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Aufstieg Und Fall Von Jürgen Stroop (1943-1952): Von Der Beförderung Zum Höheren SS- Und Polizeiführer Bis Zur Hinrichtung

Aufstieg Und Fall Von Jürgen Stroop (1943-1952): Von Der Beförderung Zum Höheren SS- Und Polizeiführer Bis Zur Hinrichtung

Aufstieg und Fall von Jürgen Stroop (1943-1952): von der Beförderung zum Höheren SS- und Polizeiführer bis zur Hinrichtung.

Eine Analyse zur Darstellung seiner Person anhand ausgewählter Quellen.

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra der Philosophie

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von Beatrice BAUMGARTNER

am Institut für Geschichte Begutachter: Univ.-Doz. Dr. Klaus Höd

Graz, 2019

Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

Datum: Unterschrift:

I

Gleichheitsgrundsatz

Aus Gründen der Lesbarkeit wird in der Diplomarbeit darauf verzichtet, geschlechterspezifische Formulierungen zu verwenden. Soweit personenbezogene Bezeichnungen nur in männlicher Form angeführt sind, beziehen sie sich auf Männer und Frauen in gleicher Weise.

II

Danksagung In erster Linie möchte ich mich bei meinem Mentor Univ.-Doz. Dr. Klaus Hödl bedanken, der mir durch seine kompetente, freundliche und vor allem unkomplizierte Betreuung das Verfassen meiner Abschlussarbeit erst möglich machte. Hoch anzurechnen ist ihm dabei, dass er egal zu welcher Tages- und Nachtzeit immer ein offenes Ohr für meine Anliegen hatte und mir mit seinen motivierenden Worten immer wieder Antrieb gegeben hat, an meiner wissenschaftlichen Arbeit weiter zu forschen. In diesem Sinne, vielen Dank für Ihre Zeit- ohne Sie wäre die Verwirklichung meiner Arbeit nicht möglich gewesen. Der vermutlich größte Dank gebührt meinen Eltern, die mich, seitdem ich mich erinnern kann, in jeglicher Hinsicht, sei es in moralischer oder finanzieller, immer unterstützt haben und mich mit ihrer liebevollen und geduldigen Art immer wieder motiviert haben, weiter zu machen. Ich bin euch dankbar, dass ihr mich vor allem in Momenten größter Verzweiflung fortwährend aufgemuntert habt und mich in all meinen Entscheidungen unterstützt und bekräftig habt, sowie immer für mich da wart. Danke für alles, ohne euch hätte ich das nicht geschafft. Ich liebe euch! Außerdem möchte ich an dieser Stelle auch meiner großen Schwester Ramona danken, die für mich eine große Vorbildfunktion hat. Trotz unserer kleinen Streitereien hast du es immer wieder geschafft für mich da zu sein und hast mich fortwährend dazu bewegt nicht aufzugeben. Vielen Dank für deine grenzenlose Unterstützung und für deine täglichen Motivationsanrufe während des Schreibprozesses. Ich hab dich lieb. Meinem Freund Christoph gebührt ebenso ein großer Dank, da er stets meine Gemütszustände und meine anhaltenden Stimmungsschwankungen während des Studiums, aber vor allem in der Zeit des Schreibens mit viel Geduld sowie Kraft ertragen hat und immer aufmunternde Worte für mich bereit hatte. Durch deine Unterstützung sowie deinen kritischen, aber auch motivierenden Beiträge, hast du mich immer wieder dazu bewegt, weiter zu machen. Danke für alles, ich liebe dich. Nicht zu vergessen ist meine äußert wertvolle Studienkollegin und mittlerweile sehr ans Herz gewachsene Freundin Tamara. Ich danke dir für die gemeinsam verbrachten Lernstunden, Praktika und vor allem für dein Organisationstalent. Ohne dich und deinen lustigen Dramen wäre meine Studienzeit nur halb so schön gewesen. Ich werde mich immer an unsere zahlreichen und vor allem lustigen Facetime und Cafe Philipp „Meetings“ erinnern. Danke Tamara. Zu guter Letzt möchte ich meiner treuen und mehr als liebgewonnenen Weggefährtin Xena gedenken, die mich leider nach sechzehn Jahren gemeinsamer Zeit viel zu früh verlassen musste. Durch deine liebevolle Art bist du ein großer und vor allem wichtiger Bestandteil

III

meines Lebens geworden. Ich bin dir unendlich dankbar für jede einzelne Sekunde, die du mir geschenkt hast und will keine davon missen. Danke für die zahlreichen Spiel- Kuschel- und Schmuseeinheiten. Danke für das Trostspenden in schwierigen Zeiten. Danke für deine bedingungslose Liebe und danke, dass du immer für mich da warst. Du wirst für IMMER einen großen Platz in meinem Herzen haben und in meinen Erinnerungen ewig weiterleben. Danke mein tapferer und mutiger Kampftiger. Ich werde dich für immer lieben.

IV

Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG ...... - 1 -

1 FORSCHUNGSSTAND ...... - 4 -

1.1 FORSCHUNGSFRAGE ...... - 8 -

2 METHODIK ...... - 9 -

2.1 QUELLENAUSWAHL ...... - 9 - 2.2 QUELLENKRITIK ...... - 11 -

3 KURZBIOGRAPHIE VON JÜRGEN STROOP ...... - 13 -

3.1 KINDHEIT ...... - 14 - 3.2 JUGEND ...... - 15 - 3.3 POLITISCHE KARRIERE ...... - 16 - 3.3.1 Exkurs: Ämterlaufbahn in der NS-Zeit ...... - 20 - 3.4 VERHAFTUNG, VERURTEILUNG UND HINRICHTUNG ...... - 21 -

4 GESCHICHTLICHER HINTERGRUND ...... - 24 -

4.1 DAS WARSCHAUER GHETTO ...... - 24 - 4.2 DAS ENDE DES GHETTOS ...... - 27 -

5 ANALYTISCHER TEIL DER ARBEIT ...... - 30 -

5.1 KRITERIENKATALOG ...... - 30 - 5.1.1 Selbstdarstellung ...... - 30 - 5.1.2 Fremddarstellung ...... - 31 - 5.1.3 Vergleichende Analyse ...... - 31 - 5.2 VORSTELLUNG DER QUELLEN ...... - 32 - 5.2.1 Quellen für Selbstdarstellung ...... - 32 - 5.2.1.1 Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr! ...... - 32 - 5.2.1.2 Testimony of Jürgen Stroop ...... - 38 - 5.2.1.3 Äußerungen Stroops nach dem Kriege und die drei Nachkriegsgespräche mit Edelman, Auerbach und Grajek ...... - 41 - 5.2.2 Quellen für Fremddarstellung ...... - 51 - 5.2.2.1 Gespräche mit dem Henker ...... - 51 - 5.2.2.2 Konrad Bericht ...... - 55 - 5.2.2.3 NS-Beurteilungen ...... - 60 -

V

5.3 SELBSTDARSTELLUNG JÜRGEN STROOPS – EINE ANALYSE ...... - 66 - 5.3.1 Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr! ...... - 66 - 5.3.2 Testimony of Jürgen Stroop ...... - 72 - 5.3.3 Äußerungen Stroops nach dem Kriege und die drei Nachkriegsgespräche mit Edelman, Auerbach und Grajek ...... - 76 - 5.3.3.1 Zusammenfassung ...... - 89 - 5.4 FREMDDARSTELLUNG JÜRGEN STROOP – EINE ANALYSE ...... - 92 - 5.4.1 Gespräche mit dem Henker ...... - 92 - 5.4.2 Konrad Bericht ...... - 100 - 5.4.3 NS-Beurteilungen ...... - 104 - 5.4.3.1 Zusammenfassung ...... - 111 - 5.5 AUSWERTUNG DER ANALYSE ...... - 116 - 5.5.1 Vergleichende Analyse ...... - 116 - 5.5.2 Fazit der Analyse ...... - 119 -

6 ZUSAMMENFASSUNG ...... - 121 -

7 LITERATURVERZEICHNIS ...... VII

7.1 PRIMÄRLITERATUR ...... VII 7.2 SEKUNDÄRLITERATUR ...... VII 7.3 INTERNETRESSOURCEN ...... IX

8 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ...... XII

9 ABBILDUNGSANGABEN ...... XIII

10 ABBILDUNGSVERZEICHNIS ...... XIII

11 ANHANG ...... XIV

VI Einleitung

Einleitung Im Großen und Ganzen gibt es drei mögliche Arten, wie ein Individuum auf ein politisches Regime reagieren kann. Eine allseits bekannte und extreme, aber seltene Ausformung stellt die sogenannte Rebellion dar, in der sich eine kleine Gruppe von Individuen (Rebellen) sammelt, die sich offen gegen bestehende Verhältnisse oder gegen eine Regierung auflehnt. Den Gegenpol dazu bildet eine weitaus größere Gruppe von Menschen, die sich mit einer Gleichgültigkeit an die entsprechende Herrschaftsform anpasst. Die dritte und letzte Gruppe setzt sich aus denjenigen zusammen, die ein Teil des großen Ganzen sein wollen und dem System aus voller Überzeugung folgen. Durch ihr persönliches Engagement und ihre Bereitschaft, opfern sie sich und ihre Familien auf, um dem Regime zu Erfolg und Ansehen zu verhelfen. Im Gegenzug dazu, erhoffen sie sich eine entsprechende Gegenleistung. Sie erwarten vorwiegend einen Aufstieg in der Rangliste, der ihnen selbst Prestige und Anerkennung in der Gesellschaft verschaffen soll. Besonderen Anklang findet dieses Prinzip der Mitwirkung in totalitären bzw. diktatorischen Herrschaftsformen, wie zum Beispiel im Nationalsozialismus (NS), in der durch Treue und Bereitschaft, eine Blitzkarriere möglich war. In diesem Regime ist es nicht unüblich, dass auch kleine und unbedeutende Menschen mit blindem Gehorsam und Unterwürfigkeit zu wichtigen Persönlichkeiten im Regime geformt wurden. Mit anderen Worten kann auch gesagt werden, dass man in der Ära des Nationalsozialismus, also in einer Zeit, ohne jeglichen moralischen Werten bzw. Normen, systematisch zu einem Unmenschen transformiert wurde. Ein markantes Beispiel für eine derartige Transformierung eines Menschen, stellt Jürgen (früher: Josef) Stroop dar, der sich als einfacher Bürger mit wenig Aussichten auf gesellschaftlichen Aufstieg, der grausamen und rassistischen Tötungsmaschinerie des Nationalsozialismus anschloss, um ein höheres Ansehen in der Gesellschaft zu erhalten. Durch Treue, Gehorsam und Unterwürfigkeit klettert er im totalitären Herrschaftssystem stetig die NS- Karriereleiter empor. Bekannt wird er vor allem durch die Zerschlagung des jüdischen Aufstandes im Warschauer Ghetto, in der er die Leitung innehatte. Während seiner Zeit im

Warschauer Ghetto verfasste er den Bericht ES GIBT KEINEN JÜDISCHEN WOHNBEZIRK IN

WARSCHAU MEHR! (1943), worin er die Liquidierung des Warschauer Ghettos und die Vernichtung der jüdischen Bewohner akribisch dokumentiert. In diesem Bericht versucht er seine ‚Rasse‘ und im Besonderen sich selbst vom Rest der Menschheit abzuheben. Werden jedoch andere Quellen, wie die GESPRÄCHE MIT DEM HENKER von Kazimierz Moczarski (1982) und der Kriegsprozess in Warschau (1951), zur weiteren Untersuchung seiner Person

- 1 - Diplomarbeit herangezogen, so wird augenscheinlich, dass in der Selbst- und Fremddarstellung Stroops erhebliche Unterschiede vorzufinden sind. Aus diesem Grund soll in der vorliegenden Arbeit die Person Jürgen Stroop genauer betrachtet werden. Besonderes Augenmerk soll hier auf seine Repräsentationsarten gelegt werden, sprich, wie stellt er seine Person selbst dar und wie wird er von der damaligen Umwelt wahrgenommen. Durch eine vergleichende Analyse der Selbst- und Fremddarstellung anhand ausgewählter Quellen soll durch die gefundenen Gemeinsamkeiten und Unterschiede versucht werden, das Naturell Stroops zu rekonstruieren, um ein annähernd wahrheitsgetreues Bild seiner Person abbilden zu können. Außerdem soll gezeigt werden, welche Ereignisse bzw. Erlebnisse ihn dazu gebracht haben, diesen Weg als Befürworter der nationalsozialistischen Ideologie einzuschlagen. Des Weiteren soll die Analyse zeigen, welchen Einfluss eine Regierungsform, in diesem Fall ein totalitäres Herrschaftssystem, auf ein Individuum ausüben kann und wozu dieses in weiterer Folge im Stande sein wird. Bei dieser Problematik handelt es sich keinesfalls um eine veraltete Fragestellung, die nur in einer historischen Untersuchung Anwendung findet, sondern um eine durchaus zeitgenössische mit Gegenwartsbezug. Ein gutes Beispiel dafür ist die derzeitige politische Lage in Europa, in der sich ein Trend in Richtung Xenophobie abzeichnen lässt. Dieser äußert sich in Form eines Rechtsrucks innerhalb der Gesellschaft, der nicht zuletzt durch die jüngste kriegs- bzw. wirtschafts- und sozialmotivierte Migration bedingt ist. Durch all diese Entwicklungen lassen sich Tendenzen erkennen, die ebenfalls in der Zeit des Nationalsozialismus vorzufinden sind. Aus diesem Grund weckt dies großes Interesse an einer Untersuchung der Person Jürgen Stroop bzw. dessen Beweggründe, sich der Ideologie des Nationalsozialismus anzuschließen. Bevor jedoch die eigentliche Analyse durchgeführt werden kann, soll ein theoretischer Teil die Arbeit einleiten. Deshalb wird mit dem Kapitel Forschungsstand begonnen, welches im weiteren Verlauf die einhergehende Forschungsfrage vorstellen soll. Dadurch soll ein guter Überblick über die Thematik geschaffen werden. In diesem Kapitel wird die wichtigste Literatur, die erheblichen Einfluss auf die vorliegende Arbeit ausübt, mit kurzen Inhaltsangaben angeführt, welche wiederum die wichtigsten Erkenntnisse in Bezug auf Stroop und seine Persönlichkeit zusammenfassen sollen. Im nächsten Schritt soll durch das Kapitel Methodik ein Einblick in die verwendete Methode gewährleistet werden, in der die Quellenauswahl begründet und die mit ihr einhergehenden Problematik erörtert wird. Des Weiteren wird im darauffolgenden Unterkapitel Quellenkritik angeführt, nach welchem Prinzip die ausgewählten Quellen vorgestellt werden. Dabei spielen die innere und äußere Quellenkritik eine wichtige Rolle und werden in groben Zügen umrissen.

- 2 - Einleitung

Im dritten Kapitel werden die Lebensumstände von Jürgen Stroop näher erläutert, indem eine Kurzbiographie, die sich in die Abschnitte Kindheit, Jugend, politische Karriere, Verhaftung, Verurteilung und Hinrichtung unterteilt, Aufschluss darüber geben soll, wie er zu dem herangewachsen ist, der unzählige Menschenleben auf dem Gewissen hat. Um seine politische Laufbahn in der NS-Zeit anschaulicher und übersichtlicher zu gestalten, werden in dem Unterkapitel Exkurs: Ämterlaufbahn in der NS-Zeit die verschiedenen Ränge, die er innehatte aufgelistet und so gut es geht mit heutigen Rängen im Militär/Polizeiwesen verglichen. Damit soll gezeigt werden, wie rasant und etappenreich seine politische Karriere verlief. Der darauffolgende geschichtliche Hintergrund unterteilt sich in mehrere Segmente. Zu Beginn wird das Warschauer Ghetto und seine Errichtung beschrieben. Ebenso soll das dortige Leben der jüdischen Gemeinde mit all seinen Einrichtungen und Institutionen Eingang in die vorliegende Arbeit finden. Dabei werden auch die jüdischen Aufstände im Ghetto miteinbezogen. Den Abschluss dieses Kapitels bildet die Zerstörung des Warschauer Ghettos und stellt zugleich den Abschluss des theoretischen Teils der Untersuchung dar. Im analytischen Teil, welcher den Hauptbestandteil der vorliegenden Untersuchung ausmachen soll, wird in einem ersten Schritt der Kriterienkatalog vorgestellt. Anhand dieses Katalogs werden in weiterer Folge die einzelnen Quellen für die Selbst- und Fremddarstellung analysiert. Nach der Vorstellung des Kriterienkatalogs werden die einzelnen Quellen, die zur Analyse herangezogen werden, vorgestellt, indem sie der bereits erwähnten Quellenkritik unterzogen werden. Daraufhin folgt die eigentliche Untersuchung Jürgen Stroops anhand des Kriterienkatalogs, wobei zuerst die Selbstdarstellung und im Anschluss die Darstellung durch Dritte ermittelt wird. Das Kapitel Auswertung der Analyse unterteilt sich in zwei Unterkapitel, nämlich in vergleichende Analyse und Fazit der Analyse. Das erste davon soll Aufschluss darüber geben, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede die Untersuchung der Selbst- und Fremddarstellung ergeben hat. Die Aufgabe des Fazits soll es dann sein, aus den gefundenen Gemeinsamkeiten und Unterschiede einen Schluss zu ziehen, welche Eigenschaften Jürgen Stroop gehabt haben könnte, um feststellen zu können, wie er in Wirklichkeit gewesen sein könnte. Zu guter Letzt sollen in einer abschließenden Zusammenfassung die gesammelten Ergebnisse dieser Forschungstätigkeit resümiert werden. Besonderes Augenmerk soll hier auf die erzielten Erkenntnisse in Bezug auf Jürgen Stroops Wesen gelegt werden, die in weiterer Folge überblicksmäßig dargestellt werden sollen.

- 3 - Diplomarbeit

1 Forschungsstand Bei der Person Jürgen (Josef)1 Stroop handelt es sich um einen NS-Täter, der in der Wissenschaft verhältnismäßig viel diskutiert wird, was auf seine Tätigkeit im Warschauer Ghetto und die Niederschlagung des bewaffneten Widerstands der jüdischen Bevölkerung zurückzuführen ist. Bei dem Großteil der wissenschaftlichen Arbeiten steht jedoch die biografische Abhandlung mit all seinen Beförderungen und seiner Verurteilung bzw. Hinrichtung im Vordergrund. Wird hingegen nach einer Charakterisierung seiner Person gesucht, fällt die Ergebnisliste bei weitem geringer aus. Bei diesen Werken handelt es sich in erster Linie um DAS DRITTE REICH UND SEINE VOLLSTRECKER. DIE LIQUIDATION VON 500 000

JUDEN IM GHETTO WARSCHAU von Joseph Wulf (1961), GESPRÄCHE MIT DEM HENKER: DAS

LEBEN DES SS-GENERALS JÜRGEN STROOP. AUFGEZEICHNET IM MOKOTOW-GEFÄNGNIS ZU

WARSCHAU von Kazimierz Moczarski (1982), DER WARSCHAUER GHETTOKÖNIG von Joachim

Jahns (2009), sowie JÜRGEN (JOSEPH) STROOP, DER MANN AUS DETMOLD von Wolfgang Müller (1998). Im Folgenden werden die einzelnen Werke vorgestellt, dabei soll deren Inhalt sowie deren Erkenntnisse zu Stroops Charakterisierung kurz aufgezeigt werden. In diesem Zusammenhang sollen, wenn nötig, die Methode, die die jeweiligen Autoren in ihren Werken verwendet haben bzw. die daraus hervorgehenden Ergebnisse kritisch begutachtet werden.

Zu Beginn wird das Werk von Joseph Wulf DAS DRITTE REICH UND SEINE VOLLSTRECKER hervorgehoben, da es auf diesem Themengebiet zur Grundlagenliteratur zu zählen ist. Wulf beschäftigt sich darin mit den ausführenden Kräften im Dritten Reich und liefert dadurch einen guten Überblick über die Personen, die im Warschauer Ghetto tätig waren. Besonderes Augenmerk legt er hier auf Jürgen Stroop, der als Führer der Zerschlagung des Warschauer Ghettos fungiert. Zunächst widmet er sich einleitend dem Stroop Bericht und dessen Bedeutung als historisches Dokument, danach der Person Jürgen Stroop selbst. Hier gibt er einen Einblick in Stroops Biografie – Kindheit, politisches, aber auch privates Leben – und gewährleistet dadurch erstmals Zugang zu Quellenmaterial, welches niemand zuvor veröffentlichte. Hier nehmen selbst geschriebene Lebensläufe von Stroop, Akteneinträge, sowie Bewertungen durch Befehlshaber eine zentrale Rolle ein. Im Zuge der biographischen Beschäftigung mit Stroop, kommen auch Charakterisierungen zu seiner Person zum Vorschein, die ihn als Blender darstellen, der mehr zu sein scheint, als er in Wirklichkeit war. Damit soll gemeint sein, dass er laut Wulf stets bemüht war, sich besser darzustellen, sich hervorzuheben und als begabten

1 Josef Stroop beantragte 1938 eine Namensänderung von Josef zu Jürgen aufgrund weltanschaulicher Einstellung, die 1941 bewilligt wurde. Siehe: Wulf, Joseph (1961): Das Dritte Reich und seine Vollstrecker. Die Liquidation von 500 000 Juden im Ghetto Warschau, Berlin-Grunewald, S.19. - 4 - 1. Forschungsstand

Heerführer zu präsentieren. Diese Selbstwahrnehmung bzw. -darstellung widerlegt Wulf hingegen wiederholte Male mit Hilfe des bereits erwähnten Quellenmaterials, in dem Stroop von anderen Größen der NS-Zeit als Mann dargestellt wird, der lediglich ein Soldat war, der Befehle ausführte. Außerdem betont er in seinem Buch, dass der kleine Mann, der Stroop vor der nationalsozialistischen Ära war, unter normalen Bedingungen immer ein kleiner Mann geblieben wäre. In der NS-Zeit hingegen fanden seine anerzogenen Eigenschaften wie Gehorsam, Treue sowie seine soldatische Erziehung durch seinen Vater besonderen Anklang, die ihm eine Blitzkarriere im totalitären Regime verschafften. Besonders erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang auch die veröffentlichten Nachkriegsgespräche, die Stroop mit wichtigen Persönlichkeiten im Mokotow-Gefängnis in Warschau führt. Diese Gespräche geben eine weitere Seite seiner Persönlichkeit preis, in denen Stroop aber nicht mehr versucht sich als ‚der Befehlshaber‘ darzustellen, sondern stets bemüht war seine Taten zu schmälern, indem er darauf beharrte, dass er lediglich Befehle ausgeführt habe und niemals selbständig tätig war bzw. niemals jemanden mit eigenen Händen getötet habe. Abschließend kann gesagt werden, dass Joseph Wulf mit seinem Buch DAS DRITTE REICH UND SEINE VOLLSTRECKER einen ausgezeichneten Überblick über die Geschehnisse im Warschauer Ghetto und im Besonderen über Jürgen Stroop bietet. Mit den veröffentlichten Quellen leistet er einen hervorragenden Beitrag zur Erforschung Stroops Biografie und liefert dabei auch stichhaltige Anhaltspunkte über seine Persönlichkeit.

Kazimierz Moczarskis2 GESPRÄCHE MIT DEM HENKER stellen ebenso wie Wulfs Werk einen Meilenstein zur Erforschung Stroops Charaktereigenschaften dar. Der Grund dafür liegt in der gemeinsam verbrachten Zeit des Autors mit Jürgen Stroop im Mokotow Gefängnis. Moczarski musste sich mit ihm für 225 Tage eine Zelle teilen und so ergriff er die Möglichkeit mit seinem Feind, dem ‚Henker‘ des Warschauer Ghettos, Gespräche über dessen Leben zu führen. Dabei sind viele Details zu seiner Kindheit, Jugend und vor allem zu seiner politischen Karriere ans Tageslicht gekommen. Zu Beginn des Werkes legt der Autor viel Wert darauf, die Herkunft Stroops zu erörtern, dessen Wurzeln in Detmold in Nordrhein-Westfalen sind. Dabei spielen seine Eltern, seine katholische Erziehung, sowie die Präsenz germanischer Andenken eine zentrale Rolle. Im Zentrum des Buches steht aber die Zeit, die Stroop im Warschauer Ghetto verbracht hatte und mit der Zerschlagung des bewaffneten Aufstandes beschäftigt war. Einerseits kann man hier einen Stroop entdecken, der sich für manche Taten besonders rühmt

2 Kazimierz Moczarski wurde 1946 „als besondere Form der psychischen Folter“ gemeinsam mit Jürgen Stroop in eine Gefängniszelle gesteckt, gegen den er im Widerstand gekämpft hatte. Siehe Müller, Wolfgang: Jürgen (Joseph) Stroop, der Mann aus Detmold. S.80. In: Niebuhr, Hermann (1998): Nationalsozialismus in Detmold. Dokumentation eines stadtgeschichtlichen Projekts, Bielefeld. - 5 - Diplomarbeit und mit erhobenen Hauptes dasteht und andererseits einen Stroop, der versucht seine Verbrechen zu schmälern oder gar zu leugnen. Beim Lesen des Buches ist eine Tendenz des Autors spürbar, die durch eine ständige Degradierung Stroops zum Vorschein kommt. Er präsentiert Stroop als Angeber und Aufschneider, der ein unkritisch überzeugter Anhänger der nationalsozialistischen Rassenideologie ist. Um diesen Charakter bestätigen zu können, wendet der Autor die Methode des Entlarvens an, indem er Stroop regelmäßig in seiner Denkweise korrigiert und ihn damit vor der Leserschaft bloßstellt. In diesem Zusammenhang ist es unerlässlich Kritik zu äußern, denn während des Lesens ist es schwer zu erkennen, ab wann Stroops Aussage endet bzw. ab wann der Autor dessen Aussagen mit seinen Kommentaren ergänzt oder bereits interpretiert. Ein weiterer Kritikpunkt, der unbedingt erwähnt werden muss, bezieht sich auf den Wahrheitsgehalt der Darstellungen Stroops, denn einerseits zeichnete der Autor die Gespräche erst Jahre nach der Gefangenschaft auf und andererseits kann seine Sichtweise keinesfalls als objektiv betrachtet werden. Auch wenn Moczarski ein gutes Gedächtnis gehabt hätte, wäre es ein Ding der Unmöglichkeit sich an alle Gespräche mit sämtlichen Details erinnern zu können. Dabei kann es leicht passieren, dass einen die Erinnerungen trügen und manche Erlebnisse anders im Gedächtnis erhalten geblieben sind, als sie in Wirklichkeit passiert sind. Damit soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass nicht alles, was Moczarski in seinem Buch präsentiert als bare Münzen wahrgenommen werden darf.

Nichtsdestotrotz leistet er mit den GESPRÄCHEN MIT DEM HENKER einen hervorragenden Beitrag zur Ermittlung Stroops Persönlichkeit, da mit diesem Buch erstmals eine derart detaillierte Beschreibung seiner Person bzw. seines Lebens der breiten Leserschaft zugänglich gemacht wird. Auch wenn die Überprüfbarkeit seiner Darstellung Stroops nicht immer gegeben ist, so ist uns jedenfalls eine persönliche Sichtweise, wie ihn der Autor wahrgenommen hat, die zwar voreingenommen gewesen sein kann, erhalten geblieben.

Joachim Jahns Buch DER WARSCHAUER GHETTOKÖNIG beschäftigt sich in erster Linie mit der Person Franz Konrad, einem ehemaligen SS ()- und Polizeioffizier des Warschauer Ghettos, der für die Werterfassung des beschlagnahmten jüdischen Besitzes zuständig war. Hier ist es Jahns vorrangiges Ziel, Konrad als den Ghettokönig darzustellen, der bemüht war, jüdischen Bewohnern das Leben zu retten, indem er ihnen Arbeitsplätze in den hiesigen Industrien verschaffte. Damit einhergehend beschreibt der Autor kurz das harsche Leben im Warschauer Ghetto und Konrads vergebliche Bemühungen die Juden zu retten. Auf diese Weise ergreift der Autor die Möglichkeit auf Biografien wichtiger SS-Männer, die eine zentrale Rolle bei der Verwaltung des Warschauer Ghettos und später bei dessen Vernichtung spielten, einzugehen. Hier stehen vor allem Stroops Werdegang, politische Karriere und dessen

- 6 - 1. Forschungsstand

Taten im Warschauer Ghetto im Vordergrund. Neben simpler Biographiearbeit zu Stroop ist es ihm mit der vollständigen Erstveröffentlichung des Konrad-Berichts gelungen, neues Licht auf Stroop zu werfen. Bei dem Bericht handelt es sich um ein Zeugnis von Konrad, dass er in amerikanischer Gefangenschaft ablegte, in dem er die Zustände und Ereignisse im Warschauer Ghetto schildert. In dieser Schilderung geht er auf die Schaffung des Ghettos, die Lebensumstände der jüdischen Bevölkerung, seinem Aufgabenbereich, die Umsiedelungen der Industrien, den beiden Aufständen sowie auf die Rolle Stroops als Befehlshaber bei der Niederschlagung des Ghettos ein. Durch diesen Bericht kommt eine neue Fremddarstellung Jürgen Stroops zum Vorschein, in der Konrad ihn als rücksichtslosen und brutalen Mann charakterisiert. Die Charakterisierung Stroops ist jedoch nicht der einzige Zweck, den der Konrad-Bericht erfüllt, denn er dient dem Warschauer Gericht auch als Beweismittel gegen Stroop, um ihm die Verbrechen und Untaten im Ghetto nachweisen zu können. Obwohl es nicht Jahns Absicht war, die Persönlichkeit Stroops zu erläutern bzw. aufzudecken, ist es ihm mit der Veröffentlichung Konrads Aussage gelungen, eine weitere Perspektive in Bezug auf Stroop zu eröffnen. Diese Perspektive hilft Historikern dabei, das unvollständige und rätselhafte Puzzle zu Stroops Wesen ein Stück weiter zu vervollständigen.

Im Beitrag JÜRGEN (JOSEPH) STROOP, DER MANN AUS DETMOLD legt der Autor Wolfgang Müller, wie keiner der bereits erwähnten Autoren zuvor, den Fokus auf die wichtigsten Schauplätze in Stroops Heimatstadt, die seiner Meinung nach für seinen späteren Werdegang von großer Bedeutung gewesen sein könnten. Diese Annahme führt er darauf zurück, dass Stroop immer wieder von einer Erziehung spricht, die ihn zu diesem Mann gemacht hat, der er geworden ist. Aus diesem Grund versucht der Autor den Werdegang Stroops an Schauplätzen festzumachen, die in seiner Detmolder Zeit von Bedeutung waren. In seinem Beitrag nennt er vier Orte, die einen großen Eindruck bei Stroop hinterlassen haben: die Mühlenstraße, das Hermannsdenkmal, das Kriegerdenkmal und die lippische Landesregierung. Beim ersten Schauplatz handelt es sich um seine Wohnadresse, in der er täglich erlebte, wie sein Vater in Uniform Obdachlose, die im Nachbarhaus für die Nacht eine Unterkunft fanden, bewachte und bei den kleinsten Vergehen hart bestrafte. Hier erfuhr der junge Stroop erstmals die Macht, die eine Uniform besitzt und wozu man sie einsetzen kann. Das Hermannsdenkmal leistet einen anderen, aber deswegen nicht minder bedeutenden Beitrag zu Stroops Entwicklung, denn durch dieses Denkmal wird an die germanische Herkunft und dessen glorreichen Wurzeln erinnert, die ein Zeichen für Germanen „reinster Rasse“ sind. Dieses Denkmal kann als Vorbote für seine Begeisterung der nationalistischen Rassenideologie gesehen werden. Das Kriegerdenkmal hingegen erinnert ihn an seine Bereitschaft im Ersten Weltkrieg, für die er mit mehreren Orden

- 7 - Diplomarbeit belohnt worden ist. Der vierte und letzte Schauplatz nimmt laut Müller die größte Bedeutung ein, denn sein Büro in der lippischen Landesregierung, in dem er als Führer der lippischen Hilfspolizei fungiert hat, kann als Ausgangspunkt seiner nationalsozialistischen Karriere bezeichnet werden. Hier setzt er erstmals seine anerzogenen Eigenschaften- Strenge, Härte, Treue, Pflichtbewusstsein und Gehorsam, im Dienste des Nationalsozialismus ein. Durch das Analysieren der Schauplätze, wird ein neuer Blickwinkel auf Stroops Leben und Charakter eröffnet, wodurch die Gründe seines Wesens in Stroops Kindheit und Jugend genauer unter die Lupe genommen wurden. Müller vertritt hier die Position, dass all diese Erlebnisse und Ereignisse der Ursprung Stroops Wesen waren und untermauert diese auch mit seinen Argumenten. Aus diesem Grund kann dieser Untersuchung ein großer Stellenwert bei der Erforschung Stroops Persönlichkeit eingeräumt werden, da hier ein besonderes Augenmerk auf Stroops Herkunft gelegt wird und diese Auskunft über seinen Charakter gibt. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass jeder der genannten Autoren einen wertvollen Mehrwert zur Ermittlung Stroops Persönlichkeit beigetragen haben, auch wenn dieser nicht immer beabsichtigt war. Auffallend dabei ist außerdem, dass sich in den einzelnen Werken Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede im Hinblick auf Stroops Charakterisierung ergeben haben, wodurch zwar eine wage Vermutung darüber angestellt wird, wie Stroop gewesen sein könnte. Um dieser mehr Ausdruck verleihen zu können, empfiehlt sich ein Vergleich mit seiner Selbstdarstellung, um so das Bild zu Jürgen Stroop detaillierter darstellen zu können. Damit diese Untersuchung gewinnbringend sein kann, müssen zielgerichtete Fragen gestellt werden, um Stroop genauer charakterisieren zu können.

1.1 Forschungsfrage Die Forschungsfrage, die der vorliegenden Arbeit zu Grunde liegt, fruchtete aus der dazugehörigen Sekundärliteratur, die das Leben Jürgen Stroops und seine Tätigkeit im Warschauer Ghetto behandelt (siehe Kapitel 1 Forschungsstand). Beim Lesen dieser Literatur, die sich diesem Thema widmet, fällt auf, dass es Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede in Stroops Charakterisierungen gibt. Aus diesem Grund ist es interessant zu untersuchen, welche Ergebnisse sich bei einem Vergleich zwischen der Selbst- bzw. Fremddarstellungen Stroops ergeben. Damit darüber eine Aussage getroffen werden kann, ist es notwendig, auf eine Untersuchung, die auf Quellenarbeit basiert, zurückzugreifen. Vor der Untersuchung lassen sich bereits mehrere Fragen festhalten: Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten sind in der Selbst- und Fremddarstellung Jürgen Stroops vorzufinden und vor allem warum? Welcher Schluss lässt sich in weiterer Folge daraus ziehen? In der quellenorientierten Analyse werden die Fragen, die in dem eigens für diesen Zweck konzipierten Kriterienkatalog vorzufinden sind,

- 8 - 2. Methodik untersucht und so gut es geht beantwortet, sofern es die Quellenlage zulässt. Eine genaue Ausführung des Kriterienkatalogs für die Selbst- und Fremddarstellung Stroops, sowie die Fragen der vergleichenden Analyse sind im Kapitel 5.1 Kriterienkatalog bzw. im Anhang anzufinden. Um die Forschungsfrage und die mit ihr einhergehenden Unterkategorien zufriedenstellend und vor allem wissenschaftlich beantworten zu können, ohne dabei den Rahmen der Arbeit zu sprengen, ist es notwendig, die Quellenauswahl anzuführen und in weiterer Folge auch zu begründen. Aus diesem Grund widmet sich das folgende Kapitel 2 Methodik genau dieser Thematik.

2 Methodik In diesem Abschnitt soll darauf eingegangen werden, nach welchen Kriterien bzw. Prinzipien die verwendeten Quellen zur Untersuchung der Selbst- und Fremddarstellung Stroops herangezogen worden sind. Außerdem soll in einem nächsten Schritt die Quellenkritik erläutert werden, die bei der Vorstellung der einzelnen Quellen Anwendung findet.

2.1 Quellenauswahl

„Ultimately, we cannot depend on any single source – primary or secondary – for reliable knowledge; we have to consult multiple sources in our quest to develop historical understanding.”3

Für die Erarbeitung der Thematik Jürgen Stroop und seine Darstellungsarten werden sowohl Fachliteratur4, als auch Quellenbestände verwendet, die Aufschluss über die Entwicklung seiner Person während des Zweiten Weltkrieges und in der darauffolgenden Nachkriegszeit geben sollen. Insgesamt werden sechs Quellen zur Untersuchung herangezogen, die sich in dem oben genannten Zeitrahmen bewegen, wobei jeweils drei der Selbst- bzw. Fremddarstellung zuzuschreiben sind. Bei der zuvor durchgeführten Recherche wurde nicht nur versucht, so viel Quellenmaterial wie nur möglich zusammenzutragen, sondern es war auch das vorranginge Ziel mehr Quellen für die Fremd- als für die Selbstdarstellung zu finden. Der Grund dafür ist schnell erklärt: umso mehr Daten in der Fremdwahrnehmung vorhanden sind, umso mehr Aussagekraft besitzt die folgende vergleichende Analyse zwischen der Selbst- und Fremddarstellung. Jedoch muss in

3 Barton, Keith C. (2005): Primary Sources in History. Breaking through the Myths. In: The Phi Delta Kappan, Vol. 86, No.10, S. 746, URL: http://www.jstor.org/stable/20441899 [Abruf: 10.07.2018]. 4 wird im Folgenden als Quelle bezeichnet, da sie in der Arbeit als Grundlage zur Erforschung des Themas dient. - 9 - Diplomarbeit diesem Zusammenhang erwähnt werden, dass dieses Vorhaben und vor allem die Quellenauswahl durch mehrere äußere Faktoren eingeschränkt wurde, da der Zugang zu den meisten Quellenbeständen, wie zum Beispiel den Gerichtsverfahren und Gerichtsgutachten in Deutschland bzw. Polen, nur durch persönliche Archivbesuche möglich gewesen wäre. Da sich die entsprechenden Archive, die für die Untersuchung relevant gewesen wären, zum einen in Koblenz und Berlin und zum anderen in Warschau bzw. in Washington DC befinden, wäre ein Besuch mit erheblichem finanziellen und zeitlichen Aufwand verbunden gewesen, der den Rahmen dieser wissenschaftlichen Arbeit bei Weitem sprengen würde. Aus diesem Grund wird auf Quellen zurückgegriffen, die entweder lokal bzw. digital zugänglich sind. Dementsprechend bietet sich hier folgendes Material an, die die vorher genannten Kriterien zur nachfolgenden Analyse erfüllen:

Quellen für Selbstdarstellung Quellen für Fremddarstellung

 ES GIBT KEINEN JÜDISCHEN WOHNBEZIRK  GESPRÄCHE MIT DEM HENKER6

– IN WARSCHAU MEHR!5

 TESTIMONY OF JÜRGEN STROOP GIVEN ON  DER KONRAD BERICHT8

THE SECOND DAY OF THE TRIAL, 19 JULY 19517  Äußerungen Stroops nach dem Kriege  Beurteilungen Jürgen Stroops in seinen und die drei Nachkriegsgespräche mit SS-Führerakten10 , Rachel Auerbach und Scholam Grajek9

Die eben genannten Quellen werden im Laufe der Untersuchung bzw. im analytischen Teil der Arbeit anhand der folgenden Quellenkritik vorgestellt.

5 Stroop, Jürgen (1960): Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk – in Warschau mehr! Neuwied, Berlin-Spandau. 6 Moczarski, Kazimierz (1982): Gespräche mit dem Henker. Das Leben des SS-Gruppenführers und Generalleutnants der Polizei Jürgen Stroop aufgezeichnet im Mokotow-Gefängnis zu Warschau, Frankfurt am Main. 7 Stroop, Jürgen (1951): Testimony of Jürgen Stroop given on the second day of the trial, 19 July 1951.In: Person, Katarzyna (2013): Jürgen Stroop Speaks: The Trial of Ghetto Uprising Liquidator before the Warsaw Provincial Court. Studies and Materials, Band 3, S.369-404. 8 Konrad, Franz (1945-46): Der Konrad-Bericht. In: Jahns, Joachim (2009): Der Warschauer Ghettokönig. Leipzig. S. 112-199. 9 Äußerungen und Nachkriegsgespräche mit Jürgen Stroop. In: Wulf, Josef (1961): Das Dritte Reich und seine Vollstrecker. Die Liquidation von 500 000 Juden im Ghetto Warschau. Berlin-Grunewald, S. 180-217. 10 Führungszeugnisse von Jürgen Stroop 1916-38 und 1942. In: BArch, R 9361-III/558908, R 9361-III/558909. - 10 - 2. Methodik

2.2 Quellenkritik Da es in der Geschichte keine feste methodische Vorgehensweise gibt, also kein Gesetz11, wie Quellen zu untersuchen sind, richtet man sich in dieser Disziplin nach einem gewissen „Kranz von Regeln“12, nach welchem dann vorzugehen ist. Diese Regeln und Erfordernisse gelten im Grunde für alle Quellen und diese unterstehen der bekannten Quellenkritik13, die sich in äußere und innere Quellenkritik unterteilt. Salopp formuliert handelt es sich bei der Quellenkritik um eine Sichtung und Auswertung der Quellen. Das vorrangige Ziel ist es hier, die Quellen kritisch zu hinterfragen, sprich, herauszufinden, aus welcher Zeit sie stammen, wer sie verfasst hat, wer die Adressaten waren, welchen Inhalt bzw. Gliederung sie aufweisen. In weiterer Folge soll eine Quellenanalyse die Quelle auf ihre Authentizität bzw. ihren Wahrheitsgehalt hin untersuchen. Dabei spielen mehrere Faktoren eine bedeutende Rolle, zum Beispiel, ob das Material unabsichtlich oder mit einer bestimmten Absicht verfasst worden ist14 oder aus welcher gesellschaftlichen Schicht der Autor stammt und welche Interessen er verfolgt15. All diese Faktoren und noch viele mehr üben einen erheblichen Einfluss auf den Erkenntniswert einer Quelle aus. Aus diesem Grund wird im Folgenden die Vorgehensweise geschildert, die eigens für diese Untersuchung kreiert worden ist, die sich jedoch an dem oben genannten Kranz von Regeln orientiert. Es soll dargelegt werden, welche Kriterien die äußere und innere Quellenkritik erfüllen sollen, bzw. welche Fragen in diesem Zusammenhang geklärt werden müssen, um die jeweiligen Materialen gewinnbringend für diese Untersuchung aufzubereiten. Mit anderen Worten kann gesagt werden, dass die Prinzipien der äußeren und inneren Quellenkritik in dieser Untersuchung angewendet werden und für den Zweck der Arbeit sinngemäß adaptiert und gegebenenfalls erweitert werden. Im ersten Schritt wird mit der äußeren Quellenkritik begonnen, die Aufschluss über die Quellenbeschaffenheit geben soll. In diesem Sinne soll zu allererst die Art der Quelle bestimmt werden, sprich, ob es sich um eine Urkunde, Protokoll, Akte usw. handelt. In weiterer Folge ist es von Bedeutung, ob es sich bei der Quelle um das Original bzw. um eine Edition oder sogar um eine Übersetzung handelt. Bei Editionen bspw. muss beachtet werden, dass jede von ihnen einen markierten Weg16 besitzt, d.h. jede Edition besitzt eine bestimmte Zielsetzung und auch

11 Brandt, Ahasver v. (2007): Werkzeug des Historikers. 17. Auflage, Stuttgart, S. 50. 12 Goertz, Hans-Jürgen: Geschichte – Erfahrung und Wissenschaft. Zugänge zum historischen Erkenntnisprozeß, S.37. In: Goertz, Hans-Jürgen (Hrsg.) (2001): Geschichte. Ein Grundkurs, 2.Auflage, Reinbek bei Hamburg. 13 Brandt 2007, S.49. 14 Brandt, 2007, S.53. 15 Ebd. S.62. 16 Fellner, Fritz: Die historische Quelle. Instrument der Geschichtsforschung und Baustein des Geschichtsbewußtseins oder Baustein der Geschichtsforschung und Instrument des Geschichtsbewußtseins?, - 11 - Diplomarbeit

Zweck, die in der eigenen Analyse erörtert und berücksichtigt werden müssen. Bei Übersetzungen treten ebenfalls Probleme auf, die nicht außer Acht gelassen werden dürfen, „denn jede Übersetzung […] ist bereits Interpretation“17. Durch Übersetzungen von einer Sprache in eine andere, kann es zu Bedeutungsunterschieden kommen, die in der Analyse berücksichtigt werden müssen. Nachdem die Frage nach der Art der Quelle und ihre dazugehörigen Problemen erörtert wurden, muss die Frage nach dem Autor und dessen Adressaten/Leserschaft bzw. Auftraggeber geklärt werden. Auf den Verfasser und dessen beabsichtigten Adressaten soll in der inneren Kritik aber noch näher eingegangen werden. Im Anschluss müssen der Fundort und der derzeitige Aufbewahrungsort der Quelle angegeben werden. Danach wird der Zustand der Quelle, wenn möglich, erläutert und beschrieben. Des Weiteren muss verstanden werden, dass jedes Material, welches in vergangenen Zeiten entstanden ist, einem Umfeld, einer Periode entsprungen ist, die man kennen muss, um ihre Aussage und Intention verstehen zu können.18 Aus diesem Grund ist es wichtig, dass der Entstehungsort und die Datierung des Textes angegeben werden. Um die Quelle zeitlich einordnen zu können, ist es von Vorteil, wenn auch das verwendete Material und ihre Beschaffenheit, aus dem die Quelle besteht, beschrieben wird. Die innere Quellenkritik wird in diesem Zusammenhang etwas größer ausfallen, da hier komplexere Sachverhalte behandelt werden, die die Bedeutung der einzelnen Quellen ins Zentrum der Untersuchung rücken sollen. Die innere Quellenkritik unterteilt sich in drei Unterpunkte: „Horizont des Verfassers, Stil des Verfassers und Tendenz des Verfassers“19. Der erste Punkt, welcher im ersten Teil der inneren Beschreibung der Quelle behandelt wird, ist die Frage nach dem Autor. Hier ist entscheidend, welcher sozialen, kulturellen und politischen Gruppe er zuzuordnen ist, denn „der Berichterstatter erzählt nur das, was ihm wichtig, interessant, folgenreich oder auch wünschenswert erscheint“20. Hier gilt es also zu beachten, dass die Berichterstattung immer subjektiv von statten geht, das heißt, dass gewisse Ereignisse gar nicht erwähnt, unterdrückt oder gar verschwiegen werden können.21 In diesem Zusammenhang muss also auch die zeitliche und örtliche Nähe des Autors zum Geschehen erörtert werden.22 Außerdem muss untersucht werden, woher die Informationen des Verfassers

S.31. In: Klingenstein, Grete (2003): Umgang mit Quellen heute. Zur Problematik neuzeitlicher Quelleneditionen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Wien. 17 Arnold Klaus: Der wissenschaftliche Umgang mit Quellen. S.51. In: Goertz, Hans-Jürgen (Hrsg.) (2001): Geschichte. Ein Grundkurs, 2.Auflage, Reinbek bei Hamburg. 18 Fellner 2003, S.30. 19 Büttner, Sabine (2014): Tutorium Arbeiten mit Quellen. Quellenkritik und -interpretation. In: http://www.historicum-estudies.net/etutorials/tutorium-quellenarbeit/quellenkritik/ [Abruf: 25.01.2019]. 20 Brandt 2007, S.62. 21 Ebd. 22 Arnold 2001, S.44. - 12 - 3. Kurzbiographie von Jürgen Stroop stammen, sprich, beruhen diese auf eigenen Beobachtungen, ist er selbst involviert oder bezieht er sich auch auf andere Quellen. Da es sich in dieser Untersuchung um eine Analyse der Selbst- und Fremddarstellung Stroops handelt, ist es auch von großer Bedeutung, in welcher Beziehung der Verfasser zu Stroop steht. Im nächsten Unterpunkt soll geklärt werden, um welche Art von Quelle es sich hier handelt und welchen Aufbau bzw. Gliederung sie aufweist. Damit einhergehend soll der Inhalt des Materials überblicksmäßig zusammengefasst werden. In einem nächsten Schritt soll geklärt werden, mit welchen Mitteln der Verfasser versucht den Leser zu erreichen, welche Sprache, Stilebene bzw. welche Wortwahl er in der Beschreibung der Ereignisse verwendet. Zum Abschluss gilt es herauszufinden, welches Ziel bzw. welche Intention der Autor beim Verfassen eines Textes hatte und vor allem wen er damit erreichen wollte. Im Anschluss an die kritische Begutachtung des Quellenmaterials folgt die Interpretation bzw. die Untersuchung des Materials in Hinblick auf die Fragestellung, wie Jürgen Stroop in den Quellen dargestellt wird. Die genaue Aufschlüsselung des Fragenkatlogs ist zum einen, wie bereits erwähnt, in Kapitel 5.1 Kriterienkatalog und im Anhang als Auflistung der Fragen vorzufinden. Auch die genaue Auflistung der Punkte, die in der äußeren und inneren Quellenkritik abgehandelt werden sollen, sind im Anhang anzutreffen, um bei der folgenden Analyse die einzelnen Schritte der Quellenkritik leichter nachvollziehen zu können. Doch bevor mit der eigentlichen Analyse begonnen werden kann, ist es von großer Bedeutung Stroops Lebensweg bzw. Werdegang zu beschreiben. Aus diesem Grund widmet sich nachfolgendes Kapitel Jürgen Stroops Biographie.

3 Kurzbiographie von Jürgen Stroop Bevor mit der Biographie begonnen werden kann, sollen eingangs die zeitlichen Abgrenzungen zwischen den einzelnen Lebensphasen von Jürgen Stroop geklärt werden, die im Folgenden chronologisch getroffen wurden. Die erste Phase, in der die Kindheit beschrieben werden soll, erstreckt sich von seiner Geburt (1895) bis zur Beendigung der Volksschule (1909). Darauf folgt seine Zeit als Jugendlicher, in der er sich 1909 um die Aufnahme in den Katasterdienst des lippischen Staates bewirbt. Der Abschnitt Jugend endet 1932, als er sich erstmals der NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) und dessen Ideologie verschreibt. Mit diesem Schritt wird der Weg für seine politische Karriere im Nationalsozialismus geebnet, die bis 1945 anhielt. Der letzte Abschnitt erstreckt sich dann von der Verhaftung durch amerikanische Soldaten in Dachau bis hin zur Hinrichtung Stroops 1952 in Warschau.

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3.1 Kindheit Jürgen Stroop wurde am 26. September 1895 als Josef Stroop in Detmold, Nordrhein-Westfalen geboren. Seine Eltern sind Conrad (1864-1920) und Käte Stroop geb. Walter (1871-1957).23 Er wächst in bescheidenen Verhältnissen auf, in der sein Vater einen Beruf als Kutscher in den Diensten des Fürsten ausübt24 und seine Mutter streng katholisch ist. Die katholische Herkunft seiner Mutter und auch der acht Jahre lange Besuch der katholischen Grundschule25, stellen eine Besonderheit in Detmold dar, da diese Stadt protestantisch geprägt war.26 Erst drei Jahre später wird Conrad Polizeibeamter in der Stadt Detmold und zieht in das Haus Mühlenstraße 7, das der Stadt gehört.27 Ab diesem Zeitpunkt lebt die Familie Stroop mietfrei in einem Haus, welches aus Obdachlosenunterkünften und Mietwohnungen bestand. Die Ursache für die kostenlose Unterkunft liegt darin, dass sein Vater Conrad für diese Häuser als Schutzmann fungierte, indem er immer ein „wachsames Auge“ auf die „Landstreicher und Tippelbrüder“ werfen musste, die in dem Haus Mühlenstraße 9 – also direkt vor deren Haus, in der „Herberge zur Heimat“ abends eine Unterkunft fanden.28 Diese Arbeit war nicht sonderlich prestigeträchtig, aber immerhin führte Conrad seine Arbeit in Uniform aus, bei der er die „Landstreicher“ bei auftretenden Schwierigkeiten maßregeln und bestrafen durfte. Hier erfuhr Stroop erstmals, welche Macht eine Uniform auf ‚unterprivilegierte‘ Menschen ausüben kann.29 Währenddessen sich Josefs Vater um den ‚minderwertigen Teil‘ der Bevölkerung kümmerte, dominierten aktive Offiziere in Uniform und sonntägliche Militärkonzerte sowie Paraden das öffentliche Leben. Diese Paraden und Konzerte verfolgt der junge Stroop mit großer Aufmerksamkeit und sie bleiben ihm für sein restliches Leben im Gedächtnis.30 All diese Umstände, Erlebnisse und Ereignisse, die sich in Stroops Kindheit ereignet haben, üben großen Einfluss auf sein späteres Leben aus. Besonders prägend waren hier die Präsenz des Militärs, der Offiziere sowie Paraden aber auch der streng katholischen Erziehung durch seine Mutter. Vom Vater hingegen erhält er eine soldatische Erziehung, die ihm lehrt, dass Strenge, Gehorsam und Treue Eigenschaften sind, durch die man im Leben vorankommen kann.

23 Müller, Wolfgang: Jürgen (Joseph) Stroop, der Mann aus Detmold. S.81. In: Niebuhr, Hermann (1998): Nationalsozialismus in Detmold. Dokumentation eines stadtgeschichtlichen Projekts, Bielefeld. 24 Ebd. 25 Ebd. S.83. 26 Ebd. S.96. 27 Ebd. S.81 28 Ebd. S.81f. 29 Ebd. S.82. 30 Ebd. S.83. - 14 - 3. Kurzbiographie von Jürgen Stroop

3.2 Jugend Noch während der Schulzeit bewirbt sich der junge Stroop, der mit seinen 1,82 Metern eine stattliche Erscheinung und ein attraktives Aussehen besaß, dass er von seiner Mutter geerbt 31 32 hatte, um eine Aufnahme in das Katasteramt des lippischen Staates. Dabei handelt es sich um eine amtliche Stelle, die die Register über alle Grundstücke eines bestimmten Bezirks führt.33 Am 1. April 1910 wurde er dann schließlich auch aufgenommen.34 Die lippische Katasterverwaltung war, wie es Müller ausdrückte „eine der trockensten lippischen Behörden“, vor allem deswegen, weil der lippische Staat sehr begrenzte finanzielle Mittel besaß.35 Dadurch waren auch die Aufstiegschancen in dieser Arbeit sehr begrenzt. Selbst dann, wenn es zu einer Beförderung kommen sollte, wurde der Anwärter einer peniblen Prüfung unterzogen, bei der Verstöße gegen die Dienstvorschriften untersucht und natürlich auch bestraft wurden.36 Im Jahre 1920 kam es dazu, dass auch Stroop einen Verweis aufgrund schlechten Verhaltens erhielt. Stroop soll wiederholt mit jungen Mädchen in der Telefonzentrale während der Dienstzeit geflirtet haben und sie auch geküsst und umarmt haben. Bei nochmaligem Verstoß gegen die Vorschriften wurde ihm eine Entlassung aus dem Dienst angedroht, die anscheinend großen Eindruck bei Stroop hinterlassen hat, da kein weiterer Vorfall in seiner Akte vermerkt wurde.37 Hier zeichnet sich eine Disziplinierung Stroops durch Strafandrohung ab, die ebenso dazu geführt haben kann, dass er sich in weiterer Folge die Charaktereigenschaften des Gehorsams und der Strenge einverleibt hat. Jedoch halfen ihm diese Eigenschaften in der Katasterverwaltung nur geringfügig weiter, denn er schaffte es nur bis zum Vermessungsobersekretär (1933).38 Da der Beruf im Katasteramt wenig vielversprechend war, meldete er sich als Kriegsfreiwilliger für den Ersten Weltkrieg, in der Hoffnung, dort mehr erreichen zu können:

Dem Vermessungsobersekretär Stroop, geb. a, 26.9.1895, wohnhaft in Detmold. Am Eicheneck 3 – ehemaliger Vizefeldwebel im Res. Inf. Regt. 256 – wird hierdurch bescheinigt, daß er am 18.8.1914 als Kriegsfreiwilliger beim 2. Rekr. Depot, II. Ers. Batl. I. R. 55 eingetreten ist. [...]

31 Jahns, Joachim (2009): Der Warschauer Ghettokönig. Leipzig, S. 20. 32 Ebd. 33 Eintrag zu Katasteramt im Onlinewörterbuch. In: https://www.duden.de/rechtschreibung/Katasteramt [Abruf: 29.01.2019]. 34 Müller 1998, S.83. 35 Ebd. S.85. 36 Ebd. 37 Ebd. S.85f. 38 Ebd. S.86. - 15 - Diplomarbeit

Vom R. I. R. 256 wurde Stroop am 21.12.18 infolge Demobilmachung aus dem Heeresdienst entlassen.39 Sein Engagement machte sich bezahlt, denn er wurde im März des Folgejahres zum Gefreiten und später dann zum Unteroffizier sowie im Juli 1918 zum Vizefeldwebel befördert.40 Er erhielt das Eiserne Kreuz II. Klasse und außerdem wurde er, sowie viele andere Kriegsfreiwillige von Leopold den IV. mit verschiedenen lippischen Militärorden ausgezeichnet. 41 Somit schaffte er es zu der Zeit als es lediglich zum Gefreiten schaffte, eine höhere Position als sein späterer Führer innezuhaben.42 Nach dem Krieg arbeitete er wieder in der vergleichsweise eintönigen Landesregierung weiter. Später, 1923, heiratete er in die Schicht der Regierungs- und Justizbeamten ein,43 indem er Käthe Barckhausen, die Tochter des Leiters des Detmolder Lyzeums zu seiner Frau machte.44 Käthe schenkte ihm drei Kinder, eine Tochter und zwei Söhne. Der erste Sohn Jürgen verstarb aber kurz nach der Geburt, der in Stroops weiteren Leben noch eine wichtige Rolle spielen wird.4546

3.3 Politische Karriere Den SS-Personalakten ist zu entnehmen, dass Stroop am 1. Juli 1932 in die NSDAP eingetreten ist und ab 1. August 1932 auch SS-Anwärter wird – wenige Tage nach der Bildung der Detmolder SS. Sein Interesse und auch seine Sympathien zur SS bzw. SA () wurden womöglich durch die Uniformen, die Reiterstiefeln und durch den Elitegedanken geweckt sowie durch die Nähe zur Aristokratie und vor allem zum Militär.47 Sehr schnell machte sich der Eintritt in die NSDAP und SS bewährt, denn bereits am 4. März 1933, am Tag der Einrichtung der Hilfspolizei in Lippe, wurde er zu dessen Führer ernannt, wofür er von seinem Dienst im Katasteramt beurlaubt wurde. Durch seine neue Position erhielt er sogar ein eigenes Büro, welches sich im lippischen Regierungsgebäude befand.48 Der damalige Regierungsinspektor Hermann Brandt beschreibt Stroops Zeit als Führer der Hilfspolizei mit folgenden Worten:

39 Wulf, Josef (1961): Das Dritte Reich und seine Vollstrecker. Die Liquidation von 500000 Juden im Ghetto Warschau. Berlin-Grunewald, S.19. 40 Ebd. 41 Müller 1998, S.84. 42 Wulf 1961, S.19. 43 Müller 1998, S.83. 44 Ebd. S.96. 45 Ruth, Bettina Birn (1986): Die Höheren SS- und Polizeiführer. Himmlers Vertreter im Reich und in den besetzten Gebieten, Düsseldorf, S.347. 46 Wulf 1961, S.20. 47 Müller 1998, S.85. 48 Ebd. S.87. - 16 - 3. Kurzbiographie von Jürgen Stroop

Stroop bezog ein Zimmer […], in dem er bis zuletzt amtierte. Letzter Ausdruck ist zu milde; man kann wohl sagen despotisch herrschte. Sein Wirken versetzte das Leben im Regierungsgebäude und auch nach außen in der Bevölkerung in Angst und Schrecken. Uns in dem Nebenzimmer besonders.49 Durch diese Worte wird ersichtlich, mit welchem Engagement, Eifer aber auch Strenge und Härte Stroop seine neue Arbeit ausführte. Er versetzte nicht nur die Verhafteten in Angst und Schrecken, sondern lehrte auch seiner unmittelbaren Umgebung Furcht und übte Einschüchterung aus. Hier können außerdem Parallelen zu seinem Vater Conrad gezogen werden, der ebenfalls seine Stellung als Polizeibeamter dazu benutzte, um sich über Unterprivilegierte zu erheben. Mit anderen Worten kann auch gesagt werden, dass der junge Stroop seinem Vater nacheifern wollte, da dessen Arbeit in seiner Kindheit womöglich großen Eindruck bei ihm hinterlassen hatte. Seine weitere Laufbahn zeigt aber, dass er sich damit noch nicht zufrieden stellen lässt, sondern bestrebt ist immer weiter aufzusteigen. Sein Eifer wird auch belohnt, denn persönlich äußerte den Wunsch, den SS-Truppenführer Stroop die Zwischendienstgrade überspringen zu lassen, um ihn sofort zum SS- Sturmhauptführer zu befördern. So wurde er mit März 1934 zum SS-Sturmhauptführer und bereits im April 1935 zum SS-Sturmbannführer und ein Jahr darauf SS-Obersturmbannführer. Im Juli 1937 wurde er zum SS-Standartenführer und bereits im November 1938 zum Führer des SS-Abschnitts XXXVIII.50 Obwohl er bereits in den vorangegangenen Jahren in der SS- Rangliste sehr schnell emporstieg, beginnt seine eigentliche Blitzkarriere erst kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges am 10. September 1939, in dem er zum SS-Oberführer befördert worden ist.51 Das Jahr 1941 war ebenfalls sehr ereignisreich für Stroop, denn hier wurde er nicht nur von der allgemeinen SS zur Waffen-SS übernommen,52 sondern auch zum SS- Obersturmführer der Reserve in der Waffen-SS befördert und zur SS-Totenkopf-Division abkommandiert.53 Hinzu kommt auch, dass seiner gewünschten Namensänderung von Josef zu Jürgen vom Jänner 1938 stattgegeben wurde.54 Diese beantragte er aufgrund weltanschaulicher Einstellungen, obwohl im selben Schreiben auch angeführt wird, dass er den Namen seines verstorbenen Sohnes Jürgen annehmen will, um ihm zu gedenken.55 Kurz darauf, im Oktober desselben Jahres wird

49 Müller 1998, S.87. 50 Wulf 1961, S.21f. 51 Ebd. S.25. 52 Müller 1998, S. 93. 53 Wulf 1961, S.26. 54 Ebd. 55 Ebd. S.19. - 17 - Diplomarbeit er als SS- und Polizeiführer eingesetzt.56 Anfang des Jahres 1942 erhielt der SS-Oberführer Jürgen Stroop eine Beförderung zum Oberst der Polizei, die wiederum von Himmler persönlich veranlasst wurde. Hinzu kommt, dass er noch im selben Jahr von Hitler zum SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei befördert wurde.57 Laut Jahns kann Stroop als Himmlers „Lieblingsbarbar“ bezeichnet werden, den er aufgrund seines Gehorsams und seiner Treue für all seine geplanten Aktivitäten einsetzen kann und ihn dadurch zu seinem persönlichen Massenmörder machte.58 Den Höhepunkt seiner Karriere erreicht er aber im April 1943, als er von Himmler den Befehl bekommt, den Aufstand im Warschauer Ghetto als SS- und Brigadeführer und Generalmajor der Polizei niederzuschlagen.59 Der Historiker Josef Kermisz bezeichnete Stroop später als „just the right man for the job“, der durch seine frühere Aktivitäten in Polen und seinem Talent für das Ausführen von Befehlen, den Auftrag erhielt „the most powerful stronghold of jewish throughout the occupied countries“ auszurotten und zu vernichten.60 Er bekommt also den Auftrag das Warschauer Ghetto dem Erdboden gleichzumachen, nachdem sich die jüdischen Bewohner geweigert haben, freiwillig das Ghetto zu verlassen, um in andere Lager deportiert zu werden. Der bewaffnete Widerstand dauerte vom 18. April bis 16. Mai 1943 an. Am letzten Tag des Aufstandes ließ Stroop als symbolischen Abschluss seines Auftrages die Große Synagoge des Warschauer Ghettos sprengen.61 In der Zeit, in der er den Aufstand blutig und brutal niedergeschlagen hat, verfasst Stroop den berühmt gewordenen Bericht ES

GIBT KEINEN JÜDISCHEN WOHNBEZIRK IN WARSCHAU MEHR!, der später im Nürnberger Prozess als Beweismittel für NS-Verbrechen herangezogen wurde. Hervorzuheben ist jedenfalls, dass Stroop für seine grausame Arbeit bzw. „Mord-Expedition“, wie sie von Generaloberst Jodl nach dem Krieg bezeichnet wurde, das Eiserne Kreuz I. Klasse verliehen wurde.62 Dafür erhielt Stroop Glückwünsche aus dem ganzen Reich und genoss den Ruhm und die Ehre, die ihm zuteilwurde. Dieser Höhenflug wurde allerdings kurz darauf durch eine Aktennotiz von Maximilian von Herff gedämpft, in der er Stroop wie folgt charakterisiert:

Gute soldatische Erscheinung. Typ des etwas reservierten Offiziers. Von sich eingenommen. Politisch weniger beschwert. Als SS- und Polizeiführer in seinem Gebiet, wo der Schwerpunkt

56 Wulf 1961, S.26. 57 Ebd. S.31. 58 Jahns 2009, S.22. 59 Müller 1998, S.93. 60 Finder Gabriel N., Prusin Alexander V. (2018): Justice behind the Iron Curtain. Nazis on Trial in Communist , North York, S.149. 61 Ruppert, Andreas: Das Warschauer Ghetto und Detmold. In: Rosenland. Zeitschrift für lippische Geschichte, Vol. 4/2006, S.11f. 62 Wulf 1961, S.33. - 18 - 3. Kurzbiographie von Jürgen Stroop

auf den politischen Aufgaben liegt, nicht ganz am Platze. Er ist reiner Soldat, der den Befehlen gemäß handelt. Als politischer Führer fehlt ihm etwas Weite und Einfühlungsvermögen. Stroop scheint mehr als er ist. Aber guter Mann!63 Durch diese Charakterisierung kommt erstmals zum Vorschein, dass Stroop doch nicht der ist, der er vorgibt zu sein. Nichtsdestotrotz wird er weiterhin von Himmler befördert und gefördert. Im September 1943 wird Stroop nach Griechenland als Höherer SS- und Polizeiführer (HSSPF) versetzt. Dort hält er sich allerdings nur für kurze Zeit auf, denn bereits im November wird er zum HSSPF sowie zum Führer des SS-Oberabschnitts Rhein-Westmark ernannt. Noch im selben Monat wird er sogar von Hitler zum SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei befördert. Die nächste Beförderung ließ wieder nicht allzu lange auf sich warten, denn knapp ein Jahr später, im Juli 1944, wird er wiederholt vom Führer persönlich zum Generalleutnant der Waffen-SS und der Polizei ernannt, welcher er auch bis zum Ende des Krieges bleibt.64 Erwähnenswert ist auch, dass Stroop im letzten Jahr des Krieges behilflich war die Spezialeinheit Werwolf zu organisieren65, bei der es sich um eine Widerstandsbewegung gegen die Besatzer deutscher Grenzgebiete handelt. Die Aufgabe der Organisation war es, hinter den feindlichen Gebieten zu operieren, um zu verhindern, dass die Bevölkerung mit den alliierten Besatzungsmächten zusammenarbeitet.66 Den Höhepunkt seiner persönlichen Karriere hat er demzufolge dann erreicht, als die Macht Deutschlands auf ihrem Tiefpunkt angelangt war.67 Rückblickend betrachtet sind all die Beförderungen, die Stroop innerhalb kürzester Zeit durchlief und ihn zu einer Persönlichkeit in der nationalsozialistischen Zeit formten, bezeichnend für die Möglichkeiten, die kleine Leute in diesem Regime hatten, wenn sie nur Treue und Gehorsam gegenüber der Ideologie zeigten.68 In einem normalen Rechtsstaat wäre der Kleinbürger Stroop, wie Wulf treffend beschreibt, mit großer Wahrscheinlichkeit ein „subalterner Vermessungsbeamter“ geblieben, der ein mehr oder minder ruhiges und eintöniges Leben geführt hätte.69 In der nationalsozialistischen Ära hingegen hatte er ein bewegtes Leben, welches auf die oben erwähnten Beförderungen zurückzuführen ist. Er stand, so wie es Müller bezeichnete „im Zenit seiner nur im nationalsozialistischem Deutschland möglichen Laufbahn“.70

63 Wulf 1961, S.34. 64 Ebd. S.35ff. 65 Person, Katarzyna: Jürgen Stroop Speaks: The Trial of Uprising Liquidator before the Warsaw Provincial Court. In: Holocaust Studies and Materials, Vol.3/2013, S.359. 66 Hennicke, Steffen (2015): Der Werwolf. In: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite- weltkrieg/kriegsverlauf/der-werwolf.html [Abruf: 06.02.2019]. 67 Ruppert 2006, S.16. 68 Wulf 1961, S.33. 69 Ebd.41. 70 Müller 1998, S.93 - 19 - Diplomarbeit

Damit seine Blitzkarriere etwas übersichtlicher wird, soll im Folgenden Stroops Ämterlaufbahn nochmals tabellarisch dargestellt werden und so gut es geht mit den heutigen Rängen im Militär verglichen werden, um zu verdeutlichen, wie etappenreich, rasant und steil seine Karriere verlief.

3.3.1 Exkurs: Ämterlaufbahn in der NS-Zeit Datum71 Dienstgrad Truppenteil heutiger Dienstgrad72 01.07.1932 Eintritt in die NSDAP 01.08.1932 Wehrpflichtiger; SS-Anwärter Berufssoldat 22.10.1932 SS-Mann Soldat 22.10.1932 SS-Scharführer Unterfeldwebel 15.02.1933 SS-Truppenführer - 08.03.1934 Hauptfeldwebel/Haupt SS-Hauptsturmführer II/72 mann 20.04.1935 SS-Sturmbannführer SS-Abschnitt XVII Major 20.04.1936 SS- 28. SS-Standarte Oberstleutnant Obersturmbannführer 12.09.1937 SS-Standartenführer 28. SS-Standarte Oberst 14.11.1938 SS-Standartenführer SS-Abschnitt XXXXII 10.09.1939 SS-Oberführer SS-Abschnitt XXXXII - 07.07.1941 SS-Obersturmführer SS-Totenkopf Division Oberleutnant 15.09.1941 Ersatz Battalion „L SS SS-Obersturmführer A H” 20.10.1941 zwecks Durchführung eines Sonderauftrages des Reichsführer-SS aus der Waffen-SS entlassen 01.01.1942 Oberst der Polizei 16.09.1942 SS-Brigadeführer und Generalmajor Generalmajor der Polizei 01.10.1942 SS-Brigadeführer Reichsführer SS

71 Müller 1998, S.92 72 Eintrag zu SS-Dienstgrade. In: http://www.mythoselser.de/texts/dienstgrade.htm [Abruf: 05.02.2019]. - 20 - 3. Kurzbiographie von Jürgen Stroop

02.1942 SS- und Polizeiführer SS-Brigadeführer Galizien (Lemberg) 29.06.1943 SS-Brigadeführer und SS- und Polizeiführer Generalmajor der Polizei in Warschau 13.09.1943 Höherer SS- und SS-Brigadeführer und Polizeiführer in Generalmajor der Polizei Griechenland 09.11.1943 SS-Brigadeführer und SS-Oberabschnitt Generalmajor der Polizei Rhein-Westmark 09.11.1943 SS-Gruppenführer und SS-Oberabschnitt Generalleutnant Generalleutnant der Rhein-Westmark Polizei 01.07.1944 zum General der Waffen-SS und Polizei ernannt

Abb. 1: Die SS-Laufbahn Stroops und heutige Dienstgrade im Militär/Polizeiwesen 3.4 Verhaftung, Verurteilung und Hinrichtung Jürgen Stroop wurde am 8. Mai 1945 von amerikanischen Soldaten im bayrischen Rottau verhaftet und ins Gefängnis gebracht.73 Er stand danach bei dem Fliegerprozess „US vs. Jürgen Stroop et al.“ vom 10. Jänner bis 21. März 1947 in Dachau vor Gericht, bei dem er wegen seiner Beteiligung an der Ermordung alliierter Flieger zur Verantwortung herangezogen wurde.74 Am 22. März 1947 wurde er vom amerikanischen Militärgericht zum Tode verurteilt.75 Aufgrund der Moskauer Deklaration, die besagt, dass Kriegsverbrecher in jenen Ländern verurteilt werden müssen, in denen sie die Verbrechen begangen haben, wurde Stroop bereits Ende Mai 1947 nach Polen ausgeliefert und in das Mokotow Gefängnis gebracht, in dem er später die berühmt gewordenen Gespräche mit Kazimierz Moczarski führt. In Warschau musste er sich dann für seine Tätigkeit und seine begangen Gräueltaten im Warschauer Ghetto verantworten. Kurz nach seiner Ankunft im Warschauer Gefängnis begann er mit der Vorbereitung seiner Verteidigung, denn laut der jüdischen Organisation, war Stroops Prozess eine generelle Abrechnung aller begangenen Verbrechen im Warschauer Ghetto. Aus diesem Grund wurde im Mai 1948 auch der Beschluss gefasst, den Prozess von Stroop mit dem Fall gegen Franz Konrad, der für die Beschlagnahmung – Werterfassung – von jüdischem Vermögen in

73 Jahns 2009, S.23. 74 Eintrag zu Jürgen Stroop. In: https://www.gedenkorte-europa.eu/de_de/article-stroop-jurgen-1895-1952.html [Abruf: 06.02.2019]. 75 Curilla, Wolfgang (2011): Der Judenmord in Polen und die deutsche . Paderborn, S.859. - 21 - Diplomarbeit

Warschau verantwortlich war, miteinander zu kombinieren.76 Außerdem muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden, dass die Auslieferung Stroops nach Polen auf die Zeugenaussage Konrads von Jänner 1946, in der Stroop belastet wurde, zurückzuführen ist.77 Im gemeinsamen Prozess von Stroop und Konrad war es das vorrangige Ziel zwei unterschiedliche Konzepte für „die Lösung des jüdischen Problems“ aufzudecken, die von den Nationalsozialisten im besetzten Polen verfolgt wurden: nämlich zum einen das Konzept der physischen Vernichtung und zum anderen die Ausbeutung als kostenlose Arbeitskräfte. Ersteres wurde von Jürgen Stroop angewandt und Franz Konrad, der ein Mitglied der OSTI78 war, war verantwortlich für die Verwaltung der jüdischen Arbeitskräfte.79 Trotz des großen Interesses am Prozess gegen Stroop und Konrad dauerten die Untersuchungen länger als erwartet, wodurch es zu Verzögerungen kam. Infolgedessen kam die Anklageschrift erst am 5. Juli 1951 zustande, beinahe vier Jahre nach Stroops Ankunft im Warschauer Gefängnis. Hauptanklagepunkt war seine Mitgliedschaft in der kriminellen Organisation SS. Im Folgenden wird die Anklage auszugsweise wiedergegeben:

1. From 19 April until 16 May, in Warsaw, while supervising the deportation of the rest of the confined within the Warsaw ghetto – approximately 100 000 people – to extermination camps in the Lublin District, and the liquidation of the ghetto, he gave orders that led to the killings of at least 56 065 people, to the deaths of tens of thousands […]. 2. as the Higher SS and Police Leader in the Warsaw, on 16 July 1943, he ordered the execution of 100 Poles […]. 3. as commander of the Selbstschutz in Poznan […] and commander of the SS unit in Gniezno […] he participated in mass murders and persecution of the Polish civilian population within the territory of the so called Warthegau.80 Der Prozess von Jürgen Stroop und Franz Konrad begann am 18. Juli 1951, bei dem der Hauptfokus auf den Aufstand im Warschauer Ghetto gelegt wurde. Stroops Aktivitäten bzw. Gräueltaten im Ghetto wurden durch Konrad bezeugt, der während des Aufstandes als Fotograf an seiner Seite fungierte. Diese Fotografien sind später im Bericht von Stroop im sogenannten „Bildbericht“ wiederzufinden.81 Außerdem präsentierte die Staatsanwaltschaft ein Dutzend Zeugen, die allesamt gegen Stroop aussagten. Eine besondere Rolle unter den Aussagenden

76 Person 2013, S.359ff. 77 Ebd. S.362. 78 Ostindustrie GmbH (OSTI) – ein Unternehmen, das von Odilo Globocnik in März 1943 im Distrikt Lublin gegründet wurde. Die Hauptaufgabe bestand darin, das während der Operation Reinhardt gestohlene jüdische Eigentum zu nutzen und ein Netzwerk von Arbeitslagern und Unternehmen zu schaffen, die von jüdischer Zwangsarbeit profitieren. Siehe: Person 2013, S.362. 79 Person 2013, S.361f. 80 Ebd. S.363f. 81 Ebd. S.364ff. - 22 - 3. Kurzbiographie von Jürgen Stroop nimmt vor allem Marek Edelman ein, der ein ehemaliger jüdischer Ghetto-Kämpfer war. Seine Ausführung bestand aus einer dramatischen Schilderung mutwilliger Gewalt und Unmenschlichkeit, die gegen die jüdische Bevölkerung an den Tag gelegt wurde. Durch seine Aussage legte er die Schuld für die brutale Zerstörung des Ghettos auf die „Schultern Stroops“.82 Der Anklage entgegen beharrt Stroop darauf, dass er keinesfalls selbstständig Befehle gegeben hat, sondern lediglich Befehle ausgeführt habe und niemals mit seinen eigenen Händen jemanden getötet habe. Nichtsdestotrotz wurde Stroop am 23. Juli 1951 schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt.83 Im Dezember 1951 verfasste er ein Gnadengesuch, um der Todesstrafe zu entgehen, in der keine Reue oder Schuldbewusstsein zu verspüren ist:

Von Haus aus bin ich soldatisch erzogen worden. Als Soldat habe ich alle mir erteilten Befehle in dem Glauben durchgeführt, dass es für mein Vaterland notwendig war. Ich kannte nur bedingungslosen Gehorsam und ich musste annehmen, dass es die Pflicht meiner Vorgesetzten war, die Notwendigkeit und Rechtmäßigkeit der gegebenen Befehle, […] vorher zu prüfen. Ich war kein Politiker und mit bevölkerungspolitischen Dingen habe ich mich nicht befasst. […] Mein ganzes Leben galt dem Dienste meines Vaterlandes und dem Wohle meiner Frau und meiner Kinder! Niemals in meinem Leben habe ich etwas getan oder unternommen in dem Bewußtsein, dass ich dafür bestraft werden könnte.84 Dieser Gnadengesuch wurde jedoch abgelehnt. Das Todesurteil wurde am 6 März 1952 im Mokotow Gefängnis vollzogen.85 Bereits in dieser kurzen Ausführung zu Jürgen Stroops Biographie werden diverse Aspekte und Ereignisse ersichtlich, die ihn geprägt haben könnten. Dazu zählen zum einen die Präsenz des Militärs sowie die Vorbildfunktion seines Vaters als Schutzmann und Polizeibeamter Detmolds, aber auch die strenge katholische Erziehung seiner Mutter. Ebenfalls kommt hervor, dass Stroop stets nach Höherem strebte, wodurch er es aufgrund seines anerzogenen Gehorsams in kürzester Zeit zum HSSPF schaffte. Durch seine Tätigkeit im Warschauer Ghetto 1943 erreichte er den Höhepunkt seiner Karriere, die bis 1945 andauerte. Mit Ende des Zweiten Weltkrieges, seiner Verhaftung (1945) und anschließenden Verurteilung und Hinrichtung (1952) endete seine militärische Laufbahn. Nachdem nun die Person Jürgen Stroop näher beschrieben worden ist, soll das nachfolgende Kapitel den benötigten geschichtlichen Hintergrund über die Ereignisse und die Zerschlagung des Warschauer Ghettos bieten. Schließlich nehmen die Geschehnisse im Warschauer Ghetto

82 Finder, Prusin 2018, S.163f. 83 Ebd. S.364. 84 Müller 1998, S.80f. 85 Person 2013, S.367. - 23 - Diplomarbeit eine Schlüsselfunktion bei Stroops Anklagepunkten ein und spielen eine zentrale Rolle für die bevorstehende Untersuchung der einzelnen Quellen, da sie sich vorwiegend auf diesen Zeitraum stützen.

4 Geschichtlicher Hintergrund Das Ziel des nachfolgenden Kapitels soll es sein, den geschichtlichen Hintergrund, der dieser Arbeit zugrunde liegt, und vor allem für Stroops persönliche Entwicklung aber auch für sein Bekanntwerden verantwortlich ist, näher zu erläutern. Dazu werden im Folgenden die Geschehnisse im Warschauer Ghetto, dessen Gründung, die dortigen Lebensumstände, die Aufstände und dessen Zerschlagung erörtert.

4.1 Das Warschauer Ghetto Die Stadt Warschau zählte bis 1939 zur Metropole des jüdischen Lebens, in der die größte jüdische Gemeinde Europas lebte. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht im September 1939 und der darauffolgenden Besatzung Polens,86 erhielt jedoch die jüdische Bevölkerung vom deutschen Gouverneur Warschaus, , den Auftrag, dass sie ein Ghetto zu bilden habe.87 Den endgültigen Befehl zur Ghettobildung im Stadtzentrum nahmen sie im Oktober 1940 entgegen, der binnen kürzester Zeit umgesetzt werden musste. In dieser knappen Zeitspanne musste die jüdische Bevölkerung, die außerhalb des neu festgelegten „Wohnbezirks“88 lebte, dorthin umziehen und die im Bezirk lebenden Polen mussten sich im ‚arischen‘ Teil Warschaus ein neues Zuhause suchen.89 Das Ghetto wurde von hohen Mauern umgeben, die die jüdischen Bewohner vom ‚arischen‘ Teil abtrennen sollte. Für den Bau und die Kosten der Abrieglung mussten die Juden selbst aufkommen. Damit niemand vom Ghetto fliehen konnte, wurden auf beiden Seiten der Mauer Wachen positioniert: auf der ‚arischen‘ Seite wachte die deutsche und polnische Polizei, auf der jüdischen Seite wurde der Ordnungsdienst, eine jüdische Polizeieinheit, für die Aufsicht eingesetzt. Nach der Abriegelung befanden sich nun ca. 400 000 Menschen im Ghetto, die sich auf einer Gesamtfläche von drei Quadratkilometern drängten.90

86 Löw, Andrea (2013): Geheimsache Ghettofilm. Das Warschauer Ghetto. In: http://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/geheimsache-ghettofilm/141785/das-warschauer-ghetto?p=all [Abruf: 04.03.2019]. 87 Heydecker, Joe J. (1983): Das Warschauer Getto. Foto-Dokumente eines deutschen Soldaten aus dem Jahr 1941, München, S.9. 88 Die Nationalsozialisten bezeichneten das Ghetto gerne als „Wohnbezirk“. Siehe: Heydecker 1983. 89 Löw 2013. 90 Ebd. - 24 - 4. Geschichtlicher Hintergrund

Für die Organisation des jüdischen Lebens im Wohnbezirk war der 24-köpfige Judenrat91 zuständig, der wiederum den Befehlen der Deutschen unterstand. Die Hauptaufgabe des aus deutscher Sicht bestand darin, die Arbeit im Ghetto zu organisieren und die Arbeiter zu stellen. Neben dieser Tätigkeit war es dem aber ein großes Anliegen, sich um die eingeschlossene jüdische Bevölkerung zu kümmern und ihnen bessere Lebensbedingungen zu ermöglichen.92 Dieses Vorhaben war jedoch von Anfang an zum Scheitern verurteilt, denn infolge der Ghettobildung und den laufenden Neuzugängen aus anderen Gebieten, kam es zu einer regelrechten Überfüllung und in weiterer Folge zu Platz- und Nahrungsmangel. Durch fehlende bzw. mangelhafte Sanitäranlagen und Verpflegungsmöglichkeiten im Ghetto kam es innerhalb des ersten Jahres zu einer hohen Sterblichkeit, die aber nicht nur durch Krankheiten, sondern vor allem durch Verhungern und durch Kälte in den Wintermonaten verursacht wurde.93 Der Gouverneur Fischer äußerte sich über die Zustände im Ghetto mit folgenden Worten: „Die Juden werden vor Hunger und Elend eingehen, und von der jüdischen Frage wird nur noch ein Friedhof übrigbleiben.“94 Im Ghetto aber auch außerhalb des abgesperrten Bereichs befanden sich eine Vielzahl an verschiedenen Betrieben, welche für die deutsche Wehrmacht von großer Bedeutung waren. Dazu zählen vor allem die Rüstungsfirma Schultz & Co. GmbH sowie die Firma W.C. Töbens, die wichtige Güter, wie Winterpelze, Schuhe und viele andere kriegsnotwendige Gegenstände produzierten. Viele Ghettobewohner wurden von den SS-Männern dazu gezwungen in diesen deutschen Fabriken zu arbeiten. Obwohl ein großer Teil der jüdischen Bewohner zu Zwangsarbeit verurteilt war, waren die Lebensbedingungen derer, die in den ansässigen Firmen eine Arbeit und Unterkunft bekamen, bei weitem besser, als für die restlichen Ghettoinsassen. Der Hauptgrund dafür bestand darin, dass sie in diesen Betrieben vorwiegend von willkürlichen Übergriffen der Gestapo und der SS geschützt waren. Dies sprach sich im Ghetto natürlich schnell herum, wodurch viele Juden versuchten in den besagten Fabriken einen Arbeitsplatz zu erhalten. Infolgedessen stieg die Zahl der beschäftigten Juden kontinuierlich an, wodurch viele von ihnen vor den Deutschen geschützt wurden.95 Die jüdischen Arbeiter wurden innerhalb kürzester Zeit zu einem wichtigen und unentbehrlichen Bestandteil für jegliche Betriebe

91 Vorsitzender war Adam Cerniakow, der sich am 23. Juli 1942, einen Tag nach Beginn der großen Deportation, das Leben nahm, da er es nicht ertragen konnte, bei der Ermordung seines eigenen Volkes behilflich sein zu müssen. Siehe: Löw 2013. 92 Löw 2013. 93 Heydecker 1983, S.10f. 94 Ebd. 95 Grabitz Helge, Scheffler Wolfgang (1988): Letzte Spuren. Ghetto Warschau, SS-Arbeitslager Trawniki, Aktion Erntefest, Fotos und Dokumente über Opfer des Endlösungswahns im Spiegel der historischen Ereignisse, Berlin, S.23f. - 25 - Diplomarbeit innerhalb und außerhalb des Ghettos. Nur durch sie war es möglich, die erforderlichen Waren, die die deutsche Wehrmacht an den Fronten benötigte, zu produzieren.96 Nichtsdestotrotz erteilte Himmler am 19. Juli 1942 den Befehl zur Deportierung aller Juden im Warschauer Ghetto bis Ende des Jahres.97 So setzte am 22. Juli 1942 die erste Liquidierungswelle ein, für welche der SS- und Polizeiführer des Distrikts von Sammern-Frankenegg98 zuständig war.99 Im Zuge der Aussiedelungsaktion wurde der Judenrat dazu aufgefordert, täglich 6000 Juden zum Umschlagplatz100 zu schaffen, die in weiterer Folge in den Osten abtransportiert werden sollten, mit dem Vorwand dort neue Arbeit zu bekommen. Dementgegen wurden bei den ersten Transporten jedoch nur alte, kranke und schwache Menschen abtransportiert, wodurch schnell klar wurde, dass die jüdischen Bewohner in den Tod geschickt wurden.101 Von diesen Transporten wurden diejenigen verschont, die arbeitsfähig, Mitarbeiter des Judenrats, des Ordnungsdienstes waren oder eine Arbeit in deutschen Betrieben hatten.102 Täglich wurden 7000 bis 10 000 Menschen in Güterzügen ins Vernichtungslager Treblinka in den Tod geschickt. Diese Transporte dauerten bis zum 21. September 1942 an. Innerhalb dieser kurzen Zeit wurden knapp 300 000 Juden von den Deutschen in Vernichtungslager gebracht und ermordet.103 Bereits während, aber besonders nach der großen Deportation der jüdischen Bevölkerung keimte in einem Teil der noch übrig gebliebenen Juden der Gedanke zur Widerstandsleistung. Um viele weitere Leidensgenossen für sich gewinnen zu können und zum Widerstand aufzurufen, verteilten sie Flugblätter mit folgendem Aufruf:

Juden, man täuscht euch! Glaubt nicht, daß ihr zur Arbeit und zu sonst nichts deportiert werdet. Tatsächlich werdet ihr in den Tod geschickt. Dies ist die satanische Fortsetzung der Vernichtungskampagne, die bereits in den Provinzen durchgeführt wurde. Laßt euch nicht freiwillig in den Tod abführen. Leistet Widerstand! Kämpft mit Händen und Füßen. Begebt euch nicht auf den ! Kämpft für euer Leben.104 In dieser aussichtlosen Zeit formierten sich immer mehr Widerstandsgruppen, unter anderem die jüdische Kampforganisation ŽOB (Žydowska Organizacja Bojowa)105, die von einer Jugendorganisation ins Leben gerufen wurde. Ende des Jahres 1942 gelang es, die

96 Grabitz, Scheffler 1988, S.306. 97 Ebd. S.307. 98 Biografie Ferdinand von Sammern-Frankenegg. Siehe: Wulf 1961. 99 Ebd. S.151 100 Der Umschlagplatz war ein Ort im Ghetto, an dem die Juden für die Deportation in andere Lage gesammelt wurden. Es war der Güterbahnhof des Danziger Bahnhofs. Siehe: Grabitz, Scheffler. 101 Grabitz, Scheffler 1988, S. 151ff. 102 Roth Markus, Löw Andrea (2013): Das Warschauer Getto. Alltag und Widerstand im Angesicht der Vernichtung, München, S.159. 103 Löw 2013. 104 Heydecker 1983, S.13. 105 Ihr Anführer war . Siehe: Löw 2013. - 26 - 4. Geschichtlicher Hintergrund verschiedenen Untergrundorganisationen miteinander zu vereinen, sodass ein großes Kollektiv an Widerstandskämpfern gegründet wurde. Angeführt wurden die Gruppen von Mordechai Anielewicz und Marek Edelman.106 Im Jänner 1943 ordnete Himmler zum wiederholten Male die Liquidierung des Ghettos an107 und befahl im selben Zug, dass eine gewaltsame Verlagerung der Rüstungsbetriebe durchzuführen sei, wodurch die jüdischen Zwangsarbeiter überflüssig werden würden. Als der jüdischen Bevölkerung dann am 18. Jänner die zweite Liquidierungswelle bevorstand, leisteten sie erstmals bewaffneten Widerstand.108 Auf dem Weg zum Umschlagplatz hatten einige Juden Waffen bei sich und feuerten mit diesen auf die Männer der SS-Mannschaft, welche nicht mit einem Widerstand rechneten. Durch die überraschende Aktion der Ghettoinsassen, brachen die Deutschen die Umsiedlungsaktion nach wenigen Tagen ab.109

4.2 Das Ende des Ghettos Den Ghettobewohnern war nach den Geschehnissen im Jänner bewusst, dass ihr Dasein im Ghetto nur noch von kurzer Dauer sein würde und dass ein nächster Übergriff seitens der Deutschen nicht lange auf sich warten ließe. Aus diesem Grund nutzte der Untergrund die Zeit nach den Jänner-Ereignissen dafür, um sich auf eine überraschende Konfrontation mit den Deutschen vorzubereiten. Das vorrangige Ziel der Kampfgruppen bestand darin, ihre Strukturen sowie Strategien auf- und auszubauen. In diesen Zusammenhang statteten sie sich mit ausreichend Waffen und anderen Sprengkörpern, wie selbst gebauten Molotow-Cocktails, aus. So gelang es ihnen, dass bis Mitte April 1943 jeder Widerstandskämpfer der ŽOB, Männer wie Frauen, im Besitz einer eigenen Waffe war. Außerdem bestand ihre Taktik darin, in kleinen Kampfgruppen in gesicherten Bunkern zu leben, welche durch unterirdische Gänge miteinander verbunden waren, wodurch ein Kommunikationsnetzwerk untereinander geschaffen wurde.110 Nach der gescheiterten Liquidierung des Ghettos im Jänner, wurde nun von Ferdinand von Sammern-Frankenegg eine dreitätige „Großaktion“ zur endgültigen Zerstörung des übrig gebliebenen Ghettos angeordnet, welche am 19. April 1943 beginnen sollte.111 Dieser Übergriff kam für die Ghettobewohner jedoch nicht überraschend, da sie beobachten konnten, dass Tage zuvor die deutschen Einheiten in der Stadt verstärkt wurden und in der Nacht vom 18. auf 19.

106 Löw 2013. 107 Heydecker 1993, S.18. 108 Grabitz, Scheffler 1988, S.180. 109 Ebd. S.182. 110 Roth, Löw 2013, S.200. 111 Grabitz, Scheffler 1988, S.190. - 27 - Diplomarbeit die Polizisten damit begannen, das Ghetto zu umstellen.112 In den frühen Morgenstunden des 19. Aprils marschierten dann deutsche Truppen kolonnenhaft in das Restghetto113 ein, wodurch sie ein leichtes Ziel für die in Verstecken befindlichen Widerstandskämpfer waren. Diese feuerten mit Pistolen und Molotow-Cocktails auf die Soldaten, woraufhin sich diese überrascht vom Ausmaß des Organisationsgrades der Ghettobewohner ruckartig zurückziehen mussten.114 Nach diesem Rückschlag übernahm der erst kürzlich in Warschau eingetroffene Jürgen Stroop die Leitung der Liquidierung. Dieser hatte am 17. April 1943 vom HSSPF Krakau115 den Befehl bekommen, sofort nach Warschau zu kommen, um dort einen Einsatz zu leiten. Zu diesem Zeitpunkt wurde von Sammern-Frankenegg über den Befehl noch nicht in Kenntnis gesetzt – erst am Vorabend der geplanten „Aktion“ wurde er darüber informiert, dass er die Leitung über den bevorstehenden Einsatz auf Stroop zu übertragen habe. Aufgrund der getroffenen Vorbereitungen in Bezug auf Einsatzkräfte und der Kenntnis der Örtlichkeit von Sammern- Frankenegg, ließ Stroop jedoch die „Aktion“ von ihm beginnen. Erst nachdem die einmarschierten Truppen auf Widerstand stießen und sich zurückziehen mussten, übernahm Stroop endgültig die Leitung über die Zerstörung des jüdischen Wohnbezirkes.116 Nach Antritt seiner neuen Aufgabe änderte Stroop die Taktik, indem er den Einsatzkräften befahl, systematisch die Häuser in Brand zu setzen, um die Widerstandskämpfer aus ihren Verstecken zu locken.117 Über den Einsatz von Feuer meldete Stroop am 25. April: „Wenn gestern nacht [sic!] das ehem. Ghetto von einem Feuerschein überzogen war, so ist heute abend [sic!] ein riesiges Feuermeer zu sehen.“118 Außerdem blieb ihm nicht verborgen, dass sich unter dem Ghettogebiet ein unterirdisches System an Bunkern und Tunneln befand, sodass er dieses mit Spürhunden aufsuchen wollte.119 All diejenigen, die von den Einsatzkräften gefangen genommen wurden, wurden entweder auf Befehl an Ort und Stelle erschossen oder in Vernichtungslager deportiert.120 Nichtsdestotrotz kämpften die Aufständischen unerbittlich weiter und lieferten sich Feuergefechte mit den deutschen Einheiten.121 Die Situation und die Aussicht auf einen Sieg seitens der Widerstandskämpfer verringerte sich immer mehr, da sich waffentechnisch eine eindeutige Überlegenheit der Deutschen abzeichnete.122

112 Roth, Löw 2013, S.200. 113 Im Zuge der Liquidierung des Ghettos, wurden die Ghetto-Grenzen mehrfach geändert. Das übriggebliebene Gehtto wurde dann „Restghetto“ bezeichnet. Siehe: Grabitz, Scheffler 1988. 114 Grabitz, Scheffler 1988, S.203. 115 Biografie Friedrich-Wilhelm Krüger. Siehe: Wulf 1961. 116 Wulf 1961, S.192f. 117 Roth, Löw 2013, S. 201. 118 Stroop 1960, Fernschreiben vom 25.4.1943. 119 Roth, Löw 2013, S. 201f. 120 Ebd. S.203. 121 Heydecker 1983, S.15. 122 Roth, Löw 2013, S.203. - 28 - 4. Geschichtlicher Hintergrund

Das Vorgehen von Stroop war im Ghetto von Gnaden- und Rücksichtslosigkeit sowie von Brutalität geprägt. Die Kämpfe dauerten schließlich vom 19. April bis zum 16. Mai 1943 an und symbolischer Schlusspunkt der Vernichtung des Warschauer Ghettos war die Sprengung der großen Synagoge. Diesen Akt notierte Stroop in seinem berühmt geworden Stroop- Bericht mit folgendem Abschlusssatz: „Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr!“123 Die Ereignisse – die Aufstände und dessen Niederschlagung – im Warschauer Ghetto waren nicht nur für das Bekanntwerden Jürgen Stroops verantwortlich, sondern sie setzten im Besondern ein „Gegenbild zum Stereotyp des passiven Juden, der sich widerstandslos in seine Vernichtung fügte.“124 Laut Roth und Löw entwickelte sich das Warschauer Ghetto nach dem Krieg zum Erinnerungsort für die Verfolgung polnischer Juden und vor allem für ihren Widerstand.125 Nachdem mit diesem Kapitel der theoretische Teil und somit die Basis für die folgende Untersuchung dargelegt wurde, kann nun mit der Analyse von Jürgen Stroops Person begonnen werden. Im Zuge dessen wird der dafür eigens kreierte Kriterienkatalog und die ausgewählten Quellen, die zur Analyse herangezogen werden, vorgestellt. Diese werden wiederum der in Kapitel 2.2 angeführten Quellenkritik unterzogen. Im Anschluss darauf folgt die eigentliche Analyse der Selbst- und Fremddarstellung Jürgen Stroops anhand des vorhin erwähnten Kriterienkatalogs.

123 Roth, Löw 2013, S.207. 124 Ebd. S. 7. 125 Ebd. - 29 - Diplomarbeit

5 Analytischer Teil der Arbeit

5.1 Kriterienkatalog Im Nachfolgenden sollen die einzelnen Fragen, die für die Untersuchung Stroops Person herangezogen werden, Schritt für Schritt vorgestellt werden. Zuerst werden die Kriterien erörtert, welche der Analyse der Selbstdarstellung dienen sollen, dann der Fremddarstellung und zu guter Letzt die Fragen der vergleichenden Analyse. Vorweg muss gesagt werden, dass die einzelnen Kriterien aufgezählt werden und mit einer kurzen Erklärung ergänzt werden, um das Ziel der Frage zu erschließen. Außerdem wird darauf geachtet, dass die Fragen zur Selbst- bzw. Fremddarstellung nach demselben Prinzip aufgebaut sind, um im Nachhinein eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Eine zusätzliche Auflistung der zu untersuchenden Fragen sind im Anhang unter dem Punkt Quelleninterpretation anzufinden.

5.1.1 Selbstdarstellung  Wie stellt sich Jürgen Stroop in den Quellen selbst dar? Dabei soll darauf geachtet werden, welche Eigenschaften er sich selbst direkt bzw. indirekt zuschreibt und vor allem wie er diese Selbstdarstellung vornimmt.  Durch welche Situationen/Aktionen/Taten/Ereignisse will er sich definieren/auszeichnen? In diesem Punkt soll aufgedeckt werden, ob es Situationen/Aktionen/Taten/Ereignisse gibt, die Stroop des Öfteren in den Quellen beschreibt, um sich in den Mittelpunkt zu rücken. Worauf legt er besonders viel Wert? Welche Rolle nimmt er bei den beschriebenen Situationen ein? Dahingehend soll herausgearbeitet werden, ob eine Veränderung in seiner Beschreibung zum Vorschein kommt. Wenn ja, auf welche Umstände ist diese zurückzuführen?  Inwiefern lässt er bei seinen Erzählungen seine Kindheit bzw. seine Erziehung durch seine Eltern einfließen? Ziel dieser Erörterung soll es sein, aufzudecken, ob bzw. inwiefern Parallelen zu seiner Kindheit/Jugend (siehe: Kapitel 3.1 Kindheit) gezogen werden können, die sich durch sein ganzes Leben ziehen. Sind markante Eckpunkte vorhanden, die immer wiederkehren? Diese Untersuchung soll somit aufdecken, ob ein oder mehrere Verhaltensmuster dominierend sind, die ihre Ursprünge in Stroops Kindheit/Jugend haben. Macht Stroop seine Eltern dafür verantwortlich? Wenn ja, welchen Stellenwert misst er diesem Umstand bei?  Wie äußert sich Jürgen Stroop zur ‚Judenfrage‘ bzw. zur Ideologie des Nationalsozialismus?

- 30 - 5. Analytischer Teil der Arbeit

Diese Frage soll Aufschluss darüber geben, ob er ein überzeugter Anhänger der Ideologie war oder ob er ein Mitläufer war, der lediglich Nutzen aus der Herrschaft zog. Nimmt er eine Darstellung der jüdischen Bevölkerung im Sinne der Rassenideologie vor (Rassenmerkmale des äußeren Erscheinungsbildes bzw. von Charaktereigenschaften)?

5.1.2 Fremddarstellung  Wie wird Jürgen Stroop in den Quellen von anderen Personen dargestellt? Hier steht wiederum die Erörterung der Charaktereigenschaften im Vordergrund, die ihm durch die Fremddarstellung zugeschrieben werden. Wie und auf welche Art und Weise schildern sie sein Wesen?  Durch welche Situationen/Aktionen/Taten/Ereignisse wird Jürgen Stroop von anderen beschrieben? Welche Situationen werden geschildert, die Stroop beschreiben sollen? Welche Rolle nimmt Stroop bei den jeweiligen Schilderungen ein? Wie verhält er sich bei der Ausführung? Dahingehend soll geklärt werden, welche Aktionen sie ihm zuschreiben und durch welche sie ihn definieren wollen. Ist eine Änderung seines Verhaltens in den jeweiligen Situationen zu verzeichnen? Wenn ja, worauf sind diese zurückzuführen?  Wird in der Fremddarstellung Stroops Bezug auf seine Kindheit/Herkunft genommen? In diesem Punkt soll festgestellt werden, ob die beschreibenden Personen nach Gründen suchen, wie Stroop sich zu dem Mann entwickeln konnte, der er im Zweiten Weltkrieg wurde. Finden die Personen Merkmale zu seinem Wesen, dessen Ursprünge sich in Stroops Kindheit/Jugend (siehe: Kapitel 3.1 Kindheit) befinden? Welche Bedeutung räumen sie dieser ein?  Nehmen Dritte Stellung zur Ideologie, die Jürgen Stroop verfolgte bzw. äußern sie sich über seine Position zur ‚Judenfrage‘? Diese Frage zielt wieder darauf ab, ob er ein überzeugter Anhänger oder bloß Mitläufer und Nutznießer des Regimes war.

5.1.3 Vergleichende Analyse  Gibt es Gemeinsamkeiten/Unterschiede bei den gefundenen Eigenschaften zu Stroop?  In welchen Situationen wird eine Selbst- und Fremddarstellung vorgenommen? Gibt es dabei Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede? Wenn ja, welche?  Welchen Stellenwert nimmt Stroops Kindheit bei den Beschreibungen ein? Ist ein einheitliches Bild zu verzeichnen oder sind dort größere Unterschiede zum Vorschein gekommen?

- 31 - Diplomarbeit

 Sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Bezug auf Ideologie und ‚Judenfrage‘ zu verzeichnen?

5.2 Vorstellung der Quellen In diesem Abschnitt werden die einzelnen Quellen, die für die Analyse Stroops Persönlichkeit herangezogen werden, vorgestellt, indem sie dem Kriterienkatalog, der im Kapitel 2.2 Quellenkritik zusammengestellt wurde, unterzogen werden.

5.2.1 Quellen für Selbstdarstellung Zu Beginn werden die Quellen für die Selbstdarstellung in folgender Reigenfolge präsentiert:

ES GIBT KEINEN JÜDISCHEN WOHNBEZIRK IN WARSCHAU MEHR!, TESTIMONY OF JÜRGEN STROOP und NACHKRIEGSGESPRÄCHE. 5.2.1.1 Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr!

Bei dem hier zu untersuchenden Stroop-Bericht mit dem Titel ES GIBT KEINEN JÜDISCHEN

WOHNBEZIRK IN WARSCHAU MEHR! handelt es sich um eine Quellenedition, die 1960 vom Verlag Luchterhand in Neuwied Berlin-Spandau mit einem Vorwort von Andrzej Wirth veröffentlicht wurde.126 Über die Beweggründe der Veröffentlichung des Stroop-Berichts können jedoch nur Vermutungen angestellt werden. Mit großer Wahrscheinlichkeit kann aber angenommen werden, dass durch das Herausgeben dieser Quelle der Inhalt des Berichts der breiten Masse leichter zugänglich gemacht werden sollte, wodurch Historikern das Erforschen dieses Themengebiets erheblich erleichtert werden soll. Laut Andrzej Wirth wurde die Quelle von Soldaten der 7. amerikanischen Armee nach Kriegsende in Warschau gefunden und befindet sich heute im Besitz der Hauptkommission zur Untersuchung der Kriegsverbrechen in Polen (Akt. Z. 202/Z).127 Dieses Dokument stellt eine Berichterstattung Jürgen Stroops an seinen Vorgesetzten Friedrich Wilhelm Krüger dar, welches in dreifacher Ausführung angefertigt wurde. Das erste Exemplar war für Himmler, das zweite für Krüger und das dritte war für Stroop selbst bestimmt.128 Entstanden ist der sogenannte Stroop-Bericht in der Zeit des jüdischen Aufstandes im Warschauer Ghetto im Zeitraum vom 19. April bis ca. Ende Mai des Jahres 1943 in Warschau. Das Original des Stroop-Berichts ist in ein schwarz-genarbtes Leder im Format von 20x30 cm eingebunden.129 Das Titelblatt ist mit der Überschrift „Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr!“ in gotischen Buchstaben versehen.130 Innerhalb des Berichts sind zwei

126 Stroop, Jürgen (1960): Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk – in Warschau mehr! Neuwied, Berlin-Spandau. 127 Ebd. Vorwort S.1. 128 Ebd. Vorwort S.2. 129 Wulf 1961, S.44. 130 Stroop 1960, Vorwort S.1. - 32 - 5. Analytischer Teil der Arbeit verschiedene Papiersorten anzufinden: zum einen ein hochwertiges Bristolpapier, welches im Grunde ein Zeichenpapier ist, das unter Druck zu mehrlagigen Blättern zusammengeklebt wird, wodurch ein starke Oberfläche zustande kommt131 und zum anderen ein einfaches Kanzleipapier.132 Wie bereits eingangs erwähnt ist der Verfasser dieses Berichts Jürgen Stroop (Daten zu seinem Leben siehe: 3.Kurzbiographie von Jürgen Stroop), der in bescheidenen Verhältnissen in einem kleinen Städtchen namens Detmold aufgewachsen ist und bereits in jungen Jahren Gefallen an der Ideologie des Nationalsozialismus gefunden hat. Er genoss eine strenge, katholische, aber auch soldatische Erziehung, die ihn lehrte, folgsam und hingebungsvoll Befehle auszuführen. Diese Eigenschaften kamen ihm in seinem späteren Leben sehr gelegen, denn er wurde ein überzeugter Nationalsozialist, der durch Treue, Pflichtbewusstsein und vor allem Gehorsam stetig die Karriereleiter emporkletterte. Als Stroop mit einem seiner wichtigsten Befehle in seiner NS-Karriere beschäftigt war, nämlich mit der Zerstörung des Warschauer Ghettos bzw. der Liquidierung seiner Bewohner und der Zerschlagung des jüdischen Aufstandes, verfasste er diesen berühmt gewordenen Stroop-Bericht. Als Befehlshabender bei der Vernichtung des jüdischen Wohnbezirks hatte er auf Anweisung seines direkten Vorgesetzten Krügers mindestens einmal pro Tag darüber Bericht zu erstatten, was in seinem zugeteilten Aufgabengebiet vor sich geht. Aufgrund seiner unmittelbaren Nähe zum Geschehen und seiner persönlichen Teilnahme, stammen die Informationen über das Geschehen im Ghetto von ihm, die wiederum vom SS-Sturmbannführer Jezuiter bestätigt wurden.133 Dieses Quellenmaterial in Form eines Textes, setzt sich aus Tatsachenberichten zusammen, die eine Unterteilung in drei Teile aufweisen: eine beschreibende Einleitung, die täglichen Meldungen über den Hergang des Einsatzes und ein abschließender Bildbericht, wobei jeder Teil mit einem gesonderten Titelblatt markiert wird. Der erste Teil besteht aus insgesamt 19 Seiten (Bristolpapier)134 und wird mit der Überschrift „Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr!“ angekündigt. Die folgenden Blätter sind einseitig mit der Schreibmaschine beschrieben. Auf der zweiten Seite ist eine Auflistung der Gefallenen anzufinden, die „für den Führer und für ihr Vaterland im Kampf bei der Vernichtung der Juden und Banditen im ehemaligen jüdischen Wohnbezirk in Warschau“135

131 Eintrag zu Bristol Paper. In: https://www.strathmoreartist.com/blog-reader/what-is-bristol-paper.html [Abruf: 15.03.2019]. 132 Wulf 1961, S. 44. 133 Stroop 1960, Vorwort S.1. 134 Wulf 1961, S.44. 135 Stroop 1960, S. 2. - 33 - Diplomarbeit gefallen sind. Die Seiten drei bis sechs weisen eine Aufzählung der Verwundeten auf, bei der Stroop bemüht ist, alle Daten akribisch anzuführen. Hier achtet Stroop nicht nur darauf, dass das Datum, der Dienstgrad, der Name und die Abteilung angegeben werden, sondern auch, dass eine Unterteilung unter den Verwundeten, je nach Angehörigkeit zu den einzelnen vorgenommen wird. Dazu zählen die Einheiten der SS-Soldaten, der SS- Sicherheitspolizei, der Trawniki136 sowie der polnischen Polizei. Auf der Seite sieben listet Stroop die eingesetzten Einsatzkräfte („Durchschnitts-Tageseinsatz“) auf, die ihm im Warschauer Ghetto zur Verfügung standen: die Waffen-SS, Ordnungspolizei, Sicherheitspolizei, Wehrmacht und Fremdvölkische Wachmannschaften. Auf die vorgenommenen Auflistungen folgt ab Seite acht bis 19 ein Fließtext, in der Stroop wieder eine Unterteilung in drei Teile vornimmt. Die drei Abschnitte sind mit den römischen Ziffern I-III markiert, die außerdem mit Seitenzahlen von eins bis zwölf nummeriert sind. Im ersten Teil schreibt Stroop einleitende Worte zur Notwendigkeit einer Errichtung des jüdischen Ghettos „um die Gefahren zu bannen, die von den Juden immer wieder ausgingen“137. Mit diesem Kapitel gibt er somit auch einen kurzen geschichtlichen Überblick sowie eine Rechtfertigung darüber, wie und warum das Warschauer Ghetto entstanden ist. Den zweiten Abschnitt beginnt er mit dem Satz „Schon bald stellte sich heraus, daß trotz dieser Zusammenballung der Juden nicht alle Gefahren gebannt waren.“138 Damit begründet er die Notwendigkeit der ‚Entfernung‘ der jüdischen Bewohner aus dem Ghetto und beschreibt dahingehend die erste große Deportation vom 22. Juli bis zum 3. Oktober 1942 sowie die zweite Aussiedelung im Jänner des Folgejahres. Danach erwähnt er die angesetzte drei Tages „Großaktion“ für die Verlagerung der Rüstungsbetriebe, die von seinem Vorgänger geplant war. Er selbst war am 17. April 1943 in Warschau eingetroffen und übernahm bereits zwei Tage später die „Führung der Großaktion“.139 Ab dieser Stelle schildert er bedeutungsvoll und sehr genau die Geschehnisse im Warschauer Ghetto und hebt dabei aufsehenerregende Ereignisse hervor, die im Besonderen die Kampfhandlungen zwischen den deutschen Einsatzkräften und den jüdischen Aufständischen betreffen. Den zweiten Abschnitt schließt er mit der Beendigung der „Großaktion“ durch die Sprengung der Warschauer Synagoge am 16. Mai 1943 ab.140 Das dritte Kapitel stellt den kürzesten Teil dar, der sich knapp über eine Seite erstreckt, in welchem er die

136 Bei den Trawnikis handelte es sich meist um Kriegsgefangene Ukrainer, Balten oder Wolgadeutsche, die von der SS rekrutiert wurden, um bei den Massenmorden an der jüdischen Bevölkerung mitzuwirken. Siehe: Demjanjuk, John (2010): Trawniki. Mordhelfer der Nazis. In: https://www.br.de/nachricht/john_demjanjuk_trawniki100.html [Abruf: 15.03.2019]. 137 Stroop 1960, S. 9. 138 Ebd. S.10 139 Ebd. S.10f. 140 Ebd. S.18 - 34 - 5. Analytischer Teil der Arbeit weiteren eingeleiteten Schritte zur Sicherung der ‚arischen‘ Bevölkerung schildert. Abschließend unterzeichnete Stroop diesen Fließtext mit seiner Unterschrift am 16. Mai 1943 als „SS- und Polizeiführer im Distrikt Warschau und SS- Brigadeführer und Generalmajor der Polizei“.141 Der zweite Teil besteht aus den „Täglichen Meldungen“, der wieder mit einem Titelblatt eingeleitet wird und sich aus 31 Abschriften detaillierter Meldungen zusammensetzt, die Stroop täglich per Fernschreiber seinem direkten Vorgesetzten Krüger übermittelt.142 Diese mit der Schreibmaschine geschriebene Berichterstattung auf Kanzleipapier (doppelseitig beschrieben) erstreckt sich vom 20. April bis zum 16. Mai 1943 ohne Unterbrechung. Die letzte Meldung in seinem Bericht ist am 24. Mai, bei der es nicht um eine Berichterstattung über die Ereignisse im Ghetto geht, sondern vielmehr um eine Antwort Stroops auf ein Fernschreiben von Krüger am 21. Mai.143 Nichtsdestotrotz weisen alle Fernschreiben denselben Aufbau auf. In der ersten Zeile ist das unterstrichende Wort „Abschrift“ zu finden und gleich darunter das Wort „Fernschreiben“, wobei zwischen jeden Buchstaben ein Abstand gelassen wurde. Unter dem Wort „Fernschreiben“ ist eine strichlierte Linie eingefügt, unter welcher die Zeile „Absender: Der SS- und Polizeiführer im Distrikt Warschau“ zu lesen ist. Danach ist wieder die gleiche Linie wie vorher angebracht. Anschließend folgt linksbündig der Ort Warschau und das Datum, an dem das Schreiben verfasst wurde. Rechtsbündig ausgerichtet ist in der ersten Zeile das Aktenzeichen („Az.“) und der Betreff („Betr.:“) angeführt und darunter folgt der Adressat. Danach reiht sich die Berichterstattung ein und beendet wird jedes Schreiben mit der Unterschrift Stroops und der Beglaubigung (F.d.R.d.A. steht für „Für die Richtigkeit der Angaben“) durch SS-Sturmbannführer Jezuiter (Aufbau siehe: Abb. 2 und Abb. 3).

141 Stroop 1960, S.19. 142 Ebd. Vorwort S.1. 143 Diese letzte Meldung befindet sich nur in dem von Stroop selbst nicht abgezeichneten, ungebundenen Duplikat des Berichts. Siehe: Wulf 1961, S. 44; In der Quellenedition vom Verlag Luchterhand ist diese letzte Meldung vom 24. Mai 1943 ebenfalls abgedruckt. - 35 - Diplomarbeit

Abb. 2: Aufbau der Fernschreiben 1

Abb. 3: Aufbau der Fernschreiben 2 Der dritte und letzte Teil des Stroop-Berichts stellt der „Bildbericht“ dar, in dem sich 53 schwarz-weiß Fotografien aus dem Warschauer Ghetto befinden. Diese Fotografien sind mit einem Kleber auf Bristolkarton angebracht und weisen unterschiedliche Formate auf.144 39 dieser Aufnahmen sind mit einer Bildunterschrift in Sütterlinschrift versehen, die das Abgebildete beschreiben sollen, die restlichen sind hingegen kommentarlos im Bericht angebracht. Der Stil, in dem die Texte von Stroop verfasst wurden, entspricht lückenlos der anerzogenen Sprache im Nationalsozialismus, die als Vermittler bzw. Medium der nationalsozialistischen Ideologie fungierte.145 Dabei handelt es sich vorwiegend um Begriffe aus der Genetik/Biologie,

144 Wulf 1961, S.44. 145 Makowski, Jacek (2003): Zur Sprache im Nationalsozialismus. S.64. In: http://lingua.amu.edu.pl/Lingua_13/MAKOWSKI.pdf [Abruf: 19.03.2019]. - 36 - 5. Analytischer Teil der Arbeit um militärisches sowie religiöses Vokabular.146 Zu den biologischen Begriffen sind zum Beispiel Wörter wie „die arische Bevölkerung“147, „arischer Teil“ 148, „Gesindel und Untermenschen“149 zu zählen, die die ‚Rassenunterschiede‘ hervorheben sollen. Des Weiteren werden Termini verwendet, die die ‚Arier‘ vor den ausgehenden „Seuchen“ von den Juden in „hygienischer“150 Sicht schützen sollen, um für „eine Erhaltung der Gesundheit deutscher Truppen“151 zu sorgen. Aus diesem Grund wird die jüdische Bevölkerung aus der Sicht Stroops als „Gegner, Verbrecher und Banditen“152 bezeichnet, gegen die mit „besonders angesetzten Kampfgruppen“153 gekämpft werden muss. All diese Begriffe sind Indizien für den Gebrauch von militärischen Begriffen. Ebenso typisch für die Sprache im Nationalsozialismus war das Vermischen von kämpferischem Vokabular mit religiösen Termini, wie „in treuer Waffenbrüderschaft“154. Auffallend ist außerdem, dass in den Texten eine Vielzahl an Superlativen verwendet werden, die einen „Drang zu Gigantomanie“ ausdrücken sollen und damit einhergehend den Sachverhalt intensivieren bzw. emotionalisieren, wie auch teils verschleiern oder aufblähen sollen.155 Unter anderem verwendet Stroop in seinem Bericht Steigerungsformen, wie „besonders gelagerte Verhältnisse“156, „recht schwierig“157, „größerer erheblicher Widerstand“ sowie „größerer Wirrwarr“158, „energisch unermüdlich“159, „totale Vernichtung“160 und viele mehr. Stroop verfolgt mit dem Verfassen des Berichts mehrere Ziele, nämlich die Unterlegenheit der jüdischen ‚Rasse‘ zu unterstreichen, die Bagatellisierung des Aufstandes sowie die Überlegenheit der ‚arischen Bevölkerung‘ hervorzuheben und vor allem seine eigene Rolle als Befehlshaber zu betonen. Diese Akzentuierungen werden durch gegensätzliche Gegenüberstellungen ‚der Arier‘, die „stets beispielhaft und vorbildlich ihren Mann“ stehen und durch „beispielhaftes Draufgängertum“161 gegen die „feigen Juden“162, die sich in

146 Makowski 2003, S. 65f. 147 Stroop 1960, S.17. 148 Ebd. S.14. 149 Ebd. Fernschreiben vom 26.4.1943. 150 Ebd. S.9 151 Ebd. 152 Ebd. Fernschreiben vom 20.04.1943. 153 Ebd. S.11 154 Ebd. S.17. 155 Braun, Christian A. (2004): Sprache unterm Hakenkreuz. Von „Endlösung“ und „Menschenmaterial“. In: https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/sprache-unterm-hakenkreuz/ [Abruf:19.03.2019]. 156 Stroop 1960, S.8 157 Ebd. S. 10 158 Ebd. S.12. 159 Ebd. S.16 160 Ebd. 161 Ebd. S.17. 162 Ebd. S.15. - 37 - Diplomarbeit

„Widerstandsnestern und Schutzlöchern“163 versteckten, veranschaulicht. Seine eigene ‚wichtige‘ Rolle hebt er im Besonderen mit „Ich-Botschaften“ hervor, durch die seine Entschlossenheit und Einsatzbereitschaft veranschaulicht werden soll, die im ersten Teil des Berichts, aber auch bei den „Täglichen Meldungen“ zum Vorschein kommen. Durch all seine Bestrebungen, die gerade eben aufgezählt wurden, versucht er in erster Linie seine Vorgesetzten, wie Krüger, Himmler und vor allem Hitler von seinem Können zu überzeugen. 5.2.1.2 Testimony of Jürgen Stroop Bevor mit der Analyse der Quelle begonnen werden kann, muss eingangs erwähnt werden, dass hier der zusammengestellte Fragenkatalog der Quellenkritik nur zum Teil beantwortet werden kann oder die Beantwortung angesichts der Kausalität überflüssig wäre. Der Grund dafür liegt darin, dass es sich bei dieser Quelle um einen Auszug aus dem Gerichtsprozess in Warschau gegen Jürgen Stroop handelt, der in Katarzyna Persons Artikel „JÜRGEN STROOP SPEAKS: THE

TRIAL OF THE LIQUIDATOR BEFORE THE WARSAW PROVINCIAL

COURT“ (2013) abgedruckt ist. In diesem Zusammenhang gibt es keinen Verfasser im engeren Sinne, sondern nur einen Aufzeichner des Gesprochenen des Angeklagten und des Personals des Gerichts. Somit fällt die Beschreibung des Autors und dessen Intention weg. Wie bereits erwähnt ist dieses Quellenmaterial ein Ausschnitt aus Jürgen Stroops Prozess in Warschau, in dem er wegen seiner zentralen Rolle bei der Niederschlagung des jüdischen Aufstandes im Warschauer Ghetto angeklagt war. Die Quelle wurde von Katarzyna Person als Auszug aus dem viertägigen Prozess (18.-20. Juli und 23. Juli 1951) gegen Jürgen Stroop und Franz Konrad editiert. Dieses Material hat den zweiten Tag des Prozesses (19. Juli 1951) als Gegenstand, an dem Stroop sein Zeugnis über seine Taten ablegt. In diesem Zusammenhang muss allerdings erwähnt werden, dass dieser Auszug ein Transkript ist: Stroop sprach vor dem Gericht in deutscher Sprache, seine Aussagen wurden dann in weiterer Folge von einem Gerichtsdolmetscher ins Polnische übersetzt164, dieses Transkript wurde wiederum von Karolina Dmovska und Elzibieta Olender-Dmowska ins Englische (vorliegende Version) übersetzt.165 Somit tritt hier die Problematik in Bezug auf Übersetzungs- und/oder Interpretationsfehler auf, die im Folgenden beachtet werden müssen- zum Teil sind bei entsprechenden Wörtern die polnischen Pendants in der Fußnote angegeben, um für ein besseres Verständnis zu sorgen. Um die Intention, die hinter der Veröffentlichung der Quelle steckt, zu ermitteln, ist es notwendig, die Initiatorin Katarzyna Person und ihr Schaffen ein wenig zu erläutern. Sie

163 Stroop 1960, S.11. 164 Person 2013, Fußnote S.369 165 Ebd. S.404. - 38 - 5. Analytischer Teil der Arbeit arbeitet als Assistenz-Professorin am Jüdischen Historischen Institut in Warschau. Dort beschäftigt sie sich vor allem mit den Beziehungen zwischen Polen und Juden in der deutschen Nachkriegszeit. Außerdem verfasste sie, basierend auf ihrer Doktorarbeit, ein Buch, welches sich mit „assimilierten, kulturell angepassten und getauften Juden im Warschauer Ghetto“ auseinandersetzt.166 Durch ihre ausgeprägte Beschäftigung mit dem Holocaust und dem Untergrundarchiv des Warschauer Ghettos,167 könnte es ihr ein großes Anliegen gewesen sein, den Menschen zu beschreiben, der für die Vernichtung des Warschauer Ghettos und für die Zerstörung des darin hinterlassenen Materials (Tagebücher, Aufzeichnungen, Bilder, usw.) der jüdischen Bevölkerung verantwortlich war. Vielleicht waren dies die Beweggründe, die für eine Beschreibung Jürgen Stroops Person gesprochen haben. Aufbewahrt wird das Original der polnischen Quelle (Signatur: AIPN, GK 317/874, file 1, Drugi dzien rozprawy [trial day two], pp.23-84)168 im Archiv des Instituts für Nationales Gedenken in Warschau (poln. Instytut Pamęci Narodowej, IPN)169. Entstanden sind die Dokumente im Verlauf der Tage des Gerichtsprozesses im polnisch-stalinistisch geprägten Warschau.170 In dieser Zeit wurde der Staat Polen und dessen Wirtschaft nach sowjetischem Modell organisiert (kommunistisch), bei dem auch das Rechtssystem betroffen war, indem Andersdenkende und Gegner jeglicher Art verfolgt wurden.171

Als Quelle für den Prozess dienten der Stroop-Bericht ES GIBT KEINEN JÜDISCHEN

WOHNBEZIRK IN WARSCHAU MEHR172 und die Zeugenaussage des Mitangeklagten Franz Konrad, der Mitglied der OSTI war und sich mit Stroop zur gleichen Zeit in Warschau befand. Außerdem wurde Stroop während seines Aufenthalts im Mokotow Gefängnis laufend von Vertretern der „Central Commission for Investigation German Crimes“ und vom „Supreme National Tribunal (Najwyzszy Trybunal Narodowy, NTN)“ als Basis für seinen Prozess befragt.173 Der Ausschnitt des Prozessaktes bzw. die Zeugenaussage Stroops erstreckt sich im Original über 61 Seiten (hier: 35 Seiten) und weist einen typischen Aufbau eines Verhörs bzw. einer Befragung auf. Zu Beginn beschreibt Stroop ausführlich seine Ankunft in Warschau, die Übernahme der Befehlsgewalt und den Verlauf des Aufstandes sowie seine erteilten Befehle.

166 Eintrag zu Katarzyna Person. In: https://www.ehri-project.eu/Katarzyna-Person [Abruf: 25.03.2019]. 167 Ebd. 168 Person 2013, S.369 169 Ebd. S.368. 170 Ebd. S.366. 171 Eintrag zu Polen im 20. Jahrhundert. In: http://www.demokratiezentrum.org/wissen/timelines/polen-im-20- jahrhundert.html [Abruf: 21.03.2019]. 172 Person 2013, S.364. 173 Ebd.S.360f. - 39 - Diplomarbeit

Danach wird er vom Vorsitzenden Richter Antoni Pyszkowski174 zur Richtigkeit seiner Angaben im Bericht und zu seinem Vorgänger von Sammern-Frankenegg sowie Konrad befragt. Daraufhin erfolgt die Befragung durch einen der beiden Staatsanwälte (Leon Penner, Jan Rusek175) über die Befehle, die Stroop auszuführen hatte und über seine Position zur ‚Judenfrage‘. Nach einer kurzen Unterbrechung durch das Gericht wird die Vernehmung Stroops durch den Staatsanwalt fortgesetzt, in der die Frage nach den unterschiedlichen Bezeichnungen für die jüdische Bevölkerung in seinem Bericht, sowie die Gründe für die Zerstörung des Warschauer Ghettos erörtert werden. Außerdem werden dem Angeklagten zum wiederholten Male Fragen zu Konrad und dessen Aufgaben im Ghetto gestellt. Nachdem der Staatsanwalt die Befragung beendet hat, folgt eine fünfminütige Pause. Nach der Unterbrechung wird Stroop abschließend von allen teilnehmenden Personen – von seinem Strafverteidiger Novakowski176, vom Richter und vom Staatsanwalt in unterschiedlicher Reihenfolge zu der angegebenen Zahl der ermordeten jüdischen Bevölkerung und Stroops Befehlsgewalt über andere SS- und Polizeimitglieder vernommen. Bei der anfänglichen Schilderung durch Stroop, zeichnet sich vor allem eine soldatische und auch nationalsozialistisch angehauchte Sprache ab, die durch die Darlegung seiner Tätigkeit im Ghetto zum Vorschein kommt. Ein Beispiel dafür ist der nachfolgende Satz: „[...] General Krüger ordered that I was to perform the clearing of the Ghetto instead of Sammern.“177 In diesem Satz können beide Elemente angefunden werden: die Befehlserteilung als Soldatensprache (ordered that I was to perform) und das Säubern (clearing) als nationalsozialistische Sprache. Beim Verhör Stroops durch den Richter bzw. den Staatsanwalt, macht sich dann aber auch ein verleugnender Sprachstil bemerkbar. Auffallend in Stroops Wortwahl ist dabei, dass er besonders bei unangenehmen Fragen, die ihn belasten könnten, zum größten Teil mit Verneinungen verschiedenster Arten antwortet. Die Antworten lauten dann entweder „I do not know anything about that“178, „I cannot recall“179, „I do not understand“180, „I cannot remember exactly”181 oder „I am not sure”182. Diese und ähnliche verneinende und schuldabweisenden Redewendungen ziehen sich durch den ganzen Prozesstag hindurch und tauchen sehr häufig auf.

174 Person 2013, S.364. 175 Ebd. 176 Ebd. 177 Ebd. S.370. 178 Ebd. S.383 179 Ebd. S.390. 180 Ebd. S.377. 181 Ebd. S.400. 182 Ebd. S.371. - 40 - 5. Analytischer Teil der Arbeit

Wirft man einen Blick auf die Sprache des Gerichtspersonals wird ersichtlich, dass es sich hier um eine Gerichtsprache handelt, die sich im größten Teil aus Fragen zusammensetzt, die zum einen erörternd, aber auch rovokativ wirken. Im nächsten Zitat zeichnet sich dieser Sprachstil der Gerichtsvollzieher besonders gut ab: „Being a general, is the defendant a thinking person, or does he just repeat Fisher’s words? Has the defendant ever in his life exercised independent thinking?”183 5.2.1.3 Äußerungen Stroops nach dem Kriege und die drei Nachkriegsgespräche mit Edelman, Auerbach und Grajek Bei den im Anschluss vorzustellenden Quellen handelt es sich um denselben Quellentypus, nämlich um schriftlich bzw. mündlich gestellte Fragen an Stroop nach dem Zweiten Weltkrieg. Außerdem ist dem Material gemein, dass sie diese vier Quellen – Äußerungen Stroops nach dem Krieg und die drei Nachkriegsgespräche mit Marek Edelman, Rachel Auerbach und

Scholam Grajek – von Josef Wulf in seinem Buch DAS DRITTE REICH UND SEINE

VOLLSTRECKER als Anhang veröffentlich wurden. Da diese Dokumente allesamt Quelleneditionen von ein und demselben Mann – Josef Wulf – sind, gelten die Ausführungen zum Publizist und dessen Beweggründe zur Veröffentlichung für alle vier Quellen, wodurch im Nachhinein bei der Vorstellung der einzelnen Materialien auf ein wiederholtes Anführen verzichtet werden kann. Josef Wulf (1912-1974) war ein deutsch-jüdischer Historiker und Shoah-Überlebender, der einer der ersten war, die nach dem Zweiten Weltkrieg über die NS-Massenmorde an der jüdischen Bevölkerung und über ihre Folgen publizierten.184 Er wuchs in Krakau auf und führte dort zuerst ein unbeschwertes Leben. Erst nach dem Einmarsch der Deutschen in Polen änderte sich sein Leben. Wulf schloss sich daher der Krakauer Jüdischen Kampforganisation an, wurde jedoch 1943 verhaftet und in das Konzentrationslager Auschwitz gebracht. Aus diesem Lager konnte er im Jänner 1945 fliehen, während seine Eltern aber ermordet wurden. Seine Frau, sein Kind und er überlebten nur, weil sie sich bei einem polnischen Bauer verstecken konnten.185 Diese Vorgeschichte führte zu zahlreichen Veröffentlichungen über den Holocaust unter dem Motto „Erinnere dich an die 6 Millionen!!!“.186 Dieses Motto bewegte ihn täglich dazu im Sinne der ermordeten Juden Aufklärungsarbeit für die Umwelt zu betreiben.187 All diese genannten

183 Person 2013, S.387. 184 Kaufhold, Roland (2012): „...und die Massenmörder gehen frei herum und züchten Blumen“. In: http://www.hagalil.com/2012/12/wulf/ [Abruf: 26.03.2019]. 185 Eintrag zu Joseph Wulf. In: https://zentralarchiv-juden.de/bestaende/verschiedenes/joseph-wulf/serie- b/vorwort/ [Abruf: 26.03.2019]. 186 Kaufhold 2012. 187 Ebd. - 41 - Diplomarbeit

Faktoren liefern genügend Anhaltspunkte dafür, welche Intention hinter der Veröffentlichung der zu untersuchenden Quellen steckt, nämlich um den ermordeten Juden zu gedenken sowie auf die jüdischen Widerstandsgruppen, denen auch er angehörte, aufmerksam zu machen, damit diese Ereignisse niemals in Vergessenheit geraten mögen.

. JÜRGEN STROOPS ÄUßERUNGEN NACH DEM KRIEGE Nachdem der Autor und dessen Intention zur Veröffentlichung der Äußerungen und den drei Nachkriegsgesprächen Stroops beschrieben wurde, kann nun auf die einzelnen Quellen speziell eingegangen werden. Zu Beginn soll das Dokument JÜRGEN STROOPS ÄUßERUNGEN NACH DEM

KRIEGE genauer untersucht werden. Bei diesem Material handelt es sich um eine Edition, in der schriftliche Fragen an Jürgen Stroop nach dem Zweiten Weltkrieg gestellt werden, die wiederum schriftlich beantwortet werden. Gestellt werden die Fragen vom jüdischen Historiker Dr. Josef Kermisz, der im Prozess gegen Stroop eine wichtige Rolle spielte. Ursprünglich war dieses Dokument für das Gericht gedacht, welches als Grundlage für eine Expertenmeinung über Stroop für die Staatsanwaltschaft dienen sollte. Zu erwähnen ist außerdem, dass die weiteren Gespräche von Edelman, Grajek und Auerbach mit Stroop nur durch ihn zustande gekommen sind188 und er die Aufzeichnungen Wulf zur Veröffentlichung in seinem Buch zur Verfügung gestellt hat.189 Gestellt wurden die Fragen von Dr. Josef Kermisz (1907-2005) im März 1948 in der Gefängniszelle in Mokotow.190 Der Initiator dieses Dokuments beschäftigte sich bereits Mitte der 40er Jahre als jüdischer Historiker eingängig mit der Geschichte Warschaus und der Geschichte der Warschauer Juden. Während des Krieges und der darauffolgenden deutschen Besatzung Polens musste er diese Arbeit jedoch einstellen. Kurz nach der Befreiung greift er seine wissenschaftliche Tätigkeit wieder auf und beteiligte sich an der Gründung des „Jewish Historical Committee“ in Lemberg (Ukraine), welches sich jetzt unter dem Namen „The Jewish Historical Institute“ in Warschau befindet. Im Zuge seiner Auswanderung nach schloss er sich einem Gründungsteam für ein Archiv und Holocaust Museum an und es wurde das Archiv „Yad Vashem“ gegründet, in welchem er als Leiter tätig war. Dort wurde eine große Menge an geschützten Dokumenten aus jüdischen Quellen und deutschen Dokumenten aus der Zeit der Besatzung, die in den verschiedenen Archiven in Deutschland und in anderen europäischen Ländern verteilt waren, zusammengetragen.191 Somit handelt es sich bei dem Urheber dieses Materials um einen engagierten Historiker, dem die Vergangenheit und das

188 Finder, Prusin 2018, S.191f. 189 Wulf 1961, Fußnote S. 180. 190 Finder, Prusin 2018, S.192. 191 Eintrag zu Joseph Kermish. In: https://portal.ehri-project.eu/authorities/ehri_pers-000504 [Abruf: 28.03.2019]. - 42 - 5. Analytischer Teil der Arbeit

Gedenken an sein eigenes Volk wichtig war. Durch seine wissenschaftliche Tätigkeit trägt er erheblich zur Erforschung der Geschichte der Warschauer Juden unter deutscher Besatzung bei. Zur Zeit der Entstehung des Dokuments liegen bereits mehrere Jahre zwischen dem Geschehen und der Befragung Stroops. Als Grundlange für die Fragen an Stroop dient mit großer Wahrscheinlichkeit der Stroop Bericht, wodurch Dr. Kermisz versucht nähere Erkenntnisse in Bezug auf die Kämpfe im Ghetto zu erfahren. Die Beziehung zu Stroop scheint rein auf wissenschaftlicher Basis zu beruhen, denn die Fragen sind historisch- wissenschaftlicher Natur und selten persönlich. Obwohl der Autor selbst Jude war und jenem Mann Fragen stellte, der für die Ermordung eines Großteils der jüdischen Bevölkerung in Warschau verantwortlich war, sind keine Anzeichen für verbale Ausfälle bzw. Angriffe seitens des Fragestellenden auffindbar. Das Dokument der schriftlichen Befragung Stroops besteht insgesamt aus drei großen Teilen, nämlich aus den anfänglichen 42 Fragen, dann aus der Beantwortung der Fragen durch Stroop und zu guter Letzt aus den „Ergänzungen“, die Stroop auf Wunsch von Dr. Josef Kermisz anfügt.192 Der inhaltliche Schwerpunkt wird auf dem Aufstand im Warschauer Ghetto gelegt. In den ersten zwölf Fragen liegt der Fokus vor allem auf der Erörterung der Zusammensetzung der deutschen Truppen und deren waffentechnischen Ausrüstung sowie der Stärke der jüdischen Kampfgruppen und deren Bewaffnung. Danach steht die Ermittlung der Kampfhandlungen im Ghetto im Vordergrund, sowie die Aufgabengebiete der einzelnen Einsatzkräfte. Zu erwähnen ist auch, dass Dr. Kermisz großes Interesse an den Ereignissen vom 16. Mai 1943 hat. Zum Ende hin werden Fragen zu den Verlusten auf deutscher, polnischer und jüdischer Seite gestellt. Die „Ergänzungen“ unterteilen sich wiederum in mehrere Segmente, die sich mit unterschiedlichen Themen, wie „Beginn der Ghettoaktion 1943“, „Arten von Sabotage“, „Über die Kämpfer und die Kampfweise beim Ghetto-Aufstand“, „Die Waffen der Ghettokämpfer“ und „Aus meiner Tätigkeit in Warschau“ auseinandersetzen. Beim Sprachstil werden mehrere Tendenzen sichtbar: die Fragen an Stroop werden sachlich gestellt und übernommene Begriffe aus dem Stroop-Bericht werden in Anführungszeichen angeführt. Außerdem achtete Kermisz darauf, Fragen zu vermeiden, deren Antworten Stroop schuldig sprechen würden, um keinen Verdacht zu erregen, dass diese vor Gericht gegen ihn verwendet werden könnten.193 Jürgen Stroops Sprache wiederum zeichnet sich durch eine militärische Berichterstattung aus, die allerdings auch Anzeichen des nationalsozialistischen Sprachstils aufweist. Es sind viele Superlative in der Sprache Stroops anzufinden, sowie auch

192 Wulf 1961, Fußnote S. 190. 193 Finder, Prusin 2018, S.192. - 43 - Diplomarbeit

Begriffe aus der Genetik bzw. aus der Biologie. Die Steigerungsformen kommen vor allem in der Beschreibung der eingesetzten Kampfgruppen zum Vorschein, indem er ihre Taten „besonders hervorhebt“194, die sich „hartnäckigst verteidigen“195. Außerdem lobt Stroop die Einsatzbereitschaft der Einsatzkräfte im folgendem Maße: „Ich muß anerkennen, daß sie (die Feuerwehr) sehr eifrig und tadellos gearbeitet hat.“196 Im Bereich der Genetik wird der Begriff der „Säuberung“ öfters verwendet. Zur Intention, die hinter der Entstehung des Dokuments steht, kann gesagt werden, dass es Kermisz’s Wunsch war, Fragen an Stroop zu stellen, die ihm dabei helfen sollen, ein vollständiges Bild über die Geschehnisse im Warschauer Ghetto-Aufstand nachzeichnen zu können. Der Grund dafür liegt darin, dass alle bisher existierenden Quellen und Aussagen nicht ausreichend waren, um genügend Licht auf die Kämpfe zwischen den jüdischen und deutschen Einheiten zu werfen. Außerdem wollte er unbedingt die Rolle des Befehlshabenden im Ghetto ermitteln, die natürlich am besten von Jürgen Stroop selbst in Erfahrung gebracht werden kann.197 Angesichts der Adressaten kann, abgesehen vom gerichtlichen Aspekt, außerdem auch gesagt werden, dass dieses Dokument für Historiker für die Erforschung des Warschauer Ghetto-Aufstandes gedacht sein könnte.

. DREI NACHKRIEGSGESPRÄCHE MIT STROOP Im Folgenden werden die einzelnen Nachkriegsgespräche, die Marek Edelman, Rachel Auerbach und Schalom Grajek mit Jürgen Stroop im Mokotow-Gefängnis zu Warschau geführt haben, vorgestellt.

I. GESPRÄCH MIT MAREK EDELMAN Die Quellenart entspricht einem Dialog zwischen Marek Edelman und Jürgen Stroop, der von der Stenografin Frau Wisniewska aufgezeichnet wurde, in dem Edelman Fragen an den ehemaligen deutschen Befehlshaber im Warschauer Ghetto stellt. Für die Entstehung des Gesprächs war Marek Edelman verantwortlich, der ebenfalls eine zentrale Rolle im Warschauer Ghetto innehatte. Im Allgemeinen kann angenommen werden, dass dieses Gespräch zwischen Edelman und Stroop als Erinnerungsstück bzw. Mahnmal für die Nachwelt gedacht war. Der Adressat soll also die breite Masse sein, die er über die Geschehnisse im damaligen Ghetto aufklären will. Der Entstehungszeitpunkt dieser Quelle kann in dem Zeitraum zwischen 1947 und 1952 festgemacht werden, also in der Zeit, in der sich Stroop im kommunistischen Warschau im Mokotow-Gefängnis befand.

194 Finder, Prusin 2018, S.184. 195 Ebd. S.185. 196 Ebd.S.188. 197 Ebd. S.192. - 44 - 5. Analytischer Teil der Arbeit

Marek Edelman (geb. 1921 in Warschau, gest. 2009) war, wie bereits erwähnt, eine wichtige Persönlichkeit im Warschauer Ghetto. Er fungierte dort nämlich als einer der Anführer des bewaffneten Aufstandes von 1943 im damaligen jüdischen Wohnbezirk.198 Bereits als 20- jähriger schließt er sich einer zionistischen Gruppe an, die daran beteiligt war, einen Widerstand gegen die nationalsozialistischen Besatzer in Polen ins Leben zu rufen. Im November 1942 wird er Mitglied der Widerstandsgruppe ZOB und war maßgeblich an der Organisation des bewaffneten Aufstandes im Warschauer Ghetto beteiligt. Während den immer aussichtsloser werdenden Kämpfen gelang es ihm Anfang Mai 1943 aus den Ghettoruinen zu flüchten.199 Danach schließt er sich der polnischen Untergrundarmee Armia Krajowa (AK) an und betätigt sich wieder an einem Aufstand im Sommer 1944 gegen die deutschen Besatzer und überlebte das Ende des Zweiten Weltkriegs.200 Nach Ende des Krieges studierte er in Warschau Medizin und aufgrund seines oppositionellen Denkens bekam er des Öfteren Probleme in der Dienststelle sowie auch mit der Regierung. Bis zuletzt blieb Marek Edelman ein Kritiker und Mahner des Geschehenen für die Nachwelt.201 Durch das Mitwirken Edelmans beim Aufstand im Ghetto war er buchstäblich hautnah im Geschehen involviert, jedoch fand die Befragung Stroops erst Jahre nach dem Aufstand statt, wodurch manche Erinnerungen an die einzelnen Ereignisse durchaus verblassen können. Die Informationen stammen also zum einen von ihm selbst, einem sehr stark eingebunden Zeitzeugen und zum anderen kann angenommen werden, dass einige Details dem sogenannten Stroop-Bericht entnommen wurden. Auf Grund der gegensätzlichen Gesinnung des Autors zu Stroop, kann gesagt werden, dass deren Beziehung zueinander mit sehr großer Wahrscheinlichkeit von keinerlei Sympathie dem anderen gegenüber geprägt war. Da es sich bei der Quelle um eine Befragung Stroops handelt, weist sie den typischen Aufbau eines Verhörs auf, in dem Marek Edelman der Fragende und Stroop der Antwortende ist. Dieses Schema wird bis zum Ende aufrechterhalten. Die Befragung erstreckt sich über zehn DIN A4 Seiten. Zum Inhalt kann gesagt werden, dass der Autor im Allgemeinen an den Kampfhandlungen im Ghetto und im Besonderen an den Ereignisse der ersten beiden Tage des Aufstandes interessiert ist. Zu Beginn werden aber das Eintreffen Stroops in Warschau und

198 Lesser, Gabriel (1998): Marek Edelman. Ghettokämpfer und Held wider Willen. In: http://www.hagalil.com/archiv/98/04/edelmann.htm [Abruf: 29.03.2019]. 199 Eintrag zu Marek Edelman. In: https://www.deutscheundpolen.de/zeitzeugen/zeitzeuge_biografie_jsp/key=marek_edelman.html [Abruf: 29.03.2019]. 200 Eintrag zu Gedenkstätte Deutscher Widerstand. In: https://www.gdw- berlin.de/vertiefung/biografien/personenverzeichnis/biografie/view-bio/marek-edelman/?no_cache=1 [Abruf: 30.03.2019]. 201 Eintrag zu Marek Edelman. - 45 - Diplomarbeit seine ersten Vorbereitungen zur Übernahme der Befehlsgewalt erörtert. Erst im Anschluss darauf wird der Fokus auf die Kampfhandlungen gelegt. Zum Abschluss der Befragung muss Stroop zur angesetzten Dauer des Aufstandes von drei Tagen Stellung nehmen. Der Stil des Fragestellers zeichnet sich vor allem durch eine bestimmte, prägnante, aber auch provokante Fragestellung aus, durch die er vermutlich versuchte, den ehemaligen Befehlshaber der deutschen Einsatzkräfte aus der Fassung zu bringen und ihm dadurch bisher unbekannte Details zu entlocken. Ein Beispiel für seine anspielende Vorgehensweise liefern folgende Fragen: „Weshalb haben Sie am 20. April die Aktion nicht selbst geführt, sondern dies Major Sternhagel überlassen?“202, „Sie rechneten doch mit einer Aktionsdauer von drei Tagen. Weshalb hat es dann aber so lange gedauert?“203 oder „Weshalb wurden Sie dann überhaupt nach Warschau gerufen?“204. Stroops Sprachgebrauch bei der Beantwortung der Fragen ist zum einen von einer militärischen Berichterstattung und zum anderen von einer schuldabweisenden Haltung geprägt. In diesem Fall antwortet er mit „Davon weiß ich nichts.“205, „Ich kann es nicht genau sagen“206, „Heute ist das schwer zu sagen“207, „Ich entsinne mich nicht.“208 und viele andere Arten, um seinem ‚Nicht-Wissen‘ Ausdruck zu verleihen. Über die Beweggründe, die Marek Edelman zu einer Befragung Stroops veranlassten, kann gesagt werden, dass er vermutlich bestrebt war, das Hintergrundwissen bzw. die Kenntnisse der Umstände die Stroop besaß, zu erörtern, um diese mit seinem eigenen Wissen abgleichen zu können. Ein weiteres Motiv könnte gewesen sein, die Nachwelt mit dieser Befragung an die grauenvollen Ereignisse im Ghetto zu erinnern und damit auch mahnen, dass so ein Verhalten, egal von wem, nicht mehr geduldet werden darf und als Aufruf fürs Aktivwerden gelten soll. Mit nachstehender Aussage wandte er sich Jahre nach dem Krieg an alle demokratischen Länder der Welt:

„Erinnert euch, was euch droht! Erinnert euch: ihr wart passiv. Und ihr dürft es nicht länger bleiben: Auf daß es nie mehr zu einem Armenier-Gemetzel komme, nie mehr zu einem Warschauer Ghetto, zu einem Kambodscha, zu Sarajewo und Kosowo!“209

II. GESPRÄCH MIT FRAU RACHEL AUERBACH Das aus Fragen und Antworten bestehende Quellenmaterial zwischen Rachel Auerbach und Jürgen Stroop wurde von Frau Wisniewska stenografiert. Urheberin und Verantwortliche für

202 Wulf 1961, S.200. 203 Ebd. S.204. 204 Ebd. S.204. 205 Ebd. S.196. 206 Ebd. 207 Ebd. S.198. 208 Ebd. S.200. 209 Eintrag zu Marek Edelman. - 46 - 5. Analytischer Teil der Arbeit das Zustandekommen des Gesprächs mit Stroop war Rachel Auerbach. Das Gespräch zwischen den beiden fand in der Gefangenschaft von Stroop ca. 1949 im Mokotow-Gefängnis statt.210 Rokhl Auerbakh/Oyerbakh, auch bekannt unter Rachel Auerbach (1903-1976) war eine Schriftstellerin auf Jiddisch und Polnisch. Sie studierte Psychologie und Philosophie auf der Universität in Lemberg.211 Nachdem sie 1933 nach Warschau gezogen ist, wurde sie während der deutschen Besatzung Warschaus (1939) auf Initiative Dr. Emanuel Ringelblums (Direktor des Warschauer Untergrundarchivs Oneg Shabbat) darum gebeten, eine Suppenküche in Warschau zu organisieren. In einer Zeit von drei Jahren als Leiterin dieser Einrichtung sammelte sie ihre Eindrücke sowie die Geschehnisse im Ghetto in Form von Berichten und verfasste dazu noch ein Tagebuch. Als sie jedoch bemerkte, dass sie einen verlorenen Kampf gegen den Hunger im Ghetto und vor allem gegen die Deutschen führte, verließ sie das Ghetto im März 1943 und überlebte aufgrund ihres nicht jüdischen Aussehens und ihrer Deutschkenntnisse auf der ‚arischen‘ Seite Warschaus.212 Nach dem Krieg half Auerbach bei der Suche nach den Materialen und Quellen, die vom Oneg Shabbat gesammelt und dann vom Schutt des ehemaligen Ghettos begraben wurden. Als sie nach Israel immigrierte, veröffentlichte sie Erinnerungen von der jüdisch-kulturellen Elite vom Warschauer Ghetto und ihre eigenen Erfahrungen. Rachel Auerbach arbeitete viele Jahre im Yad Vashem Archiv, wo sie eine Sammlung von Holocaust Erfahrungsberichten organisierte.213 Zur zeitlichen und örtlichen Nähe Rachel Auerbachs kann also gesagt werden, dass sie das Geschehen im Ghetto aus der Ferne – von der ‚arischen‘ Seite – betrachtete und nicht direkt im Geschehen involviert war. Die Informationen für die Fragen an Stroop stammen zum einen aus seinem eigens verfassten Bericht und zum anderen aus ihren gemachten Erfahrungen und Erinnerungen. Rachel Auerbach, selbst eine Jüdin, steht bei dem Gespräch jenem Mann gegenüber, der das Vermächtnis Dr. Emanuel Ringelblums – sein geheimes Untergrundarchiv – zerstörte und somit auch die letzten Andenken an die Menschen, die im Ghetto ihr Leben ließen, verloren gingen. Dadurch steht fest, dass die Beziehung zu Stroop keines Falls positiv gestimmt gewesen sein kann. Bei dem Text handelt sich um ein Gespräch zwischen Rachel Auerbach und Jürgen Stroop, in dem erstere die Fragen stellt, die in weiterer Folge von Stroop beantwortet werden. Inhaltlich fällt kein besonderer Aufbau auf, denn die Fragen werden in keiner klaren Abfolge zu

210 Wulf 1961, S.207. 211 Kassow, Samuel: Oyerbakh, Rokhl. In: http://www.yivoencyclopedia.org/article.aspx/Oyerbakh_Rokhl [Abruf: 01.04.2019]. 212 Friedman-Cohen, Carrie: Rokhl Auerbakh. In: https://jwa.org/encyclopedia/article/auerbakh-rokhl [Abruf: 01.04.2019]. 213 Kassow.

- 47 - Diplomarbeit unterschiedlichen Themen gestellt. Es fällt aber schnell auf, dass das Interesse Auerbachs besonders auf persönliche Fragen in Bezug auf Stroop abzielt. Hierbei versucht sie vor allem Stroops Einsatzbereitschaft und seine Beziehungen zwischen Himmler, Krüger, Globocnik und anderen führenden SS-Männern zu ermitteln. Dadurch wird vor allem deutlich, dass der Schwerpunkt in diesem Gespräch auf die Ermittlung der metaphysischen Ebene des Menschen per se gelegt wird, als auf die Kämpfe im Ghetto selbst. Diese Tatsache könnte auf die psychologische Ausbildung Rachel Auerbachs zurückgeführt werden. Ihre psychologischen und philosophischen Kompetenzen äußern sich auch im Stil ihrer Fragestellungen, denn diese sind immer neutral und nie vorwurfsvoll bzw. unterstellend. Auffallend ist außerdem, dass der Großteil der Fragen mit „Was wissen sie über...?“ formuliert sind. Auf diese Art des Verhörens reagiert Stroop auch sehr kooperativ und entgegnet Auerbach nur selten unwissende Antworten. Dieses Verhalten ist wiederum auf die freundlich Art der Befragung zurückzuführen, denn es macht einen deutlichen Unterschied, ob man Fragen wie „Was wissen Sie über dieses und jenes?“ oder „Wir wissen, dass Sie das und das gemacht haben. Was sagen Sie dazu?“ gestellt bekommt. Unabhängig davon, behält Stroop aber seinen militärischen Sprachstil bei. Das Ziel, welches Rachel Auerbach mit dieser Befragung verfolgt haben könnte, könnte psychologischer Natur gewesen sein. Aufgrund der Vielzahl persönlicher Fragen an Stroop kann angenommen werden, dass sie sein Wesen erforschen wollte. Vielleicht wollte sie herausfinden, wer der Mensch war, der dazu fähig war, auf Befehl ein ganzes jüdisches Wohnviertel auszulöschen und wie es überhaupt so weit kommen konnte. Auerbachs wissenschaftliches Bestreben bestand im Allgemeinen darin, „die Bedeutung der Kultur, die zerstört wurde; die Menschlichkeit und die spezifische Identität der Opfer, die Verantwortung sich zu erinnern; die Schwierigkeit geeignete Wörter zu finden, um das Ausmaß des Verlustes zu vermitteln“214 hervorzuheben. Das Gespräch mit Stroop reiht sich in eben diese Bemühungen ein, indem sie durch die Untersuchung Stroops Wesen den Opfern im Warschauer Ghetto aber auch der jüdischen Bevölkerung gedenkt, die durch das mörderische NS-Regime umgekommen sind. Gerichtet soll das Dokument vor allem an die Nachwelt, aber auch an Historiker sein, wodurch an die grausame Zeit gedacht werden soll, damit so etwas Schreckliches nicht mehr entstehen kann.

III. GESPRÄCH MIT SCHALOM GRAJEK Bei diesem Quellenmaterial handelt es sich wieder um ein Stenogramm – stenografiert von Frau Wisnewska – in dem ein Gespräch zwischen Schalom Grajek und Jürgen Stroop

214 Kassow: „the importance of the culture that was destroyed; the humanity and specific identity of the victims; the responsibility to remember; and the difficulty of finding appropriate words to convey the enormity of the loss.” - 48 - 5. Analytischer Teil der Arbeit aufgezeichnet wurde, wobei ersterer für die Entstehung des Gesprächs verantwortlich war. Dienen sollte dieses Gespräch womöglich dem Gericht als weiteres Beweismittel im Verfahren gegen Stroop bzw. auch der Nachwelt, um diese über die Ereignisse im Ghetto in Kenntnis zu setzen. Dokumentiert wurde das Gespräch zwischen den beiden in Warschau, während der Gefangenschaft Stroops im Mokotow-Gefängnis. Grajek, auch bekannt unter Szloma Grajek, wurde 1916 in Warschau geboren und beteiligte sich, nachdem er ins Warschauer Ghetto verlegt wurde, dort als jüdischer Aktivist und war Mitbegründer der Untergrundbewegung Po’alei Zion215 (dt. Arbeiter von Zion; jüdische sozialdemokratische Arbeiterpartei)216. Außerdem zählte er zu einem der loyalsten Freunde der ZOB und im Zuge dessen erledigte er viele Arbeiten in- und außerhalb des Untergrunds. Während des Aufstandes ermöglichte Grajek vielen Juden eine Flucht durch einen Tunnel, dessen Bau er veranlasste, auf die ‚arische‘ Seite Warschaus. Auch er ergriff diese Möglichkeit und versteckte sich während des Aufstandes auf der anderen Seite des Ghettos. Nach der Zerschlagung des Ghetto-Aufstandes beteiligte sich Grajek dann aber im polnischen Aufstand 1944 gegen die deutschen Besatzer und überlebte diesen nur durch ein Wunder.217 2008 verstarb er in Israel.218 Durch die persönliche Beziehung von Grajek zur Kampf-Organisation im Ghetto, stammen seine Informationen zum einen aus seinem eigenen Gedächtnis, aber auch aus Erzählungen von anderen Mitgliedern des Aufstandes und zum anderen aus dem Stroop-Bericht. Aufgrund der Opferrolle, die Grajek stellvertretend für die ermordete jüdische Bevölkerung gegenüber Stroop einnimmt, ist die Beziehung zwischen den beiden Gesprächspartnern in jedem Falle angespannt. Gekennzeichnet ist diese vor allem durch ihre gegensätzliche Gesinnung bzw. durch ihre entgegensetzte Weltanschauung in Bezug auf Welt- und Menschenpolitik. Schalom Grajek fungiert in diesem Gespräch als Agens, der in die Rolle des Fragestellers schlüpft und somit auch die Kontrolle über das Gespräch übernimmt. Er entscheidet, welche Fragen wann und wie gestellt werden und Jürgen Stroop tritt Grajek in diesem Fall als der Antwortende gegenüber, dem nichts anderes übrigbleibt, als sich den Fragen zu stellen. Dieses Schema spiegelt sich auch im Aufbau des Gesprächs wider: zuerst stellt Grajek die Frage und im nächsten Schritt folgt die Antwort von Stroop. Während der Befragung kommen mehrere Themen zur Sprache, auf die Grajek besonders viel Wert legt. Zuallererst wird der Fokus auf die Frage nach der Organisations- und Befehlsstruktur gelegt und wie sich die Einsatzkräfte auf

215 Eintrag zu Stefan Grajek. In: https://polacy.fandom.com/wiki/Stefan_Grajek [Abruf: 03.04.2019]. 216 Eintrag zu Po’alei Zion. In: http://www.dasrotewien.at/seite/po-alei-zion [Abruf: 03.04.2019]. 217 Zuckerman, Yitzhak (1993): A Surplus of Memory. Chronicle of the Warsaw Ghetto Uprising, California, S. 303. 218 Stefan Grajek. - 49 - Diplomarbeit deutscher Seite zusammensetzten. Daraufhin versucht Grajek den Hergang der Kampfhandlungen zwischen den Aufständischen und den deutschen Besatzern zu ermitteln. Im nächsten Schritt verlagert sich jedoch sein Interesse auf Stroops persönliche Belange, indem er versucht herauszufinden, wie Stroop zu den jüdischen ‚Rassenmerkmalen‘ steht und wie er diese definiert. Daraufhin folgen auch eine Reihe weiterer persönlicher Fragen zu Stroops Leben. Den Abschluss des Gesprächs markieren Fragen zu jüdischen Spielgefährten in Stroops Kindheit sowie zu jüdischen Kameraden im WK I und wie er reagiert hätte, wenn er diese im Ghetto wieder getroffen hätte. Zum Sprachstil Grajeks kann gesagt werden, dass dieser anfangs als erörternd und neutral gegenüber Stroop zu bezeichnen ist. Erst ab der Frage zu den jüdischen ‚Rassenmerkmalen‘ und den daraus entstehenden Folgen für die jüdische Bevölkerung, macht sich eine persönliche Ergriffenheit erkenntlich, was sich in einer provokanten und anspielenden Fragestellung äußert. Nachfolgende Fragen soll dies verdeutlichen: „Wie lassen sich Ihrer Ansicht nach die jüdischen Rassenmerkmale definieren?“, „Glauben Sie, Rothaarige gehören einer besonderen Rasse an?“ und „Laßt es sich mit den Ehrbegriffen eines Offiziers vereinbaren, auf wehrlose Frauen und Kinder zu schießen?“219. Erst durch das Umschwenken des Themas auf Stroops Lebenslauf, kehrt Grajek wieder zu seinem anfänglichen Sprachstil zurück. Stroop reagiert zunächst auf neutrale Fragen seines Gesprächspartners sehr kooperativ und beantwortet diese sinngemäß, wenn auch im militärischen Sprachstil. Bei der Änderung des Gemütszustands Grajeks, verändert sich auch seine Art des Antwortens. An dieser Stelle fühlt er sich angegriffen und nimmt sofort eine verteidigende Haltung ein. Bemerkbar macht sich dies vor allem in der Antwort auf die Frage nach den Ehrbegriffen eines Offiziers:

„Meiner Ansicht nach ist nicht auf wehrlose Frauen und Kinder geschossen worden. Ich habe doch Augen im Kopf. Hätten sie sich nicht am Aufstand beteiligt, wären sie nach Lublin verlagert worden.“220 Bei der Frage nach seinem bisherigen Leben kehrt er wieder ins vorangegangene Sprachmuster zurück und kooperiert bis zur Beendigung des Gesprächs. Durch den vermittelten Inhalt im Gespräch zwischen Grajek und Stroop kann angenommen werden, dass dadurch mehr Informationen über die Kampfhandlungen im Ghetto zwischen den kämpfenden Fraktionen in Erfahrung gebracht werden sollten. Hinzu kommt, dass Grajek durch die personenbezogene Fragestellung an Stroop, dessen Charakter hinterfragen und erörtern wollte. Die Informationen, die in diesem Gespräch enthalten sind, könnten also für den Prozess

219 Wulf 1961, S. 214. 220 Ebd. - 50 - 5. Analytischer Teil der Arbeit gegen Stroop gedient haben, aber natürlich auch Historikern, die den Umständen und vor allem den organisierten Aufstand im Ghetto auf den Grund gehen wollten.

5.2.2 Quellen für Fremddarstellung Nachdem das Material zur Untersuchung der Selbstdarstellung der Quellenkritik unterzogen wurde, folgt die Vorstellung der Quellen zur Fremddarstellung: GESPRÄCHE MIT DEM HENKER,

DER KONRAD BERICHT und NS-BEURTEILUNGEN. 5.2.2.1 Gespräche mit dem Henker Zu allererst soll an dieser Stelle begründet werden, warum diese Gespräche mit Stroop zur Fremd- und nicht zur Selbstdarstellung gezählt werden. Nämlich im Gegensatz zu den Äußerungen Stroops nach dem Kriege und den drei Nachkriegsgesprächen mit Edelman,

Auerbach und Grajek, wurden die GESPRÄCHE MIT DEM HENKER erst Jahre nach dem gemeinsamen Gefängnisaufenthalt mit Stroop aus dem Gedächtnis Moczarskis heraus niedergeschrieben. Die anderen Quellen hingegen zeichnen das Gesprochene von Stroop zeitgleich auf, wodurch er sich im Zuge dessen tatsächlich selbst darstellt. Da Moczarski aber seine eigenen Erinnerungen an Jürgen Stroop und seinem Wesen erst im Nachhinein aufzeichnet, kann gesagt werden, dass Stroop in diesem Quellmaterial fremddargestellt wird.

Bei der Quelle GESPRÄCHE MIT DEM HENKER handelt es sich im Großen und Ganzen um eine Textquelle bzw. um einen Bericht221, der aus den Erinnerungen von Kazimierz Moczarski verfasst worden ist. Der Ursprung des Textes liegt im Jahre 1971 in Warschau und wurde erstmals in der polnisch-literarischen Monatsschrift „Odra“ (Die Oder) zwischen 1972 und 1974 veröffentlicht. 1977 wurde er erstmals als Buch in Polen herausgegeben und galt dort als Bestseller.222 In Deutschland hingegen erschien der Bericht in Form eines Buches erst 1978.223 Die Version, die hier vorliegt, wurde vom Fischer Taschenbuch Verlag im Februar 1982 als ungekürzte und aus dem Polnischen übersetzte Ausgabe in Frankfurt am Main abgedruckt.224 Über diesen Verlag kann gesagt werden, dass sein Bestreben bereits in den 60ern und 70ern vor allem darin bestand, sich politischen und weltgeschichtlichen Themen zu widmen. Vorrangiges Ziel dabei war, dem Anspruch gerecht zu werden, die Nachwelt über geschichtliche Ereignisse in Europa aufzuklären. Mit dem Werk GESPRÄCHE MIT DEM HENKER wird der Verlag eben genau diesem Anspruch gerecht. Außerdem wird durch einen niedrigen Preis und der leichten

221 Moczarski, Kazimierz (1982): Gespräche mit dem Henker. Das Leben des SS-Gruppenführers und Generalleutnants der Polizei Jürgen Stroop, aufgezeichnet im Mokotow-Gefängnis zu Warschau, Frankfurt am Main, S.14 222 Finder, Prusin 2018, S.152. 223 Moczarski 1982, S.2. 224 Ebd. S.4. - 51 - Diplomarbeit

Erreichbarkeit der Bücher des Fischer Verlags einer breiten Leserschicht der Zugang zu verschiedensten Arten der Fachliteratur ermöglicht.225 Der Autor dieses Textes, Kazimierz Moczarski (1907-1975), war der Sohn einer Lehrerfamilie und absolvierte später das Studium für Rechtswissenschaft und Journalistik in Paris.226 1937 zählte er zu den Gründern des „Demokratischen Klubs“ und der demokratischen Partei. Beim Überfall der Deutschen im September 1939 kämpfte er bis zur Kapitulation Polens als Reserveoffizier gegen die Angreifer. Danach schloss er sich der heimischen Untergrundarmee AK als Offizier an, die den Widerstand der Bevölkerung gegen die Besatzer organisieren sollte. Seine Aufgabe bestand darin, Kollaborateure aufzusuchen und zu untersuchen. Während des Aufstandes im Warschauer Ghetto war er an Sabotageakten beteiligt und wurde auch auf Jürgen Stroop angesetzt. Diese Zeit überlebte er und kämpfte anschließend 1944 im Warschauer Aufstand der AK gegen die deutschen Besatzer. Im August 1945 wird er allerdings auf Anweisung des kommunistischen Regimes verhaftet, mit der Begründung, dass er mit den Nationalsozialisten zusammenarbeitete, am Mord vieler Widerstandskämpfer verantwortlich war, sein Volk verraten hat und als Agent für die Gestapo tätig war.227 Als psychische Folter wurde Moczarski in weiterer Folge mit Jürgen Stroop für neun Monate in eine Zelle gesperrt. Nach insgesamt sieben Jahren Haft wurde er 1952 zum Tode verurteilt, aufgrund des „politischen Tauwetters“ durch Stalins Tod, entging er aber der Todesstrafe, wurde begnadigt und im Anschluss (1956) vollständig rehabilitiert. Bis zu seinem Tod 1975 arbeitete Moczarski als Journalist in Warschau.228 Die zeitliche Nähe des Autors zum Geschehen, aber auch der Wahrheitsgehalt der vorliegenden Quelle sind in diesem Fall heikle und sehr stark umstrittene Themen. Diese Tatsache wird vor allem durch die verstrichene Zeit zwischen der gemeinsamen Haft Stroops und Moczarskis (1949) und der Entstehung der Textquelle (1971) begründet. Eine große Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch, dass der Autor die Gespräche mit Stroop aus dem Gedächtnis niedergeschrieben hat und die Informationen nicht auf Originalquellen beruhen.229 Nichtsdestotrotz gibt der Autor im ersten Kapitel seines Berichtes zu verstehen, dass er sich, trotz der vergangen Zeit, „stets um größte Ehrlichkeit bemühte, um dadurch die volle Wahrheit über Stroop und sein Leben zu erfahren.“230 In einem späteren Gespräch mit einem Journalisten

225 Eintrag zur Geschichte des Fischer Taschenbuch Verlages. In: https://www.fischerverlage.de/verlage/fischer_taschenbuch [Abruf: 10.04.2019] 226 Moczarski 1982, S.2. 227 Eintrag zu Kazimierz Moczarski. In: https://www.deutscheundpolen.de/personen/person_jsp/key=kazimierz_moczarski.html [Abruf: 10.04.2019]. 228 Moczarski 1982, S.2. 229 Ebd. 230 Ebd. S.13. - 52 - 5. Analytischer Teil der Arbeit habe er darauf bestanden, dass er sich an jedes Wort erinnere, als hätte er es von einem Tonband abgeschrieben.231 Unabhängig von der Art des Entstehens der Gespräche mit dem Henker, liefert Moczarski mit diesem Bericht ein „Psychogramm des nationalsozialistischen Massenmörders.“232 Die Beziehung von Moczarski und Stroop ist, wie die Vorgeschichte der beiden Akteure vermuten lässt, von gegensätzlicher Gesinnung und Wertvorstellungen geprägt, aber der Autor äußert sich auch zu diesen Punkt selbstständig in seinem Bericht mit folgenden Erklärungen:

Ich befand mich also während meines fast neun Monate dauernden Aufenthaltes in Stroops Zelle Auge in Auge mit einem Massenmörder. Unsere Beziehungen verliefen im Rahmen einer eigentümlichen Loyalität. Obwohl es mir anfangs schwerfiel, bemühte ich mich, in Stroop nur den Menschen zu sehen. Er hatte meine Haltung begriffen, obwohl ich immer wieder meine Ablehnung und Feindseligkeit gegenüber der Ideologie, der er diente, und den Handlungen, die er begannen hatte, nachdrücklich unterstrich.233 Anfangs war unser Verhältnis in der Zelle von Vorsicht und leiser Verwunderung geprägt, die sich aus der Ungewöhnlichkeit der Situation ergaben; später folgte ein diplomatisches Vorgehen und das Reden „zwischen den Zeilen“ und schließlich das offene Artikulieren von Meinungen und Informationen.234 Hieraus geht also hervor, dass zwar während den geführten Gesprächen durchaus eine Spannung zwischen den Gesprächspartnern herrschte, diese aber von beiden mit einer gewissen Art von Akzeptanz bzw. Respekt geduldet wurde, um dadurch mehr über den anderen in Erfahrung zu bringen. Wie bereits eingangs erwähnt handelt es sich bei dieser Textquelle um eine Art Bericht, der die geführten Gespräche zwischen Stroop, Moczarski und Schilke235 während deren gemeinsamer Haft zum Inhalt hat. Beim Aufbau des Textes bemühte sich Moczarski die Unterhaltungen mit den Deutschen, die sich den unterschiedlichsten Themen widmeten und keiner bestimmten Reihenfolge folgte, so systematisch wie möglich, sowie chronologisch zu gliedern.236 Insgesamt setzt sich der Bericht aus 25 Kapiteln zusammen, die sich auf über 400 Seiten erstrecken. In diesen Kapiteln beschreibt Moczarski kontinuierlich Stroops Leben

231 Tauber, Joachim (2010): Rezension über: Moczarski, Kazimierz (2008): Gespräche mit dem Henker. Das Leben des SS-Gruppenführers und Generalleutnants der Polizei Jürgen Stroop, Berlin, S.314. In: https://www.recensio.net/rezensionen/zeitschriften/nordost-archiv.-zeitschrift-fuer- regionalgeschichte/2010/xix/ReviewMonograph351102172/@@generate-pdf-recension?language=de [Abruf: 11.04.2019]. 232 Moczarski 1982, S.2. 233 Ebd. S.13. 234 Ebd. S.12. 235 Gustav Schilke: Deutscher/Nationalsozialist, ebenfalls verurteilter Kriegsverbrecher; aus Hannover; früher Beamter bei Sittenpolizei und während des Krieges SS-Untersturmführer. Siehe: Moczarski, S.7f. 236 Moczarski 1982, S.12. - 53 - Diplomarbeit beginnend mit dessen Kindheit und endet mit der Vollstreckung des Todesurteils am 6. März 1952. In Bezug auf den Stil Moczarskis ist hervorzuheben, dass er sich zum einen der beschreibenden Erzählweise und zum anderen der Form des Dialogs bedient. Ersteres benutzt er vor allem, um die damals vorherrschenden Situation in der Zelle, aber auch um Stroops Aussehen, Charakter oder Verhalten zu beschreiben. Darauf folgen sehr oft Gespräche mit Stroop bzw. auch mit Schilke, die in Form von direkten Reden wiedergegeben werden. Und diese Beschreibungen und Äußerungen von Stroop werden in weiterer Folge mit Kommentaren vom Autor versehen, die zum Teil ergänzend, aber auch kritisch und zynisch wirken. Ein gutes Beispiel hierfür liefert folgender Ausschnitt:

Eines Tages erklärte Stroop, er sei Journalist gewesen. Offen gesagt, war ich zuerst sprachlos. Er eignete sich zweifellos, je nach den jeweiligen Umständen, für eine Menge unvorhergesehener Berufe oder auch gut bezahlter Aufgaben, daß er aber als Redakteur gearbeitet haben soll, ging mir entschieden zu weit. Von einem Journalisten erwartet man doch ein gewisses Maß an Allgemeinbildung und Intelligenz, gepaart mit einer ausgeprägten Phantasie; außerdem die Fähigkeit zu selbstständigen Urteilen und objektiver Kritik.237 Abgesehen von Moczarskis Ergänzungen zu Stroops vermeintlichen Äußerungen, ist zu erwähnen, dass er bei der Beschreibung des Lebens vom ‚Henker‘ immer wieder geschichtliches Hintergrundwissen in die Erzählungen einfließen lässt. Dieses Wissen steht zum Großteil zwar mit dem Werdegang Stroops und seiner Heimat in Verbindung, jedoch versucht Moczarski mit den anfänglichen nationalsozialistisch geprägten Geschehnissen in Stroops Heimatstädtchen Detmold die Wurzeln bzw. die Ursache für seinen später eingeschlagenen Weg zu finden. Dieser Punkt ist außerdem ein wichtiger Anhaltspunkt für Moczarskis Vorhaben diese Gespräche mit Stroop zu führen und diese im Anschluss auch niederzuschreiben. Diesen Anlass beschreibt er ebenfalls im ersten Kapitel seines Berichtes:

Wenn ich schon mit Kriegsverbrechern zusammenleben muß, dann will ich sie genau kennenlernen, will versuchen, ihr Leben und ihre Persönlichkeit bis zur letzten Faser aufzudecken. Sollte mir das gelingen, so wäre ich in der Lage, wenigstens bis zu einem gewissen Grade mir selbst die Frage zu beantworten, welcher historische, psychologische und soziologische Mechanismus einen Teil der Deutschen zu Massenmördern werden ließ, die das Dritte Reich beherrschten und die „Neue Ordnung“ in Europa und in der Welt einzuführen gedachten.238

237 Moczarski 1982, S.50f. 238 Ebd. S.13. - 54 - 5. Analytischer Teil der Arbeit

Durch diesen ausgeprägten Willen, den Mechanismus aufzudecken, der Menschen dazu bringen kann, Massenmorde im Dienste eines Regimes auszuführen, kann angenommen werden, dass dieser Bericht nicht nur für Historiker gedacht ist, sondern auch für diejenigen, die sich für Geschichte interessieren. Dieser Bericht soll aber in erster Linie einen belehrenden Zweck erfüllen, um der Nachwelt die Augen in Hinblick auf die grausamen Ausformungen des Hitler-Regimes und dessen Folgen zu öffnen. Außerdem soll die

Menschheit durch die GESPRÄCHE MIT DEM HENKER gemahnt werden, dass es nie wieder zu Nationalsozialismus und Antisemitismus kommen darf. Da die Entwicklung von Jürgen Stroop keinesfalls ein Einzelfall im nationalsozialistischen Regime war, können die gesammelten Erkenntnisse Moczarskis durchaus auf einen Großteil der Anhänger dieser Herrschaft umgelegt werden. Somit kann mit großer Wahrscheinlichkeit vermutet werden, dass beim Niederschreiben der Gespräche der aufklärerische Anspruch im Vordergrund stand, der die Leser über die nationalsozialistische Vergangenheit ins Bild setzen soll. 5.2.2.2 Konrad Bericht

Beim sogenannten KONRAD BERICHT handelt es sich um eine editierte Quelle in Form eines

Textes, der im Buch von Joachim Jahns DER WARSCHAUER GHETTOKÖNIG abgedruckt wurde. Veröffentlicht wurde dieses Buch im Dingsda-Verlag 2009, welcher von Jahns geleitet wurde. Entstanden ist dieses Buch aus reiner Notwehr, um einer Klage gegen seinen Verlag entgegenzuwirken, die er durch die Veröffentlichung der Autobiographie von Lisl Urban erhielt. Kläger war der ehemalige SS-Hauptsturmführer und Hauptmann der Schutzpolizei

Erich Steidtmann, der die publizierte Autobiographie EIN GEWÖHNLICHES LEBEN von Lisl Urban aufgrund „Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte“ sowie „des Verdachts der Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung durch Verbreitung in Buchform“ verbieten wollte.239 Lisl Urban schreibt in ihrem Buch über ihre Liebschaft mit Erich Steidtmann und gibt dabei sehr viele Details preis, die der ehemalige Nationalsozialist lieber Privatsache sein lässt. Aus diesem Grund verklagt er den Verlag Dingsda240, wodurch dessen Existenz bedroht war. Der Verleger Jahns nimmt dahingehend kurzerhand die Forschungsarbeit in Bezug auf die nationalsozialistische Vergangenheit Steidtmanns auf und wird rasch fündig. Er erkennt auf einem abgedruckten Foto im Stroop-Bericht mit dem Titel „Jüdische Verräter“ das Gesicht des Klägers, der sich während der Liquidierungsaktion des Warschauer Ghettos in Stroops unmittelbarer Nähe befand.241 So beginnt er sich mit der Geschichte des Warschauer Ghettos

239 Jahns 2009, S.9. 240 Güntner, Joachim (2007): Ein ganz gewöhnliches Leben? In: https://www.nzz.ch/ein_ganz_gewoehnliches_leben-1.600641 [Abruf: 17.04.2019]. 241 Jahns 2009, S.11ff. - 55 - Diplomarbeit auseinanderzusetzen und im Zuge dessen erforscht er die Biografie von Stroops Begleiter, um eine Verteidigung gegen den Kläger Erich Steidtmann zu organisieren. Diese Forschungsarbeit erwies sich auch als erfolgreich, denn die Klage wurde mit dem Argument das Buch verbreite „weder negative Eigenschaften noch intime Details“ über den Kläger abgewiesen.242 In der Phase des Recherchierens stieß Jahns allerdings auf einen weiteren SS-Mann namens Franz Konrad, der in ihm ein großes Interesse weckte. Dieser SS-Mann befand sich wie Steidtmann während des Ghetto-Aufstandes in unmittelbarer Nähe Stroops, jedoch unterscheidet sich dieser in der Tatsache, dass er bestrebt gewesen sein soll, die Warschauer Ghetto-Juden zu schützen.243 Mit diesem Buch versucht der Autor ein besseres Licht auf Franz Konrad zu werfen, indem er ihn zwar als Nationalsozialisten darstellt, der notgedrungener Maßen seine Pflichten erfüllte, aber im Gegenzug dazu gnädig gegenüber der jüdischen Bevölkerung auftrat. Diese Vorgehensweise erklärt auch die Veröffentlichung des Konrad-Berichts, in dem Konrad seine „humanitären Motive“ gegenüber der jüdischen Bevölkerung beteuert.244

Das Original des KONRAD BERICHTS befindet sich im Archiv der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR mit der Signatur BStU, MfS HA IX/11, ZUV 15, Band 19/1, S.4ff. Verfasser des Textes ist der Österreicher Franz Konrad, der den Bericht in Zell am See im Jänner 1945 in Form einer Aussage für das Gericht verfasste, um seine Erfahrungen, die er im Ghetto gesammelt hatte mitzuteilen. Unterzeichnet hat er den Bericht im Jänner 1946.245 Seine Aussage erstreckt sich über 87 Seiten, wobei die erste und letzte als Faksimile246 veröffentlicht wurden.247 Franz Konrad wurde am 1. März 1906 in Wien in die Mittelschicht geboren248 und wuchs in der Steiermark auf. Er machte eine Ausbildung zum Kaufmann und zeigte kaufmännisches Geschick, wodurch er später auch als ehrenamtlicher Kassenleiter der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei tätig war. Nach einer schwierigen Phase der Arbeitslosigkeit schloss sich Franz Konrad 1932249 der illegalen SS in Österreich an und im Laufe der Jahre stieg er immer weiter in der Partei auf. 1939 tritt er der Elite der Waffen-SS bei und wurde nach Berlin versetzt.250 Bis Juni 1942 war Konrad im Einsatz als Verpflegungsoffizier und war auch für das

242 Güntner 2007. 243 Eintrag zu „Der Ghettokönig“. In: http://davidkultur.at/buchrezensionen/der-ghettokonig [Abruf:24.04.2019]. 244 Ebd. 245 Jahns 2009, S.112. 246 Faksimile: mit einem Original in Größe und Ausführung genau übereinstimmende Nachbildung, Wiedergabe, besonders als fotografische Reproduktion. Siehe: Eintrag zu Faksimile. In: https://www.duden.de/rechtschreibung/Faksimile [Abruf:25.04.2019]. 247 Jahns 2009, S.112. 248 Alford D. Kenneth, Savas Theodore P (2002): Nazi Millionaires. The Allied Search for Hidden SS Gold, Havertown, S.29. 249 Jahns 2009, S.32f. 250 Alford, Savay 2002, S.30. - 56 - 5. Analytischer Teil der Arbeit

Kassenwesen zuständig, worin er sich überaus geschickt anstellte.251 Nachdem er sich dort als tüchtiger Verwalter über Vermögenswerte auszeichnete, wurde er als SS-Obersturmführer im Jänner 1943 nach Lublin zur Ostindustrie GmbH beordert, die die Hinterlassenschaften der ermordeten Juden sammelt und verteilt.252 Danach wurde er nach Warschau versetzt, wo er ebenfalls für die Ostindustrie tätig war, aber auch an der Liquidierung der Warschauer Juden beteiligt war. Dort erhielt er den Spitznamen „Ghettokönig“, der ihm durch seine Arbeit in der „Werterfassungsstelle“ verliehen wurde.253 Bis Jänner 1945 war Konrad Mitglied der SS254, wurde anschließend verhaftet und gemeinsam mit Stroop in Warschau zum Tode verurteilt. 1952 wurde das Urteil in Warschau vollstreckt.255 Aus der Kurzbiografie zu Konrad ist bereits ersichtlich geworden, dass er in den beschriebenen Szenarien des Berichts über seinen Werdegang und seiner Tätigkeit in Warschau selbst anwesend war und somit die Informationen von ihm alleine stammen. Allerdings muss angemerkt werden, dass sein Bericht erst zu Kriegsende (1945) niedergeschrieben wurde, wodurch dessen Erinnerungen womöglich getrübt waren. Außerdem kann angenommen werden, dass sich die Sicht der Dinge während des Verfassens seiner Aussage, nachdem der Weltkrieg bereits verloren war, geändert hatte. Somit kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob Konrad in seiner Aussage die Wahrheit über die Ereignisse mitteilen will oder ob er damit versuchen wollte seine Hände reinzuwaschen. Nichtsdestotrotz hinterlässt Konrad mit dem Bericht einen weiteren wichtigen Anhaltspunkt über Stroops Auftreten und seinem Wesen. Aus dem Bericht aber auch aus anderen Quellen kommt hervor, dass die Beziehung zu Stroop, obwohl sie derselben Ideologie angehörig waren, nicht freundlich gesinnt war, sondern von Streitigkeiten geprägt war. Diese Annahme ergibt sich zum einen aus der gewünschten Abberufung Konrads durch Stroop256, der eine Anzeige gegen den ‚Ghettokönig‘ erwirkte, mit der Absicht ihn an die Front zu versetzen. Warum Stroop dieses Vorhaben verfolgte ist nicht erhalten geblieben, jedoch kann angenommen werden, dass Konrads angebliche Bemühungen die Warschauer Juden retten zu wollen der Anlass dafür gewesen sein könnte.257 Zum anderen nimmt Konrad, der sich aufgrund seiner Kenntnisse im Ghetto stets in Stroops unmittelbarer Nähe befand, in seinem Bericht Stellung zu deren Beziehung. Diese Schilderung lautet wie folgt: „Obwohl ich STRO(O)P von Anbeginn ablehnte und seine Befehle auch sabotierte,

251 Wulf 1961, S.256. 252 Ebd. S.259. 253 Alford, Savay 2002, S.35. 254 Wulf 1961, S.206. 255 Finder, Prusin 2018, S.174. 256 Wulf 1961, S.259. 257 Jahns 2009, S.65. - 57 - Diplomarbeit musste ich mich immer in seiner Nähe aufhalten.“258, sowie auch „Den STRO(O)P, den ich als meinen persönlichen Feind erklärt habe[...].259

Beim KONRAD BERICHT handelt es sich, wie bereits schon mehrmals erwähnt, um einen Bericht in Form einer Zeugenaussage für das Gericht, die von Franz Konrad persönlich verfasst worden ist. Dieser weist in weiterer Folge einen spezifischen Aufbau auf und unterteilt sich in mehrere Segmente, die inhaltlich chronologisch aufeinanderfolgen. Zu Beginn seiner Aussage gibt er den Grund für diesen Bericht preis, nämlich dass dies eine Schilderung über die „Zustände und Ereignisse im Warschauer Ghetto (in der Zeit eine Woche vor Ostern bis Pfingsten 1943)“260 sei, um „dem Führer Adolf Hitler selbst, Kenntnis zu geben über die Dinge, die sich in grauenvoller menschlicher Verwirrung und satirischer Befriedigung ereignet und abgespielt haben.“261 Nach dieser kurzen und prägnanten Einleitung macht er ausführliche Angaben zu seiner Person und seinem Werdegang im nationalsozialistischen Regime. Hierbei ist es ihm ein großes Anliegen darauf hinzuweisen, dass sein Eintritt in die NSDAP aus reiner Notwendigkeit erfolgte, die auf seine abermalige und unglückliche Arbeitslosigkeit zurückzuführen sei.262 Nachdem er die ausführliche Beschreibung seiner Persönlichkeit und seiner ‚Karriere‘ beendet hat, folgen Abschnitte, in denen er Stellung zu den Ereignissen im Ghetto nimmt. Diese sind wiederum mit Überschriften wie „Warschau“, „Zur Umsiedelung selbst“, „Umsiedelung“ und „Zur Erläuterung diene Folgendes“ versehen. Im Kapitel „Warschau“, welches sich über die Seiten 128-162 erstreckt, beschreibt er die Gründung des Warschauer Ghettos, seine dortige Tätigkeit in der Werterfassung, die Aussiedelung der Juden, sowie seinen ständigen Willen, jüdisches Eigentum und im Besonderen den Umgang mit der jüdischen Bevölkerung so menschenwürdig wie möglich handzuhaben. Am Ende dieses Abschnittes erläutert Konrad die Ankunft Jürgen Stroops im Warschauer Ghetto und dessen Befehlsübernahme sehr ausführlich. Indes nimmt er auch erste Beschreibungen seiner Person und seines Charakters vor. Im darauffolgenden Unterpunkt „Zur Umsiedelung selbst“ (S. 162-178) nimmt er Stellung zu der Art und Weise, wie die Umsiedlung der Betriebe sowie der jüdischen Bevölkerung vor sich ging, dabei lässt er vor allem grausame Ereignisse, wie die wahllose Erschießung Rothaariger durch Stroop, in seine Erzählungen einfließen.263 Im vorletzten sowie im letzten Unterpunkt („Umsiedelung“ (S. 179-192) und „Zur Erläuterung diene Folgendes“ (S.192-199)) äußert sich

258 Jahns 2009, S.158. 259 Ebd. S.190. 260 Ebd. S.113. 261 Ebd. 262 Ebd. S.117f. 263 Ebd. S. 163. - 58 - 5. Analytischer Teil der Arbeit der Verfasser kontinuierlich über Stroops Handeln und dessen brutale Vorgehensweise bei der Ausführung seiner erteilten Befehle. Zur Sprache bzw. zum Stil, den Konrad beim Verfassen seines Berichtes verwendete, wird sehr schnell deutlich, dass er sich in einem neutralen Sprachstil versucht, der sich deutlich vom nationalsozialistischen Sprachgebrauch differenzieren soll, um sich so von der damals vorherrschenden Ideologie abzuheben. Ein Indiz dafür kann in der bereits angeführten Einleitung, in der Konrad den Führer über die erbärmlichen Umstände im Ghetto in Kenntnis setzen wollte, um sicherzugehen, ob es dem Führer wohl bekannt sei, mit welchen unmenschlichen Mitteln in Warschau an die Umsetzung der Idee des Dritten Reiches herangegangen wird. Damit wollte er vermutlich seinen Missmut über die Umstände kundgeben, mit denen er nicht im Geringsten einverstanden war (gibt vor ‚Judenfreund‘ zu sein). Die Absicht, die Konrad beim Verfassen dieses Berichtes bzw. seiner Aussage verfolgt, liegt klar auf der Hand. Zum einen kann angenommen werden, dass seine Aussage als Form einer Abrechnung mit seinem Feind Stroop angesehen werden kann, aber auch der Wille die Menschheit über Stroops Wesen und Untaten aufzuklären. Mit seinen Schilderungen verfolgt er aber auch das Ziel, sich in ein besseres Licht zu rücken, sich als ‚Freund der Juden‘ darzustellen, um sich im Weiteren von seinen unumgänglichen Taten freizusprechen. Hervorheben möchte er dadurch vor allem seine humane Vorgehensweise bei der Ausführung seiner Befehle in einem menschenunwürdigen System, in dem Vernichtung und Zerstörung zur Tagesordnung gehörte. Seine Anwesenheit während der Liquidierung und auch seine Tätigkeiten versucht er zu schmälern, indem er darauf verweist, immer nur das Beste für die jüdische Bevölkerung gewollt zu haben. Außerdem gibt er auch zu verstehen, dass er die erteilten Befehle nicht ohne Widerwehr ausführte, sondern immer wieder versuchte, die Befehle auf irgendeine andere Art und Weise, die ihm als angebracht erschien, auszuführen. Hierzu eine aussagekräftige Passage aus seinem Bericht:

Ich kam zu der Erkenntnis, als ich den Befehl in meinem Inneren verarbeitete, dass alles Unrecht, was einem anderen zugefügt wird, sich in einer Form wieder rächen wird. Dieser Gedanke war bei meinen späteren Handlungen immer mein Leitgedanke, war ausschlaggebend und mitbestimmend, dass ich alle Befehle von der menschlichen Seite aus durchführte.264 Mit eben solchen Ausführungen und noch zahlreichen anderen versucht Franz Konrad das Gericht von seiner Unschuld zu überzeugen, um sich der Todesstrafe in Warschau zu entziehen.

264 Jahns 2009, S.163. - 59 - Diplomarbeit

Währenddessen er darum bemüht ist, sich freizusprechen, bezichtigt er indes Stroop und andere bei der Liquidierung beteiligte Personen an Verbrechen gegen die Menschlichkeit. 5.2.2.3 NS-Beurteilungen Die folgenden Originalquellen, die zur Untersuchung Stroops Charakters herangezogen werden, setzen sich aus Zeugnissen bzw. Führungszeugnissen, sowie Beurteilungen in textlicher Form zusammen, die Stroops Kompetenzen und Fähigkeiten festhalten. Anzumerken ist dabei allerdings, dass alle Bewertungen von anderen Personen verfasst wurden und auch von unterschiedlichen Männern des NS-Regimes beglaubigt wurden. Aufgrund der Vielzahl der beteiligten Personen, werden diese nur namentlich erwähnt und auf weitere Ausführungen verzichtet, um eine vermeintliche Verwirrung zu verhindern. In diesem Zusammenhang gilt es auch zu erwähnen, dass diese Textquellen für ein und denselben Adressaten bestimmt waren, nämlich für den höheren Staab des Dritten Reiches, um Stroop eine Karriere im nationalsozialistischen Regime zu ermöglichen. Dabei handelt es sich um beglaubigte Abschriften und Beurteilungen von 1916 bis einschließlich des Jahres 1938, sowie um Zeugnisse aus dem Jahr 1942. Diese Dokumente befinden sich im Bundesarchiv Berlin mit den Signaturen R 9361-III/558908265 und R 9361-III/558909266. Da es sich hier um einzelne Quellenausschnitte aus dem Personalakt Stroops handelt und durch kursorische Durchsicht ermittelt wurden, stehen die einzelnen Texte in keinem Zusammenhang zueinander. Dementsprechend werden die jeweiligen Ausschnitte gesondert und getrennt voneinander vorgestellt. Um den Überblick über die Quellen zu bewahren, werden in einem ersten Schritt die Dokumente vorgestellt die der Signatur R 9361-III/558908 angehören. Insgesamt handelt es sich hier um sechs beschriebene Seiten, die für die vorliegende Untersuchung von hohem Nutzen sein werden. Bei der ersten und zweiten Seite scheint es sich um dasselbe Papier zu handeln, welches seitlich vergilbte Stellen aufweist und einseitig mit der Schreibmaschine beschrieben wurde. Im Großen und Ganzen befinden sich die Seiten in einem sehr guten leserlichen Zustand. Diese Zeugnisse stammen aus dem Jänner 1918 und dem Juli 1916, also aus der Zeit des ersten Weltkrieges. Beglaubigt wurden diese zwei Abschriften allerdings erst am 20. und 22. Jänner 1934 im Namen vom „Bürgermeister als Ortspolizeibehörde der Landeshauptstadt Detmold“267 Hans Keller, der seit März 1933 der NSDAP angehörig war.268

265 Zeugnisse bis einschließlich 1938. 266 Zeugnisse von 1942. 267 R 9361-III/558908, S.1 und S.2. 268 Eintrag zu Hans Keller „Bürgermeister der Stadt Detmold“. In: https://www.lwl.org/westfaelische- geschichte/portal/Internet/finde/langDatensatz.php?urlID=1268&url_tabelle=tab_person [Abruf: 10.05.2019]. - 60 - 5. Analytischer Teil der Arbeit

Aufgrund der verzögerten Beglaubigung dieser Dokumente ist zu erwähnen, dass der Unterzeichnende weder beim Verfassen persönlich anwesend, noch in keinerlei Weise im Geschehen involviert war. In diesem Sinne wurden die vorliegenden Informationen über Jürgen Stroop übernommen und als wahr empfunden. Über die Beziehung zwischen Stroop und Keller können allerdings nur Vermutungen angestellt werden, jedoch kann mit großer Wahrscheinlichkeit gesagt werden, dass sie zum einen auf einem kollegialen Verhältnis innerhalb des nationalsozialistischen Regimes basierte und zum anderen auch auf einem persönlichen Verhältnis. Der Grund für diese Annahme lässt sich auf deren gemeinsames Engagement im Städtchen Detmold zurückführen: im März 1933 tritt Keller das Amt des Oberbürgermeisters an und Stroop fungiert währenddessen als Führer der Hilfspolizei. Beiden war gemein, dass sie sich für die Verbreitung und für den Erfolg des NS-Regimes einsetzten. Wie bereits eingangs erwähnt, haben die ersten beiden Seiten mit der Signatur R 9361- III/558908 beglaubigte Abschriften in Form eines Textes zum Gegenstand, nämlich zum einen ein Führungszeugnis, welches Stroops Charaktereigenschaften und Stärken hervorhebt, und zum anderen ein Zeugnis über seine Tätigkeit als „technischer Hilfsarbeiter der Fürstlichen Lippischen Katasterinspektion“269. Diese geschriebenen Zeilen porträtieren seine Person mithilfe von Adjektiven und aussagekräftigen Substantiven, wie zum Beispiel mit Worten wie „stets pflichttreu“270, „schnelles Auffassungsvermögen“271, sowie „Eifer“272. Der Fokus, der auf der zweiten Seite des Dokuments gelegt wird, beschränkt sich alleine auf seine Fertigkeiten, die er während seiner Zeit im Vermessungsbüro erworben hat. Über den Inhalt, die diese zwei Seiten vermitteln wollen, kann daraus geschlossen werden, dass durch die Beglaubigung der Zeugnisse ein Bestreben dahintergesteckt haben muss, welches Stroop im nationalsozialistischen Regime voranbringen sollte. Vermutlich erkannte der damalige Detmolder Bürgermeister Keller das Potenzial Stroops als begabten militärischen Strategen und wollte ihm ein Empfehlungsschreiben für die höheren SS-Männer mit auf den Weg geben. Die dritte Seite, die einen „Personal-Bericht“273 und eine „Beurteilung“274 beinhaltet, weist keinen ersichtlichen Verfasser auf. Am linken unteren Rand ist diese Seite mit einem Abdruck versehen, der besagt, dass es sich hier um ein einheitliches Formular handelt, welches vom „SS-

269 R9361-III/558908, S.2. 270 Ebd. S.1. 271 Ebd. 272 Ebd. S.2. 273 Ebd. S.3. 274 Ebd. - 61 - Diplomarbeit

Vordruck-Verlag W.F. Mayr, Miesbach (Bayer, Hochland)“275 angefertigt wurde. Dieses Blatt Papier besitzt, wie die zwei vorangegangenen, einen gelblichen Stich und die Ränder sind teils geknickt bzw. eingerissen. Dieses Blatt ist wiederum einseitig beschrieben und weist vorgefertigte Rubriken auf, die dann in weiterer Folge mit der Schreibmaschine ausgefüllt wurden. Den Text kann man ohne Schwierigkeiten gut lesen. Wo und wann dieses Dokument genau entstanden ist kann nicht gesagt werden, jedoch liefert das Datum der Dienststellung und der angegebene Wohnort Stroops Anhaltspunkte darüber, dass dieser Bericht in Münster in Westfalen im Laufe des Frühjahres 1934 entstanden ist.276 Dieser „Personalbericht“ bzw. die „Beurteilung“ wurde in Form eines Lebenslaufes angefertigt, der wiederum auf einem vorgefertigten Formular abgedruckt ist. Dieser Vordruck verrät uns den „Dienstgrad“, die „Dienststellung“, sowie „Mitgliedsnummer der Partei“ bzw. die „SS-Ausweis Nr.“ von Stroop. Außerdem wird Auskunft über seinen „Wohnort“, „Geburt“ und familiäre Umstände gegeben.277 Nachdem die allgemeinen Informationen zum damaligen Josef Stroop mitgeteilt wurden, folgt darauf eine Beurteilung, die sich in drei Unterpunkte unterteilt: „1. Rassisches Gesamtbild, 2. Charakter und Bildung, 3. Auftreten und Benehmen in und außer Dienst“.278 Zur Beschreibung seiner Person werden kurze und aussagekräftige Ausdrücke verwendet, die zum Großteil aus Adjektiven und Nomen bestehen. Anzumerken ist außerdem, dass diese Beurteilung über Stroop sehr positiv ausgefallen ist, natürlich im Sinne des Nationalsozialismus. Durch die gute und vielversprechende Beurteilung Stroops kann angenommen werden, dass mithilfe dieser auf Stroop aufmerksam gemacht werden wollte, um ihm eine Erfolg verheißende Karriere im Nationalsozialismus zu ermöglichen. Dabei wurde allerdings versucht seine spärliche Volkschulbildung zu verschleiern, die er „durch eifriges Selbststudium“ erweiterte, um es auf den Stand einer „Mittelschulbildung“ zu bringen.279 Die letzten Seiten, die der Signatur R 9361-III/558908 angehören, bilden eine dreiseitige Beurteilung Stroops von der „SS-Führerschule

Abb. 4: Siegel und Unterschrift des SS-Oberführers der SS-Führerschule München-Dachau“, die vom München-Dachau „Führer der SS-Führerschule

275 R9361-III/558908, S.3. 276 Ebd. 277 Ebd. 278 Ebd. 279 Ebd. - 62 - 5. Analytischer Teil der Arbeit

München-Dachau“ „SS-Oberführer“ (Name ist leider nicht leserlich) unterzeichnet wurde (siehe: Abb. 4). Da es sich hier um ein Abschlusszeugnis der Führerschule in München-Dachau handelt, ist dieses Dokument mit großer Wahrscheinlichkeit an den Verwaltungsapparat des Dritten Reiches gerichtet. Die Quelle befindet sich so, wie die übrigen Seiten der entsprechenden Signatur, in einem passablen Zustand. Abgesehen von den gelben Rändern und den kleinen Einrissen am Seitenrand ist der Text sehr gut erhalten geblieben. Die Seiten sind beidseitig beschrieben und bestehen aus vorgefertigten Kategorien, die mit der Schreibmaschine im Nachhinein ergänzt wurden. Entstanden ist diese Beurteilung nach Abschluss der Schule am 21. Februar 1938 in Dachau im Zuge des „3.Lehrgang vom 9.1.- 19.2.1938“.280 Dem Zeugnis über Stroop ist zu entnehmen, dass der Verfasser bzw. Unterzeichnende des Dokuments ein Angehöriger des Nationalsozialismus war, der in der Führerschule die Rolle als Schulungs- und Bildungsbeauftragten innehatte. Es kann angenommen werden, dass die enthaltenen Informationen aus den abgelegten Prüfungen von Stroop entnommen wurden. Ob der Unterzeichnende nun anwesend war oder in einer persönlichen Beziehung zu Stroop stand, kann nicht gesagt werden. Festzuhalten ist allerdings, dass sie der gleichen Ideologie angehörig waren und mit großer Wahrscheinlichkeit dieselben Ziele verfolgten. Wie bereits erwähnt handelt es sich bei diesem Dokument um eine schriftliche Textquelle in Form eines Zeugnisses über die Teilnahme Stroops am „3. Lehrgang“ in der „SS- Führerschule München-Dachau“. Dementsprechend weist es den typischen Aufbau eines Zeugnisses auf, welches mehrere Kategorien enthält.281 Zu allererst werden allgemeine Informationen über den zu Beurteilenden genannt, wie der Name, Dienstgrad, SS-Nummer, seine Einheit, sowie das Alter. Darauf folgen drei Kategorien, die mit Hilfe von den Großbuchstaben „A, B, C“282 gekennzeichnet sind. Auf der ersten Seite der Beurteilung sind die zwei Kategorien „A“ und „B“ anzufinden. Der Punkt „A“ behandelt die „Allgemeine äußere Beurteilung“, die sich wiederrum in acht Unterpunkte, wie zum Beispiel „Haltung und Auftreten“, „Verhältnis zu den Vorgesetzten“ aufspalten.283 Im Abschnitt „B“ mit der Überschrift „Charaktereigenschaften“ reihen sich sechs weitere Unterpunkte, die die „geistige Frische“, aber auch das „Auffassungsvermögen“ Stroops erörtern.284 Ab der zweiten Seite des Zeugnisses beginnt die Beurteilung der Rubrik „C. Grad und Fertigkeit der Ausbildung“, die

280 R9361-III/558908, S.6. 281 Ebd. S.4. 282 Ebd. S.4ff. 283 Ebd. S.4. 284 Ebd. - 63 - Diplomarbeit sich etwas komplexer gestaltet als die vorangegangenen.285 Diese teilt sich wiederum in die Punkte von „I-VII“ auf, die sich wieder in einzelne Zweige aufspalten. Bei den Punkten „I-VII“ handelt es sich um die Bereiche „Ordnungsdienst“, „Geländedienst“, „Sport“, „Weltanschauung“, „Kenntnisse und Leistungen auf den übrigen Lehrgebieten“, „Gesamtbeurteilung“ und „Eignung“.286 Der Inhalt, den dieses Dokument vermitteln will, liegt also klar auf der Hand: eine umfangreiche Beschreibung Stroops Fähigkeiten und Kompetenzen als Nationalsozialist während seiner Ausbildung in der „SS-Führerschule“. Die Beschreibung des Stils fällt in diesem Sinne sehr knapp aus, da diese Beurteilung nur mit den Noten wie „gut“, „befriedigend“, „genügend“ und mit prägnanten Adjektiven wie „soldatisch, straff, selbstbewußt...“ erfolgt.287 Zur Intention des Schriftstücks kann gesagt werden, dass es als Abschlusszeugnis Stroops Ausbildung dienen sollte, die ihn auf seinen weiteren Werdegang im System begleiten sollte. Aus diesem Zeugnis geht allerdings hervor, dass die Entwicklung seiner Persönlichkeit zwar befriedigend war, er aber einen starken Willen besitzt, sich und sein Wesen der nationalsozialistischen Ideologie entsprechend weiterzuentwickeln. Diese mehr oder minder positive Beurteilung Stroops war somit an die Personalverwaltung des Dritten Reiches gerichtet, damit diese ihm einen geeigneten Posten zuweisen konnte. Abschließend wird die letzte Seite aus Stroops Personalakte vorgestellt, die der Signatur R 9361-III/558909 angehört. Auch bei diesem Dokument handelt es sich um eine Textquelle in Form einer Abschrift, die eine Beurteilung darstellt. Verfasst wurde dieser Text vom „Höheren SS- und Polizeiführer Rußland-Süd gez. Prützmann SS-Obergruppenführer und General der Polizei“288. An wen das Dokument gerichtet ist, kommt aus dem Text nicht ganz klar hervor, jedoch kann angenommen werden, dass sie für seinen nächsten Vorgesetzten bestimmt war. Der Grund dafür liegt in der Tatsache begründet, dass es sich bei diesem Schreiben um eine Versetzung289 Stroops handelt. Das Dokument weist nur minimale Gebrauchsspuren auf und ist in einem allgemein guten Zustand erhalten geblieben. Diese Seite ist mit dem 9. Dezember 1942 datiert und wurde in Kiew290 auf einfachem Kanzleipapier verfasst. Beim Verfasser des Schriftstücks handelt es sich um Hans-Adolf Prützmann (1901-1945), der sich bereits früh der NSDAP anschloss und eine steile NS-Karriere einschlug. Prützmann

285 R9361-III/558908, S.5. 286 Ebd. S.5f. 287 Ebd. S.4ff. 288 R 9361-III/558909, S.7. 289 Ebd. 290 Ebd. - 64 - 5. Analytischer Teil der Arbeit war in seiner Funktion maßgeblich an der systematischen Vernichtungspolitik gegen die jüdische Bevölkerung der besetzten baltischen Ländern und der Ukraine beteiligt.291 Während des Verfassens des Berichts war er also persönlich anwesend, was eine zeitliche und örtliche Nähe zum Geschehen bestätigt. Über die persönliche Beziehung zwischen Prützmann und Stroop kann allerdings nicht viel gesagt werden, außer dass ersterer als Vorgesetzter fungierte. Dieses Schriftstück stellt eine Beurteilung Stroops (Abschrift) hinsichtlich seiner Tätigkeit als „Inspekteur des Oberbauabschnitts Kirowograd“ dar.292 Aufgebaut ist diese Beurteilung wie ein Brief mit Kopfzeile, die den Absender, das Datum und den Ort, sowie den Betreff nennt. Nach der Überschrift folgt ein kurzer schriftlicher Abb. 5:Signatur des Höheren SS- und Polizeiführer Rußland-Süd Prützmann Text, der das Aufgabengebiet Stroops erörtert und wie dessen Bereitschaft mit zunehmenden Schwierigkeiten dahinschwand. Nach seiner darauffolgenden Versetzung zum „SS-und Polizeiführer Nikolajew“ „hat er sich dort bestens bewährt“.293 Den Abschluss des Schreibens bildet dann die Unterschrift Prützmanns mit seinem Rang und eine Unterschrift als Beglaubigung für die Richtigkeit (siehe: Abb. 5).294 In Bezug auf den Stil des Verfassers ist ein formeller Ausdruck zu verspüren, der sich der Sprache des Nationalsozialismus bedient, indem er starke Wörter und Superlative bei der Beschreibung Stroops Wesen verwendet: „maßgeblich“, „trotz größter Schwierigkeiten“.295 Über die Intention, die hinter dem Schreiben steckt, kann festgestellt werden, dass diese Beurteilung über Stroops Tätigkeitsbereich als Information für seinen nächsten Vorgesetzten gesehen werden kann. In diesem Dokument wollte Prützmann hervorheben, dass Stroop ein bemühter Mann war, dessen Bereitschaft zwar im Laufe des Einsatzes abnahm, aber er im Grunde ein Mann ist, der gemäß den Vorschriften handelt. Über das Verhältnis zum Adressaten kann nicht viel gesagt werden, außer, dass es formeller und beruflicher Natur gewesen sein muss.

291 Eintrag zu Prützmann. In: https://www.gedenkorte-europa.eu/de_de/article-hans-adolf-prutzmann-1901- ndash-1945.html [Abruf: 16.05.2019]. 292 R 9361-III/558909, S.7. 293 Ebd. 294 Ebd. 295 Ebd. - 65 - Diplomarbeit

5.3 Selbstdarstellung Jürgen Stroops – eine Analyse In der nachfolgenden Analyse, die das Herzstück der Untersuchung ausmachen soll, werden die eben vorgestellten Quellen/Quelleneditionen anhand des Kriterienkatalogs aus dem Kapitel 5.1 Kriterienkatalog analysiert. Die einzelnen Materialien werden in derselben Reihenfolge, wie im vorherigen Kapitel wiedergegeben. Um einer möglichen Monotonie entgegenzuwirken, werden die Antworten auf die gestellten Fragen in Form eines Fließtextes ausgeführt werden. Am Ende einer jeden Untersuchung soll ein Resümee einen Überblick über die gefundenen Ergebnisse liefern, um im Nachhinein die Vergleichbarkeit mit den anderen Quellen zu erleichtern.

5.3.1 Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr! Bereits die ersten Seiten des Berichts lassen darauf schließen, dass sich Stroop als organisierten, strukturierten, sorgfältigen und genauen Mann präsentieren will. Indizien dafür lassen sich in der genauen Auflistung der „Gefallenen“, „Verwundeten“ sowie der „Einsatzkräfte“296 wiederfinden, die er allesamt nach demselben Prinzip/Schema ausführlich anführt, wodurch der Eindruck einer Gründlichkeit bzw. Präzision vermittelt wird. Mit anderen Worten kann auch gesagt werden, dass Stroop pedantische Charakterzüge mit sich bringt und alle Dinge mit übertriebener Exaktheit ausführt. Wirft man in weiterer Folge einen genaueren Blick auf die zwölfseitige Ausführung über die Umstände bzw. die Schilderung der Ereignisse vor, während und nach dem Aufstand, wird ersichtlich, dass er hier eine indirekte Charakterisierung seiner Person vornimmt. Zum einen will er sich durch seine Kenntnisse über die Geschichte der jüdischen Bevölkerung, aber auch durch das Wissen über die damaligen Hergänge in anderen Ländern, als belesenen und gebildeten Mann darstellen, der nicht nur in seinem Territorium über alles Bescheid weiß, sondern auch außerhalb dessen im Bilde des Geschehens ist.297 Zum anderen ist bei den Ausführungen über die Gründe bzw. Notwendigkeit der Errichtung des jüdischen Wohnbezirkes und der Ereignisse während des Aufstandes auffallend, dass er sich dem Prinzip der Kontrastierung bedient und die Strategie der Schwarz-Weiß-Malerei verfolgt. In diesem Sinne strebt er eine gegensätzliche Darstellung der ‚arischen‘ und der jüdischen ‚Rasse‘ an, wobei er seiner eigenen und dadurch auch sich nur positive Attribute zuschreibt und die jüdische immerfort beschmutzt sowie entehrt. Mit dieser Strategie versucht er ‚seine Rasse‘ aber im Besonderen sich selbst über alles und jeden anderen zu erheben, um sich in ein besseres Licht zu rücken. Um der positiven Beschreibung seiner ‚Rasse‘ und seiner Person noch mehr Ausdruck zu verleihen, verwendet er bei der Beschreibung der jüdischen Bevölkerung im hohen

296 Stroop 1960, S.2ff. 297 Ebd. S. 8ff. - 66 - 5. Analytischer Teil der Arbeit

Maße degradierende, aber auch abwertende Begriffe, wie „verräterische“298 , „feige “299 und ‚hinterlistige‘ Juden, die zu allem bereit sind, um ihre Ziele zu erreichen.300 Demgegenüber stellt er die eingesetzten deutschen Truppen als „mutig(e)“301, „harte“ Männer dar, die „stets beispielhaft und vorbildlich ihren Mann standen“, denen „der von ihnen gezeigte Schneid, Mut und die Einsatzfreudigkeit besonders anerkannt werden“ müssen und über „beispielhaftes Draufgängertum“ verfügen.302 Indem er also seine Einsatzkräfte beschreibt, schreibt er sich indirekt die oben genannten Eigenschaften selbst auch zu, denn die befehligten Truppen können nur dann erfolgreich sein, wenn sie von einem guten Heerführer befehligt werden. Nur ein Befehlshaber, der mit Leib und Seele bei der Arbeit ist, kann diese Motivation und Einsatzbereitschaft auch auf ‚seine Männer‘ übertragen. Befehlshaber und ausführende Kräfte bilden in diesem Sinne eine Einheit (Einigkeit in Ideologie und Charakter). Nachdem sich also dieses Muster der Kontrastierung von ‚Arier‘ und ‚Jude‘‚ also ‚Gut‘ gegen ‚Böse‘ durch den gesamten Bericht wie ein roter Faden zieht, kann angenommen werden, dass er dieses Prinzip deswegen verfolgt, um sich selbst die Rolle eines begabten, strategischen und weitsichtigen Heerführers zuzuschreiben, der auch in kritischen Situationen in der Lage ist, seine ihm unterstellten Einheiten erfolgreich zu befehligen und anzuleiten. Um seine wichtige Rolle als Leiter der Aktion nochmals hervorzuheben und zu unterstreichen, verwendet er bei entscheidenden und wichtigen Situationen viele „Ich-Botschaften“, die seine Entschlusskraft und sein Durchsetzungsvermögen untermauern sollen. Ebenfalls möchte er sich damit selbst hervorheben und sich somit als Schlüsselfigur positionieren, sprich, als Person, ohne die der Einsatz zum zweiten Mal gescheitert wäre. In solchen Situationen äußert er sich wie folgt: „setzte ich durch“, „entschloß ich mich“, „ich habe durchgesetzt“303, „gab ich den Befehl“ sowie „habe ich veranlaßt“304. Die beiden Strategien – Kontrastierung und „Ich-Botschaften“ – wendet Stroop aber nicht nur in schriftlicher, sondern auch in bildlicher Form an. In seinem „Bildbericht“ fügt er mehrere Fotografien ein, die die überzogenen Darstellungen der Juden und seiner Rolle als strategischen Befehlshaber nochmals unterstreichen und bestärken sollen. In den beiden nachfolgenden abgebildeten Fotografien sind die eben genannten Strategien Stroops gut erkennbar und nachvollziehbar. Das in der unten abgebildeten Fotografie mit dem Titel „Jüdische Verräter“

298 Stroop 1960, S.14. 299 Ebd. S.15. 300 Ebd. S.13. 301 Ebd. S.16. 302 Ebd. S.17. 303 Ebd. S.23. 304 Ebd. S.37. - 67 - Diplomarbeit

(siehe: Abb. 6) ist nicht nur ein ausgezeichnetes Beispiel für eine gegensätzliche Darstellung der deutschen und der jüdischen Bevölkerung, sondern auch für die Hervorhebung/Betonung

Abb. 6: Jüdische Verräter seiner Person. In diesem Bild stehen die zwei mutmaßlichen ‚verräterischen Juden‘ fünf uniformierten Männern der deutschen Wehrmacht gegenüber. Bereits auf den ersten Blick, kann hier die erwähnte Kontrastierung beobachtet werden: zwei magere jüdische Männer in alter und in schlechten Zustand befindlicher Kleidung, die degradierend als „Verräter“ bezeichnet werden, stehen hier den top ausgerüsteten, sorgfältig gekleideten, sauberen und wohlgenährten deutschen Männern gegenüber. Die deutschen Männer unterscheiden sich zwar hinsichtlich ihrer Uniform voneinander, treten aber trotzdem als Einheit gegenüber den zahlenmäßig unterlegenen Juden auf. Diese Positionierung kann als erstes Indiz für die Stärke und Überlegenheit der Deutschen und im Besonderen Stroops angesehen werden. Wirft man einen genaueren Blick auf die Gesichter der deutschen Männer, so kann man erkennen, dass es sich beim dritten Mann von rechts um Jürgen Stroop handelt. Es erweckt den Eindruck, als ob er den Mittelpunkt des Bildes darstellen will, obwohl laut der Beschriftung – „Jüdische Verräter“ – die Rückgradlosigkeit der Juden im Fokus stehen sollte. Richtet man die Aufmerksamkeit auf Stroops Auftreten in diesem Bild, so kann gesagt werden, dass er sich als selbstbewusster, sicherer und gepflegter Mann mit arischem Erscheinungsbild der Wehrmacht hervortut, der sich in der Mitte des Geschehens befindet und mitwirkt. Er versucht hier zu zeigen, dass er nicht nur von einem Büro aus dirigiert, sondern buchstäblich mit Leib und Seele

- 68 - 5. Analytischer Teil der Arbeit bei der Arbeit ist und selbst mitwirkt. Dadurch können ihm wiederum Eigenschaften wie strebsam, bemüht sein, arbeitsfreudig und eine ausdauernde Haltung nachgesagt werden. Die Gründe, warum Stroop eben dieses Bild seinem Bericht beigefügt hat, sind die Hervorhebung seiner herausragenden Persönlichkeit und im selben Atemzug auch das Denunzieren des jüdischen Volkes. In einem anderen Bild, welches den vielverheißenden Titel „Der Führer der Großaktion“ (siehe Abb. 7) trägt, kommt die Strategie der „Ich-Botschaft“ in einer etwas anderen Art und Weise zum Vorschein. Hier verzichtet er zwar auf das „Ich“ wählt aber stattdessen das aussagekräftige Wort „Führer“. Umringt von Rauch und Fahrzeugen stehen im Mittelpunkt des Bildes fünf Männer in Uniformen. Die Männer scheinen erfreut und stolz darüber zu sein, was sich jenseits des Bildrandes abspielt. Bei den abgelichteten Männern im Vordergrund können bekannte Gesichter wiedererkannt werden. Von rechts nach links gehend sind hier Josef Blösche (Sicherheitsdienst), Heinrich Klaustermeyer, Stroops Adjutant Karl Kaleske oder Erich Steidtmann, Jürgen Stroop selbst, eine unbekannte Person und im Hintergrund vermutlich der Leibwächter Stroops zu sehen.305 Stroop befindet sich genau im Zentrum der Fotografie,

Abb. 7: Der Führer der Großaktion wodurch der Betrachter des Bildes sofort die Aufmerksamkeit auf ihn richtet. Seine Haltung ist in diesem Fall sehr auffällig: er versucht sich hier in Pose zu setzen, um den strategischen,

305 Eintrag zu Stroop-Report-Warsaw Ghetto Uprising. In: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Stroop_Report_-_Warsaw_Ghetto_Uprising_03.jpg [Abruf: 05.06.2019]. - 69 - Diplomarbeit hartnäckigen und selbstbewussten „Führer der Großaktion“ zu repräsentieren. Er steht an diesem Platz, umringt von starken Männern, mit einer lockeren aber zugleich strammen Körperhaltung, herausgeputzt in seiner Uniform samt aller Abzeichen, um seine ausgezeichneten Führungsqualitäten zu beweisen. Wie bereits im Bericht, versucht er sich auch hier als den Helden darzustellen, der den Juden und dem unvorhergesehenen Aufstand bei weitem überlegen ist. Ein zusätzliches Zeichen, welches Überlegenheit suggerieren soll, ist der selbstgewählte Untertitel „Der Führer der Großaktion“. Auffällig ist vor allem das Wort „Führer“, mit dem er versucht, sich mit Adolf Hitler auf eine Ebene zu stellen. Das alles sind Anzeichen für seinen Geltungsdrang und seinem Wunsch nach Beförderung. Er verwendet außerdem fortwährend Situationen zur Selbstdarstellung, in denen immer ein gewisser Hang zu Dramatik spürbar ist. Bei seinen Ausführungen versucht er immer die Rolle des Helden bzw. des Retters einzunehmen. Besonders spürbar wird dieses Phänomen bereits am Anfang seines Berichtes, in dem er stolz über die Übernahme der Führung schreibt, nachdem sein Vorgänger bei der Mission versagte. Dies schildert er mit folgenden Worten:

Ich selbst traf am 17. April 1943 in Warschau ein und übernahm die Führung der Großaktion am 19.4.1943 um 8.00 Uhr, nachdem die Aktion selbst schon um 6.00 Uhr an diesem Tag begonnen hatte.306 Nachdem also die angesetzte „drei-Tages-Aktion“ von von Sammern-Frankenegg bereits am ersten Tag durch heftige Gegenwehr seitens der jüdischen Bevölkerung scheiterte, scheint es, als ob er sich als Retter in der Not sieht, um die ‚tapferen Arier‘ vor den ‚hinterlistigen Juden‘ zu schützen und diese gemeinsam mit seinen Einheiten zu vernichten. Da es sich beim Stroop Bericht um eine militärische Berichterstattung über die Ereignisse im Warschauer Ghetto handelt, ist es kaum verwunderlich, dass Stroop seine Eltern bzw. seine Erziehung mit keinem Wort erwähnt. Nichtsdestotrotz können Jürgen Stroops Charaktereigenschaften, wie Treue, Gehorsam, Zielstrebigkeit aber auch eine soldatische Unterwürfigkeit nachgewiesen werden, die er von seinem strengen Vater antrainiert und vorgelebt bekommen hat. Ein ausgezeichnetes Beispiel liefert folgender Ausschnitt:

Am 23.4.1943 erging vom Reichsführer-SS über den Höheren SS- und Polizeiführer Ost in Krakau der Befehl, die Durchkämmung des Ghettos in Warschau mit größter Härte und unnachsichtlicher Zähigkeit zu vollziehen. Ich entschloß mich deshalb, nunmehr die totale Vernichtung des jüdischen Wohnbezirkes [...] vorzunehmen.307

306 Stroop 1960, S.11. 307 Ebd. S.16. - 70 - 5. Analytischer Teil der Arbeit

Hier kristallisiert sich das soldatische Wesen Stroops sehr schön heraus, welches ihm augenscheinlich vorschreibt, dem Prinzip ‚Befehl ist Befehl‘ zu folgen und das ohne Rücksicht auf Verluste. Ohne viel Aufhebens oder Nachdenkens, fasst er entsprechend des Befehls den Entschluss die „totale Vernichtung“ der Warschauer Ghetto Juden vorzunehmen. Hinsichtlich der ‚Judenfrage‘ zeichnet sich in seinem Bericht ebenfalls ein klares Muster ab, nämlich, dass er ein überzeugter Nationalsozialist ist, der gewillt ist, mit allen Mitteln und Wegen gegen das „Untermenschentum“ und „Gesindel“308 vorzugehen. Er beabsichtigt alle jüdischen Ghettoinsassen bis auf den letzten Juden zu vernichten und gibt das auch klar in seinem Bericht zu verstehen: „Der Unterzeichnete ist entschlossen, die Großaktion nicht eher zu beenden, bis auch der letzte Jude vernichtet ist.“309 Außerdem vertritt bzw. teilt er die Meinung, dass „die arische Bevölkerung vor den Juden zu schützen“310 sei und dass „die Juden sowohl in hygienischer als in sicherheitspolizeilicher Hinsicht eine Bedrohung“311 darstellen. Dementsprechend hebt Stroop in seinem Bericht die Rolle der jüdischen Frauen des Öfteren hervor, die entgegengesetzt zu seinem Weltbild über Frauen, die im Nationalsozialismus den Herd hüten sollen, 312 aktiv am Widerstand mitgekämpft haben. Über die aktive Beteiligung der „zu den Kampfgruppen gehörenden Weiber“313 zeigt sich Stroop überaus schockiert und entrüstet. Dies ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass „emanzipatorische Bestrebungen […] in den Augen der Nationalsozialisten eine Erfindung jüdischen […] Geistes“ sind, die es zu verurteilen gilt.314 Demnach kann gesagt werden, dass er sich selbst als Nationalsozialist sieht und auch darstellen will, dass er bestrebt ist, sein Erbgut und seine ‚Rasse‘ vor jüdischen Einflüssen zu schützen. Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass sich Jürgen Stroop selbst als einen organsierten, strukturierten, genauen (Pedant) und auch gebildeten Mann präsentiert. Weiters schreibt er sich die Rolle des erhabenen, weitsichtigen, als auch strategischen Befehlshaber zu, der über Entschlusskraft und Durchsetzungsvermögen (Geltungsdrang) verfügt. In den Bildern inszeniert er sich als selbstbewussten, sicheren, gepflegten und vor allem ‚arischen‘ Befehlshaber. Außerdem schreibt er sich selbst die Rolle des Helden bzw. Retters in der Not zu, der die ‚Arier‘ vor den Juden beschützt und das Warschauer Ghetto ‚bereinigt‘. Die durch

308 Stroop 1960, S.37. 309 Ebd. S.59f. 310 Ebd. S.8. 311 Ebd. S.9. 312 Wagner, Leonie Prof. Dr. (2008): Ein Ende mit Schrecken. Die Frauenbewegung wird gleichgeschaltet. In: https://www.bpb.de/gesellschaft/gender/frauenbewegung/35269/frauen-im-nationalsozialismus [Abruf: 01.07.2019]. 313 Stroop 1960, S.15. 314 Wagner 2008. - 71 - Diplomarbeit seine Eltern einverleibten Eigenschaften des (blinden) Gehorsams, der Treue, Zielstrebigkeit, aber auch soldatische Unterwürfigkeit äußern sich vor allem in der widerspruchslosen Befehlsausführung von höheren Instanzen. Allen voran zeigt er sich in seinem Bericht als überzeugter Nationalsozialist, der die jüdische Bevölkerung aufs Tiefste verabscheut und somit an der ‚Lösung der Judenfrage‘ erheblich beteiligt ist.

5.3.2 Testimony of Jürgen Stroop In der Aussage vor dem polnischen Gericht schreibt sich Stroop einerseits die positiven Eigenschaften eines erfahrenen Einsatzleiters zu, aber andererseits stellt er sich als soldatische Natur dar. Damit wollte er seine eigentliche Rolle als Befehlshabender der Großaktion schmälern. Für ersteres dient beispielsweise die Äußerung „I must step in now. I made it clear that requesting air support was out of the question.”315. Diese Aussage bezieht sich auf das anfängliche Scheitern seines Vorgängers von Sammern-Frankenegg, der augenscheinlich eine nicht erfolgversprechende Strategie verfolgte, um die Aufständischen zu bekämpfen. Aus diesem Grund ergreift Stroop in dieser Situation die Initiative und schildert eindrucksvoll seinen Mut sowie seine Entschlusskraft einzuschreiten. In diesem Sinne stellt er sich als Stratege dar, der sich erst ein Bild über die Lage verschaffen will, der Tatsachen abwiegt, um nicht vorschnell zu handeln. Dieser Akt soll also seine Weitsicht, Erfahrung und vor allem Überlegenheit zum einen über die Juden, und zum anderen im besonderen Maße über von Sammern-Frankenegg verdeutlichen. Beinahe mustergültig schildert er sein erstes Eintreten in das Ghetto, indem er folgendes Szenario beschreibt:

I asked the officers to follow me. There was shooting there, but I ignored that. When one demands of soldiers to enter, one must enter himself too. By a tree, I asked for a plan of the ghetto and found out what the place looked like according the map. I gave the commanders the proper orders [...].316 In diesem kurzen Ausschnitt kommen indirekt mehrere selbst zugeschriebene Eigenschaften ans Tageslicht: sein Charakter als Anführer, seine Tapferkeit/sein Mut das umkämpfte Ghetto zu betreten, die Loyalität gegenüber seinen Männern, indem er sich gemeinsam mit ihnen in Gefahr begibt und letztendlich seine Gelassenheit und sein Strategiebewusstsein, das sich darin äußert, indem er zuerst versucht, sich einen Überblick über das Geschehen im Ghetto zu verschaffen, um dann in weiterer Folge geeignete Befehle zu erteilen. Allerdings versucht er im nächsten Moment seine zuvor hervorgehobene Rolle als Leiter der Aktion zu schmälern,

315 Person 2013, S.370. 316 Ebd. - 72 - 5. Analytischer Teil der Arbeit indem er darauf beharrt lediglich seine „military orders“317 ausgeführt zu haben, die er als einfacher „soldier“318 erhielt. Des Weiteren gibt er auch immer wieder klar zu verstehen, dass er niemals selbstständig Entscheidungen getroffen hat, sondern zu Beginn der Aktion/seiner Ankunft in Warschau lediglich die Rolle eines „observers“319 einnahm, der keinerlei Ahnung hatte, wozu er eigentlich in Warschau ist. Demütig, gehorsam und unwissend weist er darauf hin: „I was to stay there and await further orders.“320 Obendrein versucht er den Bedeutungsgrad seiner Aktivitäten bzw. seine Rolle im Ghetto immerfort mit Äußerungen wie „I am not a politician“321, „I am not an expert“322 sowie „My work was not that important. […] My activity did not have such significance.“323 zu schmälern. In weiterer Folge untermauert er immer wieder seinen weitreichenden Gehorsam, seine Treue und vor allem die widerstandslose Befehlsübernahme in Bezug auf Höherrangige, indem er sich wie folgt äußert: „To carry out Himmler´s order, I followed this advice (burn down all houses in the ghetto), knowing that this matter was of great importance to Himmler.“324 Durch diese Aussage versucht er zu verdeutlichen, dass er niemals eigenmächtig Entscheidungen getroffen hat, sondern stets so handelte, was andere ihm befahlen. Dadurch macht es den Anschein, dass Jürgen Stroop als Marionette für Himmler fungierte und somit nur ausführende Kraft für das Dritte Reich ist. Unabhängig davon schreibt sich Stroop in einer anderen Passage die Charaktereigenschaften der „chivalry“325 (Ritterlichkeit) zu:

In my life I have always tried to act chivalrously. It was the most important thing [I could give] my wife and children. Throughout my life I tried to extend to other women the chivalry I had toward my wife.326 In diesem Sinne bedient er sich den Tugenden eines Ritters und misst sich dabei die Eigenschaften der Treue, Ehre, Tapferkeit, Wehrhaftigkeit, Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit und Demut bei.327 In diesem kurzen Ausschnitt beschreibt er sich nicht nur als tugendhaften Mann, sondern charakterisiert sich auch als Familienmensch, der seine Frau und Kinder ehrt und über alles andere stellt. Diese Ehre erteilt er somit auch anderen Müttern, auch wenn sie Juden sind. Er gibt hiermit zu verstehen, dass er niemals Frauen und Kinder töten könne. Dem kommt

317 Person 2013, S.370. 318 Ebd. 319 Ebd. S.369. 320 Ebd. 321 Ebd. S.379. 322 Ebd. S.398. 323 Ebd. 324 Ebd. S.373. 325 Ebd. S.379. 326 Ebd. 327 Eintrag zu Die Tugenden der Ritterschaft. In: https://www.drachenreiter.de/galladoorn/ritterschaft/tugenden [Abruf: 12.09.2019]. - 73 - Diplomarbeit hinzu, dass er sehr darum bemüht war, seine Loyalität gegenüber seinem Vaterland und seiner Kameraden Ausdruck zu verleihen. Deshalb zeigt er sich einmal mehr über das Verhalten seines Mitangeklagten Konrads entrüstet, der ihm unentwegt in den Rücken fällt. Dahingehend äußert er sich mit folgenden Worten: „[…] in my opinion, it is not right when two Germans act against each other.”328 Er kann es nicht verstehen, dass ein Deutscher, ein Verbündeter, sein eigener Landsmann die Schamlosigkeit besitzt, seinem Artgenossen in den Rücken zu fallen. Dies entspricht anscheinend nicht dem Ehrenkodex, dem Stroop sein Leben lang treu geblieben ist. Stroop versucht sich im Großen und Ganzen durch drei verschiedene Arten von Situationen selbst darzustellen. Zum einen schildert er konkrete Ereignisse, in denen er sich als Soldat präsentiert, der mit wenig Interesse und Aufregung dem Spektakel folgt, ohne zu wissen für welchen Zweck er sich überhaupt in Warschau befindet. Diese Haltung macht sich vor allem im nachfolgenden Ausschnitt bemerkbar:

As I did not have anything better to do, the next morning I went to the SS and police headquarters. A meeting of the commanding officers, who were to begin the operation […]. I sat there listening, sometimes more carefully, sometimes less, but without any special interest, because I did not know if I would even deal with these matters.329 Zum anderen verwendet er Situationen, in denen er zwar seine Rolle als Befehlshaber hervortut, diese im nächsten Schritt aber wieder schmälert und hinzufügt, dass er gewillt war, seine Befehle auf menschliche Art und Weise auszuführen:

I believe that on account of that dispatch (Jews might put up armed resistance) General Krüger ordered that I was to perform the clearing of the ghetto instead of Sammern. […] I gave the commanders the proper orders, in accordance with rules of engagement.330 Abschließend verfolgt er aber auch die Taktik, in der er versucht seine Taten zu schmälern und im Zuge dessen seine Unschuld zu beweisen: „And I wish to say something more. […] Thousands of people reported of their own will to the reloading point [at the Umschlagplatz] because they wanted to board the train.331 In der Verhandlung seiner Kriegsverbrechen in Polen gibt es einen klaren Abschnitt, bei der er bewusst auf seine soldatische Erziehung durch seinen Vater verweist: „I have acted like a soldier my entire life. I have always been a military man, and I do not believe that I can shed this skin.”332 Hierdurch gibt er zu verstehen, dass er gar keine andere Wahl hatte, anders zu reagieren, da er bereits in seiner Kindheit eine soldatische Erziehung genoss. Somit will er noch

328 Person 2013, S.377. 329 Ebd. S.369. 330 Ebd. S.370. 331 Ebd. S.372. 332 Ebd. S.380. - 74 - 5. Analytischer Teil der Arbeit einmal mehr seine soldatische Natur hervorheben, durch die er gezwungen ist, Befehle widerstandslos auszuführen. Ein weiterer Aspekt, der dadurch zum Vorschein kommt, ist das Beharren auf seine Unschuld, von der er selbst im hohen Maße überzeugt ist. Er kann es einfach nicht verstehen, dass seine Taten Verbrechen waren – hat sich Deutschland doch im Krieg befunden, das er gemäß seines Ehrenkodexes zu verteidigen hatte. Bezüglich der ‚Judenfrage‘ bzw. der Ideologie des nationalsozialistischen Regimes gibt es in der Aussage Stroops mehrere Passagen, die mehr oder weniger Aufschluss darüber geben, welche Position er dahingehend einnimmt. Jedoch erweckt es den Anschein, als würden seine Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen. Zu allererst ist zu erwähnen, dass er für die Juden eine einheitliche Bezeichnung hat, nämlich „ghetto inhabitants“333 und niemals abwertende Ausdrücke für sie verwendet. Wenn in der Verhandlung die Frage gestellt wurde, warum er in seinem eigens verfassten Bericht über die ‚Großaktion‘ Begriffe wie ‚Untermenschentum, Gesindel, Banditen, Partisanen...‘ und andere menschenunwürdige Bezeichnungen für die Juden verwendet hat, antwortete er stets: „Because Fischer used it in conversation with me. [...] It was his expression. [...] I adopted that term.“334 Außerdem gibt er in weiterer Folge klar zu verstehen, dass er persönlich nie etwas gegen Juden hatte:

For me, personally, it was not a political question, and I have never attached importance to population problems – whether someone was a Catholic, a Lutheran, or a Jew. I grew up in a small town […]. And although I do not wish to give the impression here that I am trying to act as a friend of Jews, or their supporter, or that I want to beg for my life, I still would like to stress, that there where Jewish schoolboys in my town, too, and Jews living in my neighborhood as well.335 Nachfolgend lässt er die im Gerichtssaal Anwesenden wissen, dass er zwar der Partei des NS angehörig war, aber kein Anti-Semit war: „I knew that the party has chosen anti-Semitism as its goal, but it did not mean that, as a member of the party, I needed to be an active anti- Semit.”336 Des Weiteren antwortete er auf die Frage, warum er dann das Ghetto niedergebrannt hat, wenn es das Ziel war, die jüdische Insassen zu ermorden: „I think that it had nothing to do with anti-Semitism. The buildings were to be destroyed to create a green terrain.”337 Durch diese Aussagen bezüglich der Ideologie bzw. der ‚Judenfrage‘, die er während der Verhandlung preisgegeben hat, wollte er zeigen, dass er nichts gegen Juden an sich hatte und somit auch kein Anti-Semit war. Ihm ging es lediglich darum, sein Vaterland und seine ‚Rasse‘ gegenüber

333 Person 2013, S.373. 334 Ebd. S.386f. 335 Ebd. S.380. 336 Ebd. S.381. 337 Ebd. S.382. - 75 - Diplomarbeit

Angreifern, welche Juden seiner Meinung nach waren, zu schützen: „[...] I realized that there was a struggle there, a resistance that had to be overcome.”338 Somit wollte er beweisen, dass es seine (Kriegs-) Pflicht war, gegen diese Menschen zu kämpfen und es dadurch kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit war. Resümierend kann gesagt werden, dass sich Stroop im Gerichtsprozess als erfahrenen Einsatzleiter und Strategen präsentiert, der über Charaktereigenschaften wie Weitsicht, Tapferkeit, Mut und vor allem über Loyalität gegenüber seinen Männern verfügt. Obwohl er der Befehlshabende während des Aufstandes im Ghetto war, weist er daraufhin, dass er die Befehle als einfacher Soldat ausgeführt, niemals eigenmächtige Entscheidungen getroffen hat und somit treu und gehorsam gegenüber höheren Instanzen gehandelt hat. Des Weiteren schreibt er sich selbst die Eigenschaften eines Ritters zu, die vor allem treu, gerecht und aufrichtig sind, sowie ehrenhaft zu handeln. Ebenso lässt er seine Erziehung in der frühen Kindheit einfließen, indem er zu verstehen gibt, dass er seit Anbeginn eine strenge soldatische Erziehung durch seinen Vater genoss, die sichtlich Spuren bei ihm hinterlassen hat. Diese prägte ihn für sein ganzes Leben. Hinsichtlich der ‚Judenfrage‘ zeichnet sich auch ein klares Bild ab, obwohl hier angenommen werden kann, dass dies nicht der vollen Wahrheit entsprechen kann. Im Prozess besteht er immer wieder darauf, dass er kein Anti-Semit und somit kein Judenfeind aber auch kein Judenfreund war. Außerdem hält er daran fest, sich nicht für Rassenmerkmale interessiert zu haben und infolgedessen, auch keine Kenntnisse dahingehend gehabt zu haben. Ihm war es wichtig zu erläutern, dass er gegenüber allen anderen Religionen tolerant war.

5.3.3 Äußerungen Stroops nach dem Kriege und die drei Nachkriegsgespräche mit Edelman, Auerbach und Grajek

. JÜRGEN STROOPS ÄUßERUNGEN NACH DEM KRIEGE In den schriftlichen Erläuterungen auf die Fragen von Dr. Josef Kermisz stellt sich Jürgen Stroop als einen tapferen, mutigen und furchtlosen Soldaten dar, der bereits im Ersten, aber auch im Zweiten Weltkrieg an vorderster Linie für das Vaterland mitgekämpft hat. Außerdem machten ihn die Ereignisse, die er in den fünf Jahren nach 1943 erlebte, härter, standfest und vor allem ausdauernd.339 Hinzu kommt seine widerspruchslose Befehlsübernahme, durch die sein Gehorsam und seine Treue gegenüber seinem Volk sowie seinen Vorgesetzten zum Vorschein kommt: „Am 17. April 1943 erhielt ich von dem Höheren SS- und Polizeiführer Krakau, General Krüger, den Befehl, sofort nach Warschau zu fahren, um dort einen Einsatz

338 Person 2013, S.374. 339 Wulf 1961, S.187. - 76 - 5. Analytischer Teil der Arbeit durchzuführen.“340 In diesem kurzen Ausschnitt kommt seine penible und genaue Art, seine Ausführungen zu schildern, zum Vorschein. Hierbei achtet er vor allem darauf, den exakten Rang seines Vorgesetzten anzugeben. Dieses Muster zieht sich durch seine gesamte Schilderung hindurch. In weiterer Folge präsentiert er sich fortwährend als einen strategischen Befehlshaber, der bemüht ist, sich über andere, aber im Besonderen über seinen Vorgänger von Sammern-Frankenegg zu erheben. Ein solches Beispiel liefert nachfolgender Ausschnitt:

Oberst von Sammern erzählte mir, trotz Geheimhaltung sei der Aktionsbeginn bereits am 17. April telefonisch aus dem Ghetto bekanntgegeben. Meines Erachtens war diese Tatsache ausschlaggebend dafür, daß in den Morgenstunden des 19. April 1943 die Einsatzkräfte des SS- und Polizeiführers beim Eindringen ins Ghetto einen Fehlschlag erlebten.341 In diesem Auszug macht Stroop seinen Vorgänger für das Scheitern des geplanten Vorhabens verantwortlich, denunziert ihn sozusagen und tut sich im selben Schritt als Stratege hervor, der den Blick fürs Ganze besitzt. Hierbei soll aber nicht außer Acht gelassen werden, dass eigentlich Stroop diesen Einsatz leiten hätte sollen. Um dieses Fehlverhalten bzw. die Nichtübernahme der sofortigen Befehlsgewalt zurechtfertigen, äußert er sich dazu mit folgenden Worten:

Erst am Samstagabend (18.4.1943) teilte mir von Sammern mit, daß er den Befehl, das Ghetto zu räumen und zu vernichten, an mich abzutreten hatte. Der Zeitpunkt der Übergabe des Befehls war freigestellt. Da von Sammern alle Vorbereitungen getroffen hatte, ihm außerdem Einsatzkräfte und Örtlichkeiten genauestens bekannt waren, ließ ich ihn auf seinen Wunsch die Aktion – so war das geplante Unternehmen bezeichnet – wie vorgesehen beginnen.342 In diesen Zeilen der Rechtfertigung über die spätere Befehlsübernahme, will sich Stroop noch einmal mehr als Strategen darstellen, der wohlüberlegt und vor allem aufgrund strategischer Überlegungen (örtliche Kenntnis und bereits vorgenommene Aufstellung der Einsatzkräfte) von Sammern-Frankenegg den Vortritt zur Befehlsausführung lässt. Außerdem präsentiert er sich hier als gutherzigen und mitfühlenden Mann, der Sammern die Möglichkeit bietet, seinen geplanten Einsatz selbst durchzuführen. Durch das anschließende Scheitern von Sammern- Frankeneggs konnte er sich im Anschluss nicht nur als gutherzigen Befehlshaber hervortun, sondern er nutze die Situation dahingehend, um sich als heldenhafter Retter zu inszenieren, der die deutschen Einheiten anschließend zum Sieg führen wird: „Auf Grund dieser Lage übernahm ich etwa eine Stunde später den Befehl und von Sammern zog sich wegen Krankheit zurück.“343

340 Wulf 1961, S.192. 341 Ebd. S.190. 342 Ebd. S.192f. 343 Ebd. S.193. - 77 - Diplomarbeit

Um sich ins Rampenlicht zu rücken, weist er darauf hin, dass er, obwohl er sich im Ghetto bis zu seiner Ankunft in Warschau nicht auskannte, sofort die Priorität und Wichtigkeit der Vorräte und Lager erkannt hatte:

Gleich in den ersten Tagen stellte ich das Vorhandensein großer Lager und Vorräte fest, […]. Bis zum 19. April war mir das Ghetto und alles, was es enthielt unbekannt. Den Wert und die Bedeutung dieser Vorräte erkennend, besichtigte ich alle Lager und sorgte für die Verlagerung nach festgesetzten Terminen.344 Anschließend schreibt er sich wieder die Rolle des Retters zu, denn bei der ersten Besprechung mit Dr. Fischer gewann er „den Eindruck, daß ihm und seinen Behörden die Verhältnisse im Ghetto „über den Kopf gewachsen“ waren.“345 Nur durch sein Einschreiten und sein erfolgreiches Handeln, kehrte im Ghetto wieder Ruhe ein und es kam „in Warschau wieder zu einer gewissen Sicherheit“346. Bei unangenehmen Fragen präsentiert sich Stroop allerdings nicht mehr so selbstbewusst und mimt den unschuldigen und unwissenden Mann. Hierfür lassen sich mehrere Beispiele ausmachen, die allerdings ein Anzeichen für Rückgratlosigkeit sind. Auf die Frage, welche Bedeutung der Ausdruck „T. II“ (Abkürzung für das Vernichtungslager Treblinka) in seinen Meldungen habe, antwortet er lediglich: „Ohne Zusammenhang ist mir das kein Begriff.“347 Ebenso scheint er vergessen zu haben, was am 16. Mai 1943 geschehen ist, obwohl er in seinem selbst verfassten Bericht, an diesem Tag stolz die Vernichtung und Auslöschung des jüdischen Wohnbezirkes in Warschau verkündete. Bei der Beantwortung von Kermiszs Fragen allerdings scheint er keinerlei Erinnerung mehr an diesen Tag zu haben, denn hier äußert er sich mit der Frage: „Was soll der 16. Mai für eine Bedeutung haben?“348 Hinsichtlich der Frage, was mit dem hinterlassenen jüdischen Vermögens passierte, antwortet er ebenfalls mit einer schuldabweisenden Antwort, nämlich, dass er „kaufmännisch nicht talentiert“ gewesen sei und sich deshalb nicht um diese Dinge gekümmert habe.349 All diese Antworten weisen auf einen heuchlerischen und leugnenden Stroop hin, der nicht den Mut besitzt, zu den Taten, die er begangen hat, zu stehen. In Bezug auf die jeweiligen Situationen, die er verwendet, um sich selbst darzustellen, handelt es sich im Großen und Ganzen um Schilderungen seines Könnens. Diese sollen, wie oben bereits angeführt, seine Rolle als Befehlshaber betonen, wodurch er sich selbst versucht

344 Wulf 1961, S.193. 345 Ebd. 346 Ebd. S.194. 347 Ebd. S.188. 348 Ebd. 349 Ebd. S.189. - 78 - 5. Analytischer Teil der Arbeit in ein besseres Licht zu rücken. Außerdem bedient er sich der Strategie des Erhebens über andere, aber im Besonderen über seinen Vorgänger von Sammern-Frankenegg. Hinsichtlich seiner Kindheit/Erziehung nimmt Stroop in dieser Befragung keine Stellung, da er dahingehend auch nicht befragt wurde. Seine selbst zugeschriebenen Eigenschaften der Treue, des Gehorsams und des Pflichtbewusstseins erstrecken sich allerdings von Anbeginn seiner Zeit bis hin ins Erwachsenenalter. Somit kann gesagt werden, dass die Erziehung durch seine Eltern doch erheblichen Einfluss auf sein bestehendes Leben gehabt haben muss. In Anbetracht der nationalsozialistischen Rassenideologie werden von Dr. Kermisz keine direkten Fragen gestellt, jedoch finden sich in der Beantwortung von Stroop mehrere Anzeichen dafür, dass er der damals vorherrschenden Doktrin entsprach. Stroop verwendet für die jüdische Bevölkerung zwar eher neutrale Begriffe wie „Ghetto-Insassen“350, jedoch wertet er sie systematisch durch seine Beschreibungen ab. Ein Beispiel dafür liefert folgender Ausschnitt, in dem er die Juden als verräterisch und hinterlistig abstempelt: „So erhielten die Ghetto-Insassen Ende 1942 Anweisung, Luftschutzkeller zu bauen. Ohne Wissen der deutschen Dienststellen bauten sie dann heimlich unterirdische Bunker [...].“351 Des Weiteren schildert Stroop, dass sich die Insassen bereits monatelang auf eine Verteidigung vorbereitet haben und dass eine Geheimhaltung nur aufgrund der Tatsache, dass „die Fäden ausschließlich in der Hand des sogenannten Judenrats zusammenliefen“352 möglich gewesen war. Hier nimmt er eine Beschreibung des Judenrats vor, der obwohl er von den Deutschen eingesetzt worden war, heimlich hinter deren Rücken operierte. Außerdem ist auffallend, dass er in den wenigen Seiten der Schilderungen, die weiblichen Kampfgruppen auf jüdischer Seite mehrfach erwähnt. Der Grund mag vermutlich darin liegen, dass die Teilnahme von Frauen in einem Kampf sein Weltbild über die Rolle der Frau vollkommen erschütterte. War es doch im Dritten Reich eine weitverbreitete Meinung, dass sich Frauen ausschließlich um das Gebären von Kindern und deren Erziehung zu kümmern hatten und Politik/Kampf reine Männersache war.353 Deshalb war es für ihn umso schlimmer und wahrscheinlich auch umso überraschender, dass diese Frauen in „Kniehosen und Tellermützen“354 „fanatisch gekämpft und erbitterten Widerstand geleistet haben“355. Ein weiterer Grund, warum er gegenüber diesen Frauen eine derartige Abneigung verspürte, mag der sein, dass laut der Nationalsozialisten, die Emanzipation eine Erfindung der

350 Wulf 1961, S.183. 351 Ebd. 352 Ebd. S.184. 353 Bendel, Carolin (2007): Die deutsche Frau und ihre Rolle im Nationalsozialismus. In: https://www.zukunft- braucht-erinnerung.de/die-deutsche-frau-und-ihre-rolle-im-nationalsozialismus/ [Abruf: 25.04.2019]. 354 Wulf 1961, S.185. 355 Ebd. - 79 - Diplomarbeit

Juden war356, um die bestehende Weltordnung aus dem Gleichgewicht zu bringen. Durch diese Schilderung, entsteht nun die Annahme, dass Stroop ein Mann gewesen sein muss, der dem damaligen nationalsozialistischen Weltbild in Bezug auf die Rollenverteilung vollkommen entsprochen haben muss. Abschließend kann also gesagt werden, dass sich Stroop in diesem Fall als einen tapferen, mutigen und furchtlosen Mann präsentieren will, der gegenüber seinem Vaterland Gehorsam ans Tageslicht bringt. Dieser äußert sich vor allem durch seine widerspruchslose Befehlsübernahme von höheren Instanzen. Außerdem besteht er darauf, genau und penibel in seinen Ausführungen zu sein, was für einen strategischen Befehlshaber mit Weitsicht sprechen soll. Des Weiteren stellt er sich als gutherzig, großzügig und den heldenhaften Retter der deutschen Nation dar und erhebt sich somit über andere Anwesende im Ghetto (von Sammern- Frankenegg). In unangenehmen Situationen mimt er allerdings den Unwissenden und Unschuldigen, wodurch er wiederum unsicher auftritt. Prinzipiell wählt er aber selber nur Situationen, die sein Können als Befehlshaber wiederspiegeln sollen. Hinsichtlich der nationalsozialistischen Ideologie kann gesagt werden, dass er dieser aus voller Überzeugung entsprach.

. DREI NACHKRIEGSGESPRÄCHE MIT STROOP

I. GESPRÄCH MIT MAREK EDELMAN Am Beginn des Gespräches mit Marek Edelman schildert Jürgen Stroop ausführlich den Beginn der ‚Aktion‘ und nimmt dabei indirekt eine Charakterisierung seiner Person vor. Zunächst offenbart er sein strategisches Können, indem er seinem Vorgänger, der die Vorkehrungen für die Räumung des Ghettos getroffen hatte und Stroop selbst das Ghetto bis dahin unbekannt war, die Leitung über diese überlässt.357 Nachdem von Sammern-Frankenegg allerdings relativ rasch mit seinem Vorhaben scheiterte, musste Stroop früher einschreiten als gedacht, denn von Sammern-Frankenegg erschien in Stroops Quartier mit dem Worten „die Sache im Ghetto sei verloren“.358 Gleich darauf fasst er selbstbewusst den Entschluss, dass von Sammern- Frankenegg ihm seinen Adjutanten mitzugeben habe, damit er sich selbst „an Ort und Stelle von der Lage überzeugen könnte“.359 Hierdurch versucht er den ehrenhaften, mutigen und tapferen Mann, der allerdings auch stark ausgeprägte strategische Kompetenzen besitzt, darzustellen. Daraufhin betont er bereits zum zweiten Mal, dass ihm die Örtlichkeiten bis dato weiterhin unbekannt waren. Aus diesem Grund ließ er sich einen Plan des Ghettos geben und

356 Bendel 2007. 357 Wulf 1961, S.195. 358 Ebd. 359 Ebd. - 80 - 5. Analytischer Teil der Arbeit

„betrat es dann durch das Tor, welches dauernd unter Beschuss lag“.360 Hier wollte er sich die Rolle eines draufgängerischen Befehlshabers zuschreiben, der nicht einmal vor den Schüssen des vermeintlichen Gegners zurückschreckt. Im nächsten Schritt schildert er nahezu arrogant und von sich selbst überzeugt sein weiteres Vorgehen:

Ich ließ mir einen Stuhl bringen und setzte mich vor einem Gebäude unter einem großen Baum. [...] Dort überlegte ich mein Vorgehen und setzte dann die Einheiten zunächst beiderseits der Hauptstraße an, denn es handelte sich erst einmal um einen Straßenkampf, bei dem ich Stoßtrupps einsetzen mußte und die Truppe nicht einfach drauflosmarschieren lassen konnte, wie dies wahrscheinlich vorher geschehen war. Die Führer erhielten entsprechende Befehle.361 In diesem kurzen Ausschnitt wird zum einen seine draufgängerische, aber auch provokative Art ersichtlich, indem er sich gelassen und ganz ruhig auf einem Sessel niederlässt, währenddessen rund um ihn herum Schüsse fielen. Zum anderen präsentiert er sich als Strategen, der alles korrekt und ausführlich durchdenkt, um in der Situation entsprechend einschreiten zu können. Im nächsten Moment ergreift er die Möglichkeit sich hervorzuheben, indem er seinen Vorgänger und dessen Handeln kritisiert und schlechtmacht. Sein draufgängerisches Wesen macht sich auch im nächsten Ausschnitt bemerkbar: „Es wurde stark geschossen. Davon konnte ich mich auf meinem Stuhl unter dem Baum selbst überzeugen, und die Offiziere wollten mich dort auch immer fortholen.“362 Hier verkörpert er augenscheinlich seine Tollkühnheit, Furchtlosigkeit, Stärke, aber auch seine Loyalität gegenüber seinen Männern, die er auch in brenzligen Situationen nicht im Stich lässt. Währenddessen Stroop allerdings zu Beginn des Gesprächs den selbstbewussten und entscheidungstragenden Befehlshaber der Aktion vorgibt, versucht er zu Ende hin die Schuld seiner Taten abzuweisen, indem er darauf besteht, lediglich die Befehle Himmlers ausgeführt zu haben: „Himmlers Fernschreiben besagte, ich hätte den Aufstand energisch und mit allen Mitteln niederzuschlagen.“363 Ebenso gibt er zu verstehen, dass er nur auf Anweisung seines Vorgesetzten das Ghetto niederbrannte und Himmlers Befehl lautete das Ghetto in kürzester Zeit zu vernichten.364 Durch dieses Verhalten wird einerseits sein Gehorsam, seine Treue und Unterwürfigkeit ersichtlich, anderseits aber auch eine Art Rückgratlosigkeit, da er sich seine Taten nicht eingesteht und versucht die Schuld auf andere zu schieben. Hinsichtlich der geschilderten Situationen, in denen Stroops Charakter zum Vorschein kommt, kann gesagt werden, dass es sich entweder um Ereignisse handelt, die sein

360 Wulf 1961, S.195. 361 Ebd. S.195f. 362 Ebd. S.197. 363 Ebd. S.202. 364 Ebd. - 81 - Diplomarbeit

Strategiebewusstsein und seine Kompetenzen als Heerführer oder aber seine Unschuld als bloße ausführende Instanz unter Beweis stellen sollen. Beispielsweise auf die Frage, wer den Befehl zur Sprengung der Synagoge, die außerhalb des Ghettos lag, gab, weist Stroop die Schuld klar von sich und gibt zu verstehen: „Himmler! In der Meldung steht das zwar nicht, aber Krüger gab mir den Befehl telefonisch durch.“365 Bezugnehmend auf den Bedeutungsgehalt den Stroop seiner Erziehung im frühen Kindesalter beimisst, kann kein eindeutiger Schluss gezogen werden, da er diese mit keinem Wort erwähnt und er dahingehend auch nicht befragt wurde. Trotzdem kann gesagt werden, dass seine frühe soldatische und strenge Erziehung durch seine Eltern eindrucksvolle Spuren in Stroops Wesen hinterlassen hat. Bemerkbar machen sich diese durch den Gehorsam und die Treue, die er während des Krieges immerfort an den Tag legte. Zur ‚Judenfrage‘ bzw. zur Ideologie des Nationalsozialismus äußert sich Stroop in diesem Gespräch ebenfalls nicht, wodurch diese Quelle kaum Anhaltspunkte dahingehend liefert. Allerdings bezeichnet er die jüdischen Aufständischen als „Gegner“366 und „Feinde“367 wodurch angenommen werden kann, dass er aus Überzeugung gegen sie gekämpft hat. Aus welchen Gründen dies geschah, können nur Vermutungen angestellt werden. Ob diese ideologisch begründet sind, oder aus reinem Pflichtgefühl gegenüber seinen Vorgesetzten geschah, kann aufgrund des vorliegenden Materials nicht mit Sicherheit gesagt werden. Rückblickend kristallisiert sich Stroops Wesen in diesem Gespräch als selbstbewusst, entschlussfähig, entscheidungstragend, ehrenhaft, mutig und tapfer heraus, der ebenfalls über strategisches Können verfügt. Des Weiteren stellt er sich selbst draufgängerisch, arrogant sowie von sich selbst überzeugt dar, der furchtlos seine Stärke und Loyalität präsentiert und gehorsam und treu gegenüber seinem Vorgesetzten handelt. Allerdings kommt durch sein ständiges Schuldabweisen sein heuchlerisches und rückgratloses Wesen zum Vorschein. Er versucht zwar mit den einzelnen Situationen seine Stärken hervorzuheben, die aber durch sein Leugnen wieder geschmälert und zunichte gemacht werden. Im Grunde wirkt er aufgrund seiner widerspruchlosen Befehlsausführung wie eine Marionette, die pflichtbewusst und möglicherweise auch ideologisch überzeugt gegen die jüdischen Aufständischen kämpft.

II. GESPRÄCH MIT FRAU RACHEL AUERBACH Im kurzen Gespräch mit Rachel Auerbach zeigt sich Jürgen Stroop als pflichtbewusst und überaus kampfbereit, was sich in seinen Schilderungen über seine Verwundungen im Ersten Weltkrieg, aber auch an der russischen Front äußert:

365 Wulf 1961, S.203. 366 Ebd. S.197. 367 Ebd. S.202f. - 82 - 5. Analytischer Teil der Arbeit

Ich war dreimal verwundet. Zwei Mal im Weltkrieg 1914-1918 und einmal an der russischen Front 1941. Ich war dort mit Genehmigung Himmlers als Oberleutnant und Ordonnanzoffizier bei einem Bataillon der SS-Totenkopf-Division. Es geschah auf eigenen Wunsch, weil ich mit meinem hohen Dienstgrad nicht nach vorn gekommen wäre.368 In dieser Antwort wird, wie bereits erwähnt, Stroops Einsatzbereitschaft mehr als ersichtlich, indem er trotz seines hohen sowie wichtigen Ranges und nur auf Genehmigung Himmlers in vorderster Reihe mitkämpfen konnte. Damit wollte er seiner Treue gegenüber dem Vaterland und dem Dritten Reich Ausdruck verleihen. Unter anderem kommen hier auch sein Geltungsdrang und sein Streben nach Ruhm und Ehre ans Tageslicht, was durch die ausdrückliche Betonung seines hohen Ranges und seiner Einsatzbereitschaft ersichtlich wird. Außerdem kommt hier auch seine penible und genaue Art bei der präzisen Anführung seines Ranges zum Vorschein. Als in weiterer Folge die Frage gestellt wird, ob Stroop mit General Globocnik Differenzen hatte, zeigen sich die eben angeführten Eigenschaften wieder und werden durch einen Konkurrenzkampf zwischen zwei Befehlshabern ergänzt, die beide durch ihre Tätigkeit die Gunst des Dritten Reiches erlangen wollen:

Ja. […] Jedenfalls kam er zu mir nach Warschau und erklärte mir, er allein sei für die Werterfassung und dem Abtransport der Leute aus dem Ghetto zum Bahnhof zuständig. […] Er benahm sich so, als könne er sich alles erlauben, und das beeinflußte meine Stellung, denn ich hatte ja lediglich den Befehl, den Aufstand niederzuschlagen und die Zügel fest in die Hand zu nehmen. Zwei können in einer Situation nicht befehlen, dann muß einer nach Hause gehen. Vor allem hätte Himmler so etwas unterschreiben müssen, was er aber nicht getan hat. Ich verstand also nicht recht, was General Globocnik für ein Recht zum Einmischen hatte.369 Durch diesen Ausschnitt wird ersichtlich, dass ihm die Anwesenheit Globocniks nicht recht ist. Einerseits fühlt er sich in seiner Autorität durch die Präsenz einer zweiten führenden Person bedroht, andererseits betont Stroop seine Wichtigkeit, indem er angibt, dass Himmler zwei Führungsspitzen hätte zustimmen müssen. Da er das aber nicht getan hat, sieht sich Stroop als alleinigen Befehlshaber an und duldet es nicht, wenn jemand versucht seine Autorität zu untergraben. Abgesehen davon kann auch gesagt werden, dass Stroop einen ausgeprägten Gehorsam gegenüber seinen Vorgesetzten und im Besonderen gegenüber Himmler an den Tag legt. In weiterer Folge zeigte sich Himmler immer loyal gegenüber Stroop aufgrund dessen Treue und Gehorsam: „Nach seinem Besuch in Warschau wird sich Globocnik über Krüger wohl an Himmler gewandt haben. Vermutlich erklärte der ihm jedoch: „General Stroop hat

368 Wulf 1961, S.205. 369 Ebd. S.208 - 83 - Diplomarbeit

Befehl und dabei bleibts.““370 Darüber hinaus gibt Stroop im Gespräch mit Rachel Auerbach weitere Informationen über sein Wesen und seine Einstellung preis. Denn auf die Frage warum die Zahlen der Verwundeten und Gefallenen seines Berichts nicht mit anderen Quellenlagen übereinstimmt, gibt er klar zu verstehen, dass er diese nicht mehr im Kopf habe und es dazu ja Unterlagen gibt:

Wahrscheinlich sind die Verwundeten nicht alle angeführt, weil sie nicht gemeldet wurden. [...] Mit Absicht sind bestimmt keine Verluste unterschlagen. Das hätte gegen meinen Befehl und gegen meine Anschauungen verstoßen.371 Hier kommt zudem seine soldatische Natur zum Vorschein, die treu, gehorsam, pflichtbewusst und vor allem regelkonform Befehle auszuführen hat. Im Gespräch mit Auerbach bedient sich Stroop vorwiegend an Situationen, die nur die positiven Aspekte seiner Person hervorheben sollen. Er achtet vor allem darauf, dass seine Rolle als Befehlshaber in den Mittepunkt gestellt wird und räumt ihr dabei eine besondere Wichtigkeit ein. Aufgrund der Kürze dieser Quelle sind keine Anhaltspunkte hinsichtlich seiner Erziehung und seinem Standpunkt bezüglich der Ideologie des Nationalsozialismus zu finden, wodurch kein klarer Schluss daraus gezogen werden kann. Nichtsdestotrotz kann aber gesagt werden, dass er angesichts seines anerzogenen soldatischen Wesens immer treu und pflichtbewusst seinem Vaterland gedient hat und widerspruchslos all seine Befehle ausgeführt hat. Dies kann wiederum ein Anzeichen für ein Entsprechen der nationalsozialistischen Ideologie angesehen werden. Abschließend kann also gesagt werden, dass sich Stroop in diesem Gespräch als kampf- und einsatzbereit darstellen will, der treu und gehorsam seine Pflichten erfüllt. In weiterer Folge werden auch sein Geltungsdrang sowie sein Streben nach Ruhm und Ehre ersichtlich. Er entspricht einer soldatischen Natur (Erziehung durch seine Eltern), die ein ausgeprägtes Ehrgefühl besitzt. Aufgrund der widerspruchslosen Befehlsausführung kann angenommen werden, dass er ein überzeugter Anhänger des Nationalsozialismus war.

III. GESPRÄCH MIT SCHALOM GRAJEK Auf die Frage von Grajek, ob Stroop Angaben zu seiner Person machen könnte, schildert er sehr ausführlich seinen Werdegang. Dabei legt er sehr viel Wert darauf seine Einsatzbereitschaft, seine Ausdauer sowie seine Fähigkeiten als Führer während des Ersten Weltkrieges unter Beweis zu stellen:

370 Wulf 1961, S.208. 371 Ebd. S.206. - 84 - 5. Analytischer Teil der Arbeit

Anfang August meldete ich mich als Kriegsfreiwilliger und ging als Infanterist ins Feld. […] Das waren 4 ½ Jahre an der Front und oft harte, schwere Tage. Ich war dreimal verwundet und habe zweimal eine Kompagnie geführt. Offiziell war ich bei Kriegsende noch nicht Offizier, wurde es aber mit Patent vom Juli 1918.372 Durch seine freiwillige Meldung zum Kriegsdienst versucht er also seine Dienstbereitschaft für sein Vaterland zu verdeutlichen, die er durch seine harte und schwere Fronterfahrung zu dramatisieren versucht. In Bezug auf seinen Rang als Offizier führt er aus, dass er zwar zu Kriegsende noch keiner war, es aber aufgrund eines Patentes wurde und gibt zu verstehen, dass er „nie darüber sprach, weil es so eine verzwickte Sache war“373. „Denn ohne Mittelschulbildung konnte damals niemand Offizier werden. Das wurde erst zur Hitlerzeit möglich.“374 Damit er also offiziell diesen Titel tragen durfte, legte er damals in 1922 die Prüfung für „die Mittlere Reife ab“375 und verkündet an dieser Stelle nahezu stolz, dass er bei der Wehrmacht „als Offizier geführt und als Oberleutnant der Wehrmacht in die Waffen-SS übernommen worden“376 ist und dort weiterbefördert wurde. Hierdurch wird sein Wille im System weiter aufsteigen zu wollen, sowie sein Streben nach Ruhm und Ansehen sehr gut deutlich. Er stellt sich somit als fleißigen und strebsamen Mann dar, der aufgrund seines ständigen Bemühens mit laufenden Beförderungen belohnt wird. Im Folgenden will er auch seine Einsatzbereitschaft im Krieg für Hitler kundtun, indem er schildert, dass er auf eigenen Wunsch im Jahre 1941 knappe vier Monate beim Fronteinsatz in Russland dabei war. Enttäuscht macht er seine Rückberufung kund: „Leider nicht länger, weil Himmler mich zurückrief. […] Dort wurde ich auf Himmlers Befehl aus dem russischen Kessel herausgeholt.“377 In diesem Ausschnitt stellt sich Stroop zum einen als draufgängerischen Mann der SS dar, der vor nichts zurückschreckt und jederzeit einsatzbereit für sein Vaterland ist. Anderseits versucht er sich auch als guten Bekannten Himmlers darzustellen, der ihn persönlich vom Fronteinsatz abzieht und womöglich durch diese Tat vor dem sicheren Tod rettet. Aufgrund dessen kann die Annahme getroffen werden, dass Stroop Himmler und seinem Vaterland ewige Treue geschworen hat und somit gehorsam alle Befehle von ihm ausführte. Ein Beispiel dafür ist die Sprengung der großen Synagoge, die er auf Himmlers Befehl sprengen ließ, durch die seine soldatische Natur gut zum Vorschein kommt.378 Nichtsdestotrotz präsentiert sich Stroop während des Gesprächs mit Schalom Grajek auch als Heuchler und

372 Wulf 1961, S.214f. 373 Ebd. S.215. 374 Ebd. 375 Ebd. 376 Ebd. 377 Ebd. 378 Ebd. S.214. - 85 - Diplomarbeit

Leugner, der im Nachhinein nichts von den grausamen Ereignissen im Ghetto gewusst haben will. Diese Seite seines Wesens wird durch mehrere Situationen im Gespräch mehr als deutlich:

Frage: Für wann wurde deutscherseits der Beginn der Aktion festgesetzt? Antwort: Ich kam ja erst am 17. April abends an. Wahrscheinlich war die Aktion für Montag angesetzt. Aber dazu kann ich mich nicht äußern.379 Frage: Wußten Sie wohin die Juden verlagert wurden? Antwort: Ja. Man sagte mir, sämtliche Maschinen, Vorräte und Arbeiter sollten in das bei Lublin errichtete Barackenlager umgesiedelt werden, wo sie weiterarbeiten würden. Frage: Woher kamen die lettischen Posten vor den Häusern? Antwort: Nach Abschluß der Aktion ging mich das alles nichts mehr an, sondern wurde von Berlin aus über General Globocnik veranlaßt.380 Frage: Welches Schicksal erwartete die Juden, welche nach TII transportiert wurden? Antwort: TII ist mir kein Begriff. Ich weiß nur, daß sie nach Lublin verlagert werden sollten. Frage: Wußten Sie nicht, daß alle zum Tode verdammt waren, sogar die Arbeitsfähigen? Antwort: Darüber ist mir nichts bekannt.381 Durch seine leugnenden, nichts wissenden und schuldabweisenden Antworten schreibt sich Stroop hier indirekt eine Rückgratlosigkeit zu, obwohl er mit diesen Antworten vermutlich nur seine Unschuld beweisen wollte. Dementsprechend können also auch zwei unterschiedliche Arten von Situationen ausgemacht werden, in denen er direkt, aber auch indirekt eine Selbstdarstellung vornimmt. Einerseits schildert er nämlich seinen glorreichen Werdegang im NS-Regime, in denen er sich Eigenschaften wie Tapferkeit, Mut, Fleiß, Einsatzbereitschaft, Treue und Gehorsam zuschreibt. Andererseits weist er sich selbst die Rolle eines Leugners und Heuchlers zu, indem er nichts von der Vernichtung der Juden im Vernichtungslager Treblinka gewusst haben will und somit nicht den nötigen Mut aufbringt, um zu seinen begangenen Taten bzw. zu seinem Wissen über bestimmte Ereignisse zu stehen. Hinsichtlich der Familienverhältnisse und deren Bedeutung stellt Schalom Grajek Stroop eine Frage, die ein wenig Aufschluss darüber gibt, welche Rolle seine Eltern und deren gewählte Erziehung für ihn spielte:

Mein Vater ist tot, 1920 gestorben. Meine Mutter ist jetzt 78 Jahre alt. Meine Frau und meine beiden Kinder leben als Flüchtlinge in der Nähe von Hannover. [...] Sonst gibt es über meine

379 Wulf 1961, S.212. 380 Ebd. S.211. 381 Ebd. S.214. - 86 - 5. Analytischer Teil der Arbeit

Familienverhältnisse nichts zu sagen, außer daß mein Vater Polizeibeamter war, am Schlaganfall starb und ihm die städtische Polizei unterstand.382 Auffallend ist, dass Stroop zu allererst seinen verstorbenen Vater erwähnt, dann seine Mutter und erst an letzter Stelle seine Frau und seine eigenen Kinder. Dieses Verhalten kann dafür sprechen, dass sein Vater, der ihn streng und soldatisch erzogen hat, eine zentrale und vor allem wichtige Rolle in seinem Leben eingenommen hat. Des Weiteren kann angenommen werden, dass der Grund für die Erstnennung seines Vaters, der Rangordnung innerhalb seiner Familie entspricht. Der Vater, der die Rolle des Oberhauptes in der Familie innehatte, dann die Mutter und erst dann befindet er seine Frau und Kinder als relevant. Besonders erwähnenswert schien ihm anscheinend jedoch, dass sein Vater die wichtige Rolle eines Polizeibeamten innehatte, dem die städtische Polizei unterstand. Vermutlich war für ihn sein Vater ein Vorbild in Sachen Karriere, wodurch Stroop danach strebte ebenfalls das Kommando über andere zu haben. Somit kann gesagt werden, dass die Wurzeln des Strebens nach Ansehen und Macht bereits in seiner frühen Kindheit liegen, die sich bis in sein Erwachsenenalter erstrecken. Bezüglich der ‚Judenfrage‘ stellt Herr Grajek ebenfalls konkrete Fragen, die mehr oder weniger Aufschluss darüber geben, welchen Standpunkt Stroop hinsichtlich dieser Thematik gegenüber dem Fragestellenden vertritt. Auf die erste Frage, die Stroops Ansicht über jüdische Rassenmerkmale erörtern soll, antwortet er knapp und nahezu desinteressiert: „Ich habe nie Rassenforschung betrieben und verstehe nichts davon. Lesen Sie doch General von Herffs Beurteilung über mich. Für die Rassenpolitik habe ich nie viel Interesse gehabt.“383 Hiermit will er verdeutlichen bzw. gleichzeitig abstreiten, dass ihm diese Merkmale nicht wichtig waren und er auch kein Interesse daran hatte, die jüdische Bevölkerung zu verfolgen. Laut dieser Aussage versucht er zu zeigen, dass ihm die jüdische Bevölkerung gleichgültig zu sein scheint. Durch nachfolgenden Ausschnitt versucht Stroop diese Gleichgültigkeit gegenüber Rassenmerkmalen noch einmal mehr zu unterstreichen:

Frage: Hatten Sie in der Kindheit jüdische Spielgefährten? Antwort: Ja, ich spielte mit zwei in der Nähe wohnenden Schulkameraden. [...] Frage: Was hätten Sie getan, falls Ihnen einer von beiden im Ghetto wieder begegnet wäre? Antwort: Ich hätte ihn ganz einfach begrüßt, wenn er nicht zu den Kämpfern gehörte. Frage: Hätten Sie ihm denn nicht geholfen? Antwort: Er hätte mit allen anderen das Ghetto verlassen müssen. Natürlich nur, wenn er nicht gekämpft hätte.384

382 Wulf 1961, S.216. 383 Ebd. S.214. 384 Ebd. S.216. - 87 - Diplomarbeit

In diesem kurzen Ausschnitt des Gesprächs präsentiert sich Stroop weder als Freund noch als Feind der jüdischen ‚Rasse‘. Er versucht zu verdeutlichen, dass es für ihn keine Rolle spielte, gegen wen er kämpfte. Hierdurch wird der Eindruck vermittelt, dass es für ihn von großer Bedeutung war den Widerstand zu brechen, um Deutschland vor den Widerständischen zu schützen. Diese Annahme wird dadurch bekräftigt, indem er darauf beharrt, dass friedlichen Juden nichts geschah und er nur gegen die Kämpfenden vorging. Ob diese vorgegebene Darstellung der Wahrheit entspricht, kann allerdings nicht bestätigt werden. Allerdings stellt er sich in dieser Quelle als einen Mann dar, der anscheinend eine neutrale Meinung gegenüber der Rassenideologie hatte. Durch die vorliegenden Anhaltspunkte kann also gesagt werden, dass Stroop zwar sehr engagiert gegen die jüdischen Widerstandskämpfer vorging, allerdings ist diese Bereitschaft nicht auf die antisemitische Ideologie zurückzuführen, sondern auf den Willen, das Vaterland vor Aufständischen bzw. angreifenden Feinden zu schützen. Erweitert man diesen Gedankenschritt, könnte angenommen werden, dass Stroop also Mitglied dieser Partei wurde, um die Vorteile zu genießen, die man als treuer und gehorsamer Befehlsausführer erhält, nämlich Beförderungen und somit auch mehr Macht sowie Ansehen in der Gesellschaft. Resümierend kann also gesagt werden, dass sich Stroop anhand dieser Quelle Einsatzbereitschaft, Ausdauer, Tapferkeit und Mut zuschreibt, vor allem durch die Tatsache, dass er sich freiwillig für den Kriegsdienst meldete. Außerdem zeigt er sich strebsam, fleißig und bemüht aufzusteigen. Er arbeitet hart, um das zu erreichen was ihm wichtig ist (offizieller Rang eines Offiziers). In diesem Sinne zählen für ihn Beförderungen, Ruhm und Ehre sowie das einhergehende Ansehen in der Gesellschaft. In Situationen, die für ihn sprechen, schildert er selbstbewusst sein draufgängerisches Wesen, in unangenehmen verhält er sich allerdings unbeständig und als Leugner, der von nichts eine Ahnung gehabt haben will. Nichtsdestotrotz räumt er seinem Vater und dessen Rolle eine große Bedeutung in seinem Leben ein. Stroops Vater diente ihm augenscheinlich als Vorbild, durch den er zu dem geworden ist, der er während des Krieges für Hitler war. Allerdings scheint er sich für die Rassenideologie nicht sonderlich interessiert zu haben. Wichtig war ihm in diesem Zusammenhang lediglich die Widerständischen zu bekämpfen, was aber nicht auf Basis der antisemitischen Ideologie stattfand, sondern eher aufgrund verteidigungstechnischer und patriotischer Belange. Des Weiteren kann angenommen werden, dass Stroop auch Mitläufer war, um die Vorteile durch die Zugehörigkeit zur Partei zu genießen (Beförderungen), die abgesehen von Antisemitismus auch das Ziel verfolgte, Deutschland groß zu machen.

- 88 - 5. Analytischer Teil der Arbeit 5.3.3.1 Zusammenfassung Der Stroop-Bericht (1943) Testimony of Jürgen Stroop Äußerungen nach dem Kriege (1951) (1948) 1. Wie stellt sich J.S. selbst dar? organisiert, genau, penibel, erfahrener Stratege und Einsatzleiter tapferer, mutiger und furchtloser pedantisch, gebildet selbstbewusst, mit Weitsicht, Tapferkeit, Mut Mann sicher, gepflegt und arisch Rolle als erhabener, weitsichtiger, loyal gegenüber seinen Männern Gehorsam gegenüber seinem strategischer Befehlshaber; harter, und seinem Vaterland Vaterland; widerspruchslose strenger Befehlshaber Befehlsübernahme Entschlussfähigkeit, aber auch einfacher Soldat, der gutherzig, großzügig und Durchsetzungsvermögen; Kampf- keine eigenen Entscheidungen heldenhafter Retter, erhebt sich und Einsatzbereitschaft; Retter in getroffen hat (Heuchler), sondern gerne über andere der Not; hat einen Geltungsdrang; nur gehorsam gegenüber höheren von sich selbst überzeugt Instanzen handelte tapfer, mutig, draufgängerisch; schreibt sich die Tugenden eines gehorsam, treu; führt Befehle strikt Ritters zu (treu, gerecht, aufrichtig, aus ehrenhaft) 2. In welchen Situationen nimmt schildert Situationen, die ihm die Situationen, in denen er Soldat ist, wählt nur Situationen, die sein er eine Selbstdarstellung vor? Rolle des Helden bzw. Retters in der aber auch Befehlshaber, der Können unter Beweis stellen Not verleihen allerdings nur Befehle befolgt 3. Welche Bedeutung räumt J.S. keine Erwähnung, aber strenge hatte strenge soldatische Erziehung keine Erwähnung, aber treu, seiner Erziehung ein? Erziehung seiner Eltern äußert sich durch seinen Vater prägte ihn für gehorsam und pflichtbewusst seit in Gehorsam, Treue, Zielstrebigkeit, sein ganzes Leben seiner Kindheit soldatische Unterwürfigkeit gegenüber höherrangigen Personen 4. Standpunkt zur überzeugter Nationalsozialist; kein Anti-Semit; aber auch kein keine direkte Erwähnung, schreibt nationalsozialistischen Ideologie Abneigung gegenüber der jüdischen Judenfreund; kein Interesse für Juden negative Eigenschaften zu ‚Rasse‘ und der jüdischen Rassenmerkmale; tolerant (Emanzipation ist die Erfindung von Emanzipation gegenüber anderen Religionen Juden); Anzeichen für persönliche Überzeugung - 89 - Diplomarbeit

Gespräch mit Marek Edelman Gespräch mit Frau Rachel Gespräch mit Schalom Grajek (1947-52) Auerbach (1949) (1947-52) 1. Wie stellt sich J.S. selbst dar? selbstbewusst, entschlussfähig, kampf- und einsatzbereit; treu und kampf- und einsatzbereit, entscheidungstragend, ehrenhaft, gehorsam, ehrenhaft ausdauernd; fleißig, strebsam, mutig und tapfer bemüht strategisches Können Befehlshaber, der um seine Stellung treu und gehorsam seine Pflichten kämpft erfüllend, treu gegenüber seinem Vaterland draufgängerisch, arrogant, von sich Geltungsdrang, strebt nach Ruhm strebt nach Ruhm, Ansehen; selbst überzeugt, furchtlos, stark und Ehre ausgeprägter Wille aufzusteigen loyal, gehorsam, treu gegenüber soldatische Natur draufgängerisches Wesen, das vor dem Vorgesetzten nichts zurückschreckt durch Schuldabweisungen Heuchler; Leugner, der von den heuchlerisch, Leugner, Ereignissen nichts gewusst haben Rückgratlosigkeit will 2. In welchen Situationen nimmt Situationen, in denen er seine Situationen, die die Rolle als Schilderung seines Werdegangs im er eine Selbstdarstellung vor? Stärken hervorheben will, die Befehlshaber und deren Wichtigkeit System  Hervorhebung seiner allerdings durch sein ständiges ins Zentrum rücken sollen Stärken; Situationen, in denen er die Leugnen zunichte gemacht werden Schuld von sich weist 3. Welche Bedeutung räumt J.S. keine Erwähnung; führt auf keine Erwähnung; aber soldatische Rolle seines Vaters wichtige seiner Erziehung ein? soldatische Weise Befehle aus Natur aufgrund der Erziehung Bedeutung; Vorbildfunktion, die (Erziehung) sein soldatisches Wesen prägte 4. Standpunkt zur wirkt wie eine Marionette des NS- keine Erwähnung, aber immer treu kein überzeugter Antisemit; nationalsozialistischen Ideologie Regimes; scheint ideologisch gegenüber Befehlshaber; führt trotzdem Anhänger des überzeugt zu sein Befehle aus  entspricht der Nationalsozialismus, um Ideologie Deutschland vor Feinden zu schützen

- 90 - 5. Analytischer Teil der Arbeit

Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass sich Stroop in allen Quellen als genauen, peniblen (pedantischen) Mann präsentiert, der auf sein äußeres Erscheinungsbild bedacht ist, gleichzeitig auch mutig sowie tapfer ist und jederzeit einsatzbereit für die Ehre seines Vaterlandes kämpft. Außerdem zeigt er sich immer loyal, treu, gehorsam und pflichtbewusst gegenüber dem Dritten Reich. Er ist von sich selbst überzeugt, aber auch strebsam und fleißig. Er stellt sich als Mann dar, dem es ein großes Bedürfnis ist, nach Macht, Ansehen, Ruhm und Ehre zu streben. Hinzu kommt, dass er sich stets die Eigenschaften eines draufgängerischen Befehlshabers zuschreibt, der über strategische Kompetenzen verfügt. Diese Eigenschaften versucht er sich besonders in seinem selbst verfassten Bericht während des Krieges anzuheften, in welchem er auf seine wichtige Rolle als Befehlshaber beharrt. Hier will er sein Können und vor allem sich hervortun und schreibt sich selbst nur positive Eigenschaften, wie Härte, Strenge, Durchsetzungsvermögen und Draufgängertum zu. In der Nachkriegszeit, sprich in den restlichen Quellen, will er allerdings seine Rolle im Ghetto immer wieder schmälern und stellt sich vermehrt als einfachen Soldaten dar, der lediglich Befehle ausführte und keinerlei Entscheidungen traf. Durch dieses Verhalten macht sich wiederum eine Art Rückgratlosigkeit bemerkbar, welche ihn zu einem Heuchler und Leugner degradiert, der nicht den nötigen Mut aufbringt, um zu seinen Taten bzw. Handlungen zu stehen. Hinsichtlich der Situationen, die er wählt, um sich selbst zu präsentieren, zeichnen sich ebenfalls einige Unterschiede ab. In seinem Bericht bspw. wählt er nur Situationen, die seine Rolle als Befehlshaber betonen sollen. In der Gerichtsverhandlung bzw. in den Äußerungen und Gesprächen nach dem Krieg sind die Situationen der Selbstdarstellung weitläufiger: einerseits wählt er Situationen, um sein Strategiebewusstsein hervorzuheben, aber auch um sich gegenüber anderen zu erheben, andererseits ergreift er die Möglichkeit, um sich als einfachen Soldaten darzustellen, der keine Entscheidungsgewalt hat, der gehorsam und treu Befehle ohne Widerworte sowie ohne viel darüber nachzudenken ausführt. Beim Bedeutungsgehalt der Erziehung durch seine Eltern zeichnet sich allerdings ein einheitliches Bild ab. Auch wenn dieses Thema nicht immer explizit in allen Quellen erwähnt wird, macht sich die strenge und soldatische Erziehung durch Vater und Mutter durchaus bemerkbar. Diese Art des Erziehens hat sichtlich Spuren beim jungen Stroop hinterlassen, denn in seinem ganzen Handeln lebt er sozusagen die Eigenschaften des Gehorsams, der Treue und die Unnachsichtigkeit gegenüber Schwächeren. Somit räumt Stroop seiner Erziehung indirekt, aber auch direkt eine große Bedeutung ein. In Bezug auf die ‚Judenfrage‘ bzw. auf die Ideologie des Nationalsozialismus sind mehrere Standpunkte von Stroop zu verzeichnen. In der ersten Quelle kommt ganz eindeutig eine

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Abneigung gegenüber der jüdischen ‚Rasse‘ und somit die Überzeugung als Nationalsozialist zum Vorschein. In den restlichen Quellen spiegelt Stroop hinsichtlich dieser Thematik ein widersprüchliches Bild wider. Einerseits mimt er einen gehorsamen Soldaten, der widerspruchslos den Befehl der Vernichtung der Juden ausführt und somit als Antisemit in den Vordergrund rückt, andererseits gibt er zu verstehen, dass er selbst kein Antisemit ist und sich nicht mit der Rassenideologie auseinandersetzte. Somit kann anhand dieser Quellen nicht eindeutig geklärt werden, ob er ein überzeugter Nationalsozialist oder lediglich ein Mitläufer/Nutznießer war, der die Vorteile als Anhänger des Hitler-Regime nutzte, um sich selbst zu profilieren und an Macht zu kommen.

5.4 Fremddarstellung Jürgen Stroop – eine Analyse

5.4.1 Gespräche mit dem Henker Zu Beginn des Berichts nimmt Moczarski eine Beschreibung Stroops Äußeren vor, als er ihm zum ersten Mal in der Gefängniszelle gegenübersaß. Durch die Darstellung seines Erscheinungsbildes, eröffnet er bereits die Charakterisierung Stroops. In dieser ersten Beschreibung gibt Moczarski klar zu verstehen, dass Stroop ein Mann ist, der sehr auf sein Äußeres bedacht ist und viel Wert darauflegt, einen guten und vor allem bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Obwohl einem Häftling nicht viele Gegenstände zum Brillieren zur Verfügung standen, glänzte Stroop, indem er immer „auffallend sorgfältig gekleidet“385, „immer glatt gekämmt“386 war und „auf Hochglanz polierte Schuhe“387 trug. In diesen Schuhen „ging er nicht, sondern schritt“ mit einer „provinziellen Eleganz, die er bis an sein Lebensende beibehielt“.388 Zu seinem bewusst sorgfältigen und eleganten Auftreten kommen Eigenschaften wie Gründlichkeit, pedantische Sauberkeit und Fleiß hinzu.389 Im weiteren Verlauf der gemeinsamen Gespräche und durch sein auffallendes Benehmen, kommt Moczarski zu dem Entschluss, dass Stroop dem Aussehen eines „nordischen“ Mannes nacheiferte. „Um seinem Ideal näherzukommen, schnitt er sich die Haare oberhalb der Ohren so kurz wie möglich. Wenn ihm an diesen Stellen die Haare nachgewachsen waren, strich er sie mit Speichel glatt, was ihm bald zur Gewohnheit wurde.“390 Abgesehen von der äußeren Beschreibung Stroops, gibt Moczarski viel Wissenswertes über seine innere Beschaffenheit, sprich über seine Einstellungen und Werte, preis. Ein markantes Beispiel dafür liefert die eingangs geschilderte

385 Moczarski 1982, S.8. 386 Ebd. S.29. 387 Ebd. S.8. 388 Ebd. S.29. 389 Ebd. S.27 390 Ebd. S.98 - 92 - 5. Analytischer Teil der Arbeit

Situation über die Einteilung der vorhandenen Schlafplätze in der Gefängniszelle. In der besagten Zelle, in der sich Stroop, ein weiterer Deutscher namens Schielke und der Pole Moczarski befanden, gab es nur ein einziges Bett, auf welchem Stroop bis zur Ankunft Moczarskis auch schlief. Sein Zellegenosse Schielke lag, entsprechend der Rangordnung des Dritten Reiches, am Boden auf einem Strohsack. Nach dem Eintreten Moczarskis musste laut Stroop allerdings eine neue Schlafordnung geschaffen werden und wandte sich mit folgenden Worten an Moczarski: „Ich lege mich auf den Boden. Das Bett steht Ihnen zu, da sie Angehöriger des hier herrschenden, also siegreichen Herrenvolkes sind.“391 Moczarski ist der Meinung, dass Stroop in diesem Moment „seine Ansicht über die Art zwischenmenschlicher Beziehungen“ preis gab und „die ihm seit Kindesbeinen eingetrichterten Eigenschaften, Anbetung der Macht und Unterwürfigkeit – das unvermeidliche Produkt blinden Gehorsams – waren zum Vorschein gekommen.“392 Hier deklariert Moczarski Stroop also als gehorsamen Mann, der die Macht und die Gesetze des Hitler-Regimes auch nach dem verlorenen Krieg immer noch anbetet und ihr gegenüber unterwürfig ist. Diese Eigenschaften erweitert Moczarski mit Stroops einverleibter Treue, die er gegenüber seinen Befehlshabern immer wieder zum Ausdruck bringt:

Und nie wird er von Hitler oder Himmler anders sprechen als von „Adolf Hitler“ und „Heinrich Himmler“; immer nennt er ihre Vornamen, womit er seine Treue und Ergebenheit gegenüber diesen „großen deutschen Gestalten des zwanzigsten Jahrhunderts“ zum Ausdruck bringt.393 Für Stroop galt das Prinzip der „Treue, nur Treue, unbedingte Treue, das ist die wichtigste Eigenschaft eines wahren Menschen. ‚Meine Ehre heißt Treue‘ [...]“.394 Ergänzend zu diesem Prinzip, standen die Leitbilder „Zucht und Ordnung“395 und „Befehl ist Befehl“396 ganz weit oben, wenn nicht sogar an erster Stelle seiner Tagesordnung. Aus diesem Grund war Moczarski der Meinung, dass „der NSDAP so ein systematischer, pedantischer Mann nützlich war“, der „ergeben, treu und dabei jeder von oben weitergegebenen Wahrheit blind glaubend“ Befehle ausführte.397 Aufgrund dieser Eigenschaften fand es Moczarski als durchaus wahrscheinlich, dass Stroop „mit Sicherheit zu einem „Dr. der Partei und SS“, vielleicht sogar zum „Dozenten“ in der von Himmler geplanten Akademie geworden“398 wäre, wenn das Dritte Reich seine Pläne siegreich durchsetzen hätte können. Das Paradoxe daran ist aber, dass Moczarski Stroop als

391 Moczarski 1982, S.10. 392 Ebd. 393 Ebd. S.11. 394 Ebd. 395 Ebd. S.57. 396 Ebd. S.58. 397 Ebd. S.56. 398 Ebd. S.227. - 93 - Diplomarbeit einen unbegabten Schüler darstellt, der lediglich über eine spärliche Volkschulbildung verfügt399, der nicht im Stande ist Fremdsprachen zu erlernen. Hierzu schildert er zwei Situationen, nämlich dass Stroop während des Krieges nach Berlin geschickt wurde Russisch zu lernen, um auf seine Tätigkeiten im Osten vorbereitet zu werden. Allerdings war er sprachlich so unbegabt, sodass er nur russische Wortfetzen erlernte. Aber der Befehl lautete die russische Sprache zu erlernen, „also paukte er“.400 Die zweite Situation ereignete sich in der Zelle, wo Moczarski Stroop das Polnische beibringen wollte und dabei mit dem Hilfsverb „sein“ und den Farben begann. Allerdings wurde das Projekt sehr rasch abgebrochen und Moczarski kam zu dem Entschluss: „Er hatte einfach kein Talent für Fremdsprachen.“401 Er fügt an dieser Stelle ein wenig abwertend hinzu, dass „er eigentlich nur die Geschichte der NSDAP beherrschte, vor allem die der SS fehlerlos.“402 Somit ist für den Verfasser klar, dass es für Stroop nur den „Parademarsch, den Führer, die Macht, die Geschlossenheit und Ordnung gab.“403 Zum Stichwort ‚Vorliebe zur Macht‘ schildert Moczarski ebenfalls eine sehr eindringliche und aussagekräftige Situation aus Stroops Sicht:

Jesuiter, der in einer besonderen Liste täglich die Zahl der mittlerweile eliminierten Juden eintrug, stürzte [...] in mein Arbeitszimmer [...] und begann […] zu berichten. Jesuiter hatte sich jedoch viel zu vertraulich benommen und es versäumt die nötigen Formen zu wahren. Ich weise ihn daher scharf zurecht und befehle ihm, noch einmal hinauszugehen und sich der Dienstvorschrift entsprechend zu verhalten. Er schließt die Tür hinter sich, ich rufe ‚Herein!‘, und Jesuiter meldet sich phantastisch: Habt-acht-Stellung, hoch erhobener Kopf, die Hände straff an der Hosennaht. Er bittet gehorsamst um Erlaubnis, über eine äußerst wichtige Angelegenheit berichten zu dürfen.404 In diesem Ausschnitt verdeutlicht Moczarski Stroops Drang nach Ansehen als Respektperson als auch nach Regelkonformität. Sozusagen stellt er ihn als machtliebenden Menschen dar, der nicht davor zurückschreckt, diese auch auszuleben. In weiterer Folge schreibt Moczarski, dass Stroop mit harter Faust regierte, streng, genau und pedantisch war, sowie sich und keinem anderen jemals Mitleid oder Nachgeben gestattete.405 Durch sein hartes und rücksichtsloses Vorgehen gegen Feinde und Andersdenkende, kommt wiederum das draufgängerische Wesen Stroops zum Vorschein. „Zugleich ist er bemüht, einen eleganten, gebildeten und würdevollen Eindruck zu machen. […] Die SS-Kameraden nehmen den zurückhaltenden Detmolder ernst,

399 Moczarski 1982, S.26. 400 Ebd. S.84. 401 Ebd. S.362. 402 Ebd. 403 Ebd. S.93. 404 Ebd. S.206. 405 Ebd. S.77 - 94 - 5. Analytischer Teil der Arbeit der auf Schritt und Tritt zu verstehen gibt, daß er etwas darstellt.“406 Des Weiteren führt Moczarski an, dass Stroop „kein Schwätzer war, aber er neigte dazu, viel von sich zu reden und sich selbst zu loben.“407 Außerdem soll er es genossen haben, ein Publikum zu haben, welches in der Zelle aus Schielke und Moczarski selbst bestand.408 Was Stroop allerdings überhaupt nicht leiden konnte, war es daran erinnert zu werden, dass jemand anders einen höheren Rang innehatte als er selbst. In solchen Situationen „lief er rot an und sagte mit entwaffnender Ehrlichkeit: „Leider bin ich niemals in die absolute Spitze, das heißt in den Kreis der SS- Obergruppenführer vorgedrungen, was der Traum eines jeden SS-Mannes war.“409 Bei den Gesprächen über die Ereignisse im Warschauer Ghetto, beschreibt Moczarski Stroop als begeisterten und erregten Erzähler: „Man sah ihm seine Erregung an. Er erlebte zum weiß wievielten Mal seine „aktive Mitwirkung an der Großaktion in Warschau“.“410 Im Zuge der vermeintlichen Erzählungen Stroops über den Verlauf des Warschauer Ghettoaufstandes, diskreditiert Moczarski den erhabenen Befehlshaber aber immer wieder. Er stellt ihn zwar als rücksichtslos und hart dar, der Befehle strikt ausführt, was den Behauptungen von Stroop auch entspricht, allerdings geht Moczarski einen Schritt weiter und stellt ihn als einen heuchlerischen und unsicheren Befehlshaber dar. Er unterstellt Stroop, dass er in brenzligen Situationen unsicher wurde und immer nach Hilfe und Unterstützung suchte:

Sie zeigten Härte dem Feind, den Juden gegenüber, vor allem dann, wenn sie auf keinen Widerstand stießen. Mir aber geht es um Ihre Unsicherheit bei Entscheidungen, welche die Ihnen unterstellten Menschen und Mittel betrafen. Warum zum Beispiel zogen Sie sich während der ersten Kampftage am Abend regelmäßig aus den tagsüber eroberten Straßen zurück, warum holten Sie sich so oft Instruktionen von Himmler und Krüger und baten sogar Dr. Hahn um Hilfe?“411 Auf eine solche Frage hatte Stroop keine schlagfertige Antwort parat und entgegnete ihm eine eher wenig überzeugende Rechtfertigung über sein Handeln: „Die Lage war oftmals sehr schwierig, zum Teil lähmte sie die Einsatzfähigkeit meiner Einheiten.“412 Diese Konfrontation Stroops lässt darauf schließen, dass Moczarski zwar von seiner wichtigen Rolle im Ghetto überzeugt war, allerdings nicht von seinen Führungsqualitäten, die er dort an den Tag legte. Moczarski zweifelte aber mit Sicherheit nicht die Überzeugung und den Stolz Stroops an, mit der er die Befehle seiner Vorgesetzten ausführte:

406 Moczarski 1982, S.77. 407 Ebd. S.12. 408 Ebd. 409 Ebd. S.235. 410 Ebd. S.171. 411 Ebd. S.230. 412 Ebd. - 95 - Diplomarbeit

Während Jürgen Stroop von der Sprengung der Großen Warschauer Synagoge am 16. Mai 1943 erzählte, stand er in einer Zellenecke, dicht neben der Zentralheizung: breitbeinig, mit erhobenen Kopf und gestikulierenden Händen, das Gesicht vor Eifer gerötet. Er wirkte auf eine besondere Weise glücklich. […] „Denn so hatten es Adolf Hitler und Heinrich Himmler gewollt!“ […].413 Dieser überzeugten, stolzen und ergebenen Art bleibt er bis zu seinem Lebensende treu, denn laut der Schilderung Moczarskis, legt Stroop auch noch kurz vor seiner Hinrichtung im Gefängnis Mokotow eine Arroganz an den Tag, die nur ein überzeugter Amtsträger des Dritten Reichs haben kann:

Bis zum Schluß fiel den Anwesenden seine arrogant-anmaßende Nazi-Haltung auf. Den Tod fürchtete er offenbar nicht. Er gehorchte den Vertretern der Behörde, die die Hinrichtung zu vollstrecken hatten. Er war ruhig und behielt bis zum Schluß seine soldatische Haltung bei. Stroop zeigte keinerlei Gewissensbisse. Einige Tage vor der Hinrichtung wurde er vom Leiter des Gefängnisses gefragt, ob er es mit seinem Gewissen vereinbaren könne, als gläubiger Christ selbst an Mordtaten beteiligt gewesen zu sein. […] Stroop antwortet darauf, daß er keinerlei Gewissenbisse darüber empfinde, daß Juden ermordet wurden.414 Dadurch wird offensichtlich, dass Moczarski ihn als arroganten Mann in Erinnerung hat, der mit einer soldatischen Haltung dem Urteil, welches er wahrscheinlich als Befehl ansieht, regelkonform Folge leistet und sich unterwürfig ohne schlechtem Gewissen seinem Schicksal fügt. Die Situationen, in denen Moczarski eine Beschreibung von Stroop vornimmt, belaufen sich im Großen und Ganzen auf zwei unterschiedliche Arten. Entweder stellt er ihn als grausamen, harten und strengen Befehlshaber dar, der vor nichts zurückschreckt oder als unsicheren, heuchlerischen und ängstlichen Mann, der bei seinen Erzählungen übertreibt und bei unangenehmen Konfrontationen unvorhersehbar reagiert. An dieser Stelle muss aber unbedingt erwähnt werden, dass Situationen des zweiten Typus bei weitem überwiegen, denn hierfür lassen sich in Moczarskis Buch eine Vielzahl an Beispiele finden. Dementsprechend provoziert Moczarski Situationen, die Stroop absichtlich verunsichern sollen. In solchen Situationen reagiert der Befehlshaber meist unsicher, abweisend aber auch aufbrausend: „Stroops Stimme ist jetzt klein und bescheiden.“415, „fuhr Stroop auf“416, „Stroop brauste auf.“417 sowie „der Gruppenführer zittert vor Wut, er stottert, verschluckt Silben“418. In weiterer Folge soll ein

413 Moczarski 1982, S.219. 414 Ebd. S.375. 415 Ebd. S.117. 416 Ebd. S.190. 417 Ebd. S.191. 418 Ebd. S.286. - 96 - 5. Analytischer Teil der Arbeit

Beispiel geschildert werden, in der Stroops Hang zu Übertreibungen (Fronteinsatz 1941) verdeutlicht wird und Moczarski den Moment nutzt, den Befehlshaber zu entlarven:

Aus seinen Berichten konnte man schließen, daß sein Fronteinsatz weder ermüdend noch gefährlich war. Er leistete ihn im Sommer, die frostkalten Winter blieben ihm erspart. Damit entging er der Tragödie von Millionen Wehrmachtsangehörigen, die im harten russischen Winter den Tod fanden. Da er mehrmals übertrieben eindringlich von den „harten Frontzeiten“ gesprochen hatte, wurde ich eines Tages wütend und sagte: „Ihre Front war das reinste Paradies [...]. Sie wurden von ihren SS-Freunden in ein dreimonatiges Sommerpraktikum [...] geschickt, damit man in Ihrem Lebenslauf vermerken konnte, daß Sie auch im Zweiten Weltkrieg an vorderster Front gekämpft haben. [...].“419Aber Stroop benötigte diese Abkommandierung für seine Personalakte, um später damit zu prahlen – und es entsprechend zu nutzen – daß er als aktiver Kämpfer der Hitlergarde im Osten für die „Größe des Dritten Reiches und die Zukunft des deutschen Volkes“ gekämpft habe.420 Außerdem war es Moczarski anscheinend ein Anliegen, Stroop als Angsthasen darzustellen, der es niemals im Leben wagte, ein Risiko einzugehen und stets nach vorgegebenen Regeln lebte und entsprechend handelte. Hierfür schildert er eine vielsagende Situation: Als es eines Tages im Gefängnis zum Engpass in Sachen Zigaretten kam, überlegte sich Moczarski eine Taktik, wie er und seine Zellengenossen wieder an Zigaretten kommen konnten. Er befestigte an einer langen Schnur einen Zettel mit der Bitte um Zigaretten und ließ diese aus dem Zellenfenster runter zu anderen Gefangenen. Während dieser ‚verbotenen Aktion‘, wurde Stroop sichtlich nervös und fürchtete sich vor möglichen Konsequenzen: „Stroop wurde während dieser nur wenige Minuten dauernden „Operation“ fast verrückt vor Angst. […] Stroop holte tief Luft und murmelte mit zusammengekniffenem Mund: „Riskiert Kopf und Kragen! Typisch AK!“.421 In Sachen Kindheit und Erziehung Stroops hat Moczarski ebenfalls viel zu erzählen und misst diesem Zeitabschnitt in seinem Leben eine große Bedeutung bei. Er sieht in seiner Kindheit/Jugend und der einhergehenden Erziehung die Ursache für Stroops mustergültige Karriere im Dritten Reich. Aus diesem Grund beschäftigt er sich im zweiten Kapitel „Zu Füßen von Bismarcks Cherusker“ ausführlich mit Stroops Herkunft und liefert eine Menge an Informationen über dessen Familienverhältnisse. Im Zuge dessen hob Stroop laut Moczarski immer wieder hervor, dass „die soldatische Disziplin und die Strenge der Mutter seinen Charakter geformt und ihn vor übermäßigen Individualismus bewahrt hätten.“422 Des Weiteren

419 Moczarski 1982, S.125. 420 Ebd. S.126. 421 Ebd. S.365f. 422 Ebd. S.21. - 97 - Diplomarbeit gibt Moczarski eine Aussage Stroops wieder, in der die soldatische und strenge katholische Erziehung durch seine Eltern zum Vorschein kommt:

„Befehl ist Befehl, Herr Moczarski! Die Mächtigen haben immer recht“ (er dachte wohl an seinen Vater, an den Fürsten zu Lippe und an Himmler), „und Gott sei auch dafür“ (hier erinnert er sich wahrscheinlich an seine frömmelnde Mutter […]).“423 Die Ursache für das Handeln und Agieren nach festen sowie vorgeschriebenen Regeln sieht Moczarski ebenfalls in Stroops Erziehung begründet, denn bei jedem kleinen Verstoß, den er sich als Kind erlaubt wird er mit körperlicher Züchtigung bestraft. So kam es eines Tages dazu, dass der junge Stroop das Sofakissen seiner Mutter klaute und es für spielerische Zwecke nutzte. Als sie dies bemerkte wurde er von ihr mit einer Tracht Prügel bestraft. Moczarski kommentiert diese Situation mit folgenden Worten: „Die Mutter versohlte ihn nach diesem Experiment so gründlich, daß er es zeit seines Lebens nicht vergaß. Von da an war Joseph auf eine mustergültige Weise gehorsam und folgte den Eltern aufs Wort.“424 Mit anderen Worten kann gesagt werden, dass Moczarski Stroops Eltern, Vater wie Mutter, mit unbestreitbarer Sicherheit für seinen blinden Gehorsam gegenüber Respektpersonen bzw. Macht-Habenden verantwortlich macht. Außerdem betrachtet er die Tatsache, dass in Stroops Kindheit ständig Offiziere des Ersten Weltkrieges in ihren Uniformen mit Orden und Rangabzeichen präsent waren, ebenfalls als ausschlaggebend für die Vorliebe für Uniformen und deren Wirkung auf die umgebenden Menschen. Moczarski schildert diese Vorliebe wie folgt: „Er schwärmte für körperliche Kraft, Pferde- und Sattelgeruch. Uniformen und militärische Rüstungen zogen ihn unwiderstehlich an, dazu Auszeichnungen, Orden, Rangabzeichen und äußerer Drill.“425 Des Weiteren schreibt Moczarski, dass der junge Stroop Gefallen an Schulappellen hatte und ständig von seinen Sportlehrern „wegen seiner vorbildlichen Haltung beim Strammstehen“ gelobt wurde, sowie „empfänglich […] für soldatische und nationalistische Traditionen seines Volkes“ war.426 All diese Erlebnisse und Ereignisse haben laut Moczarski großen Einfluss auf Stroop ausgeübt, die sich bis in sein Erwachsensein erstreckten. Die Traditionen in seinem Städtchen, seine Eltern sowie seine Vorgesetzte waren also bei der Ausbildung des Prinzips „Ordnung muß sein“ maßgeblich beteiligt.427 Diesem Prinzip ist Stroop augenscheinlich sein ganzes Leben lang treu geblieben.

423 Moczarski 1982, S.21. 424 Ebd. S.20. 425 Ebd. S.27. 426 Ebd. S.28. 427 Ebd. S.48. - 98 - 5. Analytischer Teil der Arbeit

In dem Bericht deklariert Moczarski Stroop zu einem reinen und überzeugten Nationalsozialisten, der aktiv und mit vollem Engagement gegen die jüdische Bevölkerung vorging. Den Beginn seiner Liebe zum nationalen Gefühl entfachte sich bei Stroop bereits in seiner Kindheit: „Schon in frühester Kindheit hatte er Hermann dem Cherusker und der germanischen Rasse die Treue geschworen, obwohl die rassistisch-germanischen Theorien damals noch nicht ihren Höhepunkt erreicht hatten.“428 Schließlich war er laut Moczarski 1932 zu einem vollkommenen Nationalsozialisten geworden und beschreibt diesen Moment mit nahezu bildlich übertriebener Sprache: „Er trank das Elixier des nationalsozialistischem Evangelium und verschluckte sich vor Begeisterung wie ein Foxterrier […].“429 In Folge des Anschließens an die Nationalsozialisten kannte sich Stroop sehr gut mit der Rassenlehre aus, denn einige Tage nach dem ersten Aufeinandertreffen verkündete Stroop: „Sie gehören der dinarischen Rasse an.“430 In weiterer Folge gibt Moczarski zu verstehen, dass er „jeden Menschen vom Standpunkt der „nordischen“ Rasse“ aus betrachtete. Das Idealbild eines Menschen machte für ihn ein „hochgewachsener, schlanker, hellhäutiger Mann mit langen Schädel und schmaler Stirn“ aus.431 So kommt Moczarski zum Schluss, dass er an die nazistische Rassentheorie glaubt und vor allem an die „angeborene „Überlegenheit des germanischen Blutes““.432 Um diese Behauptung zu untermauern gibt er eine Aussage Stroops wieder, in der er sich ausführlich über die Minderwertigkeit der jüdischen ‚Rasse‘ äußert:

Die Juden sind gar nicht fähig, ein Gefühl für Ehre und Würde zu entwickeln. Ein Jude ist kein vollwertiger Mensch. Juden sind Untermenschen. Ihr Blut ist anders beschaffen, ihre Blutgefäße, ihr Knochenbau, sie denken anders als wir Europäer, besonders als wir, die ‚nordische Rasse‘.“433 Unabhängig von der Minderwertigkeit der jüdischen ‚Rasse‘ führt Moczarski die Bewunderung aber auch den Schock Stroops über die jüdischen Frauen an, die im Ghettoaufstand wie Soldaten kämpften. Denn von zuhause war es Stroop gewohnt, dass eine Frau nur für die Kindererziehung und das Aufrechterhalten des Haushaltes zuständig war. Diese Ansicht lebte er auch und behandelte seine Frau wie sein Eigentum.434 Aus diesem Grund war er laut Moczarski umso mehr überrascht, als er im Ghetto bewaffneten Frauen gegenüberstand:

Der Unterschied zwischen dem „schwachen Geschlecht“ aus Detmold, das unter der Fuchtel von „Kirche, Küche, Kinder“ aufwuchs, und den Mädchen der jüdischen Kampforganisation war

428 Moczarski 1982, S.24. 429 Ebd. S.58. 430 Ebd. S.98. 431 Ebd. 432 Ebd. S.99. 433 Ebd. S.195. 434 Ebd. S.48. - 99 - Diplomarbeit

entschieden zu groß! Stroop war schockiert über die „militärische Emanzipation“ der Frauen, mit der er in Polen zum erstenmal [sic!] in seinem Leben zu tun bekam.435 Diese Art des Benehmens und Auftreten von jüdischen Frauen war für ihn unbegreiflich. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass hier Stroop als Mann dargestellt wird, der sehr auf sein Äußeres achtet, um dadurch einen guten, aber auch bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Er soll pedantisch sauber, gründlich und fleißig gewesen sein. Er betet vor allem die Macht an und ist ihr gegenüber unterwürfig und bleibt diesem Prinzip bis an sein Lebensende treu. Außerdem zählen für ihn die Werte bedingungsloser Gehorsam, Treue sowie Zucht und Ordnung. Hierdurch sieht Moczarski seine soldatische Natur bestätigt. Dadurch glaubt er aber auch, dass Stroop das Potenzial gehabt hätte, im siegreichen Dritten Reich in der Rangliste weiter aufzusteigen. Allerdings war er sprachlich sehr unbegabt und schaffte es nicht eine Fremdsprache zu erlernen. Abgesehen vom nicht vorhandenen Sprachentalent, liebte er es seine Macht gegenüber anderen zu präsentieren (Geltungsdrang). Ergänzend dazu bevorzugte er einen harten und strengen Führungsstil, durch den er niemandem Nachsichtigkeit oder gar Mitleid gestattete. Gleichzeitig beschreibt ihn Moczarski aber als unsicheren und heuchlerischen Mann, der gern zu Übertreibungen neigt und nur über mangelnde Führungsqualitäten verfügt. Der Kindheit und Erziehung Stroops schreibt Moczarski eine große und wichtige Rolle zu und sieht darin die Ursache für Stroops späteres Wesen (soldatische und strenge katholische Erziehung) begründet. Hinsichtlich der ‚Judenfrage‘ und politischen Gesinnung zeichnet sich auch ein klares Bild ab. Laut Moczarski ist Stroop durch und durch ein Nationalsozialist und glaubt an die Rassentheorie.

5.4.2 Konrad Bericht Die erste Stellungnahme betreffend Stroop macht Konrad als er über die Ereignisse im Warschauer Ghetto-Aufstand zu berichten beginnt. Hierbei schildert er Stroops unangekündigtes und unpassendes Reinplatzen in eine Besprechung der SS-Verbände und nimmt dabei die erste Darstellung seines Wesens vor:

Mitten hinein in die Besprechung über Zeitpunkt und Einsatz der einzelnen SS-Verbände und der Polizei kam SS-Brigadeführer Jürgen (Jose[ph]) STRO(O)P und erklärte, dass er den Auftrag des Reichsführers-SS die Dienststelle des SS- und Polizeiführers zu übernehmen habe. Er stellte sich vor als Nachfolger v. SAMMERNs. Er bat noch, dass SAMMERN die Vorbereitung für die Umsiedlung treffen sollte […].436

435 Moczarski 1982, S.178. 436 Jahns 2009, S.155f - 100 - 5. Analytischer Teil der Arbeit

Bereits beim ersten Erwähnen Stroops wird offensichtlich, dass Konrad ihn hier als Mann darstellt, der nur so vor Selbstbewusstsein strotzt und den Schneid besitzt unangekündigt in eine der wichtigsten Besprechungen für die Vorbereitung der Räumung des Ghettos hinein zu platzen. Er schildert in diesem Sinne auch die Absicht Stroops seine Macht gegenüber den anderen auszuspielen, um zu zeigen, dass er eine wichtige und bedeutende Person darstellt, der ab jetzt das Sagen im Ghetto hat. Hierzu liefert Konrad eine Aussage, die die Machtliebe Stroops noch einmal mehr unter Beweis stellen soll:

Sein Anspruch war der, dass […] er als „der SS-und Polizeiführer“ schon die nötige Maßnahme und Strenge walten lassen wird, um der aufständischen Bevölkerung Herr zu werden.“ Dieses Wort: „Ich, der SS-und Polizeiführer“, führte er bei jeder Gelegenheit im Munde, um seiner Umgebung zu zeigen, was für eine Macht er in sich vereinige.437 In diesem Abschnitt stellt er Stroop also nicht nur als bestimmenden, selbstbewussten und strengen Befehlshaber dar, sondern vor allem als Mann, der stolz darauf ist Macht zu haben und jede erdenkliche Situation ausnutzt, um diese auch zu zeigen. Dieses Streben nach Macht zeichnet sich auch im Konkurrenzkampf zwischen Stroop und Globocnik ab, in dem „STRO(O)P den Standpunkt“ vertrat, „dass nur er über das Warschauer Ghetto zu bestimmen habe.“438 In weiterer Folge ist es Konrad ein Anliegen zu zeigen, dass Stroop „ungeheuer von sich eingenommen war“ und überzeugt davon war, „dass die Maßnahmen, die er […] angeordnet hat, vollkommen richtig waren.“439 Hinzu kommt außerdem, dass er „in seiner Brutalität keine Grenzen“ kannte.440 Im Zuge dessen bezeichnet er Stroop buchstäblich als „Schlächter von Warschau“.441 Abgesehen von der Strenge und Brutalität die Stroop als Befehlshaber an den Tag legt, charakterisiert Konrad ihn als Menschen, der sich gerne über andere erhebt und sie im selben Atemzug vor anderen bloßstellt. Er schildert in diesem Sinne eine Situation, in der Stroop augenscheinlich die „Unfähigkeit von SAMMERN in seiner Befehlsgebung erkannt“ hat und die Situation entsprechend nutzt, um ihn in Gegenwart der anwesenden Offiziere mit folgenden Worten niederzumachen: „Mein lieber Sammern, ich sehe, Sie sind der Sache nicht gewachsen und greifen viel zu wenig energisch durch. Von nun an werde ich die Aktion leiten.“442 Zusätzlich zu dem augenscheinlichen Geltungsdrang über den Stroop verfügt, erkannte Konrad in ihm „sogleich den Mann, der mit allen Mitteln gegen die Juden vorgehen werde […], [um] der Juden habhaft zu werden und das Ghetto zu

437 Jahns 2009, S.184. 438 Ebd. S.169. 439 Ebd. S.185. 440 Ebd. 441 Ebd. S.165. 442 Ebd. S.157. - 101 - Diplomarbeit vernichten.“443 Laut Konrad fand es Stroop außerordentlich schade, „dass er das sogenannte kleine Ghetto […] nicht ebenfalls abbrennen konnte“, da es bereits von der polnischen Bevölkerung bewohnt wurde.444 In diesem Fall charakterisiert Konrad Stroop also als rücksichtslosen Mann, der einen starken Zerstörungswunsch besitzt und den das Feuer buchstäblich anzog. Offensichtlich genoss er das Feuer, denn er „schritt mit seinem Stab die brennende Straße entlang“.445 Allerdings sieht Konrad in ihm einen inkonsequenten446 und unfähigen Befehlshaber, der „seine Räumungsbefehle ohne Rücksicht auf das Wirtschaftsleben hinaus“447 gab. Die Güter, die nämlich im Ghetto produziert wurden, wären überaus nützlich für die Soldaten an der Front gewesen, doch Stroop ließ diese jedoch ausnahmslos verbrennen. Hinsichtlich der geschilderten Situationen kann gesagt werden, dass er bei der Beschreibung Stroops lediglich Ereignisse beschreibt, die stets eine negative Konnotation mit sich bringen. Dementsprechend verwendet Konrad nur Situationen, die die negativsten Eigenschaften Stroops zum Vorschein bringen lassen, wie zum Beispiel durch folgende Schilderung:

Bei den Durchkämmungen kam es hin und wieder vor, dass auf bewaffneten Widerstand und vereinzelte Feuerüberfälle der Juden gestoßen wurde. Daher gab STRO(O)P den einzelnen Stoßtrupps den Befehl, sämtliche Juden vor Weiterbeförderung zum Umschlagplatz, unabhängig von Alter und Person und Geschlecht, nackt auszuziehen und nach Waffen zu durchsuchen. Hierbei ist es vielfach zu widerwärtigen Szenen gekommen.448 Hinzu kommt außerdem, dass er die geschilderten Situationen dazu benutzt, um Stroop schuldig zu sprechen und ihn für seine grausame Taten verantwortlich machen will (siehe Intention von Konrad: 5.2.2.2 Konrad Bericht). Aus diesem Grund führt er bspw. folgende Situation an: „STRO(O)P war die meiste Zeit – soweit ich mich entsinnen kann – bei der Exekution anwesend.“449 Seine Unmenschlichkeit lässt er ebenfalls zum Vorschein kommen, indem er erklärt, dass er die Leichen der Juden mit Straßenwalzen beseitigte, um „die Toten in die Erde zu walzen (!!!).“450 Auf die Herkunft Stroops nimmt Konrad allerdings keinen Bezug, wodurch daraus geschlossen werden kann, dass die Gründe, warum Stroop zu einem harten und unnachsichtigen Mann geworden ist, für ihn keine Rolle gespielt haben. Für Konrad war es anscheinend das vorrangige Ziel Stroop schuldig zu sprechen, wobei die Bedeutung seiner Kindheit keinen Platz

443 Jahns 2009, S.158. 444 Ebd. S.178. 445 Ebd. S.172. 446 Ebd. S.176. 447 Ebd. S.171. 448 Ebd. S.168f. 449 Ebd. S.174. 450 Ebd. - 102 - 5. Analytischer Teil der Arbeit in der Ausführung über sein Wesen hatte. Prinzipiell kann aber gesagt werden, dass Stroop in Konrads Schilderungen im hohen Maße die einverleibte Strenge und Härte durch seine Eltern an den Tag legt. In Anbetracht auf die Gesinnung Stroops nimmt Konrad allerdings kein Blatt vor den Mund und lässt dahingehend keinen Zweifel zu, denn er ist sehr darum bemüht, Stroop als Vollblut- Nazi darzustellen, der die jüdische ‚Rasse‘ bis aufs Tiefste verabscheut und überzeugt sowie brutal gegen sie vorgeht. Um diese Überzeugung auch zu demonstrieren, schildert Konrad eine Vielzahl an Situationen, die Stroops Abneigung und Brutalität gegenüber der jüdischen Bevölkerung unter Beweis stellen sollen. Somit erzählt Konrad, dass Stroop die Angewohnheit hatte, sich die Juden, die zum Abtransport bereitstanden, zeigen zu lassen und dabei sonderte er besondere Typen davon aus.451 Stellte sich dabei aber heraus, „dass unter ihnen […] einer mit roten Haaren, rotem Bart [war], so wurden sie auf Befehl von Stroop erschossen.“452 Außerdem gibt Konrad zu verstehen, dass Stroop sich sehr wohl mit der Rassenlehre/-theorie auskannte und deshalb auf der Straße vermeintliche Juden erschießen ließ:

Anlässlich einer Kontrollfahrt außerhalb des Ghettos, aber der Ghettomauern entlang, sah STRO(O)P einen Mann, für ihn mit verdächtigem Aussehen der jüdischen Rasse des Weges kommen. Er sprach ihn an und dieser Mann, der für mich unzweifelhaft ein Pole war, beherrschte zu seinem Unglück die deutsche Sprache (alle Juden konnten deutsch). STRO(O)P erklärte sofort: „Das ist ein Jude“, und ließ ihn durch BRAND(T) auf die jüdischen Merkmale (Beschneidung) untersuchen. BRAND(T), der wohl seine Aufgabe nicht gewissenhaft durchführte, erklärte, dass er nicht genau feststellen kann, ob dieser Mann diese jüdischen Merkmale einwandfrei besitze. STROOP erklärte, dass dieser Mann Jude ist und wurde an Ort und Stelle erschossen.453 Durch diesen Ausschnitt und vielen anderen schreibt Konrad Stroop die Werte eines überzeugten Nationalsozialisten zu, der Menschen entsprechend der Rassentheorie beurteilt und dementsprechend unnachsichtig sowie brutal gegen sie vorgeht. Er beschreibt ihn als Mann, der gemäß der Ideologie des Nationalsozialismus gehandelt hat, in dem er die Ziele der Rassentheorie verfolgte und das Abweichen von der ‚nordischen Rasse‘ mit dem Tod bestrafte. So kann gesagt werden, dass Stroop laut Konrad ein Nationalsozialist aus voller Überzeugung war und die Ziele des Dritten Reiches mit Herz und Seele versuchte zu erreichen und auch aktiv durchzusetzen. Angesichts der gesammelten Ergebnisse kann gesagt werden, dass Stroop von Konrad als ein Mann charakterisiert wird, der ein überzogenes Selbstbewusstsein besitzt und sehr von sich

451 Jahns 2009, S.168. 452 Ebd. S.163. 453 Ebd. S.187. - 103 - Diplomarbeit eingenommen ist. Außerdem stellt er ihn als Mann dar, der es liebt seine Macht zu zeigen und auch darum bemüht ist mehr zu erhalten (Konkurrenzkampf zu Globocnik). Im Zuge des Präsentierens seiner Macht, liebt er es sich über andere zu erheben und diese dann schlecht zu machen. Sozusagen besitzt er laut Konrad einen ausgeprägten Geltungsdrang. Außerdem soll er sehr von seiner Handlungs- und Vorgehensweise überzeugt gewesen sein, obwohl Konrad ihn als inkonsequenten und unfähigen Befehlshaber darstellt. Unabhängig von den Führungsqualitäten wird Stroop von Konrad als einen brutalen, strengen und unnachsichtigen Mann dargestellt (Schlächter von Warschau), der einen ausgiebigen Zerstörungswunsch und sichtlich Gefallen an seiner Arbeit hatte. Zu erwähnen gilt besonders, dass Konrad bei der Beschreibung Stroops lediglich Situationen wählt, die die negativsten Eigenschaften seiner Person zum Vorschein kommen lassen. Außerdem zielt er darauf ab, ihn schuldig zu sprechen. Auf die Erziehung und Kindheit Stroops legt Konrad allerdings keinen Wert und führt diese mit keinem Wort an. Hinsichtlich der ‚Judenfrage‘ und seiner politischen Gesinnung äußert sich Konrad sehr ausführlich und stellt ihn als überzeugten Nationalsozialisten dar, der aktiv und besonders brutal an der ‚Lösung der Judenfrage‘ beteiligt ist.

5.4.3 NS-Beurteilungen454

. 1. BEURTEILUNG 1934 (1916) Im einseitigen Führungszeugnis von 1916 (beglaubigte Abschrift aus dem Jahre 1934 von Hans Keller) über den damaligen Unteroffizier Joseph Stroop erhält der Leser eine knappe, aber vielverheißende Beurteilung. Hiermit wird Stroop als „stets pflichttreu, ruhig, und zuverlässig“ dargestellt, der über „gute militärische Anlagen“ und über „schnelles Auffassungsvermögen“ verfügt.455 Des Weiteren wird Stroop hier als „bemühter“ Mann beschrieben, der gewillt war seine „Dienstkenntnisse zu vervollständigen“.456 In diesem Sinne schreibt ihm Keller indirekt einen Charakter zu, der einem treuen und ergebenen Soldaten entspricht, der pflichtbewusst Befehle von höheren Instanzen ausführt. In weiterer Folge bestätigt Keller, dass sich Stroop „bei der Behandlung von Untergebenen“ „sehr ernst und bestimmt“ zeigt.457 Durch das strikte Befolgen von Befehlshierarchien ist sich Keller demzufolge sicher, dass Stroop ein „brauchbarer und tüchtiger Vorgesetzter“ werden wird. Außerdem fügt er am Ende noch hinzu, dass sich Stroop in und außer Dienst immer nach Vorschrift benommen hat.458 Somit wird ihm hier auch noch die Eigenschaft des Gehorsams zugeschrieben.

454 Die einzelnen Quellen werden wiederum entsprechend der vorgenommenen Reihenfolge getrennt voneinander analysiert. 455 R 9361-III/558908, S.1. 456 Ebd. 457 Ebd. 458 Ebd. - 104 - 5. Analytischer Teil der Arbeit

Bezüglich der verwendeten Situationen kann aufgrund der Kürze der Quelle kein aussagekräftiger Schluss gezogen werden. Jedenfalls kann festgehalten werden, dass in diesem Zeugnis nur über die Vorzüge Stroops geschrieben wird. Hinsichtlich der Bedeutung Stroops Erziehung/Kindheit wird hier ebenfalls nicht eingegangen, was wiederum auf die Kürze der Quelle zurückzuführen ist. Allerdings spiegeln sich die anerzogenen Eigenschaften Treue und Gehorsam von seiner Kindheit wider. Dasselbe Problem tritt in diesem Fall auch bei der Stellungnahme zu Stroops politischer Gesinnung ans Tageslicht. Es liefert nur die bereits genannte Tatsache, dass Stroop im Umgang mit Untergebenen immer ernst und bestimmt war, einen Anhaltspunkt für den Glauben der Überlegenheit gegenüber ‚minderwertigen‘ Personen. Jedoch kann aufgrund dieser Beurteilung nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob ihn Keller als Nationalsozialisten gesehen hat oder nicht. Auf alle Fälle kann mit großer Wahrscheinlichkeit gesagt werden, dass der damalige Unteroffizier Stroop im Jahre 1916 bereits über nazistische Veranlagungen verfügte. Kurzum kann festgehalten werden, dass der Beglaubiger Keller in Stroop einen tüchtigen, bemühten und strebsamen Mann gesehen hat, der durch den bedingungslosen Gehorsam das Zeug für einen guten Vorgesetzten hat.

. 2. BEURTEILUNG 1934 (1918) Die Beschreibung Stroops auf der zweiten Seite der gleichen Signatur fällt allerdings ebenfalls knapp aus, wenn nicht sogar noch spärlicher. Nichtsdestotrotz erhält der Adressat einige Informationen über Stroops Wesen. Denn obwohl sich der Fokus dieses Quellenausschnittes mehrheitlich auf Stroops Ausbildung im Katasteramt beschränkt, verweist der Verfasser bereits im ersten Abschnitt auf die Bereitschaft Stroops für sein Vaterland zu kämpfen hin, indem er den freiwilligen Eintritt in den Heeresdienst anführt. In seiner Arbeit als Beamter des Katasteramtes soll er zudem eine „gute Ausbildung und Übung erlangt“459 haben. „Große Fertigkeit hat er sich vor allem im Zeichnen von Kartenkopien und in der Kartenschrift erworben.“460 Dieses Können spricht für die Eigenschaften Geduld und Genauigkeit. Die abschließenden Worte sprechen für einen gehorsamen, pflichtbewussten und zuverlässigen Stroop: „Alle ihm übertragenen Arbeiten hat Herr S t r o o p mit Eifer und Verständnis zu unserer vollen Zufriedenheit ausgeführt.“461 Hinsichtlich der Auswertung der verwendeten Situationen zu Stroops Beschreibung kann nicht viel gesagt werden, außer, dass im Zuge der Beschreibung nur die positiven Eigenschaften zum Vorschein gebracht werden. In Anbetracht der Erziehung/Kindheit Stroops sowie dessen

459 R 9361-III/558908, S.2. 460 Ebd. 461 Ebd. - 105 - Diplomarbeit

Gesinnung sind ebenfalls keine Schilderungen angeführt. Lediglich die Kampfbereitschaft für das Vaterland kann als Anhaltspunkt für die Treue gegenüber seiner Nation angesehen werden, für welche er bereit ist, sein Leben zu geben (Draufgängertum). Kurzerhand kann gesagt werden, dass Stroop hier als ein genauer, sorgfältiger und geduldiger Mann beschrieben wird, der aufgrund seiner Liebe zum Vaterland, freiwillig den Kriegsdienst antritt. Während der Arbeitszeit galt Stroop als gehorsam, pflichtbewusst und zuverlässig.

. 3. BEURTEILUNG 1934 Im Personalbericht und der dazugehörigen Beurteilung von vermutlich 1934 auf Seite drei der entsprechenden Signatur sind drei Kategorien vorhanden, die das Äußere, das Wesen und das Auftreten Stroops beschreiben sollen. Zuerst nimmt der Autor Bezug auf das „rassische Gesamtbild“ Stroops, dass derjenige mit einer „grossen, schlanken, gutaussehenden, nordischen Erscheinung“ bewertet.462 Daraufhin folgt die Beschreibung seiner inneren Beschaffenheit, beginnend mit seinem Charakter. Dieser soll laut des unbekannten Beurteilers „besonnen“ und „pflichttreu“ gewesen sein, außerdem besteht er darauf, dass er einen „gesunden Ehrgeiz“ besitzt und „ruhig“ ist.463 Als nächstes wird der „Wille“ Stroops behandelt, der sich als „zäh“ manifestiert, der ihm dabei hilft, sich „durchzusetzen“ und „selbstständig zu handeln“.464 Des Weiteren schreibt er ihm einen „gesunden“ und „klaren Menschenverstand“ zu, den der Verfasser als „sehr guten Durchschnitt“ betrachtet.465 Hinsichtlich Stroops Bildung/Ausbildung gibt er zu verstehen, dass der zu Bewertende über eine „gute, umfassende Volksschulbildung“ verfügt, die er durch „eifriges Selbststudium so erweitert, dass die Prüfung für mittlere Beamte, die Mittelschulbild. voraussetzt, bestanden wurde.“466 Zusätzlich zu Stroops Eifer und Bemühen weiterzukommen, besitzt er auch eine „rasche Auffassungsgabe“.467 Die Beurteilung seines „Auftretens und Benehmens in und außer Dienst“ fällt entschieden weitläufiger aus. Hier wird bestätigt, dass Stroop sich während und außerhalb des Dienstes stets „sicher“ und „streng“ verhalten hat, dabei aber immer „gerecht, korrekt und einwandfrei“ gehandelt hat. Dem wird hinzugefügt, dass er ein „guter Kamerad“ war, jedoch „früher zeitweise etwas vorschnell im Urteil“ war. Nichtsdestotrotz besitzt Stroop eine „vielverlangende, durch u. durch soldatische Natur, die gelegentlich -aus Pflicht- treue-

462 R 9361-III/558908, S.3. 463 Ebd. 464 Ebd. 465 Ebd. 466 Ebd. 467 Ebd. - 106 - 5. Analytischer Teil der Arbeit pedantisch auf jede gegebene Anregung eingeht“468, was sozusagen für ein gehorsames und penibles Wesen spricht Weiterführend wird Stroop als Mann dargestellt, der den Charakter eines „guten, ausführenden Organisators“ hat. Darüber hinaus ist Stroop laut der Beurteilung „außerordentlich willig, gewissenhaft, diensteifrig u. zuverlässig“, was dafürspricht, dass er „sowohl als Führer, wie zu jeder Verwendung in höheren Stäben geeignet“ ist.469 Aufgrund der Tatsache, dass es sich hier um eine Beurteilung handelt, sind logischerweise keine Situationen, die Stroops Charakter näher beschreiben sollen, vorhanden. Ersichtlich wird allerdings, dass ihm hier nur positive Attribute zugeschrieben werden, die seine soldatische sowie eifrige Natur widerspiegeln sollen. Ebenso wird nicht auf Stroops Herkunft/Erziehung per se eingegangen, aber der eingetrichterte Gehorsam und Treue durch seine Eltern, sind auch hier in dieser Beurteilung durchaus spürbar. Erfreulicherweise teilt der Verfasser aber seine Ansicht über Stroops „nationalsozialistische Weltanschauung“ mit, was einen Rückschluss auf Stroops Gesinnung zulässt. Hier wird nämlich bezeugt, dass er ein „treuer, eifriger, überzeugter Nationalsozialist“ war.470 Somit kann bestätigt werden, dass er der Ideologie des Dritten Reiches und dessen Ziel, nämlich der totalen Vernichtung der jüdischen ‚Rasse‘ vollkommen entsprochen hat. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Stroop hier als soldatische Natur mit nordischem Erscheinungsbild dargestellt wird, der pflichttreu auftritt und einen zähen Willen besitzt. Dieser soll ihm dabei behilflich sein, sich durchsetzen zu können. Des Weiteren charakterisiert man ihn als gehorsamen, treuen, pedantischen und widerspruchslosen Befehlsausführer. Der Beurteiler teilt die Auffassung, dass Stroop durch seine treue, eifrige und nationalsozialistische Überzeugung eine vielverheißende Karriere in der NS-Herrschaft vor sich hat.

. 4. BEURTEILUNG 1938 Im nächsten Schritt soll die dreiseitige Beurteilung Stroops der „SS-Führerschule München- Dachau“ hinsichtlich Stroops Charakter analysiert werden, die ebenfalls derselben Signatur wie die der vorhergehenden Dokumente entspricht. Diese Beurteilung bezieht sich im Großen und Ganzen auf drei große Aspekte Stroops Person: „allgemeine äußere Beurteilung“, „Charaktereigenschaften“ und „Grad und Fertigkeit der Ausbildung“.471 Die „allgemeine äußere Beurteilung“ beläuft sich in diesem Rahmen auf ein solides „gut“, worunter die Kategorien „Haltung und Auftreten“, „Anzug und Sauberkeit“, „Verhältnis zu den

468 R 9361-III/558908, S.3. 469 Ebd. 470 Ebd. 471 Ebd. S.4f. - 107 - Diplomarbeit

Kameraden“, „Verhältnis zu Vorgesetzten“, „Benehmen im Innendienst“ sowie „Benehmen im Außendienst“ und „körperliche Rüstigkeit“ fallen.472 Hier kommt im Besonderen sein Gehorsam zum Ausdruck, indem er weiß, wie er sich in Gegenwart von Vorgesetzten zu benehmen hat und ihnen den nötigen Respekt zollt. Seine gute Note im Fach „Verhältnis zu den Kameraden“ spricht für seine Treue und Loyalität gegenüber selbigen. Die Bewertung seines „gesellschaftlichen Auftretens“ sticht hervor und wird sogar mit „gewandt“ und „einwandfrei“ benotet.473 Hinsichtlich der Beschreibung seiner Charaktereigenschaften fällt die Beurteilung ebenfalls sehr positiv aus. So werden seine „allgemeinen Charaktereigenschaften“ als „offen, ehrlich, soldatisch, straff, selbstbewußt“ und „jugendlich frisch“ bezeichnet. Außerdem wird er als „guter Kamerad“ dargestellt, der eine „sehr regsam[e]“ „geistige Frische“ hat, sowie über ein „schnelles und sicheres“ Auffassungsvermögen verfügt.474 Hinzu kommt, dass er eine „ausgeprägte Willensnatur“ hat, die es ihm durch Selbstaneignung von Wissen ermöglichte „über seine einfache Schulbildung“ hinaus zu kommen.475 Hinsichtlich Stroops „Lebensanschauung und Urteilsvermögen“ wurde festgehalten, dass er eine „kämpferische, idealistische Lebensauffassung“ hat, „die allen Lagen gerecht wird.“476 Geschlossen wird die Beurteilung seines Charakters mit dem Zuschreiben eines „gesunden Urteilsvermögen“.477 Die Benotung der vorhandenen Fertigkeiten seiner Ausbildung fällt in diesem Rahmen sehr großflächig aus. Auffallend ist in dieser Oberkategorie, dass seine Fertigkeiten noch ausbaufähig sind, da die Noten im Durchschnitt „befriedigend“ sind. So ist zu erkennen, dass im Bereich des „Ordnungsdienstes“ noch Potenzial vorhanden war, um sich weiterzuentwickeln. Seine Fertigkeiten in den Unterkategorien „Kommandosprache“, „Einordnen in der Front“ sowie „Befehlswiedergabe und Urteilsvermögen“ werden durchgehend mit einem „befriedigend“ benotet. Einzig für das „Auftreten vor der Front“ erhält Stroop ein „gut“.478 Im „Geländedienst“ erhält Stroops sogar ein „genügend“ fürs „Entfernungsschätzen und Zurechtfinden“.479 Des Weiteren werden seine sportlichen Leistungen ebenfalls mit „genügend“ und „befriedigend“ bewertet, wobei seine „körperliche Härte“ zumindest um einen Grad besser beurteilt wird als seine sportliche Veranlagung.480 Die Gesamtbeurteilung vom Führer der SS-Führerschule fällt in diesem Sinne weniger gut aus:

472 R 9361-III/558908, S.4. 473 Ebd. 474 Ebd. 475 Ebd. 476 Ebd. 477 Ebd. 478 Ebd. S.5. 479 Ebd. 480 Ebd. - 108 - 5. Analytischer Teil der Arbeit

Straffe soldatische Erscheinung, mit guten Führereigenschaften. Er bemüht sich mit Erfolg eine gewisse Einseitigkeit auf soldatischem Gebiete durch ehrliche Aufgeschlossenheit und regen Fleiß in den weltanschaulichen Gebieten auszugleichen. Durch seine unermüdliche Einsatzbereitschaft und Gewandtheit in Form und Haltung wird er jeder Lage sich gewachsen zeigen. Für höhere Führeraufgaben fehlt ihm allerdings noch die Klarheit und Reife des Urteils.481 Aufgrund der Art dieses Dokuments – Zeugnis – fällt eine Beschreibung der Situationen, in der eine Charakterisierung Stroops vorgenommen wurde, weg. Auch auf die Bedeutung Stroops Kindheit/Erziehung wird nicht eingegangen. Allerdings in Bezug auf Stroops „Weltanschauung“ wird in der Beurteilung Stellung genommen. Hierzu werden drei Kategorien – „Vorhandene Kenntnisse“, „Fähigkeit des Vortragens“ und „Einstellung zu Weltanschauung“ – abgehandelt.482 Betreffend des ersten Punktes wird behauptet, dass seine Kenntnisse „befriedigend“ sind, aber durch seine „fleißige Mitarbeit wesentliche Fortschritte erkennbar“ sind.483 Die Beurteilung seiner Fähigkeit des Vortragens, fällt ernüchternd aus, denn hier wird angemerkt, dass die „Wirkung mehr durch die saubere Art als durch rednerische Begabung erzielt wird.“ Zuletzt wird hinzugefügt, dass er eine „soldatische Redeweise“ an den Tag legt. Lediglich in Bezug auf seine „Einstellung zur Weltanschauung“ erhält Stroop eine positive Rückmeldung: „anständiger Nationalsozialist, der sich ehrlich bemüht, seine Weltanschauung vorzuleben.“484 Resümierend kann gesagt werden, dass Stroop während seiner Ausbildung in der „Führerschule München-Dachau“ ein sauberes, gepflegtes und ordentliches Auftreten offenbart. Des Weiteren pflegte er ein gutes Verhalten zu seinen Kameraden und war bemüht, dieses im Besonderen zu seinen Vorgesetzten aufrechtzuerhalten, wovon sein gesellschaftliches Auftreten profitierte. Zu seinen Charakterstärken zählten vor allem Ehrlichkeit, Offenheit, Fleiß, Bemühen und Selbstbewusstsein. Dem hinzu tritt Stroop soldatisch sowie straff auf und pflegte eine soldatische Redeweise. Außerdem zeigte er einen zähen und starken Willen und profilierte sich mit einer raschen Auffassungsgabe sowie mit einem gesunden Urteilsvermögen. Eher weniger positiv fällt allerdings die Beurteilung seiner erworbenen Fertigkeiten während der Ausbildung aus, denn diese sind durchaus verbesserungswürdig. Stroop war zwar sehr bemüht sich zu verbessern, jedoch fiel die Bewertung geringfügig gut aus, indem er zwar die Anlagen für Führungsqualitäten hatte, allerdings zu diesem Zeitpunkt nicht für höhere

481 R 9361-III/558908, S.6. 482 Ebd. S.5. 483 Ebd. 484 Ebd. - 109 - Diplomarbeit

Aufgaben geeignet war. Allem in allen war er eine soldatische Erscheinung, die nur durch seine vorbildhafte und pedantische nationalsozialistische Überzeugung besticht.

. 5. BEURTEILUNG 1942 Zu guter Letzt soll die Beurteilung aus dem Jahre 1942 mit der Signatur R 9361-III/558909 Aufschluss über Jürgen Stroops Charakter geben. Obwohl es sich hier nur um ein einseitig beschriebenes Blatt Papier handelt, erfährt man daraus, dass Stroop sich zu dieser Zeit darin verstand, Einheiten zu organisieren und dementsprechend einzusetzen. Diese Tatsache beschreibt der Verfasser des Schreibens mit folgendem Wortlaut: „Im Einsatzgebiet hat er trotz größter Schwierigkeiten verstanden, die ihm unterstellten Einheiten so anzusetzen, daß der Beginn der Bauarbeiten in kürzester Zeit erfolgen konnte.“485 Allerdings folgt im nächsten Schritt eine eher ernüchternde Nachricht über Stroops sinkende Einsatzbereitschaft, die sich im Laufe der Zeit auf seine Bautätigkeit auswirkte, wodurch er abberufen und versetzt wurde.486 Dort habe er sich dann „bestens bewährt“.487 Die verwendeten Situationen, um Jürgen Stroop zu beschreiben richten sich nach der heutzutage bekannten „Sandwich-Methode“488 der Feedbackregeln, bei welchem immer zu Beginn eine positive, dann eine negative und wieder eine positive Mitteilung folgt. Dementsprechend erfährt man zuerst, dass Stroop sehr bemüht an der Mitwirkung in seinem Einsatzgebiet ist, dann allerdings, dass seine Einsatzbereitschaft abnimmt, wodurch er versetzt wird und zuletzt wird mitgeteilt, dass er sich in seinem neuen Aufgabengebiet wieder sehr gut macht. Somit wird durch dieses Schreiben wieder versucht Stroop in ein positives Licht zu rücken, um von seinen Schwächen abzulenken. Auf die Bedeutung seiner Erziehung/Kindheit, sowie auf seine politische Gesinnung und Überzeugung wird allerdings nicht Bezug genommen, wodurch es schwierig ist, darüber ein Urteil zu fällen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Jürgen Stroop bei angenehmen Umständen sehr bemüht und einsatzbereit ist. Allerdings kann beobachtet werden, dass diese eingangs an den Tag gelegte Einsatzbereitschaft in beschwerlichen Momenten abnimmt, wodurch sein Wesen als nicht gegen stressresistent eingestuft werden kann.

485 R 9361-III/558909, S.7. 486 Ebd. 487 Ebd. 488 Eintrag zu Feedbacktechniken. In: https://www.beraterkreis.at/wp-content/uploads/2014/08/4- Feedbacktechniken.pdf [Abruf: 22.07.2019]. - 110 - 5. Analytischer Teil der Arbeit 5.4.3.1 Zusammenfassung Gespräche mit dem Henker Der Konrad Bericht (1945) 1. NS-Beurteilung 1934 (1916) (1982) 1. Wie wird J.S. dargestellt? sehr auf sein Äußeres bedacht; überzogenes Selbstbewusstsein, von pflichttreu, ruhig, zuverlässig; gute versucht einen guten Eindruck zu sich eingenommen; liebt es, seine militärische Veranlagung; schnelles hinterlassen; pedantisch Macht zu zeigen; erhebt sich über Auffassungsvermögen; bemüht sauber/gründlich; eifert dem andere Geltungsdrang voranzukommen Aussehen eines ‚nordischen‘ Mannes nach ehrfürchtig u. unterwürfig von seiner Handlungsweise treuer, ergebener Soldat, der gegenüber Macht- ihr gegenüber überzeugt, aber laut K. bedingungslos Befehle ausführt treu u. gehorsam; „Zucht und inkonsequenter und unfähiger Potenzial für brauchbaren und Ordnung“/„Befehl ist Befehl“; Befehlshaber tüchtigen Vorgesetzten verehrt Regeln u. Vorschriften unbegabter Schüler, der nur die strenger, harter, unnachsichtiger u. gehorsam; verhält sich stets nach Propaganda des NS beherrschte grausamer Befehlshaber mit Vorschriften Zerstörungswunsch; Gefallen an seiner Arbeit Machtverliebter Mensch, der es genießt seine Macht auszuspielen  Geltungsdrang; von sich selbst überzeugt, stolz, arrogant, soldatische Haltung harter, rücksichtsloser u. pedantisch genauer Befehlshaber, der es genießt mit den Ereignissen im Ghetto zu prahlen in brenzligen Situationen unsicherer Befehlshaber, der stets

- 111 - Diplomarbeit nach Unterstützung von oben sucht; schlechte Führungsqualitäten 2. In welchen Situationen wird zwei Situationen: entweder wird er Situationen, die die negativsten keine Situationen vorhanden, eine Fremddarstellung als grausamer und harter Eigenschaften S. zum Vorschein jedenfalls werden nur S. Vorzüge vorgenommen? Befehlshaber dargestellt oder als bringen sollen (grausam, hervorgehoben unsicherer, heuchlerischer Mann, unmenschlich); diese Situationen der bei seinen Erzählungen nutzt K. auch um S. vor dem übertreibt (Fronteinsatz 1941) Gericht schuldig zu sprechen 3. Welche Bedeutung wird J.S. wichtig für M.: sieht in der keinen Bezug auf S. Herkunft; aber keine Erwähnung; anerzogene Treue Erziehung eingeräumt? Erziehung S. und dessen Umgebung einverleibte Strenge und Härte und Gehorsam ersichtlich die Ursache für seinen späteren spürbar Werdegang (soldatische Disziplin des Vaters und die Strenge seiner Mutter); macht Eltern verantwortlich für blinden Gehorsam gegenüber den Mächtigen 4. Standpunkt zur reiner, überzeugter u. engagierter Vollblut-Nazi, der die jüdische keine Erwähnung aber Anzeichen nationalsozialistischen Ideologie Nationalsozialist; Abneigung ‚Rasse‘ verabscheut; vertritt die für Überlegenheitsgefühl (Vorstufe gegenüber der jüdischen ‚Rasse‘; Rassentheorie zur Rassentheorie) Kenntnis u. Übernahme der Rassentheorie; entsetzt über die jüdische Emanzipation (jüdische Kämpferinnen)

- 112 - 5. Analytischer Teil der Arbeit 2. NS-Beurteilung 1934 (1918) 3. NS-Beurteilung 1934 4. NS-Beurteilung 1938 1. Wie wird J.S. dargestellt? jederzeit kampfbereit für sein gutaussehende ‚nordische‘ solides äußerliches Auftreten; Vaterland; treu Erscheinung sorgfältige Kleidung; gutes Verhältnis zu Kameraden und Vorgesetzten geduldig, genau, gehorsam, besonnen, pflichttreu, ruhig, offen, ehrlich, soldatisch, straff, pflichtbewusst, zuverlässig, eifrig gesunder Ehrgeiz, zäher Wille, selbstbewusst; regsame geistige Durchsetzungsvermögen, Frische; schnelles und sicheres selbstständig; diensteifrig, Auffassungsvermögen; ausgeprägte gewissenhaft, zuverlässig; Charakter Willensnatur; kämpferische, eines ausführenden Organisators idealistische Lebensauffassung; gesundes Urteilsvermögen fleißig u. bemüht vorwärts zu Fertigkeiten verbesserungswürdig, kommen; gesunder u. klarer allerdings sehr fleißig und bemüht Menschenverstand; rasche sich zu verbessern; besticht mehr Auffassungsgabe durch seine nationalsozialistische Überzeugung als durch sein Können sicheres u. strenges Auftreten; soldatische Erscheinung mit gerechtes, korrektes u. Führungsqualitäten, allerdings nicht einwandfreies Handeln; vorschnell für höhere Führungsaufgaben im Urteilen; soldatische Natur; geeignet pedantisch treu, gehorsam 2. In welchen Situationen wird keine Situationen; nur positive keine Situationen; allerdings nur keine Situationen eine Fremddarstellung Eigenschaften werden S. Zuschreibung von positiven vorgenommen? zugeschrieben Attributen 3. Welche Bedeutung wird J.S. wird kein Bezug genommen wird kein Bezug genommen wird kein Bezug genommen Erziehung eingeräumt? 4. Standpunkt zur keine Stellungnahme treuer, eifriger, überzeugter anständiger Nationalsozialist, der nationalsozialistischen Ideologie Nationalsozialist seine Anschauungen vorlebt

- 113 - Diplomarbeit 5. NS-Beurteilung 1942 1. Wie wird J.S. dargestellt? Organisationstalent; kann Einheiten einsetzen durch Verschlechterung der Umstände Absinken seiner Einsatzbereitschaft nach Versetzung wieder gute Dienste geleistet 2. In welchen Situationen wird bei Beschreibung S. erinnert an die eine Fremddarstellung „Sandwich-Methode“ vorgenommen? 3. Welche Bedeutung wird J.S. keine Bedeutung Erziehung eingeräumt? 4. Standpunkt zur keine Stellungnahme nationalsozialistischen Ideologie

- 114 - 5. Analytischer Teil der Arbeit

Rückblickend kann zusammengefasst werden, dass Stroop gerne als gepflegter und sorgfältig gekleideter Mann dargestellt wird, der sehr auf sein Äußeres bedacht ist (Moczarski, 4. Beurteilung 1938). Außerdem war Stroop ein ‚nordisches‘ Aussehen von großer Bedeutung (Moczarski, 3. Beurteilung 1934). Ebenfalls sind sich Moczarski, Konrad und der Führer der SS-Führerschule darin einig, dass Jürgen Stroop ein überzogenes Selbstwertgefühl hat, der es außerdem genießt seine Macht der Außenwelt zu präsentieren (Geltungsdrang). Dem hinzugefügt haben Konrad und Moczarski dieselbe Auffassung über Stroops harten, strengen, draufgängerischen und grausamen Führungsstil, der sich allerdings in brenzligen Situationen in einen unsicheren und inkonsequenten Stil wandelt. Diese zwei schreiben ihm eher mangelnde Führungsqualitäten zu, was in der Beurteilung der Führerschule in München-Dachau bereits 1938 prophezeit wurde. Allen Quellen ist aber gemein, dass Stroop überaus ausgeprägte Eigenschaften des Gehorsams und der Treue gegenüber dem Dritten Reich besitzt und diese auch fortwährend an den Tag legt. Dementsprechend wird ihm daher auch durchgängig eine soldatische Natur zugeschrieben, die widerstandslos, pflichttreu, eifrig und engagiert die erteilten Befehle ausführt. Dem hinzu kommt Stroops permanente Kampf- und Einsatzbereitschaft für sein geliebtes Vaterland (2.-4. NS-Beurteilung). Einzig in der 5. NS- Beurteilung wird ihm ein Absinken seiner Einsatzbereitschaft zugeschrieben, die sich allerdings im Zuge einer Versetzung wieder steigerte. Unabhängig davon wird Stroop in den

GESPRÄCHEN MIT DEM HENKER, in der 2. NS-Beurteilung sowie in der 3. als genauer, gewissenhafter und zuverlässiger Mann dargestellt. Die Situationen betreffend, die bei der Darstellung Stroops verwendet werden, liefern ein differenziertes Bild, was auch auf das Fehlen von Situationen in den einzelnen Beurteilungen zurückzuführen ist. Hauptsächlich bedienen sich nur Moczarski und Konrad konkreten Situationen, um Stroops Wesen zu verdeutlichen. So wählt ersterer Situationen, die entweder die Härte und Brutalität oder die Unsicherheit Stroops hervorheben sollen. Im Gegenzug bemüht sich Konrad bei den geschilderten Situationen seine negativsten Eigenschaften wie Grausamkeit, Brutalität und damit einhergehend sein Schuldsein darzustellen. In den einzelnen Quellen nimmt nur Moczarski zu Jürgen Stroops Vorgeschichte (Kindheit/Erziehung) Stellung und misst dieser eine große Bedeutung zu Stroops später geführten Leben bei. Er sieht in seiner Erziehung die Ursache für dessen bedingungslosen Gehorsam, Treue und dessen Überzeugung der Überlegenheit seiner ‚Rasse‘ begründet. Moczarski spricht sich dafür aus, dass seine Eltern, Vater und Mutter, sowie die pausenlose Gegenwart von Offizieren und deren Uniformen maßgeblich an seinen späteren Überzeugungen und Lebenseinstellungen verantwortlich waren. Obwohl in den anderen

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Quellen keine explizite Erwähnung von Stroops Kindheit erfolgt, sind die Eigenschaften des Gehorsams und der ewigen Treue immer anwesend und deutlich spürbar. In Bezug auf Stroops Gesinnung und Standpunkt zur Lösung der ‚Judenfrage’ zeichnet sich ein klares und einheitliches Bild ab, denn diejenigen, die darauf Bezug nehmen sind sich darin einig, dass Jürgen Stroop ein überzeugter, engagierter, diensteifriger, ‚anständiger‘ und reiner Nationalsozialist ist. Ebenso wird darauf bestanden, dass er der Rassenlehre mächtig war und auch der Überzeugung entsprechend die jüdische ‚Rasse‘ verabscheute und verfolgte.

5.5 Auswertung der Analyse

5.5.1 Vergleichende Analyse In einem ersten Schritt sollen die selbst und fremd zugeschriebenen Eigenschaften Stroops miteinander verglichen werden. Zu Beginn sollen die gefundenen Gemeinsamkeiten dargestellt und in weiterer Folge sollen die aufgetretenen Unterschiede eröffnet werden. Angesichts der gefundenen Ergebnisse der durchgeführten Analyse, kann beobachtet werden, dass sich Stroop selbst ein ‚arisches‘ sowie ‚nordisches‘ Erscheinungsbild zuschreibt. Diese Tatsache wird in der Fremddarstellung mehrfach durch Moczarski aber auch durch den Führer der „SS-Führerschule in München-Dachau“ bestätigt. Dem hinzu kommt die gemeinschaftliche Auffassung darüber, dass Stroop eine sorgfältige Art sich zu kleiden hat, die er als Werkzeug benutzt, um einen bleibenden und vor allem guten Eindruck in seiner Umwelt zu hinterlassen. Diese eben erwähnte Sorgfältigkeit beschränkt sich nicht nur auf sein Äußeres, sondern auch auf seine Art zu Handeln und Befehle auszuführen. Die Eigenschaften Ordentlichkeit, Penibilität, die nahezu an Pedanterie grenzen, lassen sich in seinem eigens verfassten Bericht, in Moczarskis Schilderungen sowie in der 2. NS-Beurteilung wiederfinden. In der Mehrheit der untersuchten Quellen lassen sich auch die Eigenschaften Strebsamkeit, Fleiß, Ehrgeiz und ein ausgeprägter Wille im System aufzusteigen, ausmachen. Weitere Gemeinsamkeiten, die in der Selbst- sowie Fremddarstellung auftauchen, beziehen sich auf Jürgen Stroops Gehorsam, Treue und Loyalität gegenüber dem Dritten Reich und seinem Vaterland. Außerdem sticht in beiden Quellenarten hervor, dass er ein Mann ist, der Macht, Ordnung und Regelkonformitäten verehrt und dadurch widerspruchslos Befehle ausführt. Aus diesem Grund ist man sich darüber einig, dass Stroop eine ausgeprägte soldatische Natur hat. Abgesehen von seinem soldatischen Wesen sind im Stroop-Bericht, in Moczarskis und Konrads Schilderungen sowie in der Beurteilung der „SS-Führerschule“ Anzeichen dafür gefunden worden, dass Stroop sehr selbstsicher ist und ein überzogenes Selbstbewusstsein besitzt und dadurch weiß, sich durchzusetzen. Dem hinzukommt, dass in den Quellen für die Selbst- als

- 116 - 5. Analytischer Teil der Arbeit auch für die Fremddarstellung Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass Stroop die Macht nicht nur begehrt, sondern es auch genießt, diese gegenüber anderen zu präsentieren und auszuleben. Hierdurch wird nicht nur sein Geltungsdrang bzw. sein Wunsch sich ins Rampenlicht zu stellen unter Beweis gestellt, sondern auch sein Streben nach Prestige, Anerkennung und Aufstieg in der NS-Hierarchie. Diese Eigenschaften lassen sich in einer Vielzahl an Quellen festmachen, darunter fallen der Stroop-Bericht, die Gespräche mit Moczarski, der Konrad-Bericht und das Nachkriegsgespräch mit Rachel Auerbach. Des Weiteren konnte in der Selbst- als auch in der Fremddarstellung eine arrogante und anmaßende Haltung von Jürgen Stroop ausgemacht werden. Ergänzend dazu, bestätigen Moczarski und Konrad seinen harten, strengen, brutalen und unnachsichtigen Führungsstil während des Aufstandes im Warschauer Ghetto, den sich Stroop selbst zugeschrieben hat. Als markantesten Unterschied, der in der Untersuchung aufgetreten ist, kann die überzogene Darstellung Stroops als erfahrener und begabter Befehlshaber während seiner Zeit im Ghetto angesehen werden. Sowohl Moczarski und Konrad als auch der Führer der „SS-Führerschule München-Dachau“ sind in Bezug auf seine Führungsqualitäten anderer Meinung. Moczarski bspw. schreibt ihm zwar, wie oben bereits erwähnt, einen harten Führungsstil zu, allerdings soll er in brenzligen Situationen unsicher geworden sein, wodurch er nicht in der Lage gewesen sein soll, selbstständig Befehle zu erteilen. Stattdessen soll er stets bei seinen Vorgesetzten um Hilfe gebeten haben, um die nötige Unterstützung und Weisung zu erhalten. Auch Konrad besteht darauf, dass Stroop ein inkonsequenter und unbegabter Befehlshaber war. Der Führer der „SS- Führerschule“ bestätigte bereits 1938, dass Stroop zwar gute Anlagen für Führungsqualitäten hat, diese aber (noch) nicht für höhere bzw. wichtige Führungsaufgaben geeignet sind. Bei der Inszenierung Stroops als Held und Retter in der Not, der die ‚Arier‘ vor den Juden zu schützen beabsichtigte, kommt eine weitere Diskrepanz zum Vorschein, denn Konrad widerspricht dieser Annahme vehement. In Konrads Augen ist Stroop weder Retter noch Held, sondern eher ein kaltblütiger Mörder und bezeichnet ihn in weiterer Folge als „Schlächter von Warschau“. Durch diese Darstellung wird auch Stroops selbst zugeschriebene Gutherzigkeit widerlegt, denn Konrad aber auch Moczarski (GESPRÄCHE MIT DEM HENKER- mit Henker ist Stroop gemeint, der die Macht hat, über Leben und Tod zu entscheiden) sehen in Stroop einen berechnenden und rücksichtslosen Mann, der keinem anderen Mitleid oder gar Nachsicht gestattet. In Bezug auf Stroops Darstellung seiner Tapferkeit, seines Muts, seines Draufgängertums und seiner Einsatz- sowie Kampfbereitschaft sind ebenfalls Unterschiede zu verzeichnen. In der Mehrheit aller Quellen sind diese Eigenschaften zwar wiederzufinden, aber in der 5. NS-Beurteilung wird dieser widersprochen, indem behauptet wird, dass seine

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Einsatzbereitschaft durch unangenehme Umstände abnahm. Auch Moczarski schildert in seinem Bericht mehrmals Situationen, die Stroops draufgängerisches Wesen widerlegen, indem er ihn in verbotenen Handlungen als ängstlichen und nervösen Mann bezeichnet. Moczarski definiert ihn in diesem Sinne als Mann, der nur nach Vorschriften handelt und niemals einen Zentimeter davon abweichen würde, da die Angst vor Bestrafung zu groß war. In den Schilderungen von Stroop während des Krieges fällt außerdem auf, dass er überaus stolz über die grausamen Ereignisse, die er im Ghetto erlebte und zum Teil auch selbst befehligte, berichtete. In den Nachkriegsgesprächen, in der Gerichtsverhandlung und in den Gesprächen mit Moczarski allerdings versucht er die begangenen Gräueltaten zu leugnen, abzustreiten und besteht darauf, von nichts eine Ahnung gehabt zu haben. Dabei kommt ein heuchlerischer und rückgratloser Charakterzug zum Vorschein. Die Wandelbarkeit Stroops lässt somit auf eine Zweifelhaftigkeit seiner Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit schließen, sowie auch an seinem Mut zweifeln. Hinsichtlich der Befehlsgewalt von Stroop während des Ghettoaufstandes fallen ebenfalls Uneinigkeiten auf. In seinem selbstverfassten Bericht versucht er nämlich mit der alleinigen Befehlsgewalt über die Großaktion zu beeindrucken, sich hervorzuheben und sich zu rühmen. In den Nachkriegsgesprächen, aber vor allem in der Gerichtsverhandlung in Polen, beharrt er darauf, als einfacher Soldat Befehle ausgeführt zu haben und will somit die Schuld von sich weisen. Konrad hingegen besteht wiederum darauf, dass Stroop im Ghetto das alleinige Sagen hatte und alles auf ihn hörte. Der letzte Unterschied, der auffällt, bezieht sich auf die Ausbildung Stroops. Stroop ist bei seiner Selbstdarstellung stets darum bemüht sich als gebildeten und begabten Mann darzustellen. Moczarski, aber auch der Führer der „SS- Führerschule“ beurteilen seinen Bildungsgrad eher als gering, da er auf einer einfachen Volksschulbildung beruht. Betrachtet man außerdem die Benotung seiner Fertigkeiten während der Ausbildung in der Führerschule, so wird ersichtlich, dass dabei noch Potenzial zur Verbesserung vorhanden war. Moczarski geht sogar noch einen Schritt weiter und behauptet, dass er eigentlich über nichts ein fundiertes Wissen besaß, außer über die Geschichte des Nationalsozialismus, welches er mittels Propaganda erhielt. Während des Krieges wählt Stroop im Großen und Ganzen nur Situationen, mit denen er prahlen kann und sich die Rolle des Helden zuschreibt. In der Nachkriegszeit ändert sich seine Darstellung allerdings, indem er sich als ausführende Instanz des Dritten Reiches in Form eines einfachen Soldaten sieht, um damit seine Bedeutung als Befehlshaber im Warschauer Ghetto zu schmälern. Nichtsdestotrotz bleibt er auch nach dem Krieg dabei, seine Stärken und sein Können hervorzuheben. In der Fremddarstellung stechen aber vor allem Situationen ins Auge, die seinen brutalen und grausamen, aber auch unsicheren Charakter ans Tageslicht bringen, die

- 118 - 5. Analytischer Teil der Arbeit mit der Ergänzung, dass er bei seinen Erzählungen maßlos übertreibe (Sommer-Fronteinsatz im Osten 1941), versehen wird. Konrad beschreibt allerdings nur Situationen, die die negativsten Eigenschaften Stroops zum Vorschein kommen lassen, und vor allem Situationen, die seine Mitschuld am Verbrechen gegen die jüdische Bevölkerung beweisen sollen. Im Falle einer Erwähnung Stroops Herkunft bzw. seiner Erziehung kommen alle Parteien auf einen gemeinsamen Nenner. Wenn Stroop auf seine Abstammung Bezug nimmt, besteht er darauf, dass ihn seine Eltern soldatisch und streng erzogen haben und sie ihm die Eigenschaften der Treue und des Gehorsams vorgelebt und beigebracht haben. Besonders Moczarski setzte sich sehr ausführlich mit der Herkunft Stroops auseinander und räumt dieser einen sehr hohen Stellenwert ein. Seine Beobachtungen und Erkenntnisse decken sich nahezu nahtlos mit den Schilderungen Stroops. Moczarski sieht also in der Erziehung Jürgen Stroops die Ursache für sein späteres Wesen und für seine eingenommenen Überzeugungen begründet. Abgesehen von dieser Übereinkunft in Bezug auf diesen Sachverhalt, können unabhängig davon, ob auf seine Kindheit eingegangen wurde oder nicht, die anerzogenen Eigenschaften des Gehorsams, die bedingungslose Treue und die Angewohnheit zur Verehrung von Macht in allen einzelnen Quellen verspürt werden. Auf die Frage nach Stroops Gesinnung bzw. nach seinem Standpunkt zur Ideologie des Dritten Reiches gibt es in der Selbstdarstellung zwei unterschiedliche Stellungnahmen. Dementsprechend präsentiert sich Stroop während der nationalsozialistischen Herrschaft als überzeugter Nationalsozialist, der aktiv an der Verfolgung und Vernichtung der Juden teilnimmt. In der Nachkriegszeit hingegen besteht er darauf, obwohl er Mitglied der Partei war, kein Anti-Semit gewesen zu sein. Außerdem habe er sich nie in seinem Leben für Rassenideologie interessiert und zeigt sich tolerant gegenüber anderen Religionen. Im Zuge dieser Behauptung weist er aber auch klar und deutlich daraufhin, dass er kein Freund von Juden war. Bei der Fremddarstellung wird Jürgen Stroop allerdings als überzeugter Nationalsozialist dargestellt, der bereits vor dem Krieg Gefallen an der Ideologie des Nationalsozialismus gefunden hatte. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde Stroop als treuer, eifriger und anständiger Nationalsozialist angesehen.

5.5.2 Fazit der Analyse Der Schluss, der nun aus der durchgeführten Untersuchung gezogen werden kann, ist der, dass Jürgen Stroop ein Mann gewesen sein muss, der viel Wert auf sein Äußeres legte und dabei darauf achtete, fortwährend sorgfältig gekleidet zu sein. Er bestach zudem mit einer ‚nordischen‘ sowie ‚arischen‘ Erscheinung. Außerdem spricht vieles dafür, dass er ein erhabenes und selbstbewusstes Auftreten hatte, dass er dazu benutzte, um einen bleibenden

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Eindruck bei seinen Mitmenschen zu hinterlassen. Sein Ziel war es stets etwas darzustellen, wobei er dadurch manchmal bei seiner Selbstinszenierung übertrieben hat. Im Großen und Ganzen kann aber gesagt werden, dass er sich darin verstand mit seinem Äußeren und seinem Auftreten zu brillieren. Die Analyse hat außerdem gezeigt, dass Jürgen Stroop die Eigenschaften Fleiß, Bemühen und Strebsamkeit an den Tag legt. Dementsprechend besaß er einen starken Willen, der ihm dabei behilflich war, im nationalsozialistischen Regime aufzusteigen. Zu seinen ausgeprägtesten Eigenschaften sind sein entschiedener Gehorsam, seine bedingungslose Treue sowie seine ergebene Loyalität gegenüber seinem Vaterland zu zählen. Ergänzend dazu zeigte er eine Unterwürfigkeit gegenüber Obrigkeiten und verehrte Macht, Ordnung und Richtlinien. All diese Eigenschaften sprechen für eine soldatische Natur, die Stroop in seiner frühen Kindheit durch seine Eltern anerzogen bekommen hat. Auch die Wurzeln seiner nationalsozialistischen Haltung und Überzeugung liegen in seiner Herkunft bzw. in seiner Heimatstadt Detmold begründet. Dementsprechend kann auch gesagt werden, dass seine Erziehung einen großen Einfluss auf seinen späteren Werdegang ausgeübt hat. Die Folge daraus war, dass er zu einem überzeugten und pflichtbewussten Nationalsozialisten herangewachsen war. Sein Einsatz als Befehlshaber im Warschauer Ghetto während des Aufstandes kann dahingehend auf seine vorbildliche nationalsozialistische Haltung, als auch auf seine Loyalität, seinem Gehorsam und auf seine widerspruchslose Befehlsausführung zurückgeführt werden. Bei der Ausführung dieser Tätigkeit genoss er es vor allem sich in den Mittelpunkt zu stellen, seine erhaltene Macht gegenüber ‚minderwertigeren‘ Personen zu zeigen und prahlte dabei mit seinen ausgezeichneten Fähigkeiten als Befehlshaber. Festzuhalten ist dabei, dass Stroop über einen ausgeprägten Geltungsdrang verfügte und auch ein überzogenes Selbstbewusstsein besaß, wodurch er häufig dazu neigte, sich besser darzustellen, als er es in Wirklichkeit war. Bei diesem Versuch bediente er sich dem Prinzip der Übertreibungen, indem er bei seinen Schilderungen oftmals die Ereignisse verdrehte und bestimmte Erlebnisse dramatisierte. Dazu können seine idealisierte Darstellung als begabter Befehlshaber (mangelnde Führungsqualitäten), als auch seine verzerrten Erlebnisse an der russischen Front 1941 gezählt werden. Seinen harten, brutalen, erbarmungslosen und unnachsichtigen Führungsstil macht ihn dabei aber keiner streitig. Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass die durchgeführte Analyse das Bild eines überzeugten Nationalsozialisten widerspiegelt, der eifrig an der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung mitwirkte, auch wenn Jürgen Stroop dies in der Nachkriegszeit vehement bestritt. Es muss aber unbedingt erwähnt werden, dass Stroop während des Krieges nicht durch sein strategisches Geschick, sondern durch sein vorbildliches Vorleben der nationalsozialistischen

- 120 - 6. Zusammenfassung

Werte hervorstach. Außerdem kann man ihn als Meister der Inszenierung bezeichnen, wodurch er viel in seinem Leben erreichte (ansehnliche NS-Karriere).

6 Zusammenfassung Im Rahmen dieser Forschungstätigkeit hat man sich intensiv mit der Person Jürgen (Josef) Stroop (1895-1952) und dessen Charakter bzw. dessen Wesen auseinandergesetzt. Der Grund dafür liegt in der Ursache begründet, dass in den unterschiedlichsten Abhandlungen über diese Person oftmals ein widersprüchliches Bild widerspiegelt wird. Daher befasst sich diese Arbeit mit der Frage, wie Jürgen Stroop möglicherweise gewesen sein könnte. Um diese Frage annähernd wahrheitsgetreu beantworten zu können, wurde auf eine quellenorientierte Untersuchung zurückgegriffen, die die Analyse der Selbst- und Fremddarstellung zum Inhalt hat. In diesem Sinne wurden insgesamt sechs Quellen untersucht, wobei jeweils drei der Selbst- als auch der Fremddarstellung zuzuteilen sind. Damit daraus ein Fazit gezogen werden konnte, wurde eine vergleichende Analyse der beiden Darstellungsarten vorgenommen. Der theoretische Teil lieferte die benötigten Hintergrundinformationen für diese Arbeit. Das erste Kapitel befasste sich demnach mit dem Forschungsstand, der dem zu untersuchenden Thema zu Grunde liegt. Hier wurden die wichtigsten Werke, die sich mit Stroops Lebenslauf und dessen Persönlichkeit auseinandersetzten, vorgestellt. Aus dieser Bearbeitung wurde in weiterer Folge die Forschungsfrage hergeleitet, die eine Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremddarstellung eröffnete. In diesem Fall zeigte sich bereits, dass die Selbstdarstellung Stroops positiver ausfiel, als die der Fremddarstellung. Damit also aus diesen unterschiedlichen Darstellungsarten ein wissenschaftlicher Rückschluss auf Jürgen Stroops Persönlichkeit gezogen werden konnte, wurde diesbezüglich ein Kriterienkatalog zusammengestellt. Doch bevor diese Fragen untersucht werden konnten, wurde die der Arbeit zugrundeliegenden Vorgehensweise erörtert. Im zweiten Kapitel setzte man sich deshalb mit der Methodik auseinander. In einem ersten Schritt wurde im Unterkapitel Quellenauswahl die Wahl der Materialien begründet und in weiterer Folge auch aufgelistet. Als Hauptkriterium bei der Wahl der einzelnen Quellen wurde die Zugänglichkeit zu den Materialien angeführt. Daraufhin wurde die Quellenkritik erörtert, anhand dieser die Materialien wissenschaftlich und vor allem entsprechend dem geisteswissenschaftlichen Prinzip vorgestellt und untersucht wurden. Hierzu wurde ein eigens kreierter Kriterienkatalog zusammengestellt, der sich in äußere und innere Quellenkritik unterteilt. Demnach war es das Ziel der äußeren Kritik die Art bzw. die Beschaffenheit der Quelle, den Verfasser sowie den Adressaten, aber auch den Entstehungsort bzw. den

- 121 - Diplomarbeit

Entstehungszeitpunkt des Textes zu bestimmen. Die innere Kritik beschäftigte sich mit drei großen Unterpunkten: Horizont, Stil und Intention des Verfassers. Hierbei wurde besonders darauf geachtet, die Herkunft des Autors, seine zeitliche Nähe zum Geschehen sowie die Beziehung zu Jürgen Stroop zu erörtern. Als wichtigster Punkt der inneren Quellenkritik kann die Erörterung der Absicht des Autors angesehen werden, da dies viel über die Authentizität des Quellengehaltes aussagt. Damit dem Leser die grundlegendsten Informationen über Jürgen Stroop nähergebracht werden, widmete sich das dritte Kapitel seiner Biographie. Diese unterteilt sich in die Abschnitte Kindheit, Jugend, politische Karriere im Nationalsozialismus, Verhaftung, Verurteilung und Hinrichtung. Im Zuge der Erörterung seiner Kindheit, kam hervor, dass seine Eltern, aber auch die Präsenz des Militärs in seiner Heimatstadt Detmold großen Einfluss auf ihn hatten, die ihn zu einem gehorsamen und treuen Mann heranwachsen ließen. Dieser Einfluss äußert sich in weiterer Folge auch darin, dass er bereits früh (1932) der NSDAP beigetreten ist. Durch die eben genannten und ausgeprägten Eigenschaften, sowie durch sein vorbildliches nationalsozialistisches Verhalten, wurde ihm der Weg für eine steile sowie erfolgreiche politische/militärische Karriere im Dritten Reich geebnet. Den Höhepunkt seiner Karriere erreichte er mit der Leitung über die Zerstörung des Warschauer Ghettos im April 1943, wodurch er bekannt wurde. Daraufhin wurde seine Rolle im Warschauer Ghetto als Befehlshaber bei der Niederschlagung des jüdischen Aufstandes hervorgehoben, für die er in weiterer Folge angeklagt, verurteilt und hingerichtet wurde. Da Stroop seinen Bekanntheitsgrad durch die Tätigkeiten im Warschauer Ghetto erlangte und sich die Untersuchung seines Charakters überwiegend auf diesen Zeitraum beschränkt, wurde im vierten Kapitel ein geschichtlicher Hintergrund aufgezeigt. Dementsprechend setzte man sich mit der Entstehung des Warschauer Ghettos (1940) auseinander und schilderte die unmenschlichen Lebensumstände der darin eingeschlossenen jüdischen Bevölkerung. In weiterer Folge wurden, die im Sommer 1942 einsetzenden Deportationswellen ins Vernichtungslager Treblinka näher erläutert, woraus sich im Laufe des Frühjahres erster Widerstand in der jüdischen Bevölkerung formierte. In einem nächsten Schritt wurde das Augenmerk auf die Zerstörung des Warschauer Ghettos und die Niederschlagung des Ghettoaufstandes 1943 gelegt, wofür Jürgen Stroop eingesetzt wurde. Hier wurde versucht das Vorgehen von Stroop im Ghetto zu erörtern, welches von Gnaden- und Rücksichtslosigkeit sowie von Brutalität geprägt war. Den Abschluss des Kapitels und somit auch des theoretischen Teils der Arbeit stellt die Beendigung der Kämpfe, die schließlich vom 19. April bis zum 16. Mai 1943 andauerten, durch die Sprengung der Warschauer Synagoge dar.

- 122 - 6. Zusammenfassung

Den größten Teil der Forschungstätigkeit macht die Analyse der Selbst- und Fremddarstellung Jürgen Stroops aus. Hierfür wurde ein Kriterienkatalog für die beiden Darstellungsarten, sowie für die anschließende vergleichende Analyse zusammengestellt und vorgestellt. Bei den Fragen zur Selbst- und Fremddarstellung wurde darauf geachtet, dass diese nach demselben Prinzip aufgebaut sind, damit im Nachhinein eine Vergleichbarkeit gewährleistet werden konnte. Die Fragen zielten darauf ab, die selbst- und fremd zugeschriebenen Eigenschaften, sowie die Situationen, die zur Darstellung seiner Person geschildert wurden, den Bedeutungsgrad seiner frühen Erziehung und seinen Standpunkt zur Ideologie des Nationalsozialismus, kundzutun. Nachdem diese angeführt wurden, wurden die einzelnen Quellen – je drei für die Selbst- als auch für die Fremddarstellung – vorgestellt, indem sie der zuvor erwähnten Quellenkritik unterzogen wurden. Die Untersuchung der Selbstdarstellung hat somit ergeben, dass sich Stroop während des Krieges als sicheren, begabten und vor allem von sich eingenommenen Befehlshaber präsentierte, der mit einem harten und unnachsichtigen Führungsstil gegen die jüdischen Widerstandskämpfer vorging und dabei auch erfolgreich war. Außerdem präsentierte er sich als überzeugten Nationalsozialisten, der gehorsam, treu und loyal gegenüber dem Dritten Reich auftritt. In dieser Zeit versuchte er sich mit seinen Taten im Ghetto zu rühmen, wollte die Führungselite mit seinem Können beeindrucken und neigte daher öfters zu Übertreibungen in seinen Schilderungen. In der Nachkriegszeit nimmt er allerdings eine andere Haltung ein und besteht darauf als einfacher Soldat Befehle ausgeführt zu haben, der nie die antisemitische Überzeugung teilte. Dies ist wiederum auf die Tatsache des verlorenen Krieges zurückzuführen. Hinsichtlich seines Könnens bleibt er aber dabei, seine Stärken zu betonen und hervorzuheben. Die Analyse der Fremddarstellung hat ebenfalls ergeben, dass Jürgen Stroop eine nationalsozialistische Überzeugung zugeschrieben wird und er überaus treu und ergeben gegenüber dem NS-Regime handelte. Während des Ghetto-Aufstandes soll er einen harten und brutalen Führungsstil an den Tag gelegt haben, allerdings zeigte sich, dass er mangelnde Führungsqualitäten hatte. Unabhängig davon wurde ihm ein ausgeprägter Geltungsdrang zugeschrieben, durch den er ständig versuchte, sich über andere zu erheben. Demnach soll er dazu geneigt gewesen sein, sich in den Mittelpunkt zu stellen und sich vor allem in ein besseres Licht rücken zu wollen Außerdem soll er ein Meister der Inszenierung gewesen sein, der besonders durch sein ‚arisches‘ Aussehen sowie durch sein selbstbewusstes Auftreten bestach. In diesem Sinne muss unbedingt hervorgehoben werden, dass für seinen Aufstieg im NS- Regime nicht sein militärisches Können, sondern diese eben erwähnte Selbstinszenierung verantwortlich war.

- 123 - Diplomarbeit

In der vergleichenden Analyse wurden die Ergebnisse der Selbst- und Fremddarstellung miteinander verglichen und Gemeinsamkeiten und Unterschiede ermittelt. Zu den Gemeinsamkeiten sind seine Ordentlichkeit, Gehorsam, Treue, Streben nach Macht und Geltungsdrang zu zählen. Ersteres äußert sich hauptsächlich durch sein sorgfältiges Auftreten und seine pedante Arbeitsart, mit denen er einen bleibenden Eindruck bei seinen Mitmenschen hinterlässt. In allen Quellen ist man sich einig, dass man den Einfluss seiner Eltern auf seine strenge Erziehung anhand der anerzogenen Eigenschaften des Gehorsams, der bedingungslosen Treue und der Angewohnheit zur Verehrung von Macht verspüren kann. Seinen Geltungsdrang lässt er bei jeder Gelegenheit zum Vorschein kommen, indem er durch Strenge und Erbarmungslosigkeit seine erhaltene Befehlsgewalt gegenüber anderen ausspielt. Hinsichtlich der Unterschiede kristallisiert sich heraus, dass Jürgen Stroop während des Krieges stolz von seiner Handlungsweise und seinen Erlebnissen berichtet, während er in der Nachkriegszeit versucht seine Taten und Schuld zu schmälern, indem er beteuert, nur Befehle befolgt zu haben. Ebenfalls lässt sich eine Diskrepanz zwischen den Darstellungsarten seiner Führungskompetenz verzeichnen. Jürgen Stroop selbst ist von seiner Qualität als Befehlshaber überzeugt, wohingegen aus anderen Quellen hervorgeht, dass er in seiner Befehlserteilung unsicher und inkonsequent war. Als einen weiteren Unterschied kann seine Einstellung zur ‚Judenfrage‘ genannt werden: einerseits sind sich der Großteil der Quellen (Fremddarstellung) darüber einig, dass Stroop ein Anti-Semit war und die Ideologie des Nationalsozialismus verfolgte, andererseits behauptet Stroop in der Nachkriegszeit, anders als während des Krieges, dass er Juden gegenüber keine feindliche Gesinnung hatte. Resümierend kann festgehalten werden, dass dadurch ein vielversprechendes Bild über Jürgen Stroop rekonstruiert werden konnte. So kam man zum Schluss, dass er eine ausgeprägte soldatische Natur war, der die Eigenschaften des blinden Gehorsams und der bedingungslosen Treue gegenüber Machthabenden seit Kindesbeinen in sich trug. Für ihn war es seit Anbeginn seines Lebens ein großes Anliegen Macht zu erhalten und eine wichtige Persönlichkeit darzustellen. Um diesen Schein zu wahren bediente er sich des Öfteren Übertreibungen und idealisierten Selbstdarstellungen. Hinsichtlich seiner strategischen und militärischen Fertigkeiten kann gesagt werden, dass er vorgibt mehr zu sein, als er es in Wirklichkeit war. Durch seinen Fleiß schaffte er es in kürzester Zeit die NS-Karriereleiter emporzusteigen und so zu einer einprägsamen Persönlichkeit des Dritten Reiches zu werden. Für zukünftige Auseinandersetzungen mit Jürgen Stroop und seiner Persönlichkeit kann gehofft werden, dass zusätzliches Quellenmaterial ein noch aufschlussreicheres Bild über sein Wesen preisgibt.

- 124 - 7. Literaturverzeichnis

7 Literaturverzeichnis

7.1 Primärliteratur

Äußerungen und Nachkriegsgespräche von Jürgen Stroop. In: Wulf, Josef (1961): Das Dritte Reich und seine Vollstrecker. Die Liquidation von 500 000 Juden im Ghetto Warschau, Berlin-Grunewald, S. 180-217.

Führungszeugnisse von Jürgen Stroop 1916-38 und 1942. In: BArch, R 9361-III/558908, R 9361-III/558909.

Konrad, Franz (1945-46): Der Konrad-Bericht. In: Jahn, Joachim (2009): Der Warschauer Ghettokönig. Leipzig. S. 112-199.

Moczarski, Kazimierz (1982): Gespräche mit dem Henker. Das Leben des SS-Gruppenführers und Generalleutnants der Polizei Jürgen Stroop, aufgezeichnet im Mokotow-Gefängnis zu Warschau, Frankfurt am Main.

Stroop, Jürgen (1960): Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk – in Warschau mehr! Neuwied, Berlin-Spandau, Darmstadt.

Stroop, Jürgen (1951): Testimony of Jürgen Stroop given on the second day of the trial, 19 July 1951.In: Person, Katarzyna (2013): Jürgen Stroop Speaks: The Trial of Warsaw Ghetto Uprising Liquidator before the Warsaw Provincial Court. Holocaust Studies and Materials, Band 3, S.369-404.

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Curilla, Wolfgang (2011): Der Judenmord in Polen und die deutsche Ordnungspolizei. Paderborn.

Fellner, Fritz: Die historische Quelle. Instrument der Geschichtsforschung und Baustein des Geschichtsbewußtseins oder Baustein der Geschichtsforschung und Instrument des

VII Diplomarbeit

Geschichtsbewußtseins?, S.19-36. In: Klingenstein, Grete (2003): Umgang mit Quellen heute. Zur Problematik neuzeitlicher Quelleneditionen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Wien.

Finder Gabriel N., Prusin Alexander V. (2018): Justice behind the Iron Curtain. Nazis on Trial in Communist Poland, North York.

Goertz, Hans-Jürgen: Geschichte – Erfahrung und Wissenschaft. Zugänge zum historischen Erkenntnisprozeß, S.15-41. In: Goertz, Hans-Jürgen (Hrsg.) (2001): Geschichte. Ein Grundkurs, 2.Auflage, Reinbek bei Hamburg.

Grabitz Helge, Scheffler Wolfgang (1988): Letzte Spuren. Ghetto Warschau, SS-Arbeitslager Trawniki, Aktion Erntefest, Fotos und Dokumente über Opfer des Endlösungswahns im Spiegel der historischen Ereignisse, Berlin.

Heydecker, Joe J. (1983): Das Warschauer Getto. Foto-Dokumente eines deutschen Soldaten aus dem Jahr 1941, München.

Jahns, Joachim (2009): Der Warschauer Ghettokönig. Leipzig.

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Roth Markus, Löw Andrea (2013): Das Warschauer Getto. Alltag und Widerstand im Angesicht der Vernichtung, München.

Ruppert, Andreas: Das Warschauer Ghetto und Detmold. In: Rosenland. Zeitschrift für lippische Geschichte, Vol. 4/2006, S.2-17.

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Wulf, Josef (1961): Das Dritte Reich und seine Vollstrecker. Die Liquidation von 500000 Juden im Ghetto Warschau, Berlin-Grunewald.

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VIII 7. Literaturverzeichnis

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Eintrag zu Feedbacktechniken. In: https://www.beraterkreis.at/wp-content/uploads/2014/08/4- Feedbacktechniken.pdf [Abruf: 22.07.2019].

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Eintrag zu „Geschichte des Fischer Taschenbuch Verlages“. In: https://www.fischer verlage.de/verlage/fischer_taschenbuch [Abruf: 10.04.2019]

Eintrag zu „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“. In: https://www.gdw-berlin.de/vertiefung /biografien/personenverzeichnis/biografie/view-bio/marek-edelman/?no_cache=1 [Abruf: 30.03.2019].

IX Diplomarbeit

Eintrag zu „Hans Keller „Bürgermeister der Stadt Detmold““. In: https://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/finde/langDatensatz.php? urlID=1268&url_tabelle=tab_person [Abruf: 10.05.2019].

Eintrag zu „Joseph Kermish“. In: https://portal.ehri-project.eu/authorities/ehri_pers-000504 [Abruf:28.03.2019].

Eintrag zu „Joseph Wulf“. In: https://zentralarchiv-juden.de/bestaende/verschiedenes/ joseph-wulf/serie-b/vorwort/ [Abruf: 26.03.2019].

Eintrag zu „Jürgen Stroop“. In: https://www.gedenkorte-europa.eu/de_de/article-stroop-jurgen -1895-1952.html [Abruf: 06.02.2019].

Eintrag zu „Katarzyna Person“. In: https://www.ehri-project.eu/Katarzyna-Person [Abruf: 25. 03.2019].

Eintrag zu „Katasteramt im Onlinewörterbuch“. In: https://www.duden.de/rechtschreibung/K atasteramt [Abruf: 29.01.2019].

Eintrag zu „Kazimierz Moczarski“. In: https://www.deutscheundpolen.de/personen /person_jsp/key=kazimierz_moczarski.html [Abruf: 10.04.2019].

Eintrag zu „Marek Edelman“. In: https://www.deutscheundpolen.de/zeitzeugen/zeitzeuge _biografie_jsp/key=marek_edelman.html [Abruf: 29.03.2019].

Eintrag zu „Po’alei Zion“. In: http://www.dasrotewien.at/seite/po-alei-zion [Abruf: 03.04.2019].

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Eintrag zu „Prützmann“. In: https://www.gedenkorte-europa.eu/de_de/article-hans-adolf-pr utzmann-1901-ndash-1945.html [Abruf: 16.05.2019].

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X 7. Literaturverzeichnis

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Kaufhold, Roland (2012): „...und die Massenmörder gehen frei herum und züchten Blumen“. In: http://www.hagalil.com/2012/12/wulf/ [Abruf: 26.03.2019].

Kassow, Samuel: Oyerbakh, Rokhl. In: http://www.yivoencyclopedia.org/article. aspx/Oyerbakh_Rokhl [Abruf: 01.04.2019].

Lesser, Gabriel (1998): Marek Edelman. Ghettokämpfer und Held wider Willen. In: http://www.hagalil.com/archiv/98/04/edelmann.htm [Abruf: 29.03.2019].

Löw, Andrea (2013): Geheimsache Ghettofilm. Das Warschauer Ghetto. In: http:// www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/geheimsache-ghettofilm/141785/da -wars chauer-ghetto?p=all [Abruf: 04.03.2019].

Makowski, Jacek (2003): Zur Sprache im Nationalsozialismus. S.61-71. In: http://lingua.amu.edu.pl/Lingua_13/MAKOWSKI.pdf [Abruf: 19.03.2019].

Tauber, Joachim (2010): Rezension über: Moczarski, Kazimierz (2008): Gespräche mit dem Henker. Das Leben des SS-Gruppenführers und Generalleutnants der Polizei Jürgen Stroop, Berlin, S.313-317. In: https://www.recensio.net/rezensionen/zeitsch riften/nordost-archiv.-zeitschrift-fuer-regionalgeschichte/2010/xix/ReviewMonograph 351102172/@@generate-pdf-recension?language=de [Abruf: 11.04.2019].

Wagner, Leonie Prof. Dr. (2008): Ein Ende mit Schrecken. Die Frauenbewegung wird gleichgeschaltet. In: https://www.bpb.de/gesellschaft/gender/frauenbewegung/35269 /frauen-im-nationalsozialismus [Abruf: 01.07.2019].

XI Diplomarbeit

8 Abkürzungsverzeichnis (Archiv) Instytut Pamęci Narodowej (Archiv des Instituts für (A)IPN Nationales Gedenken in Warschau) AK Armia Krajowa (Heimatarmee in Polen) bspw. beispielsweise bzw. beziehungsweise d.h. das heißt F.d.R.d.A. Für die Richtigkeit der Angaben Gestapo Geheime Staatspolizei HSSPF Höherer SS- und Polizeiführer L SS A H Leibstandarte SS Adolf Hitler NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NS Nationalsozialismus NTN Najwyzszy Trybunal Narodowy (Supreme National Tribunal) Ostindustrie GmbH (Werterfassung des hinterlassenen jüdischen OSTI Vermögens) SA Sturmabteilung SS Schutzstaffel Žydowska Organizacja Bojowa, jüdische Kampforganisation ŽOB während des Ghettoaufstandes

XII 9. Abbildungsangaben

9 Abbildungsangaben Abb. 1: Die SS-Laufbahn Stroops und heutige Dienstgrade im Militär/Polizeiwesen. In: Müller; Wolfgang (1998): Jürgen (Joseph) Stroop, der Mann aus Detmold. S.92. Abb. 2: Aufbau der Fernschreiben 1. In: Stroop, Jürgen (1960): Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr!. S.21. Abb. 3: Aufbau der Fernschreiben 2. In: Stroop, Jürgen (1960): Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr!. S.22. Abb. 4: Siegel und Unterschrift des SS-Oberführers der SS-Führerschule München-Dachau, S.6. In: R 9361-III/558908. Abb. 5: Signatur des Höheren SS-und Polizeiführer Rußland-Süd Prützmann. In: R 9361- III/558909 aus dem Jahr 1942. Abb. 6: Jüdische Verräter. In: Stroop, Jürgen (1960): Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr!. S.97. Abb. 7: Der Führer der Großaktion. In: Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr!. S.116.

10 Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Die SS-Laufbahn Stroops und heutige Dienstgrade im Militär/Polizeiwesen ...... - 21 - Abb. 2: Aufbau der Fernschreiben 1 ...... - 36 - Abb. 3: Aufbau der Fernschreiben 2 ...... - 36 - Abb. 4: Siegel und Unterschrift des SS-Oberführers der SS-Führerschule München-Dachau .. - 62 - Abb. 5:Signatur des Höheren SS- und Polizeiführer Rußland-Süd Prützmann ...... - 65 - Abb. 6: Jüdische Verräter ...... - 68 - Abb. 7: Der Führer der Großaktion ...... - 69 -

XIII Diplomarbeit

11 Anhang Quellenanalyse: äußere Quellenkritik  Um welche Quellenart handelt es sich?  Ist es eine Edition? Welche Beweggründe stehen hinter der Editierung?  Fundort: Wo wurde das Material gefunden?  Wer ist der Verfasser?  Adressat: an wen richtet sich der Text?  Zustand der Quelle  Datierung des Textes  Entstehungsort  Beschaffenheit der Quelle/Materialwahl

innere Quellenkritik Horizont des Verfassers  Wer ist der Autor? Welcher sozialen, kulturellen und politischen Gruppe ist er zuzuordnen?  Zeitliche, örtliche Nähe des Autors zum Geschehen?  Woher hat der Autor die Information? Ist er im Geschehen involviert? Bezieht er die Informationen von anderen Quellen?  In welcher Beziehung steht der Autor zu Jürgen Stroop? Stil des Verfassers  Um welche Art von Text handelt es sich hier?  Wie ist der Text aufgebaut bzw. gegliedert?  Welchen Inhalt will er vermitteln?  Welchen Stil, Sprachgebrauch bzw. welche Wortwahl verwendet er? Intention des Verfassers  Welches Ziel verfolgt der Autor mit diesem Text? Will er damit einen Zweck erfüllen?  Was hebt er dadurch hervor und was versucht er zu verschweigen?  Wen versucht er mit dem Text zu erreichen? Welches Verhältnis gibt es zu den Adressaten? Wie versucht er sie zu erreichen?

XIV 11. Anhang

Quelleninterpretation:

Kriterienkatalog für die Selbstdarstellung  Wie stellt sich Jürgen Stroop in den Quellen selbst dar?  Durch welche Situationen/Aktionen/Taten/Ereignisse will er sich definieren/auszeichnen?  Inwiefern lässt er bei seinen Erzählungen seine Kindheit bzw. seine Erziehung durch seine Eltern einfließen?  Wie äußert sich Stroop zur ‚Judenfrage‘ bzw. zur Ideologie des Nationalsozialismus?

Kriterienkatalog für die Fremddarstellung  Wie wird Jürgen Stroop in den Quellen von anderen Personen dargestellt?  Durch welche Situationen/Aktionen/Taten/Ereignisse wird Jürgen Stroop von anderen beschrieben?  Wird in der Fremddarstellung Stroops Bezug auf seine Kindheit/Herkunft genommen?  Nehmen Dritte Stellung zur Ideologie, die Jürgen Stroop verfolgte bzw. äußern sie sich über seine Position zur ‚Judenfrage‘?

Kriterienkatalog für die vergleichende Analyse  Gibt es Gemeinsamkeiten/Unterschiede bei den gefundenen Eigenschaften zu Stroop? Welche Tendenz zeichnet sich ab?  In welchen Situationen wird eine Selbst- und Fremddarstellung vorgenommen? Gibt es dabei Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede? Wenn ja, welche?  Welchen Stellenwert nimmt Stroops Kindheit bei den Beschreibungen ein? Ist ein einheitliches Bild zu verzeichnen oder sind dort größere Unterschiede zum Vorschein gekommen?  Sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Bezug auf Ideologie und ‚Judenfrage‘ zu verzeichnen?

XV