Mai Bis Einschl. Juli 1933
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Berichte aus dem „Allgäuer Beobachter“ Mai bis einschl. Juli 1933: Die hier vorliegende Aufbereitung von Artikeln aus dem „Allgäuer Beobachter“ im Zeitraum Mai, Juni und Juli 1933 ergibt ein sehr verdichtetes Bild der Veränderungen, die mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten einhergingen. Zur Illustration wurden hierfür Fotos vom Arbeitdienst Ottobeuren eingestellt. Rechtlicher Hinweis: Die Abbildungen und Texte werden als zeitgeschichtliche Dokumente veröffentlicht. Sie sind zwar gemeinfrei, eine missbräuchliche Nutzung ist dennoch untersagt! Die zeitgeschichtlichen Dokumente aus der Zeit des Nationalsozialismus werden nur zu Zwecken der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungsfeindlicher Bestrebungen, der wissenschaftlichen und kunsthistorischen Forschung, der Aufklärung oder der Berichterstattung über die Vorgänge des Zeitgeschehens gezeigt und sind in keiner Weise als propagandistisch zu sehen. Es gelten die Maßgaben im Sinne des § 86 und 86a StGB. Einige Worte zur Einführung: Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30.01.1933 begann unmittelbar eine Zeit radikaler Umwälzungen. Gewählte Volksvertreter wurden aus den Gremien verdrängt („Der Parteienstaat ist überwunden“), durch Bedrohung, Angriffe (scheinheilig: „Da dem Bürgermeister von unbekannten Tätern die Fenster eingeworfen wurden, so beantragten wir am kommenden Morgen beim Staatskommissar, für die Sicherheit der Person des Bürgermeisters Sorge zu tragen.“) und Inhaftierung – gedroht wurde zynisch mit einem „Erholungsurlaub“ in Dachau – wurden politische Gegner eingeschüchtert und mundtot gemacht. Vertreter von SPD und Bayerischer Volkspartei mussten nach Entlassung aus der Schutzhaft ihre Rücktrittserklärungen unterschreiben – sicherlich nicht ganz freiwillig. Andersdenkende wurden diffarmiert, wirtschaftlich benachteiligt und vorverurteilt („der bekannte Käseschieber Rosenbaum“, „Abgesandte Moskaus“ usw.). Durchgesetzt wurden die Ziele mit Schließungen, Razzien, Gewalt und Propaganda. Verhaftet wurden Personen ungeachtet des gesellschaftlichen Standes, sogar der von 1919 bis 33 amtierende Bürgermeister Adolf Fergg wurde – obwohl er zurückgetreten war – einige Tage in „Schutzhaft“ genommen. Legitimiert wurde vieles davon in Gesetzen, bei denen man sich – was Pressefreiheit oder politischen Pluralismus angeht – aktuell an China, Russland oder die Türkei erinnert fühlt. Bereits 1933 wird ein Gesetz („Reichsgesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“) erlassen, das Maßnahmen wie Zwangssterilisierungen von „Erbkranken“ ermöglicht; auch etliche Ottobeurer betroffen waren betroffen. (Siehe: https://www.ottobeuren-macht-geschichte.de/items/show/468 Der „Allgäuer Beobachter“ lieferte sich mit der „Memminger Zeitung“ einen öffentlichen Schlagabtausch, wobei das Nazi-Blatt am längeren Hebel saß: als allein anerkanntes Organ für öffentliche Bekanntmachung und durch Erscheinungsverbote der Konkurrenz. Man entzog Kritikern die wirtschaftliche Grundlagen, sei es, weil man ihnen keine gemeindlichen Aufträge mehr erteilte, weil man bei der Stellenvergabe Parteimitglieder bevorzugte oder weil man sie schlichtweg einsperrte. Das führte soweit, dass man sich darüber stritt, wer für die Unterstützung der verbliebenden – verarmten – Familien aufkommt. Nazi-Anhänger hingegen hatten in vielerlei Hinsicht Vorteile („Arbeit und Brot zuerst den Kämpfern der nationalen Revolution“). Die Stellung der Nationalsozialisten war beileibe nicht zu 100% gefestigt, dazu musste neben der Gleichschaltung des öffentlichen Lebens und der Gemeindepolitik noch an weiteren gesellschaftlichen Stellschrauben gedreht werden. Insbesondere die Kirche musste man zurechtstutzen, denn von den Kanzeln wurde das Regime durchaus kritisiert. Die Inhaftierung und Bedrohung von Pfarrern (hier am Beispiel des Ollarzrieder Pfarrers Michael Hösle), die Vereinnahmung religöser Elemente in den NS- Duktus (vgl. die „Zehn Gebote eines Deutschen“) zeigten aber auch hier Wirkung: Man gab sich christlich und bezog die Kirchen mit ein, schaffte es aber, über Kürzungen von Zuschüssen, über Gegenmaßnahmen vor Ort und über das neu verhandelte Konkordat mit dem Heiligen Stuhl, Kirche auf Seelsorge und unpolitische Gottesdienstgestaltung zu reduzieren. Abt Dr. Josef Maria Einsiedler wird in den drei Monaten ein einziges Mal erwähnt, vermutlich nur, weil der Prior gestorben war. Die Schließung der katholischen Pfarrbücherei oder der Streit um die Kostenübernahme der Wartung der Kirchturmuhren sind zwei weitere Beispiele dieser Verdrängung. Die Volkszählung vom 16.06.1933 ergab für Memmingen 18 verschiedene Konfessionen, doch schon kurz darauf wurden gerade diejenigen mit stark pazifistischer Ausrichtung – wie die „Ernsten Bibelforscher“ (Zeugen Jehowas) oder der „Deutsche Monistenbund“ – verboten. Von Monat zu Monat wurde auch die Hetze gegen Juden stärker. Dies vor dem Hintergrund, dass 162 Juden in Memmingen bei einer Gesamtbevölkerungszahl von 15.404 Einwohner gerade mal 1,05% der Bevölkerung ausmachten. Quer durch die „Zeitung“ zogen sich Aufforderungen wie „Der Deutsche betritt auch während des Saisonschlußverkaufes kein Judengeschäft“; jeder Jude war grundsätzlich verdächtig und suspekt („Buxbaum aus Buchloe – Name und Mann riecht stark nach Israel“), das Spektrum des Hasses reichte bis zu unverhohlenen Morddrohungen („Für jeden Deutschen werden 10 Juden gehängt“). Man warb für den Kauf des „Handbuchs der Judenfrage“, man hatte – neben dem „Schanddiktat von Versailles“ – vor allem in den jüdischen Mitbürgern einen Prügelknaben und Sündenbock gefunden, bei dem man alle Schuld abladen konnte. Am 8. April 2021 wurde in Israel der jährliche „NS-Gedenktag“ begangen; der zugehörige Bericht der „Heute-Nachrichten“ des ZDF war überschrieben mit „Es begann mit Worten“. Am Anfang standen Worte des Hasses. Greg Schneider, der Vizepräsident der „Claims Conference“ wurde mit einem sehr treffenden Satz zitiert: „Man wacht nicht eines Morgens auf und beschließt, sich an einem Massenmord zu beteiligen.“ Die Initiative mahnte, dem Massenmord an den europäischen Juden wäre Hasspropaganda im nationalsozialistischen Deutschland vorangegangen. Dieser Eintrag im virtuellen Museum dient deshalb auch der Mahnung, dass sich Geschichte nicht wiederholen darf. Avichai Apel von der „Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland“ sprach am 8. April vom „Krebsgeschwür des Antisemitismus, das zunehmend das Zusammenleben in unserer Gesellschaft vergiftet“. Hassbeiträge in sozialen Medien („digitaler Sumpf des Hasses“) wären „ein schlimmer Brandbeschleuniger, die das Leben für Juden hierzulande gefährlicher gemacht haben“. 2021 wohlgemerkt! Ein Hetzblatt wie der „Stürmer“ des Julius Streicher, die 25 Jahre lang jede Woche ausschließlich antijüdische Hetze betrieben hat, erklärt – zusammen mit all den anderen Maßnahmen – wie es dazu kommen konnte, dass Juden nicht mehr als Menschen betrachtet wurden. Der ehemalige Bundesfinanzminister Dr. Theo Waigel sagte am Rande des Merkel-Besuchs in Ottobeuren im September 2018 den treffenden Satz: „Nationalismus führt unweigerlich zum Krieg.“ Immerhin: Einen sog. „Stürmer-Kasten“ scheint es in Ottobeuren nicht gegeben zu haben. Wie die Infiltration, die Gehirnwäsche gerade auch bei jungen Menschen wirkte, lässt ein Poesiealbum einer Ottobeurer Jugendlichen von 1943 erahnen, das hier abrufbar ist. Abrufbar ist bei OMG auch die „Ottobeurer Zeitung“ des ersten Quartals 1933. Zu empfehlen ist die Ottobeurer Initiative zu „75 Jahre Kriegsende“. Der Alltag wurde zunehmend militarisiert (am Rande des Kinderfestes in Ottobeuren gab es 1933 sogar einen „10 km Armee-Gepäckmarsch“), neben NSDAP-Vertretern traten auch HJ, BdM, SA, SS und Stahlhelm öffentlich auf den Plan, die Mitglieder des neu errichteten „Freiwilligen Arbeitsdienstlagers“ Ottobeuren trugen Uniform, ja selbst die Blaskapelle des Obersteuersekretärs Gebbert. Es setzte ein unheimlicher Führerkult ein: Die Bahnhofstraße wurde zur Adolf-Hitler-Straße, Höhepunkt des Kinderfestes in Stephansried war die Überreichung des „Führer-Bildes“ für das Schulhaus, Hitler wurde zum Ehrenbürger Ottobeurens, der Marktplatz wurde zum Hindenburg-Platz, Hindenburg zu Ehren wurde über dem Eingang in die Knabenschule (heute: Haus des Gastes) eine Bronze-Plakette in die Wand eingelassen. Auch dem NS-Statthalter Ritter von Epp, wurde in Ottobeuren eine Straße gewidmet: die Kemptener Straße (heute: Sebastian-Kneipp-Straße). Hitlers frühere Gefängniszelle in Landsberg wurde für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zu allen Anlässen sang man das Horst-Wessel-Lied, die Nationalhymne und das „Lied der Deutschen“, man rief„Sieg-Heil“ und grüßte mit „Deutschem Gruß“. (Die Stadt Mainz machte dies als eine der ersten Städte in Deutschland bereits 1933 verbindlich.) Der Beobachter bot ständig Postkarten des Volkskanzlers an („Hitler als Frontsoldat im Felde“). Der Ottobeurer Kirchenmaler Ludwig Dreyer gewann mit einem Hitler-Portrait sogar einen reichsweiten Wettbewerb, Schaufenster wurden mit seinem Konterfei dekoriert; die Lindauer Künstlerin Lilli Thoms biederte sich mit der Komposition eines „Ludwig-Siebert-Festmarsch“ an. Auf den „Führer“ eingeschworen wurden selbst Grundschüler (siehe Aufsätze aus der Mädchenschule Ottobeuren zum 50. Geburtstag Hitlers). Man nutzte die Begeisterungsfähigkeit junger Menschen gnadenlos aus. Selbst nachdem der Krieg längst begonnen hatte, feierten junge Männer in Ottobeuren noch ihre Musterung, weil sie anschließend auf Eroberungszüge gehen und ihr Heldentum unter Beweis stellen konnten. Am 1. Mai 1933 wurde – wie fast überall – eine