Im Seichten Kann Man Nicht Ertrinken

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Im Seichten Kann Man Nicht Ertrinken Im Seichten kann man nicht ertrinken... ...Medien zwischen Sinn und Sensation Medien-Disput der Friedrich-Ebert-Stiftung vom 9. November 2000 in Mainz 1 Thomas Leif Macht ohne Verantwortung Der wuchernde Einfluß der Medien und das Desinteresse der Gesellschaft 4 Klaus Rüter Im Seichten kann man nicht ertrinken 12 Hans Leyendecker Die so genannte vierte Gewalt ist oft nur viertklassig 16 Gesprächsrunde – Journalismus am Scheideweg: Farbe bekennen – Service contra Aufklärung Moderation: Miriam Meckel und Uli Röhm Michael Jungblut (WISO-ZDF) diskutiert mit Uwe Jean Heuser (Die Zeit) 22 Michel Friedman (Vorsicht Friedman! – HR) diskutiert mit Ulrich Kienzle (Frontal – ZDF) 30 Uli Röhm (ZDF) diskutiert mit Thomas Kröter (Tagesspiegel) 36 Nach „Big Brother“... – Wohin treibt die Bürgergesellschaft? Kurt Beck befragt von Lucia Braun 41 Thesen zur Medienpolitik Hans Leyendecker Die moralische Macht der Medien – Was kann (investigativer) Journalismus bewirken? 58 Conny Hermann Journalismus am Scheideweg: Farbe bekennen – Service contra Aufklärung 59 Hans-Helmut Kohl Nach der Spendenaffaire – Nur Eitelkeit und Auflage oder Sieg des Journalismus? 61 2 Thomas Kröter Thesen über Medien und Politik in Berlin 63 Klaus Wirtgen MoKoKo – Das Aussitzen geht weiter 65 Walter Hömbeg Forum, Bühne, Beichtstuhl Zur Rolle der Medien in der Parteispenden-Affäre 69 Christoph O. Meyer Europäische Politik ausser Kontrolle? Die Suche nach einer Europäischen Medienöffentlichkeit in Theorie und journalistischer Praxis 74 Thomas Leif Kritischer Journalismus kann die Demokratie beatmen 92 Jochen Markett Investigativer Journalismus „Handwerk statt Zauberei!“ 108 Rundgespräch „Investigativer Journalismus in Deutschland“ 141 Zehn-Punkte-Programm des „netzwerks recherche“ 171 Start in die Informationsfreiheit nur mit angezogener Handbremse? Stellungnahme des Netzwerks Recherche zum Referentenentwurf für das Informationsfreiheitsgesetz 173 Walter Schumacher Nachschlag 177 ReferentInnen und ModeratorInnen des 5. Mainer Medien-Disputs 179 Projektgruppe des 5. Mainzer Medien-Disput am 9.11.2000 181 New Journalism – vom Kulturgut zum Wirtschaftsgut Mainzer Medien-Disput 2001 (vorläufiges Programm) 182 Impressum 184 3 Thomas Leif Macht ohne Verantwortung Der wuchernde Einfluß der Medien und das Desinteresse der Gesellschaft Politik ist nur das, was prominent Show dürfe Bundestags-Debatten vor allem in den elektronischen Me- nicht ersetzen. dien stattfindet. Diesen Leitsatz der Berliner Republik lernt jeder Mini- Ein Gespür für Fehlentwicklungen ster, Oppositionspolitiker, Parla- der „Mediendemokratie“ hatten in mentarier oder Lobbyist. Freiwillig Deutschland ausgerechnet die Bun- oder unfreiwillig. Denn die Medien- despräsidenten. Richard von Weiz- präsenz entscheidet über den Markt- säcker, Roman Herzog und Johan- wert eines Politikers und damit indi- nes Rau setzten in ihren großen Re- rekt über künftige Listenplätze, Vor- den zum Thema jeweils eigene Ak- standsposten oder mehr. Selbst ein zente, im Grundtenor waren ihre brillianter, anerkannter Fachmann Warnungen eigentlich unüberhör- bleibt chancenlos, wenn er nicht in bar. Aber die Botschaft versickerte der Lage ist, die Essenz eines Leitz- im Dschungel der rund 2000 Agen- Ordners in einem 12-Sekunden- turmeldungen, die täglich auf dem Sound-Bite zu präsentieren. Medi- Bildschirm der Journalisten landen. enwirksamkeit – gemeint ist damit Wichtiges und Unwichtiges, Aufge- vor allem Fernsehtauglichkeit- wird setzes und Inszeniertes, Ernsthaftes zunehmend zum entscheidenden und Belangloses – alles hängt hier Auswahlkriterium, selbst für Kanz- zusammen und bildet gemeinsam lerkandidaten. Die verdeckten, eine „zerstreute Öffentlichkeit“, die heimlichen Gesetze der Mediende- nach einem Kompaß für Wichtiges mokratie werden wichtiger als die und Relevantes sucht. Die Kluft zwi- Regeln des Parteiengesetzes oder die schen öffentlicher und veröffent- Geschäftsordung des Bundestages. lichter Meinung wird in der Medien- Auf diese Entwicklung reagieren nur berichterstattung immer größer. Ein wenige prominente Politiker mit de- Grund ist die „Umkehr der Wichtig- fensiven Mahnungen: die Talk- keiten“, wie Richard von Weizsäcker 4 einmal analysiert hat. Gemeint ist Nachrichten ist eine gemeinsame damit, dass das Missverhältnis zwi- Linie der Relevanz von Ereignissen schen den Dingen, über die geredet bei ARD, ZDF, RTL und SAT1 wird, und den Themen, über die ge- nicht mehr festzustellen. Die Aus- redet werden müsste, immer grotes- wirkungen der unterschiedlichen ker wird. Was wichtig und was ne- Modelle war nicht nur bei der Be- bensächlich ist, welche Nachricht richterstattung über die CDU-Spen- oder Geschichte in den Vorder- denaffäre, den Leuna-Komplex und grund gehört, und was aussortiert die Rolle der Akteure um Kiep- werden kann, was also relevant ist, Schreiber&Co zu besichtigen ( vgl. darüber gibt es heute bei den Medi- die Aufsätze in dieser Dokumentati- enschaffenden keinen professionel- on). Roman Herzog hat in seiner len Konsens mehr. Alles reiht sich Amtszeit mindestens vier gewichti- aneinander, bleibt unsortiert. ge Reden zur drohenden Verfla- chung der Medien gehalten. Bereits Der Trend zum Unwichtigen 1996 warnte er vor einer „Abfla- Michael Abend – früher Tages- chungsspirale“: „Kein Schwachsinn, schau-Redakteur – gab 1974 eine keine Perversion, keine noch so ab- orientierende Definition für die Ein- wegige Marotte, die nicht in extenso ordnung von Ereignissen. Die Ta- bunte Seiten und Bildschirme bevöl- gesschau betrachte es „als ihre Auf- kern würde. (...) Diese unendlich, gabe, über die wichtigsten Tageser- ausweglose, schleichende Banalisie- eignisse zu berichten, aber auch ih- rung und Trivialisierung macht die ren Bedeutungszusammenhang Hirne kaputt.“ Drei Jahre später (Hintergrund und Auswirkungen) warnte er vor den Medien-Mecha- klar zu machen. Als wichtig gilt, was nismen, die die Inhalte der Politik viele Zuschauer interessiert oder be- veränderten. trifft, was neue Entwicklungen auf- zeigt oder Mißstände aufdeckt, was Bundespräsident Johannes Rau der demokratischen Selbstdarstel- knüpfte mit seiner Kritik nahtlos an lung der staatlichen Organe und der seine Vorgänger an, als er in der zu- gesellschaftlichen Gruppen dient.“ nehmenden unterhaltenden Insze- Die öffentlich-rechtliche Konkur- nierung von Politik eine Gefahr wit- renz der Tagesschau hat sich für terte: „So wird Politik zu einem Teil „moderierte Nachrichten“ entschie- der Öffentlichen Unterhaltung“, den mit einem starken, kommentie- warnte er und verknüpfte seine Kri- renden Akzent. Doch selbst für die tik mit einer Vision: „Ich wünsche 5 mir eine Mediendemokratie, in der Der Trend zur das vermitteln der Sache wichtiger Informationsverdünnung ist, als das vermitteln von Bildern Inspiriert von der Kritik der Bun- und Bildunterschriften.“ despräsidenten warnte ZDF-Inten- dant Dieter Stolte Mitte Mai die Doch Wunsch und Wirklichkeit Medien vor einem zunehmenden werden wohl auch künftig weit aus- Realitäts-Verlust. Die „voyeuristi- einandertreiben. Die Mahnungen sche Selbstinszenierung“ nehme zu, der Staats-Oberhäupter blieben un- die Zuwendung zur konkreten Wirk- gehört. Denn Appelle allein können lichkeit müsse die Antwort auf diese wohl die eigenmächtigen Themen- Entwicklung sein. Ein Intendant konjunkturen nicht bremsen oder forderte die Rückbesinnung auf die beeinflussen. Realität und nutzte dazu die Bühne der „Mainzer Tage der Fernseh-Kri- Betrachtet man rückwirkend die gro- tik“. Zwei Stars auf Stoltes Gästeli- ßen, den öffentlichen Diskurs struk- ste witterten die Chance, um die Mi- turierenden Themen der vergange- sere der zu diskutierenden Spaßge- nen Monate, erkennt man die Web- sellschaft noch deutlicher zu benen- struktur der prägenden Stoffe so- nen. Harald Schmidt, der Entertain- fort: ganz gleich ob es um den Streit ment mit dem weiten Horizont des um die Kampfhunde in Deutsch- Bildungsbürgers auslebt, bilanzierte land, das Drama um die Gefange- knapp: „80 Prozent der TV-Sendun- nen in Jolo, die Tragödie von Seb- gen sind unfassbarer Müll, da tut nitz, den Skandal um Joschka Fi- man niemandem Unrecht.“ Sein schers Jugendsünden, oder die im- Konkurrent Thomas Gottschalk mer wieder aufflackenden Debatten steuerte gleich die Lösung bei und um den Preiskampf an den Tanksäu- betonte: „Es gibt eine Chance, den len ging, alle diese Themenwellen einseitigen Ausstieg aus dem Quo- sind verebbt. Der politische Gehalt, tendruck zu erklären; das sollten sich der in den Themen verborgen war, die Öffentlich-Rechtlichen leisten ist heute kaum mehr erkennbar. Kon- können.“ Gottschalk, der Meister krete Folgen oder gar politische Kor- der Quotenmaximierung als Kritiker rekturen in den jeweiligen Politikfel- der einzigen Maßeinheit für Quali- dern sind nicht festzustellen. Der zy- tät, die heute tatsächlich noch gilt? nisch-realistisch gemeinte journalisti- Mit seinem Vorschlag ging es ihm sche Leitsatz „Aktualität geht vor nicht anders als den Bundespräsi- Realität“ trifft die Lage ganz gut. denten zuvor. 6 Solche Empfehlungen von promi- Gleichzeitig sinkt das Verständnis nenten Quoten-Fischern sind neu. für den langwierigen Gestaltungs- Aber werden die Protagonisten des prozeß von Politik und den Einfluß öffentlich-rechtlichen Boulevards von „pressure groups“ oder Lobby- überhaupt auf ihre Kritiker reagie- isten, die erfolgreich im Stillen ar- ren? Ihre Erfolgsformel: „Informa- beiten. Das Bekenntnis des CSU- tionsverdünnung bedeutet Quoten- Generalsekretärs, Thomas Goppel, steigerung“, gelehrt auf Seminaren es gebe „Grenzen der Politikgestal-
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