Biografie- und Chronik-Service Dr. Ulrich Erdmann (BCE) Hopfenstraße 2, 24114 Kiel, Tel.: 0431/ 6614300, www.erdmann-kiel.de

Ulrich Erdmann: Der Landtagsabgeordnete Dr. Gerhard Gerlich (1950 - 1962) Gutachten

Kiel 2016

Im Auftrag der Gemeinde Trappenkamp BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Gliederung

1.) Untersuchungsgegenstand und Quellenlage S. 3

2.) Zu Lebensstationen von Dr. Gerhard Gerlich von 1947 bis 1962

2.1) Neumünster als Ausgangspunkt politischer Erfahrungen S. 10

2.2.) Als Landtagsabgeordneter

2.2.1) Zweite Wahlperiode (1950-1954) S. 35

2.2.2) Dritte Wahlperiode (1954-1958) S. 59

2.2.3) Vierte Wahlperiode (1958-1962) S. 74

2.3.) Als Vertriebenen- und Kommunalpolitiker in besonderem Verhältnis zu Trappenkamp

2.3.1) Vor der Selbstständigkeit Trappenkamps S. 95

2.3.2) Im Gründungsjahr 1956 der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp S. 106

2.3.3) Während der Aufbaujahre der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp S. 122 (1957-1962)

2.4.) Epilog Oktober bis Dezember 1962 S. 134

3.) Zusammenfassung S. 137

4.) Quellen und Literatur S. 142 2 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

1.) Untersuchungsgegenstand und Quellenlage

Ausgangspunkt des hiermit im Auftrag der Gemeinde Trappenkamp vorgelegten Gutachtens „Der Landtagsabgeordnete Dr. Gerhard Gerlich (1950-1962)“ war der überraschende Fund einer Akte Gerhard Gerlichs (09.09.1911-27.12.1962) bei den Beständen des Rasse- und Siedlungshauptamts der SS von 1940 im Bundesarchiv . Diese wurde 2012 in dem Aufsatz von Christina Schubert über „Die Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtags nach 1945 und ihre nationalsozialistische Vergangenheit“ im Rahmen des von Sönke Zankel herausgegebenen Sammelbands „Skandale in Schleswig-Holstein. Beiträge zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten“ kurz und mit zwei Fußnoten erwähnt.1

Der Bürgermeister von Trappenkamp, der Leiter der damaligen Grund- und Hauptschule und heutigen Grundschule „Dr. Gerlich-Schule“ in Trappenkamp sowie der Vorstand des Sudetendeutschen Kulturwerks Schleswig Holstein e.V. (SKW) wurden ab 2012 aufgefordert, sich mit diesen neuen Informationen über G. Gerlichs Vergangenheit und mit daraus erforderlichenfalls erwachsenden Konsequenzen auseinanderzusetzen. Im Frühjahr 2013 wurde der Biografie- und Chronikservice Dr. Ulrich Erdmann (Kiel) dementsprechend vom Sudetendeutschen Kulturwerk SH e.V. mit einem Gutachten über „Die Lebensstationen von Dr. Gerhard Gerlich bis 1947“ beauftragt. Als ein wesentliches Ergebnis der Untersuchung dürfte Gerhard Gerlichs aktives und bewusst wahrheitswidriges Leugnen seiner zeitweisen Mitgliedschaft in der Allgemeinen SS im Entnazifizierungs-Fragebogen vom 21.10.1947 gelten, das er und sein Bruder Walter Gerlich als Zeugen mit ihren Unterschriften bekräftigten.

Die meisten seiner Zeitgenossen hatten seinerzeit quer über alle Parteien hinweg dieses schematische und auch inhaltlich fragwürdige Verfahren der Entnazifizierung zwar ebenfalls abgelehnt. Aber im Unterschied zu ihnen konnte G. Gerlich mit seinem (lange über den Tod hinaus wirksamen) Verschleiern in den Nachkriegsjahren die Basis für eine eindrucksvolle Karriere in seiner Partei, in Vertriebenenverbänden, im Kieler Landtag und

1 Schubert, Christina: Die Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtags nach 1945 und ihre nationalsozialistische Vergangenheit, in: Sönke Zankel (Hg.): Skandale in Schleswig-Holstein. Beiträge zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten, Kiel 2012, S. 71-128, darin S. 90 3 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 in der Position als Parlamentarischer Vertreter des Kultusministers auch als Teil der Landesregierung von Schleswig-Holstein legen. Aus dem historischen Abstand ist angesichts dieser zusätzlichen Informationen somit zu prüfen, inwiefern Gerlichs Wirken in der Kommunal- und Landespolitik der Nachkriegszeit und sein Engagement bei einzelnen Projekten vor diesem Hintergrund anders zu bewerten ist.

Als Ausgangspunkt wurde das Gutachten „Die Lebensstationen von Dr. Gerhard Gerlich bis 1947“ dem Sudetendeutschen Kulturwerk SH e.V. entsprechend der vereinbarten Archivforschungen im Sommer 2013 vorgelegt.2 Nach längeren Verhandlungen über eventuell aus dem Familienkreis Gerlichs beizusteuernde Ergänzungen und juristische Fragen kamen der Verfasser dieses Gutachtens, der Vorstand des SKW und die Gemeinde Trappenkamp überein, diese Untersuchung im November 2015 auf der gemeindeeigenen Homepage unter dem Link http://www.trappenkamp.de/gutachten_dr_gerlich.html zu veröffentlichen.

Zudem wurde diese Untersuchung am 11.11.2015 den Gemeindevertretern vorgestellt und aus der angeregte Diskussion ergab sich der Wunsch, mit einer Ergänzung über die Nachkriegsjahre von Gerhard Gerlich, sein politisches Wirken als CDU- Landtagsabgeordneter und seine Verdienste für die Entwicklung der Gemeinde Trappenkamp bis zu seinem überraschenden Tod im Dezember 1962 näher zu erforschen. Mit einer Gesamtschau der historischen Lebensverhältnisse und seines jeweiligen Handelns innerhalb dieser Rahmenbedingungen soll ein umfassenderes Bild vom Wesen und Wirken Gerhard Gerlichs für weitergehende Diskussionen und Entscheidungen am Ort gegeben werden. Dementsprechend erteilte die Gemeinde Trappenkamp im Dezember 2015 dem Biografie- und Chronikservice Dr. Ulrich Erdmann einen ergänzenden Auftrag zu dem Gutachten „Der Landtagsabgeordnete Dr. Gerhard Gerlich“. Dieses wird hiermit im Juni 2016 vorgelegt.

Die Quellenlage zum Untersuchungsgegenstand erwies sich wie bei der Untersuchung „Die Lebensstationen von Dr. Gerhard Gerlich bis 1947“ als problematisch. Bereits bei diesem Erst-Gutachten hatten 2013 Anfragen nach Originalmaterial von Gerhard Gerlich in

2 Erdmann, Ulrich: Die Lebensstationen von Dr. Gerhard Gerlich bis 1947. Gutachten, Kiel 2013, im Folgenden: Erdmann, Lebensstationen 4 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 der Landesbibliothek Schleswig-Holstein in Kiel, dem Schleswig-Holsteinischen Landesarchiv in Schleswig, bei der Verwaltung des Schleswig-Holsteinischen Landtages wie auch im Stadtarchiv Neumünster kaum oder keine Ergebnisse hervorgebracht. Anfragen von 2016 bei dem CDU-Landesverband Schleswig-Holstein, der CDU- Landtagsfraktion oder dem CDU-Kreisverband Neumünster wurden zumeist mit spärlich vorhandenen Auszügen aus der Sekundärliteratur und dem Hinweis auf das Archiv für Christlich-Demokratische Politik der -Stiftung in Sankt Augustin beantwortet.

Ähnliches Material bekam der Gutachter auf spezifizierte Anfrage auch von dort zugesandt, auf gezielte Nachfrage bei Herrn Dr. Andreas Grau allerdings auch einen prägnanten Gerlich-Artikel von November 1951. Bereits Zeitgenossen Gerlichs verfügten aus Mangel an Quellenmaterial aus den Gründungsjahren der CDU über wenig verlässliche biografische Fakten, wie die Pressemitteilung „Zum Ableben von Dr. Gerhard, MdL“ des CDU-Landesdienstes Schleswig-Holstein vom Todestag 27.12.1962 illustriert. Darin heißt es (wohl in Verwechslung mit seinem gleichfalls promovierten Bruder Walter) „Dr. Gerlich gehörte dem Landesvorstand seit 1947 an (...)“, obschon er im Oktober 1947 aus der russischen Kriegsgefangenschaft in Deutschland eintraf und erst im Januar 1948 in die CDU eintrat.3

Aus dem Archiv der Sudetendeutschen Landsmannschaft Schleswig-Holstein in Kiel, deren Zweiter Landesobmann Gerhard Gerlich von ca. 1952 bis zu seinem Tod gewesen war, konnte der Vorsitzender Wolfgang Steltzig ebenfalls kein Material aus der Nachkriegszeit beisteuern. Zumeist keine Antworten kamen zudem von den angeschriebenen wenigen Zeitgenossen Gerhard Gerlichs sowie seinen engsten Familienangehörigen, die bei der Untersuchung „Die Lebensstationen von Dr. Gerhard Gerlich bis 1947“ noch 2013 mit Material aus Privatbeständen, Auskünften und Korrespondenz freundlicherweise behilflich sein konnten.

Weitere Anfragen nach Sichtung des Archivs des Sudetendeutschen Kulturwerks SH in Trappenkamp wurden vom Vorstand mit Verweis auf die auf diesen Beständen basierende und 2007 herausgegebene Broschüre „Materialien zur Person von Dr. Gerhard Gerlich,

3 Vogt, Gustav (Verantw.): „Zum Ableben von Dr. Gerhard Gerlich, MdL“, Pressemitteilung Nr. 44/62 des CDU-Landesdienstes Schleswig-Holstein, 27.12.1962; sowie Erdmann, Lebensstationen, S. 42-44 u. 49 5 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 zur Dr.-Gerlich-Schule Trappenkamp und zur Geschichte der Gemeinde Trappenkamp und Bornhöved“ von Klaus Deneke abschlägig beschieden. Ein Zugang war auch nach dem Hinweis auf dort fehlende Quellenangaben und die begrenzte wissenschaftlich Aussagekraft der inhaltlich reichen und verdienstvollen Publikation nicht möglich. Stattdessen bedankt sich der Gutachter bei dem SKW-Vorstandsmitglied Klaus Deneke, für diese Untersuchung 2016 einiges kopiertes Material aus seinen Privatbeständen zum Thema Gerhard Gerlich freundlicherweise zur Verfügung gestellt zu haben.

Zu den seltenen schriftlichen Nachweisen über eine direkte Mitwirkung und Einflussnahme des Landes- und Kommunalpolitikers vor Ort konstatierte Deneke in seiner Broschüre „Materialien zur Person von Dr. Gerhard Gerlich“ mit Recht: „Er liebte es, aus dem Hintergrund die Fäden zu ziehen und seinen ganzen, sehr großen Einfluss spielen zu lassen. Konkret ist schwer nachzuweisen, was er für Trappenkamp im Einzelnen alles bewirkte.“4

Gerlich pflegte offenkundig eine bewusste, uneitle Zurückhaltung, die auch im Positiven wenige dokumentierte Spuren seines Agierens hinterließ, dafür aber im Stillen politisch gewiss umso größere Wirksamkeit entfaltete. Exemplarisch für eine entsprechend aufwändige Spurensuche in zeitgenössischen Medien mag das einzige Pressefoto von Gerhard Gerlich in Trappenkamp sein, das der Gutachter im Rahmen seiner Recherchen fand. Zu einem Besuch von „Bundesminister Lindrath in Trappenkamp und Wahlstedt“ fand sich in Artikeln der Segeberger Zeitung und den Kieler Nachrichten vom 21.02.1958 zwar der Hinweis auf die Begleitung des Ministerpräsidenten und des Landrats des Kreises Segeberg, nicht aber auf die des Abgeordneten Gerhard Gerlich.

Erst ein Jahr später bekamen die Leser der Monatsschrift „Wort und Bild. Stimme der CDU in Schleswig-Holstein“ in der Ausgabe vom März 1959 als Illustration des Artikels „Trappenkamp. Zuversicht und Selbstvertrauen schaffen eine neue Heimat“ eine gemeinsame Fotografie von vier Prominenten im „Haus des Ostens“ am Ort zu Gesicht. In der Bildunterschrift war dazu zeitlich bedauerlich unkonkret angegeben: „Rechts im Bild stehend der stellvertretende Landesvorsitzende der CDU, Dr. Gerhard Gerlich, der von

4 Deneke, Klaus: Materialien zur Person von Dr. Gerhard Gerlich, zur Dr.-Gerlich-Schule Trappenkamp und zur Geschichte der Gemeinde Trappenkamp und Bornhöved, Kiel 2007, S. 19; im Folgenden: Deneke, Materialien 6 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Anbeginn mit Rat und Tat maßgeblich am Aufbau Trappenkamps Anteil nahm.“5

Diese für einen Spitzenpolitiker ungewöhnliche Pressescheu fand der Gutachter bei seinen Recherchen 2016 erneut bestätigt, so dass sich die vorliegende Arbeit schwerpunktmäßig auf die dokumentierten Äußerungen Gerhard Gerlichs während der Plenartagungen des Schleswig-Holsteinischen Landtags von August 1950 bis Dezember 1962 stützt. Dazu wurden die Wortprotokolle der 2. Wahlperiode (1950-1954, 1858 Seiten) sowie die stenographische Berichte der 3. Wahlperiode (1954-1958, 4017 S.), der 4. Wahlperiode (1958-1962, 2944 S.) und zu Beginn der 5. Wahlperiode (29.10.1962- 18.12.1962) auf Beiträge des Abgeordneten Gerlich hin gesichtet und analysiert.

Ebenso wurde mit den Protokollen der Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse verfahren, an denen Gerhard Gerlich mitwirkte. Diese betrafen seinerzeit Vorwürfe gegen die Landtagspräsidenten Karl Ratz (1951) und Walther Böttcher (1959) sowie die beiden Ausschüsse I und II in der Angelegenheit Prof. Heyde/Dr. Sawade (1960/61). Für die Unterstützung bei der Einsichtnahme im Landeshaus in Kiel sei Manfred Hater vom Informations- und Dokumentationsdienst des Schleswig-Holsteinischen Landtags herzlich gedankt.

Ergänzend untersuchte der Gutachter die Jahrgänge 1950 bis 1962 der „Schleswig- Holsteinischen Volkszeitung“ sowie in der „Segeberger Zeitung“ die Jahrgänge 1955-1960, die für die Gründungszeit der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp entscheidend waren. Entsprechend der derart aufgefundenen Spuren zu Gerhard Gerlich wurden weitere Zeitungen wie der „Holsteinische Courier“, die „Kieler Nachrichten“ oder andere Tageszeitungen punktuell herangezogen. Für die vielfältige Unterstützung dabei in der Landesbibliothek Schleswig-Holstein in Kiel sei dem Leiter Direktor Dr. Jens Ahlers und seinen Mitarbeiterinnen herzlich gedankt.

Inhaltlich lag das Augenmerk auf den politischen Erfahrungen Gerlichs in den Nachkriegsjahren und damit auf der Wandlung seiner Schwerpunktsetzungen in den Politikbereichen des Flüchtlingswesens, der Bildung (insbesondere seines Engagements gegen die Volksoberschule Preetz) und der Finanzen (mit Rückwirkung auf den Ausbau

5 Wort und Bild. Stimme der CDU in Schleswig-Holstein, 2. Jg. Nr. 3 (März 1959), S. 4/5 (Artikel: Trappenkamp. Zuversicht und Selbstvertrauen schaffen eine neue Heimat); im Folgenden: WuB, CDU-SH 7 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 der Gemeinde Trappenkamp). Dieser Verlauf spiegelte sich auch in seiner Wahl von Mitgliedschaften der Landtagsausschüsse von 1950 bis 1962 wider. Zugleich wurde vor dem Hintergrund vor Gerlichs bewusster Falschauskunft seiner SS-Mitgliedschaft im Entnazifizierungs-Fragebogen von 1947 untersucht, in welcher Weise er an einigen Auseinandersetzungen der Schleswig-Holsteinischen Nachkriegspolitik mit der NS-Vergangenheit teilnahm und wie sein Verhalten auf dem Weg des Bundeslandes wie auch einzelner Kommunen zu einer gefestigten Demokratie zu interpretieren ist.

Die dargestellten Lebensstationen von Gerhard Gerlichs in Nachkriegsdeutschland von 1947 bis zu seinem Tod 1962 werden anfänglich chronologisch in die Kapitel „Neumünster als Ausgangspunkt politischer Erfahrungen“ sowie seine weiteren Jahre als Abgeordneter in den Wahlperioden 1950-1954, 1954-1958 sowie 1958-1962 gegliedert. Das Eingangskapitel „Neumünster als Ausgangspunkt politischer Erfahrungen“ kann als Grundlage und Folie zum vertiefenden Verständnis der Folgekapitel dienen, die Gerhard Gerlichs Entwicklung ab 1950 im Kieler Landtag und ab 1955 als Beteiligter an dem Prozess nachzeichnen, auf welche Weise die Gemeinde Trappenkamp 1956 zur Selbstständigkeit mit einem schließlich funktionierenden demokratischen Gemeinwesen gelangte.

Die Anfänge Gerhard Gerlichs in Neumünster ab 1947 bieten dazu einen Rahmen mit seiner Etablierung innerhalb von Vertriebenenorganisationen, dem Kreisverband der CDU als Führungspersönlichkeit oder den miterlebten Problemen von Politikern auch anderer Parteien beim praktischen Umsetzen neuer demokratischer Regularien. Gerlichs kommunalpolitische und innerparteilichen Erfahrungen in Neumünster korrespondierten während der fünfziger Jahre im Zusammenspiel mit seinem Bruder Walter Gerlich in aussagekräftigen Versuchen, mit unterschiedlichen Mitteln die Vorherrschaft innerhalb der CDU zu erringen. Die jeweiligen Stadien ermöglichen es, plausible Zusammenhänge mit seiner Karriere im CDU-Landesvorstand und insbesondere im Kieler Landtag herzustellen. Diese werden in den drei Folgekapiteln insbesondere anhand von Debattenbeiträgen zwischen 1950 und 1962 illustriert, wobei nach offizieller Zählung die „Zweite Wahlperiode (1950-1954“) die erste von G. Gerlich als gewählter Abgeordneter darstellte.

Diese Zusammenhänge bieten zudem ein vertiefendes Verständnis für Gerlichs

8 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 besonderes Engagement ab 1955 in drei chronologisch angeordneten Kapiteln „Als Vertriebenen- und Kommunalpolitiker im besonderen Verhältnis zu Trappenkamp“. Gerade für das Gründungsjahr 1956 mit zwei Gemeindevertreterwahlen am Ort werden Gerhard Gerlichs Erfahrungen und Mittel im partei- und landespolitischen Meinungskampf anhand von verstreuten Indizien herangezogen. Nach dem Abschlusskapitel „Epilog Oktober bis Dezember 1962“ und einer zusammenfassenden Einordnung werden die verwendeten Quellen, Periodika sowie die Fachliteratur aufgeführt.

Kiel, Juni 2016

Dr. Ulrich Erdmann

9 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

2.) Zu Lebensstationen von Dr. Gerhard Gerlich von 1947 bis 1962

2.1) Neumünster als Ausgangspunkt politischer Erfahrungen

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Neumünster zu einer Stadt mit einem Bevölkerungsanteil von rund 25 % Heimatvertriebenen oder Flüchtlingen. Zu diesen gehörte Gerhard Gerlichs Bruder Walter, der dort die Kapitulation erlebte und vorübergehend als Lehrer an der Holstenschule hatte arbeiten können, bis er Anfang 1947 vom Landesministeriums für Volksbildung für ihn überraschend entlassen wurde. Der Studienrat hatte bei seinen Unterlagen freimütig seine Mitgliedschaft in der Allgemeinen SS angegeben, die in der britischen Besatzungszone als „Organisationsverbrechen“ galt.

In seine Beschäftigung mit aktuellen Lebensnöten, den tagesaktuellen Versorgungsproblemen und den Bemühungen um eine Revision dieses Verwaltungsakts hinein traf sein jüngerer Bruder Gerhard am 17.10.1947 überraschend aus der russischen Kriegsgefangenschaft ein und fand ihn den Zeitverhältnissen entsprechend gut untergebracht.6 Nach kurzer Eingewöhnung widmete sich Gerhard Gerlich den dringlichen Aufgaben der Wohnungs- und Arbeitssuche (vorzugsweise seiner Wiedereinstellung in den Schuldienst) und der Organisation von Zuzugsgenehmigungen für seine fünf Familienmitglieder in der Sowjetischen Besatzungszone.

Zunächst hatte er allerdings das von den Besatzungsmächten angeordnete Verfahren zur Entnazifizierung zu absolvieren. Dieses stieß in der Bevölkerung allgemein auch wegen der bedrängten Zeitverhältnisse auf nachlassendes Interesse, wachsende Unzufriedenheit oder Kritik an allzu pauschalen Beurteilungsmaßstäben, an moralischen Schuldzuweisungen oder an teilweise schematisiert verfügten Berufsverboten. Bei seinem gleichfalls als Pädagogen ausgebildeten Bruder Walter waren kurz nach Kriegsende noch strengere Maßstäbe als 1947 angelegt worden, denn: „Wegen ihrer Möglichkeiten, auf Jugendliche einzuwirken, wurden Lehrer besonders sorgfältig überprüft.“7

6 Vgl. zum Folgenden: Erdmann, Lebensstationen, S. 43-52 (Kapitel „Neumünster 1947: Neuanfang und Entnazifizierung“) 7 Jürgens, Jessica: Entnazifizierungspraxis in Schleswig-Holstein, Eine Fallstudie für den Kreis Rendsburg 1946-1949, in: Zeitschrift für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Bd. 125, 2000, S. 162; im Folgenden: 10 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Von den Siegermächten übertrug die britische Militärregierung 1947 als letzte die Verantwortung an deutschen Stellen, so dass alle während des Dritten Reichs im öffentlichen Dienst Beschäftigten einen entsprechenden zwölfseitigen Fragebögen auszufüllen hatten. Nach deren Auswertung wurden die Betreffenden entsprechend der Direktive Nr. 38 in fünf Kategorien von I Hauptschuldige, II Belastete, II Minderbelastete, IV Mitläufer bis V Entlastete eingeteilt. Wie in ganz Schleswig-Holstein wurde auch an diesem Ort niemand in die beiden niedrigsten Kategorien eingestuft:

„Im Rathaus Nms. wurde im Mai 1946 das Entnazifizierungsamt eingerichtet, dem insgesamt zehn Ausschüsse zugeordnet waren, die bis Juni 1949 etwa 10.000 Fälle berieten und Urteile fällten: 51 Personen der Kategorie III Minderbelastete gehörten als aktive Mitglieder der Partei oder einer ihrer Gliederungen an. 1136 wurden als "Mitläufer" in Gruppe IV klassifiziert und verurteilt, mehr als die Hälfte der Betroffenen ging aus dem Verfahren als entlastet (Gruppe V) hervor, über 3000 Personen galten als 'Nichtbetroffene'.“8

Gleichwohl hatte sein Bruder Walter berufliche Nachteile erlitten und mit seinen einschlägigen Erfahrungen konnte sich Gerhard Gerlich in der vorübergehend gemeinsamen Wohnung im Holsatenring 71 auf das Ausfüllen des zwölfseitigen Fragebogens vorbereiten. Neben einer Überfülle seiner aufgelisteten beruflichen und militärischen Stationen auf einem Beiblatt vermerkte er zusätzlich, dass ihm als Heimkehrer aus russischer Kriegsgefangenschaft und Flüchtling keine Dokumente zur Verfügung stünden, so dass er diese Angaben aus der Erinnerung nach bestem Wissen und Gewissen gemacht habe. Dabei machte er sich diesen Umstand allerdings zu Nutze: „Flüchtlinge besitzen größere Chancen, ihren Lebenslauf zu beschönigen, als Einheimische, die vor Ort wohl bekannt sind. Und: zu diesem Zeitpunkt schon ist sich die deutsche Bevölkerung weitgehend einig in der Ablehnung der Entnazifizierung.“9

Fehlende Dokumente waren auch der Grund für seine Angaben nach eventuellen Benachteiligungen im Nationalsozialismus durch sein Verhalten, durch Rasse oder

Jürgens, Entnazifizierungspraxis 8 Dwars, Marianne u.a. (Hg.): Neumünster Lexikon, Neumünster 2003, S. 35 9 Danker, Uwe/ Schliesky, Utz (Hg.): Schleswig-Holstein 1800 bis heute. Eine historische Landeskunde, Husum 2014, S. 293 11 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Religion, wie Gerhard Gerlich auf einem selbst gefertigten Beiblatt zu Frage 114 auf Seite 9 des Fragebogens vermerkte: „114.) Da 'konfessionell gebunden' und 'weltanschaulich ungeeignet' als Prov. Leiter der Oberschule f. Jungen 1941 enthoben, vorübergehend am Landesschulrat beschäftigt, dann als Lehrer zur Schule zurückversetzt. Im April 1942 Einleitung eines Parteigerichtsverfahrens auf 'Ausschluss aus der Partei als weltanschaulich ungeeignet wegen gesellschaftlichen Verkehrs mit jüdisch Versippten.' In diesem Zusammenhange erfolgte auch die Aufhebung der U.K.-Stellung und die Einziehung zur Wehrmacht.“

Diese Angaben konnten bis in die Gegenwart hinein nicht verifiziert werden, waren aber geeignet, die die entsprechende Bearbeitung in den Entnazifizierungsausschüssen zu befördern: „Positiv wirkte es sich für die Betroffenen aus, wenn sie nachweisen konnten, dass sie sich in irgendeiner Form in Opposition zum nationalsozialistischen Regime befunden hatten. Allerdings musste aus dem Verhalten hervorgehen, dass sie auch die Konsequenzen aus ihrer Ablehnung des Nationalsozialismus gezogen hatten, also zum Beispiel aus der NSDAP ausgetreten waren. (...) Wenn sich bereits aus den Fragebögen ergab, dass jemand Gegner des Nationalsozialismus gewesen war und Verfolgten geholfen hatte, wurde er ohnehin in die Kategorie V eingestuft und musste daher nicht vor den Ausschuss angehört werden.“10

Zu einer für die Berufsausübung seines Bruders entscheidenden Frage machte Gerhard Gerlich in seiner im Landesarchiv Schleswig erhaltenen gebliebenen Entnazifizierungsakte zudem auf Seite 6 des Fragebogens bei den ersten drei der insgesamt 54 aufgelisteten NS-Institutionen die folgende Eintragungen: Ja/Nein Von Bis Nummer Amt Antrittsdatum 41. NSDAP ja 1.11.38 31.3.42 unbekannt keine entfällt

42. Allg. SS nein - - - entfällt entfällt

43. Waffen-SS nein - - - entfällt entfällt11

10Jürgens, Entnazifizierungspraxis, S. 163 11 Erdmann, Lebensstationen, S. 46 bzw. Anlage Nr. 9 als Faksimileabdruck aus der Entnazifizierungsakte von Gerhard Gerlich im Landesarchiv Schleswig [LA SH Abt. 460.21 Nr. 196]

12 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Diese wahrheitswidrige Auskunft bezeugte Dr. Gerhard Gerlich auf der Schlussseite 12 mit Unterschrift und Datum vom 21.10.1947 trotz der vorangestellten Versicherung: „Die auf diesem Formular gemachten Angaben sind wahr, und ich bin mir bewußt, daß jegliche Auslassung oder falsche und unvollständige Angabe ein Vergehen gegen die Verordnung der Militärregierung darstellt und mich der Anklage und Bestrafung aussetzt.“ Darunter bestätigte Dr. Walter Gerlich als Zeuge ebenfalls mit seiner Unterschrift, dass „die in diesem Fragebogen gegebenen Antworten meines besten Wissens und Gewissens“ nach richtig seien.

Dabei hatte Gerhard Gerlich seinen Bruder in der Akte seines SS-Heiratsgesuchs von 1940 ebenfalls mit der gemeinsamen SS-Einheit angegeben. Zusammen mit der schriftlichen und bewusst falschen Auskunft von Walter Gerlich zu dieser bekanntermaßen entscheidenden Tatsache einer SS-Mitgliedschaft seines Bruders ergibt sich ein Selbstverständnis, sich bewusst außerhalb allgemeingültiger Regeln zu stellen. Mit diesem sollten die beiden Brüder in der Stadt und in ihrer bald gemeinsamen Partei CDU in den Fünfziger Jahren für nachhaltiges Aufsehen sorgen.

Den in diesem Geist ausgefüllten Fragebogen sandte G. Gerlich am 24.10.1947 in zwei Exemplaren zusammen mit einer eidesstattlichen Erklärung und einem entsprechenden Lebenslauf an das Schulamt der Stadt Neumünster. Zusätzlich schickte er an den Regierungspräsidenten der Provinz Schleswig-Holstein das Gesuch, in den Dienst für Höhere Schulen für die Fächer Geschichte und Erdkunde wieder eingestellt zu werden. Anfang November 1947 stufte der Vorsitzende des Entnazifizierungsausschusses Becker ohne Wissen Gerlichs diesen intern in die Kategorie V (Entlastete) ein und gab dazu den noch letztentscheidenden britischen Behörden in Kiel die Empfehlung: „Nach Beratung des Falles schlagen wir vor, daß Dr. Gerlich, Gerhard, der nicht persönlich befragt wurde, beibehalten wird. Aus folgenden Gründen: Unbelastet im Sinne der Direktive 24.“12

Zum Jahreswechsel 1947/48 hatten die britischen Behörden die Entnazifizierung zur Beschleunigung und Abwicklung an die deutschen Stellen abgetreten, von denen G.

12 s. Erdmann, Lebensstationen, S. 48 13 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Gerlich Mitte Januar 1948 die Mitteilung erhielt, endgültig in die Kategorie V (Entlastete) eingestuft worden zu sein, so dass er sich seinen Entnazifizierungsbescheid abholen könne. Allerdings bestätigte sich seine Befürchtung, dass zeitgleich mit ihm viele potenzielle Konkurrenten und Bewerber für den Schuldienst als entlastet eingestuft worden waren. So sollte es noch länger dauern, bis er trotz seiner persönlichen Vorsprachen bei Behörden erst im April 1951 eine Planstelle an der Klaus Groth-Schule in Neumünster, einer Oberschule für Mädchen, zugesprochen bekam.13

Im Februar 1948 hatte der Schleswig-Holsteinische Landtag das „Gesetz zur Fortführung und zum Abschluß der Entnazifizierung“ in Kraft gesetzt, in dessen Schlussbestimmungen in § 49 a demjenigen Strafe angedroht wurde, „wer falsche oder irreführende Erklärungen abgibt oder Tatsachen verschleiert, die für die Anwendung des Gesetzes von Erheblichkeit sind.“14 Durch derartige Bestimmungen fühlte sich G. Gerlich aber aktuell offenkundig nicht gefährdet. In der am Ort verbreiteten Tageszeitung „Holsteinischer Courier“ dürfte er zwar am 08.07.1950 den Artikel „Hedler wurde in Gruppe IV eingestuft“ über eine potenzielle Gefährdung wegen derartiger Falschangaben gelesen haben. Allerdings hatte der 1949 mit der „Deutschen Partei“ in den gewählte Wolfgang Hedler mit rechtsradikalen und antisemitischen Reden (zum Beispiel in Einfeld) die öffentliche Aufmerksamkeit negativ auf sich gezogen.

Im Jahr 1948 war Gerhard Gerlich mit dem Erteilen von Nachhilfestunden, der Arbeit in einer Referentenstelle beim Caritasverband und dem Bebauen von Ackerland stark beschäftigt. Zudem bereitete er vor, seine in Sachsen festsitzenden engsten Familienmitglieder nach Neumünster zu holen. Zugleich hielt er die Zeit für den Beitritt zu einer politischen Partei (nach der Sudetendeutschen Partei und der NSDAP) für gekommen und sein Mitgliedsausweis der Christlich-Demokratischen Union im Kreisverband Neumünster ist auf den 15.01.1948 datiert.

Für ihn bot sich schon aus strukturellen Gründen die Christlich-Demokratische Union besonders an, denn im landesweiten Vergleich der CDU-Kreisverbände nahm Neumünster mit einem Vertriebenen-Anteil von 41 % und einer starken katholischen Minderheit von 28

13 vgl. Klaus Groth-Schule (Hg.): 100 Jahre Klaus Groth-Schule 1888-1988. Gymnasium der Stadt Neumünster, Neumünster 1988, S. 88 14 Gesetz- und Verordnungsblatt (GVOBl) für Schleswig-Holstein Nr. 6/1948, S. 40 14 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

% eine Sonderstellung ein. Letztere stieß bei der einheimischen Bevölkerung, insbesondere an diesem Ort, allerdings noch lange auf Vorbehalte: „Es gab in Schleswig Holstein eine deutliche Abwehrhaltung gegen Katholiken vor allem in Führungspositionen. Immer wieder wurde ganz nachdrücklich darauf hingewiesen, dass nicht der Eindruck erweckt werden dürfe, dass die CDU ein verkapptes Zentrum sei.“15

Trotz dieser Voraussetzungen begann Gerhard Gerlich zusammen mit seinem Bruder Walter eine kreis- und landesweite Karriere, die er gemessen an ihrer späteren Wirkungsmächtigkeit vergleichsweise unauffällig gestaltete. Gerhard Gerlich nutzte die Umbruchsverhältnisse der frühen Nachkriegsjahre in Neumünster, von denen kaum Spuren seines Wirkens in Archiven dokumentiert blieben, erfolgreich für einen gesellschaftlichen Aufstieg. Zu einem entsprechenden Zeitfenster für Karrieremöglichkeiten in Schleswig-Holstein schrieb Ulrich Matthée: „Wenngleich Heimatvertriebene und Ausgebombte auch unter der britischen Herrschaft nur eine Minderheit der Eliten stellten, weil sie wegen der Schwierigkeit ihrer Lebensverhältnisse weniger zur Übernahme von Ämtern geeignet waren, so stand ihnen doch damals grundsätzlich die Chance zum Aufstieg offen. Ab 1951 waren diese Möglichkeiten aber recht begrenzt (…).“16

Zu den aktiven Parteimitgliedern wie den Gebrüdern Gerlich und den seinerzeitigen Rahmenbedingungen des Engagements in dieser Partei in Neumünster schrieb deren CDU-Kollegin Lieselotte Juckel in einem Rückblick: „Außerdem begann nun ein bewegtes Parteileben. Wir mussten uns ja auch erst zusammenraufen. Und die Heimatvertriebenen mußten sich erst ihre Rechte erkämpfen. Es ging heiß her. Die Sitzungen des Kreisverbandsausschusses dauerten oft bis in die Nacht hinein, und auf dem Heimweg mit Johann Philipp und Dr. Walter Gerlich (wir wohnten alle in Wittorf) wurde weiter diskutiert. Wir bauten die Arbeitsgemeinschaft der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge auf, deren Interessen wir viele Jahre vertreten haben. Die CDU-Satzung schrieb vor, daß im Vorstand folgende Kreise vertreten sein mußten: ein

15 Wulf, Peter: Parteineugründungen in Schleswig-Holstein: Die Christlich-Demokratische Union, in: Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein (Hg.): Die Anfangsjahre des Landes Schleswig- Holstein, Kiel 1998, S. 53; vgl. Varain, Heinz Josef: Parteien und Verbände. Eine Studie über ihren Aufbau, ihrer Verflechtung und ihr Wirken in Schleswig-Holstein 1945-1958, Köln/Opladen 1964, S. 45; im Folgenden: Varain, Parteien 16 Matthée, Ulrich: Elitenbildung in der kommunalen Politik. Eine Untersuchung über die Zirkulation der politischen Führungsgruppen am Beispiel des Kreises Segeberg (masch Diss. an der CAU Kiel), Kiel 1967, S. 137 15 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Katholik, ein Flüchtling, ein Vertreter der Jungen Union, eine Frau und ein Ratsmitglied.“17

Auch unter den Heimatvertrieben und Flüchtlingen nahm Gerhard Gerlich bald eine führende Stellung ein und hatte den (gewiss unausgesprochenen) psychologischen Vorteil, dass er nach seinen negativen Erfahrungen in Prag zur NS-Zeit keine Rückkehr für sich und seine Familie in die ursprüngliche Heimat anstrebte. Als die alliierten Besatzungsmächte das Koalitions- bzw. Vereinsverbot für Flüchtlinge aufgehoben hatten, dürften er und sein Bruder beteiligt gewesen sein, als sich die Heimatvertriebenen der verschiedenen ostdeutschen Gebiete in Neumünster organisierten, um ihre Belange besser vertreten zu können.

Gemäß den Erinnerungen von Paul Riedel wurde am 15.01.1949 in "Harms Gasthof" in der Friedrichstraße die Schlesisch-Sudetendeutsche Landsmannschaft mit über 100 Landsleuten aus der Taufe gehoben. Nach dem Aufbau einer eigenen Schlesischen Landsmannschaft im Frühjahr 1950 fand die entsprechende Neugründung der Sudetendeutschen am dann am 01.11.1950 am gleichen Ort statt, der für die Gebrüder Gerlich auf Jahre hinaus auch Treffpunkt von bewegten Parteisitzungen der örtlichen CDU blieb.18 Der spätere CDU-Ehrenvorsitzende Herbert Möller erinnerte sich 2015 zum Artikel „CDU: Einheitspartei, gespalten, versöhnt“ im „Holsteinischen Courier“ zudem genauer an Fraktionierungen und Spaltungen: „Es gab ein christlich-soziales Lager um die Brüder Gerlich. Das waren vor allem Vertriebene. Die andere Gruppe waren alteingesessene Neumünsteraner wie Moritz-August Schiffer. Das war das bürgerlich-christliche Lager. (…) Die Sozialen bei Harder in der Bahnhofstraße, die Bürgerlichen im Hotel Harms an der Friedrichstraße“.19 Diese Antagonismen und Spannungen sollten Gerhard und Walter Gerlich wesentlich prägen und mitgestalten.

Zwar verfocht Gerhard Gerlich als einer der inzwischen führenden Vertreter der Sudetendeutschen Landsmannschaft 1950 öffentlich eine strikte parteipolitische Neutralität dieses Verbandes, aber eine Verzahnung seines Engagements auf der kommunalen und allmählich auch auf der landesweiten Ebene war dabei nicht zu

17 Juckel, Lieselotte: Die ersten Jahre der CDU Neumünster, in: CDU-Kreisverband Neumünster (Hg.): 50 Jahre CDU-Kreisverband Neumünster. Verantwortung für Deutschland und Europa; Neumünster o.J. , o.S. (S. 6); im Folgenden: Juckel, CDU Neumünster 18 s. Obst, Carsten: Flüchtlinge in Neumünster, Erfurt 2007, S. 119 19 Holsteinischer Courier, 08.07.2015 16 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 vermeiden. So kam er auch im Ausschuss des CDU-Landesverbandes für Flüchtlingsangelegenheiten in eine entscheidende Stellung, welcher bereits bei der Aufstellung der ersten CDU-Bundestagskandidaten 1949 ein Mitspracherecht in Schleswig-Holstein ausübte.

Dabei blieb seine materielle Situation vorerst prekär, als er am 08.05.1949 wegen seiner Entnazifizierung einen Einspruch gegen die erhobenen Kosten für sein Kategorisierungsverfahren begründete: „Trotz grösster Bemühungen meinerseits war es mir in den verflossenen 1,5 Jahren nicht möglich, in meinem Berufe unterzukommen und bin erst seit Februar 1948 ohne Bezahlung und seit Juni 1948 gegen ein Monatsgehalt von 250 DM berufsfremd untergekommen. Dieser Betrag wurde am 1.I.49 ausserdem um 5 % gekürzt. Da ich nicht nur Russlandheimkehrer, sondern ausserdem auch Flüchtling bin und mein Hausstand aus 5 Personen besteht, hoffe ich keine Fehlbitte getan zu haben.“20

In Neumünster hatte die SPD mittlerweile bei den Kommunalwahlen am 24.10.1948 mit 49,8 % die Mehrheit der 35 Sitze errungen, aber im Gegensatz zu der auf Konfrontation angelegten Politik zwischen SPD-Landesregierung und CDU-Opposition im Kieler Landtag übte sie in der Ratsversammlung mit der CDU (15 Mandate) eine kooperative Regierungspolitik unter den demokratischen Kräften aus. Als politisch stark interessierter und engagierter Bewohner der Stadt war Gerhard Gerlich möglicherweise als Gast auf dem SPD-Bezirksparteitag am 06.03.1950 in der Klaus Groth-Schule in Neumünster zugegen. Dort hatte nach der Begrüßung durch den SPD-Kreisvorsitzenden Paul Lohmann der Oppositionsführer Andreas Gayk unter anderem erklärt: "Politische Schieber und Geschäftemacher profitieren von dem allgemeinen Unwillen über die Entnazifizierung. Die sozialdemokratische Landesregierung hat als erstes der deutschen Länder die Entnazifizierung praktisch so gut wie abgeschlossen und die Zweiteilung des deutschen Volkes zu überwinden begonnen."21

An denselben Ort wurde am 28.04.1950 die entscheidende Sitzung des Neumünsteraner Stadtparlaments verlegt, um einer Öffentlichkeit von 500 Hörern die Teilnahme an der Wahl des neuen Stadtpräsidenten ermöglichen. Über den spektakulären Verlauf, der eine

20 s. Erdmann, Lebensstationen, S. 50/51 21Schleswig-Holsteinische Volkszeitung (Kieler Morgenzeitung), 27.03.1950, S. 5/6; im Folgenden: Volkszeitung 17 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Parallele im Gründungsjahr der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp 1956 finden sollte, dürfte Gerhard Gerlich zumindest über die Presseberichterstattung informiert gewesen sein. Nach den Mehrheitsverhältnissen im Rat und den interfraktionellen Absprachen mit der CDU hatte die SPD das Vorschlagsrecht für diese Amt, aber innerhalb der sozialdemokratischen Fraktion war es über den von der Kreispartei vorgesehenen Kandidaten zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen. Paul Lohmann, Landtagsabgeordneter und Kreisvorsitzender, war im April 1950 noch kein Ratsmitglied und konnte erst in dieser Eigenschaft zum Stadtpräsidenten gewählt werden, wenn ein anderes SPD-Ratsmitglied ausschied und er dafür nachrückte.

Um dieses Problem zu lösen, beantragte das SPD-Ratsmitglied Frieda Borgwardt aus angeblich gesundheitlichen und familiären Gründen ihr Ausscheiden aus dem Rat und normalerweise hätte die Fraktion bzw. Partei einen Nachrücker für sie von einer sogenannten Ersatzliste dafür bestimmen und einen entsprechenden Antrag stellen sollen. Da aber Lohmann auch auf dieser Liste nicht vertreten war, teilte der SPD-Kreisvorstand am 21.04.1950 der Stadtführung mit, keiner der darauf Verzeichneten sei „... aus verschiedenen Gründen ... in der Lage ... die Zeit und Kraft aufzubringen, welche erforderlich sind, um den Pflichtenkreis eines Ratsmitgliedes voll auszufüllen." Stattdessen reichte die SPD nach der Wahlordnung am 21. April 1950 einen Ersatzvorschlag ein, den der Betreffende als Kreisvorsitzender auch noch selbst unterzeichnet hatte: "Die Sozialdemokratische Partei schlägt den Landtagsabgeordneten Paul Lohmann, geb. am 20.10.02, wohnhaft Neumünster, Am Brunnenkamp 2, vor." 22

Carsten Obst vermutet mit plausiblen Gründen hinter dem Verzicht der eigentlich als Nachrücker anstehenden SPD-Mitglieder von der Ersatzliste wie auch hinter dem Antrag von Ratsfrau Borgwardt parteipolitische und -taktische Erwägungen, um Lohmann diesen Weg freizumachen. Nach interfraktionellen Absprachen und dem geplanten Szenario sollte zunächst nach dem offiziellen Ausscheiden Frieda Borgwardts der auf diese spezielle Weise nachrückende Lohmann zum neuen Ratsmitglied gewählt werden, um sich nach seiner Einführung in den Rat aussichtsreich für das Amt des Stadtpräsidenten kandidieren zu können. Allerdings lehnte der Rat überraschender Weise Frau Borgwardts Antrag mit

22 zit. nach Obst, Carsten: Der demokratische Neubeginn in Neumünster 1947 bis 1950 anhand der Arbeit und Entwicklung des Neumünsteraner Rates, Frankfurt a.M. u.a. 1992, S. 264, Anm. 842; im Folgenden: Obst, Neubeginn 18 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

16 Nein- gegen 8 Ja-Stimmen bei 10 Enthaltungen beziehungsweise ungültigen Stimmen ab, so dass es unmöglich wurde, Paul Lohmann im Anschluss zu ihrem Nachrücker wählen zu lassen.

Carsten Obst analysierte, dass (entgegen der interfraktionellen Absprachen) die 16 Nein- Stimmen vermutlich von den 14 Ratsmitgliedern der CDU und zwei weiteren der Opposition herrührten. Entsprechend der zehn Enthaltungen bzw. ungültigen Stimmen sollte zudem genau diese Anzahl von Mitgliedern der SPD-Fraktion vor der folgenden Ratssitzung vom 12. Mai 1950 ihren Rücktritt erklären. So dokumentierte unter anderen Frieda Borgwardt ihren Protest entweder gegen die Person und Ambitionen von Paul Lohmann oder gegen das unter demokratischen Gesichtspunkten höchst fragwürdige Umgehen mit parlamentarischen Regularien und den davon betroffenen Volksvertretern.

Erst auf der folgenden Ratssitzung vom 12. Mai 1950 mit neu formierter SPD-Fraktion konnte Lohmann als neuer Stadtpräsidenten gewählt werden, allerdings mit nur 20 Ja gegen 8 Nein-Stimmen bei 6 Enthaltungen.23 Nähere inhaltliche Erklärungen für das zuvor geübte bedenkliche Verfahren wurden nicht abgegeben, aber die CDU- und die SPD- Fraktion erkannten den offenkundigen Mangel an Fraktionsdisziplin und die sich daraus ergebenden Gefahren. Dementsprechend bekräftigte nun CDU-Ratsmitglied Schäffer, in Zukunft die Mehrheitsverhältnisse im Rat und die Vorschlagsrechte der Fraktionen nach den jeweiligen Stärken für die von ihr zu beanspruchende Personalentscheidungen und Ämter stärker zu beachten und anzuerkennen.

Genau ein Jahr später sollten diese Vorsätze in einer neuen parlamentarischen Konstellation in der Stadtvertretung Neumünsters auf eine harte Probe gestellt werden und führten zu einem ersten Versuch der Gebrüder Gerlich, die Vorherrschaft auch über den örtlichen CDU-Kreisverband zu erringen. Zu diesen Jahren formulierte Lieselotte Juckel: „Es begann die Ära der Gerlichs. Dr. Gerhard Gerlich gehörte später dem Landtag an, und Dr. Walter Gerlich war Stadtrat in Neumünster und von 1963 bis 1956 Bundestagsabgeordneter. Mich hat immer wieder fasziniert, wie sie sich auf Parteiveranstaltungen gegenseitig bei Diskussionen die Bälle zuwarfen. Das war einfach gekonnt.“24

23 Obst, Neubeginn, S. 271 24 Juckel, CDU Neumünster, S. 7 19 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Als Landtagsabgeordneter ab Juli 1950 hatte Gerhard Gerlich zwar dem Verlangen des erstmals neugewählten BHE (Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten) durch sein mutiges abweichendes Votum im Parlament Widerstand geleistet, vorzeitige Neuwahlen im April 1951 auf kommunaler Ebene herbeizuführen. Er war aber an den Zusagen der CDU-Landesspitze und CDU-Landtagsfraktion als Preis für die Regierungsübernahme und BHE-Unterstützung dafür gescheitert. Diese Flüchtlingspartei hatte erst nach 1948 gegründet werden können und strebte nun auch in den Kommunalparlamenten vorzeitig zur Repräsentation und Beteiligung an der Gestaltungsmacht. Dabei schien im Abweichen von den gesetzlichen Regularien das Vertrauen der Bevölkerung in die noch ungeübte und ungefestigte Nachkriegsdemokratie ähnlich nachrangig zu sein wie im spektakulären Vorgehen von Paul Lohmann in Neumünster.

Dieser eröffnete als Stadtpräsident nach diesen außerplanmäßigen Kommunalwahlen am 30.05.1951 die Sitzung einer Ratsversammlung. Dabei gab er u.a. die Zusammensetzung der neugebildeten Ratsfraktion der bürgerlichen Gemeinschaftsfraktion (Gemfra) aus Mitgliedern der CDU, FDP, Deutscher Partei und der Schleswig-Holsteinischen Gemeinschaft mit dem Sprecher Hinrichsen an der Spitze bekannt. Der Name Gerlich fand sich nicht unter den aufgezählten Ratsmitgliedern, sollte in den kommenden Personalbesetzungen aber berücksichtigt werden. Diese fanden im allgemeinen einstimmige Annahme mit einer einzigen, im Falle Walter Gerlichs aber folgenschweren Ausnahme: „(…) Der Antrag des Ratsherrn Philipp, für Dr. Weyer den Studienrat Dr. Gerlich (beide Gemfra) als Bürgerschaftsmitglied des Schulausschusses zu wählen, wurde überstimmt.“25

In den Folgemonaten muss es wegen dieses Misserfolges bei einem eigentlich nachrangigen Postentausch zu heftigem internen Streit in der Kreispartei gekommen sein, so dass der Holsteinische Courier einen Artikel vom 09.06.1951 mit „Ausschluß aus der CDU in Neumünster“ betitelte: „Wie uns von der Geschäftsstelle CDU in Neumünster bestätigt wurde, ist der Fraktionsvorsitzende der Wahlgemeinschaft Neumünster, Stadtrat Hinrichsen, wegen parteischädigenden Verhaltens aus der CDU ausgeschlossen worden. Hinrichsen soll sich bei der Besetzung der Ausschüsse und Dezernate innerhalb der

25 Holsteinischer Courier, 31.05.1951, S. 3 20 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Stadtverwaltung nicht an die Beschlüsse seiner Partei gehalten haben. Gleichzeitig mit seinem Ausschluß haben 18 weitere Mitglieder des Kreisvereins, darunter auch einige Ratsmitglieder der Gemeinschaftsfraktion, ihren Austritt aus der CDU vollzogen. Man nimmt jedoch an, daß die Ratsmitglieder in der 'Gemfra' der Wahlgemeinschaft verbleiben.“

Der CDU-Kreisvorsitzende war dieser Tage in den entscheidenden Machtkampf mit dem CDU-Landesvorsitzenden Schröter verstrickt und sollte absehbar seinen Posten als Ministerpräsident verlieren, so dass er insbesondere als Repräsentant der Einheimischen auch mit einem Amtsnimbus keine Befriedung erreichen konnte. Stattdessen schien wegen des vermutlich betroffenen 2. Vorstandsvorsitzenden Walter Gerlich die Auseinandersetzung in Ton und Inhalt zugespitzt zu werden, wie aus dem Artikel „CDU-Krise nimmt Formen an“ abzulesen ist: „Bisher 32 prominente Neumünsteraner CDU-Mitglieder ausgetreten. 'Rebellen' fordern Absetzung des Kreisvorstands. Nach dem Austritt von 19 prominenten Mitgliedern der CDU in Neumünster haben jetzt abermals 13 CDU-Mitglieder die Partei verlassen, weil sie den 'Befehlen' ihres Parteivorstandes nicht Folge leisten wollten. (…) In einer gemeinsamen Erklärung unterstrichen neun von elf Mitgliedern der Gemeinschaftsfraktion, daß sie das Gesamtwohl der Stadt über den 'engen Parteiegoismus' stellen wollen.“26

Mit dem mittlerweile ausgeschiedenen Ministerpräsidenten hatte Gerhard Gerlich schon wegen der Regierungsentscheidung für die Vorverlegung der Kommunalwahlen in einem kritischen Verhältnis gestanden. Nun erreichte die Zuspitzung und die parteiinterne Auseinandersetzung einen vorläufigen Höhepunkt, als der Kreisvorsitzende Walter Bartram am 03.09.1951 auf einer stark besuchten CDU-Mitgliederversammlung während einer lebhaften Aussprache die Vertrauensfrage stellte und diese verlor. Daraufhin trat er zurück und und bis zu einer Nachwahl konnte der zweite Vorsitzende Walter Gerlich mit einem weiteren Repräsentanten des Flüchtlinge-Lagers, Wolfgang von dem Hagen, die Geschäfte weiterführen und entsprechend gestalten.27

Auf der außerordentlichen und ungewöhnlich stark besuchten CDU-Generalversammlung am 24.09.1951 in Harms Gasthof wagte der Flügel um die Gebrüder Gerlich nach

26 Volkszeitung, 14.06.1951, S. 6 27 Holsteinischer Courier, 04.09.1951, S. 3 u. 19.09.1951, S. 3 21 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 mehrstündiger und sehr lebhafter Aussprache ein erstes Mal die Machtprobe in der Kreispartei: „Nach dieser Debatte stellte der z. Z. von Wolfgang von dem Hagen und Dr. Walter Gerlich geführte Vorstand die Vertrauensfrage, machte aber ein weiteres Verbleiben in seinen Aemtern von drei Forderungen abhängig. Diese betrafen die Bildung einer CDU-Fraktion im Rathaus bis Ostern 1952, die Zustimmung zum Ausschluß des Ratsherrn Hinrichsen, falls er nicht bis zum 1.10.51 selbst seinen Austritt aus der Partei vollzieht und die Zustimmung zu einen Antrag an den Parteivorstand zwecks Einleitung eines Verfahrens gegen die Mitglieder, die sich aktiv an der Gründung des 'Kommunalen Wählerverbandes' beteiligt haben.“28

Derartig zugespitzte Ab- und Ausgrenzungen unterstrichen die amtierenden Mitglieder des Kreisvorstands mit ihrer ausdrücklichen und ultimativen Festlegung, „daß er nicht die satzungsmäßig verankerte Zweidrittelmehrheit für seinen Rücktritt fordern, sondern auch der geringsten Mehrheit gegen sich nachgeben würde.“ Dennoch oder deswegen wurde diese Vertrauensfrage mit 76 zu 79 Stimmen verneint, so dass nach dem folgerichtigen Rückzug u.a. von Walter Gerlich eine Neuwahl des Vorstandes fällig wurden.

Ebenfalls in dieser Ausgabe des Holsteinischen Courier vom 25.09.1951 war im Artikel "Äußerungen zum neuen Landeswahlgesetz. Mehrheitswahlrecht von der CDU befürwortet" die Auffassung von Gerhard Gerlichs CDU-Fraktionsgruppe wiedergegeben, die als Teil des „Wahlblock"-Bündnisses im Landtag mit der "Gemfra" auf Neumünsteraner Ebene zu vergleichen war. Nach dieser Strategie beabsichtigte die CDU im Kieler Landtag durch eine Wahlrechtsänderung bis zu einer 10 %-Hürde ihre bürgerlichen Bündnispartner letztlich zu assimilieren und so zu einem Zwei-Parteiensystem (nach britischem Vorbild) zu gelangen. Auch wenn sich Gerhard Gerlich bei der entsprechenden Landtagsabstimmung enthielt, bezeichnete er in den folgenden Auseinandersetzungen im November 1951 den Bündnis-Partner FDP mehrfach öffentlich und schriftlich als „Geschwür“ und ließ mit diesem Sprach- und Bildgebrauch Rückschlüsse auf die Art seiner CDU-intern geführten Auseinandersetzungen zu.29

28 Holsteinischer Courier, 25.09.1951, S. 3 29 s. Volkszeitung, 07.12.1951, S. 2 22 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Auf der Neumünsteraner Ebene formulierte der Kooperationspartner „Deutsche Partei“ (DP) hingegen als Partner der bürgerlichen Wahl-Gemeinschaft in einem Leserbrief sein Befremden über die konfrontativen Forderungen des Bruders Walter Gerlich. Die DP kontrastierte dessen frühere Zustimmung zu Stadtrat Hinrichsen als dem Vorsitzenden der Gemeinschaftsfraktion mit seiner nun folgende Ausgrenzung gegen diesen auch per Brief sowie dem einst gemeinsam vereinbarten Verzicht auf Parteipolitik im Rathaus: „Zu unserem größten Bedauern mußten wir feststellen, daß Dr. Walter Gerlich nicht bereit war, sich an diese Wahlparole der WGN zu halten, sondern, vielmehr seine Parteiinteressen durch die Vertreter der CDU in das Rathaus tragen lassen wollte.“ Gegen wen genau sich im Einzelnen hinter den aufs schärfste kritisierten „Machenschaften einzelner CDU- Mitglieder“ richtete, war in dem Leserbrief des Kreisverbandes der Deutschen Partei im Holsteinischen Courier nicht näher formuliert worden.30

Auf der nächsten Versammlung der CDU Neumünster am 15.10.1951 versprach die Wahl des neuen und alten 1. Vorsitzender Walter Bartram zwar eine Konsolidierung. Aber das Ergebnis von 96:71 Stimmen gegen den Vorschlag, den alten Vorstand en bloc wiederzuwählen31, spiegelte lediglich die aktuellen Kräfteverhältnisse und Spannungen zwischen den Einheimischen und der Gruppe um die Gebrüder Gerlich wider. Diese sollten wenige Jahre später wieder in einem ähnlichen Konflikt aufbrechen.

Den Auslöser lieferte wiederum die strittig werdende Personalfrage, wie lange Walter Gerlich nach den Kommunalwahlen am 24.04.1955 in der neu gewählten Stadtvertretung von Neumünster einen Stadtratsposten bekleiden sollte. Die aus CDU-Mitgliedern sowie Vertretern mittelständischer Organisationen gebildete Vereinigung „Wahl-Union“ hatte mit 40,5 % 15 Sitze in der Stadtverordnetenversammlung errungen und arbeitete mit der größten Fraktion, der SPD (16 Sitze), in einem koalitionsähnlichen Verhältnis zusammen. Dagegen fungierten der BHE mit drei Sitzen und eine Wahlgemeinschaft aus SHB, FDP und DP mit einem Sitz als kleine Opposition.

Nach der Kommunalwahl 1955 wurde Walter Gerlich von der Wahlunion-Fraktion mit der Maßgabe der Befristung zum Stadtrat gewählt, dass er nach einem Jahr zugunsten des Fraktionsmitgliedes Dr. Hollenberg zurücktreten sollte. Dies ist einer nachträglichen (und

30 Holsteinischer Courier, 28.09.1951, S. 4 31 Holsteinischer Courier, 16.10.1951, S. 3 23 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 u.a. von dem CDU-Kreisvorsitzenden bzw. Bundesabgeordneten Hans Blöcker inhaltlich bestätigten) Stellungnahme des großen bürgerlichen Bündnisses zu entnehmen, welche auf dem Höhepunkt der folgenden Auseinandersetzungen unter dem Titel „Die Spaltung der Wahlunion Neumünster“ im Holsteinischen Courier vom 26.10.1957 erschien. Eine Mehrheit in der Wahlunion für diese personelle Koppelung hätte sich demnach nur durch die Fürsprache und die Zusage seines Bruders gefunden, der als Stellvertreter des CDU- Kreisvorsitzenden für ausreichend vertrauenswürdig befunden wurde: „Ausgangspunkt dieser Regelung war die Erklärung Dr. Gerhard Gerlichs, daß sein Bruder nach einem Jahr nach Kiel gehen würde“.

Nach Ablauf dieser Frist habe Walter Gerlich dann 1956 argumentiert, seine speziellen Aufgaben auf dem Schulsektor noch nicht erfüllt zu haben und dass somit die Voraussetzungen für seinen Rücktritt nicht gegeben seien. Daraufhin drohte die Spaltung der Fraktion „Wahlunion“ und anstelle des stellvertretenden CDU-Landesvorsitzenden Gerhard Gerlich wurde nun dessen gleichrangiger Vorstandskollege (und Innenminister) im September 1956 zunächst erfolgreich für eine Vermittlung der Interessen herangezogen.

Der im späteren Streit veröffentlichte Wortlaut dieser Vereinbarung, die von allen Beteiligten getragen wurde, illustrierte im Schlusssatz zwar eine Spitzfindigkeit in der Argumentation Walter Gerlichs, die aber keine ernsthafte Gefahr für seine künftige Verpflichtung auf diese gemeinsame Bekundung zu bedeuten schien: „Dr. Walter Gerlich nimmt an, seinen von der Fraktion und dem CDU-Kreisvorstand übernommenen kommunalpolitischen Auftrag etwa Mitte des Jahres 1957 erfüllt zu haben. Im Hinblick darauf und um Doktor Hollenberg eine verstärkte Tätigkeit in der kommunalpolitischen Arbeit zu ermöglichen, wird Herr Dr. Gerlich zum 1.7.1957 von seinem Amt als Stadtrat zurücktreten, da er eine Verpflichtung schon früher zurückzutreten, von sich aus nicht eingegangen ist.“32

Ein gegenteiliges Manöver wurde allerdings offenbar, als die CDU Neumünster ihren Kreispartei Anfang März 1957 abhielt und bei einer vordergründig unspektakulären Tagesordnung der 1. Vorsitzende Walter Bartram zusammen mit seinen Stellvertretern

32 Holsteinischer Courier, 26.10.1957, S. 25 24 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Hans Blöcker und Gerhard Gerlich nach den Rechenschaftsberichten und Entlastungen mit großer Mehrheil wiedergewählt wurde.33 Kaum kritisch debattiert und ebenfalls mehrheitlich beschlossen wurde zudem ein Antrag des CDU-Kreisfachausschusses für Vertriebenenfragen, mit dessen Arbeit Gerhard Gerlich nicht nur deshalb eng vertraut war, weil sein Bruder Walter selbst als Mitglied in dessen Vorstand mitarbeitete. Diese Initiative sprach sich nun für seinen Verbleib im Magistrat der Stadt Neumünster und somit auf dem umstrittenen Stadtratsposten u.a. für Vertriebenenangelegenheiten aus.

Während die Gebrüder Gerlich später auf einen ordnungsgemäß zustande gekommenen Parteitagsbeschluss (und dessen vermeintlich zwingende Bindewirkung) verwiesen, zweifelten die zahlreichen Kritiker u.a. dieses Prozedere an, so z.B. die hauptbetroffenen Mitglieder der Fraktion Wahlunion (CDU/Bürgerblock) in Punkt 5 ihrer umfangreichen Erklärung im Holsteinischen Courier vom 26.10.1957: „5.) Im Kreisparteitag der CDU, der am 6.3. dieses Jahres tagte, wurde ohne Vorankündigung ein entsprechender Antrag des Vertriebenenausschusses vorgelegt. Da die Frage 'Dr. Walter Gerlich' nicht rechtzeitig angekündigt war, war nur ein Drittel der Mitgliedschaft etwa anwesend. Die Ueberrumpelung glückte, und der Parteitag beschloss mit Mehrheit, dass Dr. Walter Gerlich als Vertriebenenvertreter Stadtrat bleiben solle. Dieser nahm in der Versammlung nicht Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass er durch die vorangegangenen Vereinbarungen gebunden sei.“34

Eine solche Kritik des Unterlassens wäre an alle in diese Zusammenhänge Eingeweihten zu richten gewesen, aber Gerhard Gerlich setzte sich im weiteren Streit ohnehin öffentlich noch oft für diese Ämter-Interessen seines Bruders ein und machte seine dabei eingesetzten Druckmittel selbst zu einem kontroversen Thema. Der seinerzeit nicht umstrittene Antrag fand im März 1957 jedenfalls die mehrheitliche Zustimmung des CDU- Parteigremiums in Neumünster. Daraus leiteten die Gebrüder Gerlich eine für sich als höchstrangig geltende Legitimation ab und zogen sich hartnäckig auf diesen Standpunkt in der äußerst streitbar geführten öffentlichen Debatte zurück. Diese wurde in der zweiten Jahreshälfte 1957 unter anderem auch in einem heftigen Leserbrief-Krieg im Holsteinischen Courier ausgetragen.

33 Holsteinischer Courier, 07.03.1957, S. 3 34 s.a. Holsteinischer Courier, 30.10.1957, S. 4 u. 02.11.1957, S. 3 25 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Im Verlauf dieser Auseinandersetzung wurde die gemeinsame Ratsfraktion Wahlunion erst gespalten, dann eliminiert und vier hoch angesehene CDU-Repräsentanten in Neumünster traten aus (vorläufig vergeblichem) Protest von ihren Parteiämtern zurück. Selbst die gleich- bis höherrangigen Kollegen Gerhard Gerlichs im CDU-Landesvorstand, der Ministerpräsident von Hassel und Innenminister Lemke, galten danach wegen ihrer öffentlich bekannten und allein am Widerstand der Gerlich-Gruppe scheiternden Vermittlungsversuche als politisch beschädigt.

Zum Ausbruch kam der lange angelegte Konflikt auf der Sitzung der Stadtvertretung in Neumünster im Juli 1957 und der „Holsteinische Courier“ vom 04.07.1957 betitelte seinen Bericht mit „Ratsversammlung bei Gewitterschwüle. Überraschende Entwicklung in der Frage der Neubesetzung eines Stadtratspostens“. Tatsächlich hatte die Fraktion der Wahlunion konsequenterweise als Antrag die Abberufung des Stadtrats Walter Gerlich auf die Tagesordnung setzen lassen. Wie die meisten Anwesenden wurde sie aber von dem Gegenmanöver und der Erklärung des CDU-Ratsherren Hermann Gerisch verblüfft, dass er mit diesem und drei weiteren Ratsvertretern (mit CDU-Parteibuch) eine selbstständige CDU-Fraktion innerhalb der Wahlunion gegründet habe.

In den erregten Debatten fiel offenbar kaum auf, dass Walter Gerlich mit dieser Spaltung des bürgerlichen Lagers eine seiner drei ultimativen Forderungen durchsetzte, mit denen er als kommissarischer Kreisvorsitzender noch im September 1951 an dem Beschluss der Neumünsteraner CDU gescheitert war. Stattdessen gerieten die so dezimierten Fraktionsvertreter der Wahlunion in die Pflicht, vor der Ratsversammlung und der Öffentlichkeit die Hintergründe der zähen Verhandlungen mit den Gebrüdern Gerlich zu erklären und die Notwendigkeit ihres Abberufungsantrags zu begründen. Diese Kommunikationssituation nutzte der Auslöser dieser Turbulenzen offensiv für die Argumentation in eigener Sache:

„Dr. Gerlich bedauerte, daß in dieser Angelegenheit das Wort ergriffen worden sei. Er erklärte, was zu dieser Sache eben gesagt worden sei, stimme nicht. Die Absprachen hinsichtlich des Wechsels im Stadtratsamt seien über seinen Kopf hinweg gemacht worden. Er habe in dieser Angelegenheit sein Wort nicht gegeben. Vielmehr habe er der Partei das Votum gegeben, und dazu müsse er stehen. Wo die Partei ihn brauche, wolle

26 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 er seine Pflicht erfüllen.“35

In dem nebenstehenden Kommentar „Nicht angebrachte Zersplitterung. Der Streit in der Wahlunion“ stellte der Redakteur des „Holsteinischen Courier“ am 04.07.1957 dieser Haltung die naheliegende Ansicht der Wahlunion-Fraktion gegenüber. Demnach sei die beschriebene Vereinbarung zum Personalwechsel einzuhalten und Dr. Walter Gerlich hätte seinen Rücktritt zu erklären, zumal die Gesamtfraktion diese Haltung geschlossen bis kurz vor Sitzungsbeginn vertreten habe. Auch der Vermittlungseinsatz des stellvertretenden CDU-Landesvorsitzenden Helmut Lemke vom Vorjahr wurde erwähnt, den dieser dann im Herbst 1957 am Ort fortsetzen musste.

Die sozialdemokratische Volkszeitung zählte in ihrem Bericht „5 CDU-Abgeordnete sprengten die Neumünsteraner Wahlunion“ offenkundig versehentlich den landesweit bekannteren Gerhard Gerlich anstelle seines Bruders zu den Dissidenten, gab aber bereits dessen verhandlungstaktisches Plädoyer wieder, dass nun die neugebildete CDU- Fraktion als Ansprech- und Kooperationspartner der regierenden SPD in der Ratsversammlung gelten solle: „Den entgegengesetzten Standpunkt - nämlich, daß die Parteien CDU und SPD den Vertrag geschlossen hätten und deshalb allein berechtigt seien, darüber bzw. über seine evtl. neue Form zu verhandeln - vertrat der zweite Landesvorsitzende der CDU, Dr. Gerhard Gerlich (der Bruder des Stadtrats Dr. G.). Die neue Fraktion bekenne sich vorbehaltlos zu diesem Vertrag.“36

Nach der Sommerpause beschrieb der „Holsteinische Courier“ am 24.10.1957 in dem Artikel „Bleibt die Spaltung ein Dauerzustand? Kein Eingehen der CDU auf den Vermittlungsvorschlag des Ministerpräsidenten“ die dogmatische Verweigerungshaltung der Gebrüder Gerlich in dieser Prinzipienfrage. Zwei Tage später gab die Fraktion Wahlunion Neumünster in dieser Zeitung in einer neun Punkte umfassenden Stellungnahme bekannt, dass das CDU-Kreisvorstandsmitglied Gerhard Gerlich die fünf Dissidenten vor der Juli-Ratsversammlung nicht nur zur Abspaltung einer eigenen Fraktion aufgerufen hatte, sondern machte ihn auch als den entscheidenden Kopf hinter den Manövern der Zuspitzung und Polarisierung aus:

35 Holsteinischer Courier, 04.07.1957, S. 4 36 Volkszeitung, 05.07.1957, S. 3 27 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

„9.) Es muss festgestellt werden, daß für diese Entwicklung Herr Dr. Gerhard Gerlich die Hauptverantwortung trägt. Seine Tätigkeit gipfelte in der jüngst an alle CDU-Mitglieder der Wahlunionfraktion gestellten ultimativen Aufforderung, entweder vorbehaltlos der 'CDU- Fraktion' beizutreten oder innerhalb von 24 Stunden dem Stadtpräsidenten den Mandatsverzicht bekanntzugeben.“37

Nach dem Rücktritt des wegen des radikalisierten Vorgehens und Tons konsternierten CDU-Kreisvorsitzenden Hans Blöcker war diese vermutlich eigenmächtige politische Bedrohung durch Gerhard Gerlich der letzte Anlass für den Ratsherrn Carl Schmidt, ebenfalls seinen Austritt aus dem CDU-Kreisvorstand zu erklären. So konnten nun die dort verbliebenen Anhänger der Gerlich-Gruppe im Namen des gesamten Parteivorstands Erklärungen in ihrem Sinne abgeben. In Zweifel gezogen wurden dabei bloße gesundheitliche Gründe für den Rücktritt des prominenten CDU-Mitglieds Walter Bartram am 19.10.1957 und auch der Rückzug des allseits angesehenen Stadtpräsidenten Carl Rahe am 01.11.1957 wegen dieser CDU-Abspaltung im Rat führten zu keinem Innehalten oder ernsthaften Suchen nach möglichen Kompromissen.

Stattdessen hob bis zur Ermüdung der Leserschaft und der Redaktion ein mehrere Wochen währender Meinungskrieg in Form von Leserbriefen an. Oft ähnlich wortgewandt formuliert wurde die Position der Gerlichs, dass einem Parteitagsvotum und -auftrag der Vorrang vor allen Verpflichtungen anderer Art einzuräumen sei, teils anonym oder in wechselnden Konstellationen durch einzelne Ratsleute, die (verbliebenen) Spitzen des CDU-Kreisvorstands, der neugegründeten CDU-Ratsfraktion oder auch durch die beiden Brüder selbst vertreten.38

Weil gelegentlich auch mit Strafanzeigen gedroht wurde, wagte ein Neumünsteraner in seinem Leserbrief „Gegebenes Wort wird nicht eingelöst“ nur mit dem Pseudonym„ Ein Bürger der Stadt“ namentliche Kritik an den verblüffend schnellen Karrieren und einem großen politischen Einfluss zu üben: „Es handelt sich um zwei Brüder, die Herren Dr. Gerlich, Lehrkräfte an Oberschulen, teils vom Dienst dispensiert wegen ihrer politischen Tätigkeiten. Was wollen diese beiden Herren uns Neumünsteranern aufzwingen? (…)

37 Holsteinischer Courier, 26.10.1957, S. 25 38 s. Holsteinischer Courier, 29.10.1957, S. 4, 31.10.1957, S. 4, 05.11.1957, S. 3, 06.11.1957, S. 3 u. 07.11.1957, S. 4 28 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Wort- und federführend war Herr Dr. Gerhard Gerlich oder Herr Dr. Walter Gerlich! Aber Worte haben - je nach Bedarf - einmal diese, einmal jene Bedeutung. Und wenn nichts klappt, wird Zank gemacht.“39

Ebenfalls in dieser Ausgabe des „Holsteinischen Courier“ vom 30.10.1957 führte ein Anonymus „B.“ die jüngsten Rücktritte der CDU-Kreisvorsitzenden Bartram und Blöcker zurück auf „ihre Ohnmacht gegenüber der aktiven Minderheitengruppe Gerlich, die es verstanden hat, in den letzten Jahren in allen Gremien der Partei durch ihre Gefolgsleute die Majorität zu erlangen. (…) Auch die Mandate der Herren Gerlich sind doch wohl gut dotiert. In der letzten Zeit ist offensichtlich geworden, daß ihre ehrenamtliche Parteiarbeit in Neumünster nur darum so rege wurde, weil ihre Position ins Wanken geriet.“

Auf offenen Protest der Redaktion stieß schließlich im Bericht „Ratsversammlung in prickelnder Atmosphäre“ des Holsteinische Courier vom 06.11.1957 die Interpretation des CDU-Fraktionsvorsitzenden Herbert Gerisch, dass das schriftliche Protokoll über den vereinbarten Wechsel auf dem umstrittenen Stadtratsposten „nicht eindeutig eine bindende Verpflichtung“ Walter Gerlichs ausweise. Nach Meinung des kommentierenden Redakteurs dürfe es derartig dürftige Abmachungen besonders innerhalb einer Partei und im politischen Spiel nicht geben, so dass der abschließende Hinweis auf eine übergeordnete Instanz als Appell an ein erneutes und nun entscheidendes Eingreifen des CDU-Landesvorsitzenden von Hassel zu verstehen war.

Tags zuvor hatte die Wahlunion-Fraktion in einem „Offenem Brief an die Herren Dr. Gerlich“ mit Hinweis auf diese schriftlichen Vereinbarungen, die 1955 und 1956 mit dem mit Helmut Lemke erzielt wurden, zur Stellungnahme aufgefordert, dass kein Parteitagsbeschluss einem frei gewählten und nur seinem Gewissen verantwortlichen Ratsherrn zwingen könne und dürfe, den Bruch einer so getroffenen Vereinbarung hinzunehmen.40

In ihrer Entgegnung „Antwort auf den Offenen Brief“ wiesen die beiden Brüder statt einer konkreten Auskunft pauschal zurück, ehrenwörtliche Bindungen eingegangen zu sein, unterstellten im Gegenzug ihren politischen Widersachern personelle Sonderwünsche

39 Holsteinischer Courier, 30.10.1957, S. 4 40 Holsteinischer Courier, 05.11.1957, S. 3 29 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 ohne sachliche Begründung, und mit dem wiederholten Verweis auf die sie angeblich bindenden (und selbst herbeigeführten) Beschlüsse der Kreis-CDU stellten sie sich als Leidtragende ihres offenkundig gezielt ausgelösten Konfliktes dar: „Da für diese Auseinandersetzung schon genug Zeit und Arbeitskraft verschwendet wurde, lehnen wir es ab, weiter an diesem Pressekrieg, den wir nicht begonnen haben, teilzunehmen. Hochachtungsvoll Dr. Gerhard Gerlich, Dr. Walter Gerlich“41

Nebenstehend druckte der „Holsteinische Courier“ einen „Appell an die Vernunft“ des Neumünsteraner Kreisverbands der Heimkehrer als Unterstützungserklärung zu Gunsten von Gerard Gerlich ab. Dieser dürfte durch die Unterschrift des 1. Vorsitzenden „Wolfgang v. d. Hagen“ aber bei Sachkundigen negative Erinnerungen an den ersten Versuch von Walter Gerlich im September 1951 geweckt haben, mit ähnlichen Ausgrenzungen und Ultimaten die Vorherrschaft in der hiesigen CDU zu erringen. Bei diesem Heimkehrerverband hatte Gerhard Gerlich noch im März 1957 für seine Verhältnisse relativ freimütig zu seinem politischen Selbstverständnis erklärt: „Die Angst, man käme doch nicht an den 'Drücker', wenn man einer Partei beitreten, sei dann unberechtigt, wenn man den festen Willen habe zu arbeiten. (…) Alle Parteien sollten darauf achten, Untaugliche auszuschließen, da [sie] das Ansehen der politischen Vertreter ganz allgemein drückten. Aus dem selben Grund seien auch Diffamierungen abzulehnen.“42

Das Ende dieser allseits kräftezehrenden innerparteilichen Konfliktstellung führte schließlich der Bundestagsabgeordnete Hans Blöcker mit seiner Erklärung „Es lagen klare Vereinbarungen zugrunde“ über die Gründe seines Rücktritts als CDU-Kreisvorsitzender herbei. Demnach habe er den Vorrang der für Fraktionen geltenden Gemeindeordnung vor Parteibeschlüssen ständig und mit Nachdruck im Kreisvorstand der CDU vertreten und habe das gegenteilige Agieren der Mehrheit dort nicht länger mit seinem Namen decken können. Stattdessen werde auf dem nächsten Kreisparteitag am 05.12.1957 eine Klärung der Verhältnisse herbeigeführt.43

Der CDU-Landesvorstand, der von dem hartnäckigen und politisch nicht zu vermittelnden

41 Holsteinischer Courier, 07.11.1957, S. 4 42 Holsteinischer Courier, 11.03.1957, S. 3 43 Holsteinischer Courier, 09.11.1957, S. 3 30 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Widerstand seines stellvertretenden Vorsitzenden Gerhard Gerlich unübersehbar beschädigt worden war, hatte sich im Vorfeld dieser entscheidenden Sitzung schließlich mit einem gesichtswahrend wirkenden Beschluss durchsetzen können. Als Leiter des außerordentlich stark besuchten CDU-Kreisparteitags am 05.12.1957 in Neumünster gab Innenminister Helmut Lemke bekannt, dass Walter Gerlich von dem umstrittenen Beschluss dieses Gremiums am 06.03.1957 nun durch den CDU-Landesvorstand entbunden worden sei und daraufhin seinen Rücktritt als Stadtrat erklärt habe. Auf eine nähere Aussprache auf dieser bis nach Mitternacht dauernden Sitzung wurde laut Bericht „Die Krise im CDU-Kreisverband ist beendet“ im Holsteinischen Courier verzichtet.44

Anderseits wurde Gerhard Gerlichs Strategie der konfrontativen Zuspitzung nachträglich durch den zusätzlichen Beschluss des Landesvorstands legitimiert, nach dem es künftig nur eine reine CDU-Fraktion in der Stadtvertretung Neumünsters geben solle, der sich die Vertreter des Bürgerblocks als Hospitanten anschließen könnten. Zudem hatte das intensive Engagement während der innerparteilichen Kämpfe zu einem erheblichen Mitgliederzuwachs der Kreispartei geführt und dies mochte ein Grund sein, weshalb ein Antrag, dass der von Gerhard Gerlich geleitete Vorstand von sich aus zurücktreten solle, an dem Abend keine Mehrheit fand. Tatsächlich wurde Gerhard Gerlich bei diesen Kräfteverhältnissen auch in den beiden Folgejahren als stellvertretender Vorsitzender in den Kreisvorstand der CDU gewählt, bis er 1959 einen letzten Kampf um die Vorherrschaft wagte.

Anlass boten wiederum die Kommunalwahlen im Oktober, zu der Gerhard Gerlich auf der CDU-Kreismitgliederversammlung am 16.09.1959 den umstrittenen Vorschlag einer ihm genehmen Kandidatenliste vorstellte und begründete. Zwar waren die Vorschläge verschiedener Interessensgruppen nach Proporz auf den vorderen Plätze berücksichtigt worden, aber das Fehlen seines einstigen Widersachers, des Ratsherrn Carl Schmidt sowie anderer kommunalpolitische Erfahrener wurde in der Diskussion negativ vermerkt. Noch stärkere Kritik wurde laut Holsteinischem Courier vom 16.09.1959 an dem Wagnis geübt, auf dieser CDU-Liste bis zu 30 Prozent Angehörige der katholischen Kirche zu präsentieren, obgleich deren Bevölkerungsanteil in Neumünster selbst rund 8 Prozent betrug.

44 Holsteinischer Courier, 06.12.1957, S. 3 31 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Nach einer Reihe von kontroversen Leserbriefen zu diesem Thema griff der Spitzenkandidat der FDP, Hermann Marsian, diese für die damaligen Zeitverhältnisse gewichtige Disbalance mit Angriffen im Wahlkampf auf und verlagerte die Konflikte auf die außerparteiliche Ebene. Dabei bezog er sich auch ohne direkte Namensnennung erkennbar auf die Person Gerhard Gerlichs, der mit seinem konfrontativen Politikstil und dem intensiven Einsatz für Vertreter seiner Interessen wie z.B. der von ihm inoffiziell geleitete Vertriebenen-Gruppierung mittlerweile zu einer bekannten Reizfigur in Neumünster und landesweit geworden war.

So persiflierte die örtliche FDP einen bekannten Wahlslogan Konrad Adenauers in einer Wahlanzeige im Holsteinischen Courier vom 17.10.1959 und spielte dabei auf zwei jüngere politische Misserfolge Gerhard Gerlichs an: „'Keine Experimente'. Waren das beschämende Schauspiel um den neuen Bundespräsidenten im Mai, der Versuch, einen Katholiken zum neuen Landtagspräsidenten in Kiel zu ernennen, und die Sprengung der bürgerlichen Wahlunion in unserem Rathaus vor zwei Jahren etwa keine Experimente?“

Selten finden sich Zeugnisse direkter Kritik von Zeitgenossen an Gerhard Gerlich und seinem Verhalten, was gewiss auf dessen geschliffene Rhetorik, mentale Stärke, seine kaum überschaubaren Verbindungen und Einflüsse im politischen und institutionellen Machtapparat zurückführen ist. Als eine Ausnahme muss daher die FDP-Wahlanzeige „Persönlichkeit oder 'Mannschaft'. Einige offene Worte zur Kommunalwahl am 25. Oktober 1959“ von Hermann Marsian gelten, in der dieser seine als berechtigt erscheinenden Ressentiments gegen eine ungenannt bleibende „graue Eminenz“ am Ort formulierte:

„Man muß hier unwillkürlich an die Auseinandersetzungen denken, die in der letzten Zeit über die konfessionelle Anteilhöhe in der CDU-Mannschaft geführt werden. Übrigens, wer gibt eigentlich der 'Mannschaft' die Befehle? Wer ist der Drahtzieher dieses CDU- Puppenspieles? Das zu wissen, ist für den Wähler doch entscheidend wichtig. Nachdem es gelungen war, ehrenwerte Männer wie Rahe, Brockstedt, Carlsen, Lucht usw. aus der Mitarbeit innerhalb der CDU zu verdrängen, ist diese CDU einem Manne hörig und ergeben, einem Manne, der in seiner Mannschaft nicht etwa aktiv mitspielt, sondern aus dem Hintergrund dirigiert, das weiß heute ein jeder in Neumünster. Gerade aber diesen

32 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Mann und seinen Einfluß müssen wir im evangelischen Neumünster abschütteln.“45

Eine derartige Bildsprache verfing auch bei den polarisierten CDU-Parteimitgliedern, wie eine nachträgliche Analyse des Wahldebakels vom 25.10.1959 ergab. Noch als gemeinsame „Wahlunion“ hatte die CDU 1955 zusammen mit Vertretern des Mittelstands 40,5 % oder 15 Sitze errungen und fiel nach dem maßgeblich von Gerhard Gerlich forcierten Abschmelzen dieses Kooperationsbündnisses auf 30,5 % oder 12 Sitze ab. Die FDP konnte dagegen ihr Ergebnis aus 1955 mit 5,2 % (noch in einem Bündnis mit SHB und DP) mehr als verdreifachen auf 17,6 %.46

Auf der entsprechend kritisch erwarteten CDU-Kreismitgliederversammlung zur Wahlnachlese bemühte sich der kommissarische Vorsitzende Hans Blöcker ausdrücklich um eine sachliche Diskussion, aber die Schlagzeile im Holsteinischen Courier vom 08.12.1959 lautete in personalisierter Zuspitzung: „Dr.-Gerlich-Gruppe verließ die Versammlung“. Blöcker räumte die Schwierigkeiten mit der Kandidatenliste insbesondere wegen des konfessionellen Schwerpunkts ein, wegen der im Wahlkampf erstmals eine Flugblattaktion erforderlich wurde. Zu dem verheerenden Ergebnis vertrat der Kreisvorsitzende Hans Blöcker die Ansicht, daß viele ehemalige Stammwähler weniger aus politischen Gründen als aus innerparteilicher Opposition gegen entsprechende CDU- Repräsentanten die FDP gewählt hätten. In der folgenden Diskussion wurden heftige Vorwürfe gegen den Kreisvorstand in Gänze, insbesondere aber gegen seinen wesentlichen Exponenten und der ihm nahestehenden Gruppe gerichtet:

„Das ging so weit, daß man Dr. Gerlich beschuldigte, den Vorstand wie Marionetten behandelt zu haben. Im übrigen sah man die Gründe für die Niederlage bei der Kommunalwahl in dem Komplex Dr. Walter Gerlich, in der Sprengung der von CDU und Bürgerblock gebildeten Fraktion und in der Kandidatenliste, die bei vielen Wählern nicht ankam. Bewährte und verdiente Kommunalpolitiker habe man diffamiert, andere geeignete Persönlichkeiten habe man nicht gefragt.“47

Bereits vor der Versammlung war ein Antrag auf Neuwahl des Vorstandes von 82

45 Holsteinischer Courier, 23.10.1959, S. 3 46 s. Harbeck, Karl-Heinz: Neumünster von 1945 bis heute, in: Engling, Irmtraut (Hg.): Das Neumünster- Buch. Eine Stadtgeschichte in Wort und Bild, Neumünster 1985, S. 239 47 Holsteinischer Courier, 08.12.1959, S. 3 33 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Mitgliedern unterschrieben worden, und bevor dieser zur Abstimmung kam, verließ die kritisierte Gruppe Gerlich mit etwa 20 Personen die Versammlung, so dass ein Ergebnis von 93 Stimmen dafür und 9 Gegenvoten bei einer Enthaltung zustande kam. Wohl in Kenntnis einer üblicherweise spitzfindigen Relativierung von solchen Misstrauenserklärungen fügte der Redakteur an: „Ohne weiteres ist zu ersehen, daß der Antrag auch unter Beteiligung der Gerlich-Gruppe angenommen worden wäre.“

Zu einem Rücktritt aller Vorstandsmitglieder konnte eine solches Abstimmungsergebnis aus satzungstechnischen Gründen aber niemanden verpflichten und so gehörte Gerhard Gerlich auf dem Kreisparteitag am 15.01.1960 zu den drei Spitzen-Christdemokraten, die trotz vermittelnder Gesprächen von Carl Rahe in ihren Ämtern verblieben waren. Auf der Versammlung selbst zog Gerhard Gerlich sich zunächst auf das Formalistische zurück, um dann eine Erklärung abzugeben, „in der er dem Kreisparteitag das Recht absprach, eine Abwahl vorzunehmen, in der er sich dann aber, um die bevorstehenden Abstimmungen zu erleichtern, bereit erklärte, sein Vorstandsamt niederzulegen.“48

Das politische Gewicht in der Neumünsteraner Kreispartei war so groß, dass seine Person die Schlagzeilen des Holsteinischen Courier vom 16.01.1960 dominierte: „Neuer CDU- Vorstand ohne Dr. G. Gerlich - 1. Vorsitzender wurde Hans Blöcker, MdB - Dr. Gerhard Gerlich trat von seinem Amt zurück“. Ein Misstrauensantrag gegen den gesamten Alt- Vorstand erhielt mit 115 Ja- und 95 Neinstimmen dabei am 15.01.1960 nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit der CDU-Versammlung.

Dieses Verhältnis illustriert die zwiespältige Wirkung, dass Gerhard Gerlichs prononcierter Einsatz und seine polarisierenden Methoden beim Engagement für die Belange ihm nahestehender Gruppierungen wie Flüchtlingen oft Gegenbewegungen hervorriefen. Dadurch führten sie hier wie an anderen Orten um einen bestimmten Preis aber auch zu einer erhöhten Mobilisierung und einer verstärkten Beteiligung an gesellschaftlichen Prozessen. Auch dies gehört zu einer Gesamtabwägung des Wirkens von Gerhard Gerlich.

48 Holsteinischer Courier, 16.01.1960, S. 4 34 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

2.2.) Als Landtagsabgeordneter

2.2.1) Zweite Wahlperiode (1950-1954)

Zu Beginn des Wahljahres 1950 hatte der ehrgeizige Gerhard Gerlich bereits eine Spitzenstellung in den Verbänden der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen errungen, welche in Schleswig Holstein besonders zahlreich vertreten waren. Zwar hatte er Ende Februar 1950 an der Gründung der „Landesarbeitsgemeinschaft der Vereinigungen der Heimatvertriebenen in Schleswig-Holstein“ in Kiel teilgenommen, aber als im März 1950 „namhafte Vertreter der Heimatvertriebenen“ eine Erklärung veröffentlichten, mit der sie gegen eine satzungswidrige Konstituierung und parteipolitisch tendenziöse Vorstandswahl protestierten, fand sich der Name „Dr. Gerhard Gerlich (Prag)“ neben denen von elf weiteren Unterzeichnern.49

Auch sein Engagement in der CDU kam ihm zugute, denn diese Partei war in Konkurrenz zu den im Land regierenden Sozialdemokraten ebenfalls absehbar auf das Wählerpotenzial der Flüchtlinge bei der künftigen Landtagswahl angewiesen. Bereits im Sommer 1949 hatte die Gruppierung der Flüchtlinge innerhalb der Partei bei der Nominierung der Kandidaten für die erste Bundestagswahl ihre Forderungen begründet und einen wesentlichen Einfluss ausüben können: „Die Auseinandersetzung innerhalb der CDU ging in starken Maße um den Anteil der Vertriebenen an aussichtsreichen Kandidatenstellen. Der Flüchtlingsausschuss der CDU hatte bestimmte personelle Wünsche; er nominierte nach der erregten Debatte seine Kandidaten. Die Vertriebenen fühlten sich innerhalb der CDU vernachlässigt, man sollte nicht nur bei Wahlen mit ihnen rechnen, wurde gefordert, sondern auch Flüchtlingskandidaten aufstellen.“50

Zudem verschärfte sich diese Konkurrenz innerhalb der CDU sowie zwischen den bürgerlichen Parteien um Wahlkreise und Landtagssitze durch taktische und strategische Manöver auf der Ebene der Landespolitik. Nach den Wahlrechtsbestimmungen in

49 Volkszeitung, 28.02.1950, S. 7 u. 06.03.1950, S. 2 50 Varain, Heinz Josef: Kandidaten und Abgeordnete in Schleswig-Holstein 1947-1958, in: Politische Vierteljahresschrift. Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, 2. Jg. (1961), S. 366 35 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Schleswig-Holstein von 1947 waren die untereinander als konkurrierend auftretenden bürgerlichen Parteien im Nachteil gegenüber der SPD gewesen, weil nach dem Berechnungssystem den erzielten Direktmandaten eine besondere Bedeutung zukam. So hatten die bürgerlichen Parteien 1947 bei den ersten Landtagswahlen in Schleswig- Holstein zwar einen gesamten Stimmenanteil von über 40 % erreicht, waren aber mit lediglich 30 % der Mandate im Parlament deutlich unterrepräsentiert. In der Konsequenz strebten sie nun aus strategischen Gründen an, entweder eine gemeinsame Partei zu bilden oder sich zu einem Wahlbündnis zusammenzuschließen.51

Entsprechende Gespräche über ein gemeinsames Vorgehen hatten die Landesvorstände CDU, FDP und Deutsche Partei (DP) zum Jahresende 1949 geführt und konnten im Dezember 1949 den erfolgreichen Abschluss ihrer Verhandlungen bekannt geben. Nach diesen Plänen sollten die drei Parteien nach dem gemeinsamen Auftreten ihre Selbstständigkeit behalten und nach der Landtagswahl drei getrennte Fraktionen bilden. Diese Absichten versuchte die SPD-Landesregierung durch eine Änderung des geltenden Wahlgesetzes zu unterlaufen, das sie noch mit einfacher Mehrheit beschließen konnte: "Danach sollten Listenverbindungen mehrerer Parteien verboten werden. Weiterhin wurde angestrebt, Listenmandate nur noch den Parteien zuzuweisen, die in allen Wahlkreisen eigene Kandidaten aufstellen. Der Landtag verabschiedete das Änderungsgesetz 27.02.1950 mit den Stimmen der SPD Mehrheit.“52

Zwar strengten die drei bürgerlichen Parteien gegen diese Einschränkungen beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg eine Klage an und stellten vorsorglich ihre Landeslisten für den Fall einer Gesetzeskorrektur auf, durften sich allerdings lediglich der Chancen auf die Direktmandate in den 46 Wahlkreisen sicher sein. Auf diese konnten sie ihre jeweiligen Kandidaten verteilen und einigten sich mühsam, wobei die CDU ihren Verhandlungspartnern hatte weit entgegen kommen müssen und mit 24 deutlich unterproportional vertreten war, wohingegen die DP 13 Wahlkreise und die FDP 9 Direktkandidaten zugesprochen bekamen.

51 s. Albert, Klaus: Die Übernahme der Regierungsverantwortung durch die CDU im Lande Schleswig- Holstein. Rückblick auf die Regierungszeit von Ministerpräsident Dr. Walter Bartram (1950/51), in: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Bd. 108, Neumünster 1983, S. 283; im Folgenden: Albert, Regierungsverantwortung 52 Albert, Regierungsverantwortung, S. 287 36 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Vor diesem Hintergrund ist die teilweise drastische Wortwahl zu verstehen, mit der Walter Gerlich am 27.04.1950 bei einer gemeinsamen Mitgliederversammlung der Neumünsteraner CDU, DP und FDP, die sich für die kommende Landtagswahl zu einem Wahlblock zusammengeschlossen hatten, in der „Reichshalle" als Redner auftrat. Mit seinem Bericht „über die Gesetze, die die Landesregierung kurz vor Beendigung ihrer Wahlperiode noch durchgebracht hat, um auch weiterhin die SPD-Vorherrschaft zu sichern“ dürfte er zugleich die damalige Gedankenwelt und Argumentationsweise seines ambitionierten Bruders Gerhard repräsentiert haben:

„Dr. [Walter] Gerlich hob besonders hervor, daß Schleswig-Holstein das Experimentierfeld des Marxismus sei. Bewiesen werde diese Behauptung durch die ohne die Majorität des Volkes durchgebrachte Landessatzung, die Schulreform - die keine Reform, sondern lediglich eine Umorganisation sei -, die neue Gemeindeordnung und nicht zuletzt durch das neue Wahlgesetz, das den brüchigen Apparat der SPD verewigen solle und der dänischen Minderheit mehr Rechte gäbe, als dem deutschen Menschen, indem es eine Koalition zwischen den Parteien entgegen dem Grundgesetz verbiete.“53

In der noch ungefestigten Demokratie der frühen Nachkriegsjahre artikulierte der Redner Walter Gerlich dabei in der gemeinsamen neuen Heimatstadt seines Bruders beim Vorwahlkampf zeitgenössische Vorstellungen von Fremdbestimmung und dem Vorwurf ungerechtfertigter Benachteiligungen durch die amtierende SPD-Landesregierung: „Diese Voraussetzungen zwangen zur Bildung des Deutschen Wahlblocks, der nach dem letzten Stand der Dinge nur direkte Kandidaten aufstellen wird und gezwungen ist, auf die Restliste zu verzichten. Die Wahlvorbereitungen in Neumünster sind auf die Erreichung der Ziele des Deutschen Wahlblocks abgestellt. Die SPD ihrerseits läßt nichts unversucht, um ihre Machtposition zu behaupten. Das beginnt mit der Verschleierung des Wahltermins und der Wahlkreiseinteilung und macht nicht halt vor der Diffamierung von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens.“

Für den ehrgeizigen CDU-Politiker und Vertriebenenfunktionär Gerhard Gerlich trat ab April 1950 neben einer voraussichtlichen innerparteilichen Rivalität um eine reduzierte Anzahl von Landtagswahlkreisen noch ein weiterer schwer zu kalkulierender Faktor.

53 Holsteinischer Courier, 28.04.1950, S. 4 37 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Die britischen Behörden hatten Ende März 1950 den Zulassungszwang für politische Parteien aufgehoben, so dass sich am 1. April 1950 als absehbare Konkurrenz um die Wählergunst der zahlreichen Flüchtlinge in Schleswig-Holstein der „Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ (BHE) konstituieren konnte.54

Diesem späteren Koalitionspartner in der Landesregierung sprach Gerhard Gerlich als reiner Flüchtlingspartei eine dauerhafte Existenzberechtigung ab und setzte sich wie schon zu Jahresanfang gegen deren Versorgung des eigenen Klientels mit Verwaltungsposten und gegen deren Selbstalimentierung aus öffentlichen Geldern ein. Gerade weil er selbst nach der Kriegsgefangenschaft und mit seiner Ankunft in Westdeutschland insgeheim die Gedanken einer Rückkehr nach Prag oder in das Sudetenland für sich ausschloss, konnte er sich umso überzeugter gegen eine vorsorglich provisorische Unterbringung in Flüchtlingslagern und für eine Integration seiner Landsleute in Schleswig-Holstein einsetzen.

Diese mentale Stärke und eine rhetorische Überlegenheit Gerlichs bekam vor der Landtagswahl im Juli 1950 selbst der BHE-Mitbegründer, Landes- und spätere Bundesvorsitzende in Neumünster zu spüren. Die örtliche BHE-Kandidatin und baldige Parlamentskollegin Margareta Weiss schilderte im Rückblick anschaulich, wie Gerhard Gerlich in seiner neugewählten Heimatstadt ihren Landesvorsitzenden auf einer öffentlichen Wahlkampfveranstaltung unerwarteter Weise in die Defensive brachte: „Was mich ein bißchen in Erstaunen versetzt hatte, war, als Herr Kraft das erste Mal, '50, vor der Landtagswahl hier in Neumünster gesprochen hatte, da war Herr Dr. Gehrlich [!] von der CDU da, der Vertriebener war und der Herrn Kraft in der Öffentlichkeit zweimal festgelegt hatte, daß er zugeben mußte, daß er von sich aus den BHE auflösen wollte, wenn den Heimatvertriebenen geholfen sei und wenn entsprechende Gesetze geschaffen worden seien.“55

Wegen derartiger Qualifikationen und mit starken Interessenverbänden innerhalb einer noch mitgliederschwachen Partei im Rücken gehörte Gerhard Gerlich folgerichtig zu den

54 s. Wulf, Peter: „Der Landesfürst“. Carl Schröter und die schleswig-holsteinische CDU 1945-1951, in: Zeitschrift für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Bd. 132, 2007, S. 239; im Folgenden: Wulf, Landesfürst 55 Weiss, Margareta: Vom Lastenausgleich zum Hochschulgesetz, in: Titzck, Rudolf (Hg.): Landtage in Schleswig-Holstein , Husum 1987, S. 201/02 38 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

24 CDU-Mitgliedern aus der Landesspitze, die am 07. Juni einen Direktwahlkreis zugeteilt bekamen. Mit dem folgenden Kurzlebenslauf trat er im Wahlkreis 23 Plön-Süd an: „Dr. Gerlich (CDU), Studienrat, 39 Jahre, geboren in Troppau, Wohnort: Steverhof bei Neumünster. Dr. Gerhard Gerlich kam als vertriebener Sudetendeutscher nach Schleswig- Holstein, Nach dem Besuch des humanistischen Gymnasiums erwarb er auf der deutschen Universität Prag den Doktor der Philosophie. Er wurde Studienrat mit den Fächern Geschichte, Geographie, Lateinisch und Griechisch. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit besonderer Energie für die Belange der Vertriebenen einzutreten, die er im Bund der Heimatvertriebenen vertritt.“56

Bei den Landtagswahlen am 09.07.1950 waren lediglich 16 der 24 CDU-Kandidaten tatsächlich wie kalkuliert in ihren Wahlkreisen direkt gewählt worden. In Plön-Süd hatte Gerhard Gerlich dabei mit rund 12 800 Stimmen deutlich vor der SPD mit 7 900 und dem Überraschungsgewinner BHE mit 7 700 gelegen. Diese neue Partei hatte etwa die Hälfte der Wähler aus der Gruppe der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge auf sich vereinigt und mit landesweit 23,4 % der Stimmen auch fünf Direktmandate gewonnen.

Das Bündnis des deutschen Wahlblocks hatte somit sein Ziel der absoluten Mehrheit der Mandate verfehlt, da ihm nach den neuen Bestimmungen des Wahlgesetzes, das das Oberverwaltungsgericht Lüneburg im Juni 1950 im Wesentlichen bestätigt hatte, keine Listenplätze zustanden. Zwar wurde der bürgerliche Wahlblock durch den Gewinn von 31 Direktwahlkreisen noch stärkste Fraktion gegenüber der bisherigen Regierungspartei SPD, die im Vergleich zur Landtagswahl 1947 von 43,8 % mit einem Verlust von 16,3 % massiv auf 27,5 % verloren hatte. Aber das Zweckbündnis von CDU, FDP und DP blieb selbst in dieser Konstellation auf einen Koalitionspartner angewiesen. Deren Abgeordnete bildeten zusammen mit dem Neuparlamentarier Gerhard Gerlich am 12. Juli 1950 in Kiel eine gemeinsame Landtagsfraktion und vertraten den Anspruch, als nunmehr stärkste Fraktion mit dem BHE über eine Koalitionsbildung und die Übernahme der Landesregierung zu verhandeln.

Trotz gleichzeitiger Gespräche mit der SPD ließ diese Flüchtlingspartei eine solche Präferenz erkennen und präsentierte dazu durch seinen Landesvorsitzenden Waldemar

56 Kieler Nachrichten, 04.07.1950, S. 5 39 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Kraft ein Sofortprogramm mit einer für den BHE nicht verhandelbaren, für das Ansehen und die Verlässlichkeit des demokratischen Gemeinwesens aber prekären Forderung:

„Während eine Einigung über die verlangten sozialen Maßnahmen zur schnelleren Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge mit dem Wahlblock relativ leicht möglich erschien, musste die an erster Stelle des Programms erhobene Forderung nach sofortigen kommunalen Neuwahlen auf entschiedenen Widerstand stoßen. Bei den letzten Kommunalwahlen 1948 war es den Vertriebenen und Flüchtlingen wegen der alliierten Bestimmungen noch untersagt gewesen, mit einer eigenen Partei zu kandidieren. Der BHE hielt aber eine verstärkte Beteiligung der von ihm vertretenen Bevölkerungsgruppe in den kommunalen Parlamenten für unbedingt erforderlich, um die sozialen Spannungen abzubauen.“57

Diese Änderung war für den Parlamentsneuling Gerlich so wenig annehmbar, dass er bei dem entsprechenden Antrag im Landtag zum Jahresende sein erstes von der Fraktionsdisziplin abweichendes Votum wagen sollte. Auch dürfte ihm von früheren politischen Begegnungen her der von CDU-Landesspitze vorgesehene Ministerpräsidentenkandidat Paul Pagel nicht behagt haben, z.B. in einem Gremium, dessen Vorsitzender Gerhard Gerlich selbst werden sollte: „Der Landesflüchtlingsausschuss der CDU hatte sich bereits bei der Aufstellung der Bundestagskandidaten für die Wahl 1949 geweigert, ihn als seinen Vertreter zu nominieren. Eine maßgebliche Rolle für die Ablehnung Dr. Pagels hat vermutlich auch sein distanziertes Verhältnis zu denjenigen ehemaligen Nationalsozialisten gespielt, die über eine Mitgliedschaft in den Wahlblockparteien und im BHE ihre Rehabilitierung erwarteten.“58

Das Scheitern dieses Kandidaten bei dem Misstrauensantrag gegen die amtierende SPD- Landesregierung auf der konstituierenden Landtagssitzung am 07.08.1950 konnte aber nicht auf fehlende Stimmen aus den eigenen Reihen zurückgeführt werden. Der zusätzliche Antrag des Wahlblocks auf geheime Abstimmung war sowohl von der SPD als auch der BHE-Fraktion abgelehnt worden, der noch keinen Verhandlungsabschluss mit dem bürgerlichen Lager getroffen hatte und durch sein Abstimmungsverhalten gegen

57 Albert, Regierungsverantwortung, S. 301/02 58 Albert, Regierungsverantwortung, S. 303 40 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Pagel auch seine künftige Stärke gegenüber dem bürgerlichen Blockbündnis demonstrierte. Ein Abweichen von den parlamentarischen Bräuchen erlebte Gerlich am 07.08.1950 auch bei der Wahl des Landtagspräsidenten, der üblicherweise von der stärksten Fraktion gestellt wurde.

An dieser Stelle begründeten SPD und BHE die Wiederwahl von Karl Ratz (SPD) gegen den Kandidaten Walter Böttcher (CDU) mit ihrer Interpretation, dass der vorschlagende Wahlblock zwar rechtlich, nicht aber politisch als Fraktion zu werten sei, weil die ihn tragenden Parteien CDU, FDP und DP sich nicht aufgelöst hätten. 59 Derart spitzfindige Umdeutungen oder das Verbiegen von geltenden Regularien mochten bei einem Jungparlamentarier wie Gerlich ebenso wie die fragwürdigen Umstände der Stadtpräsidenten-Wahl Paul Lohmanns in Neumünster den Eindruck vertieft haben, dass ein ähnliches Vorgehen von ihm in späteren Jahren bei passenden Gelegenheiten gerechtfertigt sei.

Nach diesen Auftaktniederlagen im Landtag fand sich die CDU-Landesspitze zu stärkeren Kompromissen gegenüber dem BHE bereit und stellte mit Walter Bartram, der Gerlich als Neumünsteraner CDU-Kreisvorsitzender zwar bekannt, aber nicht durch weiterreichende politische Aktivität, Übernahme von Verantwortung oder Erfahrung aufgefallen war, einen wenig profilierten und somit unstrittigen Konsenskandidaten auf.60 Dieser erhielt gemäß der mittlerweile abgeschlossenen Absprachen mit dem BHE auf der Landtagssitzung am 05.09.1950 alle 44 Stimmen von Wahlblock und der Flüchtlingspartei, so dass Bartram zugleich die vereinbarte Regierungsmannschaft präsentieren konnte.

Von diesem Datum an sind bei der Kieler Landtagsverwaltung auch die Mitgliedschaften Gerhard Gerlichs in den Ausschüssen für die Wahrung der Rechte der Volksvertretung, für Heimatvertriebene, für Volkswohlfahrt und für Verkehr verzeichnet. Nach dieser Quelle hatte er bereits ab dem 07.08.1950 das Amt des Parlamentarischen Staatssekretärs für den Bereich Kultus (Jugend und Sport) inne und wurde als gelernter Pädagoge erst ab März 1952 in dem Ausschuss für Volksbildung und Erziehung Mitglied. Im Laufe dieser Wahlperiode sollte Gerlich zudem 1951 noch in dem Untersuchungsausschuss zu Vorwürfen gegenüber dem Landtagspräsidenten Ratz mitarbeiten.

59 Albert, Regierungsverantwortung, S. 304 60 Wulf, Landesfürst, S. 241/42 41 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Anfänglich widmete sich Gerhard Gerlich in der Landtagsarbeit dem ihm bekannten Feld der Flüchtlingspolitik und hielt in der Sitzung vom 12.10.1950 seine Jungfernrede zu dem Thema der Umsiedlung, nach welcher andere Bundesländer einen Teil der Vertriebenen aufnehmen sollten, die in überproportionalem Maß in Schleswig-Holstein untergekommen waren. Dabei dürften ihm in dieser Anfangsphase des wechselseitigen Kennenlernens seine persönlichen Eindrücke und die Selbstdarstellung „als parlamentarischer Neuling“ aus dem Sitzungssaal gutwillig abgenommen worden sein: „Ich bin aber andererseits auch hier in dieses Haus gekommen in dem guten Glauben, daß wir uns vielleicht von erfahrenen, alten Strategen, Praktikern und Taktikern werden einführen lassen können in eine geläuterte Form der Demokratie. Ich muß sagen, daß ich durch die bisher erlebten Landtagssitzungen bitter enttäuscht bin.“61

Zwar konstatierte der Abgeordnete Gerlich den allseitig eingehaltenen Konsens, das Debattenthema der Flüchtlingsverteilung aus dem Parteienstreit im Wahlkampf herausgehalten zu haben. Zugleich richtete er aber doppelbödig den Appell ausgerechnet die Adresse der standhaft gebliebenen SPD-Fraktion an, dass diese (anstelle des tatsächlichen Initiators BHE oder seines eigenen bereitwilligen Wahlblocks) nicht das verunsichernde Szenario von möglichen Neuwahlen in den Gemeinden heraufbeschwören solle:

„Ich habe den Eindruck, daß zwar vor den Landtagswahlen der Herr Sozialminister Damm es für richtig gehalten hat, über das Thema Umsiedlung in den Wahlversammlungen nicht zu sprechen. Wir haben uns selbstverständlich an dieses Abkommen gehalten, weil wir wissen, daß das Schicksal der Heimatvertriebenen so grundlegend ist, daß es über das Parteiengezänk erhaben sein müßte und uns allen ein gemeinsames ureigenstes Anliegen sein müßte. Wenn man aber nun, nachdem der Wahlkampf zu Ende ist (...) von der Linken des Hauses jenes neue Aufkreuzen möglicher Wahlen immer wieder in die Diskussion zu werfen sich bemüht hat, dann habe ich das dunkle Gefühl, daß man hier bereits einen neuen Wahlkampf beginnen möchte (…).“62

61 Schleswig-Holsteinischer Landtag: Wortprotokolle des Schleswig-Holsteinischen Landtags, 2. Wahlperiode (07.08.1950-04.08.1954), Kiel 1950-1954, S. 45; im Folgenden: Protokoll LT-SH, 2. WP. (mit Datum und Seitenzahl) 62 Protokoll LT-SH, 2. WP., 12.10.1950, S. 45 42 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

In der übernächsten Sitzung am 13.11.1950 nahm Gerhard Gerlich zu dem vor Jahresfrist durch die SPD-Regierung einseitig zu ihrem Vorteil veränderten Landeswahlgesetz kritisch Stellung. Bei seiner Begründung für die Revision einzelner Bestimmungen kontrastierte er angebliche Aussagen früherer SPD-Spitzenpolitiker mit ihren aktuellen Debattenbeiträgen und durfte sich als neuer Parlamentarier geradezu geadelt fühlen, dass er den rhetorisch gefürchteten Oppositionsführer Andreas Gayk derart provozieren konnte, dass dieser ausfallend wurde und Gerlich die Gelegenheit zum Understatement in einer süffisanten Entgegnung bot:

„(Abg, Gayk: (…) Was schwätzen wir doch bloß heute hier zusammen!) Präsident Ratz: Herr, Abgeordneter Gayk, ich muß doch bitten! Dr. Gerlich (Wahlblock), fortfahrend: - Ich habe mir in dieser Beziehung keine Kritik erlauben wollen, Herr Gayk! Es sei Ihnen durchaus überlassen, dies nun bei mir zu tun. Ich weiß, Sie sind der wesentlich erfahrenere Politiker; Sie sind ein wesentlich erfahrener Taktiker. Sie sind aber auch ein wesentlich erfahrener Parteistratege. Zu dieser Gruppe von Persönlichkeiten wage ich mich selbstverständlich nicht zu zählen.“63

In dieser Phase verfügte die Regierung Bartram noch über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament und konnte so die noch im Dezember 1949 mit einfacher SPD-Mehrheit verabschiedete Landesverfassung ändern. Die Koalition aus Wahlblock und BHE beschloss am 11.11.1950 mit ihren 46 Stimmen, die bis dahin verfassungsgemäß verankerte Grundschulzeit von 6 Jahren zu revidieren und machte bei dieser Gelegenheit auch den von den Sozialdemokraten durchgesetzten Wegfall von Schulgebühren rückgängig.

Die sozialdemokratisch geprägte Schleswig-Holsteinische Volkszeitung berichtete von dieser Sitzung unter der Überschrift „Schulgeldfreiheit gegen Neuwahlen“ über einen kritikwürdigen Kuhhandel des BHE, der zwar mit einem Antrag die für die Flüchtlinge wichtige Schulgeldfreiheit in der Landungssatzung verankern lassen wollte, diese parlamentarische Initiative aber im Tausch gegen die angestrebten vorzeitigen Neuwahlen zurückgezogen habe. Bemerkenswert erschien den VZ-Redakteuren an dem Beschluss,

63 Protokoll LT-SH, 2. WP., 13.11.1950, S. 75 43 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 diese in Kommunal- und Gemeindeparlamenten bis zum 30. April 1951 durchzuführen, das uneinheitliche Votum aus dem Regierungslager bei der namentlichen Abstimmung von 37 Ja- gegen 28 Nein-Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen. Von diesem mutigen wie selbstbewussten Akt bei vier Gegenstimmen aus dem Wahlblock wurde in der SPD- Zeitung mit der korrekten Namensschreibung ferner festgehalten: „Der Stimme enthielten sich die Abgeordneten Dr. Gerlich (CDU), Dr. Schönemann (FDP), Sieh (DP), Claussen (CDU) und Dr. Schwinkowski (CDU).“64

Auch die von der Volkszeitung behauptete Koppelung des Neuwahl-Beschusses im Gegenzug für die unpopuläre Wiedereinführung des von der früheren SPD- Landesregierung abgeschafften Schulgeldes schien sich durch das weitere und konsequente Abstimmungsverhalten des gelernten Pädagogen Gerlich zu bestätigen. So vermeldete die SPD-nahe Tageszeitung am 01.02.1951 unter der Überschrift „Schulgeldfreiheit teilweise beseitigt“ zur Abstimmung: „Gegen die Stimmen der sozialdemokratischen Landtagsfraktion, der SSW-Abgeordneten und der BHE- Abgeordneten Frau Dr. Ohnesorge sowie des Wahlblockabgeordneten Dr. Gehrlich [!] wurden in der Landtagssitzung am Mittwoch fast alle Paragraphen einer Gesetzesvorlage in zweiter Lesung angenommen, mit denen die bisher bestehende Schulgeld- und Lernmittelfreiheit teilweise aufgehoben wird.“

Den laut Koalitionsabsprachen anzuberaumenden vorzeitigen Neuwahlen versagte Gerlich im Unterschied zu anderen Kritikern innerhalb des Wahlblocks auch die letzte Zustimmung im Landtag, wie wiederum die Volkszeitung unter Überschrift „Letzter Versuch gegen die Unglückswahl“ zu der Sitzung am 01.03.1951 zu berichten wusste: „Es fehlten die Abgeordneten Jensen, Schoof und Dr. Gehrlich [!] (alle CDU).“65

Dagegen musste die Umsetzung der BHE-Forderung nach einem endgültigen Abschluss der Entnazifizierung im Januar 1951 den Interessen von Gerhard Gerlich entgegenkommen, zumal er 1947 in seinem eigenen Auskunftsformular bewusst seine Mitgliedschaft in der Allgemeinen SS unterschlagen und diese Falschauskunft mit seiner Unterschrift bestätigt hatte. Zu der 1. Lesung des entsprechenden Entwurfs eines „Gesetzes zur Beendigung der Entnazifizierung“ dürfte ihn in der Sitzung am 31.01.1951

64 Volkszeitung, 15.11.1950, S. 1 65 Volkszeitung, 02.03.1951, S. 1 u. 7 44 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 allerdings die Einlassung des BHE-Abgeordnete Martin Kohz zu dem Meinungsbild seiner Fraktion und Partei, die für eine latente Nähe zu Rechtsextremisten und Rechtslastigkeit bekannt war, überrascht haben: „Wir stehen auf dem Standpunkt, daß Akten nicht zu vernichten seien. Es könnte dadurch der Eindruck erweckt werden, als ob man etwas beseitigen wolle. Interesse daran besteht nicht; es wird vielleicht im Gegenteil sogar zweckmäßig sein, diese Kulturdokumente einer staunenden Nachwelt erhalten zu lassen.“66

Obwohl manche Sozialdemokraten energisch gegen einige Gesetzesbestimmungen protestierten, nach denen die von Entnazifizierungsausschüssen negativ Beurteilten damit das Recht auf neue Verfahren, Aussicht auf Bessereinstufung und Ansprüche auf Wiedereinstellung in den öffentlichen Dienst erhalten könnten, war bei dieser ersten Lesung über Parteigrenzen hinweg der Wunsch nach einem Schlussstrich auszumachen. Bei dem Redebeitrag des ihm persönlich bekannten Neumünsteraner Stadtpräsidenten und SPD-Abgeordneten Paul Lohmann mochte sich Gerhard Gerlich von dem Schlusssätzen auf eine besondere Weise angesprochen oder legitimiert gefühlt haben:

„Ich bin bereit - und das wissen meine Fraktionsgenossen -, mit einem früheren überzeugten Nationalsozialisten heute durch dick und dünn zu gehen, wenn er sich zum Begriff der Demokratie und zu den Mitteln bekennt, die wir als menschlich bezeichnen. Und dann müssen wir noch eines voraussetzen: Wenn man bereit ist, mit diesen jungen Leuten oder denen mittleren Alters, die aus ihrer Überzeugung heraus einen bestimmten Weg gegangen sind, der uns ins Elend geführt hat, zu gehen und an nichts mehr zu denken, dann darf man doch auch etwas Zurückhaltung und Einsicht erwarten.“67

Ungleich kontroverser argumentierten die Parlamentarier am 14.03.1951 bei der 2. Lesung dieses in der jungen Bundesrepublik weitgehendsten und striktesten Gesetzes zur Beendigung der Entnazifizierung. Nach diesem wurden die in der Gruppe III (Belastete) oder IV (Mitläufer) Eingestuften mit der Rechtsstellung der Gruppe V (Entlastete) gleichgestellt. Somit erhielten auch einst aktive oder überzeugte Nationalsozialisten einen Anspruch auf Wiedereinstellung oder auf Wiederherstellung ihrer alten Rechte. Eine Entsprechung auf Bundesebene wurde im Mai 1951 durch das „Gesetz zur Regelung der

66 Protokoll LT-SH, 2. WP., 31.01.1951, S. 277 67 Protokoll LT-SH, 2. WP., 31.01.1951, S. 286 45 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen" beschlossen, demzufolge nahezu alle wegen der Entnazifizierung Entlassenen einen Anspruch auf Wiedereinstellung zugesprochen bekamen.68 Für deren Interessen im Rahmen des sog. „131er-Gesetz" sollte sich Gerhard Gerlich in späteren Jahren noch mit einer verblüffenden Akzentsetzung engagieren.

Persönlich dürfte ihn auf dieser Landtagssitzung die Frage nach dem Verbleib der behördlichen Dokumente interessiert haben, mit deren Vernichtung man nicht so hastig zu sein bräuchte, wie der BHE-Abgeordnete Alfred Gille erklärte. Dieser trug als Ergebnis der Ausschussberatungen vor, dass man dem Innenminister eine nähere Entscheidung überlassen wolle, wann, in welchem Umfange und wie diese Entnazifizierungsakten zu vernichten seien, die auch für die wissenschaftliche Erforschung der Zeitgeschichte von Bedeutung sein könnten.69

Gerlich stand weiterhin nicht in dem besten Verhältnis mit dem zuständigen Parteifreund und Innenminister Paul Pagel, der sich nach diesen Debatten im Tagebuch vermerkte: „Die Argumente der Opposition erscheinen mir weit stichhaltiger als die der Regierungsparteien. Man kann mit Recht allmählich von einer Renazifizierung sprechen, Merkwürdig, wie selbstverständlich die alten Nazis auftreten und wie feige sie im Grunde sind, wenn man ihnen hart entgegentritt.“70 Seinen auch im Dritten Reich politisch unbelasteten gewesenen Ministerpräsidenten Bartram dürfte Pagel damit gewiss nicht gemeint haben, der gleichwohl in der Landtagssitzung am 07.05.1951 auf eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Lüdemann hin seine nivellierende und verharmlosende Aussage in der New York Herold Tribune rechtfertigte, dass es schwer gewesen sei, der NSDAP nicht anzugehören. Mit dieser wenig taktvollen, aber dem Zeitgeist und der weit verbreiteten Schlussstrich-Mentalität entsprechenden Aussage hätte Bartram sich auch der Zustimmung Gerlichs gewiss sein dürfen.71

Zum Abschluss der vorhergehenden Sitzung am 14.03.1951 wurde wegen eines

68 s. Godau-Schüttke, Klaus-Detlev: Die Heyde/Sawade-Affäre, Wie Juristen und Mediziner den Euthanasieprofessor Heyde nach 1945 deckten und straflos blieben, Baden-Baden 1998, S. 93; im Folgenden: Godau-Schüttke, Heyde/Sawade-Affäre 69 Protokoll LT-SH, 2. WP., 14.03.1951, S. 213 70 zit. nach Varain, Parteien, S. 223, Anm. 902 71 Protokoll LT-SH, 2. WP., 07.05.1951, S. 118-120 46 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Zeitungsartikels mit anonym erhobenen Vorwürfen gegen den Landtagspräsidenten Karl Ratz beraten, ob auf dieser dürftigen Grundlage ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt werden solle. Gerhard Gerlich plädierte dafür mit dem Argument, im Interesse des derart Angegriffenen zu handeln: „Es ist immer üblich gewesen, daß, wenn eine solche Sache in die Öffentlichkeit getragen wird, der Betroffene von sich aus auf allerschnellste Bereinigung dieses Falles Wert gelegt hat, und daß er und seine politischen Freunde eigentlich das größte Interesse haben müßten, daß diese Angelegenheit auf schnellste Art und Weise, und zwar klar, eindeutig und öffentlich bereinigt wird, damit nicht der Eindruck entstehen kann, daß wir etwa Grund haben, etwas zu verschweigen oder in die Länge zu ziehen.“72

Tatsächlich wurde Gerlich in der Sitzung von 08.05.1951 neben neun weiteren Abgeordneten aus allen Fraktionen in diesen Parlamentarischer Untersuchungsausschuss entsandt, in dessen Verlauf sich Behauptungen über eine missbräuchliche Nutzung von Landtagsräumlichkeiten oder Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe von Druckaufträgen wie zu erwarten als haltlos erwiesen. Soweit Einblick in die teils dem Datenschutz unterliegenden Protokolle des entsprechenden Parlamentarischen Untersuchungsausschusses ermöglicht werden konnte, hat sich Gerlich bei den nichtöffentlichen Beratungen zu Geschäftsordnung, Verfahren und Zeugenbefragung zwischen Mai und August 1951 nicht außergewöhnlich engagiert, sondern stimmte dort dem Gesamtfazit zu, dass „nach den Tatbeständen und nach dem, was davon übriggeblieben ist, Landtagspräsidenten Karl Ratz, hingesehen auf diese Vorwürfe, weder das Ansehen seiner Stellung noch des Landtages, noch das der Demokratie beeinträchtigt hat.“73

Derweil hatten die besonders im Regierungslager heftig umstrittenen Neuwahlen am 29.04 1951 in die Kommunalparlamente dem dort noch nicht vertretenen BHE ein Stimmergebnis von rund 18,5 % ergeben, das auf Kosten der bereits etablierten Parteien und Wahlgemeinschaften ging. Dieser absehbare Verlust fachte die offene Kontroverse im CDU-Landesvorstand zwischen dem Vorsitzenden Carl Schröter und dem koalitionstreuen Regierungschef Walter Bartram heftig an.

72 Protokoll LT-SH, 2. WP., 14.03.1951, S. 331 73 Protokoll LT-SH, 2. WP., 08.10.1951, S. 60; vgl. Schleswig-Holsteinischer Landtag: Niederschriften des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Klärung der gegen Landtagspräsident Karl Ratz vorgebrachten Vorwürfe, 2. Wahlperiode, Kiel 1951 47 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Nun eskalierte der interne Kampf um die Macht in der CDU sowie der Landesregierung im Mai/Juni 1951, an dessen Ende Gerhard Gerlich in den engsten Führungszirkel der Landespartei aufrücken sollte. Die beiden Kontrahenten Schröter und Bartram verweigerten in Sitzungen einander das Vertrauen, sondern strengten jeweils ergebnislose Parteiehrengerichtsverfahren gegeneinander an. Auch Bundeskanzler Konrad Adenauer führte in diesem Führungsstreit schließlich Gespräche mit beiden, in deren Folge und begleitet von Sitzungen u.a. des CDU-Landesausschusses im Juni 1951 die Rücktritte sowohl Schröters als auch Bartrams standen.74

Für die Nachfolge in beiden Ämtern wurde am 23.06.1951 zunächst im Landesvorstand und direkt im Anschluss auf einem CDU-Landesparteitag der Flensburger Landrat Friedrich Wilhelm Lübke (der Bruder des späteren Bundespräsidenten) nach anfänglich kontroversen Diskussionen über seine katholische Konfession mit großer Mehrheit gewählt. Zu seinen Stellvertretern als Landesvorsitzender macht diese Parteiversammlung dann den zeitweisen, für den BHE aber nicht als Regierungschef akzeptablen Kandidaten Paul Pagel sowie die Landtagsabgeordneten Kai-Uwe von Hassel und erstmals Gerhard Gerlich.75 Letzterer wurde seither in diesem Amt mit abnehmender Popularität und entsprechenden Stimmergebnissen stets wiedergewählt, erreichte aber selbst dann eine komfortable Mehrheit, als der zum Vorsitzenden aufgerückte von Hassel zu Beginn von Gerlichs Sterbejahr 1962 presseöffentlich eine Verjüngung der Parteispitze einfordern sollte.

Nach dieser ersten Wahl in den CDU-Landesvorstand wurde Lübke umgehend auch von Gerlichs Wahlblock-Fraktion für das Amt der Regierungschefs nominiert. Diese hatte auf der Landtagssitzung am 25.06.1951 keine eigene Mehrheit und nach der Rücktrittserklärung des bisherigen Ministerpräsidenten Bartram blieb Lübke dort der einzige vorgeschlagene Kandidat für die Nachfolge. Er erhielt im ersten Wahlgang lediglich 29 Stimmen, denn 36 Abgeordnete der SPD, des BHE und des SSW votierten gegen ihn, wohingegen sich zwei Wahlblock-Mitglieder (allerdings nicht Gerlich) bei der namentlichen Abstimmung enthielten. Nach dem gleichen Resultat im 2. Versuch genügte

74 s. Albert, Regierungsverantwortung, S. 310/11 u. Wulf, Landesfürst, S. 245-48 75 s. Mosberg, Helmuth: 50 Jahre CDU Schleswig-Holstein, Kiel 1996, S. 139; ferner: Struck, Claus-Ove: Die Politik der Landesregierung Friedrich Wilhelm Lübke in Schleswig-Holstein (1951-1954), Frankfurt a.M. 1997, S. 23, mit der Titulierung „Gerhard von Gerlichs“; im Folgenden: Struck, Lübke 48 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 dann die einfache Mehrheit der Stimmen im dritten Wahlgang, so dass Lübke ohne Gegenkandidaten mit 28 Ja- und 37 Neinstimmen bei weiterhin 2 Enthaltungen zum neuen Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein gewählt worden war.76

Direkt nach diesem sehr selbstbewussten Signal des Regierungspartners BHE verhandelte die Wahlblock-Fraktion kurzzeitig, aber ohne Erfolg mit der SPD über einen Wechsel.77 Nach Lübkes Androhung von Neuwahlen setzte der BHE der Regierungszusammenarbeit mit seinen Vertretern Waldemar Kraft als Finanzminister und Hans-Adolf Asbach als Minister für Soziales, Arbeit und Vertriebene im Kabinett auf der Basis der vorherigen Koalitionsvereinbarungen fort. Dieser Konsolidierung in der Landespolitik folgte im Herbst 1951 eine heftige Diskussion über den Umgang mit der NS- Vergangenheit und die Folgen, die die Landesregierung (wie auch die sie tragenden Fraktionen) mit ihrem sehr weitreichenden Entgegenkommen gegenüber ehemaligen Nationalsozialisten heraufbeschworen hatte.

In der Sitzung am 09.10.1951 debattierten die Abgeordneten teilweise sehr erregt über dem exemplarischen Fall, dass der ehemalige und Oberpräsident Schleswig- Holsteins Hinrich Lohse in der Konsequenz des umstrittenen Entnazifizierungsgesetzes mit Erfolg eine Pension beantragt hatte und sie schließlich auch ausgezahlt bekommen sollte. In das Zentrum der Kritik stellte die SPD-Fraktion weiterhin den „Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung“, den Abgeordneten und CDU- Landesgeschäftsführer Oskar Hubert Dennhardt, und dessen Unterlassungen in dem Fall des SS-Obergruppenführers und Reichskommissars für Böhmen und Mähren, Reinhard Heydrich. Im Unterschied zum Fall Lohse hatte der Sudetendeutsche Gerlich zu diesem insofern nähere Bezüge, als Heydrich zur Zeit des tödlichen Attentats am 27.05.1942 in Prag selbst noch in dieser Stadt fernab des Kriegsgeschehens gelebt und gearbeitet hatte.

Mit dem Antrag auf den eigentlich gesperrten Nachlass dieser „Personifikation des NS- Schreibtischtäters und Massenmörders aus dem Reichssicherungshauptamt“78 war Heydrichs Witwe ebenso erfolgreich gewesen wie 1950 in Lübeck mit dem Antrag auf

76 Protokoll LT-SH, 2. WP., 25.06.1951, S. 5-25 77 s. Varain, Parteien, S. 229 78 Danker, Uwe: Vergangenheits'bewältigung' im frühen Land Schleswig-Holstein, in: Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein (Hg.): Die Anfangsjahre des Landes Schleswig-Holstein, Kiel 1998, S. 27; im Folgenden: Danker, Vergangenheitsbewältigung 49 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

„Kriegsopferversorgung“, den sie mit der Interpretation begründet hatte, dieser Todesfall sei auf Kriegseinwirkung zurückzuführen. Auf sein für derartige Zweifelsfälle vorgesehenes Einspruchsrecht nach § 45 hatte der „Sonderbeauftragte“ Dennhardt bewusst verzichtet und erklärte im Parlament zu seiner bislang nicht bekannten Eigenmächtigkeit und tendenziösen Handhabung, die Entnazifizierung selbst so dauerhaft beenden zu wollen, gleichermaßen beeindruckend wie provozierend ungerührt an die Adresse der SPD- Fraktion:

„Ich habe mich im Rahmen des Gesetzes gehalten und habe die Möglichkeiten ausgeschöpft, die mir im Rahmen dieses Gesetzes gegeben waren. Ich möchte aber doch ganz ernstlich an Sie appellieren, ob Sie nicht auf diesem Wege umkehren sollten und ob Sie sich nicht doch zu unserer Auffassung bekennen könnten, daß wir die Vergangenheit endlich einmal ruhen lassen sollten. (Beifall beim Wahlblock. - Zuruf von der SPD: Um den Nazis Pensionen zu geben! - Abg, Gayk: Nicht der Mörder, sondern der Ermordete ist schuldigl – Abg. Lechner: Der Beifall ist sehr interessant!)“79

Der Abgeordnete Gerlich beteiligte sich lediglich mit zwei kurzen Zwischenrufen zu der Frage des Heydrich-Nachlasses an dem entsprechend emotionalen Abtausch, zu dessen Bedeutung Uwe Danker zusammenfasste: „Diese außergewöhnliche Parlamentsdebatte hatte die Abgeordneten der Regierungsparteien jene politischen und juristischen Zwänge spüren lassen, die sie selbst geschaffen hatten: Ihnen war es um den 'Schlussstrich' gegangen, auch damit hatten sie die Landtagswahl gewonnen, und sie wollten - vor allem - die belasteten Staatsbeamten, von ihnen durchweg als zu Unrecht belangt und als allenfalls unschädliche Mitläufer begriffen, rehabilitieren, und zwar beamtenrechtlich ohne Ausnahme alle. Und sie blendeten dabei aus, daß ein nationalsozialistischer Oberpräsident den Genuß der exzessiven Regelungen für das preußische Beamtentum suchen könnte, von der Berücksichtigung einer verantwortlichen Mitschuld regulär geförderter Beamten an NS- Verbrechen und NS-Unrecht ganz abgesehen. Die Regierungsparteien, der BHE und die zum deutschen Wahlblock zusammengeschlossenen CDU, DP und FDP, begriffen sich als Anwälte der '131er', jener also, die in der unmittelbaren Nachkriegsphase aus dem

79 Protokoll LT-SH, 2. WP., 09.10.1951, S. 103 50 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

öffentlichen Dienst entlassen worden waren. Aber gerade weil ihre Bereitschaft zur Beendigung der Entnazifizierung und Rehabilitation der Betroffenen sehr weit ging, sie die britischen Spruchgerichtsverfahren als rein 'politische Verfahren' begriffen, störten so eindeutige Symbole wie die Fälle Heydrich und Lohse.“80

Bei dem für das demokratische Gemeinwesen ebenfalls relevanten Thema der Änderung des Landeswahlgesetzes demonstrierte Gerhard Gerlich in der folgenden Sitzung am 10.10.1951 zusammen mit sechs anderen Mitgliedern der Regierungsfraktionen seine Eigenständigkeit, als er sich im Landtag bei dem Gesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes in namentlicher Abstimmung enthielt. Damit wandte er sich gegen die umstrittene Erhöhung der Sperrklausel auf 7,5 %, die auch für Partei der nationalen Minderheit, dem SSW, gelten sollte. Nachträglich durfte er sich in dieser konsequenten Haltung durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestätigt fühlen, das diese Verschärfung am 05.04.1952 für nichtig erklärte.

Gerlichs Rücksichtnahme auf die Belange kleinerer Parteien erstreckte sich allerdings nicht auf das politische Tagesgeschäft, sondern wie die CDU-Landesspitze und einige Kreisverbände verfolgte er gegen Ende 1951 das Ziel einer Parteienkonzentration innerhalb des bürgerlichen Lagers bis hin zur Assimilierung in der CDU. Diese Entwicklung wurde begünstigt durch Spannungen zwischen den profilierungsbedürftigen Kleinparteien FDP bzw. DP und deren Landtagsfraktionen, aus denen einzelne Abgeordnete austraten, die anderenorts im Wahlblock hospitierten, ihre jeweiligen Ausschusssitze aber behalten wollten.

Als die FDP-Spitze die Unterstützung des CDU-Landesvorstands für eine Rückgabe dieser Posten einforderte, erhielt sie Ende November 1951 über die Presse eine harsche Abfuhr in nationalsozialistischer Sprachdiktion. Noch ohne Nennung des Urhebers formulierte und zitierte dabei der Holsteinische Courier in dem Artikel „Bedrohliche Wolken über dem Wahlblock“: „Mit Erstaunen ist die Aeußerung eines prominenten Mitgliedes der CDU-Landtagsgruppe aufgenommen worden, der [!] dieser Tage die Haltung der FDP als seit langem zweideutig brandmarkte und einer Pressemeldung zufolge erklärte: 'Es wäre

80 Danker, Uwe: „Wir subventionieren die Mörder der Demokratie“. Das Tauziehen um die Altersversorgung von Gauleiter und Oberpräsident Hinrich Lohse in den Jahren 1951 bis 1958, in: Zeitschrift für Schleswig- Holsteinische Geschichte, Bd.120 (1995), S. 191 51 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 besser, das Geschwür auszubrennen, als es weiter schwären zu lassen.' Diese Aeußerung hat in Kreisen der FDP starkes Befremden und große Empörung ausgelöst.“81

Süffisant glossierte die sozialdemokratische Volkszeitung am 07.12.1951 diese rüde Abqualifizierung als Beispiel eines guten Einvernehmens innerhalb des Wahlblocks und gab mit Fehlschreibung den Namens des Verfasser bekannt: „Das sagte Dr. Gehrlich [!] in Bezug auf die Auffassung der Jungdemokraten, daß die FDP sich aus dem Wahlblock lösen solle.“ Diese Strategie der Ausgrenzung und Abspaltung, an der sich auch sein Bruder Walter im Herbst 1951 als kommissarischer Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Neumünster versucht hatte, entsprach der Linie des CDU-Landesvorstands mit dem Ziel der Zersplitterung der anderen Parteien innerhalb des Wahlblockbündnisses. 82 Ihr lag die Endvorstellung eines Zwei-Parteiensystems wie in Groß-Britannien zugrunde, nach deren Vorbild die britischem Besatzungsmacht die Grundzüge des Schleswig-Holsteinischen Wahlsystems vorstrukturiert hatte.

Zu diesem Zeitpunkt erschien nicht denkbar, dass Gerhard Gerlich ohne eine Unterstützung oder Rückendeckung des CDU-Landesvorsitzenden Lübke derart polarisierend in die öffentliche Debatte getreten wäre. Dafür spricht auch, dass nach der Erstveröffentlichung Ende November am 15.12.1951 in dem hauseigenen und von ihm mit geleiteten „CDU Landesdienst Schleswig-Holstein“ Gerlich sein „Geschwür“-Zitat mit einer Wiederholung bekräftigte, die FDP zu der geplanten Diskussion darüber ermunterte und mit seinem begleitenden Appell an die Selbstachtung der politischen Partei eine Entscheidung bei scheinbar freier Wahlmöglichkeiten fast vorwegnahm:

„Es freut mich, dass sich die FDP am 12.12. mit der Meldung in der 'Welt' v. 28.11. befassen will. Ich möchte jedoch hoffen, dass sie dabei nicht zu berücksichtigen vergisst, was mich veranlasst hat, meine Gedanken nach längeren Ausführungen in dem Satz zusammenzufassen: 'Es wäre besser, das Geschwür auszubrennen, als es weiter schwären zu lassen.' (…) Ich würde es begrüssen, wenn die FDP eine eindeutige Stellung beziehen würde, d.h. entweder dem Deutschen Wahlblock ein vorbehaltloses 'Ja' oder

81 Holsteinischer Courier, 01.12.1951, S. 3 82 Struck, Lübke, S. 120/21 52 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 aber ein ebenso klares und unmißverständliches 'Nein' sagen wurde.“83

Folgerichtig und wie kalkuliert traten Anfang Januar 1952 erst die FDP und dann die DP aus dem Wahlblockbündnis aus, das damit zwar seine Zweidrittelmehrheit verlor. Allerdings sollten im Laufe dieser Wahlperiode aus diesen beiden neugebildeten Fraktionen noch weitere Abgeordnete zur CDU wechseln, so dass diese größte Fraktion im bürgerlichen Lager bis 1954 von 16 auf 26 Mandate anwuchs. Erfolge wie diese schienen Gerhard Gerlich gegenüber seinen Zeitgenossen Recht zu geben und seine eingesetzten Mittel nachträglich zu legitimieren, wie diese Zusammenhänge auch bei einer Einschätzung seiner Lebensleistung zu würdigen wären.

In seinem Fachgebiet der Flüchtlingspolitik erhielt Gerhard Gerlich in den Januarsitzungen 1952 bei der zweiten Lesung des „Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Vertriebenen in Schleswig Holstein“ Gelegenheit zu besonderer Profilierung. Mit zahlreichen Beiträgen und Einwürfen zum sogenannten „Eingliederungsgesetz“ versuchte er sich gegenüber den Sprechern anderer Fraktionen sowohl im Inhaltlichen wie auch zu den verwaltungstechnischen und gesetzlichen Feinheiten als der sachkundigere Experte zu profilieren. Dafür wurde Gerlich am 23.01.1952 im Kommentar der Volkszeitung als „Beschwichtigungspolitiker“ verspottet, wohingegen die Kieler Nachrichten ebenfalls am 23.01.1952 zu seinem Redebeitrag seine erhobene Stimme bei der aufrecht erhaltenen „Forderung auf Rückgabe unserer Heimat“ sowie seine Schlusspointe betonte:

„Abg. Dr. Gerlich dankte dann den Einheimischen für die Leistungen, mit der Aufnahme der Flüchtlinge vollbracht hätten. Die Taten der schleswig-holsteinischen Bevölkerung seien besser gewesen, als die Worte mancher Sprecher, die glaubten, die schleswig- holsteinische Meinung für sich gepachtet zu haben. Die Fassung des Gesetzes sei Beweis für die Mäßigung und den politischen Realismus des BHE, denn für Einheimische und Vertriebene müsse gelten: 'Auf ewig ungeteilt!'“

Allein an dem zweiten Sitzungstag der Gesetzeslesung am 22.01.1952 verzeichnete das Wortprotokoll von Gerlich 13 unterschiedlich lange Redebeiträge und über 20 Zwischenrufe. Dass er dabei die Kontroverse mit anderen Abgeordneten oder zu deren

83 Gerlich, Gerhard: „FDP und Wahlblock“, in: Informationsdienst CDU Schleswig-Holstein, Nr. 15 (15.12.1951), Lübeck/ Kiel 1951, S. 7 53 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 parlamentarischen Beiträgen nicht scheute, sondern sogar suchte, illustriert aus dieser Debatte die folgende Redenpassage des SPD-Abgeordneten Walter Damm:

„Die Ausführungen des Kollegen Dr. Gerlich zwingen uns jedoch, nun einige Erklärungen zu machen, obwohl es bisher bei uns nicht üblich war, über Ausschußsitzungen zu berichten. Herr Kollege Dr. Gerlich, ich bewundere Sie, (Abg. Gayk: Sehr gut! - Abg. Dr. Gerlich: Herr Kukil hat damit angefangen!) daß Sie hier im Plenum das Gegenteil von dem vertreten, was Sie bisher nicht nur vertreten, sondern auch beantragt haben, und außerdem auch noch die Mitglieder des Ausschusses angreifen, daß sie nicht klar formulierte Anträge gestellt hätten.“84

Mit seinem offensiven Vorgehen erarbeitete sich Gerhard Gerlich in den Folgejahren den Ruf eines äußerst scharfzüngigen Debattenredners im Landtag. Abgeordnetenkollegen der Opposition wie auch aus dem Regierungslager, Fachminister und deren Mitarbeiter, der jeweilige Sitzungsleiter und gelegentlich selbst der jeweils amtierende Ministerpräsident durften sich dabei vor Gerlichs geschliffenen wie sarkastischen Anmerkungen oft nicht sicher fühlen. So konnte in der folgenden Wahlperiode, wie beispielsweise am 21.05.1957, bereits seine Wortmeldung eine entsprechende Erwartungshaltung und gespannte Aufmerksamkeit auslösen: „Vizepräsident Siegel: Wird das Wort noch gewünscht? - Herr Dr. Gerlich, bitte! (Abg. Mohr: So, nun haben Sie es, Herr Strack! Den haben Sie herausgefordert!)“85

Diese Fähigkeiten baute Gerlich sukzessive in verschiedenen Themenbereichen aus und dies seit seiner Mitgliedschaft im Ausschuss für Volksbildung und Erziehung ab März 1952 in ähnliche offensiver wie polarisierender Weise auch bei schulpolitischen Fragen. In der Sitzung am 02.04.1952 trug er bei dem ersten Tagesordnungspunkt „Stellungnahme der SPD-Landtagsfraktion zur schulpolitischen Lage in Schleswig-Holstein“ mit sophistischen Ausdeutungen zur Geschäftsordnung neben anderen Rednern zu einer Beratungspause von acht Stunden über die Frage bei, ob zuerst dem Antragsteller oder dem Kultusminister Pagel das Wort zu erteilen sei. Da anschließend ein SPD- Abgeordneter mit einem Plakat gegen Missachtung von Minderheitenrechten protestierte,

84 Protokoll LT-SH, 2. WP., 22.01.1952, S. 178 85 Schleswig-Holsteinischer Landtag: Stenographische Berichte, 3. Wahlperiode (11.10.1954-20.08.1958), Kiel 1954-1958, S. 2781; im Folgenden: Protokoll LT-SH, 3. WP., (mit Datum und Seitenzahl) 54 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 konnte Gerlich gegen diesen beim Landtagspräsidenten zwar keinen Ordnungsruf, aber doch eine Rüge erreichen, und formulierte dazu ein von autoritären Elementen geprägtes Werteverständnis:

„Wenn wir heute schon so viel von der Demokratie gehört haben, dann möchte ich, meine Damen und Herren, daran erinnern, daß Demokratie nicht nur Diskussion und nicht nur die Garantie dafür ist, daß die Menschen, die anderer Meinung sind, das Recht und die Pflicht zur Kritik haben. Zur Demokratie - was ihr nämlich die Zukunft erhalten soll - ist auch ein gutes Maß von Selbstzucht erforderlich, und diese Selbstzucht, meine Damen und Herren, wird auch diesem Hause dringend notwendig sein.“86

Als auf der Landtagssitzung am 15.07.1952 über die „Regelung der Liegenschaften in der industriellen Vertriebenensiedlung Trappenkamp“ debattiert wurde, wurde im Protokoll dagegen kein Zwischenruf oder Beitrag Gerhard Gerlichs verzeichnet. Dies spricht für die Auskunft Josef Holeys im Gegensatz zu der Ernst Schöffels, dass der Landtagsabgeordnete tatsächlich erst ab 1955 für die Belange des Ortes und seiner überwiegend Sudetendeutschen Bewohner eingeschaltet wurde.87 Vermutlich folgte Gerlich noch nicht der abschließenden Aufforderung von Ministerpräsidenten Lübke: „Ich würde es sehr begrüßen, wenn einzelne Abgeordnete, die sich für diese Dinge besonders interessieren, einmal Gelegenheit nähmen, diese Ansiedlung zu besichtigen, um sich durch eigenen Augenschein davon zu überzeugen, daß hier tatsächlich eine Möglichkeit besteht, vielleicht einigen Tausenden von Menschen wieder zu Arbeit, Lohn und Brot zu verhelfen.“88

Da Gerlich mittlerweile mit einer Anstellung in Neumünster in den Schuldienst übernommen worden war, dürfte ihn der Artikel „Personalakten werden 'entbräunt'“ in den Kieler Nachrichten vom 13.10.1952 interessiert haben. Nach diesem Bericht sollten die meisten Entnazifizierungsunterlagen laut Anordnung des Innenministers mit Ausnahme derjenigen Dokumente vernichtetet werden, die der Bedienstete seinerzeit selbst beigebracht habe. Derartige handschriftliche Beiblätter hatte Gerlich 1947 seinem

86 Protokoll LT-SH, 2. WP., 02.04.1952, S. 91 87 vgl. Schöffel, Ernst: Laudatio post mortem, Dr. Gerhard-Gerlich, anläßlich der Benennung der „Gerhard- Gerlich-Schule“ in Trappenkamp (12.03.1969), o.O. ( Trappenkamp) o.D (1969), Bl. 3, [Privatbesitz] u. Holey, Josef: Ansprache (Zur Benennung der „Gerhard-Gerlich-Schule), Trappenkamp 12.03.1969, 1 Bl, [Privatbesitz] (im Folgenden: Holey, Ansprache) 88 Protokoll LT-SH, 2. WP., 15.07.1952, S. 60 55 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Formular zur Behauptung seiner regimekritischen Haltung im Dritten Reich beigefügt und durfte sich somit weniger erleichtert als andere Betroffene gefühlt haben. Zu Ausnahmen in der verfügten Praxis gab Innenminister Pagel auf der Landtagssitzung am 16.12.1952 in Kiel auf die von dem FDP-Abgeordneten Schönemann eingereichte Frage zur „Vorlage von Entnazifizierungsunterlagen“ Auskunft.

Mit dessen Fachkollegen für den Bereich Finanzen, dem BHE-Abgeordneten Kraft debattierte Gerlich am 04.02.1953 über „Dienstbezüge der kriegsgefangenen Beamten“ sowie der Lehrerbesoldung dabei über Themen, die ihn potenziell selbst betroffen hatten oder betrafen. Seinen Kollegen vom Finanz- und Volksbildungsausschuss sprach er eine Einladung in den Volksbildungsausschuss zu wechselseitigen Besuchen aus und bekannte sich mit Bescheidenheitstopos und Selbstironie zu seinem Beruf, der ihm bei kontroverseren Äußerungen oft noch zum ernstgemeinten Vorwurf gemacht werden sollte: „Ich war einige Male Zuhörer im Finanzausschuß. Ich habe in dieser Zeit einiges gelernt, und schließlich bin ich ja nicht umsonst ein Schulmeister, der nicht nur lehren will, sondern gelegentlich auch dankbar etwas annimmt.“89

Im Juni 1953 wurde Gerhard Gerlich auf dem CDU-Landesparteitag in Itzehoe mit 214 von 251 Stimmen als stellvertretender Landesvorsitzender wiedergewählt und erhielt dabei leicht schlechtere Ergebnisse als sein Kollege von Hassel oder der Vorsitzende Lübke. Er hatte sich aber im Unterschied zu Innenminister Pagel nicht mit einem Gegenkandidaten wie einem ehemaligen NS-Oberbürgermeister aus dem weit rechts stehenden Parteiflügel auseinanderzusetzen.90

Gestärkt durch dieses Ergebnis und beflügelt durch den Gewinn aller Bundestagswahlkreise in Schleswig Holstein für die CDU im September übte Gerhard Gerlich in der Landtagsdebatte vom 20.10.1953 zum Thema Flüchtlingsbetreuung Kritik an dem Gesetzesentwurf über die „Errichtung und Satzung der Hilfsgemeinschaft Schleswig Holstein (Notgemeinschaft)“. Im Gegensatz zu dem Minister für Arbeit, Soziales und Vertriebene, Hans-Adolf Asbach, plädierte er aus eigener Kenntnis der Verhältnisse und der Psyche in den Flüchtlingslagern für eine Absenkung karikativer Hilfsleistungen wie Möbelspenden und für eine stärkere Aktivierung der Eigenverantwortung, zum Beispiel

89 s. Protokoll LT-SH, 2. WP., 04.02.1953, S. 492/93 u. S. 496/97 90 s. Volkszeitung, 15.06.1953, S. 2 56 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 durch Angebote günstiger Mietwohnungen und Wirtschafts-Kredite. Der BHE hatte für die derartig organisierten Betreuungsprogramme durch den „Landesverband vertriebener Deutscher“ eine Bereitstellung mit „erforderlichen Mitteln“ durch die öffentliche Hand durchsetzen können und vor allem zum Ärger Gerhard Gerlichs so eine Postenwirtschaft für die eigene Klientel finanzieren können, gegen die der engagierte Abgeordnete und Vertriebenenfunktionär bis April 1954 opponieren sollte.91

Für die inzwischen in „Gesamtdeutscher Block/BHE“ umbenannte Landtagsfraktion und deren Anfrage „Betreuung der Spätestheimkehrer“ hatte Gerlich dagegen am 11.02.1954 ebenso Lob übrig wie für die Zusicherung des Sozialministers Asbach, den Eigenheimbau zu fördern. Aus eigener Anschauung verwies er die positive Wirkung derartiger Beschäftigung auf die seelische Stabilität von Heimkehrern und in seinem Hinweis auf persönliche Kontakte zu Selbsthilfebaugruppen in Neumünster deutete er ein weiteres Themenfeld seiner politischen Engagements an, zumal in diesen Jahre auch Wohnungsbaugesellschaften oft Flüchtlingsgründungen waren.92

Vor dem Hintergrund, dass von 148 000 Menschen im Jahr 1950 in Schleswig Holstein 1953 noch 30 000 in Flüchtlingslagern lebten, wurde am 25. März 1954 zum Eingliederungsgesetz des Landes die „Ergänzung bundesrechtlicher Bestimmungen über die Angelegenheiten der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten“ beraten. Dabei beschrieb Gerlich, dessen kühl-rationale und wohlberechnete Formulierungen oft verletzend auf manche Abgeordneten wirkten, auf eine von ihm nicht gewohnte Weise die ihm nachvollziehbaren Gefühls- und Gedankenwelt mancher Flüchtlinge und die Gründe für deren fortwährende Verhaftung in Lagerbehausungen:

„Zum Teil sind es auch die noch bodenverwurzelten Teile unserer ostdeutschen Heimatvertriebenen, die lieber mit ihrem Kaninchenstall oder sogar mit anderem Kleinvieh in ihrer Baracke bleiben wollen, als daß sie in eine Mietkaserne eines neuen Wohnungsbauprogramms mit vorgeschriebenen Kleinstwohnungen einziehen, in denen sie dann auf Grund der Hausordnung nicht einmal berechtigt sind – ich selbst wohne zum Beispiel in einem solchen Objekt -, einen Hund oder eine Katze zu halten, noch viel weniger gar Kleinvieh. Meine Damen und Herren! Das sind doch alles so schwerwiegende

91 s. Protokoll LT-SH, 2. WP., 20.10 1953, S. 940-42 u. S. 944; vgl. Varain, Parteien, S. 288 92 s. Protokoll LT-SH, 2. WP., 11.02.1954, S. 1270-72 57 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Probleme, daß eine Formulierung wie 'sie wollen nicht heraus' sehr leicht mißverständlich gedeutet werden kann.“93

Bei der Verabschiedung des Gesetzes am 26.04.1954 setzte Gerhard Gerlich gegen den Widerstand des Koalitionspartners BHE durch, dass für die öffentlich subventionierten Betreuungsprogramme für Flüchtlinge nicht mehr die „erforderlichen Mittel“, sondern im Wortlaut lediglich noch „angemessene Zuschüsse“ beschlossen wurden. Für deren sachgerechte Verteilung nahm er den vom BHE gestellten Sozialminister sogleich öffentlich in die Verantwortung. Nicht wegen des darauf bezogenen Zwischenruf „Sophist!“ des BHE-Abgeordneten Eginhard Schlachta, sondern wegen eines vom Stenographen nicht identifizierten Einwurfs des SPD-Kollegen Paul Preuß während seiner Rede regte Gerlich beim Sitzungsleiter verklausuliert einen Ordnungsruf an. Zur allgemeinen Heiterkeit wurde er darauf vom Vizepräsidenten des Landtags Walther Böttcher (CDU) trocken beschieden: „Herr Dr. Gerlich! Ich möchte Sie ebenso eindeutig wie schonend darauf hinweisen, daß die Leitung der Sitzung hier liegt.“94

In seinem Selbstverständnis und Auftreten ließ Gerlich sich aber nicht dauerhaft irritieren und als zum Ende der dieser Wahlperiode am 04.08.1954 über die umstrittene Versetzung fast aller Oberstaatsanwälte diskutiert wurde, ergänzte er seinen Vorwurf der Überheblichkeit an den SPD-Abgeordneten Heinz Adler mit dem Rat: „Studieren Sie erst einmal Beamtenrecht!“95 Der resümierenden Begründung des Innenministers Pagel, die Entnazifizierung abzuschaffen und einen Schlussstrich darunter zu ziehen, dürfte Gerhard Gerlich zum Ende seiner ersten Wahlperiode im Kieler Landtag aus eigener Anschauung zugestimmt haben: „Sie wissen sehr genau, daß ich persönlich am Dritten Reich passiv beteiligt gewesen bin; das möchte ich einmal sehr deutlich aussprechen. Ich bin aber der Meinung gewesen – und meine Partei mit mir -, daß die - sagen wir einmal - Ausstoßung dieser Leute, die im Dritten Reich irgendwie tätig gewesen sind, eine falsche Politik war.“96

In den Tagen danach wurde Gerlich erst auf dem CDU Landesparteitag in Bad Segeberg

93 Protokoll LT-SH, 2. WP., 25.03.1954, S. 1478 94 s. Protokoll LT-SH, 2. WP., 26.04.1954, S. 1516/1517; vgl. Varain, Parteien, S. 288/89 95 Protokoll LT-SH, 2. WP., 04.08.1954, S. 1771 96 Protokoll LT-SH, 2. WP., 04.08.1954, S. 1853 58 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 als stellvertretender Landesvorsitzender bestätigt und danach unangefochten auf dem sicheren Listenplatz 6 für die bevorstehende Landtagswahl nominiert. Da der CDU- Landesverband Schleswig-Holstein 1954 allerdings noch mitglieder- wie finanzschwach war und sich nicht von wirtschaftlichen Interessenverbänden vereinnahmen lassen wollte, wurde jeder Kandidat verpflichtet, für die Wahlkampffinanzierung selbst rund 2000 DM zu sammeln.97 Bei seiner fortgeschrittenen Etablierung und einem offenkundig funktionierenden Netzwerk dürfte dies für Gerhard Gerlich allerdings kein Problem dargestellt haben.

2.2.2) Dritte Wahlperiode (1954-1958)

Bei der Landtagswahl am 12.09.1954 hatte Gerhard Gerlich seinen Wahlkreis Plön-Süd erneut problemlos direkt gewinnen können und zog als einer von 25 CDU-Abgeordneten in das Landeshaus ein. Genauso viele Sitze hatte die SPD bekommen, der GB/BHE war dagegen von 15 Mandaten auf 10 gefallen, so dass für die Fortsetzung einer bürgerlichen Regierung die FDP mit fünf Sitzen benötigt wurde. Der SSW als Partei der dänischen Minderheit war hingegen durch die gerichtlich noch angefochtenen Wahlrechtsverschärfungen nicht mehr im Parlament vertreten, stattdessen war mit dem Schleswig Holstein-Block (SHB) und vier Abgeordneten eine rechtsgerichtete Einheimischen-Partei in den Landtag eingezogen.

Bereits bei den Koalitionsverhandlungen hatte der geschäftsführenden CDU- Landesvorsitzende Kai-Uwe von Hassel den sterbenskranken Friedrich-Wilhelm Lübke ersetzt und wurde dann als gemeinsamer Kandidat von CDU, BHE und FDP für die Wahl zum Ministerpräsidenten vorgeschlagen. Auf der konstituierenden Sitzung am 11.10.1954 wurde im Landtag zunächst Walter Böttcher (CDU) gegen seinen Vorgänger Karl Ratz (von der prozentual stärkeren) SPD zum neuen Landtagspräsidenten gewählt und anschließend bekam von Hassel die 36 Stimmen seiner Bündnispartner, während der vorgeschlagene Gegenkandidat Max Ehmke, ein früherer CDU-Spitzenpolitiker und Kieler Oberbürgermeister lediglich 28 Stimmen von der Opposition erhielt.

97 s. Varain, Parteien, S. 208 59 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Im neuen Kabinett fielen die Ministerämter für Soziales und Finanzen an den BHE, das für Justiz an die FDP und dem neue geschaffenen Kultusministerium stand anfangs Gerlichs Parteifreund Helmut Lemke vor. Ihn dürfte der im Amt verbliebene Innenminister Pagel nicht gemeint haben, als er seinem Tagebuch am 13.10.1954 von dieser Regierungsmannschaft als einer „Ansammlung von Unzulänglichkeiten“ schrieb.98

Mit Beginn der Wahlperiode fügte Gerlich der Reihe seiner Ausschussmitgliedschaften auch die im Fachbereich Finanzen hinzu, und sollte dort 1961 noch Ausschussvorsitzender werden. Diese Besetzung dieser eher nachrangigen Positionen sollte 1954 zu einer ersten größeren Belastungsproben der jungen Wahlperiode werden, denn die Regierungsfraktionen verweigerten anfänglich zum ersten Mal der größten Fraktion SPD, derartige Positionen gleichfalls nach dem üblichen Proporz des Wahlergebnisses bekleiden zu können.

Gerhard Gerlich versuchte diese erneute Ausgrenzung zusammen mit anderen CDU- Politikern im Pressegespräch mit dem Eindruck und der Vermutung zu begründen, die größte Oppositionspartei habe durch die Vorsitzendenämter Einfluss auf die Landesverwaltung gewinnen wollen, was eine gebotene Trennung von Legislative und Exekutive verletzt hätte.99 Mit dem Boykott des Ältestenrats und dem demonstrativen Rückzug vom Amt des Landtagsvizepräsidenten erreichte die SPD in Januar 1955 dennoch das ihr zustehende Recht auf vier Ausschussvorsitze und führte damit diese gesuchte Argumentation ad absurdum.

Unter den neuen Abgeordnetenkollegen in den Regierungsfraktionen hätte Gerhard Gerlich auf einen alten Bekannten aus seinen NSDAP- (und geheimgehaltenen) SS-Zeiten treffen können, denn der spätere Fraktionsvorsitzende des BHE, Heinz Kiekebusch, war ab 1941 in Prag als Rechtsanwalt, Steuerberater und Rechtsrat an der der deutschen Karls-Universität aktiv gewesen.100 Ob die beiden Parlamentarier sich über den Ort von

98 Oelze, Dorothea: Wiederentdeckt: Die Tagebücher des schleswig-holsteinischen Innenministers Paul Pagel (29.12.1894-11.8.1955). Gründungsjahre und Regierungskrise Schleswig-Holsteins im Spiegel einer zeitgenössischen Quelle, in: Historisch-politische Mitteilungen. Archiv für christlich-demokratische Politik, Bd. 16 (2009), S. 319 99 Volkszeitung, 26.11.1954, S. 7 100 Smiatacz, Carmen: Ein gesetzlicher „Schlussstrich“?, Der juristische Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in Hamburg und Schleswig-Holstein, 1945-1960, Berlin 2015, S. 60 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Gerlichs Promotion oder weitere Gemeinsamkeiten aus den Kriegsjahren in dieser Stadt ausgetauscht haben, ist allerdings nicht zu ermitteln gewesen. Die Gelegenheit ihrer Zusammenarbeit in den Themenfeldern Schule und Finanzen ergab sich bereits auf der Landtagssitzung am 22.02.1955, als Kiekebusch bei der Feststellung des Haushaltsplanes die Kürzung des Schulbaumittel im Landeshaushalt betonte, die in Zukunft vor allem als Zuschüsse statt als Darlehen gewährt werden und mit zu erwartenden Mitteln des privaten Kapitalmarktes ergänzt werden sollten.101

Möglicherweise fühlte sich Gerhard Gerlich durch derartige Zusammenhänge und Verbindungen ermutigt, nun in seinem Wahlkreis in solitärer Initiative und mit fragwürdigen Mitteln einen in seinem Wahlkreis seit 1949 begonnenen und auf 13 Jahre angelegten Schulversuch der „Volksoberschule“ (VOS) in Preetz zu torpedieren. Es handelte sich um einen Reformversuch mit den hier nicht getrennten, sondern durchlässig organisierten gängigen Schularten Volksschule, Mittelschule und Gymnasium, der in Form einer kooperativen Gesamtschule angelegt worden war und nach der Regierungsübernahme ab 1950 auch von dem kommissarischen Kultusminister Pagel eine Fortsetzung zugesichert bekommen hatte.102 Gegen die jahrelangen massiven Widerstände vor Ort, der Kommunal- und Landespolitik inklusive des eigenen Koalitionspartners, anfänglich auch der Kultusminister, Fachexperten sowie der öffentlichen Meinung sollte es Gerlich Gerlich quasi im Alleingang gelingen, nach einer denkwürdigen Redeschlacht im Landtag 1960 das Projekt durch einen dubiosen Vertragsschluss 1962 schließlich zum Scheitern zu bringen.

Den Auftakt machte Gerlich auf einer CDU-Veranstaltung vor Ort, indem er der als „Mammutschule“ abqualifizierten VOS für eine sogenannte „Entflechtung“ sogleich seine eigenen Vorstellungen mit mehreren Rektoren gegenüberstellte, wie die „Preetzer Zeitung“ am 02.03.1955 zur allseitigen Überraschung berichtete: „Dr. Gerlich teilte mit, daß für den Weiterbau der Preetzer Volksoberschule in diesem Jahre keinerlei Gelder vorgesehen sind. Ja, er betonte sogar, daß er nicht verstehen könne, warum in dieser Schule so viele Schulkinder aus drei verschiedenen Schulsystemen zusammengefaßt seien. 'Noch in diesem Jahr jedoch wird eine Lösung der Preetzer Schulprobleme gefunden werden, die

362, Anm. 223 101 s. Protokoll LT-SH, 3. WP., 22.02.1955, S. 428 102 Christiansen, Julia: Die Volksoberschule Preetz. Eine Rekonstruktion ihrer Geschichte, Kiel 1996 (Staatsexamensarbeit), S. 58 61 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 sowohl Schüler als auch Schülereltern befriedigt.' Wie die Lösung aussehen könnte, deutete Dr. Gerlich auch an, der am Montag mit Kultusminister Dr. Lemke eine Besprechung gerade über diese Frage gehabt hat.“

Umgehend formierte sich in Preetz eine breite Protestbewegung aller Parteien des Magistrats (inklusive der örtlichen CDU-Vertreter) und des Elternbeirats, die mit einer Protestresolution für den „Weiterbau der VOS“ bei Kultusminister Lemke vorstellig wurde und auf die vertraglichen Verpflichtungen des Landes zur Fertigstellung bis 1956 hinwies: „Im Jahre 1950 wurde der erste Vertrag zwischen dem Land Schleswig-Holstein und der Stadt Preetz über den Bau der Volksoberschule geschlossen. Auf Bitten der Landesregierung, die die festgesetzten Termine nicht einhalten konnte, wurde dann im Jahre 1953 ein zweiter Vertrag geschlossen, nachdem sich die Stadt Preetz bereit erklärt hatte, das erforderliche Gelände für die Schule kostenlos dem Land Schleswig-Holstein zu übereignen.“103

Die Delegation wurde zwar anstelle des Kultusministers persönlich durch den Ministerialdirektor Kock empfangen, aber die Zurückweisung und das öffentliche Dementi von Gerlichs Eigenmächtigkeit, im Namen der Landesregierung derartige Schließungspläne zu verkünden, hätte kaum deutlicher ausfallen können: „Im Verlaufe dieser Unterredung teilte Min. Dir. Kock mit, daß die von Dr. Gerlich kürzlich in Preetz wegen der Volksoberschule gemachten Äußerungen keinesfalls die Ansicht oder Meinung des Ministers darstellten. Dr. Gerlich habe wohl mit Dr. Lemke über die Volksoberschule gesprochen und auch diesbezügliche Vorschläge unterbreitet, denen der Minister jedoch nicht zugestimmt habe.“104

Scheinbar ungerührt von dieser öffentlichen Blamage unternahm Gerlich stattdessen mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit einen modifizierten, aber inzwischen skeptischer aufgenommenen Versuch vor Ort, wie aus einem Redemanuskript vom 01.04.1955 in den Aktenbeständen des Preetzer Stadtarchivs hervorgeht: „Einige Tage nach der Unterredung war Dr. Gerlich wiederum in Preetz und beharrte auf seinem Standpunkt, die VOS zu entflechten. Sein Gedankengang, das jetzige Gebäude zu einer reinen Oberschule zu machen, eine neue Mittelschule zu bauen und zwei neue Volksschulen in Preetz zu

103 Preetzer Zeitung, 11.03.1955, S. 4 104 Preetzer Zeitung, 16.03.1955, S. 4 62 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 errichten, klingt fantastisch, wenn nur die rauhe Wirklichkeit nicht anders aussähe und wir Eltern es auch gar nicht wünschten.“105

Der Kultusminister Lemke kam 1955 noch zu mehreren Ortsterminen und langen Besprechungen nach Preetz, vermied aber eine Festlegung, die der öffentlichen Rückendeckung für Gerlich durch den Landesvorstand des Philologenverbandes für das Vorgehen gegen "Mammutschulen" widersprochen hätte. Der Minister und Parteifreund war gewiss erleichtert, diesen Problemfall ein Jahr später an seinen Nachfolger Edo Osterloh abgeben zu können.106

Auf Landesebene wagte Gerlich ebenfalls im März 1955 eine weitere Kraftprobe, denn bei der Landtagsdebatte am 31.3.1955 über den NDR-Staatsvertrag und die Liquidation der Vorgängerinstitution des Nordwestdeutschen Rundfunks kritisierte er die späte Vorlage des Papiers, sprach angebliche Versäumnisse bei den Ausschussberatung teils offen, teils mit Andeutungen an und beantragte im Plenum eine Rücküberweisung dorthin. Landtagspräsident Böttcher widersprach spöttisch dieser Kritik von dem „so tatkräftigen Unterstützer bei der Einhaltung der Geschäftsordnung“ Gerlich, der nach der Ablehnung seines Antrags sogleich auch gegen die gesamte Vorlage (wie nur noch ein weitere Abgeordneter) stimmte. Dieses abweichende Votum wurde von der Volkszeitung als sichtbarer „kleiner Hauskrach" innerhalb der CDU interpretiert, da „Dr. Gerlich (vermutlich mit Billigung des Ministerpräsidenten von Hassel) die besondere Berücksichtigung von Vertretern der Kirche in dem Programmbeirat bzw. dem Rundfunkrat“ gefordert hatte.107

Obwohl Gerlich erst mit Beginn der jungen Wahlperiode ordentliches Mitglied im Finanzausschuss geworden war, nahm er in öffentlichen Auftritten bereits die Stellung eines ausgewiesenen Experten in Anspruch und wurde über seine tatsächlichen Zuständigkeiten hinaus öfter von weniger selbstbewussten Abgeordneten in dieser Rolle bestätigt. Diese verließen sich zunehmend auf seine Detailkenntnisse und vertrauten seinem guten Gedächtnis wie auch seinen Ratschlägen (anstelle des tatsächlichen Finanzausschussvorsitzenden), wie sich z.B. im Protoktoll der Haushaltsberatungen am 24.03.1955 illustrieren lässt:

105 Pauselius, Peter: ...trotz der Schwere der Zeit..., Dokumentation über das Leben in der Stadt Preetz 1945-1955, Neumünster/ Preetz 2009, S. 796, Anm 302; im Folgenden: Pauselius, Preetz 106 s. Pauselius, Preetz, S. 799 u. Kieler Nachrichten, 08.06.1955, S. 4 u. 6 107 Volkszeitung, 01.04.1955, S. 8 u. Protokoll LT-SH, 3. WP., 31.03.1955, S. 642/43 63 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

„(Abg. Lechner: Wo ist die Deckung, Herr Arfsten? - Abg. Dr. Gerlich: Die Sache ist gedeckt, heben Sie ruhig die Hand! - Heiterkeit.) Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.“108

Bei den Haushaltsberatungen am Folgetag hatte die CDU-Fraktion koalitionsintern leichte Kürzungen an den öffentlich subventionierten Betreuungsprogrammen für Flüchtlinge in dem Regierungsvorschlag durchgesetzt, so dass Gerlich in seinem Debattenbeitrag eine positive Würdigung der betreffenden Hilfsgemeinschaft, des dahinterstehenden Landesverband der vertriebenen Deutschen und den für seine Klientel erfolglosen BHE leicht fallen konnte. Seine entsprechende überlegene Position artikulierte er freimütig wie selbstbewusst im Plenarsaal: „ Ich glaube, ich darf diese positiven Äußerungen gerade deswegen machen, weil ich in den Kreisen der organisierten Heimatvertriebenen als einer der schärfsten Kritiker bekannt - ich möchte fast sagen, berüchtigt bin (Abg. v. Herwarth: Aber nicht nur da! - Heiterkeit).109

Dass der Kultusminister Helmut Lemke wegen seiner negativen Erfahrungen mit dem eigenmächtigen, problematisch agierenden und zuweilen provokativ auftretenden Gerhard Gerlich diesen im Sommer 1955 in eine nähere Vertrauensstellung berief, erscheint trotz der ausgeprägten, aber wenig greifbaren Machtstellung dieses Kollegen im CDU- Landesvorstand wie auch im schleswig-holsteinischen Landtag wenig plausibel. Vielmehr war wohl die Aussicht des gleichfalls machtbewussten und gut vernetzten Lemke, wenige Monate später auf den Posten des Innenministers zu wechseln, ebenso ausschlaggebend wie der Umstand, dass in Schleswig Holstein, solange die CDU die Regierung führte, immer ein katholischer Abgeordneter parlamentarische Vertreter des Kultusministers war.110

Bei jedem anderen Repräsentanten als Gerlich hätten für diese redeberechtigten Stellvertreter der Ministers bei dessen Abwesenheit im Plenum oder anderen Terminen gewiss diejenigen Beeinträchtigungen gegolten, die der SPD Abgeordnete Eugen Lechner am 23.05.1955 im Landtag beschrieben hatte: „Ich möchte vor allem wegen der Kollision

108 Protokoll LT-SH, 3. WP., 24.03.1955, S. 764 109 Protokoll LT-SH, 3. WP., 25.05.1955, S. 779 110 s. Varain, Parteien, S. 246 64 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 der Interessen sagen, daß die Parlamentarischen Vertreter sich insoweit auch als der Exekutive zugehörig betrachten, daß sie also hier ganz offen sagen: Wir sind nun einmal eine Art verlängerter Arm des Ministers und müssen insoweit Rücksicht darauf nehmen und uns entsprechend verhalten; das heißt, daß wir bei der Legislative ein wenig gehindert sind.“111

Nachdem Gerlichs Ernennung zum Parlamentarischen Vertreter des Kultusministers am 04.07.1955 im Landtag bekannt gegeben worden war, nutzte er die Möglichkeiten dieser Stellung und gab diese auch nicht (wie vorgeschlagen) ab, als er 1961 zusätzlich auf den Vorsitz des Finanzausschusses nachrückte. Mit dieser neuen Machtstellung im Sommer 1955 korrespondiert auffällig sein Engagement zugunsten der Industriesiedlung Trappenkamp, von deren sudetendeutschen Vertretern Gerlich um Rat und Hilfe gebeten worden war.

Die dortigen militärischen Liegenschaften drohten im Zuge der Wiederbewaffnung an die Bundeswehr zu fallen und Gerlichs Engagement bei den Finanzbeschlüssen am 11.10.1955 sollte sich auch auf diese Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung beziehen: „Auf die eigentliche Frage des Nachtragshaushaltes – die Errichtung von 100 Stellen für die Bauvorhaben im Zusammenhang mit dem deutschen Verteidigungsbeitrag - zurückkommend, erklärte Dr. Gerlich, daß man der Landesregierung dankbar sein müsse, vorzeitig diesen Nachtragshaushalt vorgelegt zu haben, da dadurch verhindert würde, daß ein militärischer Apparat für die militärischen Bauten aufgezogen würde.“ 112 Auch als Innenminister sollte Helmut Lemke ebenso wie der Ministerpräsident in den folgenden Monaten durch einen von Gerlich losgetretenen Skandal beschäftigt werden, der am 19.12.1955 vorläufig in der Schlagzeile der Volkszeitung mündete: „Diskussion um den 'Fall Dr. Gerlich'. Von Hassel lehnt es ab, einem Lehrer den Mund zu verbieten“.

In einer Diskussionsveranstaltung mit Schülern in Bad Bramstedt am 07.12.1955 über die Wiedervereinigung hatte Gerhard Gerlich, noch unter dem Eindruck einer Reise im Ausland und der dort erfahrenen Skepsis zu einer Rückkehr vertriebener Deutschen in die ehemaligen Ostgebiete sensationellerweise erklärt, die deutschen Rechtsansprüche auf das Gebiet jenseits jenseits der Oder-Neiße-Linie seien vorbelastet „vom Nazismus und

111 Protokoll LT-SH, 3. WP., 23.05.1955, S. 680 112 Volkszeitung, 12.10.1955, S. 9 65 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Nationalismus". Stattdessen plädierte er für eine Art gemeinsamer föderalistischer Regierung durch Polen und Deutsche in Form eines „Kondominiums“ und antwortete auf den empörten Widerspruch der meisten Schüler mit seinem Vorwurf des „engstirnigen nationalen Chauvinismus".

Dies berichtete die „Segeberger Zeitung“ vom 06.12.1955 unter der Überschrift „Deutschland kann sich nicht selbst regieren . . sagt Dr. Gerlich. Ungeheure Empörung über den Parlamentarischen Vertreter des Kultusministers in der Schülerversammlung in Bad Bramstedt“. Den Titel leitete die Zeitung dabei aus der folgenden Passage ihres Berichtes her: „Ein anderer Schüler gab zu bedenken, daß Polen in seiner Geschichte noch nie bewiesen habe, sich längere Zeit selber regieren zu können. Dr. Gerlich entgegnete, dasselbe könne man auch von Deutschland behaupten.“ Wie die Redaktion noch mehrfach in eigener Sache berichten musste, bezog sich in den folgenden heftigen Debatten die spätere Kritik Gerlichs und des CDU-Landesgeschäftsführers Hanns Pusch sowie deren fragwürdige Methoden der parteieigenen Pressepolitik nicht auf den korrekt wiedergegeben Inhalt von Gerlichs Auftreten, sondern lediglich auf die so hergeleiteten Schlagzeile.113

Vielfach wurden nun in der gesamten Landespresse durch Leserbriefe strenge Maßnahmen gegen Gerlich als „Verzichtspolitiker“ gefordert, z.B. die sofortige Einleitung eines Verfahrens gegen den in Bad Bramstedt als „parlamentarischer Vertreter des Kultusministers" angekündigten Redner. Neben dem BHE forderten um den Jahreswechsel herum verschiedene Gliederungen von Flüchtlingsverbänden seine kritische Befragung bis hin zu einem Ausschluss aus dem „Landesverband vertriebener Deutscher.“ Auch der Landesverband des Koalitionspartners FDP forderte in einer Pressemitteilung die Prüfung, ob Gerhard Gerlich als Oberstudienrat in Neumünster noch im Schuldienst tragbar sei, womit sich auch der CDU-Landesausschuss sowie der Ministerpräsident zu befassen hatte.114

Weder der im Januar vereidigte neue Kultusminister Edo Osterloh, noch sein wohl kaum freiwillig übernommener Parlamentarischer Vertreter Gerlich sollten sich mit diesem losgetretenen Skandal im Kieler Landtag direkt befassen müssen. Stattdessen fiel

113Segeberger Zeitung, 24.12.1955, S. 9 u. 08.02.1956, S. 9 114 s. Volkszeitung, 19.12.1955, S. 2 66 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Innenminister Lemke auf der Sitzung am 06.02.1956 in der Fragestunde die höchst problematische Aufgabe zu, stellvertretend die Redeinhalte, die Motivlage und das Vorgehen Gerlichs mit Missverständnissen seitens der Bramstedter Schüler oder Missdeutungen der Segeberger Zeitung verharmlosend zu interpretieren. Diese dokumentierte den Wortlaut dieser ministeriellen Erklärung mit einer erneuten „Richtigstellung zum Fall 'Dr. Gerlich'“ und ihrer entsprechenden Korrektur. 115 Zu Beginn dieser Landtagssitzung am 06.02.1956 hielt Gerhard Gerlich noch eine Rede über sozialen Wohnungsbau und die kulturelle Betreuung von Heimatvertriebenen, hatte sich aber vor dem Tagesordnungspunkt mit diesem für ihn absehbar prekären Thema schon wegen einer früheren Zusage für eine Vortragsveranstaltung in Schleswig entschuldigen lassen, wie Lemke in der aktuellen Fragestunde auf die Erkundigung nach der Anwesenheit des Betreffenden erklärte.116

Fünf Tage zuvor hatten sich die Abgeordneten des Hauses mit einem weiteren Auswuchs einer allzu weitgehend beschlossenen Entnazifizierungsregelung auseinanderzusetzen. Der ehemalige Lübecker NS-Polizeipräsident Walther Schröder, SS-Polizeiführer von Lettland und wegen wahrheitswidrigen Leugnens verurteilter Kriegsverbrecher, war auf diese Weise ebenfalls nachträglich in die Kategorie V (entlastet) eingestuft worden und hatte nun eine Entschädigung von 100 000 DM für abhanden gekommene Einrichtungsgegenstände aus seiner ehemaligen Dienstvilla beantragt.117 Als der Oppositionsführer Wilhelm Käber (SPD) im Plenarsaal dessen Einzelforderungen mit Empörung aufzählte, konnte sich auch Gerhard Gerlich eines Kommentars nicht enthalten: „Position 202: 100 Schulhefte und fünf Notizbücher. (Abg. Adler: Donnerwetter! - Abg. Dr. Gerlich: Kluge Vorratswirtschaft! - Heiterkeit.)“118

Ebenfalls im Parlament wurde im Mai 1956 ein seltenes Mal sichtbar, wie umfassend und ohne Rücksicht auf das Ansehen anderer Gerhard Gerlich nach seinem Selbstverständnis selbst hochrangige Entscheidungsträger in die Pflicht zur Umsetzung seiner eigenen Ziele zu nehmen pflegte. Dies konnte aktuell Helmut Lemke bei der erstmals gewählten

115 Segeberger Zeitung, 08.02.1956, S. 9 116 Protokoll LT-SH, 3. WP., 06.02.1956, S. 1465 117 s. Danker, Vergangenheitsbewältigung, S. 30 u. Kasten, Bernd: „Das Ansehen des Landes Schleswig- Holstein“. Die Regierung von Hassel im Umgang mit Problemen der nationalsozialistischen Vergangenheit 1954-1961, in: Zeitschrift für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Bd. 118, 1993, S. 268; im Folgenden: Kasten, Hassel 118 Protokoll LT-SH, 3. WP., 01.02.1956, S. 1283 67 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Gemeindevertretung von Trappenkamp oder bei dem Neumünsteraner Streit über den Stadtratsposten von Gerlichs Bruder Walter betreffen sowie dauerhaft bei der „Entflechtung“ der Volksoberschule Preetz auch den neuen Kultusministers Edo Osterloh, der öffentlich Gerlichs Position entgegen seiner anfangs zustimmenden Überzeugung zu vertreten hatte. Dieser Haltung entspricht ein Zwischenruf im Landtag vom 30.05.1956 und eine ebenfalls seltene Retourkutsche für Gerlich, als der CDU-Abgeordnete Carl Arfsten zum Haushaltsplan den in diesen Punkt zuständigen Minister Osterloh ungleich respektvoller ansprach:

„Ich sehe, daß der Herr Kultusminister inzwischen auch wieder erschienen ist. Ich darf dem Herrn Minister eines sagen. Was wir über die nicht durchgeführten Schulbauten gesagt haben, gilt nicht für seine Amtsperiode; er soll sich nicht beleidigt fühlen. (Heiterkeit. - Abg. Dr. Gerlich: Aber die Verantwortung erträgt er!) - Für das Vergangene, Herr Dr. Gerlich, kann er niemals die Verantwortung tragen. Ich bin überzeugt, daß er für das, was jetzt geschieht, die Verantwortung freudig tragen wird. (Abg. Lechner: Für die Vergangenheit haben wir den Parlamentarischen Vertreter! - Heiterkeit.)“119

In diesem Verhältnis zu Osterloh sollte Gerlich dauerhaft der überlegene und Druck ausübende Part bleiben, auch weil er trotz seiner bisherigen Skandale dennoch auf dem Landesparteitag am 10.06.1956 offenkundig unangefochten als stellvertretender CDU- Landesvorsitzender wiedergewählt wurde, wobei in den führenden Zeitungen Landespresse keine einzelnen Stimmergebnisse vermerkt worden waren.120 Osterloh sollte es in den folgenden Jahren nicht an öffentlichem Lob für den als überaus fleißig gelobten Gerlich fehlen lassen und nahm mit ihm zugleich oft die in Schleswig-Holstein immer noch argwöhnisch betrachteten Katholiken in Schutz. So schrieb er z.B. in in der CDU- Zeitschrift „Wort und Bild“ vom September 1958: „Von den 27 Abgeordneten der CDU- Landtagsfraktion gehört einer der katholischen Kirche an. Gerade dieser Parteifreund genießt bei allen Parlamentariern ohne Unterschied der Parteien besonderes Ansehen wegen seiner sachlichen und politischen Kenntnisse und Fähigkeiten.“121

119 Protokoll LT-SH, 3. WP., 30.05.1956, S. 1817 120 ab 11.06.1956 weder in Lübecker Nachrichten, Holsteinischer Courier, Kieler Nachrichten, Flensburger Tageblatt, Segeberger Zeitung oder Volkszeitung 121 WuB, CDU-SH, Nr. 8/1958, S. 14 68 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

In der sozialdemokratischen Volkszeitung sollte Osterloh hingegen als „gleichgeschaltet“ und sein mächtigerer „Vertreter“ Gerlich offen als sein eigentlicher Gegenspieler bezeichnet werden.122 Jenseits eines öffentlich zu erzielendes Effektes wurde zu diesem vor allem für Osterloh problematischen Verhältnis von einem Redakteur in der evangelischen Landeskirche an einen geheimen Kreis die folgende Notiz vom 24.06.1957 im „Vertraulichen Informationsdienst“ versandt, die nach der Lektüre sofort zu vernichten waren und in der es ungleich authentischer hieß:

„Zwischen Kultusminister Osterloh und seinem parlamentarischen Vertreter, Oberstud.Rat Dr. Gerlich (kath.), ist es zu tiefgehenden Meinungsverschiedenheiten gekommen. Der einzige katholische Landtagsabgeordnete Kiels macht sich durch seine scharfen und oftmals eigensüchtigen politischen Machenschaften verhasst. Auch seine Bindungen zu den katholischen Organisationen lockern sich immer mehr.“123

Entsprechenden Einfluss auf ein solches persönliches Verhältnis zu Minister Osterloh mochten zuvor die beiden Redebeiträge Gerlichs am 03.07.1956 im Kieler Landtag über die ersten Gemeinderatswahlen in Trappenkamp gehabt haben, die dieser zu den skandalösen Umständen ihrer Nichtanerkennung bzw. den Zwang zu Neuwahlen abgegeben hatte. Diese werden im Detail im Kapitel 2.3.2 „Im Gründungsjahr 1956 der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp“ dieser Untersuchung analysiert. Wesentliche Züge aller dortigen Debattenbeiträge hat Claus Dietrich Bechert in seiner Chronik der Gemeinde Trappenkamp von 1976 dokumentiert.124

Ergänzend problematisierte Oppositionsführer Wilhelm Käber (SPD) in der Sitzung am 02.10.1956 ohne direkte Namensnennung von Gerhard Gerlich die Hintergründe der für die SPD knapp verlorenen Wiederholungswahl, nahm den Ministerpräsidenten von Hassel ohne dessen Widerspruch für die Feststellung in Anspruch, dass der Demokratie in Trappenkamp mit dem (von Gerlich am 03.07.1956 verteidigten) dortigen Vorgehen kein

122 Volkszeitung, 03.09.1958, S. 2 u 27.10.1958, S. 2 123 Evangelischer Presseverband Schleswig-Holstein e.V. (Hrsg.): Vertraulicher Informationsdienst. Kirchliche Informationen für Schleswig-Holstein, Nr. 2/1957 (24.06.1957), S. 8 (Kleine Meldungen), in: Landeskirchliches Archiv Kiel [ 94 (Dokumentation) Nr. 2/1957, Vertraulicher Informationsdienst]; vgl. Linck, Stephan: Neue Anfänge? Der Umgang der Evangelischen Kirche mit der NS-Vergangenheit und ihr Verhältnis zum Judentum, Kiel 2013, S. 285 124 Bechert, Claus Dietrich: Chronik der Gemeinde Trappenkamp, Wankendorf 1976, S. 84-89; im Folgenden: Bechert, Chronik 69 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Dienst erwiesen worden sei und forderte gemeinsame Gesetzesänderungen, um derartige Manipulationen künftig auszuschließen.125 Während dieses Teils von Käbers Rede verzeichnete das Wortprotokoll keinen Zwischenrufs Gerlichs, dagegen zeigte er am Folgetag in der Haushaltsdebatte während des Beitrags des SHB-Abgeordneten zum Thema des Turnhallenbaus seine Gestaltungsmacht für manche allzu deutlich auf:

„ Meine Damen und Herren! Daran ist doch gar kein Zweifel - - (Zuruf des Abg. Dr. Gerlich: Das kommt in Ordnung!) - Herr Dr. Gerlich? (Abg. Dr. Gerlich: Das bringen wir wieder in Ordnung!) - Das hoffe ich auch; ich nehme an, es ist ein Versehen, daß der Betrag gestrichen worden ist. (Abg. Dr. Gerlich: Ja, ja! - Abg. Siegel: Sind Sie, Herr Dr. Gerlich, eigentlich der Finanzminister?)126

Als Anlass zu seiner umfassenden Kritik sowohl an diesem Minister, wie auch an dessen Kollegen Osterloh und Asbach für Soziales sowie am Ministerpräsidenten nahm Gerlich auf der nächsten Sitzung am 08.10.1956 eine ihm anonym überlassene Denkschrift zu Gunsten von ehemaligen Berufsoffizieren und Führern des Reichsarbeitsdienstes (RAD) aus dem Dritten Reich. Dieses Klientel war nach Kriegsende anfänglich aus dem öffentlichen Dienst des Landes entlassen und durch die „131er“-Regelung rehabilitiert worden, aber Gerlich sah die Betreffenden in „unterwertigen Beschäftigungen“ als noch nicht angemessen reintegriert an.127 Er war zwar selbst Abgeordneter einer Regierungsfraktion und setzte dennoch auch am 28.01.1957 in seinem forschen Umgangston wiederum gegenüber dem BHE-Kollegen Hans-Adolf Asbach bei dem Thema „Wohnungsbau 1957/58“ Standards in seinem robusten Umgang mit Vertretern der Landesregierung: „Wir sollten uns darin einig sein, daß wir dem Sozialminister nicht nur Vorhaltungen machen - er verträgt allerhand; (Heiterkeit).“128

125 s. Protokoll LT-SH, 3. WP., 02.10.1956, S. 1940 126 Protokoll LT-SH, 3. WP., 03.10.1956, S. 2010 127 Protokoll LT-SH, 3. WP., 08.10.1956, S. 2077-86, darin S. 2078/79 128 Protokoll LT-SH, 3. WP., 28.01.1957, S. 2453 70 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

In diesen Monaten wurde zudem im CDU-Landesvorstand im Verborgenen ein Konzept ausgearbeitet, nach dem die Partei in den entscheidenden Stellen der Landesverwaltung Vertreter mit ihrem Parteibuch platzieren sollte, um so ihren Einfluss auf Entscheidungen und Abläufe dauerhaft sichern zu können. Ein Strategiepapier, das vom CDU- Landesfachausschuss für öffentliche Verwaltung am 13.09.1956 entworfen wurde und vom CDU-Landesvorstand am 16.01.1957 behandelt wurde, war folgerichtig unter der Maxime formuliert: „Darüber hinaus sind diese Verwaltungsangehörigen mit CDU-Gesinnung die einzigen, auf die wir auch dann noch rechnen können, wenn die politische Führung der Verwaltung einmal in andere Hände übergehen sollte.“129 Als dieses Konzept im August 1962 öffentlich bekannt wurde, führte es zu einer erregten Landtagsdebatte, in der der stellvertretende Landesvorsitzende Gerhard Gerlich größere Nervenstärke und Souveränität zeigen sollte als der in den Sitzungen der Parteigremien gleichfalls beteiligte CDU-Landesvorsitzende und Ministerpräsident von Hassel.

Federführend für derartige CDU-Personalpolitik war damals der Vorstandskollege und Innenminister Lemke zuständig gewesen, der sich wohl kaum zufällig im Landtag am 09.04.1957 bei den Haushaltsdiskussionen in einem prekären Einzelfall entsprechenden Vorwürfen von Oppositionsführer Käber ausgesetzt sah. Lemke hatte kurz zuvor während dessen Dienstabwesenheit die Entlassung des langjährigen Leiters der Entschädigungsbehörde im Sozialministerium inszeniert, der selbst im Dritten Reich Repressalien erlitten hatte und bereits 1952 über die Benachteiligung der NS-Verfolgten bei einer Wiedergutmachung durch das Land geschrieben hatte: „Mit Recht weisen sie darauf hin, dass für die sogenannten 131er genügend Geld vorhanden ist. Die von der Landesregierung vertretende Politik der allgemein Befriedung wird gefährdet, wenn die ehemals politisch Verfolgten immer wieder gegenüber früheren Mitgliedern der NSDAP benachteiligt werden.“130

Diesen Behördenleiter mit einem SPD-Parteibuch ließ Lemke nun erklärtermaßen durch einen Freund aus seiner Schulzeit ersetzen, der zudem Mitglied in der NSDAP gewesen war. Als der SPD Abgeordneter Adler in Zweifel zog, dass eine derartige Parteizugehörigkeit die richtige Voraussetzung für ausgerechnet dieses Amt sei, warf der

129 Varain, Parteien, S. 275 u. Anm. 1135 130 Zit. nach Danker, Vergangenheitsbewältigung, S. 39 71 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

SHB-Abgeordnete Eisenmann ein: „ Es hat auch anständige Mitglieder gegeben!“131

Eine vergleichbare Umkehrung von Verantwortlichkeiten und Werten seit der NS-Zeit vollzog Gerhard Gerlich noch radikaler, als er im November 1957 bei der Debatte um das Landesbesoldungsgesetz eine Rede über die Verpflichtung der Landesregierung gegenüber diesen ehemaligen Nationalsozialisten und 131er-Betroffenen hielt. Wieder setzt Gerlich sich für die Ansprüche von ehemaligen Berufsoffizieren und Führern der NS- Gliederung des Reichsarbeitsdienstes (RAD) ein und formulierte dazu: „Denn wir sind der Überzeugung, daß es bei der Anwendung der jetzt in der Zweiten Novelle uns gegebenen Möglichkeiten in den fünf Haushaltsjahren, die vor uns liegen, möglich sein wird, Härten zu vermeiden und diesem Personenkreis auch weiterhin das Vertrauen zu erhalten, das er zu unserer Landesregierung und zu uns allen gefunden hat.“132

Damit definierte Gerlich, der seine SS-Mitgliedschaft fortwährend verschleierte, eine Umkehr der Bringschuld: nicht ehemalige Nationalsozialisten wie er hatten ihre echte Umkehr zu demokratischer Überzeugung unter Beweis zu stellen, sondern das Gemeinwesen der Nachkriegszeit hatte um die Täter der NS-Zeit offenkundig mehr zu werben als um das Vertrauen von deren einstigen Opfern. Eine derartige Haltung von Selbstgewissheit und autoritärem Überlegenheitsgefühl mochte auch der aktuellen Konfrontation in Neumünster um den Stadtratsposten seines Bruders zugrunde liegen. In deren Verlauf hatte Gerhard Gerlich Ende 1957 die ausgleichenden Schiedssprüche und auch die Autorität des CDU-Landesvorsitzenden von Hassel oder seines Stellvertreterkollegen Lemke nicht anerkennen mögen.

Ähnliche Probleme der Rollenfindung zeigte Gerlich auf der Landtagssitzung vom 29.01.1958, als er sich über sogenannte „Vorkommnisse in der Bauwirtschaft“ zu Korruptionsskandalen in zwei Reden auffällig bagatellisierend äußerte. Dies trug ihm die Kritik des Oppositionsführers Wilhelm Kälber ein und nicht nur gegenüber diesem, sondern auch zu dem Ordnungsruf des Sitzungsleiters an ihn kündigte er eine Gegenwehr im Ältestenrat an:

131 Protokoll LT-SH, 3. WP., 09.04.1957, S. 2632; Gesamtdebatte S. 2629-32 132 Protokoll LT-SH, 3. WP., 19.11.1957, S. 3042 72 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

„[Käber:] Aber, Herr Dr. Gerlich, lassen Sie mich einmal eines mit vollem Bedacht sagen: Wer in der von Ihnen geübten Art und Weise zu den Vorkommnissen Stellung nimmt, bringt sich in den Verdacht, entschuldigen und beschönigen zu wollen, (Abg. Dr. Gerlich: Das ist eine Unverschämtheit! - Abg. Dr. Beer: Das ist aber schlecht, Herr Käber!) was hier untersucht werden wird. (Abg. Dr. Gerlich: Das ist eine Unverschämtheit! - Unruhe.) Und wer wie Sie Stellung nimmt, greift dem Ergebnis einer vom Ministerpräsidenten zugesicherten gründlichen Untersuchung vor. (Glocke des Präsidenten.) Vizepräsident Siegel: Herr Dr. Gerlich! Sie haben das Wort "Unverschämtheit" gegen den Abgeordneten Käber gebraucht; Sie haben es nachher wiederholt. (Abg. Dr. Gerlich: Ja!) Ich rufe Sie zur Ordnung. (Abg. Dr. Gerlich: Darüber werden wir uns noch unterhalten!)“133

Eine weitere Loslösung Gerlichs von allgemein verbindlichen Regularien wurde in dem Volkszeitungs-Artikel „Protest der Gewerbelehrer gegen 'Gerlich-Vorschläge'“ vom 28.02.1958 deutlich, nach welchem der Landesvorstand des Deutschen Gewerbelehrerverbands aus einer gemeinsamen Besprechung mit Abgeordneten zum Landesbesoldungsgesetz massive Vorwürfe formulierte: „Dabei wurde gesagt, wenn Dr. Gerlich hinsichtlich der Gehaltsregelungen und der Dienstbezeichnungen unter den Regierungsentwurf gehe, dann sei dies nichts anderes als ein ausgesprochen selbstherrlicher Schritt, der im Finanzausschuß nur deshalb Unterstützung habe finden können, weil die Mitglieder dieses Ausschusses nicht hinreichend informiert worden seien. Dies sei keine Vermutung des Landesvorstandes. Vielmehr gehe man dabei 'von dem unmöglichen Verhalten des Dr. Gerlich' aus, der in Verhandlungen des Landesvorstandes mit Abgeordneten der CDU wörtlich erklärt habe: 'Wenn Sie noch weitere Wünsche haben, stufe i c h Sie niedriger ein!'“134

Weniger die Auseinandersetzungen mit dieser Klientel als Gerlichs nachhaltige Streitigkeiten in anderen Politikfeldern und seine Beeinträchtigung von höchsten CDU-

133 Protokoll LT-SH, 3. WP., 29.01.1958, S. 3373 134 Volkszeitung, 28.02.1958, S. 4 (viertletztes Wort im Original gesperrt) 73 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Repräsentanten des Landes dürfte dazu beigetragen haben, dass er auf dem Landesparteitag in Rendsburg am 20.06.1958 mit 171 Ja-Stimmen einen deutlich schwächeren Rückhalt im Vergleich zu den anderen drei Stellvertretern (mit jeweils 244, 236 und 220 Stimmen) fand. Seine Popularitätswerte schienen für ihn und seine Stellung innerhalb der Partei nachrangig zu sein, denn auf der Landesliste der CDU für die Landtagswahlen am 28.09.1958 erschien der Name Gerlich auf Platz sechs hinter dem des Ministerpräsidenten von Hassel und dessen Landesministern.135

2.2.3) Vierte Wahlperiode (1958-1962)

Das Landtagswahlergebnis vom 28.09.1958 spiegelte eine erfolgreiche Assimilationspolitik der CDU wider, die ihren gesellschaftlichen Ausdruck in der weitgehenden Integration der Flüchtlinge fand, für welche sich insbesondere Gerhard Gerlich in der Landtagsfraktion und in der Regierungspolitik engagiert hatte. Der Stimmanteil der CDU war von 33,2 % auf 44,4 % gestiegen und ihre 33 Mandate reichten zusammen mit den dreien der FDP für eine Fortsetzung der Regierung.

Nicht mehr gebraucht wurde dagegen die um das einstige Wählerpotenzial der Heimatvertrieben konkurrierende Partei GB/BHE. Personeller Ausdruck ihrer Abwärtsentwicklung von 14,0 % auf 6,9 % war nun der Übertritt ihrer Spitzenrepräsentanten Lena Ohnesorge und Carl-Anton Schäfer zur CDU, die damit als Minister unverändert in der Regierungsmannschaft des unumstrittenen Ministerpräsidenten von Hassel verbleiben konnten. Ähnlich deutlich war die Oppositionsrolle der SPD mit 26 Mandaten und des mit 2 Sitzen in den Landtag zurückgekehrten SSW. Dementsprechend hatte es bei der Konstituierung am 27.10.1958 und bei der Wiederwahl von Walther Böttcher (CDU) zum Landtagspräsidenten dieses Mal keine Einsprüche und kaum Gegenstimmen gegeben.

Dagegen war schon vor Beginn dieser ersten Sitzung der vierten Wahlperiode der Fortbestand von Parlamentarischen Vertretern, wie sie Gerhard Gerlich als

135 s. Volkszeitung, 23.06.1958, S. 2 u. Segeberger Zeitung, 07.07.1958, S. 8 74 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 regierungsamtliche Stellung für den Kultusminister Edo Osterloh innehatte, infrage gestellt worden. Zu dieser Personalie merkte die sozialdemokratische Volkszeitung in dem Artikel „Heute erste Landtagssitzung“ zur Person des wiedergewählten Gerlich mit Süffisanz an: „Auch die Bedenken gegen die parlamentarischen Vertreter in Form von Abgeordneten der Landesminister fanden keine Berücksichtigung. Im Kieler Landtag wird es weiter diese Vertreter geben, und Dr. Gerlich, der Gegenspieler von Kultusminister Osterloh (CDU), wird weiter Osterlohs parlamentarischen Vertreter sein.“136 Entsprechend der politischen Themenverlagerung nahm Gerlich anstelle des Ausschusses für Heimatvertriebene in dieser Wahlperiode einen Sitz im Innenausschuss wahr und wurde ferner als stellvertretender Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion gewählt.

Die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit holte auch in der vierten Wahlperiode die Arbeit im Schleswig-Holsteinischen Landtag ein. So hatte der BHE mit Heinz Reinefarth einen Kandidaten aufgestellt, der als einziger ehemaliger SS-General des Dritten Reiches nach 1945 auf Länderebene ein politisches Mandat erreichen sollte. Im Zweiten Weltkrieg war Reinefarth als Kampfgruppenkommandant maßgeblich für die blutige Niederschlagung des Warschauer Aufstands und für Massaker an der Zivilbevölkerung mitverantwortlich gewesen. Entsprechend stark war die Kritik im In- und Ausland daran, dass er zwar formalrechtlich korrekt gewählt, ab Oktober 1958 aber nun tatsächlich als Volksvertreter die parlamentarische Tätigkeit in den Kieler Landtag aufnehmen sollte.

Es war der Landesbeauftragte für staatsbürgerliche Bildung, das CDU-Mitglied Ernst Hessenauer, der auf einer Veranstaltung mit Jugendlichen diesem Abgeordneten bei derartiger NS-Vergangenheit die erforderliche Vorbildwirkung absprach. Als gewählter Bürgermeister von Westerland hatte Reinefarth zwar auf Sylt mittlerweile die Akzeptanz aller Parteien gefunden, aber die öffentliche Aufmerksamkeit für einen gewählten Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtages war ungleich größer und entfaltete eine entsprechende Signalwirkung. So bezeichnete Hessenauer bei Nennung des Namens Reinefarths dessen Mitwirken im Parlament als „Todsünde für die Demokratie“ und schädlich für das deutsche Ansehen im Ausland.

136Volkszeitung, 27.10.1958, S. 2 75 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Naturgemäß protestierte vor allem die BHE-Spitze heftig gegen diese Abqualifizierung und forderte Ministerpräsident von Hassel energisch zu einer Maßregelung des Landesbeamten Hessenauer auf. Der Regierungschef war selbst im Dritten Reich unbelastet geblieben und hatte schon bei vielen Gelegenheiten so unbefangen wie konsequent dazu aufgefordert, mit einer weiteren Beschäftigung oder Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit in Schleswig-Holstein abzuschließen. Insofern lag es auf seiner Linie, als er am 27.11.1958 im Namen des CDU-Landesverbandes zu der Angelegenheit Reinefahrt-Hessenauer erklärte, „daß er Wert darauf lege, daß der Schlußstrich unter die Entnazifizierung im Lande Schleswig Holstein, der vom Gesetzgeber gezogen worden ist, auch durch die Beamten des Landes Schleswig Holstein respektiert wird.“137

Zwei Tage zuvor hatte die CDU- Landtagsfraktion auf einer Pressekonferenz durch den Fraktionsvorsitzenden Mentzel im Beisein Gerlichs erklären lassen, dass diese Kandidatenauswahl allein vom BHE verantwortet werden müsse, in ihrer Partei CDU aber niemals eine Mehrheit gefunden hätte. Dieser klaren Abgrenzung vom 25.11.1958 fügte Mentzel auf der späteren Landtagssitzung am 16.12.1958 eine relativierende Ausweitung hinzu, indem er neben den rechtsextremen ausdrücklich auch linksradikalen Kräften, also Kommunisten, keinen Platz in der CDU einräume.138

Auf dieser November-Pressekonferenz hatte sich auch Mentzels Stellvertreter Gerlich geäußert, der selbst bei seinem Entnazifizierungsverfahren 1940 gezielt über eine eigene SS-Mitgliedschaft (allerdings von deutlich niedrigerem Rang) dauerhaft hinweggetäuscht und dieses Geheimnis bewahrt hatte. Vor diesem Hintergrund wirkte seine gleichfalls relativierende Stellungnahme auf dem Pressetermin am 25.11.1958 doppelbödig, denn Gerlich gab zu bedenken, „es sei bedauerlich, dass diejenigen, die heute am Mandat Reinefarth Ärgernis nehmen, damals geschwiegen hätten, als Reinefarth zum Bürgermeister von Westerland und im Vorjahr einstimmig wiedergewählt worden sei. Es sei auch nicht möglich, dass ein Mann, der unter dem N[ational]S[ozialismus] eine hohe Stelle eingenommen habe, bis zu seinem Lebensende disqualifiziert sei.“139

137 zit. nach Kasten, Hassel, S. 272, Anm. 40 138 Schleswig-Holsteinischer Landtag: Stenographische Berichte, 4. Wahlperiode (29.10.1958-22.08.1962), Kiel 1958-1962, S. 94 (16.12.1958); im Folgenden: Protokoll LT-SH, 4. WP. (mit Datum und Seitenzahl) 139 zit. nach Marti, Phillipp: Der Fall Reinefarth. Eine Biographische Studie zum öffentlichen und juristischen Umgang mit der NS-Vergangenheit, Neumünster/ Hamburg 2014, S. 157 u. Anm. 778 ( Pressestelle der schleswig-holsteinischen Landesregierung, Protokoll eines Pressegesprächs mit dem CDU- 76 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Diesen Satz schrieb Bernd Kasten allerdings fälschlicherweise Mentzel zu und glaubte deshalb die Haltung Gerhard Gerlichs (wie auch die des Kultusministers Edo Osterloh) als Abgrenzung zu Kai-Uwe von Hassels umstrittener Position innerhalb der Landespartei darstellen zu können. Dessen Zurechtweisung an den Landesbediensteten Hessenauer vom 27.11.1958 wurde von einer empörten Öffentlichkeit als ein „Maulkorb“ verstanden und tags darauf äußerten der Abgeordnete Gerlich wie auch dieser Minister Verständnis für den engagierten Landesbeauftragten für staatsbürgerliche Bildung, „der sich schon seit längerer Zeit Sorgen über eine zunehmende Renazifizierung in unserem Staate mache."140

In der weiterhin offenen und für Gerlichs Glaubwürdigkeit latent bedrohlichen Frage, wie mit den Entnazifizierungsakten in Schleswig-Holstein umzugehen sei, hatte Osterloh in einer Besprechung der Landesregierung am 03.11.1958 die Vernichtung des Bestandes vorgeschlagen, wohingegen bei Innenminister Lemke dieses Thema auf Desinteresse gestoßen war.141 So wurde letzterer in der Segeberger Zeitung 13.11.1958 mit „Lasst die alten Akten liegen“ zitiert und in seinem Verantwortungsbereich wurde diese Angelegenheit entsprechend nachrangig behandelt: „Anweisungen zur Vernichtung, Aussortierung und Verwertung sind vom Innenministerministerium bisher nicht gegeben worden, weil 'niemand daran gedacht' hat. Die Akten, verlautet von zuständiger Stelle, seien 'praktisch vergessen' worden. Archivdirektor Professor Hoffmann, der sich nur als Treuhänder des Ministeriums für diese Stöße von Papieren fühlt, meint, dass noch 5-10 Jahre mit Auswertungsrichtlinien gewartet werden sollte, um mehr Abstand von diesen Problemen zu gewinnen. Dann werde das Interesse des einzelnen an seiner Akte nicht mehr vorhanden sein.“142

Inwiefern diese Haltung von dem Betroffenen Gerhard Gerlich geteilt wurde, muss ungewiss bleiben. In der Landtagsdebatte am 16.12.1958 beteiligte er sich jedenfalls nicht an der strittigen Debatte um den SS-General Reinefarth und die Auswirkungen von derartiger NS-Vergangenheit innerhalb des schleswig-holsteinischen Parlaments. Tags darauf verstrickte er nach seiner sehr ausführlichen Rede zum Thema des sozialen

Fraktionsvorstand, 25.11.1958, Landesarchiv Schleswig [LASH, Abt. 605, Nr. 2626]); vgl. Volkszeitung, 26.11.1958, S. 4 140 zit. nach Kasten, Hassel, S. 272, Anm 50 141 Kasten, Hassel, S. 275, Anm. 672 142 Segeberger Zeitung, 21.10.1958, S. 8 77 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Wohnungsbaus die nachfolgenden Sprecher mit zahlreichen Zwischenrufen wie „Aber hören Sie doch auf!“ und anderen Provokationen in störende Zwiegespräche am Rednerpult. So konnte ihn auch die Bitte des Sitzungsleiters, des Landtagsvizepräsidenten Arthur Schwinkowski nicht aufhalten: „Herr Abgeordneter Dr. Gerlich! Ich halte es für richtig, daß wir den Redner erst aussprechen lassen.“143

Der Kieler CDU-Kreisvorsitzende Arthur Schwinkowski war nach einer Wahlperiode Pause im Oktober 1958 wieder in den Kieler Landtag gewählt worden und arbeitete auf dem Gebiet der Bildungspolitik eng mit Gerhard Gerlich zusammen. Weil sie als Katholiken im Schleswig-Holsteinischen Parlament eine Sonderstellung einnahmen, wurden sie auch von der Presse als politisch enge Vertraute wahrgenommen.

Die politischen Interessenschwerpunkte von Gerlich hatten sich im Laufe der Integration von Flüchtlingen auf andere Themenfelder verlagert und als ein Symptom für diese Entwicklung stand in der Landtagssitzung am 6.1.1959 die „Auflösung der Hilfsgemeinschaft Schleswig-Holstein (Notgemeinschaft)“ auf der Tagesordnung. Als der BHE-Abgeordnete Georg Urban während der Debatte vage aus einem Sitzungsprotokoll zitieren wollte, konnte ihm Gerlich mit einem Zwischenruf das genaue Datum sowie die Uhrzeit nennen und zeigte sich damit laut des Sprechers „glänzend informiert.“144 Die penible Gründlichkeit und Gerlichs umfangreiches Fachwissen war zu ähnlichen Gelegenheiten allerdings auch gefürchtet.

So war ihm bei der intensiven Lektüre des Haushaltsentwurfs zu dem umfangreichen Landesbesoldungsgesetz aufgefallen, dass in der Besoldungsgruppe A 13 auf der Stufenleiter von Regierungsräten auch ein neuer Beamtentitel für Landtagsstenographen geschaffen werden sollte. Das Ergebnis seiner kritischen Kontrolle teilte er anstelle interner Hinweise oder Nachfragen im Ministerium stattdessen in der Segeberger Zeitung vom 14.01.1959 mit einem personalisierten Verdacht öffentlich mit: „Doktor Gerlich bestätigte, dass es für diese Neuerung keine juristische Grundlage im Beamtenbesoldungsgesetz gebe. Es könne sich daher eigentlich nur um einen 'Druckfehler' im offiziellen Etatentwurf handeln, der allerdings die Frage offen lasse, ob er

143 Protokoll LT-SH, 4. WP., 16.12.1958, S. 128/29 144 Protokoll LT-SH, 4. WP., 06.01.1959, S. 212 78 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 rein zufällig dem Haushaltsreferenten im zuständigen Finanzministerium unterlaufen sei.“145

Größere Aufmerksamkeit weckte der Name Gerlich in der Landespresse dieser Tage allerdings durch einen Diskussionsbeitrag des Bruders Walter, der sich bei der Jungen Union Neumünster zumindest missverständlich geäußert hatte. Auf der Basis einer dpa- Meldung zitierte u.a. der Holsteinische Courier am 13.03.1959 unter dem Titel „Schwerwiegende antisemitische Vorwürfe. Dr. Walter Gerlich im Mittelpunkt einer Diskussion“ folgende Auszüge:

„Auf Grund der historischen Entwicklung des Antisemitismus könne festgestellt werden, wenn das deutsche Volk es nicht getan hätte, hätten es andere Völker getan. (Damit ist offenbar die Ausrottung der Juden gemeint. - Red.) Es sei nur eine Eigenart der Deutschen, besonders gründlich zu sein und es auch beim Antisemitismus zur Perfektion gebracht zu haben. Man müsse dieses Problem psychologisch betrachten, und dazu könne er, (Dr. Gerlich) aus eigenem Erleben aus dem österreichischen Raum sagen, daß die Einwanderung der Ostjuden, die bettelarm gekommen und in kurzer Zeit steinreich geworden seien, den Antisemitismus gefördert habe. Der Ausrottungsgedanke des Nationalsozialismus gegenüber den Juden sei erst nach dem 9. November 1938 erkennbar gewesen.“146

Womöglich war es Walter Gerlich entfallen, dass dieses Datum der Judenpogrome in NS- Deutschland seinerzeit auch die Aufnahmezeremonie von Gerhard Gerlich und ihm in die SS-Einheit 3/108 im sudetendeutschen Aussig markiert hatte.147 Vorrangig dürfte in diesen Tagen für ihn, für seinen Bruder im Landesparlament, die Pressestelle der Landesregierung und für auch den Kultusminister Osterloh gewesen sein, der massiven Kritik in der Öffentlichkeit und den erneuten Forderungen nach einer Entfernung aus dem Schuldienst (wie zuvor gegenüber Gerhard Gerlich) etwas entgegen zu setzen. Der Minister zog sich wie der Regierungsapparat auf das Argument angeblicher Fehlinterpretationen zurück, kommentierte diesen Skandal aber vor der Jungen Union in Eckernförde auf eine Weise, die die Spannungen zwischen ihm und seinem

145 Segeberger Zeitung, 13.01.1959, S. 10 146 Holsteinischer Courier, 13.03.1959, S. 9 147 Erdmann, Lebensstationen, S. 16/17 79 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 parlamentarischen Vertreter Gerhard Gerlich gewiss vertieften.

So war in der SPD-nahen Volkszeitung vom 19.03.1959 unter der wohl schmerzlichen wie missverständlichen Überschrift „Kultusminister Osterloh korrigiert Dr. Gerlich. Auch im christlichen Lager Antisemitismus“ zu lesen: „Zu den Neumünsteraner Aueßerungen von Dr. Gerlich hielt es Osterloh für erwiesen, daß ein Diskussionsbeitrag, bei dem Dr. Gerlich zu erklären versuchte, wie Antisemiten denken, fälschlich als dessen eigene Meinung angesehen wurde. Minister Osterloh sagte, Dr. Gerlich täusche sich allerdings, wenn er meine, daß Antisemitismus nur im nicht-christlichen Lager möglich sei. Es habe im Mittelalter in der katholischen Kirche, später bei Martin Luther und auch in der Folge sehr oft eine stark antisemitische Strömung innerhalb der Kirche gegeben.“148

In der öffentlichen Wahrnehmung sollte dieser Skandal im Jahr 1959 allerdings durch einen weitaus größeren überstrahlt werden, die der Kieler Landtag zum Anlass nahm, zu der „Aufklärung der in der Öffentlichkeit gegen den Landtagspräsidenten Dr. Walther Böttcher erhobenen Vorwürfe“ einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzusetzen. In diesem Gremium beschäftigte Gerlich sich zusammen mit Vertretern anderer Fraktionen während des Sommer 1959 in 17 teils nicht-öffentlichen Sitzungen mit Fragen, inwiefern Böttcher, ebenfalls CDU-Abgeordneter und zudem Lübecker Bürgermeister, seine politischen Ämter dazu benutzt hatte, um private Dinge zu seinen Gunsten zu regeln.

Unter dem Vorsitz des CDU-Abgeordneten Claus Joachim von Heydebreck wurde unter anderem erforscht, ob Böttcher oder dessen Sohn unzulässig Einfluss auf Kultusbeamte (bis hin zum Minister) und Lehrer genommen hatten, die Schulzensuren der normalerweise nicht versetzten Tochter nachträglich aufzubessern. In der Vertiefung von Schulverordnung, der Prüfberechtigung von Lehrern und anderer Versetzungsregularien engagierte sich der Pädagoge Gerlich besonders stark und fiel daneben in der Ausschussarbeit vor allem dadurch auf, dass er Fernseh- und Rundfunkübertragungen von Ausschusssitzungen als Eingriff in die Privatsphäre ablehnte. Für die Öffentlichkeit und die Presse waren andere Themen vorrangig, die sich auch in dem am 12.09.1959 verabschiedeten Abschlussbericht des Ausschusses stärker widerspiegelten.149

148 Volkszeitung, 19.03.1959, S. 4 80 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Demnach hatte Landtagspräsident Böttcher seine Kontakte dafür eingesetzt, dass ihm nahestehende Personen (wie ein darüber nicht informierter Schwager) eine Beteiligung an der Spielbank Travemünde erwerben sollten, und dass er seinen Dienstwagen mit Chauffeur während des Urlaubs unberechtigterweise nach Frankreich beorderte. Zudem hatte mit seinem Wissen das Landtagspersonal die Doktorarbeit seines Sohnes (zum Thema der Rechte und Pflichten eines Landtagspräsidenten) gegen Materialerstattung vervielfältigen und auf Präsidenten-Briefbögen anderen Landesparlamenten zum Kauf anbieten lassen. Dazu resümierte Klaus-Detlev Godau-Schüttke: „Obwohl diese Verfehlungen auch in CDU-Kreisen nicht als gravierend angesehen wurden, war die Spitze der Partei in Schleswig Holstein dennoch froh, als Böttcher von seinem Amt als Landtagspräsident zurücktrat.“150

Mit dieser Vakanz und einem auszufüllenden Machtvakuum verband Gerhard Gerlich die Aussicht, seine Stellung im Landtagsapparat durch das Protegieren seines Vertrauten und Fraktionskollegen Arthur Schwinkowski auszubauen und weiter zu festigen. Mit seinen Personalplänen hatte er in den Umbruchtagen fraktionsintern gute Aussichten gehabt, um dann doch überraschend zu scheitern, wie die Volkszeitung am 23.09.1959 unter der Überschrift „v. Heydebreck wird Landtagspräsident“ auf der Titelseite vermerkte: „Der CDU-Landtagsabgeordnete v. Heydebreck ist am Dienstag überraschend von seiner Fraktion zum neuen Landtagspräsidenten vorgeschlagen worden. In geheimer Zettelwahl unterlag der bisherige Favorit Dr. Schwinkowski nach einer zweistündigen Debatte in der CDU-Fraktion. Damit unterlag parteitaktisch auch Dr. Gerlich, der sich betont für Schwinkowski eingesetzt hatte.“

Diese personelle Verknüpfung war landesweit so bekannt, dass sie mit Hinweis auf das katholische Glaubensbekenntnis der beiden CDU-Landtagsabgeordneten im Folgemonat während des Kommunalwahlkampfes von der Neumünsteraner FDP als Argument gegen Gerlichs umstrittene Favorisierungen eingesetzt wurde. Dies wurde im Kapitel 2.1. „In Neumünster als Ausgangspunkt für Parteipolitik“ dieser Untersuchung näher dargelegt. Immerhin war es innerhalb der CDU-Fraktion durchaus umstritten gewesen, dass

149 Protokoll LT-SH, 4. WP., 21.09.1959, S. 667-81; s. ferner: Schleswig-Holsteinischer Landtag: Niederschriften des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der in der Öffentlichkeit gegen den Landtagspräsidenten Dr. Walther Böttcher erhobenen Vorwürfe, 4. Wahlperiode Kiel 1959, 211 S. 150 Godau-Schüttke, Heyde/Sawade-Affäre, S. 306 81 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 ausgerechnet von Heydebreck indirekt von dem Fazit und den Auswirkungen des von ihm geleiteten Parlamentarischen Untersuchungsausschusses profitieren sollte. Ebenfalls Ambitionen hatte der Abgeordnete Paul Rohloff gehabt, der sich an die entsprechenden Seilschaften und Abläufe erinnerte:

„In der Fraktion ging es dann Ruck-Zuck, um Herrn von Heydebreck ins Amt zu bringen, obwohl er ziemlich neu im Parlament war. Er war ein guter Freund des damaligen Ministerpräsidenten von Hassel, er schien ihm offensichtlich leitfähiger. Ich fand es sehr unpassend, dass Herr von Heydebreck, der den Untersuchungsausschuss mit dem Ergebnis des Rücktritts von Landtagspräsident Doktor Böttcher geleitet hatte, jetzt im Amt folgen sollte.“151

Im Unterschied zu anderen Fällen ließ sich Gerlich eine anhaltende Frustration anmerken, da er nicht nur bei der Sitzung der Wahl von Heydebrecks zum Landtagspräsidenten am 29 09.1959 fehlte (als vermutlich demonstrativer Akt ebenfalls auf der Titelseite der Volkszeitung vermeldet), sondern sich auch für die drei Novembersitzung abmeldete, obwohl er sehr selten auch nur eine einzige Sitzung versäumte. Dazu stand bei seiner Rückkehr am 04.12.1959 ein nächster großer Skandal der schleswig-holsteinischen Nachkriegsgeschichte auf der Tagesordnung, der im gesamten Bundesgebiet für Aufsehen sorgte. Diesen skizzierte später der Landtagspräsident Rudolf Titzck:

„Prof. Heyde war maßgeblich an der nationalsozialistischen Euthanasie beteiligt gewesen. Beim Transport ins Frankfurter Untersuchungsgefängnis gelang ihm jedoch die Flucht. Er setzte sich nach Kiel ab, wo er unter dem Namen Dr. Fritz Sawade untertauchte. Zunächst wurde er Sportarzt an der Landessportschule in Flensburg, ab 1952 Gutachter bei der örtlichen Staatsanwaltschaft und beim Landessozialgericht. Erst 1959 wurde die wahre Identität bekannt, Professor Heyde stellte sich den Behörden, in der Untersuchungshaft nahm er sich später das Leben. Im Dezember 1959 setzte der Landtag einen Untersuchungsausschuss ein, der ermitteln sollte, wie es möglich war, dass Professor Heyde über einen derart langen Zeitraum unentdeckt bleiben konnte.“152

151 Rohloff, Paul: Die Demokratie lebt vom Kompromiss, in: Titzck, Rudolf (Hg.): Landtage in Schleswig- Holstein, Husum 1987, S. 167 152 Titzck, Rudolf (Hg.): Landtage in Schleswig-Holstein, Husum 1987, S. 94; zum Gesamtkomplex s. Godau-Schüttke, Heyde/Sawade-Affäre, sowie: Danker, Uwe: „Die Täter bildeten ein Kartell des Schweigens“. Die unglaubliche Affäre Heyde/Sawade 1959, in: Danker, Uwe: Die Jahrhundert-Story, Bd. 82 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Noch in der Sitzung am 04.12.1959 mit Gerlichs Wiedererscheinen versuchte Ministerpräsident von Hassel mit Einwänden die Einsetzung eines solchen Gremiums grundsätzlich zu verhindern. Aber im Verfassungsausschuss einigten sich die Abgeordneten aller Fraktionen auf zwei getrennte Parlamentarische Untersuchungsausschüsse (PUA) zu Heyde/Sawade mit verschiedener Thematik. So sollten einerseits Mitwisser und Helfershelfer dieses ehemaligen Mitentscheiders bei der massenhaften Ermordung von Behinderten nach ihren Aktionen oder Unterlassungen in den Nachkriegsjahren befragt werden. Zum anderen sollten die vermeintlichen Kenntnisse von Journalisten (wie des Redakteurs und SPD-Abgeordneten Jochen Steffen) zu einer angebliche Mitwisserschaft in der Landesregierung über die Personenidentität von Heyde/Sawade verifiziert werden.

Gerlich war Mitglied in dem entscheidenden Ausschuss für Verfassung und Geschäftsordnung und wurde zudem in diese beiden am 16.12.1959 eingesetzten Untersuchungsausschüsse berufen. Letzteres bezeichnete er in seiner Landtagsrede am 14.12.1959 als „traurige Pflicht“, räumte aber wohl bewusst und zum Ärger des Ministerpräsidenten eine Wahrscheinlichkeit der erwähnten (und später nicht beweisbaren) journalistischen Verdächtigungen ein, indem er eine Formulierung verwendete über „jene Personen des öffentlichen Lebens, über die offensichtlich der Abgeordnete Steffen begründete Verdachtsmomente ins Treffen führen konnte, (...) als er in der letzten Sitzungen Behauptungen aufstellte.“153

In der Forschung bislang unbekannt war hingegen, dass Gerhard Gerlich im Januar 1960 einen Redeentwurf gegen gehäuft auftretende „Antisemitische Vorfälle“ für eine Erklärung des Landtagspräsidenten zur Sitzung am 25.01.1960 verfasste. Dies legt jedenfalls die Kopie eines sechsseitigen Manuskripts mit Namenskürzel, Datierung und Spuren der Textveränderung in der augenscheinlichen Handschrift Gerlichs nahe, die Klaus Deneke aus seinem Privatbesitz freundlicherweise zur Verfügung stellte. Mehr Material dieser Art und die Möglichkeit einer Authentifizierung wäre für diese Untersuchung wünschenswert gewesen.154

3, Flensburg 1999, S. 168-87; im Folgenden: Danker, Täter 153 Protokoll LT-SH, 4. WP., 14.12.1959, S. 865 154 Gerlich, Gerhard: Antisemitische Vorfälle (handschriftlicher Redeentwurf für den Landtagspräsidenten), Neumünster 1960, 6 Bl, Kopie [Privatbesitz] 83 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Unter der Voraussetzung einer Echtheit hatte Landtagspräsident von Heydebreck diesen wohl von Gerlich stammenden Text mit wenigen Veränderungen und Streichungen übernommen und zu Sitzungsbeginn u.a. vorgetragen: „Der Schleswig-Holsteinische Landtag appelliert an alle für die Aufklärung und Ahndung solcher Untaten zuständigen Behörden und Gerichte, gegen die Täter mit der gebotenen Strenge vorzugehen, dabei aber auch die Motive und möglichen Hintermänner ermitteln zu helfen. Er erwartet, dass alle für die Erziehung, Ausbildung und und Unterrichtung Verantwortlichen alles tun, um die Bevölkerung, besonders aber die Jugend, sowohl über die Untaten des Hitler-Regimes als auch über alle Gefahren totalitären Denkens und Handelns aufzuklären, damit unser deutsches Volk nicht erneut einer Welle des Hasses und Neides, der Missgunst und Zwietracht zum Opfer fällt.“155

Zu diesen staatstragenden Worten aus der Feder Gerlichs von 1960 scheint ein zeitgenössischer Kommentar „Unsere Vergangenheit lebt“ des sozialdemokratischen Chefredakteurs Karl Rickers zu passen, der am 27.07.1960 in der Volkszeitung schrieb: „Weswegen haben wir die Vergangenheit bisher nicht zu bewältigen vermocht? Der wesentliche Grund ist ganz einfach: wir sehen eine breite und gewichtige Schicht von Menschen, die seinerzeit Mitläufer, Mitrufer und Mitdenker Hitlers waren, jetzt unsere Demokratie aufbauen, kraft ihres Amtes. Den meisten von ihnen muß man schon aus menschlichen[,] aber auch aus persönlichen Gründen die Anwendung der Formel zubilligen: im Zweifelsfall Demokrat. Man muß es schon aus dem Grunde, weil man auf die ehrlichen unter ihnen angewiesen ist, denn der Staat besteht aus a l l e n Menschen im Volke.“156

Gerlich blieb jedenfalls in diesem Jahr weiterhin an der erweiterten Spitze der Regierungspartei CDU, obwohl er auf dem Landesparteitag am 11.06.1960 in Mölln bei den Wahlen zum stellvertretenden Landesvorsitz mit 158 Stimmen wieder deutlich hinter den Ergebnissen von , Helmut Lemke und mit 184 bzw. 181 Stimmen landete.157 Eine anhaltend geringere Popularität mochte auch daran liegen, dass er ab Mai 1960 seine bekannte Auseinandersetzungen in Preetz zur „Entflechtung“

155 Protokoll LT-SH, 4. WP., 25.01.1960, S. 865; ebenfalls in: Volkszeitung, 26.01.1960, S. 8 156 Volkszeitung, 27.07.1960, S. 2, viertletztes Wort im Original gesperrt 157 Volkszeitung, 13.06.1960, S. 2 84 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 oder Schließung der Volksoberschule forciert hatte.

So schrieb die Volkszeitung am 25.05.1960 unter dem Titel „Preetz will seine VOS behalten. CDU bricht vor der Wahl gegebenes Versprechen“ aus sozialdemokratischer Perspektive mit besonderen Bezug auf diesen Bildungs- und Finanzpolitiker: „Selbst die CDU-Stadtfraktion in Preetz setzte sich für die Erhaltung der Schule ein, weil sonst die Stadt 'die Kosten allein tragen müßte'! Da außerdem eine Wahl bevorstand und die Preetzer Schulfrage viel Staub aufgewirbelt hatte, versprach Dr. Gerlich, der auch in Preetz für den Landtag kandidierte, daß er sich für die Erhaltung der Schule einsetzen wolle. Die Mittel für den Weiterbau der Schule wurden zugesagt.Ueberrascht und enttäuscht wurden aber die Preetzer Eltern, als sie kürzlich vom Vorsitzenden des Gesamtelternbeirates, Pastor Werner Seibt, erfuhren, daß ihm der Kultusminister in einer Verhandlung in Kiel mitgeteilt habe, daß der Schulversuch als beendet betrachten werden müsse.“

Die Zuspitzung von Gerlichs augenscheinlich persönlicher Motivation zur Schließung der VOS, sein Einfluss auf den anfangs wohlwollenden Minister Osterloh (wie zuvor auf Lemke) und eine mögliche Instrumentalisierung griff im September 1960 sogar das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ mit dem Artikel „Schulreform. Keine Experimente“ auf:

„Der Kultusminister schätzte jedoch die VOS-Treue der Preetzer Elternschaft desto geringer ein, je mehr der schleswig-holsteinische Philologen-Verband seinen schulpolitischen Einfluß geltend machte. Wie sehr die Interessen der Studienräte- Organisation im Land Schleswig-Holstein mit denen der CDU verquickt sind, wird an der Doppelfunktion des CDU-Abgeordneten Dr. Gerhard Gerlich aus Neumünster deutlich: Er ist gleichzeitig aktives Vorstandsmitglied des Philologen-Verbandes und parlamentarischer Vertreter des CDU-Kultusministers im Kieler Landtag. Als CDU-Philologe Gerlich in Vorträgen und Diskussionen immer nachdrücklicher die Entflechtung der "Mammutschule" forderte; ohne seine Preetzer Berufskollegen auch nur einmal konsultiert zu haben, verließen alle 30 Preetzer Philologen aus Protest den Studienräte-Verband. (…) Nicht minder empört waren die Preetzer Pädagogen, als selbst die CDU/ BHE- Gemeinschaftsfraktion ihrer Stadt am 9. Juni der Entflechtung zustimmte. Zuvor hatten die christdemokratischen Stadtvertreter, deren Kinder die VOS besuchen, stets kundgetan,

85 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 daß sie die Preetzer Bildungsstätte nicht missen wollten. Inzwischen war allerdings der Kultusminister am 8. Juni in Preetz gewesen, um seine Parteifreunde umzustimmen. So konnte Osterloh dann am 13. Juni die Kündigung aussprechen.“158

Die darauf folgende und im wesentlichen von Gerlich ausgelöste Debatte in der Landtagssitzung vom 26.09.1961 stellt ein bemerkenswertes Stück Parlamentsgeschichte dar.159 Dem Sitzungsprotokoll von rund 40 Seiten zufolge vertrat außer Gerlich und seinem Fraktionskollegen Schwinkowski für die Dauer von rund 6 Stunden inklusive Mittagspause kaum jemand im Saal mit Überzeugung die von ihm gewünschte Schließung der VOS und damit die Ablehnung eines entsprechenden SPD-Antrags. Der Kultusminister trug wortreiche Erklärungen offenkundig pflichtgemäß vor und schien aufgrund seines später thematisierten Nickens stattdessen den zahlreichen Argumenten und Einwänden der Opposition ebenso zuzuneigen wie schließlich auch die Regierungsfraktion der FDP. Diese bot in der laufenden Debatte dem Antragsteller dann tatsächlich an, selbst einen Antrag auf Überweisung in den Bildungsausschuss zu stellen, um besser dort unvollständige Informationen, tendenziöse Interpretationen eines nur teilweise bekannten Gutachtens zur VOS und andere Ungereimtheiten differenziert aufklären zu können.

Oppositionsführer Käber begegnete diesem auch landespolitisch bedeutsamen Angebot eine Regierungsfraktion allerdings mit bemerkenswertem Ungeschick („Das machen wir selbst!“)160, obschon Gerlich nun noch lediglich auf die Disziplin der zahlenmäßig unterlegenen CDU-Fraktion zählen konnte. Ein seltenes Mal im Parlament wurde dabei sein Wesen und eine Methode vom SPD-Abgeordneten Siegel persönlich charakterisiert: „Verzeihen Sie, Herr Dr. Gerlich, wenn ich mit vielen anderen der Meinung bin, daß an der Bedienung dieser Schranken Ihre Hand nicht unbeteiligt ist. Ich will Ihnen jetzt einmal ganz kurz zeigen, worin dieses Stellen der Schranken für mich sichtbar geworden ist. (Abg. Lechner: Weichen nennt man das!) Weichen nennt man das, ja: Aber weich ist er nun leider Gottes nicht; er ist sehr hart.“161

158 „Schulreform. Keine Experimente“, in: Der Spiegel Nr. 38/1960, 14.09.1960, S. 35-39 159 Protokoll LT-SH, 4. WP., 26.09.1961, S. 1438-70 160 Protokoll LT-SH, 4. WP., 26.09.1961, S. 1460 161 Protokoll LT-SH, 4. WP., 26.09.1961, S. 1461 86 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Als auch der letzte Redner des SSW das Thema der Volksoberschule nach sechs Stunden nicht nur beredet, sondern zerredet fand, hätte sich unter normalen Umständen eine Mehrheit für die Ausschussüberweisung finden lassen müssen. Aber eine nochmalige Auszählung der Stimmen ergab einen Gleichstand von 33:33 und damit eine überraschende Ablehnung. Zu Gerlichs Vorteil hatte im entscheidenden Augenblick der langen und wichtigen Debatte die SPD-Abgeordnete Anni Brodersen im Saal gefehlt. Nach dem umgehenden Echo aus ihren eigenen Reihen sollte sie wie er ein Jahr zuvor nach dieser weitreichenden Fehlleistung ihre Teilnahme für die nächsten Landtagssitzungen absagen.162

Mit diesem Durchsetzungsvermögen bei seiner Einzelinitiative sollte sich Gerlichs Nimbus in den politischen Debatten verstärken und sein rhetorisches Geschick sowie die Wirksamkeit seiner Mittel mit irritierenden Zwischenrufen wurde zwar nicht immer geschätzt, aber nun offen über die Parteigrenzen hinweg wahrgenommen, wie es wiederum der Abgeordnete Siegel am 07.11.1961 feststellte: „Wir denken gar nicht daran, bei Ihnen irgendwie das Klima etwa nach unserer Seite hin beeinflussen zu wollen. (Abg. Dr. Gerlich: Es kommt nicht auf das Wollen, sondern auf das Können an!) Ob wir es können, das ist eine andere Frage; Sie werden es bestreiten, und ich will es nicht behaupten. Aber - da hat der Kerl mich doch aus dem Konzept gebracht! (Heiterkeit. - Abg. Dr. Schlegelberger: Das macht er bei uns auch!) - Ich sagte - ach so, gerade bei Ihnen - - (Weitere Zurufe von den Regierungsparteien.)163

Zum Jahreswechsel 1960/61 war das Ansehen des Bundeslandes Schleswig-Holstein durch diverse Skandale im Umgang der Regierung wie der Behörden mit ehemaligen Nationalsozialisten derart ramponiert, dass sich Ministerpräsident von Hassel widerstrebend genötigt sah, am 16.01.1961 eine Regierungserklärung zu Einzelfällen und entsprechenden Versäumnissen abzugeben. Aus einer Liste von 13 prekären Personalien fand von Hassel lediglich in einem Fall die bisherigen Maßnahmen aktuell nicht ausreichend. Dabei handelte es sich um Prof. Dr. Beyer an der Pädagogischen Hochschule in Flensburg, der nach von Hassels Darstellung 1942 Professor an der

162 s. Protokoll LT-SH, 4. WP., 26.09.1961, S. 1470 163 Protokoll LT-SH, 4. WP., 07.11.1961, S. 1683 87 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Universität Prag gewesen war und die rassentheoretischen Vorurteile der NS-Ideologie auch an der späteren Heydrich-Stiftung vertreten hatte.164

Für Gerhard Gerlich dürfte dieser Fall insofern von biographischem Interesse gewesen sein, als er selbst 1942 in Prag noch ein NSDAP- und SS-Mitglied gewesen war. Zehn Tage später sollte zu einer vergleichbaren Konstellation in dem Artikel „Viele wussten von Heyde/Sawade - keiner von seinen Mordtaten“ der Volkszeitung von dem PUA-Zeugen Hugo Jansen zu lesen sein, dass er Heyde zu dieser Zeit in Prag gesehen hätte und dieser in SS-Uniform im dortigen Lazarett Patienten behandelt hatte. Möglicherweise hatte Gerlich ausgerechnet dieses seltene Mal eine Ausschusssitzung versäumt, um kein potenzielles Wiedererkennen mit dem Zeitzeugen Jansen zu riskieren.165

Zu der Arbeit dieses Parlamentarischen Untersuchungsausschuss wirkte von Hassels Versprechen vor dem Landtag zwiespältig, dass die Landesregierung „wie bisher alle erforderlichen Schritte unternehmen würde, um schuldig gewordene Mitwisser und Gehilfen des Prof. Heyde/Sawade zur Verantwortung zu ziehen.“166 Tatsächlich sollte von diesem mindestens 18 Personen umfassenden Kreis allein derjenige Journalist strafrechtlich verurteilt werden, der in einem Artikel in der Frankfurter Rundschau frühzeitig über eine angebliche Mitwisserschaft in der Landesregierung berichtet und den ganzen Fall ins Rollen hatte.167 Ferner zog der Ministerpräsident in der Sitzung am 16.01.1961 für seine Regierung zudem das Fazit, dass in Schleswig Holstein von Verantwortung für das Staatswesen ferngehalten würde, wer im NS Staat führend gewesen war und Schuld auf sich geladen hätte.

Im Sommer 1961 legten dann die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse Heyde/Sawade I und II ihren Abschlussbericht vor, an dem Gerhard Gerlich redaktionell mitgearbeitet hatte. Der für die Öffentlichkeit interessantere Ausschuss I zu Mitwisserschaften und Versäumnissen hatte in 43 öffentlichen und teils nicht-öffentlichen Sitzungen von Januar 1960 bis 1961 getagt, 60 Zeugen vernommen und ebenso viele

164 Protokoll LT-SH, 4. WP., 16.01.1961, S. 1897 165 s. Volkszeitung, 26.01.1961, S. 1; vgl. Schleswig-Holsteinischer Landtag: Niederschriften des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses in der Angelegenheit Prof. Heyde/ Dr. Sawade I, 4. Wahlperiode, Kiel 1960/61, Bd. 2, Bl. 163 (Sitzung vom 25.01.1961); im Folgenden: PUA Heyde/Sawade I 166 Protokoll LT-SH, 4. WP., 16.01.1961, S. 1903

167 Godau-Schüttke, Heyde/Sawade-Affäre, S. 310 88 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Ermittlungs- oder Personalakten analysiert. An Gerhard Gerlichs Anteilen dabei ist bemerkenswert, dass er gleich in der ersten Sitzung am 15.01.1960 den Vorschlag machte, Professor Heyde als Zeugen zu vernehmen und demzufolge kein wechselseitiges Kennen in SS-Uniform aus ihrer Prager Zeit vorgelegen haben dürfte.168

Zudem kommentierte er in der Ausschusssitzung am 22.02.1961 die Zeugenaussage des Justizministers Bernhard Leverenz, wie Heyde/Sawade durch ein offensives Auftreten und die gesuchte Nähe zu wichtigen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wesentliche Teile seiner tatsächlichen NS-Vergangenheit lange Zeit verbergen konnte: „Minister Dr. Leverenz: Herr Heyde hat sich dadurch getarnt, dass sich nach vorn gespielt hat und überall versucht hat, die besten Beziehungen zu allen möglichen einflussreichen Menschen zu gewinnen. Das ist seine Tarnungsstrategie gewesen, die ihm ja tatsächlich jahrelang geholfen hat. Im Gegensatz zu anderen, die als Waldarbeiter untertauch[t]en, hat er dieses ganz andere System gewählt. Abg. Gerlich: Er ist vor die Rampe gegangen.“169

Ferner bekam Gerlich am 12.04.1961 bei der Befragung des Zeugen Werner Born, Direktor der Landesversicherungsanstalt, demonstriert, wie sehr die von ihm mitverantwortete Gesetzgebung der Entnazifizierung und der „131er-Regelung“ das Selbstbewusstsein von ehemaligen Angehörigen der SS (wie er selbst es gewesen war) gestärkt und mittlerweile bis zu einem selbstgewissen wie beleidigt-offensiven Auftreten beigetragen hatte:

„Abg. Strack: Herr Doktor Born! Sie sagten auf die Frage des Vorsitzenden, ob sie einen höheren SS-Dienstgrad gehabt hätten, nein. Waren sie in der SS? Direktor Dr. Born: Herr Vorsitzender! Darf ich fragen: Bin ich in einem Entnazifizierungsausschuss? Vorsitzender: Nein! Aber sie haben die Fragen des Ausschusses zu beantworten, Herr Direktor Born, wenn sie nicht direkt neben der Sache liegen! Andernfalls werde ich schon eingreifen.

168 Schleswig-Holsteinischer Landtag: Niederschriften des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses in der Angelegenheit Prof. Heyde/ Dr. Sawade II, 4. Wahlperiode, Kiel 1960/61, Bl. 6 (Sitzung vom 15.01.1960) 169 PUA Heyde/Sawade I, Bd. 2, Bl. 266 (22.02.1961) 89 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Direktor Dr. Born: Ja, ich war.“170

Im Juni 1961 legte der von dem späteren Landtagspräsidenten Paul Rohloff geleitete Ausschuss seinen ausführlichen Bericht vor, aus dem hervorging, dass mindestens 18 Personen die wahre Identität von Heyde/Sawade gekannt hatten, darunter mehrere Professoren, Richter und Beamte. Diese Ergebnisse trug der Vorsitzende in der Landtagssitzung am 27.06.1961 vor, und ohne Aussprache wurde dazu eine interfraktionelle Erklärung verabschiedet, der lediglich die BHE-Fraktion noch eine relativierende Ergänzung hinzufügte.171 Die Zusammenarbeit aller Fraktionen in diesem parlamentarischen Untersuchungsausschusses war bei diesem außergewöhnlichen Skandal von großer Sachlichkeit und Ernsthaftigkeit geprägt gewesen.

Ab Herbst 1961 traten im Schleswig-Holsteinischen Landtag wieder übliche Themen in den Vordergrund, zu denen Gerlich am 27.09.1961 eine Rede über Bau- und Mietkosten beitrug. Inzwischen war er für sein erfolgreiches Agieren hinter den Kulissen bekannt geworden. Als Gerlich in seinem Beitrag nun das Beispiel von Sozialmietwohnungen und der Fehlbelegung mit einem Ministerialrat anführte, der auch Beförderungsmöglichkeiten außerhalb des Bundeslandes Schleswig-Holstein hätte, verleitete dies den Abgeordneten Strack zu der wahrscheinlich ernst gemeinten Zwischenfrage „Wen wollen Sie denn loswerden?“, auf die hin im Protokoll bezeichnender Weise nicht die Anmerkung „(Heiterkeit)“ notiert wurde.172

Eine nach Außen hin unübersehbare Krönung erfuhr diese auffällig unauffällige Karriere im November 1961, als der bisherige Vorsitzende des Finanzausschusses Hartwig Schlegelberger zum Finanzminister ernannt wurde und Gerhard Gerlich durch Votum der CDU-Landtagsfraktion auf diesen freien Posten nachrückte. Die landespolitische Bedeutung seiner Person wurde nun selbst von der sozialdemokratischen Volkszeitung bei deren Jahresrückblick „Gewichte und Gesichter in der Landespolitik 1961/62“ anerkannt: „Als nach monatelangem Zögern wenigstens ein Minister des von-Hassel-Kabinetts ausgewechselt wurde, brachte das nicht nur dem bisherigen Flensburger Landrat Dr. Hartwig Schlegelberger den längst vorhergesagten Ministersessel, sondern im Zuge

170 PUA Heyde/Sawade I, Bd. 3, Bl. 124 (12.04.1961, Anhörung Dr. Werner Born, 1. Direktor der Landesversicherungsanstalt); vgl. Volkszeitung, 13.04.1961, S. 2 171 Protokoll LT-SH, 4. WP., 27.06.1961, S. 2145-70; zum Gesamtkomplex s. Danker, Täter, S. 168-87 172 Protokoll LT-SH, 4. WP., 27.09.1961, S. 2316 90 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 dieser Aenderung wurde auch nach außen sichtbar, wie wichtig innerhalb der CDU- Fraktion der jetzt zum Vorsitzenden des Finanzausschusses beförderte Abgeordnete Dr. Gerlich war und ist.“173

Dieses neue Amt machte für die anderen 68 Landtagsabgeordneten aller Fraktionen den Umgang mit dem Kollegen Gerlich nicht leichter. Seitdem er den Vorsitz im Finanzausschuss wahrnahm, forderte er bei Landtagssitzungen immer häufiger zu einer drastischen Abkürzung von finanzpolitischen Debatten und Nachfragen auf, weil derartige Dinge ja schon zuvor bei Besuch „seines“ Fachausschusses hätten angesprochen werden können. So verwahrte sich bereits in der Landtagssitzung vom 01.12.1961 der Abgeordnete Gerhard Strack von der SPD-Opposition, derart von Gerlich „in echter Manier eines Schulmeisters“ Zensuren erteilt zu bekommen.174

Aber auch den Regierungsparteien bereite es Probleme, sich mit dem Machtzuwachs, der neuen Deutungshoheit und gelegentlichen Eigenmächtigkeit von Gerlich zurechtzufinden. Dies galt im Januar 1962 in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Finanzausschusses bei seinen Erläuterungen vor der Presse zu der neuen Fassung des Etatentwurfs. Diese stießen prompt auf Widerspruch, wie in der SPD-nahen Volkszeitung süffisant kommentiert wurde: „Im Gegensatz zu dieser Meinung standen andere Mitglieder des Finanzausschusses, die an der Pressekonferenz ihres Vorsitzenden teilnahmen. Es fiel auf, daß nur CDU- und FDP-Abgeordnete von dieser Möglichkeit Gebrauch machten. Das wurde schnell dahingehend interpretiert, dass die Koalitionsparteien ihren neuen Finanzausschussvorsitzenden Dr. Gerlich 'nicht ohne Aufsicht' lassen wollten...“175

Während seiner ersten Haushaltsberatungen in dieser neuen Rolle hob die Volkszeitung dagegen seine philologische Akribie hervor und adelte ihn nach Abschluss der langen Debatten und Haushaltsbeschlüsse mit der Bildunterschrift „Dr. Gerhard Gerlich wurde von allen Fraktionen gelobt wegen seiner sachlichen Arbeit.“176 Dies mochte ihn während der Folgemonate in übermäßiger Identifikation darin bestärkt haben, in seiner Person für den gesamten Finanzausschuss zu sprechen, mit spitzer Zunge weniger selbstbewusste oder

173 Volkszeitung, 30.12.1961, S. 24 174 Protokoll LT-SH, 4. WP., 01.12.1961, S. 2413 175 Volkszeitung, 11.01.1962, S. 5 176 Volkszeitung, 16.01.1962, S. 10 u. 23.01.1962, S. 7 91 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 sachkundige Abgeordnete zu verunsichern, zu maßregeln oder seine Überlegenheit dem Hinweis auszuspielen, dass es im Finanzausschuss alle wesentlichen Informationen gäbe, es müssten allerdings nur die richtigen Fragen gestellt werden.

Schließlich spielte Gerlich seinen Positionsvorteil derart deutlich aus, dass den Nachrücker und Parlamentsneuling Klaus Konrad (SPD) in der Landtagssitzung am 26.06.1962 Zwischenrufe seines Ausschussvorsitzenden auch in diesem Gremium allzu oft störten. Daraufhin machte Konrad diese Probleme im Sozialverhalten vor dem Plenum öffentlich: „ Ich habe doch nicht gesagt, daß ich etwas dagegen hätte. Sie gehen im übrigen, Herr Dr. Gerlich, mit einem Anfänger - und das bin ich ja - nicht gerade pfleglich um. (Oho!-Rufe bei der CDU.) Sie wollen mich ja aufs Glatteis führen. (Zurufe von der CDU.) Das habe ich schon in drei Ausschußsitzungen gemerkt. Tomaten habe ich nicht auf den Augen, auch wenn ich sonst rot bin. (Stürmische Heiterkeit.)“177

In seiner gefestigten Stellung war Gerlich nun auch innerparteilich kaum mehr auf Beweise seiner Popularität angewiesen und so konnte er die Ergebnisse des CDU- Landesparteitags am 02.07.1962 in Husum mit Gelassenheit aufnehmen. Ohne Diskussion oder Gegenkandidaten war ihm dort für die Landtagswahlen im September 1962 der sichere Listenplatz 10 zugesprochen worden. Zu Jahresbeginn hatte der Landesvorsitzende von Hassel zu einer Verjüngung der Parteispitze aufgerufen, was den 50jährigen Gerlich, der von Krankheit gezeichnet wirkte, kaum betroffen haben mochte. Wohl aus anderen Gründen war er bei den Wahlen im Juli 1962 zum stellvertretenden CDU-Landesvorsitz mit 143 Stimmen wieder deutlich hinter den weiteren Amtsinhabern Gerhard Stoltenberg (178), Helmut Lemke (166) und Detlef Struve (163) gelandet.178

Stattdessen demonstrierte der umtriebige und gut vernetzte Landespolitiker seine Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von dem allgemeinen Kurs der CDU- Landes- und Bundesspitze, als er bei dieser Gelegenheit den unter skandalösen Umständen aus der Bundesregierung ausgeschiedenen Vertriebenenminister Theodor Oberländer wieder

177 Protokoll LT-SH, 4. WP., 26.06.1962, S. 2793 178 s. Holsteinischer Courier, 27.01.1962, S. 9 sowie Volkszeitung, 03.07.1962, S. 4 u. 04.07.1962, S. 6 92 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 hoffähig machte. Gegen diesen wurde bis zu dessen Tod 1998 wegen Kriegsverbrechen an Juden sowie Widerständlern in der Ukraine ermittelt und mit ihm hatte Gerlich die biografische Station der Karls Universität Prag gemeinsam, an der Oberländer Mai 1941 kommissarisch die juristische Fakultät übernommen hatte. In dieser Zeit war Oberländer ebenso wie nach eignen, aber unbewiesenen Angaben auch Gerlich in die Kritik des SS- Sicherheitsdienstes SD geraten und hatte dadurch deutliche Nachteile im Dritten Reich erfahren.179

Die Volkszeitung berichtete von dem CDU-Landesparteitag über diese überraschend präsentierte Verbindung mit Oberländer am 04.07.1962 und interpretierte diese Initiative Gerlichs später als gegen den Landesvorsitzenden von Hassel gerichtet: „Die einzige Sensation des Landesparteitages der CDU war gestern morgen in Husum der Besuch des CDU-Bundestagsabgeordneten Prof. Dr. Theo Oberländer, Vorsitzenden des der Landesgruppe Oder-Neiße seiner Partei. Der Vorsitzende des Landesausschusses für Flüchtlinge und Vertriebene der CDU, MdL Dr. Gerhard Gerlich, erklärte vor dem Parteitag, mit Prof. Oberländer sei eine neue Versammlungswelle in Schleswig Holstein abgesprochen worden. Es sei nötig, das Bewusstsein der Bevölkerung wachzuhalten gegen die immer noch aktive Politik aus der Zone.“180

Die Wahlperiode sollte mit einer turbulenten Sitzung des Landtages am 22.08.1962 abschließen und den einsetzenden Wahlkampf einleiten, denn im Mittelpunkt stand der Vorwurf der Ämterpatronage durch die CDU-Landesregierung. Hintergrund war ein Aufsatz des Wissenschaftlers Heinz Josef Varain, der in der Juli-Ausgabe der Zeitschrift „Volkshochschule, Blätter für die Erwachsenenbildung in Schleswig Holstein“ aus entsprechenden Protokollen und Papieren des CDU-Landesvorstands der vergangenen Jahre zitiert hatte. Dabei war unter anderem in einem Strategiepapier von 1956 formuliert worden, dass die CDU ihren Einfluss geltend machen solle, „die Verwaltungen mit geeigneten Frauen und Männern ihrer politischen Überzeugung zu durchsetzen.“181

179 vgl. Wachs, Phillipp-Christian: Der Fall Oberländer (Diss., Universität der Bundeswehr München), München 1999, S. 196 ff. u. Erdmann, Lebensstationen, S. 37 180 Volkszeitung, 04.07.1962, S. 6 181 Varain, Heinz Josef: Parteien, Verbände und Exekutive, in: Volkshochschule. Blätter für Erwachsenenbildung in Schleswig-Holstein, Heft 51/52 (Juli 1962), S. 57 u. 58, Anm. 12; vgl. Varain, Parteien, S. 275, Anm. 1135 93 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Nach einer erregten Landtagsdebatte bestritt der CDU-Landesvorsitzende von Hassel später in einem Brief vom 09.11.1962 an Varain, dass der CDU-Landesvorstand in seiner Sitzung am 16.01.1957 das entsprechend behandelte und beigeheftete Konzept näher zur Kenntnis genommen oder gar umgesetzt hätte.182 Der gleichfalls dabei befasste stellvertretende CDU-Landesvorsitzende Gerhard Gerlich räumte stattdessen im Plenum seine Kenntnis von dem Thema mit größerer Nervenstärke ein und hielt der heftigen Kritik des SPD-Abgeordneten Jochen Steffen an derartigem CDU-Einfluss bei der Personalpolitik in der Landesverwaltung dabei souverän wie provozierend entgegen:

„Ich gebe zu, daß wir, wenn Kollege Steffen mit seinen Unterstellungen auch nur zu 10 % recht hätte, besorgt sein müßten. Ich erkläre hier ausdrücklich und betont, daß er für seine Unterstellungen keine Veranlassung hat, und ich wage zu behaupten, daß er uns einen Beweis für die Richtigkeit seiner Behauptungen schuldig bleiben würde. Gott sei Dank, daß ich das hier mit ruhigem Gewissen behaupten kann. Ich - zumindest für meine Person - darf meine politischen Freunde in dieser Beziehung als absolut integer und korrekt bezeichnen.“183

In einer derart zugespitzten Atmosphäre musste sich Gerhard Gerlich im einsetzenden Landtagswahlkampf heftige Kritik nicht nur von den Oppositionsparteien, sondern auch aus Reihen der mitregierenden FDP gefallen lassen. So erklärte auf einer Diskussionsveranstaltung im September 1962 der FDP-Sprecher Meyer-Bant den „abgewürgten Schulversuch in Preetz“ zu einem deutlichen Beispiel für die Fehler der CDU-Bildungspolitik. Dabei spielte er offenkundig auf den intensiven persönlichen Einsatz Gerlichs und seine nun auch öffentlich bekannten Methoden an: „'Es ist leicht, zu beteuern, wir machen Versuche, aber die zähen, nicht zu fassenden retardierenden Momente kommen von der CDU. Die CDU allein hat die VOS Preetz abgeschlossen, obwohl gerade dort die Durchlässigkeit der Schule bis ins Feinste ausgestaltet war.' Für diesen Abbruch aus unerfindlichen Gründen müsse noch den Pädagogen ein Abschlussbericht gegeben werden, verlangte Meier-Bant, das sei die 'verdammte Schuldigkeit' des Kultusministers.“184

182 s. Varain, Parteien, S. 276, Anm. 1136 183 Protokoll LT-SH, 4. WP., 22.08.1962, S. 2917 184 Volkszeitung, 19.09.1962, S. 10 94 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Somit versprach eine neue Politikergeneration zur kommenden Wahlperiode nicht nur die Ergebnisse von Gerlichs Politik näher in Augenschein zu nehmen, sondern auch seine Einflussnahmen auf dem Weg dorthin kritisch zu hinterfragen.

2.3.) Als Vertriebenen- und Kommunalpolitiker in besonderem Verhältnis zu Trappenkamp

2.3.1) Vor der Selbstständigkeit Trappenkamps

In seiner Eigenschaft als Vertreter der Sudetendeutschen Landsmannschaft, über den Ausschuss für Flüchtlingsangelegenheiten des CDU-Landesverbandes und in anderen Funktionen war Gerhard Gerlich schon vor seiner Wahl in den Schleswig-Holsteinischen Landtag am 07.07.1950 mit vielen Projekten von Landsleuten seiner alten Heimat in Berührung gekommen. Nicht belegt ist, ob dies seinerzeit auch schon die Industriesiedlung Trappenkamp in einer Waldfläche südöstlich von Neumünster betraf. Deren Aufbau aus einem früheren Marinewaffenarsenal und die Weiterentwicklung vor allen durch sudetendeutsche Flüchtlinge ist in zwei Chroniken von Claus-Dietrich Bechert (1976) und Stefan Wendt (1992) ausführlich dokumentiert worden.185

In einer seiner ersten Sitzungen als Landtagsabgeordneter wurde Gerlich am 12.10.1950 bereits zu Beginn vom Landtagspräsidenten und SPD-Abgeordneten Karl Ratz auf eine Ausstellung mit Trappenkamper Produkten im Kieler Landeshaus aufmerksam gemacht und dürfte dessen Aufforderung sicher gefolgt sein: „Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 3. Tagung des 4. Schleswig-Holsteinischen Landtages. Ich mache darauf aufmerksam, daß im Konferenzsaal eine Ausstellung der Gablonzer Schmuckwarenindustrie von Trappenkamp gezeigt wird. Ich möchte alle Damen und Herren bitten, sich dieselbe anzusehen.“186

185 Bechert, Claus Dietrich: Chronik der Gemeinde Trappenkamp, Wankendorf 1976; sowie Wendt, Stefan: Trappenkamp. Geschichte einer jungen Gemeinde, hrsg. v. der Gemeinde Trappenkamp, Trappenkamp 1992; im Folgenden: Wendt, Trappenkamp 186 Protokoll LT-SH, 2.WP., 12.10.1950, S. 5 95 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Zum Schluss dieses Sitzungstages war bezeichnenderweise der Landesminister für Arbeit, Soziales und Vertriebene, der BHE-Abgeordnete Hans-Adolf Asbach ans Rednerpult getreten und hatte die Abgeordneten erneut auf diese Ausstellung im Frühstücksraum des Hauses hingewiesen. Bereits im Landtagswahlkampf hatten die neue Partei des BHE (Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten), die CDU (als Hauptteil der bald gegründeten Wahlblock-Fraktion) und die bisher allein regierende SPD sich als Anwälte der zahlreichen Flüchtlinge dargestellt und somit um ein besonders in Schleswig Holstein beachtliches Wählerpotenzial konkurriert.

Hatten Vertreter der inzwischen abgelösten SPD-Landesregierung auch nach dem Wahlkampf ihre bisherigen Verdienste für die Unterstützung am Ort reklamiert, stellte der Minister der neuen Regierungsmannschaft dem am 12.10.1950 im Plenum seine ausgesprochen lobenden Worte für die wirtschaftlichen Eigeninitiativen in der Vertriebenensiedlung gegenüber: „In Trappenkamp haben in völliger Einsamkeit und unter unerhörtem Einsatz sämtlicher Beteiligten 61 sudetendeutsche Betriebe ihre Werkstätten errichtet. Vom Zwei-Familien- Betrieb angefangen bis zum 40-Mann-Betrieb sind alle Sparten vertreten. (…) Niemals habe ich ein solches Beispiel eines unerhörten Einsatzes und der Selbsthilfe gesehen wie in Trappenkamp. Diese Ausstellung ist ein Beweis dafür, daß Vertriebenenbetriebe, gesund geleitet, in kürzester Zeit einen erstaunlichen Exportfaktor darstellen können. Und sie ist zweitens ein weit über die Grenzen unseres Landes hinausgehender Beweis dafür, daß Vertriebenenbetriebe und die Vertriebenen selbst keine Belastung zu sein brauchen, sondern ein Faktor aufbauender Wirtschaftmacht und Tatkraft sind.“187

In den nächsten Tagen war wie in der gesamten Landespresse auch in der sozialdemokratisch geprägten Volkszeitung von Verhandlungen des Sonderbeauftragten des Sozialministeriums für Trappenkamp, Bürgermeister Herbert Wegener, zu lesen, die er mit Finanzminister Kraft und Sozialminister Asbach über Unterstützungsleistungen der Wirtschaft am Ort führte. Diese galten den verarbeitenden Betrieben, insbesondere aber der zentralen Hohl- und Farbglashütte Trappenkamp. Wegener vermeldete in den Folgemonaten wechselnde Erfolge auf der Suche nach Gesellschaftern, denen

187 Protokoll LT-SH, 2.WP., 12.10.1950, S. 77 96 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 presseöffentlich hohe Fördermittel in Aussicht gestellt wurden, bis diese Initiative im April 1951 vorläufig in einem Streit von Gläubigern endete.

Seit dieser Zeit nahmen Vertreter Trappenkamps im benachbarten Bornhöved an Sitzungen der Gemeindevertretung teil, um die Interessen ihres wachsenden Ortsteils zu wahrzunehmen. Der Abgeordnete Gerhard Gerlich engagierte sich in dieser Wahlperiode vor allem in den Ausschüssen für Heimatvertriebene, Volksbildung und Volkswohlfahrt, so dass ihn derartige Presseberichte weniger unter finanziellen oder wirtschaftlichen Aspekten, sondern in Hinsicht auf die Bereiche Soziales und Bildung interessiert haben dürften.

Die wirtschaftlichen Probleme der Gemeinde Trappenkamp führten im Juli 1952 zu einem Dringlichkeitsantrag des Wirtschaftsministers auf „Regelung der Liegenschaften in der industriellen Vertriebenensiedlung Trappenkamp“, den stellvertretend Ministerpräsident Lübke einbrachte und begründete. Dieser verwies in der Sitzung am 15.07.1952 auf die gestiegene Beschäftigtenzahl von 600 Arbeitskräften, den steigenden Export der Schmuck- und Glaswarenerzeugnisse auf dem Weltmarkt und betonte, dass auf seine Veranlassung hin neue Kreditmittel für den Ausbau der dortigen Glashütte bewilligt wurden. Für seinen Antrag, Liegenschaften im Landesbesitz in eine zu bildende Ausbaugesellschaft einbringen zu können, bat er die Landtagsabgeordneten inklusive Gerhard Gerlich um Zustimmung.

Auch der SPD-Abgeordnete Walter Damm betonte in der Debatte die vielen und teils vergeblichen Bemühungen, die zuvor auch die SPD-Landesregierung für die Entwicklung am Standort unternommen hatte, riet aber wie Abgeordnete aller Fraktionen zu einer sorgfältigen Beratung im Wirtschaftsausschuss. Kurioserweise wähnte Ministerpräsident Lübke dabei die Lage von Trappenkamp im Kreis Flensburg, wie auch der nachfolgende SPD-Abgeordnete Lechner diesen Ort fälschlicherweise dem Kreis Eckernförde zuordnete. Gleichwohl schloss der Regierungschef mit der Aufforderung an einzelne Abgeordnete, diese Ansiedlung und ihr Potenzial persönlich zu besichtigen.188 Ob Gerhard Gerlich dieser Ermunterung schon im Jahre 1952 Folge leistete, ist nicht nachweisbar.

188 Protokoll LT-SH, 2.WP., 15.07.1952, S. 55-63 97 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Der Ortschronist Claus-Dietrich Bechert führt in diesem Zusammenhang einen Brief des Wirtschaftsministeriums vom 07.08.1952 an die Landtags-Ausschüsse für Wirtschaft und Finanzen an, nach welchem die Ausbaupläne der (von den Fraktionen des Wahlblocks und des BHE getragenen) Landesregierung für die Gemeinde Trappenkamp bereits eine Lösung dieses Ortsteils von der Gemeinde Bornhöved absehbar vorzeichneten. 189 Eine wirtschaftliche wie soziale Instabilität in dem wachsenden Ort wurde durch die Insolvenz einer sogenannten Genossenschaft der „Trappenkamper Glas- und Schmuckwaren GmbH“ im Juli 1952 offenkundig, in deren Folge sich im Januar 1953 zwei konkurrierende Nachfolgeorganisationen gründeten, an deren einer unter anderem die Wolfgang Beckert KG (Lederwaren) beteiligt war. Der Inhaber, ein aufstrebender junger Geschäftsmann sollte in den Folgejahren einer der engsten Vertrauten Gerhard Gerlichs und der erste Bürgermeister von Trappenkamp werden.

Zur Jahresmitte 1953 ließ sich Wirtschaftsminister Hermann Böhrnsen in Bad Segeberg von Landrat Alnor über die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung Trappenkamps informieren, die auch der Referent für Glas und Keramik im Wirtschaftsministerium durch einige Ansiedlungswünsche von Betrieben aus dem Ausland bestätigt sah.190 Die Notwendigkeit von Wirtschaftsförderung und Investitionen für gesteigertes Wachstum stand auch für einen Redakteur der SPD-nahen Volkszeitung im Vordergrund, als er in dem Artikel „Trappenkamp am Wendepunkt“ eine kritische Bilanz von gescheiterten Initiativen in sozialen Bereichen sowie der jüngeren Regierungspolitik für den Ort zog:

„Mit Trappenkamp ist viel experimentiert worden. Vor drei Jahren verkündete einmal ein 'Sonderbeauftragter' des Sozialministeriums, daß man Trappenkamp in zwei Jahren auf eine Einwohnerzahl von 6000 mit den entsprechenden Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten bringen wolle. Solche Prognosen sind völlig abwegig. Es steht aber fest, daß Trappenkamp erst dann krisenfest sein wird, wenn die Zahl von etwa 1000 Beschäftigten erreicht ist. Es gilt also neue Betriebe anzusiedeln.“191

In dem überwiegend ländlich strukturierten Bundesland Schleswig-Holstein und bei einer krisenanfälligen Wirtschaftsstruktur in einer Randlage nahm der Ort allerdings eine

189 Bechert, Chronik, S. 80/81 190 Kieler Nachrichten, 02.06.1953, S. 4 191 Volkszeitung, 16.01.1954, S. 10 98 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Sonderstellung ein und bekam schließlich vorbildhaften Charakter: „Die Industrieansiedlung Trappenkamp galt als das markanteste Beispiel für den industriellen Aufbau in Schleswig Holstein: nach intensiver Förderung durch die Landesregierung entstand hier unter der Leitung von Vertriebenen aus dem Sudetenland eine Glasindustrie, die 1954 bereits einen Umsatz von 2,8 Millionen DM mit stark ansteigender Tendenz vorweisen konnte.“192

Die deutlich unterschiedlichen Entwicklungen zwischen dem mit Betrieben, Arbeitskräften und Anwohnern expandierenden Trappenkamp gegenüber dem in ländlichen Strukturen verbliebenen Bornhöved führten bei begrenzten Finanzmitteln und einer fortwährenden Mehrheit von Alteingesessenen auf den Sitzungen der gemeinsamen Gemeindevertretung zu Spannungen. So kam es im August und September 1954 zu ersten Initiativanträgen, Trappenkamp aus dieser Gemeinde auszugliedern, die von dem Bornhöveder Bürgermeister Edwin Dobrint nicht weiter bearbeitet, sondern zu den Akten gelegt wurden.193

Für das Selbstverständnis und das Selbstbewusstsein der Trappenkamper Geschäftsleute musste auch eine Bilanz in der Segeberger Zeitung vom 07.05.1955 unter dem Titel „So baute Bornhöved in zehn Jahren auf. Auch das Pflegekind Trappenkamp überwand so manche Kinderkrankheit“ abträglich erscheinen.Darin hieß es zu einer Beschreibung von angesiedelten Betrieben, dem Umbau von Bunkern zu Wohnungen und der Einschaltung der „Nordmark“-Wohnungsbaugesellschaft unter anderem: „Werfen wir noch einen Blick auf den Ortsteil Trappenkamp, dessen Entwicklung Bornhöved in jeder nur möglichen Weise gefördert hat, wobei zu betonen ist, daß die Gemeinde Bornhöved rein finanziell einfach gar nicht in der Lage war, den Wünschen der Trappenkamper immer zu entsprechen.“

Auf diese positive Darstellung der Gemeinde Bornhöved folgte eine Woche später die Notiz in der Segeberger Zeitung, dass Bürgermeister Dobrint mit großer Mehrheit wiedergewählt worden war. Aus Trappenkamper Perspektive dürfte an dem Artikel „Bornhöved weiter auf bewährtem Kurs“ angesichts des Umgangs mit ihren bisherigen Initiativen allerdings die betonte Einmütigkeit in der Gemeindevertretung fragwürdig

192 Struck, Lübke, S. 61 193 s. Bechert, Chronik, S. 81 u. Wendt, Trappenkamp, S. 158 99 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 erschienen sein. Auf dieser war zudem aus Paritätsgründen beschlossen worden, jede dritte öffentliche Sitzung in Trappenkamp abzuhalten.194

In dieser Zeit setzte ein zielgerichteter Umgang der Trappenkamper Gemeindevertreter im Umgang mit ihren Kollegen in Bornhöved zum Durchsetzen ihrer Interessen ein. Diese deutliche Veränderung passt zu der Erklärung von Walter Holey, einen ihm persönlich bekannten Landtagsabgeordneten einzuschalten und dessen Erfahrung, Geschick und gute Verbindungen zu entscheidenden Stellen zu nutzen: „Ich habe 1955 den Anstoß gegeben, daß Dr. Gerlich als Berater für die Selbständigmachung der Gemeinde beigezogen wurde, da ich ihn durch die Zusammenkünfte der Sudetendeutschen Landsmannschaft kennen gelernt hatte und von seinem Wirken wußte.“195

Bei der Einweihung der „Dr. Gerlich-Schule“ am 12.03.1969 an diesem Ort hatte Bürgervorsteher Ernst Schöffel in seiner „Laudatio post mortem“ hingegen einen früheren Zeitpunkt angenommen: „Dr. Gerhard Gerlich gehörte seit 1950 zu den besonderen Förderern der Industriegemeinde Trappenkamp.“196 Spezifischere und entsprechend wahrscheinlichere Angaben machte dagegen Walter Holey in seiner kurzen Rede bei demselben Anlass und führte zu seinen damaligen Mitstreitern für ein weiteres strategisches Vorgehen aus:

„Als erster Siedler in Trappenkamp im Jahre 1946 halte ich es für meine Pflicht und mein Recht, heute und dieser Stelle unserem Landsmann Dr. Gerhard Gerlich die Ehre zu erweisen und die Anerkennung zu zollen, die ihm gebühren. Er war es allein, der in den verschlungenen Wegen der Bürokratie und den Unwägbarkeiten der Politik diejenigen Türen zu öffnen wußte, die für die Siedlung Trappenkamp in kürzester Zeit zur Selbstverwaltung führten. Er führte vor allem unsere Landsleute Wolfgang Beckert und Otto Hub in den zuständigen Ämtern ein und vertrat die Siedlung mannhaft im Landtag, wo es nicht wenige Gegner der Neugründung gab."197

194 Segeberger Zeitung, 13.05.1955, S. 5/6 u. 14.05.1955, S. 6 195 Holey, Ansprache (vom 12.03.1969) 196 Schöffel, Ernst: Laudatio post mortem, Dr. Gerhard-Gerlich, anläßlich der Benennung der „Gerhard- Gerlich-Schule“ in Trappenkamp (12.03.1969), o.O. ( Trappenkamp) o.D (1969), Bl. 3 [Privatbesitz] 197 Holey, Ansprache (vom 12.03.1969) 100 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Schon im Folgemonat überraschte auf der Bornhöveder Gemeindevertretersitzung ein von Trappenkamper Seite eingebrachter Antrag auf eine bessere Wirtschaftsförderung der Industrie-Siedlung. Dazu gab der Gemeindevertreter Wolfgang Beckert eine derart professionell formulierte, analytisch strukturierte und eine klare Handlungsanweisung vorgebende Begründung ab, dass die Federführung Gerlichs bereits hier naheliegt. Es wäre einem jungen Lederwarenfabrikanten kaum zuzutrauen gewesen, von allein derartige Vertragsdetails zwischen dem Kieler Finanzministerium und einer Wohnungsbaugesellschaft zu analysieren, die Erfordernis eines höheren Finanzierungsanteils aus dem Gemeindehaushalt zu begründen und die verantwortlichen Akteure vor Ort erstmals auf konkrete Initiativen bei Landesministerien wegen deren spezieller Förderprogramme verpflichten zu können.

Zudem initiierte Beckert bei dieser Gelegenheit die Wahl eines entsprechenden handlungsbefugten Gremiums, in dem neben Bürgermeister Dobrint und anderen ihm ebenfalls eine strategisch nützliche Stellung mit Steuerungsmöglichkeiten zukam. Auch das von Gerlich bekannte Stilmittel der Zuspitzung bei offenen Konstellationen, um mit Druck drastisch deutliche Entscheidungen herbeizuführen, fand sich in dem Redebeitrag Beckerts wieder: „Man muß die heutige Situation in Trappenkamp als ernst, als sehr ernst bezeichnen. Die Lage in Trappenkamp ist so ernst, daß, wenn es nicht gelingt, sie in den verbleibenden Monaten dieses Jahres zu lösen, Trappenkamp im nächsten Jahr vollkommen zum Absterben verurteilt sein dürfte.“198

Umgekehrt setzte sich nun auch Gerlich im Schleswig-Holsteinischen Landtag nachweisbar für die Interessen Trappenkamps ein. In Zeiten der Wiederbewaffnung und der Errichtung einer Infrastruktur für die ins Leben gerufene Bundeswehr bestand für die Siedlung die Gefahr, dass die einst militärisch genutzten Liegenschaften wieder vom Bund für deren Zwecke in Anspruch genommen würden. Die Verabschiedung des Nachtragshaushalts im Landtag am 11.10.1959 gab Gerlich die Gelegenheit, frühzeitig Gegenargumente für derartige Planungen zu verbreiten: „Auf die eigentliche Frage des Nachtragshaushaltes – die Errichtung von 100 Stellen für die Bauvorhaben im Zusammenhang mit dem deutschen Verteidigungsbeitrag - zurückkommend erklärte Dr. Gerlich, daß man der Landesregierung dankbar sein müsse, vorzeitig diesen

198 Segeberger Zeitung, 06.07.1955, S. 5 101 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Nachtragshaushalt vorgelegt zu haben, da dadurch verhindert würde, daß ein militärischer Apparat für die militärischen Bauten aufgezogen würde.“199

Zeitgleich folgte in Trappenkamp der nächste Schritt einer Eskalation, die sowohl für die nicht eingeweihten Zeitgenossen als auch für die Nachwelt kaum nachvollziehbar war. Vordergründig hatten sich die Trappenkamper Gemeindevertreter zwar mit ihren Kollegen aus Bornhöved auf ein professionelles gemeinsames Vorgehen zum Einwerben von Fördermitteln geeinigt. Stattdessen stritten sie nun öffentlich und offenkundig bewusst über die vergleichsweise nachrangige Frage, wo genau das gemeinsame Gremium als nächstes hätte tagen sollen. Für die turnusmäßige dritte Sitzung war die „Gaststätte Trappenkamp“ vorgesehen gewesen, die aber wegen Konzessionsschwierigkeiten sehr kurzfristig hatte schließen müssen, denn für den Anfang des Monats war noch die Feier eines Oktoberfestes dort geplant gewesen.200

Nun warfen die Repräsentanten Trappenkamps mit Beckert als ihrem Sprecher Bürgermeister Dobrint öffentlich vor, dass er am Ort eine alternative Tagungsstätten hätte suchen müssen, anstatt doch wieder nach Bornhöved einzuladen. Beckert forderte auf der dortigen Sitzung in einer schriftlich vorbereiteten Erklärung von dem Bürgermeister Aufklärung über die Gründe seiner Entscheidung, warf ihm eine Vertiefung der Spaltung zwischen den beiden Ortsteilen vor und gab schließlich für sich und andere eine persönliche Erklärung ab, dass er als angeblich nicht gleichberechtigt anerkannter Gemeindevertreter seine Mitarbeit vorerst ruhen lasse.201

Beckert entzog sich damit der Möglichkeit, nachvollziehbare Argumente auszutauschen und eine konstruktiven Lösung in einem solchen Konflikt zu suchen. Stattdessen strebte er offensichtlich mit den Mitteln der Zuspitzung und Polarisierung eine Entscheidung und letztlich Abspaltung aus einer fragilen politischen Verbindung an, wie sie G. Gerlich auf vergleichbare Weise anderenorts schon strategisch geplant und auf umstrittene Weise auch durchgesetzt hatte. In dieser Konstellation kam (un)passenderweise am 14.10.1955 eine Delegation des Finanzausschusses des Landtags zusammen mit Ministeriumsvertretern zur Besichtigung von Betrieben und Wohnungen, die in ehemaligen

199 Volkszeitung, 12.10.1955, S. 9 200 s. Segeberger Zeitung, 29.09.1955, S. 5 201 s. Segeberger Zeitung, 14.10.1955, S. 5 u. Bechert, Chronik, S. 81/82 102 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Bunkern eingerichtet worden waren. Im Rahmen dieses ersten von vielen auswärtigen Besuchen dieser Art bekamen bei Gesprächen mit Anwohnern, Arbeitnehmern und Arbeitgebern auch Bürgermeister Dobrint und die Trappenkamper Gemeindevertreter Gelegenheit, ihre Positionen zu vertreten.202

Ein offenkundig angestrebtes Ziel schien schon wenige Tage später erreicht worden zu sein, als die Segeberger Zeitung am 19.10.1955 von der nächsten Sitzung unter der Schlagzeile „Trappenkamp will selbständig werden. Bornhöveds Gemeindevertretung geschlossen für die Loslösung“ berichtete. So war im Unterschied zu der vorangegangenen Sitzung auf Vorschlag von Bürgermeister Dobrint bewusst sachlich und leidenschaftslos fünf Stunden lang über den erneuerten Antrag von Trappenkamper Seite auf eine Selbstständig-Machung vom August 1954 debattiert worden.

Nach Erläuterungen des Wortführers Beckert wurde in einer gemeinsamen Erklärung erneut das finanzielle Argument angeführt, dass die Gesamtgemeinde wegen der geringen Finanzkraft beider Partner nicht in der Lage sei, den besonderen kommunalen Bedarf Trappenkamps rasch und ausreichend zu erfüllen. Nach dem erfahrenen Druck wurde den Bornhövedern die einmütige Entscheidung zur Abspaltung oder Loslösung durch die formulierte Erwartung erleichtert, „daß seitens des Landes der neuen Gemeinde Trappenkamp die zur Erhaltung der lebensfähigen Fähigkeit erforderlichen Geldmittel zugestanden werden.“203 Der anstrebte Termin 01.04.1956 ließ dabei ebenfalls eine tiefere Kenntnis der verwaltungstechnischen Verfahren und Fristsetzungen in den zuständigen Ministerien erkennen.

Ähnlich gut vorbereitet folgte am 26.10.1955 der hochrangige Besuch des Wirtschaftsministers Hermann Böhrnsen zusammen mit dem Leiter der Kommunalabteilung im Innenministerium, dem Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses Hans Kersig und Vertretern des Kreises Segeberg. Diese besprachen mit den hiesigen Gemeindevertretern und Bürgermeister Dobrint die Ausgestaltung und die finanziellen Grundlagen der am 18.10.1955 beschlossenen selbstständigen Gemeinde Trappenkamp: „Die Trappenkamper betrachten diesen Ministerbesuch, dem noch vor wenigen Tagen ein Besuch des Landtagsausschusses für Finanzen vorausgegangen war, als ein erfreuliches

202 s. Segeberger Zeitung, 15.10.1955, S. 5 203 Segeberger Zeitung, 19.10.1955, S. 5 103 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Zeichen des großen Interesses, welches in Kiel der Entwicklung Trappenkamps entgegengebracht wird, und sie hoffen auf günstige Beschlüsse von Landesregierung und Landtag.“204

Auch bei dieser Gelegenheit wurde die sehr wahrscheinliche Mitwirkung des Landtagsabgeordneten Gerhard Gerlich mit seinen bekanntermaßen guten Kontakten im Landtag und zu höchsten Stellen in Landesministerien für die Anregung und Durchführung derartiger Besuche augenscheinlich. Dahinter war ein komplexerer weitergehender Plan erkennbar, auch wenn Walter Holey in einem späteren Rückblick zu dem Wechselspiel zwischen dem Strategen Gerlich im Hintergrund und seinen durchführenden Vertrauten am Ort wie Wolfgang Beckert die Zeitabfolge fälschlicherweise umgekehrt erinnerte:

„Mit Wolfgang Beckert als Bürgermeister, einem jungen dynamischen Landsmann aus Böhmisch Leipa, der selbst als Inhaber einer Lederwarenfabrik hier tätig war und der schon viel zur Selbständigwerdung der Gemeinde beigetragen hatte, ging es dann wirklich voran. Und natürlich mit der Hilfe des Landes. Eine Schule und eine Turnhalle wurden gebaut, Straßen befestigt, die Straßenbeleuchtung eingerichtet, Wohnungen gebaut und der Bau der Kanalisation wurde begonnen. Beckert suchte die Verbindung zu unserem Landsmann Dr. Gerlich, einem Mitglied des Landtags, der nicht ohne Einfluß im Lande war.“205

Zutreffender schilderte dagegen Klaus Deneke die Initiatorenschaft und den Einfluss Gerlichs auf die verschiedenen Beschlüsse des Landeskabinetts zum Erhalt der Industriesiedlung und der Selbstständigwerdung Trappenkamps zu einer Gemeinde. Dazu zählte auch die Berücksichtigung von deren Projektanträgen in den Landeshaushalten der folgenden Jahre: „In nahezu allen Bereichen hatte er Einfluss, was ihm auch die Bezeichnung 'Graue Eminenz' der CDU-Fraktion einbrachte. Er liebte es, aus dem Hintergrund die Fäden zu ziehen und seinen ganzen, sehr großen Einfluss spielen zu lassen. Konkret ist schwer nachzuweisen, was er für Trappenkamp im Einzelnen alles bewirkte.“206

204 Segeberger Zeitung, 27.10.1955, S. 4 205 Heerdegen, Manfred/ Holey, Walter: Isergebirgler und ihre Glas- und Schmuckindustrie in Holstein, Baden und im Taunus, Schwäbisch Gmünd 2007, S. 10/11 206 Deneke, Materialien, S. 19 104 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Diese Art des Vorgehens hatte Gerlich auch anderenorts mit großem Erfolg praktiziert, wie an den vorhergehenden Kapiteln über seine Lebensstationen in der Nachkriegszeit nachzuvollziehen sein dürfte. Gerlichs weitgehender Verzicht auf eine augenfällige Beteiligung hat die Suche nach den seltenen Belegen für seine Planungen und direkte Mitwirkung an Aktionen (mehr als bei dem offenkundigeren Einbeziehen und Instrumentalisieren Dritter für die Durchsetzung seiner Ziele) erschwert. Unter diesen Voraussetzungen hat auch Klaus Deneke seine Broschüre „Materialien zur Person von Dr. Gerhard Gerlich, zur Dr.-Gerlich-Schule Trappenkamp und zur Geschichte der Gemeinden Trappenkamp und Bornhöved“ erstellt und konnte 2007 zu dem Wechselspiel zwischen Wolfgang Beckert und Gerhard Gerlich feststellen:

„Die beiden Sudetendeutschen waren befreundet, und Beckert ging im Hause Gerlich in Neumünster ein und aus. Außerdem liegt Trappenkamp auf der Achse Neumünster - Plön- Süd, so dass Dr. Gerlich bei Reisen zu seinem Wahlkreis Gelegenheit hatte, in Trappenkamp bei Beckert vorbeizuschauen. Zudem war Beckert sehr oft in Kiel, um seine Pläne zum Ausbau und zur Entwicklung seiner Gemeinde in den Ministerien voranzutreiben. Dabei war ihm Dr. Gerlich in allen Phasen behilflich.“207

Als ein Ausdruck dieses erfolgreichen Wechselspiels war zum Jahresende 1955 in der Segeberger Zeitung unter der Überschrift „Kiel überprüft Verselbständigung Trappenkamps. Landesmittel für Sofortmaßnahmen in der Industriesiedlung“ von Einzelmaßnahmen zur Infrastruktur am Ort zu lesen. Diese waren nach einem ausführlichen Bericht des Wirtschaftsministers von dem Landeskabinett als Hilfs- und Aufbaumaßnahmen für die Industriesiedlung beschlossen worden und sollten aus dem Nachtragshaushalt sowie dem des Folgejahres finanziert werden. Für die Pläne von Beckert und Gerlich war die Aussicht auf eine weitere Entscheidung im Jahr 1956 mindestens ebenso bedeutsam: „Die Frage der Verselbständigung Trappenkamps, das bisher als Ortsteil der Gemeinde Bornhöved zugehört, wird noch abschließend geprüft werden.“208

207 Deneke, Materialien, S. 18 208 Segeberger Zeitung, 14.12.1955, S. 5 105 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

2.3.2) Im Gründungsjahr 1956 der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp

In Ergänzung der Darstellungen in den Ortschroniken von Claus-Dietrich Beckert und Stefan Wendt kann der Ablauf zur Selbstständigkeit der Gemeinde Treppenkamp im Jahr 1956 anhand von Artikeln der Segeberger Zeitung nachvollzogen werden, wobei auch hier nur seltene Male die direkte Mitwirkung von Gerhard Gerlich an diesen Abläufen sichtbar wird. Auf Anfrage der Redaktion hatte Bürgermeister Dobrint zu Beginn des Jahres 1956 bestätigt, dass die Muttergemeinde Bornhöved zwar der Ausgemeindung des Ortsteils Trappenkamp auf deren Wunsch zugestimmt habe, dass nach seinen Informationen die Landesregierung in Kiel diese Frage aber erst in nächster Zeit auf einer Kabinettssitzung prüfen werde.209

Er fügte am 13.01.1956 hinzu, dass erst nach deren Entscheidung die Gemeindevertretung Bornhöved auf ihrer entsprechenden öffentlichen Sitzung zusammentreten könne, um ferner die unterschiedlichen Positionen bei Finanzen oder Gebietsabtretungen nur im Einvernehmen mit Bornhöved, Trappenkamp und der Kommunalaufsicht auflösen zu können: „Falls entsprechende Beschlüsse zur Zufriedenheit aller Parteien nicht herbeigeführt werden können, müssen nach der schleswig-holsteinischen Gemeindeordnung die strittigen Fragen vom Innenminister, im Kabinett oder sogar auch vom Landtag entschieden werden“210

Diese Konstellation sollte sich im weiteren Verlauf als strategischer Vorteil für Gerlich und seinem Trappenkamper Vertrauten Beckert erweisen, zumal der betreffende Minister Helmut Lemke praktischerweise auch die Funktion des CDU-Kreisvorsitzenden von Segeberg innehatte. Dieser nahm beispielsweise am 19.01.1956 in einer Kreisausschusssitzung der Partei in Bad Segeberg zu dem aktuell kritisch diskutierten „Fall Gerlich“ über die Zukunft der Ostgebiete und zu der Notwendigkeit von staatsbürgerlichem Engagement bei der Gestaltung des demokratischen Gemeinwesens Stellung, wie er es auch am 06.02.1956 im Landtag durch Gerlich bewirkt zu tun hatte.211

209 s. Segeberger Zeitung, 04.01.1956, S. 4 210 Segeberger Zeitung, 13.01.1956, S. 4 211 s. Segeberger Zeitung, 19.01.1956, S. 5 106 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Anfang Februar 1956 initiierte der „Bürger- und Gewerbeverein Bornhöved“ unter Beteiligung anderer Organisationen eine Veranstaltung über den aktuellen Informationsstand, an der auch die interessierten Gemeindevertreter aus Trappenkamp teilnahmen. Diese Versammlung unterlag nicht den allgemeingültigen Regularien einer offiziellen Gemeindevertretersitzung und könnte somit als Vorbild für eine Krisengremium Beckerts im Sommer 1956 gedient haben. Bei diesem Treffen benannte Bürgermeister Dobrint besonders die zu verhandelnden Grenzänderungen und finanzielle Differenzen als künftige Themen und mahnte eine gerechte Berücksichtigung der Interessen an: „Bornhöved habe Verständnis für Trappenkamp, aber Trappenkamp müsse auch Verständnis für Bornhöved haben. Man dürfe aber nicht in den Fehler verfallen, daß man Bornhöved über die Ausgemeindung Trappenkamps kaputt mache.“212

Zu einer nicht korrekten Informationspolitik von Landesseite erklärte Dobrint mit Bedauern, „daß er als Bürgermeister in den letzten Wochen und Monaten von den zuständigen Stellen (Landesregierung) nicht so über den Stand der Entwicklung unterrichtet worden sei, wie es nach seiner Auffassung erforderlich gewesen wäre.“ Demgegenüber präsentierte sich der Gemeindevertreter Wolfgang Beckert als Sprecher Trappenkamps bereits als deutlich besser instruiert und kritisierte mit diesem Vorteil auf aufreizende Weise, wie sie auch von Gerlich bekannt war, seinen Vorredner: „Auch Bürgermeister Dobrint wäre sicherlich bei den zuständigen Stellen die erforderliche Aufklärung zuteil geworden, wenn er über den Stand der Entwicklung nachgeforscht hätte.“ Vermutlich hatte eine Vorarbeit Gerlichs über Innenminister Lemke und dessen Verwaltungsapparat dazu beigetragen, dass Beckert ohne Bedenken öffentlich versichern konnte: „Trappenkamp füge sich jedem Beschluß, den die Landesregierung im Verfolg der Ausgemeindung zu fällen habe.“213

In Vertiefung dieses Ungleichgewichts war eine Meldung, „wie von gut unterrichteter Seite verlautet“, über die Absicht der Landesregierung, die Industriesiedlung bis zum 01.04.1956 aus der betroffenen Muttergemeinde Bornhöved auszugliedern, in der Ausgabe vom 14.02.1956 platziert worden. Aber zum offiziellen Kenntnisstand vermeldete die Segeberger Zeitung am 21.02.1956: „Informationen stehen noch aus“.

212 Segeberger Zeitung, 04.02.1956, S. 5 213 Segeberger Zeitung, 04.02.1956, S. 5 107 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Damit kontrastierte allerdings das ausführliche Referat des Hauptredners Wolfgang Beckert, als dieser am 28.02.1956 auf einer Einwohnerversammlung in der Trappenkamper Gastwirtschaft „Erholung“ über eine detaillierte Verteilung von insgesamt 610.000 DM referierte, die vom Landtag als Wirtschaftshilfe für Trappenkamp beschlossen seien. Seinen gewiss durch Gerlich beförderten Informationsvorsprung (auch gegenüber dem eigentlich zuständigen Bürgermeister von Bornhöved) begründete Beckert damit, „daß das Problem Trappenkamp zuerst größter Vorsicht bedurft und den Charakter der Vertraulichkeit getragen hätte.“

Schon in der Titulierung wirkte seine Gegenüberstellung der Differenzen „zwischen der Bauerngemeinde Bornhöved und dem Ortsteil Treppenkamp mit seiner Industrie“ auf bekannte Weise polarisierend. Zudem übte Beckert mit seiner öffentlichen Bewertung der Vorschläge der Kreis- Kommunalaufsicht (z.B. zum Überlassen des gesamten Arsenalgeländes und der anteilsmäßigen Finanzierung von Schulbau und Straßenbau) indirekt Druck auf die am Folgetag getrennt tagenden Gemeindevertretersitzungen aus. Abschließend formulierte er wohl kaum uneigennützig die Perspektive: „In diesem Fall würde Trappenkamp Mitte März einen komm.[isssarischen] Bürgermeister erhalten.“214

Dass bei Beckerts aufgezählten Infrastrukturprojekten die Belange des Schulbaus einen größeren Raum einnahmen, korrespondierte dabei mit dem bekannten Umstand, dass der Landtagsabgeordnete Gerlich den Schwerpunkt seiner politischen Arbeit ab 1952 vom Ausschuss für Heimatvertriebene auf den Bildungsausschuss verlagert hatte. Nach weiteren Sitzungen dieser Gremien und des Kreisausschusses von Segeberg fassten die Gemeindevertreter gemeinsam in Bornhöved den Beschluss zu der angestrebten Ausgemeindung, so dass die Segeberger Zeitung am 09.03.1956 die Nachricht „Trappenkamp wird selbständige Gemeinde. 14 Ja-Stimmen und eine Enthaltung. Gut nachbarliche Beziehungen“ vermelden konnte. Ergänzend zu Details über erste Gebietsabtretungen und der Trappenkamper Übernahme von Kostenbeteiligungen in Form von Darlehen wurde mit entsprechend gutem Hintergrundwissen bereits eine für den 13. März wahrscheinliche Zustimmung des Landeskabinetts angekündigt.

Tatsächlich aber ließ die Regierung sich nicht von einer derart interessierte Seite unter Zeitdruck setzen und so konnte erst mit der Entscheidung am 19.03.1956 dieser 214 Segeberger Zeitung, 29.02.1956, S. 5 108 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 rechtskräftige Beschluss nach § 15 Gemeindeordnung mit der Wirkung zum 01.04.1956 vermeldet werden. 215 Diesen Schritt begründete Ministerpräsident von Hassel später in Anwesenheit Gerlichs bei der Landtagsdebatte am 28.05.1956 in Zusammenhang mit dem Problem, ob in der Folge nicht auch in Bornhöved eine Neuwahl stattfinden müsste: „Wie Ihnen bekannt sein wird, hat die Landesregierung mit Wirkung vom 1. April 1956 die Gemeinde Trappenkamp aus der Gemeinde Bornhöved ausgegliedert, weil wir der Meinung waren, daß damit beiden Teilen - nämlich der Gruppe Trappenkamp, die ihren Aufbau in einer besonderen Situation vollzieht, aber auch der Gemeinde Bornhöved - ein großer Gefallen getan worden ist.“216

Mit dem Artikel über die Zustimmung in Bornhöved war in der Segeberger Zeitung am 09.03.1956 zugleich ein Bericht über einen Vortrag von Gerhard Gerlich erschienen, den dieser bei der Feierstunde der Ortsgruppe Trappenkamp am 03.03.1956 als Mitglied der Landsmannschaft der Sudetendeutschen zum Thema „Selbstbestimmungsrecht und Recht auf Heimat“ gehalten hatte. In diesen Wochen erschienen weiterhin höchst kritische Leserbriefe gegen seine umstrittenen Positionen zur Zukunft der ehemals deutschen Ostgebiete. So diente es wohl der persönlichen Imagekorrektur wie auch der Unterstützung Beckerts sowie ihrer sudetendeutschen Landsleute am Ort, dass Gerlich seine Ideen über eine Neuordnung der Räume von Lübeck zur Donau mit dem versöhnlichen Geist der Völkerverständigung aller Menschen erklärte, die in Europa ihre Heimat verloren hatten.

In den folgenden Wochen wurde Trappenkamp auf Beschluss des Innenministers Lemke - und sicher nicht ohne Empfehlung Gerlichs - nun von Beckert kommissarisch verwaltet, der sich bei der Vorbereitung dieser ersten Wahl am Ort mit derartiger Gestaltungsmacht und mit seinen erkennbar guten Verbindungen zu Landtagsabgeordneten wie zur Regierungsspitze weiter bekannt machen konnte. Als die Segeberger Zeitung am 18.05.1956 die Namen der insgesamt 24 Kandidaten für sechs Direktwahlbezirke und fünf Listenplätze für die Wahl am 28.05.1956 präsentierte, fand sich unter den Wahlvorschlägen der vier teilnehmenden Parteien CDU, GB/BHE, SPD und FDP unter denen der letztgenannten auch der Name von Wolfgang Beckert. Dessen Beitrag nahm in der Berichterstattung der Segeberger Zeitung vom 26.05.1956 naturgemäß den breitesten

215 Segeberger Zeitung, 21.03.1956, S. 5 216 Protokoll LT-SH, 3. WP., 28.05.1956, S. 1721 109 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Raum ein, als die gute besuchte Einwohnerversammlung mit Vorstellung aller 24 Kandidaten in der Gastwirtschaft „Zur Erholung" im Klima einer bemerkenswerten Einmütigkeit und betonten Sachlichkeit beschrieben wurde.

In seiner doppelten Eigenschaft als kommissarischer Bürgermeister und FDP-Kandidat konnte Beckert die beginnenden Straßenbauarbeiten am Ort wie auch Haushaltspläne zur Ansiedlung von Betrieben für sich in Anspruch nehmen und betonte, dass von dem Geld, das Trappenkamp gegeben werde, kein Flickwerk gemacht werden solle: „Mein persönlicher und der Wunsch meiner Partei ist es, einzig und allein an das Wohl Trappenkamps zu denken.“217 Nach ihm betonte SPD-Sprecher Erwin Wengel ohne Widerspruch „die Einmütigkeit und gute Zusammenarbeit mit allen bürgerlichen Fraktionen. Alle Trappenkamper Belange seien gemeinsam erarbeitet worden.“

Demgegenüber stellte CDU-Sprecher Erich Pohl für seine Partei das gute Vertrauensverhältnis zum Kreis und zur Landesregierung heraus. Insgesamt hatten sich alle Richtungen so sehr an einen politischen Burgfrieden und pfleglichen Umgang miteinander gehalten, dass es erstaunlicherweise keinen Bedarf an Anmerkungen oder Fragen an einen Kandidaten mehr gegeben hatte: „Da keine einzige Wortmeldung in der Diskussion vorlag, konnte die gut besuchte Versammlung nach längerer Pause geschlossen werden.“218

Während der Bericht in der Segeberger Zeitung über diesen ungewöhnlich friedfertigen und gemeinschaftlichen Wahlkampfabschluss am Folgetag auch in Trappenkamp zu lesen war, spitzten sich am Ort die Turbulenzen an diesem Tag vor diesem ersten Wahlgang als selbstständige Gemeinde zu. Der Ablauf des 27.05.1956 ist vor allem aus einer Landtagsdebatte vom 03.07.1956 mit höchst streitigen Beiträgen zu rekonstruieren, in deren Mittelpunkt nicht unerwartet Gerhard Gerlich stand. Insoweit er und sein Hauptkontrahent Gerhard Stracke (SPD) sich in dieser Kontroverse nicht widersprachen, waren demnach bis zu der geschilderten Einwohnerversammlung am Freitagabend tatsächlich die von örtlichen Vertretern getroffenen Vereinbarungen eingehalten worden, im Wahlkampf auf den Einsatz von Spitzenpolitikern der Landes- und Kreisebene oder von

217 Segeberger Zeitung, 26.05.1956, S. 5 218 Segeberger Zeitung, 26.05.1956, S. 5 110 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Ministern zu verzichten.219

Allerdings hatten am nächsten Morgen sowohl CDU als auch BHE offenbar länger vorbereitete Wahlkampf-Drucksachen als Postwurfsendungen verteilen lassen, auf die die SPD ihrerseits erst um 17 Uhr mit eigenen Flugblättern reagieren konnte. 220 Diese Abfolge und Zusammenhänge verunklarte Gerlich in seinem Redebeitrag, als er ohne nähere Spezifizierung den Vorwurf erhob, „dass die örtlichen Absprachen von den örtlichen Partnern auf der einen Seite nicht eingehalten werden konnten“, und zudem das betreffende SPD-Flugblatt mit einem zitierten Text seines Kontrahenten MdL Stracke anfänglich als Nummer 5/II der „Schleswig-Holstein Post“ darstellte. Aus diesen im Plenarsaal kaum nachvollziehbaren Zusammenhängen konstruierte er den diffus formulierten Vorwurf parteipolitischer Einflussnahme auf höherer Ebene (andeutungsweise seines politischen Gegners von der SPD), dass Absprachen vor Ort „nach entsprechenden Interventionen von anderswo her“ geändert worden seien.221

Zu einem landespolitisch beachteten Skandal sollte allerdings nicht das dadurch angeblich beeinflusste Wahlergebnis selbst, sondern der Umgang der Unterlegenen mit diesem werden. Noch ohne Kenntnis um diese Reaktion vermeldete die Segeberger Zeitung am 28.05.1956 über das Wahlergebnis „Die SPD führt in Trappenkamp“ mit einer ersten nicht erwarteten Konsequenz: „Die höchste Stimmenzahl mit 1072 erreichte die SPD, gefolgt von der CDU mit 518, dem BHE mit 440 und der FDP mit 380 Stimmen. Die SPD brachte alle von ihr nominierten Kandidaten in direkter Wahl durch. Darüber fiel ihr ein Überhangmandat zu, obwohl sie nur auf 5 Kandidaten Anspruch hatte. Die übrigen Kandidaten der CDU, des BHE und der FDP wurden über die Liste gewählt. Angesichts des Überhangmandates werden in der Trappenkamper Gemeindevertretung nicht nur 11, sondern 12 Gemeindeväter anzutreffen sein.“222

Ein derartiges Ergebnis hätten die Freizeitpolitiker am Ort nicht unbedingt erwarten können, denn als Gerlich bei den Landtagswahlen im September 1954 im benachbarten Wahlkreis Plön-Süd als Abgeordneter wiedergewählt wurde, hatte die CDU in

219 Protokoll LT-SH, 3. WP., 03.07.1956, S.1871/72 220 Protokoll LT-SH, 3. WP., 03.07.1956, S.1874 221 Protokoll LT-SH, 3. WP., 03.07.1956, S.1872 222 Segeberger Zeitung, 28.05.1956, S. 5 111 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Trappenkamp bei jeweils einfacher Stimmabgabe mit 496 Stimmen noch vor der SPD (446), dem BHE (345) und der FDP (118) gelegen. In dem Artikel folgte der namentlichen Aufzählung der so gewählten Volksvertreter (ohne den FDP-Kandidaten Wolfgang Beckert) ein an sich selbstverständlicher Hinweis auf die Konstituierung der ersten gewählten Gemeindevertretung der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp: „Die neue Gemeindevertretung wird am 6. Juni sich erstmalig zu einer Sitzung zusammenfinden und die Wahl des Bürgermeisters vornehmen.“

Dagegen zeigten sich die Spitzenvertreter der drei unterlegenen bürgerlichen Parteien erstaunlicherweise umgehend für eine solche Eventualität gewappnet. Sie schienen nach der Darstellung im Artikel „Schildbürger in Trappenkamp. CDU, FDP und BHE stellen Partei-Egoismus über Gemeindewahlrecht“ der Volkszeitung vom 02.06.1956 keine Krisensitzung oder ausführliche Beratungen in anderer Form zu benötigen, um einen weitgehenden Schritt zu beschließen und öffentlich bekanntzugeben: „Unmittelbar nach Feststellung des Wahlergebnisses wurde von den Vertretungen der drei Parteien geäußert, daß sie zur Mitarbeit in einem Gemeindeparlament mit einer derart starken sozialdemokratischen Fraktion nicht bereit seien. Auf keinen Fall sollte die SPD das Amt des Bürgermeisters besetzen dürfen.“223

Die Segeberger Zeitung vom gleichen Tage vermeldete eine Woche nach der Wahl unter „Gemeindevertreter lehnten Mandat ab“ den offiziellen Vollzug dieser Ankündigung mit noch weitreichenderen Folgen: „Am gestrigen Freitag haben alle sechs über die Liste in die Gemeindevertretung Trappenkamp gewählten Kandidaten der CDU, des GB/BHE und der FDP ihr Mandat in der Gemeindevertretung nicht angenommen. Hieraus resultiert die nüchterne Tatsache, daß die Gemeindevertretung Trappenkamp nur noch aus den sechs direkt gewählten Kandidaten besteht, da auch sämtliche übrigen Listenbewerber von CDU, GB/BHE und FDP auf eine Anwartschaft Verzicht leisteten. Lediglich ein Mitglied des GB/BHE schloß sich diesem gemeinsamen Vorgehen nicht an und erklärte damit gleichzeitig seinen Austritt aus dem BHE.“224

Ein derartig beliebiges Umgehen mit dem Instrument von Nachrückern bei demokratischen Wahlen dürfte Gerhard Gerlich, der damit spätestens in der Landtagsdebatte am

223 Volkszeitung, 02.06.1956, S. 2 224 Segeberger Zeitung, 02.06.1956, S. 4 112 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

03.07.1956 nachweislich befasst war, an den Versuch seines einstigen Landtagskollegen Paul Lohmann erinnert haben, sich mit sehr ähnlichen Methoden 1950 zum Stadtpräsidenten von Neumünster wählen zu lassen. Seinerzeit waren wie nun in Trappenkamp ebenfalls von keinem Beteiligten plausible Gründe für dieses weitreichende Vorgehen bekannt gegeben worden.

Dies könnte in diesem aktuellen Fall auch für nicht eingeweihte Funktionäre der eigenen Partei gegolten haben, da die Volkszeitung von einem zuvor erfolglosen Versuch des Segeberger CDU-Kreisgeschäftsführers berichtete, „die Vertretung seiner Partei von diesem undemokratischen Schritt zurückzuhalten.“ 225Vermutlich ebenfalls aus einem vergleichbaren Mangel an Hintergrundinformationen haben Claus-Dietrich Bechert und Stefan Wendt sich in ihren Darstellungen zu dieser Episode auf die bloße Tatsache der Nicht-Annahme der Mandate beschränkt. Zum inhaltlichen Verständnis konnte auch am 03.06.1956 eine nachgeschobene Erklärung der Trappenkamper Sprecher von CDU, BHE und FDP nicht beitragen, „daß bei der Kräftekonstellation von sechs SPD- Gemeindevertretern gegenüber sechs Vertretern von CDU, BHE und FDP eine Arbeitsmöglichkeit in der Gemeindevertretung nicht gegeben sei.“226

Über das Fehlen einer für die Öffentlichkeit nachvollziehbaren Erklärung und die entsprechenden Konsequenzen hatte die Redaktion der Segeberger Zeitung bereits am 02.06.1956 geschrieben: „Wie erklärt wurde, sind dem Wahlleiter gegenüber keinerlei Gründe über die Nichtannahme der Mandate abgegeben worden. Angesichts dieses gegebenen, aber völlig unerwarteten Umstandes sieht es in der Praxis nun so aus, daß die zum kommenden Donnerstag einberufene erste Sitzung der Trappenkamper Gemeindevertretung von vornherein beschlußunfähig ist, also vertagt werden muß.“

Eine solche Strategie der Kandidaten der CDU, des GB/BHE und der FDP wäre nach der Darstellung der Segeberger Zeitung allerdings auf Dauer fruchtlos geblieben, wenn nicht Innenminister Lemke oder die ihm unterstellten Behörden nach den üblichen Ersatzlösungen verfahren hätten können: „Erst in einer erneuten Sitzung, die dann ohne

225 Volkszeitung, 02.06.1956, S. 2 226 Segeberger Zeitung, 04.06.1956, S. 5; vgl. Wendt, Trappenkamp, S. 163/64 u. Bechert, Chronik, S. 83 sowie S. 84-88 mit Auszügen aus der Landtagsdebatte am 03.07.1956 113 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Rücksicht auf die erschienene Zahl der Gemeindevertreter auf Grund der Gemeinde- Ordnung ohne weiteres beschlußfähig ist, könnte der erste ehrenamtliche Bürgermeister und seine beiden Stellvertreter gewählt werden. Welcher Weg der richtige ist, kann im Augenblick noch nicht überschaut werden und bleibt abzuwarten. Abzuwarten bleibt auch, wie die Kommunalaufsicht sich zu der immerhin ungewöhnlichen Angelegenheit stellt.“227

Wolfgang Beckert hatte als FDP-Kandidat knapp die Wahl in die erste Gemeindevertretung von Trappenkamp verfehlt, aber als regulärer Nachrücker wie die übrigen 20 Bewerber der drei bürgerlichen Parteien auf der Ersatzliste seine Nichtannahme erklärt. Zudem verfügte er als weiterhin kommissarischer Bürgermeister über die Möglichkeit, der Kommunalaufsicht und mit ihr dem Innenminister zu einem abweichenden Verfahrensvorschlag zu raten. Nach der Gemeindeordnung hatte dieser die Möglichkeit, einen Beauftragten (den sogenannten Staatskommissar) einsetzen und auf Beschluss des Landtages Neuwahlen anordnen zu lassen.228

Wie vielen erfahrenen Landespolitikern musste im Juni 1956 erst recht den sechs Trappenkamper SPD-Gemeindevertretern die Fantasie gefehlt haben, dass ein Einfluss auf den Innenminister so weit reichen mochte, dass dieser ausgerechnet Wolfgang Beckert, der für die ordnungsgemäßen Abläufe verantwortlich war und nun dieses Dilemma direkt mit bewirkt hatte, erneut diesen Auftrag erteilen sollte. Anderenfalls hätte der Tischlermeister Erwin Wengel bei der ersten Gemeindevertretersitzung am 07.06.1956 im „Waldrestaurant", die wie angekündigt durch den Boykott beschlussunfähig blieb, im Namen der SPD-Fraktion kaum öffentlich und ohne jeden Vorbehalt erklärt, „die SPD sei immer - zu jeder Zeit und auch in der Parität - zur Mitarbeit bereit gewesen. Außerdem enthält die Erklärung den Hinweis, daß man im Interesse Trappenkamps jeder Entscheidung zustimmen wird, die die Regierung über das Ergebnis dieser Wahl fällt.“229

Die Schlussformel erinnerte deutlich das Vorbild der Erklärung von Beckert in Bornhöved am 03.02.1956, der politisch allerdings erkennbar professioneller beraten worden war. Tatsächlich vermeldete die Segeberger Zeitung am 14.06.1956 zusammen mit dem bevorstehenden Landtagsbeschluss für Neuwahlen zu der betreffenden Personalie: „Als

227 Segeberger Zeitung, 02.06.1956, S. 4 228 vgl. Segeberger Zeitung, 02.06.1956, S. 4 229 Segeberger Zeitung, 08.06.1956, S. 5 114 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Staatskommissar für die Gemeinde Trappenkamp hat der schleswig-holsteinische Innenminister Dr. Helmut Lemke als Vertreter der oberen Kommunalaufsicht den 31 Jahre alten Fabrikanten Wolfgang Beckert erneut eingesetzt.“230

Durch diese sehr umstrittene und möglicherweise nicht freiwillige Entscheidung Lemkes verhärteten sich die politischen Fronten sowohl am Ort als auch in der Landespolitik, wie es Gerlich nicht nur gewohnt war, sondern auch gelegentlich selbst bewusst herbeigeführt hatte. Da an einen politischen Burgfrieden in Trappenkamp wie vormals nicht mehr zu denken war, konnte ein Auftritt des CDU-Kreisvorsitzenden und Innenministers Lemke am 26.06.1956 im benachbarten Bornhöved als Auftakt zum Vorwahlkampf aufgefasst werden. So wie Gerhard Gerlich in der folgenden Landtagsdebatte am 03.07.1956 sich zum Verfechter der Interessen der Sudetendeutschen am Ort deklarierte und entsprechend polarisierte, so musste in dieser Atmosphäre außerdem die Aufführung eines Singspiels mit dem Titel „Der Bürgermeister“ durch die Sängergruppe der sudetendeutschen Landsmannschaft in der Gastwirtschaft „Erholung" für SPD-Anhänger auf einem „Bunten Abend“ als Provokation aufgefasst werden.231

Indem Beckert vom Innenminister erneut zum „Beauftragte für die Wahrnehmung der Geschäfte des Bürgermeisters und der Gemeindevertretung“ berufen worden war, hatte er in dieser regierungsamtlichen und staatstragenden Rolle die Möglichkeit, die örtlichen Sprecher der politischen Parteien in Trappenkamp zur Mitarbeit in einem von ihm bestimmten beratenden Gremium aufrufen. Dem kamen die bisher sich verweigernden Vertreter von CDU, BHE und FDP selbstverständlich nach, wohingegen die weniger gut beratenen SPD-Kommunalpolitiker durch ihre vorschnelle Erklärung zu einer bedingungslosen Bereitschaft am 07.06.1956 in die Defensive gerieten. So verkehrte die Segeberger Zeitung am 30.06.1956 mit der Überschrift „SPD will nicht mitarbeiten“ die Verantwortlichkeiten ins Gegenteil.

Diesen argumentativen Vorteil griff Gerhard Gerlich als der am intensivsten beteiligte Abgeordnete in der folgenden Landtagsdebatte am 03.07.1956 auf und schilderte aus der Perspektive Beckerts dessen aufrichtige und gutwilligen Motive sowie entsprechend glaubwürdige Enttäuschung über den „SPD-Fraktionsführer Wengel“, in dem er spitz

230 Segeberger Zeitung, 14.06.1956, S. 4 231 s. Segeberger Zeitung, 19.06.1956, S. 5 115 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 formulierte: „Bitte, wir wollen doch von jeder politischen Partei wenigstens einen Vertreter an allen entscheidenden Veranstaltungen und an allen Entscheidungen beteiligen, damit nach der durchzuführenden Neuwahl mindestens ein Vertreter aus jeder politischen Partei Bescheid weiß über die Hintergründe der in der Zwischenzeit durchgeführten Maßnahmen. Daß dann der Sprecher der SPD verspätet, aber um so deutlicher mit einem Nein reagiert hat, steht irgendwie im Widerspruch zu dem Grundsatz der Bereitschaft zur Mitarbeit.“232

Zu dem am 03.07.1956 behandelten Tagesordnungspunkt „Antrag des Innenministers betr. Auflösung der Gemeindevertretung der Gemeinde Trappenkamp, Kreis Segeberg“ berichtete das Flensburger Tageblatt am 05.07.1956: „Alle Fraktionen waren sich einig, dass das Vorgehen der gewählten Vertreter der CDU der FDP und des BHE nicht zu billigen ist.“ Lediglich von Gerlich war in der Debatte keine Erklärung dieser Art zu vernehmen, nachdem Innenminister Lemke diesen Antrag mit Beschränkung auf die reine Faktenlage so knapp wie nur möglich eingebracht hatte. Andere Redner verurteilten zwar die Verweigerung der Trappenkamper Vertreter ihrer eigenen Parteien nach der ersten Gemeinderatswahl, zogen sich jedoch auf ihre Unkenntnis von angeblich komplizierten Verhältnissen vor Ort zurück, welche Gerlich bereitwillig bestätigte.

Es stärkte nicht das Ansehen des Innenministers Lemke, dass Gerlich in seinem Beisein auch für jene freiwilligen Partei-Kandidaten und gewählten Gemeindevertreter in Trappenkamp die Legitimität verfocht, dass jeder Bürger jede vorhandene Gesetzeslücke zum eigenen Vorteil nutzen dürfe: „Ich frage aber, ob ein Wahlrecht von den Staatsbürgern nicht in der Form in Anspruch genommen kann, daß alle darin gebotenen Möglichkeiten von ihnen auch tatsächlich benutzt werden dürfen, ohne daß daraus moralisch anfechtbare Verhältnisse abgeleitet werden.“

Stattdessen ging Gerlich zu einer argumentativ eigenwilligen Gegenoffensive über und warf der Legislative die Verantwortung für eine derartige Regelungslücke vor: „Dann sollten die Herren Gesetzgeber - vor allem die Kommunalpolitiker, Herr Fischer! - dafür Sorge tragen, daß diese angeblichen gesetzlichen Verhältnisse, die also den Staatsbürger zur Unmoral verleiten können, durch eine neue Gesetzgebung aus der Welt geschafft

232 Protokoll LT-SH, 3. WP., 03.07.1956, S. 1873 116 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 werden.“233 Zudem unterstellte ausgerechnet Gerlich in seiner Rede den bürgerlichen Parteienvertretern in Trappenkamp eine ausgesprochene Unabhängigkeit von Landes- oder Kreispolitikern.

Er artikulierte zudem sein Verständnis für risikobereite Persönlichkeiten am Ort, ihren erworbenen Wohlstand mit derartigen Methoden abzusichern und sich auf solche Weise dem gültigen Wahlergebnis eines Stimmen-Patts mit Sozialdemokraten (und deren vorteilhafte Position für die Besetzung des Bürgermeisterpostens) zu entziehen: „Sie werden es all den Menschen, die zehn Jahre lang einen sehr harten Lebenskampf zu führen hatten - und zwar nicht nur die Arbeitnehmerseite, sondern auch die Unternehmer, gerade in bezug auf die Verantwortung für die Erhaltung der Arbeitsplätze und nicht nur für die eigene Verdienstmöglichkeit, mit allen Risiken, die damit verbunden sind -, nachfühlen, daß sie den Wunsch hatten und auch heute noch haben, daß in gegenseitigem Vertrauensverhältnis eine echte Kommunalpolitik, nicht gesteuert und nicht steuerbar von Kreis- und Landesinstanzen, sichergestellt ist.“234

Von dem Hauptredner der SPD-Fraktion berichtete die Volkszeitung am 05.07.1956 aus dieser Debatte: „Strack kritisierte auch das Verhalten von Innenminister Lemke, der den bisherigen kommissarischen Bürgermeister Bäcker [!] erneut zum Kommissar bestellt hatte, obwohl Bäcker [!] 'das alles herbeiführte' und im übrigen erst an siebenter Stelle gewählt wurde.“235 Allerdings versäumte es der Abgeordnete Gerhard Strack in der Auseinandersetzung mit dem wortgewandten Gerhard Gerlich, die ihm bekannten Abläufe in Trappenkamp präzise zu analysieren, sondern forderte in der Erwartung eines noch besseren SPD-Ergebnisses wie alle Fraktionen baldige Neuwahlen in Trappenkamp.

So sollte der BHE-Abgeordnete Eginhard Schlachta mit seinem Zwischenruf an die Adresse seines eigene Fraktionsvorsitzenden und Redners Heinz Kiekebusch den Hintergründen für diese skandalöse Korrektur der ersten Gemeindevertreterwahl am nächsten kommen: „Ich meine, wir sollten dieser nun ganz jungen Demokratie in der Gemeinde Trappenkamp, die gerade erst wenige Wochen vorher von der Regierung aus der Taufe gehoben worden

233 Protokoll LT-SH, 3. WP., 03.07.1956, S. 1871 234 Protokoll LT-SH, 3. WP., 03.07.1956, S. 1871 235 Volkszeitung, 05.07.1956, S. 8 117 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 war, zubilligen, daß sie auch einmal einen Fehler machen kann. Die dortigen Parlamentarier werden inzwischen wohl die notwendigen Erfahrungen gesammelt haben, (Abg. Schlachta: Oder gesammelt bekommen haben!)“236

Nach dieser letzten Landtagssitzung vor der Sommerpause ließen sich in den untersuchten Zeitungsjahrgängen keine direkte Beiträge Gerlichs in dem einsetzenden Wahlkampf um Trappenkamp nachweisen. Allerdings dürfte er seinen Vertrauten Wolfgang Beckert dabei unterstützt haben, im Juni und August 1956 zu Artikeln in der Segeberger Zeitung wie „Trappenkamps Pläne sind fertig. Schule, Kirchen und Läden im Ortskern. Neue Betriebe siedeln sich an“ oder „Trappenkamps Straßenbau läuft an. Schulplanung bedarf noch der Zustimmung. Weiterhin um Gewerbebetrieb bemüht“ die passende Darstellung von der Leistung und den Verdiensten des kommissarischen Bürgermeisters für die Entwicklung am Ort zu formulieren.237 Eine ähnlich günstige Wirkung sollten auch die Schlagzeilen zu einem Besuch des für Wirtschaft und Verkehr zuständigen Ministers Hermann Böhrnsen entfaltet haben: „Großer Tag für Trappenkamp. Minister sichert weitere Landeshilfe zu. Auftakt zu neuen Bauvorhaben. Gesamtkosten über eine Million Mark. Seit Sonnabend Straßenbeleuchtung.“238

Dank seiner guten Kontakte dürfte Gerlich auch weitere Auftritte von ähnlich hochrangigen politischen Repräsentanten vermittelt haben können, wohingegen die Volkszeitung vom 15.08.1956 einen dieser gehäuften Regierungsbesuche in der Industriesiedlung kritisch kommentierte: „So erfreulich es ist, dass sich nach langer Pause mal wieder ein Minister der Landesregierung nach Trappenkamp bemüht - Minister Asbach wurde dort lange nicht mehr gesehen -, so einen unangenehmen Beigeschmack hat dieser Besuch, wenn man daran denkt, dass der Termin für die Wiederholungswahl für die Gemeindevertretung unmittelbar vor der Tür steht.“

In seiner ersten Wahlperiode von 1950 bis 1954 als Landtagsabgeordneter hatte Gerlich seine strategischen Erfahrungen gesammelt und mit sehr eigener Wortwahl auch durchzusetzen verstanden, einen politischen Bündnispartner wie die FDP aus dem

236 Protokoll LT-SH, 3. WP., 03.07.1956, S. 1875 237 s. Segeberger Zeitung, 28.07.1956, S. 6 u. 17.08.1956, S. 4 238 Segeberger Zeitung, 24.09.1956, S. 5 118 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 gemeinsamen Wahlblock-Bündnis auszuscheiden, sofern es den Wahlaussichten und Verdeutlichung der eigenen politischen Richtung gedient hatte. Daher könnte auch auf seinen Ratschlag zurückzuführen sein, dass sich die bürgerlichen Parteien am Ort darauf verständigten, bei der anstehenden Neuwahl auf den zahlenmäßig knapp schwächsten Partner FDP zu verzichten und stattdessen gemeinsam im Bündnis anzutreten, wie am 14.09.1956 in der Segeberger Zeitung zu lesen war: „Nur die SPD und die Wahlunion Trappenkamp (ein Zusammenschluss von CDU und BHE) haben für die am 30. September in Trappenkamp, Kreis Segeberg, angesetzte Wahl zur Gemeindevertretung Kandidaten benannt.“

Die kritischen Anmerkungen des SPD-Oppositionsführers Wilhelm Käber dazu an die Adresse von Kai-Uwe von Hassel in der Landtagssitzung am 02.10.1956 direkt nach dieser Wahl machen deutlich, dass die kommunalen Vertreter der bürgerlichen Fraktionen in Trappenkamp erstaunlicherweise auch bei dieser zweiten Gemeindevertretungswahl, möglicherweise auf den Rat und die Ermutigung Gerlichs hin, keine Bedenken hatten, dem Ministerpräsidenten oder CDU Landesvorsitzenden politisch schaden zu können:

„Es wurde dabei das in Schleswig-Holstein früher so hoch eingeschätzte Verfahren des Blocks aller gegen einen praktiziert. Ich hatte Sie, Herr, Ministerpräsident, bisher immer so verstanden, daß Sie diesem verwerflichen Verfahren und System endgültig abgeschworen hätten. Sie waren ebenso wie ich in Trappenkamp, und Sie haben an Ort und Stelle feststellen müssen, daß hier der Demokratie als Prinzip mit dem Verhalten derjenigen, die mit dem Wahlergebnis nicht zufrieden waren und die dann über den Weg der geschlossenen Niederlegung der übertragenen Mandate eine Wiederholungswahl durchsetzten, kein Dienst erwiesen wurde. Ich wäre sehr dankbar, Herr Ministerpräsident, wenn Sie in der Aussprache zu der Frage Stellung nähmen, ob wir - Sie und wir - die Bestimmungen des Wahlrechts so fassen wollen, daß derartige Manipulationen künftig nicht mehr möglich sind.“239

Zum Wahlkampfendspurt schickten die beiden Volksparteien ihre höchsten Repräsentanten zu Abschlusskundgebungen nach Trappenkamp. Die Segeberger Zeitung vom 29.09.1956 berichtete zunächst von dem Auftreten des Ministerpräsidenten und CDU-

239 Protokoll LT-SH, 3. WP., 02.10.1956, S. 1940 119 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Landesvorsitzenden von Hassel mit „einer sehr gemäßigten und unpolemischen Rede auf die Aufgaben der Bürger in Staat und Gemeinde.“ Als ein strategischer Nachteil sollte sich dagegen erweisen, dass der SPD-Hauptredner seinen Auftritt erst an dem Tag vor der Stimmangabe wahrnahm und es für Wahlkämpfer somit zu spät für eine Reaktionsmöglichkeit auf ein Störmanöver von politischen Gegnern war: „Das Interesse der Bevölkerung wird nicht zuletzt auf die lebendigen Auseinandersetzungen der Parteien vor dem Wahlsonntag zurückgeführt. Sie hatten ihren Höhepunkt am Sonnabend auf einer SPD-Versammlung erreicht, auf welcher der Oppositionschef im schleswig-holsteinischen Landtag, Käber, sprach. Dabei kam es zu turbulenten Szenen, als während der Diskussion schwerwiegende Beschuldigungen gegen einen der SPD-Kandidaten erhoben wurden.“240

Wenn Gerlich diese Notiz in der Segeberger Zeitung am 01.10.1956 gelesen haben sollte, mochte sie ihn an seine eigene Erfahrung als Wahlkämpfer Anfang der fünfziger Jahre in Neumünster erinnert haben, von der seine CDU-Parteifreundin Lieselotte Juckel als einem ihrer besonderen Erlebnisse aus der „Ära der Gerlichs“ berichtete: „Am Abend vor der Wahl steckte die SPD Flugblätter in die Briefkästen, auf denen dieser Kandidat einer Untat beschuldigt wurde bzw. in seiner Vergangenheit war ein schwarzer Punkt gefunden worden. Zur Entgegnung blieb keine Zeit. Wir verloren die Wahl.“241

Deutlich zufriedener konnte Gerlich das Resultat seines Engagements für die zweite Gemeindewahl in Trappenkamp stimmen, wie in derselben Ausgabe der Segeberger Zeitung zu lesen war. Obwohl die SPD noch 145 auf 1217 Stimmen hinzugewonnen hatte und der Zuwachs für die Wahl-Union CDU/BHE als bürgerliches Lager gezählt lediglich 50 Stimmen betrug, kam dieses auf insgesamt 1388 Stimmen und 6 Mandate gegenüber 5 Sitzen für die SPD. Der Spitzenplatz bei den Direktkandidaten musste Gerlich besonders gefreut haben: „Unter den einzelnen Bewerbern errang der bisherige kommissarische Bürgermeister, Wolfgang Beckert (Wahlunion), mit 245 die meisten Stimmen. Vertreter beider Gruppen äußerten sich gestern sehr befriedigt zu dem Ergebnis.“242

Nach dem gewünscht klaren Ergebnis gab es weder bei der mit Mehrheit gewählten Wahlunion noch bei der SPD-Minderheit erkennbaren Bedarf an Einflussnahmen von

240 Segeberger Zeitung, 29.09.1956, S. 5 u. 01.10.1956, S. 5 241 Juckel, CDU Neumünster, S. 8 242 Segeberger Zeitung, 01.10.1956, S. 5 120 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Außen oder taktischen Finessen. So berichtete die Segeberger Zeitung vom 18.10.1956 stattdessen über eine interfraktionelle Übereinkunft schon vor der konstituierenden Sitzung im „Waldrestaurant": „Nach Lage der Dinge und voraufgegangener interfraktionellen Besprechungen ist man sich über die Besetzung des Bürgermeisteramtes und seiner beiden Stellvertreter grundlegend einig. Danach stellt die Wahlunion Trappenkamp (CDU und GB/BHE) als Bürgermeister den bisher kommissarisch Beauftragten Wolfgang Beckert, und den zweiten stellvertretenden Bürgermeister. Die SPD stellt den ersten stellvertretenden Bürgermeister.“

Tatsächlich lief die erste Gemeindevertretersitzung am 22.10.1956 „in einem äußerst zügigen Tempo und programmgemäß“ ab, was auch an der einstimmigen Wahl von Wolfgang Beckert zu Trappenkamps Bürgermeister und der Verabschiedung der Hauptsatzung sowie der Besetzung der Fachausschüsse mit einem eben solchen Ergebnis lag.243

Nach dieser auf eigentümliche Weise erreichten innerörtlichen Befriedung sollte sich das Verhältnis mit der Nachbargemeinde Bornhöved um so problematischer entwickeln, wie zum Jahresende zwei gegensätzliche Schlagzeilen der Segeberger Zeitung illustrierten. So hieß es im November 1956 „Im Finanzstreit mit Trappenkamp. Bornhöved entschied sich für eine gütliche Einigung. Annehmbare Verhandlungsbasis gefunden. Grenzänderungsvertrag gebilligt.“ Wesentlich strategischer wirkte eine Überschrift vom Dezember des Jahres 1956: „Trappenkamp fordert Gutachten aus Kiel. 'Finanzkrieg' mit Bornhöved wird geht weiter. Kaum noch Aussicht auf gütliche Einigung. Kommunalaufsicht wird entscheiden. Beckert: Kreis ist befangen“.244

Es sollte also für den mit 28 Jahren jüngsten Bürgermeister des Bundeslandes Schleswig- Holstein weiterhin viel Bedarf an Beratungen mit Gerhard Gerlich auch über das Gründungsjahr der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp hinaus geben.

243 s. Segeberger Zeitung, 23.10.1956, S. 5 244 Segeberger Zeitung, 10.11.1956, S. 5 u. 15.12.1956, S. 5 121 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

2.3.3) Während der Aufbaujahre der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp (1957- 1962)

Wie in den vorangegangenen beiden Kapiteln über die ersten Verbindungen von Gerhard Gerlich und den Spuren seines Wirkens in Trappenkamp gilt auch für die folgenden Jahre 1957 bis 1962, in denen sich der Ort vor allem durch die Unterstützung aus der Landespolitik und Ministerien rapide entwickelte, dass der Einfluss und das Mitwirken des Abgeordneten häufig nur indirekt zu erschließen ist. Seltene Male ist sein Wirken vor Ort in der Presse dokumentiert worden und auch sein Beitrag dazu, dass und wie Treppenkamp im Jahr 1956 eine selbstständige Gemeinde wurde, ist erstmals dieser Untersuchung, überwiegend durch Indizien und Rückschlüsse, dokumentiert worden.

Die nachfolgende Rekonstruktion der Verbindung zwischen Gerlich und Trappenkamp in den Aufbaujahren mag ebenfalls als Ergänzung und teilweise Korrektur von Darstellungen in den Ortschroniken von Claus Dietrich Bechert und Stefan Wendt verstanden werden. Dies gilt insbesondere für das Kapitel „Der große Förderer Trappenkamps“ in der 2007 herausgegebenen Broschüre „Materialien zur Person von Dr. Gerhard Gerlich, zur Dr.- Gerlich-Schule Trappenkamp und zur Geschichte der Gemeinde Trappenkamp und Bornhöved“ von Klaus Deneke.245 Auf eine detaillierte Wiederholung aller dort verzeichneten Maßnahmen, mit denen die Landesregierung in Kiel durch Mitwirken des Abgeordneten Gerlich zur Entwicklung und dem Ausbau der Industriesiedlung in den Jahren von 1957 bis 1962 beigetragen hat, wird deshalb verzichtet.

Weil Belege nach 1956 für die direkte Verbindung dieses im benachbarten Wahlkreis Plön- Süd gewählten Landtagsabgeordneten zu der Gemeinde Trappenkamp selten blieben, wird das Verhältnis zumeist durch Artikel der Segeberger Zeitung und über die wesentliche Mittelsperson, den ersten Trappenkamper Bürgermeister Wolfgang Beckert, rekonstruiert. Zu den Umständen von dessen Wahl, die Gerhard Gerlich mit ganz eigenen Mitteln unterstützt hatte, schrieb 1958 die Trappenkamper Schülerin und Zeitzeugin Marianne Kiesewetter: „Am 1. April 1956 wurde Trappenkamp nach einem zähen Kampf

245 Deneke, Materialien, S. 18-20 122 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 selbständige Gemeinde. Als erstes galt es, den Bürgermeister zu wählen. Das war leider nicht leicht bei uns. Die Meinungen gingen zu sehr auseinander. Nach langem Hin und Her, das schon fast einen Skandal bewirkte, traf die Wahl den Lederfabrikanten Wolfgang Beckert.“246

Die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der Folgejahre, unter denen die Selbstständigkeit Trappenkamps auf eine solche Weise und mit wesentlichen Beiträgen des Landtagsabgeordneten verwirklicht werden konnte, beschrieb Klaus Deneke 2013 in seinem Gerlich-Porträt „Verdienstvoller Strippenzieher“: „Besonders Schleswig Holstein wurde durch den Zuzug Heimatvertriebener belastet: 1,5 Million Einheimische nahmen 1,2 Millionen Gestrandete auf. Die Integration gelang und ist der heutigen Generation schon so gut wie unbekannt. Ebenso mag man heute den Kopf darüber schütteln, dass es einmal Gegensätze zwischen Bornhöved und seinem Ortsteil Trappenkamp gab. Überzeichnet: hier die konservativen, protestantischen Bauern aus Bornhöved und dort die in Kleinbetrieben emsig arbeitenden, katholischen Sudetendeutschen im ehemaligen Marinesperrwaffenarsenal Trappenkamp. Im wesentlichen ging es dabei immer um die Verteilung der Mittel zwischen Bornhöved und Trappenkamp. Diese Situation fand Gerlich bei den Besuchen seiner sudetendeutschen Landsleute in Trappenkamp vor.“247

Die entsprechenden Auseinandersetzungen wurden auch nach der Wahl Wolfgang Beckerts zum Bürgermeister in den Jahren ab 1957 intensiv fortgesetzt. Dessen fortwährender Beratungsbedarf mit und gewiss überwiegend bei dem erfahrenen Landtagsabgeordneten Gerhard Gerlich in Neumünster wird durch eine Schlagzeile der Segeberger Zeitung vom 16.03.1957 illustriert: „Trappenkamp vor Einigung mit Bornhöved? Mit Entwurf grundsätzlich einverstanden. Feststellung obliegt der Kommunalaufsicht. Bürgermeister Beckert: Eigene Wege in der Industrieansiedlung.“

Bereits zwei Tage später wurde an dem Artikel „Kabinett gab seine Zustimmung. Für dreiklassige Schule, Turnhalle und Kindergarten in Trappenkamp“ deutlich, wie groß der

246 Kiesewetter, Marianne/ Kiesewetter, Hertha Julia: Wie Trappenkamp aus der Steppe wuchs, ...erlebt von zwei Mädchen, hg. vom Sudetendeutschen Kulturwerk Schleswig-Holstein, (Kiel) 2016, S. 17; im Folgenden: Kiesewetter, Trappenkamp 247 Deneke, Klaus: Verdienstvoller Strippenzieher ( Dr. Gerhard Gerlich), in: Sudetendeutsche Zeitung, Folge 4, 25.01.2013 123 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Einfluss Gerlichs auf die maßgeblichen Stellen der Landesregierung und Ministerien gewesen sein dürfte: „Angesichts des Umstandes, daß die Schülerzahl in der Gemeinde Trappenkamp sich ab Ostern von 58 auf 98 erhöht, stimmten die Gemeindevertreter geschlossen der Schaffung der dritten Schulstelle zu. In diesem Zusammenhang teilte der Bürgermeister mit, daß das schleswig-holsteinische Kabinett seine Bereitwilligkeit zum Bau und zur Finanzierung einer dreiklassigen Schule, einer Turnhalle und eines Kindergartens in Trappenkamp erklärt hat.“248

Die Voraussetzung für eine praktische Umsetzung derartiger Planungen konnten dauerhaft nur durch die öffentliche Hand gewährleistet werden und manche Nachbargemeinde hätte sich gewiss ähnlich gute Verbindungen zur Vergabe von Fördermitteln und anderen Finanzquellen gewünscht, von denen im April 1957 zu lesen war: „Zehntausend Mark fehlen in Trapppenkamps Haushalt. Finanzierung von Schul- und Turnhallenbau gesichert. Kurze Sitzung. Nach Ostern drei neue Lehrer“.249

Mit dem rapiden Wachstum des Ortes durch die Ansiedlung neuer Betriebe, den Zuzug der Arbeitskräfte und ihrer Familien und den gestiegenen Ansprüchen an die Infrastruktur nahm auch der Bedarf an kultureller Bildung und an Gestaltungsmöglichkeiten für die Freizeit zu. Dies führte im Mai 1957 in Trappenkamp schließlich zu einer entsprechenden Vereinsgründung, mit der nicht allein die Kontakte zwischen Beckert und Gerlich intensiviert wurden. Der disziplinierte Abgeordneten wurde durch die Organisation des „Sudetendeutschen Kulturwerks Schleswig-Holstein e.V.“ (SKW) mit Sitz in Trappenkamp sowie Regularien mit Vorstandssitzungen oder Jahreshauptversammlungen nun regelmäßiger und häufiger zu seinen Landsleuten aus der einst gemeinsamen Heimat geleitet, wie Klaus Deneke ausführte:

„Am 18. Mai 1957 wurde unter der Leitung des damaligen Trappenkamper Bürgermeisters Wolfgang Beckert die Satzung des Sudetendeutschen Kulturwerks beschlossen und der erste Vorstand mit Dr. Gerhard Gerlich an der Spitze gewählt. Obwohl Neumünsteraner, fühlte sich Dr. Gerlich stets den Trappenkampern besonders verbunden, hatten hier doch in der Hauptsache nach dem Kriegsende von 1945 zunächst Sudetendeutsche Zuflucht gefunden. Das Kulturwerk hatte es sich u.a. zur Aufgabe gemacht, das „Haus der Heimat"

248 Segeberger Zeitung, 18.03.1957, S. 5 249 Segeberger Zeitung, 09.04.1957, S. 5 124 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 in Trappenkamp käuflich zu erwerben, zu bewirtschaften und als kulturellen Mittelpunkt Trappenkamps zu erhalten. Erster Vorstand des Kulturwerks: Vorsitzender: Dr. Gerhard Gerlich, Stellvertreter: Wolfgang Beckert.“250

Die Gründung des Sudetendeutschen Kulturwerks zu dieser Zeit korrespondierte mit der gesellschaftlichen Entwicklung in Schleswig Holstein in den fünfziger Jahren, die unter anderem auch dem Aufstieg und Niedergang der Partei BHE (Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten) entsprach. Wie in Trappenkamp hatten sich in ganz Schleswig-Holstein die Flüchtlinge mittlerweile immer besser integrieren können und folgerichtig hatte Gerhard Gerlich den Schwerpunkt seiner parlamentarischen Arbeit als CDU-Landtagsabgeordneter vom Ausschuss für Heimatvertriebene in die Bereiche Bildung, Verkehr und Finanzen verlagert. Als Alternative und schließlich als Ersatz für die Unterbringung von Flüchtlingen in Lagerunterkünften setzte er sich vielfach für den sozialen Wohnungsbau ein und gab bei der Finanzierung und Durchführung derartiger Projekte der freien Marktwirtschaft den Vorzug gegenüber der öffentlichen Hand.

Der erreichte Stand bei der Eingliederung von Heimatvertriebenen passte dabei zum Zeitpunkt der Gründung des Sudetendeutschen Kulturwerks (SKW), wie Uwe Danker in „Die Jahrhundert-Story“ diese Entwicklung im Land mit Bezug auf die von Gerlich stets kritisch wahrgenommene Konkurrenzpartei BHE beschrieb: „Die verbliebenen Flüchtlinge sind integriert, ihre Interessen gleichen jenen ihrer Nachbarn. Bei allen Träumen von der Heimat überwiegt der Versuch, eine neue Existenz und schließlich eine neue Heimat zu finden. Damit verlagert sich auch die Arbeit der Vertriebenenverbände und Landsmannschaften auf die kulturelle Ebene. Eine Partei der Außenseiter erübrigt sich. Die Idee, 'dritte Kraft' neben SPD und CDU zu bleiben, funktioniert nicht.“251

Nach den Aufzeichnungen von Klaus Deneke wurde im Gründungsjahr des SKW die ehemalige Liegenschaft F3 in Trappenkamp, die seit 1949 von der Sudetendeutschen Landsmannschaft genutzt wurde, käuflich erworben und von „Haus der Heimat" oder auch „Landsmannschaftshaus“ in „Haus des deutschen Ostens" umbenannt. Auf die guten Kontakte des SKW-Vorsitzenden Gerlich wird der prominente Festredner zurückzuführen

250 Deneke, Materialien, S. 17 251 Danker, Uwe: Mit Fehlstart in vier Jahrzehnte bürgerlicher Regierungsmehrheit. 1950-1967: Landespolitik in der Ära Bartram, Lübke, von Hassel und Lemke, in: Danker, Uwe: Die Jahrhundert-Story, Bd. 3, Flensburg 1999, S. 153 125 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 gewesen sein, als die Segeberger Zeitung am 30.09.1957 von der feierlichen Einweihung dieser Stätte berichtete: „Das aus einem Munitionsbunker entstandene „Haus des deutschen Ostens" wurde am Wochenende in der Industriesiedlung Trappenkamp in Anwesenheit von Landessozialminister Asbach eingeweiht. Es soll dem von dem Landtagsabgeordneten Dr. Gerhard Gerlich geleiteten sudetendeutschen Kulturwerk Trappenkamp zur Verfügung stehen.“

Noch hochrangiger war im Februar 1958 der Besuch in diesem Vereinsheim und, wie im Eingangskapitel darstellt, hielt sich Gerhard Gerlich bei derartigen Terminen in Trappenkamp und an anderer Stelle eher im Hintergrund. Erst im Folgejahr wurde mit Foto und Bildunterschrift seine Teilnahme an der Informationsreise des Bundesministers Lindrath und einem Termin mit weiteren Prominenten im „Haus des Ostens“ in einer CDU- Monatsschrift presseöffentlich bekannt. In der Segeberger Zeitung vom 21.02.1958 hieß es dagegen lediglich: „Bundesschatzminister Dr. Hermann Lindrath setzte am Donnerstagvormittag seine Informationsreise durch Schleswig-Holstein fort. Wie gestern bereits berichtet, besichtigte er dabei auch die Industriegemeinden Trappenkamp und Wahlstedt im Kreis Segeberg. In Trappenkamp zeigte sich Bundesminister Dr. Lindrath, der von Ministerpräsident von Hassel begleitet war, sehr beeindruckt von den Aufbauleistungen. Industrieansetzung und Wohnungsbau ergänzen sich hier, wie von Hassel betonte, in wirkungsvoller Weise.“252

Auf vergleichbare Weise nicht vermerkt wurde die Anwesenheit Gerlichs auch in der Segeberger Zeitung vom 15.09.1958, obwohl er sich stark für die Finanzierung des Schulneubaues mit der ersten Turnhalle am Ort eingesetzt haben dürfte. Auf einem Foto von dieser Feier, das in den Lebenserinnerungen von Marianne und Hertha Kiesewetter unter dem Titel „Wie Trappenkamp aus der Steppe wuchs“ abgedruckt wurde, ist er zentral in der ersten Reihe des Publikums direkt vor dem Rednerpult sitzend zu erkennen. Gleichwohl war sein Name in dem Artikel „Der Schichtunterricht ist nun vorbei. Volksschule mit Turnhalle eingeweiht. Minister Böhrnsens erster Spatenstich für neue Wohnbauten“ nicht erwähnt worden.

Dies entsprach der Beobachtung von Klaus Deneke: „Vornehmlich der Wieder- und

252 Segeberger Zeitung, 21.02.1958, S. 5; vgl. WuB, CDU-SH, 2. Jg. Nr. 3 (März 1959), S. 4 126 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Neuaufbau des Schulwesens lag ihm als parlamentarischen Vertreter des Kultusministers am Herzen. Trappenkamp profitierte davon, selten wurde dabei Dr. Gerlichs Name erwähnt.“253 Auch in kommenden Jahren schien diese für einen Landespolitiker unübliche Zurückhaltung im Interesse Gerlichs zu liegen.

Unter den Abgeordnetenkollegen war sein anhaltender Einsatz für diesen Ort und seine Bewohner auch nach der spektakulären Debatte im Juli 1956 allerdings hinreichend bekannt. Dies illustriert eine launige Bemerkung des Landwirts und FDP-Abgeordneten Hinrich Schröder, als er am 20.08.1958 zu dem Tagesordnungspunkt „Zweite Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Bienenhaltung“ in das versammelte Plenum des Kieler Landtages rief: „Herr Dr. Gerlich! Wir sind der Auffassung, daß diese Begrenzung - also die Kreisgrenze – auch etwas sehr Willkürliches ist. (Abg. Dr. Gerlich: Bravo!) Ich darf Ihnen das einmal an meinem Kreise Segeberg demonstrieren, den Sie ja auch hinsichtlich Trappenkamps sehr genau kennen. Sie wissen genau, daß, wenn von der Westseite des Kreises, etwa aus der Gegend von Bad Bramstedt, ein Volk - ein Bienenvolk meine ich jetzt - (Heiterkeit) in die Rapsblüte nach Pronstorf im Osten des Kreises will, es ohne jede Anzeige und Genehmigung dorthin verlegt werden kann. (Abg. Dr. Kiekebusch: Damit überschreiten sie den Limes! - Heiterkeit.)“254

Das erfolgreiche Wechselspiel zwischen Bürgermeister Beckert und dem einflussreichen Gerhard Gerlich im Hintergrund bewirkte in Trappenkamp bei den Landtagswahlen im September 1958 eine deutliche Kräfteverschiebung, denn die CDU erhielt dort 257 Stimmen gegenüber 193 für die SPD, wohingegen der BHE auf 22 Anhänger abgesunken und Beckerts ehemalige Partei FDP mit 7 Stimmen bedeutungslos geworden war. Die Erwähnung von Gerlich im Zusammenhang mit Trappenkamp in der Presse blieb allerdings die Ausnahme und die Segeberger Zeitung vom 03.11.1958 berichtete von ihm weniger als einem prominenten Landespolitiker, sondern über ihn in seiner Rolle als Vereinsvorsitzender des SKW mit einem ambitionierten Projekt:

253 Kiesewetter, Trappenkamp, S. 24 u. Deneke, Materialien, S. 19 254 Protokoll LT-SH, 3. WP., 20.08.1958, S. 3994 127 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

„Den Bau eines Industriemuseums beabsichtigt der sudetendeutsche Kulturbund in der Industriegemeinde Trappenkamp. Wie der Landtagsabgeordnete Dr. Gerlich als Vorsitzender des Kulturbundes am Wochenende mitteilte, soll nicht nur die gegenwärtige Industrie gezeigt werden, sondern es soll auch ein Querschnitt der in der ostdeutschen Heimat betriebenen Industriezweige vermittelt werden. Insbesondere soll dadurch der Jugend die Möglichkeit gegeben werden, einen Eindruck von der Tätigkeit ihrer Vorfahren im deutschen Osten zu erhalten.“ Im Folgejahr wurden Gerlich wie Beckert unverändert als SKW-Vorsitzende bestätigt und auf dem Jahresprogramm des Vereins standen unter anderem Dichterlesungen, Singabende und circa 150 Kinovorstellungen, von denen Gerlich mit Wohnsitz in Neumünster allerdings die meisten gewiss versäumte.

Auf wirtschaftspolitischem Gebiet kam es dagegen Mitte 1959 zu einem öffentlichen Konflikt zwischen der Gemeinde Trappenkamp und dem Deutschen Gewerkschaftsbund, in welchem sich Bürgermeister Beckert eng mit Gerlich abgestimmt haben dürfte. Der DGB hatte kritisiert, dass die Gemeinde infolge der überproportionalen Landesförderung und wegen einer Überkapazität an Industriebetrieben nun in Neumünster freigewordene weibliche Arbeitskräfte für die ortsansässigen glasverarbeitenden Betriebe abgeworben habe.Der DGB befürchtete wegen der entsprechend geplanten Ansiedlung von Arbeitnehmerfamilien in Trappenkamp eine starke Männerarbeitslosigkeit als Folge und forderte die Landesregierung und insbesondere das Wirtschaftsministerium auf, die Gemeindevertreter am Ort von einer Reduzierung ihrer wirtschaftlichen Planungen zu überzeugen.

Über die vermutlich mit Gerlich koordinierte Reaktion berichtete die Segeberger Zeitung am 28.05.1959 unter den Überschriften „Industriegemeinde Trappenkamp wehrt sich ihrer Haut. Bürgermeister und Fraktionsvorsitzende stellten vor der Presse DGB-Stellungnahme richtig. 'Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung'.“ So hatte Beckert zusammen mit Erwin Wengel von der SPD und Otto Hub vom BHE eine gemeinsame Gegenstellungnahme beim Wirtschaftsministerium eingereicht und in einer von Gerlich bekannten Argumentationsweise offensiv dagegengehalten: „Trappenkamps Bürgermeister Beckert verwies darauf, dass sich eine Entwicklung wie die Trappenkamps nicht mehr aufhalten lasse, sondern sich zwangsläufig ausweiten werde. Es sei also nicht nur wenig sinnvoll, sondern sogar sehr schädlich, wenn jetzt versucht

128 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 werde, das Unternehmen Trappenkamp zu torpedieren.“255

Nachdem Ende Oktober 1959 die CDU bei der Kommunalwahl ihre führende Stellung mit sechs Sitzen vor der der SPD mit vier und dem BHE mit Otto Hub als nun einzigem Vertreter gefestigt hatte und ihr Spitzenkandidat Wolfgang Beckert als Bürgermeister bestätigt wurde, folgte der nächste Schritt auf diesem konsequenten und vermutlich strategisch angelegten Weg. Zum Jahreswechsel 1959/60 wurde unter dem Titel „Zum Nutzen aller Gemeinden“ in der Segeberger Zeitung öffentlich bekannt gegeben: „Vor dem Bornhöveder Amtsausschuß hat der Trappenkamper Bürgermeister Wolfgang Beckert den Antrag gestellt, daß die Industriegemeinde Trappenkamp aus dem Amt Bornhöved entlassen werden soll. Die Bürgermeister der sieben übrigen amtsangehörigen Gemeinden haben zugesagt, einen Beschluß ihrer Gemeindevertretungen in dieser wichtigen Angelegenheit bis zum 31. Januar 1960 herbeizuführen.“256

Dieser Vorstoß rief unter anderem den Protest des Segeberger Kreisvorstandes der FDP hervor. Mit dieser Partei war Gerlich selbst in gemeinsamen Regierungsbündnissen oder in anderen Städten und Gemeinden wie Neumünster oder Preetz aneinander geraten. Im Nachbarort Bornhöved führten die Liberalen am 28.02.1960 ihren Kreisparteitag durch und mit dem Trappenkamper Bürgermeister und dessen Gemeindevertretung war erkennbar auch Gerhard Gerlich und dessen intensive Förderung im Hintergrund Zielscheibe der Kritik. So appellierte der FDP-Bürgermeister Tietz in Bornhöved ganz gegen die Intentionen von Gerlich und Beckert an die Regierung und damit an die sie tragenden Parteien CDU und FDP: „Stecken Sie die Grenzen ab. In welchem Zeitraum sollen die Millionenbeträge noch für Trappenkamp fließen?"257

Der FDP-Kreisvorsitzende Hinrich Schröder monierte ferner, dass Trappenkamp eine absolute Sonderstellung als „Landesdorf" habe, die nicht ins Uferlose erhoben dürfe, und merkte zu einem besonderen Anliegen seines Abgeordnetenkollegen Gerlich an, dass man z. B. nicht die Hilfe des Kreises für einen Schulerweiterungsbau in Anspruch nehmen könne, wenn noch nicht genügend Kinder da seien. Schröder wies dabei den Antrag von Trappenkamp, eine amtsfreie Gemeinde zu werden, erneut als eine „Unverschämtheit“

255 Segeberger Zeitung, 28.05.1959, S. 6 256 Segeberger Zeitung, 28.12.1959, S. 4 257 Segeberger Zeitung, 29.02.1960, S. 5 129 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 zurück. Diesen Angriff hatte sich schon zuvor der Trappenkamper SPD-Vorsitzende Erwin Wengel presseöffentlich mit dem Umstand erklärt, dass die FDP nicht mehr in der Gemeinde vertreten sei, also mit einer Spätfolge von Beckerts (und womöglich Gerlichs) taktischen Manövern zwischen den beiden ersten Wahlen als selbstständiger Gemeinde im Jahr 1956.258

Als eine Art Gegenoffensive ist die daraufhin in Bad Segeberg zum Verkauf der „Solbad GmbH“ durchgeführte Pressekonferenz der Minister Lemke (Inneres), Böhrnsen (Wirtschaft) und Gerhard Gerlich als Parlamentarischem Vertreter des Kultusministers zu interpretieren. In der Ausgabe vom 25.03.1960 war davon neben dem einem der selten abgedruckten Foto Gerlichs auch seine ähnlich spärlichen Interview-Äußerungen zu Trappenkamp und dessen Entwicklung in der Segeberger Zeitung nachzulesen. Der Titel „Ziel: Etwa 4000 bis 5000 Einwohner in Trappenkamp“ war einer Antwort von Lemke entnommen worden, von Gerlich wurde hingegen die Forderung von Schulaufsicht, Kultusministerium und Kommunalaufsichtsbehörde wiedergegeben, den Volksschulbau am Ort im Zusammenhang mit einem großen Wohnungsbauprogramm der wachsenden Bevölkerungszahl anzupassen: „'Als Industriegemeinde', so fügte Dr. Gerlich den genauen Zahlen von Bürgermeister Beckert hinzu, 'wird Trappenkamp später eine weiterführende Schule haben müssen, eine Mittelschule.'“259

Einen Monat später griff Beckert diese Vorlage auf, als er in einer Einwohnerversammlung in der neuen Turnhalle einen Rechenschaftsbericht über seine bisherige Arbeit als Bürgermeister abgab. Als eine Anspielung auf die wertvollen Dienste, die Gerlich der selbstständig werdenden Gemeinde und ihm persönlich geleistet haben mochte, können diese Sätze in der Segeberger Zeitung am 25.04.1960 aufgefasst werden: „Der Start gelang. Die Menschen bekamen neuen Mut und von außerhalb regte sich Interesse für diesen Ort. Die Landesregierung griff ein und förderte die Industrieansiedlung, der Bund vergab ein Demonstrativprogramm, das den Bau von 670 Wohnungen umfaßt, hierher.“ Unter der Überschrift „Trappenkamp wurde neue Heimat“ stand neben der Bilanz auch ein Ausblick: „Die laufenden Kredite in Höhe von einer Million Mark wurden bereits zur Hälfte zurückgezahlt. Für die nähere und weitere Zukunft muß vor allem der dringend erforderliche Friedhof geschaffen werden und das Schulbauprogramm wird um acht

258 Volkszeitung, 22.02.1960, S. 6 259 Segeberger Zeitung, 25.03.1960, S. 6 130 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Klassen erweitert werden müssen. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage nach dem Bau einer Oberschule aufgetaucht.“260

Aus Anlass eines der inzwischen zahlreichen Richtfeste in Trappenkamp ließ sich Bürgermeister Beckert Anfang Oktober 1960 mit den Worten zitieren „Trappenkamp hat nichts geschenkt bekommen“. Wesensmerkmale wie Zielstrebigkeit, Hartnäckigkeit und Ehrgeiz, wie sie auch Gerlich ausgezeichneten, fanden sich ferner in dem ergänzenden Kommentar des höchsten Vertreters des Kreises Bad Segeberg wieder: „Landrat Dorenburg lobte, wie imponierend die bedingungslose Konsequenz der geplanten und vorgesorgten Trappenkamper Ideen durchgeführt würden. Diese Gemeinde stände beispielhaft in der modernen Zeit. Sie habe zwar keine tausendjährige Geschichte, aber ihr Mut zum Risiko werde belohnt werden.“261

Dazu passten die fortwährend und konsequent vorgetragenen Anträge aus Trappenkamp an die Adresse ihrer Kollegen in Bornhöved auf Gebietserweiterungen zu deren Ungunsten, die diese im Lauf des Jahres 1960 mehrfach zurückwiesen. Von dort hieß es unter der Überschrift „Bürgermeister Edwin Dobrint tritt zurück“ zum Jahresende wörtlich zur Begründung und dem Vorschlag eine gemeinsamen Nutzung: „Sie (Bornhöved) kann nicht immer die gebende und Trappenkamp die nehmende Gemeinde sein. Einseitige Opfer müssen aus Gründen der Selbsterhaltung abgelehnt werden und widersprechen überdies dem Sinne der Gemeindeordnung."262

In Reaktion darauf ließen die Trappenkamper um Bürgermeister Beckert am 22.12.1960 den Einfluss ihres Protegés Gerlich im Landeshaus und bei Ministerien ungewöhnlich offen anklingen: „Ein Gesetz des schleswig-holsteinischen Landtages möge die Durchführung einer Erweiterung der Gemeinde Trappenkamp in das Gebiet der Gemeinde Bornhöved möglich machen. Das war der Antrag der Gemeindevertretung Trappenkamp, den sie gestern Abend einstimmig als Beschluss fasste und dem Landrat in Bad Segeberg als Kommunalaufsichtsbehörde zugehen lassen wird.“263

260Segeberger Zeitung, 25.04.1960, S. 4 261 Segeberger Zeitung, 04.10.1960, S. 5 262 Segeberger Zeitung, 25.11.1960, S. 5 263 Segeberger Zeitung, 22.12.1960, S. 5 131 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Tags darauf machte Bürgermeister Beckert vor den Gemeindevertretern und der Presse in seinem einstündigen Verwaltungsbericht noch deutlicher, wie viel Resonanz er direkt oder indirekt bei den entscheidenden Stellen im Landtag oder Ministerien finden konnte: „Wichtigstes Vorhaben sei die Lösung Trappenkamps aus dem Amtsbezirk Bornhöved. Er habe die persönliche Zusage des Innenministers, bemerkte Beckert, daß diese Vorlage, sobald sie auf seinen Schreibtisch gelange, auch erledigt würde. Die Vermögensauseinandersetzung würde unter Leitung der Aufsichtsbehörde vor sich gehen.“264

Im Folgejahr nahm der Einfluss Gerhard Gerlichs zu Gunsten der Belange der Gemeinde offenkundig ab, wie aus den seltener werdende Spuren in der Presseberichterstattung zu schließen ist. Damit korrespondiert sein Rücktritt vom Amt des Vorsitzenden des Sudetendeutschen Kulturwerks im Ort in diesem Jahr aus gesundheitlichen Gründen. Auf die guten Verbindungen von Gerlich zu den Kieler Regierungsstellen konnte Beckert aber sicher weiterhin zählen, als er 1961 einen Antrag auf Amtsfreiheit für Trappenkamp stellte. Zu dem Verfahren führte Ortschronist Stefan Wendt aus:

„In ihrer Sitzung vom 27 Juni 1961 votierte die Gemeindevertretung geschlossen für die entsprechende Hauptsatzungsänderung, um die Leitung der Verwaltungsgeschäfte in Zukunft einem hauptamtlichen Bürgermeister übertragen zu können. Da Trappenkamp aber noch nicht über die für einen solchen Schritt erforderliche Einwohnerzahl verfügte, mußte zunächst eine Sondergenehmigung vom Innenminister, eingeholt werden, die dieser mit Beschluß vom 17. August 1961 erteilte. So konnte die Gemeinde zum 1.Januar 1962 aus dem Amtsbereich Bornhöved ausscheiden.“265

Vor den Kommunalwahlen am 11.03.1962 kam Ministerpräsident von Hassel erneut zu einem Besuch nach Trappenkamp, um den enormen Aufbau und die dortige Entwicklung als große Gemeinschaftsleistung sowie den Einsatz von Bürgermeister Beckert im Besonderen mit Lob zu würdigen. Zwar hatte von Hassel sowohl als Regierungschef als auch in der Funktion als CDU-Landesvorsitzender oft Auseinandersetzungen mit Gerlich auszutragen, aber dennoch oder deswegen könnte sich seine Anmerkung vor Ort ebenfalls auf diesen bezogen haben: „Alle Förderungshilfen wären allerdings, so meinte er

264Segeberger Zeitung, 23.12.1960, S. 5 265 Wendt, Trappenkamp, S. 164/165 132 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 anerkennend, ohne die Zähigkeit und den beharrlichen Aufbauwillen der sudetendeutschen Flüchtlinge vergebens gewesen.“266

Gerlichs Verbindung zu Trappenkamp dürfte sich allerdings weiter gelockert haben, als nach der Kommunalwahl am 11.03.1962 die Gemeindevertreter von SPD und CDU je fünf Mandate und die FDP einen Sitz erhielten. In der Konsequenz wurde auf der konstituierenden Sitzung am 05.04.1962 der SPD-Vorsitzende Erwin Wengel zum neuen Bürgermeister gewählt und vollzog damit einen Wachwechsel. Das in jüngeren Jahren oft gezeigte einmütige Eintreten der Gemeindevertreter aus jeweils allen Parteien für die Belange Trappenkamps hatte die anfänglichen Polarisierungen und Frontstellungen zum Höhepunkt von Gerlichs erkennbarem Einfluss Mitte des Jahres 1956 merklich verblassen lassen.

Bereits vor dieser Bürgermeisterwahl hatte hingegen der damalige Gegenspieler Gerhard Gerlichs in der betreffenden Landtagsdebatte am 03.07.1956, der SPD-Abgeordnete Gerhard Strack, im Frühjahr 1962 Anfragen an die Landesregierung gestellt, die sich teils gegen den Geschäftsmann Wolfgang Beckert, teils gegen ihn als amtierenden Bürgermeister von Trappenkamp richteten. Aus einer Antwort des Finanzministers ergab sich, dass Beckert beim Weiterverkauf eines vom Land erworbenen Grundstücks vertragliche Bestimmungen verletzt hatte. Wegen der Überschreitung von Lärmschutzwerten hatte er nach Auskunft des Sozialministers eine Stanzmaschine in einem gemischten Wohngebiet in Trappenkamp deinstallieren müssen. Bei den hinterfragten Umständen der Erteilung einer Baugenehmigung an Beckert in einem anderen Fall hatte der Innenminister dagegen keine Bedenken geäußert. Der Veröffentlichungszeitpunkt am 03.04.1962 des entsprechenden Berichts in der sozialdemokratisch ausgerichteten Volkszeitung war erkennbar auf die bald darauf erfolgte Bürgermeisterwahl in Trappenkamp berechnet gewesen.

Ähnlich wie Gerlich sah sich auch Wolfgang Beckert im Laufe des Jahres 1962 einem zunehmenden Druck ausgesetzt, in dessen Folge er in der Sitzung am 31.01.1963 seinen Rücktritt als Gemeindevertreter erklärte und dies mit einer seit langem gegen ihn gerichteten Kampagne begründete. In seinem entsprechende Begleitschreiben ordnete er

266 Kieler Nachrichten, 06.03.1962, S. 5 133 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 diese zeitlich ein: „Die letzten 1 1/2 Jahre davon hatte ich mich ständig gegen unbegründete Angriffe in einer aufzehrenden Arbeit zur Wehr zu setzen.“ 267 Durch seine Formulierung über „diese Hetze, gegen die ich allein anzukämpfen hatte“, gab der ehemalige Bürgermeister dabei einen Hinweis darauf, wann die Verbindungen seines Förderers und Unterstützers mit Trappenkamp vermutlich aus gesundheitlichen Gründen schwächer geworden waren, bevor Gerhart Gerlich zum Jahresende 1962 einen Monat vor Beckerts Rücktritt verstarb.

2.4.) Epilog: Oktober bis Dezember 1962

Ein schwierige Verhältnis zu dem bisherigen Koalitionspartner FDP setzte sich für Gerhard Gerlich wie für die CDU-Landtagsfraktion zu Beginn der fünften Wahlperiode fort. Bei den Wahlen im September 1962 hatte die CDU nur einen leichten Stimmenzuwachs zu verzeichnen gehabt und blieb auf die Freidemokraten und deren weiterhin fünf Mandate angewiesen. Weil die Liberalen aber statt eines nun zwei Ministerposten einforderten, blieb es bis zum Jahresende 1962 erstmals bei einer Minderheitenregierung im Schleswig- holsteinischen Landtag.

Dabei hatte Gerhard Gerlich seinen Wahlkreis Plön-Süd wieder direkt gewonnen und behielt bei der unübersichtlichen Lage im Landeshaus seine Positionen als stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender, als Vorsitzender des Finanzausschusses, als Parlamentarischer Vertreter des Kultusministers sowie seine Mitgliedschaften in den Ausschüssen Verkehr, Inneres, Volksbildung und zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung.

Bereits zum Ende der vergangenen Wahlperiode hatte dieser Abgeordnete sein Engagement aus gesundheitlichen Gründen manchmal einschränken müssen und in den ersten sechs Sitzungen zwischen dem 29.10.1962 und dem 18.12.1962 erstattete er gelegentlich Bericht in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Finanzausschusses, fiel aber kaum noch durch Zwischenrufe auf. So mochte im Nachhinein Gerlichs letzter derartiger Einwurf im Landtag am 13.11.1962 zu dem Redebeitrag des Oppositionsführers 267 zit. nach Bechert, Chronik, S. 202 134 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Wilhelm Käber über ein kaum abgeschlossenes Streitthema wie ein respektvoller Gruß an einen fast ebenbürtigen Kontrahenten wirken:

„Auf jeden Fall sollte man unter Berücksichtigung der konkreten Bedingtheit das Mittel der Volksoberschule Preetz und deren Erfahrungen nicht übersehen. (Sehr gut! bei der SPD.) Auf jeden Fall - lassen Sie mich das hier sehr deutlich aussprechen - ist die Haltung, nichts ändern zu wollen, das gefährlichste Experiment, das wir mit unserem Sozialkörper machen können. (Beifall bei der SPD.) Entsprechend den Umwälzungen in unserem Wirtschafts- und Sozialgefüge muß sich unser Bildungssystem anpassen. Entweder meistern wir beides oder keines. Allerdings - das möchten wir ausdrücklich betonen - können Veränderungen auf beiden Gebieten und auf dem Bildungssektor besonders nur dann erfolgreich vorgenommen werden, wenn das öffentliche Bewußtsein sich auf der Höhe der sachlichen Erfordernisse befindet. (Abg. Dr. Gerlich: Auch bei den Parlamentariern! - Heiterkeit.) - Deshalb spreche ich ja zu Ihnen, Herr Kollege Dr. Gerlich! (Heiterkeit.) Weil wir - wir beide jedenfalls - völlig übereinstimmen, Herr Dr. Gerlich!“268

Zu den schwierigen Koalitionsgesprächen mit der FDP wurde Gerhard Gerlich vor der Weihnachtspause 1962 in die Verhandlungskommission der CDU berufen. Gleichzeitig wurde öffentlich über ein Ministeramt für ihn spekuliert, wie in dem Volkszeitungs-Artikel „Kombinationen um die Kieler Koalition. Lemke sprach mit Freien Demokraten“ am 13.12.1962 bekannt gegeben wurde: „Beim Sozialministerium bestünde Unklarheit, ob Frau Ohnesorge dem CDU-Politiker Dr. Gerlich das Feld räumen muß.“ Es mochte an dem Übermaß an Belastungen und einem erkennbar verschlechterten Gesundheitszustand liegen, dass die SPD-nahe Volkszeitung am 24.12.1962 über Gerlichs Zurückweisung derartiger Ambitionen zu ergänzen hatte: „Frau Minister Ohnesorge braucht eine Konkurrenz in der eigenen Fraktion kaum noch zu befürchten: Dr. Gerlich, der als Anwärter galt, hat erklärt, er strebe kein Ministeramt an.“269

268 Schleswig-Holsteinischer Landtag: Stenographische Berichte des Schleswig-Holsteinischen Landtags, 5. Wahlperiode, 13.11.1962, S. 34; im Folgenden: Protokoll LT-SH, 5. WP (mit Datum und Seitenzahl) 269 Volkszeitung, 24.12.1962, S. 5 135 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Ausgerechnet an die Adresse dieser Abgeordnetenkollegin hatte er in der Landtagssitzung vom 11.02.1954 von den schweren Nachwirkungen einer Krankheit berichtet, der nicht nur Kriegsgefangene, sondern auch Heimkehrer noch nach vielen Jahren (wie letztlich er selbst) zum Opfer fielen: „Zu den Ausführungen meiner Kollegin Frau Dr. Ohnesorge über die Dystrophie möchte ich bemerken, daß ich es selbst erlebt habe, wie meine Kameraden während des Essens tot umgefallen sind. Wenn Menschen, die diese Krankheit durchgemacht haben, hierherkommen, dann ist es das Schwierigste, ihren Lebenswillen, das Sich-eingliedern-wollen, überhaupt zu erhalten.“270

Als am 27.12.1962 der Tod des erst 51jährigen Gerhard Gerlich im Familienkreis aus Neumünster vermeldet wurde, wurde die Nachricht landesweit schnell verbreitet und auch der CDU-Landesdienst gab mit diesem Datum die im Eingangskapitel erwähnte Pressemeldung „Zum Ableben von Dr. Gerhard Gerlich, MdL“ heraus. Wie die meisten Nachrufe in der Landespresse wies diese einige Fehler oder Lücken zu den teils unbekannten Lebensstationen Gerlichs auf, dessen zahlreiche Ämter als Landespolitiker und Vertriebenenfunktionär hingegen stets hervorgehoben wurden.

Eine individuell auf seine Person bezogene kurze Würdigung fand sich stattdessen in der von seinen politischen Gegnern herausgegebenen Volkszeitung: „Die Parlamentarier der CDU verlieren mit Doktor Gerlich einen ihrer profiliertesten, wenn nicht den klügsten Kopf im Landtag.“271 Ebenfalls in dieser sozialdemokratischen Zeitung wurde angesichts von Gerlichs Tod ein allzu rascher Übergang zum politischen Alltagsgeschäft kritisiert, wie der VZ-Redakteur Hans-Peter Jochimsen in seinem Kommentar „Eile mit Weile“ vom 31.12.1962 anmerkte:

„Die Unterhändler der Christlich-Demokratischen Union haben es sehr eilig gehabt, das Ihre zur Wiederherstellung einer kleinen Regierungskoalition zu tun. Trotz des Ablebens von Doktor Gerlich, der der Verhandlungskommission angehörte, wurde das erste Gespräch noch an seinem Todestag geführt. Unter dem Zeichen 'Der Klügere gibt nach' bewilligten die Unions-Mitglieder den Gesprächspartnern von der FDP die vor zwei Monaten so strikt abgelehnten zwei Ministerien im Landeskabinett.“272

270 Protokoll LT-SH, 2.WP., 11.02.1954, S. 1272; vgl. „Dystrophie. Die Krankheit der Heimkehrer“, in: Der Spiegel, Nr. 41/1953, 07.10.1953, S. 26/27 271 Volkszeitung, 28.12.1962, S. 5 272 Volkszeitung, 31.12.1962, S. 5 136 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Derartige zeitgenössische Überlegungen mögen als Ergänzung zu der Beschreibung der Trauerfeier für Gerhard Gerlich am 29.12.1962 in Neumünster dienen, die Klaus Deneke in dem Kapitel „Der letzte Weg“ in seiner Publikation „Materialien zur Person von Dr. Gerhard Gerlich, zur Dr.-Gerlich-Schule Trappenkamp und zur Geschichte der Gemeinde Trappenkamp und Bornhöved“ zusammengetragen hat.273 Als am 07.01.1963 der Schleswig-Holsteinische Landtag zu seiner ersten Tagung im neuen Jahr zusammentrat, erhoben sich zu Beginn der Sitzung die Abgeordneten von ihren Plätzen für den Nachruf des Landtagspräsidenten Claus-Joachim von Heydebreck auf den jüngst verstorbenen Kollegen. Dessen Gedenkworte auf Gerhard Gerlich wichen in mancher Hinsicht von üblichen Formulierungen bei derartigen Anlässen ab und spiegeln darin Facetten des komplexen und teils noch zu erforschenden Wesens eines außergewöhnlichen Politikers und Menschen seiner Zeit:

„Er hatte nicht nur die seltene Fähigkeit, komplizierte Zusammenhänge durchsichtig und verständlich zu machen; seine ausgezeichneten geistigen Gaben, seine geschliffene Diktion und seine Passion für die Politik machten ihn gleichzeitig zu einem gefürchteten Parlamentarier und zu einem unentbehrlichen Ratgeber. (…) Gewiß, er war kein bequemer Abgeordneter, auch nicht für seine politischen Freunde, und er verstand, eine scharfe Klinge zu führen. Aber wir alle verdanken ihm auch so manche gute und befreiende Lösung aus einer verfahrenen Situation. (…) Der Schleswig-Holsteinische Landtag grüßt zum letzten Mal Dr. Gerhard Gerlich, einen mutigen, unerschrockenen und unabhängigen Abgeordneten, dessen Verdienste um unser Land und seine Bevölkerung ihm ein bleibendes Andenken bewahren werden.“274

3.) Zusammenfassung

Der Lebensweg des Landtagsabgeordneten Gerhard Gerlich (09.09.1911-27.12.1962), der in dem vorgelegten Gutachten untersucht wurde, weist im Vergleich zu denen fast aller Parlamentsmitglieder dieser frühen Jahre in Schleswig Holstein deutliche Abweichungen

273 s. Deneke, Materialien, S. 21/22 274 Protokoll LT-SH, 5. WP, 07.01.1963, S. 97/98 137 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 bis hin zu einer Alleinstellung auf. Bereits Gerlichs Zeitgenossen haben in den Jahren 1950 bis 1962 sowohl auf Seiten der CDU-geführten Landesregierungen wie auch seitens der Opposition seinen enorm wachsenden Einfluss auf Landes- und Kommunalpolitik zwar registriert, aber kaum die zugrundeliegenden Mechanismen und Strukturen oder die von ihm eingesetzten Mittel, seine Interessen durchzusetzen, umfassend analysieren und selten öffentlich kommunizieren können.

Auch in der Fachliteratur dieser frühen Jahre über den CDU-Landesverband oder über die entsprechenden Landesregierungen in Schleswig-Holstein ist Gerhard Gerlich trotz seiner fortwährenden Position als stellvertretender Landesvorsitzender kaum oder lediglich in Fußnoten vertreten. Gleichwohl gilt für dieses Parlamentsmitglied nicht, was Jessica von Seggen der Mehrzahl seiner Kollegen in diesen Jahren attestierte: „(…) viele Abgeordnete gerade der ersten Landtage haben nur wenige Spuren in der schleswig-holsteinischen Geschichte und daher auch in den Akten hinterlassen, so dass ihre Biografien schwer, in manchen Fällen gar nicht, nachvollzogen werden konnten.“275

Um eine Grundlage für das Verständnis der Persönlichkeit Gerlichs und seiner Entwicklungen zu ermöglichen, wurden im Rahmen dieser Untersuchung eingangs im Kapitel „Neumünster als Ausgangspunkt politischer Erfahrungen“ prägnante Erfahrungen und seine teils intensive Mitarbeit an Fallbeispielen illustriert, die sich auf seine folgenden Stationen im Kieler Landtag ab 1950 und in der Gemeinde Trappenkamp ab 1955 auswirkten. Gerlichs kommunalpolitische und innerparteiliche Aktivitäten in Neumünster korrespondierten während der fünfziger Jahre im Zusammenspiel mit seinem Bruder Walter Gerlich in aussagekräftigen Versuchen, mit unterschiedlichen Mitteln die Vorherrschaft innerhalb der Kreispartei der CDU zu erringen. Diese blieben zwar auf Dauer vergeblich, hatten aber die Nebeneffekte eines gesteigerten Mitgliederwachstums und intensivierter Beteiligung.

Im einleitenden Kapitel wurde das Zusammenwirken der beiden Brüder bei der wahrheitswidrig in Abrede gestellten SS-Mitgliedschaft im Rahmen von Gerhard Gerlichs Ausfüllen seines Entnazifizierungsformulars von 1947 dargestellt. Dieses Vorgehen

275 Seggern, Jessica von: Alte und neue Demokraten. Demokratisierung und Neubildung einer politischen Elite auf Kreis- und Landesebene 1945 bis 1950, München 2005, S. 16; s. Freund, Michael: Heimatvertriebene und Flüchtlinge in Schleswig-Holstein, Ein Beitrag zu ihrer gesellschaftspolitischen Bedeutung als Bundes- und Landtagsabgeordnete, Kiel 1975, (Diss.) S.74/75 138 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 hinsichtlich der eigenen Vergangenheit im Dritten Reich und in der Nachkriegs-Gegenwart findet eine thematische Verknüpfung zu den darauf folgenden Kapiteln über die Parlamentsarbeit im schleswig-holsteinischen Landtag von 1950 bis 1962.

Durch eine Analyse von rund 10.000 protokollierten Seiten über die Sitzungen im Landtagsplenum sowie in Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, an denen G. Gerlich teilnahm, soll der jeweilige Umgang von Abgeordneten oder Regierungsvertretern mit derartigen Aspekten der NS-Vergangenheit nachvollziehbar gemacht werden. Für eine geforderte und durchgesetzte Integration derjenigen Volksvertreter oder Verwaltungsangestellten, die kurz nach Kriegsende z.B. wegen ihrer Mitgliedschaft in NSDAP oder SS als belastet galten und teilweise aus dem öffentlichen Dienst ausgeschlossen wurden, setzte sich Gerlich ganz im Zeitgeist insbesondere 1957 im Kieler Landtag ein.

Derartige Beobachtungen und Entwicklungen aus den zwölf untersuchten Jahren Parlamentsarbeit können anhand von Datenbanken durch eine umfangreiche und vielschichtige Untersuchung vertieft werden, die ab Herbst 2016 der Öffentlichkeit in Form einer Buchpublikation vorgelegt wird. Bereits am 27.04.2016 präsentierte Uwe Danker, Direktor des Instituts für schleswig-holsteinische Regional- und Zeitgeschichte an der Universität Flensburg (IZRG), dazu erste Ergebnisse der umfassenden Studie „Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität nach 1945 in der schleswig-holsteinischen Legislative und Exekutive“.

In deren Rahmen hatte er zusammen mit Stephan Glienke und Sebastian Lehmann auf einstimmigen Beschluss des Landtages in den vergangenen Jahren Lebensläufe von Abgeordneten und Regierungsmitgliedern im Hinblick auf deren Rolle und Funktionen im Dritten Reich sowie zu der Frage nach der Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten und die Auswirkungen auf die politische Kultur des Bundeslandes untersucht. Bei der Präsentation der Ergebnisse für alle betreffenden Abgeordneten verwies Uwe Danker auf „eine gewisse strukturelle Selbstverständlichkeit, mit der ehemalige Nationalsozialisten die Landespolitik dominierten, in der Exekutive noch deutlicher als in der Legislative.“276

276 Danker, Uwe/ Glienke, Stephan/ Lehmann, Sebastian: „Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität nach 1945 in der schleswig-holsteinischen Legislative und Exekutive“ (Presse-Präsentation am 27.04.2016), Kiel/ Schleswig 2016, Pressetext S. 9 (mit Anhängen I u. II); im Folgenden: Danker/Glienke/Lehmann 139 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Wie weitere Ergebnisse in diesem hier vorgelegten politisch-biografischen Gutachten über den Landtagsabgeordneten und seine Verbindungen von 1950 bis 1962 vertieft werden können, so wurde Gerhard Gerlich im Rahmen der IZRG-Studie von den insgesamt 389 untersuchten Personen auch bezüglich charakteristischer Grundhaltungen und -verhaltensmuster für ein Leben im Nationalsozialismus in die Rubrik „systemtragend/ karrieristisch“ eingeordnet. 277 Im Rahmen derartiger Klassifizierungen stellt Gerlich gewiss einen Sonderfall dar, da er z.B. in seiner Entnazifizierungsakte ein Parteiausschlussverfahren aus der NSDAP 1942 angeführt hatte und seine selten systemkonforme Haltung in den Nachkriegsjahren mit seinem weiterhin ausgeprägt individuellen Auftreten sowie seiner Entwicklung während der Arbeit im Kieler Landtag korrespondierte. Dies dürfte ihm eine besondere Glaubwürdigkeit, einen entsprechenden Nimbus und eine singuläre Stellung mit intensiv in Anspruch genommenen Sonderrechten eingetragen haben.

Eine Analyse seiner untersuchten Beiträge in diesen Jahren bis 1962 ergab, dass G. Gerlich Konflikte auch innerhalb seiner Partei, der CDU-Landtagsfraktion oder der eigenen Landesregierung offensiv und gelegentlich polarisierend führte. Bei einzelnen Projekten (z.B. in Neumünster oder Preetz) konnte Gerlich energisch, streitbar sowie hartnäckig auftreten und war auch gelegentlich wegen der Wahl seiner eingesetzten Mittel Gegenstand erbitterter Kontroversen. Derartige Auseinandersetzungen scheute er weder gegenüber dem politischen Gegner, unter eigenen Parteifreunden oder mit ihm formell übergeordneten Repräsentanten wie Parteivorsitzenden, Ministern oder einem Ministerpräsidenten. Andererseits waren sein Fleiß, umfassendes Fachwissen und maßgeblicher Einfluss auf wesentliche Entscheidungsträger oft größer und im Hintergrund wirksamer, als es Gerlichs in der Öffentlichkeit häufig zurückhaltendes und selten dokumentiertes Auftreten vermuten ließen.

Als Bewohner Trappenkamps diesem (un)heimlich einflussreichen und sehr versierten Vertriebenen- und Finanzpolitiker Gerlich 1955 für die Wahrnehmung ihrer Interessen gewannen, nahm die Entwicklung des Ortes zu einer selbstständigen Gemeinde, den ersten Wahlen bis hin zu der außergewöhnlichen Förderung durch Landes- und Bundesmittel eine rasante Dynamik an. Diese Fortschritte unter landesweit wohl

277 Danker/Glienke/Lehmann, Anlage I, Seite 12 140 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962 einzigartigen Bedingungen wie auch die selten schriftlich nachweisbaren Beiträge Gerlichs dazu sind in den drei Unterkapiteln von „Als Vertriebenen- und Kommunalpolitiker in besonderem Verhältnis zu Trappenkamp“ illustriert worden.

Wohl allein vor dem Hintergrund der umfangreichen Forschungen zu Gerlichs Erfahrungen und seiner anderenorts nachweisbaren politisch-strategischen Vorgehensweisen konnten derart Indizien zusammengetragen werden, die die zum Scheitern gebrachte Konstituierung nach der ersten, am 27.05.1956 gewählten Volksvertretung Trappenkamps als selbstständige Gemeinde plausibel herleiteten und erklärbar machen. Dieses Phänomen blieb auch für die meisten Zeitgenossen rätselhaft, und insbesondere im Jubiläumsjahr 2016 der Gemeinde mag dieses vorgelegte Gutachten einen Anstoß dafür geben, zu diesem Aspekt der frühen Ortsgeschichte nach seltenen, aber gewiss noch vorhandenen Quellen hinsichtlich der Urheberschaft und entscheidenden kommunalpolitischen Mitwirkung von Gerhard Gerlich in einzelnen Archiven oder privaten Beständen zu forschen.

Zu einer öffentlichen Diskussion über diesen ungewöhnlichen Landtagsabgeordneten und seiner mehrschichtigen Rolle eines „Geburtshelfers“ der selbstständigen Gemeinde Trappenkamp scheint für eine Debatte auch in zu vertiefenden landespolitischen Zusammenhängen zu passen, was Uwe Danker am 26. April 2016 bei der Präsentation der oben genannten umfassenden Studie „Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der personellen und strukturellen Kontinuität nach 1945 in der schleswig-holsteinischen Legislative und Exekutive“ für alle Landtagsabgeordneten in Schleswig Holstein ausgeführt hat: „In diesem Prozess ist es gelungen, ehemalige Nationalsozialisten in den demokratischen Staat zu integrieren, einige zu wichtigen Protagonisten werden zu lassen. Welche Folgen für die politische Kultur des Landes damit einhergingen, wäre über unsere ersten Hinweise hinaus (ebenfalls) noch genauer zu untersuchen.“278

Dr. Ulrich Erdmann Kiel, im Juni 2016

278 Danker/Glienke/Lehmann, Pressetext S. 9 141 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

4.) Quellen und Literatur

Quellen (ungedruckt)

Evangelischer Presseverband Schleswig-Holstein e.V. (Hrsg.): Vertraulicher Informationsdienst. Kirchliche Informationen für Schleswig-Holstein, Nr. 2/1957 (24.06.1957), S. 8 (Kleine Meldungen), in: Landeskirchliches Archiv Kiel [ 94 (Dokumentation) Nr. 2/1957, Vertraulicher Informationsdienst]

(Gerlich, Gerhard: Antisemitische Vorfälle (handschriftlicher Redeentwurf für den Landtagspräsidenten), Neumünster 1960, 6 Bl, Kopie [Privatbesitz])

Gerlich, Gerhard: „FDP und Wahlblock“, in: Informationsdienst CDU Schleswig-Holstein, Nr. 15 (15.12.1951), Lübeck/ Kiel 1951, S. 7

(Holey, Josef: Ansprache (Zur Benennung der „Gerhard-Gerlich-Schule), Trappenkamp 12.03.1969, 1 Bl, Kopie [Privatbesitz])

Schleswig-Holsteinischer Landtag: Niederschriften des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Klärung der gegen Landtagspräsident Karl Ratz vorgebrachten Vorwürfe, 2. Wahlperiode, Kiel 1951 (auszugsweise)

Schleswig-Holsteinischer Landtag: Niederschriften des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der in der Öffentlichkeit gegen den Landtagspräsidenten Dr. Walther Böttcher erhobenen Vorwürfe, 4. Wahlperiode Kiel 1959, 211 S.

Schleswig-Holsteinischer Landtag: Niederschriften des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses in der Angelegenheit Prof. Heyde/ Dr. Sawade I, 4. Wahlperiode, Kiel 1960/61, Bd. 1-3, 954 S.

142 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Schleswig-Holsteinischer Landtag: Niederschriften des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses in der Angelegenheit Prof. Heyde/ Dr. Sawade II, 4. Wahlperiode, Kiel 1960/61, 100 S.

(Schöffel, Ernst: Laudatio post mortem, Dr. Gerhard-Gerlich, anläßlich der Benennung der „Gerhard-Gerlich-Schule“ in Trappenkamp (12.03.1969), o.O. ( Trappenkamp) o.D (1969), 3 Bl, Kopie [Privatbesitz])

Vogt, Gustav (Verantw.): „Zum Ableben von Dr. Gerhard Gerlich, MdL“, Pressemitteilung Nr. 44/62 des CDU-Landesdienstes Schleswig-Holstein, 27.12.1962

Quellen (gedruckt)

Schleswig-Holsteinischer Landtag: Wortprotokolle des Schleswig-Holsteinischen Landtags, 2. Wahlperiode (07.08.1950-04.08.1954), Kiel 1950-1954, S. 1-1858

Schleswig-Holsteinischer Landtag: Stenographische Berichte, 3. Wahlperiode (11.10.1954- 20.08.1958), Kiel 1954-1958, S. 1-4017

Schleswig-Holsteinischer Landtag: Stenographische Berichte, 4. Wahlperiode (29.10.1958-22.08.1962), Kiel 1958-1962, S. 1-2944

Schleswig-Holsteinischer Landtag: Stenographische Berichte des Schleswig- Holsteinischen Landtags, 5. Wahlperiode (29.10.1962-18.12.1962), Kiel 1962, S. 1-95

Wort und Bild. Stimme der CDU in Schleswig-Holstein, hrsg. v. Hanns U. Pusch, Lübeck (1958-1961, 1.-4. Jg.)

Periodika

Holsteinischer Courier (auszugsweise) Kieler Nachrichten, Jg. 1950-1953 (und auszugsweise) Preetzer Zeitung (auszugsweise)

143 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

Schleswig-Holsteinische Volkszeitung (Kieler Morgenzeitung), Jg. 1950-1962 Segeberger Zeitung, Jg. 1955-1960

Literatur

Albert, Klaus: Die Übernahme der Regierungsverantwortung durch die CDU im Lande Schleswig-Holstein. Rückblick auf die Regierungszeit von Ministerpräsident Dr. Walter Bartram (1950/51), in: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Bd. 108, Neumünster 1983, S. 281-317

Bechert, Claus Dietrich: Chronik der Gemeinde Trappenkamp, Wankendorf 1976

Bohn, Robert: „Schleswig-Holstein stellt fest, dass es in Deutschland nie einen Nationalsozialismus gegeben hat.“ Zum mustergültigen Scheitern der Entnazifizierung im ehemaligen Mustergau, in: Demokratische Geschichte 17 (2006), S. 173-187

Borup, Allan: Demokratisierungsprozesse in der Nachkriegszeit, Die CDU in Schleswig- Holstein und die Integration demokratieskeptischer Wähler, Bielefeld 2010 (= IZRG- Schriftenreihe Bd. 15)

Christiansen, Julia: Die Volksoberschule Preetz. Eine Rekonstruktion ihrer Geschichte, Kiel 1996 (Staatsexamensarbeit, 64 S.)

Danker, Uwe: Der Landtag und die Vergangenheit. Das Thema Vergangenheitsbewältigung“ im Schleswig-Holsteinischen Landtag 1947-1992, in: Demokratische Geschichte 17 (2006), S. 187-202

Danker, Uwe: „Die Täter bildeten ein Kartell des Schweigens“. Die unglaubliche Affäre Heyde/Sawade 1959, in: Danker, Uwe: Die Jahrhundert-Story, Bd. 3, Flensburg 1999, S. 168-87

144 BCE-Gutachten: Dr. Gerhard Gerlich, MdL 1950-1962

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Danker, Uwe: Vergangenheits'bewältigung' im frühen Land Schleswig-Holstein, in: Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein (Hg.): Die Anfangsjahre des Landes Schleswig-Holstein, Kiel 1998, S. 26-43

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