Sandige Mysterien Im Emmental
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KRAUCHTHAL BE SANDIGE MYSTERIEN IM EMMENTAL Ein geschwungener Bogen, der aussieht wie ein Elefant. Ein Pfeiler, der elegant in die Höhe ragt. Bei Krauchthal im Emmental stehen Felsformationen, deren Entstehung unklar ist. Waren es Wasser und Wind, die dem Stein zusetzten? Oder gelangweilte Steinmetze? Zwei Wanderrecherchen, auf der Suche nach dem Geheimnis des brüchigen Wunders. Geologie hautnah: Der Elefant von Geristein begeistert den Sohn und lockt zu einer Kletterpartie. 58 WANDERN.CH 02 /2018 Kleine Wanderpause auf einem Sandsteinrücken. beweisen. Die mehrere Meter hohe Stele zieht sich geschwungen empor wie eine Statue. Sie ist abstrakte Kunst aus der Vergangenheit – nur 25 Minuten mit Zug und Bus von Bern entfernt. Laune von Natur oder Mensch? Die Entstehung der geheimnisvollen Fels- formationen ist nicht geklärt. Ein tschechi- sches Forscherteam hat untersucht, wie solche Figuren – wie es sie übrigens auch in Tschechien gibt – entstehen können. Die Forscher sprechen von Spannungs- verhältnissen im Fels. Gibt es diese, trot- Text und Bilder: Marina Bolzli und Rémy Kappeler zen die Felspartien der Erosion durch Ganz vorne auf dem Felssporn bei Geri- Wind, Wasser, Frost und Salzen länger als stein klettert der Sohn auf Rätseln herum. das umliegende Gestein. Auch Risse und Der Ort ist nichts für schwache Nerven, die Sonneneinstrahlung beeinlussen den denn der Stein ist bröckelig, der Vater Fels. Es entstehen Säulen und Bögen. hofft, dass die Sohlen der Wanderschuhe Gänzlich anderer Meinung ist der Frei- den Halt nie verlieren. Bald steht der Sohn burger Burgenforscher und Historiker am Rand einer riesigen Felsnase, die un- Christoph Pister. Für ihn ist der Geristein, terhöhlt ist von zwei Löchern. Wie ein lan- wo es ebenso die Ruine einer Wehranlage ger Elefantenrüssel zieht sich der Fels zu entdecken gibt, auch ein religiös ge- über den Kopf des Vaters, der im grösse- weihter Ort, wie er auf seiner Website ren Loch steht und hinaufschaut. Der www.dillum.ch schreibt. Der Elefant sei im kleine Pfeiler zwischen den beiden Lö- altchristlichen Glauben ein bedeutendes chern sieht aus wie der Vorderfuss des Sinnbild gewiesen, ein Symbol der Taufe. Riesentiers. Hier fühlt man sich wie in Und im Fluhbabi erkennt er eine Priesterin. einem Canyon, im Arches Nationalpark in Er schliesst aus, dass die Sandsteinforma- Utah zum Beispiel. Alles ist hier zwar klei- tionen natürlichen Ursprungs sein könn- ner, aber nicht weniger imposant. Wie ist ten: Eher hätten gelangweilte Steinmetze dieses Kunstwerk entstanden? während des Baus der Burg aus Spass Dieselbe Frage stellt sich zu Beginn den Felssporn bearbeitet. der Wanderung nahe des Bergrückens mit Wie dem auch sei. Sowohl der Elefant dem Namen Klosteralp. Hier steht das von Geristein als auch das Fluhbabi sind Fluhbabi, eine ebenso tolle Gelegenheit formidable Wanderziele. Und ein Anlass, für den Sohn, seine Kletterfertigkeiten zu sich mit diesem einst begehrten Stein 02 /2018 WANDERN.CH 59 KRAUCHTHAL BE Im Steinbruch oberhalb Krauchthal staunt sogar der Papa und glaubt fast, die harten Schläge der Steinbrecher heute noch zu hören. Bilder: 60 WANDERN.CH 02 /2018 intensiver zu befassen. Zum Beispiel auf der Wanderung von Krauchthal nach Burgdorf, die durch alte Steinbrüche führt. Auf den Spuren der Steinbrecher Abbau eine neue Steinschicht angefangen, Der schwere Militärrucksack ist vollge- schlugen die Arbeiter während dreier Wo- packt. Meissel und Nägel in verschiedenen chen mit der Minierstange in den Sand- Grössen, Hämmer, eine grobe Bürste und stein, bis sie einen Schlüsselstein freige- vor allem der schwere Eisenfäustel liegen legt hatten. Es war Knochenarbeit. Pro Tag darin. Zu Fuss geht es bergauf, immer Man muss sanft schaffte ein Steinbrecher etwa einen entlang eines kleinen Pfads, hinauf zu den arbeiten, weil sonst 2,5 Meter langen Schlitz auf 90 Zentimeter Sandsteinbrüchen oberhalb von Krauch- Tiefe zu pickeln. thal. Dort können sich die Wanderer als plötzlich ein Stück Steinmetze versuchen. Doch während das Hämmern und Klopfen Bearbeiten von Sandstein heutzutage für vom Sandstein Beim Steinbruch Bäichle geht es heute ge- Gross und Klein ein Vergnügen ist, war es mütlicher zu und her. Nachdem die Werk- früher harte Arbeit. Ungelernte Arbeiter abbricht. zeuge ausgepackt sind, macht sich Gross mussten zehn Stunden am Stück schuf- und Klein eifrig an die Arbeit. Bald ist re- ten, um dann doch nur einen mickrigen waagrächti Chrinne em Sangsteifelse noh gelmässiges Hämmern und Klopfen zu Franken pro Tag zu verdienen. usepicklet, en angere het ds glychen hören. Unzählige andere haben sich hier «Steinbrecher gehörten zur sozialen amene Riss noh sänkrächt z dürab un un- schon verewigt, manche kunstvoller, an- Unterschicht», sagt Ulrich Zwahlen. Der gerdüre gmacht, so dass me gseh het, dere weniger. Die Tochter macht sich Rentner leitet das Gemeindemuseum in was für ne Mordioblock si wei usespalte.» daran, mit einem Spitzeisen ein Loch zu Krauchthal, das sich vor allem dem Sand- Die Blöcke, welche die Arbeiter aus bohren. Hochkonzentriert steht sie an der stein widmet. Und er hat 1996 auch den dem Fels hauten, waren meist etwa Wand und setzt das spitze Werkzeug an. Sandstein-Lehrpfad mitinitiiert. Auf einem 90 Zentimeter hoch und oft um einiges Der Sohn ist noch klein, er braucht lieber gut einstündigen Rundgang besucht man länger. Bis etwa 1947 wurden sie von den Hammer, den er nicht immer sehr ziel- vier Steinbrüche. Auf Tafeln steht allerlei Hand geschlagen, bevor der Pressluftboh- führend einsetzt. Allerdings schafft er es, Wissenswertes über dieses früher wichtige rer und ab 1966 eine Schrämmmaschine ein kleines Stück Stein so zu zerschlagen, Gewerbe. Krauchthal war damals weithe- zum Einsatz kam. Wurde im Untertag- dass als Resultat ein Haufen Sand vor rum bekannt für seinen Sandstein. Harte Knochenarbeit Seine Blütezeit hatte der Sandstein im 18. und 19. Jahrhundert. «Man baute mit dem Material, das in der Nähe und bezahl- bar war», sagt Zwahlen. Und so wurde bis ins Berner Seeland, bis ins Solothurnische und bis in den Oberaargau hinein mit Sandstein gebaut. Genauer mit dem soge- nannten Berner Sandstein, der am Gurten bei Bern, in Ostermundigen, Bolligen, Oberburg, Burgdorf und in Krauchthal ab- gebaut wurde. Das bekannteste Bauwerk ist das Berner Münster, aber auch die Ber- ner Altstadt, Kirchen und Bauernhäuser auf dem Land wurden mit Berner Sand- stein gebaut. Auf Pferdefuhrwerken fuhren Händler und Maurer an, um Sandsteinblö- cke zu kaufen. Eindrücklich beschrieben ist das im Mundartroman «Niklaus und Anna» von Werner Marti: «D Arbeiter sy scho am Wärche gsi. Di herte Schleg vo de Schleglen uf d Yseweggen u ds Chratze vo de Schrotpickle für nöji Blöck aazrysse Früher Knochenarbeit, und hei vo allne Syte widerhallet. Vo oben a der auch heute noch anstrengend: Wang het eine mit em Schrotpicku e töiffi, Meisseln im Steinbruch. 02 /2018 WANDERN.CH 61 KRAUCHTHAL BE Unerwünscht, aber sinnlich Ulrich Zwahlen wünscht sich die alten Zei- ihm liegt. Und der Vater geht organi- ten aber nicht zurück. «Die Eigenschaften siert vor. Er grundiert zuerst mit einem von Sandstein passen nicht gut in die heu- Schlageisen eine präzise eckige Fläche, tige Zeit», indet er. Er sande ab, wegen noch fester. Der Berner Sandstein ist bevor er akkurat den Namen der Tochter dem Kontakt mit dem sauren Regen, der 20 Millionen Jahre alt. Er wurde damals in einritzt. Beim Arbeiten mit Sandstein wird die Kalkverbindungen der Sandkörner auf- einem seichten Meer abgelagert. Es ist sofort klar: Man muss sanft arbeiten, nicht löse. «Und Sandstein zieht Wasser an. Ein möglich, dass man sogar eine Versteine- zu wenig und nicht zu viel Druck ausüben, Fundament aus Sandstein ist immer rung darin indet, einen Haiischzahn oder weil sonst plötzlich ein Stück abbricht und feucht», sagt Zwahlen. Kein Wunder ist eine Muschel. Dafür braucht es allerdings der ganze Aufwand umsonst war. Beton beliebter. Sandstein ist jedoch zwei- sehr viel Glück. Doch schon nur das Wis- Beim näheren Betrachten fallen einem fellos sinnlicher. Die Tochter ist mittlerweile sen darum ist Ansporn genug. Und so sind auch die Schlitze auf, die sich längs durch fertig mit ihrem Loch und bearbeitet nun die Kinder fast nicht vom Sandstein weg- den Sandstein ziehen. So mass man frü- mit dem Hammer ein Stück Stein. Es zubringen. Und der Papa auch nicht. her die Qualität des Sandsteins, je weniger staubt und kracht. Sie lacht und schlägt Literatur: Werner Marti: «Niklaus und Anna», Zytglogge, 1995. Risse, desto besser die Qualität. Hier in der Bäichle gibt es ziemlich viele Risse, was für eine eher schlechte Qualität spricht. Legt man den Kopf in den Na- cken, sieht man oben rechts die Initialen YHS und die Jahrzahl 1870 – und fühlt sich plötzlich mit den Arbeitern der frühe- ren Jahrhunderte verbunden. Mit Alkohol gegen Staublunge Alkohol war damals ein grosses Problem bei den Steinbrechern. «Man dachte, Alko- hol helfe gegen eine Staublunge», erzählt Ulrich Zwahlen. So seien schon junge Buben zum Bier- und Schnapstrinken ge- bracht worden. Bei der Arbeit atmeten die Steinbrecher viel Staub ein, doch es lauer- ten auch andere Gefahren. Zu hören ist das im Hörspiel «Stei u Brot» im Dorfmu- seum, in dem der Alltag einer Steinbre- cherfamilie um 1850 beschrieben wird: «I ha sälber gseh, wi ne Felsbitz dr Mur- hofer Bänz u sy Eltischt erschlage het. Es angers Mal isch e Block bim Verlade kip- pet u het eine vo üs wi ne Lus vertrückt. U we de nid vomene Stei preicht wirsch, de krepiersch wägem Stoub uf der Lunge. Da chasch nüt mache.» Als Anfang des