<<

Die Römer in

Autor(en): Ackermann, Regula

Objekttyp: Article

Zeitschrift: AS : Archäologie Schweiz : Mitteilungsblatt von Archäologie Schweiz = Archéologie Suisse : Bulletin d'Archéologie Suisse = Archeologia Svizzera : Bollettino di Archeologia Svizzera

Band (Jahr): 37 (2014)

Heft 1

PDF erstellt am: 28.09.2021

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-583151

Nutzungsbedingungen Die ETH-Bibliothek ist Anbieterin der digitalisierten Zeitschriften. Sie besitzt keine Urheberrechte an den Inhalten der Zeitschriften. Die Rechte liegen in der Regel bei den Herausgebern. Die auf der Plattform e-periodica veröffentlichten Dokumente stehen für nicht-kommerzielle Zwecke in Lehre und Forschung sowie für die private Nutzung frei zur Verfügung. Einzelne Dateien oder Ausdrucke aus diesem Angebot können zusammen mit diesen Nutzungsbedingungen und den korrekten Herkunftsbezeichnungen weitergegeben werden. Das Veröffentlichen von Bildern in Print- und Online-Publikationen ist nur mit vorheriger Genehmigung der Rechteinhaber erlaubt. Die systematische Speicherung von Teilen des elektronischen Angebots auf anderen Servern bedarf ebenfalls des schriftlichen Einverständnisses der Rechteinhaber.

Haftungsausschluss Alle Angaben erfolgen ohne Gewähr für Vollständigkeit oder Richtigkeit. Es wird keine Haftung übernommen für Schäden durch die Verwendung von Informationen aus diesem Online-Angebot oder durch das Fehlen von Informationen. Dies gilt auch für Inhalte Dritter, die über dieses Angebot zugänglich sind.

Ein Dienst der ETH-Bibliothek ETH , Rämistrasse 101, 8092 Zürich, Schweiz, www.library.ethz.ch

http://www.e-periodica.ch as. 37.2014.1 I 36 Kempraten (SG)

Die Römer in Kempraten

Regula Ackermann

cken Fluhstrasse 8/10 und 6 durch private Bauvor- haben ausgelöst. Diese erlaubten es, in Kempraten zum ersten Mal grössere Flächen nach modernen Standards auszugraben und somit detaillierte Infor- mationen zur Befundabfolge sowie stratifiziertes Fundmaterial zu gewinnen. Die Hauptfragestel- lungen während der Ausgrabung und Auswer- tung betrafen denn auch die Bebauung sowie deren Veränderungen und zeitliche Einordnung.

Siedlungsgeschichte neu geschrieben

Ein wesentliches Ziel der Auswertung war die Neu- betrachtung der römischen Kleinstadt Kempraten, die zweifelsfrei Zentrumsfunktion für das Umland übernahm. Die Siedlungsdauer kann aufgrund des stratifizierten Materials nun von ca. 35/40 n.Chr. bis

Abb. 1 Die Auswertung der Grabungen mindestens in die zweite Hälfte des 4. Jh. umris- -, Kempraten, sen werden. Die auffällige zeitliche Koinzidenz von Fluhstrasse 6-10: Fibeln, Merkurstab, Fluhstrasse 6-10 bietet Siedlungsgründung und militärischem Ausbau der Beschlag und Siegelkapseldeckel. in die Höhe Merkurstab 11 cm. differenzierte Einblicke Donaugrenze führt zur These, dass die Strasse vom und Rappersw/'/-Jona, Kempraten, Siedlungsgeschichte und den Alltag Zürichsee nach Norden an Wichtigkeit gewann F/uhsfrasse 6-10: f/bu/es, caducée deshalb die Siedlungsstelle in Kempraten, an der du d/'eu Mercure;, pendenf/'f et zur Römerzeit in Kempraten. Die (baton Kreuzung von Wasser- und Landweg, interessant couirerc/e d'une boîte à sceau. Long, im die ist du caducée: 7 7 cm. Bebauung Siedlungszentrum wurde. Dass Siedlung florierte, spätestens mit dem Ausbau in Stein offensichtlich. Die für die Rapperswil-Jona, Kempraten, orientiert sich an mediterranen Fluhstrasse 6-10: fibule, caduceo, Region und den Siedlungstyp des Vicus ausserge- Stadthäusern und einer borchia e coperchio di una capsula zeugt von wohnliche private Architektur mit Domus/Peristyl- di sigillo. Il caduceo misura 11 cm. lokalen Oberschicht. bau und Komplexbauten zeugen von der grossen Wirtschaftskraft und dem Bestreben der ansässigen Bevölkerung nach mediterraner Wohnkultur. Das Verständnis der privaten Architektur im Siedlungs- 2005 und 2006 wurden in der römischen Siedlung Zentrum lässt den 1997 ausgegrabenen représenta- Kempraten (Gde. Rapperswil-Jona SG) zwei Gra- tiven Architekturkomplex an der Meienbergstrasse, bungen von insgesamt 1100 m^ in den Grundstü- der den östlichen Abschluss des Forums bildete, in einem neuen Licht erscheinen. Dieser steht nun nicht den Holzbauphasen der Fluhstrasse 6-10. In Aus- mehr isoliert da. Vielmehr zeugt die gesamte Archi- schnitten konnten dennoch Räume dokumentiert tektur im Siedlungszentrum von einer Planung nach werden, die aufwändige Bodenkonstruktionen städtischen Vorbildern. oder gar Mörtelböden aufwiesen, was auf einen Erst in den letzten Jahren wurde auch die lange gehobenen Ausbaustandard deutet. unterschätzte Ausdehnung des Vicus klarer, welche Grossflächige Brandschuttschichten bezeugen nach derzeitigem Kenntnisstand mindestens 10.5 ha einen Grossbrand, der um 120 n.Chr. nicht nur die umfasste. Ebenso sind die Siedlungsstruktur und Holzgebäude in der Fluhstrasse 6-10, sondern der Verlauf der Strassen nun besser abschätzbar. darüber hinaus wahrscheinlich auch die umlie- So liegt mit der streifigen Parzellierung der nordöstlichen Quartiere ein vom Siedlungszentrum abweichendes Siedlungsmuster vor. An der nord- westlichen Peripherie in der Seewiese befand sich ein gallorömischer Tem- pelbezirk mit zwei Umgangstempeln. - * £ % Î.L "\fluhstrassé8/10ä„, KapeilßX Wohnen wie in der Stadt

In der Befundauswertung der Fluh- Strasse 6-10 konnten mehrere Bau- Phasen unterschieden werden. In Abb. 2 Rapperswil-Jona, Kempraten. den ersten Jahrzehnten nach der Gesamtplan der römischen Stein- Siedlungsgründung wurden Holzge- baustrukturen. bäude errichtet. Der ersten Bauphase P/an fiappersw//-Jona, Kempraten. voran stand eine systematische und d'ensemb/e des constructions en p/erre d'époque roma/ne. grossflächige Baugrundvorberei- die eine Orga- Rapperswil-Jona, Kempraten. Pianta tung, übergeordnete generale delle strutture murarie nisation bedingte. Obwohl bis in die romane. Zeit um 120 n.Chr. bis zu vier Holz-

Abb. 3 bauphasen unterscheidbar sind, Lage der römischen Siedlung können keine Gebäudegrundrisse sowie Kempraten umliegende definiert werden. Die Frage nach römische Siedlungsstellen und Verkehrswege. Der besass dem Bauschema bleibt wegen in römischer Zeit noch eine bedeu- der fragmentarischen Ausschnitte tend grössere Ausdehnung. und teilweise schlechten Erhaltung S/fuat/on de /'agg/oméraf/on roma/ne weiter offen. Ein grosser Teil der de Kempraten, des occupations lag zudem weit voisines contemporaines et des voies Grabungsflächen de commun/caf/on. Le Obersee était hinter dem vermuteten Verlauf der a/ors beaucoup p/us étendu. römischen Strasse und wird deshalb Carta dell'abitato di Kempraten, dei als Hinterhofzone angesprochen. In siti adiacenti e delle vie di comu- diesen Kontext passt ein Töpfer- nicazione di epoca romana. In età romana l'Obersee aveva un'esten- ofen, das einzige eindeutige Zeugnis sione maggiore dell'attuale. lokal ausgeführten Handwerks in as. 37.2014.1 38 Kempraten (SG)

Feuerstelle ist ein Raum als Küche anzusprechen. Zwei aneinander angrenzende Räume dienten als Flure, die zum Hinterausgang in den Hof führten. Zum besseren Verständnis der Grundrisse muss der ebenfalls fragmentarische Gebäudekomplex von Kapelle/Friedhof St.Ursula herangezogen werden, bei dem der vordere Abschluss des Gebäudes mit möglicher Porticusmauer sowie - nach einer ersten daran anschliessenden Raumzeile - ein Innenhof mit Peristyl nachweisbar sind. Ein Innenhof ist zumindest beim südlichen Gebäude der Fluhstrasse 6-10 zu postulieren. Demnach und aufgrund der Geschlos- senheit der Architektur dürften dieses und das Gebäude von Kapelle/Friedhof St.Ursula als Domus/ Peristylbauten anzusprechen sein. Um 180 n.Chr. wurde das südliche Gebäude zum Hinterhof hin um eine Raumzeile erweitert, das Aus- Abb. 4 genden Liegenschaften (Friedhof/Kapelle St. Ursula) senniveau beim nördlichen erneuert. Mit nur noch Rapperswil-Jona, Kempraten, zerstörte. geringfügigen Modifikationen blieben sie dann min- Fluhstrasse 6-10. Übersicht über den Nach dieser Zäsur wurden grossflächig Steinge- destens bis in die zweite Hälfte des 4. Jh. bestehen. hofseitigen Abschluss des südlichen Komplexbaus. Gut sichtbar sind die bäude errichtet. Im Bereich der Fluhstrasse 6-10 Konsolidierungsmassnahmen zeigen aber, dass sie Mörtelböden. Blick nach Osten. baute man entlang der römischen Strasse grosse gegen Ende der Besiedlung baufällig waren. Rappersw/7-Jona, Kempraten, Komplexbauten. Davon konnten nur die hinteren In den Höfen hinter den grossen Gebäudekom- F/uösfrasse 6-10. l/ue (Vers /'est; Teile ausgegraben werden. Sie besassen Breiten plexen der Fluhstrasse 6-10 entstanden nach und des p/'èces côté cour du bât/ment sud. Les so/s de mort/'er sont b/'en von 24 m resp. rund 40 m und dürften Tiefen von nach kleine ein- bis zweiräumige Steingebäude resp. ir/s/b/es. 40-50 m resp. 35-40 m erreicht haben. Zahlreiche sie lösten einander ab. Auch diese waren sorgfältig Rapperswil-Jona, Kempraten, der angeschnittenen Räume zeigten Mörtelböden ausgeführt und wiesen etwa aufwändige Bodenkon- Fluhstrasse 6-10. Veduta (verso est) und teilweise Spuren von bemalten Wänden. Die struktionen auf. Sie dürften daher als kombinierte delle mura perimetrali del complesso meisten dieser Räume dürften Wohnzwecken Wohn- und Gewerbebauten worden sein. d'edifici méridionale. In primo piano zu genutzt sono ben visibili i pavimenti in malta. genutzt worden sein. Aufgrund der freistehenden

Ein reich gedeckter Tisch Der römische Vicus von Kempraten, Rapperswil- Jona. Neubetrachtung anhand der Ausgrabungen Fluh- Erfreulicherweise konnte das Material der Gra-

Strasse 6-10 (2005-2006). Von Regula Ackermann, mit bungen Fluhstrasse 6-10 naturwissenschaftlich Beiträgen von S. Deschler-Erb, S. Häberle, I. Katona- untersucht werden. Die interdisziplinäre Untersu-

Serneels, M. Lhemon, Ch. Pümpin, V. Serneels, P. Vandorpe, chung einer Grube aus dem späten 1. Jh. n.Chr. U.Werz, L. Wiek und B. Zäch zeigte, dass sie nach einer ersten Nutzung als Archäologie im Kanton St. Gallen 1. St. Gallen 2013. Zisterne als Latrine weitergenutzt wurde. In dieser Gebunden, 408 Seiten, 249 meist farbige Abbildungen, Funktion wurde sie mehrfach geleert. Die mit den

Katalog mit 103 Tafeln. 2 Planbeilagen. ISBN 978-3-033- menschlichen Fäkalien vergesellschafteten Pollen 03916-2. CHF 50.- und Pflanzenreste lassen auf den reichlichen Kon-

Bestellungen an Kantonsarchäologie St. Gallen, Rorscha- sum von Honig schliessen und belegen die Vielfalt cherstrasse 23,9001 St. Gallen oder [email protected] von Gewürzen und Kräutern wie Dill, Koriander und Sellerie sowie zuweilen importierte Lebens- 39

Abb. 5 Rapperswil-Jona, Kempraten, Fluhstrasse 6-10. Dünnschliffe aus der Latrine. Unter dem Mikroskop lassen sich nebst Nahrungsresten wie Traubenkern (links) auch Parasiteneier (rechts) erkennen. Gelbe Pfeile: Eier von Peitschenwürmern; grüner Reil: Ei eines nicht näher bestimmbaren Eingeweideparasiten.

Rappersw//-Jona, Kempraten, F/i/risfrasse 6-70. Lames m/nces à parf/'r de pré/èvemenfs dans /es /afr/nes. Grâce au m/croscope, on 5 reconna/f des restes de nourriture, de ra/s/n (à par exemp/e des gra/ns mittel wie Olive, Feige, Walnuss und Weintraube. trum von bestimmten Fundgattungen verlässlich zu gauchej, et des oeufs de paras/tes (ä Parasiteneier und Peitschenwürmern (Fibeln, Glas, Münzen etc.). Für die Beur- dro/'te). F/ècries /'aunes: oeufe de vers von Spul- würdigen rond (fric/iocép/ia/e); flèche verte: oeuf weisen aber auch auf die hygienischen Miss- teilung des regionalen Handels und der Alltagskultur d'un paras/te /'nfest/na/ /mposs/b/e à stände der damaligen Bewohner hin. sind die Auswertung der gut belegten Töpfereien und déferm/ner p/us préc/sémenf. Erkenntnisse zum Handwerk unabdingbar. Rapperswil-Jona, Kempraten, Fluhstrasse 6-10. Sezione sottile prelevata dalla latrina. Sotto le lenti Wirtschaftliche Einbettung Résumé del microscopio, accanto ai resti di Le vicus roma/n de Kempraten (commune de alimenti, corne questo vinacciolo (a Die Fülle an Fundmaterial erlaubt tiefe Einblicke in Rappersw/Z-dona, SGJ s'est consf/fué vers 35-40apr sinistra) è possibile riconoscere uova di parassita (a destra). La freccia die Alltagskultur. Kempraten unterlag den in der J. -C. sur /a r/Ve nord du /ac de Zur/cd, une s/fuaf/on gialla indica le uova del verme a fru- Germania Superior herrschenden Importströmen, /déa/e par rapport aux vo/ès de commun/cat/on. Les sta (tricocefalo), quelia verde l'uovo welche die Region mit süd-, mittel- und ostgal- résu/fafs des fou/Z/es menées à /a R/uhsfrasse 6-70 di un parassita intestinale non meglio identificabile. lischem resp. obergermanischem Tafelgeschirr ont perm/is de d/fférenc/èr de nombreuses phases versorgten. Nur wenige Importe kamen über die de consfrucf/on. Les bâf/menfs en p/érre, ér/gés Handelsrouten, welche von Italien über die Ostal- après un /ncend/e catasfroph/gue vers 720 apr penpässe verliefen, wie z.B. die wenigen italischen J.-C., s'/hsp/fent des domus méd/ferranéennes. Reibschüsseln. Das regional oder lokal herge- L'apport des sc/ences nature//es et /'étude du pet/'f stellte Geschirrsortiment kennt grosse Verwandt- mob/7/er offrent un aperçu de /a v/e quof/d/enne et schatten mit dem römischen Zürich/7ur/cum und des échanges commerc/aux. | zur Zürichseeregion im Allgemeinen. Riassunto L'insediamento romano di Kempraten (comune di Ausblick Rapperswil-Jona SG) è stato fondato verso il 35/40 d.C. sulla riva settentrionale del lago di Zurigo, in Dank der grossen zeitlichen Streuung der Befunde un luogo strategico per le vie di comunicazione. Le Abbildungsnachweise und der Vorlage verschiedener Fundgattungen aus indagini archeologiche effettuate alla Fluhstrasse Kantonsarchäologie SG (Abb. 1, 2 repro- stratifizierten Komplexen von der Fluhstrasse 6-10 6-10 hanno consentito di identificare numerose fasi duziert mit Genehmigung von Swisstopo, ist für künftige Untersuchungen zu Kempraten sowie edilizie. Gli edifici in muratura eretti dopo l'incendio 3, 5); IPNA, Ch. Pümpin (Abb. 4) zur Zürichseeregion eine erste Basis geschaffen. awenuto verso il 120 d.C. si rifanno aile abitazioni Viele Fragen bleiben aber vorerst offen und die aus- cittadine diffuse nel mondo mediterraneo. Lo studio Dank gearbeiteten Thesen müssen an anderen Komplexen del materiale e le analisi scientifiche permettono di far Publiziert mit Unterstützung der überprüft resp. modifiziert werden. Erst die Erfassung luce sulla vita quotidiana e sulle relazioni commerciali Kantonsarchäologie St. Gallen. der Altgrabungen wird es erlauben, das Gesamtspek- dell'abitato. |