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8 Hamburger Abendblatt THEMA Donnerstag, 26. Juli 2012 ...REPORTAGE . INTERVIEW . ESSAY . PORTRÄT . DOKUMENTATION... Zitat zum Thema „Der Mangel an Fantasie macht die weibliche Kunstübung im Großen und Ganzen wertlos.“ Paul J. Möbius, „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“, 1900 Online Die Reportagen und Berichte der letzten Thema-Seiten Abendblatt.de/thema Malerinnen reif für die Insel An der Ostsee eroberten sich Frauen neue Freiheiten und den Beginn des Impressionismus. Mit Staffeleien und Zeichenblöcken zogen Hobbymalerinnen in die Natur, 1919 gründeten sie den Hiddensoer Künstlerinnenbund. Jetzt wird er wiederentdeckt verächtlich „Malweiber“ genannt. Nicht immer kam ihre Kunst von Können Elisabeth Büchsel, „Mädchen am Strand“ (Ausschnitt), um 1930 IRENE JUNG erhart Hauptmann war nicht amüsiert. Schon seit 22 Jahren besuchte er die Insel Hiddensee, liebte ihre Ruhe und Abgeschie- denheit. Und nun strömte Gimmer mehr Boheme herbei, sogar Künstlerinnen! „Hiddensoe. Es ist ein ekelhaft bekrochenes Eiland gewor- den“, schrieb der Dramatiker in sein Ta- gebuch. „Ein dickes Weib hat eine Villa errichtet und malt frech vor der Tür mit zwei Centnern am Leibe. Fürchterlich.“ Gemeint war Henni Lehmann, die mit ihrer Familie seit 1907 in Vitte auf Hiddensoe – damals die amtliche Schreibweise – Urlaub machte und sich dort ein Sommerhaus bauen ließ. Henni Lehmann wollte dort eigentlich dassel- be wie Hauptmann: sich erholen, Freunde treffen, sich von der Natur zur Julie Wolfthorns Arbeit inspirieren lassen. Hauptmann Gemälde „Fischer- schrieb – sie malte. frauen am Gehöft. Zu seinem Verdruss blieb es nicht Hiddensee“, um bei dem „dicken Weib“. Eine ganze Rei- 1910, erzielte 2011 he von Künstlerinnen sammelte sich auf der auf der Insel: Elisabeth Andrae aus 37. Ahrenshooper Dresden, Käthe Loewenthal, Klara Arn- Kunstauktion über- heim und Julie Wolfthorn aus Berlin, raschend den Preis die Stralsunderinnen Katharina Bam- von 10 000 Euro. berg und Elisabeth Büchsel und noch Die Künstlerin mehrere andere. Sie alle engagierten war 70 Jahre lang sich 1919 im Hiddensoer Künstlerin- vergessen nenbund, gegründet auf Initiative Hen- Fotos: Ahrenshooper ni Lehmanns. Es war der einzige Zu- Kunstauktionen; sammenschluss von Malerinnen, die an Kunstmühle Schwaan; einem so abgelegenen Ort zusammen Kunstmuseum arbeiten und ausstellen wollten. Sie tru- Hiddensee; privat gen damit maßgeblich zu Hiddensees Ruf als Künstlerkolonie bei, ohne dass alle von ihnen ganzjährig dort lebten. lukrativen Geschäft geworden waren: von bildenden Künstlern um Max Lie- Aber nicht zufällig fiel der Aufbruch allem ihre Kinder-Bilder scheinen von Sogar Auguste Rodin gründete eine bermann vom konventionellen akade- der Frauen zusammen mit dem Auf- innen zu leuchten. Andere Künstlerin- „Ein Künstlerinnenbund wie dieser Schule, in der die Tarife für Frauen dop- mischen Kunstverständnis abspaltete. bruch in der gesamten Kunstszene. Vie- nen, etwa Käthe Loewenthal, zeigten war in Europa einzigartig“ pelt so hoch waren wie für männliche Käthe Loewenthal hatte Unterricht bei len Malern und Malerinnen erschien bereits eine impressionistische Grund- Die Geschichte dieses Künstlerin- Malschüler. Allerdings hatten die Hid- dem Landschaftsmaler Ferdinand Hod- der von Akademien reglementierte haltung, indem sie Landschaften in nenbundes und seiner Mitglieder wird denseer Malerinnen eins gemeinsam: ler in der Schweiz, an der Malschule Ze- Kunstbetrieb erstarrt. Landschaftsma- Farbflächen und -tupfer auslösten. Ju- erst seit wenigen Jahren wieder aufge- Durchhaltevermögen und echtes Ta- ven, in München und Stuttgart und war lerei, vor allem das Malen in freier Na- lie Wolfthorn war in Berlin schon eine arbeitet, nachdem zwei Weltkriege und lent. Sie gehörten nicht zu den „Malwei- Mitglied der Stuttgarter Secession. Die- tur wurden als neues schöpferisches anerkannte Porträtmalerin und hatte die deutsche Teilung sie verschüttet bern“ oder „Stillleben-Dilettantinnen“, se Künstlerinnen konnten bereits von Feld entdeckt, als Kontrast zum wilhel- zahlreiche avantgardistische Grafiken hatten. Die Berliner Kulturwissen- die im „Simplicissimus“ verlacht wur- ihren Bildern leben. Einige hatten an minischen Pomp und zur Industrie- Käthe Loewenthal (1878–1942) war und Titelbilder gestaltet, bevor sie um schaftlerin Angela Rapp und die Hid- den. Klara Arnheim etwa hatte Privat- großen Ausstellungen in Berlin und stadt. Künstlerkolonien schossen wie expressionistische Landschaftsmalerin 1912 nach Hiddensee kam. Als Künstle- denseer Autorin Marion Magas haben stunden bei dem Berliner Akademie- Dresden teilgenommen, als sie nach Pilze aus dem Boden, etwa in Dachau rin hatte sie sicher das stilistisch brei- den Schicksalen der Künstlerinnen professor Franz Skarbina genommen, Hiddensee kamen. und Murnau, in Worpswede, Dötlingen, teste Ausdrucksvermögen, das deutlich nachgespürt und zeigen in zwei neuen hatte in Paris bei Neoimpressionisten Ahrenshoop und Nidden. „Künstlerko- den Einfluss der Sezession spiegelt. Veröffentlichungen, wie unterschied- an der renommierten Académie Julian Vielen Malern und Malerinnen erschien lonien waren eine eher versöhnliche Erst 2007 ist Wolfthorns Werk mit lich sie arbeiteten. Künstlerkolonien gelernt, war eine anerkannte Grafike- der offizielle Kunstbetrieb erstarrt Antwort auf die Zumutungen der Mo- einer Ausstellung in Berlin wiederent- waren zwar ein europäisches Phäno- rin. Elisabeth Büchsel war, kaum voll- 1924 hieß es in einem verbreiteten derne – es gab auch härtere, großstädti- deckt worden – nach rund 70 Jahren. men, sagt Angela Rapp, „aber ein Künst- jährig, auf eigene Faust nach Paris ge- Hiddensee-Reiseführer: „Eine Bilder- schere Antworten etwa in der Avant- Denn Julie Wolfthorn war Jüdin – wie lerinnenbund wie dieser war in Europa gangen, hatte an der Académie Colaros- ausstellung befindet sich nahe der gardekunst“, sagt Angela Rapp. auch Klara Arnheim, Henni Lehmann einzigartig“. Noch heute hängt diesen si studiert und sich dort ihren Lebens- Windmühle in dem Strohdachhause No. Es war eine Art Aussteigerbewe- und Käthe Loewenthal. Mit der Macht- Künstlerinnen das Etikett „Malweiber“ unterhalt mit Porträts verdient. Julie 14b, von den Berlinern ‚Kunstscheune‘ gung: Die Natur forderte ein neues Se- ergreifung der Nazis wurden sie aus al- an. Das, findet Rapp, ist eine „Ironie der Wolfthorn, die allerdings erst 1927 bei- genannt …, heute im Besitz einer kunst- hen und Empfinden, eine künstlerische Julie Wolfthorn (1864–1944) war len Verbänden ausgeschlossen, mit Ar- Geschichte“. trat, war Gründungsmitglied der Berli- liebenden Geheimratswitwe“. Gemeint und seelische Auseinandersetzung mit Mitbegründerin der Berliner Secession beitsverbot belegt und durften auch Seit Jane Austens Zeiten war es en ner Secession, mit der sich eine Gruppe ist wieder Henni Lehmann, die 1919 von den Stimmungen von Licht und Schat- Hiddensee nicht mehr besuchen. Henni vogue, dass höhere Töchter malen oder der Bäckerfamilie Schwartz eine Scheu- ten, Wolken, Wasser und Einsamkeit; Lehmann musste Haus und Scheune Klavier spielen lernten, um die häusli- ne erworben hatte und darin ein Atelier Zwänge und Spielregeln der offiziellen verkaufen. 1937 nahm sie sich das Le- che Atmosphäre durch mehr oder weni- und eine Galerie für den Künstlerin- Großkunst traten zurück. Das faszinier- ben. Ihre drei Kolleginnen wurden de- ger gelungene künstlerische Beiträge zu Vortrag und Lektüre nenbund einrichtete. Die „Blaue Scheu- te besonders die malenden Frauen. Pau- portiert und in KZs ermordet, Käthe verschönen. Aber bitte nicht als Beruf! ne“ ist noch heute Galerie und Anzie- la Modersohn, die ihre Ausbildung auch Loewenthal in Izbica (Polen), Klara Erst 1919, im Gründungsjahr des Hid- hungspunkt in Vitte. Henni Lehmann in London, Berlin, Bremen und Paris Arnheim und Julie Wolfthorn in There- densoer Künstlerinnenbundes, wurden Mehr über die Malerinnen auf hatte sich immer für die Förderung von zusammenstückelte, fand in der Künst- sienstadt. Viele ihrer Werke wurden Frauen in Deutschland zum Studium an Hiddensee: Künstlerinnen eingesetzt – gerade weil lerkolonie Worpswede gleichberechtig- vernichtet. Es war das Ende des Hid- den Kunstakademien zugelassen. Bis Angela Rapp, „Der Hiddensoer ihr und ihren Kolleginnen ständig das te Aufnahme, wichtige Anstöße, inte- densoer Künstlerinnenbundes. dahin mussten sie sich mit privaten Künstlerinnenbund – ,Malweiber Wort „Malweiber“ nachhing. Unter den ressierte Kollegen. Anna Gerresheim, Henni Lehmann (1862–1937) war das Zum Glück aber nicht das Ende der Kunstschulen oder sogenannten „Da- sind wir nicht‘“, Verlag Bahn- Frauen, schrieb sie, werde eine „uner- Elisabeth von Eicken und auch Hedwig Herz des Künstlerinnenbundes Geschichte. Im September 2011 präsen- menklassen“ begnügen. Ein endloser steigkarte, 96 S. mit vielen Abb., trägliche Schar von Dilettantinnen ge- Woermann, die Hamburger Reeder- tierte die Kunstauktion in Ahrenshoop Zug malender Frauen strömte in die 16,80 Euro. züchtet“, die „die ernsthafte Frauen- tochter, fanden ein ähnliches Umfeld in auch Werke der „Malcousinen“ von Schulen, ohne dass eine systematische Heute Abend um 18 Uhr liest kunst als solche diskreditieren“. Sogar der Künstlerkolonie Ahrenshoop. Mit Hiddensee. Julie Wolfthorns Gemälde Ausbildung, Bewertung und Förderung Angela Rapp daraus in der Kunst- Alfred Lichtwark, der künstlerisch so den Malerinnen erreichte die junge Mo- „Fischerfrauen am Gehöft. Hiddensee“, stattfand. mühle Schwaan, Mühlenstr. 12, reformfreudige Direktor der Hambur- derne auch Hiddensee.