechtung der Ruhrkonzerne, der Grund dafür, daß sie aus der Sicht zumal der Ruhrindustriellen zunächst als größtes Hindernis bei der Restauration marktwirtschaftlicher Verhältnisse galten. Dementspre chend konzentrierte sich die Kritik aus der Unternehmerschaft- ungeachtet des später ausdrücklich als »stets fair« und »verhältnismäßig liberal« gelob ten Verhaltens der Besatzungsoffiziere7