Im Seichten kann man nicht ertrinken...... Medien zwischen Sinn und Sensation

Medien-Disput der Friedrich-Ebert-Stiftung vom 9. November 2000 in Mainz

1 Thomas Leif Macht ohne Verantwortung Der wuchernde Einfluß der Medien und das Desinteresse der Gesellschaft 4

Klaus Rüter Im Seichten kann man nicht ertrinken 12

Hans Leyendecker Die so genannte vierte Gewalt ist oft nur viertklassig 16

Gesprächsrunde – Journalismus am Scheideweg: Farbe bekennen – Service contra Aufklärung Moderation: Miriam Meckel und Uli Röhm Michael Jungblut (WISO-ZDF) diskutiert mit Uwe Jean Heuser (Die Zeit) 22 Michel Friedman (Vorsicht Friedman! – HR) diskutiert mit Ulrich Kienzle (Frontal – ZDF) 30 Uli Röhm (ZDF) diskutiert mit Thomas Kröter (Tagesspiegel) 36 Nach „Big Brother“... – Wohin treibt die Bürgergesellschaft? Kurt Beck befragt von Lucia Braun 41

Thesen zur Medienpolitik Hans Leyendecker Die moralische Macht der Medien – Was kann (investigativer) Journalismus bewirken? 58 Conny Hermann Journalismus am Scheideweg: Farbe bekennen – Service contra Aufklärung 59 Hans-Helmut Kohl Nach der Spendenaffaire – Nur Eitelkeit und Auflage oder Sieg des Journalismus? 61

2 Thomas Kröter Thesen über Medien und Politik in Berlin 63 Klaus Wirtgen MoKoKo – Das Aussitzen geht weiter 65 Walter Hömbeg Forum, Bühne, Beichtstuhl Zur Rolle der Medien in der Parteispenden-Affäre 69

Christoph O. Meyer Europäische Politik ausser Kontrolle? Die Suche nach einer Europäischen Medienöffentlichkeit in Theorie und journalistischer Praxis 74

Thomas Leif Kritischer Journalismus kann die Demokratie beatmen 92

Jochen Markett Investigativer Journalismus „Handwerk statt Zauberei!“ 108

Rundgespräch „Investigativer Journalismus in Deutschland“ 141

Zehn-Punkte-Programm des „netzwerks recherche“ 171

Start in die Informationsfreiheit nur mit angezogener Handbremse? Stellungnahme des Netzwerks Recherche zum Referentenentwurf für das Informationsfreiheitsgesetz 173

Walter Schumacher Nachschlag 177

ReferentInnen und ModeratorInnen des 5. Mainer Medien-Disputs 179 Projektgruppe des 5. Mainzer Medien-Disput am 9.11.2000 181 New Journalism – vom Kulturgut zum Wirtschaftsgut Mainzer Medien-Disput 2001 (vorläufiges Programm) 182 Impressum 184

3 Thomas Leif Macht ohne Verantwortung Der wuchernde Einfluß der Medien und das Desinteresse der Gesellschaft

Politik ist nur das, was prominent Show dürfe Bundestags-Debatten vor allem in den elektronischen Me- nicht ersetzen. dien stattfindet. Diesen Leitsatz der Berliner Republik lernt jeder Mini- Ein Gespür für Fehlentwicklungen ster, Oppositionspolitiker, Parla- der „Mediendemokratie“ hatten in mentarier oder Lobbyist. Freiwillig Deutschland ausgerechnet die Bun- oder unfreiwillig. Denn die Medien- despräsidenten. Richard von Weiz- präsenz entscheidet über den Markt- säcker, Roman Herzog und Johan- wert eines Politikers und damit indi- nes Rau setzten in ihren großen Re- rekt über künftige Listenplätze, Vor- den zum Thema jeweils eigene Ak- standsposten oder mehr. Selbst ein zente, im Grundtenor waren ihre brillianter, anerkannter Fachmann Warnungen eigentlich unüberhör- bleibt chancenlos, wenn er nicht in bar. Aber die Botschaft versickerte der Lage ist, die Essenz eines Leitz- im Dschungel der rund 2000 Agen- Ordners in einem 12-Sekunden- turmeldungen, die täglich auf dem Sound-Bite zu präsentieren. Medi- Bildschirm der Journalisten landen. enwirksamkeit – gemeint ist damit Wichtiges und Unwichtiges, Aufge- vor allem Fernsehtauglichkeit- wird setzes und Inszeniertes, Ernsthaftes zunehmend zum entscheidenden und Belangloses – alles hängt hier Auswahlkriterium, selbst für Kanz- zusammen und bildet gemeinsam lerkandidaten. Die verdeckten, eine „zerstreute Öffentlichkeit“, die heimlichen Gesetze der Mediende- nach einem Kompaß für Wichtiges mokratie werden wichtiger als die und Relevantes sucht. Die Kluft zwi- Regeln des Parteiengesetzes oder die schen öffentlicher und veröffent- Geschäftsordung des Bundestages. lichter Meinung wird in der Medien- Auf diese Entwicklung reagieren nur berichterstattung immer größer. Ein wenige prominente Politiker mit de- Grund ist die „Umkehr der Wichtig- fensiven Mahnungen: die Talk- keiten“, wie Richard von Weizsäcker

4 einmal analysiert hat. Gemeint ist Nachrichten ist eine gemeinsame damit, dass das Missverhältnis zwi- Linie der Relevanz von Ereignissen schen den Dingen, über die geredet bei ARD, ZDF, RTL und SAT1 wird, und den Themen, über die ge- nicht mehr festzustellen. Die Aus- redet werden müsste, immer grotes- wirkungen der unterschiedlichen ker wird. Was wichtig und was ne- Modelle war nicht nur bei der Be- bensächlich ist, welche Nachricht richterstattung über die CDU-Spen- oder Geschichte in den Vorder- denaffäre, den Leuna-Komplex und grund gehört, und was aussortiert die Rolle der Akteure um Kiep- werden kann, was also relevant ist, Schreiber&Co zu besichtigen ( vgl. darüber gibt es heute bei den Medi- die Aufsätze in dieser Dokumentati- enschaffenden keinen professionel- on). Roman Herzog hat in seiner len Konsens mehr. Alles reiht sich Amtszeit mindestens vier gewichti- aneinander, bleibt unsortiert. ge Reden zur drohenden Verfla- chung der Medien gehalten. Bereits Der Trend zum Unwichtigen 1996 warnte er vor einer „Abfla- Michael Abend – früher Tages- chungsspirale“: „Kein Schwachsinn, schau-Redakteur – gab 1974 eine keine Perversion, keine noch so ab- orientierende Definition für die Ein- wegige Marotte, die nicht in extenso ordnung von Ereignissen. Die Ta- bunte Seiten und Bildschirme bevöl- gesschau betrachte es „als ihre Auf- kern würde. (...) Diese unendlich, gabe, über die wichtigsten Tageser- ausweglose, schleichende Banalisie- eignisse zu berichten, aber auch ih- rung und Trivialisierung macht die ren Bedeutungszusammenhang Hirne kaputt.“ Drei Jahre später (Hintergrund und Auswirkungen) warnte er vor den Medien-Mecha- klar zu machen. Als wichtig gilt, was nismen, die die Inhalte der Politik viele Zuschauer interessiert oder be- veränderten. trifft, was neue Entwicklungen auf- zeigt oder Mißstände aufdeckt, was Bundespräsident Johannes Rau der demokratischen Selbstdarstel- knüpfte mit seiner Kritik nahtlos an lung der staatlichen Organe und der seine Vorgänger an, als er in der zu- gesellschaftlichen Gruppen dient.“ nehmenden unterhaltenden Insze- Die öffentlich-rechtliche Konkur- nierung von Politik eine Gefahr wit- renz der Tagesschau hat sich für terte: „So wird Politik zu einem Teil „moderierte Nachrichten“ entschie- der Öffentlichen Unterhaltung“, den mit einem starken, kommentie- warnte er und verknüpfte seine Kri- renden Akzent. Doch selbst für die tik mit einer Vision: „Ich wünsche

5 mir eine Mediendemokratie, in der Der Trend zur das vermitteln der Sache wichtiger Informationsverdünnung ist, als das vermitteln von Bildern Inspiriert von der Kritik der Bun- und Bildunterschriften.“ despräsidenten warnte ZDF-Inten- dant Dieter Stolte Mitte Mai die Doch Wunsch und Wirklichkeit Medien vor einem zunehmenden werden wohl auch künftig weit aus- Realitäts-Verlust. Die „voyeuristi- einandertreiben. Die Mahnungen sche Selbstinszenierung“ nehme zu, der Staats-Oberhäupter blieben un- die Zuwendung zur konkreten Wirk- gehört. Denn Appelle allein können lichkeit müsse die Antwort auf diese wohl die eigenmächtigen Themen- Entwicklung sein. Ein Intendant konjunkturen nicht bremsen oder forderte die Rückbesinnung auf die beeinflussen. Realität und nutzte dazu die Bühne der „Mainzer Tage der Fernseh-Kri- Betrachtet man rückwirkend die gro- tik“. Zwei Stars auf Stoltes Gästeli- ßen, den öffentlichen Diskurs struk- ste witterten die Chance, um die Mi- turierenden Themen der vergange- sere der zu diskutierenden Spaßge- nen Monate, erkennt man die Web- sellschaft noch deutlicher zu benen- struktur der prägenden Stoffe so- nen. Harald Schmidt, der Entertain- fort: ganz gleich ob es um den Streit ment mit dem weiten Horizont des um die Kampfhunde in Deutsch- Bildungsbürgers auslebt, bilanzierte land, das Drama um die Gefange- knapp: „80 Prozent der TV-Sendun- nen in Jolo, die Tragödie von Seb- gen sind unfassbarer Müll, da tut nitz, den Skandal um Joschka Fi- man niemandem Unrecht.“ Sein schers Jugendsünden, oder die im- Konkurrent Thomas Gottschalk mer wieder aufflackenden Debatten steuerte gleich die Lösung bei und um den Preiskampf an den Tanksäu- betonte: „Es gibt eine Chance, den len ging, alle diese Themenwellen einseitigen Ausstieg aus dem Quo- sind verebbt. Der politische Gehalt, tendruck zu erklären; das sollten sich der in den Themen verborgen war, die Öffentlich-Rechtlichen leisten ist heute kaum mehr erkennbar. Kon- können.“ Gottschalk, der Meister krete Folgen oder gar politische Kor- der Quotenmaximierung als Kritiker rekturen in den jeweiligen Politikfel- der einzigen Maßeinheit für Quali- dern sind nicht festzustellen. Der zy- tät, die heute tatsächlich noch gilt? nisch-realistisch gemeinte journalisti- Mit seinem Vorschlag ging es ihm sche Leitsatz „Aktualität geht vor nicht anders als den Bundespräsi- Realität“ trifft die Lage ganz gut. denten zuvor.

6 Solche Empfehlungen von promi- Gleichzeitig sinkt das Verständnis nenten Quoten-Fischern sind neu. für den langwierigen Gestaltungs- Aber werden die Protagonisten des prozeß von Politik und den Einfluß öffentlich-rechtlichen Boulevards von „pressure groups“ oder Lobby- überhaupt auf ihre Kritiker reagie- isten, die erfolgreich im Stillen ar- ren? Ihre Erfolgsformel: „Informa- beiten. Das Bekenntnis des CSU- tionsverdünnung bedeutet Quoten- Generalsekretärs, Thomas Goppel, steigerung“, gelehrt auf Seminaren es gebe „Grenzen der Politikgestal- zum Thema „Boulevard-Journalis- tung“ ist eine Ausnahme. Im Zu- mus“, gibt ihnen Recht. sammenhang mit der Gendebatte machte er öffentlich darauf auf- Der Trend zur Personalisierung merksam, dass Entscheidungen der Der Trend zur „People-Story“ ist Politik in hochkomplexen Themen- ungebrochen, meint Hans Leyen- feldern auf Grenzen stießen. Statt decker und verrät die Rezeptur an solcher Grenzziehungen neigen die Hand eines erfolgreichen Beispiels : meisten Politiker immer noch dazu, „Das Sterben der Hannelore Kohl mehr zu versprechen, als sie halten hat nicht nur deshalb so viel Auf- können. Dies reduziert auf Dauer merksamkeit gefunden, weil sie die die Ernsthaftigkeit und Glaubwür- Gattin Helmut Kohls war, sondern digkeit der Politik bei den Bürgen. auch, weil Leid und Gerüchte eine Diesen diffusen Unmut spiegeln die Melange ergaben, die den Klatsch Medien. beförderte.“ Nicht nur dieser Fall zeigte: das Unglück von Prominen- Der Trend zum Unernsten ten verkauft sich immer noch am Mangelnder Ernst und das Verspie- besten. len von Glaubwürdigkeit sind aber nur eine Seite der Medaille. In einem Ein Grund für diese Entwicklung Land, das die grossen ideologischen hin zum Leichten und Seichten liegt Auseinandersetzungen hinter sich sicher in der zunehmenden Kom- gelassen hat, in dem die Mitte immer plexität von politischen Entschei- größer wird und sich die meisten dungen. Politik wird mit allen inter- recht gut eingerichtet haben, tritt der nationalen Verflechtungen immer Streit um bessere Lösungen – um undurchsichtiger. Der Staatssekre- was eigentlich? – zurück. Es gibt tär im Bildungsministerium, Uwe kaum mehr Grundsatzfragen, über Thomas, definiert Politik als ein die kontrovers diskutiert wird. Bei „Kompexitätsreduzierungs-Spiel“. vielen zentralen Reformthemen

7 etwa der Rentenreform ist es für den flektierten – Konsens gegen das An- Normalbürger nicht leicht auszuma- spruchsvolle, das Sperrige, das chen, wo beim siebten Referenten- Komplexe. Statt des Sachberichts entwurf nun die Unterschiede zwi- hat sich passend zu dieser Entwick- schen Regierung und Opposition lung ein neues Genre etabliert: der liegen? Hätte Die Zeit die zaghaften sogenannte „Aufreger“, der Themen Ermittlungen der Justiz in Sachen aufbereitet, über die man sich eigent- Leuna nicht immer wieder auf Seite lich garnicht aufregen muss. Eins angeprangert, wären die Akten wohl nie genau angeschaut worden. Selbst Klaus Bresser hat jüngst bi- Viele Medien reagieren auf diese lanziert und eingeräumt: „Es ist si- Entwicklung, in dem sie auf andere cherlich schwieriger geworden für leichtere Stoffe ausweichen. Es gibt den ernsthaften Journalismus“, und als Anwort auf die zunehmende „das Interesse an Politik scheint tat- Komplexität einen stillen – nicht re- sächlich geringer zu werden.“

Keine Angst: Der Mann ist Medien- mitarbeiter.

8 Der Trend zum Unwesentlichen sammenhänge haben keine Chance. Wissenschaftliche Untersuchungen Beim Publikum gibt es eine Sehn- etwa des Medien-Tenors (Bonn) ha- sucht nach orientierender Verdich- ben ergeben, das die Medien häufig zu tung ohne verwirrende Nebenargu- spät über das Wesentliche berichten mente. Stoffe, die sich zur extemen und die Sensation im Visier haben. Die Vereinfachung nicht eignen (etwa Konzentration auf das Offensichtli- die Politik der EU), fallen durch das che, das Spektakuläre Und die Sensati- elektronische Auslese-Raster. Nur on verdränge das Wesentliche. wenn Bilder vorliegen, besteht die Eine Langzeit-Studie im Auftrag der Chance in das Leitmedium Fernse- Landesmedienanstalten aus dem hen und auf die Titel der zunehmend Jahr 2000 kommt zu ähnlichen Er- bildorientierten Zeitungen zu kom- gebnissen. Unterhaltung ist das Maß men. Hintergründe sind nicht mehr aller Dinge, die politische Berichter- interessant, Vordergründiges muß stattung ist auf dem Rückzug. Im beleuchtet werden weil der Auf- Bereich der Information verdrängt merksamkeitspegel in einer überreiz- die Unterhaltungspublizistik die ten Gesellschaft sehr niedrig ist. klassischen Formen der Informati- Gute Chancen haben Schicksale von onsvermittlung. Mustert man diese Prominenten, zumal wenn sie mit Erkenntnisse ist es nur konsequent, Aspekten von Sex&Crime verbun- das die Landesanstalt für Rundfunk den werden können. Nordrhein-Westfalen ein grosses Forschungsprojekt mit dem Titel Der Trend zum Agenda Cutting „Der Wert von Nachrichtenwerten“ Die aktuelle Medienlandschaft wür- ausgeschrieben hat. Die wissen- de allerdings missverstanden, wenn schaftliche Beschäftigung mit Nach- man nur die ,neuen‘ Agenda Setting richtenwerten ist überfällig. Die Re- Prozesse analysieren würde. Genau- geln der anerkannten journalisti- so wichtig sind Agenda Cutting Pro- schen Handbücher, die immer noch zesse. Denn in einer blühenden Me- von klassischen Relevanzkriterien dienlandschaft kommt es heute we- ausgehen, haben sich längst über- sentlich darauf an, bestimmte The- holt. Folgende „Agenda Setting Pro- men zu verhindern, zu verzögern zesse“ funktionieren, auch wenn sie oder mit einem eingenen ,Spin‘ zu noch nicht in die offizielle wissen- verbinden. Es gibt eine Zunahme schaftliche Literatur eingegangen von kanalisierter Information und sind. Der Stoff muß einfach und ein- einen grösseren Einfluß von Public gängig sein, komplizierte Sinnzu- Relation Agenturen auf die Bericht-

9 erstattung der Medien. Der zuneh- ding“ nennen. Nur eine bestimmte mende Einfluß der PR – die ihren Aussage soll transportiert werden. Umsatz in einem Jahr verdoppelt hat Wer sich nicht an das politische Al- – zehrt die Unabhängigkeit der Jour- phabet des Wordings hält, wird von nalisten aus, die aus eigener Beob- der Interviewliste gestrichen, be- achtung und dem eigenen Einschät- kommt keine Antworten mehr. Im- zungsvermögen unabhängig berich- mer mehr Ministerien und öffentli- ten sollen. Die Kolonialisierung der che Stellen gehen dazu über, nur Medien durch die PR-Industrie kor- noch ausgewählte Journaliten zu be- respondiert mit dem schleichenden dienen und alle potenziell kritischen Kompetenzverlust von Teilen der Medien auszublenden. Auch dieser Medien. Nach intensiver Beobach- Trend hin zur kanalisierten Infor- tung des vergangenen Bundestags- mation hat sich verschärft. Wahlkampfs kam der Dokumentar- filmer Thomas Schadt („Der Kandi- Der Trend zur Inszenierung dat“) zu einer nüchternen Bilanz. Auch die Vermittlungswege von In- „Die Politiker waren besser vorbe- formation haben sich gravierend ver- reitet als die Journalisten“. Dieser ändert. (Inszenierte) Bilder, gut ge- Befund läßt sich nicht nur auf heiße stylte Stimmungen und überlegt ein- Wahlkampfzeiten begrenzen, er gilt gesetzte Emotionen verdrängen im- sicher für die alltägliche Arbeit. Fast mer mehr das Wort, die Argumente zwei Drittel der Berichterstattung oder den redlichen intellektuellen basieren auf „offiziellen Verlautba- Austausch. Ist es ein Zufall, dass die rungen, Pressekonferenzen, Presse- Frisur der CDU-Vorsitzenden so vie- mitteilungen und anderen PR-Quel- le Leitartikler inspiriert? Dass hinter len. Weil nur noch jeder zehnte Arti- diesen Feuilletons politische Ideen kel aus journalistischer Initiative ent- verschwinden? Schon Mao predigte: stehe, so der Schweizer Publizist Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. René Grossenbacher, werde der Für die Berliner Praxis heißt das heu- Journalist zunehmend zum Textma- te: der Politiker, der gute Laune zum nager. Andere sprechen von bösen Spiel verbreiten kann, steht Schreibsoldaten. Die Abhängigkeit ganz vorne. Die Wohlfühlbilder vom Mainstream der Agenturen ver- überstrahlen die Mängelliste der ver- schärft diesen Trend noch. Zur drängten oder ungelösten Probleme. Agenda Cutting gehört allerdings auch das, was junge Pressereferen- Ein erfolgreiches Privatradio im ten in den Staatskanzleien „Wor- Rhein-Main-Gebiet hat diese Ent-

10 wicklung zur Programmphilosophie politisch und gesellschaftlich Ver- erhoben. „Wir wollen, dass sie sich antwortlichen mit der nötigen Auf- gut informiert fühlen,“ lautet der merksamkeit registriert. Das Pro- werbende Trailer. Es kommt also blembewusstsein für all diese Ten- nur noch auf das Gefühl, nicht aber denzen hat eine Quote von 0,1 Pro- auf den tatsächlichen Zustand an. zent, hat sich also „versendet“. Die Politik wird so zu einer Sparte der Medien entfalten sich quasi im Illusionskunst, die die Kulissen des Schatten der öffentlichen Beobach- Wichtigen und Unwichtigen nach tung und folgen lediglich den Ge- Belieben verschiebt. Eine Folge ist, setzen des Marktes. Dies beschä- dass die Gesellschaft – bezogen auf digt allerdings eine lebendige De- die Mediennutzung – immer weiter mokratie-Entwicklung. auseinander fällt: in einen kleine In- formationselite, die die vielfältigen Im Sinne der Bundespräsidenten Quellen nutzt, und ein riesiges Un- und einiger prominenter Kritiker terhaltungs-Proletariat, das sich auf dieser wuchernden Entwicklung zufällige Informationen verlässt müssen die Dinge nicht einfach trei- und eher der Unterhaltung zuneigt. ben. Nicht zuletzt die Abstumpfung Für die Politikvermittlung ein Rie- des Publikums nach großen Kon- sengebirge großer Herausforderun- junkturen – etwa nach ,Big Brother‘ gen. Aber welche Institutionen und oder ,Big Diet‘ zeigt, dass es auch gesellschaftliche Agenturen küm- einen ,Entertainment Overkill‘ ge- mern sich um diese Aufgabe? ben kann. Es kann eine Renaissance einer neuen – breit angelegten – Po- Der Trend zur Dauer-Unterhaltung litikvermittlung über die Medien ge- Ein führender Programm-Direktor ben, wenn die Verantwortlichen auf der ARD sagte kürzlich, „die Un- allen Ebenen dies wollen und ihre terhaltungsmaschine rollt und Gestaltungsspielraum nutzen. Dann rollt.“ Die Gleichgültigkeit seines werden sich auch die Bürger intensi- Gesichtsausdrucks verriet, dass er ver mit der Frage beschäftigen, wel- sie weder aufhalten könnte oder che Fragen wirklich wichtig und wel- wollte. Diese Begegnung sagt mehr che unwichtig sind. Wenn die Bür- als viele Reden, Protokolle, Kon- ger sich intensiver um die großen gresse und Studien. Die skizzierte Trends kümmern, wird die Politik Entwicklung der zersplitterten Öf- die wichtigen Medientendenzen fentlichkeiten wird weder von den nicht länger von wenigen „Medien- Programm-Machern, noch von den politikern“ bearbeiten lassen.

11 Klaus Rüter Im Seichten kann man nicht ertrinken

Meine sehr verehrten Damen und nicht nur deshalb, weil Sie heute ge- Herren, ich darf Sie ganz, ganz herz- kommen sind und weil darüber be- lich im Namen der beiden Veran- richtet worden ist, worüber wir uns stalter begrüßen, insbesondere der auch immer sehr freuen, sondern rheinland-pfälzischen Landesregie- auch weil einfach dieser Ansatz, eine rung. Schön, dass Sie gekommen Brücke zu schlagen zwischen der sind, schön, dass Sie mit uns disku- fachlichen Diskussion und dem was tieren wollen und dass sie mit uns dann sozusagen die Außenansicht „disputieren“ wollen. Das ist in der ist, was draußen ankommt, was die Pfalz und auch in Rheinhessen ein Bürger und Bürgerinnen verstehen, bisschen etwas anderes als „disku- nicht nur gelungen, sondern auch tieren“, aber mindestens genauso umgesetzt worden ist. Und das wün- spannend. schen wir uns natürlich von dieser Veranstaltung ganz genauso. Fünf mal Mainzer Medien-Disput, das ist ein Faktum, auf das wir ein Und wenn wir über eine neue Medi- wenig stolz sind. Das ist schon fast enordnung nachdenken, was zur eine kleine Tradition und ein Jubilä- Zeit geschieht, wenn wir feststellen, um. Aber wir wollen es nicht über- dass wir unzufrieden sind, dass wir treiben. Wir wollen bescheiden blei- mit unseren rechtlichen Ordnungen ben. Aber wir wollen doch auch hinter den gesellschaftlichen und konstatieren, dass unser Konzept technologischen Entwicklungen klein aber fein zu sein, eine beson- hinterherhinken, dann meine ich, dere Veranstaltung ohne den gro- dass es gerade hier ganz wichtig ist, ßen Medienzirkus durchzuführen mit den Journalisten, und dem, den und dabei die Nähe zu denen zu se- es betrifft, dem Bürger zu reden und hen, die das Mediengeschäft ma- zu diskutieren. Denn sonst verliert chen, den Journalisten, aber auch die man den Blick für das Wesentliche, Nähe zu den Bürgern, zu den Bür- sieht vor lauter Wald die Bäume gerinnen, voll aufgegangen ist. Dies nicht und ist damit auch vielleicht in

12 den eigentlichen Fragen, die wir sehr fachlich und qualifiziert diskutieren gar nicht so gut. Wenn es um Pro- bleme geht, wie die Digitalisierung - ungeHeuser wichtig, zweifellos, oder um die Frage, wie wir eine Diskrimi- nierung in der Kabelbelegung ab- wehren. Dies sind ganz entscheiden- de Fragen, die uns gestellt sind. Aber wir vergessen dabei manchmal den Blick auf das, um das es geht. Es geht eben auch und es geht entschei- dend um Inhalte und um die wollen wir uns heute kümmern.

Wie gesagt, klein aber fein und über- schaubar und vor allen Dingen aktu- ell wollen wir sein und mitten ins Journalisten- und Bürgerherz wol- Klaus Rüter len wir treffen. auch anders herum formulieren, Wenn das an diesem Tag auf dem vielleicht etwas überspitzt und ein- Weg, den wir bisher mit insgesamt seitig: Wer hat eigentlich den ameri- recht beachtlichem Erfolg gegangen kanischen Präsidenten, wer es auch sind, besonders gut gelingt, wenn es immer sein mag, am Ende gewählt, sozusagen und bei Ihrem Besuch die Medien, die Bürger oder ein Club könnte das so sein, ein Höhepunkt von Politikern und Journalisten, die wird, dann wären wir doch sehr froh. sich gut verstehen, die die Gesetze der Medienwelt machen, sie beherr- Wir werden dann, meine Damen schen und somit wohl auch die Fä- und Herren, feststellen, ob man im higkeit haben, die verfasste Ord- Seichten wirklich nicht ertrinken nung ein gutes Stück zu ändern. kann und wohin die mediale Welt uns und darüber hinaus, so ist ja die Im Programm sehen Sie, was heute Überschrift über die Podiumsdis- ansteht. Die Bestandsaufnahme zu kussion heute Nachmittag, die Bür- aktuellen Entwicklungen der Medi- gergesellschaft treibt. Ich könnte es en, die möglicherweise von einer

13 Rücknahme bis hin zum Verzicht res ist, als das, was wir bisher hatten, auf professionelle journalistische oder ob sie nur bestimmte gesell- Standards zugunsten oftmals, aber schaftliche Entwicklungen fort- wirklich nur oftmals, nicht immer, schreibt, den technologischen Wan- oberflächlicher, effekthascherischer del einbezieht, genauso wie die Darstellung und Inszenierung geht. rechtlichen Fragen, die sich ergeben, das sei mal dahingestellt. Hat das etwas zu tun mit dem im- mer härter werdenden Konkurrenz- Ich bin jedenfalls ein Stück skep- kampf, der zweifellos zu konstatie- tisch, wenn hier vorschnell ein Fazit ren ist? Oder ist das schon etwas gezogen wird, weil die Einforderung mehr? Geht es um eine gesellschaft- von Verantwortlichkeit von Journa- liche Entwicklung, die wir zum Teil, listen insbesondere für die Politik gelassen, zum Teil aber auch mit natürlich ein schwieriges Geschäft Schrecken zur Kenntnis nehmen, ist. Da halten wir uns mit guten vor allen Dingen mit Schrecken zur Gründen zurück. Aber ich bin doch Kenntnis nehmen. Oder geht es guten Mutes, dass die Grenzen bei auch um eine, das deute ich damit ja uns noch nicht ganz so gezogen wer- schon an, um eine ganz unterschied- den, wie in den Vereinigten Staaten, liche Sicht von Generationen. Denn Causa Lewinsky, Internet. Das muss beim Thema Big Brother gibt es quasi man natürlich dazusagen, und dass einen Generationenkonflikt. Die ab und an, zumindest die seriöse Jüngeren sehen es völlig anders, als Presse und die seriösen Fernsehsen- dies die Älteren sehen, die wir dann der im allgemeinen Wettbewerbstru- die Hände schon vielfach, auch bei bel und im Haschen nach dem letz- solchen Veranstaltungen über dem ten Bildkick innehalten und öffent- Kopf zusammengeschlagen haben. lich sich auch mal selbst in Frage Und dann die Frage nach der Ver- stellen. Das ist durchaus schon eini- antwortung der Medien, nach der ge Male geschehen, zuletzt ganz Verantwortlichkeit der Journalisten spektakulär bei der Süddeutschen Zei- bis hin zu einer angeblich notwendi- tung als man bestimmte Fehltritte des gen, sie sehen, ich bin ganz vorsich- eigenen Magazins dann sehr offen tig, neuen Medienethik, die den ent- und sehr klar dargestellt hat und sich sprechenden gesellschaftlichen sozusagen vom eigenen Tun distan- Wandelungen Rechnung trägt. Wir ziert hat. Und Gerichte spielen na- brauchen sicher eine neue Medien- türlich dabei auch eine Rolle, wenn ethik, aber ob die etwas ganz ande- das auch heute nicht im Mittelpunkt

14 der Debatte steht. Das ist ein ande- chend kennzeichnen. Vielleicht, res Feld. Aber wenn Prinzessin Ste- meine Damen und Herren, ich bin fanie inzwischen jetzt, ich glaube eigentlich ganz sicher, dass es so sein zwei oder drei Mal, eine beachtliche wird, vielleicht sind wir nach dem Summe Schmerzensgeld erstritten Ende der Veranstaltung insoweit et- hat, weil erfundene Stories über ihr was schlauer und Walter Schuma- Leben veröffentlicht worden sind, cher, der das Schlusswort sprechen dann kann es auch eine Wirkung ha- wird, kann ein Fazit ziehen, das wir ben, die bei dem schmalen Grad doch ein Stück vorangebracht ha- zwischen Presse und Meinungsfrei- ben: nämlich die Erkenntnis, dass heit und dem Persönlichkeitsrecht eben Freiheit der Presse und der einige Dinge wieder grade schiebt. Medien mit der Verantwortlichkeit eng zusammengehören und dass es Also, meine Damen und Herren, eben viele Fehler gibt, bei denen Grund zur Hoffnung gibt es. Es gibt man schon einmal einen Fingerzeig positive Ausnahmeerscheinungen, machen kann und mithelfen kann, vielleicht gar nicht so wenige. Und eine gute Entwicklung voranzubrin- es gibt natürlich auf der anderen Sei- gen. te, das werden wir heute vernehmen, diese zum Teil gnadenlose Fehlent- Zum Schluss Preis und Lob, und vor wicklung, die natürlich etwas zu tun allem Dank für die Projektgruppe, hat mit unserem wirtschaftlichen die diese Konferenz vorbereitet hat. System. Darüber brauchen wir uns Da haben sich viele engagiert und keine großen Gedanken zu machen. eingesetzt. Herzlichen Dank dafür Das ist immanent und das müssen und ansonsten wünsche ich Ihnen wir dann auch entsprechend zur jetzt einen vergnüglichen und vor Kenntnis nehmen. Aber die Fehl- allen Dingen informationsreichen entwicklungen dürfen wir dann Donnerstag im Mainzer Frankfurter durchaus aufgreifen und entspre- Hof. Vielen Dank.

15 Hans Leyendecker Die so genannte vierte Gewalt ist oft nur viertklassig

Meine Damen und Herren, klingeln die Handys Sturm. Kabinettsmitglieder geben Interes- jedes Wochenende nach dem Tatort santes über andere Kabinettsmitglie- zumeist, stoßen wir beim Zappen der weiter und daraus wird dann eine auf Herrn Markwort und hören sein Nachricht. In Berlin boomt eine Bekenntnis: Fakten, Fakten, Fakten. ganze Enthüllungsindustrie. Wenn Die besten Zahnärzte werden ent- eine Geschichte wenig Neues zu bie- hüllt, die besten Chirurgen. Fakten, ten hat, wird einer Nachrichtenagen- die manchmal bis zur Kenntlichkeit tur eine Meldung über das exklusive entstellen. Und das wollen auch all Nichts angeboten. Die Standardfor- die anderen Blätter: Fakten, die kein mel lautet, dass sich die Geschichte anderer hat. Fortwährend und bis ausweitet. Besonders an den Wo- zur Besinnungslosigkeit wird ent- chenenden weitet sich alles aus, bis hüllt. Mittags ist der Berliner es dann wieder platzt. Gendarmenmarkt von investigati- Der investigative Journalist schleicht ven Journalisten umzingelt. In den neuerdings mit einem Lappen durch besseren Häusern können sie zu- die Toiletten der Mächtigen, um was schauen, wie verzweifelt Journali- aufzuwischen. Man möchte einen sten Beamte füttern, um aus denen Blick in die Container der Macht irgendwas rauszulocken, das wie werfen. Zeitungen machen Scham- eine Enthüllung wirkt. Eine ganze haare in Depots von Notaren aus, Gastronomiebranche lebt von der und das wird exklusiv auf Seite 1 Enthüllung gemeldet. Im Print-Bereich ver- Diese Enthüllungsindustrie wird zeichnen Blätter wie Bunte oder auch von den Mächtigen genährt. Gala erhebliche Auflagenzuwächse, Belanglose Papiere werden in die und auch die exklusiv explosiv blit- Öffentlichkeit lanciert, indem sie für zenden brisant enthüllenden Boule- vertraulich erklärt werden. Mit dem vard-Fernsehmagazine haben gewal- Etikett vertraulich lässt sich alles tige Einschaltquoten: Fakten, Fak- verkaufen. Nach Kabinettssitzungen ten, Fakten.

16 Leser und Zuschauer werden mit der großen politischen Skandale der angeblichen Enthüllungen bombar- Nachkriegszeit ist mit Hilfe eines diert. Parlaments ans Licht gekommen? Üblicherweise stehen Journalisten, Keiner. Welcher Untersuchungsaus- wenn sie nicht Günter Jauch heißen, schuss war mehr als ein Kampfin- in wenig hohem Ansehen. In den strument der Parteien? Wenige. Jeder letzten Monaten waren aber ganz Mächtige, der das Parlament betritt, andere Töne zu hören. In großer kann sich auf seine Fraktion verlas- Koalition wurde dem deutschen sen und manchmal auch auf die Op- Journalismus das Etikett einer position. Die demokratische Aufgabe Macht im Staate aufgeklebt. Dass die der Kontrolle wird häufig nur zum Kontrollfunktion der Presse uner- Schein wahrgenommen, zu oft gibt setzbar sei, hörten wir von den es eine Kumpanei der Gegner. Sonntagsrednern. Tatsächlich gibt es Scheinkämpfe werden geführt, und die Idee einer Kräfteverteilung zwi- wenn es ernst wird, sitzen alle in ei- schen Bürgern, Machtinhabern und nem Boot. Im Alltag versagt die par- Kontrolleuren. Den Politikern und lamentarische Kontrolle, und auch Wirtschaftsführern stehen, jeden- das normale Regelwerk passt nicht. falls in der Theorie, völlig unabhän- Eine moralische Macht in diesem gige Journalisten gegenüber, die Lande ist der Bundespräsident, aber wirtschaftliche und politische Pro- nimmt er sie wahr? Das Bundes- zesse transparent machen und den verfassungsgericht, das wirklich Mächtigen auf die Finger schauen. nicht zuständig ist, muss sich heftig Ich soll heute über die moralische dagegen wehren, zur moralischen Macht der Medien sprechen und Instanz dieses Staates ernannt zu eine Antwort auf die Frage versu- werden. Und die jungen Wilden, die chen, was investigativer Journalis- alles anders machen wollen? mus, der nicht nur Wortgesummse Bei näherem Hinsehen kommt der ist, bewirken kann. Zunächst: Re- Verdacht auf, dass sie am Ende nur den wir über Moral oder reden wir regieren wollen. Die Macht ist obs- über Geschäfte? Mit dem Begriff zön, das freut die Wut, heißt es in ei- Moral sollte man als Journalist, zu- nem bös-ironischen Kalenderspruch mal wenn es um das eigene Gewer- von Hans Magnus Enzensberger. be geht, sehr vorsichtig umgehen. In jedem Wahlkampf hören Sie den Investigativer Journalismus kann Satz, man müsse verhindern, dass dann zum Zuge kommen wenn an- XY an die Macht komme. Dahinter dere Instanzen versagen. Welcher verbirgt sich die Erkenntnis, dass

17 Ruß-Mohl, machte eine „Vernei- gung vor den Medien: Dass sie Schmutz aufwirbeln, dass sie diese Skandale schonungslos aufzuklären versuchen, dass dabei Reporter in akribisch-kriminalistischer Kleinar- beit Puzzlesteine zusammenfügen – das alles ist bewundernswert und es ist zugleich notwendiger Dienst an der Demokratie.“ Ähnlich fiel das Urteil des Theo- logieprofessors Richard Schröder aus: „Es ist den Medien zu verdanken, dass der Skandal nicht unter dem Teppich Hans Leyendecker blieb“, sagte er und fügte hinzu: ... „In der DDR wäre so etwas nie rausge- Macht korrumpieren kann und kommen.“ Von einem „wichtigen missbraucht wird Der recherchie- Einschnitt in der Nachkriegsge- rende Journalist hat die Aufgabe, schichte des deutschen Medienwe- die dunkle Seite der Macht auszu- sens“ war die Rede, und zwar einem, leuchten und den Mächtigen das „der dem Gemeinwesen gut tut“. Alle Gefühl zu geben, dass der Miss- taten so, als habe eine Vereinigung von brauch nicht völlig gefahrlos ist. Enthüllern losgeschlagen. Dies macht er in dem Wissen, dass Bei politischen Skandalen geht es sich die Sudler auf einen langen um Konflikte über die Verteilung, Zermürbungskrieg einrichten und Ausübung, Kontrolle und Legitimie- mit dem Zynismus des Publikums rung von politischer Herrschaft. rechnen dürfen. Skandale entzaubern die soziale Ma- Kaum ein Ereignis der Nachkriegs- gie der öffentlichen Repräsentation, zeit hat die Aufmerksamkeit im Aus- sind aber in einer politischen Kultur land und in der Kommunikations- nichts Außergewöhnliches: Japan wissenschaft so stark auf die Rolle und Italien haben ihre großen der deutschen Medien gelenkt wie Parteispendenaffären gehabt, auch die jüngste Kohl-Affäre. Quer durch Richter in Frankreich versuchten, den Blätterwald gab es Lob und den Finanzsumpf der sozialistischen Selbstlob. Der Berliner Professor Machthaber trockenzulegen. Ent- für Publizistikwissenschaft, Stephan scheidend für den Sittenbefund ist

18 die gesellschaftliche Verarbeitung Es gibt in diesem unserem Lande der Affären. Von Aufdeckung und vorzügliche Reporter, gute Redak- Aufklärung kann eine Katharsis, eine teure. Die Deutschen sind Meister reinigende Wirkung, ausgehen. im Meinungsjournalismus. Wer den Aber: Wie viele der Journalisten Leitartikel schreiben darf, im Pres- kratzen eigentlich gern am Unbe- seclub sitzt, hat den Ausweis höch- kannten, Recherche genannt? Wie ist ster Kompetenz erreicht. Aber die es mit der Grundbefindlichkeit des Zeitungen und Sender beschäftigen Berufsstandes? Vor einigen Jahren nur wenige Rechercheure, die Ent- erschien eine Studie, derzufolge in hüllungsstorys liefern wollen. Am Deutschland nur 20 Prozent der liebsten bewegt man sich in Augen- Journalisten ausführliche eigene Re- höhe mit den Mächtigen. Politik er- cherchen zur Grundlage von Berich- zieht zur Eitelkeit. In der Mediende- ten machen. In Großbritannien sind mokratie noch mehr als früher. Von es gut vierzig Prozent, in Amerika Kurt Tucholsky, dem großen Journa- knapp fünfzig Prozent. Gibt es bei listen stammt der Satz, der deutsche uns investigative Blätter, die man mit Journalist brauche nicht bestochen zu der Washington Post oder dem Phil- werden. „Er ist stolz, eingeladen zu adelphia Inqirer in einem Atemzug sein, er ist schon zufrieden, wie eine nennen dürif? Existiert eine dem Macht behandelt zu werden.“ Center for Public Integrity vergleich- „Die Teilwahrheit, das Teilbild der bare non-profit-organization, die wie Wirklichkeit“ ist nach Feststellung in den USA über Jahre wichtige Re- von Erhard Eppler das Kennzeichen chercheprojekte durchzieht und am der politischen Sprache. Politiker Ende die Ergebnisse den seriösen hielten sich an der Teil der Wahr- Medien zur Verfügung stellt? Ich will heit, der sich dafür anbiete. Dabei den amerikanischen Journalismus, gebe es gleitende Übergänge zwi- gerade wegen der Fehlentwicklung in schen Teilwahrheit und bewusster den letzten Jahren, nicht glorifizie- Täuschung und es brauche aufmerk- ren, aber ich glaube, dass in dem Gen- same Beobachter. re des recherchierenden Journalismus Die Krankheit des deutschen in Deutschland die so genannte vier- Journalismus ist nicht die gepflegte te Gewalt oft nur viertklassig ist. Kampagne, sondern die Verwi- Im Ürigen: Für die vierte Gewalt, so schung von Grenzen zur Politik, zur es sie denn geben sollte, können die Wirtschaft, der gegenseitigen In- Verleger, die Intendanten sprechen. strumentalisierung für politische Der Journalist spricht als Journalist. und eigennützige Zwecke.

19 Stärker als ausländische Kollegen diesen Luxus oft mit Brot- und stützen sich deutsche Journalisten Butter-Geschäften finanzieren. Es ist auf die Nachrichtenagentur, ja, es viel einfacher, schöne Pressemeldun- gibt eine Agenturgläubigkeit. Die gen filmisch zu übersetzen und mit Agenturmeldung wird leicht verän- den Zweitverwertungsrechten die dert oder mit Meinung angereichert, Kasse aufzubessern, als etwas kom- und man hat die eigene Geschichte. plizierte Geschichten anzubieten, die Obwohl der Text im Grunde immer auch noch Ärger machen können. derselbe ist, so rufen doch leichte Im deutschen Journalismus sind Veränderungen den Eindruck von bilanzsichere Dokumentationen un- Vielfalt hervor. Dabei gilt das Postu- sauberer politischer Vorgänge we- lat der Mitte. Nicht nur der deutsche nig entwickelt. Bei Interviews wer- Philister findet in der Mitte sein Maß. den Politikern nicht selten die Fra- Man äußert sich nur ungern jenseits gen vorgelegt, die Interview-Rituale dessen, was gerade als Konsenskorri- werden dem Leser, dem Zuschauer dor gilt, und bitte kein Risiko. verschwiegen. Und oft sind die Dia- Als ein angesehener freier Journalist loge so langweilig, weil sie von Refe- einem TV-Studioleiter eine exklusi- renten bis zur Unkenntlichkeit bear- ve Story anbot, wurde er abgewiesen: beitet wurden. Ist es eigentlich rich- „Darüber liegt mir keine Meldung tig, diese desinfizierte Form des In- vor“, sagte der TV-Mann. Deshalb terviews durchzuhalten? bringe er die Geschichte nicht. Er Und wie ist es mit der Trennungsli- ruiniere sich doch nicht wegen einer nie zwischen PR und Journalismus? „heißen Geschichte“ seine Karriere, In Amerika kommen mittlerweile hat er auch noch gesagt. rund 150000 PR-Leute auf etwa Ein freier Autor, der dem Fernsehen 130000 Journalisten. In Deutschland eine rechercheintensive Geschichte bedienen 20000 PR-Fachleute mehr anbietet, wird sich die Sache dreimal als 40000 Journalisten. Früher saßen überleben müssen, ob er sie durch- schneidige PRMänner mit tadellosen zieht. In der Regel wird die Recher- Umgangsformen wie Fritz Huschke che nicht bezahlt, und was ist, wenn von Hanstein, Egbert von Tirpitz in am Ende keine Story rauskommt, was altdeutschen Herrenzimmern und ja schon mal passieren kann? ließen die Prosa der Geschäftsbe- Recherchen kosten viel Geld und richte unters Volk bringen. Legen- Zeit und die Quote ist auch nicht där ist der Spruch des Graf Georg garantiert. Wer trotz alledem die Re- Volkmar Zedtwitz-Arnim, der eisen- cherche pflegen möchte, muss sich beschlagene Schuhe trug: „Ich gebe

20 meinen guten Namen für diese Bereich, wo die Wirkung der Arbeit Scheiß-Branche“, schnarrte der noch überschaubar ist. Generell gilt: Es Adelige. „Das muss reichen.“ ist sehr viel einfacher, über einen Ge- Wenn heute VW mit BMW um werkschaftsführer oder einen Rolls-Royce kämpft, wird in der BDI-Funktionär eine Affärengeschich- Wolfsburger Kommunikationsab- te zu publizieren als über einen mächti- teilung Urlaubssperre verhängt, und gen Vorstandsvorsitzenden. Spenden- alle 70 Mitarbeiter sind voll im Ein- affären finden in der Regel auch ein satz und versuchen, Einfluss auf die dankbares Publikum, aber wenn der Medienleute zu nehmen. Ein Markt Reiz der Neuheit verschwunden ist, ist entstanden, der noch stärker als kann die Stimmung leicht umschwen- die IT-Branche wächst. In Schnell- ken. Keiner schaut mehr hin. bleichen werden Kommunikatoren 1995 publizierte Der Spiegel eine herangezogen, und immer häufiger Geschichte über die Geldmanöver gerät die Trennungslinie der beiden des damaligen Bundeskanzlers Hel- Berufe aus dem Blick. In der mut Kohl und des CDU-Finanzbe- Schweiz gibt es bereits einen ge- raters Horst Weyrauch. Vier Redak- meinsamen Ausbildungsgang für teure des Blattes hatten den Fall re- PR-Berater und Journalisten. cherchiert. Die Geschichte war von Und auch über Meinungsforschung den Kollegen Grimm und Mans an- wird Politik gemacht. In Amerika geschleppt worden. Mans zumindest äußerte sich jüngst eine Mehrheit wird den meisten von ihnen bekannt skeptisch über die Seriosität der Mei- sein. Klaus Wirtgen aus dem Bon- nungsforschung, und das Ergebnis ner Büro und ich stießen dazu. Es kam durch eine Meinungsbefragung war eine schöne Geschichte: In Um- zu Stande. rissen wurde das System Kohl er- Zur Frage zurück: Was kann kennbar. Was fehlte, waren die investigativer Journalismus bewir- Schwarzgeldkonten und die gehei- ken? Die Frage richtet sich zunächst men Transfers aus der Schweiz. Die an die eigene Branche. Kann recher- Story erregte keinerlei Aufmerksam- chierender Journalismus ansteckend keit – nicht einmal beim Hamburger sein? Das wäre doch schon eine gan- Nachrichtenmagazin. Es bedurfte ze Menge. mehrerer Anläufe, den Report ins Damit verknüpft ist die nächste Frage: Blatt zu hieven. Auch die Oppo- Wo hat recherchierender Journalis- sition war nicht interessiert, und die mus zu Veränderungen beigetragen? CDU ohnehin nicht. Die Macht ist Sicherlich am ehesten im lokalen obszön, das freut die Wut.

21 Journalismus am Scheideweg: Farbe bekennen – Service contra Aufklärung Moderation: Miriam Meckel und Uli Röhm

Michael Jungblut (WISO-ZDF) diskutiert mit Uwe Jean Heuser (Die Zeit)

Meckel: Wir reden ständig über die wobei es nicht vorsätzlich passiert, New Economy, wir lesen ständig dar- in aller Regel, sondern wie alle ande- über. Wo ist denn da der neue Knack- ren Berufsgruppen auch, lassen wir punkt, wenn wir Farbe bekennen, uns von Moden tragen, von Über- wenn wir auch über neue Herausfor- zeugungen tragen, die relativ leicht derungen des Journalismus reden? zu vermitteln sind. Dagegen anzuar- beiten das ist jede Woche und jeden Heuser: Was es hier in Deutschland Tag wieder schwierig. gegeben hat, ist eine Art Paradig- menwechsel im Journalismus. Wirt- Meckel: Herr Jungblut, wir haben ja, schaft ist auf einmal relativ positiv wenn wir von Journalismus am besetzt. Der Mainstream ist nicht Scheideweg reden, eine andere Her- mehr der gleiche wie vor 5 oder 10 ausforderung, die gerade mit dem neu- Jahren. Wenn es früher besonders en Wirtschaftthemen in der Diskussi- schick war, irgendetwas zu sagen ge- on war. Wie berichte ich eigentlich als gen die Absahner, gegen Ungleich- Wirtschaftsjournalist über Dinge, die heit, ist es heute eher verpönt. Wie möglicherweise eben sehr konkrete es früher zur Farbe bekennen zu Konsequenzen haben können ? Wir sehr in die politische korrekte Rich- haben z.B. den Fall Focus gehabt. Der tung ging, gehen wir heute zu sehr in deutsche Presserat hat sich hervorge- die neue politisch korrekte Richtung. tan und hat gesagt, wir machen jetzt Da ist keine Bereitschaft mehr da, einmal einen Katalog, was eigentlich zu sagen, guck mal, hier gibt es Ver- sein muss, um Wirtschaftsjournalis- lierer. Guck, mal diese Art des Ab- mus so zu gestalten, dass man sich kassierens ist nicht richtig. Da man- auch darauf verlassen kann. Was sa- gelt es manchmal an Ehrlichkeit, gen Sie denn zu diesen Fällen?

22 Jungblut: Das sind Dinge, die nicht Blatt kaufen oder das Programm se- sein sollten, aber leider immer wie- hen, oder man macht pleite. der vorkommen. Die Versuchung ist sehr groß. Das gehört sicherlich zu Meckel: Wie sehen Sie Service und den Grundsünden eines Journali- Aufklärung? Wenn ich mir beispiels- sten, dass er bestimmte Dinge, ich weise im Fernsehen bestimmte An- sage mal Aktien, die er selber hat, gebote angucke, dann kriege ich Bal- dann hochschreibt oder vorher kauft ken, Kuchendiagramme, dann krie- oder verkauft, wenn es gelungen ist. ge ich unheimliche Anlegertipps – Das sind Dinge wie bei den Römern aber eigentlich ganz punktuell, ganz in der Politik, bis heute ist Korrupti- sporadisch, sehr aufgebauscht. Den on immer wieder vorgekommen. Hintergrund kriege ich nicht. Dann wird ein Skandal aufgedeckt, dann kriegen die etwas auf den Dek- Heuser: Das liegt teilweise in der Na- kel, dann sind sie eine zeitlang vor- tur des Mediums. Für die ZEIT ist sichtig und legen danach wieder los. es wirklich kein Gegensatz zu sagen, Und Journalisten sind auch nur Men- wir wollen einerseits aufklären, ori- schen, in jeder Hinsicht. Die schwim- entieren und andererseits einen Ser- men auch mit dem Mainstream mit. vice bieten. Die Frage ist, ob wir ein- So ist es halt mit der Versuchung, fach zugeschüttet werden mit Infor- Geld zu verdienen. Journalisten sind mationen, mit denen wir nichts an- auch nicht davor gefeit, Dinge zu fangen können. Wenn die Leute machen, die vielleicht nicht ganz sau- merken, dass sie mit den kurzfristi- ber sind. Da kann man eigentlich im- gen Informationen nicht so viel an- mer nur durch die entsprechenden fangen können, dann fangen sie Sanktionen dafür sorgen, dass dieje- auch wieder an, eine Orientierung nigen, die für solche Sachen anfällig zu suchen. sind, zumindest dann vorsichtiger werden und es zehn Jahre nicht mehr Meckel: Herr Jungblut, wie sehen Sie machen. Dann geht es wieder von dies? vorne los. Auf jeden Fall muß der Journalismus Jungblut: Es gibt natürlich in der Art, auch die Themen behandeln, die sei- wie man die Zuschauer bzw. Leser ne Zuschauer, Hörer etc. interessie- anspricht, große Unterschiede. Bei- ren. Man muss sich natürlich auch so spiel Die ZEIT und WISO. Die Zeit ein bisschen nach den Interessenbe- hat einen ganz anderen Leserkreis, dürfnissen derjenigen richten, die das ich war ja 20 Jahre im Wirtschafts-

23 ressort bei der Zeit, und da haben so etwas wie eine positive Parteilich- wir natürlich die Schwergewichte et- keit von Journalisten und Journali- was anders gesetzt, und wir haben stinnen fordern, die das auch the- auch damals Dinge betrieben, die so matisieren müssen, dass es dies im- ein bisschen gegen den Strom der mer noch gibt und jenseits der rosa- Zeit gingen. Sagen wir mal, etwas, roten Welt der Börsenkurse auch was heute für jeden eine Selbstver- eben noch eine andere vorhanden ständlichkeit ist, Flexibilisierung der ist? Arbeitszeit oder Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten. Wenn Sie so Heuser: Da würde ich nicht mit dem wollen, war das auch so irgendwo Begriff der Parteilichkeit operieren. ein bisschen Service, und es war aber Aber in der Tat, denke ich, dass es auch Farbe. Das gibt es so nicht in wichtig ist, vom Journalismus im- der Form bzw. dass sich Service und mer auch das zu thematisieren, was Information bzw. Aufklärung aus- gerade nicht in der Brille der Gesell- schließen. Bei Wiso gehört dies mit schaft im Focus steht. Das ist eben zum Erfolgsrezept, dass wir versu- unbedingt eine Aufgabe, die er lei- chen, Wirtschaftspolitische Bericht- sten muss und damit macht er sich erstattung und Servicethemen zu mi- auch manchmal halt unbeliebt, und schen. damit steht er auch in diesem Span- „Wiso“ ist nicht umsonst seit Be- nungsfeld zwischen dem, was sich ginn die erfolgreichste Wirtschafts- kurzfristig rechnet und dem, was sendung, überhaupt eines der erfolg- ihm vielleicht langfristig hoch ange- reichsten Magazine in Deutschland, rechnet wird. Wir haben es mit ei- weil wir es offenbar immer wieder nem Volk von amerikanisierten schaffen oder uns jedenfalls bemü- Ökonomie-Begeisterten zu tun. hen, die Mischung zu finden, von Gleichzeitig, das finde ich dann auch der der Zuschauer sagt, er hat etwas wieder sehr interessant, ist dann aber davon, er wird aufgeklärt, bekommt auch das Bewusstsein dafür da, dass aber auch Service. die Gesellschaft so Verteilungsfra- gen, Gerechtigkeitsfragen weitge- Meckel: Herr Heuser, Sie haben ge- hend ausgeklammert hat. Es wird sagt, wir haben es heute im Wirt- auch durchaus beklagt, aber es wird schaftsjournalismus damit zu tun, gleichzeitig von den Menschen ge- dass man viel stärker auf dieser Wel- sagt, man kann ja nichts dagegen tun. le mitschwimmt. Wäre an dieser Der Trend geht in eine andere Rich- Stelle nicht zu sagen, man kann auch tung. Das ist so ein differenziertes

24 Stimmungsbild, das mich sehr nach- denklich gemacht hat. Man hätte es gern anders, aber die Menschen mei- nen, es geht nicht.

Meckel: Wie geht Ihr damit um?

Heuser: Einerseits bin ich begeistert von all dem, was da passiert. Man sieht auch eine gewisse Notwendig- keit, eine gewisse Unausweichlich- keit, weil es sich um ein internatio- nales Phänomen handelt. Anderseits weiß man, dass dabei eine Menge unter die Räder gerät, an sozialem Leben. Man würde natürlich gerne ohne diese Schere auskommen aber Uwe Jean Heuser es geht nicht. Ich habe es auch per- sönlich gemerkt, weil ich dieses Jahr da wurde mir nochmals offenbar, ein Buch veröffentlicht habe, wo es dass wir es durchaus mit einem ge- um die Ökonomisierung unseres Le- wissen Schubladendenken zu tun bens geht und auch da, wenn ich das haben. Man muss jetzt schon mit noch sagen darf, habe ich eine in- beiden Seiten umgehen können. Das teressante Reaktion. versuchen wir bei der Zeit und wir Das Buch hat den Titel: „Das Unbe- gehen jede Woche das Risiko ein, hagen im Kapitalismus“. Es ist ein uns bei einigen Leuten unbeliebt zu relativ negativer Titel und dabei ist machen. mir etwas passiert, das ist mir noch nie passiert. Auf einmal war ich so Meckel: Das wäre auch schon das eine Art Hassfigur bei der SZ und Stichwort: Medien und Moral. Ge- beim Handelsblatt, bei diesen Main- hört es zu Moral von Medien dazu, stream liberalen Wirtschaftsblättern sich auch in der Wirtschaftsberichts- und kriegte das Lob von der TAZ erstattung unbeliebt zu machen, weil einerseits und andererseits von der man das Thema benennt, was viele Welt, Welt am Sonntag. Es heißt, ich vielleicht überhaupt nicht hören war in einer Gesellschaft, in der ich wollen und am liebsten gleich wie- mich eigentlich nicht befinde. Und der in die Schublade stecken wollen?

25 Jungblut: Ja, durchaus. Ich bleibe mal beim Neuen Markt, weil Sie den ein paar Mal angesprochen haben. Es ist ja einerseits positiv, dass wir den haben und dass jetzt junge Unter- nehmer an Kapital kommen und dass sich viel mehr Menschen in Deutschland an der Finanzierung der Wirtschaft beteiligen und damit auch im Grunde etwas für die Siche- rung ihrer Alterseinkünfte tun. Aber da hat es natürlich auch riesige Über- treibungen gegeben. Und da haben sich diejenigen etwas unbeliebt ge- macht, die vorher gesagt haben, pass mal auf, da sind ein paar Sachen, die können nur schief gehen, das muss platzen. Solche Unternehmenswert- Michael Jungblut steigerungen, wie sie da am Neuen Markt aber auch teilweise an der al- Börsenfachmann der Zeit, der hat ten Börse signalisiert wurden oder eben immer gesagt, ich mache das scheinbar zustande kamen, die sind nicht mit. Das ist unseriös und ich auf die Dauer nicht haltbar. halte dagegen. Das muss auch ein- Das war ein Beispiel, ein anderes mal sein. Das ist jetzt aus dem Be- stammt wieder aus den alten Zeiten reich der Wirtschaft, aber im Bereich bei der Zeit. Ich weiß nicht, wer sich der Politik und vielen anderen Be- noch an Bernie Cornfeld und seine reichen kann man natürlich ähnliche wunderbare Geldvermehrung erin- Beispiele finden. nerte. Da ist auch die Masse der deutschen Wirtschaftsjournalisten Heuser: Ich wollte nur eins zugeste- draufgesprungen. Das war der gro- hen. Ich glaube, es wird schwieriger, ße Guru und der macht alle Men- sich als Wirtschaftsjournalist gegen schen reich. Wir haben immer dage- den Mainstream zu wenden. Es ist gen gehalten, haben uns damals sehr nicht so, als würde man gekauft oder unbeliebt gemacht und die Leute irgend so etwas, sondern es gibt eine haben gesagt, Mensch, was sind das Ökonomisierung nicht nur in der für Miesepeter. Aber der damalige Gesellschaft, sondern auch in den

26 Zeitungen. Es ist nicht mehr so, dass muss dem Leser eine Brücke bauen. die Redakteure völlig im Leeren Ich glaube, das ist die Aufgabe der schwimmen und machen können, Journalisten. Sie haben sicherlich was sie wollen. Irgendwo kriegt man viele Funktionen, aber eine von un- schon auch mit, das muss ich ver- seren Funktionen, ist auch Überset- kaufen, mehr als früher. Das gibt es zer zu sein, zwischen der jeweiligen selbst bei der TAZ nicht mehr. Und Fachwelt, zwischen den Eierköpfen, deswegen ist es so schwer, die inter- die da irgendwo in Instituten sitzen essanten Sachen gegen den Mainst- oder in der Wirtschaft irgendetwas ream zu schreiben, bzw. sich damit machen und dem Leser, der dieses durchzusetzen, erst einmal in der alles nicht versteht. Redaktion und dann zweitens beim Leser. Ich glaube schon, dass die Meckel: Jetzt haben wir schon zwei ganze Gesellschaft trendgetriebener Perspektiven. Was Sie gerade gesagt ist und das vermittelt sich dann eben haben, heißt: Guter Journalismus auch aufgrund des ökonomischen schafft es, wenn er wirklich gut ist, Interesses der Zeitung. Da ist einer- wenn er gut recherchiert hat, gut ge- seits mehr Mut erforderlich und an- schrieben ist, gut dargestellt ist, dererseits ein langfristigeres, ein schafft es auch für nicht trendorien- langatmigeres Marketing der Medi- tierte Themen eine Leserschaft, eine en. Da wieder hinzukommen, das Zuschauerschaft zu finden. wäre sehr wichtig. Die Leute zu be- Im Grunde genommen wäre das lohnen, die den Mut haben, damit doch, wenn ich das richtig verstan- andere auch den Anreiz haben. den habe, ein Plädoyer für ein Mar- keting der Medienmoral. Ist das eine Jungblut: Früher hat sich der Wirt- neue Form von qualitätssicherem schaftsjournalist überhaupt nicht Journalismus? um seine Leser gekümmert. Wir ha- ben es anders aufgefasst und haben Heuser: Ich glaube, das ist eine Form gesagt, nein, auch der Wirtschafts- von Ehrlichkeit, also mit dem Be- teil ist für seine Leser da. Es kann griff Moral würde ich da vorsichtig jedes Thema behandelt werden, nur umgehen, aber es ist eine Form von der Leser, der normale Zeitleser, Ehrlichkeit, auch in Zeiten, wo seine oder der Wiso-Zuschauer muss es Themen, wo seine Ansichten nicht verstehen. Dann können Sie auch so beliebt sind, dazu zu stehen. Es Leser für Themen gewinnen, die sie ist nicht einfach. Der Zeit-Leser ist vorher uninteressant fanden. Man teilweise noch der gleiche wie frü-

27 Michael Jungblut, Miriam Meckel und Uwe Jean Heuser

her, aber er hat sich mächtig verän- nen, bezahlen Sie zum Beispiel Geld dert. Die sitzen zum Teil auch für Informationen? abends im Internet und gucken mal, was der Neue Markt gemacht hat. Jungblut: Das kann ich ganz klar mit Die sagen dann, was will der mit sei- Nein beantworten, schon aus dem ner Skepsis, lass mich in Ruhe, ich schlichten Grund, dass wir es nicht bin hier am Zocken! Dagegen die haben. Vor allem kriegen die, die lange Sicht und den langen Atem zu für Informationen mit Millionen bewahren ist, glaube ich, nicht ganz um sich werfen wie Stern, Bunte, einfach. Es ist teilweise aufgrund der Spiegel, Focus manchmal nur Sachen, Stärke der Trends wohl auch schwie- die an der Oberfläche wichtig sind riger als früher, aber das zu tun ist und die Leute vielleicht furchtbar für mich ein Stück Ehrlichkeit und aufregen. An viele andere Dinge – wenn es darum geht, Leute vor würden sie auch ohne Geld kom- diesem Mist zu bewahren – auch ein men, indem sie fleißiger recherchie- Stück Service. ren. Irgendwann findet man immer Leute, die auch bereit sind, etwas Meckel: Wie funktioniert denn Re- zu sagen, weil sie selber das Gefühl cherche, intensives Arbeiten bei Ih- haben, da stinkt was, da muss was

28 getan werden. So machen wir das. man ihnen jetzt keine guten Rat- Vielleicht ist es manchmal etwas schläge geben. Ich glaube, sie sind schwieriger. auf einem guten Weg und probieren wieder etwas Neues aus. Ich wün- Meckel: Herr Heuser, was würden Sie sche ihnen, dass sie weiterhin so viel anders machen, wenn Sie Chef von Erfolg haben. WISO wären? Heuser: Vielen Dank. In der Tat ha- Heuser: Ich würde versuchen, diese ben Sie recht, was das Überfällige etwas langfristigen unterschwelligen angeht. Die Zeit hat eine Weile im Themen, die die Menschen aber ja Wirtschaftsteil versucht, völlig gegen irgendwo trotzdem bewegen, Risi- den Zeitgeist zu sein, gegen diese gan- ko, Verteilung, Ökonomisierung, ze Entwicklung, über die wir gespro- Flexibilisierung, ein bisschen stär- chen haben. Aber wie wir gelernt ha- ker zu vermitteln. Nun bin ich aber ben, geht das nicht. Sich dieser The- kein Fernsehmann und weiß nicht, men annehmen, sich mit dem be- ob es geht. Ich glaube, dass man schäftigen, was die Menschen be- innovative Wege beschreiten muss, wegt, das müssen wir schon. Aber die ich hier nicht nennen kann, weil versuchen, das mit anderen Perspek- ich sie nicht kenne, aber ich würde tiven zu tun. Das haben wir versucht, mir wünschen, dass das Fernsehen sowohl formal als auch inhaltlich in insgesamt öfter versucht, diese die Reihe zu bringen. Phänomene auf seine Art, d. h. auf seine Art des Visuellen, darzustel- Meckel: Wir haben mitbekommen, es len. gibt sicherlich einen Scheideweg, an dem sich der Journalismus, vor al- Meckel: Was würden Sie heute an- lem der Wirtschaftsjournalismus, ders machen, wenn Sie wieder im entlang hangeln muss, vielleicht Wirtschaftsressort der Zeit wären? auch die ein oder andere Grenzüber- schreitung. Es gibt aber auch ein Jungblut: Ich hätte schon vor 10 Jah- paar Perspektiven, die fast banal ren vieles anders gemacht, weil es klingen: Professionelle journalisti- mich immer gewundert hat, wie lan- sche Arbeit, professionelle Recher- ge Die Zeit gebraucht hat, bis sie che, auch den Mut haben, Themen endlich mal den Schritt gemacht hat, zu benennen und zu besetzen, die der dringend notwendig war. Aber nicht gerade en vogue sind. Ich dan- da sie gerade reformiert haben, muss ke Ihnen beiden.

29 Michel Friedman (Vorsicht Friedman! – HR) diskutiert mit Ulrich Kienzle (Frontal – ZDF)

Meckel: Herr Friedman, es gibt ja si- Kienzle dann eigentlich Ihr Ideal- cherlich die einen oder anderen Be- moderator. obachter, die bei Ihnen sagen, der bekämpft ja oft ein bisschen viel. Friedman: Herr Kienzle ist sowieso mein Ideal. Friedman: Ich halte nichts von die- sem geheuchelten Neutrum-Journa- Kienzle: Naja, Sie sind nicht aber ganz listen, der so tut als ob er keine Mei- mein Ideal! nung hat, keine Einstellung hat, son- Ich finde seine Sendung wirklich dern natürlich sind wir auch subjek- spannend und gut und gucke fast tiv, natürlich haben wir auch subjek- jede an. Ich habe nur ein Problem tive Einstellungen. Meine Sendung mit Ihnen. Nur eins, aber ein ganz will nicht primär informieren, son- großes. Mal setzt er sich den Hut dern sie ist eine Diskussionssen- des Funktionärs auf, mal ist er Poli- dung, eine Streitsendung mit einem tiker, mal ist er... Das ist natürlich Stück Leidenschaft – ein Stichwort, eine fiese Nummer, die wir Journali- das in Deutschland zur deutschen sten nie können. Er kann in jeder Kultur leider nicht gehört. Vielleicht Rolle auftreten, mal so mal so, wie er führen wir das ein bisschen mehr es gerne hat. Das finde ich eigentlich ein. nicht in Ordnung. Ich finde, Sie soll- Ich bin ein gastgebender Gast, der ten endlich den Mut haben, Journa- das Publikum provoziert, aber auch list zu werden oder Moderator. angeregt ist und genauso wie meine Diese berühmten „sowohl als auch“ Gäste ein Stück aus sich hinausgeht, Kommentare, die sind mir immer körperlich, inhaltlich, seelisch, und schon auf den Wecker gegangen. wenn Sie dann dabei das ein oder Diese Nummer, mit diesem Hin- andere sagen, was sie eine Sekunde und Hersprechen, das ist etwas, was später bedauern, dann war das ja Sie geschickt ausnützen, sagen wir auch gut so. es einmal so.

Meckel: Aber gemessen an dem was Friedman: Ich kann mit diesem Kom- Sie gerade gesagt haben, ist Herr mentar leben.

30 Meckel: ....die Farbe bekennen, wäre bei Ihnen Chamäleon sein.

Friedman: Nein, er meint nur, dass ich unterschiedliche Möglichkeiten habe, in unterschiedlichen Rollen diese Meinung, die ich habe, auch darzustellen. Nun muss man natür- lich sagen, es gibt eine Grenze, die ich selbst sehe. Man kann für seine Meinung kämpfen, aber man darf nicht Instrumente nutzen, um die Meinung abzufragen und sie bestä- tigt zu bekommen. Bei einer Streit- kunst wie bei so einem Format wie „Vorsicht Friedman“ ist das auch gar nicht möglich. Denn ich moti- viere meine Gäste, mir auch zu wi- dersprechen und ich finde das ei- Miriam Meckel gentlich die erfolgreichste Situation, wenn man da nicht mit drei Gästen dass ich nach den Vermächtnissen, und einem gastgebendem Gast, son- die Hessen-CDU verlassen habe und dern mit vier Gästen diskutiert. Das der Saarland-CDU beigetreten bin. ist aber auch Absicht der Sendung. Kienzle: Das ist ja sehr tricky. Kienzle: Ich verstehe bei Ihnen nicht, dass Sie nach dem „jüdischen Ver- Friedman: Ja, aber Sie können Diffe- mächtnis“ nicht sofort aus der CDU renziertheit nicht immer nur trick- ausgetreten sind. Ich habe ein bis- reich nennen. Sie sind ja auch nicht schen das Gefühl, Sie benutzen die ohne Grund beim ZDF geblieben, CDU, nicht um der CDU was Gutes bei SAT 1 wären Sie uninteressant zu tun, sondern sich selber. Denn, mit FRONTAL. wenn Sie aus der CDU austreten, sind Sie uninteressant. Kienzle: Das ist ein Irrtum.

Friedman: Es wundert mich, dass ein Friedman: Nein, das ist kein Irrtum. politischer Journalist nicht weiß, Das ist genauso wenig ein Irrtum,

31 eine andere Leitkultur, nämlich die französische in meiner Kindheit ge- nossen habe. Ich glaube, das Streit Lust und nicht Last ist und ich will dies auch im Fernsehen oder anders- wo, wo ich lebe, selbst hier, darstel- len, und deswegen genieße ich die Konfrontation und den Konflikt. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass wir uns auseinandersetzen. Die gepflegte Soße der deutschen Dis- kussionskultur ist ein Einschlafmit- tel. Ich bin gegen Valium. Und ich weiß auch, dass sehr viele, gerade in der Politik, dieses Valium nutzen, um nicht nur nichts zu sagen, son- dern hinter dem Valium trotzdem Dinge zu tun und zu entscheiden, Michel Friedman die letztendlich dem hochgeschätz- wie ich bei der Saar-CDU gut gelan- ten Publikum in ihrer Dramatik gar det bin. nicht dargestellt werden. So gesehen, plädiere ich für polarisieren im kon- Kienzle: Wenn die Argumente ausge- struktiven Sinne, dass Meinung und hen, berührt er seine Gegner. Wie- auch grundsätzliche Unterschiede der ein Trick. Er schreit den Gästen deutlich werden. Die sogenannte ins Ohr und die schreien sofort zu- neue Mitte ist so ungefähr das rück, und der Teufel ist los in der Schlimmste an Begriff, was ich mir Sendung. Das ist nicht schlecht. für eine individualisierte Gesell- schaft vorstellen kann. Gesicht zei- Meckel: Die Frage ist, was mache ich gen, meine Damen und Herren. Und oder was biete ich an und was dies gilt im übrigen auch für Journa- kommt bei den Menschen rüber. listen. Ich erlebe es doch auch in meiner Sendung, dass mittlerweile Friedman: Ich bin ein Gegner der Pressereferenten von Ministern ver- Konsensgesellschaft. Ich bin ein suchen, uns vorzuschreiben, der Mi- großer Anhänger von Streitkultur. nister kommt nur, wenn dieser Gast Das kommt vielleicht daher, dass ich nicht kommt. Und ich weiß, wie vie-

32 le Redaktionen das mittlerweile mit- machen. Ich mache es nicht mit. Im Gegenteil, wenn bei mir einer damit anfängt, dann habe ich das große Vergnügen zu sagen, „Vorsicht Fried- man“, dann eben nicht.

Kienzle: Ich meine, die Auseinander- setzung im Journalismus ist heute sehr viel sachlicher als früher. Ich finde es erfrischend, und ich will noch mal dafür plädieren, dass wir sachlicher geworden sind, das wir härter geworden sind in vielen Din- gen. Es ist nämlich sehr viel leichter, eine tolle Meinung zu verkünden. Das heißt, der Beitrag war früher völlig uninteressant, wichtig war die Moderation von fünf Minuten Län- Ulrich Kienzle ge. Das ist heute nicht mehr mög- nicht weniger gesagt als in den 20 lich. Es gibt auch eine unheimliche Sekunden – in der Regel gar nichts. Professionalisierung der Nachrich- Das wirkt nicht mehr so, weil, wenn ten. Wenn Sie zum Beispiel die alten Sie 20 Sekunden multiplizieren auf Tagesschauen von vor 20 Jahren se- drei Minuten wird es unerträglich. hen, was da an Schwachsinn gesen- So gesehen, ist die Headline des Po- det worden ist. Drei Minuten State- litikers meistens besser. Wenn ich ments von Politikern, Und ich fin- mir aber wirklich die typischen Pro- de, da haben wir uns doch auf den file wie Tagesthemen, Heute Journal richtigen Weg gemacht, auch die pri- oder RTL Nachtmagazin anschaue, vaten Kollegen. fällt mir auf, dass die Befragung nicht sehr viel kritischer, härter, Friedman: Also, ich würde da ganz nachdenklicher geworden ist als vor gerne ein Stück differenzieren. Ich zehn bis fünfzehn Jahren. Das gan- glaube, dass es bei einem Politiker ze wirkt nur souveräner, weil der Te- nicht entscheidend ist, wie viel Zeit leprompter das Ablesen ersetzt. Ich er hat, sondern, was er sagt. Denn in glaube also, dass die Qualität nicht drei Minuten wird nicht mehr und deutlich gestiegen, sondern dass die

33 Form, die Darstellung des „so tun haken, sind Sie der Blödmann, der als ob“ gestiegen ist, und das gilt für immer nachhakt und es nicht ver- fast alle Magazine. Ich glaube nach standen hat, und die bringen nur das wie vor, Deutsches Fernsehen ist viel rüber, was sie wollen. zu respektvoll, ist viel zu „umarmt“. Deutscher Journalismus hat das Be- Meckel: Ich würde gerne noch mal, dürfnis, geliebt zu werden, und zwar konkret auf den Punkt „Journalis- gar nicht nur von denen, die Macht mus am Scheideweg“ zu sprechen haben, sondern vom hochgeschätz- kommen. Herr Kienzle, Ihre Sen- ten Publikum. Das führt zu einer in- dung hat hervorragend funktioniert, neren Verweichlichung. war sehr erfolgreich, war meinungs- freudig, aber ich könnte auch be- Kienzle: Mir ist auch aufgefallen, dass haupten, ist das nicht einfach eine die Politiker lieber in eine seichte Überzeichnung des Parteienpropor- Talkshow gehen als in eine politi- zes gewesen, den wir dann sozusa- sche Sendung. Das ist völlig klar, gen zum Guten gewendet haben? weil da nicht nachgehakt wird und der Moderator nett ist. Und die Poli- Kienzle: Ja, der ist dann ad absurdum tiker haben noch etwas gelernt: Sie geführt worden bei uns, und des- antworten Ihnen auf Fragen einfach halb ist auch Ende jetzt. Das ist klar, nicht. Und wenn Sie dreimal nach- das kann man nicht ewig machen, da

34 haben Sie völlig recht. Aber das ist dem Spiegel-TV und vielleicht Fo- genau im Augenblick die Chance für cus, nicht gelungen ist, eine Pro- die jüngeren Kollegen. fessionalisierung im politischen zeitkritischen Magazinbereich zu Meckel: Kommen wir am Schluss erreichen. Das bedauere ich sehr. nochmals auf eine Form von Ausweg. Aber die Chancen sind da nach Farbe bekennen, Moral der Medien, meiner Einschätzung und die Leu- die neue Medienethik wurde gefordert. te sind auch da und das Engage- Was sind für Sie die Essentials? ment ist auch da.

Friedman: Glaubwürdigkeit, Wahr- Friedman: Noch eins, über das wir in haftigkeit und Anstrengung. Wir diesem Zusammenhang denn doch sollten den Journalismus nicht über- noch sprechen müssen, weil es den bewerten. Eines aber, was ich vom ganzen Vormittag nicht angespro- Journalismus, wie auch von jedem chen worden ist: Das Internet und anderen Beruf verlange ist, ist Pro- auch der Internetjournalismus. Das fessionalität. ist auch eine ganze neue Chance, ein ganz neue Möglichkeit, aber auch Kienzle: Das Stichwort der nächsten eine Gefahr, die wir nicht unter- Jahre ist für mich ebenfalls Profes- schätzen sollen. Denn der Internet- sionalisierung. Nicht nur die Quan- Journalismus ist ja auch ein sehr an- tität, sondern die Qualität in den archischer und auch teilweise ein Vordergrund zu stellen. Das ist für sehr anonymer. Er arbeitet auch da- mich das Wichtigste. Gut vorberei- mit, dass die Leute, die das Internet tete Leute, denn wir tragen Verant- konsumieren, aktiv werden können. wortung. Es gibt heute mehr Jour- Es wird ein Gedanke, eine Meinung, nalisten denn je. Und es gibt mehr eine Wertung, eine Information und Magazine denn je. Dies ist eine Rie- eine Psychoinformation in ein Netz senchance für junge Journalisten. hineingeworfen und verselbständigt Als ich angefangen habe als Journa- sich noch schneller, noch dramati- list gab es vier Magazine. Heute sind scher. Wir müssen sehr darauf ach- es 15 oder 16. D.h. hier ist eine Rie- ten, dass hier nicht Missbrauch und senchance da. Mit sehr unterschied- Banalisierung stattfindet. Ansonsten lichen Vorstellungen. Mit sehr un- sage ich auch: Es gab noch nie so terschiedlichen journalistischen viel Pressevielfalt in der Bundesre- Vorstellungen. Was ich bedauere publik Deutschland wie im Jahre ist, dass es den Privaten, außer 2000 und das finde ich, tut gut.

35 Uli Röhm (ZDF) diskutiert mit Thomas Kröter (Tagesspiegel)

Röhm: Jetzt kündige ich Ihnen Tho- lifiziert auf der Höhe der Zeit sein, mas Kröter an, den Leiter der Parla- aber die Frage, wie wir in dieser Ge- mentsredaktion beim Tagesspiegel in sellschaft für Politik und für die Berlin. Vorher war er als Journalist Wahrnehmung von politischer Be- in Bonn. Er kennt beide Korrespon- richterstattung werben, dafür müs- dentenplätze aus eigener Erfahrung. sen wir uns, glaube ich, alle noch „Braucht die Berliner Republik an- etwas anstrengen. dere Journalisten?“ heißt es im Pro- gramm. Ich gebe das als Frage wei- Röhm: Warum berichten Sie heute ter. anders als früher?

Kröter: Ich finde, politisch und vor Kröter: Es hat eine schleichende Ver- allen Dingen auch journalistisch in- änderung im politischen Journalis- teressant wird die Frage, wenn wir mus, was die Hauptstadt angeht, ge- sie so stellen: Wie ist diese Big Brot- geben. Und zwar dadurch, dass wir her-Generation, wenn man sie mal eine viel größere Zahl von Medien so nennen will, für Politik zu inter- haben, die vor Ort sind. Als norma- essieren? Und ich fürchte, da haben ler schreibender Journalist z.B. sehe wir Journalisten insbesondere die, ich von politischen Pressekonferen- die aus dem Parlaments- und Regie- zen in Berlin hauptsächlich die Hin- rungsgeschehen in Berlin berichten, terteile von Kameraleuten, weil es ein ähnliches Problem wie die Politi- eine Explosion von Medien, von ker, z.B. Herr Westerwelle. Aber ich Rundfunkanstalten usw. gegeben fürchte, dass wir doch ein bisschen hat. Dieses hat zum Teil auch zu andere Journalisten brauchen, weil einer Verseichtung geführt, zur Jagd diese Gesellschaft sich so verändert nach der jeweils angeblich spektaku- hat, wie sie sich verändert hat. Für lären Meldung und insofern hat sich die heutige Gesellschaft ist Politik eine Entwicklung beschleunigt. nicht mehr selbstverständlich. Und ich habe selber noch keine Antwort, Röhm: Ist die Macht der Pressestel- außer der klassischen, wir müssen len in Berlin eine andere oder gar interessant sein und wir müssen qua- eine größere geworden?

36 Kröter: Eher eine kleinere. Das sehen Sie z.B. an den vergeblichen Versu- chen des Arbeitsministeriums. Ich habe nachgesehen, im vergangenen Jahr hat der Spindoctor Herr Schmidt-Deguelle versucht, die Tä- tigkeiten in der Öffentlichkeit zu optimieren. Bei Herrn Eichel ist es ihm gelungen, aber Herr Riester steht noch genauso blöd und unpro- fessionell da, wie vor Beginn seiner Tätigkeit. Nein, ich glaube eher die Pressestellen haben einen ähnlichen Machtverlust, wie ihn die Journali- sten haben.

Röhm: In Bonn spielten früher die sogenannten Kreise – Stichwort „Gelbe Karte“ – eine große Rolle. Thomas Kröter Gibt es in Berlin solche Zirkel, wo Politiker und Journalisten vertrau- als Info, sondern allenfalls als Ar- lich miteinander reden können? gumentation verwendet werden – immer weniger befolgt werden. Kröter: Die gibt es. Es gibt noch die Das führt dazu, dass es eine Krise alten Kreise. Aber dadurch, dass dieser Kreise gibt, weil das Miss- zum Teil Protagonisten dieser trauen der Politiker größer gewor- Kreise nicht mehr mit nach Berlin den ist. gekommen sind, haben die alten Kreise durchaus an Bedeutung Röhm: Gibt es eine Veränderung verloren. Es gibt von jüngeren durch moderne Technik und andere Kollegen neuere Kreise. Aber wir Kommunikationsmöglichkeiten? stellen immer wieder fest, dass die Ein Beispiel, die Phoenix-Berichter- guten alten Regeln von Bonn – stattung. Jetzt sitzt jeder im eigenen eins ist öffentlich gesagt, zwei ist Kämmerchen vor dem Bildschirm dass irgendwelche Kreise um Poli- mit der Folge, dass Journalisten tik etwas gesagt haben und drei ist nicht mehr miteinander kommuni- für den Hinterkopf und darf nicht zieren.

37 Kröter: Die Onlinegeschichten haben spiel: Kokain im Bundeshausklo. etwas fürchterlich Praktisches. Ich Hat der Tagesspiegel auch darüber habe meine Sekretärin angewiesen, berichtet? den ganzen Papierberg von Bundes- Kröte: Das ist eine jener Fragen, bei tagsprotokollen wegzuschmeißen, der ich durchaus in die hilflose An- weil man die Protokoll wunderbar tikulturkritik von Herrn Beck ein- im Internet hat. Phoenix ist gele- stimmen würde. Ja, der Tagesspie- gentlich praktisch, aber auch nicht gel hat darüber berichtet. Er hat immer praktisch, weil man nicht im- sogar einen Aufmacher gemacht. mer genau ausrechnen kann, über- Dieser Aufmacher war in seinem trägt Phoenix nun oder nicht. Ich Text ordentlich recherchiert, wie würde sagen, wir haben eine Situati- der Tagesspiegel das zu tun pflegt, on, die im Übergang begriffen ist aber es gab in der Redaktion heiße und bei der es noch keine halbwegs Diskussionen darüber, ob diese Ge- abschließende Antwort gibt. schichte es denn wirklich wert war, den Aufmacher einer Qualitätszei- Röhm: Wer die Berichterstattung tung abzugeben. Also da ist, wie verfolgt, stellt fest, klassische B- gesagt, in der Redaktion heiß disku- Themen nehmen zu. Aktuelles Bei- tiert worden.

Klaus Rüter, Michel Friedman und Michael Jungblut – zuhörend.

38 Röhm: Sind solche seichten Themen dem heutigen aktuellen Rechtsextre- Folgen des Berliner Zeitungskrieges? mismus vergleichbar sei. Rau: „Ich sagte nein, das ist nicht vergleichbar Kröter: Nein, ich glaube, solche The- und versuchte, dies in mehreren men sind Produkt dessen, was auch Antworten ausführlich zu begrün- schon früher gesagt worden ist, dass den. Abschließend fragte der Inter- das Privatfernsehen jetzt zum Teil viewer: Ist der Rechtsextremismus das macht, was früher die Bildzeitung denn genauso gefährlich wie der gemacht hat. Das ist ein Trend zur Terrorismus der RAF? Darauf habe Boulevardisierung, den es auch schon ich geantwortet: Ja, genauso gefähr- vorher gegeben hat. Im Berliner Zei- lich ist er, aber ganz anders. Die tungsmarkt von dem wir klassischer Agenturen und die Zeitungen, die Weise reden, ist eigentlich ein Krieg, darüber berichteten, brachten die Herbert Riehl-Heise hat das mal in Überschrift: Rau vergleicht Rechts- der Süddeutschen Zeitung beschrie- extremismus mit der RAF.“ ben, die Aufrüstung von zwei Lokal- Das ist ein journalistisches Grund- blättern zu Zeitungen mit nationalem satzproblem. Ich habe noch keine Anspruch. Es ist womöglich der letz- Lösung dafür. Wir müssen darüber te Versuch, mit Qualität Quote bzw. diskutieren, dass wir da wieder et- Auflage zu machen. was „seriöser“ werden.

Röhm: Bei oberflächlicher Betrach- Röhm: Bei den wirklich exklusiven tung bekommt man den Eindruck, Geschichten müssen die Quellen ge- es gibt immer mehr exklusive Ge- schont werden, wenn man sie sich schichten. Tatsächlich stellt man erhalten will. Machen sich da Jour- aber bei genauer Betrachtung schnell nalisten nicht noch ein Stück abhän- fest, dass es immer weniger sind. giger von der Politik?

Kröter: Wir haben eine Tendenz, dass Kröter: Das kann passieren. Es gibt die Zeitungen etwas magazin-ähnli- bestimmte Informationen, da kann cher geworden sind. Johannes Rau man die Quelle nicht nennen. Und hat neulich ein Interview gegeben es kann schon sein, dass man dann, zum Thema: Wir amüsieren uns zu um seine Quelle bedeckt zu halten, Tode. Er bringt da ein Beispiel über eine gewisse Camouflage betreiben sich als Interviewpartner, wo er im muss. Auf der anderen Seite, wenn Bericht aus Berlin gefragt worden man die Quelle bedeckt halten will, ist, ob der Terrorismus der RAF mit kann es auch durchaus gelegentlich

39 notwendig sein, der Quelle eins über auch die Frage einer Gegenmacht die Rübe zu geben, weil es ja auffal- zur Politik dar? len könnte, dass man einen be- stimmten nicht berücksichtigt bei Kröter: Nein, noch nicht. Es ist ja auch seiner Kritik. Das ist eine Gradwan- kein Zufall, dass es das Feuilleton der derung, die gab es früher schon, viel- Allgemeinen war, das die Biotech- leicht wird sie derzeit ein bisschen Diskussion auch auf den politischen schwieriger. Seiten stärker gedruckt hat. Da müs- sen wir, glaube ich, nacharbeiten und Röhm: Zweitletzte Frage: Wie steht es kommt sicherlich auch darauf an, es eigentlich mit der Macht der bei den journalistischen Studiengän- Agenturen? gen und überhaupt in der Journali- stenausbildung darauf hinzuweisen, Kröter: Ja das ist eine gute Frage. Das dass mindestens so wichtig wie Kom- Rau-Zitat schien zu belegen, dass die munikationswissenschaften, Jura Agenturen eine große Macht haben, oder ähnliches, heutzutage und in weil sie aus bestimmten Äußerun- Zukunft naturwissenschaftliche oder gen Meldungen machen. Auf der andere Studiengänge sein könnten. anderen Seite ist diese Macht auch Das wird sicherlich noch eine Weile eine ziemliche Ohnmacht, weil wenn dauern, ist aber, glaube ich, nicht auf- die Agenturen das nicht weiter ver- zuhalten. breiten, was die Rundfunkanstalten oder die Zeitungen ihnen als Mel- Röhm: Bonn war nicht Weimar, aber dungen bringen, dann wird sich bei Berlin ist auch nicht Bonn. Wo wa- der Deutschen Presseagentur oder ren Sie denn lieber, wären Sie wieder so, beschwert. Also ich glaube, die gern am Rhein? Macht der Agenturen ist nicht ent- scheidend gewachsen. Kröter: Der Winfried Schalau, ARD- Korrespondent in Südostasien hat mal Röhm: Von den neuen Themen, wie gesagt, er sei 10.000 km von seiner z.B. Biotech ist in Leitartikeln viel Zentrale entfernt und er möchte kei- die Rede, aber wirkliche Kompetenz nen davon missen. Ich war in Bonn vermisse ich oft, wenn ich es ver- 600 km von meiner Zentrale entfernt, gleiche mit der klassischen Sachbe- jetzt bin ich 3km entfernt. Bei dieser richterstattung Wirtschaft und Sozi- Aussage möchte ich es belassen. alpolitik. Stellt die Frage der Qualifi- kation von Journalisten in dem Fall Röhm: Vielen Dank, Thomas Kröter.

40 Nach „Big Brother“... – Wohin treibt die Bürgergesellschaft? Kurt Beck (Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz und Vorsitzender der Rundfunkkommission der Länder) befragt von Lucia Braun (aspekte – ZDF)

Braun: Herr Ministerpräsident, wie man bescheuert finden kann, lang- fühlt man sich, wenn die Sendung, weilig oder blöd – aber dabei von die man selber leidenschaftlich be- Verstoß gegen die Menschenwürde kämpft hat, die man im Vorfeld wie zu sprechen, wie Sie es getan haben, Sie bereits verbieten wollte, wenn ist das nicht ein wenig hoch gegrif- ausgerechnet diese Sendung für den fen? Bleiben Sie dabei, dass auch Deutschen Fernsehpreis nominiert jetzt die zweite Staffel „Big Brother“ wird und das Fernsehereignis des ein Verstoß gegen die Menschen- Jahres war, das die Programmdebat- würde ist? te bestimmt hat? Beck: Ich bleibe dabei.Man darf nicht Beck: Ja man kann nur sagen: Trauri- übersehen, dass Menschen unter ge Wirklichkeit ist aus dem gewor- dem Druck von Millionen Zuschau- den, was man befürchtet hat. Meine ern Dinge tun, die sie bei nüchter- Befürchtung war ja nicht, dass ein ner Überlegung nie tun würden. Sie einzelnes Sendeformat die ganze entblößen sich. Nicht im körperli- Kultur in Deutschland verändern chen Sinne, sondern was ihre Be- würde,sondern dass wir wieder ein- findlichkeit und ihre Menschlichkeit mal eine Spiraldrehung weiter gehen angeht. Sie zeigen sich, wie man dies bei Tabuverletzungen und beim re- bei halbwegs vernünftigem Verhal- spektlosen Eindringen in die Privat- ten allenfalls im intimsten Familien- sphäre der Menschen. kreis tun würde. Alles wird offen ausgetragen, offen dargestellt. Es Braun: Sie sprachen konkret von ei- wird Druck erzeugt. Von dieser her- nem Menschen-Experiment, inzwi- gestellten Öffentlichkeit vor dem schen weiß jeder, das ist ein Spiel Container wird eine bestimmte Si- mit zwar fragwürdigen, aber sehr tuation der Abneigung bis hin zu transparenten Spielregeln, die kann Hasstiraden erzeugt oder eben hei-

41 ßeste und innigste Zuneigung. Das über die Grenze der Verletzung der alles sind künstlich erzeugte Ge- Menschenwürde hinausausgehen, fühlswelten, die mit der Wirklichkeit nur um eine Show zu erzeugen, die sehr wenig zu tun haben. Ich glaube, dann Einschaltquoten bringt. dass das die Menschen verändert. Ich befürchte, wenn wir es jetzt Braun: Wer legt die Grenze fest? Das nicht schaffen, werden wir eines Ta- ist doch der Punkt. ges nicht mehr die Kraft haben, die Zielrichtung umzukehren. Beck: Wir schreiten ja in anderen Be- reichen auch ein, wenn wir die Ge- Braun: Im Rundfunkstaatsvertrag samtentwicklung der Gesellschaft steht, dass Sendungen, die gegen die für bedroht halten. Die Tatsache, Menschenwürde verstoßen, unzu- dass wir Jugendschutzrechte veran- lässig sind. Seit dem 1. April gibt es kern, ist eine Grenzziehung. Die einen Zusatz: Die Einwilligung ist Tatsache, dass wir bestimmte Dar- unbeachtlich. Das heißt, es kommt stellungen von Sexualität über ein also nicht darauf an, dass die Kandi- bestimmtes Maß hinaus – zumindest daten freiwillig in diesen Container zu bestimmten Zeiten und für be- gehen. Da frage ich mich, spielt es stimmte Altersgruppen und in der für das Gesetz wirklich eine Rolle, öffentlichen Form von Fernsehen – wenn elf erwachsene Leute sagen: untersagen, ist eine Bestimmung der Ich setze mich einem Experiment Grenze. aus, das ich als persönliche Heraus- forderung betrachte. Braun: Wer ist wir? Die Landesmedi- Wo hört das Selbstbestimmungs- enanstalt? recht auf, das ja ebenfalls im Grund- gesetz verankert ist, und wo begin- Beck: Nein, der Gesetzgeber. Er nen die Pflichten des Staates, die zieht in diesem Fall – beispielsweise Menschenwürde zu schützen? Ich durch Jugendschutzrechte – mit der finde, das ist eine schwierige Gren- Ausgestaltung der Verfassung diese ze. Wo ist diese Grenze für Sie? Grenzen. Ich weiss, dass solche Grenzziehungen mit der Entwick- Beck: Das ist eine ganz schwierige lung einer Gesellschaft immer wie- Grenzziehung und ich glaube, man der auf den Prüfstand gestellt wer- muss nach den Werten fragen, die den müssen, aber man kann nicht hinter einer solchen Entwicklung einfach sagen: Das sind ja alles Frei- stehen. Die Frage ist, ob diese Shows willige, also dürfen sie alles tun. Es

42 muss auch mit dem Interesse der und gestritten werden. Ich möchte Gesamtgesellschaft abgeglichen so wenig wie möglich mit Verboten werden. arbeiten und so viel wie möglich mit Einsicht. Braun: Das Interesse gibt es. 3,5 Mil- lionen, die jeden Tag gucken. Braun: Wie kann man Leute, die ge- genhalten, mehr mit einbeziehen? Es Beck: Das bestreite ich ja gar nicht. gibt auf der einen Seite die Landes- Es gäbe sicher auch Interesse, wenn medienanstalten, die auf ihrer Ebe- sich 10 Leute entschließen würden, ne für die Medienkontrolle da sind. die nächsten drei Tage nackt durch Auf der anderen Seite gibt es die Mainz zu rennen. Dafür gäbe es si- Verantwortlichen in den Fernsehan- cher viele Zuschauer. Ich bleibe aber stalten. Es gibt die Öffentlichkeit, trotzdem dabei, dass dies Erregung die darüber diskutiert. öffentlichen Ärgernisses ist. Wir Wie kann Medienkompetenz und haben den Anspruch, dass wir das Medienkritik zu einem öffentlichen gemeinschaftliche, vernünftige Zu- Diskurs werden, der wirklich auch sammenleben gestalten und wo es Auswirkungen hat? sein muss, auch mit Gesetzen ge- stalten. Beck: Zunächst einmal ist die Dis- Die Frage ist doch: Wann wird es kussion über solche Fragen ein Wert soweit sein, dass eine öffentliche an sich, der auch, wie ich hoffe, Ein- Hinrichtung aus China im deutschen fluss auf das Verhalten hat. Ich bin Fernsehen übertragen wird? Ich bin überzeugt, dass ohne die öffentliche überzeugt, da wird es mehr als 3,5 Diskussion bei diesem „Big Brot- Millionen Menschen geben, die ein- her“ Format und bei anderen For- schalten werden. Wenn wir dann sa- maten, die nachgefolgt sind, die gen: Na ja, ist halt so, es ist ja ein Grenzverletzungen noch intensiver Interesse da. Die Einschaltquote gewesen wären. Es hat ja durchaus, stimmt, drum herum kann man wenn auch bescheidene, Verände- Werbung platzieren, wenn man sich rungen im Konzept gegeben im dann noch ein bisschen empört gibt Zuge der Diskussion. Ich habe mit und eine empörte Erklärung dazu den Verantwortlichen selber auch abgibt ist das Ganze in Ordnung. unter vier Augen über diese Frage Aber dann haben wir wieder einmal diskutiert. Es sind einige Verschär- ein entscheidendes Tabu über Bord fungen aus diesen Spielsituationen geworfen. Darüber muss diskutiert herausgenommen worden, und den

43 Kandidaten wurde die Möglichkeit über Geschmacksfragen darf man eingeräumt, sich mal in einen Raum diskutieren. zurückzuziehen. Ich halte dies nicht für ausreichend, aber es zeigt, dass Braun: Das ist aber ein großer Unter- es doch Reaktionen gegeben hat, schied. Wo fängt der schlechte Ge- wenn auch bescheidener Art. Die schmack an und wo fängt die Verlet- Tatsache, dass viele Leute sagen: Ich zung der Menschenwürde an? will in einer Gesellschaft leben, in der der Spaß über allem steht, darf Beck: Ich denke, über Geschmacks- letztendlich nicht dazu führen, zu fragen darf man und muss man dis- meinen, dass, wenn das 3,5 Millio- kutieren, aber dort, wo der Gesetz- nen gut finden, es die anderen 67 geber oder der Staatsvertragsgeber Millionen in Deutschland auch gut jetzt einschreitet, müssen noch an- finden müssen. Ich will jetzt nicht dere Grenzen, nämlich die Grenzen, Geschmacksfragen zur Grundlage die in unseren Gesetzen gezogen von Gesetzen machen, aber auch sind, verletzt sein. Wenn das erreicht

Ministerpräsident Kurt Beck im Gespräch mit Lucia Braun (ZDF)

44 ist, muss man alle Grenzverletzun- an den Tabubruch, das muss zu- gen klar benennen. nächst kritisch diskutiert werden, und wenn das alles keinen Sinn hat, Braun: Sämtliche Folgeprodukte die muss man darüber reden, ob man nach ,Big Brother‘ kamen, wie Insel- Grenzen zieht. duell oder Robinson geben vor, das echte Leben zu imitieren. Die Reali- Braun: Also dann auch durch Gesetze? ty, die man im Fernsehen sieht, ist nicht die Realität, wie wir alle wis- Beck: Dann auch. Aber, wie gesagt, sen. Die Kandidaten bewegen sich ich bin der Letzte, der in diesem Be- ja in einem virtuellen Raum – völlig reich nach Gesetzen ruft. Im Ge- losgelöst von ihrer sozialen Wirk- genteil, ich habe in den medienpoli- lichkeit. Wo würden Sie sagen, weil tischen Grundthesen und Fragestel- sie vorhin die Hinrichtung nannten, lungen als Aufgabenstellung für die wo sagen Sie Stop, was Reality-TV Rundfunkkommission, die ich mir betrifft? von der letzten Ministerpräsidenten- konferenz erbeten habe, eine Passa- Beck: Im Bereich von Spielshows be- ge drin, die auch auf europäischer wegen wir uns dann an Grenzen Ebene, Stichwort Europäische heran, wenn Spiele gemacht werden, Fernsehrichtlinie, die Möglichkeit die mit eindeutiger Lebensgefahr für sucht, die Eigenverantwortung zu Kandidaten und Kandidatinnen ver- stärken, sie aber auch einzufordern. bunden sind. Dann muss man fra- gen, inwieweit das verantwortbar ist. Braun: ,Big Brother‘ ist ein Show- Und das müssen sich zunächst ein- Format. Jetzt gibt es aber die Ten- mal die Verantwortlichen fragen. denz der „Big Brotherisierung“, d.h. Es gab Science Fiction Filme, wo eine von vielen Kritikern beobach- Menschen gejagt wurden und eine tete Verflachung des Gesamtpro- johlende Menge mitspielte. Wir sind gramms. Teilen Sie die in letzter Zeit nicht mehr so arg weit davon ent- gerade auch aus Bildungskreisen for- fernt. Ich habe gehört, dass man mulierte Kritik am Qualitätsverlust sich da auf ein Gleis legen muss und im deutschen Fernsehen, nicht nur ein Zug drüber wegfährt. Der Kopf bei den Privaten, sondern vor allem wird angebunden, damit man nicht bei den Öffentlich-Rechtlichen? vom Zug erwischt wird. Das scheint unglaublich, aber soweit ist das nicht Beck: Ich würde das gerne differen- mehr entfernt. Dieses Herantasten ziert betrachten, weil ich erlebe auch

45 an einer Reihe von Stellen, dass man spürt man natürlich – ohne dass ich sich um Qualität bemüht, dass man da immer mit den Fingern auf die sich um Verantwortung bemüht. Privaten zeige – schon Entsetzli- Man muss ja immer beide Seiten se- ches. Wenn da irgendein Ereignis hen, sonst zeichnet sich automatisch aus der Showszene als erste Meldung ein schiefes Bild. kommt, an einem Tag, an dem in Japan ein neuer Ministerpräsident Braun: Sehen Sie eine Boulevardisie- gewählt wird und diese Meldung ge- rung in den Nachrichten? rade mal noch so als siebte, als Kurz- meldung dran gehängt wird, dann Beck: Also da sehe ich bestimmte fragt man sich, ist das der richtige Tendenzen, aber ich glaube, dass Weg? Damit bekommt man sicher man darüber diskutiert hat und da mehr junge Leute vor den Fernse- auch wieder bewußter geworden ist. her, aber ob das die verantwortliche Eine Darstellung der Nachrichten- Art und Weise ist, mit solchen Sen- sendungen in einer etwas offeneren dungen umzugehen, weiß ich nicht. Form, also nicht diese Verlautbarun- gen von höchster Stelle, das halte Braun: Aber Sie haben jetzt keine ich nicht für einen Tabuverstoß, konkrete Kritik am Öffentlich- sondern für eine vernünftige Ent- Rechtlichen oder an dem, was viel- wicklung, bei der wir mitgehen kön- leicht auch die Zukunft des Öffent- nen. Ich habe mir einmal im japani- lich-Rechtlichen sein könnte? schen Fernsehen Nachrichten ange- guckt, zwar kein Wort verstanden, Beck: Also es gibt sicher auch einen aber die Tatsache, dass zwischen je- Anpassungsdruck, den die Öffent- der Sendung irgendwelche Leute da lich-Rechtlichen aufgenommen ha- herumgekaspert haben, das muss ich ben, weil man Einschaltquoten sagen, habe ich nicht gerade als be- braucht. Ich verüble es den Leuten geisternd und als anregend gesehen. nicht, dass sie sich fragen, wer guckt uns denn zu, wie kommen wir denn Braun: Im deutschen Fernsehen wür- an mit unseren Formaten? Da ist si- de Ihnen jetzt kein Beispiel einfal- cher auch manchmal nicht mehr al- len? lein die journalistische Sorgfalts- pflicht Maßstab, für das, was in ei- Beck: Mir fällt schon das eine oder ner Nachricht oder in einer Hinter- andere ein,unter dem Motto: Ich geb grund beleuchtenden Sendung oder Gas, ich will die Spaßmentalität. Da einer aktuellen Sendung mit drin ist,

46 aber es gibt sicher noch einen, das muss auf der anderen Waagschale sagen einem auch die Studien, einen auch die Verantwortung eingefor- qualitativen Unterschied, in dem, dert werden, die dieser Freiheit ent- was die Öffentlich-Rechtlichen im spricht. informativen Teil ihrer Programme senden. Ich wollte noch eins sagen Braun: Apropos, es gibt einen alten, dürfen: Ich will auch nicht so ver- aber immer noch gültigen Satz von standen werden, dass leichte lockere Adorno, der heißt: “Der Zuschauer Sendungen ohne einen tieferen An- hat das Recht, nicht betrogen zu spruch keine Platz haben sollen. Ich werden, auch wenn er betrogen wer- habe nichts gegen eine Schlagerpa- den will!” Glauben Sie, dass die Öf- rade, ob sie mir gefällt, ist ja eine fentlich-Rechtlichen von diesem ganz andere Frage, ich muss sie ja Recht genug Gebrauch machen? nicht gucken. So etwas würde ich nicht mit Naserümpfen und hoch- Beck: Ich nehme an, dass es überwie- näsig sagen: Das darf jetzt nicht da gend noch so ist, dass man sich über- gesendet werden, weil das ist ja nicht wiegend um Verantwortung bemüht anspruchsvolle Kultur. Aber wenn und insoweit glaube ich, dass wir die Maßstäbe, die in der Realität gel- jetzt noch keinen Grund haben, ten, im Fernsehen völlig über Bord Alarm zu schlagen, aber wir müssen geworfen werden, dann fragt man auch was das Öffentlich-Rechtliche sich, ob wir nicht auf einer schiefen Fernsehen angeht, aufmerksam sein. Ebene sind und ich meine, dann ist Braun man auf einer schiefen Ebene. Da Also insgesamt haben Sie ein positi- gibt es natürlich das weite Feld der veres Bild der Medien als das Bild, Freiheit, der Kultur, da muss man das heute Morgen sozusagen von aufpassen, dass nicht Zensur dann den Fernsehmachern gezeichnet an diese Stelle tritt, deshalb sage ich, wurde. Sie sind eigentlich positiv es geht immer in erster Linie darum, skeptisch, wenn ich das mal so sa- die Eigenverantwortung einzufor- gen darf. dern. Wir haben so viel Freiheit im Bereich des Journalismus, zumin- Beck: Ja, ich bin nicht hoffnungslos, dest bei denen, die sich verantwort- dass wir das noch vernünftig in den lich zeichnen für die einzelnen Sen- Griff kriegen können. Man muss die dungen, bei den einzelnen Journali- Dinge immer relativ sehen. Wenn sten sind es ja leider oft anders aus, ich irgendwo im Ausland bin und aber wir haben so viel Freiheit, da dort einmal ins Fernsehen schaue

47 und diese dort gesammelten Erfah- Beck: Weil ich da die Grenzen sehe rungen der letzten Jahre vergleiche, und man sich eben nicht missbrau- dann muss ich sagen, bin ich wieder chen lässt. Ich habe mich schon relativ zufrieden, wenn ich heim schwer getan mit der kritischen komme. Diskussion, weil ich mir bewusst war, dass ich denen durch die kriti- Braun: Sie haben in der Auseinan- sche Diskussion auch Hasen in dersetzung um „Big Brother“ gesagt, den Stall treibe. Aber die Diskussi- die Sender sollten nicht jeden Mist on musste sein, gerade für jeman- mitmachen. Dasselbe könnte man den, der für die Medienpolitik mit- auch Politikern empfehlen. verantwortlich ist. Aber sich da Wenn Jenny Elvers ihren Bauch in hinzuhocken und damit dem Ta- die Kamera zeigt, dann ist das ein bubruch noch ein Stückchen per- lästiger Exhibitionismus. Wenn sönlichen Vorschub zu leisten und aber die Jenny Elvers der FDP, dann noch zu meinen, man könnte Guido Westerwelle, sich in den das differenziert darstellen, zumin- Container setzt, dann hat das eine dest hinterher zu behaupten, man andere Bedeutung. Meine Frage habe das so gewollt – das ist glau- ist: Welche Veränderung für die be ich nicht schlüssig. Das glaube Darstellung der Politiker haben ei- ich, ist nicht schlüssig und daraus gentlich solche Sendungen wie wird keine vernünftige Verhaltens- „Big Brother“? Was bedeutet die- weise. Aber für Herrn Westerwelle se Art von Medienpräsenz, in der oder für Herrn Möllemann über- die Politiker nicht mehr mit der nehme ich keinerlei Verantwor- guten alten argumentativen Rhe- tung. torik zu überzeugen versuchen, sondern nur noch durch ihre Prä- Braun: Die haben dadurch einen senz. Nach dem Motto: sag ein- enormen Zuwachs an Popularität fach Du zu mir. Wären Sie auch bekommen, vor allen Dingen bei reingegangen? den jungen Leuten.

Beck: Nein, ich wäre sicher nicht Beck: Das macht einen traurig. reingegangen. Ich hatte im übrigen eine Einladung. Braun: Aber was bedeutet das für die Politiker? Nicht nur die Medien ver- Braun: Warum sind Sie nicht gegan- ändern sich, sondern auch die Politi- gen? ker.

48 Beck: Das ist wahr. Aber die Frage ben. Also, jetzt lassen Sie mal die ist natürlich auch, warum ist es span- Kirche im Dorf. Es gibt kaum noch nend, eine Sendung mit denen zu etwas Positives, nur das Negative machen. Es wäre auch schön, wenn wird berichtet. Was ich gar nicht be- die Medien dann auch die Kraft hät- jammere. Ich denke, kritisches Fern- ten, so etwas eben einfach nicht zu sehen, kritische Journalisten haben senden. Und wenn es der eine tut .. auch ihre Aufgabe in unserer Ge- sellschaft. Und was Politiker im Braun: Um Gottes Willen. Warum Container betrifft, hätte ich einge- sollten sie das. Das ist doch ein Su- fordert, dass man sich auch mit ei- perding, wenn der Westerwelle im nem solchen Verhalten ein bisschen Container sitzt. intensiver auseinandersetzt und nicht nur mit dem Unterton eines Beck: Das ist ja unser Problem, dass Schmunzelns. es zwischenzeitlich alles super Din- ger sind und am Ende ist die Gesell- Braun: Aber Herr Beck, es ist doch schaft eben... absurd, wenn Sie fordern, dass das Fernsehen aus Jugendschutzgrün- Braun: Entschuldigung Herr Beck, den verhindern soll, Westerwelle zu verstehe ich Sie richtig? Soll das zeigen, wie er im Container sitzt. Fernsehen jetzt die Leute vor den Politikern schützen? Beck: Das habe ich ja nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass die verantwort- Beck: Sie kritisieren jeden Schritt, den lichen Sender, die einen anderen An- die Politiker gehen. Warum kritisie- spruch formulieren, sich mit einer ren Sender nicht auch solche Vorge- solchen Verhaltensweise auch mal hensweisen? intensiv auseinandersetzen sollten – und zwar auf jugendgerechte Weise. Braun: Ich finde kritische Berichter- Warum setzt sich ein Sender wie stattung gegenüber Politikern eher SWR 3, nicht einmal mit einer sol- selten. chen Geschichte kritisch auseinan- der und nicht nur schmunzelnd und Beck: Das stimmt doch gar nicht. Sie ein bisschen jauchzend, was von den kritisieren doch jeden Schritt, den jungen Leuten, die den Sender hö- wir gehen. Es wird doch kaum ein ren, sicher nicht als kritische Aus- positives Wort über politische Ent- einandersetzung empfunden werden scheidungen berichtet oder geschrie- konnte. Das habe ich, weil ich das

49 morgens unter der Dusche höre, zu- muss versuchen, Angebote zu ma- mindest so empfunden. Und da darf chen. Wir müssen versuchen, ein ich doch einmal was einfordern. breites Spektrum zu erhalten, und Denn zurecht sagen Sie, verteidigt deshalb bin ich durchaus dafür, dass mal das öffentlich-rechtliche Fern- öffentlich-rechtliche Sender nicht sehen und den Rundfunk und die zurückgeschnitten werden auf ein Gebühren. Ich bin gerade wieder bisschen Bildungsfernsehen und ein dabei und lass mich beschimpfen bisschen Information, und es hat und jetzt möchte ich auch einmal, sich dann. Es müssen auch jugend- dass Sie einmal das mit verteidigen, gerechte Formate angeboten wer- was die Werte sind, die öffentlich- den, damit man Leute bindet und rechtlichen Rundfunk vom Privaten versuchen kann, einigermaßen seriö- unterscheiden, nach Ihrer eigenen se Information eben auch an diese Lesart. Zielgruppe heranzubringen. Sie sol- len eine Chance bekommen, sich sel- Braun: Sendungen wie Big Brother ber entscheiden zu können und sich sind in gewissem Sinne eine Farce eine Meinung bilden zu können und auf die demokratischen Prinzipien. sich positionieren zu können zu Sie spielen mit Begriffen wie No- wichtigen gesellschaftlichen The- minierung, Wahl, Kandidaten etc. men. Es ist kein Zufall, dass der engli- Das ist schon eine Aufgabe, und sche Gewinner im Container bei zwischen diesen Polen muss man seiner Wahl mehr Stimmen hatte halt den richtigen Weg finden. Es ist als bei der letzten Unterhauswahl ja nicht schwarz oder weiß an dieser alle Konservativen zusammen. Stelle, sondern es gibt viele Schattie- Wird es irgendwann so sein, dass rungen dazwischen, in denen wir uns die demokratische Beteiligung bewegen müssen. übers TED, übers Fernsehen oder Internet die direkte Bürgergesell- Braun: Herr Beck, jetzt wollte ich Sie schaft ablöst? Sehen Sie da ein Pro- konfrontieren mit einem Satz, mit blem? einer Äußerung von Dieter Stolte, ZDF-Intendant. Davor wollte ich Beck: Natürlich sehe ich ein Pro- sie aber fragen, im Spiegel haben wir blem, wenn es so wäre, weil der Ma- alle gelesen, dass Sie in Absprache nipulation dann Tür und Tor geöff- mit Clement gesagt haben sollen, auf net ist. Da muss man versuchen, ar- die Ankündigung von Stolte, er kön- gumentativ dagegen zu halten. Man ne sich eine Verlängerung seiner

50 Amtszeit vorstellen, er sei wohl Braun: Dort sitzt Hans-Jürgen Ja- kaum der richtige Mann, um das kobs vom Spiegel. Herr Jakobs, wie ZDF in die Zukunft zu führen. haben Sie die Meldung ins Blatt be- Stimmt diese Aussage oder stimmt kommen? War das einfach nur sie nicht? Gestern in der Welt habe schlecht recherchierter Journalis- ich gelesen, Sie wollten das nie ge- mus, pure Erfindung? Ist ein Körn- sagt haben. Haben Sie es gesagt oder chen Wahrheit dran? nicht? Jakobs: Sie können davon ausgehen, Beck: Es hat dieses Gespräch zwi- dass wir uns bei allen Beteiligten schen Wolfgang Clement und mir informiert haben. Ich habe nicht nicht gegeben, infolge auch nicht die persönlich mit Herrn Beck gespro- Aussage. chen, das ist richtig. Aber im Um- feld gab es Äußerungen, die eindeu- Braun: Ich habe gehört, dass der Re- tig gleichlautend in diese Richtung dakteur von der Medienseite des zielen. Spiegels auch da sein soll. Mich wür- de es wirklich interessieren. Ich mei- Braun: Im Umfeld von Herrn Beck ne, wie kommt so eine Nachricht also. zustande? Jakobs: Sie werden verstehen. Ich Beck: Das würde mich auch interes- würde das letzte Mal Informationen sieren. Am Montag hatten wir Medi- bekommen, wenn ich jetzt sage, mit enkommission der SPD des Präsidi- wem ich gesprochen habe. Ich kann ums und da war Wolfgang Clement nur sagen, wir bleiben bei der Dar- dabei und viele andere und wir wa- stellung. ren beide erstaunt. Ich hatte es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht le- Braun: Sie bleiben bei der Darstel- sen können, dass es diese Meldung lung? gibt. Also das Treffen hat es nicht gegeben. Jakobs: Wir bleiben bei der Darstel- lung. Braun: Das Treffen hat es nicht ge- geben, aber die Äußerung schon? Braun: Sie werden nicht dementieren?

Beck: Nein,die Äußerung hat es auch Jakobs: Warum sollen wir das demen- nicht gegeben. tieren.

51 Braun: Weil Herr Beck sagt, es ment und mir gegeben. Dieses Tref- stimmt nicht. fen hat es nicht gegeben.

Jakobs: Wir haben ordnungsgemäß Braun: Ok, das wissen wir. recherchiert. Und wenn Sie im Früh- jahr nochmals nachfragen, werden Beck: Ja, das wissen wir. Aber das wir in der Personalsache sicherlich muss man doch zugrundelegen, erstaunliche Entwicklungen bemer- wenn daraus dann eine Meldung ent- ken können. steht, dann muss etwas nicht stim- men und zwar an der Meldung. Braun: Herr Beck, jetzt bringe ich Sie in Schwierigkeiten. Braun: Aber könnte das Umfeld stimmen, dass diese Aussage ...? Beck: Sie bringen mich gar nicht in Schwierigkeiten. Wenn über ein Beck: Dazu wollte ich Ihnen gerade Treffen berichtet wird, das es nicht etwas sagen, Sie haben mich ja noch gegeben hat, dann kann etwas nicht nicht zu Wort kommen lassen. Ich stimmen. Also wieso bin ich dann in wollte dazu gerade etwas sagen. Schwierigkeiten. Das darf ja wohl Ich bin nebenbei noch Verwaltungs- nicht war sein, dass ich jetzt in ratsvorsitzender dieser größten Schwierigkeiten bin. Also jetzt hö- Fernsehanstalt Europas und habe ren Sie mal auf. Diese Art und Wei- damit auch Verantwortung. Die Be- se, die ist unmöglich. teiligten dort wissen, dass ich sorg- fältig darauf geachtet habe, darauf Braun: Sie sind deswegen in Schwie- achten werde, erstens dass die Spiel- rigkeiten, weil der Kollege sagt, das regeln, wie sie in den Staatsverträgen Umfeld von Ihnen habe... er habe stehen, eingehalten werden, nämlich eindeutige Indizien dafür, aus Ihrem dass die Gremien und dann zum Umfeld, dass Sie so eine Äußerung richtigen Zeitpunkt eine solche Fra- gemacht haben könnten. Wenn ich ge entscheiden. Und ich werde nie, es richtig verstanden haben könnte. weder beim ZDF noch im politi- Ich glaube nicht, dass Sie deswegen schen Bereich, jemanden der in ei- in Schwierigkeiten sind. ner Aufgabe steht mit Äußerungen einer solchen oder ähnlichen Art Beck: Also ich kann nur nochmals sozusagen zur Handlungsunfähig- sagen, es hat kein Gespräch über die- keit bringen. Das muss man doch se Frage zwischen Wolfgang Cle- sehen. Ich habe eine ganz andere

52 Grundhaltung zur Verfahrensweise in solchen Fragen. Deshalb hat es mich auch so gewundert. Insoweit gibt es überhaupt keinen Anlass. Es wäre wirklich für eine ein so große Anstalt ein schwerer Fehler, wenn man jemand an der Spitze hätte, über dessen Nachfolge oder Nichtnach- folge eine Diskussion begonnen würde. Dies ist nicht meine Art, mit Personalien umzugehen. Das habe ich noch nie gemacht und ich werde es auch nicht machen. Das ist, den- ke ich klar und eindeutig. Und wenn der richtige Zeitpunkt kommt, der wird auch nicht im Frühjahr gekom- men sein, der wird deutlich später Kurt Beck liegen, aber wenn der richtige Zeit- punkt kommt, natürlich werde ich mich dann an einer solchen Diskus- Exakt das Gegenteil. Natürlich hat sion beteiligen. Dann ist sie ange- er ein bisschen recht. Richtig ist, dass bracht und dann bin ich auch ein Herr Stolte in einem Alter ist, wo Stück weit mit aufgerufen, als Mit- man sich fragt, wird er nochmals glied eines Gremiums, das zwar kandidieren oder nicht. Das ist wahr. nicht unmittelbar entscheidet, weil Insofern hat man immer ein bis- das der Fernsehrat tut, aber dass schen recht. Das ist gar keine Frage. man da eingebunden ist, in solche Und richtig ist auch, dass Herr Stol- Entwicklungen, das will ich über- te Interviews gegeben hat, die miss- haupt nicht bestreiten. verständlich hätten wahrgenommen werden können. Das ist auch wahr. Braun: Also dürfte ich als schlichte Frau von der Straße sagen, der Spie- Braun: Dann komme ich zu dem Zi- gel hat ein bisschen recht? tat, mit dem ich Sie kurz konfrontie- ren möchte. Dieter Stolte sagte vor Beck: Das ist eine Faktenverdrehung, wenigen Tagen in einem Interview was Sie jetzt vornehmen. Ich habe anlässlich der Gebührenerhöhung, jetzt exakt das Gegenteil gesagt. Zitat: Es gibt drei Legenden über

53 den öffentlich-rechtlichen Rund- dass ich mir herausnehme, die funk, die sich hartnäckig halten. Dinge differenziert zu sehen. 1. Das Fernsehprogramm werde im- mer schlechter. Braun: Punkt 2, es gebe eine Kon- 2. Es gebe eine Konvergenz, also vergenz, also Annäherung zwischen eine Annäherung zwischen öffentli- öffentlichen und privaten Sendern? chen und privaten Sendern und 3. Es gebe so etwas wie Selbstkom- Beck: Das gilt auch für manche Be- merzialisierung. reiche. Wenn ich z.B. das Thema Stolte hält alle drei Vorwürfe für Sponsoring nehme in Abendsen- haltlos. Und Sie, Herr Ministerpräsi- dungen, dann muss ich sagen, das ist dent? eine Art Konvergenz. Das ist zwar nicht Werbung, aber manchmal sind Beck: Ich habe ja vorhin etwas dazu die Unterschiede nicht mehr so gesagt. Ich glaube nicht, dass das deutlich feststellbar. Ich bin gar Fernsehprogramm immer besser nicht gegen Sponsoring. Ich glaube, geworden ist. Ich denke insoweit, dass wir uns diese Einnahmequelle dass man die Gefahr real sehen erhalten sollten, aber wenn man sagt, muss. Dass man sich eher, ich sage es wäre so etwas wie eine Konver- mal, dem was man Zeitgeschmack genz zwischen den Erscheinungs- nennen kann, vielleicht ein bis- formen, dann glaube ich, guckt man schen zu leicht neigt, an manchen über etwas hinweg. Stellen. Das gilt auch nicht durch- gängig und das würde ich nicht für Braun: Und dort, wo Sie diese Annä- jede Sendung oder für jeden Jour- herung sehen, finden Sie das nicht nalisten, für jeden Moderator sa- so gut? gen. Das ist eine ganz differenziert zu Beck: In dieser Frage des Sponso- betrachtende Frage. Es gibt Sen- rings sage ich ganz bewusst, ich hal- dungen, Sendeformate, an denen te dies für ein legitimes Mittel eine ich Kritik habe und es gibt andere, zusätzliche Finanzierung zu bekom- finde ich, die haben einen hohen men. Die Grenzen müssen erhalten Anspruch, manche einen eher bleiben. Es darf nicht überzogen wachsend hohen Anspruch an sich werden und ich finde es nicht mehr selber und sie werden dem auch gut, wo man den Leuten ein X für gerecht. Das wollte ich damit deut- ein U vormacht. Wenn ich ein Fuß- lich machen und ich bleibe dabei, ballspiel sehe und in der Halbzeit-

54 pause verlost eine Versicherung, ir- Braun: Herr Beck, was halten Sie gendein Auto oder eine Reise und vom System der Selbstkontrolle? jeder weiß, es geht nicht um die Rei- se, oder um die Frage ob Völler Beck: Ich fände es gut, wenn sich aus schon 80 Jahre ist oder erst 70 oder den Rundfunkhäusern, aus der jour- gerade 40, sondern eben die Versi- nalistischen Verantwortung heraus cherung im Vordergrund steht, dann eine Kontrolle entwickelte. So dass sage ich, dann sollte man sich zu nicht von außen sozusagen ein einer Sponsoringgeschichte beken- sachfremder überhaupt nicht pas- nen und nicht das so hintenrum ka- sender Maßstab gesucht wird. Das schieren. muss dann schon ein Maß an Ver- bindlichkeit haben und ich glaube Braun: 3. Es gebe so etwas wie auch, dass wir, wenn diese Dinge Selbstkommerzialisierung? nur hingeschrieben und nicht ge- macht werden, dass wir dann ein Beck: Ich kann nur sagen, ich erwar- Sanktionsinstrumentarium zumin- te von einem Sender, dass er natür- dest androhen sollten. Im übrigen, lich in dem Sinne kommerziell han- ich bin nach wie vor ein Anhänger delt, dass man möglichst in vielen einer Gruppe von erfahrenen Per- Bereichen optimiert und mit den sönlichkeiten aus unterschiedlichen Beitragszahlungen und mit den Ge- gesellschaftlichen Bereichen, die bührengelder so optimal wie mög- sich mit solchen Fragen befasst, lich umgeht. Wenn mit dem Begriff ohne dass sie direkt Einfluss hat, gemeint ist, dass eine Reihe von aber die mahnend hinweisend die Aufgaben über privat-rechtlich or- Diskussion mit prägen kann ganisierte Tochtergesellschaften or- ganisiert ist, dann glaube ich, dass Braun: Herr Ministerpräsident bei dies legitim ist. Man muss das nur den Medientagen in München diese offenlegen, man muss wissen, wer Woche hat Ihr Kollege Stoiber vor- macht was, unter welchen Bedin- geschlagen, dass man eine Verein- gungen und wie ist das, was eben heitlichung des Jugendschutzgeset- dort gemacht wird, kontrolliert. zes macht, was auch das Internet be- Wenn das so ist, warum kann man trifft. Sind Sie da auch seiner Mei- nicht Produktion und ähnliches nung? mehr mit privaten Firmen gemein- sam oder mit gemeinsamen Töch- Beck: Ich bin nicht seiner Meinung, tern fahren? das ist meine Meinung.

55 Braun: O.K. um so besser. hen den Dingen auch konsequent nach, und ich möchte, dass der Be- Beck: Das darf ich in dem Fall sagen, reich der im Bereich Mediengesetze weil er hat, und darüber habe ich und der Teledienste sich abspielen mich sehr gefreut, exakt das in sei- kann, da wird ja vieles noch möglich ner Rede vorgetragen, was ich der sein, Stichwort: neue Frequenzmög- Ministerpräsidentenkonferenz in lichkeiten etc, dass der eben an Kon- Schwerin vorgeschlagen habe. Es ist trollen an den Bund gegeben wird, eine seltene Einheit gewesen. Wir so dass ganz klar getrennte Zustän- werden mit dem Bund verhandeln digkeiten da sind und wir insoweit müssen und die Aufgaben klar ab- uns nicht fragen müssen, ist es jetzt grenzen müssen. Meine Vorstellung Fernsehen oder ist es Point to Point- ist, dass wir den Bereich des Jugend- Angebot, was dann letztendlich schutzes generell bei den Ländern Bundeszuständigkeit oder Länder- verorten. Wir können das auch. Wir zuständigkeit bedeutet. Das versu- haben hier in Mainz die Aufgabe chen wir zusammenzuführen. Mei- übernommen, über Jugendschutz- ne Vorstellung ist, und auch das netz, über automatische Filter, im steht in dem Papier drin, dass wir Bereich Internet Jugendschutzver- dies bis zum Jahr 2003 geschafft ha- letzungen herauszufiltern. Wir ge- ben wollen. Sagen mir einige, dauert

56 viel zu lange, sehe ich auch, aber wir menfassungen, weil zu der Zeit sonst müssen aufpassen, dass wir nicht keine Nachrichten mehr kommen. Regelungen machen, die der Wirk- lichkeit sozusagen vorgreifen wol- Braun: Wo Sie sich selbst manchmal len, sie aber dann verfehlen. Des- auch sehen können, oder? halb lasse ich mir in diesen Fragen lieber ein bisschen mehr Zeit und Beck: Also, ich weiß nicht, wie es nehme den Vorhalt bewusst in Kauf, Ihnen geht. Mir geht es immer so, einer Entwicklung zu folgen, denn, dass ich mir nie selber auf dem Bild- wenn man ihr vorausgehen will... es schirm gefalle. Deshalb gucke ich hat sich soviel anders dargestellt, als nicht bewusst hin, es sei denn, man es noch in Mediendiskussionen vor weiß nicht, was ist rausgeschnitten drei Jahren dargestellt worden wäre. worden, von dem, was man gesagt Man muss da also das „ein bisschen hat. Es interessiert mich schon, wie Nachfolgen“ der rechtlichen Rah- die Botschaft war, die über den menbedingungen in Kauf nehmen. Schirm gegangen ist gegenüber der, die ich vermitteln wollte. Aber sonst Braun: Die letzte Frage, eine leichte guckt man sich, glaube ich, nicht Frage zum Schluss. Was ist Ihre gern selber an. Ich sehe gerne fern, Lieblingssendung ? Gibt es sowas? das will ich deutlich einräumen. Viel- leicht liegt es daran, dass ich selten Beck: Meine Lieblingssendung? Gut, Zeit habe, und deshalb ist die Lust Nachrichtensendungen. noch größer. Was ich toll finde, sind Reiseberichte wie über den Baikal- Braun: Das gilt nicht. see oder die Seidenstraße. Das sind hervorragende Formate, die mich Beck: Das gilt nicht? O.K. Fußball. begeistern, die ich auch mal auf- Mal einen guten Film, wenn es einen zeichne und mir später noch einmal gibt, meistens wird er dann so oft ansehe. unterbrochen, wenn er bei den Pri- vaten kommt, dass ich vor Wut aus- Braun: Also die Domänen des öf- schalte. fentlich-rechtlichen Fernsehens. Herr Ministerpräsident, ich danke Brau: Phönix schauen Sie ab und zu? Ihnen sehr für das Gespräch und wünsche Ihnen alles Gute. Beck: Ich schaue Phönix fast jede Nacht noch einmal, häufig Zusam- Beck: Ich danke Ihnen.

57 Hans Leyendecker Die moralische Macht der Medien – Was kann (investigativer) Journalismus bewirken?

1. Die Parlamente versagen. Die de- 4. Die Blätter sind voll mit Pseudo- mokratische Aufgabe der Kontrolle Enthüllungen. Fortwährend wird wird häufig nur zum Schein wahrge- nichts Wesentliches enthüllt. nommen. Also muss der Journalist versuchen, den Part des Aufklärers 5. Auch die Regierenden enthüllen wahrzunehmen. selbst unerbittlich und schieben Ex- klusives unterm Tisch durch, um 2. In Deutschland ist die Sparte der derart die Medien zu steuern. Rechercheure chronisch unterbe- setzt. Die angebliche vierte Gewalt 6. Die Kohl-Affäre wäre ohne die ist oft nur viertklassig. Untersuchungen durch die CDU nicht in vollem Umfang ans Licht 3. Investigativen Journalismus, wie gekommen. er in den USA ausgeübt wird, gibt es hierzulande nicht. Ein paar Dut- zend Rechercheure arbeiten ohne Apparat.

58 Conny Hermann Journalismus am Scheideweg: Farbe bekennen – Service contra Aufklärung

1. Nehmen die Journalisten vor dem 3. Service contra Aufklärung. Aufdek- Hintergrund ihrer Karriereabsichten ken oder Abbilden? Herzblut oder die Rolle wahr, die sie in einer Demo- Scheckbuch? kratie wahrnehmen sollten? Bis auf das Scheckbuch hat alles sei- Hat denn jeder Journalist automa- ne Berechtigung und muss sich nicht tisch Karriereabsichten? Das Gros einmal widersprechen. der Journalisten wählt den Beruf, weil sie im Sinne der Demokratie 4. Ist die Zeit vorbei, Farbe zu beken- berichten wollen. Ein verallgemei- nen, Position zu beziehen und Enga- nernder, schlechter Ruf von Journa- gement zu zeigen? listen ist unangebracht. Journalisten Die Quote ist zum ausschlaggeben- werden von Politik und Wirtschaft den Instrument geworden. Stimmt gern ganz gezielt „eingesetzt“, um die Quote, darf Farbe bekannt wer- Informationen zu transportieren. den auf Teufel komm raus. Welche Informationen das sind, würden dieselben Interessengrup- 5. Gibt es einen positiven Begriff für Par- pen und Personen aber am liebsten teilichkeit von Journalisten? auch noch kontrollieren. Die Jour- Der negative Begriff wäre auf jeden nalisten, die zuvor „benutzt“ wur- Fall, wenn Parteilichkeit mit Partei- den, werden anschließend angeklagt. buch verwechselt wird.

2. Haben Sie eine Wächterfunktion und 6. Sollen Journalisten Anwalt sein? wofür haben Sie eine? Journalisten sind nicht dazu da, Le- Jeder Journalist sollte sich selbst sern, Zuhörern oder Zuschauern das Wächter sein für guten, sauberen Denken abzunehmen. Aber schon Journalismus. allein durch die Auswahl des Inhalts macht sich ein Journalist automa- tisch zum Anwalt. Berichtet ein

59 Journalist über die menschliche und Reihe Sendungen mit klarem Profíl ökonomische Katastrophe durch ein und den berühmten Ecken und Mammutstaudammprojekt, macht Kanten. ML Mona Lisa gehört zu er sich natürlich zum Anwalt der diesen Sendungen. betroffenen Menschen. 11. Was war früher anders als heute? 7. Der Informationsberg wächst ständig, Es hat keine Privatsender gegeben. aber verliert dadurch immer mehr an Wert? 12. Wenn alles wichtig ist, ist dann alles Die Gefahr wächst, jedes beliebige auch egal? Ereignis zur Information zu erhe- Wenn es tatsächlich so wäre, wäre ben. Durch die Konkurrenz der Sen- der Satz richtig. der kann es sich kaum einer allein leisten, nicht zu berichten, worüber 13. Sind Leser, Hörer und Zuschauer die anderen berichten. überinformiert aber unterorientiert? Mehr Wertediskussionen wären 8. Kann man als Journalist noch Infor- ganz sicher nicht fehl am Platz. mationen bekommen, ohne dafür zu bezahlen? 14. Service contra investigativer Journa- Ja, natürlich. Die Welt und die Men- lismus? schen sind nicht so schlecht, wie sie Investigativer Journalismus war gemacht werden. schon immer der schwierigere Part. Trotzdem gibt es aller Service-Wut 9. Verschwindet die Moral aus den Me- zum Trotz noch den ein oder ande- dien? ren Journalisten, den ein oder ande- Tendenzen dazu sind zweifelsohne ren Sendeplatz, auf dem investigati- vorhanden. ver Journalismus möglich ist. Aller- dings ist die Palette journalistischer 10. Alles nur noch Focus-Brei? Möglichkeiten wesentlich breiter Ist der Focus tatsächlich so und bedeutet nicht nur Service oder schlecht? Es gibt beim öffentlich- investigativer Journalismus. rechtlichen Fernsehen eine ganze

60 Hans-Helmut Kohl Nach der Spendenaffaire – Nur Eitelkeit und Auflage oder Sieg des Journalismus?

1. Ich habe Schwierigkeiten mit dem 3. Zu den Leitfragen: Die Qualitäts- Titel unseres Podiums: Nicht Eitelkeit zeitungen haben mit ihrer intensi- oder Auflage waren und sind Motive ven Berichterstattung dafür gesorgt, für die intensive Berichterstattung, dass Fakten aufgedeckt, Widersprü- sondern Information und Aufklärung che nachgewiesen und Bewertungen sowie Einordnung und Kommentie- möglich wurden. Im Gegensatz zu rung. Deshalb denke ich auch nicht in früheren „Skandalen“, die vor allem den Kategorien Sieg oder Niederlage, von den Wochenendmagazinen an- sondern messe den „Erfolg“ daran, gestoßen wurden, haben diesmal die ob die Leserinnen/Leser und Zu- Zeitungen mit ihren an sechs Tagen schauerinnnen/Zuschauer informiert, erscheinenden Berichten für eine aufgeklärt und mit der Kommentie- kontinuierliche und umfassende rung in die Lage versetzt wurden, ein Aufklärung gesorgt. eigenes Urteil zu fällen. 4. Der entscheidende Unterschied 2. Dieses Ziel ist erreicht worden, zwischen den elektronischen und wie die Debatte in der Union, die bis den Printmedien, die Wiederholbar- heute anhält, und auch die Umfra- keit der Information an jedem Ort gen in Hessen und bundesweit bele- zu jeder Zeit sowie die Verknüp- gen. Das Wahlvolk hat sich dieses fung von Dokumentation, Bericht Urteil gebildet – allerdings darf es in und Kommentierung inklusive der Hessen nicht entscheiden, weil dort Hintergrundberichterstattung, ist seit dem Beginn des Spendenskan- bei diesem Beispiel besonders deut- dals die Landesregierung und die sie lich geworden. TV und Hörfunk tragenden Parteien mit allen Mitteln „versenden sich“, personalisieren Neuwahlen verhindern (Stichworte: die Affairen, schaffen wegen ihrer Wahlprüfung, Behinderung des Un- Reichweite und Massenwirksamkeit tersuchungsausschusses, öffentliche jedoch von und gemeinsam mit den Irreführung usw.) Printmedien eine „Grundstim-

61 mung“, die insgesamt als veröffent- gen als auch andere Redaktionen mit lichte Meinung gilt. „Bekenntnisse“ dem Thema befasst sind. Es fehlt wie die von Kohl und Schäuble lau- die Kontinuität (personell und jour- fenden Kameras drehen die Affai- nalistisch), es fehlt der Wille, im De- ren weiter und sind manches Mal tail sicher zu sein, wenn nur die auch Wendepunkte, ihre Bedeutung Schlagzeile stimmt. Außerdem wen- wird aber erst in der folgenden aus- det sich das Interesse zu schnell an- führlichen Berichterstattung in den deren, leichter umzusetzenden The- Printmedien sichtbar. Die „Inter- men zu; Redaktionen diskutieren in- views“ im TV – gerade von Prot- tern zu schnell, ob sie ihrem Publi- agonisten der Affaire – waren häu- kum weitere Informationen zu die- fig Selbstdarstellungen, die journa- sem Thema („das nervt die Leute listischen Grundanforderungen doch nur“) noch zumuten können nicht entsprachen, da die Kollegen oder wollen. Meinungsbeiträge ori- als Stichwortgeber agierten. entieren sich nicht an zuvor geäu- ßerten Einschätzungen, sondern le- 5. Das Verhältnis Politik und Jour- diglich an dem jeweiligen aktuellen nalismus hat keine besonderen Än- Aufhänger. derungen erfahren. Die Balance zwi- schen „Nähe“ (um an exklusive In- 7. Hessen ist im Gesamtkomplex formationen zu kommen) und „Di- zentral, aber eben nur (siehe 6.) mit stanz“ (um die journalistische genauer Arbeit und Detailkenntnis- Glaubwürdigkeit zu wahren) ist in sen darstellbar. Dies und die Tatsa- der Regel eingehalten worden. Die che, dass ständig neue Themen dar- Klagen der Politik über die Medien gestellt werden müssen, sorgt dafür, sind häufiger geworden – und dies dass die nationalen/überregionale ist kein Fehler. Medien das Interesse verlieren.

6. Geradezu klassisch ist das Defizit 8. Die Bilanz fällt positiv aus. Ohne der „historischen“ Berichterstat- die Medien wäre der CDU-Finanz- tung: Die Einordnung in die Ge- skandal nicht öffentlich geworden. samtperspektive unterbleibt, Wider- Justiz und parlamentarische Kon- sprüche zu früheren Aussagen wer- trolle hätten die intensive Aufklä- den nicht aufgearbeitet, die Detail- rungsarbeit nicht geleistet – auch Untersuchung fehlt, weil sie zu müh- nicht leisten können. Deshalb heißt sam ist und weil in der Zwischenzeit mein Motto angesichts dieses Vor- sowohl andere Kolleginnen/Kolle- gangs ausnahmsweise: Weiter so!

62 Thomas Kröter Thesen über Medien und Politik in Berlin

Bonn war nicht Weimar, aber Berlin krieg“. Die Magazine haben im- ist auch nicht Bonn. Der politische mer weniger, was nur sie haben; Journalismus verändert sich. Das die Zeitungen haben ihnen den hängt mit der Politik zusammen, Nachrichtenmarkt unterhalb der aber auch mit dem Journalismus. Großaffäre ziemlich geklaut. Vor allem mit dem Journalismus. Wobei eine Nachricht schon die Die Tendenz zur „Boulevardisie- Meldung der neusten Arbeitslo- rung“ der politischen Berichterstat- senzahlen am Dienstag ist, die tung, die es bereits in Bonn gab, ist am Mittwoch ohnehin verkün- in Berlin noch stärker geworden. Ob det würden. diese neue Quantität auch dauerhaft • „Exklusivität“ entsteht zum Teil zu einer neuen Qualität wird – dafür durch „Bestechung durch Infor- gibt es zumindest Anzeichen. mation“ – die Quellen müssen dann „geschont“ werden. Das Was heißt Boulevardisierung? macht die Journalisten noch ein Stück abhängiger von der Poli- • noch stärkere Personenzen- tik, weil zu selten reflektiert triertheit wird, dass die „Exklusivnach- • noch stärkere Konzentration richt“ Teil der Taktik des politi- auf alles, was sich mit dem Wort schen Akteurs ist, der sie raus- „Streit“ belegen lässt (Debatten, gelassen hat. Das gab es schon Meinungsverschiedenheiten etc. früher, aber die Quantität droht gibt es praktisch nicht mehr) eben in eine neue Qualität um- • klassische B-Themen ohne Di- zuschlagen. stanz (jüngstes Beispiel: „Koka- in auf dem Bundestagsklo“) Diese Tendenz führt dazu, dass auch • Die Sucht nach „Exklusivität“ – die klassischen, seriösen Medien befördert, aber nicht verursacht mitmachen: Noch der kleinste Bro- durch den „Berliner Zeitungs- samen wird mit einem „Nach Infor-

63 mationen des“ garniert, nicht um die etwa im Vergleich zur klassischen Quelle zu zitieren, sondern sich als „Sachberichterstattung“ in der Wirt- Inhaber von Exklusiv-Informatio- schafts- und Sozialpolitik. nen zu profilieren. Festzustellen ist ganz sicher (s. oben) Die Politiker der Regierung nutzen eine Verstärkung der Konkurrenz. das natürlich (s. oben). Ihr Verhält- Aber ob Wettbewerb auch wirklich nis zur Journaille ist ansonsten von zu einer Verbesserung der angebo- ähnlicher „Hochachtung“ geprägt tenen „Ware“ führt oder ob nicht wie das der vorigen – ob diese Ver- die alte linke Kritik am Warencha- achtung schlimmer ist? Wiedervor- rakter der Nachricht neue Berechti- lage. Zum Teil jedenfalls ist das gung bekommt? Einiges spricht da- Misstrauen größer geworden – bei für. Denn der Wettbewerb führt we- gleichzeitig stärkeren Versuchen zur niger zum „Immer an den Leser den- Instrumentalisierung. ken“, sondern dazu, noch mehr als früher schon hauptsächlich für die Von den neuen Themen wie „Bio- Kollegen oder die politische (publi- technologie“ ist immer wieder in zistische) Community zu schreiben Leitartikeln die Rede – aber wirkli- (oder zu senden). Soziologen nen- che Kompetenz ist in den Korre- nen das ein selbstreferentielles Sy- spondentenbüros kaum vorhanden, stem.

64 Klaus Wirtgen MoKoKo – Das Aussitzen geht weiter

Kann investigativer Journalismus Kohl, die zentrale Figur im CDU- bei der Aufdeckung politischer Af- Skandal um schwarze Kassen und fären ersetzen, was offensichtlich anonyme Spender, um Korruption staatliche Institutionen, ob Staatsan- und Geldwäsche, wurde bis März waltschaften oder ein parlamentari- 2001 bereits dreimal geladen. Auf- scher Untersuchungsausschuss, geklärt wurde nichts. Der Schaden nicht leisten oder nicht leisten wol- für die deutsche Parteiendemokratie len? Die vierte Gewalt als Kontroll- ist noch nicht absehbar. Die große instanz – ist das ein Trost oder nur Volkspartei CDU schlitterte in die eine Illusion für den engagierten schwerste Krise ihrer Geschichte. Bürger? Diese Fragen drängen sich Weggefährten von Adenauers auf angesichts der bislang weder auf- selbsternanntem Enkel, allen voran geklärten noch bewältigten CDU- Kohls Nachfolger als CDU-Vorsit- Spendenaffäre. Länger als ein Jahr zender, Wolfgang Schäuble, be- quält sich der Parlamentarische Un- schmutzten sich im Morast unge- tersuchungsausschuss des Bundes- klärter Spenden eines dubiosen Waf- tages, Licht in das Dunkel der fenhändlers. Integre Politiker wie schwarzen CDU-Kassen zu bringen Heiner Geißler und Norbert Blüm und Einblick in jene Liste ominöser zogen sich zurück. Sie mochten Spendernamen zu ergattern, die Ex- nicht länger als Weißwäscher bei Kanzler Helmut Kohl eisern für sich Dreckgeschäften herhalten. Ihre behält. Und zwar ohne Rücksicht kritischen Anmerkungen zu dem Sit- auf Recht und Gesetz. Er hat sein tenverfall im eigenen Lager blieben Ehrenwort zu einer Tugend stilisiert, bislang die einzigen Lichtblicke im die er sogar höher achtet als das Dunkel der Skandale um die schwar- Grundgesetz. Einfach so. zen Kassen der Bundes-CDU und Mehr als 90 Zeugen hat der Berliner ihres hessischen Landesverbandes. Ausschuss bis Ende März 2001 ge- Die Fragesteller im Ausschuss, im- hört. Ex-Bundeskanzler Helmut merhin frei gewählte Abgeordnete,

65 mussten sich von Kohl aufs heftig- der Schatzmeister von Kochs CDU- ste beschimpfen lassen. Er verwei- Landesverband seine dunklen Ge- gerte jegliche Aussage und blähte schäfte mit der Lüge zu kaschieren sich stattdessen regelmäßig vor lau- versucht hatte, die schwarzen Mil- fenden Kameras als unschuldig Ver- lionen stammten aus „jüdischen folgter auf. Treue Anhänger genos- Vermächtnissen“. Alles schon weit sen das extra – endlich mal wieder weg. Quo vadis, Bundesrepublik? ein O-Ton von ihrem Idol. Aussagen werde er nur vor Staatsan- Unbestreitbar hat die Affäre für ei- wälten, hatte Kohl getönt. Seine nen gewaltigen Medienwirbel ge- Empörung über die Fragerei im sorgt, vergleichbar der Berichterstat- Ausschuss beeindruckte offensicht- tung über Skandale wie „ Flick“ und lich sogar Bonner Staatsanwälte und „Neue Heimat“. Nahezu täglich Richter, die gegen Kohl immerhin sorgten Schlagzeilen über neue Ak- monatelang wegen Betrugs und Bei- tenfunde und Enthüllungen über hilfe zum Betrug ermittelten. Sie be- bislang unbekannte Connections für fanden es nicht einmal für nötig, den Schlagzeilen und Auflage. Und es Altkanzler auch nur einmal persön- stimmt auch, dass im Genre „Tages- lich vorzuladen. Sie gaben sich mit zeitungen“ mehr über den Fall Kohl dem Schriftsatz seines Anwaltes zu- und seine Verästelungen berichtet frieden. Der vermochte vor allem wurde als in früheren Zeiten. Bis- mit dem Argument zu beeindrucken, lang reklamierten die Magazine die sein Mandant sei schließlich der Exklusivität des investigativen Jour- Kanzler der Einheit und ein großer nalismus für sich – nachdem dieses Europäer. Ermittlungen gegen Kohl schillernde Prädikat aus der „Water- wegen Steuerhinterziehung wurden gate“-Affäre auch Eingang in die von der Staatsanwaltschaft Kaisers- Welt der deutschen Medienschaf- lautern eingestellt noch ehe die An- fenden gefunden hat. Der Eichstät- zeige gegen den Altkanzler richtig ter Medienwissenschaftler Walter geprüft war. Der hessische Minister- Hömberg meint zu Recht, es seien präsident Roland Koch durfte sich diesmal „nicht die alten investigati- sogar im Licht eines Kommunal- ven Leitmedien wie Spiegel oder wahlerfolges in Hessen sonnen, weil Stern“ gewesen, „sondern die Tages- er – stur wie sein Vorbild Kohl – zeitungen, die sehr viel aufgedeckt eine der übelsten Politaffären der haben“. Bei genauerem Hinsehen Nachkriegszeit einfach ausgesessen scheint mir dieses Phänomen in er- hat. Es ist daran zu erinnern, dass ster Linie mit dem Wechsel eines

66 erfahrenen Magazin-Rechercheurs zu Kohls Verstrickungen, die Wider- ins Tageszeitungsgeschäft begrün- sprüche, in die sich der pedantische det. Der Regelfall sah so aus: Wenn Wolfgang Schäuble und die irrlich- die Süddeutsche oder auch Stern und ternde Ex-Schatzmeisterin Brigitte Spiegel, später schloss die Zeit auf, Baumeister über ihre Kontakte zum wieder über neue Aktenfunde und Waffenhändler Schreiber verstrick- Zusammenhänge berichteten, zogen ten, waren zu explosiv. Sie ließen sich viele andere Gazetten nach. Mehr nicht mehr kaschieren, geschweige kommentierend als enthüllend. Dort denn ignorieren. Entscheidend für sitzen nicht etwa die schlechteren die scheinbare Öffnung deutscher Rechercheure, aber in diesen Redak- Redaktionen über alle ideologischen tionen verweigern die Verleger in der Grenzen hinweg waren jedoch tief- Regel Etats, die aufwendige Recher- greifende Änderungen in der Macht- chen und das Abstellen guter Kräfte struktur der Union. Helmut Kohl war für langfristige Projekte erlauben. nicht mehr Kanzler. Der Kontrollap- Auffallend war allerdings, dass sich parat im damaligen Bonner Kanzler- auch konservative Blätter ins Ge- amt, der den Informationsfluss bis tümmel stürzten. Doch die Indizien hin zur Reisebegleitung des Kanz-

67 lers nach politischem Wohlverhal- Bis hinein in die sogenannte links- ten und Geneigtheit der Chefredak- liberale Szene, bis in die Redaktion teure selektiert hatte, existierte nicht des Spiegel, genoss Helmut Kohl in mehr. Kohl hatte keine Macht mehr, den neunziger Jahren Schutz. Wer seine Affäre war nur noch gut für dagegen aufbegehrte, wurde aufge- Schlagzeilen und Auflage. Hinzu klärt, die neue Zeit nicht erkannt zu kommt: es waren Unionschristen, haben. Und überhaupt habe der Le- die das erste Licht in die dunklen ser die Nase voll von der Wühlerei Geschäfte brachten. Sie lösten Fes- im Schmutz der Wahrheit. Was jene seln, die Kohls Parteigänger in den virtuelle Lichtgestalt namens „Le- Medien früher ihren Mitarbeitern ser“ wünscht, entsprach in diesen angelegt hatten. Der ehemalige Ge- Diskussionen auf den oberen Re- neralsekretär Heiner Geißler, der bis daktionsetagen meist den Interessen zu seinem Rauswurf im Jahre 1988 der Hierarchen. im Bonner Konrad-Adenauer-Haus regierte, bestätigte die Existenz Inzwischen hat sich die Aufgeregt- schwarzer Kassen. Und die graue heit in den Medien wieder gelegt. Eminenz am Geldhahn der Union, Nachdem eine Staatsanwaltschaft der Frankfurter Wirtschaftsprüfer nach der anderen passt, nachdem Weyrauch, schrieb die Details seiner der Berliner Ausschuss monatelang jahrelangen Finanzakrobatik auf. auf der Stelle getreten ist, hat sich Kohl wollte das Dokument verber- auch die scheinbar so investigative gen, sein Nachfolger Schäuble fühl- Aufbruchstimmung gelegt. „Die Leu- te sich hintergangen – und Bild te können es nicht mehr hören“, die- machte das brisante Geständnis ses Argument dämpft jeden Anfall publik. neuer Recherchierwut bei vielen Journalisten. Bei den hessischen Frühere Berichte, vor allem im Spie- Kommunalwahlen und den Urnen- gel, über Weyrauchs Treiben, über gängen in Rheinland-Pfalz und Ba- schwarze Kassen aus, denen Helmut den-Württemberg hat die CDU- Kohl Ende der achtziger Jahre frei- Schwarzgeldaffäre schon keine Rolle händig an der Partei vorbei für sich mehr gespielt, weder in der Wahlka- werben konnte, waren von den Me- bine noch in der Wahlberichterstat- dien kaum zur Kenntnis genommen tung. „MoKoKo“, das Modell Kohl/ worden. Wie gesagt, damals war Koch, Beispiel für Aussitzen, ruht Kohl noch Kanzler – und dazu noch und lebt weiter – in den Archiven der derjenige der Einheit. Tageszeitungen und Magazine.

68 Walter Hömberg Forum, Bühne, Beichtstuhl Zur Rolle der Medien in der Parteispenden-Affäre

Kritik und Kontrolle – diese siamesi- wird vom Aufklärer zum Aufdecker, schen Begriffszwillinge werden und bisweilen mutiert er sogar vom meist als erstes und zudem am häu- Detektor zum Detektiv. figsten genannt, wenn Journalisten nach ihrem Aufgabenverständnis Manche politischen Regelverletzun- gefragt werden. Auch wenn sich fak- gen haben die Medien in den letzten tisch die Berufsrolle immer mehr in Jahrzehnten hierzulande aufgedeckt: Richtung Informationsvermittlung, Die Stichworte Flick, Neue Heimat Ratgeber- und Servicefunktion so- und Barschel mögen als Beispiele wie Unterhaltung verschoben hat – genügen. Hier hatten sich jeweils im Selbstbild hat die Wächterfunkti- bestimmte Leitmedien hervorgetan on ihren Spitzenplatz behalten. – besonders politische Magazine Manche Berufsvertreter bemühen in wie „Der Spiegel“, das selbster- diesem Zusammenhang gern den nannte „Sturmgeschütz der Demo- Terminus „Vierte Gewalt“, der die kratie“ (Rudolf Augstein). Auch die Montesquieu’sche Trias von Exeku- aktuelle Spendenaffäre der CDU tive, Legislative und Judikative er- bewegt sich in der Grauzone zwi- gänzen soll. schen Wirtschaft und Politik. Im Unterschied zu vorangegangenen Auch wenn die Medien in Umbruch- Skandalfällen spielten allerdings zeiten dann und wann tatsächlich ganz andere Medien bei der Auf- diese Rolle gespielt haben – eine sol- deckung tragende Rollen: einerseits che Aufgabenzuschreibung bleibt die Tageszeitungen, andererseits vordemokratisch und ist in moder- das Fernsehen. nen Verfassungsstaaten normativ nicht verankert. Allerdings: Wenn Zeitungen als Forum die anderen Gewalten versagen, Berichten die Tageszeitungen mit übernehmen die Medien kompensa- überregionalem Anspruch gemäß torische Leistungen – der Journalist ihrer politisch-weltanschaulichen

69 Grundhaltung? Sind Blätter, die als figkeit und Platzierung der Beiträge. linksliberal eingeschätzt werden, kri- Zwischen dem 3. November 1999 tischer in der Bewertung der Affäre und dem 22. Januar 2000 erschienen als eher konservative Zeitungen? insgesamt 932 Artikel zum Partei- Das waren die Leitfragen einer In- spenden-Skandal: Die „Süddeut- haltsanalyse, die eine studentische sche“ lag mit 261 vorn, dicht gefolgt Arbeitsgruppe am Journalistik-Stu- von der „Welt“ mit 244, schließlich diengang der Universität Eichstätt von „FAZ“ mit 221 und „FR“ mit durchgeführt hat. Unter Leitung von 206 Beiträgen. Das Thema stand fast Ralf Hohlfeld wurden „Frankfurter immer auf den ersten Seiten, be- Rundschau“ (FR), „Süddeutsche herrschte den Politikteil und diente Zeitung“ (SZ), „Frankfurter Allge- oft als Aufmacher. meine Zeitung“ (FAZ) und „Die Welt“ über einen Zeitraum von Während Tageszeitungen sonst häu- zwölf Wochen untersucht. fig am Tropf der Nachrichtenagen- turen hängen, ergab sich hier ein an- Die quantitative Bestandsaufnahme deres Bild: Fast 92 Prozent waren zeigt zunächst eine erstaunliche Eigenbeiträge, und sie beruhten vor- Übereinstimmung bezüglich Häu- wiegend auch auf eigenen Recher-

70 chen. Weitgehende Übereinstim- Die Berichterstattung zur Partei- mung auch bei den behandelten spendenaffäre hat gezeigt, dass sich Themenaspekten. Im Vordergrund hierzulande der Typ der Forums- standen bei allen Blättern die Ver- presse immer stärker durchgesetzt stöße gegen rechtliche Normen so- hat. Zwar lassen sich durchaus ge- wie die moralisch fragwürdigen Ma- wisse „Färbungen“ unterscheiden, chenschaften der Akteure. Während aber der Typ der Lagerpresse, der „FR“ und „SZ“ daneben besonders sich bestimmten Parteien, Verbän- den Betrug am Wähler herausstell- den, Wirtschafts- und Gesell- ten, thematisierten „FAZ“ und schaftsgruppen verpflichtet fühlt, „Welt“ stärker die Schädigung der ist passé. eigenen Partei durch die Hauptbe- schuldigten. Bei der Bewertung der Das war nicht immer so. Noch wäh- aufgedeckten Tatbestände überwie- rend des Flick-Skandals gab es Me- gen negative Urteile bei allen Zei- dien, die sich auf die eine oder ande- tungen – am stärksten bei jenen Blät- re Seite schlugen. Ganz zu schwei- tern, die als linksliberal gelten. gen von der Weimarer Republik, wo etwa die Hälfte der Tages- und Wo- Die investigativen Leistungen waren chenzeitungen fest- bzw. grundrich- unterschiedlich, aber alle untersuch- tungsbestimmt war: Sprachrohrblät- ten Titel haben sich hier engagiert: ter, deren monologische Grund- voran die „Süddeutsche Zeitung“ (al- struktur zum Kommunikationskol- lein Hans Leyendecker schrieb im laps der jungen Demokratie beige- genannten Zeitraum 115 Beiträge tragen und damit ihren Untergang zum Thema), aber auch „Die Welt“ befördert hat. (sie hat z. B. die Aussagen Leisler Kieps aus den Akten der Staatsan- Fernsehen als Bühne und Beichtstuhl waltschaft zuerst zitiert). Ein Fazit Nicht nur die Presse, sondern auch der Studie: „In der Gesamtschau be- der Rundfunk hat aus den Weimarer trachtet, haben linke und rechte Blät- Erfahrungen gelernt. Die Konse- ter bei der Aufdeckung und Beglei- quenz war die Etablierung der öf- tung des Skandals ähnliche Schwer- fentlich-rechtlichen Organisations- punkte gesetzt. In dieser Hinsicht ist form – ein Rundfunk frei von die linksliberale Presse nicht wesent- Markt und Staat, gesellschaftlich lich kritischer gewesen: Alle Quali- kontrolliert, mit pluralistischer tätszeitungen sind gleichermaßen auf Grundstruktur. Nach meiner Ein- Distanz gegangen.“ schätzung haben die öffentlich-

71 rechtlichen Rundfunkanstalten sich nommen zu haben („Farbe beken- insgesamt um eine umfassende Be- nen“, 10. Januar 2000). richterstattung bemüht und dabei – vor allem in Magazinen und Son- Gemischte Bilanz dersendungen (ARD-Brennpunkt, War die Berichterstattung über den ZDF-Spezial) – viele Hintergründe Spendenskandal eine Sternstunde ausgeleuchtet. Bei den Privatsen- des Journalismus? Solche (Trivial-) dern hat sich wieder einmal gezeigt, Metaphern sind sicherlich unange- dass politische Information und messen. Zweifellos haben journali- Analyse nicht zu ihren Stärken ge- stische Rechercheleistungen viel zur hören. Aufdeckung der Affäre beigetragen. Aber die Berichterstattung machte Großes Echo fanden insbesondere auch traditionelle und aktuelle Defi- die Exklusivauftritte von Helmut zite der journalistischen Berufskul- Kohl im ZDF. Sie sind nicht ohne tur deutlich. professionelle Kritik geblieben. Hat- te hier nicht ein Beschuldigter zu • Personalisierung: Der ehemalige großen Einfluss auf das „Setting“ Bundeskanzler beherrschte gehabt? Waren die Journalisten nicht Schlagzeilen und Bilder (Über- primär Stichwortgeber? Vielleicht lebensgroß Herr Kohl). Erst liegt es am Medium: Das Fernsehen hochschreiben, dann niederzie- ist wohl eher eine Bühne, manchmal hen – auch dieser bekannte Me- auch ein Beichtstuhl – und weniger chanismus von Prominenzer- ein Medium der Aufdeckung und zeugung und Prominentensturz der Analyse. war zu beobachten. Manche Medienleute haben menschliche Immerhin haben auch diese Sendun- Distanz vermissen lassen (Wolf- gen neue Erkenntnisse gebracht: In gang Schäuble hat eindrucksvoll „Was nun, Herr Kohl?“ hat der Ex- darüber berichtet). Strukturelle Bundeskanzler eingestanden, zwi- Probleme – wie die Parteienfi- schen 1993 und 1998 Spenden in nanzierung, die ja schon im Zen- Millionenhöhe illegal angenommen trum des Flick-Skandals stand – zu haben (ZDF, 16. Dezember wurden eher ausgeblendet. 1999). Und Wolfgang Schäuble hat • Rudeljournalismus: Alle stürzen im ARD-Programm eingeräumt, sich auf dasselbe Thema. In den 1994 eine Barspende des Lobbyisten letzten Jahren haben sich die Schreiber persönlich entgegenge- Thematisierungswellen ver-

72 kürzt, und die wachsende Medi- ten zum Teil sogar deutlich ver- enkonkurrenz hat gleichzeitig stärkt. Notabene: Die USA sind zum Anziehen der Reizschrau- keineswegs – wie bisweilen sug- be geführt. Die Entwicklung ist geriert wird – ein „Journalismus- international, und sie hat unter- Paradies“. Die horizontale, be- schiedliche Gesichter: Sie reicht reichsspezifische Arbeitsteilung vom Paparazzijournalismus im deutschsprachigen Journa- (Fall Lady Di) über den Pharisä- lismus mit seinem Ressort- erjournalismus (Clinton/Lewin- Prinzip hat auch manche Vor- sky) bis zum Prangerjournalis- teile gegenüber der vertikal ge- mus (Selbstjustiz nach Kinder- prägten redaktionellen Organi- schänder-Manie in England). sationsstruktur in angelsächsi- Das Paradox: Der immer stär- schen Redaktionen, nach der kere Wettbewerbsdruck führt Recherche-, Umsetzungs- und dazu, dass in diesen Konsonanz- Redaktionstätigkeiten teilweise wellen die Medien sich mit mög- oder vorwiegend getrennt sind. lichst vielen „Exklusiv“-Happen Allerdings sollte die klassische hervortun wollen. Da fragt man Ressortorganisation ergänzt dann auch nicht groß nach der werden durch flexible Organi- Seriosität der Quellen (Schrei- sationsmodelle – vor allem ber, Kanada). Im vorliegenden durch die Bildung von Projekt- Fall zeigte sich als besonderes redaktionen, die aktuell als Problem, dass die Hauptakteure „task force“ eingesetzt und län- Beteiligte, Beschuldigte und Be- gerfristig auf komplexe The- troffene zugleich waren. men angesetzt werden können.

• Recherchekapazität: Manche Me- Viele Punkte im Affärengeflecht dien sind hier schlecht gerüstet sind bisher unaufgeklärt geblieben. – etwa die privaten Rundfunk- Es besteht also kein Anlass zur Eu- sender können durchweg kaum phorie. Dennoch: In der Parteispen- mehr als Barfußjournalismus denaffäre haben die Medien ihre bieten (sie leben dann gern para- (kompensatorische) Rolle als Kriti- sitär vom PR-Bereich, der mäch- ker und Kontrolleure insgesamt tig aufrüstet). Die Qualitätsme- überzeugend gespielt. Man kann nur dien hierzulande haben das er- hoffen, dass sich dies von der er- kannt – und in den letzten Jah- sten, zweiten und dritten Gewalt ren ihre Mann- und Frauschaf- auch bald sagen lässt.

73 Christoph O. Meyer

Europäische Politik ausser Kontrolle? Die Suche nach einer Europäischen Medienöffentlichkeit in Theorie und journalistischer Praxis1

Nicht Europa, aber die Europäi- im einzelnen auch sein mag, so lässt sche Union ist unbeliebt. Schlim- sich doch kaum bestreiten, dass in mer noch, die EU, ihre Institutio- und durch die EU Macht ausgübt nen und Akteure sind den meisten wird – durch Verordnungen, Mit- Besitzern des EU-Reisepasses teilungen und anderen Formen eu- fremd und suspekt. Indizien für ropäischer Gesetzgebung. Europa- diese These lassen sich regelmässig recht bricht nationales Recht. Und in Eurobarometerumfragen verfol- die EU verwendet ihre Rechtsset- gen oder in Gestalt eruptiver Refe- zungskompetenz und öffentlichen rendumsvoten bei der Ratifizierung Mittel, um verschiedene Steue- von EU-Verträgen wie zuletzt in rungseffekte zu erzielen, Handels- Irland oder vor rund zehn Jahre in hemmnisse abzubauen oder um be- Dänemark. Kernelement des in stimmte Gruppen und Länder für Leitartikeln gern beklagten Legiti- Wettbewerbsnachteile infolge der mätsdefizit der EU scheint ein tief- Integration von Märkten zu ent- sitzendes Misstrauen zu sein. In schädigen. Zum Kreis der handeln- breiten Teilen der Bevölkerung den Akteure zählen nicht nur 15 wird geargwöhnt, die in Brüssel, Mitglieder des Kollegiums der EU- Strassburg oder anderen Haupt- Kommission und ihre 16.000 Be- städten verhandelnden Beamten, amten, sondern auch die EU-Parla- Politiker und Lobbyisten, verfolg- mentarier und nicht zuletzt die na- ten lediglich ihr eigenen, recht un- tionalen Minister und Staatschefs, repräsentativen Interessen und ent- sofern sie in den Gemeinschaftsin- schieden über die Köpfe der Bür- stitutionen agieren. Einen kleinen, ger hinweg, also ohne dass den Be- wenn auch nicht ganz unwichtigen troffenen Möglichkeiten der Kon- Einfluss üben auch die Vertreter trolle und Beeinflussung blieben. der Regionen und der Sozialpartner Wie gerechtfertigt dieser Vorwurf aus.

74 In jedem Fall lässt sich aus der Kom- klagten Demokratiedefizit der EU petenzfülle, der Finanzierung aus vorgelagert, ja geradezu dessen Ur- Steuergeldern und den Auswirkun- sache? Wie lässt sich politische Öf- gen Europäischen Regierens auf die fentlichkeit jenseits des National- Bürger der EU die Forderung nach staates organisieren? Und welche einer öffentlichen Kontrolle sowohl Rolle können und sollen die Medien des Regierungshandelns als auch der bei der Herstellung von politischer handelnde Akteure ableiteen. Die Meinungsbildung und Kontrolle in Kontrolle von Macht, gleich welcher Europa spielen? Natur oder Zielsetzung, gehört zu Dieser Beitrag soll die wichtigsten den Kernfunktionen von Öffent- theoretischen Positionen in der De- lichkeit in Demokratien. Politische batte um die Funktion und Struktur Meinungsbildung läuft ohne Infor- von Europäischer Öffentlichkeit er- mationen über das Reden und Han- läutern und an der journalistischen deln politischer Mandatsträger ent- Praxis messen. Am Beispiel des Kor- weder leer oder lässt sich trefflich ruptionsskandals um die EU-Kom- von jenen lenken, die ein Interesse mission 1998/1999 soll gezeigt wer- an der Beeinflussung der öffentli- den, dass sich die Bedingungen für chen Meinung haben. Nichtöffent- die Entstehung transnationaler Öf- lichkeit und Machtmissbrauch för- fentlichkeit verbessert haben, auch dern sich gegenseitig und können wenn es noch viele Hindernisse für den Wahlakt seiner Bedeutung ent- die Entstehung einer leistungsfähi- leeren. Bei der Recherche relevanter gen Öffentlichkeit im Europäischen Informationen über Machtmiß- Kommunikationsraum gibt. Dabei brauch und der öffentlichen Artiku- sind insbesondere die Journalisten lation von Kritik spielen Medien eine gefordert, sich den neuen Heraus- Hauptrolle. Doch gerade im Bereich forderungen zu stellen. der Medienkommunikation über Europapolitik sehen Beobachter aus Legitimitäts- und Öffentlichkeitsdefizit Wissenschaft, Publizistik und inzwi- Diese Frage nach der Existenz und schen auch der Politik ein Problem. Leistungsfähigkeit von Europäi- Muß sich nicht erst eine länderüber- scher Öffentlichkeit ist eng mit der greifende Europäische Öffentlich- Frage nach der Legitimität der Eu- keit entwickeln, bevor man über eine ropäischen Integration, ihrer Insti- Vertiefung der Europäischen Union tutionen und Politiken verbunden. nachdenken kann? Inwieweit ist das Besonders in der deutschen Debat- Öffentlichkeitsdefizit dem vielbe- te, aber zunehmend auch darüber

75 hinaus, wird die Position vertreten, sondern medial vermittelt. Mit an- dass die Demokratiefähigkeit der deren Worten: Ob und inwiefern Europäischen Union direkt oder in- Sprachgrenzen auch zu Kommuni- direkt von der Entwicklung einer kations- und Verständnisgrenzen länderübergreifenden politischen werden, hängt vor allem von der Fä- Öffentlichkeit abhänge. Eine solche higkeit der Medien ab, politische und Öffentlichkeit sei aber, so wurde andere Diskurse in andere Sprach- beispielsweise vom ehemaligen Bun- räume zu übersetzen und zu vermit- desverfassungsrichter Dieter teln. Grimm argumentiert, wegen der kul- Der Versuch, die Struktur national- turellen, ethnischen oder sprachli- staatlich verfasster Öffentlichkei- chen Heterogenität in Europa zu- ten, die auf einem relativ hohen mindest auf absehbare Zeit nicht Grad sprachlicher, ethnischer und möglich. Dieses Totschlagsargu- kultureller Homogenität beruhen, ment hat sich in der wissenschaftli- auf die Europäische Ebene zu über- chen Debatte als nicht tragfähig er- tragen, birgt jedoch noch weitere wiesen. Zum einen lassen sich empi- Gefahren. Zum einen ist ein sol- risch durchaus Beispiele für Öffent- cher Blickwinkel ungeeignet, Ent- lichkeiten finden, die sprachlich, re- wicklungen abseits des national- ligiös oder kulturell auf verschiede- staatlichen Modells zu erfassen, die nen Säulen ruhen, es aber dennoch zwar zu anderen Strukturen führen, schaffen, politische Meinungsbil- aber letztlich ähnliche Funktions- dung, Identitätsvermittlung und merkmale aufweisen. Zum anderen Kontrolle im Rahmen eines Staates führt diese Vorgehensweise unwei- zu organisieren. Die Schweiz und gerlich zu Defizitbefunden, und Kanada sind hier die einschlägigen damit zu einer normativen Überhö- Beispiele. Zum anderen ist Sprache hung des innerstaatlichen Status keine undurchlässige Mauer, son- quo gegenüber anderen Formen dern zu allererst ein Instrument zur demokratischer Kontrolle und Mei- Verständigung. Entscheidend ist nungsbildung. Die Eingangsfrage nicht primär, dass jeder mit jedem sollte also nicht sein, wie sieht eine sprechen muss, sondern dass die funktionierende politische Öffent- Möglichkeit politischer Meinungs- lichkeit aus, sondern was soll und bildung auch über Sprachgrenzen was kann sie leisten? Es geht also hinweg gegeben ist. In modernen um, zumeist normativ begründete, Massendemokratien ist Öffentlich- Funktionserwartungen gegenüber keit keine Präsenzöffentlichkeit, öffentlicher Meinungsbildung im

76 Europa der Europäischen Union. Blickwinkel aus betrachten sollten. Hier kann zwischen zwei Zielen Massenmedien die kommerziell er- unterschieden werden: folgreich kommunizieren wollen, müssen dies im Bewusstsein des Die Schwäche einer identitätsstiftenden Vorwissens, der Vorlieben und Vor- Öffentlichkeit urteile eines relativ breiten Zielpu- Erstens: Soll politische Öffentlich- blikums tun. Die Annahme einer keit dazu dienen, eine Europäische umfassenden Europäisierung dieser Identität zu schaffen, zu fördern tiefverwurzelten Eigenschaften und oder zu stabilisieren? Damit ist meist Interpretationsmuster ist zumindest ein Gefühl von Gemeinschaft, Ver- mittelfristig offensichtlich unwahr- trauen und Zugehörigkeit gemeint, scheinlich. Allerdings deuten Medi- das es möglich macht, nationale oder eninhaltsanalysen auf eine deutliche regionale Interessen gegenüber In- Ausweitung der Berichterstattung teressen von Mehrheiten in Europa über EU-Politik hin. Noch weitge- nach dem Majoritätsprinzip zurück- hend unklar bleibt die Forschungs- zustellen. Wenn dies die Frage ist, frage nach einer zeitlichen und in- scheint die Antwort vorerst „Nein“ haltlichen Angleichung der europa- zu lauten. Zu Recht wird festgestellt, politischen Berichterstattung in ver- dass es nur wenige Medienprodukte schiedenen Ländern. Es scheint gibt, denen es gelingt, die sprachli- Themen zu geben, wie etwa BSE, chen und kulturellen Barrieren des den Euro oder die Osterweiterung, Nationalstaates zu überwinden. Die- die nicht nur in verschiedenen Öf- se Medien, wie etwa die Financial fentlichkeiten gleichzeitig, sondern Times oder die European Voice, sind auch auf eine ähnliche Weise „ge- fast ausschließlich englischsprachig rahmt“ werden. Auch wenn tragfä- und richten sich zumeist an einen hige Ergebnisse noch etwas auf sich relativ kleinen, wenn auch stetig grö- warten lassen, ist doch klar, dass ech- ßer werdenden, Kreis von Eliten. Es te transnationale Debatten eher sel- gibt noch keinen nennenswerten ten sind. Identitätsbildung und Markt für Europäische Massenme- Kommunikation finden im überwie- dien. Auch eine Europäisierung na- genden Maße weiterhin in nationa- tionaler Öffentlichkeiten ist proble- len oder regionalen Räumen statt. matisch, wenn darunter verstanden Das bedeutet auch, dass es schwer- wird, dass nationale Medien Themen fallen dürfte, zwischen regionalen überwiegend, wenn nicht gar aus- oder gar nationalen Minderheits- schließlich von einem europäischen und europäischen Mehrheitsinteres-

77 sen zu vermitteln, ohne auf die Mög- kel öffentlicher Meinungsbildung lichkeit der Kompensation für gebraucht und missbraucht. Politi- Kompromisse, etwa durch Subven- sche Öffentlichkeit soll also eine tionen in der Landwirtschaft oder Möglichkeit der Kontrolle und Kri- der Strukturpolitik, zurückzugreifen. tik von Politik bieten, die im Engli- Wenn nicht alle gewinnen, gewinnt schen als Responsiveness und Ac- keiner. Damit drohen weitergehen- countability firmieren. Es ergibt sich de Politikvorhaben und die Ausdeh- jedoch auch hier das Problem, dass nung von Mehrheitsabstimmungen im Fall der EU sich dieser Mei- zumindest legitimatorisch im Ansatz nungsbildungs- und Artikulations- stecken zu bleiben. prozess nicht auf nationalen Räume beschränken darf. Ohne ein Min- Politische Verantwortlichkeit durch destmaß an Resonanz über nationa- öffentliche Kontrolle le Öffentlichkeiten hinweg, fehlt es Die zweite Kernfunktion von politi- öffentlicher Kritik an Legitimität scher Öffentlichkeit nach dem libe- und damit an Wirkung auf das Ge- ral-repräsentativen Modell bezieht samtgebilde. Die in britischen Medi- sich auf die öffentliche Meinungs- en über lange Zeit geäußerte Kritik bildung im Dialog mit und als Ge- an einer Reihe von Personen oder gengewicht zu politischer Macht. Politiken wurde von Brüsseler Ak- Diese normative Konzeption von teuren, sei es Kommissaren oder Öffentlichkeit geht von Notwendig- anderen Journalisten, kaum mehr keit der Legitimation von Regieren ernst genommen. Sie wurde über- durch informale Verfahren aus. Da- wiegend als euroskeptisch motiviert nach sind formale Kanäle demokra- stigmatisiert und blieb damit über- tischer Beteiligung etwa durch allge- wiegend wirkungslos. meine Wahlen, Referenda oder par- Zum anderen setzt die Entstehung lamentarische Voten, allein nicht eines Skandals voraus, dass die ihm ausreichend, um ein politisches Sy- zugrunde liegende Wahrnehmung stem zu legitimieren. Sie müssen ein- einer Normverletzung über die gebettet sein und aktiviert werden Grenzen zumindest mehrerer natio- durch eine freie politische Mei- naler politischer Kulturen hinweg nungsbildung in der Öffentlichkeit, geteilt wird. Schließlich sollte ein die Politik kritisch begleitet und zu transnationaler Austausch über die beinflussen sucht. Formal-demokra- faktischen Aspekte der Normverlet- tische Verfahren sind wenig wert, zung (Wer hat wann, was gesagt, ge- wenn der Staat die Medien als Vehi- wusst oder getan?) und eine Verstän-

78 digung über die Schwere der Norm- Korruption und mangelndes Mana- verletzung sowie mögliche Konse- gement publiziert. Diese Artikel quenzen möglich sein. Diese Erwar- wurden jedoch nur selten von den tungen lassen sich mit einem rein Medien des Herkunftslandes der be- national ausgerichteten Journalis- troffenen Personen aufgegriffen mus nicht erfüllen, sofern dieser aus- und konnten sich kaum über natio- ländische Stimmen kaum oder nur nale Medienräume hinwegverbrei- sehr verzerrt wahrnimmt. Ebenso ten. So fiel es Beschuldigten, seien wenig dürfte der typische Auslands- es Kommissare, Parlamentarier oder journalismus den Anforderungen nationale Politiker, relativ leicht, genügen, da dieser traditionell nied- Vorwürfe auszusitzen oder die be- rigere demokratische Standards an treffenden Journalisten bzw. Medi- diplomatische Verhandlungen und en unter Druck zu setzen. Dieses internationale Organisationen an- Muster zeigte sich beispielsweise an setzt und bei der Nachrichtenbe- den Recherchen, die der Journalist schaffung eher reagiert als agiert. Christopher White, ein Mitarbeiter Letztendlich lässt sich die Frage der Zeitung The European, Mitte der nach der Leistungsfähigkeit von ei- neunziger Jahre über Betrug und ner transnationalen Medienöffent- Korruption in der Tourismuspolitik lichkeit nicht theoretisch, sondern der EU verfolgte. Bereits 1990 wa- nur anhand konkreter Fallbeispiele ren Vorwürfe aus dem Europäi- und Beobachtungen beantworten. schen Parlament laut geworden, dass Dazu sollen die folgenden zwei Ab- Kommissionsbeamte und die mit schnitte dienen. der Durchführung des Jahres des Tourismus beauftragten Firma Be- Investigativer Journalismus und der stechungsgelder gefordert und erhal- Rücktritt der EU Kommission ten hätten. Die Ermittlungen des Über viele Jahre hatten es investiga- Parlaments, des Rechnungshofes tiv orientierte Journalisten in Brüs- und der Kommission führten jedoch sel schwer, zumal wenn sie länder- bis 1995 zu keinem greifbaren Er- übergreifend wirken wollten. Das lag gebnis, vor allem nicht zu einer Be- kaum daran, dass es nichts an der strafung der betroffenen Beamten EU und ihren Akteuren zu kritisie- und ihrer Vorgesetzten. White traf ren gegeben hätte. Im Gegenteil, in nicht nur auf eine Mauer des Schwei- der Vergangenheit hatten verschie- gens in der Kommission, sondern dene europäische Zeitungen immer wurde auch von keinem seiner Kol- wieder Berichte über Nepotismus, legen in Brüssel unterstützt. Im Ge-

79 genteil, viele im Pressesaal sahen ihn wenn auch kleine Zahl von Journali- als Nestbeschmutzer, der in den bri- sten in Brüssel, vor allem die Korre- tischen Kanon der Euroskeptiker spondenten des deutschen Focus und und Kommissionshasser eingefallen der französischen Libération, die war. Kein Holländer oder Franzose, Funktionen einer politischen Öf- der mit ihm wichtige Papiere oder fentlichkeit war, prangerte Vertu- Informantenkontakte austauschte, schung, Missinformation, und man- und auch im Europaparlament in- gelnde Verantwortlichkeit auf Seiten teressierte sich kaum ein Mitglied für der britischen Regierung und der einen Skandal, der auf das Parlament EU-Kommission an. Die wenigen wie die junge Tourismuspolitik ein investigativen Journalisten blieben schlechtes Licht werfen würde. Als jedoch isoliert voneinander – es kam die Vorgesetzten Whites in der Zei- zu einer starken Polarisierung zwi- tung schließlich eine Reihe von Be- schen britischer und französisch- schwerden aus der Kommission sprachiger Presse. Die politischen über inakkurate Berichterstattung Konsequenzen waren bescheiden. und obsessives Verhalten erhielten, Das EU-Parlament erstellte einen wurde White fallengelassen. Auch Untersuchungsbericht, die Kom- wenn Whites Berichterstattung nicht mission verschob eine administrati- ganz ohne Folgen blieb – ein belgi- ve Einheit vom Landwirtschafts- scher Staatsanwalt leitete Ermittlun- zum Verbraucherressort, und die gen ein und ließ ein Gebäude der vermutlich Hauptschuldigen, briti- Kommission durchsuchen, endete sche Politiker, entzogen sich erfolg- die Affäre für den Journalisten mit reich der Verantwortung. Erst mit dem beruflichen Absturz. der Abwahl der Tory-Regierung ein Eine erste Veränderung im Verhält- Jahr später musste der britische nis der Brüsseler Korrespondenten Landwirtschaftsminister seinen Hut zur EU-Kommission markierte die nehmen. BSE-Krise von 1996. Es ging dort nicht nur um Milliarden Euro Um- Rinderwahnsinn und die Geburt satzeinbußen für Landwirte, son- investigativen Journalismus dern auch um die Frage, ob die poli- Es war vor allem die Erfahrung der tische Verantwortlichen in der EU BSE-Affäre, die zu einer Verände- genug getan hatten, um eine mögli- rung in der Ausrichtung, der Taktik che Gefährdung der Verbraucher und der Hartnäckigkeit von investi- durch infiziertes Rindfleisch abzu- gativem Journalismus in Brüssel wenden. Zum ersten Mal nahm eine, führte. Nur vor diesem Hintergrund

80 ist es zu verstehen, warum ein Fall tritt der Kommission führen sollten. von Vetternwirtschaft und drei Fälle Insbesondere das Material über die von Missmanagement 1998 eine Beschäftigung eines Vertrauten der Krise auslösten, die schließlich im Kommissarin Cresson auf Kosten Rücktritt der EU-Kommission im des Steuerzahlers schien hochexplo- März 1999 mündete. Der Echo- siv. Nicolas und Nathe fürchteten Cresson-Fall unterschied sich in ei- zu Recht – teilweise aufgrund eige- ner Reihe von Aspekten von der ner Erfahrungen während der BSE- BSE-Krise. Ein wichtiger Grund für Krise – dass ihre Enthüllungen nicht die Veränderung waren die Aktivitä- genügend wahrgenommen würden, ten einer Zahl von kritischen Inve- wenn sie nur in einem belgischen stigationsjournalisten aus verschie- Boulevardblatt und einem deut- denen EU-Ländern, die miteinander schen Wochenmagazin erschienen. kooperierten. Die ersten Recher- Deshalb traf sich auf Anregung von chen unternahm der Luxemburger Nicolas und mit Hilfe einer EU-Par- Journalist Jean Nicolas, der für eine lamentarierin Anfang September Gruppe unbedeutender walloni- erstmals eine multinationale Grup- scher Boulevardblätter schrieb und pe investigativer Journalisten. Dazu bisher nicht über EU-Politik, son- gehörten neben Nicolas und Nathe dern beispielsweise über den belgi- noch die Journalisten vom Nouvel schen Justiz- und Politik-Skandal Observateur, und des ersten deutschen um den Kinderschänder Marc Dutr- Fernsehens, der ARD. Der Pool oux berichtet hatte. Im Auftrag ei- wurde später erweitert um Vertreter nes deutschen Journalisten vom Fo- der Sunday Times, Libération und den cus-Magazin, Hartwig Nathe, sollte er Guardian. seine Kontakte zur Luxemburgi- schen Justiz nutzen, um verschwun- Ein transnationales Recherchenetzwerk denen EU-Gelder bei einer dort an- Diese Gruppe war in ihrer Zusam- sässigen Firma nachzugehen. Schon mensetzung, Kohäsion und Funkti- bald öffnete der Firmeninhaber, der onsweise ein Novum in der Ge- sich von der Kommission verraten schichte des Brüsseler Journalismus fühlte, dem Journalisten die Akten- und vielleicht sogar darüber hinaus. schränke voller Unterlagen über Ihre Mitglieder aus vier Ländern te- EU-Aufträge. Mitte August 1998 lefonierten täglich miteinander, tra- hatte Nicolas viele der Informatio- fen sich regelmäßig mit neuen In- nen recherchiert, die später durch formanten und tauschten wichtige den Bericht der Experten zum Rück- Dokumente untereinander aus. Was

81 ein einzelner nicht hätte leisten kön- schen EU-Parlamentariern. Auf der nen, nämlich eine weitläufige, ver- einen Seite konnten die Journalisten schiedene Sprachräume und Netz- diese vereinzelten Parlamentarier werke übergreifende Recherche, zur Erhöhung des Drucks zitieren. wurde durch die Aufteilung und Zum anderen legitimierte die um- Koordination verschiedener natio- fängliche Medienberichterstattung, naler Medien möglich. Gleichzeitig die Position jener EU-Parlamentari- koordinierte die Gruppe ihre Veröf- er, die sich in ihren Fraktionen und fentlichungen, die zumeist am Sonn- im Parlament anfänglich in einer tag mit der Sunday Times eingeleitet deutlichen Minderheitenposition wurden und am Montag ihren Hö- befunden hatten. Die wenig koope- hepunkt fanden. Damit setzte sie rative und teilweise feindliche Reak- nicht nur die Kommission unter tion der Kommission auf die An- Druck, sondern bestimmten auch schuldigungen trug nur dazu bei, die Nachrichtenagenda der anderen, dass die Mehrheit skeptischer Parla- zu Beginn der Berichterstattung mentarier und Journalisten nach und überwiegend skeptischen, Journali- nach umschwenkte. So schaukelten sten in Brüssel für den Rest der sich Medien und Parlament immer Woche. Gleichzeitig bot die Gruppe mehr gegenseitig auf, bis die Kräfte- dem einzelnen auch Schutz gegen verhältnisse kippten, zuerst im Pres- Ausgrenzung und Druck durch die sesaal und dann im EU-Parlament. Kommission, nationale Politiker In Umkehrung der vorher geltenden und Medien. Insbesondere der Kor- Norm in Brüssel, zeichnete sich ein respondent von Libération schrieb „ guter“ Journalist oder Parlamenta- lange Zeit gegen die Mehrzahl seiner rier plötzlich dadurch aus, dass er französischen Kollegen in Brüssel die Kommission kritisierte. Die über die Affäre Cresson. Hätte er Kommissionsspitze offenbahrte im gegenüber seiner Heimatredaktion Gegenzug in zunehmenden Maße und politischem Druck nicht auf eine Bunkermentalität, die gekenn- andere bekannte Medien wir die zeichnet war von verzerrter Reali- Sunday Times oder Focus verwei- tätswahrnehmung und einer Front- sen können, diese Art der Berichter- stellung gegenüber Kritikern. So ver- stattung wäre vermutlich nicht auf- änderten sich auch die Mehrheits- rechtzuerhalten gewesen. verhältnisse im Europäischen Parla- Ein weiterer interessanter Aspekt ment und aktivierten mit der Entla- der Veränderungen betrifft die Ko- stung des Haushaltes und später operation der Journalisten mit kriti- dem Misstrauensvotum zwei Ver-

82 fahren, deren politische Relevanz strategische Schwächen auf, die den nur wenig Monate zuvor zu Recht Rücktritt fast unvermeidlich mach- bezweifelt worden wäre. Der Fall ten. Innerhalb des Kollegiums der zeigt, dass ein relativ geringes Aus- Kommissare konnten Santer und die maß an transnationaler Verbreitung Mehrheit der Kommissare, politi- von Investigationsjournalismus aus- sche Verantwortung nicht durchset- reichte, die etablierte Funktionswei- zen. Ähnliche Probleme hatten ver- se des Gesamtsystems nachhaltig zu schiedene Kommissare gegenüber verändern. Politische Kontrolle und ihren eigenen Direktoraten bzw. ge- Verantwortlichkeit konnte letztlich genüber mächtigen nationalen Seil- aber nur im Zusammenspiel ver- schaften innerhalb der Kommissi- schiedener Institutionen und Akteu- onshierarchien. Neben dieser Frag- re, insbesondere mit Hilfe des EU- mentierung und Obstruktion von Parlaments und des Rechnungshofs politischer Verantwortlichkeit war verwirklicht werden. die Öffentlichkeitsarbeit gekenn- zeichnet von mangelhafter Profes- Investigativer Journalismus zwischen sionalität der handelnden Personen, Erfolg und Hybris die Informationen zurückhielten, Der Rücktritt der Kommission als fälschlicherweise dementierten und Reaktion auf den Bericht der Unab- Druck auf Journalisten ausübten. hängigen Expertengruppe kann als Nichts zeigt das Ausmaß der Eska- Endpunkt einer Entwicklung inter- lation des Konflikts zwischen Jour- pretiert werden, die auf der einen nalisten und Kommissionsvertre- Seite die Leistungsfähigkeit von tern deutlicher als die Reaktion vie- transnationaler Medienöffentlich- ler Pressevertreter auf die Rücktritts- keit in Europa dokumentiert, zum ankündigung der Kommission in anderen aber die Defizite in der Öf- den frühen Morgenstunden des 16. fentlichkeitsarbeit auf Seiten der März 1999. Die Ankündigung Präsi- EU-Kommission deutlich gemacht dent Santers wurde mit spontanen hat. Die Kommission musste letzt- Freudenschreien, Klatschen und lich nicht aufgrund der Vorwürfe Siegesrufen aus dem Pressesaal be- zurücktreten, sondern weil sie auf grüßt – eine Reaktion, die ein Mit- die offene Fragen und die Forde- glied des Pools investigativer Jour- rung nach politischer Verantwort- nalisten rückblickend als „eine lichkeit nicht angemessen reagiert Schande für unsere Profession“ be- hat. Wie schon in der BSE-Krise tra- zeichnete, zumal sie mehrheitlich ten organisatorische, personelle und von jenen stammte, die die Kom-

83 mission lange gegen die Anschuldi- den USA bekannt, als die Waterga- gungen in Schutz genommen hat- te-Affäre von kaum einer Handvoll ten. Journalisten voran getrieben wurde. Auf der Ebene individueller Repor- Die langsame Transformation des ter stellt sich die Frage, inwieweit Brüsseler EU-Journalismus das transnationale Netzwerk in Zu- Trotz des geschilderten Falles funk- kunft noch besteht oder sich gar tionierender transnationaler Öffent- weiter entwickeln kann. Obwohl lichkeit mögen Skeptiker zu Recht sich diese Frage zum gegenwärtigen fragen, ob die Veränderungen in der Zeitpunkt noch nicht beantworten Berichterstattung dauerhafter Natur lässt, gibt es dennoch deutliche An- sind. Tatsächlich ist die Fixierung zeichen dafür, dass sich die Rahmen- der Medien auf nationale Ereignisse, bedingungen und das Umfeld für Sichtweisen und Akteure zu stark eine transnational wirksame Medi- verwurzelt, als dass grenzüberschrei- enöffentlichkeit verbessert haben. tende Debatten und Kritik zum Re- Der Echo-Cresson-Fall markiert gelfall geworden wären. Genauso den vorläufigen Höhepunkt eines wenig ist die überwiegende Zahl der langsamen Wandels der EU-Bericht- in Brüssel akkreditierten Journali- erstattung von einem pro-europäi- sten vom einen zum anderen Tag zu schen Informations- und Lobby- investigativen Journalisten gewor- journalismus zu einer kritischeren den oder zum Euroskeptizismus Haltung gegenüber Europäischen konvertiert. Eine Stichprobenbefra- Institutionen und Akteuren. Dies gung von 70 Korrespondenten aus hat weniger mit ideologischen Ver- verschiedenen EU-Ländern ergab, änderungen im Pressecorps zu tun, dass sich nur etwa 15 Prozent der obwohl es nicht wenige Journalisten Befragten zu der Gruppe der inve- gab, die von der Kommission sehr stigativen Journalisten zählen.2 Der enttäuscht waren. tatsächliche Anteil liegt wahrschein- Die Hauptursache liegt vielmehr in lich unter zehn Prozent. Allerdings einer langsamen Veränderung der hat der Echo-Cresson-Fall gezeigt, Nachfragestruktur im Bezug auf dass schon eine relativ kleine Zahl EU-Themen. Über viele Jahre hin- von Journalisten durch ein Mindest- weg hatten es die bei der EU akkre- maß an Kooperation eine große ditierten Journalisten entweder sehr auch öffentlichkeitsübergreifende leicht oder sehr schwer. Aufgrund Wirkung erzielen kann. Ähnliche der geringen Nachfrage nach den an- Zahlenverhältnisse sind auch aus geblich langweiligen und wirt-

84 schaftslastigen EU-Themen, fiel es Heimatredaktionen, dass in Europa Journalisten leicht, mit geringem Re- oft nationale Innenpolitik betrieben chercheaufwand aus dem immer wird. Viele nationale Themen haben weiter anschwellenden Brüsseler In- eine Europäische Dimension, wäh- formationsstrom relevante Nach- rend viele EU-Themen nationale richten herauszufischen. Mühen Auswirkungen haben. Mit der Ein- mussten sich nicht die Journalisten, führung der Währungsunion sind sondern die Pressesprecher. Zinsentscheidungen an die Europäi- „Spoon-feeding“ pflegten angel- sche Zentralbank übertragen wor- sächsische Korrespondenten diese den, Fiskalpolitik wird durch die Sta- passive Konsumhaltung mit abfälli- bilitätskriterien reglementiert und gen Unterton zu bezeichnen. Schwer die Protektion nationaler Firmen dagegen hatten es vor allem jene wird von der EU-Wettbewerbspoli- Journalisten, die keine „Brüsseler tik eingeschränkt. Auch auf dem Spitzen“ mehr über Produktharmo- Gebiet der inneren Sicherheit, Asyl nisierung schreiben mochten, son- und Migration, lässt sich ohne die dern zu Themen wie Machtmiss- Beteiligung der EU keine wirkungs- brauch und nationale Seilschaften, volle Politik mehr gestalten. Die tat- Subventionsbetrug und Entschei- sächliche Bedeutungszunahme von dungstransparenz berichten wollten EU-Entscheidungen seit 1987 spie- und sich mühten, ihre Heimatredak- gelt sich, wenn auch mit einer gewis- tion zu überzeugen. sen Verzögerung, in der Auswei- tung der entsprechenden Berichter- Die Aufwertung der stattung wieder. Eine Medienstudie EU Berichterstattung im Auftrag der Kommission stellt Seit Anfang der neunziger Jahre ist fest, dass die Zahl der veröffentlich- Brüsseler Journalismus für die erste ten Artikel mit EU-Bezug zwischen Gruppe schwerer, für die zweite 1995 und 1998 von 6.000 pro Monat Gruppe dagegen leichter geworden. auf etwa 11.000 gestiegen ist. Auch Hintergrund ist die Aufwertung der die Nachrichtenagenturen haben EU als Thema der Berichterstattung ihre Präsenz in Brüssel und ihre Be- vor allem in der Presse und der da- richterstattung verstärkt, nicht nur mit verbundenen Verschärfung der im Bezug auf traditionelle Wirt- Nachrichtenkonkurrenz in Brüssel. schaftsthemen. Die Nachrichten- Im Zuge der Umsetzung des Bin- agentur Reuters hat zwischen 1995 nenmarktprogramms und der Ein- und 1997 ihre EU-Berichterstattung führung des Euros erkannten viele von 19.000 auf 24.500 Artikel im

85 Jahr erhöht. Gleichzeitig schicken Aufgabe, Europäische Institutionen immer mehr Redaktionen Mitarbei- gegen Kritik aus den Mitgliedstaaten ter nach Brüssel oder stocken ihre in Schutz zu nehmen. Büros dort auf. Zwischen 1986 und Unter Veränderungsdruck sind je- 1999 hat sich die Zahl der akkredi- doch nicht nur die Anhänger der tierten Journalisten in Brüssel mehr Kommission gekommen, sondern als verdoppelt. Mit mehr als 900 auch diejenigen, die Brüssel als Ter- Journalisten hat Brüssel heute das rain der Außenpolitik sahen, über größte Presscorps der Welt. das man informieren konnte, dass aber nicht hinterfragt werden mus- Stärkere Konkurrenz und Fluktuation ste. Die Aufwertung und das größe- Die personelle Veränderung und re Angebot des Produkts EU-Nach- stärkere Fluktuation innerhalb des richt haben die Nachfrage und den Brüsseler Presscorps hatte Auswir- Rechercheaufwand erhöht. Die Ar- kungen auf die politischen, journali- beit von Agenturen und die Verfüg- stischen und normativen Einstellun- barkeit von Pressemitteilungen im gen der akkreditierten Presse. Zwar Internet macht die Arbeit der Kor- ergab die Stichprobenbefragung von respondenten in den Heimatredak- 70 akkreditierten Korrespondenten tionen transparenter, und damit in Brüssel, dass auch weiterhin eine überprüfbarer. Sowohl die Be- große Mehrzahl der Europäischen quemlichkeit des reinen Informati- Integration positiv (69 Prozent) oder ons- und Lobbyjournalismus als sogar sehr positiv (22 Prozent) ge- auch die falsche Rücksichtnahme genüber stehen. Dennoch sind Ver- der Pro-Europäer ist durch die neu- änderungen offensichtlich. Journali- en Anforderungen an Europa-Be- sten, die seit der BSE-Krise nach richterstattung unter Druck gekom- Brüssel gekommen sind, bezeichnen men. Gleichzeitig haben sich die sich weniger häufig als „starke“ Un- medien-ökonomischen Bedingun- terstützer der EU als diejenigen, die gen für investigativen Journalismus schon mehr als acht Jahre in Brüssel in Brüssel verbessert. Dies bedeu- arbeiten. Es mag kaum überraschen, tet nicht nur eine stärkere Nachfra- dass einige der langjährigen Korre- ge nach Skandalen, sondern auch spondenten mit der Zeit zu Subun- verstärkte Anreize für Journalisten, ternehmern des politischen System über den eigenen nationalen Zirkel geworden sind; sie führten für die hinaus zu recherchieren. Nur so Kommission Nebenjobs aus und werden Interessensvertretung und verstanden es als ihre vornehmliche Versäumnisse der eigenen Regie-

86 rung auf Europäischen Parkett lich der Frankfurter Allgemeine Zei- deutlich. tung (11 Prozent). Die weiterbestehende Trennung der nationalen Märkte begünstigt dabei Perspektiven für eine transnationale neue Formen von transnationaler Öffentlichkeit der Massenmedien Zusammenarbeit zwischen Brüsse- Trotz der geschilderten Entwick- ler Journalisten, die nicht fürchten lungen, die sich an der Aufwertung müssen, dass ihr Kollege ihnen eine der EU-Berichterstattung und der Geschichte wegschnappt. Ungefähr länderübergreifenden Kooperation ein Drittel der Korrespondenten gab zwischen Journalisten festmachen an, dass sie mit ausländischen Kolle- lassen, ist doch die Kontrolle Euro- gen in der Mehrzahl aller Artikel ko- päischen Regierens durch die Öf- operieren. Für etwa die Hälfte aller fentlichkeit noch unzureichend. befragten Journalisten waren auslän- Zwar ist deutlich geworden, dass dische Journalisten „manchmal“ die Europäische Kommission nicht eine wichtige Quelle ihrer Berichter- länger auf eine journalistische stattung, für ein Fünftel sogar „häu- Hausmacht bauen kann, die admi- fig“. Doch nicht nur der tägliche nistrative oder persönliche Verfeh- Austausch zwischen Journalisten lungen geflissentlich übersieht. Die aus unterschiedlichen Ländern, son- mediale Toleranzschwelle ist nach dern auch die zunehmende Rezepti- dem Echo-Cresson-Fall deutlich on ausländischer Medien tragen gesunken, wenn auch unterschied- dazu bei, dass kritische Berichter- lich stark innerhalb verschiedener stattung die Grenzen nationaler Öf- nationaler Gruppierungen. Die fentlichkeiten überwinden und poli- Prodi-Kommission hat auf das tische Wirkung entfalten kann. So Scheitern ihrer Vorgängerin mit ergab die Stichprobenbefragung, zum Teil mutigen Reformen rea- dass der durchschnittliche Brüsseler giert, die trotz aller Schwierigkeiten Korrespondent zwischen vier und in der Umsetzung zeigen, dass mit fünf ausländischen Zeitungen und dem Prinzip politischer Verant- Magazine regelmäßig liest. Leitme- wortlichkeit und Transparenz in ei- dium ist dabei vor ganz klar die Fi- ner wichtigen Institution der EU nancial Times (67 Prozent), gefolgt ernst gemacht wird. von Le Soir (51 Prozent) und Le Trotz dieser Erfolge artikuliert sich Monde (39 Prozent), International eine Europäische Medienöffentlich- Herald Tribune (28 Prozent), Li- keit nur sporadisch, entlang relativ bération (17 Prozent), und schließ- weniger Themen und Ereignisse. Da

87 sie sich vornehmlich aus einer län- Mitgliedstaaten, die ohne die Schein- derübergreifenden Diskussion in werfer politischer Öffentlichkeit nationalen Massenmedien heraus leichter Kompromisse schliessen konstruiert, mangelt es ihr an der konnten. Kontinuität, Tiefe und Differen- ziertheit – nicht nur im Vergleich zu Personalisierung von Europapolitik nationalen Räumen der Meinungs- So bleibt die Anbindung der politi- bildung und Kontrolle, sondern vor schen Debatten in Brüssel an die allem gemessen an den realen Aus- Politik in den Hauptstädten weiter- wirkungen der Europapolitik auf die hin ein ernstes Problem für die Kon- Bürger des Kontinents, zum Guten trolle europäischen Regierens durch wie zum Schlechten. Insbesondere Öffentlichkeit. Allerdings gibt es fällt auf, dass die Mehrzahl der Me- auch Hinweise, dass der gegenwärti- dien auf einem Auge extrem kurz- ge Trend zur Renationalisierung und sichtig sind. Die Sehschwäche be- Politisierung die EU-Minister und steht vor allem darin, dass die politi- gar Regierungschefs zwingt, Kon- sche Verantwortlichkeit der Mit- flikte auch im Vorfeld von Ratsent- gliedstaaten innerhalb der EU-Ent- scheidungen publik zu machen und scheidungsstrukturen noch unzurei- auszutragen. In der Vergangenheit chend eingefordert und umgesetzt hatten es Medienvertreter zwar nicht ist. Für die mangelnde Transparenz schwer, nationale Interessen oder des Europäischen Regierens sind Verhandlungspositionen in Brüssel zumindest zum Teil auch die politi- auszumachen, sie konnten diese je- schen Akteure verantwortlich. doch nur selten mit ministeriellen Symptomatisch, wenn auch nicht Zitaten, Bildern und Debattenbei- ausschlaggebend erscheinen das trägen unterfüttern. Ohne eine Per- vieldiskutierten Problem der Trans- sonalisierung politische Konflikte parenz von Ratssitzungen und die bleibt der Beitrag nationaler Politi- Einschränkungen des Rechts auf ker zur Brüsseler Politik aber oft- Zugang zu EU Dokumenten. Die mals unklar, von den Sitzungen des spezifische Form der Konsensfin- Europäischen Rates abgesehen. dung in Brüssel mit Hilfe hunderter Deshalb ist es bemerkenswert, dass Ausschüsse ist über Jahrzehnte ge- sich in den vergangenen Monaten wachsen und hat die öffentliche Un- mehrere führende Politiker wie etwa zugänglichkeit der behandelten poli- Blair, Schröder und Chirac in öffent- tischen Konflikte gefördert, im In- lichen Stellungnahmen über die Zu- teresse vor allem der Vertreter der kunft der Union geäußert haben,

88 obwohl damit ihre unterschiedlichen Wahrheit verkauft. Für unpopuläre Zielsetzungen und Interessen deut- Maßnahmen konnte die Europäi- lich zu Tage getreten sind. sche Kommission oder ein anony- Doch auch die Journalisten, die ve- mer Stabilitätspakt verantwortlich hement gegen die Entscheidungsfin- gemacht werden, ebenso wie das dung „hinter verschlossenen“ Türen Scheitern wichtiger Initiativen und wettern, haben Grund zur Selbstkri- Reformen im Ministerrat gerne an- tik und Besserung. Über viele Jahre deren Mitgliedsländern in die Schu- hinweg haben sich viele der mit der he geschoben wurde. Dieses Verhal- EU-Berichterstattung befassten ten ist den politischen Akteuren im Journalisten von ihren nationalen Grunde kaum vorzuwerfen, es ge- Quellen einwickeln lassen. Teils aus hört zum meinungsbildenden Spiel Bequemlichkeit, teils aus Rücksicht- in Demokratien. Das Versäumnis nahme vor nationalen Ministern liegt hier vielmehr auf der Seite jener wurde der offizielle Spin über die Medienvertreter, die bei der Recher- erfolgreiche Interessensvertretung che zu selten die eigenen nationalen in Brüssel oft zu unkritisch als die Zirkel verlassen.

89 Transnationale Recherchen finerien an Elf-Aquitaine wäre heute als Ausbildungsinhalt vermutlich schon geklärt. Deshalb ist es positiv zu bewerten, wenn jun- Dieses Defizit ist in der Mehrzahl ge Journalisten zum Aufbau von nicht individuell zu begründen, es Kontakten ins Ausland geschickt gehört zu den wichtigsten Erkennt- werden, oder gar in einem multina- nissen der Medienwissenschaft, dass tionalen Verbund zusammenarbei- der Entscheidungsspielraum von ten, wie etwa im Falle der Brüsseler Journalisten geringer ist als allge- Büros von Reuters oder der Financi- mein angenommen wird. Das al Times/Financial Times Deutschland. Hauptproblem, die über lange Jahre Es ist wenig überraschend, dass die geringe Nachfrage nach EU-Nach- Internationalisierung des Journalis- richten und der Mangel an profes- mus besonders im Bereich der Wirt- sioneller Distanz zwischen Journali- schaftsberichterstattung zu finden sten und ihren Quellen, hat sich ist. Die Globalisierung von Märkten deutlich verringert. Dennoch gibt es und Kapital hat auch die Nachfrage weiterhin Mängel auf anderen Ebe- nach Informationen verändert. Vor nen, angefangen von der journalisti- allem linksliberal orientierte Zeitun- schen Ausbildung, in der Auslands- gen haben die Verwandlung der aufenthalte zu kurz kommen, Auslandsberichterstattung lange Fremdsprachkenntnisse wenig aus- verschlafen und redaktionelle Res- gebildet sind und die Internetrecher- sourcen vor allem auf die nationalen che noch längst keine Selbstver- Foren der Berichterstattung kon- ständlichkeit ist. Ein weiteres Pro- zentriert. Die französische Zeitung blem stellt die nur rudimentäre Aus- Libération schickte erst 1994 einen bildung transnationaler Netzwerke eigenen Korrespondenten nach für Journalisten in Europa dar. Das Brüssel, der sich zu einem der Beispiel der Brüsseler Korrespon- Hauptakteure in der Aufdeckung denten zeigt, dass solche Netzwerke politischer Skandale entwickelte. einen unschätzbaren Wert für die Vor dem Hintergrund dieser Er- länderübergreifende Recherche und kenntnisse scheint die funktionie- später die Durchschlagskraft der rende Europäische Medienöffent- Berichterstattung haben. Hätte es lichkeit nicht in erster Linie von ein ähnlich wirksames Netzwerk Medien mit transnationalem Ver- zwischen deutschen und französi- breitungsraum abzuhängen, son- schen Journalisten gegeben, die Af- dern von einem Journalismus mit färe um den Verkauf der Leuna-Raf- einem transnationalen Recherche-

90 ansatz. Wenn politische Akteure hat. Eine aktualisierte deutsche Ver- aus unterschiedlichen Ländern zu- sion der Doktorarbeit erscheint im sammen kommen, um Politik zu Frühjahr 2002 mit Unterstützung gestalten, müssen Journalisten in des Erich-Brost-Instituts für Jour- der Lage sein, ihren natürlichen In- nalismus in Europa bei Vistas (Ber- formationsrückstand durch Koope- lin) unter dem voraussichtlichen Ti- ration und länderübergreifende Re- tel: „Europäische Öffentlichkeit in cherchen zu kompensieren. Sie Brüssel: Die EU Kommission, die müssen also bis zu einem gewissen Medien und politische Verantwort- Grad in ihrer Arbeitsweise die Eu- lichkeit“. ropäisierung und Internationalisie- 2 Es wurden 200 Korrespondenten rung der Politik nachvollziehen, vor allem der Printmedien ange- ohne dabei ihr überwiegend national schrieben, wobei die nationale Ver- verwurzeltes Publikum hinter sich teilung ihrem jeweiligen Anteil im zu lassen. Ob sich im Zug länder- Pressecorps entsprach. Bei der Aus- übergreifender Debatten und Infor- wertung der 70 beantworteten Fra- mation die Meinung der Bürger über gebögen stellte sich heraus, dass süd- die Europäische Union verbessert, europäische Korrespondenten etwa ist eine völlig andere Frage. halb so stark vetreten waren wie in der Grundgesamtheit. Deshalb ist Anmerkungen die Repräsentativität des Samples vorsichtig zu beurteilen. Die Metho- 1 Dieser Artikel basiert auf For- den und Ergebnisse der Befragung schungsergebnissen, die der Autor sind in der eingangs erwähnten Ver- im Rahmen einer Promotion an der öffentlichung der Doktorarbeit aus- Universität Cambridge gesammelt führlich dargestellt.

91 Thomas Leif Kritischer Journalismus kann die Demokratie beatmen

„Selbstgedrehtes, Selbstrecherchier- „Die Blitze der Aktualität nehmen tes, (sind) allenfalls noch bei der zu, und die Regel lautet: Für einen seltenen Hintergrundgeschichte Augenblick wird ein Ereignis grell willkommen. Wir Journalisten sind erleuchtet, danach ist alles für den die menschlichen Bausteine einer Zuschauer wieder zappenduster.“ Industrieproduktion geworden.“ Einen weiteren Mosaikstein im öf- Diese Mahnung von Sonia Mikich fentlich-rechlichen Gesamtbild fü- bei der Verleihung des Kritiker-Prei- gen zwei Nachrichtenprofis hinzu: ses (wdr print 6/2001) bringt auf Bettina Warken, die „heute“-Chefin den Punkt, was viele denken, aber wendet das Blatt ins Positive und kaum jemand öffentlich auszuspre- vertraut dem ZDF-Hausblatt ihre chen wagt. Mit dem Nimbus des Medien-Vision an: „Die Besinnung Nestbeschmutzers und Anklägers des ZDF auf kompetenten, span- lebt niemand gerne. nenden und investigativen Journa- Auch ein zweiter Gedanke aus der lismus ist ganz eindeutig das, was Praxis wird etablierten Medienma- unsere Zukunft sichert.“ ( kon- nagern fremd sein: „Wir sind der Ty- takt 6/01) rannei der Aktualität unterworfen“ Ulrich Deppendorf, der Chef des – schreibt die künftige Monitor- ARD-Hauptstadtstudios ist insge- Chefin.“ Wir haben keine Zeit mehr samt optimistischer: „Und es ist im- zu zweifeln. Der Satellit wartet. Am- mer noch möglich“ – sinniert er ge- bivalenzen, Grautöne, Widersprü- genüber ddp (23.05.01) – „investiga- che – sie werden in den Schlagzeilen tiven Journalismus zu betreiben, wie und Sondersendungen weggebal- wir im „Bericht aus Berlin“ immer lert.“ wieder bewiesen haben.“ Jürgen Thebrath – ebenfalls WDR- Diesen Optimismus trübt allein Jo- Autor – bestätigt, das heute „Schnel- hannes Rau, der in der unterhalten- ligkeit der Maßstab aller Dinge“ ist: den Inszenierung von Politik eine

92 Bedrohung wittert. „So wird Politik Der Schluss bleibt positiven Per- zu einem Teil der öffentlichen Un- spektiven vorbehalten, frei nach terhaltung“, warnt er und formuliert dem Motto „Wo Gefahr ist, wächst seine Vision: „Ich wünsche mir eine auch das Rettende.“ Mediendemokratie, in der das Ver- mitteln der Sache wichtiger ist, als Back to the roots – back to reality das Vermitteln von Bildern und Der ZDF-Intendant Dieter Stolte Bildunterschriften.“ hat Mitte Mai die Medien vor einem zunehmenden Realitäts-Verlust ge- Dieses kurze Problem-Relief soll warnt. Die „voyeuristische Selbst- den Horizont öffnen für ein Leit- inszenierung“ nehme zu, die Zuwen- motiv der Berliner Republik: dung zur konkreten Wirklichkeit Recherchierender Journalismus ist müsse die Antwort auf diese Ent- zeitgeistabhängig. Und der Zeitgeist wicklung sein. Ein Intendant fordert liebt zur Zeit eben eher die hochpo- beherzt die Rückbesinnung zur Rea- lierte Oberfläche, nicht den tiefgrün- lität – dies wirft die freilich unbeant- digen Blick hinter die Kulissen der wortete Frage auf, wie es zuvor zu Mächtigen und Einflussreichen in der diagnostizierten Entfernung von Politik und Wirtschaft. der Realität kommen konnte? Recherche ist die zentrale Ressource für Die Analyse ist richtig, der Appell guten Journalismus und damit für Medi- wird aber folgendlos verhallen, weil enqualität. die Entwicklung vor allem der elek- Das Klischee des investigativen tronischen Massenmedien kaum Journalismus, das sich allein auf Ak- mehr umzusteuern ist: die Betonung tenbeschaffung und Geheim-Dos- des Leichten und Seichten, die Zen- siers reduziert, sollten wir schnell trierung auf Personen und Konflik- vergessen. te, das Vertrauen auf einfache Sinn- Ohne die Analyse der gesellschaft- strukturen und die Diskriminierung lichen Realität und der prägenden komplexer Zusammenhänge ist ein Medienkultur werden wir das Phä- Reflex auf die gesellschaftliche Ent- nomen „Recherche“ nicht verste- wicklung und die Zeitläufte. Wenn hen. Deshalb zunächst das Aus- selbst in Seminaren von ARD-Sen- leuchten der politischen Rahmen- dern zum Thema „Boulevard-Jour- bedingungen, ehe wir in einem nalismus“ bereits die Botschaft ver- zweiten Schritt zu dem aussterben- kündet wird, „Informationsverdün- den Handwerk der Recherche kom- nung bringt Quotenzuwachs“, dann men. ist der Trend der Zeit spürbar. In

93 dem ,handout‘ des Seminars (1. Auf- nen sowie dokumentierte Inter- lage 1999) unterscheiden die Trainer essenkonflikte finden nur gerin- „Massenprogramme“ von soge- ge Resonanz nannten „Zuwendungsprogram- • Recherchierender Journalismus men.“ („reine, trockene Fachsen- braucht Zeit, Geld und Ressour- dungen“) cen. Sparen ist aber auf allen Beim „Programm für die Mehrheit“ Ebenen angesagt. müsse die „Baucherwartung“ befrie- • Die Ergebnisse langer Recher- digt werden. Anschliessend werden chen fördern meist Misstände, „sieben Säulen“ vermittelt, die ein Unregelmäßigkeiten, kriminelles Thema stützen: „ Schicksal, Promi- Handeln, Skandale und Konflik- nenz, Sex & Crime, Katastrophe, te zu Tage. All das bringt Unru- Geld, Kinder, Tiere.“ Unumwunden he, und Unruhe stört das Be- lautet der Tip an die Fernsehmacher dürfnis nach Zerstreuung und aus der Politikredaktion: „Je mehr Unterhaltung. dieser Kriterien ein Thema erfüllt, • Es gibt eine extreme Zunahme desto besser ist es.“ kanalisierter Information. Es ist Diese ,neue agenda‘ journalistischer wohl kein Zufall, dass der Re- Nachrichtenfaktoren ist weiter fort- gierungssprecher als PR-Mann geschritten, als manche Medienkriti- des Jahres ausgezeichnet wurde. ker vermuten. • Relevante Kritik an bestimmten Dazu kommt ein ergänzender Missständen führt zu starkem Trend zur Infantilisierung der Ge- Gegendruck, und oft zu juristi- sellschaft, manche nennen es auch schen Auseinandersetzungen Banalisierung. Die Spaßgesellschaft mit zum Teil persönlichen Fol- will eben bei Laune gehalten wer- gen. den. Diese Entwicklung läßt sich wohl Zunahme von ,Kampfhund-Kommunika- nicht mehr umkehren, zumal das tion‘ Bewusstsein für diese Problemlage Betrachtet man die großen, den öf- unterentwickelt ist. fentlichen Diskurs strukturierenden In diesem Programmumfeld „für die Themenkonjunkturen der vergange- Mehrheit“ stören alle Faktoren, die nen Monate, erkennt man die Web- recherchierenden Journalismus aus- struktur dieser Themen recht machen: schnell: • Kritische Anfragen auch an • der Streit um die Kampfhunde Strukturen, Machtkonstellatio- in Deutschland

94 • das Drama um die Gefangenen die meisten recht gut eingerichtet in Jolo haben, tritt der Streit um bessere • die Tragödie von Sebnitz (als ein Lösungen (um was?) zurück. Es Höhepunkt der Debatte um gibt kaum mehr Grundsatzfragen, Rechtsextremismus) über die kontrovers und nachhal- • der Skandal um Joschka Fi- tig gestritten wird. schers Jugendsünden (und die Bei den notwendigen großen Re- Debatte um 68) formthemen steht die jeweilige • die Auseinandersetzung um Lobby wohl positioniert und wohl Trittins Nationalstolz und seiner vertreten in den Vorzimmern der Buback-Entschuldigung Macht und protestiert. Die Men- • der immer wieder aufflackernde schen, so haben die Wahlforscher Preiskampf an der Tanksäule. die Parteimanager überzeugt, wol- len Sicherheit. Und keinen Wan- All diese Wellen sind verebbt, der del. Nicht einmal Sicherheit durch politische Gehalt, der in den The- Wandel. men verborgen war, ist heute kaum Diese Grundtendenz in der Gesell- mehr erkennbar. Konkrete Folgen schaft spiegeln die Medien, in dem oder gar politische Korrekturen in sie ein neu erfundenes Genre, den den jeweiligen politischen Feldern „Aufreger“, über Themen produ- sind nicht festzustellen. Erst wenn zieren, über die man sich eigent- wieder ein Kind von einem lich garnicht aufregen muss. Kampfhund zu Tode gebissen Gesellschaftspolitische Trends wird, beginnt die Debatte wahr- und die mediale Antwort darauf scheinlich von Neuem. verbinden sich zu einem stillen Das heißt: in vielen Bereichen ist Konsens gegen das Anspruchvol- ein „Ende der Politik“ festzustel- le, das Sperrige, das Komplexe – len. Der langsame Prozess der also gegen alle Stoffe, aus denen Aushöhlung der politischen Ge- der recherchierende Journalismus staltung hat die Ausstattung der in der Regel seine Geschichten Medien und ihre Agenda beein- schöpft. Die Spaßgesellschaft will flusst. bei Laune gehalten werden, Events Zugespitzt heißt das: In einem und der lange Lauf auf dem endlo- Land, das die großen ideologi- sen Boulevard verdrängen dann schen Auseinandersetzungen hin- eben gute Hintergrundgeschichten ter sich gelassen hat, in dem die auf Seite Acht oder ins Ghetto der Mitte immer grösser wird und sich Nacht.

95 Die Grammatik der Skandale • „Viel reden. nichts machen“ - Der Vertrauensverlust in die Poli- Die Talk Show ersetzt das Parla- tik – als Ausfluss eines Jahrzehnts ment. der Politikverdrossenheit – hat • die Fülle der kleinen und gros- Spuren hinterlassen. Die Folge: für sen Skandale, die Distanz zur viele bürgerliche Eliten spielt Poli- Politik legitimieren und massive tik – gedacht in großen Linien und Vorurteile „gegen die da oben“ eingebettet in ein Werte-Funda- bestätigt. ment – keine Rolle mehr. Allen- • die Überbürokratisierung der falls geht es um die Durchsetzung Gesellschaft („Sozialmafia“) kurzfristiger Interessen, und die und gleichzeitige Unbeweglich- Lösung eigener, spezifischer Pro- keit der Politik bleme. • Show statt Substanz – die Insze- Der Prozess hin zur Politikverach- nierung von Politik und die Ver- tung – begleitet von einem ernstzu- mittlung von Stimmung als Po- nehmenden Ausmaß der Nichtwäh- litikersatz ler und Wahlverweigerer – hat viele Gründe. In einem großen Bündel Wohltuend sind in diesem Zusam- wirken sie verheerend – auch auf die menhang freimütige Stellungnah- Wahrnehmungsfilter der Medien. men etwa des CSU-Generalsekretärs Für viele Macher sind Politikthemen Thomas Goppel, der bezogen auf einfach „nur noch ätzend“ und „Ab- die Gen-Debatte auf die „Grenzen schalter“. der Politikgestaltung“ aufmerksam machte und offen darlegte, dass Ent- Folgende Erfahrungsgrundsätze scheidungen der Politik in hoch- sind mittlerweile tief im Bewußtsein komplexen Themenfeldern auch auf der Menschen verankert. Grenzen stießen. (DLF, 29.5.2001) Tendenzen, die die Wahrnehmung von Politik prägen. All diese Tendenzen, die insgesamt • Defizite in der Gestaltung rele- einen gepflegten Stillstand markie- vanter Probleme und in der Um- ren, werden mit feinen Sensoren setzung beschlossener Politik aufgenommen – auch von den Me- • Auszehrung des politischen Per- dien. All das sind keine Katalysato- sonals ren für recherchierenden Journalis- • Staatsversagen auf vielen Ebe- mus, weil nach der ersten „Skandal- nen (Handlungsunfähigkeit der Stichflamme“ die Aufregung verlo- Kommunen) dert und sich wieder Langeweile aus-

96 breitet. Offenbar kann nur die an- „moderierten“ Nachrichten des dauernde Berichterstattung aller ZDF am Ende und in der ARD im Medien über einen längeren Zeit- ersten Drittel der Tagesschau pla- raum ein Thema auf der „Berliner ziert. Agenda“ halten. Doch dies ist nur in Ausnahmefällen – wie etwa der Bezogen auf den recherchierenden Hochphase der CDU-Spendenaffai- Journalismus heißt das: es gibt kei- re – möglich. nen verbindlichen Kompass für die Relevanz von Themen und Konflik- „... sich gut informiert fühlen“ ten, die als „investigativ“ einge- Statt sich den Herausforderungen schätzt werden. Was ist wirklich neu dieser Politik-Szenerie zu widmen, – oder was wird nur um einen be- sucht die agressive Konsumgesell- reits bekannten Informations-Kern schaft nach neuen Wegen, nach als Neu-Information garniert und Spannung in der Langeweile, nach entsprechend verkauft? Das Recy- dem Kick für den Augenblick. cling von vermeintlich „neuen“ In- formationen führt zunehmend zum Die großen Wahrheiten werden mei- Verdruss von Machern und Konsu- stens ganz simpel verkündet. Ein menten. Privat-Radio ist einer dieser Wahr- heitsvermittler: Im Vorspann zu den Agenda-Cutting ersetzt Agenda-Setting „Nachrichten“ umgarnt uns eine Niemand weiss heute mehr ganz ge- Stimme mit dem entwaffnenden nau, was wichtig und was unwichtig Slogan: „Wir wollen, das sie sich gut ist. Das organisch entwickelte Kon- informiert fühlen.“ zept der „moderierten“ heute-Nach- richten wird man in keinem Journa- Wenn man die Nachrichten im Hör- lismus-Lehrbuch finden. funk – privat wie öffentlich-recht- Die klassischen Relevanz-Kriterien lich mit bestimmten Ausnahmen – werden nicht selten auf den Kopf und die TV-Nachrichten analysiert, gestellt. wird man feststellen, dass es kein Folgende agenda-prozesse funk- einheitliches agenda setting gibt, tionieren, auch wenn sie nicht in sondern höchstens bestimmte Ten- der offiziellen Lehrbüchern zu le- denzen. Zentrale, neue Informatio- sen sind oder gar die mit einem nen im Fall Kiep kommen in den enormen timelack ausgestattete Hauptnachrichten von SAT 1 und Publizistik-Wissenschaft beschäf- RTL gar nicht vor, werden in den tigen:

97 • Der Stoff muss einfach und ein- Protagonisten verdrängen kom- gängig sein, komplizierte Sinn- plizierte Strukturen und Sinn- zusammenhänge haben keine zusammenhänge. Chance. Der Stoff muss sich ganz ein- • Es gibt eine Sehnsucht nach ori- fach und simpel darstellen las- entierender Verdichtung, die die sen können. Vereinfachung ist Konsumnenten aus dem diffu- das Zauberwort und die damit sen ,Overkill‘ von news und en- verbundene Ausblendung ande- tertainment in einen sicheren rer „schwieriger“ Themen. Hafen der klaren Information führt. Stoffe, die sich dazu nicht • Hintergründe sind nicht mehr eignen, fallen durch die vorge- interessant, Vordergründiges gebenen Raster. muss beleuchtet werden, weil der Aufmerksamkeitspegel in ei- • Nur wenn BILDER vorliegen, ner überreizten Gesellschaft besteht eine Chance in das sehr niedrig ist. Aufstrebende Leitmedium TV und die zuneh- Chefredakteure haben dafür den mend bildorientierten Zeitun- Begriff des „Oberflächenreizes“ gen (auf die Seite 1) zu kommen. erfunden. Die visuellen Experimente des Tagesspiegel und der Welt, die mit All diese Faktoren, die sich durch großflächigen Fotos arbeiten, die Zunahme des Internet-Journa- prägen wohl den Zukunftstrend. lismus und die „news-to-use“-Phi- losophie noch verstärken werden, • Das Motto: ,Ein Bild sagt mehr sind Handicaps für recherchieren- als 1000 Worte‘ oder ,Einmal se- den Journalismus. Der Aspekt des hen, ist besser als 100 Mal hö- „Nutzens“ hat längst die Bedeutung ren‘ (Mao) illustriert die Macht des „Wissens“ verdrängt. der Bilder. Das Tempo der Hier ist auch die Inszenierungsge- Unterhaltungs-Maschine fahr angelegt, da durch die Auswei- Wir leben in einer wachsenden Welt, tung der elektronischen Medien die in der Medien & Konsum zu Schlüs- Bilder-Gier grenzenlos wächst. selbegriffen werden, die eine große Gestaltungsmacht entfalten. • Personen- und Einzelschicksale Gleichzeitig muss hier krass unter- oder der Kampf / Streit zweier schieden werden zwischen qualitativ

98 hochwertigen Medienangeboten in Orientierungslos im Medien-Dschungel Sparten und Nischen und dem kli- In einer visuell überreizten Gesell- maprägenden Massenprogramm – schaft geht es immer häufiger nicht vom Privatfunk bis zu den Anzei- mehr um Informationen und Fak- genblättern. ten, sondern um Eindrücke und Stimmungen. Wie wirken Mimik, Gleichzeitig bewegen wir uns in Gestik, Farben? zersplitterten Teilöffentlichkeiten, Wie aggressiv reagieren Politiker – die – extrem zugespitzt – von einer wie souverän? Welche Laune hat der Info-Elite und einem Unterhal- Kanzler? tungs-Proletariat geprägt werden. Schröder ist ein Meister der Medien- Zwischen diesen beiden Polen fin- Inszenierung, wenn er etwa die tor- det das Puzzlespiel der Zerstreuung soartige Rentenreform als großarti- statt. D.h. bestimmte Informatio- gen Erfolg vermittelt. Er „verkauft“ nen erreichen das Gros der Bevöl- das Ereignis mit großer Freude und kerung nicht mehr. Parzellierung verbindet dies mit dem Dank an sei- hat aber zentrale Konsequenzen für nen Minister. Die „gute Stimmungs- die Frage „was ist wichtig“, „was ist Bilder“ erschlagen dann die trüben nachrangig und was unbedeu- Fakten. tend?“. Wahlentscheidend ist nicht die klare Bilanz einer Amtsperiode, sondern Natürlich gibt es eine kritische Öf- das massenmedial geprägte Bild, das fentlichkeit, die sich für orginäre ein Politiker abgibt. Welche Asso- Recherchen interessiert. Natürlich ziationen und Gefühle – von Ver- gibt es qualitativ hochwertige Tages- trauen bis Kompetenz – setzen be- und Wochenzeitungen, natürlich stimmte Bilder frei? gibt es Nischen zu später Stunde in Politiker wissen, dass nicht die müh- den elektronischen Medien. Aber selige parlamentarische Kleinarbeit der Befund ist eindeutig: Dieser Sek- ihnen beim Entstehen dieser Bilder tor schrumpft und wird durch Quo- hilft, sondern allein die mediale Prä- ten- und Auflagendruck weiter be- senz. Das verleitet zur Abkehr von drängt. klassischen parlamentarischen Tu- genden – hin zu professionellen In- In der Summe heißt dies: Der Markt szenierungs-Aktivitäten. für recherchierenden Journalismus Die Sache tritt in den Hintergrund – wird immer kleiner, eine Insel im die Show wird zentral. Die Show- Meer der leichten Unterhaltung. Regie verdrängt also die langfristige

99 Konzept-Arbeit. Dies verändert Macht ohne Verantwortung nicht nur Politiker-Rollen, sondern Das Trennungsgebot zwischen Me- verzerrt auch die heile Welt des Be- dien und Politik existiert nicht mehr. rufspolitikers aus deutschen Sozial- Der duzende Kanzler, die vielen kundebüchern. Hintergrund-Kreise, Roland Koch als Focus-Chef, Helmut Markwort Die Konsequenz: Oft wird Politik als Hessen-MP, Hans Eichel als schon in der Konzeptionsphase auf BILD-Chef, Kai Diekmann als Spar- ihre mediale Wirkung hin gecheckt. kommissar im Finanzministerium. Nicht die Sache oder das zu lösende Auf dieser Plattform läßt sich ein Problem ist der Maßstab, sondern Austausch unter Gleichen pflegen. die zu erwartende Medienresonanz. Der Mann mit den vielen Fakten, Inszenierungs-Politik verdrängt Focus-Chef Markwort, nahm am Sach-Politik. 29.5.2001 nicht zufällig die Rolle des hessischen Ministerpräsidenten an. Viele Menschen suchen nach Ori- Bei dem riesigen Medienauflauf be- entierung in der immer komplizier- tonte er noch einmal die Rolle der teren Welt. Deshalb haben die Medien als „Dolmetscher“ der Poli- Übersetzer der Komplexität die tik. Selten wurde die Verschmelzung größten Marktchancen. Umfragen, zwischen Politik und Medien und Rankings und „Experten“, die kei- das (verzerrte) Selbstbild so deutlich ne Angst vor Vereinfachung ha- wie in diesem Fall. ben, sind die Stars der Mediensze- Zeit-Autor Gunter Hofmann brach- ne. Jochen Hörisch aus Mannheim te es auf den Punkt: „Diese Veran- spitzt zu: „Diejenigen sind promi- staltung ist ein Teil des Problems, nent, die fachlich inkompetent das sie beleuchten will.“ sind.“ So genannte Instant-Exper- ten das heißt: Gegenexperten, die Zugespitzter hat es Rudyard Kipling für die Vermittlung von Recher- quasi vorauseilend gesagt „Journali- che-Ergebnisse unverzichtbar sten haben Macht ohne Verantwor- sind, haben geringe Chancen. tung – zu allen Zeiten ist dies das („Wer ist denn dieser ,no name‘?“) Kennzeichen der Huren.“ Die Forderung nach prominenten (nicht kompetenten) Interview- Abseits des inszenierten Mediener- partnern gehört bereits zu der In- eignisses: Die Rollen der Journali- nenaustattung selbst renommierter sten ändern sich – von der eigen- Magazine. ständigen Beobachtung aus eigenem

100 Blickwinkel, unabhängig und kom- nur um „wording“, d.h. sie wollen petent –, geht der Trend zum con- selbst bestimmen, was berichtet wird tent-manager, der am „traffic“ (also und was nicht. Trotz Informations- am Geschäftsverlauf) beteiligt ist. freiheitsgesetz in bald vier Bundes- Es geht zunehmend darum, aus vor- ländern und im Bund – der Trend handenen, leicht verfügbaren Stof- geht in Richtung kalt kalkulierter fen, neue zu produzieren und eine und kanalisierter Information. Wer perfekte Wertschöpfungskette zu kritische Anfragen oder Interview- kreiren. Auch das beeinflusst die wünsche hat, geht zunehmend leer Agenda der Medien. aus. Weil es keinen Widerstand etwa von Zunahme kanalisierter Information Journalistenorganisationen gibt wei- tet sich diese Methode der „Nicht- Immer mehr aussenstehende Akteu- Information“ immer rasanter aus. re betreiben effektives agenda-set- ting. Deutschland – Die größte Gefahr geht von den PR- wo sind deine Spürnasen? Agenturen aus, die gerade im politi- Sind diese Trends der Mediengesell- schen Bereich ihr Personal auffor- schaft unumkehrbar? Wo könnten sten. Alternativen erkennbar sein? Regierungssprecher besetzen im Wenn man über „investigativen Nebenjob die Gästeliste der wich- Journalismus“ spricht, muss die ge- tigsten Talkshows. sellschafts- und medienpolitische Entscheidend ist die Vermarktung Gesamtlage zunächst einmal besich- von „Nicht-Informationen“ und tigt werden. Denn Journalismus und „Zitaten“ nicht nur an Wochenen- die jeweilige Resonanz auf die Be- den. Wenn man die Vorab-Meldun- richterstattung und die daraus fol- gen von Tageszeitungen und Nach- genden Debatten, finden nicht im richtenmagazinen überprüft und ih- luftleeren Bereich statt: ren „Ertrag“ in den Agenturen ana- lysiert, kommt man oft zu einer er- Investigativer Journalismus kommt nüchternden Bilanz. dann zum Zuge, wenn andere In- In den USA gilt häufig die Empfeh- stanzen versagen. Rechnungshöfe lung „never talk to an press-officer“. oder Untersuchungsausschüsse Dieser Hinweis kann zunehmend üben oft nur Kontrolle zum Schein auch auf Deutschland übertragen aus. Bei der Umsetzung ihrer Kon- werden. Denn den meisten geht es trollvorschläge und der Nennung

101 der Verantwortlichen sind ihnen oft Gute Recherche darf nicht auf die die Hände gebunden und sie spüren „Enthüllung“ verkürzt werden; sie die Abhängigkeiten von denen, die ist das Fundament für kompetente sie gewählt haben. Berichterstattung. Ohne Recherche, hat Gerd Ruge gesagt, bleibt alles im Aufgabe eines guten Journalismus Allgemeinen und Ungefähren. ist es, Macht in jeder Form unter Legitimationsdruck zu setzen. Nie- Im Medien-Alltag geht es aber im mand darf es sich bequem machen. Wesentlichen um die Ergänzungs- „Der recherchierende Journalist hat Recherche. Wen muss ich zu der die Aufgabe, die dunkle Seite der Agentur- oder Pressemeldung noch Macht auszuleuchten und den anrufen, um den Text abzurunden? Mächtigen das Gefühl zu geben, Vielleicht reicht die Zeit noch, um dass der Missbrauch nicht völlig ge- die Gegenseite zu hören? Weil das fahrlos ist,“ so das Credo von Hans jeder kann, wollen die meisten Jour- Leyendecker von der Süddeutschen nalisten nichts von vertiefter Re- Zeitung. cherche hören. Zum Selbstbild gehört es „recher- Will man die Chancen, Möglichkei- chieren zu können“. Diese Sozial- ten aber auch Grenzen des recher- technik gehört sozusagen zur In- chierenden Journalimus bemessen, nenausstattung der Journalisten, so dann scheinen mir folgende Überle- selbstverständlich wie der Führer- gungen zentral: schein oder die persönliche Trinkfe- stigkeit. Ein trügerisches Selbstbild. 1. Die Intensität einer Recherche entscheidet über die Qualität eines „Recherchieren gehört zur selbst- journalistischen Produkts: Es geht verständlichen Grundausstattung“, also in erster Linie nicht um „Ent- dieser Tabu-Zustand darf nicht hin- hüllungen“, vertrauliche Vermerke, terfragt werden, sonst würden viele ungedeckte Schecks und verschwun- Mythen zerbrechen. dene Akten. Sondern es geht zu- nächst einmal ganz schlicht um die Recherche bestimmt Qualität, in- Optimierung der Qualität und damit dem durch intensive Auseinander- um den Respekt vor den Lesern, setzung mit einem Thema Infor- Zuschauern und Zuhörern. Das Pu- manten den Autoren kein X für ein blikum hat ein Recht auf ordentlich U vormachen können, indem die recherchierte Geschichten. richtigen Fragen an die richtigen

102 Leute gestellt, auf Antworten ge- Honorarschlüssel für Filme „mit“ drängt wird. Schließlich verbessert und „ohne“ Rechercheleistung oder die Recherche die Urteilsfähigkeit die bessere Bezahlung für die Bear- und die Auswahlqualität von Inter- beitung von eingespielten Nachrich- views, Fakten, Eindrücken, Bildern tenbildern im Verhältnis zu traditio- und Tönen. Das Produkt wird ein- nellen Magazinmachern. dürfte es fach besser. Recherche ist also d a s eigentlich nicht geben. Die finanzi- (unentdeckte) Instrument zur Qua- elle Bilanz ist unter Rechercheren litätssicherung. eindeutig: Ihr Mehreinsatz zahlt sich nicht aus. Qualität kommt von Qual

2. Die Zentrierung von Recherche 3. Wenn man über recherchieren- auf „Aktenbeschaffung“ ist eine un- den Journalismus redet, muss man zulässige Verkürzung. Gleichzeitig mehrere Arbeitsebenen und damit ist es ein geschicktes Entlastungsar- Intensitätsstufen der Recherche un- gument, das davor schützt, sich kon- terscheiden: kret mit der Anatomie der Recher- che zu beschäftigen. • die Alltags-Recherche, die vor- In allen journalistischen Feldern rangig Fakten und Informatio- müsste mehr beobachtet, mehr ge- nen kritisch prüft und die Stoffe dacht, mehr nachgefragt, also mehr in eine vernünftige Ordnung recherchiert werden. Diese Arbeits- bringt. weise würde zu besseren Portraits, spannenden Interviews und reflek- • die Magazin-Recherche, die tie- tierten Moderationen führen. fer geht, Zusammenhänge her- Die Stigmatisierung oder Ausblen- stellt und Hintergründe aus- dung der Recherche ist oft ein Ent- leuchtet, die sich um neue Fak- lastungsvorgang. Denn intensive ten und authentische Quellen Recherche ist schlicht und einfach und Informanten bemüht. mehr Arbeit. Aber damit sind Verleger und In- • die orginäre Hintergrund-Re- tendanten angesprochen, bessere cherche, die sich das Ziel setzt Arbeitsbedingungen zu ermögli- mit langem Atem bisher nicht chen und die Verbindung von „Re- veröffentlichte oder nicht öf- cherche und Qualität“ zu akzeptie- fentlich bekannte Fakten und ren. Zusammenhänge aufzudecken.

103 • die Enthüllung (als Ausnahme zum Allgemeingut werden. Eine kri- und Königsform). tischere Haltung zu Chancen und Grenzen der Netzinformation wäre Zwischen diesen vier Stufen gibt es eine Bereicherung für den Journalis- natürlich fließende Übergänge und mus. Akzente. Auf allen vier Ebenen sind Recherchen nötig und möglich. 6. In der Ausbildung und der Praxis des Journalismus sollten die Primär- 4. Recherche-Fähigkeiten müssen tugenden der Recherche dauernd weiterentwickelt werden. gepflegt werden: Die Verbesserung der Recherche- • Denken Fähigkeit der Journalisten ist ein • den Sachverhalt klären und Wis- Qualitätssicherungs-Programm. Die sen akkumulieren Wissensgesellschaft Deutschland • die richtigen Fragen an die rich- befindet sich hier noch im Stadium tigen Leute stellen eines Entwicklungslandes. • Quellen erschließen, pflegen und sichern Es ist ja kein Zufall, dass die Re- • einen Befragungsplan und eine cherche-Ausbildung seltener betrie- Chronologie der Ereignisse an- ben wird als etwa das Training an- legen derer journalistischer Arbeitstech- • Ergebnissicherung betreiben niken. Nach einer groben Übersicht mit einem Rechercheprotokoll, fällt auf, dass die Angebote für d.h. systematisches Arbeiten „Online-Recherche“ die normale fördern; mit viel Übung ist dies Basis-Recherche längst übersteigen. auf Dauer sogar zeitsparend. Dies ist nicht nur ein Tribut an „bil- Die Qualität der Produkte wird ligere Recherchequellen“, sondern nach intensiver Recherche auf jeden folgt auch vielen Kollegen, die dem Fall besser. Netz eher vertrauen als der Reali- tät. Solides Handwerk – kein Zauberwerk

5. Das Internet als Quelle ersetzt oft 7. Intensive Recherche ist vor allem die zentrale Ressource – das Den- Quellenarbeit. Spannende und un- ken. Die Analyse von Joseph Wei- bekannte Informationen werden zenbaum „Das Internet ist ein gro- nicht mit „Zauberhand“ beschafft, ßer Misthaufen, in dem man auch sondern mit solidem Handwerk er- Schätze und Perlen findet“ sollte arbeitet.

104 Im Mittelpunkt steht die Erschlie- Der Typ „diplomatischer“ Recher- ßung von Quellen, die vor allem ab- cheur scheint am erfolgreichsten zu soluten Schutz brauchen. sein. Diese Grundregel ist banal, wird aber nur selten akzeptiert. 9. Bei intensiven Recherchen gibt es Hier kommt es im Wesentlichen dar- (meist) kein Ende, sondern lediglich auf an, Menschen zu öffnen und ih- Pausen. Ausdauer und Nachhaltig- nen die gebotene Seriösität zu ver- keit, Fleiß und Hartnäckigkeit sind mitteln. Kommunikationsfähigkeit primäre Tugenden guter Recher- und Vertrauensvermittlung sind hier cheure. essentiell. Denn viele Informationen kom- Manchen Informanten ist die nach- men aus „niederen Motiven.“ gewiesene Intensität des Interesses (Haß, Herabsetzung, Ausgren- an der Sache irgendwann einmal zung, Konkurrenz, Intrige, Demü- sympathisch. D.h. die psychologi- tigung, PR- Gegenmaßnahmen, sche Disposition im Kontakt mit Ex-Mitarbeiter) Diese Erkenntnis Informanten ist oft entscheidend. sollte zu Konsequenzen führen: ei- Meist gilt der Erfahrungssatz nach nen sensibleren Umgang mit In- der Bearbeitung eines Themas: Aus formanten pflegen und natürlich einem Stoff wächst der andere; ein eine intensive Gegenrecherche be- guter Informant hat meist mehr als treiben. eine Geschichte zu erzählen.

8. Kontakte pflegen, ein Kontakt- 10. Rechercheure, die ihrem Ge- netz aufbauen ist entscheidend. schäft intensiv nachgehen, sind oft Neugier ist notwendig. sehr einsam. Denn nach jeder kriti- Dazu kommt aber eine Überdosis schen Geschichte gibt es nicht nur Misstrauen. Denn nur mit dem ge- „winner“ – sondern auch Verlierer. botenen Misstrauen und dem gegen- Es gibt eine Faustregel: Wenn wirk- checken von „heißen“ Informatio- lich etwas aufgedeckt wird, folgt die nen ist eine Recherche vollständig. direkte und versteckte Gegenwehr, wächst der Druck (Juristische Es ist kein Zufall,dass die erfolgrei- Schritte, Prozesse, politischer chen Rechercheure der Republik Druck, Karriere-Einbußen...). eine hohe Kommunikationsfähig- keit und die Fähigkeit zum Rollen- Es gibt außerdem den Trend „be- spiel aufweisen. kannte“ Rechercheure mit Gegen-

105 recherchen und Anfeindungen zu Kanzlers an die Öffentlichkeit kam, überziehen. Dies geschieht oft in wurde sogar eine „Task Force“ ein- Form einer „Projektion“. Als Ro- gerichtet. land Koch den Filmautor Chri- Nach vielen kritischen Berichten stoph Maria Fröhder wegen seiner werden Behörden durchforstet, Berichterstattung im Spenden- Quellen und Informaten gesucht. skandal übel beschimpfte, erklärte All dies belegt die Notwendigkeit ab- die hessische Landespressekonfe- soluten Informantenschutzes. renz geschlossen ihre Solidarität. Das ist unter Journalisten nicht Perspektiven – wo Gefahr ist, wächst immer so. auch das Rettende Die Attacken gegen die Recherche nehmen zu: Nachdem die Welt ex- Wenn man die zahlreichen kriti- clusiv auf hessischen Akten zu dem schen Hinweise zur mangelhaften geplanten NPD-Verbot berichtete, Recherche in jüngster Zeit mustert, wurde sogar das BKA eingeschaltet. stellt man ein gewachsenes Problem- Nachdem im Aussenministerium bewusstsein bei Machern und Ma- ein Bericht über die US-Reise des nagern fest.

106 Dieser „Unmut“ muss allerdings • Mitte Juni verkündete die ARD konstruktiv übersetzt werden. Eini- eine neue Programmstrategie. ge Perspektiven sind denkbar: Dokumentationen und Features wurden gestärkt, politische Maga- • Rechercheure müssen teamfähi- zine zumindest vorläufig direkt ger werden. Wer lange allein ar- nach der Tagesschau ausgestrahlt. beitet, dem droht die Gefahr des Tendenzen, die darauf hindeuten, Einzelgängers. Kooperationen, das das geflügelte Wort der „In- Themenaustausch (zwischen formationskompetenz“ eine neue den Medien) sind sinnvollvolle Renaissance erfährt. Hilfskonstruktionen, um Refle- xion, einen intellektuellen Ge- Sonja Mikich hat bezogen auf die genpart etc. zu fördern. Dies gilt Auslands-Berichterstattung einen auch für die internationale wichtigen Aspekt der Gegenwehr Grenzüberschreitung. Die Ko- beschrieben. Sie erinnert daran, das operation beim Sturz der EU- sich Journalisten stets fragen soll- Kommission gilt als leuchtendes ten, „Wer möchte, das ich das so Beispiel. mache und warum?“. Ihre Empfeh- lung sich offensiv gegen die Macht • Medienkritik und die Diskussi- der Vereinfacher und Quoten-Pre- on ethischer Standards in den diger zu wehren: „Wer sich gegen Medien sind die Partner des re- ,Ausland light‘ und Bangbang-Be- cherchierenden Journalismus. richte wehrt, bekommt oft vorge- Die Entwicklung eines „TV- halten, er oder sie habe einen über- Medienmagazins“ im NDR ist entwickelten, erhobenen Zeigefin- ein gutes Zeichen. Die Verstän- ger. Mit anderen Worten: langweilig, digung auf ethische Standards – kopfig, oberlehrerhaft. Wir jüngst im WDR festgelegt – bekommen Komplexe eingeredet, kann schon allein deshalb hilf- wenn wir über Humanismus oder reich sein, weil die interne Dis- Ansprüche reden. Aber wir müssen kussion über ethische Standards stur bleiben und uns nicht von Quo- und Werteorientierungen eine ten und Quotenpredigern ein- Debatte ausgelöst. schüchtern lassen.“

107 Jochen Markett Investigativer Journalismus „Handwerk statt Zauberei!“

1. Einleitung müsste er fairerweise auch die nen- nen, die für ihr „Überleben“ stehen: „Man sollte die Recherche auf die Hans Leyendecker, früher Spiegel-, Rote Liste der vom Aussterben be- nun SZ-Redakteur; Christoph Maria drohten journalistischen Tugenden Fröhder, freier ARD-Fernsehjour- setzen.“1 Mit dieser scharfen Forde- nalist; oder auch Dagmar Hovestädt, rung machte Matthias Drobinski, Redakteurin beim ARD-Magazin Redakteur der Süddeutschen Zeitung in „Kontraste“. Sie und einige ihrer München, im Jahre 1998 auf einen Kollegen betreiben und fördern das, aus seiner Sicht gefährlichen Miss- was Wissenschaftler und Autoren stand in den deutschen Medien auf- heute als „Investigativen Journalis- merksam. mus“ bezeichnen. Ihre Stärke ist die Drobinski begründete seinen Pessi- gründliche Recherche: Sie verlassen mismus so: Den wenigen festange- sich nie auf Pressemitteilungen, son- stellten Redakteuren stehe das dern sie denken nach und entwik- „Brackwasser der Verwaltung“ bis keln Fragen. Sie telefonieren, wäl- zum Kinn. Ihnen fehle die Zeit, um zen Akten, treffen sich mit Infor- eine Geschichte gründlich zu recher- manten und konfrontieren Verant- chieren. Diejenigen, die die Stories wortliche mit Vorwürfen. Ihre Pu- bringen könnten, nämlich die Frei- blikationen sorgen nicht selten für en, arbeiteten nach einer einfachen Aufruhr beim Publikum und produ- Rechnung: Steigt der Aufwand, sinkt zieren auf diese Weise politische und der Stundenlohn. Finanziell fehle wirtschaftliche Skandale. Als heraus- ihnen also auch der Anreiz, sich ragendes Beispiel wird meist die mehrere Wochen oder gar Monate Watergate-Affäre genannt, die vor in ein einziges Thema einzuarbei- allem durch die gründliche Recher- ten.2 che von Bob Woodward und Carl Drobinskis Analyse leuchtet ein. Bernstein, zweier junger Redakteure Doch wenn der SZ-Redakteur die der Washington Post, ausgelöst wur- journalistische Recherche als „vom de. In ihrer Folge trat Richard Ni- Aussterben bedroht“ bezeichnet, xon als Präsident der USA zurück.

108 Die Arbeit und das Selbstverständ- nalismus ist es möglich, die histori- nis von Rechercheuren nach dem schen Vorbilder investigativer Re- Vorbild von Bernstein und Wood- cherche zu beschreiben. Danach ward habe ich zum Thema dieser erscheint es mir sinnvoll, zunächst Arbeit gemacht. Bei der Lektüre wis- die von Gesetzen sowie gesell- senschaftlicher Aufsätze und jour- schaftlichen und redaktionellen nalistischer Berichte haben sich fol- Strukturen beeinflusste Lage des gende Fragen ergeben: investigativen Journalismus in 1. Welche Bedeutung hat der Be- Deutschland und den angelsächsi- griff „Investigativer Journalis- schen Ländern zu beschreiben, um mus“? danach auf das Selbstverständnis 2. In welcher historischen Traditi- der Rechercheure und die Anfor- on steht Investigativer Journa- derungen an ihre Arbeit einzuge- lismus? hen. Im letzten Kapitel möchte ich 3. Wie lässt sich die Lage des inve- kurz auf neue Möglichkeiten für stigativen Journalismus in investigative Nachwuchsjournali- Deutschland und vergleichend sten eingehen. dazu in den USA beschreiben? 4. Welche strukturellen Bedingun- 2. Investigativer Journalismus – gen, d.h. Gesetze, gesellschaftli- eine Definition che Anforderungen und redak- tionelle Strukturen, behindern Wer nach einer Definition für den oder fördern die investigative Begriff „Investigativer Journalis- Recherche? mus“ sucht, kann nicht einfach in 5. Welches Selbstverständnis steht den Duden schauen, um dort eine hinter der Arbeit eines investi- sinnvolle Auslegung und Inhaltsbe- gativen Journalisten in Deutsch- stimmung des Wortes zu finden. land und in den angelsächsi- Denn der Begriff birgt Interpretati- schen Ländern? onsspielraum. Hans Leyendecker 6. Welche Chancen haben Nach- hat in einem Rundgespräch zum wuchsjournalisten im investiga- Thema „Investigativer Journalismus tiven Journalismus? in Deutschland“ gesagt: „Die mei- Die Beantwortung dieser Fragen er- sten, so glaube ich, verstehen darun- folgt in den Kapiteln zwei bis sechs, ter, dass man ohne Hilfe der Sekre- die inhaltlich aufeinander aufbauen. tärin eine Telefonnummer findet.“3 Erst nach einer begrifflichen Ein- Sieht man einmal von der satirischen grenzung von investigativem Jour- Schärfe dieser Aussage ab, so zeigt

109 sie schon, dass die Definitionsansät- betriebener Informationsverhinde- ze für den Begriff sehr unterschied- rung sei nachforschender Journalis- lich sind. Sie reichen von rein her- mus unbedingt erforderlich.4 Re- meneutischen bis in beinahe kultur- cherche sehen sie also als Gegen- philosophische Dimensionen. mittel zur reinen „PR-Falle“. Viele versuchen den Begriff zu- So argumentiert auch der Rundfunk- nächst gegenüber einer anderen, journalist Klaus-Jürgen Haller, für weit verbreiteten Form des Journa- den „Investigative Reporting“ und lismus abzugrenzen: dem Verlautba- „Recherchejournalismus“ weitge- rungsjournalismus. Investigativ ist hend dasselbe sind. Bei beiden gehe für Hannes Haas und Heinz Pürer es um die Überprüfung von Fakten, ein Journalismus, der sich der Infor- Behauptungen und Unterstellungen, mation der Öffentlichkeit verpflich- also immer um die Frage nach der tet fühlt und sich nicht damit be- Wahrheit. Beide Arbeitsweisen hät- gnügt, nur Verlautbarungen unter ten zum Ziel, das öffentlich zu ma- die Leute zu bringen. In einer Zeit chen, was andere meinen unter den künstlicher Informationsüberflu- Teppich kehren zu müssen. Er defi- tung und gleichzeitig systematisch niert: „,To investigate‘, ,den Spuren

110 folgen‘, bedeutet: ,untersuchen‘, „Im Grunde ist dieser Typus keine ,nachforschen‘, ,nachgehen‘, ,Er- völlig neue Rollendefinition.“ Dann mittlungen anstellen‘“.5 fügt er aber gleich hinzu, dass er dar- Auch Werner Holzer, ehemaliger in die Erweiterung des klassischen Chefredakteur der Frankfurter Rund- Recherche-Journalismus aus den schau, kann sich mit der Gleichset- USA sieht8 und entkräftet so Hol- zung von investigativem Journalis- zers Argument des Pleonasmus. mus mit nachforschendem Journa- Entscheidend ist hier der Begriff der lismus anfreunden. Er glaubt aber, Erweiterung. Er verleiht dem inve- dass man es dann eigentlich mit ei- stigativen Journalismus den Status nem Pleonasmus, wie z.B. „weißer des Besonderen, gibt ihm einen ei- Schimmel“, zu tun habe. Denn wirk- genen Charakter. licher Journalismus, der sich der In- Diesen besonderen Charakter be- formation der Öffentlichkeit ver- schreibt z. B. Manfred Redelfs. Für pflichtet fühle, sei immer nachfor- ihn ist es „eine Form von US-Jour- schend gewesen und habe sich nie nalismus, bei der durch die intensive damit begnügt, nur Verlautbarungen Recherche bisher unbekannte Sach- unter die Leute zu bringen. Holzer verhalte von politischer Relevanz sagt: „Es stimmt einfach nicht, dass öffentlich gemacht werden, die Ein- damit eine ganz neue Art des Jour- zelne, Gruppen oder Organisatio- nalismus geboren worden ist. Seit nen verbergen möchten. Ziel von unabhängige Leute angefangen ha- ,investigative reporting‘ ist es, Miss- ben, Informationen zu sammeln, zu stände aus den Bereichen Politik, sortieren, zu vergleichen und zu ana- Wirtschaft und Gesellschaft aufzu- lysieren, wird nachforschender Jour- decken.“9 Analog zu dieser Aussage nalismus betrieben.“6 verlaufen die Ergebnisse einer Um- Benjamin C. Bradlee, der Verant- frage, die 1986 von der amerikani- wortliche Redakteur für die Water- schen Berufsorganisation „Investi- gate-Recherche von Bob Woodward gative Reporters and Editors“ (IRE) und Carl Bernstein (siehe 3. Kapi- durchgeführt wurde. Bei rund 90 tel), formuliert es ähnlich: „Any kind Prozent der Journalisten, die bei den of journalism, if you ask more than a 500 auflagenstärksten Zeitungen couple of questions, becomes inve- und den 200 größten Fernsehstatio- stigative by definition.“7 nen der USA arbeiten, herrschte da- Wolfgang Donsbach stimmt Holzer bei Konsens über die drei Haupt- und Bradlee zu, indem er über den merkmale von investigativem Jour- investigativen Journalismus sagt: nalismus:

111 • Eine aktive Reporterrolle Kremp, ehemaliger „Welt“-Korre- • Thematische Relevanz spondent in Brüssel, diese Art der • Die Recherche lässt sich nur ge- Recherche gar nicht gutheißen. gen Widerstände betreiben.10 „Verfolgungsbehörden investigie- Wenn es Widerstände gegen eine ren. Gemeindienste investigieren. Recherche gibt, müssen Wege ge- Das Ziel der Investigation ist die funden werden, diese zu umgehen Aufdeckung krimineller oder im wei- oder zu brechen. Eine Charakteri- teren Sinn gemeinschädigender sierung der dafür angewandten Me- Handlungen und Zusammenhänge. thoden steht im Mittelpunkt weite- Investigation in diesem Sinne bedarf rer Definitionen zur Frage, was ei- einer Legitimation, über die der gentlich „investigativ“ ist. Für Sieg- Journalist nicht verfügt.“14 fried Weischenberg, heute Vorsit- Viele Autoren bemerken, dass inve- zender des Deutschen Journalisten- stigative Journalisten sich oft selbst Verbandes, ist Enthüllungsjournalis- zu moralischen Wächtern der Ge- mus ein Gegenentwurf zum gängi- sellschaft machen. Hermann Boven- gen Informationsjournalismus. Sei- ter beurteilt das kritisch. In der klas- ne Kennzeichen seien intensive, kri- sischen Verfassungslehre sei die tische Recherchemethoden.11 Für Kontrollfunktion nicht zu Unrecht Michael Haller, Professor am Insti- dem Parlament übertragen. Wenn tut für Kommunikations- und Me- der Journalist sich nun als Wächter dienwissenschaften in Leipzig und oder Richter ideologisiere, löse er Herausgeber der Fachzeitschrift sich aus den verfassungspolitischen „Message“, sind die investigativen Zusammenhängen und verselbst- Recherchemethoden nicht nur „in- ständige eigenmächtig sein Amt.15 tensiv“ oder „kritisch“, sondern Eine besondere Form der Verselbst- „hart an der Grenze des Erlaub- ständigung kritisiert Klaus Reu- ten“12. Und Hermann Sonderhüsken mann: „Wenn dieser Journalismus zieht sogar einen Vergleich zur Poli- nicht in erster Linie der Verteidigung zeiarbeit: „Da wird mit teilweise kri- demokratischer Tugenden und Ein- minalistischen Methoden ermittelt. richtungen dient, sondern eher Es ist immer wieder erstaunlich, was durch Sensationshascherei der Auf- da von begabten Journalisten zutage lagensteigerung, nennt man ihn ab- gefördert wird.“13 fällig ,muckraking‘“16 . Während Sonderhüsken also von Um zu erfahren, woher dieser nicht den kriminalistischen Methoden po- von Reumann geprägte Begriff sitiv beeindruckt ist, kann Herbert stammt, möchte ich nun einen Blick

112 in die Geschichte, zu den Vorläu- denten der USA anstrebte. Tweed fern des investigativen Journalismus hatte jedoch öffentlich Partei für den werfen. bisherigen Gouverneur John T. Hoffmann ergriffen.19 Die Times 3. Recherchierende Journalisten in wurde von Tilden eher instrumenta- der Geschichte der USA lisiert, als dass sie investigativ tätig wurde. Allerdings füllte die Zeitung 3.1. Watchdogs und Muckrakers fast während des gesamten Septem- bers 1870 die ganze erste Seite mit In der zweiten Hälfte des 19. Jahr- neuen Enthüllungen von Tweed und hunderts war von investigativem seiner Fraktion. So verlieh sie der Journalismus in den USA noch kei- Kampagne einen investigativen Pa- ne Rede. Doch es gab bereits Jour- thos. Tweed wurde schließlich ge- nalisten, die sich der Öffentlichkeit stürzt und verhaftet. verpflichtet fühlten und kämpfe- Als wenig später der Verleger risch für die Enthüllung von Kor- Adolph Ochs die New York Times ruption und Skandalen eintraten. Sie übernahm, kehrte die Zeitung dem beanspruchten für sich eine „watch- Enthüllungs- und Skandaljournalis- dog function“, sahen sich als Wach- mus den Rücken. Sie verschrieb sich hunde der Gesellschaft. Der wohl einem objektiven und leidenschafts- berühmteste Fall der „Wachhund“- losen Journalismus, der seine Legiti- Arbeit spielte sich 1870 ab, als die mation an dem berühmten Wahl- New York Times eine Kampagne ge- spruch „All the news that’s fit to gen das Regime des berüchtigten print“ festzumachen suchte.20 Bürgermeisters von New York, Wil- Doch das Image der Presse als liam Marcy Tweed, führte.17 Tweed „furchtloser Wahrheitssucher und war Mitglied einer als korrupt gel- einsamer Streiter gegen die Korrup- tenden Fraktion der Tammany De- tion der Mächtigen“21 ging in den mokraten.18 Offensichtlich trug die USA nicht verloren. Zu verdanken Fraktion mittels der „Times“-Kam- hatte sie dies einer besonderen pagne interne Rivalitäten an die Öf- Gruppe von Journalisten, den fentlichkeit. Denn ein Großteil der „Muckrakers“. Die Beschimpfung konkreten Beweise stammte von Sa- „Muckrakers“, zu Deutsch „Mistga- muel J. Tilden, der selbst Tammany beln“, stammt aus einer Rede des Hall angehörte und nicht nur das 26. amerikanischen Präsidenten, Amt des Gouverneurs des Staates Theodore Roosevelt, aus dem Jahre New York, sondern das des Präsi- 1906. Roosevelt ließ sich zu der

113 Presseschelte hinreißen, weil ein de Individualismus auch von vielen Journalist den amerikanischen Senat Journalisten verherrlicht wurde, sa- als „Plutokratennest“ bezeichnet hen sie in dem Präsidenten den ein- hatte. Der Präsident entlieh das Bild samen Kämpfer, „der es in Afrika von der Mistgabel aus dem Buch mit Großwild, in San Juan Hill mit „Pilgrim’s Progress“, das John den bösen Spaniern und in Washing- Bunyan im 17. Jahrhundert verfasst ton D.C. mit den mächtigen Groß- hatte.22 Die Lektüre dieses Romans konzernen aufnahm.“25 Theodore war an der Schwelle zum 20. Jahr- Roosevelt, ein Mitglied des Reform- hundert fast so wichtig wie die der flügels der Republikaner, galt als Bibel, so dass Roosevelts Zuhörer Anhänger der Bewegung der Pro- sein Bild direkt verstanden haben gressives, die mit Forderungen nach dürften. Dennoch beschrieb er den Antitrustgesetzen, Handelsregulie- „Muckraker“ noch einmal: „Der rung und Maßnahmen gegen Regie- Mann, der, mit seiner Mistgabel in rungskorruption zum Sprachrohr der Hand, nur nach unten schauen der Kleinunternehmer wurden. konnte, der, obwohl ihm eine himm- Die Anhänger der Progressiven im lische Krone angeboten wurde, we- Journalismus waren die Muckra- der nach oben blickte noch nach der kers. Sie arbeiteten entweder als Krone griff, sondern weiter den Buchautoren oder für die neu ge- Schmutz am Boden aufwühlte.“23 gründeten Massenzeitschriften, die Zudem schimpfte der Präsident die das qualitativ hochwertigere Pen- amerikanische Presse eine Dreck- dant zu den „gelben“ Sensations- schleuder, warf ihr Mangel an gutem zeitungen der Hearst- und Pulitzer- Willen vor und bezichtigte sie der presse bildeten. Zu den erfolgreich- Aufwiegelung zum Klassenkampf. sten gehörte das McClure’s Magazi- Roosevelt und die Journalisten wa- ne. S.S. McClure gründete seine ren fünf Jahre nach Beginn seiner Zeitschrift 1893 auf der Basis nied- Amtszeit zu erbitterten Gegnern ge- riger Preise. Zeitschriften kosteten worden. damals zwischen 25 und 35 Cents – Das hatte wenige Jahre zuvor, in der McClure ging jedoch mit einer Hochblütezeit der Muckrakers, Schrift für nur 15 Cents auf den noch ganz anders ausgesehen. Um Markt.26 Die Auflage machte einen die Jahrhundertwende war Theodo- enormen Sprung von 120.000 im re Roosevelt der politische Held der August 1895 auf 307.000 im Jahr Muckrakers.24 In der Zeit des Sozi- 1900. Den Erfolg verdankte der al-Darwinismus, wo der aufkeimen- Herausgeber aber nicht nur dem

114 niedrigen Preis, sondern in erster kenden Industrie viel Aufsehen er- Linie den Muckrakern. regte. Berühmt wurde vor allem die Janu- Muckrakers wie Sinclair waren kei- ar-Ausgabe von 1903. Sie bot den neswegs Journalisten, die, wie Lesern drei spannende Features, die Roosevelt abschätzig bemerkt hatte, sich mit Betrügerei in höheren Krei- nur Unrat und Schlechtigkeit sahen sen beschäftigten. Lincoln Steffens und schmutzige Wäsche um der schrieb über die Korruption in schmutzigen Wäsche willen wu- Stadtverwaltungen. Ray Stannard schen. Ihre Ziele entsprangen viel- Baker griff die Unmenschlichkeit der mehr einem romantischem Idealis- 30 Bergbauindustrie im Generalstreik mus. Als Theodore Roosevelt, der der Bergleute an und forderte zur „einsame Reiter“, der Held und die Gewerkschaftsbildung auf. Hoffnung der Sozialreformer, ihr Am meisten wiegelte die Öffentlich- Vertrauen verraten hatte, ging auch keit aber Ida Tarbells offener An- die Ära der Muckrakers zu Ende. griff auf John D. Rockefeller in ih- In der Folgezeit sammelten sich in- rem Artikel „Die Geschichte der vestigative Praktiken in neuen jour- Standard Oil Company: Der Ölkrieg nalistischen Sonderformen. So bil- von 1872“ auf.27 Tarbell, eine der dete sich vor dem Zweiten Weltkrieg ersten studierten Frauen der USA, der „advocacy journalism“, der an- war 1901 von McClure mit der Un- waltschaftliche Journalismus, her- tersuchung der Geschichte von Rok- aus.31 Journalisten machten sich im kefellers Ölkonzern beauftragt wor- Stile von Anwälten zu Parteigängern den. McClure investierte 50.000 und Fürsprechern eines bestimmten Dollar für die Recherche, so dass Anliegens und verzichteten dabei Tarbell in fünf Jahren 19 Artikel bewusst auf Objektivität. Meist ver- schreiben konnte, die zur Populari- halfen sie „sprachlosen“ Bürgern, tät des Blattes und zum Reichtum sich in der Öffentlichkeit Gehör zu des Verlegers enorm beitrugen.28 verschaffen.32 Ein weiteres Beispiel Doch nicht alle Muckrakers wurden ist der „underground journalism“, vermögend. Der Sozialist Upton der sich aus der Gegenkultur der Sinclair, vielleicht „Amerikas be- Sechziger Jahre entwickelte und ge- rühmtester historischer Muckra- gen den Mainstream anschrieb.33 ker“29 , verdiente wenig Geld, wenn- Doch keine dieser Sonderformen gleich er mit seinen Publikationen gewann eine solche Weltgeltung wie wie „The Brass Check“ (1906) über die zweite Ära des investigativen die Missstände in der fleischverpak- Journalismus ab 1970. Zunächst war

115 vor allem das Engagement der USA die Berichterstattung begann), ver- im Vietnamkrieg Gegenstand der muteten in den Einbrechern schnell Kritik. Seymour Hersh schrieb ei- mehr als gewöhnliche Diebe. Sie be- nen Artikel über das „Massaker von gannen, die Hintergründe des Ein- My Lai“34 . Und 1972 veröffentlich- bruchs in das Hauptquartier zu re- ten die New York Times, die Wa- cherchieren. Zwar wurden sie an- shington Post und der Boston Glo- fangs von bis zu sieben Kollegen der be die geheimen Pentagon-Papiere, Washington Post in der Recherche un- die Amerikas langjähriges Engage- terstützt. Aber im wesentlichen wa- ment in Südostasien in einem kriti- ren es die beiden Reporter, die ins- schen Licht erscheinen ließen, weil gesamt zwei Jahre mit nur kurzen sie die angebliche „kommunistische Unterbrechungen an dem Thema Bedrohung“ relativierten. Die Do- dranblieben.37 Dass sie dabei gegen kumente waren im Auftrag des Ver- starke Widerstände ankämpften, teidigungsministeriums verfasst und sich nie vereinnahmen ließen und von dem früheren Pentagon-Bera- die journalistische Präsentation stets ter Daniel Ellsberg an die Presse in ihren Händen behielten, verlieh weitergegeben worden.35 der Recherche den investigativen Charakter. Daran kann auch die Tat- 3.2. Der Skandal von Watergate sache nichts ändern, dass sie viele brisante Informationen von dem Diese journalistische Ära gipfelte stets anonym gebliebenen Infor- schließlich im sogenannten Water- manten mit dem Codenamen „Deep gate-Skandal. Watergate, der Name Throat“ erhielten, der offenbar ein eines Washingtoner Büro- und Ho- Interesse daran hatte, Nixon zu telkomplexes, verdeutlicht wie kaum schwächen. ein anderes Beispiel die Dynamik Schon wenige Wochen nach dem des investigativen Journalismus. Einbruch berichtete die Washington Ausgelöst wurde der Fall, als am 17. Post über mögliche Verbindungen Juni 1972 fünf Männer bei einem zwischen den Einbrechern und dem Einbruch ins Partei-Hauptquartier Komitee zur Wiederwahl des US- der Demokraten in Watergate bei Präsidenten Richard Nixon. Geld dem Versuch verhaftet wurden, Ab- aus der Wahlkampagne war auf dem höranlagen zu installieren.36 Zwei Konto eines Einbrechers aufge- junge Lokalreporter der Washington taucht.38 Post, Carl Bernstein und Bob Bis zur Präsidentschaftswahl am 7. Woodward (letzterer war erst 29, als November 1972 berichtete die Wa-

116 shington Post 79 Mal auf Seite 1 geben. So sorgt er mit zahlreichen über die Affäre. Auch andere Zei- Büchern nach wie vor für Aufsehen tungen und das Fernsehen zogen und gewährt Einblicke in politische nach. Dennoch gewann Richard Ni- Hintergründe. In jüngerer Zeit hat xon die Wahl mit hohem Vorsprung. Woodward sich dabei mit Geheim- Offenbar stand Watergate nicht auf operationen der CIA, der Planung der öffentlichen Agenda.39 des Golfkrieges und mit der Regie- Das änderte sich erst im Frühjahr rung Clinton befasst.41 Viele der in 1973 mit der Live-Übertragung der den Recherchen gewonnenen Er- Senatsanhörung. Und als das Fern- kenntnisse verarbeitet Woodward in sehen schließlich die Verhandlungen Berichten für die Washington Post. des Justizkomitees des Repräsentan- Bei dieser Zeitung findet er offenbar tenhauses über die Amtsenthebung seit Watergate die strukturellen Be- des Präsidenten sendete, wurde der dingungen vor, die seine investigati- öffentliche Druck zu groß. Richard ve Arbeit ermöglichen. Nixon trat am 8. August 1974 zu- Wie wichtig diese äußeren Faktoren rück. sind und wie sehr durch sie auch der Watergate wurde verfilmt und kam Stellenwert der investigativen Kul- als „All the president’s men“ mit tur eines Landes geprägt wird, soll Robert Redford und Dustin Hoff- das folgende Kapitel zeigen. man in den Hauptrollen in die Ki- nos. Millionen sahen den Film. Viele 4. Die Lage des investigativen junge Studenten konnten sich mit Journalismus den Leinwandidolen so identifizie- ren, dass sie wenig später vor den 4.1. Die Privilegien der Amerikaner Journalistenschulen Schlange stan- den.40 Der Film trug zu einer My- Die Aufdeckung des Watergate- thologisierung von Woodward und Skandals brachte der Washington Bernstein bei. Post einen enormen Imagegewinn. Wegen seines Bekanntheitsgrades In der Folge legte die Redaktion ein genießt Bob Woodward bis heute noch größeres Schwergewicht auf eine Sonderstellung bei der Wa- „investigative reporting“. Es wurde shington Post. Er gilt in Washing- für die Zeitung zu einem Marken- ton nach wie vor als Insider, der vie- zeichen, zu einer „Briefmarke“, wie le Tipps erhält und dem viele Politi- der ehemalige stellvertretende Chef- ker – unter Zusicherung von An- redakteur Richard Harwood onymität – bereitwillig Interviews schrieb.42 Zahlreiche Rechercheure

117 suchten nach immer neuen Enthül- Team leiten: Der eine hat als „Assi- lungsgeschichten, und es entwickel- stent Managing Editor for Investi- te sich ein regelrechter Konkurrenz- gations“ den Rang eines Ressortlei- kampf um die Plätze auf der Titel- ters. Der andere ist Bob Woodward, seite. Bei der Jagd nach Sensationen der dank seiner langjährigen Erfah- verzichtete die Chefredaktion aller- rung wichtige Hilfestellungen bei der dings auf institutionelle Vorkehrun- Abstimmung und Absicherung der gen zur Qualitätssicherung. Das Recherchen geben kann.44 rächte sich. 1981 erlebte die Zeitung Bereits einige Jahre vor Watergate, ihren hauseigenen Skandal, genannt nämlich 1967, hat Newsday, Ameri- „Jimmygate“. Die Reporterin Janet kas siebtgrößte Tageszeitung mit ei- Cooke schrieb in dem Jahr eine auf- ner Auflage von knapp 700.000 Ex- sehenerregende Artikelserie über ei- emplaren an Werktagen, ein IR- nen achtjährigen drogenabhängigen Team ins Leben gerufen. Die Zahl Jungen aus dem Washingtoner der Mitglieder des Teams schwankt Schwarzenghetto. Sie erhielt dafür zwischen vier und zwölf. Für große den Pulitzerpreis. Doch wenig spä- Projekte werden zusätzlich soge- ter, nachdem sich die Washingtoner nannte „beat reporter“ freigestellt, Polizei auf die Suche nach dem Jun- so dass die Gruppenstärke auf über gen gemacht hatte, stellte sich her- 20 Personen anwachsen kann. aus, dass es Jimmy gar nicht gab. Gleich die erste Untersuchung des Cooke hatte sich die Geschichte nur Teams über Korruption auf Long ausgedacht. Den Pulitzerpreis mus- Island brachte den Pulitzer-Preis ein. ste sie zurückgeben.43 1974 folgte ein weiterer Pulitzer für Die Washington Post zog daraus ein- eine 32-teilige Serie über Heroinhan- schneidende Konsequenzen. Sie be- del von der Türkei nach New York. schloss, „investigative reporting“ Der Etat dieses Projekts war ur- (IR) zu professionalisieren und sprünglich auf 75.000 Dollar taxiert gründete ein sogenanntes „IR- worden. Hinterher waren aber 18 Team“, das bis heute zur Redaktion Reporter fast 18 Monate im Einsatz, der Zeitung gehört. Das Team be- so dass die gesamte Recherche letzt- steht aus fünf vollzeit tätigen Repor- lich 280.000 Dollar kostete zuzüg- tern, einer Recherche-Assistentin lich der Gehälter der Journalisten.45 und einem Computerexperten. Am Diese Kostenfrage birgt bis heute wichtigsten ist aber die intensive die größte Gefahr für den investiga- Betreuung der Reporter durch zwei tiven Journalismus. Denn für kom- spezialisierte „Editors“, die das merzielle Medienunternehmen liegt

118 das übergeordnete Interesse im Ge- Auf der kommerziellen Seite haben winnstreben. Genau deshalb kommt sich dennoch in den letzten Jahren den amerikanischen Reportern die strukturelle Nachteile für den inve- politische Kultur ihres Landes zugu- stigativen Journalismus ergeben. te. Investigative Berichte finden in Der Zeitschriftenmarkt wird zuneh- der Öffentlichkeit der USA eine mend von Spezialmagazinen be- hohe Beachtung und schlagen sich stimmt, die ihre Anzeigenkunden in erhöhten Auflagen oder Ein- nicht durch konfliktträchtige IR- schaltquoten nieder. Denn die ame- Beiträge verschrecken wollen. In rikanische Bevölkerung ist grund- diese Nische sind bislang die Tages- sätzlich skeptisch gegenüber jegli- zeitungen gesprungen, die sich auf- cher Form von Machtkonzentrati- grund ihrer lokalen und regionalen on, sei es in der Politik oder in der Anbindung den Problemen und Wirtschaft. Darauf können die Jour- Hintergrundgeschichten vor Ort nalisten bauen, die das Verhalten verpflichtet fühlten. von Politikern kritisch durchleuch- Doch das durch rückläufige Anzei- ten und auf Machtmissbrauch über- geneinnahmen begründete Zei- prüfen.46 tungssterben in den USA hat zur

119 Monopolisierung und zur Entste- lists (ICIJ). Das ICIJ gründet inter- hung großer Zeitungsketten geführt. nationale Teams, die über das Inter- Dort herrscht eher ein an ökonomi- net oder durch Konferenzen ver- schen Effizienzkriterien ausgerich- netzt werden und bezahlte Langzeit- teter, Journalismus-ferner Manage- recherchen durchführen. Das Geld mentstil. Trotz der Populariät des dafür kommt aus den Kassen ge- IR sind die investigativen Teams vie- meinnütziger Stiftungen. Auf diese ler Tageszeitungen deshalb von Weise werden etwa sechs Langzeit- Etatkürzungen bedroht.47 projekte pro Jahr finanziert, die bis Hier zeigt sich nun ein weiteres Pri- zu einer halben Million Dollar ko- vileg der Amerikaner: Die Defizite sten.49 im kommerziellen investigativen Auf ähnliche Weise funktioniert das Journalismus werden zum Teil 1977 von drei Journalisten gegrün- durch große Non-Profit-Organisa- dete Center for Investigative Repor- tionen wieder aufgefangen. Eine ting (CIR). Die Arbeit wird zu ei- wichtige Rolle spielt dabei der Be- nem kleinen Teil aus Honoraren, zu rufsverband „Investigative Repor- zwei Dritteln aber aus Spenden bzw. ters and Editors“ (IRE). Er wurde Zuwendungen von Stiftungen finan- vor 25 Jahren gegründet und ist heu- ziert. Die Mitarbeiter können des- te mit mehr als 4.500 Mitgliedern halb auch Themen aufgreifen, die im der weltweit größte Berufsverband journalistischen Mainstream keine für Rechercheure.48 Aus einer Fach- Berücksichtigung finden, weil sie zu bibliothek und einem Archiv mit schwer zu recherchieren sind oder über 17.000 Recherchebeispielen Konflikte mit Anzeigenkunden aus- können sich die Mitglieder themati- lösen könnten. Das Team, das aus sche Sets zusammenstellen lassen 13 Journalisten, drei Verwaltungs- und erhalten gleichzeitig Kontakt- mitarbeitern und bis zu sieben befri- adressen. Mit Fortbildungsangebo- stet mitarbeitenden Rechercheuren ten trägt das IRE zur Professionali- besteht, veröffentlicht pro Jahr sierung der Journalisten bei. durchschnittlich 50 umfangreiche Während sich das IRE also vor al- journalistische Beiträge sämtlicher lem der Weiterbildung und Vernet- Mediengattungen. Die Recherche ist zung verschrieben hat, gibt es weite- jederzeit unabhängig, da das CIR re Organisationen, die als „Arbeit- Gelder von Organisationen und Pri- geber“ investigativer Journalisten vatpersonen ablehnt, die unmittel- fungieren, so z. B. das International bar mit potentiellen Untersuchungs- Consortium of Investigative Journa- objekten zu tun haben.

120 Die Medienunternehmen haben den der Antike bis zur Gegenwart oder Vorteil, dass sie über das CIR „sub- die Lewinsky-Affäre seien Beispie- ventionierte“ Beiträge beziehen le dafür. können, deren Honorar nicht dem Als die New York University vor tatsächlichen Aufwand entspricht. kurzem eine Liste der besten Werke Das CIR gilt daher als Musterbei- des US-Journalismus im zwanzigsten spiel für die Verzahnung von inve- Jahrhundert erstellte, landete John stigativem Journalismus im kom- Herseys Stück über den Atombom- merziellen und im nicht-kommerzi- benabwurf von Hiroshima auf Platz ellen Bereich.50 eins. Aus der Zeit nach Watergate war „Mother Jones“, der „Fund for In- keine einzige Geschichte unter den vestigative Journalism“ oder soge- ersten Hundert zu finden.53 nannte „non-profit government Während die Amerikaner also der- watchdog organizations“ wie das zeit eher darum kämpfen, investiga- „Center for Public Integrity“ und die tiven Journalismus und die dafür „Better Goverment Organization“ nötige Infrastruktur zu erhalten, haben vergleichbare Ansprüche und müssen deutsche Journalisten mit unterstützen ebenfalls den amerika- dem Aufbau von Recherchekultur nischen Investigativjournalismus. erst einmal anfangen.54 Trotz der nach wie vor positiven Das wird das folgende Kapitel zeigen. äußeren Strukturen erkennen Kriti- ker auch im amerikanischen Journa- 4.2. Der Mangel an deutschen lismus negative Tendenzen. Ein Enthüllern schwerer Vorwurf ist, die Medien seien in den letzten Jahren „dome- „Enthüllungsjournalisten kann man stiziert“51 worden. Bei Kriegen oder in Deutschland an zwei Händen ab- Invasionen wie in Grenada oder Pa- zählen“55, sagt Michael Haller. Und nama hätten sie sich handzahm ver- Hans Leyendecker fragte im April halten und sich als Stenografen der 1999 die Leser der Fachzeitschrift Macht fast ausnahmslos zugunsten „Message“: „Wann haben Sie eine des Militärs geäußert. Enthüllungsgeschichte gelesen, die Statt in Politik und Wirtschaft das Wort verdient? Und können Sie nachzuforschen, würden sie stär- sich überhaupt noch an einen Scoop ker privat „skandalisieren“.52 Der erinnern? An einen ordentlichen Bestseller „The Intimate Sex Lives Skandal, eine zischende Affäre, die of Famous People“ über alle inti- in den letzten drei, vier Jahren von men Skandale Prominenter von deutschen Journalisten aufgedeckt

121 wurde?“56 Leyendecker gibt die Ant- letzten Bericht lieber auf die Agen- wort auf seine rhetorischen Fragen turen. selbst: „Da war, summa summarum, In den USA und in Großbritannien ganz lange nichts.“ In die Zeit nach sehen die Zahlen ganz anders aus. dieser Aussage fällt zwar die CDU- Dort spielt für 44 bzw. 48 Prozent Spendenaffäre, die die Republik im- der Journalisten die Recherche die merhin vier Monate in Atem hielt. Hauptrolle im Beruf. Und nur 29 Aber die Aufdeckung dieses Skan- bzw. 24 Prozent griffen bei ihrem dals war nicht in erster Linie recher- letzten Bericht im wesentlichen auf chierenden Journalisten, sondern die Agenturen zurück.59 zwei hartnäckigen Beamten zu ver- Die mangelnde Recherchebereit- danken: einem Staatsanwalt und ei- schaft der Deutschen hinterlässt bei nem Steuerfahnder.57 ausländischen Kollegen negative Neidisch blickt Hans Leyendecker Eindrücke. So ist dem Deutschland- deshalb nach Amerika und stellt fest: Korrespondenten der Londoner „Von den USA lernen heißt recher- Times, Roger Boyles, die Abhängig- chieren lernen.“58 Leyendeckers keit deutscher Zeitungsjournalisten These wird durch die Ergebnisse von den Presseagenturen nicht ver- wissenschaftlicher Forschung bestä- borgen geblieben: „Viele Artikel, die tigt. Offensichtlich hat die längere unter ihrem Namen erscheinen, sind journalistische Tradition in den USA identisch mit dpa- oder deutschen Auswirkungen auf die Bereitschaft AP-Reports vom Vortag. Wenn es zur Faktenrecherche und zur An- einen Unterschied gibt, dann den, wendung harter Investigativmetho- dass der Journalist seine Meinung den. So ergab eine international ver- hinzugefügt hat - ohne eigene Re- gleichende Studie von Thomas Pat- cherche.“60 Boyles US-Kollege von terson (Harvard) und Wolfgang der International Herald Tribune Donsbach (Dresden), dass nur 21 hält die deutschen Journalisten gar Prozent der deutschen Journalisten „für zu passiv und vielleicht auch sehr viel Zeit mit Berichten auf der etwas faul.“ Sie seien zwar immer Grundlage persönlicher Recherche gut informiert, aber auch etwas „ob- verbringen. Von den ostdeutschen rigkeitshörig“61 . Deshalb kann sich Journalisten widmen gar nur acht Roger Cohen, Korrespondent der Prozent den Großteil ihrer Arbeits- New York Times in Berlin, „ein ,Wa- zeit dem Recherchieren. Stattdes- tergate‘ im Sinne einer investigati- sen verließen sich 57 Prozent der ven Geschichte, die wirklich eine deutschen Journalisten bei ihrem Regierung bedrohen könnte, [...] in

122 Deutschland immer noch schwer gänglich gemacht. Gleiches gilt für vorstellen.“62 Spesenabrechnungen und dienstlich Einen Grund für die geringere Be- geführte Terminkalender. So wurde deutung des investigativen Journa- in der Watergate-Affäre das Notiz- lismus in Deutschland könnte man buch eines Einbrechers zu einem in einer Benachteiligung durch die Schlüsseldokument: Er hatte sich für Journalisten relevanten Gesetze dort die Telefonnummer seines vermuten. Tatsächlich ist die Kontaktmannes im Weißen Haus Rechtslage für amerikanischen Me- notiert.66 dien günstig. So gewährt der „Free- „Open meeting laws“ legen in allen dom of Information Act“ (FOIA) Bundesstaaten der USA fest, dass von 1966, der nach Watergate im Sitzungen gesetzgebender Körper- Sinne der Journalisten verbessert schaften und praktisch aller Gremi- und seitdem noch mehrmals geän- en, die Steuergelder verwalten, öf- dert wurde, einen generellen An- fentlich sein müssen. Selbst die Be- spruch auf Informationen gegen ratung von Personalangelegenheiten Behörden und Abteilungen der US- ist nicht unbedingt ein Ausschluss- Regierung (außer gegen den Präsi- grund für die Öffentlichkeit. denten selbst).63 Die Beweislast, Ferner gibt es seit 1977 den „Go- dass dies aus neun im Gesetz spezi- vernment in the Sunshine Act“. Er fizierten Geheimhaltungsgründen regelt, dass rund 50 Regierungsein- nicht möglich ist, liegt bei der Be- richtungen ihre Sitzungen öffentlich hörde.64 So zählen Fragen der natio- abhalten müssen. Auch hier gibt es nalen Sicherheit, der behördeninter- Sonderfälle, die allerdings nicht im- nen Entscheidungsvorbereitung mer eine Geheimhaltung rechtferti- und des Persönlichkeitsschutzes zu gen. Ein Beispiel: Nach dem Un- den wichtigsten Ausnahmen des glück im Atomkraftwerk von Three FOIA.65 Mile Island bei Harrisburg im Jahre Zudem ist die Privatsphäre eines 1979 musste die Nuclear Regulatory Amerikaners bei weitem nicht so gut Commission all ihre Beratungen auf geschützt wie die eines Deutschen. Band aufnehmen und der Presse zur So sind bei öffentlich Bediensteten Verfügung stellen.67 die Telefonabrechnungen aller Diese Transparenz von Entschei- Dienstgespräche einsehbar. Bei Au- dungsprozessen fördert sicherlich totelefonen werden zusätzlich die die Recherchemöglichkeiten für in- Nummern eingehender Gespräche vestigative Journalisten. Doch noch verzeichnet und Journalisten zu- immer fühlen sich 81 Prozent der

123 amerikanischen Journalisten in ihrer der geführten Akten.70 Sowohl das Arbeit durch „unzureichenden Zu- Land Nordrhein-Westfalen als auch gang zu Regierungsdokumenten“ die Bundesregierung planen eben- und „zu wichtigen Persönlichkeiten falls die Verabschiedung eines IFG. des öffentlichen Lebens be- Diese presserechtlichen Möglichkei- schränkt.“ ten haben in Deutschland bislang nicht, wie in den USA, zu einer ho- In Deutschland stören diese Bedin- hen Recherchekultur geführt. Im gungen nur etwa zwei Drittel der Gegenteil: Gerade, weil es hier selte- Befragten.68 ner vorkommt, dass die Journalisten Diese Zahlen lassen den Rück- die Anwendung harter Recherche- schluss zu, dass die Bereitschaft zur methoden vor sich und anderen investigativen Recherche nicht an rechtfertigen müssen, sind sie weni- den deutschen Gesetzen scheitert. ger „aggressiv“71 . So haben die deut- Frank Esser, Hochschulassistent am schen Medien anders als die Briten Institut für Publizistik in Mainz, be- und Amerikaner auch große Vorbe- stätigt, dass die deutschen Journali- halte, sich als eigenständige Vierte sten verschiedene Privilegien haben, Gewalt zu begreifen. auf die beispielsweise die britischen Wenn deutsche Journalisten dann Kollegen neidisch sind.69 Hierzu aber doch einmal ein aggressives zählten der Informationsanspruch Verhalten an den Tag legen und ei- gegenüber Behörden, das Zeugnis- nen Skandal aufdecken, haben sie es verweigerungsrecht und die günsti- in Deutschland schwer. Bei ihren ge Beweislastregelung in Beleidi- Veröffentlichungen können sie sich gungsprozessen. nicht unbedingt auf die für Amerika Des weiteren haben die Bundeslän- typische Skepsis in der Bevölkerung der Berlin, Brandenburg und Schles- gegenüber jeglicher Form von wig-Holstein in den letzten Jahren Machtkonzentration verlassen. Die ein Informationsfreiheitsgesetz Mächtigen als Betroffene der Be- (IFG) verabschiedet. Sofern keine richterstattung wissen das und kön- Persönlichkeitsrechte, behördliche nen deshalb unverhohlen zum Ge- Willensbildungsprozesse oder das genschlag ausholen. So prägte Otto Gemeinwohl beeinträchtigt werden, Graf Lambsdorff, der 1984 nach der ermöglicht das Gesetz jedem Men- Flick-Parteispendenaffäre als Bun- schen ein Recht auf Einsicht in oder deswirtschaftminister zurücktreten Auskunft über den Inhalt der von musste, den Begriff des „Hinrich- den öffentlichen Stellen dieser Län- tungsjournalismus“.72 Und als die

124 „Welt“ im August 1970 vorzeitig die reporter des SWR, sind das deutli- Ostverträge veröffentlichte, be- che Beweise für den geringen Stel- zeichnete die Bundesregierung die lenwert, den investigativer Journa- verantwortlichen Journalisten als lismus in Deutschland genießt. Nö- „Schreibtischtäter“73 . Diese Art von tig sei deshalb die Besinnung auf Journalismus müsse unterbunden eine „investigative Kultur“, die Auf- werden. klärung und Nachforschung för- Noch mehr als die Reaktion der dert.75 „Opfer“ überraschte aber ein Kom- Ein weiterer Grund für die mangeln- mentar der Frankfurter Allgemeinen de Recherchebereitschaft im deut- nach der Flick-Affäre, mit dem sie schen Journalismus liegt in den Re- ihren eigenen Kollegen in den Rük- daktions- und Verlagsstrukturen. ken fiel. Sie klagte jene „illustrierten Zum einen ist investigativer Journa- Zeitschriften“ an, „die da wöchent- lismus eine Kostenfrage. Doch Ver- lich ein mit Häme über den Partei- leger, die wie in den USA bereit sind, enstaat angefülltes Publikum ver- die teure Arbeit von IR-Teams wie wöhnen.“74 Für Thomas Leif, Chef- bei der Washington Post oder Newsday

125 zu bezahlen, sind in Deutschland Doch als ärgerlich empfinden das sehr rar. Stattdessen haben Recher- nur wenige. Offensichtlich wollen cheure bei Intendanten und Verle- die meisten deutschen Journalisten gern keinen großen Rückhalt, müs- gar keine Reporter sein. Denn ge- sen ständig gegen Widerstände an- ehrt werden hierzulande „die warm kämpfen.76 Eher wird Personal aus und trocken sitzenden Feuilletoni- Kostengründen eingespart, als Mit- sten und Leitartikler, die Dichter arbeiter für Recherchen eine Zeit- und Denker.“79 Im Meinungsjour- lang freizustellen. nalismus sind die Deutschen Mei- Zum zweiten herrschte hier nie ein ster. Wer bei einer Zeitung den Leit- arbeitsteiliges, sondern ein eher artikel schreiben darf und sonntags ganzheitliches Verständnis journali- im Presseclub sitzt, hat den Ausweis stischer Tätigkeit vor. Die Folge war, höchster Kompetenz erreicht. Viele dass sich das Tätigkeitsprofil des glauben, wenn sie der Macht nur Reporters kaum als eigenständiges nahe genug kommen, dann sind sie redaktionelles Berufsbild etablieren selbst auch mächtig. Bezeichnend ist konnte. In der repräsentativen Jour- ein Satz von Kurt Tucholsky: „Der nalistenbefragung von Siegfried deutsche Journalist braucht nicht Weischenberg, Martin Löffelholz bestochen zu werden, er ist stolz, und Armin Scholl aus dem Jahre eingeladen zu sein, er ist schon zu- 1998 gaben von allen 1.494 Befrag- frieden, wie eine Macht behandelt ten nur 2,7 Prozent an, „Reporter“ zu werden.“80 zu sein.77 Und „wenn einer es weit gebracht Diejenigen, die die Recherche ler- hat, kreiselt er kunstvolle Kritiken nen wollen, haben in Deutschland im Feuilleton“81 , sagt Hans Leyen- Schwierigkeiten, passende Lehrbü- decker. Das höchste Ziel für deut- cher zu diesem Thema zu finden.78 sche Journalisten sei der Egon-Er- Neben Michael Hallers Handbuch win-Kisch-Preis, mit dem das Ham- „Recherchieren“, das 1983 veröf- burger Magazin stern alljährlich die fentlicht wurde und mittlerweile in besten deutschsprachigen Reporta- vierter Auflage erschienen ist, emp- gen auszeichnet. Der Wächterpreis fiehlt Thomas Leif in „Leidenschaft der Tagespresse, den Leyendecker Recherche“ noch Matthias’ und selbst in diesem Jahr für seine au- Frank Brendels Handbuch „Richtig ßerordentlichen Leistungen bei der recherchieren“, das 1998 in Frank- Aufdeckung des CDU-Spenden- furt erschienen ist. Danach fällt die skandals erhalten hat, habe ein nied- Suche schon schwer. rigeres Ansehen.

126 Anders ist das beim Hamburger 5. Das Selbstverständnis von Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. investigativen Journalisten Den Spiegel halten viele bis heute für die erste Adresse im investigati- Da der amerikanische Recherche- ven Journalismus Deutschlands. journalismus, wie in den vorigen „Alle Blätter servieren die gleiche Kapiteln gezeigt, trotz auftretender monotone Kost. Oder sie verbrin- Schwächen immer noch im Ausland gen die Woche damit, das aufzuar- hoch geschätzt wird, empfiehlt sich beiten, was der Spiegel am Sonntag zunächst ein Blick auf das Selbstver- auf die Tagesordnung setzt“82 , sagt ständnis der investigativen Journali- Imre Karacs, Korrespondent von sten in den USA. In einem Land, wo „The Independent“ in Berlin. Und die Presse gegen den Krieg in Viet- Arnauld Leparmentier, Korrespon- nam „angeschrieben“ und einen Prä- dent von „Le Monde“ in Berlin, fügt sidenten zu Fall gebracht hat, ver- hinzu: „Exklusive und sehr genaue mutet man Journalisten, die sich als Reportagen wie im Nachrichtenma- politische Aktivisten sehen. Morris gazin ,Der Spiegel‘ gibt es in Frank- Janowitz (1975) und Robert Lichter reich nur selten in den Wochenzei- (1986) haben denn auch herausge- tungen.“83 Nicht nur bei Auslands- funden, dass sich die US-Journali- korrespondenten, sondern auch bei sten in der Folge von Vietnam und zwei Dritteln der deutschen Journa- Watergate zu „Advokaten“ der Bür- listen und bei einer Million Käufern ger entwickelt haben. genießt der Spiegel eine hohe Glaub- Doch empirische Untersuchungen würdigkeit.84 Erworben hat er sie von Zhu (1991) sowie Weaver und sich – ganz im Stile von angelsächsi- Wilhoit (1992) scheinen nun zu be- schen Nachrichtenmagazinen – mit legen, dass dieser Wandel nur von einer detailgenauen, hartnäckigen kurzer Dauer war und nicht bis heu- Recherche und einer Respektlosig- te angehalten hat.85 Wolfgang Dons- keit gegenüber Autoritäten. bach konnte dies nach seiner Studie Genau das scheinen wichtige Eigen- von 1993 bestätigen. Er fand her- schaften zu sein, die ein Journalist aus, dass die amerikanischen Jour- braucht, wenn er investigativ arbei- nalisten mittlerweile wieder ein we- ten will. Welche Charakterzüge noch niger antagonistisches Verhältnis zur erforderlich sind und wie die Re- Politik haben. Nur 45 Prozent der chercheure ihre Arbeit selbst beur- US-Journalisten nehmen eine grund- teilen, das soll das folgende Kapitel sätzlich kritische Haltung gegenüber zeigen. Politikern ein. Die meisten beschrei-

127 ben ihr Verhältnis zu den Mächtigen was sie haben, und sehen, was sie als eine professionelle Beziehung. Es beweisen, was sie hinzufügen, und sei nicht von ideologischen Grund- was sie zu dem Gemeinsamen bei- positionen bestimmt, sondern von tragen können.“88 der Überzeugung, dass es auch Auf- Das Selbstverständnis des objekti- gabe der Medien ist, die Position von ven Rechercheurs überrascht im er- Politikern in fairer Weise an die Be- sten Moment. Denn wer die Wir- völkerung zu vermitteln.86 Sie sehen kungen kennt, die gute investigative sich also eher als neutrale „gatekee- Geschichten mitunter haben, könn- per“ oder sogenannte „common te in den Rechercheuren eher knall- carrier“, allgemeine Träger von In- harte Kriminalisten vermuten. So formationen. wie die Journalisten, die Herbert Die Folge dieser Haltung ist aber Kremp in seinem Referat für den keineswegs ein Gefälligkeits-Journa- Studienkreis Presserecht in Essen lismus. Denn die unabhängige Re- beschrieb. Er sprach dort von „pro- cherche hat für die Amerikaner ab- fessionellen Entlarvern“, die den Ti- solute Priorität gegenüber allen an- tel des Investigators wie ein modi- deren Tätigkeitsmerkmalen. Die sches Emblem tragen und ständig Haltung erwächst vielmehr aus der von dem Ehrgeiz angetrieben wer- Hoffnung, „dass objektiv und neu- den, ihre „Abschussliste“ von Po- tral berichtete Informationen ihre litikern zu erweitern.89 Davon, so Wirkung nicht verfehlen werden.“87 Kremp, habe er schon viele getrof- Die Journalisten glauben an rational fen. Doch ob das wirklich den in- handelnde Bürger, die mit möglichst vestigativen Journalismus aus- allen relevanten Informationen ver- macht, darf bezweifelt werden. sorgt werden müssen, um zu eige- Wenn Journalisten zu Staatsanwäl- nen Meinungen und politischen ten oder verkappten Detektiven Entscheidungen zu finden. Sie ver- werden, wenn sie durch Schlüssel- treten damit das emanzipatorische löcher schnüffeln, Personen regel- Prinzip der Aufklärung, dass Fran- recht verfolgen, künstliche Skan- cis Bacon in seinem Werk „Neues dale produzieren und Selbstjustiz Organon“ einmal so beschrieb: betreiben, dann bringt das eher „Dem Urteilen der Menschen tue den investigativen Journalismus in ich keine Gewalt an; ich hintergehe Verruf, als dass es der Demokratie sie nicht, sondern führe sie zu den nützt.90 Dingen selbst und zu dem, was diese Es gibt auch Rechercheure mit einer verbindet; damit sie selbst sehen, weniger aggressiven Einstellung, die

128 sich für Missionare halten und sich „Wunsch nach ein bisschen Gerech- in ihrem Beruf für bestimmte Werte tigkeit“94 um. und Ideen einsetzen wollen. Dan Noyes, Vorsitzender des ame- Doch die meisten investigativen rikanischen „Centre for Investigati- Journalisten können sich mit diesem ve Reporting“, ist „ständig auf der Selbstverständnis nicht identifizie- Suche nach Reportern, die leiden- ren. Sie sehen sich nicht als „Missio- schaftlich nach verborgenen Infor- nare“, weder in den USA noch in mationen graben“95 . Und Thomas Deutschland. „Redakteure, die sich Leif hat sein Buch über Skandal- wie Missionare, nicht wie Journali- Geschichten und Enthüllungs-Be- sten gebärden, sind PR-Leute von richte sogar „Leidenschaft: Recher- Sachen oder Personen“91 , glaubt che“ genannt. Hans Leyendecker. Vor Journalistik- Es besteht demnach ein Unterschied Studenten der Universität Dort- zwischen Leidenschaft und Eifer. mund führte Leyendecker diese Denn wer eifert, wird schnell über- Überlegung im Juni 2001 weiter aus: eifrig. Und dann begeht er Fehler, „Der recherchierende Journalist ist die gerade während einer brisanten kein Rächer. Er darf sich nicht ein- Recherche fatal sein können. Leo bilden, dass er die Welt, geschweige Müller, heute Redakteur des „Stern“ denn die Politik oder Wirtschaft ver- im Büro in Düsseldorf, kennt sieben ändern könnte. Was er tut, bewirkt Fallen, in die Enthüller häufig tap- in der fünften oder zehnten Stelle pen: Die Informanten-, die Doku- hinter dem Komma ein Nachden- menten-, die Internet-, die Archiv-, ken, ein Zögern, eine Selbstprüfung. die Beobachtungs-, die Produktions- Aber auch das ist schon eine ganze und die Zeitdruckfalle.96 Es gibt In- Menge.“92 Und in einem Interview formanten, die gelernte Lügner sind. mit der „Woche“ antwortete er auf Dokumente werden gefälscht. Im die Frage, wie er nach all den Skan- Internet stehen Veröffentlichungen, dalen überhaupt noch wählen gehen deren Routing-Informationen zu könne: „Wenn du das näher an dich den falschen Urhebern führen. Auf rankommen lässt, wirst du zum Ei- die Inhalte von Datenbanken und ferer. Und wenn du zum Eiferer anderen Archiven ist kein Verlass, wirst, hast du verloren.“93 Das heißt weil dort gelöscht und manipuliert nicht, dass investigative Journalisten wird. Selbst die eigenen Beobach- völlig emotionslose Menschen, qua- tungen können trügerisch sein, weil si recherchierende Roboter sein Realität bewusst inszeniert werden müssen. Auch sie treibt der kann. Und schließlich führen Zeit-

129 druck und Produktionsfehler zu Sim- Auf diese Tugenden möchte ich plifizierungen, schludrigen Kürzun- nun näher eingehen, da sie das gen und fehlenden Informationen.97 Selbstverständnis der investigati- Hans Leyendecker erlebte seinen ven Journalisten entscheidend prä- größten Flop im Fall Bad Kleinen, gen. als er einen Zeugen präsentierte, der die „Hinrichtung“ des RAF-Mit- Misstrauen glieds Wolfgang Grams durch die Polizei beobachtet haben wollte. Ein alter amerikanischer Journali- Vor der Staatsanwaltschaft mochte sten-Spruch besagt: „If your mother der Zeuge seine Aussage dann aber tells you she loves you, you should nicht wiederholen.98 check it out.“103 Leo Müller hält Fehler wie diese können jedem diese These bei aller inhaltlichen Sa- Journalisten passieren. Aber die tire durchaus für angebracht. Miss- Gefahr des Fehlgriffs lässt sich so trauen sei eine wichtige Eigenschaft weit wie möglich reduzieren. Denn für Rechercheure. Ein vertrauter „Recherche ist kein Zauberwerk, Umgang mit Informanten sollte sondern Handwerk“99 , wie Thomas tabu sein, denn darin liege eine der Leif feststellt. Diesem Bild kann schlimmsten Fallgruben. Der freie sich Hans Leyendecker anschlie- Fernsehproduzent Egmont R. Koch ßen. Die „Wühlmäuse“, die er bis- warnt deshalb: „Bei jedem Kontakt, lang kennengelernt habe, seien auch mit Quellen, die man inzwi- „eher langweilig und bürgerlich“ schen als gute Bekannte einstufen und wüssten, „dass man auf einer würde, muss demnach die Frage be- Beerdigung eine schwarze Krawat- dacht werden: ,Will er mich instru- te trägt.“100 Handwerker eben. „So mentalisieren?““104 Denn oft wol- wie ein Fliesenleger Fliesen legt, len Informanten nur wichtig sein, muss ein Journalist nun einmal re- den Vorgesetzten oder einen Kon- cherchieren.“101 kurrenten ärgern, von eigenem Ver- Charakteristisch für das Handwerk sagen ablenken, Geld machen oder der investigativen Recherche sind auch mal einen Journalisten lei- bestimmte Tugenden, die den be- men.105 Ulrich Pätzold, heute Pro- quemeren Kollegen fehlen. Tho- fessor für Journalistik in Dort- mas Leif nennt vier der wichtig- mund, hält die Skepsis deshalb für sten Haltungen: Misstrauen, Neu- eine Pflicht im Journalismus. Gera- gier, Hartnäckigkeit und Kontakt- de in der Politik würden Informa- fähigkeit.102 tionen und Sachverhalte bewusst

130 verschleiert, weil Interessen im der Basis der Panorama-Enthüllun- Spiel sind. Die Erkenntnis, dass gen über Mauss’ Machenschaften in sich niemand seines Wissens sicher zweiter Instanz freigesprochen. sein könne, mache die Skepsis zu Ohne Christoph Maria Fröhders einer Grundhaltung journalistischer Neugier wäre der Juwelier mit hoher Arbeit.106 Wahrscheinlichkeit ins Gefängnis gekommen. Neugier Und Fröhder bewies während der Recherche noch eine weitere inve- Als Christoph Maria Fröhder, freier stigative Tugend: Hartnäckigkeit. ARD-Fernsehjournalist, einmal mit seinem Kamerateam beim BKA in Hartnäckigkeit war, um einen Film über die Möglichkeiten der modernen Fröhder hatte einen langen Atem. Kriminaltechnik zu drehen, kam es Er recherchierte fast ein Jahr an der zu einer merkwürdigen Unterbre- Geheimwaffe „M“. Als sich ein ehe- chung: Ein aufgeregter Beamter maliger BKA-Beamter bereit erklär- stürmte auf das Team zu und for- te, mit ihm über die Hintergründe derte es auf, sofort alles stehen und des Vorfalls zu reden, sobald er „sei- liegen zu lassen und in einen Neben- ne Hausaufgaben gemacht“108 habe, raum zu gehen. Auf Nachfrage er- war das für den Journalisten keine klärte er, selbst hochrangige BKA- Ernüchterung, sondern im Gegen- Beamte müssten sich in einem sol- teil eine Herausforderung. Er be- chen Fall mit dem Gesicht zur Wand sorgte sich Dutzende alter Telefon- stellen. bücher, um an die Nummern weite- Der Vorfall weckte Fröhders Inter- rer ehemaliger BKA-Beamter zu esse. Er fragte sich, welche Bege- kommen. So erhielt Fröhder wich- benheit ein solches Handeln recht- tige Hinweise zu dem Fall und fertigen könnte. Für den Fernseh- konnte mit dem neuen Wissen wie- produzenten war das der Beginn ei- der zu seinem Erstinformanten ge- ner langen Recherche, an deren hen. Dieser lobte den Journalisten Ende die Entlarvung von Werner für seine gemachten „Schulaufga- Mauss, einem der wichtigsten und ben“ und nannte ihm als Beloh- zugleich zwielichtigsten V-Männer nung den Namen des V-Mannes, vom BKA stand.107 Ein deutscher Werner Mauss. Fröhders Hartnäk- Juwelier, der zu sieben Jahren Haft kigkeit hatte sich schließlich ausge- verurteilt worden war, wurde auf zahlt.

131 „Wer die Mühe nicht scheut, Infor- zwangsläufig. Aber den Mangel kön- manten nicht nur ein zweites, son- nen sie durch den nötigen Ehrgeiz und dern auch ein drittes oder zehntes den Willen, das Handwerk der Recher- Mal zu befragen, lernt schnell, der che zu lernen, kompensieren. Wenn Wahrheit immer näher zu kom- sie es denn wollen. Doch leider wollen men“109 , schreibt Leo Müller und sie offensichtlich immer seltener. bestätigt damit das, was Fröhder in seiner Recherche gezeigt hat. 6. Chancen für Nachwuchsrechercheure Kontaktfähigkeit Thomas Leif bemängelt, dass bei „Ohne dichte Informantennetze vielen Journalisten das Interesse am ist kein recherchierender Journa- kritischen Befragen nachgelassen lismus möglich. Kontakte pflegen hat. Gerade für den Nachwuchs sei – in alle gesellschaftlichen Berei- Journalismus im Sinne einer kontrol- che – und hundertprozentigen In- lierenden vierten Gewalt nicht mehr formantenschutz gewähren. Das angesagt.112 Der frühere Stern-Chef- sind die Grundbedingungen für redakteur Michael Jürgs schließt sich erfolgreiche Recherchen.“110 dem an: „Die Altvorderen waren Gute investigative Journalisten nicht ehrlicher, anständiger, aufrech- haben diese von Thomas Leif for- ter, mutiger oder gar weniger zy- mulierten Grundbedingungen nisch. Aber sie waren Überzeu- verinnerlicht. Hans Leyendeckers gungstäter.“113 Und Hans Leyendek- Kontakte sind zahlreich und gut. ker hat festgestellt, „dass selten eine Auch die Spiegel-Redakteure, vor junge Generation so unverhohlen allem die in den Außenbüros, sind dazugehören wollte. Die Jungen ar- dafür bekannt, dass sie mit vielen beiten höchst professionell für den Menschen öfter mal ein Bier trin- Mainstream.“114 Es gebe immer ken gehen.111 mehr Entertainer und immer weni- ger Analytiker. Eine notwendige Ergänzung finden Diesem Trend wollen Hans Leyen- die genannten Tugenden im Erfah- decker, Thomas Leif und einige ih- rungswissen. Wer lange im Geschäft rer Kollegen etwas entgegensetzen. dabei ist, kennt viele Informanten, Deswegen haben sie Anfang April nützliche Tricks und weiß, wo Ge- 2001 in der Eifel das „Netzwerk Re- fahren lauern. Dieses Wissen fehlt cherche“ gegründet. Auf der Grün- jungen, angehenden Journalisten dungstagung, an der 35 Journalisten

132 teilnahmen, formulierten sie Ziel- 7. Zusammenfassung vorstellungen des Netzwerks, die sich an der Arbeit der amerikani- Zu Beginn dieser Arbeit habe ich schen Berufsorganisation Investiga- nach einer Definition für den Be- tive Reporters and Editors orientie- griff „Investigativer Journalismus“ ren soll. So wollen sie „die journali- gesucht. Es fanden sich viele ver- stische Recherche in der Medien- schiedene Antworten, aus denen Praxis stärken, auf ihre Bedeutung sich schließlich ein gemeinsamer aufmerksam machen und die inten- Tenor herauskristallisierte. Danach sive Recherche vor allem in der jour- ist investigativer Journalismus die nalistischen Ausbildung fördern.“115 gründliche, intensive und nachfor- Dieses Konzept beinhaltet große schende Arbeitsweise von Journali- Chancen für junge Journalisten, die sten, um an thematisch relevante sich entgegen dem Mainstream für Informationen zu kommen, die der die Recherche begeistern. Öffentlichkeit vorenthalten werden Zum einen sollen Modellseminare sollen. Die Methoden, um die Infor- für sinnvolles Recherchetraining an mationsblockaden zu brechen, kön- Universitäten und Journalistenschu- nen dabei hart an die Grenze des len entwickelt werden. Darüber hin- Erlaubten gehen. aus plant das Netzwerk, Stipendien Danach fragte ich nach der ge- für junge Recherche-Talente verge- schichtlichen Entwicklung von in- ben, die dann einen großen Recher- vestigativem Journalismus. Ich habe cheauftrag erhalten. Während dieser gezeigt, dass dieser Berufszweig vor Arbeit werden sie ein ganzes Jahr lang allem in den USA eine lange Traditi- von erfahrenen Journalisten betreut, on hat. Stilbildend waren vor allem die als Mentoren Hilfestellung lei- zwei Jahrgänge: Zum einen die Ära sten.116 Bezahlt werden soll dieses der sogenannten Muckrakers (zu Projekt aus Spenden, die das Netz- deutsch: Mistgabeln) an der Schwel- werk als gemeinnütziger Verein an- le zum 20. Jahrhundert. Die beteilig- werben will. Wie bereits geschildert, ten Journalisten waren Anhänger der hat sich dieses Modell in Amerika, progressiven Bewegung. Sie wider- beispielsweise beim Center for Inve- setzten sich den Machtkartellen und stigative Reporting bereits bewährt. wurden vor allem mit ihren Sozialre- Deutsche Journalisten sind also auf portagen zum Sprachrohr der Ver- dem Weg, die Recherche in braucher und der Kleinunterneh- Deutschland vor dem „Aussterben“ mer. Die Ära der Muckrakers endete zu bewahren. im Streit mit Präsident Theodore

133 Roosevelt, der die in ihn gesteckten Deutschland und vergleichend dazu Erwartungen als einsamer Reformer in den USA. Ich stellte fest, dass die nicht erfüllte. amerikanischen Rechercheure privi- Um 1970 wurde der amerikanische legiert sind. Ihre Arbeit findet in der Journalismus so politisch, wie er es Bevölkerung eine große Unterstüt- bis heute nicht mehr geworden ist. zung. Aus Imagegründen sind viele Zunächst führte die Presse eine Verleger deshalb bereit, Geld für Kampagne gegen den Vietnam- langfristige Recherchen auszugeben. Krieg. Und zu dem Paradebeispiel Und dort, wo die Strukturen schwä- des investigativen Journalismus wur- cher werden, finanzieren nicht-kom- de die Watergate-Affäre, die Präsi- merzielle Organistationen mit Spen- dent Nixon schließlich zum Rück- dengeldern die investigative Arbeit. tritt zwang. Bob Woodward und In Deutschland ist die Lage wesent- Carl Bernstein von der Washington lich schlechter. Weder Verleger, Post betrieben mit ihrer hartnäcki- noch Rezipienten, geschweige denn gen, zweijährigen Recherche ihre ei- Politiker schätzen den investigativen gene Legendenbildung. Journalismus. Hinzu kommt, dass Ich becshrieb dann die aktuelle Lage die deutschen Journalisten trotz des investigativen Journalismus in günstiger Gesetze kaum recherchie-

134 ren, sondern viel Agenturmaterial durchzuführen und dabei auf den verwenden. Der Meinungsjournalis- Rat und die Unterstützung eines er- mus hat hier einen höheren Stellen- fahrenen Rechercheurs zurückzu- wert. Viele sonnen sich im Gefühl, greifen. Auf diesem Weg will das Macht zu besitzen. Netzwerk die investigative Kultur in Im Anschluss fragte ich nach dem Deutschland verbessern. Selbstverständnis der investigativen Journalisten in Deutschland und in 8. Literaturverzeichnis den angelsächsischen Ländern. Ich konnte den Unterschied ausmachen, Altschull, J. Herbert: Agenten der Macht: dass Deutschland mehr Recher- die Welt der Nachrichtenmedien, Kon- cheure mit missionarischem, zum stanz 1990 Teil übertrieben detektivischem Ei- Augstein, Rudolf: „Vertrauen Sie dieser fer hat als die USA. Doch auf den Sache Ihre besten Feder an“. In: Der Spiegel, Heft 52/1984, S. 36-44 Großteil der investigativen Journali- Bernstein, Carl/Woodward, Bob: Amerika- sten trifft das nicht zu. Sie verstehen nischer Alptraum, Köln 1976 sich eher als journalistische Hand- Boventer, Hermann: „Muckrakers. Investi- werker, die ihr Publikum mit den gativer Journalismus zwischen An- Ergebnissen einer objektiven Re- spruch und Wirklichkeit“. In: Wunden, cherche zu überzeugen versuchen. Wolfgang (Hrsg.): Öffentlichkeit und Zu ihren wichtigsten Tugenden zäh- Kommunikationskultur (= Beiträge zur len sie Misstrauen, Neugier, Hart- Medienethik Bd. 2), Hamburg- näckigkeit und Kontaktfähigkeit. 1994, S. 215-230 Schließlich untersuchte ich die Buchsteiner, Jochen: „Über Kümmeltür- ken, richtige Säue und das Zusammen- Chancen von Nachwuchsjournali- spiel von Politik und Journalismus“. In: sten im investigativen Journalismus. Die Zeit vom 11.7.97, Politik S. 2 Es zeigte sich, dass Recherche nicht Cohen, Roger: „Wie gut recherchieren zu den Vorlieben junger deutscher deutsche Journalisten?“. In: Message, Talente zählt. Diesem Trend setzen Heft 2/1999, S. 9 etablierte Journalisten mit dem neu Donsbach, Wolfgang: „Täter und Opfer – gegründeten „Netzwerk Recherche“ die Rolle der Massenmedien in der ame- nun ein Konzept entgegen. Möglich- rikanischen Politik“. In: Donsbach, keiten eröffnen sich dem Nach- Wolfgang u.a. (Hrsg.): Beziehungsspiele wuchs vor allem in dem dort geplan- – Medien und Politik in der öffentli- ten Mentoring-Programm. Es bietet chen Diskussion, Gütersloh 1993, S. 221-281 jungen Journalisten die Chance, eine Donsbach, Wolfgang: „Journalismus ver- langfristige, bezahlte Recherche sus journalism – ein Vergleich zum Ver-

135 hältnis von Medien und Politik in Holzer, Werner: „Investigativer Journa- Deutschland und in den USA“. In: lismus“. In: Archiv für Presserecht, Heft Donsbach, Wolfgang u.a. (Hrsg.): Be- 2/1988, S. 113-114 ziehungsspiele - Medien und Politik in Janisch, Wolfgang: Investigativer Journalis- der öffentlichen Diskussion, Gütersloh mus und Pressefreiheit. Ein Vergleich 1993, S. 283-317 des deutschen und amerikanischen Draht, Henning/Meckel, Miriam: „I-Tüp- Rechts, Baden-Baden 1998 felchen Recherche“. In: Message, Heft Karacs, Imre: „Wie gut recherchieren 1/2001, S. 34-38 deutsche Journalisten“. In: Message, Einfeldt, Anja: „Spürnasenclub“. In: Heft 2/1999, S. 9 Message, Heft 1/2001, S. 39-41 Koch, Egmont R.: „Ich habe da meine Engelbrecht, Torsten: „Schutz vor Macht- Quellen...“. In: Leif, Thomas: Leiden- missbrauch“. In: Message, Heft 2/1999, schaft Recherche, Wiesbaden 1998, S. S. 36-39 42-44 Esser, Frank: Die Kräfte hinter den Kremp, Herbert: „Investigativer Journa- Schlagzeilen, Englischer und deutscher lismus“. In: Archiv für Presserecht, Heft Journalismus im Vergleich, Freiburg/ 2/1988, S. 114-117 München 1998 Leif, Thomas: „Leidenschaft Recherche: Esser, Frank: „Gehemmter Investigativ- Die Kontrollfunktion der Medien geist“. In: Message, Heft 2/1999, S. 26- braucht Pflege und Ermutigung“. In: 31 Leif, Thomas: Leidenschaft Recherche, Fröhder, Christoph Maria: „Die Entlar- Wiesbaden 1998, S. 7-13 vung der Geheimwaffe ‘M’“. In: Leif, Leif, Thomas: „Die Demokratie beat- Thomas: Leidenschaft Recherche, men“. In: Message, Heft 2/1999, S. 46- Wiesbaden 1998, S. 45-50 47 Haas, Hannes/Pürer, Heinz: „Berufs- Leinemann, Jürgen: „Die Gemütlichkeit ist auffassungen im Journalismus“. In: Pü- hin“. In: Der Spiegel, Heft 28/1977, S. rer, Heinz/Stuiber, Heinz-Werner 42-44 (Hrsg.): Journalismus (= Kommunikati- Leparmentier, Arnaud: „Wie gut recher- onswissenschaftliche Studien Bd. 11), chieren deutsche Journalisten“. In: Mes- Nürnberg 1991, S. 71-85 sage, Heft 2/1999, S. 9 Haller, Michael: Recherchieren. Ein Leyendecker, Hans: „Auf Kuscheltour mit Handbuch für Journalisten, München der Macht“. In: Message, Heft 2/1999, 1991 S. 10-12 Heider, Ulrike: „Der Mann mit der Mist- Leyendecker, Hans: „Wer im Schmutz gabel“. In: Michel, Karl Markus/Speng- wühlt...“. In: Der Spiegel, Sonderausga- ler, Tilman: Die Meinungsmacher. be 1947-1997 zum 50. Geburtstag des Kursbuch 125, Berlin 1996, S. 143-153 Magazin, S. 48-55 Leyendecker, Hans: „Welttag der Presse-frei- heit: Erst die Recherche, dann die Mei-

136 nung“. Auf: http://www. spiegel. de/po- Schimmeck, Tom: „Der Enthüller“. In: litik/deutschland/0,1518, 131663,00.html Die Woche vom 5.7.1996, Menschen S. am 29.06.01 um 9 Uhr 39 Müller, Leo: „Viel gesehen, wenig begrif- Schmitt, Karl Volker: „6 * w ist investiga- fen“. In: Message, Heft 2/1999, tiv“. In: multiMEDIA vom 29.04.01, S. S. 22-25 4-5 Müller, Michael: Investigativer Journalis- Schön, Gerti: „Wühlarbeit“. In: Medium mus. Seine Begründung und Begren- Magazin, Heft 7/2001, S. 38-39 zung aus der Sicht der christlichen Scholl, Armin: „Wie fair sind die Journa- Ethik, Münster 1997 listen?“. In: Sage&Schreibe special, Heft N.N.: „Gesetz zur Förderung der In- 2/1994, S. 22-24 formationsfreiheit im Land Berlin“. Steffen, Erich: „Schranken des Persön- Auf: http://www.datenschutz- lichkeitsschutzes für den ,investigativen‘ berlin.de/recht/bln/ifg/ifg.htm am Journalismus“. In: Archiv für Presse- 07.07.01 um 18 Uhr recht, Heft 2/1988, S. 117-120 N.N.: „Rundgespräch zum Thema: ,In- Weischenberg, Siegfried: „Investigativer vestigativer Journalismus in Deutsch- Journalismus und ‘kapitalistischer Rea- land‘“. Auf: http:// lismus“. In: Rundfunk und Fernsehen, www.netzwerkrecherche.de am Heft 31/1983, S. 349-369 07.07.01 um 16 Uhr Nitschmann, Johannes: „Keine Geheim- Anmerkungen kunst“. In: M – Menschen Machen Me- dien, Heft 5/2001, S. 16-17 1 Drobinski, Matthias: „Recherche ist eine Pätzold, Ulrich: „Hofberichterstattung Tugend“. In: Leif, Thomas: Leiden- oder Recherchenjournalismus – Zur schaft Recherche, Wiesbaden 1998, S. Philosophie journalistischer Arbeit“. In: 133 Langenbucher, Wolfgang R. (Hrsg.): 2 Vgl. ebenda, S. 133 Journalismus&Journalismus. Plädoyers 3 N.N.: „Rundgespräch zum Thema: ,In- für Recherche und Zivilcourage, Mün- vestigativer Journalismus in Deutsch- chen 1980, S. 21-33 land‘“. Auf: http://www.netz- Pürer, Heinz: „Ethik in Journalismus und werkrecherche.de am 07.07.01 um 16 Massenkommunikation“. In: Publizi- Uhr stik, Heft 3/1992, S. 304-321 4 Vgl. Haas, Hannes/Pürer, Heinz: „Be- Redelfs, Manfred: Investigative reporting rufsauffassungen im Journalismus“. In: in den USA, Opladen 1996 Pürer, Heinz/Stuiber, Heinz-Werner Riehl-Heyse, Herbert: Bestellte Wahr- (Hrsg.): Journalismus (= Kommunikati- heiten, München 1989 onswissenschaftliche Studien Bd. 11), Rust, Holger: Entfremdete Elite? Journa- Nürnberg 1991, S. 75 listen im Kreuzfeuer der Kritik, Wien 5 Vgl. Müller, Michael: Investigativer Jour- 1986 nalismus. Seine Begründung und Be-

137 grenzung aus der Sicht der christlichen 19 Vgl. Altschull, J. Herbert: a.a.O., S. 97 Ethik, Münster 1997, S. 9 20 Vgl. Boventer, Hermann: a.a.O., S. 6 Holzer, Werner: a.a.O., S. 113 216 7 Janisch, Wolfgang: Investigativer Journa- 21 ebenda, S. 217 lismus und Pressefreiheit. Ein Vergleich 22 Vgl. ebenda, S. 217 des deutschen und amerikanischen 23 Vgl. Heider, Ulrike: „Der Mann mit Rechts, Baden-Baden 1998, S. 15 der Mistgabel“. In: Michel, Karl Mar- 8 Vgl. Donsbach, Wolfgang: „Täter und kus/Spengler, Tilman: Die Meinungs- Opfer – die Rolle der Massenmedien in macher. Kursbuch 125, Berlin 1996, S. der amerikanischen Politik“. In: Dons- 145 bach, Wolfgang u.a. (Hrsg.): Bezie- 24 Vgl. Altschull, J. Herbert: a.a.O., S. 93 hungsspiele – Medien und Politik in der 25 ebenda, S. 93 öffentlichen Diskussion, Gütersloh 26 Vgl. ebenda, S. 99 1993, S. 250 27 Vgl. ebenda, S. 99 9 Redelfs, Manfred: Investigative reporting 28 Vgl. Heider, Ulrike: a.a.O., S. 146 in den USA, Opladen 1996, S. 32 29 Vgl. Heider, Ulrike: a.a.O., S. 147 10 Vgl. Redelfs, Manfred: a.a.O., S. 28 30 Vgl. Altschull, J. Herbert: a.a.O., S. 11 Vgl. Weischenberg, Siegfried: „Inve- 103 stigativer Journalismus und ‘kapitalisti- 31 Vgl. Boventer, Hermann: a.a.O., S. scher Realismus“. In: Rundfunk und 223 Fernsehen, Heft 31/1983, S. 350 32 Vgl. Haas, Hannes/Pürer, Heinz: 12 Haller, Michael: Recherchieren. Ein a.a.O., S. 74 Handbuch für Journalisten, München 33 Vgl. Boventer, Hermann: a.a.O., S. 1991, S. 81 223 13 Vgl. Müller, Michael: a.a.O., S. 10 34 Vgl. Janisch, Wolfgang: a.a.O., S. 19 14 Kremp, Herbert: „Investigativer Journa- 35 Vgl. Redelfs, Manfred: a.a.O., S. 28 lismus“. In: Archiv für Presserecht, Heft 36 Vgl. Janisch, Wolfgang: a.a.O., S. 23 2/1988, S. 114 37 Vgl. Redelfs, Manfred: a.a.O., S. 67f. 15 Vgl. Boventer, Hermann: „Muckra- 38 Vgl. Janisch, Wolfgang: a.a.O., S. 23 kers. Investigativer Journalismus zwi- 39 Vgl. ebenda, S. 24 schen Anspruch und Wirklichkeit“. In: 40 Vgl. Rust, Holger: Entfremdete Elite? Wunden, Wolfgang (Hrsg.): Öffentlich- Journalisten im Kreuzfeuer der Kritik, keit und Kommunikationskultur (= Bei- Wien 1986, S. 24 träge zur Medienethik Bd. 2), Ham- 41 Vgl. Redelfs, Manfred: a.a.O., S. 240 burg/Stuttgart 1994, S. 221 42 Vgl. ebenda, S. 241 16 Vgl. Müller, Michael: a.a.O., S. 13 43 Vgl. Rust, Holger: a.a.O., S. 26 und 17 Vgl. Altschull, J. Herbert: Agenten der Redelfs, Manfred: a.a.O., S. 237 Macht: die Welt der Nachrichtenmedi- 44 Vgl. Redelfs, Manfred: a.a.O., S. 238ff. en, Konstanz 1990, S. 96 45 Vgl. ebenda, S. 254 18 Vgl. Boventer, Hermann: a.a.O., S. 46 Vgl. Redelfs, Manfred: a.a.O., S. 310ff. 215 47 Vgl. ebenda, S. 312

138 48 Vgl. Einfeldt, Anja: „Spürnasen- 68 Vgl. Donsbach, Wolfgang: „Journalis- club“. In: Message, Heft 1/2001, S. 40 mus versus journalism – ein Vergleich 49 Vgl. Einfeldt, Anja: a.a.O., S. 40f. zum Verhältnis von Medien und Politik 50 Vgl. Redelfs, Manfred: a.a.O., S. 285ff. in Deutschland und in den USA“. In: 51 Leyendecker, Hans: „Welttag der Donsbach, Wolfgang u.a. (Hrsg.): Be- Pressefreiheit: Erst die Recherche, dann ziehungsspiele - Medien und Politik in die Meinung“. Auf: http:// der öffentlichen Diskussion, Gütersloh www.spiegel.de/politik/deutschland/ 1993, S. 289 0,1518,131663,00.html am 29.06.01 um 69 Esser, Frank: „Gehemmter ...“, a.a.O., 9 Uhr S. 28 52 Müller, Michael: a.a.O., S. 17 70 Vgl. N.N.: „Gesetz zur Förderung der 53 Leyendecker, Hans: „Welttag ...“, Informationsfreiheit im Land a.a.O. Berlin“. Auf: http://www.datenschutz- ° Vgl. Draht, Henning/Meckel, Miriam: berlin.de/recht/bln/ifg/ifg.htm am „I-Tüpfelchen Recherche“. In: Messa- 07.07.01 um 18 Uhr ge, Heft 1/2001, 71 Vgl. Esser, Frank: Die Kräfte ..., S. 38 a.a.O., S. 126 55 Vgl. Einfeldt, Anja: a.a.O., S. 40 72 Leyendecker, Hans: „Wer im Schmutz 56 Leyendecker, Hans: „Auf Kuschel- wühlt...“. In: Der Spiegel, Sonderausga- tour mit der Macht“. In: Message, Heft be 1947-1997 zum 50. Geburtstag des 2/1999, S. 10 Magazin, S. 50 57 Leyendecker, Hans: „Welttag ...“, 73 Kremp, Herbert: a.a.O., S. 116 a.a.O. 74 Leyendecker, Hans: „Wer im Schmutz 58 ebenda ...“, a.a.O., S. 51 59 Vgl. Esser, Frank: Die Kräfte hinter 75 Vgl. Leif, Thomas: „Die Demokratie den Schlagzeilen, Englischer und deut- beatmen“. In: Message, Heft 2/1999, S. scher Journalismus im Vergleich, Frei- 46f. burg/München 1998, S. 116 76 Nitschmann, Johannes: „Keine Ge- 60 Esser, Frank: „Gehemmter Investiga- heimkunst“. In: M - Menschen Machen tivgeist“. In: Message, Heft 2/1999, S. Medien, Heft 5/2001, S. 16 26 77 Vgl. Esser, Frank: „Gehemmter ...“, 61 ebenda, S. 26 a.a.O., S. 29 62 Cohen, Roger: „Wie gut recherchie- 78 Vgl. Redelfs, Manfred: a.a.O., S. 320 ren deutsche Journalisten?“ In: Messa- 79 Schimmeck, Tom: „Der Enthüller“. ge, Heft 2/1999, S.9 In: Die Woche vom 5.7.1996, Menschen 63 Vgl. Janisch, Wolfgang: a.a.O., S. 67 S. 39 64 Vgl. Redelfs, Manfred: a.a.O., S. 162 80 Zitiert nach Leyendecker, Hans: „Auf 65 Vgl. Janisch, Wolfgang: a.a.O., S. 68 Kuscheltour mit der Macht“. In: Messa- 66 Vgl. Redelfs, Manfred: a.a.O., S. 165 ge, Heft 2/1999, 67 Vgl. ebenda, S. 161f. S. 12

139 81 Vgl. Leyendecker, Hans: „Auf Ku- 97 Vgl. Müller, Leo: a.a.O., S. 23ff. scheltour ...“, a.a.O., S. 12 98 Schimmeck, Tom: a.a.O., S. 39 82 Karacs, Imre: „Wie gut recherchieren 99 Leif, Thomas: „Die Demokratie beat- deutsche Journalisten“. In: Message, men“. In: Message, Heft 2/1999, S. 46 Heft 2/1999, S. 9 100 Schimmeck, Tom: a.a.O., S. 39 83 Leparmentier; Arnaud: „Wie gut re- 101 Nitschmann, Johannes: a.a.O., S. 16 cherchieren deutsche Journalisten“. In: 102 Vgl. Leif, Thomas: „Die Demokratie Message, Heft 2/1999, S. 9 ...“, a.a.O., S. 46 84 Vgl. Esser, Frank: Die Kräfte ..., 103 Müller, Leo: a.a.O., S. 22 a.a.O., S. 127 104 Koch, Egmont R.: „Ich habe da mei- 85 Vgl. Donsbach, Wolfgang: „Journalis- ne Quellen ...“. In: Leif, Thomas: Lei- mus ...“, a.a.O., S. 291 denschaft Recherche, Wiesbaden 1998, 86 Vgl. Donsbach, Wolfgang: „Journalis- S. 44 mus ...“, a.a.O., S. 291 105 Vgl. Schimmeck, Tom: a.a.O., S. 39 87 Vgl. ebenda, S. 295 106 Vgl. Pätzold, Ulrich: a.a.O., S. 26 88 Vgl. Pätzold, Ulrich: „Hofberichter- 107 Vgl. Fröhder, Christoph Maria: „Die stattung oder Recherchenjournalismus Entlarvung der Geheimwaffe ,M‘“. In: – Zur Philosophie journalistischer Ar- Leif, Thomas: Leidenschaft Recherche, beit“. In: Langenbucher, Wolfgang R. Wiesbaden 1998, S. 45ff. (Hrsg.): Journalismus&Journalismus. 108 Vgl. Fröhder, Christoph Maria: Plädoyers für Recherche und Zivilcou- a.a.O., S. 46 rage, München 1980, S. 31 109 Vgl. Müller, Leo: a.a.O., S. 23 89 Vgl. Kremp, Herbert: a.a.O., S. 115 110 Leif, Thomas: „Die Demokratie ...“, 90 Vgl. Haas, Hannes/Pürer, Heinz: a.a.O., S. 47 a.a.O., S. 78 111 Vgl. Schimmeck, Tom: a.a.O., S. 39 91 Leyendecker, Hans: „Auf Kuschel- 112 Vgl. Schmitt, Karl Volker: „6 * w ist tour ...“, a.a.O., S. 12 investigativ“. In: multiMEDIA vom 92 Hans Leyendecker in einem Vortrag 29.04.01, S. 5 an der Universität Dortmund am 07. 113 Vgl. Leyendecker, Hans: „Auf Ku- Juni 2001 scheltour ...“, a.a.O., S. 12 93 Schimmeck, Tom: a.a.O., S. 39 114 Vgl. ebenda, S. 11 94 ebenda, S. 39 115 Vgl. Nitschmann, Johannes: a.a.O., 95 Engelbrecht, Torsten: „Schutz vor S. 17 Machtmissbrauch“. In: Message, Heft 116 Vgl. Schmitt, Karl Volker: a.a.O., S. 5 2/1999, S. 36 96 Müller, Leo: „Viel gesehen, wenig be- griffen“. In: Message, Heft 2/1999, S. 22

140 Rundgespräch „Investigativer Journalismus in Deutschland“

Tagung des Netzwerkes Recherche und der Friedrich Ebert Stiftung „Recherchierender Journalismus in Deutschland“ in Simmerath-Erkensruhr (30.03.01-1.04.01)

Thomas Leif (Moderator): Herr Ley- über ihre Arbeit, z.B. wie eine Re- endecker, was ist Ihr Motiv, dass Sie cherche aussieht, berichteten. Ich neben Ihrer Arbeit sagen, man muss erinnere mich dabei immer noch an im journalistischen Feld mal Flagge eine wunderbare Kollegin aus zeigen und sich engagieren. Warum Phoenix, Arizona. Sie hatte die machen Sie das? Atomwaffenversuche in der Wüste von Nevada recherchiert und das Hans Leyendecker: Journalismus ist tatsächlich für zwei Jahre mit einem nicht nur Broterwerb, sondern man Team. Die hatte dann so einen lan- hat auch eine Vorstellung von den gen Quellenkatalog und man disku- Dingen, wie sie ungefähr laufen soll- tierte darüber, ob ihre Wege richtig ten. Mich hat es dabei in den recher- waren, und ich saß ganz klein da und chierenden Bereich verschlagen, und dachte: „Irgendwie muss ich mich jetzt versuche ich, das wenige, was hier schminken, wenn die Dich ich kann, an einige junge Leute wei- gleich fragen, was machst Du eigent- terzugeben, das heißt also, z.B. an lich?“ In der Regel sieht ja unsere Universitäten zu gehen. Ich veran- Arbeit sehr viel anders aus. Die ame- stalte mittlerweile viele Ausbildungs- rikanischen Kollegen haben zum seminare, bei denen ich mit den jun- Teil ganz andere Voraussetzungen. gen Leuten darüber rede, was sie bis- Ich bin mit der Ansicht, wie auch her gemacht haben und wohin es viele andere Kollegen hier, dass man gehen soll. Ich habe einige Male in für den recherchierenden Journalis- Amerika die Erfahrung gemacht, mus wirbt, der in diesem Lande dass ich mich dort sehr geniert habe, durch Meinungsjournalismus und wenn die amerikanischen Kollegen andere Dinge keine sehr große Kul-

141 tur hat. Wir haben keinen sehr gro- Wächterpreis unterscheidet. Ein sol- ßen Rückhalt bei den Intendanten cher Preis darf dann aber auch nicht oder beim Verleger, d.h. wir setzen denjenigen auszeichnen, der am uns größeren Widerständen aus. leichtesten bei einem Anwalt die Man muss sich zusammensetzen Akte gezogen und daraus eine Ent- und die Erfahrungen, die in anderen hüllungsgeschichte gemacht hat, Ländern gemacht werden, aber auch sondern man muss wirklich darauf unsere eigenen Erfahrungen disku- achten, wo jemand für seine Recher- tieren. Woran mir sehr liegen würde, che was ausgegraben hat und auch wäre, dass ein solcher Verein dazu mit großer Hartnäckigkeit drange- beitragen könnte, dass man in einem blieben ist. Auch glaube ich, dass gewissen Zeitraum einen Kongress veröffentlichte Negativlisten sinn- oder etwas ähnliches organisiert, in voll sind, die aufzeigen, wer z.B. am dem Kollegen über ihre Arbeit und rigidesten war und Journalisten den über die Schwierigkeiten, die dabei Informationszugang verweigert hat. auftreten, reden. Wir sprechen ja im Das hat jetzt nicht nur etwas mit Grunde genommen nie über Hand- dem ,Freedom of Information Act‘ werk. Wir reden nur darüber, ob ei- zu tun, sondern vielmehr mit einer ner gut schreiben kann. Deshalb gewissen Solidarität der Leute, die werden wir, die sich im recherchie- wir brauchen. renden Journalismus tummeln, manchmal auch gefragt, ob wir De- Ich glaube nicht, dass wir in tektive seien. An dieser ganzen Schi- Deutschland so ein Netzwerk wie zophrenie merkt man eigentlich, z.B. in Skandinavien schaffen kön- dass wir über das, was wir in Ansät- nen, wo dann der eine Journalist aus zen in Sachen Recherche machen, dem Süden seinen Kollegen im Nor- mehr reden müssten. Diskutiert den anruft und fragt: „Du hast doch werden muss auch, unter welchen mal an der Geschichte gearbeitet, Voraussetzungen z.B. Fernsehleute wie kommst Du weiter?“ Wir stehen mit Printleuten zusammenarbeiten ja doch zu häufig in Konkurrenz und welche Geschichte dabei her- miteinander. Aber wir können ande- auskommt, die vielleicht ohne diese re Dinge erreichen. Kooperation nicht entstanden wäre. Ich glaube, dass man auch schon Der Verein müsste auch im Bereich durch symbolische Akte, wie z.B. der Ausbildung etwas machen, dazu eine Negativliste, bei den Kollegen, muss sicherlich auch ein Journali- die als Einzelkämpfer unterwegs stenpreis gehören, der sich vom sind, ein gewisses Gemeinschaftsge-

142 fühl schaffen kann. Man kann auch die Zahl der Vorträge angeht, liege dann stärker auftreten, wenn man ich weit hinter ihm zurück. zu definieren versucht, was Journa- Ob das hier heute zum Verein lismus eigentlich ist. Wenn Sie mit kommt oder nicht, welchen Sinn das Chefredakteuren über Recherche macht, darüber werden wir ja nach- diskutieren, ergibt es sich oft, dass her noch reden. Ich glaube, dass die Chefredakteure sagen: „Ich weiß heute auch schon eine Menge gelun- gar nicht, worüber Sie reden, wir re- gen wäre, wenn man, so wie es in cherchieren alle.“ Die haben das den USA schon passiert ist, versu- auch immer alle ganz hervorragend chen würde, eine gewisse Trenn- in ihrem Leben gemacht. Doch die schärfe für diesen Begriff investiga- meisten, so glaube ich, verstehen dar- tives Recherchieren zu finden. Das unter, dass man ohne Hilfe der Se- Schlagwort investigatives Recher- kretärin eine Telefonnummer findet. chieren, investigativer Reporter wird in Deutschland alle Nase lang ge- Leif: Das ist eine sehr schöne Defi- braucht, auch wenn es dann darum nition. Ich glaube, die sollte als Pre- geht, über die Defizite zu reden, die face in alle Lehrbüchern eingehen. es hier ohne Frage gibt. Was das aber Das war schon mehr als eine Ouver- so genau ist, wer das ist, das ist an- türe am Anfang. Ich gebe über zu ders als in Amerika. Georg Mascolo, den auch einiges Es gibt auch viele Kollegen, und ich mit Hans Leyendecker verbindet. gehe auch davon aus, dass viele hier Was ist Ihr Motiv, wenn man als sind, die investigatives Recherchie- leistungsstarker Rechercheur im Ge- ren, nicht wie es in den USA oftmals schäft ist, sich über den eigenen Job üblich ist, ausschließlich betreiben, hinaus zu engagieren und einzelne aber die es immer wieder betreiben. Elemente vom Job und vom Re- Das sind dann Geschichten bei de- cherchieren auch an andere weiter- nen es uns möglicherweise nicht auf- zutragen. Sie referieren auch gele- fällt, weil sie hinterher keinen Nach- gentlich oder geben ein Interview richtenwert haben, dennoch aber die und reflektieren somit ihren Job. Herangehensweise einer gründli- chen, ausgewogenen Recherche auf- Georg Mascolo: Das meiste hat Hans weisen. Darüber würde ich auch re- Leyendecker gesagt, außerdem falle den, weil ich ansonsten die Sorge ich natürlich, was meine Leistungen habe, dass es eine große Gruppe von als journalistischer Referent betrifft, Kollegen und Kolleginnen gibt, die gegen ihn weit ab. Ich glaube, was sich ausgeschlossen fühlen, weil sie

143 denken, dass sie das, worüber hier Platz des Dossiers der ZEIT, das eigentlich geredet wird, überhaupt Bruno Schirra und Thomas Kleine- nicht machen. Brockhoff eingeführt haben, beob- Insofern meine Bitte, lassen Sie uns achten kann. Das wäre früher völlig nachher noch einmal über die Be- unvorstellbar gewesen; langdarstel- griffe reden und über die Frage für lend, häufig dann auch mit wen, wenn ein solcher Verein zu Newswert, bisweilen aber auch ein- Stande käme, er auch Ansprechpart- fach nur unter dem Anspruch zu sa- ner und Sammelbecken sein sollte. gen, ich fasse das alles noch mal zu- sammen oder erkläre das auf einem Leif: Welchen Vorschlag hätten Sie prominenten Platz in einer Art und denn zur Trennschärfe. Wo würden Weise, wie mir das sonst selten ge- Sie denn die Linien ziehen, wohin lingt. Ich lese auch oft in den Zei- geht die Argumentation? tungen die Seite-Drei-Geschichten, bei denen ich denke, die Arbeit, die Mascolo: Ich glaube, dass ich so eine gründliche Recherche, die darin Verknüpfung beispielsweise im steckt, die ist bemerkenswert. Es

144 kommt keine Nachricht dabei her- dalierung, die wir oft bei vielen The- aus, und es kann auch keine Nach- men erleben, nicht auf Irrwege ge- richt dabei herauskommen, weil das führt werden, weil sie tatsächlich kei- Beschriebene es möglicherweise gar ne investigativen Stories sind. Es nicht zulässt. Aber auch über all die- geht möglicherweise nur darum, ir- se Leute und ihre Arbeitsweisen soll- gendein Dokument, so wie es Herr te man reden. Leyendecker geschildert hat, einen Tag vorher zu haben, bevor es so- Leif: Also eher ein breiterer Ansatz. wieso veröffentlicht worden wäre. Oliver Merz, auch seit Jahren unter- Da müssen wir dann nachhetzen, wegs in dem Themenfeld. Wo wür- weil wir halbaktuellen, latent aktuel- dest Du die Defizite im sogenann- len oder ganz aktuellen Medien ver- ten recherchierenden Journalismus pflichtet sind und dann aber in der sehen? Kollege Volker Steinhoff hat ganzen Hektik gar nicht dazu kom- ja schon nüchtern in einigen State- men, es gründlich darzustellen, In- ments etwas dazu gesagt. Du willst teressenverflechtungen aufzuzeigen, ja auch von den Segeln gehen und möglicherweise auch mal gegen den bist wahrscheinlich auch über die Strich zu bürsten und Gewissheiten, Jahre ein wenig enttäuscht. mit denen wir alle tagtäglich umge- hen und die wir auch selber trans- Oliver Merz: Ich arbeite seit acht Jah- portieren, kritisch zu hinterfragen ren für REPORT Baden-Baden, und auch manchmal auf den Kopf jetzt Mainz und ich teile nicht ganz zu stellen. Deine Auffassung. Ich finde die Seit zwei Jahren mache ich Chef Lage nicht so schlimm, wie sie teil- vom Dienst und die Planungsarbeit weise dargestellt wird. Ich glaube, für ein Fernsehmagazin REPORT dass sie besser ist als viele denken. in Mainz. Was mir fehlt, das sage ich Was ich persönlich gerne sagen wür- ganz offen, ist das, was wir hier in de, und ich will mich damit auch ger- diesem Kreis auch schon öfters ge- ne dem Herrn Mascolo anschließen, hört haben: Ich glaube nicht so sehr, ist, dass wir diese Formen, die zum dass Geld ein so großes Problem ist, Teil um den Begriff Investigativer ich vermisse – und obwohl ich erst Journalismus gestrickt sind, ein bis- 41 Jahre alt bin, gestatte ich mir das schen zurecht rücken. Mir liegt sehr zu sagen – die unruhigen jungen viel an dem Wort „Gründlich“. Ich Kollegen, die anklopfen und ein glaube, dass wir aufpassen sollten, Anliegen haben. Wenn sie ein Anlie- dass wir durch die vorschnelle Skan- gen haben, dann kommen sie nor-

145 malerweise auch mit einem interes- kommen und deswegen gibt es die- santen Thema und dann kann man sen Nachwuchs nicht mehr, der in als interessierter CvD auch versu- der Landesschau anfängt, ob das chen, eine spannende, interessante beim Bayrischen Rundfunk ist oder und relevante Geschichte daraus zu in Hannover, und sich dann irgend- machen. Das ist es, was mich teil- wann im Laufe der Jahre über ein weise in den vergangenen Jahren landespolitisches Magazin, über störte, dass tatsächlich oft die Frage ARD Aktuell möglicherweise zu nach dem Geld kommt. In der Sen- PANORAMA oder zu REPORT deanstalt, in der ich arbeite, das kann hochkämpft. ich ganz plastisch sagen, da kann man an anderen Stellen mit wesent- Dagmar Hovestädt: Es ist ja in weiten lich weniger Aufwand viel mehr Teilen eine entpolitisierte Gesell- Geld verdienen. Gut, aber dann schaft. Wenn Du Seelenstriptease muss man auch nicht bei REPORT und Striptease im Fernsehen zum anklopfen. Ich glaube nicht, dass wir hauptsächlichen Anliegen machst, uns jetzt erst mal darauf versteifen dann ist es einfach überhaupt nicht sollten, Professoren für recherchie- mehr attraktiv, dieses gesellschaftli- rende Journalisten zu fordern, um che Anliegen zu verkörpern und in es mal zugespitzt zu sagen. Wenn Sendungen zu gehen und daran zu die Leidenschaft und das Tempera- arbeiten, dass ist einfach nicht chic. ment mehr zunehmen würden, wür- Ich würde sagen, wir sind hier auch de ich mich sehr freuen. in einem relativ erlauchten kleinen Kreis zusammen gekommen. Wir Leif: Wie könnte das mit Leben ge- reden über Medien, die ausgezeich- füllt werden? nete Archive haben, die, im Fall des SPIEGEL, seit 50 Jahren einen Na- Merz: In den Rundfunkanstalten ist men durch die Gegend tragen, der es so, dass natürlich die Basis fehlt. Recherchen einfacher macht. In der Früher in den 80er Jahren, als ich Realität wird die Vielzahl der Zu- angefangen habe, wurden viele Sen- schauer und Leser damit überhaupt dungen, wie die regionalen Nach- gar nicht erreicht. Wir haben nie- richtensendungen oder die regiona- manden von den privaten Fernseh- len Magazine, journalistischer ge- Anbietern hier. Und ein Printmaga- macht. Das war einfach Alltag, heu- zin wie FOCUS hat meiner Ansicht te sind sie tatsächlich in weiten Tei- nach das, was ich unter investigativ len zu Unterhaltungsmaschinen ver- verstehe, einfach auch ein Stück ver-

146 wässert und das Format eher be- Journalistenkreisen ist es nicht vor- nutzt. handen. Deswegen denke ich auch, dass die Leute, die mit einem Anliegen kom- Leif: Doch wenn einer eine gute Sto- men, immer von einer bestimmten ry hat, dann findet er auch einen Zeit geprägt worden sind. Ich finde, Platz. Es gab jetzt von Bruno Schir- es ist eine schwierige Zeit, um mit ra dieses ZEIT-Dossier, was gelobt einem gesellschaftlichen Anliegen in wird, und es kann auch in der SZ Medien reinzugehen. Das Anliegen nachgelesen werden, wenn jemand heute heißt: Geld verdienen, chic zu eine gute Story hat. Es bleibt ja sein, sich selber in diesen Medien, nichts verborgen. Ist das nicht so vor allem beim Fernsehen, zu spie- eine kulturpessimistische Stim- geln. Bei einer Zeitung eine gute Re- mungsfrage? cherche zu machen, solide Stücke zu liefern oder eine Seite Drei zu ma- Hovestädt: Es war nur eine Reaktion chen, mit der man aber nicht groß auf die Äußerung, dass man sich rauskommt, dafür ist das gesell- wünscht, dass junge Leute mit ei- schaftliche Klima nicht da, sogar in nem Anliegen kommen. Aber wo

147 soll das Anliegen herkommen? Wie Grunde genommen nicht stimmen. wird man geprägt, in welchen gesell- Meine Beobachtung ist seit Jahren, schaftlichen Zusammenhängen wird dass aller Orten enthüllt wird. Man man groß und was ist eigentlich im kommt ja überhaupt nicht mehr hin- Mainstream vorhanden. Das ist jetzt terher. Es sind eine Vielzahl von kein Plädoyer dafür, investigative Skandalen, die mich bis Dienstag Geschichten vollkommen zu unter- durch die Gegend treiben und von lassen, weil sie nicht im Trend lie- denen Mittwoch keiner mehr was gen. Im Gegenteil! Ich glaube auch, wissen will. Angeblich boomt das dass wenn man sich darum bemüht, Geschäft aller Ort und gleichzeitig in diesem Bereich etwas zu definie- sitzen wir hier und sagen, dass von ren, dann muss man das von diesem unserem Beruf niemand was wissen Glamour herunterholen. Wir sind ja will. Entweder gibt es da so eine nicht die James Bonds des Journa- Wahrnehmungslücke oder irgendet- lismus, die undercover arbeiten. Es was anderes, worüber wir reden wird ja auch alles gern mythologi- müssen. siert. Im Gegenteil, man muss es entmythologisieren, zu einem Gen- Hovestädt: Eine Inflation des Be- re wie jedes andere auch machen. griffs. Und man muss durch die klarere Definition das Image aufbessern, Leif: Herr Fröhlingsdorf, Sie hatten vor allem im Fernsehbereich, dafür ja ein bestimmtes Anliegen und ha- werben, dass man Zeit dafür ben sogar eine kleine Kulturverän- braucht, um eine Geschichte sorg- derung im „Trierischen Volks- fältig zu recherchieren oder aufzu- freund“, wo sie bisher gearbeitet ha- decken, was die Mächte gerne ver- ben, eingeleitet. Wie wichtig ist denn borgen wissen wollen. Um das öf- Ihr Einfluss, wie würden Sie es ein- fentlich zu machen, dafür braucht schätzen, dass man über Einzel- man Zeit, da kann man nicht sagen: kämpfertum, was es irgendwo in so „Die sitzen da drei Wochen, drehen einem kleinen Blatt ist, auch intern Däumchen, und machen dann mal was verändern kann. Haben Sie da in zwei Tagen schnell einen Beitrag.“ irgendwas verspürt oder blieb es Das Image ist es, das gehoben wer- beim Einzelkämpfertum? den muss. Michael Fröhlingsdorf: Es hat sich Mascolo: Also irgendwas bei der prin- schon einiges geändert. Wir sind zipiellen Fragestellung kann ja im kürzlich sogar geadelt wurden, als in

148 der WELT stand, dass in Trier die Traumjob für jeden anderen, der meisten Skandale passieren. Ich sehe sonst in der Lokalredaktion zum Ka- es nicht so pessimistisch, gerade vie- ninchenzüchterverein gehen muss. le junge Kollegen bemühen sich Diesen kleinen Reporterkreis gab es durchaus in lokalen Dingen. Das bei der „Lausitzer Rundschau“ und Problem ist, dass da wirklich jeder es gibt ihn bei der „Saarbrücker Zei- Einzelkämpfer ist, und das ich auch tung“, und ich denke schon, dass noch nächste Woche zu dem Bür- das auch andere Kollegen gerne ma- germeister gehen muss, dem ich die- chen würden. Es gibt zum Beispiel se Woche eins reingewürgt habe. die „Saarbrücker Zeitung“, die diese Also, das ist einfach das Problem: Zukunftswerkstätten macht und im Die Leute sind schon bemüht, ob Herbst war jetzt auch eine zum The- man dann aber die entsprechende ma Recherche. Da war zumindest Rückendeckung vom Chefredakteur die Absichtserklärung aller Chefre- hat, ob man möglicherweise Anzei- dakteure, in diese Richtung weiter- genkunden verliert, dass sind die ei- zugehen und das auszubauen. Das gentlichen Probleme, die die Lokal- allerdings im Lokalen ein freier Mit- redakteure vor Ort bewegen und arbeiter irgendeine Enthüllungsge- nicht die Enthüllungen im SPIE- schichte liefern würde, das habe ich GEL. noch nie erlebt. Wenn, dann müssen das wirklich die Festangestellten Hovestädt: Oliver Merz und ich reden sein, die dann genauer recherchie- auch überwiegend über den Fern- ren. sehbereich, weil das unsere Prägung ist. Ich glaube, Printmagazin- Jour- Leif: Aber wenn sie jetzt den „Trieri- nalismus und auch die Lokalpresse schen Volksfreund“ verlassen, wird erfordern jeweils unterschiedliche denn der Job dann neu besetzt? Perspektiven auf dieses Bild. Fröhlingsdorf: Das ist eine kuriose Fröhlingsdorf: Ich sehe es auch in an- Geschichte, weil der Chefredakteur derer Hinsicht nicht so pessimi- sagt, dass sich ein Nachfolger erst stisch. Ich bin jetzt beim „Trieri- qualifizieren müsse: „Jetzt schreibe schen Volksfreund“ seit ein 1/2 Jah- mal schön investigative Geschichten ren als Reporter freigestellt gewesen, und dann suche ich mir einen aus.“ und das ist natürlich in einer Zei- tung mit einer Auflage von 100 000 Leif: Herr Leyendecker, wie sehen und 50 Redakteuren schon ein Sie in Deutschland die Luft für den

149 investigativen Journalismus, also Ein Problem ist auch der Meinungs- für den recherchierenden Journa- journalismus, da bin ich nun auch lismus? bei einer Zeitung, die sehr stark da- von geprägt ist. Eine Redaktions- Leyendecker: Ich spreche vom recher- konferenz sieht so aus, dass es da chierenden Journalismus, investiga- eine Vorkonferenz gibt, in der eine tiv sage ich nicht, weil es in der Regel Viertel Stunde über den Leitartikel nicht investigativ ist. Für recherchie- gesprochen wird. Dann geht man in renden Journalismus: Es sind unter- die Hauptkonferenz und da erzählt schiedliche Bedingungen, die die jeder aus seinem Ressort. Theore- Leute haben. Herr Fröhlingsdorf tisch könnte man es anders machen, beim „Trierischen Volksfreund“ hat man könnte fragen: „Was sind ei- ganz andere Bedingungen als ein gentlich die wichtigsten Themen des Kollege, der beim SPIEGEL auf Tages?“ Man muss einfach diese eine Dokumentation zurückgreifen Struktur durchbrechen. Doch das kann oder der bei der ZEIT ist und Denken der Gruppe ist natürlich da auch die eine oder andere Mög- dann auch oft so, dass der eine ei- lichkeit hat. gentlich mal ein gutes Editorial oder Was man insgesamt machen sollte, den Kommentar schreiben will. ist, die Leute mehr dazu zu ermuti- Ich finde z.B. die WELT oder den gen, solche Geschichten auszupro- TAGESSPIEGEL ganz erstaunlich, bieren. Auch bei der Zeitung sollte zwar nicht immer inhaltlich, aber wie man sich nicht von den zynischen sie sich bestimmten Themen nähern. Alten entmutigen lassen, die sagen: Es gibt im Moment auch die Überle- „Das habe ich früher auch mal ge- gungen im Journalismus: „Wie de- wollt, hat eh nix gebracht, hat nur stillieren wir jetzt mal die wichtig- Ärger gebracht oder kommt doch sten Themen der Woche oder die nix bei rum.“ Gerade den jungen wichtigsten Themen des Tages, und Leuten muss man das Gefühl geben: wie nähern wir uns dem Optima- „Komm, probiere es mal!“ Wir wol- len?“ len ja von niemanden die Hofsänger Die „Rheinische Post“ versucht z.B. sein und müssen deshalb relativ Leute unterschiedlicher Ressorts zu- nüchtern auf Sachverhalte schauen. sammenzubringen, das halte ich für Dann geraten wir natürlich immer ganz hervorragend. wieder in Kollision, deshalb müssen Normalerweise haben Wissen- wir diese jungen Leute in Zukunft in schaftsredakteure bei einem Klima- solchen Situationen unterstützen. schutzproblem hundert Zeilen.

150 Dann nimmt der Redakteur die Be- Mascolo: Das letzte, was ich in die- richte, die er vor sieben Jahren und sem Land erkennen kann, ist eine vor zwei Jahren geschrieben hat und wirkliche Anfeindungskultur. Ich wechselt nur die Zahlen aus. Leute, glaube, dass es immer wieder Situa- die aus unterschiedlichen Gebieten tionen gibt, wo auf einzelne Kolle- daran arbeiten, könnten das Thema gen los gegangen wird. Wenn wir interessanter gestalten. Bei großen aber schon darüber debattieren, ob Zeitungen gibt es auch Ansätze, dass Amerika ein Vorbild für uns ist, man einen guten Schreiber mit ei- kann ich nur dazu sagen, wenn man nem guten Rechercheur zusammen- sich in den USA das gefallen lassen bringt. In der Regel schreiben die müsste, was in unserem Bereich Rechercheure ein wenig schlechter passiert, verglichen mit all den Feh- als die guten Schreiber, aber die Ge- lern, die hier nicht registriert wer- schichte wird sehr viel spannender, den und mit all den Debatten, die wenn sie von so einem Team ge- hier nicht stattfinden, über das was macht wird. Dann kommen auch Medien gut aber auch falsch ma- zwei Kulturen zusammen. chen, sind wir in der Beziehung in

151 einer komfortablen Situation. Des- Kollegen von der FR machte, und es wegen würde ich die wenigen Fälle, bleiben nur wenige in Hessen übrig, über die man da reden muss, nicht die sich um diese größte Affäre im so dramatisch sehen. Zum Beispiel Rahmen des Spendenkonflikts be- die Geschichte, dass in Hessen der mühen. Das ist doch eine wichtige Koch auf Fröhder namentlich los- Sache, der will doch was ereichen. gegangen ist, das war sicher eine Wenn keine Gegenstimme kommt, unschöne Episode, auf den SPIE- dann machen die doch weiter. Die GEL ist er auch losgegangen, nicht Stigmatisierung in einzelnen kleinen in dieser Form und nicht nament- Bereichen läuft doch relativ syste- lich. matisch. Wenn man Ihrer These Ich finde dann das Beispiel des folgt, sollte man, wenn man sich z. WDR-Films über den Kosovo Krieg B. zusammen schließt, um solche wieder ein schlechtes Beispiel, weil Dinge nicht kümmern. Hab ich das man über diesen Film in der Tat richtig verstanden? streiten kann und über die Frage, wie er gemacht war und ob er zu einsei- Mascolo: Ich glaube, so undifferen- tig gewesen ist und welche Fehler er ziert habe ich das nicht gesagt. gemacht hat. Also prinzipiell zu sa- gen, da müsste man eigentlich so ein Leif: Ich versuche nur eine Klärung Netzwerk haben, dass sich dann vor herbeizuführen. alles und jeden, egal wie es war, erst mal schützend davor wirft, dass wür- Mascolo: Ich habe schon einen Un- de ich für einen Fehler halten. Noch terschied zu dem Fall des Kollegen mehr Debatte darüber, welcher Fröhder gemacht und mache ihn Qualität unsere Arbeit eigentlich ge- auch zu anderen, insbesondere da, nügen muss und wo das nicht der wo wirtschaftlicher Druck ausgeübt Fall gewesen ist, würde uns gut tun. wird, was gerade Kollegen bei klei- nen Tageszeitungen betrifft. Ich Leif: Meinen Sie damit eher gelasse- glaube, dass dieses kleine Netzwerk, nen Gleichmut? Diese Anfeindun- das es über persönliche, wirtschaft- gen sind nicht richtig. Da würde ich liche und sonstige Verbindungen die Koch-Affäre dagegen setzen: gibt, das größere Problem ist, als wir Koch nutzte ein gezieltes Kommu- es tatsächlich auf dieser oberen Ebe- nikationsmanagement, stellte Wahr- ne haben. Da geht ein Ministerpräsi- heiten an die Seite und griff Einzel- dent mal auf sie los und wenn sie ne scharf an, wie er das auch bei den Pech haben, ist das vielleicht sogar

152 irgendwann mal ein Außenminister. hang eindeutig ist, und dass es sich Aber das sind dann ohnehin immer in jeder Beziehung lohnt a) die Frei- alles schon öffentliche Vorgänge, die räume und b) auch den Anreiz zu spielen eine Rolle und die Leute neh- schaffen, mehr zu recherchieren. men Partei. Es hat einen öffentli- chen Hintergrund. Das, worüber zu Leif: Noch mal die Qualitätsfrage an reden wäre, glaube ich, sind Situa- Herrn Leyendecker: Glauben Sie, tionen, in denen Geschichten ver- dass man einer breiteren Öffentlich- hindert und weggetreten werden, wo keit vermitteln kann, dass ein ver- echte Repressionen stattfinden. besserter recherchierender Journa- lismus auch einen Nutzen hat? Heu- Leif: Danke, das zur Klärung. Nun te wird viel über Nutzen geredet, die Frage Recherche und journalisti- oder ist das zu pathetisch und zu sche Qualität, gibt es da einen Zu- naiv? sammenhang? Jetzt nicht nur im Fernsehbereich sondern auch in an- Leyendecker: Ich glaube, man muss deren Mediensektoren? die Geschichten, weil es ja auch ein schöner Beruf ist, so machen, dass Merz: Natürlich! Ich glaube, das ha- man einigermaßen damit leben kann. ben wir besprochen. Ohne Recher- Dass man nach einer Geschichte sa- che keine journalistische Qualität. gen kann: „So schlimm war es auch Basta! nicht, was man da gemacht hat, es ist erträglich gewesen und es hat viel- Leif: Heißt das aber auch, wenn man leicht sogar auch den einen oder an- das intensiver betriebe, dass man deren guten Ansatz gehabt.“ Man damit etwas in der Qualität bewegen kann auch missionarischen Journa- könnte? lismus machen. Ich glaube, im Fern- sehen ist das ja doch häufiger ein Merz: Natürlich! Ich glaube auch, Problem. Gerade wenn ich mir MO- dass – jetzt wieder reflektiert auf un- NITOR oder REPORT München sere Redaktion – man jedem Stück angucke, habe ich überhaupt keine anmerkt, dass es nicht in der Hetze Neugierde mehr, weil ich in der Re- gemacht wurde, sondern das es ein gel weiß, was kommt. Dass also Leu- bisschen ausgeruht gemacht wurde, te, und das ist bei Tageszeitungen was nicht heißen muss, dass man nicht anders, nur noch für ihre Ge- dafür Wochen oder Monate brauch- meinde arbeiten, das finde ich rela- te. Ich denke, dass der Zusammen- tiv langweilig. Von daher sollte man

153 versuchen, sich gewisse Standards Maßstab für das Einsetzen dieser zu erarbeiten, beziehungsweise sol- Formen zu finden. Also ich finde, che Standards zu halten, und dann das sind Formen, die man nur dann findet man auch eine Klientel, die einsetzen sollte, wenn es wirklich das gar nicht so uninteressant fin- nicht mehr anders geht und wenn es det. der Inhalt gebietet. Das haben die Privaten im Grunde genommen Hovestädt: Ich finde, was den Nutzen vollkommen zunichte gemacht. Weil angeht, kommt beim Fernsehen klar wird, sobald es dramaturgisch noch ein zusätzliches Problem hin- spannend ist, bringt es etwas für die zu. Es ist ja ein hoch-emotionales Quote und dann wird es eingesetzt, Medium, und man kann eine sechs- egal ob es funktioniert oder nicht. wöchige Recherche in einen Fern- Da, finde ich, ist es einfach schwie- sehbeitrag verpacken; man kann rig, die Qualität im Fernsehjourna- auch drei Tage reinstecken. lismus zu halten. Es geht dann ein- Für den normalen Zuschauer gibt es fach nur darum, dass es eben solche dabei keinen wirklichen Unter- „Inseln“ gibt, wie öffentlich-rechtli- schied. Wenn der Beitrag schnell ge- che Magazine, selbst wenn sie die schnitten ist, wenn die Musik funk- Realität bisweilen sehr eingeschränkt tioniert, wenn es da ein paar emotio- konstruieren und dann auch wieder- nale O-Töne gibt, dann merkt man geben, wo aber diese Art von lang- nicht, ob derjenige sechs Wochen zeitlicher Auseinandersetzung mit gebraucht hat, um die entscheiden- Themen erfolgt. Denn nur über eine den Fragen zu stellen, oder nur zu- bestimmte Zeit kann man eine Aus- fälligerweise da rein geschlittert ist. einandersetzung und auch eigene Deswegen ist die Qualitätsunter- Ansichten finden, die man dann in scheidung beim Fernsehen beson- diese ganze öffentliche Diskussion ders schwierig zu treffen. Das trifft einbringen kann. Es ist also wichtig, vor allem für den privaten Bereich dass diese „Inseln“ einfach bestehen zu: Die Techniken und die Formen, bleiben und dafür auch eine Akzep- die man nutzt, um Investigationen tanz geschaffen wird. darzustellen, sprich, mit laufender Kamera irgendwo reinlaufen, ver- Merz: Wir erleben ja in diesen Tagen deckte Kameras einsetzen, heulende ein spannendes Experiment Fern- Leute vor den Kameras, alles, was sehjournalismus: ZDF-Reporter, irgendwo emotional macht – es wird eine Notlösung sozusagen für die inflationär gebraucht, ohne einen Form der Recherche. Ich sag es jetzt

154 mal überspitzt, ich möchte den Kol- sprochen scharfe journalistische legen nicht zu nahe treten: Wenn Anspruchskriterien gehabt haben dieses Experiment so ausgeht, wie und sie auch verwirklicht haben. es sich jetzt abzeichnet, dann wäre Heute würde mir überhaupt nie- Anlass zur Schadenfreude gege- mand mehr einfallen. Auch was das ben, die mir eigentlich auch nicht private Fernsehen angeht, es ist, nahe liegt. Aber ich denke, dass die was diesen Bereich angeht, ein per- Redaktion – schade, dass niemand manenter Sinkflug. Ich glaube, der hier ist – einen wirklich schwieri- letzte Versuch – ich weiß gar nicht, gen Weg geht. Ich bin gespannt, ob ich ernsthafter Versuch sagen ob es wirklich funktioniert. Ich soll – ist ,Newsmaker‘ gewesen. Ich glaube es nicht, weil sie die Rele- fürchte, dass sich jetzt auf langer vanz und die banale Recherche Zeit im privaten Fernsehen nie- vergessen haben. Sie haben ge- mand mehr an irgendeiner Form dacht, es funktioniert, wenn sie das versuchen wird, von der ich gar amerikanische Modell kopieren, nicht sagen würde, dass sie investi- d.h. mit Leuten, die in der Redakti- gativ gewesen ist, sondern die we- on in zwei-drei Tagen für irgendei- nigstens das Kriterium von einiger- nen schnellen Reporter ein paar maßen ernsthaftig erfüllen würde. Bild-Termine organisieren. Dann Beim öffentlich-rechtlichen Fern- glauben sie, wenn sie es flott mo- sehen ist es tragisch anzusehen, wie derieren lassen, dann funktioniert die unglaublichen Potentiale, die es das. Wenn es nicht funktioniert, nach wie vor gibt, insbesondere in ist es ein Beispiel dafür, dass Re- der ARD, von wirklich qualifizier- cherche tatsächlich gefragt ist und ten und guten Journalisten aufge- das auch im ZDF, der großen Un- splittert werden, anstatt möglicher- terhaltungsmaschinerie. weise irgendwann mal zu einem ge- meinsamen Magazin oder einer wie Mascolo: Es ist bedauerlicherweise auch immer gearteten gemeinsamen so, dass, wenn es irgendwo in den Nachrichtenredaktion zu kommen. vergangenen zehn Jahren einen Ich glaube, dass es bei der ARD Rückschritt zu beobachten gibt, sehr viele begabte Kollegen gibt, dieser leider bei den elektronischen auch ganz viele Nachwuchskolle- Medien stattgefunden hat. Das gen, und dass die ARD immer noch fängt an bei dem privatem Hör- nicht verstanden hat, daraus etwas funkprogramm, von dem ich glau- zu machen. Das ZDF ist sowieso be, dass einige am Anfang ausge- ein Sonderfall.

155 Leif: Warum, glauben Sie, wird denn gung amerikanisch erfolgreicher aus diesem Potential nichts ge- kommerzieller Fernsehformen zu macht? Was ist die tiefere Analyse tun. Es ist einfach nicht lukrativ, aus Ihrer Sicht? wenn es darum geht, am Ende des Tages zu fragen: „Für wie viel Auf- Mascolo: Weil ich glaube, dass es wand bekomme ich wie viel Quo- überhaupt gar keinen Leidensdruck te?“ Es ist dreimal einfacher, „Big irgendwo innerhalb der ARD gibt. Brother“ anzuschieben oder aber Das mag es vielleicht innerhalb der auch irgendwelche hübschen Mode- Magazine geben, da fanden immer ratorinnen und Wackel-Kamerabil- mal wieder Überlegungen statt. Da der durch die Gegend schicken zu beklage ich das, was Hans Leyen- lassen, um damit eine Quote zu er- decker auch schon gesagt hatte, in zielen. Oder eben, wenn die Quote Teilen der öffentlich-rechtlichen nicht stimmt, das durch irgendwel- Magazine ist so eine Missionarshal- che anderen banalen Geschichten tung eingezogen. Das gilt nicht im- zu ersetzen. Das ist in Teilen, nicht mer für alle Stücke und gilt bei- überall, aber in Teilen einfach der spielsweise aus meiner Sicht auch Mechanismus, der funktioniert und wirklich nicht immer für REPORT der auch in Amerika so funktio- Bayern, auch wenn man es diesen niert. stärker nachsagt als anderen. Da finde ich dann bisweilen immer ein Mascolo: Entschuldigung, aber das paar interessante Stücke. PAN- stimmt ja nicht, wenn man sich die ORAMA ist da für mich ein Bei- Geschichte der elektronischen pri- spiel: Die haben sich da so einiger- vaten Medien anguckt. Information maßen rausgezogen und haben am hat den öffentlich-rechtlichen Me- aller ehesten den Blick, der in alle dien und den privaten Medien über Richtungen geht. eine lange Zeit gute Quoten garan- tiert. Die Produktion einer Sendung Hovestädt: Um auch noch mal die wie Akte „Irgendwas“ wird im Er- Variante von „Amerika lernen heißt gebnis nicht mehr Quote bringen siegen lernen“ aufzunehmen: Ein und auch nicht mehr Geld kosten Teil dieses Unwillens, sich mit viel als ein vernünftiges politisches Ma- Aufwand mit ernsthaften Themen gazin zu etablieren. Das hat mittler- zu beschäftigen – das ist im Fernse- weile bei denen auch ganz viel mit hen relativ teuer – hat mit der Kom- Senderfragen zu tun. So was braucht merzialisierung und der Übertra- man alles nicht.

156 Leif: Aber wenn man das nun mal bliert und schwergewichtig sitzen, alles bilanziert, kommt man zu dem aber ich habe den Eindruck, dass wir Ergebnis, dass fast alles in Butter ist, vielleicht streitige Punkte noch mal es drückt nirgendwo der Schuh. Wer diskutieren müssen. die Lust hat, hat auch die Möglich- keiten, etwas vernünftiges zu plat- N.N.: Ich möchte widersprechen. zieren. Wir haben eigentlich ideale Ich war für ein 1/2 Jahre in Langen Konstellationen, was Recherche- im privaten Hörfunk in Bayern tätig journalismus angeht. Es gibt keinen und habe hier versucht, als Einzel- Problemdruck. Es kann jetzt sein, kämpfer einen einigermaßen ver- dass wir hier vorne besonders eta- nünftigen und ansprechenden Jour- nalismus, auch für die Hörer, über den Äther zu bringen. Es ist mir als Ein- zelkämpfer einiger- maßen geglückt, aber es war inner- halb der Ge- schäftsführung, in- nerhalb der Redak- tionsleitung kein Interesse für den investigativen Journalismus da, auch weil man Angst hatte, man könne sich damit irgendjemanden vergrämen, sei es jetzt der Oberbür- germeister oder seien es irgendwel- che Werbekunden. Im privaten Hör- funkbereich sehe ich da ganz große

157 Schwierigkeiten. Es gibt vielleicht anders, wir mussten jetzt auch dar- wenige Ausnahmen bei einigen Sen- auf reagieren.“ dern, aber ansonsten ist der private Hörfunk, zumindest in Bayern, zu Volker Steinhoff: Noch einmal auf die einem Gewinnspiel von Publikum Frage von Thomas Leif, ob denn zu abgerutscht. wenig recherchierender oder inve- stigativer Journalismus betrieben Fröhlingsdorf: Ich habe eben gesagt, werde. Ich denke, das hängt von der im Lokalen ist die Welt nie in Ord- Definition ab, über die wir noch gar nung, und da ist die Anfeindung nicht geredet haben. Das was ich durch den Bürgermeister im Zwei- immer höre, ist mir ehrlich gesagt zu felsfalle schlimmer als das, was auf politisch korrekt, weil ,investigativ‘ der oberen Ebene passiert. Aber ,untersuchen‘ heißt. Wenn man dazu man kann auch als Einzelkämpfer sagt „für die gute Sache“ also rele- im Lokalen versuchen, eines der vant sozial usw., dann grenzt man Magazine FOCUS oder SPIEGEL natürlich unheimlich viele journali- für bestimmte Themen zu interes- stische Aktionsformen aus, die ab- sieren. Das ist zum Beispiel bei der solut investigativ sind. Döpfert Geschichte erfolgt. Zu mei- Ich habe vorhin schon mal an die ner eigenen Absicherung ist die Ge- Boris Becker-Geschichte gedacht. schichte am gleichen Tag im FO- Da wurde gesagt, man bräuchte Re- CUS und im „Trierischen Volks- cherche und Honorar ohne Ende, freund“ erschienen, dadurch ist sie um die neue Freundin von Boris nicht mehr rückholbar. Da hätte sich Becker zu finden, da könnten auch der „Trierische Volksfreund“ hun- investigative Methoden finanziert dert mal entschuldigen können, die werden. Es gibt im Boulevardbe- Geschichte war nun auch auf ande- reich, was man gerne ignoriert, weil ren Ebenen veröffentlicht. Von ei- das Schmutzkram ist, natürlich auch nem Netzwerk verspreche ich mir teilweise sehr tiefgehende investiga- auch solche Kooperationsmöglich- tive Methoden, und vielleicht ist das keiten. Wenn eine Geschichte wo- eine Verlagerung. anders schon veröffentlicht wurde, Es gibt gerade viele junge Leute, die dann sind wir unter Zugzwang und gut im Polizeibereich, im Rotlicht- müssen sie auch bringen. Dann kann Milieu oder im Prominenten-Be- sich auch der Chefredakteur gegen- reich recherchieren können, aber es über dem Anzeigenkunden rechtfer- gibt nicht mehr die sozial Bewegten, tigen und sagen: „Wir konnten nicht die die Gesellschaft verändern wol-

158 len. Auch wenn man das ungern zur Hardy Prothmann: Herr Mascolo, ist Kenntnis nimmt, da gibt es eine an- das wirklich unmöglich? Wäre es dere Art des investigativen Journa- nicht denkbar, dass die Konkurrenz lismus, das meinte vielleicht auch bei gewissen Themen aufgehoben Georg Mascolo mit der Bemerkung, wird? Und das verschiedene Medien das Geschäft brummt, da gibt es ja sagen: „OK, jetzt drehen eben unheimlich viel, was läuft. SPIEGEL, SÜDDEUTSCHE, der Hessische Rundfunk, FOCUS und Hardy Prothmann: Ich bin einer dieser vielleicht sogar noch ein Privatsen- jungen Journalisten, arbeite freibe- der an einer Schraube?“ ruflich und frage mich: „Was kann uns ein Verein nutzen?“ Ist es nicht Mascolo: Die einzige Kooperation, an so, dass viele der „alten Hasen“ ihre die ich mich überhaupt in den letz- Informationen und ihre Recherche- ten Jahren erinnern kann, ist die ge- methoden nicht weitergeben, son- meinsame Recherche zwischen der dern darauf sitzen und sitzen blei- FRANKFURTER RUNDSCHAU ben? Natürlich verfügen auch junge und der SÜDDEUTSCHEN ZEI- Kollegen über Erfahrungen, die sehr TUNG in Tschetschenien gewesen, nützlich sein können, wenn sie denn die unterschiedliche Gründe gehabt weiter gegeben werden. Ich frage hat. Wenn wir noch mal über Ame- mich, auch vor dem Hintergrund ei- rika reden und über das, warum wir ner gewissen Konkurrenz durch die eigentlich neidisch auf Amerika verschiedenen Medien, wie ein schauen, dann gibt es für mich einen „Netzwerk Recherche“ funktionie- Bereich, wo ich sage, da tun wir das ren kann und sich das in einem Ver- wirklich zu Recht. Das ist nicht der ein praktisch umsetzten lässt. Da Bereich der normalen und aktuellen habe ich noch gar keine Vorstellung. Tagesberichterstattung. Ich glaube, da lesen Sie in amerikanischen Zei- Mascolo: Ich auch nicht, und ich fan- tungen oft nichts besseres und hin- ge mal mit dem letzten an. Wir wer- tergründigeres über amerikanische den ja alle nicht, in welcher Funkti- Wirtschaft oder Politik als hier. Was on auch immer, die normalen Me- die Amerikaner auf eine begnadete chanismen, die zwischen unseren Art und Weise tun, und was wir hier Blättern herrschen, außer Kraft set- auch versuchen sollten, ist, dass sie zen können. So, wenn es z.B. um die sich zusammenspannen und dann Frage geht, steigt der eine mal beim oft über einen langen Zeitraum anderen ein? strukturelle Recherchen betreiben.

159 Dass hat beispielsweise auch der chen, ein solches Projekt zu ma- amerikanische Verein investigativer chen.“ Journalisten gerade zusammen mit Es gibt in den amerikanischen Ver- den Engländern gemacht und dabei einen immer wieder diese großen eine hervorragende Recherche über Projekte, wo dann Kollegen teilwei- die Verwicklung der Tabakkonzerne se freigestellt werden und in dieser im internationalen Zigaretten- Zeit von Stiftungen bezahlt werden. schmuggel hingelegt. Da gibt es eine Sie haben dann Ansprechpartner richtig blinde Ecke, das ist der deut- innerhalb des Vereins, die sich mehr sche Markt. Das liegt daran, dass in oder weniger beteiligen. dem Bereich niemand, SPIEGEL, Das wäre ein Modell, das interessant STERN, SÜDDEUTSCHE, wen sein könnte und worüber wir reden auch immer eingeschlossen, irgend können. etwas gemacht hätte oder sich für Wenn Sie z.B. bei der Saarbrücker das Projekt interessiert hätte. Der Zeitung mit einer guten Geschichte SPIEGEL eingeschlossen, das sage so richtig unter Beschuss kommen ich in diesem Fall selbstkritisch, ob- und dann sagen: „Beim SPIEGEL wohl es hier vielfältige Hinweise sitzt auch einer aus dem Netzwerk, gibt. Zigarettenschmuggel ist hier jetzt soll der mir mal ordentlich un- ein größeres Problem, als es in Eng- ter die Arme greifen. Wofür sind wir land oder in Skandinavien ist. Das schließlich in einem Netzwerk.“ sind dann die Geschichten, auf die Dann haben Sie vielleicht Recht, wir neidisch starren und sagen: aber es stellt sich die Frage, ob der „Guck mal einer an, da hat ein normale Mechanismus beim SPIE- Netzwerk von Journalisten zwei, GEL außer Kraft gesetzt werden drei Jahre gemeinsam an einer Ge- kann. Diesen Mechanismus gibt es schichte gearbeitet und im nachhin- ja nicht nur beim SPIEGEL, son- ein kommen dabei ein paar Fern- dern auch bei ganz vielen anderen sehdokumentationen und hervorra- Medien. Da sage ich, machen wir gende Geschichten heraus.“ Dann uns nichts vor, das mag in Einzelfäl- werden Prozesse geführt und Bü- len gelingen, aber die normalen Kri- cher erscheinen, und man steht mit terien, nach denen unser Geschäft offenem Mund davor und sagt: läuft, werden wir alle miteinander „Guck mal einer an.“ Das ist etwas, nicht außer Kraft setzen können. was man in Form eines Netzwerkes Das ist auch gut so. Wir können nur organisieren könnte und sagen darüber reden, wie es in Einzelfällen könnte: „Lasst uns doch mal versu- mal gelingen kann, wir können auch

160 darüber reden, wie eine Struktur aus- und natürlich hat die Lokalredakti- sehen könnte, die es einfacher on sich doch nicht getraut, beim macht, aber neue Regeln werden wir SPIEGEL anzurufen, um zu sagen: nicht einführen können. „Da brauchen wir vielleicht mal Eure Hilfe oder da gibt es etwas, da Merz: Ja, wenn so ein Netzwerk an komme ich nicht weiter, weil meine der Stelle angreifen soll, dann kann Zeitung zu klein ist, aber Ihr könnt das nie so funktionieren, dass jetzt da weiter machen.“ Das wäre dann der SPIEGEL so etwas schreibt, da- auch keine Konkurrenz mehr. Sol- mit der andere dann geschützt wird. che Fälle gab es zu Hunderten oder Das ist ja Unsinn. Tausenden. Man hätte auch auf die Idee kommen können, dass Michael Sandra Daßler: Ich habe gestern Fröhlingsdorf Döpfert recherchiert. Abend schon mal gesagt, dass acht- Das Herzzentrum ist in Cottbus, ruf zig Prozent unserer Leser den Lo- doch mal in Cottbus an. Das ist nur kalteil der Regionalzeitung lesen. Ich ausnahmsweise mal so gelaufen, weil stimme also wirklich dem zu, was wir in einem kleinen Konzern sind. auch aus dem Podium gekommen Wo ist hier ein Kollege aus einer ist; es wäre wirklich schade, wenn Zeitung aus den neuen Ländern? dieses Netzwerk aus einem erlauch- Kein einziger ist da. ten Teil der großen investigativen Journalisten dieses Landes bestün- Leif: Eingeladen sind sie. de. Es wäre wirklich hilfreich, wenn da auch viele Leute aus Regionalzei- Daßler: Ja, das war jetzt auch kein tungen, aus Lokalredaktionen und Vorwurf an die Veranstalter. Ich möglicherweise auch von privaten mache selber Seminare, ich weiß Sendern, die ja jetzt vor Ort sind, warum die nicht kommen. dabei wären, damit die einfach auch Es gibt so viele Geschichten in allen ein wenig die Scheu vor der Recher- Bereichen, doch es gibt auch eine che verlieren. Ein anderes Problem große Scheu davor, sich gegenseitig ist – und ich komme wirklich aus anzurufen oder sich gegenseitig auf einer Zeitung aus dem Osten, ich etwas aufmerksam zu machen. Ge- weiß, was da in den letzten zehn Jah- rade im informellen Bereich sehe ich ren abgegangen ist – dass es da Skan- für so ein Netzwerk eine große dale über Skandale gab, aber ein Re- Chance. Wenn man sich ein- oder dakteur vom SPIEGEL, der hat nie zweimal im Jahr trifft und dann auch in der Lokalredaktion angerufen, gleichberechtigt miteinander disku-

161 tiert und auch Anregungen be- chiert. Es kommt immer mehr dabei kommt – und die bekommt man heraus, als wenn man alleine an der auch von den kleinen Kollegen aus Sache dran ist. Ich will damit nur der kleinen Lokalredaktion – dann sagen, es funktioniert vielleicht nicht wäre das eben super. offiziell, aber auf inoffizieller Ebene funktioniert bei mir jedenfalls ein Leif: Gut. Nun bitte Kollege Wiendl. Netzwerk sofort.

Wiendl: Ich möchte daran erinnern, Hovestädt: Bei KONTRASTE sieht dass es ein Netzwerk an prominen- man das übrigens auch häufiger. ter Stelle zwischen Herrn Leyendek- Wenn man als Fernsehkollege mit ker und dem Kollegen Fröhder gibt. Lokalredakteuren spricht, funktio- Ich erinnere da an das Weihrauch- niert das als Rechercheanlaufstelle Interview, das auf zwei Schienen ge- und man wird sogar Kooperations- laufen ist. Was bei Ihnen an promi- partner. Ich glaube, das ist schon ei- nenter Stelle geschieht, gelingt mir nige Jahre her, aber wir haben auch weiter unten in der Kreisklasse auch. schon mal mit dem SPIEGEL eine Ich habe kein Problem, mich mit oder zwei gemeinsame Geschichten Kollegen und Kolleginnen der re- gemacht. Da hatten wir aber noch gionalen Zeitungen zu verständigen. Montags den Sendetermin und sind Ich muss sagen, das funktioniert gemeinsam mit dem SPIEGEL raus hervorragend, dass wir gemeinsam gekommen. Das passiert selten. eine Geschichte machen, die vor Ort spielt. Wir verabreden uns dann Mascolo: Wir haben auch schon mit eben an den Sendetagen. Das muss der „Lausitzer Rundschau“ koope- um den Reportsendetermin auch riert, und wenn ich darauf hinweisen passieren. Ich kann die Geschichte darf, mit dem Kollegen Fröhlings- nicht an dem Samstag davor im Blatt dorf haben wir so hervorragend ko- haben, wenn der andere sie dann erst operiert, dass wir ihn jetzt sogar ein- am Montag oder Dienstag hat. Dar- gestellt haben. auf haben wir uns schon oft verstän- digt, und da habe ich überhaupt kein Leif: Professor Haller bitte. Problem damit, ein Netzwerk zu bil- den, sondern ich lebe auch von die- Haller: Jetzt haben wir das Augen- sem Netzwerk. Das gebe ich unum- merk vor allen Dingen auf die Frage wunden zu, dass man sich abspricht, gelegt, wie wir intern kooperieren dass man zwei-, dreigleisig recher- können. Ich denke, dass das, was

162 hier angesprochen wurde, wie z.B. sinnvoll, offensiv nach außen auf- themenzentriertes Kooperieren, zutreten und dafür zu sorgen, dass dass sich verschiedene Rechercheu- die Mitglieder kleinerer Redaktio- re, Redaktionen oder Medien je nach nen Mut fassen, sich hier auch ge- Thema zusammenfinden oder dass stützt sehen und hier auch Rück- man eine Art Infrastruktur daraus fragemöglichkeiten finden. Sie hervorgehen lässt, die dann auch müssen hier auch Probleme klären anderen weiteren Themen zu Gute können, die sie in ihrem eigenen kommt, kann man nicht beschlie- Umfeld nicht klären können, ent- ßen, das muss sich entwickeln. Je- weder weil die anderen auch zu nah denfalls ist dieser Netzwerkgedanke dran sind oder weil die nicht kom- als ein internes Verknüpfen und Zu- petent genug sind. sammenarbeiten etwas ganz Zentra- Ich glaube, dass sich ein solches les. Netzwerk hier, eben auch um der Trotzdem sollten wir das andere Sache Willen, gefunden hat und auch auch nicht unterschätzen. Das wür- die nötige Kompetenz versammelt de dort anknüpfen, was über die Si- ist, die bis in die Richtung eines Ex- tuation der regionalen Zeitungen pertensystems gehen kann, so wie und des Alltagsjournalismus im Be- wir es im Hochschulbereich seit Jah- reich des nachrichtlichen Informa- ren entwickelt haben. Ich denke, es tionsjournalismus angesprochen gibt ein doch relativ gutes und wech- wurde. selseitiges Infosystem für einen Ex- Ich denke, es gibt auch da einen pertenaustausch und der gleichen, gemeinsamen Nenner, und zwar, das auch heute noch mehr durch das dass wir die Recherchiermöglich- Internet vorhanden ist. keiten und die Recherchierbedin- Diesen zweiten gemeinsamen Nen- gungen offensiv verbessern und of- ner sollten wir nicht zu klein reden, fensiv werten müssen, damit wir die sondern eher umgekehrt, groß re- Felder der Recherche weiter stek- den und den Bedarf erkennen, der ken können. Wir dürfen das, was außerhalb dieses Kreises liegt wir oder Sie hier von den sogenann- ten großen und durchschlagstarken Merz: Da würde ich auch voll zu- Medien an Erfahrung mitbringen stimmen. Diese interne Zusammen- nicht verallgemeinern. Der Recher- arbeit organisiert man informell. Das chieralltag auf der regionalen und funktioniert auch an vielen Stellen, lokalen Ebene sieht anders aus. wenn man es aktiv sucht, viel besser Hier ist es in der Tat wichtig und als über so eine Organisation. Da

163 stimme ich Ihnen zu 150 Prozent cherchierte, um damit auch vor Ge- zu. richt Bestand zu haben, häufig zwi- schen zwei drei Kollegen Informa- Hartmut Heß: Ich wollte noch einmal tionen ausgetauscht haben. Es wur- einige Beispiele aus meiner eigenen de dann gemeinsam recherchiert Erfahrungen von früher beisteuern und dann verabredet, wann die Ge- und damit zeigen, dass eine Zusam- schichte veröffentlicht wird und menarbeit auf den unterschiedlichen möglichst so, dass keine Konkur- Ebenen durchaus notwendig ist. renz entstehen konnte. Anfang der 70er Jahre befand ich Das war eine Absicherung und eine mich als Lokalredakteur in Hessen Hilfe, die etwas gebracht hat, auch in der Situation, dass ich in einem wenn es nur auf einer privaten Ebe- Rathaus schlichtweg Hausverbot er- ne institutionalisiert war. Wenn das teilt bekam, weil ich über Durchste- auf ein Netzwerk übertragbar ist, das chereien berichtet hatte. Ich will gar bundesweit für Lokaljournalisten, nicht sagen, dass ich sie aufgedeckt für Leute, die auf Landes- oder Bun- hatte, aber ich hatte über sie berich- desebene arbeiten oder sogar dar- tet. über hinaus, funktionieren kann, Die Drohung mit einer Klage wegen dann kann das doch allen nur nüt- Verletzung der Informationsfreiheit zen und im Prinzip bringt es doch oder ähnliches half mir gar nicht. für niemanden Nachteile. Was half, waren die Kollegen der Konkurrenzzeitungen, die gesagt Andreas Heerwig: Ein Netzwerk darf haben, mit dem Bürgermeister re- natürlich nicht dazu führen, dass den wir nicht mehr, der kann erzäh- dann vor der eigenen Haustür nicht len was er will, es schreibt keiner mehr gekehrt wird, und man sagt, mehr darüber, solange er mit dem gut dafür sind wir dann nicht mehr Kollegen nicht mehr reden will. Das zuständig, sondern gibt es vielleicht half dann wirklich, weil der Bürger- irgendein überregionales Medium, meister auf die Zeitungen angewie- wo dann aber die Themen mögli- sen war. cherweise liegen bleiben. Das ist na- Ein anderes Beispiel: In der Landes- türlich auch eine Gefahr. Das Ein- pressekonferenz in Hessen kam es zelkämpfertum, das es in Deutsch- vor, dass wir bei riskanten Themen, land gibt, das erreicht ja durchaus wenn wir wussten, dass es einfach etwas, und das darf durch so ein unmöglich war, dass einer sie bis zu Netzwerk nicht eingeschränkt wer- Ende hieb- und stichfest durchre- den.

164 Leif: Nur noch mal zur Erklärung: Volontäre keine Zeitungen mehr le- Bei den Leuten, die sich zur Vorbe- sen, nicht mehr die SÜDDEUT- reitung getroffen haben, die jetzt SCHE, nicht die ZEIT oder den auch teilweise hier sind, entstand in SPIEGEL. Wenn meine Kinder In- verschiedenen privaten Gesprächen formationen brauchen, dann holen über mehrere Jahre der folgende sie sich diese aus dem Internet. Die Konsens: Das Ganze soll als eine machen daraus dann super Vorträge Möglichkeit, als eine Chance ver- in der Schule. Sie geben ihre Stich- standen werden und das Verpflich- worte ein und finden ihre Informa- tende soll relativ gering sein. Von tionen, aber sie lesen keine Zeitung der Grundphilosophie soll kein Rah- mehr. Sie machen sich die Mühe men gesetzt werden, der sagt: Du nicht mehr. Was die Qualität anbe- sollst sondern eher: Man kann. langt, habe ich eine sehr viel skepti- Es ist wichtig zu wissen, dass wir die schere Meinung. Dass sich Zeitun- Vereinsform nicht deshalb wählen, gen durch Qualität durchsetzten, weil wir unbedingt einen deutschen d.h., was gut recherchiert ist, das ist Verein wollen, sondern aus formal auch Qualität und wird gelesen, da pragmatischen Gründen: Es muss machen viele Leute in Regionalzei- irgendeine Rechtsform geben, mit tungen ganz andere Erfahrungen. der man agieren kann, weil es irgend- Ich habe viele Jahre lang die großen wann auch darauf ankommt, öko- Seite Drei Geschichten geschrieben nomische Zusammenhänge zu klä- und irgendwann wollte mich mein ren, Gelder zu kriegen, vielleicht so- Chefredakteur mal ärgern, und ich gar Spenden absetzen zu können musste über „Energie Cottbus“ und ähnliches. Der Rahmen soll schreiben. weich sein, und diese Kooperations- Jeden Tag eine Kolumne über diese formen, die jetzt angesprochen wor- Mannschaft, zusätzlich zu den ande- den sind, wären dann möglich. Es ren Geschichten und das acht Wo- soll also nicht so sein, dass man et- chen lang bis zum Endspiel gegen was muss, sondern es soll ein Ko- Stuttgart. Es kann sich ja jeder vor- operationsrahmen entstehen und stellen, wie gehaltvoll diese Kolum- keine Festlegung sein. nen waren, die ich jeden Tag noch kurz vor Feierabend so abdrücken Daßler: Ich glaube, wir haben hier musste, aber ich war auf einmal po- auch alle ein gemeinsames Problem. pulär. Die Leute kannten mich auf Ich stelle immer wieder fest, dass der Straße, ich wurde angesprochen, selbst Journalistikstudenten oder die haben gesagt: „Das ist die, die

165 die Kolumnen schreibt und jetzt liest fer eingeflogen worden, weil wir ger- sogar die Pfarrersfrau den Sportteil.“ ne die US-Erfahrungen, obwohl sie Man sollte sich da nicht soviel vor- sehr anders sind als hier, reflektieren machen, was Leute als Qualität emp- würden. Sie haben sehr lange zuge- finden. Deshalb haben wir in einem hört. Wie ist Ihr Eindruck von die- Netzwerk vielleicht auch ein wenig sem Diskussionsprozess? die Verantwortung, auch um unserer Selbst Willen, die Leute wieder dahin Reeves: Wenn Sie das Netzwerk wol- zu erziehen, dass die ein Angebot von len, da wird ein Schlaraffenland guten Journalisten haben und dass sie draus werden. es auch unterscheiden können It´s the land of milk and honey. We Hovestädt: Es geht ja um Wirkung have a Kokurrenzprobleme in IRE von Recherche. Man sollte nicht er- as well. We have team efforts in warten, durch viel qualitative Re- stories but more than three fourths cherche unglaubliche Wirkungen zu of IRE´s work is training and soft- erzielen. Das ist die Erfahrung aus ware instruction: How to find some- dem Fernsehen, dass es nicht wirk- thing on the internet, a phonenum- lich einen Unterschied macht. Ge- ber of an official, very practical day nau darum geht es ja in so einem to day help. The most common acti- Netzwerk, den Wert von qualitati- vity in IRE and it´s brother and si- ver Recherche zu erhalten, dafür ster organisation knightheart, the Ressourcen frei zu räumen, sich zu national institute for computer assi- vernetzen, sich in dem Sinne viel- ted reporting, is the internet list ser- leicht auch amerikanisch pragma- ve IREL and the other list serve tisch untereinander zu verständigen knightheart L, these are mailing lists und diese ganzen Hürden abzubau- on the internet. I don´t know what en. Das finde ich auch sehr wichtig: they are called. I hope you under- Eine Lobby zu schaffen, die aus- stand. There are probabely fiftytwo drückt, dass gründliche Recherche onehundered messages a day among etwas sehr wichtiges ist, das man er- working reporters that have saved halten muss. me days of work at a time simply from seeing another reporters expe- Leif: Ich würde gerne noch mal Mr. rience in handling a story, solving a Reeves das Wort geben. Er ist teil- problem with software. Sometimes nehmender Beobachter und war für educating need to the existence of a uns sozusagen als Entwicklungshel- story even though the USA is big

166 enough, as you have said, that local wir gestern bereits ausführlich dis- press doesn´t compete with each kutiert. Stattdessen will ich mich auf other. Detroit, Kansas City, Denver, den Netzwerkaspekt als große Chan- L.A., not L.A. but in the rest of the ce beschränken: Ich denke, es ist country in the really big citys we don´t ganz wichtig, dass überhaupt in so care in a sense what other city papers einem Kreis eine Debatte über Re- report but we do care for purposes of cherche als Qualitätssicherungsin- the Pulitzer Prize, the IRE award or strument stattfindet. Dass hier Jour- other high level awards. To win those nalisten, die sich sonst vielleicht you have to come up with something noch nie getroffen haben, Visiten- new. I admit that we are so obsessed karten austauschen und auch am with winning those awards and I Rande des Treffens miteinander ge- think a lot of daily newspapers are at redet haben, daraus entstehen viel- the same way. I am at the Kansas City leicht später einmal Kooperationen, Star which has a circulation of die man gar nicht großartig strate- around 300.000 in an area of 1.7 Mil- gisch planen kann. Das Schaffen die- lion. So we are a very average market ser Anlässe ist schon ein Wert an and readership. I don´t know how sich. Das ist es auch, was IRE macht. much this answers your question. Ich habe mal an einer Konferenz mit verschiedenen parallel stattfinden- Leif: Ich möchte gerne noch einmal den Panels in New York teilgenom- unseren Mitstreiter von Greenpeace men, zu der sich fast 1.000 Teilneh- vor dem Hintergrund seiner Ameri- mer angemeldet hatten. Das wich- ka-Erfahrungen fragen: Wenn man tigste dabei waren die informellen die USA sieht, was da läuft – und Kontakte, die daraus entstanden jetzt unsere Diskussion mit verar- sind und das Lernen anhand von Re- beitet und reflektiert – wo gibt es chercheerfahrungen, die Kollegen Gemeinsamkeiten? Wo sind bei uns weitergegeben haben. Manche Din- jetzt noch Blindstellen, wo sind ge- ge, die in den USA über IRE organi- meinsame Probleme und worauf siert werden, werden uns wahr- sollte man aufpassen. Was ist da scheinlich nicht so stark beschäfti- Deine Einschätzung? gen: Der Bereich Computer Assisted Reporting spielt aus nahe liegenden Redelfs: Ich möchte das jetzt nicht in Gründen wegen der strengeren Da- einem Rundumschlag abhandeln, tenschutzbestimmungen, der gerin- denn die Unterschiede zwischen geren Informationsmöglichkeiten, Deutschland und den USA haben die wir in Deutschland haben, ein-

167 fach keine Rolle. Die Möglichkeit, zur Zeit im Innenministerium vor- dass man in den USA Rohdaten der bereitet wird. Es wundert mich, dass Verwaltung per Diskette bekommt es dazu bisher so wenige Kommen- und auswerten kann, fast nach dem tare aus dem Journalismus gibt. Ich Modell der Rasterfahndung, wie wir denke auch, dass einige praktische das aus unseligeren Zeiten in US-Ideen zur Qualitätssicherung Deutschland kennen, ist hier unvor- kopiert werden könnten, wie zum stellbar. Das wird so schnell in Beispiel diese Korrekturmeldungen Deutschland nicht kommen und ich in den Zeitungen, mit denen sich die frage mich auch, ob man das unbe- Medien offen dazu bekennen, wenn dingt wünschen sollte. Besseren In- mal etwas schief gelaufen ist. formationszugang schon, aber ich glaube, die Voraussetzungen für Ar- Leif: Herr Fröhlingsdorf, was ist Ihre beit mit Rohdaten der Verwaltung Bilanz, auch die aus der Perspektive werden wir so schnell nicht haben. Ihres alten Jobs? Was könnte es Gleichwohl kann es aber Aufgabe bringen, was sind die drei Essentia- eines solchen Netzwerkes oder Ver- les, die Sie befürworten würden oder eins sein, sich z.B. für das Informa- wo Sie auch vielleicht ein Warnschild tionsfreiheitsgesetz einzusetzen, das aufstellen.

168 Fröhlingsdorf: Ich habe ja vorhin te noch einmal auf das Jammern über schon gesagt, ich habe mich sehr als die schlechten Möglichkeiten der Re- Einzelkämpfer gefühlt, insofern ist cherche zurückkommen. In den drei natürlich eine Verbindung zu ande- Bundesländern, in denen es bereits ren Kollegen auf jeden Fall gut. Wenn Informationszugangsgesetze gibt, auf man weniger in der eigenen Redakti- Bundesebene wird ja jetzt auch eins on bekommt, sondern Informatio- kommen, empfehle ich, sich die Sta- nen woanders herholen muss, dann tistiken anzugucken, wie oft Journali- wäre dieses Netzwerk auf jeden Fall sten davon Gebrauch machen. Da eine große Hilfe. Wie weit dann das stellt man fest, nie. Wenn man sieht, nachher bei konkreten Gechichten welche Möglichkeiten die Gesetze eine Rolle spielt, weiß ich nicht. Die bieten, ist das enorm. Idee ist auf jeden Fall gut. Ich glaube, die Jammerei darüber, wie es wäre, wenn man den FOIA Leyendecker: Der Ausbildungsaspekt hätte, ist 20 Jahre alt und jetzt gibt es und die Didaktik sollten eine Lobby ihn in einigen Bundesländern schon für Recherche sein. Infoservice und – und im Bund wird er kommen, in Urteile sollten heute unbedingt gebo- welcher konkreten Ausgestaltung ten werden. Das „Come together“ ist auch immer – doch Journalisten ein Wert an sich, das kann ich nach- machen keinen Gebrauch davon. vollziehen. Ich glaube, dass aus dem Das könnte ein erstes gemeinsames „Come together“ aber auch praktisch Projekt sein, warum nimmt man sich etwas werden sollte. Entweder ent- nicht gemeinsam was vor und über- schließt man sich tatsächlich dazu, ir- legt sich ein Themengebiet, an dem gendwann so eine Art Preis zu schaf- dann Kollegen gemeinsam arbeiten. fen oder man schließt sich zu einer Das ist was, das kann man nebenher kleinen Journalistenlobby zusam- machen, da hat man keinen Kon- men, die eingreift, wenn es darum kurrenzdruck. geht, Unsitten anzuprangern. Leif: Dagmar Hovenstädt bitte. Mascolo: Ich halte es für eine ver- nünftige Idee, es auszuprobieren. Hovestädt: Ich würde auch das mit Ich würde allerdings, bevor ein Preis der Preisverschieberei durchaus un- vergeben wird, darüber nachdenken, terstützen. Ich glaube, so sehr es die ob es nicht beispielsweise die Mög- Amerikaner motiviert, irgendwelche lichkeit gibt, sich einmal ein gemein- Preise zu Hause ins Regal zu stellen, sames Projekt zu suchen. Ich möch- in Deutschland funktioniert das

169 nicht so. Gemeinsame Projektideen selbst hinterfragen, es ist gar nicht zu entwickeln finde ich besser. Dei- so leicht, so ein Ding zu schreiben, ne rhetorische Bedenkenträgerei weil man da nicht mehr rumfuschen verstehe ich gar nicht, im Grunde kann, sondern es ist anstrengend genommen kann man doch nichts und reflektiert die Prozesse. Zwei- verlieren. Es gibt nichts Gutes, au- tens: Es ist immer wieder eine wun- ßer man tut es. Ich finde, das ist derbare Anstiftung für andere, die einfach ein klarer Startschuss da- sich so was abschauen können und für. zeigt auch, dass es nicht irgendeine Spezialität ist. Das nur als Ein- Leif: Nur eine kurze Anmerkung zu schränkung. dem Preis. Gestern erzählte Herr Letzte Wortmeldung von Hans Ley- Reeves, dass die Bewerbungen für endecker in der Reflexion auf das, zum Beispiel einen journalistischen was wir diskutiert haben, was es Preis, viel Stoff zusammen bringen. bringen kann und wie Sie einen Leute rekonstruieren z.B. ihre Überraschungsscoop für die Zu- Stories und es sind damit so viele kunft sehen. Impulse da, so viel gutes Material, dass das eine ganz klare Innovation Leyendecker: Das meiste ist gesagt gegenüber den anderen PR-Preisen worden. Wichtig ist, dass man Leute und Schwachmaaten-Preisen ist. ermutigt, andere Leute kennen zu Eine zweite Sache: Ich kann nur lernen und mit denen auch über das sagen, dass z.B. dieses Sammlungs- zu reden, was sie die meiste Zeit ih- buch, das wir über „Leidenschaft res Lebens machen. Das muss dann Recherche“ gemacht haben, ziem- damit verbunden sein, dass man lich viel bewegt und ziemlich viele über die handwerklichen Dinge re- jüngere Leute motiviert hat. Es wird det. Es ist ja alles keine Geheim- auch in der Ausbildung genutzt, kunst, Recherche ist, das wissen wir etwa bei der Bundeszentrale. Aus ei- alle, ein schlichtes Handwerk. So wie nem Preis dieser Art könnte man der Fliesenleger Fliesen legt, so re- ohne Probleme wieder solch ein cherchiert man. Von daher muss Buch generieren, das wird ja auch an man beobachten, welche Verände- anderer Stelle gemacht. Ich glaube, rungen es in der Recherche gibt, was die Rekonstruktion von Geschich- man voneinander lernen kann. ten erfüllt zwei Aspekte, die hier im- Wenn man da so ein Netzwerk bei- mer wieder genannt worden sind. einander hat, ist das schon eine gan- Erstens: Journalisten müssen sich ze Menge

170 Zehn-Punkte-Programm des „netzwerks recherche“

1. Austauschprozess über jeweils ein Das „netzwerk recherche“ verfolgt Jahr einen entsprechenden Wissens- das Ziel, die journalistische Recher- Transfer von erfah-renen Recher- che in der Medien-Praxis zu stärken, cheuren zu interessierten Kollegin- auf ihre Bedeutung aufmerksam zu nen und Kollegen zu organisieren. machen und die intensive Recher- che vor allem in der journalistischen 4. Ausbildung zu fördern. Das „netzwerk recherche“ fördert den umfassenden Informationsaus- 2. tausch zum Thema „Recherche“ Zu diesem Zweck entwickelt das und bietet seinen Mitgliedern ent- „netzwerk recherche“ Ausbildungs- sprechende Foren an. Im Internet konzepte für die Recherche-Ausbil- soll durch entsprechende newsletter dung, vermittelt Referenten und be- die Kommunikation untereinander rät Institutionen der journalistischen gefördert werden. Der Austausch Aus- und Weiterbildung in der Ge- über Projekte, konkrete Recherche- staltung und Umsetzung entspre- Erfahrungen etc., aber auch der Hin- chender Ausbildungskonzepte. Das weis auf Weiterbildung und entspre- „netwerk recherche“ bietet zudem chende Serviceangebote soll hier eigene Recherche-Seminare sowie möglich sein. Modellseminare an. 5. 3. Das „netzwerk recherche“ beteiligt Das „netzwerk recherche“ bietet ein sich am internationalen Austausch Recherche-Mentoring für jüngere entsprechender Journalisten-Orga- Kolleginnen und Kollegen an, um in nisationen in Europa und in Über- einem intensiven Beratungs- und see.

171 6. 9. Das „netzwerk recherche“ vergibt Das „netzwerk recherche“ trifft sich einmal im Jahr einen Preis für eine einmal im Jahr zu einem Jahrestref- aussergewöhnliche Recherche-Lei- fen und erörtert jeweils aktuelle Ten- stung, die Themen und Konflikte denzen im Umfeld des „Recherche- beleuchtet, die in der Öffentlichkeit Journalismus“ und setzt sich hier mit bislang nicht oder nicht ausreichend zentralen Themen im Zusammen- wahrgenommen wurden. hang mit der journalistischen Re- cherche und konkreten Fallbeispie- 7. len auseinander. Regionale Unter- Die Mitglieder des Netzwerkes set- gliederungen ermöglichen den Aus- zen sich dafür ein, dass die Möglich- tausch in bestimmten Regionen. keiten der Recherche nicht einge- schränkt werden. Das „netzwerk re- 10. cherche“ äußert sich öffentlich zu Das „netzwerk recherche“ ist poli- Fragen der Recherche und der Be- tisch unabhängig und verfolgt aus- züge zur journalistischen Qualität, schließlich gemeinnützige Zwecke. wenn Begrenzungen oder Ein- Der Zusammenschluß der Journali- schränkungen der Pressefreiheit sten hat den Status der Gemeinnüt- festgestellt werden. zigkeit erhalten und kann somit Spenden einwerben, mit denen die 8. Arbeit finanziert wird. Das „netzwerk recherche“ arbeitet mit anderen Journalisten-Organisa- März 2001 tionen und Gewerkschaften zusam- men, die im Grundsatz ähnliche Zie- Kontakt: le verfolgen und ebenfalls dazu bei- homepage: tragen, den Aspekt der Recherche netzwerkrecherche.de & im Journalismus zu stärken. [email protected]

172 Start in die Informationsfreiheit nur mit angezogener Handbremse? Stellungnahme des Netzwerks Recherche zum Referentenentwurf für das Informationsfreiheitsgesetz

Bei der Informationsfreiheit, also den wird, sollte das neue Gesetz dem Recht auf Akteneinsicht für je- möglichst wenige Ausnahmen vom dermann, hinkt Deutschland bisher Recht auf Akteneinsicht vorsehen. hinter anderen europäischen Län- Im jetzigen Entwurf gibt es jedoch dern sowie den USA und Kanada einige Formulierungen, die einen hinterher. Deshalb ist jede Initiative, weiten Interpretationsspielraum er- die auf mehr Transparenz in Politik öffnen und so zu einer restriktiven und Verwaltung abzielt, überfällig Informationspraxis führen können. und grundsätzlich zu begrüßen. Al- Zum Beispiel besteht der Anspruch lerdings geht der vorliegende Refe- auf Informationszugang dann nicht, rentenentwurf des Innenministeri- wenn der „Kernbereich exekutiver ums für ein bundesweites Informa- Eigenverantwortung berührt wird“ tionsfreiheitsgesetz (IFG) in ent- oder wenn es sich um Informatio- scheidenden Punkten nicht weit ge- nen aus einem „laufenden Verwal- nug. Dies betrifft sowohl den Um- tungsverfahren“ handelt. Gerade fang des Aktenzugangs, als auch die Verwaltungsverfahren, die noch Regelung von Bearbeitungsfristen nicht abgeschlossen sind, interessie- und Gebühren. Sofern nicht nach- ren die Öffentlichkeit jedoch mehr gebessert wird, besteht sogar die als „vollendete Tatsachen“. Hier ist Gefahr, dass das Gesetz, das die eine Formulierung nötig, die eine Akteneinsicht bei Bundesbehörden größere Transparenz auch bei an- regelt, hinter schon bestehende Lan- dauernden Verfahren zulässt. Der desgesetze in Brandenburg, Schles- journalistische Auskunftsanspruch wig-Holstein und Berlin zurückfällt. nach den Landespressegesetzen darf zum Beispiel bei schwebenden Ver- Damit das bisherige Prinzip der fahren nur verweigert werden, wenn „Amtsverschwiegenheit“ überwun- die Auskunft die sachgerechte

173 Durchführung des Verfahrens ver- das Wahlrecht zwischen Auskunft eiteln, erschweren, verzögern oder oder Akteneinsicht bei „gewichtigen gefährden würde. Der bloße Hin- Gründen“ wieder einschränken weis auf ein schwebendes Verfahren kann. Auch in diesem Punkt sind die reicht in dem Falle nicht aus. Landesgesetze weitreichender und eindeutiger als der Bundesentwurf. In den USA ist ein Hauptkritikpunkt am Freedom of Information Act, In der Begründung zum Referenten- dass die Bearbeitung der Anträge zu entwurf wird zwar ausgeführt, dass lange dauert. Deshalb ist es unver- die Gebühren für Behördenaus- ständlich, dass der deutsche Gesetz- künfte oder Akteneinsicht „nicht entwurf gar keine Fristen für die prohibitiv wirken“, also nicht ab- Antragsbearbeitung vorschreibt. Le- schrecken sollen. Der vorgesehene diglich aus der Verwaltungsgerichts- Höchstsatz von bis zu 1.000 Mark ordnung ergibt sich, dass ein An- lässt jedoch befürchten, dass genau tragsteller nach drei Monaten wegen dieser Fall eintreten wird. Leider zei- Untätigkeit klagen kann. Um eine gen die Erfahrungen mit dem Um- Service-Orientierung in den Behör- weltinformationsgesetz (UIG), dass den zu fördern, ist es unerlässlich, einige Behörden den zulässigen Ge- klare Zeitvorgaben in das Bundes- bührenrahmen in der Vergangenheit gesetz aufzunehmen, so wie es bei weitgehend ausgeschöpft haben. den Landesgesetzen in Schleswig- Daher sah sich bei diesem Gesetz Holstein („unverzüglich, spätestens sogar der Europäische Gerichtshof aber innerhalb eines Monats“) und gezwungen, die abschreckende deut- in Berlin („unverzüglich“) der Fall sche Gebührenpraxis zu beanstan- ist. den, so dass das UIG geändert wer- den muss. Um beim IFG die Gefahr Im Vergleich zum journalistischen zu vermeiden, dass kooperationsun- Informationsanspruch nach den willige Behörden Antragsteller ab- Landespressegesetzen eröffnet das schrecken, indem sie den Kosten- IFG neue Recherche-Möglichkeiten rahmen ausschöpfen, sollte der durch das Recht, Originalakten ein- Höchstsatz deutlich gesenkt werden. zusehen, sich Notizen zu machen Im übrigen sind zu den Gebühren oder Akten zu kopieren. Diese neue von bis zu 1.000 Mark die Auslagen Transparenz sollte uneingeschränkt hinzuzuzählen, also vor allem die gelten und der jetzige Zusatz gestri- Sachkosten für Kopien. Im Einzel- chen werden, nach dem die Behörde fall können auf diese Weise Sum-

174 men erreicht werden, die sehr wohl Regierung erhält und der Antragstel- eine „prohibitive Wirkung“ haben. ler keine eigenen geschäftlichen In- teressen verfolgt. Ferner werden Die Möglichkeit zur Gebührenbe- Journalisten sowie Mitarbeiter nicht- freiung ist im Referentenwurf sehr kommerzieller wissenschaftlicher vage gehalten und laut Gesetzesbe- Einrichtungen ausdrücklich als Ver- gründung auf den „Einzelfall aus treter von Berufsgruppen genannt, Gründen des öffentlichen Interes- bei denen grundsätzlich ermäßigte ses oder der Billigkeit“ beschränkt. Gebühren gelten, die u.U. wiederum Der Freedom of Information Act in ganz erlassen werden können. In den USA, der für die Informations- den deutschen Gesetzentwurf sollte freiheits-Gesetzgebung vorbildlich eine ähnliche Regelung zur Gebüh- ist und bei dem bereits Erfahrungen renbefreiung aufgenommen werden, aus 35 Jahren Gesetzespraxis vorlie- damit überhaupt eine realistische gen, sieht dem hingegen einen Ge- Chance besteht, dass der Passus zur bührenerlass vor, wenn die ge- Gebührenbefreiung angewandt wünschten Informationen dazu bei- wird. Eine moderne, transparente tragen, dass die Öffentlichkeit einen Verwaltung darf nicht an Refinan- besseren Einblick in die Arbeit der zierungsüberlegungen scheitern,

175 sondern sollte Anfragen von öffent- sind und ist eine Grundvorausset- lichem Interesse als normale „De- zung dafür, dass der Zweck des Ge- mokratiekosten“ behandeln. setzes erfüllt werden kann. Der deut- sche Gesetzentwurf lässt die positi- Während das Berliner Landesgesetz ven Erfahrungen aus den USA un- die Behörden verpflichtet, Anträge berücksichtigt, denn die Behörden bei Unzuständigkeit an die richtige sollen zwar Organisations- und Ak- Stelle weiterzuleiten, verzichtet der tenpläne zugänglich machen. Hier- Bundesentwurf auf einen entspre- für genügt jedoch die Reaktion auf chenden bürgerfreundlichen Passus. einen Antrag – es gibt keine Ver- In der Gesetzesbegründung wird die pflichtung, sich der kostengünstigen Weiterleitung stattdessen als „nobi- und für alle abrufbaren Publikati- le officium“ bezeichnet, also als onsform Internet zu bedienen und „Ehrenpflicht“. Hier ist es geboten, bereits ohne ausdrückliche Nachfra- eine verlässliche Regelung zu tref- ge Organisations- und Aktenpläne fen. zu veröffentlichen.

Bei der Überarbeitung des Freedom Nachdem Deutschland bei der In- of Information Act in den USA wur- formationsfreiheit bisher als Nach- den Bundesbehörden bereits 1996 zügler gelten muss, bietet sich mit verpflichtet, Organisations- und Ak- dem geplanten Bundesgesetz eine tenpläne sowie Antworten auf Bür- einmalige Möglichkeit, einen Schritt geranfragen von allgemeinem Inter- zur bürgernahen, transparenten Ver- esse auf dem Internet zu veröffentli- waltung zu wagen. Diese Chance chen. Diese Form von Transparenz darf nicht durch einen zu zögerli- ermöglicht es den Bürgern, eine ge- chen Gesetzentwurf verspielt wer- nauere Vorstellung davon zu erlan- den, der in manchen Punkten hinter gen, welche Informationen über- bestehende Landesgesetze zurück- haupt bei welchen Stellen verfügbar fällt.

176 Walter Schumacher

Nachschlag

Ja, Nachschlag hier jetzt heute, mei- sten Mal zurückgelehnt. Das hatten ne Damen und Herren, gibt es den wir ja auch im Sinn, als wir eingela- Nachschlag vor dem Essen, sonst den haben mit der Schlagzeile Medi- ist das umgekehrt. Ich habe den Zu- en zwischen Sinn und Sensation, schlag bekommen, den fünfte Main- zwischen Journalismus und Politik, zer Mediendisput komprimiert in zwischen Anklage und Verteidigung, 1.30 oder so. Klein aber fein soll es zwischen Beziehungen und Public sein, hat in der Begrüßungsrede Relations, zwischen Podium und Klaus Rüter, der Chef der Staats- Pult, zwischen Reportage und Kom- kanzlei, gesagt, klein aber oho, kann mentar, zwischen Öffentlich-Recht- es auch sein. Klein, aber nicht klein- lichen und Privaten, zwischen Zei- laut, ja ein kleiner Mut sei nötig von tungen und Magazinen, zwischen Journalisten, sich gegen ein Mysteri- Aktualität und Anekdote, zwischen um zu stellen, habe ich vom ZEIT- Grundsätzen und Bonmots, zwi- Journalisten Uwe Jean Heuser ge- schen Fakten und Fiktionen, zwi- hört. Mit diesem kleinen Mut und schen Kampfjournalismus und Bor- der großen Hilfe prominenter Jour- derlines, zwischen Moral und Mora- nalistinnen und Journalisten wollen lin, zwischen Gestern und Morgen, wir in Mainz Medienthemen disku- zwischen heute Vormittag und heu- tieren, nicht in der Nische, nein in te Nachmittag. Streit ist Lust, weiß einer Jahr für Jahr größer werden- Michel Friedman, und unser Disput den Öffentlichkeit. Ich danke Ihnen will Lust machen, über das zu strei- für Ihr Interesse und ich danke Uli ten, was wir Tag für Tag konsumie- Röhm für seine Moderation. Das ren, erleben und ersehen, und nicht war der Raum für Beifall, den kön- entbehren wollen, die Medien. Strei- nen wir reinschneiden. Als um 11.08 ten wir „positiv skeptisch“, wie Lu- Uhr schon die zweite Agenturmel- cia Braun, die Haltung des Minister- dung über diesen Mediendisput ge- präsidenten Kurt Beck nannte. Üb- laufen war, habe ich mich zum er- rigens kann ich es als Regierungs-

177 sprecher nicht gutheißen, wie gut Sie nächste Mainzer Mediendisput, gefragt, nachgefragt und diskutiert der sechste, wird im Herbst 2001 haben. sein. Sie sind eingeladen, und nun ins Foyer zu Wein aus Rheinland- Das war ein neuer Aspekt, und das Pfalz. Hans Leyendecker hat heute sogar für mich im Umfeld. Und morgen ja erzählt, wie in Berlin ein Dementi dann auch noch, auf Journalisten Beamte füttern, in eine zwiespältige einspaltige Nach- Mainz machen wir auch das an- richt eines Meinungsmagazins. Wir ders, und ein letzter Nachschlag: haben in Rheinland Pfalz übrigens In Amsterdam auf einem Medien- auch eine kompliziertere Nachfol- kongress wurde zuletzt die Devise ge zu regeln, als die des ZDF-In- ausgegeben, schere Dich nicht ums tendanten, der Bischof von Trier Publikum, sei einfach Medium. ist zurückgetreten. In freier Asso- Ein Motto fürs nächste Jahr, dies- ziation fiel mir jetzt auch noch ein, mal war es der Spruch, im Seichten dass das ZDF unlängst vom Poli- kann man nicht ertrinken, aber ich tiker und Journalisten Günther hoffe, Sie haben den Eindruck, ich Gaus als Ministrantenfernsehen kann durchaus ein Wässerchen bezeichnet wurde. Das passt. Der trüben.

178 ReferentInnen und ModeratorInnen des 5. Mainer Medien-Disputs

Kurt Beck Ministerpräsident

Luzia Braun ZDF aspekte

Nikolaus Brender ZDF Chefredakteur

Matthias Brodowy Kabarettist

Dr. Michel Friedman HR – Vorsicht Friedman!

Bettina Gaus die tageszeitung - taz

Conny Hermann ZDF Mona Lisa

Dr. Uwe Jens Heuser Die Zeit

Prof. Dr. Walter Hömberg Katholische Universität Eichstätt

Michael Jungblut ZDF WISO

Ulrich Kienzle ZDF Frontal

179 Hans-Helmut Kohl Chefredakteur - Frankfurter Rundschau

Thomas Kröter Frankfurter Rundschau

Hans Leyendecker Süddeutsche Zeitung

Jochen Markett Volontär

Prof. Dr. Miriam Meckel Universität Münster

Dr. Christoph O. Meyer Journalist

Conny Neumann Der Spiegel

Uli Röhm ZDF-WISO

Klaus Rüter Staatskanzlei

Walter Schumacher Staatskanzlei

Prof. Dr. Helmut Thoma Medienberater

Klaus Wirtgen Journalist

180 Projektgruppe des 5. Mainzer Medien- Disput am 9.11.2000

Dr. Volker Bahl DGB Rheinland-Pfalz

Iris Bauer Staatskanzlei

Dr. Thomas Leif SWR

Rolf Mantowski FES

Uli Röhm ZDF-WISO

Bertold Runge SWR

Walter Schuhmacher Staatskanzlei

Mitarbeiterinnen

Kathrin Krämer FES

Diana Unkelhäußer FES

181 New Journalism – vom Kulturgut zum Wirtschaftsgut

Mainzer Medien-Disput 2001 am Dienstag, 27. November 2001 in Mainz – Programmentwurf –

10.00 Begrüssung und Einführung durch Klaus Rüter, Chef der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz

10.15 Peter Merseburger (Publizist, Ex-Panorama-Chef) – angefragt Medien-Wandel und Demokratie-Entwicklung

11.00 Auftakt: Prof. Dr. Volker Wolff, Journalistisches Seminar Mainz Wirtschaftsjournalismus zwischen Kunden, Kohle und Kumpanei anschl. Diskussion Adolf Theobald (Gründer Capital) – angefragt Jens Eckhardt (Leiter der Georg von Holtzbrinck-Schule für Wirt- schaftsjournalismus) – angefragt Wolfgang Kaden (Chefredakteur Manager Magazin) Dr. Rainer Hank (FAZ-Sonntagszeitung) Ursula Weidenfeld (Der Tagesspiegel) Moderation: Prof. Dr. Stephan Rusz-Mohl (FU Berlin)

12.30 Mittagspause / Buffet

14.00 Medienpolitik – am Publikum vorbei? Über die Herausforderungen in der Mediendemokratie Auftakt: Kurt Beck, Ministerpräsident Rheinland-Pfalz Anschl. Diskussion Michael Jürgs (Journalist, Hamburg) Prof. Thomas Schadt (Film-Autor, Berlin)

182 Manfred Helmes (Direktor der Landeszentrale für privaten Rund- funk Rheinland-Pfalz) Pascal Krian (Arthur D. Little) Moderation: Arno Luik (Stern, Autor)

15.30 Online-Journalismus zwischen traffic und content Auftakt: Prof. Hans J. Kleinsteuber (Institut für politische Wissen- schaft und Journalistik Hamburg) – angefragt anschl. Diskussion Kirsten Haake (Financial Times Deutschland, Online Chefredak- teurin) Philipp J. Fleischmann (Verlagsgruppe Handelsblatt) Matthias Müller von Blumencron (Spiegel-Online, Chefredakteur) Kai Stepp (Focus-Money, Chefredakteur) – angefragt Moderation: Hans-Jürgen Jakobs (Süddeutsche Zeitung, Leiter der Medienredaktion)

17.00 Kaffee

17.15 Ethik war gestern ... Über journalistische Werte gestern und heute Michael H. Spreng (Medien- und Kommunikationsberater, Ham- burg) Ilka Brecht (Redakteurin, Panorama – NDR) Klaus Harpprecht (Die Zeit) Benjamin v. Stuckart-Barre (Autor, Hamburg) Christina Läsker (Bertelsmann-Stiftung) Herlinde Kölbl (Photographin/Filmautorin, München) – angefragt Wolfgang Menge (Regisseur, Berlin) – angefragt Moderation: Maybritt Illner (Moderatorin Berlin Mitte) – angefragt

18.30 Empfang der Landesregierung Rheinland-Pfalz

Ansprache: Klaus Rüter (Chef der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz)

183 Herausgegeben von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Projektgruppe „Mainzer Medien-Disput“: Stephan Engelfried (verdi), Christina Glietsch, Dr. Thomas Leif (SWR), Klaus Lotz (Staatskanzlei), Rolf Mantowski (Friedrich-Ebert-Stiftung), Uli Röhm (ZDF), Bertold Runge (SWR)

Redaktion: Dr. Thomas Leif, Bertold Runge, Ingmar Cario Fotos: Diana Unkelhäußer Karikaturen: Gerhard Mester, Wiesbaden Titel: Stefan Wolf, nina faber design, Wiesbaden

Gesamtherstellung: mops, Mainz

ISBN 3-89892-014-3

184