Plenarprotokoll 12/220

Deutscher Bundestag

Stenographischer Bericht

220. Sitzung

Bonn, Freitag, den 15. April 1994

Inhalt:

Wahl der Abgeordneten Dr. Cornelia von c) Beratung der Beschlußempfehlung und Teichman als stellvertretendes Mitglied in- des Berichts des Ausschusses für Um- der Parlamentarischen Versammlung des welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Europarates 19045 A zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Vorschlag für eine Richtlinie Erweiterung der Tagesordnung 19068 C des Rates über Verpackungen und Ver- Zurückverweisung einer Vorlage an Aus packungsabfälle (Drucksachen 12/3407 schüsse 19068 C Nr. 3.10, 12/6606) Tagesordnungspunkt 12: Dr. Gerhard F riedrich CDU/CSU . . . . 19046A a) — Zweite und dritte Beratung des von Dr. Liesel Hartenstein SPD 19047 D der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vermei- Birgit Homburger F D P 19050 A dung von Rückständen, Verwertung von Sekundärrohstoffen und Entsor- Dr. PDS/Linke Liste 19052 D gung von Abfällen (Drucksache 12/ Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/ 5672) DIE GRÜNEN 19054 B — Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs Birgit Homburger F D P 19055 D eines Gesetzes zur Änderung des Siegfried Hornung CDU/CSU 19056 C Abfallgesetzes und des Bundes Immissionsschutzgesetzes (Druck- Steffen Kampeter CDU/CSU 19056 D sachen 12/631, 12/7284) Ulrike Mehl SPD 19059A b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Um- Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMU 19060B welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Marion Caspers-Merk SPD 19062D zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich Klinkert, Dr. Rolf Olderog, weiterer Elke Wülfing CDU/CSU 19065B Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) fraktions Gerhart Rudolf Baum, Dr. Olaf Feld- los 19066D mann, Dr. Jürgen Schmieder und der Fraktion der F.D.P.: Maßnahmen zur Zusatztagesordnungspunkt 8: Sanierung der Ostsee Beratung der Beschlußempfehlung und zu dem Antrag der Abgeordneten Diet- des Berichts des Ausschusses für Arbeit mar Schütz, Ulrike Mehl, weiterer und Sozialordnung zu der Unterrichtung Abgeordneter und der Fraktion der SPD: durch die Bundesregierung: Grünbuch Aktionsprogramm zur Sanierung der der Kommission über die Europäische Ostsee und der Gewässer in den neuen Sozialpolitik — Weichenstellung für die Bundesländern (Drucksachen 12/2251, Europäische Union (Drucksachen 12/ 12/2553, 12/6609) 7064, Nr. 2.6., 12/7243) 19068 C II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. April 1994

Tagesordnungspunkt 13: Dr. Jürgen Starnick F.D.P. ...... 19083 B Beratung der Beschlußempfehlung und Dr. Dagmar Enkelmann PDS/Linke Liste 19084 A des Berichts des Verteidigungsaus- schusses zu der Unterrichtung durch Dr. Renate Hellwig CDU/CSU 19084 C den Wehrbeauftragten: Jahresbericht 1992 (Drucksachen 12/4600, 12/6322) Tagesordnungspunkt 15: Alfred Biehle, Wehrbeauftragter des Deut- Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines schen Bundestages 19069 A Zweiten Gesetzes zur Änderung des Jürgen Augustinowitz CDU/CSU . . . 19070B Chemikaliengesetzes (Drucksache 12/ 7136) Dr. Karl-Heinz Klejdzinski SPD 19070C, 19076 D Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMU 19085 D Jürgen Koppelin F.D.P. . . . 19071A, 19077 A Ernst Schwanhold SPD 19087 A CDU/CSU 19071 D Dr. Jürgen Starnick F D P 19088 B Dieter Heistermann SPD 19072 D Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . . 19075 A CSU 19089 A Dieter Heistermann SPD . . 19075C, 19077 B Nächste Sitzung 19090 C Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär BMVg 19078A

Walter Kolbow SPD 19078D Anlage 1 Uta Zapf SPD 19079 B Liste der entschuldigten Abgeordneten . 19091' A Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von der Bundesre- Anlage 2 gierung eingebrachten Entwurfs eines Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesord- Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie nungspunkt 13 (Jahresbericht 1992 des 90/313/EWG des Rates vom 7. Juni 1990 Wehrbeauftragten) fiber den freien Zugang zu Informatio- nen über die Umwelt (Drucksache Andrea Lederer PDS/Linke Liste . . . 19092' B 12/7138) Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMU 19080D Anlage 3 Dietmar Schütz SPD 19081 D Amtliche Mitteilungen 19093' A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994 19045

220. Sitzung

Bonn, den 15. April 1994

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen b) Beratung der Beschlußempfehlung und des und Kollegen! Ich eröffne hiermit die Sitzung und Berichts des Ausschusses für Umwelt, Natur- wünsche einen guten Morgen. schutz und Reaktorsicherheit (17. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich Klinkert, Bevor wir beginnen, verlese ich rasch die amtliche Dr. Rolf Olderog, Ulrich Adam, weiterer Abge- Mitteilung. ordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie Die Fraktion der F.D.P. hat mitgeteilt, daß der der Abgeordneten Gerhart Rudolf Baum, Kollege Dr. als stellvertretendes Mit- Dr. , Dr. Jürgen Schmieder und glied in der Parlamentarischen Versammlung des der Fraktion der F.D.P. Europarats ausscheidet. Als neues stellvertretendes Maßnahmen zur Sanierung der Ostsee Mitglied wird die Kollegin Dr. Cornelia von Teichman zu dem Antrag der Abgeordneten Dietmar vorgeschlagen. Schütz, Ulrike Mehl, Susanne Kastner, weiterer Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Abgeordneter und der Fraktion der SPD Widerspruch. Damit ist die Kollegin Dr. Co rnelia von Aktionsprogramm zur Sanierung der Ostsee Teichman als stellvertretendes Mitglied der Parla- und der Gewässer in den neuen Bundeslän- mentarischen Versammlung des Europarats ge- dern wählt. — Drucksachen 12/2251, 12/2553, 12/6609 — Berichterstattung: Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 12a bis 12c Abgeordnete Wolfgang Ehlers auf: Dietmar Schütz a) — Zweite und dritte Beratung des von der Josef Grünbeck Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vermeidung von Rück- c) Beratung der Beschlußempfehlung und des ständen, Verwertung von Sekundärroh- Berichts des Ausschusses für Umwelt, Natur- stoffen und Entsorgung von Abfällen schutz und Reaktorsicherheit (17. Ausschuß) zu — Drucksache 12/5672 — der Unterrichtung durch die Bundesregierung (Erste Beratung 176. Sitzung) Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Verpackungen und Verpackungsabfälle — Zweite und dritte Beratung des vom Bun- — Drucksachen 12/3407 Nr. 3.10, 12/6606 — desrat eingebrachten Entwurfs eines Ge- Berichterstattung: setzes zur Änderung des Abfallgesetzes Abgeordnete Dr. Gerhard F riedrich und des Bundes-Immissionsschutzgeset- Marion Caspers-Merk zes Birgit Homburger — Drucksache 12/631 — (Erste Beratung 50. Sitzung) Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- Drucksache 12/5672 liegen sieben Änderungsanträge schusses für Umwelt, Naturschutz und und ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD Reaktorsicherheit (17. Ausschuß) sowie ein Entschließungsantrag und ein Änderungs- antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor. — Drucksachen 12/7240, 12/7284 — Berichterstattung: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Abgeordnete Dr. Gerhard Fried rich die gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden vor- Steffen Kampeter gesehen. — Auch dazu sehe ich keinen Wider- Dr. Liesel Hartenstein spruch. Marion Caspers-Merk Birgit Homburger Ich eröffne die Aussprache. Als erster spricht der Dr. Klaus-Dieter Feige Kollege Gerhard F riedrich. 19046 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994

Dr. Gerhard Fried rich (CDU/CSU): Frau Präsiden- Meine Damen und Herren, in dieser Presseerklä- tin! Meine Damen und Herren! Im Juli letzten Jahres rung habe ich z. B. gelesen, daß wir hier abfallpolitisch haben die Berichterstatter der Koalition in elf Punkten einen Rückschritt vorschlagen, weil wir die Zielhier- aufgezeigt, wo wir den Regierungsentwurf eines archie „vermeiden, verwerten, entsorgen" im Gesetz Kreislaufwirtschaftsgesetzes überprüfen und überar- nicht klar genug verankern. Man muß zunächst ein- beiten wollen. Wir haben Wort gehalten. Heute legen mal darauf aufmerksam machen, daß diese Zielhierar- wir Ihnen einen insgesamt neu formulierten Geset- chie im geltenden Abfallrecht überhaupt nicht ernst- zestext vor. haft verankert ist. Wir diskutieren immer so, als ob das Es wird zum Teil vom „Berichterstatterentwurf" so wäre. geredet; deshalb, Herr Minister, muß man der Ehrlich- Wir waren in den Verhandlungen auch kompromiß- keit halber anfügen: Es handelt sich um ein Gemein- bereit, weil wir festgestellt haben, daß die Zielhierar- schaftswerk des Bundesumweltministeriums und der chie z. B. in unserem § 4 von einer geringen prakti- Berichterstatter. Wir haben insgesamt etwa 50 Stun- schen Bedeutung ist. Diejenigen, die Gesetze ausle- den über neue Texte gesprochen und verhandelt. Ich gen, stellen immer wieder klar, daß aus solchen möchte mich für diese sehr gute Zusammenarbeit, vor Hierarchien keine unmittelbaren Rechtspflichten ab- allem mit dem Abteilungsleiter Ruchay und seinen geleitet werden können. Wo es konkret wird, werden sehr engagierten Mitarbeitern, sehr herzlich bedan- wir auch sehr viel konkreter und gehen deutlich über ken. Wir haben bei den Verhandlungen auch das das jetzige Recht hinaus. Das Verwertungsgebot des Wirtschaftsministe rium hinzugezogen. Das hat uns § 5 Abs. 2 unseres jetzt vorliegenden Entwurfs geht manchmal etwas Zeit gekostet, aber ich möchte weiter als das Verwertungsgebot des bisherigen § 1 a sagen, daß sich auch dort engagierte Mitarbeiter Abs. 2 Abfallgesetz. befinden, die für Umweltbelange Verständnis haben. In Sachen Abfallvermeidung — da haben wir die Ich habe auch diese Zusammenarbeit in angenehmer gleiche Debatte wie bei der Verpackungsverord- Erinnerung. nung — nutzt es überhaupt nichts, das Gebot des Bei unseren vielen Verbandsgesprächen hat sich Vermeidens ins Gesetz zu schreiben. Entscheidend herausgestellt — das ist aber nicht verwunderlich —, ist, welche Instrumente man im Gesetz verankert, um daß der Versuch, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten das Vermeiden konkret zu erzwingen. das Umweltrecht auf einem wichtigen Gebiet fortzu- Diejenigen, die sich orientieren wollen, dürfen nicht entwickeln, wenig Begeisterung auslöst. Natürlich nur Ihre Presseerklärung lesen, Frau Kollegin Harten- befürchtet die Wirtschaft, daß sie mit neuen Auflagen stein. Sie meinen, da gibt es himmelweite Unter- und Kosten überzogen wird. Ganz abwegig ist der schiede. Ich empfehle, § 5 Abs. 1 unseres Entwurfs und Hinweis, daß ein überzogenes nationales Recht § 4 Abs. 1 Satz 2 Ihres Textes zu vergleichen. Es ist Arbeitsstätten und Arbeitsplätze nur ins Ausland praktisch wortgleich. Auch Sie sagen nicht, das Ver- transferiert, ja nicht. meiden wird generell erzwungen, sondern nur nach Auf der anderen Seite halten wir es für erforderlich, ganz konkreten Vorschriften. Sie nennen die gleichen das Umweltrecht kontinuierlich fortzuentwickeln, Regelungen, die sich aber — jetzt muß ich ehrlich und einen Stillstand der Umweltpolitik dürfen wir sein — im Inhalt etwas unterscheiden. Aber ein nicht akzeptieren. Wir haben uns deshalb um eine absolutes Vermeidungsgebot, unmittelbar vollzieh- wirtschaftsverträgliche Fortentwicklung des Abfall- bar, gibt es auch bei Ihnen nicht. rechts bemüht. An einigen Stellen unserer Verhand- lungen mußten wir auch aufzeigen, daß es für die Die Öffentlichkeit interessiert sich vor allem für die Umweltpolitiker der Koalition nicht akzeptabel ist, aus Frage, ob Rückstände bzw. Abfälle verbrannt werden dem Kreislaufwirtschaftsgesetz ein Wirtschaftsförde- dürfen oder gar müssen. Hier finden wir im geltenden rungsgesetz zu machen. Es muß ein Umweltgesetz Abfallrecht die Bestimmung, daß das Gewinnen von bleiben. — Der Kollege Müller lacht. Herr Kollege Energie ebenso als Abfallverwertung gilt wie die Müller, ich habe am Montag die Presseerklärung der stoffliche Verwertung. Momentan haben wir also zuständigen Berichterstatterin Ihrer Fraktion gelesen. einen Gleichrang. Das wollten wir verändern. Das war eine harte Kritik; das läßt ahnen, daß wir auch Das erste, was wir in der Diskussion der letzten heute heftig beschimpft werden. Jahre gelernt haben, ist, daß man zwischen verschie- denen Zielen der Verbrennung unterscheiden muß. (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE Es gibt die Verbrennung als Methode der Schadstoff- GRÜNEN]: Zu Recht!) vernichtung, der Abfallbehandlung, und die Verbren- Vorbeugend möchte ich die Kolleginnen und Kolle- nung mit dem Ziel, vorrangig die Energie als Heizwert gen der SPD — den Kollegen Feige kann ich natürlich aus dem Rückstand herauszuholen. in diesem Zusammenhang nicht erwähnen — heute etwas warnen. Herr Müller, Sie haben uns in den Wir trennen in einer Definitionsbestimmung des § 4 letzten Monaten und Jahren im Umweltausschuß mit Abs. 4 diese beiden Maßnahmen und unterscheiden sehr fundamentalistischen Anträgen konfrontiert. klar zwischen der Abfallbehandlung und der energe- Jetzt lesen wir in der Zeitung, daß es Ihnen nicht tischen Verwertung. Es geht also überhaupt nicht gelingt, wesentliche Aussagen und Forderungen in darum, jede thermische Abfallbehandlungsanlage Ihrem Wahlprogramm unterzubringen. Seien Sie also mit dem ökologischen Gütesiegel „energetische Ver- bitte ein bißchen vorsichtig! Ihre Partei bringt zur Zeit wertung" zu versehen. selbst ein bißchen zum Ausdruck, daß das, was Sie als Bis zu diesem Punkt folgt uns auch die SPD; das muß Oppositionspolitiker jahrelang beantragt haben, in man betonen. Auch in den Anträgen der SPD gibt es einiger Hinsicht vielleicht doch unrealistisch ist. den Ersatz primärer Energie träger durch die Verbren- Deutscher Bundestag — 12. 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Dr. Gerhard Friedrich nung von Abfällen. Wir unterscheiden uns allerdings Haushaltswaren- und Lebensmittelgeschäften heute in der Frage nach dem Verhältnis dieser energeti- praktisch verschwunden. schen Verwertung zur stofflichen Verwertung. Das ist Die Wirtschaft hat auch gemerkt, daß die hohen der eigentliche Unterschied. Kosten der Verwertung zu der Überlegung zwingen: Frau Kollegin Caspers-Merk, hier hatten wir im Kommen wir mit weniger Mate rial aus? Können wir Regierungsentwurf ursprünglich etwas Ähnliches wie vielleicht sogar auf die zweite oder dritte Verpackung Sie, nämlich den Vorrang der stofflichen Verwer- um ein Produkt herum verzichten? tung. Und dann waren wir in einer Phase — ich kann (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein Riesen- mich noch genau daran erinnern —, in der auch aus erfolg!) Ihren Reihen, aus den Reihen der Öko-Verbände die Wir glauben, daß die Verpackungsverordnung trotz Verwertung, so wie sie vom DSD in Sachen Kunststoff der Pannen gezeigt hat, daß wir mit der Systematik der konkret vorgeschlagen wurde, heftigst kritisiert Produktverantwortung auf dem richtigen Weg sind. wurde. Wir bauen das Ganze jetzt im Kreislaufwirtschaftsge- Der Hamburger Umweltsenator Vahrenholt hat in setz aus. der „Zeit" vom 4. Februar ein Plädoyer für die Von der SPD unterscheiden wir uns eigentlich nur in Verbrennung alter Kunststoffe abdrucken lassen. Er einem Punkt, nämlich dadurch, daß wir klarstellen hat uns dort eindringlich darauf aufmerksam und dabei ehrlich sind: Produktverbote sind in der EG gemacht, Recycling sei nicht immer gut. Zu glauben, kaum durchsetzbar. daß Recycling immer gut sei, sei ein schwerer Fehler. Aus Zeitgründen ein letzter Hinweis. Wir haben in Ich bin nicht ganz seiner Meinung. Wir verlangen ja vielen Fällen bei Ihren Änderungsanträgen im Aus- nicht, daß Sie das übernehmen. Wenn daraus Konse- schuß festgestellt, daß wir eigentlich gemeinsame quenzen gezogen werden sollen, bitte ich darum, daß Anliegen haben und daß es nur um Zweckmäßigkeits- wir ernstgenommen werden. Wir greifen damit doch fragen geht. Wortmeldungen aus Ihren Reihen auf. (Marion Caspers-Merk [SPD]: Abgeschmet Wir schreiben jetzt — das ist der Kern- der neuen tert habt ihr es!) Bestimmungen — die umweltverträglichere Verwer- — Es gab aber auch einzelne Unterschiede, Frau tungsart vor, und wir wollen, daß für die wichtigsten Kollegin Caspers-Merk. Vor allem bei der energeti- Rückstände, auch für Kunststoff, bundesweit techni- schen Verwertung sahen wir keine Möglichkeit, uns sche Regelwerke entwickelt werden und daß das mit Ihnen im Ausschuß zu einigen. Deshalb hoffen wir, Ganze dann in Verordnungsform gegossen wird. Dort daß es mit den Praktikern des Vermittlungsausschus- soll man herauslesen können, in welchem Umfang ses des Bundestages und des Bundesrates vielleicht z. B. Kunststoff stofflich zu verwerten ist. Wo man doch noch gelingt, zu einer gemeinsamen Linie zu klare wissenschaftliche Erkenntnisse hat, daß stoffli- kommen. ches Verwerten besser ist — und dafür spricht häufig einiges —, muß die Möglichkeit gegeben sein und ist Vielen Dank. sie bei uns auch gegeben, die stoffliche Verwertung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) durchzusetzen. Nur wo es solche technischen Regelwerke nicht Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht gibt, meine Damen und Herren, taucht das Problem die Kollegin Dr. Liesel Hartenstein. auf, ob wir es dem kleinen Mittelständler zumuten, den in Ihrem Gesetzentwurf verankerten Vorrang der stofflichen Verwertung durch eine Unzahl von Inge- Dr. Liesel Hartenstein (SPD): Frau Präsidentin! nieurgutachten, die er in Auftrag geben müßte, zu Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein kluger Mann hat widerlegen. Das halten wir nicht für praktikabel. einmal gesagt: In der Politik kommt es nicht auf die Größe der Schritte an, sondern darauf, daß sie in die (Beifall bei der CDU/CSU) richtige Richtung gehen. Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf, der heute unter dem anspruchsvollen Wo wir bundesweit keine klaren Erkenntnisse Namen Kreislaufwirtschaftsgesetz verabschiedet haben, brauchen wir einfache Kriterien. Wenn werden soll, nicht in die richtige Richtung weist, jemand anspruchsvoll in einer Anlage den Heizwert sondern in die falsche Richtung geht. eines Rückstandes nutzt, dann wollen wir keine jah- relangen Gutachtenauseinandersetzungen und Ge- Was Sie vorgetragen haben, Herr Kollege Fried rich, richtsverfahren. Das Ganze muß praktikabel sein. sind nach meiner Auffassung zum Teil Interpreta- tionskünste, die durch den Gesetzestext nicht gedeckt (Beifall bei der CDU/CSU) werden. Ich kann abschließend nur noch einen Punkt aus Wir stellen weiterhin fest: Der Gesetzentwurf ist meinen Notizen inhaltlich vortragen. Das Kernstück nicht vollzugsfreundlich. Das haben alle Sachverstän- der Novelle ist die im Gesetz jetzt klar verankerte digen in zwei Anhörungen auch bestätigt. Er ist nicht Produktverantwortung. Trotz aller Pannen beim Voll- EG-konform, und er leistet keinen Beitrag zur drin- zug der Verpackungsverordnung, die wir inzwischen gend notwendigen Müllvermeidung. Wir kritisieren überwunden haben, können wir jetzt belegen, daß das aber nicht nur, sondern wir bedauern gleichzeitig, Hersteller, die ihre Produkte selbst verwerten und daß dieses Ergebnis heute vorliegt. Denn im Interesse entsorgen müssen, schon bei der Produktgestaltung der Sache, im Interesse der Kommunen, die auf darauf achten, daß die Verwertung erleichtert wird. übervollen Deponien sitzen, auch im Interesse der Blister und ähnliche Verpackungen sind aus den Verbraucher und der Wirtschaft ist es bitter nötig, jetzt 19048 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994

Dr. Liesel Hartenstein die Weichen für eine zukunftsorientierte, d. h. für eine Auch dies steht übrigens im Widerspruch zu den ressourcenschonende Abfallwirtschaft zu stellen. Ausführungen des Herrn Bundesumweltministers, der Diese Chance wird mit diesem Gesetzentwurf leider nämlich gesagt hat — ich habe das noch einmal vertan. nachgelesen —, es werde keinen Durchmarsch für die Wir haben, daran möchte ich erinnern — auch Herrn Abfallverbrennung geben. Das steht im Protokoll vom Minister Töpfer —, bei der Einbringung des Regie- 23. September 1993. Genau dies wird aber eintre- rungsentwurfs im September 1993 eine konstruktive ten. Zusammenarbeit angeboten. Dieses Angebot war Übrigens, zur Klarstellung: Aus unserer Sicht ist die ernstgemeint. Es war ehrlich gemeint, und es hätte Müllverbrennung unter bestimmten Bedingungen auch realisiert werden können, weil nämlich der sinnvoll und notwendig. Darüber streiten wir uns ja Töpfer-Entwurf, wenn ich das einmal so sagen darf, gar nicht. trotz aller Schwächen mindestens sinnvolle Ansätze enthalten hat, die man hätte ausbauen können. Nur, (Zuruf von der CDU/CSU: Fragen Sie einmal vom „Ur-Töpfer" ist kaum etwas übriggeblieben, Herrn Vahrenholt, der wird in Hamburg alles meine Damen und Herren. verbrennen!) (Zuruf von der CDU/CSU: Na, na, na!) — Bleiben wir bei der Sache und nicht bei Perso- nen. — Doch. Was die Koalition nach monatelangem inter- nen Streit auf den Tisch gelegt hat, ist nur noch ein Sie ist z. B. notwendig bei Sonderabfällen, zur Rumpfgesetz. Schadstoffvernichtung usw. (Zuruf von der CDU/CSU: Reine Polemik, die Aber — das bitte ich doch aufmerksam zu verfol- Sie jetzt vortragen! — Steffen Kampeter gen — wer die Verbrennung so großzügig zuläßt oder [CDU/CSU]: Das drucken noch nicht einmal — im Bild gesprochen — die Türen für die Müllöfen so die Zeitungen!) weit öffnet, nimmt jeden Anreiz weg, Technologien für stoffliches Recycling weiterzuentwickeln. Das ist Alle vorwärtsweisenden Elemente, lieber Kollege nicht innovationsfördernd, sondern das ist innova- Kampeter, sind herausoperiert worden. Der Koali- tionshemmend. Das ist der Nachteil an der ganzen tionsentwurf tritt auf der Stelle, und partiell — ich Sache. habe das gesagt und wiederhole es ausdrücklich — bewegt er sich sogar rückwärts. Ich weiß, Sie bestrei- (Zuruf von der CDU/CSU: Keine Ahnung!) ten das. Lassen Sie mich drei Beispiele dafür nen- Sie schreiben in dem Entwurf, Sie wollen jeweils nen. durch Rechtsverordnungen festlegen lassen, was die (Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/ besser umweltverträgliche Verwertungsart sei. Nun CSU]: Falsche Behauptungen werden auch haben wir sehr schlechte Erfahrungen mit Rechtsver- durch Wiederholen nicht wahrer!) ordnungen. Man darf gespannt sein, wann diese — Es sind nicht nur Behauptungen, sondern ich Rechtsverordnungen kommen, für welche und für wie möchte dieses auch belegen, lieber Herr Kollege viele Stoffgruppen sie kommen, wer die Kriterien Lippold; deshalb hören Sie bitte zu. festlegt, wer die Ökobilanzen erstellt usw. Es ist Ihnen genauso klar wie uns, daß dies eine sehr aufwendige Der Vermeidungsgrundsatz, der jedenfalls im und langwierige Prozedur sein wird. ersten Regierungsentwurf noch deutlich als oberste Priorität enthalten war, ist auf der Strecke geblieben. Drittens. Sie forcieren die Privatisierung auf breiter Vermeidung und Verwertung werden auf eine Stufe Front. gestellt; in § 4 sind sie mit „oder" verbunden. (Zuruf von der CDU/CSU: Ja!) (Zuruf von der CDU/CSU: Lesen hilft da Auch hier hat der Bundesumweltminister im Septem- weiter!) ber 1993 versichert, daß die staatliche Verantwortung für die Abfallentsorgung beibehalten werde. — Ja, ich kann schon lesen, deutsch und gelegentlich auch Fremdsprachen. — Vermeidung und Verwer- Sie regeln es nicht so, wie es bislang möglich und tung werden in einen Topf geworfen. übrigens auch sinnvoll ist, daß die entsorgungspflich- tigen Körperschaften Aufgaben an Dritte übertragen Zweitens. Der Vorrang — das haben Sie selbst können, sondern Sie gehen einen Schritt weiter und konzediert, Herr Friedrich — des stofflichen Recycling sagen, daß die Pflichten selbst auf privatwirtschaftlich vor der sogenannten energetischen Verwertung, also organisierte Verbände übertragen werden können der Verbrennung, ist weggefallen; auch dies war im und übertragen werden sollen. Regierungsentwurf, der offiziell im September 1993 eingebracht wurde, wenigstens noch als Sollbestim- Ich frage mich — und ich frage auch Sie —, ob dies mung enthalten. Sie haben das herausgestrichen. erstens von den zuständigen Behörden überhaupt noch kontrollierbar ist und ob nicht zweitens die große Statt dessen werden nun, wenn dieser Entwurf Gefahr besteht, daß hier Monopolisierungstendenzen Gesetz werden sollte — was ich nicht hoffe —, die im Stile des DSD eintreten, wie wir das schon erlebt Türen für die Müllöfen wirklich weit geöffnet. Es ist Ihr haben. erklärter Wille, die Verbrennung zu erleichtern. Ich (Beifall bei Abgeordneten der SPD) beziehe mich auf Ihre eigene Pressekonferenz, die Sie Ende Januar gegeben haben. Die beiden Berichter- Der vierte Punkt bet rifft die Produktverantwortung. statter haben dies ausdrücklich und wörtlich so Sie haben sie auch angesprochen, Herr F riedrich. Sie gesagt. wurde ja immer als Herzstück eines neuen Abfallge- Deutscher Bundestag — 12. 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Dr. Liesel Hartenstein setzes gepriesen. Sie ist aber im jetzigen Koalitions- Setzung richtiger Rahmenbedingungen und durch entwurf wahrlich zu einer Alibiformel zusammenge- klare Vorgabe abfallwirtschaftlicher Ziele den techni- schrumpft. Im Grunde steht nichts Substan tielles mehr schen Erfindungsgeist in die Richtung zu lenken, daß drin. Vermeidungstechniken weiterentwickelt werden und wirklich ein ökologisches Produktdesign entwor- Auch hier ist der Grundgedanke richtig, und wir fen wird. Das ist eine Aussage, die ich fast wörtlich aus pflichten diesem Grundgedanken bei, daß m an bei den Expertenanhörungen übernehmen konnte, wo der Produktgestaltung auch die Abfallseite sofort mit tionen und klare abfallwirt- bedenken sollte. gesagt wurde: Klare Defini schaftliche Zielvorgaben — jetzt hören Sie mal zu, die Deshalb lauten unsere Forderungen, daß diese Wirtschaft interessiert Sie ja und auch uns — würden Grundsätze für die Produktverantwortung im Gesetz auch den Produktentwicklern in den Firmen die verankert werden sollten, daß die Hersteller zur Arbeit erleichtern. Genau an diesen beiden Punkten Beachtung dieser Grundsätze verpflichtet werden fehlt es in diesem Entwurf. und daß eine klare Defini tion ins Gesetz geschrieben wird, was mit Produktverantwortung überhaupt Im übrigen sind wir auch der Auffassung, daß dies gemeint ist. Auch das ist nur noch in wenigen Stich- für unsere Indust rie hilfreich wäre. Wenn wir die worten angedeutet. Das kann man umschreiben, das Entwicklung in diese Richtung lenken, dann wird sie kann man umreißen, und das hat für die Auslegung auch neue Marktvorteile gewinnen. und Ausführung des Gesetzes mit Sicherheit eine wesentliche Funktion. Kurzum, es ist kein Sinn darin zu erkennen, daß wir eine gigantische Entsorgungswirtschaft aufbauen, die Wir stellen uns ein zweistufiges Vorgehen vor. Ich nachher in sich selbst rotiert. Wir haben diese Erfah- muß auch hier sagen: Wir hätten — bei gutem Willen rung beim Grünen Punkt gesammelt. Das ist weder Ihrerseits jedenfalls — ein Stück weit zusammenkom- ökonomisch noch ökologisch sinnvoll. Noch weniger men können. ist zu rechtfertigen, auch ökologisch nicht, daß wir die (Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/ Tore für die Verbrennungsmöglichkeiten so weit CSU]: Kollegin Hartenstein, das- ist ein aufmachen. Gesetz und kein Roman! Wir machen keine (Beifall bei der SPD) Lyrik, wir machen ein Gesetz!) Vier Kardinalforderungen sind nicht erfüllt; ich — Doch, Sie machen gerade Ly rik. In diesen Paragra- wiederhole sie in Stichworten. phen zur Produktverantwortung steht nichts Substan- tielles mehr, sondern nur noch Ly rik. Daraus kann Wir fordern erstens: Das Gesetz muß vollzugstaug- überhaupt keine praktische Konsequenz mehr gezo- lich werden. gen werden. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ist es!) (Beifall bei der SPD — Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ich werde Ihnen darauf antwor Kaum einer der Experten hat am Gesetzentwurf der ten, Frau Hartenstein!) Regierung — an Ihrem schon gar nicht — einen guten Faden gelassen. Der erste Schritt muß also sein: Die Grundsätze müssen im Gesetz festgelegt werden — ich brauche Zweitens. Wir brauchen ein EG-konformes Be- sie nicht alle zu repetieren —, nämlich: Produktgestal- griffssystem. Wir können keinen deutschen Sonder- tung soll Produkte hervorbringen, die langlebig, weg gehen. Das Wortspiel „Abfälle" und „Rück- schadstoffarm, wiederverwendbar, reparaturfreund- stände" stiftet nur Verwirrung und führt zu einem lich, leicht demontierbar usw. sind. totalen Vollzugschaos spätestens nach dem 6. Mai, (Beifall bei der SPD) wenn die EG-Abfallverbringungsordnung ohnehin in Kraft tritt. Diese Grundsätze sollen im Gesetz festgelegt wer- den. Das ist doch nicht ohne Bedeutung! Im übrigen ist (Beifall bei der SPD — Steffen Kampeter auch der Bundesumweltminister dieser Meinung, [CDU/CSU]: Die werden unsere Begriffssy denn in seinem Entwurf stand das auch drin. stematik übernehmen!) Als zweiten Schritt müssen wir die Ausgestaltung — Die EG übernimmt sie? Nun, das wird ja Kollege des Instrumentariums anpacken. Das ist richtig. Aber Kampeter dann hinkriegen! das kann man nicht übers Knie brechen. Dazu ist eine gründliche Diskussion erforderlich. Es stehen bereits Drittens. Wir brauchen eine klare Zielhierarchie. Kennzeichnungspflichten und Rücknahmepflichten Ich habe das schon erläutert. im Entwurf; es müssen weitere ordnungsrechtliche Instrumente ergriffen werden. Aber es müssen zusätz- Viertens. Die Abfallentsorgung muß eine öffentli- liche marktwirtschaftliche Instrumente eingeführt che Aufgabe bleiben, wobei, wie gesagt, die Übertra- werden, beispielsweise Abfallabgaben, wie sie in gung von bestimmten Aufgaben — Müllabfuhr, mehreren Landesgesetzen schon verankert sind. Betrieb von Entsorgungsanlagen usw. — an Dritte Das ist ein Weg, den wir miteinander hätten gehen eine bewährte Einrichtung ist. Das soll auch weiter so können, der nicht im ersten Anlauf zu schaffen ist, der gehandhabt werden. aber in die richtige Richtung führt. Fünftens. Die Produktverantwortung hat in der Tat Nach unserer Auffassung, liebe Kolleginnen und eine Schlüsselfunktion. Hier kann der Einstieg in eine Kollegen, muß die Chance genutzt werden, durch neue Ara nicht nur der Abfallwirtschaft, sondern der 19050 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994

Dr. Liesel Hartenstein Stoffwirtschaft insgesamt erfolgen. Diesen Einstieg erreicht: Wir können über einen Gesetzentwurf, der haben Sie verpaßt. die Lösung der Probleme der Abfallwirtschaft auf eine (Birgit Homburger [F.D.P.]: Den wollen wir ja neue Grundlage stellt, abschließend beraten und nicht!) abstimmen. — Sie können ja nachher sagen, daß Sie das nicht Ziel ist es, daß das Gesetz noch in diesem Sommer wollen. Wir wissen es bereits. den Bundesrat passiert und die Novelle noch in dieser Legislaturperiode verkündet werden kann. Ich setze Dieser Gesetzentwurf ist meilenweit erstens vom an dieser Stelle — das sage ich ganz deutlich in Regierungsentwurf, zweitens von dem, was heute Richtung SPD — auf die Vernunft des Bundesrats; abfallwirtschaftlich und stoffwirtschaftlich geboten denn seine Haltung war bisher unklar. wäre, entfernt. Sie haben sich damit in eine abfallpo- litische Sackgasse hineinmanövriert. Wir werden eine Folgt man dem Teil seiner Stellungnahme neue Runde, vielleicht sogar mehrere Runden brau- — schauen Sie sich das einmal an —, der vom chen, um da wieder herauszukommen. Aber der Wirtschaftsausschuß formuliert wurde, müßte unser Schwarze Peter liegt bei Ihnen und nicht bei uns. Gesetzentwurf in dem einen oder anderen Punkt Ich danke für die Aufmerksamkeit. sogar noch abgeschwächt werden. Die im Bundesrat ebenfalls beschlossenen, aber entgegengesetzten (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und Wünsche der Umweltpolitiker haben wir teilweise dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) berücksichtigt, aber nicht in den Teilen, wo sie zu dirigistisch waren. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht Ich frage Sie ganz klar: Was soll man eigentlich von die Kollegin Birgit Homburger. einer Stellungnahme des Bundesrats halten, in der gleichzeitig der Vorrang der stofflichen Verwertung und die Gleichrangigkeit gefordert werden? Birgit Homburger (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das bisherige Abfallrecht liefert (Zuruf von der CDU/CSU: Nichts!) in der Tat keine genügende Grundlage, um mit den Da also offensichtlich dem Bundesrat die Diskussio- Problemen der Müllvermeidung, der Müllverwertung nen, die wir hinter uns haben, noch bevorstehen, und der umweltgerechten Entsorgung fertig zu wer- appelliere ich an den Bundesrat, sich an dem von den den. Deshalb hat die Bundesregierung im letzten Jahr Koalitionsfraktionen vorgelegten Kompromiß zu den Entwurf für die Novellierung des Abfallgesetzes, orientieren, um das weitere Verfahren zu beschleuni- also das Kreislaufwirtschaftsgesetz, vorgelegt. gen. Aus meiner Sicht und der der Berichterstatter der Ich stelle fest, daß wir damit unsere Hausaufgaben Koalitionsfraktionen war dieser Entwurf nicht akzep- gemacht haben. Mit der heutigen Verabschiedung tabel, weil er unübersichtlich, zu kompliziert und des Kreislaufwirtschaftsgesetzes haben wir vor allen unpraktikabel war. Aus diesen Gründen haben wir Dingen auch für die Wirtschaft — und deswegen ist es einen neuen Gesetzestext erarbeitet, mit dem wir um so wichtiger, daß das noch in den Bundesrat — ganz im Gegensatz zu Ihrer Meinung, verehrte Frau kommt und nach Möglichkeit beschlossen wird — Kollegin Hartenstein — die genannten Probleme Planungssicherheit geschaffen. Das war einer der beseitigen. wesentlichen Punkte. Ich hatte bei Ihrer Rede manchmal den Eindruck, daß Sie sich mal wieder auf die längst nicht mehr zur Ich möchte ganz kurz auf die wichtigsten inhaltli- Grundlage gehörende Regierungsvorlage und nicht chen Punkte eingehen. auf den Berichterstatterentwurf beziehen. Wenn Sie Im Mittelpunkt des Gesetzes steht die Produktver- diesen durchgelesen hätten, hätten Sie merken müs- antwortung. Das betrifft — Frau Kollegin Hartenstein sen, daß wir genau diese Probleme beseitigt haben. hat das vorhin schon ausgeführt — die §.§. 22 bis 24 des (Dr. Liesel Hartenstein [SPD]: Das ist aber das Entwurfs. Die Produktverantwortung war schon in einzige eingebrachte Gesetz!) § 14 Abfallgesetz als Ansatz enthalten. Dieser Ansatz wird ausgebaut und erhält eine sichere Rechtsgrund- Ich glaube, daß wir mit diesem Entwurf einen lage. Durch die Möglichkeit, Rücknahme- und Rück- vernünftigen Kompromiß zwischen Ökonomie und gabepflichten einzuführen, kann der Produzent oder Ökologie gefunden haben. der Vertreiber für die Kosten der Verwertung oder Die letzten Monate galten einem intensiven Abstim- Entsorgung seines Produkts in Anspruch genommen mungsprozeß zwischen den unterschiedlichen Mei- werden. Verwertung und Entsorgung bekommen also nungen in der Koalition und nicht zuletzt auch in den für den Hersteller einen Preis, was zur Folge hat, daß Fraktionen. Dieser Prozeß umfaßte auch die Ausein- sich die Vermeidung immer mehr lohnt. So führen wir andersetzung mit Sachverständigen und Verbänden. indirekt Anreize zur Vermeidung ein. Wenn Sie sagen, die Sachverständigen hätten in der Anhörung kein gutes Haar am Entwurf der Berichter- Wenn Sie sagen, das sei Lyrik, dann kann ich nur statter gelassen, kann ich nur sagen: Er war nicht sagen: Ich möchte von Ihnen ganz gerne wissen, wie Grundlage der Anhörung. das, was Sie unmittelbar gelten lassen wollen, nämlich die Produktverantwortung, eigentlich vernünftig ge- (Lachen bei der SPD) macht werden soll, wenn Sie sagen, die Umweltver- Was die SPD uns nicht zugetraut hat — das ist es träglichkeit, die Dauerhaftigkeit, die Reparatur- wahrscheinlich auch, was Sie ärgert — und was von freundlichkeit der Erzeugnisse, Energie- und Roh- den Medien immer wieder bezweifelt wurde, ist heute stoffeinsparung usw. sollten dabei berücksichtigt wer- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994 19051

Birgit Homburger den. Diese Kriterien können durchaus in Widerspruch Schlupfloch der Umdeklarierung zu „Wertstoffen" zueinander stehen. Beispielsweise kann es durchaus geschlossen. Zukünftig kann man also nicht mehr aus sein, daß ein langlebiger Kunststoff die von Ihnen der Abfallüberwachung herausgelangen. Das ist eine genannte Forderung der Entsorgungsfreundlichkeit ganz wichtige Regelung. nicht erfüllt. Folglich kann das gar nicht unmittelbar Ein heftiger Diskussionspunkt war auch die Frage, gelten, wie Sie das wollen. Das würde ins absolute welche Art der Verwertung zugelassen werden soll Chaos führen. und ob es eine Vorrangregelung für die stoffliche oder Im übrigen brauchen wir auch nicht ein einheitli- die energetische Verwertung geben soll. Im Laufe der ches Produktdesign vorzuschreiben oder gar be- Diskussion hat sich deutlich herausgestellt, daß man stimmte Dinge zu verbieten, wie es von Ihnen immer eben nicht generell behaupten kann — wovon wir vor wieder vorgeschlagen wird. Eine solche Festschrei- zwei Jahren auch noch ausgingen —, daß die stoffliche bung von seiten des Staates würde starke Reglemen- Verwertung immer die ökologisch bessere sei. tierungen nötig machen und schließlich zur staatli- Deshalb haben wir den Grundsatz festgelegt — und chen Produktnormung führen. Wir wollen aber nicht ich glaube, damit kann sich jeder Umweltpolitiker den Staat zur Wirtschaft machen, und deshalb lassen sehen lassen —, daß die umweltverträglichere Ver- wir auch den Produzenten die Freiheit, selbst zu wertungsart Vorrang hat. entscheiden, wie sie ihre Produkte umgestalten wol- — len und können. Denn nur wenn wir der Wirtschaft die (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Freiheit lassen, geben wir ihr auch die Möglichkeit zur Dr. Liesel Hartenstein [SPD]: Wer legt das schnellen Anpassung und zum Spielraum für Innova- fest?) tionen. Die Beweislast dafür liegt bei der Behörde. Für die (Beifall bei der F.D.P.) Entscheidung im Einzelfall haben wir klare Kriterien festgelegt, und das war im Interesse einfacher und Die sind letztendlich dringend nötig, um den Wirt- rascher Entscheidungen notwendig. schaftsstandort Deutschland zu stärken. Das bedeutet also, daß grundsätzlich sowohl die Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Das, was Sie stoffliche als auch die energetische Verwertung zuge- machen, Frau Kollegin Hartenstein, würde ich eher als lassen sind. Das hat im übrigen nichts mit der thermi- lyrisch bezeichnen als das, was bei uns klar und schen Entsorgung zu tun. Voraussetzung dafür, daß eindeutig im Gesetz festgelegt ist. Wir halten jeden- die energetische Verwertung und die stoffliche Ver- falls unseren Ansatz für besser und vor allen Dingen wertung als gleichwertig angesehen werden, ist für ehrlicher. — und jetzt kommen die Kriterien des § 6 Abs. 2, die Sie vorhin so freundlich übergangen haben —, daß der (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — unvermischte Sekundärrohstoff einen Heizwert von Widerspruch bei der SPD) 11 000 Kilojoule pro Kilogramm hat und in der Anlage Es war des weiteren wichtig, die Begrifflichkeiten einen Feuerungswirkungsgrad von mindestens 75 % der EU anzupassen. — Auch das war gerade schon erzielt sowie die Energie auch tatsächlich genutzt Thema. — Es gibt nun Rückstände, Sekundärrohstoffe wird. Es ist selbstredend so, daß die Anforderungen sowie Abfälle. Dabei ist klar festgelegt: Sekundärroh- des Bundes-Immissionsschutzgesetzes natürlich auch stoffe sind verwertbare Rückstände, Abfälle zu entsor- für diese Anlagen gelten. gende Rückstände. Dabei haben wir die EU-Begriffe (Zuruf von der CDU/CSU: Frau Hartenstein, materiell-rechtlich voll übernommen; ich habe das ein Blick ins Gesetz hilft immer!) schon x-mal erklärt. Wir haben lediglich die Beg riffe anders übersetzt, als dies die deutsche Übersetzung Diese Kriterien, Frau Kollegin Hartenstein, machen der EU-Abfallrahmenrichtlinie tut. Ich kann mir nicht meines Erachtens hinreichend deutlich: Die Müllver- vorstellen, daß das deutsche Parlament hinsichtlich brennung — und sei es in noch so modernen Anla- der Begriffe an die Übersetzungskünste eines Über- gen — erhält damit nicht das Umweltgütesiegel setzers gebunden ist, wenn wir materiell-inhaltlich „energetische Nutzung", denn energetische Verwer- etwas voll übernehmen. Wir haben also lediglich tung wird als „Ersatzbrennstoff" definiert, und es diesen Widerspruch. wird auch auf den Hauptzweck der Anlage — § 4 Abs. 4 — abgestellt. Ich möchte nebenbei erwähnen, daß wir diese Begriffe auch in die Baseler Konvention übernommen Müllverbrennungsanlagen sind aber immer Abf all- haben. Es ist wichtig, in beiden Gesetzen eine einheit- entsorgungsanlagen, die nebenher die Verbren- liche, klare Begriffsbestimmung vorzunehmen, um nungsenergie nutzen. Das heißt also, daß hier ganz keine Verwirrung aufkommen zu lassen. Das haben klar gezeigt wird, daß die Kritik, die Sie anbringen, an wir gemacht. dieser Stelle völlig unberechtigt ist. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Mit diesem Gesetzentwurf wird gleichzeitig die Widerspruch bei der SPD) EU - Abfallrahmenrichtlinie von 1991 umgesetzt. Dies ist nötig, um den Vollzugsdefiziten der Länder bei der Es war uns auch wichtig, zu regeln, daß zukünftig Entsorgung und Verwertung zu begegnen. Dazu zählt das Parlament ein Mitspracherecht bei wichtigen vor allem die durch die EU-Richtlinie vorgegebene Rechtsverordnungen hat. Es mag zwar sein, daß diese Einbeziehung der Sekundärrohstoffe, also der ver- Regelung von stringenten Juristen als Kompetenzver- wertbaren Produktionsrückstände. Dies hatte zur mischung zwischen Exekutive und Legislative gese- Folge, daß wir auch die Überwachung und die schad- hen wird; die Maßnahme war allerdings dringend lose Verwertung regeln mußten. Damit ist das notwendig und wichtig. 19052 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994

Birgit Homburger Wir haben in der Organisation der Abfallwirtschaft Die Diskriminierung der Verwertung, Frau Kollegin neue Spielräume geschaffen. Wir geben den Indu- Caspers-Merk, von Sekundärrohstoffen durch die strie- und Handelskammern, Handwerkskammern Bezeichnung „Abfall" wäre umweltpolitisch kontra- und Landwirtschaftskammern die Möglichkeit, durch produktiv. Die SPD-Forderung nach einem absoluten eigene Einrichtungen ihre Mitgliedsbetriebe von den Vorrang der Vermeidung aller Rückstände vor der Verwertungs- und Entsorgungspflichten zu entlasten, Verwertung wäre der Einstieg in eine dirigistische was wichtig ist und mit Sicherheit den Vollzug gerade staatliche Reglementierung. Hier weise ich darauf bei kleinen und mittleren Be trieben verbessert. hin: Wir haben die Zielhierarchie , aber es geht um die Frage, ob auch Sekundärrohstoffe in jedem Fall ver- Auch bei den Kommunen erweitern wir die Mög- mieden werden müssen. Wir machen die Abfallver- lichkeit der Privatisierung. Dies alles sind Kann meidung — die hat Vorrang —, aber Sie wollen die Vorschriften, die Wahlmöglichkeiten für eine mög- Rückstandsvermeidung und folglich auch ein dirigi- lichst effektive Organisation eröffnen. stisches Eingreifen. Das wollen wir nicht. Wir wollen die Stoffwirtschaft in Ihrem Sinne jedenfalls nicht. Auch im Verwaltungsbereich werden Deregulie- rungen vorgenommen, die aber nicht bedeuten, daß (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) etwa die Kontrolle gegenüber den Betrieben einge- Die Vermeidung aller Rückstände vor der Verwer- schränkt wird, sondern es werden nur unnötige und tung wäre der Einstieg in eine dirigistische staatliche kostenaufwendige Verwaltungsvorgänge abge- Reglementierung bis hin zur Produktionsnormung. schafft. Ich finde es sehr bedauerlich, daß Sie sich nach wie vor im Griff der ÖTV befinden und jeglicher Privatisie- (Zuruf von der CDU/CSU: Entbürokratisie rung im Weg stehen. rung ist gut!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — So haben wir z. B. für kleine und mittlere Betriebe eine Lachen und Widerspruch bei der SPD) Mengenschwelle eingeführt, ab der sie gegenüber dem Regierungsentwurf nicht mehr verpflichtet sind, Die Koalition hat ihre Hausaufgaben in dieser betriebliche Abfallwirtschaftskonzepte und- -bilanzen Legislaturperiode zur Reform der Abfallwirtschaft zu erstellen. Gleichwohl bleibt hier das Nachweisver- gemacht. fahren, wohingegen ein Abfallwirtschaftskonzept, gut (Marion Caspers-Merk [SPD]: Sie machen gemacht, einen großen Betrieb von dem normalen Klientelpolitik! Das ist Ihr Problem!) Nachweisverfahren im Einzelfall befreien kann. Folg- Wir haben alle Regelungen getroffen, um die Abfall- lich haben wir also für beide Bereiche eine hervorra- wirtschaft für die Zukunft mit vernünftigen Rahmen- gende Möglichkeit geschaffen; Deregulierung ist das bedingungen auszustatten. Mit dem Investitionser- Stichwort an dieser Stelle. leichterungsgesetz wurden Genehmigungsverfahren Um zu gewährleisten, daß Sekundärrohstoffe, die ja erleichtert und beschleunigt. verwertbare Rückstände sind, auch tatsächlich ver- Mit der TA Siedlungsabfall hat man die Vorgaben wertet werden, können für bestimmte Stoffe durch für die Hausmüllentsorgung festgelegt. Damit wurden Verordnungen Anforderungen festgelegt werden, langwierige Diskussionsprozesse pro und contra ther- z. B. Schadstoffhöchstgrenzen oder Verkehrsbe- mische Müllbehandlung entschieden. schränkungen. Ziel des Ganzen ist es, diese Stoffe Wir haben mit den Ausführungsgesetzen zum Base- marktfähig zu machen und den Argumenten von ler Übereinkommen ein Instrumentarium geschaffen, Behörden und Firmen entgegenzutreten, die auf um umweltschädliche und illegale Abfallexporte in Grund überhöhter „Angstwerte" bestimmte Stoffe den Griff zu bekommen. Das Kreislaufwirtschaftsge- nicht oder nur unter s trengen Auflagen verwenden setz schafft nun die nötigen Perspektiven für eine wollen. Ich denke dabei an Schlacken im Straßenbau intelligente Abfallwirtschaft der Zukunft. oder auch an Aschen auf Sportplätzen. Auch diese Verordnungen sind von der Zustimmung des Bundes- Danke. tages abhängig. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Die Novelle des Abfallrechts bringt auch eine exakte Abgrenzung zum Bundes-Immissionsschutz- gesetz. Dem sind wir nachgekommen, indem wir Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht festgelegt haben, daß stoffbezogene Anforderungen die Kollegin Dagmar Enkelmann. des Abfallrechts an die Verwertung und Entsorgung auch für nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftige Anlagen gelten. Gleichzei- tig stellen wir aber klar, daß darüber hinaus das Dr. Dagmar Enkelmann (PDS/Linke Liste): Frau Genehmigungsverfahren sich nur nach Immissions- Präsidentin! Meine Damen und Herren! schutzrecht richtet. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wann waren Sie eigentlich zuletzt im Ausschuß?) Zusammenfassend stelle ich also fest: Die Vorstel- lungen der SPD waren insgesamt zu dirigistisch und Frau Kollegin Homburger, was haben wir denn nun daher nicht akzeptabel. eigentlich am Dienstag abend von Ihnen auf den Tisch gekriegt: einen neuen Entwurf oder den Töpfer (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Entwurf mit unzähligen Veränderungen der Koali- Lachen und Widerspruch bei der SPD) tion? — Die Antwort darauf sind Sie schuldiggeblie- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994 19053

Dr. Dagmar Enkelmann ben. Wir haben im Ausschuß darüber diskutiert. Sie einer Sackgasse landen. Eine Übereinstimmung mit haben abgestritten, daß es ein neuer Entwurf sei. den europäischen Abfallrichtlinien kann durch die Art und Weise der Formulierung der im Gesetzentwurf (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wann waren benutzten Begriffe nicht mehr hergestellt werden. Sie eigentlich zuletzt im Ausschuß?) Und Sie schieben nun die Verantwortung auf die — Natürlich bin ich im Ausschuß gewesen. Da waren Übersetzer ab; das ist lächerlich. Sie vielleicht nicht da. Der Abfallexport wird — begünstigt durch die Meine Damen und Herren, statt blühender Land- Töpfersche Begriffsverwirrung — durch diesen schaften wachsen in den neuen Bundesländern — und Gesetzentwurf übrigens nicht verhindert, im Gegen- nicht nur dort — die Müllberge. teil, er wird eher zunehmen. Ist das vielleicht (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist doch gewollt? barer Unsinn!— Weitere Zurufe von der Die die Änderung des Düngemittelgesetzes betref- CDU/CSU) fende Einrichtung eines Entschädigungsfonds zur Statt einer dringend notwendigen Wende in der Absicherung der Landwirtschaftsunternehmen vor Abfallwirtschaft gibt es kosmetische Operationen, die Risiken aus der Verwertung von Klärschlamm ist den Patienten nur noch häßlicher machen. Was uns angesichts der berechtigten Forderungen der Bauern hier als Kreislaufwirtschaftsgesetz vorgesetzt wird, ist und ihrer Verbände zu begrüßen. ein semantischer Eiertanz ungeahnten Ausmaßes. Ein Problem haben wir allerdings mit der Formulie- Dies zeichnete sich schon bei den Anhörungen hierzu rung in Art. 7 des Gesetzentwurfs der Bundesregie- und bei der Schlußabstimmung im Umweltausschuß rung in der Ausschußfassung: „flächenbezogene ab. Obergrenzen für das Ausbringen von Nährstoffen aus Nahezu ohne Konsequenzen blieb, daß bis auf den Wirtschaftsdüngern tierischer Herkunft". Allgemeine Entsorger Rethmann alle Sachverständigen der Anhö- Obergrenzen werden unseres Erachtens den unglei- rung im September den Entwurf ablehnten; zugege- chen Bodenbedingungen sowie Faktoren wie Kultur- ben: Natürlich taten dies die Vertreter der Indust rie artenvielfalt, Anbauverhältnis, Fruchtfolge, Mineral- und z. B. die Vertreterin von „Besseres Müllkonzept" düngeraufwand u. a. nicht gerecht. aus völlig unterschiedlichen Erwägungen. Sie, meine Meine Damen und Herren, der Entwurf für ein Damen und Herren der Koalition, haben sich aus- Kreislaufwirtschaftsgesetz ist verwirrend und für die schließlich die Argumente der Indust rie zu eigen entsorgungspflichtigen Gebietskörperschaften prak- gemacht. tisch nicht handhabbar, ja, er untergräbt letztlich die (Widerspruch bei der CDU/CSU) kommunale Selbstverwaltung. Man wird den Ein- druck nicht los, die großen p rivaten Abfallentsorger Offensichtlich versuchen Regierung und Mehr- und die Müllverbrennungslobby hätten die Feder heitsfraktionen durch kreisende Bedeutung von geführt. In § 6 Abs. 1 des Entwurfs heißt es: Begriffen die Verwirrung um den Abfallbegriff kreis- laufartig so zu steigern, bis niemand mehr durchblickt. Sekundärrohstoffe können stofflich oder energe- Ich befürchte daher, wir werden uns auch heute mit tisch verwertet werden ... Bei gleichwertiger der Diskussion über diesen völlig unzulänglichen Umweltverträglichkeit nach Maßgabe der in Gesetzentwurf im Kreise drehen. Hoffentlich kriegt Absatz 2 genannten Voraussetzungen können niemand einen Kreislaufkollaps. Sekundärrohstoffe energetisch verwertet wer- Ich möchte hier nur einige Beispiele für den sich den. durch den Gesetzentwurf wie ein gelber Faden zie- Dies bedeutet im Zusammenhang mit der TA Sied- henden Begriffswirrwarr nennen. lungsabfall nichts anderes als einen Vorrang für die Die rechtlichen Definitionen im Kreislaufwirt- Müllverbrennung. schaftsgesetzentwurf erlauben z. B. keine klare Tren- (Dr. Gerhard Friedrich [CDU/CSU]: Das ist nung der Begriffe. — Vermeidung und Verwertung eine vorsätzliche Falschinterpretation!) sind hier schon angesprochen worden. — So hat die Verwertung im Rahmen dieses Gesetzes keine Legal- Die Müllverbrennung ist teuer, gefährlich, verhindert definition erfahren. Die Vermeidung dagegen ist die Vermeidung und Verwertung von Abfällen. Sie begriffsmäßig überfrachtet. Auch der Rückstandsbe- verlagert die Abfallproblematik in Luft und Wasser. griff ist nicht eindeutig definiert. Ein durch undefi- Die Reststoffe müssen trotzdem deponiert werden. Bei nierte Rechtsbegriffe definierter Rechtsbegriff ist konsequenter Vermeidung und Verwertung von jedoch seinerseits wieder undefiniert. Für nicht Abfällen und der konsequenten Entgiftung der Pro- genehmigungsbedürftige Anlagen bestehen nach duktion bleibt weniger Restmüll übrig, der deponiert dem Gesetzentwurf weder Pflichten zur Abfallvermei- werden muß, als bei der Müllverbrennung. Für die dung auf Grund des Bundes-Immissionsschutzgeset- PDS/Linke Liste im Bundestag sage ich in aller Deut- zes noch Sanktionsmöglichkeiten. lichkeit: Wir teilen Ihre Ansicht nicht, daß die Müll- verbrennung — egal, ob sie schönfärberisch als „ther- Die Begrifflichkeiten des Gesetzentwurfs sind in mische Verwertung" oder anlagentechnisch als vielen Fällen nicht mit entsprechenden Regelungen „Schwel-Brenn-Thermoselekt" daherkommt — eine der EG kompatibel. Meine Damen und Herren, da, wo Lösung des Abfallproblems darstellt. es einmal wirklich sinnvoll wäre, EG-Regelungen zu übernehmen, nämlich z. B. den EG-Abfallbegriff, läßt (Birgit Homburger [F.D.P.]: Ist das ein neues die Bundesregierung es bleiben. Damit wird sie in Verfahren?) 19054 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994

Dr. Dagmar Enkelmann Wir lehnen die Müllverbrennung ab. Natürlich wer- Statt endlich eine klare Zielhierarchie einzuführen, den sich auch hier einige Kronzeugen finden, die verwischt das Gesetz den Unterschied zwischen Ver- sagen, da kommt heute oben nur noch heiße Luft und meidung, Verwertung und Verbrennung völlig. Der hinten Gold heraus. Bundesregierung und der Koalition geht es nicht Meine Damen und Herren, sämtliche Mängel des darum, potentielle Abfälle schon bei der Produktion Gesetzentwurfs hier aufzuführen würde den Rahmen zu vermeiden, sondern darum, mittels Begriffswirr- der Tagesordnung sprengen. Ich verweise daher auf warr und Augenwischerei die öffentlichen Statistiken die schriftliche Stellungnahme des von uns benannten zu frisieren. Sachverständigen für die Anhörung des Umweltaus- schusses, Oliver Kalusch. Die PDS/Linke Liste im (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist aber Bundestag wird den vorliegenden Gesetzentwurf für eine bösartige Unterstellung!) ein Kreislaufwirtschaftsgesetz ablehnen. Er ist völlig Abfälle sollen nämlich bereits dann als vermieden unzureichend und entspricht nicht den ökologischen gelten, wenn sie nicht auf öffentlichen Deponien Anforderungen unserer Zeit. Er entspricht vor allen landen. — Wenn das nicht Augenwischerei ist! Wenn Dingen auch nicht dem von der Regierung in Rio Sie das in Abrede stellen und immer wieder behaup- vollmundig geforderten nachhaltigen Wirtschaften. ten, es sei anders, als es im Gesetzestext steht, dann Dieser Gesetzentwurf ist eine umweltpolitische sage ich: Übernehmen Sie unseren Änderungsantrag Bauchlandung. zu § 4 des Entwurfs des Kreislaufwirtschafts- und Ich hoffe, daß wir uns in der nächsten Legislaturpe- Abfallgesetzes, dann stimmen Interpretation und riode einmal ernsthafter mit der Abfallproblematik Wortlaut völlig überein. auseinandersetzen können. Unabdingbar für uns ist dabei, daß die Abfallentsorgung in die öffentliche Wir brauchen klare Prioritäten in der Abfallpolitik. Hand gehört. Wir fordern ein System von kommuna- Wir brauchen ein Abfallgesetz, das mit den einschlä- gigen EG-Richtlinien übereinstimmt. len Recyclinghöfen auf Grundlage des Sero - Systems, verbunden mit Getrennt-Sammel-Hol-Systemen in (Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/ den Haushalten. Natürlich müssen die Kommunen - CSU]: Nein, wir brauchen ein Kreislaufwirt auch mit einer entsprechenden Finanzausstattung schaftsgesetz! Das ist der Unterschied! — versehen werden. Dies ist vernünftig, und dies ist auch Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Seit wann Stand der Diskussion in den Bürgerinitiativen und sind Sie so EG-konform?) Umweltverbänden. Das Wichtigste für eine zukunftsweisende, umwelt- Es muß festgeschrieben werden, daß Abfälle oder freundliche, ressourcenschonende und sozialverträg- — um in Ihrem Terminus zu bleiben — Rückstände in liche Abfallwirtschaft ist es, an der Quelle anzusetzen. erster Linie zu vermeiden sind. Nur nicht vermeidbare Die Hersteller von Produkten und Verpackungen sind Rückstände sind in zweiter Linie auf möglichst dabei in die Pflicht zu nehmen, wobei den produzie- umweltschonende Art zu verwerten. Diese Hierarchie renden Belegschaften ein weitgehendes Mitsprache- fehlt. Erst in dritter Linie sind Stoffe, die weder recht einzuräumen ist. Grundlage eines Gesetzes, das vermeidbar noch umweltschonend verwertbar sind, sich „Kreislaufwirtschaftsgesetz" nennen darf, muß möglichst umweltverträglich zu entsorgen. Man sollte eine Stoffflußkontrolle, eine ökologische Bewertung meinen, daß es nach über 20jähriger Abfalldebatte all der Dinge werden, die früher oder später zu Abfall jedem vernünftig denkenden Menschen unmittelbar werden. Fazit: Ein wirkliches Stoffflußgesetz muß einsichtig sein müßte, daß nur eine solche klare her! Prioritätensetzung zu einer Verringerung der Müll- Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetz- mengen beitragen kann. entwurf der Bundesregierung trägt zu einer weiteren Da können Sie noch so viele neue Beg riffe erfinden Zertrümmerung des Umweltrechts in der Bundesre- — ob Rückstand oder Sekundärrohstoff —: Müll bleibt publik bei und wird durch die Aufhebung von Pflich- Müll, ebenso wie das vorliegende Gesetz allen kos- ten der Abfallbesitzer und durch den Abbau von metischen Operationen zum Trotze genauso ein Rechten der durch den Umgang mit Abfall Betroffe- Schrott ist wie der ursprüngliche Töpfer-Entwurf. nen zur weiteren Zerstörung der Umwelt beitragen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Als im Frühsommer des letzten Jahres Politiker und Politikerinnen aller Fraktionen den Töpfer - Entwurf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) als unbrauchbar, gar als „nicht lesbar" kritisierten — Herr Kollege Friedrich, vielleicht erinnern Sie sich Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht noch an Ihre einschlägigen Bemerkungen —, da der Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Feige. keimte bei mir eine gewisse Hoffnung auf, daß plötz- lich eine höhere Eingebung der Koalition Erleuchtung Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gebracht hat. NEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Allen großen Worten und den Marodeu- (Dr. Gerhard Friedrich [CDU/CSU]: Das ren der Koalition zum Trotze: Das jetzt vorliegende haben wir doch umgeschrieben!) Kreislaufwirtschaftsgesetz ist nicht geeignet, die Sie erinnern sich vielleicht, daß ich in meiner Rede Abfallprobleme dieses Landes zu lösen, ganz im vom 1. Juli 1993 anläßlich der Einbringung unseres Gegenteil. Antrags für eine vermeidungsorientierte Abfallwirt- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ihre Rede ist schaft gleich nach dem zweiten Satz Beifall von seiten auch kein Beitrag dazu!) der Koalition erntete. Aber den bekam ich nur dafür, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994 19055

Dr. Klaus-Dieter Feige daß ich bereit war, die Koalition nicht in aller Öffent- Noch absurder wird das Ganze, weil das Gesetz erst lichkeit bloßzustellen. zwei Jahre nach seiner Verkündung in Kraft treten soll, mithin frühestens 1996. Was sollen dann Passa- (Lachen bei der CDU/CSU) gen für 1995 in solch einem Gesetz? Das dokumen- Auf unser Angebot, ein gemeinsames Gesetz aus den tiert, daß Sie selbst in diesem Chaos nicht durchse- Reihen des Parlaments zu erarbeiten, blieb jedoch die hen. Reaktion der Koalition aus. Statt dessen haben einige Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Amateure ein Gesetz gebastelt, das in vielen Punkten Schluß zusammenfassen, warum wir den Gesetzent- noch schlimmer ist als die Vorlage des BMU. wurf ablehnen und nach den Bundestagswahlen unverzüglich eine Neufassung vornehmen werden. Erinnern wir uns: Am 27. Juli 1993 verkündete der Kollege Friedrich, daß im Entwurf des Kreislaufwirt- Erstens. Statt klipp und klar zu sagen, daß Abfall schaftsgesetzes „zu stark auf ordnungspolitische Abfall ist, sollen die Müllberge durch blumige Wort- Maßnahmen gesetzt" werde. Außerdem müßten statt schöpfungen wegdefiniert werden. „zu vieler Verordnungsermächtigungen" ökonomi- (Zuruf von der CDU/CSU: Aber erst, wenn es sche Lenkungsmechanismen größeren Raum finden. Abfall ist!) Die Kollegin Homburger wird am gleichen Tag wie Zweitens. Für die Koalition gelten alle Abfälle als folgt zitiert: Zentraler Punkt des neuen Gesetzes vermieden, wenn sie nicht auf einer Deponie landen. müsse eine Rücknahmeverpflichtung sein, die mit Gleichzeitig wird die Müllverbrennung zur Maß- Abgaben oder einer Zertifikatslösung kombiniert nahme der Abfallvermeidung erklärt, weil der Müll werden müsse. — wieder so eine Worthülse — als Ersatzbrennstoff Was ist von diesen vollmundigen Ankündigungen deklariert wird. übriggeblieben? Haben Sie einmal nachgezählt, Kol- (Birgit Homburger [F.D.P.]: Das ist doch völ lege Friedrich, wie viele Verordnungsermächtigun- liger Quatsch, völliger Unsinn!) gen es denn nun gegenüber der ursprünglichen — Wenn Sie von Quatsch reden, sollten Sie das Lösung weniger sind? Drei, zwei, eine — oder viel- Protokoll Ihrer eigenen Rede nachlesen. leicht gar keine? - Drittens. Damit auch noch der Schlacke aus der (Birgit Homburger [F.D.P.]: Es sind weni- Verbrennung das Los der Deponierung erspart bleibt, ger!) sollen die Grenzwerte so beigebogen werden, daß diese überall im Straßenbau einsetzbar ist. Was, Frau Homburger, finde ich im neuen Entwurf an marktwirtschaftlichen Instrumenten? Wo finde ich den zentralen Punkt Abgabe? — Ganz einfach: Nir- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Feige, gestat- gends. Ein Riesenluftballon — und dann plop. ten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Hom- burger? Wenn Sie schon nicht auf uns bzw. unseren Antrag eingehen, warum nehmen Sie dann nicht wenigstens die Ergebnisse des Büros für Technikfolgenabschät- Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zung beim Deutschen Bundestag zur Kenntnis? Seit NEN): Gerne. Juli 1993 liegt Ihnen der Endbericht des Projektes „Abfallvermeidung und Hausmüllentsorgung " von Birgit Homburger (F.D.P.): Herr Kollege Feige, kön- Frau Anneliese Looß und Christine Katz vor. Da hätten nen Sie mir bitte sagen, welchen Heizwert vermisch- Sie genug Anschauungsmaterial für sinnvolle Strate- ter Hausmüll hat? gien und Instrumente der Abfallvermeidung gehabt. Aber nichts da! Statt dessen lassen Sie solche Studien in den Regalen verstauben. Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Warum soll ich Ihnen das sagen? Meine Damen und Herren, dagegen können einem beim Lesen des vorliegenden Textes die Tränen (Beifall der Abg. Monika Ganseforth [SPD] — kommen — und das nicht nur, weil der Text völlig Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. — hektisch mit heißer Nadel gestrickt worden ist. Auf die Manfred Richter [Bremerhaven] [F.D.P.]: Vorlage des Art . 7, die erst am Mittwoch nachmittag Was interessieren ihn Fakten!) nachgereicht wurde, will ich gar nicht eingehen. Den Daß diese Frage von Ihnen kommt, ist natürlich wollten Sie ja offensichtlich selbst nicht. nicht verwunderlich; denn Sie hinterfragen ganz ein- fach etwas, was Sie in der Debatte im Ausschuß längst Ein anderes Beispiel soll genügen: Nach § 29 sollen hätten erfahren können. In der Auseinandersetzung, die Länder Abfallwirtschaftspläne vorlegen. Vermut- in der wir uns befinden, geht es nicht um Grenzwerte lich, weil die Anforderungen an diese Pläne erhöht für die Verbrennung, sondern um die Verbrennung wurden, sollen diese erstmalig zum 31. Dezember insgesamt. Wenn man sich Ihr klimapolitisches Kon- 1999 vorgelegt werden. In § 39 werden die Länder zept vornimmt, dann stellt m an fest, daß es dazu verpflichtet, erstmalig zum 31. Dezember 1995 die wieder wunderbarerweise im Gegensatz steht. Öffentlichkeit über ihre Maßnahmen zur Abfallpolitik zu unterrichten. Diese Unterrichtung enthält „eine (Dr. Gerhard Friedrich [CDU/CSU]: Du gehst zusammenfassende Darstellung und Bewertung der immer weiter weg vom Thema!) Abfallwirtschaftspläne" von 1999 — also, ich bitte Ich will ganz einfach sagen: Selbstverständlich läuft Sie! —, zu deren Erstellung dann noch vier Jahre Zeit dieses Konzept auf die Müllverbrennung hinaus. Ich bleiben. bin nicht bereit, in dieser Hinsicht den geringsten 19056 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. April 1994

Dr. Klaus-Dieter Feige Abstrich hinzunehmen. Wenn Sie mit Ihrer einfachen last abbaut, aber gleichzeitig marktwirtschaftliche Frage darauf hinaus wollen, Instrumente zur Geltung bringt, die der Abfallvermei- (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. — dung den richtigen Stellenwert einräumt und die so zu Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Einfach, aber einem Absinken des Abfallaufkommens beiträgt. unbeantwortet! — Zuruf von der CDU/CSU: Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Ja, einfach!) (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke daß sehr wenig übrigbleibt, dann sage ich Ihnen: Es Liste) bleibt immer noch zuviel übrig, weil Müllberge nur durch Müllvermeidung verhindert werden können. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Siegf ried Hor- nung. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Gestatten Sie nach der Frage nach dem Heizwert eine weitere Zwischen- frage? Siegfried Hornung (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte noch einmal unterstreichen, daß in diesem vorliegen- Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den Gesetz eindeutig klargestellt wird, daß das Vor- NEN): Ja, ich bitte darum. rang hat, was am umweltfreundlichsten ist. Damit ist, auch für die Zukunft, kein Platz mehr für Ideologien, Birgit Homburger (F.D.P.): Herr Kollege Feige, wol- auf allen Seiten. Dies ist das Wichtigste, das wir len Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß der Heizwert bedenken müssen. von vermischtem Hausmüll ungefähr bei 8 000 Kilo- In bezug auf die in § 6 angesprochenen Sekundär- joule pro Kilogramm liegt rohstoffe ist für mich das Wichtigste, die Gleichwer- (Zuruf von der SPD: Das kommt doch auf die tigkeit herauszustellen und so endlich einmal die Zusammensetzung an!) praktische Möglichkeit zu schaffen, nachwachsende Rohstoffe auch dann einer Verwertung zuzuführen, und daß in § 6 Abs. 2 11000 Kilojoule als Mindest- wenn sie — beispielsweise in Form eines solchen maß angegeben sind, womit Ihre These, die Müllver- Rednerpults — schon einmal verwendet worden sind. brennung werde hier als energetische Verwertung Angesichts der schwierigen Situation unserer Wald- definiert, widerlegt ist? wirtschaft müssen wir Schwachholz, Holz überhaupt, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) auch dann, wenn es bearbeitet und verarbeitet wurde, in den im Grundsatz genannten Bereich für eine Verwertung umsetzen. Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sie kriegen es fertig und sortieren bloß deshalb Ich möchte meinen Dank besonders dafür ausspre- vor, damit der Heizwert erhöht wird. Auch das traue chen, daß das Anliegen der Landwirtschaft hier ganz ich Ihnen durchaus zu. deutlich zum Ausdruck gebracht wird. Ich stelle sogar die Frage, ob es nur das Anliegen der Landwirtschaft (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der ist, denn wir alle sind ja auch Gemeindebürger. F.D.P.) Wenn es um Sekundärrohstoffe geht, die aus Sied- Ich bin in der Aufzählung meiner Positionen, warum lungsabfällen — ich denke hier an den Klär- wir dieses Gesetz nicht annehmen können, stehen- schlamm — stammen, dann sind wir wohl letztlich alle geblieben. Den dritten Punkt, die Schlacke betref- betroffen. Insofern ist es gut, daß in diesem Gesetz der fend, hatte ich schon genannt. Hinweis gegeben und die Regelung geschaffen wird, Viertens. Produkthaftung und Eigenverantwortung daß ein Entschädigungsfonds einzurichten ist. Hier will die Koalition durch eine umfassende Deregulie- wird das verankert, damit endlich jeder in unserer rung, durch die Abschaffung vermeintlich überflüssi- Gesellschaft begreift, daß überall Risiken entstehen ger Vorschriften erreichen. Auf marktwirtschaftliche können und diese Risiken letztlich gemeinsam zu Instrumente jedoch wird verzichtet. Das war ja wohl tragen sind. Ihr zentraler Punkt gewesen, Frau Homburger. In diesem Sinne meine ich, daß hier Kreislaufwirt- Fünftens. Die Genehmigungsanforderungen an schaft realisiert wird. Anlagen werden gesenkt, Nachweisverfahren abge- Vielen Dank. schafft, und selbst der Probebetrieb von Deponien wird ohne Planfeststellung ermöglicht. Das muß man (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sich einmal vorstellen: Probebetrieb einer Deponie! Sie können mir doch nicht erklären, es sei praxisnah, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht daß der Betrieb irgendwann einmal wieder unterbro- der Kollege Steffen Kampeter. chen wird. Alles in allem ist auch das jetzt vorliegende Gesetz Steffen Kampeter (CDU/CSU): Frau Präsidentin! eine umweltpolitische Seifenblase. Wir können nur an Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es tut sich die Länder appellieren, und zwar ausdrücklich nicht etwas in Deutschland. Es tut sich etwas in der Umwelt- nur an die SPD-regierten — ich denke da z. B. an politik. Es tut sich etwas in der Abfallwirtschaft. Bayern —, dieses Gesetz abzulehnen. Wir jedenfalls Wenn wir in unsere Wahlkreise schauen, ich bei- sind bereit, nach den Bundestagswahlen eine Novelle spielsweise auf die Hausmülldeponie in meinem vorzulegen, die vollzugsfreundlich ist, die an den Wahlkreis, zeigt sich: In den letzten drei Jahren ist der richtigen Stellen unnötigen ordnungspolitischen Bal- Eintrag von Abfällen auf die Deponie durch verschie- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. April 1994 19057

Steffen Kampeter dene abfallwirtschaftliche Maßnahmen halbiert wor- Politik, auch für die Abfallwirtschaft. Dabei wird es den. Oder nehmen wir die Entwicklung bei den kein Weniger an staatlicher Kontrolle geben, wohl gewerblichen Abfällen: Steigende Preise und vermei- aber ein Weniger an bürokratischer Behinderung. dungsorientierte politische Anreize haben den Auf- Ich freue mich, daß von den Vertretern der L and- wärtstrend bei den Sonderabfällen gestoppt. Respekt wirtschaft ausdrücklich anerkannt worden ist, daß wir vor den Maßnahmen der Wirtschaft! im Art. 7 dieses Gesetzes im Rahmen einer Rechtsver- Diese Erfahrungen zeigen, daß in den letzten Jah- ordnungsmöglichkeit einen Klärschlammfonds ein- ren ein abfallwirtschaftliches Umdenken in den pri- richten werden. vaten Haushalten, in den Wirtschaftsunternehmen und in der Politik von Bund, Ländern und Gemeinden (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) stattgefunden hat. Der Höhepunkt des Müllbergs Ich gebe zu: Als Umweltpolitiker ist mir das nicht scheint überschritten. Diese Entwicklung ist ein Erfolg leichtgefallen, weil ich dachte, das könnten die L and- der Abfallwirtschaftspolitik dieser Koalition. wirte anderweitig regeln. Aber wenn es der Sache (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dient, wollen wir uns als handlungsfähige Koalition diesem Lösungsanliegen nicht verschließen. Die OECD hat in ihrem kürzlich veröffentlichten Umweltbericht gerade der Abfallwirtschaftspolitik in Ich möchte einiges zur Produktverantwortung und Deutschland viel Anerkennung gezollt. Für eine Ent- damit zu unserer Philosophie der Rücknahmever- warnung — so meine ich — ist es allerdings noch zu pflichtung sagen. Eine Ökologische und Soziale früh. Zu viele Verbrennungsanlagen fehlen, zu knapp Marktwirtschaft kann nur entstehen, wenn der Staat bleibt der Deponieraum, zu langsam werden Verwer- privater Initiative entsprechenden Spiel- und Frei- tungsanlagen genehmigt. raum läßt. Mit diesem Kreislaufwirtschaftsgesetz wollen wir Aus Gesprächen mit Unternehmen in Ihren Wahl- daher weitere Impulse zur Fortführung unserer kreisen wissen Sie alle: Die Unternehmen erwarten Abfallwirtschaftspolitik geben. Für mich ist das Kreis- von der Politik mit Recht verläßliche Rahmenbedin- laufwirtschaftsgesetz eines der Grundgesetze für die gungen und einen einheitlichen, unbürokratischen Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft hin zu Vollzug. Dies gilt gerade in der Abfallwirtschaft. einer Ökologischen und Sozialen Marktwirtschaft. Diesen Spielraum erhalten Unternehmen durch Wir werden unseren Industriestandort Bundesrepu- unsere verordnungsgestützte Produktverantwortung. blik nur dann auf Dauer lebenswert erhalten, wenn Damit wird die Rücknahmeverpflichtung zum zentra- wir auch ein unserer Wertschöpfung entsprechend len Instrument unserer Politik. Wer zurücknehmen hohes Umweltschutzniveau halten. Um es mit Wolf- muß, vermeidet Überflüssiges bei den Produkten. gang Schäuble zu sagen: Umweltschutz bleibt zen- Ohne staatlichen Dirigismus entstehen ein vermei- trale Zukunftsaufgabe. dungsorientiertes Produzieren und ein verwertungs- freundliches Produkt. Damit ist die Produktverantwor- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und tung, ist die Rücknahmeverpflichtung ein zutiefst der F.D.P.) marktwirtschaftliches Instrument, weil sie dem einzel- Eine vermeidungsorientierte Abfallwirtschafts- nen Unternehmen entsprechenden Freiraum läßt. politik ist unser Beitrag zur Bewahrung der Schöp- Die SPD will nun allen Ernstes ihre Variante der fung, aber auch zur Sicherung des Wirtschaftsstandor- Produktverantwortung durch eine wenige Zeilen tes Deutschl and. Dazu dient das heute zu verabschie- umfassende Vorschrift unmittelbar und sofort für alle dende Kreislaufwirtschaftsgesetz. Bereiche gelten lassen. Damit würde der Landwirt für Die Kernelemente dieses Gesetzes sind klar: die Schale seiner Kartoffel rechtsunmittelbar produkt- und rücknahmeverantwortlich. Erstens Übernahme des EG-Rechts insbesondere durch klare Begriffsdefinitionen. Unser Bemühen, (Lachen bei der SPD) Begriffe klar zu definieren, ist auch im Bundesrat honoriert worden, indem die Begriffsdefinitionen Damit müßte ein Heer von Beamten fleißig, aber exakt aus unserer Gesetzesvorlage bei der Basler wahrscheinlich völlig erfolglos eine umfassend unbe- Konvention übernommen worden sind. stimmte Vorschrift kontrollieren. Damit bräche für die deutsche Industrie eine ungewisse Zeit an, da die Zweitens eine klare Hierarchie „Vermeidung, Ver- Folgen dieser Rechtsvorschrift unkalkulierbar und wertung und Entsorgung", die sich allerdings von der kaum abschätzbar sind. Gefahr der ideologischen Verdrehung freihält. Wir wollen nur das machen, was umweltpolitisch nützlich (Marion Caspers-Merk [SPD]: Reden Sie mit und sachlich geboten ist. Ihrem eigenen Umweltminister! Der hat das genauso gesehen!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich frage die SPD: Ist das Ihr Ernst? Haben Sie eigentlich schon einmal mit seriösen Wirtschaftspoli- Drittens eine abgesicherte Rechtsgrundlage für die tikern über Ihre Vorschläge geredet? Rücknahmeverpflichtung. Rücknahmeverpflichtun- gen werden nach diesem Gesetz praktikabel und (Zurufe von der SPD: Ja!) verhältnismäßig ausgestaltet. Ich frage die Sozialdemokraten in den Ländern: Wie Das vierte Kernelement dieses Gesetzes ist die wollen Sie diese Vorschrift eigentlich in den Ländern Fortsetzung unserer auf Privatisierung gerichteten vollziehen? 19058 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994

Steffen Kampeter Ideologie gegen marktwirtschaftliche Grundtatbe- Mit unseren Vorschriften über die Verbandsbildung stände, Ideologie gegen die Erfordernisse eines sichern wir diese Möglichkeiten ab. Wir nehmen nicht geordneten Vollzugs — das ist ein Programm, das die Kommunen, sondern die Abfallproduzenten als nicht überzeugt. Die CDU/CSU lehnt es ab. Verursacher in die Pflicht und verleihen so dem Ebenfalls nicht überzeugend ist das, was der Kol- Verursacherprinzip, einem der zentralen Prinzipien lege Feige hier vorgetragen hat. In seinem Entschlie- unserer Umweltpolitik, noch mehr Geltung. Wer ßungsantrag lese ich, daß er Abfallvermeidung durch behauptet, Privatisierung bedeute Regellosigkeit, Maßnahmen wie intensivere und längere Nutzung zeigt, daß er sich mit unserem Gesetzentwurf leider von Produkten erreichen will. Herr Kollege Feige, wie nicht ernsthaft genug auseinandergesetzt hat. lange ich meinen Anzug, meine Krawatte, meinen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Pullover trage, möchte ich bitte nicht im Kreislaufwirt- ordneten der F.D.P.) schaftsgesetz geregelt sehen, sondern das ist meine eigenverantwortliche Entscheidung — und natürlich Dieses Kreislaufwirtschaftsgesetz vereinheitlicht die meiner Frau. das bisher sehr uneinheitliche Kontroll- und Überwa- (Heiterkeit) chungsinstrumentarium. Gleichzeitig führen wir eine Reihe von Deregulierungsmöglichkeiten ein. So wird Die Maßnahmen, die Sie hier vortragen, greifen sehr z. B. ein Unternehmen, das Nachweise über ein weit in das individuelle Entscheidungsrecht ein und bestimmtes Informationsverhalten erbringt, teilweise werden von uns daher ebenso abgelehnt. von Genehmigungen freigestellt. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber die Ich bin sehr gespannt auf den weiteren Verlauf Tränen des Herrn Feige sind schwieriger zu dieser Debatte über das Kreislaufwirtschaftsgesetz. entsorgen!) Ich habe große Zweifel, ob die SPD-Länder im Bun- Unser Konzept von Produktverantwortung gründet desrat tatsächlich, wie von der SPD-Bundestagsfrak- auf die Erfahrung, daß die Schaffung von Märkten in tion gefordert, auf eine rein parteitaktische Verweige- verhältnismäßig kurzer Zeit eines konkreten Ord- rungshaltung setzen werden. Die Alternative im Bun- desrat lautet doch klar: Ideologie oder Verantwor- nungsrahmens bedarf. Er muß den wettbewerblichen- Freiraum und damit die technologische Innovations tungsbewußtsein in der Umweltpolitik. kraft ermöglichen. Gleichwohl wird es notwendig (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sein, diesen Markt auch zukünftig bestreitbar zu der F.D.P. — Lachen bei der SPD) gestalten. Marktpositionen dürfen sich nicht verfesti- gen, sonst wird die Umsetzung der Produktverantwor- Die Interessen der SPD - geführten Bundesländer lie- tung zu einer Veranstaltung für wenige Große. gen weit auseinander. Es gibt auf der einen Seite die Fraktion der zahlreichen Umweltminister mit und Die mittelständische Verwertungs- und Entsor- ohne Amt. Die wird auch jedes noch so gute Gesetz vor gungsbranche halte ich auch künftig für einen wich- der Bundestagswahl ablehnen, weil der jeweilige tigen Arbeitsplatzfaktor in der modernen Volkswirt- Landesfürst — sicherlich vergeblich — spekuliert, ein schaft der Bundesrepublik. Um dies zu garantieren, so gutes Gesetz nach der Wahl vielleicht selber im sind konkret ausgestaltete Verordnungen erforder- Bundesrat einbringen zu können und den Lorbeer lich. Nur so ist es möglich, mehr Abfallvermeidung einzustreichen. und -verwertung bei weiterhin offenen Märkten zu organisieren. (Lachen bei der SPD) Lassen Sie mich einiges zu den weiteren Optionen Auf der anderen Seite gibt es die Fraktion der unein- dieses Gesetzes für Privatisierung und Deregulierung geschränkten Verbrennungsbefürworter innerhalb ausführen. Bisher war Abfallentsorgung eine öffentli- der SPD. Sie möchten der Einfachheit halber alle che Aufgabe. So mancher Hoheitsträger lebte in der Rückstände am liebsten verbrennen und lehnen aus Empfindung: Mein Müll gehört mir. Mit der Überprü- diesem Grunde unsere ehrgeizigen abfallwirtschaftli- fung von staatlichen Aufgaben gehörte selbstver- chen Ziele ab. ständlich auch die Abfallwirtschaft auf den Prüfstand. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich Dabei ging es beileibe nicht nur um die private komme zum Schluß. Zumindest die Länder werden Erledigung von logistischen Aufgaben. Wir wollen der feststellen: Unsere Vorschläge liegen in der Mitte und privaten Wirtschaft in Deutschland mit diesem Gesetz sind ein tragfähiger Kompromiß. Eines zeichnet sich mehr Freiraum geben, damit sie ihre Entsorgungsauf- allerdings ab: Angesichts der vielen widerstreitenden gaben starker eigenverantwortlich und ohne staatli- Interessen in der SPD-Mannschaft wird Rudolf Schar- che Gängelung durchführen kann. ping als Meistermacher ebenso scheitern wie sein Das ist auch keine parteipolitische Frage. Es ist nun Duzfreund und Trainerkollege Klaus Toppmöller bei einmal Tatsache, daß das CSU-regierte Bayern sehr der Frankfurter Eintracht. viel mehr Staat in der Abfallwirtschaft be treibt als z. B. ( [CDU/CSU]: Bravo!) das sozialdemokratisch regierte Nordrhein-Westfa- len. Wir alle wissen: Privatisierung ist ein Gebot der Die CDU-Mannschaft kann dagegen getrost auf ihren Stunde, und zwar nicht nur aus haushaltspolitischen, Teamchef bauen. Oder wie heißt das in der Fußbal- sondern auch aus ordnungspolitischen Gründen. lersprache: Schaun mer mal! Zahlreiche private Kläranlagen in den neuen Ländern (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — zeigen: Private können in der Regel schneller, besser Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: 4:0 hat und preisgünstiger anbieten. Darauf kann man im der „Schaunmermal" gestern verloren! — Interesse unserer Bürger nicht mehr verzichten. Heiterkeit) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994 19059

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht weit entfernt. Die jüngst gegebene Antwort auf unsere die Kollegin Ulrike Mehl. Große Anfrage zur Grundwasserversauerung bestä- tigt genau das, nämlich daß es einen übermäßigen Eintrag von Ammoniak mit all seinen Folgen gibt. Ulrike Mehl (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kollegin- nen und Kollegen! Herr Kampeter, Sie haben Glück. Der Entwurf dieser Düngeverordnung liegt seit Nach der Weisheit des Altestenrats kommt jetzt ein längerem auf Eis. Das ist gut so, weil derzeit keines- Einschub zur Ostsee, wohlverpackt zwischen Kreis- wegs eine umweltverträgliche Regelung zu sehen ist. laufwirtschaftsgesetz und Verpackungsrichtlinie. Es Die derzeitige Diskussion über die Landwirtschaft ist ja eine verbundene Debatte. Ganz so weit ist das zeigt, daß die Bundesregierung nicht gewillt und nicht nicht hergeholt, Herr Kollege Schütz, weil nämlich die in der Lage ist, zumindest unsere Landwirtschaft auf Ostsee sehr viel mit Kreisläufen und Abfällen zu tun ein ökologieverträgliches Wirtschaften hinzusteuern. hat, z. B. im Zusammenhang mit der Zelluloseherstel- Um es klarzumachen: Nicht die Landwirte sind an den lung. Pranger zu stellen, sondern die, die für den politischen Die Ostsee ist ein Meer, das nach Luft schnappt und Rahmen dieses Wirtschaftens verantwortlich sind. ums Überleben kämpft. Obwohl es nur ein 60 000stel (Beifall bei der SPD) des Gesamtwasservolumens der Erde umfaßt, muß es Klar ist auch, daß eine Umstellung allein der deut- ein 70stel der Abwässer der Weltbevölkerung aufneh- schen Landwirtschaft die Probleme der Ostsee nicht men und verkraften. Laut dem Institut für Meeres- lösen kann, sondern daß dies europaweit geschehen kunde in Kiel leiden 90 % der Flora und Fauna in der muß. Aber wenn wir bei uns nicht anfangen, können Ostsee unter extremem Sauerstoffmangel. Der Anteil wir kaum den Zeigefinger gegen andere Mitglied- der Großalgen ist in den letzten 30 Jahren auf ein staaten erheben. Zehntel zurückgegangen, während gleichzeitig ein übermäßiges Wachstum der Algen stattgefunden hat, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die eine schwere Schädigung der Ostsee erkennen Dies gilt übrigens auch für das Pflanzenschutzge- lassen. setz. Wenn Fachleute feststellen, daß der Eintrag von Sicher liegt die hohe Sensibilität der- Ostsee in den Pflanzenschutzmittelrückständen ins Grundwasser in geologischen Besonderheiten dieses Meeres. Aber erster Linie nicht von der Anwendung oder von gerade das muß zu einem besonders sensiblen Anwendungsfehlern durch Landwirte entsteht, son- Umgang führen. dern auf der flächenhaften Ausbringung im Rahmen Daß mit der Ostsee dringend etwas geschehen muß, der sogenannten ordnungsgemäßen Landwirtschaft hat man schon vor zwanzig Jahren erkannt und die beruht, dann müßten doch alle Alarmglocken läuten. Helsinki-Konvention vereinbart. Leider leidet das Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrar- Meer auch zwanzig Jahre danach noch immer unter struktur und des Küstenschutzes" ist unser Instrument immenser Atemnot, weil zwischen Erkenntnis, Su- zur Umstellung der Landwirtschaft auf Umweltver- chen nach Lösungen und deren Umsetzung viel zu träglichkeit. Statt dieses Gesetz Umwelt- und natur- große Zeiträume liegen. Daher ist es erfreulich, daß schutzorientiert zu ändern, denkt der Bundesland- die Tatsache, daß der Kollaps noch nicht endgültig wirtschaftsminister darüber nach, den ökologischen eingetreten ist, nicht zur völligen politischen Starre Landbau aus dem Förderungskatalog der Gemein- geführt hat, sondern wir heute einen fraktionsüber- schaftsaufgabe herauszunehmen. greifenden der Ostsee zur Antrag zur Sanierung (Eckart Kuhlwein [SPD]: Unglaublich! Hört! Diskussion und Entscheidung gestellt haben. Hört!) Nun kann man sagen, daß es an Beschlüssen und Empfehlungen nicht fehlt, aber an der Umsetzung. Das zeigt, wohin die landwirtschaftliche Reise der Deshalb hoffe ich, daß die von Bund und Ländern Bundesregierung geht. Ich halte das für einen Skan- eingeleiteten Maßnahmen durch diesen Antrag wei- dal. ter befördert werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Über einige Bereiche wird es noch heftige Debatten Die Europäische Union hat mit den flankierenden geben. Das Hauptproblem der Ostsee sind bekannter- Maßnahmen einen ersten kleinen Schritt zur Umstel- maßen die Schadstoff- und vor allem Nährstoffein- lung der Landwirtschaft getan. Es ist Aufgabe dieser träge. Diese Einträge sind besonders problematisch, Regierung, dies europaweit und im eigenen Lande weil sie nicht lokalisierbar, also diffuse Quellen sind. massiv voranzutreiben. Dies ist nicht allein für die Sie entstehen bei industrieller Verbrennung, Haus- Ostsee wichtig, sondern für den gesamten Natur- brand und Straßenverkehr, aber auch aus Abfall von schutz. Nicht der Naturschutz kann die Probleme der Schiffen und der Zelluloseerzeugung der skandinavi- Landwirtschaft lösen, sondern nur die Landwirt- schen Papierindustrie. Das Kieler Institut für Meeres- schaftspolitik selbst. kunde erkennt aber die größte akute Gefahr in der Beim Stichwort „Naturschutz" ist für die Ostsee Einleitung organischer Stoffe, wie auch Pestiziden, noch zu sagen, daß es für die Regeneration immens und diese kommen aus der Landwirtschaft. wichtig ist, die Küsten- und Flachwasserbereiche zu Dieses Beispiel einer der wichtigsten Schadstoff schützen. Gerade die Bodden- und Haffgewässer sind quellen zeigt, daß das im Antrag formulierte Ziel eines ein wichtiger Schadstoffilter, der deshalb einer beson- schnellen und konsequenten Handelns äußerst deren, strengen Schutzmaßnahme bedarf. Für Natur- schwierig zu erreichen ist. Zum Beispiel ist der Vor- schutz sind zwar in erster Linie die Länder zuständig, schlag des Erlasses einer Düngeverordnung im Sinne aber insbesondere bei den großen Gebieten der Küste einer umweltgerechten Düngung von der Realität Mecklenburg-Vorpommerns ist auch der Bund 19060 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994

Ulrike Mehl gefragt. Daß die neuen Bundesländer besondere Ich habe mich bei den Kollegen in Mecklenburg- Schwierigkeiten haben, Naturschutzmaßnahmen zu Vorpommern dafür zu bedanken, daß sie in einer finanzieren, brauche ich sicher nicht ausdrücklich zu sicherlich nicht leichten Situation mit dem Bau von sagen. Das Land Mecklenburg-Vorpommern ist Kläranlagen einen großen Schwerpunkt gesetzt gerade dabei, Flächen innerhalb eines mit Bundesmit- haben, um diesen Zielen entsprechend entgegenkom- teln geförderten Naturschutzgroßprojektes zu ver- men zu können. kaufen. Das zeigt, wie hoch der Druck bei diesem Ich habe vor wenigen Tagen in Schwerin den Thema ist. Polnisch-Deutschen Umweltrat durchführen können. Ich will heute nicht die Gelegenheit verstreichen Wir wären ganz selbstverständlich auch hier bereit, lassen, zu erwähnen, daß ein neues, überarbeitetes noch weiter zu gehen. Ich bedauere, daß wir z. B. die Bundesnaturschutzgesetz das Seinige dazu tun gemeinsame Kläranlage in Swinemünde noch nicht könnte, Ökosysteme besser zu schützen, wenn die bauen können. Das liegt nicht an uns. Wir haben sogar Bundesregierung ihr Versprechen zur Novellierung 20 Millionen DM Fördermittel dafür eingestellt. Wir wahrgemacht hätte. möchten eine gleiche gemeinsame Kläranlage in (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Sieg Gubin machen. Wir diskutieren über weitere Pro- fried Hornung [CDU/CSU]: Sie können doch jekte. hier einen positiven Beitrag leisten!) Sie sehen, die Bundesrepublik Deutschland ist der Die Ostsee leidet nicht nur unter den schädlichen Ostsee-Anrainerstaat, der eine gemeinsame Sanie- Einleitungen aus Deutschland, sondern insbesondere rungspolitik für diese so wichtige Ostsee vorange- an denen der großen Flüsse in Polen und der ehema- bracht hat. Und das werden wir weiter tun. ligen Sowjetunion. In dem Zusammenhang bedauere (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ich sehr, daß der fast unterschriftsreife Vertrag für die Lassen Sie mich auch zwei Sätze zur Landwirtschaft Errichtung einer Oder - Schutzkommission bisher sagen, meine Damen und Herren. Frau Kollegin Mehl, nicht unterzeichnet wurde, und hoffe, daß sich die glauben Sie mir, unseren Landwirten ist seit längerer Tschechische Republik vom gemeinsamen Nutzen Zeit bewußt, daß es nicht nach dem Motto geht „Viel dieser Einrichtung noch überzeugen läßt.- hilft viel", sondern nach dem Satz „Viel kostet viel". Einen zweiten Bereich möchte ich noch ganz kurz Unsere Landwirte sind in der Europäischen Gemein- nennen — aber das Licht hier leuchtet gleich ganz schaft diejenigen, die am stärksten auch danach heftig —; es ist der Bereich Verkehr. Solange Deutsch- gefragt werden, warum es uns nicht gelingt, Pflanzen- land solche Bundesverkehrswegepläne beschließt, schutzmittel gemeinsam zuzulassen. Grund dafür ist, wie es die Mehrheit in diesem Hause getan hat, sind daß die Zulassungsvoraussetzungen bei uns weiterge- wir, glaube ich, nicht berechtigt, uns als die Sauber- hen als bei jedem anderen. männer der Welt darzustellen. (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord (Beifall bei der SPD) neten der F.D.P.) Wenn wir mit unserem Ostsee-Antrag, mit den Hier den Eindruck zu erwecken, das sei eine in Rio-Konventionen und den diversen anderen Be- besonderer Weise von uns zu bewältigende Frage, ist schlüssen erfolgreich sein wollen, brauchen wir mehr also nicht in Ordnung. Ich wollte das nur in aller als Geldmittel für Sanierungsmaßnahmen und Repa- Klarheit noch einmal herausgearbeitet haben, damit raturkonzepte. Dann müssen wir grundlegende Wirt- nicht der Eindruck entsteht, hier bleibe so etwas schafts- und Verhaltensrichtungen ändern. unwidersprochen. Jetzt kann es mit Müll weitergehen. Einig sind wir uns darin, daß die Ostsee dringend (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und intensiv weiterführender, international abgestimmter dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Maßnahmen bedarf. (Dietmar Schütz [SPD]: Das ist der Sinn des Vizepräsidentin : Als nächster hat Antrags!) der Bundesminister Prof. Dr. Klaus Töpfer das Wort. — Ja, das ist in Ordnung. Deswegen wollte ich das zur Klärung gesagt haben. Ich hatte nicht geglaubt, daß bei einem gemeinsamen Antrag soviel Kontroverses Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Umwelt, von Ihnen hier hinzugefügt würde. Deswegen wollte Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! ich zumindest diese Teilpunkte aufgegriffen haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst: Nach dieser Rede geht es nicht mit Müll weiter, (Ulrike Mehl [SPD]: Sie merken wohl nicht, sondern mit einigen klarstellenden Sätzen zu der was wir beantragen!) Frage der Ostsee. Jetzt zurück zu diesem Gesetz. Da lassen Sie mich (Beifall bei der CDU/CSU — Eckart Kuhl zunächst einmal, genau wie es der Kollege F riedrich wein [SPD]: So war das nicht gemeint!) getan hat, ganz herzlich danken. Es ist ein Gesetz, das eine völlig neue Grundüberlegung in die Marktwirt- Dazu möchte ich nur eines gesagt haben: Daß wir schaft einbringt. Wie wäre es dann verwunderlich, aus den deutschen Quellen stammende Nährstoffe wenn darüber nicht kontrovers diskutiert würde, und Schadstoffe unserer Verpflichtung entsprechend wenn nicht auch ein Regierungsentwurf — man höre zurückgeführt haben, steht außer jedem Zweifel. und staune — in guter Zusammenarbeit mit den (Beifall bei der CDU/CSU sowie Abgeordne Koalitionsfraktionen weiterentwickelt, umgestaltet ten der SPD) würde? Wie wäre es dann verwunderlich, wenn am Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. April 1994 19061

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer Ende nicht zwischen Opposition und Koalition Fragen Mit Freude habe ich eine Einladung für eine Ver- offenblieben, wie man den Schritt noch weiter, noch anstaltung am kommenden Montag zur Kenntnis schneller und noch überzeugender gehen könnte? genommen: „Kunststoffrecycling — Innovation für Dies ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Wirtschaft und Umwelt", veranstaltet vom Vorsitzen- den des Verbandes der kunststofferzeugenden Indu- Deswegen herzlichen Dank denen, die bei aller strie, vom Dualen System Deutschland und vom konstruktiv-kritischen Position zu einem gemeinsa- geschäftsführenden Hauptvorstand der IG Chemie- men Ergebnis gekommen sind. Ich schließe mich mit Papier-Keramik, durchgeführt in Ludwigshafen. Ich vollem Nachdruck natürlich auch dem Dank an, der habe nachgeschaut, wer dort wohl alles spricht, und hier meinen Mitarbeitern ausgesprochen worden habe zu meiner Freude gesehen: Grundsatzreferat ist. von Klaudia Martini, Ministerin für Umwelt in Rhein- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) land-Pfalz. Ich freue mich riesig darüber, daß diejeni- Es ist eine Arbeit, meine Damen und Herren, die wir gen, die mir damals gesagt haben, ich trüge für die intensiv bis in die Vollzugsfähigkeit hinein zu erörtern Kunststoffberge, die aus ihrem Land nicht wegkämen, haben. Dafür braucht man gute Mitarbeiter. Glückli- die Verantwortung, und die jetzt kommen und sagen, cherweise haben daran hervorragende Mitarbeiter daß sie eigentlich noch ein bißchen mehr von diesen mitgewirkt. Kunststoffabfällen haben möchten, denn sie würden in ihrer Wirtschaft besser verwertet. Auf einmal ver- Wir wollen unser Konzert auch im Zusammenwir- wertet die BASF 300 000 t Kunststoffabfälle, und es ken mit den Bundesländern so weiterb ringen. Denn es gibt eine wirtschaftliche Weiterentwicklung. ist gar keine Frage: Nicht nur die politische Klugheit im Hinblick auf die Notwendigkeit der Zustimmung Dies bedeutet eben nicht das Mästen einer Entsor- des Bundesrats verpflichtet mich, das, was die Bun- gungswirtschaft, sondern es wird die Verantwortung desländer sagen, sehr ernst zu nehmen. Deswegen übernommen durch eine arbeitsteilige Wirtschaft, die wollen wir diese Gespräche unabhängig von dem, was auch Verpackungsmittel braucht und die wir dann so jetzt erörtert wird, fortführen. Das Gesetz ist also ein zu gestalten haben, daß diese Materialien bestens wichtiger Schritt, ein Schritt, der das ernst nimmt, was wiederverwertbar sind. - uns so viele in klugen Büchern und in Sonntagsreden (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge vorsetzen. ordneten der F.D.P.) Sie sagen, diese Marktwirtschaft leidet daran, daß Was könnte besser aufgehen?! in ihren Preisen nicht alle Kosten erfaßt sind. Mit großer Freude wird Ernst Ulrich von Weizsäckers Deswegen machen wir ein Kreislaufwirtschaftsge- Begriff „ökologisch ehrliche Preise" zitiert, und alle setz, und deswegen, meine Damen und Herren, strei- sagen, das sei der richtige Ansatz zur Vermeidung. ten wir uns gern noch ein bißchen über Begriffe. Wenn Wenn man bereits in die Produktpreise die Entsor- dort der Sieg errungen wird, ist das ja auch ganz gungskosten hineinrechnet, wird ein marktwirtschaft- schön. Wir wollen das also nicht den Übersetzern licher Anreiz dafür geschaffen, Produkte entsor- zuschieben. gungsfreundlich, wiederverwertbar, demontabel, Ich spreche gerade Sie an, Frau Kollegin Enkel- mehrmals nutzbar zu machen, weil man dann bei den mann. Es ist ja schon ein Stück aus dem Tollhaus, Preisen einen Vorteil hat und am Markt besser wenn Sie daherkommen und sagen, daß in Ihrer besteht. Heimat jetzt Abfallberge wachsen. Sind Sie einmal im Geiseltal gewesen, und haben Sie gesehen, welche Es ist fast eine Dinosaurierdenkweise der SPD- unglaublichen Sauereien eine DDR an Abfällen hin- Bundestagsfraktion, zu glauben, in dem Moment, wo terlassen hat?! eine Hierarchie niedergeschrieben ist, sei die Vermei- dungsanstrengung bereits bewältigt. Wir sind der (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf der Abg. festen Überzeugung, daß sie dann bewältigt ist, wenn Dr. Dagmar Enkelmann (PDS/Linke Liste) es uns gelingt, ökologisch ehrliche Preise, einschließ- Es ist unglaublich, wie viele Milliarden DM heute lich Entsorgung, zu machen. Erst dann erreichen wir investiert werden, um wirkliche Abfallberge, die völ- Vermeidung. lig ungeordnet „entsorgt" worden sind, zu bewälti- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gen. Ich freue mich natürlich, meine Damen und Herren, (Dr. Dagmar Enkelmann [PDS/Linke Liste]: daß eine solche Idee in hohem Maße auch Lerneffekte Sie wissen nicht, worüber Sie reden!) auslöst. Man muß sich immer fragen: Wann wird eine Und dann kommen Sie hierher und sagen irgend Idee, die immer als Waisenkind behandelt wurde, zu etwas über die Abfallentsorgung. Das wollte ich damit einem blühenden Kind mit vielen Müttern und wenigstens einmal abgearbeitet haben. Vätern? Wir haben also eine begriffliche Diskussion. Wir Bei der Verpackungsverordnung haben wir diese sind der Überzeugung: Wenn wir von Abfällen zur Situation. Auch sie war lange Zeit Waisenkind, und Wiederverwertung sprechen, ist das besser, als sie ich durfte allein dafür verantwortlich sein. Jetzt läuft Sekundärrohstoffe zu nennen, einfach deswegen, die Sache, jetzt kommen Techniken, jetzt sehen wir weil das bis in die Akzeptanz hinein sinnvoll ist. Ich auf einmal, daß man weltweit darauf schaut, und siehe sehe mich noch im Bundesrat, als wir darüber disku- da, es kommen von allen Seiten Väter und Mütter, die tiert haben, wie wir den Begriff Sonderabfälle ergän- aber eigentlich schon immer dabei gewesen sein zen wollen. Damals wollten wir auch die massenhaft wollen. anfallenden Sonderabfälle mit hineinnehmen, etwa 19062 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. April 1994

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer REA-Gips. Da hat uns der Bundesrat gesagt: Um Wieso kann denn das alles richtig sein, während man Gottes willen, tut das nicht, denn wenn ihr das macht, mir den Vorwurf macht, daß ich hier hinkomme und dann haben wir mit REA-Gips Abfälle, die hinterher sage, die ökologische Vorteilhaftigkeit ist das Ent- keiner verwerten will. Also laßt es dabei und nehmt sie scheidende? Das kann doch nicht richtig sein. nicht mit in die Abfälle hinein. Wir werden uns auch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) im Bundesrat in aller Ruhe darüber unterhalten kön- nen, welche Begrifflichkeit der beste Weg dafür ist. Herr Kollege Feige, es wäre hervorragend und für die Umwelt besser gewesen, wenn wir auch in den Dann geht es natürlich um die Frage, wie es mit der neuen Bundesländern schon jetzt die eine oder andere Produktverantwortung aussieht. Wir wollen die hochtechnische Verbrennungsanlage hätten und dar- gesamte Produktverantwortung, aber wir wollen sie aus Energie erzeugen würden. Sektor für Sektor einfordern, damit derjenige, der davon betroffen ist, weiß, womit er es zu tun hat. Was Da Sie mir noch die kleine Vorlage gemacht haben ist eigentlich dagegen zu sagen? Wenn ich es im zu fragen, wie das denn in eure Klimavorstellung Gesetz mache, gehe ich in die Unverbindlichkeit und hineinpaßt, dann lassen Sie mich nur eines sagen: bewege gar nichts. Wenn ich mich aber verpflichte Wenn wir überall aus Biomasse — das ist im vorlie- und wenn ich den Prügel an der Wand habe zu sagen, genden Falle damit gemeint — mit hohen Wirkungs- entweder ihr geht in eine solche abfall- und rück- graden von 75 % Energie herstellen und sie eben nicht standsarme Produktion, oder wir können das auch in Deponien bringen würden, wo sie durch Methan- durch eine Rechtsverordnung durchsetzen, dann entwicklung sehr viel mehr Schäden für das Klima haben wir genau die Systematik, die wir in einer verursacht, dann wäre ich herzlich dankbar. Marktwirtschaft eigentlich haben sollten. Dies ist die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Grundlage dieses Gesetzes. Dann zeigen Sie mir bitte doch einmal eine Feu- Wenn wir uns also nur darüber unterhalten, ob die erungsanlage für Braunkohle oder neue Kraftwerke, Produktverantwortung ganz generell schon im Gesetz die einen Wirkungsgrad von 75 % erreichen! Das steht stehen soll und damit nicht praktikabel ist oder uns jetzt im Gesetz. Es ist eben schon gesagt worden: aufgetragen wird, das für einzelne Bereiche- in Ver- Meine große Sorge ist, daß mir der Bundesrat sagt, ordnungen durchzusetzen, dann könnten wir auch warum stellst du denn so hohe Hürden auf. dies ganz sicherlich vernünftig diskutieren. Das ist meine Überzeugung. Ich rede doch nicht wie der Blinde von der Farbe; ich habe doch mit den Kollegen gesprochen. Das erreicht Dann kommen wir zur Frage der Verwertung. Da eben die konventionelle Müllverbrennungsanlage schreibt mir, nachdem wir den Gesetzentwurf der nicht. Das ist für uns der entscheidende Punkt. Bundesregierung vorgelegt haben, der Sachverstän- digenrat für Umweltfragen: Hier ist nicht eingeknickt worden, meine Damen und Herren, sondern hier ist konsequent Umweltpoli- Problematisch ist andererseits das alleinige tik vorangebracht worden. Wir gehen einen Schritt in Abstellen der Verpackungsverordnung auf die eine ökologische und Soziale Marktwirtschaft weiter, stoffliche Verwertung. Im Einzelfall kann es wirt- die uns bei uns und weltweit hohe Beachtung bringt schaftlich effizienter und ökologisch effektiver und wirklich Probleme löst. sein, bestimmte Stoffarten, z. B. Kunststoffver- packungen, zu verbrennen. (Vorsitz: Vizepräsident Dieter-Julius Cro nenberg) Das schreibt der Sachverständigenrat. Wer hier alles Rio zitiert und von nachhaltiger Wenn ich jetzt hingehe und sage, was der redet, ist Entwicklung spricht: Fragen Sie doch weltweit nach, mir gleichgültig, denn ich habe ein Gesetz einge- wo es ein Beispiel dafür gibt, daß jemand Ernst macht bracht und ändere das nicht, dann zitieren Sie mir das mit nachhaltiger Entwicklung, daß jemand den Kreis- und sagen, der Töpfer ist nicht lernfähig. Jetzt gehen laufgedanken realisiert. Da sagen Ihnen neun von wir hin und sagen: Wir wollen das Kriterium der zehn, es ist die Abfallpolitik, es ist die Kreislaufwirt- ökologischen Vorteilhaftigkeit hereinschreiben. Wir schaft in Deutschland. Recht herzlichen Dank. wollen nicht Ideologie machen, sondern Umweltpoli- tik. Dann sagen Sie, das ist ein Einknicken gegenüber (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der Wirtschaft. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das be greift die SPD nicht!) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Ma rion Caspers- Wir sind überhaupt nicht eingeknickt. Wir haben nur Merk das Wort. klargestellt, daß es uns um Umweltpolitik geht. Dann lassen Sie uns bitte doch das machen, was ökologisch sinnvoller ist. Marion Caspers-Merk (SPD): Herr Präsident! Meine Ich kritisiere doch den Kollegen Leinen, Herr Kol- lieben Kolleginnen und Kollegen! Seit Januar 1991 lege Wagner, im Saarland nicht dafür, daß er ein wird von der Regierung ein neues Abfallgesetz ange- Planfeststellungsverfahren für eine Müllverbren- kündigt. Mehr als drei Jahre sind vergangen, bis es nungsanlage durchführt. von den Ankündigungen auch zur Tat kommt. Es läßt Ich habe doch den Kollegen Vahrenholt in Hamburg für die bedrohte Umwelt in der Bundesrepublik nicht kritisiert, daß er sie gerade eingeweiht hat — Deutschland „hoffen", wenn man von der Ankündi- vom Kollegen Matthiesen einmal ganz zu schweigen. gung bis zur endgültigen Verabschiedung über drei Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. April 1994 19063

Marion Caspers-Merk Jahre braucht, die durch Streit, durch Absetzung länder herangezogen werden und m an argumentiert, dieses Tagesordnungspunktes die Bundesländer sollen doch für den Vollzug sorgen, sie sind schuld an den Müllskandalen. Dabei machen (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Auf Ihren wir hier ein schlampig formuliertes und nicht vollzieh- Antrag abgesetzt!) bares Gesetz. und durch immer erneute Entschärfung der eigenen Vorlage gekennzeichnet sind. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste) Anfänglich verkündeten Sie, Herr Minister Töpfer, im Namen der Bundesregierung regelrecht Revolutio- Aber auch inhaltlich, Herr Minister, ist von Ihren näres. Inzwischen haben die normativen Kräfte des Ankündigungen — doch das kennen wir ja schon — Faktischen alles entschärft, was abfall- und umwelt- immer weniger übriggeblieben. Am 17. April 1991 politischen Fortschritt ausmachen könnte. haben Sie vor dem Umweltausschuß Eckpunkte eines neuen Abfallgesetzes vorgetragen. Dazu gehörte eine Es gab zwei Ursprungsgesetzentwürfe und nach klare Zielhierarchie — Vermeidung, Verwertung und Protestschreiben einiger Wirtschaftskreise im März Entsorgung — sowie der absolute Vorrang der Abfall- 1993 ein abgesprochenes Gesetz, das ja auch die vermeidung. Sie werfen uns jetzt vor, daß wir dies Koalitionsrunde überstand. Aber dies war den betei- aufgegriffen haben. Was ist denn nun richtig: Ihre ligten Wirtschaftskreisen immer noch nicht zahm eigenen Vorstellungen von 1991 und das, was wir hier genug. aufgreifen, oder das, was jetzt noch davon übrigge- Über Monate wurde das Gesetz nicht im Umwelt- blieben ist. ausschuß beraten, weil die Koalition den Gesetzent- Damals forderten Sie den klaren gesetzlichen Vor- wurf ihres eigenen Ministers überarbeiten wollte. rang der stofflichen Verwertung vor der sogenannten Mindestens viermal wurde das Gesetz auf die Tages- thermischen Verwertung, vulgo Verbrennung. Am ordnung des Ausschusses gebracht und wieder abge- 4. Mai 1992 haben Sie — auch wieder vor dem setzt. Nun liegt es vor, dieses Wunderwerk der Koali- Umweltausschuß — in dem Papier Eckwerte für die tionsabsprache und der Formulierungshilfen betroffe- Neufassung des Abfallgesetzes vorgelegt, und Sie ner Kreise. haben dabei diese klare Zielhierarchie nochmals Von den Zielen des modernsten Abfallrechts der bekräftigt. Europäischen Union blieb immer weniger übrig. Aber In Ihrem Gesetzentwurf vom 15. September 1993 ist diese konsequente Interessenvertretung einiger Wirt- die klare Zielhierarchie schon aufgegeben. Hier schaftskreise könnte sich zum Pyrrhussieg entwik- keln. Weite Teile von Handel und Gewerbe und auch gehen die Begriffe „Abfallvermeidung" und „Abfall- verwertung" schon fließend ineinander über. Als weite Teile der betroffenen Industrie sind nämlich Abfallvermeidung wird in § 4 Ihres ursprünglichen nicht mit dem zufrieden, was hier vorgelegt wurde. Gesetzes auch die Einbindung von Rückständen in Ich weise, Herr Kollege Kampeter, ausdrücklich den Erzeugnisse und Produkte verstanden. Hier wird Vorwurf zurück, wir hätten uns nicht mit denjenigen bereits Vermeidung mit Verwertung gleichgesetzt. unterhalten, die hier be troffen sind. Das Gegenteil ist Wir müssen uns vorstellen, daß das Einbinden von der Fall. Wir haben zahllose Gespräche geführt. Ich gemahlenen Milch- und Safttüten in Spanplatten kann Ihnen nur sagen, was uns so große Hersteller wie dann Abfallvermeidung ist. Die Bürger draußen ver- Procter & Gamble erklären. Sie sagen nämlich, das, stehen unter Abfallvermeidung das gleiche wie die was hier vorgelegt wird, wird die Produkte verteuern, SPD-Bundestagsfraktion, nämlich das Nichtentstehen aber abfallpolitisch nichts Sinnvolles bewegen, von Abfällen. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie sind ganz (Beifall bei der SPD — Steffen Kampeter schön industriehörig!) [CDU/CSU]: Sicherlich nicht!) weil an den Produkten und an den Verpackungen Das ist der entscheidende Vorwurf, den wir Ihnen nichts geändert wird. Wir machen nur eines: eine machen: daß dieses begrifflich nicht mehr klar Konzentrationsbewegung der Entsorgungswirtschaft, getrennt wird. Das Wegdefinieren von Abfällen auf die letztlich zu einer Verteuerung führt, ohne daß dem Papier trägt zur Irreführung der Bürger bei. ökologisch etwas bewirkt wird. Deswegen meinen wir: Hier muß wieder begriffliche (Birgit Homburger [F.D.P.]: Wo steht das im Klarheit eingefordert werden. Gesetz?) Herr Umweltminister, Sie zitieren so gern den Rat Wir befürchten, bei Ihnen werden unklare Begriffs- der Sachverständigen für Umweltfragen. Der hat im definitionen immer weiter beibehalten; auch der April 1993 gefordert, daß die alte, klare Differenzie- Berichterstatterentwurf hat hieran nichts geändert. rung zwischen Abfallvermeidung und Abfallverwer- Aus Abfällen werden Rückstände und Sekundärroh- tung, die im ersten Gesetzentwurf noch enthalten war, stoffe, und somit werden Abfälle umdeklariert und wieder in den Gesetzentwurf hineingeschrieben wer- wegdefiniert. Wir halten nach wie vor daran fest, daß den soll; denn die Sachverständigen sagten, es sei Ihre Begriffe mit dem EG-Recht, das eindeutig von nicht gut, was hier gemacht werde, daß nämlich Abfällen spricht, nicht übereinstimmt. Vermeidung und Verwertung gleichgesetzt werde. Das ist nachzulesen auf Seite 5. Der Begriffswirrwarr führt im übrigen auch zu keiner Klarheit beim Vollzug. Ich sehe schon wieder Aber auch der klare Vorrang der stofflichen Ver- die Schuldzuweisungen, wenn dann, wenn Müllskan- wertung vor der sogenannten thermischen Verwer- dale aufgedeckt werden, wieder einmal die Bundes- tung wurde immer stärker unter Vorbehalt gestellt, 19064 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994

Marion Caspers-Merk findet sich in Ihrem Gesetzentwurf aber immerhin im ersten Gesetzentwurf enthalten war, und verstär- noch als Soll-Vorschrift. Die Berichterstatter der Koali- ken es sogar noch, weil wir meinen: Wenn man mit der tion haben dann aber auch dieser Soll-Vorschrift ökologischen Stoffwirtschaft Ernst machen will, muß endgültig den Garaus gemacht. Hier heißt es in § 6 nur man zunächst vermeiden, dann stofflich verwerten noch: „Sekundärrohstoffe können stofflich oder ener- und nur im Ausnahmefall — auch den lassen wir zu, getisch verwertet werden. Vorrang hat die besser aber dann muß man dies nachweisen — andere umweltverträgliche Verwertungsart." Verwertungsarten zulassen. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Guter Text! (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Planwirt Was ist daran falsch?) schaft!) Jetzt kommen wir zu der Frage: Wer weist dies nach? Uns wirft man immer Überregulierungen vor Das ist aber eine Beweislastumkehrung und etwas und sagt, wir wollten praktisch dazu beitragen, daß völlig anderes als das, was Sie uns hier vorschla- jeder kleine Handwerksbetrieb dies nachweisen muß. gen. (Beifall bei der SPD) Erst im Nachsatz wird bei Ihnen die Gleichrangigkeit genannt, und dann kommen die Kriterien. Wenn ich Herr Umweltminister, Sie haben soeben noch ein- aber im ersten Satz nachweise, daß die Verbrennung mal vorgetragen, daß Sie so viele Verordnungen die bessere Verwertungsart ist, dann entfallen eben erlassen werden, daß die Produktverantwortung über alle anderen Kriterien, die Verordnungen gesichert wird. Nun kennen wir ja (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nein, das das Schicksal der Verordnungen, die Sie uns ange- stimmt doch nicht!) kündigt, aber nie vorgelegt haben. Sie haben im Juni 1991 angekündigt, es kämen die Elektronikschrott- und wir haben das, was wir Ihnen vorwerfen: Der verordnung, die Altpapierverordnung, die Altauto- Gang zum Ofen wird erleichtert. Sie strafen Ihre verordnung, die Kunststoffkennzeichnungspflicht. eigene Aussage Lügen, die Sie bei der ersten Bera- Wo sind denn diese Verordnungen geblieben? Wenn tung gemacht haben, als Sie sagten, einen Durch- dasselbe Schicksal das hat, was Sie unter Produktver- marsch für die Verbrennung werde es mit Ihnen nicht - antwortung verstehen, können wir nur sagen: Wir geben. Das Gegenteil ist der Fall. Der Vorrang der glauben diesen frommen Absichtserklärungen stofflichen Verwertung ist aus dem Gesetzentwurf nicht. herausgekippt worden. Ich habe dies deshalb in a ller Ausführlichkeit dar- Wir glauben nicht, daß Sie überhaupt noch die Kraft gestellt, weil das gleiche Schicksal alle anderen Eck- haben, Rechtsverordnungen durchzusetzen. Wir wis- punkte Ihrer abfallarmen Kreislaufwirtschaft erfahren sen ganz genau, daß die Rechtsverordnungen, die mußten. Die anderen zentralen Punkte, die wir im angekündigt wurden, nicht kommen werden. Dort Ansatz für richtig hielten, waren die Produktverant- habe ich industriepolitisch die meisten Bedenken, wortung, die Abfallwirtschaftskonzepte, die Informa- liebe Kolleginnen und Kollegen, weil wir nämlich tionsmöglichkeiten der Öffentlichkeit, die Vorrang wissen, daß viele Industriekreise auf diese Verord- stellung der öffentlichen H and und die Vorbildstel- nungen gewartet haben. lung der öffentlichen Hand. Alle einzelnen Entwürfe Wir haben neulich in der Enquete-Kommission sind entschärft und verharmlost worden. „Schutz des Menschen und der Umwelt" gehört, daß (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das steht z. B. deutsche Fernsehhersteller ein Fernsehgerät alles in unserem Gesetz! Sagen Sie, wovon neuen Typus entwickelt haben. Es enthielte ein Hun- reden Sie eigentlich?) dertstel der Schadstoffe, wäre demontagefreundlich, langlebig und recyclingfähig. Aber nichts kommt, — Und, Herr Kampeter, Sie kennen Ihren eigenen weil die beteiligten Kreise natürlich sagen: Wir war- Gesetzentwurf nicht; das hat ja auch schon die Aus- ten, ob diese Elektronikschrottverordnung, die die schußberatung gezeigt. Insofern wundert es mich Rücknahme und Demontage vorsieht, auch wirklich nicht, wenn Sie hier Fragen dazu stellen. kommt; denn vorher gehen wir nicht mit einem (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ich kenne Produkt aufs Band, bei dem der Preis dann die ihn offensichtlich besser als Sie!) ökologische Wahrheit sagt. Das Gerät wäre nämlich teurer als herkömmliche Geräte. Das ist für uns der Wir haben feststellen müssen, daß in Ihrem jetzt entscheidende Punkt. Sie sind industriefeindlich, weil vorliegenden Gesetzentwurf die Berichterstatter die Sie Innovationen in langlebige, recyclingfähige Pro- Ziele vollkommen auf den Kopf gestellt haben. Wir dukte verhindern. haben feststellen müssen — und das ist unsere Kri- tik —, daß Ihr ursprünglicher Entwurf nichts mehr mit (Beifall bei der SPD — Steffen Kampeter dem jetzt vorliegenden Entwurf zu tun hat. [CDU/CSU]: Eine unglaubliche, abenteuerli (Birgit Homburger [F.D.P.]: Hat etwa Ver- che Behauptung!) wertung Vorrang vor der Vermeidung?) Wenn wir die Entstehungsgeschichte des Kreislauf- — Frau Kollegin Homburger, ich bitte Sie! Sie wissen wirtschaftsgesetzes verfolgen und zusammenfassen, ganz genau, daß der Herr Umweltminister den Vor- können wir festhalten: Erstens. Der Bundesumweltmi- rang der stofflichen Verwertung in seinem Gesetzent- nister hat einen im Kabinett abgestimmten Gesetzent- wurf hatte. Wenn dies so falsch ist, müssen Sie diesen wurf vorgelegt, der nach Einspruch aus einigen Krei- Vorwurf offensichtlich Ihrem Umweltminister ma- sen der Wirtschaft vollständig auf den Kopf gestellt chen; denn wir greifen nichts anderes auf als das, was und umgeschrieben wurde. Zweitens. Der kleine Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. April 1994 19065

Marion Caspers-Merk Koalitionspartner hat dem großen Koalitionspartner zenten von der Wiege bis zur Bahre für die von ihnen gesagt, wo es langgeht. hergestellten Produkte verantwortlich macht. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das hätten Mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz werden wir Sie wohl gern? Es ist aber nicht so!) erreichen, daß der Produzent bei der Produktion von Drittens. Die Wirtschaftspolitiker haben den Umwelt- vornherein vom Abfall her denkt. Allerdings müssen politikern diktiert, was hineinkommt. wir auch ehrlich zugeben, daß eine ideale Kreislauf- wirtschaft, in der alle Güter vollständig recycelt wer- Ich halte das ganze Verfahren und die Art und den, nicht möglich ist. Weise, wie unsere insgesamt 36 Änderungsanträge abgebügelt wurden, für problematisch und unwürdig. (Dr. Gerhard Friedrich [CDU/CSU]: Sehr Was bringt eine Ausschußberatung noch, wenn kein richtig!) Bewegungsspielraum mehr da ist, wenn man unsere Zum einen müssen bei vielen Recyclingverfahren Änderungsanträge noch nicht einmal umfassend dis- kutiert? wieder Rohstoffe oder Energie zugeführt werden, wie z. B. beim Waschen von Mehrwegflaschen Wasser (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das stimmt und Wärme. Zum anderen ist Recycling natürlich nur doch gar nicht! Wir haben eine ganze Aus dann sinnvoll, wenn auch die Gesamtökobilanz schußsitzung darauf verwendet!) stimmt und — selbstverständlich — die Wirtschaftlich- — Alle 36 Änderungsanträge sind einzeln vorgelegt keit nicht außer acht gelassen wird. Die Umwelt- und worden, sie sind mit unseren Vertretern aus den die Wirtschaftspolitiker der Koalitionsfraktionen ha- Ländern besprochen worden. Das heißt, wir haben ein ben daher zum Kreislaufwirtschaftsgesetz Ände- Konzept nach außen. Sie keimen es. rungsanträge eingebracht, die die Ökologie und die Ökonomie miteinander in Einklang bringen. Wir haben Eckwerte für eine ökologische Stoffpo- litik vorgelegt, die unsere Grundsätze klarmachen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben uns aber auch der Mühe unterzogen, in Einzelabstimmungen bei jedem einzelnen Punkt zu Wir haben in langen Verhandlungen auch mit sagen, was die SPD-Fraktion anders machen- würde, denjenigen, die dieses Kreislaufwirtschaftsgesetz ja damit wir endlich ein Kreislaufwirtschaftsgesetz, ein später ausfüllen müssen, erreicht, daß die ökologische modernes Abfallgesetz bekommen, das diesen Na- Zielsetzung nicht zu Überbürokratisierung und zu zu men wirklich verdient. hohen Kosten führt, die unsere Produkte im weltwei- ten Wettbewerb noch teurer machen, als sie ohnehin Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. schon sind. (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und (Beifall bei der CDU/CSU) dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schließlich sind wir nicht allein auf der Welt, und es ist überhaupt nichts erreicht, wenn die Verbraucher statt Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile teurer deutscher Produkte billige ausländische Pro- nunmehr der Abgeordneten Elke Wülfing das Wort. dukte kaufen, die ohne jegliche Rücksicht auf Umweltschutzmaßnahmen hergestellt worden sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Elke Wülfing (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bis zur Wortmeldung von Auf der anderen Seite wird die stoffliche bzw. Frau Caspers-Merk habe ich gedacht: Endlich einmal energetische Nutzung von Sekundärrohstoffen nicht eine sachliche Abfalldebatte. Leider ist seit ihrer nur natürliche Rohstoffe ersetzen, sondern selbstver- Wortmeldung bei mir derselbe Eindruck entstanden, ständlich auch zu neuen Produktionstechniken füh- der auch immer entsteht, wenn ich bei mir vor Ort im ren, die den Ruf von Deutschland als Nummer eins in Kreistag sitze und dort die SPD im Verein mit den der Entwicklung neuer Umwelttechniken weiter för- GRÜNEN und manchen Bürgerinitiativen über Abfall dern. Damit schaffen wir selbstverständlich auch neue reden höre. Sie sorgen dafür, daß z. B. in Deutschland Arbeitsplätze. nur noch die Hälfte aller Deponien eine Laufzeit von fünf Jahren hat. Mir tut es sehr leid, daß sie gerade in (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) den Kreisen, wo Müllverbrennungsanlagen und In diesem Spannungsfeld muß sich ein neues Abfall- Deponien gebaut werden müssen, dafür sorgen, daß recht bewegen, das erstens Abfallberge abbaut, zwei- Emotionen und nicht Sachlichkeit eine Rolle spielen. tens Ressourcen schont, drittens Umwelttechnik för- Gerade diese Situation ist es, die uns Sorge macht. dert und viertens — das darf man bitte nicht verges- Müllnotstand, Entsorgungsinfarkt, illegale Abfall- sen — der Wirtschaft nicht die Gurgel zudrückt und exporte — diese Worte kennzeichnen die Diskussion, damit Tausende von Arbeitsplätzen ins Ausland und es ist ja auch etwas dran. Ich denke, das ist der abwandern läßt. Grund, weswegen wir uns fragen müssen, was wir (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das würde ändern müssen. mit dem SPD-Antrag nämlich erreicht!) Die gegenwärtige Wirtschaft ist in Teilen noch eine — So ist es. Verbrauchswirtschaft. Rohstoffe werden aus der Natur zur Herstellung der Güter entnommen, wieder- Die Änderungsanträge der Umwelt- und Wirt- verwendet und fallen dann nach Gebrauch als Abfall schaftspolitiker richten sich nicht, wie hier schon an, der wieder entsorgt werden muß. Deswegen festgestellt worden ist, auf die Begrifflichkeiten; denn brauchen wir eine neue Philosophie, die die Produ- die Begriffe in der EG-Rahmenrichtlinie sind anders 19066 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. April 1994

Elke Wülfing definiert. So geht z. B. der Beg riff „waste" weit über wieder in die Prozeßwärme eingebracht werden sol- den deutschen Begriff Abfall hinaus. Außerdem hat len. der Begriff Abfall in Deutschland ja einen etwas (Zuruf von der SPD: Weil die Herstellungs negativen Beigeschmack. Das würde selbstverständ- energie verlorengeht!) lich gerade der stofflichen Verwertung schweren Schaden zufügen. Der Begriff Sekundärrohstoff Mir muß erst einmal jemand erklären, warum Kohle, drückt viel eher aus, was es wirklich ist, nämlich Gas oder Erdöl — also endliche Ressourcen — nicht Rohstoff. geschont werden sollen. Ist das Ihre Meinung, oder ist das nicht Ihre Meinung? Ich denke, genau dieses als Ein Beispiel aus der Textilindustrie: Je nach Preis Ersatzbrennstoff muß und darf sein. Warum es Ihrer der Rohbaumwolle werden Baumwollgarne entweder Meinung nach nicht sein soll, müssen Sie mir wirklich aus Rohbaumwolle hergestellt oder aus zerrissenen erst einmal erklären. ehemaligen Unterhosen. Wollen Sie etwa gerne in (Dr. Karl-Heinz Klejdzinski [SPD]: Sie wollen Bettwäsche schlafen, die aus Unterhosenabfall herge- es nicht verstehen!) stellt ist, oder lieber in Bettwäsche aus dem Sekundär- rohstoff Trikotagen? — Was Sie nicht verstehen, Herr Klejdzinski, der Sie sich mit Müll bisher noch gar nicht befaßt haben, das Ich habe den Eindruck oder zumindest den leisen wollen wir einmal dahingestellt sein lassen. Verdacht, daß die SPD, weil sie ja lieber vermeiden Wer den Müllnotstand beseitigen will, wer Produkt- will, eigentlich dafür sorgen will, daß diese Unterho- verantwortung einführen will, die bei dem Hersteller sen überhaupt erst gar nicht hergestellt werden. belassen werden soll, wer Abfallexporte verhindern will, der muß diesem Gesetz zustimmen. Ich kann dies (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und auch nur dem Bundesrat empfehlen; denn es löst auch der F.D.P. — Birgit Homburger [F.D.P.]: Das in den Ländern viele Probleme. ist dann ein Versorgungsnotstand!) Vielen Dank. — Ein Versorgungsnotstand, ja. - (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gute Damit komme ich zu dem Thema, das bei der SPD Rede!) derartigen Schaum vor dem Mund erzeugt, nämlich zur energetischen Verwertung. Es ist vorhin schon die „dpa"-Meldung von Dienstag zitiert worden, in der behauptet worden ist, wir würden mit diesem Gesetz- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile entwurf die Tür für Müllöfen weit öffnen. Wenn Sie nunmehr dem Abgeordneten Dr. Krause (Bonese) das Wort. wollen, daß wir hier sachlich diskutieren, müssen Sie sich, glaube ich, in der Wortwahl doch etwas mäßi- gen. Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) (fraktionslos): Herr Wir möchten gerne — und das steht so im Gesetz- Präsident! Meine Damen und Herren! Vieles an der entwurf; Sie haben es selber zitiert — die umweltver- Politik der Bundesregierung kritisiere ich, aber es ist träglichste Lösung bei der Verwertung von Sekundär- unredlich, die Umweltpolitik zu kritisieren. Wo gibt es rohstoffen vorrangig haben. ein sozialdemokratisch regiertes Land auf dieser Erde, das deutsche Umweltstandards hat? Dann soll man (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Dagegen doch erst einmal in der Sozialistischen Inte rnationale, kann doch keiner etwas haben!) in den eigenen Reihen kehren, ehe man hier die wirklich weltniveauvorbildliche deutsche Umwelt- Das kann die stoffliche oder die energetische Verwer- politik kritisiert. tung sein. Für die energetische Verwertung haben wir strenge Kriterien vorgeschrieben, die Sie auch nach- (Dr. Karl-Heinz Klejdzinski [SPD]: Nicht so lesen können: 11 000 kJ/kg und nicht, wie Frau laut!) Homburger gesagt hat, 8 000 kJ/kg bei Müllverbren- Wo sind denn die grünen Minister? Wo sind sie nungsanlagen. Das ist ein großer Unterschied, den Sie denn? Daß der Steinewerfer Trittin nicht hier sitzt, wahrnehmen sollten. verdankt er dem Umstand, daß wir Republikaner nicht in den Landtag von Niedersachsen gekommen sind. Außerdem steht darin, daß die Asche aus diesen Aber wo ist denn der Fischer? Der ist doch auch nicht Heizkraftwerken auf Deponien nach der s trengen TA da. Siedlungsabfall wieder deponiert werden muß. Das Nicht die Fundis und die Realos haben die Umwelt- heißt allein schon, daß Heizkraftwerke hohe immis- politik gemacht, auf die wir Deutsche stolz sein sionsschutzrechtliche Anforderungen erfüllen müs- können. Es sind — wenn ich es einmal so sagen darf — sen, wenn sie denn überhaupt gebaut werden dür- die „Praktikalos" gewesen. Über alle Parteigrenzen fen. hinweg muß ich sagen: Es sind Töpfer und Harries, es (Beifall bei der CDU/CSU) sind Rieder und Grill und aus den neuen Ländern Im übrigen — das muß ich ganz ehrlich sagen — Ehlers, auf die — welche Politik auch immer vertreten muß mir erst einmal jemand erklären, warum eigent- wird — Deutschland stolz sein kann. Ich sage das über lich Kunststoffe, die auf Erdölbasis ohne Chlorzusatz alle Parteigrenzen hinweg. hergestellt worden sind, nicht auch als Erdölprodukt (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994 19067

Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) Aber ich bin hier nicht als Claqueur. Ich meine, brachten Entwurf eines Gesetzes zur Vermeidung von dieses Gesetz ist ausreichend, aber es reicht dann Rückständen, Verwertung von Sekundärrohstoffen auch. und Entsorgung von Abfällen. Dazu liegen Ihnen die (Dieter Heistermann [SPD]: Jetzt reicht es Drucksachen 12/5672 und 12/7240 Nr. 1 vor. Ferner aber!) liegt hierzu eine Vielzahl von Änderungsanträgen vor, über die ich jetzt einzeln abstimmen lasse. Ich möchte auf vier Dinge hinweisen und mich inhaltlich der Vorrednerin anschließen. Erstens. Wir Zuerst stimmen wir über den Änderungsantrag der brauchen eine ökologische Produktverantwortung Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7246 ab. Wer nicht nur der deutschen Produzenten. Wir brauchen stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt eine ökologische Produktverantwortung auch der dagegen? — Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Importeure. Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt. (Dr. Karl-Heinz Klejdzinski [SPD]: Aber Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion unter deutscher Hoheit! — Heiterkeit bei der der SPD auf Drucksache 12/7247. — Wer stimmt CDU/CSU und der F.D.P.) dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Wir brauchen kein Öko-Dumping. Es darf nicht sein, Bei Enthaltung der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- daß wegen zu hoher grüner Eigendiskriminierung NEN mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abge- ausgeflaggt wird und Umweltsünder, ja Umweltver- lehnt. brecher dann hier importieren dürfen. Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion Zweitens. Wir haben etwa 8 bis 9 Millionen arbeits- der SPD auf Drucksache 12/7248. — Wer stimmt willige Beschäftigungslose in diesem L and. Ökologie dafür? — Wer stimmt dagegen? — Mit den Stimmen muß deshalb mit wirtschaftlichem Augenmaß und mit der Koalitionsfraktionen abgelehnt. wirtschaftlicher Verantwortung durchgeführt wer- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Und BOND- den. Die deutsche Wirtschaft darf nicht immer mehr in NIS 90/DIE GRÜNEN!) eine ökologische Abseitsfalle hineinlaufen. Das, was in der unteren Elbe an ökologischer Politik mit Augen- — Und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Entschuldigung. maß — ich sage es noch einmal — auch von Ehlers und Das halten wir im Protokoll fest. Harries betrieben wird, das wünsche ich mir für ganz Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion Deutschland. der SPD auf Drucksache 12/7249. — Wer stimmt Drittens. Wir haben eine Entsorgungsbelastung der dafür? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — privaten Haushalte gerade in den neuen Ländern, die Bei Enthaltung der Gruppe PDS/Linke Liste mit den finanziell nicht mehr zu verantworten ist. Mit einer Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der F.D.P.-Fraktion Wirtschaftspolitik, die das Sozialprodukt in den neuen und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen Ländern auf das Niveau von Tunesien herunterge- die Stimmen der SPD-Fraktion abgelehnt. drückt hat, darf man den Haushalten nicht zumuten, Wir kommen zum Änderungsantrag der SPD auf mehr zu bezahlen als wirtschaftliche Wohlstandszen- Drucksache 12/7250. Wer stimmt dafür? —Wer stimmt tren auf dieser Welt. dagegen? — Enthaltungen? — Mit den Stimmen der Wenn bis vor kurzem Brüssel die Nordsee mit unge- Koalitionsfraktionen abgelehnt. klärten Abwässern hat verschmutzen können, dann Wir kommen dann zum Änderungsantrag der Frak- muß nicht das kleinste mitteldeutsche Dorf teuerste tion der SPD auf Drucksache 12/7251. Wer stimmt Anlagen haben, dann muß nicht das Wasser bergauf dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — gepumpt werden und nach mehreren Jahren der Bei Enthaltung der Gruppe PDS/Linke Liste mit den Klärschlamm zurück auf die Felder kommen. Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der F.D.P.- Ein Letztes. Der Minister hat von ökologisch ehrli- Fraktion abgelehnt. chen Preisen gesprochen. Ich stimme dem zu. Das muß aber auch international gelten. Ökologisch ehrliche Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion Preise dürfen nicht durch Öko-Dumping unterlaufen der SPD auf Drucksache 12/7252. Dazu hat die werden. Wenn man sich auf dem Globus den kleinen Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Teilung der Wurmfortsatz Europa und dann das kleine Deutsch- Abstimmung verlangt. Wir stimmen deshalb zunächst land darin ansieht, so ist doch klar, daß in der über Nr. 1 des Änderungsantrags ab, soweit sie sich Umweltpolitik am deutschen Wesen die Welt nicht auf § 21 Abs. 2 des Gesetzentwurfs der Bundesregie- genesen wird, gar nicht genesen kann. Deswegen rung bezieht. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt • muß es einen Vorrang der Sozialpolitik, der Wirt- dagegen? — Damit ist der Antrag mit den Stimmen der schaftspolitik vor der Ökologie geben. CDU/CSU-Fraktion, der F.D.P.-Fraktion und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt. Bevor hier von links kritisiert wird: Dann machen Sie in den Ländern, in denen Sie zur Zeit regieren, Wir stimmen jetzt über Nr. 1, soweit sie sich auf § 21 doch erst einmal das, was Deutschland get an hat. Abs. 1, 3 und 4 des Gesetzentwurfs der Bundesregie- rung bezieht, sowie über Nr. 2 des Änderungsantrags Ich danke für die Aufmerksamkeit. ab. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Mit den Stimmen der Koalitions- fraktionen abgelehnt. Damit ist Drucksache 12/7252 Meine Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: insgesamt abgelehnt. Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Aussprache und kommen zu den Abstimmungen, Wir kommen nunmehr zum Änderungsantrag der zunächst zu dem von der Bundesregierung einge- Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Er liegt Ihnen 19068 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg auf der Drucksache 12/7257 vor. Wer stimmt für zu? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen von PDS/Linke Liste und BÜNDNIS 90/ Dann ist dieser Änderungantrag mit den Stimmen von DIE GRÜNEN ist diese Beschlußempfehlung von den SPD, CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt worden. übrigen Fraktionen angenommen. Meine Damen und Herren, wir stimmen jetzt über Meine Damen und Herren, interfraktionell ist ver- den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung ab. Wer einbart worden, die Tagesordnung um den Zusatz- stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Damit ist punkt 8 zu erweitern: dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Beratung der Beschlußempfehlung und des Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen. Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozial- ordnung (11. Ausschuß) zu der Unterrichtung Wir kommen nunmehr zur durch die Bundesregierung dritten Beratung. Grünbuch der Kommission über die Europäi- sche Sozialpolitik — Weichenstellung für die Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen Europäische Union wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Damit ist der Gesetzentwurf angenom- — Drucksachen 12/7064 Nr. 2.6, 12/7243 — men. Dieser Punkt soll ohne Aussprache behandelt wer- den. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent- offensichtlich der Fall. Dann können wir so verfah- schließungsantrag der Fraktion der SPD, der Ihnen auf ren. der Drucksache 12/7253 vorliegt. Wer stimmt für Wir stimmen über die Beschlußempfehlung des diesen Entschließungsantrag? — Wer stimmt dage- Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Druck- gen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der PDS/ sache 12/7243 ab. Wer stimmt dieser Beschlußemp- Linke Liste ist dieser Antrag mit den Stimmen der fehlung zu? — Wer stimmt dagegen? —Enthaltungen? Koalitionsfraktionen abgelehnt. — Bei Enthaltung der PDS/Linke Liste ist diese Wir kommen dann zur Abstimmung über den Ent- Beschlußempfehlung angenommen. schließungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE Meine Damen und Herren, nun kommt eine amtli- GRÜNEN, der Ihnen auf der Drucksache 12/7258 che Mitteilung: Es ist interfraktionell vereinbart wor- vorliegt. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? den, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit den Stimmen Durchführung der Richtlinie des Rates über Pau- der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der SPD- schalreisen — er liegt Ihnen auf der Drucksache Fraktion abgelehnt. 12/5354 vor — sowie die Beschlußempfehlung und den Bericht des Rechtsausschusses dazu auf Drucksa- Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den che 12/7013 zur federführenden Beratung an den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Rechtsausschuß und zur Mitberatung an den Aus- Abfallgesetzes und des Bundes-Immissionsschutzge- schuß für Fremdenverkehr und Tourismus zurückzu- setzes. Er liegt Ihnen auf der Drucksache 12/631 vor. verweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Das Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- ist offensichtlich der Fall. Es ist so beschlossen. sicherheit empfiehlt auf Drucksache 12/7240 unter Nr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf des Bundesrates zustimmen wol- Nunmehr rufe ich den Tagesordnungspunkt 13 len, bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt auf: dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung von PDS/Linke Liste und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist Beratung der Beschlußempfehlung und des mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen dieser Ent- Berichts des Verteidigungsausschusses wurf des Bundesrates abgelehnt, so daß sich nach (12. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch den unserer Geschäftsordnung eine weitere Beratung Wehrbeauftragten erübrigt. Jahresbericht 1992 Wir stimmen nun ab über die Beschlußempfehlung — Drucksachen 12/4600, 12/6322 — des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- Berichterstattung: torsicherheit zu den Anträgen der Fraktionen der Abgeordnete Claire Marienfeld CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Fraktion der SPD Dieter Heistermann zur Sanierung der Ostsee und der Gewässer in den Interfraktionell wird eine Debattenzeit von einer neuen Bundesländern. Das sind die Drucksachen Dreiviertelstunde vorgeschlagen. Ist das Haus damit 12/2251, 12/2553 und 12/6609. Wer stimmt dieser einverstanden? — Das ist offensichtlich der Fall. Beschlußempfehlung zu? — Wer stimmt dagegen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung einstimmig Bevor ich nun dem Wehrbeauftragten, Alfred angenommen worden. Biehle, das Wort gebe, möchte ich im Haus die Zustimmung einholen, daß die Abgeordnete Lederer Wir stimmen jetzt noch ab über die Beschlußemp- ihre Rede zu Protokoll geben darf.*) Sie hat sich damit fehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und entschuldigt, daß sie einen dringenden anderen Ter- Reaktorsicherheit zu einem Richtlinienvorschlag der min hat. — Das Haus ist offensichtlich damit einver- Europäischen Union über Verpackungen und Ver- standen. Dann ist das so beschlossen. packungsabfälle. Das liegt Ihnen auf Drucksache 12/6606 vor. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung *) Anlage 2 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. April 1994 19069

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg Ich erteile dem Wehrbeauftragten, Herrn Alfred Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch dankbar Biehle, das Wort. feststellen, daß die sechs Bundeswehrsoldaten, die als technische Berater in Ruanda wirkten, mit ihren Familien dank der Hilfe belgischer Soldaten alle Alfred Biehle, Wehrbeauftragter des Deutschen wohlbehalten zu Hause eingetroffen bzw. außerhalb Bundestages: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Ruandas in Sicherheit sind. Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu meinem Jahresbericht 1992, der heute nochmals Allen Soldaten, die im Ausland, aber auch zu Hause, beraten wird, hatte ich mich bereits bei seiner ersten Dienst geleistet haben und noch leisten, gebührt Dank Beratung im Plenum am 18. Juni 1993 ausführlich und Anerkennung für ihr großes Engagement und äußern können. Das Bundesministerium der Verteidi- ihre Leistungsbereitschaft. gung hat dazu in der Zwischenzeit ausführlich Stel- lung bezogen und ist bemüht, die aufgezeigten Män- Das in der Zwischenzeit mit großer Mehrheit verab- gel abzustellen. schiedete Auslandsverwendungsgesetz gewährleistet nunmehr die dringend notwendige soziale Absiche- Inzwischen liegt auch schon der Jahresbericht 1993 rung vor den besonderen Gefahren der Auslandsein- veröffentlicht vor. Er soll ebenfalls in Kürze im Parla- sätze. Das hat zu einer weitgehenden Beruhigung bei ment eingehend beraten werden. In ihm sind, wie ich den betroffenen Soldaten und insbesondere bei ihren meine, viele Themen des Jahresberichtes 1992 fortge- Familien geführt. schrieben worden, weil die Probleme noch nicht gelöst sind oder sich die Anliegen nicht erledigt haben. Ich Der Attraktivität des Wehrdienstes — ich sage das möchte mich an dieser Stelle daher darauf beschrän- sehr deutlich — muß erhöhte Aufmerksamkeit gelten, ken, aus dem Bericht 1992 einige Schwerpunkte zumal die Zahl der Kriegsdienstverweigerer bei den anzusprechen. Ungedienten erschreckend steigt. Im Januar waren es Auf Grund der Einsparungen haben sich die Rah- rund 15 000 Verweigerer; das ist die höchste Monats- menbedingungen für die Streitkräfte nunmehr seit zahl seit der Golfkrise. einigen Jahren weiter verschlechtert. Besonders deut- lich treten die Auswirkungen der Einsparungen für Mit Nachdruck möchte ich hier noch einmal auf die mich auf dem Gebiet der Ausbildung hervor. Notwendigkeit der Neuregelung des Dienstzeitaus- In vielen Bereichen herrscht Unruhe und Unzufrie- gleichs hinweisen. Ziel muß es bleiben, den Soldaten denheit wegen der Ungewißheit, wie es beruflich und für dienstlich notwendigen Mehreinsatz einen spür- persönlich für den einzelnen Soldaten weitergehen baren Ausgleich zu gewähren. Um allerdings zu wird. Entgegen den Zusicherungen hinsichtlich des erreichen, daß anstelle des begehrten Freizeitaus- gleichs ein finanzieller Ausgleich akzeptiert wird, Umfangs der Streitkräfte gehen viele Soldaten von weiteren Reduzierungsmaßnahmen aus. Das Ver- müssen zur Erhöhung der Attraktivität dieses Aus- trauen in die Zusagen auf den Bestand von Standort- gleichs die Vergütungssätze merklich angehoben entscheidungen ist vielfach zumindest problema- werden. Eine vorgesehene Verbesserung des Aus- tisch. gleichs für Wochenenddienste mit einem Wochen- (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Sehr wahr!) endbonus ist sicher eine sinnvolle Maßnahme, um den Verlust von attraktiver Freizeit erträglicher zu Neben den fehlenden oder zu teuren Wohnungen, machen. Die künftige Neugestaltung der Dienstzeit- mangelnden Arbeitsplätzen für die Angehörigen, ins- regelung muß jedenfalls so beschaffen sein, daß sie als besondere für die Ehefrauen, Schwierigkeiten bei der gerecht empfunden wird. Integration in das neue Umfeld ist dies eine weitere Ursache dafür, daß es vielfach an der Bereitschaft der Eine schnelle Neuregelung ist dringend geboten. Soldatenfamilien fehlt, an den neuen Standort umzu- Der derzeitige Zustand ist eine mir immer wieder ziehen. genannte Ursache für viele Schwierigkeiten im Dankenswerterweise hat der Verteidigungsaus- dienstlichen Bereich. schuß am Mittwoch dieser Woche dem Thema Woh- nungsfürsorge, wie ich glaube, in mehrstündiger Auf meine kritischen Ausführungen zur Umsetzung Beratung neue Schubkraft gegeben. Auch das BMVg der Beteiligungsrechte in der Truppe bleibt zu hoffen, hat diesem Bereich höchste Priorität zugeordnet. daß die in der Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung angekündigten Maßnahmen schnell Durch die jüngsten Entwicklungen haben die Stim- greifen und zu einer wesentlichen Verbesserung der mung in der Truppe, teilweise aber auch das Selbst- Beteiligung und der Information der Vertrauensperso- bewußtsein vieler Soldaten weiter Schaden genom- nen beitragen. Bedauerlicherweise ist die neue men. ZDv 10/2 bis heute noch nicht erlassen. Es drängt auch Nach dem Einsatz in Kambodscha ist zwischenzeit- hier. Den Vertrauensleuten fehlt damit nach wie vor lich nunmehr auch der Einsatz deutscher Soldaten in die konkrete Unterlage, die ihnen Aufschluß über ihre Somalia zu Ende gegangen. Bis auf einen ermordeten Rechte geben kann. Kameraden sind alle Soldaten wieder heil in die Heimat zurückgekehrt. Mit Aufmerksamkeit verfolge Die Berufs- und Lebensplanung junger Wehrpflich- ich weiterhin die Begleitumstände für derartige Aus- tiger soll durch die Herabsetzung des Einberufungs- landseinsätze. Schmerzlich müssen die Soldaten stets höchstalters auf 25 Jahre verbessert werden. Ich aufs neue erfahren, daß der gemeinsame Konsens hoffe, daß Beratung und Beschlußfassung der Novelle hinsichtlich solcher Einsätze immer noch weit entfernt des Wehrpflicht- und Zivildienstgesetzes alsbald ist. abgeschlossen werden können. 19070 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994

Wehrbeauftragter Alfred Biehle Die durch einige Medien verbreiteten Informatio- geleistet. Ich nenne nur das Stichwort der Verwirkli- nen haben bereits zu vielen falschen Hoffnungen bei chung der inneren Einheit in der Armee. den Wehrpflichtigen geführt. Mit der Neufassung (Zustimmung bei der CDU/CSU) könnte die gesetzliche Absicherung zumindest einer der bisher nur administrativ gewährten Wehrdienst- Aber der tiefgreifende Wandlungsprozeß bringt ausnahmen, nämlich die Nichtheranziehung dritter natürlich auch viele Probleme und Schwierigkeiten und weiterer Söhne, erfolgen. mit sich. Die finanzpolitischen Probleme Die angespannte Wehrersatzlage macht es den belasten die Bun- deswehr mittlerweile unerträglich. Die erneute Ein- Kreiswehrersatzämtern immer schwerer, auf indivi- sparung von 1,25 Milliarden DM war sicherheits- und duelle Wünsche junger Wehrpflichtiger flexibel und verteidigungspolitisch nicht zu begründen. Dies darf angemessen einzugehen. Die hierdurch insgesamt kein Dauerzustand sein. Ich meine, diese Kürzungen aufgetretene Unruhe und Verunsicherung bei den müssen dem Verteidigungshaushalt zurückgegeben Betroffenen äußert sich in einer großen Zahl von werden. Eingaben, in denen die Petenten um meine Unterstüt- zung bitten, jetzt nicht einberufen zu werden. Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) glauben, bei späterer Einberufung nicht mehr zwölf Monate ableisten zu müssen. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Der Abge- Zum Schluß noch ein Wort zum Rechtsextremismus: ordnete Klejdzinski möchte eine Zwischenfrage stel- Die Entwicklung in unserer Gesellschaft gibt sicher- len. — Bitte schön. lich Anlaß zu großer Aufmerksamkeit. Nach meinen Beobachtungen gibt es keine Anhaltspunkte für ent- (SPD): Herr Kollege, habe sprechende Tendenzen in der Bundeswehr. Hierüber Dr. Karl-Heinz Klejdzinski ich richtig gehört, daß Sie gesagt haben: „Der Jahres- sind wir uns wohl alle einig. Wachsamkeit ist gleich- bericht 1992 ist jetzt, 1994, vorgelegt worden bzw. wohl geboten. Deshalb sollte die Bundeswehr im wird zum ersten Male diskutiert"? Rahmen ihrer — allerdings begrenzten — Möglichkei- ten — ich meine, sie kann nicht nachholen, was vorher in der Gesellschaft versäumt worden ist — durch eine Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU): Sie wissen, Herr effektive Gestaltung der politischen Bildung in der Kollege Klejdzinski, als Mitglied des Verteidigungs- Truppe vorbeugend wirken. Der politischen Bildung ausschusses, daß im Juni 1993 dieser Bericht 1992 in in der Truppe muß künftig noch mehr Bedeutung erster Lesung hier behandelt worden ist. Damals hatte beigemessen werden. Dies gilt insbesondere bei der der Kollege, der neben Ihnen sitzt, dazu gesprochen. Dienstaufsicht. Im November letzten Jahres gab es dazu die entspre- Viele Kriege und militärische Auseinandersetzun- chenden Beratungen im Verteidigungsausschuß. gen in aller Welt machen sichtbar, daß Demokratie Heute erfolgt dazu die abschließende Beratung. Das und Freiheit nur dann Bestand haben, wenn sich die ist richtig. Bürger auch dafür engagieren. Gefordert ist — wie ich (Dr. Karl-Heinz Klejdzinski [SPD]: Halten Sie meine — eine wehrhafte Demokratie. das nicht für ein bißchen spät?) Die Politik und die maßgeblichen Bereiche unserer — Ich stimme Ihnen zu. Wir, und zwar alle Fraktionen Gesellschaft sind gefordert, den Stellenwert der Bun- des Parlamentes, müssen darauf achten, daß das deswehr in besonderer Weise deutlich herauszustel- zukünftig eher geschieht. Der Be richt 1993 muß in len. Hierzu bedarf es dringend eines möglichst breiten diesem Jahr abschließend beraten werden. Aber es Konsenses in der Politik. Das ist auch die große Bitte liegt ein wenig auch an uns selbst. aller Soldaten an die Parlamentarier. Das zu erreichen Der Wehrbeauftragte hat in seinem Be richt darauf sollte daher unsere gemeinsame Aufgabe sein. hingewiesen, daß die Wehrpflichtigen ihren Dienst Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. zum Teil mit einer kritischen Einstellung antreten, da ihnen der Sinn der allgemeinen Wehrpflicht nach (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. dem Ende des Kalten Krieges fraglich erscheine. sowie bei Abgeordneten der SPD) Außerdem werde es von den jungen Männern heute oft nicht mehr als notwendig empfunden, einen Dienst für den Staat zu leisten. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort hat nun der Abgeordnete Jürgen Augustinowitz. In einer Zeit, in der zunehmend nur noch von Rechten und immer weniger von Pflichten die Rede ist, wundert es nicht, daß eine der wichtigsten Pflich- Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU): Herr Präsident! ten gegenüber dem Staat, die allgemeine Wehrpflicht, Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Jahres- zunehmend in Frage gestellt wird. bericht 1992 des Wehrbeauftragten ist im Verteidi- Diese Diskussion trägt im übrigen erheblich zur gungsausschuß sehr ausführlich behandelt worden. Verunsicherung in der Truppe selbst sowie bei den Ich möchte mich deshalb auf einige Aussagen zu den jungen Wehrpflichtigen vor ihrer Einberufung bei, zu Gesamtzusammenhängen konzentrieren. einer Verunsicherung, auf die der Wehrbeauftragte Der Jahresbericht ist ganz entscheidend durch die ebenfalls hingewiesen hat. Tatsache geprägt, daß sich die Bundeswehr in dem Ich finde, diese Diskussion ist völlig überflüssig. tiefgreifendsten Umwandlungsprozeß seit ihrer Alle Fraktionen dieses Hauses haben sich erst vor Gründung befindet. Die Bundeswehr hat bei der wenigen Wochen einstimmig für den Erhalt der allge- Bewältigung dieser Aufgabe bereits Großartiges meinen Wehrpflicht ausgesprochen. Das ist gut so; Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994 19071

Jürgen Augustinowitz denn die Wehrpflicht braucht einen breiten Konsens Die Zahl der im Jahre 1993 gestellten Anträge ist, und hat ihn auch verdient. allerdings auf einem unerträglich hohen Niveau, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gegenüber 1992 leicht zurückgegangen. Aber dieser Rückgang liegt ausschließlich daran, daß weniger In diesem Zusammenhang begrüße ich auch sehr Soldaten und Reservisten einen entsprechenden das eindeutige Bekenntnis zur Wehrpflicht, das der Antrag gestellt hatten. Die Zahl der Ungedienten Bundesminister der Verteidigung im jüngst vorge- — das ist die für die Bedarfsdeckung der Bundeswehr stellten Weißbuch abgelegt hat. Ich warne aber auch entscheidende Gruppe —, die einen Antrag gestellt davor, die Wehrpflichtigen als finanzpolitische Verfü- haben, ist im Jahre 1993 dagegen weiter angestiegen, gungsmasse zu betrachten. Wir müssen uns jedem obwohl insgesamt weniger Wehrpflichtige gemustert Versuch entgegenstellen, daß die Wehrpflichtigen worden sind als 1992. aus den Streitkräften verdrängt werden oder daß ihnen auch nur eine geringere Bedeutung gegeben Der Trend zur Kriegsdienstverweigerung ist unge- wird. brochen. Zirka 40 % der tauglich gemusterten jungen (Beifall bei der CDU/CSU) Männer eines Jahrganges stellen derzeit einen Antrag auf Verweigerung. Der entscheidende Grund für diese erschreckend hohe Zahl ist nicht eine gesun- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- kene Akzeptanz des Wehrdienstes. Vielmehr sind die geordneter Augustinowitz, der Abgeordnete Koppelin massiven materiellen und immateriellen Vorteile, die möchte gern eine Zwischenfrage stellen. Zivildienstleistende gegenüber Grundwehrdienstlei- stenden genießen, die Ursache. Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU): Aber sehr Der Wehrdienstbeauftragte hat auf diese Ungleich- gern. behandlung in seinem Jahresbericht 1993, der auch vorliegt, dankenswerterweise in großer Deutlichkeit Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bitte sehr, hingewiesen. Um der Entwicklung der KDV-Quote, Herr Abegeordneter. die letztlich die personelle Einsatzbereitschaft der - Bundeswehr gefährdet, entgegenzusteuern, hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung aufgefor- Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Kollege Augustino- dert, einen Bericht zur Gleichbehandlung von Wehr- witz, da Sie auf das Weißbuch und damit auf die Zahl und Zivildienstleistenden vorzulegen. Es ist zu hoffen 370 000, die da festgeschrieben ist, abheben, darf ich und zu erwarten, daß die von der Bundesregierung in Sie fragen, wie Sie einen Be richt in der „Welt am diesem Monat vorzulegenden Maßnahmen auch Sonntag" vom letzten Sonntag beurteilen, wo wieder geeignet sind, den Mißstand der Ungleichbehandlung ganz andere Zahlen genannt werden. Es schwirren und damit den Anreiz zur Verweigerung des Wehr- auch Gerüchte herum, daß uns der Verteidigungsmi- dienstes zu beseitigen. nister Ende des Monats eine Zahl von 320 000 nennen will. Diese Zahlenspielereien kommen ja überwie- Der Bundesrat hat mit der Mehrheit der SPD gend aus dem Verteidigungsministerium. regierten Bundesländer unlängst eine Verkürzung des Zivildienstes von 15 auf 12 Monate gefordert, also Haben Sie weiterhin Verständnis dafür, daß der eine Angleichung der beiden Dienste, und den Ver- eine oder andere Überlegungen anstellt, was das mittlungsausschuß angerufen. Diese Forderung ist Thema Wehrpflicht angeht, wen n solche laufend absurd. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion weist sie veränderten Zahlen aus dem Ministerium kommen? mit aller Entschiedenheit zurück. Die längere Dauer (Dr. Karl-Heinz Klejdzinski [SPD]: Es ist aber des Zivildienstes ist ein tragendes Indiz für das Vor- die Koalition, die diese Frage gestellt hat!) liegen einer Gewissensentscheidung. Eine Herabset- zung der Dauer des Zivildienstes und damit die Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU): Herr Kollege Abschaffung auch des letzten Aspektes der Probe auf Koppelin, um Ihre Frage zu beantworten: Sie wissen das Gewissen wäre verfassungswidrig. ganz genau und tragen zum Teil selbst dazu bei, daß immer wieder gewisse Zahlen hier in den Raum Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- gestreut werden. Was alles so aus dem Ministerium geordneter Augustinowitz, Ihr Fraktionskollege kommt — das wissen Sie selber —, muß man nicht Breuer hat den Wunsch nach einer Zwischenfrage. immer für bare Münze nehmen. (Zurufe von der SPD: Oho! — Jürgen Koppe lin [F.D.P.]: Einverstanden!) Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU): Selbstverständ- lich. Wenn Sie abgewartet hätten, hätten Sie zur Kennt- nis nehmen können, daß ich gegen Ende meiner Rede darauf noch zu sprechen komme. Ich muß Sie bis Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bitte dahin einen Moment noch vertrösten. sehr. (Paul Breuer [CDU/CSU]: Koppelin ist der Minimalspekulant!) Paul Breuer (CDU/CSU): Herr Kollege Augustino- Ein besonderes Problem ist die große Zahl der witz, können Sie bestätigen, daß das Bundesverfas- Kriegsdienstverweigerer. Da es um die Größenord- sungsgericht in seinem Urteil zu dem unsäglichen nung dieser Gruppe in der letzten Zeit einige Verwir- Postkartengesetz der sozialdemokratisch geführten rung gegeben hat, möchte ich hier für Aufklärung Bundesregierung vor 1982 einmal festgestellt hat, daß sorgen. der zivile Ersatzdienst die lästige Alternative zum 19072 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994

Paul Breuer Wehrdienst sein sollte, und ist es heute nicht eher so, Ich erwarte auch von der Opposition verantwortliche daß sich die Sachlage umgekehrt hat? Aussagen zur Außen- und Sicherheitspolitik. (Dr. Karl-Heinz Klejdzinski [SPD]: Herr (Dieter Heistermann [SPD]: Sie müssen in die Breuer, Sie sind ja historisch gut bewan andere Richtung gucken; die sind doch ver dert!) antwortlich!) Das wäre für die Bundeswehr und auch für Deutsch- land insgesamt wichtiger als die sicherheitspoliti- schen Lippenbekenntnisse, die Ihr Vorsitzender diese (CDU/CSU): Herr Kollege, Jürgen Augustinowitz Woche in Washington abgelegt hat. Wie begründet ich kann Ihnen da nur voll zustimmen. Deswegen wäre gerade eine Verwirklichung der Forderung der die SPD denn eigentlich ihr Ja zum Einsatz der NATO in Gorazde, wenn sie gleichzeitig mehrere Klagen SPD-regierten Bundesländer eine wirklich unerträgli- gegen die Bundesregierung auf diesem Gebiet che Situation. Es ist bedauerlich, daß sich auch die Verteidigungspolitiker der SPD-Bundestagsfraktion anstrengt? bei einer anderen Gelegenheit zu dieser Forderung Ich komme zum Schluß. Die CDU/CSU-Bundes- verstiegen haben. tagsfraktion, Herr Kollege Koppelin — jetzt komme ich nocheinmal zu Ihnen —, steht für eine Politik, die (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!) der Bundeswehr und ihren Angehörigen Sicherheit Der letzte Punkt aus den Angelegenheiten der gibt. Wehrpflichtigen, die der Wehrbeauftragte in seinem (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Der Minister Bericht angeführt hat, ist die Frage des Einberufungs- auch?) alters. Der Wehrbeauftragte hat völlig zu Recht aus- Dies betrifft nicht nur den Punkt der internationalen geführt, daß sich der Einberufungsgrundsatz „jung Einsätze. Ein Planungsumfang der Bundeswehr von vor alt" bewährt hat. Im Rahmen der bereits verab- 370 000 Soldaten und eine Wehrdienstdauer von schiedeten Änderungen des Wehrpflichtgesetzes ha- 12 Monaten sind nach wie vor konzeptionell begrün- ben wir daher die generelle Altersgrenze von 28 auf - det und sicherheitspolitisch erforderlich. Die Bundes- 25 Jahre herabgesetzt. wehr braucht einen breiten Konsens unter den demo- Ein weiteres vom Wehrbeauftragten angesproche- kratischen Parteien. Wir, die CDU/CSU-Bundestags- nes Problem sind die Defizite in der politischen fraktion, bekennen uns entschieden zur Bundeswehr Bildung in der Truppe. Der Bundesminister der Ver- und zur allgemeinen Wehrpflicht. teidigung hat eingeräumt, daß dem staatsbürgerli- Herr Wehrbeauftragter, Sie leisten mit Ihrer Arbeit chen Unterricht im Vergleich zu anderen Ausbil- einen wichtigen Beitrag zum Erhalt und zur ständigen dungsgebieten mitunter nicht der gebotene Stellen- Überprüfung der demokratischen Armee Bundes- wert zuerkannt wird. Die Vorlage eines entsprechen- wehr. Im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Berichts ist für den Sommer dieses Jahres ange- danke ich Ihnen und Ihren Mitarbeitern für Ihre Arbeit kündigt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion erwartet und für Ihren Bericht. von diesem Be richt effektive Maßnahmen zur Verbes- serung der politischen Bildung in der Truppe. Wir Vielen Dank. messen diesem Bereich große Bedeutung bei, um dem (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Anspruch eines Staatsbürgers in Uniform tatsächlich ordneten der F.D.P.) gerecht zu werden. Auch im Berichtszeitraum 1992 mußte sich der Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort Wehrbeauftragte wieder mit einigen Fällen von ent- hat nunmehr der Abgeordnete Dieter Heistermann. würdigender Behandlung von Soldaten durch andere Soldaten auseinandersetzen. Ich möchte ausdrücklich Dieter Heistermann (SPD): Herr Präsident! Meine betonen, daß diese Verfehlungen kein typisches Phä- sehr verehrten Damen und Herren! Die Unruhe in der nomen für die Bundeswehr insgesamt, sondern abso- Bundeswehr ist nicht mehr zu überhören. Bildlich lute Ausnahmen sind. Dennoch ist jeder einzelne Fall dargestellt: Die Bundeswehr befindet sich im Sink- ein Fall zuviel. flug. Wesentliche Landehilfen sind ausgefallen; die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Bordsysteme arbeiten ungenau. Niemand weiß, ob sowie bei Abgeordneten der SPD) das jetzige System Bundeswehr sauber zur Landung gebracht wird oder ob es die Landebahn verpaßt und Es muß daher die ständige Aufgabe der Vorgesetz- eine Bruchlandung vollzieht. Um im Bild zu bleiben: ten sein, dieses Problem auszumerzen. Verstöße Auf die entscheidende Frage „Wo landet die Bundes- gegen die Menschenwürde haben in der Bundeswehr wehr?", deren Beantwortung die SPD-Bundestags- absolut nichts zu suchen. fraktion, aber auch die Soldaten der Bundeswehr seit Eine gewisse Unruhe ist auch eingetreten auf Grund Jahren einfordern, bleibt die Regierung die Antwort der unsäglichen Diskussion um die rechtliche Zuläs- schuldig. Die Herausgabe des Weißbuches durch das sigkeit bestimmter Formen internationaler Einsätze. BMVg ist geradezu ein exemplarisches Beispiel für Hier muß ich den Kollegen von der SPD den Vorwurf diese Hilflosigkeit. machen, mit ihrer Haltung zur Frage von internatio- Unsere Angebote an den Bundesverteidigungsmi nalen Einsätzen zu dieser Unsicherheit erheblich nister und an die Koalition, gemeinsam eine Bundes- beigetragen zu haben. wehrplanung aus einem Guß zu machen, verhallten (Dr. Karl-Heinz Klejdzinski [SPD]: Wie ist es ungehört. Heute schlingert die Bundeswehr von denn mit der Koalition?) einem Reförmchen zum anderen. Niemand kann Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994 19073

Dieter Heistermann mehr erkennen, wie es denn mit der Bundeswehr nur ein kurzes Hemd für die Bundeswehr schneidern weitergehen soll. Viel Vertrauen ist inzwischen ver- können. spielt. Die Soldaten wollen generell Gewißheit über ihre künftigen Aufgaben, also ihren Auftrag, erhalten Wie viele Fragezeichen stehen hinter diesen jetzt und legen zunehmend Wert darauf, daß dies einver- neuen Zahlen, und wie schön hatte der Bundesmini- nehmlich und verbindlich von allen Parteien, die im ster der Verteidigung das in der Planungsleitlinie 1994 Deutschen Bundestag vertreten sind, mitgetragen formuliert — ich zitiere —: „Ich will sparen, aber nicht wird. erleiden, sondern gestalten." Nichts davon hat Bestand gehabt. Nicht einmal Potemkinsche Dörfer (Zuruf von der CDU/CSU: Was ist denn mit sind von diesen Planungen übriggeblieben. Der längst der SPD?) schon überwunden geglaubte Gammeldienst wird in der Truppe wieder Einzug halten, wenn keine ausrei- Vieles von dem, was die Soldaten wünschen, hätte chende Ausbildung möglich ist. Leerquartale, Kür- im Parlament schon entschieden sein können, wenn zungen und Streichung von Übungen und Übungsma- die Bundesregierung und die sie tragende Koalition es terial bestimmen heute den Bundeswehralltag. gewollt hätten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Da wird einer Reservistenkonzeption das Wort geredet, aber gleichzeitig werden die Wehrübungs- Gebetsmühlenartig werden hier Umfangszahlen der plätze massiv zusammengestrichen. Eingeplante Re- Bundeswehr vor sich hingemurmelt, die alle drei Tage servisten müssen ausgeplant werden. Meine Damen neu definiert werden und doch keinen Bestand und Herren, das Wort Planung mag im BMVg und in haben. der Bundeswehr schon keiner mehr in den Mund Noch schlimmer ist das Chaos, wenn es um den nehmen, zu viele Papierkörbe quellen nämlich davon Verteidigungsetat geht. Was da an leerem S troh über. gedroschen, wie da mit leerem Beutel eine Bundes- Bei der Einbringung dieses Jahresberichtes des wehrplanung projektiert wird, dieses Kunststück wird Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages hatte in die Geschichte eingehen, allerdings nicht als Ruh- die SPD-Bundestagsfraktion den Verteidigungsmini- mesblatt. ster darauf hingewiesen, daß das Haus Bundeswehr (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dringend der Renovierung bedarf, daß die Probleme der Bundeswehr nicht im Fassadenbereich, sondern Alle Welt weiß, daß das Geld in der Bundeskasse im Inneren liegen. Wir fragen: Nimmt er sich genug knapp ist. Die Hoffnung zu verbreiten, daß es den Zeit für die Bundeswehr und ihre Probleme, und Verteidigungsetat schon nicht treffen würde, war entscheidet er eigentlich rechtzeitig? politisch leichtfertig und in der Wirkung verheerend. Der Versuch der Koalition, sich mit leeren Standard- Zu Recht erwarten die Soldaten bei der Umstruktu- formeln über die Zeit zu retten, wird angesichts der rierung der Bundeswehr, daß ihre persönlichen finanziellen Entwicklung im Bundeshaushalt immer Belange und die Belange ihrer Familien sach- und offensichtlicher. Jeder Truppenbesuch bestätigt, daß zeitgerecht berücksichtigt werden. Lange Trennungs- die finanziellen Engpässe zu massiven Ausbildungs- zeiten der Soldaten von ihren Familien sind familien- einschränkungen geführt haben. Sie sind dafür ver- feindlich. Trennungsgeld ist kein Ersatz. Eine Frau antwortlich, daß der Befehl „Bundeswehr stillgestan- schrieb mir, sie habe sich bei ihrer Heirat mit einem den!" im wahrsten Sinne des Wortes konsequent Soldaten praktisch verpflichtet, künftig als Alleiner- umgesetzt wurde. ziehende zu leben. So sieht das in viel zu vielen Familien aus. Für die Folgen einer solchen Politik müssen aller- dings die Soldaten ihren Rücken hinhalten. Sie haben Die Wohnungsfürsorge hat deshalb höchste Priori- die Bundeswehr im Glauben gelassen, daß durch tät. Soldaten und ihre Familien wissen, daß sie umzie- ihren Einsatz in Kambodscha und Somalia alles beim hen müssen. Aber als Spielball unzureichender Pla- alten bliebe, es künftig sogar zur ständigen Aufgabe nung fühlen sie sich mißbraucht. Viele Soldaten der Bundeswehr gehöre, überall eingesetzt zu wer- fragen sich: Gibt es tatsächlich am Ende dieses Jahres den. Schon heute klaffen Auftrag und Mittel so weit noch die Kompanie, in der ich eingeplant wurde, oder auseinander, daß nicht einmal die internen Hauspro- geht der Wanderzirkus wieder von vorne los, wie es im bleme gelöst werden können. Wie sollen dann andere Jargon der Be troffenen jetzt schon heißt? Aufgaben eigentlich erfüllbar sein? Die Instabilitäten innerhalb der Bundeswehr sind Wir stellen heute fest: Unsere Analysen der Ent- nicht den Soldaten anzulasten. Die Soldaten leisten wicklung des Verteidigungsetats waren richtig. Die ihren Dienst unter sehr erschwerten Bedingungen. Wirkung dieser Eingriffe trifft die Bundeswehr in einer Lassen Sie mich an dieser Stelle allen Soldaten und Phase des Umbaus und der Umgliederung mit Folgen, den zivilen Mitarbeitern in der Bundeswehr deshalb deren Ausmaß noch nicht abzuschätzen ist. besonders für ihren Einsatz danken. (Dr. Karl-Heinz Klejdzinski [SPD]: Sehr rich -tig!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) Schon immer haben wir bezweifelt, ob der Vertei- digungsminister den Mut aufbringt, bei der Bundes- Dieser Dank entspringt der Würdigung und Anerken- wehrplanung weit genug zu springen. Mit dem, was nung ihrer Arbeit und Leistung. Wir bitten Sie, Herr der Finanzminister der Koalition zubilligt, wird man Staatssekretär, diesen Dank zu übermitteln. 19074 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. April 1994

Dieter Heistermann Der Weg der Integration von Soldaten der Bundes- Lassen Sie mich noch ein paar notwendige Anmer- wehr und der ehemaligen NVA ist richtig und muß kungen zu Problemen der Wehrpflichtigen machen. konsequent weite rverfolgt werden. Bei meinen Gesprächen mit ihnen wurde überdeut- lich, wie die Wehrungerechtigkeit sie tief verletzt. Sie Seit Jahren fordert die SPD-Bundestagsfraktion bringen immer weniger Verständnis dafür auf, daß eine klare Ausplanung der Personalstruktur. Würde einige dienen und andere verdienen. Deshalb war die jetzt noch das Personalstrukturmodell 370 vorgelegt, Kürzung des Entlassungsgeldes bei den Wehrpflichti- so würde dies der Truppe nicht gerecht, weil es gen ein großer Fehler. Sie fühlen sich nämlich doppelt überholt, nicht mehr passend und nicht finanzierbar betrogen. Der Eindruck, wieder würde bei den ist. Es ist für die Soldaten eine Zumutung, immer noch Schwächsten gespart, sitzt tief. mit diesen Vorgaben arbeiten zu müssen. Wir leiten daraus die Forderung ab: Legen Sie endlich eine Vermehrt wird auch die Einberufungspraxis kriti- Planung vor, die trägt und auf einer Finanzlage siert. Lebensältere Wehrpflichtige werden aus dem aufbaut, die mittelfristig abgesichert ist. Beruf heraus einberufen. Das ist volkswirtschaftlich unvernünftig. Diese Praxis leistet der Wehrpflicht in Herr Staatssekretär, Sie müssen den Soldaten und der Tat einen Bärendienst, weil damit ein unverhält- den zivilen Beschäftigten in der Bundeswehr sagen, nismäßiger Eingriff in die persönliche Lebensplanung was unter Ihrer Verantwortung geschehen wird. Alle der betroffenen Wehrpflichtigen verbunden ist, die wollen wissen, wo der von Ihnen eingeschlagene Weg sich häufig genug darum bemüht haben, in jungen enden soll. Die Soldaten sind bereit dazu, klare und Jahren einberufen zu werden. Andererseits gibt es eindeutige Entscheidungen zu akzeptieren. Aber hier arbeitslose Jugendliche, denen man durch eine Ein- ein Reförmchen und da noch ein Reförmchen, dies ist berufung besser helfen könnte. In der Tat, hier würde Flickschusterei. Das haben im übrigen auch unsere es hilfreich sein, differenzierter vorzugehen. Die SPD Soldaten nicht verdient. Bundestagsfraktion hatte für die Herabsetzung des Einberufungshöchstalters auf 25 Jahre lange vor der Lassen Sie auch das unehrliche Zahlenspiel, indem Bundesregierung einen eigenen Gesetzentwurf in die von Bandbreiten bei Einberufungen bzw.- Personal- parlamentarische Debatte eingebracht, der die Inter- umfängen geredet wird. Die SPD bekennt sich zur essen der Beteiligten, nämlich der Wehrpflichtigen, Wehrpflicht. Wie lange die Wehrpflicht als wichtiges der Wirtschaft und des Staates, angemessen berück- Element unserer Streitkräfte erhalten werden kann, sichtigt. hängt entscheidend davon ab, wie viele Wehrpflich- tige einberufen werden können, die Erfüllung wel- (Zuruf von der CDU/CSU: Der war nicht cher Aufgaben wir ihnen abverlangen, welche Anfor- gut!) derungen wir an sie stellen und wie wir die Wehrge- rechtigkeit herstellen können. Doch unser Gesetzentwurf scheiterte an der Unein- sichtigkeit der parlamentarischen Mehrheit der Zu fragen ist zuallererst, was für Kräfte wir für die Regierungskoalition aus CDU/CSU und F.D.P. Landes- und Bündnisverteidigung brauchen und mit Es bleibt dabei: Der Umbau der Bundeswehr erf or- welchen Kräften wir künftig internationale Aufgaben dert den gesamten Einsatz der politisch Verantwortli- wahrnehmen wollen. Danach hat sich die Personal- chen. Er muß vom Wehrbeauftragten kritisch begleitet auswahl und auch die Bundeswehrstruktur zu rich- werden. ten. Wir wissen, daß der Wehrbeauftragte und seine Die SPD hat auf ihrem Wiesbadener Parteitag ihre Mitarbeiter sich nach Kräften bemühen, dem Deut- Eckwerte einer künftigen Bundeswehrplanung offen- schen Bundestag Aufklärung darüber zu geben, wel- gelegt. Daran werden wir uns nicht nur orientieren, che Entwicklung die Bundeswehr nimmt, ob Verstöße nein, diese werden wir auch so umsetzen. Es gibt die gegen die Grundsätze der Inneren Führung vorliegen, Botschaft, neue Planungsleitlinien im April dieses wo Sorgen der Soldaten sichtbar werden, wie die Jahres vorzulegen. Diese werden wir an unseren Stimmung in der Truppe ist. Das ist gut so. Gerade Eckwerten messen und daran, ob sie der Aufgabe jetzt muß sich der Wehrbeauftragte bewähren, muß er gerecht werden, die Bundeswehr aus dem Schlinger- die Hand am Puls der Soldaten und der zivilen kurs herauszubringen. Mitarbeiter haben, muß er aufzeigen, wenn sich im Prozeß der Umgliederung Fehlentwicklungen auftun. Schon einmal haben Sie in der Koalition, und das Nur in Kenntnis aller Fakten wird das Parlament die durch ihren Minister, erklärt — das war 1992 — und Konsequenzen ziehen können. bei der Planungsleitlinie 1994 angekündigt, daß es das Ziel der Planungskonferenz sei, letztmalig, man Auffällig ist, daß die Stellungnahme des Beirats für höre und staune, den Bauplan abzustimmen, der die Innere Führung zum Wehrbeauftragtenbericht der komplexen weiteren Arbeiten bestimmt. Ihre Ankün- Truppe nicht mehr zugänglich gemacht wird. Wir digung damals, bis zum Jahresende 1992 eine Bun- bitten das BMVg eindringlich, dies in Zukunft wieder deswehrplanung aus einem Guß vorzulegen, hatte sicherzustellen. Die SPD-Bundestagsfraktion sichert keine lange Lebensdauer. Wir werden sehen, ob die Ihnen, Herr Wehrbeauftragter, zu, Sie und Ihre Mitar- Koalition noch die Kraft aufbringt, sich wenigstens mit beiter bei Ihrer nicht leichten Arbeit voll zu unterstüt- einem Bundeswehrplan 1995 aus dieser Legislaturpe- zen. Leiten Sie bitte auch unseren Dank an alle riode zu verabschieden. Mitarbeiter weiter. (V o r s i t z : Vizepräsident Helmuth Becker) (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994 19075

Dieter Heistermann Ich fasse zusammen. Die Soldaten wollen wissen, Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Herr Kollege wie die Kombination von Landesverteidigung, Bünd- Heistermann. nisaufgaben, UNO-Einsätzen und humanitären Hilfen als neue Aufgabe zu lösen ist, auf welcher Zeitachse Dieter Heistermann (SPD): Herr Kollege Nolting, die Reform der Streitkräfte stattfindet und wann können Sie mir zusagen, daß der abgesetzte Punkt Geräte und Systeme, Ausrüstungs- und Führungsmit- „Dienstzeitregelung", der in der nächsten Sitzung des tel und die notwendige Logistik zur Verfügung ste- Verteidigungsausschusses auf der Tagesordnung ste- hen. Auftrag und Mittel müssen in Übereinstimmung hen sollte, wenigstens in der anderen Woche auf die gebracht werden. Tagesordnung gesetzt wird? Die Soldaten und Zivilbeschäftigten wollen eine klare und baldige Entscheidung darüber, was letzt- Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Kollege Heister- endlich aus dieser Bundeswehr wird. mann, wir haben in der nächsten Woche ein Obleute- Die Bundeswehr kann sicher sein, daß die SPD ihren gespräch. Ich nehme Ihre Bitte gerne auf. Der Kollege Beitrag dazu leisten wird, daß die Unsicherheiten in Kolbow wird das dann allerdings wahrscheinlich auch der Bundeswehr abgebaut werden. tun. Ich denke, wir werden in der nächsten Zeit in einer Sitzung die Möglichkeit haben, um eben auch Ich danke für die Aufmerksamkeit. die Notwendigkeit aufzuzeigen, daß die jetzige Rege- (Beifall bei der SPD — Günther Friedrich lung einer Veränderung bedarf, daß sie der Praxis Nolting [F.D.P.]: Dazu sage ich noch etwas! angepaßt werden muß. Ich meine, daß wir dann auch — Dr. Karl-Heinz Klejdzinski [SPD]: Hoffent die Probleme bereinigen können, die es jetzt im lich etwas Vernünftiges!) Truppenalltag gibt, und daß wir dann auch ein hohes Maß an Gerechtigkeit schaffen werden. Ich sichere Vizepräsident Helmuth Becker: Meine sehr verehr- Ihnen das zu. ten Damen und Herren, der nächste Redner ist unser Meine Damen und Herren, ich habe mit Interesse Kollege Günther Nolting. gelesen, daß das Verteidigungsministerium die Erar- beitung einer Studie über Mängel und Schwachstel- - len der politischen Bildung in der Bundeswehr ange- Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Herr Präsident! ordnet hat. Wir Liberalen sagen dazu: Die Bundes- Meine Damen und Herren! Zum Bericht des Wehrbe- wehr hat einen wichtigen Bildungsauftrag zu erfüllen. auftragten aus dem Jahr 1992 möchte ich eingangs auf Sie kann und soll junge Staatsbürger mit den Werten die nach wie vor gültige Dienstzeitregelung einge- und den Institutionen unser freiheitlich-demokrati- hen; der Herr Wehrbeauftragte hat diesen Komplex schen Grundordnung vertraut machen. Hier hat die auch schon erwähnt. Bundeswehr vor allem in den letzten Jahren in den Viele Soldaten beklagen sich über eine ungleiche neuen Ländern wertvolle Arbeit und damit auch zur Behandlung und haben ihren Unmut im Jahr 1992, inneren Einheit Deutschlands einen wichtigen Beitrag aber auch im Jahr 1993 zum Ausdruck gebracht. Sie geleistet. haben darauf hingewiesen, daß die einen finanziell (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der entschädigt werden, weil sie wegen ihrer Funktion für CDU/CSU) den Dienstbetrieb unentbehrlich sind, daß aber die anderen, deren Abwesenheit den Dienstablauf nicht Meine Damen und Herren, die Bundeswehr hat beeinträchtigt, vorwiegend in den Genuß des begehr- aber auch die Chance, durch gezielte Aufklärung den ten Freizeitausgleichs kommen. drohenden rechtsextremen Tendenzen gerade unter jungen Menschen entgegenzuwirken. Der Wehrbe- Ich habe schon darauf hingewiesen: Schaut man auftragte hat darauf hingewiesen: Auch in der Bun- sich den neuesten Bericht 1993 an, so kann man deswehr hat es Vorfälle rechtsextremen Verhaltens feststellen, daß sich die Situation in diesem Bereich gegeben. Ich denke aber, daß diese ein Spiegelbild eher noch verschlechtert hat. der momentanen Strömungen in unserer Gesellschaft Sie wissen, meine Damen und Herren, daß sich die sind, ohne daß ich diese Tendenzen verharmlosen F.D.P. für diese Dienstzeitregelung eingesetzt und sie will. auch schließlich durchgesetzt hat, auch gegen den Für mich ist es in diesem Zusammenhang besorg- Willen — lieber Kollege, Sie waren dabei — des niserregend, daß der Wehrbeauftragte auch von Ver- Verteidigungsministeriums. Diese Dienstzeitrege- suchen der rechtsextremen Szene berichtet hat, lung war meiner Ansicht nach insofern ein großer unsere Streitkräfte gezielt zu unterwandern. Ich Erfolg, als es gelungen ist, die Dienstzeit der Soldaten denke, alle Demokraten hier im Hause müssen darauf insgesamt zu senken, vor allem aber ein Bewußtsein Obacht geben. dafür zu entwickeln, daß die Zeit der Soldaten nicht Dennoch bin ich der Meinung, die fast 40jährige unbegrenzt und kostenlos zur Verfügung stehen kann Geschichte der Bundeswehr hat gezeigt, daß es an der und auch nicht darf. Loyalität und der Treue der Soldaten zu unserer Verfassung nicht den geringsten Zweifel gibt. Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Nol- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der ting, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen SPD) Heistermann? Meine Damen und Herren, die Bundeswehr kann im Bereich der politischen Bildung zwar nicht die Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Ja, ich ge- Schule der Nation sein, durch den hohen Durchlauf statte. junger Männer kann und muß sie aber im Bereich der 19076 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. April 1994

Günther Friedrich Nolting Erwachsenenbildung auch die wichtige Aufgabe aufkündigen. Da beschließen SPD-geführte Kommu- wahrnehmen, rechten Strömungen schon im Ansatz nen soldatenfreie Städte; zu begegnen. Die politische Bildung in der Truppe (Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktions muß deshalb in der Ausbildung den Raum einnehmen, los]: Pfui!) der ihr gebührt, und darf nicht vernachlässigt wer- ich kann das auch belegen. Der SPD-Parteitag den. beschließt, Vereidigungen von Soldaten nur noch in Lassen Sie mich zum Abschluß zwei aktuelle The- Kasernen stattfinden zu lassen. men aufgreifen. Der Kollege Heistermann hat sie (Dieter Heistermann [SPD]: Wo steht denn bereits angesprochen. das?) Erstens. Die bereits im vergangenen Jahr erfolgte Die SPD will offensichtlich die Bundeswehr verstek- Kürzung des Entlassungsgeldes und die Zurück- ken. Teile der SPD — wie die Nachwuchsorganisa- nahme der Zahlung des Verpflegungsgeldes an tion — beschließen die Auflösung der NATO und dienstfreien Tagen auf den einfachen Tagessatz ist damit ja wohl auch der Bundeswehr und nähern sich nicht nur bei den Wehrpflichtigen — wie ich meine, zu hier den Beschlüssen der GRÜNEN. Recht — auf wenig Gegenliebe gestoßen. Sie wissen, (Dieter Heistermann [SPD]: Wo steht das daß die Arbeitsgruppe Sicherheitspolitik der F.D.P. denn?) diese Kürzungen deshalb auch abgelehnt hat. Ich — Ich kann das gern hinüberreichen. denke, auch die Attraktivität des Wehrdienstes hat unter dieser Maßnahme gelitten. Wir sollten gemein- Auch die GRÜNEN, die ja heute in dieser Debatte sam überlegen, wie wir hier einen Ausgleich schaffen nicht anwesend sind, haben ja gerade auf ihrem können, eventuell durch eine Wehrsolderhöhung. letzten Parteitag beschlossen, die Bundeswehr aufzu- lösen, aus der NATO auszutreten und schließlich auch (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) die NATO aufzulösen. Gleichzeitig bieten sich die Zweitens. Ich will an dieser Stelle auch darauf GRÜNEN als Koalitionspartner der SPD an. hinweisen, daß die Arbeitsgruppe Sicherheitspolitik Ich hätte es als sehr wohltuend empfunden, Herr der F.D.P.-Bundestagsfraktion den geplanten- Ver- Kollege Heistermann, wenn Sie sich auch zu diesen waltungskostenzuschlag zum Verpflegungsgeld ab- Dingen einmal geäußert hätten, wenn Sie sich von lehnt, der vor allem die unteren Einkommensgruppen diesen Beschlüssen klar abgegrenzt, wenn Sie sich bei Zivilangestellten sowie bei Zeit- und Berufssolda- von den Beschlüssen der GRÜNEN distanziert hätten. ten belastet. Dann hätten Sie in diesem Hause Klarheit geschaf- fen. Meine Damen und Herren, es ist generell die Frage zu stellen und vor allen Dingen auch zu beantworten, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) wie ein weiterer Ansehensverlust des Wehrdienstes verhindert werden kann, denn im öffentlichen Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Nol- Bewußtsein ist längst gängige Auffassung, Wehr- und ting, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Zivildienst seien gleichgestellt, und man könne inzwi- schen frei wählen. Das Grundgesetz aber gibt hierauf Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Lassen Sie mich eine klare Antwort: Grundsätzlich hat jeder Wehr- diesen Satz gerade noch zu Ende sagen, Herr Präsi- pflichtige den Wehrdienst zu leisten. — Der Zivil- dent. dienst ist danach nur die Ausnahme von der Regel. Es Der Kollege Irmer hat ja gestern in der Debatte auch ist deshalb die Aufgabe der Politik und der Gesell- schon auf die widersprüchlichen Aussagen zur Sicher- schaft, die Prioritäten wieder zurechtzurücken. heitspolitik hingewiesen, die aus Ihrer Fraktion kom- Wir brauchen deshalb — dies sage ich zum men. Ich brauche das hier nicht zu wiederholen. Abschluß — eine verbindliche Bundeswehrplanung, (Zuruf von der SPD: Die Widersprüche kön die — ausgehend von der sicherheitspolitischen nen nur in der F.D.P. noch größer sein!) Lage — den Auftrag formuliert, dann die Eckwerte festlegt und schließlich hieraus den Finanzrahmen Gestatten Sie eine ableitet. Dieser muß dann auch langfristig Bestand Vizepräsident Helmuth Becker: Zwischenfrage des Kollegen Dr. Klejdzinski? haben, meine Damen und Herren, damit es eben nicht immer wieder zu Spekulationen — wie von den verschiedensten Seiten vorgetragen — kommt. Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Ich gestatte auch eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Klejdzinski. Wir alle, vor allen Dingen auch die Bundeswehr, brauchen hier Planungssicherheit. Lieber Kollege (SPD): Herr Kollege Nol- Heistermann, ich habe die Bekenntnisse zur Bundes- Dr. Karl-Heinz Klejdzinski ting, stimmen Sie mir zu, daß zu diesen entscheiden- wehr, die hier vorgetragen wurden, sehr wohl gehört, den Fragen des Verhältnisses der SPD zu den GRÜ- und persönlich will ich das auch gar nicht in Abrede NEN, die Sie teilweise angesprochen haben, unser stellen. Es ist von Eckwerten der SPD gesprochen Parteivorsitzender eindeutig erklärt hat, was geht und worden, die sehr gut seien. Ich habe hier allerdings was nicht geht? Er hat beispielsweise mit Entschie- keine gehört, aber davon werden wir ja vielleicht in denheit unsere Zusage betont, zur NATO zu stehen. den weiteren Diskussionen hören. Ist es nicht unzulässig, Einzelstimmen zu zitieren? Ich Ich will aber noch ganz kurz aufzeigen, wie die tue es ja auch nicht; ich sage nicht: In der F.D.P. gibt es SPD-Wirklichkeit aussieht. Da gibt es SPD-geführte Leute, die 280 000 bis 370 000 Mann anbieten. Ich Kommunen, die Patenschaften mit der Bundeswehr nehme die Auseinandersetzung, die Sie parteiintern Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. April 1994 19077

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski führen, nicht als Maßstab und stelle dies nicht generell Koppelin landauf, landab erklärt, daß er nämlich für als F.D.P.-Meinung dar. eine Freiwilligenarmee sei, und daß Ihr Bekenntnis (Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [fraktions zur Wehrpflicht, das Sie hier abgelegt haben, eigent- los] : Das gilt für alle Parteien!) lich eine einsame Position in der F.D.P. ist? Oder wie habe ich das jetzt zu interpretieren? Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Aber, Herr Kol- lege Klejdzinski, das ist es doch gerade, was Sie aufgezeigt haben, das Dilemma der SPD, Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Herr Kollege (Lachen bei der SPD) Heistermann, ich bedanke mich bei Ihnen, daß Sie daß Ihr Bundesvorsitzender Erklärungen abgibt, daß sich um mein Wohlergehen sorgen. Ich bin in dieser aber Teile, nicht Einzelstimmen, sondern große Teile Frage überhaupt nicht einsam. Der vorletzte F.D.P.- Ihrer Partei genau das Gegenteil nicht nur in der Bundesparteitag hat mit Dreiviertelmehrheit, so Öffentlichkeit vertreten, sondern auch beschließen, so glaube ich, beschlossen: Die F.D.P. will keine Berufs- wie es die Jusos als Teil der SPD gerade getan haben. armee, die F.D.P. tritt für die allgemeine Wehrpflicht Das ist das Dilemma, auf das Sie hingewiesen ein. haben. Sie wissen aber, daß wir eine unabhängige Kommis- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) sion mit Professor Jacobsen hatten, der aufgezeigt hat, daß man bei einem Umfang von 370 000 Mann sehr Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Nol- wohl an der allgemeinen Wehrpflicht, wie sie jetzt ting, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kol- besteht, festhalten kann, daß aber dann, wenn diese legen Koppelin? Zahl unterschritten wird, neue Überlegungen ange- stellt werden müssen. Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Ich gestatte auch (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.]) eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin, selbstver- Der Beschluß des F.D.P.-Parteitages sieht denn ständlich, gern. - auch vor, daß wir, wenn diese Zahl von 370 000 Mann unterschritten wird, sehr wohl zu neuen Überlegun- (F.D.P.): Kollege Nolting, können Jürgen Koppelin gen kommen müssen, auch in der Frage der Gerech- Sie mir zustimmen, daß wir heute in der Rede des Ich denke, da sind wir in der Koalition über- Kollegen Heistermann gerade ein Beispiel für das tigkeit. haupt nicht auseinander, und da sind wir auch mit Verwirrspiel der SPD bekommen haben, der auf der Ihnen von der Opposition nicht auseinander, und es einen Seite erklärt hat, die SPD wolle an der Wehr- muß ja wohl jedem Abgeordneten des Deutschen pflicht festhalten, während wir auf der anderen Seite Bundestages gestattet sein, wissen, daß im Regierungsprogramm der SPD eine Bundeswehr mit einem Umfang von 300 000 Mann (Zurufe von der SPD: Aha!) steht? Das kann ja irgendwo nicht stimmen. Würden daß er weitergehende Überlegungen anstellt. Ich Sie mir zustimmen, daß das ein Beispiel für das fühle mich in der liberalen Partei gerade deshalb auch Verwirrspiel ist? sehr wohl, weil ich hier diese Möglichkeiten habe.

Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Herr Kollege (Beifall bei der F.D.P.) Koppelin, in dieser Frage stimme ich Ihnen absolut Eine andere Frage ist damit komme ich auf das zu. zurück, was ich eingangs sagte —, ob hier Überlegun- (Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Der hat gen angestellt werden, die in die Zukunft gehen, oder ja gar keine Ahnung! Der fragt doch in der ob Sie jetzt wie Teile Ihrer Partei den Status quo Fragestunde schon so dummes Zeug!) ändern wollen. Darin besteht der Unterschied. Das ist genau das Verwirrspiel, auf das der Kollege (Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Wenn Klejdzinski auch schon hingewiesen hat. Er hat es nur man in der Zukunft etwas ändern will, ändert anders sehen wollen; aber letztendlich zielte die Frage man auch den Status quo!) genau darauf ab. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß für die Arbeit danken, die der Wehrbeauf- Vizepräsident Helmuth Becker: Ich frage Sie, ob Sie tragte und seine Mitarbeiter im letzten Jahr und in den die letzte Frage des Kollegen Heistermann zu diesem Jahren zuvor geleistet haben. Ich denke, die Institu- Komplex zulassen. tion des Wehrbeauftragten als Kummerkasten der Bundeswehr hat sich bewährt. Herr Wehrbeauftrag- Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Ja, obwohl er ter, ich sichere Ihnen weiterhin die Unterstützung der genügend Zeit hatte, hier die Vorstellungen der SPD F.D.P.-Bundestagsfraktion zu. vorzutragen. Bitte schön! Vielen Dank. Dieter Heistermann (SPD): Ich bedanke mich, Kol- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne lege Nolting. Nachdem Sie mich persönlich angespro- ten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Rudolf chen haben, möchte ich Ihnen wenigstens noch Gele- Karl Krause [Bonese] [fraktionslos] — Walter genheit geben, eine Frage von mir zu beantworten. Kolbow [SPD]: Das war eine schwache Rede! Kann ich aus Ihrem Redebeitrag jetzt schließen, daß — Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Es die F.D.P. für die Abschaffung der Wehrpflicht ist, lohnt sich nicht! Das nächste Mal ist er wenn ich das richtig interpretiere, was der Kollege sowieso nicht mehr da!) 19078 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994

Vizepräsident Helmuth Becker: Zum Schluß dieser Bundesländer heimatferne Einberufungen nicht zu Debatte erteile ich dem Herrn Parlamentarischen vermeiden sein werden. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidi- Den Zivildienstleistenden wird dies nicht zugemu- gung, unserem Kollegen Be rnd Wilz, das Wort. tet. Der Wehrbeauftragte hat zu Recht festgestellt, daß die Wehrpflichtigen nicht nur in finanzieller Hinsicht schlechter gestellt sind als die Zivildienstleistenden. Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Wir müssen den Wehrdienst als vorrangigen Dienst ster der Verteidigung: Herr Präsident! Liebe Kollegin- mit Verfassungsrang wieder allen Bürgern deutlich nen und Kollegen! Der Jahresbericht 1992 des Wehr- machen und gleichzeitig eine Gleichbehandlung von beauftragten ist eine umfassende Darstellung der Wehr- und Zivildienstleistenden sicherstellen. Die inneren Lage der Streitkräfte. Ich möchte deshalb Bundesregierung wird dem Deutschen Bundestag zunächst dem Wehrbeauftragten sowie seinen Mitar- hierzu in Kürze einen Bericht zuleiten. beiterinnen und Mitarbeitern hierfür auch ausdrück- Zweifelsohne lagen die größten Herausforderun- lich den Dank des Bundesministers der Verteidigung gen bei der Umstrukturierung der Bundeswehr aussprechen. sowohl nach dem Bericht des Wehrbeauftragten als (Beifall bei Abgeordneten der SPD) auch in der Praxis der Truppe in den neuen Ländern. Die Vorschläge und Anregungen, aber auch die Gerade dort aber gab es auch viele sichtbare Erfolge, kritischen Anmerkungen des Wehrbeauftragten sind die deutlich machen, daß dies Probleme des Über- für uns stets ein wichtiger Gradmesser der Stimmung gangs gewesen sind und einer zeitlichen Begrenzung in der Truppe und über sie, ein Gradmesser, dem unterliegen. gerade in Zeiten des Umbruchs und der Umstruktu- Es ist auch von dieser Stelle schon mehrfach darauf rierung besondere Bedeutung zukommt. hingewiesen worden — und ich will es noch einmal verdeutlichen —: Wohl keine andere Institution hat für Die Bundesregierung hat den Jahresbericht 1992 die Vollendung der deutschen Einheit und für das gewissenhaft geprüft und ausgewertet. Eine ausführ- Zusammenwachsen der Gesellschaft in so kurzer Zeit liche Stellungnahme wurde am 8. Juni 1993 zusam- so viel geleistet wie die Bundeswehr. Darauf können men mit dem Jahresbericht der Truppe bekanntgege- wir alle stolz sein. ben. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der Wo immer möglich und angezeigt, hat die Bundes- SPD) regierung die Empfehlungen des Wehrbeauftragten aufgegriffen und entsprechende Maßnahmen einge- Teilweise finden berechtigte Forderungen des leitet. Der Bericht über den Sachstand und die Ergeb- Wehrbeauftragten wie z. B. die Verbesserung der nisse der eingeleiteten Maßnahmen wurde dem Ver- Beförderungssituation von Mannschaftsdienstgraden teidigungsausschuß am 29. März 1994 vorgelegt. oder die Überarbeitung der Dienstzeitausgleichsrege- lung vorerst am unzureichenden Verteidigungshaus- Wie in früheren Jahren hat der Wehrbeauftragte in halt ihre Grenzen. Die Planungen des Bundesministe- seinem Bericht Beispiele aufgenommen, wo Men- riums der Verteidigung zu weiteren zukunftsgerichte- schenführung in den Streitkräften nicht zeitgemäß ten Lösungen in diesen und anderen Bereichen schrei- und das Verhalten von Vorgesetzten nicht angemes- ten dennoch fort. Wir hoffen dabei, in unseren Bemü- sen erschien. Ich begrüße ausdrücklich, daß der Wehr- hungen eine breite parlamentarische Unterstützung beauftragte über solche Einzelfälle berichtet, die zu finden. jeweils konsequent geahndet wurden. Herr Kollege Heistermann, ich habe mit großer Ich sehe darin eine wichtige erzieherische Funktion Aufmerksamkeit zugehört, was Sie heute zum Geld für unsere Vorgesetzten und gleichzeitig eine Schutz- gesagt haben. Es wäre ein absolutes Novum, daß die funktion für die ihnen untergebenen Soldaten. Unab- Sozialdemokraten einmal nicht vom Verteidigungs- hängig davon bin ich aber ebenso wie der Beauftragte haushalt Geld wegräumen, sondern etwas zulegen der Auffassung, daß der zwischenmenschliche Um- wollen. Ich würde das außerordentlich begrüßen. gang in den Streitkräften gut ist. (Uta Zapf [SPD]: Sparen Sie erst einmal das Nicht umsonst sind die für die Bundeswehr gelten- ein, was Herr General Huber vorgeschlagen den Prinzipien der Inneren Führung und des Staats- hat!) bürgers in Uniform beispielhaft für viele andere Bei einigen Kolleginnen und Kollegen aus Ihrer Frak- Armeen und haben sich in den letzten Jahren zu tion hatte ich bisher allerdings eher den Eindruck, als Exportschlagern für die jungen Demokratien in ob sie den Verteidigungshaushalt als den Steinbruch Osteuropa entwickelt. der Nation ansähen. Wenn das mit Ihrer heutigen (Dieter Heistermann [SPD]: Da stimmen wir Erklärung beendet wäre, dann — à la bonne heure! — überein!) werden wir das in den nächsten Wochen feststellen. Mit den Maßnahmen der Bundesregierung zur Ich nehme Sie gerne beim Portepee. Verbesserung der Ausschöpfung der Rekrutenjahr- gänge wird eine wesentliche Forderung des Wehrbe- Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Staatssekretär, auftragten bis Mitte 1994 erfüllt. Dabei wird im Sie gestatten eine Zwischenfrage des Kollegen Kol- Rahmen des Möglichen sichergestellt werden, daß die bow? Rekruten ihre Standorte in vertretbaren Reisezeiten erreichen. Nachdrücklich möchte ich aber darauf (SPD): Herr Kollege Wilz, wie beur- hinweisen, daß durch Aufgabe von mehr als teilen Sie im Zusammenhang mit Ihren euphorischen 200 Standorten und die Einbeziehung der neuen Aussagen gerade die Tatsache, daß die Bundesregie- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. April 1994 19079

Walter Kolbow rung und die sie tragende Koalition aus CDU/CSU und Sie die Vorschläge des General Huber zur Einspa- F.D.P. für das Haushaltsjahr 1994 1,25 Milliarden DM rung von rund 2 Milliarden DM im Verteidigungs- zum Sparen vorgesehen haben und die Sozialdemo- haushalt pro Jahr umzusetzen gedenken? kratie nur 780 Millionen DM? (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Nächste (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Aber das Woche in Brüssel!) in jedem Jahr, seit Jahren schon!) Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- ster der Verteidigung: Sehr verehrte Frau Kollegin ster der Verteidigung: Sehen Sie, Herr Kollege Kol- Zapf, ich darf feststellen: Der Bundesminister der bow, zunächst einmal ist es richtig, daß Sie ja immer Verteidigung und die politische Leitung des Hauses von vornherein Kürzungen vorgeschlagen haben, sind überaus kreativ. Sie haben Mut zu neuen Lösun- immer. Sie haben ja selber benannt, welche Kürzun- gen, und sie haben General Huber ausdrücklich gen Sie vorgeschlagen haben. ermuntert und beauftragt, über die Arbeitsgruppe Sehen Sie, umgekehrt ist diese Bundesregierung AGAB wirklich zukunftsweisende Lösungen bei Pri- vatisierungs- und Logistikfragen aufzuzeigen. (Dieter Heistermann [SPD]: Jetzt in einer schwierigen Lage!) (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: So ist es! — Walter Kolbow [SPD]: Warum beantragt in einer Verantwortung für alle Felder der Politik. Wir der jetzt seine Entlassung?) haben natürlich auch große Verantwortung gegen- über den neuen Bundesländern. Wir haben Verant- Sie dürfen sicher sein, Frau Kollegin Zapf, daß wir wortung gegenüber vielen Ländern des ehemaligen alles tun werden, was dort sinnvoll ist, was zur Ostblocks, wir haben gesellschaftspolitische Aufga- Einsparung führt, damit es umgesetzt werden kann. ben zu erfüllen, und ich glaube, wir sind nach bestem (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Hoffent- Wissen und Gewissen dieser Verantwortung nachge- lich macht die SPD dann auch mit, wenn es kommen. Die Bundesregierung hat dies konzeptionell um die Fragen der Privatisierung geht! — so geleistet, wie es tragbar ist. Walter Kolbow [SPD]: Hurra! Hurra! Hurra! Aber dennoch— und da wäre ich dankbar, wenn Sie — Zuruf von der SPD: Macht der Huber dann uns unterstützten — wäre es gut, wenn wir in Zukunft noch mit? — Paul Breuer [CDU/CSU]: Die wieder ein Stück nach oben gehen könnten. Wir SPD ist nicht in der Lage, einen öffentlichen benötigen für die mittelfristige Finanzplanung 47,5 Lokus zu privatisieren!) Milliarden DM. Ich möchte nur sagen: Es wäre gut, wenn wir in der Entwicklung noch ein Stück zulegen Vizepräsident Helmuth Becker: Gestatten Sie eine könnten. Wenn Sie uns dabei unterstützten, dann weitere Zusatzfrage der Kollegin Zapf? würde ich das außerordentlich begrüßen. (Dieter Heistermann [SPD]: Wir warten jetzt Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- auf Ihren Entwurf!) ster der Verteidigung: Ja. Die in dem Bericht genannten Schwierigkeiten bei Bitte, Frau Kolle- der Umstrukturierung der Bundeswehr sind vor allem Vizepräsident Helmuth Becker: gin. auf unerwartete Korrekturen in der ohnehin engen Finanzausstattung der Streitkräfte zurückzuführen. Kurzfristige Einsparungen im Verteidigungshaushalt Uta Zapf (SPD): Ist es auf die außerordentliche beeinträchtigen den Betrieb der Bundeswehr und Ermutigung durch die Bundesregierung zurückzufüh- haben naturgemäß auch Auswirkungen auf die Moti- ren, daß der General Huber seine Pensionierung vation und vor allem auf den Ausbildungsstand der beantragt hat? Truppe. Darauf hat der Wehrbeauftragte nachdrück- lich hingewiesen. Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- ster der Verteidigung: Sehr verehrte Frau Kollegin Die Unterfinanzierung der Bundeswehr und ein Zapf, da der General Huber zunächst gesundheitliche teilweise vorhandenes Mißverhältnis von Auftrag und Probleme hatte, konnten wir mit ihm noch nicht Mitteln wird uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, persönlich reden. Es gehört sich im Leben — das ist ein auch bei der Behandlung des Jahresberichts 1993 Prinzip des menschlichen Umgangs miteinander —, noch intensiv beschäftigen. daß man sich zunächst einmal geistig austauscht und fragt: Was gibt es da für Gründe? Was wollen Sie Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Staatssekretär, wirklich? Dem werden wir selbstverständlich gern gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Frau Kol- nachkommen. Sie dürfen sicher sein: Bei uns ist das legin Zapf? alles in den besten Händen. (Dieter Heistermann [SPD]: Wie lange noch? Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- — Uta Zapf [SPD]: Diesen Eindruck hat man, ster der Verteidigung: Ja, selbstverständlich. ja!) Die Bundesregierung geht den Reformprozeß der Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte. Bundeswehr entschlossen an. Mit der Herausgabe des Weißbuches 1994 wurden eine Analyse der sicher- Uta Zapf (SPD): Herr Staatssekretär, darf ich im heitspolitischen Lage vorgelegt, der Auftrag der Bun- Zusammenhang mit den schwierigen Finanzfragen im deswehr abgeleitet und die dazu benötigten Fähigkei- Verteidigungshaushalt einmal nachfragen, inwieweit ten aufgezeigt. 19080 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994

Parl. Staatssekretär Bernd Wilz Auf dieser Basis werden zur Zeit Untersuchungen lich, was die Bundeswehr und unsere Soldaten hier durchgeführt, deren Ergebnisse in konzeptionellen geleistet haben. Leitlinien zusammengefaßt und nächste Woche dem (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der Verteidigungsausschuß vorgestellt werden. Beides SPD) zusammen bildet die Grundlage für das künftige Gesamtbild der Bundeswehr und ihrer Angehörigen. Meine Damen und Herren, ich darf mich abschlie- Damit, verehrter Kollege Heistermann, bekommen ßend bei Ihnen allen für das große Interesse bedan- Sie Antworten auf die kritischen Fragen, die Sie heute ken, das Sie der Bundeswehr wieder erwiesen haben. gestellt haben. Noch einmal auch Ihnen, Herr Wehrbeauftragter, und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ihres Hauses (Manfred Opel [SPD]: Vielleicht!) meinen herzlichen Dank! Ich danke auch Ihnen. Ich darf Ihnen auch sagen, daß wir natürlich Ihren (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Dank an die Bundeswehrführung, an die Soldaten und sowie des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause [Bo Angehörigen der Bundeswehr sehr gerne übermitteln werden. nese] [fraktionslos])

(Dr. Karl-Heinz Klejdzinski [SPD]: Antwor Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und ten schon, aber mit welcher Substanz?) Herren, ich schließe die Aussprache. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ich darf in diesem Zusammenhang auch darauf Verteidigungsausschusses auf Drucksache 12/6322 hinweisen: Es gibt nicht das Problem der Wehrunge- ab. Darin sind viele Bitten, Aufträge und Wünsche an rechtigkeit. Was es gibt, ist das Problem der Dienst- den Bundesminister der Verteidigung enthalten, die ungerechtigkeit. Herr Wilz eben schon dargestellt hat. Wer stimmt für (Günther Fried rich Nolting [F.D.P.]: So ist diese Beschlußempfehlung? — Gegenstimmen? — es!) Stimmenthaltungen? — Bei Enthaltung von Frau - Dr. Enkelmann ist die Beschlußempfehlung ange- Wehrgerechtigkeit haben wir; denn 97 bis 99 % derer, nommen. die zum Dienst zur Verfügung stehen, dienen. Aber es sind eben fast 30 %, die gar nicht dienen, weil sie Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf: wehruntauglich oder unabkömmlich sind oder weil Erste Beratung des von der Bundesregierung Ausnahmeregelungen greifen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 90/313/EWG des Sie wissen, daß wir mit dem Wehrpflichtgesetz — da Rates vom 7. Juni 1990 über den freien Zugang bin ich der Koalition für das, was sie hier umgesetzt zu Informationen über die Umwelt hat, überaus dankbar — auch gerade bei den Taug- lichkeitskriterien vernünftige Modifizierungen vor- — Drucksache 12/7138 — nehmen können, so daß wir in der Zukunft ein Stück Überweisungsvorschlag: mehr Dienstgerechtigkeit bekommen werden. Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend) Die vielfältigen und sachkundigen Erkenntnisse, Innenausschuß Rechtsausschuß Anmerkungen und Empfehlungen des Wehrbeauf- EG-Ausschuß tragten wurden und werden in alle Untersuchungen Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO über die künftige Bundeswehr einbezogen. Sie bilden Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für damit einen wichtigen Beitrag für den Umstrukturie- die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. — Ich rungsprozeß der Bundeswehr. höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Lassen Sie mich noch etwas aufgreifen, weil es mehrfach angesprochen worden ist. Herr Kollege Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundes- Augustinowitz, ich versichere Ihnen ausdrücklich, minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- daß wir gemeinsam größten Wert auf eine überzeu- heit, Herrn Kollegen Dr. Klaus Töpfer, das Wort. gende, kritische und staatsbürgerliche Unterrichtung der Soldaten legen. Es mag sein, daß das in der Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Umwelt, Vergangenheit in dem einen oder anderen Fall viel- Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! leicht nicht bis zum letzten so gemacht worden ist, wie Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorge- es hätte sein sollen. Aber wir haben sichergestellt, legte Entwurf eines Gesetzes über den freien Zugang haben veranlaßt, daß für unsere Soldaten ein breites zu Informationen über die Umwelt ist eine wichtige Angebot vorliegt und sie ihrer Verantwortung stets gesetzliche Initiative. Dadurch wird der Anspruch gerecht werden können. Wenn ich einmal an Aussied- eines jeden Bürgers begründet, Informationen über ler, Ausländer, Asylanten und wen auch immer denke: die Umweltdaten zu erhalten, die bei Umweltbehör- Es gibt keine Institution in Deutschland, die sich den den vorhanden sind. Der Gesetzentwurf, den wir Ausländern gegenüber so freundlich gezeigt hat wie heute zum erstenmal erörtern, setzt eine Richtlinie der die Bundeswehr. Denn wir sind in Wahrheit die Europäischen Gemeinschaft aus dem Jahr 1990 in einzigen, die entweder Unterkünfte geräumt haben deutsches Recht um. Ich erinnere mich noch sehr oder zusammengerückt sind. Wir haben gesagt: Bitte, genau an die intensiven Beratungen, die wir im wir teilen unsere Kasernen mit Menschen, die bei uns Europäischen Ministerrat dazu gehabt haben, und an eine Notunterkunft suchen. Ich glaube, es ist vorbild- die hohen Erwartungen und Wünsche, die gerade Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994 19081

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer unsere Umweltverbände an die Verabschiedung die- Inflationierungen von Zugang zu Informationen zu ser Richtlinie gerichtet haben. begrenzen. Aber es geht nicht nur um die Umsetzung dieser Auf die Regelung des Verwaltungsverfahrens ist im Richtlinie. Die Begründung eines allgemeinen Rechts Interesse der Deregulierung weitgehend verzichtet auf Zugang zu Umweltinformationen ist eine grund- worden — auch hier, glaube ich, in richtiger Auf- legende Weiterentwicklung, ja, eine Neuerung im nahme der Erwartung der Bundesländer. Hier können deutschen Recht. Anders als in einigen anderen Indu- also die Länder weitere Verfahrensregelungen tref- striestaaten, ich erwähne in besonderer Weise die fen. Unnötige Belastungen der Vewaltung werden Vereinigten Staaten — den „Freedom of Information durch den Gesetzentwurf vermieden. Act", Frankreich und die skandinavischen Länder, Meine Damen und Herren, Fortschritte im Umwelt- kannte das deutsche Recht bisher keinen freien schutz sind nur bei wirklich hohem Umweltbewußt- Zugang zu Umweltinformationen. Es gab bisher viel- sein und bei Engagement der Bürger zu erzielen. mehr den allgemeinen Grundsatz der beschränkten Dafür sollten wir nicht nur in Sonntagsreden werben, Aktenöffentlichkeit, der hier einzuhalten war. So gab sondern auch die rechtlichen Voraussetzungen es ohne Nachweis eines berechtigten Interesses kei- bezüglich des Zuganges zu Informationen schaffen. nen Zugang zu den Akten. Ich weiß aus vielen Denn nur ein gut informierter Bürger kann dieses praktischen Diskussionen noch als Landesminister in Engagement, dieses eigenverantwortliche Handeln Rheinland-Pfalz, wieviel Ärger und berechtigte wirklich in Entscheidungen einbringen. Besorgnisse bei Bürgern und Umweltverbänden Wenn wir diese Offenheit wollen, dann wollen wir geherrscht haben, wenn das „berechtigte Interesse" auch die Information entsprechend zur Verfügung etwa an Informationen über die Einleitung in die stellen. Das Gesetz wird den notwendigen Dialog Flüsse nicht nachgewiesen werden konnte. zwischen Bürger und Verwaltung fördern, und es wird Bei manchem Beteiligten herrscht auf der anderen nicht zu einem Übermaß an Bürokratie führen. Des- Seite die Sorge, das neue Informationsrecht der Bür- wegen hoffe ich, daß wir dieses Gesetz in diesem ger könne zu erheblichem Verwaltungsaufwand füh- Hohen Hause ohne falsche parteipolitische Konfron- ren, zur Beeinträchtigung der Verwaltungseffizienz tation und möglichst in Übereinstimmung verabschie- beitragen, wieder mehr Bürokratie begründen, den können. Kosten verursachen, also dem, was wir uns vorgenom- Ich danke Ihnen sehr herzlich. men haben, nämlich eine schlankere Verwaltung und einen möglichst nicht aufgeblähten Bürokratieappa- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der rat, zuwiderlaufen. SPD und der PDS/Linke Liste) Diese Besorgnisse sind natürlich ernst zu nehmen. Das waren die eigentlichen Gründe dafür, warum Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Diet- diese EG-Richtlinie eben nicht — das trage ich hier mit mar Schütz, Sie haben als nächster Redner das Wort, Bedauern, nicht nur pflichtgemäß vor — fristgerecht bitte. bis Ende 1992 umgesetzt worden ist und daß wir dieses Umsetzungsverfahren nun wirklich zu einem Dietmar Schütz (SPD): Herr Präsident! Meine vernünftigen Ergebnis bringen müssen. Damen und Herren! Herr Bundesminister Töpfer hat Diese aufwendigen Vorbereitungen, Vorarbeiten schon darauf hingewiesen: Endlich, nach anderthalb und intensiven Gespräche mit den Bundesländern Jahren, haben wir den Entwurf vor uns liegen. Darauf haben sich, wie ich meine, jedoch gelohnt. Der Bun- haben wir überflüssigerweise schon anderthalb Jahre desrat hat dem Gesetzentwurf bei Änderungswün- gewartet. Die verzögernde Behandlung dieser Mate- schen in Einzelheiten, die wir, glaube ich, sehr gut rie zeigt, wie schwer es sich die Bundesregierung, einarbeiten können, im wesentlichen zugestimmt. aber auch die Länder und in beiden ohne Zweifel die Wichtig in der Gesetzeskonzeption ist der Ausgleich Bürokratien machen, ihr Wissen offenzulegen. Es zwischen dem Interesse des Informationssuchenden zeigt auch, daß wegen der Struktur der deutschen und dem Interesse an einer Zurückhaltung schützens- Verwaltung und ihren Abschottungstendenzen ge- werter Informationen, also des Datenschutzes im wei- genüber der Öffentlichkeit in der Sache Schwierigkei- testen Sinne des Wortes. ten bestehen, die erforderliche Transparenz herzu- stellen. So sieht der § 4 den Anspruch auf Informationszu- gang für jedermann vor. Die Entscheidung über die Die Tatsache, daß ein Entwurf der Bundesregierung Zugangsart, wie man also die Informationen bekommt vorliegt, der diskutiert werden kann, läßt uns nach all — ob durch Auskunft oder durch direkte Einsicht —, den Jahren intensiver Diskussion verwundert die liegt dann bei der Behörde selbst. Ich glaube, wir Augen reiben, daß das Kind wohl doch noch geboren sollten das nicht generell vorgeben und regeln, son- wird. Ob es allerdings so schön und wohlgeraten ist, dern es aus dem Einzelfall und der besseren Kenntnis wie wir es erhofft und erträumt haben, müssen wir vor Ort regeln lassen. sehen. Wir haben nicht für den Bereich des Informations- Für den auch grundrechtlich gebotenen Schutz von zugangs wie in den USA und in den skandinavischen Betriebs - und Geschäftsgeheimnissen ist in § 8 eine Ländern so weit gehende Vorschriften. Wir haben uns besondere Ausnahmeregelung vorgesehen. auf das Umweltinformationszugangsrecht be- § 10 legt ausdrücklich fest, daß Gebühren kosten-. schränkt. Ich habe schon in meiner früheren Stellung- deckend erhoben werden sollen und können — auch nahme darauf hingewiesen, daß es bei unserer demo- dies, um Mißbrauch und wie auch immer geartete kratischen Verfassungsentwicklung nur schwer zu 19082 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. April 1994

Dietmar Schütz begreifen ist, daß sich das Prinzip der Öffentlichkeit, gefaßt werden. Wir werden darüber am Montag noch welches mindestens eine Cousine, vielleicht sogar einmal zu reden haben. eine Schwester des Demokratie- und Rechtsstaats- prinzips ist, nur so schwer durchsetzen kann und wir Zweitens zur Art des Informationszuganges. Herr das jetzt das erste Mal in Gesetzesform vorliegen Minister Töpfer hat vorhin schon einen dieser Punkte haben. angesprochen. Zur Verfahrenserleichterung und zur Beschleunigung von Verfahren empfiehlt es sich nach Bei aller Weiterentwicklung der Demokratie und meiner Auffassung, von Anfang an alle relevanten des Rechtsstaates ist unsere Bürokratiestruktur in Daten zu veröffentlichen und eine völlig offene Infor- ihren Wurzeln immer noch ein Kind des 19. Jahrhun- mationspolitik zu be treiben, anstatt den Bürger, derts und fühlt und benimmt sich teilweise auch noch soweit es sich um förmliche Genehmigungsverfahren so. Bürokratien und ihre Sachwalter schotten ihre handelt, über die sogenannten Jedermann-Beteili- Erkenntnis- und Entscheidungssphären immer noch gungen zu zwingen, in die Verfahren einzusteigen. eher gegen den Bürger ab, als daß sie sich ihm gegenüber öffnen und mit dem Bürger zusammen die Ein Mehr an Offenheit von Daten erscheint mir auch auftretenden Probleme lösen. dem Aspekt der Beschleunigung und der Forderung nach einer schlanken und kosteneffizienten Verwal- (Beifall bei der SPD) tung eher gerecht zu werden als ein Weniger. Die Ausgestaltung der Art des Informationszuganges wird Wenn wir mit dem Informationsgesetz gegen diese Abschottungstendenzen angehen, so wissen wir, daß im Regierungsentwurf allein in das Ermessen der wir nur einen kleinen Schritt auf dem Weg zu einem Behörde gestellt; ein Rechtsanspruch z. B. auf Akten- emanzipatorischen Aufbruch des Bürgers wagen. einsicht besteht damit nicht. Diese Einschränkung Zum Streckenlauf müssen noch viele andere Fachbe- bleibt deutlich hinter dem geltenden Verfahrensrecht reiche, eben die anderen Ressorts, dazukommen. zurück, das eben nur bei Verfahrensbeteiligungen gilt. Es bleibt aber auch hinter den bisher bekannten Aber ist denn der vorgegebene Entwurf wenigstens Vorschriften in den Ländern zurück. für den Umweltbereich ausreichend, erfüllt- er zumin- dest die grundlegenden Anforderungen, die die EG- Der Sinn der hier diskutierten Regelung ist erkenn- Richtlinie erhebt? Ich will in dieser ersten Lesung des bar — Herr Töpfer hat darauf hingewiesen —: Die Regierungsentwurfs nur einige Aspekte ansprechen; Behörde will die Verfahrenshoheit behalten, um so wir werden sie bei der Anhörung am nächsten Montag auch Obstruktions- und Störversuche, die möglicher- noch tiefer erörtern. weise auf ein Lahmlegen der Verwaltung zielen, zu vermeiden. Ich muß ehrlich gestehen, daß ich an Erstens zum Behördenbegriff. Wir haben ein dieser Stelle geschwankt habe, weil ich darin natür- Umweltinformationsgesetz vorgelegt bekommen, lich auch viele Mißbrauchsmöglichkeiten sehe. nach dem lediglich die Behörden die Aufgaben des Gleichwohl sollten wir nicht von der Regel abgehen, Umweltschutzes wahrzunehmen haben, die ihre daß Offenheit und Transparenz vorgehen. Informationen herauszugeben haben. Damit ist jede Behörde gemeint, die Zustandsmerkmale der Um- Im Rahmen dieser Vorgabe ist eine effektive und weltgüter oder Daten, vor allem Emissionsdaten, aller beschleunigte Verwaltungsarbeit meines Erachtens Umweltmedien verwaltet. Der Behördenbegriff ist in sehr wohl durchzuführen, weil dies im Kontext allge- der EG-Richtlinie etwas anders — wie ich meine: mein aufgebauter Akzeptanz erfolgt. Wer langfristig weiter — gefaßt. Die Richtlinie spricht von Behörden, und verläßlich seine umweltrelevanten Kenntnisse die Aufgaben „im Bereich der Umweltpflege wahr- offenlegt, wird in diesem Klima der Offenheit und nehmen", und gibt damit einen deutlich weiterge- Glaubwürdigkeit weniger Anforderungen auf Akten- steckten Rahmen als die sich bei der Definition des einsicht erhalten als bei erkennbaren Abschottungs- Behördenbegriffs eher restriktiv verhaltende Bundes- und Geheimhaltungstendenzen. In einem solchen regierung. Kontext kann eine gegebenenfalls verfahrensnotwen- dige Akteneinsichtsverweigerung glaubwürdig ge- Tatsache ist jedoch, daß sehr viele umweltrelevante macht werden. Sie ist auch ab und zu einmal notwen- Daten, vor allem in konfliktträchtigen und sensiblen dig. Bereichen, bei Behörden anfallen, die sich nur bei Gelegenheit mit Umweltschutzmaßnahmen in enge- Deshalb ist diese Norm auch aus Gründen der rem Sinne befassen. Ich meine hier etwa Daten einer Verwaltungseffektivität richtig. In der Abwägung Wasserbaubehörde, einer Straßenbaubehörde und zwischen Offenheit und Effektivität gibt es kein Daten, die im Zusammenhang mit Planungen dieser Gegeneinander; vielmehr bedingt die Offenheit die Behörden auftreten. Wir wissen, wie sensibel die Effizienz. Daten sind, die wir aus dem Elbausbau, aus dem Emsausbau, aus dem Straßen- und Trassenausbauten Den letzten Punkt will ich nur kurz behandeln. Er haben. Das sind alles umweltrelevante Daten, die betrifft die Kostenpflichtigkeit. Die Kosten und die auch wir wissen wollen und die diese Behörden Gebühren dürfen nicht prohibitiv wirken. Wir müssen herausrücken müssen, nach unserem Gesetz aber immer noch die Möglichkeit des Zugangs aufrechter- nicht herausgerückt werden müssen. halten, nur soll die Verwaltung natürlich nicht ohne Gegenleistung arbeiten müssen. Die EG-Richtlinie Auch für diese Daten muß also klar sein, daß sie spricht in diesem Zusammenhang von Angemessen- nicht nur im Rahmen der Verfahrensbeteiligung, heit. Ich finde, das ist eine richtige Vokabel, die wir sondern allgemein zur Verfügung stehen. Die Defini- möglicherweise noch in den Gesetzestext aufnehmen tion der Behörde muß deshalb im Gesetzestext weiter sollten. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994 19083

Dietmar Schütz Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal auf die standards innerhalb der Europäischen Gemeinschaft politische Einbettung dieses Gesetzes zu sprechen geschaffen werden. kommen. Es macht Sinn, daß wir im Zusammenhang Am 31. Dezember 1992 lief die Umsetzungsfrist für mit der Diskussion über Standortfaktoren über Ver- die Mitgliedstaaten ab. Die Bundesrepublik war die- fahrensbeschleunigung und Verwaltungsvereinfa- sem Zeitplan nicht gefolgt, sondern vermochte erst chung, über zeitliche Straffung und Effizienzsteige- jetzt den Entwurf für ein Umweltinformationsgesetz rung sprechen. dem Parlament vorzulegen. Ausnahmsweise war die Dabei dürfen wir jedoch nicht den verhängnisvollen Bundesrepublik diesmal nicht Musterknabe der Euro- Fehler machen, den Bürger möglichst weitgehend aus päischen Union; daß wir aber ein solcher Nachzügler den Verwaltungsprozessen herauszuhalten. Denn sind, berührt einen Parlamentarier schon unange- zum einen erreichten wir über den dann mit Sicherheit nehm. beschrittenen Klageweg das genaue Gegenteil des- sen, was wir eigentlich wollten. Offenbar ist die positive politische Wirkung eines solchen Gesetzes vielfach unterschätzt worden. In Zum anderen — und das wiegt noch schwerer — einem demokratischen Rechtsstaat erfüllen die Offen- verstießen wir damit in eklatanter Weise gegen den legung von Behördenakten sowie die Information der permanenten Auftrag einer freiheitlichen Gesell- Öffentlichkeit sehr wichtige Funktionen. Sie dienen schaft, mehr Demokratie zu wagen. vor allen Dingen dazu, den Konsens zwischen den Ich will für meine Partei sagen: Das gilt auch für die Bürgern und dem Staat zu erhalten, indem die Bürger Verfahrensschritte. Weniger Bürokratie, das wollen die Möglichkeit bekommen, staatliches Handeln kri- wir alle. Weniger Bürgerbeteiligung — und damit tisch zu begleiten. weniger Demokratie —, das will hier hoffentlich niemand. Nun mag es für viele Vollzugsbehörden unange- nehm sein, daß der Informationszugang auch der Moderner, effektiver und zukunftsträchtiger als die dient. Andererseits „Geheimratsmentalität" vieler mit Verwaltungsauf- Kontrolle des Behördenhandelns kann es aber Akzeptanz und in der Folge Interesse am gaben Befaßter ist es, den Bürger als Beteiligten im Diskurs einzubeziehen, ihn nicht auszugrenzen, son- Verwaltungsgeschehen wecken und viele Bürger zum Mitwirken im Umweltschutz stimulieren. Information dern ihn zu integrieren. ist notwendige Voraussetzung für Partizipation. Das Recht auf freien Zugang zu Umweltinformatio- nen ist ein wertvoller Teil der Realisierung umfassen- Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf sieht den der demokratischer Bürgerrechte. Lassen Sie uns Zugang zu allen Informationen über den Zustand der gemeinsam daran arbeiten, dieses durchzusetzen. Ich Gewässer, der Luft, des Bodens, der Tier- und Pflan- denke, daß wir nach den Anhörungen möglicherweise zenwelt sowie der natürlichen Lebensräume vor. die eine oder andere abweichende Formulierung in Auch Informationen über Tätigkeiten und Maßnah- den Gesetzestext einbringen und die Bedenken, die men, die die Umwelt beeinträchtigen können oder sie ich formuliert habe, Berücksichtigung finden. auch schützen, sollen dem Bürger zugänglich Ich danke Ihnen. gemacht werden. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Alle Bürger und juristischen Personen des Privat- Liste) rechts haben ohne Nachweis eines Interesses Anspruch auf Informationszugang. Die Vollzugsbe- hörden werden verpflichtet, Akteneinsicht zu gewäh- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und ren. Sie sollen sich aber nicht hierauf beschränken, Herren, bei der ersten Lesung dieses Gesetzes hat jetzt sondern von sich aus an die Bürger mit für sie als nächster unser Kollege Dr. Jürgen Starnick das relevanten Informationen herantreten. Vor allem aber Wort. sollten sie nicht durch hohe Gebühren neue Hürden aufbauen. Dr. Jürgen Starnick (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Natürlich bedarf es auch der Beschränkung des Damen und Herren! Die Bundesregierung kann ver- Zugangs zu Informationen. So muß der Schutz, den melden, nach schwerer Geburt ein gesundes Kind zur private Belange wie personenbezogene Daten, Welt gebracht zu haben. Am 7. Juni 1990 verabschie- Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nach dem bishe- dete der Rat der Europäischen Gemeinschaft die rigen Recht genießen, gewahrt bleiben. Auch darf ein Richtlinie für den freien Zugang zu Informationen solches Gesetz nicht dazu dienen, die staatliche Kom- über die Umwelt. petenzordnung zu unterlaufen. Damit sollte jedem Bürger, genauso wie beispiels- weise Natur- und Umweltschutzorganisationen und Das Gesetz muß sich auch darauf beschränken, nur der Presse, das Recht eingeräumt werden, bei den materielle Voraussetzungen für den Informationsan- zuständigen Behörden Umweltdaten von Unterneh- spruch abschließend zu regeln. Da die Entscheidung men abzufragen, und zwar ohne Nachweis eines über den Antrag auf Informationsgewährung ein Ver- besonderen Interesses. waltungsakt ist, richtet sich das Verfahren im übrigen nach den Verwaltungsverfahrensgesetzen von Bund Die EG-Kommission, die diese Richtlinien erarbei- und Ländern. Danach können die Länder weitere tet hatte, verfolgte damit zwei Ziele: Einerseits sollte Verfahrensregelungen treffen. eine breite Information der Öffentlichkeit die Umset- zung des Umweltrechts in den einzelnen Mitglied- Meine Damen und Herren, vor Ostern lag bereits staaten besser kontrollierbar machen, andererseits zur ersten Lesung ein Entwurf vom BÜNDNIS 90/DIE sollte ein Instrument zur Durchsetzung von Umwelt- GRÜNEN für ein Informationsgesetz vor, das jetzt in 19084 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994

Dr. Jürgen Starnick den Ausschüssen gemeinsam mit der Vorlage der drittschützende Wirkung haben. Für die Erteilung Bundesregierung beraten werden kann. Ich sehe in von Auskünften dürfen den Auskunftssuchenden kei- beiden Vorlagen viele Gemeinsamkeiten und hoffe, nerlei Kosten entstehen. Über den Kostenhebel kann daß die Entwürfe trotz einiger gravierender Differen- sonst das Informationsrecht auf kaltem Wege ausge- zen - insbesondere in der Auffassung, wieviel Schutz hebelt werden. Privatbelangen, Be triebs- und Geschäftsgeheimnis- Meines Erachtens ist die Information der Bürgerin- sen zugebilligt werden muß — wegen der doch nen und Bürger nicht nur ein Recht, sondern vor allen wesentlichen Gemeinsamkeiten im Grundanliegen in Dingen auch eine Pflicht der Behörden und gehört den Ausschüssen zügig und weitgehend im Konsens damit zu deren selbstverständlichen Aufgaben. beraten werden können. Warum denn eine doppelte Bezahlung? Ich danke Ihnen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort der letzten Rednerin Herren, ich erteile jetzt das Wort unserer Frau Kollegin zu diesem Tagesordnungspunkt, unserer Frau Kolle- Dr. Dagmar Enkelmann. gin Dr. Renate Hellwig.

(CDU/CSU): Meine sehr verehr- Dr. Dagmar Enkelmann (PDS/Linke Liste): Herr Dr. Renate Hellwig Präsident! Meine Damen und Herren! Die Umsetzung ten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu dem der EG-Umweltinformationsrichtlinie ist längst über- vielen, was schon gesagt worden ist, nur kurz einiges fällig — darauf haben verschiedene Kollegen hier ergänzen. Der Minister hat bereits die Abwägungen, schon hingewiesen —, und das in einem Staat, der alle die bei diesem Gesetz eine Rolle spielen, nämlich in der Welt immer glauben machen will, er sei zwischen effizientem Verwaltungshandeln einerseits Vorreiter in Sachen Umweltschutz. und dem berechtigten Informationsinteresse des Bür- gers andererseits, dargestellt. (Dr. Jürgen Starnick [F.D.P.]: Ist er auch!) Nachdem auch ich einmal — er war gemeinsam mit Wer heute sein Recht auf Information wahrnehmen mir Staatssekretär — Staatssekretärin war und auch will, stößt auf eine Phalanx der Ablehnung in bundes- die andere Seite kenne, möchte ich diesen Gesichts- deutschen Behörden — dies übrigens unabhängig punkt, der bisher nicht angesprochen worden ist, hier davon, welche Partei die Landesregierung, den Regie- ebenfalls einmal zur Erwägung geben. Meine Beam- rungspräsidenten oder den Oberstadtdirektor stellt. ten waren mit der Beantwortung von Kleinen Anfra- Überall klagen Bürgerinnen und Bürger vor den gen der Abgeordneten zum Teil so zugedeckt, daß sie Verwaltungsgerichten ihr Recht auf Akteneinsicht mit der eigentlichen Aufgabe, nämlich der Erstellung ein. von Vorlagen für eine verbesserte Gesetzgebung, zu Ich denke, das müßte nicht sein, wenn die Bundes- meinem Mißfallen oft im Verzug waren. regierung ihrer Pflicht auf Umsetzung der EG-Richtli- Auch Herr Schütz — der nicht mehr da ist — hat das nie fristgerecht nachgekommen wäre. Bezeichnend in seiner letzten Rede so zu Protokoll gegeben. Er hat ist: Wenn es der Wirtschaft nützt, ist die Eile, mit der sich nämlich über die mangelnde Offenheit nicht der EG-Entscheidungen umgesetzt werden, groß. Geht es Bundesregierung, sondern des Bundesrates be- jedoch um die Belange der Bürgerinnen und Burger, schwert, als er eine Auskunftspflicht gewünscht hat. dauert es wesentlich länger. Meine Damen und Her- Wenn wir uns die Synopse anschauen, die uns als ren, auch das fördert Politikverdrossenheit. Grundlage für unsere Anhörung bereits auf dem Tisch Bemerkenswert, ja entlarvend ist, was der Verband liegt, und dort lesen, welche Änderungen der Bundes- der Fleischmehlindustrie zum Entwurf der Bundes- rat gegenüber dem Vorschlag der Bundesregierung regierung Stellung nehmend bemerkte — ich zi- einbringt, und wenn wir andererseits die ersten Stel- tiere —: lungnahmen der Sachverständigen ansehen, die wir Die Umsetzung der Richtlinie muß unseres Erach- am Montag zu hören bekommen, dann stellen wir fest, tens so restriktiv wie möglich geschehen. Die daß die Konfliktlage eher zwischen Bundesregierung politische Absicht des UIG ist es, dem nicht und Bundesrat auf der einen Seite und sehr engagier- betroffenen Bürger Auskünfte über betriebliche ten umweltschützenden Sachverständigen auf der Anlagen zu geben. Dies kann eine vertrauens- anderen Seite, die die totale Informationspflicht for- volle Zusammenarbeit zwischen Anlagebetrei- dern, besteht als etwa zwischen Bundesregierung und bern und Behörde gefährden. Bundesrat. Ich frage Sie: Wovor hat eigentlich die Wirtschaft Ich möchte hier noch einen Gesichtspunkt einbrin- Angst? Was ist mit einer vertrauensvollen Zusammen- gen, nämlich die Frage der Betriebs- und Geschäfts- arbeit zwischen Unternehmen und betroffener Bevöl- geheimnisse. Frau Kollegin Enkelmann, Sie haben kerung? Das ist offenkundig kein Thema für die das angesprochen. Ich bin überzeugt: Je mehr Unternehmen. Umwelttechnologie, je mehr Umweltindustrie in Dem Gesetzentwurf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- unserem Wirtschaftskreislauf eine Rolle spielen, desto NEN ist im großen und ganzen nur zuzustimmen. Die stärker wird natürlich auch der berechtigte Schutz der PDS/Linke Liste im Bundestag ist jedoch der Ansicht, Geschäftsgeheimnisse eine Rolle spielen. daß einige Absätze präzisiert werden müßten. So Warum haben wir denn ein Urheberrecht, warum müssen die Bestimmungen des Gesetzes unbedingt haben wir ein Markenrecht, um einmal ganz andere Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. April 1994 19085

Dr. Renate Hellwig Bereiche anzusprechen? Weil wir genau wissen, daß nen Naheinzugsbereich könnte eine solche Anlage natürlich die Effizienz, der Wettbewerb, die Konkur- entstehen. In dem Moment, in dem gewährleistet ist, renz auch von dem jeweiligen Vorsprung des einzel- daß sie hundert Kilometer weiter entsteht, ist das nen bei der Entwicklung neuer Verfahren abhängig Bewußtsein, sozusagen seine eigene Umweltver- sind. Das ist einer der wichtigsten Motoren unserer schmutzung möglichst zu reduzieren, sehr schnell Marktwirtschaft: die hohe Effizienz auf der Basis, auf wieder auf Null gefallen. der letztlich Wohlstand und — als Basis des Wohlstan- Ich glaube, in dieser Hinsicht werden wir noch viel, des — die Verbesserung des Umweltschutzes möglich viel tun müssen. Wir müssen vom theoretischen sind. Umweltbewußtsein des Bürgers, der gern eine sehr Ich habe gestern die neuesten Berichte aus Rußland saubere Umwelt haben möchte, zum praktischen von einem Kohlekraftwerk gelesen. Auf den Fotos Umweltbewußtsein gelangen, nämlich dazu, daß er sieht man völlig verschmutzte, lungengeschädigte weiß, daß ihn dies etwas kostet, daß sein Konsum, Bergarbeiter, und die dicke Überschrift — das steht wenn er denn umweltfreundlicher sein wird und sich übrigens in einer linken Zeitung — lautet: Umwelt besser in den Naturkreislauf einschmiegt, natürlich spielt für die Genossen keine Rolle, Überleben steht auch entsprechend höhere Kosten verursacht, die er für sie im Vordergrund. Das heißt, im Grunde genom- letztlich selber zu tragen hat, die er weder auf die men konnte das Bewußtsein dafür, daß man nicht auf Kreise noch auf die Industrie noch auf sonst irgend Kosten seiner Gesundheit nur um der Arbeit und um etwas Abstraktes, schon gar nicht auf die Entwick- der Befriedigung seiner Grundbedürfnisse willen die lungsländer, abschieben kann. Industrie zu organisieren hat, letztlich nur in den Wenn dieses Umweltinformationsgesetz dazu bei- wohlhabenderen Industriestaaten, auch bei uns, trägt, diese Eigenverantwortung aller beteiligten Bür- wachsen. Schauen Sie sich einmal an, unter welchen ger zu fördern, dann hat es aus meiner Sicht einen der katastrophalen Umweltbedingungen wir noch vor wichtigsten Zwecke erfüllt. hundert Jahren produziert und konsumiert haben! Vielen Dank. Ich behaupte, alle, die jetzt noch hier im Saal sind, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gehören zu der durchaus qualifizierten Minderheit der engagierten Umweltschützer, über alle Partei- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und grenzen hinweg. Es wird vorrangig unsere Aufgabe Herren, nach der Rede der Frau Vorsitzenden des sein müssen, um Zustimmung, um allgemeine Akzep- EG-Ausschusses liegen mir weitere Wortmeldungen tanz für dieses Umweltgesetz zu werben. Denn es ist nicht vor. Ich schließe daher die Aussprache. keineswegs so, daß dieses beim Normalbürger schon Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz- auf große Begeisterung stößt. Wenn ich nur daran entwurfs auf der Drucksache 12/7138 an die in der denke, was ich mir in meinem Wahlkreis bei einer Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse und zusätz- Verschärfung der Umweltvorschriften, z. B. dem Auto lich an den Innenausschuß sowie an den EG-Ausschuß gegenüber, z. B. den Kläranlagen gegenüber, anhö- vorgeschlagen. Gibt es noch weitere Vorschläge? — ren muß! Da sagt keiner: „Bitte, wir möchten gerne Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so noch mehr Gebühren, noch höhere Kosten, um die beschlossen. Umwelt noch mehr zu schützen", sondern ich bekomme in dieser Hinsicht das absolute Gegenteil zu hören. Wir kommen nun zum letzten Tagesordnungs- punkt, den wir heute behandeln wollen, nämlich zum Deswegen lassen Sie uns die im Grunde genommen Tagesordnungspunkt 15: minimalen Unterschiede, die wir hier haben, begra- Erste Beratung des von der Bundesregierung ben, und konzentrieren wir uns darauf, daß es uns eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- überhaupt gelingt, möglichst noch vor der Sommer- zes zur Änderung des Chemikaliengesetzes pause, dieses Gesetz gemeinsam zu verabschieden, es auf einen vernünftigen Weg zu bringen und dann zu — Drucksache 12/7136 — erreichen, daß es tatsächlich auch in vernünftiger und Überweisungsvorschlag: allgemein akzeptierter Weise umgesetzt wird. Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend) Lassen Sie mich noch einen Akzent ansprechen, Rechtsausschuß den auch ein Sachverständiger am Montag einbrin- Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenab- gen wird. Er hat nämlich gesagt — das ist ein sehr schätzung ehrlicher Gesichtspunkt —: Dieses Umweltgesetz darf Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist auch natürlich nicht zu einer Kultivierung des S ankt- hier eine Aussprache von einer halben Stunde vorge- Florian-Prinzips führen. Auch Sie erleben in Ihren sehen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Wahlkreisen: Das Umweltbewußtsein ist dann beson- Dann ist auch das so beschlossen. ders hoch, die Zahl der Bürgerinitiativen steigt massiv, wenn es um eine für den Bürger unangenehme Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Anlage geht, selbst — das hat mich besonders erschüt- wiederum unserem Herrn Bundesminister Dr. Klaus tert — bei einfachen Deponien, gar nicht zu sprechen Töpfer. von Verbrennungsanlagen oder sonstigen Umweltfol- genbeseitigungsanlagen. Da kann es leicht sein, daß Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Umwelt, Umweltengagement mit dem Sankt-Florian-Prinzip Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! verwechselt wird. Man sagt, die Bürgerinitiative ist Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Che- solange massiv, solange die Gefahr besteht, im eige- mikalienrecht ist ganz sicherlich durch die Entwick- 19086 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer lung in der Bundesrepublik Deutschland entschei- glaube, das ist mehr als berechtigt. Hier sind zwi- dend vorangebracht worden. Wir haben, vielleicht schenzeitlich auch bei uns bessere Erkenntnisse her- gemeinsam mit den Vereinigten Staaten, als erste eine angewachsen. Das auch mit Blick auf die Erhaltung solche stoffbezogene Umweltpolitik in Gang gesetzt, des Forschungsstandorts Bundesrepublik Deutsch- die nicht mehr nur auf die einzelnen Umweltmedien, land für die chemische Industrie anzupassen ist nicht auf Wasser, Luft, Boden hin ausgerichtet ist, sondern ein Rückschritt, sondern eine kluge Absicherung, weil auf die einzelnen chemischen Stoffe. wir sonst Forschungen in andere Länder abgeben würden, wo im Zweifel mit weniger Vorsorge gearbei- Das Chemikaliengesetz 1982 war ein Meilenstein tet werden müßte. Das war also die Ausnahme; auf diesem Gebiet. Wir haben eine erste Nove lle dazu ansonsten erfolgte eine Beibehaltung des weiterrei- acht Jahre später, nämlich 1990, verabschiedet. Wir chenden Konzepts, wo die EG bisher nicht nachgezo- haben mit dieser Novelle damals, wenn Sie so wollen, gen hat. einen nationalen Alleingang gewagt, in Kenntnis der Tatsache, daß die Europäische Gemeinschaft damals Das gilt insbesondere — lassen Sie mich das anspre- bereits ebenfalls Regelungen in der Gemeinschaft chen, weil es in der Wirtschaft und in der Öffentlich- insgesamt angestrebt hat. keit intensiv diskutiert wird — für die Prüflisten für neue Exportstoffe und Zwischenprodukte, also kon- Wir haben damit, wie ich glaube, die Erörterung in kret um § 16 b des bestehenden Chemikaliengesetzes. der Gemeinschaft entscheidend mit vorangebracht. Wir wollen ihn beibehalten. Ich greife das deswegen Wenn wir heute diese Novelle, die zweite Überarbei- auf — ich sage es noch einmal —, weil es intensiv tung des Gesetzes, betrachten, so finden wir: Das ist diskutiert wird, und ich sage Ihnen die Gründe, eine volle Bestätigung der Politik, die wir damals warum wir der Meinung sind, hier nicht auf das erst betrieben haben. Ich möchte das einmal sagen, weil ja jetzt erreichte Niveau der Gemeinschaft zurückgehen zur damaligen Zeit, 1990, sehr kritisch darüber disku- zu sollen. tiert worden ist, ob man mit Blick auf die große Bedeutung der chemischen Indust rie in Deutschland Wir haben in vielen Bereichen gesehen, wie wichtig hier vorangehen könne. Ich glaube, es war eine gute solche Informationen über Zwischenprodukte und Sache. Exportstoffe sind. Wenn Sie an die Erörterungen einiger Stoffe in den Störfallbereichen, die wir vor Natürlich wird die betroffene Wirtschaft immer die nicht langer Zeit in Hessen gehabt haben, denken, Frage nach der Harmonisierung in den Mittelpunkt erkennen Sie, daß es wichtig ist, solche Informationen stellen. Dabei geht es auch um Arbeitsplätze, um die zu haben. Gefahr der Verlagerung von Arbeitsplätzen. Aber es ist deutlich geworden, daß mehr Chemikaliensicher- Bei den Stoffen, die exportiert werden, gibt es viele heit auch mehr Vertrauen, mehr Akzeptanz und ein Rückwirkungen, bis hin zu Transportrisiken, z. B. bei wichtiges Stück Zukunftssicherung für die chemische Apron plus und anderen Pflanzenschutzmitteln, die Industrie in Deutschland darstellt. Ich freue mich, daß uns über die Nordsee wieder an die Strände gespült diese Bemühung um eine gemeinsame Verbesserung werden. Das zeigt, daß solche Informationen sinnvoll und Veränderung sich gerade auch in der Enquete sind. Es ist also erforderlich, solche Informationen zu Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt" bekommen. noch einmal bestätigt. Ich glaube, daß das eine Zweitens arbeiten wir intensiv daran, dieses in der vernünftige Vorgehensweise bei einer so bedeuten- Europäischen Union ebenfalls noch durchzusetzen. den Frage der Industriegesellschaft der Bundesrepu- Der EG-Ministerrat hat die Notwendigkeit von Rege- blik Deutschland darstellt. lungen anerkannt. Wir werden das weiter vorantrei- ben. Ich bin der Meinung, daß wir in absehbarer Zeit Meine Damen und Herren, diese zweite Novelle - steht natürlich in engem Zusammenhang mit der auch hier eine Harmonisierung haben werden. Novelle von 1990 und der zwischenzeitlichen Ent- Ich glaube, die bisherigen Erfahrungen mit der wicklung in der Europäischen Gemeinschaft. Eine Anwendung des § 16b lassen nicht erkennen, daß die positive Ausstrahlung ist erfolgt; vieles ist jetzt auch Beibehaltung dieser Vorschrift in der Übergangszeit, europäisch harmonisiert worden. Wesentliche die ich so kurz wie möglich halten möchte, damit die Aspekte der jetzt umzusetzenden Fortentwicklung anderen nachkommen, für die Wirtschaft eine unver- z. B. des EG - Anmeldeverfahrens sind inhaltlich prak- tretbare Belastung darstellt. tisch deckungsgleich mit dem, was wir bereits 1990 Meine Damen und Herren, auch bei diesem wichti- eingeführt haben. gen Bereich der Zwischenprodukte und Exportstoffe Bei der Vorbereitung des Gesetzentwurfs war vor- ist in bezug auf die Chemikaliensicherheit im Ergeb- nehmlich zu überprüfen: Wie gehen wir mit den nis klar, daß wir das, was 1990 bei uns gemacht Dingen um, die bei uns bereits 1990 eingeführt worden ist, nicht zurücknehmen, sondern uns darum worden sind und bei denen die EG immer noch nicht bemühen, das innerhalb der Gemeinschaft zu einer so weit geht, bei denen wir also nach wie vor über die Selbstverständlichkeit werden zu lassen. Regelungen der Europäischen Gemeinschaft hinaus- Ich bin dankbar dafür, daß auch die Erörterungen gehen. im Bundesrat erwarten lassen, daß wir hier weitge- Die Bundesregierung hat sich hierzu für ein Konzept hend in Übereinstimmung handeln können. Wir wer- entschieden, das von der grundsätzlichen Beibehal- den alles daransetzen, in einer umfassenden Erörte- tung der 1990 eingeführten Regelungen ausgeht. rung auch dafür Verständnis zu erzielen. Es wäre für Erleichterungen haben wir dort vorgenommen, wo wir den Standort Deutschland wichtig, hier nicht in der Forschung und Entwicklung fördern wollten. Ich Kontroverse, sondern in einer gemeinsamen Wertung Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. April 1994 19087

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer das festzuschreiben, was die Europäische Union jetzt Zweitens. Schaffung einer höheren Akzeptanz endlich erreicht hat, und darauf hinzuwirken, daß durch mehr Transparenz. Auch dort gibt es Mängel, unsere besseren Regelungen in Kürze auch bei ande- auch dort sind Veränderungen notwendig. ren durchgesetzt werden. Drittens. Aufarbeitung der Altstoffe in einem über- In diesem Sinne bietet die Bundesregierung, bietet schaubaren Zeitraum. Wir haben im Grunde ein der Bundesumweltminister eine offene und eine auf Chemikaliengesetz, das völlig hinter der Zeit herläuft: die Gemeinsamkeit hin ausgerichtete Diskussion die- Es gibt 20 000 Altstoffe — je nachdem, wie man dies ses wichtigen Gesetzes an. definiert —, aber erst wenige davon sind untersucht. Recht herzlichen Dank. Wir kommen mit den Neuanmeldungen kaum nach. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir sind noch nicht auf dem Weg, durch Struktur- Wirkungs-Analysen und Struktur-Wirkungs-Bezie- hungen eine Vorauswahl treffen zu können, in welche Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Kategorie von Schadstoffen etwas gehört. Hier besteht Herren, ich erteile jetzt dem Vorsitzenden der noch die Notwendigkeit der Grundlagenforschung. Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt", unserem Kollegen Ernst Schwanhold, das Viertens. Verminderung der Zahl von Tierversu- Wort. chen. Ich könnte eigentlich zu jedem einzelnen Punkt Ernst Schwanhold (SPD): Herr Präsident! Meine Ausführungen machen: wo es mangelt, wo es Fehler sehr verehrten Damen und Herren! Ich wi ll gern auf gibt, wo es noch Nachbesserungsbedarf gibt. Ich wi ll einen Aspekt von Herrn Töpfer gleich eingehen. rien sollen zunächst dies nicht tun. Diese vier Katego Selbstverständlich geht es darum, eine Harmonisie- reichen. rung im europäischen Maßstab zu erreichen und Ich will den Versuch unternehmen, Ihnen noch Standortnachteile möglichst gering zu halten. Aber etwas zu den Differenzen zu sagen, die sich zwischen das, was uns zur Zeit als Standortnachteil erscheint, uns und Ihnen in der Wertung des Chemikaliengeset- kann mittelfristig auch Standortvorteil sein bzw. wer- zes mit Blick auf die Zukunft ergeben. Ich meine, wir den. sollten aus der Vorreiterrolle in Europa, die wir Ich denke, daß wir diesen Weg, diese schmale durchaus schon einmal gehabt haben und beim Che- Furche der gesicherten Umweltstandards gehen müs- mikaliengesetz vielleicht auch noch haben, eine sen, die sich übrigens nicht nur auf Chemikalien und Zukunftsstrategie für Europa insgesamt machen. auf Schadstoffe beziehen, sondern die sich auf den Stoffeinsatz insgesamt beziehen müssen. Hier geht es Ich hatte eben angesprochen, daß es nicht sinnvoll darum, eine Entwicklungslinie zu finden, die in die ist, zu differenzieren zwischen Schadstoffen, Rio- Zukunft weist und uns Chancen bei effizientem Ener- Stoffen und jenen Stoffen, die insgesamt anthropogen gieeinsatz, bei effizientem Stoffeinsatz und einer in die Umwelt hineingetragen werden, mindestens Minimierung von Stoffumsätzen insgesamt eröffnet. nicht sinnvoll in rechtlicher Be trachtung. Wer kann eigentlich sagen, daß wir ein Chemikaliengesetz Von daher glaube ich, daß die Vorlage möglicher- allein und kein Stoffeinsatzgesetz insgesamt brau- weise zwischen Bund und Ländern konsensfähig zu machen ist. Dazu bedarf es noch einiger Annäherun- chen? gen. Ich möchte zwei Punkte dazu nennen. Wir haben uns in der Enquete-Kommission im Es macht natürlich wenig Sinn, nur gefährliche Rahmen einer Studie, die Herr Rehbinder geschrieben Stoffe zu benennen und Stoffzubereitungen mit einem hat, mit der Frage auseinandergesetzt: Wie können Übergewicht an gefährlichen Stoffen herauszuneh- wir das Ziel der Stoffumsatzreduktion bei Aufrechter- men. Hier bedarf es dringend der Nachbesserung, haltung der Bedürfnisbefriedigung erreichen? Wie natürlich auch der Harmonisierung. Die Verschleie- erreichen wir damit, daß Stoffe, die heute noch nicht rungspraxis, von „minder giftig" auf „gesundheitsge- als Schadstoffe erkannt sind, schon in einer Rechtssy- fährdend" zu gehen, scheint mir nicht tolerabel zu stematik enthalten sind, wenn sie dann übermorgen sein. Wir müssen abstufen zwischen „gesundheitsge- Schadstoffe werden? Das ist mit dem Chemikalienge- fährdend", „stark gesundheitsgefährdend", und setz nicht möglich, wenn Stoffe auf Grund neuer „sehr stark gesundheitsgefährdend". Wir müssen also Erkenntnisse übermorgen zu Schadstoffen werden. versuchen, die Schadstoffe und die Stoffe insgesamt Dies geht allenfalls mit einem allgemeinen Stoffre- zu klassifizieren, so daß für den Verbraucher und für gime. Ich glaube, daß diese Novellierung ein Ansatz- jeden einsichtig ist, um welche Kategorie von Stoffen punkt wäre, in Europa den Versuch zu unternehmen, es sich handelt. zu einem allgemeinen Stoffregime zu kommen. Wenn ich die einzelnen Ausformulierungen der Das Stoffrecht hat derzeit viele Lücken: Die einzel- Novellierung zurückstelle, bin ich der Meinung, daß nen Stoffrechte sind nicht ausreichend koordiniert sich mit dem Chemikaliengesetz vier Hauptziele ver- und integriert. Es gibt Lücken im Bodenschutz. Die binden lassen müßten. Bei diesen vier Hauptzielen Betonung liegt auf einer Änderung der Freisetzung sehe ich jedenfalls im Moment noch keinen ausrei- von Stoffen. Es gibt keine Strategie im Hinblick auf chenden Ansatz. einen verminderten Einsatz von Stoffen, keine Strate- Erstens. Innovationsförderung bei umweit- und gie gegen die indirekte Freisetzung gefährlicher gesundheitsverträglichen Stoffen; also nicht nur ein Stoffe über Produkte. Es gibt kein generelles Stoff- restriktives Ziel im Chemikaliengesetz, sondern ein strom-Monitoring. Schließlich fehlt die Transparenz innovatives, in die Zukunft gerichtetes Ziel. der Stoffströme. 19088 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. April 1994

Ernst Schwanhold Deswegen will ich noch einmal die Ziele nennen: Es Wenn nunmehr eine Gesetzesnovelle zur Umset- geht jetzt nur ansatzweise um Ressourcenschutz; aber zung der 7 Änderungsrichtlinie dieser EG-Chemika- es muß um einen generellen Ressourcenschutz gehen. lienrichtlinie vorliegt, so ist dies ein weiterer Schritt Es muß zukünftig um die Berücksichtigung des Roh- zur Harmonisierung des Stoffrechts in Europa. Sie stoffeinsatzes bei der Produktion gehen. Es muß um schafft vor allen Dingen auch Waffengleichheit im die Berücksichtigung des Rohstoffeinsatzes und der Wettbewerb mit ausländischen Konkurrenten. Bis- Ressourcen beim Produktdesign und bei der Produkt- lang waren der hohe Zeitaufwand und auch die verwendung gehen. Und es muß große Transparenz erheblichen Kosten, die für das Prüf- und Anmelde- der Stoffströme geben. verfahren im Rahmen des Chemikaliengesetzes für Das Chemikaliengesetz ist daher nicht allein zu neue Stoffe aufgebracht werden mußten, durchaus ein entwickeln. Deshalb ist ein großer Rundumschlag, ein standortrelevanter Wettbewerbsnachteil für deutsche Befreiungsschlag quasi, notwendig, um einen Teilbe- Unternehmen. Allerdings hat sich dies rückblickend reich, der sich auch als Standortnachteil bei uns nicht so stark ausgewirkt — auch hier stimme ich erweist, aus der Diskriminierung herauszubekom- Herrn Töpfer zu —, wie in der Diskussion um die erste men. — Wenn wir diskriminieren lassen, werden wir Novelle zum Chemikaliengesetz, die im August 1990 auch keine Akzeptanz herstellen. — Ich will deshalb in Kraft trat, von der Industrie befürchtet wurde. noch einmal — in Abgrenzung zu einem allgemeinen Die Zahl der Anmeldungen neuer Stoffe nach dem Stoffrecht — sagen, daß nach meiner festen Überzeu- Chemikaliengesetz hat 1993 einen neuen Höchst- gung das Gefahrgutbeförderungsgesetz davon ausge- stand erreicht. Sie ist von 81 Anmeldungen neuer nommen werden muß. Stoffe im Jahre 1991 auf 107 im Jahr 1992 und 131 in Ich glaube, Pflanzenschutzmittel, Biozide, Dünge- 1993 gestiegen. Diese Entwicklung zeigt die hohe mittel und Waschmittel müßten in ein einheitliches Innovationskraft der deutschen chemischen Industrie Stoffrecht integriert werden. Der Vereinheitlichungs- und kann als Beweis dafür gewertet werden, daß die bedarf besteht bei den Produktanforderungen. Er muß deutsche chemische Industrie auch unter schwierigen das Chemikaliengesetz ablösen. Weiterer Harmoni- Wirtschaftsbedingungen schöpferisch Neues entwik- sierungsbedarf besteht in der Aufhebung des Verhält- kelt und durch die Chemikaliengesetzgebung nicht so nisses zwischen genehmigungsbedürftigen und nicht erheblich beeinträchtigt wurde wie vielfach beklagt. genehmigungsbedürftigen Anlagen. Die Biozide im Hohes deutsches Sicherheitsniveau und Innovations- nichtagrarischen Bereich müssen aufgenommen wer- kraft der chemischen Indust rie sind demnach durch- den. Eine Gesamtoptimierung durch einen stoffpoliti- aus in Einklang zu bringen. schen Ansatz in allen Umweltmedien bei immissions- Wenn nunmehr mit der Umsetzung der Novelle in schutzrechtlichen Verfahren muß vorgenommen wer- diesem Gesetz die Eingangsmengenschwellen eines den. Anmeldeverfahrens von bisher einer Tonne auf 10 kg Sie sehen, eine Fülle von Gesetzen, die in einen Vermarktungsmenge pro Jahr abgesenkt und zudem allgemeinen stoffpolitischen Ansatz integriert werden die Prüfungsanforderungen noch ausgeweitet wer- könnten. Dies wäre Reregulierung auf hohem Niveau den, so ist dies sicherlich eine zusätzliche Kostenbela- und nicht der in diesem Zusammenhang fälschlicher- stung für die chemische Industrie. Diesmal trifft diese weise immer wieder geforderte Beg riff der Deregulie- Kostenbelastung aber die chemische Indust rie inner- rung. halb der Europäischen Union gleichmäßig. Zu einem solchen Gesetzgebungsverfahren sind wir In verstärktem Maße werden in dieser Novelle bereit. Ich glaube, die Indust rie wird mittelfristig ökotoxikologische Prüfungen verlangt — dies mit davon profitieren, und es könnte sich daraus ein Recht, weil unser Wissen über ökotoxikologische Innovationsschub für die deutsche Industrie erge- Wirkungen von Stoffen bisher mangelhaft gering ist. - ben. Die Novelle zur Umsetzung des EG-Rechts bewirkt Ich danke für die Geduld. nicht nur eine innere Harmonisierung des Chemika- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lienrechts, sondern zudem vielfach auch Vereinfa- der F.D.P.) chungen. Die Einbeziehung des DDT-Gesetzes von 1972 möchte ich hier kurz erwähnen. Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und (Ernst Schwanhold [SPD]: Das ist die ein- Herren, vorletzter Redner ist jetzt unser Kollege zige!) Dr. Jürgen Starnick. Natürlich darf man nicht verkennen, daß die Ver- schärfung des Chemikalienrechts der chemischen Dr. Jürgen Starnick (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Industrie mehr und mehr abverlangt und daß die Damen und Herren! Als vor zwölf Jahren das Chemi- Aufwendungen zur Entwicklung und Einführung kaliengesetz — oder genauer: das Gesetz zum Schutz neuer Produkte steigen. Für große Firmen ist das vor gefährlichen Stoffen — in Kraft trat, war dies die weitgehend hinnehmbar, für mittlere und kleinere Geburtsstunde eines neuen Rechtsgebietes. Dieses Firmen erhöht sich hierdurch aber die Markteintritts damals neue Gesetz konnte mit seinem produkt-, barriere. Insofern ist zu begrüßen, daß mit der Novelle medien- und schutzübergreifenden Charakter nicht auch die Möglichkeit eines zeitlichen Aufschubs von auf einen Vorläufer zurückblicken. Es hatte eine Prüfungspflichten bei Erprobungsprodukten geschaf- Pilotfunktion — da stimme ich Herrn Töpfer voll zu — fen wird, wodurch besonders mittleren und kleinen mit Wirkung auf unsere Partner in der Europäischen Firmen die Kostenentlastung während der Entwick- Union. An ihm orientierte sich auch die EG-Chemika- lungs- und Erprobungsphase zugute kommt. Bei einer lienrichtlinie. Weiterentwicklung des Chemikalienrechts ist dieser Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. April 1994 19089

Dr. Jürgen Starnick Aspekt stärker zu beachten. Generell wird man sich Wenn ich am Beispiel Ihrer Kommission sehe, mit aber in Zukunft die Frage vorlegen müssen, ob eine welchen Erwartungen an das Konzept einer Ökobi- Detaillierung und Verfeinerung des Chemikalien- lanz insbesondere im Stoffbereich herangegangen rechts noch einen erheblichen Nutzen erwarten läßt, wurde, und wenn ich sehe, wie schwierig es ist, einen solange noch eine lange Liste unbearbeiteter Altstoffe solchen an und für sich idealtypisch guten Grundge- vorliegt. danken umzusetzen, Herr Schwanhold, dann wird Ich stimme Herrn Schwanhold zu: Eine langfristige doch deutlich, daß das Erheben von Ansprüchen eine zukünftige Entwicklung sollte auch unser Bemühen relativ einfache Angelegenheit ist, daß sich aber ihre einschließen, ein geschlossenes Stoffrecht in Europa Realisierung wesentlich schwieriger gestaltet. zu schaffen, das Spezialgesetze wie Biozid- und Arz- Wir haben vor vier Jahren mit dem Chemikalienge- neimittelgesetze ebenso einbezieht, wie Prinzipien setz einen ganz entscheidenden Schritt nach vorn einer abfallarmen Kreislaufwirtschaft und der Res- gemacht und bei der Verabschiedung dieses Gesetzes

sourcenschonung. Unser Bemühen sollte zukünftig auch — uns unserer Vorreiterrolle durchaus bewußt — hierauf besonders ausgerichtet sein. Wettbewerbsnachteile in Kauf genommen. Lassen Sie Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. mich vor dem Hintergrund, daß heute gesagt wird, hier werde EG-weit wenigstens in Teilen vereinheit- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) licht, deutlich machen, daß wir vor vier Jahren inter- nationale Konkurrenzpositionen, die wir heute als ganz relevant ansehen müssen, gar nicht erkannt Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und haben. Vor vier Jahren haben wir Indien noch als ein Herren, zum Schluß der ersten Debatte zu diesem Schwellenland betrachtet, bei dem auf diesem Gebiet Gesetz erteile ich jetzt einem weiteren Vorsitzenden de facto von uns überhaupt nichts erwartet wurde. einer Enquete-Kommission dieses Hauses das Wort, Heute ist dieses Land ein ernstzunehmender Konkur- nämlich unserem Kollegen Dr. Klaus Lippold. Er ist rent, in dem, Herr Schwanhold, auch Betriebe, die in Vorsitzender der Enquete-Kommission „Schutz der Ihrer Nähe angesiedelt sind, nicht nur über Produk- Erdatmosphäre". tion, sondern auch über Forschung investieren. Bitte sehr, Herr Kollege. Ich will nur deutlich machen, daß wir uns heutzu- tage nicht nur auf die EG konzentrieren dürfen, und daß derjenige, der Entwicklung nur noch nach diesem Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU): Herr Maßstab beurteilt, in umweltpolitischen Fragen wie in Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! wirtschaftspolitischen Fragen einen ganz falschen Ich möchte einführend herausstellen, was der Bundes- Weg beschreitet. Deshalb ist es wichtig, daß wir auch

umweltminister bereits anklingen ließ, nämlich den bei den GATT - Regelungen darauf achten, daß die Sachverhalt, daß wir in der Bundesrepublik mit einem Frage der Umweltschutzkomponente in einer ganz sehr umfassenden Chemikalienrecht einen Standard anderen Form angesprochen und mit in die Gespräche erzielt haben, der weltweit führend ist und von dem einbezogen wird, als das bislang der Fall gewesen man sagen kann, daß es schön wäre, wenn er in ist. anderen Bereichen der Welt genauso realisiert wäre, wie er bei uns realisiert ist. Wenn wir in die Debatte hineingehen — hier nehme ich das Angebot des Umweltministers gern auf —, Man muß auch einmal das, was an Positivem möchte ich auch, daß wir sehr offen diskutieren, wie geschaffen wurde, hervorheben; denn immer nur zu wir — bei erkannter Notwendigkeit der Vorsorge- kritisieren würde bedeuten, daß wir Zweifel daran politik in diesem Bereich — Innovation weiter erleich- wecken, ob wir wirklich voranschreiten. Ich will ganz tern können, weil sich, wie in anderen Bereichen deutlich sagen: Wir schreiten voran. auch, im wirtschaftlichen Bereich generell immer (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) deutlicher herausgestellt hat, daß wir mit neuen Produktionen, mit neuen Produktionsanlagen wesent- Ich will auch auf einen anderen Punkt noch einmal lich mehr Umweltschutz bewirken, als wenn wir in aufmerksam machen, Herr Schwanhold, den Sie den alten Bereichen stehenbleiben. Deshalb ist angesprochen haben. Das Altstoffkonzept, das wir Erleichterung von Innovation auch ein Beitrag zu nach langer Arbeit und in Abstimmung mit allen mehr Umweltschutz. Betroffenen durchgebracht haben, hat eine Struktu- rierung geschaffen, die durchaus sagen läßt, daß wir Wir sollten auch noch einmal diskutieren, was der vorrangig bei den Positionen ansetzen, bei denen es Bundesforschungsminister hier vorgelegt hat. Ich um Gefährdung geht, bei denen Gefährdung beson- habe es mir noch einmal ausführlich zu Gemüte ders große Vorsorgepflichten erfordert. Wir haben geführt. Es ist die Frage, inwieweit Innovations- hier weltweit eine Vorreiterrolle, weil kein anderer hemmnisse durch Gesetzgebung bestehen und inwie- Staat Altstoffprüfpflichten in der Intensität wie wir weit wir — ich sage das so deutlich — bei fortschrei- vorschreibt. tenden Sicherungsansprüchen und bei fortschreiten- Nun kann Herr Schwanhold wieder sagen, es muß der Vorsorge trotzdem versuchen, mehr Praktikabili- alles schneller gehen, es hätte noch gestern gesche- tät in diesen Prozeß hineinzubringen, um über neue hen müssen. Aber wir müssen auch sehen, daß die Produkte, über neue Stoffe wesentlich mehr Umwelt- Möglichkeiten, die wir haben, nicht unerschöpflich schutz und Umweltvorsorge zu garantieren. sind. Ich glaube, Sie selbst gestehen zu, daß all das, Lassen Sie mich eines sagen: Wir sollten, Herr was schön und gut wäre, so nicht realisiert werden Schwanhold, sehr behutsam mit der Frage des euro- kann. päischen Stoffrechts sein, denn wir wecken sonst 19090 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. April 1994

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) Erwartungen, die so schnell nicht umzusetzen sind. vationscharakter dabei ausreichend zu berücksichti- Ich würdige ganz besonders, daß die EG in den letzten gen. Jahren in der Frage des Umweltschutzes eine andere In diesem Sinne hoffe ich, daß wir uns in der Haltung als früher eingenommen hat, daß sie dem Beratung gemeinschaftlich zu einem guten Ergebnis Umweltschutz eine wesentlich höhere Priorität ein- zusammenfinden werden, weil ich gerade bei dieser räumt — und dies nicht nur verbal, sondern auch Novelle Anknüpfungspunkte dafür sehe, in einem inhaltlich. breiten Bereich Gedanken gemeinschaftlich voranzu- Wir müssen trotzdem sehen, daß es weite Bereiche bringen. Ich hoffe auf eine fruchtbare Koopera tion in gibt, in denen wir ungeheure Schwierigkeiten der Ausschußarbeit. haben. Vielen Dank. (Ernst Schwanhold [SPD]: Das stimmt!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich warne in diesem Zusammenhang davor, in die Euphorie zu verfallen, daß wir hier EG-einheitliche Regelungen bekommen, wenn ich sehe, daß vor dem Vizepräsident Helmuth Becker: Meine sehr verehr- Hintergrund der Maast richt-Diskussion die Subsidia- ten Damen und Herren, weitere Wortmeldungen ritätsformel uns jetzt wiederum dazu bringt, hinter die liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. einheitlichen Standards zurückzugehen. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- (Ernst Schwanhold [SPD]: Wer wollte denn wurfs auf der Drucksache 12/7136 an die in der das?) Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse, zusätzlich an den Ausschuß für Forschung, Technologie und Wenn ich an die Luftverschmutzungsrichtlinie Technikfolgenabschätzung sowie an den Ausschuß denke, die die EG jetzt konzipiert und bei der sie für Wirtschaft, vorgeschlagen. Gibt es dazu anderwei- davon abgeht, einheitliche Standards und Vorgaben tige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind zu schaffen, wobei sie das Ganze regionalisieren will, die Überweisungen so beschlossen. dann sollten wir vor dem Hintergrund einer solchen Meine Damen und Herren, wir sind damit am Entwicklung ein einheitliches europäisches Stoff- Schluß unserer heutigen Tagesordnung. recht, das eine ungeheuer komplexe Angelegenheit ist, nicht in der Form darstellen, als sei dies etwas, was Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- man nur zu wollen brauche, und es würde reali- destages auf Mittwoch, den 20. Ap ril 1994, 13 Uhr siert. ein. Ich meine, wir sollten sehen, daß wir möglichst viel Ich hoffe, daß Sie am Wochenende ein paar freie im eigenen Land bewirken, und zwar nicht nur unter Stunden haben, und wünsche, daß wir uns gesund und dem Stichwort Umweltschutz und Umweltschutzvor- munter am Anfang der Woche hier wiedersehen. sorge, sondern natürlich auch in Verbindung mit dem (Beifall — Gerlinde Hämmerle [SPD]: Das Komplex Arbeitsschutz, Vorsorge am Arbeitsplatz. wünschen wir Ihnen auch, Herr Präsident!) Ich glaube, daß wir uns einig sind, den Schutz des Die Sitzung ist geschlossen. Menschen und der Umwelt vor schädlichen Wirkun- gen voranzutreiben, gleichzeitig aber auch den Inno- (Schluß der Sitzung: 13.15 Uhr) Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. April 1994 19091*

Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Abgeordnete(r) entschuldigt bis Liste der entschuldigten Abgeordneten einschließlich Dr. Kolb, Heinrich L. F.D.P. 15. 4. 94 Kolbe, Manfred CDU/CSU 15. 4. 94 Abgeordneter) entschuldigt bis einschließlich Koschnick, Hans SPD 15. 4. 94 Antretter, Robert SPD 15. 4. 94* Kossendey, Thomas CDU/CSU 15. 4. 94 Bartsch, Holger SPD 15. 4. 94 Dr. Krause (Börgerende), CDU/CSU 15. 4. 94 Günther Becker-Inglau, Ing rid SPD 15. 4. 94 Kretkowski, Volkmar Beckmann, Klaus F.D.P. 15. 4. 94 SPD 15. 4. 94 Kronberg, Heinz-Jürgen CDU/CSU 15. 4. 94 Dr. Blank, CDU/CSU 15. 4. 94 Joseph-Theodor Dr. Kübler, Klaus SPD 15. 4. 94 Dr. Graf Lambsdorff, Otto F.D.P. Böhm (Melsungen), CDU/CSU 15. 4. 94* 15. 4. 94 Wilfried Dr. Lehr, Ursula CDU/CSU 15. 4. 94 Lowack, Ortwin Borchert, Jochen CDU/CSU 15. 4. 94 fraktionslos 15. 4. 94 Maaß (Wilhelmshaven), Bredehorn, Günther F.D.P. 15. 4. 94 CDU/CSU 15. 4. 94* Erich Brudlewsky, Monika CDU/CSU 15. 4. 94 Marten, Günter CDU/CSU 15. 4. 94 Brunnhuber, Georg CDU/CSU 15. 4. 94 Dr. Matterne, Dietmar SPD 15. 4. 94 Büchler (Hof), Hans SPD 15. 4. 94* Meckelburg, Wolfgang CDU/CSU 15. 4 94 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 15. 4. 94* Dr. Menzel, Bruno F.D.P. 15. 4. 94 Dr. von Bülow, Andreas SPD 15. 4. 94 Dr. Mertens (Bottrop), SPD 15. 4. 94 Clemens, Joachim CDU/CSU 15. 4. 94 Franz-Josef Dr. Däubler-Gmelin, SPD 15. 4. 94 Dr. Mildner, Klaus CDU/CSU 15. 4. 94 Herta Gerhard Doss, Hansjürgen CDU/CSU 15. 4. 94 Mischnick, Wolfgang F.D.P. 15. 4. 94 Duve, Freimut SPD 15. 4. 94 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 15. 4. 94 Eimer (Fürth), Norbert F.D.P. 15. 4. 94 Molnar, Thomas CDU/CSU 15. 4. 94 Erler (Waldbrunn), CDU/CSU 15. 4. 94 Mosdorf, Siegmar SPD 15. 4. 94 Wolfgang Dr. Müller, Günther CDU/CSU 15. 4. 94* Feilcke, Jochen CDU/CSU 15. 4. 94 Müller (Wadern), CDU/CSU 15. 4. 94 Dr. Feldmann, Olaf F.D.P. 15. 4. 94 ' Hans-Werner Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 15. 4. 94 ' Müller (Zittau), Christian SPD 15. 4. 94 Francke (Hamburg), CDU/CSU 15. 4. 94 Neumann (Bramsche), SPD 15. 4. 94 Klaus Volker Fuchs (Verl), Katrin SPD 15. 4. 94 Ostertag, Adolf SPD 15. 4. 94 Ganschow, Jörg F.D.P. 15. 4. 94 Otto (Frankfurt), F.D.P. 15. 4. 94 Dr. Gautier, Fritz SPD 15. 4. 94 Hans-Joachim Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 15. 4. 94 Paintner, Johann F.D.P. 15. 4. 94 Dr. von Geldern, CDU/CSU 15. 4. 94 Pfuhl, Albert SPD 15. 4. 94* Wolfgang Poppe, Gerd BÜNDNIS 15. 4. 94 Gerster (Mainz), CDU/CSU 15. 4. 94 90/DIE Johannes GRÜNEN Dr. Göhner, Reinhard CDU/CSU 15. 4. 94 Poß, Joachim SPD 15. 4. 94 Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 15. 4. 94 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 15. 4. 94* Gries, Ekkehard F.D.P. 15. 4. 94 Rahardt-Vahldieck, CDU/CSU 15. 4. 94 Grünbeck, Josef F.D.P. 15. 4. 94 Susanne Haack (Extertal), SPD 15. 4. 94 Raidel, Hans CDU/CSU 15. 4. 94 Karl-Hermann Reddemann, Gerhard CDU/CSU 15. 4. 94* Habermann, SPD 15.4.94 Reimann, Manfred SPD 15. 4. 94 Frank-Michael Repnik, Hans-Peter CDU/CSU 15. 4. 94 Hackel, Heinz-Dieter fraktionslos 15. 4. 94 Reuschenbach, Peter W. SPD 15. 4. 94 Hauser CDU/CSU 15.4.94 Dr. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 15. 4. 94 (Rednitzhembach), Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 15. 4. 94 Hansgeorg Ingrid Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 15. 4. 94 Schätzle, Ortrun CDU/CSU 15. 4. 94 Henn, Bernd PDS/Linke 15. 4. 94 Schaich-Walch, Gudrun SPD 15. 4. 94 Liste Dr. Scheer, Hermann SPD 15. 4. 94* Dr. Herr, Norbe rt CDU/CSU 15. 4. 94 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 15. 4. 94 Dr. Holtz, Uwe SPD 15. 4. 94* Hans Peter Dr. Hoth, Sigrid F.D.P. 15. 4. 94 von Schmude, Michael CDU/CSU 15. 4. 94* Ibrügger, Lothar SPD 15. 4. 94 Schröter, Karl-Heinz SPD 15. 4. 94 Kittelmann, Peter CDU/CSU 15. 4. 94* Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 15. 4. 94 19092* Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994

entschuldigt bis wurde jedoch kurzfristig von der Tagesordnung abge- Abgeordnete(r) einschließlich setzt. Schulte (Hameln), SPD 15. 4. 94** Zum 92er Bericht wurde uns in den letzten Tagen Brigitte vom Verteidigungsministerium eine Liste von Maß- Dr. Schumann PDS/Linke 15. 4. 94 nahmen vorgelegt, die man angeblich im Zusammen- (Kroppenstedt), F ritz Liste hang mit dem Be richt des Wehrbeauftragten in Schwanitz, Rolf SPD 15. 4. 94 Angriff genommen hat. Besonders beachtlich sind die Seuster, Lisa SPD 15. 4. 94 zu verzeichnenden Erfolge in puncto Vorbereitung Dr. Skarpelis-Sperk, SPD 15. 4. 94 und Ausstattung für Auslandseinsätze der Bundes- Sigrid wehr. Zu vielen Fragen wie z. B. den Mängeln bei der Dr. Soell, Hartmut SPD 15. 4. 94* politischen Bildung, der Erstellung eines Führungs- Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 15. 4. 94 kräftekonzeptes, der Beteiligung von Vertrauensper- Dr. Frhr. von Stetten, CDU/CSU 15. 4. 94 sonen usw. liegen noch keine endgültigen Ergebnisse Wolfgang vor. Auch wenn Aspekte wie Fragen der Besoldung, Dr. von Teichman, F.D.P. 15. 4. 94 der Beförderung und des Dienstzeitausgleiches bei Cornelia den betroffenen Soldaten eine große Rolle spielen, Terborg, Margitta SPD 15. 4. 94 darf man den Gesamtkontext nicht aus den Augen Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 15. 4. 94 verlieren. Dr. Ullmann, Wolfgang BÜNDNIS 15. 4. 94 Hier muß man darauf hinweisen, daß es die Bundes- 90/DIE regierung in den vergangenen Jahren insgesamt GRÜNEN versäumt hat, die Bundeswehr den neuen Erkenntnis- Vogel (Ennepetal), CDU/CSU 15. 4. 94* sen anzupassen. Das neue Weißbuch dokumentiert Friedrich die Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung auf Voigt (Frankfurt), SPD 15. 4. 94 sehr anschauliche Weise. Diese Bundesregierung hat Karsten D. es nicht geschafft, für die Bundeswehr einen verfas- Vosen, Josef SPD 15. 4. 94 sungskonformen, d. h. auf Landesverteidigung zuge- Walz, Ingrid F.D.P. 15. 4. 94 schnittenen Auftrag zu formulieren. Sie hat es nicht Weiermann, Wolfgang SPD 15. 4. 94 geschafft, die Bundeswehr personell und strukturell Welt, Jochen SPD 15. 4. 94 deutlich zu reduzieren und die Wehrpflicht abzu- Wester, Hildegard SPD 15. 4. 94 schaffen. Sie hat es nicht geschafft, gegenüber dem Wiechatzek, Gabriele CDU/CSU 15. 4. 94 militärisch-industriellen Komplex drastische Kürzun- Dr. Wieczorek, Norbert SPD 15. 4. 94 gen durchzusetzen. Wieczorek (Duisburg), SPD 15. 4. 94 Die vom Wehrbeauftragten angesprochenen Pro- Helmut bleme können aber nur gelöst werden, wenn die Wissmann, Matthias CDU/CSU 15. 4. 94 Bundeswehr deutlich verkleinert und umstrukturiert Wittmann (Tännesberg), CDU/CSU 15. 4. 94 wird. Sollten sich Presseberichte bestätigen, daß in Simon den konzeptionellen Leitlinien Ende dieses Monats Wohlleben, Verena SPD 15. 4. 94 der Personalumfang lediglich auf 320 000 Mann und Wohlrabe, Jürgen CDU/CSU 15. 4. 94 der Wehrdienst nur um 2 Monate abgesenkt wird, Wolfgramm (Göttingen), F.D.P. 15. 4. 94* dann verdeutlicht das erneut, daß diese Regierung für Torsten substantielle Reformen nicht zu haben ist. Wollenberger, Vera BÜNDNIS 15. 4. 94 Die im Juni vergangenen Jahres abgehaltene par- 90/DIE lamentarische Debatte des Jahresberichts 1992 war im GRÜNEN wesentlichen vom Streit um die fehlenden gesetzli- Zierer, Benno CDU/CSU 15. 4. 94 chen Rahmenbedingungen von Auslandseinsätzen * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- der Bundeswehr geprägt. Herr Biehle hat sich in lung des Europarates seinen Berichten in dieser Frage weit aus dem Fenster ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versamm- gehängt. Von der Verfassung her als Hilfsorgan des lung Bundestages bei der Kontrolle der Bundeswehr vorge- sehen, entpuppte sich der Wehrbeauftragte in den Anlage 2 vergangenen Jahren als Hilfsorgan der Bundeswehr zur Verurteilung des Parlaments. Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 13 Für die Tatsache, daß die Bundesregierung, Bun- (Jahresbericht 1992 des Wehrbeauftragten) deswehr und Regierungsparteien bei den Auslands- einsätzen die Soldaten in eine verfassungsrechtlich Andrea Lederer (PDS/Linke Liste): Der Bericht des schwierige Lage gebracht haben, macht Herr Biehle Wehrbeauftragten ist immer auch ein Anlaß, über den unter Berufung auf anonyme Soldaten das Parlament, Gesamtzustand der Bundeswehr nachzudenken und de facto aber die Opposition verantwortlich. Aber so Korrekturen zu forde rn oder in Angriff zu nehmen. geht es nicht. Es ist die Bundesregierung, die aus Ursprünglich war vorgesehen, daß wir hier neben dem machtpolitischen Erwägungen deutsche Soldaten Jahresbericht 1992 auch den vor wenigen Wochen erneut zum Instrument der Außenpolitik macht. Es ist vorgelegten Jahresbericht 1993 beraten sollten. Letz- die Bundesregierung, die die Verfassung als ein terer - den meisten von Ihnen sicher unter dem wertlosen Fetzen Papier behandelt. Und es ist die Stichwort „bumm-bumm, peng-peng" ein Begriff - Regierungskoalition, die die Latte für eine Verfas- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 220. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Ap ril 1994 19093*

sungsänderung in dieser Frage so hoch hängt, daß Gesetz zur Änderung des Bundeskleingartengesetzes keine der Oppositionsparteien in dieser Frage zustim- (BKleingÄndG) men kann. Wohlwissend um die verfassungsrechtli- Gesetz zu dem Abkommen vom 16. Dezember 1992 zwischen che Fragwürdigkeit, hat die Regierung Soldaten zu der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regie- rung der Russischen Föderation über Kriegsgräberfürsorge Einsätzen ins Ausland geschickt. Gesetz zu dem Abkommen vom 9. Oktober 1992 zwischen der Wir haben in der Bundesrepublik die schizophrene Bundesrepublik Deutschland und den Europäischen Gemein- Situation, daß die Bundeswehr ohne vorherige Klar- schaften über die Durchführung des Artikels 11 des Anhangs VIII des Statuts der Beamten der Europäischen stellung der verfassungsrechtlichen Grundlagen aus- Gemeinschaften gerüstet, ausgebildet und eingesetzt wird. Während Gesetz zu dem Übereinkommen vom 18. Juni 1992 zur Revision die Entscheidung des Verfassungsgerichtes noch aus- des Übereinkommens über die Gründung eines Europäischen steht, sind die ersten Milliarden schon verplant, die Hochschulinstituts ersten Toten schon begraben. Drittes Gesetz zur Änderung des Bundeszentralregistergeset- zes (3. BZRÄndG) Wir erwarten nicht, daß Herr Biehle den Soldaten in Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundes- der „Armee unserer Söhne", wie der Kanzler bezeich- tages vom 20. Juni 1991 zur Vollendung der Einheit Deutsch- nenderweise zu sagen pflegt, offen ins Gesicht sagt, lands (Berlin/Bonn - Gesetz) daß die Söhne Kopf und Knarre hinhalten müssen, damit die geistigen Väter im deutschen Großmacht Die Vorsitzenden der folgende Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Streben mehr Einfluß herausschlagen können. Wir Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: erwarten aber, daß der Wehrbeauftragte bei der Auswärtiger Ausschuß Darstellung der Fakten die kausalen Zusammen- Drucksache 12/6095 hänge richtig wiedergibt. Er hätte dieser Bundesre- EG -Ausschuß gierung unmißverständlicher klar machen müssen, Drucksache 12/1815 daß der Bundeswehr bis zur eindeutigen Klärung der Drucksache 12/2246 rechtlichen Grundlagen eine „Auszeit" — wie er es im Drucksache 12/2481 Drucksache 12/2535 93er Bericht nennt — gut zu Gesichte stünde. Drucksache 12/6234

Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Innenausschuß Anlage 3 Drucksache 12/4833 Nr. 2.1 Amtliche Mitteilungen Drucksache 12/5056 Nr. 2.1 Drucksache 12/6780 Nr. 2.1 Ausschuß für Familie und Senioren Der Bundesrat hat in seiner 667. Sitzung am 18. März 1994 Drucksache 12/6582 Nr. 3.16 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß A rt. 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Ausschuß für Verkehr Drucksache 12/6649 Nr. 2.37 Gesetz über den Abschluß von Unterstützungen der Bürger der Ausschuß für Post und Telekommunikation ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik bei Gesund- Drucksache 12/6780 Nr. 2.9 heitsschäden infolge medizinischer Maßnahmen (Unterstützungsabschlußgesetz — UntAbschlG) Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenab- schätzung Gesetz über die Errichtung einer Stiftung Bundespräsident- Drucksache 12/6347 Nr. 3.21 Theodor-Heuss-Haus Drucksache 12/6649 Nr. 2.40

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