Band 1 | 2008 Regensburger Land

Der Landkreis in Geschichte und Gegenwart

Landkreis Regensburg

Regensburger Land

Der Landkreis Regensburg in Geschichte und Gegenwart Band 1 | 2008

Regensburger Land

Der Landkreis Regensburg in Geschichte und Gegenwart Band 1 | 2008 © Landratsamt Regensburg, Regensburg 2008 Herausgeber: Landkreis Regensburg, Kulturreferat Schriftleitung: Dr. Thomas Feuerer Gestaltung und Satz: Günter Lichtenstern Umschlag: Günter Lichtenstern Umschlagfoto: Heiner Hagen Druck: Kössinger AG, Schierling Printed in Germany ISBN-13: 978-3-9812370-0-9

Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung der Rechteinhaber ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus zu vervielfältigen.

www.landkreis-regensburg.de Regensburger Land . Band 1 . 2008

Inhalt

Herbert Mirbeth Vorwort ...... 7

Josef Fendl Die Unheiligen Drei Könige von Stauf

Eine heimatgeschichtliche Erzählung ...... 9

Tobias Appl Ein historisches Ereignis von europäischer Dimension Auf der Barbinger Wiese wurde im September 1156 die Markgrafschaft

Österreich von Bayern abgetrennt und zum Herzogtum erhoben ...... 23

Reinhard Seidl Wie die Beratzhausener Blaskapelle den „Finken“ einfing Ein zwangloser Sänger- und Musikantenwettbewerb

sorgt für Musizierfreude und Ansporn ...... 43

Dieter Schwaiger „Undorfer Öl und Tabak“

Ein Beitrag zur Erforschung des Kriegsendes 1945 im Landkreis Regensburg ...... 51

Wilma Rapf-Karikari/Ingo Kübler Die KUNSTPARTNER GALERIE in Adlmannstein

Begegnung von Kultur und Natur ...... 75

Wolfgang Lutz Die Burg Heilsberg

Methoden und Maßnahmen zur Erhaltung der Ruine ...... 87

Hubert Buchinger Die bayerische Volksschule im Wandel der Zeit

Ein Beitrag zur Schulgeschichte Bayerns von 1800 bis zur Gegenwart ...... 109

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Autoren

Tobias Appl, M.A. Lehrstuhl für Bayerische Landesgeschichte Universität Regensburg 93040 Regensburg

Prof. Prof. h.c. Dr. Hubert Buchinger Reinhold-Koeppel-Straße 18a 94034 Passau

Josef Fendl Kreisheimatpfleger Reichenberger Straße 8 93073 Neutraubling

Wolfgang Lutz Bachgasse 4 93109 Wiesent

Wilma Rapf-Karikari und Ingo Kübler KUNSTPARTNER GALERIE Adlmannstein Altenthanner Straße 1 93170 Bernhardswald

Dieter Schwaiger Studiendirektor i.K. Siegenburger Straße 13 93333 Mühlhausen

Reinhard Seidl Thüringerstraße 25 93176 Beratzhausen

6 Vorwort Vorwort

Soll man den Landkreis Regensburg mit nur einem Wort charakterisieren, dann wird man wohl am ehesten den Begriff „Vielfalt“ wählen. Tatsächlich bietet die Region rund um den nördlichsten Punkt der Donau reichlich Abwechslung: Geographische und geologische Besonderheiten bestimmen die Natur. Bedeutende Bau- und Kunstdenkmäler aller Epochen zeugen von einer wechselvollen Geschichte. Prosperierende, zum Teil weltweit agierende Unternehmen aus vielen Branchen prägen die Wirtschaft. Ehrenamtliche und professionelle Initiativen tragen das reichhaltige kulturelle Leben.

Mit Blick auf diese große Vielfalt hat der Ausschuss für Familie und Gesundheit, Kul- tur, Sport und Freizeit des Landkreises Regensburg bereits in der letzten Legislaturperiode beschlossen, zur Schärfung des regionalen Eigenprofils eine neue kulturelle Schriftenreihe ins Leben zu rufen. Diese soll unter dem Titel „Regensburger Land. Der Landkreis Regensburg in Geschichte und Gegenwart“ im Stile eines Almanachs möglichst jährlich mit einem Band erscheinen und informative Beiträge auf hohem Niveau aus den unterschiedlichsten Berei- chen enthalten (z. B. aus Archäologie, Architektur, Brauchtum, Denkmalpflege, Geografie, Geologie, Geschichte, Gesellschaft, Kirche, Kultur, Kunst, Landeskunde, Literatur, Musik, Politik, Sprache, Technik, Theater, Tourismus, Verkehr, Verwaltung, Volkskunde, Wirtschaft etc.). Ansprechend aufgemacht und reich bebildert, ist sie an eine breite Leserschaft gerichtet.

Mögen sich Tradition und Zukunft, Heimatverbundenheit und Weltoffenheit des Regensburger Landes in dieser neuen Schriftenreihe widerspiegeln. Mein Dank gilt allen, die zum Entstehen des ersten Bandes beigetragen haben!

Herbert Mirbeth Landrat

7 Regensburger Land . Band 1 . 2008

Josef Fendl, Jahrgang 1929, war als „niederbayerischer Gastarbeiter in der Oberpfalz“ fast 40 Jahre lang Leh- rer in Regensburg und Neutraubling. Er sieht sich selbst als „rusticus in urbe“, als einen Bauern in der Stadt. Der „literarische Besenbinder“ hat inzwischen an die sechzig Bücher herausgegeben und ist im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek mit schier unglaublichen 118 Einträ- gen verzeichnet. Die besondere Liebe des „weiß-blauen Wanderpredigers“ gehört der bairischen Sprache und der Heimatgeschichte. Landauf, landab ist er als temperament- voller Rezitator seiner Schwänke, Sprüche, und Wirtshaus- aphorismen bekannt. Seit einigen Jahren wirkt er zudem als Redakteur des Straubinger Kalenders, des ältesten deut- schen Heimatkalenders.

Bereits 1973, also noch vor seiner Berufung zum Hei- matpfleger für den Landkreis Regensburg durch Landrat Leonhard Deininger im Jahre 1974, rief Josef Fendl die Schriftenreihe „Beiträge zur Geschichte des Landkreises Regensburg“ ins Leben. Seitdem sind von ihm in dieser Reihe insgesamt 45 Hefte herausgegeben worden, zuletzt 2007 das Heft „55 Pfatterer Stückl. Sagen, Schwänke und Schnurrpfeifereien aus einer Donaugemeinde zwischen Regensburg und Straubing“.

Auf eigenen Wunsch hat Josef Fendl, der von 1972 bis 2002 auch Kreisrat war und im nächsten Jahr 80 Jahre alt wird, zum Ende der Wahlperiode des Kreistags am 30. April 2008 nach 34 Jahren das Amt des Kreisheimatpflegers niedergelegt. Als Dank und Anerkennung für seine großen Verdienste sei ihm der vorliegende erste Band der Nachfol- gereihe „Regensburger Land – Der Landkreis Regensburg Josef Fendl (Foto: Wenzel Neumann) in Geschichte und Gegenwart“ gewidmet.

8 Josef Fendl Die Unheiligen Drei Könige von Stauf Eine heimatgeschichtliche Erzählung

Der Vorwurf für diese Erzählung wird von fast allen frü- hen bayerischen Historikern (Aventin, Arnpeckh, Adlzreiter) überliefert. Ob ihre Glaubwürdigkeit angezweifelt werden darf, lässt sich nicht so ohne weiteres sagen. Es ist denkbar, dass sich der Vorfall tatsächlich so abgespielt hat und darauf- hin – wie die vorliegende Erzählung angibt – die Kirche St. Salvator gebaut wurde; aber auch eine Umkehrung ist nicht von vornherein von der Hand zu weisen: Die Kirche wurde errichtet und bedurfte zu ihrem Renommee einer zugkräftigen Gründungslegende – ein Vorgang, den wir besonders häufig in der Hagiographie und bei ätiologischen Sagen antreffen. Kam der heilige Martin zu seiner Gans, weil er sich einmal in einem Gänsestall versteckt hielt, oder wurde die Zinsleistung von Gänsen später in jene Episode umgedeutet? Der geographisch/historische Hintergrund des beschrie- benen Ereignisses ist der sogenannte Städtekrieg der wittels- bachischen Herzöge (1388). Die von ihnen belagerte Burg Donaustauf gehörte an sich dem Hochstift Regensburg, war aber wie meist im Laufe ihrer Geschichte verpfändet, in jenen Tagen an die freie Reichsstadt Regensburg.

„Geld oder Leben!“ „Ich hab’ kein Geld!“ „Du wärst der erste Jud, der kein Geld hätt!“ „Ich hab’ aber wirklich kein Geld!“ „Macht auch nichts! Dann hängen wird dich eben ohne Geld auf. Wirst es schon ausschwitzen, wenn dich ein paar Wochen lang die Sonn anscheint! Und werden dir’s Abb. 1: Wallfahrtskirche St. Salvator, Donaustauf.

9 Regensburger Land . Band 1 . 2008

dann der Regen und der Schnee schon wieder abwaschen Für die Hauptleute waren die Probleme nicht so groß. im Herbst und im Winter!“ Sie bezogen doppelten und dreifachen Sold und machten Tatsächlich trafen die drei Galgenvögel Andre Krabatz, sich ein schönes Leben damit. Der Gemeine konnte da nur Veit Stichennider und Heinzel Habenkrieg, die vor einer Vier- durch die Finger pfeifen, wenn die Weiber mit den anderen telstunde am Fuß des Scheuchenbergs den Meister Israel von davonzogen. Auf Pump ging nichts bei denen, die Luder woll- der Straße weg in die Stauden gezerrt hatten, alle Anstalten, ten Geld sehen. Und das reichte immer nur für kurze Zeit. den Regensburger Juden am nächstbesten Baum aufzuknüp- Wie heute gewonnen, so morgen zerronnen – zwischen den fen und so lange mit dem Kopf nach unten hängen zu las- Fingern, zwischen den Schenkeln, in der Gurgel. sen, bis er das Versteck seiner Asse preisgegeben hatte. Als sie Auch die Asse des Juden hielten nicht lange, noch dazu, ihm den Strick um die Füße banden, verriet er’s: Der schlaue wenn sie durch drei zu teilen waren und die Dirnen im Hand- Fuchs hatte sich in seine Schuhe ein Versteck einarbeiten las- umdrehen die Tarife anhoben. sen, das Platz für mindestens dreißig Amberger bot. Und auch In solchen Situationen war man für jeden Tipp dankbar. in seinem Kaftan hatte er noch ein Geheimfach, das allerdings „Ich wüßt’ genug Silber für dich!“ hatte die letzte ge- leer war. sagt. Die drei verwegenen Gesellen, die schon mehr auf dem „Wo?“ Kerbholz hatten als diesen Juden, waren Knechte der Brü- „Nicht weit von hier.“ der Oberhauser aus Braunau, die mit ihrem Truppenkontin- „Wo denn?“ gent bei Stauf lagen. Zum Kriegführen in das Donautal vor „In Sulzbach!“ Regensburg gekommen, bestand ihr Tagewerk darin, Felder „In diesem Hungerleidernest liegt das Geld nicht auf der zu verbrennen und Weingärten auszureißen, Verpflegung zu Straße.“ beschaffen und die Marketenderinnen nicht übermütig wer- „Auf der Straße nicht, aber woanders.“ den zu lassen. „Wo denn, in drei Teufels Namen?“ Es war schon eine verrückte Zeit: Da lagen nun seit „In der Kirche.“ Wochen acht bayerische Herzöge „allzeit bereit“ auf den „Den Opferstock haben wir selber schon neunmal zer- Wiesen und in den Wäldern um die bischöfliche Burg und stemmt!“ konnten nicht vor und wollten auch nicht zurück. Die Veste „Vom Opferstock redet kein Schwanz.“ im Sturm zu nehmen getrauten sie sich nicht, weil sie von „Sondern …“ den Regensburgern – einige Vorgeplänkel hatten’s gezeigt – „… vom Gotteshüttchen1!“ außerordentlich tapfer und entschlossen verteidigt wurde. Damals hatte Andre zum ersten Mal wieder die Stimme Zu allem Überfluss war die Burg auch noch vor kurzem mit der Mutter gehört: „Bub, vergreif dich nicht an einem geweih- doppelten Mauern umgeben worden. Und ein Rückzug kam ten Pfarrer und erst recht nicht am Allerheiligsten! Ein Blitz nicht in Frage, weil man in diesem Krieg zwischen den Her- könnt’ vom Himmel fahren und dich erschlagen, und die Erd’ ren und den Städten nicht klein beigeben durfte. Schließlich könnt’ sich auftun und dich verschlingen! Oder zumindest handelte es sich ja um eine höchst politische Angelegenheit, der Schlag möcht dich treffen.“ Aber was macht man, wenn bei der niemand sein Gesicht verlieren wollte. Vor allem nicht die Weiber so verführerisch sind, und wenn man kein Geld die bayerischen Herzöge. hat, ihre Gunst zu bezahlen!

10 Josef Fendl · Die Unheiligen Drei Könige von Stauf

Abb. 2: Burg und Markt Donaustauf, Kupferstich von Matthäus Merian, 1644.

Der Hund des Pfarrers machte keine Schwierigkeiten. Er die elfenbeinerne Büchse mit den Hostien heraus. Bevor sie wurde mit einem Stück Fleisch herangelockt und dann mit wieder über das Fenster zurückstiegen, ließen sie aus der einem Prügel erschlagen. Sakristei noch drei mit Silber und Gold bestickte Messgewän- Heinzel, der jüngste, hatte die Aufgabe, den beiden Kame- der mitgehen und ein silbernes Rauchfass. raden durch das Fenster zu helfen und dann Schmiere zu ste- „Wie die Heiligen Drei Könige!“ sagte Heinzel. hen. Andre und Veit tasteten sich zum Fronwalm2 vor, bra- „Ich bin der Kaspar!“ schrie Andre. chen das Gittertürchen mit einer Eisenschiene auf und holten „Ich der Melchior!“ plärrte Veit, „und du der Balthasar!“

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Abb. 3: Drei bayerische Kriegsknechte aus dem vor Donaustauf liegenden Heer rauben das Ziborium in der Kirche zu Sulzbach.

12 Josef Fendl · Die Unheiligen Drei Könige von Stauf

Abb. 4: Einer der Kriegsknechte versteckt die gestohlenen Hostien in seinem Wams.

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Aber draußen vor der Kirche ging schon das Feilschen Für die Pixa war bald eine gefunden, die sich interessierte: an. die Favoritin des Hauptmanns. „Ich möcht’ die Büchse!“ „Aber was mach ich mit den Hostien?“ jammerte der „Ich die brokatnen Gewänder!“ König Kaspar. „Kann man die essen?“ „Das tät’ dir so passen!“ „Die bringst nicht hinunter, so würgen sie dich in der „Das Rauchfass wär mir zu wenig!“ Gurgel!“ „Nein!“ entschied König Kaspar. „Wir teilen gerecht. „Es sei denn, du trinkst sie mit Wein!“ Aber nicht jetzt! Jetzt ist noch der Segen drauf und die „Heißa, mit Wein!“ Weihe. Die müssen erst vergehn.“ „Habts einen?“ Aber in Wirklichkeit hörte er die Stimme der Mutter: „Jetzt noch nicht, aber bald!“ „Bub, vergreif dich nicht am Geweihten!“ Andre riss sich den halben Ärmel vom Rock, breitete den Drei Tage und drei Nächte ließ er sich von seinen Kumpa- Fetzen hin und schüttete die Hostien drauf. Und die Büchse nen drängen und von seinem Gewissen plagen. Dann pro- wanderte schnell in den weiten Kittel der Marketenderin. bierte er’s aus und verschenkte das Rauchfass. Kein Blitz fuhr In Sulzbach rissen die drei einen Weinkeller auf, sprengten vom Himmel. die Tür mit dem Brecheisen. Um den besten zu findet, tranken Den Tag darauf machten sie die zweite Probe aufs Exem- sie aus jedem der Fässer. Bald wussten sie nicht mehr, wo sie pel und verkauften die Messkleider an die Geliebte des waren und was sie taten, nahmen die Axt und schlugen alles Hauptmanns. Die wollte sich ein offenherziges Gewand in Stücke. draus schneidern. Sieben Amberger lösten sie ein und teilten Vom Lärm waren die Bauern wachgeworden. Der Alte sie zwei und zwei und zwei. Um den übrigen würfelten sie. kam als erster. Zu seinem Unglück. Dann der Junge mit sei- Andre gewann, aber keine Erde tat sich auf. nem Weib. Den Bauern schlugen sie zusammen, die Jungen Noch in der gleichen Woche hatten sie es durchgebracht, entkamen. Die drei torkelten ihnen nach, fielen und stolper- denn die Nächte waren schon lang, wenn man nichts hatte, ten, blieben schließlich liegen im Wald. das wärmte. Aber niemand wurde vom Schlag gerührt. In der Nacht aber hatten sie eine Erscheinung. Drei „Also stimmt’s nicht, was die Mutter gesagt!“ weiße Gestalten kamen durch die Bäume und Büsche. Andre „Dann kannst die Büchse schon rausrücken!“ erkannte seine verstorbene Mutter, seinen Vater und seine „Um die Gurgel tragst sie allerweil, als wär s’ dein!“ Schwester. Sie redeten auf die Trunkenen ein. Unverständli- „Und gehörn tut sie uns allen zusamm!“ ches Zeug, Wortfetzen und Kauderwelsch. Ein Satz war sogar „Die bringt uns Geld!“ römisch-lateinisch, wie der Feldprediger es sprach, wenn er „Denn sie ist aus Elefantenbein, aus echtem Elefanten- sich herausheben wollte aus der Schar der Gemeinen: „Quod bein!“ fuimus estis, quod sumus eritis.“ Den merkte sich der König Unwillkürlich fuhr Andres Hand an seinen Hals und tas- Kaspar. tete nach dem kostbaren Stück. Als ihm einer das Wort übersetzte und sagte, dass es hieße: „Ihr redet euch leicht. Da sind ja die Hostien drin. Was „Was wir waren, das seid ihr, und was wir sind, das werdet mach ich mit denen? Werdt’s doch nicht glauben, dass mir ihr sein!“, da fiel er auf die Knie und gelobte Abkehr und die einer abkauft?“ Umkehr. Vor allem erinnerte er sich der Hostien, die er, in

14 Josef Fendl · Die Unheiligen Drei Könige von Stauf

Abb. 5: Der Kriegsknecht wird krank und vergräbt die Hostien.

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Abb. 6: Der Hofkaplan Herzog Albrechts I. (1336 – 1404) erhebt die Hostien.

16 Josef Fendl · Die Unheiligen Drei Könige von Stauf

Abb. 7: Der erste Räuber stirbt an der Pest.

17 Regensburger Land . Band 1 . 2008 seinen Ärmel gewickelt, mit sich herumtrug – beim Stehlen, verrenkt, die Augen – so groß wie die Fäuste von Kindern – beim Essen, im Bett. drehten sich in den Höhlen, die Nasenlöcher wurden weiter Er musste sie wegbringen, solang er noch konnte. Denn das und weiter. „So groß, dass man ein Ei drin verstecken kann!“ Gehen fiel ihm jetzt schwerer als noch vor einigen Tagen. schrie ein Bankert, einer von vielen, die sich im Lager her- Am Abhang des Breubergs, zwischen den Steinen, fand umtrieben und Zeugen wurden des eigenartigen Schauspiels. er ein Loch. Er scharrte es tiefer und legte die Hostien hinein Plötzlich lief der ganze Körper des Soldaten schwarz an. „Wie und deckte sie zu mit Erdreich und Steinen und Laub. Kaum, der Mohr bei den Heiligen Drei Königen!“ lachten die Kin- dass er noch zurückkam, so beschwerlich fand er den Weg. der, und dann war er tot. Die Geliebte des Hauptmanns hätte ihn beinah nicht wie- „Balthasar“ und „Melchior“ schlichen seitdem im Lager der erkannt, so anders sah er jetzt aus. Als er ihr beichtete, herum, als stünden sie mit einem Fuß schon im Grab. was er getan, versprach sie, das geweihte Behältnis der Sulz- Die Hauptleute kamen zurück von Wörth und befahlen bacher Kirche zurückzuerstatten und holte aus dem Lager der den Knechten, die Pferde an der Donau zu schwemmen, zu Landshuter den Geistlichen, einen Bruder des heiligen Franz. putzen, zu striegeln. Wie nun „Balthasar“ auf dem Ross sei- Der redete König Kaspar ins Gewissen und brachte ihn so nes Herrn hinuntertrabte zum Fluss, wo die Frauen zumindest weit, daß er versprach, ihm die Stelle zu zeigen, wo der Leib die Füße sich wuschen nach einer anstrengenden Nacht, traf des Herrn vergraben lag. er auch die Dirne des Hauptmanns, wie sie die Büchse her- Da er nicht mehr gehen konnte, zogen ihn die Knechte umzeigte und prahlte mit dem kostbaren Stück. Gleich sprach mit Stricken hinauf auf den Berg, durch Wald und Gebüsch, er sie an und erinnerte sie an ihr Versprechen, das Kleinod über Stock und Stein. Aber gefunden hat er das Allerheiligste zurück nach Sulzbach zu geben. Da aber scheute das Pferd nicht. Als das ganze Lager in Unruhe geriet und Pestilenz und vor einer Schlange, die aus dem Gebüsch gekrochen kam, andere Heimsuchungen befürchtete, stellt der Oberhauser, stieg vorne auf und warf seinen Reiter rückwärts ins Wasser. der Hauptmann, einen eigenen Suchtrupp zusammen mit den „Helft mir, Leute, der Kaspar holt mich zu sich!“ besten Spürnasen des Heeres. Und prompt wurde er fündig, Schnell reichten ihm die Kameraden den Spieß und zogen entdeckte den zerrissenen Ärmel und die Hostien darin. den einen mit dem anderen ans trockene Ufer. Das Ross aber Herzog Albrecht – denn die Sache war inzwischen an die schlug aus und zertrümmerte ihm den Schädel, dass das Hirn höchsten Stellen gedrungen – zog seinen Kaplan zu Rate, und pickte an den Sträuchern und Stauden. sie kamen überein, noch am gleichen Tag das Hochwürdigste „Melchior“, der dritte der Frevler, ließ sich durch das Gut wegzuschaffen auf die Burg Wörth und dort zu lassen, Schicksal seiner beiden Kumpane nicht schrecken und schlich solange die Staufer Pfarrkirche zertrümmert lag und es keine sich in der stockdunklen Nacht an die Dirne heran, langte Herberge gab für den gemarterten Herrn. ihr – geübt ist geübt! – schnell in den Rock, um an die Pixa Während sich der Zug der Wallfahrer formierte und der zu kommen. Das Luder aber schrie, als ging’s um ihre ver- Minderbruder die eucharistische Litanei anstimmte, schoss meintliche Unschuld. Der Hauptmann war nicht weit, sprang der König Kaspar wie ein geköpfter Hahn zwischen den Pro- eilig heran und stach den Burschen ins Herz, dass er umfiel, zessionsteilnehmern herum, fuhr hin und fuhr her, stürzte zu maustot. Boden, schnellte wieder in die Höhe wie der niedergezogene In den nächsten Tagen schon rief der Feldpater auf zu Stamm einer Birke … Der Hals des Unglücklichen schien einer Sammlung für eine Glocke. Sie sollte den wirklichen

18 Josef Fendl · Die Unheiligen Drei Könige von Stauf

Abb. 8: Der zweite Räuber wird vom Pferd erschlagen und stirbt.

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Abb. 9: Der dritte Kirchenräuber wird im Streit um die Beute im Zweikampf erstochen.

20 Josef Fendl · Die Unheiligen Drei Könige von Stauf

Abb. 10: Wundertaten im Zusammenhang mit der Salvatorkirche.

21 Regensburger Land . Band 1 . 2008

Heiligen Drei Königen geweiht sein, deren Gebeine der große 1 Gotteshüttchen: mittelalterliche Bezeichnung für Sakramentshäuschen. 2 Fronwalm: ebenso. Kaiser Barbarossa seinerzeit aus der abtrünnigen Stadt Mai- 3 Als man 1993 in einem gotischen Kreuz aus Donaustauf ein in der Kunst- land in die heilige Stadt Köln geführt hatte. „Denn“, so sagte geschichte einzigartiges Schmetterlingsreliquiar entdeckte, wurde die Frage dis- kutiert, ob Thomas Sitauer, der Erbauer der Wallfahrtskirche St. Salvator, nicht der Pater, „die Geschichte von den Unheiligen Drei Königen auch der Stifter dieses Kreuzes gewesen sein könnte. wird weit herumkommen im Land, und da soll zumindest Dendrochronologische Untersuchungen ergaben dann auch, dass das Holz, aus dem das Kreuz geschnitzt wurde, 1389 – also ein Jahr nach dem Städtekrieg – ge- eine Glocke in Stauf das Lob der Heiligen Drei Könige kün- schlagen worden war. den.“ Ob und wie lange sie es tat, ist nicht bekannt. Schmetterlinge galten wegen ihrer dem griechischen Buchstaben Psi ähnlichen Form als Symbol für die Seele (Psyche) und zugleich als Symbol für die Auferste- Am Abhang des Breubergs, wo „Kaspar“ die Hostien hung. vergraben und als Missetäter nicht mehr gefunden hatte, lag ein ehemals fruchtbarer Weinberg. Der gehörte dem reichen Regensburger Thomas Sitauer. Und als nach der ergebnislosen Belagerung der Burg Stauf die Geschichte von den drei unhei- ligen Königen auch in die freie Reichsstadt gedrungen war, beschloss der durch den Weinhandel zwischen Tirol und Prag Abbildungsnachweis: zu Vermögen gekommene Herr, auf seinem Grund und Boden Abb. 1: Landratsamt Regensburg eine Kapelle zu stiften zum Lobe Salvatoris mundi, zur Ehre Abb. 2: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/29/Donaustauf_Meri- an_1644.jpg 3 des Retters der Welt . Und die Geliebte des Hauptmanns, nun Abb. 3 Landratsamt Regensburg (Fotos: Heiner Hagen). Es handelt sich um acht wieder vieler Pflichten ledig, beweinte ihre Sünden und gab bis auf Holz gemalte Darstellungen der hier nacherzählten Geschichte, welche Abb. 10: an den Langhauswänden der Wallfahrtskirche St. Salvator in Donaustauf zum Zeichen der Reue die Pixa an die kleine Kapelle. hängen. Die Bilder sind kulturgeschichtlich von großer Bedeutung, vor al- Dorthin pilgerten bald Hunderte und mehr aus den Dör- lem wegen der interessanten kostümgeschichtlichen Darstellungen, die auf die Renaissancezeit um 1600 hinweisen. Die künstlerische Qualität lässt auf fern am Strom und aus den Hütten im Wald und aus den einen tüchtigen Durchschnittsmaler schließen. Besondere Beachtung verdie- Häusern der Stadt, und bis in unsere Zeit war St. Salvator nen Abb. 3 mit Darstellung des Interieurs einer Renaissancekirche vom spä- ten 16. Jahrhundert, Abb. 8 mit Ansicht von Burg und Markt Donaustauf, eine der bekanntesten Wallfahrten im bayerischen Land. schließlich Abb. 10 mit Darstellung der alten Wallfahrtskirche.

22 Tobias Appl Ein historisches Ereignis von europäischer Dimension Auf der Barbinger Wiese wurde im September 1156 die Markgrafschaft Österreich von Bayern abgetrennt und zum Herzogtum erhoben

Im September 2006 jährte sich die Erhebung der bis dahin zu Bayern gehörigen Markgrafschaft Österreich zu einem eigen- ständigen Herzogtum zum 850. Mal1. Dieses herausragende historische Ereignis ist nicht nur für die bayerische, öster- reichische, ja sogar europäische Geschichte von erheblicher Bedeutung, sondern hat für Stadt und Landkreis Regensburg darüber hinaus auch eine regionalgeschichtliche Dimension2. Denn diese Erhebung Österreichs wurde im Rahmen eines Regensburg kaiserlichen Hoftages in Regensburg beschlossen und durch- geführt. Die feierliche lehensrechtliche Zeremonie hierbei fand in prato Barbingin, also auf der Barbinger Wiese statt. Passau Neben der Darstellung der Ereignisse, die zu diesem Regens- Wien burger Hoftag 1156 führten, sowie der Schilderung desselben Freising Enns soll im Folgenden die Frage nach einer genaueren Lokalisie- rung des Geschehens im Mittelpunkt stehen. Salzburg

Vorgeschichte Brixen

Bei seinem Tod am 15. Februar 1152 hinterließ König Kon- rad III. aus der Familie der Staufer seinem Nachfolger einen Konflikt, der diesem diplomatisches Fingerspitzengefühl und politisches Durchsetzungsvermögen abverlangen sollte. Es ging um nichts weniger als die Zukunft des Herzogtums Bay- Abb. 1: Das Herzogtum Bayern vor und nach 1156.

23 Regensburger Land . Band 1 . 2008 ern und um einen damit verbundenen Ausgleich zwischen den bruder Markgraf Leopold aus dem Geschlecht der Babenber- sich gegenüberstehenden Familien der Welfen und der Baben- ger. Neben Leopold band der neue König auch dessen älteren berger. Bruder Heinrich Jasomirgott sowie die jüngeren Geschwister Denn nachdem Konrad am 13. März 1138 überraschend Otto und Konrad, welche beide in der Reichskirche Karriere zum König gewählt worden war, hatte er umgehend dafür machen sollten, eng an sich3. Erwartungsgemäß konnte sich gesorgt, die Machtgrundlage des Welfen Heinrichs des Stol- der Welfe Heinrich der Stolze mit diesen Entscheidungen zen, Herzog von Bayern und Sachsen, der als aussichtsreichs- nicht abfinden und beanspruchte weiterhin die Herzogtümer ter Kandidat in diese Königswahl gezogen war, deutlich zu Bayern und Sachsen für sich und seine Familie. Nach des- beschneiden. So sprach er dem Welfen die Herzogtümer sen „überraschend frühem“4 Tod im Jahr 1139 und nach- Sachsen und Bayern ab. Letzteres übergab er seinem Halb- dem auch Herzog Leopold 1141 verstorben war, versuchte

Salier Welfen Staufer Salier Babenberger

Heinrich IX. der Schwarze Friedrich I. († 1105) ∞ 1. Agnes ∞ 2. Leopold III. († 1136) Herzog v. Bayern 1120-1126 Herzog v. Schwaben Tochter Markgraf von Österreich Kaiser Heinrichs IV.

Gertrud∗ († 1143) ∞ Heinrich X. der Stolze († 1139) Judith ∞ Friedrich II. († 1147) Kg. Konrad III. († 1152) Leopold IV. Heinrich II. Otto Tochter Kaiser Herzog v. Bayern 1126-1138 Herzog v. Schwaben Mgrf. v. Ö. Jasomirgott Bf. von Lothars III. Herzog v. Sachsen 1137-1139 1139 – 1141 1156 Hz. v. Ö. Freising Hz. v. Bay. († 1177)

∞ 1. Gertrud* (verw. v. Heinrich X.) ∞ 2. Theodora Heinrich XII. der Löwe († 1195) Kaiser Friedrich I. Barbarossa († 1190) Nichte des byz. Kaisers Herzog v. Sachsen 1142-1180 reg. 1152-1190 Manuel I. († 1183) Herzog v. Bayern 1154/56-1180 ∞ 1. Adela v. Vohburg ∞ Mathilde v. England († 1189) ∞ 2. Beatrix v. Burgund

∗ Gertrud heiratete nach dem Tod Heinrichs X. des Stolzen den Babenberger Heinrich Jasomirgott.

Abb. 2: Verwandtschaftliche Beziehungen der Hauptakteure von 1156.

24 Tobias Appl . Ein historisches Ereignis von europäischer Dimension

König Konrad nun, den Frieden im Reich herzustellen. So verheiratete er 1142 den Babenberger Heinrich Jasomirgott mit Gertrud, der Witwe Heinrichs des Stolzen, und belehnte Gertruds Sohn, den jungen Welfen Heinrich den Löwen, mit dem Herzogtum Sachsen. 1143 setzte der König dann Hein- rich Jasomirgott als Herzog von Bayern ein, nachdem er das Herzogtum fast zwei Jahre in seiner Hand behalten hatte. Doch auch mit dieser Lösung, die bereits mit dem Tod seiner Mutter, der Herzogin Gertrud, dem personalisierten Verbin- dungsglied zwischen Welfen und Babenbergern, am 18. April 1143 zu wanken begann, gab sich der junge, noch unmündige Welfenherzog Heinrich der Löwe nur kurze Zeit zufrieden. Ab dem Frankfurter Reichstag 1147, spätestens aber seit dem Jahr 1150 erhob er Ansprüche auf das bayerische Herzogtum, so wie es sein Vater Heinrich der Stolze innegehabt hatte5. Mit der Wahl des Staufers Friedrich I. Barbarossa am 9. März 1152 entschieden sich die Königswähler für den Fürsten, der die nötigen Voraussetzungen mitbrachte und aufgrund seiner verwandtschaftlichen Nähe6 zu Welfen wie Babenbergern zur Lösung des „bayerischen Problems“ geradezu prädestiniert schien7. Dieser ging nun unverzüg- lich daran, die Bereinigung dieses Konfliktes in Angriff zu nehmen. Für ihn stand fest, dass nur eine Lösung tragfähig sei, welche den Vorstellungen und Ansprüchen beider Seiten gerecht werde8. So setzte er für die beiden Kontrahenten für Oktober 1152 einen Hoftag in Würzburg an. Hier erschien jedoch nur Heinrich der Löwe, Heinrich Jasomirgott blieb dem Treffen fern9. Der Babenberger, der ja rechtmäßig auf dem bayerischen Herzogsstuhl saß, sah, dass die königlichen und welfischen Zukunftspläne für das Herzogtum Bayern auf seine Kosten gehen würden und verteidigte sich „zäh, nicht ohne Geschick und auch nicht ohne Grund“10. Er verweigerte sich in den folgenden Monaten jeglichen Verhandlungen11. Für Barbarossa war die Lösung des Falles nicht ganz einfach, war er doch mit beiden Parteien eng verwandt, außerdem hatten sich die Babenberger in der Vergangenheit nichts zu Abb. 3: Kaiser Friedrich I. (von Karl Friedrich Lessing, 1808 – 1880).

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Schulden kommen lassen, sondern waren immer treu zu den bemühte, blieb die Angelegenheit weiterhin unerledigt, ja man Staufern gestanden. schied sogar im Streit voneinander18. So wies der Kaiser beim Da Friedrich Barbarossa nun einen Romzug zur Kaiser- Regensburger Reichstag vom 13. Oktober 1155 seinen Vetter krönung plante und dabei unbedingt auf das Mittun und die Heinrich den Löwen, als Dank für die beim Italienzug geleiste- Unterstützung des jungen Welfenherzogs Heinrich des Löwen, ten Dienste, in das bayerische Herzogtum ein. Die Großen des welcher immer intensiver seine Belehnung mit dem Herzog- Landes leisteten dem neuen Herzog Mannschaft und Eid. Zur tum Bayern forderte12, angewiesen war, lud er die beiden Her- Absicherung der Treue gegenüber dem neuen Herzog mussten zöge schriftlich für Juni 1154 zu einem Hoftag nach Goslar sogar Regensburger Einwohner als Bürgen gestellt werden19. ein, um die Sache noch vor dem Italienzug zu einem Ende zu Interessanterweise dauerte es aber noch sieben Monate, bis bringen. Heinrich Jasomirgott blieb dem Hoftag erneut fern. die kaiserliche Kanzlei in einer Urkunde den Welfen erstmals So wurde in seiner Abwesenheit durch ein Urteil der in Goslar als dux Bawariae et Saxoniae bezeichnete20. Der Babenberger versammelten Fürsten das Herzogtum Bayern Heinrich dem hingegen beharrte weiterhin auf seinem Anspruch. Ihn einfach Löwen zugesprochen, was bei einigen Reichsfürsten für Unmut zu übergehen war schon deshalb schwierig, bzw. eigentlich sorgte13. Mit diesem Entgegenkommen dem jungen Welfen nicht möglich, da er nicht nur mit dem Kaiser selbst, sondern gegenüber hatte sich Barbarossa nun die Teilnahme des mäch- über seine zweite Frau auch eng mit dem byzantinischen Kai- tigen Löwen an seinem Italienzug 1154/55 erkauft. Ob Bar- ser Manuel verwandt, dazu Schwager Herzog Wladyslaws II. barossa mit dieser Entscheidung ein Versprechen einlöste, das von Polen und Herzog Vladislavs II. von Böhmen und so in er dem Welfen im Rahmen seiner Königswahl gegeben hatte, ein Netz mächtigster Verwandter eingebunden war, die ihm ist ungewiss14. Dem König war klar, dass er seinen babenber- Rückendeckung gaben21. Friedrich Barbarossa hatte einzuse- gischen Onkel mit der Entscheidung von Goslar vor den Kopf hen, dass er einen tragfähigen Kompromiss finden musste. So gestoßen hatte. Deshalb traf er sich mit ihm unmittelbar nach wurde im Jahr 1156 erneut das diplomatische Parkett bemüht der erfolgreichen Rückkehr aus Italien Anfang Oktober 1155 und nach Geheimverhandlungen am Dienstag nach Pfingsten zu einer Unterredung in der Nähe von Regensburg15. Der (5. Juni), wiederum in der Nähe von und nicht in der Stadt Kaiser vermied offenbar einen Auftritt in der Stadt, um der Regensburg22, zeigte sich die Perspektive einer gangbaren Begegnung die öffentliche Aufmerksamkeit zu ersparen und Lösung des Konfliktes23. Der Kaiser versuchte, Heinrich Jaso- dem Babenberger die Chance zu verwehren, sich im Hauptort mirgott einen Gesichtsverlust zu ersparen24. Deshalb erhielt Bayerns nochmals als Herzog zu präsentieren16. Heinrich der Babenberger wohl hier das Versprechen des Kaisers auf Jasomirgott aber blieb unnachgiebig, das Treffen endete ohne zahlreiche Konzessionen und stimmte dem weiteren Vorgehen greifbares Ergebnis. Daraufhin vereinbarte der Kaiser einen des Kaisers zu25. Für Anfang September 1156 berief Friedrich Verhandlungstag von Bevollmächtigten jeder Parteiung an der Barbarossa also einen Hoftag nach Regensburg, bei welchem böhmischen Grenze, an dem Herzog Vladislav II. von Böh- mit Zustimmung der Fürsten des Reiches die Dinge gelöst und men (Schwager des Babenbergers), Markgraf Albrecht der fixiert werden sollten. In der Hauptstadt des Landes sollte Bär von Sachsen (Vetter Heinrichs des Stolzen und Oheim über die Zukunft Bayerns entschieden werden. Diese ver- Heinrichs des Löwen) und der rheinische Pfalzgraf Hermann kehrstechnisch gut erreichbare, bedeutende Handelsstadt an von Stahleck (Schwager Konrads III.) sowie andere Große teil- der Donau gehörte seit langem zu den wichtigsten königlichen nahmen17. Obwohl sich hier Otto von Freising als Vermittler Versammlungsorten im gesamten Reich26.

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Der Regensburger Hoftag vom September 1156 teilweise sogar als Mediator, eingebunden war, ist er alles andere als ein objektiv beobachtender Chronist. Beim Abfas- sen seiner Gesta, die er zwischen Herbst 1157 und Sommer Über die Vorgänge des Regensburger Hoftages vom Septem- 1158 rückblickend niederschrieb, verließ sich Otto nur auf ber 1156 sind wir recht gut unterrichtet. So hat sich uns der sein Gedächtnis, die Urkunde vom 17. September 1156, das Text der Kaiserurkunde vom 17. September 1156, das Privi- Privilegium minus, lag ihm hierbei wohl nicht vor30. Legt man legium minus27, in welchem die Ergebnisse des Kompromisses diese beiden Hauptquellen nun nebeneinander, können Ablauf schriftlich fixiert wurden, erhalten. Darüber hinaus hat sich und Ergebnisse des Hoftags gut rekonstruiert werden: auch die Schilderung des lehensrechtlichen Zeremoniells vom Am 8. September 1156, in nativitate sancte Marie31 (am 8. September 1156 im zweiten Buch der Gesta Friderici28, Fest Mariä Geburt), zogen die in Regensburg versammelten einer Beschreibung der Taten Kaiser Friedrich Barbarossas Fürsten des Reiches, unter ihnen Heinrich der Löwe, duo Teu- aus der Hand des bedeutenden Geschichtsschreibers und tonica miliaria (zwei deutsche Meilen) vor die Stadt hinaus, Bischofs Otto von Freising, welcher selbst Teilnehmer des wo Heinrich Jasomirgott seine Zelte aufgeschlagen hatte32. Hoftages und damit Augenzeuge war, überliefert29. Da der Hier hatte sich der Kaiser bereits mit dem Babenberger getrof- Babenberger Otto selbst intensiv in die Kompromissfindung, fen und war ihm damit – im wahrsten Sinne des Wortes und

Abb. 4: Die Belehnung Herzog Heinrichs Jasomirgott durch Kaiser Friedrich I. (von Carl von Blaas, 1815 – 1894, 1859).

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gegen den Usus der Zeit – entgegengekommen33. Nachdem sich alle versammelt hatten, verkündete Herzog Vladislav von Böhmen als würdigster weltlicher Fürst die Ergebnisse der vorausgegangenen, langen Geheimverhandlungen und die Entscheidung der Fürsten. Demnach sollte Heinrich Jaso- mirgott das Herzogtum Bayern an den Kaiser zurückgeben, damit dieser es an Heinrich den Löwen weiterreichen konnte. Um Heinrich Jasomirgott nun nicht in seiner Ehre zu krän- ken, teilte man die sogenannte Mark Österreich von Bayern ab und erhob es zu einem eigenständigen Herzogtum. Dieses neue Herzogtum, ausgestattet mit zahlreichen Sonderrechten, wurde nun dem Babenberger Heinrich Jasomirgott und seiner Frau Theodora Komnena, der Nichte des byzantinischen Kai- sers, als Lehen übertragen34. In einer eindrucksvollen Zere- monie wurden diese Lehensübertragungen35 vorgenommen, von der uns Otto von Freising einen anschaulichen Bericht bietet. Hiernach ließ Heinrich Jasomirgott dem Kaiser das Herzogtum Bayern durch sieben Fahnen36 auf, worauf der Kaiser diese Fahnen an Heinrich den Löwen weitergab. Nun gab der Welfe mit zwei Fahnen die Ostmark mit den seit alters zu ihr gehörigen Grafschaften dem Kaiser zurück. Daraufhin machte der aus dieser Mark mit den genannten Grafschaften, die drei genannt werden37, nach dem Urteilsspruch der Fürs- ten ein Herzogtum und übergab dieses nicht nur an Heinrich Jasomirgott, sondern auch an dessen Ehefrau Theodora38. Interessanterweise tat man also bei den ganzen Vorgängen so, als ob eine Belehnung Heinrichs des Löwen mit Bayern 1154/55 nie stattgefunden habe39. Das Privilegium minus überliefert uns eine Reihe an kirch- lichen und weltlichen Fürsten und Grafen, besonders aus dem Süden und Südosten des Reiches, die bei diesem Ereignis zugegen waren und diesem durch ihre persönliche Anwesen- heit eine besondere Würde und einen speziellen Glanz gaben. Unter ihnen finden sich von geistlicher Seite Patriarch Pilgrim Abb. 5: Heinrich Jasomirgott als Gründer des Schottenklosters von Aquileja, Erzbischof Eberhard von Salzburg, die Bischöfe zu Wien (von Josef Breitner, 1864 – 1930, 1893). Otto von Freising und Konrad von Passau aus der Familie

28 Tobias Appl . Ein historisches Ereignis von europäischer Dimension der Babenberger sowie die Bischöfe Eberhard von Bamberg, Österreich nicht nur an Heinrich Jasomirgott, sondern auch Hartmann von Brixen, Hartwich II. von Regensburg und der prenobilissime uxori sue (seiner allerdurchlauchtigsten Albert von Trient. An der Spitze der weltlichen Fürsten stand Gattin) Theodora kann als unüblich bezeichnet werden. Zum – neben den drei Hauptakteuren – Herzog Vladislav von Böh- zweiten gewährte Kaiser Friedrich Barbarossa dem Herzogs- men, ein Schwager Heinrich Jasomirgotts. Ein anderer Schwa- paar und ihren Nachkommen die Erblichkeit in der Herzogs- ger des Babenbergers, der Kärntner Herzog Heinrich V. von würde und beschränkte dieses Recht nicht nur auf die Söhne, Spanheim sowie dessen älterer Bruder Markgraf Engelbert II. sondern gestand dies auch den Töchtern zu. Auf dieses Ent- von Istrien, Vater des oben genannten Regensburger Bischofs gegenkommen des Kaisers legte Heinrich Jasomirgott wohl Hartwichs II.40, waren ebenfalls in Regensburg zugegen. Aus deshalb besonderen Wert, da er zum Zeitpunkt der Erhö- der welfischen Verwandtschaft lassen sich zwei Onkel Hein- hung Österreichs zu einem eigenständigen Herzogtum nach richs des Löwen finden, zum einen Welf VI., der Bruder seines nunmehr achtjähriger Ehe mit Theodora nur eine Tochter Vaters Heinrich des Stolzen, zum anderen Graf Gebhard II. namens Agnes hatte, die nach geltendem deutschen Recht von von Sulzbach, der mit Heinrichs Tante Mathilde verheiratet der Erbfolge ausgeschlossen gewesen wäre45. Da dem Her- war. Auch der Kaiser wurde von Mitgliedern seiner Familie zogspaar ein Jahr nach Abschluss des Vertrages mit Herzog begleitet: Sein Bruder Konrad, sein Cousin Friedrich, der Leopold V. ein Sohn geboren wurde und dieser später dem Sohn König Konrads III., und der Schwager seines Onkels Vater nachfolgte, hatte dieses Vorrecht in der Praxis keine Konrad, der rheinische Pfalzgraf Hermann von Stahleck, Relevanz46. In der sogenannten libertas affectandi erhielt das können hier genannt werden41. Einige der aufgeführten Gra- neue österreichische Herzogspaar das Recht, im Falle eines fen lassen sich ebenfalls einem der drei Lager zuordnen, wie kinderlosen Todes seinen Nachfolger im österreichischen Her- z. B. Graf Konrad I. von Peilstein oder Graf Gebhard I. von zogsamt frei zu wählen. Dieses Recht bezog sich aber nur auf Burghausen, die immer wieder im Gefolge der Babenberger das Herzogspaar Jasomirgott und Theodora und galt nicht, auftauchen42. Ähnlich verhält es sich bei den Wittelsbachern wie die anderen Rechte, auch für alle zukünftigen Herzöge Otto, bayerischer Pfalzgraf, und Friedrich, dessen Bruder, Österreichs. Des Weiteren erhielt der österreichische Herzog die treue Anhänger des Kaisers waren. Daneben erscheinen das alleinige Ausübungsrecht der Gerichtsbarkeit in seinem im Privilegium minus unter den Zeugen Markgraf Albrecht Herzogtum übertragen. Zu den Grundpflichten eines Herzogs von Brandenburg, Markgraf Diepold V. von Vohburg, Graf gehörte es, bei den königlichen Hoftagen zu erscheinen und Ekbert III. von Pitten, Graf Rudolf von Schweinshut und Graf dem Reichsoberhaupt Heeresfolge zu leisten. Auch bei diesen Engelbert von Hall. beiden Punkten wurde den österreichischen Herzögen eine Bei den außergewöhnlich weitreichenden Sonderrechten, Sonderposition eingeräumt. So beschränkte der Kaiser die welche dem neuen Herzogtum Österreich sowie dem Her- Verpflichtung der Hoffahrt nur auf Hoftage, welche der König zogspaar Heinrich Jasomirgott und Theodora im Privile- in Bayern ansetzte. Hiermit rechtfertigte Friedrich Barbarossa gium minus zugestanden wurden, handelt es sich im Einzel- nachträglich vielleicht auch das Verhalten Jasomirgotts in den nen um sechs Bestimmungen43. Jedes Vorrecht für sich war Jahren 1152 bis 1156, als dieser mehrmals Einladungen zu für diese Zeit etwas Besonderes, aber nichts Einzigartiges. In Hoftagen nicht nachkam. An königlichen Feldzügen schließ- der Summe jedoch dürfen diese als außergewöhnlich bezeich- lich musste der Herzog nur dann teilnehmen, wenn diese gegen net werden44. Schon die Verleihung des neuen Herzogtums ein direktes Nachbarland Österreichs geführt wurden.

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Der Kaiser machte Herzog Heinrich Jasomirgott also im ria (Ehre und Ruhm) verletzt wurden49. Herzog Heinrich der Privilegium minus weitreichende Zugeständnisse, um sich Löwe erreichte durch den Besitz von nun zwei Herzogtümern dessen Zustimmung zur Lösung des Konfliktes zu erwerben. (Sachsen und Bayern) nicht nur einen deutlich vergrößerten Dies zeigt, wie wichtig für Friedrich Barbarossa die Herstel- Machtraum, sondern auch einen unter allen Reichsfürsten lung des Friedens im Reich war47. Daneben gelang es dem deutlich herausgehobenen sozialen Status50. Heinrich Jaso- Kaiser mit seiner „ersten innenpolitischen Meisterleistung“48, mirgott hingegen erhielt ein neugeschaffenes Herzogtum, dass bei keinem der beiden einstigen Rivalen honor et glo- ausgestattet mit vielfältigen dynastischen, innen- und außen-

Abb. 6: Besitzungen der Pfalz in Regensburg (Karte erstellt von Peter Schmid, 1977).

30 Tobias Appl . Ein historisches Ereignis von europäischer Dimension politischen Privilegien. Die im Privilegium minus zugestan- gebracht. Der systematische Ausbau Wiens zur Residenz- denen Vorrechte wurden von den Babenbergern jedoch „nur stadt, die Gründung eines babenbergischen Hausklosters als sporadisch genutzt, sei es, wie im Fall der Erbregelung, weil geistliches Zentrum für den Hof, die Residenzstadt und das es die Umstände nicht zuließen, sei es, wie im Fall der Hof- neue Herzogtum sowie die Prägung des neuen Landesnamens fahrts- und Heeresfolgepflicht, weil jeweils andere aktuelle Austria deuten darauf hin, dass Heinrich Jasomirgott nicht Interessen überwogen“51. Daraus wird deutlich, dass wohl nur den Landesausbau vorantreiben wollte, sondern seine auch ohne das Privilegium minus und die darin fixierten Vor- Konsequenzen aus den Verhandlungen gezogen hatte und rechte die Geschichte Österreichs und seiner Herzöge nicht so auch ein Zeichen gab, wie er sich die Lösung der baye- wesentlich anders verlaufen wäre52. rischen Frage vorstellen könne57. So nahm Herzog Heinrich Für den Kaiser, der in der Anfangszeit seiner Königsherr- Jasomirgott (Abb. 5) irische Mönche für sein Hauskloster schaft sich nicht nur als guter Vermittler bewährte, sondern in Wien, die Abtei St. Marien (Schottenstift), direkt neben auch seine königliche Macht mit großem Bedacht einsetzte53, dem Hof noch außerhalb der Stadtmauer gelegen, gerade aus war dieser Kompromiss zwischen seinen Verwandten und seiner (ehemaligen) Residenzstadt Regensburg mit. Dass die- der damit verbundene Friede im Reich die Grundlage einer ses genau 1155 geschah58, also in dem Jahr, in welchem sein Weiterführung seiner Italienpolitik. Um dies zu untermauern, Gegenspieler Heinrich der Löwe als neuer bayerischer Herzog ließ der Kaiser nach seiner Rückkehr in die Stadt am darauf- in Regensburg eingeführt wurde, unterstreicht dies besonders folgenden Tag (wohl am 9. September 115654) in öffentlicher anschaulich. Man kann wohl davon ausgehen, dass die Idee Versammlung einen Reichsfrieden auf ein Jahr vom nächsten einer Umwandlung der Markgrafschaft Österreich in ein Pfingstfest aus gerechnet beschwören55. Herzogtum von babenbergischer Seite ausging59. Mit dem Kompromiss hatte der Kaiser einerseits den militärisch so wichtigen Herzog Heinrich den Löwen durch die Belehnung mit einem zweiten Herzogtum noch enger an sich gebunden, andererseits schuf er mit dem neuen Herzog- Die Frage nach der genaueren Lokalisierung tum Österreich ein gewisses Gegengewicht gegen eine Über- der Handlung macht des Welfen im Reich. Heinrich Jasomirgott konnte den Regensburger Hoftag nicht nur mit erhobenem Haupt verlas- Für die Beantwortung der Frage, wo genau sich dieses denk- sen, sondern nun darangehen, den bereits begonnenen baben- würdige Ereignis vom 8. September 1156 abgespielt hat, lie- bergischen Machtausbau in der ehemaligen Markgrafschaft fern uns die beiden oben aufgeführten Hauptquellen so gut wie zu intensivieren. Er brauchte sich nicht mehr mit dem Teil des keine Informationen. Während das Privilegium minus zum bayerischen Herzogtums befassen, in welchem er in den Jah- Ort der Vorgänge überhaupt keine Angaben macht, erfahren ren zuvor Schwierigkeiten hatte, sich durchzusetzen56. Schon wir aus den Gesta Friderici Ottos von Freising zumindest, während der Verhandlungen, die dem Regensburger Hoftag dass die Fürsten die Stadt Regensburg verließen und dann vorangegangen waren, hatte sich Heinrich Jasomirgott mehr- ungefähr ad duo Teutonica miliaria60 (an die zwei deutschen fach als dux Orientis, einmal sogar mit der Doppeltitulatur Meilen) entfernt das Zeltlager Heinrich Jasomirgotts erreich- dux Baioarie et Orientis bezeichnet und damit seine Rolle ten. Da sich Otto von Freising – wie oben erwähnt – erst in der Markgrafschaft Österreich deutlich zum Ausdruck etliche Monate nach dem Geschehen daran machte, dieses

31 Regensburger Land . Band 1 . 2008 rückblickend schriftlich zu dokumentieren, muss seine Ent- um den Wald bei Mailberg zwischen den Johannitern und fernungsangabe von ungefähr zwei deutschen Meilen, was in Kadold von Harras69. etwa einer Entfernung von 15 Kilometer entsprechen würde61, Die Wiesen zwischen Regensburg und waren um als grobe und nicht unbedingt genau zutreffende Schätzung die Mitte des 12. Jahrhunderts noch Teil des Regensburger angesehen werden. Königsgutskomplexes, der sich als geschlossenes Gebiet von Glücklicherweise hat sich uns jedoch in der Abschrift Prüfening bis Barbing und von der Donau bis zu dem Höhen- eines Traditionscodex des Klosters Ensdorf aus dem 14. Jahr- zug im Süden der Stadt erstreckte. Nicht nur beim Hoftag hundert62 der Text einer Urkunde erhalten, in welcher Herzog von 1156 gaben die genannten Wiesen den räumlichen Rah- Heinrich Jasomirgott als Gewährsmann bei dem Verkauf des men, schon Karl der Große und Heinrich III. hatten hier ihre Gutes Ruiding (Landkreis Amberg-Sulzbach) durch Adel- Heere für die Awaren-, bzw. für die Ungarn- und Böhmen- heid von Gattershof und ihre Kinder an das 1121 gegrün- kriege gesammelt. Auch die Kreuzfahrer, die mit Konrad III. dete Kloster Ensdorf auftritt63. In dieser Urkunde finden 1147 oder mit Friedrich I. 1189 ins Hl. Land zogen, starteten sich einige Zeugen wieder, die auch in einem Diplom Kaiser von hier ihre Unternehmungen70. Friedrich Barbarossas für den Johanniter-Ritterorden vom Ein genauerer Lokalisierungsversuch wurde lange Zeit 17. September 1156, also dem Ausstellungstag des Privile- jedoch nicht unternommen. Man gab sich mit der Ortsan- giums, zu finden sind64. Dadurch lässt sich dieser Eintrag auf gabe in prato Barbingin zufrieden. Erstmals ging dann Peter September 1156 datieren. Diese Ensdorfer Urkunde wurde in Schmid in seiner Dissertation daran, die Wiesen bei Barbing prato Barbingin (Abb. 7 a und 7 b) ausgestellt, also auf der in einer Kartenbeilage (Abb. 6) genauer zu lokalisieren71. Seit Barbinger Wiese65. Wir können nun davon ausgehen, dass den Arbeiten von Josef Fendl72, spätestens jedoch seit dem dies vor oder nach der Fahnenzeremonie am gleichen Ort Artikel von Gerhard Waldherr im Regensburger Almanach geschah66. So geht die Forschung seit den zwei Drucken dieser 1986 wurde und wird immer wieder die Kreuzhofkapelle Notiz aus dem Ensdorfer Codex vor fast 170 Jahren davon St. Ägidius bei Barbing (Abb. 11; seit 1978 durch Umge- aus67, dass die Erhebung Österreichs zu einem eigenständigen meindung im Zuge der Hafenerweiterung im Regensburger Herzogtum in prato Barbingin stattgefunden haben muss. Stadtgebiet gelegen) mit dem Hoftag vom September 1156 in Dafür, dass Heinrich Jasomirgott seine Zelte in der Nähe von Verbindung gebracht73. Teilweise geht man sogar so weit, das Barbing aufgebaut hat, spricht auch, dass er für sein Lager Geschehen in (!) die Kreuzhofkapelle zu verlegen74. sicherlich einen Platz nicht zu weit von der Stadt entfernt öst- Bei diesem romanischen Gotteshaus liegt das genaue Ent- lich von Regensburg ausgewählt hat, da er donauaufwärts stehungsdatum jedoch im Dunkeln. Sie zählt zu dem Typus Richtung Regensburg gekommen sein muss. Denn nachdem der Doppelkapellen an Herrensitzen, wie er in der Region er im Juni 1156 in der Nähe von Regensburg an Verhandlun- mehrfach zu finden ist, so etwa in Oberviechtach-Hof (St. gen mit dem Kaiser teilgenommen hatte, kehrte er in seine Ägidius-Patrozinium), Schönfeld (St. Ägidius), Schönkirch österreichische Markgrafschaft zurück und zog erst Anfang (St. Michael), Wilchenreuth (St. Ulrich) und Regensburg- September wieder hierher68. In der Zwischenzeit finden wir Harting (St. Koloman)75. Bei der genauen Eingrenzung der ihn als Urkundenaussteller in Wien und Dornbach, wo er Entstehungszeit der Kreuzhofkapelle wäre man auf Aussagen dem Kloster St. Peter zu Salzburg eine Wiese schenkt; am der Kunsthistoriker angewiesen, doch leider fehlt bis heute 15. August 1156 schlichtet er zu [Kloster-]Neuburg den Streit eine wissenschaftlich fundierte kunst- oder baugeschichtliche

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Abb. 7 a: Eine Seite aus dem Ensdorfer Traditionskodex.

Abb. 7 b: Detail aus dem Ensdorfer Traditionskodex („in prato Barbingin“).

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Abb 8: Die Barbingerwiese (Detail aus dem Liquidationsplan der Rural-Gemeinde Barbing, wohl 1836).

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Analyse. Meist wird die vermutete Erbauungszeit der Kreuz- hofkapelle mit „2. Hälfte des 12. Jahrhunderts“76 angegeben, manchmal wird diese auf die Zeit „um die Mitte des 12. Jahr- hunderts“77 vorgezogen.78 Will man sich nun – ohne dass sichere Aussagen von Kunsthistorikern über die Erbauungszeit der Kreuzhofkapelle vorliegen – daran wagen, Argumente für die Theorie, dass die Kreuzhofkapelle mit den Vorgängen von 1156 zu tun haben könnte, vorzubringen, wären dies wohl drei: So spricht von den naturräumlichen Gegebenheiten vieles dafür, dass sich die Erhebung Österreichs in der Nähe der Kreuzhofkapelle abge- spielt haben könnte. Schon die Lage an der Donau, auf der Heinrich Jasomirgott sich der Stadt von Osten herkommend genähert haben dürfte, sowie die großen Wiesen boten wohl beste Voraussetzungen für ein Zeltlager Heinrich Jasomir- gotts und seines Gefolges. Die Entfernung zwischen der histo- Abb. 9: Eingang zur Kreuz- Abb. 10: Ein Fenster der Kreuz- rischen Stadtgrenze von Regensburg und der Kreuzhofkapelle hofkapelle. hofkapelle. beträgt per Luftlinie ungefähr 5 ½ Kilometer, also eine Ent- fernung, die man von Regensburg aus in gut einer Stunde zu Fuß zurücklegen kann. Zum zweiten kann man wohl anneh- men, dass Heinrich Jasomirgott – vorausgesetzt, die Kreuz- hofkapelle existierte 1156 bereits – wohl nicht irgendwo auf freiem Feld seine Zelte aufgeschlagen hat, sondern sich dabei auch das Oktavfest des Hl. Ägidius, des Kirchenpatrons der an bestehenden, steinernen Gebäuden orientierte, auch vor Kreuzhofkapelle, dessen Festtag am 1. September begangen dem Hintergrund, dass ja die Menschen und Tiere aus sei- wird. Vielleicht gab dieses Patrozinium mit den Ausschlag, nem Gefolge versorgt werden mussten. Drittens schließlich den Konflikt zwischen Babenbergern und Welfen unter dem wäre auf die religiöse Dimension hinzuweisen. Wie wichtig Schutz des Hl. Ägidius vor seiner Kirche zu lösen. Als schlag- den mittelalterlichen Menschen bei allen grundsätzlichen und kräftiges Gegenargument gegen all diese Spekulationen kann schwerwiegenden Entscheidungen die Fürsprache der Heili- man jedoch aufführen und wohl davon ausgehen, dass es der gen war, lässt sich immer wieder feststellen. So wurden wich- Augenzeuge des Geschehens, Otto von Freising, selbst Bischof tige Verträge und Urkunden an gewissen Heiligentagen oder und Angehöriger des Zisterzienserordens, wohl sicherlich in nach Anrufung gewisser Fürsprecher abgeschlossen79. So ist seinem Bericht aufgeführt hätte, wenn die Kreuzhofkapelle es auch bei den Vorgängen von 1156 der Fall. Im Privilegium am Oktavfest des Hl. Ägidius wirklich den baulichen und minus erfahren wir, dass dieses lehensrechtliche Zeremoniell religiösen Mittelpunkt des Geschehens gebildet hätte. So ist am 8. September stattgefunden hat. An diesem Tag begeht die ein direkter Zusammenhang zwischen dem Hoftag von 1156 Kirche aber nicht nur das Fest Mariä Geburt, sondern es ist und der Kreuzhofkapelle eher auszuschließen.

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Eine andere Möglichkeit, sich dem genaueren „Tatort“ zu nähern, ist die Annahme, dass es sich bei der Ortsan- gabe in prato Barbingin nicht um irgendeine Wiese in der Nähe von Barbing handelt80, sondern dass sich hinter dem prato Barbingin eine Flurnamenbezeichnung verbirgt. Schon die Übersetzung dieser Ortsangabe in „Barbinger Wiesen“ durch Simonsfeld lässt sich in diese Richtung interpretieren81, ebenso wie die Bezeichnung „Barbinger Feld“ bei Herwig Wolfram82. Wir wissen heute, dass sich Flurnamen oft über Jahrhun- derte hinweg erhalten haben und nachweisbar sind83. Und tatsächlich erscheint im Lageplan zu den Liquidationsproto- kollen der Steuergemeinde Barbing aus dem Jahr 1836 ein großes Grundstück mit dem Flurnamen Barbingerwiese, das sich vom damaligen Ortsrand Barbings in nordwestli- cher Richtung erstreckte (Abb. 8)84. In modernen Flur- und Gemeindekarten findet sich diese Bezeichnung aufgrund von Überbauungen und Flurbereinigung nicht mehr. Diese mit der Flurnummer 1173 bezeichnete, 26 Tagwerk und 36 Dezi- malen große Fläche gehörte laut Liquidationsprotokoll vom 9. Dezember 1836 zum Besitz von Gustav Wilhelm Henle, dem Inhaber des Gutes Kreuzhof85. Natürlich ist es aus wis- senschaftlicher Sicht höchst problematisch, eine Flurnamen- kontinuität von 1156 bis 1836, also über 680 Jahre zu kon- struieren. Diese lange Zeitspanne kann durch einen Eintrag im Stüft oder Salbuch von anno 1651 uz 1666, das sich im Archiv des Dominikanerinnenklosters Hl. Kreuz befindet, um einiges verkürzt werden. Hierin ist zu lesen, dass ein Bartho- lomäus Kobbolt am 19. Oktober 1653 von d(er) Pärbinger Wissen eine Abgabe in Höhe von 1 fl. 50 kr. leistete86. Sucht man nach Vergleichsfällen, in denen sich ein Flur- name, der im 12. Jahrhundert auftaucht, auch noch in der Neuzeit nachweisen lässt, ohne dass eine „Siedlung“ diesem Namen das „Überleben“ sicherte, muss man feststellen, dass sich hier nur relativ wenige Belege finden lassen. Besonders Abb. 11: Kreuzhofkapelle von Osten. bei Flurnamen für Wiesen kann erst für das 14. Jahrhundert

36 Tobias Appl . Ein historisches Ereignis von europäischer Dimension ein deutlicher Zuwachs von Nennungen in den Quellen aus- Nimmt man nun an, die Fahnenzeremonie des Regensbur- gemacht werden87. Leichter hingegen ist es, bei den Weinbergs- ger Hoftages von 1156 habe sich tatsächlich in dem Gebiet namen eine Kontinuität vom 12. Jahrhundert in die Neuzeit oder der Umgebung der im Liquidationsprotokoll von 1836 zu konstatieren88. Wenn sich uns Wiesennamen aus dem 12. genannten Barbingerwiese abgespielt, ließe sich diese These Jahrhundert erhalten haben, sind diese dann oft wieder ver- auch durch die Betrachtung der naturräumlichen Situation schwunden und lassen sich in der Neuzeit nicht mehr belegen, untermauern. Dieses große, flache Feld hätte sich sicherlich wie etwa bei der Grünwiese im Berchtesgadener Land. Dieser gut für das Feldlager Heinrich Jasomirgotts angeboten, der Flurname Gru° neswisin bzw. Groˇ neswisen ist zweimal für das wohl nicht nur ein Zelt aufgeschlagen hat, sondern von einer 12. Jahrhundert in den Traditionen des Stiftes Berchtesgaden ansehnlichen Begleitmannschaft umgeben war98. Außerdem belegt89, dann jedoch abgegangen90. wäre die Verpflegung und Versorgung des Lagers aufgrund Auffälligerweise lassen sich Wiesen, die bei Hoftagen des der unmittelbaren Nähe zum Dorf Barbing gut machbar gewe- 12. Jahrhunderts eine besondere Rolle gespielt haben, bis in sen. Daneben führten frühere Donauarme direkt nördlich am die Neuzeit herein als Flurnamen nachweisen91. So wurde Ort Barbing vorbei99, so dass diese Wiese näher als heute an das Wormser Konkordat am 23. September 1122 auf der dem wichtigen Wasserverkehrsweg lag. Erst bei den großen Lobwise/Laubwiese vor Worms im Rahmen einer feierlichen Überschwemmungen in der Mitte des 17. Jahrhunderts suchte Messe verkündet. Diese Wiese lässt sich noch heute in der sich die Donau einen anderen Weg weiter weg vom Ort. Man Bürstadter Gemarkung lokalisieren92. Auch beim Mainzer beließ die Donau in ihrem neuen Bett und befestigte das neue Hoftag von 1184 bewegte man sich aufgrund der hohen Teil- Ufer in den Jahren 1651 bis 1667 mit beträchtlichem Auf- nehmerzahl vor die Stadt auf die Mainzer Maraue. Dort war wand. Die alte Donauschleife lässt sich aber noch gut anhand eine Feststadt aus Holzhütten und Zelten errichtet worden. der Gemeindegrenze zwischen Barbing und Tegernheim süd- Auch diese Maraue ist bis heute als Flurname belegt93. lich der Donau sowie aus alten Katasteraufnahmen und aus Aber auch Wiesen, die in keinem Zusammenhang mit Luftbildern rekonstruieren100. Vergleicht man die Lage der einem Hoftag in den Quellen genannt werden, haben ihren Barbingerwiese mit der schematischen Skizze des Königsguts- Flurnamen bis in die Neuzeit retten können: Vor seiner komplexes von Peter Schmid, würde diese Wiese westlich von Abreise nach Regensburg zum Hoftag 1156 bestätigt Her- Barbing gerade noch in diesem Areal liegen, dessen Grenzlinie zog Heinrich Jasomirgott dem Kloster St. Peter in Salzburg von Burgweinting her kommend an der westlichen Ortsgrenze die Schenkung einer Wiese bei Dornbach, Zemeru° prehtis94 von Barbing vorbei zur Donau verlief101. Auch das könnte als genannt95. Diese Wiese behielt ihren Namen Salzburgerwiese Argument für diesen Ort betrachtet werden. bis in die Gegenwart herein96. Ebenfalls schon im 12. Jahr- hundert wird die Chungiswisen bei Pocking im Landkreis Passau genannt. Vor 1188 tradierte Reinhard von Eholfing in Gegenwart seines Herrn, des Markgrafen Berthold, Besitz in Schluss Königswiesen, um das Jahr 1206 erscheint der Name im Vorn- bacher Traditionscodex97. Man sieht also, dass es durchaus Wie angedeutet, ist es aus wissenschaftlicher Sicht vermessen, Flurnamen gibt, auch bei Wiesen, die sich vom 12. Jahrhun- die Fahnenzeremonie aufgrund des Flurnamens Barbinger- dert bis in die Neuzeit herauf erhalten haben. wiese im Liquidationsprotokoll von 1836 und die nur vermu-

37 Regensburger Land . Band 1 . 2008 tete Beziehung zum prato Barbingin genau auf diesen Land- Betrachtet man die mittel- und langfristigen Folgen und fleck positionieren zu wollen. Vielleicht tragen jedoch diese Auswirkungen der Geschehnisse von 1156, kann man mit Überlegungen dazu bei, neu über eine genauere Lokalisierung Fug und Recht sagen, dass bei Barbing bedeutende baye- zu diskutieren. Sollte sich tatsächlich die Barbingerwiese als rische, österreichische und europäische Geschichte geschrie- „Tatort“ herausstellen, würde dies auch etwas Kurioses in ben wurde. Hier liegt der Grundstein für den späteren Auf- sich bergen. Denn seit der Eingemeindung des Kreuzhofes stieg Österreichs zu einer europäischen Großmacht und den und seiner Umgebung im Jahr 1978 war es für Barbing und der Stadt Wien zur Weltstadt. Die Folgen für die bayerische die Barbinger nicht immer ganz leicht, eines bedeutenden his- Geschichte waren sicherlich, dass die bis 1156 traditionelle torischen Ereignisses zu gedenken, das zwar mit dem Namen Ostpolitik Bayerns hier ihr Ende fand. Durch den Erwerb Barbing eng verbunden ist, das man jedoch beim Kreuzhof der Pfalzgrafschaft bei Rhein unter den Wittelsbachern im lokalisierte, der ja nun auf städtischem Gebiet lag. Umgekehrt 13. Jahrhundert orientierte sich die bayerische Politik fortan ging es der Stadt Regensburg ähnlich. Das Gebiet der ehema- verstärkt ins Reich und nicht mehr nach Südosten. Fest ligen Barbingerwiese von 1836 hingegen läge heute sowohl steht, dass der Name Barbing mit dem epochalen Regens- im Gebiet der Gemeinde Barbing als auch im Regensburger burger Hoftag von 1156 für immer seinen festen Platz in Stadtgebiet, da diese Wiese von der heutigen Gemeinde- und den Geschichtsbüchern gefunden hat. Dadurch hat dieser Stadtgrenze durchteilt wird und würde somit beiden, Stadt Hoftag von 1156 auch für die Regionalgeschichte eine große und Gemeinde, gleichermaßen „gehören“. Bedeutung.

1 Dieser Beitrag ist die überarbeitete Fassung eines Vortrags vom 9. September Herzog von Bayern (vgl. Georg Scheibelreiter, Art. Heinrich II. ‚Jasomirgott‘, 2006, der bei einer Veranstaltung des Landkreises Regensburg und der Gemeinde in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4: Erzkanzler bis Hiddensee, Stuttgart-Weimar Barbing im Rahmen des Symposiums „850 Jahre Privilegium minus“ des Lehr- 1999 [ND München 2002], Sp. 2074-2075). Auch seine zweite Ehe mit der Toch- stuhls für Bayerische Landesgeschichte der Universität Regensburg (8.–10. Sep- ter des Sebastokrators Andronikos und Nichte des oströmischen Kaisers Manuel tember 2006) in der Gemeindebücherei Barbing gehalten wurde. I., Theodora Komnena 1148/49 wurde vom König im Rahmen seiner byzanz- 2 Vgl. Heinrich Wanderwitz, Österreichs Geburtsstunde vor Regensburgs Toren. freundlichen Politik betrieben. Jasomirgotts Bruder Otto († 1158) wurde 1138 auf Die ehemalige Reichsstadt widmet dem Nachbarland das kulturelle Jahresthema, Betreiben Konrads III. Bischof von Freising, der weitere Bruder Konrad († 1168) in: Unser Bayern 55 (2006), S. 56-57; Martin Staudacher, Österreich entstand war seit 1139 Mitglied der Hofkapelle Konrads III. und des Kölner Domstifts. auf einer Wiese bei Barbing, in: Josef Fendl (Hg.), Straubinger Kalender 2006, 1148 wurde er Bischof von Passau und 1164 Erzbischof von Salzburg (vgl. Tobias Straubing 2005, S. 74-77. Weller, Die Heiratspolitik des deutschen Hochadels im 12. Jahrhundert (Rheini- 3 Vgl. Ferdinand Opll, „Die Regelung der bayerischen Frage 1156“. Friedrich Bar- sches Archiv 149), Köln-Weimar-Wien 2004, S. 348-349, 357). barossa, Heinrich der Löwe und Heinrich Jasomirgott – Gestalter und Mitgestal- 4 Werner Hechberger, Herzog und Herzogtum. Die Welfen in Bayern, in: Schmid ter, in: Peter Schmid – Heinrich Wanderwitz (Hg.), Die Geburt Österreichs. 850 – Wanderwitz, Geburt (wie Anm. 3), S. 77-101, hier S. 88. Jahre Privilegium minus (Regensburger Kulturleben 4), Regensburg 2007, S. 37- 5 Vgl. Heinrich Appelt, Privilegium minus. Das staufische Kaisertum und die Ba- 75, hier S. 47. Heinrich Jasomirgott († 1177) erlangte unter Konrad III. 1140 das benberger in Österreich (Böhlau-Quellenbücher), Wien-Köln-Graz 21976, S. 32- Amt des Pfalzgrafen bei Rhein. 1141 wurde er Markgraf von Österreich und 1143 33; ebenso Opll, Regelung (wie Anm. 3), S. 50.

38 Tobias Appl . Ein historisches Ereignis von europäischer Dimension

6 Friedrich Barbarossa war über seine welfische Mutter Judith nicht nur ein Cousin Oberösterreichischen Landesarchivs 5 (1957), S. 9-60, hier S. 33; Peter Schmid, Heinrichs des Löwen, sondern über seine Großmutter Agnes, der Tochter Kaiser Regensburg. Stadt der Könige und Herzöge im Mittelalter (Regensburger histori- Heinrichs IV. und in zweiter Ehe mit Markgraf Leopold III. verheiratet, Halbnef- sche Forschungen 6), Kallmünz 1977, S. 377 mit Anm. 476. fe Heinrich Jasomirgotts (siehe Stammtafel, Abb. 2). 22 Ottonis et Rahewini Gesta Friderici I. imperatoris (wie Anm. 9), S. 154-155. 7 Vgl. Appelt, Privilegium (wie Anm. 5), S. 33. 23 Vgl. Simonsfeld, Jahrbücher (wie Anm. 19), S. 430. 8 Vgl. Opll, Regelung (wie Anm. 3), S. 56. 24 Vgl. Görich, Ehre (wie Anm. 14), S. 31-32. 9 Georg Waitz – Bernhard von Simson (Hg.), Ottonis et Rahewini Gesta Friderici 25 Vgl. Fichtenau, Mark (wie Anm. 11), S. 34. I. imperatoris (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanica- 26 Vgl. Schmid, Regensburg (wie Anm. 21), S. 454. rum in usum scholarum separatim editi 46), Hannover-Leipzig 31912, S. 107. 27 Appelt (Bearb.), Urkunden Friedrichs I. (wie Anm. 20), Nr. 151, S. 255-260; 10 Hechberger, Herzog (wie Anm. 4), S. 89. Ludwig Weiland (Bearb.), Constitutiones et acta publica imperatorum et regum, 11 Beim Wormser Hoftag im Juni 1153 war Jasomirgott zwar anwesend, behauptete Bd. I: 911-1197 (MGH Leges IV/1), Hannover 1893, Nr. 159, S. 220-223. In jedoch, nicht ordnungsgemäß geladen worden zu sein. Als Friedrich Barbarossa der Wissenschaft bezeichnet man diese Urkunde vom 17. September 1156 als dann im September 1153 Regensburg besuchte, war aufgrund des Streites der Privilegium minus im Gegensatz zum sogenannten Privilegium maius, einer Fäl- beiden Herzöge ein Friedensschluss wieder nicht möglich. Für den darauffolgen- schung des Privilegium minus aus dem 14. Jahrhundert (vgl. Eva Schlotheuber, den Dezember bestellte der König die beiden Kontrahenten nach Speyer, auch „Das Privilegium maius – eine habsburgische Fälschung im Ringen um Rang und hier blieb Jasomirgott fern (Ottonis et Rahewini Gesta Friderici I. imperatoris Einfluss“, in: Schmid – Wanderwitz (Hg.), Geburt (wie Anm. 3), S. 143-165). (wie Anm. 9), S. 110-112). Fichtenau sieht in der großen Entfernung der Orte Das Privilegium minus liegt nicht mehr im Original vor, die älteste und einzig (Worms, Speyer) zur Heimat des Babenbergers den Versuch des Königs, ihm das vollständige Überlieferung findet sich in einer Sammelhandschrift des Stiftes Erscheinen möglichst schwer zu machen und dadurch eine Schuld Jasomirgotts Klosterneuburg. Diese Abschrift des Privilegium minus stammt von einer Hand, zu konstruieren, um ihn zum Markgraf zu degradieren (vgl. Heinrich Fichtenau, die nicht dem Stift, sondern der Umgebung der letzten Babenberger-Herzogin Von der Mark zum Herzogtum. Grundlagen und Sinn des „Privilegium minus“ Gertrud, der Nichte Friedrichs II., zuzuweisen ist, wahrscheinlich vom Notar für Österreich (Österreich-Archiv), München 21965, S. 32). Otto von Mödling (vgl. Werner Maleczek, Das Privilegium minus. Diploma- 12 Heinrich der Löwe nannte sich in den Urkunden immer wieder bereits Herzog tische Gesichtspunkte, in: Schmid – Wanderwitz (Hg.), Geburt (wie Anm. 3), von Bayern und Sachsen (Karl Jordan (Bearb.), Die Urkunden Heinrichs des S. 103-141, hier S. 110). Löwen Herzogs von Sachsen und Bayern, 1. Stück: Texte (Monumenta Germa- 28 Ottonis et Rahewini Gesta Friderici I. imperatoris (wie Anm. 9), S. 160-161. niae Historica. Laien- und Dynastenurkunden der Kaiserzeit 1), Leipzig 1941, 29 Vgl. Schmid, Regensburg (wie Anm. 21), S. 378 mit Aufzählung von zeitgenös- Nr. 18, Merseburg, 1152 [Mai 18], S. 26-27; Nr. 21, [Paderborn?] 1153, S. 30- sischen Geschichtswerken, in denen das Ereignis Eingang fand. 31; Nr. 23, [vor 1154], S. 31-33. 30 Vgl. Schieffer, Otto (wie Anm. 17), S. 167, 172-173. 13 Ottonis et Rahewini Gesta Friderici I. imperatoris (wie Anm. 9), S. 112-113. 31 Friedrich Barbarossa wählte – wie auch die anderen Könige und Kaiser – häufig 14 Göhrich geht davon aus, dass Friedrich Barbarossa schon bei seiner Wahl, wel- bedeutende kirchliche Festtage als Termine für die Abhaltung von Hoftagen, be- che er nur mit Unterstützung Heinrichs des Löwen für sich entscheiden konnte, sonders Weihnachten, Ostern, Pfingsten sowie Mariä Himmelfahrt und Mariä diesem Versprechungen bezüglich des bayerischen Herzogtums gemacht habe Geburt (vgl. Werner Rösener, Die Hoftage Kaiser Friedrichs I. Barbarossa im und nennt als Beleg eine Urkunde des Welfen vom 18. Mai 1152, in welcher sich Regnum Teutonicum, in: Peter Moraw (Hg.), Deutscher Königshof, Hoftag dieser in Anwesenheit des neuen Königs beim Merseburger Hoftag dux Bawariae und Reichstag im späteren Mittelalter (Vorträge und Forschungen 48), Stuttgart et Saxoniae nennt (vgl. Knut Görich, „…damit die Ehre unseres Onkels nicht 2002, S. 359-386, hier S. 372). gemindert werde…“. Verfahren und Ausgleich im Streit um das Herzogtum Bay- 32 Mit der Verlegung des öffentlichen Geschehens vor die Tore der Stadt wollte ern 1152-1156, in: Schmid – Wanderwitz (Hg.), Geburt (wie Anm. 3), S. 23- man offenbar Spannungen zwischen den beiden Kontrahenten in der Herzogs- 35, hier S. 23-24). Opll hingegen hält eine diesbezügliche Zusage Friedrich Bar- stadt Regensburg und besonders im Herzogshof vermeiden, da man ja zu diesem barossas für wenig wahrscheinlich (vgl. Opll, Regelung (wie Anm. 3), S. 53). Zeitpunkt de facto zwei bayerische Herzöge gleichzeitig hatte (vgl. Schmid, Re- 15 Ottonis et Rahewini Gesta Friderici I. imperatoris (wie Anm. 9), S. 150. gensburg (wie Anm. 21), S. 379-380 mit Anm. 496). 16 Vgl. Görich, Ehre (wie Anm. 14), S. 29-30. 33 Vgl. Görich, Ehre (wie Anm. 14), S. 33; Schieffer, Otto (wie Anm. 17), 17 Rudolf Schieffer, Otto von Freising. Der Geschichtsschreiber als Augenzeu- S. 173. ge, in: Schmid – Wanderwitz (Hg.), Geburt (wie Anm. 3), S. 167-177, hier 34 Appelt (Bearb.), Urkunden Friedrichs I. (wie Anm. 20), Nr. 151, S. 255-260, hier S. 171. S. 259. 18 Ottonis et Rahewini Gesta Friderici I. imperatoris (wie Anm. 9), S. 150-151. 35 Das Privilegium minus von 1156 ist der erste erhaltene Beleg dafür, dass das 19 Ottonis et Rahewini Gesta Friderici I. imperatoris (wie Anm. 9), S. 151; vgl. Herzogtum Bayern als Lehen betrachtet worden ist (vgl. Roman Deutinger, Das Henry Simonsfeld, Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Friedrich I., Bd. I: Privilegium minus, Otto von Freising und der Verfassungswandel des 12. Jahr- 1152 bis 1158 (Jahrbücher der Deutschen Geschichte), Leipzig 1908, S. 390. hunderts, in: Schmid – Wanderwitz (Hg.), Geburt (wie Anm. 3), S. 179-199, 20 Heinrich Appelt (Bearb.), Die Urkunden Friedrichs I., Bd. I: 1152-1158 (Monu- hier S. 180). menta Germaniae Historica. Diplomata regum et imperatorum Germaniae 10/1), 36 Hiermit waren vermutlich nicht sieben konkrete, sondern die mit dem Herzog- Hannover 1975, Nr. 138, S. 232; vgl. Opll, Regelung (wie Anm. 3), S. 55.; eben- tum verbundenen Rechte in ihrer Gesamtheit gemeint (vgl. Deutinger, Privilegi- so Görich, Ehre (wie Anm. 14), S. 30. um (wie Anm. 35), S. 180). 21 Vgl. Weller, Heiratspolitik (wie Anm. 3), S. 363-378, Tafel 3 (Babenberger); 37 Zu dem Problem der drei Grafschaften zuletzt: Deutinger, Privilegium (wie Theodor Mayer, Das österreichische Privilegium minus, in: Mitteilungen des Anm. 35), S. 191-198.

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38 Ottonis et Rahewini Gesta Friderici I. imperatoris (wie Anm. 9), S. 160-161. Die 55 Ottonis et Rahewini Gesta Friderici I. imperatoris (wie Anm. 9), S. 161. Ob der Übersetzung folgt teilweise Franz-Josef Schmale (Hg.), Bischof Otto von Frei- Friede mit dem Pfingstfest 1157 oder 1158 begann, ist unsicher: Geht Simons- sing und Rahewin, Die Taten Friedrichs oder richtiger Cronica, übersetzt von feld, Jahrbücher (wie Anm. 19), S. 477-478 mit Anm. 185 von 1157 aus, spricht Adolf Schmidt (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe. Ausgewählte Quellen sich Schmale für Pfingsten 1158 als Beginn des einjährigen Friedens aus (vgl. zur deutschen Geschichte des Mittelalters 17), Berlin 21974, S. 388-391. Schmale (Hg.), Bischof Otto (wie Anm. 38), S. 391, Anm. 58). 39 Wohl um den Babenberger nicht zu kränken, wird er im Privilegium minus be- 56 Vgl. Appelt, Privilegium (wie Anm. 5), S. 34. reits als Herzog von Österreich bezeichnet, Heinrich der Löwe hingegen nur als 57 Vgl. Opll, Regelung (wie Anm. 3), S. 55-56. Herzog von Sachsen (vgl. Fichtenau, Mark (wie Anm. 11), S. 36, 40). 58 Vgl. Helmut Flachenecker, Schottenklöster. Irische Benediktinerkonvente 40 Vgl. Simonsfeld, Jahrbücher (wie Anm. 19), S. 391; Ferdinand Janner, Ge- im hochmittelalterlichen Deutschland (Quellen und Forschungen aus dem Ge- schichte der Bischöfe von Regensburg, 3 Bde., Regensburg-New York-Cincin- biet der Geschichte NF 18), Paderborn u.a. 1995, S. 214-219 mit dem Hinweis nati 1883–1886, hier Bd. 2, 1884, S. 123; Stephan Freund, Die Regensburger (S. 216), dass Jasomirgotts Schwester Bertha, die Frau des Regensburger Burg- Bischöfe und das Herzogtum Heinrichs des Löwen, in: Lothar Kolmer – Peter grafen Heinrichs, eine eifrige Wohltäterin der Regensburger Schotten war. Zur Segl (Hg.), Regensburg, Bayern und Europa. Festschrift für Kurt Reindel zum Berufung irischer Mönche des Regensburger Klosters St. Jakob zur Gründung des 70. Geburtstag, Regensburg 1995, S. 257-280, hier S. 259, Anm. 14; Stephan Tochterklosters in Wien zuletzt: Ders., Irische Stützpunkte in Regensburg – Weih Acht, Urkundenwesen und Kanzlei der Bischöfe von Regensburg vom Ende Sankt Peter und St. Jakob im Mittelalter, in: Paul Mai (Hg.), Scoti Peregrini in St. des 10. bis zur ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, Phil. Diss. München 1990, Jakob. 800 Jahre irisch-schottische Kultur in Regensburg (Bischöfliches Zentral- S. 349. archiv und Bischöfliche Zentralbibliothek Regensburg. Kataloge und Schriften 41 Zu den verwandtschaftlichen Beziehungen der einzelnen Hoftagsteilnehmer vgl. 21), Regensburg 2005, S. 13-24, hier S. 19; dazu im Katalog S. 217-219. Weller, Heiratspolitik (wie Anm. 3), passim. 59 Vgl. Opll, Regelung (wie Anm. 3), S. 60. 42 Vgl. Fichtenau, Mark (wie Anm. 11), S. 15. 60 Ottonis et Rahewini Gesta Friderici I. imperatoris (wie Anm. 9), S. 160. 43 Appelt (Bearb.), Urkunden Friedrichs I. (wie Anm. 20), Nr. 151, S. 255-260, hier 61 Eine deutsche Meile entspricht ungefähr 7,5 km, genau 7,42 km (vgl. Helmut S. 259-260. Kahnt – Bernd Knorr, Alte Maße, Münzen und Gewichte. Ein Lexikon, Mann- 44 Vgl. Deutinger, Privilegium (wie Anm. 35), S. 186-187. heim-Wien-Zürich 1987, S. 183; Richard Klimpert, Lexikon der Münzen, 45 Vgl. Appelt, Privilegium (wie Anm. 5), S. 55. Maße, Gewichte, Zählarten und Zeitgrößen aller Länder der Erde, Berlin 21896 46 Vgl. Mayer, Privilegium (wie Anm. 21), S. 34; Deutinger, Privilegium (wie [ND Graz 1972], S. 221; ebenso Elisabeth Pfeiffer, Die alten Längen- und Flä- Anm. 35), S. 189. chenmaße. Ihr Ursprung, geometrische Darstellungen und arithmetische Werte 47 Vgl. Deutinger, Privilegium (wie Anm. 35), S. 187-188. (Sachüberlieferung und Geschichte 2), St. Katharinen 1986, S. 306, 408, 495). 48 Friedrich E. Prinz, Frankenreich – Römisches Reich – Österreich. Die Vorge- Die deutsche Meile entspricht 180 Seil/corda, 5.400 Schritt und 27.000 Fuß (vgl. schichte einer Nachbarschaft, in: Robert A. Kann – Friedrich E. Prinz (Hg.), Harald Witthöft, Art. Meile, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6: Lukasbilder Deutschland und Österreich. Ein bilaterales Geschichtsbuch, Wien-München bis Plantagenêt, Stuttgart-Weimar 1999 [ND München 2002], Sp. 471-472); der 1980, S. 17-43, hier S. 24. Fuß kann zwischen 250 und 600 mm schwanken (vgl. Harald Witthöft, Art. 49 Vgl. Görich, Ehre (wie Anm. 14), S. 24. Fuß, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4 (wie Anm. 3), Sp. 1059). 50 Vgl. Hechberger, Herzog (wie Anm. 4), S. 92-93. 62 StA Amberg, Kloster Ensdorf 307. Beschreibung dieses Kopialbuchs und der 51 Appelt, Privilegium (wie Anm. 5), S. 76-80. Vorlage bei Hans Zitzelsberger, Die Geschichte des Klosters Ensdorf von 52 Vgl. Deutinger, Privilegium (wie Anm. 35), S. 191. der Gründung bis zur Auflösung in der Reformation 1121-1525, in: VHVO 95 53 Vgl. Opll, Regelung (wie Anm. 3), S. 56. (1954), S. 5-171, hier S. 11-12. 54 In den Regesta imperii wird dieses Ereignis auf den 18. September 1156 datiert, 63 Heinrich Fichtenau – Erich Zöllner (Bearb.), Urkundenbuch zur Geschichte hier rechnet man also die Angabe sequenti die Ottos von Freising vom Ausstel- der Babenberger in Österreich, Bd. IV/1: Ergänzende Quellen 976-1194 (Publika- lungstag des Privilegium minus aus (Ferdinand Opll (Bearb.), Die Regesten des tionen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung III/4/1), Wien 1968, Kaiserreiches unter Friedrich I. 1152 (1122)-1190, 1. Lieferung: 1152 (1122) Nr. 788, S. 140; Opll (Bearb.), Regesten (wie Anm. 54), Nr. 414, S. 125; Nr. – 1158 (Regesta Imperii IV/2/1), Wien-Köln-Graz 1980, Nr. 420, S. 129). Nach- 415, S. 126. dem es jedoch bei Otto von Freising heißt, dass der Kaiser Ita ad civitatem, (…), 64 Appelt (Bearb.), Urkunden Friedrichs I. (wie Anm. 20), Nr. 152, S. 261-262. letus rediit ac statim sequenti die (…) iurari fecit (So war er [der Kaiser] fröhlich Vgl. hierzu die tabellarische Aufstellung der wiederkehrenden Zeugen bei Oskar in die Stadt [Regensburg] zurückgekehrt und ließ am darauffolgenden Tag (…) von Mitis, Studien zum älteren österreichischen Urkundenwesen, Wien 1912, beschwören) (Ottonis et Rahewini Gesta Friderici I. imperatoris (wie Anm. 9), S. 335. S. 161), kann man wohl davon ausgehen, dass der „darauffolgende Tag“ vom Ge- 65 StA Amberg, Kloster Ensdorf 307, S. 41. Edition bei Josef Moritz (Bearb.), schehen vor der Stadt, also vom 8. September aus, anzunehmen ist. Dieser Datie- Codex Traditionum Monasterii Ensdorf, in: Max Prokop von Freyberg (Hg.), rungsvorschlag widerspräche auch dem neuen Vorschlag Oplls (vgl. Opll, Rege- Sammlung historischer Schriften und Urkunden. Geschöpft aus Handschriften, lung (wie Anm. 3), S. 59, Anm. 101) zum Ablauf der Geschehnisse im September Bd. II, Stuttgart-Tübingen 1829, S. 169-366, hier Nr. 93, S. 218-219, hier S. 218. 1156 nicht. Es erscheint durchaus wahrscheinlich, dass der Hoftag am Sonntag (!), Weiterer Druck: Beyträge zur älteren Geschichte Wiens, in: Archiv für Geschichte, 17. September 1156, nach einem gemeinsamen Gottesdienst und der Ausstellung Statistik, Literatur und Kunst 19 (1828), Nr. 64/65 (28./30. Mai 1828), S. 337- von drei Urkunden (Appelt (Bearb.), Urkunden Friedrichs I. (wie Anm. 20), Nr. 340, hier S. 339. 150, S. 253-254; Nr. 151, S. 255-260; Nr. 152, S. 261-262) beendet wurde und 66 Im Babenberger Urkundenbuch (Fichtenau – Zöllner (Bearb.), BUB IV/1 (wie die Fürsten aus Regensburg abreisten, während der Kaiser nach Donaustauf zog. Anm. 63), Nr. 787, S. 137-139; Nr. 788, S. 140) und in den Regesta imperii (Opll

40 Tobias Appl . Ein historisches Ereignis von europäischer Dimension

(Bearb.), Regesten (wie Anm. 54), Nr. 414, S. 125; Nr. 415, S. 126) wird in der Reinhard Bauer, Die ältesten Grenzbeschreibungen in Bayern und ihre Aussagen chronologischen Reihung der Verkauf des Gutes Runding zeitlich vor die feierliche für Namenkunde und Geschichte (Die Flurnamen Bayerns 8), München 1988, Lehenzeremonie gestellt; Opll jedoch geht jetzt davon aus, dass diese Reihung bes. S. 282-283. Für diese Literaturhinweise sowie sprachgeschichtliche Rat- umzudrehen ist und die in dieser Urkunde aufgeführte nachträgliche Vorlage vor schläge ist Herrn Dr. Michael Prinz, Leipzig, herzlich zu danken! dem Kaiser auf der Burg Donaustauf wohl erst nach Abschluss des Hoftages statt- 84 Staatliches Vermessungsamt Regensburg, Liquidationsplan der Rural-Gemeinde gefunden hat (Opll, Regelung (wie Anm. 3), S. 59 mit Anm. 101). Barbing im königlichen Landgericht Stadtamhof. Dem Vermessungsamt Regens- 67 Schon Moritz (Bearb.), Codex (wie Anm. 65), Nr. 93, S. 218-219, hier S. 218, burg sei für die unkomplizierte Benutzung der Liquidationsprotokolle und -pläne Anm. 14 zog diesen Schluss. herzlich gedankt! 68 Vgl. Mitis, Studien (wie Anm. 64), S. 332. 85 Staatliches Vermessungsamt Regensburg, Liquidationsprotokolle der Steuerge- 69 Heinrich Fichtenau – Erich Zöllner (Bearb.), Urkundenbuch zur Geschichte meinde Barbing, Bd. II, S. 741 (Protokoll vom 9. Dezember 1836). der Babenberger in Österreich, Bd. I: Die Siegelurkunden der Babenberger bis 86 KlA Hl. Kreuz Regensburg, Grundbuch 10, Stüft oder Salbuch von anno 1651 uz 1215, Wien 1950 (Publikationen des Instituts für österreichische Geschichtsfor- 1666. Der Klosterarchivarin von Hl. Kreuz in Regensburg, Schwester Franziska, schung III/1), Nr. 23, S. 31-32; Nr. 24, S. 32-34. sei für die freundliche Betreuung herzlich gedankt. 70 Vgl. Schmid, Regensburg (wie Anm. 21), S. 102-103, 110, 135. 87 Die Erforschung von Flurnamenkontinuitäten vom Früh- und Hochmittelalter 71 Vgl. Schmid, Regensburg (wie Anm. 21), Kartenbeilage „Besitzungen der Pfalz bis in die Neuzeit ist leider von wissenschaftlicher Seite noch nicht flächende- Regensburg“. ckend angegangen worden. 72 Josef Fendl, Der Kreuzhof bei Barbing, in: Die Oberpfalz 57 (1969), S. 121-123; 88 Als pars pro toto seien hier die Kobel-Weingärten zwischen Tegernheim und Ders., Die Kreuzhofkapelle, eine tausendjährige Kirche im Barbinger Hafenge- Schwabelweis genannt, die erstmals 1186 in einer Urkunde des Stiftes St. Johann biet, in: Die Oberpfalz 60 (1972), S. 2-4, hier S. 2; Ders., Kreuzfahrerkirche vor als vinea dicta Chobel erscheinen (Matthias Thiel (Bearb.), Die Urkunden des Regensburgs Toren?, in: Regensburger Bistumsblatt 41 (1972), 6. August 1972, Kollegiatstifts St. Johann in Regensburg bis zum Jahre 1400 (Quellen und Erör- S. 10-11. Ders., Die Burg Donaustauf (Beiträge zur Geschichte des Landkreises terungen zur Bayerischen Geschichte NF 28/1), München 1975, Nr. 8, S. 13-18, Regensburg 15), Neutraubling 1977, S. 10. hier S. 15) und in der Folgezeit immer wieder auftauchen (z.B. 1446 weingarten 73 Vgl. Gerhard Waldherr, Der Kreuzhof und die Kreuzhofkapelle, in: Ernst Em- zu tegerheym genant der kobel, KlA Hl. Kreuz Regensburg, Grundbuch 1). Ein merig (Hg.), Regensburger Almanach 1986, Regensburg 1986, S. 187-195, hier später Beleg für die Köbeln findet sich in einem Weinzehentregister von 1716 S. 187, 191. (Pfarrarchiv Tegernheim, 362/7). 74 Vgl. Jolanda Drexler – Achim Hubel (Bearb.), Regensburg und die Oberpfalz 89 Karl August Muffat (Hg.), Schenkungsbuch der ehemaligen gefürsteten Probs- (Georg Dehio. Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Bayern 5), Berlin tei Berchtesgaden, in: Franz Michael Wittmann – Karl August Muffat (Hg.), 1991, S. 525; Anke Borgmeyer u.a., Stadt Regensburg. Ensembles – Baudenk- Schenkungsbücher bayerischer Klöster (Quellen und Erörterungen zur bayeri- mäler – Archäologische Denkmäler (Denkmäler in Bayern III/37), Regensburg schen und deutschen Geschichte AF 1), München 1856, S. 225-364, hier Nr. 15, 21997, S. 62. S. 248-249; Nr. 113, S. 306; Stefanie Uhler, Untersuchungen zu den Traditionen 75 Vgl. Hugo von Walderdorff (Bearb.), Regensburg in seiner Vergangenheit und des Stiftes Berchtesgaden, Phil. Diss. München 1983, Frauenfeld 1994, S. 57-59 Gegenwart, Regensburg-New York-Cincinnati 41896, S. 600, Anm. 1; Drexler datiert die Tradition Nr. 15 auf die Zeit ca. 1125–ca. 1136, die Tradition Nr. 113 – Hubel (Bearb.), Regensburg (wie Anm. 74), S. 213-214, 525-526, 668-670, auf ca. 1144–ca. 1147. 810-812; Borgmeyer, Regensburg (wie Anm. 74), S. 62. Das bei diesen Kirchen 90 Vgl. Uhler, Untersuchungen (wie Anm. 89), S. 110. mit Obergeschoss des 12. Jahrhunderts häufig auftretende Ägidius-Patrozinium 91 So fühlt sich Schieffer, Otto (wie Anm. 17), S. 174 bei den Schilderungen Ottos wäre wert, genauer untersucht zu werden. Vielleicht könnte man hier Verbindun- von Freising zu 1156 an die Lobwiese vor Worms erinnert; Schmid, Regensburg gen zwischen den einzelnen Standorten finden und so etwas zur Erklärung dieses (wie Anm. 21), S. 102 zieht bei der Beschreibung des Königsgutskomplexes um Bautyps und der Verwendung der Kirchen beitragen. Regensburg einen Vergleich zu den Auen auf dem rechten Rheinufer gegenüber 76 Vgl. Felix Mader (Bearb.), Bezirksamt Regensburg (Die Kunstdenkmäler von Worms und den Mainzer Marauen, die bis ins 12. Jahrhundert Aufmarsch- und Oberpfalz & Regensburg 21), München 1910, S. 100; Paul Mai (Hg.), Matrikel Sammelplätze von Truppen und Schauplätze von Reichsversammlungen waren. des Bistums Regensburg, Regensburg 1997, S. 68. 92 Vgl. Michael Gockel, Bürstadt, in: Die deutschen Königspfalzen, Bd. I: Hessen 77 Vgl. Borgmeyer, Regensburg (wie Anm. 74), S. 62. (1. Lieferung), Göttingen 1983, S. 62-73, hier S. 67-68. Zu Nennungen der Laub- 78 Zur Geschichte des Kreuzhofes und der Kreuzhofkapelle vgl. Tobias Appl, wiese bei Worms seit dem 8. Jahrhundert vgl. Michael Gockel, Karolingische Kreuzhof und Kreuzhofkapelle, in: VHVO 147 (2007), S. 29-46 (im Druck). Königshöfe am Mittelrhein (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für 79 Hiermit begründet Waldherr seine Vermutung, dass das Geschehen vom 8. Sep- Geschichte 31), Göttingen 1970, S. 151-154. tember 1156 in Verbindung zum Kreuzhof steht, da seiner Ansicht nach „im Mit- 93 Vgl. Gockel, Königshöfe (wie Anm. 92), S. 141-146; Rösener, Hoftage (wie telalter mit der Ausstellung einer wichtigen Urkunde üblicherweise auch ein reli- Anm. 31), S. 365. giöser Akt verbunden war“ (vgl. Waldherr, Kreuzhof (wie Anm. 73), S. 191). 94 Zemeru° prehtis bedeutet zeme (= ze deme) Ruprecht. Ruprecht ist der Patron Salz- 80 Hier würde man wohl eher ein „in prato iuxta/apud Barbingin“ vermuten. burgs. 81 Simonsfeld, Jahrbücher (wie Anm. 19), S. 467. 95 Fichtenau – Zöllner (Bearb.), BUB I (wie Anm. 69), Nr. 23 [1143 vor April 82 Herwig Wolfram, Wie der Osten Bayerns entstand, in: Schmid – Wanderwitz 18], S. 31-32; Fichtenau – Zöllner (Bearb.), BUB IV/1 (wie Anm. 63), Nr. 748 (Hg.), Geburt (wie Anm. 3), S. 13-21, hier S. 20. [1156 vor September], S. 118-119. 83 Vgl. Stefan Sonderegger, Das Alter der Flurnamen und die germanische Über- 96 Vgl. Willibald Hauthaler (Hg.), Salzburger Urkundenbuch, Bd. I: Traditionsko- lieferung, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 20 (1960), S. 181-201; dizes, Salzburg 1910, S. 406; Mitis, Studien (wie Anm. 64), S. 332.

41 Regensburger Land . Band 1 . 2008

97 Renate Blickle (Bearb.), Landgericht Griesbach (Historischer Atlas von Bayern. Altbayern I/19), München 1970, S. 20; Richard Loibl (Bearb.), Der Herrschafts- Abbildungsnachweis: raum der Grafen von Vornbach und ihrer Nachfolger (Historischer Atlas von Abb. 1: Karte bearbeitet von Tobias Appl Bayern II/5), München 1997, Teil 1, S. 145; Teil 2: Karten, Kartenbeilage 3, Blatt Abb. 2: Stammtafel erstellt von Tobias Appl 4: Noch in der „Karte des Deutschen Reiches von 1894“ ist dieses große Wiesen- Abb. 3: Landratsamt Regensburg gebiet der KönigsWiese völlig unbebaut, was heute nicht mehr der Fall ist. Den Abb. 4: Österreichische Galerie Belvedere Wien Hinweis auf die Königswiese nordöstlich von Pocking verdanke ich Herrn Dr. Abb. 5: Heidrun Appl Bernhard Lübbers, Regensburg. Abb. 6: Kartenbeilage aus: Peter Schmid, Regensburg. Stadt der Könige und Her- 98 Zum Umfang der Begleitmannschaft einiger Fürsten auf Hoftagen vgl. Rösener, zöge im Mittelalter (Regensburger historische Forschungen 6), Kallmünz Hoftage (wie Anm. 31), S. 372, 379. 1977 99 Vgl. Andreas Boos, Burgen im Süden der Oberpfalz. Die früh- und hochmit- Abb. 7 a: StA Amberg, Kloster Ensdorf 307, S. 41 telalterlichen Befestigungen des Regensburger Umlandes (Regensburger Studien Abb. 7 b: StA Amberg, Kloster Ensdorf 307, S. 41 und Quellen zur Kulturgeschichte 5), Regensburg 1998, S. 106 mit Anm. 29 Abb. 8: Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Staatlichen Vermes- (S. 108). sungsamtes Regensburg 100 Vgl. Diethard Schmid, Natürliche Flussverlagerungen, in: Spektrum 2001.2, Abb. 9: Landratsamt Regensburg S. 62-67, hier S. 64. Abb. 10: Landratsamt Regensburg 101 Vgl. Schmid, Regensburg (wie Anm. 21), Kartenbeilage „Besitzungen der Pfalz Abb. 11: Elisabeth Regensburger in Regensburg“, in welcher die „vermutliche Grenze des Königsgutskomplexes“ eingetragen ist.

42 Reinhard Seidl Wie die Beratzhausener Blaskapelle den „Finken“ einfing Ein zwangloser Sänger- und Musikantenwettbewerb sorgt für Musizierfreude und Ansporn

Als die Kreisvolksmusikpflegerin Ulrike Reisinger im Sommer seher brachte unsere Bedenken auf den Punkt: „Wenn ma nix 2006 bei unserem Kapellmeister Herbert Ehrl ihren Wunsch gwinna, dann steh’n ma blöd do.“ vorbrachte, die Beratzhausener Volksmusikanten mögen doch für den Landkreis Regensburg beim „Zwieseler Finken“ An einem regnerischen Samstag, dem 4. November, nah- antreten, war dem Tonfall von Herberts Antwort neben der men wir unser Abenteuer also in Angriff, starteten zu zehnt Überraschung auch die Freude darüber anzuhören. Er sagte mit einem Kleinbus, einem Pkw und vielen Instrumenten ohne Umschweife zu, obwohl er wusste, dass er seine Musi- an Bord nach Zwiesel. Da wir nicht mehr allzu viel proben kanten erst noch überzeugen musste. Schließlich sind wir mussten, lag das Hauptaugenmerk auf der Auswahl geeigne- auch nicht mehr die Jüngsten. Der Altersschnitt derjenigen, ter Stücke aus unserem großen Repertoire. Die Wahl fiel auf die letztlich in Zwiesel teilgenommen haben, betrug 52 Jahre, den Marsch aus Prien, einen Schottisch, einen Ländler und wobei unser ältester Musiker, der Alfons Niebler, mittlerweile einen Zwiefachen, jeweils mit unbekannten Titeln, und den schon 75 Jahre alt ist. Margarethen Rheinländer.

Herbert musste keine große Überzeugungsarbeit leisten. Wider Erwarten stimmten wir bereits bei der ersten Probe nach den Ferien zu. Klar, manch einer hatte ein mulmiges Reinhard Seidl, seit fast 30 Jahren Schriftführer der Beratz- Gefühl dabei. Schließlich waren wir erfolgsverwöhnt, hatten hausener Blaskapelle, gehörte der zehnköpfigen Volksmu- als Blasorchester bei den Mittelbayerischen Blasmusikwettbe- sik-Besetzung an, die im November 2006 den „Zwieseler werben zwischen 1976 und 1984 neben ersten und zweiten Fink“, einen der begehrtesten Volksmusikpreise in Alt- Preisen bei der konzertanten Blasmusik auch beim Volksmu- bayern, in die Marktgemeinde holte. Seine Schilderungen sikwettstreit in kleiner Besetzung dreimal den ersten Preis vermitteln dem Außenstehenden nicht nur einen Eindruck und beim vierten Wettbewerb den Ehrenpreis gewonnen. Von davon, wie dieser freundschaftlich geführte musikalische diesen Erfolgen zehrten wir noch immer. Und nicht zu verges- Wettstreit ablief, sondern geben auch Einblick in eine ver- sen: 1995 hatten die Tanngrintler Musikanten aus dem Nach- schworene Musikanten-Gemeinschaft, die vor allem eines barstädtchen bereits „vorgelegt“ und den „Zwieseler eint: Die Liebe zur Volksmusik. Finken“ mit nach Hause geholt. Unser Tubist Gustav Eichen-

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Für die Auswahl der Titel sprach, dass es sich hierbei um che (Wechseltakt dreiviertel, zweiviertel) und der Rheinländer typische Volkstänze in Bayern handelt mit verschiedenen (Viervierteltakt, rhythmisch in Allabreve, jedoch gemächlich, Tempi. Während der Schottisch flott und schmissig daher- schwingender Volkstanz) gehören auch zum typischen Volks- kommt, ist der Ländler ein eher ruhiger Walzer. Der Zwiefa- tanzmusik-Repertoire.

Zwieseler Fink

Der Volkstumswanderpreis „Zwieseler Fink“ geht auf eine Gesangsgruppen zum zwanglosen Musizieren in verschie- Stiftung der Stadt Zwiesel im Jahre 1939 zurück. Sie wurde denen Gastwirtschaften, bei einer Sitzweil und einem Früh- ins Leben gerufen für eine jährlich in Zwiesel abzuhaltende schoppen auf und werden dabei von einer Jury bewertet. Veranstaltung zur Förderung der Heimatkultur und des bodenständigen Volkstums. Ein Wanderpreis dient als erste Der Jugendfink findet in Form eines Einzelvorspiels vor Auszeichnung für die besten Ergebnisse dieser Veranstal- einem Gremium mit anschließendem Beratungsgespräch tung. statt. Die Volksmusikpfleger der Oberpfälzer und Nieder- Die Idee und die Anregung für die Stiftung des „Zwie- bayerischen Landkreise (für den Landkreis Regensburg seler Fink“ gingen vom unvergessenen Paul Friedl, genannt macht dies seit 1997 Kreisvolksmusikpflegerin Ulrike Reisin- Baumsteftenlenz, aus. Zu Recht wurde er deshalb auch als ger) werden gebeten, vorbildliche Gruppen zu diesem Ver- Finkenvater bezeichnet. anstaltungswochenende nach Zwiesel zu entsenden. In der Regel sollten eine Erwachsenen- und eine Jugendgruppe (im Mittlerweile zählt der jährlichen Wechsel Volksmusik- oder Volkssängergruppe) aus Zwieseler Fink zu den be- dem jeweiligen Kreis entsandt werden. Darüber hinaus kön- gehrtesten Volksmusikprei- nen sich auch Jugendgruppen selbst beim Arbeitskreis „Zwie- sen in ganz Bayern. seler Fink“ anmelden. Zum 65. Jubiläum im Jahr 2004 hat sich der Arbeits- Der Wanderpreis besteht aus einem in Gold und Silber kreis „Zwieseler Fink“ zu gefertigten und auf einer Glaskugel sitzenden Finken. Der einem mutigen Schritt ent- „Zwieseler Fink“ wird durch die Stadt Zwiesel im Rahmen schlossen: Weg vom musi- einer Veranstaltung, dem so genannten Finkeneinstand, an kalischen Wettbewerb, hin die Heimatgemeinde des Preisträgers überreicht. Abb. 1: Aus Glas, Gold und zu einem zwanglosen Sin- Damit soll die Bevölkerung auf den Gewinn aufmerksam Silber: Der begehrte Wander- gen und Musizieren. Seither gemacht und die besondere Qualität der Preisträger hervor- preis „Zwieseler Fink“. treten die Volksmusik- und gehoben werden.

44 Reinhard Seidl . Wie die Beratzhausener Blaskapelle den „Finken“ einfing

Kurz vor zwei Uhr am Nachmittag trafen wir an unserem ersten Auftrittsort, dem Gasthof Mooshof in Zwiesel ein. Die Wirtsleut waren zuvorkommend und deckten zum Mittags- tisch. Gestärkt ging es vor der offiziellen Zeit (Beginn war um 16 Uhr) mit Wirtshausmusik los. Dies liegt uns im Blut, hier legten wir ohne Lampenfieber los und das konnte man – glaub’ ich zumindest – auch hören. Schließlich sind wir für eine Sitzweil oder einen Volksmusikabend seit jeher zu haben. Keiner von uns dachte mehr an einen Wettstreit …

Zwischenzeitlich hatten sich neben vielen Gästen wei- tere Mitbewerber wie D’ Owand’n – ein originelles Trio aus dem Landkreis Amberg-Sulzbach mit zwei Akkordeons und Tuba –, der Zwieselauer Vierg’sang aus Lindberg – ein Män- nergesang in Begleitung einer Zither und eines Akkordeons –, sowie die Geschwister Maurer aus Teisnach als Teilnehmer am Jugendfink eingefunden. Alle brachten, wie es sich gehört, ihre Lieder und Stückl zwanglos ein. Dazwischen meldete sich sogar die Stammtischmusik zu Wort. Nur einmal ging ein Raunen durch die Wirtsstube, als sich eine kleine Gruppe von Leuten durch die Tische zwängte: „Des san’s, die von der Jury.“ Für gut eine halbe Stunde verweilten sie an einem der Abb. 2: Locker aufgespielt: Die Beratzhausener zeigten beim hinteren Tische, tanzten auch ein paar Zwiefache mit und Vortrag keine Spur von Lampenfieber. verschwanden wieder.

Wir wussten zu diesem Zeitpunkt auch nicht, wann die Beurteilung oder Bewertung genau erfolgt. Rückwirkend betrachtet hat sich die Jury aber hier – und in zwei weiteren Wirtshäusern, wo die anderen „Finken“-Teilnehmer aufspiel- ten – schon einen ersten Eindruck verschafft. Die endgültige stellung mit dem zur Probe aufgespielten Marsch aus Prien Entscheidung fiel aber wohl während bzw. nach der Sitzweil glücklich überstanden. Wir waren richtig überrascht, als Hel- im Jankasaal des Hotels Deutscher Rhein, das nicht weit ent- mut Volkert vom Aufnahmeteam des Bayerischen Rundfunks fernt von unserer ersten Station, dem Mooshof, liegt. nach kurzem Zurechtrücken der Mikrophone sagte: „Man- ner, richtig guat klingt’s!“ (Wobei er selbstverständlich auch Was dort ab 19 Uhr folgte, war das volksmusikalische unsere einzige Frau im Ensemble, die Sabine Rutz, mit einbe- i-Tüpferl des ersten Tages. Zuvor hatten wir die Tonein- zog). Dieses Lob hatten wir sicherlich auch der Akustik des

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Saals zu verdanken, wie man sie heute kaum noch in einem Alten glänzten vor allem die Jungen. Besonders die Vorträge Wirtshaus findet. Es ist eine „trockene“ Akustik, ohne großen der vorjährigen und heurigen Preisträger des Jugendfinken, Nachhall, die besonders für Rundfunkaufnahmen geeignet der Lindheimer Zwoagsang und D’ Anderln, beeindruckten ist. Der Saal an sich mit seinem alten Holzboden – das Hotel und ließen keinen Zweifel an der richtigen Entscheidung der wurde im späten 19. Jahrhundert gebaut – hat den Charme Jury. der Tanzböden des vergangenen Jahrhunderts in unsere Zeit mit hinüber gerettet. Unsere Beiträge waren der Marsch aus Prien, der Schot- tisch und der Margarethen-Rheinländer – und selbst, als Im Laufe des Abends brachten alle Gruppen ihre Beiträge der offizielle Teil beendet war, war die Spielfreude noch zu Gehör. Hier zeigte sich abermals, dass man gut daran lange nicht erschöpft. Bis in den nächsten Tag hinein wurde getan hatte, den Modus vor drei Jahren zu ändern. Locker musiziert und musikalische Verbrüderung gefeiert. Kathrin gesungen und frisch aufgespielt, wie bei einem Sänger- und Schenk (Salzweger Zwoagsang) stellte hierbei auf der Tuba Musikantentreffen, ging es her. Neben den routinierten von Roland Ertel von den D’ Owand’n unter Beweis, dass sie

Abb. 3: Begeisterten mit ihrem eindrucksvollen Gesang: Abb. 4: Zwieseler Vierg’sang beim Vortrag im Jankasaal. Der Zwieselauer Vierg’sang, die Mitgewinner.

46 Reinhard Seidl . Wie die Beratzhausener Blaskapelle den „Finken“ einfing neben der Steirischen auch dieses Instrument gut beherrscht. Nach einem Schlummertrunk an der Hausbar verbrachten wir eine geruhsame Nacht.

Mit der spannenden Erwartung, wie die Sache wohl ausgehen werde, ging es am Sonntag zum Höhepunkt des „Finken“-Wochenendes, dem musikalischen Frühschoppen mit Preisübergabe. Ab 10 Uhr wurde im Jankasaal erneut locker gesungen und musiziert, wobei wir unseren Ländler und den Zwiefachen zum Besten gaben. Doch bereits bei der Rückgabe des gläsernen Wanderpokals durch den Vorjahres- Preisträger, dem Trio Collegio aus Neumarkt, an die Stadt Zwiesel wurde uns wieder bewusst, weswegen wir eigentlich hier waren.

Als dann gegen Ende des musikalischen Frühschoppens der 1. Vorsitzende und Sprecher des „Zwieseler Finken“, Hermann Wellisch, die Vergabe des Wanderpreises mit der Geschichte des „Finken“ einleitete, war allen Gesichtern die Spannung anzusehen. Neben dem Wunsch zu gewinnen, hatte sich so mancher insgeheim seinen eigenen Favoriten auserko- ren. Wir hatten auf den Salzweger Zwoagsang getippt, da uns Abb. 5: Kreisvolksmusikpflegerin Ulrike Reisinger mit der Volks- die filigrane Spielweise von Kathrin Schenk auf ihrer Steiri- musikbesetzung der Blaskapelle und dem Zwieseler schen und die exakte Gitarrenbegleitung von Gabi Schweizer Finken. begeistert hatten.

Zunächst wurden die Teilnehmer für die Ehrenpreise auf- gerufen. Wir waren noch nicht dabei. Als dann die Rede von Roland Pongratz (Arbeitskreis Zwieseler Fink) auf einen Män- nergesang zielte, der die Art des Gesangs der 50er- und 60er- Jahre pflegt, war uns klar, dass der Zwieselauer Vierg’sang Umso mehr ließ uns der Laudator aufhorchen, als von das Rennen gemacht hatte. Wir hatten ihn tags zuvor mehr- einem Salomonischen Spruch des Auswahlgremiums und der mals live gehört und schöne Assoziationen zu einem beliebten Teilung des Preises die Rede war, die Bedeutung der tänzeri- heimatlichen Wirtshausquartett, dem Groschen Xare, Veitl schen Blasmusik und das umfangreiche Repertoire einer Dorf- Friedl, Herder Xaver und Gustl Pepp gezogen, die auch ähn- und Bauernmusik hervorgehoben wurde. Stutzig gemacht liche Lieder im Repertoire hatten. hatte uns auch kurz vorher das plötzliche Auftauchen der

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auf die vielen goldenen Sieger-Anstecknadeln vor der Zere- monie, dass wohl eine sehr mitgliederstarke Gruppe das Ren- nen um den Finken gemacht haben musste).

Als dann tatsächlich der Name Blaskapelle Beratzhausen fiel, war die Überraschung groß. Wir hatten auch gewonnen! Selbst auf der Heimfahrt aus dem Bayerischen Wald konn- ten wir es noch nicht so recht fassen, den begehrten Volks- musikpreis erhalten zu haben. Nur die Fotos auf der herum- gereichten Digitalkamera und die goldene Anstecknadel an unserer Brust ließen keine Zweifel mehr aufkommen. Und auch, wenn wir den „Finken“ noch nicht gleich mitnehmen durften, so hatten wir doch tolle Erlebnisse, neue Musikan- tenfreundschaften und die Erinnerung an ein schönes Volks- musik-Wochenende im Gepäck.

Nachdem wir bei einem herrlichen Finkeneinstand in Lindberg (Landkreis Regen) teilnehmen durften, konnten wir am 21. April 2007 den „Finken“ auch in Beratzhauen im Rahmen eines Volksmusikabends mit über 200 Gästen in Empfang nehmen. Dort blieb der Wanderpreis im histo- Abb. 6: Auch das Landratsamt Regensburg (hier mit Landrat rischen Zehentstadel bis Oktober, machte noch einen Monat Herbert Mirbeth) durfte den „Fink“ einen Monat lang Station im Regensburger Landratsamt, ehe er im November beheimaten. die Rückreise in seine Heimat, nach Zwiesel, antrat.

Für diese Finkenrückgabe – im Rahmen des „Zwieseler Fink 2007“ – hatte sich unser Chef Herbert Ehrl ein tolles „Gastgeschenk“ einfallen lassen: Einen „Zwieseler Schot- tisch“. Dieses Stückl soll aus einem alten, handgeschriebenen Zwieseler Notenbüchl stammen und war in einer Sänger- und Ulrike Reisinger, die uns nur ein kurzes „Grüßt euch“ zurief. Musikantenzeitschrift abgedruckt, wo es mir zufällig in die Aber was wissen wir von den Pflichten einer Volksmusikpfle- Hände fiel. Roland Pongratz aus Zwiesel hatte die Melodie- gerin … (Anmerkung: Ulrike Reisinger wusste auch noch stimme in Griffschrift für Diatonische Harmonika (Steirische) nichts vom Ausgang des Wettbewerbs, wie sie im Nachhinein umgesetzt, um es einer weiteren Musikantenschar zugänglich sagte. Ihr wurde nur gedeutet, sie müsse „nachher bei der zu machen. Leider konnten Blasmusiker mit diesem Noten- Ehrung no ganz schee schaugn“. Zudem ahnte sie beim Blick bild nichts anfangen, ehe sich Herbert daran machte und das

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Abb. 7: Das Gastgeschenk bei der „Finkenrückgabe“: Herbert Ehrls umarrangierter Zwieseler Schottisch.

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Stück zwei Tage vorher für eine Blasmusikbesetzung arran- gierte.

Ein weiteres Mal wurden wir im Jankasaal mitgerissen von der Musizierfreude der einzelnen Gruppen. Beim Früh- schoppen an altbekannter Stätte kam der „Schottisch“ am Sonntag jedenfalls sehr gut an. Roland Pongratz meinte aner- kennend: „Herbert, die dazugeschriebene Tenorhornstimme klingt wunderbar.“ Den Wanderpreis holte sich 2007 der Nie- derbayerische Musikantenstammtisch aus Geiselhöring. Wir waren diesmal zwar „nur“ als letztjährige Mit-Preisträger zu Gange, doch der Kontakt mit den erfrischend musizierfreu- digen Teilnehmern hat uns erneut inspiriert und angespornt, auch in Zukunft etwas Neues in der Volksmusik zu wagen. Obwohl wir, wie gesagt, nicht mehr die Jüngsten sind …

Abb. 8: Die Nachfolger der Beratzhausener und des Zwiesel- auer Viergesangs: 2007 machte der Niederbayerische Musikantenstammtisch aus Geiselhöring das Rennen.

Abbildungsnachweis: Abb. 1: Peter Mirwald Abb. 2: Alexander Reif Abb. 3: Alexander Reif Abb. 4: Alexander Reif Abb. 5: Alexander Reif Abb. 6: Johann Fink Abb. 7: Reinhard Seidl Abb. 8: Reinhard Seidl

50 Dieter Schwaiger „Undorfer Öl und Tabak“ Ein Beitrag zur Erforschung des Kriegsendes 1945 im Landkreis Regensburg

Das Ende des 2. Weltkrieges im Mai 1945 beschäftigt auch völkerung geplündert wurde2. Für einige Wochen gewannen nach 60 Jahren noch die Heimatforschung, die um eine mög- damals „Undorfer Tabak“ und „Undorfer Öl“ im ganzen lichst authentische Darstellung des Zusammenbruchs der nati- Landkreis und darüber hinaus Berühmtheit. Wie der Ein- onalsozialistischen Herrschaft und des Beginns einer neuen marsch der Amerikaner in den Ortschaften Pollenried und staatlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnung Undorf erfolgte und warum in der ehemaligen Ziegelei von auf lokaler Ebene bemüht ist. Die wichtigsten Quellen für die Undorf ein so großes Warenlager angelegt war, möchte dieser zeitgeschichtliche Heimatforschung sind neben Akten, Zei- Beitrag im Folgenden untersuchen. tungsberichten und Fotos persönliche Überlieferungen von Zeitzeugen in mündlicher und schriftlicher Form. Über die letzten Kriegsmonate gibt es jedoch in den meisten Gemein- dearchiven nur wenig Aktenmaterial. Darum sind Ortsge- 1. Das Kriegsende im Raum Regensburg schichtsforscher überwiegend auf mündliche Überlieferungen angewiesen, die sie aufzeichnen und in Ortschroniken einflie- ßen lassen. Vom August 1943 an wurde der „totale Krieg“ auch im Das Archiv der Marktgemeinde Nittendorf kann sich Raum Regensburg zur schrecklichen Realität. Amerikanische glücklich schätzen, einen Augenzeugenbericht zu verwahren, Bomberverbände flogen 18 Angriffe auf Regensburg, bom- der in ungewöhnlich genauer und plastischer Art und Weise bardierten die Flugzeugwerke „Messerschmitt“ und richteten den Einmarsch der amerikanischen Soldaten am 24. April durch strategische Angriffe auf Verkehrsanlagen massive Zer- 1945 schildert. Der schriftliche Bericht wurde unmittelbar störungen im Regensburger Hafen und im Bahnhofsgelände nach den Ereignissen von einer Bewohnerin aus Undorf nie- der ostbayerischen Metropole an. Die Opfer dieser Angriffe dergeschrieben und sollte – wie sie schreibt – zur Erinnerung waren vor allem Zivilisten. Trotz der siegverheißenden Pro- für ihren Neffen dienen. Der Augenzeugenbericht ist in sei- paganda der Nazis war in der Bevölkerung zunehmend der ner Einzigartigkeit mit jenen Einmarschberichten vergleich- Glaube an den versprochenen „Endsieg“ geschwunden. Statt- bar, die in jüngster Zeit für die Diözese München-Freising dessen nahm der Kampf um das tägliche Leben immer härtere publiziert worden sind1. Die Undorfer Augenzeugin Maria S. und bedrohlichere Formen an. Die Sorge um Nahrungsmittel, (1893 – 1980) schildert, wie sie die amerikanische Besetzung Kleidung, Heizmaterial und die einfachsten Gebrauchsgüter des Dorfes erlebte und wie kurz danach ein großes Waren- beschäftigte die Menschen mehr als Hitlers Wahn von der lager in der ehemaligen Ziegelei in Undorf von der Zivilbe- „Eroberung von Lebensraum im Osten“ und der Vernichtung

51 Regensburger Land . Band 1 . 2008 des Bolschewismus in Europa. Die Versorgung der Bevölke- als Wehrmachtssoldaten an der Ostfront, im Balkan, in Ita- rung war im letzten Kriegsjahr katastrophal. Lebensmittel, lien und Frankreich einen verlustreichen und gnadenlosen Kleidung, Wäsche, Schuhe, Seife, Waschmittel etc. konnte Rückzugskrieg führen mussten. Die Kriegerdenkmäler im man nur in sehr begrenzten Mengen und nur mit Bezugs- Landkreis legen noch heute Zeugnis davon ab, welch hohen scheinen bekommen. Doch mehr noch als die materielle Not Blutzoll die letzten Kriegsjahre gefordert haben3. Die Nieder- bedrückte die Menschen die Angst um ihre Angehörigen, die lage Hitler-Deutschlands war nach dem Desaster von Stalin-

Abb. 1: Die Undorfer Ziegelei in den 50-er Jahren.

52 Dieter Schwaiger . „Undorfer Öl und Tabak“ grad nur noch eine Frage der Zeit. Am 6. Juni 1944 landeten die Alliierten an den Küsten der Normandie, im April 1945 standen amerikanische Truppen vor den Toren Regensburgs. Von Norden her stieß die III. US-Armee unter General Patton durch die Oberpfalz zur Donau vor, sicherte sich die Donau- übergänge bei Abbach und Donaustauf und zwang Regens- burg zur Übergabe. Am 27. April 1945 war der Krieg in Re- gensburg zu Ende4. In die militärischen Aktionen des Kampfes um die Donau- linie eingebettet waren die Ereignisse, die sich im April 1945 in Undorf, 17 Kilometer südwestlich der Stadt in der heutigen Marktgemeinde Nittendorf abspielten.

2. Der Einmarsch der Amerikaner in Pollenried und Undorf

Undorf war im Jahr 1940 noch ein kleines Dörfchen mit eigener Bahnstation an der Eisenbahnstrecke Regensburg – Nürnberg und einer Ziegelei („Karolinenzeche“, ab 1939: „Tonwerk Wehle“), die allerdings während des Krieges die Produktion eingestellt hatte. Nach dem Fall von Neumarkt und Schwandorf schlug auch Regensburgs Schicksalsstunde. Die Amerikaner rückten am 23. April 1944 entlang der Bun- desstraße 8 aus dem Raum Neumarkt in Richtung Hemau vor, wo eine aus Wehrmacht und Waffen-SS zusammengewür- felte Abwehrstellung aufgebaut worden war. Während sich der Vorstoß der amerikanischen 65. US-Division vor Hemau verzögerte, durchbrach eine amerikanische Spezialeinheit im Raum Beratzhausen die feindliche Linie und kämpfte sich durch das Tal der Schwarzen Laber in Richtung Donau vor. Der Kampfauftrag dieser hochmodernen Aufklärungstruppe („3. Cavalry Group“) war es, binnen drei Tagen zur Donau vorzustoßen und dabei wichtige Brücken nach Möglichkeit Abb. 2: Amerikanische Truppen überqueren die Donau bei Bad unversehrt in die Hand zu bekommen und zu halten, bis die Abbach.

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und Panzerartillerie, dann rückten Infanteristen in die Dörfer ein und durchkämmten die Häuser nach versteckten deut- schen Soldaten. Bis zum Abend erreichten sie eine Linie, die sich von Laaber über Brunn und Weißenkirchen bis Pollen- ried erstreckte. Am späten Nachmittag war es in Pollenried zu einem tra- gischen Feuergefecht gekommen. Die von Weißenkirchen aus in Richtung Etterzhausen vorstoßende amerikanische Einheit wurde in Pollenried von einer kleinen Schar deutscher Infan- teristen beschossen. Diese Gegenwehr führte zum Beschuss Pollenrieds durch amerikanische Panzer, wobei zwei Häuser und sieben Scheunen des kleinen Dörfchens in Brand gerie- ten. Bei dem Feuergefecht fielen fünf deutsche Soldaten6. Nach diesem kurzen Feuergefecht war für die Truppen der überlegenen Amerikaner der Weg frei bis Etterzhausen, wo der Volkssturm eine Panzersperre errichtet hatte; die Brü- cke über die Naab war aber schon gesprengt worden. In der Nacht zum 24. April 1945 kam es zu keinen Gefechten. Wäh- rend sich die Kampfkolonnen der 43. Schwadron im Raum Laaber – Frauenberg – Pollenried für den weiteren Vorstoß am nächsten Tag erholten, setzten sich auf deutscher Seite die Abb. 3: Vormarsch amerikanischer Truppen auf der Bundes- Reste der stark angeschlagenen und dezimierten 416. Infan- straße 8: Passieren einer Panzersperre. teriedivison über die Donau zwischen Bad Abbach und Kel- heim nach Süden ab.

In einem eindrucksvollen, detaillierten Bericht hat Frau Maria S. aus Undorf ihre Erlebnisse zur Erinnerung für ihren Neffen niedergeschrieben. Wie sie das Gefecht von Pollenried von Undorf aus erlebt hat, erzählt sie so: Infanterieregimenter der 65. US-Division nachrückten5. Die 43. Schwadron dieser Cavalry Group rückte trotz schlechten „Das Schießen der schweren Artillerie kam immer näher Wetters und schlechter Straßen zügig vor, durchbrach rasch und am Montag, den 23. April Vormittag wussten wir, die Widerstandsnester der zurückweichenden 416. Infanterie- dass es sich unserem Orte näherte. Gegen 3 Uhr Nachmit- division und umging Panzersperren im Labertal. Wenn von tag hieß es, die Panzerspitzen sind schon über Deuerling einem Ort aus das Feuer auf die Truppe eröffnet wurde, rea- hinaus. Nun ging es los. Alles Wertvolle in den Keller! gierten die Amerikaner mit massivem Beschuss durch Panzer Betten, Wäsche, Kleider, alles ferngelagerte Werkzeug,

54 Dieter Schwaiger . „Undorfer Öl und Tabak“ die Reisekörbe und Kisten von hinterstellten Sachen aus Regensburg und München, Lebensmittel etc. Zum Schluss waren die immerhin großen Kellerräume so vollgepfropft, dass wir nur mehr in der Mitte beim Kamin eine Bank stellen konnten. … 1-2 Stunden vernahm man nichts als das gewohnte dumpfe Rollen der Artillerie. Dann plötzlich gegen 5 Uhr glaubten wir das Surren von vie- len schweren Autos zu vernehmen. Aber auch das hörte wieder auf, bis auf einmal ein schweres Schießen anging. Pollenried wurde verteidigt. Das war fürchterlich. Die SS, welche vorher im Penkertal lagerte, hatte sich in einzelne Bauernhäuser verschanzt und griff die Panzerspitzen an. Die W. lief schnell einmal die Kellertreppen hinauf und berichtete, dass Pollenried hellauf in Flammen steht. Man sah auch, dass sich große Leuchtkugeln, scheinbar Brand- bomben, ganz langsam auf die Höfe niederließen und sofort gingen die Feuer hoch auf. – Ich bildete mir ein, dass nahe unserem Haus gesprochen wurde, und als ich näher hinhorchte, waren es ungefähr 5 – 6 Mann deutsche SS, die von unserer Obstwiese aus auf die Pollenrieder Höhe schossen. Sie hatten ein transportables Geschütz bei sich. Kaum waren sie mit der ersten Salve fertig, als zur Abb. 4: Amerikanischer Panzer auf dem Vormarsch. Antwort ein schwerer Artilleriebeschuss auf unser Haus kam. Zum Glück traf er die Stützmauer in der Nähe der Haustüre, welche in einem Umfang von etwa 2 cbm direkt auseinander gerissen wurde. Dabei wurden Felsensteine in der Güte von einem halben cbm einfach herausgehoben wie Kieselsteine. An der Einschussstelle war alles schwarz. Diese gegenseitige Schießerei wiederholte sich noch zwei Mal und jedes Mal kam die gleiche Antwort von drüben. Zum Verständnis der militärischen Situation muss man … Im Keller hatte ich das Gefühl, als wenn oben Bomben- wissen, dass sich am Abend des 23. April die deutschen Ein- angriff wäre. Als Erstes zersplitterten sämtliche 5 Keller- heiten nördlich der Donau in einer fluchtartigen Auflösungs- fenster und dem Gekrach’ nach auch alle anderen Fenster situation befanden. Die Reste der 416. Infanteriedivision, die im ganzen Haus, sogar die kleinen Speicherguckerln gin- sich im Laufe des Tages in den Raum südöstlich von Deuer- gen drauf. Der Erdboden erzitterte und Staub und Dreck ling und bis zur Naab bei Etterzhausen zurückgezogen hat- flogen herein“7. ten, erhielten nämlich den Befehl, sich in der Nacht zum 24.

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Abb. 5: Schmerzliche Erinnerung: Eine Pollenriederin zeigt eine amerikanische Granathülse. Ihr Haus wurde 1945 in Brand geschossen.

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April über die noch intakte Donaubrücke in abzu- setzen, um südlich der Donau am Aufbau einer neuen Vertei- digungslinie mitzuwirken. Auch der Korpsstab verlegte seine Stellung von Nittendorf über die Donau nach Rohr8. Wenn die Zeitzeugin in ihrem Bericht von SS-Leuten spricht, die sich in Pollenried verschanzt hatten und die amerikanischen Panzer beschossen, so kann man diese Aussage keineswegs zum Beleg dafür benutzen, Pollenried wäre von fanatischen SS-Einheiten gehalten worden. In dem hier in Frage kom- menden Kampfabschnitt waren laut militäramtlichen Quel- len keine regulären deutschen Waffen-SS-Einheiten einge- setzt, es befanden sich zu diesem Zeitpunkt jedoch im Raum Penk – Etterzhausen auch Soldaten einer schlecht bewaffne- ten ungarischen Waffen-SS-Division, die sich, von der Naab- linie zurückweichend, ebenfalls zur Donaubrücke in Kelheim nach Neustadt/D. durchschlagen sollten9. Die in Pollenried gefallenen und im Friedhof in Undorf begrabenen deutschen Soldaten waren jedenfalls keine Angehörigen einer Waffen- SS-Einheit, sondern sie gehörten zu einem vorgeschobenen Beobachtungsposten des Grenadier-Ersatz- und Ausbildungs- Abb. 6: Zerstörtes Wohnhaus in Pollenried (1945). bataillons 20, das zum „Brückenkopf Regensburg“ gehörte und dem Wehrmachtskommandanten von Regensburg unter- stellt war. Der nördlich der Donau gebildete Brückenkopf sollte den Rückzug der 416. Infanteriedivision decken und wurde in der Nacht ebenfalls zurückgenommen. Soldaten der 416. Infanteriedivision hatten sich schon vor dem Beschuss Pollenrieds aus dem Ort in Richtung Penk zurückgezogen seinen Vormarsch ohne geordneten Widerstand fort, bis er und mussten sich über Nittendorf und Schönhofen zur Donau zu dem Ort Pollenried gelangte. Hier kam es nach Feindkon- absetzen. Aus amerikanischer Sicht stellt sich das Feuer- takt zu einem heftigen Feuergefecht. … Trupp A nahm den gefecht in Pollenried so dar: „A troop continued its advance Feind in dem Dorf Pollenried unter Feuer. Um 20.30 Uhr fiel without organized opposition until it came upon the town of schließlich die Stadt unter dem vernichtenden Cavalry-Feuer Pollenried. Here another stiff fire fight ensued after contact und eine große Menge der Feinde wurde getötet.“) with the enemy was made. … A troop continued to engage the enemy in a fire fight in vicinity of Pollenried. At 2030, the Am nächsten Tag (24. April) rückten Einheiten der 3. town finally fell to the crushing onslaught of the Cavalry fire Cavalry-Group von Pollenried aus in Undorf ein, ohne auf and an a great many enemy were killed“10. (Trupp A setzte geringsten Widerstand zu treffen11. Die meisten Bewohner

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Abb. 7: Die Undorfer Zeche um 1935. In dem mehrstöckigen Gebäude waren während des Krieges Tabak, Öl und viele verschiedene Güter gelagert.

hatten ihre Häuser verlassen und hielten sich in der näheren „Wir meinten, die Panzer seien nun nach Regensburg gezo- Umgebung versteckt, viele in den Höhlen der Locher Burg. gen. … Wir machten uns in der Früh’ daran, die unendlich Amerikanische Soldaten durchsuchten die Höfe nach Solda- vielen Glassplitter sowohl innerhalb als auch außerhalb ten und quartierten sich in mehreren Häusern ein. Wie die des Hauses wegzuräumen. Bei dieser Gelegenheit schaute Zeitzeugin Maria S. die Ereignisse erlebt hat, erzählt sie in ich einmal zum Fenster hinaus auf die Pollenrieder Höhe ihrem Augenzeugenbericht so: und mir stockte der Atem, denn gerade in diesem Augen-

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blick kamen riesige Panzerautos hervorgeschoben, eins dicht hinter dem andern, dazwischen wieder einige ganz kleine Wagen. Die Geschützrohre waren drohend auf Undorf gerichtet. … Das ging endlos runter bis zum Bahn- hof und scheinbar noch weiter, Panzer an Panzer. Wir wussten nicht, was uns die nächsten Minuten bringen. Es war eine beängstigende Stille, jeder wartete auf den ersten Schuss, aber nichts geschah. Im Dorf waren die weißen Fahnen gehisst. Wir hatten leider keine draußen, da wir uns nicht getrauten. Es hieß vorher, wer die weiße Fahne raushängt, wird sofort standrechtlich erschossen. Übri- gens haben wir auch ganz darauf vergessen. Nach einer Stunde fuhr ein Amerikaner-Auto bis zu unserem hinte- ren Gartentürl. Zwei Amerikaner kamen ins Haus, einer ein wahrer Riese von Mensch. An der Haustür vertrat er mir gleich den Weg, ging noch bis zur Schlafzimmertür rückwärts schreitend, hielt mir dann die Maschinenpistole vor die Nase und fragte: ‚Deutsches Soldat? Waffen? Wo versteckt?‘ … Der andere Soldat ging inzwischen in die oberen Räume, auch mit einer Pistole vor sich. So durch- suchten sie die Zimmer und Schränke und gingen dann wieder ohne Gruß und die Augen rollend“12.

In Undorf bezog ein Gefechtsstand der 3. Cavalry Group Stellung13. Von diesem Gefechtsstand aus wurde sodann der Einsatz der 43-sten Schwadron geleitet, ihre Truppenteile standen in Eichhofen, Pollenried/Nittendorf/Etterzhausen, Schönhofen/Riegling, weitere Einheiten waren in Reichen- stetten und Kapfelberg. Die vom Nachschub noch abgeschnit- tenen amerikanischen Vorausabteilungen wurden auch durch kleine Flugzeuge versorgt, die auf einer Wiese in Undorf lan- deten. Zögernd wagten sich die Bewohner wieder aus ihren Verstecken und gingen ins Dorf zurück. Mit der kampflosen Besetzung Undorfs war auch für die Bewohner des Ortes der Krieg zu Ende. Aber nun begann ein neuer Kampf: Der Abb. 8: Plakat der Alliierten. Wer Widerstand leistete, dem Kampf ums Überleben. drohte die Zerstörung des Ortes.

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3. Die Plünderung eines Versorgungslagers bohrte immer mit dem Finger hinein, damit die Masse in der stillgelegten Karolinenzeche schneller laufen sollte. Es wurde still gemunkelt, dass da Margarine drinnen sei. Natürlich stellte ich mich mit mei- nem Hafen auch da hin. Später stellte sich heraus, dass Bei der Durchkämmung des Ortes entdeckten die Amerika- es nicht Schmalz, sondern ein verranztes Fett sei, das für ner in einem mehrstöckigen Fabrikgebäude der stillgelegten technische Zwecke gedacht war. Ursprünglich war es ein- Ziegelei ein völlig intaktes Warenlager, von dem außer dem mal Speisefett. Misswirtschaft der Nazis! Hunderte, wenn Betriebsleiter des „Tonwerkes Wehle“, den benachbarten nicht tausende von solchen vollen Fässern waren gelagert. Bewohnern und den fünf dort beschäftigten französischen Nun war der Reigen der Plünderung eröffnet. Die Leute Fremdarbeitern nur wenige Personen aus Undorf genauere waren wie von Irrsinn ergriffen. Es war auch zum Stau- Kunde hatten. Darum staunten die Bewohner nicht schlecht, nen und Wundern, was in der Zeche alles lagerte und wir als sie erfuhren, welche „Schätze“ in der Ziegelei gelagert wussten nichts davon, erhielten nie auch nur die geringste waren. Nachdem die Amerikaner das Lager zur Plünderung Menge. Es hieß, dass G. und W. schon zwei Jahre lang freigegeben hatten, begann ein höllischer Ansturm der Bevöl- von diesen Kostbarkeiten lebten. Als G. einschreiten und kerung auf die tonnenweise gestapelten Güter: Tabak, Spei- das Plündern hemmen wollte, wäre er bald verprügelt und seöl, Gewürze, Kleidung, Möbel und viele Dinge, die das Volk hinausgeschmissen worden. … in den letzten Kriegsjahren nicht mehr oder nur noch in ganz Man muss sich vorstellen, dass es im Innern der Ziegelei kleinen Mengen bekommen hatte. Die Kunde von dem geöff- dunkel war und in allen Ecken wurden Kisten aufgeschla- neten Versorgungslager verbreitete sich in Windeseile und im gen, Säcke herumgezerrt, wenn sie nicht gleich aufgin- Nu wurde das Lager zum Eldorado zahlreicher Plünderer aus gen, wurden sie mit dem Messer aufgeschlitzt und her- nah und fern. Wiederum haben wir auch zu diesen Vorgängen aus kamen Pfeffer, Paprika, ganz unbekannte Gewürze, einen authentischen Bericht der Undorfer Bewohnerin Maria die wieder weggeworfen wurden, Haselnüsse, Sultaninen. S., deren Haus unweit der Zeche stand: Die Neger gaben alles frei und halfen selbst mit, wenn die Kisten zu fest verschlossen waren. Ein Hieb mit dem „Am Mittwoch hieß es dann, in der Zeche gäbe es Spei- Gewehrkolben, ein Tritt mit den Stiefeln und alles krachte seöl. Da ich noch nicht fertig war, ging Mama mit einer auseinander. Dann stürzten sich die Leute über den Inhalt. Flasche und Geld hinunter. Ich kam dann nach und Wunderbare Wäschegarnituren, Seidenkleider, Winter- meinte, ich wär’ in Karthaus! (Irrenhaus, d. Verf.) Im mäntel, Strümpfe, ganze Ballen Stoffe, dicke Rollen Tep- Innern des Ringofens, nur durch einzelne Kerzerl erhellt, piche und Läufer, Arbeitskleider usw. usw. W. langte eine war ein Getriebe und Geschiebe wie in einem Bergwerk. Menge heraus und ich trug sie in das Schupferl neben der Bei einem Ringofenloch wurde gerade, als ich hingehen W.-Wohnung in der Hoffnung, dass ich auch was abbe- wollte, ein 200-Liter-Fass Öl herausgewälzt, grad’ dass komme. Schließlich dachte ich mir, musst doch einmal ich meine Zehen noch schnell wegbrachte. An drei, vier sehen, wo denn die Quelle ist, und ich tappte im Fins- Fässern wurde der Spund einfach mit einem Schlegel weg- tern nach der Richtung, wo ich es rascheln hörte. Ich rief geschlagen, aus anderen floss schon Öl in Eimer, Kübel immer den Namen, aber bekam keine Antwort. Sie dachte und Kannen. Die W. stand vor einem Riesenfass und eben, ich bin nicht so dumm und verrate meinen Standort!

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Und so zog ich wieder ab. Zum Teil hob ich vom Boden Sachen auf, die andere in der Hitze des Gefechts verlo- ren hatten, z. B. ein paar Hosenträger aus lauter Gummi und Leder. Die wurden dann mir wieder gestohlen. Eine widerliche Angelegenheit beobachtete ich. Ein bekannter … kniete vor einem Wäschekorb, in welchem unverkenn- bar Gut eines Bombengeschädigten verpackt war. Was er nicht brauchen konnte, warf er einfach heraus und was ihm passte, ließ er im Korb, um es gleich mit diesem in die Wohnung zu tragen. Die anderen Sachen, die geplün- dert wurden, stammten ja aus Verlagerungen von gro- ßen Handelsfirmen. – In einer Kammer waren Möbel, in einem anderen Klaviere wertvollster und edelster Marken verstaut. Ein Bauer hat eine gesamte Herrenzimmerein- richtung in Mahagoni auf seinem Mistwagen heimgefah- ren. 8 Klaviere, von denen einige ihres hohen Kunstwertes wegen auf Ausstellungen waren, erklangen allabendlich aus den Häusern der Zecharbeiter in den schauerlichsten Tönen. … ließ sich einige Fässer Sonnenblumenöl rauffahren. In manchen war nur Rapsöl. Ein ganzer Spezialwagen Rapsöl stand beim Paternosteraufzug. Auch der Abfüllhahn wurde aufplombiert und da kam das Öl armdick herausgeschos- Abb. 9: Plünderung eines Zuges in Regensburg (1945). sen. Dann konnten sie den Hahn nicht mehr zuschließen und alles stand bis zu den Knöcheln in wundervollem Öl! Ist das nicht furchtbar, in einer Zeit, wo mit einem hal- ben Gramm auf der Lebensmittelkarte gerechnet wird! Ein Bauer lud sich ein 200-Liter-Fass auf seinen Wagen, er brachte es mit dem besten Willen nicht in die Höhe. Ein danebenstehender hünenhafter Neger stemmte ein- Treiben wie in einem Ameisenhaufen. Dazu regnete es in fach die Schulter an, ging einen Schritt zurück und – hau- Strömen, der Boden war aufgeweicht, macht nichts. Die ruck! – war das Fass oben. Dann gab es noch Wachs zum Neger patrouillierten und schossen den ganzen Tag ganze Bodenwachsmachen, Paraffin, Unschlitt in Tausenden von Salven in die Luft, niemanden genierte das. Es war ein Tafeln, Papier von der feinsten Sorte bis zum Pack- und Infernal von Habgier, Rücksichtslosigkeit und Neid. Klosettpapier, Weißblech, Hanf, Kupferplatten, verzinkte Und nun das Schlimmste! Der Tabak! Ungeheure Mengen Seile. Überall waren die Plünderer daran und es war ein von bulgarischem Tabak, in Ballen zu je 50 Pfd. in Rupfen

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eingenäht, waren gelagert. Uns gab man pro Haushalt, als Ziegelei wären, um nachts ungehindert zu plündern. Sie die Amerikaner schon nahe waren, 1 kg zu kaufen zum hätten dann auf sie geschossen und plötzlich wäre dann Preis von RM 45,–. Und da stiegen die Russen und Polen das Feuer ausgebrochen. Gebrannt hat es ja 14 Tage bis in die verschiedenen Stockwerke der Ziegelei und warfen drei Wochen, denn das Wachs und das Öl brannten immer Ballen auf Ballen unter die Leute. Eine Frau, die einen sol- wieder von Neuem, ebenso der Tabak“14. chen auf das Genick geworfen bekam, war am Platze tot. Eine andere so schwer verletzt, dass sie starb. Wenn die Soweit der Bericht der Zeitzeugin, die alles aus nächster Bündel aufgingen, wurde der herausgefallene Tabak nicht Nähe miterlebt hat. Die hier geschilderten Vorgänge wurden etwa aufgelesen, sondern in den Dreck getreten. Schließlich von vielen anderen Personen in ähnlicher Weise erzählt und watete man wie auf einem dicken Teppich in lauter feinem bestätigt. Bis heute ist die Ursache des Brandes nicht geklärt. Blättertabak, der wie Schokolade duftete. Die Bauern sta- Zwar wurde damals gemunkelt, die Amerikaner hätten die pelten 7 bis 8 Ballen aufeinander, stellten einen Buben als Zeche angezündet. Man hatte sich damals nichts anderes Wächter daneben und liefen um ein Fuhrwerk heim. Nach vorstellen können, als dass die Sieger und Besatzer die Täter Großetzenberg wurde so viel gefahren, dass die Achse zer- gewesen seien. Denn wer von den Deutschen hätte in einer brach. Ein Ballen war RM 1250 wert! Auf einmal ent- solchen Notzeit ein riesiges Warenlager angezündet? deckte ein Bauer, dass im Maschinenhaus Briketts liegen. Am ehesten scheint aber die bei Maria S. zitierte Aus- Er lud gleich sein Fuhrwerk voll. Nun G. hinterher! Er hat sage der amerikanischen Wachsoldaten für wahr zu gelten, die Kohlen zum Wiederanfang der Zeche gekauft und sie wonach die Zeche nicht durch Brandstiftung in Flammen gehörten ihm. … Die Amerikaner filmten die ganze Dult aufging. mehrmals und werden die Undorfer Plünderei einmal im Film bringen. … Todmüde gingen wir ins Bett. So unge- fähr um halb ein Uhr klopfte es am Schlafzimmerfenster. Die Tochter von Frau S. meldete uns, dass die Zeche hel- 4. „Undorfer Tabak und Öl“ lauf brenne, und wir sollten gleich aufstehen. Das war ein Schrecken! Im hinteren Teil im Maschinenhaus, wo der Tabak lagerte, ging ein furchtbares Feuer auf. Unsere Die Lagerung einer so riesigen Menge Tabaks und anderer Haustüre und der Balkon waren schon glühheiß. … Das Genussmittel, die es nicht einmal mehr mit Lebensmittelkar- Feuer griff rasend schnell um sich. An der Seite brannten ten gab, lockten Leute aus der näheren und auch weiteren schon das Wachs und das Öl. Immer wenn wieder ein neues Umgebung in Scharen nach Undorf, jeder wollte etwas von Fass drankam, gab es einen Knall wie bei einer Explosion den Schätzen ergattern. Der Name Undorf wurde damals und dann stieg eine Stichflamme in die Höhe. Das ging die weithin bekannt und „Undorfer Tabak“ wurde zu einem ganze Nacht wie ein Raketenfeuerwerk. Niemand löschte, begehrten Schwarzhandelsartikel. Die Leute kamen sogar obwohl in Undorf eine ziemlich gut eingerichtete Feuer- bis von Regensburg, was Josef Kible in seiner Chronik von wehr besteht. … Man weiß eigentlich nicht, wer angezün- Etterzhausen wie folgt beschreibt: „Auch in Regensburg det hat. Die Neger, welche Nachtwache hielten, sagten, war schnell bekannt, dass in Undorf ein Lager zu plündern dass einige Männer mit Streichhölzern in das Innere der war. Die Brücke von Etterzhausen wurde schon bald nach

62 Dieter Schwaiger . „Undorfer Öl und Tabak“ der Zerstörung wieder provisorisch aufgebaut. Für Zivilisten rauchte, nahm die Tabakballen mit, um sie später für Tausch- war sie jedoch gesperrt. Deshalb wurden behelfsmäßige Flöße zwecke zu nutzen“15. Wie berühmt der „Undorfer Tabak“ gebaut, auf denen die Stadtbevölkerung mit Leiterwagen oder damals gewesen ist, zeigt auch die Chronik der Stadt Kel- Schubkarren die Naab überquerte. Auch sie wollte sich aus heim von Rudibert Ettelt. Er berichtet: „Noch lange hielten dem Undorfer Lager mit Vorräten bedienen. Wer selbst nicht geplünderte Waren aus dem damals weithin berühmten Lager

Abb. 10: Orienttabak der Firma Reemtsma: Tabakballenträger in Griechenland.

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Undorf vor: Tabak, Öl, Rosinen und Pfeffer. Tag für Tag pil- 5. Herkunft der Güter gerten Bauern nach Undorf, um bei den Bauern der Umge- bung den begehrten Tabak einzutauschen“16. Eine Zeitzeugin berichtet, dass Tabak mit einer Art Draisine auf den Bahn- a) Bulgarischer Tabak gleisen nach Laaber gebracht wurde. Auch in späteren Zei- Die Ziegelei in Undorf – das Unternehmen „Tonwerk Wehle“ tungsberichten wurde die Erinnerung an die Plünderung des – produzierte Ziegelsteine für die Bauwirtschaft20. Es hatte Undorfer „Schlaraffenlandes“ in der ehemaligen Karolinen- einen eigenen Gleisanschluss an die Bahnlinie Regensburg zeche wachgehalten. So berichtet die „Rundschau. Wochen- – Nürnberg und verfügte über einen großen, im Jahr 1906 zeitung der Stadt und des Landkreises Kelheim“ vom 24. Juni errichteten Ringofen sowie umfangreiche Lagerhallen. Das 1998 Folgendes: „(In Kelheim) gab es für Werksangehörige Werk produzierte noch zu Beginn des Krieges. Von 1940 bis auch die beliebten Essensmarken für den Gasthof Kandler, 1945 waren fünf französische Kriegsgefangene in dem Werk wo man das Kunststück fertigbrachte, jeden Tag ein Eintopf- zwangsbeschäftigt. Doch spätestens 1943 wurde die Produk- gericht und manchmal sogar in Undorfer Öl gebackene Kar- tion eingestellt und nun standen die Fabrikgebäude für andere toffelpuffer zu servieren. Überhaupt – das Undorfer Öl, das Aufgaben zur Verfügung. Nun konnten sie nach dem Reichs- hatte nicht nur einen gewaltigen Tauschwert im gesamten leistungsgesetz für militärische und wehrwirtschaftliche Zwe- Landkreis Kelheim und darüber hinaus, es war auch überall cke beschlagnahmt werden. Der Geschäftsführer und die fünf zu riechen. Aus ehemaligen Heeresbeständen stammend war französischen Kriegsgefangenen blieben auch nach der Stillle- es nach Kriegsende unters darbende Volk gekommen. Man- gung der Ziegelei als Lagerverwalter und -arbeiter tätig. che Bewohner hatten ganze Fässer davon ergattern können. Ein mehrstöckiges Fabrikgebäude wurde zuerst als Aus- Probiert hat es fast jeder einmal. Die Tauschwilligen kamen weichlager für den Zoll genutzt. Weil seit 1943 auch Regens- bis aus Regensburg. Seine Besonderheit war, dass es – falls burg von Luftangriffen heimgesucht und ständig bedroht man damit briet oder buk – überall zu riechen war. Ähnlich war, wurde im gleichen Jahr ein Zollaußenlager in Undorf penetrant war auch sein Geschmack. Dennoch war es heiß eingerichtet, in dem bis Kriegsende große Mengen Tabak aus begehrt“17. An anderer Stelle seiner Chronik erzählt Kible: Bulgarien gelagert wurden. Über das Zollaußenlager enthält „Die ehemaligen gefangenen Polen und Russen, die im Guts- die Chronik des Hauptzollamtes Regensburg einen Hinweis hof während des Krieges arbeiteten, begrüßten als erste ihre (Eintrag zum 31.12.1943): „Der Luftkrieg brachte auch man- Befreier. Sie beschafften sich Pferdefuhrwerke und holten che Verlegung von Betrieben und Lagern. So wurde in Hemau aus dem Lager Undorf Tabak in Ballengröße, Öl und Rosi- ein Werkmeisterbetrieb einer Zigarrenfabrik in Mannheim nen usw. und verteilten diese Artikel an Ortsbewohner, von eingerichtet, in Undorf und Köfering jeweils in außer Betrieb denen sie während ihrer Gefangenschaft mit Lebensmitteln, befindlichen Ziegeleien je ein Zolleigenlager für Tabak“21. Bekleidung und Waschmitteln unterstützt worden waren. Der Eigentümer des Tabaks war die Fa. Reemtsma in Hamburg, Geruch des Öls kam fast aus allen Häusern, denn jahrelang die das bedeutendste Zigarettenunternehmen Deutschlands waren Fett und Öl Mangelware“18. war. Sie betrieb acht Zigarettenfabriken in ganz Deutschland, Ferner wurde auch in der Ausstellung „60 Jahre Kriegs- davon zwei in Süddeutschland, nämlich in München und in ende“ in Nittendorf die Plünderung des Warenlagers thema- Baden-Baden22. Die Firma war ein wichtiger wehrwirtschaft- tisiert 19. licher Betrieb, weil die Wehrmacht zu den größten Abneh-

64 Dieter Schwaiger . „Undorfer Öl und Tabak“ mern von Zigaretten gehörte. Bei Kriegsende befanden sich nach einer Aufzeichnung des Hauptzollamtes Regensburg aus dem Jahr 1945 „schätzungsweise 5 t Rohtabak der Fa. Reemtsma“ im Zollaußenlager Undorf. Dabei handelte es sich um „hochwertige Orienttabake“. Orienttabake sind Tabaksorten, die auf dem Balkan angebaut wurden (Tür- kei, Bulgarien, Griechenland, Jugoslawien, Albanien). Der Undorfer Tabak stammte aus Bulgarien, das Deutschland seit Jahren mit Rohtabaken versorgte. Sie waren in Ballen gela- gert. Aus einem Ballen konnten 25.000 Zigaretten hergestellt werden. Zigaretten gehörten für den „Landser“ zur tägli- chen Ration, die Zivilbevölkerung bekam Zigaretten nur mit Bezugsscheinen23. Eine Zeitzeugin aus Undorf war dabei, als die Tabakballen aus der Eisenbahn entladen und durch einen Zollbeamten gewogen und in einer Zollliste eingetragen wur- den. Nur wenige Leute aus dem Ort wussten offiziell von den Tabakmengen in der Ziegelei, wenn auch die französischen Fremdarbeiter sich heimlich versorgten und, wie man erzählt, auch anderen Leuten vom Dorf Tabak zusteckten. Die Tabakvorräte der Fa. Reemtsma waren besonders in finanzwirtschaftlicher Hinsicht bedeutend. Denn neben der Einfuhrsteuer floss die Tabaksteuer als indirekte Steuer in die Kassen des Reiches. Die Steuer bei Zigaretten lag bei 80 Pro- zent. Auch nach der Plünderung beschäftigte sich das Haupt- zollamt, das bald nach der Besetzung Regensburgs durch die Amerikaner den Betrieb wieder aufgenommen hatte, mit den geplünderten Tabakvorräten in Undorf. Im Protokoll einer Amtsbesprechung vom 4. Juni 1946 hieß es: „Einen weiteren Sorgenpunkt im Bezirk des Hauptzollamts bildet das Problem der im Undorfer Lager geplünderten Orient-Rohtabake. Es waren dort bei Kriegsende noch schätzungsweise 500.000 kg Rohtabak der Fa. Reemtsma eingelagert, von denen bis jetzt durch die Suchaktion dieser Firma nur ein ganz geringer Teil wieder erfasst werden konnte. Der Rest befindet sich, soweit er nicht verschoben ist, noch versteckt bei den Plünderern oder ihren Helfern. Nach meinem Dafürhalten wird man Abb. 11: Tabakballenträger in der Türkei.

65 Regensburger Land . Band 1 . 2008 der Undorfer Angelegenheit nicht gerecht, wenn man sie nur Oberfinanzpräsidenten unter anderen Gesichtspunkten von als kriegsbedingte Plünderung von Rohtabak betrachtet und der Strafsachenabteilung berichtet werden“24. hierbei auch noch an einen Billigkeitserlass für Zoll und Roh- In der Tat wurde von der Fa. Reemtsma eine Fahndung tabakabgaben denkt, der letzten Endes doch der Reemtsma nach dem geplünderten Tabak eingeleitet und es fanden in gewährt werden müsste. Ich bin vielmehr der Anschauung, Undorf und Umgebung Razzien durch die Polizei und den dass die betragsmäßig bedeutendere Steuerhinterziehung erst Zoll statt, von der ältere Bewohner noch heute berichten. anschließend verübt wurde und wahrscheinlich noch heute Meistens waren aber die Tabakballen gut unterm Heu ver- verübt wird. Es waren hochwertige Orienttabake, die geplün- steckt. Das Hauptzollamt schaltete sogar die Zollfahndungs- dert worden sind, und diese Tabake werfen einen außeror- stelle Nürnberg ein. So heißt es in dem Bericht des Hauptzoll- dentlichen Gewinn erst ab, wenn sie zur Zigarettenherstellung amtes: „Auch habe ich sowohl in der Undorfer Angelegenheit verwendet und dem Schwarzmarkt zugeführt werden. Dies als auch in einem größeren Branntweinfall die Mitwirkung geschieht m. E. in großem Umfang. Die Steuererträge, die der Zollfahndungsstelle Nürnberg erbeten. Leider konnte uns dabei verkürzt werden, sind erheblich. Rechnet man für eine diese aus Gründen des Personalmangels noch nicht unterstüt- Zigarette ein Gramm Rohtabak, dann können aus einem ein- zen.“ Man kann nur über das Pflichtbewusstsein der damali- zigen Ballen zu 25 kg 25.000 Zigaretten hergestellt werden. gen Beamtenschaft staunen, die trotz des totalen Zusammen- Abfälle werden mengenmäßig durch die üblichen Beimischun- bruches des „Dritten Reiches“ nahtlos ihre Amtsgeschäfte gen bestimmt kompensiert. Die Tabaksteuer für eine Ziga- fortführte. Die Fahndung nach dem gestohlenen Reemtsma- rette im Kleinverkaufspreis von 16 RPf betrug vor der letz- Tabak wurde jedoch bald eingestellt, „da bei dem zu geringen ten Senkung der Tabaksteuer 80 Prozent = 12,8 RPf. Für die Personaleinsatz die Erfolge zu gering erschienen sind“25. aus einem Ballen Rohtabak herstellbaren Zigaretten sind das rund 3000 RM. Jetzt ist der gesetzliche Höchstpreis 20 RPf, b) Lebensmittel und Genussmittel aus Südosteuropa die Steuer 75 Prozent, das sind 15 RPf per Zigarette, also Neben Tabak waren im Lager Undorf riesige Mengen von nicht weniger. Aus den in Undorf geplünderten 500 000 kg Gewürzen wie Pfefferkörner, Paprika, ferner getrocknete Rohtabak waren 500 Millionen Zigaretten herstellbar. Das Weintrauben, Haselnüsse, geröstete Zwiebeln und fässer- entspricht einem Steuerbetrag in Höhe von rund 60 Millio- weise Sonnenblumenöl gelagert. Auch bei diesen Lebensmit- nen RM! Das ist das doppelte Steueraufkommen an Zöllen teln handelte es sich um Importware aus Südosteuropa, die in und Verbrauchssteuern des Hauptzollamtsbezirks in einem Regensburg umgeschlagen wurde und der wehrwirtschaftli- Rechnungsjahr. Tatsächlich liegt die hinterzogene Steuer chen Versorgung diente. noch höher, da ja die Zigaretten schwarz nicht mit 16 bzw. Die nationalsozialistische Handelspolitik hatte in den 20 RPf, sondern mit 2,– bis 6,– RM per Stück gehandelt wer- 30-er Jahren begonnen, vom Überseehandel, der über die den. Natürlich ist nicht aller Rohtabak zur Zigarettenherstel- deutschen Nordseehäfen abgewickelt wurde, abzurücken lung verwendet worden. Der Volksmund erzählt sogar, dass und die Handelsbeziehungen mit Ost- und Südosteuropa zu einige Bauern den Tabak als Streu in ihren Ställen verwendet intensivieren26. Dadurch gewann die Donaulinie eine beson- haben sollen. Aber findige Leute werden sich den Verdienst dere Bedeutung. Ungarn, Rumänien, Jugoslawien, Bulgarien, aus diesem ‚Veredlungsverkehr‘ nicht haben entgehen las- Griechenland und die Türkei wurden zu den wichtigsten Han- sen. Diese Undorfer Rohtabakangelegenheit wird dem Herrn delspartnern Deutschlands im Südosten Europas. Bulgarien,

66 Dieter Schwaiger . „Undorfer Öl und Tabak“ das 1941 dem Dreimächtepakt zwischen Deutschland, Italien der Donau sowie mit der Bahn abgewickelt. Noch wichtiger und Japan beitrat, lieferte 1939 60 Prozent des Exports nach wurden diese Handelsbeziehungen zu den osteuropäischen Deutschland. Aus Bulgarien kamen vor allem Rohtabak, Ländern, als der Überseehandel mit Amerika durch englische Wein, Weizen, Schweinefleisch, gedörrte Pflaumen und Sulta- Blockademaßnahmen verhindert wurde. ninen. Ferner wurden über Bulgarien auch Gewürze aus der Der Transport der Waren aus der Türkei, aus Bulgarien Türkei geliefert. Der Handel wurde sowohl per Schiff auf und Jugoslawien wurde in erster Linie von der Spedition

Abb. 12: Kriegszerstörungen in Regensburg: Hauptbahnhof (1946).

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Schenker und Co. durchgeführt. Die Firma Schenker war das den Schuppen bzw. die An- und Abfahrt der Kraftwagen und größte und seit 1931 im Eigentum der Deutschen Reichsbahn sonstigen Fuhrwerke an der derzeitigen Umschlagstelle ist mit stehende Speditionsunternehmen in Deutschland mit einem außerordentlichen Schwierigkeiten verbunden. Den durch den weit verzweigten Niederlassungssystem. Geleitet wurde das Anbau frei werdenden Raum müssen wir dann für die Lage- Unternehmen von Berlin und von Wien aus. Das reichseigene rung wehrwirtschaftlicher und kriegswirtschaftlicher Güter Unternehmen transportierte und lagerte sämtliche Erdöl- verwenden, insbesondere kommen Umlagerungen aus den transporte aus Rumänien, alle Tabakimporte aus dem Balkan Seehafengebieten nach Regensburg in Frage; weiter müssen sowie Obst-, Gemüse-, Wein- und Gewürzimporte aus den wir gegen Ende November bzw. anfangs Dezember des Jahres Balkanländern27. Die Firma verfügte über viele Lagerhäuser Auslandstransporte übernehmen wie beispielsweise Speiseöl mit Eisenbahnanschluss. Obwohl das Unternehmen nicht den und Pflaumen. In unserer Stellung als W-Transportunterneh- Status eines Rüstungsbetriebes hatte, war die Firma für die men sollen wir raschestens derartiges Lagergut zusätzlich auf- Wehrwirtschaft des Deutschen Reiches von größter Bedeu- nehmen, weshalb mit dem Anbau an die bestehende Lager- tung. halle bereits in den nächsten Tagen begonnen werden soll“29. Schenker und Co. hatte seit 1916 auch in Regensburg Die Lagerhaltung von kriegswichtigen Gütern in Regens- eine Zweigniederlassung mit einer Verwaltung in der Von- burg war problemlos, solange die Stadt nicht von Luftangrif- der-Tann-Straße und einer Lagerhalle im Güterbahnhof west- fen bedroht war. Dies änderte sich jedoch im Jahr 1943, als lich der Kumpfmühler Brücke sowie einer Lagerhalle in der am 17. August 1943 der erste große Bombenangriff auf die Prinz-Ludwig-Str. 17, nahe des Westhafens. Diese Lagerhal- Messerschmittwerke in Prüfening erfolgte. Ab Februar 1944 len wurden seit 1940 hauptsächlich für wehrwirtschaftliche folgten massive Angriffe auf das Bahn- und Hafengelände, Güter genützt. die Zerstörung der Infrastruktur wurde ab Oktober 1944 zu Im Oktober 1940 stellte die Fa. Schenker einen Bauan- einem zentralen Ziel der alliierten Bomber. Im März 1945 trag für einen Anbau an die bestehende Lagerhalle „behufs war Regensburg als Bahnknotenpunkt soviel wie ausgeschal- Aufnahme von reichs- und wehrwirtschaftlichen Gütern“28. tet: „Katastrophale Schäden waren bei der Reichsbahn zu In dem Schreiben heißt es: „Regensburg hat infolge der verzeichnen. Es entstand schwerer Brandschaden im Bereich wechselseitigen Beziehungen mit dem Osten einerseits und des Hauptbahnhofgebäudes und im Westteil der Reichsbahn- umfangreicher Grenzverlegungen andererseits bedeutenden direktion durch Bombenvolltreffer. … Bahnbetriebswerk und Aufschwung genommen, als Umschlagplatz für Güter aller Lagerräume wurden total zerstört. Die Gleisanlagen waren Art, gleichwohl ob solche im Donauumschlagverkehr oder schwerstens getroffen, alle Aus- und Einfahrten aus dem nach Maßgabe der tarifarischen Lage per Bahn eintreffen. Haupt- und Güterbahnhof waren zerstört. Auf den Gleis- Die vorhandenen Lagerräume sind zur Aufnahme von Lager- anlagen waren 221 direkte Bombentreffer zu verzeichnen“, gütern und solcher Manipulationen für Transporte, welche in berichtet Schmoll über die Auswirkungen des Luftangriffs Zusammenhang des gesteigerten Umschlagverkehrs nach und vom 13. März 194530. Im November 1944 war auch die über Regensburg geleitet werden, unzulänglich. Der Anbau Kumpfmühler Brücke über die Gleisanlagen der Reichsbahn als solcher dient im Wesentlichen als Umschlaghalle für den so stark beschädigt, dass sie abgebrochen werden musste31. ebenfalls gesteigerten Sammelgutverkehr; bei der vorhande- Schenker hat auf diese Bedrohung aus der Luft frühzeitig nen Verteilungshalle handelt es sich um keinen ausreichen- reagiert, indem es Lager für wehrwirtschaftliche Güter in das

68 Dieter Schwaiger . „Undorfer Öl und Tabak“

Regensburger Umland verlegte. In einem 1989 entstandenen Bericht der Geschäftsleitung in Regensburg wird im Rück- blick auf die Kriegsjahre festgestellt: „Während des Krieges ist Regensburg lange von Luftangriffen verschont geblieben, die Stadt hat auch später wenig gelitten. Dies trug dazu bei, dass hier und bis weit in den Bayerischen Wald durch die Geschäftsstelle Regensburg große Ausweichlager in stillgeleg- ten Fabriken, Ziegeleien usw. eingerichtet werden konnten, die mit Versorgungsgütern belegt worden sind“32. Die Ziegelei in Undorf diente also neben einem Zolllager des Hauptzoll- amtes Regensburg auch als Versorgungslager der Speditions- firma Schenker und Co. In dem Ausweichlager waren in erster Linie Pflanzenöl und Genussmittel wie Gewürze, Sultaninen, Zwiebeln, Haselnüsse u. a. aus Südosteuropa gelagert. Die Ziegelei hatte einen direkten Gleisanschluss an die Bahnlinie Regensburg-Nürnberg. Aus Geheimhaltungsgründen war es verboten, irgendwelche Beschilderungen anzubringen, die auf das Lager hinwiesen. Das Speiseöl und die Genussmittel waren wie auch der Tabak in erster Linie als wehrwirtschaft- liche Güter und damit als Reserven für die Versorgung der Wehrmacht und Waffen-SS bestimmt. Für die Zivilbevölke- rung blieben Speiseöl und Gewürze dagegen Mangelware. Im Abb. 13: Kriegszerstörungen in Regensburg: Hafenzollamt Oktober 1943 hieß es in einer Verordnung des Ernährungs- Regensburg (1945). amtes Regensburg: „Für die kommenden Hausschlachtungen ist nur noch der Bezug von höchstens 100 g Gewürzen und zwar von 25 g Pfeffer, 50 g Paprika und 25 g Majoran je Berechtigungsschein gestattet. Paprika ist der beste Ersatz für Pfeffer, zumal er auch gesundheitlich dem Pfeffer gegenüber Vorteile hat“33. Rationiert waren auch Speiseöl und Tabak- waren. Darum ist es auch nicht verwunderlich, wenn sich Aus Osteuropa kamen bis ins Jahr 1944 Waren ins Reich, die Leute am Kriegsende wie in einem Rausch auf die Fässer dann brach auch dieser Versorgungsmarkt endgültig zusam- von Speiseöl, die tonnenweise gestapelten Ballen kostbarsten men. Bulgarien wurde im September 1944 von der Roten Tabaks und Säcke mit Pfefferkörnern und Rosinen stürzten, Armee besetzt und erklärte daraufhin Deutschland den Krieg. die in der Undorfer Ziegelei lagerten. Dabei war Undorf sicher Nach Kriegsende wurde das Bürohaus der Fa. Schenker in kein Einzelfall, wie auch die bereits erwähnten „Freisinger“ Regensburg von den Amerikanern beschlagnahmt. Das Lager- Einmarschberichte zeigen34. haus am Bahnhof war abgebrannt, alle Fahrzeuge wurden

69 Regensburger Land . Band 1 . 2008 requiriert. Bald konnte aber die Firma das Speditionsgeschäft ren enorm gestiegen. Bekleidungsgeschäfte und Kaufhäuser wieder aufnehmen und mit dem Aufbau eines Bahnsammel- wurden stillgelegt und ihre Räumlichkeiten für kriegswirt- verkehrs und eines neuen Fuhrparks beginnen. Das Donau- schaftliche Lagerzwecke beschlagnahmt37. Der Bedarf war geschäft hat aber nie mehr seine frühere Bedeutung erlangt35. riesig. Um Raum zu schaffen, mussten viele Geschäfte ihre Bestände auslagern. Sie konnten für die Auslagerung über c) Auslagerungen Regensburger Firmen die Gauwirtschaftskammer Bayreuth (Zweigstelle Regens- Eine dritte Gruppe der im Mai 1945 geplünderten Waren- burg) finanzielle Zuschüsse beantragen. Stillgelegte Handels- bestände in der Undorfer Zeche stammte von Regensburger unternehmen in Regensburg waren z. B. Carlson, Kaufhaus Warenhäusern und Firmen, die ihre Vorräte ins Umland aus- Merkur, Kaufhaus Forchthammer, Kaufhaus Stadtamhof, gelagert hatten. Dies scheint auch der Zeitzeugin Maria S. mehrere Möbelhäuser, Schuhhaus Salamander, Würtember- bekannt gewesen zu sein, da sie schrieb, die Güter stammten ger Metallwarenfabrik usw.38 Die Aufsicht und höchste Ent- „aus Verlagerungen von großen Handelsfirmen“. Ab 1943 scheidungsbefugnis über die Raumzuteilungen im Gau Bayeri- wurden für die Wirtschaft in Regensburg vor allem zwei sche Ostmark oblagen dem Gauleiter in seiner Funktion als Faktoren bestimmend: zum einen die Bedrohung der Stadt Reichsverteidigungskommissar. Am 18. August 1943 wies er durch alliierte Luftangriffe, zum andern die totale Ausschöp- die Landräte und Oberbürgermeister an, „alle Objekte, die fung der wirtschaftlichen Ressourcen der Stadt, besonders nicht für kriegswichtige Zwecke bereits sichergestellt sind, auch des Wohn- und Lagerraumes. Die Bedrohung der Lager- … sofort zur Verfügung des Reichsverteidigungskommissars bestände wirtschaftlicher Unternehmen führte dazu, dass für den Reichsverteidigungsbezirk Gau Bayreuth im Wege viele Firmen ihre Warenvorräte in sogenannte Ausweichla- des Reichsleistungsgesetzes zu beschlagnahmen“39. Als mög- ger im Umland von Regensburg transferierten. Ein Erlass des liche Objekte galten „Hotels und größere Gaststätten, Heime Reichswirtschaftsministers wies die Landeswirtschaftsämter und Anstalten, Schlösser, nicht bewohnte große Villen, leer an zu veranlassen, dass Lagervorräte in Ausweichlagern auf stehende Lagerhallen und Fabrikräume … sowie stillgelegte dem Lande oder in weniger luftgefährdeten Stadtrandgebie- Betriebe“. Im August 1943 dürfte auch die stillgelegte Ziege- ten untergebracht werden sollen36. Die stillgelegte Ziegelei lei in Undorf als Ausweichlager vom zuständigen Landrat Dr. in Undorf bot entsprechende Räumlichkeiten für Regens- Jehle beschlagnahmt worden sein. Am Kriegsende wurden burger Betriebe der verschiedensten Branchen. So lässt sich im Landkreis Regensburg viele Ausweichlager Regensburger die Vielfalt der in der Zechen gelagerten und letztendlich Firmen geplündert. Unter dem 23. April 1945 vermerkt die geplünderten Artikel erklären, wie sie von der Zeitzeugin in Chronik des Hauptzollamtes Regensburg: „Nach der Beset- ihrem Bericht geschildert wurden. Die ausgelagerten Waren zung der Stadt durch die Amerikaner kamen schwere Tage reichten von Ober- und Unterbekleidung über hochwertige für die Bevölkerung. Die Geschäfte und deren Warenläger Möbel und Teppiche, Papier, Wachs und Bleche bis hin zu in der Stadt und ihrer Umgebung sowie viele Wohnungen nagelneuen Klavieren. wurden von den vielen hier befindlichen Fremdarbeitern und Es gab noch einen weiteren Grund für die Auslagerung Kriegsgefangenen, teilweise auch von hiesigen Einwohnern von Warenbeständen Regensburger Einzelhandels- und heimgesucht und mehr oder minder geplündert“40. Am 28. Großhandlungsunternehmen. Der kriegsbedingte Raum- Mai 1945 erließ der Landrat eine Bekanntmachung an die bedarf in Regensburg war in den beiden letzten Kriegsjah- Bevölkerung, dass sämtliches unrechtmäßig erworbenes Gut

70 Dieter Schwaiger . „Undorfer Öl und Tabak“ beim Bürgermeister abzugeben sei. Dabei sei vom Gemeinde- d) Private Auslagerungen vorstand eine Liste anzufertigen, in der auch die Herkunft des Die Zeitzeugin spricht in ihrem Bericht davon, dass in der gestohlenen Gutes genannt wird („Angabe, ob aus Ausweich- Fabrik auch Habseligkeiten ausgebombter Familien gelagert lager, Geschäften, Haushaltungen entnommen, die genau zu waren. Auch dies lässt sich anhand des Aktenmaterials verifi- bezeichnen sind“)41. Ferner mussten die Art und die Menge zieren. Als Vorsichtsmaßnahme hatten Familien aus München angegeben werden („Lebensmittel, Gebrauchs- und Haus- und Nürnberg ihre private Wohnungsausstattung in den Raum haltsgegenstände, Kleidung, Wäsche, Schuhe usw.“). Viele Regensburg gebracht und dort bei Privatleuten gelagert. Die Gemeinden meldeten Fehlanzeige, aber es gab auch einige Zeitzeugin selbst erzählt in ihrem Bericht, wie kurz vor dem reumütige, ehrliche und sicherlich auch ängstliche Familien, Einmarsch der Amerikaner in Undorf abgestellte Güter von die gestohlene Waren zurückgaben, so z. B. drei Frauen: „Ich „Nürnberger und Münchner“ Bürgern in den Keller gebracht erkläre hiermit, dass wir mehrere Sachen aus dem Lager wurden. Im September schrieb der Reichsverteidigungskom- Karolinenzeche an uns genommen haben: (1) verschiedene missar an die Landräte: „In letzter Zeit werden häufig von Arbeitshosen, (2) 3 Kinderhosen, (3) 1 Ballen Futterstoff, Privatpersonen aus den Städten Nürnberg und München (4) einige Unterhosen, (5) 2 Herrenregenmäntel, (6) 1 Ballen Möbel und andere Einrichtungsgegenstände in das Gauge- Tabak, (7) ca. 10 Ltr. Öl, (8) Packpapier. Wir sind gewillt, biet geschafft. Nicht selten überlassen Hauseigentümer und sämtliche Sachen zu bezahlen oder wieder zurückzugeben“42. Mieter Räume zur Einstellung von Möbeln“45. Dies konnte Von anderen Familien wurden neben Tabak und Öl gemeldet: der für die Auftreibung von Räumlichkeiten verantwortliche Teerfässer, Blech, Wachstafeln, Pfeffer, Papier. Auch andern- Gauleiter nicht dulden. Deshalb wies er die Landräte an, in orts war Handelsware ausgelagert. In Sengkofen befanden den Gemeinden ein Objekt für die Möbelbergung bereitzu- sich z. B. Lagerbestände der Firma Merkur in Regensburg stellen. In der Gemeinde Nittendorf erfüllten die Lagerhallen („Damenstrümpfe, Socken, Strümpfe, Hosenträger, Kinder- der Zeche auch diesen Zweck. hosen, Knabenmäntel, Krawatten, Herrenkrägen“). In der Meldung hieß es, das für die gestohlenen Waren gezahlte e) Einlagerung von Rückstaugütern Geld sei vom Direktor der Firma persönlich abgeholt worden. Nachdem im Frühjahr 1945 durch massive Lufteinsätze das Am 28. Juni 1945 gab schließlich das Landratsamt Regens- Verkehrssystem in Deutschland so gut wie zusammengebro- burg bekannt, dass die „Rückführung von Gegenständen, chen war und alliierte Tiefflieger Jagd auf Eisenbahnzüge die sich noch in Ausweichlagern von Regensburger Firmen unternommen hatten, konnten viele Güter nicht mehr an ihre befinden“, der Initiative dieser Firmen überlassen sei43. Auch Zielorte gelangen. In Undorf wird berichtet, dass wegen der Ausweichlager des Messerschmitt-Werkes wurden von den Zerstörung der Mariaorter Brücke am 16. April 1945 die Amerikanern geöffnet und von Fremdarbeitern sowie der ein- Eisenbahnlinie von Nürnberg nach Regensburg unterbrochen heimischen Bevölkerung, wie es z. B. von einem Sattlereilager war und bei Kriegsende mehrere Eisenbahngüterwägen im in Kleinprüfening überliefert ist44. Ein Blick in einschlägige Bahnhofbereich von Undorf standen. Die Güterwägen wur- Akten der Zentralregistratur des Regensburger Stadtarchivs den laut Augenzeugenberichten von den Amerikanern in die zeigt, dass es eine Vielzahl von großen, kleinen und kleins- Zeche zur Entladung gebracht46. Diese Art von Gütern wur- ten Ausweichlagern Regensburger Firmen im Regensburger den als „Rückstaugüter“ bezeichnet, da sie nicht mehr an den Umland gegeben haben muss. Empfänger ausgeliefert werden konnten. Auch solche Rück-

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Fahnen gehisst und das Dorf weitgehend verlassen hatten. Die amerikanischen Soldaten durchsuchten das Dorf und errichteten einen Befehlsstand. Das benachbarte Pollenried wurde nicht von fanatischen SS-Einheiten verteidigt. Zu der Beschießung des Dorfes kam es deshalb, weil ein vorgeschobener Beobachterposten das Feuer eröffnet hatte. Bei dem anschließenden Beschuss Pol- lenrieds durch amerikanische Panzer kamen fünf deutsche Soldaten ums Leben. Die Fabrikräume der stillgelegten Ziegelei in Undorf dien- ten seit 1943 als Ausweichlager für unterschiedliche Zwe- cke: Es wurde als Zolllager des Hauptzollamtes Regensburg genutzt und diente zur Lagerung von Rohtabak der Firma Reemtsma. Als auch die Bahnanlagen Regensburgs potenzi- elle Zielobjekte alliierter Luftangriffe wurden, verlagerte die Bahnspeditionsfirma Schenker und Co. ihre Lagerbestände in das Regensburger Umland. In dem Warenlager Undorf wur- den hauptsächlich Gewürze und Speiseöl aus Südosteuropa gelagert. Es waren wehrwirtschaftliche Güter, die in erster Linie für die Wehrmacht bestimmt waren. Ab dem Jahr 1944 verlagerten viele Regensburger Firmen ihre Lagervorräte in Abb. 14: Verfall der Zeche in den 60-er Jahren. das Umland, sei es aus Luftschutzgründen oder weil die Fir- menräume für Kriegsbedürfnisse gebraucht wurden. Schließ- lich wurden in der ehemaligen Karolinenzeche in Undorf auch private Einrichtungsgegenstände von Familien der bom- benbedrohten Großstädte München und Nürnberg gelagert. Die stillgelegten Lager- und Produktionsräume der Ziegelei dienten somit als multifunktionales Ausweichlager. Die Stra- staugüter befanden sich am Kriegsende im Bahnhofsbereich tegie der Dezentralisation infolge des alliierten Luftkrieges und auf dem Ziegeleigelände. war auch für die Güterlagerung und wehrwirtschaftliche Ver- sorgung ein bestimmendes Prinzip. Geplündert wurde das Zusammenfassend lässt sich über den Einmarsch der Lager sowohl von Fremdarbeitern als auch von der einhei- Amerikaner in Undorf und die Plünderung des Versorgungs- mischen Bevölkerung der ganzen Umgebung. Lange Jahre der lagers Folgendes festhalten: Entbehrung, die unverhoffte Gelegenheit zur Bereicherung Die Besetzung Undorfs am 24. April 1944 erfolgte unblu- und der Zusammenbruch der staatlichen Ordnung entfessel- tig, da die Bewohner zum Zeichen der Kapitulation weiße ten in Undorf eine – aus heutiger Sicht durchaus verständli-

72 Dieter Schwaiger . „Undorfer Öl und Tabak“ che – hemmungslose Plünderung von Seiten der Bevölkerung, und anschauliches Bild vom Ende des Weltkrieges in dem die einer ungewissen Zukunft entgegenblickte. Der Bericht kleinen Dörfchen Undorf, das aufgrund des in der Ziegelei der Zeitzeugin Maria S. aus Undorf ist eine kostbare Quelle. gelagerten Speiseöls und hochwertigen Tabaks kurzzeitig eine Ihr Augenzeugenbericht überliefert der Nachwelt ein klares regionale Bedeutung gewonnen hatte.

1 Die Ortsgeistlichen in der Diözese München-Freising wurden 1945 vom Ordi- Anm. 4), S. 150 ff.; Josef Kible („Kriegs- und Nachkriegszeit in Etterzhausen“, nariat angewiesen, genaue Berichte über den Einmarsch der Amerikaner zu ver- Etterzhausen 2006, S. 52 f.) berichtet von ungarischen Soldaten, die sich zwi- fassen. vgl. Peter Pfister (Hrsg.), Das Ende des Zweiten Weltkrieges im Erz- schen dem Penker Tal und Etterzhausen verschanzt hatten und von den Ameri- bistum München und Freising, Regensburg 2005; ders., Das Ende des Zweiten kanern in Etterzhausen gefangen genommen wurden. Auch in Haugenried wurde Weltkrieges im Erzbistum München und Freising im Spiegel der Kriegs- und ein verletzter ungarischer SS-Soldat von den Amerikanern erschossen (Hinweis Einmarschberichte, in: Forum Heimatforschung. Ziele – Wege – Ergebnisse, von Herrn E. Meier, VdK Undorf). Heft 11, hg. v. Bayerischen Landesverein für Heimatpflege, München 2006, 10 After Action Report – 3rd Cav. Group, April, S. 21-24. S. 100-105. 11 Vgl. Max Knott, Kriegsende in Undorf, in: Mitteilungsblatt der Gemeinde Nit- 2 Der Bericht „Erlebnisse am Kriegsende 1945, geschrieben für meinen Neffen Karl tendorf Nr. 9, 1995. von Maria S. aus Undorf“ (masch. Skript, 12 Seiten, o.J.) befindet sich im Archiv 12 „Kriegsende Maria S.“, S. 2-3. des Marktes Nittendorf (zit. als „Kriegsende Maria S.“) Für das Einverständnis, 13 Angaben zu den militärischen Einheiten der Amerikaner findet man in den sog. den Bericht in Auszügen zu publizieren, sowie für Hinweise zur Verfasserin be- „After action reports“ des XX. US-Corps der 3. US-Army; vgl. auch die Angaben danke ich mich recht herzlich bei Herrn Bürgermeister Max Knott, Nittendorf. von Bürger (wie Anm. 4). Ferner ein ausführlicher Bericht über die Kämpfe an 3 Vgl. Theophil Schindler (Hrsg.), Mahnmale des Krieges. Gedenkstätten im der Donau in: Rudibert Ettelt, Geschichte der Stadt Kelheim, Bd. II von 1933 Landkreis Regensburg 1914-1918 und 1939-1945, Regensburg 1995. bis 1945, Kelheim 2005, 328 ff. 4 Zum Kriegsende in Regensburg vgl. Robert Bürger, Regensburg in den letz- 14 „Kriegsende, Maria S.“, S. 4 f. ten Kriegstagen des Jahres 1945, in: Verhandlungen des Historischen Vereins 15 Josef Kible (wie Anm. 9), S. 57. für Oberpfalz und Regensburg 123, 1983, S. 379-394; Kriegsende und Neube- 16 Rudibert Ettelt, Geschichte der Stadt Kelheim II, Kelheim 2005, S. 208 f. ginn, hg.v. Konrad Maria Färber, Regensburg 2005 (= Regensburger Almanach 17 „Rundschau“ (Kelheim) vom 24. Juni 1998 („50 Jahre harte Währung“). 2005); Rainer Ostermann, Kriegsende in der Oberpfalz, Regensburg 1995; 18 Josef Kible (wie Anm. 9), S. 57. Helmut Halter, Stadt unterm Hakenkreuz. Kommunalpolitik in Regensburg 19 Vgl. Mitteilungsblatt des Marktes Nittendorf 5/05. während der NS-Zeit, Regensburg 1994; Peter Schmoll, Luftangriff. Regens- 20 Vgl. hierzu: Dieter Schwaiger, Die Gewerkschaft Karolinenzeche in Undorf. Ge- burg und die Messerschmittwerke im Fadenkreuz 1939-1945, Regensburg 1995; schichte eines kleinen oberpfälzischen Bergbauunternehmens, in: Die Oberpfalz Joachim Brückner, Kriegsende in Bayern 1945, Freiburg 1987; German Vo- 83, 1995, S. 79-88. gelsang (Hrsg.), Sie kommen! Die letzten Kriegstage in der Oberpfalz 1945, 21 Archiv des Hauptzollamtes Regensburg, Chronik 1941 ff. (masch. Ms.). Für die Amberg 2005. Verwiesen sei auch auf die Ausstellungen zum Thema Kriegsende Einsichtnahme und freundliche Unterstützung bedanke ich mich recht herzlich in mehreren Gemeinden des Landkreises im Jahr 2005. bei Herrn Hauptzollamtsvorsteher Regierungsdirektor Wilfried Moebius und 5 Diese Spezialtruppe war sehr mobil, ausgezeichnet bewaffnet und konnte sich bis Herrn Zolloberinspektor Jürgen Schmola, Regensburg. zu drei Tage selber versorgen. Die 3rd Cavalry Group bestand aus einem Panzer- 22 Zur Firmengeschichte vgl. Houston Writes, Reemtsma. Von der Feldzigarette aufklärungsbataillon, verstärkt durch ein Bataillon „Ranger“ (Nahkämpfer), ein zur Anti-Wehrmachtsausstellung, Selent 2002. Bataillon Panzerjäger, Artillerie und eine Kompanie Pioniere (zum Räumen von 23 In einem anderen Plünderungsfall von Reemtsma-Tabaken heißt es: „Bei Kriegs- Minen und Panzersperren). vgl. Bürger (wie Anm. 4), S. 383 f. ende ist nahe Gangkofen ein Reemtsma-Ausweichlager geplündert worden. La- 6 Vgl hierzu: Max Knott, Der Einmarsch in Pollenried (Reihe Kriegsende in Nit- dungen besten Orienttabakes werden über dunkle Kanäle auf den illegalen Markt tendorf), in: Mitteilungsblatt der Gemeinde Nittendorf Nr. 3, 1995. geworfen, goldgelbe, sündteure Raritäten.“ 7 „Kriegsende Maria S.“, S. 2 (Kopie im Besitz des Verfassers) (http://kriegsende.iivs.de/buchlesen.aspx?docnr=14; 1.3.07) 8 Vgl. Bürger (wie Anm. 4), S. 385 u. Abb. 3 (Lagekarte). 24 Archiv des Hauptzollamtes Regensburg (wie Anm. 21). 9 Zur militärischen Situation im Raum Regensburg vgl. Joachim Brückner (wie 25 Archiv des Hauptzollamtes Regensburg (wie Anm. 21).

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26 Im Folgenden vgl. Serge Kalendjeff, Die Bulgarische Wirtschaft und ihre Bezie- 35 „Schenker-Welt“ 4, 1989 (wie Anm. 32). hungen zur Wirtschaft des Deutschen Reiches, in: Südosteuropaprobleme, Wien 36 Stadtarchiv Regensburg ZR III 703/2 („Runderlass Nr. 517/43 LWÄ“). 1940, S. 23 ff.; ferner: Willi A. Boelcke, Deutschland als Welthandelsmacht 37 Vgl. hierzu Helmut Halter, Stadt unterm Hakenkreuz. Kommunalpolitik in Re- 1930-1945, Stuttgart 1994. gensburg während der NS-Zeit, Regensburg 1994, S. 529 ff. 27 Vgl. Herbert Matis und Dieter Stiefel, Grenzenlos. Die Geschichte der interna- 38 Stadtarchiv Regensburg, ZR III 711. tionalen Spedition Schenker von 1931 bis 1991, Frankfurt/Main 2002, bes. S. 54 39 Stadtarchiv Regensburg (wie Anm. 38). ff. 40 Archiv des Hauptzollamtes Regensburg, Chronik (wie Anm. 21), S. 117. 28 Stadtarchiv Regensburg, Bauordnungsamt 496/1. 41 Staatsarchiv Amberg, Bezirksamt Regensburg 12 182. 29 Stadtarchiv Regensburg (wie Anm. 28). 42 Bezirksamt Regensburg (wie Anm. 41). 30 Schmoll (wie Anm. 4), S. 192. 43 Bezirksamt Regensburg (wie Anm. 41). 31 Schmoll (wie Anm. 4), S. 150 und S. 193. 44 Bezirksamt Regensburg (wie Anm. 41). 32 „Schenker-Geburtstag an der Donau“, in: „Schenker-Welt“ 4, 1989. 45 Stadtarchiv Regensburg, ZRIII, 711. 33 Stadtarchiv Regensburg, ZR III 2099. 46 Vgl. Mittelbayerische Zeitung v. 24.3.2005. 34 Pfister (wie Anm. 1), Bericht 16-11, S. 583 und 17-18, S. 609.

Abbildungsnachweis: Abb. 1: Fotosammlung Norbert Schwaiger, Undorf Abb. 2: aus: 60 Jahre nach Kriegsende, 1945 – 2005, hg. v. Heimat- und Kultur- verein Bad Abbach. Heft 31, 2005, S. 30 Abb. 3: National Archives, Washington AFCP M-1674, 1675, bes. Dank für die Beschaffung Herrn Dr. Josef Müller, Rothenbügl Abb. 4: aus: 60 Jahre nach Kriegsende, 1945 – 2005, hg. v. Heimat- und Kultur- verein Bad Abbach. Heft 31, 2005, S. 15 Abb. 5: Foto Dieter Schwaiger Abb. 6: Fotosammlung Norbert Schwaiger, Undorf Abb. 7: Fotosammlung Norbert Schwaiger, Undorf Abb. 8: aus: „Aus Ruinen auferstanden. Zerstörung und Wiederaufbau der Stadt Neumarkt i. d. Opf. 1945 – 1995“, Ausstellungskatalog 1995, S. 14 Abb. 9: BR-online (http://www.br-online.de/bayern-heute/thema/kriegsende/ alltag-untergang.xml) Abb. 10: Fotoarchiv Reemtsma, Museum der Arbeit, Hamburg Abb. 11: Fotoarchiv Reemtsma, Museum der Arbeit, Hamburg Abb. 12: Bilddokumentation, Presse- und Informationsstelle der Stadt Regensburg Abb. 13: Archiv Hauptzollamt Regensburg Abb. 14: Fotosammlung Norbert Schwaiger, Undorf

74 Wilma Rapf-Karikari/Ingo Kübler Die KUNSTPARTNER GALERIE in Adlmannstein Begegnung von Kultur und Natur

Am Anfang stehen die Kunstbegeisterung und ein 300 Jahre Als Lebensprojekt angelegt, nehmen wir uns Zeit, sanie- altes Haus. Als wir 1991 die damalige „Schlossgaststätte“ ren mit viel persönlichem Einsatz, Hilfe von Freunden, und in Adlmannstein kaufen, fragt uns schon mal ein Nachbar, gutem Rat von unserem Architekten. Am 15. August 1992 ob wir das „oide Glump“ wegschieben und „wos Gscheids“ ziehen wir ein, viel Platz und weitere Bauphasen warten auf hinbauen würden. Doch danach stand uns nie der Sinn. uns.

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Damals leitete Wilma Rapf-Karikari noch die Schlossga- stellung der abgebildeten Arbeiten verantwortlich, Ingo Küb- lerie in Wörth. Aus der Überlegung, dass es keinen Kunstka- ler für die Akquise der Sponsoren. lender gibt, der KünstlerInnen der Region vorstellt, entsteht 1999 endet die Arbeit in der Schlossgalerie Wörth. Der 1993 das engagierte Kalenderprojekt KUNSTPARTNER. lange Zeit genutzte Raum steht nicht mehr zur Verfügung, im Sponsoren subskribieren die Kalender, die unter einem Jah- neuen Ausstellungsraum, dem sanierten Bergfried wellen sich resthema zusammengestellt werden und verschenken sie an Bilder und Passepartouts, er ist zu feucht. ihre Kunden, Geschäftspartner und MitarbeiterInnen. Eine Die Lust, weiterhin Ausstellungen zu kuratieren und zu gute Idee, die in Regensburg und im Landkreis auf frucht- organisieren und das am liebsten in unmittelbarer Nähe des baren Boden fällt. Viele Firmen sind schon lange Partner, der Wohnorts lassen die verwegene Idee entstehen, unseren rotten KUNSTPARTNER-Kalender erscheint 2008 zum 15. Mal. Felsenkeller zu sanieren und als Galerie auszubauen. Natür- Wilma Rapf-Karikari zeichnet für das Ersinnen der Kalender- lich wird das ein langwieriges Unterfangen mit deutlich mehr themen, das Aufspüren der KünstlerInnen und die Zusammen- Einsatz an Arbeit, Material und Geld, als gehofft und geplant.

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Aber wir ringen dem felsigen Untergrund etliche Kubikmeter vermitteln werden. Wieder helfen uns Freunde. Auch wenn ab, schaffen dadurch mehr Raumhöhe und wehren uns gegen dies der älteste Teil unseres Hauses ist, sind von öffentlicher das vom Hang her drückende Wasser. Seite keine Zuschüsse mehr zu erwarten. Wir legen Spolien Von Mai 2002 bis Sommer 2004 investieren wir an die frei, die vermutlich aus dem alten Schloß Adlmannstein stam- 2.000 Stunden Eigenleistung und den Vergleichswert für die men, das nicht mehr steht und sanieren ein „armes Gewölbe“, Anschaffung eines flotten Cabrios in eben unsere Passion: das nicht mit Holzformen, sondern mit Ästen geschalt wor- einen atmosphärischen Raum zu schaffen, in dem wir Kunst den ist.

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Im September 2004 stellen wir die Galerie und die Bau- Am 1. Mai 2005 laden wir zur ersten Vernissage mit den dokumentation unseren Adlmannsteiner Nachbarn vor. Über Werken zweier Malerinnen, die sowohl unterschiedlich als 150 Menschen kommen, schauen und erzählen uns Geschich- auch verwandt, Landschaften erfinden: Susanne Böhm, die ten von „damals“, z. B. die vom Pferd, das immer im hin- in Reifenthal lebte und arbeitete und Zvjezdana Jembrih aus tersten Stall stand. Für viele Adlmannsteiner ist unser Haus Zagreb/Kroatien. ein wichtiger Teil ihrer Lebensgeschichte, als Kinder haben Damit machen wir unser Programm sichtbar: Unter dem sie Stall und Gewölbe erkundet, als Erwachsene rauschende Überbegriff „Begegnungen“ sollen die Besucher Kunst erle- Feste in unserem Saal gefeiert, Hochzeiten und Christbaum- ben, vorwiegend, aber nicht ausschließlich aus der Region. versteigerungen erlebt, dass sich nicht nur sprichwörtlich die Auch geht es um die Begegnung von Kunst, Architektur Balken bogen. Dass da noch einiges im Argen lag, hatten wir und Natur: Das Ankommen auf dem Gelände, der herrliche im Juli 2002 bitter erfahren müssen, als eine Gewölbekappe Blick in die geschwungene Vorwaldlandschaft, der Eingang einstürzte. Maurer Hierl aus Walderbach sanierte die Lücke durch den Hof in den ehemaligen Stall, die Kontaktaufnahme mit seiner Mannschaft zügig und haltbar. mit dem Raum und den Kunstwerken, das Gespräch mit den

78 Wilma Rapf-Karikari/Ingo Kübler . Die KUNSTPARTNER GALERIE in Adlmannstein

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Galeristen oder mit anderen Gästen, das sehr nahe Erleben Angebot an die Landbewohner, hier etwas zu sehen und zu von kleinen, feinen Konzerten und auch das Tafeln in gesel- erleben, wofür sie sonst in die Stadt fahren müssten. Und liger Runde inmitten von Bildern und Skulpturen. All das umgekehrt als Angebot an die Städter, sich einen schönen Tag sind Angebote, die wir mit der KUNSTPARTNER GALERIE in Form einer „Landpartie“ zu machen: Kunst erleben, spa- unseren Besuchern machen. zieren gehen oder wandern und in einem der umliegenden Wir verstehen die Galerie als ein Leuchtfeuer in der wun- Wirtshäuser einkehren, können zum glücklichen Gelingen so derbaren Landschaft des bayerischen Vorwaldes. Als ein manchen Sonntages beitragen.

Susanne Böhm

Der Malerin Susanne Böhm ist die KUNSTPARTNER GALE- Reifenthal, im Frühjahr 2000 starb sie nach schwerer Krank- RIE in besonderer Weise verbunden. 1946 in König Wuster- heit. Ihr Nachlass lebt in unserer Galerie weiter, im Lauf der hausen in der ehemaligen DDR geboren, kam Susanne Böhm Jahre werden wir ihre verschiedenen Werkgruppen ausstellen: 1984 nach Regensburg. Seit 1992 lebte und arbeitete sie in Portraits von sozial Ausgegrenzten aus ihren Regensburger

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Anfangsjahren; Regensburger Ansichten, die auch die düste- in der die Farbtöne von Wiesen, Feldern, Dörfern und Hügeln ren Seiten der Altstadt beleuchten, oder besser: im Schatten noch einmal kurz aufleuchten, bevor die Nacht sie entfärbt. und im Dunkeln belassen; Interieurs/Stilleben und Landschaf- Zum 60. Geburtstag von Susanne Böhm zeigen wir im ten, meist wellig oder mit Bergen, oft mit einzelnen Häusern Herbst 2006 frühe Aquarelle „Interieurs“ und ihre sehr raren aber nie mit Menschen. Und die letzte große Gruppe, ihr Blumenbilder und geben einen Katalog heraus. „Don Giovanni-Zyklus“, in der sie sich mit den Figuren der „Das ganz persönliche Verhältnis der Künstlerin zu Blu- gleichnamigen Mozart-Oper auseinandersetzt, Landschafts- men und Pflanzen war übrigens von der absoluten Wertschät- und Portraitmalerei miteinander verschmilzt und sich aus- zung dieser Lebewesen und ihrem Schutz geprägt. Nicht nur drucksstark dem Thema Schmerz widmet. lehnte Susanne Böhm – vor allem in den späteren Jahren In unserer Eröffnungsausstellung im Mai 2005 begegnen – Schnittblumen wegen ihrer schnelleren Vergänglichkeit ab, die erdigen, in gedeckten Tönen aquarellierten Landschaften sondern sie schützte die Blumen in ihrem eigenen Garten, Susanne Böhms den leuchtenden Ölpastellen der Zagreber auch die wild gewachsenen, vor der eventuell zu weit gehen- Künstlerin Zvjezdana Jembrih. Diese „jagt“ mit expressivem den Aktivität des Rasen-Mähers mit dem deutlichen Schild Kreidestrich in komplementären und Fehlfarben Landschafts- „Bitte nur bis hier mähen – BLUMEN“. (Marcus Spangen- eindrücke im Übergang vom Tag zur Dämmerung, der Zeit, berg im Katalog zur Ausstellung)

Wolfgang Keuchl

Der Künstler Wolfgang Keuchl wird vielen Menschen als geliebten Haus „Weg 3“ in Höglstein bei Kürn, dem er eine ein Ausbund an Energie in Erinnerung bleiben. Lebhaft ges- Serie seiner letzten Zeichnungen „Sehnsuchtsbilder“ gewid- tikulierend, gerne streitend und auf keinen Fall mit seinem met hatte. Standpunkt hinter dem Berg haltend, hat er die Menschen, „Casa, sedile, tabula“, so benennt Wolfgang Keuchl seine die mit ihm zu tun hatten, berührt, angeregt, auch genervt. Ausstellung in der KUNSTPARTNER GALERIE mit Zeich- Grenzerfahrungen und -überschreitungen waren ihm Lust nungen und Polaroidarbeiten von 1992 bis 2004. und Lebenselexier. Als Fotograf machte er sich in den 80er Er spricht noch bei der Eröffnung am 11. September 2005 Jahren vor allem mit seinen Polaroidcollagen und Groß- über eine Arbeit, die ihm besonders wichtig ist, das “Köl- polaroidaufnahmen weit über die Grenzen der Oberpfalz ner Epitaph“. Zwei Wochen später stirbt er. Unsere Galerie hinaus einen Namen. Die imposante Liste seiner künstleri- wird während der restlichen Ausstellungsdauer zur Kapelle. schen Aktivitäten und Ausstellungsorte belegt seine unbän- Viele Besucher nehmen auch über den Kontakt zu den Bildern dige kreative Energie. Und auch seinen Erfolg. Er war u.a. Abschied von einem der produktivsten Künstler der Region. Mitbegründer der Regensburger Künstlergruppe „Warum Im Mai 2006 folgt ein weiterer Teil des Abschieds: Vor der Vögel fliegen“, erhielt das Julius. F. Neumüller-Stipendium, Auflösung von Wolfgang Keuchls Atelier in Hauzenstein laden den E.O.N-Preis und den Joe und Xaver Fuhr-Preis. Im Alter wir zusammen mit der Familie zum letzten Atelierbesuch. Ein von 53 Jahren starb er am 27. September 2005 in seinem großer, lichter Raum im ehemaligen Hauzensteiner Lehrer-

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haus: Ein perfektes erstes Frühlingswochenende nach dem Kunst, Politik und Leben und manch launig oder hitzig ver- langen Winter. Eine Karawane von Kunstsinnigen zieht auf brachten Abend mit dem Künstler. Sein Atelier und die Erin- der Hauzensteiner Allee zum ehemaligen Keuchl-Atelier und nerung an Wolfgang Keuchls überbordende Präsenz scheinen begegnet sich sich in Bildbetrachtungen, Diskussionen über noch einmal auf.

GRASHALMPROJEKT & GRASHALMINSTITUT von Thomas May

Unsere Galerie ist eine Passion und nicht zum Zwecke des wir, nur eine Ausstellung zu planen. Die aber wird es in sich Lebensunterhalts geeignet. Unseren Broterwerb bestreiten wir haben. als Gesellschafter der Druckerei KARTENHAUS KOLLEK- Thomas Mays GRASHALMPROJEKT & GRASHALM- TIV in Regensburg. Im Jahr 2007 steht der Umzug der Firma INSTITUT werden im Sommer bei uns zu Gast sein. Das an, der viel Kraft und Energie fordern wird. Also beschließen GRASHALMPROJEKT ist eine offene und soziale Skulptur.

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Bislang sind über 7.000 Menschen daran beteiligt, indem sie Mays Skulptur ist in vielschichtiger Weise interessant einen oder mehrere Grashalme aus Balsaholz schnitzten, die und berührt verschiedenste Facetten unseres Lebens. Es ist Thomas May sammelt, „maygrün“ einfärbt und anlässlich eine faszinierende Installation, die Kultur und Natur verbin- einer der Ausstellungen in einem Rasterabstand von zehn det. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ (er braucht als Zentimetern in Rollrasenbahnen steckt. Alle Schnitzhölzer „Grundnahrungsmittel“ auch die Kunst), wird hier genauso haben das gleiche Format (10 cm hoch), die daraus geschnitz- thematisiert wie die Frage nach einer gerechten Verteilung ten Grashalme aber sind vielfältig und phantasievoll gestal- unseres Weltlebensgrundstoffes; denn alle Getreidesorten ge- tet. Die Namen der Schnitzer/innen werden codiert, die hören zur Familie der Gräser! geschnitzten Grashalme erhalten je eine Nummer, so dass Die vorangegangenen Ausstellungsorte sind recht illuster: eine Kartierung möglich wird, ohne die Identität des Schnit- sowohl auf der BUGA in München, im Germanischen Nati- zers preiszugeben. Aufgelistet werden Vorname, erster Buch- onalmuseum Nürnberg, im Oberpfälzer Künstlerhaus Keb- stabe des Nachnamens und Beruf. belvilla Schwandorf, im Kunstverein Weiden, im Nürnberger Betrachter können sich dann Gedanken darüber machen, Tucherschloß als auch in Finnland, Tschechien, Mazedonien, weshalb Frisör Andy G. einen völlig anderen Halm gestaltet Polen, Südchina und zuletzt in der Ukraine war Thomas May hat, als Anwältin Susanne V. schon eingeladen.

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In Adlmannstein werden von der Eröffnung am 17. Juni, Biogas?“ Mit dem Biologen Martin Eicher erwandern wir einem herrlichen Frühsommertag, bis zur Finissage am 4. uns die verschiedenen Wiesen und Flurflächen rund um Adl- August Grashalme geschnitzt. In Zusammenarbeit mit Tho- mannstein, lernen Simsen, Binsen und Seggen kennen und mas Mays GRASHALMINSTITUT organisieren wir Veran- staunen, was für eine abwechslungsreiche Vielfalt an Gräsern staltungen rund ums Gras. Josef Miller, Landwirtschaftsbe- direkt vor unserer Haustür wächst und gedeiht. Zur Finissage auftragter a. D. referiert über „Gras im Kulturland oder der der kulinarische Showdown: Ein „Grasfresseressen“ (Lamm- Halm im Magen“, unterstützt wird er von drei Coburger ragout vom Coburger Fuchsschaf) trifft auf die Uraufführung Fuchsschafen vom Adlerschen Hesperidengarten, Schnaitter- einer Auftragskomposition „Rupfen“ von Hans Amberger, hof. Unter Anleitung von Thomas May, virtuos vorgeführt Klangkünstler aus Amberg. 60 Gäste genießen mit uns einen von den Coburger Fuchsschafen, versuchen wir uns an einem vergnüglichen Sommerabend. Die umfangreiche Dokumenta- „Workshop im Wiederkäuen“. Die nächste Veranstaltung tion (Fotos und Videos aller Veranstaltungen und ein Kata- bestreitet Ulrich Schmack, Vorstand der Schmack Biogas log) verewigt Adlmannstein auf Thomas Mays Weltkarte des AG. Er referiert über den Aspekt „Was macht das Gras im internationalen Grashalmprojekts.

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Und wie geht es weiter?

Man muß raus aus der Stadt aufs Land. Die kleinen Orte sind die Kleinodien, die sich heute zu Kunstorten entwickeln. Hier spielt sich die direkte Begegnung ab, hier findet vielfältige Kommunikation statt. Oder wenn Sie schon auf dem Land wohnen: Kommen Sie vorbei, lernen Sie im weitesten Sinne „Nachbarn“ kennen. Lesen Sie unsere Termine in der Tages- presse oder lassen Sie sich in unseren Verteiler eintragen. Wir laden Sie gerne persönlich ein!

KUNSTPARTNER GALERIE Abbildungsnachweis: Wilma Rapf-Karikari und Ingo Kübler, Altenthanner Straße 1, 93170 Adlmannstein, Tel. 0 94 08 13 16, Fax 0 94 08 13 85, Fotos von Ingo Kübler, Thomas May, Gretel Meier, Reiner E-Mail: [email protected] Obermaier und Wilma Rapf-Karikari

86 Wolfgang Lutz Die Burg Heilsberg Methoden und Maßnahmen zur Erhaltung der Ruine

1. Einleitung

Am 13. Juli 2006 wurde der Stadt Regensburg eine bedeu- Bei diesem Beitrag handelt es sich um die überarbeitete tende Ehre zuteil. Die „am besten erhaltene mittelalterli- Fassung einer Facharbeit im Leistungskurs Geschichte, die che Großstadt in Deutschland“ wurde zum Weltkulturerbe im Schuljahr 2006/2007 am Gymnasium Neutraubling erklärt. Die Stadt mit ihren 984 historischen Stätten im Stadt- verfasst worden ist. kern ist ein einmaliges Zeugnis deutscher Geschichte. Doch auch der Landkreis Regensburg muss sich vor dieser konzen- Gewidmet der Gemeinde Wiesent für all die Unter- trierten Zahl an Denkmälern nicht verstecken. Denn was die stützung, die sie dem Verein und dieser Arbeit zuteil Porta Praetoria für Regensburg ist, sind für die Gemeinden werden ließ. und Dörfer entlang der Donau ihre eigenen kleinen histo- rischen Stätten. Von alten Keltensiedlungen nördlich der Mein großer Dank gilt all denen, die an der Entstehung Donau über unzählige Burgen und kleine Schlösser bis hin dieser Arbeit beteiligt waren, Theobald Menath und Ger- zu neoklassizistischen Bauten wie die Walhalla ist annähernd traud Neumeier für die alten Fotos, den Mitarbeitern der das gesamte Spektrum deutscher Geschichte im Landkreis Donau-Post und des Wörther Anzeigers, den Mitarbei- vertreten. Vor allem die beinahe 100 mittelalterlichen Burgen tern der Gemeinde Wiesent sowie den Bürgermeistern und Burgruinen des Landkreises bilden eindrucksvolle Zeug- Hr. Rösch und Hr. Thanner. Darüber hinaus möchte ich nisse ihrer Zeit. Ob als Ruine von den vorderen Ausläufern mich bei Dr. Silvia Codreanu-Windauer und Dr. Harald des bayerischen Waldes über die Ebenen südlich der Donau Gieß vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege blickend, wie die Burgruine Donaustauf, oder als Ort histori- bedanken. Mein besonderer Dank geht an die Leiterin des scher Ereignisse und Verträge wie das Schloss Wörth, dessen Leistungskurses Geschichte, Ingrid Pesth. lange Geschichte ihren Höhepunkt in der Unterzeichnung der Rheinbundakte im Jahr 1806 fand: Jede dieser Burgen hat Ich danke auch meinem Vater, Ortsheimatpfleger Peter ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Legenden und ihren ganz Lutz, für die enorme Unterstützung bei diesem Projekt. besonderen Reiz. Und meist finden sich auch Menschen, die sich für diese Burgen interessieren und die bereit sind, Zeit, Wolfgang Lutz Geld und Kraft in die Erhaltung dieser Burgen zu investie-

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ren, so dass sich auch die Nachwelt an der großen Vielfalt erfreuen und beim Besuch der Burgen gleichsam in die Ver- gangenheit eintauchen, die Geschichte anfassen und dadurch begreifen kann. Diese Arbeit befasst sich mit einer dieser Bur- gen, der Burg Heilsberg, der ältesten baulichen Urkunde der Gemeinde Wiesent.

2. Die Burg Heilsberg

2.1. Lage der Burgruine Heilsberg Die Burgruine Heilsberg liegt etwa 4,5 Kilometer nördlich des Ortskerns der Gemeinde Wiesent auf einem östlich des in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Wildbachtales/Höllbach- tales aufragenden Bergrücken. Im Tal fließt, aus dem Natur- schutzgebiet Höllbachtal kommend, der Höllbach, der später als Wildbach bezeichnet wird und schließlich als Wiesent in die Donau mündet. Der Bach ist etwas nördlich der Ruine durch ein Wasserkraftwerk aufgestaut. Einen Kilometer in nordöstlicher Richtung von der Ruine befindet sich, auf der anderen Seite des Tals, der Heilsberg (542 m) der auf aktuel- len Karten auch als Neuhausberg verzeichnet ist. Auf diesem befinden sich die Reste einer noch zu Beginn ihrer Bauarbei- ten wieder abgebrochenen Konkurrenzburg, der sogenannten Neuhausburg. Einen Kilometer östlich der Heilsbergruine liegt, ebenfalls auf der gegenüberliegenden Talseite, der Wie- senter Ortsteil Dietersweg. Nordwestlich in unmittelbarer

Abb. 1: Karte des südlichen Höllbachtals: Die Ruine Heilsberg ist mit einem roten Punkt markiert.

88 Wolfgang Lutz . Die Burg Heilsberg

Nähe der Ruine findet man den Pangerlhof, einen Forst- und Landwirtschaftsbetrieb. An diesen grenzen die Wiesenter Ortsteile Hermannsöd, Zieglöde und Heilsberg. Die Burgru- ine Heilsberg ist – aufgrund der steilen Hänge und des dich- ten Bewuchses durch Bäume und Sträucher – von Osten bzw. dem Tal kommend, nur über eine Forststraße zugänglich. Im Norden, Süden und Westen der Burg erstreckt sich dichter Wald. Von der Burgruine aus ist es möglich, die Orte Dieters- weg im Osten, Wiesent im Süden und Brennberg im Norden sowie die Burg Brennberg zu sehen. Die Anlage der Burg lässt auf die Absicht schließen, mit der Burg einen geschützten Rückzugsort zu haben, sowie einen Stützpunkt zur Überwa- chung angeschlossener Höfe und Ortschaften. Des Weiteren ist es wahrscheinlich, dass die Burg als Rodungsburg gedacht war, sie also als Basis zur Rodung von Waldgebieten in dieser Gegend dienen sollte. Große Rodungen wurden jedoch nicht durchgeführt. Ein weiterer Grund ist sicher die Durchset- zung und Behauptung eines Herrschaftsanspruchs in diesem von anderen Besitztümern der Heilsberger wie Eggmühl im südlichen Landkreis recht weit entfernten Gebiet. Der Bau der benachbarten Neuhausburg, deren Reste sich auf dem Heilsberg östlich des Tals befinden, einer herzoglichen Burg, wurde bereits kurz nach Beginn der Bauarbeiten auf Drän- gen des Bischofs abgebrochen, da dieser durch sie seine Stel- lung und die des von ihm vergebenen Lehens Heilsberg in diesem Gebiet gefährdet sah. Durch die Burg Heilsberg ließ sich die Straße durch das Höllbachtal sowie der damals noch nicht durch den Staudamm des Elektrizitätswerkes gezähmte Höllbach kontrollieren1. Auch ist für die Lage der Burg die Erwähnung eines Schienhammers Heilsberg im Jahr 1387 von Bedeutung2. Dieser Schienhammer zur Eisenverarbei- tung stand in der Heilsberger Mühle, die wenige hundert Meter stromaufwärts von der Burg am Höllbach stand. Die Abb. 2: Der Bergfried vom Hohlweg aus fotografiert. Ein Schild Burg hatte vermutlich eine Schutzfunktion für die Mühle, warnt: „Einsturzgefahr! Betreten des Grundstückes auf jedoch wurde die Mühle wahrscheinlich erst nach der Burg eigene Verantwortung. Besteigen des Turms verboten. errichtet. Gez. Rösch, 1. Bürgermeister“ (Mai 2006).

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2.2. Kurze Geschichte der Burg Heilsberg Abb. 3: Das Wappen der Da auf die Geschichte der Burgruine Heilsberg bereits mehr- Heilsberger: Ein Hirsch- fach detailliert von anderen Autoren eingegangen worden ist, geweih. Die Umschrift beschränkt sich der Geschichtsteil dieser Veröffentlichung auf lautet: „S’ VLRICI DAPIFERI die wichtigsten Daten und Ereignisse. Eine Zusammenstellung DE HAILSPERCH“, d. h. Siegel der bisherigen Veröffentlichungen findet sich am Ende dieser Ulrichs des Truchsessen von Arbeit. Primär folgt die Darstellung der zur Zeit der Erstel- Heilsberg. lung dieser Arbeit neuesten Veröffentlichung zur Geschichte von Heilsberg, des Artikels von Andreas Boos in seinem Buch „Burgen im Süden der Oberpfalz“3. Boos verwendet einen Großteil der verfügbaren Quellen und hat bereits verschie- dene Fehlannahmen und Irrtümer älterer Veröffentlichungen vor allem bei J. Fendl und J. R. Schuegraf berichtigt. Das Unterfangen, Klarheit und Licht in die Geschichte der Burg Heilsberg zu bringen, ist insofern ein schwieriges, da nur ein Bruchteil der Dokumente im Fürstlichen Archiv in Regens- burg lagert, der große Rest jedoch auf Archive von Amberg über München bis Wien verstreut ist. Dies ist vor allem durch den häufigen Besitzerwechsel der Burg im Laufe der Jahrhunderte, sowie durch die im Lauf der Jahre wechselnde Gerichts- und Bezirkszugehörigkeit der Herrschaft Heilsberg bedingt. Erste Nennungen der Heilsberger (auch Heylsperch, Heilsperg, Hailsberg, Halsperg und ähnliche Variationen des Namens in verschiedenen Quellen) erfolgen im späten 12. Jahrhundert, demzufolge ist auch die Gründung der Burg Heilsberg in dieser Zeit zu vermuten4. Anlass für den Bau einer Burg in einem so abgelegenen und unwegsamen Gebiet war vermutlich der Versuch, in dieser Gegend des bischöfli- chen Territoriums (die Heilsberger hatten das Gebiet um die Burg als Lehen des Bischofs von Regensburg erhalten)5 ver- stärkt Präsenz und Besitzanspruch zu zeigen. Auch könnte die Burg als Rodungsburg gedient haben, wofür die Gehöfte im Norden der Burg (z. B. der Pangerlhof) oder nahegelegene Ortschaften wie Dietersweg, an welche ausgedehnte Acker- 6 Abb. 4: Auf diesem Bild von 1924 ist vor allem der Turmeingang gebiete angrenzen, sprechen . Ein weiterer Zweck lag vermut- links oben bemerkenswert. lich in der Überwachung des Höllbachs, sowie der an ihm

90 Wolfgang Lutz . Die Burg Heilsberg

Bering

Hals- graben Torbogen Burghof

Weg

Bergfried

Bering

Abb. 5: Plan des Burghofs mit Bergfried (Norden) und Tor- Abb. 6: Blick auf die Ruine und den Halsgraben. Fotografiert bogen (Süden). vom Wall zwischen den beiden Gräben mit Blickrich- tung nach Süden (November 2005).

entlang laufenden Wege in Richtung der nördlich gelegenen des Weiteren darin, dass Grabsteine der Heilsberger in der Burg Brennberg7. Zwischen Brennberg und Heilsberg besteht Regensburger Dominikanerkirche zu finden sind9. Die Dop- des Weiteren eine direkte Sichtverbindung. Auch dienten die pelherrschaft scheint jedoch im Laufe des 13. Jahrhunderts Burgen vermutlich zur Sicherung der im Tal gelegenen Müh- in mehrere Linien der Heilsberger aufgeteilt worden zu sein, len zur Erzverarbeitung8. Dass die Herren von Heilsberg die aber im Lauf des frühen 14. Jahrhunderts in der männ- zunächst auch Truchsessen von Eggmühl waren, welches lichen Erbfolge ausstarben10. Daraus resultierte ein häufiger sie jedoch vom bayerischen Herzog als Lehen hatten, wäh- Besitzerwechsel der Heilsberger Burg ab dem Jahr 1333, in rend die Herrschaft Heilsberg ein bischöfliches Lehen war, dessen Verlauf die Witwe von Heinrich dem Truchsessen zeigt den Einfluss und die Bedeutung dieses Geschlechts vom die Burg an Konrad Nothafft verkaufte11. Mit dem häufigen 12. bis frühen 14. Jahrhundert. Seine Bedeutung zeigt sich Wechsel des Besitzers und der sich durch Erfindungen wie

91 Regensburger Land . Band 1 . 2008 dem Schwarzpulver ändernden Art der Kriegsführung verlor Für eine vorhergegangene Zerstörung der Burg durch die Burg zunehmend an Bedeutung. Der Herrschaftssitz ver- Feuer oder infolge eines Krieges wie dem Landshuter Erb- lagerte sich immer mehr ins nahegelegene Wiesent12. In der folgekrieg 1504 finden sich jedoch keine Hinweise16. Ob Mitte des 15. Jahrhunderts kam die Herrschaft Heilsberg und Berichte, „die Burgen Brennberg und Heilsberg“ seien 1634 Wiesent in den Besitz der Wittelsbacher und wurde 1505 in im 30-jährigen Krieg „durch die feindlichen Geschütze in das Herzogtum Pfalz-Neuburg integriert13. Trotz umfangrei- Ruinen“17 zusammengesunken, stimmen, ist zumindest zwei- cher Renovierungen der Burg in der zweiten Hälfte des 15. felhaft, kann jedoch nicht ausgeschlossen werden. Die Herr- Jahrhunderts wird sie im späten 16. Jahrhundert bereits als scher über Heilsberg und Wiesent zogen nach Wiesent und „Halsperg arcis vetustae ruinae“14 (frei übersetzt: „Halsperg später in das 1695 fertiggestellte Wiesenter Schloss. ist eine uralte verfallene Burg“) bezeichnet. 1644 schließlich nennt Abt Stephan von Frauenzell Heilsberg „ein uraltes von 2.3. Lokale Bedeutung der Burg Heilsberg Quaterstücken gebauets eingefallnes Schloß“(sic)15. Man In der Folgezeit hatte die Burgruine wegen ihrer romanti- muss also davon ausgehen, dass die Burg Heilsberg im 16. schen Lage nur noch Bedeutung als Inhalt von lokalen Sagen Jahrhundert verlassen wurde. und Erzählungen, auch gibt es einen Roman namens „Der

Abb. 7: Blick auf den Burghof von Südwesten (November 2006). Abb. 8: Der Torbogen (September 2006).

92 Wolfgang Lutz . Die Burg Heilsberg

Abb. 10: Ein Teil des Berings, durch einen umgestürzten Baum freigelegt. Die Verfugung der Mauer, die lange Zeit vom Erdreich geschützt und bei der Freilegung intakt war, zeigt nun, erst zwei Jahre später, erste Witterungs- schäden (November 2005).

Geist von Hailsberg“18. In den örtlichen Schulen ist die Ruine Thema im Heimat- und Sachunterricht und dient als Ziel von Schulausflügen und Wanderungen. Auch stellte das aufgege- bene Bauwerk, wie zu allen Zeiten üblich, in den vergange- nen Jahrhunderten eine Quelle billigen Baumaterials für die Bewohner der umgebenden Ortschaften dar. Heute ist Heils- Abb. 9: Die Westseite des Bergfrieds im Jahr 1964. Besonders berg, auch im Zuge der Aktivitäten des Fördervereins und gut sichtbar ist hier der erhöhte Eingang. der damit verbundenen Berichterstattung in der Lokalpresse,

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mehr denn je ein beliebtes Ziel für Spaziergänger. Auch tra- gen die zunehmende Zahl kultureller Veranstaltungen auf der Ruine, wie das Burgfest im Juli 2007 oder Lesungen bekann- ter Autoren wie Kreisheimatpfleger Josef Fendl im Oktober 2007, zur Bekanntheit und Beliebtheit von Heilsberg bei.

2.4. Aufbau der Burg

2.4.1. Das Grabensystem Im Norden und Westen der Burg ist diese durch einen Burg- graben, genauer als Halsgraben bezeichnet, abgeschirmt. Ihm vorgelagert ist ein weiterer, kleinerer Graben, der vermutlich bei der Gewinnung von Baumaterial für die Burg entstand. Der Hohlweg im Westen liegt auf Höhe des Grabens und kann als dessen Fortführung gesehen werden19.

2.4.2. Außenmauern und Vorburg Im Süden und Südosten des Burgfelsens finden sich – das kleine Plateau, das sich in Richtung des Hanges erstreckt, begrenzend – vorgelagerte Mauern20. Sie münden im Westen in eine Erhöhung, die die Überreste einer – möglicherweise jüngeren – Vorburg sein könnten21. In deren Umfeld finden sich kleine, meist unter Erde verborgene Mauerreste.

2.4.3. Der Burghof Der Burghof weist eine annähernd ovale Form mit einem Durchmesser von etwa 37 Metern in Nord-Süd-Richtung sowie 30 Metern in Ost-West-Richtung auf. Eine Ringmauer, Bering genannt, umschließt ihn. Im Südwesten des Hofs befindet sich ein kleiner Torbogen, vermutlich ein früherer Abb. 11: Das Nordwesteck. Hier war die Außenschale am besten Kellerzugang. Reste der Burgkapelle, der Tore oder anderer 22 erhalten, was diesem Teil intern den Namen „Filet- Gebäude sowie einer im 15. Jahrhundert erwähnten Brücke stück“ einbrachte (April 2006). sind nicht mehr zu finden.

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2.4.4. Der Bergfried Der Bergfried der Burg Heilsberg sitzt an der Nordseite des Burgareals auf einer Felsspitze auf. Nördlich von ihm erstreckt sich der Halsgraben, südlich liegt der Innenhof der Burg. An der Nordost- und Nordwestecke scheinen die den Hof umgrenzenden Mauern in den Bergfried gemündet zu haben. Die der Ost- und Westseite haben eine Länge von etwa acht Metern, die der Süd- und Nordseite von etwa sieben Metern. Der Eingang zum Turm befand sich stark erhöht an der West- seite, hierauf lassen ältere Fotos sowie Befestigungslöcher für die Balken einer Eingangskonstruktion schließen. Bis auf Höhe der Balkenlöcher ist der Turm im Inneren massiv und umgibt eine Felsspitze. Da die Mauern eine Dicke von etwa zwei bis zweieinhalb Metern hatten, blieb nur ein äußerst klei- ner Innenraum von etwa neun Quadratmetern. Dies lässt dar- auf schließen, dass der Turm nicht zu Wohnzwecken, sondern nur zur Verteidigung und Beobachtung diente. Bemerkens- wert an den Maßen des Bergfrieds ist vor allem, dass sie bei- nahe exakt mit denen des Turms der Nachbarburg in Brenn- berg übereinstimmen, so dass man sich anhand dieses Turms ein Bild des Bergfrieds der Burg von Heilsberg machen kann. Die Mauern des Bergfrieds bestanden aus drei Schichten. Die äußerste Schicht bildeten Buckelquader, deren Form – eine 23 Modeerscheinung des 11. Jahrhunderts – typisch für Wehr- Abb. 12: Die Südwestecke des Bergfrieds 1964. Sie hielt noch bis bauten aus dieser Zeit ist. Sie haben im Schnitt eine Höhe von ins Jahr 2000. etwa 40 Zentimetern. Die massivsten Exemplare, die bis zu 500 Kilogramm schwer sind, wurden unten verbaut, während die übrigen Steine aus bautechnischen Gründen nach oben zunehmend kleiner werden. Obwohl die Steine nach außen hin wie Quader wirken, sind sie an der Innenseite meist wenig bearbeitet und unförmig. Der Buckelquaderschicht folgt eine 3. Konservierung und Sanierung der Burg Heilsberg Füllschicht aus Bruchsteinen und Ziegeln. Nach innen bildete eine dritte, abschließende, glatt bearbeitete Mauerschicht die Wand des Innenraums. Inwiefern der Turm nach oben durch 3.1. Der Förderverein eine Stein- oder Holzkonstruktion abgedeckt war, ist nicht Nachdem sich jahrhundertelang niemand um den Zustand mehr feststellbar. der Burg gekümmert hatte, versuchte der damalige Wiesen-

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Abb. 13: Die im Lauf der Jahre freigelegte zweite Mauerwerks- Abb. 14: Balken bewahrten die Nordwestecke des Turms vor schicht. Die Steine lagen zum Teil nur noch lose auf dem Zusammenbruch (April 2006). und stellten eine Gefahr für Besucher dar (Juli 2006). ter Ortsheimatpfleger Friedrich Stutz in den 70er-Jahren erst- such zur Erhaltung der Ruine gewagt. Dieser hatte, begüns- mals, Mittel und Bereitschaft zum Stopp des zunehmenden tigt durch einen Mentalitätswandel der Gemeinde Wiesent in Verfalls der Ruine zu gewinnen. Er scheiterte aber am feh- Belangen der Denkmalpflege sowie ein zunehmendes Interesse lenden Interesse der Öffentlichkeit und der Gemeinde für ein der Öffentlichkeit am Mittelalter, die Gründung eines „För- solches Projekt. dervereins zur Erhaltung der Burgruine Heilsberg e.V.“ im Erst Jahrzehnte später, als sich der endgültige Kollaps Dezember 2003 zur Folge. Nachdem schließlich die Anstren- des Bergfrieds durch den Zusammenbruch des Mauerwerks gungen der Gemeinde Wiesent – sie hatte seit 1991 versucht, am südwestlichen Eck des Turms im Jahr 2000 ankündigte, die Ruine vom Fürstenhaus Thurn & Taxis zu erwerben, wurde unter Ortsheimatpfleger Peter Lutz ein erneuter Ver- in dessen Besitz das Burgareal sich seit 1812 befand24 – im

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Abb. 15: Aufmaß der Nordseite mit Ausbruch in der Mitte. Abb. 16: Fotografie der Nordseite (November 2005).

Herbst 2003 von Erfolg gekrönt waren, ging die Ruine für einer mehrere Meter dicken Erdschicht, die sich im Laufe den symbolischen Preis von einem Euro in den Besitz der der Zeit aus Blättern gebildet hatte, bedeckt war. Die inneren Gemeinde. und äußeren Mauern waren unter Erdwällen verschwunden. Über das gesamte Burgareal waren Bäume gewachsen, die mit 3.2. Zustand der Ruine bei Gründung des Fördervereins ihren Wurzeln das noch verbliebene Mauerwerk bedrohten. im Jahr 200325 Die einzig noch erkennbaren Bauwerke waren ein Rundbo- Mittlerweile bot die Ruine jedoch einen traurigen Anblick. gen, der vermutlich früher zu einem Kellereingang gehörte Mauern waren nur noch vereinzelt erkennbar, Buckelquader (im südwestlichen Teil des Innenhofs) sowie der Stumpf des waren über den gesamten Burghof verstreut, welcher von Bergfrieds an der Nordseite der Anlage. Während die Sub-

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Abb. 17: Fotografie der Ostseite (November 2005). Abb. 18: Aufmaß der Ostseite.

stanz der im Boden verborgenen Mauern vor Wind und Wet- weitere Schäden verursachte. Durch diese Lockerungen war ter geschützt ist und dementsprechend weitgehend intakt zu die Außenverschalung des Turms nur noch an der Nordwest- sein scheint, wie man an mehreren Stellen sehen kann, an ecke und der, dem Innenhof zugewandten, Südseite vorhan- denen das Wurzelwerk umgestürzter Bäume diese beim Sturz den. Jedoch war auch diese akut bedroht, wie der Abgang der freigelegt hat, ist die Substanz der sichtbaren, der Witterung Südwestecke der Verschalung im Jahr 2000 zeigte. Vereinzelt ausgesetzten, Mauern deutlich angegriffen. Durch Regen und waren auch Quader der Außenverschalung durch Frost- und Kälte kam es in den Verfugungen der Mauern zu Frostspren- Pflanzeneinwirkung in zwei Teile zersprengt. An den Stellen, gungen. Humusbildung durch Blätter ermöglichte die Besied- an denen die Verschalung fehlte, war die innere Schale aus lung durch Pflanzen, deren Wurzelwerk in den Mauerritzen kleineren Bruchsteinen und Ziegeln zu erkennen. Auch hier

98 Wolfgang Lutz . Die Burg Heilsberg

Abb. 19: Aufmaß der Südseite. Abb. 20: Fotografie der Südseite mit Stützbalken (Mai 2006).

waren die Verfugungen stark angegriffen, das Mauerwerk war stark zerklüftet, die Mauerkronen abgetragen. Schutt äußerst brüchig. Die Nord- und Ostseite der Verschalung war sowohl nach außen wie nach innen herabgefallen. Das waren schon länger nicht mehr vorhanden, sondern lagen im Innere des Turms war nicht mehr erkennbar, sondern beinahe etwa fünf Meter tiefen Halsgraben, der die Burg im Norden komplett durch Schutt aufgefüllt. Auch auf dem Turm fand und Osten begrenzt. An der Nordseite des Bergfrieds befand sich ein sehr starker Bewuchs durch Pflanzen. Der Fuß des sich ein Ausbruch von etwa zwei Metern Durchmesser und Bergfrieds war durch einen mehrere Meter hohen Schuttkegel eineinhalb Metern Tiefe. Dieser entstand vermutlich bei verdeckt. Unter diesem befanden sich auch die verbliebenen einem Versuch von Neugierigen oder „Schatzgräbern“, in Ansätze der Außenverschalung. Der oberirdische Teil des das Innere des Turms zu gelangen. Die Oberseite des Turms Bergfrieds hatte noch in etwa eine Höhe von neun Metern.

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Abb. 22: Aufmaß der Westseite.

Die höchste Stelle, ein Mauerpfeiler an der Westseite, war jedoch so instabil, dass er aus Sicherheitsgründen zum Teil abgetragen und später wiedererrichtet werden musste.

3.3. Maßnahmen zur Erhaltung der Burg Um den weiteren Verfall der Burg aufzuhalten, wurde, in Abb. 21: Fotografie der Westseite mit Stützbalken und herunter- Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Landesamt für Denk- gefallener Abdeckplane (Mai 2006). malschutz, das Amberger Ingenieursbüro ALS mit den Pla-

100 Wolfgang Lutz . Die Burg Heilsberg nungen zur Erhaltung beauftragt. Dieses führte zunächst im Arbeiten am Sockel sowie die Sicherung des Mauerbogens an Sommer 2004 Untersuchungen bezüglich der Statik der ver- der Südseite sind für das folgende Jahr geplant. bliebenen Bauwerke durch, um die Sicherheit der Arbeiter zu gewährleisten. Anschließend wurden statische Aufmaßpläne 3.3.1. Arbeiten des Fördervereins des Bergfrieds und des Torbogens angefertigt, mithilfe derer Die Arbeiten des Fördervereins im Mai 2006 dienten vor das weitere Vorgehen geplant wurde. Um während der Zeit allem der Vorbereitung der darauf folgenden Arbeiten durch bis zum Beginn der Bauarbeiten im Mai 2006 weitere Schä- die Baufirma. Zunächst wurde damit begonnen, möglichst den zu verhindern, wurde die Ruine im Winter 2005/2006 viele der über das Burgareal verteilten Steine und Buckelqua- professionell mit Stützbalken gesichert und durch Planen vor der zusammenzusuchen und zur Verwendung bereitzustellen. Wettereinfluss geschützt. Des Weiteren wurden bereits Wege- Da die Ausbeute an Buckelquadern im Innenhof jedoch bei bauarbeiten, vor allem am vom Pangerlhof herabführenden weitem nicht zur Sanierung ausreichte, wurde die Suche im Hohlweg, sowie Holzfällarbeiten zur Lichtung des Burgareals Halsgraben der Burg fortgeführt. Hier fand man große Men- durchgeführt. Im Mai 2006 begannen schließlich die vorbe- gen der im Lauf der Jahrhunderte herabgefallenen Steine. reitenden Arbeiten durch den Förderverein, bevor die Bau- Eine der wichtigsten Aufgaben war zunächst das Anlegen arbeiter der Baufirma Weigert im Juli mit ihrer Arbeit am eines breiten, auch mit schwerem Gerät befahrbaren, Weges Bergfried begannen. Letztere waren bis Mitte Oktober 2006 am Südhang des Innenareals. Dieser war nötig, um Bauma- abgeschlossen. Mitte April 2007 folgten Arbeiten zur Freile- terialien wie Mörtel vom nahe gelegenen Pangerlhof in den gung des Sockels des Bergfrieds an der Hofseite. Dieser war Burghof bringen zu können. Auch wurde er benötigt, als sich unter Schutt, der sich im Laufe der Jahrhunderte vor allem der Schrägaufzug, der für die Beförderung der im Halsgraben durch Laubwerk angesammelt hatte, verborgen. Durch die liegenden Buckelquader in den Burghof aufgebaut worden Freilegung des Sockels nahm die sichtbare Front des Turms war, als ungeeignet erwies. Die Quader mussten stattdessen um 4 Meter auf nun 12 Meter im Ganzen zu, weit mehr, als per Lader nach oben gebracht werden. Die dritte wichtige vor Beginn der Freilegung vermutet. Das Mauerwerk des Aufgabe vor Beginn der Sanierung des Bergfrieds war die Turms reicht also bis auf Höhe des Burghofs hinab. Im Vor- Schaffung einer Arbeitsplattform rund um den Bergfried. Auf feld des Burgfests Mitte Juli 2007 wurden des Weiteren Arbei- dieser wurde später das Arbeitsgerüst errichtet. Um die Ver- ten unternommen, um das Burgareal besucherfreundlicher zu schalung des Turms wiederherstellen zu können, wurde vor gestalten. Schutt und Erdreich wurden aus dem Innenhof weg- dem Anlegen der Plattform die jeweils unterste, noch verblie- geschafft und in einem Teil des Grabens bis zum endgültigen bene Buckelquaderschicht freigelegt, auf die später die neue Abtransport zwischengelagert. Durch die Aufräumarbeiten Verschalung aufgebaut wurde. Nachdem diese Vorbereitun- entstand eine große, ebene Freifläche für Veranstaltungen im gen abgeschlossen waren, wurde das Arbeitsgerüst errichtet. Hof. Mehrere Holzgeländer schützen Besucher an gefährlichen An dieses angebaut war ein Lastenaufzug, mit dem Material Stellen vor dem Sturz in den Burggraben. Informationstafeln, vom Hof auf das Gerüst gebracht werden konnte. die im Zuge des so genanten Burgenwegs konzipiert wurden, wurden im Burghof aufgestellt. Mehrere die Sicherung der 3.3.2. Arbeiten der Baufirma Ruine behindernde oder bedrohende Bäume wurden gefällt. Im Vordergrund der Arbeiten zur Sanierung stand die Verhin- Die Durchführung letzter, die Stabilität des Turms sichernder derung weiterer Schäden. Um das weitere Ablösen der Außen-

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Abb. 23: Großflächige Hinterfüllung durch Verwendung von Abb. 24: Die Lücke zwischen den Mauerschichten wird gefüllt Packern (Oktober 2006). (August 2006).

und Innenschale zu verhindern, wurden diese mit herabge- mit Windung werden durch beide Schalen durchdringende fallenem Material ergänzt und stabilisiert. Mit dem danach Bohrlöcher geführt und anschließend mit Hilfe von „Packer“ noch vorhandenen Material wurde anschließend möglichst genannten Plastikschläuchen gefestigt. Die Packer werden viel der zum Innenhof gewandten Turmseiten rekonstruiert. in das Mauerwerk miteingebracht. Anschließend wird unter Das in der Nordseite des Turms klaffende Loch wurde gefüllt Druck Kalkmörtel durch sie gepresst. Durch diesen Mörtel und zugemauert, um auch diese Gefahr für die Stabilität des bekommen die Gewindeanker Halt und bewirken eine Stabi- Turmes aus der Welt zu schaffen. Da an einigen Stellen die lisierung des Turms. Die Packer werden anschließend abge- Verbindung zwischen der äußeren und inneren Schale durch schnitten und von außen mit Mörtel verdeckt. Am gesamten Erosion zerstört worden war, und so ein baldiger Verlust der Turm wurden ausgewaschene Fugen gesäubert, von Bewuchs äußeren Schale an diesen Stellen zu befürchten war, wurde die befreit und neuverfugt, dahinter liegende Hohlräume eben- Verbindung durch das Einbringen von Mörtel und Steinen wie- falls mit Hilfe von Packern gefüllt. Steine, die nur locker auf derhergestellt. Der Zusammenhalt der beiden Schalen wurde dem Turm auflagen, wurden neu vermauert. Um einen bes- außerdem durch den Einbau einer großen Zahl von Gewin- seren Wasserablauf zu ermöglichen, wurde das Mauerwerk deankern aus Edelstahl unterstützt. Diese Edelstahlstangen nach oben hin immer weiter zurückgenommen, so dass die

102 Wolfgang Lutz . Die Burg Heilsberg

Abb. 25: Eine weitere Mauerkrone, die von Erde und Pflanzen Abb. 26: Der bis zum Fels freigelegte Innenraum. In der hinte- bedeckt ist (August 2006). ren Ecke sind die Ansätze der Innenmauern erkennbar (August 2006).

Wände eine leichte Schräglage aufweisen. Die stark zerklüfte- Überreste der inneren Mauerschale stieß, konnte diese eben- ten Mauerkronen wurden abgenommen und neu aufgemau- falls bis auf Höhe der Mauerkronen hochgezogen werden. ert, auch dies diente dazu, einen ungehinderten Ablauf von Der Boden des Innenraums wurde mit Spezialplanen belegt, Regenwasser zur ermöglichen26. Nachdem die Außenmauern um den Wasserablauf durch ein Rohr, das an der Westseite stabilisiert worden waren, begannen nun die Arbeiten im aus dem Turm führt, zu gewährleisten. Die Spezialplanen ver- Innenraum. Um einen Zusammensturz des Turms nach innen hindern außerdem Pflanzenbewuchs. Auf die Planen wurde zu verhindern, wurde der Schutt, mit dem der Innenraum abschließend eine Kies und Steinplattenschicht aufgebracht, gefüllt war, herausgeräumt. Nach wenigen Metern stieß man, um die Entfernung von Blättern zu erleichtern. Der sichtbare auf Höhe des – an der Außenseite noch ansatzweise erkennba- Teil des Wasserabflusses bekam, der Optik wegen, eine Ver- ren und auf alten Fotografien noch sichtbaren – Eingangs auf kleidung aus Eichenholz. eine Felsschicht. Diese gehört zu der Felsspitze, auf welcher Da alle Maßnahmen, welche ein Gerüst benötigten, bereits der Bergfried aufsitzt und stellt damit den unteren Boden des 2006 durchgeführt werden konnten, ersparte man sich ein Innenraums dar. Der Boden des Innenraums liegt damit etwa kostenintensives Ab- und Wiederaufbauen, beziehungsweise sieben Meter über dem Burghof. Da man im Inneren auf die ein Mieten des Gerüstes über den Winter. Die Sicherung des

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Abb. 27: Der wiederhergestellte Innenraum des Bergfrieds Abb. 28: Die neuen Mauerkronen ohne Verfugung (Oktober (Oktober 2006). 2006).

Abb. 29: Die Südseite vom Burghof aus (Oktober 2006). Abb. 30: Die wiederhergestellte Nordseite (Oktober 2006).

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Abb. 31: Zwischenstand der Freilegung des Sockels. Die Schaufel dient zur Verdeutlichung der Größenverhältnisse (April 2007).

im Jahr 2007 freigelegten Teils des Sockels des Turms und des Torbogens sind für das Jahr 2008 geplant.

3.4. Kosten der Sanierung Die Arbeiten zur Erhaltung des Bergfrieds wurden in zunächst zwei Bauabschnitte unterteilt, die im Jahr 2006 und 2007 ausgeführt werden sollten. Jedoch konnte der zweite Bauab- schnitt aufgrund des raschen Arbeitsfortschritts und günsti- ger Wetterbedingungen zum Großteil ebenfalls noch im Jahr 2006 durchgeführt werden. Für die Sanierung und Konser- vierung des Bergfrieds waren Kosten von 125.000,– Euro Abb. 32: Die Nordwestecke. Am rechten mittleren Bildrand ist angesetzt. Diese setzen sich zusammen aus 5.000,– Euro für der eichenholzverzierte Abfluss aus dem Innenraum zu die statische Untersuchung, insgesamt 25.000,– Euro für Pla- sehen (Oktober 2006).

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Abb. 34: Die Nordseite. Sehr gut zu erkennen ist, dass der Aus- bruch gefüllt und vermauert ist (Oktober 2006).

nung und Bauüberwachung der beiden Bauabschnitte sowie 95.000,– Euro für die Arbeiten in beiden Bauabschnitten. Die so entstandenen Kosten von 125.000,– Euro werden etwa zur Hälfte von der Gemeinde Wiesent mit 60.000,– Euro getragen, während die verbleibenden 65.000,– Euro durch staatliche Förderungen aufgebracht werden. Diese setzen sich zusammen aus 54.500,– Euro Förderung durch das Bayeri- sche Landesamt für Denkmalpflege, 6.000,– Euro Förderung durch die Bayerische Landesstiftung und 4.500,– Euro Förde- Abb. 33: Speis und Trank im neu gestalteten Burghof (Juli 2007). rung durch den Bezirk Oberpfalz.

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Abb. 35: Panoramaaufnahme von Turm, Innenhof, Torbogen und Mehrzweckbude (September 2007).

3.5. Ausblick auf das weitere Vorgehen an der Ruine 1 Vgl. Boos, Burgen, S. 145. 2 Vgl. Ress, Geschichte, S. 16, S. 91, S. 177. Nachdem die Arbeiten am Bergfried weitestgehend abge- 3 Vgl. Boos, Burgen, S. 143ff. schlossen sind, steht als nächstes die Sicherung anderer Bau- 4 Vgl. ebd., S. 143. werke wie des Bogens im Südwesten an. Auch stehen weitere 5 Vgl. ebd., S. 144. 6 Vgl. ebd., S. 145. Wegverbesserungs- und Wegsicherungsarbeiten an. Weitere 7 Vgl. ebd. kulturelle Veranstaltungen sind, neben regelmäßigen Führun- 8 Vgl. Ress, Geschichte, S. 16, S. 91, S. 177. 9 Vgl. Walderdorff, Regensburg, S. 390. gen auf die Burgruine, ebenfalls angedacht, um das Interesse 10 Vgl. Boos, Burgen, S. 144. an der Ruine zu erhalten. 11 Eintragung im Index zur Herrschaft Heilsberg im Fürstlichen Archiv Thurn und Taxis, „Zusammenfassung der Geschichte der Burg“, o.O, o.V., o.J., S. 1. 12 Vgl. Boos, Burgen, S. 144. 13 Vgl. ebd.

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14 Zit. Phillipp Apian nach Boos, Burgen, S. 144. 15 Zit. nach Boos, Burgen, S.144 sowie Mader, Regensburg, S. 83. Abbildungsnachweis: 16 Vgl. Boos, Burgen, S. 144. Abb. 1: Top. Karte Roding L6940, Bayerisches Landesvermessungsamt, 1974, ver- 17 Vgl. Will, Einnahme, S. 15. größert und bearbeitet (Markierung, Maßstab) 18 Erschienen in Schaching, Waldesrauschen. Abb. 2: Eigenes Archiv, aufgenommen im Mai 2006 19 Vgl. Boos, ebd., S. 143. Abb. 3: Aus: Fendl, Heilsberg und die Heilsberger, 1980, S. 20 20 Vgl. ebd. Abb. 4: Aus: Josef Fendl (Hrsg.), Straubinger Kalender 2007, Straubing 2006, 21 Vgl. ebd., S. 57. S. 96 22 Vgl. ebd., S. 144. Abb. 5: Architekturbüro ALS im Auftrag der Gemeinde Wiesent 23 Vgl. ebd., S. 145. Abb. 6: Eigenes Archiv, aufgenommen im November 2005 24 Indexeintrag im fürstlichen Archiv Thurn und Taxis, o.O., o.V., o.J. Abb. 7: Eigenes Archiv, aufgenommen im November 2006 25 Vgl. Baugutachten von Walter Sperlich im Auftrag des Architekturbüros ALS Abb. 8: Eigenes Archiv, aufgenommen im September 2006 (Juli 2004). Abb. 9: Privatarchiv Theobald Menath, Aufnahme von 1964 26 Vgl. ebd., S. 11. Abb. 10: Eigenes Archiv, aufgenommen im November 2005 Abb. 11: Eigenes Archiv, aufgenommen im April 2006 Abb. 12: Privatarchiv Theobald Menath, Aufnahme von 1964 Abb. 13: Eigenes Archiv, aufgenommen im Juli 2006 Abb. 14: Eigenes Archiv, aufgenommen im April 2006 Abb. 15: Architekturbüro ALS im Auftrag der Gemeinde Wiesent Abb. 16: Eigenes Archiv, aufgenommen im November 2005 Abb. 17: Eigenes Archiv, aufgenommen im November 2005 Literaturverzeichnis Abb. 18: Architekturbüro ALS im Auftrag der Gemeinde Wiesent Literatur zur Geschichte der Heilsberger Burg: Abb. 19: Architekturbüro ALS im Auftrag der Gemeinde Wiesent Andreas Boos, Burgen im Süden der Oberpfalz. Die früh- und hochmittelalterlichen Abb. 20: Eigenes Archiv, aufgenommen im Mai 2006 Befestigungen des Regensburger Umlandes (Regensburger Studien und Quellen Abb. 21: Eigenes Archiv, aufgenommen im Mai 2006 zur Kulturgeschichte 5), Regensburg 1998. Abb. 22: Architekturbüro ALS im Auftrag der Gemeinde Wiesent Josef Fendl, Heilsberg und die Heilsberger, in: Chronik der Gemeinde Wiesent, hg. Abb. 23: Eigenes Archiv, aufgenommen im Oktober 2006 von Wilhelm Gegenfurtner, Wiesent 1980, S. 17-25. Abb. 24: Eigenes Archiv, aufgenommen im August 2006 Thomas Hausladen, Geschichte der katholischen Pfarrei Wiesent und der Herrschaf- Abb. 25: Eigenes Archiv, aufgenommen im August 2006 ten Wiesent und Heilsberg, Wiesent 1894 (Nachdruck 1978). Abb. 26: Eigenes Archiv, aufgenommen im August 2006 Joseph Schuegraf, Hailsberg und die Truchsessen von Heilsberg und Eckmühl, in: Abb. 27: Eigenes Archiv, aufgenommen im Oktober 2006 Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 6 (1841), Abb. 28: Eigenes Archiv, aufgenommen im Oktober 2006 S. 73-135. Abb. 29: Eigenes Archiv, aufgenommen im Oktober 2006 Abb. 30: Eigenes Archiv, aufgenommen im Oktober 2006 Sonstige verwendete Literatur: Abb. 31: Eigenes Archiv, aufgenommen im April 2007 Felix Mader (Bearb.), Bezirksamt Regensburg (Die Kunstdenkmäler des Königreichs Abb. 32: Eigenes Archiv, aufgenommen im Oktober 2006 Bayern; Die Kunstdenkmäler von Oberpfalz und Regensburg 21), München 1910 Abb. 33: Privatarchiv Ingeborg Pieringer, Juli 2007 (Nachdruck 1981). Abb. 34: Eigenes Archiv, aufgenommen im Oktober 2006 Otto von Schaching, Waldesrauschen. Geschichten aus dem Volk von Otto von Abb. 35: Eigenes Archiv, aufgenommen im September 2007 Schaching, Regensburg 31931. Hugo von Walderdorff, Regensburg in seiner Vergangenheit und Gegenwart, Regensburg (u. a.) 41896. Cornelius Will, Die Einnahme von Stadt-Kemnath am 12. März 1634. Beitrag zur Geschichte des 30jährigen Krieges in der Oberpfalz, in: Verhandlungen des His- torischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 47 (1895), S. 1-32. Eintragung im Index zur Herrschaft Heilsberg im Fürstlichen Archiv Thurn und Taxis, „Zusammenfassung der Geschichte der Burg“, o.O, o.V., o.J. Franz Michael Ress, Geschichte und wirtschaftliche Bedeutung der oberpfälzischen Eisenindustrie von den Anfängen bis zur Zeit des 30-jährigen Krieges, in: Ver- handlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 91 (1841).

Dokumente: Baugutachten von Walter Sperlich im Auftrag des Architekturbüros ALS (Juli 2004). Kostenaufstellung der Gemeinde Wiesent vom 26.10.2006.

108 Hubert Buchinger Die bayerische Volksschule im Wandel der Zeit Ein Beitrag zur Schulgeschichte Bayerns von 1800 bis zur Gegenwart

Als zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit Kurfürst Max IV. tember, als der gewöhnlichen Aerndtezeit ausgenommen“3, Josef (1799 – 1806) und nachmaligen König Max I. Josef vorschrieb. Darüber hinaus sollte künftig ein im Gefolge einer (1806 – 1825) sowie seinem leitenden Minister Maximilian erfolgreich abgelegten öffentlichen Abschlussprüfung ausge- Freiherr von Montgelas (1759 – 1838) zwei vom Geist der stellter Entlassungsschein „bey Aufdingung zu Handwerken, Aufklärung durchdrungene Männer darangingen, durch und bey späterer Verheyrathung, oder Besiznahme eines Guts Reformen von oben einen modernen, straff durchorgani- oder Hauses“4 Voraussetzung für die hierfür nötigen behörd- sierten bayerischen Staat öffentlich-rechtlichen Charakters lichen Genehmigungen sein. Am 12. September 1803 wurde zu schaffen, erfuhr auch das Volksschulwesen entscheidende die Werktagsschulpflicht durch die Sonn- und Feiertagsschul- Verbesserungen. Eine ihrer ersten Maßnahmen betraf unter pflicht ergänzt, der fortan „sowohl Knaben, als Mädchen Betonung der staatlichen Zuständigkeit für das Schulwesen vom 12ten bis zum 18ten Jahre einschlüßig“5 unterlagen. die Auflösung des seit 1573 kirchlich dominierten Geistli- Obschon die primär aus volkswirtschaftlichen Erwägungen chen Rates als Zentralbehörde und damit die Neuordnung heraus angeordnete Schulpflicht und die in ihrem Gefolge ein- der gesamten Unterrichtsverwaltung. Auf diese Weise wurde setzende Priorisierung des Leistungsprinzips gegenüber dem das Schulwesen gegen den Widerstand der Kirche alleinige lange vorherrschenden Standesprinzip die Bildungschancen Staatsangelegenheit. Der Ortsgeistliche blieb zwar „inspec- ganz allgemein, vor allem aber von Mädchen erhöhte, denen tor natus“ seiner Schule, übte aber die lokale Schulaufsicht fortan nur noch im Auftrag des Staates aus. Nachdem bereits der Toleranzerlass von 1804 die planmäßige Errichtung von Schulen ohne Rücksicht auf die Konfessionen angeordnet Bei diesem Beitrag handelt es sich um die überarbeitete hatte, gebot die Schulsprengelverordnung von 1810, dass Fassung eines Festvortrags, der am 27. April 2007 anläss- künftig für die Sprengelbildung nicht mehr die Grenzen einer lich der Eröffnung der Sonderausstellung „Schule und 1 Pfarrgemeinde, sondern jene „des Gemeindegebiets“ bestim- Bildung im Landkreis Regensburg“ des Heimatmuseums mend sein sollten. Altenthann gehalten wurde. Diese Sonderausstellung fand Als eigentliche Gründungsurkunde des gemäß den Allge- im Rahmen eines gleichnamigen Projekts des Kreisarchiv- meinen Grundsätzen der Regierung intendierten Volksschul- pflegers Dr. Artur Dirmeier statt und war bis zum 14. wesens gilt die Schulpflichtverordnung vom 23. Dezember Oktober 2007 zu sehen. Die Abbildungen zeigen lediglich 1802, die unter massiver Strafandrohung für alle „Kinder vom eine kleine Auswahl der in Altenthann präsentierten Expo- 2 6ten bis wenigst ins vollstreckte 12te Jahr“ den Schulbesuch nate. „das ganze Jahr hindurch, von Mitte des Julius bis 8ten Sep-

109 Regensburger Land . Band 1 . 2008

bisher wegen ihrer häuslichen Verwendung ein Schulbesuch verwehrt geblieben war, bedurfte es zu ihrer Umsetzung Jahr- zehnte. So entnehmen wir einer Schülerliste aus Hainsacker, dass 1828 von 150 Schülern „im Monat Mai nur noch … 20 kamen, im Monat Juni und Juli und zur Zeit der Feldarbeit gar keine!“6. In Wörth beliefen sich 1853/54 die schuldhaf- ten Versäumnisse pro Schüler und Jahr auf „durchschnittlich 73 versäumte Halbtage“7 und in der Oberpfalz 1900/01 auf 178. Das bedeutendste Ereignis war jedoch die am 7. Septem- ber 1804 für Altbayern genehmigte Einführung des „neuen Lehrplanes für die churpfalz-baierischen Elementar-Schu- len“9, wodurch diese erstmals zu „öffentliche(n) Unterrichts- anstalten (erklärt wurden), in welchen die ersten, allgemeins- ten und jedem Menschen unentbehrlichsten Kenntnisse ge- lehrt werden“10 sollten. Der im Geiste Johann Heinrich Pes- talozzis (1746 – 1827) und des Philanthropinismus von Matthias Weichselbaumer (1764 – 1830) entworfene und von Staatsrat Joseph Wismayr (1767 – 1858) redigierte und mit einer zukunftsweisenden „Instruktion für die Elementar- Lehrer“11 versehene Lehrplan fasste den Unterrichtsstoff un- ter den Kategorien I. Gott, II. Mensch, III. Natur, IV. Kunst, V. Sprache sowie VI. Zahl- und Maßverhältnisse zusammen. Mit diesem Lehrplan erhielt der „Sachunterricht eine in der Schulgeschichte nie innegehabte und auch später kaum wie- der erreichte Position im Fächerkanon“12 und die Elementar- didaktik erstmals eine moderne, „auf Schüleraktivität und

Abb. 1: Max IV. Joseph (1799 – 1825) setzte nach 1802 die Schul- pflicht (Unterrichtspflicht) in Bayern durch. Ab 1806 König von Bayern.

110 Hubert Buchinger . Die bayerische Volksschule im Wandel der Zeit denkwirksame Methoden setzende Lehrweise. Unterricht im Freien, Unterrichtsgänge, Gartenarbeit, Stillbeschäfti- gung, Beobachtung, Vergleich, handlungsorientierte Erzäh- lungen im Geschichtsunterricht, Anlegen von Sammlungen, Fertigung von Karten und vor allem das ‚Selbst-Erfinden‘ kennzeichneten die unterrichtsmethodische Vorgehensweise. Selbst das Experiment fand unter Wismayr Eingang in den Sachunterricht“13. Zeitlos gültig bleibt auch seine Hauptfor- derung, wonach eine Schule für alle Kinder stets eine Stätte der Freude sein sollte. Wismayrs Lehrplan hatte bis 1926 Bestand. Denn auch die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erschienenen Kreis- lehrpläne – jener aus der Oberpfalz datiert von 1869 – waren formaljuristisch nichts anderes als Ausführungsbestimmun- gen zum obsolet gewordenen Niethammerschen Normativ von 1811. Dieses Normativ war seinerseits de facto nur ein Kommentar zur Instruktion, die Wismayr seinem Lehrplan für die Hand der Lehrer beigefügt hatte. Auch die soziale Lage der Lehrer suchte die Regierung zu verbessern, indem sie 1807 Gemeindegrund zur Eigennutzung an die Dorfschullehrer übertrug und Lehrer generell vom Militärdienst freistellte. Die herausragende Bedeutung der 1810 mit der Verleihung des Mesner- und Organistendienstes an die Lehrer einhergehenden Verschmelzung der Einkom- men aus Schul- und Mesnerdienst erhellt die Tatsache, dass letzterer noch 1865/66 mit 75.995 fl. 28,9 % der gesamten Oberpfälzer Lehrstellenerträge in Höhe von 262.392 fl.14 aus- machte.

Hinzu kam am 11. Juni 1809 ein „Allgemeines Regulativ für die Ordnung der Schullehrer-Seminarien und die Bildung der Volksschullehrer“15, das erstmals die in den verschiedenen Landesteilen vorfindlichen Formen der Lehrerbildung verein- heitlichte und mit der seminaristischen Lehrerbildung jenen Abb. 2: „Notizenbuch“ der Schule Altenthann mit Auszug aus Typ Lehrerbildung schuf, der in Bayern für annähernd 150 der „Distriktschulstatistik“ der deutschen Schule von Jahre bestimmend sein sollte. Das Lehrerseminar im damali- 1833.

111 Regensburger Land . Band 1 . 2008

Hilfslehrer Auf der Innenseite des Lehrerpultes der Schule von Alten- „Hilfslehrer“ waren Lehrer, die gerade ihre Ausbildung an thann haben im Zeitraum von 1860 bis 1923 (so lange war der Lehrerbildungsanstalt hinter sich hatten und zum Lehrer das Pult also mindestens im Gebrauch) 41 Hilfslehrer ihre in einem ähnlichen Verhältnis standen wie der Geselle zum Namen hinterlassen. Einer von ihnen hat die Überschrift Meister. Sie wohnten in der Wohnung des Lehrers, wurden „Unglückliche“ hinzugefügt und spätere Lebensdaten. in seinem Haus verpflegt und erhielten auch ihren Lohn vom Wenigstens sechs von ihnen sind jung gestorben – meist an Lehrer. Sie standen dadurch in einem engen Abhängigkeits- Tuberkulose (genannt „Lungenspitzenkatarrh“). verhältnis, aus dem sich viele Konfliktsituationen ergaben. In einem Brief von 1874 rechtfertigt sich ein Altenthanner Lehrer gegen Anschuldigungen seines Schulgehilfen, dieser bekäme nicht genug zu essen, und auch seine Wäsche würde nicht richtig versorgt.

1. H. sagt, er habe nur lauter altbackene Batzen zum Kaf- fee bekommen. Darauf erwidere ich, daß es in Altenthann freilich nicht alle Tage neugebackenes Brod gibt, wie in der Stadt, was auch mir lieber wäre, aber 2 auch 3 mal backt der hiesige Bäcker doch und wurde dem H. nicht blos 1 Kr. Semmel, sondern täglich 2 und dreierlei Brod zum Kaffee vorgesetzt.

2. Macht H. den Vorwurf, daß er Fleisch von halbveren- deten Kühen und oft stinkendes Fleisch bekommen habe. Diesen Vorwurf kann ich wieder als ganz unbegründet zurückweisen. Der Brandmetzger in Adlmannstein schlach- tete zu Weihnachen eine Kuh. Er ließ uns dies sagen und meine Frau ging hin, um sich das Fleisch anzuschauen. Als sie selbes für preiswürdig fand, kaufte sie 10 Pfund a 15. Kr., die Hälfte davon bekam mein Schwager. Daß das Fleisch von keiner halbverendeten Kuh war, werden die Fleischbeschauer in Adlmannstein bezeugen u. daß das Pfund nicht 10, son- dern 15 Kr. kostete, kann der Metzger und alle diejenigen Abb. 3: „Unglückliche“: die Hilfslehrer in Altenthann verewig- bezeugen, welche solches kauften. Stinkendes Fleisch bekam ten sich von 1860 – 1923 im Pultdeckel. ich, solange ich in Altenthann bin, nicht. Der Metzger Witzl

112 Hubert Buchinger . Die bayerische Volksschule im Wandel der Zeit

in Donaustauf, von dem ich seit meines Hierseins das Rind- oder was es sonst zum Nachtessen gibt, nur für mich und den fleisch beziehe, schlachtet jeden Freitag oder Samstag und Schulgehilfen berechnet ist, da meine Frau, Schwiegermutter bekomme also das Fleisch, welches der Bote am Samstag mit- und Magd außer der Suppe nichts essen. Ebenso kann wieder bringt, jedesmal frisch. eidlich erhärtet werden, daß für den Gehilfen jedesmal min- destens 2 Würste berechnet waren. 3. Der Vorwurf H.’s, daß er nicht genug zu essen bekam, ist wieder so unverschämt wie die ersteren zwei. Von unserer 4. Wenn H. bezüglich der Wäsche Vorwürfe macht, so Magd kann eidlich bezeugt werden, daß das Fleisch, welches wird aus dem Atteste des Oberberger hervorgehen, daß die- tagtäglich auf den Tisch kommt, gar nie aufgezehrt wurde. selbe ungerecht sind. Daß aber auch in dieser Beziehung alles Nebenbei muß ich bemerken, daß H. den ganzen Sommer hin- geschah, kann eidlich durch die Magd bezeugt werden. Als durch kein Gemüse aß, obwohl dasselbe so verschiedenartig er nach Altenthann kam, hatte er 2 Hemden. Eines hatte er war. Kam gesottenes Schaffleisch mit Bohnen oder Wirsching am Leibe, das andere hing gewaschen am Zaune. Dies dau- zu Tisch, so sagte er, warum dasselbe nicht in der Rahmsauce erte wenigstens 6 Wochen. Kann mehr verlangt werden? Und gebraten wurde. Kam gesottenes Schweinefleisch, so wäre wenn die Kirchwäsche als tauglich befunden wird und diese dasselbe gebraten mit Kartoffelknödel erwünscht gewesen, auf den Altar und für den Priester taugt – jedenfalls dann obwohl es in der Regel, solange der Schafstich ist, zweimal auch für den Schulgehilfen! Oder, wäre man verpflichtet in der Woche Braten gibt. Überdieß wurden den Winter hin- gewesen, in dieses ganz zerrissene Bettuch mindestens ½ Elle durch 10 gemästete Gänse und 2 Hasen gegessen. Das Nacht- Leinwand einzusetzen? essen besteht täglich in Suppe und Zuspeise als Carbonaden, Lunge, Essigfleisch, Würste etc. Wenn H. sagt, daß die paar Würste, die vorgesetzt wurden, nicht hinreichend waren für (Quelle: Staatsarchiv Amberg, Reg. d. Opf., Abgabe 1949 fünf Personen, so muß ich darauf erwidern, daß die Würste Nr. 11898)

gen Naab- und späteren Regenkreis wurde in Amberg einge- lischer Kreise um den späteren Bischof von Regensburg, richtet, wo von 1804 bis 1807 bereits ein privates Hilfslehre- Johann Michael Sailer (1751 – 1832), mächtige Gegner. rinstitut bestanden hatte. 1824 wurde das Amberger Seminar Anzeichen für restaurative Tendenzen finden sich bereits im mit Straubing verschmolzen, 1834 nach Eichstätt verlegt und Niethammerschen Normativ, das unter völliger Verkennung von 1880 bis zu seiner endgültigen Auflösung im Jahr 1924 ihres Bildungswertes die realistischen Kenntnisse im Fächer- erneut nach Amberg vergeben. kanon der insgesamt abgewerteten Volksschule für minder Doch schon erwuchsen der aufklärerischen Bildungspo- notwendig erachtete. Es folgte die Rückkehr zum Pfarrspren- litik unter Montgelas im Neuhumanismus, vor allem aber in gelprinzip bei der Bildung der Schulsprengel, was faktisch die der machtvollen Erneuerungsbewegung konservativ-katho- Wiedereinführung der konfessionsgebundenen Schule nach

113 Regensburger Land . Band 1 . 2008 sich zog. Mit dem Sturz von Montgelas am 2. Februar 1817, Realität, bedingt durch die zumeist geringe Finanzkraft der der Konkordatsunterzeichnung am 5. Juni 1817 und weiterer jeweiligen Gemeinde, anders aus. Von den Lehrern im Regen- kirchenfreundlicher Erlasse wurde schließlich „der Weg frei kreis bezogen 1830/31 84 weniger als 100 fl., 58 100 fl., 100 für die kirchliche Restauration im bereits weitgehend deka- 150 fl., 127 200fl., 90 250 fl., 74 300 fl., 46 350 fl. und 85 tholisierten Bayern“16. 400 fl. und mehr23. Erst das Schuldotationsgesetz von 1861, Diese nun unter König Ludwig I. (1825 – 1848) zur Poli- das die Mindesteinkommen je nach Ortsklasse auf 350 fl., tik erhobene Absicht, die Volksbildung restriktiv zu hand- 450 fl. und 500 fl. anhob, brachte eine gewisse Verbesserung, haben, fand zum Beispiel in der königlichen Anregung, die wie etwa die Lehrergehälter von 1866 in den nachfolgenden Schulpflicht zu verkürzen17 und dem laut Lehrerbildungsre- Orten belegen: Bernhardswald 411 fl., Hainsacker 528 fl., gulativ von 1836 regierungsamtlich gewollten Tiefstand der Heilinghausen 350 fl., Kirchberg 436 fl., Kürn 350 fl., Pielen- Lehrerbildung ihren Ausdruck. Die im Gefolge einer klein- hofen 476 fl., Pettendorf 464 fl., 558 fl., Wenzen- lichen und unduldsamen Kirchenpolitik geübte Gängelung bach 488 fl., Wolfsegg 350 fl. und Zeitlarn 392 fl.24. der Volksschule ging schließlich so weit, dass man sogar an Ein weiteres Problem war der vielfach nur mittelmäßige den Begriffen „Volksschule“ und „Volksschullehrer“ Anstoß bis schlechte Zustand der Schulhäuser in Bayern, deren An- nahm und sie durch „teutsche Schulen und Schullehrer“18 zahl 1820/21 immerhin 40,7 % betrug. Zur selben Zeit wur- ersetzte. Kurz darauf wurden alle Realien, die „sich als eigent- den bei einer Einwohnerzahl von 387.003 im Regenkreis licher Lehrgegenstand in die teutschen Schulen eingeschlichen 47.367 Schüler in 482 Schulhäusern unterrichtet, von denen hatten“19 verboten. Ausweislich sogenannter Würdigungta- man 256 hinsichtlich ihrer Bausubstanz als gut, 165 als mit- bellen wissen wir, dass dieses Verbot „von der Lehrerschaft telmäßig und 61 als schlecht einstufte25. Die Hauptursache für vielfach unterlaufen“20 wurde und so der Sachunterricht in diese Zustandsbeschreibung sah die Kammer der Abgeordne- eine bessere Zeit hinübergerettet wurde. Während der streng ten vor allem darin, „daß der den Volksschulen zugemessene konservativen Ära von Innenminister Carl August von Abel Antheil an der allgemeinen Dotation des öffentlichen Unter- (1788 – 1859), die 1837 begann und 1847 endete, wurde richts, kaum nothdürftig zureicht, wahrhaft arme Gemeinden den Lehrern der Besuch von Wirtshäusern und Tanzveran- im Baue ihrer Schulhäuser zu unterstützen“26. staltungen, das Tragen von Bärten sowie die Jagd verboten Die in der Folge unter König Max II. (1848 – 1864) betrie- und ihnen 1846 sogar das Heimatrecht in ihrer Dienstsitzge- bene Schulpolitik war ambivalent. Während der 1856 erfolgte meinde entzogen. Ausbau der Schulpflicht auf nunmehr sieben Jahre und das Hinzu kam, dass „der gemeine Taglöhner … sorgen- bereits erwähnte Schuldotationsgesetz das Volksschulwesen freier, zufriedener leben“21 konnte als viele Lehrer, wie Graf beförderten, hemmten das 1853 den Lehrern auferlegte Ver- von Drechsel 1831 vor der Abgeordnetenkammer ausführte. bot, die Schriften führender Pädagogen zu lesen und die im Gleichzeitig wurde von ihm die Not der Hinterbliebenen Lehrerbildungsnormativ von 1857 enthaltenen Restriktionen beklagt und die mancherorts „noch bestehende jährliche dessen positive Entwicklung. Kirchen-Collecte für die Schullehrer-Wittwen“22 als beschä- mend gegeißelt. Obschon ein bayerisches Reskript von 1804 Diese ermöglichte erst die liberalere Herangehensweise das Salär von Stadt- und Marktschullehrern auf 400 fl. und unter Ludwig II. (1864 – 1886). An erster Stelle ist hier das als das von Dorfschullehrern auf 300 fl. festgesetzt hatte, sah die Markstein in die Geschichte der bayerischen Lehrerbildung

114 Hubert Buchinger . Die bayerische Volksschule im Wandel der Zeit eingegangene Normativ von 1866 zu nennen. Dieses führte zur Vorbereitung auf das zweijährige Schullehrerseminar 35 staatliche Präparandenschulen mit einer Dauer von drei Jahren ein und beendete damit die Phase der sogenannten, von Schulmeistern ausgebildeten „Schullehrlinge“. Für die Oberpfalz wurden derartige Präparandenschulen in Amberg, Regensburg und Weiden eingerichtet. 1880 ersetzte Cham die in Pleinfeld aufgehobene Präparandenschule27. Nachdem der lange ersehnte Entwurf für ein freisinniges Volksschulgesetz der Staatsregierung 1869 am Widerstand kirchlich-konservativer Kreise gescheitert war, förderte der lehrerfreundliche Minister Johann von Lutz (1826 – 1890) das Volksschulwesen auf dem Verordnungsweg. Hierunter fallen die Wiedererlangung des Heimatrechts in der Dienst- sitzgemeinde, die erstmalige Gewährung einer fünfstufigen Dienstalterszulage zu je 50 fl., die Wiedereinführung der Fachaufsicht, die laut neuer Schulsprengelverordnung nun wieder mögliche Entstehung konfessionell gemischter Schu- len sowie die 1877 einsetzende Bildung der ersten aus der Abb. 4: Schuljahr 1907 mit Lehrerin Maria Besenhart und Verschmelzung von Präparandenschulen und Lehrersemina- HH. Pfarrer Josef Schweiger, Lokalschulinspektor. rien hervorgehenden fünfjährigen Lehrerbildungsanstalten. Für die Oberpfalz geschah dies 1880 in Amberg.

Die Zeit um die Jahrhundertwende war innerschulisch von der Pädagogik des Herbartianismus, seiner Formal- stufentheorie, aber auch von der durch die reformpädagogi- schen Bewegungen beförderten Einsicht geprägt, dass Cha- Der Zugang der Lehrer zu den örtlichen Aufsichtsbehörden, rakter- und Gesinnungsbildung einerseits und intellektuelle die Festlegung des Mindestgehaltes eines Lehrers bzw. einer Schulung andererseits einander nicht ausschließen. Damit Lehrerin auf 1.200 M bzw. 1.000 M sowie die Erweiterung war der Übergang von der herkömmlichen Lern- und Stoff- der Lehrerbildungsanstalten auf sechs und der Schullehrer- schule zur neuen Volksschule eingeleitet, die fortan unter dem seminarien auf drei Jahre begleiteten die beginnende reform- prägenden Einfluss der großen, zu Schul- und Erziehungsbe- pädagogische Erneuerung der Volksschule. 1907 machte die wegungen gewordenen, pädagogischen Strömungen wie jener Regierung den bereits 1903 genehmigten freiwilligen Besuch der Kunst-, Jugend- und Landerziehungsbewegung sowie der „besondere(r) Werktagsschulklassen für Kinder des achten Arbeitsschulidee im Sinne Georg Kerschensteiners (1854 – Schuljahres“28 allen Kindern in Sprengeln mit achtklassigen 1932) stand. Volksschulen zur Pflicht. Gleichzeitig ersetzte sie die Sonn-

115 Regensburger Land . Band 1 . 2008

Abb. 5: Verschiedene Zensur- und Absentenlisten von 1833 – 1912, hier von 1900/01.

116 Hubert Buchinger . Die bayerische Volksschule im Wandel der Zeit

Abb. 6: Schulanzeiger von 1923 mit der Versetzung der Lehrerin Emma Häusler.

117 Regensburger Land . Band 1 . 2008 tagsschule durch die Volksfortbildungsschule bzw. durch den Schule“ waren im nämlichen Jahr die Bildung von Lehrer- alternativen „Besuch einer Berufsfortbildungsschule“29, aus räten, die Simultanschulverordnung und das Volksschulge- der dann 1930 unsere heutige Berufsschule hervorging. setz bedeutsam, das die Lehrer erstmals zu „Beamten des Staates“31 machte, den Kirchen- vom Schuldienst trennte und Nach dem Sturz der Dynastie 1918 und erfolgter Prokla- das Lehrergrundgehalt auf „2100 M jährlich“32 anhob. Das mation der bayerischen Republik durch Kurt Eisner (1867 – erneut im Artikel 151 des Volksschullehrergesetzes bestä- 1919) übernahm der ehemalige Volksschullehrer Johannes tigte Eheverbot für Lehrerinnen fiel erst am 1. Juli 192133 im Hoffmann (1867 – 1930) das nun in „Staatsministerium für Anschluss an ein entsprechendes Urteil des Zivilsenates des Unterricht und Kultus“30 umbenannte Bildungsressort. Die Reichsgerichts vom 10. Mai 1921. von ihm betriebene Trennung von Kirche und Schule fand Die „Verordnung über Schulpflege, Schulleitung und bereits 1918 mit der Aufhebung der geistlichen Schulauf- Schulaufsicht“34 beschloss die Hoffmannschen Reformen, sicht ihre erste Realisierung. Höhepunkt der antikirchlichen die der neue Kultusminister Franz Matt (1860 – 1929) ab Kampagne war 1919 ein Erlass, der den Religionsunterricht 1920 einer gründlichen Revision unterzog. Nachdem man zum Wahlfach erklärte. Neben diesem Kampf um die „freie bereits 1920 durch Rückgriff auf eine Verordnung von 1883 die Bekenntnisschule wieder als Regelschule festgeschrieben hatte, sicherte das Konkordat von 1924 unter Inkaufnahme ungeteilter Schulen – in der Oberpfalz waren dies immerhin 42 % – den Fortbestand der Bekenntnisschule und der kon- fessionellen Lehrerbildung. Während sich hier infolge regie- rungsamtlichen Desinteresses der Fortschritt auf den 1924 beendeten Abbau der Präparandenschulen und eine Lehr- ordnung für Lehrerbildungsanstalten beschränkte, begann mit der vom Ideengut der Reformpädagogik durchdrungenen Lexschen „Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen“35 1926 eine neue Ära in der bayerischen Lehrplangeschichte. Die nationalsozialistische Machtergreifung im März 1933 brachte auch für die nunmehrige „Deutsche Schule“ einschnei- dende Veränderungen. Dem Erziehungsziel des „Deutsche(n) Mensch(ens)“36 und seiner Hinführung zur nationalsozialisti- schen Weltanschauung dienten eine Reihe von Entschließun- gen, die 1940 in den „Richtlinien über Erziehung und Unter- richt“37 und 1942 in einer „Landesschulordnung“38 gipfelten. Ihnen zufolge sollte nach der gewaltsamen und konkordats- widrigen Umwandlung der seit 1938 achtklassigen Bekennt- nisschule in die nunmehrige Gemeinschaftsschule „der leiblich Abb. 7: Schuljahr 1927 mit Lehrer Franz Gietl. und seelisch kerngesunde, rasse- und artbewußte, volksver-

118 Hubert Buchinger . Die bayerische Volksschule im Wandel der Zeit pflichtete, ehrbewußte, kampfesmutige, wehrhafte und schaf- fenstüchtige, der völkisch-politische, nationalsozialistische deutsche Mensch“39 herangezogen werden. Indoktrinationen seitens der NS-Diktatur, Entchristlichung der Schulen, Entfer- nung klösterlicher Lehrkräfte und der Kruzifixerlass von 1941 prägten neben vielen anderen administrativen Willkürakten die Schullandschaft. Allerdings veranlassten ein Proteststurm, unliebsame Zwischenfälle und die von einem nicht unerheb- lichen Teil der Bevölkerung zwangsweise durchgeführte Wie- deranbringung der Kruzifixe in den Schulen das Regime zur Aussetzung dieses Erlasses40. In der Diözese Regensburg wur- den in 68,6 % der Klassenzimmer die Kruzifixe daher auch nicht entfernt.

Wechselvoll war auch die Geschichte der Lehrerbildung, die 1935 an viersemestrige „Hochschulen“41 verlagert wor- den war und auf die die neu errichtete sechsklassige „Deut- sche Aufbauschule“42 vorbereitete. Doch schon 1940 wurde die Studienzeit wieder auf drei Semester verkürzt, 1941 die Hochschulen in fünfklassige Lehrerbildungsanstalten rück- Abb. 8: „Mein erstes Buch“, Brückl-Fibel von 1936. verwandelt und 1942 auf drei- bzw. neunmonatige Vorberei- tungs- bzw. Abschlusslehrgänge abgesenkt. Das 1945 vom Nationalsozialismus hinterlassene Bil- dungswesen war ein geistiges und materielles Trümmerfeld. 1945/46 stand einer durch den Zustrom von Flüchtlingen um 35 % gestiegenen Schülerzahl eine durch Krieg und Ent- nazifizierung um 70 % dezimierte Lehrerschaft gegenüber. den Lehrermangel suchte man bayernweit zunächst mit Son- „100.000 Schulpflichtige waren ohne jeden Unterricht“43. derlehrgängen unterschiedlichster Art zu begegnen, bevor Hinzu kam ein erheblicher Mangel an Schulräumen, von man 1946 „wieder zur konfessionellen sechsklassigen Lehrer- denen 1.069 zerstört, 1.844 beschädigt und 2.356 anderwei- bildungsanstalt“45 zurückkehrte. Diese Bekanntmachung war tig belegt waren. In der Oberpfalz zählte man im Schuljahr zugleich Teil der am 23. Juli 1945 mit der Wiedereinführung 1946/47 bei 140.827 Schülern 28.188 Flüchtlinge. Von die- der Bekenntnisschule begonnenen und durch die Bayerische sen erhielten 78.019 nur einen verkürzten und 292 überhaupt Verfassung vom 2. Dezember 1946 abgesicherten Rekonfes- keinen Unterricht. Erschwerend war ferner, dass von 705 sionalisierung des Volksschulwesens. Schulen 388 über keinerlei Lehrmittel und 185 nur noch über Nachdem man in Bayern nach 1945 keine Initiativen zu Reste ihres Lehrmittelbestandes verfügten44. Dem obwalten- einer umfassenden Schulreform entwickelt hatte, griff die

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Folge von Direktiven und Verboten seitens der Amerikaner sowie von Plänen und Gegenplänen der politischen Parteien, des Bayerischen Lehrervereins und des Kultusministeriums unter Alois Hundhammer (1900 – 1974). Was letztlich von der Umerziehung blieb, waren die Ergebnisse der 1948 errich- teten Wallburgstiftung im Bereich der inneren Schulreform. Zu nennen wären hier vor allem die Arbeitsschule, Gesamt- bzw. Epochalunterricht, Soziale Erziehung, Selbsttätigkeit, Lernspiele, Schulleben und Schülermitverwaltung sowie deren praktische Überprüfung durch große Teile der bayerischen Lehrerschaft im 1949 eingerichteten Beispielkreis Weilheim.

Hinzu kamen zur legalistischen Absicherung des Volks- schulwesens 1948 das Schulpflegegesetz, 1949 die Lernmittel- freiheit und das Gesetz zur Ahndung der Schulversäumnisse, 1950 das die Bekenntnisschule als Regelschule absichernde Schulorganisationsgesetz und 1951 das Schulpflichtgesetz. Mit Bekanntmachung vom 27. September 1955 trat schließ- lich die „Neufassung des Bildungsplanes für die Bayerischen Volksschulen“47 in Kraft, der bereits 1950 „zur Erprobung“48 Abb. 9: Links und Mitte: „Mein erstes Buch“, Brückl-Fibel von freigegeben worden war. 1956 mit Ausschneidebogen. Rechts hinten: Notaus- gabe „Deutsches Lesebuch“ der alliierten Streitkräfte Im Bereich der Lehrerbildung hatte das Kultusministerium von 1946. 1948 auf Druck der Militärregierung endlich die sechsklas- sige seminaristische Lehrerbildung aufgegeben und den stei- nigen Weg in Richtung auf die Akademisierung der Lehrer- bildung betreten. Dieser erfolgte zunächst in „Pädagogischen Lehrgängen“ mit einer Dauer von 18 Monaten. 1952 wurden diese Lehrgänge auf „vier Semester“49 ausgedehnt und 1954 Militärregierung am 10. Januar 1947 mit einem Telegramm „zu Instituten für Lehrerbildung zusammengefaßt“50. In der von OMGUS in Berlin, also vom Office of Military Govern- Oberpfalz gab es damals ein staatliches Institut in Amberg, ment of Germany, mit der Absicht in das Bildungswesen ein, das 20 Studenten und sechs Studentinnen besuchten sowie selbiges nach amerikanischem Vorbild zu gestalten. Dies hätte ein privates Institut der Englischen Fräulein in Regensburg die „Aufgabe des gegliederten Schulwesens“46 und die Einfüh- mit 29 Studentinnen51. rung der Einheitsschule bedeutet. Die von der Militärregie- Nachdem das „Lehrerbildungsgesetz“52 von 1958 mit rung betriebene Politik der Re-education zeitigte eine bunte einem sechssemestrigen Studium an konfessionell gebun-

120 Hubert Buchinger . Die bayerische Volksschule im Wandel der Zeit denen „Pädagogischen Hochschulen der Landesuniversitä- ten“53 der Lehrerbildung die Akademisierung gebracht hatte, begann in den sechziger Jahren die Reform der mit 66,7 % ein- bis dreiklassiger Schulen mindergegliederten bayerischen Volksschule. Etappen dieser Entwicklung waren das Schul- verbandsgesetz von 1961, das angesichts von 27,1 % ein- klassiger Schulen – in der Oberpfalz waren es 21,4 %54 – mit der Förderung von Verbandsschulen die dringlich gewordene Landschulreform einleitete. Ihm folgte 1966 das Volksschul- gesetz, das die herkömmliche Volksschule in Grund- und Hauptschule unterschied und bei einem Anteil von 44,1 % immer noch unzureichend strukturierter Schulen deren Zusammenfassung zu voll in Jahrgangsklassen gegliederte Volksschulen forderte. Mit Volksentscheid vom 7. Juli 1968 wurde schließlich die christliche Gemeinschaftsschule geschaffen und 1969 im Gefolge des Schulpflichtgesetzes das neunte Schuljahr eingeführt und die Volksschuloberstufe in die Hauptschule umgewandelt. Parallel zur äußeren verlief die innere Organisation in Form neuer Lehrpläne wie etwa den Oberstufenrichtlinien von 1963, den „Richtlinien für die bayerischen Volksschu- Abb. 10: Lehrer Fritz Forster in seiner Schulklasse in Heuweg, 55 len“ 1966 und den die „Hauptschule als weiterführende 1959. Schule“56 kennzeichnenden „Lehrplan für den 9. Schüler- jahrgang der Hauptschulen“57 von 1969. Ihnen folgten im Grundschulbereich der Lehrplan von 1971, die „Umbenen- nung des Sachunterrichts der Grundschule in Heimat- und Sachunterricht“58 1974 sowie die Lehrpläne von 1981 und 2000. Für die Hauptschule erprobten Modellhauptschulen seit 1970 Lehrplanentwürfe, die als curriculare Einzellehr- pläne zwischen 1975 und 1984 eingeführt und zuletzt in den breite Realisierung reformpädagogischer Ideen, die Koope- überarbeiteten „Lehrplan für die bayerische Hauptschule“59 ration von Kindergarten und Grundschule, die Mittagsbe- 1985 integriert wurden. treuung und die Ausweitung des 1990/91 als Schulversuch Hauptkennzeichen der Entwicklungen in der Grundschule begonnenen und 2005/06 an allen Grundschulen eingeführten seit 1981 waren u. a. die Kindorientierung und der Vorrang Fremdsprachenunterrichts im 3. und 4. Schuljahr. Auch die des Erzieherischen, die grundlegende Bildung und das kon- Hauptschule differenzierte ihr Angebot in Pflicht- und Wahl- struktivistische Verständnis vom Lernen. Hinzu kamen die pflichtfächer. Sie ergänzte den traditionellen Fächerkanon mit

121 Regensburger Land . Band 1 . 2008 neuen zeitgemäßen Inhalten, forcierte die Hinführung der Ob das heute im Gefolge des Bologna-Prozesses sehr Jugendlichen zur Arbeitswelt durch das Pflichtfach Arbeits- populistisch als die Ideallösung propagierte Bachelor-Master- lehre und gewann Anschluss an weiterführende Bildungsein- System zielführend sein wird, muss sich erst erweisen. Glei- richtungen durch den seit 1969 möglichen „qualifizierenden ches gilt angesichts der Probleme im finanziellen, personellen, Abschluss“, den 2005 57,7 % der Hauptschulabsolventen räumlichen und sächlichen Bereich sowie einer bisher nicht erreichten60. Mit der Vergabe der „Mittleren Reife“ zunächst vorhandenen, das Kindeswohl in den Mittelpunkt stellenden im Rahmen der „Freiwilligen 10. Hauptschulklasse“ sowie pädagogischen Konzeption für die Diskussion um die Ganz- des inzwischen aufgebauten „Mittleren-Reife-Zugs“, dessen tagsschule in gebundener oder offener Form. Die Geschichte Abschlussprüfung 2005 immerhin 11.000 Schüler61 bestan- der bayerischen Volksschule zeigt jedenfalls, dass das Ausru- den haben, wurde die Hauptschule zu einer Angebotsschule fen umfassender Reformen im Bildungswesen zwar stets hohe und verlor ihren Charakter als Pflichtschule. rhetorische Energien und starke Motivationen freizusetzen Anteil an dieser Entwicklung hatte auch die Lehrerbil- vermag, letztlich aber doch ein konsequenter Pragmatismus dung, die durch das „Gesetz zur Änderung des Lehrerbil- der kleinen Schritte immer wirkungsvoller gewesen ist als dungsgesetzes“62 1970 Eingang in die Universität gefunden ein Strukturbruch. Dies trifft wohl auch für die Schule der hatte. 1972 folgte das „Gesetz zur Eingliederung der Pädago- Zukunft zu, die sich mehr und mehr durch eigenverantwort- gischen Hochschulen in die Landesuniversitäten“63, wonach liches Handeln, durch individuelle Profilbildung sowie durch diese als Erziehungswissenschaftliche Fachbereiche Bestand- die Vermittlung von intelligentem Wissen, situierter Strate- teil der Universitäten wurden und der knapp 130 Jahre wäh- gien der Wissensnutzung, metakognitiver Kompetenzen und rende Kampf um die universitäre Lehrerbildung schließlich von Handlungs- bzw. Wertorientierungen64 wird behaupten sein Ende fand. müssen.

1 Döllinger, Sammlung , S. 1.294. 19 Ebd. S. 1.621. 2 Churpfalzbaierisches Regierungsblatt 1802, S. 911 (künftig RBl.). 20 Buchinger, Geschichte der niederbayerischen Volksschule, S. 78. 3 Ebd. S. 911. 21 Schulwesen in Bayern, S. 2. 4 Ebd. S. 914. 22 Ebd. S. 139. 5 RBl. 1803, S. 758 f. 23 Vgl. ebd., Beilage IV. 6 Müller, Hainsacker, S. 177. 24 Vgl. Wenzenbach, S. 121. 7 Schindler, Wörther Schulgeschichte, S. 131. 25 Schulwesen in Bayern, Beilage I. 8 Vgl. Statistisches Jahrbuch, 1903, S. 235. 26 Ebd. S. 122. 9 RBl. 1804, S. 473. 27 Vgl. Ministerialblatt für Kirchen- und Schul-Angelegenheiten im Königreiche 10 RBl. 1806, S. 16. Bayern, München 1866, S. 660 ff. (künftig MBl.) 11 Ebd. S. 16. 28 MBl. 1903, S. 215. 12 Buchinger, Sachorientiertes Lernen, S. 122. 29 MBl. 1913, S. 358. 13 Ebd. S. 123. 30 Amtsblatt des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München 1918, S. 14 Vgl. Entwurf eines Gesetzes, Beilage I. 322 (künftig KMBl.). 15 RBl. 1809, S. 955. 31 Gesetz- und Verordnungs-Blatt für den Freistaat Bayern, München 1919, S. 16 Buchinger, Realschule, S. 101. 437. 17 Vgl. BayHstA, MK 22.839. 32 Ebd. S. 443. 18 Döllinger, Sammlung, S. 1.030. 33 Vgl. KMBl. 1921, S. 272 ff.

122 Hubert Buchinger . Die bayerische Volksschule im Wandel der Zeit

34 KMBl. 1919, S. 139. 50 KMBl. 1954, S. 212. 35 KMBl. 1926, S. 127. 51 Vgl. Informationsdienst des Bayerischen Statistischen Landesamts, Reihe II/ 36 Schulanzeiger für Niederbayern, Straubing 1933, S. 1951. D/1/33 vom 20.12.1954, S. 4. 37 Erziehung und Unterricht, S. 5. 52 KMBl. 1958, S. 345. 38 Landesschulordnung, S. 3. 53 Ebd. S. 346. 39 Erziehung und Unterricht, S. 7. 54 Vgl. Statistisches Jahrbuch 1964, S. 54. 40 Vgl. Buchinger, Passauer Schulen, S. 245 f. 55 KMBl. 1966, S. 181. 41 KMBl. 1935, S. 17. 56 KMBl. 1969, S. 443. 42 Ebd. S. 34. 57 Ebd. S. 441. 43 Buchinger, Volksschule und Lehrerbildung, S. 23. 58 KMBl. 1974, S. 1.274. 44 Vgl. Statistisches Jahrbuch 1947, S. 241f. 59 KMBl. 1985, So.-Nr. 13, S. 249. 45 Buchinger, Volksschule und Lehrerbildung, S. 494. 60 Vgl. Lehrerinfo, Nr. 3, 2005, S. 2. 46 Buchinger, Wiederaufbau: Re-education, S. 569. 61 Ebd. S. 2. 47 KMBl. 1955, S. 425. 62 KMBl. 1970, S. 326. 48 KMBl. 1950, S. 217. 63 KMBl. 1972, S. 292. 49 KMBl. 1952, S. 250. 64 Vgl. Weinert, Lehrerkompetenz, S. 25f.

Literaturverzeichnis Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (Hg.), Landesschulordnung, Hubert Buchinger, Die Passauer Schulen in der nationalsozialistischen Zeit, in: Win- München 1942. fried Becker (Hg.), Passau in der Zeit des Nationalsozialismus, Passau 1999, Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (Hg.), Lehrerinfo, Nr. 3, S. 231-259. München 2005. Entwurf eines Gesetzes über das Volksschulwesen im Königreiche Bayern, Mit Moti- Hubert Buchinger, Volksschule und Lehrerbildung im Spannungsfeld politischer ven, München 1867. Entscheidungen 1945-1970, Schulgeschichte Bayerns, München 1975. Erziehung und Unterricht in den bayerischen Volksschulen, München 1940. Hubert Buchinger, Die Geschichte der bayerischen Realschule, Erster Teil, Die Ent- Gemeinde Wenzenbach (Hg.), Wenzenbach, Junge Gemeinde mit langer Vergangen- wicklung der bayerischen Realschule von ihren Anfängen bis zur Errichtung der heit, Regensburg 1982. Oberrealschule im Jahre 1907, Schriften der Universität Passau, Reihe Geistes- Wilhelm Müller, Hainsacker, Zur Geschichte einer ‚uralten‘ Gemeinde, Regensburg wissenschaften, Bd. 4, Passau 1983. 2003. Hubert Buchinger, Zur Geschichte der niederbayerischen Volksschule im 19. Jahr- Ludwig Schindler, Aus der Wörther Schulgeschichte, in: Stadt Wörth a. d. Donau hundert, in: Lenz Kriss-Rettenbeck/Max Liedtke (Hg.), Regionale Schulent- (Hg.), Wörth, Stadt zwischen Strom und Berg, Regensburg 1979, S. 131-144. wicklung im 19. und 20. Jahrhundert, Schriftenreihe zum Bayerischen Schulmu- Ueber das Schulwesen in Bayern, Vortrag des Abgeordneten Grafen Drechsel mit seum Ichenhausen, Bd. 2, Bad Heilbrunn 1984, S. 74-87. Anmerkungen begleitet, nebst einem Anhang, die Kammerbeschlüsse, die im Hubert Buchinger, Zur Grundlegung sachorientierten Lernens in frühen bayerischen Landtagsabschied von 1831 aufgenommenen k. Entschließungen und Erklärun- Schulordnungen und Lehrplänen, in: Alexandra Ortner/Ulrich J. Ortner (Hg.), gen, sowie Auszüge aus dem Finanzgesetz enthaltend, München 1832. Grundschulpädagogik, Wissenschaftsintegrierende Beiträge, Donauwörth 1990, Franz E. Weinert, Lehrerkompetenz als Schlüssel der inneren Schulreform: Bayer. S. 117-124. Staatsministerium für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst (Hg.), Schul- Hubert Buchinger, Wiederaufbau: Re-education 1945-1949, Gesamtdarstellung, report, Nr. 2, München 1998, S. 24-27. Wiederaufbau aus bayerischer Sicht, in: Max Liedtke (Hg.), Handbuch der Ge- schichte des Bayerischen Bildungswesens, Bd. III, Bad Heilbrunn 1997, S. 549- 594.

123 Regensburger Land . Band 1 . 2008

Quellen Abbildungsnachweis: Amtsblatt des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München 1918 ff. Abb. 1: Landratsamt Regensburg Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München 1920 ff. Abb. 2: Heidrun Appl Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München , MK 22839. Abb. 3: Heidrun Appl Churpfalzbaierisches Regierungsblatt, München 1802 ff. Abb. 4: Reproduktion Anton Schlicksbier Georg Döllinger, Sammlung der im Gebiet der inneren Staats-Verwaltung des König- Abb. 5: Heidrun Appl reichs Bayern bestehenden Verordnungen, Bd. 9, München 1839. Abb. 6: Heidrun Appl Gesetz- und Verordnungs-Blatt für den Freistaat Bayern, München 1919. Abb. 7: Reproduktion Anton Schlicksbier Informationsdienst des Bayerischen Statistischen Landesamts, Reihe II/D/1/33 vom Abb. 8: Heidrun Appl 20.12.1954. Abb. 9: Heidrun Appl K. Statistisches Bureau (Hg.), Statistisches Jahrbuch für das Königreich Bayern, Mün- Abb. 10: Reproduktion Anton Schlicksbier chen 1894 ff. Königlich-Baierisches Regierungsblatt, München 1806 ff. Ministerialblatt für Kirchen- und Schul-Angelegenheiten im Königreiche Bayern, München 1865 ff. Schulanzeiger für Niederbayern, Straubing 1933.

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Die neue Schriftenreihe „Regensburger Land. Der Landkreis Regensburg in Geschichte und Gegenwart“ soll im Stile eines Almanachs möglichst jährlich mit einem Band erscheinen und informative Beiträge zur regionalen Geschichte und Kultur enthalten. Ansprechend aufgemacht und reich bebildert, ist sie an eine breite Leserschaft gerichtet.

ISBN-13: 978-3-9812370-0-9