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Sendung vom 09.05.2006, 20.15 Uhr

Ulrich Kienzle Journalist im Gespräch mit Jürgen Seitz

Seitz: Eine Mann, eine Marke. Ein Journalistenleben lang bekam er die Chance, uns zu erklären, wie er die Welt sieht. Jetzt ist er bei uns im alpha-forum, 45 Minuten lang hat er sich Zeit für uns genommen: Herzlich willkommen, Ulrich Kienzle. Kienzle: Guten Tag. Seitz: Herr Kienzle, bevor wir uns mit anderen Dingen beschäftigen, das Wichtigste nach vorne, wie sich das gehört: Sie sind eine Marke, eine journalistische Marke geworden. Und Sie haben auch ein Markenzeichen, nämlich Ihren Schnäuzer. Wann kommt der ab? Kienzle: Der kommt nicht ab. Den habe ich in einer verzweifelten Phase wachsen lassen, als ich lange Zeit kein Einreisevisum nach Südafrika bekam und immerzu warten musste, bis das Visum endlich kommt. Da habe ich das einfach mal probiert und dann fand ich ihn gut, fand, dass er mir wirklich steht. Und deshalb behalte ich ihn auch. Seitz: Gegen einen, der aussieht wie Sie, sagte Ihr leider verstorbener Partner Bodo Hauser, hat "Amerika mal den Golfkrieg geführt". Ich will dieses treffende Statement gleich mit einem Foto belegen. Sagen Sie uns doch, was Sie hier auf diesem Foto sehen. (Auf dem Foto sind Ulrich Kienzle und mit zwei Dolmetschern zu sehen. Ulrich Kienzle wie Saddam Hussein tragen schwarzen Anzug, weißes Hemd, Krawatte und jeder seinen gut sichtbaren schwarzen Schnauzbart, d. Red.) Kienzle: Ja, das war schon eine spannende Stunde in Bagdad kurz vor dem ersten Golfkrieg. Ich habe damals ein Interview mit Saddam gemacht, das auf eine sehr merkwürdige Art und Weise zustande gekommen ist. Als Saddam Kuwait überfallen hat, bin ich zum Botschafter des Irak gefahren und habe gesagt: "Ich will kein Interview mit Saddam." Er war daraufhin völlig verblüfft. Ich meinte aber: "Im Augenblick wollen alle ein Interview mit Saddam, ich will das nicht. Aber vielleicht gibt es ja mal den Punkt, an dem Sie das Gefühl haben, dass so etwas interessant werden könnte." Ich habe dann dieses Gespräch völlig vergessen und war nach fast einem halben Jahr gerade in Bremen unterwegs, als ich den Anruf bekam: "Morgen früh geht der Flieger nach Bagdad". Das war natürlich sehr aufregend. Bei der Ankunft auf dem Flughafen von Bagdad wurden wir von einer Sicherheitstruppe abgeholt und mit Blaulicht zum Informationsministerium gefahren, zu diesem merkwürdigen Mann, der dann später all diese merkwürdigen Dinge gesagt hat. Dort saß unser Korrespondent: den hatten sie einfach eingefangen. Dieser Mann hatte wirklich Todesangst, weil er dachte, er hätte irgendetwas falsch gemacht. Ich habe ihn dann sofort beruhigt und gesagt: "Keine Sorge, es geht um Saddam und nicht um Sie!" Seitz: Haben Sie das damals am 21.12.1990 als Sternstunde in Ihrem journalistischen Leben empfunden? Kienzle: Ja, ich denke schon. Das war damals ja der gefährlichste Mann der Welt; so haben wir im Westen ihn jedenfalls gesehen. Wie sich später herausstellte, stimmte das ja nicht – auch beim zweiten Golfkrieg stimmte das ja nicht. Saddam war ein gefährlicher Diktator, das stimmt. Das Schlimme war, dass man ihn immer gleich mit Hitler verglichen hat. Ich empfand das schon damals als eine Verniedlichung von Hitler. Saddam war ein übler Diktator, der viele Menschen auf dem Gewissen hatte, aber eines war er nicht: Er war kein Hitler. Wenn er etwas war, dann war er ein Stalinist, und zwar ein sehr harter Stalinist. Und gleichzeitig war er ein Beduine. Diese Mischung aus Stalinist und Beduine war möglicherweise seine Stärke. Und bis zuletzt haben die Sunniten ja darauf gehofft, dass er ihr Regime erhalten kann. Wir stehen heute nach drei Jahren Krieg im Irak vor der Situation, dass wir feststellen müssen, dass dieses Land eigentlich fast schlimmer dran ist als zu Beginn des Krieges. Seitz: Zur Zeit der Aufzeichnung unserer Sendung im April 2006 steht ja jener Saddam, der Ihnen damals so ähnlich sah, im Irak vor Gericht. Er war von US-Marines aus einem Erdloch gezogen worden und nun wird ihm von seinem Volk der Prozess gemacht. Hätten Sie das damals für möglich gehalten? Kienzle: Nein, es hat ja keiner gewusst, wo er sich aufhält. Er hatte ja zu Beginn seiner Karriere auf wirklich sehr niedrigem Niveau in der Wüste gelebt: Er hat dort das Überleben gelernt und später auch einen Putsch mitgemacht. Gewalt ist in der Stadt Bagdad übrigens so verankert wie nichts anderes. Seit Jahrhunderten wurden dort immer wieder die Chefs liquidiert. Der letzte König wurde auf einem Parkplatz in Bagdad zu Tode getrampelt. Der, der gegen ihn geputscht hatte, nämlich General Kasim, wurde gehängt: Das wurde drei Tage lang im Fernsehen übertragen. Saddam wusste also, dass ihm so etwas Ähnliches drohte. Und deswegen hat er eben als Stalinist, wie ich ihn bezeichne, auch immer wieder versucht, alle Menschen, die ihm gefährlich werden könnten, zu töten. Seitz: Im weiteren Verlauf unserer Sendung werden wir sicherlich noch einmal auf das Thema "Nahost" bzw. "Islam" zu sprechen kommen. Noch einmal zum Tod, der Ihnen nicht fremd ist. Diese Urerfahrung haben Sie gemacht als Kriegsberichterstatter im Nahen Osten. Sie haben zwei Herzinfarkte überstanden und dann kam der, wie man sagen muss, wirklich plötzliche und fast tragische Tod Ihres, wenn ich das mal so salopp formulieren darf, hassgeliebten Moderationspartners Bodo Hauser. Kienzle: Na, Hass war nicht im Spiel. Wir waren keine Freunde, sondern wir waren, wenn man so will, professionelle Gegner, die eine erfolgreiche Sendung gemacht haben. Das hat uns natürlich auch persönlich ein bisschen zusammengebracht. Es hat mich schon sehr getroffen, wie ich ehrlich sagen muss, als das passiert ist. Ich hatte ja noch zwei, drei Wochen vorher zusammen mit ihm einen Vortrag gehalten. Dabei hat er mir gesagt: "Ich glaube, ich überlebe das nicht!" Ich habe ihm dann sogar noch geantwortet: "Das ist doch ein Witz! Das ist eine Routineoperation." Das war ja auch wirklich eine Routineoperation, aber dabei ist genau das passiert, worüber wir in "Frontal" häufig berichtet haben: Es gab einen ärztlichen Kunstfehler und oft wird dann dieser Kunstfehler im Zweifelsfall nicht zugegeben. Gott sei Dank haben sich aber die nordrhein-westfälischen Ärzte in diesem Fall aufgerafft und gesagt: "Das war ein Kunstfehler!" Seitz: Die Sendung "Frontal" mit Ihnen beiden war ja über lange Jahre hinweg ein Quotenerfolg bei deutschen Zuschauern. Hier auf diesem Bild sieht man Sie und den verstorbenen Bodo Hauser. Immerhin hat dann dieser Casus – aufgrund der Prominenz des Falles – dazu geführt, dass in dieser unserer Republik über ärztliche Kunstfehler mehr nachgedacht und auch diskutiert wird. Kienzle: Das war, wenn man so will, sein letzter journalistischer Erfolg. Seitz: Ich möchte in diesem Zusammenhang einen Satz zitieren, der heute fast schon ein bisschen gespenstisch klingt, der aber letztlich gut erklärbar ist. Sie haben nämlich 1993 in ganz gewollt bissig-sarkastischem Ton, der Sie ja in diesen Dialogen auszeichnete, gesagt: "Ich habe Beirut überlebt, ich werde auch Hauser überleben." Wie empfinden Sie diesen Satz heute? Kienzle: Nun, ich habe genau Folgendes gesagt: "Ich habe den libanesischen Bürgerkrieg überlebt, ich werde auch Hauser überleben." Das war natürlich ironisch gemeint und natürlich haben dann viele Kollegen diesen Satz aus Anlass seines Todes aus der Schublade gezogen. Das war mir, wie ich ehrlich sagen muss, ein bisschen peinlich, denn so war das ja keinesfalls gemeint. Seitz: In Büchern wie "Total Frontal" usw. kann man ja nachlesen, was der Linke Kienzle und sein rechter Sparringspartner Hauser so gedacht und gesagt haben. Für mich ist das natürlich auch ein Fundgrube, näher an den Menschen Kienzle heranzukommen. Denn Sie haben sich ja nicht nur über das Fernsehen produziert und an die Menschen gewandt, sondern Sie haben auch Dinge aufgeschrieben. Diese Bücher sind, wie ich finde, sehr gut geschrieben und nachvollziehbar. Ich wüsste jetzt aber schon ganz gerne, ob Ihre linken Attitüden, Ihre linke Meinung... Kienzle: Reden wir hier nicht von Attitüden: Das ist einfach eine Haltung, eine kritische Haltung. Dadurch, dass ich mit Bodo Hauser zusammengearbeitet habe, habe ich sozusagen auch eine andere Welt kennen gelernt. Das ist ja das Tolle an so einem Magazin: Es ist nicht monolithisch in dem Sinne, dass dort – wie z. B. bei "Report München" oder "Monitor" – ein Moderator mit einer ganz bestimmten politischen Haltung seine Kommentare abgibt. Stattdessen gab es da wirklich ganz harte Auseinandersetzungen. Jede Story, die in diesem Magazin gelaufen ist, ist somit quasi durchs Fegefeuer gegangen. Denn sowohl Hauser wie auch ich haben natürlich immer ganz genau nachgesehen, ob das alles auch wirklich stimmt. Das war wohl einer der großen Vorzüge dieser Sendung. Für die Mitarbeiter war das allerdings sehr hart, weil wir uns wirklich oft sehr heftig gestritten haben. Wir hatten sehr lautstarke Auseinandersetzungen miteinander. Der Chefredakteur meinte, er merke immer schon an der Lautstärke, dass es auf die Sendung zugehe. Wir saßen immerhin drei Stockwerke unter ihm! Ja, es wurde bei uns gelegentlich schon sehr laut. Seitz: Das war ja auch einer der Vorzüge dieser Sendung. Und das wurde von der Öffentlichkeit auch anerkannt. Kienzle: Wir haben unsere Diskrepanzen offen ausgetragen. Das war ein offener Meinungskampf und da war nichts verschwiemelt. Nein, da war Hauser genauso wie ich sehr offen. Wir haben uns wirklich nichts geschenkt. Seitz: Das kam in der Tat rüber und wurde vom Publikum auch akzeptiert. Kienzle: Es ging ja hinter den Kulissen eigentlich schlimmer zu als vor den Kulissen. Seitz: Erzählen Sie doch mal ein Beispiel. Kienzle: Ein einfaches Beispiel ist Folgendes: Der Hauser moderiert und beginnt nach seiner Moderation mich anzubrüllen: "Du Arschloch, du hast den Kopf geschüttelt, während ich moderiert habe!" Ich hatte überhaupt nichts gemacht gehabt. Er hat sich möglicherweise auf diese Art nur abreagiert. Ich habe zu ihm gesagt: "Gut, vergiss es!" Solche Dinge sind hinter den Kulissen häufiger passiert. Das hat nur niemand gemerkt, denn in solchen Momenten war die Kamera bereits nicht mehr auf uns gerichtet. Seitz: Die ungesendeten Bänder sind ja manchmal die schönsten, wie jeder weiß. Ich hatte jedenfalls das Lesevergnügen, mich damit ein bisschen auseinander zu setzen. Ich habe dabei über den Menschen Kienzle z. B. gelernt, dass seine linke Haltung auch auf prügelnde Lehrer am Ludwigsburger Schiller-Gymnasium zurückzuführen ist. Denn wer so etwas erlebt, kann wohl nur ein Linker werden. Kienzle: Nun ja, das war einfach Notwehr an dieser Schule. Ich habe an dieser Schule das Bauchreden gelernt aus Verzweiflung, um die Lehrer ärgern zu können. Der Höhepunkt meines "Schaffens" damals war, als eines Tages der Lateinlehrer mir frontal gegenüberstand und ich mit meiner Bauchrednerkunst gesagt habe: "Ali, du Arschloch!" Und immer wieder und wieder. Er meinte dazu natürlich: "Hier schreit doch einer! Hier schreit doch einer!" Ich sagte ihm aber, ich würde nichts hören. Wir haben diesen armen Lehrer wirklich damit geärgert, indem wir immer wieder gesagt haben, wir würden nichts hören. So musste er sich natürlich geschlagen geben. Er hat nicht herausbekommen, wer das war. Seitz: Das war also aus einer Art Notwehr heraus geboren. Kienzle: Ja, das war so etwas wie "Spaßguerilla" an der Schule. Seitz: Von daher datiert wohl Ihr Hang, Autoritäten in Frage zu stellen, wie es so schön heißt. Kienzle: Wir hatten aber auch tolle Lehrer, mit denen man so etwas nicht machen konnte. Das war natürlich nichts Politisches, das war einfach nur unsere Art der Auseinandersetzung mit den so genannten Autoritäten. Bei Autoritäten jedoch, die argumentierten, die auf uns Schüler Eindruck machten, ist das natürlich nicht passiert. Seitz: War denn Bodo Hauser auch so eine Autorität für Sie? Konnte er das überhaupt sein? Kienzle: Nein, er war keine Autorität, er war ein journalistischer Kollege. Ich war ja für ihn genauso wenig eine Autorität. Für ihn war eher Helmut Kohl eine Autorität. Ich selbst hatte solche paternalistischen Beziehungen eigentlich nie. Seitz: Noch interessanter als die Frage, wie Sie ein so genannter Linker wurden, ist für mich etwas anderes. Für mich ist nämlich interessant, warum Sie dann in dem so genannten progressiven Spektrum geblieben sind. Denn selbstverständlich ist das ja nicht unbedingt mit zunehmender Lebenserfahrung und zunehmendem Wohlstand. Kienzle: Nun ja, das würde ich so nicht sagen. Sich eine kritische Lebenshaltung zu bewahren und nicht zu allem Ja und Amen zu sagen, ist eine vernünftige und ehrenwerte Haltung, wie ich meine; die hat nichts mit Blödheit zu tun oder mit der Unfähigkeit, hinzulernen zu können. Ich habe nämlich sehr viel gelernt in meinem Leben und mir auch eine sehr differenzierte Meinung über bestimmte Personen bewahrt. Nehmen Sie als Beispiel die Person von Franz Josef Strauß. In meiner Studentenzeit – damals habe ich ja schon gearbeitet – war er selbstverständlich ein politischer Gegner, wenn man so will. Aber im Nachhinein finde ich, dass er sehr viele richtige Dinge gemacht hat: Denken Sie nur einmal an den Airbus usw. Das waren Dinge, die ich damals einfach nicht begriffen habe. Hier zu differenzieren finde ich schon einen ganz wichtigen Schritt für einen selbst. Viel schlimmer finde ich, wenn man sein Leben lang den gleichen Schemata verhaftet bleibt, nach dem Modell einmal links, immer ein Linker und einmal rechts, immer ein Rechter; denn es gibt ja auch Sachthemen, bei denen man durchaus darüber streiten kann, ob eine bestimmte Geschichte richtig gelöst worden ist oder nicht. Seitz: Das ist jetzt sehr überraschend und ich finde es gut, dass diese Facette von Ihnen bei uns in der Sendung mal ein bisschen mehr zum Tragen kommt. Ich glaube, dass das Konzept "Kienzle und Hauser" dieser Differenzierung Ihrer Persönlichkeit auch ein bisschen... Kienzle: Ich hatte es ja vorhin bereits gesagt: Ich habe durch Bodo Hauser plötzlich eine andere Welt kennen gelernt, nämlich die konservative Welt mit all ihren Attitüden und allem Drum und Dran, mit diesen Äußerlichkeiten wie Einstecktüchern im Anzug usw. Aber ich habe dabei auch Inhalte gelernt und diese Inhalte waren gelegentlich durchaus bedenkenswert. Gelegentlich hat Hauser vielleicht auch Einsichten bekommen in Dinge, die er früher so nicht gehabt hätte. Und deswegen fand ich ja auch das Format dieser Sendung so interessant. Wir sind dafür ja von einigen Journalisten regelrecht niedergeschrieben worden. Der Fernsehkritiker der "Süddeutschen Zeitung" hat diese Sendung ja ganz furchtbar gefunden. Es gibt wohl immer noch so ein paar Fernsehkritiker, die in den sechziger Jahren stehen geblieben sind: Die haben das für reines Entertainment gehalten. Ich habe nichts gegen Entertainment, wenn ich damit eine intelligente Auseinandersetzung oder intelligente Aussagen rüberbringen kann. Wenn das gelingt, dann ist das toll. Gut, am Anfang war das etwas schwierig, denn wir waren ja noch völlig ungeübt auf diesem Gebiet. Da hat jeder einfach nur geradeaus moderiert. Der Übergang zur wirklichen Doppelmoderation war schon sehr schwierig für uns. Seitz: Herr Kienzle, jetzt tun wir vielleicht einen Blick auf das, was Sie heute treiben, denn es gibt ja immer auch ein Leben danach – und, wie wir jetzt hören, bei Ihnen auch ein sehr aufgewecktes und nach vorne gerichtetes Leben. Sie haben die Unternehmensberater mal als die "Todesschwadronen des Kapitalismus" bezeichnet. Soweit ich weiß, versuchen Sie aber jetzt selbst Topmanager zu beraten. Ist das so? Kienzle: Ja, schon, aber nicht in ihren Geschäftsbereichen, sondern hinsichtlich der Medien. Ich finde es nämlich wirklich erstaunlich, wie wenig solche qualifizierten Leute über die Medien wissen. Da kann man ja z. T. wirklich nur die Hände ringen. Denn da gibt es bei so manchem Manager ein regelrechtes Feindbild hinsichtlich des Journalismus. Und das ist natürlich etwas völlig Unsinniges. Seitz: Die denken also, die Journalisten wären ihre Feinde. Kienzle: Ja. Aber das Wichtige ist doch: Was medial nicht rüberkommt, existiert gar nicht in unserer Welt. Man kann ein noch so tolles Produkt produzieren: Wenn man das nicht kommunizieren kann, dann existiert es in der Öffentlichkeit einfach nicht. Das ist übrigens ein sehr deutsches Problem. Amerikanische Manager haben da eine ganz andere Beziehung zur Öffentlichkeit. Daran ein bisschen zu arbeiten, daran zu arbeiten, dass diese Manager ein bisschen lockerer werden im Umgang mit den Medien und dass sie nicht alles dämonisieren, was die Medien machen, und nicht mehr denken, dass Journalisten nur und ausschließlich darauf warten, bei einem Manager einen Fehler zu entdecken, damit beschäftige ich mich. Seitz: Dem kann ich nur zustimmen. Ihr Hang zur Gelassenheit und zum Genuss drückt sich bei Ihnen ja auch noch in einer anderen Stilform aus, die Sie pflegen. Denn Sie machen auch ein TV-Magazin für Weingenießer. Kienzle: Ja, das war der Traum meines Lebens. Seitz: Gibt es demnach einen Burgfrieden zwischen dem "roten Ritter Kienzle" und der Upperclass? Kienzle: Aber das hat doch nichts miteinander zu tun! Wein ist doch nicht links oder rechts, sondern nur rot oder weiß und gut oder schlecht. Ich habe jedenfalls immer davon geträumt, auch einmal so etwas machen zu dürfen. Ich war immer neidisch auf die Kollegen, die für Zeitungen über Wein geschrieben haben. Ich fand den Weinjournalismus immer schon etwas ganz Tolles. Denn hier kommen Genuss und Arbeit unmittelbar zusammen. Eines Tages rief mich ein Produzent an und fragte mich, ob ich Lust hätte, so eine Sendung zu machen. Ich meinte, wir sollten das wirklich mal ausprobieren. Und dann haben wir es tatsächlich probiert. Seitz: Im wahrsten Sinne des Wortes. Kienzle: Ja, wir haben im wahrsten Sinne des Wortes probiert. Am Anfang war das alles noch ein bisschen holprig, wie ich ehrlich gestehen muss. Dieser Produzent hatte ja auch noch keine Erfahrung mit Weinsendungen. Aber letztlich ist das eine sehr interessante Geschichte geworden. Inzwischen habe ich alle guten deutschen Weingüter kennen gelernt. Ich weiß jetzt, wo es gute und gleichzeitig preiswerte Weine gibt. Denn ich bin ja kein Statustrinker, der sozusagen nach dem Etikett trinkt. Seitz: Was ist ein Statustrinker? Kienzle: Das sind die Leute, die im Restaurant den teuersten Wein bestellen, den es dort gibt. Sie trinken also nach Etikett und Preisschild. Seitz: Sie wollen damit zeigen, welchen sozialen Status sie haben. Kienzle: Sie werten sich selbst damit vermeintlich auf, wenn sie zeigen, dass sie sich einen Wein für 500 Euro leisten können. Ich finde das schwachsinnig. Ich habe viel Wein getrunken in meinem Leben, aber auch für mich gibt es da so bestimmte Grenzen. Man trinkt sich ja im Laufe seines Lebens quasi nach oben. Früher, in der Zeit der guten alten D-Mark, trank man sich hoch auf die Weine um zehn Mark. Dann kamen die Weine, die schon 15 Mark kosteten. Und so langsam merkt man dann die Unterschiede. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich bei Weinen, die teurer waren als 20, 30 Mark, die Unterschiede nur mehr ganz schwer feststellen konnte. Ich habe das Pech – und vielleicht auch das Glück –, dass mir manchmal bei Weinproben die einfachen Weine am besten schmecken. Nichts gegen gute Weine, aber sie müssen nicht einfach nur um ihrer selbst willen teuer sein. Seitz: Das ist wahr. Und in diesem Magazin bringen Sie das alles einem größeren Weintrinkerkreis nahe. Geht es da auch ums Essen? Kienzle: Jein, es geht jedenfalls um den Genuss. Ich bin ja vorbelastet durch den schwäbischen Pietcong. Seitz: Das müssen Sie uns erklären: Was ist der Pietcong? Kienzle: Sie wissen vielleicht, dass die Schwaben im 13., 14. Jahrhundert ein recht lustiges Völkchen waren und viel getrunken haben. Dann aber kam die Reformation. Fast so brutal wie die Stasi haben diese Pietcongs dann die Schwaben zu Disziplin und Enthaltsamkeit umerzogen. Das hatte wirklich furchtbare Auswirkungen. Als ich damals in als Journalist anfing, hat es z. B. in der ganzen Stadt kein Feinschmeckerrestaurant gegeben. Seitz: Das muss in den sechziger Jahren gewesen sein. Kienzle: Genau. Wenn man als Schwabe genusssüchtig war, dann ist man damals nach Baiersbronn gefahren. In Baiersbronn gibt es nämlich diese berühmten Sterne-Restaurants. So viele Sterne pro Kopf der Bevölkerung gibt es sonst nirgendwo in Deutschland. Die Stuttgarter sind früher wirklich nach Baiersbronn gefahren, damit man nicht gesehen hat, was sie da machen. Sie haben also in Baiersbronn heimlich dem Genuss gefrönt. Das ist eines dieser Probleme, das durch den Pietcong ausgelöst worden ist: Man muss den wirklichen Genuss eben woanders suchen. Seitz: Das Wort Pietcong setzt sich also zusammen aus dem schwäbischen Pietismus und dem aus Asien bekannten Vietcong. Das ist der Pietcong mit seinen sehr rigiden Einstellungen zum Leben an sich und überhaupt. Dieser Pietcong hat Sie also geprägt, aber irgendwann haben Sie dann gesagt, dass Sie das in Ihrem Leben anders haben möchten. Kienzle: Ja, das war eine bewusste Auflehnung dagegen. Und ich finde es natürlich gut, dass heutzutage immer mehr Schwaben zwar nicht genusssüchtig sind, aber den Genuss zumindest nicht mehr für eine Sache des Teufels halten. Ich freue mich darüber, dass es in Stuttgart inzwischen auch Feinschmeckerrestaurants gibt und dass wir uns auch hinsichtlich des Weins ein bisschen weiter entwickelt haben und nicht nur und ausschließlich den Trollinger kennen. Es gibt da im Württembergischen auch wunderbare Spätburgunder, was ich früher ja nie für möglich gehalten hätte. Es gibt wunderbare Rotweine und Weißweine inzwischen; die jungen schwäbischen Winzer haben da wirklich gewaltig dazu gelernt. Seitz: Das muss ich jetzt einfach sagen: Der Genuss war vielleicht mal eine "Sache des Teufels", heute kann es nur noch eine "Sache des Oettingers" sein, denn wir befinden uns im Jahr 2006 und sprechen damit über die Ministerpräsidenten. Kienzle: Apropos der ehemalige Ministerpräsident Teufel: Warum hatte Erwin Teufel immer so einen großen Wahlerfolg? Meine Interpretation ist da ganz einfach: Er war der am evangelischsten aussehende Katholik in Württemberg und damit hat er die Leute auf seine Seite gezogen. Denn dieser Konflikt zwischen den Evangelischen und den Katholischen hatte ja bis in meine Zeit hinein eine große Wirkung. Und genau das hat er dadurch überdeckt, dass er so evangelisch aussah. Seitz: Man muss Ihr Heimatland Baden-Württemberg wirklich auch aus seiner Religion heraus interpretieren. Kienzle: Die Badener waren immer liberal als die Württemberger, waren immer revolutionärer und haben immer dem Genuss gefrönt. Sie haben einfach gerne gegessen und getrunken: Das schwappte einfach alles irgendwie aus Frankreich rüber. Es gibt da ja diesen schönen Spruch: "Über Baden lacht die Sonne, über Württemberg die ganze Welt." Das ist einer dieser wirklich falschen Sprüche. Seitz: Sie haben die Autorität, dies zu sagen in unserer Sendung. Sie haben aber als Schwabe auch die Autorität, sich genau dagegen auch zu wehren. Kienzle: Ich finde jedenfalls, dass die Badener da nicht Recht haben. Es gibt im Württembergischen ebenso gute Weine wie im Badischen. Beim guten Essen holen wir so langsam auch auf. Und der Pietcong schlägt seine letzte Schlacht. Seitz: Sie haben sich selbst einmal einen "aufgeklärten Macho" genannt. Wie kann es ein zungenscharfer, im ganzheitlichen Sinne potenter und lebensbejahender Mensch wie Sie aushalten unter den, wenn ich auch einmal ein bisschen polemisch argumentieren darf, diplomierten Gutmenschen, wie man sie im linken Spektrum doch häufiger findet? Denn so einer sind Sie doch gar nicht. Kienzle: Na gut, die muss man entweder umerziehen oder vergessen. Ich habe mich eigentlich nie gescheut, ganz offen das zu tun, was mir Spaß macht. Es stimmt ja übrigens nicht, was der Kollege Hahne in seinem berühmten Bestseller sagt. Seitz: Sie meinen den ZDF-Kollegen Peter Hahne und sein Buch "Schluss mit lustig!". Kienzle: Es ist eben nicht Schluss mit lustig, Gott sei Dank nicht. Ich finde, Hahne ist hier ein völlig falscher Prophet. Seitz: Wie gesagt, Sie arbeiten ja journalistisch auf dem Gebiet des Genusses. Wer es geschafft hat, so etwas furchtbar langweiliges wie Politik an Millionen von Zuschauer heranzubringen, der... Kienzle: Ich finde das gar nicht, ich finde Politik unglaublich spannend. Ich fand sie nie langweilig und immer spannend. Denn letztlich kommen ja alle Entscheidungen, wie wir leben, aus der Politik. Ich fand es immer faszinierend, wie das zustande kommt und warum das so zustande kommt. Warum wählen z. B. die Württemberger bzw. die Schwaben immer schwarz? Das hat ganz simple Gründe, denn das geht auf das Jahr 1492 zurück. Damals hat Herzog Ulrich die Realteilung eingeführt. Das heißt, der Landbesitz wurde beim Erbe immer mehr geteilt: Jeder hatte, wie selbst ich mich noch aus meiner Jugendzeit erinnern kann, ein Stückchen Land. Wenn man ein Stück Land hat, dann heißt das, man ist Landbesitzer. Aber daneben hat man eben beim Daimler oder beim Bosch usw. gearbeitet. In der Firma war man dann natürlich extrem links und gut organisiert und hat das Möglichste herausgeholt in den Auseinandersetzungen mit den Arbeitgebern. Das nennt man gemeinhin Streik, nicht wahr. Am besten gestreikt haben wirklich die Schwaben. Deshalb waren sie auch lange Zeit die Avantgarde der IG-Metall. Diese wunderbare Schizophrenie zwischen Haus- bzw. Landbesitzer und Streikenden macht den Charme der Schwaben aus, wie ich meine. Und deshalb wählen sie im Betrieb den Streik und zu Hause die CDU. Seitz: Das leuchtet ja irgendwo ein, denn letztlich bedeutet das auch die Beteiligung der Arbeitnehmer am Kapital und am Produktivvermögen. Kienzle: So ist es. Seitz: Und der politische Überbau, das wissen Sie ja als jemand, der sich mit diesen Dingen intensiv beschäftigt hat, ganz genau, das ist dann... Kienzle: Noch einmal: Politik war mir nie langweilig. Politik empfand ich immer als spannend, auch die Landespolitik und die Regionalpolitik. Selbst noch die Kommunalpolitik kann sehr spannend sein. Seitz: In einem Ihrer Bücher setzen Sie ja auch dem unerkannten "Helden des Journalismus" ein Mahnmal. Denn Sie sagen, wer es schafft, einem Bürgermeister die letzten Geheimnisse abzuluchsen, der hat mindestens so viel geleistet wie ein Auslandskorrespondent, der die ganze Welt erklärt. Kienzle: Ja, und zwar deswegen, weil das nämlich überprüfbar ist. Das Problem bei Auslandskorrespondenten ist ja manchmal, dass nicht alles überprüfbar ist. Seitz: Ich komme noch einmal auf den verstorbenen Bodo Hauser zurück, auf Ihren Partner in "Frontal". Sie haben da beide wechselseitig – das gehörte einfach zur Rolle von Ihnen beiden – den Rechthaber spielen müssen. Sie wollten ohnehin Recht haben, denn Sie stritten ja darum, aber... Kienzle: Nun ja, wir haben halt Dinge sagen können, ich über Kohl und andere und Hauser in umgekehrter Richtung genauso, die anderswo nicht gesagt werden konnten. Wenn ich das alles in einer Sendung alleine gesagt hätte, dann wäre ich wahrscheinlich sofort entlassen worden. Und das Erstaunliche war eben, dass das die Dinge nicht verschwiemelt hat, sondern dass es irgendwie die Dinge aufgehoben und ergänzt hat. Dadurch sind in "Frontal" Dinge gesagt worden, sind politische Aussagen zustande gekommen, die im normalen journalistischen Betrieb nicht funktioniert hätten. Seitz: Ich habe zwei Beispiele herausgekramt, die ich an der Grenze fand und die ich hier in unserem Gespräch daher gerne offen ansprechen würde. Sie haben einen Politiker bereits genannt, nämlich Helmut Kohl. Das zweite Zitat bezieht sich auf Bayern. Ich hatte bei diesen beiden Beispielen trotz des Zwangs und auch des Drangs zur scharfen Pointe, der Sie ja auszeichnete, das Gefühl, dass das Ganze doch ein wenig an der Grenze der Beleidigung stattgefunden hat. Sie hatten nämlich einmal Helmut Kohl als "zwanghaften Vielfresser" bezeichnet, der seine "Leibesfülle mangels Ausstrahlung auch noch als Herrschaftsinstrument einsetzt". Kienzle: Das ist ja nicht falsch, denn Kohl hat sich bei der Wiedervereinigung ja regelrecht verdoppelt, wie wir nicht vergessen dürfen. Nach der Wiedervereinigung war er nämlich 140 oder 150 Kilo schwer. Seitz: Bei Canetti z. B. wird ja, wenn ich mich richtig erinnere, die Figur des "Meistessers" ebenfalls immer mit potenten politischen Persönlichkeiten in Verbindung gebracht. Kienzle: Ich gebe jedenfalls zu: Ich würde dies heute doch etwas eleganter ausdrücken. Seitz: Und da wir hier beim Bayerischen Rundfunk sind, möchte ich dieses zweite Zitat auch unbedingt anführen. Sie haben nämlich Bayern einmal als "Ordnungszelle" bezeichnet. Damit übernahmen Sie allerdings eine Vokabel, die auch die Nazis gebraucht haben: So hatten sich die Nazis selbst Bayern vorgestellt. Woher dieser Groll auf Bayern? Kienzle: Ja, gut, das hat natürlich mit dem Neid der Schwaben auf die Bayern zu tun. Die Schwaben sind ja, was das Wirtschaften betrifft, viel besser, aber sie können das nicht artikulieren. Die bayerischen Landsleute jedoch machen das viel pfiffiger und auch ohne Skrupel. Bei uns in Baden- Württemberg gibt es ja diesen blödsinnigen Spruch: "Wir können alles außer Hochdeutsch." Wenn ein bayerischer Ministerpräsident so etwas vertreten würde, würde er wahrscheinlich nie wieder gewählt werden. Das hat einfach mit diesem Selbstzweifel der Schwaben zu tun, der eben sehr groß ist. Nun, man kann natürlich auch sagen: "Wo Zweifel ist, ist auch Intelligenz!" Aber gut... Seitz: Das kann man durchaus so vertreten. Der fundiert vorgetragene Zweifel bedarf ja in der Tat der Intelligenz. Kienzle: Meine Aussage war vielleicht ein bisschen zu zugespitzt und vielleicht auch ein bisschen primitiv formuliert. Man bereut ja so manche Dinge, die man in seiner Jugend und auch in seiner späten Jugend gemacht hat. Ich empfinde jedenfalls Bayern als ein faszinierendes Land, ich schaue übrigens auch häufig und gerne Bayerischen Rundfunk, wenn ich den Fernseher einschalte. Seitz: Herzlichen Glückwunsch. Kienzle: Ich finde z. B., dass die letzte wirklich gute Karnevalssendung, die es im deutschen Fernsehen gibt, der Fränkische Karneval ist. Seitz: Dieses Gefühl teilen sicherlich viele Menschen mit Ihnen. Kienzle: Diese Sendung ist wirklich toll: Da gibt es noch eine Auseinandersetzung zwischen den Politikern und denen, die Späße machen. Seitz: Schauen Sie sich auch gerne das "Derblecken" auf dem Nockherberg an? Kienzle: Da ist es genauso: Diese intelligente Form der politischen Satire gibt es sonst nirgendwo. Da kann man im Vergleich dazu den Mainzer Karneval und auch den rheinischen Karneval vergessen. Seitz: Herzliche Grüße an das ZDF und den Westdeutschen Rundfunk von dieser Stelle. Wir machen weiter in unserer Sendung und wollen nun ein bisschen in die ernsthafte Politik hineingehen, bevor wir zu wirklich wesentlichen Dingen kommen. Herr Kienzle, Sie sind ja auch vortragsreisender Nahostexperte, wenn ich das mal so zusammenfassen darf. Kienzle: Sagen Sie bitte nicht "Nahostexperte". Ich beschäftige mich nun seit 40 Jahren mit dieser Region, weil ich sie faszinierend finde. Mich hat nichts so fasziniert wie der Nahe Osten – möglicherweise auch deswegen, weil er am Anfang so exotisch für mich war. Ich kam damals aus Stuttgart in eine Welt, die ich nicht verstanden habe. Ich hatte zusammen mit einem Studenten Arabisch gelernt und dann habe ich versucht, das in Beirut anzuwenden. Ich ging in einen Laden und sagte meinen erlernten Spruch zur Begrüßung. Daraufhin hat mich der Ladenbesitzer aber nur ganz merkwürdig angesehen und mich irgendwann gefragt: "Sir, what do you mean?" Ich wiederholte meinen Satz, ich habe diesen Satz auf Hocharabisch wirklich ganz toll betont. Er aber meinte: "Sorry, I don't understand you!" Doch dann dämmerte es plötzlich bei ihm und er meinte: "Ah, you mean kifak". Kifak ist nämlich die Kurzform meines herrlichen hocharabischen Satzes und heißt schlicht: "Wie geht's?" Arabisch ist jedenfalls eine tolle Sprache mit einem tollen Klang, aber er hatte mich einfach nicht verstanden. Wenn man solche Eingangsprobleme hat, dann ist es wirklich sehr schwer, die Mentalität der Menschen dort zu verstehen. Ich habe jedenfalls nach einem halben Jahr zu meiner Frau gesagt: "Ich will nach Hause, ich werde von allen angelogen! Es wird gelogen, dass sich die Balken biegen. Meine Mitarbeiter lügen mich an, die Zeitungen lügen und die Informationsmaterialien, die ich bekomme, stimmen alle nicht." Mein Mitarbeiter hatte z. B. nach vier Wochen Bürgerkrieg zu mir gesagt: "I swear by my children 100000 people killed!" Ich antwortete ihm: "Das kann doch nicht sein! Wir waren überall mit dabei, das ist doch völlig unmöglich!" In meiner Verzweiflung bin ich dann zu meinem Kollegen Carl Buchalla von der "Süddeutschen Zeitung" gegangen. Er war schon länger in Beirut und meinte zu mir: "Keine Sorge, mir ging es genauso wie dir." Ich bin auch zu einem englischen Kollegen gegangen, der mir dann einen wirklich guten Rat gegeben hat: "Lass' eine Null weg und nimm dann die Hälfte und du kommst hin!" Und das konnte tatsächlich stimmen: 5000 Tote, das konnte wirklich sein. Ich muss ehrlich gestehen, ich habe mit dieser Faustregel immer gearbeitet – bis zuletzt in Afghanistan, als Mullah Omar verkündet hat, dass er 350000 Rekruten habe. Da habe ich zu meiner Frau gesagt: "Der Krieg ist verloren: 17500 Rekruten, das sind zu wenige!" Seitz: Das sind so die Erkenntnisse, in denen ein wahrer Kern steckt und die wir hier auch gerne weitergeben an aufstrebende Auslandskorrespondenten und alle anderen, die in solchen Gegenden ihr Glück machen wollen. Letztlich geht es ja immer darum, das Land von unten zu erkunden; es geht nicht um das Bücherwissen, dass man mit sich herumschleppt. Es geht also darum herauszufinden, wie die Einheimischen wirklich reagieren usw. So haben auch Sie sich das erschlossen, oder? Kienzle: Ja, und ich habe das z. T. auf sehr bittere Art und Weise gelernt während des Bürgerkriegs. Man kann sich das bei uns nur schwer vorstellen, denn da gibt es Zeiten, die völlig normal sind. Da ist drei, vier Tage lang ganz normales Leben möglich. Ich konnte da z. B. in die Bekaa-Ebene fahren, dort meinen Wein kaufen und nachmittags über die berühmte Hamra, diese Prachtstraße, die sie heute auch wieder ist, zurückfahren. Dort konnte ich mir dann z. B. am Montag um 17.00 Uhr den aktuellen "Spiegel" kaufen. Genau das habe ich eines Tages auch wieder gemacht. Ich war mit meinem Dienstwagen unterwegs, beladen mit Wein aus der Bekaa-Ebene und dem neusten "Spiegel" auf dem Beifahrersitz – und fuhr gerade die Corniche entlang, diese wunderbare Uferstraße. Plötzlich fuhr neben mir ein MGB, so ein kleiner, englischer Sportwagen. Auf einmal zogen dort in diesem Auto die Leute Masken übers Gesicht und holten Kalaschnikows heraus und drängten mich mit dem Auto rechts ran. Ich war in Todesangst, das muss ich ehrlich sagen. Ich habe mir gedacht: "So, das war's jetzt!" Sie stiegen aus und kamen mit den Kalaschnikows auf mich zu: Sie wollten das Auto haben! In meiner Todesangst habe ich dann aber zu einem dieser Typen auf Arabisch gesagt: "Du bist das größte, schwulste Arschloch, das ich kenne!" Seitz: So etwas darf man ausnahmsweise auch in BR-alpha einmal sagen, denn hier entspricht das einfach den Tatsachen. Kienzle: Das ist einfach ein arabisches Schimpfwort gewesen, das ich gelernt hatte – Sie hatten ja nach der Basis gefragt. Dieser Typ schaute mich an und sagte: "Wie kommst du dazu, so mit mir zu reden?" Ich dachte ja, das sei jetzt mein Todesurteil. Aber auf einmal merkte ich, dass die einen palästinensischen Dialekt sprachen. Ich fragte ihn also auf Arabisch, ob sie Palästinenser seien. Er sagte dann auch brav seinen Namen. Ich meinte dann zu ihm: "Aber das kannst du doch nicht machen! Ich bin Journalist! Ich müsste dann ja berichten, dass Palästinenser Gangster sind!" Da wurden sie mit einem Male ganz verwirrt und berieten sich eine Weile. Schlussendlich sagten sie mir nur: "Hau ab mit deinem Auto!" Im Rückspiegel sah ich, wie sie sich das nächste Auto geschnappt haben. Da auf dieser Straße ist permanent Polizei vorbeigefahren, ist Armee vorbeigefahren, sind Leute vorbeigefahren, die eiskalt zugeschaut hätten, wie man da möglicherweise umgelegt wird. Seitz: Sie haben sich damals also in einem anarchistischen, rechtsfreien Land durchgearbeitet. Kienzle: Das war ein Überleben in einer Welt, die nur schwer verständlich ist, die Regeln hat, die wir nicht kennen. Wenn man da an seine Grenze geriet, dann wurde es wirklich gefährlich wie in diesem Fall. Ich muss ehrlich sagen, dass mir hinterher die Beine aber arg geschlottert haben. Man lernt durch solche Ereignisse natürlich unwahrscheinlich viel und kommt näher ran. Nehmen wir ein anderes Beispiel. 1974, also noch zu Sadats Zeiten, gab es in Ägypten Unruhen. Die Ägypter machen das ja so: Sie schlagen einmal für zwei, drei Tage furchtbar zu und dann ist wieder Ruhe. Auch damals hatten sie gerade furchtbar zugeschlagen. Die übliche Reaktion auf solche Vorfälle ist dann: Der Präsident lädt die Spitzen der Studenten, der Professoren und der Arbeiter ein. Sie werden in einen Vorort von Kairo in einen ehemaligen Palast des alten Königs gebracht und dort wird dann diskutiert über die Situation. Ich sagte zu meinen Leuten: "Nein, die Arbeiter lassen wir diesmal weg! Wir gehen zu den Studenten!" Dabei habe ich dann zum ersten Mal in meinem Leben einen Fundamentalisten gesehen. Das war unglaublich spannend. Bevor Sadat das Zimmer betrat, kam sein Presseberater herein und sagte zu ihnen: "Passt mal auf, Leute, wenn ihr frech werdet, dann wird es euch übel ergehen!" Nach einer Weile kam Sadat selbst herein und es begann eine zunächst einmal ruhige Diskussion, aber mit einem Mal stand ein junger Mann auf mit dem typischen Bart, wirklich einer dieser fundamentalistischen jungen Studenten, und sagte zu Sadat: "Du bist ein Kretin, Präsident! Du trägst einen italienischen Anzug, du trägst italienische Maßschuhe und deine Leute hier im Land leiden! Das ist unmöglich!" Sadat sprang daraufhin auf, gestikulierte wie ein Verrückter und schrie auf Arabisch: "Du bist Scheiße! Du bist kleine Scheiße!" Als das dann vorbei war, haben wir gemerkt, dass mein Kameramann der einzige gewesen war, der weitergedreht hatte. Die anderen, die alle arabische Kameraleute hatten, hatten nichts auf dem Band, denn ihre Leute hatten automatisch aufgehört zu drehen. Nachdem Sadat das Zimmer verlassen hatte, kam wieder der Pressesprecher herein, legte seine Hand auf meine Schulter und sagte: "I would like to have tea with you!" Ich antwortete ihm, dass ich das als sehr freundlich empfände, dass ich aber jetzt arbeiten müsse und dass ich deshalb keine Zeit für Tee hätte. Er meinte daraufhin, dass er nicht glaube, dass ich jetzt keine Zeit hätte. Ich fragte ihn: "Bin ich jetzt verhaftet?" "Nein, nein, um Gottes willen, so etwas machen wir doch nicht!" Ich wieder: "Kann ich mit der deutschen Botschaft telefonieren?" Und dann sagte er: "Wir haben keine Telefone hier im Palast!" "Aber dort vorne auf dem Tisch steht doch ein Telefon!" "Herr Kienzle, was sehen Sie denn da? Das ist doch kein Telefon!" Ich meinte dann nur noch: "Na gut, ich sehe, wir sind hier also doch irgendwie festgenommen!" "Nein, nein, Sie sind unsere Gäste!" Seitz: Eine schöne Umschreibung für das, was da geschah. Kienzle: Ja, eine wunderbare Umschreibung, sehr orientalisch. Ich fragte dann nur noch: "Können wir gehen?" Und bekam zur Antwort: "Nein, gehen können Sie nicht!" Wir wurden dann in einen abgeschlossenen Vorgarten gebracht und der Pressesprecher ging immer wieder zu Sadat rein, der in einem der Zimmer arbeitete, und sprach mit ihm. Jedes Mal kam er wieder zu uns in den Vorgarten und sagte: "Jetzt rückt doch endlich diesen Film raus!" Ich antwortete ihm: "Nein, Sie werden diesen Film nicht bekommen!" Ich habe dann meinen Text gemacht und diesen Text auch gleich mit der Kamera aufgenommen. Und Sadat hat gelegentlich zugesehen. Seitz: Das war ein Spiel auf Zeit. Kienzle: Ja, das war ein Spiel auf Zeit: Es ging über mehrere Stunden. Der Höhepunkt war dann, dass die Sicherheitsleute kamen und sagten: "Schau mal, meine Kinder müssen zu Hause nur wegen euch leiden! Rückt doch diesen blöden Film raus, das bringt doch gar nichts!" Ich antwortete wiederum: "Nein, ich rücke diesen Film nicht raus!" Und irgendwann nach ein paar Stunden des Hin und Her kam der Pressesprecher und meinte: "Gut, du kannst deinen Film behalten. Hau ab!" Seitz: Ich glaube, aus dieser Erzählung – ich will sie nicht Anekdote nennen, denn dazu hat sie einen viel zu ernsten Kern – hat man viel über den Umgang damals und vielleicht auch heute noch lernen können. Kienzle: Die Journalisten sind ja verachtete Leute bei den arabischen Potentaten, denn die Journalisten dort sind käuflich. Und deshalb waren sie es nicht gewohnt, dass da jemand Widerstand leistet und sagt: "Nein, mit mir nicht!" Das hat mir bei diesem Pressesprecher allerdings einen großen Respekt eingebracht. Er hat dann immer dafür gesorgt, dass wir, wenn wir mit der Kamera auftauchten, einen guten Platz bekommen haben. Seitz: Wir sind ja jetzt im Westen genau in diesem Problemstrudel mit drin. Kienzle: Ja, das war mein erster Fundamentalist. Ich habe zunächst einmal auch gar nicht so richtig begriffen, was das bedeutet. Wir haben das alles nicht begriffen, der Westen hat das komplett nicht begriffen. Aber in den sechziger und siebziger Jahren war das eben bereits eine relativ starke Kraft. Wir haben einfach nur das wahrgenommen, was wir wahrnehmen wollten. Wir haben diese untergründige Entwicklung nicht wahrgenommen. Die Araber haben es ja mit allem probiert: mit Nationalismus, mit Sozialismus usw., aber nichts hat funktioniert. Und am Schluss kamen sie dann eben auf die Idee, sich auf den Islam zu besinnen. Seitz: Sind wir denn im Westen mit dem islamischen Fundamentalismus zu lasch umgegangen, wenn ich das mal so grob formulieren darf? Kienzle: Nein, wir haben ihn gar nicht kapiert. Wir haben gar nicht kapiert, was sich da abspielt. Wir haben hier im Westen lange nicht verstanden, was da eigentlich passiert. Und wir verstehen dabei bis heute viele Dinge nicht. Es gibt ja diesen berühmten Dialog zwischen den Kulturen bzw. den Religionen. Man muss dabei aber einfach verstehen, dass der Islam anders tickt. Der Prophet ist als letzter Prophet auf die Welt gekommen; das Christentum wird dabei akzeptiert wie das Judentum. Das sind für sie Religionen der Bücher. Aber die letzte Erkenntnis hat eben Mohammed mitgebracht. Und das ist auch durchaus ein Welteroberungsprojekt gewesen. Die Christen haben dann mit den Kreuzzügen sozusagen einen Stopp veranlasst. Dies ist aber in der arabischen Geschichte ein tiefer Bruch: Die Araber waren uns damals nämlich kulturell weit überlegen. Wenn Sie an das Spanien im 12., 13. Jahrhundert denken, dann werden Sie feststellen müssen: Die Medizin, die Philosophie usw. haben wir ja von den Arabern übernommen. Das muss man einfach auch mal anerkennen. Aber unser Problem im Umgang mit dem Islam ist: Wir haben während der Kreuzzüge natürlich schon sehr gehaust. Für die Araber ist das bis heute ein Alptraum. Seitz: Das ist dort immer noch im kollektiven Gedächtnis enthalten? Kienzle: Ja, absolut, das ist immer noch drin. Ich habe ja mal ein Interview mit dem syrischen Präsidenten Assad gemacht. Das fand in einem Raum statt, in dem ein riesengroßes Bild an der Wand hing, auf dem der Sieg über die Kreuzritter gefeiert wurde. "Kreuzritter" bzw. "Kreuzfahrer": Das ist heute das schlimmste politische Schimpfwort, das Osama bin Laden benutzt. Seitz: Genau, dieses Wort wird ja in der Tat von Osama bin Laden verwendet. Ich will Ihnen zwei konkrete Fragen stellen, weil mich interessiert, wie Sie entscheiden würden, wenn Sie in der politischen Verantwortung stünden: kein EU-Geld mehr für die Palästinenser wegen ihrer radikal-islamischen Hamas-Regierung? Ist das der richtige Schritt? Kienzle: Das führt möglicherweise nur zu einer weiteren Radikalisierung. Denn im Zweifelsfall wird Ahmadinedschad aus dem Iran einspringen und dieses Geld liefern und damit Abhängigkeit produzieren. Wir müssen ja bedenken, dass auch die PLO einst genau solche Ansichten hatte: Zerstörung Israels; Nicht-Anerkennung des Existenzrechts Israels usw. Aber im Laufe von 30 Jahren hat sich die PLO dann verändert: Die PLO hat die Realitäten anerkannt und gemerkt, dass sie mit Israel auf kriegerischem Weg nicht weiterkommt. Das ist aber genau die Illusion, die meiner Meinung nach heute die Hamas hat. Die Hamas ist ja fest davon überzeugt, dass sie Israel aus dem Gazastreifen vertrieben hat. Die Hisbollah im Libanon ist fest davon überzeugt, dass sie in der Lage wäre, Israel mit ihren Selbstmordkommandos zu besiegen. Ich glaube, das ist ein falsches Denken. Es ist jedenfalls eine verdammt schwierige Entscheidung, was das Geld von der EU betrifft. Aber ich würde ihnen unter ganz bestimmten Bedingungen weiterhin Geld geben. Seitz: Noch eine weitere konkrete Frage. Der von Ihnen soeben bereits erwähnte Ahmadinedschad, der iranische Präsident und Holocaust-Leugner, wie man sagen muss, hat ja bereits angekündigt, dass er im Jahr 2006 zur Fußball- WM nach Deutschland kommen möchte. Würden Sie ihn reinlassen? Kienzle: Ja, ich finde, wir sollten gute Gastgeber sein und nicht genauso blödsinnig reagieren wie andere. Wenn er kommen und Fußball gucken will, dann soll er das machen. Ich hätte damit kein Problem. Es wird uns eher negativ ausgelegt werden, wenn wir verhindern, dass er kommt. Wenn er hier bei uns allerdings Sprüche tätigt und Dinge macht, die gefährlich werden könnten, dann würde auch ich meinen, dass man auf ihn entsprechend reagieren sollte. Seitz: Vielleicht zu den reformorientierten Kräften noch ein Wort. Hier scheint mir ein Schlüssel dafür zu liegen, wo der Westen wirklich eingreifen kann. Denn der Islam ist ja kein monolithischer Block, da gibt es vielmehr ganz unterschiedliche Strömungen. Kienzle: Ja, es ist völliger Unsinn, wenn man von dem Islam spricht, denn den gibt es nicht. Auch das Christentum gibt es ja nicht. Der Punkt ist jedoch, dass wir mittlerweile eine Phase erreicht haben, in der der Krieg der Kulturen wirklich stattfindet. Seitz: Sie sind also auch ein Anhänger der These, dass dieser Krieg der Kulturen stattfindet, dieser "clash of cultures". Kienzle: Nun, die Frage ist, wer das eigentlich so haben wollte. Da gab es möglicherweise Amerikaner, die das so haben wollten. Und Osama bin Laden wollte das auf jeden Fall. Diese Auseinandersetzung ist auch nicht mehr wegzudiskutieren. Es gibt mittlerweile eine heftige Auseinandersetzung über die Frage, wie wir mit dem Islam umgehen: Geben wir nach? Es kommt dann immer das blödsinnige Argument vom Abendland und vom Christentum. Wir sind ja gar kein Abendland und keine Christen mehr. Diese Werte sind doch nicht die Werte, die uns heute mehrheitlich bewegen. Heute bewegen uns vielmehr politische Werte und unsere Verfassungen. In dieser Frage werde ich wirklich ganz rigide. Und es war falsch, dass wir lange Zeit zugelassen haben, dass auch bei uns in den Moscheen bestimmte Leute bestimmte Sachen gepredigt haben. – Diese Leute haben natürlich in einer fremden Sprache gepredigt, die unsere Geheimdienstleute gar nicht verstanden haben. – So etwas sollten wir jedenfalls nicht zulassen: Wir sollten uns nicht auf diese billige Art und Weise selbst verkaufen. Hier bin ich also absolut hart. Auf der anderen Seite muss man jedoch auch sehen, dass diese islamische Welt in einer tiefen Demütigung lebt. Ob dies berechtigt ist oder nicht, es wird so wahrgenommen. Die Menschen dort haben das Gefühl, dass sie vom Westen immerzu vorgeführt werden, dass sie vom Westen überwältigt worden sind, dass ihnen ihr Öl weggenommen wird. Und sie stellen fest, dass man im Zweifelsfall eben auch mit Gewalt in den Irak eindringt und dort nicht unbedingt die Demokratie errichten will, sondern nur am Öl interessiert ist – so sehen das wenigstens die meisten Araber. Das hat ja übrigens nicht funktioniert: Dieses amerikanische Vorgehen, dass man heimlich den Ölmarkt arrondiert, indem man den Irak sozusagen auf Vordermann bringt – möglicherweise auch demokratisch –, scheitert ja gerade. Es kann nämlich durchaus passieren, dass der Irak das wird, was der Libanon einmal gewesen ist: eine Konfliktzone, eine Zone der Desintegration. Denn der Irak ist ja das schwierigste arabische Land: Die Osmanen haben dieses Land wohlweislich nicht quasi in einem Stück regiert. Stattdessen waren das drei verschiedene Regierungsbezirke. Die Osmanen waren also möglicherweise klüger als die Amerikaner. Das Schreckliche am Ergebnis dieses Krieges ist ja, dass es heute mehr Terrorismus gibt – zumindest im Irak selbst. Wir werden jedenfalls den Krieg gegen den Terrorismus auf diese Art und Weise, also militärisch, nicht gewinnen können. Die Tatsache, dass zwei Deutsche momentan im Irak in Geiselhaft sitzen, zeigt ja, wie brutal es dort zugeht. Seitz: Das waren zum Ende dieses alpha-forums, das im April 2006 aufgezeichnet wurde, Einschätzungen von einem, der sich als Journalist lange Jahre mit dieser Gegend der Welt beschäftigt hat. Wir werden sehen, was in dieser Region noch stattfindet. Ulrich Kienzle, ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen für diese Einschätzungen und dafür, dass wir uns wahlweise über Sie freuen und mit Ihnen mitgehen oder uns auch über Sie... Kienzle: ... ärgern... Seitz: ... oder uns auch über Sie ärgern konnten. Herzlichen Dank, dass Sie uns so offen über sich, Ihr Leben und Ihre politischen Einschätzungen Auskunft gegeben haben. Kienzle: Aber denken Sie immer daran: Das Leben ist viel zu kurz, um schlechten Wein zu trinken! Seitz: Das war das Schlusswort von Ulrich Kienzle. Ich glaube, dem können wir uns alle anschließen, auch Sie, verehrte Zuschauer. Danke für Ihr Interesse, bis zum nächsten alpha-forum auf Wiedersehen.

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