Dokumente 1 Fritz Geise, "Kriegschronik Der Stadt Lage" (Ausziige)
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Dokumente 1 Fritz Geise, "Kriegschronik der Stadt Lage" (Ausziige) Kopie der Chronik im Staatsarchiv Detmold, D 71 Nr. 852 (3.9.1939 - 4.4.1941), D 71 Nr. 853 (6.4.1941 - 4.5.1943), D 71 Nr. 854 (9.5.1943 - 15.4.1945). Orthographische Fehler der Vorlage wurden belassen. 3. September 1939 Uber Nacht sind wir schlafend in den Krieg geraten, am fruhen Morgen erzahlt uns der Rundfunk, daB die deutschen Anneen in Polen eingeriickt sind. Dann erfahren wir aber auch , daB viele Manner wah rend der Nacht einen Gestellungsbefehl erhalten haben u. sofort ihren Truppenteil aufsuchen sollen. Den ganzen Tag tiber sieht man die Einberufenen mit kleinen Handkoffem zum Bahnhof eilen . Auch viele Pferde werden zum Verladen weggefiihrt. Es sind meist wertvolle, starke Tiere, die so munter ausschreiten, als ginge es nur zu einer neuen Futterkrippe. Was werden sie aushalten und ertragen miissen, diese armen, arbeitswilligen Geschopfe, nur weil die Herren Menschen in einen blutigen Streit geraten sind. An der Rampe kann man beobachten, wie schwer es manchem Bauem wird, sein treues Tier auf immer hinzugeben. So fahren Menschen und Pferde zu Hunderten davon, hinaus in den Krieg. Niemand weiB, ob die Reise nach Osten in die Polakei oder nach Westen zu den Bunkem geht. Der alte Fahrplan ist auBer Kraft gesetzt u. mancher geht vom Bahnhof enttauscht wieder nach Hause, weil fiir ihn kein Zug fahrt. Nur ein paar Arbeiterztige verkehren, im tibrigen dienen alle 1.0 komotiven u. Wagen der Truppenbeforderung, alles scheint auf das Sorgfaltigste fiir den Kriegsfall vorbereitet zu sein . Und wie man in der obersten Ftihrung alles vorgesehen, ist auch der Krieg fiir das deutsche Yolk zwar zu mitternachtlicher Stunde u. sehr plotzlich, aber nicht tiberraschend gekommen. Niemand im Volke hat den Krieg gewtinscht oder gewollt, denn der Weltkrieg mit seinen Leiden u. Schrecken ist noch zu sehr in aller Erinnerung, aber nun, da er da ist, wird er gefaBt u. mit ruhiger Entschlossenheit wie ein Schicksal hingenommen, ohne Aufregung, ohne Begeisterung u. Kundge bung, aber auch ohne Murren u. Klagen. Das deutsche Yolk ist seit 25 Jahren immerfort von auBen bedrangt u. getreten, von innen heraus aufgewtihlt worden, sodaB es nie zum ruhigen GenuB seiner friedlichen Arbeit gekommen ist. Es hat gewuBt, daB seine alten Gegner ihm sein Recht, seine Freiheit u. sein Eigentum nicht ohne einen nochmaligen Kampf zuriickgeben wiirden u. hat sich fur diesen Kampf seit Jahren geriistet. Nun geht jeder ohne groBes Aufhebens pflichtgemaB dahin, wohin das Vaterland ihn stellt. Doch jeder weiB auch, daB ein Krieg keine Romantik mehr zulaBt, daB der ein zelne Mann nur ein Staubchen in einer Sturrnwolke ist, daB alles , was Wissenschaft u. Technik her vorgebracht haben, der Menschheit zu dienen, plotzlich die Welt zur Holle macht, urn Menschengltick u. Leben zu vemichten. Diese Hollenmaschinen sind uns seit Jahren, besonders aber im letzten Som mer, vor Augen gefiihrt worden. Auf den durch Lage in der Richtung Detmold-Bielefeld u. Detmold Herford fuhrenden ReichsstraBen ratterten, stampften u. klirrten taglich motorisierte Kolonnen vor tiber, so daB oft die Hauser drohnten u. bebten. Feldgeschutze, Morserbatterien, Langrohrgeschutze, Flak, Maschinengewehre, Panzerwagen, Tanks rasselten bei Tage u. bei Nacht durch die Stadt. Dabe i summte und brummte es in der Luft von Flugzeugen, die in allen Himmelshohen ihre Ubungen aus fiihrten . DaB diese zahlre ichen , nagelneuen, stahlernen Kampfmittel nicht bloB spazieren gefahren wurden, urn uns ein Schauspiel zu bieten, war leicht einzu sehen. Man konnte sich aber beim Anblick dieser eisengeriisteten, dahin sttirrnenden Kolonnen auch vorstellen, wie ein modemer Krieg sich abspielen wtirde. Nun sind die todspeienden technischen Ungeheuer der deutschen Wehrmacht ur plotzlich auf das verblendete, herausfordemde Polen losgefahren. 255 4. September 1939 Schon die ersten Berichte losen in jeder Brust ein Gefiihl der Erleichterung u. zugleich der Freude aus, weil wir wissen, daB sich der Krieg im Feindeslande abspielen u. kein deutscher Gau verwustet werden wird. Aber sonderbar, die Siegesfreude bleibt still u. verhalten. Kein lauter Jubel ertont , Der Krieg an sich mit all den trilben Erinnerungen an die Opfer des Weltkrieges laBt in der Grundstim mung des Volkes keine frohe Begeisterung aufkommen. 5. September 1939 Die Verdunkelung ist aber eine tiberaus schwierige u. lastige SchutzmaBnahme u. wirkt besonders in den Wintermonaten mit den langen, dtisteren Abenden auf die Dauer bedruckend, wenn alle StraBen in schwarze Finsternis gehullt sind u. alle Hauser wie ausgestorben dastehen u. selbst die Eisenbahn zuge vollig abgeblendet u. fast unsichtbar durch Nacht u. Nebel rattern ... Jeder Industriearbeiter ist daher auch ein Soldat der inneren Front, wird durch das Arbeitsamt an seinen Platz beordert u. hat die ihm zugewiesene Arbeit ohne Murren nach festgelegtem Tarif gewis senhaft zu leisten. Da gibt es keine Ktindigung, keine Arbeitseinstellung u. keinen Streik wie einst mals. Alles steht unter fester, kriegsrechtlicher Zucht u. Ordnung, wie an der Front, so in der Heimat. 28. September 1939 Aber sonderbar, als Warschau vor 24 Jahren im Sommer fiel, da drohnten in Lage die Bollerschusse, es lauteten die Glocken, es zogen die Vereine im frohen Siegesmarsche durch die Stadt. Heute wird die groBe Siegestat unseres Heeres, der uberwaltigende Erfolg ungeheurer Kampflei stungen, der ganze phanomenale Verlauf des Krieges ruhig und gelassen zur Kenntnis genommen. 20. Januar 1940 Seitdem nun unsere Industrie u. Gewerbezweige durch die KriegsrUstungen eine Neubelebung erfah ren haben u. tiberall Beschaftigung u. Verdienst gefunden wird, ist der Mangel an Arbeitskraften in der Landwirtschaft trotz aller Werbetatigkeit dafiir geradezu bedenklich geworden. 30. Januar 1940 Die Schneeschuhlaufer eilten tiber die weiten weiBen Feldflachen hinweg, u. an allen Hangen wim melte es von der rodelnden Jugend . Ein Bild frohlicher, unbektimrnerter Menschen im Frieden der Heimat, u. wenn uberall die vielen fremden Soldaten aller Waffengattungen auf den StraBen, in den Ztigen u. in den Gaststarten diesen Tagen nicht eine so ernste Pragung gegeben hatten.ware niemand auf den Gedanken gekomrnen , daB wir uns mitten in einem schweren Kriege befinden. 15. Februar 1940 Da uns jedes feindliche Schiff, das von der Bildflache verschwindet, dem ersehnten Siegfrieden urn einen Schritt naher bringt, moge es uns verziehen sein, wenn wir ihm eine gliickliche Fahrt auf den Meeresgrund wtinschen. Der Krieg kennt kein Erbarmen u. hat seine eigenen Moralge setze. Mitleid empfinden wir in diesem Falle nur als es uns leid tut, daB all die wertvollen Ladungen von Korn, Butter, Fleisch, Wolle, Baumwolle, Leder, Fette, Erze usw. in die Tiefe sinken und nicht als Bannwa re in unsere Hafen gebracht werden konnen. 28. April 1940 Immer summen und brummen zahlreiche Flieger tiber unserm Werretal. Es sind Gott sei Dank unsere eigenen, die wir an dem schwarzen Kreuz auf weiBem Grunde deutlich erkennen. Sie sind unermud lich am Uben, urn eines Tages gegen den Feind vorzustoBen. Feindliche Flieger haben uns bisher nicht belastigt, sodaB der Luftschutz allrnahlich einschlafen wtirde, wenn die Polizei nicht mit Straf mandaten bei der Hand ware. 30. April 1940 In den Nachbardorfern liegen noch viele Truppen in den Quartieren. Sie helfen mit ihren Gespannen den Bauern bei der Feldbestellung. Weiter nach Westen bis ins Rheinland sind seit dem Winter aile 256 Stadte u. Doner mit Soldaten dicht belegt. Die vielen Millionen bewaffneter deutscher Manner warten ungeduldig auf den erlosenden Befehl zum Angriff. [Mitte Juni 1940. Bl. 97J Immer wieder schreiben die Soldaten aus dem Felde : ,,Danket Gott dafur, daB sich das Kriegsgewitter im Feindeslande austobt u. Ihr von all dem Elend verschont bleibt , was wir zu sehen bekommen." In der Tat erleben wir den gewaltigsten aller Kriege nur aus den Berichten, die ihn allerdings durch die Unmittelbarkeit u. Anschaulichkeit in Wort u. Bild, in Presse, Rundfunk u. Film in so greifbare Nahe riicken, daB die Menschen mit ihren Gedanken nicht davon loskommen konnen . 24./25. Juni 1940 Also wieder die verdammten Englander, die uns die Siegesfreude storen wollen! Sie waren seit dem 14.6. schon in jeder Nacht da u. haben die Leute stark beunruhigt. Wer langere Zeit hindurch jede Nacht mehrere Stunden im Keller verbringen u. am Tage schwer arbeiten muB, der wtinscht die Eng lander zum Teufel. 3. August 1940 Auch die Ausriistung muB nach dem starken VerschleiB wahrend des Feldzuges jetzt in der Heimat tiberholt u. erganzt werden. Dabei erhalten unsere Handwerker allerlei Heeresauftrage, Unsere Wa genbauer sind eifrig am Werk, urn Militarwagen zu reparieren u. neue anzufertigen. In der Werkstatt von Stegelmann wird mit Hochdruck gearbeitet, urn die vielen dort eingelieferten beschadigten Kraft rader auszubessem. Man sieht taglich lange Reihen von Motorradern u. Beiwagen auf der von Colln Stra8e aufgefahren, die nachgesehen u. repariert werden sollen. 15. Januar 1941 Unsere Luftgeschwader haben prompt geantwortet u. mit vielen Tausenden von Bomben die engli schen Industrie- und Hafenstadte tiberschtittet. Die Berichte dariiber malen furchtbare Bilder u. Sze nen der Zerstorung. Fast immer gehort London zu den Angriffszielen. Ware es nicht eine 8 Millionen stadt von untibersehbarer Ausdehnung, dann mtiBte man annehmen, daB darin kein Stein auf dem andem geblieben sei, 7. April 1941 Urplotzlich brausten die Luftgeschwader daher u. donnem vemichtend ihre