BAD ZWESTEN Mittwoch, 14
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5 BAD ZWESTEN Mittwoch, 14. Oktober 2020 WILDBESTAND Land- und Forstwirte aus Oberurff beklagen Schäden durch Rotwild Hirsche werden zur Plage Abgefressene Felder und KOMMENTAR zerstörte Buchenbestände und keine Chance auf Waldverjüngung – im Wald bei Oberurff richten große Rudel von Rotwild immense Schäden an. VON CLAUDIA BRANDAU Oberurff – Als Martin Häus- ling neulich von seiner Ter- Rotwild rasse auf die Felder vorm Wald bei Oberurff schaute, Wald statt traute er seinen Augen nicht: Dutzende Hirsche schritten Wild schützen dort auf der Suche nach Fut- ter in aller Seelenruhe über VON CLAUDIA BRANDAU die Äcker. Häusling nahm die Kame- Wen muss man eher schüt- ra, um das Rudel zu filmen: zen – Wald oder Wild? Noch 70 Tiere fressen da das Futter vor wenigen Jahrzehnten lag weg, das doch eigentlich für die Antwort auf der Hand, die Häuslings Kühe gedacht war. Tiere hatten oberste Priorität. „Ohne Video hätte mir doch Doch die Zeiten haben sich niemand geglaubt“, sagt der geändert. Heute geht es dem Bio-Landwirt. Wild so gut und dem Wald so Heinrich Haupt aber hätte schlecht wie nie. Die Bäume ihm aufs Wort geglaubt. Der haben mit so vielen Störfak- Vorsitzende der Waldinteres- toren zu tun, dass es fast aus- sentenschaft Bad Zwesten sichtslos scheint, den Wald in weiß selbst um die Konse- seiner Pracht zu erhalten: quenz des beständig steigen- Hitze, Dürre, Borkenkäfer – den Rotwilds in den Wäldern und an vielen Stellen noch rund um Bad Zwesten. Starker Kerl, starker Fresser: Landwirte und Waldinteressentenschaften rund um Bad Zwesten klagen über die stark hungriges Wild, dem in der „Wald und Wild sind längst gewachsene Zahl des Rotwildes, das Bäume an- und Felder abfrisst. FOTO: LUTZ KLAPP Trockenheit viele Gräser und völlig aus dem Gleichge- Sträucher fehlen und jetzt wicht“, sagt er und be- der Leiter des Forstamts Jes- Bäumen den Garaus machen. schreibt, wie die Tiere die berg. Auch er spricht von ei- Es bleibt nichts anderes als Baumbestände ruinieren, in- ner auffälligen Häufung der der Abschuss, denn die Be- dem sie die Bäume auf Fress- Tiere und von langfristigen stände werden zu groß für höhe rundum schälen. Frü- Schäden an den Bäumen. den kleinen Lebensraum, den her waren es Fichten, seit- Was können Waldbesitzer ihnen der Mensch noch lässt. dem die wegsterben, schme- tun, um die Bestände zu Gerade jetzt fallen wieder cken den Hirschen auch die schützen? Ein Umzäunen ist Wälder für den Autobahn- Buchen. Die aber, sagt Hein- zu teuer, kommt allein aus bau: Auch das greift massiv rich Haupt, werden sich vom Kostengründen nicht in Fra- ins Ökosystem ein. Das biss- Verbiss nicht mehr erholen ge, doch sind Lösungen gefor- chen Wald, das uns auf lange und eingehen. dert: Zur anhaltenden Tro- Sicht bleibt, muss geschützt Für die betroffenen Förster, ckenheit kommen die Schäl- werden. Wir sind alle gefragt, Waldbesitzer und Bauern schäden als weitere Störfak- wenn es darum geht, den Kli- steht der Grund fest, warum toren. „Das ist katastrophal mawandel hinauszuzögern – sich ausgerechnet in diesem für den Wald und die neuen und die Jäger, wenn es darum Bereich des 55 000 Hektar Baumgenerationen.“ geht, die Zahl des Wildes so großen Rotwildgebietes so „Das große Wildaufkom- zu halten, dass es den Wald unglaublich viele Hirsche men sorgt dafür, dass es kei- nicht ruiniert. [email protected] tummeln: Der Jagdpächter, ne Nachhaltigkeit mehr so ihr Vorwurf, füttere die gibt“, sagt Bernd Seebert von Tiere. Es gibt Fotos aus diesen der Waldgemeinschaft Urffer Pächter wehrt sich Tagen, die Zuckerrüben und Keller. Förster Ulrich Gerhold Sichten die jüngsten dokumentierten Wildschäden im Kellerwald: von links Landwirt Mar- Trester im Wald zeigen – bei- spricht gar von einem echten tin Häusling, Heinrich Haupt von der Waldinteressentenschaft Bad Zwesten, Vize-Forst- gegen Vorwürfe des Dinge, die Hirschen gut „Schadens-Hotspot“. amtsleiter Ulrich Gerhold aus Jesberg und Bernd Seebert von der Waldgemeinschaft schmecken. Erst vor Kurzem habe die Urffer Keller. FOTO: CLAUDIA BRANDAU Jagdpächter Klaus Gill be- Normalerweise wandern Untere Jagdbehörde des streitet den Vorwurf, dass er Hirsche – doch im Wald bei Landkreises deshalb für die- viel größer seien als alle finden sei: „Das Wild wird im Winter riesige Schäden eine Wildfütterung vorneh- Oberurff scheinen solch idea- sen Bereich einen Mindestab- Rückrechnungen und Schät- zum einen künstlich am Ort anrichten.“ Ulrich Gerhold me: „Das ist Schwachsinn.“ le Bedingungen zu herr- schuss von 24 Stück Rotwild zungen. Für Heinrich Haupt gehalten, indem es gefüttert bezeichnet das Thema als Im Revier gebe es zwei Vor- schen, dass kein Grund fürs bis Ende des Jahres festge- gibt es gleich zwei Gründe wird. Zum anderen werden „massive Problematik“. Eine, ratsbehälter für Notfälle – Wild besteht, das Territorium setzt. Denn die Bilder der für die außerordentlich hohe viel zu wenige Tiere geschos- bei der dringend geklärt wer- und eine Lagerung sei nicht wieder zu verlassen, was es Wärmebildkameras hätten Konzentration des Rotwilds, sen.“ Allein schon jetzt zögen den müsse, was mehr Priori- verboten. Zudem habe erst ei- normalerweise täte, sagt Ul- gezeigt, dass die Wildbestän- die sonst in keinem anderen 50 Tiere durchs Urfftal: „Die tät habe: das Wild oder der ne Prüfung ergeben, dass kei- rich Gerhold, stellvertreten- de in diesem Bereich noch Waldbereich in der Region zu werden bei der Futtersuche Wald. ne Schälschäden vorlägen. Beim Streit gehe es vor allem um Schäden an landwirt- DAS SAGT DER KREISJAGDBERATER schaftlichen Flächen. Im Ge- Kreis untersagt Füttern biet gebe es so viel Wild, weil Jagdbehörde untersucht Vorwürfe Fingerspitzengefühl geschützt nicht mehr verjün- Zuwachs aus dem Naturpark ist gefragt gen. Ziel des Jagdgesetzes Kellerwald hineinrücke. Dass und der Abschusszahlen sei das auf der Suche nach Nah- Der Schwalm-Eder-Kreis hat „Dann schauen wir, wie sich Die Schälschäden bei Ober- es, ein gesundes Verhältnis rung auch auf Feldern unter- jetzt die Wildfütterung in die Schäden entwickeln.“ urff seien so groß, weil das zwischen Wald und Wild zu wegs sei, wundere ihn nicht: den Eigenjagdbezirken der Der Kreis schreite nach Wild neben zunehmenden ermöglichen: „Wir haben in „Es regnet nicht! Die Hälfte Waldinteressenten Nieder- Störungen in seinem Lebens- Deutschland keine Natur-, des Waldes ist kaputt, das urff und Oberurff-Schiffel- raum auch unter den witte- sondern eine Kulturland- Wild findet dort nichts zu born untersagt. rungsbedingten Kalamitäten Werner Wittich schaft.“ Die Untere Jagdbe- Fressen, es zieht raus auf die Der Unteren Jagdbehörde leide, sagt Kreisjagdberater Jagdberater hörde lege im Frühjahr die grüne Fläche.“ Schon jetzt sei angezeigt worden, dass es Werner Wittich. Abschussquote fest und passe zahle er eine „horrende Wild- in bestimmten Bereichen des Jürgen In diesen heißen und trocke- wohl Schneemassen als auch sie nach Bedarf und nach gu- schadenpauschale“ – also ei- Rotwildgebiets zu Verstößen Kaufmann nen Jahren mangele es an Waldbrände sein – also extre- ter Begründung an. Der Päch- nen Betrag, der Schäden aus- gegen das Futterverbot ge- Vizelandrat Klee, Gräser, Farnen, Beeren. men Situationen. Das Gesetz ter müsse bis Ende der Jagd- gleicht. Seit dem Beginn der kommen sein soll, sagt Erster Das Wild suche sich andere mache nur eine Ausnahme, zeit oder einer vorgegebenen Jagdzeit im August habe er 14 Kreisbeigeordneter Jürgen Recht und Gesetz ein, unter- Nahrung: „Die Baumrinde indem es Jagdausübungsbe- Frist die neuen Vorgaben Tiere erlegt, einen hohen Pro- Kaufmann. Das würde das sage das Füttern und fordere und die Knospen junger Bäu- rechtigten erlaube, Raufutter zwingend umsetzen. zentsatz der Vorgabe also be- massive Aufkommen von den Pächter auf, auch die Fut- me sind da ein gefundenes wie Heu für wiederkäuendes Generell obläge Jagdpäch- reits erfüllt. Zudem sei er Rotwild erklären, das auch in terbehälter zu entfernen. Fressen.“ Das Füttern könne Schalenwild auszubringen. tern große Verpflichtung und nicht allein für den Bereich den Nachbarrevieren Schä- In Zeiten, in denen Privat- die Untere Jagdbehörde in Das viele Wild, das sich bei Verantwortung. „Jäger, Förs- zuständig. Er ist erstaunt, den anrichte. Deshalb habe waldbesitzer, Land- und Absprache mit der Veterinär- Oberurff tummele, belaste ter, Landwirte müssen zusam- dass sich bislang keine ande- der Kreis die Abschusszahlen Forstwirte, ohnehin unter verwaltung in Notzeiten er- den Wald grundsätzlich mas- men arbeiten - und das erfor- ren Waldinteressentenschaf- nachjustiert: Nun dürften zu- dem Klimawandel litten, sei- lauben. Aber nur die Behörde siv. Der Wildverbiss störe die dert großes gegenseitiges ten beschwert haben. Im Üb- sätzlich zum Abschussplan en weitere Schälschäden dürfe festlegen, wann Not Erneuerung des Waldes, viele Verständnis und Fingerspit- rigen behalte er sich vor, ju- zwei Dutzend weitere Tiere nicht zu verantworten. bra herrsche: Das könnten so- Baumarten können sich un- zengefühl.“ bra FOTO: C. BRANDAU ristisch gegen die Vorwürfe zur Strecke gebracht werden. FOTO: KREISVERWALTUNG vorzugehen. bra.