Vom „Neuen Bayern“ Zur Stadterhebung (1799–1864)
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Manfred Treml Vom „neuen Bayern“ zur Stadterhebung (1799–1864) Der Weg in das „neue Bayern“ einmarschierten, brachte man ihnen wenig freund- schaftliche Gefühle entgegen, weil man mit dem Der moderne bayerische Staat des 19. Jahrhunderts übermächtigen Nachbarn im gesamten 18. Jahrhun- war geprägt vom Geist der Aufklärung und von den dert schlechte Erfahrungen gemacht hatte.3 Folgen der Französischen Revolution; geformt aber wurde er durch den Ein fluss Napoleons und vor al- Nach Rosenheim kam zunächst ein britisches Sub- lem durch die starke Hand des führenden Politikers sidiencorps, das am 6. Juli 1800 in der Stadt eintraf dieser Jahre, Maximilian Joseph Freiherr von Mont- und für insgesamt sechs Monate allein täglich 2.000 gelas, der in einer „Revolution von oben“ das neue Portionen Brot verzehrte. Dazu kamen Abgaben Staatswesen schuf. für Fourage, Strohlieferungen, Schanzarbeiten und Lastfuhren zu Schiff und zu Land – insgesamt Las- Bei Ausbruch der Französischen Revolution im Jah- ten, die zu schultern den Bürgern der Stadt viel ab- re 1789 befand sich in Pfalz-Bayern die Regierung verlangte. Der damals auch für Rosenheim zustän- Kurfürst Karl Theodors bereits mitten in einer in- dige Landrichter von Aibling protestierte in einer nen- und außenpolitischen Krise. Als Max Joseph Vorstellung an das Ober-Marsch-Commissariat 1799 die Herrschaft übernahm, war die politische Burghausen-Kraiburg und erklärte, er zöge es vor, Situation Bayerns prekär: Die linksrheinische Pfalz „sich lieber selbst in das Zuchthaus befördert zu war von Frankreich besetzt, die rechtsrheini sche wissen, als die Unterthanen ganz ausschinden zu bedroht; in Bayern selbst standen über 100.000 ös- sehen.“4 terreichische Soldaten, die jederzeit zur Annexions- armee werden konnten. Die Entscheidung für ein Doch mit den Siegen Napoleons und dem Einmarsch Bündnis mit Österreich, England und Russland war der Franzosen in München wurden die Verhältnis- daher im zweiten Koali tionskrieg gegen Frankreich se noch bedrückender. Nach einem kurzzeitigen (1799–1801) eine Frage des Überlebens.1 Waffenstillstand, der mit riesigen Kontributionen in Höhe von 3,6 Millionen Gulden erkauft wurde, ver- In Rosenheim – damals gemäß der Volkszählung lagerte sich das Kriegsgeschehen in den Rosenheimer des Jahres 1794 mit 1.622 Einwohnern nach Tölz Raum. Noch ein erstes Gefecht vor den Toren, und der zweitgrößte Markt Altbayerns und größer als so schon fielen die französischen Truppen plündernd manche Stadt im Kurfürstentum Bayern2 – kündigte in den Markt ein und bescherten den Bürgern einen sich die neue Zeit freilich zunächst mit wechselnder unruhigen Dezember. Am 3. Dezember 1800 verlo- Militärpräsenz, Einquartierungen und Plünderun- ren Erzherzog Johann von Österreich und der bay- gen an. Freund und Feind wechselten in wenigen erische Feldmarschall Wrede bei Hohenlinden die Jahren mehrmals und manchmal waren die Truppen alles entscheidende Schlacht gegen die französischen befreundeter Nationen nicht weniger verheerend als Truppen unter General Moreau. Die Bayern allein die feindlichen Regimenter. Als 1798 die Österrei- hatten 5.000 Tote, Verwundete und Gefangene zu cher als Bündnispartner gegen Frankreich in Bayern beklagen. Die Österreicher verbrannten auf dem Vom „neuen Bayern“ zur Stadterhebung (1799–1864) 169 Rückzug vor den von Aibling her anmarschieren- Im Frieden von Lunéville stimmte der Kaiser der den französischen Soldaten noch die Innbrücke, ehe endgültigen Abtretung der linksrheinischen Gebiete am Weihnachtstag endlich ein Waffenstillstand vor- zu. Durch eine gezielte Indiskretion wurde bekannt, läufige Ruhe schuf, dem schließlich im Februar 1801 dass sich Österreich während die ser Verhandlungen der folgenreiche Friede von Lunéville folgte. erneut um eine Abtretung Bayerns bemüht hatte. Die Folge war ein bayerisch-französisches Abkommen Im April dieses Jahres kehrte der bayerische Kur- im Jahre 1801, in dem Frankreich einen Länderaus- fürst Max Joseph aus seinem Bayreuther Exil wie- gleich für die annektierten linksrheinischen Gebie- der nach München zurück und Rosenheim erhielt te in Aussicht stellte. Damit begann die allmähli che nun den Stab eines bayerischen Feldjägerregiments Hinwendung Bayerns zum französischen Partner, mit ca. 80 Mann zur Einquartierung, was wiederum die Montgelas aus Vor sicht gegenüber Österreich erheblich zu Buche schlug und Anlass zu einer Peti- und mit dem sicheren Gespür für die überlegene- tion an den Kurfürsten bot, in der man die trostlose re Kraft in Europa betrieb. 1805 schloss Bayern im Lage des Marktes in düstersten Farben schilderte: Vertrag von Bogenhausen ein geheimes Schutz- und Trutzbündnis mit Napoleon, das der ängstliche „Gnädigster Herr! Wir wollen gern thun, was wir bayeri sche Monarch erst ratifizierte, nachdem schon können; aber zur Unmöglichkeit wird niemand an- französische Truppen in Bayern einmarschiert wa- gehalten. Es sind unser 160 Bürger, wovon der drit- ren. Im dritten Koalitionskrieg war Bayern auf der te Theil absolute quartierunfähig, ja vielmehr selbst Seite Na poleons und damit des Siegers. Das unter- desselben benöthigt ist; so sind auch die übrigen 2 legene Österreich verlor im Frieden von Pressburg Drittel erschöpft und ausgesaugt, welche doch bei nicht nur ein Achtel seines Gebietes, sondern muss- der großen Anzahl Feldjäger und bei der Unthun- te auch 1806 die Erhebung Bayerns und Württem- lichkeit, das Quartier den ganz erarmten einzulegen, bergs zu Königreichen akzeptieren. dasselbe für beständig tragen sollen! Und da sogar andere durch die Kriegsdrangsale minder beschädig- Rosenheim aber erlebte wieder Truppendurchzüge: te Ortschaften z. B. die ungleich größere Stadt Was- Am 1. Oktober 1805 zogen 1.400 feindliche Öster- serburg nicht so stark wie wir belegt sind, so bitten reicher ein, die allerdings nach vier Wochen von den unterthänigst gehorsamst, Euere Kurf. Durchlaucht Bayern vertrieben wurden. Diese aber blieben im [möchten] geruhen, nicht nur den Staab des Feld- Land und erhöhten die Kriegsschulden um weitere jäger-Regiments von Rosenheim zu entfernen, son- 12.743 Gulden. Am Ende des Jahres 1805 zählte man dern auch das Quartier selbst, wenn wir doch eines 10.627 Mann Einquartierung.7 Am 19. Januar 1806 tragen müssen, auf eine leidliche Anzahl gnädigst zogen französische und bayerische Truppen durch herab zu moderieren.“5 die Region, die für drei Tage 74.000 Pfund Fleisch, 150.000 Maß Bier, 75.000 Rationen Brot, 480 Schef- Allein die Kriegsschulden des Marktes betrugen nun fel Hafer, 12.000 Bund Heu und 15.000 Bund Stroh 33.572 Gulden; nicht weniger als 180.000 Gulden forderten,8 im Februar und März waren weitere Privatvermögen waren verloren gegangen, sodass französische Truppendurchzüge zu verzeichnen. das gesamte Restvermögen nur noch 187.000 Gul- Die Einquartierungen setzten sich bis 1807 fort. Ins- den betrug. Das Gemeindevermögen belief sich nur gesamt waren 29.811 Soldaten im Markt gewesen, noch auf 24.000 Gulden und alle Versuche, durch für die 39.739 Gulden Quartiergeld zu verrechnen Einführung eines Bierpfennigs, eines Getreidegro- waren.9 schens und eines Viehaufschlags mehr Geld in die Kasse zu bringen, schlugen fehl, weil die Regierung Zur Abwehr der österreichischen und Tiroler Trup- aus Angst vor der Volksstimmung dazu keine Ge- pen wurde sogar ein Gebirgsschützenkorps aus den nehmigung erteilt hatte.6 Landgerichten Aibling, Miesbach, Tölz, Weilheim, 170 Manfred Treml Schongau und Werdenfels zusammengestellt. In der Vieh wegzutreiben, und eure Weiber und Töchter Bekanntmachung vom 17. Oktober 1805 hieß es: zu misshandeln. Dieser Ueberfall muß abgehalten, und wenn er erscheint, so zurückgetrieben werden, „Treue Bewohner der baierischen Gebirge! Ihr daß sie bereuen müssen, eure Gränzen betreten zu wisst, wie der Churfürst gezwungen worden ist, haben. Man wird euch mit Mannschaft unterstüt- sich gegen den ungerechten Angriff Oesterreichs zen. Aber ihr selbst seyd am ersten im Stande, euch mit den Waffen zu vertheidigen, und seine Truppen zu vertheidigen. Ihr kennt die Wege und Stege, ihr mit den französischen zu vereinigen. In dieser Lage seyd treffliche Schützen, ihr seyd herzhafte, bra- muß Alles zusammenhelfen, um den Feind aus dem ve Männer. Sammelt euch also unter euren Rotten, Vaterlande zu vertreiben. Schon sammelt sich der unter euren Hauptmannschaften! Erfahrne Anfüh- Tyroler Landsturm, um euch in den friedlichen Ge- rer stellen sich an eure Spitze. Ergreifet die Waffen! birgen zu überfallen, eure Häuser zu plündern, euer Euer Vaterland wird bald ganz befreyet seyn.“10 Kampf zwischen Franzosen und Kaiserlichen bei den Stephanskirchener Höhen am 9. Dezember 1800, Kopie nach einer zeitgenössischen Vorlage, Öl auf Leinwand von Michael Licklederer, 1901. Vom „neuen Bayern“ zur Stadterhebung (1799–1864) 171 Diesem rhetorisch-propagandistischen Auftakt entscheidende Bedeutung, diente aber zur Legiti- schlossen sich organisatorische Hinweise an, die mation für eine bis heute anhaltende selbstbewusste mit der Androhung von Arreststrafen bei Verstö- Traditionspflege. ßen und dem Versprechen von Belohnungen und Auszeichnungen bei besonderer Tapferkeit und Ge- Im Bündnis mit Napoleon vergrößerte Bayern sein schicklichkeit endeten. Territorium erheblich und erfuhr eine gewaltige Um- gestaltung auch im Inneren. Als der Stern des Kai- Mit der Tiroler Erhebung gegen die bayerische sers der Franzosen im Sinken war, steuerte Montge- Herrschaft hatte Rosenheim nun auch eine ausge- las rechtzeitig um und führte sein Land wiederum sprochen unruhige Grenze in nächster Nähe.11 Ins-