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Perspektiven

Gemeinsame – Erfahrungen

Gemeinsame 10 Jahre Österreich in der Europäischen Union

Gemeinsame Erfahrungen – Gemeinsame Perspektiven Union

Europäischen der in

Österreich

Jahre

10

Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten 10 Inhalt

Vorwort 5

Ansprachen und Statements von: Dr. 8 Dr. Ursula Plassnik 10 Dr. 16 Dr. José Manuel Barroso 28 Dr. Franz Vranitzky 38 Paavo Lipponen 46 Mag. Brigitte Ederer 52 Lena Hjelm Wallén 56 Dipl. Ing. Peter Mitterbauer 60 Pertti Salolainen 64 Dr. Benita Ferrero-Waldner 70 Dr. 76 Dr. Franz Fischler 82 Prof. Paul Lendvai 88 Prof. Dr. Peter Sloterdijk 92

Anhang Konferenzprogramm 96

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Vorwort

Der am 1. Jänner 1995 gemeinsam mit Schweden und Finnland erfolgte Beitritt zur Europäischen Union war für unser Land mit großen Hoffnungen und mancher Sorge, wie dies Österreich verändern würde, verbunden. Die österreichische Bevölkerung hat sich 1994 in einem Referendum mit großer Mehrheit für den Weg Österreichs in die Europäischen Union entschieden. Heute, nach zehn Jahren EU-Mitgliedschaft, können wir eine insgesamt sehr positive Bilanz ziehen und gleichzeitig als engagierter Mitgliedsstaat die weiteren Perspektiven der europäischen Zusammenarbeit disku- tieren. Wie haben sich diese zehn Jahre auf das Leben und die Chancen der Menschen unseres Landes ausgewirkt? Was hat sich von den Hoffnungen erfüllt und wie haben wir auch selbst zu Veränderungen in der Europäischen Union beitragen können? Und wie wollen die Österreicher, auf Grund der Erfahrungen dieser zehn Jahre, dass Europa sich weiter entwickeln soll?

Dies waren die Themen eines Europakongresses des Bundesministeriums für aus- wärtige Angelegenheiten, zu dem ich sowohl heute als auch damals entscheidende Europapolitiker und Meinungsträger aus Österreich und europäischen Partnerstaaten eingeladen habe. Ich freue mich, dass es gelungen ist, zu diesem Kongress in der Wiener Hofburg und im Haus der Industrie am 25. und 26. Februar 2005 Persönlich- keiten zusammenzubringen, die den europäischen Einigungsprozess im allgemeinen und seinen österreichischen Anteil im besonderen im letzten Jahrzehnt geprägt haben oder heute Politik und Meinung in Europa gestalten. Diese Broschüre dokumentiert die Vorträge des Europakongresses und steht damit für die Bilanz und die Perspektiven des europäischen Weges Österreichs.

Als derzeit für die österreichische Außenpolitik verantwortliche Bundesministerin bin ich allen zu aufrichtigem Dank verpflichtet, die vor zehn Jahren diesen Weg nach Europa möglich gemacht haben. Ihnen möchte ich diese Publikation widmen.

Dr. Ursula Plassnik

5 Paavo Lipponen, Dr. Ursula Plassnik, Dr. Wolfgang Schüssel, Dr. Helmut Kohl, Dr. José Manuel Barroso, Dr. Franz Vranitzky, Dr. Benita Ferrero-Waldner, Dr. Franz Fischler, Dr. Alois Mock Freitag, den 25. 02. 2005, Kongreßzentrum Hofburg

7 Dr. Alois Mock

Dr. José Manuel Barroso, Dr. Franz Fischler, Dr. Alois Mock

8 Dr. Alois Mock Außenminister 1987 – 1995

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Ich begrüße Sie sehr herzlich beim Europakongress in Wien.

Schon 1955, nach dem Abschluss des Staatsvertrages, der Österreich wieder zu einem unabhängigen, selbständigen Land machte, begannen die Bemühungen, auch am Einigungsprozess Europas teilzunehmen. Sechs Jahre zogen sich die Verhandlungen hin, bis zu jenem Juni-Tag des Jahres 1994 hin, an dem die Österreicherinnen und Österreicher in einem Referendum mit 67 % diesen Wunsch auf Beitritt, auf volle Mitgliedschaft Österreichs unterstützten. Dies war einer der Hauptmotoren für einen positiven Abschluss der Verhandlungen. Denn beide Seiten am Verhandlungstisch sahen, welcher Druck von der öster- reichischen Bevölkerung kam, diesen Wunsch zu erfüllen. Inzwischen hat sich die Union spektakulär entwickelt. Natürlich gab es auch Rück- schläge. Auch wenn Menschen sich sehr anstrengen, können Fehler gemacht werden, kann es Rückschläge geben. Nun, es waren Rückschläge, die letztlich doch zu einem Erfolg führten. Ein Beweis dafür ist die Währungsunion, auch wenn noch nicht alle 25 Mit- gliedsstaaten daran teilnehmen. Die Erweiterung um zehn Mitglieder hat auch neue Möglichkeiten eröffnet. Die Diskussion um den Entwurf einer europäischen Verfassung machte klar, dass Grundwerte, wie Flexibilität, Toleranz, die Bereitschaft, den anderen zuzuhören, bereit zu sein, Kompromisse zu schließen, dass diese Werte noch stärker verankert werden müssen. So können sich dann die einzelnen Mitgliedsstaaten im gemeinsamen Europa wieder erkennen. Diesen Weg mit Ausdauer weiter zu gehen, ist ganz entscheidend. Ausdauer ist ein wesentlicher Bestandteil des Verhandlungserfolges. Wir haben sie seiner- zeit gehabt und müssen sie auch in Zukunft haben. Ausdauer für ein neues Europa, für eine friedliche Welt, in der auch Österreich seine Verantwortung wahrnehmen kann. Ⅵ

9 Dr. Ursula Plassnik

Dr. Ursula Plassnik

10 Dr. Ursula Plassnik Außenministerin

Meine Damen und Herren!

Es ist schön, Sie hier in Wien begrüßen zu dürfen – zu dieser besonderen Familien- feier.

– Herr Kommissionspräsident, Mitunterzeichner des österreichischen Beitritts- vertrages, – liebe europäische Freunde, insbesondere liebe „Mitstreiter“ aus den EFTA-Tagen aus Schweden und Finnland, – vor allem aber diejenigen, die ein Stück europäischer Geschichte mitgeschrieben haben – oder in ihrer Alltagsarbeit gerade dabei sind, diese Geschichte mitzu- schreiben!

Herzlich willkommen hier in Wien!

Mein besonderer Gruß an diesem Tag gilt aber denjenigen, die mit ihrem persönlichen Mut, mit Ihrem Weitblick und ihrer Ausdauer überhaupt erst dieses jüngste Jubiläum der österreichischen Zeitgeschichte möglich gemacht haben: Ihnen, den Gründer- vätern und Gründermüttern, den Architekten und Architektinnen des österreichischen EU-Beitritts, der österreichischen Mitgliedschaft sei mein besonderer Gruß entboten. Stellvertretend für alle möchte ich einen begrüßen, der für den Beitritt unserer drei Länder in Österreich und auch anderswo unvergessen bleiben wird: Altbundeskanzler Helmut Kohl, herzlich willkommen!

Ihnen gilt unser Dank. Ihnen gilt aber auch die Botschaft: Ihr Einsatz hat sich gelohnt!

Es hat sich auch gelohnt für die Österreicherinnen und Österreicher. Ihre hohe Zu- stimmung zur Mitgliedschaft im Referendum, mit fast 67 Prozent, war ja ein Hinweis darauf, dass sie sich durchaus bewusst waren, welche Chancen sich für Österreich und für seine Menschen im europäischen Einigungswerk auftun.

Österreich hat gewonnen in diesen zehn Jahren, aber auch Europa hat gewonnen. Die Entscheidung für die Mitgliedschaft war richtig, und sie ist auch zum richtigen Zeitpunkt erfolgt. Das zeigen alle wirtschaftlichen Indikatoren. Die Mitgliedschaft hat zu mehr Wachstum und Wohlstand, zu einem Mehr an Arbeitsplätzen und Kaufkraft, zu mehr Wahlmöglichkeiten für die Konsumenten und zu mehr ausländi- schen Direktinvestitionen geführt. Österreich ist insgesamt moderner, offener und wettbewerbsfähiger geworden.

11 Dr. Ursula Plassnik

Seit 1995 hat Österreich die Europäische Union aber auch von innen her und nach außen hin mitgestaltet. Wir haben Europa als gleichberechtigter Partner mitgeprägt, bei Ⅲ der gemeinsamen Währung Ⅲ der Erweiterung der Union um unsere Nachbarn Ⅲ der ersten gemeinsamen Verfassung.

Am deutlichsten wird die Europäische Union wohl im Alltag spürbar – an allem, was einfacher wurde, weil sie Hindernisse beseitigt hat, weil es viel Aufwendiges nicht mehr gibt – oder nur mehr ausnahmsweise gibt: Ⅲ Passkontrollen, Zollformalitäten, Handelsbarrieren, Geldwechsel, aber auch Monopole, Milchseen und Butterberge – all das gehört der Vergangenheit an.

Eine nüchterne Bilanz verlangt von uns aber auch den wachen Blick auf das nicht Erreichte, auf die Frustrationen und auf diejenigen, die sich – in Österreich und auch in Europa – als Verlierer fühlen. Die EU, das ist richtig, hat nicht für jeden nur Sonnenseiten. In zehn Jahren haben wir uns umstellen, viel Vertrautes aufgeben und viel Neues annehmen müssen. Ob es nun die Belastung durch den Transit- Verkehr oder der mangelnde Fortschritt bei den nuklearen Sicherheitsstandards ist, ob es das Misstrauen gegenüber der europäischen Bürokratie oder schwer nachvollziehbaren Entscheidungsprozessen ist, vielleicht auch ganz generell ein Gefühl der Machtlosigkeit – die Europafreude mischt sich mit erheblicher Europa- skepsis.

Dagegen gibt es – und das wissen Sie am besten - kein Patentrezept. Europa, das muss jeden Tag neu erklärt, neu begründet und damit auch neu erkämpft werden.

Das Wichtigste aber sind nicht die Wirtschaftsbilanzen, es sind auch nicht die Stimmungsschilderungen, das Wichtigste bleibt die praktische Arbeit am Friedensprojekt Europa.

Wir dürfen heute in einem wiedervereinigten Europa leben, und wir dürfen auch hoffen, dass die gewaltsamen Konflikte am westlichen Balkan – zuletzt vor 5 Jahren – auch wirklich die letzten auf europäischem Boden waren.

Wir werden den von Krieg und Zerstörung geprüften Ländern des Westbalkans Partner sein auf ihrem Weg in die europäische Integration. Und wir werden in den Staaten der Europäischen Nachbarschaft – ob im Osten oder im Mittelmeerraum – zu demokratischen Reformen und wirtschaftlicher Entwicklung beitragen.

12 Das – meine Damen und Herren – ist das große europäische Friedenswerk, ganz konkret.

Darin kommt auch eines der Leitmotive der österreichischen Außenpolitik zum Ausdruck, und ich zitiere aus der ersten Regierungserklärung vom 27. April 1945. Hier zeichnet sich ab, was mit dem 1. Mai 2004 aus österreichischer Sicht in Erfüllung gegangen ist. Im Außenpolitischen Teil der Regierungserklärung von 1945 heißt es: „Österreich will in ungetrübter Freundschaft mit den Völkern des Donauraumes sich selbst leben und mit sämtlichen Nachbarn in Frieden und Freundschaft zusammenarbeiten zum Besten aller“.

Es gilt aber auch, die Kräfte zu bündeln für das Europa von morgen. Wenn es uns heute gelungen ist, geballte Zeitgeschichte in diesem Saal zusammen- zuführen, so in der nicht ganz uneigennützigen Absicht, auch von ihren Erfahrungen bei der Überwindung von Hindernissen und aus ihrem kritischen Blick auf Erreichtes, aber auch auf Unerreichtes Impulse für die vor uns liegenden Aufgaben zu gewinnen.

Es scheint manchmal, als ließen sich immer mehr Probleme immer weniger nur auf regionaler und nationaler Ebene lösen: die Bedrohungen durch Terrorismus, die dunklen Seiten der Globalisierung und der Migration, Armut und Rechtlosigkeit, Umweltbedrohungen und unsere direkte Betroffenheit durch die verschiedenen Quellen der Unsicherheit in der Welt.

Im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, im Ringen um adäquate Anpassungen des Sozialvertrages, in der Gewährleistung eines harmonischen Miteinander unter- schiedlicher Kulturen, auch bei der Erfüllung des Versprechens der Gleichberech- tigung von Mann und Frau brauchen wir neue Denkansätze. Und wir brauchen mehr Mut.

Probleme sind heute und in Zukunft nie mehr nur Probleme der „Anderen“ – sie sind unser aller Probleme in einer Welt der Chancengemeinschaft, aber auch der Be- lastungsgemeinschaft.

Europa muss und wird seine ganz spezifische Verantwortung in der Welt wahrnehmen – als Pionier von Demokratie, von Menschenrechten und Solidarität, als Anwalt rechtsstaatlicher Grundsätze, Institutionen und Verfahren in den internationalen Beziehungen. Niemand hat mehr Expertise in der friedlichen Transformation von Gesellschaften als die Europäische Union. Niemand kann seinen Partnern mehr an Wohlstand und Stabilität anbieten.

13 Dr. Ursula Plassnik

Was Europa im letzten halben Jahrhundert so einzigartig gemacht hat, ist seine Art, grenzüberschreitende Beziehungen zu gestalten. Europa ist ein Magnet, ein Gravitationsfeld, das ganze politische Landschaften entscheidend beeinflussen kann. Europa setzt heute auf Brückenbauen, auf Verbinden, Vereinen, Versöhnen. "Das Gerechte stark und das Starke gerecht machen", so hat es Blaise Pascal vor über 300 Jahren formuliert. Und ein moderner Managementguru würde wahrscheinlich dem hinzufügen, dass Europa wohl „The Champion of Managing Diversity“ ist.

Manche sprechen vom „Haus Europa“ – als ob dieser Begriff die Vielfalt der heutigen Union mit ihren 470 Millionen Menschen und 300 Sprachen und Dialekten auch nur annähernd wiedergeben könnte.

Manche nennen die EU – eher abfällig oder vielleicht technokratisch würdigend – eine Großbaustelle, in der einige Gebäude noch im Rohbau sind, andere auf einen Innenarchitekten warten, die dritten schon wieder renovierungsbedürftig scheinen. Vielleicht kann man Europa am ehesten heute mit einer pulsierenden Stadt vergleichen, die viele anzieht (einige Kandidaten warten schon) – die aber trotzdem manche ihrer Bürger heimatlos und fremd lässt. Ein Knotenpunkt von Handel und Austausch, ein Laboratorium neuer Ideen und Forscher, Sehnsuchtsort vieler Zuwanderer – aber auch Brutstätte mancher gesellschaftlichen Schattenseiten (Kriminalität, Intoleranz, Ungleichheit). Aber dieser Kontinent erfüllt, was seinem lateinischen Wortsinn entspricht, nämlich „zusammen-halten“, und dieser Zusammenhalt kommt letztlich aus seinen vielen tief wirksamen und auch tief verbindenden Sehnsüchten:

Der Sehnsucht Ⅲ nach Frieden, Ⅲ nach Freiheit und Recht, Ⅲ nach der Absicherung eines spezifisch europäischen Sozialmodells, Ⅲ nach der Möglichkeit, in einem Raum ohne Grenzen eine bunte Vielfalt leben zu können, Ⅲ nach Solidarität und einem partnerschaftlichen Zusammenleben Ⅲ auch nach „guter Nachbarschaft“, im Respekt voreinander und dem gemeinsamen Engagement füreinander.

14 Lassen Sie mich diese Begrüßung mit einer Sicht von außen auf Europa schließen, mit einem Zitat von Jeremy Rifkin:

„Die Europäer haben jetzt einen neuen Traum, umfassender als der alte: Lebens- qualität, gegenseitiger Respekt vor den Kulturen, eine nachhaltige Beziehung zur Natur und Frieden mit den Mitmenschen.“

Liebe Freunde, eine gute Art, Europa zu finden, ist vielleicht über seine vielen Facetten zu sprechen, „Geschichten von Europa“ zu hören. Auch das wollen wir heute mit unseren prominenten Referenten tun. Ⅵ

Dr. Ursula Plassnik

15 Dr. Helmut Kohl

Dr. Helmut Kohl

16 Dr. Helmut Kohl Deutscher Bundeskanzler 1982 - 1998

Herr Bundeskanzler, Herr Kommissionspräsident, Frau Außenministerin, lieber Alois Mock; Exzellenzen, meine Damen und Herren und – das habe ich gerade von der Außenministerin übernommen – , liebe Freunde!

Wenn ein Deutscher das heute hier sagt, steht er nicht im Verdacht, er habe wieder Anschlussgedanken. Obwohl es manchmal in Deutschland ganz gut wäre, es würde etwas von der Gelassenheit, die von der Zweiten Republik ausgeht, spürbar sein. Ich bedanke mich sehr für die freundliche Begrüßung, für das herzliche Willkommen, und es ist keine Floskel der Höflichkeit: Ich bin gerne gekommen. Natürlich auch aus Gründen meiner Sympathie. Wissen Sie, wenn Sie einen Großteil ihres Urlaubslebens in Ihrem Land verbracht haben, wenn Sie inzwischen die feinen Unterschiede zwischen Oberösterreich, dem Burgenland und zwischen den Tirolern und den Salz- burgern kennen gelernt haben, wenn Sie bis in die aktuelle österreichische Kirchenge- schichte vorgedrungen sind, dann sind Sie hier zu Hause und können mitreden. Meine Sympathie hat auch etwas mit meiner geschichtlichen Überzeugung zu tun. Nämlich jener Überzeugung – ich habe viele Beispiele dafür –, dass die Geschichte auch besonders übel mit einzelnen Ländern umgehen kann. Und seit dem Vertrag von St. Germain, den heute schon kaum mehr einer kennt, sind die Geschichte und manche Nachbarn mit den Österreichern besonders übel umgegangen. Und des- wegen finde ich, dass gerade wir, die aus dem Ausland kommen und unvorein- genommen reden können, nicht genug erwähnen können, welch ein gewaltiger Erfolg die Zweite Republik in Österreich ist. Das konnte 1945 niemand erwarten, das ist ein Ergebnis, an dem viele Menschen, viele Gruppen und auch viele politische Richtungen, an dem aber alle Österreicher und Österreicherinnen mitgewirkt haben. Und es stand zu Beginn der Zweiten Republik nicht fest, dass dies ein Erfolgserlebnis werden wird für Europa, für die Österreicher und für uns alle. Und deswegen war eigentlich das, was dann vor zehn Jahren stattfand, nur die natürliche Erfüllung einer Entwicklung, die einfach notwendig war. Dass es dabei Schwierigkeiten gab, nun meine Damen und Herren, wer die EU betrachtet und die Worte Schwierigkeiten, Gelassenheit und Geduld nicht versteht, der soll lieber gleich zu Hause bleiben. Diese zehn Jahre waren ein einziges Erfolgserlebnis. Und ich gratuliere Ihnen, Ihrem Land und den Menschen, die hier in diesem Land leben, der Geschichte wegen sehr herzlich zu diesem Ergebnis. Es waren zehn gute Jahre für Österreich in der EU. Das bestätigen die Statistiken, von denen ich ansonsten nicht viel halte. Man muss nur

17 Dr. Helmut Kohl

durch das Land gehen, da kann man beinahe körperlich spüren, dass Österreich, das ja in der Mitte Europas ist, in diesen Jahren hervorragende Entwicklungen genommen hat. Viele, die jetzt neu in die EU gekommen sind, aus ganz anderen – oft schwie- rigeren – Verhältnissen, haben hier einen Modellfall der EU vor sich, angesichts dessen man sagen kann: Wir haben noch viel zu tun, aber wir können es schaffen. Am Beispiel Österreich kann man es sehen.

Die EU hat auch von Österreich profitiert. Es gab immer wieder Zeiten, da haben es nicht alle in der EU so gesehen. Aber die Weisheit und die Klugheit sind ja auch nicht jeden Tag zu Hause, auch nicht in der EU. Und Österreich hat mit seiner Wirt- schaftskraft und mit dem enormen Kapital an Kultur, das das Land einbrachte, für die EU gewaltige Bedeutung gewonnen. Ich sage das gerne, weil aus nahe liegenden Gründen jetzt im Augenblick – verständlicherweise – fast nur über Arbeitslosigkeit, über Währung und den normalen Alltag eines Landes gesprochen wird. Für mich ist das eigentlich Wichtigste in Europa, in der EU, die kulturelle Bindung, die wir haben. Und wenn wir, meine Damen und Herren, und das sage ich mit großem Nachdruck, im Alltag der Politik die Vision der gemeinsamen Kultur verlieren, wird diese Sache in Europa keine positive Entwicklung nehmen.

Meine Damen und Herren, der Satz ist mehr als zehn Jahre alt, aber er ist trotzdem noch richtig: Europa braucht Österreich und Österreich braucht Europa. Ob man das gleichzeitig einsieht, ist eine ganz andere Sache. Ich kann mich noch gut an die Diskussion über den Beitritt erinnern, in Österreich, in Brüssel, in Strassburg. Man wundert sich – es sind ja nur zehn Jahre – wie viele Äußerungen nach zehn Jahren sich als absolut dümmlich und töricht erweisen. Und das Erstaunliche ist, dass auch viele, die die gescheiten Leitartikel geschrieben haben, es nach zehn Jahren leugnen würden, dass sie so etwas gesagt haben, wobei sie es – das sage ich dazu – viel schwerer hatten als die Fernsehleute. Denn was diese so „ablassen“ am Abend, ist nach einer Stunde über den Äther verraucht. Wenn Sie heute hier noch einmal die Kommentare hören würden aus jener Zeit, da würden die meisten sagen: Ich war damals nicht hier, das muss irgendwo in einem ganz anderen Land gewesen sein.

Warum sage ich das? Ist das Bosheit? Weil ich denen, die Verantwortung haben, und den Jungen, die nach uns kommen, ein Wort sagen möchte: Lasst euch nicht in Pessimismus ertränken. Es gehört immer – sogar jetzt in Europa – zum guten Stil, miese Stimmung zu verbreiten. Das Jetzt zu bewältigen heißt, es als eine Sache darzustellen, die so schwierig ist, wie sie vorher nie war. Am Beispiel des Beitritts von damals – übrigens auch dieser zehn Jahre – kann man sehen, dass man mit

18 Mut, mit Stehvermögen und mit einer Vision Realitäten schaffen kann und dass ohne eine Vision die Realitäten auch zerschellen.

Es gab dann die Abstimmung in Österreich. Meine Damen und Herren, das habe ich noch in Erinnerung. Eine klare Zweidrittel-Mehrheit. Wie viele haben das denn er- wartet? Ich weiß nicht mehr, was die Umfragen damals vorhergesagt haben, ob sie erst falsch waren, anschließend berichtigt wurden oder umgekehrt, aber jedenfalls war das schon alleine eine tolle Sache. Es war übrigens eine Bestätigung des Satzes, den ich vorhin in meiner Gratulation sagte, es war eine Bestätigung der Zweiten Republik und ihrer Leistung. Denn ohne dieses Selbstverständnis der Österreicher wäre diese Abstimmung so nicht möglich geworden. Die Abstimmung war in Ihrer Regierungszeit, Herr Vranitzky, durchgeführt worden. Sie haben den Beitritt Ihres Landes zur EU am 1. Januar 1995 mit großem Erfolg durchgesetzt. Sie haben auch – und das will ich gerne bei dieser Gelegenheit sagen, weil das ja auch nicht selbstverständlich war – nicht nur in Ihrer Eigenschaft als österreichischer Bundes- kanzler, sondern auch in den Möglichkeiten, die Ihr Parteiamt mit sich brachte, in der Werbung unter Ihren europäischen Freunden einen ganz wichtigen Beitrag geleistet. Da über solche Beiträge nie gesprochen wird, halte ich es für wichtig, wenn man etwas Geschichtsbetrachtung betreibt, das auch zu erwähnen. Und es gab vor allem einen ganz anderen Mann, dem die Ehre für den Beitritt zur EU in Wahrheit gebührt. Es ist Alois Mock.

Meine Damen und Herren, das ist ein Mann, der mit einer ungeheuren Leidenschaft aus dem Verständnis von Demokratie, aus seinem Verständnis als österreichischer Patriot diesen Weg unbeirrt gegangen ist. Er wurde dabei nicht immer verstanden, hier in Österreich nicht, in seiner eigenen Partei auch nicht, aber wenn Sie lang genug in einer Partei tätig sind, wissen Sie ja: In der eigenen Partei finden Sie immer Leute, die alles besser wissen. Aber er hat das Ziel des Beitritts mit einer unglaub- lichen Zähigkeit verfolgt, und man kann fast sagen, rund um die Uhr. Weißt Du, Alois, an Deinem Beispiel – ich sag das gerne – kann man erkennen, dass man Europapolitik eben nicht nur erfolgreich mit dem Verstand machen kann. Weil zur Europapolitik etwas gehört, das das Gemüt und das Herz bewegt. Dass man ein Verhältnis zu Europa haben muss, das weit über das Tagesgeschäft hinausgeht. Eben jene Vision: Wir gehören zusammen. Du hast damit ganz wesentlich an der Zukunft gebaut, und ich nehme gerne auch die Gelegenheit wahr zu erinnern, weil das auch was mit Europa zu tun hat, dass Du damals mit dem Kollegen Horn an der öster- reichisch-ungarischen Grenze symbolisch den Eisernen Vorhang aufgemacht hast. Wir, die Deutschen, werden Dir das nie vergessen. Obwohl wir insgesamt ja sehr vergesslich geworden sind und das, was damals geschah, häufig als selbstver- ständlich nehmen. Dein Beitrag ist ganz und gar unvergessen.

19 Dr. Helmut Kohl

In der Zeitspanne der Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union gab es zwei wichtige herausragende Ereignisse: Die Bildung der Wirtschafts- und Währungs- union am 1. Januar 1999 und die Erweiterung der Europäischen Union um zehn auf 25 Staaten am 1. Mai 2004. Diese beiden Projekte sind von allergrößter Bedeutung für die Zukunft Österreichs und Europas. Und Wolfgang Schüssel, Du hast Dich mit Deiner kräftigen Handschrift ins Buch der österreichischen und der europäischen Geschichte eingetragen. Du warst in diesem Jahr 1998 als Vorsitzender im EU-Ministerrat. Frau Außenminister, da habe ich Sie noch in bester Erinnerung, allerdings in einer etwas anderen Funktion. Minister sind ja meistens sehr mächtig, aber die, die mit einem Minister zusammenarbeiten, sind häufig noch wichtiger, noch mächtiger.

Wolfgang Schüssel hat damals, mit großem Engagement die Beitrittsverhandlungen mit Ungarn, mit Polen, mit Tschechien, mit Estland, mit Slowenien und mit Zypern vorangebracht. Und er hat die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion und die Einführung des mit ganzer Kraft unterstützt. Dafür bin ich ihm vor allem dankbar, weil er sich ohne Wenn und Aber diesem Projekt einer gemeinsamen Währung stellte, das Francois Mitterand zu einem Zeitpunkt, als man nur davon träumen konnte, Mitte der 80er-Jahre zu diskutieren und zu verabreden begonnen hatte. Die Einführung des Euro, meine Damen und Herren, bleibt einer der bedeutendsten Marksteine in der Geschichte der Europäischen Union. Für mich – ich mach da überhaupt kein Hehl draus – ist es das Schlüsselprojekt auf dem Weg der Europäischen Union.

Wie manche, habe ich früher geglaubt, noch vor 20 Jahren, dass wir den Einigungs- prozess im Politischen, im Organisatorischen parallel zur wirtschaftlichen Entwick- lung betreiben könnten. Ich habe, wie auch andere, lernen müssen, dass der Weg zu lang gedauert hätte, wenn er überhaupt erfolgreich gewesen wäre. Deswegen sind wir den Weg zur Wirtschafts- und Währungsunion gegangen. Wichtig ist dabei vor allem, dass die Wirtschafts- und Währungsunion die Europäische Einigung unumkehrbar gemacht hat. Man kann jetzt nicht mehr am 31. Januar beschließen, am 31. Dezember scheiden wir aus dem Verein aus, sondern wir sind im besten Sinne des Wortes auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden. Das kann man gar nicht oft genug sagen, weil darin ein Grundsatz der EU steckt. Nämlich der Grundsatz, dass man nicht nur an das eigene Interesse denken kann, sondern auch an das Interesse des Nachbarn und der anderen Partner. Nur wenn es auch den andern dabei gut geht, wird das eigene Interesse sich gut entwickeln. Zwölf Staaten, darunter auch Österreich, gehören der Wirtschafts- und Wäh- rungsunion an.

20 Seit dem 1. Januar 2002 zahlen über 300 Millionen Menschen in der Europäischen Union mit ein und derselben Währung. Auch für Österreich, dafür bin ich dankbar, hat sich die Teilnahme an der Währungsunion positiv ausgewirkt. Nicht nur ist der internationale Handel durch den Euro erleichtert worden, auch und vor allem haben die Maastrichter Kriterien zu einer Budget-Disziplin geführt.

Wir werden, wenn wir die Kriterien von Maastricht aufgeben und wenn wir uns von der Fülle von Versprechungen weg bewegen, kein gutes Ende haben. Denn, meine Damen und Herren, das will ich schon mal sagen: Diese Währung ist mit dem Versprechen an die Bürger eingeführt worden: Wir bringen eine Währung, die genauso stabil ist wie die Währung, die wir hatten. Zumindest gilt das für uns in Deutschland. Und dann haben wir noch das verwegene Wort gesagt, dieser Euro wird nach dem Dollar und vor dem japanischen Yen die wichtigste Währung der Welt werden. Auch das gehört ja zu den Kuriositäten, das ist immer bezweifelt worden: Ganz gescheite Leute und nicht zuletzt die Experten an der Wiener Universität haben damals Seminare gehalten, dass das alles Quatsch sei, dass die neue Währung nie erfolgreich sein würde. Na, jetzt lese ich in den deutschen Wirtschaftszeitungen das Gejammer vieler Unternehmer, die sagen, dass der Euro zu stark ist und dass sie jetzt wieder einen schwächeren Euro brauchen, damit wir beim Export gegenüber dem Dollar besser weg kommen.

Wir haben in dieser Sache Wort gehalten. Und wissen Sie, für mich ist die Frage der Stabilitätskultur in der Europäischen Union deswegen nicht irgendeine Frage, sondern auch ein persönliches Versprechen. Ich bin vor die Deutschen hingetreten und habe ihnen gesagt, wir müssen aus vielen Gründen, aus Gründen der europäischen Zukunft, diesen Schritt gehen. Meine Damen und Herren, ich brauche Ihnen doch nicht zu sagen: Das war alles andere als populär. Wenn wir in Deutschland damals eine Abstimmung gehabt hätten – ich mache da gar kein Hehl draus –, hätten wir diese in einem Verhältnis von 7:3 verloren. 70 Prozent hätten gesagt, der Helmut Kohl spinnt, das hätten sowieso viele gesagt, aber in dieser Frage besonders. Und bei den übrigen 30 Prozent, hätte es Unentwegte gegeben. Für die Deutschen war die DM eben nicht irgendeine Sache. Denn für einen normalen Deutschen war doch die Vorstellung ziemlich abwegig, dass die deutsche Währung mit der Lira zusammengebracht wird. Man fährt zwar dorthin in Urlaub, gemeinsam mit 11 Mil- lionen Deutschen, aber dass man die Währung übernimmt, das war eher Wagemut.

Aber die Währung ist gekommen, und ich bin auch allen Freunden hier dankbar, so nenne ich noch einmal unseren Freund Schüssel, die das mitgemacht haben, wohl wissend: Wir brauchen ihre Unterstützung.

21 Dr. Helmut Kohl

Ein kleines Beispiel, das mir am Herzen liegt, will ich noch nennen, eines, das wir vielleicht im Alltag überhaupt nicht bedenken: Jetzt oder in ein paar Monaten, im Sommer, gehen die Buben und die Mädchen aus der Schule heim und kaufen sich ein Eis. Dann kaufen sie das mit ihrem Euro, und die Kinder in Helsinki kaufen das auch mit ihrem Euro und die in Rom auch. Und ich sage Ihnen voraus - ich weiß, das ist gewagt – in zehn Jahren auch in Zürich und auch in London. Ich bin ganz sicher, dass dies so sein wird.

Das andere gewaltige Schlüsselprojekt war die Erweiterung der Union auf 25 Staaten. Meine Damen und Herren, stellen Sie sich einmal vor, wir hätten uns unter anderen Bedingungen vor zwanzig Jahren in diesem Saal getroffen. Die Vorstellung, dass die Länder Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien und viele weitere Staaten bei der Europäischen Union und dann bei der NATO sein würden? Sie wären doch nach Hause gegangen und hätten gesagt, der ist völlig verrückt geworden. Die Welt schien doch festgezurrt zu sein. Jetzt erleben wir einen gewaltigen Umbruch in einer wirklich historischen Dimension. Ich bin sehr dankbar dafür, dass gerade unsere österreichischen Freunde aus ihrer historischen Verbindung zu diesen Nachbarländern alles getan haben, damit sie mitkommen können, nach Europa kommen können.

1991 standen an einem Tag die drei Staats- und Regierungschefs der drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen vor mir in meinem Dienstzimmer in Bonn und sagten einem Satz: „Herr Bundeskanzler, wir kehren heim nach Europa“. Meine Damen und Herren, diesen Satz muss man doch auf sich wirken lassen. Diese Männer kamen aus Ländern, die beim Hitler-Stalin-Pakt besonders übel von Hitler an Stalin verraten worden sind. Diese Männer kamen also von dort, wo sie mit der sowjetischen Diktatur und Tyrannei die bittersten Erfahrungen machten. Deswegen habe ich überhaupt nicht verstehen können, dass jetzt plötzlich auch bei uns in Deutschland und auch bei Ihnen die Idee aufkam: „Die müssen ja kommen, diese Länder, aber muss das eigentlich jetzt sein?“ Und dann sagt man den Slowaken, ihr dürft die Steuersätze nicht runtersetzen, damit ihr nicht den Deutschen noch ein paar Aufträge wegschnappt.

Meine Damen und Herren, das Nächstliegende ist, die eigenen Steuersätze auch runterzusetzen, aber nicht die Slowaken dafür zu prügeln, dass sie ihre Überlebens- chance wahrnehmen. Hier findet ein Stück Wiedervereinigung statt. Gerade heute, bei der schweren Krankheit des Papstes, geht mir eine Erinnerung an seinen Besuch in Berlin nicht aus dem Kopf, als wir nachts allein am Brandenburger Tor standen und er mich so an der Hand nahm und sagte: „Herr Bundeskanzler, dies ist eine

22 große Stunde im Leben des Papstes, der aus Polen kam. Die Mauer ist weg, das Tor ist offen. Deutschland ist frei. Mein Heimatland Polen ist frei.“

Das, meine Damen und Herren, ist doch das Eigentliche, wenn wir über die Erweiterung reden, dass diese Völker – und ich sage das bewusst auch als Deutscher –, die nicht zuletzt aus Gründen der Schuld der deutschen Politik, der deutschen Regierung, des deutschen Regimes damals in einer erbärmlichen Lage leben mussten, dass wir diesen Völkern rechtzeitig helfen. Diese Länder gehören zu Europa. Wer in Krakau ist, und wer in Wien ist, und wer in Prag ist, und wer in Budapest ist, ist eben mitten in Europa. Und es ist doch eigentlich eine Gnade, dass uns das möglich wurde.

Da ist ein Punkt, den ich als wichtig empfinde, nämlich der Punkt, wie dieser Alltag in Europa stattfinden wird. Ich meine, wir müssen mehr darüber reden und den Anfängen wehren, dass da welche kommen und sagen, dies sei alles eine unmögliche Sache: „25 Länder mit ganz unterschiedlichen Größen. Luxemburg und die Baltischen Staaten und dann die Bundesrepublik mit 80 Millionen, Frankreich und Groß- britannien. Das kann doch eigentlich so nicht klappen. Man muss doch da zu Formen der Zusammenarbeit kommen“, und ich spreche jetzt das Gespenst des Direktoriums an. Ich kann nur sagen, meine Damen und Herren, wer die EU zerstören will, wandelt auf diesen Wegen. Die EU lebt von dem Prinzip, dass alle Länder das gleiche Recht haben, die gleiche Stimme haben.

Winston Churchill hat in seiner wohl bedeutendsten Rede nach dem Zweiten Welt- krieg, das ist die Rede zu Europa vor den Studenten in Zürich im September 1946, den Satz gesagt: „Kleine Nationen werden soviel wie große gelten und sich durch ihren Beitrag für die gemeinsame Sache Ruhm erringen können“. François Mitterrand und ich haben das in vielen Äußerungen so formuliert: „Die Qualität muss wichtiger sein als die Quantität“.

Sehen Sie, wer ein Direktorium will, ist sofort an dem Punkt zu entscheiden, wer mit dabei ist. Ich kann nur sagen, wer mit diesem Gedanken umgeht, hat keine Ahnung von der Wirklichkeit Europas. Und ich sage das gerade hier, in Wien, und an diesem Tag, weil wir ja ein Beispiel erlebt haben: Dieser mir bis heute völlig unverständliche Beschluss, in dem man die österreichische Innenpolitik zum Anlass nahm, um sozu- sagen ex catedra den Österreichern zu sagen, was sie dürfen und was sie nicht dürfen. Das war eine große Schau und voller Lüge, denn man hätte dasselbe ja bei einem großen Land nicht gewagt. Als dann in Italien eine Regierung mit dem rechten Lager gebildet wurde, dann habe ich die gleiche Kritik nicht gehört, meine Damen und Herren.

23 Dr. Helmut Kohl

Als François Mitterrand die Kommunisten in die erste Regierung nahm, hatte ich mit Präsident Reagan einen heftigen Streit, als er die Franzosen so in die Ecke schob. Dann hab ich gesagt: „Lassen Sie ihn doch machen, er ist doch selber verantwortlich“. Vier Jahre später gab es die Kommunisten nicht mehr, sie waren bei der Wahl nahezu ins Nichts verschwunden. Das, was 2000 in der Darstellung der Republik Österreich geschehen ist, gehört wirklich zum Dümmsten der aktuellen Politik. Wenn einmal die Geschichte der EU geschrieben wird, muss man ja irgendwann auch eine Bilanz machen, was die größten Dummheiten waren. Da nominiere ich diesen Punkt gleich jetzt unter die ersten drei, darüber gibt es gar keinen Zweifel.

Es ist übrigens auch interessant, meine Damen und Herren, ich sag es noch einmal, liebe Freunde: Ich finde kaum mehr einen, der dafür gestimmt hat, und es ist nicht einmal zehn Jahre her. Es war ein massenpsychologischer Unsinn, der da vorange- trieben wurde. Und es ist ein wichtiges Beispiel für die Zukunft der EU, dass man sich hütet, mit einer solchen Absolutheit ein Urteil über andere Länder abzugeben. Schon gar, wie das im Falle Österreichs war, wenn man sich einmal vorstellt, welchen kulturellen Beitrag Österreich in seiner Geschichte in Europa eingebracht hat. Man muss doch nur auf den Wiener Zentralfriedhof gehen und einmal das Musiker-Viertel betrachten, da finden Sie so viele Namen, wie es sie in anderen Ländern eben so nicht gab.

Meine Damen und Herren, wie ich es erlebt habe, als Schüler, noch bei meiner ersten Wahlversammlung 1949 mit 19 Jahren, war unsere These: Nie wieder Krieg! Das war das, was Churchill, Schumann, Adenauer, de Gasperi, Monet und andere vorantrieb. Man hatte endlich begriffen, dass man nach zwei Weltkriegen mit all dem, was dazu gehört an schrecklichen Erfahrungen, im Krieg kein Mittel der Politik sehen kann.

Wissen Sie, wenn Sie von mir zu Hause vom Rhein mit dem Auto nach Paris fahren, dann kommen Sie hinter Saarbrücken auf die Route Nationale bis nach Verdun und dort finden Sie 17 Wegschilder zu großen Soldatenfriedhöfen aus zwei Kriegen. Wir wollen die Toten pflegen und ehren. Aber wir wollen nie wieder Soldatengräber haben in Europa. Und das ist das Wichtigste, was man als Aussage machen kann.

Alcide de Gasperi, der immerhin hier im Wiener Reichsrat Abgeordneter war, hat mit den andern zusammen diesen Weg geebnet. Und von ihm stammt ein Satz, den ich gerne zitiere, ein schwieriger Satz: „Zur Einigung Europas muss man womöglich mehr vernichten als aufbauen. Nämlich eine Welt von Vorurteilen, eine Welt des Kleinmuts und des Grolls“. Wenn man in Europa vorankommen will, dann muss man

24 seine eigenen Vorurteile ablegen, zum Beispiel jenes, von dem ich vorhin sprach: Wir können mit den Italienern keine Währung gemeinsam machen. Solche Vorurteile finden Sie auch in vielen anderen wichtigen Bereichen.

Wir sind weit vorangekommen. Das Haus Europa ist jetzt wetterfest. Es ist noch vieles zu machen, noch vieles auch im Ausbau zu machen. Bei der Akzeptanz gegen- über den Bürgern ist noch viel, viel, viel zu tun. Das müssen wir alle auch gemeinsam tun.

Wir haben jetzt einen Verfassungsentwurf. Natürlich kann man sagen, der gefällt mir in diesem und jenem Punkt nicht. Das ist nicht mein Verfassungsentwurf, aber ich muss Ihnen sagen, es ist ein Kompromiss. Ich kenne keinen besseren Entwurf und deswegen rate ich uns jetzt, diesen Entwurf zu akzeptieren, es damit zu probieren und die Ratifikation dieses Europäischen Verfassungsvertrages als einen weiteren wichtigen Abschnitt in der Geschichte der EU voranzubringen. Er ist ein weiteres Stück, wie die Welt sich in unserem Sinne positiv verändert.

Zu diesen wichtigen Themen, die wir noch nicht erledigt haben, gehört auch dieser Satz: „Wir müssen mit einer Stimme sprechen“. Wer das in der Außenpolitik sagt, muss natürlich wissen, wovon er spricht. Dass jeder der europäischen National- staaten seine eigene Geschichte, mancher seine eigene Kolonialgeschichte hat und dass das nicht über Nacht geht. Aber dass man auf dem Weg dorthin eine vernünftige Gemeinsamkeit finden kann.

Und ich füge ein Weiteres hinzu: hat einmal gesagt, die Zukunft Deutschlands beruhe auf zwei Säulen: Die europäische Einigung und die trans- atlantische Partnerschaft. Das ist nicht ein Sowohl als Auch, sondern es ist beides gleichzeitig. Jenen, die sich jetzt wieder im Anti-Amerikanismus tummeln, (es gibt ja auch viele Vorbilder aus Washington: Wenn da einer vom „alten“ und „neuen“ Europa redet, ist das eigentlich nur Beweis, dass Minister in allen Regierungen der Welt auch gelegentlich dummes Zeug sagen) sei gesagt: Das ist kein Grund, deswegen anti-amerikanische Gesinnung zu üben. Aber würden wir uns abschotten gegenüber der anderen Seite des Meeres, der atlantischen Küste, dann würden wir in Europa eine schlechte Entwicklung erleben. Wir sind nicht Befehlsempfänger, wir sagen nicht Ja und Amen, sondern vertreten unsere eigene Position. Das müssen die Amerikaner begreifen, und wir müssen es begreifen. Und unsere amerikanischen Freunde müssen noch begreifen, dass die Einfachformel Ost und West, mit der Mauer klar sichtbar gemacht, so nicht mehr stimmt. Es gibt keine bi-poplare Welt mehr. Es ist eine multi-polare Welt, und in dieser multi-polaren Welt gibt es eben

25 Dr. Helmut Kohl

uns, die EU, als einen wichtigen Faktor, und die Amerikaner, China, es gibt Indien, es gibt lateinamerikanische und afrikanische Staaten.

Zehn Jahre ist Österreich jetzt Mitglied der Gemeinschaft. Jeder kann erkennen, dass dies ungeachtet aller kritischen Stimmen ein Erfolgserlebnis wurde. Für Öster- reich, für Europa, ich denke, auch für die Welt. Und das muss unsere Botschaft ins Land hinaus sein. An die junge Generation. Sehen Sie, wir haben jetzt ein neues Jahrhundert, ein neues Jahrtausend. Und diese Wege, die ich jetzt abgeschritten habe, die sind zwar unbeschreiblich wichtig, aber wenn man 21 Jahre alt ist, ist es eine Zeit, die weit zurückliegt. Sehen Sie, wer heute 21 Jahre ist, hier in Wien oder in Salzburg oder anderswo zur Hochschule geht, der in einem Land lebt, in dem man eine statistische Lebens- erwartung für Frauen von 80, für Männer von 78 Jahren hat, wer also jetzt 21 ist, wird die Jahrhundertmitte erleben, das Jahr 2050. Und denen muss man helfen, dass sie begreifen, dass dies ihr Jahrhundert ist. Ich möchte ihnen sagen: Lasst euch nicht beeindrucken! Nicht mit Pessimismus wird die Zukunft. Als ich zu meinem ersten EU-Gipfel ging, das war im Dezember 1982 in Kopenhagen, war das meist- gebrauchte Wort „Euro-Sklerose“. Die Zeichen einer der schlimmsten Krankheiten in Europa. Und wenn Sie dann damals den vielen hundert Journalisten gesagt hätten, dieses Europa wird etwas, sind Sie für geisteskrank erklärt worden. Es hätte niemand geglaubt. Meine Botschaft ist zu sagen, dass mit einer Vision die Visionäre sich durchsetzen und nicht die Realisten.

Österreich ist ein phantastisches Beispiel für diese These. Schauen Sie sich an, wie dieses Land aussah 1945. Sie haben, Frau Minister, aus der Regierungserklärung 1945 zitiert. Schauen Sie sich an, wie die Menschen damals aussahen. Wenn ich die Beispiele aus Berlin bringe, sind die noch sehr viel drastischer. Und diese Generation hat es geschafft. Und die nächste Generation hat weitergemacht.

Deswegen: Herzlichen Glückwunsch zum zehnten Geburtstag. Es ist ein großer Tag für Österreich, ein großer Tag für Deutschland, ein großer Tag für die Nachbarn, es ist ein großer Tag für Europa. Europa braucht Österreich und Österreich braucht Europa. Mehr kann man eigentlich gar nicht zur Gratulation sagen. Ⅵ

26 Dr. Franz Vranitzky, Dr. Wolfgang Schüssel, Dr. José Manuel Barroso, Dr. Helmut Kohl, Dr. Benita Ferrero-Waldner

27 Dr. José Manuel Barroso

Dr. José Manuel Barroso

28 Dr. José Manuel Barroso Präsident der Europäischen Union

Austria and Europe: "Past Success and Future Perspectives"

Dear Chancellor Schüssel, Distinguished guests, Ladies and Gentlemen, May I say, dear friends,

I am delighted to be here with you today: On a day which celebrates a historical decision for and Europe. At a time when Europe is facing major challenges which call for a European renewal.

The celebration of historical landmarks sometimes carries the risk of complacency: the risk of looking back at what has been achieved and of sitting back self-satisfied about the past record. This ignores the fact that nothing we have achieved can be taken for granted. As Oliver Wendell Holmes reminds us, "the great thing in this world is not so much where we stand, as in what direction we are moving - we must sail sometimes with wind and sometimes against it – but we must sail, and not drift, nor lie at anchor".

I therefore welcome Austria's decision to have a "Jubiläumsjahr" and to see it as a year of reflection on the past and on the future rather than as a simple year of remembrance.

A few weeks ago, I made a travel in space but, most of all, in time – I was at Auschwitz to take part in the remembrance of the 60th anniversary of its liberation. This year, we celebrate the 60th anniversary of the end of the Second World War, of the defeat of the Nazi tyranny, and of the establishment of Austria's Second Republic. We celebrate the 50th anniversary of Austria's regained full independence through the "Staatsvertrag". And we celebrate the tenth anniversary of Austria's accession to the through the expression of the free and democratic will of its people. Let me add that later this year, we will celebrate – as a result of the fall of the Iron Curtain and the end of the Communist dictatorship in the Eastern part of our continent – the first anniversary of the European Union's enlargement to countries that lay formerly behind this cruel line that artificially divided our continent for several generations: An event which was particularly important for this country. What an extraordinary story, and what an extraordinary achievement. A continent

29 Dr. José Manuel Barroso

where men created hell on earth for their fellow human beings is uniting itself voluntarily in peace, freedom and prosperity. But we can celebrate properly only if we remember where our continent comes from – if we do not forget the lessons of the past, so that when we decide on our future we do not repeat the errors that once led to disaster.

The European Union's Member States will decide this year and next year on the ratification of the Treaty establishing a European Constitution. The Constitutional Treaty will both re-affirm and project the values that are at the heart of the ever closer Union that the Member States and their peoples have decided to forge. And I underline the word values: When we speak about Europe we do not only speak about the interests. We also, and above all, speak about values, as Chancellor Kohl now so well reminded us. One of its centrepieces is the Charter of Fundamental Rights. As we speak, the Commission is preparing the proposal of transforming the -based European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia into a fully- fledged Fundamental Rights Agency. This is one of the many signals of where we are heading, and of what is important to us – and for Austria, host to the European Monitoring Centre from its beginning.

Austria's accession to the European Union was an important step in the on-going process of securing peace, freedom and prosperity also for the generations to come. Geography as well as history places Austria at the heart of the re-united Europe. For centuries, Austria has been a bridge between the West and the East of our continent. It was very helpful that the Austrian accession preceded last year's accession of its neighbours. Austria's accession was not only important for Austria itself – it brought the European Union closer again to those countries, and helped the European Union understand that it was about to change in a new and unprecedented way. Let me say that it was for me a privilege as well as a pleasure that I was able to make a very, very modest personal contribution to this accession in my then capacity as Foreign Minister of my country. I am honoured and proud that the Accession Treaty signed at Korfu on 24 June 1994 also bears my signature.

When the Austrian government sent its "letter to Brussels", history was made for the better. Let me pay tribute to all of those who contributed to the successful steering and conclusion of the accession negotiations. Former chancellor Franz Vranitzky is among us today, and I would like to salute him. As I would like to express my gratitude to former Vice Chancellor Alois Mock. He is a true European who has made Austria very proud. I am honoured that I can count him as a friend. Chancellor

30 Wolfgang Schüssel was a cabinet minister already at the time of the accession. Our good friendship dates back to the time when we were both the Foreign Ministers of our countries. In his different capacities, he has been an active force in the European Union politics ever since. But let us not forget all the other architects who have contributed towards the accession: the Austrian parliament, politicians, diplomats and officials on the national, the Länder and the local level, the social partners, the churches and religious communities, the civil society, the journalists and the media, the activists who have supported and explained what becoming part of the European Union means for the present and for the future – and first and foremost the citizens whose allegiance, whose constructive criticism, whose democratic control is the basis of the legitimacy of our common endeavour.

I would like to thank all of them, reminding us that their effort is not over, but needs renewing each and every day. The European Union is work in progress. So is Austria's membership of it. It needs to be re-thought and re-explained each and every day. This is why I am particularly happy to learn that one of the projects that will come to fruition this year is the project of the first "European Union school book". I commend its authors and its editors for this idea which is a fitting example of how to commemorate such an anniversary: the young generation is entitled to learn and to experience about Europe. I am truly looking forward to browsing through the book when it will appear in autumn. Another commendable initiative is the recently presented logo and slogan "Gemeinsam gut unterwegs" developed by a common platform in an effort to communicate the aspects of Austria's membership in the European Union on a broad basis. These are examples to be followed and to be expanded.

Since Austria's accession to the European Union, Europe has changed and Austria with it. What was then the Eastern border of the Union, a "European Union window" towards its neighbours, is today a part of the heartland of the enlarged European Union. The Danube area is growing, and progressively becoming once again an integrated region, economically as well as socially and culturally. Through a vigorous reform policy, Austria is one of the driving forces of a successful implementation of the Lisbon Strategy aimed at fostering growth and employment through the European Union: It is the third richest country of the European Union and since accession its average growth rate of 3 % has always been higher than the European Union average, which certainly sets a good example that is well worth following.

31 Dr. José Manuel Barroso

And Austria has provided the European Union, and in particular (but not only) the Commission, with excellent personalities and personnel, both at the political and at the administrative level. I am very proud to have Benita Ferrero-Waldner in my team.

As I already said, the European Union has certainly benefited from the Austrian accession.

But Austria, too, is better off after the accession than before it.

From the Austrian growth figures I just quoted and the fact that the Austrian economy is strongly interlinked with the rest of the European Union economy, one can deduce that the European Union, its Single Market and its Single Currency provide Austria with an economic environment that is stimulating and beneficial. But accession has not only opened the whole of the European Union to the Austrian economy. European integration is not only about market access. The accession has opened the whole of the European Union to Austria's citizens. The accession has made Austria part of a wider political framework that gives its people more freedom, more choice and the possibility to move freely in a Europe without frontiers. Not to forget the fact that it also increases the security of the country and its citizens through the participation in the area of freedom, security and justice currently under construction in the European Union. Most importantly, being part of the process of European integration gives your country and your citizens the possibility to influence decisions on a far grander scale than if you stayed by yourselves.

The European Union provided Austria with a new multilateral context to help solving difficult bilateral issues. The Temelin case is but one example. It is now a European Union issue rather than a problem for the Czech Republic and Austria alone. And does anybody seriously believe that the solution of other difficult questions, such as the transit across the Alps, would be any easier if Austria had remained outside the European Union? I know that it is tempting to dream of being able to do things all alone. But doing things all alone is not a guarantee of solving problems – as is attested by a quick glance across our borders. The membership in the European Union means having a say. Austria has had quite a forceful say over the last ten years.

Let me take once again the difficult Alps transit issue. With the active participation of Austria, the European Union has launched a constant process of lowering traffic emissions levels, it is promoting important investments for the rail projects in the framework of the Trans European Network – in particular, the Brenner Rail Tunnel

32 - and it is spearheading efforts to move freight traffic away from the road and to help finance alternative infrastructure. I am fully aware that some people (and in particular those directly affected by the transit) feel that this is still not enough. But this is a point of view that can make itself heard in the European institutions. Maybe there is more to be done for instance by using other alternatives to the road.

Or take environmental policy which I know is a particular concern for many of your citizens as it is to me – and it is true that Austria has a lot of magnificent landscape to preserve! Here again, one might think that doing it alone might provide for the strictest standards possible. But not necessarily the most effective! As pollution does not stop at the border, environmental standards make much more sense when implemented across borders, all across the European Union and even beyond. Austria has played a crucial role in forming and influencing Europe's conscience in this respect - which in turn has made the environment better and safer than would have been possible otherwise.

With the accession, Austria has ensured its capacity to be and to remain a player in Europe and beyond it. Who better than former Commissioner Franz Fischler can attest to this reality? He was for almost ten years a reference – not only in the European Union – but through his office throughout the world.

It is precisely because the European Union membership allows for this and other kinds of influence that the case for constructive and of course sometimes critical commitment to the European Union is a lot more convincing than the case for purely negative euro-scepticism. That is why I think, and I've said that very often, that we should combine realism with optimism. Pessimism is not a solution. And only with optimism based on the reality can we really overcome great challenges ahead of us.

Ladies and Gentlemen, Together, we have made huge progress over the last ten years. And together, we will have to face new, important challenges in the years to come – challenges which demand a strong leadership, a clear vision of the direction in which we should be heading. These challenges demand a true European renewal.

We will have to face economic challenges. In order to expand our prosperity, to preserve and develop our model, it is essential to restore growth in Europe. To this end, we must give a fresh start to the so called Lisbon Strategy: it needs to be refocused on better defined objectives, and it needs better implementation. This

33 Dr. José Manuel Barroso

means that we must build a new partnership for change, mobilising European governments, social partners, civil society and, most importantly, citizens. A partnership that is able to make the European Union an attractive place to invest and to work in.

If we want to achieve this, we must set free the European Union's hidden potential: Ⅲ By fostering education, research and development, knowledge and innovation; Ⅲ by enacting structural reforms which open the chance and the dignity of earning one's living through one's work to more Europeans than is the case today; Ⅲ by completing the Single Market, in particular in the field of services – which we will handle in a way to ensure that it will result in an increase of jobs all over the European Union, by mutual enrichment through the better use of comparative advantages; Ⅲ by eliminating the bottlenecks in networks, notably in telecommunications, transport and energy; Ⅲ by adopting better regulation, eliminating red tape and ensuring a level playing field all across the European Union through the uniform and vigorous application of commonly established European Union law and its competition rules. This is the right way.

The Lisbon Strategy is not about numbers. It is about people and about their chances to enjoy prosperity and to lead a life as they think fit.

Let me make very clear that the focus of the fresh Lisbon Strategy as proposed by the Commission is not at all in contradiction with the ambition of our social policy and of our environmental policy. Growth is a necessary condition for effective solidarity.

Growth is also one key factor for security. European citizens want the freedom and the mobility made possible by the European Union. But, at the same time, they also want to be protected against terrorism, crime and natural catastrophes. Now to cite but one example, projects like the integrated management of the European Union's external borders, which figures among our highest priorities for the years to come, require appropriate resources. Here again, the further vitalisation of the European Union‘s economies is a pre-condition for our ability to put forward optimal solutions.

Finally, growth is also a necessary condition for the European Union's ability to take on its responsibilities in the world.

34 The visit that President George Bush has just paid to Brussels is just one indicator of the recognition of the growing role of the European Union as a true global player. And in these challenging times, I am happy to have with Benita Ferrero- Waldner an experienced and world-wise Austrian in my team as the Commissioner for External Relations and Neighbourhood Policy.

To face these challenges, the European Union needs a better institutional framework and adequate financial means.

The Constitutional Treaty has the potential to provide this framework, when the ratification process, as I hope, will be successfully completed. The Constitutional Treaty caters to a Citizens' Europe that works, to a Europe where the big and the small Member States have an equal chance to be heard and to participate. It is a resounding refusal of a bureaucratic superstate, it is a resounding refusal of any kind of directorium. At the same time, the European Union needs adequate means for the actions it is committed to perform. This being said, the Commission is fully aware that resources are scarce, that major budgetary consolidation efforts are underway in nearly all Member States, and that growth requires stability, certainly also regarding public finances. This is why its proposals are aimed at supporting national efforts through measures that maximise Europe's added value. For example, proper protection of the European Union‘s external border; or investing in peace and stability in the Balkans, or helping rural communities flourish and protecting the countryside that surrounds them. So we really need those resources if you want to have a better Europe. But we need to spend them adequately.

That's why our aim, the aim of the commission, is a final package that is of balanced benefit to all the Member States. This is why I regret that the discussion has focussed so much on so-called net contributions or net receipts. I do not think that this vision of the European Union does justice to its workings and to its benefits. Think only of the welfare gains that export-oriented economies like Austria reap from the existence and expansion of an efficient Single Market throughout the continent, or from expanded and functioning Trans European Networks! I therefore remain optimistic that a good compromise can be found, and can assure you that the Commission will do its best to contribute to it.

The process of European integration, our common project, has progressed admirably. "Mega projects" like the completion of the Single Market, the introduction of the EURO, successive enlargements have been accomplished. But we must take care

35 Dr. José Manuel Barroso

that the engine does not move at too high a speed, leaving the citizens behind. We are aware of this risk, and this is why my Commission will make a particular effort for a clear and strong new communication strategy. But explaining European Union matters and listening to citizens' expectations and concerns about it, is not only a task for the European Union institutions, but very much also a task of the Members States and civil society activists – so please allow me to take the liberty to call on you to join in the effort to communicate this grand project better to our fellow citizens!

Ladies and Gentlemen! Our past success gives us cause to be realistically optimistic about our future perspective. The European project continues to have great promise. We need not doubt our capacity to steer it towards enduring solutions for the challenges I have just mentioned. I have said that it is time for a European renewal. I am very confident

36 that the European Union can continue to count on Austria to do its part in this renewal on the path towards a better Europe.

Ich möchte Ihnen und uns zu zehn Jahren österreichische Mitgliedschaft in der EU herzlich gratulieren. Die österreichische Mitgliedschaft ist gut für Österreich und gut für Europa.

Vor fünfzig Jahren begrüßte der damalige österreichische Außenminister den Staatsvertrag mit den Worten: „Österreich ist frei!“ Was für ein Weg ist in den fünfzig Jahren seither gegangen worden. Was für eine Erfolgsgeschichte ist in Österreich und in Europa geschrieben worden. Heute können wir froh und stolz sagen, dass ein freies Österreich Glied eines freien Europas ist. Es ist unsere Verantwortung und unsere Ehrenpflicht weiter zu arbeiten, so dass auch künftige Generationen sagen können: „Österreich ist frei! Europa ist frei!“ Ⅵ

Dr. Wolfgang Schüssel Dr. Ursula Plassnik Dr. José Manuel Barroso

37 Dr. Franz Vranitzky

Dr. Franz Vranitzky

38 Dr. Franz Vranitzky Bundeskanzler 1986 - 1997

Es war ein strahlender Vorsommertag, dieser 12. Juni 1994, und er glitt für alle europabeseelten Österreicher in einen imposanten Abend des Jubels und der Freude über. Die Witterung ließ es zu, dass aus dem Feierabend für viele eine Feiernacht wurde. Des Beglückwünschens war kein Ende. Auch über die Grenzen von Weltan- schauungen hinweg. Bloß die Vertreter einer Partei wollten nicht so recht mitfeiern. Dafür erhielt eine andere Partei sogar Textunterstützung vom Obmann einer wieder anderen Partei beim Absingen eines berühmten internationalen Liedes. Die Vorgeschichte des freudig beschwingten Volksabstimmungssonntags ist freilich die eigentlich politisch relevante Angelegenheit, gelang es doch den maßgeblichen politischen Kräften auf allen Stufen unseres föderalen Aufbaus, den legislativen ebenso wie den exekutiven, den Interessenvertretungen, wissenschaftlichen Institu- tionen u.v.a.m gemeinsam, die österreichische Bevölkerung für dieses eindeutige Ja zu der staaten- und zeitenumspannenden Idee zu gewinnen. Könnte man die vielen Monate, eigentlich Jahre des Ringens um die Erreichung dieses Ziels auf sechzig Minuten komprimieren, wäre das Epitheton Ornans „Sternstunde“ zweifellos angebracht.

Warum, so konnte man später oft hören, habt ihr den Parteienzwist, den politischen Wettstreit, die Profilierungssucht nicht auch bei der Lösung anderer politischer Probleme so ruhig gestellt wie damals 1994? Oder – so wussten andere gleich zu fragen – ist die europäische Integration etwa gar nicht ein so wichtiges politisches Thema? Ist es womöglich weltanschaulich „keimfrei“?

Nun ist die Erkenntnis zwischen Grundsatz und Binsenweisheit angesiedelt, dass der pluralistischen Demokratie die Vielfalt der Standpunkte wesenseigen ist oder das politische System Demokratie ist eben gar nicht gegeben. Im Übrigen lässt es sich über zurückliegende Zeiträume der österreichischen Politik belegen, dass unter- schiedliche Anschauungen und Positionen in vielen Fällen sehr wohl im Interesse gesamtstaatlicher Aufgaben zusammengeführt worden sind. Lebensstandard, Um- weltqualität bzw. Lebensqualität an sich sind Österreichmerkmale über Jahrzehnte, die ja nicht gerade durch den gezielten Einsatz von Parteienhickhack hergestellt worden sind. Dass es zum Guten gelegentlich noch etwas Besseres gibt, sei mit dieser Anmerkung nicht bestritten. Nur ist es halt im Endeffekt so unentbehrlich, dass Maßnahmen überhaupt zu Stande kommen.

Nach zehn Jahren Mitgliedschaft – im gleichen Zeitraster mit unseren Weggefährten Finnland und Schweden, leider nicht mit Norwegen - blicken wir auf eine insbesondere

39 Dr. Franz Vranitzky

ökonomisch erfolgreiche und politisch anregende Zeitspanne zurück und alle, die sich auch nur annähernd mit der Materie befassen, werden von den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft bewegt. Den demoskopischen Untersuchungen, inklusive dem Euro-Barometer zufolge, ist Europaskepsis grassierend – in unseren mitteleuropäischen Breiten offenbar am stärksten.

Den politischen Führungskräften wird im Großen und Ganzen vorgehalten, sie würden das Integrationsgeschehen den ihnen anvertrauten Bürgern nicht oft genug, nicht informativ genug, nicht plausibel genug nahe bringen. Das Interesse der Bürger an der Europapolitik würde deshalb rasant zurückgehen. Die Abneigung gegen die Brüsseler Bürokraten hatte schon vom Ausgangszeitpunkt her einen hohen Sockel. Und die Gretchenfrage „was habe ich von der EU?“ wird als weit verbreitet berichtet. So manche Begründung, die für diese Situation angeboten wird, läuft auf die ihnen angekreidete Abgehobenheit der Politiker hinaus. Wären diese nur volksnäher, würde schon wieder alles besser werden.

Dies ist inhaltlich verwandt mit der Forderung nach mehr, nach besserer Kommunikation. „Verkauft die Politik besser“ ist die Verkürzung dieser Forderung. Und wenn in einer schwierigen Materie die Bürgernähe noch einer besonderen Unterstreichung bedarf, wird die Ankündigung einer Volksbefragung oder gar einer Volksabstimmung nach- geschossen oder werden solche gefordert. Ich plädiere im System der repräsentativen Demokratie, also des Parlamentarismus, für den außerordentlich sparsamen Umgang mit plebiszitären Vorgangsweisen, es sei denn, eine Verfassungsrechtslage schreibt sie ohnedies vor. Erstens sind von den frei gewählten Vertretern des Volkes in Wahrnehmung der ihnen übertragenen Verantwortung Entscheidungen zu fordern. Und zweitens erkenne ich nicht, wieso Volksabstimmungen ein besonderes Maß an Bürgernähe vermitteln sollen. Meist wird in ihrer Vorbereitung ziemlich ähnlich kampagnisiert wie bei all- gemeinen Wahlen mit Pro und Contra der rivalisierenden Gruppen und mit wahlkampf- ähnlichen Finali. Ist jemand nicht bürgernahe, wird er es bis zu diesen Finali nicht sein und nach dem Plebiszit schon gar nicht.

Zurück zur Kommunikation. Ohne Zweifel hat sie ihren Stellenwert. Einen wichtigen, einen bedeutenden, aber keinen ausschließlichen. Ich meine sogar, nicht den wichtigsten an sich. Wird nämlich ein Produkt, wie in unserem Fall das Integrationswerk als politische Instanz für Problemlösungen als ungeeignet oder als untätig empfunden, wird eine noch so ausgeprägte Kommunikationsintensität nicht vertrauensbildend wirken.

40 Was muss die Konsequenz sein? In verständiger Auslegung des klug durchdachten Subsidiaritätsprinzips erfordern die großen Europa mehr oder weniger umspannenden Probleme zu ihrer Lösung europäische Politik. Das ist die einfache Formel und die so zu verstehende höchst komplexe Umsetzung als Antwort auf die Parole der Frau Außenministerin für diese Veranstaltung, „den Blick nach vorne auf die Verwirklichung der großen Zukunftsprojekte zu richten“.

Also die Frage: Europäische Politik für Europa?

Antwort: Erstens: Ja Zweitens: Welche? Erstens: In einer Diskussion über die Beiträge der Mitgliedsstaaten zum kommenden EU-Budget und konfrontiert mit den nationalstaatlichen Vorbehalten einzelner Finanzminister, sagte der Kommissar für Wirtschaft und Währung, Joaquin Almunia, unter anderem: „Wenn man mehr europäische Handlungsfähigkeit wünscht, braucht man eben auch mehr Mittel. Man muss die Frage des EU-Budgets mit europäischen Augen sehen, nicht nur in nationalem Interesse, sonst gibt es niemals eine Einigung“. Wenn Budgets die in Zahlen gegossene Politik sind, ist das eine klare politische, eine europapolitische Aussage. Wohl durchaus in Übereinstimmung mit dem Vertrag von Rom, der die politische Union als Ziel definiert. Wäre da nicht meine zweite Frage: Europapolitik ja, aber welche? Zur Auflockerung zitiere ich aus einem Leserbrief an ein österreichisches Wochenmagazin zur Europaskepsis: „Ich denke,“ so der Briefschreiber, „dass die Ursache für die EU- Katerstimmung viel grundsätzlicherer Natur ist. Meiner Ansicht nach war die Ausweitung der ursprüng- lichen Wirtschafts- zu einer politischen Union eine fatale strategische Fehlentscheidung“. Der Briefschreiber hat formal Unrecht. Er lässt den Gründungsgedanken des politischen Charakters unserer Gemeinschaft außer Acht, widerspricht ihm sogar. Ist er aber realpolitisch so weit entfernt von den Gegebenheiten? Ich fürchte: Nein. Denn: Hinsichtlich der Einigkeit über die politischen Prioritäten, die den Kurs Europas defnieren könnten, bestehen Zweifel. Der österreichische Autor Karl Duffek beschreibt das in einem demnächst erscheinenden Buch zutreffend. Er folgert daraus: „Es ist wenig verwunderlich, dass zum einen Europas Stimme in der gegenwärtigen Welt- ordnung bei weitem nicht jene Kraft hat, die ihr eigentlich zukommen müsste, und dass zum anderen jene Kräfte leichtes Spiel haben, die an einer besonderen ge- stalterischen Kraft europäischer Politik jenseits der Beseitigung von Wettbewerbs- schranken ohnehin kein Interesse haben“.

41 Dr. Franz Vranitzky

Ich bin der Überzeugung, die „besondere gestalterische Kraft europäischer Politik“ wird in den vor uns liegenden Jahren die wichtigste Gegenanzeige zur Europaskepsis sein. Wenn erkennbar, dann auch wirksam. Allerdings: Welche werden die Rezepte sein? Welche Protagonisten werden letztendlich den Ton angeben? Und – auf einen der wichtigsten Teilbereiche überhaupt, nämlich die Wirtschaft, bezogen – wer wird auf die nun schon seit drei bis vier Jahren deutlich erkennbaren Schwächesymptome abhelfende Antworten haben? Die Lissabon-Strategie aus dem Frühjahr 2000 war die attraktive Ansage. Allein, viele ihrer Zwischenziele sind mittlerweile außer Reichweite geraten, weil die Ziele (dynamisches Wirtschaftswachstum etc.) zwar unbestritten sind, es aber offensichtlich an Erfolg versprechender Strategien zu ihrer Erreichung mangelt. Nicht unbegründet ist daher für den Wiener Wirtschaftsjournalisten Josef Urschitz Europa die „Bremserzone der Weltkonjunktur“.

Es ist eine große Hoffnung für Wirtschaftsdynamik und Arbeitsplatzschaffung, dass Präsident Barroso zu Beginn seiner Amtszeit die Lissabon-Agenda zu seinem persön- lichen Anliegen erhoben hat. Nicht vorbeigehen kann ich allerdings an der immer intensiver werdenden Debatte der Wirtschaftspolitiker und der Nationalökonomen über den Weg und die Methoden, wie Europa auf einen Wachstumspfad zurückgebracht werden könnte, der mehr Arbeit schafft, damit die öffentlichen Haushalte stärkt und solcherart den sozialen Zusammenhalt absichert.

Der österreichische Wirtschaftsforscher Markus Marterbauer unterscheidet in einem demnächst erscheinenden Buchbeitrag zwischen dem so genannten „Brüssel-Konsens“ und alternativ dem „Europäischen Modell“. Der „Brüssel-Konsens“ umfasst „freie Märkte“, das heißt die vollständige Verwirk- lichung des Binnenmarkts. Unter den Schlagworten „Verbesserung der Wettbe- werbsfähigkeit“ und „Standortsicherung“ werden Reformen auf der Angebotsseite der Wirtschaft verfolgt. Diese betreffen den Arbeitsmarkt mit der Forderung nach Arbeitszeitflexibilisierung, die Produktmärkte mit der Forderung nach Deregulierung und die Privatisierung öffentlichen Eigentums. Auch den neu hinzugetretenen Mit- gliedsländern wird die Vervollständigung des Binnenmarktes empfohlen. Das alternative „Europäische Modell“ geht davon aus, dass das im internationalen Vergleich unterdurchschnittliche Wirtschaftswachstum Europas in der markanten Schwäche der Konsumnachfrage der privaten Haushalte und der Investitionen der Unternehmen begründet ist. Es geht außerdem mit der dauernden Reformrhetorik ins Gericht, die immer wieder neue Reformen, meist Kürzungen im öffentlichen Sektor und im Sozialstaat, verlangt.

42 Letztlich gelangen diese Überlegungen zu zwei Schlussfolgerungen: Erstens: Die Effizienz der Konjunkturpolitik ist auf der EU-Ebene wegen der engen wirtschaftlichen Verflechtungen im Binnenmarkt größer als auf nationalstaatlicher Ebene. Zweitens: In der gegenwärtigen Situation sind die Erwartungen bei Unternehmen und Haushalten bescheiden. Daher sollten öffentliche Investitionen forciert werden, weil sie konjunkturpolitisch rascher und direkter wirken als Steuersenkungen und Zinssenkungen.

Die Eignung dieser Vorschläge zur Wirtschaftsbelebung kann hier nicht analysiert werden. Mir kommt es allerdings schon auf die Feststellung an, dass die Forderung nach europäischer Politik fachlich untermauert ist und dass es offenkundige Alternativen zum bisherigen Vorgehen gibt, welches der Wachstumsschwäche nicht wirklich begegnen konnte. Gelingen in diesem Großraum, in dem mehr als 450 Millionen Menschen leben, sichtbare und wirksame Akzente, dann wird er nicht – wie vielfach anklingt – Opfer der Globalisierung, sondern eine Antwort auf die Globalisierung sein. Und warum soll man nicht erhoffen, dass die Europäische Union ein Modell entwickelt, in welchem die politisch Verantwortlichen, die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber gemeinsam Vorkehrungen dagegen treffen, dass bei Gegenwind im Wettbewerb die Standortverlagerungen in ein so genannten Lohnniedrigland immer der Weisheit letzter Schluss sind.

Eines meiner hauptsächlich verwendeten Argumente pro EU-Beitritt im Jahr 1994 war: Die Gemeinschaft setzt so viele Aktionen, die uns unmittelbar betreffen. Dann ist es doch vernünftiger, mit am Tisch zu sitzen, an dem Entscheidungen getroffen werden, anstatt im Vorzimmer auf deren Verkündung zu warten. „Entscheiden wir etwas mit?“ werde ich heute, im Jahr der Europaskepsis, gefragt. Ich könnte mich auf den Hinweis zurückziehen, dass in einem System der Einstimmigkeit immer jeder an einem zu Stande gekommenen Beschluss mitwirkt. Das ist aber nicht mein Punkt. Mir geht es darum, insbesondere im Hinblick auf die radikalen geopoli- tischen Veränderungen seit dem Ende des Kalten Kriegs, an der Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen innerhalb der europäischen. Integration mitzuwirken. Dazu gehört nicht nur, sich in den europäischen Diskurs und in die Entscheidungsabläufe einzubringen, sondern auch Interessen wahrende langfristige Partnerschaften aufzubauen. Die Frau Außenministerin hat in ihrer Amtsantrittsrede diesbezüglich deutliche Akzente gesetzt. Die Kleinheit oder – wie man es nimmt– die Größe unseres Landes darf uns dabei nicht beirren. Erst kürzlich haben die kleinen und mittleren Staaten bewiesen, dass

43 Dr. Franz Vranitzky

sie bei der Zusammenarbeit über den EU-Verfassungsvertrag viel bewegen konnten. Die kleineren Länder denken und handeln nicht in machtpolitischen Kategorien, sie finden sich in selbstverständlicher Weise zur Zusammenarbeit in größeren Strukturen bereit. Im jüngsten „World Wide Quality of Life Index“ wurden 13 kleinere EU- Staaten, von Irland bis Österreich, unter den ersten 20 gereiht. Von all dem abgesehen soll niemand außer Acht lassen, dass sich im Weltmaßstab auch die größten EU- Staaten nur mittlerer Größe erfreuen. Der 1. Jänner 1995 war für uns Österreicher ein Aufbruch in eine neue Zeit. Das Wort „aufbrechen“ gilt mehrdeutig. Es heißt losmarschieren und es heißt Strukturen ändern. Und – so füge ich sogleich hinzu – es heißt in Österreich indirekt, sich da- gegen zu wehren.

Alle Bestandteile dieses österreichischen Konglomerats lassen sich nachweisen. Dieses Konglomerat ist fest, ist tragfähig, und so ist bei allen Nebengeräuschen diese österreichische Bindestrich-Identität: Von österreichisch zu europäisch-österreichisch. Und trotz dieser Festigkeit kriegen einige Landsleute, Medienmachende unter ihnen, einen weichen Bauch, wenn irgendjemand von der Schönheit der rot-weiß-roten Elegie nicht so ganz beeindruckt ist. Flugs wird die Joppe mit den Hirschhornknöpfen übergezogen, werden Heimat und Patriotismus beschworen und wird die oder der Schändliche mit den Schmutzbrocken des Österreichhasses und des Vaterlandsverrats (welch ein Wort!) beworfen.

Die in Böhmen geborene und in Wien lebende europäische Österreicherin Barbara Dr. Franz Vranitzky Coudenhove-Calergi stellt die Frage: „Muss man eigentlich nur eine einzige Heimat Dr. José Manuel Barroso, haben?“ Vollends zum Schock für das in diesem Fall wenig belesene Establishment Dr. Wolfgang Schüssel musste eine Nobelpreisverleihung der jüngeren Vergangenheit geraten, war es doch schon vorher über so manche Nichtnobelpreisträger bürgerverschreckt: Etwa über Bernhard, Turrini, Gerhard Roth, Robert Menasse, Marlene Streeruwitz, Robert Schindel, Doron Rabinovici, Werner Schneyder, Adolf Frohner, Hermann Nitsch und andere Sie alle waren nicht für eine Art von verordnetem Österreichersein zu gewinnen. Sie waren und sind europäisch, oder gar nicht geographisch einordenbar, sie sind geistig und persönlich eigenständig und für amtlich dekretierte Schulterschlüsse nicht zu haben.

Was würde uns doch fehlen, gäbe es sie nicht. In Österreich, in Europa. Die große, die großartige europäische Aufgabe, der wir uns seit zehn Jahren - und in Wirklichkeit auch schon vorher – verpflichtet fühlen, ist alles andere als ein Spaziergang. Wie ich schon sagte, die Konzipierung des europäischen sozialen

44 Zusammenhalts, dazu noch die komplizierte, aber lohnende europäische Aufgabe, Südosteuropa einen zukunftweisenden Platz in unserer Gemeinschaft einzuräumen, wird uns über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte fordern. Nichts wird einfach sein. Auch nicht die Überwindung des atlantischen Grabens. Sie muss aber gelingen, sage ich als verschriener Atlantiker. Abwartend, ob den Überschwänglichkeiten von Brüssel, Mainz und Bratislava politische Substanz folgen wird, und fordernd, den Menschen- rechten und der Menschenwürde Hohn sprechenden Zuständen in Guantanamo Bay ein Ende zu bereiten.

Ich bin in der Zwischenkriegszeit der Katastrophenperiode 20. Jahrhundert geboren. Der Zweite Weltkrieg war ein Teil meiner Volksschulzeit, die Besatzungsperiode meine Gymnasialzeit. Am 16. Mai 1955, einen Tag nach Leopold Figls „Österreich ist frei“, schrieb ich meine Lateinmaturaarbeit. Als Kind einer bescheidenen Wiener Arbeiterfamilie erhielt ich durch Entbehrungen meiner Eltern und durch das Angebot unserer Republik eine Ausbildung, die mir eine Karriere in Wirtschaft und Politik ermöglichte, wie sie nicht selbstverständlich ist. Ich bin bis heute sehr dankbar. Im bildlichen Sinn bin ich eine Art von zeitgeschichtlicher Skala: Ständestaat, Anschluss, NS-Diktatur, 2. Weltkrieg, Besatzungszeit, Wiederaufbauzeit, EU- Mitgliedschaft.

Was ich hier beschreibe, ist allerdings in Wirklichkeit nicht eine persönliche Skala, sondern ein Höhenflug Österreichs. Alle, die dafür zuständig sind, bitte ich, für seine ungehemmte Fortsetzung einzutreten. Ⅵ

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Paavo Lipponen

46 Paavo Lipponen Finnischer Premierminister 1995 – 2003, Präsident des finnischen Parlaments

Herr Bundeskanzler, Herr Präsident der Europäischen Kommission, Frau Bundesaußenministerin, Liebe Kollegen, Exzellenzen, Meine Damen und Herren,

Es ist mir eine große Ehre, hier als Festredner mit großen Europäern teilnehmen zu dürfen. Nach der Rede von Helmut Kohl habe ich mich noch einmal wie ein Schüler gefühlt. Wie früher einmal in der Schule: Ich bin wieder unter den Dummen.

Eine Erinnerung: Es war 1989. Ich war in Wien und hatte mich zum Mittagessen in seine Residenz eingeladen. Es waren nur Frau Kreisky und wir zwei. Und vor Mittag hat er mir dieses große Bild von der Unterzeichnung des Staatsver- trages 1955 gezeigt. Da stand in der Hinterreihe Bruno Kreisky, der große, große Europäer.

Finnland, Schweden und Österreich sind im Zuge des großen Umbruchs auf unserem Kontinent der Europäischen Union beigetreten. Wir haben zwar eine Neutralitäts- politik verfolgt, doch bestand kein Zweifel, dass unser Ziel auch während des Kalten Krieges eine möglichst weit gehende Integration in die Zusammenarbeit der west- lichen Demokratien war. Man kann sagen, dass dieses große Projekt für uns am 1. Januar 1995 verwirklicht wurde. Das heißt, wir waren nicht Länder, die aus der Kälte gekommen sind, out of the cold. Es war ein langer, langer Prozess und für unsere beiden Länder hat er in Wirklichkeit 1945 begonnen, als wir Mitglieder der UNO wurden.

Finnland und Österreich haben ein sehr ähnliches Profil als Mitglieder der Union. Charakteristisch ist vor allem unser Engagement: Wir beteiligen uns in vollem Umfang an allen Aktivitäten der EU. Wenn wir etwa an die in Entwicklung begriffene Verteidigungskooperation denken, so gibt es nur zwei Alternativen: teilnehmen oder außerhalb bleiben. Also, wir möchten zum Kern der Union gehören und nicht nur in geographischem Sinne.

Engagement bietet die Möglichkeit, mehr Einfluss auszuüben, als die Größe unserer Länder es vermuten ließe. Wir haben zeigen können, dass auch kleine und mittlere Länder in der Union Einfluss haben. Man muss es nur können und wagen, ihn geltend zu machen.

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Österreich möchte ich meinen Dank für eine gute Partnerschaft aussprechen. Die Zusammenarbeit unserer Länder als Mitglieder der Europäischen Union war eng und ausgezeichnet. In den Beitrittsverhandlungen, bei unseren Vorbereitungen auf den für beide jeweils ersten EU-Vorsitz, beim Beitritt zur Wirtschafts- und Währungsunion, bei der Entwicklung der Außenbeziehungen der Union und auch bei den institu- tionellen Reformen der Union konnten wir einander unterstützen. Auch galt es für uns, besondere legitime Interessen wahrzunehmen, etwa bei Fragen der Landwirt- schaft, der Regionen und des Verkehrs, bei denen wir von den anderen Unions- mitgliedern Verständnis gefordert und auch bekommen haben.

Heute Abend möchte ich besonders Dr. Franz Fischler danken, einem der intelligen- testen und geschicktesten Politiker, die ich je in Europa getroffen habe. Er hat soviel für Finnland gemacht, als Mitglied der Europäischen Kommission. Schönen Dank.

Die enge Zusammenarbeit Österreichs und Finnlands bei der Arbeit des Konvents an der Verfassung Europas und in der darauf folgenden Regierungskonferenz war eine besonders positive Erfahrung. Wir haben als Vorsitzende und Koordinatoren einer Gruppe Gleichgesinnter – like minded – kooperiert. Zusammen mit anderen kleinen und mittelgroßen Ländern haben wir Vieles zustande gebracht. Wir ver- teidigten die Gemeinschaftsmethode und die Gleichberechtigung der Mitglieds- staaten, die ja Leitprinzipien der Europäischen Union sind.

Jetzt haben wir anspruchsvolle Herausforderungen vor uns: Es gilt, den Vertrag über eine Verfassung für Europa in Kraft zu setzen, die Erweiterung voll zum Tragen zu bringen und Vorbereitungen für die Aufnahme neuer Mitglieder zu treffen, die Wirtschaftsreform gemäß der Strategie von Lissabon voranzutreiben, die Zusammen- arbeit im Bereich Justiz und Inneres zu intensivieren, die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu stärken und für die Agenda 2007 ein Übereinkommen zu treffen.

Einige Kommentare: Das Beispiel Spaniens ermutigt hoffentlich die anderen Mitgliedsstaaten, die Verfassung zu ratifizieren. Finnland wird den Grundvertrag ratifizieren. Das ist sicher. Die Union kann es jedoch nicht bei dem jetzigen Grundvertrag belassen. Sie muss auf der Basis des neuen Verfassungsvertrages voranschreiten, nötigenfalls mit der Zugkraft derjenigen, die den Vertrag ratifizieren. Der Status quo des heutigen Vertrages würde faktisch einen Rückschritt bedeuten. Realistischerweise muss man jedoch auch einsehen, dass bei allen Bestrebungen die Integration der Union bedeutend zu vertiefen, auch Zeit erforderlich ist, um Überlegungen anzustellen und Erfahrungen mit der Verfassung zu sammeln.

48 Die Versprechungen zur Osterweiterung gilt es einzulösen und die von ihr gebotenen Möglichkeiten zu nutzen. Die Erweiterung, um zehn Länder, ist für Österreich sicherlich von Nutzen, weil die osteuropäischen Länder eine hohe Wachstumsrate haben; gleichzeitig kann Österreich bei der Unterstützung der neuen Mitglieder eine zentrale Rolle spielen.

Bis zur Mitgliedschaft von Bulgarien und Rumänien ebenso wie zu jener von Kroatien sind es nur noch einige Jahre. Die Integration des gesamten Westbalkans muss intensiv gefördert werden.

Als ich auf dem Gipfel von Helsinki 1999 den Vorsitz führte, übersandte ich dem damaligen Premierminister Bulent Ecevit ein Schreiben, mit dem er nach Helsinki eingeladen wurde, um die Kandidatur der Türkei zu feiern. Ich wäre der letzte, der unsere damals eingegangene Verpflichtung zurückzöge. Die Türkei wird Mitglied der Europäischen Union. Wir müssen die Türkei bei ihren historischen Bemühungen, ihre Gesellschaft zu erneuern, unterstützen. Letztendlich entscheidet die Türkei aber selbst, wann sie die Bedingungen erfüllt und für die Mitgliedschaft reif ist. Es müssen ernste Verhandlungen werden, keine Parolen.

Die EU-Mitgliedschaft muss weiterhin für alle europäischen Staaten, die die Mitgliedschaftsbedingungen erfüllen und die gemeinsamen Prinzipien einhalten, möglich sein. Allerdings müssen wir überlegt vorgehen. Eine verfrühte Mitgliedschaft ist weder für die Europäische Union noch für das Land, das die Mitgliedschaft an- strebt, von Nutzen. Aus der Sicht der EU haben wir noch so viele nicht abgeschlossene Projekte, dass wir bei Versprechungen bezüglich neuer Mitgliedschaften sehr zurückhaltend sein sollten.

Meine Damen und Herren, Österreich und Finnland sind wirtschaftlich starke, wettbewerbsfähige Länder. Doch hängt unser Erfolg entscheidend vom wirtschaft- lichen Fortschritt der Europäischen Union ab. Bei der Umsetzung der Strategie von Lissabon muss die Vollendung des Binnenmarktes entschlossen vorangetrieben werden. So darf man unter anderem bei der Reform der Finanzmärkte und auch bei der Erneuerung des europäischen Patentsystems nicht auf halbem Wege stehen bleiben. Ich meine, wir haben zu viele halbfertige Reformen gemacht. Aber wir müssen natürlich auch weitergehen mit der Dienstleistungsreform.

Aber ich meine auch, dass die Kommission sich auf die Gesetzgebung zur Förderung der Strukturreform konzentrieren sollte und nicht so sehr auf die makroökonomische Steuerung, die nicht in ihre Zuständigkeit fällt. Wichtig ist natürlich, dass die Kom-

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mission alles dies koordiniert. Aber die Verantwortung liegt bei den Mitgliedsstaaten und diese müssen diese Verantwortung auch ernst nehmen.

Zusammenfassend: Die Kommission braucht unsere Unterstützung bei der Durch- führung ihres neuen Programms.

Es gilt, meine Damen und Herren, auch jenen Prozess zielbewusst voranzutreiben, der in Tampere, Finnland, 1999 in Gang gesetzt wurde, nämlich die Entwicklung einer gemeinsamen Immigrations- und Asylpolitik, die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der internationalen organisierten Kriminalität und des Terrorismus sowie die Schaffung eines gemeinsamen Rechtsraums. Ausgangspunkt muss bei all dem die Stärkung der Rechte und der Sicherheit der Unionsbürger sein, ohne jedoch deshalb eine neue bürokratische Herrschaft aufkommen zu lassen.

Liebe Freunde, wir haben in den letzten Wochen eine starke diplomatische Offensive der USA erlebt. „Die Zeit der Diplomatie“ ist gekommen, was auch richtig ist! Die Herausforderung ist positiv, und auf der Grundlage einer positiven Agenda müssen wir die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Union stärken, was heißt, die Arbeit des österreichischen Mitglieds der Kommission, Frau Benita Ferrero- Waldner, zu unterstützen. Nur so können wir als starker und zugleich konstruktiver Partner auftreten, gleich ob es um die USA oder um Russland geht. Wir, Finnland und Österreich, möchten uns an der Gestaltung und Ausübung einer solchen Politik beteiligen.

Im nächsten Jahr sind Österreich und Finnland Vorsitzländer der EU. Zum ersten Mal erarbeiten wir ein gemeinsames Präsidentschaftsprogramm. Das ist auch not- wendig, denn die Herausforderung ist groß, vor allem, wenn die Fertigstellung der Agenda 2007 noch auf unserer Agenda bleibt und natürlich auch das Inkraftsetzen der Verfassung.

Unsere Aufgabe ist es, eine von gegenseitigem Vertrauen geprägte Atmosphäre zu schaffen und eine Zusammenarbeit mit dem Ziel einer gemeinsamen Politik aufzu- bauen. Wir müssen im Widerstreit der nationalen Interessen jedoch auch Führung zeigen.

Österreich brachte in die Union eine starke Volkswirtschaft, umfassende außen- politische Erfahrungen und ein einzigartig reiches Kulturerbe ein. Österreich ist auch heute eine Großmacht der Kultur. Dies ist wirklich eine lebendige Kultur, so brauchen wir beispielsweise nur an den Erfolg der modernen österreichischen Architektur zu

50 denken. Wenn ich Wien besuche, ist es immer eine Pilgerreise. Nicht nur um Tafelspitz zu essen, sondern auch um Gebäude anzuschauen, wie dieses Haus, die Hofburg. Im Herzen des großen mitteleuropäischen Kulturkreises gelegen, kann Österreich beim Aufbau der Verbindungen von Ost nach West und von der Ostsee zum Mittelmeer als verbindender Faktor wirken.

Der Wohlstand der Menschen und das Blühen der Kultur – das sind unsere Ziele. Die gemeinsamen europäischen Werte – Demokratie, Menschenrechte, die Achtung von Minderheiten, die Marktwirtschaft – haben sich nicht zuletzt auch aus gemein- samen leidvollen Erfahrungen herauskristallisiert. Deshalb sind sie fest im Fundament der Europäischen Union verankert. Vergessen wir nicht, und da stimme ich anderen Rednern zu: Die Union ist vor allem eine Wertegemeinschaft der Menschen. Herzlichen Dank und viel Glück. Ⅵ

Dr. Ursula Plassnik Paavo Lipponen

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Mag. Brigitte Ederer

52 Mag. Brigitte Ederer Staatssekretärin 1992 - 1995, Vorstandsdirektorin Siemens AG Österreich

Roger de Weck (Moderator): Ihr Name ist mit dem „Ederer-Tausender“ verbunden, an den sich – wie das Lachen bezeugt – alle Österreicherinnen und Österreicher erinnern. Wie kamen Sie auf die Idee des „Ederer-Tausender“, spontan oder war das eine wohl ausgeklügelte PR- Strategie?

Mag. Brigitte Ederer: Also, erstens befürchte ich, dass von 17 Jahren politischer Tätigkeit der Kuss des Außenministers und der„Ederer-Tausender“ überbleibt. Ich tröste mich damit, dass es mehr ist, als bei vielen anderen Kollegen, die 17 Jahre in der Politik waren. Das ist das Erste.

Das Zweite ist, ich habe das nicht spontan gesagt. Das Einzige, was mir in diesem Zusammenhang noch wichtig ist: Ich habe es nicht vor der Volksabstimmung gesagt, sondern am 28. Dezember 1994, also drei Tage vor unserem Beitritt, wo wir eine Studie erarbeiten haben lassen, wie der Beitritt konkret für die Österreicherinnen und Österreicher aussieht. Wo sofort eine Veränderung bemerkt wird – und da waren die Konsumentenpreise natürlich ein Thema.

Tatsache ist, es gibt jetzt wieder Berechnungen, die zeigen, dass im Großen und Ganzen der sogenannte „Ederer-Tausender“ für eine vierköpfige Familie wahrgeworden ist – und für eine solche habe ich es damals nicht versprochen, sondern nur als Erwartung in den Raum gestellt.

Es gibt aber mehrere Probleme, die sich damit vermischen: Das eine ist, dass wir 1995 im Jänner ein neues Maßnahmen-Paket der Bundes- regierung beschlossen hatten und da war vieles für die Menschen nicht mehr zu unterscheiden: Es werden die Nahrungs- und Genussmittel günstiger, aber gleichzeitig steigen Wassergebühren, Mieten etc. Das heißt, diese Vermengung hat dazu geführt, dass die Österreicherinnen und Österreicher eigentlich das Gefühl gehabt haben, der EU-Beitritt bringt uns nicht wirklich Preissenkungen.

Und zum anderen würde ich meinen, dass die Bereiche, die dem Wettbewerb ausge- setzt sind, sehr wohl – das kann man auch nachvollziehen – günstiger geworden sind. Bei den Dienstleistungen hapert es, wenn man so sagen darf: Da möchte ich den Verdacht in den Raum stellen, dass die Euro-Einführung – und da kann die Euro- päische Union nichts dafür, weil die schafft keine Preise an –, dass die Euro-Einführung von Teilen der österreichischen Dienstleistern dazu verwendet worden ist, um gleich

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1:1 umzurechnen. Also, was früher zehn österreichische Schilling gekostet hat, hat dann einen Euro gekostet. Und dass da eine Differenz ist, das ist das Problem.

Roger de Weck: Das wäre dann der „Ederer-Hunderter“.

Mag. Brigitte Ederer: Da ich nicht mehr in der aktiven Politik bin, ist das ja kein Thema mehr. Aber ich gehe davon aus, dass in den Dienstleistungsbereichen die Euro-Einführung verwendet worden ist, um Preiserhöhrungen durchzusetzen in einem Maße, das sonst nicht durchzusetzen gewesen wäre. Das ist ein Problem und was mir leid tut, ist, dass das die Menschen mit der Europäischen Union verbinden. Aber wie viel eine Torte in Zwettl kostet, beschließt nicht die Europäische Union, sie schreibt es auch nicht vor, sondern da ist der zuständige Konditor verantwortlich, und den müssten eigentlich die Konsumenten dorthin bringen, dass er wieder das Preisniveau senkt. Ⅵ

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Lena Hjelm Wallén

56 Lena Hjelm Wallén Minister of Foreign Affairs of Sweden, 1994-1998 Chairwoman of the Parliamentary Committee for Labour Immigration

Roger de Weck (Moderator): Mich würde sehr interessieren, Frau Hjelm Wallén, was ist die Diskussion in Schweden seit Ihrem Beitritt, was sind die Vorteile, was sind die Nachteile, und wie hat sich die Öffentlichkeit entwickelt?

Lena Hjelm Wallén: Of course, I will represent Sweden in some way. I have a background of twenty years as Minister in the Swedish Cabinet, so I think I know the feelings, but now I am outside the Cabinet, so I can speak more freely.

May I say that I am impressed by what the European Union or what we, so to say, have achieved during the ten years since Austria, Finland and Sweden joined the Union. I really mean that we can be proud of our Union. But that doesn't mean that we can lean back and stop working on the European project. It must develop all the time. And there are also facts that are worrying and I am worried about certain things.

The EU is questioned by the public opinion in many European countries. And even in countries where you have a very positive public opinion a lot of people have a lack of interest or they are not engaged. What worries me is the huge gulf between the reserve of ordinary citizens towards the European Union and the engagement, not to say the enthusiasm of the political establishment. I will come back to that but first allow me to point out certain areas where I really think the Union has been successful.

First ,of course, the peaceful cooperation in Europe. To strive for close cooperation and resolve disputes peacefully is in a way so obvious that we forget about that very important principle and building block for creating the genuine European cooperation. But let's remember that ten years ago the war in ex-Yugoslavia continued to create a lot of death and suffering, and since then we in Europe have succeeded in resolving the unavoidable conflicts between us in a peaceful and civilized manner: That goes for the EU countries but also for the countries we cooperate with. You can say that the only remarkable exception is Russia and the violent conflict in Chechnya.

My second remark is that I think the EU has been very instrumental in the process to unite Europe and of course that is the welcoming attitude to new Members, the so-called enlargement process.

Above that Europe has contributed to the process towards democracy in the former communist countries. Membership criteria such as democracy, rule of law and social

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market economy have promoted this process and it has been instrumental in strengthening the democratic forces in the former communist countries. The whole process has been more speedy. The earlier so divided Europe is today a continent of 25 and there will be more countries that cooperate peacefully as democratic member states, and that is in itself a fantastic achievement.

Thirdly, in my view the European foreign security policy has developed rather positive. Of course, there are a lot of complications, vested interests, hidden agendas, when the earlier 15 and now the 25 member states try to find compromises in order to implement a common foreign security policy. But when these 25 countries unite, they constitute a great force in international affairs. Even if there still are differences among the European countries – a fact that sometimes weakens the common policy, just think about Iraq. The cooperation is improving day by day, and I think that we have to take into account that the European Security and Foreign Policy is a matter of intergovernmental cooperation. No country can be forced to support or participate in any activity against its will. And to get the willingness of 25 states to do the same is rather tricky in itself, but it is done very, very often and I think that against this background I am impressed by the results.

Four: Europe I think has played a very important role also worldwide when it comes to international solidarity. The political responsibility in this field is vast and covers development cooperation – both humanitarian issues and long standing agreements -support to free trade worldwide, focus on conflict prevention, crisis management, rule of law, human rights, democracy and so forth. We have also very strong feelings and support towards the United Nations and its agencies. Of course, more could have been done in this field, but I think that the EU and its member states have shown their responsibility that the world is entitled to expect from this rather wealthy club of democratic states.

I also want to mention environment. This is an area where very few oppose inter- national cooperation and of course we have to work closely together. Europe has taken sustainable development seriously, and we have better laws and standards now than ten years ago and we have also been very active internationally – just remember the discussion about the Kyoto Protocol.

The fight for economic growth and the fight against unemployment have shown progress and this is a rather new area for the Union, for the Member States to co- operate within the Union. I think it is very, very important to get the understanding from the public opinion to also be involved in this area. But there have been a lot of

58 promises that have not been fulfilled. I will not say we should in the first place blame the EU for this, because mainly it is each Member State that has the responsibility for the economic and social policy. Anyhow, the governments must use the EU as an instrument for their cooperation in this area, and the EU could continue to take decisions about targets, and then it is through national efforts that these targets can be achieved. The Lisbon Process, as it is called, is an unusual EU decision making process, where we use the peer pressure, benchmarking, sharing best practices and so forth. The decisions still lie with the Member States. So this is a sector that is more complicated than the other ones in this mixture, but I think it needs a lot of political commitment, more than we have shown in this area before, to achieve the targets for economic, social and environmental sustainable development, and see that these three areas reinforce each other.

He, it is also important to say that the completion of the internal market is something very important. Then we have the free movement and the fantastic opportunities that it has given all of us when it comes to travelling, studying, working abroad. But also in this area we must be aware that this freedom can be used in an undesirable way by elements for trans boundary crimes. So a decisive action must be taken. Europe must equip itself with stronger muscles to fight such crimes.

At last, let me mention the common currency, the Euro. Of course, that is a fantastic result of the integration process and it makes our life easier. I am convinced that the common currency in the long run will result in a European sentiment. I do hope that even reluctant Swedes will realize the benefit of the Euro. I don't know when, but some time. Finally. What worries me is that Europe is difficult to understand for ordinary citizens. It's a special structure, it's far away, sometimes language problems. So, what has been said about "Communicate Europe" is very, very important. And sometimes we have too many promises that can't be fulfilled. That is always very difficult in political life. And it is also so that the Union now and then takes regulations that are too detailed, that can't be adapted to what is the normal culture in our countries.

I think that the Union must deliver what it promises, that is number one. I think that we must stop using a lot of special European or EU language that alienates people from the whole project. We must still be more open within the European Union and I think we have to involve the national politicians much more. So, this is something that we have to do. And let me also say that on the way where we develop the European Union, we shouldn't love the European Union so much that we put too much into it, and that through our love we harm the Union. Ⅵ

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Dipl. Ing. Peter Mitterbauer

60 Dipl. Ing. Peter Mitterbauer Präsident der Österreichischen Industriellenvereinigung 1996 - 2004 Vorstandsvorsitzender MIBA AG

Roger de Weck (Moderator): Wir sind hier in einem traditionsreichem Raum, in einem traditionsreichen Haus, das durch und durch verbunden ist mit der österreichischen Europapolitik; wollen Sie uns das zu Beginn ganz kurz schildern.

Dipl. Ing. Peter Mitterbauer: Das tue ich gerne. Es ist natürlich für mich eine große Freude, hier wieder zu sitzen, wo ich acht Jahre lang gesessen bin in großen Veranstaltungen, sozusagen als Haus- herr, und ich liefere gerne Ihnen ein bisschen geschichtlichen Rückblicks über die Bedeutung dieses Hauses auch im Zusammenhang mit dem Beitritt zur EU. Es ist ja bereits so schön gesagt worden, dass der EU-Beitritt Österreichs in einem großen geschichtlichen Kontext zu sehen ist. Eigentlich könnte man das Ende des Zweiten WeItkriegs als Beginn des Weges nach Europa bezeichnen. In diesem Hause war zwischen 1945 und 1955 der Alliierte Rat untergebracht – die Industriellenvereinigung selbst war delogiert. Und in diesem Hause selbst haben im April 1955 die entscheidenden Endverhandlungen für den Staatsvertrag stattgefunden. Für uns war der Abschluss des Staatsvertrages und die Feier des Staatsvertrages nicht nur die große Freude im Sinne von „Österreich ist frei“, sondern auch im Sinne von: dieses Haus ist für uns wieder frei.

In den Siebziger Jahren haben sich in diesem Hause in den entscheidenden Gremien des Vorstandes große emotionelle Debatten um die Frage abgespielt, ob Österreichs Zukunft in der EWG oder in der EFTA liegt. Und das hat einen entscheidenden histo- rischen Hintergrund gehabt. Es hat maßgebliche ältere Herren gegeben, die in dem Bestreben insbesondere der Jugend, in die spätere Europäische Union einzutreten, einen verdeckten Anschluss oder Wiederanschluss an Deutschland gesehen haben. Das ist verständlich aus ihrer geschichtlichen Erfahrung, und daher ist diese Gruppe sehr entscheidend immer für einen Verbleib Österreichs in der EFTA eingetreten, also in der Europäischen Freihandelszone.

Die junge Industrie, ein maßgeblicher Vertreter von damals sitzt heute unter uns, ein großer Europaparlamentarier, Dr. Paul Rübig, und der heutige Präsident der Wirtschaftskammer, Dr. Christoph Leitl und ich als etwas Ältere waren die Gruppe, die massiv in den Achtziger Jahren Österreichs Beitritt zur Europäischen Union gefordert haben. Der damalige Präsident, Dr. Christian Bäuerle, übrigens wie die vorgenannten auch ein Oberösterreicher – man hat daher immer von der Oberöster- reicherfraktion in Wien gesprochen – und wir sind dann im Jahr 1988 erstmals an die Öffentlichkeit getreten, um den Vollbeitritt Österreichs zur Europäischen Union

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zu fordern –, dazumals ein gewagtes und nicht von allen begrüßtes Vorhaben und eine öffentliche Ennunziation.

Es hat dann nach der Entscheidung für Beitrittsverhandlungen und nach deren Ab- schluß wurde im Hinblick auf die Volksabstimmung, die am 12. Juni 1994 stattgefunden hat, gemeinsam mit den Gewerkschaften von diesem Hause eine sehr breit angelegte Kampagne initiiert, in den Unternehmen selbst die Vorteile und die Nachteile eines Beitritts darzustellen. Und ich glaube, wir haben da einen nicht unmaßgeblichen Beitrag geliefert, dass wir ein so glänzendes zwei Drittel Pro- Votum für den Beitritt bekommen haben. Da war dann am 12. Juni hier in diesem Raum ein Freudenfest. Ⅵ

62 Dipl. Ing. Peter Mitterbauer, Mag. Brigitte Ederer

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Pertti Salolainen

64 Pertti Salolainen Finnischer Außenhandelsminister 1990 – 1995 und stv. finnischer Premierminister

Roger de Weck (Moderator): Pertti Salolainen, Sie waren Chefunterhändler für Finnland bei den Beitrittsverhand- lungen. Was ist Ihre markante Erinnerung an diese Verhandlungen?

Pertti Salolainen: Thank you very much indeed for inviting me here. It's a tremendous pleasure to be here, because there are so many good friends. I can see Alois Mock there, Ursula Plassnik, Franz Vranitzky is not here, but was very close during the negotiations. So was Wolfgang Schüssel: very good friends. My memories about the negotiations are very mixed, but to tell one example: Where I am very grateful to you Austrians, is that during the last night of EU-accession negotiations in Brussels – the night also called the night of "Long Knives" – we others, we could not organise any food for the negotiations and we had to go and steal your sandwiches. Without your sandwiches and pizzas and your drinks we would not have survived the negotiations.

Roger de Weck: Herr Salolainen, 10 Jahre Finnland in der Europäischen Union. Ein wirtschaftlicher Erfolg, ein politischer Erfolg. Sind Sie rundum glücklich? Welche Bilanz ziehen die Finnen von Ihrer Teilhabe am Brüsseler Tisch?

Pertti Salolainen: My short answer is that it's the best thing that has ever happened to independent Finland. That is my short answer. Now there will be a longer one:

Well, I'm very happy to see Georg Reisch here, who was the Secretary General of EFTA when we were negotiating the European Economic Area and I was negotiating for Finland and one and a half years all together, three times six months. And when I came the first time to the EFTA headquarters, Georg Reisch came to me and said, "Ah, that young minister, I have a very good advice to you: European integration is like the elephant's love life. Everything happens on a very high level. There is much trumpeting and dust, but the final results take a very, very long time to mature."

Thank you, Georg, for this very good advice! I'm not speaking here as a foreign office person, I am speaking as a former deputy prime minister.

As I already said, the results of the membership have been very beneficial to Finland. I would say that the whole general atmosphere in Finland has changed. To illustrate that a bit: Previously we used to fear Russia and envy Sweden. Now, we feel that

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we are at the same level, not with Russia but with Sweden. So, by membership of the European Union the Finns wanted to become – as far as security policy is concerned – a kind of untouchables. That certainly was one of the basic results of EU accession. You know Finnish history during the Second World War, when the Soviets had a plan to take Finland like they did with the Baltics Estonia, Latvia, Lithuania. We fought back and Finland was never occupied. We are very proud of that.

Economy: when I became the Minister for Foreign Trade in '87, Nokia Company, a Finnish company by the way, if you don't know, Nokia Company was then producing kitchen tissues, car tyres, Wellington boots, cables and some old fashioned telephone exchanges and quite a lot of those exports went to the Soviet Union. When I became a Minister in '87, I was a Minister in the Foreign Office, but I also had some sectors in the Ministry of Trade and Industry and one of the sectors was Prices. I was surprised to see that the prices of Nokia Wellington Boots were fixed by the Ministry. If you consider the distance from that situation in '87 to where we are now, you can understand that market economy has come to Finland.

The opening of our markets, the abolishing of monopolies, was really because of the EU membership. I think that economically we and Ireland, have been the most successful nation, in Europe during the last fifteen years and I have certain proof for that: a very eminent Austrian professor, Fritz Breuss, has come to the same conclusion, so it must be true.

About the Introduction of the Euro: Well, where were we before the Euro? We had two digit devaluations every ten years. That was our economic history. Every ten years, two digit devaluations! So what has the Euro meant? The Euro has meant: stability, predictability and generally a wonderful situation for our economy. So it has been extremely beneficial for us.

Talking about the economy, I'm very unhappy about the stability pact, because I have the feeling that if we agree on rules everybody should follow the rules. And if they can't follow the rules then they must change the rules and follow the new rules. And now we have a very demoralising situation, where countries which are very developed are not following the rules. If we are talking about what the general public thinks about the European Union we should understand that these are the things: If they see that we are not following the rules that is very demoralising. Why are we then surprised that people are not appreciating the European Union. This is very important!

66 Agriculture, well, Dr. Fischler, you know more about this than I do, but that was the biggest obstacle in our negotiations and our biggest problem. I can tell you a secret, because nobody will tell anybody, I know. So, I can tell you a secret now, after so many years. During the negotiations I was protected by our secret service, because my life and my family's life were threatened. It was that serious and so heated in some circles.

Foreign Policy: Probably the most dramatic changes by our membership have taken place in the area of our foreign policy and defence policy, because we were neutral and we were talking about neutrality. Now, we are saying that we are militarily non- aligned. You can ask that question very well: What does it mean? Because if we are now creating rapid reaction forces with Germany now and Sweden and the Netherlands and we are ready for any eventuality in the defence area, you can very well ask 'What does the militarily non-aligned status mean in today's world?"

Roger De Weck: So I ask the question "What does it mean?"

Pertti Salolainen: Well, I'm asking you the same question. I don't know what it means, but it means certainly, that a NATO membership discussion is going on in Finland. So that's what it means, but remember one thing, if you want to think about the change in Finnish defence policy: In our Treaty with the Soviet Union after the war, it was specifically stated that we are not allowed to form any alliance with Germany, particularly with Germany! Now we are creating rapid reaction forces with Germany. So you understand the huge change in the last years.

We have had a huge constitutional change in Finland. The new Finnish constitution states that the president was stripped of quite a lot of our foreign policy powers and the powers of EU policy were shifted to the Prime Minister. Parliament has become much more effective in international affairs. There is much more knowledge about the foreign policy among the parliamentarians and the situation there is completely different.

Environment: A huge change is taking place in the Baltic Sea, because we have a programme of northern dimension, where we try to clean the sewer of Baltic as it is today. All the sewage waters of St. Petersburg's ten million people came to the Gulf of Finland.

67 Pertti Salolainen

And now there are huge projects to try to solve this terrible situation.

There is so much talk about elitism and why people are so distant about the European Union. There's a certain truth in that. You have to look in the mirror, they are distant and they look elitist, but we also have to look at it from another angle. The national politicians also look distant. And if you ask opinion polls about national politicians they will turn out as negative as about the European Union. So we must understand that people always have a certain resistance to politicians.

What I want from the European Union: I want a much more ambitious European Union, that would be a moral leader in the world, because the European Union is the only group in the world that could be the moral leader in the world at this particular moment and that's why I need a much more ambitious European Union that would be putting a lot of emphasis on research and development. It is outrageous that our best scientists in Europe have to go to America to get money. Why? We must be much more selfish in that sense that we create our own science. If we can build airbuses, which are beating the Boeings, if we can build Galileo, if we can do whatever things you know, why don't we do more things together here in Europe? This is what we have to do for our people.

That is why I'm not so fascinated about this rapid, too rapid expansion and enlargement of the European Union. I mean, when a Minister goes to a potential candidate country the first thing in his opening speeches is, "I certainly welcome you to the European Union" etc. WHY? Because they want to be courteous, polite. That is not clever. We must be much more careful as far as enlargement is concerned. Enlargement is okay, but these countries must really fulfil the criteria before they become members.

Now we have the presidency together with Austria, yesterday I had a discussion with my very good old friend, Chancellor Wolfgang Schüssel, and he put it very nicely: I mean, you can say, that we would have two six months presidencies. Well, the fact is, he put it nicely, we will have a twelve month presidency together. That was a very, very good way of looking at this. In April, we have the Finnish team here and we are coordinating what we are going to do together next year. We will have a twelve months presidency, kind of together, working very, very closely as it is suitable for excellent friends.

My last point is this: Finland is today, after EU membership, a completely different country: Better! Ⅵ

68 Dipl. Ing. Peter Mitterbauer, Roger de Weck, Mag. Brigitte Ederer, Pertti Salolainen

69 Dr. Benita Ferrero-Waldner

Dr. Benita Ferrero-Waldner

70 Dr. Benita Ferrero-Waldner Außenministerin 2000 – 2004 EU-Kommissarin für Außenbeziehungen und Europäische Nachbarschaftspolitik

Meine Damen und Herren!

Ich freue mich, an dieser Veranstaltung in vertrauten Räumlichkeiten teilnehmen zu können. Lassen Sie mich meine Ausführungen in sechs Punkte gliedern:

Erstens: Die Signatur unserer Epoche ist die Globalisierung. Es ist nicht die erste Globalisierung der Geschichte, aber die wohl radikalste und rapideste. Die Bedeutung von Grenzen, von geographischen Distanzen, von Zeit und Information hat sich stark gewandelt. Raum und Territorium als Basis politischer Ordnungen haben massiv an Bedeutung verloren. Unsere Herausforderung ist es, diese Globalisierung politisch einzubetten und ihr Potential zu nützen. Wir müssen eine Rahmenordnung der globalen Freiheit schaffen. Europa kann sich dabei nicht abschotten. Das wäre fatal. Die Frage ist, wie wir die zunehmende Transnationalität und technisch-virtuelle Vernetzung des Internet- Zeitalters positiv gestalten.

Zweitens: Die neue Weltordnung ist von ganz spezifischen, sowohl „harten“ als auch „weichen“ Herausforderungen geprägt: Ⅲ Dem Zerfall staatlicher Strukturen, d.h. dem „Scheitern“ von Staaten, die Unsicherheit erzeugen und an deren Bruchlinien strukturelle Konflikte schwelen. Es ist essentiell, der Entstehung dieser rechtlosen Gebiete durch aktives „State Building“ vorzubeugen. Ⅲ Eine zweite Herausforderung ist der neue atavistische Terrorismus, der sich auch gegen Europas offene Gesellschaften richtet. Wir müssen die Wurzeln dieses Terrors anpacken, ohne unsere Prinzipien über Bord zu werfen – genau das will der Terror. Ⅲ Auch der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen muss vorgebeugt werden, und zwar mit einem intelligenten „Mix“ von Vorgaben und Anreizen, etwa gegenüber dem Iran oder Nordkorea. Ⅲ Zuletzt sehen wir jene so genannten „weichen“ Bedrohungen, die ich als „dunkle Seite der Globalisierung“ bezeichne: Wirtschaftskrisen, strukturelle Armut, die Zerstörung von Umwelt und Lebensgrundlagen, organisierte Kriminalität und demographische Trends, all das sind Fragen, die einen direkten Einfluss auf Europas Sicherheit und Wohlstand haben. Wir brauchen daher einen weiten Sicherheitsbegriff, der die menschliche Sicherheit ins Zentrum rückt. Wir müssen die Risiken in den Griff bekommen, die aus Verletzungen der menschlichen Sicherheit entstehen. 2005 bietet uns mit dem UN-Reformgipfel eine wichtige Chance zur Umsetzung dieses Konzeptes, etwa im Rahmen eines globalen Marshall-Plans. Europa spielt hier eine wichtige Rolle, gerade weil eine

71 Dr. Benita Ferrero-Waldner

intelligente Außen- und Entwicklungspolitik eine starke sozioökonomische Dimension haben soll.

Drittens: Die globale Vernetztheit führt zu einer neuen internationalen Ordnung, in der es immer mehr neue Akteure gibt: stärker werdende große Staaten wie China oder Indien, regionale Organisationen und Foren wie die EU, die African Union oder ASEAN, multinationale Konzerne sowie global operierende NGOs wie Amnesty oder Greenpeace, und nicht zuletzt die großen internationalen Medien.

Die internationale Gemeinschaft braucht daher mehr Kooperation im Rahmen ge- meinsamer Institutionen. Europa vertritt hier ein bestimmtes politisches Modell, nämlich einen effektiven Multilateralismus als Basisstruktur der internationalen Beziehungen. Das bedeutet im Besonderen, die Vereinten Nationen und ihre Teilor- ganisationen als Rahmen des multilateralen Systems zu reformieren. Diese Reformen müssen Teil eines größeren neuen Sicherheitskonsenses sein. Das UN-System gründet immer noch auf einem Denken in nationalstaatlichen Kategorien. Wir müssen im Lichte der Globalisierung darüber hinausgehen und unter anderem diskutieren, wie wir effizienter mit nicht kooperierenden beziehungsweise „ge- scheiterten“ Staaten und nicht-staatlichen Akteuren umgehen. Multilateralismus muss effizient sein. Die EU unterhält auch in zunehmenden Maß strategische Partnerschaften mit den wichtigsten Ländern – die wichtigste davon bleibt die transatlantische Partnerschaft. Der Besuch von Präsident Bush in Brüssel – und zwar insbesondere auch bei den EU-Institutionen Rat und Kommission – zeigt, dass die USA die wachsende Bedeutung der EU zu schätzen wissen. Bush hat die EU als starken Partner anerkannt und klar eine verstärkte Zusammenarbeit gesucht. Diese Partnerschaft beruht auf einem geteilten Wertefundament und gemeinsamen Interessen. Der Besuch hat eine zusätzliche Dynamik zur Definition klarer Ziele und politischer Perspektiven geschaffen. Dabei ergänzen EU und USA einander hinsichtlich ihres außenpolitischen Instrumentariums: Als größte Wirtschaftsgemeinschaft und größter Geber von Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe fördert die EU die Demokratie, Menschenrechte und Reformen primär durch Dialog und das Angebot intensivierter Beziehungen.

Viertens: Europa muss ein globaler Akteur sein – es kann sich seine Verantwortung nicht aussuchen. Ich kann Ihnen aber eines bestätigen: Die EU ist es heute bereits ein Faktor, auf den weltweit gehört wird. Daher besteht ein klarer politischer Imperativ für europäisches Handeln: als globaler Reformmotor, als Krisenmanager, und nicht zuletzt als politisches Modell mit großer Anziehungskraft.

72 Aber die EU darf sich mit dem Erreichten nie zufrieden geben: Wir müssen unsere internationale Rolle weiter stärken, und zwar in unserem Eigeninteresse, im Interesse unserer Bürger an Stabilität, Sicherheit und Wohlstand. Zu diesem Zweck müssen wir vermehrt mit einer Stimme sprechen, die Kohärenz unserer außenpolitischen Instrumente weiter verbessern und vor allem in Krisenzeiten rascher und entschlossener handeln. Vor allem aber müssen wir Europas politischen Willen schärfen und ein Selbstverständnis als globaler Akteur entwickeln. Es ist aus dieser Logik heraus, dass ich mich persönlich bereits seit zwei Jahren für einen EU-Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ausspreche. Diese Idee ist nicht gegen irgendjemanden gerichtet, weder gegen die ständigen Mitglieder Frankreich und Großbritannien, noch gegen den Aspiranten Deutschland. Ich bin nur überzeugt: wenn Europa in Bälde schon tatsächlich „eine eigene Telephonnummer“ haben wird – um das Bild von zu verwenden –, dann muss die Person, die darunter erreicht werden kann, auch in der Lage sein, der europäischen Stimme in den wichtigsten internationalen Gremien Gewicht zu verleihen. Dazu bedarf es eines Tages eines EU-Vertreters im UNO-Sicherheitsrat. Wie dies im Detail ausgestaltet wird, kann man diskutieren. Ich könnte mir etwa vorstellen, dass im Sicherheitsrat vertretene EU-Mitglieder ihren Sitz nach einem bestimmten Modus dem EU-Vertreter überlassen, sodass dieser faktisch ständig mit Sitz und Stimme teilnimmt.

Fünftens: Von der EU wird heute aufgrund ihres Erfolges immer mehr eine echte Führungsrolle bei der Gestaltung der internationalen Beziehungen erwartet. Es gibt wenige Akteure, die über ein so breites Arsenal an außenpolitischen Instrumenten verfügen. Unsere Instrumente, etwa im Wirtschafts-, Finanz-, Energie- Umwelt- und Justizbereich, sind für die Lösung internationaler Fragen relevanter denn je. Denken wir nur an Europas Rolle im Welthandel (WTO/Doha) oder bei der Umsetzung des Kyoto-Protokolles.

Die Europäische Union steht für die politische Ordnung der Postmoderne, indem wir Souveränität auf eine neue supranationale Ebene gehoben haben.

Unsere Erfahrung im Umgang mit grenzüberschreitenden Herausforderungen expor- tieren wir zunehmend nach außen. So ist die Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP), für die ich eine besondere Zuständigkeit habe, unsere gezielte Politik zur Ausweitung von Wohlstand, Stabilität, Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit nach Osteuropa, den Nahen Osten, den Mittelmeerraum und den Kaukasus. Durch die ENP schaffen wir einen Ring von Freunden rund um das Gravitationszentrum EU.

73 Dr. Benita Ferrero-Waldner

Sechstens: Die Europäische Union ist das weltweit erfolgreichste Projekt politischer und wirtschaftlicher Integration. Sie hat Europas Ordnung revolutioniert, nicht zuletzt durch die „Wiedervereinigung“ unseres Kontinentes im letzten Jahr. Diese Erfolge muss man immer wieder unterstreichen, gerade in Zeiten, in denen das europäische Projekt an der Selbstverständlichkeit seiner Erfolge zu kränkeln scheint. Andererseits gibt es keineswegs Anlass zu Selbstgerechtigkeit. Im Gegenteil: Es ist Europas Aufgabe, klare Antworten auf die neuen globalen Herausforderungen zu formulieren. Und das muss mit der Unterstützung unserer Bevölkerung geschehen. Deswegen hat die neue Kommission unter Präsident Barroso auch die Kommunikation mit den Bürgern zu einem der wichtigsten Anliegen gemacht. Hier haben wir klaren Handlungsbedarf.

Die Frage nach der Rolle Europas in der neuen Weltordnung führt zuletzt zur Grundfrage unseres eigenen Selbstverständnisses. Die internationale Politik hält uns einen Spiegel vor. Was für ein Europa wollen wir sein? Wie können wir erreichen, dass der Faktor EU noch stärker zu globaler Geltung kommt? Und besteht für die EU- Außenpolitik ein unauflösbarer Widerspruch zwischen Kants Vision vom ewigen Frieden und der brutalen Welt eines Thomas Hobbes? Ein kritischer Beobachter Europas, der amerikanische Politologe Robert Kagan, schreibt, „die friedliche europäische Integration erweist sich als die Feindin der globalen Rolle Europas“. Mir ist da natürlich Jeremy Rifkin's Buch „The European Dream“ näher. Das Modell Europa wird von außen immer mehr als einheitliches und attraktives Konzept wahrgenommen, an dem sich auch andere Kontinente orientieren. Die EU wird immer mehr zu einem Schlüsselspieler. Gerade durch die neue Europäische Verfassung wird uns die Konsolidierung unseres außenpolitischen Handelns gelingen.

Meine Damen und Herren: Das 21. Jahrhundert wird ein europäisches sein, wenn wir es nur wollen! Das ist unsere Herausforderung – und unsere politische Aufgabe. Ⅵ

74 Dr. Benita Ferrero-Waldner Lena Hjelm Wallén

75 Dr. Erhard Busek

Dr. Erhard Busek

76 Dr. Erhard Busek Vizekanzler 1991 – 1995, Sonderkoordinator des Stabilitätspakts für Südosteuropa

Daniel Vernet (Moderator): Das Wort hat Dr. Erhard Busek als Sonderkoordinator des Stabilitätspaktes für Südosteuropa. Herr Busek, Sie haben zu tun mit Staaten, die in Europa sind, aber nicht Mitglied der Europäischen Union; die am Rande dieser Europäischen Union liegen und Staaten, die auch noch mit Problemen des letzten Jahrzehnts, sogar des letzten Jahrhunderts kämpfen müssen. Wie sehen diese Staaten die Entwicklung der Europäischen Union in den nächsten zehn Jahren? Betrachten sie sich als künftiges Mitglied oder als Partner dieser Union?

Dr. Erhard Busek: Herzlichen Dank, Herr Vernet, für diesen Einstieg, der eine ganz wichtige Frage ist, nicht nur für die Tätigkeit, die ich auszuüben habe, sondern auch für die europäische Perspektive, und darüber sollen wir ja schließlich reden. Diese Länder oder – besser gesagt – die Menschen in diesen Ländern betrachten sich als Europäer. Die eigentliche Triebfeder für die Transformation in Südosteuropa ist die Perspektive der Mitgliedschaft zur Europäischen Union, und – das muss man auch uns Österreichern deutlich sagen – die Perspektive des Beitritts zur NATO. Das sind die Gründe, warum dort politisch verändert wird, nichts anderes. Länder, die diese Perspektive nicht haben, tun sich politisch bedeutend schwerer.

Es ist nicht so, dass „das Gelobte Land“ in der Europäischen Union gesehen wird, man sieht auch deutlich die Problemlagen und die Schwierigkeiten, aber der Beitritt ist die eigentliche Zielvorstellung und eigentlich können wir Europäer oder wir EU- Mitglieder nur froh darüber sein. Denn Sie müssen sich nur vorstellen, wenn etwa – in der Sprache der EU – der Westbalkan, also die Länder des ehemaligen Jugos- lawien plus Albanien, ein „schwarzes Loch“ auf der Landkarte bleiben, (so wie Sie ja heute die Schweiz auf den EU-Landkarten verorten können: dort wo es grau wird, ist die Schweiz), das wäre ganz sicher keine Perspektive.

Es beginnt bei Fragen der Immigration, des organisierten Verbrechens, aber lassen Sie mich ein paar Etagen höher gehen: eigentlich bei der europäischen Verant- wortung. Denn wenn Sie in die Geschichte gehen, und da fange ich schon mit dem 19. Jahrhundert an, ist ja schließlich so ziemlich alles, was zu Problemen auf dem Balkan geführt hat, von den europäischen Staaten entschieden worden. Seit 1821 mischen hier alle Europäer mit. Hier ist das passiert, was sich London, Paris, Berlin, St. Petersburg beziehungsweise Moskau, bis zum Ende des Ersten Weltkriegs auch Wien vorgestellt haben, samt allen Blödheiten, die dort existieren. Ich kann Ihnen ein mittleres Referat darüber halten, wie wir hier beteiligt sind, daher können wir

77 Dr. Erhard Busek

auch die Verantwortung nicht weglegen. Also: Es ist nicht nur die Dimension der akuten Probleme und des Interesses, Stabilität zu haben, sondern es ist eigentlich auch die historische Dimension Europas, die hier eine Rolle spielt. Mit der Schwierig- keit, dass wir heute in der europäischen Öffentlichkeit sehen müssen, dass man die Türkeifrage heftig diskutiert. Diese wird jetzt wieder von der Ukraine überlagert, wobei ich hier keinen Wettbewerb herstellen möchte. Es wird unterschiedlicher Strategien bedürfen, weil die beiden Länder in unterschiedlichem Zustand sind.

Mich regt immer ein wenig auf, dass die erste Frage ist, die man vorgelegt bekommt: Wann glauben Sie, wird dieses oder jenes Land Mitglied sein? Bitte keine Jahreszahlen! Es geht einfach um den Reifezustand, um die Erfüllung der Bedin- gungen. Daran haben wir in Wirklichkeit zu arbeiten und nicht irgendein Quiz zu beantworten, wann wer wo Mitglied sein wird. Hier ist ein entscheidender Fehler. Das sage ich allen Beteiligten sehr, sehr deutlich.

Und wir müssen selbst dazu beitragen und Perspektiven eröffnen, dass es Wirklichkeit wird. Wobei es – und da geht es schon ins Konkrete – sehr wünschenswert wäre, dass dort, wo heute die Internationale Gemeinschaft vertreten ist, Schritt um Schritt die Europäische Union an ihre Stelle tritt. Um das noch deutlicher zu sagen: Die bereits begonnene Europäisierung – Bosnien-Herzegowina, Office des High Repre- sentative – muss fortgesetzt werden. Dasselbe gilt für den Kosovo. Ich weiß, dass man in Brüssel mit dieser meiner Vorstellung keine besondere Freude hat, weil man selig ist, dass sich die Vereinten Nationen mit der zugegebenermaßen mehr als schwierigen Frage herumschlagen müssen, aber sie bleibt uns nicht erspart. Erklären Sie jemandem in Arkansas, warum die Amerikaner unbedingt in Pristina beteiligt sein müssen. Und wenn Sie die Wirtshauslandschaft von Wien kennen, dann werden Sie sehen, wie viele Kosovo-Albaner Sie hier treffen können. Es bleibt uns nicht erspart. Wir sollten das angehen, Schritt um Schritt, weil wir – glaube ich – eher zu einer Lösung kommen.

Ich möchte Ursula Plassnik und dem österreichischen EU-Vorsitz nicht die Latte hochlegen, aber ich erwarte mir hier in der ersten Hälfte 2006 Schritte in diese Richtung. Und sage gleich dazu, auch wenn es nicht brüllende Erfolge gibt, soll man diese Schritte trotzdem machen, weil das ein Zeichen unserer europäischen Ver- antwortung ist. Den Österreichern ins Stammbuch geschrieben: „Österreich – Wer sonst?“ Es ist immerhin die Nähe, die uns hier auszeichnet, die ja schließlich bei der Tatsache beginnt, dass die kroatische Grenze siebenundzwanzig Kilometer von der österreichischen entfernt ist. Damit ist letztlich alles gesagt: Böheimkirchen liegt weiter von Wien entfernt.

78 Ich möchte hier fortsetzen: Es geht nicht nur um die Frage der Erweiterung. In meinen Auge ist die Frage der Vertiefung ein bißchen in den Hintergrund gerückt. Ich glaube, dass diese Vertiefung von ganz entscheidender Bedeutung ist. Ich bin jetzt wenig charmant: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob auf Dauer fünfundzwanzig Ministerpräsi- denten beziehungsweise Staatspräsidenten bei den gruppendynamischen Vorgängen, die heute die diversen Gipfel und Treffen und dergleichen beherrschen, in der Lage sind, das zu tun, was Benita Ferrero-Waldner mit Recht angesprochen hat, nämlich ein Global Player zu sein. Das wird nie im Leben funktionieren. Das heißt, es braucht andere Entscheidungsstrukturen mit einer Demokratisierung des ganzen Vorganges, denn der ist ja an sich nicht sehr demokratisch. Wo ist in Wirklichkeit die Kontrolle dieser Fünfundzwanzig? Ich glaube, dass wir hier zu einer stärkeren Verfasstheit kommen müssen, umso mehr muss der Verfassungsvertrag relativ rasch verab- schiedet werden, damit wir die nächsten Schritte gehen können. Wobei ich nicht dafür plädiere, dass man das übers Knie bricht und von heute auf morgen erledigt. Das ist ein Wachstumsprozess, der seine Zeit braucht, mit der Schwierigkeit, dass wir uns in manchen Fragen in einem Wettrennen mit der Zeit befinden. Wenn wir sagen, wir sind Global Player, dann muss man das auch können. Und das wird ohne eine Art von Regierung nicht gehen, und, ich sage etwas sehr Unpopuläres in Österreich: Ohne eine Art von gemeinsamer Armee wird es auch nicht gehen. Da ist zum Beispiel die ganze Frage, was mit der Ukraine, der Türkei durch die Nach- barschaft zu Südkaukasus, Iran, Irak, Syrien auf uns zukommt. Das ist eine Sicher- heitsfrage, vor der man sich auch in Österreich meines Erachtens nach nicht verschließen kann.

Ich möchte aber sehr gern dazu sagen, dass die Vertiefung auch eine Frage in den Mitgliedsstaaten ist, auch in Österreich. Das österreichische Parlament hat seine Chance, europäisch zu werden, tüchtig verschlafen. Verfassungsmäßig ist es eröffnet mit der Mitwirkungskompetenz des Hauptausschusses, gemacht haben die Parlamen- tarier daraus nichts.

Ich erzähle an dieser Stelle immer eine Anekdote. Ich werde von einigen Parlamenten, außenpolitischen Ausschüssen usw. als Sonderkoordinator des Stabilitätspakts vorgeladen, um dort „vorzusingen“ und Auskunft zu geben, was wir zustande gebracht haben. Ich habe angeboten, das auch im österreichischen Parlament zu tun. Dies ist eine ungeheure Geschichte des Scheiterns, wobei Sie mir abnehmen können, es dreht sich nicht um eine Frage meiner Eitelkeit, ich habe 1964 als Klubsekretär einer Partei im Parlament begonnen. Ich kenne die Räumlichkeiten, und ich kenne die Akteure. Ich muss nicht dorthin, aber ich würde sagen, ein österreichisches Parlament sollte ein bisschen Interesse haben, was in Südosteuropa vor sich geht.

79 Dr. Erhard Busek

Ich glaube, dass man klipp und klar sagen muss: Europäische Festakte, wie wir sie dankenswerterweise gestern und heute hier haben, sind allein nicht genug. Das ist keine Kritik an der Politik, das ist eigentlich eine Kritik an der öffentlichen Perzeption, für meinen Geschmack ist Österreich in der Perzeption von Europa schmäler geworden, nicht breiter. Ich stelle mich hier durchaus der Diskussion. Das berührt dann die Frage, wo wir Korrespondenten haben, und dergleichen mehr. Eine Zeitung kämpft tapfer damit, dass sie noch eine Europaseite hat, der Rest ist dann Berichterstattung, und das Europäischeste ist der Song Contest. Das allein kann es auf Dauer nicht sein. Wobei der Song Contest durchaus politische Auskünfte gibt. Wenn Sie beobachtet haben, welche Staaten beim letzen Contest für die Ukraine gestimmt haben, können Sie die gemeinsame Verfasstheit von Transformations- staaten sehen. Es wäre eine interessante Aufgabe der politischen Wissenschaften, das zu analysieren, aber auch das führt zu weit. Da bricht bei mir der Wissen- schaftsminister durch.

Damit komme ich zu dem dritten mir wesentlichen Punkt, nämlich die so oft angesprochene Frage der europäischen Identität. Ich mag das Wort „Identität“ nicht. Ich mag aber noch weniger den allgemeinen Pessimismus, der hier herrscht. In Wahrheit muss man sagen (und ich gehöre einer Generation an, die das in glückhafter Weise am eigenen Leib erlebt hat), dass sich eine Welt für dieses Land gewandelt hat, vom Sitz der Alliierten Kontrollkommission in diesem Gebäude (Anm.: Haus der Industrie am Schwarzenbergplatz 4) von 1945 bis 1955 hin zu einer europäischen Teilnahme. Es ist ein ungeheures Geschenk, was uns hier passiert ist. Ich glaube, man darf ganz kurz auch einmal glücklich darüber sein. Wir haben heute ganz andere Möglichkeiten als Österreicher, das beinhaltet aber die Verpflichtung, auch selbst dazu beizutragen. Die europäischen Werte sind nicht etwas, was man beliebig aus- fahren kann. Ich habe ja versucht, den Sanktionen etwas Positives abzugewinnen. Da hat es geheißen, diese Regierung verstößt gegen die europäischen Werte. Da habe ich mir gedacht: Fein, jetzt beginnt die Debatte, was die europäischen Werte sind. Mit der Verabschiedung von den Sanktionen ist aber die Verabschiedung von der Wertediskussion passiert.

Ich sage aber gleich dazu: Es ist nicht die Aufgabe der Politik, sondern es ist die Aufgabe all der Akteure zwischen Wissenschaft, Kunst, Kultur und Philosophie, das zu identifizieren. Europa wird provoziert Stellung zu beziehen in der Frage der Aufklärung – einerseits durch den Islam, andererseits durch Strömungen, die interessanterweise Präsident Bush symbolisiert. Die Frage des Wieder-Bedenkens der Aufklärung, das ist ein großer Beitrag Europas, der sehr viel gebracht hat, das

80 ist eine ganz entscheidende Aufgabe. Das steht aus. Und darin ist eigentlich der europäische Beitrag zu sehen, und da sind wir relativ sprachlos.

Für die Perspektiven des Europa von morgen würde ich mir die Sprache Europas wünschen. Ich halte die Frage der Vielfalt eigentlich für kein Problem. Das Übersetzen ist schon erfunden worden, wir reden alle etwas, was wir als Englisch bezeichnen (nur die Engländer würden das nicht so sehen). Also gewisse Ausdrucksmöglichkeiten sind uns ja durchaus zu Eigen. Diese Sprache für Europa, für die Zukunft, die müssen wir noch finden, und da bleibt eigentlich für mich nur zu sagen: Das ist eine faszi- nierende Herausforderung!

Meine Damen und Herren!

Können wir uns etwas anderes wünschen, als dass es noch Faszination gibt? Dass es noch Provokation im besten Sinne des Wortes gibt? Es ist ja toll, dass wir diese Situation haben und das ist eine Einladung – insbesondere an Österreich und meine geliebten Wiener –, sich von der traditionellen Weltuntergangsstimmung zu ver- abschieden. Karl Kraus hat uns mit der Mitteilung beehrt, dass wir Versuchsstation für Weltuntergänge sind. Es wäre doch wahnsinnig spannend, im 21. Jahrhundert ein Laboratorium für die Zukunft Europas zu sein. Da hätten wir einmal richtig etwas zu tun. Da muss man ein bisschen vom Jammern Abschied nehmen (und dann würde uns wahrscheinlich etwas abgehen). Aber außer der Kaffeehausatmosphäre gibt es auch noch andere produktive Stellen. Ⅵ

81 Dr. Franz Fischler

Dr. Franz Fischler, Dr. Benita Ferrero-Waldner

82 Dr. Franz Fischler EU-Agrarkommissar 1995-2004

Daniel Vernet (Moderator): Jetzt hat Dr. Fischler das Wort. Sie waren jahrelang Agrarkommissar in Brüssel. Sie haben sich mit der gemeinsamen Agrarpolitik beschäftigt, die besonders am Herzen der Franzosen oder des Präsidenten Frankreichs liegt. Vielleicht können wir heute ein bisschen über die Punkte, Wachstum, Wirtschaft, Sozialmodell, Wirtschaftsmodell Europa, reden. Wie sehen Sie die Entwicklung in den nächsten zehn Jahren und die Arbeitsteilung der Europäischen Union selbst und den Mitgliedsstaaten, was die Wirtschaftspolitik anbelangt?

Dr. Franz Fischler: Ich bin auch dankbar dafür, dass ich keine Diagnose über den Herzzustand des französischen Präsidenten abgeben muss und mich einem anderen Thema zuwenden kann. Und da möchte ich zwei Gedanken fortführen, die eine Antwort auf Ihre Frage geben sollen, nämlich zwei Gedanken, die Frau Ferrero-Waldner geäußert hat. Sie hat also den european dream zitiert und dann auch gesagt, das 21. Jahrhundert wird ein europäisches werden, wenn wir das nur wollen.

Ich möchte mich mit dem dream oder eigentlich mit dem Gegenteil davon beschäftigen und dann mit dem Wollen. Denn wir müssen schon aufpassen, träumen ist ganz schön, ja, aber irgendwann gibt es auch Wachzeiten und schon gar nicht Platz und Raum für Tagträume. Und hier beginnt eigentlich die zentrale Fragestellung. Denn was wir zur Zeit diskutieren, ist auch im Zusammenhang mit dem Lissabon-Prozess letztlich ein Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell, das zu einem Leitmodell für die Welt werden könnte. Das ist der Anspruch, den wir erheben. Nur sagen wir, ja, dieses Modell – und da fängt die Schwierigkeit an – dieses Modell muss sich abheben vom amerikanischen. Das amerikanische wollen wir nicht. Also was wir einmal nicht wollen, das wissen wir schon eher. Wir sagen aber dann, wir wollen die wett- bewerbsstärkste Ökonomie der Welt und noch dazu knowledge based economy. Wir wollen zusätzlich einen höheren Grad an sozialem Zusammenhalt und gesellschaftlicher Solidarität, als es anderswo in der Welt der Fall ist. Und wir sind natürlich sowieso die Weltmeister in Umweltfragen. Also, wir sind in allen Dimensionen des Wirtschaftens und der Gesellschaft Weltmeister. Und da, glaube ich, spießt es sich. Das ist unser Dilemma, mit dem wir uns in den nächsten Jahren ernsthaft ausein- andersetzen müssen, wenn wir tatsächlich zu einem Referenzmodell werden sollen. Und wenn wir tatsächlich Erfolg haben wollen. Es zeigt sich ja auch, wenn wir wieder zurückkehren zu den Lissabon-Zielen, dass die Bilanz wirklich sehr ernüchternd ist, die uns Wim de Kock vorgelegt hat: Nach fünf Jahren Umsetzung dieser Ziele sind wir von den Zielen weiter entfernt, als wir es vor fünf Jahren waren. Das, glaube ich, macht nachdenklich.

83 Dr. Franz Fischler

Nun, was sind die wichtigsten Projekte: Ich bin also absolut der Meinung, dass es richtig ist zu sagen, dass wir in Forschung und Entwicklung investieren müssen und dass wir da in der Vergangenheit zu wenig getan haben. Ich bin aber auch der Meinung, dass es in Europa vor allem am Forschungswettbewerb mangelt und dass wir den intensivieren müssen, wenn es tatsächlich auf der europäischen Ebene möglich gemacht werden soll, dass die Forschung auf eine effektivere Art und Weise organisiert wird. Was aber dazugehört, als zweites Bein, ist eine ähnliche Investition in unsere Bildung. Hier haben wir nach wie vor das Dilemma, dass es uns nicht sehr viel helfen wird, wenn wir zwar mehr Patente entwickeln und wenn wir die exzellentesten Forscher der Welt haben, möglicherweise, aber niemanden, der das dann in konkrete Fertigungsprozesse, in konkrete Programme für die Industrie umbauen und dort anwenden kann.

Dann, ein altes Thema, Bürokratieabbau. Da sind sich immer alle sofort einig. Interes- santerweise geschieht aber nichts. Also muss es irgendeinen Grund geben, warum das so nicht funktioniert. Hier ist, glaube ich, ein Aufgabengebiet, wo es tatsächlich darum geht, bench marks zu setzen, ganz konkrete Ziele zu definieren. Da erwarte ich mir auch einiges von dem kommenden Frühjahrsgipfel. Und dass man auch besser aufzeigt, was tatsächlich in einzelnen Staaten erreicht wird, was als Vorbild für andere dienen kann.

Die Komplettierung des Binnenmarktes – auch ein altes Thema: Hier werden wir in nächster Zeit nicht sehr weit kommen, wenn wir nur darüber streiten, ob man jetzt möglicherweise wettbewerbsverzerrende Steuern auf der Gemeinschaftsebene stärker regeln kann. Hier steht eindeutig das Einstimmigkeitsprinzip im Weg. Ich bin auch eher der Meinung des Helmut Kohl, nämlich: Ein bisschen komisch finde ich es schon, wenn wir jetzt ein Riesen-Theater machen, dass wir den neu hinzuge- kommenen Staaten gewisse Chancen einräumen, dass sie aufholen können. Ja, wie – wenn sie nicht bessere Bedingungen haben, als die anderen – sollen sie denn dann eigentlich aufholen? Das ist, glaube ich, ein Thema, mit dem wir uns ebenfalls beschäftigen müssen. Ganz abgesehen von der Frage der Vergreisung der Gesellschaft. Das sind alles Themen, die übrigens in diesem Kock-Bericht erwähnt worden sind.

Wir sollten uns auch, glaube ich, über einige sehr akute Probleme auseinandersetzen. Zum Beispiel über die Frage, soll man Wachstum mehr dadurch forcieren, dass man den privaten Konsum stimuliert, dass man öffentliche Aufträge erteilt und damit die Infrastruktur modernisiert. Oder soll man Wachstum eher dadurch erzeugen, dass man die Wettbewerbskraft stärkt, dass man Hürden abbaut, dass man weiter

84 liberalisiert und ähnliches mehr. Oder ist es vielleicht sogar eine Kombination aus diesen beiden Dingen, die uns dann am Ende des Tages weiterbringen wird. Der Stabilitätspakt hat immer schon von Anfang an einen zweiten Begriff mit beinhaltet, nämlich den Wachstumspakt. Und wir können nicht das Eine ohne das Andere, in einer besseren Form zustande bringen. Und ich gehöre zu denen, die der Meinung sind, dass es gut wäre, wenn wir hier möglichst rasch eine Entscheidung darüber fällen. Sie darf aber weder eine Verwässerung des Stabilitätspakts sein, noch darf die Anwendung dieses Pakts unser Wachstum zusätzlich blockieren. Hier glaube ich, darf wirklich intensiv von den besten Ökonomen, die uns zur Verfügung stehen, nachgedacht werden, damit wir weiterkommen.

Genau das Gleiche gilt im Übrigen für die neue finanzielle Vorausschau. Ich wundere mich, was man eigentlich mit diesem Herumfeilschen um Promille will. Wäre es nicht entscheidender und wichtiger, dass wir uns darüber einig werden, welche Aufgaben sinnvoller Weise auf der europäischen Ebene künftig finanziert werden sollen. Dann würde man wahrscheinlich auch eher einen Weg finden, wie man sie finanziert. Und genauso, und hier bin ich sehr der Meinung von Benita Ferrero- Waldner, ist es meiner Meinung nach enorm wichtig, wenn wir jetzt sehr langfristig angelegte Erweiterungsverhandlungen angehen, dass wir vorher sehr rasch zwei Dinge tun:

Erstens: Wir müssten uns Klarheit darüber verschaffen, was die jeweiligen Erweiterungen bedeuten. Es ist wirklich zu einem gewissen Grad unverantwortlich, dass man Verhandlungen beginnt, ohne zu wissen, was die Konsequenzen sind, die daraus entstehen.

Ich glaube, man muss auch viel mehr investieren und rascher investieren in die neue Nachbarschaftspolitik, damit die in Frage kommenden Länder wissen, was sie eigentlich erwarten können. Und worum es für sie unter Umständen attraktiver sein könnte, an dieser neuen Nachbarschaftspolitik teilzunehmen, anstatt etwas anderes zu tun.

Und die zweite Sache: der politische Wille. Das ist eigentlich die wahre Krux. Oder wie es der Jean-Claude Juncker vor 14 Tagen gesagt hat. „Was wir tun müssten, wissen wir ja schon. Aber wenn wir es tun, dann gewinnen wir keine Wahlen mehr.“ Aus diesem Dilemma, meine Damen und Herren, müssen wir herausfinden. Wenn wir das nicht können, dann bleibt alles das, was ich bisher gesagt habe, ein Traum. Und hier kommt es auf einige ganz zentrale Fragen an. Die erste Frage ist, wie

85 Dr. Franz Fischler

schaffen wir mehr Transparenz. Die zweite Frage ist, wie kann diese neue Form des Regierens so funktionieren, dass auch tatsächlich die Sozialpartner, die Zivilgesellschaft in den Entscheidungsprozess mit eingebunden sind und nicht nur eine Stellungnahme abgeben.

Die dritte Frage, die sich hier ergibt, ist, meiner Meinung nach, ein neues notwendiges Verständnis von Subsidiarität. Hier geht es nicht nur um die Frage, wer macht was, sondern, wie stelle ich sicher, dass der, der optimal etwas machen soll, es auch macht. Das gehört nämlich auch zur Subsidiarität. Und da, glaube ich, müssen wir investieren und da müssen wir weiter kommen. Und in diesem Zusammenhang: Wenn uns das gelingt, wenn wir tatsächlich im Stande sind, eine solche neue Form des Regierens zu entwickeln, dann ist es nur noch eine kleine Frage, ob unsere Stimme in der Welt gehört wird. Die Stimme wird dann in der Welt gehört, wenn wir eine klare Position haben und die auch im Stande sind, nach außen hin zu vertreten. Ⅵ

86 Lena Hjelm Wallén, Dr. Franz Fischler, Dr. Wolfgang Schüssel

87 Prof. Paul Lendvai

Prof. Paul Lendvai

88 Prof. Paul Lendvai Herausgeber und Chefredakteur der „Europäischen Rundschau“

Daniel Vernet (Moderator): Wird die Europäische Union in zehn Jahren wenn schon nicht eine Weltmacht, aber eine Macht in der Welt sein?

Prof. Paul Lendvai: Nachdem ich den ehrenvollen Auftrag bekommen habe (Anm.: anstatt des franzö- sischen Außenministers Michel Barnier am Europakongress teilzunehmen), habe ich französische Publizisten und Philosophen studiert, und auf deine Frage darf ich viel- leicht Paul Valéry zitieren, der in seinem letzten Aufsatz über die Zukunft, im Oktober 1944, gesagt hat: „Eine Welt, aus der immer stärker jegliche Möglichkeit nützlicher Voraussagen ausgeschlossen ist.“ Damit will ich nicht die Diskussion abschließen, nur sagen, dass Valéry schon vieles in der EU vorausgesehen hat. Ein anderer, der zum Teil unser Kollege war, meine ersten zwei Bücher redigiert hat, François Fouré, hat gesagt: „Der größte Feind der demokratischen Reform ist die demokratische Demagogie.“ Darüber werden wir sicher in den Memoiren von Franz Fischler noch lesen können.

Ich glaube, das Wichtigste ist es, uns immer diese Dialektik zwischen dem Ausmaß der Erfolge, die diese Europäische Union und Österreich erreicht haben, und den Grenzen, die noch immer da sind, vor Augen zu halten. Das gilt natürlich auch für die Entwicklung in Mittel- und Osteuropa. Das größte Problem ist das was Erhard Busek hier gesagt hat, was mich beseelt hat: Welch faszinierende Aufgabe es ist – trotz so viele Enttäuschungen auch im österreichischen und mit dem österreichischen Parlament. Aber ist das auch faszinierend für die Menschen? Ich glaube, da liegt vielleicht das größte Problem für die Zukunft, der jungen Generation, aber auch den Rentnern aufzuzeigen, was ohne die Europäische Union wäre, auch für Österreich und für die kleinen Staaten. Sie haben Juncker erwähnt, Herr Minister Fischler, und es ist wirklich eine Frage der Persönlichkeiten, auch für die Zukunft. Natürlich, der finnische Ex-Premierminister Salolainen hat die wichtige Rolle Luxemburgs betont. Sicher! Aber sehen Sie den Sprecher Luxemburgs, Premierminister Juncker an, und daneben die Proportion zwischen der Bevölkerung Luxemburgs und Deutschlands und die Proportion zwischen dem Intelligenzquotienten der Sprecher der beiden Länder.

Also: Kleiner kann auch schön sein. Damit will ich in Anwesenheit des deutschen Botschafters nichts gegen die Erfolge der Bundesrepublik sagen.

Zweite Frage: Medien. Sie haben hier auch negative Effekte in Brüssel erwähnt. Die Medien berichten über

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die negativen Effekte, etwa darüber, wie viel die Leute verdienen. Sicher, aber zuerst muss man die negativen Effekte irgendwie „ausmerzen" oder zumindest ein- schränken. Finnland ist übrigens das beste Beispiel für mich. Wie wenig kann man die Zukunft im positiven Sinne vorhersehen. Vor 20 Jahren hing Finnland völlig vom sowjetischen Markt ab. Alle haben Finnland abgeschrieben. Heute ist Finnland in allen Charts, World Economic Forum usw. Nummer Eins, was die Konkurrenzfähigkeit und ähnliches betrifft. Aber vielleicht auch deshalb, weil Finnland auch die Nummer Eins ist, was den Widerstand gegen Korruption betrifft. Wenn wir national und international weniger Korruption haben, wird sicherlich auch der Ruf, das Ansehen der Europäischen Union größer sein.

Noch etwas: Der wahrscheinlich fähigste Präsident der Europäischen Kommission, , hat einmal gesagt, die Frage der Grenze – Wo liegen die Grenzen Europas? – das ist die Ein-Millionen-Euro-Frage. Es ist wahrscheinlich so, und das sage ich, obwohl ich immer ein Anhänger der Erweiterung war, dass sie vielleicht zu schnell, zu breit vor sich gegangen ist. Wenn man daran denkt, dass jetzt noch Rumänien und Bulgarien kommen, Kroatien nicht zu vergessen, und dann diskutieren wir schon über die Türkei und die Ukraine. Österreich wimmelt von Türkei-Experten. Ich war glücklich in Ungarn, nicht weil ich in Ungarn war, aber ich habe Interviews gegeben, aber kein Mensch hat mich je über die Türkei gefragt, und das, obwohl Ungarn 150 Jahre von der Türkei besetzt war. In Österreich wird man schon an den Bahnhöfen gefragt, was ist mit der Türkei, was halte ich von der Türkei.

Also ich glaube, wir müssen uns auf die beidseitigen Probleme konzentrieren. Sehr wichtig für die Zukunft ist, dass die EU auch in den mitteleuropäischen Ländern als Kraft gegen den Nationalismus Einstimmigkeit behält. Allein die Aussicht auf die Mitgliedschaft hat schon große Änderungen bewirkt. Diese Konflikte sind da, und ich bin hundertprozentig einer Meinung mit Busek, was die Probleme im Kosovo betrifft. Die werden nicht verschwinden! Auch wenn die Amerikaner und manche Politiker den Unterschied zwischen Slawonien oder Slowenien nicht wissen, oder wie eine wichtige Persönlichkeit im Europarat Alois Mock einmal gefragt hat, ob man in Jugoslawien jugoslawisch spricht – diese Probleme werden nicht ver- schwinden. Bismarck hat einmal gesagt: Geographie bleibt eine Konstante in der internationalen Politik. Wir können nicht nur über Iran, Irak usw. sprechen, wenn in unserer Nachbarschaft Zeitbomben ticken, im Kosovo, in Mazedonien, und an anderen Gegenden. Ⅵ

90 Dr. Franz Fischler, Dr. Benita Ferrero-Waldner, Daniel Vernet, Dr. Erhard Busek, Prof. Paul Lendvai, Prof. Dr. Peter Sloterdijk

91 Prof. Dr. Peter Sloterdijk

Prof. Dr. Peter Sloterdijk

92 Prof. Dr. Peter Sloterdijk Philosoph, Professor und Rektor der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe

Im Westen etwas Neues

Mir ist die ehrenvolle Aufgabe zugefallen, die Geschichte des Westens von Plato bis zur Nato in zwei Minuten zu referieren. Um keine Zeit zu verlieren, fasse ich meine These in einer Formel zusammen, die jene berüchtigte Meldung der Obersten Deutschen Heeresleitung aus der Zeit des Ersten Weltkriegs „Im Westen nichts Neues“ umkehrt. Die entscheidende Nachricht unserer Zeit lautet in der Tat: Es gibt im Westen etwas Neues. Am westlichen Kap der euroasiatischen Landmasse for- mieren sich zur Stunde die Konföderierten Staaten der Alten Welt unter dem Namen der Europäischen Union – ich denke hierbei an das politische Gebilde, das seit dem 1. Mai 2004 als das Europa der 25 bezeichnet wird. Was das wirklich Neue an diesem Phänomen bedeutet, lässt sich allein durch einen Ausblick in die Geschichte erläutern – denn nur in weiteren historischen Perspektiven kann uns die Besonderheit des gegenwärtigen großen politischen Versuchs bewusst werden. Wir wohnen dem Auftauchen einer politischen Großform bei, zu deren Charakterisierung man sich im Arsenal der bisherigen Begriffe und Vorbilder vergeblich umsieht. Die singulären Merkmale der neuen Struktur lassen sich wohl am ehestens in der Form fassen, dass man hervorkehrt, was die Europäische Union in ihrer heutigen Gestalt nicht – oder nicht mehr – darstellt.

Ich bediene mich hierzu einer Liste von fünf Bestimmungen. Die erste hiervon besteht in der These, die alle folgenden in gewisser Weise vorwegnimmt, dass das heutige Europa eine wesenhaft post - imperiale Größe darstellt. Ein Imperium – wie es seit den Tagen der Römer definiert war – bedeutet einen von metaphysischen Privilegien beschirmten Erfolgsraum. In ihm kommunizieren die Teilhaber an der Macht im Wesentlichen über nichts anderes als über die Siege des Reichs. Dieses bildet einen Glückszusammenhang, der sich in der Person des Kaisers konzentriert – eines Kaisers, der weniger dem altrömischen Götterhimmel verpflichtet ist als den beiden imperial neu aufgeladenen Kommunikationsgottheiten Victoria und Fortuna. Die typischen Embleme des imperialen Erfolgsprogramms sind Adler und Löwen – politische Raubtiere, die im aktuellen Europa nur noch in den Zoos der Bibliophilen und der Historiker gehegt werden. Post-imperial: das heißt, die Europäer haben das nahezu zweitausendjährige Epos der Übertragungen des Römischen Reiches auf immer neue Trägernationen abgeschlossen, und zwar, wie ich glaube, endgültig – auch wenn die Rolle der USA in diesem Spiel bis auf weiteres Grund zur Sorge gibt. Damit zogen sie nach 1945 die Konsequenzen aus der bittersten Verirrung ihrer politischen Geschichte, als im 19. und 20. Jahrhundert auf engstem Raum ein halbes Dutzend (und mehr) an national basierten imperialen Prätentionen nebeneinander

93 Prof. Dr. Peter Sloterdijk

und gegeneinander agierten - um sich schließlich in zwei verheerenden Großkriegen selbst zu zerstören und zu neutralisieren. Seither steht das öffentliche Leben vor der Aufgabe, einen neuen, eben einen post-imperalen Modus von politischer Kultur zu entwickeln.

Das zweite Merkmal des neu-europäischen Komplexes besteht in seinem post - heroischen Ansatz. Im Laufe des vergangenen halben Jahrhunderts haben die Europäer sich weitgehend von den Traditionen des Heldenkults, der Todesverehrung und der Verherrlichung des Opfers losgelöst und sich zur Hochschätzung der zivilen Tugenden – einschließlich des weltlichen savoir vivre bekannt. Das erkennt man unter anderem daran, dass die europäische Gemeinschaft der Küchen weiter fort- geschritten ist als die der politischen Systeme.

Drittens definiert sich das große neu-europäische Experiment durch das, was ich seine post - machistische Atmosphäre nennen möchte. Mit der Auflösung des Heroismus geht die Auflösung der historischen Männlichkeit einher. Wir knüpfen seit der Französischen Revolution wieder an den meritokratischen Standard der griechischen Stadtkultur an - daher haben wir die tribale und mittelalterliche Idee des Adels, diesen großen Rückfall der europäischen Psyche in die Magie der Arro- ganz, erneut verabschiedet und uns auf die Suche nach Verfahren begeben, wie man die menschlichen Vorzüge von den Ideologien des Erbes abkoppelt, um sie ganz an Wertungen für aktuelle Verdienste anzuschließen. Hieraus ergibt sich der neo- athletische Zug im Kern der europäischen Leistungsidee. Deren Ausdruck ist das Ranking, das bei all seinen anfechtbaren Aspekten doch ein großes Zugeständnis an die Einsicht darstellt, dass Eminenz und Prominenz reversible Größen sein sollen.

Schließlich darf man die psychische und psychopolitische Verfassung der europäi- schen Populationen als die einer post - enthusiastischen Kultur bezeichnen. In diesem Befund drückt sich die Tatsache aus, dass die europäische Publizistik auf breitester Front aufgehört hat, den Massennarzissmus für nationalistische Mobil- machungen und patriotische Überspitzungen zu benutzen – so wie man es in der Zeit der Nationalimperialismen gekannt hatte, jener politischen Gestalt der emotio- nalen Pest, an welcher das alte Europa zugrunde gegangen war. Man kann im übrigen beobachten, dass bis heute auch Angehörige der politischen Klasse mit diesem Merkmal europäischer Kultur Mühe haben, da sie noch leicht der Versuchung erliegen, sich wieder auf die Suche nach dem enthusiastischen Bürger zu machen – beziehungsweise dessen Fehlen zu beklagen. Besser wäre es, die Heraufkunft des skeptischen Bürgers als ihre eigene historische Chance zu begrüßen. Man muss die Tatsache zur Kenntnis nehmen, dass zwischen Demokratie und Skepsis eine positive

94 Korrelation besteht. Folglich sollten wir uns mit der Idee befreunden, dass die großen Überzeugungen den Seelenlärm nicht nötig haben – so wenig wie die mediale Hysterie. Tatsächlich besitzen die hier genannten Merkmale des neu-europäischen Experiments die Züge von großen Überzeugungen, die im Klima von wohltemperierter Skepsis am besten aufgehoben sind.

Mit alledem möchte ich sagen, dass die Europäer im Begriff sind, das Politische Paradigma für ein post - unilaterales Zeitalter zu schaffen. In der Verständigung hierüber liegen die wirklichen Anfänge einer gemeinsamen europäischen Außen- politik. Diese müssten beginnen mit dem Versuch, den verbliebenen Unilateralen den Abstieg vom hohen Ross der Anmaßung zu erleichtern, ohne dass diese sich dabei die Füße brechen. Der natürliche Gegner der Europäer ist alles, was weiterhin imperial, heroisch, machistisch, enthusiastisch und unilateral auftritt – woran auch hastige Besuche eines amerikanischen Präsidenten in Brüssel nichts ändern können. Es geht für Europäer heute darum, sich den eigenen Modus des Lebens und Politik- treibens deutlich genug zu machen, um ihm die Weltgeltung zu erwerben, die er seiner zivilisatorischen Vorzüge wegen verdient. Ⅵ

Dr. Erhard Busek, Prof. Paul Lendvai, Prof. Dr. Peter Sloterdijk

95 Gemeinsame Erfahrungen – Gemeinsame Perspektiven 10 Jahre Österreich in der Europäischen Union

Freitag, den 25. 02. 2005, 18:00 – 20:00 Uhr Kongresszentrum Hofburg, Redoutensäle Eröffnungsveranstaltung Dr. Alois Mock, Außenminister 1987 – 1995 Dr. Ursula Plassnik, Außenministerin Dr. Helmut Kohl, Deutscher Bundeskanzler 1982 – 1995 Dr. José Manuel Barroso, Präsident der Europäischen Kommission Dr. Franz Vranitzky, Bundeskanzler 1986 – 1997 Paavo Lipponen, Finnischer Premierminister 1995 – 2003, Präsident des finnischen Parlaments Prof. Dr. Heinz Nussbaumer, Moderation, Herausgeber der Wochenzeitschrift „Die Furche“

Samstag, den 26. 02. 2005, 9:30 – 13:00 Uhr Haus der Industrie, Großer Festsaal Podiumsdiskussion: Bilanz der 10-jährigen EU-Mitgliedschaft Mag. Brigitte Ederer, Staatssekretärin 1992 – 1995, Vorstandsdirektorin Siemens AG Österreich Lena Hjelm-Wallén, Schwedische Aussenministerin 1994 – 1998, Vorsitzende des parlamentarischen Komitees für Arbeitskrafteinwanderung DI Peter Mitterbauer, Präsident der Österreichischen Industriellenvereinigung 1996 – 2004, Vorsitzender des Vorstands MIBA AG Pertti Salolainen, Finnischer Außenhandelsminister 1990 – 1995 und stv. finnischer Premierminister Roger de Weck, Moderation, Freier Publizist und Journalist Podiumsdiskussion: Perspektiven für das Europa von Morgen Dr. Benita Ferrero-Waldner, EU-Außenkommissarin Dr. Erhard Busek, Vizekanzler 1991 – 1995, Sonderkoordinator des Stabilitätspakts für Südosteuropa Dr. Franz Fischler, EU-Agrarkommissar 1995 – 2004 Prof. Paul Lendvai, Herausgeber der Zeitschrift „Europäische Rundschau“ Prof. Dr. Peter Sloterdijk, Philosoph, Professor und Rektor der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe Daniel Vernet, Moderation, Direktor für Internationale Beziehungen der französischen Tageszeitung „Le Monde“

96 Impressum

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